Skip to main content

Full text of "Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie 1882"

See other formats


Über dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 

Nutzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google -Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 

Über Google Buchsuche 

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 



Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen. 




UNIVERSITY OF ILLINOIS 
LIBRARY 



Class 

SOQ> 



P 11-20M 



Book 



Volume 



MUPS 1662. 



?E 



Digitized by 



Google 



Return this book on or before the 
Lotest Date stamped below. 

Th«ft, mutilation, and und«rlining of bookt 
ar* reasons for discipHnary action and may 
result in dismlssal from th« Univ*rsity. 
University of Illinois Library 



f- 



m 'z 






s£p ?. n 19?- 

0CT2j« r 






APR 2 4 1976 



L161— O-1096 



Digitized by 



Google 



i 



Digitized by 



Google 



i. 

i 

i 

t 



Sitzungsberichte 

der 

philosophisch-philologischen und 
historischen Classe 

der 

k. b. Akademie der Wissenschaften 

zu ]S/Eünchen. 



Jahrgang 1882. 



Erster Band. 



München. 

Akademische Buchdruckerei von F. Stranb. 

1882. 

In Conimission bei G. Franz. 



Digitized by 



Google 



! v? *;.-*> 



Digitized by 



Google 



«■^^^»^^■PIWW— PJWWWH 



Inhalts - Uebersicht. 



Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug. 

Oeffentliche Sitzung der Jcgl. Akademie der Wissenschaften 
zur Feier des 123. Stiftungstages am 28. März 1882. 

Seite 

t. Prantl: Nekrologe 391 

y. Giesebrecht: Nekrolog 417 



Philosophisch-philologische Classe. 

Sitzung vom 7. Januar 1882. 

Wilb. Meyer: Der Ladas de Antichristo and Bemerkungen 

über die lateinischen Rythmen des XII. Jahrhunderts 1 

Sitzung vom 4. Februar 1882. 

*Bursian: Der Bhetor Menandros and seine Schriften . . . 237 
Unger: Die historischen Glosseme in Xenophons Hellenika . 237 

Sitzung vom 4. März 1882. 

*▼. Christ: Die Attikus-Ausgabe des Demosthenes .... 355 
Thomas: a) Bemerkungen zu einer Relation über Schweden aus 

dem Jahre 1578 355 

b) Der Einzug Kaisers Karl V. in München am 
10. Juni 1530. Zwei Briefe eines Venezianers als 
Augenzeugen 363 



189316 

/Google 



Digitized by ^ 



IV 

Sitzung vom 6. Mai 1882. 

Seite 

Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen 422 

Historische Classe. 

Sitzung vom 7. Januar 1882. 

y. Rieh!: Arcangelo Corelli im Wendepunkte xweier musik ge- 
schichtlicher Epochen 193 

Grcgorovias: Die Gründang der ersten wissenschaftlichen 

Akademie Corsicas 235 

Sitzung vom 4. Februar 1882. 

Friedrich: Die vocati episcopi Erchanfried and Otkar der 
Passaner und der Oadalhart episcopns der Freisinger Ur- 
kunden 313 

*v. Druffel: Beiträge zur militärischen Würdigung des schmal- 

kaldischen Krieges 348 

Sitzung vom 4. März 1882. 
v. Loh er: Ueber angebliche Menschenopfer bei den Germanen 373 

Einsendungen von Druckschriften 349. 492 



Digitized by 



Go^g[^ 



Sitzungsberichte 

der 

philosophisch-philologischen und 
historischen Classe 

der 

k. b. Akademie der Wissenschaften 

zu München. 



1882. Heft L 



München. 

Akademische Buchdruckerei von F. Straub. 

1882. 

In Commission bei G. Franz. 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google 



Sitzungsberichte 

der 

köoigl. bayer. Akademie der* Wissenschaften. 
Philosophisch-philologische Classe. 



Sitzung vom 7. Januar 1882. 



Herr Wilh. Meyer hielt einen Vortrag: 

„Der Ludus de Antichristo und Bemer- 
kungen über die lateinischen Rythinen 
des XII. Jahrhunderts." 

Kaum eine andere lateinische Dichtung hat in neuester 
Zeit mehr Beachtung und Beifall gefunden, als das von Pez 
entdeckte, von ihm und Zezschwitz herausgegebene *), dann 
von Wedde 2 ) und Zezschwitz übersetzte Spiel vom Anti- 
christen. Während Hase und Wilken es weniger hoch 
stellten, haben Holland, Janssen, Zezschwitz, Wedde und 
Scherer 8 ) ihm die wärmsten Lobsprüche gespendet. Und 



1) Bernh. Pez Thesaurus Anecdotorura II, 3, S. 187—196. Zezsch- 
witz 1) Der Kaisertraum des Mittelalters, Leipzig 1877. 2) Vom römi- 
schen Kaisertum deutscher Nation, Leipzig 1877. (217 Seiten Einleitung, 
23 Seiten Text, 1 Seite Facsimile). 3) Das Drama vom Ende des römi- 
schen Kaisertums, Leipzig 1878 (Uebersetzung). 

2) Das Drama vom röm. Reiche deutscher Nation, Hamburg 1878. 

3) Karl Hase, das geistliche Schauspiel 1858, S. 25—30. Wil- 
ken, Gesch. d. geistlichen Spiele in Deutschland 1872, S. 145—152. 
Holland, Gesch. d. altdeutschen Dichtkunst in Bayern 1862, S. 612— 
623. Janssen, Gesch. d. deutschen Volkes I S. 231. Scher er, Gesch. 
d. deutsch. Litteratur, S. 77 — 79; vergl. denselben in der Zeitschrift f. 
deutsches Alterthum, 24 S. 450. 

[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. 1.] 1 



Digitized by 



Google 



2 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

die Dichtung verdient allerdings Studium und Lob in reichem 
Maasse, als ein Erzeugnis« der Bliithezeit der mittelalterlichen 
lateinischen Poesie und als ein Vertreter der so schwierigen 
dramatischen Dichtungsart, in welchem durch Instinkt viele 
Gesetze derselben beobachtet sind. 

Trotz allen Lobes ist es doch dem Dichter in vielen 
Stücken schlecht ergangen. Zezschwitz hat zwar eingesehen, 
dass der Traktat des Adso die alleinige Vorlage des Ge- 
dichtes sei, aber nicht den Inhalt desselben von Stufe zu 
Stufe mit seiner Vorlage verglichen : der Weg, der allein 
zum richtigen Verständniss desselben führt. Dann meinte 
er, die münchner Handschrift (No. 19411, in welcher allein 
das Gedicht erhalten ist), habe den Text fast fehlerlos über- 
liefert, und hat sich desshalb mit einem Abdruck der Hand- 
schrift begnügt, der ein Facsimile ersetzen soll. In Wahr- 
heit ist aber der Wortlaut in dieser Handschrift durch viele 
Fehler entstellt, so dass Jeder sehen muss, wie er sich durch 
Kritik und richtige Interpunktion den Druck Zezschwitz's 
verbessern und verständlich machen kann. Emilich von der 
Form des Gedichtes schreibt Wedde 'Antike Metrik darf 
man hier gar nicht erwarten. Classischen Zunftphilologen 
ist im Interesse ihres Wohlbefindens von der Leetüre des 
Originals aufs dringendste abzurathen — ein Schlaganfall 
wäre beim Anblick dieser "Längen und Kürzen" etwas sehr 
Wahrscheinliches. Und auch von unserer heutigen Jamben- 
und Trochäenhackbrettpoetik ist hier keine Rede.' Was 
Wedde wohl thut, wenn wieder so ein klassischer Philologe 
nachweist, dass auch unser Dichter sein Haupt unter das 
Joch eines streng bestimmten Versgesetzes gebeugt und sich 
nicht geschämt hat, Silben zu zählen und darauf zu achten, 
dass er die Worttöne ja nicht unrichtig stelle? 

Desshalb schien es mir eine Pflicht gegen den Dichter 
zu sein, erstlich den Inhalt der Dichtung mit der Quelle 
zu vergleichen, sodann den Wortlaut des Gedichtes mög- 



Digitized by 



— — 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo and über lat. Bythmen. 3 

liehst gereinigt und verständlich wieder za geben, endlich 
die rythmischen Formen, deren sich dieser Dichter bediente, 
mit den Formen der andern rythmischen Dichter jener Zeit 
zu vergleichen und so deutlicher zu erklären. 

Die Sage vom Antichristen 1 ) gehört zu den 
wichtigsten christlichen Sagen, da sie nicht nur die Theo- 
logen fast aller Zeiten beschäftigt, sondern auch oft genug 
bei politischen Aufregungen eine Rolle gespielt hat. Der 
Sagenstoff, welcher sich in der griechischen Kirche hierüber 
gesammelt hatte, wurde wahrscheinlich schon vor dem 8. Jahr- 
hundert, mit ebenso grosser Belesenheit als reicher Phantasie 
dargestellt und weiter ausgemalt in einer Schrift, die den 
Namen des Methodius trägt. Im Abendlande hatte schon 
Agobard am Ende seiner an Ludwig den Frommen gerich- 
teten Schrift de Judaicis superstitionibus gewünscht : Utinam 
jnberet religiosissimi Imperatoris industria alicui de suis, ut 
colligeret omnia quae a magistris ecclesiae in scripturis 
sanetis de Antichristo intelligenda vel exposita vel signata 
sunt Dieser Wunsch war vielleicht schon erfüllt. Denn 
schon in mehreren Handschriften, welche in das VIII/IX. 
Jahrhundert gesetzt werden, findet sich eine lateinische 
Uebersetzung des Methodius, welche dann im Mittelalter 
wegen des Namens ihres angeblichen Verfassers bei Theo- 
logen wie Historikern Verbreitung und Einfluss gewann. 2 ) 
Dies Ansehen machte ihr nur eine Schrift streitig, welche 
aus derselben hervorgegangen ist. Die Schicksale dieser 
zweiten Schrift sind von Froben in Alcuins Werken (IV 

1) Theologisches Hauptwerk hierüber ist das Buch des Thomas 
Malvencia de Antichristo Lejden 1647 ; vgl. besonders Alexandre Oracula 
Sibyllina (1856) tom. II p. 490- 516. 

2) Vgl. A. v. Gutschmid in der historischen Zeitschrift 41 (1879) 
S. 152—154. Von demselben Gelehrten ist bald die VeröifentlichuDg 
des griechischen und lateinischen Textes sammt Besprechung aller ein- 
schlägigen Fragen zu erwarten. 

1* 



Digitized by 



Google 



4 Sitzung der phüosrphüol. Classe vom 7. Januar 1882, 

p. 526 = Migne Cursus 101 p. 1289) dargelegt. Zuerst 
schrieb Adso ,vor 954 auf Wunsch der Königin Gerberga 
diesen Traktat nebst einer an die Konigin gerichteten Vor- 
rede. Dann setzte Albainus in ein dem Cölner Erzbischof 
Heribertus gewidmetes Sammelwerk (auch in der münchner 
Handschrift 7797 f. 13 — 61) nicht nur die Schrift des Adso 
vollständig ein, sondern schrieb in der Vorrede zum ganzen 
Werke auch die Vorrede des Adso theilweise wörtlich ab. 
So findet sich der Traktat, selten mit des Albuinus Namen, 
sehr oft ohne jeden Namen und jede Einleitung in vielen 
Handschriften und ist desshalb unter des Alcuin und des 
Rabanus Namen und in den Supplementen zu Augustin ge- 
druckt (Migne 40 p. 1130 und 101 p. 1289). Floss, der 
all dieses nicht wusste, liess ihn wieder drucken in Haupts 
Zeitschrift (X, 265). 

Adso, die Quelle unseres Dramas, schreibt die Commen- 
tatoren der Bibel und besonders den Methodius aus und hat 
so ein ziemlich confuses Ganze zusammengebracht. Er schil- 
dert zuerst wie der Teufel bei der Einpfangniss und Geburt 
des Antichristen thätig ist, sodann in welchen Städten der- 
selbe geboren und aufgezogen wird, wie er auftritt und seine 
Macht auf Erden ausbreitet, insbesondere die Gläubigen 
schwer bedrängt. Erscheinen werde er nicht, nisi venerit 
discessio primum, id est, nisi omnia regna mundi discesserint 
a Romano imperio, cui prius subdita erant . . . Tradunt 
doctores nostri, quod unns ex regibus Francorura Roman um 
imperium ex integro tenebit, qui in novissirao tempore erit ; 
et ipse erit maximus omnium regum et ultimus, qui post- 
quam regnum suum fideliter gubernaverit ad ultimum Hiero- 
solymam veniet et in monte Oliveti sceptrum et coronam 
suam deponet. hie erit finis et consummatio Romanorum 
et Christianorum imperii. Dann erscheine der Antichrist. 
Dies veranlasst Adso noch einmal auf das Auftreten des 
Antichrists zurückzukommen, wie er sogar über die Trinität 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 5 

sich erhebe, in Jerusalem sich beschneiden lasse und von 
den Juden als der echte Messias aufgenommen werde. *) 
Dann bekehrten Elias und Henoch die Juden zum Chris ten- 
thum, würden getödtet, aber nach 3 Tagen wieder auferweckt. 
Nachdem der Antichrist 3 1 /* Jahr gewüthet, werde er von 
Gott in Babylon oder auf dem Mons Oliveti auf seinem 
Throne getödtet. 

Aus dieser ungeordneten Sammlung einzelner Notizen 
lässt unser Dichter eine im Einzelnen reichbelebte, aber 
doch im Ganzen einfache, sich klar entwickelnde und immer 
mehr spannende Handlung emporsteigen; er verzichtet auf 
manche auffallende Einzelnheiten, die Adso bot, auf alle 
theologischen Erörterungen, zu denen viel Anlass nahe lag: 
er ist nur auf die lebendigste Gestaltung seines Stoffes be- 
dacht, ein Verdienst, das einem mittelalterlichen Dichter be- 
sonders hoch anzurechnen ist. Zuerst macht sich der Kaiser 
die Christenheit unterthänig und legt dann in Jerusalem die 
kaiserliche Krone ab. Da erscheint der Antichrist, unter- 
wirft sich die Könige der Christenheit und mit deren Hilfe 
die Heiden, gewinnt durch Irrlehre die Juden, lässt dann 
diese, welche durch Elias und Henoch zum Abfall von ihm 
und zum Christenglauben bewogen sind, tödten und will 
sich eben als dem obersten Gott und dem Herrn der Welt 
huldigen lassen, da wird er getödtet und seine Anhänger 
kehren zur Kirche zurück. 

Zum besseren Verständniss scheint mir nothwendig, die 
einzelnen Theile des Dramas mit der benützten Quelle zu 
vergleichen. 

Die Bühne (No. 1 des Textes) stellt die Erde dar mit 



1) Eine Handschrift (ohne Adso's Namen) hat hier eine Inter- 
polation aus einem sibyllinischen Orakel saec. XI— XII, von dem bis 
jetzt drei Versionen gedruckt sind (bei Beda Migne 90 p. 1183, Got- 
fried von Viterbo Chronik. X p. 219, Forschungen z. d. Gesch. X p. 621 
= Mon. Script. XXII p. 375). 



Digitized by 



Google 



6 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

sieben Thronen. Auf der Seite im Osten steht der Tempel 
von Jerusalem, neben diesem der Sitz der Synagoge (1.) und 
der des Königs von Jerusalem (2.)i der später (No. 48) als 
der Sitz des Antichristen in den Tempel verbracht wird. 
Auf der Seite im Westen steht das Imperium (No. 21. 30. 
31), der Sitz des Kaisers (3.), der auch dem Umfange nach 
das Gegenstück zu dem Tempel von Jerusalem bildet, da 
auf demselben ausser dem Kaiser noch die Kirche mit der 
Liebe und der Gerechtigkeit und der Pabst ihren Platz ein- 
nehmen. Neben dem Imperium steht der anfanglich leere 
(No. 9 u. 38) Sitz des deutschen Königs (4.) und jener des 
Königs von Frankreich (5). 1 ) An der Hinterwand, der Süd- 
seite, steht der Sitz des Königs von Griechenland (6.), end- 
lich jener der Gentilitas und des Königs von Babylon (7. 
vgl. No. 3). Da nun an dieser Seite wohl auch der Ein- 
und Ausgang (No. 99) gedacht werden muss, da ich aber 
zwischen den Ausdrücken Ad austrum (sedes regis Grecorum) 
und Ad meridiem (sedes regis Babiloniae et Gentilitatis) 
keinen Unterschied finden kann, so kann ich auch nicht 
bestimmen, welchen dieser Sitze der Dichter sich östlich, 
welchen westlich von diesem Eingange gedacht hat. 

No. 2 — 36. Das Heidenthum mit dem König von Ba- 
bylon betritt mit einem längeren Gesänge die Bühne und 
besteigt seinen Thron; ebenso das Judenthum und ebenso 
die Kirche, begleitet von der Liebe und Gerechtigkeit und 
gefolgt vom Pabste und dem Kaiser. In ähnlicher Weise 
nehmen dann noch die Könige von Frankreich, Griechen- 
land und Jerusalem ihre Sitze ein (No 2 — 9). Der Kaiser 
lässt den französischen König auffordern, den Berichten der 



1) Die Sache lässt sich am einfachsten so denken, dass der Sitz 
der Synagoge nördlich (also auf der Znschauerseite) vom Tempel, der 
des deutschen Königs nördlich vom Imperium, die der Könige von Jeru- 
salem und von Frankreich südlich von den Hauptthronen stehen. 



Digitized byVjOOQlC 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 7 

Geschichtschreiber und dem römischen Rechte gemäss ihm 
als seinem Herrn zu huldigen und Waffendienst zu geloben. 
Als dieser trotzig antwortet, die kaiserliche Würde gebühre 
eigentlich den Franzosen, wird er besiegt und zur Huldig- 
ung gezwungen. Der König von Griechenland wird dann 
aufgefordert dem Kaiser zu huldigen und Tribut zu zahlen, 
und thut es willig. Ebenso der König von Jerusalem (No. 
10 — 28). Da erhebt sich der König von Babylon, um das 
Christenthum zu vertilgen, und berennt zuerst Jerusalem, 
die Geburtsstätte desselben. Zu Hilfe gerufen, schlägt der 
Kaiser, der defensor ecclesiae, ihn in die Flucht (No. 29—36). 

Zur Erfindung dieser Handlung mag der Dichter an- 
geregt worden sein durch die Worte Adso's von dem Könige, 
welcher 'Romanorum imperium ex integro tenebit' und von 
der Macht des römischen Reiches: 'omnes populorum nationes 
Romae subiacebant et serviebant ei sub tributo', wo manche 
Handschriften auch bieten 'Romanis subiacebunt et servient 
eis'. Hauptsächlich aber haben beim Aufbau dieses Aktes, 
wie z. B. bei der Aaswahl der auftretenden Könige, bei der 
geschickten Einfügung der Bedrohung und Vertheidigung 
der Stadt Jerusalem, die Verhältnisse seiner Zeit, welche 
später näher beleuchtet werden, besonderen Einfluss auf den 
Dichter geübt. Um so deutlicher ist Adso's Einfluss in 
der folgenden Handlung zu spüren. 

Der siegreiche Kaiser betritt den Tempel von Jeru- 
salem, nimmt die Kaiserkrone vom Haupte und gibt, die 
Krone und das Scepter in den Händen haltend, Gott die 
Kaiserherrschaft zurück 'Tibi imperium resigno, regi regum, 
per quem reges regnant, qui solus imperator dici potes et 
es.' Hierauf kehrt er zurück, aber nicht auf den kaiser- 
lichen Thron, sondern auf den bisher leeren Sitz des deut- 
schen Königs. Die Kirche allein bleibt im Tempel zurück 
(No. 37 u. 38). Diese Handlung beruht durchaus auf den 
oben (S. 4) angeführten Worten Adso's: dies ist auch die 



Digitized by 



Google 



8 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Januar 1882. 

von Adso hervorgehobene discessio 'omnia regna mnndi dis- 
cesserint a Romano imperio, cui prius subdita erant\ 

Der Antichrist und die Heuchler spielen von jetzt 
an Hauptrollen im Drama; es ist daher nothwendig, dass 
wir uns über deren Wesen klar werden. Der Antichrist ist 
kein gewöhnlicher Betrüger, kein blosser Pseudochristus, der 
morgen diesen Namen wieder ablegen und ein gewöhnlicher 
Mensch sein kann, sondern er ist ein Doppel wesen, fast wie 
Christus. Adso hebt wiederholt hervor, welche Mühe der 
Teufel bei der Erzeugung und bei dem Heranwachsen des 
Antichrists sich geben wird 'plenitudo diabolicae potestatis 
et totius malitiosi ingenii in eo habitabit\ Wie Adso vor- 
gebildet hat 'maligni spiritus erunt duces eins et socii semper 
et comites indivisi 1 , so fuhren (praecedent No. 42) zwei Geister 
den Antichristen in die Menschheit ein und bleiben ihm zur 
Seite. Dass unser Dichter hiefür die Gestalten der Heuchelei 
und Irrlehre gewählt hat, hat eine bemerkenswerthe Paral- 
lele bei Otto von Freising, der ebenfalls diese beiden Kräfte 
dem Antichristen beistehen lässt. 1 ) Der Antichrist steht 
über diesen Geistern, welche die Mitwisser seiner Bosheit 
sind. Daher der Ton, in dem er zu ihnen spricht. Die 
Heuchler dagegen sind keine Geister, keine Mitwisser 
des Antichristen und ihrer eigenen Bosheit sich nicht be- 
wusst; sie sind nur verblendete Menschen, welche den Anti- 
christen wirklich für den halten, als welchen die Heuchelei 
ihn ankündigt. 8 ) 

1) Chronicon 8, 1 Civitas Christi primo violentam a civitate mundi 
sab tyrannis infidelibusque regibus, secundo fraudulentam haereticorum, 
tertio fictam hypocritarum tempore persecntionem passa, nltimam tarn 
violentam quam fraadulentam fictamque ac omnium gravissimam sab 
Antichristo passura erit. Vgl. 8, cap. 3 zu Ende. 

2) So erklären sich die scheinbaren Widersprüche zwischen V. 1 52 — 
158 und 178—182, welche Scherer (Zeitschrift f. d. Alt. 24, 451) be- 
wogen, die V. 151 — 170 und unbestimmte Theile der benachbarten Spiel- 
ordnung für unpassende, spätere Interpolation zu erklären. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 9 

Nachdem der Kaiser die Krone niedergelegt und den 
Sitz des deutschen Königs eingenommen hat, wiederholen 
Kirche, Heidenthum und Judenthnm ihre früheren Gesänge 
ganz oder nur zum Theile. Während dieser Gesänge treten 
die Heuchler auf, suchen zuerst durch Demuth und Schmei- 
chelei alle Fürsten zu gewinnen, wenden sich dann insge- 
sammt zum Könige von Jerusalem, den sie völlig für sich ge- 
winnen. Jetzt tritt der Antichrist auf, der seinen Panzer 
unter anderen Gewändern verbirgt (vergl. zu No. 40 des 
Dramas), begleitet von der Heuchelei und der Irrlehre. Er 
verkündet : Jetzt sei die Stunde seiner Herrschaft gekommen ; 
sie, die er zu diesem Zwecke herangezogen, sollten ihm helfen 
Christi Lehre zu vertilgen, indem die Heuchelei die Gunst 
der Laien gewinne, die Irrlehre die Kleriker verführe. Die 
Beiden gehen ihm dann voran und die Heuchelei verkündet 
den Heuchlern die Ankunft des Antichristen. Diese be- 
grüssen ihn freudig, die Religion sei schon längst in Ver- 
fall, die Kirche und besonders die Kirchenfürsten verwelt- 
licht. Er solle die Herrschaft übernehmen und die Welt 
reformiren. Der Antichrist tritt in Worten wie in der 
Kleidung Anfangs bescheiden auf und fragt, wie er, der Un- 
bekannte, die» erreichen solle. Die Heuchler versprechen 
ihm die Laien zu gewinnen, er solle die Lehre der Geist- 
lichen überwinden. Den Thron von Jerusalem würden sie 
ihm verschaffen, das Uebrige müsse er selbst thun. Der 
Antichrist erklärt sich dazu bereit. Darauf vertreiben sie 
den König von Jerusalem, krönen den Antichristen und 
stellen seinen Thron in den Tempel. 

Ausser den oben schon erwähnten Zügen sind dem 
Adso noch andere nachgebildet: dass der Antichrist gleich 
nach Niederlegung der Kaiserkrone erscheint, dass er zu- 
nächst nach Jerusalem geht und dort seinen Thron in dem 
Tempel aufstellt (Hierosolymam veniens . . suam sedem in 
templo sancto parabit). 



Digitized by 



Google 



10 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

Der Antichrist schickt sich nun an, die Reiche der 
Erde zu unterwerfen. Es ist bemerkenswerth, dass er Nichts 
gegen Christus sagt, sondern den Christen gegenüber sich 
ausgibt für Christus, den vom Himmel gesandten Gottessohn, 
den Heiden gegenüber für den Feind aller Götzenbilder und 
den Juden gegenüber für den ersehnten Messias. Zuerst 
lässt er durch die Heuchler dem griechischen Könige an- 
kündigen, er müsse sich unterwerfen oder kämpfen. Dieser 
huldigt ihm und der Antichrist malt ihm den ersten Buch- 
staben seines Namens auf die Stirue. Dem französischen 
Könige sendet er nur Geschenke; er werde ihm gewiss zu- 
fallen, da ja die spitzfindige Klügelei dieses Königs und 
seiner Leute ihm den Weg bereitet habe. Das geschieht 
wirklich. Der Antichrist küsst den König (nur diesen!) 
und bezeichnet ihn und die Seinen mit dem Male. Dem 
deutschen Könige, der wegen der kriegerischen Tüchtigkeit 
sehr zu fürchten sei, werden auch Geschenke gesendet, doch 
von diesem als die Versuchung eines Betrügers mit stolzen 
Worten zurückgewiesen. Darauf sendet der Antichrist sein 
Heer gegen die Deutschen, allein es wird geschlagen. Da 
versucht der Antichrist sein letztes Mittel : Wunderzeichen. 
Er heilt Kranke und weckt einen scheinbar Todten auf: 
der deutsche König wird im Glauben irre, unterwirft sich 
und wird sammt den Seinen mit dem Male gezeichnet. Ja 
er wird sogar mit dem Schwerte belehnt und unterwirft 
dem Antichristen den König von Babylon, der huldigt und 
mit dem Male gezeichnet wird (No. 49 — 81). 

Wichtige Bestandtheile dieser Handlung sind aus Adso 
entlehnt. Auch dort wird ausgemalt, wie der Antichrist 
'extollitur supra omne quod dicitur deus'. Auch sein Vor- 
gehen ist dasselbe 'reges et principes primum ad se conver- 
tet et deinde per illos ceteros populos' und 'qui in eum 
crediderint, signuni characteris eius in fronte suscipient 1 . 
Ja die Disposition fast des ganzen Aktes hat unser Dichter 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 11 

von dort entlehnt. Adso sagte: Eriget se contra fideles 
tribus raodis id est terrore, muneribus et miraculis; 
dabit credentibus in se auri atque argenti copias; quos 
muneribus corrumpere non poterit, terrore superabit; quos 
autem terrore non poterit vincere, signis et miraculis se- 
ducere tentabit: von unserem Dichter werden gegen den 
griechischen König terrores aut bellum (V. 200) ange- 
wendet, gegen den französischen munera (V. 219), gegen 
den deutschen signa (V. 275). Der König von Babylon 
wird nicht wie früher (No. 36) nur in die Flucht geschlagen, 
sondern dem Antichristen unterworfen ; dass dieses durch 
den deutschen König geschieht, ist durch die obige Stelle 
des Adso 4 ad se convertet reges et per illos ceteros populos 1 
und eine damalige Volksmeinung vorbereitet. Wenigstens 
sagt Otto von Freising in seinem Chronikon (8 cap. 3 
zu Ende) der Antichrist werde nur durch Heuchelei und 
den Trug der Irrlehre schaden, 'tormenta vero per poten- 
tem ad hoc sibi ascitum sanctis intentaturum. Si qui vero 
unum eum potentem utpote Romanorum imperatorem ad 
hoc ascire coutendunt . ., non calumnior\ 

Der Antichrist lässt nun den Juden verkünden, er sei 
der wahre Messias, der sie aus der Knechtschaft zur Herr- 
schaft erlösen werde. Freudig eilen sie ihm entgegen und 
werden ebenfalls mit dem Male gezeichnet. Da erscheinen 
die Propheten Elias und Henoch und belehren die Juden, 
dass Christus der wahre Messias, dieser aber ein Betrüger 
sei. Die Juden bekehren sich zum Christenthum. Dem Anti- 
christen werfen die Propheten seinen Betrug vor und sterben 
dann mit den Juden den Märtyrertod als wahre Christen 
(No. 81—99). 

So hiess es schon bei Adso: dicet Jüdaeis: Ego sum 
Christus vobis repromissus, qui ad salutem vestram veni, ut 
vos, qui dispersi estis, congregem et defendam. Tunc ad 
eum concurrent . . . Tunc mittentur in mundum duo magni 



Digitized by 



Google 



12 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

prophetae, Elias et Enoch, qui contra impetum Antichristi 
fideles divinis armis praemunient. Postea . . Antichristus 
eoß interficiet. 

So aaf dem Gipfel der Macht, aber auch der Bosheit 
angelangt, beruft der Antichrist alle Könige mit ihren 
Mannen, um sich feierlich huldigen zu lassen, da jetzt die 
ganze Erde in Frieden ihm gehorche. Da donnert es über 
ihm und er stürzt herab. Seine entsetzten Anhänger kehren 
zur triumphirenden Kirche zurück, die den Gesang anstimmt, 
in den alle Anwesenden einstimmen: Lobet Gott unsern 
Herrn. Auch hier finden sich frei verwendete Elemente des 
Adso, welcher angibt, nach einer Ueberlieferung werde der 
Antichrist von Gott getödtet werden spiritu oris sui, nach 
einer andern von dem Engel Michael in monte Oliveti in 
papilione et solio suo : nach seinem Untergange werde den 
Verführten noch einige Zeit zur Rückkehr und Busse ge- 
lassen werden. 

Anspielungen auf Zeitverhältnisse finden 
sich in unserem Drama, doch nur wenige deutliche. Holland 
und Zezschwitz fanden in dem No. 29—36 geschilderten 
Zuge zur Befreiung Jerusalems eine Anspielung auf den 
Kreuzzug Friedrich Barbarossa's, der letztere insbesondere 
in der Niederlegung der Krone und dem Leerbleiben des 
kaiserlichen Thrones eine Anspielung darauf, dass auf dem 
Mainzer Reichstage im Jahre 1188 der Kaiser den Haupt- 
sitz nicht einnehmen wollte, weil derselbe dem Herrn zu- 
komme. Wedde und besonders Scherer haben sich dieser 
Ansicht nicht angeschlossen. Der letztere leugnet jede 
direkte Anspielung auf einen Kreuzzug und setzt die Ent- 
stehung der Dichtung in die frühere Regierungszeit Fried- 
riche, in die Jahre nach oder lieber vor 1160, da damals 
die inneren Streitigkeiten des Königreiches Jerusalem in 
Europa besonderes Aufsehen gemacht hatten. 

Die bezüglichen Theile der Dichtung sind in Kürze 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 13 

folgende : Neben dem Kaiser werden genannt : der König 
von Frankreich wohl als Repräsentant der abendländischen 
und der König von Griechenland als Repräsentant der grie- 
chischen Christen, der König von Jerusalem wegen der be- 
sonderen Stellung dieses Reiches. V. 117 — 146 weisen auf 
eine Zeit, wo Jerusalem von den Muhamedanern wieder 
ernstlich bedroht wurde. Die Rolle des Pab st es ist aller- 
dings eine auffallende. Er besteigt anfänglich mit der Kirche 
den Thron des Kaisers, und bleibt als stumme Person auf 
demselben während des ganzen Stückes, sogar als die Kirche 
und alle Anderen nach Jerusalem ziehen. Man könnte daran 
denken, das Drama sei während der heftigen kirchlichen 
Streitigkeiten im Ende der 50 er oder im Anfange der 60 er 
Jahre geschrieben und der Dichter habe, wie z. B. Radewin, 
es gemieden, für eine bestimmte Partei sich auszusprechen. 
Allein der Grund kann auch ein anderer sein. Bei Metho- 
dius ist natürlich vom Pabst keine Rede, bei Adso auch 
nicht. Wollte unser Dichter ihn einführen und mithandeln 
lassen, so musste er, wenn der Stoff nicht zu sehr abge- 
ändert werden sollte, ihn auch vom Antichristen verführt 
werden, also eine wenig rühmliche Rolle spielen lassen. 
Dies allein kann ihn veranlasst haben, den Pabst so im 
Hintergrund zu halten. 

In Betreff der deutlicheren historischen Anspielungen 
hat Prof. Wilh. v. Giesebrecht, welcher auch dieses 
Drama genau untersucht hat, folgendes Urtheil gefällt, dessen 
Mittheilung er gütigst gestattete : "Die historischen Bezieh- 
ungen im Spiele vom Antichrist sind nicht so klar, dass 
sich genau die Zeit der Abfassung bestimmen Hesse. Keinem 
Zweifel wird unterliegen, dass bei der Person des Kaisers 
nur an Kaiser Friedrich I. gedacht werden kann ; es kann 
dann nicht vor der Kaiserkrönung desselben (18. Juni 1155) 
entstanden sein. Da in dem ersten Theile des Spiels wegen 
der Vereinigung des Kaiserthums und Königthums in Frie- 



Digitized by 



Google 



14 Sitzung der phUos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

drichs Person der königliche Thron Deutschlands leer bleibt, 
ist meines Erachtens an eine Zeit zu denken, wo factisch 
es neben dem Kaiser keinen deutschen König gab. Da 
Friedrich's Sohn Heinrich im Juni 1169 zum König ge- 
wählt und bald darauf gekrönt wurde, dürfte das Spiel nicht 
nach dem Juni 1169 abgefasst sein. Das Verhältniss zwischen 
dem Kaiser und dem Könige von Frankreich erscheint im 
Spiele (V. 69 ff., 219 — 224) als ein feindliches, und in der 
That war jenes Verhältniss in den Jahren 1155—1169 meist 
so gespannt, dass man den Ausbruch eines Krieges befürch- 
tete, besonders in den Jahren 1162 — 1166. l ) Augenschein- 
lich ist, dass in der Zeit, wo das Spiel gedichtet wurde, 
Kreuzzugsgedanken das Abendland beherrschten, aber seit 
dem unglücklichen Ausgange des zweiten Kreuzzugs hat 
man sich unablässig mit solchen Gedanken beschäftigt. 
Schon 1150 plante mau einen neuen Kreuzzug in Frank- 
reich. 2 ) Friedrich wollte 1165 eine Kreuzfahrt unternehmen, 
wenn es ihm gelänge das kirchliche Schisma beizulegen. 8 ) 
Am 14. Juli 1165 erliess Alexander III eine Bulle 4 ), in 
welcher er alle Christen zur Vertheidigung der heiligen 
Stätten aufrief, und in den nächsten Jahren wurden in 
Frankreich und England Collecten gesammelt, um Kreuz- 
fahrer auszurüsten. So nahe es auch liegt das Spiel mit 
Friedrichs Kreuzfahrt i. J. 1189 in Verbindung zu bringen, 
halte ich dies doch nicht für th unlieb, weil dann der leere 



1) In dem Manifest des Kaisers aber die Reichstagsverhandlongen 
zu Würzburg 1165 heisst es: . . regem Francorum, qui nulla nostra 
culpa praeeunte una cum Rolando, imperii nostri hoste publico, eiusque 
sequaeibus imperialem nostrum honorem manifeste molitur auferre. — 
Mon. Germ. Legg. IL 137. 

2) Kaiserzeit IV. 335 ff. 

3) Schreiben Erzbischofs Reinald an König Ludwig VII. Du Chesne, 
Scriptores. IV. 727. 

4) ßymer, Foedera I. 21. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 15 

deutsche Königsthron unerklärt bleibt und Frankreich da- 
mals dem Kaiser zur Kreuzfahrt verbündet war. Beziehen 
sich die bekannten Aeusserungen des Grerhoh von Reichers- 
berg in seinem Werke über den Antichrist l ) auf unser Spiel, 
so müsste dasselbe etwa um 1160 schon bekannt gewesen 
sein ; denn Gerhoh schrieb jenes Werk in der Hauptsache 
im Jahre 1161, 'setzte aber 1163 noch die zweite Vorrede 
hinzu. Mit gutem Grund wird man das Spiel in die Zeit 
um 1160 setzen können; jede genauere Zeitbestimmung er- 
scheint bedenklich." 

Betrachten wir die verschiedenartigen Weihnachtsspiele 



1) Lib. I. cap. 5. Sacerdotes . . iam non ecclesiae vel altaris 
ministerio dediti sunt, sed exercitiis avaritiae, vanitatum et spectacu- 
lorum, adeo ut ecclesias ipsas, videlicet orationum domus, in theatra 
coramutent ac mimicis ludorum spectaculis impleant. Inter quae nimi- 
rum spectacula adstantibus ac spectantibus ipsorum feminis interdum et 
Antichristi . . non ut ipsi aestimant imaginariam similitudinem exhibent, 
sed in veritate, ut credi potest, iniquitatis ipsius mysterium pro parte 
sua implent . . . Quid ergo mirum, si et isti nunc Antichristum vel 
Herodera in suis ludis simulantes eosdem non ut eis intentioni est lu- 
dicro mentiuntur sed in veritate exhibent, utpote quorura vita ab Anti- 
christi laxa conversatione non longe abest? . . Contigit, ut comperimus, 
aliquando apud tales ut eum quem inter ludicra sua quasi mortuum ab 
Elisaeo propheta suscitandum exhiberent peracta simulatione mortuum 
invenirent. Alius item Antichristo suo quasi suscitandus oblatüs (vergl. 
No. 69 des Dramas) intra Septem dies vere mortuus, ut comperimus, et 
sepultus est. Et quis scire potest, an et cetera simulata, Antichristi 
scilicet effigiem, daemonum larvas, Herodianam insaniam in veritate non 
exhibeant? . . . Exhibent praeterea imaginaliter et salvatoris infantiae 
canabula, parvuli vagitum, puerperae virginis matronalem habitum, stellam 
quasi sidus flammiger um, infantum necem, maternum Racheiis ploratum. 
Sed divinitas insuper et matura facies ecclesiae abhorret spectacula thea- 
tralia, non respicit in vanitates et insanias falsas, in quibus viri totos 
se frangunt in feminas . ., clerici in milites, homines se in daemonum 
larvas transfigurant . . . (sint) in coetu talium nonnulli genere clari, 
litterarum scientia illustres, divitiis ampli, corporis et vestium cultu 
splendidi. Gerhohi opera ined. cur. Scheibelberger I (1875) p. 25. 



Digitized by 



Google 



16 Sitzung der phüos.-phUol. Classe vom 7. Januar 1882. 

des XII. und XIII. Jahrhunderts: sie lassen sich auf eine 
ursprüngliche Dichtung zurückführen. Ebenso sind die ver- 
schiedenen Passions- und Auferstehungsspiele nur Weiter- 
und Umbildungen einer ursprünglichen Dichtung. Da Ger- 
hoh ein Antichristspiel gekannt hat, so dürften wir, falls 
das unsere erst später entstanden wäre, ganz sicher an- 
nehmen, dass es eine Umbildung jenes von Gerhoh gekannten 
sei. Allein es wird sich später bei Untersuchung der ryth- 
mischen Formen zeigen, dass wir es mit einer Originaldich- 
tung zu thun haben. Demnach müssen wir schliessen, dass 
dieses Drama schon vor 1161 existirte. Was Gerhoh davon 
erzählt, stimmt mit dem unsern (denn das Wunder des 
Elisaeus hat nichts damit zu thun); daraus anderseits, dass 
unser Spiel in dem Benediktbeurer Weihnachtsspiel ausge- 
schrieben ist, erkennen wir, dass es ziemlich verbreitet war. 
Der Dichter war ein Geistlicher, wie Sprache und In- 
halt anzeigen, aber ein Freund der weltlichen Prälaten, wie 
Scherer aus V. 171 — 174 folgerte, und endlich ein guter 
Deutscher. Denn er lobt nicht nur auf das Wärmste die 
Kriegstüchtigkeit der Deutschen (V. 227 — 232 u. 271—274), 
sondern er lässt auch den Kaiser dem terror und den münera 
des Antichristen widerstehen, und erst den signa desselben 
erliegen, die nach dem Evangelisten so wundersam sind, ut 
in errorem inducantur si fieri potest etiam electi. Doch 
auch darin geht er nicht zu weit. Denn auch der deutsche 
König empfangt das Mal des Antichristen und dient ihm. 
Ja,, wenn man überhaupt an eine Tendenz denken darf, 
möchte hierin für den Kaiser eine leise Warnung liegen: 
wenn auch noch so edel und kriegstüchtig, möge er bei 
den kirchlichen Streitigkeiten sehr auf der Hut sein, dass 
er seine Macht nicht dem Dienst des Bösen weihe. Allein 
die Hauptstücke der Dichtung, die Niederlegung der Kaiser- 
krone und die glorreiche Rolle der Juden, an die damals 
Niemand dachte, zeigen, dass der Dichter nur den ihm vor- 
liegenden Stoff möglichst lebendig darstellen wollte. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 17 

Das ist ihm in jeder Beziehung gelungen. Denn es 
sind nicht nur, was allgemein anerkannt wird, die Anlage 
des Dramas und die einzelnen Gedanken vortrefflich, sondern 
auch die Form erscheint mir eine durchaus entsprechende 
zu sein. Die Ausdrucksweise ist frei von gelehrten Dun- 
kelheiten, aber doch kräftig und würdevoll. Die lateinische 
Sprache ist zudem bei diesem Drama eher erträglich als bei 
irgend einem andern; denn wenn das Gedichtete wirklich 
geschehen wäre, so hätten sich viele der vorkommenden 
Personen eben jener Sprache bedient. 



1) Templum domini et VII sedes regales primum collocentur 
in hunc modum : Ad orientem templum domini ; hinc collo- 
cantur sedes regis Hierosolimorum et sedes Sinagogae. Ad 
occidentem sedes imperatoris ßomani ; hinc collocantur sedes 
regis Theotonicorum et sedes regis Francorum. Ad austrum 
sedes regis Grecorum. Ad meridiem sedes regis Babiloniae 
et Gentilitatis. 

2) His ita ordinatis primo procedat Gentilitas cum rege 
Babilonis cantans: 

Deorum immortalitas 
2 est omnibus colenda, 

eorum et pluralitas 
4 ubique metuenda. 



T : die Handschrift früher in Tegernsee, jetzt in München cod. lat. 
19411 in 8° saec. XII — XIII (ein Pacsimile in Zezschwitzs Ausgabe), aus 
welcher Pez (P), Zezschwitz (Z) und jetzt Meyer (M) den Text heraus- 
gegeben haben. Statt £ in T setzte ich stets ae, statt e in T setzte 
ich oft §. Das Kleingedruckte ist in T fast immer unterstrichen. End- 
lich ist in T Alles fortlaufend geschrieben. 

No. 1 domini hinc und roraani hinc M : huic T beide Male hierli- 

morum T rom. T, Romanorum P. — No. 2 procedat so T babiloni T, 

Babylon iae P. Vers 1 — 12 sind, wie Hase bemerkt hat, eingesetzt in 

das Weihnachtsspiel der Carmina Burana fol. 106 b der Hschr., p. 94 

[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. l.J 2 



Digitized by 



Google 



18 Sitzung der phäos.-phäol. Classe vom 7. Januar 1883. 

stulti sunt et vere fatui, 
6 qui deum unum dicunt 

et antiquitatis ritui 
8 proterve contradicunt. 

Si enim unum credimus 
10 qui presit universis, 

subiectum hunc concedimus 
12 contrarie diversis, 

cum hinc bonura pacis foveat 
14 clementi pietate, 

hinc belli tumultus moveat 
16 seva crudelitate. 

Sic multa sunt officia 
18 diversaque deorum, 

que nobis sunt indicia 
20 discriminis eorum. 

qui ergo tarn multifariis 
22 unum dicunt preesse, 

illorum deum contrariis 
24 est affici necesse. 

Ne ergo unum subici 
26 contrariis dicamus 

et bis divinam affici 
28 naturam concedamus: 

ratione hac decernimus 
30 deos discriminare, 

officia quorum cernimus 
32 ab invicem distare. 



von Schroetters Ausgabe. Es sind 4 Stroplien: 8 v;— , 7 — ^, 8 t^ — , 
1 J-v || 9 u-L., 7 — \j % 9 v — , 7 —\s mit der Reimstellung: *no, 
am, no, am; ce, ur, ce, är\ 7 et Bur.: qaia TPZ 8 perpetuae P 

17 offitia T 19 inditia T 21 ergo (g) M: g T 23 deum M, fehlt in 
T u. edd. 31 offitia T. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer.: Ludus de Antichristo und über tat. Rythmen. 19 

3) Quod etiam debet cantare per totum ludum in temporibus ; 
et sie ipsa et rex Babilonis ascendunt in sedem suam. 

4) Tunc sequitur Sinagoga cum Judeis cantans: 

Nostra salus in te domine. 

34 nulla vitae spes in horaine. 

error est in Christi nomine 

spem salutis estimari. 
Mirum si morti subeubuit, 
38 qui vitam aliis tribnit. 
qui se salvare non potuit, 

ab hoc qnis potest salvari? 
Non nunc, sed qui est Emmanuel, 
42 deum adorabis Israel. 

Jesum sicut deos Ismahel 
te iubeo detestari. 

5) Quod et ipsa cantabit in singulis temporibus et sie ascendat 
tronum suum. 

6) Tunc Ecclesia in muliebri habitu procedit induta thor- 
acem et coronata, assistente sibi Misericordia cum oleo ad 
dextram et Justitia cum libra et gladio ad sinistram utris- 
que muliebriter indutis. Sequentur etiam eam Apostolicus 
a dextris cum clero et Imperator Romanus a sinistris cum 
militia. 

7) Cantabit autem Ecclesia f condit. Alto consilio, his qui eam 
seeuntur ad singulos versus respondentibus : 



No. 3 cantari P, vgl. No 5 ipsa cantabit. Diese und die No. 5 
bezeichnete Wiederholung des Gesanges ist sicher in No. 39 gegeben. 
Sonst ist dazu im Spiele keine besondere Stelle, babilon. asscendunt T 

33-44: 3 Strophen '9 ^, 9 ^-^-, 9 u-L, 7 -i-u' mit der 
Reimstellung * no, no, n6| am ' 33 Jer. 3, 23 in domino deo nostro salns 
Israel 35 fol. 3a, 1 error 41 hunc (he) sed T: homines P, homo sed Z 
No. 5 in singulis in T, singulis in edd. No. 6 rom. T No. 7 die 
Worte cond. (conditor?) Alto consilio enthalten gewiss den Anfang 
eines Hymnus auf die Dreieinigkeit. Den Hymnus selbst vermochte 
ich nicht zu finden. 

2* 



Digitized by 



Google 



20 Sitzung der pküos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

Hqc est fides, ex qua vita, 
46 in qna mortis lex sopita, 

quisquis est, qui credit aliter, 
48 hunc dampnamus §ternaliter. 

8) Ascendit autem ipsa cum Apostolico et clero, Imperatore 
et militia sua eundem tronum. 

9) Postea procedunt et alii reges cum militia sua, cantantes 
singuli, quod conveniens visum fuerit; et sie unusquisque 
cum militia sua ascendet tronum suum, templo adhuc et 
uno trono vaeuis remaDentibus. 

10) Tunc Imperator dirigit nuntios suos ad singulos reges, 
et primo ad regem Francorum dicens: 

Sicut scripta tradunt historiographorum, 
50 totus mundus fuerat fiscus Romanorum 

Hoc primorum strenuitas elaboravit, 
52 sed posterorum desidia dissipavit. 

Sub bis inperii dilapsa est potestas, 
54 quam nostrae repetit potentiae maiestas. 

Reges ergo singuli prius instituta 
56 nunc Romano solvant inperio tributa. 

Sed quod in militia valet gens Francomm, 
58 armis inperio rex serviat eorum. 

Huic, ut hominium cum fidelitate 
60 nobis in proximo faciat, imperate. 

11) Tunc legati venientes ad regem Francorum coram eo 
cantent : 

Salutem mandat Imperator Romanorum 
62 dilecto suo inclito regi Francorum. 

Tuae discretioni notum seimus esse, 
64 quod romano iuri tu debea& subesse. 



No. 10 föl. 3 a 2. col. ad 49 hystoriograuornm T 51 w. 52, icie 
61 u. 62 13 Süben ohne die regelmässige Pause 58 inperio 1. Hand, 
imperio 2. Hd. T 59 hominium M: hominum T. 



Digitized by 



Google. 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lab. Rythmen. 21 

Unde te repetit sententia tenenda 
66 summi imperii et semper metuenda. 

Cuias ad servitium dos te invitamus 
68 et cito venire sab precepto mandamus. 

12) Quibus ille: 

Historiographis si qua fides habetur, 
70 non nos imperio sed nobis hoc debetur. 

Hoc enim seniores Galli possederunt 
72 atque suis posteris nobis reliquerunt. 

Sed hoc invasoria vi nunc spoliamur. 
74 absit, invasoribus ut nos obsequamur. 

13) Tunc legati redeuntes ad imperatorem cantent coram eo: 

Ecce Franci super te nimium elati 
76 proterve se opponunt tuae maiestati. 

Immo et imperii tui ius infirmant 
78 illud invasorium esse dum affirmant. 

Digna ergo pena correpti resipiscant, 
80 ut per eos alii obedire discant. 

14) Tunc Imperator cantotf: 

Gorda solent ante ruinam exaltari. 
82 superba stultos loqui nolite mirari. 

Quorum nos superbiam certe reprimemus 
84 ac eos sub pedibus nostris conteremus. 

Et qui nunc ut milites nolunt obedire, 
86 tanquam servi postmodum cogentur servire. 



65 tremenda? 71 Hoc M: Iiluc TZ, illud P No. 13 legati 
fol. 3b 75 super te: superbi? vgl. Rom. 1, 30 superbos elatos 2. Tim. 
3, 2 elati superbi. Pause zwischen Praeposition und Namen auch in 131. 
11 infirmant M: infirmatur T (Wellenlinie über t), PZ 78 esse M: fehlt 
in T affirmät T, affirmatur PZ 81 ruinam P: riuam T; vgl. Prov. 
'ante ruinam exaltatur spiritus* 84 Jer. Lam. 3, 34: ut contereret sub 
pedibus suis. 85 ut milites nolunt ut milites obedire, T 86 cogentur P 
aus T cogntur; coguntur Z. 



Digitized by 



Google 



22 Sitzung der jjhilos.-phUol. Classe vom 7. Januar 1882. 

15) Et statim aciebus vadit ad expugnandum regem Fran- 
corum. Qui sibi occurrens congreditur cum eo et super- 
atus captivus reducitur ad sedem imperatoris. Et sedente 
imperatore stat coram eo cantans : 

Triumphi gloria est parcere devictis. 
88 victas ego tais nunc obsequor edictis. 

Vitam meam simul cum regni dignitate 
90 positam fateor in taa potestate. 

Sed si me pristino restitues honori, 
92 erit honor victi laus maxima victori. 

16) Tunc Imperator eum suscipiens in hominem et concedens 
sibi regnum cantal : 

Vive per gratiam et suscipe honorem, 
94 dum me recognoscis solum imperatorem. 

17) Et ille cum honore dimissus revertitur in regnum suum 
cantans : 

Bomani nominis honorem veneramur, 
96 Augusto Cesari servire gloriamur. 

Caius imperii virtus est formidanda 
98 honor et gloria maneant veneranda. 

Omniura rectorem te solum profitemur. 
100 tibi tota mente semper obsequemar. 

18) Tunc Imperator dirigens nuntios suos ad regem Gre- 
corum cantotf: 

Sicut scripta tradunt hystoriographornm, 
102 quicquid habet mundns, fiscus est Romanorum. 

Hoc primorum strenuitas elaboravit, 
104 sed posterorum desidia dissipavit. 

Sub his imperii dilapsa est potestas, 
106 quam nostrae repetit potentiae maiestas. 

Reges ergo singuli prius instituta 
108 nunc Romano solvant imperio tributa. 

No. 17 föl. 3b, 2- col. Et cantans P: cant. T, cantat Z, 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 23 

Hoc igitur edictum Grecis indicate 
110 et ab ipsis debitum censum reportate. 

19) Qui venientes ad regem cmtant coram eo: 

Salutem maudat et c, ibi mutantes 
Cuius ad servitium nos te invitamus 
112 et tributum dare sub precepto mandamus. 

20) Quos ille honeste suscipiens canta£: 

Romani nominis honorem veneramur, 
114 tributum Cesari reddere gloriamur, et c. 

21) Eosque cum honore dimittens ipsemet ascendet ad im- 
perium cantans: 

Romani nominis et c. 

22) Qui eum in hominem suscipiens et regnum sibi concedens 
cantatf : 

Vive per gratiam et c. 

23) Tunc ille suscepto regno revertitur cantaws: 

Romani nominis et c. 

-24) Tunc iterum dirigit nuntios suos imperator ad regem 
Jerosolimorum dicens: 

Sicut scripta tradunt et c. 

25) Qui venientes ad regem coram eo c(antant) : 

Salutem mandat imperator Romanorum 
116 dilecto suo regi Jerosolimorum et c. 

26) Quibus ille honeste susceptis cantatf: 

Romani nominis et c. 

27) Et ascendens ad imperium cmtat hoc ipsum iterans: 

Romani nominis et c. 

28) Quo ille suscepto concedit sibi regnum. 



111 servitutem P nos M aus V, 67 : fehlt m T No. 21 ascendet 
P; ascendens T fol. 4: nominis T. 



Digitized by 



Google 



24 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Januar 1882. 

29) Ipso itaque reverso in sedein suam cum iam tota ecclesia 
subdita sit imperio Romano, consurgil rex Babylonis in 
medio suorum cantans: 

Ecce superstitio novitatis vanae, 
118 quam error adinvenit sectae christianae, 

Fere iam destruxit ritam antiquitatis 
120 et diis subtraxit honorem deitatis. 

Quorum cultum prorsus deleri ne sinamus, 
122 nomen Christian um de terra deleamus. 

Quod ab eo loco debemus inchoare, 
124 unde primo cepit h^c secta pullulare. 

30) Et ordinans acies suas vadit ad obsidendam Jerosolimam. 
Tunc rex Jerosolimae dirigitf nuntios suos ad Imperium 
cantaws: 

Ite h§c ecclesiae mala nuntiantes, 
126 nobis auxilium ab ipsa postulantes. 

H§c dum cognoverit Romanus imperator, 
128 ipse noster erit ab hoste liberator. 

31) Qui venientes ad imperium cantaw^ coram eo : 

Defensor ecclesiae nostri miserere, 
130 quos volunt inimici domini delere. 

Venerunt gentes in dei hereditatem, 
132 obsidione tenent sanctam ciyitatem. 

Locum, in quo sancti eius pedes steterunt, 
134 ritu spurcissimo contaminare qu^runt. 

32) Quibus ille: 

Ite vestros propere fratres consolantes, 
136 ut nostrum auxilium laeti postulantes 

Nos pro certo sciant in proximo venire, 
138 ne de ipsis valeant hostes saperbire. 



119 iam M: fehlt in T No. 31 ue | nientes fol. 4a, 2. cöl. 131 
vgl. Psalm. 78, 1 *Deus venerunt gentes in hereditatem tpanV etc. 132 
obsidione P: obsidionem TZ. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Äntichristo und über lat. Bythmen. 25 

33) Qui reversi stant coram rege cantantes : 

Viriliter agens ab hoste sis securus. 
140 adpropinquat enim ab hoc te redempturus. 

Quem debes in prelio constans prestolari, 
142 per hunc te gaudebis in brevi liberari. 

34) Interim dum Imperator colhgit exercitum angelus domini 
subito apparens c(antat) : 

Juda et Jerusalem nolite timere 
144 sciens te auxilium dei cras videre. 

Nam tui fratres assunt, qui te liberabunt 
146 atqne tuos hostes potenter superabunt. 

35) Tunc chorus : 

Juda et Jerusalem. 

36) Interim Imperator cum suis procedat ad prelium, et, finito 
responsorio, prelio congrediatur cum rege Babylonis. quo 
superato et fugam ineunte 

37) Imperator cum suis intret templum et postquam ibi ado- 
raverit, tollens coronam de capite et tenens eam cum 
sceptro f et imperio ante altare cantet: 

Suscipe quod offero. nam corde benigno 
148 tibi regi regum imperiura resigno. 

Per quem reges regnant, qui solus imperator 
150 dici potes et es cunctorum gubernator. 



139 Paral. 1, 28, 20 viriliter age etc. 143 Juda M: Judea TPZ 
vgl. Paral. 2, 20, 17: Juda et Jerusalem, nolite timere nee paveatis. 
cras egrediemini contra eos. No. 35 Judea et Jerim mit Neumen T 
chorus bezeichnet nicht die Zuschauermasse, sondern die Singenden 
vertreten die christlichen Beiche. No. 36 resp. prelio M : prelio resp. T 
u. edd. No. 37 'imperio' übersetzt Wedde mit 'Reichsapfel*. Ich kann 
weder diese noch eine andere hier passende Bedeutung finden, und 
halte, die Worte et imperio für verdorben. Vielleicht ist et zu tügen u. 
imperiali zu schreiben oder imperio als Adjektiv zu fassen, was ich 
mich erinnere schon gelesen zu haben, 149 reges fol. 4b. 



Digitized by 



Google 



26 Sitzung der phUos.'philol. CUisse com 7. Januar l&s:>. 

38) Et eis depositis super altare ipse revertitur in sedem an- 
tiqui regni sui, Ecclesia quae secum descenderat Jerosoli- 
mam in templo remanente. 

39) Tunc cum Ecclesia et Gentilitas et Synagoga vicissim 
cantant ut supra, procedant Ypocritae sub silentio et 
specie humilitatis inclinantes circumquaque et captantes 
favorem laicornm. ad ultimum omnes conveniant ante 
Ecclesiam et sedem regis Jerosolim§, qui eos honeste sus- 
cipiens ex toto se subdet eorum consilio. 

40) Statim ingreditur Antichristus sub aliis indutus 
loricam comitantibus eum Y p o c r i s i a dextris et Heresi 
a sinistris, ad quas ipse cantat: 

Mei regni venit hora. 
152 per vos ergo sine mora 

fiat, ut conscendam regni solium. 
154 me mundus adoret et non alium. 

Vos ad hoc aptas cognovi, 
156 vos ad hoc hucusque fovi. 

ecce labor vester et industria 
158 nunc ad hoc sunt mihi necessaria. 

En Christum gentes honorant 
160 yenerantur et adorant. 

eius ergo delete memoriam 
162 in me suam transferentes gloriaui. 
ad Yprocrisin: In te pono fundamentum. 
ad Heresim: Per te fiet incrementum. 
ad Yprocrisin: Tu favorem laicorum exstrue. 
ad Heresim: Tu doctrinam clericorum destrue. 



No. 40 sub aliis T: sub alis P, sub albis? M (aibae statt alba 
z. B. Paulinus Aqu. De resurr. str. 12 Angelus sedens in albis). Giese- 
brecht vermuthet sub velis, indem auch er ei in No. 46 nicht als Dativ 
fasst und in sehr ansprechender Weise die räthselhaften Worte No. 90 
tunc tollunt ei velum hierher bezieht. V. 151 — 170 5 Strophen '8 — u , 
8— v,ll w-L-, 11 v/~ mit der Reimstellung *6n, 6n, ru, ru* 155 
hoc M, fehlt in T 158 nunc om. P. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludtts de Antichristo und über lat. Rythmen. 27 

41) Tone ill§: 

Per nos mundus tibi credet, 
168 noraen Christi tibi cedet. 
Ypocrisis: nam per nie favorem dabunt laici. 
Heresis: et per me Christum negabunt clerici. 

42) Tunc precedent eum ipso paulatim sequente. Et postquam 
venerint ante sedem regis Jerosolimae Ypocrisis insu- 
surret ypoeritis annuntians eis adventum Antichristi. 
Qui statim oecurrunt sibi cantantes : 

Sacra religio iam dia titubavit. 
172 matrem ecclesiam vanitas oecupavit. 

Ut quid perditio per viros faleratos? 
174 deus non diligit seculares prelatos. 

Ascende eulmina regiae potestatis. 

176 per te reliquiae mutentur vetustatis. 

43) Tunc Antichristus : 

177 Qaomodo fiet hoc? ego sum vir ignotus. 

44) Tunc ipsi: 

Nostro consilio mundus favebit totus. 

Nos oecupavimus favorem laicorum. 
180 nunc per te corruat doctrina clericorum. 

Nostris auxiliis hunc tronum oecupabis: 
182 tu tuis meritis cetera consummabis. 

45) Tunc Antichristus veniens ante sedem regis Jerosolimae 
cantat ad ypoeritas: 

Quem sub ecclesiae gremio coneepistis, 
184 longis conatibus me tandem genuistis. 

Ascendam igitur et regna subiugabo, 
186 deponam vetera, nova iura dietabo. 



169 fa | fol. 4b 2. col. | vorem No 42 oecurr. T, oecurrent P 
173 Math. 26, 8 ut quid perditio haec (unguenti)? 177 hoc 1. Hd. über 
der Zeüe, Vgl. die demüthige Frage der Maria; Luc, 1, 34 Quomodo 
fiet istud, quoniain yiruni non cognoyi? 



Digitized by 



Google 



28 Sitzung der philos. -philo!. Clusse com 7. Januar 1SH2. 

46) Tunc exuentes ei superiora indumenta ascendunt expositis 
gladiis et deponentes regem Jerosolimis coronant Anti- 
christum cantantes: 

Firmetur manus tua et exaltetar d(extera) t(ua). 

47) Tunc rex Jerosolimis ascendit ad regem Teotonicorum 
solus cantans: 

Deceptus fueram per speciem bonorum. 
188 ecce destituor fraude simulatorum. 

Regni fastigia putabam f beata, 
190 si essent talium edictis ordinata. 

Romani culminis dam esses adyocatus, 
192 8ub honore viguit ecclesiae status. 

Nunc tuae patens est malum discessionis. 
194 viget pestiferae lex superstitionis. 

48) Interim ypocrittj conducunt Antichristum in templum do- 
mini ponentes ibi tronum suum. Ecclesia vero quae ibi 
remanserat multis contumeliis et verberibus affecta redibit 
ad sedem apostolici. 

49) Tunc Antichristus dirigitf nuntios suos ad singulos reges, 
et primo ad regem Grecorum dicens : 

Scitis divinitus ad hoc me vobis datum, 
196 ut per omnes babeam terras principatum. 

Ad hoc idoneos mmistros vos elegi, 
198 per quos totus mundus subdatur nostrae legi. 

Hinc primo terminos Grecorum occupate. 
200 Grecos terroribus aut bello subiugate. 

50) Qui uenientes ad regem Grecorum cantant coram eo : 

Rex tibi salus sit dicta a salvatore 



No. 46 Es ist unsicher, ob ei Nominativ oder Dativ ist. Jerosoli- 
morum P Firmetnr etc. Psalm. 89> 13 No. 47 asceod T, ascendat P 
187 spe d. h. specie oder spem T, spem P 189 beata ist aus einem 
Worte wie firmata entstanden. 190 talium | f. 5 a 191 vgl. 129 defensor 
ecclesiae 195 ad aus ab corrigirt T: ob edd. 201 dicta M, fehlt in T. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 29 

202 nostro, regum et orbis totius rectore. 

Qui sicut scripturis mundo fuit promissus. 
204 descendit de caelis ab arce patris missus. 

Ule semper idem manens in deitate 
206 ad vitam sua nos invitat pietate. 

Hie se vult a eunetis ut deum venerari 
208 et a toto mundo se iubet adorari. 

Huius edicti formam si tu preteribis, 
210 in ore gladii cum tuis interibis. 

51) Quibus ille: 

Libenter exhibeo regi famulatum, 
212 quem tanto dicitis honore sublimatum. 

Honor est et gloria tali obedire. 
214 huic tota mente desidero servire. 

52) Et hoc iterans venit ad presentiam Antichristi et stans 
coram eo c&ntat: 

Tibi profiteor decus imperiale. 
216 quo tibi serviam ius postulo regale. 

53) Et flexo genu offert ei coronam. tunc Antichristus depingens 
primam litteram nominis sui regi et omnibus suis in fronte 
et coronam ei in capite reponens cantatf: 

Vive per gratiam et suseipe honorem, 
218 dum me recognoscis eunetorum creatorem. 

54) Tunc ille revertitur ad sedem suam. 

55) Iterum Antichristus äirigit ypoeritas ad regem Fran- 
corum cum muneribus dicens: 

H§c raunera regi Francorum offeretis, 
220 quem cum suis ad nos per illa convertetis. 
Hi nostro ritui formam adinvenere, 



202 orb. tot. M : toc. orb. T 203 ex Script. T, ex tilgte M 210 
in ore gladii Num. 21, 24 u. sonst, No. 52 stans | fol. 5 a 2. col. No. 53 
vor coronam ist munera getilgt. 



Digitized by 



Google 



30 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

222 nostro adventui viam preparavere. 
Horum subtilitas nobis elaboravit 
224 tronum conscendere, qnem virtus occupavit. 

56) Tunc ypocritae acceptis muneribus vadunt ad regem Fran- 
corum et stantes coram eo cantaw/: 

Rex tibi salus sit et c. 
ultimam clausulam ista commutaDtes : 

Sed de tai regni certus deuotione 
226 rependit tibi vicem voluntatis bonae. 

57) Tunc rex acceptis muneribus canto/: 

Libenter exhibeo et c. 
et hoc iterans venit ad presentiam Antichristi et flexo 
genu offert ei coronam cantans: 

Tibi profiteor et c. 

58) Antichristus eo suscepto in osculum signans eum et suos 
in frontibus et imponens ei coronam canta/ : 

Vive per gratiam et c. 

59) Tunc iterum dirigit ypocritas ad regem Teotonicorum 
cantaws : 

Excellens est in armis vis Teotonicorum, 
228 sicut testantur robur experti eorum. 

Regem muneribus est opus mitigari. 
230 est cum Teotonicis incautum preliari. 

Hi secum pugnantibus sunt pessima pestis. 
232 hos nobis subicite donis si potestis. 

60) Tunc ypocritae acceptis muneribus transeunt ad regem 
cantantes coram eo: 

Rex tibi salus sit et c , 
ultimum versum iterum isto commutantes : 

Et his te honorans muneribus absentem 
234 amicum cernere desiderat presentem. 



No.56 aiadunt T 227 vis: ins edd., T eher ius als nis. 228 rob. exp. 
M: exp. rob. T eorum \f.5b, diese Seite ist bei Zezschwitz facsimilirt. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 31 

61) Tunc rex Teotonicorum cantat: 

Fraudis versutias cotnpellor experiri, 
236 per quas nequitia vestra solet mentiri. 

Sub forma veritas virtutis putabatur; 
238 ostendit falsitas, quod forma mentiatur. 

Per vos corrnpta est fides Christianorum. 
240 per me conteretur regnum simulatorum. 

Plena sunt fraudibus munera deceptoris. 
242 iniquus corruet per gladium ultoris. 

Secum pecunia sit in perditionem. 
244 gravem iniuria exspectat ultionem. 

62) Tudc ypocritae confusi redeunt et stantes coram Anti- 
christo c(antant): 

regni gloria, caput totins mundi, 
246 offensam aspice populi furibundi. 

Certe predictum est per fidem antiquorum, 
248 quod tu subities cervices superborum. 

Si virtute tua totus orbis subsistit, 
250 qua vi teotonicus furor tibi resistit? 

Tuam Germania blasphemat dicionem, 
252 extollit cornna contra religionem. 

Respice igitur nostram confusionem, 
254 in ea iudica tuam offensionem. 

Tuam potentiam iniuria testatur, 
256 cuius imperio ruinam comminatur. 



235—238 auch im Weihnachtsspiel der Carmina Burana föl. 106b 
— Schindler S. 94 242 iniquus M: in quos T edd. ulturis T 243 
Act. 8, 20 pecunia tna tecum sit in perditionem 246 offensam M: 
offensa TPZ furibunda, ä^ui corrig. T 248 Jerem. 27, 11 gens 
quae subiecerit cervicem suam sub iugo regis Babyloniae 250 teotoni- 

cus M : teotonicorum TPZ 251 G. Tuam T , igitur setzte M in den 
V.253 253 igitur fehlt in TPZ 255 testatur = provocat? 256 Von 
der 1. Hand comutatur, dann von derselben cominatur T, conver- 



Digitized by 



Google 



32 Sitzung der phüos.-jihüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

63) Tunc Antichristus : 

Consummabo uere gentem perditionis 
258 pro tanto scandalo sanctae religionis. 

Ecce superbiam humanae potestatis 
260 teret potentia divinae maiestatis. 

64) Tunc dirig# singulos nuntios ad reges dicens eis: 

Ite congregantes facultates regnorum. 
262 conculcent impetu farorem saperborum. 

65) Nuntii vero venientes coram regibus c(antant): 

Ecce noster dominus et deus deoram 
264 per nos exercitum convocavit suorum. 

Ut per hos teotonicum condempnet furorem, 
266 in bello martyrum consignabit crnorem. 

66) Tunc reges conveniunt ante tronum Antichristi. Quibus ille : 

Consummabo vere et c. 
Ite Germaniae terminos invadetis, 
268 superbmn populum com rege conteretis. 

67) Tunc omnes cantawtf: 

Deus nobiscuni est, quos tuetnr potenter. 
270 Pro fide igitur pugnemus confidenter. 

68) Et disponentes acies suas in occursum Teotonicorum con- 
grediuntur cum eis et superatur exercitus Antichristi. 
Tunc rex Teotonicorum rediens et sedens in trono suo 
cantol : 

Sangoine patriae honor est retinendus, 
272 virtute patriae est hostis expellendus. 

Jus dolo perditum est sanguine venale. 
274 sie retinebimus decus imperiale. 



tatur Z, imperinm , minatur P 259 snperbiam | 5b 2. col. 263 Dan. 
2, 47 deus vester dens deorum est, und sonst. 265 hos M : eos T 273 
Das soll wohl heissen: die von mir freiwillig aufgegebene, von dem Ant. 
durch Trug erschlichene kaiserliche Machtbefugniss lässt sich durch 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer; Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 33 

69) Tunc ypocritae adducunt claudum coram Antichristo. quo 
sanato rex Teotonicorum hesitabit in fide. Tunc iterum 
adducunt leprosum, et illo sanato rex plus dubitabit. Ad 
ultimum important feretrum, in quo iacebit quidam simu- 
lans se in prelio occisum. iubet itaque Antichristus ut 
surgat dicens: 

Signa semper querunt rüdes et infideles. 
276 surge velociter, quis sira ego reveles. 

70) Tunc ille de feretro cantat: 

Tu sapientia supernae veritatis 
278 virtus invicta es divinae maiestatis. 

71) Et ypocritae secum c(antant) : 

Tu sapientia et c. 

72) Tunc rex Teotonicorum videns Signum seducitur dicens: 

Nostro nos impetu semper periciitamur, 
280 adversus dominum incauti preliamur. 

In huius nomine mortui suscitantur 
282 et claudi ambulant et leprosi mundantur. 

Illius igitur gloriam veneremar 
284 ** 

73) Tunc rex ascendit ad Antichristum hoc idem cantans. cum 
autem venerit coram eo flexo genu offert ei coronam 
c(antans) : 

Tibi profiteor et c. 

74) Tunc Antichristus signans eum et suos in frontibus et 
imponens ei coronam c(antat) : 

Vive per gratiam et c. 



Blut wieder erwerben und so, als Sieger über die ganze Christenheit, 
halte ich, wenn auch nicht den Titel, so doch den Glanz der kaiser- 
lichen Herrschaft fest. No. 69 iacebit M: iacebat T 276 surge M: 
surge surge T; vgl. Act. 12, 7 surge velociter. 278 | virtus föl. 6 T 
282 et lepr. M: et fehlt in T vgl. Matth. 11, 5 claudi ambulant, 
leprosi mundantur. Dass V. 284 ausgefallen ist, erkannte Wedde. 
No. 73 h* d. h. hoc T, cantans M (et hoc idem cantat P): cantat T 
vgl. No. 27 ascendens ad imperium cantat hoc ipsum iterans. 
[1882. I. Phiios.-philol. bist. Cl. 1.] 3 



Digitized by 



Google 



34 Sitzung der pMos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

75) Tunc committit sibi expeditionem ad gentes dicens : 

Vobis credentibus convertimur ad gentes. 
et dato sibi gladio c(antat) : 
286 Per te disponimus has fieri credentes. 

76) Tunc rex* veniens ad tronum Gentilitatis et mittens 
legatum ad regem Babylonis qui cantat coram eo : 

Potestas domini maneat in aeternura, 
288 quae adoranda quasi numen sempiternum 

condempnat penitus culturam idolorura, 
290 precipit abici ritus siuiulacrorura. 

77) Tunc Gentilitas ad legatum: 

Finxit invidia hanc singularitatem, 
292 ut unam coleret homo divinitatem. 

Ille iure deus cupidus estirnatur, 
294 qui spretis ceteris vult, ut solus colatur. 

Nos ergo sequimur ritum antiquitatis, 
296 diis discrimina reddimus deitatis. 

78) Tunc nuntius : 

Unus est dominus, qaem iure veneramur, 
298 qui solus deus est, 
et deiciens simulacrum c(antat) : 

ydolam detestamur. 

79) Statim gentiles concurrunt et preliantur cum exercitu 
Antichristi. et superatus rex Babylonis ducitur captivus 



No. 76 lengatum T qui Hess P weg. 287 Hehr. 7, 24 qaod 
maneat in aeternum, sempiternum habet sacerdotium. 288 quasi M : 
est quasi T 291 u. 292, 293 u. 294 im Weihnachtsspiel der Carmina 
Bur. fol. 106 a u. &, SchmeUer S. 94 292 homo coleret unam Bur. 
293 cup. deus Bur. 294 qui spas ceteris vult T, qui spretis ceteris 
vult Bur. 295 ergo M, igitur edd., in T scheint der Buchstabe über 
dem g eher i (igitur) als o (ergo) zu sein. No. 79 gentiles | fol. 6 a 
2. col. nach offert ist ei getilgt in T. 



Digitized by 



Google 



WÜh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Ryihmen. 35 

ad Antichristum. Tunc rex genu flexo offert coronam 
Antichristo d(icens) : 

Tibi profiteor et c, 

80) Tunc Antichristas signans eum et suos in frontibus et 
imponens coronam ei c(antat) : 

Vive per gratiam et c. 

81) Statim redeunt ad sedes suas omnes cantantes: 

Omnium rectorern te solutn profitemur. 
300 tibi tota mente semper obsequemur. 

82) Tunc Antichristus dirigens ypocritas ad Synagogam c(antat) : 

Judeis dicite Messiam advenisse 
302 et nie in gentibus tributnm accepisse. 

Judeis dicite: en ego sum Messyas. 
304 ego sum promissus eis per prophetias. 

83) Tunc ypocritae ad Synagogam: 

Regalis generis gens es peeuliaris, 
306 fidelis pppulus ubique predicaris. 

Pro tuenda lege iam dudum exulasti, 
308 procul a patria Messiam exspectasti. 

Hqc exspectatio reddet hereditatem, 
310 iocunda novitas mutabit vetustatem. 

Ecce mysterium tuäe redemptionis. 
312 rex enim natus est auctor religionis. 

Hie est Emmanuel, quem testantur scripturQ, 
314 per cuius gratiam tu regnabis secure. 

Erexit humiles et snperbos deiecit. 
316 potenter omnia sub pedibus subiecit. 

Surge Jerusalem, surge, illuminare, 
318 et captiva diu Synagoga laetare. 

n n 

No. 81 cant. omnes d. h. omn. cant. T 305 es: e fest) T; populus 
peeuliaris Deut. 7, 6 etc. Petr. 1, 2,9: genas electum, regale sacerdotium, 
gens saneta. 306 predicans T 311 Gor. 1, 15, 51 ecce mysterium vobis 
dico. 316 Cor. 1, 15, 26 omnia enim subiecit sub pedibus eins. 317 
Jes. 60, 1 Surge illuminare Jerusalem, quia venit lumen tuum. 318 et M, 

3* 



Digitized by 



Google 



36 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 7. Januar 1882. 

84) Tunc Synagoga : 

H§c consolatio divinae bonitatis 
320 laborem respicit nostrae captivitatis. 

Eamus igitnr obviam salvatori. 
322 dignum est reddere gloriam redemptori. 

85) Tunc Synagoga surgens vadit ad Antichristum et cantat : 

Ades Emanuel, quem semper veneramur, 
324 in caius gloria dos quoque glorianiur. 

86) Tunc venientem suscipit Synagogam signans eam et dicens : 

Per rae egredere vectem confusionis. 
326 tibi restituo terram promissionis. 

In tuo luraine en gentes ambulabunt 
328 et sub pacis taae lege reges regnabunt. 

87) Tunc Synagoga redeunte intrant Prophetae dicentes: 

Verbum patris habens divinitatem 
330 in virgine snmpsit humanitatera. 

Manen s deus effectus est mortalis, 
332 seraper deus factus est temporalis. 

Non naturae nsu sibi constante 
334 hoc factum est sed deo imperante. 

Nostram Christus sumpsit infirmitatem, 
336 ut infirmis conferret firmitatem. 

Hunc Judei mortalem cognovernnt, 
338 immortalem quem esse nesciernnt. 

Nee sermoni nee signis credidere. 
340 sub Pilato Christum crueifixere. 



fehlt in T No. 85 synagoga | fol. 6b 1. cöl. et cantat M: et cetera T 
325 für egredere vectem confusionis fand ich keine passende Stelle; 
am nächsten kommt Jonas 2, 7 terrae vectes concluserunt me. 327 am- 
bulant T Jes. 60, 3 ambulabunt gentes in lumine tuo. 333 sibi con- 

i 
stante (s östante) M : sie testante T P Z 334 operante P 335 Christus 

M, fehlt in T. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 37 

Moriendo mortem mortificavit. 
342 a Gehenna credentes liberavit. 

Hie surrexit vere non moriturus. 
344 regnat semper in proximo venturus. 

Hie seculum per ignem iudicabit, 
346 universos in carne suscitabit. 

A reprobis salvandos separabit. 
348 malos dampnans bonos glorificabit. 

Vere scitis quid scripturae loquantur. 
350 Enoch vivum et Heliam testantur. 

88) Tunc Synagoga: 

übinam sunt? 

89) Helias: 

Uli nos sumus vere, 

352 in quos fines seclorum devenere. 

Iste Enoch et ego sum Helias, 
354 quos hueusque servaverat Messias, 

Qui iam venit et adhuc est venturus, 
356 per nos primum Israel rederapturus. 

Ecce venit homo perditionis 
358 magnae muros consumraans Babylonis. 

Non est Christus (sed mendax Antichristus). 



360 



* * * * 



90) Tunc tollunt ei velum. statim Synagoga convertitur ad 
verba prophetarum dicens : 

Seducti fuimus vere per Antichristum, 
362 qui mentitur esse se Judeorum Christum. 



349 Verae P 350 enooh T 351 Helias add. M; sunt ? Uli. Nos sumus T 
352 8clorum T mit Strich durch 1, seculorum edd. vgl. 1 Gor. 10, 11 in qnos 
fines seculorum devenerunt. 355 adhuc | föl. 6 b 2. col. 357 vgl. 2 Thess. 
2, 3 homo peccati filius perditionis. 358 mur. cons. M : cons. mur. T 359 
sed m. Ant. M in der schon von Wedde bemerkten Lücke von T No. 90 
tollant ei velum, vgl. zu No. 40; Anstoss gibt mir nur, dass der Ant. nicht 
zu dieser Handlung gehört. 361 fuimus M : sumus T 362 esse M, fehlt 



Digitized by 



Google 



38 Sitzung der philos.~phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

Certa indicia sunt nostrae libertatis 
364 Helyas et Enoch prophetae veritatis. 

Tibi gratias damus Adonay rex gloriae, 
366 persoiiarum triuitas eiusdem substantiae. 

Vere pater deas est cuius unigenitus 
368 deus est. idem deus est amborum Spiritus. 

91) Interim ypocritae venientes ad Antichristum c(antant) : 

culmen regium divinae maiestatis, 
370 tibi subtrahitur honor divinitatis. 

Intravere senes doctores vanitatis, 
372 qui blasphemant tuae honorem potestatis. 

Judeis predicant tenore scripturarum 
374 te, rex omnipotens, caput ypocritarnm. 

92) Tunc Antichristus ad ypocrifas: 

Cum nie totus orbis studeat adorare, 
376 ius mei nominis quis audeat negare? 

Synagogam et senes mihi presentate. 
378 reos conveniam super hac levitate. 

93) Tunc ministri venientes ad prophetas et Synagogam c(antant) : 

Testes mendatii, precones falsitatis, 
380 Vos tribunal vocat divinae maiestatis. 

94) Tunc prophetae : 

Non seducet homo iniquitatis 
382 servos Christi ministris falsitatis. 

95) Tunc nuntii adducunt prophetas et Synagogam ad Anti- 
christum. quibus ille : 

Fert in insaniam f proprietatis 
384 vos, quos decipiunt vultus auctoritatis. 



in T 363 iuditia T 365—368 '7 + 7 - vJJ mit der Beimstellung 
'no, no, rü, rd* 366 trinitas P: trinitatis TZ 376 nurainis? 377 pre- 
sentate M: representate T 383 proprietatis ist aus dem Subjekte, wie 
doctrina vanitatis (vgl. 371, 413) verdorben. 384 quos | fol. 7a 1. Col. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 39 

Sanctis promissus sum redemptio futura. 
386 vere Messias sum, ut testatur scriptura. 

De me suscipite formam religionis. 
388 sum infidelibus lapis offensionis. 

96) Tunc prophetae: 

Tu blasphemus auctor iniquitatis, 
390 radix raali, turbator veritatis. 

Antichristus, seductor pietatis, 
392 vere mendax sub forma deitatis. 

97) Tunc Antichristus commotus dicit ministris: 

Ecce blasphemias meae divinitatis 
394 ulciscatur manus divinae maiestatis. 

Qui blasphemant in me divinam pietatem, 
396 divini numinis gustent severitatem. 

Pereant penitus oves occisionis 
398 pro tanto scandalo sanctae religionis. 

98) Tandem synagoga c(antat) confessionem istam : 

Nos erroris penitet. 
400 ad fidem convertimur. 

quicquid nobis inferet 
402 persecutor, patimur. 

99) Tunc ministri educunt eos et occidunt. interim vero dum 
occiduntur, Ecclesia c(antat) : 

Fasciculus mirrae dilectus meus mihi. 

100) Tunc ministris reversis Antichristus dirigit nuntios suos 
ad singulos reges c(antans): 

Reges conveniant et agmina suorum. 
404 adorari volo a gloria regnorum. 



386 sum M, felüt in T vgl. 303 ego sum Messias, ego sum pro- 
missus. 388 Jes. 8, 14 erit in lapidem offensionis. 392 deitatis M : 
pietatis T 397 Psalm 8, 22 oves occisionis. No. 99 Cant. 1, 12 403 su- 
orum M : söorum (ä. h. sanctornm) T 404 Matth. 4, 8 ostendit . . regna 
mundi et gloriam eorum. 



Digitized by 



Google 



40 Sitzung der phÜoa.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882, 

Cuncta divinitus manua ima firmavit, 
406 suos divinita8 hostes exterminavit. 

Pace conclusa sunt cuncta iura regnorum. 
408 ad cofonam vocat suos deus deorum. 

101) Tunc omnes reges conveniunt undique cum suis usque 
ad presentiain Antichristi (cantantes) : 

Cuncta divinitus et c. 

102) Quibus Antichristus : 

Ista predixerunt mei predicatores, 
410 viri mei nominis et iuris cultores. 

Haec mea gloria, quam diu predixere, 
412 qua fruentur mecum, quicunque meruere. 

Post eorum casum, quos vanitas illusit, 
414 pax et securitas uni versa conclusit. 

1 03) Statim fit sonitus super caput Antichristi et eo corruente 
et omnibus suis fugientibus ecclesia cantatf: 

Ecce homo qui non posuit deum adiutorem suum. 
ego autem sicut oliva fructifera in domo dei. 

104) Tunc omnibus redeuntibus ad fidem Ecclesia ipsos sus- 
cipiens incipit: 

Laudem dicite deo nostro. 



No. 101 cantantes P, fehlt in T 409 pre | fol. 7a 2. col. \ dixerrmt 
No. 103 Ecce homo etc.: Psalm 51, 9 u. 10. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Eythmen. 41 



Ueber die lateinischen Rythmen. 

Das Spiel vom Antichristen ist in festen ryth mi- 
schen Formen gedichtet. Allein, so viele auch über 
diese Dichtung geschrieben haben, keiner hat dieselben er- 
kannt. Die Formen der mittelalterlichen lateinischen Dich- 
tungen sind eben bis jetzt noch wenig erforscht, das Erforschte 
noch wenig bekannt. Muratori 1 ) gab nur werth volles 
Material für die Geschichte des Reims in den ältesten Zeiten. 
J. Grimm und Schindler 2 ) haben die Formen der 
von ihnen veröffentlichten schönen Gedichte nicht genügend 
erforscht. Du Merils 8 ) eifrigem Sammeln danken der- 
artige Forschungen die Grundlage ; er hatte auch den Blick 
für die Formen ziemlich geschärft: allein er hielt die ver- 
schiedenen Zeiten und Verhältnisse der einzelnen Dichtungen 
zu wenig auseinander, so dass er über die einzelnen Be- 
merkungen nicht zur Erkenntniss der wichtigen Fälle und 
der Gesetze durchgedrungen ist. Mone 4 ), der viel ver- 
kannte, zeigt in vielen einzelnen Bemerkungen feinen Sinn 
für diese Formen. Nachdem L6on Gautier 5 ) bei der 
Herausgabe gerade des Dichters, welcher den kunstmässigen 
Bau der rythmischen Verse sehr ausgebildet hat, diese 



1) Muratori, de rhythmica veterura poesi; Antiqu. Ital. III p. 664 
— Migne Cursus patrol. lat. 151 p. 755. — 2) J. Grimm u. Schindler, 
Lat. Gedichte des X. und XI. Jahrh. 1838. J. Grimm, Gedichte auf 
Friedrich L, Abh. der Berliner Akad. 1843 — Kleinere Schriften III, 
1 — 102. Schmeller, Carmina Burana, 1847, Bd. 16 der Bibl. d. lit. 
Vereins in Stuttgart. — 3) Ed. Du Meril 1. Poesies pop. lat. anterieures 
au douzierae siecle. Paris 1843. 2. Poesies pop. lat. du moycn äge. 
Paris 1847. 3. Poesies in^dites du moyen äge. Paris 1854 — 4) Mone, 
Lat. Hymnen des Mittelalters, 3 Bde. 1853 — 1855. — 5) L. Gautier, 
Oeuvres poetiques d'Adam de S. Victor, Paris 1858. 



Digitized by 



Google 



42 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Januar 1882. 

Kunst durchaus verkannt und geleugnet hatte, war es Gaston 
Paris 1 ) leicht, zunächst diesen Irrthum nachzuweisen. Er 
knüpfte hieran eine Reihe feiner Bemerkungen über den 
Bau der rythmischeu Verse, die bis jetzt nicht beachtet 
wurden, weil sie in der Allgemeinheit, wie sie G. Paris 
aufstellte, unrichtig sind; in der richtigen Beschränkung 
dagegen sind sie anregend und wichtig und zeugen von 
dem Scharfsinn und richtigen Gefühl dieses Forschers. Karl 
Bartsch 2 ) hat nur eine einzelne Art von Gedichten, die 
Sequenzen, behandelt, und auch von diesen gehören nach 
meiner Ansicht nur die Sequenzen der späteren Periode zu 
den rythmischen Gedichten; aber hier hat er durch reiche 
und übersichtliche Zusammenstellung der Eigenthümlich- 
keiten viele Gesetze klar gelegt und weitere Untersuchungen 
erleichtert. Dann hat er bei verschiedenen Gelegenheiten 
einzelne Zeilen- und besonders Strophenformen der lateini- 
schen, romanischen und deutschen Dichter verglichen und 
besprochen. In neuester Zeit hat Zarncke 8 ) die Ge- 
schichte einer Rythmeuform behandelt, Ebert 4 ) und H ne- 
in er 5 ) haben mehrere Stücke der ältesten rythmischen 
Poesie näher untersucht. Leon G a u t i e r 6 ) hat den kunst- 
mässigen Bau der mittelalterlichen Rythmen zugestanden 
und eine Anzahl Gesichtspunkte für die Geschichte derselben, 
besonders für die Entwicklung der mittelalterlichen Zeilen- 



1) G. Paris, Lettre ä L. Gantier sur la versification Lat. rhyth- 
raique. Paris 1866. — 2) K. Bartsch, Die lat. Sequenzen des Mittelalters. 
Rostock 1868. -— 3) Fr. Zarncke, Berichte d. sächs. Ges. d. Wiss. zu 
Leipzig 1877 p. 57—69. — 4) Ad. Ebert, Geschichte der Literatur des 
Mittelalters Bd. I. IL 1874. 1880. Zeitschr. f. deutsches Alterthum 24 
p. 144—150. — 5) Joh. Huemer, Unters, über den jamb. Dimeter vor 
Karl d. Gr. Wien 1876. Unters, über die ältesten Lat. christl. Rhythmen, 
Wien 1879. — 6) L. Gautier, Les Epopees Francaises, Paris 1878, I, 
p. 281 — 298. Schon 1878 kündigte Gautier an 'Histoire de la poesie 
Lat. au moyen äge : Versification rhythmique, Hymnes, Proses, Tropes, 
Mysteites. (Sons presse.) 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 43 

und Strophenarten aus den altrömischen aufgestellt, welche 
er hoffentlich bald ausführlich darstellen wird. 

Die lateinischen Rythmen des Mittelalters verdienen 
eifrige Erforschung, nicht nur um des Inhaltes, sondern 
auch der Formen willen. Dichtungen, wie viele der Car- 
mina Burana, manche des Archipoeta, sehr viele Hymnen 
und Sequenzen, werden stets zu den Perlen der Weltlitera- 
tur gehören. Dann haben die lateinischen Rythmendichter 
besonders im XL und XII. Jahrhundert mit feinem Gefühle 
für den innern Bau der Zeilen Gesetze aufgestellt, welche 
auf die romanische Dichtung im Mittelalter grossen Einfluss 
.gehabt haben und zum Theil noch jetzt fortwirken, wie 
z. B. der romanische Versbau heute noch auf dem damals 
gelegten Grunde ruht; wenn auch ferner die deutschen 
Dichter des Mittelalters den Vers nach einem ganz andern 
Princip bauten, indem sie nur die betonten, nicht wie die 
lateinischen und romanischen Dichter auch die unbetonten 
Silben zählten, also nicht wie jene gleiche Silbenzahl in den 
entsprechenden Zeilen beobachteten, so haben sie doch den 
innern Bau der lateinischen rythmischen Zeilen in manchen 
Stücken z. B. in der beschränkten Zulassung des Hiatus 
beachtet. Und unser neuhochdeutscher Versbau, welcher die 
betonten Silben als Längen rechnet, den Tonfall des Vers- 
schemas und die Gleichheit der Zahl auch der unbetonten 
Silben mit Vermeidung des Taktwechsels beobachtet, steht 
auf demselben Standpunkt, wie viele lateinische Rythmen- 
dichter des späteren Mittelalters, welche ebenfalls den Takt- 
wechsel sich nicht gestatteten. 

Die Zeilen- und insbesondere die Strophenarten aber 
sind es vor Allem, welche die Dichter des XII. und XIII. 
Jahrhunderts mit freudiger Schaffenslust in wunderbarer 
Mannichfaltigkeit ersonnen haben. Die lateinischen Dichter 
waren sicher hierin die ersten, später mögen bei dem Wett- 
streite der lateinischen, romanischen und deutschen Dichter 



Digitized by 



Google 



44 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882. 

die lateinischen ein oder die andere Strophenform von den 
romanischen oder deutschen Dichtern entlehnt haben. Wenn 
auch die romanischen und germanischen Dichter der letzten 
Jahrhunderte, insbesondere die deutschen Dichter des 19. Jahr- 
hunderts vielerlei griechische, römische, orientalische und nor- 
dische Zeilen- und Strophenarten nachgeahmt haben, diejenigen 
Lieder und grösseren Gedichte, welche jedes einzelne Volk 
als den echten Ausdruck seiner Gefühle anerkennt und liebt, 
sind in Formen gekleidet, welche aus jener Zeit des über- 
reichen Schaffens sich — in bescheidener Zahl — erhalten 
haben. 

Der Eifer Vieler ist jetzt darauf gerichtet, die Vers- 
gesetze der mittelalterlichen Dichtungen in den romanischen 
und germanischen Sprachen festzustellen : dem sollte eigent- 
lich die Feststellung der Gesetze der mittelalterlichen latei- 
nischen Bythmen vorangehen, da diese auf jene Einfluss 
übten und da sie leichter zu erkennen sind. Denn während 
dort wichtige Stücke streitig sind, wie z. B. die Aussprache 
oder Unterdrückung von Endsilben, besteht hier nur über 
wenige unbedeutende Vorfragen Zweifel. Eine Hauptschwierig- 
keit bildet hier nur die Unsicherheit der Texte. Doch durch 
die Bemühungen von Dümmler und Wattenbach, jenes um 
die lateinischen Gedichte der früheren, dieses um die der 
späteren Zeit, fällt ja auch in diese Finsterniss schon jetzt 
einiges Licht. 

Obwohl ich von einem Gedichte der zweiten Periode 
ausging, habe ich doch von dem Ganzen der poetischen 
Formen der ersten Periode, d. h. sowohl von dem Bau der 
einzelnen Zeilen als von ihrer Zusammenfügung zu Strophen 
und Gedichten in der Zeit bis zum Beginne des XL Jahr- 
hunderts, ein Bild zu geben versucht, habe dagegen bei der 
zweiten Periode nur den Bau der einfachen Zeilen besprochen. 
Ich that dies, weil die Formen der ersten Periode noch sehr 
wenig erforscht sind, ihre Kenntniss aber zum Verständniss 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 45 

der späteren Formen nothwendig ist, weil das von mir be- 
handelte Gedicht im Anfang der zweiten Periode entstanden 
ist und weil endlich die Fülle der in der zweiten Periode 
geschaffenen neuen Zeilen- und Strophenformen eine ausser- 
ordentlich grosse ist. Bei dem oft mühsamen Zusammen- 
zählen werde ich nicht selten geirrt haben, habe auch um 
Text-Kritik mich nicht viel kümmern können. Wenn aber 
die Haupt/iige der Rytb mengeschichte richtig erkannt sind, 
so wird die Berichtigung solcher kleineren Fehler die Resul- 
tate nicht ändern. 

Indem ich die einzelnen Zeilen untersuchte, ach- 
tete ich a) auf die Silbenzahl und die Pausen, b) den Schluss, 
c) den Tonfall der sich entsprechenden Zeilen, endlich d) 
auf die Zulassung von Hiatus und e) auf den Reim. Die 
Gedichte schied ich in gleichzeitige und ungleichzeilige, 
die aus ungleichen Zeilen, d. h. aus Strophen, gebildeten in 
gleichstrophische (fast alle Hymnen), und ungleich- 
strophische. Wenn in diesen letzteren Paare unter sich 
gleicher, aber von den andern verschiedener Strophen an 
einander gereiht sind, so heissen sie Sequenzen; strenge 
Leiche nannte ich die Gedichte, in welchen auf eine Reihe 
von verschiedenen Strophen in einer zweiten Reihe dieselben 
Strophenarten in derselben Ordnung, sei es in gleicher oder 
in verschiedener Zahl, sich folgen; freie Leiche endlich 
diejenigen Gedichte, in welchen verschiedene Strophen zu 
einer Reihe oder zu mehreren von einander verschiedenen 
Reihen und Gesetzen verbunden sind. 

Die Rythmen saec. VI. — XII. 

Der Bau der sogenannten rythmischen Hexameter des 
Commodian hat mit dem Bau der späteren Rythmen wenig 
zu ihun; nicht viel mehr die barbarischen Achtsilber mit 
trochäischem Schlüsse, welche Augustin in dem Gedicht gegen 
die Donatisten sich construirt hat: doch finden sich bei 



Digitized by 



Google 



46 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

ihnen die ersten sicheren Spuren des Reimes, indem bei 
Commodian die sämmtlichen Zeilen eines kleinen Gedichtes 
auf o, bei Augustin die 250 Langzeilen auf e enden. Da- 
gegen findet sich in den Soldaten- und ähnlichen Volkslied- 
chen der Kaiserzeit jenes Urprinzip aller rythmischen Poesie, 
dass in die langen, also betonten Stellen des Versschemas 
die betonten Wortsilben gerückt werden. Wenn auch die 
von dem Grammatiker Virgilius Maro gebotenen Zeilenarten 
zum Theil seine phantastische Erfindung sein mögen, so 
sehen wir doch bei ihm schon ganz die Gesetze der ryth- 
mischen Verse und reine zweisilbige Reime; und eben jene 
vielleicht neuerfundenen Zeilenarten zeigen, dass wir den 
rythmischen Dichtern auch dieser Zeit einige Neuerungen 
zutrauen dürfen und dass dabei vielleicht gerade die Ge- 
lehrten mithalfen. In manchen Dichtungen der nächsten Zeit, 
und besonders in den Gedichten der von Karl dem Grossen 
geehrten Dichter finden wir die Formen und die Technik, 
welche sich bis zum XII. Jahrhundert erhielten: die kata- 
lektischen trochäischen Tetrameter (15 v - / — ) mit steter 
Pause nach der 8. Silbe, die jambischen Trimeter mit Pause 
nach der 5. Silbe, die Zeilen zu 4 Jamben und die zu 4 
Trochäen, die Siebensilber mit jambischem und die mit tro- 
chäischem Schlüsse, lauter Formen, welche sich leicht auf 
die Formen der alten quantitirenden Poesie zurückführen 
lassen: in dem Bau der Zeilen das Gesetz, dass betonte 
Silben nicht zusammenstossen, sondern durch unbetonte und 
zwar in der Regel nur durch eine getrennt werden; die 
daktylischen Zeilenarten verschwinden, und in den regel- 
mässig dahinfliessenden trochäischen und jambischen Ryth- 
men findet sich nur hie und da ein Daktylus beim Eintreten 
von Taktwechsel, welcher in beschränkter Zahl von Fällen 
gestattet ist. Elision findet sich nicht, Verschmelzen zweier 
Vokale zu einem selten, aber auch Hiatus wird nicht zu 
häufig gestattet. Der trochäische Zeilenschluss wird durch 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 47 

ein mindestens zweisilbiges, der jambische durch ein min- 
destens dreisilbiges Wort gebildet. Die Zeilen, welche oft 
einsilbiger Reim oder einsilbige Assonanz bindet, sind meistens 
in Gruppen zusammengestellt: die trochäischen Fünfeehn- 
silber in Gruppen von je 2 oder 4 oder besonders von je 
3 Zeilen, die Trimeter besonders zu Gruppen von je 5 Zeilen 
oder, in Nachahmung der sapphischen Strophen, zu Gruppen 
von 3 Zeilen mit einem Fünfsilber, die übrigen Zeilenarten 
meistens in Gruppen von 2 oder 4 Zeilen. Ist ein Gedicht 
in derartigen einfachen Formen geschrieben, so ist schwer 
zu erkennen, ob es im 7. oder erst im 11. Jahrhundert 
entstanden ist. 

An diesem Stamme bildeten sich Auswüchse und Triebe, 
die theils wieder abstarben, theils fortwuchsen und sich ent- 
wickelten. So finden wir schon in irischen Gedichten des 
7. und 8. Jahrhunderts den Tonfall auch der trochäischen 
Verse so durchaus vernachlässigt, dass von Rythmus nicht 
mehr die Rede sein kann; ja sogar die wichtige Gleichheit 
der Zeilenschlüsse ist verletzt und unter die jambischen 
Schlüsse hie und da ein trochäischer gemischt und umge- 
kehrt; diese beiden Unsitten finden sich in einzelnen Ge- 
dichten bis zum Schlüsse des XI. Jahrhunderts. Sehr wich- 
tig wurde der Eifer, mit welchem die Iren den Reim 
pflegten. Die ältesten Beispiele von reinen zweisilbigen 
Reimen begegnen uns bei dem Grammatiker Virgilius Maro ; 
aus seinen Kreisen l$am er vielleicht zu den Iren, bei denen 
wir im 7. und 8. Jahrhundert reiche Reimfülle, ja sogar 
einmal Binnenreim und ein anderes Mal, das einzige Mal 
vor dem Schlüsse des XL Jahrhunderts, gekreuzte Reime 
antreffen. Bonifatius, Aldhelm, Hibernicus Exul und Dicuil, 
Iren oder Freunde von Iren, sind es, welche die Reimfülle 
auf das Festland verpflanzt und dieselbe aus den rythmi- 
schen auch auf die quautitirend gebauten Verse übertragen 
und so den Grund zu dem später so weit verbreiteten Ge- 



Digitized by 



Google 



48 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

schlechte der gereimten Hexameter gelegt haben. Grossen, 
hie und da überwuchernden Reichthum von Reimen finden 
wir später in den Gedichten Gotschalks und seiner Genossen, 
in manchen Stücken der Cambridger Sammlung und bei 
Wipo, bis gegen Ende des XI. Jahrhunderts die Anwendung 
des Reimes gesetzmässig wurde. 

Ein hässlicher Auswuchs ist zum Glücke wieder abge- 
storben. In historischen und religiösen Gedichten des 8. und 
9. Jahrhunderts findet sich mehr oder minder häufig vor 
der regelmässigen Zeile noch eine unbetonte Silbe, ein Vor- 
schlag, oder es ist in dem Innern der Zeile eine Silbe zu- 
gesetzt, indem ein Daktylus statt eines Trochäus eintritt. 

In der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts versuchte Notker, 
den freien Läufen der langgezogenen Melodien, mit welchen 
die einzelnen Silben des Alleluia ausgemalt wurden, Wörter- 
reihen von gleichem Tonfall anzuschmiegen. Wenn nun 
auch in diesen sogenannten Sequenzen der älteren Art die 
einzelnen Zeilen nicht rythmisch gebaut und die kühnen 
Strophen nur nach den Gängen der Melodie angelegt wurden, 
so dass also die Rythmen- und die Sequenzen-Dichtung da- 
mals zwei ganz geschiedene Gebiete waren, so wirkte doch 
der Eifer und die Kühnheit der Sequenzendichter auf die 
Rythmendichter. Es treten allmälich neue Zeilenarten auf; 
es finden sich Gedichte in schwankenden Zeilen, in denen 
die entsprechenden Zeilen an Silbenzahl und Bau sich nur 
ähnlich, nicht gleich sind, eine Art, die im Laufe des XI. 
Jahrhunderts wieder verschwindet ; insbesondere aber zeugen 
von einem neuen Geiste einige neue und kühne Strophen- 
formen, die sich im X. und XI. Jahrhundert finden. Damit 
dass im Beginn des XII. Jahrhunderts die Sequenzendichter 
sich herabliessen, ihre willkürlichen Zeilen und Strophen 
aufgaben und aus regelmässig gebauten rythmischen Zeilen 
ähnlich kühne Strophen zu fügen versuchten, war der ent- 
scheidende Schritt geschehen : um diese ganz neue und 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 49 

schwierige Aufgabe erfüllen zu können, mussten Neuerungen 
gemacht werden, und kräftiges Leben begann jetzt in allen 
Zweigen der rythmischen Dichtuug sich zu regen. 

Von den einzelnen Zeilen. 

Die Gedichte dieser früheren Zeit sind meistens gleich- 
zeilig, nur werden oft die einzelnen Gruppen durch Re- 
frain gekennzeichnet. Die Zeilen ohne Pause überschreiten 
fast niemals die Zahl von 8 Silben; (vgl. nur XIII, 1—4). 
Denn wenn eine der nachgeahmten antiken Zeilenarten (und 
fast alle damals gebräuchlichen rythmischen Zeilenarten 
waren Nachahmungen von antiken) mehr als 8 Silben zählte, 
so wurde sie, durch Verwandlung der Caesur in eine förm- 
liche Pause, zu 2 kleineren Zeilen zerlegt ; also bestehen die 
trochäischen Fünfzehnsilber stets aus 2 Zeilen zu 8 und zu 
7 Silben, die Trimeter aus 2 Zeilen zu 5 und 7 Silben, die 
Sapphischen und alcaeischen Zeilen aus 5 + 6, die phalae- 
cischen aus 6 + 5 und die asklepiadeischen aus 6 + 6 
Silben. Die wenigen Gedichte, in welchen diese Pausen 
nicht streug beobachtet sind (II, 27. 28 und IV, 3), sind 
auch sonst so roh oder entstellt, dass sie fast allen Regeln 
sich entziehen. Doch hatte man stets das Bewusstsein, dass 
die beiden Stücke zusammengehören und verband daher in 
den älteren Zeiten nur das Ende der Langzeilen durch 
Reim. Ja, man scheint für Langzeilen überhaupt eine Vor- 
liebe gehabt zu haben. Denn während es doch natürlich 
war in einem Gedichte, das aus gleichen Zeilen, z. B. jam- 
bischen Achtsilbern bestand, Zeile an Zeile zu reihen, wie 
dies auch *in der Regel z. B. bei Aldhelm und meinen Ge- 
nossen (VIII, 17 — 25) geschehen ist, sehen wir bei Dicuil 
je 2 solche Achtsilber zu Langzeilen verbunden. Ebenso 
sehen wir die trochäischen Achtsilber durch den Reim selten 
in Stücke von 4 Silben zerlegt (Virgil und III, 2), meistens 
die einzelnen Zeilen, aber bei Augustin Doppelzeileu von 
[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. 1.] 4 



Digitized by 



Google 



50 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

16 Silben an einander gereiht. In der ersten Hälfte, der 
Basis der Langzeile, ist öfter Schwanken in der Silbenzahl 
oder wenigstens im Rytbmus gestattet, während die 2. Halb- 
zeile fest gebaut ist. Vgl. IX, 2 a. X, 3. XI, 1. XII, 2. 

Gleiche Silbenzahl. 

Die Gleichheit der Silbenzahl ist ein wesentliches Merk- 
mal der rythmischen Gedichte, wenn sie auch nicht aus- 
reicht, um einen Rythmus zu bilden. Schon in dem Anti- 
phonarium Benchorense finden sich Gebete in Zeilen von 
ungefähr ähnlicher Silbenzahl nebst Assonanz, z. B. p. 153 
Tost Evangelium : Canticis spiritalibus delectati, | nos, Christe, 
consonantes canimus tibi, | quibus tua maiestas possit pla- 
cari, | oblata laudis hostia spiritali* : je 12 Silben mit Reim 
auf i; ähnlich besteht die dem Otloh zugeschriebene Prosa 
auf den heiligen Dionys (Du Meril 1843 p. 162) aus Lang- 
zeilen von 12 -f- 9 Silben, deren Halbzeilen einsilbig reimen, 
mit einer Einleitung von 2 Langzeilen zu 9 + 8 Silben. 
Ich kann diese an Silbenzahl gleichen Zeilen ebensowenig 
als die an Silbenzahl gleichen Strophen der Sequenzen älterer 
Art zu den Rythmen zählen, da der rythmische Bau der 
Zeilen fehlt. Andere Dichtungen, wie der gleichstrophische 
und gereimte Pilgergesang XV, 2 stehen auf der Grenze. 

Die gleiche Silbenzahl der entsprechenden Zeilen findet 
sich auch in den wirklichen Rythmen öfter verletzt, indem 
Silben zugesetzt sind. Zarncke (Ber. d. saechs. Ges. 
d. Wiss. 1877 p. 60) hat hierauf hingewiesen, sucht aber 
die Zahl der Fälle durch Mittel zu mindern, deren Anwen- 
dung ich nicht für richtig halten kann. Augustin hat die 
Gleichheit der Silbenzahl gewahrt, indem er keinen Hiatus 
zuliess, sondern die Endsilben auf m und auf einen Vokal 
vor anlautendem Vokal stets elidirte und die Silben ia, ea 
u. s. w. in der Regel zu einer verschmelzen Hess. In der 
folgenden Zeit ist in rythmischen Gedichten Verschmelzung 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über tat. Bythmen. 51 

zweier Vokale zu einem Laute noch gestattet, wie z. B. in 
dem irischen Gedicht (II, 20) sich solche Fünfsilber mit 
trochäischem Schlüsse finden 'regi cum sociis', 'errantem 
propriis', aber sie ist nicht häufig; vgl. I, 31. II, 16. Von 
Elision habe ich nur in einem Gedichte sichere Fälle ge- 
funden I, 33; hier werden durch Annahme der Elision 
sämmtliche überzählige Silben entfernt und es bleibt in dem 
Gedichte kein Hiatus übrig: allein das Gedicht scheint über- 
haupt nicht zu den rythmischen zu gehören. Wenn aber, 
wie in ziemlich vielen Gedichten, einerseits die Zulassung 
des Hiatus sicher ist, z. B. 'honor illi et potestas', anderer- 
seits die Zusetzung von Silben, z. B. 4 qui nos pastorem 
super gregem', warum sollte man dann dem Dichter die 
Inconsequenz zutrauen, dass er bald elidire bald nicht, und 
nicht vielmehr, den andern Fällen folgend, auch in Versen 
wie 4 ad expugnandum expellendum' zugleich Hiatus und 
Zusetzung einer Silbe annehmen? Ein Beweis für die Rich- 
tigkeit dieses Verfahrens liegt darin, dass in all den Ge- 
dichten, wo einerseits Hiatus gestattet ist, andererseits sich 
solche durch Elision entfernbare überschüssige Silben finden, 
daneben stets solche Verse vorkommen, aus denen die über- 
schüssigen Silben weder durch Elision noch durch Vokal- 
verschmelzung entfernt werden können. Indem ich nach 
diesem Grundsatze urtheilte, habe ich ausser in dem oben 
erwähnten Gedichte in keinem andern sichere Fälle von 
Elision gefunden. 

Vom Schlüsse der Zeilen. 

Der trochäische Schluss der Zeile wird durch ein min- 
destens zweisilbiges Wort gebildet, der jambische durch ein 
mindestens dreisilbiges; einsilbige schwere Wörter dürfen 
nicht im Zeilenschluss stehen, doch hie und da die Hilfs- 
wörter der Sprache, also kann z. B. natus est jambischen 
Schluss bilden. Vom Anfang bis zum Ende dieser Periode 

4* 



Digitized by 



Google 



52 Sitzung der phüos.-phüöl. Ciasse vom 7, Januar 1882. 

findet sich die Unsitte, Zeilen mit anderem Schlüsse einzu- 
mischen; besonders die Iren waren hierin sehr nachlässig; 
vgl. I, 29. 32. II, 20. V, 1. V, 2. VIII, 13. 14. IX, 5. 
Doch auch bei den Angelsachsen VIII, 17 — 25 und in an- 
deren Dichtungen früherer (z. B. II, 22. III, 3) und späterer 
Zeit (I, 37. III, 5 und bes. VIII, 30) sind widersprechende 
Versschlüsse in ziemlicher Zahl eingemischt. 

Vom Tonfall innerhalb der Zeilen. 

Die Gesetze zu erkennen, nach welchen das Innere der 
Zeile gebaut wurde, ist ebenso wichtig als schwierig. Zu 
berücksichtigen ist, wie es bei den späteren quantitirenden 
Dichtern stand. Die lateinisch redenden Menschen der spä- 
teren Kaiserzeit hatten für die Natur- und Positionslängen, 
wenn ich so sagen darf, in ihrer Zungenspitze ebensowenig 
Gefühl als wir, und, wenn sie quantitirende Gedichte machen 
wollten, mussten sie die Regeln über das, was lang und 
kurz sei, mühsam dem Gedächtnisse einprägen. Auf jenem 
angeborenen Gefühle hatte aber die Ersetzung einer Länge 
durch 2 Kürzen gänzlich und die Elision von Vokal vor 
Vokal zum Theil beruht. Es ist nur natürlich, dass diese 
beiden wesentlichen Eigenthümlichkeiten der quantitirenden 
Poesie abstarben, und dass die späteren quantitirenden Dichter 
Auflösung einer Länge in zwei Kürzen fast gar nicht, Elision 
in bescheidenem Maasse anwendeten. So kamen sie in den 
trochäischen und jambischen Reihen bei der gleichen Silben- 
zahl der entsprechenden Zeilen an. Aehnlich ging es in 
der griechischen Literatur. Ich habe (Abhandl. XV, II, 421) 
darauf hingewiesen, wie in einigen Sammlungen von Me- 
nandersprüchen (jambischen Trimetern) alle diejenigen weg- 
gelassen sind, in denen sich die gehasste Auflösung fand, 
deren Silbenzahl* also 12 überstieg. Auf diesem Wege, in- 
dem auch noch regelmässige Caesuren ängstlich eingehalten 
wurden, sind mehrere Gedichte entstanden, bei denen man 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludm de Antichristo und über lat. Byihmen. 53 

schwankt, ob sie quantitirend oder rythmisch gebaut sind 
(vgl. I, 33). Was den Bau der entschieden rythmischen 
Gedichte betrifft, so ist das, was der Grammatiker Virgilius 
Maro hierüber sagt, an und für sich wenig, und davon wieder 
ein gut Theil unverlässig. So sind wir auf die Gedichte 
selbst angewiesen. Die reinen Gedichte zeigen, dass die 
Betonung des Lateinischen zu allen Zeiten im Wesent- 
lichen die gleiche war, kleine Dinge abgerechnet, wie 
nmlieris (immer), süadet^ langüit, oder que als einzelnes 
Wort betont (selten). Die griechischen und hebräischen 
Wörter, sowie fremde Eigennamen entziehen sich allen 
Regeln; besonders werden die hebräischen Wörter gerne 
auf der Endsilbe betont, so dass solche zweisilbige Wörter 
sogar jambischen Zeilenschluss bilden können. Consequenz 
darf man hier niemals erwarten. So ist z. B. in den ziem- 
lich rein gebauten Trimetern (II, 9) in den Pünfsilbern 
4, 4 Bethleem in urbe, 9, 2 Bethleem ad urbem dies Wort 
zweisilbig, in 11, 3 natus est Bethleem und 35, 2 a magis 
Bethleem zweisilbig und auf Beth betont, in dem Fünfsilber 
24, 2 et tu Bethleem dreisilbig und auf le betont, in dem 
Siebensilber 15, 2 Bethleem celeriter dreisilbig. 

Für den rythmischen Bau galt als Hauptgesetz, dass 
betonte Silben nicht zusammenstossen dürfen, sondern durch 
unbetonte getrennt sein müssen. Sehen wir die angewen- 
deten Zeilenarten an, so scheint es fast als ob die, welche 
bei der Entstehung der geregelten rythmischen Dichtung 
thätig waren, % die Parole ausgegeben hätten, die betonten 
Silben dürften nur durch eine unbetonte getrennt werden, 
daktylischer oder anapästischer Rythmus sei also nicht zu- 
lässig. Zwar bei Virgilius Maro finden wir in seinen so- 
genannten Versus liniati noch ziemlich viele Daktylen, allein 
diese Zeilenart scheint seine Erfindung zu sein und geblieben 
zu sein. Denn obwohl der daktylische Rythmus der latei- 
nischen Sprache nicht ferne liegt, finden wir dennoch in 



Digitized by 



Google 



54 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

den erhaltenen rythmischen Gedichten nicht nur keines, in 
welchem sich mehrere Daktylen an einander reihen, sondern 
selbst diejenigen, in denen zwei unbetonte Silben an einer 
bestimmten Stelle vorkommen, sind sehr wenige: XI, 1. 
XIII, l. 2. 3. 4. XV, 4. Durchaus zerbröckeln die Dak- 
tylen zu Jamben, statt — v->^ — ^ kann ebenso gut ^— ^ 
— ^ stehen, statt — ^^— v->— : ^— w— ^— . 

Der herrschende Rythmus ist stets trochäisch oder jam- 
bisch, und die Zeilen dieser Periode sind eigentlich nichts 
Anderes als längere oder kürzere Reihen von regelmässig ab- 
wechselnden betonten und unbetonten Silben. Wenn wir die 
zu kurzen Zeilen zu — ^ — ^, zu ^ — ^ — und — ^— ^— 
ausschliessen, so bleiben also folgende trochäische Reihen: 
— v^ — ^ — v^ (6 — v^)^ — w — v-> — v^ — (7 ^ — ), — ^ — ^ — w— ^ 
(8—^) und folgende jambische: w— w— ^ (5 — ^), v^— 

V^ V-> (6 O ), ^ ^ W V^ (7 (j) ? v-/ W W V-> 

(8 u — ). Diese Kurzzeilen sind es, die entweder selbständig 
oder in verschiedener Weise in Langzeilen zusammen gestellt, 
die Formen der Gedichte bilden. 

Hier zeigt sich nun die merkwürdige Erscheinung, dass 
in den trochäischen Reihen in der Regel der Tonfall des 
Schemas festgehalten, in den jambischen Reihen aber öfter 
vernachlässigt als beobachtet wird. Diese jambischen Reihen 
zu 5 — ^, 6 ^— , 7 — ^ und 8 ^ — beginnen häufiger mit 
einer langen Silbe als mit einer kurzen. Man könnte hie- 
für wohl einen theoretischen Grund finden. Alle zwei- 
silbigen Wörter der lateinischen Sprache gelten als Tro- 
chäen und von den drei- und mehrsilbigen hat naturgemäss 
mindestens die Hälfte ebenfalls trochäischen Tonfall — -^ — 
(omnium — die letzte Silbe aller Proparoxytona hat Neben- 
ton und kann in der rythmischen Poesie als betonte gezählt 
werden — ), — ^— u (imperator) u. s. w. ; demnach könnte 
man sagen, der trochäische Rythmus sei der lateinischen 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Lucius de Antichristo und über lat. Bythmen. 55 

Sprache angemessener als der jambische. 1 ) Allein vielleicht 
hat hier die Praxis und nicht die Theorie eingewirkt. Für 
Sechs- und Achtsilber mit trochäischem und für Siebensilber 
mit jambischem Schlüsse konnte man bei den gangbaren 
metrischen Dichtern, dem Horaz, Prudentius, Boetius und 
Andern, nicht leicht andere gebräuchliche Schemata finden 
als eben jene trochäischen; anders stand es bei den jambi- 
schen: während Zeilen zu v — v — u sich einzeln fast nicht 
fanden, waren die Adonier zu — ^^ — ^ in der späteren 
Zeit ein sehr beliebtes Versmass; die Zeilen zu ^ — ^— ^— 
waren selten, die — ^ u _ v — i n den asklepiadeischen sehr 
gewöhnlich; für die Siebensilber mit trochäischem Schlüsse 
standen drei Vorbilder zu Gebote, das oft gebrauchte jam- 
bische ^ — ^ — ^ — u , das sehr oft gebrauchte pherekrateische 

— ^— ^^ — ^, und das minder häufige (z. B. Horaz Od. I, 8) 
logaödische — ^ ^ — u_w. Endlich als Vorbild für die Acht- 
silber mit jambischem Schlüsse konnte man wohl noch häu- 
figer als den jambischen Dirneter bei den metrischen Dich- 
tern die Glykoneen zu ganzen Gedichten verwendet finden. 
Vielleicht gewannen die Dichter hieraus das beruhigende 
Bewusstsein, ob sie den Siebensilber nun v — ^ — u-— ^ oder 

— ^ — ow — u oder — ^ ^ — v/ — u und den Achtsilber w — 
^ — ^ — ^— oder — ~ — vu — u— betonten, jedenfalls werde 
ein anerkanntes, antikes Versmass getroffen, und gewöhnten 
sich daher an die ständige Mischung. Wie dem auch sei, 
die Thatsache steht fest, dass vom Anfang bis zum Schluss 
dieser Periode in den jambischen Reihen zu 5 — ^ , 6 ^ — , 
7 —v und 8 °— die Betonung des Schemas in allen Ge- 
dichten sehr oft verlassen ist. In diesen Gedichten sind 
in Wahrheit nur die Silben , gezählt, d. h. unter Beobach- 



1) Sollten die Worte des Grammatikers Virgilius Maro Epit. 3, 2 
'inter omnes pedes dactylns et spondaeus principatum habent* einen ver- 
wandten Sinn haben? 



Digitized by 



Google 



56 Sitzung der phÜos.-philol. Clasae vom 7. Januar 1882. 

tung des gesetzmässigen Schlusses je 5 , 6 , 7 , 8 Silben in 
die Zeile gestellt, wie auch Aedilwold in einem Briefe an 
Aldhelm vor dem Jahre 706 (Jaffe Bibl. R. germ. 3 p. 37) 
seine gereimten Achtsilber (8 *—) charakterisirt 'carraen 
non pedum mensura elucubratuin, sed, octonis syllabis in 
nno quolibet vorsu conpositis, una eademque littera con- 
paribus linearum tramitibus aptata, caraxatum. 1 ) Ich be- 
schränke daher die Untersuchung über den inneren Bau der 
Zeilen auf die trochäischen Reihen. 

Schwebende Betonung oder Taktwechsel. 
Auch in den trochäischen Zeilen widerstreitet der Wort- 
accent oft genug dem Versaccent. Unsere Gelehrten nahmen 
in solchen Fällen die sogenannte 'schwebende Betonung' an 
(vgl. besonders Huemer's Untersuchungen S. 24 — 32), ver- 
mittelst deren sie nicht nur lesen können sine fine, sondern 
auch cäntemüs und civitas u. s. w., kurz vermittelst deren 
man allerdings Alles lesen kann, wie man will. Man ist 
dadurch soweit gekommen solche Betonung wie (IX, 1) 
Navis numqu^m turbäta quamvis fluctibus tönsa 
Nuptis quaque parata regi domino sponsa 
für möglich zu halten, und hiernach hat wohl auch D'Arbois 
de Jubainville (Romania 8, 147) seine Regeln über die ver- 
schiedene Betonung der lateinischen Wörter bei den Iren 
der verschiedenen Perioden sich zurecht gemacht. Aber im 
entschiedenen Gegensatz zu der auf Natur- und Positions- 
längen gegründeten quantitirenden Dichtung beruht ja das 
Wesen aller rythmischen Dichtung in der Beobachtung der 
gewöhnlichen Betonung und Aussprache, welche in der Prosa 2 ) 



1) Dass die sämmtlichen jambischen Zeilen in dem Hymnus auf 
den heiligen Gallus XIV, 3 (37 zu 7 — ^ und 30 zu 8 ^— ) reinen 
jambischen Tonfall haben, ist offenbar Absicht, deren Zweck ich noch 
nicht erkannt habe. 

2) Der Dichter der Trimeter über die Synode von 698 (II, 22) 
ueunt seine Verse Prosa; 'tua qui iussa nequivi, ut condecet, | pangere 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ladas de Antichristo und über tat. Rythmen, 57 

angewendet wird. Darin vor Allem beruht für uns moderne 
Menschen die Schönheit und die Wichtigkeit der rythmi- 
schen Poesie, welche durch die Annahme einer solchen Un- 
natürlichkeit, wie die schwebende Betonung sie ist, zerstört 
wird. Dies Princip, dass die Wörter wie in der gewöhn- 
lichen Rede betont und ausgesprochen werden, wodurch 
allein die rythmischen Verse sich den Gefühlen des Menschen 
zum richtigen Ausdruck so leicht auschmiegen, ist niemals 
aufgegeben worden, und auch wir müssen die einzelnen 
Wörter der rythmischen Verse ohne Rücksicht und Bewusst- 
sein des Versschemas aussprechen. So zerlegt schon der 
Grammatiker Virgilius Maro von den Achtsilbern 

Festa dium sollemnia Pupla per canam compita 
Quorum fistulae modela Poli persultant sidera 

den ersten so: primus versus est trium metrorum, quorum 
primuin per spondaeum et duo sequentia per dactylos pon- 
derantur, ut: festa I, deum sol II, lemnia III (so schrieb 
ich, festa deum I, sol II, lemnia III hat die neapolitaner 
Handschrift). *) 

Allein eine andere Freiheit, welche jene Theorie der 
'schwebenden Betonung' hervorgerufen hat, haben die Dichter 
der lateinischen Rythmen aller Zeiten mit Ausnahme einiger 
des XIII. und XIV. Jahrhunderts sich gestattet, und nach 
ihnen die romanischen und englischen Dichter des Mittel- 
alters und der Neuzeit. Indem nemlich die gleiche Silben- 



ore styloque contexere | recte, ut valent edissere m e d r i c i , ) scripsi per 
prosa, ut oratiunculam 1 , und die trochäischen Fünfzehnsilber aus dem 
8. oder 9. Jahrhundert de bonis sacerdotibus (I, 4) heissen 'prosa con- 
positi 1 . 

1) Die vielen Rythmen übergeschriebenen Neumen geben über 
solche Fragen keine Auskunft. Denn einmal gesteht z. B. selbst Fetis, 
es sei ihm nicht gelungen die reichen Neumen des Audi tellus (XIV, 1), 
mit dem Tonfall der Worte in Uebereinstimmung zu bringen, anderer- 
seits gilt der Satz: Singen kann man Alles. 



Digitized by 



Google 



58 Sitzung der phüos.-philol. Glosse com 7. Januar 1682. 

zahl und der gleiche Schluss aller Zeilen festgehalten wurde, 
gestatteten sich auch sehr formfeste Dichter unter die grosse 
Ueberzahl der genau nach dem Versschema betonten Zeilen 
einzelne zu mischen, in welchen eine betonte Silbe in eine 
andere Stelle gerückt wurde, als sie nach dem Versschema 
einnehmen sollte. Es finden sich also neben den Zeilen mit 
dem regelmässigen Tonfall: comparäbo cänibüs solche mit 
der Betonung : non pätet mortalibus. Da hiebei der Grund- 
satz festgehalten wurde, dass nicht 2 betonte Silben zu- 
sammenstossen dürfen, so entsteht in solchen Zeilen durch 
den Zusammenstoss von 2 unbetonten Silben daktylischer 
Tonfall ; die Zahl unbetonter Silben wird um eine vermehrt, 
die der betonten um eine vermindert; demnach ist in den 
entsprechenden Zeilen nur die gleiche Silbenzahl überhaupt, 
nicht die gleiche Zahl betonter uud unbetonter Silben ge- 
setzmässig. 

Die Möglichkeiten dieser Verschiebung der betonten 
Silbe, die ich Taktwechsel nenne, sind nicht so gar viele. 
In trochäisch schliessenden Zeilen muss ja der Länge des 
letzten Trochaeus eine Kürze vorangehen, sind also die letz- 
ten drei Silben gebunden, in jambisch schliessenden Zeilen 
muss die drittletzte Silbe lang sein uud dieser wiederum 
eine Kürze vorangehen, sind also die letzten vier Silben 
gebunden. Es kann also in den kleinen Reihen _v_u, 
^ — ^ — , — w — v ~ t überhaupt kein Taktwechsel eintreten, l ) 
in den Reihen _ v _ , u __ ^ (6 — v ) und — ^ — , ^ — ^ — 

(7 «^ — ) je 1: yj — vv — v und ^ — wv>_ w — , in w v/ 

— u — \j yS — *-*) drei i — v/ u — uv> — ^ ^ , ^ — uw — o — w, 
w — v> — w w _ w z. B. et lönge abivi 6 -— ^ , quas didici syl- 
labas ?u~, Bäiolat iram in corde, contendere non potestis, 



1) Es können nur — «-» — ^ und v> __ u _ m it einander vertauscht 
werden, wie oft genug geschieht, wenn eine dieser Reihen die erste 
Hälfte, die Basis einer Langzeile ist. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Lucius de Antichristo und über lat. Bythmen. 59 

qua terrae tribus lugebunt 8 ^ — . In den jambischen Reihen 
sind folgende Taktwechsel möglich: in w— , w_u, (5 — ^) 
und w_, u _ v — (6 u— )je 1: ~ ^ ^ — ^ und — ^ w __ ^ — , 
in ^ — ^ — , w_w (7 — u) und ^ __ u — , w — w — (8 ^ — ) 

je 2: — v>w — o w und — ^ — v>vy — v> , — uu — v^ — w — und 

_^__wu — u_ .; z. B. gäudium mägnum 5 — ^, örbis et 
dömina 6 ^ — , venditum ä Judäeis und fllic conflnit aqua 
7 — v , incolas esse növimus und pälam ömnium öculis 8 ^ — . 
Das sind die in diesen Zeilen überhaupt möglichen Takt- 
verschiebungen. Dieselben sind, wie oben bemerkt, in den 
jambischen Zeilen durchaus so zahlreich zugelassen, dass 
man keine Gesetze mehr verfolgen kann: dagegen die Zu- 
lassung der Taktwechsel in den trochäischen Reihen gleicht 
etwa der Zulassung des Hiatus in der rythmischen Dich- 
tung. Es gibt nur sehr wenige Gedichte, in denen sich 
kein Beispiel findet, wie z. B. in dem alten I, l und den 
späteren XV, 3. Aber in dem Maasse seiner Zulassung zeigt 
sich, was Boetius von dem Rythmus überhaupt sagt: docti 
faciunt docte, rustici rustice. In sehr vielen und gerade in 
den technisch besseren ist eine bescheidene Anzahl von Takt- 
wechseln zugelassen, was sich besonders darin zeigt, dass 
in den trochäischen Tetrametern (15 ^ — ) in den Sieben- 
silbern der 2. Hälfte sich mehr finden als in den Acht- 
silbern der ersten, obwohl hier die Möglichkeit doppelt so 
oft sich bietet als dort. So finden sich z. B. in 36 Zeilen 
des Paulus Diaconus (I, 3) 4 Taktwechsel in den Achtsilbern, 
7 in den Siebensilbern, in andern 69 Zeilen (1, 5) kein Takt- 
wechsel in den Achtsilbern, 11 in den Siebensilbern; und 
am Ende der Periode hat Peter Damiani (I, 27) in etwa 
222 Zeilen in den Achtsilbern nur 4 Mal, in den Sieben- 
silbern 15 Mal sich Takt Wechsel gestattet. Andere dagegen 
haben sich denselben mehr und mehr gestattet bis herab 
zu den Dichtern, die gleich Augustin sich begnügten, unter 
Beobachtung des richtigen Schlusses in jede Zeile die rich- 



Digitized by 



Google 



60 Sitzung der philos. -philo!. Clas.se com 7. Januar 1882. 

tige Zahl Silbeu zu setzen, aber um den Tonfall derselben 
sich nichts kümmerten. So finden wir in 92 trochäischen 
Fünfzehnsilbern eines Iren (I, 29) 48 Achtsilber und 30 
Siebensilber und bei Wipo (III, 5) in 54 trochäischen Acht- 
silbern 24 mit Taktwechsel. In solchen Gedichten ist von 
Rythmus ebenso wenig die Rede als in den jambischen. 

Silbenzusatz. 

Mitten unter regelmässigen trochäischen Achtsilbern 
finden wir Zeilen wie 4 lapidibüs auröque tecta' 'sed post- 
quam venit ergo säcer' und unter regelrechten trochäischen 
Siebensilbern solche 'et süscitävit populos', andererseits Acht- 
silber wie 'fidem reforma desperätis' Käufer a nöbis peccäti 
mölem', 'ädiuvä nos mündi salvator* und Siebensilber, wie 
'protomärtyrem Stephanüm'. In diesen Fällen ist eine un- 
gehörige Silbe zugesetzt, entweder durch eine unbetonte 
Silbe, die der Zeile vorgesetzt wird, einen Vorschlag, oder 
dadurch, dass im Innern der Zeile statt eines Trochaeus 
ein Daktylus eintritt. Diese unregelmässige Silbenmehrung 
gestatteten sich einige Dichter des 8. und 9. Jahrhunderts 
besonders in den trochäischen Achtsilbern, seltener in den 
trochäischen Siebensilbern ; vgl. bes. I, 38 ff. II, 25 ff. III, 6. 
Mit dieser Silbenmehrung hat die Freiheit nichts zu thun, 
welche ein alter irischer Dichter sich genommen hat (IV, 3). 
Im Anfang und im Schlüsse des Gedichtes beobachtet er 
sein Versschema (4 — ^ + 7 ^— ), allein da, wo er alle 
möglichen Körpertheile aufzählen soll, geht ihm die Sache 
der Form vor und er setzt mitunter Silben zuviel in die 
Zeile. 

Schwankende Zeilen. 

In mehreren Gedichten treffen wir bald wechselnden 
Rythmus der ersten Halbzeile (vgl. X, 3), bald Silben zu 
viel, bald zu wenig; vgl. II, 28. III, 8. IV, 3. VIII, 29. 
IX, 5. XI, 1. XII, 2-, aber die Ueberlieferung dieser Ge- 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 61 

dichte ist meistens ebenso schlecht als ihre Sprache, so dass 
man nie sicher entscheiden kann, ob diese Eigentümlich- 
keiten Fehler des Abschreibers, ob sie Ungeschicklichkeiten 
oder beabsichtigte Freiheiten des Dichters sind. Allein in 
mehreren Gedichten des 9. bis 11. Jahrhunderts ist es sicher, 
dass die Dichter auf die Gleichheit der Zeilen verzichteten 
und nur mehr oder minder auf deren Aehnlichkeit achteten. 
So gehen in dem Gedicht auf Placidas XIII, 3 dem Schlüsse 
_u v_ w 122 Mal drei Silben, 76 Mal nur 2 Silben voran. 
In XIV, 1 besteht nur die 3. Zeile stets aus 6 + 7 — ^ 
Silben ; die beiden ersten Zeilen sind sehr unregelmässig ; 
die 4. Zeile besteht aus 5 — ^ -f- 5 — ^ oder 5—^+6 
Silben; die 5. aus 5—^,6 oder 7 Silben + 5 — ^, 6 oder 
7 Silben ; die 6. aus 5—^,6 oder 7 Silben + 5 — ^ ; die 
7. Zeile besteht entweder aus 5 — ^ -f- 5 — ^ oder bildet 
eine Langzeile von 7, 8 oder 9 Silben. In dem 6. Gedichte 
der Cambridger Sammlung (XIV, 2) vom Jahre 1028 findet 
sich etwa 5 Mal 4 — " im 1. Halbvers; im übrigen finden 
sich 12 jambisch schliessende Halbverse (zu 5 ^ — ,6 ^ — 
und 7 v> _), die andern Halbverse sind gebildet 44 Mal aus 
5 __v und 16 Mal aas 6 — ^. Regelmässiger ist der Hymnus 
auf den heiligen Gallus gebaut (XIV, 3). In 68 Zeilen be- 
steht die erste Halbzeile 41 Mal aus 6 — ^, 24 Mal aus 
7 v — und 3 Mal aus 7 — ^ , die zweite Halbzeile hat stets 
reinen jambischen Tonfall und besteht 37 Mal aus 7 — ^ 
und 30 Mal aus 8 «-• — . In den letzten Zeilen der 17 
Strophen beginnt sowohl die erste wie die zweite Halbzeile 
trochäisch und besteht aus 6, 7 oder 8 Silben. In jenen 
68 Zeilen , den 4 ersten jeder Strophe , besteht also die 
Freiheit, dass am Ende jeder Halbzeile eine Silbe zugesetzt 
werden kann. 

Der Hymnus auf den h. Gallus ist aus dem Deutschen 
in's Lateinische übersetzt; man könnte so auf den Gedanken 
kommen, diese Freiheit der schwankenden Zeilen sei natio- 



Digitized by 



Google 



62 Sitzung der philos-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

naler z. B. deutscher Dichtweise nachgebildet. Allein ge- 
rade in diesem Gedichte ist so reiner Tonfall beobachtet, 
wie sonst selbst in keinem lateinischen Gedichte dieser 
früheren Zeit. 

Von dem Hiatns. 

Es ist fast unglaublich, aber wahr, dass man bis jetzt 
noch gar nicht darauf geachtet hat, wie die Dichter der 
lateinischen Rythmen sich zum Hiatus verhielten. Nur Du 
Meril (1847, p. 426) spricht bei Abaelard nebenbei von fc le 
soin constant avec lequel Taute ur a evite le concours des 
voyelles 1 und Zarucke (Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1877 
p. 61) bespricht das Verhältniss des Hiatus und der Elision 
in einigen trochäischen Fünfzehnsilbern des 9. — 11. Jahr- 
hunderts und kommt zu dem Schlüsse, dass (im 11. Jahr- 
hundert) l die Abneigung gegen den Hiatus allmälich ganz 
erlosch, absolut bei auslautendem m, während von den mehr 
gelehrten Verfassern das Zusammenstossen zweier Vokale 
nur gemieden ward.' Aber ich bin auf diese Untersuchung 
gerade geführt worden durch die Bemerkung, dass in den 
Gedichten des Archipoeta sich kein Hiatus findet. Ich habe 
diese Untersuchung nur auf das Zusammenstossen von Vo- 
calen im Aus- und Aulaut erstreckt, nicht auf das Zusammen- 
stossen von auslautendem m und anlautendem Vokale. Man 
wird allerdings noch einige Dichter auffinden köunen, die 
auch das Zusammenstossen von Endsilben auf m mit voka- 
lischem Anlaute gemieden haben (wie vielleicht der Dichter 
von I, 33), allein es werden wenige und von den ältesten 
seiu. Ich verstehe also hier unter Hiatus nur das Zusammen- 
stossen eines auslautenden Vokales mit einem anlautenden ; 
diesen zu vermeiden, konnte auch den rythmischen Dichtern" 
leicht als Forderung des Wohlklanges sich ergeben. 

Die Untersuchung vieler Gedichte hat mich gelehrt, 
dass die lateinischen rythmischen Dichter aller Zeiten sich 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lab, Bythmen. 63 

bewusst waren, der Hiatus sei unschön, und dass sie, je 
nachdem ihnen* mehr oder weniger an der Form ihrer Ge- 
dichte gelegen war, denselben mehr oder weniger vermieden 
haben. Denn zählt man die Hiaten einiger Zeilen altrömischer 
Prosa oder die Elisionen der hierin ziemlich unerquicklichen 
Sermonen des Horaz einerseits und die Hiaten in rythmi- 
schen Gedichten andererseits nach, so wird man in den 
Rythraen immer weniger Hiaten finden, als man finden 
müsste, wenn die Dichter ihre Zulassung nicht absichtlich 
beschränkt hätten. Zwischen den Halbzeilen, aus denen 
die Langzeilen der Trimeter, der trochäischen Fiiofzehnsilber 
u. s. w. bestehen, haben sich manche Dichter Hiatus er- 
laubt, wenn sie ihn auch sonst mieden. Ich bezeichne diesen 
Hiatus mit (h). In den 46 Zeilen (15 <->— ) des uralten 
Hymnus 'Apparebit repentina 1 (I, 1), finden sich 3 h und 
3 (h); in den 36 Zeilen (15 u _) des Petrus an Paulus 
Diaconus von ungefähr 763 (I, 7) findet sich kein h, in den 
36 Zeilen der Antwort des Paulus (1, 3) dagegen 5 h und 
l (h). In den 70 Triraetern des Paulinus Aquil. de Herico 
(II, 2) und den ihm zugeschriebenen 75 Trinietern de resur- 
rectione (11,4) findet sich kein h; ebenso keiner in den 
S. Gallener Gedichten von je 30 Zeilen (15 ^— ) aus den 
Jahren 829 und 838 (I, 10. 11) und in den 24 Trinietern 
auf Hug vom Jahre 850 (II, 12). In den 24 Zeilen (zu 
7 w- + 7 w-) des Hibernicus Exul (V, 1) findet sich 
kein h ; in den je 50 Zeilen der hymni eccles. von Dämmler 
No. IX (15 v_) und XIV (Trim.) je 1 h. In No. XI (50 
Zeilen zu 8 ^— ) und No. XX (12 Zeilen) der Cambridger 
Lieder ist kein h. In den Gedichten des Eichstädter Bischofs 
Heribert (1021 — 1042) sind wenig h (II, 18. X, 3), ebenso 
in denen des Petrus Damiani (II, 19. XIII, 5. XV, 5). Die 
16 jambischen Achtsilber vom Jahre 1080 (VIII, 8) haben 
kein h, und, während das Psalterium Mariae sonst der Technik 
der Gedichte des Anselm widerspricht, theilt es mit ihnen 



Digitized by 



Google 



64 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

den Zug, dass es wenige h hat (VIII, 11 und 30). Wir 
sehen an diesen Beispielen, dass von 600 — ilOO nach Chr. 
das Bewusstsein vorhanden war, der Hiatus sei eine zu 
meidende Unregelmässigkeit. 

Von dem Reim. 

Alliteration und Assonanz finden sich als rhetorisches 
Kunstmittel in allen Sprachen bisweilen angewendet; allein 
erst die regelmässige Wiederholung macht dieselben zu ge- 
setzmässigen Bestandteilen der poetischen Technik. Allite- 
ration findet sich in sehr alter Zeit zuerst bei Virgilius 
Maro, dann bei den Iren und besonders bei den Angel- 
sachsen in regelmässiger Wiederholung: ob einheimischer 
Dichtweise nachgeahmt oder Vorbild derselben, wird sich erst 
entscheiden lassen, wenn das Alter der nicht lateinischen 
alliterirenden Schriftstücke sicher gestellt ist. Bald aber 
verschwand die nur in wenigen Gedichten angewendete Al- 
literation aus der lateinischen ßythmik, wesshalb ich nicht 
weiter auf sie eingehe. 

Der Gleichklang der Vokale kann im Innern oder am 
Ende der Zeilen stattfinden. Gesetzmässige Anwendung des 
Reims im Innern der Zeile hat Moue in dem altirischen 
Hymnus auf die Maria erkaunt (No. 572; unten I, 31), wo 
in jeder 2. Zeile sich derartiger Reim findet 

2 conclamantes deo dignum hymnum sanctae Mariae 
4 ut vox pulset oinnem aurem per laudem vicariam 
6 opportwwam dedit curam aegrotauti homini. 

Dies ist das einzige mir bekannte Beispiel der Art. Der 
Reim am Schlüsse der Zeilen tritt während dieser Periode 
in mannichfachen Formen auf. Entweder sind nur die Vo- 
kale der letzten oder der beiden letzten oder der drei letzten 
Silben gleich, ein-, zwei-, dreisilbige Assonanz, oder es sind 
auch noch die Consonanten, welche diesen Vokalen folgen, 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 65 

gleich, ein-, zwei-, dreisilbiger Reim. Reim oder Assonanz 
der letzten drei Silben ist so selten gesetzmässig, dass man 
nicht eigentlich davon sprechen kann. Axich der reine zwei- 
silbige Reim, der im XII. Jahrhundert der allein herrschende 
wnrde, findet sich in dieser Periode in keinem Gedichte aus- 
schliesslich angewendet, sondern nur mit zweisilbiger Asso- 
nanz gemischt. Zweisilbiger Reim oder zweisilbige Assonanz 
ergreift bei jambischem Schlüsse die beiden letzten Silben, 
obwohl hiedurch dem trochäischeu Schlüsse gegenüber ein 
ganz anderes Prinzip entsteht. Denn in Reimen wie tonsa : 
sponsa wird die schwerbetonte Hauptsilbe der Wörter er- 
griffen , in Reimen wie trucibus : flatibus nur die End- 
silben. *) 

In den Institutiones des Commodian schliessen II, 8 die 
13 Hexameter mit e, II, 39 die 26 Hexameter mit o. Die 
sämnitlichen 250 Langzeilen von Augustins Rythmus schlies- 
sen mit e. Diese Thatsache genügt zum Beweise, dass der 
Reim nicht von den Arabern entlehnt ist, bei denen man 
denselben erst im Ende des 5. Jahrhunderts — allerdings 
meist dreisilbig und rein — nachweisen kaun, auch nicht, 
wie Zeuss meinte (Gramm. Celtica p. 948. 2 Aufl.), aus der 
Dichtweise der Celten entlehnt ist. Allein das ist wahr, 
dass er in celtischen Ländern besonders ausgebildet wurde. 
Denn an weitaus den meisten Gedichten der früheren Jahr- 
hunderte und darunter gerade an denen, welche in Hinsicht 
auf Sprache und inneren Bau der Zeilen zu den besseren 
gehören, begegnen wir theils dem Reime gar nicht, theils, 
und das besonders in der späteren Zeit, nur einsilbiger As- 



1) Für die Geschichte des Reimes in dieser älteren Zeit hat Mura- 
tori in seiner Abhandlung über die alten Rythmen (Ant. Ital. III, 664 
=: Migne Cursus 151 p. 755) das wichtigste Material gesammelt; vgl. 
Huemer's Untersuchungen p. 44—51 (52—55 über Alliteration), über 
die Reime der deutschen Gedichte des 9. u. 10. Jahrhunderts Zarncke 
in Verh. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1874 S. 34. 

[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 1 .] 5 



Digitized by 



Google 



66 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

sonanz, die noch dazu von 3 oder 4 Zeilen meist wieder 
1 oder auch 2 Zeilen freilässt. Dagegen treffen wir feste 
zweisilbige Reime zuerst bei dem Grammatiker Virgilius 
Maro, der sich einen Gallier nennt. Weiterhin haben sich 
die Iren mit besonderem Eifer auf die Pflege des Reims 
geworfen und ihnen scheint es derselbe zu verdanken, dass 
er zu einem so wichtigen Stücke der poetischen Technik 
geworden ist. Ja, bei ihnen finden sich auch die ältesten 
Beispiele der Reimprosa. In dem oben (S. 50) angeführten 
Gebete des Antiphonariums Benchor, und in vielen umlie- 
genden Stücken (daselbst S. 152 — 154 und sonst) findet 
sich einsilbige Assonanz am Ende der Absätze. So ist es 
nicht zu verwundern, wenn diese Reimprosa sich verbreitete. 
In den von Schuchardt (Vocalismus S. 32 und 64) und Bou- 
cherie (Cinq Formules du 7. siecle. Paris 1867) besprochenen 
Formeln findet sich oft zweisilbige, oft auch nur einsilbige 
(in der letzten oder vorletzten Silbe) Assonanz in je 2 und 
selten in 3 und mehr Zeilen. Diese Reimprosa hielt sich 
die folgenden Jahrhunderte hindurch (z. B. in Roswith's 
Dramen), bis sie dann am Ende des XI. Jahrhunderts all- 
gemeiner und im XII. Jahrhundert sehr gewöhnlich wurde ; 
vgl. z. B. die dem Honorius Augustodun. zugeschriebenen 
Schriften und die um 1118 verfasste Polenchronik des so- 
genannten Martinus Gallus, dessen übertriebene Reimprosa 
besonders in der Ausgabe von Bandtkie 1824 hervortritt. 
Von den altirischen Gedichten sind besonders die l Ver- 
siculi familiae Benchuir' (IX, 1) merkwürdig. Denn hier 
tritt der Reim bereits in den drei Formationen hervor, die 
in dieser Periode überhaupt zu beachten sind. Es sind 40 
Pherekrateen der Art 

Area Cherubin teeta Omni parte aurata 
Sacrosanctis referta Viris quatuor portata. 
Virgo valde feeunda Haec et mater intaeta 
Laeta ac tremebunda Verbo dei subaeta. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 67 

Diese 40 Verse haben 1) stets zweisilbige Assonanz 
oder zweisilbigen reinen Reim, 2) enden sie sämmtlich, nach 
Art der Tiraden, mit demselben Vocal, nemlich mit a; 
3) sind die Reime gekreuzt. Von diesen gekreuzten 
Reimen kenne ich in dieser Periode kein Beispiel mehr; 
nur in dem rohen Psalterium Mariae, das dem Anselm zu- 
geschrieben wird, jedenfalls nach meiner Ansicht noch aus 
dem XI. Jahrhundert stammt, finden sich manche Strophen 
mit gekreuzten Reimen; z. B. 

Ave cuius in tilio salutem pater posuit, 

In quo sicut in unico fidem nostrara constituit. 

Aber die Geschichte des zweisilbigen und die des Tiraden- 
reims bedarf näherer Darlegung. Die Vorliebe der Iren für 
den Reim beweisen zunächst die zahlreichen zweisilbigen 
Assonanzen und Reime in den Gedichten des Antiphonariums 
Benchorense (VIII, 13. 15), dann in den sehr % alten irischen 
Gedichten (III, 2. I, 31. 32. IV, 3) und in den kurz nach 
700 entstandenen Rythmeu ihrer angelsächsischen Nachbarn 
und Schüler (VIII, 17—25). Einen merkwürdigen Reim- 
reichthum zeigen die Gedichte der Iren, die bei den Caro- 
lingern wirkten, des Hibernicus Exul (V, 1) und des Dicuil 
(IX, 2. VIII, 1). So war der zweisilbige Reim auf dem 
Festlande bekannt geworden, und, wenn wir ihn auch in 
den nächsten Jahrhunderten nicht durch viele Beispiele be- 
legen können, so wundern wir uns wenigstens nicht, wenn 
wir z. B. in den Sprichwörtern des Wipo und in - seinem 
Klagegesang auf Konrad (III, 5) fast nur zweisilbige Reime 
finden. Im Verlauf des XI. Jahrhunderts wurde der Reim 
für die Dichter immer mehr unvermeidliches Gesetz, so dass 
auch Otloh (de doctrina spiritali, Pez Thes. III, 2, 432) 
einigermassen sich fügte 'interdum subjungo consona verba, 
quae nunc multorum nimius desiderat usus.' Hauptsächlich 
herrschte die zweisilbige Assonanz, wie z. B. in einem Ge- 

5* 



Digitized by 



Google 



68 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

dichte von 1080 (VIII, 8) neben 30 zweisilbigen Assonanzen 
(darunter nur 4 reine zweisilbige Reime) nur 2 einsilbige 
vorkommen. 

Der Tiradenreim, den wir schon bei Commodian und 
Augustin als erste Stufe sahen, hat sich die ganze Periode 
hindurch erhalten. In dem irischen Gedichte des Antipho- 
uariums Benchor. (VIII, 13) ist gleicher Reim oder Asso- 
nanz oft die 8 Zeilen der Strophe hindurch festgehalten ; 
ebenso iu den 8 oder 6 zeiligen Strophen von VIII, 16. 
Der Tiradenreim wurde auch in den quautitirend gebauten 
Versen *) angewendet. So folgen sich in den Versus ad 
Ebonem Rememsem (a. 816—835, bei Carol. 1 p. 623) 7 
Hexameter, die in der Caesur und am Ende mit i reimen. 
Eine merkwürdige Vorliebe für reichen Tiradenreim zeigen 
besonders die quantitirenden Gedichte des Gotschalk und 
seiner Schule. Denn während in den (verkannten) sapphi- 
schen Strophen der Liturg. Fontavellan. bei Migne 151 
p, 959 nur die ungleichen Halbzeilen reimen (Gemma coe- 



1) Die ersten gereimten Hexameter finde ich ebenfalls in irisch- 
angelsächsischen Kreisen; Koaena archiep. Eboracenais a. 767—781 gibt 
einem Briefe 6 Hexameter bei, von denen 5 den Reim in der Caesur- 
und letzten, 1 (Defendens vigili sanctos tutamine mandros) in der 7. 
und letzten Silbe haben; das letztere geschieht in den älteren Leoninern 
oft. In den Hexametern des Dicuil von 814 

Nunc genitum Carolo volo dilectare loquendo 

Per ludum faciens Uli argumenta canendo. 

Ecce quotus mensis si vis haec scire memento. 
dann : Successor Caroli felix Hlodvice valeto. 

Dicuil haec ego quae feci argumenta videto. 
dann: Longaevus victor Caesar Hlodvice valeto. 

Dicuil haec ego quae feci ioca visa teneto. 
finde ich die ältesten Hexameter mit Endreim (caudati), eine Art, welche 
ich bis zum Ende des XI. Jahrhunderts nicht mehr angetroffen habe. 
Denn die Versus ad Ebonem Remensem haben gemeinsamen Mittel- und 
Endreim, also Tiradenreim. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 69 

lestis pretiosa regis), haben hier (siehe Fr. Monnier, De 
Gothescalci et Joannis Scoti controversia, Paris 1853 p. 101) 
von 12 (schlecht edirten) sapphischen Strophen die 3 ersten 
in allen Caesuren und Zeilenschlüssen den Reim um, dann 
je 3 den Reim am, eni, or. Ebenda (S. 102) folgen sich 

6 Adonici auf e, 6: or, 6 : o, 6: em, 6: am, 12: em, 12: e, 
23 : i. In dem Briefe des Gotschalk an Ratramnus (circa 
840) folgen sich 14 Jonici auf o, 3 auf i, u. s. w. ; dann 
150 Hexameter mit leoninischem Reim, von denen aber 
z. B. 7 nacheinander in der Caesur und am Schlüsse mit 
as, 8 in der Caesur mit e und am Ende stets mit ore 
reimen. Dieser letzten Reimweise entspricht Gotschalks 
Rythmus (VII, l), in dessen 19 Strophen sämmtliche Halb- 
zeilen (4 in jeder Strophe) und die drei Refraiuzeilen auf i 
endigen, die Schlüsse der Langzeilen aber, zu welchen je 2 
Halbzeilen zusammentreten, in den Strophen 1 — 16 stets 
zweisilbig reimen oder assoniren (vgl. IX, 2). In dem 
andern Gedichte (XV, 1) endigt Gotschalk nicht nur die 
sämmtlichen 50 Zeilen und den Refrain auf e, sondern oft 
auch noch die trochäischen Viersilber, in welche die troch. 
Achtsilber hier stets zerlegt sind. Von den etwa 150 Acht- 
silbern aus dem Jahre 853 (VIII, 27) enden 1—24, 25—30, 
33 — 48 auf us, von jenen aus dem Jahre 900 (VIII, 28) 

7 auf i . . e, 7 auf it u. s. w., von den 36 Trimetern von 
c. 925 (II, 13) enden 1 — 18 und 21—36 auf a. Aehnliches 
findet sich in anderen Gedichten, die aus dem IX.-XI. Jahr- 
hundert stammen; so in der Coena Cypriani (I, 48) Reihen 
von 7 und 4 Zeilen mit einsilbiger Assonanz, in den Askle- 
piadeern (XII, 1) 2 mal 6 Zeilen auf a, 6 auf i-er, 6 auf 
i-us, 7 auf e-im und 6 auf olum ; die 17 ersten Zeilen des 
Pilgergesanges (XV, 2) enden auf e. Unter den Cambridger 
Liedern enden die 12 Zeilen von No. XX (XV, 3) auf a, 
von den 14 Zeilen von No. IX (I, 22) 12 (14?) auf e, die 
48 von No. XXVII (I, 21) auf a, und am Schlüsse der 



Digitized by 



Google 



70 Sitzung der phüos.-philöl. Glosse vom 7. Januar 1882. 

Periode finden wir bei Anselm von Canterbury 82 trochä- 
ische Fünfzehnsilber (I, 28), die sämmtlich mit e endigen. 
Nach dieser Vorgeschichte begreift sich leicht die hervor- 
ragende Rolle, welche der zweisilbige Reim bes. in der 
lateinischen nnd der Tiradenreim bes. in der romanischen 
Dichtung des XII. Jahrhunderts gespielt hat. 

Der Reim soll stets die sich entsprechenden, also ein- 
ander gleichen Zeilen binden. Wenn es also auch Sitte ist, 
die troch. oder jambischen Achtsilber Zeile mit Zeile reimen 
zu lassen, so kann man doch nichts dagegen sagen, wenn 
Augustin nur jeden zweiten troch. und Dicuil (VIII, 1) jeden 
zweiten jambischen Achtsilber mit Reim bindet; sie haben 
eben je zwei gewöhnliche Zeilen zu wiederum sich gleichen 
Langzeilen zusammengestellt ; auch dagegen lässt sich nicht 
viel sagen, wenn (VIII, 5, Cambrid. No. XI) mitten unter 
38 jambischen Achtsilbern, die Zeile um Zeile reimen, 12 
stehen, von denen nur die zweiten Zeilen reimen, die also 
Langzeilen zu 16 Silben bilden gleich denen des Dicuil. 
Auch der Reim ungleicher Schlüsse wie 

Scripturarum voces pluit 
Et virtutes intonuit 

ist nur hässlich, nicht ungesetzmässig. Dagegen war, soviel 
ich sehe, in den ältesten Zeiten der Beim der an Silben- 
zahl ungleichen Zeilen nicht gesetzmässig. Desshalb reimt 
in den aus ungleichen Theilen zusammengesetzten Langzeilen : 
in den troch. Fünfzehnsilbern, den Trimetern, den sapphi- 
schen und alcäischen Zeilen u. s. w., in den älteren Zeiten 
nicht die erste Halbzeile mit der zweiten Halbzeile derselben, 
oder mit der ersten Halbzeile der folgenden Langzeile. Denn 
im zweiten Falle würden gekreuzte Reime entstehen, — und 
so sind wirklich im XI. — XII. Jahrhundert die später be- 
liebten gekreuzten Reime entstanden — , im ersten Falle 
würden ungleiche Zeilen durch den Reim gepaart. Um so 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und Über lat. Bythmen. 71 

merkwürdiger ist es, dass in der quantitirenden Poesie nicht 
die Hexameter mit Endreim, sondern, und das schon seit 
dem Ende des 8. Jahrhunderts, jene mit leoniuischem Reime, 
d. h. Reime der Caesursilbe und der letzten Silbe, iu Auf- 
nahme gekommen sind. Denn der Reim auf diesen Silben, 
die nur das gemeinsam haben, dass jede eine Halbzeile 
schliesst, bindet nicht nur ungleiche Theile, sondern er 
stellt auch die im Verse meist betonte (Caesur-) Silbe der 
mindest betouten (Schluss-) Silbe entgegen. Doch finden 
wir in den quantitirenden sapphischen Zeilen des 9. Jahr- 
hunderts ebenfalls die ungleichen Zeilentheile durch den 
Reim verbunden. In der rythmischen Poesie finde ich diese 
Freiheit erst im XL Jahrhundert. Sie ist noch wenig 
auffallend in dem Gedicht von 1028 (Cambridge No. VI, 
unten XIV, 2), wo die Zeilen von 5 zu 7 Silben schwanken, 
dagegen auffallend in dem Hymnus auf den h. Gallus (XIV, 3), 
wo die Ungleichheit der Halbzeilen gesetzmässig ist, und 
in dem Gedicht von 1024 (XV, 4, Cambr. No. III), wo 
stets 8 — ^ zu 6 — v> reimt. In derselben Zeit lässt Heri- 
bert stets in seinen phalaecischen Zeilen (X, 3) die Halb- 
zeilen von 6 und 5 Silben und in seinen Trimetern (II, 18) 
die Halbzeilen von 5 und 7 Silben reimen. Bei Petrus 
Damiani finden sich eben solche Trimeter l ) (II, 19) und 
viele neue Fünfzehnsilber, deren ungleiche Halbzeilen (zu 
8 u — und 7 ^ — ) unter einander reimen. So ist auch die 
in der nächsten Periode häufige Verbindung der verschie- 
densten rythmischen Zeilen durch den gleichen Reim schon 
genügend vorbereitet. 

Von den Zeilenarten. 

Weitaus die meisten Rythmen der früheren Zeit sind 
in Formen gedichtet, welche Formen der quantitirenden 



1) Auffallend ist, dass in diesen Trimetern bald die Halbzeilen, 
bald die Trimeter, also bald gleiche, bald angleiche Stücke durch den 
Beim verbunden sind. 



Digitized by 



Google 



72 Sitzung der phüos.-phüol. Clause com 7. Januar 1882. 

lateinischen Dichtung nachgeahmt sind. Die Nachahmung 
der trochäischen Fünfzehnsilber (Art I) und Achtsilber 
(Art III) war einfach. Bei Nachahmung der jambischen 
Reihen liebte man es sehr, die Zeile ebenfalls mit einer 
betonten Silbe zu beginnen, so dass dann im Verlauf der 
Zeile einmal zwei unbetonte Silben hinter einander, also 
daktylischer Tonfall vorkommen musste; so lautet ^ — ^ — ^ 
meistens um in-vu-u, y_ü_ ü -in_uu-.v;_ 1 u.8,w. 
(vgl. oben S. 59; Art VIII. IX. X., 1. 2. II). Auf der andern 
Seite wurden nie daktylische Reihen nachgebildet, ja selbst 
die Zeilenarten sind sehr selten, in denen die Verbindung 
von zwei unbetonten Silben, also daktylischer oder anapä- 
stischer Tonfall, an einer bestimmten Stelle festgehalten 
wurde (vgl. IX, 1. XIII, 1. 2. 3. 4. XV, 4). Der Daktylus 
im Schlüsse blieb — v — , jeder vorangehende Daktylus konnte 
in v,__ w umgesetzt werden; also sind die Adonier ebenso- 
gut ^ — w— w als _^v>__u betont, so dass die Basis des 
jambischen Trimeters und der alcaeischen Zeile (XI), die 
2. Halbzeile der Phalaecischen Zeile (X, 3) u. s. w. mit 
dem Adonier (X) in der rythmischen Dichtung zusammen- 
fallen. Ebenso kann — v ^ _ ^ _ umlauten in ^ __ u — u — 
(vgl. XI, 1). Choriambischer Schlnss — ^^— musste um- 
lauten, so dass aus — u, _ uu_ wurde v>_, u_ u_ oder 
__v, v, _ u_ (XII. X, 3). Zwei Kürzen im Anfang mussten 
natürlich verändert werden ; so wurde aus w ^ _ ^ — ^ der 
sapphischen Zeile — ^— ^ — ^ (VI). 

In Betreff der übrigen Zeilen, die sich nicht als un- 
mittelbare rythmische Umsetzung bekannter quantitirender 
Arten ergeben, ist möglichst der Grundsatz festzuhalten, dass 
Dichter, die sich die Mühe geben in lateinischer Sprache zu 
dichten, auch die Formen der lateinischen Dichtweise dazu 
benützten. Wenn also neue Zeilenarten sich zwar mit un- 
mittelbaren quantitirenden Vorbildern nicht belegen lassen, 
aber nichts weiter sind als die geläufigen Kurzzeilen der 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 73 

rythmischen Poesie oder einzelne Stücke der geläufigen 
Langzeilen in neuer Zusammenstellung, so muss man den 
Dichtern dies Wenige von Phantasie und eigenem Wollen 
zutraaen (vgl. Art TV. V. VII. IX, 6. 6 a. (X, 1). XIII, 5); 
ja man muss sich eher wundern, nach den Zeilen construc- 
tionen des Virgilius Maro aus der frühesten und den kühnen 
Tongebäuden des Notker aus ziemlich früher Zeit, in dieser 
ganzen Periode so wenige und so bescheidene Neuerungen 
zu finden, und darf erwarten, dass in weiteren Publikationen 
manche neue Zeilenart zu finden ist. Die neuen Zeilenarten, 
welche sich nicht als neue Zusammensetzungen der geläu- 
figen Kurzzeilen der ^lateinischen rythmischen Dichtung er- 
geben, können frei erfunden, können aber auch nationalen 
germanischen oder keltischen Dichtungsformen nachgeahmt 
sein. Allein die wenigen Fälle der Art (XIII, 1. 2. 3. 4) 
sind vielleicht doch Nachbildungen von seltenen oder schwie- 
rigen quantitirenden Reihen ; jedenfalls gestatten sie durch- 
aus noch nicht die Annahme, dass in dieser Periode die 
Dichter lateinischer Rythmen nationale germanische oder 
keltische Dichtungsformen nachgebildet haben. 
,. Von den Zeilenarten habe ich zuerst die trochäischen 
aufgeführt, dann die jambischen. Die Trimeter stellte ich 
zu den trochäischen, da von den 2 Halbzeilen, in welche 
sie zerfallen, die erste durchaus wechselnden Tonfall hat, 
die zweite wichtigere aber zu den trochäischen Reihen ge- 
hört, und da die Nebeneinanderstellung der beiden, in den 
ersten Jahrhunderten beliebtesten Dichtungsformen belehrend 
ist. Vorangestellt habe ich die Notizen über den Gramma- 
tiker Virgilius Maro. Vollständige Sammlung des Materiales 
erstrebte ich nicht; (besonders werden sich viele Hymnen 
einreihen lassen ;) das gesammelte Material genügt aber wohl, 
um die aufgestellten Grundsätze zu prüfen. 



Digitized by 



Google 



74 Sitzung der phUos.'philol. Classe vom 7. Januar 1882. 

Im Beginne der rythmischen Dichtung steht eine räthsel- 
bafte Gestalt, der Grammatiker Virgilius Maro, ein 
Gallier aus den Zeiten, wo sich noch Gebildete fanden, die 
eben erst getauft waren, oder, wie Ozanam (La civilisation 
chretienne chez les Francs chap. IX) begründete, ein Gelehrter, 
der um 600 in Tours lebte. l ) Keil und Andere halten ihn für 
den thörichtsten von allen lateinischen Grammatikern, Oza- 
nam für den Erfinder einer Art Geheimsprache, die dann 
als jene greuliche schwülstige Sprache zu den irischen und 
angelsächsischen Gelehrten übergegangen sei und durch 
diese auf die mittelalterliche lateinische Literatur kräftig 
eingewirkt habe. Ich möchte Ozanams Ansicht verändern. 
Die Gelehrten jener Zeit lebten nur im Lateinischen, aber 
sie wussten auch nur zu gut, wie sehr ihr Latein von dem 
der alten Schriftsteller abstach ; wenn sie Verse macheu 
wollten, sahen sie, dass sie für die Prosodie kein Gefühl 
hatten und von dem Bau der Verse kaum Etwas wussten. 
Die meisten plagten sich nun im Schweisse ihres Angesichtes 
den Alten nachzulernen: daher die vielen grammatischen 
Compendien und Anleitungen zum Fabriciren quantitirender 
Verse. Man fühlt das bei Traktaten wie die Aldhelms sind 
(Mai Auetores class. V p. 501—599), nach denen Verse zu 
machen eine herkulische Anstrengung verlangte. Diese Rich- 
tung hat auch gesiegt. Aber zu wundern ist es nicht, wenn 
Andern die Geduld riss und sie, des mühseligen Nachäffens 
müde, selbstbewusst und kurz entschlossen das ihnen ge- 
läufige Latein als berechtigt festhielten. Virgilius Maro 
versuchte es, im Sinne dieser gallischen Gelehrten eine 
nationale lateinische Grammatik zu schreiben. Daher neben 



1) Mai hat in den Auetores classici V p. 1— -149 die Epistolae 
I — VIII und Epitoroae 1 — 15, in der Appendix ad opera edita ab A. Maio, 
Romae 1871, wiederum die Epistolae und Epit. 1 — 5 aus der. sehr ver- 
derbten neapolitaner Handschrift herausgegeben. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat, Bythmen. 75 

vielen alten richtigen Regeln manche neue, wie z. B. dass 
von gleichlautenden Wörtern die Substantive auf der vor- 
letzten, die Verba auf der letzten betont werden sollten, 
also lege von lex, lege von lego. Solche Regeln sind weder 
Witze noch Unsinn a priori. Daher die bei einem Gram- 
matiker unerhörte Erscheinung, dass wohl Huuderte von 
Citaten theils mit bekannten Namen, wie Terentius, Horatius, 
Cato, theils mit unbekannten, wie Glengus, Galbungus, 
Aeneas, sich' finden, allein unter all diesen Citaten kein 
einziges, das in einem alten Schriftsteller sich nachweisen 
Hesse. Daher sehr viele Citate mit l versus, metrum, canticum' 
u. s. f., allein in der ganzen Schrift keine einzige quanti- 
tirend gebaute Zeile, sondern nur Verse, welche nach dem 
neuen nationalen Gesetze der rytümischen Dichtweise mit 
Hiatus und Reim gebaut sind. Der Charakter dieser Rich- 
tung und ihr Gegensatz zu der andern scheint mir am 
besten durch folgenden Fall bezeichnet zu sein: bei allen 
Gelehrten waren durch den Spottvers des alten Virgil 
(Ecl. 3, 90) l Qui ßavium non odit, amet tua carmina, Maevi* 
Bavius und Maevius die klassischen Beispiele schlechter 
Dichter geworden, bei unserm Grammatiker wird der Vers 
des Virgil auf den Kopf gestellt und Maevius verherrlicht: 
Maevius vir in carminibus dulcissimus, de quo illud pro- 
centum est 4 qui favum mellis non amat, odit tua carmina, 
Maevi.' Natürlich suchten diese Leute ihrer Richtung auf- 
zuhelfen, sie als möglichst wichtig, möglichst alt und be- 
rühmt hinzustellen. Daher jene lächerlichen Erzählungen, 
die wie Satire klingen, von Grammatikern, welche um die 
Frage, ob ego einen Vocativ habe und um ähnliche, des 
Nachts sich aus dem Bette holen, 14 Tage lang fast ohne 
zu essen und zu trinken darüber disputiren und dabei bis 
zum Messer kommen ; daher jene fingirte Literaturgeschichte 
von Grammatikern derselben Richtung, jene Erfindung der 
zwölferlei Arten Latein und jener unerhörten Conjunktionen, 



Digitized by 



Google 



76 Sitzung der pküos.-pliüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

Präpositionen und Interjektionen, die weder lateinisch noch 
griechisch sind, noch, soviel ich finden konnte, keltische 
oder hebräische Wörter verbergen. 

In diesem Lichte sind wohl die Citate von Versen bei 
Virgilius Maro zu betrachten. Wir finden die Alliteration 
in Epist. 8, 2 und sonst: z. B. terni terna flumen fontes 
fronda ex una undatim daturi sepna semper. In manchen 
Citaten gelingt es vielleicht noch r die Versgesetze zu er- 
kennen, wie in der 'secta prosa' des Cicero (Epit. 2, 5): 

lau. contemptus pecuniae 

da. in omni molimine 

bi. per araorem (philo) sophiae 

lis. menti fiet peritae, 
wo Siebensilber (2 zu ^ — ^ ^ — ^ — 1 2 zu — u — ^u — v) 
mit zweisilbiger Assonanz angewendet zu sein scheinen. An 
anderen Stellen ist sicher rythmischer Versbau l ) sammt 
Reim; z. B. Epist. 2, 8 Donatus in quodam carmine: 

nostras omnis familia nostrates quoque pecora 
evadant imminentia hostilium pericula. 

Epit. 5, 3 Virgilius Asianus quatuor poeticos confecit versus : 
Summa in summis Potens (potestas?) caelis 
Celsaque cuncta Gubernat celsa. 

1) Nur Ozanara chap. IX ahnte diesen 'Enfin, ä Ja prosodie des 
poetes classiques on substituait une versification nouvelle, dont les dac- 
tyles et les spondees semblent mesures, non par la quantite, mais par 
Taccent. Au milieu des obscurites de cette etrange poetique, on re- 
marque cependant les compositions que Virgile nomme des proses, et qui 
rappellent en efifet les proses de Teglise, composees de vers de huit syl- 
labes. comme ce chant sur le lever du soleil: 

Phoebus surgit, coelum scandit, 

Polo claret, cunctis paret. 
A ces coupes faciles, a ces riraes, on commence ä soupconner que le 
grauimairien se meprend, et qu'au moment oü il promet les regles d'une 
metrique savante, c'est le secret de la po6sie populaire qu'il laisse echapper. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lab. Bythmen. 77 

Epist. 3, 30 (de quatuor elementis) Plastus elegantissimo 
carmine disseruit dicens : 

Limo solubili lympha meabili 
Igne ardibili aura mutabili 
Mundus visibilis sumptus initii 
Cuins terribilis pendit tristitiara. 

Was auch der Sinn dieser theilweise verderbten Stellen sein 
möge, das ist sicher, dass es rythmisch gebaute Verse sind, 
Achtsilber mit jambischem Schlüsse (8 ^~), Fünfsilber mit 
trochäischem Schlüsse (5 — v ) und Sechssilber mit jambi- 
schem Schlüsse (6 ^— ) [stets 2 Daktylen], dazu mit Hiatus 
und mit Reim oder Assonanz in ein oder zwei Silben. 

Eine förmliche Theorie der Formen der rythmischen 
Poesie gibt Virgilius in der Epitome III De Metris. Er 
nennt metra die einzelnen Versfüsse, phona die Wörter, 
pedes die Silben. In § 11 definirt er 'Omnis versus hexa- 
metrus sive heptametrus rhetoricus est, trimetrus autem et 
tetrametrus et pentametius poeticus erit. De sapphico autem 
metro et heroico versu in quadam epistola . . descripsisse 
me sufficienter memini 1 . 

Von den Versarten führe ich folgende an § 2 Metra 
prosa quidem sunt per brevitatem, sicuti in Aenea lec- 
tum est: 

Phoebus surgit, caelum scandit, 

Polo claret, cuuctis paret. 

Hi duo versus octo metra habent . . . Omnes autem prosi 
versus per spondaeum edi solent. Hoc autem sciendum est, 
quod inter omnes pedes dactylus et spondaeus principatum 
habeant. Mederiorum versuum est nee prosos nee 
liniatos fieri . . Varrone canente: 

Festa dium sollemnia 
pupla per canam compita 



Digitized by 



Google 



78 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1883. 

quorum fistula modela 
poli perstiltant sidera. 

. . primus versus est trium metrorura, quorum primuni per 
spondaeum et duo sequentia per dactylos ponderantur ut: 
Festa deum I; sol II; (festa I; deum sol II V); lerania III. 

— Liniati versus quinque semper metris metiri debent, 
secundum illud Catonis elegantissimi rhetoris: 

Bella consurgunt poli praesentis sub tine 
Preco tempnuntur senum suetae doctrinae. 
Regis dolosi dolos fovent*) tyrannos 
Dium cultura moles neglecta per annos. 

Das Charakteristische dieser Verse scheint zu sein, dass der 
2. und 5. Fuss ein Trochaeus oder Spondens und dass das 
1. und 3. Wort stets zweisilbig, das 2. und 4. dreisilbig ist. 
Der letzteren Eigenschaft wegen scheinen sie liniati zu heissen. 

— Die Verse, welche Virgilius Perextensi nennt, verstehe 
ich noch nicht. Die Zeilen 

'Archadius rex terrificus 
laudabilis laude dignissimus' 
und l Sol maxiraus raundi lucifer 
omnia aera illustrat pariter* 

nennt er triphoni und quadriphoni, da sie von je 
3 oder 4 Wörtern gebildet sind. Von den carminum genera 
extraordinaria, die *Virgilius weiterhin erwähnt, besteht das 
cantamentum des Sagillius aus Fünfsilbern mit fcrochäischem 
Schlüsse und zweisilbigem Reime 

Mare et luna concurrunt una 
Vice altante temporum gande. ! ) 

Diese Beispiele zeigen bedeutende Fortschritte in der 
Entwicklung der rythmischen Dichtweise. Silbenzahl und 



1) Zu gande vgl. Epist. II, 3 diutina diei gande. 



Digitized by 



Google 



Wilb. Meyer: I/udus de Antichristo und über lat. Bythmen, 79 

Schluss der Zeilen ist gleich, Takt Wechsel und Hiatus ge- 
stattet. Die Construktion der versus liniati, mögen sie nun 
eine Erfindung des Virgil sein oder nicht, beweist jedenfalls, 
dass die rythmischen Dichter schon jener Zeit sich neue 
Zeilenarten zu schaffen wagten. Noch wichtiger ist, dass 
einige Male der . vollständige zweisilbige Reim angewendet 
ist, das älteste mir bekannte Beispiel. Von Strophenbau 
ist keine Rede und der Reim bindet nur gleiche Zeilen zu 
Paaren. Aus dem Allen ist klar, dass dieser Schriftsteller 
zum mindesten für die Geschichte der Alliteration und der 
rythmischen Poesie eindringendes Studium verdient. 



I. Trochaeische Fünfzehnsilber (15 v— ). 

Diese Zeile war zu allen Zeiten beliebt. Sie zerfällt 
stets in zwei Halbzeilen zu 8 und 7 Silben (8 — v +7 u— ). 
Die Pause nach 8 —^ ist nothwendig; vgl. No. 20. 37. 
Die Halbzeile 8 — ^ zerfällt oft und schon in den ältesten 
Gedichten in 2 Theile zu 4 — u + 4 -^ (vgl. No. 1. 16. 
18. 22. 37. 42); daher ist Taktwechsel in 8 _u seltener 
als in 7 ^— . Der Schluss von 8 — ^ ist selten unrein 
(vgl. 8 w— in No. 19. 36. 47.), in 7 u- oft: No. 29—37; 
vgl. 5. 19. 20. 22. 26. 42. 47. Silbenzusatz, zu 8—« wie 
zu 7 u— , findet sich in No. 38 — 46. Assonanz oder Beim 
findet sich am Ende der Langzeilen häufig. Die einsilbige 
Assonanz lässt von 3 oder 4 Zeilen oft 1 oder 2 frei; (vgl. 
No. 2 — 8. 17. 20. 41. 47). Einsilbige und zweisilbige Reime 
siehe in No. 9. 23. 25. 26. 27; zweisilbige bes. in No. 31. 
32 und in der Schlussstrophe von 29 ; Tiradenreim in No. 
21. 22. 28. 37. 48. Die Zeilen, sind meistens in. Gruppen 
von je 3 Z. zusammengestellt; aus Gruppen von je 2 Zeilen 
bestehen No. 1. 15. (22.) 26. 28. 31. 32. 34. 35. 42, aus 
Gruppen von 2 Zeilen mit Refrain No. 18. 33. 44. Je 4 



Digitized by 



Google 



80 Sitzung der phüos-philöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

Zeilen sind gruppirt in No. 8. 19. 29. Eine anders ge- 
baute Strophe schliesst die Gedichte No. 29. 31. 32. Die 
Initiulen der Strophen bilden das Alphabet in No. 1. 4. 12. 
13. 14. 18. 29. 32. 34. 35. 38. 45. 46. In No. 30 bilden 
die Anfange der Halbzeilen das Alphabet. In No. 2 geben 
die Stropheninitialen *Adelperga pia\ in No. 6 'Paulus feci\ 
in No. 41 Gaidhadlus. 

1,1. J ) A Du Möril 1843, 136 de judicio: Apparebit 
repentina. von Beda citirt. alphab. 23 Str. zu 2. h 3 (und 3 h 
zwischen den Halbzeilen). Tw nicht. Die Zeilen zu 8 _ w stets 
in 4 — w -[- 4 — u zerlegt, nur nicht in D, 2. i, 2* Paulus 
Diac. Carol. I p. 35 a. 763 de annis. 12 Str., deren Initialen 



1) Ausser den am betreffenden Orte angeführten Werken habe ich 
besonders benützt: 

Bench. Antiphonarium Monasterii Bencliorensis aus der aus Bobbio 
in die Ambroaiana gebrachten Handschrift saec. VJIl von Muratori her- 
ausgegeben in den Anecdota Ambros. IV, a. 1713, p. 121 —159. 

Carol, Poetae Latini aevi Carolini. ed. Em. Dümmler tom. I. 
(Mon. Germ, hist.) Berlin 1881. Schon vorher hatte er ausführlichen 
Bericht gegeben in 'Die handschr. TJ eberlief erung der lat. Dichtungen 
aus der Zeit der Karolinger 1 ; Neues Archiv IV, p. 89—159. 241-322. 
513—582. Dann hat D. in der Zeitschrift f. deutsches Alterthum (mit 
Zs. von mir citirt) 22 p. 423 zwei Gedichte (II, 28 und I, 42) heraus- 
gegeben; ebenda 22, 261 und 24, 151 hat D. 'Carolingiscbe Rythmen\ 
und in einer Hallenser Universitatsschrift 1881 'Rythmorum eccles. aevi 
Carolini speeimen' (Hymnus) veröffentlicht; dieselben stammen fast alle 
aus drei Handschriften : V, codex Veronensis XC (85) aus dem Ende des 
IX. Jahrh., beschrieben von Dümmler Ueberl. S. 152; B, cod. Bruxel- 
lensis 8860 aus dem Anfang des X. Jahrh. beschrieben ebenda S. 155; 
P, cod. Parisinus 1154 aus dem X« Jahrh. beschr. ebenda S. 114. Diese 
3 Handschriften sind die Fundgruben Du Merils und Dümmlers gewesen 
und enthalten den Hauptschatz der Rythmen des IX. Jahrhunderts. 

Boacherie, Melanges Latins et Bas-Latin s (Revue des langues Ro- 
man es VII) hat aus Handschriften des VIII— X. Jahrh. wichtige Rythmen 
veröffentlicht. Cambridger Lieder, hgb. von Jaffe in Zeitschr. f. d. Alter- 
thum 1869 p. 449. Mit h bezeichne ich Hiatus, mit Tw Taktwechscl. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 81 

Adelperga pia bilden, zu 3 Z, von denen 2 oder 3 meist assoniren. 
h ziemlich viel. Tw in 8 u — 4, 2 ; in 7 u — etwa 10 Mal. i, 3. 
Derselbe I p. 49 ad Petrum. Antwort auf Nr. 7, c. a. 781. 
12 Str. zu 3, von denen 2 oder 3 assoniren. h 5. Tw nur 11 
in 7 v — i, 4. Derselbe ? I p. 79 Alfabetum de bonis sacer- 
dotibus prosa conpositum. 23. Str. zu 3 (Ass. in 2 oder 3 Z.) 
h 11. Tw in 8 _u 4, in 7 u _ 20. J, 5. Derselbe I p. 625 
alphab. 23 Str. zu 3 (Ass. in 2 oder 3 Z.). h sehr viele, der 
Conjugationsbeispiele wegen. Tw in 8 — u nicht, 11 in 7 v^__. 
7 — v statt 7 ^ — kommt nicht vor, also ist 20, 2 zu stellen 
modus sonat litteris. I, 6. Daselbst I p. 628. 10 Str., deren 
Initialen bilden Paulus feci, zu 3 Z. mit 2 oder 3 Ass. h viel. 
Tw 2 in 8 ~u, 5 in 7 u — /, 7. Petri Grammatici Carol. 
I p. 48, c. a. 781. 12 Str. zu 3 Zeilen mit Ass. in 2 oder 
3 Z. h nicht. Tw 2 in 8 — w, 17 in 7 v — i, 8. Paulinus 
Aquileiensis Carol. I p. 133. de Lazaro. 27 Str. zu 4 Z. (2 oder 
3 mit Ass.) h 6. Tw 3 in 8 _u, 7 in 7 w_ . J, .9. Ber- 
nowinus Carol. I p. 416 'Hanc quisquis'. 5 Str. zu 3 Z. mit 
(oft zweisilbigem) Reim, h 1. Tw 4 in 8 — v , 5 in 7 u — 
I, 10. und 11. Strabo? Du Meril 1843 p. 246; Schubiger, 
Sängerschule p. 28. I, 10 ad Carolüm a. 829. 10 Str. zu 3. 
h nicht. Tw 6 in 8 _u, 3 in 7 u — 1,11 ad Lotharium 
a. 838. 10 Str. zu 3. h nicht. Tw 8 in 8 — u, 2 in 7 v_. 
J, 12. Du Meril 1843 p. 249 (Dümmler Ueberl. p. 116) Schlacht 
bei Fontenay a. 841. alphab. 13 Str. zu 3. h 5. Tw 8 in 8 
_ w, 5 in 7 v-. 7, 13. Du Menl 1843 p. 261 (Dümmler 
Ueberl. p. 118) de Aquileia. c. a. 850 alphab. 24 Str. zu 3. 
h 4. Tw in 8 _ w und 7 ^ — ziemlich viele. I, 14. Du 
Menl 1843 p. 264 (Dümmler Ueberl. p. 154) de Ludovico a. 
871. alphab. 10 Str. zu 3. Text zu unsicher. 1, 15. Dümmler 
Hymnus XIII. de resurrectione. 28 Str. zu 2. h wenig. Tw 2 
in 8 _u, mehr in 7 o— . J, 16. Dümmler Zs. 24 p. 152 
'Alexander urbis ßomae 1 . alphab. 12 Str. zu 3. h nicht. Tw 
nur in 7 ^ — 5 Mal, da 8 — o stets in 4 — u t|-4 — w 
zerfällt, fast quantitirend gebaut. i, 17. ebenda p. 153 ße- 
spice de coelo. 12 Str. zu 3 Z. mit Ass. h 4. Tw. 2 in 8 

— u, 4 in 7 v_. I, 18. Du Menl 1843 p. 182 Confessio. 
alphab. 24 Str. zu 2 nebst Refr. von 10 w—. h 11. Die 8 

— v sind sehr oft zu 4 — u -|- 4 — u zerlegt. Tw 5 in 8 

— w, 12 in 7 sj — Wenn die Refrainzeilen Poenitenti, ChHste, 
da veniam. Miserere mei piissime. Ab inferno, Christe, nos 

[1882. I. Philos.-pl.ilol. bist. Cl. 1 J 6 



Digitized by 



Google 



82 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882. 

libera in 4 — ^ -|" 6 u — (uad nicht in 6 — u -|- 4 ^— ) 
zu theilen sind, dann wären dies die ältesten Zehnsilber zu 

4 + 6 ^ 7, 19. Du Menl 1854 p. 286 (Hagen Carmina 

medii aevi No. 53) de Joseph 52 Str. zu 4. h ziemlich viele. 
Tw etwa 20 in 8 _u, etwa 36 in 7 ^ — 8 v>— statt 8 
— u 3 Mal? 7 — u statt 7 ^— p. 289 dixit: haec est imago. 
p. 294 consternati dixerunt. 7, 20. Guido Aretinus de musicae 
explanatione etwa 250 Zeilen zu 3 reimend oder assonirend. 
Viele h und Tw sowohl in 8 _v/ als in 7 w — Einmal fehlt 
scheinbar die Pause De quaternis habet Diatesseron vocabulum, 
das andere Mal Miror quatuor quosdem fecisse signa vocibus 
ist umzustellen fecisse quosdam. Einige Male scheint 7 — v 
statt 7 v — zu stehen (ibi vel diapente. plagis proti secundus). 
Die andern von Coussemaker veröffentlichten Gedichte Guidos 
sind zu schlecht edirt. 7, 21. Cambr. XXVII (vgl. Du M£ril 
1843 p. 278) de luscinia. 16 Str. zu 3, alle Z. endigen auf a. 
h 6. Tw 2 in 8 _ u, 7 in 7 u — 7, 22. Cambr. IX de 
Willelmo. 13 Z., die auf e enden (5 corr. ornabile, 1 corr. sona- 
bile). 4 h. 8 —v, = 4 — v -f 4 _„, nur nicht Z. 6, Z. 11 
.= 4 v_ + 4 —sj. Tw 6 in 7 u_ . 7 _ u statt 7 u_ 
in Z. 13. Die 8 Fünfzehnsilber in Cambr. XX (unten XV, 3), 
sind ganz rein, ohne h oder Tw, 8 — w stets = 4 — - u -j~ 
4 — sj. 1,23. Du Menl 1843 p. 280 de Constantio c. a. 
1020 30 Str. zu 3 Z. mit (oft zweisilbigem) Reim. Wenig h 
und Tw in 8 — ^ und 7 o — 7, 24. Ravaisson Rapport 
p. 404 (Migne 151 p. 729), zum Theil in Cambr. XXVI und 
Carm. Burana No. CCII, 47 (p. 92). 'Ad mensam philosophiae' 
25 Str. zu 3, Reim ein-, oft zweisilbig, h 5. Tw 11 in 8 — u, 
10 in 7 - — 7, 25. Sudendorf Registrum II p. 3. 'Ad oc- 
casum cuncta 1 . 26 Str. zu 3 mit Reim, der oft fehlt, h 2 ? 
Tw viele in 8 — v, und 7 w_. 7, 26. Du Menl 1847 p. 239 
'Inclitorum Pisanorum' a. 1088, c. 250 Z zu 2 gereimt, h und 
Tw in 8 u. 7 viele. Einige Male 7 — ^ . 7, 27. Petrus Damiani 
(f 1072) Migne t. 145 No. 218. 14 Str. zu 3 mit 3 h, keinem 
Tw in 8 — w, 1 in 7 u_; No 221 : 20 Str. zu 3 mit 7 h, 

keinem Tw in 8 _w, 6 in 7 No. 224 u. 225: 20 Str. 

zu 3 mit 3 h, 4 Tw in 8 _u, 3 in 7 v—. No. 226 (= p. 861 
Migne zz: Du Meril 1843 p. 131): 'Ad perennis vitae fontem' 
20 Str. zu 3 mit 1 h, kein Tw in 8 -u, 3 in 7 v — Reim 
stets ein- oder zweisilbig. 7, 28. Anselm Cant. Migne 158 
p. 1046 in laudem Mariae. 82 Z. zu 2 gruppirt ; jede Zeile 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 83 

endet auf e, wenig h, 1 Tw in 8 — v, 12 in 7 u — Derselbe, 
hymnus secundus: 9 Str. zu 3 mit einsilbigem Reim, der hie 
und da fehlt, h ziemlich. 5 Tw in 8 — wj 5 in 7 u — 

Troch. Fünfzehnsilber mit unreinem Schlüsse. 
I, 29. Bench. p. 136 de S. Patricio, alph. 23 Str. zu 4. 38 h. 
Tw 48 in 8— v, 30 in 7 u_. 8 Mal 7 _ v, statt 7 w_. (N 1 
corr. domini, V 7 que). Am Schlüsse eine Strophe von 4X8 
v — und 2 Xß — f -+* 5 — v ) mit zweisilbigem Reim. Eben- 
solche Schlussstrophen finden sich in den alten irischen Gedich- 
ten I, 31. 32, wo Mone also mit Unrecht sie tilgte. J, 30. 
Bench. p. 142 de S. Camelaco. alphab., doch merkwürdiger Weise 
so, dass nicht, wie soDst, die Anfangsbuchstaben der Langzeilen, 
sondern die aller Halbzeilen gelten, also A 8 — u, B 7 u — 
u. s. f. 12 Z. h 2. Tw 8 in 8_v, 2 in 7 u_. 3 Mal 7—w 
(deo, suum, suum). Corr. domino in G, dominum in R. J, 31. 
Mone 572. 'Cantemus in omni.' saec. IX. irisch. 13 Sti\ zu 2 
und Schlussstrophe zu 4X8 ^ — ; vgl. No. I, 29. Reim fast 
stets dreisilbig; dazu (das einzige Beispiel; siehe oben S. 64) 
Binnenreim, h 3. Tw 3 in 8— v, 5 in 7 o — 2 Mal 7—v. 
/, 32. Mone 314 de Michaele. saec. VIII. irisch, alphab. 23 
Str. zu 2 und Schlussstrophe zu 4X8 ^ — , die Mone tilgte ; 
vgl. No. I, 29. Der Reim, fast stets zweisilbig, fehlt hie und 
da. h viel. Tw 14 in 8_w, 10 in 7 u_. 11 Mal 7— u. 
I, 33. Dümmler Hymnus VI de Enoch. 35 Str. zu 2 Z. + 
4—^ Refrain, h findet sich in 17, 2. 22, 2. 23, 1 bis. 27, 2. 
(29, 2 novamque cod.). 30, 2. 33, 1. 35, 2, allein an all diesen 
Stellen ist eine Silbe zu viel, was sonst in diesem Gedichte 
nicht vorkommt. Also ist an diesen Stellen Elision anzu- 
nehmen. Auch Endsilben mit m vor anlautendem Vocal finden 
sich sonst nicht, als in 31, 2, wo Elision stattfindet (in 24, 1 
virorumque examine Hschr., also auch Elision). Diesem Klassi- 
cismus des Dichters entspricht es, dass auch «die unreinen Schlüsse 
1, 2 in polum. ß, 1 ac duces. 18, 1 et pii. 25, 1 cum patre. 
30, 2 ut iubar. 33, 2 regno patris, quantitirend gelesen, rein 
werden. ^ Tw 24 in 8 — u, -6 in 7 w — Wenn man die ge- 
ringe Zahl der Verstösse gegen die alte Prosodie betrachtet, so 
wird man dies Gedicht eher für ein quantitirend, als ein ryth- 
raisch gebautes erklären. I, 34. Hymnus IX de Hierusalem. 
alphab. 25 Str. zu 2. h nur 1, 2? Tw o in 8 — w, 3 in 7 w— . 
7 — w in 15, 1 et piae. 22, 1 est locus. /, 35. Hymnus VIII. 
de accusatione. alphab. 18 Str. zu 2. h viel. Tw 4 in 8 — u, 

6* 



Digitized by 



Google 



84 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

7 in 7 v — 7 — u : 15, 2. 17, 2 (Vocalverschmelzung in 3, 1. 
11, 1. 18, 2). 7, 36. Dümmler Zs. 23, 271 de divite. 13 Str. 
zu 3. h ziemlich viel. Tw in 8 und 7 viel. 8 w — statt 8 — ^ 
in 10, 2. 12, 2. 12, 3. 7, 37. Cambr. VIII. Gratulatio reginae. 
21 Z., die alle mit a cndeo. h nur Z. 11. Nach 8—v./ fehlt 
in Z. 14 die Pause; sonst zerfällt 8 — u stets in 4 — w (4^ — 
in Z. 7) + 4 — u ; in 7 u_ ist Tw nur Z. 20. 10 Mal 7 — v, 
statt 7 w — (9 Mal betont — v — ^ ^ — c). 

Troch. Ftinfzehnsilber mit Silbenzusatz. 1,38. 
Carol. I p. 24. De Mediolano a. 721 — 739. alphab. 24 Str. 
zu 3. viel h. Tw in 8 _u nur letzte Zeile, 8 in 7 u — Vor- 
schlag in 8-u 9 Mal, in 7 v,_? (24, 1. 20, 1). 7, 39 
Carol. I p. 119. de Verona c. a. 800. 33 Str. zu 3. viel h. 
viel Tw in 8 — w und mehr in 7 u — Vorschlag in 8-u 
etwa 25, in 7 u — etwa 6 Mal; — w u statt — ^ etwa 9 Mal in 

8 — v , 3 Mal in 7 v — Der Bau ist also von dem des vorigen 
Gedichtes verschieden. 7, 40. Carol. I p. 116. de Pippini vic- 
toria a. 796. 15 Str. zu 3. Tw nicht in 8 _-u, in 7 ^ — nur 
14, 2. Vorschlag sicher in 13, 2. 15, 2 (8 _u) u. 8, 2. 11, 2 
(7 ^— ). Dann in 8 Fällen, die man durch Elision (6) oder Vocal- 
verschmelzung (2) beseitigen könnte; — u v statt — v iü 6 
Fällen , die man durch Elision (4) oder Vokalverschmelzung 
beseitigen könnte. Da aber h in 2, 3. 9, 3. 15, 4 sicher ist, 
so ist auch in allen anderen Fällen Hiatus und Vocalzusatz, 
nicht Elision anzunehmen. 7, 41. Muratori Ant. Ital. III, 711 
aus cod. V; von Gaidhadlus. 11 Str., deren Initialen den Namen 
bilden, zu 3, meist 2 ZU. mit einsilb. Ass. Text (bes. die End- 
ungen) verdorben z. B. D 2 Populorum regi obsecrantes pro 
nostra facinora statt Polorum regi obsecrantes pro nostro faci- 
nore ; in A 2 del. superadstat. h viel. Tw in 8 _ ^ : J 1 ; 4 in 
7 w — Vorschlag 12 in 8 — o, 2 in 7 ^ — 7, 42. Dümmler 
Zs. 22, 426. de annis a principio, a. 718. 36 Z. meist gereimt 
zu 2. h viel. 8 — o stets in 4 — ^ -|-4 — v zerlegt und ohne 
Tw, 2 Tw in 7 u- und 2 Mal 7 — v . Vorschlag zu 8 — u in 
25. 29; (33 sunt del.). Vorschlag zu 7 v_ in 6. 20; in 3 
tilge simul; in 23. 25. 27. 24 ist Vocalverschmelzung. 7, 43. 
Dümmler Zs. 23, 266. de Judit. 18 Str. zu 3. h viel. Tw in 
8, 1. 16, 1. (?), in 7 v,_ 3 Mal. Vorschlag zu 8 — u in 8, 3 et 
absque arma triumphabit, — uu statt — u in 7 v — : 19, 3. 
2, 3 (16, 2 omnes in ore gladii?). 7, 4JL. Dümmler hymnus I 
de XIII diebus. 13 Str. zu 2 + Kefr. mirabilia fecit deus. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Eythmen. 85 

h viel. Tw 3 in 8 — v, 2 in 7 u — — v <-» statt — ^ 8 
Mal in 8 — ^, 13, 1 (?) in 7 u — Vorschlag oder Vocal Ver- 
schmelzung in 2, 1. 12, 1. 12, 2. J, 45. Hymnus XV. 'Avarus' 
alphab. 13 Str. zu 3. h viel. Tw 2 (3) in 8 _ v, 2 in 7 u_. 
Vorschlag 7 in 8 — ^, — ^ ^ nur in 5, 2 valde suspirans cum 
lamento. 1,46. Zarncke. Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1877 
p. 57 * Alexander puer\ alphab. 8 Str. zu 3. Zarncke Dahm 
keinen h und mehrfache Elision, dann Vorschlag an. Ich finde, 
indem ich mich (abgesehen von groben Fehlern wie D 2 und 
den verdorbenen Str. F. H) an die Hschr. halte, h in A 2. D 1. 
Tw in E 2. Vorschlag zu 8 — ^ in C 1 , zu 7 ^ — in J 1. 
C 2. 3. -~ ^ statt — ^ in A 2. 3. D 1. E 3. C 1. 

1,47. Pertz Abh. der berl. Acad. 1845 p. 264 de mundi 
rota saec. VII. 43 Str. zu 3, in 2 oder 3 ZI. meistens Asso- 
nanz, h und Tw sehr viel. Sprache barbarisch und Text schlecht, 
oft Silben zu viel. Doch scheint 7 — ^ statt 7 ^ — sicher in 
67. 68. Ebenso 8 ~ — statt 8— v in Zeilen wie 13. 49. 53. 
88. 96. J, 48. Coena Cypriani Du Menl 1843 p. 193 eben- 
falls sehr schlecht überliefert, h und Tw viel. Sicher ist auch 
öfter 7 — ^ statt 7 ^ — und 8 ^ — statt 7 ^ — , wie archi- 
triclinus hydrias, deridebatque Isaac. 7, 5, 4 Z. assoniren (öfter 
auch die 1. Halbzeilen). 

II. Jambische Trimeter (5-—^ -f~ 7 w — ). 

In dem jambischen Trimeter, der in den ersten Jahr- 
hunderten sehr beliebt war, ist die Hauptcäsur des römi- 
schen Senars zur Pause geworden, welche, abgesehen von 
den verwilderten Gedichten No. 26. 27. 28. 29, die Zeile 
in 2 Halbzeilen zu 5— ^ und 7 »— zerlegt. Taläwechsel 
findet sich im 2. Halbvers bei manchen Dichtern seltener, 
bei anderen häufiger; die 1. Halbzeile w — w — w gehört den 
jambischen Reihen an und hat auch bei den Dichtern, welche 
in 7 ^ — den Taktwechsel selten gestatteten, fast ebenso oft 
Taktwechsel (— w w — w) als nicht (w — w — w). Desshalb 
habe ich nur die Taktwechsel der zweiten Halbverse zu 
7 w _ ( w _ ww _ w _) notirt. Der Schluss von 5 — ^ ist 
stets rein (vgl. No. 2. 9. 26—29), der von 7 «— oft in 
7— * geändert; vgl. No. 2. 4. 9. 18. 20 — 24. Assonanz 



Digitized by 



Google 



86 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882. 

mehrerer Langzeilen der Strophe hat No. 1 — 9. 15. 16. 20. 
25. 28; Beim der Langzeilen No. 14. in No. 18 reimen 
die ungleichen Halbzeilen untereinander (5 — ^ : 7 w— ), in 
No. 19 bald die ungleichen Halbzeilen 5—^:7^—, bald 
die Schlüsse der Langzeilen. Tiradenreim hat No. 13. Die 
Zeilen treten zu Gruppen zusammen ; zu Gruppen von 2 Z. 
in No. 13. 20. 21; von 2 Z. mit Refrain in No. 11. 14. 
23. 26; von 3 Z. in No. 25. 27; von 3 Z. mit Refrain in 
No. 15; von 4 Z. in No. 16. 18. 28; von 5 Z. in No. 2-7. 
17. 22. 24; in Gruppen von 3 Z. mit einem Fünfsilber 
(5 — ^), also zu einer Art von sapphischen Strophen, in 
No. 1. 8. 9. 10. 12. 17. 19. Die Initialen der Strophen 
sind von den Buchstaben des Alphabets gebildet in No. 1. 
10. 14. 15. 16. 23. 26. 27. 28 (3 auf A); in No. 14 be- 
ginnen auch die zweiten Zeilen der Strophe mit dem be- 
treffenden Buchstaben; die Initialen von No. 22 bilden das 
Wort Stefanus m. 

II, 1. Paulus Diaconus? Carol. I p. 81 de malis sacer- 
dotibus (vgl. I, 4). alphab. 23 sapph. Str. mit Ass. in 2 oder 
3 Z. 7 h. Tw 18 (in 7 ^— ). II, 2. Paulinus Aquil. Carol. 
I p. 131 de Herico. 14 Str. zu 5 Z. meistens mit Ass. meh- 
rerer Zeilen, h o, (h) in 11, 3. Tw 18. 7—^ statt 7 ~— : 
4, 4. 10, 2; (10, 1 Cecidit ubi?). II, S. Derselbe? p. 136 
'Felix per omne'. 9 Str. zu 5 Z. oft mit Ass. mehrerer Z. 
Tw (h h 3, 4 Linguae eorum claves caeli factae sunt, wohl zu 
stellen Eorum linguae ; vgl. übrigens XIV, 1 Str. N Eorumque 
linguae claves caeli sunt factae. II, 4. Derselbe? p. 137 'Re- 
fulgit omnis'. 15 Str. zu 5 Z. oft mit Ass. mehrerer Z. h o. 
Tw 9. 7— v in 8, 3 antefertur diebus. 11,5. Derselbe? 
p. 138 'Refulsit almae'. 12 Str. zu 5 Z. mit Ass. mehrerer 
Zeilen, h 4, 4 (?), 5, 3 (dederunt templo?) 9, 4. Tw 7. II, 6. 
Derselbe? p. 140 'Jam nunc per omne'. 11 Str. zu 5 Z. mit 
Ass. in mehreren Z. h in 6, 1. 7, 3. II, 7. Derselbe? p. 141 
'Clara refulgent'. 9 Str. zu 5 Z. mit Ass. in mehreren Z. h 2, 2. 
Tw 7. 17,8. Derselbe?? p. 142. de destructione Aquilegiae. 
alphab. 23 sapph. Str. mit Ass. in mehreren Z. h 16. Tw 16. 
71, 9, Derselbe? p. 144 de nativitate domini. 42 sapph. Str. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 87 

mit Ass. in mehreren Z. 3 (5) h, 8 (h). Tw 20. 7 — ^ in 
33, 2? 34, 2 corr. ammöniti sunt? 77, 10. Derselbe? p. 147 
confessio 'Ad caeli clara' (vgl. No. 19). alphab. 24 sapph. Str. 
h 3. 8 Tw. 77, 11. Carol. I p. 435 Planctus Karoli a. 814. 
22 Str. zu 2 + Refr. Heu mihi misero. h 9, (h) 3. Tw 13. 
77, 12 Du Märil 1843 p. $51 (Dümmler üeberl. p. 116). <Hug 
dulce nomen'. 8 sapph. Str. h o. Tw nur 'cum fores mitis- 
simus. II, 13. Du Menl 1843 p. 268 'de Modena'. 36 Z. 
zu 2. 4 h, S (h). Tw 5. 7— ^ : adorata ut dea. Z. 1 — 18 
u. 21 — 36 enden auf a (bes. i-a), 19 u. 20 auf ilis. 77, 14. 
Dümmler Hymnus VII de Christo, alphab., doch so, dass auch 
jede 2. Zeile mit demselben Buchstaben anfängt. 23 Str. zu 
2Z. + Refrain von 2 Trim. Einsilb. Reim. 6 h. Tw viel. 
77, 15. Dümmler Hymnus IV de accusatione hominis, alphab. 
21 Str. zu 3 Z. (mit Ass. in 2 oder 3 Z.) + Refr. Jesus 
clementer tribulantes subveni. h viel. Tw wenig. 77, 16. 
Dümmler Zs. 23, 268 'de Ester', alphab. 23 Str. zu 4 Z., Ass. 
in je 4 oder 2 Zeilen, h ziemlich viel. Tw 23. 77, 17. Oza- 
nam Documents hat S. 245. 248. 255 Trimeter (theils in Str. 
zu 5 theils in sapph. Strophen) mit oft unsicherm Texte ver- 
öffentlicht. 77, 18. Heribert a. 1021—1042 Bischof in Eich- 
statt Migne 141 p. 1370 (= Mone 111). 5 Str. zu 4 Z., in 
denen der erste Halbvers (5 — ^) mit dem 2. (7 u— ) reimt 
(per crucem sanctam lapsis dona gratiam?). h 1. Tw 2. 7 — ^ 
crimen necans in cruce. 77, 19. Petrus Damiani, Migne 145 
No. 220. Paenitens (vgl. No. 10 ; z. B. Str. 5 non coelum 
dignus oculis aspicere). 16 sapph. Str., in denen der Reim bald 
die Halbzeilen, bald die Langzeilen bindet, bald fehlt, h 0, 
(h) 4. Tw 1. 

Trimeter mit unreinem Schlüsse. 77, 20. Bench. 
p. 129 Apostolorum. 42 Str. zu 2 Z., die oft reimen, h c. 20. 
Tw c. 15. Vocalverschmelzung öfter auch im Schlüsse z. B. 
talibusque donariis. accedunt ei ut. 21 Mal 7 — ^ statt 7 ^ — . 
77, 21. Bench p. 132 de communicatione. 11 Str. zu 2. h 4. 
Tw 4. 7 — -^ in : laudes dicamus deo, u. Christus filius dei. 
11,22. Mon. Germ. Script. Longob. saec. VI— IX. p. 190, de 
synodo Ticinensi a. 698. 19 Strophen, deren Initialen bilden 
SSTTEEFPAANNVVSS MM, zu 5 Z. 'nequivi edissere ut valent 
medrici ; scripsi per prosa ut oratiunculain 1 . h c. 26. Tw c. 35. 
6 Mal 7 — ^ . (corr. F 4 concordat cum quatuor ?). 77, 23. 
Pttmmler Hymnus XI de Jobanne, alphab. 22 Str. zu 2 Z. mit 



Digitized by 



Google 



88 Sitzung der phüos.-pliilol. Classe vom 7. Januar 1882. 

Refrain von 2 Trimetern. h 9. Tw 15. Einsilb. Reim. 3 Mal 

7 — ^ . II, 24. Dümmler Hyinnus XIV de initio quadra- 
gesimae. 10 Str. zu 5 Z. h nur 4, 2. 6 Tw. 3 Mal 7—^ 
(mit dierum u. diebus). 

Trimeter mit Silbenzusatz und verwilderte. 
II, 25. Dümmler Hymnus XII de laude Mariae. 15 Str. zu 3 Z. 
mit Ass. in 2 oder 3 Z. h viel. Tw 7. Vorschlag zu 7 <-* — 

8 Mal (also auch 14, 3 laudabunt semper dominum Hsch. richtig), 
— v, ^ statt — ^ 4 Mal. II, 26. Dümmler Hymnus XVII 'Audi 
nos deus'. alphab. 10 Str. zu 2 Z. (mit Ass.) -f- Refrain 'suc- 
curre nos Christe'. Verwildert, h c. 8. 8 Z. bestehen aus 5 — ^ 
-{- 7 w — , 7 Z. aus 6 — v + " w — un ^ ^ Z. aus 5 — ^ + 
8 *• — . U, ,27. Dümmler Hymnus XVI de natale domini. 
alphab. 9 Str. zu 3 Z. Ganz verwildert. Wenig h. 10 Z. zu 

5 — ^ -j- 7 ^ — , 4 Z. zu 12 o — ohne Pause, die übrigen 1 3 
Zeilen meistens zu 6 — |— 7 ^> — . II, £#. Theodofrid saec. 
VII— VIH. Dümmler Zs. 22, 423 (vgl. Zs. 23, 280). alphab. 
25 Str. zu 4 Z. (oft mit Ass. in 2 oder 3 Z.). 'Ante secula'. 
h viel. Tw nicht viel. Text sehr verdorben, doch Sprache und 
Form des Gedichtes schon ursprünglich sehr roh. . Zeilen mit mehr 
und weniger als 12 Silben, ohne Pause, mit 4—^, 5 ^— , 

6 v — und 6 — v statt 5 — ^ , und mit 6 ^ — t 6 — ^, 8 ^ — 
statt 7 *• — scheinen sicher ; für 7 — ^ statt 7 ^ — kein sicheres 
Beispiel. II, 29. Dümmler Zs. 23, 273 'Adonai magne' 16 
Zeilen sehr verdorben, oft ohne die richtige Pause und mit 
einer Silbe zu viel oder zu wenig. 

III. Trochäische Achtsilber (8 — « ). 

Der trochäische Achtsilber ist gleich der ersten Halb- 
zeile des trochäischen Fünfzehnsilbers. Wie dort, zerfällt 
auch hier in manchen Gedichten die Zeile regelmässig in 
2 Theile: 4 — - + 4 — - (vgl. No. 2. 4. 5 a), hat also 
sehr wenig Taktwechsel; in andern ist dies nicht der Fall, 
und es wird bisweilen auf den Tonfall gar nicht geachtet 
(vgl. No. 3 u. 5). Der Schluss ist oft unrein; No. 3. 5. 7. 
Der Beim bindet je 4 und 4 Silben in No. 2 (das man 
also auch in Zeilen von je 4 — ^ eintheilen könnte), ge- 
wöhnlich Zeile um Zeile , bei Augustin Langzeilen von 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Liidus de Antichristo und über lat. Bythmen. 89 

2 Mal 8 — ~ . Assonanz ist in No. 4. 6. 7, einsilbiger 
Reim in No. 3, zweisilbiger Reim in No. 2. 5. Tiraden- 
reim bei Augustin. Die Zeilen sind gruppirt : je 3 oder 4 
in No. 6, je 4 mit Refr. in No. 3 u. 8, je 6 in No. 7, je 
8 mit Refr. in No. 5, je 10 oder 12 Doppelzeilen mit Re- 
frain bei Augustin. In No. 3 werden die Initialen der 1., 
in No. 6 die der 1. und letzten Strophenzeile durch die 
.Buchstaben des Alphabets gebildet. 

III, 1. Augustin gegen die Donatisten ca. 393. Du Meril 
1843 p. 120. alphab. 17 Str. zu 12, 3 Str. (CDE) zu 10,, 
Epilog zu 30 Langzeilen von je 2 Achtsilbern. Jede Strophe 
hat den Refrain 'Omnes qui gaudetis de pace modo verum 
iudicate'. Jede Langzeile endet auf e. In jeder Zeile stehen 
8 Silben, jede vorletzte Silbe ist betont und wird auch durch 
Wörter wie dare, reus und ähnliche gebildet. Sonst ist Elision 
von schliessendem Vocale oder m vor anlautendem Vocale gesetz- 
mässig und die wenigen Verse, wo sie unterbleibt (wie epis- 
copum ordinäre, et si credo esse sanctum) sind wohl unrichtig 
überliefert. Vokalverschmelzung wird ausserordentlich oft an- 
gewendet, z. B. habeat paleas area vestra; doch unterbleibt sie 
in anderen Fällen. Auf den Tonfall der Silben ist ausser am 
Schlüsse nicht geachtet, so dass unter der Mitwirkung von 
Elision und Vocalverschmelzung die meisten Zeilen hässlich 
klingen. HI, 2. MoneNo.269 Summe sator. altirisch. 21 Z. 
Jede Zeile zerfällt in 4 — ^ _|- 4 — o und diese Halbzeilen 
reimen untereinander mit reinem zweisilbigem Reim (19 Mal) 
oder zweisilbiger Assonanz (2 Mal); vgl. S. 77 VirgiPs 'polo 
claret cunctis paret'. 6 h. Tw 0. III, 3. Dümmler Hymnus 
XVIH 'Ab aquilone'. alphab. 6 Str. zu 4 (mit Ass.) -|~ B- e " 
frain 'reddam rationem' oder 'reddam retributionem'. 3 h. Tw 6. 
4 Mal 8 w— statt 8—^. 111,4. Du Menl ' 1843 p. 271. 
28 Z. gereimt oder ass. zu 2, 3 oder 4. 2 h. Tw nur 1, da 
meist 4— u -|- 4 — v getheilt ist. III, 5. Wipo 1039 pro 
obitu Chuonradi imp. Mon. Germ. Script. XI, 274 (Du M^ril 
43 p. 290). 9 Str. zu 4 Langzeilen (von je 2 Achtsilbern) + 
Refrain 'rex deus, vivos tuere et defunctis miserere'. Es reimen 
die beiden Achtsilber jeder Langzeile unter sich mit reinem 
zweisilbigen Reim, nur 2 Mal mit zweisilb. Ass. und 5 Mal 
mit ein§ilb, Reim, 8 Langzeüen bestehen au§ 8 ü-r. -f 8 ^ — , 



Digitized by 



Google 



90 Sitzung der philos.-phi'ol. Clause vom 7. Januar 1882. 

2 aus 8u_ -J- 8 — o. h6. Tw so viele, dass von Rythmus 
keine Rede mehr ist. 

III, 5a. In XV, 1 finden sich 20 Zeilen zu 8 _ u , die 
stets in 4-w -J- 4_w (2 Mal 4 w_ -\- 4_w) zerfallen. 
In VII, 1 finden sich 38 Zeilen zu 8 — w mit 8 Tw. In XV, 4 
1 6 Zeilen zu 8 — w , von denen 13 in 4 _ w -}- 4 _- w zer- 
fallen, 2 Tw haben, 1 jambisch endet. 

Troch. Achtsilber mit Silbenzusatz und ver- 
wilderte. III, 6. Dümmler Hymnus V de commendatione. 
alphab. 15 Str. zu 4, 8 Str. zu 3 Z., mit Ass. oder Reim in 
2 oder 3 Z. Jeder Strophe folgt eine Zeile, die einen Anruf 
Gottes enthält, mit denselben Buchstaben beginnt, wie die Strophe, 
und mit deus schliesst z. B. aeterne rex deus in A, benigne 
fortis deus in B. viele h und Tw. Vorschlag 10 Mal, — w w 
statt — w 20 Mal. III, 7. Boucherie Melanges p. 28 de die 
iudicii. 13 Str. zu 6 Z. mit Ass. in 3—6 Z. der Str. h c. 20. 
Tw c. 16. — w w statt — ~ in 1, 1. 10, 5. 12, 3. 8 w_ statt 
8 _w in 4, 5. (6, 2 del dies?) 7, 1. 13, 2. III, 8. Dümmler 
Zs. 24, 154. de castitate. alphab. 14 Str. zu 4 Z. -f- Refr. 
'Adiuva nos deus meus ; in te posui cor meum' ; oft zu 2 as- 
sonirend. Gänzlich verwildert. Wenn man auch Silbenzusatz und 
starke Vocalverschmelzungen annimmt, so sind doch manche 
Zeilen, wie 9, 3 = 12, 3. 11, 3. 13, 3 u. 4. 14, 1 nicht in 
das Schema zu zwingen, h und Tw viele. 

IV. Trochaeische Elfsilber (4 — v, + 7 v— ). 
Da im troch. Fünfzehnsilber die erste Halbzeile oft in 
4 — « + 4 — ^ zerlegt wurde (vgl. S. 79 u. 88), so lag 
es nahe, das eine Stück zu 4 — ~ wegzulassen. So ist die 
Zeile von 4 — « + 7 — « entstanden. J ) Sie wurde früh 
gebraucht. 

IV, 1. Dümmler Zs. 23, 265 'Andecavis abbas\ 5 Str. zu 
4 Z. mit Refrain *Eia eia eia laudes eia laudes dicamus Libero'. 



1) Bartsch (siehe No. 2), nach dessen Ansicht diese Zeilenart der 
nationalen keltischen Poesie entlehnt wäre, erkannte nicht die Pause 
nach 4 — w und nahm eine Pause nach der 8., 7. oder selten 6. oder 5. 
Silbe an : natürlich, da alle jambisch auslautenden Zeilen meistens mit 
einem drei- oder viersübigen, selten einem mehrsilbigen Worte schliessen. 
Auch G. Paris, Romania 9 p. 188, hat die Pause nicht erkannt. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 91 

Gewöhnlich bindet Ass. je 2 Zeilen ; einige Male fehlt sie. h 0. 
Tw in 3, 2. 4, 1. IV, 2. Bartsch Zeitschr. f. rom. Philol. II, 
(1878) p. 216 (vgl. ebenda III, 1879, p. 384) aus einem sehr 
alten Evangeliarium in Maihingen. 42 Z. einsilbig gereimt meist 
zu 4, 2 Mal zu 2, 1 Mal zu 6. h 7, (h) 6. 4 w_ statt 
4 — v, in 4 u. 42. Tw 4 in 7 «-; 6Mal 7-w statt 7 - — 
IV, 3. Mone No. 270 Hymnum luricae, altirisch. 92 Z. in Str. 
zu 4. je 2 Z. haben einsilbigen Reim, dazu oft noch Reim oder 
Ass. der vorletzten Silbe. Die ersten 17 und die letzten 12 
Zeilen sind rein gebaut mit nur 2 Tw in 7 w — und mit Fehlen 
der Pause in 8. 12. 87. In dem Mittelstück, wo der Dichter 
fremde seltsame Wörter aufhäufte, kümmerte er sich mehr um 
die Unterbringung dieser als um sein Zeilenschema. So fehlt 
hier oft die Pause, oft sind Silben zu viel, einige Male auch 
trochäischer Schluss hereingekommen. IV, Sa. In den 5 Stro- 
phen des Petrus Damiani (Migne 145 S. 939, unten XV, 5) 
kommen 1 5 Zeilen, zu 4 — « + 7w- mit Reim der Endsilben 
vor. 2 Mal steht 4 ^ _ statt 4 _ w und in dem 2. Falle 'Quid 
ergo miserrima quid facerem' fehlt auch die Pause. 

V. Trochaeische Siebensilber (7 v— ). 

Wie der erste Theil (8 — ^) der trochaeischen Fünfzehn- 
silber, so wurde auch der zweite Theil, der trochäische Sieben- 
silber, abgetrennt und einzeln zu Gedichten verwendet. *) 

V, 1. Hibernicus Exul. Carol. I p. 399. 'Versus Caroli Im- 
peratoris'. 48 Z. oder vielmehr 24 Langzeilen von 7 w — -\- 
7 w — , da je der 2. Vers den Reim hat. Derselbe bindet je 
2 Langzeilen und ist zweisilbig, ja meistens sind auch die 
Vocale der drittletzten Silben gleich. In den 48 Zeilen sind 
h 0, 19 Tw und 4 Mal 7— ^ statt 7 w_ (doch stets in der 
1. Hälfte der Langzeile). V, 2. In Dicuils Computus, über 
den Dümmler Ueberl. S. 256 genauere Nachricht gab, finden 
sich Buch II cap. XIIII folgende Zeilen, die nach Hellers, von 
Prof. Dümmler gütigst mir mitgetheilten, Abschrift lauten : De 
yrnpno per rythmum facto. 

Ceu tesserae in pirgis mutantur ludificis 



1) Bartsch hat auch diese Zeilenart (7 w {- 7 w — ) für national 

keltischen Ursprungs angesehen (vgl. Zeitschr. f. rom. Philol. III p. 383)* 
Dagegen G. Paris in Romania 9 p. 187. 



Digitized by 



Google 



92 Sitzumj der philos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

Sic hae partes in istis moventur versieulis. l ) 

Pulcherrimain auream non habeo aleam. 

Aleas quas habeo tibi donare volo. 

Domino caeli gloria atque terrae perpetua. 
Es sind 8 Siebensilber und 2 Achtsilber (8 w — ) mit einsilbigem 
Reim. Darin 2 h. Von den Siebensilbern haben 3 unreinen 
Schluss, von den 5 Zeilen zu 7 w _ haben 4 Tw. V, 3. 
Dümmler Zs. 23, 156. Katechismus 'de laude dei\ alphab. 
23 Str. zu 2 Z. mit dem Refrain 'Benedictus dominus Christus 
dei filius'. Gänzlich verwildert. Es sind hauptsächlich Zeilen 
zu 7 w — mit ziemlich vielen h und Tw. Doch sind Zeilen 
zu 7 — w, 8^ — , 8 — w, ja auch 9 — w darunter gemischt, 
die man weder durch Annahme von Silbenzusatz noch von 
Elision oder Vokalverschmelzung alle in das Schema von 7 w __ 
bringen kann. 

VI. Sapphische Zeilen (5 — ^+6 — ^). 

Interessant und lehrreich ist es, die Umwandlung der 
quantitirendeu sapphischen Strophe in die ryth mische zu 
beobachten. Das Schema der sapphischen Zeile war zuletzt 

— «- | ww — w — w: Jäm satis terris | nivis ätque dirae. 

Die Caesur ward zur Pause. Der Anfang v, w der zweiten 
Halbzeile musste dem rythinischen Dichter zu — ^ werden, 
also nivis ätque dirae. Da ein ans 2 oder mehr Längen 
bestehender Schluss im Lateinischen stets auf der vorletzten 
Silbe betont ist, so wurde der Schluss der ersten Halbzeile 

zu — , also Jam satis terris; das geschah um 

so lieber, weil nun die Basis der ersten 3 Zeilen der 4. Zeile, 
dem Adonier, gleich und so der ganze Aufbau der Strophe- 
klarer wurde. . Diese gar nicht so üble, neue rythmische 
sapphische Strophe zu 5 — ^ + 6 — « , 5 — ^ + 6 — v, , 
5 — ^ + 6—^, 5—^ hat also dieselbe Silbenzahl und 
Caesur und denselben Zeilenschluss wie die quantitirende 
und ist doch im Tonfall von jener alten ziemlich verschieden. 
Wir sehen hier auch, wie zwei verschiedene quantitirende 



1) nemlich in den vorausgehenden hexametrischen Spielereien. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 93 

Zeilenarten in der rythnrischen Dichtung zu einer werden. 
Denn die rythmische sapphische Zeile ist so mit dem kata- 
lektiscben jambischen Trimeter w_w__w | __w__w_w gleich 
geworden, vgl. Jam sätis terris nivis ätque dirae 

und Trahuntque siccas raächinae carinas. 

VI, 1. Theodulfus. Carol. I p. 578 a. 818. 9 sappb. Str. 
In den 8 ersten Str. 5 — ^ 21 Mal — ^ w — w, und nur 3 Mal 

, in7w_3Tw. h 0. Dann Str. 9 Vale Ermen- 

gardis regina et augusta, Et tui tecum in seculo nati : Idcirco 
nostri in dulcedine cordis Semper habemus, also 3 Elisionen 
und 3 Tw. VI, 2. Ozanam Documents p. 239 S. Sylvestri. 
15 sapph. Str. b 8. in 6— w Tw 2? VI 3. Cambridger 
Lieder No. XXVIII Carmen aestivum. 5 sapph. Str. h. 1. 
Tw 2 in G— w. 

VIF. Verschiedene Trochaeische Zeilen. 

VII, 1. 8— - + 6_-. Gotschalk, Du Meril 1843 p. 177. 
19 Str., die alle beginnen 'Deus miseri. Miserere servi' und 
scbliessen 'Heu quid evenit mihi. Dazwischen stehen 4 Zeilen 
zu 8 — w. 6 — ^, 8 — w, 6 — w. Die Refrainzeilen und diese 
Zeilen scbliessen allesammt mit i. Dass die beiden .Kurzzeilen 
8 — w -j- 6 — w eine Langzeile bilden sollen, geht daraus her- 
vor, dass die Halbzeilen zu 6 _w in den Str. 1 — 13 stets mit 
zweisilbigem Reim (10) oder zweisilbiger Ass. (3) scbliessen. 
h 10. 8 Tw in den 38 Z. zu 8— -, 10 in den 38 Z. zu 

[*^ VII, 2. Gaston Paris und Jules Lair in Bibl. de l'ecole 
d. chartes 31 p. 389. 'Laxis fibris resonante 1 a. 942. 11 Str. 
von 3 Z. zu 12— w -f 1 Z. 8_w, dazu Refr. Cuncti flete 
pro Willelmo Innocenter interfecto. Dazu eine 12. Str. von 4 X 
12—^. Im Schlüsse der 4. Z. ist meist Ass. Sowohl die Z. 
zu 12 — w als die zu 8 — w zerfallen meist in 4 — w -[-4 — w. 
h ziemlich viel. 

Till. Jambische Achtsilber (8 v— ). 

In der späten quantitirenden Poesie wurden jambische 
Dimeter sehr oft, Glykoneen oft zu Gedichten verwendet. 
Nach der ersten Zeilenart oder nach beiden wurden die 



Digitized by 



Google 



94 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

jambischen Achtsilber gebildet (vgl. S. 55). Ein Gedicht 
mit rein jambischem Falle kenne ich nicht; nur sehr wenige, 
in denen eine bescheidene Anzahl von Tdktwechsel ist (vgl. 
No. 6. 8. 9. 12) ; in der Regel beginnt die Zeile ebenso oft 
mit — w als mit «— , ja manchmal öfter mit — « (vgl. 
No. 1. 13. 15. 16. 22. 24), so dass meist nur Silben ge- 
zählt wurden. Auch der Schluss ist oft unrein; vgl. No. 
12 — 30. 2. 5. 8. 9. Zweisilb. Reim oder Ass. findet sich 
in No. 1. 4. 8. 9. 10. 13. 15. 17—25. Einsilb. Ass. in 
No. 2. 9. Tiradenreim in No. 27; vgl. 13. 16. 26. 28. 
gekreuzte Reime hie und da in No. 30 (vgl. No. 29). Je 
2 Zeilen sind gereimt in No. 4. 5. 6. 7. 11. 17. 1., je 4 
in No. 8. 14. 15. Die Zeilen treten zusammen in Gruppen 
von je 2 in No. 17 — 26, von je 4 in No. 1—6. 8—12. 14. 
15. 27. 29. 30., je 6 mit Refrain in No. 16, je 8 oder 10 
mit Refrain in No. 13, je 12 in No. 26. Die Initialen 
der Strophen bilden die Buchstaben des Alphabets in No. 2. 
13. 26. 29., wobei in No. 13 die sämmtlichen Zeilen von 
A und D mit A und D beginnen ; in No. 22 bilden die 
Initialen von 9 Zeilen das Wort Nithardus. 

VIII, L Dicuil im Computus, a. 814, Dümmler Ueberl. p. 257. 
28 Z. oder vielmehr 14 Langzeilen, da nur jede 2. Zeile zu 
8 ^ — durch den Reim gebunden ist. Dieser ist 2 Mal ein- 
silbig, 5 Mal zwei- und dreisilbig, h 4. 1 7 Tw. VIII, 1 a. In 
XV, 1 finden sich 20 Z. zu 8 w — , von denen 16 als — ^ — ^, 
w — w __ und nur 4 als w — w — w — ^ __ betont sind. VIII, 2, 
Dümmler Hymnus III. de monachis. alphab. 24 Str. zu 4 Z., 
mit 2, 3 oder 4 Ass. 5 h. Viele Tw. 8 — w in f, 1. VIII, 3. 
Ozanam Documents hat p. 236 einen Hymnus von 8 Str. zu 
4 und p. 252 einen von 9 Str. zu 4 aus einer Handschrift 
des IX. Jahrb. gedruckt. VIII, 4. Cambridge No. VII Eccl. 
Trevirensis a. 1028 — 1035. 44 Z. reimend Zeile für Zeile mit 
ein-, meist zweisilbigem Reim, h 7. Tw 15. VIII, 5. Cambr. 
XI de Johanne abbate. 50 Z. Der einsilb. Reim bindet je 2 
einzelne Zeilen. Nur in 12 Z. bindet er jede 2. Zeile, also 
6 Langzeilen von 16 Silben, h 0. 1 Mal nee veste nee eibo 
frui. VIII, 6. Cambr. XXIX Verna suspiria. 6 Str. zu 4 mit 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 95 

Reim zu 2 oder 4. h 1. Tw 8. VIII, 7. Petrus Damiani 
(Migne 145) hat viele Gedichte in 8 ^ — geschrieben. Sie sind 
Zeile um Zeile ein- und mehrsilbig gereimt, h ist selten, Tw 
häufig, 8 — w nicht eingemischt. VIII, 8. Sudendorf Registrum 

1 p. 49 a. 1080. 4 Str. zu 4 Z. mit zweisilbiger Ass. (nur 2 Z. 
mit einsilbiger Ass.). h 0. Tw nur 4. 1 Mal 8 _ ^ . VIII, 9. 
Sudendorf I p. 55. Venite cuncti, a. 1084. 19 Str. zu 4 Z. mit 
ein- oder zweisilbiger Ass. h 10. Tw nur 9. 1 Mal 8 — w. 
VIU, 10. Du Menl 1843 p. 297 'Jerusalem mirabilis' c. a. 1095. 
9 Str. zu 4, meist mit 2 silb. Reim, h 2. Tw 20 (8 ~ w 2,4: 
conserens?). VIII, 11. Anselm Canterb. Migne 158 p. 931 =- 
Mone No. 621. 58 Str. zu 4, gereimt (ein- und zweisilbig) zu 2. 
h etwa 11. Migne p. 965 = Mone No. 627: 44 Str. zu 4, 
gereimt zu 2 (hie und da nur Ass.). 16 h. Migne p. 1035 = 
Mone No. 422—429: 17 Str. zu 4, gereimt zu 2. h 0. 

Jambische Achtsilber mit unreinem Schlüsse. 
VIII, 12. Daniel I, 85 <Rex aeterne', von Beda citirt, 16 Str. 
zu 4. h ziemlich viel. Tw 14. 3 Z. zu 7 w — und 3 Z. zu 
8 — ^ , meistens emendirt. VIII, 13. Bench. p. 139 de S. Com- 
gillo. alphab. 21 Str. zu 8, 2 (AB) zu 10, 1 (J) zu 7 Z.' + 
Refrain von 2 Achtsilbern. In A u. D fangen alle Z. mit A 
u. D an ; vgl. J. K. Reim meist zweisilb. Ass. in der ganzen 
Str. h 28. Tw 120, dazu 18 Mal 8_w. VIII, U. Bench. 
p. 133. hymnus mediae noctis 14 Str. zu 4. h 7. Tw 20. 
8 — w 8 Mal (corr. Dicamus laudes domino. und Quae stulte 
vero remanent, Extinctas habent lampades). VHI, 15. Bench. 
p. 143 Collectae. 10 Str. zu 4 mit (oft zweisilbigem) Reim. 
12 h. Tw 28. 1 Mal 8-~. VIII, 16. Benchur p. 159 Me- 
moria abbatum. 1 Str. zu 8, 5 Str. zu 6 ; dazu Refrain von 

2 Achtsilbern. (Ohne die Eigennamen :3 h. Tw c. 25. 3 Mal 
8 _ - ). Einsilb. Reim in allen Z. der Strophe. VIU, 17. Jaffe 
Bibl. rerum Germ. III p. 38 'Rector casae 1 vor 706. 200 Z., 
von denen stets 2 durch (oft zwei, ja dreisilbigen) Reim ver- 
bunden sind, h 18. Tw viele. 8— - c. 10 Mal. VIII, 18. 
ebenda p. 41, vor 706. 'Nuper dein 1 . 184 Z. ; ähnlicher Bau 
und Reim wie No. 17. 8_w c. 18 Mal. VIII, 19. ebenda 
p. 44 'Summum satorem' 46 Z. ; ähnlicher Bau und Reim. 
8 — w 2 Mal. VIU, 20. ebenda p. 45 an Aldhelm «Aethereus 
qui\ 78 Z. Bau und Reim ähnlich. 8_w 7 Mal. VIII, 21. 
ebenda p. 46 an Aethilwald 'Vale vale\ 78 Z. mit ähnlichem 
Bau und Reim. 8 — w 3 Mal. VIII, 22. ebenda p. 52 Boni- 



Digitized by 



Google 



96 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

facius c. 716 'Vale frater'. 28 Z. die Initialen von 9 Z. bilden 
den Namen Nithardus. Je 2 durch (oft zweisilbigen) Reim ver- 
bunden ; 1 Mal fehlt der Reim, h 3. Tw 15. VIII, 23. ebenda 
p. 308. vor 786. «Vale Christo'. 12 Z., je 2 durch (meist 
zweisilbigen) Reim verbunden. 7 mit Tw, 1 ohne Tw, 3 zu 
8_-. VIII, 24. ebenda p. 312. Berthgyth «Vale vivens' 
20 Z. zu 2 mit ein- und zweisilbigem Reim. 6 ohne, 14 mit 
Tw. h 2. VIII, 25. ebenda p. 314 Berthgyth 'pro me quaero\ 
16 Z. zu 2 mit Reim (der in 4 Z. fehlt), h 5. 1 Z. ohne 
Tw, 15 mit Tw. VIII, 26. Boucherie Melanges p. 15 u. Reiffer- 
scheid Bibl. ital. II, 80. Altus prosator' alphab. 23 Str. zu 
12 Z. mit Reim, der in der Regel nur 2 Z. bindet, h und Tw 
viele. 8_w c. 16 Mal. VIII, 27. Du Muril 1843 p. 255 
c. a. 850 'Dulces modos'. c. 150 Z. zu 4. Reim in 1 — 24 a, 
25 — 30 und 33 — 48 us, sonst meist zu 4 oder 2. h 5. Tw 
viele (14 in den 25 ersten Z.), 10 X 8 _ „. VIII, 28. Du 
Meril 1843 p. 266 <o Fulco' c. a. 900. 76 Z. Reim verbindet 
bald 7 bald weniger Z. h 9. Tw 32. 8 _~ 3 Mal. VIII, 29. 
Mone I, 395 aus der Darmstädter Hsch. saec. IX — Cambridge 
No. XXIII. 'Audax es vir iuvenis'. alphab. 23 Str. zu 4. In 
der Cambridger Hschr. ist der Text sehr geglättet, besonders 
sind Reime (auch gekreuzte) hereingebracht. Diesen Text hat 
Jaffe wieder geglättet. Ich halte mich an den Text Mones, 
der sehr roh ist. Ass. bindet oft je 2 Z., oft fehlt sie. h viele. 
Etwa 6 Mal nur 7 -— , 9 Mal 9, 2 Mal 10 und 11 Silben. 
8 __ ^ findet sich 7 Mal. VIII, 30. Psalterium Mariae unter 
den Schriften des Anselm Cant. (Migne 158 p. 1038). 632 Z. 
in Str. zu 4 Z., gereimt bald 1:2. 3:4, bald 1:3. 2:4 
mit einsilbigem Reim, h nur wenige. Dagegen sehr viele Tw. 
Sehr oft 8 — ~, z. B. in den 100 ersten Zeilen 45 Mal. Dem- 
nach stammt entweder dieses oder die andern Gedichte (VIII, 
11 u. I, 28) nicht von Anselm. 

IX. Siebensilber mit trochaeisckem Schlug» (7 — ^ ). 

IX, 1. Bench. p. 156 Versiculi familiae Benchuir. 10 Str. 
zu 4 Z. oder vielmehr zu Langzeilen mit gekreuztem Reim 
der Art: 

Vere regalis aula variis gemmis ornata 
Gregisque Christi caula patre summo servata. 
Stets sind die Vocale der beiden letzten Silben gleich und alle 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 97 

40 Z. enden auf a, die Consonanten zwischen den beiden letzten 
Silben sind oft ungleich. 7 « — statt 7 — « haben 3 Z., von 
den übrigen haben 16 den Tonfall — « ^ — « — ^ und 31 
— w — ww — w, so dass in diesem Gedichte die auch in der 
quantitirenden Poesie zu ganzen Gedichten verwendeten Phere- 
krateen rythmisch nachgebildet sind, h 8. Mehrere Vokalver- 
schmelzungen finden sich. IX, 2. Aus Dicuils Computus II 
cap. 7 (a. 815) hat Dümmler Ueberl. p. 258 (Ymnus per 
rythmum f actus) 12 Z. gedruckt, die ebenfalls als 6 Langzeilen 
zu fassen sind. Jedes der 3 Paare von Langzeilen hat am 
Schlüsse reinen zweisilbigen Reim ; die vorderen Halbzeilen 
reimen einsilbig mit: 

Gaudeo transiisse latos in campos prosae 
Viam perlustrans plene loquelae spaciosae. 
h 0. Der Tonfall ist nur 2 Mal jambisch ^ _ w __ w — ^ , 2 Mal 

v « w . _ w und 8 Mal — « ^ « — w . 

IX, 2 a. In dem Hymnus auf den h. Gallus (XIV, 1) wird 
die 2. Zeilenhälfte 37 Mal von Zeilen zu 7 — ^ gebildet, die 
merkwürdiger Weise stets den reinen jambischen Fall « — ^ — 

« — w haben. IX, 3. Petrus Damiani Migne 145 p. 937 No. 61, 
de Maria. 26 Str. zu 4 Z., je 2 durch zweisilb. (selten einsilb.) 
Reim oder Ass. verbunden, h 5. Von den 104 Z. haben 50 
den jamb. Tonfall ^ — ^ — ^ — ^. 26 — ww — ^ — ^ 24 — ^ — 

v w __ w . IX, 4. Du Meril 1854 p. 283 De resurrectione 'Audite 
omnes gentes'. alphab. 23 Str. zu 4 Z. -\- Refrain 'Jam Christus 
resurrexit'. Je 2 Zeilen sind durch zwei- oder einsilbigen Reim 
oder Assonanz verbunden. Der Text ist sehr schlecht, doch 
scheint es sicher, dass einige Zeilen mehr, einige weniger als 7 
Silben haben, einige mit ^ — schliessen. IX, 5. Unter den 
Schriften des Columban (Migne 80 p. 293) ist ein Gedicht 'de 
vanitate vitae' gedruckt, 29 Str. zu 4 Z. oder eher zu 2 Lang- 
zeilen, da je die 2. und 4. Kurzzeile meist durch zweisilbige 
Ass. verbunden sind. Das Ganze ist sehr roh, im Anfang sind 
mehr Zeilen zu 7 — ^ , gegen Ende mehr zu 7 w _ , darunter 
einige zu 8 ^ — und 8 — ^ . 

Langzeile zu 7 — " -\- 7 w — . 

IX, 6. Boucherie Melanges p. 6 aus einer Hschr. saec. VIII. 
2 Gedichte, a) 'Portatus sum ut agnus', 14 Langzeilen, je 2 
einsilbig gereimt, b) { A patre missus' 6 Str. von je 2 Lang- 
zeilen (zu7-u -|-7 w~) mit einer Schlusszeile zu 7u_ mit 

[1882. 1. Philos.-phüol. hist. Cl. 1.] 7 



Digitized by 



Google 



98 Sitzung der philos. -philo!. Classe vom 7. Januar 1883. 

einsilbigem Reim in den 3 Zeilen. In a) und b) h 6 ; von den 

26 Z. zu 7_u haben 19 den jamb. Tonfall, 5 ~ — ^ 

und 2—^ — ^ w__o; von den 32 Z, zu 7 «- haben 10 Takt- 
wechsel. 

Langzeile zu 6 — « + 7 — w . 

iX, 6a. In XIV, 1 besteht die 3. Zeile der 24 Strophen 
aus G -f" ' Silben. In der ersten Halbzeile haben 10 Str. 
6—^ (mit 1 Tw), 14: 6 w— (mit 7 Tw); die zweite hat 
trochäiscben Schluss und in 6 Str. den/ Tonfall o — ^ — ^ — w, 
in 9 — ^ — v/o — <^, in 7 — ^ ^ — ^ — ^ . 

X. FUnfsilber mit trochaeischem Schlüsse (5 — w ). 

Diese Zeilen, die Adonier, wurden in der quantitirenden 
Poesie der späteren Zeit oft selbständig verwendet. Auch 
in der rythmischen Poesie waren sie beliebt, da sie ja auch 
in den so häufigen jambischen Trimetern (II), in den sapphi- 
schen (VI) und alcaeischen (XI) Zeilen die Basis bildeten. 
Schon Virgil Maro hat sie mehrfach verwendet (S. 76). Thr 
Tonfall scheint fast ebenso oft ^ — ^ — « als — ^^ — ^ 
zu sein. 

X, 1. Den troch. Ftinfzehnsilbern Bench. p. 142 (oben I, 30) 
folgt eine Schlussstrophe 

Patricii laudes semper dicamus 
Ut nos cum illo senvper vivamus' 
offenbar Doppelzeilen von je 2 Fünfsilbern mit zweisilbigem 
Reime. Vielleicht finden sich solche auch in dem Gebete p. 152 
post benedictionem trium puerorum. 

Deus qui pueris fide ferventibus 
flammam fornacis frigidam facis 
(et) tribus invictis morte devicta 
precamur nobis aestibus carnis 
talem virtutem praestes adustis 
per te Jesu Christe qui regnas etc. Zuerst je 2 Dactylen 
(= Asklepiadeern XII), dann 8 Fünfsilber, in denen ich nur 
forn. fl. umgestellt und et getilgt habe. 

X, la. In XIV, 1 sind die Zeilen gern aus zwei Fünfsilberri 
gebildet, von denen über 100 den Tonfall — ^ ^ — ^, etwa 
17: ^_ u — ^ haben. X, 2. Cambridge No. I (Müllenhoff u. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 99 

Scherer Denkmäler No. XXV). 11 Str. zu 6 Z., mit einsilb. 
Reim in je 2. h 5. 33 Z. za - w u — w, 23 zu v — v — u. 

Elfsilber mit troch. Schlags (Phalaecische Verse) (6 + 5 — « ). 
Die in der späteren quantitirenden Poesie oft gebrauchte 
Phalaecische Zeile -_^_^^_ ^_^__^ (vgl. Hagen Car- 
olina medii aevi S. 39) hat oft Einschnitt nach der 6. Silbe. 

X, 3. Heribert, Bischof von Eichstädt 1021—1042, Migne 
141 p. 1370 No. II und III. No. II 'Mare fons ostium' 7 Str. 
zu 3 Z. h 4. No. III 'Ave flos virginum' 5 Str. zu 3 Z. hl. 
Jede Zeile zerfallt in 6 und 5 Silben. Die erste Halbzeile, die 
Basis, ist schwankend im Rythmus, 17 X 6 w — ( ü — w — u — 
11, — u u — v.» — 6) , und 4 X 6 — ^ ( — ^ — w — ^ 3 , v — 
ww — v 1), die 2. Halbzeile hat stets troch. Schluss und 18 
Mal den Tonfall ~^-u 3 MaK-v-w. In No. III sind 

11 erste Halbzeilen zu 6 ^ — (w v, u — 5, — w v — u — 6), 

4 zu 6 — ^ (_u_-u-_u 3, u_-o u — u 1); die 2. hat 14 
Mal den Tonfall — u v — v , 1 Mal ^ — v — v, . Der meistens 
einsilbige Reim bindet die ungleichen Halbzeilen 6:5, nicht 
die Schlüsse der Langzeilen. 

XI. Alcaeische Zeilen (5 — - + 6 - -). 
% Regelmässiger daktylischer Tonfall war in der rythmi- 
schen Poesie nicht zugelassen. Daher wurde — ^ ^ — ^ — 
mit Beibehaltung des Schlusses ebenso oft ^ — - « — ^ — betont. 

Das. Schema der rythmischen alcaeischen Zeile ist also 

\j — kj 

— ww_v, | — w w __ w _ . Gedichte in selbständigen quanti- 
tirenden alcäischen Zeilen finden sich manche; siehe Mone 
No. 573. Rythmisch betonte alcäische Zeilen fand ich bis 
jetzt nur in einem älteren Gedicht: 

XI, 1. Dümmler Hymnus II. de adnuntiatione Mariae 
alphab. 23 Str. zu 2 Z., die meistens durch einsilb. Ass. ge- 
bunden sind, nebst dem Refrain Beata virgo | et dei genetrix. 
Der Text ist leider vielfach entstellt und unverständlich (vgl. 
Str. E. H. J). Die zweite Halbzeile hat stets 6 Silben (12, 1 
corr. Magi occurrunt | ferentes munera : offerentes cod.) mit 
dem richtigen Schluss v — ; 12 haben den Tonfall — ^ w — v _, 
die andern ^ — v — u — . Die erste Halbzeile, die Basis, ist 



Digitized by 



Google 



100 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

wie in X, 3 schwankend und das nicht nur im Rythmus, son- 
dern auch in der Silbenzahl. Von 43 Zeilen sind 33 richtige 
Fünfsilber mit troch. Schluss 5 — ^ ( 5 v __ kommt nicht vor ; 
22, 1 corr. Ymnum et laudes, laudibus cod.), 24 zu — ^ v — ^, 
9 zu ^ — < — v; 10 sind Sechssilber, h viel. 

XII. Asklepiadeische Zeilen 6 « — (- 6 « — . 
Der Scblu&s — ^ v, _ ist in ry thnrischen Versen unmög- 
lich. Denn alle mehrsilbigen lateinischen Wörter sind ent- 
weder auf der vorletzten oder drittletzten Silbe, keines auf 
der letzten oder viertletzten Silbe betont ; einsilbiger Schluss 
ist aber überhaupt selten gestattet, der von schwerbetonten 
Wörtern gebildete fast gar nicht, und selbst, wenn er ge- 
stattet wäre, würde andere Betonung eintreten ; so ver- 
wandelt sich omnibus rex zu omnibüs rex. Desshalb 
musste der Schluss — ^ ^ — in den rythraischen Gedichten 
zerfallen, und er zerfiel in der beliebten asklepiadeischen 
Zeile — « — v » — |__w^_w_ so, dass der Schluss ~ — 
gewahrt wurde, die Zeile also den Tonfall « — v,_ ^— oder 
_^ w__w__ bekam, folglich der zweiten Halbzeile absolut 
gleich wurde. Dadurch wurde das lebendige Maecenäs atavis | 
edite regibus zu dem eintönigen Alexandriner: Cunctärum 
ürbiüni | excellentissima, welchen nur die Abwechslung von 
— u v — \j — und ^ — v> — kj — belebt. 

XU, 1. Eiese Anthol. II p. XXXIX. Du Märil 1843 p. 239. 
(No. II auch Cambridge No. XXX). 2 Gedichte: I <0 Eoma 
nobilis' 3 Str. zu 6 Z. mit gleichem einsilb. Reim in den 6 Z. 
(in der 2. Str. 2 silb. Asson. i— er), h 0. Von den 36 Halb- 
zeilen zu 6 c/ — haben 20 v w — w — , 16 w — ^ — w — II. 'O 

admirabile' 3 Str. die erste zu 6 Zeilen mit dem Reim 'olum', 
die 2. zu 7 Z. mit dem Reim *e — im', die 3. Str. zu 6 Z. mit 
dem Reim us. h 0. 4 Zeilen nacheinander haben deD unreinen 
Schluss polum, solum, dolum, colum ; die Zeile Quo fugis amabo 

ist falsch. Von den 38 Halbzeilen zu 6 haben 14 den 

Tonfall — c v — w — 

XII, 2. S. Zenonis Sermones ed. Ballerini p. CLI , de 
Zenone. alphab. 67 Z. hie und da mit Reim. Der Text ist 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über Iah Rythmen. 101 

sehr verdorben. Die 2. Halbzeile ist meist rein, besonders der 
Schluss; die 1. Halbzeile ist wiederum (vgl XI, 1) schwankend; 
sie schliesst nicht nur mit Trochäus, sondern zählt hie und da 
sogar 7 Silben. 

XII, 3. Mone 1014 de Kiliano. 8 Str. zu je 3 asklep. 
Zeilen und 1 Achtsilber mit jamb. Schluss. Wegen der reichen, 
theilweise gekreuzten Reime, die alle Halbzeilen und den Acht- 
silbef binden, kann ich das Gedicht nicht für sehr alt halten; 
doch fällt es wegen der unreinen Reime (meist zweisilbige Ass.) 
wohl noch in den Anfang des XII. Jahrhunderts. 

XIII. Verschiedene neue Zeilen. 

XIII, 1. 9 c- — Dtimmler Zs. 23 p. 264. (bei Du Meril 
1847 p. 10 anderer Text). Audite versus parabolae. 6 Str. zu 
5 Z. mit Ass. in den meisten Zeilen, h 4. Bei Dümmler haben 

von den 30 Zeilen 29 den Tonfell — ^ « __ ^ w — w , ni *r 6> 1 
Si tantum vixisses tili mi. 27 haben Pause nach der dritten 

Silbe, nur in 4, 5. 6, 2. 6, 5 fehlt sie. Also ist das Schema 
__ \j \j 

^ — ^ -}" — ^ w — w — » vielleicht eine rythmische Nachbildung 
einer quantitir enden Zeile von 3 Daktylen. 

XIII, 2. Coussemaker Hist. de Tharmonie p. 108 gibt 2 
Versionen eines Gedichtes Jam dulcis amica venito, dessen 
Rythmus ich noch nicht erkannt habe. Es sind meist Z. zu 
9 — w, doch auch 9 ^ — und 10 w — Die Einmischung dak- 
tylischen oder anapästischen Tonfalls scheint regelmässig zu sein. 

XIII, 3. Dtimmler Zs. «23 p. 273 'Placidas fuit dictus'. 
44 Str. zu 5 Z. mit einsilb. Ass. in 3 r- 5 Z. Die 2. Halb- 
zeile ist stets sechssilbig und schliesst jambisch, sie hat 127 
Mal den Tonfall w — ^_. ^ — , 93 Mal — « ^ _« — Die erste 
Halbzeile schliesst stets trochäisch und besteht etwa 13 Male 
aus 7 Silben zu ^ — «_w__^. Die übrigen Zeilen schli essen 
mit — ^ w — «, welchen entweder 2 oder 3 Silben vorangehen, 
so dass entstehen 76 Siebensilber zu — « — « ^ — «, 32 Acht- 
silber zu — ww — v * — w sümite mödicum eibum, 90 Acht- 
silber zu w — w__w « — w in ipsis finibus örat. Vielleicht liegt 
eine Nachahmung des Paroemiacus zu Grunde, bei welcher nur 
das letzte Paar von unbetonten Silben festgehalten wurde ; vgl. 
No. 4. h viele, z. B. 14 in Z. 1 — 50. 

XIII, 4. In dem Codex Palatinus, Vatic. No. 833 saec. IX, 
stehen von fol. 49 an Epyt. civ. Piacent. Eccl. Beati Antonini; 



Digitized by 



>y Google 



102 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

unter diesen lautet eines fol. 51 A nach der von Prof. Eugen 
Bonnann gütigst mitgetheilten Abschrift : Epyt. 

Quis mihi tribuat, ut fletus cessent inmensi 
2 et luctus animae det locum vera dicenti? 

Licet in lacrimis singultus verba erumpant, 
4 de te certissime tuus discipulus loquar: 

Te generositas, minister Christi parentum, % 
6 te munda actio, Thomas, monstrabat honestum. 

Tecum virginitas ab incunabulis vixit, 
8 tecumque veritas ad vitae metam permansit. 
Tu casto labio pudica verba promebas, 
10 tu patientiam patiendo pie docebas. 

Te semper sobrium, te cernebamus modestum. 
12 Tu tribulantium vera consolatio verax. 

Errore veteri diu Aquilegia caeca 
14 Diffusam caelitus rectam dum rennueret fidem 

Aspera viarum nioguidosque montium calles 
16 Calcans indefessus glutinasti prudens scissos. 
4 loquor Gruter 6 actio Gruter, actis cod. 8 vitar inetam 
cod. 10 patientiam patiendo Meyer, patiens iam parcendo cod. 
11 cernebamus cod., retinebamus Gruter. 1 2- tribulantium Meyer, 
tribulantum cod.; vera scheint verderbt; eras? In diesem zu- 
erst von Gruter (pag. MCLXIX No. 6) edirten und von Troya 
(IV, III, 44) auf den in dem Gedichte von 698 (oben II, 22) 
genannten Thomas bezogenen Inschrift fand Corssen (Ausspr. II, 
1859, p. 397) schlecht gebaute Hexameter. Ich finde hier eine 
interessante rythmische Zeilenart, bestehend aus 2 Halbzeilen, 

zuerst einem Sechssilber mit jambischem Schlüsse ( v — v — u — ) 
und einem Achtsilber mit trochäischem Schlüsse, doch nicht 
aus 4 Trochäen bestehend, sondern aus dem Schlüsse — ^ v — w ; 
da a^uch die vorangehenden 3 Silben regelmässig den Tonfall 
w — yj haben, so liegt es sehr nahe, in dieser Zeile ^ — ^ — 
w v, — v eine rythmische Nachahmung des Paroemiacus zu sehen. 
Diese Zeile ist also die Umkehrung der in XIII, 3 zumeist an- 
gewendeten, h finden sich 3 ; Reim und Sinn gesellt die Zeilen 
1 — 10 zu Paaren. Zeile 1 — 11 sind rein, nur in Z. 4 Takt- 
wechsel in tuus. Zeile 12 — 16 weichen ab; der Schluss von 
12 — 15 ist richtig — v v — u, allein es gehen 4 Silben voran; 
in 13 diu kann wie in 10 patiendo Vokal Verschmelzung statt- 
finden; in 12. 14 und 15 scheint sich der Dichter 4 Silben 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 103 

statt der 3 gestattet zu haben, was, wenn er wirklich den 
Paroemiacus nachahmte, nicht auffallend wäre, also ninguidösqiie 
möntium cälles. In 15 ist der Anfang vielleicht herzustellen 
Viarum aspera. Gibt es eine andere rythmische Inschrift aus 
so alter Zeit? 

XIII, 5. Petrus Dam. (Migne 145) hat eine neue Zeilen- 
art :8w — -(- 7 o — in Strophen zu 3 Langzeilen, indem stets 
die ungleichen Halbzeilen ein- oder zweisilbig reimen. No. 40 : 
12 Str. zu 3 Z. Tw in 8 u_: 18, in 7 : 4. hl. No. 121 
fcorr. Z. 1 auratis deum ,— domini ed. — citharis) 12 Str. 
zu 3 Z. Tw 6 in 8 u— , 4 in 7. h 2. No. 172 : 3 Str. zu 3. 
h 0. Tw 3 in 8 u_, 1 in 7 u_. 

XIV. Schwankende Zeilen. 

XIV, 1. Das interessanteste Beispiel der S. 61 charakteri- 
sirten Compositionen von schwankenden Zeilen ist das in einer 
Handschrift zu Montpellier (saec. X — XI) erhaltene Gedicht 
über das Weltende 'Audi tellus' (hgb. von Paulin Blanc (1847) 
in den Mdmoires de la Soc. arch. de Montpellier II p. 450 bis 
510 mit vollständigem Facsimile ; ungenügend abgedruckt von 
Coussemaker Hist. de l'Harmonie p. 116; vgl. Fetis Hist. de 
la Musique IV p. 248 — 254). Es ist gleich merkwürdig wegen 
des Inhalts als wegen der beigeschriebenen Neumen und. der 
nicht erkannten Form, alphab. 24 Str. zu je 7 Langzeilen, 
von denen Z. 3 — 6 stets, Z. 1 , 2 und 7 oft in 2 Halbzeilen 
zerfallen. Einsilb. Reim oder Ass. bindet bald die Halbzeilen, 
bald die Langzeilen, bald fehlt er. Die 7 Zeilen bilden 5, fast 
ausnahmslos trochäisch schliessende Hauptgruppen, welche in 
der Handschrift meist dadurch angedeutet sind, dass über die 
betonten, vorletzten Silben in den Neumen das Zeichen n oder 
f geschrieben ist. Die I. Periode, der Eingang der Strophe, 
besteht aus den beiden ersten Zeilen, die beide trochäisch 
schliessen, 21 Mal reimen und deren Ende durch das Zeichen f 
über dem Schluss der 2. Zeile bezeichnet ist. Diese beiden 
Zeilen sind die unregelmässigsten. Die erste besteht in 9 Str. 
aus einer Z. von 9 — 13 Silben ohne Pause, in 14 Str. aus 
der in diesem Gedicht sehr beliebten Verbindung von zwei Fünf- 
silbern mit troch. Schlüsse (5 — ^ -f- 5 — «), in G aus 5 — ^ 
-\- 6 — w. Die zweite, kürzere Z. besteht in 5 Str. aus 10 bis 

• 1 4 — « , in 11 Str. aus 7—9 — ^ , in 7 Str. aus 5 — « + 
5 — ^ . IL Periode.) Die 3. Z. ist bezeichnet durch f im 



Digitized by 



Google 



104 Sitzung der phüos.-phüol . Classe vom 7. Januar 1882. 

Schlüsse der 2. Z. und n in ihrem eigenen Schlüsse. Sie ist 
die Hauptzeile der Strophe, denn in ihr allein haben die beiden 
Halbzeilen, in die sie stets zerfällt, ausnahmslos die gleiche 
Silbenzahl. Der Eythmus der Basis ist schwankend; in 10 Str. 
6 — w (mit Tw in Str. X), in 14 Str. 6 ^ — und zwar in 
7 Str. — w ^ , — « — und in 7 andern : w — ^ »_ « — . Die 
2. Halbzeile schliesst stets trochäisch ; l ) der eigentlich jam- 
bische Tonfall w _«__ v _ « ist nur in 6 Str. beachtet; 9 Str. 
haben — ^ — ^ ^ — «, 7: — ^ ^ , — « — ^ . Demnach sind ab- 
zuth eilen die Zeilen 

N Eorumque linguae claves caeli sunt factae. 
(vgl. II, 3 Paulinus Aqu. 'eorum linguae claves caeli factae 
sunt). 

R Erumpent locustae hactenus numquam visae. 

X Sanctorum cum eo agmina angelorum. 

Y Rapiet (capiet) aeternos Satanas cruciatus. 
III. Periode.) Im Schlüsse der 4. Z. steht 11 Mal das Zeichen n. 
Die beiden Halbzeilen reimen 12 Mal. Die erste Halbzeile be- 
steht stets aus 5_~, die 2. 13 Mal aus 5_^, 10 Mal aus 
6 Silben und zwar 3 Mal aus — w _ « __ ^ , 7 mal hat sie jam- 
bischen Schluss mit — ^ ^ — ^ __. IV. Periode.) Die 5. und 
6. Zeile in C enthalten ein Citat und sind unregelmässig. In 
12 Str. reimen dieselben, die 6. Zeile schliesst stets trochäisch 
und ist 21 Mal durch n bezeichnet. Die 5. Zeile besteht nie 
aus 5 — « -f- 5 — « , sondern die 1 . Halbzeile hat 3 Mal 5 — ^ , 

1 Mal 6 , 1 Mal 7 , 5 Mal 6 ~_, U Mal 7 «- (in 

E 8 — ^ ? in G ist zu schreiben quj cum sit de semine | natus 
iniquo); die 2. Halbzeile hat 8 Mal 5 — ^,3 Mal 6 — ^, je 

1 Mal 6 -— und 7—«, und 10 Mal 7 Die 6. Zeile 

bildet die erste Halbzeile 10 Mal aus 6 ^ — (5 Mal mit Tw), 
die zweite aus 6 — « in M O fi (mit Tw in ß) ; in den übrigen 
Strophen besteht sowohl die 1. wie die 2. Halbzeile aus 5— ^. 
(In G ist wohl zu stellen Dicet de virgine j se procreatum). 
V. Periode.) Die Schlusszeile reimt 14 Mal mit der 6. Zeile, 
sie schliesst trochäisch und ist im Schlüsse 21 Mal durch n 
gezeichnet. Sie ist meistens eine Langzeile ohne Pause (vgl. 
Z. 2) von 7 — 9—^, 4 Mal besteht sie aus 5— w -{-' 5— w. 



1) nur die überhaupt unregelmässige Str. C hat undique formidines; 
in Str. M 'candelabra lucentia 1 (bei Paulinus Aqu. 2, 1 candelabra luce 
radiantia) bildet ia eine Silbe. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und Über lat. Bythmen. 105 

Die verschiedenen Refrainzeilen haben theils jambischen, theils 
trochäischen Schluss mit Reim ; z. B. 

Veni benigne (veni ?) rex pie. 

subveni redemptis pretioso sanguine. 
(vgl. Paulinus Aquil., oben II, 3, purpurata precioso sanguine). 

Spes quibus ianuae nulla est reseranda (ae?). 

w _ 

Abgesehen von der feststehenden dritten Zeile zu 6 -« -[" 7 — ^ 
sind also besonders Fünfsilber mit trochäischem Schluss ver- 
wendet. Jedoch sind Halbzeilen eingemischt, in denen vorn 
oder hinten eine oder zwei Silben zugesetzt sind (6 — « , 6 ^ — , 
7 «_, 7 — w), wobei aber von den jambisch schliessenden Reihen 
nur einige zu 6 «.— im Schluss der 4. Zeile, die übrigen 
zu 6 ^ — und 7 w — nur in der 5. und in der ersten 
Halbzeile der 6. Zeile, und die Siebensilber mit trochäischem 
Schluss (7 — «) nur in der 8. Zeile zugelassen sind. Von den 
Ftinfsilbern haben über 100 den Tonfall — « - — «, etwa 17: 
^ — ^ — ^ . Der Dichter hat also in den entsprechenden Zeilen 
weder die Gleichheit des Tonfalles noch der Silbenzahl festge- 
halten, aber dennoch, wie z. B. der so verschiedene Charakter 
der 3., 4. und 5. Zeilen zeigt, Gesetze und Grenzen beobachtet. 
Vielleicht gelingt es noch durch genaueres Studium, welches 
dies merkwürdige Gedicht verdient, dieselben schärfer zu be- 
stimmen. l ) 

XIV, 2. Cambridge No. VI a. 1Ö28 de Heinrico coronato, 
13 Str. zu 3 Langzeilen; jede Langzeile zerfällt in 2 einsilbig 
reimende Halbzeilen. I. Langzeile 1) Halbzeile ist 4 — ^ 5 Mal, 
die Italia 1 Mal, 5—w 4 Mal, 6— w 3 Mal. 2. Halbzeile 
5 — w 5 Mal, die pia Gallia 1 Mal, 6—^7 Mal. II. Lang- 
zeile 1 . Halbzeile : cum Germania 1 Mal, 5 — « 6 Mal, 6 — « 
1 Mal, 6^—5 Mal. Zweite Halbzeile: 5-« 12 Mal, 7 - — 
1 Mal. III. Langzeile: 1. Halbzeile 5 — - 7 Mal, 6—^6 Mal. 
2. Halbzeile 5—- 10 Mal, 6^—1 Mal, 7 «— 2 Mal. Also 
12 jambisch schliessende Halbzeilen; sonst 5 Mal 4 — ^ in der 
ersten Halbzeile. Von den 44 Z. zu 5 — « sind 34 — « « — « , 
10 w — « — « betont, von den 16 Z. zu 6 — w 13 zu — ^ — « __ w , 
o zu *-» — — *-» v ^ . 



1) Vielleicht ist noch zu schreiben: Str. C2 (nee ullum) erit robur 
in illis. D5 Commeatns navium; cum raeatus cod. F3 laude dignus 
est (cod. et) pravus. K 3 Dividat (dividet cod.) O 4 in Sodoma (Apoc. 
XI, 8. cod. Edomes). 



Digitized by 



Google 



106 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Januar 1882. 

XIV. 3, Du Menl 1843 p. 156. Mtillenhoff und Scherer 
Denkmäler No. XII de S. Gallo. Ekkehard IV schreibt: Rat- 
pertus moDachus Notkeri condiscipulus fecit Carmen barbaricum 
populo in laudem S. Galli canendum, quod nos ut tarn dulcis 
melodia latine luderet quam proxime potuimus in latinum trans- 
tulimus. 17 Str. zu 5 Langzeilen, in denen die 1. und 2. 
Halbzeile ein- oder zweisilbig reimen, h nur 4, 1 und 17, 5. 
Der Bau der 4 ersten Zeilen der Strophen «ist gleich. Die 2. 
Halbzeile besteht 37 Mal aus 7—^, 30 Mal aus 8 ^— (nur 
8, 3 deum meum invocabo) und beginnt stets jambisch, so 
dass, das einzige Beispiel dieser Art aus so früher Zeit, alle 
Zeilen reinen jambischen Fall haben. Die erste Zeile ist 41 
Mal 6--, 24 Mal 7 -_, 3 Mal (7, 1. 8, 2. 3.) 7 _« (1, 2 
scheint misit an die Stelle des überzähligen unquam gesetzt 
werden zu müssen). Diese Halbzeile beginnt etwa 10 Mal mit 
« — , sonst mit — ^. Die 1. Halbzeile der 5. Langzeile besteht 
aus 6-w 12 Mal, 7_- 1 Mal, 7^-2 Mal, 8 -_- 14, 5, 
8 — w 16, 5 und beginnt stets mit — ^. Die 2. Halbzeile be- 
steht aus 6 — v 4 Mal, 7 u _ 7 Mal, 7 —v 4 Mal und je 
1 Mal 8 — ^ und 8 ^ — ; sie beginnt stets mit — ^ . 



Von den Strophen. 

Wie mühsam und langsam die rythmische Dichtweise 
von der Herrschaft der Formen der quantitirenden Poesie 
sich frei machte und sich eigene Wege bahnte, zeigt die 
Geschichte der Strophen noch deutlicher als die der Zeilen- 
arten. In den gleichzeiligen Gedichten des Horaz sind die 
Zeilen meist zm Gruppen von 4 Zeilen zusammengestellt, 
in dem Gedicht des Augustin sind je 10 oder 12 Zeilen 
gruppirt. So bilden auch die Zeilen der meisten rythmi- 
schen Gedichte gleichförmige Gruppen, die ich oben notirt 
habe: die troch. Fünfzehnsilber meist Gruppen von 3 Z., 
doch auch oft von 2 oder 4 Z.; die troch. Achtsilber 
Gruppen von 4, 6, 8, 10 oder 12 Z. ; die jamb. Trimeter 
von 2, 3, 4 und gern von 5 Z., die jamb. Achtsilber von 
2, 6, 8, 12 und besonders häufig von 4 Z. Auch die übri- 
gen Zeilenarten bilden gern Gruppen von 4 Z. ; doch finden 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 107 

sich auch Gruppen zu 3 (X, 3. XIII, 5. XIV, 2), zu 5 (XIII, 
1. 3) und zu 6 Z. (XII, 1. 3). Ferner wiederholte Augu- 
stin am Schlüsse jeder Strophe einen gleichlautenden Vers: 
in der quantitirenden Poesie ist die einfachste Strophenart 
die sapphische, in welcher drei gleiche Zeilen durch eine 
Kurzzeile abgeschlossen werden. Diese beiden Refrainarten 
finden sich auch in der rythmischen Poesie: die gleichen 
Zeilengruppen haben bald eine Zeile derselben Art zum 
Refrain (TI, 14. 15. 23. III, 3. 8. 5. V, 3. VIII, 13. 16. 
IX, 4. XI, 1. XII, 2. XIV, 2), bald eine andere meist kürzere 
(I, .18. 33. 44. II, 11. 26. VII, 1. 2. XIV, 3); zu den letz- 
teren gehören die sapphischen Strophen (VI) und die pseudo- 
sapphischen, aus drei Trimetern und einem Fünfsilber ge- 
bildeten Strophen (II, 1. 8. 9. 10. 12. 17. 19). Dann bilden 
bei Commodian die ersten Buchstaben der Zeilen oft Wörter, 
bei Augustin bestehen die Initialen der 20 Strophen aus den 
Buchstaben des Alphabets, Spielereien, die bei den späteren 
quantitirenden Dichtern nicht selten sind. Unter den alten 
rythmischen Gedichten sind viele Abecedarien, so unter den 
troch. Fünfzehnsilbern 13 Gedichte (in I, 30 bilden die An- 
fange der Halbzeilen das Alphabet), unter den Trimetern 
9 Gedichte (in II, 14 beginnt auch jede 2. Zeile mit dem 
betreffenden Buchstaben), unter den troch. Achtsilbern No. 3 
und 6 (in No. 6 beginnt auch die letzte Zeile der Strophe 
mit dem betr. Buchstaben), unter den jamb. Achtsilbern 4 Ge- 
dichte (in VIII, 13 beginnen in A und D sämmtliche Zeilen 
mit A und D) ; vgl. V, 3. IX, 4. XI, 1. XIV, 1; Namen 
oder Wörter bilden die Initialen in I, 2. 6. 41. II, 22 (in 
VIII, 22 die Initialen der Kurzzeilen). In den altirischen 
Gedichten I, 29. 31. 32 steht am Schlüsse eine Gruppe von 
Zeilen anderer Art. 

Strophenbildung zeigt sich erst spät. Wir finden 
aber abgesehen von den sapphischen und pseudosapphischen 
Strophen, die eigentlich nur aus gleichzeitigen Gruppen mit 



Digitized by 



Google 



108 Sitzung der phüos.-phÜol. Classe vom 7. Januar 1882. 

einem refrainartigen Schlüsse bestehen, nicht die Strophen 
der quantitirenden Poesie nachgebildet, sondern neue Arten. 
In dem sehr alten Gedichte IX, 6 folgen sich zwei Lang- 
zeilen zu 7 — ^ + 7 ^ — und eine Schlusszeile zu 7 ^ — 
mit Reim am Schlüsse der 3 Zeilen. Gotschdlk (VII, 1) 
lässt auf den stets sich wiederholenden Eingang deus 
miseri, miserere servi ein Paar Langzeilen zu 8 — ^ + 6 — v 
folgen und das Ganze durch den Refrain heu quid evenit 
mihi abschliessen. Die Halbzeilen zu 8 — ^ und zu 6 — ^ 
und die Refrainzeilen, alle reimen auf i. 

XV, 1. Ein anderes Gedicht Gotschalks *Ut quid iubes' (so, 
nicht quid iubes, nach dem Facsimile bei Coussemaker Hist. 
de 1'Harm. pl. II) bei Du M&il 1843 p. 253 besteht aus den 
Zeilen 8^ — , 8 ^ — , 8 — <-- , 8 — ^, 4 — ^ mit dem Eefrain 
cur iubes canere. Auch hier reimen alle Zeilen auf e. Der 
Bythmus von 942 (oben VII, 2) wiederholt dreimal die Lang- 
zeile von 4 — ^ + 4 — ^ + 4 — v , an die sich eine Zeile zu 
4 — ^ -j" ^ — v UQ d ei Q Refrain von 2 Zeilen zu 4 — ^ + 
4 — v schliesst. Es reimen die 3 Langzeilen und die erste 
Kurzzeile. 

XV, 2. Nur der strophenähnliche Bau, 6 + 6 + 8 Silben 
(Audi nos Rex Christe, Audi nos domine, Et viam nostram 
airige.) und der in den 3 Zeilen gleiche Reim ist es, wesshalb 
man den alten Pilgergesang bei Boucherie Melanges p. 33 noch 
zu den Rythmen rechnen kann. Denn sonst ist in diesen 38 
Strophen, von denen die ersten 6 alle mit e reimen, weder auf 
Rythmus noch auf Gleichheit des Zeilenschlusses geachtet. Im 
Hymnus auf den h. Gallus (XIV, 3) folgt auf 4 unter sich 
gleiche Langzeilen eine von diesen verschiedene Zeile. Das Merk- 
würdige ist, dass während die beiden Halbzeilen jener 4 Lang- 
zeilen ungleich sind und die erste meistens mit — ^ , die zweite 
stets mit ^ — anhebt, die beiden Halbzeilen der 5. Zeile ein- 
ander ähnlich sind und beide mit — ^ anheben. 

Endlich regt sich neues Leben. In dem Gedicht über das 
Weltende (XIV, 1) liegt sicherlich, so sehr die schwankenden 
Zeilen auch die Erkenntniss des Gesetzes erschweren, eine ziem- 
lich mannichfaltige Strophenform vor. Dies war gewiss die 
Folge jener kühnen Strophenconstructionen, die von den Se- 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über tat. Bythmen. 109 

quenzendichtern gewagt wurden. So finden sich in der Cam- 
bridger Sammlung unter die Gedichte in Sequenzenform meh- 
rere rythmische mit entwickelten Strophenformen gemischt. 

XV, 3. Cambridge No. XX, Rachel, ist nur ein Fragment 
von 2 1 ,'* Strophen. Auf 3 Langzeilen zu 4—^ + 4 — ^ -f- 

7 kj — folgen 2 Kurzzeilen zu 7 ^ — ; der gleiche einsilbige 
Reim bindet die 5 Zeilen, h und Tw findet sich nicht. 

XV, 4. Cambridge No. III de mortuo Heinrico II, a. 1024. 

8 Str. Auf zwei gleiche Zeilen zu 6 — ^ , die unter sich reimen, 
folgen eine Zeile zu 8 — ^ und eine zu 5 — ^ , die wiederum 
unter sich reimen. Diese 4 Zeilen wiederholen sich und dann 
folgt in jeder Strophe der Hexameter 'Heinrico requiem rex 
Christe dona perennem'. Der Reim ist meistens zweisilbig. 
Unter den 32 Sechssilbern finden sich 5 mit Taktwechsel und 
2 Z. zu 6 ^ — ; von den 16 Zeilen zu 8— ^ zerfallen 13 in 
in 4 — v ~\- 4—^, 2 haben Taktwechsel und 8, 2 lautet ut 
quiescat post obitum; die 16 Zeilen zu 5 — ^ haben alle den 
reinen Tonfall — ^ ^ — <~>. h 5. 

XV, 5. Petrus Damian, Migne 145 p. 939 No. 62. 5 Str. 
de Maria. Der hauptsächlichste Bestandteil ist die Zeile zu 

\j — 
7 v/ — . Es folgen sich nemlich eine Langzeile zu 3 — u -f- 7 v/ — , 

eine Kurzzeile zu 7 v — und 3 Langzeilen zu 4— ^ -}- 7 ^ — . 
Die 1. Zeile reimt mit der 2., die 3. mit der 4. und 5. Zeile. 
Der Reim ist meistens zweisilbig, h 2. Taktwechsel sind 6 in 
7 v — ; statt 4 — ^ steht 1 Mal 4 ^ — . 



Von den Rythmen des XII. und XIII. Jahrhunderts. 

Erstrecken wir auch die erste Periode der rythmischen 
Dichtung über 500 Jahre, so ist doch von den Erzeugnissen 
derselben nicht viel zu rühmen: der Bau der Zeilen ist 
meistens roh, der Reim nicht regelmässig und meistens un- 
bedeutend, die Zeilenarten wenige und nur Nachahmungen 
von altrömischen, die Strophenarten endlich äusserst wenige 
und unbeholfene. Das änderte sich um das Ende des XI. Jahr- 
hunderts. Die rythmische Dichtweise in lateinischer Sprache 
blühte ähnlich wie die in deutscher oder in den romani- 
schen Sprachen. Die epischen Dichtungen waren allerdings 



Digitized by 



Google 



HO Sitzutig der philos.-phüol. Clause vom 7. Januar 1882. 

fast alle den quantitirenden Hexametern aufgespart, allein 
die dramatische und insbesondere die lyrische Dichtung be- 
dienten sich der rythniischen Formen zum einfachsten Liede 
wie zum kunstreichen Leiche, zum frechen sinnlichen Ge- 
dichte wie zu den frommen Gesängen, welche noch jetzt 
von der Kirche festgehalten werden. Natürlich zeigen auch 
die Gedichte die verschiedensten Stufen von Kunstfertigkeit. 
Heiner von Lüttich hat sich noch um 1180 trochäische 
Fünfzehnsilber und jambische Sechssilber der Art erlaubt: 

Exscribensque communiter tuo quaeque libitu 

admisi poetico synaloephas passim ritu. 

Salutis amice Efficax medice. 
Er gesteht freilich, er habe die dazu gehörigen 480 Hexa- 
meter in 5 Tagen gemacht. Allein auf der andern Seite 
stehen hervorragende Meister. Von ihnen scheint mir bis 
jetzt Äbaelard der wichtigste zu sein, und es ist um so mehr 
zu bedauern, dass seine Gedichte theils so ungenügend theils 
noch gar nicht edirt sind. 1 ) In den kurz vor 1130 für 
Heloise und ihre Genossinen gedichteten Hymnen zeigt er 



1) L. Gautier, Les epopees Franc. I, 1878, p. 312 'ün grand 
nombre de Rhythmes inedits d'Abailard se trouvent dans le 'Breviaire 
du Paraclet 1 , qui est conserve a la Bibliotheque de Chaumont (Haute- 
Marne) 1 . Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass, so weit das 
bis jetzt veröffentlichte Material zu schliessen erlaubt, Abaelard's Ge- 
dichte weitaus die wichtigsten sind zur Beurtheilung der Frage, wie 
die Formen dieser Blüthezeit der rythmischen Dichtung sich gebildet 
haben; und wenn ich recht sehe, so sind sie auch von Wichtigkeit zur 
richtigen Beurtheilung der von den frühesten provenzalischen Dichtern 
angewendeten Formen. Die von Cousiu und bei Migne (178 p. 1775 — 
1816 genauer nach der Handschrift) gedruckten Hymnen lassen sich 
vielfach verbessern. Dass Greith die 6 Planctus sehr schlecht aus der 
Vaticanischen Handschrift Reg. 288 abgeschrieben hat, zeigte mir das 
Studium ihrer Rythmen und die Vergleichung des 3. Planctus, welche 
mein Freund E Monaci mir besorgte. Eine neue Ausgabe der gesammten 
Rythmen mit genauer Untersuchung ihrer Formen ist dringend zu 
wünschen. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 111 

grosse Feinheit im Bau der Zeilen, überraschenden Reich- 
thum an verschiedenen Zeilenforinen, aber ziemlich einfache 
Strophenformen. Die Einfachheit in diesen hat er gewiss 
nur mit Rücksicht auf die Bestimmung dieser Hymnen ein- 
gehalten; denn in den Planctus, besonders dem 3. und 4., 
zeigt er seine Kraft auch im kühnen Aufbau von grossen 
Leichen. Die Gedichte, welche in dem göttinger Quaternio 
den Namen des Archipoeta tragen und die wenigen, welche 
ziemlich sicher dazu gehören, zeigen keinen besonderen 
Reichthum, aber hohe Reinheit der Formen, und der Dichter 
hat seine genialen Gedanken gewiss nicht so schnell in 
Worte gefasst, wie er sagt. Die reinsten und keuschesten 
Formen gab Adam von S. Victor seinen zum Theile noch 
jetzt fortlebenden geistlichen Dichtungen. Die Gedichte, 
welche in der Pariser Handschrift unter dem Namen des 
Walther von Chatillon vereinigt sind, zeigen keinen grossen 
Reichthum, wohl aber manche Unreinheiten der Formen, 
welch letztere nicht der schlechten Ueberlieferung oder Aus- 
gabe allein zuzuschreiben sind. Sind von den lateinischen 
Dichtungen des XII. und XIII. Jahrhunderts auch viele 
untergegangen, viele noch nicht veröffentlicht, so beweisen 
doch die gedruckten Sammlungen der Hymnen, die Carmina 
Barana und das, was einzeln besonders von Wattenbach 
veröffentlicht worden ist, den ausserordentlichen Reichthum 
der rythmischen lateinischen Dichtung dieser Zeit, so dass 
dieselbe im Verein mit ihrer Schwester, der quantitirenden 
lateinischen Dichtung, den Vergleich mit den nationalen 
germanischen oder romanischen Literaturen nicht zu schenen 
braucht. 

Diese reiche Thätigkeit hat sich auch einen wunder- 
baren Reichthum von Formen und mannigfache Gesetze 
für deren Anwendung geschaffen, und in deren allgemeiner 
Anwendung zeigt sich der internationale Charakter der 
lateinischen rythmischen Poesie. Es sind uns einige _ A&t 



Digitized by 



Google 



112 Sitzung der phüos-phüd . Classe vom 7. Januar 1882. 

leitungen für die Anfertigung rythmischer Gedichte er- 
halten, welche meistens ans den grosseren Anweisungen für 
schriftstellerische Thätigkeit, den Artes dictandi, genommen 
sind. Zarncke hat (in den Berichten d. sächs. Ges. d. Wiss. 
1871 S. 34 — 96) mehrere derselben veröffentlicht; sie lassen 
sich aas Handschriften vermehren und verbessern, wie z. B. 
die wichtigste Abhandlung bei Zarncke S. 55 — 81 nichts 
Anderes ist als ein sehr entstellter Auszug aus der Poetria 
des Magister Johannes Anglicus de arte prosaica, metrica 
et rithmica. 1 ) Allein diese Tractate sind spät entstanden 
und sprechen nur Weniges über einige Zeilenarten, dagegen 
viel Nutzloses über die Construction der einfacheren Stro- 
phen. So müssen wir fast Alles selbst aus den Gedichten 
zusammen suchen. Es ist nur natürlich, dass Formen, welche 
allen möglichen Gefühlen zum Ausdrucke dienten, in der 
verschiedensten Weise behandelt wurden. Von der Reimprosa 
an finden sich alle Zwischenstufen bis zu dem sorgfäl- 
tigsten Versbau; in den kecken Studentenliedern ist beson- 
ders in der Vagantenzeile, die aus einem trochäischen Sieben- 
und Sechssilber besteht (7^_ -f- 6— ^), oft dem einen 
oder dem andern Halbvers eine Silbe vorgesetzt ; der Schluss 
der Zeilen ist selten verletzt. Der Tonfall der Zeilen ist 
viel regelmässiger geworden ; die trochäischen Reihen haben 
weniger Tonwechsel und auch in den jambischen Reihen 
findet sich nicht mehr wie früher trochäischer Anfang in 
der Ueberzahl. Dann lassen sich bei den besseren Dichtern 
für die Anwendung des daktylischen Tonfalls, der bei Takt- 
wechsel entsteht, Gesetze aufstellen, die in manchen Zeilen- 
arten fast nie verletzt sind. Der Hiatus ist bei den besten 
Dichtern fast gänzlich verbannt und selbst bei denen, welche 

1) Handschriften sind in München Cod. lat. 6911 und in Brügge 
cod. No. 564; vgl. Delisle Not. et Eitr. 27, 2 p. 81. Weder Rockinger 
(in Quellen und Erörterungen IX, 1 p. 485) noch Andere haben diesen 
wichtigsten Theil der Schrift gewürdigt. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 113 

minder auf die Form achten, nur in beschränktem Maasse 
zugelassen. Der Reim ist zu einem Hauptmerkmale ge- 
worden. Jede Langzeile und sehr oft auch die Halbzeile 
ist mit Reim belegt; dieser selbst ist nur im Anfange dieser 
Periode noch als einsilbige oder zweisilbige Assonanz zu 
finden ; bald, etwa von 1150 an, sind es nur die formlosesten 
Gedichte, in denen nicht die beiden letzten Silben gleiche 
Vokale und Consonanten haben. Die reinen Reime stehen 
bald paarweise, bald gekreuzt, bald in längeren Reihen ; oft 
verbinden und verschlingen sie die Zeilen der grösseren 
Strophen in bunter Mannichfaltigkeit. 

Was aber dieser Periode vor Allem ihr Gepräge gibt, 
das sind die neuen Zeilen- und Strophenformen und der Auf- 
bau der ganzen Gedichte. Sonst wird der Genuss dessen, 
was das Mittelalter hervorgebracht hat, oft gestört durch 
dessen Nachäffuug von Autoritäten; konnte man in der 
Bibel, in einem Kirchenvater oder alten Klassiker ein Vor- 
bild finden oder zu finden glauben, so war die stärkste Ge- 
schmacklosigkeit entschuldigt, ja als Zeichen von Gelehr- 
samkeit rühmlich; an den Formen der rythmischen Dicht- 
kunst können wir, wie an denen der mittelalterlichen Bau- 
kunst reine Freude haben. Denn hier galt nur, was für 
passend und schön befunden wurde. 

Schon im Anfange treffen wir bei Abaelard eine Fülle 
neuer Zeilen- und Strophenarten. Das Verhältniss der An- 
fänge dieser neuen Richtung der lateinischen Rythmik zu 
den Anfangen der provenzalischen ist nicht klar. Die Mög- 
lichkeit besteht, dass einzelne der neuen Zeilen- und Strophen- 
arten den Gesangsweisen des Volkes oder auch der Kunst- 
dichter nachgeahmt waren, doch für die Mehrzahl ist es 
sicher, dass sie nur Erfindungen der Dichter waten. Neben 
den schon früher gebräuchlichen Zeilen zu 8—^ +7^ — 
und 6 ^ — + 6 ^ — findet sich in den weltlichen Gedichten 
der Zehnsilber 4 — w + 6 ^ — und vor Allem der Drei- 
[1882. 1. Philos.-phüol. hist. Cl. 1.] 8 



Digitized by 



Google 



114 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

zehnsilber , die sogenannte Vagantenzeile 7 ^ — + 6 — ^ 
angewendet. 

Die Zeilen traten zu Gruppen zusammen, noch öfter 
wurden aus den verschiedenen Zeilenarten Strophen gebildet, 
anfänglich so, dass einem Paar gleicher Zeilen ein Paar 
anderer Zeilen folgt, oder dass das eine Glied einer Lang- 
zeile verdoppelt wurde und diesem Paare die andere Halb- 
zeile folgte, wie die berühmte Hymnenstrophe zu 8-w + 
8— v, + 7 w — ; 8— w -f 8— v, 7 v— aus 2 Fünfeehn- 
silbern entstanden ist, oder zwei verschiedenen Paaren oder 
Langzeilen eine dritte als Schluss angereiht wurde. Auf 
dieser Grundlage wurden dann oft sehr kunstreiche und 
vielfach zusammengesetzte Strophen gebildet, in denen nicht 
nur die gewöhnlichen Kurzzeilen angewendet, sondern auch, 
wahrscheinlich nach den Gesetzen des künstlicheren Ge- 
sanges, öfter jene Kurzzeilen in Theile zerlegt wurden. 

Die Gedichte wurden meistens aus gleichen Strophen 
gebildet; doch die künstlicheren vereinigten in sich meh- 
rere Strophenformen. Entweder folgte auf ein Paar gleicher 
Strophen ein Paar anderer Strophen, auf diese wieder ein 
Paar von neuen Strophen u. s. f., wie in der Sequenzen- 
form, oder einer Reihe verschiedener Strophen folgte eine 
» zweite Reihe, in welcher dieselben Strophenarten in der 
gleichen Ordnung wiederkehrten, oder es wurden endlich 
verschiedene Strophen zu einer oder zu mehreren Gruppen 
frei zusammengestellt. In diesen Gedichten wurden an die 
Kunst des Dichters die höchsten Anforderungen gestellt, 
und so finden wir hier einige Male quantitireud gebaute 
Stücke mit rythmisch gebauten, ja einmal sogar quantitirend 
und rythmisch und dazu nach Art der alten bloss silben- 
zählenden Prosen gebaute Stücke zu einem Ganzen ver- 
einigt. Sehen wfr bei dieser ganzen Entwicklung auf das, 
worauf es bei Kunsterzeugnissen besonders ankommt, auf 
die Schönheit und die Mannichfaltigkeit, so ist Ausserordent- 



Digitized by 



Google 



Wflh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 115 

liches geleistet worden. Wenigstens in den Strophen ist 
das Ideal eines harmonischen Baues vielfach erreicht worden. 
Durch den Eifer war die Leichtigkeit des Schaffens gewachsen; 
mit der Leichtigkeit der Kunstthätigkeit stellte sich aber 
bald die Küpstelei ein. Die rythmische Dichtung starb 
dann allmählich ab; allein sie hatte sich nutzbar gemacht. 
Sie hatte nicht nur vielen begabten Dichtern die Formen 
geboten, in denen sie ihre fröhlichen oder ernsten Gefühle 
ausprägten, sondern sie war auch in hervorragendem Maasse 
Gemeingut und Bindemittel der verschiedenen Nationen ge- 
wesen und hatte Anfangs als Lehrmeisterin, dann als mah- 
nende oder wetteifernde Freundin auf die nationalen roma- 
nischen und germanischen Dichtungen einen nachhaltigen 
Einflnss geübt, unter dessen Nachwirkungen die heutigen 
, Dichtungsformen stehen. 

Von der Silbenzahl der Zeilen. 

Auch in dieser Periode finden sich vielfach die den 
echten Rythmen verwandten Stilarten. Selten natürlich sind 
die nach Art der alten Sequenzen gebauten Strophen. In 
dem kunstreichen Leiche Bur. 39 p. 127 ist nach den Worten 
des Dichters auch die Prosenform angewendet; ich kann 
dies nur auf den Anfang beziehen, wo nach einer Einlei- 
tung von 2 X 13 Silben zwei Strophen folgen, welche aus 
Zeilen von 12, 19, 17, 16 und 15 Silben mit dem Reime 
etar in der ersten, isit in der zweiten Strophe bestehen; 
auch im Schluss der 3. und 4. Strophe sind die Reihen mit 
dem Reime amen, bez. orte wohl nach Prosenart gebaut. 

Näher als die S. 66 erwähnte reine Reimprosa steht 
der Rythmik jene Art von Knittelversen, in denen z. B. die 
Biblia pauperum geschrieben ist: 

Incipit Speculum humanae salvationis 

in quo patet casus hominis et modus reparationis. 

\ 8* 



Digitized by 



Google 



116 Sitzung der phtlos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

Oder: Nullam sustineret debilitatem vel lassitudinem 

numquam sentiret infirmitatem vel aegritudinem. 

Der Reimprosa näher steht die Historia Apollonii Tyrii 
Bur. 148 p. 53, wo bald lange bald kurze Glieder reimen, 
oft mit einer Art Refrain. Die 116 Zeilen .von Bur. 17 
p. 14 sind wohl in 58 Langzeilen zu gruppiren, deren 1. und 
2. Halbzeile reinen zweisilbigen Reim haben. Die Silben- 
zahl der Halbzeilen schwankt von 5 zu 9, besonders häufig 
finden sich die Siebehsilber. 8 Langzeilen haben jambischen 
Schluss, die andern trochäischen. In Bur. 22 p. 24, wel- 
ches Gedicht sich nicht auf das Jahr 1188, sondern auf das 
Jahr 1146 bezieht, da jene auch von Otto von Freising, 
Gesta Frider. Prooem., erwähnte Prophezeiung (und zwar 
nach der kürzeren Fassung bei Jaffe Bibl. I, 64 und besser 
bei Giesebrecht IV, Docum. B, 6) in der 4. und 5. Strophe 
verarbeitet ist, reimt ebenfalls eine Kurzzeile auf die andere 
(einsilbig) ; dieselben bestehen aus 8 Silben mit jambischem 
oder 7 mit trochäischem Schlüsse (ohne Hiatus) In Bur. 
192 p. 73 schwanken die lateinischen Zeilen zwischen 7 ^— , 
7— u, 8w- und 8— v. Bur. 197 + 198 p. 76: einige 
Stellen sind in 7 u_4-6-v;, andere in 8 — ^ geschrieben ; 
sonst sind es einfache Kurzzeilen zu 6 — ^ , 7 ^ — , 7 — ^ , 
8—u und 9— u, meistens zu 3 oder 4 reimend. Vgl. Bur. 
182 p. 242, 158 p. 223, 51 p. 145. An das S. 60 er- 
wähnte altirische Gedicht (IV, 3) erinnert das Kneiplied 
Bur. 175 p. 235, dessen erste 20 und letzte 26 Zeilen reine 
troch. Achtsilber sind, während 10 Zeilen in der Mitte zum 
Scherze auf 9, 10 und 11 Silben steigen. 

Hievon zu unterscheiden sind diejenigen Gedichte, in 
welchen der regelmässigen Zeile hie und da eine Silbe vor- 
gesetzt ist. Es sind dies insbesondere manche kecke, in 
der Vagantenzeile geschriebene Gedichte der Carmina Burana ; 
so 78 p. 165. 25 p. 27. 125 p. 199 und andere. Vielleicht 
ist auch 176 p. 236 die scherzhafte Nachbildung eines Ge- 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 117 

dichtes von feinen Formen. Wie es hiebei zuging, zeigt 
die Vergleichong der nicht eben genau gebauten einleiten- 
den Stro'phA 1 — 4 von Bur. 36 p. 121 mit ihrer Parodie 
Str. 1—4 von Bur. 174 p. 223. 

Dies sind aber nur vereinzelte und seltene Ausnahmen. 
Die allgemein befolgte Regel war, dass die entsprechenden 
Zeilen gleichviel Silben zählen müssten. 1 ) 

Vom Schlüsse der Zeilen. 

In den Schluss der Zeilen (siehe S. 51) wurde in dieser 
Periode selten, aber immerhin häufiger als in der 1. Periode 
ein einsilbiges Wort gestellt. Sehr häufig finden sich im 
Schlüsse der nicht mit Beim belegten Zeilen die Pronomina 
und andere Hilfswörter der Sprache also hie et hoc, doch 
bei Walther von Chat, auch silvestre mel, Caesar vim, äquilä 
quae sie und Aehnliches. Im Reime werden lieber voll- 
tönende einsilbige Wörter genommen. So hat der Archi- 
poeta in No. III 19 Hexameter der Art 

Consilio cuius regitur validaque manu ius, 

wo natürlich V. 21 pretundo mit der Handschrift zu bessern 
ist in: 

Unde vereeundo vultu tibi verba precum do. 

(V. 4 ist haec und V. 19 non a ganz deutlich). So wundern 
wir uns nicht bei ihm die Versschlüsse forte:' vereor te: 
veste : penes te ; pascor : vas cor ; rectus : nee thus und sonst 



1) Joh. Anglicus (p. 68 Zarncke bemerkt von den Eigenschaften 
des Rythmus 'Conpar in numero sillabarum ponit pares sillabas in 
nnmero in latino sermone praeeipue, quia qui componunt cenographa 
romana, componnnt rithmos ita, ut paritas esse videatur in sillabis, licet 
non sit; zu cenographa (ornagrapha bei Z ) bemerkt ein Scholion 'Ceno- 
grapha dieuntur a cenos quod est commune et graphos quod est scrip- 
tura, quasi communis scriptura.' Joh. Angl. scheint den romanischen 
Dichtern faktische Ungleichheit der Silbenzahl vorzuwerfen. 



Digitized by 



Google 



118 Sitzung der phüm.-phüdl. Classe vom 7. Januar 1882. 

ähnliche zu finden ; z. B. in Strophe 29 Ton Ganymed und 
Helena (Zeitschr. f. d. Alt, XVIII p. 127) super te, aperte, 
per te, pater te. 

Unter diesen letzten Beispielen sind 2 Fälle einer sel- 
tenen Art. Die der quantitirenden Formen oft ebenso ge- 
wohnten Dichter hielten auch im Schlüsse der rythmischen 
Zeilen hie und da die quantitirende Messung der Wörter 
fest. So reimt Walther von Chat, loqui: egö qui; cönfert: 
lucrüm fert ; bei Radewin finden sich Schlüsse ä deö ; ab e6 ; 
m eä; bei Mone 1041 exitium: cor piüm; ceciderunt mäni- 
bus: vöto titulo quibüs; ja Bur. 84 p. 171 sogar tanta vi: 
conclävi. 

Der Schluss der entsprechenden Zeilen ist fast stets 
rein, selten unrein, wie in den hässlichen Rythmen des 
Reinerius Leod. (Migne 204 p. 95), wo statt 8 — <•' oft 8 ^ — 
und statt 6 <-'— oft 6—«' gesetzt ist, und in den 136 Z. 
zu 8 ^~ vom J. 1223 bei Du Meril 1847 p. 277, unter 
die etwa 14 Z. mit Schlüssen wie ruit, factum, inimicis ge- 
mischt sind. 

Vom Tonfall innerhalb der Zeilen. 

Einige prosodische Eigenthümlichkeiten finden sich auch 
in dieser Periode; so trennt Abaelard que öfter von dem 
vorangehenden Worte, z B. 8^- + 7-^: 4 Dum Christus 
finis utrius | que complet sacramenta 1 und betont demnach 
ütrosque; so sind heu, seu und ähnliche bald ein- bald 
zweisilbig ; auch Schlüsse, wie quöd adhuc, nomine? tenüs, 
älonge, deineeps, deinde, kann mau rechtfertigen. 

Abgesehen von den wenigen später zu besprechenden 
rythmischen Daktylen bestehen die Gedichte auch dieser 
Periode nur aus trochäischen und jambischen Reihen. Der 
Taktwechsel herrscht auch in dieser Periode durchaus und 
Gedichte von reinem Tonfall sind sehr selten. So findet 
sich bei Mone 233 ein Gedicht von 40 Langzeilen zu 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichnsto und über lat. Bytkmen. 119 

7 v _ a + 7 — • v b,. in dessen 40 Z. zu 7 ^ — nur 1 Takt- 
wechsel cor raeuni amplectere (Z. 15 corr. fateor aus A) 
vorkommt, während die 40 jambischen Zeilen zu 7 — v/ alle 
rein sind. In den Werken des Bernhard (Migne 184 p. 1319) 
sind mit 296 rein gebauten Zeilen zu 8-v 74 jambische 
Zeilen zu 8 ^ — gemischt, von denen nur 5 Tw. haben. In 
den 5 hübschen trochäischen Strophen zn7v- a + 6^—b; 
7 w— c + 7 u — c + 6 — v d in Bur. 47 p. 136 ist kein 
Hiatus, kein Tw. zugelassen ; ebenso sind die 8 trochäischen 
Strophen zu 4X8-^a + 3X7^-b+ 6 — ^ a in 
Bur. 71 p. 41 rein von Hiatus und Tw. Vgl. noch Omer 
No. 5. 10. 31. Noch auffallender ist es, wenn die jambischen 
Reihen rein sind, wie in Bur. 122 p. 196 6 Langzeilen zu 
7 — u -|- 6 ^ — ohne Hiatus und Tw. ; dann Bur. 35 p. 120 
(Str. 11) 4 solche Zeilen, wo ex fraudibus alternis (alterius 
cod.) et ignominia zu bessern ist; bei Adam I, 48 Str. 
1 — 11 kommen in 22 Langzeilen zu 8 w_ -+- 7— ^ nur 

3 Tw. in den Z. zu 8 ^ — und 2 in den Z. zu 7 -j- ^ vor. 
Besonders die .kunstreich gebauten Sequenzen und Leiche 
scheinen strenger gebaut zu sein; so scheint Bur. 31 p. 115 
rein von Tw. und in der Sequenz Bur. 51 p. 59 (Bartsch 
Sequenzen p. 242) findet sich in den ersten, jambisch ge- 
bauten Strophen kein Tw. und auch sonst nur sehr wenig. 
Doch in fast allen Gedichten aller Dichter ist Taktwechsel 
zugelassen; in den troch. Reihen allerdings seltener als in 
den jambischen. 

Die trochäischen Zeilen zu 8 — ^ zerfallen fast stets in 

4 — ^ + 4 — ^, wo Taktwechsel unmöglich ist; aber auch 
dann, wenn nach der 4. Silbe keine Pause ist, findet sich 
sehr selten Taktwechsel. So bei Walther von Chat. VIII, 15 
Et eis non condescendam ; vgl. 73. 85 und X, 67, 73.; in 
VIII, 77 und X, 115 opfert er, wie öfter dem Citat den 
richtigen Rythmus 'quia in labiis suis'. Am häufigsten 
noch findet sich der Taktwechsel (v_uv_v_) in den 



Digitized by 



Google 



120 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

troch. Siebensilbern, wenn es auch selten ist, dass wie bei 
Adam II, 481 Str. 2, 5 oder wie beim Archipoeta V Str. 16, 
4 Zeilen mit Tw. sich unmittelbar folgen; sonst treffen 
beim Archipoeta in No. VII 16 Tw. auf 66 Z., in IV 21 Tw. 
auf 128 Z., in IX 15 auf 132, in X (Aestuans intrinsecus) 
13 Tw auf 120 Z., undjn V 26 Tw. auf 100 Z. Bei Wal- 
ther v. Chat, treffen in No. II etwa 20 Tw. auf 78 Z., in 
No. I etwa 27 auf 96 Z. In Ganymed u. Hei. treffen 10 Tw. 
auf 268 Z., in Jupiter und Danae 15 Tw. auf 108 Z., in 
Phyllis und Flora (Bur. 65 p. 155) 33 Tw. auf 316 Z. 

Die troch, Sechssilber 6—^ sind meistens rein. Takt- 
wechsel (u — uw__u) ist häufiger als in 8 — ^ , aber seltener 
als in 7 w-, So kommen in den 60 Z. zu 6 — v bei Abae- 
lard Hymn. 60 und 61 nur 3 Tw. vor und in den 36 Z. 
zu 6— v in Bur. 86 p. 49 nur 2 Tw. Bei Walther von 
Chat, treffen in I 6 Tw. auf 66 Z., in II etwa 5 Tw. auf 
48 Z., in Gan. u. Hei. 4 Tw. auf 268 Z , in Jup. u., Dan. 
8 Tw. auf 108 Z., in Phyllis und Flora etwa 30 auf 316 Z., 
in den sapph. Strophen, in Zeitschr. f. d. Alt. 5 (1845) 
p. 467, 4 Tw. auf 93 Z. Beim Archipoeta treffen wir eine 
merkwürdige Regel : von seinen 460 Z. zu 7 — ^ + 6 — « 
hat nur eine einzige V, 19, 1 cum sancto Martino Tw., der 
höchst wahrscheinlich durch Umstellung zu entfernen ist. 
Es ist klar, wie wichtig dieses Merkmal ist zur Erkenntniss 
dessen, was ausser den Gedichten des Göttinger Quaternio 
etwa von dem Archipoeta gedichtet sein könnte. G. Paris 
bemerkt p. 19 von der Vagantenzeile (7^— • + 6— ^) 
'dans le second hemistiche (feminin) les bons versificateurs 
ne fönt jamais des fautes (er meint diesen Taktwechsel); 
Celles qu'on trouve <jä et lä sont peütetre attribuables aux 
manuscrits, d'autant plus que toujours elles se redressent 
par une simple renversion'. Die an und für sich richtige 
Beobachtung ist in dieser allgemeinen Fassung entschieden 
falsch; ich wenigstens habe ausser jenen Gedichten der 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 121 

Göttinger und Stabloer Handschrift nur sehr wenige ge- 
funden, in welchen der zweite Theil der Vagantenzeile stets 
yon Taktwechsel frei ist. 

Bei den jambischen Reihen besteht noch immer grosse 
Lust, die Zeile trochäisch zu beginnen. So haben von den 
72 Z. zu 5 — v in Abaelard's Hymn. 48. 49 u. 50 sicher 
32 den Tonfall — u v, _ v, , von den 48 Z. in Hymn. 70—73 
etwa 25. Die Zeilen zu 6 v- haben ebenfalls sehr oft den 
Umlaut -^ü_u_ statt u _ v _ o _ , so bei Adam ein Mal 
6 unter 10 Z., des andern Mal 6 unter 18 Z. ; in der Klage 
des Oedipus (Zschr. XIX p. 90) sind 24 Z. mit Tw. unter 
84 Z.; beim Archipoeta I etwa 83 Tw. in 180 Z. 

Wie in den Zeilen zu 7—^ und 8 v — die Möglich- 
keit des Taktwechsels eine doppelte ist — uv_u— v und 
_v — uv — v, so tritt er hier auch häufiger ein. Selten 
ist ein Verhältniss wie bei Du Meril 1847 v. 125, wo auf 
19 Z. zu 7— v nur 6 Tw. treffen; dagegen treffen ebenda 
p. 255 51 Tw. auf 105 Z. ; bei Abaelard im Hymn. 33—36 
gar 36 Tw auf 40 Z. zu 7 — ^. Wenn in den jambischen 
Achtsilbern auch solche Häufung von Tw. selten ist, wie 
in Bur. 165 p. 228, wo auf 28 Z. 24 mit Tw. treffen, so 
ist ihre Zahl doch stets beträchtlich; z. B. treffen bei 
Abaelard Hymn. 37-40 auf 88 Z. 39 mit Tw., bei Adam 
I, 281 aaf 52 Z. 29 mit Tw., II p. 8 auf 56 Z. 28 mit Tw. 
Während wir oben (S. 119) bei Bernhard die mit troch. 
Achtsilbern gemischten jambischen Achtsilber fast rein 
trafen, sind bei Petrus Vener., Migne 189 p. 1018, unter 
56 troch. Achtsilber nur 16 jamb. Achtsilber ohne Tw., 
dagegen 48 mit Tw. gemischt. In der um 1118 abgeschlos- 
senen Polenchronik des sogenannten Martin us Gallus finden 
sich in 120 Z. zu 8-^ -f lu- in den Zeilen zu 8-w 
kein Tw., in den Z. zu 7u- nur 19, dagegen in 56 Z. 
zu 8 v— nicht weniger als 31 mit Tw. 

Man könnte nun die Regel so formuliren wollen: der 



Digitized by 



Google 



122 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

Bau der Zeilen sei in dieser Periode nicht viel anders als 
in der früheren ; es seien eben bei troch. oder jamb. Schlüsse 
die letzten 3 oder 4 Silben gebunden; die vorangehenden 
Silben seinen von den Dichtern nur gezählt worden ; jedoch 
habe im Allgemeinen Vorliebe für trochäischen Tonfall ge- 
herrscht. Diese Regel wäre unrichtig; denn es gibt Ge- 
setze, welche die Dichter auch in der Stellung derjenigen 
Silben beobachteten, welche den gebundenen vorangehen. 

Minder wichtig ist jenes Gesetz, dass bei Taktwechsel 
in troch. Sechs- nnd Siebensilbern, also beim Tonfall ^ — w , 
v — v und v — v, , u _ u — die drei ersten Silben nicht aus 
einem, sondern aus zwei Wortern bestehen sollten. Denn 
dieses Gesetz findet sich nur in sehr wenigen Gedichten 
beobachtet. In Ganymed u. Hei. (268 Z.) finden sich in 
den Z. zu 7 v — 10 Tw. und in den Z. zu 6~w 4 Tw.; 
nur 2 Z. zu 7 v- beginnen mit Natüram, die andern mit 
Si nescis etc. In den 140 Langzeilen zu 7w- -f 6-^ 
im Pantheon des Gotfried von Viterbo (Mon. Script. XXII 
p. 305) beginnen die 6 Z. zu 7 ^— und die 5 Z. zu 6— ^, 
in denen sich Tw. findet, stets mit ^, — ^ z. B. ut sänet 
egrotum. In den 108 Langzeilen zu 7^— + 6— ^ von 
Jupiter und Danae haben wohl 15 Z zu 7 ^-— und 8 zu 
6— v Tw., allein keine einzige derselben beginnt mit einem 
dreisilbigen Worte ^ — u. In den 316 Langzeilen zu?w- 
+ 6-^ von Phyllis und Flora haben 33 Z. zu 7 ^ — und 
30 zu 6— v Tw., doch finden sich darunter nur folgende 
dreisilbige Anfänge Dixisti de clerico, (Acantho), Secundum ; 
Neptunus und Aetatis. 

Dagegen ist ein anderes Gesetz sehr wichtig: Man 
kann Tausende von Versen durchlesen, bis man solche Sechs-, 
Sieben- und Achtsilber findet, wie: 

Transgrediar mürum oder In läbiis tüis 
Congaüdeant hodie oder Sed epulas regias. 
Auditui meo däbis oder Dömine läbia mea. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über Tat. Bythmen. 123 

d. h. es wird vermieden, drei- und mehrsilbige 
Wörter so in die Zeile zu stellen, dass deren 
beide letzten Silben unbetont sind, also der Schluss 
des Wortes einen reinen Daktylus bildet. Ueber den 
Grund dieser Regel werde ich später handeln, hier zunächst 
über ihre Anwendung in den verschiedenen Zeilen, 

Dass Niemand daran denke, es sei hier nur ein Spiel 
des Zufalls, vergleiche man z. B. die in Hildeberts Ge- 
dichten (Migne 171 p. 1339) gedruckte Lamentatio pecca- 
tricis animae mit dem Gedichte vom Jahre 1128 bei Du 
Meril 1847 p. 270. In den 420 Zeilen Jenas Gedichtes 
findet sich kein einziger reiner Daktylus, in den 144 Zeilen 
dieses Gedichtes nicht weniger als 18, wobei solche, wie 
opere pro nefario, nicht gezählt sind. 

In den troch. Sechssilbern findet sich der reine Dak- 
tylus äusserst selten. Walther von Chat, hat ihn dreimal 
sich gestattet 

VII, 40 in deo Beelzebub transgrediar mürum 
und dem Citat zu Liebe in 

V, 87 Caesar^m si liberas erröribus suis, 
diffusa est grätia in läbiis tuis. 
Unter den 93 sapphischen Zeilen in Zeitschr. f. d. Alt. 5 
(1845) p. 467 findet sich in Z. 93 esüriunt nünquara; am 
auffallendsten ist jener einfachste aller Leiche Bur. 62 p. 153: 
von den 12 Kurzzeilen zu 6—^ haben 9 Tw. und von 
diesen wieder 5 reinen Daktylus; aber das ganze Gedicht 
ist dunkel und der Eingang 

Nos düo böni sub äere tetro 
Sint tibi töni sub celeri (sceleri cod.) metro. 
Tempore solis stant pecora retro 
lässt auf absichtliche Verdrehung des Rythmus schliessen. 

Für die troch. Siebensilber hat G. Paris dies Gesetz 
erkannt: p. 17 'Je ferai une remarque, c'est que la derniere 



Digitized by 



Google 



124 Sitzung der phüos.'phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

syllabe (Tun proparoxytonon, etant toujours compte comme 
tonique, ne peut jamais etre suivie d'une syllabe accentuee; 
ainsi ou ne trouvera jamais un proparoxytonon suivi d'un 
disyllabe ou d'un proparoxytonon trisyllabe. Je n'ai pas 
rencontre d'exception a cette rögle.' Die Beobachtung ist 
fein; allein schon in dem so beschränkten Materiale, das 
6. Paris stndirt hatte, hätte er sichere Ausnahmen finden 
können. In den etwa 260 Zeilen zu 7 ü ~ des Abaelard 
(Hymnus 56 — 59; planctus II— VI) findet sich kein reiner 
Daktylus. In den vielen troch. Siebensilbern des Adam a S. 
Victore findet sich kein mit reinem Daktylus schliessendes 
Wort; denn das, welches Bartsch Sequ. p. 188 da, wo er 
von dieser Zeile spricht, mit den Worten anführt l Ein sel- 
tener Fall ist der, dass der Vers einsilbig beginnt und mit 
einem dreisilbigen kretisch betonten Worte fortgesetzt wird 
Sed conditum gratia Adam 1, 11, 28 ' ist ganz regelmässig 
betont: Sed conditum gratia. Hieraus ergibt sich, dass die 
'Prose attribuee ä Adam' n, 456 nicht von ihm sein kann ; 
denn hier finden sich ausser 4 Hiatus folgende Sieben- und 
Achtsilber 

Gongaüdeant hödie Sed epulas regias 
Pauperibus erogato Glädio Thomas sübditus. 

In den vielen Hunderten von troch. Siebensilbern des 
Archipoeta findet sich kein einziger rein daktylischer Wort- 
schluss. Walther von Chat, hat auch diese Zeile nicht 
immer sorgsam gebaut; so 

IX, 50 quae singula trutinans; 52 hie igitur ärtium. 

vgl. IX, 103. 116. VI, 43. 67. VII, 63. In den 232 Zeilen 
des Scheirer Rythmus (Zschr. f. d. Alt. 23, 176) findet sich 
kein reiner Daktylus ; also sind die Conjekturen (8, 1 Judex 
inquiit bone und) 11, 1 Ignoscier pöterat nicht richtig. 
Ueberhaupt muss man lange suchen, bis man Gedichte 
findet, wie Omer No. 23, wo unter 42 Z. sich folgende 3 



Digitized by 



Google 



WüK Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bytlmen. 125 

finden: Dum flösculum tenera. Aut diligeus equitem. Sed 
respice militem. 

Die troch. Achtsilber sind meistens getheilt in 4 — « 
-}- 4 — yj , wo dann Taktwechsel überhaupt picht vorkommen 
kann. Doch auch da, wo jene Pause nicht beobachtet wird, 
ist Taktwechsel sehr selten, und noch viel seiteuer finden 
sich dann rein daktylische Wortschlüsse, wie unter den 10 
troch. Achtsilbern in Omer No. 28: 

Ver prodiens in virore. Jam Veneria a caterva. 
Sic revocat me Minerva. Hac igitur ratione. 

Es ist aber, wie nachher bemerkt werden wird, auch mög- 
lich, dass hier prodiens, Venerfs, revocat, igitur betont 
und so der rythmische Fehler zu einem einfachen Takt- 
wechsel verwandelt wurde. 

Der Bau der jambischen Zeilen ist überhaupt nachläs- 
siger als der der troch. Zeilen; so findet sich rein daktyli- 
scher Wortschluss hier häufiger, und Dichter, welche den- 
selben in den troch. Reihen nicht zugelassen haben, haben 
ihn wenigstens in ein oder der andern Art der jambischen 
Reihen öfter zugelassen. 

Jambische Fünfsilber (5 — ^ ). Abaelard in Hymnus 
48—50 hat unter den 32 Zeilen mit dem Tonfall — u v — v 
nur folgende 2 : Frontibus regum und Fruitur vita. Da- 
gegen treffen auf die viel geringere Zahl solcher Zeilen in 
Hymn. 70—73 13 Z. und in Planet. I 5 Z. mit rein dak- 
tylischem Wortschlusse. 

Die jambischen Sechssilber (6 ^ -) haben sehr oft den 
Tonfall —^ «_w ._ (vgl. oben S. 121); darüber, ob die drei 
ersten Silben — « « durch ein einziges Wort gebildet werden 
dürften, waren offenbar die Schulmeinungen getheilt. In 
Abaelards 720 Z. zu 6 -— (Hymn. 10—28) finden sich 
nur 4 Z. wie Comites eligunt. Süscipit hominem ; in seinen 
236 Zehnsilbern zu 4—« + 6 v_ (in Hymn. 1 — 9; 



Digitized by 



Google 



126 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882. 

29 — 32; 45 — 47. 51) findet sich nur der eine Gäude virgo 
virginum glöria. Adam hat weder in seinen zahlreichen Z. 
zu 6 «- noch in den ebenfalls zahlreichen Zehnsilbern zu 
4 — ^ + 6 ^— reinen Daktylus sich gestattet; I, 181, wo 
sich unter 48 Zehnsilbern folgende finden: Cöeli praeest 
hödie civibus und Interesse fäciat gaudiis, ist auch aus 
anderen technischen Gründen verdächtig. Unter den 624 Z. 
zu 6«- des Petrus Vener. (Migne 189, 1012) fand ich 
nur 4 mit reinem Daktylus, wie Redditur saeculo. In den 
80 Z. zu 6 -- bei Bernhard (Migne 184 p. 1313) fand 
ich keinen reinen Daktylus, in den 120 Zehnsilbern (ebenda 
p. 1323) nur 2: Eadem gloria und Animae miserae. Ebenso 
ist Bur. 76 p. 46 (70 Z.) frei davon; in Bur. 150 p. 57 
(118 Z.) findet sich nur Thalamus sequitur und Portiter 
ilia. In den 84 Z. der Klage des Oedipus kommen drei vor. 
Man meine aber iiicht, der rein daktylische Wortschluss 
sei in den jamb. Sechssilbern allgemein gemieden worden. 
In Bur. 157 p. 223 findet er sich 7 Mal in 30 Z. Der 
Archipoeta hat in I etwa 83 Zehnsilber mit dem Tonfall 
— « — w , _w w, _«_ und unter diesen 14 der Art, wie Übi 
palam loquitur veritas. Auch in der Apokalypse des Wal- 
ther kommt er sehr oft vor; so 8 Mal in den 110 ersten 
Zeilen. Auf die 50 Zeilen zu 6 « — in Omer 22 treffen 
nicht weniger als 14 Z. mit rein daktylischem Worte. 

In den jambischen Sieben- und Achtsilbern kann bei 
Taktwechsel rein daktylischer Wortschluss an 2 Stellen ein- 
treten: 

Läncea regis cöeli. Sic mors neminem läedit. 

Läcrimis flenda seduüs. fit nequitiae vindipem. 
Sicher ist hier der daktylische Wortschluss in dem Falle, 
dass das Wort im Anfange der Zeile steht, nur wenn ein 
zweisilbiges Wort ihm folgt. Folgt dagegen ein viersil- 
biges oder ein ö'n- und dreisilbiges Wort, so kann man an- 
nehmen, dass das daktylische Wort hier, wie sonst immer, 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 127 

auf der letzten Silbe einen zweiten Ton habe, also zn be- 
tonen sei: 

Glädiis renitentes. Eruit ab infernis. 
Möritür pro iustitia. Monachüs simulätus est. 
Doch gibt es Dichter, welche anch diese letztere, zweifel- 
hafte Betonung vermieden haben. 

In den jambischen Siebensilbern sind reine Daktylen 
sehr selten. Unter den 36 jamb. Siebensilbern mit Tw. bei 
Abaelard (Hymn. 33 — 36) sind vier unsichere daktylische 
Wortschlüsse; wie Oleum de taberna und die beiden sicheren 
Filios illa data und Gratiae tenet tipum. In den 105 Z. 
zu 7 — - bei Du Meril 1847 p. 255 sind 51 Z. mit Tw. 
und darunter 3 zu — ««, — «, — w i 1 zu — « , — ««,_«. 
In dem rohen Leiche Bur. 35 p. 119 sind unter etwa 12 Z. 
mit Tw. Feminae iüncto märi und Psällere virgo pridem. 

Die Zeilen zu 8 « — sind viel häufiger als die zu 7 — « ; 
so lassen sich auch mehr Fälle von rein daktylischem Wort- 
schluss in ihnen nachweisen. Ausser in dem oben (S. 123) 
angeführten Gedichte von 1128 finden sich im Prolog der 
Polenchronik des sogenannten Martinus Gallus unter 31 
Achtsilbern mit Taktwechsel 9 mit fehlerhaftem Rythmus, 
während er in den 120 Z. zu 8—« + 7 « — nur einmal 
(III, 11 resistere potuit) sich findet. Dieses Beispiel zeigt, 
wie die verschiedenen Zeilen verschieden behandelt wurden. 
Dagegen findet sich in den 90 Z. zu 8 « — bei Bernhard 
Migne 184 p. 1315 kein reiner Daktylus, in den 192 ebenda 
S. 1317 nur 2; in den etwa 360 Z. zu 8 «— bei Abaelard 
nur Angelus äutem päuperi; in etwa 460 Zeilen bei Adam 
nur Vindicent membra meritis. 

Demnach hat reinen daktylischen Wortschluss Adam 
von S. Victor durchaus gemieden, der Archipoeta in 7 « — 
und 6 — « gemieden, dagegen in 4 — « + 6 « — oft zuge- 
lassen; Walther von Chat, in 7 ^— und 6 — ^ einige Male 
und in 6 ^ — oft zugelassen ; Abaelatd in 6 — « , 7 « — , in 



Digitized by 



Google 



128 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 



6 « — und 8 « — gemieden, in 7 — « und oft in 5 — * zu- 
gelassen. *) 

Schon aus dem Bestehen dieses Gesetzes von der Ver- 
meidung rein daktylischen Wortschlusses ergibt sich zur 
Genüge, dass die Silben, welche den durch Zeilenschluss ge- 
bundenen Silben vorangehen, nicht bloss gezählt werden. 
Dasselbe beweist die Beobachtung eines anderen Gesetzes. 

Ueber die Betonung der einsilbigen Wörter be- 
merkt G. Paris p. 15 4 I1 faut y ajonter le traitement, natu- 
rellement assez arbitraire, des monosyllabes : ils ont ou 
n'ont pas l'accent, ä la volonte du poete, uniquement astreint 
ä ne pas violer l'accent oratoire. 1 Freilich erhebt er (p. 15 
u. 20) Einsprache gegen Verse, wie 'Post deum spes sin- 
guläris. Summa laus filio' und,- während er das Zusammen- 
stossen von 2 betonten Silben in der Keile sonst zurück- 
weist , bemerkt er : Deux toniques Pune pres de l'autre 
'Summa laus filio'; car de regarder 'laus' comme atonon, il 
n'y a pas d'apparence In Wahrheit beobachten die Dichter 
im Gebrauch der einsilbigen Wörter bestimmte Regeln. 
Wenn zwischen 2 betonten Silben nur eine unbetonte steht, 
so kann jedes Wort diese unbetonte bilden; sogar solche 
Verse wie fit lex perit per te sind nicht selten, ja sogar Si 
sacerdos ut plebs est findet sich bei Walther von Chat. I, 
102; Häufungen finden sich, wie beim Archipoeta 

IV, 1, 4 Nön est in me försitan, fd quod d6 me Sintis 
IV, 28, 2 in te nön est mäcula, nön est in te dolus. 

Wenn dagegen bei Taktwechsel zwei unbetonte Silben sich 
unmittelbar folgen und die zweite unbetonte Silbe durch 
ein einzelnes Wort gebildet wird, so darf die« nur ein 
Hilfswort der Sprache seiu, Pronomen, Adverb, Präposition, 



1) Das Vorkommen dact. Wortschlusses in der früheren Periode 
habe ich nicht untersucht. Keiner kommt vor in den 248 Z. zu 8 w — 
über den h. Emmeran ans Clat. monach. 14436 (Dümmler im N. Archiv 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lai. Bythmen. 12S9 

Conjunktion, Hilfszeitwort (auch fit); schwere einsilbige 
Wörter sind dagegen an dieser Stelle verboten. Ausnahmen 
sind bei den deutschen Dichtern sehr selten, bei den fran- 
zösischen finden sich mehr und besonders, wie es scheint, 
bei den früheren. Im Archipoeta fand ich nur die Zeile IX, 
17, 2 Urbs bona flos ürbium; in den umfangreichen Ge- 
dichten mit mehr oder weniger Taktwechsel, wie »in dem 
Scheirer Rythmus, Ganymed und Helena, Jupiter und Danae, 
Pbylli8 und Flora und anderen, fand ich niemals ein Wort 
wie rex in der 2. unbetonten Silbe. Dagegen finden sich 
welche, aber immerhin sehr wenige, bei Abaelard, Adam, 
Walther von Chat, und ähnlichen. So fand ich bei Abae- 
lard etwa 11 Zeilen zu 6 «- der Art 'Quarta lux decorat, 
den Zehnsilber Sed nömini | tüo da glöriam, 3 Z. zu 8 « — 
wie In quo summa stat operum, den Siebensilber Illäta 
mors äggregat, und die Ftinfsilber Salve crux säncta. Ätque 
stant rötae. Bei Adam findet sich diese Unregelmässigkeit 
am häufigsten in Z. zu 8 «— , wie Quöd laudäre mens äp- 
probat (etwa 8) ; in den selteneren jamb. Sechssilbern fand 
ich Mira vis fidei; in den jamb. Siebensilbern Püer lux 
sempiterna. Der Fünfsilber Salve crux ärbor ist durch die 
Formel 'salve crux' veranlasst, ebenso der Siebensilber 'Sunt 
fides spes Caritas' (I, 169); vgl. Hildebert (Migne 171 p. 1411), 
wo sich in 203 Z. nur die eine findet Da fidem spem chäri- 
tatem. Bei Walther von Chat, kann man sich auf die Aus- 
gabe wenig verlassen; steht in dieser z. B. II, 18 Nam iste 
grex höminum, so haben Handschriften grex ipse; doch 
auch so finden sich nur wenige Fehler der Art, wie I, 25 
Die päpadic pontifex, und in IV Super ius iürium. Vernat 
vi pröpria; in Dens seit nescio hat Walther wieder, wie 
öfter, dem Citat den guten Versbau geopfert. In den Ge- 



VII, 605) saec. XI; (je ein Drittheil hat zweisilbigen Beim, zweisilb. 
Assonanz oder einsilb. Reim). 
[1882. I. Philos.-philol.hist.Cl. 1.] 9 



Digitized by 



Google 



130 Sitzung der phttos.-phüöt. Classe vom 7. Januar 1882. 

dichten von St. Omer finden sich in No. 22 und 30 vier 
Sechssilber der Art Häusit lex inguinis, in 33 Nee tarnen 
res älia, in 16 Nünquam füit rex Angliae, und so findet 
sich dieser Fehler noch mehrfach in Gedichten französischen 
Ursprungs; so sind bei Hildebert (Migne 171 p. 1339) in 
420 Z. zu 8 « - spes, rex, da und lis als zweite unbetonte 
Silbe gebraucht; ebenda (p. 1432) findet sich unter 138 Z.: 
Pirätae vis importüna, wo wie öfter der Dichter lieber vis 
als zweite unbetonte Silbe gebrauchte, als dass er durch die 
Umstellung Vis pirätae importüna einen Hiatus in die Zeile 
gebracht hätte. Bei Bernhard (Migne 184 p. 1317) finden 
sich unter 192 Zeilen zu 8 «- sogar folgende 5: Quändo 
cor nostrum visitas. Tibi laus honor nüminis. Veni veni 
rex optime. In quo mea mens deficit. Rex virtütum rex 
gloriae; allein diese Ausnahmen erschüttern nicht die Regel, 
die in vielen Tausenden von Versen, wo sich so oft Gelegen- 
heit zur Verletzung geboten hätte, stets beobachtet ist. 

Die bisher dargelegten Gesetze über die Anwendung 
des Taktwechsels überhaupt und im Besonderen über die 
Vermeidung des daktylischen Wortschlusses in den meisten 
Zeilenarten und seine Zulassung in einigen wenigen, sowie 
über die NichtVerwendung der schweren einsilbigen Wörter 
in der letzten Silbe des Daktylus haben, nach meiner An- 
sicht wenigstens, ihren einfachen und vernünftigen Grund. 
Wohlklang ist auch in den rythmischen Gedichten das 
höchste Ziel. In den jambischen und trochäischen Reihen, 
d. h. im einfachen Wechsel der betonten und unbetonten 
Silben, braucht es nicht viel Vorsicht. Dagegen braucht es 
derselben beim Taktwechsel, d. h. beim Eintritt daktylischen 
Tonfalles oder der unmittelbaren Aufeinanderfolge von 2 un- 
betonten Silben. Da die erste unbetonte Silbe immer mit 
der vorausgehenden betonten zusammenfällt, so handelt es 
sich um die zweite. Hier sind nun, abgesehen natürlich 
von vielsilbigen Wörtern, wie 'solum imperatorem', deren 



Digitized by 



Google 



tyilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. ttythmen. 131 

Betonung unsicher ist, drei Fälle möglich : 1) die zweite un- 
betonte Silbe gehört zum nächsten Worte, 2) sie wird durch 
ein einzelnes Wort gebildet, 3) sie bildet mit den voraus- 
gehenden Silben ein Wort. Im 1) Falle, also in Versen, wie 

Secundo redärguor. Et vincit tacendo, 
gleitet die Stimme leicht über die beiden unbetonten Silben 
dahin. Ebenso, wenn 2) die 2. unbetonte Silbe durch ein 
einzelnes Wort und zwar durch ein Hilfswort der Sprache, 
durch Pronomen, Conjunktion, Praeposition, Hilfszeitwort 
und Aehnliches gebildet ist, wie in 

Jeiunant et abstinent. Semper et ündique. 
Jügulätur in proelio. 
Wird dieselbe aber durch ein einsilbiges Substantiv oder ein 
Verbum gebildet, so entsteht eine Stockung; denn in Zeilen, wie 
Urbs bona flos ürbiüm. Nülla spes erit exitus. 
Da fidem spem chäritätem, 
hält die Zunge an den Wörtern flos, spes, spem an, wäh- 
rend sie zu der unmittelbar folgenden betonten Silbe eilen 
sollte. Daher sind solche Zeilen fehlerhaft und wurden ge- 
mieden. Die 3) Möglichkeit ist, dass die unbetonte Silbe 
mit den vorausgehenden ein Wort bildet, wobei also dak- 
tylischer Wortschluss entsteht. In Zeilen, wie 

Transgrediar mürum. In läbiis tuis. 

Congäudeant hodie. Sed epulas regias. 

Auditui meo däbis. fit nequitiae vindicem. 

Läncea regis coeli 
schnappt nach dem reinen Daktylus die Stimme ab, und der 
Fluss des Rythmus wird unterbrochen ; dazu kommt, dass 
in den meisten Fällen die Zeile so zerrissen wird, dass dem 
Daktylus eine einzelne Silbe vorangeht; desshalb ist der 
rein daktylische Wortschluss besonders selten in den Zeilen 
zu 6-« und zu 7 « —. 

Anders geartet wird der Tonfall in den Reihen zu 
5 _ w und 6 ^ — . In Früitur vita, Virginum flore entstehen 

9* 



Digitized by 



Google 



132 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

statt einer Zeile zwei Versstücke, die gut zu einander und 
in den Verlauf der Zeilen passen. Die Sechssilber Virgin um 
glöria, Hodie civibus zerfallen in zwei gleiche Theile, welche 
zu einander passen und im Verein mit andern Zeilen nicht 
stören. Diese Theilung ist so natürlich, dass, wie wir später 
sehen werden, die jambischen Sechssilber öfter so zerlegt 
und auch noch gereimt werden, z. B. Resonet consonet. Mea 
lux, mea dux. Hierin liegt vielleicht der Grund, warum 
Abaelard gerade in diesen Sechssilbern oft sich Wörter wie 
sol lux pax fons erlaubt, wo sonst eine Kürze steht, z. B. 

Cuius pax iügis est. Fides spes illa sunt. 

Aber jedenfalls ist dies der Grund, wesshalb selbst Dichter, 
welche sonst den rein daktylischen Wortschluss vermieden 
haben, ihn gerade im jambischen Sechssilber zugelassen 
haben, und wesshalb derselbe sich überhaupt bei dieser 
Zeilenart so oft findet. 

Demnach ist es ') gleichgiltig, ob die Zeilen mit einem 
Jambus oder einem Trochäus anheben, ob der Tonfall im 
Verlauf der Zeile jambisch oder trochäisch ist, auch gleich- 
giltig, wie viel betonte und unbetonte Silben die Zeile zählt ; 
dagegen müssen die entsprechenden Zeilen gleiche Anzahl 
von Silben und gleichen Schluss haben, und der Zeilenschluss 
sammt den vorangehenden Silben muss, unter Beobachtung 
der oben dargelegten Gesetze, wohlklingenden rythmischen 
t Fluss haben. 

Dies Gesetz widerspricht allerdings unserm jetzigen 
deutschen Versbau, der genaue Beobachtung des Schema's 
verlangt, d. b. dass die entsprechenden Zeilen auch den 
gleichen trochäischen oder jambischen Anfang und den 



1) d. h. in allen einfacheren Zeilen Verbindungen ; denn in den sehr 
kunstvollen Strophenformen, in welchen die verschiedensten Kurzzeilen 
rasch abwechseln, wird zur scharfen Charakterisirung der einzelnen Zeilen 
das Schema meistens beobachtet. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über tat. Bythmen. 133 

gleichen troch. oder jamb. Tonfall der ganzen Zeile haben. 
Dagegen wundere ich mich, dass G. Paris den Taktwechsel 
licence oder fante (p. 19) nennen konnte. Denn dieser Bau 
der lateinischen Rythmen, wornach bei gleicher Silbenzahl 
und gleichem Schlüsse der Tonfall der ganzen Zeile nicht 
nach der Schablone regelmässig, aber nach bestimmten Ge- 
setzen wohlklingend gebaut wird, ist ja das Ideal, dem die 
romanischen und englischen Dichter nachstreben müssen. 
Man müht sich in neuester Zeit, z. B. in den französischen 
Gedichten, besonders in den Alexandrinern feine Gesetze des 
Baues nachzuweisen: ob mit Recht, kann ich nicht beur- 
theilen ; aber das ist sicher, dass die Dichter der lateinischen 
Bythmen des XII. und XIII. Jahrhunderts solche, ganz feste 
Gesetze sich geschaffen hatten. Ich bin auch der Ueber- 
zeugung, dass diese Dichter den Taktwechsel nicht aus Be- 
quemlichkeit, sondern aus einem andern guten Grunde an- 
gewendet haben. Fast alle Eurzzeilen sind in diesen Jahr- 
hunderten mit Reim und zwar mit dem vollklingenden zwei- 
silbigen belegt ; wenn nun der Tonfall aller Kurzzeilen regel- 
mässig der gleiche ist, so ist Eintönigkeit unvermeidlich. 
Wie der rythmische Fluss der Silben den Wohlklang wahrt, 
so wehrt der Taktwechsel die Eintönigkeit ab, bringt Ab- 
wechslung und Mannichfaltigkeit in die Reihen der sonst 
regelmässig abwechselnden betonten und unbetonten Silben 
und gibt dem Dichter wie dem Deklamator die Möglichkeit, 
die Darstellung plastischer zu machen, wozu den griech. und 
roem. Dichtern die Elisionen und die Ersetzung von 1 Länge 
durch 2 Kürzen zu Gebot gestanden waren. Der jetzige 
deutsche Vershau wird oft eintönig und klappernd genannt; 
die romanischen und englischen Dichter haben dieselbe 
Freiheit der Rytbmenwahl, wie die lateinischen Dichter des 
Mittelalters ; sie haben es zwar nicht, wie jene, zu bestimm- 
ten Gesetzen über den Taktwechsel gebracht ; aber auch so, 
wo sie in diesem Punkte nur ihrem Geschmacke überlassen 



Digitized by 



Google 



134 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

sind, befinden sie sich wohl bei jener Freiheit. Damit man 
den Klang solcher Verse auch im Deutschen erproben könne, 
bat ich meinen Freund Ludwig Laistner einige Verse des 
Ludus de Antichristo mit Beobachtung wenigstens der zahl- 
reichen Taktwechsel des Originals zu übersetzen. Ludus V. 
329—348: 

Wort, dem Vater gleich an göttlichem Wesen, 
Hat Menschenart in der Magd sich erlesen : 
Gott verbleibend, den Leib des Tods empfing es, 
Gott noch immer, ein ins Zeitliche ging es. 
Nicht nach Weltlaufs immer gleichem Geschehen 
Vollzog sich das : von Gott war es versehen. 
Christus machte ünsre Schwachheit sich eigen, 
In den Schwachen sich mä'chtig zu erzeigen. 
Juden durften ihn sehen in niedrer Hülle, 
Die nicht ahnend der Gottheit Lebensfülle 
Keinen Glauben dem Wort, den Zeichen schenkten, 
An das Kreuz ihn unter Pilatus henkten. 
Der dem Tode sterbend die Kraft genommen, 
Aus der Hölle erlö'set hat die Frommen — 
Auferstanden ist er, starb nicht in Wahrheit, 
Herrscht ohn Ende, wird kommen bald voll Klarheit, 
In Feuersglüt das Weltgericht vollstrecken, 
Allesamt uns im Fleische äuferwecken, 
Verworfene und Auserwä'hlte scheiden, 
Böse strafen, Güte mit Licht bekleiden. 

Vom Hiatus. 

Das Zusammenstossen eines Vokals im Auslaut mit 
einem Vokal im Anlaut des folgenden Wortes wurde auch 
in dieser Periode als unschön betrachtet und desshalb ver- 
mieden, uud zwar weit mehr als in der früheren. Die meisten 
Dichter haben auch den Hiatus zwischen den Halbzeilen (h) 
vermieden. Selten ist es allerdings, dass bei einem Dichter 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 135 

sich gar kein Hiatus findet, wie in den Gedichten des Archi- 
poeta (abgesehen natürlich von dem Citat l Tu autem' in I, 
4, 4), der sogar in den Zeilen 7 ^~ a -f- 7 ^ — b den Hiatus 
zwischen den Halbzeilen vermeidet. Demnach lautet die 
bekannte Zeile: Menm est propositum | in taberna mori, so 
grosse Verbreitung auch das natürlichere Mihi est prop. 
gewonnen hat. Bei Äbaelard und Adam trifft oft auf 100 
Zeilen ein Hiatus; auch bei Walther von Chat, sind sie 
selten, so schlecht auch die Ueberlieferung ist. So ist No. I 
frei; II nur 78 Et ferre prae äliis. III nur in 44. 55. 76. 
IV Apokalypse etwa 7 h und 10 (h). V in 45 und in dem 
Citat 88. VI 3. 18. VII, 118 (h). VIII, 9. 22. 25. (72. 
77. 78. Citate) 104. IX, 2. 26. 95. 121. 154. 162. in 34 (h). 
X 5 h und 3 (h). In den 121 Zeilen bei Bernhard (Migne 
184 p. 1315) ist ein h; in den 140 Zeilen des Gotfried 
von Viterbo (Pantheon, Mon. Script. XXII p. 305) 4 h vor 
est, 1 h vor 4 in' und 1 (h). In den 56 Z. zu 8 w- und 
den 126 Z. zu 8—^ + 7 w — der um 1118 beendeten 
Polenchronik des Martinus Gallus findet sich kein h. In 
den 203 Z. zu 8 — ^ bei Hildebert (Migne 171 p. 1411) 
stehen aus rhetorischem Grunde 6 h nach Tu und Te und 
in Quanti illi tantus iste; sonst findet sich nur Dans usiae 
unitatem und Alpha et £2. In den 316 Zeilen von Phyllis 
und Flora stehen 2 h nach de und 4 (h). In den 268 
Zeilen von Ganymed und Helena 4 h vor est und 4 andere, 
dann 1 (h). Die 108 Zeilen von Jupiter und Danae sind 
frei von h wie (h). Im Scheirer Rythmus (232 Z.) steht 
(h) Str. 12, 4. 24, 3. 31, 4. 37, 3; h scheint nicht vorzu- 
kommen , da 28, 2 unsicher und 48, 1 falsch ist. Und 
welche Gedichte man auch untersucht, stets ist der Hiatus 
nur sparsam zugelassen; so in dem rohen, nur Silben zäh- 
lenden Gedichte bei Du Meril 1847 p. 270 nur 5 Mal in 
144 Zeilen zu 8 ^ — Ich will zum Beweise einige Partien 
der bunten Sammlung der Carmina Burana durchgehen: 



Digitized by 



Google 



136 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7, Januar 1882. 

No. 2 p. 2 kein h, ebenso kein h in 3 p. 3, 10 p. 8, 12 
p. 10, 15 p. 12 (nur 2, 7), 16 p. 13, in dem rohen Ge- 
dichte 17 p. 14 nur 5 h, 18 p. 16 (nur 21, 2; nicht 11, 6) 
u. s. f. In No. 34 p. 118 sind die Reime noch unrein, 
doch nur 1 (h) ; in den grösseren Leichen sind zwischen 
den Zeilen manche (h), doch innerhalb der Zeilen wenige h : 
so in dem rohen 35 p. 119 5 h; 36 p. 121 3 h (5 h) und in 
der Nachahmung 174 p. 233 3 h, 1 (h); 38 p. 125 1 (h); 
40 p. 129 kein h; 41, 42, 43 kein h; 45 p. 135 u. 275 
1 h; 46 p. 135 kein h u. s. f. 

Ich glaube, aus diesen und den obigen (S. 63) Bei- 
spielen ergibt sich die Gewissheit, dass der Hiatus den 
Dichtern lateinischer Rythmen aller Zeiten für unschön galt 
und dass, wenn auch romanische und germanische Dichter 
den Hiatus vermieden haben, dies dem Einflüsse der latei- 
nischen Rythniik zuzuschreiben ist. 

Von dem Reime. 

Ein Hauptmerkmal der Rythmen dieser Periode ist der 
reine zweisilbige Reim, welcher gleiche Vokale in den beiden 
letzten Silben und gleiche Consonanten am Anfang und 
Schluss der letzten Silbe verlangt: 

iterat: superat, doloris: amoris. 

Aber auch in dieser Periode finden sich noch viele Ge- 
dichte mit unreinen Reimen : es sind nur die Vokale der 
letzten Silbe gleich, die Schlussconsonanten ungleich (ein- 
silbige Assonanz, selten) in somnis: edocti, oder es sind die 
Vokale der beiden letzten Silben gleich, fast stets mit 
gleichen Schlussconsonanten der letzten Silbe (zweisilbige 
Assonanz) prophetica: irrita, oder es sind nur die Vokale 
(und der schliessende Consonant) der letzten Silbe gleich, 
(einsilbiger Reim) animas : »recreas. Solche unreinen Reime 
finden sich zu jeder Zeit in kunstlosen, besonders in histo- 



Digitized by 



Google 



WÜh. Meyer: Ludus de Antichristo und über tat Bythmen. 137 

Tischen Gedichten; so z. B. in dem Kreuzlied von 1146 
Bar. 22 p. 24 einsilbige Reime meistens mit Ass. in der 
vorletzten Silbe, und in den 136 Z. zu 8^- vom Jahre 
1223 bei Du Meril 1847 p. 277 unter vielen reinen zwei- 
silbigen Reimen auch einsilbige, wie lectulo: proelio, tradi- 
dit: profuit, scandalis: piaculis. In der ersten Hälfte des 
XII. Jahrhunderts haben aber selbst sehr formenfeste Dichter 
noch unvollständigen oder unreinen Reim. So hat Äbaelard 
hie und da nur Assonanz der letzten Silbe, weitaus in den 
meisten Fällen Reim der letzten Silbe mit häufiger Assonanz 
der vorletzten, und weniger häufig reinen Reim der beiden 
letzten Silben; demnach kann der Hymnus 'Mittit ad vir- 
ginem' (Daniel H, 59; Migne 178 p. 1815; Du Meril 1847 
p. 423), wenn er auch sowohl von Hiatus als von rein 
daktylischem Wortschlusse frei ist, nicht von Äbaelard sein, 
da er nur zweisilbige Reime hat. Bartsch (Sequenzen S. 228) 
hat noch bei Adam a. S. Victore und bei anderen Franzosen 
eine Reihe unreiner oder unvollständiger Reime nachge- 
wiesen (doch kann ich solche einsilbige Reime wie II, 157 
Adam nicht zutrauen); allein auch in den mühsam gereim- 
ten Gedichten des Radewin (um 1140) findet sich oft noch 
Verschiedenheit der Consonanten, welche die beiden letzten 
Silben trennen. Wenn wir nun in vielen kleineren und 
grösseren Gedichten der Carmina Burana (z. B. No. 6 p. 5, 
53 p. 147, 55 p. 147, 104 p. 182, 121 p. 195, 156 p. 220 
und 72 p. 42, 35 p. 119, 89 p. 172, 141 p. 212, 143 p. 214) 
noch unvollständige und unreine Reime finden, brauchen 
wir dieselben desshalb nicht vor dem XH. Jahrhundert an- 
zusetzen. 

Doch der reine zweisilbige Reim hatte schon gegen 
Ende des XI. Jahrhunderts, wo der Reim mit besonderem 
Eifer gepflegt wurde (siehe S. 67) und zum gesetzmässigen 
Bestandtheil wenigstens der rythmischen Gedichte sich aus- 
bildete, mehrfach Anwendung gefunden. L. Gautier (Les 



Digitized by 



Google 



138 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 7. Januar 1882. 

Epop. Fran§. I, 1878, p. 331) meint, der reine zweisilbige 
Reim sei im Anfange des XL Jahrhunderts in Deutschland, 
wenn nicht erfunden, so doch besonders ausgebildet worden 
und dann um 1080 nach Frankreich gelangt, und führt 
einige kurze Gedichte aus Todtenrolleu oder Grabinschriften 
(besonders aus Simons Gesta abbatum S. Bertini in Mon. 
Germ. Script. XIII p. 639 8 Hex. von 1065?, p. 643 6 Hex. 
von 1095) um 1090 an, die reine zweisilbige Reime haben. 
Wenn ich auch oben (S. 67) glaube nachgewiesen zu haben, 
dass der zweisilbige Reim viel älter ist und schon von den 
Galliern oder Iren ausgebildet, dann in den nächsten Jahr- 
hunderten, zwar bekannt aber nicht bevorzugt, im Stillen 
fortlebte, bis er endlich zu einer höheren Rolle wieder her- 
vorgeholt wurde, so stimmen doch mit der von Gautier an- 
gesetzten Zeit noch andere Fälle. Dümmler hat im Neuen 
Archiv I p. 180 30 Hexameter mit reinem zweisilbigen 
Reim (nur 1 Mal minus: idus) von 1095 veröffentlicht und 
S. 184 17 Hexameter derselben Art (nicht nur mit leoni- 
nischem, sondern auch mit Endreim) aus den ersten Jahren 
nach 1100. Doch sind dieses nur kurze Gedichte und mir 
ist es sehr unwahrscheinlich, dass die 300 leoninischen 
Hexameter mit reinem zweisilbigem Reim (nur 44 potest: 
obest; 297 signa: Corinna), welche Dümmler (Zeitschr. f. 
deutsches Alt. 14 p. 245) aus einer Handschrift in Ivrea 
hat drucken lassen, schon um 1075 entstanden seien; die 
historische Anspielung ist vielleicht anders zu deuten als 
Dümmler sie gedeutet hat. Noch weniger kann der be- 
rühmte Hymnus Veni sancte Spiritus, 10 Str. zu 3 Z.* (aa b) 
mit nur 3 Taktwechseln, keinem h und reinen zweisilbigen 
Reimen schon zur Zeit des Königs Robert von Frankreich 
entstanden sein. Dagegen finden wir im Anfange des XII. 
Jahrhunderts schon öfter die reinen Reime. So in den 
c. 200 Zeilen in der Chronik des sogenannten Martinus 
Gallus, die um 1118 abgeschlossen wurde. Und etwas später 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 139 

sind in den grossen Rythmen des Petrus Vener. die reinen 
Reime gehäuft, während in dem daktylischen Hymnus auf 
Maria Magd, die Reime oft unrein sind z. B. Pondere quo 
scelerüm gravidos | exoneräns levet ad superos. Auffallend 
ist auch in dieser Beziehung wie Reiner von Lüttich noch 
um 1180 (Migue 204 p. 79) gedichtet hat. Der rythmische 
Prolog zu dem Gedicht l de Conflictu' hat reine Reime, die 
Hexameter des Gedichtes selbst haben entweder keinen oder 
einsilbigen Reim ; das Gedicht über die Reliquien des h. Lau- 
rentius hat im Prolog Caudati und im eigentlichen Gedicht 
Leonini mit reinem Reim, ebenso die rythmische Oratio an 
denselben ; dagegen das rythmische Officium de S. Spiritn 
wieder einsilbigen Reim. Wir können diese Thatsachen 
dahin zusammenfassen, dass in der ersten Hälfte des XU. 
Jahrhunderts auch kunstreiche Dichter sich noch des ein- 
silbigen Reimes ' bedienten ; dass um 1150 der reine zwei- 
silbige zwar zur unbedingten Herrschaft gekommen war, 
aber doch noch manche Dichter, denen sehr wenig an der 
Form lag, sich des verdrängten einsilbigen oder unreinen 
zweisilbigen bedienten. Neben dem zweisilbigen findet sich 
in manchen Gedichten auch dreisilbiger so oft, dass er 
gewiss beabsichtigt ist. Von den 21 Strophen der Klage 
des Oedipus haben 9 dreisilbigen Reim in allen 4 Zeilen 
(enio, enui, erie, ilia, uria, ilii, itio, erui, abilis), 6 drei- 
silbigen Reim in je 2 oder 4 Zeilen (emina : umina, oculus : 
umulus, enuit : ebuit, erminis : iminis, abula : ecula, omni : 
acui); eine andere Spielart zeigt Mone No. 447, wo die 
Vokale der drei letzten Silben gleich, die Consonanten un- 
gleich sind, fulgida : culmina, endida : errima, hodie : gloriae 
(filium : luciferum), angelos : angelos, merita : femina, emio : 
epio, omnia: gloria, virginum : filium, eperat: praebeat, 
issime: virgine, abili: flamini. 

Es ist verboten, dass dasselbe Wort in der nächsten 
Zeile wieder den Reim bildet. Doch können rhetorische 



Digitized by 



Google 



140 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

Grunde dies verlangen, wie bei Hildebert (Migne 171 
p. 1434): 

Sine motu sine loco Motnm praebes praees loco; 

und so findet sich diese Reimart besonders oft (8 Mal) in 
dem Gedicht bei Hildebert (p. 1411). 

Ueber die von einsilbigen oder von metrisch betonten 
Wörtern gebildeten Reime wie päscor: väs cor, aparte: 
super te, habe ich oben beim Zeilenschlusse gehandelt 
(S. 118). Falsche Reime werden nicht nur von nachlässigen 
Dichtern gesetzt, welche Zeilen mit jamb. und troch. Reime 
mischen, wie Reiner Leod. 

Tüa me lübricum Vivere pudicum, 

sondern auch mit Ueberlegung als Künstelei; so Bur. 43 
133 Str. 8 

quam dülcia Sunt haec gäudia 

Veneris furta sunt pia. 

Ergo pröpera Ad haec munera 

Garent laude dona s£ra. 

Ebenso in No. 57 p. 149 und 275 8 Stücke der Art 'Queam | 
lmeam | Jam pudoris tangere. Auf denselben Fall bei Adam 
II, 297 (gräni: Gethsemani, gyrum: märtyrum, freti: per- 
peti, cibus: volatilibus) bat Bartsch (Sequ. S. 186) auf- 
merksam gemacht; doch Adam I, 135 'Dulcis ardor, ros 
divine, Bonitatis germine Eadem substantia' ist wohl genu- 
inae zu schreiben. Noch Johannes Anglicus (p. 68 Zarncke ; 
siehe oben S. 112) schreibt hierüber 'Annotninatio ponit 
similia principia et correptionem et productionem attendit 
ut hie: 

Nos trans mundi märia ducas, o Maria 

Deviis per ävia nobis esto via. 

Diese Arten des Reimes sind aber nur seltene Aus- 
nahmen. Die Fülle der gewöhnlichen, reinen Reime ist in 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und Über tat. Eythmen. 141 

dieser Periode eine ausserordentlich grosse, da fast alle Kurz- 
zeilen mit Reim belegt werden. Der gleiche Reim bindet 
nicht nur Paare von Zeilen, sondern durch die Auflösung 
der Langzeilen in Kurzzeilen ist der gekreuzte und dann 
wiederum auf die mannichfachste Art verschlungene Reim 
herbeigeführt worden. So wurde aus dem Paar 8 — ^ + 
7 v — c und 8 — v -f- 7 ^ — c zunächst 8 — v b + 7 w — c 
und 8-wb -J" ? w — c, daraus wieder 4 — v a -f 4 — w a 
■f 7^-c und 4 — ^ b + 4-wb + 7 ^ — c und mit 
Variationen 4 — ^a -+- 4— ^a + 7^— c, 4 — ^a + 
4_v a -{- -7 v— c oder 4-«a -+- 4— ^b + 7 w — c, 
4_va + 4 — ^ b + 7 w _ c, ja sogar mit Unregelmässig- 
keit Bur. 6 p. 5 frängit tränsit | velut umbra | quae non 
est corporea, wo der zwiefache Reim in der ersten den 
Schlussreim der zweiten Zeile ersetzt. Auch die aus gleichen 
Zeilen bestehenden Gedichte werden durch den Reim zu 
Strophen gegliedert, indem derselbe die gleichen Zeilen 
durch verschiedenartigen Reim auf das bunteste verschlingt. 
So haben bei Bernhard (Migne 184 p. 1315) die je 11 jam- 
bischen Achtsilber der 1. 3. und 5. Strophe die Reimstel- 
lung ababbbaab, ab, die der 2. und 4. Strophe die Reim- 
stellung babaaabba, ab, wobei alle a durch eris, alle b 
durch ia gebildet werden; die je 10 jamb. Achtsilber der 
folgenden 5 Strophen haben die Reimstellung sosoossoo, 
o u wobei alle s durch itas, alle o durch io gebildet werden 
(in Str. 6 ist k Et mortis festinatio 1 nach 'Homo quae vitae 
brevitas 1 zu stellen). So ist es nicht zu wundern, dass der 
gleiche Reim oft Zeilen von der verschiedensten Länge 
bindet; so gehen in Bur. 28 p. 33 die sämmtlichen Zeilen 
der 2. Strophe (5 *> — + 6 */- -f 3 X 7 *- + 3 X 8 "-) 
auf itur aus, und nicht nur reimen die Schlüsse der Va- 
gantenzeilen mit den oft beigegebenen Hexametern, wie 
Nee regnabant Schismata sed vi modernörum 
Effodiuntur opes irritamenta malorum. 



Digitized by 



Google 



142 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 188$. 

sondern in Bur. 156 p. 221 str. 6 — 11 reimen auch die Halb- 
zeilen des Rythmus mit der Caesur des Hexameters, wie 

Si quis istis ütitur more modernorum 
Turpiter abutitur hac assuetudine morum. 

Es ist natürlich, dass, um die Kunst zu zeigen, die 
Reime auch vielfach getauft wurden ; hiefür nur wenige 
Beispiele: Bur. 74 p. 165 enden 22 Zeilen abwechselnd auf 
ium und io ; Omer 25 32 Z. abwechselnd auf ies und ium ; 
Mone 376 7 Z. auf io, 7 uit, 7 itur, 7 itas. Bur. 95 p. 174 
(Marner; bei Zingerle Wien. Sitzungsber. 54, 1866, p. 319) 7 
auf a, 7 e, 7 i, 7 o, 7 u; Bur. 98 p. 177 20 Z. auf ies; 
Mone 665 22 Z. auf ia, Flacius No. 71 29 Z. auf io. Doch 
scheinen die rythinischen Dichter, welche ja auch auf die 
Wahl der verschiedenen Zeilen, auf den Bau der Strophen 
und ganzen Gedichte bedacht sein mussten, nicht so viel 
Künstelei entwickelt zu haben als die Dichter der gereimten 
Hexameter *) (denn ausser einigen sapphischen Strophen 
finden sich andere quantitirende Zeilen- und Strophenarten 
mit Reim äusserst selten); diesen war die Form gegeben, 
und sie konnten sich der Reimkünstelei ungestört über- 
lassen. Wenn z. B. die Zeilen 

Peracto triduo vitam in mortuo reformans corpore 
Surgit continuo nullo jam denuo passurus tempore 

an Künstelei es aufnehmen können mit den Hexametern 

Soluere vincula pellere vincula noxia eures 

Sunt mala saecula sunt modo regula pessima plures, 

so zählt das rythmische Gedicht (Migne 189 p. 1012) nur 
208 Zeilen, das quantitirende (bei Flacius p. 232) fast 3000. 



1) Die vielen verschiedenen Arten der gereimten Hexameter habe 
ich in der Abhandlung 'Radewins Gedicht über Theophilus 1 , Sitzungsber. 
der Akad. 1873 I, zusammengestellt. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 143 

Ueberhaupt scheint mir dieser Tausch vorgekommen zu sein : 
der Reim war ursprünglich aus der rythmischen Dichtung 
in die quantitirende gekommen (siehe oben S. 68) ; der 
regelmässige zweisilbige Reim aber wurde in saec. XI-XTI 
zuerst in den Hexametern herrschend und gesetzmässig und 
ging von da in die rythmische Dichtung über. 

Von den Zeilenarten. 

Die Zahl der Zeilen in der früheren Periode war eine 
bescheidene. Wir fanden die Kurzzeilen 5 — ^ , 6«-, 6 — ^ , 
7v,_, 7 — ^ , 8 ^ — , 8 — ^ und in 4 — ^ + 7 ^ — auch 
den Theil von 8 — ~ verwendet, um (nicht zahlreiche) Lang- 
zeilen zu bilden. Zu diesen Kurzzeilen ist in dieser Periode 
noch 5«- zu rechnen, und auch Zeilenstücke von 1, 2 u. 3 
Silben, sowie die Stücke von 4«- und 4 — ^ finden sich 
selbständig unter jene Kurzzeilen gemengt. Diese Kurzzeilen 
finden sich nun in vielerlei Verbindungen; entweder folgen 
sich die gleichen Kurzzeilen, wie 5«- -["" 5 « — , 7 u - + 
7 v. — , oder verschiedene , wie 8 — « _|- 7 « — , 7 w — 4- 

6 — ^ . Von diesen Verbindungen ist der Schluss stets mit 
Reim belegt, das erste Stück ist bald ohne Reim, bald hat 
es ebenfalls Reim, als 7 « — a -f 7 « — b oder 7«_a -p 
7w — a, 8 — v,a-f- 7 « — b u. s. f. Wenn alle Kurzzeilen 
gereimt sind, so kann man zweifeln, ob man noch von 
Langzeilen sprechen darf; allein die Dichter wechseln selbst 
mit dem Reim. So in Kehrein Sequ. No. 147 (Daniel V, 
208), wo auf 6 Zeilen zu 7 ^ — a + 7«-b und 6 Z. zu 

7 - — c + 6 — v d folgen 2 Z. zu 7 -— + 6-^ e, 2 Z. 
zu 7«--|- 7 w_ f, und 4 Z. zu 7«~ + 6~«g. Ich 
nehme also die Verbindungen c(er Kurzzeilen hier auf wie 
Langzeilen und reihe sie bei der Kurzzeile ein, welche das 
erste Stück bildet. 

Sehr selten ist der Fall, dass die Zeilen von 9, 10 oder 
11 Silben nicht eine regelmässige Pause haben, sich also 



Digitized by 



Google 



144 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882. 

nicht als die Verbindung von zwei bestimmten Kurzzeilen 
behandeln lassen, Silbenreihen mit wechselnder Caesur oder 
Pause, welche bei den Griechen und Römern gewöhnlich 
und in den nationalen Dichtungen des Mittelalters nicht 
selten sind, wurden in der lateinischen rythmischen Poesie 
der älteren Periode ängstlich gemieden, was wohl ein Erb- 
stück aus der trockenen Handhabung des Versbaues in der 
späten quantitirenden Poesie war. So kam es, dass auch 
die lat. rythmischen Dichter unserer Periode von der Fessel 
der stets gleichen Pause nur sehr selten sich frei machen 
konnten. 

Viele rythmische Gedichte dieser Periode sind noch 
nicht gedruckt; selbst von den gedruckten habe ich die 
Hymnen nur vereinzelt in Betracht gezogen, und doch ist 
die Fülle der hier zusammengestellten Zeilenarten eine grosse. 
Bestimmte Gesetze in der Zusammenstellung der Eurzzeilen 
zu Langzeilen kann ich nicht finden. Aber natürlich haben 
sich nur die wohlklingenderen Bahn gebrochen. So wurden 
von den Verbindungen gleicher Glieder die mit gleichem 
Reime der Kurzzeilen gemieden, wenn die Kurzzeilen nur 
wenige Silben umfassen ; 6 « — a + 6 w — * * 7 w __ a -f- 

7 ~ — a finden sich in der bessern Zeit selten in längerer 
Reihe. Von den Verbindungen der ungleichen Kurzzeilen 
wurden besonders die beliebt, welche bei gleichem Tonfall 
wechselnden Schluss hatten, also nicht 8 — * + 7 — « aber 

8 — « + 7 «— oder 8^ + 7-w; nicht 7 « — + 6 «— , 
wohl aber 7 * — -j- 6 — «. 

In den Verbindungen zu 4 — « + 5 « — und 4 — « + 
6«- kommt es sehr oft vor, dass die Basis, das Stück 
zu 4 — « , schwankt, d. h. mjt 4 « — vertauscht werden kann. 
Adam hat nur 4 — « + 6 «— , Abaelard hat nur 4 — ^ + 
7 w _, aber auch 4«- + 5 « — und 4 « — + 6 « — , und 
fast alle anderen Dichter lassen in 4 — « + 6"— auch 
4 v, _ zu. Sonst ist dies Schwanken des ersten Zeilenstückes 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über tat Bythmen. 145 

selten. Nur in den über 200 Z. bei Du Meril 1847 p. 128 
(zu 6«-x + 6 ^ — a) steht im 1. Gliede statt 6«_x 
sehr oft 6 — ^ ; ebenso kami in den Zeilen zu 6 « — a + 
6v,_a + 6^ — b bei Reiner Leodic. (Migne 204 p. 95) 
statt der beiden ersten Stücke zu 6 « — a auch 6 — ^ ein- 
treten ; ebenso steht in den Z. zu 8 — « + 7 « — desselben 
Reiners auch oft 8 ^— . Sonst aber ist unreiner Schluss 
in diesen ersten Kurzzeilen ebenso selten wie in den letzten. 
Die zusammentretenden Kurzzeilen sind meistens nur um 
1 Silbe länger und kürzer ; denn die nicht häufige Ver- 
bindung 7^— + 4^—, 7^— + 4 — « scheint mir eine 
Nachahmung* des Gesanges zu sein. 

Bartsch hat (Zeitschrift f. roman. Philol. III, 1879, 
359 — 384) versucht, mehreren Zeilen (von 7 + 7 Silben, 
von 11-8 + 3 oder 7 + 4, von 10 = 5 + 5, und von 
Silben) Keltischen Ursprung nachzuweisen. Er ging da- 
von aus, er sei berechtigt, wo er bei Frauzosen und Proven- 
zalen Formen antreffe, die im Keltischen sich wiederfinden, 
im Lateinischen aber nicht begegnen, einen Zusammenhang 
anzunehmen. Da aber all diese Zeilen im Lateinischen uns 
begegnen, und zwar oft und schon frühe (vgl. z. B. die 
Zeilen zu 5 ^ — ), so kann ich wenigstens einen solchen Ein- 
fluss des Keltischen, wie ihn Bartsch sich dachte, nicht an- 
nehmen. Die Sache steht vielmehr so: Wir sehen schon 
bei Abaelard eine grössere Anzahl von zusammengesetzten 
Zeilen, von denen wir in der früheren Periode Nichts ge- 
sehen haben, die aber auch nicht als Umbildungen antiker 
Zeilen angesehen werden können. Abaelard hat seine Hymnen 
kurz vor 1130 gedichtet; er sagt nur von den früheren 
Hymnen 'tanta est frequenter inaequalitas syllabarum, ut 
vix cantici melodiam recipiant, sine qua nullatenus Hymnus 
consistere potest'; dass er die Zeilenarten seiner Gedichte 
selbst erfunden habe, sagt er nicht. Wenn dennoch manche 
von ihm erfunden sind, so beweist sein Stillschweigen zum 
[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 1.] 10 



Digitized by 



Google 



146 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

mindesten, dass damals solche Zeilenconstructionen nichts 
Seltenes waren. Die Thatsache steht fest: im Uebergange 
des XI. zum XII. Jahrhundert tritt eine Fülle von neuen 
Zeilen- und, wie sich nachher zeigen wird, von neuen Strophen- 
formen auf. Die Dichter waren offenbar damals von einem 
neuen Geiste erfüllt; sie wagten es, ja sie fanden es für 
rühmlich neue Formen zu schaffen. Die Frage ist nun, wie 
sie dieselben schufen. Bei dem ältesten provenzalischen 
Dichter ganz im Anfange des XII. Jahrhunderts und bei 
einigen ihm folgenden, Abaelard nahe stehenden,, finden sich 
auch neue Zeilen- und Strophenarten, und es wäre demnach 
möglich, dass die lateinische Rythraik manche Formen aus 
der provenzalischen entlehnt habe. Ich glaube das nicht. 
Denn jene Formen sind im Verhältniss zu den bei Abaelard 
vorkommenden wenig an Zahl und in Hinsicht auf die 
Pausen und den Schluss der Zeilen viel unreiner als die 
lateinischen. Viel weiter brächten uns diese provenzalischen 
Dichter auch nicht; denn sie sind alle ebenfalls Kunst- 
dichter, die ihre Formen selbst erfunden haben können. 
Auf der andern Seite hatten die lateinischen Dichter in den 
kühnen, vielgestaltigen Tongebäuden der alten Sequenzen 
ein hohes Ziel, dem nachstrebend sie zur Schöpfung neuer 
Zeilen und Strophen geführt werden mussten; ferner war 
die Musik theoretisch und praktisch mit ausserordentlichem 
Fleisse betrieben worden. So haben wir schon im XI. Jahr- 
hundert einige neue Strophenformen und bei Petrus Damiani 
(f 1072) eine neue Strophen- und Zeilenform gesehen. Der 
kühne Aufbau der grossen Gedichte Abaelards (vgl. Planctus 



1) Ich citire besonders die schon oben S. 41 genannten Carolina 
Bnrana (Bur), Du Merils 1843, 1847 und 1854 erschienene Samm- 
lungen, Mones Hymnen, die Oeuvres poetiques tfAdam de S. Victor 
von Qautier, Archipoeta in Grimms kleinen Schriften IN, dann die von 
Mone im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit VII, 1838, S. 102 
— 114 und 287-297 gedruckten Gedichte der Handschrift No. 351 in 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bytkmen. 147 

III und IV) zeigt, dass dies nicht der erste Schritt auf 
einem neuen Wege ist, sondern dass schon Manche voran- 
gegangen waren, deren Namen und Gedichte wir eben nicht 
kennen. Meine Ansicht ist demnach, dass viele Dichter sich 
oft die Kurzzeilen nach eigenem Gutdünken zusammenstellten. 
Für den Strophenbau leugnet dies Niemand, warum sollte 
es bei den Zeilen anders gewesen sein? 



Bythmische Daktylen. 

Allerdings bestehen die regelmässigen rythmischen Reihen 
nur aus Trochäen und Jamben, und daktylischer Tonfall ergibt 
sich nur beim Eintritt von Taktwechsel. Da aber die latei- 
nische Sprache dem daktylischen Tonfall auch in Rythmen nicht 
widerstrebt und da sogar in den deutschen Gedichten des Mittel- 
alters daktylische Reihen vorkommen,, so wäre es sonderbar, 
wenn in den lateinischen Rythmen sich gar keine rythmischen 
Daktylen fänden. Ich habe solche in folgenden Gedichten ge- 
funden: a) Im Weihnachtsspiel der Carm. Bur. 202, 47 p. 92 
sind 8 Strophen der Art 

Cöncupesceutia mixti sapöris 
In'gerit sömnia lenis amöris 
also genau entsprechend den quantitir enden Daktylen in Bur. 
46 p. 136 

Hoc amor (?) praedicat haec macilenta 
hoc sibi vendicat absque perempta 
In Bur. 44 p. 134 sind verschiedenartige Stücke: Str. 2 zwei 
Stücke der Art: 

Jämque Diöne iöcis agöne r^levat, crüciat corda suörum. 
Str. 3 besteht aus 2 solchen Paaren 

Tela Ciipidinis äurea gästo l'gnem commercia cörde molesto. 



der Stadtbibliothek zu S. Omer, die 10 Gedichte des Walther v. Chat, 
nach der ungenügenden Ausgabe von W. Müldener Hannover 1859; 
Flacius, varia . . de corrupto ecclesiae statu poemata a. 1754; für 
Äbaelard benutzte ich die Ausgabe in Mignes Cursus Fatrol. 178, für 
welche die Hschr. neu benützt wurde. Mit x bezeichne ich reimlosen 
Zeilenschluss. 

10* 



Digitized by 



Google 



148 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

In Str. 4 scheinen quantitirende Adonier und rythm. Viersilber 
wie 'expäveo' gemischt zu sein. Vgl. Bur. 167 p. 229 Str. 1. 
Die Zeilen in Brit. Mus. Egerton 274 (Philipp de Greve?, 
P. Meyer Archives d. miss. Ser. II, 3 p. 284) 

Veritas equitas largitas corruit etc. (vgl. S. 149) 
sind eher als 6 w — -\- 6 ~ — zu lesen. 

Zeilenstöcke yon weniger als 5 Silben. 

Beim Singen wird sehr oft innerhalb der Zeile eine Pause 
gemacht und so die Zeile in 2 Stücke zerlegt. Die Dichter 
haben dies nachgeahmt und diese Pause oft durch Reim 
kennbar gemacht. Wenn also bei Adam, der die Strophe zu 
7 v, — aabccb gerne anwendet, sich I, 131 findet 
Spiritus paraclitus Procedens divinitus 

Manet ante secula. 
Populis discipulis Ad salutem sedulis 
Pacis dedit oscula 
und so fort durch 5 Strophen, so ist hier offenbar der erste 
Siebensilber in 2 Theile zu 3^ — a + 4 ^ — a zerlegt. Wenn 
bei dieser Theilung Stücke mit gleichem Schlüsse entstehen, so 
können sie unter sich reimen ; andernfalls muss jedes Stück in 
einer andern Zeile seinen Reimgenossen suchen. Im Allgemeinen 
sind diese Zerlegungen der Zeilen nicht häufig und finden sich 
fast nur in kunstvollen und zum Gesang bestimmten Gedichten. 
Man liebte es, diesen besondern Innenreim durch den sonst fast 
verbotenen Gebrauch eines schweren einsilbigen Wortes zu 
markiren, so Bur. 36 p. 123 Gratia solatia, mea dos amorum 
flos, mea lex livorum fex; mea dux te mea lux. 

Diese Zerlegung findet sich häufig in den troch. Sieben- 
silbern in der oben gezeigten Weise 3 ^ — a + ^ ^ — a > so m 
Bur. 42, 131 'nemoris vis frigoris', 'rideo cum video'; 191 
p. 251 o et o cum gaudio, 15 p. 12 Judica nil clandica; 10 
p. 8, wo in 4 Strophen jede 2. und 5. Zeile so getheilt ist. 
Die andere Theilung zu 4 — ^ -f- 3 ^ — findet sich vielleicht 
in Abaelards Planctus I 

Miserande iuvenis : Gentis tantae concidis. 
In Bur. 45 p. 275 möchte ich der Interpunktion wegen ver- 
binden 

Brachia eius ligo, pressa figo basia, nee talia . . und 
Strenua sese plicat et intricat genua, nee ianua etc. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 149 

Ebenso sind die 9 Strophen von Mone 582 zu je 2 Mal 
Jesse proles quibus doles leva moles scelerum 
Mater solis carens dolis lux in polis siderum 
nur die Langzeilen 8 — ^ -f- 7 ^ — zerlegt in 4 — ^ a -]- 4 — ^ a, 
4 — ^ a -\- 3 ^ — b. Ueber die Zeilen zu 4 — «a-f-4 — « a 
-\- 3 ^ — b siehe nachher. 

Die trochäischen Achtsilber sind in der Regel zu 4 — ^ -f 
4: — w zerlegt und diese Theile oft unter sich gereimt ; siehe 
hierüber bei der Zeile 8 _ « , Andere Zerlegung wie Fidelis | 
in coelis | coetus und Volenter | decenter | laetus (Bartsch Sequ. 
p. 226 ) oder Pallentis aurore | rore und Fluit ex amore j more 
bei Johannes Anglicus (Zarncke p. 70) sind selten. Auch der 
jambische Achtsilber (8 ^ — ) wurde nicht selten in 4 ^ — a -f- 
4 w — a zerlegt. So ist von den je 4 Zeilen zu 8 «-- in Bur. 
20 p. 21 Str. 2 und 6 je die 3. und 4. gebildet aus 4 ^ — a 
— 4w — a -)- 8 ^ — a. 

Andere Zeilen sind seltener zerlegt (vgl. Bartsch Sequ. 
p. 236). In einem Gedichte der Sterzinger Handschrift (bei 
Zingerle, Wiener Sitzungsber. 54, 1866, S. 324) avis suavis 
statt 4 — w; Bur. 57 p. 149 u. 275 vidi viridi, videns invidens 
mit falschem Reime statt 5 ^ — Die Theilung von 6 — ^ zu 
Sic in duris curis. Irretitur citur (bei Zingerle p. 324), Lupus 
ut astutus, Polo sine dolo bei Mone 854 ist unschön ; sonst 
konnte man 6 — u und 6 c — nur mit Hilfe des Taktwechsels 
theilen ; so hat Abaelard Planctus I statt 6 — u -f- 7 w — : 
Vae mihi, vae tibi, miserande iuvenis. 
In strägem commünem gentis tantae concidis. 
Bur. 43 p. 133 Str. 5 Est pater est mater, | Est frater qui 
quater. 

Häufiger sind die Z. 6 ^ — zerlegt; z. B. Adam I, 50 In- 
tonet consonet, wobei dann oft der durch ein schweres, einsil- 
biges Wort gebildete Reim eintritt: Bur. 149 p. 56 Anna dux 
mea lux | Iste quis sit ambigo. So sind vielleicht auch die 
Strophen im Brit. Mus. Egerton 274 (Philippe de Greve? bei 
P. Meyer, Archiv d. missions Ser. II, 3 p. 284) als 6 w_ a 
-|~ b, 6u_a -f b, 4v_a -)- b zu messen: 
Veritas, aequitas, largitas corruit 
Falsitas pravitas, parcitas viguit 
Urbanitas evanuit. 

Die Zeile 7 — v scheint in 3 — u a -(- 4 — v a zerlegt zu 



Digitized by 



Google 



150 Sitzung der pJiüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

sein in Bur. 160 p. 225 Procantem anhelantem, Flacius 52 In- 
grate pietate. Viel gefälliger ist die Theilung zu U — -f- 

3 — v, in Bur. 45 p. 275 (7 u_ + 7 — w): 

Mitior amasia Dans basia mellita. 

Veluti sub anxio Suspirio sopita. 
Bur. 38 p. 126 zum Schluss von Str. 5 u. 6 je 1 , und zum 
Schluss von Str. 7 und 8 je 2 Verbindungen zu 7 ^ — a -f- 

4 ^_a + 3-ub = 7v_ -f- 7 — v. 

Wiederholung ron Zeilenstttcken. 

Beim Gesang wird ganz gewöhnlich im Anfang oder am 
Schluss der Zeile ein beliebiges Stück derselben wiederholt. 
Natürlich sind diese Wiederholungen in den nicht neumirten 
Handschriften selten ausgeschrieben, wie Bur. 145 p. 216 Re- 
frain Vincula, vincula, vincula rumpebat. Dieses Verfahren 
des Gesanges scheinen die Dichter nachgeahmt zu haben, indem 
sie statt der repetirten gleichen Worte, andere von demselben 
Tonfall setzten. Wenn so das Stück einer Langzeile, also eine 
Kurzzeile, doppelt oder öfter gesetzt wurde, so entstand daraus 
eine Strophe; so ist aus 7 v--f 7o_b, + 7 w_. -j-7-ub 

entstanden die Reimstrophe 7 ^ — aab, 7* ccb, aus 8 — w 

+ 7w- b, + 8—^4-7 w__ b die berühmte Strophe 8 — * a 
+ 8— v,a-f7^ — b, 8_vc-f8_uc + 7v-_b. Zur 
Zeilenbildung konnte dieses Prinzip der Wiederholung nur in- 
sofern dienen, als man Stücke der zerlegten Kurzzeile repetirte. 
Sind die Zeilen in gleiche Theile zerlegt, so ist unsicher, 
ob man sich die Wiederholung im Anfang oder im Schluss 
denken soll. So Bur. 20 p. 21 Perit lex | manet fex | bibit 
grex und Sed cum sis | plena vis | cedat lis. Dann der Re- 
frain von Bur. 81 p. 167 vireat, o floreat, o gaudeat | In 
tempore iuventus ; Bur. 8 p. 6 Spem concipis, te decipis et 
excipis | Ab aula summi principis. vgl. Omer 19, Bur. 42 p. 132 
Schluss; so ist in Bur. 59 p. 150 eine Masse von 9 Mal 4 ^ — 
auf ia eingeschlossen von 7 ^ — ia und 8 ^ — ia. 4 — ^ -|- 
4 — ^ -J- 7vy — (=8 — ^ -{- 7^—) ist erweitert in den 6 
Zeilen zu 4 — ^ a -J- 4 — ^ a -j- 4 — ^ a -f" 7 ^ — b in Bur. 
154 p. 217 Str. 1. 4. 7 : 

Eia dolor nunc me solor velut olor albus neci proximus ; 
vgl. Daniel Thes. II, 68. Zu einer Art Strophe geworden sind 
die 20 Zeilenpaare zu 4 - ^ a -f- a -J- b, 4 ~~ ^ c -j- c + b, 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ladies de Antichristo und über lat. Bythmen. 151 

die Abaelards Hymn. 74 — 77 bilden und von denen 4 Paare 
auch im Planctus V vorkommen : 

Israelis murus fortis unde meus 
Inimicus et amicus eras summus. 
Deutlicher ist diese Erweiterung, wenn die Theile der zer- 
legten Zeile ungleich sind; nur kann hier öfter Zweifei ein- 
treten, in welcher Weise man die Zeilentheile zusammenfassen 
will. So wird in Bur. 151 p. 59 (Bartsch Sequ. p. 242) die 
erste und letzte Strophe geschlossen durch 4^ — -j"^ — ~r 

3 — ^ = 7 — ^ : Exceperam | me miseram | quid feci. So 
Bur. 3 p. 3 8u-a, + 4^a+4^a-i-3^b = 
8^ — -f- 7—v- vgl. Omer 28. So erklärt sich wohl am 
einfachsten die Zeile 4 — ^ a + ^ — u a + 3 ^ — b als die zer- 
legte und durch Verdoppelung des ersten Gliedes erweiterte 
Zeile 7^ — =4 — ^ -+- 3 ^ — ; man kann sie freilich auch für 
die alte Zeile 4 — ^ -f" 7 ^ — mit Zerlegung der Z. 7 ^ — in 

4 — v -J- 3 v — ansehen. Abaelard hat im Planctus III 2 Paare 
der Art: 

stupendam plus quam flendam virginem 
quam rarum illi virum similem. 
Derselbe hat im Hymn. 78 und 79 4 Str. zu je 4 Z. der Art, 
denen er in Hymn. 80 und 81 4 Strophen zu 4 Z. von 4 — <-» 
-f- 7 ^ — parallel gesetzt hat. In Bur. 154 p. 217 schliesst 
Str. 2. (5.) 8 mit je 4 Z. der Art und Joh. Anglicus (p. 58 
Zarncke) citirt: 

Deo meo raro paro titulum 
Astra castra regit egit seculum. 
Wie in den Strophen die Zahl der Theile der Langzeilen, 
so wurde auch die Zahl der Zeilentheile noch vermehrt; so 
bei Petrus Clun. (Migne 189 p. 1017) 4—- -|- 4 — v a , 
4— v, -f 4 — v, a -|- 3 u — b; Bur. 59 p. 150 6 Mal 4 — ^ 
(ecto) -f- cilia. 

Auf diese Weise lässt sich vielleicht eine sehr schwierige 
Zeilenart erklären. Abaelard Planctus III hat 47 Zeilen, die 
fast alle zu « — w a -f" w — ^ a -f- — ^ — b gebaut sind : 
Ad festas choreas cöelibes. 
Et planctus ut cäntus celebres. 
In manchen Zeilen fehlt der Innenreim, wie 'Promisso | que 
fräudet | dominum', in andern tritt im ersten oder zweiten oder 
in beiden __ « ^ statt « — « ein : U nicae quod ndee diluit. 
Hac valde virgine nobiles. 4'nnuos virginum ejlegos. Dann 



Digitized by 



Google 



152 Sitzung der philos.-philol, Classe com 7. Januar 1882. 
finden sich 9 Z. mit dem Baue « _ « a -[" w — w a + — ^ — 

Nee möae nee tüae öbstes glöriae 
Penigrans et plörans viicem planctibus; 
nm* 2 Mal steht — ^ w statt w __ ^ . 

Ich kann die erste Zeilenart nicht als Neunsilber mit Innen- 
reim fassen ; denn abgesehen von allen andern Bedenken, wie 
den Caesuren, kennt Abaelard keine Neunsilber der Art; auch 
die 2. Art kann nicht als Verbindung von Sechssilber und 
Fünfsilber erklärt werden; denn der Sechssilber würde 1 Mal 
jambisch, 8 Mal trochäisch enden. Vielmehr scheinen mir jene 
Verse Sechssilber (6 w „), diese Achtsilber (8 « _) mit Repe- 
tition der ersten drei Silben zu sein ; indem statt 'Ad festas, 
ad festas virgines' gesetzt ist 'Ad festas choreas virgines' und 
statt 'Perägrans, perägrans vacem planctibus' : *Peragrans et 
plorans v. pl.' Da nun die Zeile 6 (8) ^ — ebenso gut mit — w « 
als mit ^ _ w beginnen kann, so gestattete sich Abaelard auch 
einige Male — « « statt » — « zu setzen. 

Wiederholung am Schlüsse. 

Auf die Wiederholung von Schiusssilben beim Gesang sind 
Zeilen zurückzuführen, wie Omer 4: 

Festa dies agitur Qua sol verus oritur 
Suscipit natura naturam 
Redimit factura facturam. 
Bei Du Meril 1817 p. 22 folgen auf 10 Z. zu 4 w _ -f 6 -_ 
mit dem Reim eris wie '0 natio nefandi generis' 4 erweiterte 
Zeilen, in welchen die letzten Silben von 4 ^ _ repetirt sind, wie 
Considera misera quare damnaberis 
Quod literam perperam interpretaveris. 
Aus diesem Prinzip der Wiederholung am Schlüsse sind, wie 
ich glaube, die Zeiienverbindungen zu erklären, in welchen sich 
4 ^ — an die jambisch schliessenden Kurzzeilen 5 «— , 7 « — 
und 8 « — anschliesst. Die Verbindung von 8 ^ — und 4 ^ — 
findet sich häufig, indem 4 « — bald vorangeht, bald nachfolgt ; 
die Verbindungen 5 ^ — -j- 4^ — , 7 ^ — -{- 4 ^ — habe ich 
bei den betreffenden Kurzzeilen besprochen. 

Der Möglichkeiten, diese kurzen Zeilenstücke mit einander 
zu verbinden, sind oft mehrere. In manchen, wenn auch im 
Vergleich zur deutschen Poesie (vgl. Bartsch Germania XII, 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. By Mimen. 153 

129—194) wenigen, Gedichten sind der Zerlegungen so viele, 
dass eine Gliederung derselben zu gewöhnlichen Zeilen sehr 
schwierig ist; vgl. Bur. 200 p. 78, 160 p. 224. Flacius 42, 56 
u. andere. Andererseits wird es nicht Wunder nehmen, dass 
ein oder das andere dieser Zeilenstücke auch selbständig ge~ 
braucht wurde. So ist der Schluss der 5 Strophen von Bur. 
23 p. 25 gebildet aus 8~« aaa -f* — « b -f- 8 — ^ aa -\- 
— ^ b, und — ^ — findet sich öfter zwischen längeren Zeilen 
eingeschoben; vergl. Bur. 84 p. 170. 201 p. 79 Das Stück 
w — v, ist zum Abschluss von 7 w _ benützt in Bur. 38 
p. 126 und in dem Schlüsse Bur. 161 p. 225 (nach der 
Hdschr.) : 

Sentio Veneris officio turbari 
Oculus Cordis hanc praeambulus venari. 
Häufiger treten die jamb. Viersilber (4 w — ) selbständig auf. 
Selten als Basis einer Zeile, wie wohl in Bur. 42 p. 131: 
Et aethera silentio turbavit 
Exilio dum aves relegavit, 
und in der Verbindung 4 ^ — -f- 6 ^ — (siehe bei 6 v> __) ; 
häufiger mit 8 w __,; dann in Verbindung mit trochäisch schlies- 
senden Zeilen; so werden Bur. 179 p. 240 5 Z. zu 8 — ^ (auf 
iti) geschlossen mit 'non dormiant | et sermones inauditi | pro- 
siliant; vgl. die Verbindungen 5 — ^ ~J- 4^_, 6 — ^ -j- 4 ^ — 
und 7 — v, -|- 4 U — 

Der trochaeiscJie Viersilber (4— w) tritt häufiger selbständig 
auf; vgl. Mone 554, wo die Strophen aus folgenden Zeilen zu- 
sammengesetzt sind 1) 6 — ^x -f 4 _ ^ a -f- 5 — ^ a -f 4 — 4; 
2)4--x+6-ua + 5-wa-|-4-«b; 3) 7 w_ n -f 
7 — wx -[- 4 — ^ b. Die Basis bildet 4 — u in den Verbindungen 

4 — v, -f- 5w_, 4 — - -f 6-_, 4 — - -f 7 w_. (4 — - -|- 
7 — . y ), wo es bei vielen Dichtern mit 4 ^ — wechselt. 

Trocliacische FUnfsilber (5 « — ). 

Der jambische Fünfsilber, welcher in der früheren Periode 
uns nicht vorgekommen ist, findet sich in dieser nicht selten. 
Er ist natürlich stets frei von Taktwechsel. 

Abaelards hymn. 62 — 69 enthält 27 Str. von je 3 Z. zu 

5 v — -f- 5 ^ — a, ger. zu 3, z. B. Pörtae claviger | äulae cäe- 
licae; (1 h; in Hymn. 65 u. 66 einige fehlerhafte Zeilen; hymn. 
68 = Da». 5, 235 == Kehrein 385; vgl. Bartsch Sequ. p. 214). 



Digitized by 



Google 



154 Sitzung der plUlos.-philol. Glosse vom 7. Januar 1882. 

5w — a -j- 5« — a findet sich in Mone 448 von 7 — ~ b 
-\- 7 — « b gefolgt ; ebenso 5« — a + 5 w — a-}"^ — «b 
in Bar. 154 p. 218 Str. 3. 6. 9; 5w_a + 5w__a + 
8 — w a 2 Mal in Bnr. 43 p. 133 Str. 8. Für die Verbind- 
ung 5 w — a -f- 5« — b bieten die 3 Strophen von Bur. 163 
p. 226 ein schönes Beispiel, wo 8 Z. zu 5 w — mit Reimstel- 
lung abababaa durch 4 « __ b abgeschlossen werden. 

In verschiedenen Verbindungen geht 5 « — voran. So in 

5 « — -j- 4 « — : Cur damnaberis | gens misera in Bernhards 
Hymn. Laetabundus. In Omer 8 schliesst jede der 5 Strophen 
mit 2 Mal 5 «_a -f- 4 w_a -f- 6«-b; ebenso kommt in 
Mone 170 öfter die Verbindung vor: propter fragiles | ut agiles. 
Mit 6 — v, verbunden in Bur. 133 p. 206: 4 Str. zu 5 «_ a 
-|- 6 — wb + 5v — a -f- 6 — ^ b -f- 5 v _ a + 5 %< — a -{- 

6 — « b + 5 w — a. In Bur. 166 p. 228 ist Str. 1 zusammen- 
gesetzt aus 3 Mal 5^_x -J- 6 — ^ a + subveni, Str. 2, 3 
u. 4 dagegen aus 3 Mal 5w~x + 6v — a -+- subveni ; der 
Refrain besteht aus 5 ^ _ x + 6 ^ — a + subveni. 

Gemischt findet sich 5 w — in Bur. 24 p. 27 mit Zeilen 
zu 4 + 6 *_, in Abael. Planet. IV 5u_a + 8 V -a + 

4 * b (18 Strophen); in Bur. 11 p. 8 beginnen 9 Str. mit 

2X(5«-a -f" 3-ub + 4 ^ — c) , vielleicht = 8 — v mit 
Innenreim -j" 4w_; die Verbindung 8 — ^ -j- 5^ — a -f- 

7 <~ — a kommt in Bur. 43 p. 133 Str. 3 zwei oder drei 
Mal vor. 

Als Schluss findet sich 5 v— in verschiedenen Verbind- 
ungen ; so in 4 — ^ + 5 w _ ; 6 — v -|- 5 w __ ; 7 ^ — -J- 
5 u _. ; 8 — \j -j- 5 v — Den Neunsilber 4 — > -\- 5 ^ — hat 
Abaelard öfter verwendet; so in Planctus II 8 Z. gereimt zu 
2 (3 Z. mit 4^_); dann besteht Hymnus 86 — 94 aus 32 
Strophen zu 4 X (4 — » + 7 w — ) und 2 Z. zu 4 — w oder 
4w_-J- 5v_b; vgl. Mone 1050 Str. 5 und die 12 Zeilen 
in dem münchener Rachelspiel, Du Meril Origines p. 172 u. 174. 

Jambische Fflnfsilber (5 — w ). 

Ueber den Taktwechsel in dieser Zeile siehe oben S. 121, 
über den rein daktylischen Wortschluss S. 125. Diese Adonier 
wurden schon in der früheren Zeit selbständig zu Gedichten 
verwendet. Während in Abaelards Planctus I 6Z. zu 5 — v x 
•f 5-ua stehen mit 5 daktyl. Wortschlüssen , stehen in 
Hvmn. 48. 49 u t 50 72 Z. gereimt zu 3 (aab), wobei jede 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 155 

3. Z. (b) in 48 auf a, in 49 auf at, in 50 auf um reimt, so 
dass vielleicht 24 Langzeilen zu 5 — vaab(ccb etc.) anzunehmen 
sind ; darin finden sich nur 2 daktyl. Wortschlüsse. 5 — w a a a a 
und 5— ^ aaa findet sich in Bur. 43 p. 133 Str. 5 u. 6. 

Von den Verbindungen, in welchen 5 — ^ die Basis bildet, 
ist die auffallendste die Zeile 5 — ^ x -f~ 4v — a, welche 
Abaelard Hymn. 70 — 73 in 12 Str. zu 4 Z., gereimt zu 4, ver- 
wendet hat, ohne h, aber mit 13 rein daktyl. Wortschlüssen 
und den 2 Z. 'Pedes eorum | pedes recti' und 'Tamquam ex 
aere | sint candenti'. 31 sapphische Strophen aus 5 — w -f- 

6 — v gebildet finden sich in Zeitschr. f. deutsch. Alt. 5 (1845) 
p. 467, ohne Reim; Borgia (Memorie di Benevento II, 277) 
hat 10 sapph. Strophen mit nur 2 Z. zu v — u — v> , 38 zu 
— w v — v und ohne Tw in den Zeilen zu 6 — ^ ; jedes Stück 
zu 5 — kj reimt mit dem folgenden 6 — w z. B. Aula beati | 
praesulis barbati ; der Schluss 5 — w ist ohne Reim ; ich glaube 
nicht, dass das Gedicht vor dem XII. Jahrhundert entstanden 
ist. Die sapphische und die alcaeische Zeile (5 — u -|- 6 w — ) 
sind gemischt in der Strophe bei Adam II, 219: 2 Mal (5 — u a 
4- 6—^ b) + 7 ^— c, +2 Mal (5— w d + 6 » — e) + 

7 ^— c und in den 3 Strophen von Bur. 83 p. 169, welche 
beginnen mit 2 Mal (5 — <-» a -[" 6 v — D ) "f* 2 Mal (5 — v c 
-J- 6 v — d) + 2 Mal (5 — u e -f" 6 — u f) ; besonders aber 
in dem Leiche Bur. 62 p. 153, dessen Str. 1. 2. = 9. 10 
bestehen aus 3 Mal (5_va + 6— v, b) , Str. 3. 4 = 11. 
12 aus 3 Mal (5 — w a + 6 ^—b), Str. 5. 6. 7. 8 = 13. 
14. 15. 16 aus 3 Mal (5— v a -f 5 v_.b). In den 48 Z. 
zu 5 — v> finden sich 9 rein daktyl. Wortschlüsse. 

Vgl. die Zeilen 7w — -|~ 5 — « . 

Jambische Sechssilber (6 « — ). 

Die Zeile 6 « — ist uns in der früheren Periode in der 

alcaeischen Zeile 5 — w -}- 6 w und öfter in der umgeformten 

asklepiadeischen 6 « — -|- 6 « — begegnet. Auch in dieser Pe- 
riode tritt die asklepiadeische Zeile so oft auf, dass die einzeln 
verwendeten Zeilen zu 6 w — sicher nur aus der Zerlegung jener 
Langzeile herstammen. Ueber den Taktwechsel in dieser Zeile 
siehe oben S. 121 und über rein daktylische Wortschlüsse 
S. 125 und 132. 

Weitaus am verbreitetsten ist die Zeile 6 « - x -f- 6 w — a. 
Pie Hjrinni diurni 10^- 3 8 Abaelard^ umfassen in 90 Str. 360 



Digitized by 



Google 



150 Sitzung der philos.-philol. Clause vom 7. Januar 1882. 

Langzeilen, von denen je 2 reimen ; einige Reihen finden sich 
im Planctus III. (in H. 14 Ist Arduum coeloruin caliem refu- 
giunt umzustellen in Coel. ard. ; in H. 18 Ncc aetas terrena 
in 'ferrea' zu ändern, H. 26 Ubi Christus sponsa eius est ecclesia 
in: Vir Christus sponsa est eius eccl.) mit 4 h und 2 (h) in 
den 360 Z. vgl. oben S. 125 u. 129. Die Apokalypsis dos 
Walther von Chat, umfasst 440 Z., gereimt zu 4 (vgl. S. 120 
u. 135). Petrus Yener. (Migne 189 p. 1020) hat 84 Z. ge- 
reimt zu 2, ohne h, mit vier rein daktylischen Schlüssen; die 
erste Hälfte der Zeile hat 3 quantitirend betonte Schlüsse iu 
'Hugo pius pater. Clausus adhuc latet. Quae dentur dat deus.' 
Bernhard (Migne 184 p. 1313) hat (nach 16 Z. zu 7 w_ -j- 
6—w) 40 Z. zu 6w_ -|- 6w_a gereimt zu 4, mit 2 h. 
Bur. 150 p. 57: 20 Str. zu 3 Z. ; in Str. 16 einige falsche 
Zeilen, mit 3 h und 5 (h), reine Daktylen in 9, 4 und 10, 2. 
Im Weihnachtsspiel 202 p. 81 u. 82 5 Str. zu 4 ger., mit 
1 Mai l pariet ftlium' und 2 h in 'dei et'. Du Meril 1847 
p. 180, 39 Str. zu 4, gereimt zu 4. Nur 2 Mal 'E'xpedit 
vivere' und 'dücere fügias'; umzustellen 'Qui coeunt nimis | 
incurrunt obitum' und 'Tarn cito volebant | nuptias fieri.' Denn 
6 — w statt 6 w _ fand ich nur in folgendem Gedichte. Du 
Meril 1847 p. 128, über 200 Z. gebunden zu 2, oft zu 4 
durch ein- oder zweisilb. Reim oder Ass. Reine Daktylen, wie 
'nitixirna crimina' kommen nicht viele vor, dagegen wird sehr 
oft die erste Kurzzeile (6 ^ — x) durch 6 — ^ , wie : Affirmare 
queo. Ipsi pätiüntur. I mmo si secündam', gebildet. In den 5 
Strophen von Flacius 1 3 -)- 1 4 werden 4 Z. zu 6«-x-fa 
geschlossen durch 6 ~ — a, in den 3 Strophen von Fiac. 21 
werden 3 Z. zu 6 ^ — x -{- a geschlossen durch 4 ^ _ a -|- 
6w — a + 8 w — a . 

Fortlaufende Reihen von Zeilen zu 6 « — a -|- 6 w _ a, 
d. h. mit dem gleichen Reim in beiden Kurzzeilen, sind wohl 
der Eintönigkeit halber vermieden worden. Dagegen finden 
sich Reihen von 6 ^ — aaabbb in Bur. 36 p. 122 Str. 5. 6. 
20. 21. 30. und in der Nachahmung 174 p. 233 Str. 5. 6. 
15. 16., mit Reimen wie dira sors, est mors, vitae sors, ut 
nix, aut vix, corde pix, die in 174 zum Theil nachgeahmt sind. 

Häufiger finden sich Reihen der Langzeilen 6w — a -\- 
6 w — b, also mit gekreuztem Reim der Kurzzeilen. Bar. 76 p. 46 
5 Str. von je 6 Z., zuerst 2 Mal (6 u — a -f- 6 ^ — b), dann 
4 Mal (6 v _ c -f- 6^-d), ohne b oder reinen Dactylus, In 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über tat. Rythmen. 157 

den 2 Str. von 74 p. 165 folgen auf 4 Z. zu 6 u — a -f- 
6v> — b noch 6^ — b -f- 6o — a -f - 6 u — b, ohne h oder 
rein. Dact., und mit dem Reim ium und io für a und b in den 
22 Z. Eine Str. zu 4 Z. in 202, 33 p. 89 mit der Reim- 
stellung ab ab c b c b. Flacius No. 22 hat 2 Str. von je 
4 Z. zu a + b, No. 15 zuerst 3 Z. zu a -f- b, dann 1 Z. 
b + a, 1 Z. a -f b. 

Die asklepiadeische Zeile zerfiel in 2 völlig gleiche Theile ; 
diese einzelnen Stücke zu 6 ^ — wurden nun in der mannig- 
fachsten Weise verwendet. Von den verschiedenen Verbindungen 
der Sechssilber mit sich selber gibt Adam viele Beispiele : 
4 Mal (6 x + a) II, 89; (II, 40: 2 Reihen von 6 ab ab 
u. 6 c d c d u. I, 293 von abab u. ddee, jede durch 6 _v 
geschlossen) ; Strophen von 6 ^ — aabccb I, 30. 344. II, 81 ; 
Strophe von 6 v — aaabcccb II, 229, 5; Strophe zu 6 ^ — 
aaaabccccb II, 90, zu ababc dedec II, 229, 8. 

Solche Verbindungen finden sich auch sonst oft. Z. B. hat 
Petrus Vener. (Migne 189 p. 1012) 104 Paare von Langzeilen 
zuGv. — aab, ccb mit sehr wenig h und nur 4 Z. wie 'red- 
ditur saeculo' und mit unreinem Schlüsse iu Christe deus meus | 
ad te clamo reus und Quando sine fine | summus ab homine. 
Als solche Langzeilen sind auch die 11 Strophen des Reiner 
von Lüttich (Migne 204 p. 95) 6u — aabccb zu denken ; 
denn während die 6 ^ — b stets reinen Schluss haben, bestehen 
die mit a oder c reimenden Kurzzeilen 22 Mal aus 6 ^ — und 
ebenso oft aus 6_w. Mone 658, 44 — 57 hat eine künstliche 

Reimstrophe zu 6 < aabccb d , eefggfd; Bur. 157 p. 223 

4 Str. zu 6^ — ab ab bbaaab mit nur 1 (h), aber 7 rein 
dact. Wortschlüssen; abgesehen von 4 Z. haben alle den Ton- 
fall — \j u — yj — . 

Die Verbindungen, welche 6 ^ — mit anderen Kurzzeilen 
eingeht, so dass es die Basis der Verbindung bildet, sind nicht 
häufig. Z. B. 6 v _ a -+ fi-vb, 6.-a-f 6-ub Bur. 
40 p. 130 Str. 3; vgl. Adam II, 404; über die Zeile 6_v 
-j- 7 — v wird am Schlüsse beim Ludus de Antichristo ge- 
handelt werden. Mit 8u — oder 4 u — -[- 4 ^ — tritt 6 w — 
zusammen in Bur. 43 p. 133 Str. 8, u. 159 p. 224 Str. 2. 3. 

An andere Kurzzeiien schliesst 6 t — sich an in : 5v — -|- 
6 <~> — , 5 — ^ -f~ 6 vy — und 7 — ^ -f- 6 ^ — ; besonders in 
4 -(- 6 u — • Da ^ dieser Verbindung die Kurzzeile zu 4 Silben 
den unwesentlichen Theil bildet, so behandle ich die Zeile hier. 



Digitized by 



Google 



158 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882, 

Die Zehnsilber zu 4 + 6 ^ — kommen in verschie- 
denen Formen vor, je nachdem der erste Theil aus 4 ^ — oder 
4—^ oder bald 4 — ^ bald 4^— besteht oder endlich die 
Pause nach 4 öfter vernachlässigt wird. 

Die Verbindung 4 ^ — + 6 ^— findet sich ohne Reim 
in 4 v— bei Du Menl 1847 p. 222 in 10 Z., die alle auf 
eris reimen; Omer 22 (5 Str.) reimen die 4^— a und die 
6 ^ — b unter sich; am künstlichsten ist der Beim in Bur. 75. 
p. 45, wo in den drei Paaren Z. 1 u. 2, 4 u. 5, 7 u. 8 
4 ^ — a zu 4v/-a und 6 ^ — b zu 6 v — b reimt, dagegen 
in den Zwischenzeilen 3 u. 6 4 ^ — b zu 6 ^ — b und 6 ^ — a 
zu 4 ^ — a der vorangehenden Zeilen reimt. Erweitert ist die 
Zeile in Flacius 129, wo 2 Mal 4 v — a + 4 *•— a + 6 °~~ a 
eingesetzt ist (vgl. mit dem Anfang Joh. Anglicus bei Zarncke 
p. 74); in Omer 22, wo auf die 4 Z. zu 4 **>— a -f- 6 v/— b 
2 Absätze von je 4 ^— a -f- 6 ^ — a + 6^— a -j- 6^ — b 
folgen ; endlich in Omer 32 , wo auf 3 Z. zu 7 — <^ a folgen 
4 ^ — b 4" 6 *■/ — b, 4 ^ — c -f- ^ ° — c M~ 6 v — b ; b ist in 
allen 8 Strophen *ula\ 

Selten besteht die Basis dieser Zehnsilber nur aus 4 — ^ , 
wie stets bei Adam und z. B. Flacius No. 17; in der Regel ist 
neben 4 — ^ mehr oder minder häufig 4 ^ — zugelassen. Die 
Vernachlässigung der Pause kommt nur in wenigen Stücken 
vor, bes. in den Ludi; so in einem Osterspiel 
Et dicant sur rexit a mortuis 
viri for tes vobis dabimus. 

Nach der gewöhnlichen, bes. von Gautier verfochtenen An- 
sicht, ist dieser Zehnsilber eine rytbmische Nachbildung der in 
späterer Zeit ziemlich beliebten daktylischen Reihe 'Quam cu- 
pere^m tarnen ante necäm'. Mir scheint diese' Ableitung durch- 
aus unsicher; denn ausser der Silbenzahl und dem Schlüsse 
haben die Zeilen nichts gleich; die Caesur nach der 4. Silbe 
ist in der daktylischen Reihe durchaus nicht gesetzmässig, und 
der anlautende Daktylus sollte rythmisch zu u — ^ oder — v <-» 
werden; im Zehnsilber ist aber — v^ — v/ der regelmässige An- 
fang, « — . w — die Ausnahme. Vielleicht ist die Zeile 4 — w -f- 
6u — eine freie Erfindung, nachgebildet den alten Zeilen zu 
4 — w -f- 7 « — und 5 — ^ -|- 6 « — 

Nur aus Zehnsilbern besteht Äbaelard's Hymn. 29 — 32, 
22 Str. zu 4, gereimt zu 2, mit 2 h und 1 Mal Virginum 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lab. Bythmen. 159 

glöria' ; 4 v, _ ist nicht selten ; in 29 '0 vere beata pauper 
puerpera' tilge vere. Du Menl 1843 p. 294 90 Z. in Str. 
zu 4, ger. zu 2, ohne h, mit 2 rein daktyl. Wortschlüssen 
und oft 4 w — ; das Gedicht bezieht sich auf ein Ereigniss von 
1087; da aber die Reime fast alle rein sind, ist seine so frühe 
Entstehung unsicher. Die Klage des Oedipus (Zeitschr. f. d. 
Alterth. XIX p. 90) 21 Str. zu 4 ger., wird von Joh. Anglicus 
p. 71 Modus rithmi autenticus ab antiquo tempore genannt, 
ist aber gewiss nicht alt, da sie reine zwei-, oft auch dreisilbige 
Reime hat (oben S. 139); der Bau ist nicht rein: 4 « — 13 
Mal ; 24 Tw in 6 ^ _ , darunter 3 mit daktyl. Wortschluss ; 
h 7. Arcliipoeta No. I: 45 Str. ger. zu 4, ohne h; 22 Mal 
4 w — ; in den Z. zu 6 « — 83 Tw, darunter 14 mit rein 
daktyl. Wortschluss. l ) Eine Reimstrophe von Zehnsilbern zu 
abab, baab hat Flacius No. 17; noch künstlichere (von 
Philippe de Greve?) P. Meyer im Archiv, d. Missions II, 3 
p. 283. 

Häufiger treten die Zehnsilber mit andern Zeilenarten zu 
Strophen zusammen. Äbaelard's Hymn. 1 — 9, 45 — 47 u. 51 
bestehen aus 74 Strophen von 8 «-a-|- 8« — a-|- 10 u — b 
-f- 10 « — b; in den 148 Zehnsilbern findet sich oft 4« — , 
kein daktyl. Wortschluss und 1 Mal sta t ; einige Z. zu 10 w_ 
auch in Hymn. 52 u. 53. Verschiedene Verbindungen bietet 
Adam: Strophen zu 4, ger. zu a a b b oder a a a a oder abab 
II p. 274. 220. 293; Strophen aus 2 Theilen zu je 3 mit 
dem Reim aaa + ^ — w b I> 68 und II, 312 oder zu je 4 
mit dem Reim aaaa -f ^ — w *> I? 271; Strophen aus 2 
Theilen zu je 2 Z. a a + 7 «_ b I, 265 u. II, 101 (106); 
II, 99 stehen 3 Z. zu ulo -f- 5 Z. zu ia. Statt 4 — v, steht 
bei Adam niemals 4 w — ausser in I, 70 In te*rra päx | et iu- 
bilätio; allein dies ist ein Citat; die Z, zu 6 «_ haben nie 
rein daktylischen Wortschluss. Wenn demnach in I, 181 auch 
die Strophen form, 2 Mal (3 Z. -f- 4 — v,), keinen Anstoss er- 
regt, so macht das Faktum, dass 8 Mal 4 ^ -— und 2 Mal 
daktyl. Wortschluss (vgl. 6 _ ^ in Str. 5) sich findet, es mir 
sehr zweifelhaft, ob diese Sequenz von Adam ist. Auch bei 
Bernhard (Migne 184 p. 1323) werden 30 Str. zu 4 Z., ge- 



1) Verbessere aus der Hschr.: 14, 3 Redditurus; 21, 4 darapnatus; 
26, 3 lucemae; 29, 3 omne (ornnem?) maleficura; 30, 3 Quae; 31, 1 In- 
sistite ; 36, 1 vobis ; 39, 2 hoc mihi. 



Digitized by 



Google 



160 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

reimt a a a a , durch 4 — ^ geschlossen ; darin nur 2 Mal 4 •> — 
und 2 daktyl. Wortschlüsse; in Flacius 74 reimt, was ich 
sonst nicht fand, auch die Basis der Zeile : 4 a -|- 6 b, 4 a + 
6b, 4c; 4d -\- 6b,^4d -{- 6b, 4c. In Bur. 80 p. 167, 

5 Str. zu 4 ; obwohl die 4 Z. gleichen Reim haben, steht nicht 
minder nach dem 1. als dem 2. Paare ein Refrain; in No. 82 
steht am Ende jeder Strophe von 4 Z. mit gleichem Reim ein 
reimloser Schluss von — ^ : exul etc. Die 8. Strophe (Philipp 
de Greve?) bei P. Meyer Arch. d. Miss. II, 3, p. 281 besteht 
aus 2 Theilen zu je 2 Z. zu 10 ^ — und 1 Z. 8 — ^ mit Reim 
a a b. Interessant ist die Mischung dieser Zehnsilber und der 
troch. Fun falber in der wachsenden Strophe Bur. 24 p. 27 
Quod spiritu | David praecinuit | Nunc exposuit u. s. w. 

Trocliaeisclie Sechssilber (6 — ^). 

Diese Zeile ist, mit sich selbst verbunden, in der geistlichen 
Poesie weniger selten als in der weltlichen. Ueber Taktwechsel 
und rein daktylischen Wortschluss in derselben siehe S. 120 
u. 123. Abaclard hat (Hymn. 60. 61.) 15 Str. zu 4, gereimt 
zu 2, ohne h mit nur 3 Tw. Die 6 Strophen von Bur. 86 
p. 49 beginnen mit 2 Mal (6 — ^ a -\- 6 — ^ b); dagegen 
finden sich in Mones Hymnen viele Strophen von 2 Mal (6 _ ^ . 
a + b) in 789. 1051, von 6 — - aabb in 790. 813, 29 
Strophen zu 6 — « aaa -)- 5 ^ — b, 6 — ^ c c c -|- 5 ^ — b, 

6 — ^ ddd -{" & " — b m No. 498, also Erweiterung von 6 — ^ 
-[- 5 w — . 

Den ersten Theil bildet 6 — w in verschiedenen Zeilen- 
verbindungen, so in Bur. 140 p. 211 8 Str. zu 6 — ^ a -|* 
4 -_ b, 6— - + 4 -_b, und in 100 p. 178 (6_- a + 
4-_b)X 2 + 6--c + 4w_d + 6_.ee + 4 ~_ d. 
Dann in 6 — ^ x -j- 5 .— ., von welcher Zeile Mone No. 209 

7 Strophen zu 4, gereimt zu 2 bietet; Bur. 107 p. 184 be- 
steht aus 3 Str. zu 6 — ^ -|- 5 ^ — a, 6 — « -|- 5. — a, 
7 . — b, -\- 6 — « -|- 5 « — b. Vier Langzeilen zu 6 — . -f- 
7 . — a stehen in Mone 372 Str. 7, je 2 solche finden sich 
im Anfange der 5 Strophen von Bur. 23 p. 25. Die Verbin- 
dung 6 — «a -|- 7 — ^a + ? — ^ a -\- 6« — b findet sich 
in den 7 Str. von Omer 26. 

Den SchlCTss der Zeilen Verbindungen bildet 6 — . in den 
4 Z. zu 4 — . +6 — . in Abaelards Planctus V und in den 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 161 

Verbindungen 5 ^ __ -[*- 6 — ^ , 5 — ^ -|- 6 — ^ , 6 « — -f- 
6_w, 7 w_ + 6 (!), 8u_ + 6 — w und 8_w -f 

6 — «. Die 5 Str. von Bur. 124 p. 198 bestehen aus 5 ^ — a 
-f 6-wb, 5 o — a + 6 — - b, 6 — - + 6 — ~ b, 4 — w -f 

6-.b. 

Trochaeische Siebensilber (7 w — ). 

Wir fanden schon in der vorigen Periode den zweiten Theil 
des troch. Ftinfzehnsilbers, die Zeile zu 7 « _, von demselben 
abgetrennt und als selbständige Zeile theils mit sich selbst, 
theils mit anderen Kurzzeilen zu Verbindungen zusammenge- 
stellt, welche die quantitirenden Dichter nicht gekannt hatten. 
Dieselben sind in dieser zweiten Periode weit zahlreicher und 
wichtiger. Ueber den Taktwechsel in dieser Zeile siehe oben 
S. 120, über den hiebei möglichen rein daktylischen Wort- 
schluss S. 123. 

Zunächst geht die Zeile oft mit sich selbst Verbindungen 
ein: 7 «__ -f 7 « — 

7« — x-f7 o — a, mit Reim nur in jeder zweiten Kurz- 
zeile. Äbaelard hat (in Hymn. 58 u. 59) 44 solche . Lang- 
zeilen, gereimt zu 2, während in den dazu gelhörigen Hymn. 56 
u. 57 die ersten Kürzzeilen unter sich reimen zu 7 w_a -f- 

7 v — b. Der Kern des (sonst mit vielen fremden Lappen auf- 
geputzten) Weihnachtspiels der Carmina Burana 202 p. 80 — 89 
ist in dieser Zeilenart geschrieben : 43 Strophen zu je 4 Lang- 
zeilen, gereimt zu 4; auch in Bur. 28 p. 33 finden sich 4, 
dann 3, dann 4 solche Langzeilen mit gleichem Reim. Häufig 
in den Ludi des Hilarius, Du Möril Origines p. 226. 229. 231. 
245. 2M. Walther von Chat, hat in I u. II unter die Strophen 
von 7v — + 6 — va an beliebigen Stellen Strophen (im 
Ganzen 9) eingeschoben , die aus 3 Z. zu 7 ^ — -f- 7 ^ — a 
und einem bald vollständigen, bald unvollständigen, aber mit 
jenen 3 Zeilen reimenden Hexameter bestehen. No. IX dagegen 
besteht aus 131 Z. zu 7 w_ -|- 7 v_a in Reimgruppen von 
4, 5, 6 oder 8 Zeilen, mit 5 h, vielen Tw und daktyl. Wort- 
schluss in 50. 52. 103. 106; dazwischen stehen einmal 19, 
dann 12 Hexameter mit und ohne Reim. 

Die Verbindung zweier unter sich reimenden Zeilen zu 
1 \j — , also 1 \j— a + 7c — a, ist nicht selten. Äbaelard 
hat Planctus V 16 Z. und PL VI 56 Z., die meistens zu 2, 
oft auch zu 4 gereimt sind. Das Gedicht auf ein Ereigniss 

[1882. I. Philos.-philol. bist. Cl. 1.] 11 



Digitized by 



Google 



162 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882. 

von 1128 bei Du Möril 1847 p. 260 mit vielen unreinen 
oder unvollständigen Reimen besteht aus 156 Z. in Str. zu 4, 
gereimt zu 2 oder 4; darin die Z. : 'Cleri defensor pius' un£ 
4 Nee audebat quis tuam (quispiam?)\ In derselben Z. ist 
gedichtet das von Waitz veröffentlichte Liebesconcil (Zeitschr. 
f. d. Alt. 7, 1849, p. 160), 238 Langzeilen mit meistens 
reinen Reimen; vgl. noch Du M^ril Orig. p. 167 (Tres magi, 
Orleans). Doch scheint diese Zeilenart wegen der zu rasch 
sich folgenden gleichen Reime als eintönig nicht viel Anklang 
gefunden zu haben. 

Die Verbindung von 7 v — a -}- 7 i — b, 7 v — a -|- 
7 v~b, also mit gekreuztem Reime, gefiel weit mehr. Schon 
Abaelard hat Hymn. 56 u. 57 11 Strophen zu je 2 Langzeilen 
der Art; dann 4 Str. in Planctus II. Bur. 164 p. 227 be- 
steht aus 5 Str. von je 3, und 87 p. 50 (von a. 1208) aus 
1 Str. von 4 solchen Zeilen. Der Archipoäa No. VII hat 11 
Strophen von je 3 Zeilen zu 7 v — a -|- 7w_b, ohne h und 
in den 16 Z. zu 7 w — mit Tw keinen daktyl. Wortschluss; 
(verbessere aus der Hschr. : 3, 3 crederis ; 6, 2 David mansu- 
ötior ; 6, 3 fehlt 'Et'). 

Lehrreich ist es zu sehen, wie Adam die Siebensilber mit 
einander verbunden hat. II, 80 folgen sich a a, b b, cc, b b. 
Von den Zeilen a + b stehen 2 Paare I, 214; II, 191 ; 
4 Paare II, 252; drei Z. II, 323; 4 Z. I, 18 und 8 Z. mit 
den gleichen Reimen I, 133. Viel häufiger hat Adam die Zeile 
7u — a -f" 7^ — b durch Vervielfältigung der ersten Kurzzeile 
zur Reimstrophe erweitert. Die, wie die Stabatstrophe, gebil- 
dete Strophe 7 a a b c c b findet sich einzeln in vielen Gedichten, 
ja I, 74 und I, 323 bestehen gänzlich aus je 9 solchen Strophen. 
Die aus drei solchen Gliedern bestehende Strophe ist, wie bei 
den Zeilen 8 — ^ -|- 7 v— , so auch hier selten; I, 54 ist 
eine, II, 176 2 Strophen zu aabccbddb. Dagegen ist 
aaab cccb häufiger (I, 54. 306. II, 82. 240. 285. 293. 456?); 
sogar aaaabccccb ist nicht selten I, 229. II, 20. 116. 204. 
In I, 82 wechselt die Reimstellung: 4 Str. haben aaabccb, 
je 1 hat ababccb und aaaabbb. 

«So werden wir uns nicht wundern, aus den Zeilen zu 
7 ^ — auch sonst verschiedenartige Reimstrophen gebildet zu 
sehen. 5 Reihen von 7u-aaa hat Bur. 202, 43 p. 91, 12 
Mone 377. 16 Strophen von 7aaaa hat Abaelard in Hymn. 
78 — 81 ; 2 Reihen von je 6 Z. mit gleichem Reim in Planet. IV. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 163 

Je 1 Strophe zu aab ccb in Planet. IV u. VI; dieselbe Str. 
hat Hilarius bei Du Menl Orig. p. 227. 228. 274. In Placius 
71 folgen sich 29 Z. auf io. Der Leich im Brit. Mus. Eger- 
ton 274 (Philippe de Gr&ve? bei P. Meyer Archives des miss. 
II, 3, 280) beginnt mit 7w — abcabc; ebenda folgt die 
Strophe aab ccb. 6 solche bilden Bur. 88 p. 171; aus der- 
selben bestehen auch die 30 Z. des Hymnus *Veni Sancte 
Spiritus' Mone 186, nur dass hier alle dritten Zeilen auf ium 
reimen. Bur. 129 p. 203 besteht aus 6 Strophen zu 7 w — 
a aab ab, Omer 23 aus 7 Str. zu aababa, Omer 17 aus 
7 Str. zu aabaaba, 18 aus 4 Str. zu abababec, Flacius 
95 aus 3 Str. zu ababaaab, Flac. 67 aus 7v — ababab, 
dann 7 w — a -f 4 ^ — b und wieder 7 v—abab, Flac. 47 
endlich aus 7 w — ab ab a b ab c edd. 

Von den Zeilen Verbindungen , in welchen 7 ^ — einer 
anderen Zeile vorangeht, ist die ungleichste 7 <*• — -(- 4 ^ — . 
Sie ist, wie ich glaube, aus der Nachahmung der im Gesänge 
häufigen Wiederholung der letzten 4 Silben entstanden; des- 
halb ist der gleiche Reim in 7 v __ a und 4 v _ a nicht selten. 
In Bur. 45 p. 135 u. 275 findet sich diese Zeile öfter; der 
Refrain von 59 p. 1 50 besteht aus 3 Z. zu 7 v — a -f- 4w — a; 
38 p. 126 Str. 7 = 8 besteht aus 7w-a + 4w-a, 7v-b 
-f4u-b; 4 v-c + 7 w-c, 7 w-d + 4 u-d + 8-v c; 
vgl. die Zeilen in Bur. 130 p. 203, und mehr in Bar. 159 
p. 224; dann die Sequenz des Petrus Bles. (Migne 207 p. 1129) 
Str. 5 u. 6 und den dort folgenden Leich Str. 3. 12. 13. 

Nicht so häufig ist die Zeile ohne Reim in 7 ^ — Abae- 
lard hat in Hymn. 82 und 83 die 3. und 4. Zeile von 5 Str. 
gebildet aus 7 w — x + 4 w — a; nur in 1 Strophe reimt 7 w — 
mit 7 «._. Aehnlich hat Adam I, 305 Str. 5: 7.--)- 
4v-a, 7w_ -|" 4u_a, 4" 4 — üb; 7 ^_ c + 4^ — d, 
1 v — . c -f- 4^ — d, -|" ^ — u b- Pie 5 Strophen von Bur. 
139 p. 210 beginnen mit 4 Z. zu 7 u-x -(- 4 ^ — a, und 
der Refrain von 57 p. 149 besteht aus 7w — + ^° — a » 
7 u_ -|- 4u_a, 7u~b 4- 7u_b, Flacius 70 besteht 
nur aus 4 solchen Zeilen. 

Oefter wurde die Zeile 7u_a 4" 4 v_b angewendet. 
Mone 324 besteht aus 7 Strophen von 4 Z. zu 7v — a 4" 
4v-b und dazu 7 v — a. Die 8 Strophen von Bur. 56 p. 148 
(besser im Codex Christin, und bei Wright Myst. p. 114) be- 
ginnen mit 7 y-a-[- 4 ^ — b, 7v — a-(- 4 v-b-f 7 v — b. 

11* 



Digitized by 



Google 



164 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882. 

Die 5 Str. von Omer 8 beginnen mit je 2 Z. der Art. Flacius 
65 besteht aus 5 Z. zu 7^_a 4" 4u_b, dazu 7 w — a + 
7 v — a und einem mir unklaren Schlüsse. Das lateinisch- 
provenzalische Lied Bur. 81, str. 3 cui tant a ben beginnend, 
dessen Anfang, wie ich bei anderer Gelegenheit nachweisen 
werde, No. 169 p. 231 bildet, hat die hübsche Strophenform 
7w_ a-f 7w_a + 7^_ a + 4 -_b + 7 w_a -f- 
4 w_b. In Bur. 38 p. 125 Str. 1 u. 2 ist unter die Z. zu 
7 w — ein einzelner Viersilber gemischt. 

Von der Verbindung 7« — a -j- 4 — «b finden sich bei 
Abaelard in PI. V 4 Paare, 2 Paare in Mone 372. 5 Paare 
7« — x 4" 4 — ^aa hat Hilarius bei Du Me*ril Orig. p. 246. 
Häufiger sind die Erweiterungen ; so in Abaelards PI. VI 4 Str. 
zu 7 w-aab + 4— «c + 7«-b + 4 — « c ; in Bern- 
hards Sequenz Laetabundus folgen auf 4 Absätze zu 7 w — x 
4. 7 w__x + 4 — v b, 2 zu 7 o_a -(- 7 - — a -f 7 - — a 
-j- 4 — w b. Bei Adam finden sich 9 Strophen zu 7 ^ — a 4~ 
a + 4-w b, 7 «_c + c + 4-w b in I, 74; 1 Strophe 
II, 100; von 7 ^ — aaa -\- 4-«b, 7 «_ccc -f" 4 — «b 
finden sich 5 Strophen in II, 481 (?), je 1 in I, 252 u. 342. 
Eine Variation bietet Bur. 15 p. 12 Str. 1 zu 7« — ab 4* 

4 — v c + 7v — ab 4" 4= — «c 4" 7 ^ — ddee 4* 4 — «c. 

Aus der Verbindung von 7« — -[* ^ w - a (einige Male 
mit Reim der Z. zu 7 « — ) bestehen die beiden ersten Zeilen 
der 9 Strophen in Abaelard' s Hymnus 82 — 85; in Planctus III 
finden sich 2 Mal je 3 Reihen zu 7 w — a 4~ 5 « — b. Eine 
Variation bilden die Strophen von Hymn. 41 — 44 zu 7 a 4" D 
4- a 4" 5^_c 4" ?v — a + ^ w — c > un ^ die 6 Strophen 
von Mone 1160 (Guido von Basoches) zu 7 x -(- a, 7 x + a, 
7 x -)- 5 « - a. Eine noch stärkere Variation bilden die (ent- 
stellten) 5 Strophen von Flacius 81 u. 82 , welche Gedichte 
zusammen gehören, da die Strophe gleich ist und 'Si deus est 
animus' den Anfang von 81 u. Schluss von 82 bildet; das 
Maass ist: 7 ^ — a 4* *> > a -[- b, 7o__c4"^° — c + 

5 w._d 4- 5 - — d 4- 5 w_ d, 4- 7 v — e + f, e + f. 

14 Zeilen zu 7 v_ x 4" 5_u, alle einsilbig auf a 
reimend, hat Du Menl Origines p. 124, und 6 auf orum der- 
selbe p. 115. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 165 

Die Vagantenzelle (7 v \- 6 — w ). 

Keine Zeile ist in der rythmischen Poesie häufiger ange- 
wendet worden, als die wohlklingende Verbindung des troch. 
Siebensilbers mit dem troch. Sechssilber. 

Wenn die 12 Strophen zu 4 Z. bei Petrus Damiani (f 1072 ; 
Migne 145 p. 939) wirklich von ihm wären, so wären sie das 
Slteste Beispiel; allein dagegen spricht entschieden der volle 
zweisilbige Reim, der die 4. Z. jeder Strophe bindet und der 
in den andern Gedichten des Petrus Damiani ebenso wenig sich 
findet als bei den übrigen Dichtern dieser Jahre. So sind einst- 
weilen die 4 Z. zu 7 ^ — a -f- 6 — ^ b bei Abaelard (Planet. II) 
das älteste Beispiel. Jobannes Anglicus (bei Zarncke p. 69) 
bemerkte 'Rithmus qui constat ex XIII sillabis aliquando con- 
gonantiam habet duplicem (7 ^ — a + 6 — « b), aliquando uni- 
cam (7w — x-f- 6 — wb). Von diesen Arten ist die letztere 
weitaus häufiger. 

Adam hat nur 4 Z. zu 7x + 6b in I, 267 nebst eini- 
gen Erweiterungen^ Weit verbreitet ist dagegen diese Zeile 
in der weltlichen Dichtung, und zu diesem Ansehen hat ihr 
vielleicht der Archipoeta verholfen. Schon oben (S. 120) habe 
ich bemerkt, dass er in der Z. 6 — ^ keinen Taktwechsel sieb 
gestattet. Er bindet stets 4 Z. durch gleichen Reim. No. IV 
besteht aus 128 Z. ohne h und mit 21 Tw in 7 w_. (20, 1 
hat auch die Hschr. miseria; vgl. Bur. 194, 1 p. 74.) No. II, 
100 Z. ohne h mit 26 Tw in 7 ^ — ; in 19, 1 ist Sancto cum 
Martino' zu stellen (verbessere aus der Hschr. 2, 2 meis; 9, 3 
ist viell. uideor in vereor zu ändern; 10, 2 habens (os?) de- 
corum; 11, 2 nee; 11, 4 pro tuis ; 15, 2 uix; 25, 2 regit, 
nicht reget). No. IX (codex Stabul.) 132 Z. ohne h mit 15 Tw 
in 7 v — (16, 2 ist 'potenter agens dicat opus deo gratum' 
wohl in 'potenter aggreditur' zu bessern). No. X 'Aestuans 
intrinsecus' 120 Z. ohne h mit 13 Tw in 7 v, — Ohne Tw 
in 6 — v ist z. B. auch Bur. 19 p. 19 'Utar .contra vitia' ; 
denn 9, 3 'Si veüt causari* u. 11, 4 'ut bursa det granum' 
(Hschr. 'Et inbursant granum') beruhen auf Conjektur, ebenso 
die 3 h in 4, 1. 12, 3. 4. Roher ist der Versbau bei Walther 
von Chat, in Strophen zu 4 mit gleichem Reim der 4 Zeilen, mit 
Tw in 7 « — und in 6 — * und anderen Unreinheiten, von 
denen manche allerdings durch eine vernünftige Kritik und 
Handschriftenbenützung werden beseitigt werden, No. III 80 Z. 



Digitized by 



Google 



166 Sitzung der phUos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1883. 

mit etwa 3 h und vielen Tw. No. V 84 Z.; die beiden letzten 
Zeilen sind des Citats wegen schlecht gebaut. Z. 17 — 19 wird 
durch 2 Distichen gebildet. No. VII 120 Z., ohne h mit vielen 
Tw, mit daktyl. Wortschluss in 40 u. 63. In den übrigen 
Gedichten sind vierzeilige Strophen verwendet, deren drei erste 
Zeilen aus 7 « — -f- 6 — « bestehen, deren 4. Z. jedoch durch 
einen vollständigen oder verstümmelten Hexameter mit dem 
gleichen Endreim gebildet wird; es ist diess fast immer eine 
sogenannte auctoritas, ein Citat aas einem bekannten Schrift- 
steller. *) No. VI besteht aus 17 solchen Strophen mit 2 h (?) 
und daktyl. Wortschluss in 43 u. 67. No. I 22 Strophen 
zu 7 v _ -)- 6 — ^ a, unter welche 5 Str. zu 7 ^ — -[- 7 « — a 
gemischt sind, ohne h, mit etwa 27 Tw in den 96 Z. zu 7 « — 
und 6 Tw in den 66 Z. zu 6 — o. No. II 16 Str. za7^ 
+ 6— v a u. 5 Str. zu 7w- 4- 7«_a; mit h in Z. 78 
und etwa 20 Tw in den 78 Z. zu 7 ^ — und wenigen in 

6 — « . Dieser Sorte von Strophe sind verwandt jene rohen 
Vagantenzeilen in Bur. 156 p. 221 Str. 7 — 11, wo auf 2 Zeilen 
zu 7(8) - _ a + 6(7)_ - b folgt 7(8) w_c + 6(7)— - b 
mit einem Hexameter, dessen Caesur auf c und Ende auf b 
reimt, der also 7 ^ — c -f" 6 — «b vertritt. 

In den folgenden drei Gedichten ist, wie oben S. 122 be- 
merkt, bei Taktwechsel der Anfang der Zeile fast stets durch 
ein 1- und ein 2-silbiges Wort gebildet. Ganymed und Helena 
(Zeitschr. f. d. Alt. 18 p. 127), 67 Strophen zu 4 Zeilen, ge- 
reimt zu 4 mit etwa 8 h, 1 (h) und mit 10 Tw in 7 ^ — 
(darunter nur 9, 3 = 10, 3 natüram) und 4 Tw in 6 — w. 
Jupiter und Danae (ebenda p. 457), 108 Z. ohne h und mit 
1 5 Tw in 7 w_ und 8 in 6 — ^ , stets aus v, , — « , gebildet 
(4, 2 Quam e*rat coäctus üt | räperöt Diönae?; 21, 3 iram statt 
viam). Phyllis und Flora Bur. 65 p. 155, 316 Z. mit 2 h 
(11, 4. 40, 8) und 4 (h) und mit 33 Tw in 7 «_ und 30 
in 6 — « , doch unter jenen nur 3, unter diesen nur 2 Tw mit 
« — « , alle andern mit « , — 

Der Scheirer Rythmus (Zeitschr. 23 p. 176), 232 Z. ohne 
h und mit (h) nur in 12, 4. 24, 3. 31, 4. 37, 3; Tw viele in 

7 w — wie in 6 — «. (8, 1 Index inquit bone, fac, ne?; 11, 1 



1) Diese Neigung hat Walther wohl auch veranlasst, die 3. u. 6. 
Zeile der Stabatstrophe VIII, 63 und 66 zu bilden aus 

Si manus aere vacet Pauper ubique iacet. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lab. Rythmen. 167 

Hoc ignosci poterat?; 11, 4 Quod lascivo rapuit morsu, non 
avaro Hschr. richtig; 12, 1 sub tot aestibus? 28, 2 Et regni 
divitias?; thesauri et splend. Hschr.; 48, 1 tot ac unum esse?). 
Das grösste, in dieser Zeilenart geschriebene Gedicht ist wohl 
der aus 224 Strophen = 896 Zeilen bestehende Rythmus des 
Haymarus de expugnata Accone; die Form ist nicht eben rein, 
er hat nicht viele h, aber viele Tw, vermeidet jedoch den 
daktyl. Wortschluss (denn in 123, 398 und 536 ist gale*a zu 
betonen, so 'ne'c galöae nöstrae sunt | £is ädversätae; 364 morti 
dant feruentes?, 370 nostri est peccati? 479 pavimenta domuum?, 
domini H) ; er reimt nicht nur prophanos: libera nos, sondern 
auch discessit: unde sit. Welcher Unterschied ist zwischen 
feinem und rohem Zeilenbau, kann man in den zwei Rythmen 
sehen, die unter Gotfrid's von Viterbo Namen gedruckt sind. 
Der eine aus dem Pantheon XXIII (Mon. Germ. Script. XXII 
p. 305) hat in 35 Str. zu 4, gereimt zu 4, nur 4 h vor est, 
1 vor in und 1 (h), dann 6 Tw in 7«_ und 5 Tw in 6 — * , 
doch stets mit ^ , __ ^ , also *ut sänet egrötum'. (Zu bessern 
sind wohl die Z. zu 7 ^ — Non in lumbis Habrae: Abrahae? 
vgl. Hebr. 7, 9; pugna innarrabilis : mirabilis cod. B 2; qui 
semel introivit : introiit ; dann 6 — w debuit iudici : indici ? 
Falsch sind die Zeilen Nos vincimus diabolnm per sancte crucis 
Signum: Vinc. diab. nos per crucis Signum?; Hanc Christus 
ecclesiam ab inferis erexit; ab?). Dagegen die 48 Strophen 
'Gesta Heinrici VI auctore ut videtur Gotifredo' ebenda S. 334 
haben zwar im Ganzen wenig h und in den Z. zu 6 — ^ nur 
10Tw( w ,- w und v,__w), allein in den 192 Z. steht statt 
7 «__: 23 Mal 7_o, 14 Mal 6-.- und 3 Mal 8 w __ ; in 
den übrigen 148 Z. zu 7 «— sind allerdings sehr wenig Tw. 

Ziemlich selten ist die Verbindung 7 ^ _ a + 6 — ^ b. 
Abaelard Planctus II hat 4 Z. der Art. 

Variirt findet sich die Zeile in mannigfacher Art , am 
häufigsten so, dass die Zeile zu 7 ^ — oder die zu 6 — - ^ wieder- 
holt wird. Adam I, 267 Str. 8: 7 -_x 4- 6 — ^ a, 7-— x 
+ 6 — v, a, 7v»b + 7w_b + 6-wc; 7 «_ x + 6—- d, 

7 w_ x + 6 d, 7 w_ e + 7 ^ — e + 6 — w c; hierauf 

Str. 9: 7v/ — aab •+- 6 — uccd, 7 u — eeb -f- 6 — uiid. 
II, 247 die harmonische Strophe 7 u — aa -f- 6 — vb, 7 <-» — cc 
~\- 6 — v b, eine Strophenform, die in der geistlichen Dichtung 
nicht selten ist. Dieselbe wurde durch Vermehrung der Zeilen 
zu 7 v — erweitert, so finden sich bei Daniel Thes. 5, 67 zu- 



Digitized by 



Google 



168 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

erst 2 Str. zu 7aa 6b -f- 7cc 6b, dann je eine Strophe zu 
7aaa 6b -f- 7ccc 6b und 7aaaa 6b 4- 7cccc 6b. 
Bur. 47 p. 136 besteht aus 5 hübschen Strophen von 2 Z. zu 
7u-a -(" 6 — w b» denen die Erweiterung 7cc 6d -f- 7ee 

6 d folgt; das Gedicht ist frei von h und Tw. Bur. 101 p. 179 
besteht aus 4 Str. zu 7 v_ a -f- 6— v b, 7w — a + 6 — wD > 
7w-c -f- 6-ub, 7u-c + 7 — vb, wobei die Reime 
von 7u- öfter nur einsilbige sind. Bur. 137 p. 209 besteht 
aus 5 Str. zu 7u..a^- 7 */ — a -f 6-ub, 7 w_ (a) + 
6 — wb mit einigen unreinen Reimen. Bur. 10 p. 8 besteht 
aus 4 Str. zu 7u — a -f" 7 w — a (= 3 v — a -f- 4 w — a) -f* 
7u- a + 6 _^ b + 7 o— c ( = B v ~ c -f- 4u- c) + 
6 —ob. 

Die Zeilen Verbindung 7u — x -f* 7 — va bildet bei Du 
Möril 1847 p. 125 ein Gedicht von 6 Strophen zu je 3 Z„, 
ohne h; es sind in den 19 Z. zu 7w- nur 2 Tw, in den 
19 Z. zu 7-u 6 Tw. 14 Z. ohne Tw in 7 — w und nur 
2 Tw in 7 ^— bei Hilarius, Du Märil Origines p. 241. Eine 

Str. von 4 X ( 7 ^— x + 7 — ^ a ) in Bur - 202 > 37 P- 90 5 
vielleicht je 2 solche Zeilen in Bur. 31 p. 115 Str. 3. 4. 5. 
Strophen von 2 Zeilen zu 7 v. — a -|* 7— vb finden sich 2 
in Bur. 46 p. 136 Str. 3. 4; 20 Str. bei Conrad von Gaming 
(Mone 233) ohne Tw in 7 w— wie in 7 — w, niir 1 Mal 'Cor 
ine'um complectere'. Zur Strophe ist diese Verbindung auf. die 
gewöhnliche Weise erweitert bei Abaelard Planctus II in dem 
zweimaligen 7w — a + 7 * — a + 7 — wD > 7 v — c ~f" 7 v _ c 
-(- 7 — w b, und bei Hilarius, Du Me'ril Origines p. 231. In 
Bur. 134 p. 207 Str. 2 u. 3 folgt auf 2 Z. zu 7 ^— a + 

7 — * b die Erweiterung 7 w— . c + 7w-e -f- 7 — v b. In 
den beiden Strophen 7 = 8 von Bur. 39 p. 128 folgen auf 3 
Zeilen zu 7 _ v, a 4 Langzeilen zu 7 v — x -j~ 7~wb. 

Die Verbindung 7 v — a + 8 v — D findet sich 2 Mal in 
Bur. 35 p. 119 Str. 11, und je 2 Mal am Schluss der 3 
Strophen von Bur. 170 p. 65. 2 Zeilen zu 7u-x-|- 8 — v, a 
in Bur. 202, 5 p. 81 (Ut haec [virga] floruit | omni carens 
nutrimento). 

Von den Verbindungen, in welchen die Zeile zu 7v — 
die 2 Stelle einnimmt (4 — w -j- 7v — , 6u — -f .7 w — , 
8ü- + 7 w _ , 8 — v -f- 7v — )» w ^ * cn die Verbindung 
zu 4 — « + 7 w — hier behandeln. Diese alte Zeile (siehe 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 169 

S. 90) hat am meisten Äbaelard verwendet. Hymn. 86 — 94 
bestehen aus 32 Strophen von je 4 Z. zu (4 _ ^ -[- 7 ^ _ 
a a b b) und 2 Z. zu (4 — w -|- 5w_cc). Während in den 
Zeilen 4 — ^ -)- 5 « — Dicht selten 4 « — steht, findet es sich 
in den Zeilen zu 4 — « -}- 7 « — nicht (hymn. 90 ändere 
Qui si palma | non pollemus 'nostrum' in martyrum). In 
Hymn. 80 und 81 hat Äbaelard 4 Strophen zu je 4 Z. aaaa; 
diese Zeilen zu 4 — « -(-7« — a sind parallel den Zeilen zu 
4 — oa + 4— v, a + 3w-b in Hymn. 78 u. 79. Die 3. 
und 4. Zeile der 4 Strophen von Hymn. 84 und 85 'ist aus 
4 — w-}-7o__a gebildet und parallel zu 7u-(a)-f 4w_b 
in Hymn. 82 u. 83 ; auch hier steht niemals 4 « — statt 4 — 
Hilarius bei Du Meril, Orig. p. 244 — 246, hat 2 Strophen zu 
(4 — u -f- 7 v — ) aaaa und 2 Strophen zu a a a , stets mit 4 — v> . 
Bei Adam sind die Zeilen zu 4 — ^ -f- 7 « — in I, 140 un- 
sicher, sicher die je 2 Zeilen II, 239 und IL 383. Zur Strophe 
verwendet ist die Zeile bei Daniel Thes. 5, 231 (4 — « -{- 
7 w_a) X 2 + 7 w — a, (4— - + 7 w_a) X 2 + 7 w_a, 
wo 1 Mal die Pause nach 4 vernachlässigt ist. Das Schema 
der 3 Strophen von Bur. 127 p. 201 ist: (4— ~ + 7w-a) 
X 2 + 7 w_b, (4_o + 7 o__ c ) X 2 + 7 ~_b, 11 — «d 
+ (4— w -|- 7«__x) + 6-wd; doch ist in 4 — « + 

7 w — einmal die Pause vernachlässigt, und statt 4 — « steht 
2 Mal — w v, — w . 

Jambische Siebensilber 7 — ^ . 

Ueber den Taktwechsel, der in dieser Zeile an 2 Stellen 
eintreten kann, und über hiebei vorkommenden rein daktyl. 
Wortschluss siehe oben S. 121 und 126. Die Zeile ist nicht 
häufig und findet sich meist nur in Verbindung mit andern. 

Äbaelard eröffnet den Planctus IV mit 6 Z. zu 7 — ^ mit 
gleichem Reim. Das längste Gedicht ist das auf die Erober- 
ung Jerusalems Du Meril 1847 p. 255, 35 Str. von 3 Z., ge- 
reimt zu 3, mit dem Refrain 'Jerusalem exulta' ; h 0, 51 Tw, 
darunter 8 rein daktyl. Wortschlüsse. Wegen der reinen Reime 
ist es mir fraglich, ob das Gedicht schon 1099 entstanden ist. 

Mit anderen Zeilen gemischt ist 7 — « in Bur. 126 p. 200, 
wo in den 5 Strophen auf 7 — « a a a folgt 8 « — b ~\- 1 — ^ a 
-J- 8w-b -f- 7-wa, mit 16 Tw in 7— v, , aber ohne 
daktyl. Wortschluss und ohne h im ganzen Gedicht; in den 

8 Strophen von Omer 32 folgen auf 7 — « a a a die jamb. 



Digitized by 



Google 



170 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

Zeilen 4«-b -f- 6 w — b+4o_-c+^°— c > + 6 « _ b 
(b im ganzen Gedicht — ula), mit 10 Tw in 7 — ^ , doch ohne 
h und ohne daktyl. Wortschluss im ganzen Gedicht. 

Ausserdem dass 7 — w gern zum Abschluss von Strophen 
oder Strophentiieilen benützt wird, findet sich eine grössere 
Anzahl solcher Zeilen unter andere gemischt in dem rohen 
Gedicht Bur. 35 p. 119 Str. 3 = 13; 1; 17 und sonst, und 
in den Knittelversen von 17 p. 14. 

Zeilen Verbindungen, in denen 7 — v, den Anfang bildet, 
sind selten. Adam I, 306 hat eine Strophe (7) zu 7 — v, x + 
4 « — a + 7 — ux-|-4w — a + 7— ^b, 7-wx-f-4w-c 
-f- 7— * x + 4 w_c + 7—v, b. Bur. 35 p. 120 Str. 11 
bietet 4 X (7 — ^ a + 6 ^ — b) z - B. 'Ex fraudibus altemis | 
et ignominia' und Bur. 122 p. 196 6 Mal dieselbe Langzeile; 
In beiden Fällen haben sowohl 7 — <-' als 6 ^ — reinen jam- 
bischen Tonfall ohne Tw. Eine Erweiterung dieser Zeile ist 
das Maass der 5 Strophen von Omer 13 zu 7 — v^a-f- 7 — ^ a 
-f 6^/- b + 6 ^— b + 7— v, a + 6u-b -f- 7— ^a 
(mit dem Refrain von 2 Mal : 4 ^ — c -f- 4^ — c + ? — ^ a ) 5 
in Str. 1 und der letzten Zeile von Str. 2 — 5 reimt 7—^ stets 
mit ura , während in Str. 2 — 5 die 3 ersten Zeilen zu 7 — ^ 
im Reime wechseln; h 0, in den 22 Z. zu 7 — v 1 Tw. 

Häufiger sind die Verbindungen, in welchen 7 — v sich an 
eine andere Zeile anschliesst. Ueber 4 — <-- -f- 7 — ^ , 6^ — 
-f- 7 — <-/ und 6 — ^ -f~ 7 — ^ wird am Schlüsse bei den 
Maassen des Ludus de Antichristo zu handeln sein. Häufiger 
ist 7 ^— -|~ 7 — <-> und vor Allem 8 ^ — + 7 — ^ ; sehr 
selten 4 — o -f- 4 — ^ -|- 7 — ^ . 

Jambische Achtsilber (8 ~ — ). 
Ueber den in dieser Zeile an 2 Stellen möglichen und 
äusserst häufigen Taktwechsel und über hiebei vorkommenden 
rein daktyl. Wortschluss siehe oben S. 121 und 127. Die Zeile 
kommt meist in Gruppen von 4 Zeilen vor, mit der Reimfolge 
aabb oder ab ab oder aaaa. Je 4 Zeilen mit dem Reim 
aabb finden sich zunächst im Prolog der a. 1118 abgeschlos- 
senen Polenchronik des sogenannten Martinus Gallus, 56 Z. 
ohne h, aber mit 9 daktyl. Wortschlüssen in den 31 Z. mit 
Tw. 22 Str. zu aabb hat Äbaelard Hymn. 37 — 40 ; in Hymn. 
1 — 9, 45 __ 47 u . 51 folgen auf 2 Z. zu 8._aa 2 Zehnsilber 
zu bb. In Hymn. 52 — 55 hat Äbaelard 25 Strophen mit ge- 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 171 

kreuzten Reimen a b a b ; in Planctus II u. VI im Ganzen 6 
Strophen zu aaaa. In diesen etwa 360 Zeilen fand ich nur 
einmal daktyl. Wortschluss. In der Mischung des Reimes geht 
Adam viel weiter als Abaelard; die vierzeilige Strophe hat 
meistens die Reimstellung ab ab, oft aber auch aa bb und 
aaaa (ab b a fand ich nicht) ; vgl. I, 63 10 Str. ; I, 281 13 Str. ; 
II, 8 14 Str. ; II, 13 13 Str.; II, 303 13 Str. ; if, 434 13 Str. 
(viel aaaa). II, 157 hat mit Ausnahme der Strophen 4, 3 und 
4. 5 (it). 7 (e. a.) 9 (a. at) in den 15 Str. nur einsilbigen 
Reim auf a; dieser Umstand und Verse 'melior est quam millia , , 
der falsche Reim Quae velle pötest mens pia', der Reim 'Quae 
praefulget Augustinus' unter lauter Reimen auf a machen die 
Autorschaft des Adam höchst zweifelhaft; auch II, 494 kann 
schon wegen der Reimstellung (nur aa bb) kaum von Adam 
sein. Bei andern Dichtern findet sich diese Mischung kaum ; 
bei Bernhard (Migne 184 p. 1317) 48 Str. zu 4, gereimt zu 4, 
mit 2 daktyl. Wortschlüssen; bei Hildebert (Migne 171 p. 1339) 
105 Str. zu 4, ger. zu 4 mit etwa 26 h, ohne 8 — « (denn 
in Vitam contempsi supernam ist superam zu bessern), und 
ohne daktyl. Wortschluss (denn in der Schilderung des Para- 
dieses ist 'Ager additur lucidus Jamque sub agro lucidus' in* 
aditur und Fonsque zu bessern). Da Möril 1847 p. 266 ff. 
hat drei Gedichte veröffentlicht, die sich auf dasselbe Ereigniss 
a. 1128 beziehen; sie bestehen aus Strophen zu 4 Z., gereimt 
zu 4; im 1) p. 266 zu 14 Str. finden sich 6 h, 8 Mal troch. 
Schluss wie patrem tuum jugulasti, 1 Mal tänti sceleris cönscii ; 
im 2) p. 268, 13 Str., 4 h, die Schlüsse sine fine u. corde 
pio und 4 daktyl. Wortschlüsse; im 3) p. 270, 36 Str., h 5, 
etwa 7 troch. Schlüsse und mindestens 17 rein daktyl. Wort- 
schlüsse, so dass hier von rythmischem Bau der Zeile keine 
Rede ist, sondern nur von gleicher Silbenzahl und meistens 
gleichem Zeilenschluss. In den 34 Strophen vom Jahr 1223 
(Du Menl 1847 p. 277) finden sich 14 Zeilen mit unreinem 
Schlüsse, aber nur der eine, unsichere daktyl. Wortschluss : 
Libera nunc de carcere. 

Von späteren kunstvolleren Dichtern werden aus den Zeilen 
zu 8u- mannigfache Reimstrophen gebildet. So besteht Bur. 5 
p. 4 aus 3 Str. zu abba, cddcc ohne h und ohne daktyl. 
Wortschluss. Bur. 165 p. 228 aus 4 Str. zu ababcxc ohne 
daktyl. Wortschluss. Mancherlei Reimstrophen finden sich in 
den von Flacius veröffentlichten späteren Gedichten, so No. 23 



Digitized by 



Google 



172 Sitzung der phüos.-phüol. Ciasse vom 7. Januar 1882. 

aabccb (3 Str.); 94 abab, baab; 113 abababab (3 Str.); 
30 (2 Str.) ababcc, abba, abb; No. 85 und 86, die zu- 
sammengehören, abab aabb, aab aabb; No. 87 aaabbb 
bbbccdddd; No, 69 mit Einschiebung von 4 « __ aaab + 
4 « b -|- bb + 4^ — b -f- bb; eine noch künstlichere Stel- 
lung in Bril^ Mus. Egerton 274 (Philippe de Greve?, bei 
P. Meyer in Archives d. miss. II, 3 p. 281) Str. 12—17 und 
bei Bernhard (Migne 184 p. 1315; oben S. 141). 

Von den Verbindungen, welche 8 « — mit andern Zeilen 
eingeht, ist die von 8 » — -+- 4 « — sehr häufig ; denn in den 
künstlicheren Gedichten wird 8« — oft zerlegt in 4 u _ + 4 u — 
z. B. Omer 13 Refr. '0 partium | disparium | mirabilis iunc- 
tura | Remedium | nascentium | de carne peritura' statt 8^ — 
-|- 7 — v, ; so findet sich die Verbindung von 4 ^ — und 8 ^ — , 
z. B. oft in der Sequenz und in dem Leich bei Petrus Bles. 
(Migne 207 p. 1127 u. 1129). Hilarius bei Du Menl Ori- 
gines p. 276 hat 2 Str. zu 8v — aaa -|- 4 — ^ b, 8v — ccc 
-J- 4 — w b. Du Meril Origines p. 110 (Resurrectio aus Orleans) 
hat 9 Str. zu 8u — aa -|- 5 — ob mit unreinem Reim. Die 
Verbindung von 8 « — und 6 — « ist selten; z. B. Bur. 146 
p. 216 ; vgl. Omer 19: 4w_a-}"^ w — a *4~ ^ v, — a -j- 
4« — a -J- 6 — v b -j~ ^ w — a 4" ö — «b. Die Verbindung 
8 ^ — a -f- 7« — a , die in der früheren Periode bei Petrus 
Damiani (Migne 145 No. 40. 121. 172) häufig ist, habe ich 
in dieser Periode nicht gefunden, wenn man nicht Adam II, 80 
Strophe 6 zu 2 Mal 4 v, — a + 4« — a -f- 7 w — b hierher 
rechnen will. 

Die wohlklingende Verbindung 8« — a -(- 7 — ^b hat 
immer mehr Beifall gefunden. Adam I, p. 48 hat 11 Strophen 
zu je 2 Zeilen ohne Reim in 8 u_; in den 22 Z. zu 8 ^ — 
sind nur 3 Tw, in den 22 Z. zu 7 — - nur 2 Tw. Bur. 202 
p. 94 No. 62 5 Str. zu je 2 Mal (8 ~_a + 7 —» b) ; in 
Bur. 36 p. 122 bestehen Str. 11 — 14, 25 — 27 und in 174 
p. 234 Str. 10. 11. 21. 22 aus je 2 Zeilen zu 8 o_a -f 
7 — ^ b mit manchen Tw, aber keinem daktyl. Wortschluss. 
Die Gedichte des Priors Conrad von Gaming, Mone 901 u. 957, 
bestehen ebenfalls aus (24 u. 18) Strophen zu je 2 Z. zu 
8^ — a -{- 7 — « mit sehr wenig Tw und keinem daktyl. 
Wortschlusse. Zwei solcher Langzeilen bilden den Anfang der 
3 Strophen von Bur. 68 p. 38. Hilarius hat bei Du Möril 
Origines p. 230 und p. 253 je 1 Str. zu (4 u — a -f- 4v — a 
-f- 7 — w) aabb. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 173 

Die Zeile ist variirt in Bur. 16 p. 13, wo 6 Strophen 
ohne h bestehen aus 3 Mal (8 ^__a + 7~«b) -f- 7 — « b 
-}- 8w_a + 7-ub, ohne daktyl. Schluss in den Z. zu 
8 v, — oder 7 — v, . Eine ähnliche Strophe findet sich 3 Mal 
in Flacius No. 18: 3 Mal (8 -_ a + 7-wb) -f 7 — - b 
-}- 8^ — c -|" 8 « — c + 7-vb; dieselbe Strophe steht in 
No. 19, so dass man 18 u. 19 verbinden möchte, wenn nicht 
am Schluss von 18 eine Strophe aus 7u- stünde. Flacius 89 
besteht aus 3 Strophen zu 2 Mal (8 v — a -f- 7 — v b) + 

3 Mal 6 w— c + 7— ~b; No. 105 aus 3 Str. zu 8u- ab 
ab -f 7— v, c , + 8 u— b + 7— w C ; No. 93 aus 8 ^ — 
ababcc + 7 — ^ d , + 8 «^ — - e e + 7 — ^d und nach 
dem Stücke von 2 Mal (8 — -•-' n -(- 7 v/— o) aus dem Schlüsse 
von 8u — hh + 7— vi, -p 8^-kk + 7 --vi. Diese 
Strophe zu 8 ^ — aa -f- 7 — ^ b , -f- 8v-cc + 7 — ^b 
findet sich 2 Mal in dem Leiche in Brit. Mus. Egerton 274 
(Philippe de Greve? bei P. Meyer in Archiv, d. miss. II, 3 
p. 280) und scheint später beliebt geworden zu sein; die 
grossen, aber späten Gedichte bei Flacius p. 90 — 100, p. 175 — 
189, p. 482 — 495 (nach 1312) bestehen aus solchen Strophen. 

Selten findet sich 8 ^ — als zweites Glied einer Zeilen- 
verbindung; so in 7^ — -j- 8^ — und in 8 — ^ -j- 8 ^ — . 

Trochaeteche Achtsilber (8 — « ). 

Die troch. Achtsilber zerfielen schon in der früheren Pe- 
riode (S. 88) bei manchen Dichtern fast stets in 2 Theile zu 

4 — v. In dieser Periode ist dies die Regel, das Fehlen der 
Pause ist Ausnahme. Taktwechsel ist also sehr selten; wenn 
er vorkommt, so ist meistens das erste Stück 4 — ^ durch 
4 w__ ersetzt. Die Theile zu 4 — ^ wurden sehr oft unter 
sich gereimt. Die Zeilen 8 — u haben selten gekreuzte Reime. 

Die Zeilen zu 8 — v/ treten oft in Gruppen zu 2 auf ; so 
Adam II, 181 13 Str. zu 4 Z., gereimt zu 2 ohne h oder 
Tw, stets mit Pause nach 4 — ^. Abaelard hat im Planctus 
III 2 Mal die Verbindung 4 — - v/ a + a + 8— ^b, 4 — ^ c 
+ c + 8— ^b. Bei Hildebert (Migne 171 p. 1411) stehen 
203 Z. ger. zu 2 ; 1 Mal fehlt die Pause, 1 Mal steht das Citat 
'Da fidem spem caritatem\ Ebenda p. 1432 138 Z. ger. zu 2; 
6 h; einige Male fehlt die Pause; einige Tw, um den Hiatus 
zu vermeiden : 'Piratae vis importuna. Nescire quem est huma- 
num. Rapina sit in ruinam'. Du M^ril 1843 p. 190 150 Z. 



Digitized by 



Google 



174 Sitzung der philos.-phäol. Classe vom 7. Januar 1SS2. 

zu 2 gereimt. Bur. 186 p. 72, 30 Z. zu 2 ger. mit 'möllitef 
geren» me ipsum' ; 168 p. 230 11 Str. zu 4, ger. zu 2; dar- 
unter 5 Z. ohne Pause; 73 p. -43, 36 Z. zu 2 gereimt, mit 
3 Z. ohne Pause. 175 p. 235, 56 Z. zu 2 ger. Z. 1 — 20, 
30 — 56 sind regelmässig, nur 2 Zeilen ohne Pause; die Zeilen 
21 — 29 schwellen des Scherzes halber auf 9, 10, 11 Silben an. 
Gruppen von je 4 Zeilen bilden die 36 Z. bei Hildebert 
(Migne 171 p. 1720) ohne h und Tw, doch mit 7 Z. ohne 
Pause nach 4 — ^. Der Archipoeta hat in No. II 94 Z., ohne 
Pause in 35. 36. 92 und ohne Tw und h. Es folgen sich 
16 Z. auf onum, 5 onam, 7 ivüs, 6 ui, 10 orte, 7 orat, 14 
atum, 3 ittas, 6 itas, 10 este, 9 itis; bei Beginn einer neuen 
Reimart steht stets ein grosser Anfangsbuchstabe; stets sind 
es 5 oder mehr Zeilen mit gleichem Reim, doch 66 — 68 bilden 
eine Gruppe von nur 3. Grimm hat eben nach Tutus ibo quo 
me mittas den Vers 'Hederarum ferens vittas' übersehen. Das 
folgende Non ist gross geschrieben ; (V. 80 ist insanus aus der 
Hschr. herzustellen). Zu diesen einfachen Massen gleichgereimter 
Zeilen bildet das entgegengesetzte Extrem die Reimstrophe in 
Brit. Mus. Egerton 274 (Philippe de Greve? bei P. Meyer 
Archiv, d. miss. II, 3, 280) mit 8 — ^aaa bbbba, ceddee. 

Nicht stets sind die Z. zu 8 — w rein; Mone 521 besteht 
aus 72 Z. gereimt zu 2 oder 4 fast stets mit reinen zweisil- 
bigen Reimen, also wohl später als saec. XI; unter die Z. zu 
8 — ^ sind 6 Paare zu 8 « — und 1 Paar zu 7 « — gemischt; 
viele Z. zu 8 — v, haben nicht die Pause, 11 haben Tw., dar- 
unter 6 rein daktyl. Wortschlüsse. Viel schlimmer sind die 
Zeilen des Reinerius Leod. um 1180 (Migne 204 p. 95) im 
Officium de S. Spiritu ; unter 36 Z. 8 — « sind fast 20 Z. zu 
8 « — : also 8 Silben ohne Rücksicht auf Rythmus oder Schluss. 

In mancherlei Zeilenverbindungen bildet 8 — « den ersten 
Theil. 8 — ^ -|- 4 « — liegt zu Grunde der Variation in Bur. 
179 p. 240, 6 Str. zu 8 — - aaaaa + 4 «__b + 8—« a 
-[- 4 ^ — b. Die Zeile 8 — ^ -\- 5 v, — findet sich öfter in 
Mone 170 wie Gaude plaude ama clama | voce valida; ebenso 
bei Joh. Anglicus (Zarncke p. 70) Pallentis aurore rore | vultus 
defluit | Fluit ex amore more | qui mox conruit. Leicht variirt 
ist diese Zeile in Bur. 131 p. 204, 4 Str. zu 8- wa + 
5v— b + 8— wa+5-_b, + 5o_c + 8_wd + 
8 — w/d -[" & u — c, womit der Strophenbau von Bur. 114 
p. 189 (5 Str r ) völlig übereinstimmt, nur dass hier die Theile, 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 175 

von 8 — v auch Reim haben: also 4 — ua 4" 4 — va + 
5 w — b, 4 — uc 4~ 4 — ^ c 4~ 5u — b, 5u_d + 4 — we 
4~ 4 — ue -|" 8 — ^e -f- 5w — d (die deutsche Nachahmung 
ist fehlerhaft); nur der Schluss ist verändert in Bur. 110 
p. 186 (4 Str.): 4 _v a -f a + 5u-b, 4-^c + c + 
5w — d, 7v — e -f- 4 — uf -f- 4 — ^ f 4" 5 w — e und noch 
abweichender ist 155 p. 219 Str. 1, 2, 6: 8 _w a -f- 4— v a 
+ 4 — u a -j- 5w — b + 5u — b -j- 4 — ^ c 4" 4 — u c + 
7 v, — d + 7 w— d. 

Die Zeile 8 — «a 4" 6 — ^ b findet sich bei Äbaelard im 
Planctus I 6 Mal. Hilarius bei Du Meril Orig. p. 253 hat 2 Z. 
zu (4 — ^ a 4" 4 — « a + 6 _ v, ) bb und 2 Z. zu (8 — ^ c 
4~ 6_u) dd. In Bur. 36 p. 122 bestehen Strophe 8. 9. 23. 
24 und in 174 p. 233 Str. 8. 9. 18. 19 aus 4— ^a + 
4 — ^ a -f- 6-^'b, 4 — ^c + 4 — ^ c -4- 6 — ^b; Bur. 46 
p. 135 beginnt mit 4 Zeilen zu 8 — ^ a + 6 — UD > von denen 
je 2 zu einander reimen. Omer 5 besteht aus 4 Str. zu 4 Mal 
(8 — v a -|- 6 — ^ b) mit Refrain von 7 vy — a b a b. Einseitige 
Erweiterungen dieser Zeile sind die 6 Strophen von Bur. 52 
p. 145 zu 8 — v a a a a a 4" 6 — *■> b (ora) und die 6 Str. von 
Bur. 120 p. 195 zu 8 — uaaaaaa -f- 6— ^b (uta), mit 
3 Z. ohne Pause und Tw in 6, 1 (3, 3 u. 4 sind wohl um- 
zustellen). Eine schönere Erweiterung bilden die 4 Strophen 
von Omer 14 zu 8 — ^a 4" 6 — <^a + 6 — ^ D 4* 8 — ^ a 
+ 6—^ b, und Bur. 36 p. 122 Str. 7. 22. 31 = 174 p. 233 
Str. 7. 17 zu 8 — ^/ a ('ante' in No. 36) + 6 — ^ b -f 8 — v a 
4- 8 — ^ a +6 — v b. Harmonisch gebaut ist die Strophe 
zu 8 — ^ a + a + 6 — uD , 8 — uC + c + 6 — ^b, deren 
x 6 das Gedicht bei Adam 1 , 223 bilden. Drei Strophen der 
Art finden sich in Flacius No. 74, zum Theil mit der künst- 
lichen Reimstellüng 4-ua 4" 4— yb, + 4 — va-f 4 — üb 
-J- 6— vc, 4" 4 — üb -|" ^ — wa, -f" 4 — vb -|- 4 — va 
-j- 6 — u c. Diese Strophe wiederum ist variirt im Brit. Mus. 
Egerton 274 (Philippe de Greve? bei P. Meyer Arcbives des 
Missions II, 3 p. 288): 8a + 6b + 8a + 6b + 7- üb, 
+ 8a -f- 6b + 8a + 8a + 6b + 6b, + 8a -f 8a 
4-8a4-6D + 6b, 4-8a + 6b + 8a-f8a + 6b. 

Die Zeile 8 — u -|- 7— v liegt zu Grunde der Zeile 
4 — \j a -|- 4 — va 4" ^ — ^ b, deren 40, zu 2 gereimt bei 
7— v, Äbaelard's Hymn. 33 — 36 bilden; von den 40 Z. zu 
7 — v haben 35 Tw und mindestens 5 rein daktyl. Wortschluss. 



Digitized by 



Google 



176 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1662. 

Die regelmässige Verbindung von 8 — u und 8 u — ist 
nicht selten. Bei Petrus Vener. (Migne 189 p. 1018) wechselt 
stets 8 — kj a -j- 8 — wa mit 8u_b -j- 8 ^_ . b (vgl. Got- 

schalk oben S. 108) mit 48 Tw in den 64 Z. zu 8 ' Bei 

Bernhard (Migne 184 p. 1319) stehen 37 Strophen zu8-w 
aabb -f- 8« — c, -f- 8 — «ddee -f- 8 v, __ c, mit ziemlich 
vielen h, aber nur 5 Tw in den 74 Z. zu 8 »— . Mone 483 
besteht aus 5 Strophen zu 8 — ^ a -f* a + 8 ^ — b > 8_«c 
-f- c + 8 w_b. 

Weitaus die gebräuchlichste von diesen Verbindungen ist 
der alte Fünfzehnsilber. 118 Zeilen zu 8— v, -j- 7 ^ — mit 
oft unreinem oder unvollständigem Reime in 7 » — zu 2 in 
der Zeitschr. f. d. Alt. 5 (1845) p. 464. In den 36 durch 
reinen Beim zu je 2 gebundenen Fünfzehnsilbern des Beiner 
von Lüttich findet sich 11 Mal 8 ^ — statt 8 — ^, ja in Ad- 
misi poetico synaloephas passim ritu fehlt sogar die Pause; 
nicht besser sind die 6 Z. im Officium de S. Spiritu (p. 95). 
In der um 1118 schon vollendeten Polenchronik des sogenannten 
Martinus Gallus hat nur 7 ^ — den Reim, allein 8 — v, zer- 
fallt stets in 4 — ^ -f-4 — ^ und sämmtliche Zeilen sind frei 
von h; zu je 2 sind die Zeilen gereimt in II, 27 (6 Z.) und 
III, 11 (20 Z.), zu je 3 in I, 16 (30 Z.) und III Prolog 
(60 Z.; in 22 lies mit H: In his ergo collaudemus deum et 
Laurentium.) ; II Prolog 10 Z. auf imus. Bei Adam findet 
sich sowohl 8 — v.x + 7w-a (I, 377. I, 175. — II, 446 
ist der Reime wegen unecht — ) als 8 — ^ a -f- 7 v, — b (I, 19) 
und 4 — - a + 4 — - a + 7 w__b (I, 40. 169; bes. II, 365). 
Dieselbe Zeile 8 — «a + 7« — b findet sich in 7 Strophen 
zu 4 gleich gereimten Zeilen bei Alanus (Migne 210 p. 577)} 
dann bei Flacius No. 33 und 101. 

Die Erweiterung dieser Zeile zu 8 — v,a -f- 8 — « a -f- 
7w_b, 8-wc -f 8 — v, c + 7 w _ b, die Strophe des Stabat 
mater, ist das wichtigste Strophenmaass der geistlichen ryth- 
mischen Dichtung. Besonders oft hat Adam sie angewendet. 
Schon Petrus Vener. (f a. 1158) hat (Migne 189 p. 1018) 
2 Strophen. Bei Bernhard (Migne 184 p. 1315) 6 Strophen, 
deren 7 « — stets auf eris reimt. Walther von Chat, hat in 
No. VIII 28 und in No. X 25 Strophen mit einigen Tw und 
nicht häufiger Vernachlässigung der Pause in 8 — ^ . Die Er- 
weiterung hat Adam nirgends weiter getrieben als bei diesen 
Strophen. In II, 335 folgen sich Strophen zu 8aa-f 7 « — b, 



Digitized by 



Google 



Wüh, Meyer: Ludus de Antichristo und über tat. Rythmen. 177 

8cc -f- 7 v, — b, dann 8aaa -f* 7 ^ — b, 8ccc-f- 7 « — b, 
endlich 8aabb -J- 7 ^ — c , 8ddee + 7w_c. Besonders 
liebte er es, die Theile von 8 — ^ wieder zu reimen, so oft 
4 — uaabb + 7u — c, 4 — wddee -f- 7v_ c ; 4 — v a a 
bbcc + 7 u— d, 4— v, eeffgg -f 7,-d II, 117, ja 
I, 307 8-vaaa+K~ b + 4—wcc. dd. ee+7u_b; 
I, 334 ist Adam zu 4 — u a a. b b. c c. d d -{- 7 ^ — e, 4 — w 
ffgghhii -f- 7 w> — e und II, 204 gar bis zu 4 — v a b a b. 
cdcd. efef -f- 7^ — g, 4 — vhihi.klkl.mnmn -f- 
1 kj — g gestiegen. l ) Hilarius, bei Du Me>il Origines p. 243, 
hat 8aabb 7 c, 8ddee 7 c, 8 ff gg 7 c; (vgl. p. 275). 

Unregelmässige Variationen der Zeile 8 — u -f- 7 ^ — oder 
der Stabatstrophe finden sich mancherlei. So folgen im Leiche 
des Brit. Mus. Egerton 274 (Philippe de Greve? bei P. Meyer 
Arch. d. miss. II, 3 280) auf eine Stabatstrophe 2 Strophen 
zu 8 — uaabb -f- 7w__c + 7 ^ — c + 8 — v a. Das in 
der Form durchaus reine Gedicht Bur. 71 p. 41 besteht aus 
8 Str. zu 8 — uaaaa + 7u_ bbb -f- 6-vc; genau 
denselben Bau (nur andern Reim in 6 — v ) haben die 3 Strophen 
von Flacius No. 16. In Flacius 31 folgt in 2 Strophen auf 
8 — vabab -|- 8v-c,c + 8-vb der Schluss 8 — ^ d + 
7«__e + 8— od + 7w__ e , + 8— - f + f+ 7 w__x. 

Einfache Zeilen von mehr als 8 Silben. 

Neunsilber. Die 3 Strophen von Bur. 113 p. 188 
bestehen aus 8^-va-f 9v — b-|-8— ua-j-^u— b, denen 
8u__c-f" & " — x + 8 w— c folgt. Die 6 Zeilen zu 9 w_ 
haben reinen troch. Tonfall und 4 lassen sich in 4 — u -\- 
5^_, 2 in 6— v -f 3v_ theilen. In Bur. 36 p. 123, 
bestehen die Str. 15. 16. 17. 28 und in Bur. 174 p. 233 die 
Str. 12, deren Schluss verdorben ist, aus je 4 gleich reimenden, 
längeren Zeilen mit einem Schluss von 4v — Von jenen längeren 
Zeilen bestehen 2 aus 8 w — , wie Florenti desolatio, 1 aus 10 
Silben, wie Sed hesitat adhuc nobilitas, die übrigen aus 9 Silben 
mit jambischem Schluss; sie sehen aus wie Z. zu 8 ^ — , in 
welchen, wie es beim Gesang leicht geschieht, einmal statt 



1) Sehr beliebt ist bei Adam eine Erweiterung der Zeile, nach der 
andern Seite : 8 — w a -f" 8 — ° a, -\- 7 ^ — bccb; in sehr vielen 
Gedichten finden sich eine oder 2 von diesen Strophen eingemischt, selten 
3 wie in I, 212. II, 240. 
[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 1 J 12 



Digitized by 



Google 



178 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

£iner unbetonten Silbe 2 gesetzt sind. Bur. 128 p. 202 be- 
steht aus 4 Strophen zu 9 v — a + 8 v — b, 9 v — a -f" 
8u_b, 7 w_c + (8) w_x + 6 v_c; die 4 Z. zu 9 u — 
haben weder bestimmten Tonfall noch Pause. 

Bur. 68 p. 38 besteht aus 3 Str. zu 8u-a -f 7— wb, / 
8w/— a -f 7— v, b, 9— „ b + 8 u_a, 9 — ^b+8,- a; 
die Z. zu 9 — w haben keine wiederkehrende Pause , keinen 
bestimmten Tonfall und mehrere daktyl. Wortschlüsse. In Bur. 
51 p. 145 sind Zeilen zu 8— v, 9 v— , 9 — u und 10 _ u 
gemischt. 

Zehnsilber. Mone 359 besteht aus 4 Strophen von 
Zehnsilbern mit troch. Schlüsse und der Reimstellung a b a b 
a a b b. Von den 32 Z. haben 24 rein troch. Tonfall — w — w 
— yj — u — ^ , 8 Z. leichten Taktwechsel. Hilarius, Da Me'ril Orig. 
p. 250, hat 10 solche Zeilen, mit 2 Tw. In Bur. 167 p. 229 
besteht die erste Strophe aus 4 Zehnsilbern mit troch. Schlüsse, 
worin vielleicht scherzhafte Daktylen stecken : Sic mea fäta can- 
£ndo solör, darauf deutet wenigstens der folgende rythmische 
Hexameter 

Cura crescente labore' vigente vigore labente 
(vgl. die Trini Salientes : qui cruciatur ad hoc reparatur ut hie 
patiatur in meiner Abhandlung über Radewins Theophilus, 
Sitzungsber. 1873 I p. 32); in Str. 2 u. 3 haben die Zehn- 
silber jambischen Schluss. 



Von den Strophen. 

In den gleichzeiligen Gedichten bildet der Reim die 
Gruppen oder Strophen : Reimstrophen ('consonantia ad dif- 
ferentiam facit in rythmo simplici' Johannes Angl.) ; in nicht 
gleichzeiligen Gedichten kennzeichnet ausser dem Reim die 
Verschiedenheit der Zeilen die Absätze. Beispiele verschie- 
dener Reimstrophen sind bei den Zeilenarten angeführt. 

Die einfachste Art der Strophenbildung ist die gepaarte 
a a b b oder a a a a. Diese Paarung ist auch in den ge- 
reimten Hexametern regelmässig. So ist es unmöglich, dass 
beim Archipoeta No. VI auf 22 leoninische Hexameter 23 
caudati folgten ; Grimm hat den nach III, 2 stehenden Vers 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer; Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 179 

'Sic da pauperibus sie in celis coacerva' übersehen; (ver- 
bessere auch 4 totus. III, 1 loquatur) ; so entstehen 6 Strophen 
zu a a a a. Bei Abaelard ist diese gepaarte Stellung die vor- 
herrschende: so 6— «aabb, 8« — aabb, (5— « + 4«—) 
aaaa, (5 «- + 5 «-) aaa, (4 — « + 6 w — )aabb, 
(6 ^ — -|" 6 w '— ) a a b b. Auch wenn die Strophe aus ver- 
schiedenen Zeilenarten zusammengesetzt ist, stehen sie mei- 
stens paarweise : so 8«~aa + (4 + 6 «~) bb, dann 
die 6 zeiligen Strophen (4 — « + 7 °— ) a a b b + (4 + 
5 v — ) cc, die 14 zeiligen 7« — aaaabbbb + 8 — « c c 
+ (4— w + 7 «— ) dddd. 

Bei den andern Dichtern ist diese schlichte Strophen- 
bildung selten. Die nächste Stufe ist die gekreuzte Stellung 
der Zeilen a b a b. Diese sehr verbreitete Art findet sich 
bei Abaelard, freilich nicht sehr häufig, sowohl bei gleichen 
Zeilen 7 ^ — abab, 8^ — abab, als bei ungleichen 8 — ^ a 
-[- 6 — ^ b. Adam mischt in gleichzeitigen Gedichten fast 
stets die Reimstrophen, z. B. bald 8 ^ — a b a b , bald a a b b , 
bald aaaa; (vgl. S. 162 u. 171). 

Der wichtigste Fortschritt in der Strophenbildung war 
der, dass von einer Verbindung zweier Kurzzeilen die eine 
wiederholt wurde (s. S. 150); gewöhnlich ist dies die erste, 
so dass bei einmaliger Verdoppelung aus dem Zeilenpaar 
a + b , a + b die Strophe a a b c c b entsteht ; die Zahl 
der wiederholten Glieder steigt bis auf aaaabccccb, 
selten darüber. Diese Form findet sich bei Abaelard so- 
wohl bei gleichen Zeilen : 4 — «aabccb, 5-^aabccb, 
7«-aabccb, als bei ungleichen: 4-«aa 3 «_ b + 
4-wCC 3»-b, 7«-aa 7— « b + 7 «-cc 7 — « b. 
Diese Art der Strophenbilduug hat Adam in der Regel an- 
gewendet. Er liebt es, das Gedicht mit der Strophenbil- 
dung a a b c c b zu beginnen, mit aaabcccb fortzusetzen 
und mit aaaabccccb zu beenden , wobei in den aus 
8 — « + 7 v,— erweiterten Zeilen noch oft durch die Auf- 

12* 



Digitized by 



Google 



180 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

lösung von 8—« in 4-« a + 4— « a die doppelte Zahl 
von Reim stellen geschaffen wird. Sehr selten ist in einer 
Strophe die erweiterte Zeile dreimal gesetzt 8-« aa 7 ^ — b 
+ 8-- cc 7 - — b + 8 — - dd 7 -_b (Adam II, 177 
u. 271) und 7- — aabccbeeb (I, 54 u. II, 176). Auf 
diesem Prinzip der Zeilenerweiterung baut Johannes Anglicus 
sein System auf. 

Selten wird das zweite Glied allein vermehrt wie in 

Omer 22, wo auf 4 X (4 a + 6 « — b) folgt 4 * — a + 

6«-aab, 4 w_a + 6 «— aab; häufiger beide Glieder, 
so bei Abaelard 6 «-aa + 7«— bebe und bei Adam 
oft 8-«aa -f 7 " — beeb, und Bur. 71 p. 41 : 8 — « 
aaaa + 7 «__bbb + 6-—« ; vgl. S. 177. Oft werden bei 
der Erweiterung die Stücke umgestellt, so: 8—« a 5 « — b 
8 — v, a 5 «-^b, 5 w — c 8 — w d 8 — « d 5 «— c, oder 5 «— a 
6 — ob 5a 6b 5 a, 5a 6b 5 a. Wie Gedichte aus wachsen- 
den Strophen, so werden auch Strophen aus wachsenden 
Zeilen gebildet, so Bur. 24 p. 27 aus 5 « _ und 10 (4 + 6) 
- — : 10a + 5a + lOaa + 5a + lOaaa + 5a -j- 
10 a. In anderen Fällen wird dieselbe Kurzzeile als Schluss 
festgehalten, aber verschiedene Zeilen vorangesetzt: so Bur. 
124 p. 198 5 - — a + 6— « b, 5 - — a + 6 — - b, 6— - 
+ 6 — b, 4 — - + 6 — - b. 

Diese Strophenarten kann man aus den vorhandenen 
Zeilenarten erklären. In sehr vielen Fällen sind die ver- 
schiedenen Kurzzeilen in freier und willkürlicher Weise zu- 
sammengesetzt. So bei Abaelard auf noch einfache Weise 
in den 6 Strophen zu 5« — a + 8 «-— a + 4 — w b, 5c 
8c4b, 5d8d4b (Planet. IV), in den 4 Str. zu 7 --aa 
-j- 7 « — b 4 — « c -f 7«-b 4-«c und den zahlreichen 
Str. zu 7^ — a + x + a + 5^ — b + 7 ^ — a 5 - — b. Mit 
der Uebung sfieg die Fertigkeit, und wir finden in vielen 
Gedichten noch vielgestaltigere und verschlungenere Zeilen- 
strophen, als die oben verzeichneten Reimstrophen es waren. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 181 

Bedeutenden Einfluss scheint Philippe de Greve (f 1237) ge- 
habt zu haben. Paul Meyer hat in den Archiv, d. Miss. II, 
3, 257 ausfuhrliche Nachriebt über die Handschrift Egerton 
274 des britischen Museums gegeben, wo vor einer Samm- 
lung sehr kunstreicher lateinischer und französischer Ge- 
dichte der Name des Philipp steht. In Romania VII, 1878, 
p. 99 hat er über einige ähnliche Gedichte in der Hand- 
schrift des Brit. Mus. (addit. 30,091) berichtet. Schon vor- 
her hatte Coussemaker (l'Art harmonique) aus der sehr reich- 
haltigen Hschr. 196 zu Montpellier viele Auszüge gegeben. 
Diese Sammlungen hängen alle unter sich zusammen. Zu 
ihnen gehören noch mehrere andere. In einem Fragment 
in München wird Flacius 7 In veritate comperi als 'motetus 
episcopi Wilhelmi Parisiensis' angeführt; aus einer Samm- 
lung solcher Gedichte sind viele in die Carmina Burana 
übergegangen, noch mehr bieten die No. 1 — 148 bei Flacius, 
und eine sehr reichhaltige, mit Melodien versehene Samm- 
lung enthält die schöne Handschrift der Laurentiana (Plut. 
29, 1; vgl. Bethmann in Pertz Archiv Xn p. 719). Aus diesen 
Quellen sollte einmal klar gestellt werden, was. die lateinischen 
rythmischen Dichter in kunstreichem Strophenbau geleistet 
haben. 

Vom Aufbau der Gedichte. 

Die Dichter blieben nicht stehen beim harmonischen 
Bau einer einzelnen Strophe, sie erstreckten ihre Kunst auch 
auf den Aufbau der ganzen Gedichte. Baldric (f 1131), 
Du Meril 1843 p. 292, hat vielleicht schon um 1090 7 kunst- 
reiche quantitirend gebaute Strophen gedichtet, von denen 
I = III = V, II = IV und VI = VII ist (Du Meril hat 
III u. IV verstellt). In den rythmischen Gedichten finden 
wir, auch abgesehen von den geistlichen Sequenzen, sehr 
kunstreiche Anlage. Zunächst die reine Sequenzenförm in 
Bur. 171 p. 65, wo Str. 1 = 2, 3 = 4, 5 = 6, 7 = 8; 



Digitized by 



Google 



182 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

ebenso 38 p. 125 (4 verschiedene Strophenpaare) ; 40 p. 129 
(5 Paare, da Str. 1—4 in je 2 Theile zerfällt und 5 = 6 ist) ; 
45 p. 135 u. 275 (4 Paare); 51 p. 59 (Bartsch Sequ. p. 242; 
6 Paare); Petrus Blesensis bei Migne 207 p. 1127 (5 Paare) ; 
Flacius No. 74. Dann jene strengen Leiche, in denen sich 
dieselbe Strophenreihe wiederholt. So jener einfachste aller 
Leiche Bur. 62 p. 153 Str. 1. 2 = 9. 10; 3. 4 = 11. 12; 
5. 6. 7. 8 = 13. 14. 15. 16. Bur. 85 p. 47, wo Str. 1=4; 
2 = 5; 3 = 6 (Str. 1 u. 4, 3 u. 6 sind Variationen von 
8—^ und 7 « — , Str. 2 u. 5 von 7 ^— und 6 — *). In 
Bur. 20 p. 21 ist Str. 1 = 5, 2^6, 3 = 7, 4 wahr- 
scheinlich = 8. Drei gleiche Reihen hat Bur. 154 p. 217, 
wo Str. 1 = 4 == 7, 2 = 5 = 8, 3 = 6 = 9 ist (Str. 1. 
4. 7 sind Variationen von 8— ^ und 7 ^ — ; Str. 2. 5. 8 
von 7 v—, und Str. 3. 6. 9 von 5 v— -f- 5 — ^ -[- 6 ^— ). 
Eines der grössten Gedichte der Art ist Bur. 36 p. 121 ; 
nach einer Einleitung in schwankenden Zeilen (Str. 1 — 4) 
folgen Str. 5. 6 = 20. 21 =-30; Str. 7 = 22 = 31 (mit 
dem gleichen Reim ante) ; 8. 9 = 23. 24; 11 — 14 = 25—27; 
15— 17 = 28; 18 = 29. Eine vollständige Nachahmung 
dieses Leiches fand ich in Bur. 174 p. 233. Auch in den 
rohen Formen von Bur. 35 p. 119 ist ein Leich versteckt, 
wie die Gleichheit der Str. 4. 5. 6 mit 14. 15. 16 und die 
Aehnlichkeit von 3 mit 8 und 17 andeutet. Einen ein- 
fachen Leich dieser Art hat auch Abaelard Planctus IV, 
wo die Reihen 7-uaaaaaa, ?v- bbbbbb, 6 ^ — ab 
abcdcd und 9 Mal (5u_a-}-8w-a + 4-wb) sich nur 
mit der Aenderung wiederholen, dass statt 7 — v eintritt 
7 v, — aaaaaa. 

Die 5 andern Planctus des Abaelard sind frei aufge- 
baute Gedichte ; er liebt hiebei öfter die chiastische Stellung ; 
so z. B. in Planctus I: auf die Einleitung zu (5 — ^ -f - 
5 — u)- aaaaaa folgen 4 Str. zu (6 ^ — aa 7 v — bebe) 
und 2 Str. zu (8-va 6 — ^b 8 — v a 6 — üb), auf diese 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 183 

das Centrum des Gedichtes 7 ^-aaaa, worauf die vorher- 
gehenden Theile in anderer Ordnung folgen : 2 Str. aus 8 — u 
und 6 — v gebildet und 6 <-» — a 7 ^ — b, 6 ^— a 7^-b mit 
2 Zeilen = 6 — ^ + 7 ^ — b. Den kunstreichsten Aufbau 
hat Planctos III. Hier finden sich die oben S. 151 be- 
sprochenen Zeilen zu w_v-» a, v — v a, _-u_b (= 9«-) 
und v_ua, w — v a, — w_ u_b (= llv,_). Das Ge- 
dicht besteht nach der Einleitung von 9 " — aaaa, aaaa 
-J- (4-ub + 4 — v b + 3^_) dd + 9v-eeee + 
(4— u f + 4— i/ f + 3^~) gg + 9 w—hhhh aus 2 
grossen Theilen, in deren erstem Jephtas Zusammentreffen 
mit der Tochter, im zweiten das Opfer selbst geschildert 
wird. Der erste Theil besteht aus zwei fast gleichen Ab- 
schnitten, die mit 'Victor hie e proelio' und 4 Ut sexu sie 
animo' beginnen und aus 7 ^— , 11 " — aaa, 7 ^ — , 3 X 
(7 u _c + 5«-b), 7«—, 11 ^ — ddd gebildet sind. Der 
2. Theil 4 His gestis rediit' besteht aus 4 Abschnitten a) 
(6 - — + 6 w— ) aaa + 12 X 9 « — , b) Reihen von 
7 w __, 6 « — , 7 ^ — , 6 ^ — , 7 ^ — , c) 2 Strophen zu 2 Mal 

(4 a + 4 — - a + 8 — - b) + 7 - — cedd, d) 16 Z. 

zu 9 «— Einfach ist der Leich bei Petrus Vener. (Migne 
189 p. 1017), der nach dem Eingang von 4 — ^ + 5 ^ — 
aus Variationen von 4 — « + 4 — « und 7 v— besteht. 
300 Zeilen umfasst das Gedicht bei Petrus Bles. (Migne 207 
p. 1130). Kunstreicher sind Bur. 43 p. 132 und das Ge- 
dicht (von Philippe de Greve) bei P. Meyer Arch. d. miss. 
II, 3 p. 280. Unsicher ist, wohin man ein solches Gemisch 
von Strophen rechnen soll, wie es sich in dem nach 1241 
entstandenen Gedicht über die Ungarn findet (Forschungen 
12 p. 643). 

Der Höhepunkt der künstlichen Form ist erreicht, wenn 
in ein und demselben Gedichte sich verschiedene Dichtweisen 
mischen. Schlecht gebaute quantitirende daktylische Zehn- 
silber enthält Bur. 98 p. 177 ; einige scheinen auch in Bur. 



Digitized by 



Google 



184 Sitzung der phüm.-philol. Classe vom 7. Januar 1882. 

161 p. 225 eingesetzt zu sein. Dagegen fand ich in den 
freien Leichen Bur. 46 p. 135, 44 p. 134 und 39 p. 127 
grössere quantitirend gebaute Stücke neben rythmisch ge- 
bauten. So besteht No. 46 aus rythmischen Strophen von 
8 — w +6--, 8 — - +7-— ,7-- + 7 — - und 7 -_ 
aaaa, welchen quantit. gebaute Daktylen 4 Hoc amor (?) prae- 
dicat | haec macilenta' folgen. In Bar. 44 folgen auf ryth- 
mische Daktylen mit Str. 4 'Felix seu peream' quantit. ge- 
baute daktylische Trimeter und Tetrameter. Das merk- 
würdigste Stück scheint mir No. 39 zu sein, wo nach des 
Dichters eigener Angabe prosa, versus (d. h. quantitirend 
gebaute Zeilen), satira und rythmachia gemischt sind (siehe 
oben S. 115). 

Die rythmischen Formen des Ludu-s de 
An tichristo. 

Prüfen wir nun nach den bisher entwickelten Grund- 
sätzen die Formen des Ludus de Antichristo, so ergeben 
sich auffallende Thatsachen. Die gleiche Silbenzahl 
in den entsprechenden Zeilen beobachtet der Dichter streng ; 
ich glaube die 4 Strophen 1 — 32 richtig hergestellt zu 
haben; und, wo in den Dreizehnsilbern die Silbenzahl in 
der Handschrift verletzt ist, fuhren fast immer auch andere 
Merkmale darauf, dass der Schreiber den Text entstellt hat. 
Ich habe sie desshalb überall hergestellt. Den Schluss 
der Zeilen behandelt der Dichter mit besonderer Fein- 
heit. In den 300 reimlosen Halbzeilen ist der jambische 
Zeilenschluss selten durch ein einsilbiges Wort gebildet und 
dann nur durch die Hilfswörter der Sprache, nemlich 1 Mal 
in, 1 nos, 7 est, 2 sum, 1 es, 1 sunt, 1 sit, und bei tro- 
chäischem Schlüsse et es, ad nos, ubinäm sunt und in me. 
Ist der Schluss gereimt, so wird er nie durch ein einsilbiges 
Wort gebildet. Mit einem zweisilbigen Wort schliessen 
von den in der ersten Zeilenhälfte stehenden und reimlosen 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Anttchristo und über lat. Bythmen. 185 

66 Zeilen zu 6-^ 51, von den 17 ebenda stehenden Zeilen 
zu 7 — « gar 1 1 ; dagegen von den die Langzeilen beenden- 
den und mit Reim belegten 54 Zeilen zu 6-« schliessen 
nur 6 mit zweisilbigen Wörtern, und von den ebenda stehen- 
den 270 mit Reim belegten Zeilen zn 7-« schliessen nur 
8 mit zweisilbigen, 77 mit dreisilbigen, 131 mit viersilbigen 
und 54 mit fünf- und mehrsilbigen Wörtern. Der Dichter 
hat also von 83 nicht gereimten trochäischen Versschlüssen 
62, dagegen von 324 gereimten trochäischen Versschlüssen 
nur 14 durch ein zweisilbiges Wort gebildet, es demnach 
gemieden, ein zweisilbiges Wort iu den trochäischen Reim 
zu stellen. Die gleiche Sorgfalt zeigt sich im Reime selbst: 
er ist stets zweisilbig und rein, und Fehler, wie in 392 das 
mit sich selbst reimende pietatis, finden sich nicht. 

In den andern Stücken zeigt der Dichter nicht die 
gleiche Sorgfalt oder Schulung. Den Hiatus zu meiden, 
gibt er sich nicht viel Mühe; so hat er ip den 3X)0 Drei- 
zehnsilbern etwa 25 Hiatus im Innern der Halbzeilen und 
etwa 8 zwischen denselben. Aehnlich steht es mit dem 
Taktwechsel. Die in den lyrischen Stücken (V. 1 — 48, 
151—170, 365—368 und 399—402) vorkommenden 16 Z. 
zu 7 — « haben 3 Tw, die 8 Z. zu 8 ^ — sind rein, die 
15 Z. zu 8 — v, haben 4 Tw, die 19 Z. zu 9^— haben 
7 Tw und die 10 Z. zu 11 *_ 3 Tw. In den 300 Drei- 
zehnsilbern und 38 Zeilen zu 4-« -{- 7_ « kommen vor: 
38 Z. zu 4 Silben, von denen 34 aus 4 — « , 4 aus 4«- 
bestehen; 167 Z. zu 6 ^ — , davon 70 mit Tw; 120 Z. zu 
6 — ^, davon nur 17 mit Tw; 30 Z. zu 7 »~ ohne und 
nur 7 mit Tw; 284 Z. zu 7 — ^, darunter 118 mit Tw. 
Also auch hier ist Taktwechsel in den troebäischen Zeilen 
6 — « und 7 « — seltener als in den jambischen 6 « — und 
7__w, Rein daktylischer Wortschluss bei Takt- 
wechsel kommt vor, aber selten ; in 6«~: V. 90 positam 
fäteor, dann in 177. 253. 271. 290. 397; in 6--: 139 



Digitized by 



Google 



186 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

virfliter ägens, 219 haec münera regi, 231 sunt p^ssima 
pestis; in 7 « — nicht. In den so zahlreichen Zeilen zu 
7 — « findet sich von der sichern Art des daktylischen 
Wortschlusses (siehe S. 126), wo auf den Daktylus ein 
zweisilbiges Wort folgt, nur V. 365 Tibi grätias dämus, 
dagegen 18 Verse, in denen auf das daktylische Wort ein 
viersilbiges und 1 Vers, in dem ein einsilbiges Wort folgt, 
welche Verse aber wohl anders zu betonen (maneänt vene- 
rända, mäneat in aeternum) und nicht hierher zu rechnen 
sind. Unter den 15 Z. zu 8 — « findet sich der unsichere 
44 Te iübeo detestari und unter den 19 Z. zu 9«- der 
sichere 31 OflTcia quorum cernimus; die 10 Z. zu 11 «- 
sind frei von daktylischem Wortschluss. 

Das Merkwürdigste sind die von dem Dichter verwen- 
deten Zeilenarten. Die im Anfang des Gedichtes vor- 
kommenden Zeilen zu 9»- ohne bestimmte Pause sind 
sehr selten, die Zeilen zull »~ (153 — 170) ohue bestimmte 
Pause sind ohne Beispiele. In den Zeilen zu 8 — ^ wird 
nicht nur die gewöhnliche Pausenach 4 — ^ vernachlässigt, 
sondern sogar Takt Wechsel gestattet. Von 329 an treten 
38 Z. zu 4 — « + 7 — ^ a auf, in denen 4 Mal 4«- statt 
4 — v gesetzt ist. Diese Zeilenart fand ich nirgends sonst 
und könnte sie nur mit den Zeilen zu 4-wa + 4-«a 
+ 7 — wb bei Abaelard Hymn. 33 — 36 vergleichen. Die 
Dreizehnsilber hat der Dichter so gebaut, dass er den 
Schluss der ganzen Zeile stets trochäisch bildete, dann nach 
der 6. oder 7. Silbe regelmässige Pause machte und die 
erste Halbzeile entweder jambisch oder trochäisch schloss. 

So ergeben sich folgende 4 Zeilenarten 1) 6 ^ f- 7 — w, 

2) 6 — ^ + 7-w, 3) 7u— + 6 — w, 4) 7-^ + 6— *: 

1) Quam nöstrae repetit potentiäe maiestas. 

2) Digna ergo poena correpti resipiscant. 

3) Tötus mündus füerat ffscus Romanörum. 

4) Proterve se oppönunt tüae mäiestati. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 187 

Vier Zeilen im Anfange haben keine dieser regelmässigen 
Pausen: 50. 51 (= 103. 104). 60. 61. z. B. 

60 Salutem mandat imperator Romanorum. 

Es ist, wie S. 18 u. 144 gezeigt wurde, sehr selten, dass 
der Schluss der ersten Halbzeile bald trochäisch, bald jam- 
bisch ist; unser Dichter gestattet sich diesen Wechsel auch 
in den Zeilen (7—- oder 7 -— + 7 - — ) 365—368. Aber 
geradezu ohne Beispiel in den lateinischen Rythmen ist es, 
wie er in diesen Dreizehnsilbern (und so wohl auch in den 
oben genannten Zeilen zu 9«- und 11 »-) die Pause 
wechselt und sich durch diese Emancipation von der Schab- 
lone der Freiheit nähert, welche die antiken und die mo- 
dernen Dichter haben. Einen Einblick in die Art, wie er 
dichtete, gewährt folgende Beobachtung: unter dem 1. Hun- 
dert von Dreizehnsilbern finden sich 62 Z. zu 6 + ? — - w 
gegenüber 30 Z. zu 7 + 6 — ^ ; im 2. Hundert 87 Z. zu 

6 + 7 — " gegenüber 13 Z. zu 7 + 6 — «; im 3. Hundert 
97 Z. zu 6 + 7— - gegenüber 3 Z. zu 7 + 6 — -. Offen- 
bar schwankte der Dichter, als er seine Dichtung begann, 
zwischen den verschiedenen Arten und hat damals auch jene 
4 Zeilen ohne Pause nach der 6. oder 7. Silbe zugelassen; 
während des Dichtens gewann er eine Vorliebe für die Zeilen 
mit der Pause nach der 6. Silbe und besonders für die mit 
jambischem Schlüsse vor dieser Pause (180 Z. zu 6 ^— + 

7 — w gegenüber 66 Z. zu 6 — ^ + 7«—). In dieser That- 
sache liegt der Beweis, dass der Dichter sich seine Zeilen 
selbst construirt hat. Natürlich konnten in jener Zeit, wo 
dieses Selbstschaffen so gewöhnlich war, auch Andere die- 
selben Verbindungen finden. Allein nur die eine Form 
7 ^— + 6 — ^ ist gleich der weitverbreiteten Vaganten- 
zeile. Für die Form 6 — ^ + 7— ^ und 7^« + 6 — « 
habe ich kein Beispiel gefunden. Bartsch Sequ. S. 196 sagt 
fc Bemerkens werth ist bei Adam I, 174: 



Digitized by 



Google 



188 Sitzung der phUos.-phUol. Classe vom 7. Januar 1882. 

Indissolubili bitumine fundata 
Miris ac variis lapidibus distincta 

die seltene Anwendung dreizehnsilbiger Verse (jambisch) mit 
einer Caesur nach der 6. Silbe, also der französische Alexan- 
driner.' l ) Ich habe oben S. 104 eine Reihe von Zeilen zu 
6 + 7 — ^ mit demselben Schwanken der Basis von 6 ^ — 
zu 6 — ^ nachgewiesen ; allein, obwohl auch in jenem merk- 
würdigen Gedichte der nemliche Stoff wie in unserm Ludus 
behandelt ist, so hat doch unser Dichter seine Zeilenform 
6 + 7 — « nicht von dort entlehnt. Das beweist einmal 
die Vermengung der Zeile 6 + 7 — ^ mit 7 + 6 — ^, die 
in dem Gedicht von Montpellier nicht vorkommt, sodann 
der Umstand, dass trotz des gleichen Inhaltes unser Ludus 
keine Anklänge an jenes Gedicht enthält. Wie Bartsch in 
jenen Dreizehnsilbern den französischen Alexandriner fand, 
so fanden Andere in den Zeilen unseres Ludus die Nibe- 
lungenzeile, und die Zeile 7 ^— + 6—« ist gleich mit 
der berühmten Vagantenzeile. Unser Dichter ist von selbst 
und zufällig zu diesen Zeilenarten gekommen. Das zeigt 
vielleicht Weg in jenen so schwierigen Fragen über manche 
Formen der epischen Poesie der verschiedenen Völker. Sie 
sind sich oft sehr ähnlich, und manche haben desshalb be- 
hauptet, dass ein Volk sie von dem andern entlehnt habe. 
Die erzählende Dichtung braucht ebenmässig dahin fliessende 
Zeilen ; sie nimmt nun entweder die längsten der Kurzzeilen, 
die Zeilen zu 8 « — oder*8 — ^, oder Langzeilen. Die Lang- 
zeilen zerlegt die menschliche Stimme stets in 2 Theile, 
deren jeden sie in einem Zuge spricht. So wird jede Lang- 
zeile durch Caesur oder Pause in 2 Kurzzeilen zerlegt. Diese 
müssen natürlich einander im Umfange ähnlich sein. Zur 

1) In dem Gedicht des Philippe de Greve (?) bei Paul Meyer, . 

Archives d. Missions II, 3 p. 280 findet sich die aus 6 w (-7 — « 

erweiterte Strophe 6 ^ — aa 7 — b, 6« — cc 7 ~ w b. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 189 

Bildung solcher nicht zu kurzer und nicht zu langer Zeilen 
sind die Verbindungen der Kurzzeilen zu 6 und zu 7 Silben 
und wenn zwischen die betonten Silben öfter 2 unbetonte 
treten, auch die zu 8 Silben die geeignetsten. Wenn also 
bei verschiedenen Dichtern und Völkern sich ganz ähnliche 
aus jenen Elementen gebildete Zeilen finden, so ist diese 
Aehnlichkeit eine ebenso zufällige, oder vielmehr ebenso 
natürliche, wie die Aehnlichkeit dieser Dreizehnsilber mit 
dem Alexandriner, mit der Nibelungen- und der Vaganten- 
zeile. 

• Der Strophenbau unseres Dichters ist ein sehr un- 
entwickelter uud einfacher. Die Dreizehnsilber und die 
Zeilen zu 4— <-> -f~ 7— ^ reimen alle paarweise; desshalb 
muss nach V. 283 und 359 eine Zeile ausgefallen sein. Ge- 
paart sind auch die Zeilen in deu 5 Strophen (151 — 170) 
zu 8-waa -|- 11 u_ bb, in der Strophe (45 — 48) 8 — ^ 
aa + 9 ~ — bb, in der Strophe (365—368) (7 + 7 ~ — ) 
aabb und 399 (7 ^— -f- 7 ^— ) aa. Einfachen gekreuzten 
Reim zeigen die 4 Strophen (1 — 32) zu 8 ^— a + 7—"« b 

+ 8-— a+7--b, 9 c + 7--d + 9--C + 

7 — v, d und die 3 erweiterten Strophen 9 »_aaa 8 — « b, 
9v,__ccc 8 — ^ b , 9 ^ — d d d 8 — ^ b. Höher ist die 
Kunst des Dichters nicht gestiegen. 

Sorgfalt zeigt demnach nur der Reim und der Bau des 
Schlusses. Der einfache Strophenbau weist anf- frühe Zeit 
der Entstehung. Die häufige Zulassung des Hiatus und 
die (seltene) des daktylischen Wortschlusses, besonders aber 
der Wechsel des jambischen und trochäischen Schlusses der 
ersten Halbzeile und das Schwanken der Pause von der 6-. 
zur 7. Silbe widersprechen den Regeln der Schule. Zum 
Theil zeigt sich hier derselbe unabhängige Geist, welcher 
in der Umformung des vorliegenden Sagenstoffes und in dem 
Entwurf des ganzen Dramas sich gezeigt hat. 



Digitized by 



Google 



190 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882. 

Nachträge. 

Zu S. 68. Die ältesten gereimten Hexameter sind wohl die von 
Dragoni, Cenni storici sulla Chiesa Cremonese p. 334, und Troya, Storia 
d'Italia IV. 2 p. 538 veröffentlichten. Zuerst 2 Leonini mit clari : Rihaldi, 
aequorum : virorum, dann 1 Hex. mit Innenreim, 1 Hex. mit Eigennamen 
und de88halb ohne Reim, dann 3 Paare caodati 'dictus : relictus, creatus : 
glorificatus, Jani: vani' mit dem 4. Paare (octuageni: septuageni ?) : 
Ducentum atque decem tum quatuor octuagenae 
Sunt anni domini sex et bis septua genta (676). 
Den so natürlichen Endreim hatte ich im Anfange der Geschichte der 
gereimten Hexameter oft vermiest. 

Zu S. 67 u. 138 (Zweisilbiger Beim vor 1100). Neben Wipo ist 
bes. Ekkehart IV von S. Gallen zu nennen. In dem Prolog des am 
1030 dem Johannes, Abt von Trier und der Limburg, gewidmeten Liber 
Benedictionum nennt er seine meistens zweisilbig gereimten Leoninischen 
Hexameter 'presso tramite stricti 1 mit der eigenen Erklärung 'propter 
consonantiam duplarum plerumque syllabarum, ut monuisti, minus po- 
tenter inquiens, concinnari per unam; (vgl. Dümmler in Zeitschr. f. d. 
Alterthum 14, 1867, S. 11). 

Zu S. 75. Durch die besondere Liberalität der französischen Re- 
gierung habe ich die Pariser Handschrift 4976 (die Epitomae des Vir- 
gilius Maro) erhalten. Der Text ist reichhaltiger und oft besser als 
der Mai's. Das oben Gesagte finde ich bestätigt; so hat die Hschr. 
'Festa I, deum sol II, lempnia III (vgl. S. hl u. 78); auch diese Fas- 
sung des Textes bietet kein quantitirend gebautes Citat, dagegen wird 
z. B. das Oantamcntum bei Mai Epit. III 'Mea Matrona tuam amplector 
zonam 1 zu 2 richtigen rythroischen Zeilen gebessert 'Mea, mea Matrona, 
tuum amplector soma\ 

Zu S. 53 u. 103. Der longobardische rythmische Hexa- 
meter. 

Als Zeugnisse, wie tief die Bildung in der Longobardenzeit ge- 
sunken sei, führt man (vgl. Corssen, Aussprache II p. 397) Inschriften 
der Zeit an, — mit Recht, wenn dies wirklich, wie die Gelehrten meinen, 
quantitirend gebaute Hexameter sein sollten. Das ist unmöglich. Denn 
aus derselben Zeit und derselben Gegend gibt es gut gebaute Hexameter, 
und jene Zeilen, die der Fehler wegen gewiss allgemeinen Spott erregt 
hätten, stehen auf den Gräbern von Königen und ihnen Nahestehenden. 
Dann steht (nach den von Prof. Eugen Borroann gütigst mir übersendeten 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 191 

Collationen von Cod. Vat. Pakt. 833 saec. IX, fol. 50] neben der In- 
schrift Gruter p. 1169 Z. 1 'RITM.', Z. 3 'MKTR.\ so dass die beiden 
ersten Zeilen wohl als troch. Fünfzehnsilber (im 1. fehlen 2 Silben) zu 
fassen sind; neben der berühmten Inschrift auf den Bischof Damian 
(unten No. 2) steht ebenfalls 'RITHM.' Dadurch ist bewiesen, dass 
solche Inschriften durchaus nicht als quantitirend gebaute angesehen 
werden sollten. 

Die Gedichte, welche ich diesen Spuren folgend zusammenfand und 
hier in aller Kürze verzeichnen muss, bestehen aus Zeilen, die in der 
Kegel 15 Silben zählen (vgl. No. 2. 4. 5.), seltener 14 und 16 (vgl- 
No. 2. 4. 5.) und noch seltener 13 oder 17 (vgl. No. 2. und 9?). Diese 
Zeilen enden stets mit — ^ v — ^ (ausgenommen einige Zeilen in No. 
1 und 10), und zerfallen, den Caesuren des Hexameters entsprechend, 
in 2 ungleiche Theile (vgl. das Facsimile von No. 5 bei Troya). Der I., 
kleinere, Theil besteht sehr selten aus 6 ^ — , meistens aus 6 — ^ , 

7 v — und seltener aus 7 — ^ mit oder ohne Tw, selten aus 8 ^ — und 
noch seltener aus 8 — u ; der II., längere, Theil besteht selten aus 7 — u: 
-!— \j — ^ \j — v , oft aus 8 — \j (— w w — v/ *• — v oder v — o -i- c «-/ 
— w), und noch öfter aus 9 — ^ ohne Tw: -L^-i-v/— c/ u-U\j, fast 
nie aus, 9 — v mit Tw:^ — uv-^-v^ — v. 

Die Gedichte verzeichne ich nach Troya, Storia d'Italia tomo IV, 
parte III (Godice diplomatico Longobardo), wo sie alle abgedruckt sind, 
und den Longobardiscben Regesten im Neuen Archiv III, 1877, pag. 
229- 318 : 

1) Epitaphium des Königs Cuningbert, Pavia a, 700; 8 Z. ; 2 un- 
reine Schlüsse : robustissimus rex und viduata gemet. Troya p. 50, Reg. 
p. 241. 2) Epit. des Damian, Bischof von Pavia a. 710; in der Hschr. 
als RITHM. bezeichnet, 26 Z. zu 15 (17), 16 (6), 14(2), 17 (1) Silben; 
der II. Theil (11 Mal 9 — J : J-v-L-^ — ^ w — u , 7 Mal 8 — w: 
-i-i/ui-u \j — w) beginnt nur 3 Mal mit einer unbetonten Silbe. Troya 
p. 111; Reg. p 244. 3) Epit. des Königs Ansprandus, Pavia a. 712; 

8 Z. (in Z. 4 fehlt ein Wort). Troya p. 122; Reg. p. 245. 4) Epit. 
ducis Audoaldi, Pavia a. 718 ; 13 Z. Troya p. 269; Reg. p. 247. 5) Epit. 
Theodotae, Pavia a. 705 oder 720; 28 Z. Troya p. 70; Reg. p. 249. 
6) De Fundatione Civitatis novae, circ. a. 734; 7 Zeilen, deren Schlüsse 
fehlen. Troya p. 599; Reg. p. 255. 7) Epit. Cumiani episcopi, Bobbio 
a. 736; 16 Z. (II. Theil 12 Mal -i-v-J-^ J-^ v-^-u). Troya p. 628; 
Reg. p. 256. 8) Epit. Cunipergae, Cuniberti regis filiae, Pavia circ. 
a. 740; 11 Z. Troya p. 78: Reg. 260. 9) Verdorben zu sein scheint 
Gruter Inscr. p. 1169 No. 4 (aus Piacenza), 12 Z. mit dem mir unver- 
ständlichen Schlüsse: Tabella en heroieum triligat exaroetrnm* 



Digitized by 



Google 



192 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882. 

10) Ich weiss nicht, ob hierher gehört Gruter p. 1169 No. 5 (aus Pia- 
cenza), 10 Z., von denen jedoch 5 mit — ^ — ^ schliessen. 11) Die 
Grabschrift des Bischofs Felix (t a. 724 in Ravenna in Mon. Germ. 
Script. Longob. p 375) scheint zuerst Nachbildungen von Distichen zu 
enthalten (vgl die Schlüsse 'praesules digni deo; Felix amator fuit. 
magnanime floruit. etc. =: dem 2. Theil des Pentameters?), dann von 
'Cuius ope fretus 1 an Nachbildungen von Hexametern. x ) 

Vielleicht sind die oben S. 102 besprochenen Zeilen zu 6 ^ (- 

g — v w — u eine Abart dieser rythmischen Hexameter; sicher ist dies 
die Zeile, in welcher ein Dichter (also saec. VIII?) viele Räthsel ge- 
schrieben hat: ungefähr 370 Zeilen in Gruppen von je 6 bei Mone An- 
zeiger 1839 S. 219 und Riese Anthol. lat I p. 296—304 und II p. LXVI 
— LXXVJ; jede Zeile besteht aus 14 Silben und zerfallt in 2 Stucke; 
das I. besteht aus 6, das IL aus 8 Silben zu -Lu-Lü — u und — u v-r 

ego nata duos patres habere dinoscor; 
auf etwa 10 Verse trifft ein Taktwechsel: w — w w — \s oder v — ^ 
-!— \j \j — u, z. B. 

extremos ad brümae me prfmo confero mense 
Diese bei den Longobardeh vorkommenden rythmischen Hexameter 
haben sich weder weit verbreitet noch lange erhalten. 



1) Die Inschriften 'O Rhode dulcis anima' (Gruter p. 1176, 7; Fleetwood pag. 
476, 1), 'Bardorum bella' (Peregrini-Pratilli, Hist. princ. Longob. III p. 335) und 
'Christe fave* (Troya p. 545; Reg. p. 253) scheinen mir ursprünglich anständige 
quantit. Hexameter enthalten zu haben, die durch Zuthaten entstellt wurden 



Wilh. Meyer gibt in Uebereinstimrauug mit H. Prof. Trumpp 
zu S. 104 seiner Abhandlung 'die Geschichte des Kreuzholzes 1 (Abh. XVI, 
2. Abth.) und zu S. V von Trumpps Abhandlung 'Das Hexaemeron des 
Pseudoepipbanius' die Erklärung ab, dass er selbst das arab. aethiop. 
Hexaemeron niemals für eine üebersetzung oder Umarbeitung des syri- 
schen Epiphaniustextes gehalten hat, (auch die Bemerkung in Vita Adae 
et Evae S. 190 war in diesem Sinne gemeint), und dass er jetzt, nach 
Vergleich ung des von Lagarde (Symmikta II) übersetzten syrischen 
Textes des Epiphanius de Mensuris (cap. 21) mit dem von Trumpp über- 
setzten arab. aethiop. Hexaemeron, die feste (Jeberzeugnng gewonnen hat, 
diese arab. aethiop. Schrift habe sowohl mit dem griechischen als mit 
dem syrischen Texte des Epiphanius durchaus Nichts zu schaffen, sei 
Vielmehr aus andern, noch zu erforschenden Quellen abgeleitet. 



Digitized by 



Google 



Sitzungsberichte 

der 

philosophisch-philologischen und 
historischen Classe 

der 

k. b. Akademie der Wissenschaften 

zu IVCiinchen. 



1882. Heft IL 



München. 

Akademische Buchdruckerei von F. Straub. 

1882. 

In Commistion bei G. Franz. 



Digitized by 



Google 



Dicjitized by 



Google 



Sitzungsberichte 

der 

königl. bayer. Akademie der Wissenschaften. 



Historische Classe. 



Sitzung vom 7. Januar 1882. 



Herr v. Riehl hielt einen Vortrag: 

„Arcangelo Corelli im Wendepunkte zweier 
musikgeschichtlichen Epochen." 

I. 

Das siebenzehnte Jahrhundert trägt in der Musikge- 
schichte den Character einer Episode. 

Es hat keine so grossen, schöpferischen Meister aufzu- 
weisen, wie das sechzehnte in den überragenden Gestalten 
Palestrina's und Orlando Lasso's oder wie das achtzehnte in 
Bach, Händel, Gluck, Haydn, Mozart, deren Hauptwerke 
heute noch lebendig fortwirken. Die allermeisten Tonschöpf- 
ungen des sieben zehnten Jahrhunderts bieten im Gegensatze 
hierzu fast nur noch antiquarisches, historisches Interesse. 
Seine Meister wurden von den Vorgängern und Nachfolgern 
verdunkelt und verfielen der Geschichte. 

Allein zum Ersätze ist dieses Jahrhundert höchst wich- 
tig für die Genesis neuer musikalischer Formen, 
die sich aus älteren Anfängen damals langsam zu steigender 
Klarheit und wachsendem Einfluss entwickelten und aus 
untergeordneten Versuchen des sechzehnten Jahrhunderts zur 
[1882. I. Philos.-philol.bist.Cl. 2.] 13 



Digitized by 



Google 



194 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882. 

Herrschaft neuer Kunstgattungen im achtzehnten hinüber- 
leiteten. 

Die Meister dieser episodischen Zeit lösten bewusst und 
unbewusst die mittelaltrigen Musikformen auf, welche durch 
Palestrina ihren reichsten und reinsten Inhalt gewonnen 
hatten, und entwarfen die Grundlinien der modernen Formen. 
Und wer im Sinne solch überleitender Vorarbeit der Ge- 
schichte verfallt, der hat darum doch nicht umsonst ge- 
arbeitet. 

Ist also auch das siebenzehnte Jahrhundert arm für 
den heutigen praktischen Musiker und für den geniessenden 
Musikfreund, so gewährt es dafür dem wissenschaftlichen 
Forscher, vorab auf dem Gebiete der musikalischen Technik 
und Tektonik, überaus reiche Ausbeute, die noch lange 
nicht ganz gehoben ist. 

Jene neuen Formen und Gattungen waren: die italie- 
nische Oper und das französische Musikdrama, die weltliche 
Cantate und das Oratorium mit den Unter formen des Reci- 
tativs und der Arie; dann die Sonate und Suite mit ihren 
zahlreichen Verzweigungen bis hinauf zur Symphonie und 
zum Streichquartett. 

Zwar hatte das sechzehnte Jahrhundert hier überall 
bereits die ersten Keime gebracht, wie das achtzehnte die 
klassische Blüthe bringen sollte; aber dazwischen bereitete 
das siebenzehnte den Boden und förderte und regelte das 
Wachsthum der neuen Form und Art. 

Und nicht blos der Form. Denn auch im geistigen 
Gehalte, im Kunstideal ward damals eine grosse Wandlung 
angebahnt. Im sechzehnten Jahrhundert hatte noch die 
strenge objective Kirchenmusik geherrscht, in. der ersten 
Hälfte des achtzehnten hingegen gelangte die freiere, sub- 
jectivere geistliche Musik zur höchsten Macht; die Messe 
weicht dem Oratorium, um vollends in der zweiten Hälfte 
der weltlichen Tonkunst den überragenden Platz zu räumen. 



Digitized by 



Google 



v. Biehh: Arcangelo Corelli. 195 

Daneben war die rein instrumentale Kunst, die absolute 
Musik, im sechzehnten Jahrhundert noch in ganz unter- 
geordneter Dienstbarkeit verharrt, während wir sie in der 
ersten Hälfte des achtzehnten bereits ebenbürtig neben dem 
Gesänge erblicken. Und rasch gelangt sie dann in der fol- 
genden symphonischen Periode zur fast despotischen Herr- 
schaft. 

Der scharfe Gegensatz des achtzehnten Jahrhunderts 
zum sechzehnten, der gewaltige Umschwung begreift sich 
aber nur durch die dazwischen liegende rastlos zersetzende 
und ebenso rastlos formbildende Thätigkeit des siebenzehnten 
Jahrhunderts. 

Unter den Meistern dieser episodischen Zeit behauptet 
der Römer Arcangelo Corelli (geb. zu Pusignano 1653, gest. 
zu Rom 1713) einen hervorragenden Platz. 

Man hat ihn stets geehrt als den Begründer des kunst- 
reichen Geigenspiels und des concertmässigen Geigensatzes, 
als den Ahnherrn einer langen Geschlechterreihe glänzender 
Geigenvirtuosen, die in ununterbrochener Folge von Meistern 
und Schülern bis auf Viotti herabreicht. Allein es erging 
ihm dabei wie geraume Zeit sogar Seb. Bach: über dem 
Virtuosen Corelli wurde der Komponist Corelli vergessen, 
dessen beste Werke sich gerade dadurch auszeichnen, dass 
sie auf alles blos virtuosenhafte Beiwerk strenge verzichten, 
wie man lange genug über dem Orgelvirtuosen Bach den 
universal epochemachenden Tonsetzer Bach vergessen hat. 
Beides ist leicht begreiflich. Der reproduktive Musiker ge- 
hört der Gegenwart voll und ganz; je schöpferischer da- 
gegen der „productive" Musiker war, um so mehr gehört 
er auch der Zukunft. Die Zeitgenossen spendeten Corelli 
das höchste Lob, indem sie ihn „Virtuosissimo di Violino" 
nannten und auf mehreren gleichzeitigen Porträts ist er mit 
einem Notenblatte in der Hand dargestellt, welches die An- 
fangstakte seiner fünften Solo-Sonate zeigt. Diese Solo- 

13* 



Digitized by 



Google 



196 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882. 

Sonaten des Virtuosen galten lange und gelten vielfach auch 
heute noch fiir sein ausgezeichnetstes Werk, jedenfalls waren 
sie das verbreitetste, und unter ihnen gewann die zwölfte, 
La Follia, die grösste Popularität bis auf diesen Tag, ob- 
gleich sie doch wohl die schwächste und inhaltlich ärmste 
von allen ist. Aber sie ist die virtuosenhafteste. Eine 
Aussprache dieser alten Tradition, die in dem Komponisten 
Corelli zunächst den Virtuosen ehrt, finden wir selbst noch 
bei Fetis, wenn derselbe in seiner Biographie universelle 
des Musiciens die Solo-Sonaten als Corelli's Chef d'oeuvre 
bezeichnet. 

Allein der Schwerpunkt des grossen kunstgeschichtlichen 
Einflusses, den Corelli als Komponist übte, liegt nicht in 
diesem Werke sondern in seinen Geigen-Trios und in den 
Concerti grossi. Die letzteren bieten uns den Schlüssel 
zum historischen Verständniss der italienischen Orchestrir- 
ung wie sie, im scharfen Gegensatze zu Bachs Orchester, 
bis in's letzte Drittheil des vorigen Jahrhunderts auch in 
Deutschland herrschte; die ersteren dagegen, die Kirchen- 
und Kammer-Trios, sind die Vorläufer des klassischen deut- 
schen Streich-Quartetts, wobei freilich das verbindende Mittel- 
glied jener zahlreichen italienischen Trio-Componisten aus 
der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht übersehen 
werden darf, die den strengen Styl Corellis unter dem Ein- 
flüsse des Opern-Satzes schmeidigten, popularisirten und 
trivialisirten, — eine Gruppe von Kleinmeistern, die jetzt 
ganz verschollen und historisch noch gar nicht gewürdigt ist. 

Der Kammer-Komponist Corelli, der Meister des alten 
Streich-Trios und der Prophet des neuen Streichquartetts, 
ist es, auf welchen ich hier vorzugsweise mein Augenmerk 
richte. 

Er wird uns aber in dieser historischen Stellung nur 
verständlich, wenn wir seine Werke untersuchen im Zu- 
sammenhang mit der ganzen musikalischen Bewegung seiner 



Digitized by 



Google 



v. Riehl: Arcangelo Corelli. 197 

Zeit, im Wendepunkt jener zwei grossen Epochen. Gleich 
einem Januskopfe schaut er vor- und rückwärts. Das gilt 
zumal vonj der Periode seiner eingreifendsten schöpferischen 
Thätigkeit, in den achtziger und neunziger Jahren des sieben- 
zehnten Jahrhunderts. Was Corelli damals geworden war, 
das ist er in seinem späteren Lebensalter auch wesentlich 
geblieben. 

II. 

Corelli gehört zu jenen Meistern, die sich auf ein enges 
Kunstgebiet beschränken (wir besitzen von ihm nur Kamnier- 
und Konzertmusik für Streichinstrumente). Innerhalb dieser 
Gattung hielt er dann weiter eine bestimmte Form fast aus- 
schliessend fest, — die Sonatenform, oder genauer die Form 
der Kirchensonate und der Suite. Auch im Aufbau dieser 
Form gestattet er ,sich im Einzelnen wenig Freiheit, ringt 
aber nach fein abgestuften Unterschieden der Empfindung 
und des Ausdrucks. Grosses und Gewaltiges hat er uns 
nicht zu sagen ; aber was er uns sagt ist die vornehm feine, 
oft geistreiche Aussprache eines edeln, reinen und innigen 
Gemüths. 

Ein kühner Neuerer war er durchaus nicht. Diese 
Rolle würde schon seinem persönlichen Wesen widersprochen 
haben, welches als bescheiden, schlicht, anspruchslos, ja mit- 
unter sogar als schüchtern und verlegen geschildert wird, 
selbst in jenen Tagen, wo er sich eines europäischen Rufes 
erfreute und mit Ehren und Auszeichnungen überhäuft wurde. 
Sein Gesicht, aristokratisch fein wie seine Musik — wenig- 
stens nach dem Stiche von Anderloni *) — Erinnert eher an 
einen etwas reservirten vornehmen Herrn, an den „Marquis 



1) In einer ßadirung nachgebildet bei Vidal, J^es fostruments $ 
ajrchet. Paris 1377 U. Vol. p. 114, 



Digitized by 



Google 



198 Sitzung der histor. Clause Vom 7. Januar 1882. 

von Ladenburg 11 , welchen Titel ihm der Kurfürst Philipp 
Wilhelm von der Pfalz verlieh, 2 ) als an einen Künstler. 

Corelli war nicht frühreif; er veröffentlichte sein erstes 
Werk erst im dreissigsten Lebensjahre (1683), steht aber 
mit demselben auch schon fest und fertig in abgeschlossener 
Eigenart vor uns, die sich später nur glättet, läutert und 
erweitert, nicht aber im Wesen verändert. Er schrieb ver- 
gleichsweise nur wenig, nur sechs Werke. Allein dies sind 
dann wirkliche Opera, wie er sie auch ausdrücklich nennt; 
sie umfassen zusammen 72 Sonaten. 

Sie gliedern sich in zwei Gruppen, welche zugleich 
chronologisch als zwei Perioden erscheinen: 

Erste Periode : Opus 1 — 4; 48 Kirchen- und Kammer- 
Trios von 1683 — 1694 — Corelli führt den älteren mehr- 
stimmigen Sonatenstyl der Italiener zu seinem Höhepunkte 
und bereitet die Formen des späteren klassischen Streich- 
quartettes vor. 

Zweite Periode: Op. 5 und 6; 12 Solo-Sonaten für die 
Violine 1700 und 12 Concerti grossi 1712. Hier tritt Co- 
relli der Virtuose mehr in den Vordergrund, erscheint aber 
in dem letzten Werke zugleich auch als Mitbegründer einer 



2) Laut der Inschrift auf Corelli's Grabmal im Pantheon zu Rom. 
Dort heisst es Arcangelo Corellio . . . Philippi Wilhelmi Comitis Pala- 
tini Rheni S. R. I. Principis ac electoris beneficentia Marchioni de La- 
den(s)burg . . . Petrus Cardinalis Ottobonus . . . monumentum ponere 
curavit. Philipp Wilhelm regierte von 1685—90; er war, wie Häusser 
sagt (Gesch. der rhein. Pfalz II, 761), „unter seinen Zeitgenossen als 
ein gelehrter Fürst gerühmt". Corelli soll sich einige Zeit am kur- 
pfälzischen Hofe aufgehalten haben; dies könnte aber nur während der 
Regierung des Kurfürsten Karl (1680-85) gewesen sein. Wenn Wasie- 
lewski („die Violine und ihre Meister" S. 44) angiebt, dass Kurfürst 
Philipp Wilhelm jene Gedenktafel habe errichten lassen, so wird dies 
schon durch den Wortlaut der Inschrift widerlegt, abgesehen davon, dass 
Philipp Wilhelm bereits 23 Jahre vor Corelli gestorben ist und diesem 
also schwerlich einen Grabstein gesetzt haben wird. 



Digitized by 



Google 



v. Bielü: Arcangelo CorellL 199 

auf grössere Vollstimmigkeit gebauten neuen Orchestrirung, 
zunächst des Streichchores. 

Das Ansehen und der Einfluss dieser Kompositionen 
nicht blos in Italien sondern im musikalischen Europa ist 
schon durch die zum Theil recht schönen gestochenen Aus- 
gaben bezeugt, welche bei Lebzeiten des Meisters und un- 
mittelbar nachher in Rom, Bologna, London, Amsterdam, Ant- 
werpen und Paris erschienen. Einen alten deutschen Druck 
finde ich nirgends verzeichnet. Es könnte dies auffallen, da 
Corelli einige Zeit in Deutschland gelebt und gewirkt hat, 
in fortdauernder Beziehung zu deutschen Künstlern und 
Fürsten stand (noch sein letztes Werk ist dem Kurfürsten 
Johann Wilhelm von der Pfalz s ) gewidmet), und nach dem 
Zeugnisse von Printz, Quanz , Mattheson u. A. unter den 
deutschen Musikern noch lange als eine grosse Autorität 
geachtet und studiert wurde. Die Armuth Deutschlands nach 
dem dreissigjährigen Kriege und der traurige Zustand unsers 
damaligen Musikalien- Verlags und -Handels erklärt aber wohl 
zur Genüge, dass sich die Deutschen, hier wie anderswo, 
statt in einheimischen Drucken mit Paris und London zu 
wetteifern, lieber mit einheimischen Abschriften der Pariser 
und Londoner Drucke begnügten. 

Erst in neuester Zeit unternahm es Chrysander in seinen 
„Denkmälern der Tonkunst" eine deutsche Ausgabe Corelli's 
in diplomatisch getreuem Abdrucke der Römischen und 



3) Kurfürst Johann Wilhelm (reg. v. 1690—1716), durch seine Kunst- 
und Prunkliebe bekannt, war • der Gründer der Düsseldorfer Gemälde- 
Gallerie. Auch Corelli, mit Carlo Cignani und Carlo Maratta befreundet, 
war ein leidenschaftlicher Bilder-Sammler und brachte eine stattliche 
Privat-Gallerie zusammen, die er dem Kardinal Ottoboni vermachte. 
Händel sagte (nach Hawkins, bei Chrysander, Händel I 226), Gemälde, 
die er umsonst sehen konnte, seien Corelli's besondere Liebhaberei ge- 
wesen. Allein durch das unentgeltliche Betrachten von Bildern pflegt 
man doch keine Sammlung zu erwerben. 



Digitized by 



Google 



200 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882. 

Bologneser Originaldrucke durch Joseph Joachim herstellen 
zu lassen. Diese höchst verdienstliche Ausgabe gerieth aber 
in's Stocken und so besitzen wir davon bis jetzt nur den 
ersten Band, welcher die 48 Trios, also die frühere Periode 
Coreliis umfasst. Es ist dies aber der kunstgeschichtlich 
wichtigste Theil von unseres Meisters Schaffen, und da seine 
späteren Solo-Sonaten ohnedies immer verbreiteter waren 
und in Neudrucken zugänglicher geblieben sind, als jene 
fast verschollenen Trios, so darf man wohl sagen, dass selbst 
durch die unvollendete Chrysander'sche Ausgabe das Studium 
und die Kenntniss Corelli's wieder neu erweckt worden ist. 
Zu bedauern bleibt nur, dass sein letztes Werk, die Concerti 
grossi, bis auf diesen Tag zu den bibliothekarischen Selten- 
heiten gehört. 

Auch in anderer Weise wurde, das Studium Corelli's 
neuerdings gefordert durch Jos. Wilh. von Wasielewski, der 
in seinen beiden Schriften: „Die Violine und ihre Meister" 
(1869) und „Die Violine im 17. Jahrhundert und die An- 
fänge der Instrumentalcomposition" (1874) unsern Künstler 
eingehend und gründlich gewürdigt hat. Dass übrigens auch 
ein so ausgezeichneter Kenner wie Wasielewski sich erst ein- 
leben musste in die Kenntniss Corelli's, beweist das Ver- 
hältniss der zweiten Schrift zu der erstgenannten. Das 
jüngere Buch ergänzt, vertieft und berichtigt die Ausführ- 
ungen des älteren, und beide zusammengenommen geben erst 
das treffend gezeichnete Bild unsers Meisters. Noch grös- 
seren Dank des Forschers aber erwarb sich Wasielewski 
durch die Partitur-Ausgabe von 38 „Instrumentalsätzen 
vom Ende des 16. bis Ende des 17. Jahrhunderts" (Bonn, 
M. Cohen 1874). Wir erhalten hier eine reiche Auswahl 
zwei-, drei- und mehrstimmiger Sonatenwerke von den Vor- 
läufern Corelli's seit Florentio Maschera (1593) bis zu seinen 
Zeitgenossen Bassani, Veracini und Giuseppe Torelli, nach 
Handschriften und Drucken der Bibliotheken von Berlin, 



Digitized by 



Google 



t\ Riehl: Arcangelo Corelli. 201 

Dresden, Brüssel und Bologna. Und dieses ebenso seltene 
als werthvolle Material setzt uns erst in den Stand, durch 
Vergleichung mit den Vorgängern die Schranke wie die 
Grösse von Corelli's historischem Verdienste genauer zu 
würdigen. 

Wasielewski hat aber hiermit die Untersuchung über 
Corelli keineswegs abgeschlossen, sondern dieselbe vielmehr 
erst recht eröffnet, und so glaube ich denn auch im Nach- 
folgenden auf manche unbeachtete Thatsache aufmerksam 
machen und manche neue Gesichtspunkte hervorheben zu 
können. 

III. 

Nicht weil Corelli im Anfang sondern weil er in der 
Mitte der neuen instrumentalen Bewegung steht, weil er 
ihren ersten Höhepunkt bezeichnet, erscheint er epoche- 
machend. Er bat die Geigensonate und das Streichtrio nicht 
erfunden, aber er hat die älteste Form beider Gattungen 
so scharf gefestet, so klar ausgerundet und mit einem so 
entsprechenden Inhalte erfüllt, dass seine Sonate und sein 
Trio für lange Zeit massgebend blieb, soweit nur der Ein- 
fluss der italienischen Musik reichte. Sein Name wurde 
zum Stichwort der Periode und blieb im Gedächtniss der 
Nachkommen auch als die Namen und Werke seiner Vor- 
gänger und Nachfolger längst vergessen waren. 

Die Instrumentalsätze eines Marini, Neri, Vitali, Bassani, 
Veracini gehören doch zunächst der Spezialgeschichte der 
italienischen Musik; Corelli gehört der allgemeinen Musik- 
geschichte. 

Seine Werke drangen schon um desswillen über Italien 
hinaus in die Welt, weil er selber persönlich in die Welt 
gekommen war, weil persönliche und künstlerische Bezüge 
ihn, den Italiener zugleich mit den beiden andern grossen 
Musikvölkern verbanden, mit den Deutschen und Franzosen» 



Digitized by 



Google 



202 Sitzung der histor. Clause com 7. Januar 1882. 

Iin 17. Jahrhundert begannen die Musiker zu wandern: 
ein persönlicher internationaler Austausch hebt an, wie ihn 
die frühere Zeit nicht gekannt hat. Am fleissigsten wan- 
derten die Ialiener, und ihre Wanderschaft steigert sich 
nicht selten zur Auswanderung, um in der Fremde dauernd 
colonisatorisch zu wirken, auf Grund der Ueberzeugung, 
dass Italien das Land der höheren musikalischen Cultur sei. 

Hier gehen die Instruraentalkoinponisten voran, welche 
als Virtuosen ihre eigenen Werke vortrugen und an den 
Höfen musikliebender Fürsten gerne einen längeren Auf- 
enthalt nahmen. Deutschland, Frankreich und England 
wurde am häufigsten besucht, in späterer Zeit lockte auch 
Russland. Nicht ganz so beweglich waren die Opernkom- 
ponisten, dafür wanderten aber die Sänger und brachten 
die italienischen Opern mit. Am sesshaftesten waren die 
Kirchenmusiker. Ihr persönlicher Einfluss blieb darum auch 
viel mehr örtlich begrenzt, ihre Werke oft örtlich ver- 
borgen, wobei zudem noch die konfessionellen Schranken 
bemalend in den Weg traten. Die sinkende Macht der 
Kirchenmusik seit dem Ausgang des siebzehnten Jahrhunderts 
gegenüber der aufsteigenden Herrschaft der weltlichen wird 
zu einem Theile schon durch die scheinbar geringfügige 
Thatsache erklärt, dass der weltliche Musiker in alle Welt 
wanderte, während der Kirchenmusiker zu Hause blieb. 

Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wanderten die 
Italiener nach Deutschland um zu lehren und blieben Italiener ; 
die Deutschen wanderten nach Italien um zu lernen und 
verwälschten dort nicht selten. In der zweiten Hälfte des 
Jahrhunderts kehrte sich aber die Sache um. Die Bedeu- 
tendsten der ausgewanderten Italiener verdeutschten oder 
französisirten sich in der Fremde, wie Sacchini, Piccini, 
Cherubini, Viotti, Clementi; denn die nationalen Centren 
des europäischen Musiklebens lagen nun nicht mehr in Rom 
und Neapel sondern in Wien und Paris, 



Digitized by 



Google 



v, Bielü : Arcangelo Corelli. 203 

Das so überaus wichtige musikalische Wanderleben und 
Auswandererwesen jener beiden Perioden verdiente nach Ur- 
sache und Wirkung einmal selbständig untersucht zu werden. 

Corelli ist nicht viel und nicht lange gereist ; aber seine 
Wanderjahre sind zugleich seine Lehrjahre gewesen; erst 
nachdem er von ihnen heimgekehrt, begann er seine Werke 
zu veröffentlichen, und für seinen späteren internationalen 
Einfluss waren seine Reisen doch sehr massgebend. 

Sein erster Ausflug nach Paris (1672), von wo ihn 
Lully's Eifersucht wieder verscheucht haben soll, gilt neuer- 
dings für sagenhaft oder schlechthin für erdichtet, weil 
Hawkins 4 ), der von dieser Reise erzählt, seine Nachricht 
nicht näher begründet habe, auch sonst über einen Aufent- 
halt Corelli's in Paris nichts aufzufinden sei. 

Allein wenn wir in den Biographien der älteren Musiker, 
und vollends der kleineren Meister, nur diejenigen Thatsachen 
gelten lassen wollten, welche urkundlich belegt sind, dann 
bliebe von den meisten Musikergeschichten wenig oder gar 
nichts mehr übrig. Und wo will man denn weiter heute noch 
in Paris einen Nachweis darüber finden, dass sich vor mehr 
als zweihundert Jahren einmal ein neunzehnjähriger, damals 
noch sehr unbekannter italienischer Musiker des Studiums 
halber vorübergehend dort aufgehalten habe? 

Hawkins sagt von Corelli: About the year 1672 his 
curiosity led him to visit Paris probably with a view to 
attend the improvements which were making in music under 
the influence of Cardinal Mazarin. 

Vidal (a. a. 0. II, 111 flf.) citirt diese Stelle, um den 
Zweifel an Corelli's Pariser Aufenthalt zu bestärken; denn 
Mazarin (+ 1661) sei damals schon elf Jahre todt gewesen. 
Auf Mazarin's Todesjahr kommt es aber hierbei meines Er- 
achtens gar nicht an. Wenn unter dem Einflüsse des Kar- 



4) Historjr of tbe seiende aud practic of music, T. IV, 



Digitized by 



Google 



204 Sitzung der histor. Clause nun 7. Januar 1882. 

dinals wirklich „improvements", Verbesserungen, in der 
Musik gemacht worden waren, so konnten dieselben auch über 
seinen Tod hinaus nachwirken und noch lange nachher einen 
fremden Künstler zum Studium herbeilocken. Es fragt sich 
nur, welches diese Verbesserungen gewesen sein könnten ? 

Mazarin wird in der Geschichte des Pariser Opernwesens 
genannt, insofern er 1647 den Versuch machte, durch eine 
italienische Truppe die italienische Oper bei den Franzosen 
einzubürgern. Dieser Versuch misslang jedoch vollständig 
und führte später (nach des Kardinals Tode) vielmehr zum 
Gegentheil, nämlich zu den Anfängen einer national franzö- 
sischen Oper. Von Verbesserungen unter dem Einflüsse des 
Kardinals kann also hier doch nicht geredet werden. 

Dagegen gibt uns Vidal selbst, nur wenige Blätter vor 
seiner Kritik der Hawkins'schen Stelle, auf Seite 102, sehr 
dankenswerthe Notizen aus sonst schwer zugänglichen zeit- 
genössischen Quellen, die uns an eine „Verbesserung" ganz 
anderer Art unter Mazarin's Auspicien denken lassen. Zu der 
Zeit, da der Kardinal auf der Höhe seiner Macht stand, ver- 
anlasste Ludwig XIV. die Einführung der Streichinstrumente 
bei der Kirchenmusik durch Lully, und als im März 1660 
der päpstliche Heirathsdispens für Ludwig und die Infantin 
Maria Theresia in Paris einlief, wurde dieses Ereigniss durch 
ein vom Streichchor begleitetes Tedeum gefeiert. Ein langer 
Streit entbrannte über diese Neuerung der kirchlichen In- 
strumentalmusik, die den Einen ein Fortschritt, den Andern 
eine Profanation däuchte; allein sie behauptete sich. Ein 
Jahr nach Corelli's angeblichem Aufenthalte in Paris schreibt 
der Mercure galant : On ne chante presque plus d'airs ä 
quatre parties dans les temples et les menuets y sont de- 
venus ä la mode. 

Nun wurde es später eine der Lebensaufgaben Corellis, 
die Instrumentalmusik in der Kirche immer fester einzu- 
bürgern, und er hat epochemachend die Geigen neben die 



Digitized by 



Google 



v. Rieht: Arcangelo Corelli. 205 

Orgel und über die Orgel gestellt. In seinen für die Kirche 
geschriebenen Streich-Trios läuft der Einfluss der französi- 
schen Suite ganz deutlich mit unter, ja es fehlt sogar der 
ächte Menuett nicht (z. B. Op. I, Son. 7, Satz 3), dem nur 
die ausdrückliche Ueberschrift mangelt. 

Sollte da nicht wenigstens die Hypothese erlaubt sein, 
dass bei den „improvements", welche unter Mazarin's Ein- 
fluss, oder mindestens zur Zeit, da der Kardinal herrschte, 
in der französischen Musik eingeführt wurden, an die Geigen- 
musik in der Kirche zu denken sei, und dass also gerade 
die Stelle bei Hawkins, um derentwillen man Corelli's Pariser 
Reise bezweifelt, dieselbe vielmehr wahrscheinlicher mache? 
Aber selbst wenn unser Meister jene Reise gar nicht unter- 
nommen hätte, behält die Sage davon, wie so manche 
Künstler-Anekdote, dennoch eine tiefe innere Wahrheit: sie 
versinnbildet Coreliis Rieht ang und seinen geistigen Rapport 
mit der musikalischen Bewegung in Frankreich. 

Von Lully, der damals die französische Musik geradezu 
persönlich vertritt, dürfen wir aber auch in anderem Sinne 
nicht absehen, wenn wir Corelli würdigen wollen. 

Man beachtet Lully gewöhnlich nur als den Schöpfer 
der Tragedie lyrique, und in dieser weitwirkenden That 
gründet auch sein grosser historischer Name. Allein die 
Forderung, die Musik dem Worte, die Melodie den rhetori- 
schen Accenten zu opfern, wurde von Lully selbst nur auf 
den dramatischen Gesang beschränkt, und in ihrem Erfolg 
beschränkte sie sich zunächst nur auf die französische Opern- 
bühne für einen kurzen Zeitraum. Von dieser Tendenz bleibt 
Corelli völlig unberührt. Er bereitet die Herrschaft der ab- 
soluten Melodie vor bei einer rein musikalischen Architek- 
tonik des Instrumentalsatzes und ist insofern ein folge- 
rechterer Widersacher des französischen Musikdramatikers 
als selbst die gleichzeitigen italienischen Operncomponisten. 



Digitized by 



Google 



206 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882. 

Aber Lully paralysirte seine eigene Einseitigkeit durch 
die zahlreichen instrumentalen Intermezzos, Pantomimen, 
Ballette, mit welchen er seine melodielos deklamatorischen 
Gesangseenen durchwob. Ja er war früher schon ein an- 
erkannter Meister dieser absoluten, architektonischen Musik, 
bevor er (seit 1673) der Meister der dramatischen Recitation 
wurde. Lully's Tänze, Pantomimen und Ouvertüren ver- 
breiteten sich auch in's Ausland, während sein dramatischer 
Gesang nur in Frankreich Wurzel fassen konnte. Obgleich 
er, meines Wissens, niemals grössere selbständige Instru- 
mentalwerke komponirte, verdient er doch einen Platz 
in der Geschichte der Instrumentalmusik. Und zwischen 
diesem Lully und unserm Corelli besteht allerdings ein 
geistiges Band. Beiden gemeinsam ist das Streben, zum 
Urquell der Melodie, zum Voiksliede zurückzugreifen, wie 
es als Tanzlied sein schärfstes rhythmisches Gepräge und 
den nächsten Uebergang vom Gesang zum ' Instrumente ge- 
funden hat; Beiden gemeinsam aber auch das Streben, die 
Tanzweise über sich selbst zu erheben, so dass sie sich als 
melodisch schöne Form der Aussprache mannichfaltigster 
Stimmungen bietet. 

Man braucht nur die Correnten, Sarabanden und Giguen 
in den Sonaten der Vorgänger Corelli's, eines Marini, Magni, 
Vitali, Bassani (vgl. Wasielewski „Instrumentalsätze 44 S. 17, 
18, 46, 56, 57), mit den entsprechenden Corelli'schen Tanz- 
weisen zu vergleichen, um zu erkennen, wie Corelli diese, 
ich möchte sagen kunsthandwerklichen, Formen doch erst 
auf ihre künstlerische Potenz erhoben hat. 

Hierin ist er denn auch Lully weit überlegen; aber 
dieser französisirte Florentiner, dessen Kunstverstand grösser 
war als sein Genie, überragt dafür seinen römischen Lands- 
mann durch die vielgestaltigen neuen Probleme, welche er 
der Tanzmusik zu erschliessen sucht, ganz besonders nach 
Seiten der orchestralen Tonmalerei. Auf diesem Wege folgte 



Digitized by 



Google 



v. RieJü: Arcangelo Corelli. 207 

ihm Corelli nicht, wohl aber Franz Couperin in vielen 
Klaviersätzen seiner „Ordres u . Couperin's Technik aber 
wirkte anregend auf Sebastian Bach, wie Corelli's auf Händel. 
Und so sehen wir Deutsche, Italiener und Franzosen auch 
hier wieder in weittragender Wechselbeziehung, und wenn 
Corelli auch niemals in Paris gewesen wäre, so führen doch 
die Wege seines Schaffens öfters nach Paris. 

Unbestritten ist, dass Corelli um 1680 längere Zeit in 
Deutschland verweilte und zwar am bayerischen und pfälzi- 
schen Hofe. Printz sah ihn am markgräflichen Hofe zu 
Ansbach, wo später Giuseppe Torelli wirkte und starb; 
Chrysander berichtet von seiner Anwesenheit in Hannover, 
wo damals die Instrumental - Kapelle vorzugsweise Lully 
spielte. 6 ) 

Was Corelli auf seinen deutschen Wanderjahren bei 
unsern Künstlern gelernt und welchen rückwirkenden Ein- 
flnss er etwa auf dieselben geübt habe, das lässt sich nicht 
mehr nachweisen ; nur der spätere Einfluss seiner Werke 
und seiner Schüler bis in die zweite und dritte Generation 
liegt uns deutlich vor Augen. 

Seine direktesten persönlichen Beziehungen zur deut- 
schen Kunst knüpfen sich aber örtlich nicht an München 
oder Heidelberg, Ansbach oder Hannover, sondern an Rom, 
wo er (1708) mit Händel zusammentraf. ' 

Händel war damals dreiundzwanzig, Corelli fünfund- 
fünfzig Jahre alt. Die grössten Gegensätze des Künstler- 
charakters standen in den beiden Männern verkörpert neben- 
einander : — der junge Deutsche dem bereits auf der Höhe 
des Mannesalters stehenden Italiener an Geist und Gaben 
gewaltig überlegen, ein universal angelegtes Genie, voll 
Drang und Kraft, die ganze weite Welt seiner Kunst zu 
umfassen, während Jener, ein feines, in gemessenen Schranken 



5) Chrysander, Händel I, 357. 



Digitized by 



Google 



208 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882. 

trefflich entwickeltes Talent, mit dem grösseren Theile seines 
Schaffens schon abgeschlossen hatte; — Händel ungestüm, 
selbstgewiss ; Corelli zurückhaltend und bescheiden ; der Eine 
nach dem Tiefen, Grossen und Gewaltigen ringend, der 
Andere eine anmuthige, sinnig gemüthvolle Kunst in ruhi- 
gem Gleichmass pflegend. Man erzählt gewöhnlich nach 
Hawkins, wie Händel seinen Humor über Corelli habe spielen 
lassen, und wie dieser nicht im Stande gewesen sei, eine 
Ouvertüre Händeis mit dem Feuer vorzutragen, welches der 
deutsche Meister forderte und dem Italiener vergebens zu 
veranschaulichen suchte. Dies lässt sich wohl begreifen. 
Doch sollte man dabei nicht vergessen, dass andererseits 
Händel auch seine Achtung vor dem älteren und mit Recht 
berühmten Meister dadurch thatsächlich' aussprach, dass er 
auf dessen Wunsch nachher eine Sinfonia im mehr italie- 
nischen Geschmack statt jener Ouvertüre setzte. Kunstge- 
schichtlich wichtiger als diese Anekdote ist aber der Aus- 
tausch und die gegenseitige Anregung, welche wir in den 
Werken beider Meister nach ihrem Zusammentreffen in Rom 
wahrnehmen. Mit Recht bemerkt Wasielewski, dass Händel 
die methodisch normale Behandlung der Streichinstrumente 
Corelli's in sich aufgenommen habe, während andererseits 
Corelli's Instrumentalsatz in seinen vier Jahre später ver- 
öffentlichten Concerti grossi bisweilen sehr stark an Händeis 
Orchesterstyl erinnere. 

Die vorstehenden Andeutungen genügen wohl, um dar- 
zuthun, dass der bescheidene, auf so eng begränztem Kunst- 
gebiet thätige Corelli zu seiner Zeit nicht bloss Italien au- 
gehörte sondern der musikalischen Welt und die damalige 
internationale Machtstellung der italienischen Musik, em- 
pfangend und schaffend, wesentlich fördern half. 



Digitized by 



Google 



v. BieJü: Arcangelo Corelli. 209 



IV. 



Ich wende mich nun zu einer genaueren Untersuchung 
von Corelli's Kirchen- und Kammer-Trios (Op. I — IV), in 
welchen ich nach Form und Inhalt die bedeutendsten Vor- 
studien des siebenzehnten Jahrhunderts zu der späteren 
klassischen Kammermusik des deutschen Streichquartetts 
erblicke. 

Der dreistimmige Satz ging hier dem vierstimmigen 
voraus ; durch hundert und mehr Jahre musste das Streich- 
trio bis zur äussersten Uebersättigung dargeboten werden, 
bevor es durch das Streichquartett verdrängt wurde. Wenn 
Corelli die Dreistimmigkeit mit ganz besonderer Vorliebe 
handhabt, so folgt er hierin nur d|rri herrschenden Ge- 
schmacke seiner Zeit und seines Volkes, den er aber ver- 
edelt und festigt. 

Durch das Trio nimmt er Stellung als weltlicher Com- 
ponist gegenüber den Kirchencomponisten, als Meister der 
Geige gegenüber den Meistern der Orgel und des Kirchen- 
gesanges. Der Kirchensatz gründete auf der Vierstimmig- 
keit und strebte nach noch reicherer Polyphonie; denn er 
ging aus vom Chorgesang und den natürlichen vier Lagen 
der menschlichen Stimme. Der weltliche Instrumentalsatz 
dagegen ist, gleich dem Volksliede, von dei* Einzelstimme 
ausgegangen, welche zunächst eine zweite, dann eine dritte 
Stimme zur Begleitung sucht. 

Diese Gegensätze stehen zu Corelli's Tagen noch schroff 
neben einander. Während sich Ottavio Pitoni bemühte, eine 
zwölfehörige, d. h. achtundvierzigstimmige Messe zu schrei- 
ben, 6 ) erblickten die italienischen Opern- und Geigencom- 
ponisten vielmehr in durchsichtiger reiner Dreistimmigkeit 
den Triumph einer schönen, anmuthigen Harmonie. 



6) S. Proske Musica divina, Tom. I. LVJ. 
[1882. 1. Philos.-philol. hiat. Cl. 2.] 14 



Digitized by 



Google 



210 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882. 

Der höhere Rang der Dreistimmigkeit vor der Poly- 
phonie ward zu einem förmlichen Dogma des musikalischen 
Fortschrittes. Matheson 7 ) behauptet , dass in einem Trio 
mehr Kunst stecke als in vielstimmigen Sätzen, dass ein 
rechtes Trio das grosseste Meisterstück der Harmonie sei; 
er beruft sich dabei auf die gleiche Ansicht italienischer 
und französischer Schriftsteller und lässt seine Weisheit in 
den Versen des Christoph Donaverus gipfeln: 

Crede, tribus bene qui cecinit, bene pluribus ille 
Noverit harmonico concinuisse sono. 
Die gedachte Dreistimmigkeit ist dann aber hoffentlich cor- 
recter wie die Prosodie dieses Distichons. 

Obgleich nun der vielstimmige Satz als besonders kirch- 
lich, der dreistimmige als weltlich galt, setzte Corelli doch 
auch seine Kirchensonaten für drei Stimmen. Er hält so 
folgerecht auf die reine Dreistimmigkeit, dass er in seinen 
sämmtlichen 48 Trios den Geigen nicht einen einzigen 
Doppelgriff gibt. In seinen Solosonaten dagegen wimmelt 
es von Doppelgriffen, weil der Geiger mit dem Basso con- 
tinuo drei reale Stimmen darstellen soll. Diese Sonaten 
sind darum viel schwerer wie jene Trios ; denn der Geiger 
hat hier für Zwei zu spielen. Wir begreifen dann auch, 
dass später eine fremde Hand die Solosonaten als Trios be- 
arbeitete und solchergestalt Verwirrung in den Katalog der 
Corelli'schen Werke brachte. Der Bearbeiter zog nur die 
Dreistimmigkeit an's Licht, die bereits in den scheinbar 
zweistimmigen Sätzen steckte. Schon der blosse Titel „Trio u 
wirkte vor hundertundfünfzig Jahren wie eine Empfehlung. 
Eine Sonate für Violine und Klavier, die wir heute ein Duo 
nennen, nannte man darum auch ein Trio, weil man in 
diesem Falle das Klavier für zwei Stimmen zählte. Setzte 



7) „Neu eröffnetes Orchester" (1713) und „Vollkomm. Kapellmeister" 
(1739) S. 344 f. 



Digitized by 



Google 



v. BieM: Arcangelo CorelU. 211 

man dagegen zu drei Solostimmen ein begleitendes Klavier, 
so zählte man das letztere nicht mit und nannte das von vier 
Spielern ausgeführte Musikstück gleichfalls ein Trio. 

In Corelli's Concerti grossi, welche orchestral angelegt 
und stellenweise zu vier-, ja sechsstimmigem Satze gesteigert 
sind, bilden die drei Solo-Instrumente doch wieder ein Trio, 
als Kern des Ganzen. 

Dies führt zu der weiteren Thatsache, dass das italie- 
nische Opern-Orchester noch bis über die Mitte des acht- 
zehnten Jahrhunderts, auch wenn es über vollen Streich- 
end Blasechor verfügte, dennoch zumeist dreistimmig ge- 
halten war (die Viola mit dem Basse oder die zweite Vio- 
line mit der ersten gehend). Die Instrumentation der Opern- 
Arien Hasse's, der zu Dresden über das beste Orchester 
seiner Zeit verfügte, bewegt sich, scheinbar dürftig aber 
absichtlich, in überwiegender Dreistimmigkeit und selbst 
noch Jomelli's Opern-Partituren zeigen meist ein nur drei- 
stimmig geführtes Streichquartett; in seinen Messen, und 
seinem Miserere dagegen behandelt er das Quartett vier- 
stimmig; denn hier schrieb er für die Kirche. 

Seb. Bach, von der Kirchenmusik ausgehend, steht 
jenem italienischen Orchester ganz ferne ; er denkt polyphon, 
auch wenn er eine Arie begleitet. Händel, weit mehr von 
italienischer Kunst berührt, und durch die Oper zum Ora- 
torium dringend, behauptet eine mittlere Stellung. 

Auf die Frage, wie sich denn jene so langdauernde 
und weitgreifende Vorliebe der Italiener für den dreistim- 
migen Satz ästhetisch erklären lasse, dürfte Folgendes zu 
antworten sein: Man rang die Melodie zu befreien. Die 
thematische Vielstimmigkeit aber hatte die Melodie gefesselt 
und verhüllt. Die Melodie ist der Zeichnung, die Harmonie 
der Farbe vergleichbar; Corelli und die italienischen Opern- 
componisten strebten vor allem nach einfach schöner, klarer 
Zeichnung bei nur leichtem, durchsichtigem Farbenauftrag. 

14* 



Digitized by 



Google 



^1 



212 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882. 



Sie arbeiteten wohl thematisch, aber die sich kreuzenden 
Stimmen sollten doch immer der Hauptstimme, der leiten- 
den Melodie dienen. Die Entwicklung des freien Satzes 
aus dem gebundenen war ihr Problem, und drei Stimmen 
führten leichter zu dessen Lösung als vier oder mehrere. 
Die Kunst im vielstimmigen Satz bald frei bald gebunden 
zu schreiben, melodisch und thematisch zugleich, die Kunst, 
die alte und neue Technik zu verschmelzen und auf die 
höhere Potenz des ächten Quartettstyls zu erheben, ist dann 
vollauf erst Haydn und Mozart gelungen, und auch diesen 
erst in ihrer mittleren Periode. Corelli's Trios sind primi- 
tive und doch überaus feine Vorstudien dazu. 

Zum Verständniss seiner durchsichtig dreistimmigen 
Schreibart ist abfer nicht bloss der Rückblick auf die alten 
Contrapunktisten förderlich, sondern auch der Vorblick auf 
die Satzweise unserer Zeit. Wir sind neuerdings in der 
Musik immer coloristischer geworden, ganz wie in der 
Malerei, und streben darum nach tief gesättigten, stark con- 
trastirenden Modulationen, die nur durch selbständige voll- 
klingende Mittelstimmen erreicht werden können. Das hier- 
durch gewonnene harmonische Helldunkel dämpft und ver- 
schleiert dann die melodischen Haaptumrisse nicht minder 
stark als es die alten Contrapunkte gethan, aber in ganz 
anderer Weise. Gerade dieses Helldunkel, welches wesent- 
lich im Alt und Tenor liegt, floh Corelli. Er wollte einen 
lichten, frischen Klang mit klarsten Conturen der Melodie. 
Darum schrieb er seine Trios auch nicht für Violine, Viola 
und Violoncell, sondern für zwei Violinen und Bass. So 
hatten es seine Vorgänger gethan, so thaten auch seine 
Nachfolger bis weit über die Mitte des achtzehnten Jahr- 
hunderts. Die beiden Geigen, enge geführt, häufig gekreuzt, 
bewegen sich dabei überwiegend in einer höheren Mittel- 
lage; der Bass schreitet in der Tiefe, manchmal volle zwei 
Oktaven von den Oberstimmen entfernt, seinen einsamen 
Weg und steigt nur selten zur Tenorlage auf. 



•Digitized by 



Google 



r. Riehl: Arcangelo Corelli. 213 

Man hat schon oft bemerkt, dass Corelli's Geigenstimmen 
das dreigestrichene d nur selten überschreiten und hat dies 
durch die erst schwach entwickelte Technik des damaligen 
Violinspiels erklärt. Diese Technik war aber nach anderer 
Richtung (Doppelgriffe und Harpeggien) gar nicht schwach. 
Corelli bedurfte keiner hohen und höchsten Lagen, weil er 
keine tieferen Mittelstimmen hat, welche die Oberstimme 
gedeckt und verdunkelt hätten. Je tiefer und voller d. h. 
dunkler, unsere Mittelstimmen wurden, um so höher mussten 
dagegen die Geigen geführt werden, um ihren hellen herr- 
schenden Klang zu behaupten. 

Wenn aber Corelli's Geigen nicht hoch gehen, so gehen 
sie andererseits auch nicht tief, und auf Letzteres hat man 
meines Wissens noch nicht aufmerksam gemacht. Man 
kann die erste Stimme seiner meisten Triosätze, ja mitunter 
eines ganzen Trios spielen, ohne die G-Saite auch nur ein 
einzigesmal zu berühren. Und selbst die zweite Geige steigt 
nur selten, nur gleichsam nothgedrungen zu den vollen 
tiefen Klängen der G-Saite herab ; höchstens wird bei feier- 
lich langsamen Schlusskadenzen von dieser Regel eine Aus- 
nahme gemacht. Corelli verschmäht es also geradezu, die 
sämmtlichen Klangregister seines Instrumentes auszubeuten, 
und hier stand doch keine technische Schwierigkeit im 
Wege. Allein er braucht keinen Alt und Tenor, er will 
keinen haben, weil ihm der helle, freudige Klang der 
höheren Saiten schöner dünkt und die Sopran-Melodie, welche 
er so einseitig sucht, am klarsten hervortreten lässt. Seine 
beiden Geigenstimmen sind concertirende Soprane, die sich 
in gleicher Lage kreuzen. Dies wurde noch lange nachher 
als förmliches Dogma der Theorie gefordert. Im Jahre 
1752 schreibt noch Quantz 8 ) : „Ein Trio muss so beschaffen 



8) Vergleft&e „ Joh. Joach. Quantzens Versuch einer Anweisung die 
Flöte traversiere zu spielen", S. 303, ein Werk, welches keineswegs hlos 



Digitized by 



Google 



214 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882. 

sein, dass man kaum errathen könne, welche von beiden 
(Ober-) Stimmen die erste sei." Wie getreu die Praktiker 
selbst jener späteren Zeit noch diesem Gebote folgten, das 
bezeugen z. B. die Trios Alessandro Besozzis (1700 — 1775) 
und Johann Christian Bach's (des „Mailänder Bach"), zweier 
Meister, die zwar nach Anlage und Inhalt der Sätze bereits 
ganz andere Wege eingeschlagen haben wie Corelli, von 
denen aber im Punkte der Stimmlagen und der instrumen- 
talen Technik noch wörtlich dasselbe gilt, was ich hier von 
Corelli sagte. 

Bei Corelli's Solo -Sonaten (op. 5) dagegen gestaltet 
sich die Sache sofort anders: der hoch geführte Bass des 
begleitenden Cembalo und die Oberstimme liegen hier weit 
enger bei einander als in den Trios und die Geige steigt 
nicht selten und wirkungsreich zur tieferen Lage herab. 
Nicht ein verändertes Ziel sondern die anderen Mittel der 
Klangwirkung gestatteten und geboten Beides. 



Corelli steht in einer Uebergangsperiode. So folgerecht, 
ja einseitig darum auch seine Trio-Technik nach dem neuen 
Ziele der Befreiung und Herrschaft der Melodie ringen mag, 
so scharf und streng er die damals moderne und weltliche 
Dreistimmigkeit durchführt, so hängt seinem dreistimmigen 
Satze doch noch die Eierschale der alten Kirchenmusik 
an: — der „Basso continuo", mitgespielt von der Orgel bei 
den Kirchensonaten, vom Klavier oder der Orgel bei den 
Kammersonaten. 

Mit diesem „Continuo" stehen wir vor dem Kreuz aller 
modernen praktischen Musiker, die sich bemühen, solche 
Werke des siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts 



eine Flötenschule sondern auch eine Kömpositionsschule nnd eine Funö> 
grübe lehrreicher historischer Notizen ist. 



Digitized by 



Google 



v. Biehl: Arcangelo Corelli. 215 

durch die Aufführung für uns neu zu beleben ; und was ich 
hier sage, gilt nicht blos von Corelli und seinen Genossen, 
sondern auch ^_ von gar manchem Continuo Bach's und 
Händers. 

Im Continuo legt uns der alte Meister folgendes Räthsel 
vor : er gibt ein streng dreistimmiges Werk, die drei Stim- 
men sind voll und ganz in der Partitur ausgeschrieben, 
aber mit dem Basse (Violone o Arcileuto) geht nun noch 
unausgesetzt die Orgel oder das Klavier, welche nichts Neues 
und Selbständiges bieten, sondern nur die in Ziffern ange- 
deuteten Harmonien verdoppeln und ergänzen sollen. Also 
hatte der Komponist doch das Bedürfniss gesättigterer Mittel- 
stimmen, also empfand er doch die Leere des übergrossen 
Abstandes zwischen Sopran und Bass! Und er füllt sie aus 
— nicht durch eine vierte selbständige Stimme, denn da 
wäre ja das Trio ein Quartett geworden, sondern durch 
ein viertes Instrument, welches aber keine selbständige 
Stimme führt, also durch eine Tautologie. Erst ein Men- 
schenalter nach Corelli's Tode begannen die Italiener bei 
ihren Trios diesen Continuo hinwegzulassen; bei den Solos 
und bei vielstimmigen Werken hat er sich noch länger be- 
hauptet. 

Zu den drei Stimmen, deren Qang aufs Genaueste vor- 
geschrieben ist, gesellt sich im Continuo ein viertes 
Instrument, welches improvisirend ausfüllen soll. Auch 
dieses Improvisiren erscheint uns unorganisch, und wir 
möchten heutzutag eine solche Improvisation wohl kaum 
mehr dulden, selbst wenn sich der rechte Mann dazu fände. 
Wir suchen also den Continuo schriftlich zu enträthseln, 
wir schreiben ihn aus. 

Wie die alten Meister sich diese Enträthselung dachten, 
das hat uns Joh. Ph. Kirnberger in einem klassischen Muster 
gezeigt, indem er den Continuo der Trio-Sonate aus dem 
„Musikalischen Opfer" seines Lehrers Seb. Bach vierstimmig 



Digitized by 



Google 



216 Sitzung der lüstor. Classe vom 7. Januar 1882. 

aussetzte. 9 ) Und so hat man sich denn auch neuerdings 
oft genug in mehr oder minder stylgerechter Ausfüllung 
alter Continuo-Bässe versucht und könnte dergleichen auch 
leicht bei Corelli's Partituren einfügen. 

Denken wir uns die Kirchensonaten von einem grossen 
Streichchor ausgeführt und die fortlaufende Orgelbegleitung 
durch wechselnde harmonische Fülle oder Aussparung wie 
durch geschickte Registrirung fein abgestuft, dann mag das 
Ganze auch für ein modernes Ohr wirksam klingen. Die 
blos verstärkende und ergänzende Rolle des Orgel-Continuo 
stört uns nicht, weil wir durch Kirchengesang und Ora- 
torienwerke an dieselbe gewöhnt sind. Bei diesen ist denn 
auch der historische Ursprung aller Continuo-Bässe zu 
suchen. Der Kirchenchor bedurfte der fortwährenden Ton- 
angabe und Harmonie- Verstärkung durch die Orgel, und 
als man den Gesang auf Instrumente übertrug und so zur 
selbständigen polyphonen Instrumentalmusik kam , nahm 
man den ausfüllenden Fundamental- Bass der Orgel aus alter 
Gewohnheit mit und übertrug ihn im Zimmer aufs Klavier. 
Erst als der letzte Continuo aus dem Konzertsaale ver- 
schwand, war die Emancipation der Instrumentalmusik von 
der Kirchenmusik vollendet. 

Soweit ist nun aber Corelli auch in seinen Kammer- 
Trios noch lange nicht. Ueberwiegend aus Tänzen zusammen- 
gesetzt, haben diese doch noch den Continuo des Klaviers, 
der uns die wirksame Ausfuhrung der reizenden kleinen 
Werke auf's äusserste erschwert. Schon aus dem Grunde, 
weil die tonschwachen Cembali des siebenzehnten Jahr- 
hunderts ganz andere Instrumente waren als unsere voll- 
tönenden Flügel. Besetzen wir ein solches Trio einfach, so 
erdrücken die unaufhörlichen Accordenfolgen des modernen 



9) Diese Ergänzung Kirnbergers ist neuerdings abgedruckt in der 
Peters'schen Ausgabe jenes Trios. 



Digitized by 



Google 



v. Eiehl: Arcangelo Gorelli. 217 

Klaviers die feine Stimmführung der Geigen. Auch wider- 
strebt es unserm Fundamentalbegriff der höheren Kammer- 
musik, zu drei realen Stimmen unablässig noch eine blose 
Ausfüllstimme zu hören. Und überdiess ist das früher so 
bescheiden dienende Klavier seit Mozart und Beethoven so 
herrschgewaltig und herrschsüchtig geworden, dass uns 
dessen blosse Diener-Rolle befremdet und stört. 

Nach vielen praktischen Versuchen, die ich angestellt, 
fand ich zuletzt folgende Wege, um die so überaus schönen 
Corelli'schen Kammer-Trios, ohne irgendwelche fremdartige 
Zuthat, dem modernen Ohre zu retten. Entweder: Man 
spare den voll ausgeschriebenen Continuo des Klaviers nur 
für kräftige Tutti-Stellen auf, und lasse bei den zarteren 
und weicheren Partieen die drei Streichinstrumente für sich 
allein den vollen Zauber reiner Dreistimmigkeit entfalten. 
Oder : man beseitige den Continuo ganz und gar. Dies kann 
aber nur geschehen, indem man die Lage des Basses häufig um 
eine Oktave erhöht und dadurch den allzugrossen und leeren 
Abstand zwischen Ober- und Unterstimmen aufhebt. Ein 
Blick in die Partituren lehrt, dass uns dies der Komponist 
sehr leicht gemacht hat, und da wir doch Corelli's Bass- 
Instrument, Violone oder Arcileuto, gewiss nicht mehr an- 
wenden werden, sondern unser Violoncello, so haben wir 
auch ein Recht, seinen Bass violoncell-mässig umzuschreiben. 
Noch viel schöner jedoch, namentlich auch bei grosser Be- 
setzung, wird sich die Klangwirkung gestalten, wenn wir 
die Bassstimme, häufig um eine Oktave erhöht, durchaus 
der Viola übertragen und dann bei Forte- und Tutti-Stellen, 
das Violoncello in der tieferen Oktave mit einsetzen lassen, 
gleich dem Pedalbasse einer Orgel. Der Corelli so eigen- 
tümliche Character der Zartheit und Innigkeit kommt auf 
diese Weise wohl am schönsten zur Aussprache, während 
die Verdoppelung des Basses verhütet, dass derselbe nicht 
durchweg „zu jung 4 ' klingt, 



Digitized by 



Google 



218 Sitzung der histor. Clause vom 7. Januar 1882. 

VI. 

Corelli's Kirchensonaten wurden ihrer Zeit in Italien 
beim Gottesdienste gespielt. Ich berichtete bereits, dass da- 
mals die Geigen in die Pariser Kirchen eingedrungen waren. 
Auch in Italien vollzog und festigte sich gleichzeitig, wenn 
nicht früher, diese Neuerung. Schon Carissimi hatte Instru- 
mente zu seinen Motetten gefügt, und Corelli's „Lehrer und 
Vorbild" Giovanni Battista Bassani hatte in Bologna seine 
Messen und Motetten von Geigen begleiten lassen. Nur in 
Rom hielt man die profanen Instrumente strenge fern vom 
Gottesdienst. Allein Corelli's Sonaten weckten so sehr die 
Andacht und Bewunderung der Römer, dass von nun an 
auch in den römischen Kirchen die Sonate ihren Platz er- 
oberte, und das begleitende Orchester von den kunstreichen 
Gesängen der Messe nicht mehr zurückzuhalten war. 

Die leidenschaftliche Vorliebe für concertmässige In- 
strumentalmusik beim Gottesdienste steigerte sich dann im 
achtzehnten Jahrhundert bis zum Uebermasse. Erzählt uns 
doch Dittersdorf in seiner Selbstbiographie, dass der Geiger 
Spagnoletto in der Kirche San Paolo in Bologna ein Violin- 
concert von Tartini zwischen den Psalmen und der Vesper 
gespielt s habe unter dem stillen Beifall eines grossen Publi- 
kums von Kennern und Musikfreunden. 

Die Kirchensonaten Corelli's bestehen grösstenteils aus 
vier Sätzen : einem langsamen Satze als Introduktion, einer 
Allegro-Fuge, einem langsamen Mittelsatze, der mitunter 
auch zum blosen Ueberleitungs-Satze zusammenschrumpft 
und einem raschen, öfters fugirten Schlusssatze. Das Ganze 
fällt solchergestalt in einen etwas bedenklichen Parallel ismus 
auseinander. Dies verhinderte jedoch nicht, dass diese Form, 
die übrigens Corelli nicht geschaffen hat, sich noch bis über 
die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts erhielt, wie wir 
denn sogar noch von einem Zeitgenossen Haydn's und 



Digitized by 



Google 



v. BieJü: Arcangelo Corelli. 219 

Mozart 's, Florian Gassmann (1729—74) sechs Kirchenquar- 
tette für Streich-Instrumente mit je zwei langsamen Sätzen 
und zwei Fugen besitzen. 

Die Präludien und langsamen Mittelsätze in Corellfs 
Kirchentrios sind zwiefacher Art, entweder eine blose Ein- 
leitungsmusik oder selbständige hymnenartige Adagios. 

Ausnahmsweise schreibt unser Meister wohl auch ein 
Allegro-Präludium. Dies zeigt dann (wie z. B. Op. I 7 u. 9 ; 
Op. III 6) die Form der alten Toccata in einem etuden- 
artigen Spiel mit ganz kurzen nachahmenden Motiven und 
Figuren-Gruppen. In solchem präludirendem Suchen und 
Anschlagen der Grundharmonie (schon der Wortbegriff der 
Toccata und der synonymen früher gleichfalls gebräuch- 
lichen Tastata deutet darauf hin) hatten sich die alten 
Orgelmeister zuerst von der Gesangmelodie zu einer rein in- 
strumentalen Figurirung von Läufen und Harpeggien her- 
über gewagt. 10 ) 



10) Die Frage, was eine Toccata sei? lässt sich so allgemein gar 
nicht beantworten; denn zu verschiedenen Zeiten, ja bei verschiedenen 
Meistern derselben Zeit hat dieses Wort einen ganz verschiedenen Sinn. 
In den Intonazioni d'Organo der beiden Gabrieli (1593) stehen die Toc- 
caten als sehr breit ausgeführte Vorspiele neben den weit knapper und 
kurzer präludirenden „ Intonationen ". In Frescobaldis Fiori Musicali 
(1635) ist die Toccata gegen theils ein ganz kurzes Präludium. In dem 
„Wegweiser die Orgel recht zu schlagen", Augsb. 1692, ist umgekehrt 
die Tastata ein kurzes Vorspiel, die Toccata und Toccatina dagegen eine 
kleine, aus zwei bis drei Sätzchen gebildete Orgelsonatine. In Joh. Speth's 
Ars magna consoni et dissoni (Ende des 17. Jahrhdts.) ist die Toccata 
eine freie, über mehrere Motive ausgeführte Fantasia. Georg Muffat in 
seinem Apparatus musico-organisticus (1690) gibt vollständigen drei- bis 
viersätzig aufgebauten Orgelsonaten den Titel Toccata. In Seb. Bach's 
Klavier-Uebung Vierter Theil (um 1742) stehen zwei Toccaten, welche 
wir Fugen-Phantasien mit breit angelegtem Vor- und Nachspiel nennen 
würden. Clementi macht in einer Sonate von 1781 die Toccata gar 
zum Finale ! und gibt unter diesem Namen einen regelrechten zweithei- 
ligen Sopaten-Satz, Presto, der durch gar nichts mehr als etwa die 



Digitized by 



Google 



" r "^(pfl 



220 Sitzung der histor. Clause vom 7. Januar 1S82. 



Tieferen künstlerischen Werth als die Präludien besitzt 
jene zweite Gruppe der langsamen Sätze in Corelli's Souaten, 
welche ich hyinnenartige Largos oder Adagios nannte. In 
der Regel in die Mitte gestellt, finden sie sich mitunter 
auch am Anfange wie z. B. das überaus edle und stimmungs- 
volle Grave, womit die fünfte Sonate des ersten Werkes 
beginnt. 

Corelli soll ein besonderer Verehrer Palestrinas gewesen 
sein und sich bei seinem Aufenthalte in Deutschland um 
die Verbreitung Palestrina'scher Werke eifrig bemüht haben. 
Letzteres möge dahingestellt bleiben. Aber manche jener 
Adagios erscheinen wirklich vom Geiste des grossen Prä- 
nestiners berührt. In einfachster Rhythmik angelegt, im 
schlichtesten Ghoraltone und doch höchst geistvoll harmo- 
nisirt, athmen diese Hymnen eine kindesreine Frömmigkeit, 
die uns bald an das Et in terra pax hominibus der Missa 
brevis von Palestrina, bald an Mozart's Ave verum erinnert. 
Wir hören Streichinstrumente und glauben einen reinen 
A capella- Gesang zu hören. Die Kirchentonarten haben 
freilich dem neuen Dur und Moll bereits Platz gemacht; 
dennoch dünken wir uns vom Ende des siebenzehnten Jahr- 
hunderts zum Ende des sechzehnten zurückversetzt. Es wird 
uns auf einmal wieder klar, dass die Instrumentalmusik an- 
fangs nichts weiter als ein auf Instrumenten gespielter Ge- 
sang gewesen ist, wie es bei Porster's Liederbuch von 1539 
heisst: „Zu singen und (oder) auf allerlei Instrumenten zu 
gebrauchen, 41 und wie wir bei Frescobaldi's wundersamen 



reiche Figurirung an die alte Toccata erinnert. Stylvolle neueste Toc- 
caten (von Rheinberger n. A.) dürfen wir wohl als selbständige Instru- 
mentalsätze bezeichnen, welche auf zwei kurzen, stark contrastirenden 
contrapunktischen Motiven aufgebaut und bald thematisch streng, bald 
freier durchgeführt sind mit energisch entwickelter Figurirung, die dann, 
bei der Kürze der Motive etudenartig klingt und also wieder auf Gabrielas 
Toccatenform zurückdeutet. 



Digitized by 



Google 



v. Biehl: Arcangelo Corelli. 221 

Orgelsätzen über das Kyrie und Christe eleison des grego- 
rianischen Chorals 11 ) keine Orgel mehr hören sondern einen 
Kirchenchor ohne Worte. 

So wäre es auch leicht manchem Corelli'schen Grave 
und Adagio Worte zu unterlegen, und wir hätten einen 
Kirchenchor. (Vgl. die Mittelsätze von Op. I, 3 ; 9 ; Op. III, 
7 ; 8.) Gleich den Altmeistern der Orgel hält er hier seine 
Geigen und Bässe fast durchweg im Tonumfang der Sing- 
stimme ; er gibt ihnen keine Portschreitung, keine Figurir- 
ung, die nicht streng gesanglich wäre. 

So manche Adagios Tartini's und anderer späterer 
Italiener sind gleichfalls Gesänge ohne Text, auf die Geige 
übertragen ; aber sie sind Solo-Gesänge, die bereits den Ein- 
fluss der Opern-Arie verrathen ; Corelli's Adagios sind akkord- 
liche Chorgesänge im Kirchenstyl. Man ahnt dabei nicht, 
dass er ein Zeitgenosse und Freund des sonst so herrsch- 
gewaltigen Opernkomponisten Alessandro Scarlatti war. Die 
eben so frisch aufblühende Oper hat noch keine Macht über 
ihn gewonnen. 

Wohl aber finden sich einzelne Sätze in seinen Sonaten, 
die den Einfluss des schlichten weltlichen Volksliedes neben 
dem Kirchengesang verrathen. Denn zum melodischen Motiv 
drängt es ihn überall, obgleich er auch die thematischen 
Motive des gelehrten Satzes gar wohl zu handhaben ver- 
steht. Aber die contrapunktisch-thematischen Motive hatte 
er in der Schule gelernt, die melodischen quollen ihm aus 
der Seele. Er steht zwischen zwei grossen Epochen, und 
dem melodischen Motiv gehörte die Zukunft. Noch herrschte 
der Kanon und die Fuge und sollte durch Händel und Bach 
sogar zu weit höherer und höchster Herrschaft gelangen; 



11) Aus den „Fiori musicali" neuerdings abgedruckt bei Franz 
Commer „Kompositionen für die Orgel aus dem 16., 17. u. 18. Jahrhdt.", 
Heft II. 



Digitized by 



Google 



222 Sitzung der histor. Classe vom 7, Januar 1682. 

aber fünzig Jahre nach Corelli's Tode siegte tlie freie Me- 
lodie und mit diesem Siege erstand unsere klassische sym- 
phonische Periode. Corelli hat sie geweissagt. 

Ich wende mich zu den Allegro-Sätzen seiner Kirchen- 
Trios. Sie basiren entweder auf Formen der Tanzmusik 
oder — der Fuge, wobei der Meister dann auch mitunter 
eine Tanzweise fugirt. 

Manche dieser Tanzweisen sind recht heiter, ja muth- 
willig, wobei die fröhliche Laune dann freilich durch ernst- 
hafte contrapunktische Arbeit gezügelt, aber keineswegs 
unterdrückt wird. So ist z. B. in Op. I, 9 das Schluss- 
allegro eigentlich eine Corrente, jener Tanz, mit welchem 
man die Bälle des siebenzehnten Jahrhunderts, wie heutzu- 
tage mit der Polonäse zu eröffnen pflegte. Die kanonischen 
Imitationen der drei Stimmen erinnern uns zwar daran, dass 
wir nicht im Tanzsaale sondern in der Kirche sind, allein 
der Komponist scheint doch das Bedtirfniss einer noch deut- 
licheren Mahnung selber empfunden zu haben, denn er lässt 
die Corrente in vier hochfeierliche Adagiotakte auslaufen, 
die nun fast wie ein „Amen u klingen ! Das Finale der fol- 
genden Sonate ist eine verkappte Gavotte, der nächstfol- 
genden eine Giga, die man nicht einmal verkappt nennen 
kann. Bach hat in so mancher Sarabande seiner Suiten 
und Partiten den Kirchenstyl in die Tanzmusik getragen; 
Corelli bringt umgekehrt die Tanzweise in die Kirche. Und 
doch haben wir auch hierbei nicht entfernt den störenden 
Eindruck des Fremdartigen oder Frivolen. Der Meister ist 
nicht minder fromm, wenn er sich im leichten Schwünge 
des Menuett als wenn er sich im Schwerschritte des Chorals 
bewegt. Für religiös und künstlerisch naive Gemüther gibt 
es keinen besondern Kirchenstyl; die weltliche Kunst wird 
von selber kirchlich, wenn wir sie möglichst rein und hoch 
fassen. Skeptische und künstlerisch reflektirte Perioden 



Digitized by 



Google 



v. Biehl: Arcangelo Corelli. 223 

und Menschen suchen dagegen das Kirchliche im Herauf- 
beschwören abgestorbener alterthümlicher Formen. 

Und nun n6ch ein Wort von den Fugen der Corelli- 
schen Kirchensonaten. Es wäre ungerecht, dieselben mit 
den strengen, ernsten, herben, spröden,, tiefsinnigen, gross- 
artigen Fugen unserer deutschen Orgelmeister von Froberger 
bis zu Buxtehude und Händel und Bach zu vergleichen. 
Sie können sich mit den besseren und besten dieser Werke 
weder an äusserer Kunst noch an Tiefe des Gehaltes messen. 
Aber sie sind und bleiben docb frische, kräftige, fein und 
geistreich gearbeitete Fugen, die den langsamen Sätzen ein 
wirksames Gegengewicht bieten. Ihr Hauptreiz liegt in den 
rhythmisch und melodisch meist sehr originell und schön 
erfundenen Themen; wer aber mit der Fugen-Technik ver- 
traut ist, der weiss, dass nur derjenige ein gutes Fugen- 
Thema erfinden kann, der es auch gut durchzuführea ver- 
steht; denn die verschiedenen Möglichkeiten stylgerechter 
Durchführung müssen schon von vornherein in dem Thema 
stecken und in ihm vorgeahnt und vorgedacht sein. 

Den Gesammtcharakter der Corelli'schen Kirchensonaten 
möge noch eine Parallele erläutern. Unter den gleichzeitigen 
deutschen Meistern der instrumentalen Kirchenmusik steht 
Keiner nach Geist und Richtung Corelli näher als Georg 
MufFat. Er kam nach Paris und studierte Lully ; dann weilte 
er zu Rom, als Corelli eben seine ersten epochemachenden 
Werke veröffentlicht hatte. Aus Muffat's Orgel-Toccaten 12 ) 
(1690) spricht uns derselbe reine, milde, kindlich fromme 
Geist an, wie aus Corelli's Werken, derselbe Sinn für die 
formschöne Melodie eignet Beiden ; in der Technik des 
Satzes begegnen sie sich häufig; Muffat ist harmonisch 
gründlicher und tiefer und hält strenger an den typischen 



12) Vergl. namentlich die beiden Toccaten, welche Prof, Herzog 
in seinem „Album für Organisten" S. 55 u. 67 mittheilt. 



Digitized by 



Google 



224 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882. 

Formen des alten Kirchensatzes, Corelli ist erfindungsreicher, 
originaler und bahnbrechender. Der liebenswürdige Passauer 
Dom-Kapellmeister wurde vergessen, während der römische 
Geigenvirtuose weltbekannt blieb. Aber in unserer Zeit, 
wo wir Muffat wiedergefunden und schätzen gelernt haben, 
verstehen wir unsern italienisch anmuthigen deutschen Meister 
erst ganz und begreifen, dass er so schreiben konnte, wie 
er schrieb und doch auch ein Zeitgenosse und Landsmann 
des tiefsinnig mächtigen, herben Dietrich Buxtehude sein 
konnte, wenn wir ihn mit Corelli zusammenhalten — im 
Wendepunkte zweier Epochen. 

VII. 

Zu Corelli's Zeit gab es noch keine öffentlichen Konzert- 
Institute wie heutzutage. Wenn er Sonaten in der Kirche 
spielte, so hatte er dort wohl ein grosses und gemischtes 
Auditorium und trat an die volle Oeffentlichkeit : Kammer- 
musik dagegen schrieb man für einen erlesenen Kreis von 
Kennern und Kunstfreunden, für das Hauskonzert und zwar 
zunächst im vornehmen Hause. Aus den Sälen der Fürsten- 
und Adelsschlösser drang diese aristokratische Kunst dann 
aber auch in den Kreis bürgerlicher Leute, die sich keine 
Kammermusiker halten konnten , die aber selbst gesellig 
musizirten; die Kammermusik wird später zugleich Haus- 
musik. Durch die Dilettanten ist sie volksthümlich und 
mächtig geworden. Ihre Triebkraft stockte und ihre Macht 
sank, als sie zuletzt den Dilettanten über den Kopf ge- 
wachsen war. 

Diese Entwickelung währt von der zweiten Hälfte des 
siebenzehnten Jahrhunderts bis in die ersten Jahrzehnte des 
neunzehnten, von Corelli bis Beethoven. Wesen und Wachs- 
thum unserer Kunstgattung lässt sich ohne diese äusser- 
lichen Thatsachen gar nicht erklären. Bei aller Art Musik 
ist die Frage, unter welchem Dache sie ursprünglich ge- 
pflegt wurde, überaus wichtig. 



Digitized by 



Google 



v. Riehl : Arcangelo CorelU. 225 

Corelli fand dieses gastliche Dach für seine Person wie 
für seine Kunst in dem Palaste des Kardinals Pietro Otto- 
boni ,s ), der an jedem Montag Konzerte aufführen Hess 
durch seine eigenen Instrumentalisten, die päpstlichen Sänger 
und bedeutende fremde Künstler, unter welchen Händeis 
Namen vor Allen glänzt. Der Kardinal bot bei diesen 
Musikabenden, die Corelli leitete, seinen Gästen nicht blos 
die erlesensten Kunstgenüsse (auch die- Poesie gesellte sich 
zur Musik), sondern entfaltete auch äusserlich eine „maje- 
stätische Pracht' 1 . 

Die „Akademien" Ottoboni's sind ebenso vorbildlich 
für die spätere ähnliche Kunstpflege deutscher und nament- 
lich österreichischer Fürsten und Edeln, wie Corelli's Trios, 
Sonaten und Konzerte vorbildlich wurden für die späteren 
Formen der klassischen deutschen Instrumentalmusik. 

Wir begreifen den durchweg vornehmen Character der 
Corelli'schen Kammertrios erst ganz, wenn wir sie uns für 
jenen erlesenen kunstaristokratischen Zirkel geschrieben 
denken. % 

In der Gliederung der Sätze unterscheiden sich die- 
selben von den Kirchentrios durch die Suitenform. Bei den 
späteren zwölf Solosonaten hat Corelli nur sechsen diese 
Form gegeben, der andern Hälfte die Kirchenform ; bei den 
Concerti grossi stellt sich die Form der Kirchensonate zur 
Form der Suite wie acht zu vier. 

Die bewegliche Tanzweise erhält in den Kammertrios 
ihr Gegengewicht durch feierliche Präludien, zwischendurch 
eingestreute Adagio-Mittelsätze und den getragenen Hymnen- 
oder Liedes-Ton der Sarabanden. So verflechten sich auch 
hier wieder Motive des Kirchensatzes mit einer oft fein 
kontrapunktirten Tanzmusik. Bei Tartini und anderen 



13) Ausführliches über diesen merkwürdigen Mäcen gibt Chry- 
sander, Händel I, 211 ff. 

[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 15 



Digitized by 



Google 



226 Sitzung der histor. Classe vom 7.- Januar 1882. 

späteren Meistern finden wir noch lange die gleiche 
Mischung. 

Scheinbar eine blose Mosaik kleiner Tonstücke, welche 
lediglich durch die Einheit der Tonart zusammengehalten 
werden, zeigen die Kammertrios bei genauerem Studium 
doch auch ein Band innerer Einheit, der einheitlichen Ge- 
müthsstimmung, die in Kontrasten und Parallelen oft recht 
fein zum Kampfe und zum Abschlüsse kommt. Man ver- 
gleiche z. B. in Opus II das frische, muntere elfte Trio mit 
dem zart anmuthigen zehnten, und halte beiden anderer- 
seits das achte gegenüber, welches einen tief seh wermüthigen 
Character ausspricht. Jedes dieser drei Trios hat eine Alle- 
mande; rhythmisch sind diese drei Tänze sehr ähnlich ge- 
halten ; allein die Allemande der munteren Sonate soll Presto 
gespielt werden, die Allemande der anmuthigen Allegro und 
jene der melancholischen gar als ein schwer einher schreiten- 
des Grave. Weit entfernt also blos Tanzstücke zusammen- 
zureihen, beugt Corelli die Tanzweise sogar im Tempo der 
angestrebten Stimmung und gibt Tänze, die gar keine Tänze 
mehr sind. Denn die ächte Allemande verträgt das Grave 
sowenig wie das Presto, da ihr vielmehr das Allegro mode- 
rato eignet. (Nach Mattheson 14 ) soll sie „das Bild eines 
zufriedenen oder vergnügten Gemüthes sein, das sich an 
guter Ordnung und Ruhe ergötzt".) 

' Corelli war nicht der erste Italiener, welcher so frei 
verfuhr. Auch bei seinen Vorgängern wird die feierliche 
Sorabanda mitunter bereits zum Allegro oder gar zum Presto. 

Dies führt mich zu einem andern Punkte. Corelli be- 
schränkt sich in seinen Trios auf nur wenige Tanzformen 
(Allemande, Corrente, Gavotte, Sarabanda und Giga, wozu 
noch ein einzigesmal die Ciaconna kommt). Er hält Haus 
mit diesen fünf Arten, während die späteren Suiten- Kom- 



14) Vollk. Kapellmeister S. 232. 



Digitized by 



Google 



v. Biehl: Arcangelo Corelli. 227 

ponisten eine weit reichere und buntere Musterkarte von 
Tanz weisen führen. Durch jene Beschränkung erhalten 
seine Trios eine gewisse Einförmigkeit, die ich nicht rühmen 
will, gewinnen andererseits aber auch eine Einheitlichkeit, 
die dann doch ein Vorzug ist. 

Da es sich hier um spanische, französische und deutsche 
Nationaltänze handelt, so könnte man erwarten, dass Corelli 
diese Unterschiede ausbeuten und in Rythmik, Melodik und 
Modulation, recht naturalistisch nachbildend, gegen einander 
setzen werde. Dies thut er jedoch ganz und gar nicht. Er 
glättet statt zu schärfen und italienisirt die spanische Sara- 
banda nicht minder wie die deutsche Allemande oder die 
französische Gavotte. Namentlich wandelt er die spröde 
Grandezza der Sarabanda gerne um in den zarten weichen 
Gesang einer italienischen Canzonette oder auch in schlicht 
andächtige Hymnen -Weise. Der Melodik des heimischen 
Volksliedes müssen sich bei ihm alle ausländischen Tanz- 
weisen beugen, so dass sie durchaus nicht mehr acht klingen, 
aber das gesammte Kunstwerk der Sonate klingt dafür um 
so ächter. Die Tanzformen gaben ihm nur die Grundlage 
rhythmischer Manichfaltigkeit , und das Characteristische 
weicht dem Schönen. 

Hier wie in manchem anderen Stücke deutet Corelli 
prophetisch auf Haydn, der uns den französischen Menuett 
so gründlich verdeutscht und in so manchem Andante den 
italienischen Siciliano, in so manchem Rondo sogar die 
Zigeunermusik in 's Deutsche übersetzt hat. Die Roman- 
tiker des neunzehnten Jahrhunderts bestrebten sich in ähn- 
lichen Fällen umgekehrt, die deutsche Musik zu magyari- 
siren oder zu slavisiren. 

Eine klar und folgerecht entwickelte Aesthetik der 
Tonkunst gab es zu Corelli's Zeiten noch nicht. Und wann 
hat es eine solche überhaupt gegeben? Die Künstler tas- 
teten und experimentirten damals noch, die wahren Ziele 

15* 



Digitized by 



Google 



228 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882. 

der neuen Instrumentalmusik zu finden. Die Gefahr einer 
Verirrung in den Nebel der Tonmalerei und Tondichterei 
lag dabei nahe genug, wie Euhnau zeigt, wenn er „biblische 
Historien mit Auslegung" in 6 Sonaten giebt, Buxtehude, 
wenn er die Natur der 7 Planeten in 7 Klaviersuiten dar- 
stellen will, Proberger, wenn er seine Reiseabenteuer in 
Instrumentalsätzen schildert. Auch Couperin der in den 
seltsamen Ueberschriften seiner Klavierstücke bald Räthsel 
aufgibt bald Räthsel löst und uns gar eine ganze fünfaktige 
Komödie auf den Tasten vorspielen will, 15 ) gerieth auf 
diesen Abweg. Nur lässt man sich in solchen Dingen kleine 
schalkhafte Spielereien eher gefallen als ernstgemeinte grosse 
Probleme. Dass auch altitalienische Geigen-Komponisten 
die Klippe der Tonmalerei streiften, bestätigt Wasielewski 
durch die in den „Instrumentalsätzen" etc. mitgetheilten 
Proben von Carlo Farina (1627) und Marco üccellini (1669). 

Von derlei Verirrung blieb Corelli vollständig frei. 
Statt des vergeblichen Bestrebens, Bilder und Vorstellungen 
in Tönen zu malen, die man nur in Worten schildern und 
aussprechen kann, begnügt er sich weislich, die innere 
Logik des musikalischen Aufbaues in einer durch Melodie 
und Harmonie allein zu erzielenden innerlichsten Aussprache 
der Empfindung und Stimmung voll und rein wirken zu 
lassen. Er ebnete dadurch die Bahn, auf welcher später 
unsere klassischen Meister der Symphonie und des Quar- 
tetts das Höchste erreichten, indem sie in ihrer Instrumental- 
musik nichts weiter gaben als — Musik. 

Stylistisch zeichnen sich Corelli's Kirchen- und Kammer- 
trios durch hohe Einfachheit aus, die darum doch nicht 
arm oder leer klingt, selbst heute nicht, nach fast zwei- 
hundert Jahren. 



15) S. .Werke von Couperin", herausg. v. Job. Brahms, in den 
„Denkmälern der Tonkunst", S. 208 ff. 



Digitized by 



Google 



ü. Biehl: Arcangelo Corelli. 229 

Die Grösse der damaligen italienische Meister des In- 
strumentalsatzes wie der Oper gründet überhaupt in dem 
Streben, durch die denkbar einfachsten Mittel ergreifend 
schon zu wirken; sobald dieselben Künstler durch die Lust 
an dem äusserlichen Formenspiel der Coloratur und anderem 
melodischen Schnörkelwerk verlockt, diesem Streben untreu 
werden, sinken sie dann aber auch doppelt tief herab. Wo 
einem A. Scarlatti, Pergolese, Leo und selbst Hasse wahr- 
haft Schönes und Grosses gelang, da war es allemal das 
einfach Schöne und einfach Grosse. Kein Kunstschriftsteller 
hat gerade diese eigenste Signatur jener Italiener schärfer 
erfasst und beredter dargestellt als Wilhelm Heinse in seiner 
„Hildegard von Hohenthal", einem Buche, welches, trotz 
der poetischen Schlacken der verunglückten Romanform, in 
seinen abhandelnden Theilen mit unvergleichlicher Intuition 
in Geist und Form jener Meister eindringt und einführt. 

Schöpferisch bahnbrechend in der gedachten Richtung 
war Giacomo Carissimi vorangegangen; schon vor Corelli 
hatte er von 1640 — 80 auf dem Gebiete des Gesanges ganz 
ähnliche Ziele verfolgt wie unser Meister auf dem instru- 
mentalen. Man könnte ihn den Corelli der Kantate nennen. 
Vom kirchlichen Style ausgehend, vereinfachte er denselben, 
indem er ihn mit dem volksthümlich schlichten Melos ver- 
band. Sein Ideal war das einfach Schöne. „Wie schwer 
ist es, so leicht zu sein !" soll er angesichts seines eigenen 
Schaffens gesagt haben. Dasselbe Wort liesse sich auch in 
Corelli's Mund legen, während bei Bach's Werken die Zu- 
hörer vielmehr umgekehrt ausrufen möchten: „Wie leicht 
ward es ihm, so schwer zu sein!" 

Die Violinstimmen der Corellischen Trio's sind fast 
durchweg streng gesanglich geführt ; alles Beiwerk von blos 
schmückenden Coloraturen, Mordenten, Trillern etc. ist ver- 
schmäht; nicht einmal der damals unvermeidliche Triller 
bei der Schlusskadenz ist vorgeschrieben. 



Digitized by 



Google 



230 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882. 

Ob diese Stimmen so ganz ohne Verzierung vorge- 
tragen wurden, wie sie geschrieben stehen? Ich bezweifle 
es. Allein wir sind dem Komponisten dankbar, dass er die 
übliche Verschnörkelung und Verkröpfung seiner in ihrer 
einfachen Cantilene so reizenden Melodien dem Belieben des 
ausführenden Künstlers anheimgestellt hat. Nach unserm 
Belieben fügen wir sie dann auch nicht zu. Wie dankbar 
würden wir gleicherweise Couperin sein, wenn er geradeso 
verfahren wäre wie Corelli und seine oft köstlichen Melodieen 
nicht mit endlosem Beiwerk von Trillern und Mordenten 
selber wieder verdorben hätte! Er stellt uns nun vor die 
Gewissensfrage, ob wir diese Melodien schmucklos schön 
spielen sollen, wie sie im Grunde gedacht, oder zopfig auf- 
geputzt, wie sie leider geschrieben sind. Aber Couperin 
ist Klavier-Komponist, und die Klavier-Sonate wurde von 
jeher schnörkelhafter behandelt als der mehrstimmige Geigen- 
satz. Durch's Klavier wären wir auch niemals zu der edeln 
Feinheit des Quartettstyls gekommen. 

Was ich hier von der erquickend reinen gesanglichen 
Führung der Violinstimmen Corelli's sagte, das gilt vollauf 
nur bei seinen Trios. In den Solosonaten wuchert schon 
vielerlei Verschnörkelung. Namentlich lockt ihn hier der 
Versuch eines freien Allegros (dessen volles Gelingen erst 
einer späteren Zeit vorbehalten war) zu einer Art Akkord- 
Colpratur, die zopfig trocken fast wie eine Schulübung 
klingt (z. B. Sonate III, Satz 4; VI, 3 etc.), und er ent- 
geht dieser Manier selbst in fugirten Sätzen nicht; in der 
„Follia" aber erscheint sie in schlimmster Gestalt. Wenn 
diese Sonaten den Trios auch in breiterer Anlage einzelner 
Sätze und kühnerer Führung so mancher Melodie, mitunter 
auch in originellerer Harmonisirung überlegen sind, so stehen 
sie doch im Ganzen hinter jenen schon darum zurück, weil 
bereits der Mehltbau des Virtuosenthums auf ihnen liegt. 
Nicht in dem Prunk glänzend reicher Technik, sondern in 



Digitized by 



Google 



v. Eiehl: Arcangelo Corclli. 231 

der rührenden kindlichen Reinheit, in dem zarten Goldton 
des keuschen einfach Schönen ruht Corelli's Grösse, — die 
Grösse eines Virtuosen, der aller Virtuosität entsagt — , ruht 
das Geheimniss des ergreifenden Eindrucks, den seine Werke 
auch hente noch machen, wenn sie fein, rein und innig 
vorgetragen werden. Und hierin sind seine älteren Trios 
den Solosonaten weit voraus. 

Merkwürdig ist, dass trotz des Virtuosenthums, wel- 
ches sich in der Solotechnik der italienischen Geiger nach 
Corelli immer breiter macht und bei Tartini (das Recht der 
Gattung überhaupt vorausgesetzt) zu imponirender Meister- 
leistung steigert, — die eigentlichen Trio-Komponisten an 
dem Kanon der melodischen Einfachheit tiberwiegend fest- 
hielten. Eben darum wurden sie vielleicht kunstgeschicht- 
lich so wenig beachtet, denn lange genug sahen die Kritiker 
im Portschritte der Technik schlechthin den Fortschritt der 
Kunst. Allein eben darum auch bilden sie eine Brücke 
zum klassischen Streichquartett, welches aus der Virtuosen- 
sonate nicht erwachsen konnte und nur solange rein und 
acht blieb, als es sich dem Virtuosenthum jeglicher Art 
ferne zu halten verstand. 

Diese zahllosen, jetzt völlig vergessenen Trios der spä- 
teren Periode übten einen stillen aber tiefgreifenden Ein- 
flu8s. Hat doch selbst Phil. Em. Bach, der uns in seinen 
Klaviersonaten so ganz andere, neue Wege führte, in jungen 
Jahren dem italienischen Trio nach Form und Art gehul- 
digt. 16 ) Und Haydn schrieb, wohl schon gleichzeitig mit 
seinen ersten Quartetten, die wiederum eine neue Bahn ein- 
schlugen, nebenbei doch auch noch Trios für 2 Geigen und 
Violoncello nach der beliebten alten Weise. C. F. Pohl 
hat in seiner inhaltreichen und grundlegenden Biographie 
Haydn's (Band I, S. 344 ff.) hierauf aufmerksam gemacht, 



16) Bitter, Ph f E. B*cb S. 59, 



Digitized by 



Google 



232 Sitzung der hlstor, Classe vom 7. Januar 1882. 

dabei aber, wie mir scheint, die Bedentang dieser Trios, 
ihren Gegensatz zur alten Orgelmusik und ihren Zusammen- 
hang mit der neu aufsteigenden Quartettmusik nicht ein- 
gehend genug gewürdigt. Pohl fuhrt 34 solcher Trio-Kom- 
ponisten der späteren Zeit an, Deutsche und Italiener in 
bunter Reihe, und doch wohl alle, wenigstens in ihren Trio- 
werken vom italienischen Geiste berührt. Ich möchte zu 
Pohrs Verzeichniss ergänzend noch folgende Meister fügen, 
deren Trios mir bei meinen Studien durch die Hände ge- 
gangen sind: Alessandro Besozzi, Franc. Zanetti, Demachi, 
Franc. Negri, Carlo Monza, Giov. Ferrandini, Gipv. Elia 
Selva, Pietro Beretta, Joh. Christ. Bach, Leopold Gassmann, 
Florian Deller, Anton Stamitz. Diese Komponisten wenden 
sich, wenigstens in den mir bekannten Trios, von der Form 
der Kirchensonate wie von der Suitenform gleicherweise ab 
und bringen dafür ein dreitheiliges Trio, dessen erster Satz 
Andante, Adagio oder Moderato, der zweite ein breit aus- 
geführtes, selten fugirtes Allegro, der dritte ein Menuett 
ist oder doch Tempo di Menuetto. Man erkennt diese 
Grundform in den ältesten Klavier- und Violinsonaten wieder, 
die Mozart in seiner Kindheit (1763 — 68) schrieb und in 
vielen Klaviersonaten und Klaviertrios Haydn's. Das Volks- 
oder Kirchenlied ist dann bei jenen Spät-Italienern kaum 
mehr melodisch beeinflussend gewesen, wohl aber die Can- 
tilene der Opernarie. Im Quartett und der Symphonie 
schuf Haydn einen ganz andern Aufbau der Sätze. Seine 
Schüler blieben aber auch im Quartett noch ausnahmsweise 
der dreith eiligen Form des spätitalienischen Trios getreu. 
So hat Ignaz Pleyel in der (wohl in den neunziger Jahren 
des vorigen Jahrhunderts componirten und dem Könige von 
Neapel gewidmeten) achten Sammlung seiner Quartette noch 
ein solches, welches ganz nach Art jener italienischen Trios 
aus einem Adagio, einem contrapunktisch gehaltenen Allegro 
und einem Schluss-Menuett, sämmtlich in gleicher Tonart, 



Digitized by 



Google 



v. Rieht: Arcangelo Corelli, 233 

besteht, — vielleicht als ein Zeichen der Huldigung für den 
königlichen Gönner in Italien. 

vni. 

Bei einem Geigen-Komponisten, der so ganz aus der 
Seele seines Instrumentes erfand und schrieb wie Corelli, 
fragen wir auch nach der Art der Instrumente, die ihm 
dienten und auf welche er rechnete. Können wir uns doch 
auch den grossen Unterschied in Bach's, Mozart's und Beet- 
hoven's Klaviermusik nicht vollauf erklären ohne einen Seiten- 
blick auf die grundverschiedenen Instrumente ihrer Zeit. Bei 
Corelli steigert sich das Interesse der Frage noch durch den 
Umstand, dass sein Leben in die Periode der höchsten Blüthe 
jenes niemals wieder erreichten Kunstgewerbes der grossen 
Cremoneser Meister fiel. , 

Als Corelli seine 48 Trios schrieb standen ihm zweier- 
lei ausgezeichnete Instrumente bereits zu Gebote: die Bres- 
cianer Geigen eines Maggini (1590—1640) mit ihrem kräf- 
tigen aber noch etwas herben und melancholischen Klang, 
und die Cremoneser Geigen der Amati, insbesondere des 
Nicolo Amati (1596 — 1664) mit ihrem kleineren, aber äusserst 
weichen , „leise verschleierten, jungfräulichen 44 Silberton. 
Dieser zwiefache, eng verbundene Klangcharakter des sprö- 
den und doch edel zarten Tones entspricht auch dem Geiste 
von Corelli's Werken. 

Der grosseste aller Meister des Geigenbaues, Antonio 
Stradivari, war zwar ein Zeitgenosse Corelli's, ja sogar neun 
Jahre älter als dieser. Allein zu der Zeit, da Corelli durch 
seine Trios die Kammermusik zu neuer Höhe emporhob, 
arbeitete Stradivari noch in der Weise seines Lehrers Nicolo 
Amati (sogenannte amatisirte Stradivari-Geigen, bis 1680). 
Dann mühete er sich, neue und eigenartige Verbesserungen des 
Geigenbaues zu erfinden (bis 1700), und erst von da bis gegen 
1725 stancl er auf der Höhe seiner originalen Meisterschaft. 



Digitized by 



Google 



234 Sitzung der histor. Classe com 7. Januar 1882. 

Diese Periode fällt noch zu einem guten Theil mit der 
zweiten Periode Corelli's zusammen (1700-1712), mit der Zeit 
seiner Virtuosen-Sonaten und seiner orchestralen Konzerte. 

Vidal sagt (a. a. 0. I, 1 20) : Lorsque Stradivari faisait 
ses recherches pour arriver ä la perfection du violon, il 
avait ä sa disposition des violinistes de talent et bien cer- 
tainement Corelli n'a pas ete etranger aux essais multiplies 
qu'a du faire le grand maitre pour mener ä bonne fin ses 
experiences. Obgleich ein direkter Einfluß Corelli's auf die 
Verbesserungen des Stradivari nicht nachgewiesen ist, so 
hat diese Ansicht bei der künstlerischen Herrscherstellung, 
die unser Meister damals in Italien einnahm doch viele 
Wahrscheinlichkeit. 

Man könnte also sagen : die Brescianer und ältere Cre- 
moneser Schule des Geigenbaues wirkte mitbestimmend auf 
Corelli's Spiel und Schreibart. Dagegen wirkten seine Kunst- 
bestrebungen mitbestimmend auf die Fortschritte, durch 
welche die jüngere Cremoneser Schule (Antonio Stradivari 
und Giuseppe Guarneri) den Gipfel der Tüchtigkeit und des 
Ruhmes im Geigenbau erreichte. 

Die Bässe Corelli's aber zeigen deutlich, dass er das 
Violoncello im heutigen Sinne, wie wir es den Bemühungen 
Stradivari's (seit 1700) verdanken, bei seinen Trios noch 
nicht besessen hat. Eher liesse die Führung des Basses 
seiner Solosonaten schon an ein mitgehendes Cello denken. 
Aber erst in den Concerti grossi tritt dasselbe als Solo- 
Instrument unter dem Namen eines Violoncello di concer- 
tino ausdrücklich hervor. 

So verkünden Corelli's Werke selbst in diesen äusser- 
lichen Dingen den Wendepunkt zweier musikgeschichtlicber 
Epochen. 



Digitized by 



Google 



Herr Gregorovius hält einen Vortrag über: 

„Die Gründung der ersten wissenschaft- 
lichen Akademie Corsicas", 

und teilt folgendes mit: 

Am 19. December 1880 hat sich in Bastia, der be- 
deutendsten Stadt dieser Insel, eine Gesellschaft gebildet 
unter dem Namen : Societe des sciences historiques et natu- 
relles de la Corse. Sie hat sich ein Statut in französischer 
Sprache gegeben, ein Directorium ernannt, und zu ihrem 
Präsidenten den Professor am Lyceum Bastia's, Herrn Abbe 
Letteron, zu ihren Vicepräsidenten den Baron Cervoni und 
den Rat am Appellhof Herrn de CarafFa erwählt. 

Die Liste ihrer Mitglieder weist schon heute eine starke 
Beteiligung von Corsen auf; viele historische Namen alter, 
noch fortdauernder Geschlechter Corsicas sind darin ver- 
zeichnet, von den Arrighi, Casanova, Colonna, GafFori, Vincen- 
telli bis zu den Bonaparte. 

Dem Programm der Societät gemäss hat dieses durch- 
aus patriotische Institut zu seinem Hauptzwecke gemacht 
die naturwissenschaftliche Erforschung der Insel und die 
Förderung des Studiums der Landesgeschichte. Und gerade 
hier bietet sich der Vaterlandsliebe der Corsen ein weites 
Gebiet der Tbätigkeit dar. Der Vortragende nimmt sich 
hier die Gelegenheit, von dem eigenartig abgeschlossenen, 
individuellen Character der Geschichte Corsicas zu sprechen, 
welche sich Jahrhunderte lang in den Heldenkämpfen des 
Eilandes gegen die Herrschaft der Republik Genua bewegt 
hat, bis sie in der Gesetzgebung des Pasquale Paoli cul- 
minirt und in die Gestalt des Welteroberers Napoleon aus- 



Digitized by 



Google 



236 Sitzung der histor. Classe com 7. Januar 1881. 

geht, von dessen Zeit an Corsica keine politische Geschichte 
mehr hat. 

Der Vortragende verbreitet sich sodann über die Ge- 
schichtschreiber der Insel, welche im Verhältniss zu ihrer 
geringen Raumaasdehnung und Volkszahl sogar mehr und 
bessere Historiographen hervorgebracht hat, als andere Inseln 
des Mittelmeeres. Er erinnert an die Entstehung der cor- 
sischen Landeschronik im Beginne des 15. Jahrhunderts und 
ihre Zusammenfassung in dem Nationalwerke Filippinis, des 
Zeitgenossen Sampiero's, und gibt eine üebersicht der cor- 
sischen Geschichtschreiber bis auf die Gegenwart. 

Da die mittelalterliche Historiographie Corsica's heute 
einer kritischen Revision bedarf, so hat sich die neugegrün- 
dete Gesellschaft die lobenswerte Aufgabe gestellt, aus den 
Archiven der Insel wie des Festlandes neues Urkunden- 
material zu ziehen, noch nicht edirte corsische Memoiren 
zu sammeln, und dann in ihren Bulletins zu veröffentlichen. 
Diese Publicationen wurden in der Regel monatlich ausge- 
geben. Der Vortragende legt die Reihe der während des 
ersten Jahres 1881 von der Societät veröffentlichten Bulle- 
tins der Classe zur Einsicht vor. Unter den darin abge- 
druckten schätzenswerten Beiträgen zur corsischen Geschichte 
hebt er besonders hervor, die neu begonnene Sammlung von 
unedirten Briefen des Pasquale Paoli, welche jene ergänzen 
soll, die Niccolo Tommaseo im elften Bande des Archivio 
Storico Italiano im Jahre 1846 herausgegeben hatte. Nach 
ihm aus Bastia zugekommenen Nachrichten haben sich im 
corsischen Privatbesitz heute schon mehr als 2000 noch 
nicht edirte Briefe Paoli's vorgefunden. 

Herr Gregorovius machte endlich der Classe den Vor- 
schlag, sich in Verbindung mit der neu gegründeten wissen- 
schaftlichen Societät Bastias zu setzen durch Austausch der 
akademischen Publicationen, was einstimmig genehmigt wird. 



Digitized by 



Google 



Philosophisch-philologische Classe. 



Sitzung vom 4. Februar 1882. 



Herr Bursian hielt einen Vortrag: 
„Der Rhetor Menandros und seine Schriften." 
' Derselbe wird in den Abhandlungen veröffentlicht. 



Der Classensekretär legt eine Abhandlung des 
Herrn G. F. Unger vor: 

„Die historischen Glosseme in Xenophons 
Hellenika." 

In der ersten, bis zum Ende des peloponnesischen 
Krieges reichenden Abtheilung der Hellenika (I— II 3) findet 
sich eine Anzahl sachlich meist werthvoller Angaben — be- 
treffend die Summe abgelaufener oder das Datum neu An- 
hebender Kriegsjahre, ferner abgerissene Notizen über ein- 
zelne Ereignisse und andere Mittheilungen geschichtlichen 
Inhalts — , welche von vielen Kritikern für unächte Zusätze 
erklärt worden sind. Einen Theil derselben hat schon Mars- 
ham (canon chronicus, 1672) und Dodwell (de cyclis, 1701 ; 
chronologia Xenophontea, 1702) angefochten; die Verdacht- 
gründe, welche sie geltend machten, waren so einleuchtend, 
dass die meisten Späteren ihrem Urtheile zustimmten, viele 
weiter giengen und der unächten Stellen noch mehr auf- 
fanden oder aufzufinden glaubten; im weitesten Umfang 
und oft in überzeugender Weise übte die Athetese Brückner, 
de notationibus annorum in historia graeca Xenophontis 



Digitized by 



Google 



238 Sitzung der phüos.-phUöl. Classe vom 4. Februar 1882. 

suspectis, 1838. Nach ihm sind viele Stellen wieder in 
Schutz genommen worden; aber alle zu vertheidigen haben 
nur sehr wenige gewagt und der Versuch ist schlecht genug 
ausgefallen. Gegenwärtig gelten die Jahrsummen und die 
Datirungen allgemein für interpolirt; von den andern Stellen 
sind zwar die meisten in den Ausgaben der Unächtheits- 
klammern entledigt, jedoch nicht sowohl in Folge einer 
überzeugenden, alle Bedenken niederschlagenden Verteidig- 
ung, welche ihnen etwa zu Theil geworden wäre, als viel- 
mehr wegen des Bestehens einer zweiten Controverse, von 
deren bis jetzt noch nicht gelungener Schlichtung die Ent- 
scheidung der Frage nach der Aechtheit vieler angefochtenen 
Stellen abhängt. Sie werden verdächtigt, weil ihr Inhalt 
einem andern Jahre anzugehören scheint als der des an- 
grenzenden ächten Textes; aber dieses Hauptkriterium ist 
selbst oft fraglich und unsicher. Von den sieben Jahres- 
wechseln, welche während der von Xenophon Hell. I 1 — 
II 3 behandelten Zeit (Herbst 411 — Herbst 404) einge- 
treten sind, finden sich sechs theils ausdrücklich angegeben 
theils durch Erwähnung von Winters Ende oder Frühlings 
Anfang genügend angedeutet; einer ist nicht kenntlich ge- 
macht und steht weiter nichts fest, als dass er entweder 
im ersten oder im fünften Capitel des I. Buchs zu suchen 
ist: im ersten Fall treffen die I 2, 1. 3, 1. 4, 2 bemerklich 
gemachten Jahrübergänge in 409 408 407, im andern in 
410 409 408; erst von I, 6, 1 und dem J. 406 an ist die 
Zeitrechnung sicher. 

Der Zweck vorliegender Untersuchung ist, zunächst die 
Zeit der Hell. I 1 — 5 erzählten Ereignisse und damit die 
Stelle des fraglichen Jahreswechsels zu ermitteln ; auf dieser 
Grundlage dann die Ausscheid nng der unächten Stücke vor- 
zunehmen ; endlich die Entstehung der Interpolation zu er- 
klären und den verlorenen Werken nachzuforschen, als deren 
Fragmente man die werthvollen Glosseme anzusehen hat. 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 239 

I. Ordnung der Jahre. 

Der erste, welcher sich mit der Frage nach der Stelle 
des zweifelhaft gelassenen Uebergangs in ein neues Kriegs- 
jahr eindringender beschäftigte, war Dodwell. Er suchte 
ihn im ersten Capitel und Hess demgemäss im Laufe des- 
selben den Wechsel vpn 410, bei t^J de älfop exet I 2, 1 
den von 409 eintreten und bezog I 3, 1 stiel <f 6 %eifAcov 
eXrjye auf 408, dqxo^evov de tov eagog I 4, 2 auf 407 ; dass 
die Uebergänge von 406 405 404 in dem dreimal vorkom- 
menden Tq) (J 5 etiiovxi exet I 6, 1. II 1, 10. 3, 1 zu finden 
sind, war ausser Frage gestellt, weil das Datum der von 
16,1 an erzählten Vorgänge durch Zeugnisse anderer 
Schriftsteller bekannt ist. Die Jahrordnung Dodwells er- 
hielt sich lange Zeit unangefochten in Kraft; erst Haacke, 
de postremis belli pelop. annis 1822 stellte die Behauptung 
auf, dass das erste Capitel nur die Zeit eines halben Jahres 
umfasst, das Datum aller von I 2, 1 bis I 5, 1 behandelten 
Ereignisse um ein Jahr früher als bei Dodwell zu setzen 
und erst in I 5 der Jahreswechsel von 407 zu suchen ist. 
Das Gewicht der Gründe, welche er geltend machte, war so 
bedeutend, dass zuerst Boeckh, dann Krüger, allmählich fast 
alle deutschen Forscher, welche mit dieser Frage sich zu be- 
schäftigen Anlass hatten, auf seine Seite traten und Dod- 
wells Ansicht nur in seiner Heimat, bei Clinton, Grote und 
andern, sich in ungeschwächter Anerkennung behauptete. 
Eine neue, noch jetzt fortwirkende Wendung führte Emil 
Müller, de Xenophontis historiae graecae parte priore, 1856 
herbei, welcher beide Fragen mit grosser Sachkenntniss in 
Angriff nahm und in scharfsinniger Weise viele Punkte in 
eine neue Beleuchtung brachte. Die Dodweirsche Ansicht 
hat durch ihn wieder Anhänger gewonnen, noch grösser 
war sein Erfolg in der Unächtheitsfrage : sein Werk ist es, 
dass auch von solchen nur noch wenige Stellen entschieden 



Digitized by 



Google 



240 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 4. Februar 1862. 

beanstandet werden, die seiner Ausicht über die Jahrver- 
theilung beizustimmen nicht vermocht haben. Die Triftig- 
keit der Gründe, welche für Haacke sprechen, und die Ge- 
waltsamkeit der Mittel, welche Müller behufs ihrer Weg- 
räumung anwendet, hat Breitenbach, das Jahr der Rück- 
kehr des Alkibiades, neue Jahrbb. f. Philol. 1872 p. 72 ff. 
treffend hervorgehoben, auch einen* positiven Fortschritt 
durch den Nachweis der Stelle gemacht, an welcher allein, 
wenn der vermisste Jahreswechsel in I 5 zu suchen ist, der- 
selbe gefunden werden kann; indess auf durchschlagenden 
Erfolg durfte er schon desswegen nicht rechnen, weil er 
auf die andere Frage nicht näher eingegangen ist und sich 
dort lediglich die Ansichten Müllers angeeignet hat, welche 
mit dessen Behandlung der Jahrübergänge in engstem Zu- 
sammenhang stehen. Dazu kommt aber, dass auch seine 
Widerlegung Müllers mit der Thatsache nicht fertig wird, 
welche die Hauptstütze der Dodwell'schen Ansicht bildet. 

Diese besteht darin, dass die im ersten Capitel erzählten 
Vorgänge sichtlich über Frühlings Anfang 410 herabreichen, 
es also unmöglich ist, mit Haacke den I 2, 1 gemeldeten 
Jahreswechsel auf diesen dort bereits überschrittenen Zeit- 
punkt zu beziehen. Andrerseits besitzt aber auch Haacke's 
Anordnung einen unerschütterlichen Halt an den Worten 
huxvTol TQelg *f\Gav I 4, 7, welche sich auf den Zwischen- 
raum zwischen dem I 4, 2 angegebenen Jahreswechsel und 
dem J. 405 beziehen und es zwingend nothwendig machen, 
diesen Wechsel in das J. 408 zu setzen, von wo wir dann 
rückwärts gehend mit dem I 3, 1 angedeuteten Uebergang 
auf 409, mit dem zuerst erwähnten von I 2, 1 also doch 
wieder auf 410 kommen. Dieses unüberwindlich scheinende 
Dilemma lässt vermuthen, dass beide Parteien irgend einen 
Grundirrthum, ein ttqcotov xpsvdog mit einander gemein 
haben, und eine* genauere Betrachtung der beiderseitigen 
Beweisgründe darf wohl hoffen, zur Erkenntniss desselben 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 241 

durchzudringen. Die Dodwell'sche Ansicht hat ausser dem 
vorhin erwähnten Argument nur noch ein einziges, ein Ar- 
chontendatum des Dionysios von Halikarnassos, der es bloss 
gelegentlich vorbringt und auch in anderen Daten dieser 
Art sich "von Flüchtigkeitsfehlern *) nicht frei erhalten hat. 
Dagegen die Haacke'sche lässt sich von Jahr zu Jahr durch 
Belege bestätigen, welche sich zum Theil auf den inneren 
Zusammenhang der laufenden Geschichte mit Thatsachen 
anerkannten und unumstösslichen Datums stützen, und zu- 
gleich bildet eben der gegen sie sprechende Umstand, dass 
der Inhalt des ersten Capitels über den Frühlingsanfang 
410 herabführt, ein noch grösseres Hinderniss für die An- 
ordnung Dodwells und Müllers selbst: denn sein zeitlicher 
Ueberschuss beträgt nicht, wie es diese voraussetzt, ein 
ganzes Jahr sondern höchstens ein paar Monate, er führt 
nicht in den Frühlingsanfang 409, sondern, wenn weit herab, 
in Mitte 410. 

Lässt sich annehmen, dass Xenophons Eriegsjahr erst 
einige Zeit nach Frühlings Eintritt anhebt, so ist die einzige 
nennenswerthe Schwierigkeit, welche Haacke und seine Nach- 
folger uicht bewältigt haben, aus dem Wege geräumt. Diese 
Annahme darf in der That aufgestellt werden. Es ist be- 
kannt, dass der Ueberfall von Plataia durch die Thebaner 
im Beginn des Frühlings 431, welchen Thukydides zur 
Grundlage des Anfangs der Jahre des peloponnesischen 
Krieges nimmt, nicht das einzige Ereigniss war, welches 
auf solche Ehre Anspruch hatte: mit ebenso viel Recht 
konnte man die erste Feindseligkeit, welche von den Pelo- 
ponnesiern selbst verübt wurde und die Athener selbst be- 
traf, zur Epoche nehmen, den Einfall jener in Attika bei 
Oinoe, und Thukydides hat, was ebenso bekannt ist, incon- 



1) Vgl. den .bekannten betreffs des Arch. Tbudemos, de Dinarcho 
13 p. 999. 
[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. 2.J 16 



Digitized by 



Google 



242 Sitzung der phUos.'phüol. Classe vom 4. Februar 1882. 

seqaenter Weise eiomal (V 20) das selbst gethan. Ebenso 
inconsequent behandelt er die Uebergabe Athens als Schlass 
des Krieges, dessen letzte Zackungen ein halbes Jahr dar- 
nach verendeten ; erst mit der Ergebung der attischen Kle- 
ruchen auf Samos hat er abgeschlossen. Diese sieht Xeno- 
pbon als Ende des Krieges an: bat er sich hierin nicht 
nach seinem Vorgänger gerichtet, warum soll er es in An- 
sehung der Anfangsepoche gethan haben? Die Voraussetz- 
ung aller Erklärer, dass seine Kriegsjahre mit Frühlings 
Eintritt beginnen, stützt sich auf eine einzige, von vielen 
(mit Recht) für unächt erklärte Stelle (I 3, 1), welche man 
methodischer Weise eben desswegen aus dem Spiel hätte 
lassen sollen. Des Genaueren wird von der Jahrepoche 
Xenophons am Schlüsse dieses ersten Abschnitts die Rede 
sein ; hier nur so viel, dass jener Einfall bei Oinoe um un- 
gefähr ebenso viel Zeit (1 — 2 Monate) nach dem Ueberfall 
von Plataia stattgefunden hat als der über Frühlings Ein- 
tritt 410 herabführende Zeitüberschuss der Vorgänge von 
Hell. I 1 ausmacht. 

I 2, 1 : 410. 

Die Unmöglichkeit, mit dem Inhalt von I 1 die Zeit vom 
Herbst 411 bis Frühlingsanfang 409 auszufüllen, gesteht 
Müller p. 55 f. insofern selbst zu, als er die Behauptung auf- 
stellt, der Text dieses Capitels sei sehr lückenhaft überliefert; 
seinen Versuch, die angeblichen Lücken zu ergänzen und die 
Ereignisse in diesem Sinn zu datiren, hat bereits Breiten- 
bach p. 76 widerlegt. Die Zeit jener Vorgänge reicht nicht 
weiter als in den Mai 410. Die Schlacht bei Abydos fand 
im November 411 statt, I 1, 2 (xq%oia£vov %e^u3i>os *) ; die 



1) Winters Anfang ist der Frühuntergan £ des Siebengestirns, Som- 
mers Anfang dessen Frühaufgang. Nach neueren Berechnungen fiel jener 
zur Zeit des peloponnesischen Krieges unter dem Horizont von Athen 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 243 

siegreichen Feldherrn bedurften, um den Erfolg gebührend 
auszunutzen und die Macht Athens im Norden und Osten 
wiederherzustellen, namhafte Verstärkungen ; um sie zu er- 
wirken, überbrachte einer von ihnen, Thrasylos, die Glücks- 
botscbaft persönlich in Athen. Das Gesuch wurde bewilligt 
und Xenophon erzählt seine Ausfahrt mit den Verstärkungen 
unmittelbar nachdem er den Jahreswechsel vermerkt hat, 
welchen die eine Partei 410, die andere 409 vor sich gehen 
lässt. Dass diese erst aQxo^ievov tov &£qov$, d. i. Mitte 
Mai 409 abgiengen, ist begreiflich : der Zugang von Schiffen 
konnte erst nach' dem Winter erwartet werden und da in- 
zwischen am Ende dieser Jahreszeit in der Schlacht von 
Kyzikos die feindliche Flotte fast vollständig vernichtet 
worden war, so bestand kein dringender Anlass zu sofor- 
tiger Absendung im Frühling 410; dass diese aber noch 
bis in den Mai des nächsten Jahres hinausgeschoben worden 
wäre, findet Haacke mit Recht undenkbar, zumal bei der 
Bereitwilligkeit, welche das Volk von Anfang an zeigte, 
und bei dem grossen Interesse, das es selbst haben musste; 
es mangelt an allen Anzeichen einer Verzögerung, für die 
auch Müller p. 25 keine Erklärung zu geben weiss. Als 
unter Thrasylos Führung ein von Agis ') drohender Angriff 
auf die Stadt vereitelt wurde, da zeigten die Athener noch 
grösseren Eifer seinem Gesuch zu willfahren, und die Volks- 
versammlung fasste Beschluss über die Stärke und Beschaffen- 
heit der Streitkräfte, welche er bekommen sollte, I. 1, 34 
diä %av%a ezi nqo^vpioreQOi i\oav eq> a r^e nai ensi/jqcpi- 



4. November, dieser 16. Mai; doch geben die alten Astronomen für jenen 
ein späteres Datum (Euktemon 10. November), s. Boeckh Sonnenkr. 
p. 86. 95. 

1) Ans Ttgopopriv noiovyLkvos § 33 lässt sich nicht mit Sicherheit 
auf gute Jahreszeit schliessen, vgl. IV 1, 6 diex^tfioc^e avv nqovoyinlq 
rä intr^Sfia \ctpßdv(av (Luckenbach, de ordine rerum a pugna apud 
Aegospotamos p. 45). 

16* 



Digitized by 



Google 



244 Sitzung der phüos.-phüol. Ciasse vom 4. Februar 1882. 

occvto xtX. Dies geschah um die Zeit der Schlacht von 
Kyzikos; nicht lange nach dieser gieng Tbrasylos ab: als 
die Nachricht von ihr nach Athen kam, schreibt Diodoros 
XIII 52, da wurde das ganze Volk von Begeisterung er- 
griffen, grossartige Opfer und Feste den Göttern gewidmet, 
für den Krieg aber Mannschaften ausgehoben und Schiffe 
ausgerüstet, welche man dem Alkibiades zuschickte. 

Die Friedensgesandtschaft, welche nach der Schlacht 
bei Kyzikos von Sparta nach Athen abgieng, setzt Philo- 
choros bei Schol. Eur. Or. 361 unter Arch. Theopompos = 
Ol. 92, 2. 411/0; massgebend für die Zeitbestimmung der 
Schlacht ist Diodors Angabe, Mindaros habe seine Flotte 
ijÖTj tov %ei(xo)vog XiqyovTog (XIII 49) zusammengezogen, um 
die Scharte von Abydos auszuwetzen. Dies geschah also spä- 
testens Mitte März 410, möglicher Weise schon Ende 
Februar zur Zeit des ersten Wiederbeginns der Seefahrt. 
Er fuhr von Abydos hinüber gegen Sestos; die attische 
Flotte, durch Absendungen bedeutend geschwächt, wich nach 
Kardia zurück, wo Alkibiades mit fünf Schiffen eintraf und 
auf die Nachricht, dass die Feinde von Abydos nach Kyzi- 
kos gefahren seien, die Schiffe nach Sestos zurückgehen Hess. 
Als sie dort eben gegen den Feind ausfahren wollten, kamen 
Theramenes and Thrasybulos mit 40 Schiffen herau, iü Parion 
vereinigte sich die ganze Flotte, Tags darauf kam es zur 
Schlacht (Xen. I 1, 11 — 16). Diese mit Müller in den Mai 
410 zu setzen, verbietet das Zeugniss Diodors, gegen wel- 
ches Müller keinen besseren Einwand vorzubringen weiss, 
als dass der Gewährsmann desselben, Ephoros, ein unzuver- 
lässiger Gewährsmann sei. Die Schlacht fallt spätestens 
Anfang April, frühestens Mitte März; nach ihr folgen Er- 
eignisse, welche den Schluss des Kriegsjahres jedenfalls in 
den Lauf des Frühlings bringen. 

Am Tage nach dieser Schlacht ergab sich Kyzikos den 
Athenern; 20 Tage später fuhren sie nach Selymbria; dort 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 245 

und in Perinthoa gut empfangen, srflchten sie Chrysopolis 
am Bosporus auf, befestigten den Ort und errichteten eine 
Zollstätte daselbst; mit der Rückfahrt in den Hellespont, 
etwa Ende April oder Anfang Mai, endigen die Bewegungen 
der attischen Flotte in diesem Kriegsjahr (Hell. I 1, 19 — 22). 
Auf Seiten der Peloponnesier macht die Verlegung einer 
Besatzung nach Byzantion den Schluss. Als Agis von De- 
keleia aus eine Menge Kornschiffe *) dem Peiraieus zu- 
steuern sah, kam er auf den Gedanken, Athen die Zufuhren 
aus dem Pontus abzuschneiden ; sein Plan wurde genehmigt 
und Klearchos, welcher die Schlacht bei Kyzikos mitgemacht 
hatte, mit 15 von Megara, den Boiotern und andern Bundes- 
genossen gestellten und bemannten Schiffen ausgeschickt; 
drei von ihnen fielen im Hellespont dem attischen Wacht- 
geschwader in die Hand, mit den andern erreichte er glück- 
lich Byzantion. Jene Kornschiffe, deren Anblick die ange- 
gebene Wirkung hervorgebracht hatten, waren ohne Zweifel 
die ersten, die seit Winter im Frühjahr aus dem Pontus 
zurückkamen, also um Anfang März 410 im Peiraieus aus- 
gelaufen und gegen Anfang April wieder angelangt ; ihre 
Ausfahrt lässt sich noch einige Tage, ihre Znrückkunft 
zwei Wochen früher denken als hier angenommen ist. 2 ) 



1) nXoTa noXXa aitov I 1, 35, nicht die zur regelmässigen Zeit, 
im September kommenden, für welche r« nXota der ständige Ausdruck 
ist (JI 1, 17. V 4, 21. Demosth. c. Polycl. 19). 

2) Der iiaqiyog nXoog Hesiods op. 676 beginnt mit Arkturs Spät- 
aufgang (op. 650), dem bei den Bauern , Seefahrern und Astronomen 
(deren Witterungskalender, die Parapegmen, auf den Gebrauch jener 
berechnet waren) üblichen Frühlingsanfang; im Text haben wir überall 
den modernen, auch den alten Geschichtschreibern gewohnten der Nacht- 
gleiche vorausgesetzt. Der sog. scheinbare Spätaufgang des Arktur traf 
in Athen damals auf 24. Februar, Boeckh Sonnenkr. p. 96. Plinius hist. 
nat. II 122 (vgl. 125) schreibt sogar mit Beziehung auf den 8. Februar: 
ver aperit navigantibus maria; Vegetius IV 39 nennt den 10. März 
natalis navigationis ; Clodius Tuscus zum 17. März; p£ya nsXayos n%e- 



Digitized by 



Google 



246 Sitzung der phüos.-philol . Classe vom 4. Februar 1882. 

Von da bis zur zweiten Woche des Mai bleibt Spielraum 
genug für das Unternehmen des Agis. 

In den Mai fuhrt den Jahreswechsel Xenophons schon 
der Wortlaut von I 2, 1 T(jj de älty etei Idd-rjvdioi fxev 
Qoqmov hei%ioav, QqaavXog de %a tb xprjcpio&ivTa nhna 
Xaßdiv Y.al nevTaxtaxtliovg tüv vavTwv nekcaotaq Ttoirjod- 
/ievog i^€7vlevaev aQ%opievov xov &aqovQ elg Za/xov. Aus der 
Corresponsion von Id&rjvaioi (xev mit &qccovXoq de erhellt, 
dass beide Unternehmungen zu gleicher Zeit begonnen haben ; 
wäre die des Thrasylos erheblich später in's Werk gesetzt 
worden, so würde fxev nicht am Platze sein. Zwischen dem 
Anfang der Befestigung von Thorikos und der Ausfahrt 
des Thrasylos um 16. Mai liegen also nur die wenigen Tage, 
welche die Wehrhaftmachung der Schiffsmannschaft weg- 
nahm. Jenes (xev — de kann den Begriff der Gleichzeitig- 
keit nur dadurch erhalten, dass sich die gemeinsame Be- 
stimmung Ttp aXkif) ezei auf einen bestimmten Zeitpunkt, 
d. i. auf den Eintritt des neuen Kriegsjahres, nicht auf eine 
beliebige Zeit des ganzen Jahres bezieht. Auf diesen aber 
werden wir auch durch den Zweck jener Befestigung ge- 
führt, welche offenbar, wie auch die Erklärer bemerken, 
durch den Plan des Agis veranlasst worden ist: wenn die 
Spartaner die Kornschiffe nicht nach Athen lassen wollten, 
so konnten sie auch wieder, wie früher schon geschehen, 
an der Südostküste Attikas ihnen nachstellen. Der Anfang 
jenes Kriegsjahres mag also etwa auf den 9. Mai fallen. 

Gegen die Verlegung dieses Jahreswechsels in 409 ent- 



stcci. Gegenwärtig befahren die Hydrioten und Spezzioten vom März 
an das Meer, Aug. Mommsen griech. Jahreszeiten p. 19; so früh and 
noch früher haben natürlich allezeit nur kühne oder dringliche Unter- 
nehmungen begonnen. Von Athen bis Olbia lassen sich neun, bis Pan- 
tikapaion (von der Istermündung bis zur Sudspitze der Krim geraden 
Wegs auf hoher See, Skyl. 68) zwölf Tage Fahrt zählen, auf den bürger- 
lichen Tag 1000 Stadien gerechnet. 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 247 

scheidet auch der sicilische Synchronismus. Thrasylos lan- 
dete, nachdem er drei Tage in Samos verweilt hatte, (um 
21. Mai) auf der gegenüberliegenden Küste von Pygela, ver- 
wüstete die Gegend, berannte die Mauern und schlug die 
Milesier, welche den Einwohnern zu Hülfe gekommen waren ; 
Tags darauf fuhr er nach Notion, von da nach Kolophon, 
welches zu den Athenern übergieng; in der Nacht machte 
er einen Einfall im angrenzenden Lydien d^/id^ovTog xov 
aixov (I 2, 4). Am 17. Tage darnach, also Mitte Juni, er- 
schien er vor Ephesos und griff die Stadt mit Tages An- 
bruch auf zwei Seiten an, erlitt aber eine schwere Nieder- 
lage, weil die Uebermacht gegen ihn war : Tissaphernes 
hatte der Stadt ein Heer zu Hülfe geschickt und die Mann- 
schaft von 27 sicilischen Kriegsschiffen leisteten tapferen 
Beistand. Von diesen heisst es I 2, 8 eßo^rjoav — Aal 

2VQCCKO01OI di % GL7ZO TÜV 7tQOt€QO)V SlKOOl VBtoV Kdl 01710 

kv€Q(ov 7thts, aC etv%ov tote naqayevoixevai (vecoozi rjycovaai 
ftetä — Ttiv OTQCtTTjyuiv), xal 2elivovoicu dvo. Im Juni 409 
waren die Griechen Siciliens selbst so bedrängt, dass sie 
ihre Mannschaften zu Hause dringender brauchten als je. 
Im Anfang des Frühlings 409 (Diod. XIII 54, vgl. mit 44 
extr.) landete Hannibal mit mehr als 100000 (nach Ephoros 
204000) Mann in Lilybaion, vereinigte mit seinem Heere 
das der Egestaner und andern Bundesgenossen, rückte vor 
Selinus und eroberte binnen drei Monaten (Hell. I 1, 37) 
zuerst diese Stadt, dann Himera. Die Selinuntier lagen 
schon seit 410 mit Carthago im Krieg, mussten also auf 
einen Angriff schon lange gefasst sein und hatten sich auch 
nach Unterstützung umgesehen (Diod. XIII 44) ; es ist also 
undenkbar, dass sie die zwei Kriegsschiffe mit 400 streit- 
baren Männern inzwischen heimzurufen unterlassen oder 
gar, was Müller und andere durch Verbindung von aal 
2ehvovaiai dvo mit dem Relativsatz in den Text hinein 
lesen, im Frühjahr 409 jene erst nach Asien geschickt 



Digitized by 



Google 



248 Sitzung der phüos.-philol . Classe rom x 4. Februar 1882. 

hätten. Die unerträgliche Härte, welche an dieser Verbin- 
dung auffällt, benutzt Müller, um die seine Zeitrechnung 
störenden Worte als ein aus Thukyd. VIII 26 xcu 2eXi- 
vovvriai ovo eingedrungenes Glossem zu streichen ; näher 
hätte es doch gelegen, eine so unpassende Construction gar 
nicht anzunehmen : xcci JSeXtvovoiai, ovo gehört za ißorjdrjOav 
xal Suqcckooioi, die anakoluthische Veränderung im Aus- 
druck des Subjects entschuldigt und erklärt sich aus dem 
Dazwischentritt und der Anziehungskraft der Parenthese. 
Die Erwähnung der Selinuntier ist, wie Riemann, qua ra- 
tione Hellenicon textus restituendus sit, diss. Paris 1879, 
bemerkt, wegen § 10 Selivovoioig di unentbehrlich und 
Müller scheint dies selbst gefühlt zu haben, da er, noch den 
zweiten Vorschlag macht, xal 2ekivovaioi zu schreiben. 
Dieser ist freilich schon aus äusseren Gründen wenig ein- 
leuchtend und hat auch bei Niemand Beifäll gefunden ; sach- 
lich aber kommt es auf dasselbe heraus, ob man mit Müller 
und den meisten Erklärern die zwei im J. 412 gekommenen 
Schiffe der Selinuntier bei Kyzikos untergegangen und 
bloss die Mannschaft, oder (was das Richtige ist) auch die 
Schiffe in Ephesos anwesend denkt: Thatsache ist, dass im 
Juni bei Ephesos die Mannschaft den Ephesern hilft ; das 
kann aber wegen der sicilischen Vorgänge nur 410, nicht 
409, geschehen sein. 1 ) 

1) Im Text ist vielleicht mit Riemann at nach xai einzusetzen. 
Schenkl in Bursians Jahresb. 1879. XVII 9 hält die Stelle für lücken- 
haft, lässt aber die Möglichkeit zu, dass die zwei Schiffe während der 
Schlacht von Kyzikos irgendwohin detachirt waren und so dem Ver- 
derben, welches alle andern betraf, entgiengen. Letzteres ist wahrschein- 
lich der Fall gewesen. Alle von Mindaros bei Kyzikos befehligten Schiffe 
giengen verloren (Xen. I 1, 18. Diod. XIII 51. Plut. Ale. 28); wären 
die von Selinus dabei gewesen, so müsste man mit Kurz annehmen, dass 
sie gleich den peloponnesischen und syrakusischen durch den Neubau in 
Antandros ei setzt worden seien (Xen. I 1, 24 f.); dass Pharnabazos sie 
allein von der Wohlthat der Holzanweisung ausgeschlossen habe, wäre 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseihe in Xenophons Hellenika. 249 

Die Selinuntier wurden 410 von den Egestanern, wel- 
chen Cartbago punische und campanische Hölfstruppen ge- 
schickt hatte, geschlagen ; sie wandten sich dann nach Syra- 
kus mit der Bitte um Beistand, die Egestaner baten in Car- 
thago um weitere Verstärkungen. Hier fasste man nun den 
Plan, die Griechen aus der ganzen Insel zu jagen und rüs- 
tete desswegen 'den Sommer und den darauffolgenden Winter 
hindurch 1 , Diod. XIII 44. Selbstverständlich werden die 
Selinuntier, als sie sich nach fremder Hülfe umsahen, nicht 
die Absicht gehabt haben, noch länger die Peloponnesier 
mit 400 streitbaren Männern, die sie jetzt selbst dringend be- 
durften, zu unterstützen : die Botschaft, welche diese zurück- 
rief, ist wohl gleichzeitig mit der nach Syrakus bestimmten 
abgegangen, nach der eben citirten Angabe zu schliessen 
zwischen Mai und Juli 410. Daraus erklärt sich eine auf- 



unbegreiflich. Es ist aber nirgends zu lesen, dass Mindaros sammtliche 
verfügbare Schiffe zu der Unternehmung, welche so unglücklich ausfiel, 
genommen: vielmehr erhellt aus Diodoros, welcher XIII 45 ihm zuerst 
84, dem Dorieus 13 Schiffe zuweist und die Summe nach der Vereinig- 
ung beider ausdrucklich auf 97 angibt, dass nach dem Verlust von 30 
Schiffen in der Schlacht bei Abydos (Xen. I 1, 1. Plut. Ale. 27) ihm 
noch 67 geblieben sind; diese erreichten aber vor der Schlacht von 
Kyzikos durch Nachschub mindestens die frühere Zahl von 97, Diod. 
XIII 49 ix T€ ttjg TIeXoTtovvriaov noXkctt nagfyevr^d-riaav xccl rtccQa t<ov 
SXkiov ofAoiiüs. Wenn also bei Kyzikos 60 (Xen I 1, 11) oder 80 (Diod. 
XIII 50) untergegangen sind, so war damit nicht die ganze Flotte ver- 
nichtet; vielmehr behaupteten sich bezeugter Massen noch namhafte 
Ueberbleibsel in den Gewässern ausserhalb des Hellespont unmittelbar 
nach der Schlacht, Plut. Ale. 28 ov povov tov 'EMfanovzov dxov 
ßtßaiiüg (ol *4&rjvatoi) aXXä xcci xrjg ixXkvig ^aXänaijg ij-ylctaccv tovg 
AccxeSatfxoviovg, Mindaros glaubte noch bei Beginn derselben nur die 
40 Schiffe sich gegenüber zu haben, welche bei Eröffnung des Unter- 
nehmens in Sestos gestanden waren; gegen diese genügten 60 vollauf 
und eben daraus, dass er die Zeit vor dem Wiedereintreffen der andern 
aus Makedonien benützen wollte, erklärt sich sein früher Aufbruch noch 
vor Ende des Winters. 



Digitized by 



Google 



250 Sitzung der phüos.-pMol. Classe vom 4. Februar 1882. 

fallende Uebergehung bei Xenophon. Nach der Niederlage 
vod Ephesos bat Thrasylos um die Leichen der 400 ge- 
fallenen Athener und fuhr nach Notion, wo sie beerdigt 
wurden; in Methymna, wohin er sich von da begab, sah 
er die 25 syrakusischen Schiffe von Ephesos heransegeln: 
er griff sie an, nahm vier weg und jagte die andern zurück 
(I 1, 12). Die Nichterwähnung der zwei selinuntischen 
Schiffe an dieser Stelle wird als ein Beweis der angeblichen 
Unächtheit von %al lelivovaiai dvo angesehen ; sie erklärt 
sich vielmehr daraus, dass jene inzwischen den Heimruf er- 
halten und befolgt hatten. 

Die Unmöglichkeit, die Schlacht von Ephesos in das 
J. 409 zu verlegen, geht ferner aus Xenophons Mittheilung 
von der Mitwirkung der syrakusischen Mannschaft und von 
der kurz zuvor erfolgten Zusendung fünf neuer Schiffe her- 
vor. Als Hannibal Ende März 409 in Lilybaion landete, 
meldeten das die Selinuntier sogleich nach Syrakus und 
baten um Hülfe (XIII 54) ; dort Hess man auf sich warten, 
zunächst wegen eines Krieges mit den Chalkidiern, als man 
aber dann auf die Nachricht von der Belagerung diesen 
beilegte und (der ebenso undankbaren wie grausamen Be- 
handlung, welche das eroberte Selinus erfahren sollte, nicht 
gewärtig) grosse jedoch zeitraubende Rüstungen machte, 
unterlag die Stadt, ehe sie fertig waren. Entweder im Zu- 
sammenhang mit diesen Vorbereitungen oder (wie Müller 
p. 46 annimmt) nach dem Fall von Selinus, jedenfalls spä- 
testens bei Beginn der andern Belagerung haben die Syra- 
kuser ihre Schiffe zurückgerufen : denn der Angriff auf das 
an dem Kriege zwischen Egesta und Selinus gar nicht be- 
theiligt gewesene Himera musste auch den Kurzsichtigsten 
über die Absichten Hannibals die Augen öffnen. Ueber die 
Zeit der Rückkehr des Geschwaders besitzen wir das be- 
stimmte Zeugniss Diodors XIII 54, nach welchem sie in den 
letzten Tagen der Belagerung Himeras erfolgte ; dieses zu be- 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 251 

mangeln hat Müller p. 46 um so weniger Grund, als es ja 
mit seiner eigenen Ansiebt von der Zeit des Heimrufes 
stimmt und das Einzige, was er daran auszusetzen hat, der 
Vorwurf, dass Diodor so spreche als hätten die Sikelioten 
damals bloss jene 25 Schiffe besessen, ist erstens, wie der 
Wortlaut üav€7tXevoctv 7tqog zrjv c lf.Uqav rcevze itqdg zalg 

BLTLOÖL TQirjQBig TKXQCC ZCJV 2lXeXlO)ZWV, (XQ TtQOTBQOV flSV (X7te- 

ozdXxeioav zaig ^iaxedaifxovioLg inl Gv\i[iaylav zoze (f dve- 
OTQeipav and zijg ozQctzelag lehrt, völlig unbegründet, zwei- 
tens aber ändert er gar nichts an der gemeldeten Thatsache 
selbst. Da Himera nach Müllers eigner, zutreffender Rech- 
nung im Juni 409 erobert worden ist und damals die Schiffe 
schon zurückgekehrt waren, so können diese nicht wohl ein 
Gefecht Mitte dieses Monats bei Ephesos mitgemacht haben, 
jedenfalls aber nicht im Juli 409 oder noch später bei Me- 
thymna geschlagen worden sein. 1 ) Diodors Zeugniss wird 
überdies durch ein zweites, von M. hier nicht berücksich- 
tigtes bestätigt, Justin. V 4 Syracusanorum auxilia inlatum 
a Carthaginiensibus Siciliae bellum domum revoeavit; es 
setzt voraus, dass die Heimberufung der Schiffe spätestens 
beim Anfang der Belagerung von Gela ergangen ist. 

Nach alle dem wird man das Gewicht eines Zeugnisses, 
des einzigen, welches für die Dodwellsche Anordnung der 
Jahre spricht, nicht sonderlich hoch anzuschlagen brauchen. 
Dionysios v. Halik. über Lysias 21 Jiodozog, etg zwv pezä 
GqaavXXov KazaXeyevzwv iv zqi neXo/tovvrjaiaii^ noXe^, 
(xeXXiov ixnXeiv eig zrjv Idoiav eni rXccvKiTtnov aq^ovzog 



1) Xen. I 2, 10 inst ij noXig anujXojXei bezieht Müller unrichtig 
auf die Zeit zwischen den Schlachten von Ephesos und Methymna ; wenn 
Ende Juni 409, wie er dem entsprechend annimmt, die Nachricht von 
dem Falle der Stadt Selinus nach Ephesos gekommen wäre, so würde 
ja die Fahrt der Abgesandten, welche dieselbe überbrachten und die 
Schiffe heimriefen, so lange gedauert haben wie die ganze Belagerung 
von Himera. 



Digitized by 



Google 



252 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Februar 1882. 

e'xcov vr t 7iia naidia öia^rjuag hiorqoaTO setzt die Ausfahrt 
des Thrasylos Ol. 92, 3. 410/09, wodurch sie in den Mai 409 
zu stehen käme. Diodotos fand in der Schlacht bei Ephesos 
den Tod , sein Bruder aber , den er für diesen Fall zum 
Vormund bestimmt hatte / , bestahl , nachdem er eine Zeit 
lang den Todesfall verheimlicht hatte, acht Jahre lang die 
Hinterbliebenen um ihr Vermögen. Diese acht Jahre spielen 
eine Hauptrolle in der Rede, in den von Dionysios aufbe- 
wahrten Fragmenten werden sie dreimal erwähnt (c. 25; 
zweimal c. 27) ; das erste beginnt mit der Mittheilung des 
Todes an die Familie, c. 25 inei de rqt XQ° V V idriXwoe %6v 
xtavatov atTÖlg xai Inoirfiav %a vofAi^Ofieva, xov f.iev nq&tov 
eviavTÖv ev IletQaiei diyxojvxo. Diese geschah um die Zeit, da 
Glaukippos ins Amt trat (14. Juli 410); vielleicht hat also 
Lysias an einer andern Stelle jenes erste Jahr nach Glaukippos 
benannt und Dionysios ihr seine Datirung entlehnt. 

Im Winter nach den Kämpfen des Thrasylos kam Kory- 
phasion wieder in den Besitz der Spartaner, Hell. I 2, 18; 
nachdem es seit Mai 425 15 Jahre lang in Feindeshand 
gewesen, Diod. XIII 64 j4axedcuf.i6vioi iyxQateig eyivovro 
Ttjg TIvXov TtevTeKccidewx errj tcSv l4&r)vaiwv avTr\v ytccTe- 
0%r]>t6Tü)v dcp' ozov Jrjfioad-evrjg avTr^v krteteixioe; also im 
Winter 410|09, nicht 409|8. Aus der dritten Prytanie des 
Glaukipposjahres (22, Sept. — 6. Nov. 410) wird eine Zahl- 
ung an den dortigen Befehlshaber erwähnt, CIA I 188; 
dass nur wenige Monate später der Hunger die Uebergabe 
habe herbeiführen können, findet Müller p. 44 unwahrschein- 
lich; wir meinen aber, dass 4 — 5 Monate dazu vollständig 
ausreichen konnten , auch war nur die Knappheit , nicht 
völliges Ausgehen der Lebensmittel der Beweggrund, in Ver- 
bindung mit der Unfähigkeit, bei karger Nahrung und täg- 
licher Verminderung der Kampffähigen gegen den unaus- 
gesetzten Ansturm der Belagerer den Ort zu halten, Diod. 
a. a. O. ft^XQ 1 H& fivog ovxuxov TtQOodoxtovteg naqa tcov 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 253 

jlcMEdaiixovlwv ßoq&eiav • cog ö'ol fxev 7toki\xioi rag tvqoo- 
ßoXag ex öiaöox^g €7voiovvTO y tüv de Idiwv oi fxev in twv 
TQav/ndvcjv ärte&vyoxov ol <T«c Trjg oirodeiag xaxcog anr\k- 
hxTxov , V7t6ortovdoi tov totiov i^ehnov. Waren die Vor- 
räthe schon völlig zu Ende gewesen, so kam auf die übrigen 
Verhältnisse nichts mehr an. Der andere Einwand Müllers 
gegen Haacke, dass es nicht begreiflich sei, woher die Spar- 
taner sechs Monate nach der Schlacht von Kyzikos die Kraft 
und den Muth genommen haben , Pylos zu Wasser und zu 
Land zu belagern, ist von geringer Bedeutung: der Haupt- 
angriff geschah auf der Land seit e und ein attisches Ge- 
schwader hat sich, wie aus Diodors Darstellung hervorgeht, 
nicht sehen lassen. 

I 3, 1: 409. 

Bei der Gesandtschaft beider kriegführenden Parteien, 
die zu Beginn der Belagerung von Byzantion die Reise zum 
Grosskönig antrat, befand sich laut Hell. I 3, 13 auch der 
frühere Feldherr der Syrakuser, Hermokrates, welcher, zur 
Zeit der Schlacht von Kyzikos geächtet, auf Bitten des Heers 
den Befehl bis zum Eintreffen der neuen Heerführer be- 
halten (I 1, 27 — 29), dann aber sich unter den Schutz des 
Pharnabazos gestellt hatte (I 1, 31); während des Winter- 
aufenthalts bei diesem in Gordion erfuhren die Gesandten 
den Fall von Byzantion (I 4, 2); als sie mit Frühlings 
Anfang weiter reisten, stiessen sie auf eine von Susa zurück- 
kommende spartanische Gesandtschaft und zugleich auf den 
eben die Statthalterschaft antretenden Kyros, welcher die 
attischen Botschafter festhielt (I 4, 5). Von den andern 
Theilnehmern der gemischten Botschaft meldet Xenophon 
nichts; da aber ihr Zweck sowohl durch das Vorgehen des 
Kyros als durch die Nachrichten, welche die Spartaner vom 
Hofe brachten, vereitelt war, so muss angenommen werden, 



Digitized by 



Google 



254 Sitzung der philos.~phüol. Classe vom 4. Februar 1882. 

dass sie sich aufgelöst hat. Bei Dodwells Anordnung fallt 
der Anfang der Gesandtschaftsreise und der Belagerung von 
Byzantion in das Spätjahr 408, und ihr Abbruch in den 
Frühling 407 ; aber seit Sommer oder Herbst 408 finden 
wir Hermokrates bereits in Sicilien mit dem Unternehmen 
beschäftigt, seine Aufnahme in Syrakus zu erzwingen (Diod. 
XIII 63) : dazu passt bloss Haackes Jahrvertheilnng , bei 
welcher die Gesandtschaftsreise desselben 409—408 statt- 
findet. Müller p. 51 nimmt mit Schneider an, Hermokrates 
sei schon vor der Belagerung Byzantions Mitte 409 in Si- 
cilien angekommen , habe das bei Diodor XIII 63 und 75 
bis zur Verbannung des Diokles Erzählte bis Herbst 409 
vollbracht, im Frühling 408 Hellas wieder aufgesucht und 
an der Gesandtschaft sich 408/7 betheiligt ; nach ihrer Auf- 
lösung sei er im Frühling 407 zum zweiten Mal nach Si- 
cilien gegangen und dort im Herbst 407 gefallen. Aber 
schon die XIII 63 geschilderten Ereignisse nehmen mindestens 
ein Vierteljahr weg und enden mit dem Schlnss der Jahres- 
geschichte, welcher den Eintritt der rauhen Jahreszeit an- 
zuzeigen scheint (TtaQeOKevd^ero Ttqoq tr\v avxov nd&odov 
imineXtoQ, eldwg tovq dvTiTtoXizevofxevavg dvTi7vqd^ovTag). 
Erst im Laufe der nächsten Jahresgeschichte kommt es 
zum Sturz seines Hauptgegners, des Diokles; als er trotz- 
dem in Syrakus nicht eingelassen wurde, gieng er nach 
Selinus zurück ; nach einiger Zeit (perd xiva xqovov XIII 75) 
rückte er, von seinen Anhängern gerufen wieder vor Syrakus 
und fand dort im Kampfe den Tod. Eine Entfernung des 
Hermokrates in der Zwischenzeit, noch dazu eine so lange 
von einem Jahre und darüber, hätte Diodor nicht wohl 
übersehen können, am allerwenigsten wenn mit ihr die 
Gesandtschaftsreise verbunden war, und sie lässt sich auch 
nirgends einschieben; daher haben die Bearbeiter der Ge- 
schichte Siciliens diese Annahme einhellig verworfen, vgl. 



Digitized by 



Google 



ünger: Die histor. Glosseme in Xenophons HelleniJca. 255 

Völkerling de rebus Siculis 1868 p. 58; Holm II 424; 
Meltzer Gesch. d. Karth. I 264. *) 

I 4, 2 : 408. 

Als die oben erwähnte gemischte Gesandtschaft nach 
dem Winteraufenthalt, den sie mit Pharnabazos in Gordion 
genommen, im Anfang des Frühlings {aqxofÄävov xov mQog 
I 4, 2) die Reise fortsetzte, begegnete ihr Kyros und nötjiigte 
den Satrapen, die Athener festzunehmen ; erst drei volle Jahre 
darnach (§ 7 eneidri iviavrol tqbiq r t aav) bewog Pharna- 
bazos jenen ihre Entlassung zu gestatten , sie wurden von 
Ariobarzanes nach Kios geleitet, von wo sie zum attischen 
Heer fuhren. Vom Frühling 407, an welchen Dodwell bei 
aq%oii£vov %ov eagog denkt,, , würden die drei Jahre in 404 
führen; aber seit dem Herbst 405 gab es kein attisches 
Heer ausserhalb des Landes. Die Ausflucht Müllers p. 30, 
diese Gesandtschaft sei nicht aus dem Lager des Alkibiades 
sondern aus Athen gekommen, hat Breitenbach p. 62 wider- 
legt; Müller verdächtigt aber auch die Worte eTteidrj — rjoav, 
weil der Beweggrund, welchen Kyros zur Festnahme der 
Gesandten hatte (§ 5 ßovkopevog tovg Zi&rjvatovg fxrj elöevai 
xa TtgaTTOfACva) , nach Jahresfrist schon hinfällig gewesen 
sein würde. Wie freilich jemand auf den Gedanken ge- 
kommen sein soll, diesen Satz einzuschieben, und was vor- 
her an seiner Stelle gestanden hat, gibt er nicht an. Nitsche 
ZGW. 1873 p. 946 kommt ihm zu Hülfe, indem er iv 

1) Diodor folgt XIII 63 (und 75) nicht mehr dem c. 54—62 in 
der Geschichte der Belagerungen von Selinus und Himera benutzten 
Timaios. Dieser hatte die Zahl der in Asien gewesenen Schiffe auf 25 
angegeben (c. 61, die vier bei Methymna verlorenen waren also dank 
der Unterstützung des Pharnabazos durch neugebaute ersetzt worden), 
dagegen c. 63 sind ihrer wie c. 34 eilf mehr. Diese andere Quelle ist 
wahrscheinlich Ephoros ; daraus und aus der Verbindung zweier Quellen 
mit verschiedener Zeitrechnung erklärt sich der Anachronismus Diodors, 
welcher c. 63 und 75 um ein Jahr zu früh datirt, vgl. Philol. XL 54 ff. 



Digitized by 



Google 



256 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Februar 1882. 

'iXov&ig statt eviavzoi Tqeig zu schreiben vorschlägt. Der 
vorausgehende Gegensatz (Daovdßa&g rewg fiev v.axü%e 
rovg 7TQeoßeig, cpdoKcov toie ftev dvd^eiv avxovg naqd ßaailea 
Tote de owaäe a7ton:ejLHpeiv wg /Atjäev ^e^rprjzai erfordert 
jedoch eine Zeitbestimmung wie sie in ejteiöri de eviavzoi 
zqelg tjGav, iderj&t] zov Kiqov zum Gedanken passend und 
dem Sprachgebrauch Xenophons (vgl. z. B. II 1, 25 nqlv 
de r^xeqag dexa yeveod-ai) angemessen vorliegt; durch die 
Ortsangabe wird die Stelle ganz unverständlich und Nitsche 
hat es unterlassen, seine Conjectur zu erklären. Der Ort, 
wo Pharnabazos die Gesandten festhielt, kann Iluza nicht 
gewesen sein, weil es zur Statthalterschaft des Kyros ge- 
hörte; auch würde dann kein Gegensatz vorhanden sein, 
weil die Internirung im Gebiet des Pharnabazos schon im 
ersten Glied (zecog fiev xazeixe) ausgesprochen und ein 
Wechsel ihres Aufenthaltes nicht angegeben ist. Der Leser 
findet überhaupt nicht, welches Subject zu r^oav gedacht 
werden soll : ist nicht ol jrqeaßeig sondern Kvqog xat ®ccq- 
vdßa^og nach Nitsches Ansicht zu ergänzen, so vermisst 
man eine Aufklärung über Anlass und Zeit dieser neuen 
Zusammenkunft; an einen Besuch des Ortes bei der Fort- 
setzung der damaligen Reise des Kyros zu denken würde 
wenig Wahrscheinlichkeit haben, weil Ilaza fern von Gordion 
und der dort nach Susa führenden Strasse im Südwesten 
Grossphrygiens an der lydischen Grenze lag, l ) wohin ihn 
Pharnabazos schwerlich begleitet hat. Die Gesandten waren 



1) Iluza wird als Stadt von Phrygia Pacatiana (auch Karophrygia 
genannt, der westliche Theil Grossphrygiens) im Synekdemos des Hiero- 
kles e. 22 und in den Listen der Bischofsitze angeführt, welche den 
Namen zum Theil Eluza schreiben (8, 411. 9, 321 Iluza; 10, 434. 13, 
284 Eluza; 3, 321 Elaza, s. Parthey's Hierocles); überall erscheint es 
in der Umgebung von Städten der südwestlichen Gegend. Dadurch wird 
die Vermuthung Mannerts bestätigt, welcher es mit Aludda, zwischen 
Akmonion und dem lydischen Philadelpheia, von diesem 65, von jenem 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons HeTlenika. 257 

in der Satrapie desselben, im hellespontischen Phrygien 
internirt, aber die Verfügung über sie stand bei Kyros; 
dieser kümmerte sich in Sardes wenig um ihr Schicksal, 
Hess sie wohl gar absichtlich schmachten: vor der Heim- 
reise, welche er im Sommer 405 antrat, mag er eine Zu- 
sammenkunft mit Pharnabazos gehabt haben und bei dieser 
Gelegenheit von jenem an sie erinnert worden sein. 

Ein Scholion zu Aristot. eth. V, veröffentlicht von 
Bywater im Hermes V 82, verbessert von Usener NJbb. 
CHI 316 enthält zwei neue Fragmente der Atthis des 
Androtion : c Evxrrjiicov Kvdad-rjvfuevg . snl tovtov 7vqeoßeig 
rjX&ov and yLa%t8ai[iovog Id^vaQt MeyeXXog xai "Evdiog 
xal OiXoxccQidag .* xal STtdyei c rwv de 7ceQiyevo[.i€va)v QTtedooav 
(xvav vtczq exdoTOv Xaßovxeg. ixqourctov yaQ yv, oxi tovto 
gvvz&evto vTteQ tcov dXioxofxevwv. Euktemon trat am 2 1 . Juli 
408 ins Amt; bald nachher erschienen die Gesandten, denn 
der Vorgang ist der erste in der Jahresgeschichte. Während 
die nach der Schlacht von Kyzikos erschienene Gesandt- 
schaft Austausch der Gefangenen beantragt hatte (Diod. 
XIII 52 ßovX6fA.E&a tüjv alxiiaXtbxtov XvxqovvTEg avd-' 1 svog 
l4&r]vaiov Xaßelv eva Ad%tova\ wird hier bloss von Lösegeld 
gesprochen: nur die Athener waren demnach im Besitz von 
Gefangenen. Diese werden als Ueberlebende bezeichnet: 
also hatte auch eine namhafte Zahl im Kampfe den Tod 
gefunden. Beides setzt eine grosse Niederlage der Pelo- 
ponnesier voraus , welche nicht lange vorher stattgefunden 
hatte; bei Dodwells Anordnung findet man aber kein hieher 
passendes Ereigniss seit jener früheren Botschaft : vier syra- 
kusische Schiffe sammt der Mannschaft wurden (409 Dodw.) 
bei Methymna weggenommen, aber diese entrann im nächsten 



25 röm. Milien entfernt, identificirt : neben Iluza und Elnza kann auch 
die Aussprache Aluza bestanden haben und <5<5 tritt auch im Aiolischen 
für t ein. 

[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 17 



Digitized by 



Google 



258 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Februar 1662. 

Winter aus der Gefangenschaft (I 2, 14); der Harmost von 
Chalkedon fand (Frühj. 408 Dodw.) mit einem Theil seiner 
Leute bei einem Ausfall den Tod, die anderen retteten 
sich in die Stadt (I 3, 7. Diod. XIII 66. Plut. Ale. 30). 

In der ganzen Geschichte dieser Zeit gibt es keinen Vor- 
gang, auf welchen Androtions Angaben passen als die Erober- 
ung von Byzantion, geschehen im Anfang 408 nach Haacke, 
407 nach Dodwell. Die Besatzung bestand nach Plut. Ale. 3 1 
aus Peloponnesiern, Boiotern und Megarern; die Peloponnesier 
aber waren ausschliesslich Lakedaimonier, Xen. I 3, 15 neqioi- 
Y.wv tiveg xai xwv vsoöa/Koöaiv ov itolXoL Es war die Mann- 
schaft der zwölf Schiffe, welche Klearchos im Auftrag des 
Agis nach Byzantion gebracht hatte. Auch wenn, was 
nicht mit Sicherheit aus I 1, 35 zu ersehen ist, die (kleinere) 
Hälfte derselben nach Chalkedon gelegt worden war, ver- 
blieben für Byzantion 1500 — 2000 Mann, von welchen nach 
I 1, 35 vewv aTqaTi(j)xiöo)v fxailov i) Tcc%eid)v ein guter Theil 
aus Hopliten bestand. Nach Diodor XIII 67 , aus dessen 
Bericht sich die Abweichungen Xenophons und Plutarchs 
von einander und von ihm erklären lassen, lieferte die eine 
Hälfte der Besatzung den durch Verrath eingedrungenen 
Athenern eine Schlacht, in welcher sie zum grössten Theil 
aufgerieben, der Rest aber gefangen genommen wurde: die 
Zahl desselben gibt Plut. Ale. 31 rovg 7ceQiyevofxevovg oaov 
TQiaxooiovg £c5vtccq elaße; bei Diod. XIII 67 ol rtSQiXei- 
q)&€vteg elg 7tevTaxoolovg xccTeqwyov 7tqog Tovg ev xoig leqoig 
ßwfÄOvg sind die gefangenen Byzantier (die spartanisch ge- 
sinnten hatten sich , was wir bloss aus Diodor erfahren, 
an diesem Kampf betheiligt) eingezählt, welchen nachher 
die Freiheit geschenkt wurde. Nachher ergab sich auch die 
andere Hälfte der Besatzung (zum grössten Theil wohl in 
der eigentlichen Schiffsmannschaft bestehend), welche während 
des Kampfes die Schiffe im Hafen gehütet hatte. Somit 
mögen etwa 450 — 700 gefallen, 1000—1700 in Gefangen- 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenopkons Hellenika. 259 

schaft gerathen sein. Diese wurden sogleich nach Athen 
geschickt; eine grosse Menge anderer brachte Alkibiades 
im Juni mit (Diod. XIII 68); die Summe aller Pelopon- 
nesier, welche während seiner Heerführung als Gefangene 
nach Athen kamen, betrug nicht weniger als 5000 (Athen. 
Xn 49). 

I 5, 11: 407. 

Nach den eleusinischen Mysterien, also Ende Boedro- 
mion (September) hob Alkibiades 1500 Hopliten und 150 
Reiter aus und fuhr mit 100 Schiffen gegen Andros. Die 
Andrier wurden im Feld geschlagen, dann eingeschlossen; 
wenige Tage später segelte er nach Samos und führte von 
dort aus den Krieg (xäxei&ev OQfxcofxevog irtolefiei I 4, 23). 
Daraus, dass Xenophons Erzählung hier zu den Unterneh- 
mungen der Peloponnesier übergeht (I 5, 1 ff.) und aus der 
späten Jahreszeit, in welcher Alkibiades ausfuhr, ist zu 
schliessen, dass jetzt der Winter eingebrochen war. Die 
Lakedaimonier aber, fährt X. I 5, 1 fort, hatten nicht lange 
vorher, weil die Nauarchie des Kratesippidas abgelaufen 
war, den Lysandros als Nauarchen ausgeschickt (rtQOTeqov 
tovtwv ov 7toÄfo$ %qov(j) e&rtefiipav). Bei Dodwells Anord- 
nung wäre Lysandros im Herbst des J. 407 dem Krate- 
sippidas nachgefolgt, also nur ein halbes Jahr Nauarch ge- 
wesen : denn von I 6, 1 t<$ & ZTtiovii vtu ^ivodvÖQip rtccQe- 
hrjlv&orog rjdr) rov xqovov S7tefxxpav KaXkvKQaxiöav steht die 
Zeit (406) fest. Die Nauarchie dauerte, wie allgemein und 
mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen wird, mindestens 
ein Jahr, unter Umständen auch l*/2, 2 und mehr; selbst 
angenommen aber, es habe kein festes Minimum ihrer Dauer 
bestanden, so würde man doch einen Nauarchen nicht bloss 
für die rauhe Jahreszeit gewählt haben, in welcher er seine 
Tüchtigkeit gar nicht bewähren konnte. Müller bezieht 
daher jenes ttqotbqov tovtwv ov TtoXfop xqovw auf alles von 

17* 



Digitized by 



Google 



260 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 4. Februar 1882. 

§ 20 an Erzählte, d. i. auf die ganze seit der Ankunft des 
Alkibiades in Athen (25. Thargelion, Mitte Juni) verlaufene 
Zeit und lässt den Wechsel der Nauarchie mit dem Früh- 
ling 407 eintreten, so dass sie Lysandros ein volles Jahr 
bekleidet hätte. Aber tovtmv muss jedenfalls auf den letzten 
vorhergenannten Vorgang, die Ankunft des Alkibiades in 
Samos bezogen werden: auch wenn man die nächstvorher- 
gegangenen dazu nimmt, bleibt doch jene der Hauptgegen- 
stand der zeitlichen Vergleichong: von einem im Frühling 
geschehenen Vorgang aber konnte in einer analistischen 
Erzählung nicht gesagt werden, dass es nicht lange vor 
einem Ereigniss des Octobers stattgefunden habe. 

Als ein Jahresamt scheint die Nauarchie denselben 
Normalanfang gehabt zu haben wie die andern Jahresämter 
der Spartaner, nämlich das Kalenderneujahr im Herbst *), 
entsprechend dem attischen 1. Pyanopsion, was mit Dod- 
well, Haacke u. a. auch Beloch Rh. Mus. XXXIV 117 ff. 
annimmt; wollte man die Dauer verlängern, so wurde wahr- 
scheinlich ein Kalenderhalbjahr oder mehrere hinzugefügt. 
In unserem Falle bekleidet demnach Lysandros die Nau- 
archie vom 1. Pyanopsion (Herbst 408) bis 1. Munychion 
(Frühling 406) attischer Benennung. Er kam nach Rhodos, 
nahm dort Schiffe, mit welchen er nach Kos und Miletos, 
dann nach Ephesos fuhr, wo er verweilte, bis Kyros in 
Sardes anlangte. Dieser war im Frühjahr auf dem Weg 
zwischen Susa und Gordion mit den griechischen Gesandten 
zusammengetroffen : da er ausser Lydien auch Grossphrygien 
und Kappadokien zu verwalten hatte, so musste es ihm 
nahe liegen, die Gelegenheit der Durchreise gleich zur Be- 
sichtigung seiner Provinzen zu benützen, Audienzen zu er- 
theilen, persönliche und sachliche Aenderungen zu treffen; 



1) Dass es dem makedonischen, nicht dem attischen Neujahr ent- 
sprach, wird Philol. XL 91 gezeigt. 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 261 

es ist daher keineswegs auffallend, wenn er erst im Herbst 
Sardes erreicht. Nachdem .Lysandros von Sardes zurück- 
gekehrt war, Hess er die Schiffe an's Land ziehen und hielt 
längere Rast, während die Schiffe trockneten und ausge- 
bessert worden, I 5, 10 dvelxvoag tag sv ^Ecpaott) vccvg r\ov- 
Xiccv rjyev, S7tiOHevd£wv xal dvaxpv%o)v ccvTccg. In diesen 
Worten ist, wie Breitenbach erkannt hat, der Uebergang 
zur Winterruhe 408(7 angedeutet und der Eintritt in die 
gute Zeit des J. 407 daher nicht I 5, 1, wie früher ange- 
nommen wurde, sondern I 5, 11 zu suchen, wo Xenophon 
die Erzählung von den Unternehmungen des Alkibiades 
wieder aufnimmt. 

Die Jahrepoche. 

Für die Zeit nach dem peloponnesischen Krieg legt 
Xenophon Naturjahre zu Grund, beginnend wie bei Hero- 
dotos Hieronymos Timaios Duris und andern Geschicht- 
schreibern mit Frühlings Anfang. Zwischen dem Winter- 
feldzug des Epameinondas in Lakonien und der Botschaft, 
welche die Spartaner im Frühjahr 369 nach Ablauf des- 
selben an die Athener sandten, liegt ihm der Jahreswechsel, 
VII 1,1 r$ de toTSQcp erei Acwedcufiovioi rtQsoßeig fy&ov 
Id&ipoOCp. Dass dieser genau auf den Eintritt des Frühlings 
fiel, lehrt die Vergleichung von V 4, 63 elg vag Qrißag ovk 
spßeßltjxortov tüv TtoXegÄLCov ovt sv tp KXeofißQOzog r^ye Tiijv 
avqaxidv srei ovx sv tp Tipod-eog Ttsqisrcksvos. Das erste 
der hier genaunten zwei Jahre trifft auf 376: in seinen 
Lauf fiel nicht bloss der ganze Feldzug des Kleombrotos, 
sondern laut § 61 auch die Schlacht von Naxos, welche 
nach Plut. Phok. 6 am 16. Boedromion (9. Oktober 376) 
stattfand ; von der Zeit aber, in welcher Kleombrotos aus- 
zog, heisst es § 59 eaq ijzscpaive. Der grosse Seezug, auf 
welchem Timotheos die Akarnanen, Kephallenen, Kerkyraier 
und andere Völker am ionischen Meere gewann, nahm wahr- 



Digitized by 



Google 



262 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 4. Februar 1882. 

scheinlich den grossten Theil der guten Jahreszeit von 
375 weg. 

Hätte Xenophon auch in der Geschichte des pelopon- 
nesischen Krieges das Jahr mit Frühlings Anfang begonnen, 
so wäre es demnach fraglich, ob er nicht auch dort nach 
Naturjahren rechnet ; erst durch den Nachweis, dass er dort 
erheblich später anfangt, erhält die herkömmliche Annahme, 
dass er die Anfangsepoche jenes Krieges zu Grunde legt, 
ihre Berechtigung. Geliefert ist derselbe im Obigen für 
den Wechsel von 410, welcher laut I 2, 1 in die erste 
Hälfte des Mai fallt; die späteren Jahranfänge sind durch 
keine Zeitangabe näher bestimmt, ausgenommen den letzten. 
Dieser tritt II, 3, 1 nach der Uebergabe Athens (II 2, 23) 
und vor der Wahl der Dreissig ein, also nach 16. Muny- 
chion, dem Datum der Uebergabe (Plut. Lys. 15), welches 
dem 25. April 404 entspricht. 1 ) Ferner wird II 3, 9—10 
das Ende des Krieges in den Ausgang des Sommers (tsIsv- 
riovrog %ov &sqovs), 27 Jahre 6 Monate nach seinem Aus- 
bruch und unter den Ephoren Endios gesetzt. Da dieser 
erst (am 4.) Oktober 404 das Amt angetreten hat, so ist, 
wie Em. Müller erkannt hat, unter &€Qog hier nicht der 
eigentliche Sommer zu verstehen, auf welchen mit Arkturs 
Frühaufgang Mitte Septembers (zu Athen im J. 432 am 
18. Sept., Boeckh Sonnenkr. p. 84) der Herbst folgt; eben- 
desswegen und weil die sechs Monate erst nach dem 25. April 
anheben, kann auch nicht an die Zweitheilung des Jahres 
bei Thukydides gedacht werden, in welcher die Herbstnacht- 



1) Die im Text gegebenen ßeductionen auf julianische Jahre lassen 
eine Fehlerweite von 1 — 2 Tagen auf oder ab zu; ihre Rechtfertigung 
s. Attischer Kalender, Akad. Sitzangsb. 1875. II 1 ff. und Att. Schalt- 
kreis, Philol. XXXIX 512 ff. Wer die dort begründete, im Wesent- 
lichen schon von Boeckh aufgestellte Annahme, dass zwischen 423 und 
421 ein Schaltmonat ausgemerzt worden ist, verwerfen wollte, würde gar 
den 24. Mai oder einen benachbarten Tag statt des 25. April erhalten. 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 263 

gleiche die Grenze zwischen Sommer und Winter bildet. 
Es bleibt also nur übrig, den Sommer über den ganzen 
Herbst hin bis zum Eintritt des eigentlichen Winters im 
November auszudehnen, und dies bestätigt sich sowohl da- 
durch, dass d-eQog im weiteren Sinn bei Xenophon mit dem 
Frühling anfängt (Philologus XXXVII 5), was auf die Be- 
deutung mildere Zeit des Jahres überhaupt schli essen lässt, 
als durch II 1, 1 ewg fiev &£qog fy, drto te Ttjg äqag ergs- 
q>ovto vuxl €Qya£6pevoi fXLO&ov xara Ttjv %a>qav ertei de %ei- 
fxcov iyevero xai Tqocprp oi% u%ov yvfivol te rjcav xal ävv- 
7t6dt]TOi, §vvt<JTctvTO dXKr(koig. Von den Früchten des Landes, 
welche die bessere Jahreszeit (äqa) bot, konnte man bis zum 
Ende der Weinlese geniessen; diese und die Aussaat des 
Getreides gaben Gelegenheit zu Arbeit und Verdienst bis 
zum Eintritt des Winters (Plin. hist. XVIII 319 u. 224—5). 
Der Krieg endigte also, wenn e^d^rjvog auf sechs volle 
Monate gedeutet wird, nach dem 16. Pyanopsion = 19. Ok- 
tober und vor dem 4. (oder 10.) November 404. *) 

Xenophon hat natürlich, da er seine Darstellung nach 
Kriegsjahren ordnet, wie Thukydides einen bestimmten Tag 
als Anfang derselben gedacht: nämlich den des ersten Ein- 
falls der Peloponnesier in Attika. Dieselben Gründe ferner, 
welche Thukydides bewogen, seine Jahrepoche auf das Ka- 
lenderdatum, nicht auf die Naturzeit des Kriegsausbruches 
zu stellen, 2 ) mussten auch auf ihn bestimmend wirken: das 
Naturjahr lieferte nur selten Mittel zu genauer Bestimmung 
einzelner Ereignisse, durch die Sonn wenden und Nacht- 



1) Aach die zwischen dem 3. September 404 (II 1, 4) und dem 
Ende des Krieges liegenden Vorgänge setzen den Verlauf einer längeren 
Zeit voraus: die Einnahme von Samos, Auswanderung der Kleruchen 
und Zurückführung der früheren Besitzer, Einsetzung eines neuen Regi- 
ments, Entlassung der Bundesgenossen, Heimfahrt, Ablieferung der atti- 
schen Flotte, der erübrigten 470 Talente und anderer Werthe. 

2) Zur Zeitrechnung des Thukydides. Akad. Sitzungsb. 1875. 1 88. 



Digitized by 



Google 



264 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 4. Februar 1882. 

gleichen, durch die hervorragendsten Phasen des Siebenge- 
stirns, Arkturus, Orion, Sirius Hessen sich nicht viele Zeiten 
und auch diese meist nur annähernd fixiren; ein Laie in 
der Astronomie und wer für Laien schrieb, musste behufs 
der Setzung eines Ereignisses auf einen bestimmten Tag 
sich an den bürgerlichen Kalender halten. Man könnte 
meinen (wie man es von Thukydides irrthümlich gemeint 
hat), Xenophon habe den nächst gelegenen Zeitpunkt des 
Naturjahrs, also den Anfang des Sommers gewählt; aber 
I 2, 1 erwähnt er zuerst den Anfang des Jahres und dann, 
als etwas später eingetreten, den des Sommers. Er hat 
vielmehr das Kalenderdatum des ersten Einfalls zur Epoche 
genommen : II 3, 9 sagt er s!;dfirp>os xal €tvtcc %ai ewooiv 
STTj %<# TtoXafjUj} foekevra, nicht rifiiov y.al iitta ktX., und 
verräth damit, dass er vom Monatstage des Einfalls zu 
zählen angefangen hat: denn das Naturjahr der Griechen 
hat keine Monate, diese sind dem Mondjahr eigen. 

Die Zeit des Einfalls hat Thukydides nicht angegeben ; 
nur vom Ende der Berennung Oinoe's, mit welcher die 
Feindseligkeiten eröffnet wurden, schreibt er II 19, dass sie 
am 80. Tag nach dem Ueberfall Plataias (also etwa, vom 
viertletzten Anthesterion (Att. Kai. p. 10) ab gerechnet, 
am 16. Thargelion) abgebrochen worden ist; die Mitte 
dieses Zeitraums würde der 8. Munychion bilden. Die sechs 
Monate II 3, 9 führten im J. 404 vom Jahranfang bis in 
den Ablauf des Herbstes : je nachdem man Winters Anfang 
auf 4. Nov. (3. Maimakterion) oder 10. Nov. (9. Maimakt.) 
stellt, erhält man als vorläufige Spätgrenze den 3. oder 9. 
Thargelion. Die Frühgrenze bildet der 16. Munychion, als 
Datum der Uebergabe Athens x ) : in den nächsten Zeiten 

1) Demnach ist nicht bloss Thuk. V 20 avtoösxa huir duX&ov- 
Xiüv xal jjfjLBQtay okLytuv nageyeyxovacoy, wie Zeitrechn. d. Thukyd. p. 46 
(geschrieben vor Erkenntniss der Jahrepoche Xenophons) aus V 24 er- 
schlossen wurde, sondern auch V 26 en%d xal eXxoaiv hy xal ypigag 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenoj)hons Hellenika. 265 

nach diesem begann Xenophons letztes Kriegsjahr (II 2, 23. 

3, 1). Den Abstand zwischen beiden berechnet Thukydides 

V 26 auf 'nicht viele Tage 5 ; also ist frühestens der 18. Muny- 

chion statthaft. Im J. 410 verlief zwischen der Epoche und 

dem Anfang des Sommers kaum mehr Zeit, als die Ueber- 

nahme der Schiffe und Mannschaften nebst der Wehrhaft- 

machung des Schiffsvolkes wegnahm : dem 16. Mai (Sommers 

Anfang) entsprach aber damals der 1. Thargelion. Spätestens 

also der 27., frühestens der 18., ungefähr der 22. Munychion 

ist das Datum des Einfalls von Oinoe: die 27 Tage vom 

26. Elaphebolion bis dahin passen zur Dauer der Thuk. V 21 

(vgl. 19) — 24 verlaufenen Vorgänge. Dem 22. Munychion 

entsprechen folgende Tage des julianischen Jahrs: 

431 26. Mai 407 4. Mai 

410 8. Mai* 406 23. April 

409 26. April 405 12. Mai 

408 14. Mai 404 1. Mai. 

II. Ausscheidung der Glosseme. 

Jahr 411. I 1, 37 [xal 6 sviavTog elrjyev, iv $ Kclq- 
Xydovioi Idwlßa rjyovfievov OTQctTevoavzeg ETtl Sixellav dexa 
(.ivoidai GTQccTLag aiQOvoiv iv tqloI fitjol ovo 7toXeig 'Etärjvidag 



ov noXkag naQSvsyxovoag gegen Boeckh nctQ(t<p£Qeiv 'abweichen' im 
Sinn eines Deficite nnd xal als 'und zwar* zu nehmen. Der Ausdruck 
ist geflissentlich zweideutig gehalten, weil an beiden Stellen im Wider- 
sprach mit allen andern Angaben des Werks der Einbruch bei Oinoe 
statt des Ueberfalls von Plataia zur Epoche erhoben wird; der Anwen- 
dung auf jenes frühere Ereigniss soll eine Hinterthüre offen bleiben : 
dazu passt die bestimmte (addirende) Bedeutung, welche xai sonst hat, 
während die bestimmte von na^atpsQBiv (verabsäumen) auf Subtraction 
führt. Gerade nur an diesen Stellen, wo Thukydides von sich selbst 
abweicht, findet sich der seltsame Ausdruck; an andern weiss er sich 
deutlich auszudrücken, z. B. IV 32 veatv eß6ofx^xovxa xal oXiyat ntei- 
oviuv einer-, II 2 ntyTrjxoyra dvoiv Seovta itrj andrerseits. 



Digitized by 



Google 



266 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Februar 1882. 

2elivovvra xai c I/xiQav.~\ T$ de ixlhfi erei xtL 1 ) Die Be- 
lagerung der zwei Städte nach einander dauerte vom April 
bis zum Juni 409 (p. 246) ; Xenophon würde also einen Ana- 
chronismus von zwei Jahren (bei Dodwells und Müllers An- 
ordnung von einem) begangen haben, wenn die Stelle acht 
wäre. Müller nimmt an, dass er denselben begangen hat, 
und die Späteren sind hier, wie bei den meisten eigentlich 
historischen Glossemen, seinem Vorgang gefolgt, auch die 
welche seine Anordnung nicht billigen. Aber dass ein Ge* 
schichtschreiber einen so groben Fehler in Bezug auf Er- 
eignisse, bei deren Eintritt er das 30. Lebensjahr schon 
überschritten hatte, begangen haben sollte, widerstreitet 
aller Wahrscheinlichkeit, um so mehr als dieselben mit dem 
Inhalt seines Werkes in Zusammenhang standen, und ein 
derartiger Irrthum ist ihm nirgends nachgewiesen worden. 
Natürlich müsste er auch von der Jahreszeit derselben 
nichts gewusst haben, da seine Epoche mitten in jene drei 
Monate hineinfallt , er also den Bericht hätte auf zwei 
Jahre vertheilen müssen. Welche Stirne gehörte dazu, 
Vorgänge, von welchen er weder Jahr noch Jahreszeit 
kannte, über die er nur eine dunkle Kunde vom Hören- 
sagen hatte, unter einem bestimmten Jahr einzureihen, da 
sie doch dem Plan seines Werkes fern lagen: Ereignisse 
des peloponnesischen Krieges waren sie nicht, hellenische 3 
(EAArpnnä) im Sinne seines Werkes auch nicht: denn die 
sicilischen Geschichten der Zeit von 403 bis 362 werden 
in demselben vollständig übergangen. Unsere Stelle hat 
jedenfalls denselben Verfasser wie die andern Notizen über 
Vorgänge Siciliens : sie alle finden sich nur in der Abtheil- 
ung, welche anerkannt auch an andern Stellen historische 
Glosseme enthält ; dieselbe Unkenntniss der Zeiten und der- 
selbe Geschichtstabellenstil, den unsere Stelle zeigt, findet 



1) Ueber das Citat bei Stephanos vgl. cap. III. 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 267 

sich in den andern; auch die Wahl der Worte beweist 
gleichen Ursprung. Mit nal 6 iviavrdg sh\ysv iv q> Kaq- 
X*]dovioi OTQarevaavreg iitl 2ixsXiav dsxa /xvQiaai argariag 
aiQOvoiv sv TQial prjol — c Ifxsqav vgl. I 5, 21 xal 6 sviavrog 
s'Xrjysv, iv $ KaQxqdovioi ig JSineXiav arqarevaavreg — orqari&g 
öwdexa fivqiaaiv elXov ld%qayavra Ttgoanad-e^ofievot S7trd 
[irjvag und die dortige Bemerkung. Bei diesem und den 
übrigen sicilischen Stücken aber werden sich noch mehr 
Beweise der Unächtheit finden. Andere sprachliche An- 
zeichen betreffs unserer Stelle s. zu I 2, 19 und II 3, 5. 

Jahr 410. I 2, 1 T<£ ds äXXq> srei [$ i\v oXvfutiäg rqirri 
nal svevtjKOOT*} , y Tvqoors&s'ioa ^vvwqlg ivlna Evayoqov 
'HXelov, ro ds oradiov Evßwrag Kvqrjvalog, stzi icpoqov fisv 
ovrog sv 27td(rrr] Evaqxirtrtov, aq%ovrog d'sv ^id"^vaig Evx- 
ryjfiovog] ld&rp>avoi fxsv Qoqinov irslyysav. Die Stelle bildet 
im Text die unmittelbare Fortsetzung der eben besprochenen. 
Die 93. Olympienfeier fand 2 1 /* Jahre später, im August 408 
statt, Euarchippos trat im Oktober, Euktemon im Juli 408 
ins Amt. Die eingeschlossenen Worte, ebenso die Stellen 
verwandten Inhalts werden allgemein unsrem Historiker ab- 
gesprochen, sowohl wegen des Anachronismus als weil vor 
Timaios (Polyb. XII 12) Niemand den einzelnen Jahrbe- 
schreibungen solche Datirungen vorgesetzt hat. 

410. I 2, 19 [xai 6 iviavrdg sXtjysv ovrog, sv tt) aal 
Mrfioi ärtd Jaqsiov rov Ileqocov ßaoiXswg drtoordvrsg rcaXiv 
izqoGsytaqr\oav adry.] Tov d* STtiovrog srovg (s. das nächste 
Glossem). Die Zeit dieses Aufstandes ist unbekannt: es 
wird sonst nirgends seiner Erwähnung gethan; aus dem 
gemeinsamen Ursprung der verdächtigen Notizen darf ge- 
schlossen werden, dass er im nächsten Jahr nach demjenigen, 
unter welchem in der Quelle derselben der Fall von Selinus 
und Himera angegeben war, also 408 stattgefunden hat. 
Xenophon, welcher, wie zu I 1, 37 erinnert worden ist, 
nicht einmal die Schicksale der Hellenenstädte Siciliens als 



Digitized by 



Google 



268 Sitzung der phäos.-phäol. Glosse com 4. Februar 1882. 

'EkXyvixä behandelt, sollte die uächste beste Empöruug im 
persischen Reich erwäbnenswerth gefunden haben? Aller- 
dings war, wie Müller p. 17 bemerkt, der Zustand desselben 
für die Geschichte Griechenlands nicht gleichgültig, der 
Aufstand der Meder hat aber auf dieselbe nicht eingewirkt; 
konnte es auch nicht, weil er noch in demselben Jahre 
niedergeschlagen wurde. Xenophon übergeht den Abfall 
des grössten Unterthanenlandes , Aegyptens, und die Ent- 
stehung eines zur Zeit, da er schrieb, noch blühenden Reiches 
daselbst mit Stillschweigen, ein Ereigniss, welches durch 
seine Folgen die persische Macht in ihren Grundlagen er- 
schütterte und weitgreifende Einflüsse auf Hellas übte; er 
übergeht die Kriege dieses Reiches mit Persien ebenso wie 
er für den Aufstand des Kyros, dessen Wirkung doch das 
Unternehmen des Agesilaos war, keine besondere Rubrik 
öffnet; ebenso verfährt er mit dem grossen Aufstand des 
Euagoras auf Cypern, der doch ein Hellene und mit Hel- 
lenen verbündet war. Die Unächtheit der Stelle zeigt sich 
auch an der Form. Hätte Xenophon das Ereigniss für er- 
wähnenswerth gehalten, so würde er es als einen inte- 
grirenden Bestaudtheil der Erzählung behandelt, es in einen 
Hauptsatz eingekleidet und vor Erwähnung des Jahres- 
schlusses angebracht haben ; das wäre seiner Weise, welche 
auch die des Thukydides und aller Historiker ist, ange- 
messen gewesen: wie er solche ausserhalb des Zusammen- 
hangs stehende Vorgänge zu behandeln pflegt, zeigt der un- 
mittelbar vorhergehende § 18 Tip d' avT$ %q6v(j) nal Acmz- 
daifxovioi Tovg ig ro KoQvqxioiov äcpeOTcoTag — dcprjuav. kcctcc 
ds tov ayTOv xcciqov %ai ev 'HQctxXelq tjj Tqa%ivi(f !4.%aiol — 
Tvqosdooav xtL ; ferner II 1, 4 xaTci de tovtov tov xctiQÖr 
Av*6q)Qwv 6 (Deqaiog — ivUrjOe ktL und andere Stellen. 
Hier dagegen wird zuerst der Jahresschluss angebracht und 
dann erst mittelst eines Relativsatzes die gleichsam ver- 
gessene Notiz von dem Aufstande nachträglich angeflickt, 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 269 

in derselben Weise und mit denselben Worten wie in den 
Glossemen I 1, 37 %ai 6 eviavxog elrjyev ev (q Kaqxrjdovioi 
aiQovoi, I 5, 21 xal 6 eviavrdg elrjyev ev ($ KaQxrjöovtoi 
eiXov, II 2, 24 xal 6 eviavxog elrjyev ev ip diovioiog ezv- 
Qavvrjoe. Denselben stilistischen Fehler zeigt 1 6, 1 q> r\ 
te oeXqvi] e^elircev %zl. nach t$ 6* enibvii exei. Die Con- 
struction and JclqbIov djiooTavxeg ist, wie das II 3, 5 zwei- 
mal vorkommende aTteoTtjoav and diovvolov lehrt, con- 
stanter Sprachgebrauch der Notizen; Xenophon selbst schreibt 
bald anoozrjvai aizo rivog bald a7tooxr\val xivog. 

Jahr 409. I 3, 1 [xov 6* eixiovxog exovg 6 ev (Dioxalq 
veaig tijg Idfhjvag even^qad-rj TtQrjoxrJQog eptneaovxog.'] enel 
d* 6 xeifidiv elrjye [Ilavvaxleovg fi£v ecpOQevovxog, aQypvxog 
6* l4vxiyevovg~\ [eaqog aQxo/xevov övolv nal £w.ooiv exüv xq> 
nole^ naQelrjlv&oxwv] ol Id&rjvaloi enlevoav elg IIqoikov- 
vrjoov. Antigenes und Pantakles traten erst 407, nicht 409, 
ins Amt, auch nicht zu Frühlings Anfang, sondern jener 
mitten im Sommer, dieser im Herbst. Ihre Erwähnung 
gilt allgemein als unächt; ebenso, was man nicht hätte er- 
warten sollen, die Jahrsummirung. Die Form derselben ist 
untadelig, ebenso die Richtigkeit der allgemein üblichen 
Ansicht von Xenophons Jahrepoche vorausgesetzt der Inhalt: 
wenn das Jahr mit dem Frühling anhob, so waren wirklich 
von 431 bis 409 22 Jahre verflossen. Dass die zwei andern, 
entschieden unächten, Summirungen: I 6, 1 (naQelrjlv&o- 
tcov) t$ Ttolepq) xexxaQtov Kai etKoaiv ercov und II 1, 7 
excov ijdtj xqi noHfÄCo nevxe nal iwooi 7caQelrjlv&6xtov ähn- 
lich gestaltet sind, erregt Verdacht, ist aber doch kein trif- 
tiger Beweis der Unächtheit : der Urheber derselben könnte 
ja unsere Stelle, an welcher eine Summirung zum ersten 
Mal auftritt, zum Muster genommen haben. Erst die Er- 
kenntniss, dass Xenophon die Jahrepoche nicht an den An- 
fang des Frühlings setzen konnte, weil der 22. Munychion 
niemals in eine so frühe Zeit fiel, rechtfertigt die Ausstossung 



Digitized by 



Google 



270 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 4. Februar 1882. 

der Worte dvdiv — TtctQehrjlv&OTwv. Umgekehrt gilt die 
Notiz von dem Tempelbrand in Phokaia *) jetzt allgemein 
für acht, obgleich ein schlagender Beweis des Gegentheils 
vorliegt. Sollte wirklich Jemand es ftir denkbar halten, 
dass Xenophon, mag er das Jahr mit dem Frühlingsanfang 
oder mehrere Wochen darnach um den 22. Munychion be- 
gonnen haben, die Erwähnung des Jahranfangs, wie in 
unserem Texte geschieht, im Laufe des Winters angebracht 
habe, oder kann man behaupten, dass mit rov 6* Irciovxog 
sTovg vewg kvB7tQ^o&7], E7iü <f 6 xeifiwv sXrjye (eaqog aQyo- 
pievov) ol sf&rjvaioi, S7vXevocev etwas anderes als das geschieht, 
da es doch feststeht und von Niemand geleugnet wifd, dass 
irtiovroQ kzovg auf das Frühjahr (409, Dodw. 408), %ELfiwvog 
aber auf den unmittelbar vorhergegangenen Winter (410/9, 
Dodw. 409/8) zu beziehen ist? 

Die Worte eagog äQxopivov nach $7tel d* 6 xBificov klrjye 
würden unanfechtbar sein, wenn Xenophon sich die chrono- 
logische Terminologie des Thukydides angeeignet und unter 
XEifjoüv ein ganzes Semester, das der rauheren Jahreszeit, 
verstanden hätte; 2 ) so aber, da xetfiwv bei ihm nur den 
eigentlichen Winter bedeutet, bürden sie ihm eine Tauto- 
logie auf und zwar eine der schlimmsten, den Leser am 
meisten beleidigenden Art, welche zwei begrifflich identische 
Ausdrücke nicht, wie es in den aus rhetorischen Gründen 
erlaubten Fällen geschieht, durch copulative Partikeln inner- 
halb desselben Satzes mit einander Verbindet, sondern den 
einen zur Protasis, den andern zu deren Apodosis macht. 



1) Er gehört vermuthlich dem J. 407 an, weil die von dem Inter- 
polator um zwei Jabre früher gesetzte Belagerung von Selinus und 
Himera in 409, die dem nächsten zugewiesene von Akragas in 406 zu 
setzen ist; genauer gesprochen dem im Herbst 407 zu Ende gehenden 
Jahre, s. cap. III. Ueber die Kakophonie iye7i^a^rj 7iQtjat^Qog s. zu 
II 3, 5. 

2) Hierüber s. oben p. 262. f 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 271 

Anderer Art und dem Gebiete der Tautologie gar nicht an- 
gehörig sind Fälle wie I 4, 1 iv roQÖi(p ovzeg %ov %ei\iüva 
tcl 7te7tQ(xyii6va rjKOvoav, aQxo.uevov de tov sagog %%X. und 

II 1, 1 €(OQ fAEV &BQOS 1JV, ETQZCpOVTO — €7tel Ö€ %U(JlWV 

iyevero xal TQoyrjv ovk u%ov wtX. Hiezu kommt, dass 6 
XeLfiwv e'Xrjye, weil es im zeitlichen Nebensatz steht, nicht 
den Ablauf des Winters selbst sondern die letzten Wochen 
dieser Jahreszeit bedeutet, wie II 3, 9 ärtt'dwxe TeXevrüvrog 
rov &€qovq (oben p. 262), der Frühling also damit noch nicht 
begonnen hat. Anders eXrjye, ireXevTa ro erog> 6 xc^wy, 
to &eqog im Hauptsatz bei Thukydides, was auch noch nicht 
den Abschluss an sich, sondern den letzten Abschnitt be- 
zeichnet, dadurch aber, dass in demselben kein Ereigniss 
stattgefunden hat, welches der Geschichtschreiber hätte er- 
zählen können, auch den Abschluss selbst mit in sich be- 
begreift: diesen allein würde eXrjgev, eTeXerntjaev, dvi\X&ev 
ausdrücken. 

Jahr 407. I 5, 21 [xai 6 iviavrog e'Xrjyev, iv $ Kccq- 
yr\d6vioi lg ZZineXlav orqaTevaavTeg ii%ooi xat e%axov TQirjQeoi 
xal 7te£ijg OTQccziag dtodena [ivqlccoiv eiXov l4*Qayavra Xl/uw, 
(A<*Xy psv fjTTtj&svceg rtQOOxa&e^Ofievoi, de ema iirjvag.] r$ 
ö iniovxi (s. d. folgende Glossem). Die Belagerung von 
Akragas begann um Anfang Mai 406 und endigte im De- 
cember desselben Jahres, Diodor XIII 91 iimqov Ttqo Trjg 
XSL^eQtvrlg TQ07trjg; dieser gibt ihr 8 Monate Dauer; ihr 
Anfang fällt demnach später als die erst I 6, 1 erwähnte 
Mondfinsterniss des 15. April 406. Den Anachronismus 
mit Müller u. a. auf Rechnung Xenophons zu setzen, ist 
um so weniger am Platz, als auch andere Anzeichen der 
Unächtheit vorliegen : schon oben erwähnt ist die im 
historischen Stil fehlerhafte Anflickung der Notiz mittelst 
eines Relativsatzes nach dem Vermerk des Jahresschlusses 
und die wörtliche Uebereinstimmung eines Theils mit dem 
Glossem I 1, 37; dazu kommt, dass die Einnahme von 



Digitized by 



Google 



272 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 4. Februar 1882. 

Akragas zum zweiten Mal II 2, 24 und zwar als ein Er- 
eigniss der dort behandelten, sowohl der ächten Darstellung 
als den verdächtigen Notizen zufolge um zwei Jahre späteren 
Zeit erwähnt wird. 1 ) Mindestens eine von beiden Stellen 
ist also nothwendig für interpolirt anzusehen : auch bei jener 
sind andere Anzeichen des fremden Ursprungs vorhanden, 
beide aber, wie die Uebereinstiramung der Sprache lehrt, 
aus gleicher Quelle geflossen : mit KaQxqdovioi elXov 14kq<x- 
yavxa Xi^ iidxy yTTfj&evceg hier vergl. dort pdxil fov*]- 
d-ävrwv Kaq%rjdovi(i)Vy anavei öi oirov eXovzwv lAKQCcyama ; 
s. auch zu II 3, 5. 

Jahr 406. I 6, 1 t§ d : ' iitibvxi ezei [(p fj tb oeXrjvrj 
e^eXinev eoneQag xal 6 naXaiog tij>£ Id&tjvag vewg ev l4.fr{\- 
vaig €ve7iQT](j&rf\ \Jlixva. ftiv icnoQevorcog ägxovTog de Kctk- 
Xiov Z4&rjv?]Oiv] ol jicMedaifiovioi %(j) Avoav8^ 7taqekr]Xv- 
d-orog ijdt] xov xqovov [xai Ttj) nokefÄ^) tett&qwv xal bmoolv 
iztuv] €7tefxxpav ircl rag vavg KaXXixQazldav. Die Jahr- 
summirung ist falsch (es hätte 25 heissen sollen) und an 
unrechter Stelle eingelegt: TtccQelrjlv&oTog zov %qovov steht 
in ursächlichem Zusammenhang mit S7t€fxxpav 9 während hwv 
nur zeitlich gemeint und bloss auf t$ <T ETtiovxi zu be- 
ziehen, also auch dort zu erwarten ist. Die Datirung ist 
abermals anachronistisch: Kallias und Pityas haben zwar 
406 ihr Amt angetreten, aber jener höchst wahrscheinlich, 
dieser sicher erst nach der Aussendung des Lysandros. Die 
Notizen am Anfang hat Müller halb und halb verworfen, 
freilich mit unzureichenden Gründen: er findet E07tiqag 
neben ry irtiovii %%u unpassend, wir wissen nicht warum; 
die Bemerkung über das Erechtheion wird jetzt durch eine 



1) Die Quelle des Interpolators Hess das Jahr um den 1. Oktober 
wechseln (s. zu II 2, 24); die Belagerung vertheilte sich also über zwei 
Jahre derselben, von welchen das spätere, als Jahr der im Hauptverbum 
angezeigten Handlung, für das Datum der ganzen Notiz (407, zu ver- 
bessern in 405) zu gelten hat. 



Digitized by 



Google 



Ünger: Die histor. Glosseme in Xenophons Rellenika. 273 

Inschrift bestätigt, s. Köhler im Hermes II 20. Die Mond- 
finsternis8 ereignete sich am 15. April 406 Abends; von 
8 — 9 Uhr war sie total. Dieser Tag entspricht nach unserer 
Rechnung im Allgemeinen dem 14., in unserem Falle aber, 
weil der griechische Tag mit Sonnenuntergang anfängt, 
dem 15. Munychion, hat also, auch wenn man eine Fehler- 
weite von ein paar Tagen annimmt, schwerlich schon dem 
neuen, 'nicht viele Tage' nach 16. Munychion beginnenden 
Kriegsjahr angehört. Der Beweis der Unächtheit liegt in 
der zu 12, 19 besprochenen Anflickung geschichtlicher 
Mittheilungen an die Jahrepoche und darin, dass Xenophon 
Ereignisse dieser Art nicht um ihrer selbst willen erwähnt 
sondern, wie die Sonnenfinsterniss II 3, 4, nur dann wenn 
sie mit einem politischen Vorgang zusammenhängen. 

406 II 1, 7 — 9 rag fievroi vavg Ttaqeöooav Avoavdqq 
\exwv ijdt] T(fi 7toke\u$ 7tivze xew eikooi 7taQeltjXv^0T(ov^. 
\%ov%($ de Tqi iviavxy nal Kvqog a7reycxetvev Avxoßoiaaytrjv 
Kai Mixqalov vlelg ovxag xrjg Jaqeiotlov ääeXqirjg xrjg xov 
Seqt;ov xov Jaqeiov x ) naxqog, oxi avx$ anavxdvxeg ov die- 
woccv diä Ttjg noqrjg tag %elqag> o noiovai ßaailel povov. 
rj de koqt] eoxl fxaxqoxeqov rj %eiqig, ev jj xrjv yjüqa e%wv 
ovdev av dvvaixo itoirfiai. c Ieqa/ievr]g (xev ovv xal ?) yvvr} 
ekeyov nqog daqetaiov detvov elvai, el Tteqioxpexai xrjv llav 
vßqiv xovxov 6 de avxov iiexaneiinexai d>g dqqwaxwv rtefi- 
ipctg äyyelovg.] Die Summirung gibt unrichtig 25 statt 26 
Jahre und ist in der vorliegenden Form an unrechter Stelle 
angebracht, bei einem Ereigniss, welches nach § 10 vor 
Jahresablauf geschehen ist, statt e'xovg 7tefX7vxov xal elnooxov 
xekevxwvxog. Die von ßreitenbach früher gegen die Aecht- 
heit von § 8 — 9 vorgebrachten Grunde hat Müller p. 17 



1) Wohl Besserungs versuch eines Abschreibers (der nur an dieser 
Stelle erkannte, dass unter Dareiaios der König zu verstehen ist) statt 
Japeiaiov. 

[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 2.1 18 



Digitized by 



Google 



274 Sitzung der pküos.'phÜol. Glosse vom 4. Februar 1882. 

mit solchem Erfolge bekämpft, dass mit den andern Heraus- 
gebern auch jener auf seine Seite getreten ist. Das Auf- 
treten der Form Dareiaios statt der gewöhnlichen, auch 
von Xenophon (Auab. I 1, 1) gebrauchten hält er für weniger 
wichtig; die andere auffallende, Form Ubq^ov statt l4(rva- 
t;€Qt;ov beseitigt er durch Ausstossung der ohnehin durch 
ihre Breite anstössigen und überflüssigen Worte rJjg xov 
TtaTQOQ. 1 ) Am schwersten fallt der Umstand in's Gewicht, 
dass die hier in das J. 406 gesetzte Heimberufung des Kyros 
§ 13 noch einmal und zwar als ein Ereigniss des nächsten 
Kriegsjahres berichtet wird, und diese Dublette lässt sich 
durch die willkürliche Behauptung, nur das Vergehen des 
Kyros falle in das alte, die Heimladung aber in das neue 
Jahr, nicht bei Seite schaffen. In einer annalistisch geord- 
neten Geschichtsdarstellung, wie es die xenophontische ist, 
gehört jede Meldung eben desswegen dem Jahre an, unter 
welchem sie vorgetragen wird, vorgreifende Erwähnungen 
werden als solche entweder durch allgemeine Ausdrücke wie 
z. B. voztQy xqovlj) II 4, 43 oder durch Jahrangabe wie 
I 4, 7 kenntlich gemacht; au unsrer Stelle findet sich kein 
solcher Fingerzeig, vielmehr wird 6 de avvov ^exaTiefinerat 
Tiefiipag dyyelovg durch das unmittelbar darauffolgende t$ 
d* ertiovTi erei so gut wie ausdrücklich dem alten Jahre 
zugewiesen. Ueberdies gibt die Form des zweiten Berichts 
deutlich genug zu erkennen, dass in diesem eine dem Leser 
noch nicht bekannte Thatsache mitgetheilt wird : es heisst 
§ 13 enei avvcj) naga xov Ttaxqog ijjccv ayyelog y nicht 6 
ayyeXog, und anstatt in zurückverweisenden Ausdrücken den 
Auftrag der Botschaft anzudeuten, wird derselbe als dem 
Leser neu vollständig angegeben : Xeycov oti ccQQtüozcov ixewoy 
xaXoirj. 

1) Kein Verstoss gegen den Sprachgebranch Xenophons ist die 
Anwendung von xoyti (Schleppärmel) : *d»6vg in der Cyropädie bezeichnet 
das mit solchen Aermeln versehene Kleid. 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 275 

Ebenso schwer wiegt ein Verdachtgrund, welchen 
Breitenbach und Müller gar nicht in's Auge gefasst haben. 
Xenophon sieht die Erkrankung des Königs, welche dem 
Kyros gemeldet wurde, als Thatsache und als den wirk- 
lichen Grund seiner Heimberufung an, § 15 Kvqoq 7tQog 
top nccciqa dqqcoaxovvTa iiBxdn^nxog dveßaive; er hält sie 
für die Krankheit, welcher Dareios schliesslich (ein Jahr) 
später unterlag, Anab. I 1, 2 B7tei r^a^evei xai V7ti07treve 
TeXevrrjv xov ßlov, Ktgov ^eraTcefinerat; ebenso Plutarch 
Ar tax. 2 tov 7iatqog vooovvrog ijSrj [letaneiiTZTog. Anders 
und wahrscheinlich besser ist die Quelle des Glossems unter- 
richtet: ihr ist die Beschwerde der Aeltern des gemordeten 
Bruderpaares die wahre Ursache des Rufes, die Erkrank- 
ung des Königs aber ein erdichteter Vorwand ((jieTcutefi- 
nerai wg dqQcooTÜv)* als Kyros heimkam, mag die letzte 
Krankheit desselben ihren Anfang genommen haben und so 
jene falsche Meldung, welche Kyros selbst geglaubt und 
dem Lysauder als Wahrheit mitgetheilt hatte, eine schein- 
bare Bestätigung gefunden haben. Eine weniger bedeutende, 
aber doch eine Abweichung liegt auch darin, dass Xeno- 
phon einen einzigen Abgesandten (§ 13 ayyeXog), die ver- 
dächtige Stelle aber mehrere (dyyeXovg) nennt. Ueber andere 
Eigenthümlichkeiten s. unten p. 285 ff. 

Jahr 405. II 1, 10 ry d° btclovtl srei [ercl Idqyixa pav 
£q>OQevovTog aq%ovxog <f ev lA&rjvaig l4Xe£iov\ ^dvoavdqog 
dg>ixopevog elg "Eq>eoov iiexeneiixpaTo 'EteovMov. Die An- 
kunft .Lysanders fallt, wie aus dem ächten Schluss der vor- 
hergehenden Jahresgeschichte (rag äi vctvg naqsdooav Av- 
4jdvdQq>) und aus den Zeitverhältnissen der ihr nachfolgen- 
den Ereignisse hervorgeht, in den Anfang des neuen Kriegs- 
jahrs (Mitte Mai); Alexias trat erst im Juli, Archytas im 
Oktober das Amt an. 

405. II 2, 24 [xat 6 sviavtog eXrjyev, Iv q> (iboovvti 
diovvoiog 6 'EqfioxQccrovg SvQanooiog itvQdvvrjoe, fidxj] (*ev 

18* 



Digitized by 



Google 



276 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 4. Februar 1882. 

TtQOTeoov r\xxr\ &6VTtov ino 2vQaxoakov KaQxrfiovUöv, OTtavei 
de oltov eXovziüv lixQayavra, ixXi7i6vrü)v zwv SixekitoTwv 
ttjv nShv.'] T(p d* iniovxi %%u (folgt das nächste Glossem). 
Die im ächten Text unmittelbar vorher erzählte Uebergabe 
Athens gehört dem Schluss des Kriegsjahres 405 (genauer 
405/4) an, sie geschah am 25. April 404; die Mitte des- 
selben, in welche hier die Erhebung des Dionysios zum 
Tyrannen gesetzt wird, fällt November 405 : aber Dionysios 
wurde im März 405, also im vorhergehenden Kriegsjahre 
406/5, Tyrann. Diodor erzählt dies Ereigmss dem Timaios 
nach (Volquardsen , Quellen Diodors p. 92), dessen Jahr- 
epoche Frühlings Anfang ist (Philologus XL 70), unter Bei- 
behaltung der Jahrrechnung desselben: in den Anfang der 
Jahresgeschichte fällt der Beginn der Belagerung von Akragas 
(XIII 86, um 1. Mai 406, oben p. 271); einige Zeit nach 
dem im December 406 (vgl. XIII 91) erfolgten Fall der 
Stadt gewinnt Dionysios die Tyrannis; dies und den Be- 
schluss der Punier, im kommenden Frühjahr 405 anzugreifen, 
berichtet der Schluss der Jahrbeschreibung (XIII 96); von 
der Ausführung jenes Beschlusses ist daher am Anfang cter 
nächsten Jahrgeschichte die Rede (c. 108). Diodors Dar- 
stellung steht mit allen anderweitigen Nachrichten im besten 
Einklang, insbesondere dienen ihr die über Dionysios Thron- 
besteigung vorhandenen Data, welche dieses Datum in OL 
93, 3. 406/5 bringen, und die übereinstimmenden Angaben 
von der 38jährigen Dauer seiner Ol. 103, 1 (Anfang 367) 
beendigten Herrschaft zur Bestätigung, s. Clinton zu Ol. 
93, 3 und 103, 1. Demgemäss haben alle Bearbeiter der 
Geschichte Siciliens den Anfang des Dionysios in die ange- 
gebene Zeit gesetzt und wenn E. Müller p. 48, um den- 
selben in den September 405 zu bringen, die von Diodor 
erzählte Vorgeschichte derselben auf 9, statt 3 Monate aus- 
dehnt, so ist das ein willkürliches Verfahren, welches über- 
dies sowohl von einer falschen Ansicht über Xenophons 



Digitized by 



Google 



Unger: Die Mstw. Glosseme in Xenophons Hellenika. 277 

Jahrrechnung ausgeht als auch den Angaben über die spä- 
teren Ereignisse Gewalt anthut, s. unten zu II 3, 5. 

Der Interpolator hat einen Gewährsmann benützt, wel- 
cher nach makedonischer Weise das Jahr mit der Herbst- 
nachtgleiche anfieng : da dessen Mitte, welcher die Throner- 
hebung des Dionysius angehörte, auf März 405 fiel, so hatte 
es mit Oktober 406 begonnen; hierüber s. cap. III. Dass 
entweder diese Stelle oder ihre Dublette I 5, 21 unächt ist, 
wurde schon p. 272 bemerkt: gegen die Aechtheit der vor- 
liegenden zeugt die nicht bloss Xenophons, sondern jedes 
Geschichtschreibers unwürdige Formlosigkeit der Sprache, 
welche sich in der Häufung einander coordinirter, aber zu 
einander und zum Hauptverbum in ganz verschiedenen Be- 
ziehungen stehender Participien und in der Kakophonie , 
vrtb SvQccxoolcov Kaq%ridoviu)v zu erkennen gibt. Müller p. 49 
streicht die Worte [idxjj f*ev — Trp> TtoXiv wegen der schlech- 
ten Sprache; aber auch die relativische Anfügung des von 
ihm als acht behandelten Restes ist vom Uebel (s. zu I 2, 19) 
und der Zweck, welchem die Streichung dienen soll, wird 
durch sie nicht erreicht, die Dublette nicht beseitigt: wäre 
eine von beiden Stellen acht, so müsste es die unsrige sein, 
weil in der andern die Einnahme von Akragas zwei Jahre 
vor der Erbebung des Dionysius gesetzt wird, während in 
Wahrheit nur drei (selbst nach Müllers Rechnung bloss 
neun) Monate in der Mitte liegen. Unsere Stelle setzt ganz 
richtig beide Ereignisse in ein und dasselbe Jahr; indem 
sie aber dieses nach makedonischem Kalender berechnet, 
erweist sie sich als die Notiz eines andern Schriftstellers, 
nicht Xenophons. 

Jahr 404. II 3, 1 ^ (f eniovti etei [q> r\v SXvfiTtidg, 
% to arddiov evUa Kgonivag QevTaXdg, *Evdiov iv 27zaQTr] 
icpOQevovzog IIv&odioQOv d* ev ld§r\vaig aQxovzog^ ov l4&r\- 
vccioi, ort sv dXiyaQxi? ÜQG&i]} wx ovopd^ovoiv aXX avaq- 
%lav tov enccvrov wXovoiv. eyivevo ds ij oXiyaqxia wde] 



Digitized by 



Google 



278 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 4. Februar 1882. 

eäo^e t(p drui(p %qta\ovxa avdqag eXeo&ai. Die Einlage stört 
den grammatischen Zusammenhang; der Antritt des Pytho- 
doros (im September) und des Endios (Oktober) fallen in 
den Lanf, nicht, wie es hier scheint, an den Anfang des 
xenophontischen Jahres; die Erklärung der Anarchie ist 
unrichtig und kann von keinem Athener damaliger Zeit 
herrühren, s. unten p. 288. 

II 3, 4. Die Notiz von dem Sieg des Thessalers Ly- 
kophron über seine Gegner ist mit Unrecht verdächtigt 
worden: sie steht chronologisch am rechten Platz und be- 
richtet ein wichtiges Ereigniss der Geschichte von Althellas, 
die Begründung der Tyrannis von Pherai ; auch alle späteren 
Inhaber derselben werden von Xenophon einer zum Theil 
ausführlichen Besprechung gewürdigt. 

404. II 3, 5 [iv de %($ avTcji XQ^ V V xa * diovvoiog 6 
2vQan6oiOQ TVQctvvog [ia%rj rptrftelg vno KaQ%r]dovUov rihxv 
aal KafiaQivav änwXeoe. \iex oklyov de xal Aeovxlvoi 2vqcc- 
xooloig ovvoMOvvreg aTtiozrjoav elg zrjv ccvzcbv nokiv and 
Jiowg'iov nal 2vQaKOOia)v. naqaxqrjfia de xal 61 2vQax6oioi 
InneTg and l ) Jcowaiov elg Katavrp dneoTtjoav.] Ol de 
2d[4ioi xtX. Das Eingeschlossene hat Brückner mit Recht 
beanstandet. Den Worten iv t$ avzqi XQ° V V zufolge müsste 
sein Inhalt in den September und Oktober 404 fallen (vor- 
her ist von der Sonnenfinsterniss des 3. Sept. 404 die Rede, 
nachher von der Beendigung des peloponnesischen Krieges 
um 1. Nov. d.J.), aber die Belagerung von Gela und die 
andern hier gemeldeten Ereignisse gehören, worüber alle 
Kenner der Geschichte Siciliens einig sind, dem J. 405 an. 
Müller, der schon die Erhebung des Dionysios unrichtig 
aus dem März 405 in den September dieses Jahres verlegt 
hat, behauptet p. 49, um die Stelle zu retten, der Inhalt 



1) So, dno and äniattiaccv, ist statt vno and änsaxakrpav zu 
lesen, s. Philologus XXXIII 690. 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 279 

derselben falle in das J. 404; was er zur Begründung dieser 
Ansicht anführt, beschränkt sich auf die Behauptung, dass 
Diodor im Widerspruch mit sich selbst den Angriff auf Gela 
in den der Belagerung von Akragas (406 v. Chr.) folgenden 
Sommer und doch in die Zeit nach der Einnahme Athens 
(Frühj. 404) setze. Bei Diodor ist von einem solchen Wider- 
spruche nichts zu entdecken. Er behandelt in der Jahres- 
geschichte von Ol. 93, 4 zuerst den peloponnesischen Krieg 
und beschliesst sie in Beziehung auf diesen XIII 107 mit 
der Einnahme Athens; c. 108 geht er nach zwei noch dem 
östlichen Schauplatze angehörigen Notizen (Tod des Dareios II 
am Ende von Ol. 93, 4 und Blüthe des Dichters Antimachos) 
zur westlichen Abtheilung der Jahresgeschichte, zu den sici- 
lischen Vorgängen über, welche er mit der stehenden Formel 
xard d£ Tip 2txeXlav eröffnet : auf diesem Schauplatz macht 
der Angriff auf Gela den Anfang und hier ist mit der Er- 
zählung des Timaios auch wieder, wie immer, dessen Jahr- 
epocbe zu Grunde gelegt: Ol. 93, 4 läuft hier von Frühlings 
Anfang 405 bis Winters Ende 404, vgl. Philo]. XL 82. 
Ueber die Jahrform des Glossems s. cap. III. 

Die sprachliche Fassung der Stelle ist ganz und gar 
unclassisch, ja überhaupt vollständig stil- und formlos: vier- 
mal begegnet ein- und derselbe Name, in zwei Fällen (o 2vq<x- 
xooiog und xai 2vQaxooicov) noch dazu überflüssiger Weise; 
die schon bei I 1, 37 und 5, 21 gerügte schablonenhafte, 
sei es aus Armuth an sprachlichen Mitteln oder aus salopper 
Fahrlässigkeit entsprungene Stereotypie des Ausdrucks er- 
reicht ihren höchsten Grad in dem rohen Parallelismus (*st 
okiyov äi xal JLzovtlvoi ärteOTtjoav ig xr(v nokw oltio dio- 
wolov, 7taqax^\(ia de xal ol 2vqcm6oioi Inneig med Jio- 
waiov sg KaTavrjv a7C60Tr]oav: kaum dass in naQaxQfaa 
neben [i&v okiyov (wie II 2, 24 orcavei oirov neben I 5, 21 
li/^qj) ein schwacher Versuch gemacht wird, die Wieder- 
holungen nicht allzusehr zu häufen. Der Ausdruck /ndxj] 



Digitized by 



Google 



280 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Februar 1882. 

ijTTr^eig (wie I 5, 21. II 2, 24) und die Constructien äno- 
OTrjvcu oltzo gehören zu dem stehenden Sprachgebrauch des 
Interpolators ; seine Gleichgültigkeit gegen kakophonische 
Wiederholung zeigt auch I 3, 1 evenQjia&ri TtQrjOTtJQog ; I 1 37 
und 5, 21 OTQarevaavteg — axqaxtag; II 1, 9 iieT<X7V€fX7ietcu 
— nifixpag und die Häufung der Genetive ^Ttrj&ivvcov vtzo 
2vqcmooIu)v KaQ%r]dovla)v — eXovzcov — ivXinovxwv II 2, 24. 
Jenes evsTtQrjO&rj würde Xenophon mit Ttatexavd'r] vertauscht 
haben, aber der Interpolator hat, wie es scheint, nur einen 
geringen Wortvorrath zur Verfügung: wie dort 6 h Qco- 
xai<f vedg zijg ^t&rjvag svertQrjo&r] so schreibt er I 6, 1 6 
Ttjg id&rjvcig vewg iv y A§rpaig sveTtQyo&r]. — Auch der In- 
halt verräth einen späteren Schriftsteller. Ein Zeitgenosse 
der Ereignisse würde nicht geschrieben haben: Dionysios 
verlor Gela und Eamarina ; diese Städte waren damals noch 
selbständig und Dionysios nur Herrscher von Syrakus, er 
konnte nicht verlieren, was er nicht besessen hatte. 

II 3, 9 — 10. Die Worte ig o k^dfxrjvog — öixade xavi- 
Ttlevaev werden von allen ausser Clinton und Müller für 
unächt erklärt, obgleich sie dieser p. 12 fg. so gut ver- 
theidigt hat, dass es schwer hält zu begreifen, wie die be- 
reits widerlegten Verdachtgründe jetzt noch vorgebracht 
werden können. Die Erwähnung des dreissigjährigen Friedens 
ist nichts weniger als c albern': bei dem Eintritt des neuen 
Friedens wird passend an den alten, durch den jetzt been- 
digten Krieg abgebrochenen erinnert; an e^dfirjvog ist nach 
Wegräumung des störenden aber in den besten Hdss. feh- 
lenden Artikels 6 nichts Auffälliges mehr zu finden; die 
falsche, von einem Abschreiber, welcher 27 */* Kriegsjahre 
mit 29 Ephoren nicht zusammenreimen konnte, herrührende 
Zahl 28*/2 ist in 27^2 zu verwandeln und die Zählung von 
29 Ephoren nicht nur nicht falsch, sondern im Gegentheil 
einzig richtig, weil bei Lysanders Heimkehr eben das Jahr 
und damit die Ephoren neu gewechselt hatten. Ein posi- 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 281 

tiver Beweis der Aechtheit liegt darin, dass nur die Ephoren 
aufgezählt werden; jeder andere würde entweder auch die 
Archonten oder nur diese angegeben haben ; Xenophon da- 
gegen schrieb auf spartanischem Boden und zu einer Zeit, 
da Sparta anerkannt die Führerschaft in ganz Hellas hatte. 
Die späteren Autoren kennen keine Datirung nach Ephoren, 
während die attische allgemein in Uebung war ; ob noch im 
späten Mittelalter eine Ephorenliste vorhanden war, ist frag- 
lich, dagegen erklärt sich eben daraus, dass Xenophon zwar 
diese Ephoren, nicht aber die nach 404 angegeben hat, das 
Aufhören der datirenden Glosseme nach unserer Stelle. 

III. Ursprung der Glosseme. 

Die Glosseme zerfallen in chronologische und eigent- 
lich historische; jene wieder in summirende (I 3, 19. 6, 1. 
II 1, 7) und datirende (I 2, 1. 3, 1. 6, 1. II 1, 10. 3, 1); 
von den historischen gibt nur eines (II 1, 8—9) eine eigent- 
liche Erzählung, die andern (I 1, 37. 2, 19. 3, 1. 5, 21. 
II 1,8. 2, 24. 3, 5) enthalten blosse Erwähnungen, sum- 
marische Notizen wie. man sie im Texte einer Zeittafel zu 
finden pflegt. 

Die Summirung der Kriegsjahre ist an zwei von den 
drei Stellen falsch (I 6, 1. II 1, 7), also ohne Anwendung 
eines die Zeit von 411 — 404 behandelnden literarischen Hülfs- 
mittels gemacht. Der Urheber dieser Glosseme kennt die 
Geschichte jener Zeit nur aus Xenophon: nachdem er I 2, 19 
in bttü 6* 6 %unwv eXyye die (vermeintliche) Andeutung 
eines Jahreswechsels gefunden und die unter dieser Voraus- 
setzung richtige Summe von 22 zu Winters Ende 409 ab- 
gelaufenen Kriegsjahren hinzugescbrieben hatte, lieferte ihm 
I 4, 2 aQxofiivov di xov sagog das Anzeichen des nächsten 
Jahreswechsels, dagegen verkannte er die auch von vielen 
Neueren missachtete dunkle Andeutung des darauffolgenden 
(I 5, 10); so kam es, dass er bei den ausdrücklich äuge- 



Digitized by 



Google 



282 Sitzung der phüos.-phftol. Classe vom 4. Februar 1882. 

gebenen Uebergängen von 406 und 405 irrig 25 und resp. 
26 Kriegsjahre ablaufen liess statt 26 und 27. Woher 
wusste er aber, dass bei I 3, 1 das 22. Jahr zu Ende ging? 
Entweder war sein Exemplar der Hellenika am Anfang noch 
vollständig und fand sich dort angegeben, dass die Erzäh- 
lung im 21. Jahre anhebt, von wo der I 2, 1 angezeigte 
Uebergang ihn in das 22. Kriegsjahr führte; zu dem Irr- 
thum, Frühlings Anfang für Xenophons Kriegsjahrepocbe 
zu halten, konnte er durch die Wahrnehmung kommen, dass 
dieser bald von dem Anfang eines neuen Jahres, bald, an- 
scheinend hiemit in gleichem Sinn, vom Ende des Winters 
oder vom Anfang des Frühlings spricht. Oder, was wahr- 
scheinlicher, 1 ) er erinnerte sich, dass Thukydides den Ueber- 
fall von Plataia und viele Anfangsereignisse späterer Kriegs- 
jahre in den Anfang des Frühlings gesetzt hatte und bis 
in die Mitte des 21. Jahres gekommen war; Kenntniss des 
thukydideischen Werkes dürfen wir einem Leser der Fort- 
setzung desselben, Interesse für die Jahrepoche des einen 
dem Ergänzer der Epochenangaben des andern wohl zu- 
trauen. 

Dass dieser lnterpolator ein anderer ist als der Ur- 
heber der datirenden Glosseme, hat Em. Müller p. 16 an 
dem Widerspruch gezeigt, welcher zwischen ihrer Jahrrech- 
nung besteht. Den Jahresübergaug von 409, welchem jener 
(halb richtig) die Summe von 22 vollendeten Kriegsjahren 
beischreibt, stattet dieser mit der Datirung von 407 aus; 
von da bis zu dem Wechsel von 406 zählt jener um zwei 
Jahre weiter, dieser nur um eines. Müllers Beobachtung 
lässt sich zunächst dahin erweitern, dass auch die Erzählung 
und die Notizen anderen Ursprungs sind als die Jahrsummen 



1) Der Einscbub von eapog dQx°^ y ov I 3, 1 lässt vermuthen, 
dass ihm der Anfang des Kriegsjahres mit dem Frühling von vorn 
herein festzustehen schien. 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 283 

und dass der summirende Interpolator älter ist als die (oder 
der) Verfasser der anderen Zusätze. Die Summirung am 
Ende von II 1, 7 zag vavg Ttaqeäoaav ^ivodvdqq) [eztov i]drj 
zqi TtoXeijKp Ttevze xal ewooi TtaQeXyXv&ozt v\ ist offenbar 
in der Voraussetzung dort angebracht, dass unmittelbar 
nach ihr die ursprünglich d. i. im ächten Text in der That 
an naQedooav AvoavdQy angeschlossene Fortsetzung § 10 
r<£ & ETtiovTi szei folgt; erst später wurde die Erzählung 
§ 8 — 9 zovzq) de z§ eviavziji xal Kvqog a7t€xzeivev xrA. 
zwischen beiden Stellen eingeschoben: stand diese schon 
im Text, so würde das summirende Glossem erst nach oder 
bei den letzten Worten der Erzählung angebracht worden 
sein. Die eigentlich für die Einlage desselben ins Auge ge- 
fasste Stelle war vielleicht eine noch jetzt später kommende 
Stelle, eben der neue Uebergang z(ji § litiovzi ezei selbst, 
und der Umstand, dass das Glossem entweder auf schmalem, 
mehrere Zeilenausgänge begleitenden Rand oder zwischen 
den Zeilen geschrieben war, verschuldete die unrichtige Ein- 
ordnung in den Text der ersten Abschrift. Auch in den 
datirenden Glossemen ist das Vorbandensein der unächten 
Jabrsummen bereits vorausgesetzt. Den von Xenophon ohne 
Anzeige eines Jahreswechsels gelassenen Zeitraum zwischen 
I 2, 1. 410 und I 6, 1. 406 behandelt der Summator als 
dreijährig (410 — 407), indem er zwei Jahreswechsel in dem- 
selben vor sich gehen lässt, der datirende Interpolator als 
zweijährig (408 — 406), von einem einzigen Wechsel unter- 
brochen: er erkennt diesen in enei 6 xuimv eh]ye I 3, 1 
und setzt die Data des nach seiner Rechnung nächsten 
Jahres (407) bei, unter lässt das aber bei ctQyofievov zov k'ccqog 
I 4, 2. Warum? weil der Summator bei I 3, 1 hinzuge- 
fügt hatte dvolv y.cli bIkoolv izwv — nccQeXrjlv&ozcov, wäh- 
rend bei I 4, 2 er zwar, wie seine späteren Summirungen 
lehren, einen neuen Wechsel angenommen, ihn aber durch 
einen ähnlichen Zusatz bemerklich zu machen unterlassen 



Digitized by 



Google 



284 Sitzung der pMos.'phüol. Classe vom 4. Februar 1882. 

hatte. Was von den Datirungen, gilt auch von den Notizen : 
beide sind, wie sich später zeigen wird, gleicher Herkunft. 
Eine von den Notizen (I 1, 37) wird in dem Auszug 
aus Stephanos v. Byz. citirt, p. 690 Xeipega, nokig 2txeliag. 
Sevoq)ü)v 'EAArjVMwv tcqwti^ ' OTQaT&uovzeg <? Ini 2ixellav dexa 
juvQidoi OTQctTiag algovoiv iv tqioI prjol ävo rtokeig 'Ekkfjvl- 
dag 2eXivovvrd te xai Xeifjegav. to <f s&vntov XeipeQcuog 
cog 'IfieQalog; doch hat Meineke, wie es scheint ohne an die 
uns hier beschäftigende Glossemenfrage zu denken, den 
ganzen Artikel c ut imperiti et pessirao codice usi interpota- 
toris additamentum' eingeklammert. Die Unkunde, welche 
sich in der Annahme einer sicilischen Stadt Cheimera ver- 
räth, wäre zwar für einen Stephanos nicht zu gross; aber 
die Textverderbniss ist desto grösser : otgarevoavTeg in otqol*> 
revovreg übergegangen, diesem ein de hinzugefügt, welches 
die an Ort und Stelle vorausgehenden Worte KaQxrjdovioi 
Ldvvißa iflovyikvov nicht zulassen, Selivovvra nal 'Ipegav in 
SeXivotvrd tb nal Xei/utQccv verwandelt. Der letzte dieser 
Fehler setzt zwei ältere, sich nach einander fortpflanzende 
und vermehrende Entstellungen voraus : aus *al 'IfieQav 
musste zunächst xal Etpegav, aus diesem durch Erasis Xei- 
[leqav entstehen, ehe ein Dritter daran denken konnte, das 
Asyndeton 2efavovw<x Xeifi€Qav in 2el. re nal Xsip. zu 
corrigiren. Die Notizen müssten also vor der Zeit des Ste- 
phanos, welcher im fünften Jahrhundert schrieb, bereits die 
verderbliche Thätigkeit von drei Schreibern nach einander 
erfahren, in ihrer ursprünglichen Gestalt also spätestens im 
vierten schon bestanden, die unächten Summirungen aber 
noch früher den Text der Hellenika verunstaltet haben. 
Dies ist um so unwahrscheinlicher, als einerseits der Aus- 
zug aus Stephanos auch nicht wenige andere Glosseme ent- 
hält und uns nur in jungen Handschriften (die beste, der 
Rehdigeramus ist ein Papiercodex) überliefert ist, während 
noch in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts Eustathios 



Digitized by 



Google 



Unger: Die kistor. Glosseme in Xenophons Helleniha. 285 

ein weit besseres Exemplar benutzen konnte, andererseits 
aber von den Handschriften der Hellenika die älteste erst 
im XIV. Jahrhundert geschrieben ist. 

Die zuerst in den Text eingedrungenen Glosseme, welche 
die Jahrsummen enthalten, konnten allgemeine Verbreitung 
erlangen, weil die Handschrift, welche sie enthielt, oder die 
von ihr abgeleiteten vollständiger zu sein schienen als die 
andern; das Gleiche lässt sich von einer zweiten späteren 
Interpolation annehmen; aber kaum von mehr als einer. 
Vielmehr darf man die drei jüngeren Glossemenclassen für 
das Werk eines und desselben Interpolators ansehen: bei 
keiner von ihnen lässt es sich wahrscheinlich machen, dass 
sie beiden andern oder einer von ihnen zur Vorlage gedient 
hat ; alle drei setzen ferner die Benützung literarischer Hülfs- 
mittel voraus; auch kommt die ganze Gattung der histori- 
schen Glosseme in der Geschichte der Glassikertexte so selten 
vor, dass die Thätigkeit so vieler Interpolatoren dieser Art 
an einem einzigen Texte kaum zu begreifen wäre. Die Datp. 
insbesondere und die Notizen stehen mit einander im engsten 
Zusammenhang, selbst die Abweichung, welche zwischen 
ihnen besteht, lässt sich auf einen gemeinsamen Verfasser 
zurückfuhren und der Umstand, dass beim Jahr 404, wo 
die Datirung (wegen Unkenntniss der Ephorennamen von 
403 bis zur Mantineiaschlacht) aufhört, auch die Notizen 
ihr Ende finden, führt auf gleichen Ursprung beider; von 
der Erzählung lässt sich wenigstens sagen, dass kein Grund 
für die Annahme einer andern Herkunft spricht. 

Die Erzählung II 1, 8—9 ist einem Schriftsteller 
entlehnt, zu dessen Zeit das persische Reich noch bestand; 
dies schliessen wir aus dem Praesens § 8 o /coiovoi ßaotXei 
fxovov. Von der Erkrankung des Königs, welche Xenophon 
und der Gewährsmann Plntarcbs für eine Tbatsache und 
für die wahre Ursache der Heimberufung des Kyros halten, 
weiss derselbe oder glaubt es wenigstens zu wissen, dass sie 



Digitized by 



Google 



286 Sitzung der phüos-philol. Classe vom 4. Februar 1882. 

nur vorgeschützt, die Ladung vielmehr durch eine Palast- 
intrigue herbeigeführt worden war: was er erzählt, beruht 
entweder auf Hofklatsch oder auf der tieferen Kenntniss 
eines in die Serailyorgäuge Eingeweihten ; in beiden Fällen 
passt es am besten auf Ktesias, welcher 17 Jahre am 
Hofe zuerst des Dareios II, dann des Artaxerxes II lebend 
Nachrichten beider Art in Menge zusammengetragen hat. 
In unserem Falle war er, als Leibarzt des Dareios, wie kein 
anderer in der Lage, zu wissen, ob derselbe damals krank 
gewesen ist oder nicht, und die Erzählung gibt auch ohne 
Zweifel den eigentlichen Sachverhalt wieder. 'Auch Müller 
p. 18 meint, wenn sie nicht von Xenophon herrühre, müsste 
Ktesi$s ihre Quelle gewesen sein, bezweifelt aber, dass dieser 
einem Abschreiber zugänglich gewesen sei. Wir finden 
keinen Grund, dies in Abrede zu stellen : im neunten Jahr- 
hundert war das Werk in Byzantion noch zu haben, da- 
mals veranstaltete Photios den Auszug, welchen wir in 
seiner Bibliothek 5 noch besitzen : er konnte sich von da 
mindestens bis in das XIII. Jahrhundert erhalten, in wel- 
chem unter der Herrschaft der Lateiner ein grosser Theil 
der alten Bücher- und Kunstschätze vernichtet worden ist. 
Bis mindestens in dieses zurück darf man die unsern Hand- 
schriften des Xenophon und Stephanos gemeinsame Inter- 
polation ohne Bedenken verlegen ; der Einwand Müllers 
aber würde ja die auch von ihm und allen für unädht er- 
klärten Datirungen mittreffen. 

Die Namensform Jaqeialog findet sich nur bei Ktesias 
(Phot. bibl. p. 42) wieder und zwar bloss für den auch in 
unsrer Erzählung gemeinten Dareios II Nothos, für diesen 
aber ausschliesslich, so weit es sich um Könige handelt; 
den Sohn des Hystaspes nennt auch er Dareios, bloss ein 
Prinz (der eine von den Brüdern des Artaxerxes I) führt 
ausserdem noch bei ihm die andere Namensform. Wie in 
unsrer Erzählung, so wird Artaxerxes I Makrocheir auch 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 287 

von Ktesias Phot. p. 41b 20. 40. 42 a 10 Xerxes (an andern 
Stellen Artaxerxes) genannt, der Bruder des Kyros dagegen 
bloss Artaxerxes. Mitraios, in unserer Erzählung der Name 
des einen der zwei von Kyros Ermordeten, kehrt in dem 
Auszug des Kephalion aus der assyrischen Geschichte des 
Ktesias wieder (Euseb. chron. I 61. 62. Synkell. p. 317): 
wie Ktesias so bedient sich auch Kephalion des ionischen 
Dialekts, welcher es liebt, die Aspirata durch die Tenuis 
zu ersetzen, und die in gewöhnlichem Griechisch abgefassten 
Listen der Assyrerkönige des Ktesias geben dafür Mithraios 
(Euseb. I 65. II 48. Synkell. 285 u. a.). So schreiben den 
bekannten, auch von Xenophon (Cyrop. VIII 8. Anab. II 5. 
VII 8) beibehaltenen Namen Mithridates oder Mithradates 
Ktesias 43 b 8. 44 a 17 und Herodot I 110 ff. MiTQaddzrjg; 
ebenso MiTQoßdtyg 1 ) Her. III 120, MiTQajovrjg Ktes. 43 b 
33 (= Mi&QavOTr]Q Arrian Alex. III 8, 5), l4o7caf.uTQyg 
Ktes. 39 b 40. 40 a 13; MiTQaipe^vrjg Nicol Damasc. fr. 10 
in seinem Auszug aus Ktesias. Die gewöhnliche Form 
Mi&Qaddtrjg findet sich in Schriften ionischen Dialekts nur 
Ktes. 43 a 28, durfte aber dort wegen der zwei andern Stellen 
als Textfehler anzusehen sein. Endlich noch eine stilistische 
Parallele : dieselbe tautologische Breite, welche in ttjq daqu- 
aiov ddeXq>fjg rijg xov StQ&v tov Jaqei(ai)ov naxqpg An- 
stoss erregt hat, findet sich in Bezug auf eine andere 
Schwester des Dareios II (der als Prinz Ochos geheissen 
hatte) und Tochter des Artaxerxes I Ktes. 42 a 10 xov di 
£2%ov £c5j> 6 TtaTtjQ c Y(maviü)v öazQajirjv BTtoirjoe dovg avz(^ 
yvvaiica Haqvöariv^ ijzig v\v Säq^ov frvydzqQ ddelcprj öi 
otY.ua. 

Die unrichtige Einstellung des Glossems in das der 
Heimreise des Kyros vorausgegangene Jahr kann aus irriger 
Abschätzung der Zeitverhältnisse hervorgegangen, aber auch 



1) So auch Xen. Hell. I 3, 12; Mtzgäufig Heliodor V 8 ff. 



Digitized by 



Google 



288 Sitzung der philos.-phüol. Glosse vom 4. Februar 1882. 

auf das richtige Jahr berechnet und nur, weil es wegen 
seines Umfangs einen grossen Theil des Randes der Hand- 
schrift einnahm und über ty (P iitiovti evei hinaufreichte, 
vom ersten Abschreiber am unrechten Platze eingeschaltet 
worden sein. Ob Ktesias von Jahr zu Jahr erzählt und 
die einzelnen datirt hat, ist aus dem Auszug nicht zn 
ersehen. 

Bedeutend jünger als die Quelle der Erzählung ist die 
zu den Datirungen benutzte, dies beweist uns der Um- 
stand, dass dort (II 3, I) dem ganzen attischen Jahre Ol. 
94, 1. 404/3 die Bezeichnung Anarchie gegeben und diese 
aus der Eigenschaft der Regierung erklärt wird, unter wel- 
cher der Archont Pythodoros gewählt worden war. Beides 
konnte keinem Kenner der Geschichte, weder einem Histo- 
riker noch einem Chronologen der hellenischen und alexan- 
drinischen Zeit einfallen. Die Oligarchie der Dreissig war 
vom attischen Demos in der Volksversammlung gewählt und 
anerkannt, also legitim; erst geraume Zeit nach der Ar- 
chontenwahl (Xen. II 3, 11) gieng sie in eine Gewaltherr- 
schaft über. Wenn, wie das Glossem will, die Archonten- 
wahl jenes Jahres wegen des aristokratischen Regiments, 
unter welchem sie zu Stande kam, mittelst der Benennung 
Archontenleere nicht anerkannt worden wäre, so würde man 
diese auch auf die Jahre der Archonten von 321 — 319 und 
317 — 307 angewendet finden, zumal auf die ersteren, während 
welcher mehr als die Hälfte des Demos in der Verbannung 
schmachtete. Man müsste denn die Beschränkung derselben 
auf die Zeit der Dreissig aus dem besonderen Hasse, welchen 
sich diese zugezogen hatten, erklären und daher die Ent- 
stehung und Herrschaft der Benennung auf die Demokratie, 
von welcher die Dreissig gestürzt wurden, zurückführen. 
Aber gleich beim Einzüge in die Stadt schwor der Demos, 
alles vergeben und vergessen zu wollen, und ist nach Xeno- 
phon II 4, 43 diesem Schwur noch zur Stunde, da dieser 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 289 

schrieb, *) treu geblieben ; kaum zehn Jahre nach dem Sturz 
der Dreissig schreibt ein erbitterter Feind derselben und 
Vorkämpfer der Demokratie, Lysias, um dieses Jahr anzu- 
zeigen, VII 9 enl TIvd'odojQOv ccqxovtoq, nicht €7ti Trjg dvaq- 
%lag. Der Gewährsmann des Interpolators hält für Bezeich- 
nung des ganzen Jahres, was die eines kleinen (kaum des 
sechsten) Theiles war; er oder einer seiner Vorgänger kam 
zu dieser Verwechslung dadurch, dass in der Mutterliste 
zuerst die Anarchie und nach ihr die Regierung des Pytho- 
doros aufgeführt war. 

Eine ävaq%la im engsten und eigentlichsten 2 ) Sinn be- 
stand vom ersten Tage jenes Jahres bis zur Wahl und 
Amtsübernahme des Archonten Pythodoros, welche, bald 
nach der Einsetzung der Dreissig stattfand: diese wurden 
nach Xen. II 3, 4 um den 3. September (29. Metageitnion) 
404 gewählt, also etwa 59 Tage nach dem Abgang der vor- 
jährigen Archonten. Den einen der zwei Fehler unsrea 
Interpolators begeht auch Diodor XIV 3, indem er eben- 
falls das ganze Jahr Ol 94, 1 als Anarchie bezeichnet ; 
richtig dagegen ist seine Erklärung des Wortes: dvaq%iag 
ovorjg Id&Tjvyoi diä tt\v xctTaXvoiv vrjg iqye^oviag, und ihr 
entsprechend vermeidet er den Irrthum, die Anarchie mit 
Pythodoros gleichzeitig zu setzen. Hier ist nicht die Auf- 
lösung der Hegemonie gemeint, welche thatsächlich seit der 
Schlacht von Aigospotamoi, in aller Form aber durch die 
Annahme der Friedensbedingungen und Uebergabe Athens 
schon 2 1 /* Monate vor Ol. 94, 1 ihr Ende gefunden hatte, 
sondern das Erlöschen der aQx<xi (aller Jahresbehörden ein- 
schliesslich der höchsten, des Rathes) beim Ablauf von 



1) Etwa zwanzig Jahre nach dem Schwor, s. Nitsche, über die 
Abfassungszeit von Xen. Hell. 1872. 

2) Aus den Inschriften und aus Phlegon sind viele Jahre der 
späteren Zeit bekannt, welche in Folge Archontenmangels jene Bezeich- 
nung führen. 

[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 19 



Digitized by 



Google 



290 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 4. Februar 1882. 

Ol. 93, 4: x[ye\iovla heisst, wie das Lexikon lehrt, jede Re- 
gierung eines Staats, gleichviel ob einer Monarchie oder Re- 
publik, z. B. auch das Consulat, und ist insofern mit dq%rj 
synonym, der Zusatz did rrjv xaTaXvoiv Trjg r\ye\ioviag dient 
der Deutlichkeit, weil dvaqyia zugleich die weitere, moderne 
Bedeutung staatlicher Unordnung hat, in welcher es mit 
dvofxia synonym ist. In jenen Zeiten bestanden aber noch 
zwei andere Anarchien. Die Archontenleere wiederholte sich 
mit dem Abgang des Pythodoros beim Ablauf von Ol. 94, 1 
(wenn er nicht mit den Dreissig schon früher abgetreten 
ist): erst nachdem der Demos am 16. Boedromion eingezogen 
war, wurden die Jahresbehörden gewählt, Xen. II 4, 13 *<xl 
xoxe fiev aQ%äg xaraaTTjadf^evoi 6tvoXit€vovto ; auf diese über 
2*|a Monate dauernde Zeit bezieht sich [Pltit.] decem orat. 
835 f yqdipavTog ccvt$ (dem Lysias) QqaovßovXov itoXiielav 
\iexd xr\v xd&odov en dvaq%lag xi\g n qo EvxXeidov. Voll- 
ständige Listen mussten für Ol. 94, 2 zuerst die Anarchie, 
dann Eukleides aufführen, Diodor XIV 12 begeht hier den 
umgekehrten Fehler, das ganze Jahr dem Eukleides zuzu- 
theilen. Eine dritte, diesen beiden vorausgegangene Anar- 
chie erwähnt Suidas ®eo7to\mog\ yeyovwg ncttd tovg xQOvovg 
T^g dvccQxlag *-A$v\vau\)v enl rrjg evevrjxoOTrjg %ol%r\g oXvft- 
niddog, vjg ytal "Ecpogog, vgl. Suidas "EcpOQog'] v\v de enl xijg 
ewaxooTtjg TQiTrjg oXv^nddog, tag xal ttqo rrjg (DiXirtnov 
ßaoiXeiag elvai xov Maxedovog, wo r\v aus Missverständniss 
des zweideutigen yeyovwg an die Stelle von eyevvr\&r) ge- 
treten ist. Karl Müller fragm. hist. I p. CVIII denkt an 
die Blüthezeit beider Schriftsteller (welche viel später ein- 
getreten ist) und nimmt betreffs der Anarchie ein grosses 
Missverständniss an: gemeint sei die zwischen Amyntas 
und Perdikkas liegende makedonische Anarchie und das 
Datum Olymp. 103, nicht 93, etwa 366 oder 365 v. Chr. 
Eine solche Anarchie kennen die geschichtlichen Berichte 
nicht: Amyntas, Alexandros, Ptolemaios, Perdikkas folgten 



Digitfzed by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 291 

ohne Unterbrechung aufeinander und nahmen die Zügel der 
Regierung sogleich fest in die Hand. Eine Anarchie im 
modernen Sinn bestand während der zweiten Hälfte von 
Ol. 93, 4 und darüber hinaus : nachdem es entschieden war, 
dass die Stadt sich nicht halten könne, gewann die Aristo- 
kratenpartei immer grössere Macht and die demokratische 
Verfassung und Regierung herrschte fast nur dem Namen 
nach ; die anarchischen Zustände dieser Zeit schildert Lysias 
in der Rede gegen Agoratos. 

x Die vom Interpolator benützte Quelle war kein erzäh- 
lendes Geschichtswerk, sondern eine Olympionikenliste. Die 
Geschichtschreiber und überhaupt alle, welche sich der Olym- 
piaden zum Datiren von Ereignissen bedienen, fügen selbst- 
verständlich der Zahl derselben und dem Namen des Sta- 
dioniken nicht die Erwähnung von Festakten hinzu, welche 
sich nicht bei jeder Feier wiederholt, sondern nur einmal 
stattgefunden hatten : Zusätze wie y TtqoOTe&eloa ^vvcoqlg 
evlxa EvayoQOv 'Hleiov I 2, 1 nach oXv^miag xqbtr\ xat &>- 
evrpiooTri gehören ausschliesslich zur Geschichte der olym- 
pischen Spiele und werden daher auch nur in Olympioniken- 
verzeichnissen mit jenen eigentlichen Daten verbunden. So 
in dem des Eusebios chron. I 204 ivevrjxooTr] TQfarj. ]$jßa- 
toq KvQtjvalog ozddiov . . . rtgooeted-r] ovviaqlg xal evUa 
EvayoQag 'HXelog, während Diodor XIII 68 am Anfang der 
Jahrbeschreibung die Datirung dXv[A7tiäg iyevero tqiti] nqdg 
Talg ivevijKOVTa xa& qv evixa otclölov Evßarog KvQtjvalog, 
aber erst c. 75 unter den geschichtlichen Notizen fCQoaeTi&r] 
de xccl awiaqlg xata rrjv avzrjv okvfiTtiaöa angiebt. Die 
Mehrzahl der Schriften, welche solche Verzeichnisse ent- 
hielten, bestand in Zeittafeln, in welchen mit der Liste eine 
Chronographie, d. i. Notizen über die wichtigsten Ereig- 
nisse jedes Jahres verbunden waren ; zur Bezeichnung der 
vier einzelnen Jahre dienten ausser den Nummern meist noch 
die Nameu von Jahresbeamten, vor allen die der attischen 

19* 



Digitized by 



Google 



292 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 4. Februar 1882. 

Archonten. Ein Werk dieser Art, eine Olympiaden- 
chronik war die Quelle unsres Interpolators : sie fügte 
der Festgeschichte die Archontennamen und geschichtliche 
Notizen bei; Aufschluss über ihren Verfasser können wir 
daher erst nach Untersuchung der Notizen gewinnen. Dass 
dieselbe auch die treffenden spartanischen Ephoren ange- 
geben hatte, ist schon an sich unwahrscheinlich, weil kaum 
eine oder die andere dieses gethan und die einzige,, von 
welcher es sich annehmen Hesse, die des Timaios, sich schwer- 
lich bis in das spätere Mittelalter erhalten hat ; völlig aus- 
geschlossen wird es durch einen Umstand, welcher auf Ab- 
leitung der Ephorennamen aus einer anderen Quelle schliessen 
lässt. Für die Frage, in welcher Weise die Amts- oder 
Kalenderjahre der Olympiadenzähluug angepasst worden sind, 
darf der Kanon aufgestellt werden, dass dasjenige bürger- 
liche Jahr als erstes der Olympiade gilt, in welchem die 
Spiele abgehalten wurden, z. B. als Ol. 93, 1 das der Con- 
suln von 346/408, des Archonten Euktemon (Antritt Juli 408), 
des Ephoren Arakos (Antritt Oktbr. 409) ; ebenso nach make- 
donischer, byzantinischer und nach Timaios' Zeitrechnung 
das um 1. Oktober, 1. September 409, mit dem Frühling 
408 beginnende Jahr. Dies liegt in der Natur der Sache, 
da im andern Fall die Spiele in das 4. Jahr der Olympiaden 
gefallen sein würden, und wird durch alle thatsächlichen 
Fälle bestätigt, für das lakonische Jahr des Ephoros und für 
das des Timaios durch Diodor (Philologus XL 54), für die 
späteren Kalender z. B. durch Julius Africanus (Philol. Anz. 
XI 83), die Olympiadeuliste und die Kaiserdata des Euse- 
bios, durch die byzantinischen Chronographen. Unser Inter- 
polator setzt aber bei jedem Olympiadenjahr und dem dazu 
passenden Archonten den Ephoren, welcher erst l */* Monate 
nach dem olympischen Festtermin ins Amt getreten ist, 
z. B. bei Ol. 93, 1 statt des Arakos seinen Nachfolger 
Euarchippos. Dies erklärt sich daraus, dass er die Ephoren 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 293 

aas Xenophon II 3, 10 entlehnt hat: d'eu für das letzte 
Kriegsjahr dort genannten Endios stellt er mit dem Ar- 
chonten desselben Kriegsjahrs Pythodoros, mit welchem er 
zwar beim Ende des Krieges aber noch nicht bei der vor- 
hergehenden Olympienfeier verbunden werden konnte, zu- 
sammen und ordnet dem entsprechend auch die Vorgänger. 
Die Notizen hat dem Interpolator kein Geschicht- 
schreiber geliefert. In einem erzählenden Geschichtswerk 
würde er gelesen haben, dass 410 die Schiffe von Selinus 
wegen des Krieges dieser Stadt mit Carthago, 409 die von 
Syrakus wegen der Bedrohung ganz Siciliens durch die 
Punier aus Kleinasien zurückgerufen worden sind; selbst 
der kurze Auszug Diodors aus Timaios erwähnt die Heim- 
kehr der letzteren bei der Belagerung von Himera, ähnlich 
der noch dürftigere des Justinus aus Trogus: der Inter- 
polator würde daher nicht die Eroberung von Selinus und 
Himera ein Jahr vor der Betheiligung der selinuntischen 
und syrakusischen Schiffe an der Schlacht von Ephesos ge- 
meldet, er würde auch die anderen starken Anachronismen 
nicht begangen haben. Seine Quellte ist also eine Chrono- 
graphie, welche nur einzelne Hauptereignisse in Gestalt 
fragmentarischer Notizen verzeichnete; da sie aus dem Zu- 
sammenhang gerissen waren, konnten sie leichter in eine 
falsche Verbindung gebracht werden. Wenn, wie wahr- 
scheinlich, von demselben Interpolator die Erzählung des 
Ktesias eingeschoben worden ist, so folgt daraus, dass die 
Notizenform schon der Quelle eigen war : sonst versteht 
man nicht, warum er nicht auch die Heimladung des Kyros 
als Notiz oder umgekehrt, soweit es der Raum erlaubte, 
den Inhalt der Notizen ausführlicher behandelt hat. Dass 
als Quelle ein später Compilator, kein Kenner der Geschichte, 
auch schwerlich ein gelehrter Alexandriner gedient hat, 
schliessen wir aus den Angaben über die Anarchie (II 3, 1) 
und über die politische Stellung der sicilischen Städte im 



Digitized by 



Google 



Xen. 


Data 


411 


(409) 


410 


408 


(409) 


407 


(408) 
( 4.071 




406 


406 


405 


405 


404 


404 



294 Sitzung der philos.'phüol. Classe vom 4. Februar 1882. 

J. 405 (113,5) und denken daher an eine Olympiaden- 
chronik der Eaiserzeit. 

Die Abweichungen der Notizen von den Daten und beider 
von Xenophon veranschaulicht am leichtesten eine Zu- 
sammenstellung der Jahre vor Christi Geburt, welche über- 
all vorausgesetzt werden: 

Notizen 

409 Selinus, Himera 
408 Medien 
(407) Phokaia 
(406) 

405 Akragas 

406 Finsterniss; Athen 
405 Akragas, Dionysios 
404 Gela; Leontinoi u. a. 

Diese Tafel zeigt, dass die Notizen Anfangs genau den- 
selben Fehler, einen Anachronismus von zwei Jahren, be- 
gehen wie die Daten, was auf gleichen Ursprung beider 
führt; auch ihre Abweichung von einander spricht nicht 
dagegen: in den Notizen sind die Jahre 406 405 zweimal 
behandelt, offenbar um die am Anfang verlorenen zwei 
Jahre hier wieder einzubringen; alles andere stimmt über- 
ein. Ehe jedoch der Gang, den die Interpolation vermuth- 
lich genommen hat, dargelegt werden kann, mu$s erst die 
in der Tafel aufgestellte Gleichung der Jahrzahlen begrün- 
det werden. 

Die Erhebung des Dionysios zum Tyrannen im März 
405 geschah der Notiz II 2, 24 zufolge ivitxvvy fxeaovvTi; 
das Jahr ihrer Quelle begann also ungefähr um September 
406, d. i. sie rechnete nach lakonischen oder, was wegen 
ihres späten Zeitalters vorzuziehen, nach makedonischem 
Kalender, dessen Neujahr ebenfalls auf den Neumond nächst 
der Herbstgleiche fiel. Die Olympiadenchronik musste dieses 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 295 

Jahr als Ol. 93, 4 (nicht 93, 3) zählen ; und diese Zähl- 
ung wird auch wirklich in der Datirung desselben II 1, 10 
(vgl. 3, 1) vorausgesetzt. In das folgende Jahr Ol. 94, 1 
setzt die Notiz II 3, 5 den Fall von Gela und Kamarina, 
die Auswanderung der Leontiner und der vornehmen Syra- 
kuser, Ereignisse, welche nach Timaios (p. 279) zwischen 
Frühlingsanfang 405 und Winters Ende 404 geschehen sind, 
und zwar wahrscheinlich erst in der zweiten Hälfte dieses 
Zeitraums. Die Belagerung von Gela, deren Ende das erste 
jener Ereignisse bildet, begann im Hekatombaion (c. 18. Juli 

— 16. Aug. 405), vgl. Timaios bei Diod. XIII 108 mit 
Arrian Alex. II 24, 6 ; erst viel später, nach vielen Stürmen 
einer- und Ausfällen andrerseits, rückte Dionysios, welcher 
grosse Rüstungen angestellt und die Streitkräfte der Hel- 
lenenstädte Siciliens und Italiens mit den syrakusischen ver- 
einigt hatte, zum Entsatz heran; 20 Tage nach seinem Er- 
scheinen vor der Stadt wurde die Schlacht geschlagen, welche 
über ihr Schicksal entschied. Ihr Fall darf daher in die 
Zeit um die Herbstnachtgleiche verlegt werden, so dass 
dieses Jahr der Notizen, entsprechend dem vorausgegangenen, 
vom Herbst 405 zum Herbst 404 läuft und als Olympiaden- 
jahr wiederum mit dem in der Datirung angegebenen (Ol. 
94, 1) zusammenfällt. Dasselbe gilt von den früheren No- 
tizen, so weit deren Zeit bekannt ist, und darf daher auch 
für die nicht näher bekannten (Medischer Aufstand, Brand 
in Phokaia) gleiche Jahrform angenommen werden. Die 
Belagerungen von Selinus und Akragas, März — Juni 409 
fallen nach makedonischer Rechnung in Ol. 92, 4. Okt. 410 

— Okt. 409 : die Datirung setzt wirklich Ol. 92, 4 voraus ; 
die Mondfinsterniss des 15. April 406, makedonisch Ol. 93, 3. 
Okt. 407 — Okt. 406, geschah auch der Datirung zufolge 
Ol. 93, 3. 

Bei dieser ist der Interpolator von dem letzten Jahre 
Ol, 94, 1 ausgegangen. Seine letzten Datirungen treffen (von 



Digitized by 



Google 



296 Sitzung der phüos-phüol. Classe vom 4. Februar 1882, 

der Verschiedenheit der Jahrepoche zwischen Xenophon und 
dem Chronographen abgesehen, welche der Interpolator nicht 
erkannt hat) auf die von Xenophon gemeinten Jahre, seine 
ersten nicht; gerade das letzte Jahr aber konnte auch ein 
oberflächlicher Leser am besten treffen, weil es den grössten 
und berühmtesten, auch in der magersten Chronographie 
nicht leicht fehlenden Vorgang, den Fall Athens, enthält; 
die Quelle des Interpolators deutete selbst in der Datirung 
(Anarchie) jenen an : in das vorletzte Jahr entfallt die ebenso 
bekannte Niederlage von Aigospotamoi. Der letzten Jahr- 
beschreibung Xenophons (II 3, 9 — 10) sind die Ephorendata 
des Interpolators entflossen, von ihr inusste er also bei der 
Einlegung derselben ausgehen. Eben dort finden wir auch 
die Ursache der ganzen Datirungsinterpolation, Jene Zu- 
sammenstellung sämmtlicher Datirungsephoren des pelopon- 
nesischen Krieges konnte in zwei Beziehungen nicht ohne 
Grund auffallend und anstössig erscheinen: weil nur die 
Jahresbeamten der einen, nicht auch die der andern krieg- 
führenden Partei verzeichnet sind, und weil Xenophon sie 
alle an einer Stelle angebracht hat, anstatt bei jedem Jahres- 
wechsel einen von ihnen zu nennen und so, unter Hinzu- 
fügung des gleichzeitigen Archonten und von vier zu vier 
Jahren der Olympiade eine ordentliche Datirung herzustellen. 
Diesen Mängeln wollte der Interpolator abhelfen. Der rück- 
läufige Gang, welchen er einschlug, erklärt es am besten, 
dass er zwei Jahreswechsel übersehen hat : durch ihn ver- 
hindert, den Verlauf der Ereignisse und die feineren Andeu- 
tungen der Jahreszeiten zu erkennen, verfolgte er lediglich 
das Vorkommen des Wortes erog in Verbindung mit einem 
Begriffe des Uebergangs und sprang so, von 404 auf 405 
von da auf 406 gekommen, über die zwei bloss angedeuteten 
Wechsel der Jahre 407 408 gleich auf 409 hinüber, wo 
der ältere Interpolator für eine solche Angabe gesorgt hatte; 
daher wurde ihn 409 zu 407 und 410 zu 408. 



Digitized by 



Google 



Unger; Die histor. Glosseme in Xenojphons Hellenika. 297 

Beim ersten Jahreswechsel angelangt und wohl ;nit Be- 
friedigung auf die anscheinend so schön gelungene Verbes- 
serung eines berühmten Werkes zurückblickend, mag er 
sich zu weiteren Thaten gedrungen gefühlt haben, um so 
mehr als ihm die Olympiadenchronik ausser den Daten auch 
Notizen über Ereignisse an die Hand gab, deren Erwähnung 
man bei Xenophon vergebens suchte. Hier freilich genügte 
es nicht mehr, das Werk rückwärts und flüchtig zu durch- 
blättern: um Stellen zu finden, welche einer Ergänzung 
bedürftig oder fähig schienen, musste er es im Zusamnier4- 
hang von Jahr zu Jahr mit Aufmerksamkeit durchlesen. 
Eben beim ersten Jahre, 409, bot ihm die Chronographie 
zwei Ereignisse , deren gesonderte Behandlung man bei 
Xenophon um so mehr hätte erwarten dürfen, als von ihm 
auf das eine in der nächsten Jahrbeschreibung hingewiesen 
wird, in der Motivirung der besonderen Auszeichnung, welche 
die Ephesier den Selinuntiern für ihren kräftigen Beistand 
im Kampfe widmeten, I 2, 10 2eXivovoloig de, 67tel rj nokig 
ccTcoltoXei, nal nokuvuav k'dooav. Diese Stelle bedeutet zwar 
in Wirklichkeit: nachdem Selinus gefallen war, d. i. erst 
nach der an dieser Stelle behandelten Zeit, ertheilten sie 
ihnen das Bürgerrecht; aber die in der That dem Leser 
zuerst sich aufdrängende Deutung ist die, von welcher der 
Interpolator, da er den Fall der Stadt im vorhergehenden 
Capitel anbringt, ausgegangen sein muss : weil Selinus ge- 
fallen war. Nachdem er bei den drei ersten, ihm für 409 
408 407 geltenden Jahren die nach seiner Ansicht wichtig- 
sten *) Notizen aus der Chronographie herübergenoramen 



1) Da88 er Anfangs nicht alle aufgenommen hat oder aufnehmen 
wollte, geht aus der Nachholung der Notizen über die Finsterniss und 
den Brand in Athen hervor. Ebenso lehrt die Vergleichung von I 5, 21 
mit II 2, 24, dass er manche wenigstens nicht vollständig ausgeschrieben 
hat: hier war er vermuthlich durch die Rücksicht auf den knappen 
Baum des Bandes beengt. 



Digitized by 



Google 



298 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Februar 1882. 

hatte, ^am er an die nur angedeuteten Jahr Übergänge. Da 
konnte ihm denn, nachdem er so ebeti bei dem von ihm 
selbst mit einer Datirung ausgestatteten letzten Wechsel 
I 3, 1 die Worte eaqog aQxopevov gelesen hatte, kaum ent- 
gehen, dass mit aq^ofxivov de tov eaQog I 4, 2 ein neuer 
eintrete, dass er mithin beim Datiren einen, eben diesen, 
übersehen hatte. Hiedurch zu erhöhter Aufmerksamkeit 
gespornt, mag er in I 5 auch den andern gleichfalls früher 
verkannten entdeckt haben. Er glaubte sich verbessert zu 
haben, wenn er diese als 406 (statt 408) und 405 (statt 407) 
behandelte und, da er bloss bei 405 eine ihm wichtig schei- 
nende Notiz in der Chronik fand, sie dort anbrachte. Volles 
Licht über seine Irrungen, die Erkenntniss, dass er nicht 
bloss zwei Jahre übersprungen, sondern alle vom Anfang 
an falsch datirt hatte, gieng ihm auf, als er jetzt zu 406, 
ihm bisher für 404 geltend, kam : denn bei 404 selbst zeigte 
die Chronik den Fall von Athen und was sich daran schloss, 
Vorgänge also, welche er zum Ausgang bei der Datirung 
genommen hatte, von denen er noch wusste oder leicht er- 
sehen konnte, dass sie bei Xenophon zwei Jahre später 
standen. 

Bei 406 beginnt er also die Besserung, so weit sie aus 
äusseren Gründen, d. i. ohne das früher Geschriebene, das 
den zu gründlichen Aenderungen nöthigen Raum wegnahm, 
umzuschreiben, möglich war; ein Plickwerk das neue Fehler 
machte um alte zu compensiren. Er behandelt die J. 1 406 
und 405 nach ihrer wahren Zeit, und holt zu diesem Zwecke 
die bei Xenophons J. 408 und 407 verschmähten Notizen 
der Chronographie aus 406 und 405 nach: bei jenem die 
Mondfinsterniss und den athenischen Brand, bei diesem die 
Erhebung des Dionysios ; dass er die Eroberung von Akragas 
hier noch einmal angebracht hat, kann als Eingeständniss 
des begangenen Fehlers gegenüber denkenden Lesern, in 
Betreff anderer als Versuch ihn zu verdecken angesehen 



Digitized by 



Google 



Uriger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 299 

werden: jenes wegen iieoovvti, dieses wegen der absoluten 
Participia Aoristi mit aQOTeqov, durch welche der Schein 
erregt wird als gehörte die ganze Belagerung von Akragas 
in ein früheres Jahr. Nachdem er so den Inhalt der Chronik 
in reicherem Masse auszunützen begonnen hatte, setzte er 
dieses Verfahren bei 404 fort. Noch weiter zu gehen mit 
seinen Bereicherungen und den Rest des Werkes zu vervoll- 
ständigen, durfte ihm nach dieser Probe die Lust vergehen, 
auch wenn der Verbrauch des von Xenophon gelieferten 
Vorraths an lakonischen Datirungen und die grosse Selten- 
heit der angezeigten Jahrübergänge ihm das nicht von vorn- 
herein verwehrt hätte. Möglich aber war die lange, bis 
Hell. I 6, 1 vorhaltende Verkennung seiner Anachronismen 
nur, wenn die Chronik bis dahin kein Ereigniss des 
peloponnesischen Krieges erwähnt hatte, welches 
durch sein Vorkommen bei Xenophon ihn aus seinem Irr- 
thum zu reissen im Stande gewesen wäre : nicht die Erober- 
ung von Byzantion, den Triumph und den Sturz des Alki- 
biades, nicht einmal die Schlacht bei den Arginusen und 
die bei Aigospotamoi. Dass solches möglich war, lehrt der 
Kanon des Eusebios, welcher (chron. II 108) von 411 — 404 
gar keines, nicht einmal den Fall von Athen oder das Ende 
des peloponnesischen Krieges erwähnt und, wenn man von 
diesem in der profanen Geschichte früherer Zeiten ganz un- 
wissenden Scribenten absehen wollte, die Chronik des Julius 
Africanus: auch diese" findet weiter nichts als die Schlacht 
von Aigospotamoi und die Uebergabe Athens nennenswerth 
(Syncell. p. 490, s. Geizer Afr. I 182). Aber möglich war 
solche Gleichgültigkeit gegen die bedeutendsten Kriegser- 
eignisse der classischen Zeit doch erst späten und unhel- 
lenischen Schriftstellern. 

Sowohl hiedurch als durch die in den geschichtlichen 
Irrthümern liegenden Anzeichen späten Zeitalters werden 
die einschlägigen Werke eines Aristoteles (6Xv[Amov7xcu), 



Digitized by 



Google 



300 Sitzung der phüos.-phUol. Glosse vom 4. Februar 1882. 

Timaios (6Xvfi7ciovM<xi) , Philochoros (7teqi oXviATiiadcov), 
Eratpsthenes (oXvftniovlxai oder xQOvoyQaqtlcu) und das aus 
letzterem geflossene des Apollodoros (xqovmol) von voru 
herein ausgeschlossen ; ebenso durch ihre Jahrepoche : den 
Timaios etwa ausgenommen (wenn derselbe wie in seiner 
Geschichte Siciliens und Unteritaliens vom Frühlingsanfang 
ausgieng) haben sie alle nach attischem Kalender gerechnet, 
nicht wie die Quelle des Interpolators nach makedonischem ; 
Eratosthenes und Apollodoros insbesondere haben , nach 
Diod. XIV 3 zu schliessen, die Anarchie anders und besser 
erklärt und den Stadioniken Krokinas nicht als Thessaler 
(Gloss. II 3, 1) sondern als Larissaier bezeichnet. Die Zeit 
der dqxovrvov nai oXv(X7tioviytwv ävayQaqrri des Stesikleides 
(Diog. La. II 55) und der 6Xvf.i7vioviY.ai des Skopas (Plin. 
bist. VIII 82) lässt sich nur aus der ihrer Benutzer be- 
stimmen, aber Skopas hat wahrscheinlich wie die Eleier 
Euanorides, ein Zeitgenosse Hannibals, und Aristodemos, 
ein Schüler Aristarchs, der Festgeschichte keine Chrono- 
graphie hinzugefügt und Stesikleides als ein Athener weder 
die Herbstepoche zu Grund gelegt noch die Geschichte des 
peloponnesischen Krieges stiefmütterlich behandelt. Gegen 
alle diese Schriften spricht überdies noch, dass sie im 
späteren Mittelalter wahrscheinlich nicht mehr vorhanden 
gewesen sind. Von den %qovm<x des Charax (um 160 n. Chr.) 
ist es nicht nachweislich, dass sie eine Olympionikenliste 
enthielten; gegen ihre Benützung in den Notizen spricht, 
dass Charax die Geschichte von Althellas, zumal von Athen, 
mit Vorliebe behandelt hat. Die bis Ol. 247 (209—213 n.Chr.) 
reichende und von andrer Hand bis Ol. 249 fortgeführte 
Festgeschichte, welche Eusebios chron. I 193 ff. erhalten 
hat, wird von vielen als ein Bestandtheil der 221 geschriebenen 
XQOvixä des Julius Africanus angesehen; diesem können die 
Notizen des Interpolators nicht entlehnt sein, weil er aus 
der Zeit von 411 — 404 ausser der Niederlage und dem Fall 



Digitized by 



Google 



TJnger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 301 

Athens nur noch den Synoikismos von Rhodos erwähnt 
(Geizer Afr. I 182) und innerhalb der Olympiaden die ein- 
zelnen Jahre in der Regel nicht unterschieden hat; ebenso 
stimmt auch die Festgeschichte in Betreff des Krokinas 
nicht mit dem Glossem sondern mit Diodor iiberein. Herenuios 
Dexippos, dessen %(>aj>«cij igtoqlcc laut Cramers Anecd. par. 
II 153 die Olympioniken bis Ol. 262 (269 n. Chr.) ver- 
zeichnete, war ein Athener und das von Stesikleides Gesagte 
gilt daher auch von ihm, um so mehr als er selbst nicht 
nur ein Datirungsarchont gewesen ist, sondern auch durch 
seine glänzende Heerführung gegen die Heruler, an welchen 
er die Einnahme seiner Vaterstadt, die Vertreibung und 
Ermordung ihrer Einwohner blutig rächte, eben im J. 269 
dem Stolze auf die Herrlichkeit früherer Zeiten neue Nahrung 
gegeben hatte. Was endlich die Chronik des Eusebios be- 
trifft, so lehrt der Augenschein, dass diese den Stoff der 
Glosseme nicht geliefert hat. 

Die gegen diese Chroniken geltend gemachten Gründe 
finden nur auf eine einzige keine Anwendung: auf die 
ohjfXTtioviy.cov xal %qöviy.wv ovvaywyrj des Phlegon aus 
Tralleis, eines Freigelassenen Hadrians, welche in Ol. 229 
(137 — 141 n. Chr.) zu Ende ging. Unter allen profanen 
Chronisten hat Phlegon in christlicher Zeit neben Charax 
das grösste Ansehen genossen, sich aber noch länger er- 
halten als jener ; zu Statten kam ihm besonders seine Notiz 
über eine Sonnenfinsterniss und Erderschütterung, welche 
allgemein auf die Verfinsterung und das Erdbeben bei Christi 
Tod bezogen wurde. Von den vielen , welche ihn citiren, 
hat nicht nur Africanus und Origenes sondern auch im J. 593 
Euagrios (hist. eccl. I 20) ihn wirklich benützt; im IX. Jahr- 
hundert hatte Photios noch das ganze Werk in Händen, 
den Anfang desselben hat eine Pfälzer Handschrift des 
X. Jahrh. auf unsere Zeit gebracht. Seine Vaterstadt ge- 
hörte zur Provinz Asia, in welcher nach makedonischem 



Digitized by 



Google 



302 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 4. Februar 1882. 

Kalender datirt wurde; das Neujahr desselben fiel dort auf 
den 1. Kaisarios, welcher bei Einführung des Sonnenjahrs 
auf den 24. September fixirt wurde (ldeler I 414). Dass 
er wirklich, wie die Quelle unserer Notizen, sowohl das 
Jahr im Herbst als auch die Olympiaden mit dem vor, 
nicht nach der Festfeier liegenden Herbst anheben Hess, soll 
jetzt an seiner Beschreibung der 177. Olympiade, welche 
Photios bibl. cod. 97 vollständig abgeschrieben hat, erwiesen 
werden. 

Die chronographische Abtheilung derselben beginnt mit 
dem Anfang oder der Fortsetzung der Belagerung von 
Amisos, welche Phlegon bei attischer Jahrrechnung (Ol. 177 
= Juli 72 — Juli 68) in Ol. 176 hätte setzen müssen, da 
sie im Herbst 73 und Winter 73/2 stattgefunden hat: Aev- 
xolkog de !d[iiodv itvoXioQxei xai MovQqvav erri xfjg tzoXioq- 
xiag xaTaki7tü)v [texä dvdiv xay\xaxoiv avxog \A&ta xqiwv 
äXfoüv rtQorjyev ircl KaßeiQCov , otvov die%eiixat t e. xal 
l4dqiavov inexa^e 7toXef.ifjocu Mt^Qidaxrj xcw TtoXefxr^oag 
sviytrjae. Gegen Drumann IV 133 fg., welcher wegen dieser 
Stelle die Belagerung in den Winter 72/1, die Niederlage 
und Flucht des Mithridates nach Armenien in das J. 71 
setzt, haben die Späteren sich mit^Recht für die um ein 
Jahr höhere Datirung erklärt, sowohl wegen der Zeit der 
vorausgegangenen und der nachfolgenden Ereignisse, als 
wegen des bestimmten Zeugnisses eines Zeitgenossen, Plu- 
tarch Luculi. 33 Salovoxiog cprjai xaXercclJg diaxe&ijvai xovg 
axQccxiarxag nqog avxov ev$vg ev olqxJ} xov noXefxov nqog 
Kv^Uq* xal Ttakw rcqog lifALö^ dvo xeifxüvag e^rjg ev %aqaxi 
diayayetv ävayKao&evxag ; der Krieg begann 74, die Be- 
lagerung von Kyzikos nahm den Winter 74/3, die von 
Amisos also den folgenden von 73|2 in Anspruch. Phlegous 
Datum der Belagerung steht keineswegs in Widerspruch mit 
der wahren Zeitrechnung: Ol. 177, 1 beginnt ihn nicht 
mit Juli 72 sondern Oktober 73. 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenilca. 303 

Ebenso wie der Anfang wird auch das Ende der Olym- 
piade von Phlegon nach makedonischem Kalender berechnet : 
das 4. Jahr ist ihm nicht Mitte 69 — Mitte 68, sondern 
Herbst 70 — - Herbst 69: %($ de xexaqx^ exu TiyQavyg xccl 
Mi&Qiddrrjg ä&Qoloavreg 7ie£ovg pev Teoaaqag fXvquxdag 
i7C7tiag de rqelg xal xov y ha%iY.6v avxovg Ta&vzeg xqoTtov 
irtokefiirjoav ^/tevKoHq* xai vtxijc jLevY.olXog xai 7tevTaY.io%lXioi 
fxiv twv fierä TiyQavovg eneoov rtXeiovg de tovtcov j^uaAoj- 
Tio&rjoav x w QiS T °v alAov ovyxXvdog oxXov. Diese Stelle 
bezieht man, in Folge des Vorurtheils, dass ihr attische 
Jahrrechnung zu Grunde liege, auf die zweite Schlacht des 
Tigraneskrieges, die von Tigranocerta, 6. Oktober 685/69 
nach altrömischem Kalender ; aber Phlegon spricht von der 
ersten. Er setzt in Ol. 177, 4, wie sowohl der Anfang der 
Stelle als sein Schweigen über Tigranes beim 3. Jahr lehrt, 
die Eröffnung des Krieges. Mitte 70 beschloss der König 
in den Kampf einzutreten (Plut. Luc. 22. Memnon 46. App. 
Mithr. 82, s. Fischer röm. Zeittafeln p. 204) ; auf die Nach- 
richt davon reiste Lucullus zum Heer in den Pontus, eröff- 
nete die Belagerung von Sinope, eroberte die Stadt und er- 
fuhr bei seinem Aufenthalt daselbst, dass Tigranes, um in 
seiner Abwesenheit die Provinz Asia zu überfallen, sich 
schon den Grenzen Lykaoniens und Kilikiens genähert habe 
(Plut. Luc. 23). Er zog daher in Eilmärschen an den 
Euphrat, in den ersten Monaten von 69, Plut. L. 24 odev- 
aag im xov EvcpQdtrjv xal xcctiovtcc nokvv xal d'oXeqov vtco 
Xeipwvog evQwv ijoxaXXev, von da durch Sophene an den 
Tigris; nach seinem Einzug fn Armenien, Frühjahr 69, fand 
die erste Schlacht statt. Die zweite, durch die völlige 
Niederlage, welche das ungeheure Heer des Tigranes trotz 
zwanzigfacher Ueberzahl (Plut. Luc. 28) erlitt, wird schon 
durch die bescheidenen Zahlen unsrer Stelle ausgeschlossen. 
Nicht 40 000 sondern 170 000 (Plut. Luc. 26), nach Appian 
(M. 85) sogar 250000 Mann zählte sein Fussvolk; die Rei- 
terei 55 000 (nach Appian 50 000). Nie zuvor hatte die 



Digitized by 



Google 



304 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 4. Februar 1882. 

Sonne eine solche Schlacht beschienen, schrieb ein Augen- 
zeuge (der Philosoph Antiochos), nie ein römisches Heer 
gegen solche Ceber macht gefochten, Livius bei Plut. Luc. 28 ; 
die 15 000 heranziehenden Römer waren dem König c fur 
Gesandte zu viel, als ein Heer zu wenig' vorgekommen. 
Getödtet wurden von seinen Soldaten nicht 5 000, wie es 
bei Phlegon heisst, sondern vom Fussvolk über 100 000, 
von der Reitern entkam fast keiner (Plut, L. 28): das 
Metzeln war nach der Schlacht an den Fliehenden fortge- 
setzt worden 120 Stadien weit, bis die Nacht einbrach (App. 
M. 85). Auf solche Stärke hatten aber Tigranes und Mithri- 
dates ihr Heer erst nach der ersten Schlacht gebracht (Plut. 
L. 25. Appian M. 84); in dieser hatte seine Ueberzahl sich 
in weit massigeren Verhältnissen bewegt, Plut. L. 25 Mi&qo- 
ßaqCdvt^g €7t€[icp&r] avv IttifEVGL TQio%i'kloig ne£di$ de na(x- 
TtoXkotg; Appian M. 84 Mi&QoßctQ^dvrjv ngövrieftTte ixeta 
öiaxMcov i7tnewv übersieht, mit gewohnter Flüchtigkeit, das 
Fussvolk. Die 40 000 Phlegous passen zu Plutarchs Ttetpi 
7ta[X7ZoXkoi, die 30000 Reiter zwar nicht zu den 2 — 3000, 
aber ein Verhältniss von 3 : 4 zwischen Reiterei und Fuss- 
volk findet man nicht einmal in den parthischen Heeren, 
geschweige denn in den armenischen und pontischen: die 
Zahlen Plutarchs und Appians für beide Schlachten setzen 
ein ganz anderes voraus. Phlegon schrieb TQLG%ikiovg, nicht 
TQelg (fxvQiddag) : ein Abschreiber hat jy mit / verwechselt, 
Ebeuso stimmt Phlegons Angabe über den Verlust der 
Könige nur zu den Mittheilungen Plutarchs (cpevyoweg änw- 
Xovxo nkr\v oliycov anavTeg) und Appians (Mi&QoßccQtdvtjv 
TQeipdpevog sdiwxe) über den Ausgang der ersten Schlacht. 
Die ungleich berühmtere von Tigranocerta hat Phlegon unter 
Ol. 177 nicht mehr erwähnt, die Zeit derselben, Herbst 69, 
mithin schon zu Ol. 178, 1 gerechnet. 1 ) 

1) Jahreszeit und Datum der Schlachten hat er vermuthlich seiner 
griechischen Quelle entlehnt ; rein römische Data, wie die Geburt Vergils, 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 305 

Die Olympiadenchronik des Interpolators hatte einige 
Eigentümlichkeiten ganz individueller Art, welche man 
schwerlich bei mehreren Verfassern solcher Werke vereinigt 
findet. Das vornehmste, geschichtlich wichtigste Land der 
Zeit von 411 bis 404 war Hellas, der hervorragendste Staat 
Athen, der grösste und zugleich am längsten dauernde Vor- 



überträgt er unverändert in das Olympiadenjahr, mit welchem nach dem 
angegebenen Kanon das Consulat zn gleichen ist. In OL 177, 4 (Okt. 
70 — Okt. 69) setzt er auch den Anfang des kretischen Krieges: xal 
MiteXkog inl xop Kqtjzixov noXepop oQftjaccs xqicc xdypaxa e/top yX&ep 
Big Xtjp ptjgop xccl ftd/fl viXr^aag xop Acco&ivrj ccvxoxqdxtüQ dprjyoQev&ri 
xal xec/rj^eig xaxeaxijae tovg Kgrjxag. Dieser wird mit Unrecht in 68 
gesetzt : Metellns übernahm als Consul, also 69, die bei der Loosung 
seinem Collegen zugefallene, von jenem aber verschmähte Provinz Kreta, 
Dio Cass. fr. 138 xXrjQOv/uepiop rmp vndxtop 'Ogxrioiog xop TtQog KQtjxag 
iXa/6 noXtpop* dXX dxeipog — xqi avpag/opu xijg öxgccxiccg i&eXopxrig 
sgiaxtj. 6 6s <5ij MixeXXog iaxUXaxo xe elg Kqt^xijp xal xtjp prjaop anaaap 
eX€iQü}aaxo ptxcc xoZxo, wo pexd xovxo offenbar hinzugesetzt ist, weil 
die Beendigung des Krieges nicht in jenem Jahre, sondern 67 erfolgt 
ist; er gibt noch einmal das J. 685/69 als erstes des Krieges an, indem 
er in dieselben Zeiten "die Schlacht von Tigranocerta setzt : AovxovXXog 
xaxd tovg xaiQovg xovxovg Tiygdpijp noXsfjux) pixr^occg xai cpvyofxax^tp 
dpayxdaag xd TiygapoxsQxa inoXiogxu. Die herrschende Zeitbestim- 
mung beruht ausser der attischen Berechnung der Olympiaden Phlegons 
auf Liv. epit. 98 Q. Metellas proconsul bello sibi adversus Cretenses 
mandato Cydoniam obsedit, wo proconsul ein dittographischer, ans epit. 99 
Q. Metellus proconsul eingeschlichener Fehler statt consul ist : die Epi- 
tome behandelt den kretischen Krieg an drei von einander entfernten 
Stellen, setzt also drei, nicht "zwei, Jahresfeldzüge voraus (69, 68 u. 67); 
ebenso schreibt Velleius II 34, dass er per triennium geführt, und Eutro- 
pius Vi 11, dass er post triennium beendigt worden ist: was man doch 
von einem 68 — 67 geführten Kriege nicht sagen konnte. Umgekehrt 
war es bei 69 — 67 ganz statthaft, so zu schreiben wie Orosius: Cretam 
per biennium Metellus evertit; denn nach Pblegon und Livius wurde 
im ersten Jahre bloss Kydonia belagert, keine Stadt erobert und ver- 
wüstet oder zerstört; evertit konnte nur vom zweiten und dritten ge- 
sagt werden, vgl. Livius ep. 99 vom zweiten: Gnosson et Lyctum et 
Cydoniam et plurimas alias urbes expugnavit. 

[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 20 



Digitized by 



Google 



306 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 4. Februar 1882. 

gang jenes Zeitraums der peloponnesische Krieg; aber der 
Interpolator fand in seiner Quelle von politischen und krie- 
gerischen Ereignissen, welche Hellas betrafen, gar keines als 
den Fall Athens berücksichtigt. Der Chronist hatte also — 
und daraus erklärt sich auch die Unkunde, welche er in 
der Geschichte jener Zeiten verräth — wenig Sinn und In- 
teresse für diejenigen Vorgänge, welche den Hauptinhalt 
der alten Gesch ich ts werke bilden und demgemäss auch von 
den meisten Chronographen in erster Linie berücksichtigt 
worden sind. Unter diesen gibt es einen einzigen, dem sich 
diese Eigenthümlichkeit nachweisen lässt, das ist eben 
Phlegon. Der am längsten dauernde Krieg der 177. Olym- 
piade, zugleich der grösste, eigenthümlichste und den Römern 
furchtbarste, der Fechterkrieg, wurde in dem Lande gefuhrt, 
welches jetzt die Hauptrolle spielte, in Italien 73: begonnen 
und 71 beendigt nahm er etwa die Hälfte der mit Oktober 73 
anhebenden Olympiade weg; aber Phlegon erwähnt weder 
die Niederlagen beider Consuln von 72 im Kampf gegen 
Spartacus noch ein anderes Ereigniss dieses Krieges. Er 
meldet auch nichts von der Niederlage' des Perperna und 
dem Ende des hispanischen Krieges: über diese und andre 
Vorgänge gleitet er nach Erwähnung des Mithridateskrieges 
und des Erdbebens von Ol. 177, 1 mit den Worten aal 
aXka de itkuGxa iv TavTtj £vvrjV€%&rj rg oXvfATtiaÖL hinweg, 
um mit Uebergehung des zweiten Jahres zu der römischen 
Censuszahl des dritten zu kommen. 

Sein Interesse haftet vorwiegend an den kleineren Vor- 
kommnissen der Geschichte, welche bei den anderen theils 
die zweite theils gar keine Rolle spielen : die Fragmente 
melden von merkwürdigen kosmischen Vorgängen, von einem 
Wunderkind, den Münzen der Gergithier mit dem Bild der 
Sibylla, Christus war als Prophet besprochen, Orakel citirt 
er mit Vorliebe und widmet dem Caltus grosse Aufmerk- 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 307 

samkeit, 1 ) die Plünderung der heiligen Insel Delos durch 
Seeräuber und die Schutzmassregeln der Römer gegen eine 
zweite Beraubung beschliesst den chronographischen Theil 
der 177. Olympiade. Wichtig ist ihm die Literatur : Vergils 
Geburt und die Neubesetzung des epikureischen Lehrstuhls 
wird in Ol. 177 gemeldet. Von politischen Vorgängen der- 
selben beschäftigen ihn nicht etwa die grossen Verfassungs- 
änderungen des J. 70 in Rom, aber die Zählung der Bürger 
und im Osten der parthische Thronwechsel. Hiemit ver- 
gleiche man in den Notizen des Interpolators die Thron- 
besteigung des Dionysios, mit der Sonnenfinsterniss Phlegons 
die Mondfinsterniss des Glossems, mit der Plünderung des 
delischen und der Einweihung des nach dem Brand 
wieder aufgebauten capitolinischen Heiligthums bei jenem 
die Tempelbrände in Phokaia und auf der athenischen 
Akropolis bei dem Interpolator. Die kriegerischen Vor- 
gänge, welche Phlegon nennenswerth findet, sind die seine 
Heimat am nächsten berührenden : der mithridatische, welcher 
zum Theil in der Provinz Asia spielte, der armenische, welcher 
diese bedrohte, der kretische ; auch die Erwähnung des me- 
dischen Aufstandes bei dem Interpolator lässt sich dahin 
rechnen. Alle andern Notizen dieser Art in den Hellenika 
betreffen Sicilien : die Belagerungen von Selinus , Himera, 
Akragas, Gela, die Schlachten von Akragas und Gela ; selbst 
gegenüber dem peloponnesischen Krieg so geringfügige Vor- 
gänge wie der Abfall der Leontiner und die Auswanderung 
der vornehmen Syrakuser werden einer Erwähnung gewürdigt. 



1) Die Festgeschichte von Ol. 177 ist fast so lang wie die ganze 
Chronographie derselben : wohl nur wenige haben wie Phlegon die Sieger 
in allen Kampfesarten aufgeführt. Die kürzere Ausgabe des Werks in 
8 statt 16 Büchern konnte einfach durch Beschränkung der Sieger auf 
die Stadioniken die Hälfte des ursprünglichen Umfangs bekommen: die 
grosse Ausgabe umfasste in ihrem ersten Drittel (5 Büchern) mehr als 
zwei Drittel der ganzen Zeit, 170 von den 229 Olympiaden. 

20* 



Digitized by 



Google 



308 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 4. Februar 1882. 

Diese ganz auffallende Inconseqnenz erklärt sieb daraus, dass 
Phlegon ein besonderes Interesse für Sicilien batte : als eines 
seiner Werke nennt Suidas eine Beschreibung der Insel, I'xcjpga- 
oiv Sixeltag. 

Die Sprache anlangend muss berücksichtigt werden, 
dass der Interpolator durch Rücksichten auf den Raum ge- 
bunden und auf möglichste Kürze angewiesen war; doch 
erkennt man auch in der Beschreibung der 177. Olympiade 
die an jenem gerügte Stillosigkeit wieder: fast alle, zum 
Theil zeitlich oder inhaltlich einander fernstehende Angaben 
werden durch xcu mit einander verbunden, wodurch der 
Chronographie das Gepräge der Eintönigkeit aufgedrückt* 
wird; schablonenhafter Parallelismus, welcher sich dem an 
Hell. II 5, 3 auffallenden nähert, zeigt die Stelle xal 2iva- 
TQOvxyv tov ndcQ&cov ßaatXäa TeXevr^aavTa diedi^ccvo ®qcc- 
dtrjg — aal 0a7ÖQOv xov 'EnixovQtiov ötede^avo TIaTQWv ; 
gleiche oder ähnliche Worte kehren auch sonst bei kurzem 
Zwischenraum ohne Noth wieder : inoXiOQKei — no'kiOQY.iag, 
fterd dvdlv — /xstcc tqiwv, /toXefxriaai — nole^ijaag, erovg — 
€T€i , auch Namen : ^teixoXXog — ^tevxoXXqt. Der Anfang 
des Werkes und die Schrift tvbqI &avfiaolo)v zeigen, dass er 
diese Härten, welche dort fehlen, hier geflissentlich zuliess, 
als Eigentümlichkeiten welche zum Gegenstand passen. 

Die einzelnen Jahre werden in der Beschreibung der 
177. Olympiade nur mit Zahlen bezeichnet, nicht wie in 
den Glossemen auch nach Archonten datirt; das schliesst 
indess nicht aus, dass Phlegon auch diese aufgeführt hat: 
er kann sie an einer andern Stelle vereinigt angegeben 
haben. Eusebios hat die Olympiadenliste nicht mit dem 
Kanon , welchem seine Notizen beigeschrieben sind , ver- 
schmolzen, sondern sie dem ersten Buch seiner Chronik ein- 
verleibt, welches Auszüge aus den Quellenwerken über die 
Geschichte der einzelnen Völker und seine eigenen Dar- 
legungen über die biblische Zeitrechnung enthält: dort, in 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 309 

dem untergegangenen Schlüsse des Buchs stand laut der 
Vorrede (I 6 Seh.) die Consulnliste ; in jenem Buche würde 
er auch die Archonten aufgeführt haben, wenn er ihre Er- 
wähnung nicht für überflüssig gehalten hätte. Das andere 
Buch, der xQOvixog xavwv mit den Notizen, bezeichnet daher 
die einzelnen Jahre, wie Phlegons Beschreibung der 177. Olym- 
piade, nur mit Zahlen. Ein ähnliches Verfahren hatte schon 
Eratosthenes eingeschlagen: nach den Angaben genau ci- 
tirender Schriftsteller zu schliessen, hat er die Chronologie 
entweder in zwei Abtheilungen eines Werkes oder in zwei 
getrennten Werken behandelt: aus dem I. Buch der oXvp- 
7TiovM.cLi citirt Athenaios IV 39 eine Bemerkung über den 
Faustkampf, aus derselben Schrift berichtet Diog. La. VIII 51 
über einen Olympiensieger; dagegen eine literarhistorische 
Notiz stand h Tt$ Tteql xQ°voyQ<xq)iü)v (Harpokrat. Evrjvog), 
ebenso die über Roms Gründung in den xQOvoyqaylai (Dionys. 
Hai. ant. I 74). Phlegon selbst datirt in der Schrift Tteqi 
&av[*aoiwv nicht nach Olympiadenjahren sondern bloss nach 
Archonten und Consuln, c. 6 lyhvto dvdqoyvvog aQxovvog 

Z4&rjvT](JlV 14VT17TCLTQ0V VTtCCTeVOVTtoV iv'Pcbfxj] Mccqxov BlVl- 

ntov xal Titov ^taxiklov Tavqov tov Kogßlvov B7tinh]&evTog; 
ebenso c. 7—10. 20. 22 — 25. 27, vgl. auch c. 3. Ist diese 
vor der Chronik entstanden, so begreift man nicht, wie ein 
Schriftsteller, welcher gewohnt war nach Archonten und 
Consuln zu datiren, bei der Abfassung seines grossen chrono- 
graphischen Werkes, in welchem die Olympiaden mit ver- 
schwenderischer Ausführlichkeit behandelt waren, seiner Ge- 
pflogenheit hat untreu werden können, noch dazu zum 
Schaden der Brauchbarkeit desselben und in hohem Lebens- 
alter, in welchem nicht ohne die triftigsten Gründe auf 
gute Gewohnheiten verzichtet wird, während hier absolut 
kein Anlass dazu erfindlich ist und jene Beigabe wenige 
Worte kostete. Ist aber die Chronik das frühere Werk, so 
würde Phlegon in dem späteren durch die Datirung nach 



Digitized by 



Google 



310 Sitzung der phüos.-philöl. Glosse vom 4. Februar 1882. 

Jahresbeamten, deren Zeitalter und Jahr in seinem grossen 
Werke gar nicht aufzufinden war, dieses desavouirt und 
indirekt selbst die Unbrauchbarkeit desselben eingestanden 
haben. 

Dass er anstatt der Jahrzahlen Namen wählt, kann 
man erklären : diese waren vor Abschreiberfehlern besser 
gesichert als die Zahlen; und er konnte sich auf sie be- 
schränken, wenn er der Chronik einen Anhang beigegeben 
hatte, welcher die leisten der Archonten und Oonsuln ent- 
hielt. Solches Verfahren durfte sich im eigenen und im 
Interesse des Lesers empfehlen. Die herrschende Datirung 
z. B. der römischen Ereignisse gab nicht die Zahl der 
Stadtjahre sondern die Consuln an : nach diesen, wenn die 
Zeit derselben gefunden werden sollte, in sämmtlichen 15 
oder 16 Blichern herumzusuchen, sie mitten in einer ihnen 
fremden Umgebung zu erkennen, wäre sehr zeitraubend ge- 
wesen ; er selbst aber hätte sowohl , da er bei manchem 
Jahre wie z. B. bei Ol. 177, 2 nichts zu bemerken hat und 
daher gar nichts darüber sagt, bloss jener Beamten wegen 
demselben eine besondere Bemerkung widmen als auch die 
Worte aQxowog Zd&r'jvrjoiv — vrtccTevovTtov ev 'Pwfirj oder 
ähnliche unaufhörlich wiederholen und so auch sich selbst 
eine zeit- und raumraubende Plackerei auferlegen müssen; 
beides unnöthiger Weise, da es ihm freistand, durch Ver- 
einigung der Namen in einer leicht übersichtlichen Liste 
ihre Aufzeichnung abzukürzen, und der Leser dann nur 
wenige Blätter zu durchlesen hatte, um zu den Namen die 
Zahl der Olympiade und vermuthlich auch die des römischen 
Stadtjahrs zu findeu. 

Die Schrift 7ieql davpaolcov ist, wie Klein Rh. Mus. 1878 
p. 134 durch Verbesserung von c. 10 erwiesen hat, erst 
nach 150 abgefasst; die Chronik reichte nach Photios bibl. 
cod. 97 f*&XQ l ™v 'Aöqiavov xQOvojv, nach Suidas f*£xQ l T ^S 
<jx&' dlv^7Ciaöog ; ungenau Euseb. chron. I 265 in compen- 



Digitized by 



Google 



Unger: Die histor. Glosseme in Xenophöns Hellenika. 311 

dium reduxit olympiadas CCXXIX. Hadrian starb während 
der 229. Olympiade: sein Tod (10. Juli 138) fiel nach 
Phlegons Rechnung Ol. 229, 2, nach attischer 229, 1 oder 2 ; 
diese. Olympiade ist also nicht, wie es nach Eusebios scheinen 
könnte, vollständig von ihm beschrieben. Dass das Werk 
den Tod Hadrians nicht mehr enthielt, also vor diesem 
Ereigniss vollendet und herausgegeben wurde, ist aus (jl&xqi 
^zcbv lAÖQtavov xqovcov zu schliessen : wenigstens pflegt in ent- 
gegengesetzten Fällen n£%Qi i% — TeXewrjg gesagt zu werden ; 
mit Sicherheit folgern wir es aus Photios Angabe über die 
Widmung 7tQoa<pü)vei to avvraypa Ttqög !Alxißiadrjv tivd, 
og elg i(v twv elg rrjv qtvXctKrjv Tevaypevwv %ov lAöqLavov: 
die Stellung dieses sonst nicht genannten Alkibiadea kennt 
Photios ohne Zweifel aus der Widmung, nach dem Tode 
des Kaisers gab es ein solches Amt nicht mehr. Hienach 
ist die Chronik nach der Olympienfeier des August 137 
und vor Juli 138 veröffentlicht worden. Der Inhalt der 
sechs letzten Olympiaden war vor allen auf einen Leser, 
den Kaiser, und auf Befriedigung der bekannten Eitelkeit 
desselben berechnet ; auch der Umstand , dass das Werk 
nicht, wie man erwarten sollte, diesem selbst gewidmet ist, 
darf damit in Zusammenhang gebracht werden : jener Zweck 
sollte, im Einverständniss mit dem Kaiser, verhüllt werden, 
s. Spartian Hadr. 16 famae celebris Hadrianus tarn cupidus 
fuit, ut libros vitae suae scriptos a se libertis literatis de- 
derit, iubens ut eos suis nominibus publicarent: nam et 
Phlegontis libri Hadriani esse dicuntur. Unter den 'Büchern* 
Phlegons ist nicht etwa eine (nirgends erwähnte) Biographie 
zu verstehen, dies verbietet die Partikel et ; in der Chronik 
gab 6s Gelegenheit genug, vom Leben und Wirken des 
Kaisers zu schreiben ; sie ist das Hauptwerk Phlegons ; mit 
der Mirabilienschrift zusammen ist die über die ältesten 
Personen der Vergangenheit, wie der Titel 7teqi [AaxQoßlajv 
Kai &av(x(xoia)v lehrt, herausgegeben, also auch diese erst 



Digitized by 



Google 



312 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 4. Februar 1882. 

nach 150 geschrieben worden ; ausserdem wird nur die Be- 
schreibung Siciliens namhaft gemacht, in welcher von Hadrian 
nicht viel gesagt werden konnte. Die Vermuthung der Mit- 
urheberschaft des Kaisers an der Chronik konnte entstehen, 
wenn ihm in derselben stark geschmeichelt war. Mit An- 
gabe der Buchzahl werden aus dieser 11 Fragmente citirt, 
darunter nicht weniger als 6 aus B. XV, keines aus XVI; 
die aus XV aber beziehen sich, wie Meineke Steph. Byz# 
p. 204 zeigt, mehr oder weniger deutlich alle auf die Re- 
gierungszeit Hadrians, welcher doch wahrscheinlich nur das 
letzte, höchstens noch ein geringer Theil des vorletzten 
Buches gewidmet sein konnte. Meineke und Bekker ver- 
muthen daher, bei Suidas eyqaipev oXv/tTtiddag iv ßißXioig 
ig sei die Zahl in te zu verwandeln; unnöthiger Weise, 
wie wir jetzt sagen dürfen. 1 ) Die Aufzählung von etwa 
647 Consulaten und 820 Archonten mochte gerade den Um- 
fang eines Buches ergeben ; dieses wurde das letzte der 
sechszehn. 



1) Die Angabe von 14 Büchern bei Euseb. ehr. I 265 ist offenbar 
unrichtig. 



Digitized by 



Google 



Historische Classe. 



Sitzung vom 4. Februar 1882. 



Herr Friedrich hielt einen Vortrag: 

„Die vocati episcopi Erchanfried und Ot- 
kar der Passauer und der Oadalhart 
episcopus der Freisinger Urkunden." 

I. Die Bezeichnung vocatus episcopus im 8. Jahrhundert. — 
Erchanfried und Otkar in den Passauer Urkunden. 

Die Bezeichnung vocatus episcopus bereitete den Ge- 
schichtsforschern schon vielfache Verlegenheiten, und nament- 
lich in der bayerischen Geschichte wurde die Deutung der- 
selben in mancher Hinsicht bedeutsam. In den Passauer 
Urkunden kommen ja zwei vocati episcopi, Erchanfried und 
Otkar, vor, welche nach Schreitwein im Anfange des 7. Jahr- 
hunderts gelebt haben sollen, und auch in den Freisinger 
Traditiones treten, wenigstens zu Anfang des 9. Jahrhunderts, 
solche Bischöfe auf. 

Die Lage der Dinge ist aber nicht so geartet, dass man 
nicht das Bedürfniss gefühlt hätte, eine nähere Untersuch- 
ung über die Bedeutung dieser Bezeichnung anzustellen ; im 
Gegentheil gab sich Resch an mehreren Stellen seiner 
Annales Sabionenses mit der Frage ab, und das Ergebniss 
seiner Untersuchung, das er dahin zusammenfasste : vocatus 



Digitized by 



Google 



314 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

episcopus bedeute, besonders in den Freisinger Urkunden 
dieser Zeit, meistens das nämliche als Coepiscopus oder 
Coadjutor eines anderen Bischofs oder auch Chorepiscopus, *) 
— blieb seitdem massgebend. So kommt es denn, dass 
auch Graf Hundt die vocati episcopi der Freisinger Ur- 
kunden, soferne sie nicht als fremde Bischöfe nachweisbar 
sind, als Coepiscopi von Freising zählt, - obwohl ihm trotz 
der Untersuchung Resch' ein Zweifel an der Richtigkeit 
der Annahme aufgestiegen ist. 2 ) Andere gaben der Be- 
zeichnung die Bedeutung von „Land- oder Chorbischöfen u , 
oder, da über der von Erchanfried redenden Urkunde, doch 
offenbar von späterer Hand, steht : Sub Erchanfrido regio- 
nario episcopo, — von Regionarbischöfen. 8 ) 

In neuester Zeit hat sich meines Wissens nur Oelsner 
behufs Feststellung der Zeit des Convents von Attigny und 
der Chronologie der S. Gallischen Begebenheiten in den Jahr- 
büchern des fränkischen Reiches 4 ) mit der Bezeichnung 
vocatus episcopus befasst; allein eine erschöpfendere Unter- 
suchung lag nicht in seinem Plane. 

Es dürfte sich daher wohl der Mühe lohnen, den Ver- 
such zu machen, die Bedeutung von vocatus episcopus min- 
destens für das VIII. und angehende IX, Jahrhundert fest- 
zustellen, indem für das VII. Jahrhundert kein Material 
vorhanden ist, im IX. aber eine Wendung eintritt. Da ich 
jedoch zunächst nur Bayern im Auge habe, so beschränke 

1) Resch, Annal. Sabion. I, 775. n. 648; II, 91. n. 204; Ad- 
denda II, 736. 

2) Hundt, Die Urkunden des Bisth. Freising aus der Zeit der 
Karolinger. Akad. Abhandl. 13. Bd. I. Abthlg. S. 55 ff. 

3) Edlbacher, Die Entwicklung des Besitzstandes der bisch. 
Kirche zu Passau 1870 (?), S. 13. — Auch AI. Hub er, Gesch. der 
Einführg. u. Verbreitg. des Christenth. in Südostdeutschland III, 351 
nennt Erchanfried u. Otkar „ Gaubischöfe ". 

4) Oelsner, Jahrbücher des frank. Reiches unter König Pipin, 
S. 476. 514. v ; 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Die vocati episcopi der Passauer Urkunden etc. 315 

ich mich bei meiner Untersuchung blos auf jene Länder, 
welche nachweisbar in irgend einer Beziehung zu Bayern 
standen, also auf Süddeutschland, oder ausser Bayern noch 
auf die Diöcesen Augsburg, Constanz, Basel und Chur, und 
mache davon nur insofern eine Ausnahme, als ich auch 
die Formelbücher (mit dem Liber diurnus der päpstlichen 
Kanzlei; heranziehe. Es ist diese Ausnahme schon darum 
geboten, weil man sich zur Bestimmung der Bedeutung des 
vocatus episcopus auch früher, z. B. Mabillon, Resch und 
Oelsner, darauf bezog. 

Es ist nämlich allerdings richtig, dass der Liber diurnus 
eine epistola vocatoria enthält, 1 ) worin der eben erwählte, 
noch nicht consekrirte Bischof vocatus episcopus beisst. 
Allein wenn diese Formel nach de Roziere's Meinung auch 
keine ursprünglich römische, sondern aus dem Frankenreiche 
stammende wäre, da sie fast wörtlich, nur in etwas erwei- 
terter Form sich auch hier findet, 2 ) so wäre doch damit wenig 
gewonnen. Denn das Alter derselben zu bestimmen, bleibt 
gleich schwierig, da sie keineswegs zu dem ursprünglichen 
Liber diuruus, sondern nur zu Appendix I gehört, und da 
auch für die fränkische Formel ein chronologisches Merkmal 
nicht gegeben ist. Dieselbe scheint vielmehr, wie sie auch 
Cordesius unter den opuscula Hincmari zuerst druckte, in 
die Zeit dieses Rheiraser Erzbischofs zu gehören, welcher 
sich wirklich kurz nach seiner Wahl auf der synodus Bello- 
vacensis im April 845 zuletzt als presbiter et vocatus archi- 



1) Liber diurn., ed. de Roziere, form. 107. p. 247 sq.: Dilectissi- 
inis fratribns et filiis, presbyteris, diaconibus, clericis, honoratis, posses- 
soribuset cunctae plebi illius ecclesiae, simulque vocato Uli episcopo» 
auxiliante Domino, futuro illius sanctae ecclesiae. 

2) Roziere, Recueil g&ieral des formales II, 637, form. 522: Dilec- 
tissimis fratribus et filiis . . . simulque vocato episcopo illi, M., auxili- 
ante Domino, metropolitanus sanctae sedis apostolicae illius. Auch de 
Roziere lässt sie von da in den lib. diurn. übergehen, 



Digitized by 



Google 



316 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

episcopus unterzeichnete. *) Diese Formel fällt daher in 
eine zu späte Zeit und kann nicht ohne Weiteres, wie z. B. 
noch Oelsner thut, für das VIII. Jahrhundert als beweisend 
herangezogen werden. Ihr Gebrauch im VIII. Jahrhundert 
kann aber auch nicht nachgewiesen werden; denn in allen 
Formeln, welche sich auf die Wahl der Bischöfe beziehen, 
kommt nicht ein einziges Mal der Ausdruck vocatus epis- 
copus vor. 2 ) Daraus ergibt sich aber, dass das gesammte 
Material, das die Formelbücher für unsere Untersuchung 
bieten, unter die übrigen Quellen gestellt werden muss. 
Diese sind aber keineswegs ohne Weiteres zu gebrauchen, 
sondern müssen erst daraufhin untersucht werden, ob sie 
sich etwa auf einen blos gewählten, nicht consekrirten 
Bischof, oder auf einen consekrirten mit oder ohne Bischofs- 
sitz beziehen. Erst aus dieser Untersuchung wird es sich 
ergeben, was wir im VIII. Jahrhundert unter vocatus epis- 
copus zu verstehen haben. 

Vorerst ist zu bemerken, dass die Bezeichnung vocatus 
überhaupt nicht auf die Bischöfe beschränkt ist, sondern 
von Priestern, Diakonen, Mönchen und Aebten angewendet 
wird. Es kann aber durchaus kein Zweifel seiu, dass sie 
hier einen wirklichen Priester, Diakon oder Mönch bedeutet 
und nur heissen soll: -obwohl ich unwürdig einer solchen 
Würde bin, so besitze ich sie doch durch die Gnade Gottes, 
weshalb in der Kegel ac si indignus, quamvis indignus, ac 
si peccator oder blos indignus hinzugefügt wird. 8 ) Weniger 
bestimmt gilt dies freilich schon von vocatus abbas; denn 
gerade bei den Aebten bemerken wir zuerst eine bestimmte 



1) Pertz, leg. I, 387. Oelsner S. 476. Resch II, 91. n. 204. 

2) Roziere II, 611 sqq. 

3) Grandidier, hist. de l'egl. de Strasbourg IL Preuv. No. 71. 
— Neugart, Cod. dipl. Alem. I. No. 40. 90. 101. 103. 131. 137. — 
Mon. boica 28. 2. No. 1. 15. 70. — Schöpflin, Alsat. dipl. I. No. 65. 
66. 76. — Meichelbeck, hist. Fris. I. 1. No. 7. 19. 75. 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Die vocati episcopi der Passauer Urkunden etc. 317 

Wendung in dem Gebrauche des Ausdrucks. Es fragt sich 
nun aber, wie es sich bei den Bischöfen verhält, wenn sie 
sich dieses Ausdruckes bedienen. Die Frage wird sieb am 
sichersten dadurch erledigen lassen, dass ich nachweise: die- 
selben sind thatsächlich consekrirte Bischöfe mit festen Sitzen 
gewesen. 

Am wenigsten hat dieser Nachweis bei den Strass- 
burger Bischöfen, welche fast durchgängig diese Be- 
zeichnung führen, eine Schwierigkeit. Widegern, seit 720 
Bischof, schreibt im Eingange seiner Schenkungsurkunde 
für Kl. Murbach 728 : Ego Widegernus . . in Stradoburgo 
civitate vocatus episcopus; am Schlüsse aber: Ego Wi- 
degernus, hac si indignus Episcopus subscripsi. *) Heddo, 
seit 734 Bischof, in einer Schenkungsurkunde von 748 (nach 
Oelsner 749) im Eingange: Heddo gratia Dei ecclesiaeque 
matris in Stradburgo civitate vocatus episcopus; am Schlüsse: 
Ego in Dei nomen Heddo peccator per misericordiam Dei 
vocaius episcopus. 2 ) Der gleiche Ausdruck findet sich aber 
auch noch in seinem Testament von 763 (Oelsner 762): 
Ego in Dei noraine Eddo peccator, vocatus Argentinensis 
urbis episcopus, während der Schluss lautet: Actum est hoc 
testamentum . . regnante D. N. Pipino . . et venerabili 
episcopo Eddone. Ego in Dei nomine Eddo peccator per 
misericordiam Dei vocatus episcopus hoc testamentum a me 
factum relegi et subscripsi. 8 ) Ausserdem heisst er jedoch 
einfach Eddo Strazburgensis ecclesie episcopus etc. 4 ) Im 
J. 788 überschreibt aber gar B. Rachio seine Canonen- 
sammlung: Ego itaque Rachio hmnilis Christi servus ser- 
vorum Dei . . gracia Dei vocatus episcopus Argentoratensis 



1) Grandidier I. Prenv. No. 39. 

2) L. c. No. 43. 

3) L. c. No. 55. 

4) L. c. No. 63. 65. 68. 



Digitized by 



Google 



318 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

urbis in anno V. Episcopati mei. 1 ) Und diese Bezeichnung 
reicht bei den Strassburger Bischöfen noch ins 9. Jahr- 
hundert hinüber, aber nunmehr scheint sie wirklich nur 
noch den eben erwählten, aber noch nicht consekrirten 
Bischof zu bezeichnen, denn sowohl bei B. Adaloch in einem 
Diplom Ludwigs des Frommen 817 als bei B. Rathold in 
einem solchen Kaiser Lothars vom 29. Juli 840 2 ) fallt sie 
mit der Erhebung zum Bischof zusammen, während letzterer 
schon im folgenden Jahre am 30. März in einem Diplome 
Ludwigs des Deutschen einfach Bischof heisst. 8 ) 

Damit ist aber das Beweismaterial der Strassburger 
Urkunden noch nicht erschöpft. Abgesehen von einem nicht 
bestimmbaren Ardolinus vocatus episcopus, welcher die Ur- 
kunde Widegerns unterschreibt, findet sich unter den Unter- 
schriften der Schenkung Heddo's von 749: in Dei nomen 
Hiddo peccator vocatus episcopus von Autun, dessen Er- 
nennungszeit sich nicht mehr feststellen zu lassen scheint, 
aber jedenfalls, da die Unterschrift erst später als 748, zu 
Attigny 762, hinzugefügt ist, früher als die Unterzeichnung 
der Schenkung Heddo's liegt. B. Remedius von Ronen 
(seit 755) unterschreibt zwar Heddo's Urkunde nur: In Dei 
nomine ego Remedius peccator donum Dei Episcopus, aber 
zu gleicher Zeit in Attigny: Remedius vocatus episcopus 
civitas Rodoma. 4 ) In einer weiteren Urkunde von 778 
schreibt der Passauer Bischof Walderich (seit 774): Ego in 
Dei nomine Waldericus vocatus episcopus, sowie Baldebert 
von Basel (seit den Tagen des P. Zacharias 741 — 752): Ego 
Waldebertus vocatus episcopus. 6 ) 



1) L. c. No. 78. 

2) L. c. No. 91. 114. 

3) L. c. No. 115. 

4) Pertz, leg. I, 30. Oelsner S. 366. 

5) Giandidier II. No. 73. Oelsner S. 365. Die Annal. Alam. 
bei Pertz, SS. I, 26 haben: 751 Baldebertus episcopus benedietus. 



Digitized by 



Google 



Friedlich: Die vocati episcopi der Passauer Urkunden etc. 319 

Der Bischof Tello von Chur, welcher schon längst 
Bischof war, als solcher 759 — 60 bei Bischof Sidonius von 
Constanz zu Gunsten St. Gallens umsonst intervenirte und 
762 den Todtenbund von Attigny unterschrieb, nennt sich 
in seinem Testament vom 15. Dezember 765: ego indignus 
Tello vocatus episcopus, und damit gar kein Zweifel übrig 
bleibt, dass er wirklich consekrirter Bischof sei, sagt 
er in demselben auch: ego Tello peccator ordinatus epis- 
copus, sowie: qui (Jesus Christus) me etiam indignum et 
exiguum omnium servorum Dei, non meis meritis, sed sua 
dementia inter praesules ecclesiae suae dignatus est col- 
locare. l ) 

Die Bezeichnung vocatus episcopus treffen wir auch 
bei Sindpert von Augsburg, zwar nicht in den Urkunden 
von Murbach, in welchen er genannt wird, aber in dem 
Formelbuch von St. Gallen: Sindbertus gracia Dei vocatus 
episcopus atque abba de monasterio Morbac 2 ) und : Sind- 
bertus donum Dei vocatus episcopus atqne abba de mona- 
sterio Morbac. 3 ) Da aber Sindpert nach allgemeiner An- 
nahme früher Bischof von Augsburg als Abt von Murbach 
gewesen wäre, so nannte er sich, obwohl er consekrirter 
und sesshafter Bischof war, doch vocatus episcopus. Vor 
oder nach seiner Uebernahme der Abtei Murbach fiele dann 
die Formel, worin er sich Sindpertus episcopus nennt. 4 ) 

In den bayerischen Bisthümern kommt der Ausdruck, 
wenn wir zunächst von Erchanfried und Otkar noch ab- 
sehen, im VIII. Jahrhundert nicht vor, jedoch sehen wir, 
dass er den Vertretern derselben nicht ganz fremd war, in- 
dem sich der Passauer Bischof Walderich in einer Strass- 
bnrger Urkunde von 778, also vier Jahre nach seinem Amts- 



1) Eichhorn, Episcopat. Curiens. Cod. probat. No. 2. 

2) Roziere Recueil form. 677. 

3) L. c. form. 678. 

4) L. c. form. 742. 



Digitized by 



Google 



320 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

antritt, vocatus episcopus nannte. Auch ist es wahrschein- 
lich, dass Urolf von Passau noch in der Weise des VIII. 
Jahhrhunderts um 805 eine Urkunde, in der es zuerst von 
ihm heisst: in praesenti Urolfo episcopo et omnium nobi- 
liuni, unterzeichnete: Et iterum ego Urilfus tarnen per dei 
misericordiam in ore episcopus vocatus. 1 ) Nicht mehr 
zweifelhaft kann es aber sein, wenn er 806 schrieb : Et ego 
Urolf tarnen per Dei misericordiam vocatus episcopus. 2 ) Auch 
schon darum konnte er übrigens den bayerischen Bischöfen 
nicht fremd sein, weil sich B. Rachio von Strassburg in 
der Einleitung zu seiner Canonensammlung, welche auch in 
Bayern bekannt war, so benannte, obwohl er schon im 
fünften Jahre seines Episkopates stand. Aus ihr nämlich 
stammt ohne Zweifel der, soviel ich sehe, hier allein vor- 
kommende Eintrag in das Verbrüderungsbuch von S. Peter 
in Salzburg: rachto vocatus episcopus. 8 ) Nur weil Karajan 
diesen Umstand übersah, sowie der Meinung war, vocatus 
episcopus heisse allein der nicht consekrirte Bischof, kam 
er über blose Vermuthungen über diesen Eintrag nicht 
hinaus: „Vocatus wird aber in der Sprache der Kirche ein 
Bischof genannt, so lange er noch nicht consecrirt ist. Diess 
Hesse schliessen, dass Rachto an dieser Stelle im Jahre 783 
oder kurz vorher eingetragen worden sei. Dem widerspricht 
aber die für d ermittelte Eintragszeit, welche das dritte bis 



1) M. b. 28. 2. No. 48. 

2) L. c. No. 31. — Allerdings schreibt auch Arn von Salzburg: 
Venerabilibus patribus, omnibus senatoribus, et coabbatibus italia manen- 
tibus, ego Arn exiguus et quasi abortivus servus servorum dei indignus 
vocatus abba et episcopus successor religiosissimi et famosissimi Virgilü 
in doinino salutera (Mon. boica 14, 351. No. 2); allein diese Formel ist 
zu unbestimmt, so dass man nicht weiss, ob sich vocatus nur auf abba 
oder auch auf episcopus beziehen soll. Wahrscheinlich daserstere; aber 
gerade hinsichtlich der Aebte ändert sich zuerst die Bedeutung des 
vocatus. 

3) Karajan, Das Verbrüderungsbuch v. St. Peter, col. 14, 3. 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Die vocati episcopi der Passauer Urkunden etc. 321 

achte Jahrzehend des neunten Jahrhunderts umfasst. Wir 
können diesen Widerspruch uns dadurch erklären, dass wir 
annehmen, d habe aus irgend einer anderen Vormerkung, 
welche bis zum Jahre 783 zurückreichte, den Bischof Rachto 
sainmt jenem Beisatze hier unter die Lebenden herüberge- 
tragen . . ." Die Hand d hatte allerdings eine Vorlage 
vor sich, welche, wenn zwar nicht bis 783, doch bis 788 
zurückreichte und Rachto, den consekrirten Bischof Rachto, 
als vocatus bezeichnete, nämlich seine oben erwähnte Canonen- 
sammlung. 

Uebersehen wir nun alle Fälle, in denen Bischöfe im 
VIII. Jahrhundert sich des Ausdrucks vocatus episcopus be- 
dienten, 1 ) so bezeichnet er nie wedereinen Chorbischof 
(Gaubischof) noch auch einen ernannten, nicht con- 
sekrirten Bischof. 

Oelsner kann sich für die letztere Annahme auch nur 
auf die epistola vocatoria im Liber diurnus berufen, von 
der schon die Rede war, ferner auf die zu spät liegende, 
ebenfalls oben berührte Unterschrift Hinkmars von Rheims 
und endlich auf die Unterschrift des Bischofs Johannes von 
Constanz : Ego Johannis ac si peccator vocatus episcopus 
sive abbas in der Urkunde 36 bei Wartmann. Es kann 
sich aber nur um diesen handeln. Ich muss jedoch ge- 
stehen, dass ich vorweg bezweifle, ob hier der Ausdruck 
den nicht consekrirten, aber ernannten Bischof bezeichnen 
solle; denn wenn die Formel vocatus episcopus, wie hier, 
mit ac si peccator vervollständigt wird, ist sie durchgehends 
der Ausdruck der Demuth. Es kommt aber hinzu, dass 
Wartmann und Oelsner hinsichtlich der Datirung differiren, 



1) Oelsner S. 476 weist noch auf Fulcharios vocatus indignus 
episcopus, Vulfrannus vocatus episcopus unter den Unterschriften der 
Urkunde Chrodegangs für Gorze 757 hin und bemerkt selbst, dass Folc- 
ricus schon 748 Bischof von Lüttich war. 

[1882. I. Philos.-philol. bist Cl. 2.] ' 21 



Digitized by 



Google 



322 Sitzung der hifttor. Classe vom 4. Februar 1882. 

der erstere sie auf den 18. August 762 l ) der letztere gerade 
wegen des Ausdrucks vocatus episcopus auf den 18. August 
760 ansetzt, 2 ) indem es sich darum bandelt, von welchem 
Jahre die Regierungsjahre K. Pipins zu rechnen sind. In- 
dem aber Oelsner in dieser Urkunde dem Ausdrucke vocatus 
episcopns die signifikante Bedeutung: erwählt, aber nicht 
consekrirt beilegen will, sieht er sich gezwungen, die ähn- 
liche Formel des B. Johannes : Ego in Dei nomine Johannes 
episcopus, Dei dono vocans (vocatus bei Neugart) episcopus 
et abbas vom 29. März 779, 8 ) sowie die andere: In Dei 
nomine Johannes episcopus Dei gratia abbas vocatus 4 ) von 
780 dahin abzuschwächen : „ . . . in den übrigen 7 Ur- 
kunden Johann's . . . kehrt der gleiche Ausdruck nicht 
wieder; denn Dei dono vocans in No. 87 bedeutet nur so 
viel als: heissend, genannt; derselbe Sinn liegt in der ver- 
änderten Wortfolge der No. 93 : Johannis episcopus, gratia 
Pei abba vocatus.' 4 

Allein diese Gründe kann ich nicht als entscheidend 
betrachten. Dass B. Johannes den Ausdruck vocatus später 
nicht mehr gebrauche, ist schon darum zu beschränken, 
weil er allerdings in zwei folgenden (Nr. 87. 93) noch 
vorkommt ; entscheidet aber insofern nichts, als auch andere 
Bischöfe ihn bald gebrauchen, bald nicht. Von B. Sind- 
pert z. B. ist er zweimal in den Formeln von S. Gallen 
gebraucht, einmal nicht, und in den von Schöpflin mitge- 
theilten vier Urkunden schreibt Sindpert kein einziges Mal 
sich vocatus episcopus, während wohl die Schreiber der- 
selben sich ab wechslungs weise vocatus presbjter (der näm- 
liche auch blos presbjter) und vocatus monachus nennen. 5 ) 



1) Wartmann, Urkundenbuch der Abtei S.Gallen I, 38 No.36. 

2) Oelsner S. 514. 

3) Wartmann No. 87. — Neugart No. 74. 

4) Wartmann No. 93. — Neugart No. 77. 

5) Schöpflin No. 63. 64. 65. 66. 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Die vocati episcopi der Passauer Urkunden etc. 323 

Dann hat Oelsner zweifellos mit Unrecht die Datirung 
Wartmann's bestritten und die Urkunde um zwei Jahre 
früher angesetzt. Es geht dies aus dem von ihm ganz 
übersehenen Umstände unwiderleglich hervor, dass der 
Schreiber der Urkunde vom 18. August (Nr. 36) sich Au- 
doinus presbiter nennt, während er in den Urkunden 
Nr. 27 vom 27. März 761 und Nr. 33 vom 15. Jan. 762 
sich noch als Audoinus lector und Autwinus lector be- 
zeichnet. Da es aber kein Aufsteigen vom presbiter zum 
lector gibt, sondern umgekehrt Audoinus nur vom lector 
zum presbiter aufgestiegen sein kann, so muss nothwendig 
die Urkunde Nr. 36 vom 18. August im Jahre 762, wie 
Wartmann annahm, geschrieben sein, nicht, wie Oelsner 
will, 760. *) «Es ist dann aber auch nicht gestattet, mit 
Oelsner in der Datirung des Audoinus : anno fceptimo Pippino 
rege, anno octavo Pippino rege, anno nono regnante Pippino 
re. einen „Fehler der Urkunde" anzunehmen; es müsste denn 
sein, dass man behaupten wollte, Audoinus habe nicht blos 
hinsichtlich des Datums sondern auch der Angabe seines 
Charakters lector und presbiter irrig geschrieben. 

Mit der Feststellung dieser Urkunde Nr. 36 als am 
18. August 762 geschrieben ist aber auch der letzte An- 
halt geschwunden, dass im VIII. Jahrhundert ein Bischof, 
der sich vocatus episcopus nannte, sich als erwählten, aber 
noch nicht consekrirten Bischof bezeichnen wollte. 

Ein anderes Resultat wird sich aber auch aus den 
Formelbüchern nicht gewinnen lassen. Die unter die 
S. Gallener Formeln aufgenommenen Briefe des B. Sindpert 
sind schon besprochen. Dann bleibt aber nur noch weniges 
Material übrig, und dieses ist äusserst schwierig zu be- 

1) Neugart Cod. dipl. Alem. I. No. 31 übersieht ebenfalls die 
Bezeichnung Audoins als presbiter und setzt die Urkunde am 18. Aug. 
760 an. — Ueber einen Fall, wie er nach der Ausführung Oelsners an- 
genommen werden müsste, vgl. Wartmann I. No 6, Anmerkg. 

21* 



Digitized by 



Google 



324 Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882. 

handeln, da es nur selten möglich ist deren Alter genau 
festzustellen und die Bezeichnung vocatus episcopus ihrer 
Bedeutung nach zu bestimmen. Marculf selbst hat den 
Ausdruck überhaupt nicht, wohl aber kommt er in dem 
Anhang zu seinen Formeln vor. So : Igitur ego ille, sanctae 
ille ecclesiae vocatus episcopus, iniungo, mando et per has 
litteras delego tibi illo , fideli meo . . . *) Ich glaube aber 
nicht, dass ein erst erwählter, noch nicht consekrirter und 
in sein Bisthum eingeführter Bischof bereits die Verwaltung 
des Bisthams übernahm und bezüglich des Besitzstandes 
Anordnungen traf. Em wirklich consekrirter und sesshafter 
Bischof ist aber sicher in dem Tndiculum ad regem gemeint, 
wenn es heisst: Domino tarn piissimo religiosissirao , ego 
ille indignus vocatus episcopus, tarnen fidelis vester sum et 
omnia devotus.* 2 ) Ebenso verhält es sich mit der, wie es 
scheint, jüngeren Formel: Sanctis ac venerabilibus claraque 
culmina sacerdotum, illo vocato episcopo vel cuncto clero 
ecclesiae Bituricensis urbem, salutem in Domino, welche 
die Dimissorien eines Priesters betrifft. 8 ) In den folgenden 
commendatitias litteras differiren schon die Handschriften, 
indem die einen haben : Domino beatissimo et meritis vene- 
randum sancto patri illi abbate, ille in Domno perpetuam 
mitto salutem, eine andere aber schreibt : Domino beatissimo 
et meritis venerando sancto patri illo abbate sive episcopo, 
ego ille, ac si indignus, vocatus ille . . . 4 ) Zu der gewöhn- 
lichen Art gehört :... ille ultimus servorum Dei servus, ac 
si vilis, ille infimus vocatus episcopus, salutem. — 5 ) De- 
siderabili domino perque magnifico et amantissimo magistro 
episcopo ac si vilis et indignus vocatus episcopus devot us 



1) Ro ziere, Kecueil No. 390. 

2) L. c. No. 636. 

3) L. c. No. 659. 

4) L. c. No. 665. 

5) L. c. No. 723. 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Die vocati episcopi der Passauer Urkunden etc. 325 

tarnen et fidelia orator perpetem in Christo pacem et sa- 
lutem ... ist die erste der Epistolae Alati, welche nach des 
Collegen Rockinger Untersuchung in der zweiten Hälfte 
des IX. Jahrhunderts entstanden sind. 1 ) 

Hingegen dürfte t die schon besprochene epistola voca- 
toria im Anhange des Liber diurnus, welche auch in den 
fränkischen Formeln sich findet, den Wendepunkt im Ge- 
brauche des vocatus episcopus bezeichnen. Es ist noch 
nicht gelungen, den Zeitraum genau zu begränzen, in welchem 
der liber diurnus entstand. Nimmt man aber mit de Roziere 
an, dass die Redaction desselben in den Jahren 685 bis 751 
stattgefunden, und beachtet man ferner, dass die epistola 
vocatoria wegen der Differenz der Handschriften als zum 
Anhang gehörig sich charakterisirt, so fällt ihre Entstehung 
etwa um das Ende des "VIII. Jahrhunderts, also kurz vor 
der Zeit, wo es allerdings üblich wird, dass die ernannten, 
noch nicht consekrirten Bischöfe sich vocatus episcopus 
nennen. 

Doch wenn es auch im VIII. Jahrhundert vorgekommen 
wäre, dass sich ernannte, nicht schon consekrirte Bischöfe 
vocatus episcopus genannt hätten, so wäre dies doch in 
Bezug auf den Punkt, welchen ich im Auge habe,, gleich- 
gültig. Ich wollte nur die Annahme untersuchen und, wenn 
möglich, beseitigen, dass vocatus episcopus im VIII. Jahr- 
hundert Coepiscopus (Coadjutor) oder Chor-, Gau- oder 
Regionarbischof bezeichnet habe. Dieses, glaube ich, ist 
mir aber vollkommen gelungen. Ist dieses aber der Fall, 
so müssen danach auch die in den Passauer Urkunden vor- 
kommenden vocati episcopi Erchanfried und Otkar beurtheilt 
werden. 

Die Stellen, in welchen sie genannt werden, lauten 



1) Rockinger, Drei Formelbücher, S. 171. No. 1 u. Einleitung 
S. 28. — Roziere No. 811. 



Digitized by 



Google 



326 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

aber : . . . illa prefata Eoza venit ad patavia civitate quando 
erchanfridus vocatus episcopus cum suis fidelibus ibidem 
fuisset et renovavit omnem traditionem *) . . . Hec igitur 
ego Sigiricus presbyter . . . renovavi traditionem meam, quam 
olim factam babueram ad sauctum §tephanum anteriorum 
episcoporum temporibus. Erchanfrido vocato episcopo prae- 
sente et donavi . . . 2 ) Dum non est incognitum, sed coram 
plurimis ponitur noticia qualiter Reginolf presbyter propriam 
hereditatem ad ecclesiam b. Stephani martyris infra rauro 
civitate Patavie tradidit sicut hie continetur ... In ea vero 
die manentibus Otkario vocato episcopo una cum fidelibus 
suis in loco nuneupante ad Puoche, ubi preciosus martyr 
Florianus corpore requiescit ut ipso praefato presbytero a 
nobis humiliter rogante praestare ei quasdam causas a s. 
Stephano una ad Ofterigon, alia ad Tegerinpach. In ea 
vero ratione econtra suam traditionem ipse renovavit. qnia 
antea coram Erchanfrido vocato episcopo similiter fecit, et 
nobis placuit atque convenit. 8 ) 

Die Folgerungen daraus zu ziehen, kann ich unter- 
lassen; aber ich meine, man sollte, auch wenn man mit 
Dümmler Erchanfried und Otkar zu gleicher Zeit und neben 
Rupert im VIII. Jahrhundert auftreten lässt, 4 ) dieses Auf- 
treten beider Bischöfe zugleich mit der Erwähnung von 
vorausgehenden Bischöfen (anteriorum episcoporum) nicht 
ignoriren, sondern als hochwichtige Zeugnisse anerkennen, 
und diesen Bischöfen ihre Stelle auch nicht dadurch ver- 
kümmern, dass man sie zu blossen Regionär- oder Gau- 
oder Chorbischöfen herabdrückt. 



1) M. b. 28. 2. No. 78. 

2) L. c. No. 44. 

3) L. c. No. 38. 

4) Dümmler, Piligrim von Passau S. 4 f. 151. 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 327 

IL Der Bischof Oadälhart (Udalhart) der Freisinger 
Urkunden als Bischof von Neuburg. 

Ein anderer Punkt, den ich noch bei dieser Gelegenheit 
besprechen möchte, betrifft die Methode, Bischöfe, welche 
in Schenkungsurkunden einer Diöcese neben dem Diöcesan- 
bischof vorkommen und deren Sitze nicht bekannt sind, 
sofort und ohne Bedenken zu Hilfsbischöfen oder auch zu 
Chorbischöfen dieser Diöcesanbischöfe zu machen. Dieses 
Verfahren hat sich namentlich in der Behandlung der Frei- 
singer Urkunden, auch jüngst noch in den fleissigen Ar- 
beiten unseres verstorbenen Collegen, des Grafen Hundt, 
geltend gemacht. Man kann auf diese Weise allerdings die 
Reihe der Freisinger „Weihbischöfe 41 bis in das VIII. Jahr- 
hundert hinauf verfolgen, wie ich aber an einem Beispiele 
zeigen werde, mit Unrecht. 

Bei der vorausgehenden Untersuchung begegnete mir 
in den Freisinger Urkunden auch der Bischof Oadälhart, 
und es lässt sich nicht leugnen : sein Auftreten kann Ver- 
legenheiten bereiten, wenn man seine Stellung nur aus den 
Freisinger Urkunden allein zu beurtheilen versucht. Allein 
auch sie, das muss ich schon hier bemerken, zwingen nicht 
zu der Annahme, dass er ein Freisinger Weihbischof sein 
muss. Meichelbeck selbst hielt ihn für einen Freisinger 
Chorbischof, 1 ) Resch glaubte ihn aber verbessern und Oadäl- 
hart zu einem Coepiscopns oder Coadjutor von Freising 
machen zu sollen. 2 ) Ich selbst habe schon in meiner Kirchen- 
geschichte Deutschlands darauf hingewiesen und unter dem 
Vorbehalt, später darauf zurückzukommen, kurz zu begründen 
gesucht, dass Oadälhart Bischof von Neuburg gewesen ist. 3 ) 



1) Meichelbeck, h. Fr. I, 88. 

2) Resch, Annal. Sabion. I, 712. No. 484. p. 772. n. 647. 

3) Friedrich, Kirch.-Gesch. Deutschlds. II, 652. n. 2082. 



Digitized by 



Google 



328 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882, 

Gleichwohl hat Graf Hundt neuerdings die Annahme Resch 1 
in seiner Schrift: Die Urkunden des Bisthums Freising aus 
der Zeit der Karolinger — wiederholt und geschrieben (S. 56): 
„Bischof Oadalhart steht neben Bischof Arbeo zuerst in 
einer Urkunde vom 16. November 777 in villa publica vel 
Castro Frisinga. Während des Wechsels der Bischöfe Arbeo 
und Atto scheint um das Jahr 784 eine weitere Urkunde 
ausgestellt, ohne Tag und Ort, worin Oadalhart allein als 
Bischof erscheint. Mit Bischof Atto ist er dann in Tegern- 
see im Juni 804, ohne ihn im Juli 807 im Kloster Caroz, 
Gars am Inn, bei Erzbischof Arno, dann mehrmals in Frei- 
sing und zuletzt am 8. September 809 genannt. Er scheint 
demnach die Funktionen des Weihbischofs in Freising unter 
den Bischöfen Arbeo und Atto 777 — 810 versehen zu haben. 
Niemals wird er Chorepiscopus oder vocatus Episcopus ge- 
nannt 41 . 

Diese ganze Beweisführung ist verfehlt; denn weder 
folgt aus der Unterschrift eines Bischofs neben dem Diöcesan- 
bischof, dass derselbe des letzteren Coadjutor oder Weih- 
bischof sein muss, noch aus dem sonstigen Auftreten Oadal- 
harts, dass er in Freising seinen Sitz gehabt hat. Die 
Regesten des Grafen Hundt selbst beweisen dies auf's 
schlagendste. 

In gleicher Weise nämlich, wie Oadalhart neben Arbeo 
und Atto unterschreibt, thun es auch andere Bischöfe, z. B. 
Manno (zu Freising) : Signa joseph epi,Maunoni epi (Reg.19); 
AI im (zu Freising): Inprimis doranus dux Tassilo testis; 
deinde Alim et Heres epi . . . und am Schlüsse noch: T. Vir- 
gilius eps, Wisurih eps (Reg. 38); Virgilius (zu Freising): 
in manus Arbeonis epi. T. Virgilius (Reg. 52); Virgilius 
(zu Passau) : Virgilius eps rogitus a Wisurihho epo (Reg. 95); 
Virgilius als Abt: Signa Virgilii abb. (Anhg. I. No. 3) 
Es kann durchaus kein Zweifel daran bestehen, dass diese 
Bischöfe, wenn man ihre Sitze nicht kannte, ebenfalls zu 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 329 

Coadjutoren oder Weihbischöfen von Freising u. s. w. ge- 
macht würden. Das Verfahren wäre irrig ; aber ebenso 
unstatthaft ist es, aus einer gleichen Unterschrift des Oadäl- 
hart sofort darauf zu schliessen, dass er ein Coadjutor der 
Bischöfe Arbeo und Atto von Freising gewesen. 

Es ist aber eben so falsch, von einer Häufigkeit seines 
Aufenthalts in Freising zu sprechen oder gar, wie Meichel- 
beck, zu behaupten, hie und da scheine er deutlich als 
zum Freisinger Klerus gehörig bezeichnet zu sein. Oadäl- 
hart erscheint in Anbetracht seiner langen Amtsthätigkeit 
(c. 774 bis c. 809) kaum öfter in Freising als Zeuge unter- 
schrieben als andere Bischöfe, und in der Regel ist noch 
die Veranlassung seiner Anwesenheit dort oder anderwärts, 
entweder Tagen der Bischöfe oder der Sendboten, angegeben. 

Allein ist er in Freising 789 (?), obwohl der Ort 
nicht angegeben ist : Actum est haec in praesentia Domni 
Attonis Episcopi, et Oadalharti Episcopi (M. nr. 98), und 
später wo es zweimal heisst: in praesentia Attonis Epis- 
copi, seu Oadharti Episcopi.. und: Actum est haec in 
IUI. Non. Aprilis in domo s. Mariae seu s. Corbiniani 
conf. Christi in praesentia Attonis Episcopi, et Oadalharti 
Episcopi . . . (M. 157). Dagegen tritt er dreimal zugleich 
mit anderen Bischöfen oder Aebten auf. So 777 
in Freising zugleich mit Virgilius : . . Duce consentiente vel 
Proceribus, qui ibidem esse potuerunt Virgilio praesente 
Episcopo, hos testes per aures utrisque partibus tradiderunt 
. . . Arbeo , Oadälhart testes , seu alii quam plurimi layci 
(M. 54). Zugleich mit einem Abte (in publico placito) in 
einer undatirten Urkunde: Actum est haec in praesentia 
Attonis Episcopi, et Oadalharti Episcopi, Meginhart abbatis 
(M. 250), und ebenso: Actum est haec in praesentia cunctae 
familiae s. Mariae, seu aliorum, qui praesentes adfuerunt, 
qucfrum nomina haec sunt: inprimis Oadälhart Episcopus, 
Sigimoat vocatus Abbas (M. 285). Die anderen Male be- 



Digitized by 



Google 



330 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

gegnet er uns nur noch ausserhalb Freising, aber wieder 
zugleich mit anderen Bischöfen oder mit Aebten. Das ist 
der Fall 804 zu Tegernsee. Nachdem schon auf einem Con- 
vente von Bischöfen und Aebten zu Regensburg eine An- 
gelegenheit zwischen B. Atto von Freising und Abt Adal- 
bert von Tegernsee verhandelt worden war (coram Epis- 
copis, et Abbatibus . . . Inprimis Altheus Episcopus, Walterich 
Episc, Arn Episc., Itheri Abbas etc.), wurde sie neuerdings 
der Gegenstand einer Vergleichung auf einem pro hoc an- 
gesagten publicum placitum, et qualiter adunata est cohors, 
et stipata caterva in loco, qui dicitur in Tegarinseo ad 
translationem corporis s. martyris Christi Quirini hie in- 
telligitur. Ipso die resedentibus viris inlustrissimis Arnonem 
Archi-Episc, Attonem Episc, Oadalhardum Episc, Hiltigero 
vocato Episc, Maginhardo Abbate etc. (M. 121). Im J. 807 
tagen die Sendboten Erzbischof Arn und die Grafen Orendil 
und Amalrih zu Kloster Gars; auch hier ist Oadalhart 
ebenso wie Atto anwesend : Et haec nomina testium per 
aurem tracti in conspectu Arnonis, et Oadalharti Episcopis, 
et in conspectu Amalricis, et Orendil Comitibus etc. (M. 1 24). 
Endlich begegnet er in einer Urkunde, deren Ausstellungs- 
ort fehlt, in welcher aber, wie Hundt vermuthet, Oadalhart 
als Freisinger Weihbischof die Geschäfte des Bisthums zwischen 
dem Tod Arbeo's und dem Antritt des Bischofs Atto ge- 
führt zu haben scheint. Allein die Vermuthung wird durch 
nichts gestützt. Die Veranlassung zum Erscheinen des 
Oadalhart war ein Tag, den Herzog Tassilo, unbestimmt 
an welchem Orte, hielt, und wozu auch noch Aebte und 
Andere zusammengekommen waren : Signum Huuasmoti. 
Signum Tassiloni duci. Signum Oadalharti Episcopi. Signum 
Hunrih abbatis. Signum Frichoni presbyteri. Signum Sigideo 
Abbatis . . . (M. 97). Er ist bei der auf diesem Tage ge- 
machten Schenkung eben Zeuge, wie die übrigen auch, und 
keine Silbe deutet an, dass die Schenkung zur Freisinger 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Der Oadalhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 331 

Kirche, und zwar durch die Hände des Oadalhart vermacht 
worden wäre. Die Urkunde ist sogar ganz so abgefasst, 
wie die über eine Schenkung Tassilo's an die Freisinger 
Kirche, welche bei Meichelbeck (M. 11) noch unter Bischof 
Joseph, der jedoch nicht erwähnt wird, gestellt ist: Inprimis 
Tassilo propria manu signum fecit. Signum Virgilii Abbatis. 
Signum Reginperti . . . Gesetzt aber auch den Fall, Oadal- 
hart hätte sich während der Sedisvakanz nachweislich in 
Freising aufgehalten, so würde dies noch nichts beweisen, 
indem es recht gut zu denken wäre, dass er als Visitator 
zum Schutze der Kirche sich dort befand, wie z. B.^im 
Liber diurnus eine Formel eine solche Anweisung enthält. 1 ) 

Aus diesem fünfmaligen Auftreten Oadalharts in Freising 
lässt sich also durchaus kein Schluss darauf ziehen, dass er 
in Freising seine Stellung hatte, da Virgil von Salzburg 
ebenfalls drei-, oder vielleicht viermal als Zeuge in Freising 
erscheint. Ich möchte hinzufügen, dass es geradezu un- 
glaublich wäre, dass Oadalhart in den zahlreichen, in Freising 
selbst errichteten Urkunden nicht öfter hätte genannt werden 
sollen, als es wirklich der Fall ist. Was mir aber ganz 
besonders wichtig erscheint, ist der Umstand, dass er gerade 
bei mehreren von den Sendboten Arn von Salzburg und 
Adalwin von Regensburg zu Freising gehaltenen Gerichts- 
tagen nicht anwesend ist (M. 115. 116. 117). 

Ich weiss, dass ich mit dieser Ausführung nur die bis- 
her üblichen Beweise als unzureichend dargethan, keines- 
wegs aber auch die Annahme beseitigt habe, dass Oadalhart 
trotzdem Weihbischof in Freising gewesen sei. Es wird 
darum noth wendig sein, den Sitz desselben nachzuweisen, 
weil erst dann die eben berührte Annahme ganz unhaltbar 
geworden ist. Ich glaube nun, dass der Beweis vollständig 
geliefert werden kann. 



1) Lib. diurn. form. 109, ed. ßoz. p. 251. 



Digitized by 



Google 



332 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

Wir sahen, dass der Bischof Marino gerade so neben 
dem Bischof Joseph von Freising auftrat, wie später Oadal- 
hart neben den Bischöfen Arbeo und Atto. Die Bischöfe 
sämmtlicher bayerischer Bisthüraer seit ihrer festen Ein- 
richtung durch Bonifatius sind uns aber bekannt, nur für 
Manno ist uns ein Nachfolger nicht bekannt. In der Ge- 
bets-Convention der bayerischen Bischöfe zwischen 771 bis 
773 (?) tritt Manno, wahrscheinlich als der älteste dem 
Weihealter nach, noch an der Spitze derselben auf: Manno, 
Alim, Virgilius, Wisurih, Sindperht, Heres epi. 1 ) Seitdem 
verschwindet er, und zeitlich zusammentreffend tritt nun- 
mehr lange Jahre hindurch zu den bayerischen Bischöfen 
ein Oadalhart episcopus hinzu, ohne dass sein Sitz genannt 
würde. Es liegt nahe in diesem Bischof den Nachfolger 
Manno's zu erblicken, mit Hilfe des Verbrüderungsbuches 
von S. Peter in Salzburg können wir ihn aber als solchen 
auch nachweisen. In die Columne 70 trug die erste Hand 
die gestorbenen bayerischen Bischöfe mit Ausnahme der 
Salzburgischen ein und darunter auch Manno ; in Columne 35 
hingegen die lebenden, und zwar, wie die Regierungsjahre 
derselben zeigen, zwischen 784 und 792. 2 ) Da finden wir 
nun folgende Reihenfolge: 

Ordo episcoporum viv. 

aljni ep. et congregatio ipsius 

sindperht ep. et cong. ips. 

u dal hart ep. et cong. ips. 

chaldrih (Waldrih) ep. et cong. ips. 

atto ep. et cong. ips. 



1) Pertz, leg. III, 461. Hundt, die agilolf. Urk. p. 215 No.14. 

2) Ueber die Hand a vgl. Karajan, Verbrüderungsbuch, p. IX, 
der schliesslich sagt: „die Hand a hat somit im äussersten Falle in 
den letzten beiden Jahrzehnten des 8. und dem ersten des 9. Jahrh. 
eingetragen. Wahrscheinlich aber schon vor dem 13. August 780." 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 333 

Es kann nun kein Zweifel sein, dass wir hier die 
Fortsetzung der schon erwähnten Gebets-Convention der 
bayerischen Bischöfe vor uns haben, und zwar ihrem Weihe- 
alter entsprechend (Alim c. 769 bis c. 806; Sindpert 766 (?) 
bis 791 2 ); üdalhart c. 774; Waldrich 774 bis 804; Atto 
784 bis 811). Die Bischöfe, welche die erste Gebets-Con- 
vention schlössen und inzwischen gestorben sind (in Co- 
lumne 70 sämmtlich verzeichnet) , sind insgesammt ersetzt 
bis aufManno; aber statt seiner erscheint Üdalhart. Schon 
der Eintrag mitten unter den lebenden bayerischen Bischöfen 
bezeichnet ihn als einen Bischof mit einem Sitze in Bayern. 
Da aber ausser dem des Manno kein anderer übrig ist, und 
üdalhart in der Liste der Lebenden genau die Stelle Manno's 
in der Todtenliste einnimmt, so muss dieser wohl in üdal- 
hart seinen Nachfolger gefunden haben, und da Wisurich 
von Passau (f 774) nach Manno in die Todtenliste, üdal- 
hart hingegen vor Waldrich von Passau (seit Aug. 774) 
in die Reihe der lebenden Bischöfe eingetragen ist, so dürfte 
Manno 773 oder vielleicht schon 770 gestorben sein, da er 
auf einem Conyente Tassilo's mit sämmtlichen bayerischen 
Bischöfen in Freising am 26. September 770 (M., hist. Fr. 
I, 68) nicht mehr ist, und üdalhart ihm spätestens in der 
ersten Hälfte des Jahres 774 gefolgt sein. 

Ganz und gar unhaltbar ist aber gegenüber dem Ver- 
brüderungsbuch die Annahme geworden, dass Oadälhart 
Freisinger Weihbischof gewesen ; denn Oadälhart erscheint 
nicht blos ebenbürtig unter den bayerischen Bischöfen, 
sondern das Entscheidende liegt in der Beobachtung, dass 



1) Da Alim hier wie in der Gebets-Convention oben dem Sindpert 
vorangesetzt wird, ist dieser ohne Zweifel der jüngere Bischof. Dass 
man in der That in Col. 35 u. 70 chronologische Einträge hat, zeigt 
der Umstand, dass der Todtenliste col. 70: Sigirih (761—768), Manno 
(c. 759—773), Wisnrih (t vor Aug. 774) der Ersatz in der Liste der 
Lebenden entspricht: Sindpert, üdalhart, Waldrih. 



Digitized by 



Google 



334 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

er wie Atta von Freising eine Coagregation unter sich hat, 1 ) 
also einen, nm mich so auszudrücken, bischöflichen Klerus. 
Zwei Congregationen als bischofliche Kleriseien hat aber 
noch Niemand für Freising im VIII. Jahrhundert nachge- 
wiesen. Aber Klostervorstand konnte Udalhart ebensowenig 
sein, da die lebenden Klostervorsteher Bayerns neben den 
lebenden Bischöfen eine besondere Columne (36) haben. 
Oadalhart und seine Congregation müssen also anderwärts 
ihren Sitz gehabt haben, wie wir sahen, in Neuburg. Es 
ist jedoch möglich, dass er, wie eine Reihe anderer Bischöfe, 
ebenfalls aus dem Freisinger Domklerus stammte, da in der 
That zweimal, um 760 und 770, ein Kleriker Oadalhart in 



1) Das sah übrigens schon Earajan ein, der zu col. 35, 23 be- 
merkt : „ udalhart ep. et cong. ips. Den hier genannten Bischof, der in 
Freisinger Urkunden öfters als ,Oadalbardus episcopus' vorkommt, hält 
Meichelbeck für einen Land- oder Regionarbischof. Vergl. dessen hist. 
Fris 1, 1, 88 und 1, 2, 79. Mich macht aber der Zusatz auf unserer 
Zeile ,et cong. ips.' bedenklich. Es scheint mir nämlich derselbe eher 
auf den Vorstand einer Ordens-Congregation, also einen Bischof mit 
bleibendem Sitze, zu weisen. Die Urkunde 1. c. 1, 2, 79, in welcher 
Odalhart als gegenwärtig erscheint, gehört übrigens in 's Jahr 788. Resch 
in den Annal. Sabion. 1, 712 Note 484 hat eine ganze Reihe (sie) von 
Urkunden aufgeführt, in denen Odalhart wiederholt neben dem Bischof 
Atto von Freising und als derselben ,familiae s. Mariae' angehörig be- 
zeichnet wird.* Hundt hat leider das Verbrüderungsbuch zu seinen 
Arbeiten wenig herangezogen. Was übrigens die auch von Earajan hin- 
genommene Behauptung Meichelbeck's betrifft, dass Oadalhart als zum 
freisingischen Klerus gehörig erscheine, so ist dieselbe durchaus falsch; 
denn das besagt nicht N. 157: in praesentia Attonis Episcopi et Oadal- 
harti Episcopi, seu praedietae familiae s. Mariae, denn dann müssten, 
wie gezeigt, auch andere Bischöfe Bayerns zu der familia s. Mariae in 
Freising gehört haben. Im Gegentheil nimmt ihn die Urkunde N. 258 
ausdrücklich aus der Familia s. Mariae aus: in praesentia eunetae 
familiae s. Mariae seu aliorum, quorum nomina haec sunt: 
inprimis Oadalhart Episcopus, Sigimoat vocatus abbas etc. So wenig 
Sigimoat zu dem Freisinger Klerus nach dieser Formel gehörte, eben- 
sowenig Oadalhart. 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 335 

Freisinger Urkunden auftritt; vielleicht ebendeswegen kam 
er auch manchmal nach Freising, ohne durch öffentliche 
Angelegenheiten dahin gerufen zu sein. 

Die Erinnerung an Oadälhart als Bischof von Neuburg 
ist auch später nicht ganz erloschen. Schon im Verbrüder- 
ungsbuche von S. Peter können wir bemerken, dass die 
Hand i, welche nach Karajan seit c. 820 eintrug, das Ge- 
dächtniss desselben festhalten wollte. Sie schrieb nämlich 
zu der Columne 70 und gerade zu den verstorbenen baye- 
rischen Bischöfen odalhart, freilich ohne den Beisatz epis- 
copus, aber ich meine doch, dass der Eintrag unter der 
Ueberschrift : Ord. comm. epor. vel abb. defnnct. zwischen 
zwei Columnen von Bischöfen und Aebten unseren Oadälhart 
betreffen sollte. 1 ) Ebenso hatte man auch in Benedikt- 
beuern noch einige Jahrhunderte später, offenbar auf Grund 
älterer Aufzeichnung, die Kenntniss davon, dass Oadälhart 
der Nachfolger Manno's von Neuburg war. Kunstmann 
hat zum ersten Male, ohne die Notiz in unserer Richtung 
weiter zu verfolgen, darauf aufmerksam gemacht.. Er ent- 
nahm dieselbe dem Cod. Ben. 118 saec. X/XI (jetzt Cod. 
lat. Monac. 4618). In ihm ist nämlich bei der Vertheilang 
der bischöflichen Sitze, Bayerns durch Bonifaz in Willibaldi 
vita s. Bonifatii c. 7 eingefügt: Quartum (episcopum) in 
Nova civitate nomine Mannonem, cui Uodalhart episcopus 
successit. 2 ) Dazu stimmen auch Annalen einer alten Hand- 
schrift, welche Lazius benützt und in Bezug auf unsere 
Frage erhalten hat. Auch nach ihnen wäre Manno nicht 
ohne Nachfolger geblieben ; aber derselbe heisst nicht Oadal- 



1) Col. 21, 10 steht der Abt Adalhart von Corbie auch ohne den 
Beisatz Abb. eingetragen. 

2) Kunstmann, Bemerk, üb. eine ungedr. Stelle aus der Lebens- 
beschreibung des h. Bonifacius. Oberbay. Archiv. I, 155. — Jaffe, Mon. 
Mog. p. 457. 



Digitized by 



Google 



336 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

hart, sondern Hildegart. 1 ) Ich glaube aber, dass hier nicht 
ein unter anderen Verhältnissen leicht denkbarer Fehler 
des Schreibers untergelaufen ist, indem er Hildegart statt 
Oadalhart schrieb, sondern eine Combination vorliegt, welche 
absichtlich Hildegart statt Oadalhart setzte. Jm J. 804. 
kommt nämlich auf dem schon erwähnten Tage zu Tegern- 
see unmittelbar hinter Oadalhart: Hiltigero vocato Episcopo, 
und dieser Hiltiker verdrängte wahrscheinlich bei dem Anna- 
listen des Lazius den Oadalhart, wie es noch bis in die 
neuere Zeit bei den Schriftstellern der Fall ist. „Resch, 
schreibt Graf Hundt, glaubt in seinen Sebener Annalen 
Hiltikern wegen des Vorhandenseins zweier Bischöfe in 
Freising anderwärts unterbringen zu sollen , und weist auf 
das Bisthnm Neuburg hin. Rettberg (in seiner Kirchen- 
geschichte Deutschlands) ist geneigt, in Hiltiker jenen Hilde- 
gart zu erkennen, welcher nach einer Vormerkung bei Wolf- 
gang Lazius aus ungenannten Annalen dem Bischof Mammo, 
vielmehr Manno, zu Neuburg gefolgt sein soll. Nach Anton 
Winters in seinen Vorarbeiten für Bayerns Kirchengeschichte 
entwickelten Ansichten hätte das Bisthum Neuburg bis zum 



1) Lazius, de gentium aliquot migrationib. Frcf. 1600, p. 232. 
Es ist von der kirchl. Eintheilung Bayerns durch Bonifatius die Rede, 
dann fährt er fort : Haec ex antiquo Annalium codice, ubi praeterea ista 
leguntur, sub paragrapho Zachariae Romani episcopi: Jste Zacharias, 
rogante Carole rege, duos episcopos ordinavit, Wicconem in novam civi- 
tatera , et Rozilonem (Tozzilonem, Tozzonem ?) in Augustam. Deinde 
Dominus Pipinus jussit Bonifacium episcofram Maguntinum, cui secundus 
Gregorius vicem suam per Galliam et Gerraaniam commiserat, et Bili- 
baldum una cum ceteris sapientibus viris, ex praecepto domini Apostolici, 
per omne regnum res ecclesiasticas ordinäre. Proinde b.Bonifacius epis- 
copus eodem itinere venit in Boiariam, et sedens in civitate nova, ordi- 
navit exinde episcopales sedes per totam Boiariam, atque ob merita sua 
deposuit Wicconem episcopum, et consensu atque praecepto domini Pipini 
regis et Odilonis ducis ordinavit iilic Mannonem, eoque mortuo ordi- 
natus est illic Hildegart episcopus. 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Der Oadcdhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 337 

J. 809 gedauert, und so wäre dann 804 für das Auftreten 
Hiltikers als dessen Bischof Platz. Allein Rettberg bekämpft 
mit guten Gründen Winter in Bezug auf die Dauer des 
Bisthums Neuburg, indem er darthut, dass jener Reichs- 
kataster, in welchem die Civitas nova um 809 mit solcher 
Bedeutung erscheinen soll, dass in ihr ein Bischofssitz an- 
zunehmen wäre, weder der Zeit nach feststehe, noch eine 
kirchliche Beziehung habe. Das Bisthum Neuburg, welches 
in Bonifazius Einrichtung der Kirche Bayerns sich nicht 
findet, kann wohl nur aus dem Zeiträume der Kämpfe 
zwischen Franken und Bayern stammen, wo es von politi- 
scher Bedeutung war, das Bisthum Augsburg nach den das- 
selbe durchschneidenden Landesgränzen in zwei zu theilen. 
Mit der Einverleibung Bayerns in das grosse Frankenreich 
fielen die Gründe für einen Bischofssitz in Neuburg und 
war derselbe der Lage und Gestaltung nach unhaltbar ge- 
worden. Nach dem J. 788 fehlt denn auch jegliche Nach- 
richt über ein Fortbestehen des Bisthums Neuburg, während 
schon an sich Bischof Manno's Leben über 788 hinaus kaum 
zu erstrecken sein dürfte, Hiltiker aber, wie vorbemerkt, 
noch 793 sich unter der Domgeistlichkeit Freising befunden 
zu haben scheint. Es wird daher eine spätere Aufstellung 
eines Bischofs zu Neuburg nach längst erloschenen Gründen 
für das Fortbestehen des Bisthums, aber auch in gleichem 
Grade eine weiter gefolgte Wiederabsetzung des Bischofs, wie 
sie Rettberg zur Erklärung des vocatus Episcopus Hiltiker 
andeutet, höchst unwahrscheinlich, zumal der Titel vocatus 
Episcopus in der Ausdehnung von zehn und mehr Jahren 
geführt worden sein müsste. u Da aber Hundt den Oadal- 
hart für einen Freisinger Coepiscopus erklärt, darum auch 
meint, Hiltiker erscheine auf dem Tage zu Tegernsee „mitten 
unter der Priesterschaft des Bisthums Freising nach den 
Bischöfen Atto und Oadalhart und vor den Aebten u , und 
da nirgends angedeutet ist, dass Hiltiker anderwärts die 
[1882. I. Philos.-phüol. hist. Cl. 2.1 22 



Digitized by 



Google 



338 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

bischöfliche Würde bekleidet habe, so kommt er begreiflich 
wegen der zwei gleichzeitigen Freisinger Coepiscopi in Ver- 
legenheit, glaubt aber unter Hinweis auf die viel spätere 
Synode von Dingolfing 902 , wo zwei Chorbischöfe des 
Bischofs von Eichstätt zugegen waren, diese Erscheinung 
für begründet halten zu dürfen. „Wir erblicken demnach, 
schliesst er, in Hiltiker einen Coepiscopus von Freising, 
dessen Wirksamkeit aber im Hinblicke auf bald auftauchende 
andere Namen eine sehr kurze gewesen sein dürfte." Bei 
dem Verfahren Hundt's treten nämlich in der kurzen Zeit 
von 804 — 811 nicht weniger als vier, eigentlich sogar fünf 
Coepiscopi von Freising auf. 1 ) 

Durch den oben geführten Nachweis, dass Oadalhart 
Bischof von Neuburg und Manno's Nachfolger war, ist diese 
ganze Combination mit Hiltiker als unbegründet beseitigt; 
aber allerdings auch wieder mehr Raum für ihn als Co- 
episcopus in Freising gewonnen. Gleichwohl ist Hundt 
auch hiemit auf einen Irrweg gerathen. Vocatus episcopus 
bedeutet auch jetzt keinen Chor- oder Weihbischof, sondern 
mindestens einen ernannten, noch nicht seinen Stuhl in Be- 
sitz nehmenden Bischof. Mit Hilfe des Verbrüderungsbuches 
von S. Peter wäre er aber vielleicht darauf gekommen, wo 
dieser Hiltiker Bischof gewesen. In der Celumne 61 steht 
nämlich an der Spitze mehrerer Bischöfe hiltigaer eps, aller- 
dings erst von der Hand k eingetragen, welche dem dritten 
bis achten Jahrzehent des IX. Jahrhunderts angehört; aber 
die Bischöfe, welche sich folgen : hiltigaer, Daniel, heimpert 
sind, wie Karajan bemerkt, drei sich folgende Bischöfe 
Trients, deren Lebenszeit in die Jahre 802 bis 845 fallt, 
der erste, Hiltigaer, also gerade in die Zeit, wo er in der 
Freisinger Urkunde auftritt. In der Columne 47 ist er von 
der Hand q, der nämlichen, welche hier auch Arn Archiep. 



1) Hundt, Karol. Urkunden, S. 56 ff. 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 339 

eintrug, als hiltegarius eps eingeschoben, ein Beweis, dass 
der Trienter Bischof in Salzburg und in der bayerischen 
Kirche wohlbekannt war. Würde der Freisingische Dom- 
geistliche, welcher 772 (M. 28) und 793 (M. 111) in Frei- 
singer Urkunden erscheint, der spätere Bischof Hiltiker sein, 
so würde dieser allerdings aus Freising nach Trient berufen 
worden sein und vielleicht vor seinem Abgange in seine 
Diöcese der Translation des hl. Quirinus und dem Tag zu 
Tegernsee beigewohnt haben, 

Oadälhart als Nachfolger Manno's im Bisthum Neuburg 
ist, glaube ich, vollkommen gesichert. Nun entstehen aber 
neue Fragen: Wie lange war er Bischof von Neuburg? 
Hatte er selbst noch einen Nachfolger? Die Antwort auf 
diese Fragen ist weit schwieriger noch, als die Feststellung 
Oadalharts als Bischof von Neuburg. Während der Lebzeit 
desselben tritt nämlich noch der Bischof Sindpert von Augs- 
burg auf, welcher das Bisthum Neuburg wieder mit dem 
von Augsburg vereinigt hat. Dieses steht fest aus folgenden 
Thatsachen. Gegen Ende des VIII. Jahrhunderts tritt Oadäl- 
hart, obwohl noch am Leben, als bayerischer Bischof zurück 
und Sindpert an seine Stelle, ja als Papst Leo III. den 
bayerischen Bischöfen 798 die Erhebung Arn's zum Erz- 
bischof ankündigt, wird er in dessen Schreiben ausdrücklich 
Bischof von Neuburg genannt: Sintperto ecclesiae Nivuin- 
burcgensis. *) Auf der Synode der bayerischen Bischöfe zu 
ßeisbach, in Bezug auf welche Sintpert eine Sendung des 
Königs Karl des Grossen an Erzbischof Arn erhalten haben 
soll, war ebenfalls neben den übrigen bayerischen Bischöfen 
nur er als Bischof von Neuburg vertreten: Simbertus New- 
burgensis, 2 ) und wenn er auch in der von Meichelbeck an- 



1) Kleymaiern, Juvavia, Anhang No. 10. Zahn, Urkdhch. d. 
Herzogth. Steiermark. I. Nr. 2. 

2) Pertz, leg. III, 496. 

22* 



Digitized by 



Google 



340 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

geführten, für die Freisinger Kirche zu Reisbach ausge- 
fertigten Urkunde zugleich mit Alim von Seben nicht ge- 
nannt ist , so fehlt doch auch Oadalhart. 1 ) Ebenso fehlen 
beide auf der Synode zu Salzburg 807, 2 ) obgleich Oadalhart 
wenige Monate später auf dem schon erwähnten Tag zu 
Kloster Gars wieder auftritt. Endlich ist Sindpert auch 
faktisch in einer Freisinger Urkunde als der Ordinarius in 
der Diöcese Neuburg anerkannt, da von ihm der Freisinger 
Bischof Atto (f 810) die Erlaubniss zur Einweihung zweier 
Kirchen in Ecknach bei Aichach auf dem Boden der Neu- 
burger Diöcese erhielt. 8 ) 

Darüber kann also kein Zweifel erhoben werden, dass 
Sindpert gegen Ende des VIII. Jahrhunderts das Bisthum 
Neuburg besass. Es fragt sich nur: seit welchem Jahre 
diese Aenderung eingetreten ist. Dasselbe ist annähernd 
nachzuweisen und trifft allerdings mit der Zeit zusammen, 
in welcher ein Grund für ein besonderes Bisthum Neuburg 
nicht mehr bestand. Wir sahen, dass Oadalhart spätestens 
in der ersten Hälfte 774 Bischof von Neuburg wurde, zu 
einer Zeit, wo Sindpert noch gar nicht Bischof von Augs- 
burg (seit 779) gewesen sein soll. Im Eintrage der lebenden 
Bischöfe Bayerns in das Verbrüderungsbuch von S. Peter 
ist wohl Oadalhart mit seiner Congregation , nicht aber 
Sindpert von Augsburg oder Neuburg genannt, und da 
derselbe, wie oben gezeigt, zwischen 784—792 gemacht 
sein muss, so muss Oadalhart in diesen Jahren noch Bischof 
von Neuburg gewesen sein, und kann es Sindpert mindestens 
784, wo der zuletzt eingetragene Freisinger Atto Bischof 
wurde, noch nicht gewesen sein. Nun verwickelten sich 



1) Meicbelbeck, bist. Pris. I, 94. 

2) L. c. II, No. 286. — Pertz, leg. III, 479 sq. 

3) L. c. II No. 429 : . . . propter familiärem fraternitatem, quam cum 
Aitone fidele Episcopo semper habuerunt, cum licentia Sindberti Episcopi 
Attonem ep. conduxerunt, ut ipse illorum consecrasset ecclesias. 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 341 

die Verhältnisse in Bayern immer mehr, und 788 wird das 
Land dauernd mit dem Frankenreiche verknüpft. Auch die 
kirchlichen Verhältnisse konnten sich dem Wechsel nicht 
entziehen. Schon 789 vergab Karl das Kloster Chiemsee 
an den Bischof Angilramm von Metz und Papst Leo III. 
selbst erwähnt in seinem Schreiben an die bayerischen Bi- 
schöfe (798), dass sich Karl der Grosse der Ordnung der 
Kirchenprovinz Bayern angenommen und diese allseitig, 
wie es sich ziemte, wunderbar geordnet habe. 1 ) Da sich 
aber der Papst auf ein Bittgesuch der Bischöfe beruft, so 
muss die Sache wohl einige Jahre zurückreichen. Und in 
der That sehen wir Sindpert selbst um 792 von einer Aender- 
ung seiner Stellung getroffen. Derselbe vereinigte 787 nach 
dem Tode des Abtes Amicho die Abtei Murbach mit seinem 
Bisthum, behielt sie jedoch nur bis 792, indem sie nach 
einer kurzen Verwaltung durch Karl den Grossen selbst 2 ) 
an Bischof Gerhoch von Eichstätt 793 verliehen wurde. 
Sollte diese Aenderung ohne Entschädigung Sindperts vor 
sich gegangen sein? Ich glaube nicht und möchte letztere 
gerade in der Verleihung des Bisthums Neuburg erblicken, 
das ja auch in Neuburg seine Congregation nach dem Ver- 



1) Kleyraaiern, Juvav. Anhg, No. 10: Dilectionis vestre quas 
nobis petitorias emisistis sillabas, libenti suscepimus animo, in quibus 
ferebatur ut in provincia vestra Bajovuarioram arcbiepiscopum ordina- 
remns, quomodo provincia ipsa mirifice a filio nostro Domino Karolo 
excellentissimo rege Francorum et Longobardorura atque patricio Roma- 
noram penitus ex omni parte sicut decuit ordinata est. 

2) Schöpfiin, Alsat. dipl. I. No. 67. 68, von 792—794, wenn 
in der zweiten wie in der folgenden 69 das Regierungsjahr richtig ist 
und nicht ebenfalls 792 gelesen werden muss, da dem B. Gerhoh von 
Eichstatt nach den Annal. Alam. bei Pertz Scr. I, 47 schon 793 das 
Kl. Murbach verliehen worden ist. Auch Jaffa, Mon. Alcuin. p. 340 
n. 5 bestreitet diese letztere Angabe nicht, obwohl er auf Schöpfliu u. 
die Gall. ehr. XV, 540 hinweist, welche Gerhoh erst 795 Abt werden 



Digitized by 



Google 



342 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

brüderungsbuche von S« Peter oder Religiösen nach der 
Gebets-Convention der bayerischen Bischöfe hatte. In diese 
Zeit also mnss anch die Verdrängung des Bischofs Oadal- 
hart fallen. 

Von da an gibt es nur noch Vermuthungen über die 
Stellung des Oadalhart. Das Einladungsschreiben Arn's an 
die Bischöfe, sich zur Synode in Reisbach einzufinden, 
fordert dieselben auf, auch ihre Chorbischöfe und Archi- 
presbiter zur Synode mitzubringen. In den Verzeichnissen 
sind aber keine Chorbischöfe, sondern nur Archipresbiter 
als anwesend genannt. Da ist nun bemerkenswerth , dass 
an der Spitze derselben ein Odalhart steht. 1 ) Hundt, welcher 
nur die schon berührte Freisinger Urkunde bei Meichelkteck 
in Betracht zieht, meint: die Archipresbiter „Arno und 
Paldrih sind auf der Synode zu Reisbach um 799, wohin 
Erzpriester Ellannod seinen Bischof (Atto von Freising) be- 
gleitet hatte. Es waren daselbst auch Arno und die Bischöfe 
von Regensburg und von Passau. Jene Erzpriester, welche 
in den Urkunden von Freising nirgends genannt sind, 
werden daher mit den erwähnten Bischöfen nach Reisbach 
gekommen sein". 2 ) Nach den weiteren Nachrichten waren 
aber ausser diesen auch die anderen bayerischen Bischöfe 
von Seben und Neuburg (in unum congregatis archiepis- 
copo, cunctis episcopis Bavarie . . .) Alim und Sindpert an- 
wesend, und sie werden wohl ebenso wie ihre Collegen ihre 
Archipresbiter mitgebracht haben. Wenn aber in der Frei- 
singer Urkunde Alim und Sindpert sowie zwei Archipresbiter 
fehlen, so werden diese letzteren wohl auch die Archipres- 
biter der fehlenden Bischöfe gewesen sein. Jedenfalls aber 
gehört der Archipresbiter Odalhart nicht nach Freising. 



1) Pertz, leg. III, 496: Archipresbiteri: Odalhart, Paldrih, Os- 
pald, Emod. Früher las man statt Odalhart: Adalhard. 

2) Hundt, Karol. Urk. S. 92. 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 343 

Würde er nun der Oadälhart episcopns der Freisinger Ur- 
kunden sein, 1 ) so würde sich uns die Erscheinung darbieten, 
dass der frühere Neuburger Diöcesanbischof, seitdem Sind- 
pert das Bisthum Neuburg mit dem von Augsburg ver- 
einigte, die Stellung eines Archipresbiters unter Sindpert 
einnahm. Es würde diese Vermuthung auch zu einer anderen 
fast gleichzeitigen Nachricht stimmen. Gerade damals näm- 
lich gab es eine neue Veränderung in der Diöcese Augs- 
burg-Neuburg , indem Sindpert seinen Sitz von Neuburg, 
wo er nach dem Schreiben Leo's III. von 798 war, nach 
Staffelsee verlegte; denn in dem Schreiben des nämlichen 
Papstes vom IL April 800 an die bayerischen Bischöfe 
heisst es bereits: Sintberto Stafnensis ecclesie. 2 ) Das kann 
nicht ohne eine Auseinandersetzung mit Oadälhart und den 
bayerischen Bischöfen geschehen sein. Es wäre möglich, 
dass Sindpert den bayerischen Theil seiner Diöcese (Neu- 
burg) Oadälhart in der Stellung eines Archipresbiters über- 
liess, und dass dieser in der Gegenwart Sindperts, wie in 



1) Es ist höchst wahrscheinlich, dass dieser Odalhart wirklich der 
Archipresbyter Sindperts war. In der Urkunde für Freising kommen 
vier Bischöfe: Waltrih von Passau, Arn von Salzburg, Adalwin von 
ßegensburg und Atto von Freising vor. Der Archipresbyter Atto's ist 
bekannt und der in den Freisinger Urkunden oft genannte Ellannod. 
Der in der Reisbacher Urkunde für Freising wie in den Unterschriften 
der Reisbacher Synode vorkommende Hiltiperht .diaconus ist an Stelle 
eines Archipresbyters der Begleiter Arn's von Salzburg. Vgl. den Ein- 
trag desselben im Verbrüderungsbuch col. 14, 5 hiltibertus diac. un- 
mittelbar unter am. Arno und Paldrih fallen dann auf Walderich und 
Adalwin. Für Paldrih ist dies auch durch M. 118 erwiesen, da hier 
neben Arn, Adalwin, Atto und Walderih vorkommen: Ellannod archi- 
presb., Theorolf diac, Paldrih archipresb., Oadalfried presb. Die Archi- 
presbyter Odalhart und Ospald können also in der That nur auf die 
Bischöfe Sindpert und Alim, welche die Urkunde für Freising nicht 
unterzeichneten, fallen. Es ist also nur die Wahl, ob man Odalhart 
Sindpert oder Alim zutheilen will. 

2) Kleymaiern, Juvav. Anhg. No. 14. 



Digitized by 



Google 



344 Sitzung der histor. Classe vom 4. Fehruar 1882. 

Reisbach, sich nur als Archipresbiter unterzeichnete, ausser- 
dem aber seinen Titel Bischof fortführte und mit ihm ge- 
nannt wurde. Denn wir sehen auch anderwärts, dass Bischöfe 
nicht gerade immer als solche bezeichnet wurden, wenn sie 
noch ein anderes Amt bekleideten, indem z. B. Johannes, 
Bischof von Constanz und Abt von S. Gallen öfter nur 
Abt heisst. 1 ) Es wäre jedoch auch denkbar, dass nach 800 
eine neue Aenderung eingetreten und Neuburg als selb- 
ständiges Bisthum fortgeführt worden wäre. 

Diese Vermuthung scheint nicht ohne Anhaltspunkte 
zu sein. Eben in diesen Jahren nahm Karl der Grosse 
eine durchgreifende Organisation der deutschen Kirche vor. 
Wie die Kirchenprovinz Bayern ihren Metropoliten in dem 
Salzburger Bischof Arn erhielt, so wurde Köln gleichzeitig 
zur Metropole erhoben und dem Bischof Hiltebold als Erz- 
bischof übertragen. Damit erlitt aber die Metropole Mainz 
wesentliche Verluste. Im J. 751 constituirte Papst Zacharias 
die Mainzer Provinz aus den Bisthümern: Tongern, Köln, 
Worms, Speier, Utrecht und denjenigen, welche in den von 
Bonifaz neu bekehrten Ländern errichtet werden, 2 ) also 
Würzburg und Eichstätt, da Erfurt bald wieder einging. 
Durch die Erhebung Köln's zur Metropole gingen also dieses, 
dann Tongern und Utrecht für Mainz verloren, welcher 
Verlust natürlich wieder gedeckt werden musste, und wozu 
zunächst nur die ftlamannischen Bisthümer übrig blieben. 
Die Suffraganstellung Augsburgs war darum selbst eine 
schwankende, indem es sich fragte, ob es zu Salzburg oder 
Mainz geschlagen werden solle. Wenn aber das bisherige 
Bisthum Neuburg zugleich mit Augsburg unter Mainz ge- 
stellt werden sollte, so war dies gleichbedeutend mit der 
Verkleinerung der Kirchen pro vinz Bayern oder mit einer 



1) Wart mann, Urkdtroch. von S. Gall. I. No. 87. 47. 62. 

2) Jaffe, Mon. Mag. p. 227. 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Der Oadalhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 345 

empfindlichen Beeinträchtigung der Metropole Salzburg. 
Das würde aber so wenig als andere Erzbischöfe Arn gern 
gesehen haben, der so sorgfaltig über den Besitz seiner 
Kirche und die Grenzen seines Erzbisthums gegen Aquileia 
hin wachte. Im J. 800, wie das Schreiben Papst Leo's III. 
bezeugt, war auch in der That Sindpert als Bischof von 
StafFelsee wenigstens für den bayerischen Theil seiner Diö- 
cese, das Bisthum Neu bürg, noch Mitglied der bayerischen 
Kirchenprovinz. Es entspräche daher ganz der Lage der 
Dinge, wenn die bayerischen Bischöfe die Selbständigkeit 
des Bisthums Neuburg hätten bewahrt wissen wollen. Da 
aber schon 829 auf der vom Kaiser angeordneten Mainzer 
Synode Augsburg zur Metropole Mainz gehört und die 
Metropole Salzburg nur noch die Suffraganbisthümer 
Freising, Regensburg, Passau und Seben zählt, 1 ) so ist 
zwischen 800 und mindestens 827/8 die Aenderung in der 
SuflFragan Stellung Augsburgs erfolgt. Solange aber Arn, der 
am Hofe wie in Rom gleich angesehene und um beide 
gleich verdiente Erzbischof, lebte (f 24. Jan. 821), wurde 
wohl keine völlige Veränderung vorgenommen; allein die 
Verhandlungen über die Stellung Augsburgs und Neuburgs 
zu Salzburg oder Mainz mögen schon in seine Lebenszeit 
sich erstreckt haben. Sindpert wenigstens und überhaupt 
ein Augsburger Bischof erscheint nach 800 nie mehr unter 
den bayerischen Bischöfen, so oft sie sich auch versammeln 
oder zusammenfinden, während dabei noch immer Oadalhart 
auftritt. So fehlt Sindpert 807 auf der bayerischen Synode 
zu Salzburg, wo manches Nützliche und auch das Zehent- 
verhältniss verhandelt wurde, 2 ) und in gleicher Weise ist 

1) He fele,Conc -Gesch. IV, 72. Hartz he im Conc. Germ. 11,54 sq. 

2) Meichelbeck IL No. 286 : Dum se congregasset Synodns Epis- 
coporum, Abbatum ceteroruraque Clericorura Bajoariae Provinciae ad 
metropolim Salzburgensem . . . Arn archiepisc. Atto, Adalwinus, Einricu«, 
Hato . . , 



Digitized by 



Google 



346 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

kein Augsburger Bischof auf der Regensburger Synode, 
deren Zeit nicht angegeben ist , aber von Resch l ) um 809 
angesetzt wird, sowie auf dem Gerichtstag von Ergolting 823, 2 ) 
während bei den beiden letzten Conventen regelmässig ein 
Agnus als bayerischer Bischof zu den übrigen an letzter 
Stelle hinzutritt. Resch nimmt diesen als Neuburger Co- 
episcopus des Sindpert, 8 ) was jedoch Hundt bestreitet, indem 
er meint: „Er dürfte einem der Bayerischen Bisthümer als 
Coepiscopus zuzutheilen sein. Ihn mit Rosch, in dessen 
Annalen von Seben, dem Bisthum Augsburg-Neuburg zu 
überweisen, können Gründe kaum geltend gemacht werden. 
Keinenfalls war Neuburg um 822 noch eigenes Bisthum." 4 ) 
Allein diese Behauptung Hundt's kann ich zu der 
meinigen durchaas nicht machen, indem sie von zwei nicht 
bewiesenen Voraussetzungen ausgeht, dass nämlich einmal 
um 822 Neuburg kein selbständiges Bisthum mehr gewesen 
sein könne, und dass zweitens jeder Bischof, dessen Sitz 
man nicht anderswoher wisse, ein Coepiscopus sein müsse. 
Mir erscheint die Lage der Dinge anders. Oadalhart ist 
bis 808 sicher , und zwar als Bischof, zu verfolgen 6 ) ; im 
J. 809 oder 810 muss er hochbetagt gestorben sein. Der 
Tod Sindperts wird ebenfalls 809 angesetzt, um die näm- 
liche Zeit tritt aber auch Agnus als bayerischer Bischof 
auf, und zwar gerade so wie Manno und ursprünglich Oadal- 



1) Resch, Annal. Sabion, II, 21. — Meichelbeck, No. 256: 
Hoc autem factum est ad Reganaspuruc in publico conventu Episco- 
porum, seu etiam Presbyterorum, in quo erat Arn Archiepisc, Atto 
Episc, Adalwinus Episc, Hato Episc, Einrich Episc, Agnus Episc. 

2) Meichelbeck No. 434: Dum scdissent Cotafrid videlicet, et 
Hatto ad Ergeltingas, Adalram, Hitto, Baturich, Beginnen, Agnus 
Episcopi ... 

3) Resch II, 21 n. 46. 

4) Hundt, Karol. Urk., S. 60. 

5) Hundt, a. a. O., S. 56 erblickt auch M. 172 in dem Oadal- 
hart ohne Titel unseren Bischof, also 8. Sept. 809. 



Digitized by 



Google 



Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 347 

hart als fünfter neben Salzburg, das jetzt Metropole ist. 
Es mag also sein, dass mindestens nach dem Tode Sind- 
perts und Oadalharts die bayerischen Bischöfe die Wieder- 
herstellung der ursprünglichen bayerischen Provinz an- 
strebten und erreichten, 1 ) dass aber nach dem Tode Arn's 
das Bisthum Neuburg für immer mit Augsburg und der 
Metropole Mainz vereinigt wurde. Dazu stimmt auch das 
Zusammentreffen der einzelnen Daten sehr gut: Arn stirbt 821, 
Agnus kommt zum letzten Male vor 823, und 829 ist Augs- 
burg Suffragan- Bisthum von Mainz, während von Neuburg 
oder einem fünften bayerischen Bischof keine Rede mehr ist. 



1) Ganz unstichhaltig ist jedenfalls die Meinung St reber 's i. d. 
Art. Augsburg der 2. Aufl. des Wetzer und Welte'schen Kirchenlexikons 
col. 1620: „Als im J. 798 Salzburg zur Metropole der bayer. Lande er- 
hoben wurde, bewirkte Sintbert, dass alle der Augsburger Kirche zuge- 
hörigen bayer. Theile von Salzburg unabhängig wurden und die parochia 
ambarum partium Lici fluminis (Translat. s. Magni, MG. SS. IV, 425) 
der Metropole Mainz unterstellt blieben." Bis zum J. 800 stand Augs- 
burg kaum schon unter Mainz und war Sindpert die Lostrennung der 
Neuburger Theile von Salzburg noch nicht gelungen. Dem Papste war 
wohl bekannt, dass derselbe sich nunmehr in Staffelsee aufhalte, aber 
er rechnete ihn doch noch zu den Bischöfen der „provintia Baiuuariorura" 
(Juvavia, Anhg. No. 14). Später kommt aber Sintpert, ausser in dem 
Mandatum von Aachen (Pertz, leg. I, 90), wo sich aber keine Ortsangabe 
findet, in gleichzeitigen Schriftstücken nicht mehr vor. Die Stelle in 
der Translat. s. Magni, auf welche sich Streber beruft, heisst aber: 
Parochiam vero ambarum partium Lici fluminis per auctoritatem domni 
Leonis tunc temporis papae et confirmationem domni Karoli iara facti 
imperatoris in utroque regno siraul Domino favente coadunavit. Darin 
steht aber keine Silbe davon, Sindpert habe bewirkt, dass die Diöcese 
Augsburg sammt ihrem bayerischen Theile der Metropole Mainz 
unterstellt blieb; vielmehr nur soviel, als uns auch sonst aus gleich- 
zeitigen Quellen bekannt ist, dass nämlich wirklich Sindpert das Bis- 
thum Augsburg mit Neuburg innehatte. Wie schlecht übrigens der 
späte Verfasser der Translatio s, Magni unterrichtet war, zeigt er schon 
dadurch, dass er die Vereinigung erst geschehen lässt, als Karl d. Gr. 
bereits Kaiser war. 



Digitized by 



Google 



348 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

Ich wiederhole jedoch, dass die Erörterungen über Neu- 
burg seit dem Auftreten Sindperts als Neuburger Bischof 
nur Vermuthungen sind, welche übrigens ebensoviel Be- 
rechtigung für sich haben, als die gegentheiligen An- 
nahmen. 



Herr v. Druffel hielt einen Vortrag: 

„Beiträge zur militärischen Würdigung 
des schmalkaldischen Krieges." 

Derselbe wird später in den Sitzungsberichten veröffent- 
licht werden. 



Digitized by 



Google 



Verzeichni8S der eingelaufenen Büchergeschenke. 



Von der Babaviaasch G-enootschap van Künsten en Wetenschappen 

in Batavia : 

Verhandelinger Deel 41, Stuck 2. 1880. 4°. 

Vom Kgl. Instituut voor de Taal-, Land- en Volkenkunde van 
Nederlandsch Indie im Haag: 

Bydragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch- 
Indie. 4 Reeks. Deel 5. s' Gravenhage 1881. 8°. 

Vom Institut des langues orientales in Petersburg: 

Collections scientifiques. IV. Monnaies de dififörentes dynasties 
musulmanes. 1881. 8 e . 

Von der Provinciaal Utrechtsch Genootschap der Künsten en 
Wetenschappen in Utrecht: 

a) Jaarverslag 1879 en 1880. 1879/1880. 8°. 

b) Sectie-Verslag. 1879. 8°. 

c) De Polybii fontibus et auctoritate scripsit J. M. J. Valeton 
Trajecti ad Eh. 1879- 8°. 

d) Het Leven en de Verdiensten van Petrus Camper, door 
C. E. Daniöls. 1880. 4°. 

e) Het Kloster te Windesheim, door J. G. E. Acquoy. 3. /Deel. 
1880. 8°. 

f) Naamlyst der Leden.' 1880. 8°. 

g) Eegisters. 1879. 8°. 



Digitized by 



Google 



350 Einsendungen von Druckschriften. 

Vom Sächsischen Alterthumsverein in Dresden: 

a) Neues Archiv für sächsische Geschichte. Bd. II. 1881. 8°. 

b) Jahresbericht f. d. J. 1880—81. 1881. 8°. 

Von der Societä Slciliana per la storia patria in Palermo : 

Documenti per servire alla storia di Sicilia. Vol. I fasc. 2. 
1881. 8°. 

Von der Asiatic Society of Bengal in Cdlcutta : 

Bibliotheca Indica. Old Series. No. 243. New Series No. 469 — 
471. 1881. 8°. 

Von der American Oriental Society in New Haven: 
Proceedings at New Haven. Oct. 26. 1881. 8°. 

Von der Archäologischen Gesellschaß in Agram: 
Viestnik. Bd. IV. 1882. 8°. 

Vom historischen Verein für Niedersachsen in Hannover: 
Zeitschrift Jahrg. 1881. 1881. 8°. 

Von der k. preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin : 

Politische Korrespondenz Friedrich's des Grossen. Bd. VII. 
1881. 8°. 



Vom westfälischen Provinzial- Verein für Wissenschaft und Kunst 
in Münster: 

8. u. 9. Jahresbericht pro 1879 u. 80. 1880 — 81. 8°. 



Vom Geschichtsverein und Naturhistorischen Landesmuseum in 

Klagenfurt : 

Carinthia. 71. Jahrgang 1881. 1881. 8°. 



Digitized by 



Google 



Einsendungen von Druckschriften. 351 

Von der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde in Salzburg: 
Mittheilungen. 21. Vereinsjahr 1881. 8°. 

Von der Archäologischen Gesellschaft in Berlin: 

41. Winckelmannsprogramm. Ueber die Verwendung von Terra- 
kotten an griechischen Bauwerken. 1881. 4°. 

Vom Geschichts- und Alterthums-Verein in Leisnig: 
Mittheilungen. 6. Heft. 1881. 8°. 

Von der Academie de Metz in Metz: 

Memoires. 60 e annöe (= 3 e Sdr. 8 e ann^e). 1878 — 79. 
1881. 8°. 

Von der Societe d'histoire de la Suisse romande in Lausanne: 
Memoires et Documents. Tom. 36. 1882. 8°. 

Vom Verein für Hamburgische Geschichte in Hamburg: 
Mittheilungen. 4. Jahrgang. 1882. 8°. 

Vom Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg: 

a) Mittheilungen. Heft 3. 1881. 8°. 

b) Jahresbericht f. d. Jahr 1880. 1881. 8°. 

Von der Universidad de Chile in Santiago: 

a) Anales de la Universidad 1879—80, 2 voll. 1879 — 80. 4°. 

b) Cämara de Senadores. Sesiones estraordinarias en 1879. 
Sesiones ordinarias en 1880. 1879—80. 4°. 

c) Cämara de Diputados. Sesiones ordinarias y estraordinarias 
en 1879. 4°. 

d) Cuenta jeneral de las entradas y gastos fiscales de la repu- 
blica de Chile en 1879. 1880 % 4". 

e) Annuario estadistico de la Republica de Chile en los afios 
1877-78. Tom. XX. 1879. 4°. 



Digitized by 



Google 



352 Einsendungen von Druckschriften. 

f) Memorias de los ministerios : 

a) del Ministerio del Interior 1880. 

b) Memoria de justicia, culto e instraccion publica 1880. 

c) Memoria del Ministerio de hacienda 1880. 

d) Memoria de guerra y marina 1880. 

e) Memoria de relaciones esteriores 1880. 1880. 4°. 

f) La cuestion de limites entre Chile y la Eepüblica 
Argentina por Miguel Luis Amunategui. Tom. 2. 
Santiago 1880. 4°. 

g) Informe sobre si conviene a Chile la inmigracion de 
los Chinos por Francisco Casanueva. 1880. 4°. 

h) El arbitraje internacional en el pasado, en el presente 
y en el porvenir (trad. del francös) Sant. 1877. 8°. 

Von der Societe des sciences historiques et naturelles de la Corse 

in Bastia: 

Bulletin 1881. 8°. 

Von der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerhunde 
Ostasiens in Yokohama: 

Mittheilungen. 25. Heft. December 1881. fol. 

Von der Real Academia de la historia in Madrid: 
Boletin. Vol. II. 1882. 8°. 

Von der k. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag: 

a) Abhandlungen. 6. Folge. 10. Bd. 1881. 8°. 

b) Sitzungsberichte. Jahrg. 1880. 1881. 8°. 

c) Jahresbericht ausgegeben am 3. Juni 1880. 1880. 8°. 

d) Decem registra censuum bohemica ed. Jos. Emier 1881. 8°. 

Von der Südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram : 

a) Ead. Bd. 58. 1881 8°. 

b) Starine. Bd. 13. 1881. 8°. 



Digitized by 



Google 



Einsendungen, von Druckschriften. 353 

Von der Royal Dublin Society in Dublin: 
The scientific Proceedings. New Ser. Vol. III. 1880—81. 8°. 

Von der Finnländischen Gesellschaft der Wissenschaften in 
Helsingfors : 

Observations mötöorologiques. Vol. 7. Annöe 1879. 1882. 8°. 

Vom K. statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart: 

Württemberg'sche Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. Jahr- 
gang IV. 1881. 4". 

Von der R. Accademia delle seiende in Turin: 
Atti. Vol. 17. 1881. 8°. 

Von der Societe scientifique polonaise in Thorn: 

Carte archöologique de la Prasse occidentale avec un texte ex- 
plicatif. Cracovie 1881 fol. 

Von Teylers godgeleerd Genootschap in Haarlem: 

a) Verhandelingen rakende der natuurlijken en geopenbaarden 
gotsdienst. N. Ser. 9. Deel. 1880. 8°. 

b) Archives du Musee Teyler. Se>. II. Partie II. 1881. 8°. 



Von Herrn Stephan Dubrawski in Stryjl (Galizien): 
Der slavische Interrogativsatz. 1881. 8°. 

Von Herrn Ernst Trumpp in München: 

Bemerkungen über den indischen Eeformator Kabir s. 1. s. a. 
1881. 8°. 

[1882. I. Philos.-philol. Hist. Cl. 2.] 23 



Digitized by 



Google 



354 Einsendungen von Druckschriften. 

Von Herrn Willibald Hauthaler in Salzburg: 

Die Salzburgischen Traditions- Codices des X. und XI. Jahr- 
hunderts. 1881. 8°. 

Von Herrn L. A. Huguet-Latour in Montreal, Canada: 

a) Annuaire de Ville-Marie. Vol. I. Livr. 2. Vol. IL Livr. 
1. 3. 4. 1878/1880. 8°. 

b) The Canadian Antiquarian. Vol. II. No. 2. VIII. No. 4. 
IX. No. 3. 4. X. No. 1. 2. Montreal 1873—1881. 8°. 



Digitized by 



Google 



Sitzungsberichte 

der 

philosophisch-philologischen und 
historischen Classe 

der 

k. b. Akademie der Wissenschaften 

zu IVEüucheii. 



1882. Heft III. 



Hünchen. 

Akademische Buchdruckerei von F. Straub. 

1882. 

In Commission bei G. Franz. 



Digitized by 



Google 















; 






Digitized by 



Google 



Sitzungsberichte 

der 

königl. bayer. Akademie der Wissenschaften. 



Philosophisch-philologische Classe. 



Sitzung vom 4. März 1882. 



Herr v. Christ hielt einen Vortrag: 

„Die Attikus-Ausgabe des Dem os th en es u . 

Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht 
werden. 



Herr G. Thomas trug vor: 

I. 

„Bemerkungen zu einer Relation über 
Schweden aus dem Jahre 1578 u . 

Unter den Schriften, welche bei Gelegenheit des dritten 
internationalen Geographen-Congresses in Venedig vergang- 
enen Herbstes zu Tage kamen, befindet sich auch eine 
Abhandlung von C. Bullo über eine abenteuervolle, an Müh- 
salen und Gefahren, Noth und Elend überreiche Reise des 
venezianischen Flandern-Fahrers Piero Querini, welcher 1431 
Schiffbruch gelitten hatte, vom Sturme weit nordwärts an 
die Lofodden der Norwegischen Küste verschlagen worden 
war, und mit wenigen Geretteten von da durch Schweden 
und Deutschland in die Heimat zurückkehrte; daran reiht 
sich dann eine weitere über die Beziehungen der Republik 
[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 3] 24 



Digitized by 



Google 



356 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. März 1882. 

zu Schweden überhaupt: „(7. Bullo il viaggio di M. Piero 
Querini e le relazioni della repubblica Veneta colla Svezia" 
— Venezia tipografia Antonelli 1881 — , also lautet der 
Titel. 

Ich habe in einem allgemeinen Bericht über den Con- 
gress — Allgemeine Zeitung, Beilage Nr. 327 vom 23. No- 
vember 1881 — die Hoffnung ausgesprochen, auf diese Ab- 
handlung zurückzukommen, weil ich im Stande wäre, mit 
einem Münchener Codex einem Theil derselben berichtigend 
aufzuhelfen : dieses möge hier geschehen ! 

Unter den Documenten nehmlich, welche ausser einem 
neuen Texte des einen Reiseberichts der „infelice e sven- 
turata chocha Querini 41 — es sind zwei dergleichen über- 
liefert — aus einer Handschrift der Marciana der Abhand- 
lung beigegeben sind, befindet sich auch als Nr. II eine 
„Relatione delle cose pertinenti alla cognitione delh stato 
presente del Regno di Svetia 1578" welche einer Handschrift 
des Museo Civico — Miscellanea Correr Nr. 1358 entnommen 
ist. Schon die Zeit des Berichtes, aus der Regierungsperiode 
Johann III., rief gleich anfangs eine alte Erinnerung wach, 
als ob ich einer ähnlichen bei Bearbeitung der italienischen 
Codices unserer Bibliothek (im J. 1857) begegnet wäre. 
Als ich nach der Heimkehr den Catalog nachschlug, stimmte 
die Zeit, und als ich die Handschrift selbst hervorholen 
liess, fand sich, dass dieselbe wesentlich die gleiche Relation, 
wie jene Correr'sche, darbietet. Ich habe über diesen Codex 
auf Seite 173 unter Nr. 811 des Catalogs gehandelt. Es 
ist der Codex Italiens Nr. 90, einer jener vielen und inhalt- 
reichen, welche die Bibliothek dem gelehrten und trefflichen 
Probst Töpsl von Fölling zu danken hat. 

Der Vergleich nun des von Bullo herausgegebenen 
Textes mit dem im Münchener Codex fol. 145 — 183 ergab 
alsbald die Erkenntniss, dass unsere Copie von Anfang bis 
zu Ende viel besser, viel genauer, viel ausführlicher her- 



Digitized by 



Google 



Thomas: Bemerkungen zu einer "Relation über Schweden etc. 357 

gestellt ist, als jene im Correr'schen Codex, wobei übrigens 
der Abschreiber zum Zweck dieses Drucks noch vielfache 
Irrthümer begangen haben mag, und wenn auch die Münchener 
Copie, besonders in Eigennamen u. dgl., nicht ohne sicht- 
bare Fehler gemacht ist. 

Die Hauptsache aber ist, dass der Herausgeber aus der 
fehlerhaften letzten Abschrift verleitet wurde, anzunehmen, 
diese Relation sei für den Dogen von Venedig gemacht, 
welcher dieselbe vom päbstlichen Nuntius in Stockholm, 
dem Jesuiten Antonio Possevino sich erbeten habe. 

Im Schluss-Satz nehmlich der Relation hat der letzte 
Abschreiber — wie ick vermuthe — gewisse Abkürzungen 
falsch gefasst, er setzt eine „Serenitä" an die Stelle der 
, x Santitä" und „Beatitudine" , und daraufhin stejlt der 
Herausgeber das eben genannte geschichtlich unnachweis- 
bare, an sich damals unwahrscheinliche Verhältniss auf, 
ohne, wie billig, auf den Geist und die Richtung der Re- 
lation, und auf andere bestimmte Hinweise in derselben 
Acht zu geben. 

Jener Schluss-Satz lautet im Druck also: Io qui ho 
posto quanto e di relatione ho inteso dall' istesso Re, e da 
suoi principali, et anco d' altri molto periti di quei paesi. 
II che tutto. ho fatto per ordine mandatomi da Vostra 
Serenita a Bologna. II restante oltre quel che neH'altra 
Relatione ho toccato, et il che tocca piu propriamente alla 
mia vocatione e missione, poträ dirsi a bocca a chi si deg- 
nerä Vostra Serenitä di comandarmi che io lo dica — 

im Codex Monacensis aber: 

Io qui ho posto quanto di vista e di relatione ho in- 
teso in piu ragionamenti fatti con V istesso Re, e da suoi 
piü Principali, et anco da altri molto periti e pratichi di 
quei Paesi. II che ho fatto per V espresso ordine manda- 
tomi dalla Santitä Vostra a Bologna. 

24* 



Digitized by 



Google 



358 Sitzung der phüos.-phüaH. Classe vom 4. März 1882. 

II restante, oltre quello che nell 1 altra mia Relatione 
ho toccato, e che tocca piü propriamente alla mia vocatione 
e missione, poträ dirsi a bocca a chi si degnera Vostra 
Beatitudine di coinmandarmi , ch' io lo dica , alla quäle 
humilissimamente baccio li santissimi piedi. — 

Jedermann erkennt aus dieser Parallele ohne weiteres, 
mit welch' einer Schrift wir es hier zu thun v haben , und 
welchen Werth der Münchener Text vor jenem abgedruckten 
haben muss. 

Es ist der zweite Theil der Relation Possevino's an 
Gregor XIII. über Schweden unter dem katholisirenden 
König Johann III. ; im ersten Theil hatte der päbstliche 
Abgeordnete eigens über die religiösen Verhältnisse des 
Königreichs berichtet, wie es das erste Capoverso des Druckes 
ausdrücklich bezeugt — dieses fehlt im Münchener Codex — 
und wie es das letzte oben wiedergegebene und auch der 
Context (p. 90 des Drucks) wiederholt bestätigt. 

Aber, hätten wir auch diese redenden Stellen nicht 
überliefert, der ganze Ton dieser Relation auch über die 
staatlichen und weltlichen Dinge in Schweden, die Ausfälle 
auf das Lutherthum, die vertrauensvollen Aussichten auf 
Gegenreformation und römische Propaganda von Schweden 
aus über Finland bis Moscovien — dieses und anderes 
würde verbieten, auch nur von ferne anzunehmen, die Re- 
lation sei für einen Dogen von Venedig bestimmt gewesen. 
Selbst ein minder gewandter und geschulter Mann, als wie 
Possevino, möchte kaum den Herren in Venedig u. a. damit 
aufgewartet haben, dass er die steigende Trunksucht der 
Männer in Schweden mit der Ausbreitung der Lehre Luthers 
in Zusammenhang bringt, eine culturhistorische Bemerkung, 
welche einer gewissen Partei von heute unzweifelhaft richtig 
und verwendbar erscheinen muss. Sonst kann der Bericht- 
geber nicht umhin, die Tugendhaftigkeit der Bevölkerung 



Digitized by 



Google 



Thomas: Bemerkungen zu einer Belation über Schweden etc. 359 

zu loben ; doch habe fremdes Soldatenthum und die Häresie 
der Einfalt der Sitten Eintrag gethan, auch, wie er an- 
nimmt, der allgemeinen Gastlichkeit — eine angestammte 
Eigenschaft aus heidnischer Zeit, Vgl. Konrad Maurer, 
Norwegen 2, 184 — ; doch gibt er dabei wieder zu, dass 
dieselbe wie früher von den katholischen Geistlichen, so 
nun von den Pastoren gepflegt werde. Die Genossen Que- 
rini's sind dagegen voller Bewunderung über die Unver- 
dorbenheit ihrer Wirthe auf der Insel Rost: sie kamen sich 
im Vergleich italienischer Art vor als wären sie dort im 
Paradies gewesen, vgl. Seite 69: „nel primo zerchio de 
paradixo a confnsione et obprobrio de chosturai italiei". 

Ist nun auch die angenommene Adresse dieser Relation 
entschieden verfehlt und werden damit auch einige andere 
Aufstellungen des Herausgebers hinfällig, der rein sachliche 
Werth ebenderselben bleibt ungeschmälert; die römischen 
Emissäre in fremden Ländern waren nicht minder gute 
Beobachter als die venezianischen Gesandten — nur fehlte 
ihnen in einem grossen Puncte ein Grosses, die Unpartei- 
lichkeit, und jede römische Mission war zugleich ein Er- 
oberungsplan für die Alleinherrschaft des Pontifex. 

Was die Relation des weiteren über Schweden darlegt, 
über Regierung und Volk, über Land und Einwohner, über 
die Einrichtungen des staatlichen Lebens, über Militär und 
Marine, über Einnahmen und Gefälle, über Sitten, Gebräuche, 
Lebensart und Umgang, ist ebenso anziehend als klar dar- 
gelegt; es wäre von Nutzen, würde dieser Bericht mit Zu- 
grundelegung der Münchener Handschrift neu herausgegeben 
und von kundiger Hand erläutert. 

Zum Beweis, welcher Gewinn aus unserem Codex zu 
ziehen wäre, will ich noch eine Stelle aus dem Druck neben 
jenem Text zur Anschauung bringen, eine Stelle, welche 
dort mehrfach geradezu unverständlich ist. 



Digitized by 



Google 



360 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 4. März 1882. 



Druck, Seite 90; 

De peccati, ne fraudi non 
ho veduto, ne udito, le*donne 
sono prudenti, come quelle 
che si astengano dall'ebrieta 
il che negli huomini special- 
mente da 40 anni in qua 
(poiche s-' inebriano della 
dottrina di Luthero) e molto 
frequente. Non hanno be- 
stemmie salvo talhora quella 
di maledire e dare al de- 
in onio le creature. 

Quanto ai riti, e cose della 
religione se bene nell' altra re- 
latione a longo se ne ragiona, 
nondimeno dirö questo che 
il Popolo si puö dire vera- 
mente ingannato, non distin- 
guendosi i veri da i falsi Preti, 
per cioche questi vanno con 
habito lungo da Sacerdoti 
eccetto la berretta la quäle 
portano ritonda a guisa de 
i laici. In Italia pefö i seco- 
lari in Svetia non la portano 
in quel modo. 

Serba il Popolo molti riti 
antichi (che bestemmiano i 
luterani) percioche osserva 
i digiuni, prega buona parte 
di loro, massime i piü vecchi, 



Codex Monacensis fol. 178 
verso : 

De peccati nefandi non hö 
udito parlarne: le Donnesono 
assai prudenti, come quelle 
che si astengono dall' ebrietä. 
II che negl' huomini, e special- 
mente da 40. Anni in qua, 
poiche s' inclinorno alla Dot- 
trina di Lutero, e molto fre- 
quente. Non hanno alcuna 
sorte di bestemmia: salvo che 
talhora quella del maledire 
e dare al Demonio le Creature. 

Quanto ä riti e cose della 
Religione, se bene nell' altra 
mia Relatione assai ä lungo 
se n' e ragionato, nondimeno 
dirö an cor al presente questo, 
che quel Popolo si puö dire 
veramente ingannato , non 
distinguendosi li veri dalli 
falsi Profeti, percioche questi 
vanno con habito lungo da 
Sacerdoti, eccetto la Beretta, 
la quäle usanq portare ro tonda 
ä guisa de Laici d' Italia: perö 
li secolari in Suetia non la 
portano ä quel modo. 

Osserva quel Popolo ancora 
molti riti antichi, che bestem- 
miano li Lutherani, percioche 
osserva i digiuni, prega buona 
parte di loro, massime quelli 



Digitized by 



Google 



Thomas: Bemerkungen zu einer Relation über Schweden etc. 361 



per i morti. Honora e prega 
in molti luoghi la Madre di 
Dio, et ancora hoggidi in 
Finlandia quando uno star- 
nuta si usa dire: Iddio e la 
sna Madre ti aggiutano. 



Laonde chi guadagnerä in 
Finlandia la coüversione dell' 
anime, aprirä nna gran porta 
alla Moscovia, e perö meno 
alcuni di qualche paese, 
purche siano in Roma in- 
stituiti. 



che sono molto in lä con 
T etä loro , per li morti : si 
honora e si prega in molti 
luoghi la Madre di Dio, et 
ancora hoggi in Firilandia, 
quando uno stranuta, se gl' 
usa di dire: Iddio, e la sua 
Madre t' aiutino. 

Laonde chi guadagnerä in 
quella Provincia la cenversi-* 
one deir Anime, aprirä una 
gran Porta alla Moscovia: 
Et perciö io ho menati alcuni 
giovanetti di quel Paese, per- 
che sieno qui in Roma bene 
instrutti e disciplinati. 



Man erkennt, dass der Münchener Codex gleichsam die 
ursprüngliche Redaction darbietet, und zugleich viel sorg- 
fältiger abgeschrieben ist. Firilandia statt Finlandia geht 
durch den ganzen Text ; qui in Roma ist für die Abfassung 
nicht zu übersehen. 

Ausheben möchte ich gerade hierorts, was der Bericht 
über die Sprachen und das Sprachtalent in Schweden vor- 
bringt. Drei Idiome seien im Reich gebräuchlich: das 
Schwedische in allen Theilen des eigentlichen Schweden, 
in Gothland, Norwegen und Dänemark; dem Schwedischen 
nahe verwandt sei das Sächsische in vielen Wörtern, wie 
mit einiger Aenderung der Aussprache das Vlämische und 
Englische. Dann das Finnische im ganzen sogenannten 
Grossherzogtbum Finnland, ausgenommen einer Provinz, 
Nyland, wo das Schwedische sich erhalte, und in Rival und 
seiner Umgebung. Das dritte das Lappische. 



Digitized by 



Google 



362 Sitzung der phüosrphUdl. Classe vom 4. März 1882. 

Das Schwedische und Finnische sei wegen des Reich- 
thums an Vocalen nicht so schwierig zu erlernen, und zu 
sprechen, als die Sprache des oberen Deutschland; der Be- 
richterstatter habe Franzosen und Italiener kennen gelernt, 
welche nach Versicherung von Schweden ihrer Sprache gut 
Herren waren. 

Im Capitel „della qualitä de gl' Ingegni" — Druck 
S. 89. Codex fol. 177 verso — wird bemerkt, diese Völker 
seien geistig wohl befähigt, nicht bloss zur Erlernung von 
Handfertigkeit, sondern auch für Unterricht, speculatives 
Wissen und auch für Sprachen ; wer von gewissem Ansehen 
sei, lerne insgemein die deutsche oder die lateinische Sprache, 
oder beide zusammen. Wenn dieselben andere Sprachen 
erlernten, hätten sie bei der Aussprache nicht jene Schwierig- 
keiten, wie sie die Deutschen haben, weder in der italienischen 
noch in der lateinischen Sprache. — 

Wie diese Relation, gibt auch die Erzählung von der 
Reise Piero Querini's interessante Einzelnheiten scandi- 
navischen Lebens; „die Beschreibung des Zustandes von 
Norwegen und dessen Handel, sowie auch das Gemälde der 
Sitten der Einwohner, sind ungemein schöne Bruchstücke 
der Geschichte der Menschheit" — so Joh. Reinhold Forster, 
in seiner Geschichte der Entdeckungen und Schiffahrten im 
Norden, Frankfurt a. d. Oder 1784, Seite 273, welcher 
diese Berichte Querinis und seiner Gefährten gut ausgezogen 
hat — , aber auch sie erwartet noch in der Zukunft schul- 
gerechte Behandlung. 



Digitized by 



Google 



Thomas: Der Einzug Kaisers Karl F. in München etc. 363 



Ferner : 

IL 

„Der Einzug Kaisers Karl V. in München 
am 10. Juni 1530. Zwei Briefe eines Veue- 
zianers als Augenzeugen." 

Die Reise Karls V. zum Augsburger Reichstag war 
von Innsbruck an bis zum Einritt in die altberühmte 
Augusta am Lech, 6. — 15. Juni 1530, ein beständiger Zug 
durch festliches Gepränge; vorzüglich glänzend und mit 
verschiedenen Spielen, Darstellungen und Gelagen ausge- 
stattet war der Empfang des Kaisers in München : die Her- 
zoge wollten sich zeigen und dabei ihre politisch-religiöse 
Parteistellung zur Schau tragen. Es gibt eine kurze, aber 
sehr seltene Beschreibung dieses Einzuges in deutscher 
Sprache „Kayserlicher Majestaet Einreyttung zu München, 
den X. tag Junij. Im M. CCCCC. vnd XXX. Jar u , ohne 
Druckort und andere Angaben, — auf der Münchener Biblio- 
thek bei Eur. 412/20 4° — , wiedergegeben in Förste- 
mann's Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu 
Augsburg 1 , 245. Eine weitläufigere Erzählung enthält 
der bei Laemmer Monumenta vaticana unter Nr. XXXII 
pag. 36 abgedruckte Brief des Cardinal-Legaten Campeggi. 
Zu diesem bieten nun zwei Briefe eines Venezianers, welcher 
sich im Gefolge des Orators der Republik befand, eine nicht 
unbedeutende Ergänzung. Dieselben hat uns Marino Sanuto 
im 53. Band seiner einzigen Diarien aufbewahrt. 

Der erste Brief gibt eine anschauliche Schilderung 
theils von den Schauspielen vor und ausserhalb der Stadt, 
eines militärischen und einer Art Fischerstechen auf der 



Digitized by 



Google 



364 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 4. März 1882. 

Isar, tbeils und insbesondere von drei plastischen Vorstel- 
lungen, welche auf eigens aufgerichteten Bühnen nach 
einander inner der Stadt während des Einrittes der Herr- 
schaften aufgeführt wurden. Eine, die erste, friedlich und 
ansprechend, die beiden andern aber so wahrhaft blutrünstig, 
dass man dabei im Lesen von Schaudern erfüllt wird. Den 
Vorwurf zu diesen schrecklichen Bildern nahm man zweifels- 
ohne aus, den Erzählungen der Alten, namentlich aus Hero- 
dot 111, 35, wo berichtet wird, wie Cambyses den Sohn 
des Prexaspes vor den Augen des Vaters ins Herz schiesst 
und dem Getroffenen sofort die Brust öffnen lässt, um die 
Wunde im noch zitternden Herzen zu prüfen. Die andere 
Darstellung bezog sich auf den Ausgang des Cyrus in der 
Schlacht gegen die Massageten Königin Tomyris: man sah 
abgeschlagene Köpfe, abgerissene Gliedmassen, und das Blut 
kochen und quellen aus den offenen Wunden! Die erste 
Bühne war nach dem deutschen Bericht im „Thal" am Bach, 
die zweite bei den „Fleischbenken", die dritte beim „Schloss." 
Wozu, fragt man, solches Grausal und solche Barbarei bei 
dieser Gelegenheit ? Auch damals frug man, was hat solches 
zu bedeuten? 

Der Cardinal-Legat errieth sofort den geheimen Sinn 
der Darstellungen. Man könne dergleichen, sagte er dem 
Kaiser, gegen die Ketzer anwenden; wollen sie sich nicht 
friedlich fügen, werde man die eiserne Ruthe gebrauchen. 
Darauf der Kaiser: nicht mit Eisen, sondern mit Feuer sei 
es hergebracht selbe zu strafen. So schreibt Campeggi 
selbst mit kaltem Blut pag. 38; vgl. De Leva, storia do- 
cumentata di Carlo V. Band 3, Seite 10. Wie stimmt 
dieser Zug so ganz und gar zur berüchtigten Instruction 
ebendesselben Mannes; vgl. Ranke, Päpste (2. Aufl.) I, 111, 
und De Leva am angeführten Orte, Seite 6 seines classischen 
Geschichtswerks, welches diesseits und jenseits der Alpen 
des ernstesten Studiums würdig ist. 



Digitized by 



Google 



Thomas: Der Einzug Kaisers Karl V. in München etc. 365 

Im zweiten Brief ergeht sich der Verfasser in einer 
genauen Beschreibung des herzoglichen Gartens, in welchem 
damals ein mehr als luxoriöses Banket gehalten wurde, beim 
32. Gericht war man erst in der Mitte des Schmauses. 
Die Herstellung dieses Prachtgartens habe 40000 Ducaten 
gekostet. Dieser Theil des Briefes erscheint für die Ge- 
schichte des Hoflebens sehr beachtenswerth. Ob von den 
hiebei mit Lust gezeichneten Kunstwerken noch sonst etwas 
bekannt sein mag? 

Sicher haben diese Briefe für uns mindestens die gleiche 
Anziehung, als wie einstens für Marin Sanuto, bei welchem 
man nicht weiss f was man mehr bewundern soll , Fleiss, 
Ausdauer und Beharrlichkeit, oder Richtigkeit und Feinheit 
des Urtheils bei der Auswahl eines überströmenden hi- 
storischen Stoffes. 

Ich will bei dieser Gelegenheit bekannt geben, dass 
Marin Sanuto den deutschen Dingen, der geistigen Beweg- 
ung der Reformation einen vorragenden Antheil geschenkt 
hat — so dass er z. B. auch die „Confessio opinionis sive 
resolutio intentionis Martini Lutheri in presenti Imperiali 
dieta Augustae proponenda, decem et Septem articulis com- 
prehensa" , voll aufgenommen hat, eine nebenbei gesagt 
von der gewöhnlichen Form abweichende Redaction — , und 
dass ich alles was sich darauf bezieht, in vollständigen Ab- 
schriften vieler Documente zumal, aus den Bänden 28 — 56 
d. h. den Jahren 1519—1532 besitze. Diese Auszüge würden 
einen Band wichtiger Beiträge zur Geschichte jener grossen 
Epoche darstellen. Eine schöne Probe gab Herr Th. Elze 
in* der Rivista Cristiana 1875: „Martino Lutero alla Dieta 
di Vormazia nel 1521." 



Digitized by 



Google 



366 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 4. März 1882. 

SANVTO. Diarii. Vol e - 53. 3. Luglio 1530. C te - 182—183. 

Sumario di lettere di Älemagna scritte per Paxim Berecio l ) 
a ser Thomä Tiepolo q n - ser Francesco, la prima data a 
Monaco alli XI. di Zugno 1530, et ricevute tutte doe adi 

3. Luio. 

Alli 6. di lo instante se partissimo de Hispnrch 2 ) im 
compagnia dello Iraperador et per viaggio fin qui havemo 
patito grandemente, et questo e stato perche alla terra 
dove si allogiö, la sera che fö a Sboz, 8 ) si erano preparati 
X m - persone che venivano incontra al Imperador, et per 
veder quello si facea, non parse al Clarissirao Patron 4 ) di 
partirse niente dal Imperator. 

Qneste persone veramente erano benissimo in ordine, 
giovane et belle di corpo, aspettavano in doi battag lioni 



1) Pasin Bereccio war im Gefolge des venezianischen Gesandten 
Nicolö Tiepolo, vielleicht sein Hofmeister (Maestro di casa). 

2) Hispnrch = Innsprnck. 

3) Sboz = Schwaz. 

4) 11 clarissimo suo Patron war Nicolö Tiepolo, einer der berühm- 
testen Diplomaten Venedigs in jener Zeit. Ist Doctor, Ritter und Senator 
gewesen. 1523 ist er als ausserordentlicher Gesandter an Clemens VII. 
gesendet worden, um im Namen der Republik dem neuerwählten Papste 
den Huldigungsakt auszurichten. 

1529 ausserordentlicher Gesandter an Kaiser Karl V. in Bologna. 
1530—33 gewöhnlicher Gesandter an denselben Kaiser. 

1534 ausserordentlicher Gesandter an den neuerwählten Papst 
Paul III. 

1535 Bailo in Constantinopel. 

1536 Gesandter in Genua bei Kaiser Karl V. 
1538 Commissär beim Congress von Nizza. 
1542 wieder Gesandter an Kaiser Karl V. 

Und ungeachtet aller dieser diplomatischen Sendungen fand er Zeit, um 
einen Commentar über die Probleme des Aristoteles zu schreiben, und 
viele Gedichte in italienischer Sprache, die den allgemeinen Beifall 
erhielten, zu publiciren. — Tommaso Tiepolo war sein Bruder. 



Digitized by 



Google 



Thomas: Der Emzug Kaisers Karl V. in München etc. 367 

sopra una prateria lo Imperador; el quäl gionto, a modo 
di fatto d' arme , corendosi V una parte contra V altra, lo 
serarono in mezzo lui et il Serenissimo Re con assaissime 
altre gente et scaricarono tutti li archibusi et artillarie, et 
cosi T Imperator passö per mezzo di detta gente et poi 
d' intorno, quäle tutte seinginochiavano et abassavano li loro 
piche in terra in segno di riverentia. 

Eravi etiam da zirca 500 puti d' anni 13, fin 17, in 
nno battaglion armati con le bandiere et tamburi al ordi- 
nanza, che con bonissima ciera furono veduti dalla Maesta 
Cesarea et dal Serenissimo Re suo fratello. 

Fu fatto grandissiraa festa in ditto loco per tal venuta 
de li loro Signori et allegrezza, et cussi alli 9. gion'gessemo 
qui a Monaco, terra di Baviera, dove siamo bene allogiati. 

Alli X, fe T intrata lo Imperator, et fu incontrato 
dalli Duchi de ditto loco con zerca 600 cavalli alla borgog- 
nona armati, bellissimi e di grandissima Valuta, quali haveano 
ciascuno il suo ragazo 5 ) che portava 1' elmetto , e tutti 
coperti di penacchi, a diverse liyree li penachii soli, et 
eravi tale elmetto che havea pene per XXV. scudi et piü. 
Le lanze erano dipinte mezze negre et mezze bianche, et 
li vestimenti loro erano saglioni 6a ) rossi con la divisa alla 
manicha de li Signori soi. Li Capi di questi erano vestiti 
di damasco et di raso cremesino con catene d' oro al collo 
di valuta grandissima. 

Inanti che intrasse nellä terra, vi erano doi bataglioni 
ivi in foggia di voler far fatto d' arme , zoe di fantarie 
benissimo in ordine con cerca 130 pezi d' artillarie posti in 
cadauno di questi bataglioni, et li scaricarono dette artillarie 
et ambi doi si andarono ad incontrarsi che fu cosa bellissima 
a veder. 



5) Ragazo = Page. 

6a) Sagloni, von sajo, lat. sagum, abgeleitet, militärische Oberröcke. 



Digitized by 



Google 



368 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 4. März 1882. 

Gionto poi soa Maiestä apresso la terra dove e uno 
ponte 6 ) sopra un aqua corente corae h il Adese, 7 ) che con- 
duse zatere et etiam se navega con barche, et e fora di la 
terra longo da braza 100 et piü; et era in ditto fiume un 
caratello 8 ) posto sopra un legno in forma di quintana, 9 ) 
con una bandiera sopra; et erano sei barche con homini 
dentro, che giostravano in ditto caratello e i piü di loro 
andavano in aqua, repercossi dalle loro botte, et erano 
guidate da doi remi V una, et a seconda 10 ) grandissima 
dil fiumo venivano. 

Sopra ditto ponte se firmö lo Imperator a veder la 
giostra per un pezo, et poi intrö in la terra et andö alla 
habitatione preparata per sua Maestä. 

Et in tre lochi avanti chel giungesse alla habitatione, 
erano tre soleri 11 ) di longheza di braza 12 et di largheza 
di braza 8., sopra il primo de li quali era uno vestito da 
Re, che sedeva sopra un tribunale et intorno a se molti gen- 
tilbuomini che sedevano, et nanti a se una Regina con uno 
sceptro in mano con li ginochij in terra, et erano tanto 
fermi che molti credevano che fusseno di pietra o di legno. 

Sopra il secondo erano gente armate, che haveano 
fatto d' arme, et vi si vedevano quelle persone tanto ben 
poste, che pareva propriamente, che alcuni havessero tag- 



6) Die Brücke über die Isar. 

7) Adese, Adige, Etsch. 

8) Caratello, Pass. 

9) quintana, Zielscheibe, eigentlich eine männliche Figur von Holz, 
welche als Ziel der Lanze galt; gewöhnlich in der Gestalt eines Sara- 
cenen. Die Entstehung des Wortes, welches auch im französischen vor- 
kommt — quintaine — ist noch unklar. Vgl. Diez sub voce. 

10) a segonda grandissima del fiume: längs der starken Strömung 
des Flusses ; flussabwärts. 

11) soleri, Gerüste, auf welchen plastische Bilder dargestellt wurden: 
Buhne, wie der deutsche Bericht sagt. 



Digitized by 



Google 



Thomas: Der Einzug Kaisers Karl V. in München etc. 369 

liata la testa et alcuni le mani et alcuni le braza, e alcuni 
le gambe, et vedevasi loro tutti star tanto fermi, che non 
si poteva credere che non fosseno cosi feriti et morti, perche 
si vedeva bollire et scaturire il sangue fora di le piaghe, 
cosa amiranda a vedere. 

Sopra il terzo era uno in habito regale, che havea fatto 
aprire nno et cavarli il cor, et havea in mano uno core 
caldo et semivivo, che palpitava alhora alhora, et intorno 
erano persone che stavano quiete ad admirare. 

Nel mostrar di queste cose usavano gran cerimonie et 
come haveano aperto le corfcine per spazio de mezzo quarto 
de hora, le seravano, et poi serate per un poco, le ritor- 
navano ad aprire. 

Qaesti tre palchi erano di bellissimi drappi di seta 
adornati, et ben ordinati, et niuno si poteva saziar di 
vederli. 

Molte altre belle cose sono sta fatte, che io non so per 
aver convenuto star in casa con il Sig. Marco Savorgnano, 
quäl e araalato di dragonzelli, 1 2 ) et e risanato per la Dio 
gratia. 

Hoggi doi de li illustrissimi Signori Duchi di Baviera 
hanno mandato a donare al Clarissimo patron mio sachi 
quattro di biava da cavallo, pol esser sta stara 16 venetiani 
zircha, mastelli tre di bon vin et un gran cervo morto, et 
lo hanno invidato doman da sera a cenar con loro nel suo 
giardino, si dice che hanno speso in far quello giardino 
40 000 ducati, credo debbia essere bellissirao. 

Questa terra e di bellezza e supera a judicio di cadauno 
di la famiglia Bologna, Mantua, et Ferrara, et altre citade 
di Italia, siehe la e bellissima et ha de bell issi ine doune. 



12) dragonzelli. Ist echt venezianisch; es sind Geschwülste anter 
dem Kinn und um den Hals, welche das Einschlacken verhindern. Dieser 
Marco Savorgnan war ein junger Edelmann im Gefolge des Gesandten. 



Digitized by 



Google 



370 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. März 1882. 

SANTJTO. Diarii. VoK 53. 3. Luglio 1530. C te - 183. 
183 terg0 - 

Lettera dil ditto data in Auspurch ditta Augusta adi 
16. Zugno 1530. 
Da Monaco scrissi la lntrata dil Imperador, et mi di- 
menticai dirli, come da poi li soldati era fabricato sopra la 
piaza nno castello di lignami, qualle al gionger di saa 
Maestä in piazza in uno instante fu rninato da certi fochi 
artificiadi che erano dentro et archibusi con gran rumor, 
et fo molto bello a veder, et dissi del invito fatto per li 
duchi al Imperador et altri Signori a cena nel suo giardino, 
e bora ho avuto Y ordine dil seder dei convitati, lo scrivo, 
el quäl e questo: in capo di la tavola sedeva lo Imperator, 
a parte dextra il Rev mo Legato Pontificio Campegio, il Car- 
dinal di Trento, V orator di Franza, V orator di Venetia, 
il marchese di Arescolt, 1 ) il marchese di Villa Franca, il 
Gran maestro dil Imperator monsignor di Granville, suo 
consier, il Gran Comendador di Leon, il vescovo di Costanza, 
il Duca Guilelmo di Baviera, a parte sinistra il Re Feran- 
dino, il Card, di Salzpurch over Curzense, il Cardinal di 
Leggie, il nuntio Pontificio, 2 ) V archiepiscopo di Bari, 1' ora- 
tor di Mantoa, il marchexe di Brandiburg, il vescovo di 
Spira, il vescovo di Brexanon, il vescovo di Patavia, il Duca 
Lodovico di Baviera, il fratello dil Card, di Brandiburg — 
capo di tavolla — di sotto il Conte Palatino fratello de lo 
Elector. 

Questi tutti erano alla tavola cosi ordinatamente et vi 
sentarono a höre XXI. et stetteno fina un hora di notte, 



1) vielmehr Areschott. 

2) Vincenzo Pimpinello, Erzbischof von Rosano; er hielt die Predigt 
vor Eröffnung des Reichstags, und zwar in allbefriedigender Weise. De 
Leva a. a. 0. 8. 10. 



Digitized by 



Google 



Thomas: Der Einzug Kaisers Karl V. in München etc. 371 

et fin quell' hora haveano portato in tavola 32. sorte di 
vivande che si era a mezzo la cena, et portavano alcnne 
vivande di aniroali, che parevano vivi; allo Imperator fu 
portato primo una aquila, cicogna, grua, cervo et altre 
sorte di animali; et essendo a mezzo il convitto V Imperator 
si levö et comandö che tutti si levassero , et questo perche 
si faceva una festa nella terra, dove erano le piü belle donne 
della terra, et fu etiam assignato a tutti il suo ballo, pur 
T Imperator et il Re ne volse piü di uno, et ivi stetteno 
fio alle 3V 2 DOre di notte, et poi tutti andarono alle loro caxe. 

II Giardin preditto e molto bello e di gran Valuta, e 
a volerlo descriver, li vorebbe altro ingegno che il mio, 
pur dirö questo, che a tutti parve il piü bello. 

Quasi al mezzo vi e una fontana et ha sopra doi leoni 
et doi orsi che stanno a sedere , et sopra la testa loro 
hanno uno putto per cadauno et cosi uno in brazo, che 
pareno vivi et butano V aqua da alcune trombette che hanno 
in bocca et la pissano etiam, et cosi li orsi et li leoni. 

Sopra di questa fontana vi e una stuva, 8 ) quäl ha tre 
quadri dipinti di guerre di Romani, che sono pycture di 
gran precio et ha il fornello facto a figure, che pareno 
vive ; — dalla parte di sotto vi sono gente che ballano, 
et per il ballo fanno questione; dove si vede molti morti 
e feriti, al mezzo vi e una ordinanza di fanteria a tre a 
tre armati con le bandiere che danno lo assalto a una terra 
et quelli di la terra si difendono et ne amazanp molti. 

Di sopra vi e Salomone che ha le due donne et le sen- 
tentia che il figliolo sia diviso et dato a ciaschuna una 
parte; poi da un' altra parte e uno Re, che inanti a se 
ha tre giovani, et ciascun si crede esser figliolo suo e a 



3) Stuva, stufa, eigentlich Ofen; dann gewärmter Raum, Warm- 
stube, Warm- und Treibbaus, welches hier eine Art Gartensalon darge- 
stellt haben mag. 

[1882. 1. Philos.-philol. bist. Cl. 3.] 25 



Digitized by 



Google 



3 72 Sitzung der phiios.-pkitöl. Ctasse vom 4. März X882. 

lui pervenir la facultä; quäl Re par sia extrato dalla se- 
pultura et voler colui, che li passerä il core con la frezza 
esser lo herede, si vede doi di loro haverli tirato con r 
T arco le loro frezze in mezzo al core, et il vero figliolo 
romper V arco et la freza piangendo, et a lui fu sententiä 
havesse la facultä. 

Poi e David che combatte con Golias et lo amazoe, e 
vi etiam Pyramo et Tisbe morti alla fontana, con molte 
altre cose belle che tutte pareno vive. Sono etiam altre 
statue belle e altro che non so dirle, basta ch' e bellisöimo 
giardino. 



Digitized by 



Google 



Historische Classe. 



Sitzung vom 4. März 1882. 



Herr v. Löher trug vor: 

„Ueber angebliche Menschenopfer bei 
den Germanen." 

Für die richtige Auffassung des Bildungsstandes der 
Germanen ist die Frage, ob sie Menschen opferten, von 
einschneidender Bedeutung. Von den Meisten wird diese 
Frage noch bejaht: die Gründe dafür sind aber der Art, 
dass sie von selbst anreizen, sie näher zu untersuchen. 

Es wäre doch ein seltener Widerspruch, wenn die Ger- 
manen, bei denen vor andern Völkern eine reine und geistige 
Religion blühete, geglaubt hätten, es sei dem göttlichen 
Wesen wohlgefällig, wenn ihm das edelste Geschöpf zwischen 
Himmel und Erde geschlachtet werde. Wären die Ger- 
manen wirklich von so furchtbarem Wahne verblendet ge- 
wesen, so müsste doch ihr gesammtes Religionswesen ein 
anderes Gesicht tragen. 

Sehen wir uns zunächst auf ihren sogenannten Opfer- 
stätten um, die zahlreich festgestellt sind. Da müssten sich 
neben der Menge von Thierknochen doch auch regelmässig 
wenigstens ein paar Schädel und Gebeine von Menschen 
finden. Soviel man aber danach gesucht und gegraben hat, 

25* 



Digitized by 



Google 



374 Sitzung der histor. Ölasse vom 4. März 1882. 

sie wollten und wollen sich nirgends so, wie erwartet, zeigen. 
Doch an einem Orte fand sich etwas, dies ist der Lochen- 
stein, der — gegen dreitausend Fuss hoch — im westlichen 
Süddeutschland eine ähnliche Stelle einnimmt wie der Brocken 
im Harze. Während man in Norddeutschland sagt: „Ich 
wollte, dass du auf dem Blocksberg sässest !" heisst es hier: 
„Ich wollte, dass du auf der Lochen wärest!", und die 
Hexen tanzten und buhlten mit den Teufeln auf der einen 
wie der andern Berghohe. Neben dem sogen. Opfersteine 
auf der Lochen lag unter der Rasendecke, wie 0. Fraas jüngst 
nach sorgfältigen Erhebungen festgestellt hat, l ) bei zahllosen 
Knochen eine solche Menge von rohen Stein Werkzeugen der 
ältesten Zeit, sowie von fein gearbeiteten Eisen- und Bronze- 
sachen aus der Römerzeit, dass man die Jahrhunderte, wäh- 
rend welcher hier Feste gefeiert wurden, auf einige vor und 
ebensoviele nach Christus berechnen muss. Es fanden sich 
da Mahlsteine zum Kornzerreiben, um Mehl und Schrot für 
Brodbacken zu gewinnen, zu Tausenden Scherben von Töpfen, 
aus denen man einst Meth und Bier getrunken, und endlich 
die Knochen der Thiere, welche gebraten und verspeist 
wurden. Von den letzteren gehörten 40 Prozent dem Rinde, 
26 dem Schaf und der Ziege, 17 dem Schweine, nur 8 dem 
Pferde, 4 dem Hirsch, 3 dem Hunde an, in die noch übrigen 
2 Prozent theilteu sich Auerochs, Elch, Biber, Reh, Schwan 
und — Mensch. Ein menschliches Schenkelbein war von 
Hieben zerhauen und ein Menschenschädel arg mitgenommen. 
Darf man nun wohl von diesem ganz verschwindend kleinen 
Antheil des Menschengebeins einen Beweis hernehmen, dass 
seine Besitzer einst geopfert worden? Liegt denn die Ver- 
muthung nicht viel näher, dass in den fünf oder sieben 
Jahrhunderten auf dieser Stätte auch einmal ein paar 



1) Correspondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, 
Ethnologie und Urgeschichte. München 1883, XIII. No. 3. 



Digitized by 



Google 



v. Loher: Ueber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 375 

Menschen bei einer Rauferei erschlagen oder wegen argen 
Frevels anf der Stelle bestraft sind ? 

Wir durchgehen nun die zahlreichen Bildwerke, die sich 
um die Antonins- und Trajanssäule winden, von denen nicht 
bloss die erste, sondern, wie leicht darzuthun, auch die andere 
uns anschauliche Genrebilder aus dem Leben und Treiben 
der Germanen darstellen. Hätte es bei Diesen Menschen- 
opfer gegeben, so würden wir unter den Bildwerken ihre 
Schilderung ebenso sicher antreffen, wie die aufgespiessten 
Feindesköpfe auf germanischen Verschanzungen, die Peinig- 
ung der Gefangenen mit Feuer und Eisen durch die Weiber, 
die Selbstvergiftung der überwundenen Häuptlinge. Allein 
weder an der Trajans- noch an der Antoninssäule lässt sich 
das Geringste entdecken, was auf Menschenopfer hindeutet. 

Wir wenden uns endlich zu den schriftlichen Quellen, 
die über die Germanenzeit Kunde geben. Es kommen hier 
vorzugsweise drei Arten in Betracht: die Sagen, die Volks- 
rechte und Gesetze, und die Lebensbeschreibungen der 
Glaubensboten, 

In den Liedern und Sagen der älteren Edda, sowie im 
Beowulfs- und Waltarilied, im Ruodlieb, und dem Bruch- 
stücke der Muspilli und der Sage von Hildebrand und Hade- 
brand liegt vom religiösen und sittlichen Brauch und Glauben 
nicht wenig ausgebreitet vor uns. Trifft man aber nur auf 
eine einzige Andeutung von Menschenopfern darin? Auf 
keine einzige. 

Wo bei einem Volke ein so gräulicher Götterdienst 
Wurzel geschlagen, da wird dadurch — es kann nicht 
anders sein — das ganze öffentliche Leben verdüstert und 
verzerrt. Wir müssten also auch in Recht und Sitte und 
Verfassung der Germanen noch vielfach auf die Spuren 
solchen Opferdienstes stossen. Diese Spuren fehlen aber 
gänzlich, so reichlich auch die Aufzeichnungen sind, die 
wir von den alten Volksrechten besitzen. Mindestens müsste 



Digitized by 



Google 



376 Sitzung der histor. Classe vom 4. März 1882. 

doch in den Gesetzen der Merowinger und Karolinger, die 
auf's Strengste den alten heidnischen Wahn und Brauch 
verfolgten, vor allem andern wiederholt und ausdrücklich 
von Menschenopfern die Rede sein. Sie schweigen davon. 

Jedenfalls würden, wenn solche Gräuel vorgekommen 
wären, die Glaubensboten, die zahlreich sich unter die . heid- 
nischen Germanen wagten, die blutige Feier selbst geschil- 
dert und ihres Sieges über den entsetzlichen Wahn sich 
gerühmt haben. Allein auch davon lesen wir nicht das 
Mindeste in den Lebensbeschreibungen dieser Missionäre, so 
sehr die Verfasser auch dem Glauben an Wunder und Selt- 
samkeiten sich zuneigen. 

Bei solchem Stande der Dinge lässt sich die Anforder- 
ung nicht abweisen, dass das Wenige in den ältesten Ge- 
setzen und Berichten, das man allenfalls von Menschenopfern 
verstehen könnte, erst wohl darauf zu prüfen ist, ob es sich 
nicht mit viel mehr Fug und Recht auch anders erklären 
lasse? 

Wie aber? Wenn wir alle diese Stellen durchlesen, 
rnuss es da nicht auffallen, dass — ausgenommen die einzige 
Angabe des Tacitus, es kämen bei den Germanen auch 
Menschenopfer vor, die ganz allgemein gehalten ist und auf 
gleicher Höhe steht mit seiner fabelhaften Erzählung vom 
Isisdienst und von der odysseischen Gründung der Asciburg, 
— dass mit dieser einzigen f werthlosen Ausnahme alle die 
Stellen immer nur von Sachsen und Friesen handeln und 
nicht auch von anderen Stämmen auf deutschem Boden? 
Warum sollen nur Sachsen und Friesen solche Unheilssöhne 
gewesen sein? Zwar waren sie ihrer Härte und Wildheit 
wegen verschrieen, allein, da bei allen deutschen Stämmen 
in Denkungsart Recht und Einrichtungen entschiedene Ueber- 
einstimmung herrscht, so wäre es geradezu unmöglich, dass 
eine so gräuliche Sitte , wie Menschenopfer , wenn sie bei 
Sachsen und Friesen wirklich bestand, bloss auf Diese wäre 



Digitized by 



Google 



v. Löher: Ueber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 377 

beschränkt geblieben. Nun hatten die Römer einige Jahr- 
hunderte lang mit Markomannen, Franken, Allemannen und 
Burgundern, mit West- und Ostgothen, Vandalen, Herulern, 
Rugiern und Gepiden zu thun. Es wanderten so viele Händler 
über den Rhein und die Donau in's Innere Germaniens, es 
kehrten so viele Kriegsgefangene, die dorthin geschleppt 
waren, zurück: irgend einmal müsste doch einer von ihnen 
einem feierlichen Menschenopfer beigewohnt und in der 
Heimath den begierig Horchenden davon erzählt haben uud 
diese Erzählung in die Berichte der römischen und griechischen 
Geschichtschreiber eingeflossen sein. In all' diesen Berichten 
aber findet sich — eine noch zu erwähnende Stelle bei 
Prokop ausgenommen — wohlmal eine allgemeine Andeut- 
ung, eine bestimmte klare Erzählung aber ebenso wenig, 
als bei den nationalen Geschichtschreibern der Gothen 
Franken Sachsen und Angeln. 

Doch prüfen wir nun die Stellen selbst, die angeblich 
von Menschenopfern bei Sachsen und Friesen berichten. Es 
sind zehn. Richthofen, der an Menschenopfer glaubt, hat 
Alles darüber in seinem vortrefflichen Werke über die alte 
Lex Saxonum sorgfältig gesammelt. 1 ) Prüfen wir die Be- 
richte alle zehn nach der Reihe. 

Der Hauptartikel findet sich in dem Kapitular, welches 
Karl der Grosse im Jahr 877 für die sächsischen Lande 
erliess. Darin werden die heidnischen Bräuche mit Strafe 
belegt. Diese sind nämlich das Gelübde, das zu heiligen 
Bäumen oder Hainen oder Quellen gemacht wurde, — das 
Verspeisen von etwas zu Ehren eines göttlichen Wesens, — 
das Wahrsagen und Zaubern, — der Vampyrglaube, — das 
Leichenverbrennen, — und da beisst es denn auch im neunten 
Artikel : Si quis hominem diabulo sacrificaverit et in hostiam 



1) Dr. Karl Freiherr von Richthofen Zur lex Saxonum. 
Berlin 1868. Monum. Germ. Leg. tom. V fasc. I, Hannover 1875. 



Digitized by 



Google 



378 Sitzung der histor. Classe vom 4. März 1882, 

more pagaDorum daemonibus obtulerit, morte moriatur. Hier 
könnte wirklich von Menschenopfern die Rede sein, wenn 
schon anderweit feststände, dass sie bei den Sachsen im 
Schwünge gewesen. Da aber dies nicht der Fall , da das 
Gesetz nicht lautet „geopfert und getödtet hat", so 
dürfen wir den Zusatz von „den Dämonen darbringen " nur 
dahin auslegen, dass er deutlicher machen soll, was unter 
dem Opfern (sacrificare) zu verstehen, nämlich das förmliche 
Verwünschen und Uebergeben an Dämonen mit feierlichen 
Worten, ein Heidenbrauch, zu welchem das bekannte. „Dass 
Dich der Teufel hole!" noch tagtäglichen Nachklang giebt. 
Die Härte der Strafe aber darf nicht auffallen ; denn Todes- 
strafe soll nach dem achten Artikel schon erleiden, wer 
sich aus Furcht vor der Taufe versteckt, und nach dem 
siebenten auch, wer eine Leiche verbrennt und die Knochen 
in Asche verwandelt. Denn das Verbrennen der Weichtheile 
des Körpers blieb straflos. 

Die andere Stelle ist aus dem Friesenrecht. Als im 
achten Jahrhundert die alten Volksgesetze der Friesen auf- 
geschrieben wurden, fand sich auch ein Zettel von Ulemar, 
einem früheren angesehenen Rechtsverständigen, und auf 
diesem Zettel lautet der Satz, welcher jetzt den Schluss des 
Friesenrechts bildet, noch recht altgermanisch: „Qui fanum 
effregerit et ibi aliquid de sacris tulerit, ducitur ad mare 
et in sabulo, quod accessus maris operire solet, finduntur 
aures ejus, et castratur, et immolatur diis, quorum templa 
violavit. Offenbar spricht dies Gesetz von keinem Menschen- 
opfer, sondern von einer Strafe für Frevel am Heiligthum. 
Das immolare bestand , wie aus dem gleich anzuführenden 
Bericht Wulframs zu ersehen, darin , dass der Frevler ins 
Meer geworfen wurde. Dass er aber auf dem trügerischen 
Sande, welchen die Fluth zu unterwässern pflegt, also kurz 
vor Erleidung der Todesstrafe erst durch Ohrenschlitzen 
und Entmannen auf die fürchterlichste Weise geschändet 



Digitized by 



Google 



v. Löher: Ueber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 379 

wird, zeigt nur, welchen Abscheu sein arges Verbrechen 
erregte. 

Ganz dasselbe, was dieses alte Gesetz aus der Heiden- 
zeit besagt, nämlich die Bestrafung wegen Verbrechens am 
Heiligthum, kehrt in drei andern Berichten wieder : 

Von Bischof Wulfram von Sens, der unter den Friesen 
als Bekehrer gewirkt und 695 im französichen Kloster 
Fontanelle gestorben , hat eiu Klosterbruder nicht lange 
darauf eine Lebensbeschreibung verfasst. Darin heisst es: 
Praedicante sancto pontifice in populo (Fresionum) contigit 
die quadam, puerum ex ipsa Fresionum natione ortum, diis 
immolandum, duci ad laqueum. Orabat autem vir sanctus 
incredulem ducem (Rathbodum), ut hujus pueri vitam sibi 
donaret. Tunc animosi gentiles unanimes frustrabantur 
ejus precem, dicentes : si tuus Christus eum de tormento mortis 
eripuerit, sit ejus tuusque servus aevo perenni. Appenditur 
deinde puer in patibulum. — Im folgenden Kapitel wird ein 
ähnlicher Vorfall erzählt. Alii quoque adolescentes ex prae- 
dicta Fresionum natione similiter ritu profano daemonibus 
immolandi, missa sorte more patrio, sunt deprehensi. Pro 
quibus supplicaturus inclytus praesul Wulframus accessit, 
sed gentiles, preces illius audire contemnentes , pvaefatos 
pueros projecerunt in pelagus, ut illic inter fluctus illis ne- 
catis sacrificium execrabile perficerent daemonibus. Quo 
peracto ajunt Sancto: Vade nunc jam et si inde liberare 
eos poteris, habeat eos deus tuus in servos jure perenni. — 
Der Friesenapostel Wulfram sah also einmal einen Knaben 
zum Galgen führen, und ein andermal wurden Jünglinge, 
welche das Loos getroffen, ergriffen und in's Meer geworfen: 
beidemal braucht der Erzähler den Ausdruck, sie wären 
den Dämonen geopfert. Dass aber hier bloss Rache für 
Frevel an Heiligthümern geübt wurde, geht sowohl aus dem 
eben hergesetzten Artikel des Friesenrechts, und aus den 
herkömmlichen Verbrechensstrafen — Galgen oder Er- 



Digitized by 



Google 



380 Sitzung der histor. Classe vom 4. März 1882. 

tränken, — als aus einer Stelle in der von Alkuin her- 
rührenden Lebensbeschreibung Willibrords hervor, die eben- 
falls Menschenopfer beweisen soll: Injurias suorum deorum 
ulcisci cogitabat (rex Radbodus) et per tres dies semper 
tribus vicibus sortes suo more mittebat, et numquara dam- 
natorum sors super servum Dei aut aliquera ex suis cadere 
potuit, nee nisi unus tantum ex sociis suis sorte monstratus 
martyrio coronatus est, quia violatores sacroruni illius atro- 
cissima raorte (rex) daranare solebat. — Der Missionär hat 
nämlich auf Helgoland um das Jahr 700 Rinder schlachten 
lassen, die auf einer heiligen Stätte weideten, und eine dort 
springende Quelle, aus welcher man nur in stiller Ehrfurcht 
trinken durfte, zu einer öffentlichen redereichen Taufe be- 
nutzt. Gaukönig Radbod ist ergrimmt darüber uud lässt 
drei Tage hinter einander dreimal das Loos werfen, um 
Diejenigen zu erfahren und mit dem Tode zu bestrafen, 
welche Haupturheber des Frevels gewesen. 

Ferner sagt Rudolf von Fulda in einer Beschreibung 
der Translation der Reliquien des hl. Alexander: coluernnt 
(Saxones pagani) eos, qui natura non erant dii; inter quos 
maxime Mercurium venerabantur, cui certis diebus humanis 
quoque hostiis litare consueverant. Das ist wörtlich aus 
dem Tacitus genommen , kann also für sich selbst nichts 
beweisen. 

Zwei andere Stellen, die eine in Lebuins, die andere 
in Liudgers Lebensbeschreibung, deren jede erst im neunten 
Jahrhundert oder später noch geschrieben wurde, werden 
ebenfalls zum Beweis von Menschenopfern angeführt: sie 
sprechen aber nur von Gelübden und Opfern überhaupt, 
von Menschentödten ist darin nicht die Rede. Von der 
grossen Versammlung der Sachsen 770 zu Marklo an der 
Weser heisst es nämlich: omnis concionis illius multitudo 
primo suorum proavorum servare contendit instituta, nu- 
minibus videlicet suis vota solvens ac sacrificia. Herzog 



Digitized by 



Google 



v. Löher: lieber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 381 

Widukind aber hatte im Jahre 782 einen Theil der Friesen 
dazu gebracht, vom Christenthum abzufallen, et usque ad 
Fleo fluvium fecit Fresones Christi fidem relinquere et im- 
molare idolis juxta morem erroris pristini. 

Von einem grausamen Herkommen bei sächsischen See- 
räubern, die an den gallischen Küsten heerten und raubten, 
berichtet zu Ende des fünften Jahrhunderts der Bischof von 
Clermont , Sidonius Apollinaris, der bekanntlich seine Er- 
zählungen gern in einem blühenden Stil vortrug. Priusquam 
(archipiratae Saxonici) de continenti in patriam vela laxantes 
hostico mordaces ancoras vado vellant, mos est remeaturis, 
decimum quemque captorum per aequales et cruciarias poenas, 
plus ob hoc tristi quam superstitioso ritu necare, superque 
collectam turbam periturorum mortis iniquitatem sortis aequi- 
tate dispergere; talibusque eligunt votis, victimis solvunt. 
Et per hujusmodi non tarn sacrificia purgati, quam sacri- 
legia polluti, religiosum putant caedis infaustae perpetratores 
de capite captivo magis exigere tormenta quam pretia. — 
Ehe die Seeräuber vom Festlande die Anker zur Heimkehr 
lichteten, musste der zehnte Mann der zusammengeraubten 
Menschen sterben. „Ueber diese Schaar der Todgeweihten 
verstreuen sie des Todes Unrecht durch des Looses Recht: 
unter solchen Gelübden wählen sie, zahlen sie mit Schlacht- 
opfern. Und durch solchen heiligen Brauch weniger ge- 
reinigt als durch Heiligthumsschändung befleckt halten die 
unheilvollen Mörder es für etwas Religiöses, von ihrer 
Menschenbeute lieber Qualen, als Verkaufspreise zu erpressen 11 . 
Offenbar ist hier nicht von Menschenopfern die Rede, sondern 
von einer gräulichen Art und Weise, die Zukunft zu er- 
forschen, ob nämlich auf Heil zur Heimfahrt zu hoffen. 

Aehnlich wird man auch die einzige Stelle verstehen 
müssen , die bestimmt von Menschenopfern redet. Papst 
Gregor III. schreibt nämlich im Jahr 732 an Bonifacius: 
Et hoc inter alia discrimen agi in partibus illis dixisti, 



Digitized by 



Google 



382 Sitzung der histor. Glosse vom 4. März 1882. 

quod quidam ex fidelibus ad immolandum paganis sua ve- 
nundant mancipia. Hoc ut magnopere corrigere debes, frater, 
nee sinas fieri ultra: scelus enim est et impietas. — Sollten 
aber wirklich die neuen Christen einen so schändlichen 
Brauch, wenn sie ihm selbst nicht mehr fröhnten, bei 
ihren Nachbarn begünstigt haben? Und warum kaufte man 
denn Fremde, da der heimischen Leibeigenen aller Orten ge- 
nug waren ? Wenn des Missionärs Zuträger nicht ihn oder 
nicht selber sich getäuscht, so lief wohl die Sache darauf 
hinaus, dass selten einmal ein fremder Sklave oder Kriegs- 
gefangener gekauft wurde, um aus seinem strömenden Blute 
eine Weissagung zu ziehen. Denn von solchem Aber- 
glauben waren die Germanen allerdings tief umnachtet. 
Gleichwie bei den Römern ekelhaft in den Eingeweiden 
geschlachteter Thiere gewühlt wurde, um aus dereu Ver- 
schlingungen in das Wirrsal der Zukunft hinein zu blicken, 
so diente germanischen Weibern dazu das Ringeln und 
Quirlen von frischem Menschenblut im siedenden Kessel. 
Auch bei den Cimbern schon erschienen diese fürchterlichen 
Frauen, welche das Blut gefangener Römer in ihre Kessel 
laufen liessen. 

Das sind nun alle Stellen in Quellenschriften, die be- 
zeugen sollen, dass es bei den alten Sachsen und Friesen 
— und diese waren doch berüchtigt ihrer eisernen Herzen 
wegen — Menschenopfer gegeben. Ganz ähnlich ergiebt 
bei den andern und noch dazu äusserst wenigen Nachrichten, 
die von Menschenopfern bei Germanen ausserhalb Deutsch- 
land etwas enthalten, die Untersuchung sofort, dass ent- 
weder von Kriegsgefangenen die Rede, die aus Rache, oder 
weil man sie nicht länger ernähren konnte, erschlagen, — 
oder von Verbrechern, die bestraft werden, — oder von 
Solchen, die freiwillig den Tod als Sühnopfer auf sich 
nahmen. Was wird nicht Alles noch heutzutage im Volke 
von Hexen Wärwölfen und Vampyren erzählt, oder von 



Digitized by 



Google 



v. Löher: Ueber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 383 

Christenkinder schlachtenden Juden, oder von Hexenmeistern, 
die, um ihren Zauber zu vollbringen, des Blutes oder Fingers 
von einem unschuldigen Kinde bedürfen ! Soll man also 
Prokop, der beständig sich auf der Anekdotenjagd befindet, 
Glauben beimessen, wenn er für Menschenopfer ausgiebt, 
als christliche Franken in Italien gefangene Feindeskinder 
tödteten und in einen Fluss warfen „als des Krieges Erst- 
linge"? Oder muss man gleich an Opferfeier denken, wenn 
Jordanis schreibt: „Die Dankopfer für den Kriegsgott waren 
die Tode der Kriegsgefangenen"? Wenn aber Dietmar von 
Merseburg bloss aus Hörensagen von einer dänischen Opfer- 
feier erzählt, die vor einem Jahrhundert alle 9 Jahre auf 
Seeland stattgefunden hätte und bei welcher je 99 Menschen, 
Pferde, Hunde und Habichte oder Hähne geschlachtet worden 
seien , und wenn Adam von Bremen dasselbe Mordfest als- 
dann nach Upsala verlegt, so kann man solche Nachrichten, 
welche der erste Erzähler selbst als bedenklich bezeichnet, 
ebenso wohl auf sich beruhen lassen, als wenn der nor- 
wegische Chronist Snorro versichert: in den ältesten Zeiten 
seien in Skandinavien Menschenopfer nicht Brauch gewesen, 
erst unter König Domald habe man sie erfunden, um eine 
allgemeine Hungersnoth abzuwenden, weil erkannt worden, 
mit dem bisherigen Opfer eines wegen Uebermastung halb 
tollen Stiers lasse sich bei Odin nichts mehr ausrichten. — 

Doch wir dürfen noch einen Schritt weiter gehen und 
fragen, ob es bei Germanen überhaupt solche Opfer gab, 
wie bei Semiten Griechen und Römern? 

Germanen hatten, worüber die neueren Forscher fast 
sämmtlich einverstanden sind, keinen Priesterstand, sondern 
gleichwie jeder Hausvater für seine Familie, so übten Richter 
Grafen und Könige alles das für das Volk, was anderswo 
zu priesterlichem Amte gehörte, nämlich Festzüge sammeln, 
Hymnen anstimmen und jeden andern religiösen Brauch 
ordnen. Wer in der öffentlichen Yersammlung priester- 



Digitized by 



Google 



384 Sitzung der histor. Glasse vom 4. März 1882. 

liebe Handlungen verrichtete, hiess einfach e-wart oder a-säga, 
Rechtssager oder Rechtswart, denn ewa bedeutete das ge- 
sammte Recht und Gesetz. Wo man aber keine Priester 
im Sinne der Alten kannte, da liegt der Zweifel nahe, ob 
es denn dort auch Opfer im Sinne der Alten gegeben? 

Gewiss gab es Opfer, soweit sie nämlich im ehrfürch- 
tigen Darbringen und Weihen und damit verbundenen Ver- 
zehren von Thieren und Früchten des Feldes bestanden, — 
jedoch in Bezug auf Opfer, insofern ihr Wesentliches in der 
Vernichtung von etwas Geschaffenem liegt, ist die Frage 
zu verneinen. 

Im Verhältniss zu semitischen Völkern, die sich ewig 
mit Opfern und Heiligthümern müheten, erschienen die 
Germanen als weltlich gesinnte Leute. Ja, man hätte das 
Volk, das in seinem tiefsten Wesen von Ehrfurcht vor dem 
Göttlichen und vom Glauben an Unsterblichkeit erfüllt und 
durchdrungen war, im Vergleich mit all jenen Völkern ein 
irreligiöses nennen müssen; denn des Germanen religiöses 
Gefühl war ein wesentlich innerliches. Es war. ihm weder 
ßedürfniss noch Gewohnheit, in bestimmten gottesdienst- 
lichen Gebäuden und zu bestimmten Zeiten äussere religiöse 
Handlungen zu verrichten, sondern wenn sein übervolles 
Gemüth oder der Ernst des Augenblicks ihn drängte, da 
flehte er zu den göttlichen Wesen, wo er ging und stand. 
Er flehete zu ihnen und weihete sich ihnen im ahnungs- 
vollen Grauen des Morgens, im mittäglichen Allschweigen 
der besonnten Flur, in feierlicher Abendstille, — oder wenn 
ihn das heilige Rauschen des Waldes oder die stürzende 
Fluth und des Wasserfalles Schäumen oder ernste hoch- 
ragende Felsen zur Andacht stimmten, — oder wo sein 
Haus, sein Geschlecht, sein Volk sich feierlich versammelte, 
— oder wenn der Heerbann alles mit sich fortreissend in 
die Schlacht stürmte. Dass man die lichten Höhen bestieg, 
dass man dort die Hände faltete und über's Haupt empor- 



Digitized by 



Google 



v. Loher: lieber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 385 

hob, oder sie zum Himmel ausstreckte, oder dass man bei 
Bestürzung, Trauer und Reue die Blicke zur Erde schlug, 
bei Dank- und Hoffnungsgefühl das frohe Antlitz empor 
richtete, — diese natürlichen Geberden, in welchen halb 
unbewusst religiöses Ergriffensein sich kundgab, waren allen 
Germanen ebenso gemeinsam, wie allen Semiten die Ge- 
wohnheit, sich vor des Allerhöchsten un er messlicher Allge- 
walt niederzuwerfen, dass das Haupt den Boden schlug. 

Wenn aber bei wichtigen Ereignissen des Hauses — 
bei Geburtsfesten und Namengebung, bei Eheschliessung, 
bei Gutsübertragung an den Sohn, bei Bestattung eines 
Greises — die Hausbewohner sich mit Verwandten und 
Nachbarn versammelten, — oder wenn man je nach dem 
Wechsel der Jahreszeiten das Erstemal auszog zu Feld und 
Wald zu gemeinsamen Arbeiten, oder den letzten Aernte- 
wagen herein holte, — oder wenn das gesammte Volk nach 
altem Herkoramen sich schaarte zur Naturfeier am Sonne- 
wendtage, oder zur Erinnerungsfeier an nationalen Ge- 
dächtnisstagen, oder bei den Hügeln edler Todten, oder zu 
des Landes Ordnung und Gericht, zu Berathungen und Ver- 
bindungen der Stämme, zur Heerfahrt gegen den Feind, — 
bei solchen Gelegenheiten suchte das innere Verlangen, der 
Gottheit Theilnahme Schutz und Weihe zu erflehen, nach 
stärkerem Ausdruck. Nicht um die Familie oder die Ge- 
meinde oder das Volk förmlich zu heiligen, nahm man feier- 
liche Handlungen vor, sondern das lebendige religiöse Ge- 
fühl machte sich ganz von selbst um so mächtiger geltend, 
je gehobener die gemeinsame Stimmung war durch die 
Menge und Erregung der Versammelten, durch die Wichtig- 
keit dessen, was sie vornahmen, und durch die Ungewiss- 
heit des Ausgangs. Da vereinigte sich Alles zu feierlichen 
Umzügen, in denen man die Thiere, die zum gemeinsamen 
Festmahl dienen sollten, mit Grün und Blumen bekränzt 
einher führte. Da wurden auf den Höhen Freudenfeuer an- 



Digitized by 



Google 



386 Sitzung der histor. Classe vom 4. März 1882. 

gezündet, alte Hymnen und Heldendichtungen vorgetragen, 
Gesänge und Jubelruf angestimmt, und Reihentänze, Kampf- 
spiele und Gelage beschlossen den Tag. 

Von förmlichen Bitt- Sühn- und Dankopfern war bei 
solcher Feier keine Rede. Nennt man es Opfer, wenn man 
im gemeinsamen ehrfürchtigen Gedenken einer höheren Macht 
Speise und Trank geuiesst, oder wenn der Bauer im stillen 
Gefühl des Dankes gegen den Segenspender bei Aernten 
etwas Obst an den Bäumen oder ein paar Aehren im Felde 
lässt, so übten die Germanen gar manchen Opferbrauch. 
Es brachten die Verwandten und Nachbarn zu ihren Festen 
Krüge voll Meth und Bier, Rinder Ochsen Schafe und 
Pferde, die den Göttern geweihet geschlachtet und verzehrt 
wurden. Sie setzten auch vor ihre Hausthüre oder an ge- 
heiligte Stellen Blumen oder abgehauenes junges Baumgrün, 
oder von Speise und Trank etwas für die Thiere des Waldes 
und Feldes, vor Allem theilten sie Armen und Bedürftigen 
mit. Der Gedanke aber, der Gottheit zu gefallen bloss da- 
durch, dass man Erschaffenes vernichtet, wäre nach ihrer 
Geistesart den Germanen eine Thorheit gewesen. Das Wort 
Opfer kommt in die deutsche Sprache erst durch die Kirche, 
und gleichwie die Sprache anzeigt, dass Kelch und Altar, 
Orgel und Messe aus der Fremde eingeführt wurden, so 
verhielt es sich auch mit Wort und Sache des Opferns. 
Insoferne es Darbringen von Lebendigem odqr Unleben- 
digem bedeutet, indem man es vernichtet, Blut umherspritzt, 
durch Feuer das Geweihete verzehren, die Erde das Aus- 
gegossene trinken, oder die Luft es zerstören lässt, nöthigt 
keine einzige Stelle in den alten Gesetzen und Schriften dazu, 
gerade solche Art von Opfern bei Germanen anzunehmen. 

Wäre dergleichen üblich gewesen, gewiss, es lebte 
heute noch in Gebräuchen unseres Landvolkes fort; denn 
es ist beinahe nichts völlig untergegangen , was uns von 
religiösem Glauben und Aberglauben der Germanen zuver- 



Digitized by 



Google 



v. Löher: lieber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 387 

lässig berichtet worden. Hätten Diese jene Bitt- und Sühn- 
und Dankopfer gehabt, so würde sich in ihrer Sprache auch 
eine ganze Reihe Namen für Opfergebräuche und Opfergeräthe 
finden. Die Sprache schweigt aber davon, und vergebens 
werden im althochdeutschen neihunga Opfer wie bei Juden 
und Römern üblich, im zepar oder Geziefer die Opferthiere, 
im fraglichen Worte „Gebütt" das Brandopfer von Herz Lunge 
und Leber, was den Göttern gehören sollte, gesucht. Ulfilas kam 
in Verlegenheit, als er das jüdische Opferwesen ausdrücken 
musste in gothischer Sprache. Er fand in dieser das Wort 
blotan, welches jede Art von religiöser Verehrung bedeutet, 
und übersetzte Gebet und Flehen zu Gott richtig mit Us- 
bloteins, Gottesverehrung mit Blotinassus, und Gottesver- 
ehrer mit Guthblostreis. Für Altar aber konnte er, weil 
die Gothen keinen Altar kannten, nur das Wort Biuds, das 
heisst Platte oder Tisch, benützen. Für die verschiedenen 
Arten der jüdischen Opfer fehlten ihm die Wörter gänzlich : 
für Räucheropfer nahm er daher das griechische Aroma an, 
Brandopfer, übersetzte er mit Allbrunst, das ist heiliger 
Brand, und um Opfer überhaupt auszudrücken, wusste er 
sicji nicht anders zu helfen, als dass er dafür Sauths, das 
heisst Sud, anwendete. Nicht an einen_ Fleisch-Siedekessel 
dachte er dabei, denn dieser hätte doch zu sehr an das Zu- 
bereiten von Fleisch zum Essen erinnert, selbst vorausgesetzt, 
dass seine Gothen bei ihren Festen das Fleisch lieber ge- 
sotten als gebraten verspeist hätten, sondern, was ihm vor- 
schwebte, war der Sud, welchen die wahrsagenden Weiber 
seines Volkes unter religiösen Sprüchen bereiteten, um je nach 
dem Wellen und Wogen der im Kessel treibenden gemeinen 
oder edlen Flüssigkeit zu weissagen. 

So auffallend arm aber das Germanische an Ausdrücken 

für liturgische Gebräuche ist, so äusserst selten ist von 

Opfern, welche Menschen verrichten, in den Götter- und 

Heldensagen die Rede. Die ganze Hälfte der älteren Edda 

[1882. L Philos.-philol. hist. Ol. 3.] 26 



Digitized by 



Google 



388 Sitzung der histor. Classe vom 4. März 1882. 

besteht in Dichtungen von mehr oder minder religiöser Art: 
Opferhandlungen von Menschen werdeu aber kaum er- 
wähnt, es sei denn, man wolle Stellen, wie sie in Odins 
berühmtem Runenlied gleich hinter einander folgen, von 
Opfern im Sinne des alten Testamentes verstehen. Die eine 
Stelle lautet: 

Weisst du, wie man (Runen) beten soll? 
Weisst du, wie man (Runen) opfern soll? 

Dies ist wohl so zu deuten, dass Gebet und Weihe- 
spruch in Runen aufgeschrieben sind, und das Opfern darin 
besteht, dass Stäbchen oder Täfelchen mit den Runen in 
die Luft verstreuet oder in einen Fluss geworfen werden. 
Dann heisst es gleich, offenbar nur von Geschenken unter 
Menschen, etwas hausbacken: 

Besser ist, um nichts bitten, 

Als zu viel opfern; 

Immer erwartest du Vergeltung der Gabe; 

Besser nichts gesendet, 

Als zuviel verschwendet. 

Die Meinung aber der Germanen bei ihren mit Religion 
verknüpften Schmausen und Gelagen wird uns durch einen 
schönen Gebrauch deutlicher, dureh das Minnetrinken. Man 
trank Thors oder Wodans Minne oder eines anderen gött- 
lichen Wesens, indem man bei dem Trinken voll Ehrfurcht 
ihrer gedachte. So trank man auch eines abwesenden oder 
verstorbenen Freundes Minne, wobei, wenn Mehrere bei- 
sammen waren, ein Spruch, ein Zuwinken und Anstossen 
mit den Bechern vorherging. Minnan Lieben ist ja eines 
Stammes mit man d. h. denken: man trinkt des Freundes 
Minne, indem man auf sein Bild und Wesen die Kraft der 
Seele und der Gedanken richtet. Geradeso dachte man ehr- 
fürchtig des Gottes, indem man die Hände zu dem Mahl 
ausstreckte, das von dem ihm heiligen Thier, von Wodans 



Digitized by 



Google 



v. Löher: lieber angebliche Menschoiopfer bei den Germanen. 389 

Pferd oder Nerthus Eber oder Freyas Hirsch oder der Erden- 
mutter geduldigen Rindern, bereitet war. Geradeso isst 
man noch heutzutage Namenstagskuchen , Fastenbrezeln, 
Osterscbinken, Martinsgänse zu Ehren eines Lebenden oder 
Vorgestellten. Wird doch auch schon im Alterthum von 
Götterbildchen aus Mehlteig (consparsa farina) berichtet! 

Wie in der That die eigentliche Opferhandlung höchst 
einfach darin bestand, dass man Speise und Trank einem 
göttlichen Wesen darbrachte und sodann — frohe oder 
ernste Gedanken auf dasselbe gerichtet — zu sich nahm, 
erhellt noch deutlich aus der Frage in dem Wormser Beicht- 
spiegel zu Ausgang des zehnten Jahrhunderts: „Bist Du, 
um zu beten, an einen andern Ort gegangen, als zur Kirche, 
nämlich zu Felsen oder Quellen oder Scheidewegen? Hast Du 
dort ein Licht angezündet, Brod hingebracht und dort ge- 
gessen?" Gerade so hiess es im Gesetz über den Sachsen- 
Glauben: „Wer zu Quellen oder Bäumen oder Hainen ein 
Gelübde gethan, oder etwas nach heidnischer Weise darge- 
bracht und zu Ehren der Götter gegessen hat, soll, wenn 
es ein Adeliger ist, 60, wenn ein Freier, 30, wenn ein 
Höriger, 15 Schilling büssen. Wenn sie nichts besitzen, 
wovon sie sofort zahlen, sollen sie der Kirche zum Dienst 
gegeben werden, bis diese Schillinge gezahlt sind u . Die 
Strafgesetze wissen von heidnischen Gebräuchen nichts zu 
verfolgen, als das Zusammentreffen von drei Dingen, näm- 
lich: zu altheiliger Stätte gehen, auf ihr Licht oder Feuer 
machen, und etwas dort essen und trinken. Wenn aber die 
einzige Ausuahmestelle , die der Wormser Beichtspiegel er- 
kennt , davon spricht , dass man den Scbicksalsschwestern 
etwas zur Speise hinstellte, so war das ein ähnlicher Aber- 
glauben, wie wenn noch in später Zeit den Hausgeistern 
etwas in eine Ecke gesetzt wurde, nicht zu heidnischer 
Opferverrichtung, sondern Jenen zu wirklicher Labung. 

Ein Opfer aber kannten die Germanen, ein hohes und 

26» 



Digitized by 



Google 



390 Sitzung der histor. Classe vom 4. März 1882. 

herrliches, das Sühnopfer des eigenen Lebens durch hoch- 
herzigen Entschluss. Dem gottgläubigen und sinnenden 
Menschen liegt es nahe, Unheil als Unrechts Folge aufzu- 
zufassen, und wenn das unselige Wesen nicht von der 
Schwelle weichen will, zu deuken, dass eine grosse Schuld 
begangen und zu sühnen sei. Dann aber kann wohl in 
grossmüthigen Seelen der Gedanke keimen, die Schuld auf 
das eigene Haupt zu nehmen und sich zu opfern, damit die 
Geliebten wieder glücklich werden. Von solchen Sühnopfern, 
die freiwillig in den Tod gingen, um ihr Volk zu retten, 
sind uns Beispiele überliefert. In der nordischen Heims- 
kringlasage heisst es sogar: in offener Volksversammlung 
sei in einer Zeit, als schwere Noth und Misswachs das Land 
bedrückte, beschlossen worden, der Edelste des Volkes, der 
König selbst, solle Unheil und Tod aufsein Haupt nehmen. 1 ) 



1) Was sich an Berichten und Sagen bei älteren und späteren 
Schriftstellern auf Menschenopfer deuten lässt, hat bereits der Altonaer 
Pastor Gottfried Schütze gesammelt in seinem 1743 in Leipzig ver- 
öffentlichten Buche De cruentis Germanorura gentilium victimis humanis. 



Digitized by 



Google 



Oeffentliche Sitzung der königl. Akademie der 
Wissenschaften 

zur Feier des 123. Stif tuügstages 

am 28. März 1882. 



Der Classensecretär Herr v. Prantl widmete den im 
abgelaufenen Jahre verstorbenen Mitgliedern Adalb. Kuhn, 
Albr. Bernh. von Dorn, Theod. Benfey, Herrn. 
Lotze, Theod. Bergk, Franz Hoffmann, Adr. 
de Longperier, John Muir, Charles Thurot eine 
kurze Ehren-Erwähnung, das Nähere der hiemit folgenden 
Druck- Veröffentlichung vorbehaltend : 

Franz Felix Adalbert Kuhn 

war geboren am 19. November 1812 zu Königsberg in der 
Neumark, woselbst sein Vater Gymnasial-Lehrer war ; nach 
dem frühen Tode des letzteren (1813) siedelte die Wittwe 
nach Berlin um, und dort besuchte der Sohn zunächst die 
Hartung'sche Schule, dann (1825) das Gymnasium zum 
grauen Kloster und hierauf das Joachimsthaler Gymnasium, 
an welchem Meineke wirkte. Nachdem Kuhn bereits in den 
letzten Jahren dieser Vorbereitungsstudien durch den Gym- 
nasiallehrer Classen, sowie durch Dr. Poley, einen eifrigen 
Schüler Bopp's, in das Sanskrit eingeführt worden war, setzte 
er (seit 1832) als Studirender der Berliner Universität, wo 



Digitized by 



Google 



392 Oeffentliche Sitzung am 28. März 1882. 

er insbesondere durch Bopp sich der trefflichsten Leitung 
erfreute, diese Bestrebungen mit hingehendstem Fleisse fort; 
einen mächtigen und bestimmenden Eindruck machte auf 
ihn (1835) das Erscheinen von Jakob Grimm's deutscher 
Mythologie. Im J. 1837 promovirte er mit einer Abhand- 
lung „De coniugatione in \xi linguae sanscritae ratione 
habita", und nachdem er im gleichen Jahre die staatliche 
Prüfung mit glänzendem Erfolge bestanden, fand er sofort 
eine Verwendung am Köllnischen Real-Gymnasium zu Berlin, 
woselbst er 1841 die Stelle eines ordentlichen Lehrers er- 
hielt und unter .dem tüchtigen Director E. Ferd. August 
mit Freuden seines Amtes walten konnte; nach dem Tode 
des letzteren (Oct. 1870) wurde er mit der Leitung dieser 
Anstalt betraut. Im J. 1872 wurde er unter die Mitglieder 
der Berliner Akademie aufgenommen (unserer Akademie ge- 
hörte er seit 1879 an) und 1876 war er an der Conferenz 
behufs Herstellung einer deutschen Orthographie betheiligt. 
Das Leben dieses Mannes, welcher durch seine treue Wahr- 
haftigkeit, sein Pflichtgefühl und seine Arbeitskraft sich die 
allgemeinste Achtung erworben hatte, wurde plötzlich am 
5. Mai 1881 durch einen Schlagfluss geendet. Zeugniss für 
die hohen Verdienste, welche er sich um den Fortschritt 
der Wissenschaft erwarb, geben seine zahlreichen schrift- 
stellerischen Leistungen. Er begann zunächst mit Studien, 
welche sich an Grimm anschlössen, und gab in den Publi- 
cationen des Vereines für Geschichte der Mark Branden- 
burg Untersuchungen über das Verhältniss märkischer Sagen 
und Gebräuche zur altdeutschen Mythologie (1841); dann 
folgten als Ergebnisse eines auf Ferien-Reisen bethätigten 
Sammelfleisses „Märkische Sagen und Märcheu" (1843), hier- 
auf später gemeinschaftlich mit seinem Schwager Schwartz 
bearbeitet „Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche" 
(1848). Sowie er aber bereits unterdessen durch eine Re- 
cension über Rosen's Rigveda (1844) seine gründliche 



Digitized by 



Google 



v. Prantl: Nekrolog auf Franz Felix, Addlbert Kuhn. 393 

Kenntniss des Sanskrit bekundet hatte und in einem Gyni- 
nasial-Programme „Zur ältesten Geschichte der indogerma- 
nischen Völker" (1845, später umgearbeitet im I. Bande von 
Weber's Indischen Studien) den Kern seiner Methode histo- 
rischer Linguistik andeutete, so wirkte er bald als persön- 
licher Mittelpunkt dieser Studien und zugleich als hervor- 
ragender Förderer ihrer Portschritte, indem er (1852) in 
Gemeinschaft mit Aufrecht die „Zeitschrift für vergleichende 
Sprachforschung auf dem Gebiete des Deutschen, Griechi- 
schen und Lateinischen 11 gründete, welche später (1858) 
eine Ergänzung erfuhr durch die mit Schleicher herausge- 
gebenen „Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung auf 
dem Gebiete der arischen, celtischen und slavischen Sprachen". 
Hauptsächlich dem Sanskrit zugewendet beschäftigte sich 
Kuhn mit der sprachlichen, metrischen und mythologischen 
Erklärung der Veden und veröffentlichte in den genannten 
Beiträgen „Sprachliche Resultate aus der vedischen Metrik" 
und die bezüglich der Lautlehre wichtige Abhandlung „Ueber 
das alte S", sowie (in Weber 's indischen Studien) „Ueber 
die Brihaddevatä", ausserdem auch zahlreiche Aufsätze zur 
vergleichenden Sprachwissenschaft und Mythologie in der 
von ihm redigirten Zeitschrift, in Haupt' s Zeitschrift (Band 
II bis VI) und in der Zeitschrift für Kunde des Morgen- 
landes. Daneben erschien ein Gymnasialprogramm „Die 
Mythen von der Herabkunft des Feuers bei den Indoger- 
manen" (1858), und die hiebei gegebenen Grundlagen fanden 
eine reiche Ausführung in der Schrift „Die Herabkunft des 
Feuers und des Göttertrankes" (1859), während er zu gleicher 
Zeit „Sagen, Märchen und Gebräuche aus Westfalen" (1859, 
2 Bände) herausgab. Nach seinem Eintritte in die Aka- 
demie verfasste er neben mehreren (bisher ungedruckten) Ab- 
handlungen, welche er daselbst vortrug, die hochwichtigen 
Untersuchungen „Ueber Entwicklungsstufen der Mythen- 
bildung" (1873), auch brachte 1876 aus seiner Feder die 



Digitized by 



Google 



394 Oeff entliche Sitzung am 28. März 1882. 

„Vossische Zeitung" Aufsätze zur Beurtheilung der in den 
ältesten Ausgaben Schiller 1 s bestehenden Orthographie. Kuhn's 
Name bleibt für immer verflochten mit der Geschichte der 
indogermanischen Sprachwissenschaft und der vergleichenden 
Mythologie, denn ausgerüstet mit umfassenden Kenntnissen, 
mit scharfem Blicke, geistvoller Combination und unbestech- 
lichem Urtheile eröffnete er neue bedeutungsvolle Richtungen, 
indem er die Linguistik als Mittel der Erforschung der 
ältesten Culturzustände verwerthete und auf solchem Wege 
mittelst sorgsamster Untersuchung die Einsicht in eine ur- 
sprüngliche Gemeinsamkeit manigfacher geistiger Verhält- 
nisse der arischen Völker gewann und verbreitete. Weit 
entfernt von phantastischer Combinationssucht brachte er 
durch besonnenste Forschung die vedische Literatur in Ver- 
bindung mit mythologischen Gestalten der Hellenen und 
mit germanischen Volkssagen, wovon eines der schönsten 
und wohl auch bekanntesten Beispiele in seiner Abhand- 
lung über die Herabkunft des Feuers vorliegt, und nicht 
minder suchte er in das allgemeine Princip des Vorganges 
der Mythenbildung einzudringen, so dass seine Arbeiten für 
die Methode der Mythen-Forschung auf indogermanischem 
Gebiete als bahnbrechend gelten können. (Seine sämmt- 
lichen Schriften sind aufgezählt in Bursian's Biogr. Jahrb. 
f. Alterthumskunde, 1881, S. 54 u. 63 f.) 



Joh. Albrecht Bernhard v. Dorn, 

welcher seit 1860 unserer Akademie als auswärtiges Mitglied 
augehörte, war am 11. Mai 1805 in Scheuerfeld bei Koburg 
geboren, besuchte das Gymnasium zu Halle und studirte 
dann in Leipzig zuerst Theologie, hierauf aber unter Rosen- 
müller's Leitung Orientalia. Im Jahre 1825 habilitirte er 
sich als Docent in Leipzig mittelst einer Dissertation „De 
psalterio aethiopico conimentatio" und wurde alsbald hierauf 



Digitized by 



Google 



# v. Prantl: Nekrolog auf Joh. Albrecht Beruh, v. Dorn. 395 

der russischen Regierung durch Chr. M. Frähn zur Ueber- 
nahme eiuer Professur der orientalischen Sprachen an der 
Universität Charkow empfohlen, welche Stelle er aber erst 
1829 antrat, nachdem er eine längere Reise durch Frank- 
reich und England gemacht hatte. Nach sechs Jahren ver- 
liess er Charkow, da er (1835) nach Petersburg als Pro- 
fessor der Geschichte und Geographie Asiens an das orien- 
talische Institut des auswärtigen Ministeriums berufen wurde; 
im Jahre 1839 trat er als Mitglied in die Petersburger 
Akademie ein und 1842 wurde er Director des asiatischen 
Museums; als 1843 jene mit dem Ministerium verbundene 
Lehrstelle aufgehoben wurde, erhielt Dorn die Stelle eines 
Oberbibliothekares an der kaiserlichen Bibliothek. In den 
Jahren 1860 und 1861 durchreiste er den Kaukasus und 
die persische Provinz Ghilan am Südwestufer des kaspischen 
Meeres, sowie die östlich daran gränzende Provinz Masen- 
deran; mit reichen Forschungs-Ergebnissen an Inschriften 
und sprachlichem Materiale kehrte er nach St. Petersburg 
zurück, wo er nach vieljähriger literarischer Thätigkeit am 
31. Mai 1881 starb. Das specielle Gebiet, in welchem die 
Fachwissenschaft dankbar seine Leistungen anerkennt, liegt 
in Geschichte, Geographie und Sprache Afghanistans, Kau- 
kasiens, der südlichen Küstenländer des kaspischen Meeres 
und der nördlichen Provinzen Persiens. Nach einer Ueber- 
setzung dreier Abschnitte aus Sadi's Rosenhain (1827) ver- 
öffentlichte er „History of the Afghans translated from the 
Persian of Neamet-Ullah" (1829 ff.), „Grammatische Be- 
merkungen über die Sprache der Afghanen' 4 (1840), sodann 
„Beiträge zur Geschichte der kaukasischen Länder und Völker 
aus morgenländischen Quellen" (1841 — 43, 5 Theile), ferner 
„Das asiatische Museum der kaiserl. Akademie der Wissen- 
schaften zu St. Petersburg" (1846) und „A chrestomathy 
of the Pushtü or Afghan language" (1847). Hierauf folgten 
1850 — 58 „Muhammedanische Quellen zur Geschichte der 



Digitized by 



Google 



396 Oe ff entliehe Sitzung vom 28. März 1882. 

südlichen Küstenländer des kaspischen Meeres" (nemlich 
Uebersetzungen von Schireddin's Geschichte von Tabaristan, 
Dschurdschan und Masenderan, von Khondemir's Geschichte 
Tabaristans, von Ali-Ben-Schems-Eddin's Khanischem Ge- 
schichtswerke und von Fumeni's Geschichte von Ghilan). 
Daneben erschienen „Catalogue des manuscripts et xylo- 
graphes orientaux de la bibliotheque imperiale" (1852) und 
„Vier syrische Handschriften der kaiserlichen Bibliothek zu 
St. Petersburg" (1853) und später folgten „Beiträge zur 
Kenntniss der iranischen Sprachen" (1860 und 1866, 2 Theile), 
worin er zum ersten Male Texte im persischen Dialekte 
von Masenderan veröffentlichte, sodann „Sur la collection 
de manuscripts orientaux achetee par la bibliotheque im- 
periale" (1865) und „Drei in der kaiserlichen Bibliothek zu 
St. Petersburg befindliche astronomische Instrumente" (1865), 
sowie „Chronologisches Verzeichniss der von 1801 — 1866 
in Kasan gedruckten arabischen, türkischen, tatarischen 
und persischen Werke" (1867). Ferner veröffentlichte er 
„Caspia, über die Einfalle der alten Russen in Tabaristan" (1875) 
und „Ueber die semmanische Mundart" (1878); ausserdem 
gab er hinterlassene numismatische Schriften des Chr. M. 
Frähn heraus (1855) und lieferte zahlreiche Beiträge in die 
Bulletins und Memoires der Petersburger Akademie. 



Theodor Benfey 

geboren am 28. Januar 1809 in Nörten bei Göttingen be- 
suchte 1816 — 24 das Göttinger Gymnasium, von wo er als 
Studirender der classischen Philologie an die dortige Uni- 
versität übergieng und Vorlesungen bei Ottfr. Müller, Dissen, 
Mitscherlich, Heeren, sowie bei dem Philosophen und Literar- 
historiker Bouterweck hörte; im Jahre 1827 studirte er in 
München unter Thiersch und Ast, zurückgekehrt nach Göt- 
tingen proinovirte er am 28. Oct. 1828. Als er 1830 nach 



Digitized by 



Google 



v. Prantl: Nekrolog auf Theodor Benfey. 397 

Frankfurt a/M. gieng, lernte er den Sanskritforscher Poley 
kennen, wodurch die wissenschaftliche Richtung des jungen 
Mannes für die Folgezeit bestimmt wurde, und mit Studium 
des Sanskrit und der Sprachvergleichung beschäftigt ver- 
weilte er bis 1834 theils in Frankfurt theils in Heidelberg. 
Im Jahre 1834 habilitirte er sich als Privatdocent in Göt- 
tingen, wo er 1848 ausserordentlicher und 1852 ordent- 
licher Professor wurde und mit anerkanntem .Ruhme bis zu 
seinem am 26. Juni 1881 erfolgten Tode wirkte. Seine 
Erstlingsschrift „Ueber die Monatsnamen einiger alter Völker, 
insbesondere der Perser, Kappadokier, Juden und Syrer*' 
(1836) hatte er gemeinschaftlich mit seinem Freunde Stern 
verfasst ; alsbald aber trat er — abgesehen von einer Ueber- 
setzung des Terentius (1837, 2. Aufl. 1854) — mit einem 
kühnen Wurfe seiner Genialität in die Oeffentlichkeit, indem 
sein „Griechisches Wurzel-Lexikon" (1839, 2 Bände), welches 
den Voluey'schen Preis erhielt, auf Grund einer ausgedehnten 
Gelehrsamkeit und einer staunenswerthen Combinationsgabe 
den griechischen Wortschatz nach seinen verwandtschaftlichen 
Beziehungen allseitig darzustellen versuchte. Hierauf zeigte 
der umfangreiche Artikel „Indien" in der Ersch-Gruber 'sehen 
Encyclopädie (1840) sowohl die Weite und Tiefe des Wissens, 
über welches Benfey bereits damals verfügte, als auch die 
Selbständigkeit seiner Auffassung, indem er z. B. die Vermuth- 
ung aussprach, dass die indische Schrift ursprünglich von der 
phönikischen abstamme, womit dann auch seine spätere 
Hypothese zusammenhing, dass der Ursitz der Indogermanen 
nicht in Asien, sondern in Europa zu suchen sei. Die Viel- 
seitigkeit aber seiner wissenschaftlichen Werkstätte tritt 
uns wieder vor Augen, indem er in den folgenden Jahren 
„Ueber das Verhältniss der ägyptischen Sprache zum semi- 
tischen Sprachstamme" (1844) schrieb und bald darauf ,,Die 
persischen Keilinschriften mit Uebersetzung und Glossar 4 
(1847) veröffentlichte, woneben „Die Hymnen des Sama- 



Digitized by 



Google 



398 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1882. 

Veda mit Uebersetzung und Glossar u (1848) hergingen, 
während in Bälde mehrere „Beiträge zur Erklärung des 
Zend" (1850 — 53) folgten. Zugleich aber hatte er das 
Sanskrit-Gebiet reichlichst durchgearbeitet und als Ergeb- 
niss hievon erschien „Handbuch der Sanskritsprache, 1. Ab- 
theilung Vollständige Grammatik der Sanskritsprache" (1850) 
und „2. Abtheilung Chrestomathie aus Sanskritwerken und 
Glossar" (185.4, 2 Tbeile), wobei er insbesondere auch die 
eingehendste Kenntniss der alten indischen Grammatiker 
verwerthete. Einen Auszug gab er als „Kurze Sanskrit- 
Grammatik zum Gebrauche für Anfänger 14 (1855), worin 
er unter Anderem die auch von Jac. Grimm getheilte An- 
sicht aussprach, dass der gesammte Wortschatz aus dem 
Verbum hervorgegangen sei, und hiemit eine Frage berührte, 
welche* für Sprachphilosophie von hoher Wichtigkeit ist, 
während er allerdings im Ganzen sich gegen die philoso- 
phische Richtung der Sprachforschung spröde oder selbst 
gegnerisch verhielt. Im Jahre 1859 erschien das wichtige 
Werk „Pantschatantra, fünf Bücher indischer Fabeln, Mär- 
chen und Erzählungen" in 2 Bänden, deren erster Unter- 
suchungen über die Quellen und die Verbreitungs-Wege 
dieser Literargattung enthält, während der zweite Text, 
Uebersetzung und Commentar gibt. Neben einer englischen 
Bearbeitung der Sanskrit-Grammatik (A practical graminar 
of the Sanscrit language, 1863, 2. Aufl. 1868) veröffent- 
lichte er als eine Vierteljahrsschrift „Orient und Occident, 
insbesondere in ihren gegenseitigen Beziehungen" (1. Bd. 
1862, 2. Bd. 1864, vom 3. Bd. 1866 drei Hefte), worin der 
Aufsatz „Ein Wort über primitive Verba oder Wurzeln 
der indogermanischen Sprache" hervorragen dürfte. Hier- 
auf folgten „Ueber die Aufgabe des platonischen Dialoges 
Kratylos" (1866), „A Sanscrit-English Dictionary" (1866), 
„Ueber einige Plural bildungen des indogermanischen Ver- 
bums" (1867) und sodann in dem von der historischen 



Digitized by 



Google 



v. Prantl: Nekrolog auf Theodor Benfey. 399 

Commission unserer Akademie herausgegebenen Unternehmen 
einer Geschichte der Wissenschaften die „Geschichte der 
Sprachwissenschaft und orientalischen Philologie in Deutsch- 
land seit dem Anfange des 19. Jahrhunderts mit einem Rück- 
blicke auf die früheren Zeiten" (1869), ein Werk, in dessen 
staunenswerthe Fülle des literarischen Materiales Benfey 
das ordnende Band geistvoller Auffassung zu flechten ver- 
stand, wobei er vielfach auch auf die Ergebnisse seiner 
eigenen Forschung hinweisen konnte. Waren mit dieser 
Leistung seine grösseren Publicationen abgeschlossen, so 
verdankt ihm die Wissenschaft aus seinen späteren Jahren 
noch zahlreiche Einzeln-Untersuchungen, welche er haupt- 
sächlich in den Abhandlungen der k. Societät der Wissen- 
schaften zu Göttingen niederlegte; unter denselben mögen 
genannt werden: „Jubeo und seine Verwandte" (1871), 
„Ist in der indogermanischen Grundsprache ein nominales 
Suffix ia oder ya anzusetzen?" (1871) „Ueber die Entsteh- 
ung und Verwendung der im Sanskrit mit r anlautenden 
Personal endungen" (1871), ,, Ueber die Entstehung und 
die Form des indogermanischen Optatives" (1872) „Ueber 
die Entstehung des indogermanischen Vocatives" (1872), 
womit auch die sprachvergleichenden Untersuchungen über 
den Accent zusammenhängen, „Einleitung in die Gram- 
matik der vedischen Sprache" (1874), „Ueber die indoger- 
manischen Endungen des Genetiv Singular ians, ias, ia u 
(1874), „Die Quantitätsverschiedenheiten in den Samhitä- 
und Pada-Texten der Veden" (1874 ff.) „Das indogermanische 
Thema des Zahlwortes t zwei' ist t du'" (1876), „Hermes, 
Minos, Tartaros" (1877), „Altpersisch mazdäh, zendisch 
mazdäonh, sanskrit medhäs" (1878), „Einige Derivate des 
indogermanischen Verbums ANBH =: NABH" (1878), „Ueber 
einige Wörter mit dem Bindevocal i im Rigveda" (1879), 
„Die Behandlung des auslautenden a in na im iügveda" 
(1881). Ausserdem flössen aus seiner Feder viele Beiträge 



Digitized by 



Google 



400 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1882. 

zu den Göttinger Gelehrten Anzeigen, zur Zeitschrift für 
Sprachvergleichung und zu „Das Ausland" ; auch schrieb er 
eine Vorrede zu Fick's indogermanischem Wörterbuche und 
eine Einleitung zu G. Bickell's Ausgabe der alt-syrischen 
Uebersetzung des indischen Fürstenspiegels. Neben all' 
solcher Thätigkeit aber arbeitete er während der letzten 
Jahre an einer „Grammatik der Vedensprache" , welche 
wohl sicher einen würdigen Abschluss des so reichhaltigen 
literarischen Lebens hätte bilden können. Benfey gehörte 
unserer Akademie seit 1856 an, und auch die Akademien 
zu Berlin, Wien, Pest, sowie das Institut de France, die 
Asiatic Society und die American Oriental Society hatten 
durch die Aufnahme dieses Gelehrten sich selbst geehrt. 



Rudolf Hermann Lotze 

war als Sohn eines Militärarztes in Bautzen am 21. Mai 1817 
geboren , besuchte das Gymnasium zu Zittau und bezog 
Ostern 1834 die Universität Leipzig, wo er neben dem 
Fachstudium der Medicin , welches er völlig berufsmässig 
betrieb, mit grösstem Eifer auch philosophische Vorlesungen 
besuchte und in dieser Richtung insbesondere durch Chr. 
H. Weisse reiche Anregung empfieng. Er erlangte im 
März 1838 die philosophische und im darauffolgenden Juli 
die mediciniscbe Dootorwürde und habilitirte sich alsbald 
als Privatdocent in diesen beiden Facultäten, in letzterer 
im Herbste 1839 und in ersterer im Mai 1840; am Schlüsse 
des Jahres 1842 wurde er ausserordentlicher Professor der 
Philosophie und 1844 erhielt er auf Anregung Rud. Wagner's 
einen Ruf als ordentlicher Professor an die Universität Göt- 
tingen, woselbst er als einflussreicher Lehrer eine lange 
Reihe von Jahren wirkte. Im Frühjahre 1881 folgte er 
einem Rufe nach Berlin, wo jedoch seine Thätigkeit nur 
nach Wochen zählte, da er am 1. Juli einem Herz- und 



Digitized by 



Google 



v. Prantl: Nekrolog auf Budolf Hermann Lotze. 401 

Lungen-Leiden erlag. Seine schriftstellerische Laufbahn 
begann er mit einer „Metaphysik" (1841) und einer 
„Logik" (1843), in welch' beiden er vorerst kritisch gegen 
Hegel und Herbart Boden zu gewinnen versuchte; zugleich 
aber betrat er das Gebiet der Naturwissenschaften, und es 
erschienen von ihm „Allgemeine Pathologie und Therapie 
als mechanische Naturwissenschaften" (1842, 2. Aufl. 1848) 
und in Rud. Wagner's Handwörterbuch der Physiologie die 
Artikel „Leben und Lebenskraft", „Instinct", und „Seele 
und Seelenleben" (1843—46), sodann „Allgemeine Physio- 
logie des körperlichen Lebens" (1851) und „Medicinische 
Psychologie oder Physiologie der Seele" (1852), woneben 
er übrigens in den „Göttinger Studien" die Aufsätze „lieber 
den Begriff der Schönheit" (1845) und „Ueber Bedingungen 
der Kunstschönheit" (1847) veröffentlicht hatte. Hierauf 
folgte jenes sein Hauptwerk, durch welches das Ansehen 
seiner Philosophie alsbald auch in weitere Kreise drang, 
nemlich „Mikrokosmus, Ideen zur Naturgeschichte und Ge- 
schichte der Menschheit" (3 Bände, 1856—64, 2. Aufl. 1869 
bis 1872, 3. Aufl. 1876 — 80), womit dann auch die gegen 
H. J. Fichte gerichteten „Streitschriften" (1. Heft. 1857) 
zusammenhiengen. Nicht unerwähnt möge bleiben, dass er 
auch „Quaestiones Lucretianae" (im „Pbilologus" 1852) 
schrieb und als Frucht einer Ferien-Musse eine metrische 
lateinische Uebersetzung der Antigone des Sophokles ver- 
öffentlichte (1857). Nachdem er in dem von der historischen 
Commission unserer Akademie herausgegebenen Unternehmen 
einer Geschichte der Wissenschaften die „Geschichte der 
Aesthetik in Deutschland" (1869) bearbeitet hatte, begann 
er, seinen nunmehr längst ausgereiften speculativen An- 
schauungen die erforderliche systematische Gestaltung zu 
geben, und so erschien „System der Philosophie, erster 
Theil: Drei Bücher der Logik" (1874, 2. Aufl. 1880) und 
„Zweiter Theil: Drei Bücher der Metaphysik" (1879); den 



Digitized by 



Google 



402 Oeffentliche Sitzung am 28. März 1882. 

dritten Theil, welcher Ethik, Aesthetik und Religionsphilo- 
sophie enthalten sollte, konnte er nicht mehr vollenden. 
Sein letztes Erzeugniss war, veranlasst durch eine Schrift 
G. Th. Fechner's, ein Aufsatz „Alter und neuer Glaube, 
Tagesansicht und Nachtansicht u in der „Deutschen Revue", 
Mai 1879. (Eine vollständige Aufzählung seiner sämmt- 
lichen Schriften mit Einschluss der Recensionen und dgl. 
findet sich in „Grundzüge der Psychologie, Dictate aus den 
Vorlesungen von H. Lotze", 1881, S. 93 ff.). Lotze, welcher 
an Kenntniss der Naturwissenschaften unter seinen Fachge- 
nossen eine hervorragende Stellung einnahm, hatte in seinen 
musterhaften biologischen und psychologischen Schriften be- 
züglich der materiellen Vorgänge und Kräfte die mechanische 
Naturerklärung auf Grund exactester Forschung durchge- 
führt und erweitert, ja er wurde bis 1855 nicht zu den 
Philosophen, sondern zu den Physiologen gezählt. Aber es 
galt ihm grundsätzlich der natürliche Mechanismus nur als 
der eine unerlässliche Bestandtheil, nie aber als das Ganze 
der Philosophie, und so fügte er die andere idealistische 
Seite hinzu, indem er sich dabei auf die unmittelbaren Er- 
lebnisse des Gemüthes stützte. Da er die Einsicht gewonnen 
hatte, dass der Idealismus auf den Wegen, welche er durch 
Fichte, Schelling, Hegel betreten, nicht als Wissenschaft 
bezeichnet werden könne, suchte er seinerseits in wissen- 
schaftlicher Untersuchung mittelst einer Berichtigung und 
Umarbeitung der Begriffe dem idealen Impulse Zucht und 
Ordnung einzuflössen, und er konnte hiemit den metho- 
dischen Verdiensten Herbart's Anerkennung zollen, mit 
welchem er auch inhaltlich durch Hinneigung zu Leibniz 
einige Berührungspuncte besass, während er in den Prin- 
cipien des Systemes weit von demselben geschieden war. 
Indem er einen höchsten idealen Lebensinhalt als das Wesen- 
liafte aller Wirklichkeit darzulegen bestrebt war, erlangten 
bei ihm die Thatsachen des Gemüthes, welche in ethisch- 



Digitized by 



Google 



v. Prantl: Nekrolog auf Budolf Hermann Lotze. 403 

i 

ästhetischen und religiösen Empfindungen vorliegen , eine 
derartig principielle Stellung, dass er in der That die Meta- 
physik aus der Ethik ableitete, wobei er von einem an sich 
subjectiven Standpunkte aus zur vollen Objectivität des 
höchsten Ideales zu gelangen hoffte. Die Idee des Guten, 
die Existenz eines persönlichen Gottes und die Freiheit des 
Willens waren ihm die Kernpunkte eines eigenthümlichen 
Theismus, welcher unverkennbar in pantheistische Anschau- 
. ungen. hinüberstreift. An die Durchführung des Standpunktes, 
dass alle Einzeln- Wesen als gesetzlich zweckmässig zu- 
sammenhängende Modifikationen der Einen absoluten leben- 
digen Persönlichkeit gelten, knüpfte er allseitig scharfsinnigste 
Untersuchungen über Räumlichkeit, über Wechselwirkung, 
über Freiheit und Teleologie, wobei er stets mit subtilster 
Sorgfalt die streitenden Parteien verhörte, um schliesslich 
Frieden zu stiften und wenigstens bei der Möglichkeit einer 
erklärenden Bewahrung des letzten idealen Kernes anzu- 
langen. Auch wer den Aufbau des Systemes für anfecht- 
bar hält, wird freudigst anerkennen, dass neben der Ge- 
schichte der Aesthetik die neue Bearbeitung der Logik 
zweifellos auch in Zukunft ihre tief anregende Wirkung er- 
weisen wird, und Niemand wird ihm das allgemeine Ver- 
dienst bestreiten , dass er nicht nur durch scharfsinnige 
Analyse sondern auch durch Darlegung einer idealistischen 
Weltanschauung einen förderlichen Einfluss bis in weitere 
Kreise hinein ausübte, zu welch' letzterem in nicht geringem 
Grade sein meisterhaft geschmackvoller Stil beitrug. Der 
hohe wissenschaftliche Werth seiner Leistungen fand die 
verdiente Anerkennung, indem ihn die Berliner Akademie, 
die Academie des sciences morales et politiques zu Paris 
und die Accademia dei nuovi Lincei unter ihre Mitglieder 
aufnahmen; unserer Akademie gehörte er seit 1876 an. 



[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. 3J 27 



Digitized by 



Google 



404 Öeffentliche Sitzung vom $8. März 1882. 

Theodor Bergk, 

Sohn eines Privatgelehrten Job. Adam Bergk, welcher zahl- 
reiche populär-philosophische Schriften verfasste, war ge- 
boren am 22. Mai 1812 in Leipzig, wo er 1825 als Schüler 
in die Thomas-Schule eintrat und hernach (seit 1830) an 
dortiger Universität unter Christ. Daniel Beck, Gottfr. Her- 
mann und Dindorf classische Philologie studirte. Im Jahre 
1836 erhielt er von der Universität Rostock das Doctor- 
diplom und begab sich nach Halle, wo er alsbald eine Lehr- 
stelle an der lateinischen Schule des Waisenhauses erhielt; 
von da kam er als Gymnasiallehrer auf kurze Zeit nach 
Neustrelitz und 1838 in gleicher Eigenschaft an das Joa- 
chimsthaler Gymnasium in Berlin, wo für ihn eine, wenn 
auch kurze , doch sehr wichtige Lebensperiode begann ; er 
trat nemlich zu dem Director der Anstalt A. Meineke in 
die engsten persönlichen Beziehungen (— etwas später ver- 
mählte er sich mit einer Tochter desselben — ) und sowie 
er im Umgange mit ihm vielfache Förderung seiner philo- 
logischen Studien fand, so weckte auch zugleich das viel- 
bewegte Leben Berlins sein Interesse für andere geistige 
Bestrebungen. Er vertiefte sich damals in philosophische 
Studien und suchte sich in der deutschen Literatur in ihrem 
ganzen Umfange zu orientiren; auch die politischen und 
kirchlichen Fragen beschäftigten lebhaft seinen Geist. Im 
J. 1840 kam er als Gymnasiallehrer nach Cassel, und von 
dort gieng er 1842 als ordentlicher Professor an die Uni- 
versität Marburg über; hier übernahm er gemeinschaftlich 
mit Cäsar die Redaction der „Zeitschrift für die Altertums- 
wissenschaft' 1 , bei welcher er bis 1853 betheiligt war. Er 
musste in den Jahren 1847 und 1848 sein Lehramt unter- 
brechen, da das Vertrauen seiner Mitbürger ihn sowohl in 
den hessischen Landtag als auch in das Frankfurter Parla- 
ment wählte, in welch beiden politischen Körperschaften er 



Digitized by 



Google 



v. Pranth Nekrolog auf Theodor BergJc. 405 

mit entschiedenem Freimnthe seine Ansicht vertrat; gerne 
aber kehrte er 1849 nach Marburg zurück, welches er 1852 
verliess, um einem Rufe nach Freiburg i. Br. zu folgen, 
woselbst er (1854) auch das Amt des Oberbibliothekars über- 
nahm. Nach fünf Jahren aber (1857) wurde er nach Halle 
an die Stelle des verstorbenen E. Meyer berufen; indem 
jedoch seine von Jugend an zarte Köperbeschaffenheit, deren 
Pflege ihm wiederholte Reisen in den Harz und in den 
Schwarzwald zum Bedürfnisse machte, allmälig zu dauernder 
Kränklichkeit geführt hatte, sah er sich im April 1869 ge- 
nöthigt, die Professur niederzulegen, und er siedelte nach 
Bonn um, wo er als Professor honorarius nach freiem Be- 
lieben noch bis zum J. 1877 öfters Vorlesungen hielt. Er 
starb in Ragaz am 20. Juli 1881. Bergk's Aufnahme als 
Mitglied des archäologischen Institutes (1844), der Berliner 
Akademie (1845), sowie unserer Akademie (1860) war nur 
eine Anerkennung der bedeutsamen Stellung, welche er im 
Gebiete der classischen Philologie einnahm, da er sowohl 
ausgedehntes Wissen als auch geistvolle Auffassung und 
hervorragenden Scharfsinn in Grammatik, Text-Kritik, Lite- 
raturgeschichte, Antiquitäten, Kunstgeschichte, Mythologie 
und Epigraphik der Griechen und Römer manigfachst be- 
währt hatte. Allerdings stand mit seinen körperlichen 
Leiden eine grosse Reizbarkeit in Verbindung, welche sich 
auf literarischem Gebiete in scharfer Polemik kundgab ; jeder 
hergebrachten Schulmeinung feind suchte er überall eine 
eigene Meinung zu fassen und vertrat diese gegen Wider- 
spruch nicht selten mit äusserster Schärfe, wodurch er sich 
manche Gegner zuzog; aber die ihm näher Stehenden 
wussten, dass er ein weiches liebevolles Gemüth hatte und 
seine Polemik stets mehr der Sache, als der Person galt. 
Schriftstellerisch war er seit seiner Studienzeit unablässig 
thätig; noch als Mitglied des Leipziger philologischen Se- 
minares hatte er eine „Commentatio de fragmentis Sophoclis" 

27* 



Digitized by 



Google 



406 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1882. 

(1833) und seine Ausgabe der Fragmente des Anakreon 

(1834) veröffentlicht,, worauf „Commentationes de reliquiis 
comoediae atticae antiquae" (1838) folgten, sowie bald her- 
nach die Sammlung der Fragmente des Aristo phanes (1840, 
in Meineke's Fragmenta comicorum graecorum); auch ver- 
fasste er ausführliche ablehnende Recensionen über Becker's 
Charikles (Halle'sche Jahrbücher, 1841) und über Otfr. 
Müllers Gesch. d. griech. Literatur (Deutsche Jahrb., 1842). 
Sodann erschien die für den betreffenden Zweig der griechi- 
schen Literaturgeschichte epochemachende Ausgabe der 
„Poetae lyrici graeci" (1840, 4. Aufl. 1878—82), hierauf 
die Abhandlung „De Aristotelis libello de Xenophane, Zenone 
et Gorgia u (1843) und „Beiträge zur griechischen Monats- 
kunde 1 ' (1845), ferner in der Teubnerischen Sammlung die 
Textausgabe des Aristophanes (1852, 2. Aufl. 1857), sowie 
bei ' Tanchnitz eine mit literar-geschichtlicher Einleitung 
versehene Ausgabe des Sophokles (1858) und inzwischen 
„Anthologia lyrica" (1854, 2. Aufl. 1868); dann folgten 
„Etymologicum Vindobonense" (1861), „Theocriti Carmen 
ineditum" (1865), ,,Simmias Rhodius" und „Theocriti fistula" 
und „Corinnae reliquiae u (1866). Etwas später erschienen 
noch „Beiträge zur lateinischen Grammatik" (1870), worin 
Untersuchungen über das auslautende d enthalten sind, und 
ein erster Band einer griechischen Literaturgeschichte (1872), 
sowie „Augusti rerum a se gestarum index cum graeca 
metaphrasi" (1873) ; auch der Abriss der griechischen Lite- 
raturgeschichte in der Ersch-Gruber'schen Encyclopädie ist 
von ihm verfasst. Neben all diesem entfaltete er von 1841 
bis 1869 eine fruchtbarste Tbätigkeit in zahlreichen Pro- 
grammen, welche sich auf die griechischen Lyriker, auf 
Aeschylos, Sophokles, Epicharmos, Parmenides, Kallimachos, 
Eratosthenes, Hermesianax, Phönix von Kolophon, Babrios, 
auf griechische und lateinische Inschriften, auf römische 
Geschichte, auf Ennius, Varro, Plautus, Lucretius, Cicero, 



Digitized by 



Google 



v. Prantl: Nekrolog auf Franz Hoffmann. 407 

Catullus, Cornificius, Plinius, Persius, Marius Victorinus be- 
zogen ; besonders hervortreten dürften „De Chrysippi libris 
7teql ärtocpccTMaiv (1841), „Artifices, qui Laocoontem finxer- 
unt, ad Macedonum aetatem referendos esse" (1846) und 
„Ueber das älteste Versmass der Griechen 44 (1854); ferner 
in den Annali dell' Instituto archeologico (1846) die Be- 
sprechung einer Gemme „Ulisse füren te e la nascita di 
Tagete", und in den Jahrbüchern des Vereins von Alter- 
thumsfreunden in den Rheinlanden (Heft 55) „Inschriften 
römischer Schleudergeschosse 1 ', sowie das letzte, was er 
schrieb „Der Verfasser der Schrift Tteql xoa/iot;" (im Rhein. 
Museum, Neue Folge, Bd. 37). Endlich mag erwähnt werden, 
dass er im J. 1857 acht bis dahin unbekannte Lieder Göthe's 
veröffentlichte, sowie, dass eine in Aussicht gestellte Publi- 
cation unter dem Titel „Zur Geschichte und Topographie 
der Rheinlande in römischer Zeit*' mehrere Aufsätze Bergk's 
enthalten wird. 



Franz Hoffmann, 

welcher i. J. 1857 als auswärtiges Mitglied in unsere Aka- 
demie aufgenommen wurde, war am 19. Januar 1804 in 
Aschaffenburg geboren, woselbst er auch das Gymnasium, 
sowie das dortige Lyceum besuchte; i. J. 1826 begab er 
sich nach München, um Jurisprudenz zu studiren, aber be- 
reits nach dem ersten Jahre wandte er sich hievon ab und 
besuchte nunmehr philosophische, naturwissenschaftliche und 
auch theologische Vorlesungen. Vor Allem waren es Schel- 
ling und Franz v. Baader, an welche er sich anschloss, und 
ausserdem hörte er bei Ast, Görres, Schubert und später 
bei Oken; die philosophische Doktorwürde erlangte er 1832 
durch eine Dissertation über die Dialektik Piatons. Im 
Jan. 1834 wurde er an Stelle des in den Ruhestand treten- 
den Rixner zum Professor am Lyceum zu Amberg ernannt, 



Digitized by 



Google 



408 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1882. 

von wo er nach kurzer Zeit (1835) als ordentlicher Professor 
an die Universität Würzburg übergieng. In den letzten 
Jahren zog er sich allmälig vom Lehramte zurück und gab 
sich völlig seiner schriftstellerischen Thätigkeit hiu ; in Folge 
seiner persönlichen Liebenswürdigkeit verblieb ihm stets die 
allgemeinste Achtung und Zuneigung bis zu seinem Tode, 
welcher am 22. Oktober 1881 eintrat. Die speculative Rich- 
tung Baader's hatte von Anfang an massgebend und be- 
stimmend auf ihn eingewirkt, und so war er in all seiner 
reichen Thätigkeit einer der lebhaftesten Vertreter jenes 
Theismus, welcher eine durchweg idealistische Weltanschau- 
ung auf theosophische Grundlagen stützt. In solchem Sinne 
liess er auf eine kleinere Schrift „Grundzüge der Erkennt- 
nisslehre" (1834) alsbald folgen „Speculative Entwicklung 
der ewigen Selbsterzeugung Gottes" (1835), woran sich an- 
reihten „Zur katholischen Theologie und Philosophie" (1836) 
und „Vorhalle zur speculativen Lehre Franz v. Baader's 
(1836). Nach einer Ausgabe von Baader's kleinen Schriften 
(1848, 2. Aufl. 1850) erschienen „Frz. v. Baader in seinem 
Verhältnisse zu Hegel und Schelling" (1850) und „Grund- 
züge einer Geschichte des Begriffes der Logik" (1851). Nun 
begann er im Vereine mit Hamberger, Lutterbeck, Osten- 
Sacken und Schlüter die Gesammtausgabe der Werke Baader's, 
welche nicht ohne nachhaltige Unterstützung seitens der 
bayerischen Regierung in den Jahren 1851 — 1860 in 15 
Bänden veröffentlicht wurde; hiebei verfasste Hoffmann die 
Biographie Baader's (1857), sowie auch die Einleitungen, 
welche daneben unter dem Titel „Acht philosophische Ab- 
handlungen" in besonderem Abdrucke erschienen. Während 
dieser Jahre vertrat er, — abgesehen von einem Leitfaden 
seiner Vorlesungen „Grundriss der allgemeinen reinen Logik" 
(2. Aufl. 1855) — , seine philosophische Anschauung auch 
in den Schriften: „Zur Wiederlegung des Materialismus, 
Naturalismus, Pantheismus und Monadologismus" (1853), 



Digitized by 



Google 



v. Prantl: Nekrolog auf Henri Adrien Prevost de Longptrier. 409 

„Zur Würdigung der herrschenden Vorurtheile Über die 
Lehre Baaders" (1855) und „Franz v. Baader als Begründer 
der Philosophie der Zukunft 4 ' (1856). Hierauf folgten : Ueber 
die Gottesidee des Anaxagoras 44 (1860), „Ueber Theismus 
und Pantheismus 41 (1861), ferner „Die Weltalter, Licht- 
strahlen aus Frz. v. Baader's Werken 14 (1868), und im Hin- 
blicke auf die durch das vaticanische Concilium erfolgte 
Bereicherung der katholischen Dogmatik erschien „Frz. v. 
Baader's Blitzstrahl wider Rom, die Verfassung der christ- 
lichen Kirche und der Geist des Christenthums, mit Vor- 
reden und Anmerkungen von Prof. Frz. Hoflfmann 44 (1871), 
womit die Schrift zusammenhängt „Kirche und Staat, die 
Revolution von Oben in der römisch-katholischen Kirche 
und Beiträge zur Politik und Staatsphilosophie 44 (1872). 
Seit 1867 hatte er begonnen, seine gesammelten kleineren 
„Philosophischen Schriften 4 * herauszugeben, welche bis 1881 
auf 7 Bände angewachsen sind und theils Recensionen über 
nahezu sämmtliche neue Erscheinungen der philosophischen 
Literatur, theils Erläuterungen zu Baader und Darlegung 
der Stellung desselben zu anderen Vertretern der Philo- 
sophie enthalten. Ausserdem hatte er (1845, 1853, 1858) 
Rectorats-Reden zu verfassen und hielt auch die Festreden 
zur Schiller-Feier (1859) und zur Fichte-Feier (1862). 



Hftiri Adrien Prevost de Longperier, 

welcher zu den hervorragendsten Archäologen Frankreichs 
gehörte, war am 21. September 1816 in Paris geboren und 
wurde, da seine Eltern früh starben, bei einer reichen 
Familie in Meaux erzogen; 1835 kam er wieder nach Paris 
und sowie er schon als heranreifender Knabe neben einer 
vielseitig von Fach zu Fach umspringenden Begabung ein 
besonderes Geschick für Numismatik gezeigt hatte, so be- 
gann er jetzt wissenschaftliche Studien am Münzcabinete 



Digitized by 



Google 



410 Oe ff entliehe Sitzung vom 28. März 1882. 

der Bibliothe'que royale, woneben er zugleich in jahrelanger 
Ausdauer sich reiche Kenntnisse in allen Zweigen der an- 
tiken Plastik zu erwerben bemühte und ausserdem auch 
orientalische Sprachen, insbesondere die arabische und die 
persische, kennen lernte. Nachdem er bereits 1835 eine An- 
stellung am Cabinet des medailles gefunden hatte und 1838 
Mitglied der Societe des antiquaires de France geworden 
und 1840 in die Vorstandschaft der Societe asiatique ein- 
getreten war, erhielt er 1846 nach Dubois' Tod die Stelle 
eines Adjuncten am ägyptischen Museum des Louvre, mit 
welchem bald darauf nach dem Eintreffen der Botta'schen 
Funde aus Khorsabad (1847) auch das neue assyrische 
Museum verbunden wurde. Im Jahre 1848 wurde Longperier 
zum wirklichen Conservator des Musee des antiquites er- 
nannt und als solcher unternahm er auf Grund einer neuen 
Anordnung der Denkmäler eine Katalogisirung derselben ; 
1854 wurde er Mitglied der Academie des Inscriptions, deren 
Vorstandschaft ihm 1867 übertragen wurde. In Verbindung 
mit Anderen rief er zwei literarische Unternehmungen ins 
Leben, nemlich 1855 war er Mitgründer des „Athenaeum 
fran£ais", dessen Bulletin archeologique er redigirte, und 
1856 entstand durch ihn in Gemeinschaft mit De Witte 
die „Revue numismatique" , durch welche er einen frucht- 
baren Einflusss auf dieses Gebiet der Wissenschaft ausübte. 
Sowie er in verschiedene wissenschaftliche Commissionen und 
auch unter die Preisrichter der Pariser Ausstellung aufge- 
nommen wurde, so fanden seine Verdienste auch die ge- 
bührende Anerkennung seitens des Archäologischen Institutes 
in Rom, des Aegyptischen Institutes in Alexandria, der Royal 
archeologic society in London, des Musee imperial in Moskau 
und der Akademien zu Berlin, Brüssel, Turin, Madrid (unsere 
Akademie nahm ihn 1868 unter ihre auswärtigen Mitglieder 
auf). Manche seiner Schriften beanspruchen ebensosehr für 
die Orientalisten wie für die Numismatiker eine hohe Wichtig- 



Digitized by 



Google 



v. Pranfl: Nekrolog auf Henri Adrien Prevost de Longperier. 411 

keit, und die Fachgenossen erkennen überhaupt rühmend 
an, dass er mit einem ausserordentlichen Kenntniss-Reich- 
thume einen seltenen natürlichen Spürsinn (insbesondere 
bei allen Fälschungen jeder Art) und eine feine künstlerische 
Auffassung verband, sowie dass er seine amtliche Stellung 
im Louvre, welche er jedoch 1869 in Folge mehrfacher 
Verdriesslichkeiten aufgab, durch liebenswürdige Dienstfertig- 
keit zum Besten der Wissenschaft verwerthete. Er starb 
in Paris am 14. Januar 1882. Neben einer „Etüde sur 
des monnaies inedites de quelques prelats fran^ais" (1837) 
und der Beschreibung einiger Privat-Sammlungen fran- 
zösischer Münzen der Herren Dassy, Magnoncour und Rousseau 
sowie der Linck'schen Sammlung griechischer und römischer 
Münzen (1840 bis 1843) erregte er zuerst allgemeinere 
Aufmerksamkeit durch seinen „Essai sur les medailles de 
rois Perses de la dynastie Sassanide" (1840) und „Sur la 
numismatique des röis Sassanides et des rois Arsacides 
(1840 und 1854); dann folgten „Description de quelques 
monuments emailles du moyen-äge(1842), „Ninive et Khorsa- 
bad u (1844); „Explication d'une coupe Sassanide inedite" 
(1843) hierauf unter dem Titel „Notice des monuments 
exposes etc." die Kataloge der griechischen, der assyrischen, 
baylonischen, persischen, hebräischen und der amerikanischen 
Alterthümer des Louvre (1849 — 52) und „Description de 
quelques poids antiques" (1847), „Dissertation sur deux 
deniers frappes en Provence" (1849), sowie „Documents 
numismatiques pour servir ä F histoire des Arabes d* Es- 
pagne" (1851), ferner „Memoires sur la Chronologie et 
V iconographhie des rois Parthes Arsacides" (1853) , von 
welcher Schrift aber wegen einiger mit untergelaufener Irr- 
thümer er möglichst alle Exemplare aus dem Handel zurück- 
zog, „Antiquites de la Perse" (1853) und eine Beschreibung 
des Mnsee Napoleon III., eingetheilt in Architecture, Sculp- 
ture, Ornementation, Terres-cuites (1864, unvollendet, indem 



Digitized by 



Google 



412 elf entliche Sitzung vom 28. März 1882. 

von 140 versprochenen Lieferungen nur 25 erschienen), so- 
dann noch „Une anecdote iconographique, extrait d' un me- 
moire sur des coupes Sassanides" (1866) und „Choix de 
monuments antiques pour servir ä V histoire de V art en 
Orient et en Occident" (1867). Ausserdem verfasste er 
mehrere Gedächtnissreden für die Academie des Inscriptions 
und zahlreiche Aufsätze in Revue archeologique , Revue 
numismatique , Annali dell' instituto archeologico , Journal 
asiatique, Revue de philologie, Tresor numismatique, Moni- 
tenr des arts, Memoires de Ja Societe des antiquairs, An- 
nuaire de la Societe de Y historire de France und im Plu- 
tarque fra^ais. Ein Verzeichniss seiner sämmtlichen Schriften 
beabsichtigt sein Freund Schlumberger in den Memoires de 
la Societe des Antiquaires zu veröffentlichen. 



John Muir 

geboren am 5. Februar 1810 in Glasgow studirte in Irvine, 
dann an der Universität seiner Vaterstadt, hierauf an der 
Schule der ostindischen Compagnie zu Haileybury und be- 
gab sich 1828 nach Bengalen, wo er das College von Fort 
William absolvirte und zunächst Secretär der Finanzkammer 
in Allahabad wurde ; hernach wirkte er als Lehrer in Azim- 
ghur, dann in Benares, und erhielt zuletzt die Stelle eines 
Civilrichters des Kreises Futtehpoor im nordwestlichen In- 
dien. Während dieses Aufenthaltes in Brittisch-Indien ver- 
fasste er zahlreiche grössere oder kleinere Tractate, um die 
gebildeten Stände der Inder für die christliche Religion zu 
gewinnen, worunter als die hauptsächlichsten zu erwähnen 
sind : „A sketch of the argument for Christianity against 
Hinduism, in sanskrit verse" (1839), „Sarmapaddhati , the 
way of happiness" (1841), „History of St. Paul, in sanskrit 
verse" (s. a.) „Qri Yeshu Khrista Mahatmya, the glory of 
Jesus Christ" (2. Aufl. 1849) und „Mataparftshä, or exami- 



Digitized by 



Google 



v. Prantl: Nekrolog auf John Muir. 413 

nation of religions" (1852, 2 Bände, im Sanskrit und zu- 
gleich in englischer Sprache erschienen) ; zum gleichen 
Zwecke stiftete er auch einen Preis von 500 Lstr. für die 
Universität Cambridge, welchen Rowland Williams durch 
die Schrift „Dialogue of the knowledge of the Supreme 
Lord" gewann. Im Jahre 1853 verliess er den indischen 
Dienst und auf dem Rückwege nach Europa veröffentlichte 
er in Capstadt „Remarks on the conduct of missionary 
Operations in Northern India u (1853). Heimgekehrt erwarb 
er sich ein grosses Verdienst um die im Jahre 1862 er- 
folgende Gründung einer Professur für Sanskrit und ver-r 
gleichende Sprachwissenschaft in Edinburg, wozu er aus 
seinen Privatmitteln einen Beitrag von 4000 Lstr. bei- 
steuerte, welchen er in Bälde auf 5000 erhöhte. In Folge 
des Studiums der kritischen Literatur, welche durch David 
Strauss begonnen hatte, verliess er seine theologisirenden 
Bestrebungen und warf sich ausschliesslich auf die Veden. 
Sein Hauptwerk, welches ihm durch Förderung der Ge- 
schichte , Alterthumskunde und Literatur des indischen 
Volkes die allgemeine Anerkennung seitens der Fachwissen- 
schaft verschafft, war „Original Sanskrit texts, on the ori- 
gine and history of the people of India, their religion and 
institutions" (5 Bände, 1858—70, 2. Aufl. 1868 ff.), ein 
aus zahlreichsten Sanskrit-Stellen mit beigefügter englischer 
Uebersetzung bestehendes Sammelwerk, dessen Inhalt durch 
die Titel der fünf Haupttheile folgendermassen bezeichnet 
ist: 1) Mythical and legendary accounts of caste, 2) Trans- 
himalayan origin of the Hindus, 3) The Vedas, opinions of 
Indian autbors on their origin, inspiration and authority, 
4) Comparison of the Vedic with the later representations 
of the principal Indian deities, 5) Contributions to a know- 
ledge of the cosmogony, mythologie, religions, ideas, life 
and manners of the Indians in the Vedic age. Er verfolgte 
dabei namentlich auch die Absicht, auf die tief greifenden 



Digitized by 



Google 



414 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1882. 

Widersprüche hinzuweisen, welche zwischen den späteren 
Gestaltungen der indischen Religion und den alten Veden 
bestehen, Widersprüche, welche von den modernen gelehrten 
Indiern durch sophistische Künsteleien beseitigt werden wollen. 
Eine Fortsetzung und Ergänzung des Werkes gab Muir in 
mehreren Aufsätzen im Journal of the royal Asiatic Society 
(1865 u. 1866), wo er z. B. über die Theogonie der Veden, 
über die im Rigveda und Atharvaveda enthaltene Lehre 
vom Leben nach dem Tode, und über die vedischen Priester 
handelte. Auch gab er „Some account of the recent pro- 
gress of Sanskrit studies" (1863) und „Beiträge zur Kennt- 
niss der vedischen Theogonie und Mythologie" (1866 in 
Benfey's „Orient und Occident u ) ; später folgte „Metrical 
translations from sanskrit whriters with an introduction, 
prose versions and parallel passages from classical authors" 
(1879), eine Sammlung von 258 Sprüchen, wobei er sich 
in der Einleitung mit der Ansicht Lorinser's auseinander- 
setzte, dass in Bbagavadgita zahlreiche Entlehnungen aus 
dem Neuen Testamente zu erkennen seien. Ein Nachtrag 
erschien als „Further metrical translations with prose versions 
from the Mahabharata and two short metrical translations 
from the Greek" (1880). Muir, welcher Mitglied der Asiatic 
Society in London, der Akademien zu Paris, Leyden, Ber- 
lin, seit 1873 auch unserer Akademie, sowie mehrerer 
anderer gelehrten Gesellschaften war, starb in Edinburg am 
7. März 1882. 



Francis Charles Eugene Thurot, 

welcher unserer Akademie seit 1876 als correspondirendes 
Mitglied angehörte, war am 13. Februar 1823 in Paris ge- 
boren, wo er in seinen Jünglingsjahren durch Weil in die 
Philologie eingeführt wurde. Nachdem er als Lehrer in 
Pau , Rheims , Besan$on , Poitiers und Clermont gewirkt 



Digitized by 



Google 



v. Prantl: Nekrolog auf Francois Charles Eugene Ihurot. 415 

hatte, erhielt er 1861 die Professur der Grammatik an der 
Ecole normale zu Paris, woselbst er ausgerüstet mit einer 
seltenen Lehrgabe den Unterricht durch Hinweis auf Sprach- 
geschichte zu erhöhen verstand. Im J. 1866 gründete er 
in Vereinigung mit Anderen die „Revue critique d'histoire 
et de litterature", deren eifriger Mitarbeiter er stets blieb, 
sowie er sich auch an der „Revue de philologie" und der 
„Revue archeologique" lebhaft betheiligte. Sowohl bei dieser 
literarischen Thätigkeit als auch in der Academie des In- 
scriptions, deren Mitglied er im J. 1871 wurde, gehörte er 
zu jenen Gelehrten Frankreichs, welche den Leistungen der 
Deutschen eine liebevolle Aufmerksamkeit schenken, und 
wirkte so in der That als ein Vermittler deutscher und 
französischer Wissenschaft. Durch die freundliche und opfer- 
willige Unterstützung, welche er den Arbeiten Anderer zu- 
wandte, wurde er auch ein Mittelpunkt der wissenschaft- 
lichen Bewegung innerhalb der jüngeren Generation der 
Philologen Prankreichs. Er starb am 17. Januar 1882 in 
Paris. Seine zahlreichen Schriften, welche besonders in der 
aristotelischen Literatur und vor Allem in der Geschichte 
der Grammatik ihm bleibende Verdienste sichern, zeigen 
durchweg eine sorgfältige Gewissenhaftigkeit der Einzeln- 
Forschung, mit welcher er auch grössere Gesichtspunkte 
verfolgte. Er begann die literarische Laufbahn mit einer 
Abhandlung „De Alexandri de Villadei Doctrinali eiusque 
fortnna" (1850), worauf unmittelbar folgte „De Torgani- 
sation de l'enseignement dans l'universite de Paris au inoyen- 
äge" (1850); dann erschienen „Etudes sur Aristote, Poli« 
tique, Dialectique, Rhetoriqne" (1860) und hierauf in der 
Revue archeologique (1864) „De Ja logique de Pierre 
d'Espagne" ( — dagegen richtete ich meine Schrift „Michael 
Psellus und Petrus Hispanus" — ), sowie ebendaselbst kri- 
tische Bemerkungen zu den aristotelischen Schriften Rhet., 
Poet., D. part. anim. und Meteor, und „Recherches histo- 



Digitized by 



Google 



416 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1882. 

rique sur le principe d'Archimede" (1868). Sodann ver- 
öffentlichte er die auf unermüdlicher Durchforschung der 
Pariser und mehrerer Provincial-Bibliotheken beruhenden 
„Extraits de divers manuscripts latins pour servir ä l'his- 
toire des doctrines grammaticales au moyen-äge (1869 in 
den Notices et extraits des manuscripts de la bibliotheque 
national) und damit zusammenhängend „Documenta relatifs 
ä Thistoire de la grammaire au moyen-äge u (1870 in den 
Comptes-rendus de TAcademie des Inscriptions) ; ferner Ale- 
xandre d'Aphrodisias commentaire sur le traite d'Aristote 
de sensu et sensibili (1873) und eine Ausgabe des Epik- 
tetos (1875), daneben eine Abhandlung über die syntaktische 
Stellung des „non" (1870) in den Memoires de la Society 
de linguistique) sowie über verschiedene Puncte der grie- 
chischen Moduslehre (1871 im Annuaire de Tassociation 
pour les etudes grecques) und „Ciceron, Epist. ad famil., 
notice sur un manuscript du 12 me siecle" (in der Biblio- 
theque de Tecole des hautes etudes, 1874). Nachdem er 
bereits 1854 im Journal de Instruction publique eine Ab- 
handlung über die Aussprache der auslautenden Consonanten 
im Französischen gegeben hatte, verfolgte er dieses Gebiet 
fortwährend in umfassender Weise, und als Ergebniss dieser 
sorgfältigen Studien erschien noch im letzten Jahre seines 
Lebens der erste Band seiner „Histoire de la prononciation 
fran^aise dans les trois derniers sieeles" (1881); aus dem 
Nachlasse ist die Herausgabe des zweiten Bandes ebenso 
gesichert, wie auch noch seine „Prosodie latine" er- 
scheinen wird. 



Das ordentliche Mitglied der philos.-philol. Classe Herr 
Prof. Dr. Lauth hat am 16. März 1882 freiwillig seinen 
Austritt erklärt. 



Digitized by 



Google 



v. Giesebrecht: Nekrolog auf Karl Friedr, Stumpf-Brentano, 417 



Der Classensecretär Herr von Giesebrecht sprach: 

Auch die historische Classe hat ein schmerzlicher Ver- 
lust betroffen. Am 12. Januar ds. Js. starb nach kurzer 
Krankheit zu Innsbruck der k. k. ordentliche Professor an 
der dortigen Universität Dr. Karl Friedrich Stumpf-Bren- 
tano, seit 1866 correspondirendes Mitglied unserer Akademie. 

Sodann wurde vom Classensecretär auf den nachstehenden 
Nekrolog verwiesen: 

Stumpf, geboren am 13. August 1829 zu Wien, ver- 
lebte seine Kindheit theils in seiner Vaterstadt, theils in 
Pest. Die Gymnasialstudien machte er 1839 — 1845 in dem 
Convict der Piaristen zu Totis bei Komorn und besuchte 
dann 1845 — 1851 die Universitäten zu Olraütz und Wien. 
Obwohl er sich die Jurisprudenz zum Fachstudium erwählt 
hatte, zogen ihn doch schon in Olmütz, wo damals der 
rühmlichst bekannte Statistiker Ad. Ficker Geschichte lehrte, 
die historischen Studien besonders an, uud bei der 1849 
begonnenen Reform des österreichischen Unterrichtswesens 
reifte in ihm der Entscbluss sich ganz dem historischen 
Lehramt zu widmen. Er trat deshalb 1S51 in das neu er- 
richtete historisch-philologische Seminar zu Wien, wo auch 
Bonitz damals wirksam war und auf ihn einen grossen Ein- 
fluss übte. Nach der mit dem besten Erfolge bestandenen 
Lehramtsprüfung wurde Stumpf an der Wiener Universitäts- 
bibliothek als Amanuensis angestellt, zugleich vertrat er im 
Sommersemester 1853 als Supplent den erkrankten Professor 
der Geschichte an der Universität Olmütz. Aber schon 1854 
begab er sich nach Berlin, weil er dort die lebhaftesten 
Anregungen für seine historischen Studien zu finden hoffte. 
Fast zwei Jahre verweilte er in Berlin und trat besonders 
mit den jüngeren Gelehrten, die sich dort um Pertz und 
Ranke als ihre Meister schaarten, in die lebhafteste Verbind- 



Digitized by 



Google 



418 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1882. 

trag. Seine liebenswürdige Persönlichkeit und die Lebhaftig- 
keit, mit welcher er auf alle geistigen Bestrebungen ein- 
ging, verschafften ihm leicht in weiten Kreisen Eingang 
und gewannen ihm dauernde Freundschaften. 

Mit Vorliebe wandte sich Stumpf schon früh der Ge- 
schichte des deutschen Mittelalters zu, und immer mehr be- 
festigte er sich in der Ueberzeugung, dass nur durch Heran- 
ziehung des grossen, noch zu wenig benutzten Urkunden- 
raaterials eine feste Grundlage für diese Geschichte gewonnen 
werden könne. Dies gab ihm die Veranlassung, sich im 
Sommer 1856 nach Frankfurt a. M. zu begeben, um mit 
J. F. Böhmer, dem Meister der Urkundenforschung, in nähere 
Beziehungen zu treten. Böhmer kam ihm auf das Freund- 
lichste entgegen, und es entspann sich zwischen beiden ein 
Verhältniss, welches auf alle weiteren Studien Stumpfs den 
bestimmenden Eiufluss geübt hat; als den Schüler Böhmer's 
hat sich Stumpf dann immer mit besonderem Nachdruck 
bezeichnet. Nachdem er kurze Zeit (October 1856 bis 
Juli 1857) als Professor der Geschichte an der Rechtsaka- 
demie zu Pressburg gewirkt hatte, kehrte er im December 
1858 nach Frankfurt zurück und verweilte dort bis zum 
April 1860 bei Böhmer, um sich ganz ungestört in seine 
urkundlichen Forschungen vertiefen zu können. 

In Frankfurt war Stumpf auch mit Julius Ficker in 
Berührung gekommen, und die durch gemeinsame Studien 
und Gesinnungen begründete Freundschaft mit diesem Ge- 
lehrten veranlasste ihn nach Innsbruck überzusiedeln, wo 
ihm bald (November 1861) eine Professur der Geschichte 
und der historischen Hilfswissenschaften an der Universität 
übertragen wurde. Wiederholt wurden ihm später Aus- 
sichten an grösseren Universitäten eröffnet, aber er ist 
immer Innsbruck treu geblieben; theils fesselten ihn dort 
persönliche Beziehungen, theils die Ueberzeugung, dass er 



Digitized by 



Google 



v. Giesebrecht: Nekrolog auf Karl Friedr. Stumpf-Brentano. 419 

die begonnenen Arbeiten von dort aus am besten durch- 
fähren könne. 

Im Interesse dieser Arbeiten hat Stumpf durch zwei 
Jahrzehnte eine lange Reihe von wissenschaftlichen Reisen 
unternommen, für welche er kein Opfer an Zeit und Geld 
scheute. Zahlreiche Bibliotheken und Archive in Deutsch- 
land, der Schweiz, Belgien, Frankreich und Italien sind von 
ihm durchforscht worden, und manche von ihnen mehr als 
einmal. Diesen Reisen dankte er nicht nur die Hebung 
vieler bis dahin unbekannter Urkundenschätze, sondern auch 
zahlreiche persönliche Verbindungen mit hervorragenden Ge- 
lehrten, und diese Verbindungen waren denn auch seinen 
Arbeiten weiter förderlich. Für solche Reisen war Stumpf 
wie geschaffen; bei seinem herzlichen und lebensfrischen 
Wesen war er überall willkommen, und überall wusste er 
für seine Bestrebungen Interesse zu wecken. 

Stumpf 's literarische Arbeiten beziehen sich fast sämmt- 
lich auf das Urkundenwesen. Manche kleinere Arbeiten 
sind in gelehrten Zeitschriften veröffentlicht; besonders er- 
schienen sind die „Acta Moguntina sec. XII." (Innsbruck 1863), 
„Die Würzburger Immunitäts-Urkunden des 10. und 11. Jahr- 
hunderts 41 (Innsbruck 1874) und vor Allem sein Hauptwerk: 
„Die Reichskanzler vornehmlich des 10., 11. und 12. Jahr- 
hunderts (Innsbruck 1865— 1881)". Dieses Werk, in welchem 
Stumpf recht eigentlich seine Lebensaufgabe sah, umfasst 
drei Abtheilungen. Von der ersten, welche die Geschichte 
der Reichskanzler und Reichskanzlei in den bezeichneten 
Jahrhunderten im Zusammenhange darlegen sollte, ist ein 
einziges Heft publicirt, welches eigentlich nur die Einleitung 
giebt. Dagegen ist die zweite Abtheilung, welche das chrono- 
logische Verzeichniss der Eaiserurkunden in der angegebenen 
Epoche enthält, bis auf die beabsichtigten Nachträge und 
Register vollständig erschienen, und die dritte Abtheilung, 
in welcher über 500 Kaiserurkunden aus jenen Jahrhunderten 
[1882. L Phüos.-philol. hist. Cl. 3.] 28 



Digitized by 



Google 



420 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1882. 

meist zum ersten Male gedruckt sind, ist völlig zum Abschluss 
gebracht worden. Die Resultate der unermüdlichsten Nach- 
forschungen und sehr mühevoller kritischer Untersuchungen 
sind in gedrängter Kürze in diesem Werke niedergelegt, 
welches schon längst Allen, die sich mit der Geschichte 
unserer alten Kaiser beschäftigen, ein unentbehrliches Hilfs- 
mittel ist. 

Wie Stumpf bei seinen überaus beschwerlichen und 
oft trocken erscheinenden Arbeiten doch stets höhere Ge- 
sichtspunkte leiteten, hat er selbst in der Vorrede zur 
zweiten Abtheilung seines grossen Werks in folgenden 
Worten ausgesprochen : ^Indern ich diese Arbeit der Oeffent- 
lichkeit übergebe, hoffe ich etwas Nützliches und Förderndes 
für die vaterländische Geschichtsschreibung beitragen, zu- 
gleich aber auch zur Stärkung und Befestigung der Bande 
mitwirken zu können, die meine engere Heimat mit dem 
gemeinsamen grossen Vaterlande umschliessen. Denn was 
ist geeigneter, um dauernd an einander zu fesseln, als die 
Pflege grosser geschichtlicher Erinnerungen, die das Gemein- 
gut aller unserer Stämme sind. Darin liegt das Erhabene 
unseres Berufs, zugleich aber auch unsere beste Genugtu- 
ung". In der That konnte nur das Gefühl patriotischer 
Pflicht eine so lebhafte und vielseitig angeregte Natur, wie 
Stumpf war, Jahrzehnte hindurch bei diesen entsagungs- 
vollen Studien erhalten. 

Auf den Beifall des grossen Publicums können Arbeiten, 
wie sie Stumpf lieferte, nicht rechnen, aber doch hat es an 
Anerkennung seiner Verdienste nicht gefehlt. Es sind ihm 
von der österreichischen Regierung, wie von den Akademien 
und gelehrten Gesellschaften Deutschlands und Italiens viel- 
fache Auszeichnungen zu Theil geworden. Die Wiener Aka- 
demie der Wissenschaften, deren correspondirendes Mitglied 
er seit 1872 war, wählte ihn auch zum Mitgliede der Cen- 
traldirection der Monumenta Germaniae, und das germanische 



Digitized by 



Google 



v. Giesebrecht : Nekrolog auf Karl Friedr. Stumpf-Brentano. 421 

Nationalmuseum nahm ihn in seinen Verwaltungsausschuss 
auf; hier wie dort hat er durch seinen Eifer, seine Umsicht 
und Dienstwilligkeit sehr Erspriessliches geleistet. 

In voller Manneskraft raffte der Tod ihn hin. Er starb 
zu früh der Wissenschaft, ohne sein grosses Werk ganz 
vollendet zu haben, zu früh seiner Familie, in deren Mitte 
er beglückt und beglückend waltete, zu früh seinen zahl- 
reichen Freunden, welche ohne Ahnung dieses tiefschmerz- 
lichen Verlustes die Nachricht von seinem Tode wie ein 
Donnerschlag traf. Die Ruhestätte ist ihm in Frankfurt a. M. 
bereitet worden, welche Stadt ihm durch seine Vermählung 
mit Maria Brentano (1862) zur zweiten Heimath geworden 
war. Auf dem Schloss im benachbarten Rödelheim pflegte 
er in dem letzten Jahrzehnt die Sommermonate zuzubringen, 
während er im Winter meist seine Lehrthätigkeit in Inns- 
bruck fortsetzte. Seit dem Jahre 1873 führte er den Namen 
Stumpf-Brentano. 1 ) 



1) Nach eigenen Aufzeichnungen des Verstorbenen, die durch Herrn 
Professor A. Busson in Innsbruck mitgetheilt wurden und die auch in 
v. Wurzbach's Biographischem Lexicon des Kaiserthums Oesterreich 
Bd. 40 S. 197—199, wie in dem Nekrolog der Allgemeinen Zeitung 
(1882. Beilage 88) benützt sind. 



28* 

Google 



Digitized by 



Philosophisch - philologische Classe. 



Sitzung vom 6. Mai 1882. 



Herr Wölfflin hielt einen Vortrag über: 

„Die Gemination im Lateinischen." 

Wer in München in den frühen Morgenstunden Colleg 
liest oder hört und seinen Weg durch den Garten der Forst- 
schule nimmt, der wird regelmässig einen Beamten der 
Anstalt mit verschiedenen Messungen beschäftigt autreffen. 
Er wiederholt dieselben zu anderen Zeiten des Tages und 
übergiebt sie dem Vorstande, der vielleicht nach zehn Jahren 
auf Grund eines umfassenden Materiales die Beobachtungen 
veröffentlicht und daraus allgemeine Schlüsse zieht, denen 
dann die verdiente Anerkennung nicht vorenthalten bleibt 
Auch die Philologen, welche diess täglich sehen, finden es 
ohne Zweifel ganz in der Ordnung ; dass sie selbst in gleicher 
Weise beobachten sollten, fallt wohl. Wenigen ein. Wo sollte 
da die eigene Gescheidtheit bleiben, wenn man sich so von 
äusseren Factoren abhängig machen wollte? Die Philologie 
hat es ja mit dem Geiste, und nicht mit der Natur zu 
thun. Und doch, so gut man der Natur ihre Geheimnisse 
ablauschen und abrechnen muss und keine vorgefassten 
geistreichen Hypothesen in dieselbe hineintragen darf, so 



Digitized by 



Google 



WÖlfflin: Die Gemination im Lateinischen. 423 

gut gilt diess von der Sprache. Wenn freilich in der 
Sprachbildung nur die Natur thätig wäre, so hätte man, 
wie dort mit den verschiedenen Himmelsstrichen und Boden- 
beschaffenheiten, so hier nur mit Stammesunterschieden und 
nationalen Anlagen zu rechnen, und wenn die Grundformeln 
genau festgestellt wären, so Hesse sich alles Einzelne mathe- 
matisch sicher bestimmen: so aber wirken, wenn auch we- 
niger in der Urzeit als in der Periode der höheren Ent- 
wicklung, einzelne hervorragende Geister durch die Litera- 
tur so mächtig auf die Sprache ein und der Geschmack der 
Völker und Jahrhunderte bewegt sich in so launischen 
Curven, dass der individuelle Einfluss und die Macht der 
menschlichen Freiheit der der Natur oder der constanten 
ratio mindestens gleich zu setzen ist. Dadurch gewinnt 
das Leben der Sprache in dem Maasse an Reichthum, als 
die Beobachtung verwickelt und erschwert wird. Darum 
wird aber der Philologe der Detailbeobachtung sich so wenig 
zu schämen haben als der Naturforscher, und im Gegentheile 
sich wie dieser bestreben müssen zum Behufe möglichst 
scharfer und genauer Beobachtungen eigene Messmethoden 
und Messinstrumente zu ersinnen. Das Wort Beobach- 
tung muss ein Schlagwort der Philologie werden, nicht 
die rohe Observation der alten Holländer, die mehr nur das 
Phraseologische, insofern es für den Stil und die Kritik 
wichtig war, in's Auge fasste, sondern die unserem Jahr- 
hundert und der historischen Grammatik angepasste. Wie 
der mit guten Augen Gesegnete, aber archäologisch nicht 
Vorgebildete an einem antiken Kunstwerke nur die Hälfte 
dessen sieht, was der Künstler zum Ausdrucke gebracht hat, 
so muss man auch in der Philologie erst lernen, worauf es 
bei sprachlichen Untersuchungen in erster Linie ankommt, 
dann aber, nachdem diess erkannt ist, die einzelnen Glieder 
der Gleichung möglichst genau bestimmen. Eine solche 
Rechnung, auf Grund der vorhandenen Litteratur einmal 



Digitized by 



Google 



424 Sitzung der phüos.-phüöl. Glasse vom 6. Mai 1882. 

gemacht, genügt, wenn das Material sich nicht durch Ent- 
deckungen in ungeahnter Weise vermehrt, für alle Zeiten, 
während approximative Berechnungen nur zu unsicheren 
Werthen fuhren und durch die Portpflanzung des Irrthums 
Alles, was weiter darauf gegründet wird, in Frage stellen. 
Wie weit die approximativen Werthe in unserer heutigen 
Grammatik auseinandergehen, wollen wir im Interesse der 
Sache lieber verschweigen; denn nicht nur bezeichnet der 
Eine als ,häufig ft , was dem Andern als ,selten 4 erscheint, 
sondern man ist sehr oft darüber im Unklaren, ob etwas 
überhaupt vorkomme oder nicht : man behauptet das Fehlen 
und wird bald des Gegentheiles überführt, oder man be- 
hauptet das Vorkommen und die zum Beweise angeführten 
Stellen erweisen sich bei näherer Prüfung als hinfällig. 

Die Wiederholung eines Wortes ist ein so einfaches 
und naheliegendes Mittel des sprachlichen Ausdruckes, dass 
nicht nur die indogermanischen, sondern auch die semiti- 
schen und wohl alle Sprachen überhaupt dasselbe in ver- 
schiedenem Sinne ausgenutzt haben (die Nubier sagen bei- 
spielsweise ben ben, zwischen zwischen =■ mittelmässig) und 
daher von vornherein die Ansicht auszuschliessen sein wird, 
als müsste, was sich hier oder dort Aehnliches findet, darum 
gleich auf Nachahmung oder Entlehnung beruhen. 1 ) 

Man kann unter dieser Verdoppelung Verschiedenes 
verstehen, wie auch Aug. Friedr. Pott in seinem bekannten 
Buche über die Doppelung (Lemgo und Detmold 1862) sehr, 
sehr Vieles unter diesem Namen verstanden hat: denn man 
kann darunter ebenso gut die Wiederholung des Wortstammes 
(Reduplication) als auch die ganzer Wörter und Wort- 
gruppen, in unveränderter wie auch in wenig veränderter 



1) Eine in ihrer Allgemeinheit nichtssagende Bemerkung darüber 
findet sich in der Romania VIII 615. 



Digitized by 



Google 



Wblfflin: Die Gemination im Lateinischen. 425 

Form begreifen. Wir haben die Bezeichnung „Gemina- 
tion 11 vorgezogen, weil Fremdwörter Gefässen zu ver- 
gleichen sind, in die man hineinlegen kann, soviel man 
will. Daher haben wir uns an dieser Stelle dahin zu er- 
klären, dass wir die Reduplication nur streifen, soweit es 
um des Zusammenhanges willen wünschenswerth erscheint; 
gänzlich soll aber die Wiederholung in veränderter Form 
ausgeschlossen sein, also Beispiele wie : in diem ex die Cato 
bei Priscian p. 482 H. ; diem ex die expectare Gic. Attic 
7, 26, 3; facie ad faciem hist. misc. 24, 38, und selbst 
wenn die Formen gleich wären, wie in poco a poco (die 
Nubier sagen schwäije schwdije = ein wenig ein wenig = 
langsam), vis ä vis (Diez, roman. Gram. II 8 , 465), Hand 
in Hand, Zahn um Zahn, könnten wir solche Beispiele wegen 
der in der Mitte stehenden Präposition in unsere Unter- 
suchung nicht hereinziehen. Demnach werden wir die 
Wiederholung gleicher Wörter nur in so weit berücksich- 
tigen, als dieselben unmittelbar, asyndetisch, oder bloss 
durch Copula (et, que, ac, atque) verknüpft aufeinander 
folgen. Auch mag noch etwa eine schwache Trennung, 
etwa durch eine Interjection, einen Vocativ oder durch iw- 
quit mit in den Kauf genommen werden. Stärkere Tren- 
nung führt aus dem Gebiete der Gemination hinüber in das 
der Anapher, welche schon alte Grammatiker und Rhetoren 
als eine Wiederholung ,uno alterove verbo interposito* von 
derjenigen geschieden haben ,quae nullum verbum in medio 
habet 4 . Beide Figuren gehen auch äusserlich dadurch aus- 
einander, dass die Gemination sich in der Regel nur auf 
zwei Worte, die Anapher häufig sich auf drei Glieder er- 
streckt, und dass letztere immer das Gepräge der Kunst 
trägt, selbst bei Plautus Cist. 1, 1, 60 doleo ab animo, 
doleo ab oculis, doleo ab aegritudinc, während viele Formen 
der unmittelbaren Wiederholung, wie sich zeigen wird, auch 
der kunstlosen Conversationssprache eigen thümlich sind. Vgl. 



Digitized by 



Google 



426 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 6. Mai 1882. 

Charisius p. 281, 22. Diomedes 446, 11 K. Mart. Cap. 
p. 178, 22 Eyss. Ebenso Hegt die Wiederholung ganzer, 
aus mehreren Worten bestehender Sätze oder Satztheile 
über unser Programm hinaus, es müsste denn sein, dass 
zwei Worte nur einen Begriff ausdrücken, wie Plautus 
Cas. 3, 5, 1 nulla sum, nulla sunt = occidi, occidi. 

Der eigentliche Ausgangspunct der Untersuchung war 
die Frage, ob die italienische Elativbildung wie 
lungo lungo, piccolo piccolo im Lateinischen gleiche 
oder doch ähnliche Vorläufer habe und ob die Möglich- 
keit eines Zusammenhanges mit dem Italienischen in den 
Kreis sprachgeschichtlicher Erwägungen einzuführen sei oder 
nicht. Die Beobachtungen des Latinisten haben für die 
Kenntniss der romanischen Sprachen immer die Bedeutung 
eines Lichtes, welches in der Höhe schwebt; ist es auch 
an sich nicht sehr intensiv, so wirkt es doch vermöge seiner 
günstigen Stellung, und in diesem Gefühle ist die folgende, 
mit ungewöhnlichen Schwierigkeiten verbundene Darstellung 
versucht worden. 

Eine Litteratur über diese Frage gibt es nicht; die 
besten Grammatiker geben ein oder höchstens zwei Beispiele 
der Gepiiqatio, viele auch das nicht ; das Meiste Fr. H a a s e 
in den Vorlesungen über lat. Sprachwissenschaft, I, 192 f. 
H. Paldamus, de repetitione vocura in sermone Graeco 
ac Latino (Ztschr. f. Alterthumswissenschaft. 1838. 1205 ff.), 
bei dem man erwarten könnte wenigstens brauchbares Ma- 
terial zu finden, mengt so Heterogenes durcheinander, dass 
für unsere Zwecke nichts herausspringt ; dagegen giebt eine 
sehr gute Uebersicht über die Reduplication in der lateini- 
schen Wortbildung das im J. 1878 erschienene Danziger 
Gymnasialprogramm von Dr. Carl Jacoby; ausserdem ist, 
abgesehen von dem bereits genannten Buche Potts, zu ver- 
gleichen: Richard Volkmann, Rhetorik der Griechen und 
Römer, Berlin 1872, S. 397, und die Noten von C. L. Kayser 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 427 

zu Cornificius 4, 28, 38, S. 296; endlich der Aufsatz von 
Friedr. Diez, ,Gemination und Ablaut im Romanischen 4 
(in Höfers Zeitschr. f. d. Wiss. d. Sprache, 1851, 397—405), 
der übrigens nur die Wortbildung, nicht die Syntax betrifft. 

1. Die affirmative (rhetorische, emphatische) 
Gemination. 

Wenn die Rhetoren von der Gemination als einer 
Redefigur sprechen, so denken sie an eine Ausdrucksweise, 
welche zwischen den beiden wiederholten Wörtern keine 
Copula in der Mitte duldet und den Sinn einer Bekräftig- 
ung hat. Die Griechen nannten sie meist ävadl7tlcooig; 
ihre Musterbeispiele sind xvQie MQie (Evang. Matth. 7, 21) 
liye Xeye Taty&eQi womit gesagt sein soll, dass sie ebenso 
gut das Nomen als das Verbum treffen könne. Die Römer 
fanden sie in der gehobenen Poesie wie in der rhetorischen 
Prosa, also beispielsweise mehr in den ausgearbeiteten Reden 
Ciceros als in den eben nur skizzenhaften Controversien 
Senecas, mehr in den Reden der Geschichtsschreiber als in 
der historischen Erzählung; sie findet sich aber auch in 
der Conversationssprache, so oft Pathos und Affect in die 
Rede gelegt wird. Cornificius giebt ihr 4, 28, 38 den Namen 
conduplicatio 1 ) und erkennt als ihre beiden Haupt- 
zwecke an eine Sache zu amplificieren oder Mitleid zu er- 
regen, wobei indess zu beachten ist, dass ihm nicht der 
Schriftsteller überhaupt, sondern der Redner im engeren 
Sinne des Wortes vorschwebt. Cicero, welcher de orat. 3, 206 
statt duplicatio lieber sagte g e m i n a t i o , spricht ihr inter- 
dum vim, leporem alias zu, was Quintilian 9, 3, 28 dahin 



1) Die Präposition con ist in diesem Substantivtim archaisch- vulgär, 
wie auch das Verbum conduplicare bei Plautus, Terenz und Lucrez 
vorkommt. Vgl. Thielmann, De sermone Cornific. 1879, p. 10 = Dissert. 
Argentor. II. p. 356 sqq. 



Digitized by 



Google 



428 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

erläutert, dass er zwar die amplificatio und die commiseratio 
des Coruificius beibehält, aber auch entsprechend dem lepor 
Ciceros eine humoristisch -ironische Anwendung zugiebt. 
Richtig interpretiert er auch die Worte Ciceros p. Mil. 72 
occidi, occidi non Spurium Maelium etc. mit den Worten: 
(dterutn est, quod indicat, alterum quod adfirmat, d. h. 
das erste occidi giebt die Thatsache an, das zweite bekräf- 
tigt, betheuert sie. Wiewohl nun auch der Vf. des Carmen 
de figuris Vers 76 (Rhet. lat. min. ed. Halm, p. 66) mit 
den beiden grossen Rhetoren den lateinischen Namen gemi- 
natio festgehalten hat, so ist dieser doch nie ein allgemein 
anerkannter terminus technicus geworden. In den Namen 
und Definitionen der Redefiguren herrscht überhaupt grosse 
Willkür, so dass Gellius 13, 25 (24) 4 unter dem nämlichen 
Worte die Häufung zweier Synonyma verstehen konnte. 
Aquila Romanus § 29 und Martianus Capeila p. 178, 17 
Eyss. nannten unsere Figur lieber iteratio (naXdoyia), 
unter welchem Ausdrucke Cicero de orat. 3, 53, 203 die 
€7tavdXr]ipig verstand, wenn das Schlusswort eines Satzes an 
der Spitze des folgenden wieder aufgenommen wird, Quin- 
tilian 4, 2, 43 die tadelnswerthe Tautologie. Die grosse 
Masse der Grammatiker indessen blieb bei den griechischen 
Kunstausdrücken stehen: anadiplosis heisst es in dem 
Commentuin Pompeii (Gramm, lat. ed. Keil, 5, 302, 26 = 
Donat. gramm. p. 398, 1 und Isidor orig. 1, 35, 7) von 
dem Falle, wenn die beiden wiederholten Worte sich auf 
den Schluss eines Verses und den Anfang des folgenden 
vertheilen; Epizeuxis gebrauchen Charisius p. 281, 22 
und Diomedes p. 446, 11 mit der Einschränkung, dass die- 
selben unmittelbar aufeinander folgen müssen, nach dem 
Musterbeispiele Virgils Aen. 9, 427 rne, tne, und ihnen ist 
Beda de schematibus gefolgt, p. 609, 23 ff. Halm, nur mit 
dem Unterschiede, dass er seine Belegstellen dem alten Testa- 
mente entnommen hat (auch das bisher nicht nachgewiesene 



Digitized by 



Google 



WÖlfflin: Die Gemination im Lateinischen. 429 

vivens vivens aus Jes. 38, 19); Epanalepsis sagt Diomedes 
445, 22 mit Bezug auf den Vers des Horaz Od. 2, 14, 1 Eheu 
fugaces Postume Postume etc. Ob es passend sei, mit Volk- 
mann die Theilung in amplificatio und commiseratio beizube- 
halten, wollen wir nicht entscheiden ; doch scheint uns Ap- 
sines p. 406 richtiger sich auszudrücken, wenn er von den 
rhetorischen Geminationen im Allgemeinen sagt nd&og 

TtOlOVGlV. 

Da diese Gemination in den verschiedenen Redetheilen 
verschieden reflectiert, so werden wir dieselben im Folgen- 
den auseinanderzuhalten haben. 

Der Casus des Substantivs, welcher am häufigsten 
wiederholt worden ist, wird wohl der Vocativ sein. Pflegt 
man schon im gewöhnlichen Leben, wenn man jemanden 
ruft, den Namen zu wiederholen um die Aufmerksamkeit 
in höherem Grade zu erregen, oder auch auf die Gefahr 
hin, dass der erste Ruf nicht verstanden worden wäre, so 
wird diess ebenso oft der Fall sein, wenn man jemanden 
ins Gewissen reden will, überhaupt wenn man in die An- 
rede einen stärkeren Aflfect irgend welcher Art hineinlegt. 
Daher finden wir schon bei Plautus Merc. 4, 4, 60 heus 
uxor uxor (heda), Cure. 166 Palinure Palinure, Mil. 313 
Sceledre Sceledre; Petron. 36 Carpe Carpe, 45 Glyco Glyco, 
64 bucca bucca personifiziert; evang Luc. 10, 41 Martha 
Martha, 22, 31 Simon Simon. Mit Interjectionen Plaut. 
Rud. 1235 o Gripe Gripe, Cure. 626 o cives cives (= HQr. 
epist. 1, 1, 53), ßacch. 814 o stulte stulie, Trin. 1180 o 
pater pater; Mil. 415 eho Sceledre, Sceledre, ibid. Pulaestrio, 
eho Palaestrio; mit doppelter Interjection Poen. 5, 4, 36 
o patrue, o patrue mi patruissime, wo die stärkere Emphase 
des zweiten Gliedes noch besonders durch den Superlativ 
hervorgehoben wird. Auch die höhere Poesie gebraucht 
diese Form zum Ausdrucke des Schmerzes, der Verzweiflung 
und ähnlicher Stimmungen. So Virgil Buc. 2, 69 a Corydon 



Digitized by 



Google 



430 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 6. Mai 1882. 

Garydon (schon Theoer. id. 11, 72 c3 Kvxliaxp, Ktmhoifi), 
ibid. 6, 44 Hyla Hyla; in der Hochzeitspoesie der Griechen 
IlaQ&evlct, FIctQ&evict (personifiziert: Sappho) und der be- 
kannte auch von Catull aufgenommene Refrain Hymen o 
Hymenaee, sammt den Variationen von carm. 61. Dass die 
Form aber nur bei fingierten Namen vorkomme, dass mit- 
hin der von Horaz od. 2, 14, 1 angeredete Postumus in 
Wirklichkeit nicht existiert habe (rhein. Mus. 1882, 234), 
wage ich nicht zu behaupten. Besonders häufig wird diess 
im Gebetsstile aller Völker gewesen sein ; so schon im alten 
Testamente Psalm 139, 8. 140, 8 domine, domine; Ps. 8, 2 
und 10 domine, dominus noster; Ps. 49, 7 deus dem; 47, 15. 
66, 7 deus deus noster; bei Ennius Annal. 115 o Bomule, 
Bomüle die, dem Gebetsstile nachgebildet Ovid art. am. 2, 91 
pater, o pater, und schliesslich bei den Christen, im evang. 
Matth. 7, 21. 22 non omnis, qui dicit mihi Domine Domine, 
intrabit in regnum caelorum. Christus selbst hat die be- 
kannten Worte ,mein Gott, mein Gott, warum hast du 
mich verlassen'? (Matth. 27, 46. Marc. 15, 34) aramäisch 
(Eli Eli oder Eloi Eloi) gesprochen, und Aehnliches weisen 
wohl alle modernen Sprachen auf, Comparetti canti pop. 4, 
p. 36 oh dio 9 oh diol franz. mon dieu, mon dieu. Indessen 
ist die Anrufung ,Herr, Herr* nicht auf das religiöse Ge- 
biet eingeschränkt, sondern auch die thörichten Jungfrauen 
empfangen den Bräutigam mit diesen Worten nach Matth. 
2£, 11 domine domine (xvgie xvQie) aperi nobis. 

Dem Vokativ am nächsten steht der Nominativ, so 
Virg. Buc. 5, 64 deus, deus ille Menalca; bei Hör. Epod. 14, 6 
deus, deus nam me vetat; Virg. Buc. 8, 48 puer, a puer im- 
probus ille ; Lucr. 2, 434 tactus enim, tactus etc. ; fälschlich 
bei Caes. b. Gall. 5 , 44 hie dies dies . . . iudicabit , wo 
höchstens hie, hie dies stehen könnte. Dann wird sich der 
Accusativ anreihen, wie Hör. od. 3, 3, 18 llion Ilion 
(vgl. Schütz im krit. Anhang z. St.) in der Rede der Juno; 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 431 

Cornif. 4, 38 tumultus, C. Gracche, tumultus comparas als 
Beispiel der conduplicatio. Natürlich sind auch die übrigen 
casus obliqui der Gemination nicht unzugänglich, aber die 
Beispiele sind doch seltener, so dass man aus dem augen- 
fälligen Ueberwiegen des Vokativs die Ueberzeugung ge- 
winnt, die rhetorische Gemination des Substantivs sei aus 
der Wiederholung der persönlichen Anrede hervorgegangen. 
Nach dem Vorgange Homers Iliad. 6, 395 
'UmWog, | 'Herttov dg evctiev yx%. 
haben die augusteischen Dichter gerne einen Eigennamen 
an das Ende des Hexameters gestellt, um ihn im Anfang 
des folgenden wieder aufzunehmen, so schon 
Catull 64, 285 viridantia Tempe, \ T. quae silvae cingunt. 
Virg. Buc. 6, 20 supervenit Aegle, \ A. Naiadum pulcherrima. 

ib. 10, 72 maxima Gallo \ G. cuius amor etc. 
Aen. 10, 180 pulcherrimus Astyr, \ A. equo fidens. 
Prop. 3, 32, 85 Varro, \ V. Leucadiae maxima flamma suae. 
Mit nomen appellativum schon Catull 63, 8 
leve typanum. \ Typanum, tuom Cyhebe. 
Virg. Aen. 10, 821 ora, \ Ora modis pollentia miris; 

6, 495 ora \ Ora manusque ambas. 
Sidon. Apoll, carm. 7 (4) 260) arma f \ Arma fremit; 
Corippus in laud. Just. 1, 103 portum, Portum, quem. 
Wie die Beispiele zeigen, ist dem zweiten Substantiv oft 
entweder eine Apposition beigegeben, oder es wird an das- 
selbe ein Relativsatz angeknüpft, so dass die Gemination sich 
dann mit der ächtlateinischen Wiederholung des Substantivs 
im Relativsatze berührt (diem quo die; leges quibus legi- 
bus). Ein dactylisches Wort kann natürlich nur den fünften 
und den ersten Versfuss einnehmen, wie 
Catull 64, 259 orgia cistis, \ Orgia quae etc. 

ib. 321 talia divino fuderunt carmine fata, 
carmine quod etc. 



Digitized by 



Google 



432 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882. 

Prop. 5, 1, 63 ut nostris tumefacta superabat Umbria libris, 
Umbria Romani patria Callimachi. 
1, 3, 25 omniaque ingrato largibar tnunera somno, 
munera de prono saepe voluta sinu. 

Andere Stellungen Prop. 1, 3, 31. 1, 11, 28. Hoin. 
Od. 1, 22. 

Die Redner fügen dem zweiten Gliede gerne in quam 
hinzu, welches wir mit ja 4 übersetzen können : Cic. Cluent. 
168 pater, pater L illius; \errin. 5, 162 crux, crux i. ; 
p. Mur. 80 cives, cives i.; Phil. 5, 33 hello, b. i. decertan- 
dum est; diess geschieht namentlich, wenn die beiden Sub- 
stantiva getrennt sind, wie Cic. Cluent. 12 t&ater...m. in- 
quam, wo das Verbum den halb vergessenen Subjectsbegriff 
wieder aufnimmt. Selbst in den philosophischen Dialog ist 
diese Form gedrungen; wenigstens entspricht bei Cic. Lael. 
27, 100 Virtus, virtus inquam . . . conciliat amicitias voll- 
kommen dem feierlichen Tone des Epiloges, wenn auch 
mehrere Handschriften und Herausgeber das zweite Sub- 
stantiv weglassen. Vgl. Mor. Seyffert z. St. 

Entsprechend dem Vocativ der Substantive wird man 
auch bei dem Pronomen diesen Casus am häufigsten ge- 
miniert zu finden erwarten. Um zu begreifen, dass diess 
nicht der Fall ist, hat man sich einfach zu vergegenwärtigen, 
dass das Pronomen personale der ersten Person wegfallt, 
weil man sich selbst in der Regel nicht anredet, das der 
dritten, weil es erst in die zweite übergehen müsste um 
zur Anrede verwendet werden zu können, endlich, dass tu 
und vos wohl Vocative sein können, durch Hinzutritt des 
Verbnms aber meist eine andere Casusform (Subject) an- 
nehmen , wenn sie nicht gar wegfallen , weil sie in dem 
Personalsuffixe schon enthalten sind. Cic. Phil. 2, 91 tu, 
tu, inquam, illas faces incendisti; Catull 68, 21 tu mea 9 tu 
moriens fregisti commoda frater. Dazu kommt dann noch, 
dass die Römer seltener, als man vermuthen könnte, das 



Digitized by 



Google 



WÖlfflin: Die Gemination im Lateinischen. 433 

Pronomen personale verdoppelt haben, nicht sowohl aus 
Gründen der Bescheidenheit, die überhaupt in ihrer Beredt- 
samkeit eine untergeordnete Rolle spielt, sondern weil neben 
den Composita meme, tete, sese (s. unten) bei mangelnder 
Worttrennung eine Gemination me, me u. s. w. schweren 
Stand hatte , und dann weil diesen Bildungen die Neben- 
formen auf met Concurrenz machten. Begnügen wir uns 
daher mit wenigen Beispielen wie : egone, egone ? bei Plautus 
Poen. 1, 3, 19; me, me (ergänze petite), adsum qui feci, 
in me convertite ferrum Virg. Aen. 9, 427; a me, me 
discet Catull 21, 11; me, me duce Virg. 12, 260 (Vgl. a 
me f me vole be' Comparetti canti pop. IV. p. 37): nos nos- 
met Plautus Mil. 429; nos, nos, dico aperte, consules desumus 
Cic. Catil. 1, 1, 3. Per te, per te, inquam Cic. Ligar. 15; 
vos, vos appello Cic. Mil. 101. Daran reihen sich von selbst 
die Pronom. possessiva, wie Hör. Od. 3, 4, 21 vester, Ca- 
menae, vester; Cic. Flacc. 94 vestris, vestris, inquam, umeris. 
Zahlreichere Belege stellen die Pronomina demonstrativa 
wie hoc, hoc est Plaut. Bacch. 5, 1, 13 ; haec, haec, inquam 
Cic. Verrin. 1, 61; hoc, hoc tribuno militum Hör. Epod. 4, 
20, einschliesslich der Lokaladverbia, z. B. hie, hie sunt Cic. 
Catil. 1, 9; huc 9 huc veni Catull 61, 8. Petron 23. Pacat. 
Paneg. 44.; namentlich ille, bei Cic. Catil. 3, 22 itte, i. 
Juppiter, ähnlich Cic. p. Caec. 14, p. Balb. 11; en illa, i. 
quam saepe optastis libertas Sali. Catil. 20, 14; Lesbia illa, 
illa Lesbia Catull 58, 1 ; quid hohes illius, i. quae spirabat 
amores Hör. Od. 4, 13, 18; illo, i. inquam loco Cic. p. 
Font. 4; equites Romani Uli, Uli tui Cic. Mil. 94. Ge-^ 
ringeren Antheil an der Gemination haben iste, ipse 9 
talis u. ä. : Virg. Catal. 2, 2 iste, iste rhetor; Fronto p. 144 
N. ipsi, ipsi inquam ; Val. Flacc. 1 , 343 tales, tales (reges) ; 
gar keinen die Pronomina relativa und indefinita, dagegen 
wieder starke Berührungen mit unserer Figur alle Arten 
der fragenden Fürwörter, wie quid, quid bei Plaut. Epid. 1, 



Digitized by 



Google 



434 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

1, 99. Petron 49 ; unde y unde haec Ulis modestia Livius 8, 
4, 10; o quantum, q. Plaut. Poen. 3, 4, 28; ma quanno, 
quanno, umbrisches Volkslied bei Marcoaldi, canti pop. N. 47 ; 
und die negierenden wie nemo, nemo inqwxm Cic. Font. 4. 
Mamert. grat. act. 31; nihil, n. inquam Cic. Gluent. 62. l ) 

Beim Verbum hat der Imperativ, entsprechend dem 
Vocativ des Nomens, die Gemination am häufigsten ange- 
nommen ; namentlich sind es die Aufforderungen zu sprechen 
oder zu schweigen, zu bleiben oder fortzugehen, bei welchen 
dieses Mittel zur Anwendung kommt. So tace t. Plaut. 
Pers. 4, 4, 42. Pseud. 579. Ter. Eun. 834. Apul. Met. 1. 8 ; 



1) Auszuschliessen sind hier die nur äasserlieh ähnlichen Redens* 
arten wie hie et hie, üle et üle u. ä., weil hier unter dem zweiten hie 
oder üle, wie schon die Copula andeutet, eine andere Person verstanden 
wird. Während die classische Latinität zur Bezeichnung verschiedener 
Personen auch verschiedene Pronomina anwendete, also hie et üle, dieser 
und jener, finden wir seit Cornificius (vgl Thielmann, de serm. Cornif. 69) 
hie et hie, der und der, Hör. Sat. 1, 1, 112 hunc atque hunc als Nach- 
hildung des Conversationsstiles, und bei Cic. epist. 9, 16, 4 eine Aeus- 
serung des Servius ,hic versus Plauti non est, hie est 1 ; entsprechend 
hinc atque hinc Virg. Aen. 12, 431, Hör. Epod. 2, 31. 5, 97. huc et 
huc ibid. 4, 9, und mehr hei Porbiger zu Virg. Buc. 4, 56, von wel- 
chem den Gebrauch Livius angenommen zu haben scheint, z. B. 21, 8, 8 
hinc spes, hinc desperatio, wornach Dräger § 330, 2 zu berichtigen ist. 
Es mag dazu auch die Analogie von alibi . . alibi, oder von &da pkv, 
sv&a de u. ä verführt haben, wo freilich per und 6s den Gegensatz be- 
zeichnen. Mit gleichem Rechte könnte auch üle (et) üle im Sinn von 
hie (et) üle oder alter, alter, alii . . alii gebraucht werden, so schon bei 
Ter. Phorm. 2, 2, 18, in Ulis fruetus est, in Ulis opera luditur; dann 
bei Cic. Rose. Am. 59. August, civ d. 13, 24. üle aut üle; üle et üle 
bei Gaius Digest. 40, 7, 31. Pulgent. Rusp. serm. 45 (col. 911b Migne); 
üle atque üle Cassiod. epist. 11, 7; üle vel üle August, civ. d. 12, 10. 
Als Vorläufer des französischen tel et tel mögen noch angeführt sein 
Tertull. adv. Hermog. 31 scaena erat talis et talis t und bei Augustin 
talis vel talis, wie überhaupt die Afrikaner nicht selten vel für et 
setzen. 



Digitized by 



Google 



WÖlfflin: Die Gemination im Lateinischen. 435 

eloquere e. Enniu^ Trag. 323 ; matte m. Plaut. Asin. 229. 
Epid. 2, 2, 22. Merc. 2, 4, 6. 5, 2, 87. Pseud. 234. Jnc. 
ine. trag. 79 R. Catull 10, 27. ite ite Plaut. Truc. 2, 7, 1. 
dbi tibi Plaut. Mil. 857. Ter. Ad. 620. redi redi Ter. Heaut. 
349. discede (L Apul. met. 2, 7. migrate m. Vict. Vit. 2, 20 ; 
unsicher perge [perge] Plaut. Men. 150 nach Schwabe in 
Jahns Jahrb. 105, 407. Auch beim Gruss und Abschied 
wird gerne verdoppelt: have h. Grut. inscr. 1123, 2; valev. 
ibid. 708, 5. Ovid met. 3, 501 und substantiviert longum 
vale v. bei Virg. Buc. 3, 79, salve salve bei Coripp. Just. 
3, 35, und die ungeduldig vor der Thüre Wartenden rufen 
in der Komödie oft genug ihr aperi a.; aperite a. Plaut. 
Pseud. 1272. Trin. 870. 1174. 

Zur Tnterjection herabgesunken ist der Imperativ age 
age Plaut. Mil. 1024. Epid. 5, 1, 25. Ter. Ad. 877. Andr. 
310. Heaut. 332. 722. Phorm. 559. 662. Cic. fin. 5, 8, und 
entsprechend das noli noli als blosse Umschreibung des Ver- 
botes bei Cato 37, 6 Jord. Fronto p. 100 N. Vict. Vit. 
3, 28. Man könnte mit Leichtigkeit einige weitere Dutzende 
von Beispielen zusammenstellen, wenn es einen Nutzen hätte ; 
doch dürfte von einigem Interesse sein, dass die Gemination 
bei Petron und Apuleius besonders hervortritt: voca v. 
Petr. 49 und cave \cave~\ canem unsicher 29, obschon wahr- 
scheinlich durch die Parallele Hör. Epod. 6, 11 cave, cave, 
womit man vergleiche guarda, g. bei Dante Inf. 21, 23. 
Bei Apuleius finden wir sine sine Met. 1, 7, wie schon 
bei Ter. Heaut. 1, 1; miserere m. 2, 28; desine . . desine 
2, 29; proeliare et fortiter p. 2, 17 ; aas der Vulgata mögen 
angeführt werden Jesaia 40, 1 consolamini c; 51, 17 ele- 
vare e.; das zweimalige crueifige bei Luc. 23, 21. Joh. 19, 6 
und das dem Johannes allein gehörende tolle tolle crueifige 
19, 15. In formeller Hinsicht ist beachtenswerth , dass 
Dichter die Gemination namentlich einsilbiger Imperative 
dadurch gemildert haben, dass sie die beiden, wie wir ähn- 
fl882. I. Philos.-pbilol. hist. Cl. 3.1 29 



Digitized by 



Google 



436 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882. 

lieh (S. 431) beim Substantiv gesehen, an das Versende und 
den Versanfang vertheilen, so Juvenal 6, 279: 

Die | Die aliquem, sodes . . . colorem, 

oder auch durch Einschiebung einer Interjection wie bei 
Ovid Met. 14, 842 duc, o duc (vgl. 2, 424 sunt, o sunt). 
Zeigen nun schon die oben genannten Beispiele aus dem 
alten und neuen Testamente, dass diese Ausdrucksweise 
durchaus nicht der lateinischen Sprache eigenthümlich ist, 
so lehrt es auch die Erzählung vou den Avaren (a. 582 
p. Chr.) in der histor. misc. 19, 13: patria voce dicens 
,torna torna' und maximis voeibus exclamantes ,torna torna'. 
Ein interessantes Beispiel von der dritten Person giebt 
Plutarch im Leben des Pompeius 14, wo er erzählt, Sulla 
habe, als der junge Pompeius gegen das Gesetz, aber hart- 
näckig einen Triumph verlangte, endlich in grösster Auf- 
regung zweimal hintereinander ausgerufen ^Qiafißevadvo). 

Da der Coniunctiv der Aufforderung oder des 
Wunsches an Energie hinter dem Imperativ zurücksteht, 
so eignet er sich auch weniger zur Gemination ; immerhin 
wird der Grammatiker um Beispiele nicht gerade verlegen 
sein, wie Plaut. Pseud. 295 (307 Fl.) nach Lorenz det, det 
usque; Ci'c Mil. 93 valeant, v. cives mei, womit der dop- 
pelte ImperativS. 435 zu vergleichen; Frontop. 155 negle- 
gas n.; Apul. flor. 1, 9 velim velim; Tert. de resurr. carn. 9 
absit absit. 

Unter den Indicati v formen sind sowohl Gegenwart 
als Vergangenheit und Zukunft vertreten ; also beispielsweise 
video v. te Inc. ine. trag. 47 R. (viget veget Varro sat. M. 
157, 7 R.) ; parce precor, precor Hör. Od. 4, 4, 70 ; gaudeo g. 
Sen. suas. 2, 17; teneo te, inquit, teneo Apul. met. 10, 22 
(entsprechend tene tene Plaut. Aulul. 4, 9, 1. Cas. 3. 5, 15. 
retine r. Cure. 310); erras e. Inc. ine. trag. 125 R. ; ince- 
dunt L Trag. ine. bei Cic. acad. pr. 2, 89. Auch wird das 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 437 

zweite Glied durch in quam verstärkt Cic. Verrin. 2, 128. 
4, 37, und ohne Trennung video, video inquam p. Scauro 49. 

Häufiger als das Imperfectum (dolebam, d. Cic. Phil. 
2, 37) ist das Perfect zur Bezeichnung eines glücklichen 
Abschlusses (Cic. Mil. 72 occidi, o.) oder umgekehrt in dem 
Sinne, dass es aus sei mit etwas ; so Cic. Catil. 1,4 fuit 
f. ista quondam virtus (Fronto 117); occidit, o. spes omnis 
bei Hör. od. 4, 1, 2 und analog cecidit, c. Babylon magna 
Apocal. 18, 2; recepi, r. Fronto 120: im Passiv ßsßlcoTai, ß. 
Sen. epist. 12, 8; deserti, d. inquam sumus Cic. Phil. 8, 22; 
decepti, d. inquam sumus, ibid. 12, 3. 

Mit Futurum: erit, e. profecto Cic. Mil. 69 (wie est, 
est profecto ibid. 84); ibimus, i. Hör. Carm. 2, 17, 10; 
veniam v. Suet. Cal. 49 ; dabo, inquit, d. Apul. met. 2, 30 ; 
non patiar, inquit, non p. ibid. 10, 9; vivet ilicet, v. Sid. 
Apoll, epist. 8, 5. Alles diess wird auch in anderen 
Sprachen so ziemlich gleich sein, zumal für den Imperativ, 
weil hier die Emphase ganz natürlich ist, z. B. ital. mari- 
tete, maritete! Blessig canti pop. Romani 55; lo vojo (= 
vogliö) lo vojo Comparetti canti pop. IV. p. 39. 

Schliesslich noch einige Bemerkungen über die In- 
declinabilia. Giebt man auf eine Frage eine entschieden 
bejahende oder verneinende Antwort, so greift man unwill- 
kürlich zur Gemination, heisst es doch schon im Evang. 
Matth. 5, 37 ,Eure Rede sei Ja, ja, Nein, nein, und was 
darüber ist, das ist vom Uebel 1 . (Brief Jacobi 5, 12). Da 
der Ausdruck der lateinischen Conversationssprache für ,ja l 
ita war, so spricht Quartilla bei Petron 25 ganz correct, 
wenn sie sagt: Ita, ita bene admonuisti. Ja, ja, du hast 
ganz Recht, und so geben auch die guten Handschriften. 
Sic gebrauchte die classische Sprache nur in Verbindung 
mit est, später aber, als ita untergieng, an dessen Stelle, 
so der Verfasser von Sic et non und mit Gemination heute 
noch die Italiener ihr Si, si 9 während die Vulgata der 

29* 



Digitized by 



Google 



438 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 6. Mai 1882. 

oben citierten Matthäusstelle est est bietet, wie Ausonius 
Epist. 25, 40 est und non, ja und nein. Ein Compositum 
davon ist cosi, c. = consic (vgl. cotanto, cotäle), obwohl es 
Diez Wörterb. P, 141 von aeque sie ableitet. Neugriechisch 
entspricht IV£(*) IV£(*), deutsch so so, auch so so, lala, er- 
weitert nach der Terminologie der italienischen Tonleiter. 
(cosi e cosi, er^i X6ir£(i) enthält überdiess die Copula, eigent- 
lich so und so). 

Für Nein gebrauchte schon das alte Vulgärlatein und 
selbst Cicero non; so mit Gemination bei Apul. met. 7, 3 
identidem boavi Non, non, wie heute noch die Italiener, 
und nefeh stärker bei Plautus Trin. 752, Cic. Mil. 104 
minume minume. Natürlich kann non auch in der Be- 
deutung von , nicht 1 wiederholt werden, z. B. Catull 14, 16 
non non hoc tibi sie dbibit; Prop. 3, 2, 27 non non humani 
partus sunt talia dona; Sulp. Sever. epist. 2 non deerit, 
mihi crede, non non deerit; analog ne im energischen Ver- 
bote, wie Sanskrit ma ma. In weiterem Sinne mag auch 
nunquam nunquam bei Properz 2, 6, 41 und Aehnliches 
hierher gerechnet werden. (Schiller: und begehre nimmer 
und nimmer zu schauen.) 

Von wiederholten Temporalpartikeln belegt Hand 
Tursell. 4, 343 nunc nunc aus Horaz Epod. 5, 51 (adeste), 
und in Verbindung mit dem nämlichen Imperativ treffen 
wir es bei Sen. Herc. für. 502 P. Med. 13, mit insurgite 
bei Virg. Aen. 5, 189, mit, o liceat crudelem abrumpere 
vitam ibid. 8, 579. Es ist vielleicht nur poetische Variation 
für das prosaische iamiam, worauf wir im zweiten Capitel 
zu sprechen kommen; dass es steigern solle im Sinne des 
Comparativs ocius = je bälder, desto lieber, Hesse sich wohl 
denken, doch nicht überall beweisen, und gerade an der 
zuletzt genannten Stelle Virgils entspricht der Verdoppel- 
ung ein doppelgliedriger Temporalsatz mit dum . . dum. 
Das correspondierende tunc tunc habe ich zufallig nur aus 



Digitized by 



Google 



Wolf f lim Die Gemination im Lateinischen. 439 

der Anthol. lat. 253, 118 R. notiert; häufiger ist simul 
sitntd, bei Catull 63, 12 und durch Iiterjection getrennt 
bei Ovid Trist. 1, 3, 81 simul , a simul ibimus. Tandem 
tandem sagt Palinurus bei Plaut. Cure. 7, wie intus, intus 
inquam, est equus Troianus der Redner Cicero p. Mur. 78. *) 

Daran reihen sich die Interjectionen der Freude, 
des Schmerzes, der üeberraschung. So vero vero bei 
Petron 72, etwa unserem Bravo bravo entsprechend; euge 
eugem ähnlichem Sinne bei Plautus Epid. 3, 3, 20. 3, 4, 62. 
Trin. 705. Stich. 5, 6, 3. Rud. 1, 2, 75 neben perlene. 
Aulul. 4, 6, 11 (wie Martial 2, 27 enge, beate); viermal 
in den Psalmen 34, 21. 25. 39, 16, 69, 4. und Ezech. 25, 3. 
Zum Ausdrucke des Gegen theiles heu heu bei Plaut. Pseud. 
1312, Ennius trag. 307, ine. trag. 22. Virg. Buc. 2, 58. 
3, 100. Ciris 264. Culex 256. Hör. od. 1, 15, 9. 4, 6, 17 
(heu, nefas, heu), epod. 15, 23. Petron. 42. 44. 64, und 
noch im chronicon Novaliciense 21. 59. 76. 84, wogegen 
dem Catull und Tibull die Verdoppelung wohl mit Recht 
abgesprochen wird von Bährens analecta Catulliana p. 64. 

Au au bei Terenz Ad. 336, Petron 67 ; a a bei Hör. 
Epod. 5, 71. Andere geminierte Partikeln sind zusammen- 
gewachsen oder von Haus aus Reduplicationsbildungen ge- 
wesen, so das vieldeutige attat (besser als atat, Richter 
de usu particularum, Strassb. 1874) und attatae = ärrarai; 
babae = ßaßai Plaut. Pseud. 353 mit der Note von Lorenz, 
verdoppelt Petron 37, weiter gebildet zu babaeculus ; papae = 



1) In der Wortbildung kommt es seltsamer Weise vor, dass Verba 
dieselbe Präposition doppelt zn sich nehmen. Es kann diess natür- 
lich nur geschehen, wenn die erste Präposition in Folge der Assimilier- 
ung mit dem Verbum so zusammengewachsen ist, dass die beiden Be- 
standtheile nicht mehr kenntlich sind und damit auch die Kraft der 
Präposition erlischt. Dahin gehören adalligo, häufig bei dem Natur- 
forscher Plinius, (adagnosco), adagnitio bei Tertullian, concolligo im 
Spätlatein. 



Digitized by 



Google 



440 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882, 

7ta7tai; fufae von Charisius ohne Beleg angeführt 239, 6, 
etwa unserni ,pfui'%)der dem französischen fi entsprechend; 
butubatta bei Nävius und Piautas. Vergl. darüber die ein- 
gehenden Untersuchungen von P. Richter im Hagenaaer 
Programm von 1878 und in Studemunds Studia in priscos 
scriptores latinos collata, vol. II. Fase. 2. 

Damit ist eine Uebersicht über die im Allgemeinen be- 
kannte, wenn auch bisher nicht in ihre Einzelerscheinungen 
zergliederte Figur gegeben, so weit sie den Stilisten inter- 
essiert; Paralleles wird sich in allen Litteraturen finden 
und auch in dem oben übergangenen Redetheile, dem Zahl- 
worte, z. B. unuSi unus Virg. Aen. 10, 691; in einem eng- 
lischen Volksliede bei Shakespeare, twelthnigt II, Sc. 4: 
a thousand, thousand sighs. Für den Sprachforscher ist in- 
dessen dieser Theil der minder bedeutende; sein Blick wird 
sich vielmehr auf ganz andere Gebiete richten. 

2. Die plurativ-iterative Gemination. 

Lange bevor die Sprache und Rhetorik, bewusst und 
unbewusst, die Wiederholung eines Wortes zur nachdrück- 
licheren Hervorhebung desselben ausgebildet hatte, wandte 
die noch werdende Sprache die Gemination in einem anderen 
Sinne an, und zwar zunächst wohl zur Bezeichnung des 
Plurals, wie diess beispielsweise im Sumerischen geschehen 
ist, wo kur kur, eigentlich Land Land, so viel als Länder 
bedeutet. Auch in den malayisch-polynesischen Sprachen 
wird der Plural vermittelst der Gemination gebildet, z. B. 
radja radja Könige, während in Mankassar mit bälla-bälla 
ein kleines Haus, also das Deminutiv bezeichnet wird. Die 
Hieroglyphen haben die Gemination wenigstens graphisch 
zur Bezeichnung des Plurales beibehalten , und wenn die 
Buchstabenschrift gewiss späteren Ursprungs ist, so möchte 
man wohl schliessen, die älteste sprachliche Bezeichnung 
der Mehrzahl sei die Gemination gewesen. 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen, 441 

Diese plurative Gemination ist indessen der lateinischen 
wie der griechischen Sprache fremd geblieben, oder, wenn sie 
ihr je einmal eigen war, überwunden worden durch die in allen 
Theilen des Wortschatzes durchdringenden organischen Plural- 
bildungen. Nur in demjenigen Redetheile könnte ein Ueber- 
rest erhalten sein, der überhaupt manche alterthümliche 
Bildung bewahrt hat, in dem Pronomen, welches als Suffix 
zur Conjugation verwendet wurde. Wenigstens soll nach 
einer heute weit verbreiteten Ansicht fertis, ihr traget, ent- 
standen sein aus fer-ti-si, tragen du du, gleichsam tu 
av zu tragen ihr, und auch der Plural des Imperativ ama- 
tote könnte vielleicht so gedeutet werden. 

Andrerseits ist es kein lateinisch empfundener Ausdruck, 
wenn Apuleius von Madanra de magia 9 sagt: ignis et 
ignis, d* h. die Liebe zum Critias und zur Charine ver- 
zehre ihn, was er gleich im folgenden Verse mit den 
Worten- hasce duas flammas patiar verdeutlicht. 1 ) Vielmehr 
erinnert diess an das hebräische eben va-eben, ejphah va 
ejphah, beleb valeb, in der Vulgata Proverb. 20, 10 pondus 
et pondus, mensura et mensura, bei Luther ,mancherlei 
(zweierlei?) Gewicht und Mass 1 . Vgl. Deuteron. 25, 13. 
Psalm. 12, 3 in corde et corde, 1 Chron. 12, 33 in corde 
duplici. Die Frage, ob mit der Gemination der Dual oder 
der Plural bezeichnet werde, scheint sich ursprünglich so 
gelöst zu haben, dass die Wiederholung ohne Copula sym- 
bolisch eine Vielheit ausdrückte, während durch Einschieb- 
ung einer solchen (Gewicht und Gewicht) ein Gewicht einem 
anderen gegenübergestellt, mithin ein Dual bezeichnet wird. 

Erscheinen im Plural die Personen oder Sachen neben- 
einander und gleichzeitig, so kann man sich dieselben auch 



1) Ebenso unlateinisch hat sich der Afrikaner Liberatus, Diaconi 
breviar. cp. 6' (Migne 68, 981) ausgedrückt, wenn er septem et Septem 
episcopi für 14 schreibt. Dichterisch wäre bis septem. 



Digitized by 



Google 



442 Sitzung der phUos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

räumlich oder zeitlich getrennt denken, und von dieser die 
Vertheilung der Mehrheit andeutenden (distributiven, itera- 
tiven) Gemination sind noch Spuren vorhanden. Diese Aus- 
drucksweise verletzt nicht einmal, so selten sie auch sein 
mag, unser modernes Sprachbewusstsein, da ja Göthe schreiben 
konnte (Pandora, 1. Aufzug, 3. Scene gegen das Ende): 

Einzeln schafft sich Blum' und Blume 
Durch das Grüne Baum und Platz. 

So heisst es nun N aber schon in der Vulgata des 4. 
(2.) Buches der Könige 17, 29 von den zehn nach Assyrien 
entführten Stämmen Israel, gens et gens habe sich ihren 
Gott gemacht, aber ebendaselbst auch unaquaeque gens, so 
dass die Stämme nicht gemeinsam verbunden, sondern um- 
gekehrt vereinzelt gedacht werden, was Luther richtig über- 
setzt mit ,ein jegliches Volk 1 . Giebt das alte Testament 
selbst schon eine Pluralform, so wird durch die Verdopp- 
lung derselben der Begriff der Vielheit noch stärker hervor- 
gehoben, so Genes. 14, 10 beerot beerot, puteos multos nach 
der Vulgata, Exod. 8, 10 (14) von der Aufhäufung der 
todten Frösche chomarim chomariin, nach der Vulgata in 
immensos aggeres, nach Luther ,hier einen Haufen und da 
einen Haufen 1 . 

Oefter begegnet uns in der ältesten lateinischen Bibel- 
übersetzung die Gemination von dem Nacheinander bei Sub- 
stantiven, welche selbst schon einen Zeitbegriff enthalten. 
So lesen wir in dem zweiten Corintherbriefe 4, 16, der 
innere Mensch erneuere sich ^/hsqijc xal fjfisQq, was Ter- 
tullian Scorp. 13 mit die et die, Luther mit ,von Tag 
zu Tag' übersetzt; Exod. 3, 15 in generationem et gene- 
rationem, für und für; evang. Luc. 1, 50 in progenies et 
progenies, für und für. Aber dass diess weder Griechisch 
noch Lateinisch, sondern nur wörtliche Uebersetzung sei, 
bedarf wohl des Beweises nicht mehr; mindestens müsste 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 443 

es rjftaQ xcct' r^iaq heissen, wo die Wiederholung durch die Prä- 
position ausgedrückt ist, und das deutsch-griechische Wörter- 
buch empfiehlt erst noch für unser ,Tag um Tag 1 eine grössere 
Anzahl von Redensarten, in denen das Substantiv nur ein- 
mal vorkommt. Auch die Vulgata hat die oben angeführten 
Uebersetzungen grossentheils gegen andere dem lateinischen 
Sprachidiom näher liegende vertauscht, so Luc. 1, 50 apro- 
genie in progenies ; 2 Corinth. 4, 16 de die in diem, und 
an vielen andern Stellen ist die wortgetreue Wiedergabe 
des semitischen Originales vielleicht gar nie versucht worden. 
Diess zeigen zur Genüge Deuteron. 14, 22. 15, 20 per an- 
nos singulos, Genes. 39, 10 per singulos dies, Psalm. 61, 9 
de die in diem, Deuteron. 32, 7 generationes singulas, 
Esth. 2, 11 quotidie, 9, 21 revertente semper anno, wo 
überall der Urtext Gemination des Hauptwortes hat. Nur 
an einer einzigen Stelle hat der lateinische Uebersetzer die 
Gemination sogar ohne Copula *) beizubehalten gewagt , in 
dem Propheten Sophan. 3, 5 dominus mane mane iudicium 
suum dabit in lucem, nach Luther richtig jeden Morgen 1 , 
während in der Uebersetzung des Ezechiel 46, 14. 15 von 
dem täglich in der Frühe darzubringenden Opfer cata mane 
mane, ebendaselbst V. 13 quotidie semper mane gesagt ist. 
Damit man freilich in dieser Ausdrucksweise keinen speci- 
fischen Semitismus erkenne, müssen wir hier gleich bei- 
fügen, dass sie auch in indogermanischen Sprachen heimisch 
gewesen ist; denn im Sanskrit finden wir djavi-djavi oder 
dive-dive, Tag für Tag, Rig-Veda 1, 4, 1. 1, 25, 4. 2, 20, 2 
und oft, im Ganzen in den Veden 46 mal, also nicht aus- 



1) Das Asyndeton muss im Hebräischen, wie auch im Lateinischen, 
die ältere Form gewesen sein, z. B. schanäh schanah, jedes Jahr, 
Deuteron. 14, 22. 15, 20. le dor dor, alle Zeit, Exod. 3, 15; jom jom, 
jeden Tag, Genes. 39, 10. Psalm. 61, 9: doch auch mit Verbindungs- 
partikel ve (vaj Deuter. 32, 7. Esth. 9, 21. 2, 11. isch ve-isch Psalm 
87, 5. Vgl. Gesenius-Kautzsch, hebr. Gr. (1878), § 108. 



Digitized by 



Google 



444 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 6. Mai 1882. 

nahms weise, sondern normal, weil ein Adverb — quotannis 
fehlt; im späteren Indisch varshe-varshe, alle Jahre; neu- 
persisch gäh-gäht, von Zeit zu Zeit. Nach dem Vorbilde 
dieser Ausdrücke sind weiter gebildet worden vrätain-vrätain 
(Rig Veda 3, 26, 6) Rotte für Rotte, ebendaselbst gaqain- 
ganain, Schaar für Schaar ; Sanskr. pade pade, auf Schritt 
und Tritt (eigentl. Locativ von pada, Schritt), und ver- 
gleichen lässt sich noch das italienische colpo colpo, Schlag 
auf Schlag; doch tritt gewöhnlich die Präposition hinzu, 
wie in a grado a grado, a passo a passo, a luogo a luogo, 
bald hier bald dort, ad uno ad uno^ einer nach dem andern, 
successiv. 

Sind wir so aus der plurativen Gemination in die itera- 
tive gelangt, so lässt sich dieser Uebergang auch iu der la- 
teinischen Wortbildung verfolgen. Denn murmur ist zu- 
nächst nur ein mur Vieler (vgl. Petron 57 nee mu nee rna 
argutas), aber gewöhnlich doch ein eine Zeit lang fortge- 
setztes Gemurmel; ähnlich susurrus = sursurrus ein Ge- 
säusel, während cincinnus das sich örtlich fortsetzende 
Kräuseln des Haares bezeichnet. Indisch marmara rauschend; 
lat. marmor der glänzende Stein, von dem sich immer wieder- 
holenden Ausstrahlen des Lichtes ; papilio^ Fifalter, ital. fan- 
falla, der Schmetterling, von dem lange fortgesetzten Flattern. 

Daher ist die Gemination oder Reduplication *) regel- 
mässig gebraucht zur Bezeichnung der sich wiederholenden 



1) Dass die durch Compositum in der Mitte der Wörter ent- 
stehende Reduplication im Lateinischen durch Unterdrückung der ersten 
Silbe vermieden wird, z. B. fastidium =z fastitidium, domusio = 
domus usio, ist zwar im Ganzen bekannt und auch ruf das Deutsche 
(Beamter = Beamteter, Bedienter = Bediensteter, der mit einem Dienste 
Betraute) und für das Griechische (xelcctyeyfc = xelaivoreyris , fxojvv 
%sg = lAovcSvvxes) in weitem Umfange zutreffend, obwohl es noch an 
einer zusammenfassenden Darstellung fehlt. Vergl. namentlich Kuhn's 
Zeitschr. f. vergl. Sprachforsch. 14, 415. 20, 79. 347. 22, 98—102. 222. 



Digitized by 



Google 



Wolf f lim Die Gemination im Lateinischen. 445 

Laute, so in tintinnire^ welches, von tinnire hergeleitet, 
ein längeres Klingeln, z. B. der Ohren ausdrückt. Recht 
plastisch sind die Namen einer Reihe von Vögeln, wie 
turtur Turteltaube, ulula Eule, upupa Wiedehopf (ertoxp), 
cuculus -Kukuk, und im Indischen heisst der Hund kurkura = 
der Knurrer. Ihnen entsprechen die Verba wie cuculare 
(xoxxi$£w) vom Kukuk, pulpulare vom Geier, cacabare vom 
Rebhuhn, cucubare von der Nachteule, pipiare von jungen 
pipenden Vögeln, cucurare vom Hahn, singt ja auch die in 
einen. Vogel verwandelte Procne nach Virg. Culex 252 Ityn 
Ityn. Unser Kikeriki hat sein Analogon in cocococo, womit 
Petron 59, 2 den Naturlaut der Hühner ausdrückt, (franz. 
coq, Hahn, koxkvKco vom Hahne Aristophanes) und ebenso 
sind onomatopoietische Ausdrücke, welche wiederholte Laute 
malen, gern geminiert, z. B. taxtax oder taxpax, oder mit 
Ablaut tuxtax, wenn es Schläge regnet, Klatsch Klatsch, 
wie im Italienischen toppa toppa. Mehr findet man theils 
in ~W. Wackernagels Variae voces animantium, 2. Aufl. 
Basel 1869, theils in dem zu Anfang genannten Programme 
von Jakoby. 

Man braucht diese reduplicierten Bildungen durchaus 
nicht als einen Sieg der Kunst und der höheren Cuitur in 
eine spätere Entwicklungsperiode der Sprache zu verlegen, 
da ja die Dopplung im Anfange der Wörter den Kindern 
so leicht fällt und man ja das Stottern umgekehrt als eine 
Vorstufe des Sprechens bezeichnen könnte. Es kann doch 
nicht bloss auf Rechnung des Geschmackes der Ammen ge- 
setzt werden (in jener Urzeit gab es überhaupt noch keine), 



234. 371 f. Corssen III. 347. 525. Leo Meyer, vergl. Gram. 1, 281. 
Fleckeisens Jahrb. f. Philol. 105, 104. Rhein. Mus. 1879. 499. Hermes 
1881. 232. Vielleicht ist daher auch vestibulum = vestistibulum, 
Aufbewahrungsort der vestis im weitesten Sinne (vgl. naustibulum, vav- 
atcc&fios) zu erklären, da ja auch Vitruv 6, 8, 2 das Wort mit stabulum 
in Verbindung bringt. 



Digitized by 



Google 



446 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882. 

wenn heute noch die Kleinen das Pferd Hühü, den Hund 
Wauwau, das Huhn Pipi, die Ziege Didi (im Canton Aar- 
gau), den Ludwig Lalu, die Elise Lili, die Emilie Mimi, 
die Kinderspeise Pappe (vgl. papa, Varro bei Nonius 81, 3), 
das Getränk Memmem (vgl. mamma, Brust, Mutter; Pott 
Dopplung S. 32), einen Schmerz (Weh) Wiwi, die Uhr mit 
Ablaut Tiktak nennen. Genau entsprechende Bildungen 
weist Diez auf romanischem Boden nach, pepere Väterchen, 
memere Mütterchen =z Grossmutter, tatan Tante, (vgl. don- 
don dickes Weib, fanfan Kindchen) fifile, frefrere, Ghachale 
Karlchen, Bdbarpe Bärbchen, bebete Thierchen, cocoche 
Schweinchen, boulboul (normannisch) Stier, dedet Fingerchen, 
doch (genferisch = cloche) Uhr. Ueber bonbon Zucker- 
zeug, joujou Spielzeug, cancan u. ä. vgl. Diez, Gramm. II 8 , 
441. Wenn man diesen sich noch weiter ausdehnenden, 
aber fast nur auf die Dinge der Kinderwelt beschränkten 
Wortschatz ,Ammensprache' genannt hat, so ist man damit 
der Sache nicht auf den Grund gegangen. Vgl. Herrn. Paul, 
Principien der Sprachgeschichte, 1880, S. 191. L. Tobler, 
Wortzusammensetzung, Berl. 1868. S. 7. 

Ist es uns bisher nur gelungen zerstreute Spuren dieser 
Gemination aufzudecken, so finden wir eine weitverzweigte 
hiehergehörige Wortfamilie in demjenigen Redetheile wieder, 
dessen conservativen Character wir schon oben haben kennen 
lernen, im Pronomen, und zwar in quisquis und den 
davon abgeleiteten Formen (assyrisch m am man, wer nur 
immer, hebr. #*# ttfyt, jedermann, Gen. 40, 5. Exod. 36, 4. 
Joel 2, 7). Pluralisch dürfen wir diese Gemination nicht 
nennen, weil das Pronomen nicht für omnes steht, sondern 
die Mehrheit immer in die einzelnen Theile auflöst, so bei 
Plaut. Amph. 1, 1 158 quisquis homo huc profecto veneria 
pugnos edet =: jeder einzelne, nicht alle zusammen. Das 
älteste Latein sagte dafür nach Varro ling. lat* 7, 2, 8 
quirquir, was insofern ungewöhnlich ist, als sonst rnn- 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 447 

gekehrt das s der archaischen Sprache, das r der classischen 
angehört, wie in honos honor, quaeso quaero, lases lares. 
Dass quisquis beiden Geschlechtern dient und dafür seltener 
in alter Latinität auch quiqui gesagt worden ist, darf als 
bekannt vorausgesetzt werden (vgl. Neue, Formenlehre der lat. 
Spr. II 2 , 241); dagegen ist es ein in der Lexicographie und 
anderwärts beharrlich wiederholter Irrthum eines späteren 
lateinischen Grammatikers, dass das Neutrum quidquid 
oder quicquid eine Nebenform quodquod gehabt habe. 
Las man sie noch bei Sen. contr. 2, 9, 25 (127, 10 Bu. 
quodquod simulabat, ad verum redegit), so beruhte sie nur 
auf Öonjectur und ist desshalb von Kiesling mit Recht be- 
seitigt, zumal man in dem Rhetor kein zweites Beispiel 
findet; möglich, dass die Form nicht gebildet wurde, weil 
sie sich mit quotquot zu nahe berührt hätte. 

Sind die beiden genannten Formen quisquis und quid- 
quid in der Latinität immer lebenskräftig geblieben, so ist 
eine dritte, der Ablativ quo quo auf ein engeres Gebiet 
zurückgedrängt worden. Gebrauchen sie schon Plautus und 
Terenz nur in der Verbindung mit modo und pacto, so 
haben auch die guten Klassiker mit Vorliebe die erstere 
Formel festgehalten, während pactum als Synonymum von 
modus, noch häufig bei Cornificius und Cicero de inventione 
(Cornif. 1, 26. 3, 2. Cic. inv. 2, 44 und öfters) immer 
mehr ztirückgieng. Da Neue, Formenl. d. lat. Spr. II 2 , 247, 
bereits die zahlreichen Belegstellen aus den Reden Ciceros 
vorgelegt hat, so brauchen wir wohl nur die ältere aus 
Cornific. 4, 23 quoquo modo possit und die wenig jüngere 
aus Sallust. Jug. 60 quoquo modo potuere, endlich einige 
aus den philosophischen Schriften und den Briefen beizu- 
fügen, um die Vermuthung von C. F. W. Müller zu Cic. 
Laelius 41, in der Ueberlieferung des cod. Paris, quoque 
modo potuimus stecke quoquo und nicht quocunqm, beinahe 
zur Sicherheit zu erheben. Und wenn gar noch quoquo 



Digitized by 



Google 



448 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

modo, wie in der Laeliusstelle, häufig mit posse verbunden 
wird, Brut. 237; offic. 3, 118; ad Q. fr. 1, 2, 14; ad 
Attic. 2, 4, 1. 8, 12, 1, so wie dreimal in den Reden, quo- 
cunque modo dagegen nur ausnahmsweise von Cicero ge- 
braucht wird, so lässt die Bündigkeit des Schlusses nichts 
zu wünschen übrig. Demnach war quoquo modo nahezu 
so zusammengewachsen wie quomodo und quemadmodum, 
oder wie das von Cornificius bei der Anführung von Bei- 
spielen so oft und so formelhaft in dem Sinne von ita oder 
sie oder veluti gebrauchte hoc modo und ad hunc modum. 

Von späteren Prosaikern sind namentlich Tacitus (hist. 
1, 7. 5, 5. Ann. 2, 50. 3, 5. 17. 19. 73. 6, 38. 12, 46. 14, 
16. 15, 53) und Apuleius (metam. 4, 16. 6, 11. 7, 19. 9, 15. 
mund. 24 mit posse) bei quoquo modo stehen geblieben, 
nur mit dem Unterschiede, dass sie es nicht in relativem, 
sondern in indefinitem Sinn gebrauchen, wie schon Cic. epist. 
9, 16, 1, wo an der Ergänzung [quo]quo modo nicht ge- 
zweifelt werden darf. Man erklärt solche Sätze, wie: ut 
quoquo modo liberarem te cura durch Ellipse von posse = 
quoquo modo fieri posset. 

Die folgenden Casusformen müsseo geradezu als Selten- 
heiten bezeichnet werden: der Accusativ quem quem bei 
Ter. Hec. 1, 1, 8 (Umpfenb. quemque) 9 den auch Cledonius 
mit dieser Stelle belegt; der Nomin. plur* quiqui bei 
Plautus, der mit der alten Singularnebenform collidierte; 
wenn ausserdem namentlich Juristen, Gaius, Ulpian, Paulus 
u. A. Formen wie qua qua als Ablat. sing, (auch Tac. annal. 
6, 7) quaequae als Neutr. plur. quosquos conserviert 
habe», so verrathen sie auch darin ihr conservatives Prinzip, 
und wenn sich ihnen gerade Tertullian de virg. vel. 13 
(quaequae), vielleicht auch adv. Marc. 2, 20, sicher de 
poenit. 3 (quaqua) anschliesst, so wird er diese Formen 
weniger aus der lebendigen Umgangssprache als aus seinen 
juristischen Studien — er war ja Advokat — geschöpft 



Digitized by 



Google 



Wolfflin: Die Gemination im Lateinischen. 449 

haben. (Unsicher Pseodo-ApuL mund. 27.) Quamquam 
als Accus, fem. ist, soviel wir wissen, gar nicht gebildet 
worden, offenbar wegen der Collision mit der concessiven 
Partikel. 

Am meisten aber hat sich die Sprache gegen die Ver- 
doppelung der mehrsilbigen Prominalformen gesträubt ; denn 
quibusquibus findet sich nur bei Livius 41, 8, 10 und 
quorumquorum kennen wir gar nicht. Der Dativ cui- 
cui, durch diphthongische Aussprache zweisilbig geworden, 
musste wegfallen, weil der Genetiv cuiuscuius durch 
Kürzung diese Form annahm, allerdings nur in der festen 
Verbindung mit modi, die wir analog auch im Ablativ ge- 
funden haben, und so selbst bei Cicero, obwohl er in dem 
sorgfaltig stilisierten Werke de fin. 4, 28 und 5, 49 der 
Form cuiuscunque modi den Vorzug gegeben hat, wie auch 
Sallust Cat. 52, 5 : pacti concurriert in diesem Casus gar 
nicht, so wenig als neben eiusmodi und huius(ce)modi. 

So sehen wir, dass die lateinische Sprache mit Aus- 
nahme zweier oder dreier Casus sich der geminierten Formen 
zu erwehren öder deren Weiterbildung zu stören gesucht 
hat, was natürlich nur möglich war, wenn sie dafür eine 
bessere und deutlichere Ersatzbildung bieten konnte. Eine 
solche fand sie in cunque, in welchem cum = quom tem- 
poral im Sinne von ,wann, jedesmal wann, immer* zu ver- 
stehen ist; also quicumque = wer immer. In que aber er- 
kennen wir denselben wiederholten, nur abgeschwächten und 
unflectierten Pronominalstamm, so dass der alte Nominativ 
quiqui durch die Umbildung zu quicumqui zunächst nur 
verdeutlicht, zugleich aber auch in euphonischer Hinsicht 
verbessert wurde, indem die Einschiebung der Partikel die 
Härte der Reduplication milderte. Auch ist in archaischer 
wie in archaistischer Latinität der Mittelweg eingeschlagen 
worden, ohne Hülfe des cum den zweiten pronominalen Theil 
für alle Casus zu que zu schwächen, so dass quisque für 



Digitized by 



Google 



450 Sitzung der pMos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

quisquis, quemque für quemquem gebraucht wird (Brix zu 
Plaut. Men. 717 und Zangemeister, Corp. inscr. lat. IV, 1937. 
VIII. 1027 im Hexameter quisque sapis. Minuc. Fei. 13, 1. 
nicht bei Tertullian und Arnobius, doch sehr oft bei Cyprian 
nach Hartel, ind. S. 449, bei Venant. Fort, nach Leo, bei 
Auson. VII Sap. Pittac. 5 pareto legi, quisque legem san- 
xeris, Cleob. 5 parcit quisque malis, per der e vult bonos). 
So ist denn das classische quisque, ein jeder, identisch mit 
quisquis, nur mit Ellipse des Verbums est, wer es immer 
sei, und beide Arten der Neubildung können nur als ein 
Beweis dafür betrachtet werden, dass man die verdoppelten 
Formen als eine Last empfand. Am altertümlichsten ist 
in diesem Puncte Lucrez; denn er verbindet quidquid mit 
Superlativen, wofür man sonst nur quisque gebraucht, so 
primum quidquid = pr. quodque 5, 264. 284. 304; sum- 
mum quidquid 4, 145; unum quidquid 5, 1454. Daneben 
sind die Formen quilibet etc. seit Plautus im Gebrauch. 

Betrachten wir diesen Kampf zwischen quisquis und 
quicumque näher, so ist er am lebhaftesten um die Ablativ- 
form des Mascul. geführt, und selbst das beinahe stereotyp 
gewordene quoquo modo heftig angegriffen worden. Hatte 
Cicero in den Reden consequent, d. h. an 15 Stellen, an 
dieser Formel festgehalten, so schrieb er doch im Orator 
§ 69 auch quocunque modo postuldbit causa, und de fin. 5, 30 
quomodocunque (cod. Palat. B. quoquomodocunque) dicitur; 
ebenso Lucr. 2, 774, Sallust Jug. 103 und Propert. 1, 8, 17 
quocunque modo; von dem Philosophen Seneca kann man 
sogar in Anbetracht der Grösse seines litterarischen Nach- 
lasses sagen, dass er den geminierten Ablativ verworfen, 
und nur quocunque modo oder quomodocunque (epist. 36, 6. 
98, 14 u. s. w., ebenso Juvenal 14, 117. Florus 2, 11 = 
3, 23) gebraucht hat, während Quintilian als Nachahmer 
Ciceros nach Belieben wechselte. Wie genau Cicero die 
Grenzen seines Sprachgebrauches &bmass, ersehen wir daraus, 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 451 

dass er, obschon er quoquo modo billigte, doch nur qua- 
cunque ratione schrieb, Catil. 2, 11. offic. 1, 43 u. s. w. 
wie ad Q. fr. de pet. cons. 18 quibuscunque ratiönibus. 

Blieb also für den Ablativ der Usus schwankend und 
von dem subjectiven Geschinacke des Einzelnen abhängig, 
so bot die Bildung mit cumque unter allen Umständen die 
Möglichkeit, die fehlenden Casus von quisquis zu ergänzen, 
z. B. quorumcumque stilus velox est Sen. controv. 1. praef. 18; 
quoscumque audivi Cic. Q. fr. 1, 2, 4; Nomin. plur. qui- 
cunque estis Sen. contr. 1, 2, 21; quicunquc fuerant Sen. 
epist. 21, 6; und während Seneca epist. 18, 7. 78, 8 und 
oft quidquid aliud geschrieben hatte, bildete er den Plural 
mit quaecunque alia Epist. 14, 11. Durch das nämliche 
Mittel wurde auch die Bezeichnung des Geschlechtes unter- 
stützt durch Bildungen wie: quaecunque quinquennio non 
peperit bei Sen. controv. 2, 13. 14. 15. Was die Stelluug 
von cumque anbetrifft, so hat es sich zwar in der Regel 
an das Pronomen unmittelbar angehängt, doch haben wir 
schon im Vorhergehenden Beispiele eines freieren Gebrauchs 
gefunden, und speziell die Dichter haben sich nie in eine 
feste Regel zwängen lassen. Vgl. Ter. Andr. 1, 1, 36 cum 
quibus erat cumque una; Manil. 3, 141 movent ut mundum 
sidera cumque, und noch Apul. mag. 54 quod conditum 
cunque. 

Da nun quisquis und quidquid nie zu Falle gebracht, 
ja nicht einmal erschüttert werden konnten, so lag es nahe 
die Doppelformen quicumquc und quodcunquc uicht als nutz- 
lose Doppelgänger stehen zu lassen, sondern syntactisch zu 
differenzieren, zunächst so, dass man die eine Form substan- 
tivisch, die andere adjectivisch anwandte. So gebrauchte 
das archaische Latein quicunque lieber ohne Substantiv, z. B. 
in der lex Papiria tribuuicia des J. 213 v. Chr. Quicumque 
praetor f actus erit, und darum hat es einen alterthürnlichen 
Anstrich, wenn Cic. de rep. 1, 50 schreibt: cum esset haben- 
[1882. 1. Philos.-phüol. bist. Ol. 3.] 30 



Digitized by 



Google 



452 Sitzung der phüos.-phüol. Classe Dom 6. Mai 1882. 

dus rex, quicumque genere regio natus esset. Allein die 
Scheidung ist nicht durchgedrungen und in der Classicität 
eher quisquis auf den substantivischen Gebrauch angewiesen 
worden, so dass quisquis color, q. honos bei Virgil und 
Horaz als dichterische Freiheiten gelten, die der doch sonst 
nicht von dichterischem Geiste getragene Naturforscher 
Plinius in geschmackloser Weise nachgeahmt hat. Vielleicht 
aus Rücksicht auf den Wohllaut hat Cic. epist. 10, 31, 3 
umgekehrt gesagt : quicunque is est, (mag der Alleinherrscher 
Cäsar oder Pompejus oder sonst wie heissen) ei me profiteor 
inimicum. 

Dass es mit der Unterscheidung der Neutral formen 
eher schlimmer stand, kann man an einer einzelnen, oft 
gebrauchten Redensart deutlich nachweisen. Bei Terenz 
Heaut. 3, 1, 75 lesen wir: quod cuique cunque inciderit in 
mentem, und ebenso bei Cic. fin. 4, 43. 47; daneben aber 
quidquid in mentem venu, incidit bei Cic. Attic. 9, 9, 1, 
oder vulgär quidquid in buccam venit ad Attic. 1, 9. 12, 
1, 2. Martial 12, 24, 5. Hieron. epist, 2, 9 extr. Pompeius 
schreibt (Cic. Att. 8. 12% 4) quodcunque militum contrahere 
poteritis, und Livius 22, 8, 4 quodcunque adversi inciderit 
(vgl. Fabri-Heerwagen zur St.), wofür Cicero quidquid ge- 
sagt hätte. Dichter und nachclassische Prosaiker lassen 
beide Formen wechseln, so Tibull 4, 4, 7 

Et quodcumque malist et quidquid triste timemus. 

Prop. eleg. 2, 1, 15 

Seu quidquid fecit sivest quodcunque locuta. 
Sen. epist. 97, 7 quidquid prospici potest . . . quodcumque 
laesurum est. 

Darum darf aber der sorgfältige Stilist die Formen 
doch nicht promiscue gebrauchen, da die guten Classiker 
oft deutlich genug unterschieden haben, z. B. Cic de orat. 
1, 51 quidquid erit, quacunque ex arte, quocunque de genere. 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 453 

Jeder Leser wird quicumque adjectivisch verstehen in Cic. 
Orator 12, oratorem si modo sim aut etiam quicunque 
(= qualis) sim, wo der Conjunctiv durch den Accus, c. 
inf. veranlasst ist, oder Cic. offic. 3, 27 homini quicumque 
sit, mag er hoch oder niedrig gestellt sein, wogegen quis- 
quis est bedeutet, möge er der A oder der B sein. Sogar 
die Dichter suchen trotz der Fesseln des Metrums der 
Grammatik zu ihrem Rechte zu verhelfen, wie Tibull 4, 2, 
17, metit quidquid . . . et quascumque gemmas colligit; Mar- 
tial 6, 68, 1 1 quidquid id est, subitae quaecungue est causa 
rapinae. Darnach sind beispielsweise normal geformt Sätze 
wie Sen. suas. 1, 1 cuiuscunque rei magnitudinem natura 
dederat; Cic. fin. 4, 76 cuicunque artißcio praesunt; Cic. 
Mil. 96 quemcumque casum fortuna dederit et quaecumque 
fortuna erit oblata; Cic. Rab. Post. 21 quaecunque mens 
illa fuit et quoquo consilio (für Cicero möglich nach Ana- 
logie seines quoquo modo) fecit. 

Die Sprachentwicklung ist somit auf halbem Wege 
stehen geblieben. Hätte sie die alten verdoppelten Formen 
sämmtlich beibehalten und ihnen die mit cumque an die 
Seite gestellt, so hätte sie ein Mittel gehabt den substan- 
tivischen und den adjectivischen Gebrauch genau zu scheiden; 
da sie aber nur zwei Geminationen sanctionierte und eine 
dritte nur halb, so konnte auch von keiner consequenten 
Trennung die Rede sein, weil der Ausweg verfehlt wurde, 
quicunque im Gegensatz zu dem indefiniten quilibet nur als 
Relativum zu gebrauchen. Andrerseits hat sie wohl quis- 
quis als Relativum, quisque als Indefinitum geschieden, aber 
auch das nicht ohne Ausnahmen, wie oben gelegentlich be- 
merkt worden ist. 



Wenn nun schon bei quisquis von der Vorstellung 
einer Mehrheit ausgegangen wird, so gilt die Aussage doch 
nicht von Allen miteinander, sondern nur von jedem Ein- 

30* 



Digitized by 



Google 



454 Sitzung der philos.-phüöi. Glosse vofn 6. Mai i88$. 

zelnen, und darum wird das Pronomen kaum v.a%a ovveoiv 
mit dem Plural verbunden werden , obschon diess bei dem 
indefiniten quisque häufig genug der Fall ist, z. B. Plaut. 
Capt. 497 ubi quisque vident, wozu man die Note von Brix 
vergleiche. Aber während quisquis fecit ursprünglich be- 
deutete ,jeder, der es gethan hat 4 , sowohl der A als auch 
der B u. s. w. in welchem Falle der Indicativ allein zu- 
lässig war, kann es bekanntlich auch heissen ,wer es auch 
gethan haben möge 1 , so dass unter Vielen die Auswahl ge- 
lassen, aber nur Einer als der Thäter gedacht wird. Dieses 
quisquis werden wir nicht mehr plurativ nennen dürfen, 
wie man es auch nicht durch einen Plural umschreiben 
könnte. In diesem zweiten (verallgemeinernden) Sinne sind 
die Lokaladverbien quo quo und qua qua und das con- 
cessive quam quam zu verstehen: es ist immer nur ein 
Ort, ein Grad gemeint und nur frei gelassen denselben 
nach Belieben zu bestimmen. Wie nun cum in quicumque 
(irgend einmal, jedesmal, immer) die Personen oder Dinge 
zeitlich auseinanderlegt, so können quoquo und andere Ad- 
verbia (s. unten) eine örtliche Bestimmung erhalten durch 
gentium Plaut. Merc. 5, 2, 17; Solin. 22, 8 (pg. 114, 
10 M.), durch t er rar um Ter. Phorm. 551 (indefinit Tac. 
ann. 14, 1), durch locorum (ubicunque) Apul. mag. 40, 
durch orbis Solin. 21 (pg. 111, 13 M. q. o. velis , exeas). 
Denken wir uns quoquo loci, so ist quicumque dem Sinne 
nach =z qui temporis qui eine durchaus änliche Bildung; 
nur konnte sich die einsilbige Partikel in die Mitte ein- 
schieben, wogegen das Substantiv sich hinten anhängt. 

Quoquo wird von Plautus mit, Verben der Bewegung 
und Richtung, wie mittere, spectare verbunden, Aulul. 5, 
3, 1; Cure. 5, 3, 22; Pseud. 858. quoquo versum oder 
vorsum, wie bei Cato de re rust. 15. 22. 46 K. ohne Vari- 
ante überliefert ist, blieb technischer Ausdruck für in omnes 
partes, findet sich daher sehr oft bei Vitruv, aber auch bei 



Digitized by 



Google 



WÖlfflin: Die Gemination im Lateinischen, 455- 

Cäsar, bei Cic Phil. 9, 17 locum sepulchro pedes triginta 
quoquo versus adsignet, bei Apul. met. 2, 2. 4, 6. 8, 27 u. s. w. 
woraus sich denn erklärt, dass Cicero Lael. 6, 22 sich zu 
schreiben erlaubte quoquo te verteris, de divin. 2, 24 quoquo se 
verterint Stoici, parad. 3, 20 g. verteris, Epist. 7, 24 1 q. tne verti, 
während er das Adverb mit andern Zeitwörtern nicht verbunden 
zu haben scheint. Die von Nipperdey in den quaest. Caesar, 
pg. 71. 72 aufgestellte Unterscheidung, dass nur im Relativ- 
satze quoquoversus, in allen andern Fällen die von quisque her- 
geleitete Form quoqueversus zu gebrauchen sei, findet in 
den Handschriften nicht genügende Bestätigung. Während 
die classische Latiuität sich des adverbiellen quoquo mit 
Ausnahme der Verbindung mit verto im Ganzen enthielt (Ti- 
bull 4, 2, 7 quidquid agit, quoquo vestigia movit ist Aus- 
nahme), haben die Afrikaner sie wieder aufgenommen, Apul. 
mag. 63 quoquo eam, mag. 14 velis; mag. 52 duxerit; Ter- 
tullian de anima 21, später Solin 12, 13 (87, 19 M.) q. eant 
(Variante eunt) coniuges evagantur. Sidonius Apollinaris 
gebrauchte das Wort in uncorrecter Weise auf die Frage 
Wo? Epist. 4, 2. 7, 11 Bar. quoquo loci es und est. Der 
Ersatz ist in quocumque, welches schon Lucr. 3, 51. 4, 
166. 424 neben quolibet (4, 901) bevorzugte, von selbst ge- 
geben, und gerade Cicero, welcher sich für quoquo modo 
entschieden hatte (oben S. 447), musste quocunque in die 
Function des Adverbs einsetzen, z. B. Verrin. 5, 167 q ve- 
ner int; Mil. 1 q. inciderunt (oculi); orat. 52. Indessen hat 
auch die ganze silberne Prosa diese geminierten Formen 
perhorresciert , z. B. Seneca epist. 12, 1 quocunque me 
verti, 12, 4 q. adverteram, 19, 4 fugeris, 21, 8 transtuleris, 
9 ierint, u. ,s. w. 

Qu aqua (ergänze parte oder via) ist plautiuisch (Mil. 
2, 1, 14 incedit, Epid. 5, 2, 9 tangit), bereits von Lucret. 
(1 , 507 quacunque vacat spatium . . . qua porro cunque 
tenet se corpus, 1076 motus q. feruntur^ Uli etc.) abge* 



Digitized by 



Google 



456 Sitzung der philos.-phäol. Classe vom 6. Mai 1882. 

worfeü, dann von Apuleius z. B. metam. 4, 6 und Amtnian 
14, 6, 17 wieder aufgegriffen, von Classikern durchweg ver- 
mieden und nicht einmal in der Verbindung mit versus zu- 
gelassen. Der gewissenhafte Stilist muss dafür quacunqtte 
schreiben mit Cic. fin. 5, 5 q. ingredimur, de leg. agr. 2, 
34 u. s. w. oder qualibet nach Plaut. Most. 809 R. u. A. 

Quamquam, wörtlich ,wie sehr auch immer 1 , ist, 
wenn man von quamlibet absieht, allein durch keine Con- 
currenzform bedroht worden; vielmehr ist quamcunquc 
auf den Accus, sing, beschränkt, während die Conjunction 
der Gemination treu blieb. Dafür hat diese Bildung zuerst, 
nach Analogie von licet u. ä. bei Dichtern den Coniunctivus 
hypotheticus zu sich genommen, der in der silbernen Prosa 
solche Aufnahme gefunden hat, dass er bei Tacitus über- 
wiegt und in der Vulgata sogar allein vorkommt. Das 
Spätlatein begann überhaupt zu den verallgemeinernden Re- 
lativa auch den Coniunctiv zu setzen, der im Französischen 
nach quiconque Regel geworden ist. 

Der Gang der Untersuchung führt uns von quoquo und 
quaqua auf ubiubi, undeunde, utut, da diese Formen von 
jenen sich nur dadurch unterscheiden, dass das c oder q im 
Anlaute abgefallen ist, während es sich beispielsweise in 
sicubi = si cubi = si alicubi erhalten hat. 

Es verlohnt sich der Mühe, was Neue übergangen 
und Holze II, 292 nur mit drei Beispielen andeutet, den 
Gebrauch von ubiubi zu verfolgen. Es ist nämlich an 
sechs Stellen bei Plautus überliefert (Asin. 287. Cas. 3, 6, 5. 
Cure. 97. Epid. 3, 4, 60. Mil. 1379. Rud. 1210), beruht 
auf Conjectur Bacch. 1087 qui quomque [ubi]ubique sunt, 
wo es in ungewöhnlicher Weise Pronom. indefin. statt rela- 
tivum sein inüsste, desgleichen auf Ergänzung Pseud. 580 
[ubi]ubi congrediar, wo das Verbum auffällt, weil sonst das 
Adverb bei Plautus nur mit esse, zweimal ausserdem mit 
gentium verbunden erscheint, wie auch bei Terenz Andr, 684« 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 457 

Enn. 295. 1042. Vollkommen entspricht dagegen dem 
Sprachgebrauche die Conjectur bei Attius trag. 425 Rib. 
ubiubi est statt des überlieferten ubi, und der Vorschlag 
von Andr. Spengel bei Publil. Syr. 154 Exuli ubi[ubist], 
nusquam domus est, den Ribbeck billigt; wogegen Ritschis 
auf die editt. vett. gegründete Lesart bei Aquilius Com. 6 
Rib. ubiubi monebat wegen des Verbums Bedenken erregt. 

Während nun die classische und sogar die silberne 
Latinität dem Worte consequent ausweicht, mit Ausnahme 
von Livius 42, 57, 12 ubiubi essent conversuros aciem (denn 
Cic. Tusc. 1, 70 ist die Conjectur ubiubi sit längst aufge- 
geben) , holt es wieder Frontos Schüler , Marcus , hervor, 
pg. 70 N. ubiubi es, ferner der gleichzeitige Pseudosallust 
in Cicer. 1, 1 ubiubi M. Tullius leges defendit, und Ter- 
tullian de resurr. carn. 15; auch die Juristen haben es nicht 
vergessen nach Dirkgen manuale 983. Noch spät erscheint 
es bei Liutprand von Cremona in der Antapod. 3, 21. legat. 
44. 58. Die Fähigkeit auch auf die Zeit übertragen zu 
werden, wie das einfache ubi, hat das Compositum nie er- 
langt: dagegen ist es interessant zu beobachten, wie das 
Spätlatein seine Abneigung' gegen das zweigliedrige Asyn- 
deton darin äussert, dass es die Copula et einschiebt. Vgl. 
Pardessüs, diplom. chart epist. leg. N. 282 (anno 636 
p. Chr.) ubi et ubi, in quascunque regiones; 518 (a. 721) 
ubi et ubi, in quiscunque libet pagis und nochmals 569 (743). 

Die Ersatzbildung ist eine doppelte, in erster Linie und 
schon sehr frühe ubicumque, gern durch gentium, locorum, 
terrarum u. ä. verstärkt; bei Plautus Bacch. 252 noch in 
Tmesis ubi fit quomque mentio; in der Asin. 110 (ubi erisP 
ubiquomque lubitum erit animo meo) und bei Ter. Heaut. 
578. Hec. 608, bei Inc. trag. 92 Rib. (patria est, ubicum- 
que estbene), Lucr. 1, 980 schon zusammengewachsen, mehr- 
mals bei Cicero und normal in classischer Latinität nament- 
lich mit esse (Cic. Verrin. 5, 55» Phil, 2, 113. nat. d. 1, 121. 



Digitized by 



Google 



458 Sitzung der phUos.~phüol. Glasse vom 6. Mai 1882. 

Epist. 2, 5, 1. 5, 17, 4. Attic. 3, 25. Caes. b. Gall. 7, 3. 
Hör. Epist. 1, 3, 34), bei beiden Seneca, controv. 2, 1, 4. 
7, 5, 13. 7, 7, 15. Epist.. 62, 1. 71, 21. 77, 4. 89, 21 u. s. w. J ) 
Ausserdem sagen Cicero u. A. umschreibend quocumque 
inloco, z. B. Martial 14, V quo vis cunque loco; Sen. tranq. 
an. 1, 4 und Augustin ulilibet. 

Seltener ist in archaischer Latinität undeunde, sehr 
unsicher bei Plaut. Pseud. 106 (undeunde dicam, nescio), 
nicht viel besser bei Catull 67, 27 (et quaerendus [unde] 
unde foret), verbürgt bei Hör. Sat. 1, 3, 88 numos u. extricat, 
was für uns wichtig ist, weil damit das Fortleben der Form 
in der Volkssprachp constatiert wird. Erst Apuleius (met. 5, 
30 solatium u. spernendum) und Tertnllian greifen das Wort 
wieder auf, schwerlich aus der Leetüre des Plautus ; letzterer 
an zahlreichen Stellen adv. nat. 2, 12 (Conjectur von Oehler), 
test. an. 1, adv. Marc. 3, 9 (dreimal), 4, 33. adv. Herrn. 



1) Diese und die folgenden Fragen wird die historische Syntax 
im Capitel der Localsätze zu hehandeln haben. Wenn ich die Ab- 
sonderung dieser heute nicht anerkannten Satzart verlange, so will ich 
zur Rechtfertigung nur in Kürze beifügen, dass man die Localsätze nicht 
unter die Relativ- (Adiectiv, Attributiv) sätze stecken darf; denn die 
Temporal-, Causal-, Comparativ- u. a. Sätze sind der Form nach auch 
Relativsätze, werden aber selbstständig behandelt. Da man nun bei 
den Partikeln eine locale, dann eine temporale, endlich eine modale Be- 
deutung unterscheidet, so müssen in der Syntax den Temporalsätzen 
noth wendig die Localsätze vorausgehen, möge darüber viel oder wenig 
zu sagen sein. Immerhin werden, analog den Sätzen mit quom tum, 
eo quod, ut ita die mit tibi ibi, unde inde, quo eo, qua ea, quatenus 
eatenus, quousque eousque u. a. zu besprechen sein. Dabei dürfte 
Manches Unbekannte an das Tageslicht kommen, z. B. dass die classische 
Latinität eatenus quatenus vermieden hat (Cicero eatenus qua oder 
e. quoad) f und dass zuerst die der Deutlichkeit huldigenden Juristen 
Gaius (4, 73), Ulpian, Javolenus u. A. und nach ihnen Spätlateiner die 
monotone Form angenommen haben, ausser Celsus Veget. mil. 4, 41. 
Gromat. 42, 15 L. Schol. Bob. Cic. pg. 300 Or. August, retract. 1, 11, 
3. 1, 19, 2. u. A. 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 459 

10. 22. 27. de anhna 51 als Relativuni und Indefinitum. 
Es vermochte aber, wiewohl es auch in der juristischen 
Litteratur einen schwachen Halt hatte (Dirksen Manuale 1013), 
bei der allgemeinen Antipathie gegen die Geminationsbild- 
ungen nicht mehr durchzudringen und kann daher bei 
Sidonius Apollinaris epist. 4, 2 (9) (non u. quarumpiam 
personarum voluntates inquirerem), Marc. Empir. u, A. nur 
als gelehrte Reminiscenz betrachtet werden. Die Ersatz- 
bildung undecumque tritt uns auch hier wieder zunächst 
in Tmesis entgegen bei Lucr. 6, 1015 unde vacefit cunque 
locus, in der guten Prosa als ein Wort; undelibet zu- 
erst bei Cornific. 4, 63 als indefin. 

Noch am meisten Glück hatte utut, welches den vier- 
silbigen Schwesterformen gegenüber sehr im Vortheile war; 
von einer Verdopplung der altern Form uti ist uns nichts 
bekannt; Schon bei Plautus ist es zwar am häufigsten mit 
est verbunden (Bacch. 1201. Merc. 3, 2, 15. Pseud. 298. 
310.)» ebenso bei Terenz Phorm. 468. 531, synonym bei 
PI. Most. 530 utut res sese haec habet; allein es tritt auch 
zu den mit esse umschriebenen Tempora, PI. Amph. 1101 
utut meritast, Cist. 1, 1, 110 utut est meritus, Amph. 397 
utut facturus, Ter. Ad. 630 rem utut erat gcsta> Ad. 248 
utut haec sunt acta, und bei Plautus Merc. 1, 1, 81 ganz 
frei zu animum offirmo meurn (?). Cicero hat die Form 
nicht so verworfen, wie ubiubi und undeunde, sie aber doch 
nur ungern gebraucht, Verrin. 11, 1, 4 utut esset hoc iu- 
dicatum, ad Attic. 15, 25 utut est res; ibid. 15, 26 \ut]ut 
erit. Die silberne Latinität hat sich noch viel consequenter 
von dem Worte fern gehalten und auch die Spätlateiner 
(Tertull. adv. Hermog. 41 und wohl auch adv. nat. 1, 10, 
wo Havercamp das handschriftliche ut aut so verbessert hat) 
sind so massig, dass man es tadeln muss, wenn die Neu- 
lateiner es so häufig gebrauchen. 

(Ueiphbedeutende Redensarten, die man an die Stelle 



Digitized by 



Google 



460 Sitzung der phüos.-ph'dol. Classe vom 6. Mai 1882. 

setzen konnte, gab es mehrere; einmal quidquid est, welches 
wenigstens unter bestimmten Umständen in die Lücke tritt, 
namentlich aber das oben erwähnte quoquo modo, welches 
genau die nämlichen Verbindungen eingeht, nämlich mit 
est Cic. Q. fr. 1, 2, 14; mit res se habet Cic. epist. 4, 12, 1. 
ad Q. fr. 2, 2, 1. Attic. 10, 4, 6. 14, 13 b , 3. Verrin. 5, 89. 
Ligar. 23; mit meritus sum Cic. Mil. 93. Tac. Anual. 3, 17. 
Das Einfachste, durch die Analogie Gegebene war freilich 
utcumque zum Nachfolger zu machen, was die archaische 
Latinität nur darum nicht gerne that, weil das Wort bei 
Plautus (Epid. 1, 1, 47. Poen. 3, 5, 9) und bei Horaz die 
Bedeutung von ,sobald 4 (ut primum) hat. Bei Cicero ist 
das Wort ganz gewöhnlich, fin. 5, 11 utcunque res postu- 
aret, offic. 1, 135. or. ad Quir. 23, ebenso bei Virgil, 
Tibull, Properz, Ovid, Livius, Seneca u. a. Die Lieblings- 
formel ist auch hier utc. est (Tibull 3, 4, 11. Livius praef. 
3. 42, 40, 3. Sen. epist. 15, 8. 24, 6) und u. res se habet 
Liv. 37, 54, 7. Plin. Epist. 7, 33, 10. Durch Ellipse des 
Verbums wurde die Relativform in der silbernen Latinität 
eine indefinite, z. B. Suet. Tib. 1 1 utcunque meritae (s. oben) 
quidquid umquam dcmo dedisset concedere, so wenig sie es 
auch verdient hatte: in Verbindung mit tolerare und Syno- 
nymen (Liv. Curt. Sen. epist. 83, 21. Quintil.) kann es mit 
,wohl oder übel, leidlich 1 übersetzt werden. Dass aber die 
Form doch einmal uticunque gelautet habe, scheint aus der 
Verkürzung utique hervorzugehen, die sich mit quandoque 
= qwxndoeunque vergleichen lässt. 



Ausser quis sind auch noch quantus, qualis, quotus 
einer Verdopplung fähig. Quantusquantus (oaog ooog) ent- 
gieng schon den lateinischen Grammatikern wie Priscian 
(vgl. auch Gramm, lat. 5, 207, 25 K.) nicht, da sie es bei 
Plautus Poen. 3, 4, 28. Ter. Ad. 394. Phorm. 904 fanden; 
dass es in der Volkssprache fortlebte, verbürgt die Stelle 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 461 

Cic. ad Attic. 12, 23, 3 "quantiquanti, bene emitur quod 
necesse est, die an den alten Cato erinnert, und die pompei- 
anische Inschrift (corp. inscr. 4, 3061), sowie der Gebrauch 
bei Apul. met. 9, 35 quantulumquantulum nicht anders zu 
interpretieren sein wird. Wenn es Markland bei Cic. de domo 
118 verlangte, so widerstrebt die Form freilich dem jdleren 
Stile, so dass wir mindestens dem grossen Redner eine 
Ersatzbildung zuschieben müssten; findet man es noch im 
Kirchenlatein (evang. Luc. 5, 3 inducere a terra quantum- 
quantum nach cod. Cantabr.), so wird man es auch den 
Juristen zutrauen, und bedauern, dass Dirksen Man. 800 
die Stelle des Ulpian Dig. 38, 5, 1, 2 legare quantumquantum 
vellet übersehen hat. Quant uscunque wird von Cicero 
und Livius oft von der Grösse wie von der Menge gebraucht 
(vgl. Madvig, Emend. Liv. zu 27, 45, 3); eine Steigerung 
dazu ist quantuluscunque, von Cicero ab nicht selten, z. B. 
Martial 11, 14, 2. quicquid est, quantumcumque est Pseudo 
Apul. Asciep. 16 und ebenso übersetzt die Vulgata Hebr. 
10, 37 jämqov oaov ooov nicht wörtlich, sondern mit quan- 
tultmtcumque; quantuslibet seit Ovid und Livius ; durchaus 
vulgär quammagnuscunque in dem Compend. Vitruv. 
p. 303, 4 Rose. 

Qualisqualis und qualiterqualiter ist nament- 
lich den Juristen geläufig (Dirksen Man. 797) und arta% 
elqrjiievov bei Tertullian de anima 54 qualiterqualiter vo- 
lunt; Cicero sagt qualiscunque ad Att. 13, 41. 14, 14 
oder qualislibet (pron. indefin. Nat. deor. 2, 93) und 
auch die silberne Latinität nur qualitercunque. 

Quotquot wird aus quotiquoti entstanden sein, wie 
tot aus toti. Das Alter der Bildung lässt sich aus den 
Wörterbüchern nicht mit Sicherheit bestimmen, da, man 
weiss nicht ob zufällig, Belege aus der archaischen Latinität 
fehlen , obschon doch sonst alle Analogie für ein hohes 
Alter spricht» Jn der alten Gesetzessprache heisst es bei 



Digitized by 



Google 



462 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6. Mai 1882. 

Cic. leg. 3, 8 quotcunque senatus creverit populusve iusserit, 
tot suntOy wo man um so weniger an Modernisierung durch 
Cicero glauben möchte, als ja das archaische creverit == de- 
creverit treu bewahrt ist. Cicero hat selbst auf eigene 
Rechnung und Gefahr de invent. 2, 145 quotquot erunt ge- 
schrieben, während die Form Epist. 11, 23 auf Cratander 
beruht und jetzt der Lesart quot gewichen ist. Bekannt 
sind Catulls Verse 42, 12 

Adeste hendecasyllabi, quot estis 
Omnes undique, quotquot estis omnes. 

In der Zusammenrückung quotquotannis (Varro ling. 
lat. 9, 24) = alljährlich wurde die eine Silbe unterdrückt 
und quotannis allgemein recipiert (s. S. 444 Anm.), während 
quotquot mensibus, omnibus mensibus, singulis mensibus 
nebeneinander bestehen blieben, Varro 5, 47. Jordan im 
Hermes 1881 , 232. In Anbetracht dass noch die Vulgata 
quotquot an einem Dutzend Stellen hat, (Evang. Luc. 11, 8 
Var. quantos) und noch Richer. hist. 1, 7, kann man doch 
nicht behaupten, dass die geminierte Form stark angegriffen 
oder gar verdrängt worden sei, wenn auch quotcumque 
ebenso alt (Catull 64, 280) und ebenso häufig sein mag; 
quotlibet Hyg. astron. 1, 6 ist nur Lesart jüngerer Handschr. 
statt quaslibet. 

Hier ist, so viel mir bekannt, die Gemination des Pro- 
nom. qui stehen geblieben; die Personalpronomina meine, 
tete, sese lassen sich nicht wohl in Parallele bringen, da 
die Bedeutung eine verschiedene ist. Die bisher erläuterten 
'Bildungen sind sämmtlich alt und auch die von den Juristen 
geretteten als solche anzusehen; wie Koffniane (Gesch. des 
Kirchenlateines 138) sagen konnte, das spätere Latein habe 
eine Reihe von Verdopplungen gebildet, ist mir unverständ- 
lich. Mit Ausnahme von quisquis, quidquid, quamquam, 
quotquot haben die Classiker und die Autoren des silbernen 



Digitized by 



Google 



Wolfflin: t>ie Gemination im Lateinischen. 463 

Lateins sämmtlichen Bildungen stärkeren oder schwächeren 
(diess bei quoquo) Widerstand entgegengesetzt, und nicht 
ohne Erfolg: sie empfanden sie als rohe und meistentheils 
übelklingende, und sie scheuten sich daher nicht, durch 
Zulage von 1 — 2 Silben organischere herzustellen. Wurde 
schon der Gemination zweisilbiger Worte entgegengearbeitet, 
so ist die dreisilbiger nur in qualiterqualiter erhalten; in 
allen andern Fällen musste man cunque zu Hülfe nehmen, 
z. B. quotienscunque oder quotieslibet (Boeth. inst, music. 1, 4), 
nicht quotiensquotiens ; quandocunque oder quandolibet (Neuer- 
ung des Lact. opif. dei 4, 7), nicht quandoquando. Den 
nämlichen Grundsätzen sind auch andere Sprachen gefolgt. 



Forschen wir weiter nach, ob sich diese Gemination 
oder Reduplication (denn die Reduplication in der Wort- 
bildung ist doch gewissermassen nur eine unvollständige 
Gemination) bei andern Redetheilen nachweisen lasse, so 
dürfen wir sie wohl für das Sumerische im Verb um finden. 
In dieser Sprache nämlich drückt die Verbalreduplication 
die fortdauernde (also sich immer erneuernde, wiederholende) 
Handlung aus, da die Assyrer die betreffenden Formen mit 
ihrem Präsens wiedergeben. Deutlicher tritt der Begriff der 
Wiederholung hervor in einer Gerundialbildung des Sanskrit, 
utthäya u. so oft man aufsteht, und noch deutlicher bei 
dem Afrikaner Luxorius N. 327, 5 anthol. lat. R. 

Mox cadit et cadit et rursum cadit, inde rcsurgit. 

So auch im Deutschen: sinkt und sinkt, weint und weint. 

Endlich glaube ich sie im Comparativ des Adiectivs 
gefunden zu haben, wo die Gemination zur Bezeichnung 
eines successiven Zunehmens oder Abnehmens dient ; während 
nämlich der einfache Comparativ eine Eigenschaft als seiend 
und bleibend bezeichnet, drückt die Wiederholung des Com- 
parativs die im Werden begriffeue Entwicklung aus. 



Digitized by 



Google 



464 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

Die Wiederholung in der Zeit wird bei magis magis- 
que sehr oft noch besonders durch in dies 1 ) ausgedrückt, 
von Cicero fil. Epist. 16, 21, 2 (duplicari), Sallust Cat. 5, 7 
(agitabatur), 20, 6 (accenditur; nach cod. Vatic), Jug. 7, 6 
(amplecti), Fronto p. 187 (augetur), Apul. met. 11, 21 
(gliseebat), Inc. paneg. in Constant. (814 (venerari), Spart. 
Hei. 6 (adgravari), Dictys 1, 19 (saeviens), 3, 3 (aestuare); 
durch in dies et horas von Catull 38, 3 (malest); durch 
cotidie von Cic. Brut. 308 (probabatur), Philip. 1, 2, 5 
(minttari), ad Attic. 14, 18, 4 (cogito), entsprechend bei 
Augustin civ. d. 13, 10 cotidie fit minus minusque; durch 
semper von Tibull 1, 7, 64 (candidior s. eandidiorque 
veni); durch s üb in de von Pomp. Mel. 2, 79 (grandis et 
subinde grandior) ; durch quotannis Priap. 86 (85) 4 
(beata). So wenig diese hinzutretenden adverbialen Aus- 
drücke unumgänglich nothwendig sind, so wenig darf man 
sie als müssig auffassen ; vielmehr bestimmen sie die Wieder- 
holung, welche durch die Gemination nur im Allgemeinen 
aasgedrückt wird, genauer nach den einzelnen Zeitmomenten. 
Genügt somit ,es wurde schlimmer und schlimmer 1 , so wird 
diess doch näher präcisiert durch den Zusatz ,von Stunde 
zu Stunde, von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr 4 ; nur 
empfiehlt es sich dann vom Standpunct einer vernünftigen 
Oekonomie in der Sprache dafür den zweiten Comparativ 
fallen zu lassen. Auch das Uebrige, was an diesen Ver- 
bindungen Interesse erregt, wird sich am leichtesten an der 
häufigsten Formel magis magisque beobachten lassen, die 
in plus plusque (Plaut. Aulul. 3, 6, 11. Cic. Att. 6, 2 
in dies diligebat; piü e piü, Blanc Vocabolario dantesco 
p. 2 fg.) nur sehr schwache Concurrenz hat. 



1) Diess ist eigentlich ein Pleonasmus, da dem strengeren Stile 
Ciceros magis in dies (p. Mil. 25) vollkommen genügt, ebenso dem 
reiferen Sallust hist. 3, 61, 28 u. a. 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 465 

Einmal bietet hier das Griechische eine Analogie in 
txXeov tvXsov bei Aristophanes, \iaXkov iiaXkov bei Menander. 
Dann darf es als sicher gelten, dass das asyndetische, dem 
Griechischen entsprechende magis magis, erhalten bei Catull 
38, 3. 64, 275 nnd Virgil Georg. 4, 311 die älteste Form 
gewesen sein muss. Das classische Latein gab dem magis 
magis que (welches Lucilius durch ein Wort zu trennen 
pflegt, Aetna V. 482. 526) den Vorzug, so dass es über- 
flüssig sein dürfte, hiefür Beispiele anzuführen; das älteste 
ist vielleicht Plaut. Pseud. 1197. Magis et magis ist 
bei Dichtern zu entschuldigen, wie Priap. 86 (85) 4, anthol. 
Lat. II, 240, bei Cic. Attic. 14, 18, 4 jedenfalls Ausnahme, 
und daher unsicher, ob Cic. Attic. 16, 3, 1 gerade magis 
[et magis] delectari zu ergänzen sei. Ungleich gebräuch- 
licher, in Prosa wie in Poesie, ist magis ac magis, 
allerdings nicht bei Cicero, wohl aber bei Lucr. 3, 546. 6, 
126. Hör. Sat. 2, 4, 60 und namentlich in der silbernen 
Prosa bei Sen. dial. 5, 1, 4. benef. 2, 14, 4. nat. q. 3, 25, 
12. epist. 114, 25; bei Sueton Vit. 11. Tit. 3. gramm. 3; 
bei Tacitus und Plin. epist. 7, 3, 4. 10, 28, 3, wenn auch 
nicht bei Quintilian. Magis atque magis passte den 
hexametrischen Dichtern wie Catull 68, 48. Virg. Aen. 2, 
299. Hör. Sat. 2, 3, 318. Seren. Sammon. 372. 901. 946. 
anthol. lat. I. 1. pg. 46 R, Vers 36 und 38. Polysyn- 
detisches magisque magis que wird wohl um so eher 
vorkommen, als schon Ennius Annal. 315 mit plusque 
magisque vorangegangen war. 

Asyndetisches plus plus und minus minus hat weder 
S. Preuss gefunden (De bimembris dissoluti usu solemni, 
Edenkoben, 1881), noch ist es mir erinnerlich; die älteste 
nachweisbare Verbindung war minus m%nusque (Plaut. 
Aulul. 18. Ter. Heaut. 594), minus atque minus wohl 
Neuerung des Virgil Aen. 12, 616 (August, epist. 3, 2); 
minus ac minus Neuerung der silbernen Prosa nach dem 



Digitized by 



Google 



466 Sitzung der phüos.'phüol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

Vorgange Virgils bei Livius 26, 17, 12. Pomp. Mel. 3, 74. 
Plin. nat. hist. u. a. minus et minus Licenz des Hör. 
Carm. 1, 25, 6. Ovid raet. 11, 723. Heroid. 2, 129. 

Die übrigen Comparative ordnen wir chronologisch nach 
ihrem ersten Vorkommen. Cic. Attic. 13, 21, 6 Attica 
levius ac levius (ergänze se habet). Tibull 1, 7, 64 
candidior semper candidiorque veni. Ovid met. 7, 
639 crescere . . . et maius maiusque videri. Pomp. 
Mel. 2, 79 iam grandis et subinde grandior. Sen. dial. 
5, 42, 4 und Epist. (nach Otto Rauschning, De latinitate 
L. Annaei Senecae philosophi. Regim. 1876. p. 54) propius- 
que ac propius accedere (p. p. que accedere Stat. silv. 
5, 1, 184; p. p. que sonoro quadrupedum cornu tellus gemit 
Sil Ital. 4, 95. p. p. que agnosci Mamert. genethl. Max. (3) 
10). Apul. met. 8, 2 carior cariorque factus. Pseudo- 
apul. Asclep. 41 melius melius (ohne Copula!) ominare 
entspricht der Stelle des Lactant. 6, 25, 11 bene bene ominare, 
und der des Plautus Rud. 337 melius ominare. Genethl. 
Mamert. 16, 3 longius longiusque protendere. Passio 
Theodoti c. 35 (a. 303 nach Chr. in den Acta sine, mar- 
tyrum ed. Ruinart) amplius et ampliu$ eis offerebat 
de vino. Schiller im Taucher : ,und hohler und hohler hört 
man's heulen 1 . 

Vermöge seiner an den griechischen Comparativ erin- 
nernden Endung ist auch Herum hier einzureihen. Herum 
iterumque (Awesta Vendidad 8, 27 vifjeiti vifjeitika 
nach der Erklärung von Dr. Wilh. Geiger) nicht in clas- 
sischer Prosa, zuerst bei Ovid met. 11, 619. art. am. 2, 127 
(rogare); dann bei Pomp. Mela 1, 51. 3, 9. Plin. pan. 
79, 1. Martial 2, 14, 13. Flor. 1, 23 (2, 7) 15. Veget. 
mulomed. 4, 27: 9 iterum atque Herum Hör. Sat. 1, 10, 
39. Sil. Ital. 7, 393. Plin. pan. 28, 6. Fronto p. 94 N. 
Vopisc. Aurel. 45, 15. Vulg. 3 Reg. 22, 16 und 2 Par. 
18, 15 mit adiuro. Querul. Peip. 45, 23. Victor Vit. pass 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 467 

b. M. 14: polysyndetisch iterumque iterumque mit 
vocare Virg. Aen. 2, 769 und consol. ad Liv. 219; mit 
monere Aen. 3, 436. Die Clapsiker sagen dafür saepius 
iterumque, rursus iterumque u. ä. 

Ueberhaupt können auch andere, formell der Comparativ- 
bildung fremde Wörter, welche an sich eine einmalige 
Wiederholung oder Erneuerung bezeichnen, durch Gemination 
eine mehrmalige Wiederholung ausdrücken. So sagt Ter- 
tullian vom Jenseits, Sterben und Auferstehen setzten sich 
dort nicht mehr fort, apol. 48: ideo nee mors iam nee rur- 
sus ac rursus resurrectio, womit der in die Anapher 
übergehende Vers des Valerius Flaccus Argon. 3, 596 Rur- 
sus Hylan et rursus Hylan reelamat verglichen werden 
kann. Und in derselben Schrift Tertullians, Apol. 35 heisst 
es von dem jedesmal den Thron besteigenden Kaiser: no vi 
ac novi (ac novi fehlt in DF) Caesaris scaena congiario 
dividundo praesidentis , und adv. Marc. 1, 8 novo semper 
ac novo titulo, wo die Wiederholung wie bei den Compara- 
tiven durch das Adverb besonders ausgedrückt ist. Diese 
Redeweise hat sich bei alius uud seiner ganzen Familie bei 
allen Autoren erhalten; alii atque alii (Lucr. 1, 813. 
2, 243. 377 etc. Cicero) bedeutet also nicht nur ,der eine 
und der andere 1 , sondern ,immer wieder Andere, Neue 1 . 
Verdeutlichend können Adverbia dazu treten, wie Sen. epist. 
85, 29 pars subinde (ein bei Sen. sich auffallend hervor- 
drängendes Wort =: souvent) alia atque alia, oder epist. 
32, 2 aliud eius subinde atque aliud facientes initium. Nur 
geht Rauschning p. 54 zu weit, wenn er glaubt, eine Tren- 
nung der beiden Pronomina komme sonst nicht vor, da er 
Ja bei seinem eigenen Autor epist. 90, 15 subinde alia facics 
atque alia hätte finden können. Die Verknüpfung durch 
que gehört wohl der silbernen Latinität an (Tibull 4, l, 17) 
und ist bei Celsus (s. den Index von Matth. Gesner) stehend, 
auch für das Adverbium, aliter aliterque. Qnintiliau 
[1882. I. Philos.-philol. bist. Cl. 3.] 31 



Digitized by 



Google 



468 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

hat mit Ausnahme von 10, 5, 9 aliae aliaque formae das 
ciceronianische atque beibehalten , so wie auch Celsus 3, 
3 extr., der Philosoph Seneca und der Naturforscher Plinius. 
Nur um die Mannigfaltigkeit des Gebrauches klar zu macheu, 
erinnern wir an Beispiele wie Sen. epist. 35, 14 aliubi 
atque aliubi adparere, immer anderswo, immer wieder 
an einem neuen Orte auftauchen; de brev. vit. 11, 2 alio 
atque alio spargi; Plin. nat. hist. 13, 4 alibi atque 
alibi; in der histor. miscella 19, 31. 25, 17 alias atque 
aliter 1 coli. 19, 53. Die deutsche Sprache, welche in der 
Gemination der Comparative mit der lateinischen zusammen- 
stimmt, weicht hier entschieden ab. 

Sem per semperque petere , immer und immer 
wieder, bei Seneca apocol. 15 kann nach dem satirischen 
Character der Schrift nur vulgär gewesen sein = Herum 
iterumque, und ist im italienischen sempre sempre erhalten; 
asyndetisches semper semper aber, welches Rauschning p. 66 
aus Sen. vit. beat. 7, 4 anführt, ist Glossem, von Haase 
schon eingeklammert, von Koch-Vahlen getilgt, und bei 
Catull 65, 11 semper amabo, semper als Anapher zu fassen. 
Parallel steht noch das seltene, von Muret gern gebrauchte 
usque et usque (allatrare Martial 5, 60, 1. fines pro- 
terminare Apul. met. 9, 38). 

Es ist schwer hier abzubrechen. Denn dem Sinne nach 
ist auch das bekannte etiam atque etiam, welches oft 
mit reputare, videre, monere, considerare u. ähnl. Verben 
verbunden wird (= nochmals und nochmals) hier einzu- 
reihen. Von Plautus an (Aulul. 4, 2, 7. Trin. 3, 2, 48) 
zieht es sich bis in das Spätlatein, findet sich vereinzelt 
bei Ennius, Lucrez, Catull, doch nicht bei Cäsar und nur 
einmal bei Sallust in der Rede des Marius Jug. 85, 28, 
häufig dagegen in den Reden und Briefen Ciceros, vor vale 
elliptisch zu verstehen mit Ergänzung eines Verbums wie 
moneo (ad Attic. 5, 19, 2. 5, 20, 9 u. s. w. und besonders 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 469 

oft am Schlüsse der Briefe des 16. Buches ad famil.), etwa 
zehnmal bei Livius, bei Curtius (5, 4, 13), Seneca (benef. 
3, 14, 2) und wieder bei Fronto p. 66. 152, Apulejus 
flor. 4, 19, Gellius 2, 30, 3. Die Formel etiam etiamque, 
welche Bentley zu Hör. Sat. 1, 6, 18 und Haase, Vorles. 
I. 193 anführen, ist mir so wenig bekannt, als Hand, Tur- 
sell. Tl. 576 ff. und etiam et etiam mag Baibus verant- 
worten, der es geschrieben Cic. epist. Att. 8, 15% 2. Vgl. 
auch Ferd. Heerdegen, Unters, z. lat. Semasiologie, III 
(1881). S. 44. 

Es ist unmöglich hier mit Stillschweigen über das ver- 
wandte iam iamque hinwegzugehen, wenn auch gewisse 
Gelehrte etiam gar nicht von iam ableiten, sondern aus tri 
und dem Suffixe am (vgl. protinam, coram, palam) ent- 
stehen lassen. Nur hatte Haase nicht so ganz Unrecht, 
wenn er (Vorles. I. 193) mit Rücksicht auf die Unsicher- 
heit der Ueberlieferung {iam ) iamiam, iamiamque) und die 
verschiedenen mit dem Ausdrucke verbundenen Tempora 
(Präsens, Perfect, Futurum) die Frage als weiterer Unter- 
suchung bedürftig bezeichnete. Vorerst wird sich heraus- 
stellen, dass in archaischer Latinität iamiam (spanisch ya yd) 
überwiegt (Plaut. Cure. 218. 707. Mil. 1084 R. Most. 403. 
Pers. 5, 2, 41. Ter. Ad. 853. Att. trag. 611), iamiamque 
(PI. Pseud. 219) zurücktritt, gerade wie in magis magisque 
die Copula spätere Zuthat ist. Der Begriff der Wieder- 
holung tritt insofern hervor, als es mit Futurum oder leb- 
haftem stellvertretendem Präsens verbunden ,im nächsten 
Augenblick = jeden Augenblick' bedeutet, so namentlich 
in Verbindung mit adesse, Cic. Att. 7, 20 illum rucre 
nuntiant et iamiamque adesse (er kommt jeden Augenblick 
= er kann jeden Augenblick kommen), ibid. 14, 22 ipse 
iamiamque adero. Caes. civ. 1, 14 Caesar adventare iam- 
iamque et adesse eius equites nuntiabantur. Tac. anual. 14, 7 
iam iamque adfore obtestans. Enmen. paneg. Constaut. 15 

31* 



Digitized by 



Google 



470 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882. 

iamiamque venturum. Auf die nämliche Anschauung hinaus 
laufen Verbindungen mit expectare Cic. epist. 12, 10, 4; 
video (bellum) Cic. Att. 16, 9; sciemus ibid. 7, 25; imminere 
Sen. dial. 7, 26, 3 ; iamiam puto (ich überzeuge mich jeden 
Augenblick mehr) bei Sallust Jug. 14, 22, wo eine er- 
klärende Anmerkung nicht überflüssig wäre, dem Sinne 
nach = magis magisque, wie bei Catull 63, 73 iamiam 
dolet quod egi iamiamque paenitety und Virgil Aen. 12, 940 
Et iam iamque magis cunctantem etc. Man wird freilich 
zugeben müssen, dass diese iterative Bedeutung sich all- 
mählig verdunkelte, und selbst bei den besten Prosaikern, 
wie Cicero, da wir uns ja Philip. 2, 87 statt iam iam minime 
miror eigentlich zu denken haben minus oder minus minus- 
que = mehr und mehr, von Tag zu Tag mehr begreife ich. 
Steht dagegen iamiam mit einem Tempus der Vergangen- 
heit = soeben, bereits , so kann nicht mehr von Wieder- 
holung gesprochen werden, vielmehr ist dann die Gemi- 
nation intensiv zu verstehen (unten S. 482) nach Analogie 
von modo modo. Vgl. Madvig, emendat. Liv. 2. Aufl. 384. 
624 Note. 

Die Analogie der besprochenen Redensarten bestimmt 
uns nun vielleicht, identidem in gleicher Weise mit 
Priscian als Wiederholung von idem zu betrachten, obschon 
Vaniceck, griech. lat. etymol. Wörterb. T 320. u. A. die 
Bildung anders erklären. Es lässt sich dafür geltend machen, 
dass wir das Wort oft zu den Verbis monendi gestellt finden, 
gerade wie etiam atque etiam. Ueber den Gebrauch, der 
mit Plautus anhebt (Trin. 147. Truc. 4, 2, 25) und sich 
noch bei Richer. hist. 2, 32. 3, 51 findet, kann man sich 
nach Hand Tursell. III. 174 eine Vorstellung machen; nur 
glauben wir beifügen zu sollen, dass das Wort ein Lieb- 
lingswort des Apuleius und in den Metamorphosen allein 
zwanzig mal gebraucht. 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 471 

Selbst der Vers des Ennius Annal. 527 
Atque atque accedit muros Bomana inventus 

= adque adque, heran und heran, kann nur in dem Sinne 
des oben angeführten propius propiusque accedere inter- 
pretiert werden, obschon Gellius 10, 29 die Worte nicht 
iterativ, sondern intensiv verstanden wissen will (gemina 
si ftat, äuget intenditque rem), immerhin besser als P. Böhmer, 
die latein. Vulgärsprache. Oels 1869. 19, der ,und dazu 
und dazu 4 erklärt. 

3. Die intensive Gemination. 

Um von der plurativ-iterativen Gemination auf die 
intensive hinüber zu kommen ist dem Grammatiker eine 
bequeme Brücke gebaut. Da nämlich pulsare wiederholt 
klopfen und stark klopfen bedeutet, so könnte man den 
Uebergang der Verba frequentativa oder iterativa in die 
intensiva benützen, um eine ähnliche Verwandlung auch 
dem Nomen zu vindicieren. Bedeutet tschak tschak im 
Persischen einen aus vielen Lauten bestehenden Lärm, so 
wird er eben dadurch ein gewaltiger, intensiver; richtigergeht 
man aber wohl auf die affirmative Gemination zurück und 
denkt sich t. ^als einen Lärm, der diesen Namen im wahren 
Sinne des Wortes verdient, als einen Lärm xcrc' iioxrjv, und 
also consequent bonus bonus nicht iterativ zu in mehreren 
Beziehungen gut, sondern = gut im eminenten Sinne des 
Wortes (vgl. ital. sette volte buono). Fanden wir die rhe- 
torische Gemination ohne Copula bei allen Redetheilen, die 
plurative meist beim Nomen, die iterative beim Verbum 
und beim Comparativ, meist mit Copula, so trifft die inten- 
sive vorwiegend den Positiv des Adiectivs, beziehungsweise 
Adverbs. 

Denkbar ist eine Potenzierung des Begriffes vermittelst 
der Geminatiou für alle Redetheile, und mehr als eine 



Digitized by 



Google 



472 Sitzimg der phüos.-philol. Classe vom 6. Mai 18S2. 

Sprache hat in einer gewissen Periode sich dieser Ausdrucks- 
weise bedient; nur leuchtet ein, dass eine Sprache in der- 
selben Zeit der Gemination nicht affirmative, plurativ-iterative 
und intensive Bedeutung unterlegen kann , weil man sonst 
im einzelnen Falle nicht wüsste, in welchem Sinne die Worte 
zu verstehen seien. Iu einer ausgebildeten Sprache können 
mithin im besten Falle die verschiedenen Bedeutungen im 
grossen Ganzen sich an verschiedene Redetheile anlehnen. 
Im Hebräischen konnte zur Noth ^ähäb fähäb, kesef kesef 
(Jerem. 52, 19) , weil die Stoffnaraen einen Plural aus- 
schliessen, bedeuten : massiv von Gold und Silber, aus reinem 
Gold und Silber (Luther nur golden und silbern), wie im 
Italienischen fare a corri corri = a tutto corso, en pleine 
carriere, oder bei Dante Inf. 14, 12 a randa, a randa am 
äussersten Rande, gleichsam am Rande des Randes. Dar- 
nach könnte rex rex , welches man sich in einer andern 
Sprache als Plural Jenken kann, und welches im Lateinischen 
noch emphatisch wirkt (ein König, ja ich bleibe dabei, ein 
König; ein K. sage ein K.), auch intensiv einen König im 
eminenten Sinne des Wortes, einen Grosskönig oder Ober- 
könig bedeuten. Allein so haben die classischen Sprachen 
sich nicht ausgedrückt, sondern lieber zur Subordination 
gegriffen mit rex regum, ßaodevg ßaailicov , womit die 
Perser einen über Könige herrschenden König bezeichneten, 
sowie auch die Griechen, nicht etwa einen von Königen 
abstammenden König, was man nach Plato Alcib. I. 121 A 
ßaoiXelg eloiv ex ßaaikicov it€%Qi Jiog und Xenoph. Ages. 

1, 2 verum then könnte. Vgl. Landgraf in den Acta semin. 
Erlang. II. 36 ff. Unter den Pronominalbildungen zeigen 
avravxog und die unsicheren Formen ipsipsus (Plaut. Cist. 

2, 3, 58) und ipsippe (mittelhochd. selpselpo) einige Aehn- 
lichkeit, insofern ihnen die Superlative avxoxaxog und ipsi- 
muSy ipsissimus (Plaut. Trin. 4, 2, 146) zur Seite, stehen. 
Dass dagegen in sese eine intensive Kraft liege, wird nie-' 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 473 

mand behaupten, so wenig als der Unterschied im Gebrauche 
von sese und se plausibel ist, den Charisius 1, 15, pg. 86 
bei Cäsar beobachtet haben wollte; nur so viel scheint 
klar, dass mit dem Zurücktreten einer Gemination se, se 
(oben S. 443), welches sich aus der Natur des Pronom. re- 
flex. erklärt, Raum für ein sese gewonnen wurde. 

In weiterem Umfange hat sich bei den Verben die 
Sprache von einer solchen Anschauung leiten lassen, wenn 
sie die vollendete Handlung durch die unvollständige Ge- 
mination , die Reduplication , bezeichnete. Nicht die Vor- 
zeitigkeit wird durch dieses Mittel ausgedrückt, sondern die 
zum endgiltigen Abschlüsse gelangte und in ihren Wirk- 
ungen noch fortdauernde Handlung. 

Da aber der Redetheil, der am ehesten eine Steigerung 
zulässt, ohne Zweifel das Adiectiv, beziehungsweise Adverb 
ist, so hat hier die Wiederholung am leichtesten zu dem 
sogenannten Elativus geführt, und das ist es eben, was wir 
vor Allem unter der intensiven Gemination verstehen. 

Gehen wir vom Italienischen aus, so hat dasselbe 
Redensarten wie lungo, lungo, molto molto, sempre sempre, 
spesso spesso, presso presso, piccolo piccolo (wohl nachge- 
bildet von Göthe in dem Gedichte ,um Mitternacht 1 : klein 
kleiner Knabe, vgl. provenz. petit e petit Diez, Gramm. II 8 , 
465) ; also besonders häufig in Wörtern , die einen Quan- 
titätsbegriff oder ein Mass bezeichnen, dann aber auch mit 
Vorliebe subito subito, tosto tosto, ratto ratto, pronta 
pronta (Belli, N. 14 ed. Olckers), or ora eben jetzt, presto 
presto, via via (Fra Jacop. Cessol. 54), weil man beim Be- 
fehl oft auf Beschleunigung dringt (umgekehrt lento lento, 
piano piano, adagio a. u. ä.), auch von Farbenbenennungen 
bianco bianco schneeweiss, rosso rosso blutroth, um den 
intensiven Character der Farbe zu bezeichnen; aber nicht 
minder bene bene, lieto lieto (Volkslied von Albano, bei 
Müller, Egeria S, 5) ritto ritto ganz gerade, Grenzen lassen 



Digitized by 



Google 



474 Sitzumj der phUos.-phüol. Glosse com 6. Mal 1882. 

sich keine ziehen, da beispielsweise der römische Volks- 
dichter Belli in einigen 200 Versen sieben Beispiele hat, 
wie secco secco, arto arto y sana sana, bbrutto bbrutto, wo- 
mit doch deutlich genug bezeugt ist, dass die Gemination 
mehr in der Volkssprache lebt als in der edleren Schrift- 
sprache. Bei dreisilbigen Adiectiven mit langer Mittelsilbe 
verliert das erste seine Endsilbe o, z. B. vicin vicino, ebenso 
bei viersilbigen piccinin piccinino, ausnahmsweise sogar bei 
andar bei bello (vorsichtig). Auch substantivierte Adiective 
geminieren, z. B. un poco poco, erst einen Augenblick (Doni, 
Attavanta p. 30, Ende des XVI. Jahrb.), bettln bellino falscher 
Freund (ibid. p. 62); mal male hinfallende Krankheit, Libr. 
vetr. 29 ; alle diese Beispiele nach gefälliger Mittheilung 
von Dr. Karl Sittl. Endlich tritt das zweite Wort in den 
Superlativ, z. B. fa freddo freddissimo, fa un tempo 
bello bellissimo, pian pianissimo (neben piano, piano) im 
bolognesischen Dialecte. Täuschen wir uns nicht, so ist 
die Gemination häufiger bei Adverbien als bei Eigenschafts- 
wörtern und fast nur auf die Formen auf o beschränkt. 

Verfolgen wir diess nun im Lateinischen, so müssen 
wir, ehe wir an den Aufbau denken können, alten Schutt 
wegräumen. Bis auf Arist. Baragiola hinab (italienische 
Grammatik, 1880, S. 69 Note) citiert man eine stattliche 
Reihe von Beispielen aus Gruters Inscriptiones , die eine 
wissenschaftliche Prüfung nicht aushalten. Der grosse Sca- 
liger war es, der die Indices zu dem genannten Inschriften- 
werke verfertigte und mit dem 19. Capitel ,geminatio pro 
superlativo 1 Andere täuschte, wie Rönsch und den Vf. (Lat. 
und roman. Compar. S. 4), der sich selbst wieder auf Rönsch 
bezog. Es wurde also ein libenter libenter = liben- 
tissime durch den Druck' fortgepflanzt (13, 18. 15, 9 et 
alibi non raro) , obschon die Inschriften nur L. L. haben, 
was man, sobald man das weiss, natürlich heutzutage durch 
libens (lubens) laetus auflöst. Vgl. Acta semin. Erlang. I. 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen, 475 

33. 34 ; des Vf. allitterierende Verbind. S. 63. L. L. M. M. 
375, 6 in einer Grabschrift ist ein gedankenloser Dual von 
L. M. (lubens merito), nicht libentissime, merentissime. 268, 4 
F. F. P. P. F. F. im Kaisertitel steht zu vereinsamt , als 
dass man fortis fortis ^ pii pii, felicis felicis interpretieren 
dürfte. B. B. (65, 6. 172, 7. 318, 9) ist nicht bene bene, 
was im Zusammenhang nicht einmal einen Sinn giebt, auch 
nicht bonus bonus, sondern theils unsicher und corrupt (65, 6 
=z Corp. inscr. lat. VI. 670 etwa für B. F. z= beneftciarius), 
theils von Mommsen Corp. inscr. VIII. p. 1104 als bonis 
bene erklärt; 284, 6 BD. NN. Constantino et Constantio BB. 
beatissimisque Caess. ist es einfach Dual von bonus. Aus- 
geschrieben auf dem Steine ist nur 777, 6 *) Dolus malus 
malus abesto, aber um so mehr als Dittographie verdächtig, 
als die Formel dolus malus (vgl. Wilmanns, Ex. I. N. 454) 
so bekannt ist und es nicht in der Absicht des Verfassers 
liegen konnte, nur den allerschlimmsten Betrug wegzu- 
wünschen. Zur Vertheidigung wüsste ich nur Virgil Ciris 
278 anzuführen nisi te malus, o malus . . . casusve deusve 
kdisset. Damit zerfällt die ganze inschriftliche Basis in 
nichts, und zugleich verliert auch Coinmodian instr. 2, 24, 8 
Ludwig 

Largiri vis, ut te quasi malum malum depurges 

seinen Halt, zumal die Ueberlieferung des cod. Cheltenham. 
giebt : 

Largiri vis inde 9 ut te quasi malum depurges, 

deren Richtigkeit durch die Vergleichung von V. 2 unde 
tu largiris über jeden Zweifel erhoben wird, so weit die 



1) Es ist mir leider während der Drucklegung nicht mehr mög- 
lich, die jetzt in wissenschaftlichen Kreisen antiquierten Citate aus 
Gruter auf das Berliner Corpus zu reducieren, und die ersten Heraus- 
geber der Inschriften, deren Zuverlässigkeit sehr verschieden ist, anzu- 
führen, 



Digitized by 



Google 



476 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

Frage uns berührt, wenn auch statt mdlum besser passt 
malo. 

Es gilt jetzt das Verlorene wieder zu ersetzen. Die 
Verbindung ungleicher Grade, um diese vorauszunehmen, 
ist im Lateinischen erst durch die Africitas ausgebildet, 
und zwar nur mit Hülfe der Copula. Denn man kann es 
doch wohl kaum als Zufall betrachten , dass Fronto p. 39 
(hone et optime magistcr), Apul. met. 8, 9 (boni et optimi 
consulis) und Tertull. paenit. 4 (bonum et Optimum esse 
quod deus praecipit) fast gleichzeitig diese Verbindung in 
die Litteratur einführen, welche dann auch in die Vulgäta 
gedrungen ist, Tob. 7, 7 boni et optimi viri filius, Judith 
12, 14 quod erit bonum et Optimum, evang. Luc. 8, 15 in 
corde bono et optimo, und selbst in die hist. misc. 20, 48. 
22, 30 bene et optime. Es war diese Verbindung, wie sich 
aus der griechischen Uebersetzung des alten Testamentes er- 
giebt, der entsprechende Ausdruck für xalog xal äya&og 
(Luc. iv KccQdlq Kalfi xai äya&jj); die Afrikaner konnten 
aber am ehesten auf diese Wendung verfallen, weil sie die 
Superlative und in erster Linie die irregulär gebildeten am 
frühesten degradiert und als eigene Adiectiva behandelt 
haben, wie Tertull. cult. femin. 6 male ac pessime, 
und nach ihm einzelne Spätlateiner, z. B. Veget. mulomed. 
praef. 1 in multis plurimisque. Da statt der zuerst 
angeführten Formel auch utilis et optimus vorkommt (lat. 
und rom. Compar. 58) und das Deminutiv von bonus, bellus 
= benulus im Lateinischen wie in den romanischen Sprachen 
eine ganz neue Bedeutung angenommen hat, so kann man 
folgerichtig in bonus opt. keine Verbindung von Synonymen 
annehmen, und die ganze Erscheinung konnte daher nur 
als Durchgangspunct erwähnt werden. Die Combination 
regulärer und synonymer Bildungen datiert in der Litteratur 
von Arnobius p. 119, 6 E. der aegre atque aegerrime 
verbunden hat, und taucht dann vereinzelt bei Afrikanern 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 477 

auf, so bei Aurel. Victor Caes. 41, 4 vetus veterrimumque 
supplicium, wo fälschlich teterrimum conjiciert wird, bei 
Cael. Aurel. acut. 3, 176 crebra atque creberrima. 

Gehen wir zu der Gemination von Positiven über, so 
ist die häufigste die bereits im Italienischen gefundene von 
longe; an dieser Redensart gilt es den Character und den 
Gebrauch festzustellen, was freilich aus den vier von Hand, 
Tursellinus 3, 552 angeführten Beispielen nicht möglich 
wäre. Das früheste findet sich bei Cicero fin. 2, 21, 68 
plurimum se et longe longeque 1 ) plurimum tribuere 
honestati, wozu die Commentatoren sich nicht veranlasst 
finden eine Bemerkung zu machen. Der Umstand indessen, 
dass sich in der ganzen classischen Prosa kein zweites Bei- 
spiel mehr findet, ist uns eine Gewähr, dass Cicero die 
Phrase wohl einmal im Dialoge gebrauchen durfte, dass sie 
aber nicht auf allgemeine Geltung Anspruch machen konnte. 
Möglich ist allerdings, dass Livius 1, 32, 2 geschrieben hat 
longe longeque (cod. longeque) antiquissimum ratus, wie 
Madvig vermuthet, da gerade das erste Buch des Historikers 
viele Eigentümlichkeiten aufweist, und auch der Superlativ, 
wie er der Cicerostelle entspricht, ein aVra£ eiqrj^ievov bei 



1) Selbstverständlich ist der Fall auszuscheiden, wenn in der For- 
mel longe longeque das erste und das zweite Adverb sich auf verschiedene 
Worte beziehen, wie Lucr. 2, 106 dissiliunt longe longeque recursant; 
3, 69 effugisse volunt longe longeque recesse; 6, 690. Juven. 3, 272 
longe repetes longeque revolvas. Diese chiastische Wortstellung liebt 
gerade Lucr. 3, 286 ni calor ac ventus seorsum seorsumque potestas 
Aeris interemant sensum; 3, 457 gigni pariter pariterque videmus 
crescere; aber auch anderwärts begegnet sie uns, z. B. Manil. astron. 1, 
205 surgentem pariter pariterque cadentem, ibid. 241. 824. Juv. sat. 
3, 158. Plin. paneg. 84 suspiciunt invicem, invicem cedunt. Apul. 
flor. 2, 14 provisum satis et satis consultum. Min. Fei. Octav. 5, 5 
beati satis satisque prudentes; Cyprian epist. 76, 6. Claud. nupt. Honor. 
33t diligimus pariter pariterque timemus neben de III. consul. Honor. 
147 pariter foedavimus . . . p. prostravimus. Coripp. Justin. 3, 170. 
Paneg. in Pison. 180 et vitare simul, simul et captare petentem. 



Digitized by 



Google 



478 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 6. Mai 1882. 

Livius ist statt des sonst gebrauchten nihil antiquius. Die 
Corruptel wäre die nämliche, wie bei Syminachus epist. 9, 
50, wo statt prudentissimi longeque zu schreiben sein wird 
longe longeque. Sicher ist jetzt die Verbindung bei Hör. 
Sat. 1, 6, 18 a volgo longe longeque remotos, wo schon der 
feine Beobachter Bentley, um die Vulgata longe lateque zu 
widerlegen, auf die Wiederholung des Adverbs aufmerksam 
gemacht hat. Ovid, der dem Satiriker folgte, stellte longe 
longeque zu einem Comparativ, Metam. 4, 325 longe cunctis 
longeque beatior, nachdem Sallust mit longe (statt multo) 
saevior vorausgegangen war, und auch das Beispiel aus 
Plin. epist. 5, 6, 32 longe longeque praecedit gehört in die 
nämliche syntactische Rubrik, obschon hier wieder die ge- 
ringere Ueberlieferung longe lateque daran erinnert, dass die 
Redensart den Abschreibern wenig bekannt gewesen sein 
muss. Sonst hat die silberne Prosa und Poesie dieselbe 
aus ihrem Wortschatze consequent ausgemerzt, während 
ebenso consequent vier Afrikaner der zweiten Hälfte des 
2. Jahrhunderts dieselbe wieder, wenn auch schüchtern, zu 
Ehren zu bringen versucht haben. Voran geht, wie natür- 
lich, der Bannerträger Fronto, p. 143 mit der an Plinius 
anklingenden Redensart longe longeque praeferre; Florus 
sagt 1, 45, 4 longe longeque cruentior; Gellius 13, 29, 3 
longe longeque amplius, so dass also longe, in klassischer 
Latinität mit Superlativ verbunden, einem Ablativus men- 
surae gleichbedeutend erachtet wurde. Wenn Scävola in 
den Digest. 4, 4, 39, abweichend von dem ciceronianischen 
Gebrauche es mit dem Comparativ verbunden hat (longe 
longeque rem meliorem facit; Variante longe lateque), so ist 
diess eine individuelle Geschmackssache, die auf die Juristen- 
sprache im Ganzen ohne Einfluss geblieben ist. Aber miss- 
verstanden hat das von Fronto gegebene Signal Apuleius, 
wenn er metam. 11, 3 schrieb longe longeque confutare: 
besser immerhin der afrikanische Kirchenvater Amobius 7, 



Digitized by 



Google 



Wolf f lim Die Gemination im Lateinischen. 479 

44 longe longeque aliena, da wenigstens alius der Bedeutung 
nach den Comparativen sehr nahe kommt. 

Von einer nachhaltigen Wirkung dieses von den Afri- 
kanern ausgegangenen Stosses ist mir freilich nichts bekannt ; 
die Litteratur der übrigen Provinzen hat sich mit der Formel 
nicht befreundet, es müsste denn sein, dass einzelne Stellen 
durch die Abschreiber verdorben worden wären, was bei der 
Wiederholung des nämlichen Wortes und bei der Concurrenz 
einer bekannteren Phrase nur zu leicht möglich war. So 
steht bei Boeth. schol. Cicer. p. 316, 18 Or. longe lateque 
divcrsus, 349, 17 longe diversus, während laut gef. Mit- 
theilung von H. Dr. Stangl an beiden Stellen mit den besten 
Handschriften longe longeque zu schreiben ist. Der Aus- 
druck des Gellius 14, 1, 20 supra longe atque longe = weit, 
weit früher in temporaler Bedeutung, lehnt sich zwar an 
die oben genannten Comparative an, weicht aber in der 
Partikel atque ab, die sich der fleissige Leser des alten Cato 
angewöhnt hatte und hier am unrechten Orte hervorzog. 
Dass man in der Umgangssprache asyndetisch longe longe 
sagte, lässt schon das Italienische und die Analogie zahl- 
reicher lateinischer Formeln vermuthen (vgl. des Vf. allitter. 
Verbind, in den Sitzungsber. der philos.-philol. Cl. 1881. II. 
13 ff. und Sigm. Preuss, de bimembris dissoluti apud scrip- 
tores Romanos usu sollemni, Edenkoben 1881), zum Ueber- 
flusse aber bestätigt es auch die stark vulgäre versio Palatina 
des Herrn, pastor, similit. 9, 7, 2 longe longe a turri proice 
illos (so der codex; die Herausgb. bloss longe). 

Ein möglichst nahes Analogon bietet die lateinische 
Sprache in procul procul, welches Arnobius 1, 32 mit 
longe verbunden hat: disccdat haec longe atque a nohis 
procul procul inquam, ut dicitur , averruncetur amcntia. 
Auch dieses hat Apuleius syndetisch gebraucht raetam. 7, 2 
quo velocius frustratis insecutoribus procul ac procul 
abderet sese f während die Dichter die beiden Adverbia durch 



Digitized by 



Google 



480 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882. 

eine Interjection trennen, Virg. Aen. 6, 258 procul, o procul 
este; Ovid metara. 15, 587 procul, a t procul omina pellant; 
Juvenal 14, 45 procul, ah procul inde puellae lenonum, 
während die Lesart Bentleys bei Hör. epist. 2, 2, 199 
pauperics immunda procul, procul dbsit nur geringe Wahr- 
scheinlichkeit hat. Vgl. gloss. Isidor. 

In der Verbindung mit einem Comparativ berührt sich 
longe longequc am meisten mit multo multoque, wie ja 
überhaupt multo in archaischer Latinität zu Comparativ und 
Superlativ gezogen, in classischer auf den Comparativ be- 
schränkt und in der zweiten Function durch longo ersetzt, 
in der nachclassi sehen Periode wieder mit longe zusammen- 
geworfen worden ist. Vgl. lat. und roman. Compar. 37 ff. 
In der Litteratur findet sich diese Formel wohl zuerst bei 
Valer. Max. 4, 1, 2 multo multoque operosius, ja nach Draeger, 
hist. Synt. II 2 , 39 nur an dieser Stelle: dann aber wieder- 
holt bei Fronto p. 28 mit longior, 102 amplius, 214 magis 
obnoxius; in der unächten Epist. Sallustii ad Caes. 1, 1, 8, 
welche mit Recht in die Zeit des Fronto gesetzt wird, m. m. 
asperius; bei Mamertin, der ausser Cicero auch Fronto 
studiert zu habeu scheint, in der grat. actio 21 m.m. facilior; 
bei den Afrikanern Augustin confess. 7, 10 m. m. clarius 
und Macrob. somn. Scip. 1, 20, 9 saepius. Affirmativ und 
ohne Copula steht die Verbindung bei Cic. de harusp. resp. 
146 multo mihi, multo inquam praestat. Vergleichen Hesse 
sich die Uebersetzung von Evang. Luc. 10, 41 (iieQipvqg 
Tteql rtoXka) im Gigas librorum (schwedische Monstrebibel) 
plurima, plurima, wenn nicht Dittographie anzunehmen ist. 

Schon jetzt ergiebt sich als Facit der vorgeführten Rech- 
nungsposten, dass diese Gemination nicht der archaischen 
Litteratur, nicht einmal dem Plautus angehörte, sondern 
dass sie, vereinzelte Vorläufer abgerechnet, erst mit Fronto 
Boden gewann (ital. molto molto ) gar sehr). Indem wir 
nun, durch drei häufiger vorkommende Formeln vorläufig 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 481 

orientiert, die übrigen Beispiele zusammenstellen, halten wir 
die Adiectiva und die Adverbia auseinander. 

Die ersteren stellen sich sehr spärlich ein: bei Catull 
61, 135 miser a miser concubine; 63, 61 miser a miser 
anime; bei Horaz Sat. 2, 7, 92 Jiber, liber sum 1 im Dialog, 
ich habe es durchaus in meiner Hand zu leben oder zu 
sterben. 

Der nämliche Horaz schreibt dann in den Epist. 1, 16, 59 
clare clare cum dixit ,Jane pater\ den Conversationston 
nachbildend; und die Verdoppelung des adverbialen nimium, 
welches in deu Hexameter sehr leicht sich fügte, zuerst von 
Lygdamus (Tib. 3, 6, 21) gebraucht, 

Convenit iratus nimium nimiumque severos 

(=z severiores Catull 5, 2), wird von Ovid Heroid. 1, 41 
aufgenommen: 

o nimium nimiumque oblite tuorum, 
in freier Weise nachgeahmt von Stat. Theb. 7, 547 

heu nimium mitis nimiumque oblite tuorum, 

wogegen die Conjectur Burmanns Ovid. art. am. 1, 127 
nimium nimiumque negarat keine Gewähr hat, und auch 
Apul. met. 8, 7 nimium nimiumque clamare (Colvius; 
nimium nimius cod.; vielleicht nimium nimium) die Lesart 
nicht feststeht. Ein dem longe verwandter Adverbialbegriff 
liegt auch in diu, welches Apuleius verdoppelt met. 5, 20 
salutem diu diuque cogitatam und 11, 20 hanc imaginem 
diu diuque revolvebam; nur aus der consol. ad Liviara 167 
bekannt ist vix vixque = aegerrime. Benest, benest lesen 
wir bei Sidon. Apoll, epist. 9, 8 (9)> und bene bene, 
ominare bei Lactant. inst. 6, 25, 11 = Pseudo Apul. Asclep. 
41 melius melius ominare. Satis (sat) wird durch ein Wort 
getrennt, z. B. Prop. 3, 5, 9 

Sat mea sat magnast, si tres sint pompa libelli, 



Digitized by 



Google 



482 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882. 

bei Plautus meist satis, tarn satis. Die Gemination des 
Ovid endlich met. 2, 179: 

TJt vero sttmmo despexit ab aethere terras 
Infelix Phaethon penitus penitusque iacentes 

scheint Haupt als iterative nach Analogie der Comparative 
gedeutet zu haben, wenn er übersetzt ,tief und wiederum 
tief =: tief und tiefer 1 , was voraussetzt, dass Phaeton mehr- 
mals oder doch längere Zeit nach der Erde geschaut hätte, 
mit der einmaligen Handlung des ut vero despexit aber nicht 
recht stimmt. Darum haben wir die Worte zum Elativ 
gezogen. 1 ) Dem Gedanken nach gehört auch Plant. Cas. 3, 
5, 1 tota tota occidi hieher, insofern ja das Adiectiv nur 
das fehlende Adverb ersetzt. Unsicher ist totum ac mire 
(mirifice) totum bei Fronto p. 17 N. nach Studemund in 
Klussmanns EmencL Frouton. p. 25. Vgl. ital. tutto tutto y 
tututto. Dem subito subito der Italiener wissen wir zur Zeit, 
da wir cito cito, or ora, bei einem lateinischen Autor nach- 
zuweisen nicht im Staude sind, nichts Aehnlicheres zur Seite 
zu setzen, als das verdoppelte modo bei Petron 37. 42. 4G 
(= vor ganz kurzer Zeit), welches sich durch den Fundort 
als vulgär kennzeichnet, so wie der nämliche Autor den 
komischen Elativ bildet cap. 43 noveram kontinent olim 
oliorum. Im Sinne von ,gerade jetzt 1 finden wir das doppelte 
modo bei Fulg. Rusp. serm. 31. col. 888 a M. : Ne tunc 
quaeratis, quando inveniri non potest. Modo modo (sc. 
quaeratis), dum in forma apparet servi. In den Veden 
265, 20 lesen wir maJcsü maJcsü (mox mox) = recht bald. 
Das Gesaramtresultat dieser Einzelbeobachtungen aber 
bleibt immerhin, dass der Classicismus das äusserlich mecha- 
nische Mittel der Gemination geflissentlich vermieden hat ; 



1) Circumcirca ist wohl =: circa circum, im Kreis herum; oder 
ist die Form geminiert mit Wechsel der Endung, wie verumenimvero ? 



Digitized by 



Google 



WÖlffUn: Die Gemination im Lateinischen. 483 

wollte man den nämlichen Begriff zweimal geben, so wählte 
man lieber Synonyma wie longe midtumque, diu multumque, 
multum diuque, vix tandem, vix aegre Acta Cypriani vom 
J. 258, cp. 4, vix aegreque (Capitol. Maxim. 30, 6. Aur. 
Vict. Caes. 11), vix et aegerrime Apul. met. 1, 14. Auch 
wir sagen ,ganz und gar 4 und der Grieche wechselt wenig- 
stens in der Form, wie in 7tavtd7zaoi, 7tdvxi\ (xcu) ndvTog 
bei Plato, Aristoteles, Polyb 40, 5, 8; eigentliche Gemi- 
nationen bilden dagegen adverbiell gebrauchte Präpositionen, 
z. B. ,durch und durch, für und für 1 , wie iterativ ,fort und 
fort, nach und nach.' Ja man darf vielleicht vermuthen, 
dass statt des classischen satis superque oder satis abunde 
(que) ein vulgäres satis satis (que), statt frustra (ac) nequi- 
quam (vgl. Hand. Tursellin.), frustra incassumque (Mart. 
Cap. 1, 10. incassum frustraque Lucr. 2, 1060) ein frustra 
(ac) frustra üblich gewesen sei. Darnach wären dann die 
Neulateiner doch von einem richtigen Sprachgefühle geleitet 
gewesen, wenn sie sensim sensimque 1 ) schrieben, ob- 
schon in der classischen Latinität nur sensim pedetentimque 
(Cic. off. 1, 120. . Tusc. 3, 54), sensim et paulatim u. ä. 
nachzuweisen ist. 

Noch zwei Fälle dürften zur Aufhellung des Sachver- 
haltes etwas beitragen. In einem Senatus consultum nach 
Commodus Tod soll (es wird ja über die Aechtheit dieser 
Documente gestritten) gestanden haben nach Lamprid. 
Commod. 18, 14: Te salvo sdlvi et securi sumus, vere 
vere (vere severe codd.) modo vere modo digne 9 modo vere 
modo libere 9 and ebendaselbst § 5 hostis parricida vere vere. 
Die8s klingt nicht römisch (vgl. vero enim vero) 9 sondern 
christlich, und erinnert an das amen amen, welches der 
Evangelist Johannes constant, d h. 25 mal verdoppelt vor 



1) Das Beispiel kann auch in die iterative Gemination gezogen 
werden; s. oben S. 468. 

[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. 3/| 32 



Digitized by 



Google 



484 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 6. Mai 1882. 

dico vobis (tibi), während diess in den andern Büchern der 
heiligen Schrift (Numeri 5, 22. I Esdr. 8, 6) nur aus- 
nahmsweise, in den analogen Stellen der Evang. Matth. 
Marc. Luc, gar nicht vorkommt. 

Für den christlichen Character dieser Verdoppelungen 
spricht auch, dass Augustin in der Uebersetzung von Stellen 
des alten Testamentes mehrmals valde valde (vgl. des 
Vf. Comparation S. 5) gebraucht. Aber eben diese Redens- 
art kann uns von der Grenze des vierten und fünften Jahr- 
hunderts nach Chr. auf die altern Quellen zurückführen: 
denn sie entspricht zunächst dem aq)6dqa oyoÖQa, der Septua- 
ginta, in letzter Instanz dem verdoppelten hebräischen -jxp? 
was eigentlich Kraft, dann sehr bedeutet. Die wörtliche 
Uebersetzung des Augustin ist in die Vulgata nicht durch- 
gedrungen; im Gegentheil entschuldigt sich Augustin Locut. 
de genesi 52 mit den Worten: Latini ,augeam ie nimis 
valde', Graeci (d. h. die griechische Uebersetzung von Genes. 
17, 6) habent ,valde valde'. Er fühlte, dass man dem Geiste 
der lateinischen Sprache Gewalt anthue mit der Verdopplung, 
und dass man die Härte mildere durch die Verbindung 
zweier Synonyme. So hat die Vulgata Genes. 17, 2. Ezech. 
16, 13 vehementer nimis; Ezech. 9, 9. 37, 10 nimis valde; 
2 Esdra 2, 2 valde ac nimis mit Copula; Genes. 17, 6 
vehementissime; Exod. 1, 7. 1 Sam. 11, 15 bloss nimis, 
1 Reg. 7, 47. 2 chron. 16, 14 nimius; Genes. 17, 20. 
Num. 14, 7 valde; Genes. 27, 33. 2 Reg. 10* 4 vehementer. 
Die Verdoppelung ist mithin Hebraismus; man kann viel- 
leicht auch sagen Semitismus, wenn man bei Duval, traite 
de grammaire syriaque, Paris 1881. pg. 349, liest, das 
Adverb werde durch Verdopplung verstärkt, z. B. male male 
— pessime, bene bene = optime. Nach Macrob. Saturn. 1, 
23, 17 nannten die Assyrier einen Gott Adad, was Macr. 
mit unus unus übersetzt. Im Arabischen, freilich vorwiegend 
im Romanstil und schwerlich im Koran bedeutet Jcabir Jcabir 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 485 

sowohl grösser als auch sehr gross, ohne Unterscheidung 
von Adiectiv und Adverbium. — Auch Erman sagt in der 
neuägyptischen Grammatik § 64: Gesteigert wird der 
Adiectivbegriff durch nachgesetzte Adverbia oder durch 
Doppelung. 

Geringeren Antheil haben an dieser Bildung im Ganzen 
die altern indogermanischen Sprachen, und in keiner ist die 
Gemination normal geworden zur Bezeichnung des Elativus. 
Indessen hat doch das Sanskrit manche Adverbia, bezieh- 
ungsweise adverbiell gebrauchte Substantiva verdoppelt, so: 
gamam gamam (Gang Gang) = fortwährend, svairam sv. 
langsam langsam, sinnverwandt ganaih can., und mandam- 
mandam im Pantschatantra, bei Benfey, chrestomath. 1853. 
S. 97 ; sukhasuJchena, adverbieller Instrumentalis von suJc- 
hasulcha , ganz gern : uparjupari = hoch über , zu An- 
fang des Nalas. Nicht selten im Neuhochdeutschen, z. B. 
tief tief, des Knaben Wunderhorn, I, 283 Hempel. 

Damit ist der Stammbaum in eine anständige Höhe 
hinaufgeführt, und es hat sich, wie zu erwarten war, ge- 
zeigt, dass die intensive Gemination nicht Specialeigenthum 
irgend einer Völkerfamilie ist und dass man überall auf 
dieses einfache Mittel verfallen konnte; nur in der Häufig- 
keit des Gebrauches sind gewaltige Unterschiede zu con- 
statieren, und wenn innerhalb des Lateinischen das afri- 
kanische Latein den Löwenantheil in Anspruch nimmt, so 
liegt es doch sehr nahe einen Einfluss des Punischen anzu- 
nehmen. Für einen Zusammenhang der Africitas dagegen 
mit dem Italienischen ist noch nichts nachgewiesen ; war er 
vorhanden, so ist der Nachweis darum schwierig, weil die 
Gemination sich mehr in der lebendigen Volkssprache als 
in der Litteratur festsetzte. Von Augustin bis in das 19. Jahr- 
hundert ist eine weite Strecke: aber die kleinere Hälfte ist 
bereits zurückgelegt, wenn wir versichern können, dass die 
Gemination schon bei Dante floriert. Die Beispiele aus der 

32* 



Digitized by 



Google 



486 Sitzung der phüos.-phüol. Glasse vom 6. Mai 1882. 

Divina commedia giebt Blaue, Vocabolario dantesco, S. 2 ff., 
denen ich nach gefälliger Mittheilung von H. Prof. Suchier 
hinzufüge: Inf. 17, 115 lenta lenta, 17, 101 indietro i., 
21, 89 quatto q. 21, 115 posa p., 22, 75 intorno int. 29, 
70 passo passo. 

4. Die Triplication. 

Es muss schliesslich noch die Frage aufgeworfen werden, 
wie sich die affirmativ-intensive Gemination zu der ent- 
sprechenden, 1 ) doch nicht so seltenen Triplication verhalte, 
die gerade auch am liebsten bei Vocativen und Imperativen, 
Adiectiven, Adverbien und Iuterjectionen Anwendung findet. 
Im Trinumus des Plautus V. 1094 ruft Charmides, der 
seinen Schatz durch die Treulosigkeit seines Freundes ver- 
loren glaubt, in Verzweiflung dreimal o Callicles, und im 
Pseudolus 237 begrüsst der Träger der Titelrolle den Ballio 
zu seinem Geburtstage, da er ihn nicht gleich hört, drei- 
mal mit den Worten: Hodie nate, heus, hodie nate; tibi 
ego dico Heus hodie nate. Cicero beginnt einen Brief an 
Quintus (1, 3), als ihm Mangel an Liebe vorgeworfen wird, 
mit einem dreifachen mi frater , und der Ruf Talassio, 
welcher ertönte, wann die Braut über die Schwelle getragen 
wurde, und schon von den Alten richtiger als Vocativ denn 
als Dativ erklart wird, folgt sich dreimal bei Virg. Catal. 
4, 9. 5, 16. Das Nämliche beobachten wir bei den Impera- 
tiven; im Curculio des Plautus 276 wird exi, im Trin. 589 
i modo, in Gruters inscr. 2389 vale dreimal hintereinander 
wiederholt, während anderwärts der dritte Imperativ von 
dem zweiten durch wenige Worte getrennt ist, wie Soph. 



1) Nur ausnahmsweise findet sich iterative Triplication Priap. 77, 8 
usque et usque et usque. Vgl. Arnobius iunior de deo trino, 1, 4: 
Serapwn dioät. Ergo et älius et alius et alius est. Arnobius dixit, 
Alius et alius est et tarnen unus deus est, 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 487 

Aiax 396 hl€0&\ eXea&e fx olxrJTOQa, ekeottt fi\ oder Sidon. 
Apoll, carra. 9, 4 die, die quod peto, Magne, die. Die 
Imperative age age age bei Plaut. Pers. 5, 1, 14. Epid. 5, 
1, 15 leiten uns von selbst hinüber zu den Interjectionen 
und Adverbien: Soph. Ai. 867 ny nq nq yaq ovx eßav 
eyio; rqig ala^eiv 425; vae vae vae in der Apocalypse 8, 
13; hie hie hie in der bist, miscella 13, 22. Vierfach aber 
mit veränderter Form ist der Jubelruf der Bacchantinnen 
euhan euhoe euhoe euhiim bei Ennius trag. 109 R: Soph. 
Aiax 370 aldi, qlai. 

Unter den wiederholten Eigenschaftswörtern steht obenan 
das hebräische Heilig, heilig, heilig bei Jesaia 6, 3. Apocal. 
4, 8, welches uns durch die Missa solemuis oder durch 
Schillers Gang nach dem Eisenhammer in Erinnerung ge- 
bracht wird: 

Und als des Sanctus Worte kamen, 
Da schellt er dreimal bei dem Namen. 

Die Griechen haben ihr TQlgfiaxaQ , ihr TQigolßiog, 
welches doch nichts anderes ist, als ein addiertes oXßiog, 
olßiog, olßiog; die römischen Dichter ihr ter felix und ter 
beatus (Ovid Met. 7, 51) analog ihrem trifur Erzdieb (Plaut. 
Aul. 625), triportentum, Meerwunder (Pacuv. 381) und ein- 
gedenk des homerischen tqi%$<x xcu TerQax&a und des callima- 
cheischen xzTQcmahxi (Aristophanes de^anaXaC) die Griechen 
überboten durch ihr terque quaterque beati Virg. Aen. 1, 94. 
Sidon. Apollin. Epist. 1, 6 B. ; (er quater in easta felix bei 
Properz 4, 11 (3, 12) 15; quater beatus Tibull 1, 10, 63; 
ter feliees et amplius Hör. Od. 1, 13, 17. Noch überschwäng- 
licher Ovid. Trist. 3, 12, 25 

o quater et quotiens non est numerare beatum, 

wörtlich copiert von Rutil. Namat. 1, 5; und art. am. 2, 447 

o quater et quotiens numero comprendere non est Felicem. 



Digitized by 



Google 



488 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 6, Mai 1882. 

Dass diese feierliche Ausdrucks weise ihre Heimat in 
der Sacralspraclie gehabt habe, wird schon dadurch wahr- 
scheinlich , dass den Griechen ein TQigdyiog (Schiller Don 
Carlos 2, 2 der dreimal heilige Gott) nicht fehlt, und eine 
Abhandlung über die symbolische Bedeutung der Zahlen 
müsste das noch viel heller ins Licht setzen. Numero deus 
impare gaudet sagt Virg. Ciris 371 und der Refrain des 
Arvalliedes triumpe (wohl ein Vocativ) wird gar fünfmal 
wiederholt. Die dreimalige Anrede wird durch den Rhythmus 
feierlich, indem durch eine folgende Pause (j J | J J) die 
Dreizahl als etwas Geschlossenes heraustritt. Wie oft bei 
Horaz Od. 4, 2, 49 io triumphe wiederholt zu denken sei, 
lässt sich mathematisch nicht bestimmen , da der Dichter 
nur sagt non semel dicemus. Vgl. Ovid Trist. 4, 2, 51. 
Der gehobensten Stimmung entspricht die Triplication, wie 
in der Messe das berühmte mea culpa, mea culpa, mea 
maxima culpa, und in Schillers Wilhelm Teil: 

Seid einig, einig, einig. 

während unsere fade Prosa glaubt nachhelfen zu müssen 
mit einem : Er lebe hoch, und noch einmal hoch, und zum 
drittenmal hoch. 

Ein Zusammenhang dieser Form mit der Gemination 
wird uns um so näher gelegt, als einige der genannten 
Ausdrücke auch in einfacher Wiederholung erscheinen. 
Dem dreimaligen Talassio entspricht in der griechisch- 
römischen Hochzeitspoesie o Hymen Hymenae, o Hymen 
Hymenaee bei Catull 61, 4 ff. und etwas variiert 62, 5. 
Ausdrücklich doppelte Anrufung bezeugen Ovid Art. 
am. 2, 1 

Dicite ,io Paean 1 et ,?*o 4 bis dicite ,Paean''. 
Metam. 5, 625 Et bis ,io Arethusa, io Arethusa' vocavit. 
Age age und vale vale sind oben (S. 435) angeführt, 



Digitized by 



Google 



Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 489 

und vae vae findet sich nicht nur bei Ezechiel 16, 23, 
sondern auch in der Apocalypse 18, 10. 16. 

Aber die Gemination als eine Abschwächung der Tripli- 
cation aufzufassen wäre doch ein vgtsqov ttqoteqov, welches 
voraussetzte, dass man von 1 auf 3 gesprungen, nachher auf 
2 herabgesunken wäre. Drehen wir daher lieber die Sache 
um und denken wir uns, der gehobene Ton habe anfänglich 
zur Gemination geführt und die Sprache des Priesters habe 
diese zur Triplication gesteigert. Schon bei Homer Od. 9, 
65 sagt Odysseus, er sei nicht eher von dem Kikonenlande 
abgefahren, bevor den Gefallenen die Ehre des dreimaligen 
Todtenrufes zu Theil geworden sei ; 

Ttqiv xiva tüjv deifaov ezccQwv tqiq exccovov dvoai. 

Dann lässt uns die sacrale Triplication ahnen, dass die 
Gemination, wenn sie auch im Griechischen in beschränktem 
Umfange erhalten ist, kein flüchtiger Dnrchgangspunct, 
sondern eine Entwicklungsstufe war, die feste Wurzeln 
musste gefasst haben, bevor sie selbst auf die dritte Potenz 
erhoben werden konnte. 



Wir sind weit entfernt zu glauben das letzte Wort in 
dieser Frage gesprochen zu haben ; vielmehr musste , ehe 
dieselbe spruchreif werden kann, Material, welches nicht auf 
der Oberfläche der litterarischen Studien liegt, gesammelt, 
anderes, welches in dieses Gebiet zu gehören schien, bei 
näherer Betrachtung jedoch sich als unbrauchbar erwies, 
ausgeschieden werden ; vor Allem aber galt es die verschie- 
denen Arten der Redefigur festzustellen und abzugrenzen, 
da ihr so verschiedene Anschauungen zu Grunde liegen und 
deren Gebrauch in den einzelnen Sprachen und Sprachperi- 
oden so stark auseinandergeht Vgl. Fr. Müller, Sitzungs- 
ber. d. Wien. Akad. 1860. hist. phil. Cl. 35, 56. Wenn 



Digitized by 



Google 



490 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 6. Mai 1882. 

man von der affirmativ-rhetorischen Gemination absieht, 
welche wesentlich als ein Prodact der Kunst zu betrachten 
ist, sind von der plurativen die meisten Spuren im Sub- 
stantiv und Pronomen, namentlich bei den einen Temporal- 
begriff involvierenden Hauptwörtern (vgl. darüber den be- 
rühmten indischen Grammatiker Pänini 8, 1, 4, und Rosen, 
Anmerk. zu Rigveda 1, 3, der ausser dive dive noch an- 
führt ahar dhar täglich , masa mäsa monatlich , und vise 
vise jedem Menschen , welches sich mit quisquis berührt), 
von der iterativen im Comparativ, von der intensiven im 
Positiv erhalten. 

In Betreff der letzteren glauben wir zunächst negativ 
behaupten zu dürfen , dass sie nicht als griechisch gelten 
kann; die Griechen hatten ein zu feines Gefühl, um eine 
so äusserliche, nach ihrem Geschmacke offenbar rohe Aus- 
drucksweise zu dulden, und selbst von dem Neugriechischen 
wird es noch gelten, dass auf die Wiederholung eines Posi- 
tivs nur etwa ein Kind verfallen kann. Auffallend selten 
sind Beispiele aus der altrömischen Volkssprache (Plautus, 
Horaz) ; aber e i n Bedenken gegen den Zusammenhang des 
alten Vulgärlateins und des Italienischen wird beseitigt oder 
abgeschwächt sein, nachdem wir festgestellt haben, dass die 
Einschaltung der Copula ein Product der fortschreitenden 
Cultur ist und wenig oder nichts an der Sache ändert, 
wornach wir denn von dieser Seite berechtigt sind, das la- 
teinische longe longeque mit dem italienischen lungo lungo 
identisch zu setzen. Unklar ist auch noch, worüber die 
Herrn Romanisten sich schlüssig machen mögen, ob die 
italienische Elativgemination am Po und in den Abbruzzen 
ebenso häufig und heimisch sei als in Rom und iu der 
Toscana, und ob im Adiectiv ebenso eingebürgert wie im 
Adverb. Es hält freilich schwer zu glauben, dass das La- 
teinische die Wiederholung der einer Gradation fähigen 
Worte auch nur in annähernd ähnlichem Umfange gekannt 



Digitized by 



Google 



WÖlfflin: Die Gemination im Lateinischen. 491 

habe wie das Italienische; denn einmal müsste uns, auch 
wenn die Ausdrucksweise dem höheren Stile fehlte, die 
Brief litteratur , der Roman, die Satire, die Komödie, das 
Kirchenlatein mehr Beispiele davon erhalten haben, und 
dann hätte man auch das Recht zahlreichere Ueberreste im 
Spanischen und Französischen zu erwarten. Ausserdem ist, 
wo die Gemination im Lateinischen angewendet wird, eine 
stärkere Emphase als in den modernen Litteraturen unmög- 
lich zu verkennen, woraus dann folgt, dass sie auch seltener 
sein muss. Immerhin ist die Ausbildung einzelner Formeln 
wie longe longeque, multo multoque, nimium nimiumque, 
procul ac procul soweit von Belang, dass damit möglicher 
Weise etwas gegeben war, woran die spätere Sprachent- 
wicklung erweiternd anknüpfen konnte. 

Die Grammatik hat hier noch Manches aufzuhelleu: 
denn der Ansicht, dass in dieser Disciplin nicht mehr viel 
zu thun sei, sind wir, da wir uns auf den historischen 
Standpunct stellen, so wenig, dass wir umgekehrt glauben 
dem Anfang näher zu stehen als dem Ende; womit natür- 
lich nicht gesagt sein soll , dass , wenn man die Aufgabe 
nach den heutigen Erfahrungen anpackt, ebenso viele Jahr- 
hunderte für die Vollendung nöthig seien als bisher ver- 
braucht worden sind. 

An merk. Bei der Transscription orientalischer Wörter haben oft die 
Buchstaben mit untergesetztem Puncte u. ä. gefehlt, wess- 
halb einige Ungenauigkeiten entschuldigt werden mögen. 



Digitized by 



Google 



Yerzeichniss der eingelaufenen Bfichergeschenke. 



Vom k. statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart: 

Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde. 
Jahrg. 1881. Bd. I. 1. 2. Bd. II. 1. 2. 1881. gr. 8°- 

Von der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften in 

Görlitz: 

Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 57. 1882. 8°. 

Von der Academie Boy die des sciences in Brüssel: 

a) Annuaire 1882. 48. annöe. 1882. 8°. 

b) Bulletin. 3. S3r. tom. 3. 1882. 8°. 

Vom Germanischen National-Museum in Nürnberg: 

Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Jahrg. 1881. 
1881. 4°. 



Von der Universite catholique in Löwen: 

a) Annuaire 1881. 45. annöe 1881. 8°. 

b) Revue catholique. Tom. 51. 52. annee 188J. 8°. 

Vom B. Istittäo Lombardo di scienze in Mailand: 

a) Memorie. Classe di lettere. Vol. XIV fasc. 2. 1881. 4°. 

b) Rendiconti. Serie II Vol. 13. 1880. 8°. 



Digitized by 



Google 



Einsendungen von Druckschriften. 493 

Von der k. Akademie der Wissenschaften in Amsterdam: 

Afdeeling Letterkunde. II. Eeeks. X. Deel. 1881. 8°. 

a) Jaarboek voor 1880. 1880. 8°. 

b) Tria carmina latina. 1881. 8°. 

Von der Societe Boyale des sciences in Lüttich: 
Mömoires. IL S&rie. Tom. 9. Bruxelles 1882. 8°. 

Von der Asiatic Society of Bengal in Calcutta: 
Bibliotheca Indica Nr. 467. 468. 472. 1882. 8° und 4°. 

Vom Harz- Verein für Geschichte in Wernigerode: 
Zeitschrift. 14. Jahrgang 1881. 1882. 8°. 

Von der Societe Boyale des Antiquaires du Nord in Copenhagen : 

a) Mömoires. Nouv. Sörie 1880. 1881. 8°. 

b) Aarböger for Nordisk Oldkyndighed og Historie. 1881. 
1881. 8°. 

Vom historischen Verein der Pfalz in Speier: 
Mittheilungen. X. 1882. 8°. 

Von Uer Beale Accademia dei Lincei in Born: 

Atti. Serie IL Vol. 5 — 7. Serie III. Memorie della classe 
di scienze morali. Vol. 6. 1880 — 81. 4°. 

Von der k. k. Akademie der Wissenschaften in Krakau: 

a) Pamietnik. Tom. 6. 1881. 4°. 

b) Rozprawy histor. Tom. 14. 1881. 8°. 

c) Scriptores rerum Polonicarum. Tom. 6 und 7. 1881. 4°. 

d) Kolberg Lud. Tom. 14. 1881. 8°. 



Digitized by 



Google 



494 Einsendungen von Druckschriften. 

Vom Musee Guimet in Lyon: 

a) Annales. Tom. 2. 3. Paris 1881. 4°. 

b) Eevue de Thistoire des religions. Tom. IV. Paris 1881. 8 n . 

Von der Societe d' Emulation du JDoubs in Besancon : 
Mömoires. V. Sene Vol. 5. 1880. 1881. 8°. 

Von der Societe d' Emulation in Abbeville: 
Bulletin des Proces-verbaux. Annees 1877—1880. 1881. 8°. 

Von der historisch-statistischen Sektion der k. k. mährisch- 
schlesiscJien Ackerbaugesellschaft in Brunn: 

Schriften. Band 25. 1881. 8°. 

Von der B. Beputazione degli studi di storia patria in Florenz : 

Statuti della Universitä e Studio Fiorentino delP anno 1387. 
Firenze 1881. 4°. 

Von der Haagsch Genootschap tot verdediging van den christe- 
lyken Godsdienst im Haag: 

Werken. 5. Reeks. Deel 15. Leiden 1882. 8°. 

Von der Genootschap van Künsten en Wetenschappen in Batavia: 

a) Verhandelingen. Deel. 42. 1881. 4°. 

b) Tydschrift. Deel. 27. 1881. 8°. 

Von der k. Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg: 
Bulletin. Tom. 28. 1882. 4°. 

Vom Verein für Geschichte der Stadt Meissen in Meissen: 
Mittheilungen. 1. Heft. 1882. 8°. 

Vom Jiistorischen Verein in Neuburg ajB.: 
Collectaneen-Blatt. 45. Jahrg. 1881. 8°. 



Digitized by 



Google 



Einsendungen von Druckschriften. 495 

Von der gelehrten estnischen Gesellschaft in Dorpat: 
Sitzungsberichte 1881. 1882. 8°. 

Von der North China Branch of the 'Royal Asiatic Society in 

Shanghai: 

Journal. New Ser. Vol. XVI. 1881. 8°. 

Von der Royal Asiatic Society in Calcutta: 

a) Bibliotheca Indica. New Series Nr. 474. 1882. 8°. 

b) Proceedings. 1882. 8°. 

Von der American Oriental Society in New Haven: 
Journal. XI. Vol. 1882. 8°. 

Vom historischen Verein in Ansbach: 
41. Jahresbericht. 1881. 4°. 

Vom k. böhmischen Museum in Prag: 
Casopis Musea krälovstvi Sesköho. 1880 — 82. 8°. 

Von der historischen und antiquarischen Gesellschaft in Basel: 

Beiträge zur vaterländischen Geschichte. Neue Folge. Bd. 1. 
1882. 8°. 

Vom historischen Verein in Bayreuth: 
Archiv für Geschichte von Oberfranken. Bd. XV. 1881. 8°. 

Von der Je. preussischen Akademie der WissenscJiaften in Berlin: 

a) Commentaria in Aristotelem graeca. Vol. IX et XL 1882. 8°. 

b) Inscriptiones graecae antiquissimae edidit Hermaunus Roehl. 
1882 fol. 



Digitized by 



Google 



496 Einsendungen von Druckschriften. 

Von Herrn C. Schoebel in Paris: 

Memoire sur les origines de V öcriture alphabötique. Paris 
1882. 8°. 

Von Herrn Carl Stampf el Verleger in Pressburg: 

Dr. Heinzens Anklageschrift „Hungarica" im Lichte der Wahr- 
heit. 1882. 8°. 



Digitized by 



Google 



Namen -Register. 



Benfey (Nekrolog) 396. 
Bergk (Nekrolog) 404. 
ßursian 237. 

v. Christ 355. 

v. Dorn (Nekrolog) 394. 
v. Druffel 348. 

Friedrich 313. 

v. Gieseb recht 417. 
Gregorovius 235. 

Hoffmann Franz (Nekrolog) 407. 

Kuhn Adalbert (Nekrolog) 391. 

v. Loher 373. 

Longperier (Nekrolog) 409. 

Lotze (Nekrolog) 400. 

I 
Meyer Wilh. 1. 
Muir (Nekrolog) 412. 



Digitized by 



Google 



498 Namen-Register. 

v. Prantl 391. 

v. Riehl 193. 

Stumpf-Brentano (Nekrolog) 417. 

Thomas 355. 

Thurot (Nekrolog) 414. 

Unger 237. 

Wölfflin 422. 



Digitized by 



Google 



Sach-Register. 



Akademie in Corsica 235. 

Antichristo Indus de 1. 

Arcangelo Corelli 193. 

Attikus- Ausgabe des üemosthenes 355. 

Corelli Arcangelo 193. 
Corsica Akademie 235. 

Demosthenes, Attikus- Ausgabe 355. 

Episcopi yocati 313. 
Erchanfried episc. 313. * 

Freisinger Urkunden 313. 

Gemination im Lateinischen 422. 
Germanische Menschenopfer 373. 
Glosse rae in Xenophon's Hellenika 237. 

Karl V. Kaiser 363. 

Lateinische Gemination 422. 
Lateinische Bythmen des XII. Jahrh. 1. 
Ludus de Antichristo 1. 
[1882. I. Philos.-philol. bist. Cl. 3.] 



33 



Digitized by 



Google 



500 Sack-Register. 

Menandros der Rhetor 237. 
Menschenopfer bei den Germanen 373. 
Militärisches über den schmalkaldischen Krieg 348. 
München, Kaiser Karl's V. Einzug 363. 
Musikgeschich tliches 193. 

Oadalhart episc. 313. 
Otkar episc. 313. 

Passauer Urkunden 313. 

Rhetor Menandros 237. 

Rythmen lateinische des XII. Jahrh 1. 

Schmalkäldischer Krieg 348. 
Schweden, eine Relation über 355. 

Venezianer ein, über Karl V. 363. 

Xenophon's Hellenika 237. 



Digitized by 



Google 



Sitzungsberichte 

der 

philosophisch-philologischen und 
historischen Classe 

der 

k. b. Akademie der Wissenschaften 

zu Miünchen. 



Jahrgang 1882. 



Zweiter Band. 



JLü neben. 

Akademische Buchdruckerei von F. Straub. 

1882. 

In Commistion bei G. Franz. 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google 



Inhalts - Uebersicht. 



Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug. 

Oeffentliche Sitzung zur Vorfeier des Geburts- und Namens- 
festes Seiner Majestät des Königs Ludwig IL 

am 29. Juli 1882. Seite 

v. Döllinger: Verkündigung betreffs Preisaufgabe der Savigny- 

Stiftung 229 

Neuwahlen 232 



Philosophisch -philologische Classe. 

Sitzung vom 6. Mai 1882. 

v. Halm: Ueber die Aechtheit der dem Justus Lipsius zuge- 
schriebenen Reden. Eine litterarhistorische Untersuchung 1 

R i e m a n n : Ueber die MctQtvQiai der byzantinischen liturgischen 
Notation. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der 
Kirchentöne aus den altgriechischen Oktavengattungen . 38 



Sitzung vom 3. Juni 1882. 
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussole ums . . 114 

Sitzung vom 1. Juli 1882. 

*Spengel: Ueber die Scenen-Eintheilung der lateinischen 

Komödie 175 



Digitized by 



Google 



IV 



Sitzung vom 4. November 1882. Seite 

K. Hofmann: Zur Textkritik des Guillaume le Marechal . . 234 

Sitzung vom 2. Dezember 1882. 

Wilh. Meyer: Ein Gedicht und ein Brief aas Freising von 
den Jahren 1084 und 1085 und ein Labyrinth mit Versen, 
8ämmtliche8 aus Cod. lat. 6394 der Münchener Bibliothek 

(mit einer Tafel) 253 

Nachtrag hiezu 400 

♦Hofmann: 1. Ueber den Ursprung der Bienen im französischen 

Kaiserwappen. 2. Zur Textkritik des Ploovant .... 300 



Historische Classe. 

Sitzung vom 6. Mai 1882. 

Hei gel: Das Project einer Wittelsbachischen Haasunion unter 

schwedischem Protectorat 1667—1697 51 

*v. D ruffei: Kaiser Karl V. und die römische Curie vom 
Wormser Reichstagsabschied bis zum Beginne des Regens- 
burger Reichstages 1545 — 1546 113 

Sitzung vom 3. Juni 1882. 

*Rockinger: Der Könige Buch und der sogenannte Schwaben- 
spiegel 139 

F. v. B e z o 1 d : Wolfgang Zündelin als protestantischer Zeitungs- 
schreiber und Diplomat in Italien, 1573—1590 .... 139 

Sitzung vom 1. Juli 1882. 

* P r e g e r : Ueber die Verträge^Ludwigs des Bayern mit Friedrich 

dem Schönen in den Jahren 1325 und 1326 175 

v. O e f e 1 e : Des Kurfürsten Karl Albrecht von Bayern italienische 

Reise im Jahre 1737, von ihm selbst beschrieben . . . 176 



Digitized by 



Google 



V 

Sitzung vom 4. November 1882. Seite 

Würdinger: Die Römerstrasse von Scharnitz (Scarbia) bis 
Partenkirchen (Parthairam) und die mit ihr zusammen- 
hangenden Befestigungen . 239 



Sitzung vom 2. Dezember 1882. 
Dehio: Die Genesis der christl. Basilika (mit einer Tafel) . . 301 



Nachträglich zur Sitzung vom 4. Februar 1882. 

v. D ruf fei: Beitrag zur militärischen Würdigung des Schmal- 

kaldischen Krieges 342 



Einsendungen von Druckschriften 401 



Digitized by 



Google 



'1 



Digitized by 



Google 



Sitzungsberichte 

der 

philosophisch-philologischen und 
historischen Classe 

der 

k. b. Akademie der Wissenschaften 

zu !M!ünchen. 



1882. Bd. II. Heft I. 



München. 

Akademische Bachdruckerei von F. Straub. 
1882. 

In Commission bei G. Franz. 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google 



Sitzungsberichte 

der 

königl. bayer. Akademie der Wissenschaften. 



Philosophisch-philologische Clasg^e. 



Sitzung vom 6. Mai 1882. 



Herr v. Halm hielt einen Vortrag: 

„Ueber die Aechtheit der dem Justus Lipsius 
zugeschriebenen Reden". Eine literarhisto- 
rische Untersuchung. 

Ein Jahr nach dem Tode des Lipsius, der am 24. April 
1606 erfolgt ist, erschien zu Darmstadt ohne Vorwort und 
Nennung des Herausgebers eine Sammlung seiner Reden: 
Justi Lipsii orationes VIII Jenae potissimum babitae, e tene- 
bris erutae. Liest man diese Reden nacheinander, so ergiebt 
sich leicht, dass die vier letzten den vier ersten an Wert 
bedeutend nachstehen. In der siebenten Rede c Utruin duae 
illae adversariae orationes, quae nuper in bis scholis Ciceronis 
et Salustii esse adsertae sunt , re vera sint Salustii an *) 
Ciceronis 5 antwortet Lipsius auf eine Deklamation des Lud. 
Carrio, der als anwesend bezeichnet wird. Dieser war ein 
Studiengenosse desselben auf der Universität zu Löwen, wie 
von ihm selbst in dem bekannten Briefe an Jo. Woverius 
(Epist. Cent. III. misc. n. 87), der dessen Autobiographie 
bis zum Jahre 1600 enthält, berichtet wird. Der gleichen 



1) an wahrscheinlich Druckfehler für ac. 
[1882. IL Philos.-philol. hist.Cl. 1.] 



Digitized by 



Google 



2 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 6. Mai 1882. 

Zeit gehören nach Inhalt und Form die fünfte und sechste 
Rede an; sie fallen in das 18. Lebensjahr des Lipsius, der 
a. a. 0. sagt: Annum agebam tum fere decimum octavum, 
et publice iam specimen aliquod mei dederam declamando 
in scholis aut disserendo. Die achte Rede, die zu Ehren 
des Victor Giselinus bei seiner Doktorpromotion gehalten 
ist, fällt einige Jahre später (1571). Sie erwähnt Lipsius 
ausdrücklich in dem Briefe an Woverius, wo es heisst? Ibi 
(zu Dole in der Franche-Comte) acerrima febris me pae- 
nissime (sie!) sustulit: quam contraxeram oratiuneula in 
honore et titulo Giselini mei dieta a meridie et convivio 
mox insecuto. 1 ) Die bisher erwähnten Deklamationen 
konnten füglich uugedruckt bleiben. Wir müssen aber 
doch dem unbekannten Herausgeber für ihre Veröffentlichung 
dankbar sein, weil wir durch ihre unzweifelhafte Aechtheit 
zu der Annahme berechtigt sind, dass auch für die vier ersten 
zu Jena gehaltenen Reden dem Herausgeber gute Quellen zu 
Gebote gestanden sind. Diese zeichnen sich alle durch grosse 
rhetorische Vorzüge aus, so dass es schwer erscheint za be- 
stimmen, welche etwa als die beste zu erklären wäre. Die 
Gewandtheit in der gauzen Darstellung und die Fülle der 
Sprache ist so bedeutend, dass man gleich gute aus der- 
selben Zeit nicht nachweisen kann. Als Vorbild dienten 
die besten Reden Ciceros, aus denen viele Stellen benützt, 
aber mit sehr grossem Geschick verwertet sind ; die Sprache 
ist äusserst lebendig, der lateinische Ausdruck im Ganzen 
korrekt und trotz einiger Schwächen weit besser als in den 
meisten lateinischen Schriften der damaligen Zeit. Was die 
politische und religiöse Gesinnung betrifft, so zeigt sich der 
Verfasser als einen entschiedenen Feind des Pabsttums und 
warmen Verehrer aller religiösen und politischen Freiheit. 



1) Die Rede ist als ein Ineditum Lipsii auch gedruckt in Lipsii 
epistolarum, quae in Centuriis non extant, decades XVIII ed. Jo. Js. 
Pontanus (Hardervici 1621. 8°) p. 346 sqq. 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 3 

Die zweite und dritte Rede sind in der Darmstädter 
Ausgabe zum ersten Male gedruckt. Die zweite, mit welcher 
Lipsius seine Vorlesungen in Jena eröffnete, enthält eine 
Einleitung zu einem erklärenden Collegium über Tacitus; 
in ihr ist die Tyrannei des Herzogs Alba, der in Vergleich 
mit Tiberius gestellt wird, mit den lebhaftesten Farben 
gebrandmarkt. Die dritte, de ratione interpretandi Ciceronis, 
als Einleitung zur Erklärung der Briefe an Atticus erscheint 
als ein rhetorisches Meisterstück in ihrer Art; auch sie 
enthält, so ferne auch der Gegenstand an sich lag, eine be- 
geisterte Apostrophe an Luther und Melanchthon „duo illa 
Germaniae vel Europae potius luraina" und an den grossen 
Erasmus. Zur Beglaubigung dieser beiden Reden dient ein 
Brief des Lipsius an Joachim Camerarius vom 18. Nov. 1572 
aus Jena, den Th. Sagittarius in seiner polemischen Schrift 
Lipsius Proteus (Frankfurt 1614) S. 21 f. mitteilt (s. auch 
Lipsii epist. praetermissarum decades VI p. 111); in diesem 
spricht Lipsius von seinen scholia in Tacitum ad veteres 
libros emendatum, die er bereits ausgefeilt habe, 1 ) und er- 
zählt noch, dass er publice die Briefe an Atticus eben er- 
kläre. Aus den Akten der Jenaer Universität gibt Sagittarius 
a. a. 0. S. 26 an, dass Lipsius die Erklärung der Briefe 
am 25. Nov. 1572 begonnen und das erste Buch am 20. Juni 
1573 beendet habe. Es dürfte daher schwer sein, die Aechtheit 
dieser trefflich durchgeführten Reden in Zweifel zu ziehen. 

Bereits gedruckt war die erste Rede de obitu principis 
Johannis Guilielmi ducis Saxoniae, in welcher die Verdienste 
des verstorbenen Fürsten und des ganzen sächsischen Hauses 
um die Verbreitung eines reineren Glaubens mit Begeister- 
ung gepriesen werden. 2 ) Da von dieser Rede noch bei Leb- 



1) Damit stimmt überein, dass die erste Ausgabe des berühmten 
Commentars bereits 1584 im Druck erschienen ist. 

2) So.heisst es pag. 13 (ich citiere nach der bekanntesten Aus- 
gabe der VIII Orationes von Kromayer, Jena 1726): Ut illa Scipionum 

1* 



Digitized by 



Google 



4 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882. 

Zeiten des Lipsius drei Ausgaben *) erschienen sind, so kann 
von einer Frage, ob acht oder nnächt, keine Rede sein. 
Auffallig erscheint, dass die am 19. März 1573 gehaltene 
Rede, welche eine vom 3. Juni 1573 datierte Dedikation an 
die Wittwe des Herzogs Dorothea Susanna enthält, erst 1577 
zum erstenmal erschienen ist. In einem Briefe des Lipsius, 
den P. Burman in der Sylloge epistolarum I. p. 162 er- 
wähnt, verspricht er der Herzogin Wittwe, seine in funere 
principis gehaltene Rede nächstens politam, d. h. gehörig 
ausgefeilt schicken zu wollen. Wieder ist die Rede erwähnt 
in einem Briefe des Lipsius an seinen Freund A. Ellinger 
aus Frankfurt vom 1. April 1574, 2 ) wo es heisst: Vinariae 
illustrissiraa Princeps benigne et comiter me excepit. egit 
de oratiuncula funebri vulganda : gratiam et praemium pro- 
posuit. negavi, ut quibusdam visus sum, subrustice et insi- 
pienter. At ego valde desipiam, nisi sie desipiam: caussae 
tibi notae. Die erste Ausgabe enthält als Anhang ein Carmen 



gens apud Romanos ad Carthaginem evertendam fato nata videbatur, 
sie haec Saxonica generosa stirps ad Dei hostes extirpandos, errores 
evertendos, pestem pontificiam exaeindendam donata divinitus et con- 
cessa ecclesiae est. Ferner p. 14: huius principis gloriam ulla unquam 
delebit oblivio ? qui non falsum deorum cultum, sed unius Dei invo- 
cationem, non mendacem superstitionem, sed veram evangelii doctrinam, 
non tenebras, sed lucem, non mendacia, sed veritatem induxit, induetam 
stabilivit, stabilitam defendit. 

1 ) Die erste Ausgabe erschien Jenae 1577 exeud. Donatus Richtzen- 
han, 18 Bl. 8°; eine zweite sine loco 1601, 12 Bl. 4°, beide in der 
Jenaer Bibliothek. Eine dritte Halis Saxonum 1602, 4° enthält die De- 
dikation an die Herzogin Wittwe nicht. In dieser heisst es in der 
Vorrede: Quoniam huius viri doctissimi de obitu Principis oratio diser- 
tissima et gravissima iam diu suppressa latuit et ad nos quasi post- 
liminio rediit, visa fuit in medium proferenda etc. 

2) Der Brief des Ellinger vom 21. März 1574, dem L. antwortet, 
ist in Burman's Sylloge epistolarum I. num. 4 gedruckt. Die Antwort 
des L. findet sich in dessen Epistolarum selectarum Ceirturia prima 
(Antverpiae 1586. 8°) num. 10. 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 5 

A. Ellingeri in rectoratum principis D. Friderici Guilielmi, 
Ducis Sax., quem iuiit anno 1574 a. d. XII. K. Mart., woraus 
zu schliessen ist, dass ihm die Herausgabe der Rede zu ver- 
danken ist. Der Abdruck derselben in den VIII Orationes 
ist keine Wiederholung eines der drei früheren Drucke, 
sondern es lag dem Herausgeber ein handschriftliches Exem- 
plar der Rede vor , das mehrere Berichtigungen der ersten 
Ausgabe enthält und eine grössere Stelle in einer anderen, 
älteren Passung gibt. Nach dieser entschuldigt sich Lipsius 
in der Einleitung, weshalb er sich veranlasst fühle post 
eruditissimam et longe gravissimam Doctoris Heshusii orati- 
onem das Andenken des abgeschiedenen Fürsten durch eine 
neue Rede zu feiern. Da der berühmte Theologe Tileman 
Heshusius als des Kryptocalvinismus verdächtig noch in 
demselben Jahre aus Jena verjagt wurde, 1 ; so ist es be- 
greiflich, dass bei der Herausgabe der Rede die betreffende 
Stelle unterdrückt wurde, wodurch eine andere Fassung des 
Uebergangs erforderlich ward. Der Herausgeber der Darm- 
städter Ausgabe war aber so gewissenhaft, in einem Anhang 
auch die spätere Fassung der betr. Stelle mitzuteilen. 

Da es schwer sein dürfte, die Aechtheit einer der bis- 
her besprochenen Reden anzuzweifeln, so muss es von vorn 
herein als unwahrscheinlich erscheinen, dass die letzte, der 
Reihenfolge nach die vierte, die in der Darmstädter Ausgabe 
den Titel hat: Oratio de Concordia, habita Jenae 28. Julii 



1) Das gleiche Schicksal traf, als Kurfürst August von Sachsen 
nach dem Tode des Herzogs Johann Wilhelm als Vormund die Verwalt- 
ung seiner Länder übernahm, gegen hundert Theologen und Geistliche, 
s. Herzog's Realencycl. VI, S. 78 (2). Lipsius schreibt an Joach. Camerarius 
(Jenae 1573 a. d. V. Nonas Julii): Qui status Academiae nostrae sit, 
audisse te iam opinor de aliis. Professores omnes veteres abdicare 
coacti sunt quatuor exceptis, in quibus Doctor Ellingerus et ego reman- 
simus; s. Epist. praetermiss. decades VI, p. 125. Aus diesen Wirren ist 
wohl auch die späte Veröffentlichung der oratio funebris zu erklären. 



Digitized by 



Google 



6 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882. * 

hora octava anno 1573 in promotione VII magistrorum 
von einem anderen Verfasser herrühre. Die Rede besteht 
aus zwei Teilen, die nur lose zusammenhängen. Der eine 
ist gegen die Händel- und Skandalsucht, oder richtiger ge- 
sagt, gegen die krasse Zuchtlosigkeit der Mehrzahl der da- 
maligen Studenten gerichtet; der zweite gegen die Klopf- 
fechtereien der lutherischen Geistlichen , deren Hauptheerd 
gerade Jena in jener Zeit war, 1 ) die in ihrer Blindheit nicht 
einsähen, wie grossen Schaden sie damit ihrer eigenen Kirche 
bereiteten. 2 ) Man mag über die Tendenz der Rede urteilen, 
,wie man will, so verdient der männliche Freimut, mit 
welchem der Redner in einer heiklen Sache gesprochen und 
schlimme sociale Schäden aufgedeckt hat, jedenfalls alle Be- 
wunderung. 

Als noch bei Lebzeiten des Lipsius eine Ausgabe der 
Rede 1600 in Zürich erschien, 8 ) erklärte derselbe mit aller 
Entschiedenheit, dass er nicht der Verfasser sei. Dass der 
Herausgabe der Rede, die der bekannte Jurist und Historiker 
Melchior Goldast vermittelt hatte, die Absicht zu 
Grunde lag, dem Lipsius, der längst zur katholischen Kirche 
zurückgekehrt war , Schaden und Aerger zu bereiten , ist 
mit Recht in einem vortrefflichen Programm von J. Mich. 
Heinsius: De Justo Lipsio professore Jenensi prolusio 
(Weimar 1773. 4°) bemerkt, der noch beifügt: quod nescio 
an hodie aliquis humanior laudare velit vel probare , cum 
nullo inde commodo bona causa aucta sit vel augeri tum 
potuerit. War die Veröffentlichung in der Absicht gemacht 



1) S. E. Wülcker in der Allg. D. Biographie XIV, 417 ff. 

2) Schon am 1. Jan. 1573 schrieb Lipsius an Jo. Camerarius (Epist. 
praeterm. decades VI, p. 116): Equidem angor intimis sensibus, Ecclesiam 
ita misere dissipari et quosdam eo dementiae venisse, ut dum alios 
obruant, etiam navim, in qua ipsi navigent, perforare conentur. 

3) Der Titel der sehr seltenen Ausgabe lautet: Justi Lipsii de 
duplici concordia oratio, non prius edita. Tiguri 1600. 20 Seiten 4°. 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 7 

worden, den Lipsius zu ärgern, so war der Zweck voll- 
ständig erreicht. Er war an der verwundbarsten Stelle ge^ 
troffen und wnsste sich nicht anders zu helfen, als dass er 
in einem Schreiben an die Consules et Senatum imperialis 
oppidi Francofurtensis, dd. Löwen, 29. Sept. 1600 die Autor- 
schaft der Rede in ausführlicher Motivierung in Abrede 
stellte. Dass die Apologeten des Lipsius mit dieser Erklär- 
ung zufrieden waren und mit Phrasen schmählicher Ver- 
leumdung um sich warfen, darf nicht Wunder nehmen ; sie 
gingen nach dem Tode des Lipsius so weit, dass sie den 
Vermittler des Druckes Goldast, trotzdem dass die Latinität 
der Rede eine ganz vorzügliche ist, geradezu als ihren Ver- 
fasser bezeichneten. 

Doch ehe wir auf eine Prüfung der Gründe des Lipsius 
eingehen , wird es nötig sein , mitzuteilen , was von den 
äusseren Schicksalen des Züricher Drucks bekannt geworden 
ist. In dem Werke Virorum doctorum ad Melchiorem 
Goldastum epistolae ex bibliotheca H. G. Thülemarii (Spirae, 
1688. 4°) schreibt J. Guil. Stuckius an Goldast aus Zürich 
am 17. März 1600, dass gegen sein Wissen die Rede de 
duplici concordia Frisii et Eglini opera gedruckt worden 
sei, und zwar mit einem abscheulichen Fehler am Eingang 
mihi causa fuit de re pravissima dicendi statt de re gra- 
vissima. Der berühmte Gelehrte werde sofort wie eine ge- 
reizte Horniss gegen uns mit seinen spitzigen Stacheln 
wüten und es unseren Leuten, die ihrer Studien halber nach 
Belgien gingen , zu entgelten wissen. Aus Paris schreibt 
P. Vassanius am 23. September 1600 an Goldast: Lipsii 
oratio nova nobis visa fuit, nee in ea Lipsii stylum sine 
monitione tua unquam agnovissemus. In einem Schreiben 
aus Zürich vom Monat November 1600 berichtet der eine 
von den oben genannten Druckern oder Verlegern von der 
Versendung der Rede und versichert, dass er und sein 
Collega sich alle Mühe für Korrektheit des Druckes gegeben 



Digitized by 



Google 



8 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

hätten; auf der ersten Seite stehe deutlich im Manuscript 
de re pravissima, ein Fehler, den sie erst spät bemerkt, 
aber in allen Exemplaren noch verbessert hätten. In dem 
uns vorliegenden Exemplar der Züricher Stadtbibliothek, 
das sonst keinerlei Korrekturen enthält , ist auch wirklich 
der Buchstabe p in g mit der Feder verbessert. In dem 
nächsten Briefe der Sammlung Nr. 33, der nicht datirt ist, 
berichtet der Verleger Frisius an Goldast, dass der Buch- 
händler Kung (Kungius) *) Exemplare der Rede nach Frank- 
furt gebracht habe. Da sei sogleich der Buchdrucker Plantin 
(der Hauptverleger der Werke des Lipsius) herbeigeeilt und 
habe erklärt, dass es keine ächte Rede des Lipsius sei; der- 
selbe habe alle Exemplare, gegen hundert an Zahl, aufge- 
kauft und zu Makulatur gemacht (et pro maculatura usur- 
passe). Auch habe er die Drohung beigefügt, dass man an 
die Züricher Behörde schreiben und sowohl dem Auetor 
editionis als dem Drucker einen Prozess anhängen werde. 
Am 1. Dezember 1600 schreibt Kaspar Waser, der damals 
Censor in Zürich war, an Goldast „Lipsius Hess in Frank- 
furt durch einen Adelichen mit einem Prozess drohen, den 
er gegen den Züricher Drucker wegen seiner Rede an- 
strengen werde, die er für unterschoben erklärt und ein 
Pasquill nennt. Ich bitte Dich daher, mir für alle Fälle 
ausführlicher zu schreiben, wie sich beweisen lasse, dass 
Lipsius und kein anderer der Verfasser sei; zwar erhellt 
dieses ganz klar aus dem Stil, doch teile Du noch andere 
Gründe mit; denn, fügt er bei, tandem omnis in me cuderetur 
faba, qui censurae nostrae destinatus sum. Die Mahnung 
um Mitteilung von Gründen wiederholte Waser in einem 
Schreiben vom 21. März 1601. Weitere auf die Ausgabe 
bezügliche Stellen finden sich in den Briefen an Goldast 



1) In einem anderen Briefe heisst der Name wohl richtiger 
Kingius. 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 9 

nicht; ob es zu der angedrohten Klage gekommen ist und 
mit welchem Erfolg, ist unbekannt. 

Da jesuitische Schriftsteller nicht ruhten, den Goldast 
als Fälscher zu verschreien , l ) sah sich derselbe veranlasst, 
um sich von einem derartigen Verdacht zu rechtfertigen, 
am 16. März 1613 ein Schreiben an den Weimarischen 
Rath Friedrich Hortleder zu richten, worin er seinen Freund 
ersuchte, Nachfrage in Jena anzustellen, ob 1) noch jemand 
dort zu finden sei, der den Lipsius sprechen gehört habe, 
2) ob aus dem Archiv der Akademie sich erweisen lasse, 
wer jene sieben Magister gewesen seien, 3) ob in den Uni- 
versitätsakten berichtet sei, welcher Art die Rede gewesen, 
die der Dekan damals gehalten habe. Hortleder wandte sich 
an den Professor Thomas Sagittarius in Jena, der ihm am 
8. April aus Jena antwortete: 1) dass es in Jena und der 
Umgegend nicht wenige Leute noch gebe, die den Lipsius 
die Rede de concordia sprechen gehört und Abschriften da- 
von sich gemacht haben, 2) dass die sieben Magister in den 
Akten verzeichnet seien, 3) dass über die Art der Rede, 
d. h. über ihren Inhalt, in den Akten nichts stehe, was zu 



1) So hcisst es in J. Lipsii defensio postum a von Car. Scribanius 
S. J. (zuerst zu Antwerpen 1608 8° erschienen), die in dem Sammelwerk 
'Lipsii sapientiae et litterarom antistitis fama postuma' (Ed. IL Antv. 
1613. 4°) wieder abgedruckt ist p. 269: palam edico omnibus: Orationis 
Jenae habitae parens Melchior Haiminsfeldius Goldastus. Hie 
ille Pseudolus calumniarum instruetor scenae, hie ille Pandorus, qui 
malevolentiae mantello tectus sagittas spargit, et vulneri in Lipsio 
locum quaerit etc. Ebenso stark ist eine Stelle in c De vera J. Lipsii 
religione dialogus Arnoldi a Boecop Usipiopolitani', ebendaselbst p. 300. 
Die Stelle vom Pandorus, die Arn. a Boecop wiederholt hat, ist aus 
dem Schreiben des Lipsius an den Frankfurter Senat entnommen, wo 
er vom Homericus Utis (s. u S. 14) sagt: sicut Pandarus . . ex insidiis 
Menelaum vulnerat, sie iste calumniae sagittas spargit. Pandarus 
erschien den gelehrten Apologeten ein Druck- oder Schreibfehler ihres 
Meisters; sie verbesserten Pandorus, 



Digitized by 



Google 



10 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882, 

vermerken auch sonst nicht üblich gewesen sei. Die be- 
treffenden Briefe sind in der schon oben erwähnten , sehr 
selten gewordenen Schrift des Sagittarius „Lipsius Proteus 44 
abgedruckt mit einer Reihe von Aktenstücken aus dem Archiv 
der Universität, aus denen der unwiderlegbare Beweis ge- 
liefert ist, dass Lipsius am 28. Juli 1573 als Dekan eine 
Promotion von sieben Magistern vorgenommen hat; ihre 
Namen sind S. 69 mitgeteilt. Trotzdem könnte die Rede 
selbst unterschoben sein, wenn nicht gerade aus der Art, 
wie Lipsius seine Autorschaft in Abrede stellt, sich das 
Gegenteil erweisen Hesse. In einer gerechten Sache bedarf 
es keiner unredlichen Waffen. Zwar ist auch Sagittarius 
auf eine Prüfung des Schreibens an den Senat in Frankfurt 
S. 28 ff. eingegangen, aber er schimpft mehr als er beweist 
und hat gerade die wichtigsten Punkte nicht oder unge- 
nügend erörtert, so dass eine gründlichere Untersuchung 
der streitigen Frage wohl am Orte erscheint, um das noch 
immer in biographischen Darstellungen spukende Gespenst 
von einer Fälschung des Goldast l ) endlich aus der Welt 
zu schaffen. 

Die Gründe, mit welchen Lipsius seine Autorschaft 
bestreitet, sind teils allgemeine, teils spezielle, die sich c ex 



1) So schreibt J. J. Thonissen (de Louvain) in der sonst ganz 
guten Biographie des L. in der Nouvelle Biographie g£n. par Hoefer 
(1860) : Le baron de Reiffenberg a publie une monographie tres interes- 
sante sous le titre de Bibliotheca Lipsiana (in seinem Commen- 
tarius de Lipsii vita et scriptis, Brüssel 1823. 4°) ; eile renferme Y indi- 
cation exacte de tous les ouvrages attribues ä J. Lipse. II n 1 a eu que 
le seul tort de mentionner comrae appartenant au professeur de Louvain 
plusieurs opuscules q u e celui-ciavaitformellenientdesavoues. 
Der Tadel bezieht sich darauf, dass in der Bibliotheca der erste Druck 
der or. de concordia, eine Ausgabe der or. funebris und eine der VIII 
orationes p. 177 und 181 aufgeführt sind. Dass Lipsius die Autorschaft 
von plusieurs opuscules in Abrede gestellt habe, ist eine aus der Luft 
gegriffene Behauptung. 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 11 

ipso scripto 5 ergeben. Ueber die ersteren kann ich mich 
ziemlich kurz fassen. Sie gipfeln in dem Satze: res ipsa 
dissidet, phrasis non convenit et facies tota scriptionis. 
Als erster Beweis wird hingestellt, dass er auch nicht im 
Traume einen Theologen machen wolle (nee theologum vel 
in somnio assimilamus). Darauf ist in der Rede selbst be- 
reits die Antwort gegeben: iam animo prospicio, quanta 
invidiae procella a certis hominibus mihi impendeat, qui 
clamabunt: „porro Quirites": indignum facinus in sacra 
theologiae leguleium invadere. Quod non est ita, audi- 
tores, atque hanc opinionem iam ante a vobis deprecor. 
Non usque adeo praeeeps et amens in causa feror, ut aut 
personae meae aut professionis oblitus invadam in professi- 
otiem alienam. Nihil de Theologia disputo: querelam mihi 
sumsi hoc loco, non doctrinam, dolendi partes, non do- 
cendi. Die Worte nihil de Theologia disputo sind buch- 
stäblich wahr; die Rede enthält nicht die geringste Er- 
örterung eines Glaubenssatzes; wie sie vorliegt, so konnte 
ein jeder Nichttheologe sprechen. 

Die hauptsächlichste Erörterung in dem allgemeinen 
Theil betrifft die Verschiedenheit des Stils. Wessen Nase, 
ruft Lipsius, oder Gehirn ist so verschleimt, dass er nicht 
mich und meinen Stil vermissen sollte? Pleraque omnia 
non dicam languida, insulsa, sine Charite et Venere, sed 
multa sordentia aut absona, quae non solum puritas et ele- 
gantia, sed norma et grammatica respuet Latiaris. Es sind 
starke Ausdrücke, mit denen Lipsius sein eigenes Kind ver- 
läugnet; in ihnen liegt nicht ein ästhetisches Urteil vor, 
über das man allenfalls streiten könnte, sondern geradezu 
eine Unwah/heit. Zur einzigen Entschuldigung könnte nur 
der Umstand dienen , dass der Züricher Ausgabe ein von 
Fehlern entstelltes Manuscript zu Grunde lag, die sich fast 
alle aus der weit besseren Darmstädter Ausgabe berichtigen 
lassen. Aber durch diese Fehler ist der Stil nicht inkor- 



Digitized by 



Google 



12 Sitzung der philos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

rekt geworden, sondern nur an mehreren Stellen unver- 
ständlich. Die vielen kräftigen Stellen, die fehlerfrei sind, 
zeigen durchaus einen Stilisten von seltener Gewandtheit, 
so dass man mit bestem Fuge den Satz des Lipsius geradezu 
umdrehen und sagen könnte : Nicht weil die Rede so schlecht 
stilisirt, sondern weil sie in so gutem Latein geschrieben 
ist, 1 ) hat es keine Wahrscheinlichkeit, dass sie von Lipsius 
herrühre. Sehr richtig sagt J. G. Heineccius (Pundam. stili 
cnltioris p. 266) : J. Lipsii orationes elegantiores purioresque 
sunt eius epistolis, adeo ut eas nonuulli Lipsio suppositas 
existiment» Der bizarre und unnatürliche Stil, den sich 
Lipsius in Nachahmung des Tacitus und Seneca in seinen 
späteren Jahren angewöhnt hat, reich an witzelnden Anti- 
thesen, frostigen Wortspielen, orakelhaft dunklen Sätzen, 
sprachwidrigen neuen Wortbildungen — dieser Stil hat 
noch bei keinem Kenner Beifall gefunden. Dass er aber 
im J. 1573, wo er im 26. Lebensjahre stand, besser zu 
schreiben wusste, beweist die Trauerrede auf den Herzog 
Johann Wilhelm, womit noch zu vergleichen ist, was er in 
einem Briefe sagt: ego ut mutem (stilum) serum est: arbus- 
cula haec sive recta sive aliter crevit et induruit in hanc 
formam. Ciceronem amo : olim etiam imitatus sum. 
Alius mihi sensus nunc viro. Wollte Lipsius die Verschieden- 
heit des Stils beweisen , so lag es am nächsten , die oben 
erwähnte Rede wegen der Gleichheit des Jahres und der 
Schriftgattung heranzuziehen. Er hat sich aber weislich 
gehütet, dieser Rede zu gedenken. Ihre Autorschaft konnte 
er unmöglich in Abrede stellen, 2 ) er hat sie aber in seinen 



1) Treffend sagt Scaliger, der die zweite und dritte der Jenaer 
Reden nicht gekannt zu haben scheint (Scaligeriana , Genevae 1666 
p. 204): Orationes de duplici concordia et in obitum Ducis Saxoniae 
latinissimae sunt et aliis Lipsii operibus latiniores. 

2) Indirekt ist es vielleicht geschehen in der Praef. zu c De cruce 
libri HI* (Antv. 1593, 4) in den Worten : Quid, quod alii gravius etiam 



Digitized by 



Google 



v. Hcdm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 13 

Schriften tot geschwiegen. Den oben angeführten Brief an 
A. Ellinger, in welchem sie allein erwähnt wird, fand er 
für gut, in späteren Ausgaben der betreffenden Centuria 
zu unterdrücken. 1 ) Da mein Urteil über den stilistischen 
Wert der Rede immer ein subjektives ist, so werde ich im 
Anhang die Rede selbst mitteilen und zwar unter Benütz- 
ung der zwei stark abweichenden Ausgaben in einer wesent- 
lich verbesserten Gestalt. 

Ehe Lipsius auf den besonderen Teil zu sprechen 
kommt, nimmt er einen gewaltigen Anlauf, indem er sagt: 
Haec satis apud sapientes iudices . . . sed lubet exspatiari 
longius et toto campo discurrere, non laborantem sed insul- 
tantem. Age, ex ipso scripto, si palam elicio et efficio me 
scriptorem non esse? Nam ut furibus aliquid fere ad in- 
dicium, sie mendaeibus solet excidere ad agnoscendum. 

Es sind vier Indicien, die aufgeführt werden. Das 
schwächste betrifft den Druckort. Lipsius sagt: Titulus 



peccant? qui excipiunt aut intereipiunt dieta aut oratiunculas nostras 
et in contumeliaro mei divulgant. In solchen Fällen ist es immer 
klüger, sich in allgemeinen Ausdrücken zu bewegen als bestimmte Fälle 
anzuführen. 

1) Er fehlt bereits, wie in allen späteren Ausgaben, in jener von 
1590 'Epistolarum centuriae duae, quarum prior innovata, altera nova\ 
die nur 4 Jahre später erschienen ist, nachdem Lipsius selbst den Brief 
hatte drucken lassen. In diesen späteren Ausgaben fehlt auch ein aus 
Jena 1573 datirter Brief mit Gratulationsgedicht (num. 69 der Ausg. 
von 1586), und ein Brief an den berühmten Juristen Donellus (num. 76), 
worin erwähnt wird, dass ihn Dr. Ellinger f tunc medicus in corpore, 
saepe postea in animo* bei einer Krankheit in Jena curirt habe. Wie 
man sieht, so sollten alle Erinnerungen an Jena verwischt werden. Die 
unterdrückten Briefe sind wieder gedruckt in folgender seltenen Schrift : 
Justi Lipsii ad C. Suetonii Tranquilli tres posteriores libros commen- 
tarii. Eiusdem epistolarum praetermissarum decades sex nunc primum 
editae, partim ex primis editionibus retraetae. Offenbaci 1610 239 pagg. 
8°. Die kleine Sammlung enthält 8 aus Jena geschriebene Briefe, darunter 
6 an Joachim Camerarius. 



Digitized by 



Google 



14 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

libri praefert orationem hanc in Lugduno urbe typis ex- 
cusam. Quaero, in utra? in Celtica illa longinquiore an 
in hac nostra vicina? neutribi. Sed cum rem inquisivimus, 
compertum est, Tiguruni Helvetiorum theatruni esse, nbi 
scaena haec calumniae instracta. Per fidem, hoc est fidem 
quaerere, in ipsa fronte atque aditu sie mentiri ? Quis auteni 
typographus? latet, nee alius ibi editus quam Homericus 
ille Utis. Aus diesen wohl absichtlich dunkel gehaltenen 
Worten muss man vermuten, dass ein Buchhändler von 
Leyden (von Lyon kann bei Lugdun um begreiflicherweise 
keine Rede sein) eine Anzahl von Exemplaren der Rede 
gekauft und mit seiner Firma versehen ausgegeben hat. 1 ) 
Politische und theologische Pamphlete war es in jener Zeit 
ganz gewöhnlich mit fingirtem Druckort erscheinen zu lassen ; 2 ) 
aus dem Umstand , dass ein solcher falsch ist , folgt noch 
nicht, dass auch der Name des auf dem Titel genannten 
Verfassers ein fingirter ist. Der Witz über den Züricher 
Typographen, der ein homerischer Utis genannt wird, er- 
scheint nicht bloss als ein frostiger, sondern auch als ein 
sehr unüberlegter; denn eine halbe Seite später wird aus 
der Aussage dieses Utis das zweite Indicium gegen die Aecht- 
heit der Rede entnommen. 

Lipsius stellt den Satz hin: manum meam deposco ut 
germanum aliquid sit meum. Wie man nun, fahrt er fort, 
den Typographeu in Prankfurt über das Manuscript befragt 
habe, erklärte er, für den Druck habe das chirographum 
auctoris gedient. Ueber die Schrift befragt, sagte er aus: 
omnis munda, nitida atque adeo capitales clausularum 



1) Ein solches Exemplar erwähnt ReifFenberg in seiner Bibliotheca 
Lipsiana p. 177: c Lugd. Bat. 1600 in 4°*; der Titel ist sonst derselbe 
wie in der editio Tigurina, s. oben S. 6. 

2) Auch die Zürcher Ausgabe kann als ein Pamphlet gelten, weil 
der Druck der Rede nicht vom Verfasser, sondern gegen denselben er- 
folgt ist. 



Digitized by 



Google , 



v. Halm: Eine Utterarhistorische Untersuchung. 15 

litterarum minio notatae. noster Apollo, ruft Lipsius 
aus, ich schreibe schön und rein? ich wünschte es, aber 
ich habe ganz Europa als Zeugen meiner Kalligraphie. 
Wie oft erschollen Klagen, dass man meine Handschrift nur 
schwer oder gar nicht lesen könne ! *) 

Der Verleger hatte ein Manuscript mit dem Titel Justi 
Lipsii oratio etc. erhalten ; es war ihm erlaubt, anzunehmen, 
dass ihm das Autograph des Verfassers zugekommen sei. 
Dass er sich jedoch darin geirrt hat, ergiebt sich aus seiner 
Aussage selbst. Hatte er ein reines und sauberes Manuscript 
erhalten, so konnten schlimme Druckfehler wegen Unleser- 
lichkeit nicht entstehen ; so aber ist der Druck durch eine 
grosse Anzahl von sinnstörenden Fehlern der schwersten 
Art entstellt; 2 ) /damit ergibt sich von selbst, dass ein Auto- 
graph des Verfassers nicht zur Vorlage gedient hat. 

1) Kleinlich ist was Lipsius in seinem Schreiben noch beifügt: 
Sed tarnen aliud ecce manus meae argumentum, nam Volgus et V o 1- 
nus et Volt us scribitur, illo scilicet antiquariorurn more etc. An den 
zwei einzigen betreffenden Stellen steht in der Darmstädter Ausg. vultus 
und vulnus, wie Lipsius immer geschrieben hat. 

2) Sinnstörende Druckfehler finden sich, wie der Abdruck der 
Rede ausweisen wird, gegen 40 ; es genüge zur Probe ein halbes Dutzend 
anzuführen: ut arbores et fruges immoderata (st. moderata) caeli 
temperie aluntur, frigore occidunt, sie etc. — quos quo nomine appellem, 
nescio. an studiosos illo 8? ut qui (statt an studiosos? illosne qui) 
conviviis et immanibus poculis sie sunt immersi, ut etc. — sed ad haec 
omnia magnifica mihi quaedam et praeclara defensio ostenditur . . . reli- 
gionis, inquiunt, est defensio (st. dissensio). — Quos.. quid aliud 
dicam quam imitari P. Clodium? a cuius furoribus ceteri quoque 
(st. ceteroqui) non multum abhorrent. — fideles tui non solum ab ex- 
tremis (st. externis) hostibus oppugnantur, sed etiam inter se invicem 
discordiis atteruntur. — Vos etiam, studiosissimi adolescentes, qui aut 
in gubernationem Reipublicae aut moderationem Ecclesiae, tanquam in 
magnum mare novi m u n d i (st. nautae) ingredimini, moneo etc. Selbst 
an einer Interpolation fehlt es nicht. In der Darmstädter Ausgabe 
heisst es richtig : ut . . nulla futura sit posthac publica consensio, nuila 
bonorum auetoritas, nullum perfugium aut praesidium salutis. Daraus 



Digitized by 



Google 



16 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882. 

Als drittes Indicium führt Lipsius an, Sed aliud etiam 
in titulo: dictam Jenae ultimo Julio 1 ) anni LXXTV. Diese 
Angabe wird dadurch widerlegt, dass er schon am 1. März 
des genannten Jahra«? 2 ) Jena verlassen habe. Er macht sich 
selbst den Einwurf: at erratum est in numero. Allein das 
habe keine Wahrscheinlichkeit ; denn antiquario modo stehe 
absichtlich LXXIV; bei der Schreibung LXXIIII war eine 
Verwechslung mit der Zahl LXX1II denkbar. Die Darm- 
städter Ausgabe, die aus einem andern Manuscript her- 
stammt, hat die richtige Jahreszahl 1573. Die Zahl 74 
steht mit einer Stelle der Rede im Widerspruch, wie sich 
sogleich ergeben wird, ist also sicher entweder ein Schreib- 
oder Druckfehler. 

Das vierte Indicium führt Lipsius mit den Worten ein: 
'Diese Lügen finden sich auf dem Titel, doch welche in 
der Rede selbst? mehrfache, aber eine ganz nette; sie lässt 
mich sagen 8 ) : Ardet adhuc in vertice nostro sanguineum 
illud sidus, quem Cometam vocamus. Ei wirklich, ein Komet 



entstand durch Auslassung folgende Interpolation: at.. Bulla futura 
sit posthac ulla bonorum consensio, nullum perfugium etc. — In der 
Darmstädter Ausgabe heisst es : quos medio foro volitantes videtis . . 
petaso tectos et quidem, ut Mercurium credo imitentur, etiam pennatos. 
Statt der zwei letzten Worte hat die Züricher Ausgabe fünf Sternchen 
als Zeichen einer Lücke zum klaren Beweise, dass das sauber geschrie- 
bene Manuscript, welches dem Druck zur Vorlage diente, nicht das Ori- 
ginal des Verfassers, sondern die Copie einer schlechten und theilweise 
unleserlichen Handschrift gewesen ist. 

1) Auf dem Titel steht deutlich XXI1X. Julii. 

2) Die Angabe ist ungenau, wie sich aus einem Briefe des Lipsius 
an die Räte zu Weimar, dd. 12. März 1574 aus Jena (Claroroin virorum 
epistolae CXVII e bibliothecae Gothanae autographis ed. E. S. Cypri- 
anus. Lips. 1714 p. 182) ergiebt, worin es heisst: quoniam intra sex 
dies proximos discessurus sum etc. Lipsius hat Jena am 20. März 1574 
verlassen. 

3) es heisst: facit me dicere, wie Lipsius im J. 1573 sicherlich 
nicht geschrieben hätte. 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine Utterarhistorische Untersuchung. 17 

in jenem Jahre? Wir wissen, dass ein einziger Komet in 
mildem und jovialem Glänze (Joviali splendore) geleuchtet, 
nicht blutrot gebrannt habe (sanguineum arsisse) gerade 
im J. 72 und dann wieder ein anderer, ein grosser, drohender 
78. Wo aber und wann dieser dein Zwischenkomet? *) In 
Europa hat ihn keiner von uns gesehen. Du, neuer Eudoxus, 
sahst ihn am Himmel, wie mich in Jena\ 

Es gehörte eine starke Stirne dazu, diese Worte nieder- 
zuschreiben, da sie so leicht aus einer andern Schrift des 
Lipsius widerlegt werden konnten, was zu thun freilich 
noch niemanden beigefallen ist. Lipsius hat es aber ge- 
wagt, weil man eifrig dafür gesorgt hatte, dass wie die 
Züricher Ausgabe der or. de concordia, so die drei Drucke 
der Rede de obitu principis etc. bald zu grossen literarischen 
Seltenheiten geworden sind. 2 ) In dieser Rede, die einige 
Monate früher gehalten und darauf noch besser ausgefeilt 
wurde, ist der Komet und zwar nicht als ein sidus miti 
splendore fulgens in längerer Stelle wiederholt erwähnt: 
S. 19 f. astrum coeleste, quem cometam vocamus! quas 
tu lacrimas nobis, quem lnctum ecclesiae . . denuntiasti? so- 
dann: neque in illo coelesti corpore tot menses fax illa 



1) Der Komet vom J. 1573 ist auch erwähnt in der Geschichte 
der Kometen von Pingre (Cometographie. Paris 1783. 4° Tom. I. p. 511): 
„1573. On vit une terrible Ötoile chevelue, vers la fin du signe des 
Poissons. Si c' etoit une vraie Comete , eile ne devoit pas ötre si ter- 
rible, puisqoe si peu d 1 Auteurs en fönt mention. Adlzreitter [Ann. P. 
IL 1. XI. n°. 36], apres avoir parle sur Tan 1472 de la nouvelle Etoile 
rapporte la naissance du Duc Maximilien de Baviere, en Avril 1573; 
et il ajoute que V apparition de cet astre favorable fut accompagnee de 
celle d 1 une Etoile chevelue". 

2) Die in der Literatur des XVI. Jahrhunderts so reiche Münchner 
Staatsbibliothek besitzt nur die Halle'sche Ausgabe der or. funebris; 
die Universitätsbibliothek in München besass die ed. princeps derselben 
Rede, das Exemplar ist aber, wie ein Revisionsprotokoll ausweist, ver- 
schwunden, vielleicht pia fraude. 

[1882.1LPhilos.-philol.hist.01. 1.] 2 



Digitized by 



Google 



18 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6, Mai 1882. 

tristissimi incendii comparuit sine comminatione impeudentiam 
raalorum ; noch heisst es : Haec Dei immortalis vox . . iudi- 
canda est, cum agri, cum templa contremiscunt, cum ipsum 
caelum inusitato astro vim et quasi Iliadem quandam de- 
nn ntiat malorum. 

Da Lipsius in seinem Schreiben an den Senat alle 
wahrscheinlichen und handgreiflich unwahrscheinlichen Gründe 
aufgeboten hat, um die Autorschaft der Rede von sich ab- 
zulehnen, muss es Wunder nehmen, dass er es nicht der 
Mühe wert fand , auch nur eine Vermutung aufzustellen, 
wer denn die Rede verfasst haben mochte. Ich finde ge- 
rade in ihrer Meisterschaft den Hauptbeweis, dass nur Lipsius 
sie konnte geschrieben haben; einen ebenso sprachgewandten 
Redner wüsste ich in der damaligen Zeit weder in Holland 
noch in Deutschland namhaft zu machen. Nach dem Stil 
hätte sie von den damaligen Philologen nur etwa der Fran- 
zöse Muret schreiben können; sein lateinischer Stil ist 
ebenso fliessend und rein, aber in seinen Reden erscheint 
er nicht so gedankenreich. 

Noch wichtiger ist ein anderer Punkt, den Lipsius in 
seiner langen Apologie begreiflicherweise nicht berührt hat. 
War die Rede unterschoben in der Absicht, den Lipsius 
als begeisterten Anhänger der Lutherischen Lehre zu schil- 
dern, so muss man sich wundern, dass der Verfasser nicht 
ein anderes Thema gewählt hat. Der so schön durchge- 
führte erste Teil gegen die Zuchtlosigkeit der Studentenschaft 
war zu diesem Behufe völlig überflüssig; auch statt des 
zweiten Teiles hätte man ein passenderes Thema erwartet, 
zumal als die Hauptstelle, die dem Lipsius schaden konnte, 
in der Luther und Melanchthon den streitsüchtigen Theo- 
logen eine kräftige Strafrede halten, erst in der peroratio, 
also gleichsam ev Ttaqody vorkommt. Dass die Streitsucht 
der lutherischen Geistlichen so derb gegeisselt wird, konnte 
man ihm eher zum Lobe als Tadel anrechnen, weil dieses 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung, 19 

kühne Auftreten zu der Vermutung berechtigte, dass er 
gerade durch den Anblick dieses widerwärtigen Treibens 
von der Anhänglichkeit für die lutherische Lehre abge- 
kommen sei. 



Für den folgenden Abdruck der Rede ist zu bemerken, dass in 
den Noten Lesarten der Züricher Ausgabe mit A, der Darmstädter vom 
J. 1607 mit B, mit C einzelne Varianten bezeichnet sind, die Sagittarius 
in seinem Lipsius Proteus S. 71 ff. aus einer oder zwei Abschriften be- 
kannt gemacht hat. 

Justi Lipsii oratio de concordia, habita Jenae XXIIX. Julii 
hora octaya Anno 1573 in promotione YII Magistrorum. 

Etsi non est consuetudinis meae initio dicendi rationem red- 
dere, cur de qualibet re disseram, propterea quod in ora- 
toris voluntate situm esse arbitror, quod optimum iudicet 5 
deligere: tarnen in hac causa, quam suscepi, defleetendum 
paul lisper ab instituto veteri videtur, propterea quae iustissima 
mihi causa fuit de re gravissima dicendi, eadem vobis ad 
audiendum debet videri. Nam me cum Scholae huius dig- 
nitas et vestra utilitas, ut de Concordia publica orationem 10 
instituerem, adhortata est, tum vero ut id studiosissime 
facerem, temporum istorum ratio et hoc officium, quod uua 
cum salute Academiae sustineo, impulerunt. Etenim si un- 
quam fuit boni et Christiani civis, cum statum Reipublicae 
convelli labefactarique videat, suceurrere fortunis communibus 15 
et medicinam consilii sui adferre, hoc certe tempus est, 
quo cum alia multa praesidia Ecclesiae et Scholarum paene 
sunt eversa, tum vel praecipuum earum firmamentum Con- 
cordia sie in discrimen adducitur, ut nisi huic nascenti malo 



1 De duplici concordia oratio dieta Jenae in promotione Magistrorum, 
XXIIX. Julij, ClQ.lQ. LXX1V. A | 5 potestate A | esse fehlt in A \ 
8 pravissima A (gravissima mit Feder corrigirt) | 8 eadem] ea A \ 
11 hortata B | 12 una fehlt in | 18 eorum A 

2* 



Digitized by 



Google 



20 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 6. Mai 1882. 

tanquam perniciosissimo incendio omnes boni subveniamus, 
nulla fatura sit posthac publica consensio, nulla bonorum 
auctoritas, nulluni perfugium aut praesidium salutis. 

Quae cum ita sint, labor quidem dicendi meis humeris 
5 incumbet, studium salutis publicae conservandae commune 
mihi vobiscum esse debebit, a quibus tria haec pro meo 
quasi iure peto. Primum, ut praestetis in me audiendo 
eam benevolentiam, quam soletis: eam attentionem, quam 
vultus vestri et ista oculorum in me coniectio tacite polli- 

10 cetur. Deinde, ut quoniam scopuloso et difficili in loco, 
pleno suspitionura pars orationis meae versabitur, nemo in 
me (quod iam animo futurum praecipio) nimis ingeniosus 
sit et plus dixisse me suspicetur, quam dixeram. Pos- 
tremo, ut si in hoc motu temporum in quorundam animis 

15 insedit quiddam opinionis incommodae, eam si ratio labe- 
factarit, veritas extorserit, ut ne repugnetis animisque vestris 
libentibus aut omnino deponatis, aut si id non potest, ad 
finem orationis meae seponatis. Equidem, si quis Deus mihi 
vestram benevolentiam conciliaverit, efficiam profecto , ut 

20 fateamini, sermonem hunc non solara sensibus vestris non 
iniacundum, sed animis etiam utilem et salutarem fuisse. 
Sed priusquam de re ipsa dicam, certos terminos et quasi 
cancellos orationi'raeae vel brevitatis vel perspicuitatis causa 
constituam: extra quos si egredi conabor, facile me existimatione 

25 vestra revocabitis. De duplici Concordia instituta mihi haec 
oratio est: quarum alteram in Scholis constituo, alteram in 
Ecclesia necessariam iudico. De priore dum breviter dico, 
quia ea pars orationis ad vos, studiosi adolescentes, pertinet, 



2 posthac ulla bonorum consensio A | 2 nulia bon. auctoritas feblt 
in A | 5 incumbit A | 7 uti me audiendo adbibeatis eam A j 8 eam 
att.] nam att. A | 9 uoltus A | pollicetur, * * *. Deinde A | 10 ut fehlt 
in A | 13 me fehlt in A | 13 dixerim A | 15 incommodae] iniectae A \ 
16 reputetis A \ 19 vestram fehlt in A \ 22 et und meae fehlt in A \ 
27 Ecciesiis A | priori B \ 28 orationis tota ad C 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 21 

peto a vobis, ut paullisper aegros imitemini, quorum affectae 
corporis parti cum a medicis scalpellum adhibetur, uri se 
et secari aequo aniino patiuntur: itidem vos, si aut acerbi- 
tatem oratio mea aut aculeos quosdam habere videbitur, 
salutis vestrae causa me sascepisse haue personara cogitetis. 6 

Duo genera hominum versari in hac schola video, quorum 
alteri studiosi et appellantur et re ipsa sunt, alteri cum a 
re longissime absint, nomen tarnen in speciem et dicis causa 
usurpant; quos inter studiosos ita recensere possumus, ut 
Epicureos inter Philosophos. In prima illa Classe pono 10 
eos, quorum neque in studiis diligentia requiritur, et in 
moribus pudor cum modestia elucet. Secunda Classis con- 
tinet illos, quos apud Romanos capite censos aut proletarios 
appellare possumus; quos non litterae, sed laseivia, non 
studia, sed convivia, non virtus, sed vis et audacia delectant; 15 
quos medio foro volitantes videtis, brevi palliolo amictos, 
petaso tectos et quidem , ut Mercurium credo imitentur, 
etiam pennatos; nisi quod ille talaria in pedibus, isti in 
capite gestant: quorum omnis industria vitae et vigilandi 
labor in poculis et intempestivis conviviis consumitur, nisi 20 
quod interdum, animi credo causa, Juris studiosos se solent 
dicere. Duo igitur studiosorum quasi genera videtis ; e quibus 
priores illi, etsi modesta eorum voluntas ad turbas aut se- 
ditionem non inclinat, tarnen in istis fluetibns rerum et hoc 
quasi flexu temporum adhaeserunt paullipser ad metam, et 25 
ad illas discordiarum scopulos fato quodam delati videntur. 
Quorum tarnen exuleeratos animos ut sanem, facilis mihi et 
expedita ratio proponitur. Nam si studiis et litterarum 
cognitione dueuntur, quod prae se ferunt, concordiam con- 



5 suseepisse me B \ 6 hominum genera in hac Schola versari A \ 
13 aut] vel A\ 18 etiam pennatos fehlt in A, dafür 5 Sternchen als 
Zeichen eines Defekts | 20 intemperatis C | consumuntur A | 21 quod] 
qui A | sese A | 22 quasi genera studiosorum A | 23 eorum] eos C \ 
24 rerum ex hoc quasi fluetu A | 26 discordiarum fehlt in A 



Digitized by 



Google 



22 Sitzung der pMos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882. 

servent necesse est, sine qua non magis stare ulla litterarum 
societas, quam vita mortalium sine aqua aut igni potest. 
Quod cum praeclare intelligerent maiores nostri, et Scholas 
ipsas nominarunt ab otio, et novem Musas praeesse studiis 

5 voluerunt, quas et mulieres pinxerunt et virgines. Quid ita 
mulieres? nimirum quia eius sexus propria est imbecillitas, 
ex imbecillitate metus, ex metu Studium pacis. Cur autem 
virgines? quod ad sacra Musarum non solum tranquillum 
animum adferre debemus, sed etiam castum et verecundum. 

10 Ex qua eadem ratione manavit, quod ille sanetissimi chori 
praeses Apollo et imberbis conspicitur, id est, muliebrem 
paene in modum mollis et placidus, et lyram cum cithara 
tenens, ut honestam anirai voluptatem pro telo esse ad di- 
scendum significet, iram, discordias, perturbationes pestem et 

15 perniciem studiorum. Quod quidem ex ipsis artibus cog- 
noscere licet, quas tractamus, quae in pace inventae, in pace 
excultae non solum tumultum, sed etiam tumultus suspici- 
onem reformidant. Age, sume tibi ex illo artium choro 
Poetam. An vero in turbis et seditione divino spiritu eum 

20 adflari posse putemus ? quem non solum iracundiam et istos 
vehementiores animi motus in gyrura rationis reducere, sed 
etiam tristitiam frenare veteres illi voluerunt. Horti vide- 
licet et amoeni secessus et silvae inter avium cantus et 
aquarum strepitus, non tubae aut tumultus poetam educant. 

25 Nam quid de Philosophia, tarn verecuoda virgine dicam? 
quae alumna semper pacis fuit, et quae ex hortis et timbra- 
culis Atheniensium, non e militaribus tabernaculis prodiit. 
Quid de eloquentia? quae comes est otii, et simul ac in- 
crepuit bellicum, ut ait poeta vetus, 



1 litterarum ulla B | 2 aut] et A | 5 voluerunt studiis A | 6 quia 
sexus est propria A | 12 et vor lyram fehlt in B | 13 voluntatem A \ 
15 ex iis ipsis C | 20 adflari eum A | 21 vehementiores anirai C, animi 
vehementiores A , fehlt in B \ ducere A \ 22 Horti nempe et A \ et 
silvae fehlt in A \ 26 semper scilicet A \ 29 vetus poeta A 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 23 

„Pellitur e medio sapientia, vi geritur res, 
„Spernitur orator bonus; horridus miles amatur." 
Omnino enim res sie se habet: Ut arbores et fruges 
moderata coeli temperie aluntur, frigore oeeidunt: sie nostrae 
artes vigent in otio, discordiarum tempestate coneidunt. 5 
Quod si in hac tanta multitudine prohiberi non potest, 
quin sit aut animorum aut voluntatum aliqua diversitas; at 
certe ne contumeliosis voeibus, ne convitiis, quae bis diebus 
cum dolore audivimus, publica tranquillitas violetar, cavere 
non solum possumus, sed etiam debemus. Ut enim in fidi- 10 
bus atque cantu concentus est quidam tenendus ex distinetis 
sonis, quem imrautatum ac discrepantem eruditae aures ferre 
non possunt, isque concentus ex diversissimarum vocum 
moderatione Concors tarnen efficitur et congruens: sie in 
coetu litteratorum ex diversissimis nationibus, aetatibus, 15 
sententiis, studiis consensio tarnen est quaedam retinenda, 
et quae harmonia a Musicis dicitur, ea est in scholis con- 
cordia, aretissimum atque Optimum in omni Rep. vinculum 
incolumitatis. Hannibal ille imperatoriis laudibus consecratus 
ad posteritatem omnium saeculorum cum sedeeim annorum 20 
spatio victorem exercitum in Italia contineret, efficere po- 
tuit, ut inter tot gentes, lingua, moribus, institutis discre- 
pantes, nulla unquam turba aut seditio coorta sit. Quod 
illum rudern et barbarum ducem natura doeuit, id ratio 
nos non docebit? Quod ille apud feros et militares animos 25 
potuit, quos tanquam auriga in curru quoeunque yoluit in- 
flexit, id apud literatos homines sapientiae ipsius vox non 
valebit? Atqui, si in exercitu et in ipso bello opus tarnen 
est quadam concordia et coniunetione animorum: quid de 



3 sese A | 4 immoderata A | 7 aliqua] inter se A | 8 quae] quod B \ 
16 quaedam est A \ 17 est hat A nach incolumitatis | aretissimum . . 
incolumitatis A G: fehlt in B \ 23 coorta sit, idque inter prineipes eius 
laudes posuit antiquitas C \ 28 Atque sie in exercitu et bello ipso A \ 
28 bello, quod conflatum est ex tumultu C 



Digitized by 



Google 



24 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 6. Mai 1882. 

studiis nostris existiraemus, quae pax genuit, concordia aluit, 
otium confirmavit? Haec meditanda iis sunt, qui augusto no- 
mine studiosorum dignantur, apud quos neque existere discor- 
diae debent, et si quae natae sunt, tanquam ignis in aquam 
5 coniectus celeriter restingui. Atque ut ille optitnus poeta de 
apibus scribit, quae si aliquando in proelium exarserunt, 
tarnen 

Hi motus animorum atque haec certamina tanta 
Pulveris exigui iactu compressa quiescunt: 

10 sie nimirum nos, qui in studiis laborem et industriam apum 
referimus, earum quoque facilitatem et quasi mollitiera na- 
turae in deponendis offensionibus exprimamus. Sed haec de 
primo illo genere satis. Venio nunc ad seeundam classera, 
in qua oecurrit mihi chorus ille protervorum adolescentium, 

15 qui ut seditiosi illi tribuni, Gracchi et Saturnini in Re- 
publica Romana, sie isti in re literaria flabella seditionis 
et seminarium omnium turbarum sunt: quos quomodo sanem, 
non invenio. Musas videlicet et Apollinem apud studiosos 
advocem? quos ne ille quidem Apollinis filius Aesculapius 

20 vigore hellebori ad sanitatem reduxerit. Pugnem rationibus? 
scilicet legum auetoritas saneta apud eos erit, qui ita se 
compararunt, ut dedecus putent parere legibus? Quid ergo? 
Opinor sie agam: ad naturae eos legem primara revocabo, 
quae summos cum infimis, medios cum imis, sanos cum furi- 

25 osis complectitur. Est enim quaedam naturae lex diffusa in 
omnes, quam una cum nutricis lacte hausimus, imbibimus, 
expressimus; quae naturali instinetu vocet ad officium iu- 
bendo, vetando a vitiis deterreat: huic legi neque obrogari 
fas est, nee derogari ex hac aliquid licet nee abrogari tota 



2 sunt iis A | 3 studiorum A | 5 extingui A | 6 scripsit A \ 
8 tanta fehlt in A \ 11 facultatem A \ 12 expromamus C | 12 haec primo 
illi generi B | Hadolescentum A | 16 flagella A \ 18 et] aut A \ 19 filius 
Apollinis A | 20 vigore A C: iugere B \ 21 itaj natura A \ 23 leges 
eos primum A \ 28 obrogari] obligari C \ 29 derogare A 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 25 

potest. Estque summus ille quasi dictator et imperator 
omnium Dens legis huius inventor, disceptator, lator, cui 
qui uon parebit, eum ex numero hominum eiiciendum, ex 
finibua humanae naturae exterminandum arbitramur. HaDC 
igitur legem si spectamus, quid tarn a primo ortu insitum 5 
est animantibus quam pax? qua uon solum ii, quibus natura 
sensum dedit, sed etiam agri et campi ipsi laetantur. Quid 
tarn optaudura , quam secura tranquillitas? quam feri et 
militares animi etiam in mediis armis dilaudarunt, ut for- 
tissimus quisque ideo maximos labores suscipiendos putet, 10 
ut aliquando possit pervehi ad illum tranquillitatis portum 
incolumi dignitate. Est enim haec, auditores, non scripta, 
sed innata lex; ad quam non doetrina nos instituit, sed 
natura imbuit; quae non tradita nobis, sed infixa; non in- 
stillata, sed insita est. Quod si nulla unquam barbaria 15 
contra naturae studia tarn vehementer obduruit, ut hanc * 
legem violaret: quid nos facere convenit, quos ad concordiam 
natura genuit, doetrina exereuit, fortuna destinavit? Quan- 
quam frustra haec praedico apud nonnullos, quos quo no- 
mine appellem, nescio. An studiosos? illosne, qui conviviis 20 
et immanibus poculis sie sunt immersi, ut raro solem ori- 
entem aut oeeidentem viderintV an milites? iam id quidem 
arrogant sibi et praeclarum putant. An furiosos potius et 
improbos? Quid enim studiosos appellem eos, qui mihi sur- 
gentes a conviviis eibo languidi, erapula confecti, vino va- 25 
cillantes nocte socia, hortante petulantia discurrunt per me- 
diam urbem, in notos et ignotos tanto furore baechantes, 
ut nunquam, opinor, in illis veteribus Bacchi Orgiis tarn 
furiosa petulantia aut tarn petulans furor fuerit: a quibus 



1 quasi fehlt in A | 3 numero] nostro coetu A | 7 laetantur C \ 
10 Vt . . putat A | 11 provehi A | 13 nata B \ 15 est fehlt in A \ 16 tarn 
fehlt in A \ 17 violarit C \ 20 studiosos illos? ut qui A \ 22 quidem id 
sibi arrogant A \ 25 conferti A \ 28 in ipsis A \ 29 aut tarn petulans 
furor fehlt in C 



Digitized by 



Google 



26 Sitzung der phüos.-philol. Glasse vom 6. Mai 1882, 

ipsam noctem eligi arbitror, non ob verecundiam, quae tegit 
scelera, sed ob silentium, quod apparet, ut exaudiri latius et 
resonare clarius furiales illae voces possint. Sentio iam 
pridem, Auditores, sentio non esse auctoritatis meae ac ne 
5 aetatis quidem huius tarn graviter ista dicere: sed in tanto 
dedecore et infamia omnium nostrum dolor me incitat, qui 
a mutis infantibus vocem solet elicere. Quid iam nocturnas 
illas lapidationes, quid gladiorum et armorum strepitus eom- 
memorem? quae omnia sunt eius modi, ut, nisi quidem ab- 

10 rogata consuetudo vetus esset, suspicari possemus, famulos 
Matris Idaeae gladiis inter se ludentes discurrere : cum interea 
isti vinolenti obturbant nobis sobriis, ut propter istos furi- 
osos nee in somno secure quiescere, et ne non sentire 
quidem sine sensu aliquo timoris possimus. Sed ad haec 

15 omnia magnifica mihi quaedam et praeclara defensio osten- 
ditur : nomen pietatis tanquam murus ad omnem aecusationem 
meam opponitnr. Religionis enim est, inquiunt, dissensio. 
homines religiosos et iam non cum nostrae aetatis ho- 
minibus, sed com veteribus illis Petris et Paulis comparandos! 

20 Quos in hac defensione quid aliud dicam quam imitari P. 
Clodium? a cuius furoribus ceteroqui non multum abhorrent: 
qui cum esset religionum omnium non hostis solum, sed 
etiam contemptor, tarnen sceleribus iis, quae in tribunatu 
patravit, religionem et auspicia fuit ausus praetexere: sie 

25 isti, quorum omnis religio in poculis, pietas in conviviis, 
modestia in nocturnis debacchationibus consumitur, quasi 
illorum humeris religio sicut Atlante coelum niteretur, au- 
dent furori suo velum obtendere pietatis. Equidem, Viri 
Amplissimi, (ad vos enim convertitur oratio mea) non ab- 

30 undo aut prudentia aut consilio, sed tarnen, quod Academiae 

2 apparet] propaget B | 3 iam primum A | 7 a multis A | 13 nee] 
ne A\ 13 ne AC: fehlt in B \ 17 Religionis, inquiunt, est defensio. 
Homines A \ 20 P. fehlt in A \ 21 caeteri quoque A \ 22 religionis 
(ohne omnium) A \ 23 iis fehlt in A \ 29 convertetur B j 30 quod] quia A 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 27 

dignitas flagitat, si eluere hanc labern et delere inustam 
Academiae infamiam volumus, haec nobis causa tollenda 
est: tumultus, inqaam, nocturni coercendi sunt, quo tan- 
quam trunco everso facile fibrae omnes discordiarura elidentur. 
Ut enim in seminibus causa est arborum atque frugum, sie 5 
omniura malorum, quae praeteritis diebus vidimus, ab istis 
furoribu8 causa manavit. At quanto Romani sapientius, 
quorum in illa populi übertäte tarnen tanta diseiplinae 
severitas fuit, ut neminem cum telo aut gladio in urbe 
Roma versari voluerint: qui secus fecisset, capitalis fraus 10 
esset. Extitit Plinii tempore, ut ipse fatetur,* edictum Cn. 
Pompeii Magni in tertio consulatu, vetantis telum ullum in 
tota urbe esse. Quod institutum sapientissima Venetorum 
Respublica adhuc hodie retinet. At nos edieta quidera 
gravia habemus et severa, sed inclusa in libris tanquam 15 
gladium in vagina reconditum, et diuturna iam hnpunitate 
patimur hebescere aciem nostrae auetoritatis. Sed haec, si 
qui ex iis oratione sanari possunt, satis multa, aliis etiam, 
qui non possunt, nimis multa; quos equidem non Anticyram 
relegabo, ne longum iter videatur et sub Turcarum imperio 20 
periculosum, sed duntaxat Romam ad templum Bonae Mentis 
dimittam, aut quoniam iuris studiosos se solent dicere, ad 
Iure consultos, qui ex lege duodeeim tabularum ad agnatos 
et gentiles eos deducant. 

Sed ne egrediar extra eos terminos , quos initio orati- 25 
onis ipse mihi circumdedi, venio ad seeundam orationis 
meae partem, in qua de Ecclesiae concordia breviter insti- 
tueram dicere. Magnum opus, periculosus locus, et in quo 



2 volumus] volumus: quis autem est tarn inimicus Reip. et com- 
muni otio, qui id noo velit? C | 7 causa] culpa A | 7 sapientius AG: 
sapientiores B \ 8 populari 5(12 telum unum B \ 13 tota fehlt in A \ 
sapientissimorum A\ 18 sed aliis, qui non possunt nimis etiam multa 
B | 20 videatur iter A I 20 imperiis A \ 27 meae fehlt in 4 



Digitized by 



Google 



28 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882. 

iam ante prospicio, quanta invidiae procella a certis hominibus 
mihi impendeat, qui clamabunt: c Porro Quirites*: indignum 
facinus in sacra Theologiae leguleinm invadere. Quod non 
est ita, Auditores, atque hanc opinionem iam ante a vobis 

5 deprecor. Non usque adeo praeceps et amens in causa 
feror, ut aut personae meae aut professionis oblitus invadam 
in professionem alienam. Nihil de Theologia disputo: 
querelam mihi sumsi hoc loco , non doctrinam : dolendi 
partes, non docendi. Ecquis enim est tarn ferreus, per 

10 Deum immortalem, in quo scintilla ulla Christianae religi- 
onis supersifr, qui hunc afflictum Christianae Reipublicae 
statum intueri possit sine lacrimis? quam cum a maioribus 
nostris tanquam picturam accepissemus egregiam, ea non 
modo vetustate quodammodo evanuit, sed etiam nostris 

15 vitiis sie corrupta est, ut vix simulacrum et extrema tan- 
quam lineamenta priscae dignitatis appareant. Etenim con- 
vertimini animis ad civilem politiam : Videbitis ardere 
Europam bellis intestinis; in ipsa Germania alienatos inter 
se prineipum animos : ab orientali plaga Turcam, coniuratum 

20 Christianorum hostem, cum classe mari Tyrreno ineumbere: 
a septemtrione cum Scythis et Getis ducem Moschorum 
trahere secum barbariam ultimam: ut omnia iam minari 
ruinam, et magnus ille annus vertens Piatonis aut instare 
plane videatur aut certe appropinquare. Age nunc intue- 

25 mini Ecclesiam. Deus immortalis ! (non enim possum 
quin exclamem) quam spem salutis ostendis, aut quemnam 
das exitum nobis? in tarn parvo et angusto grege fideles 
tui non solum ab externis hostibus oppugnantur, sed etiam 
inter se invicem discordiis atteruntur, cum quidem perniciosae 

30 dissensiones eo iam proruperint, ut in Confessione Augustana, 

1 perspicio A | 9 est fehlt in A | 12 quem B | 15 simulacra A \ 
20 Tyrrheno A, fehlt in C | 21 Septemtrionem A | Moschum C \ 22 bar- 
bariem A \ 24 nunc fehlt in A \ 26 aut quonam C \ 27 exitum dabis A \ 
28 ab extremis A \ 29 quidem AG: quaedam B 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 29 

quam profiteraur, pro qua sanguineni hunc parati samus 
profundere, acriora odia inter fratres sint quam iuter hostes 
coniuratos. De rebus non dicara levibus (sit sane ita, ut 
nihil in religione parvum aut leve sit), attamen certe, quod 
oranes concedent, minime necessariis ita contendimus , ut 5 
nunquara Romani acrius pro aris et focis cum Hannibale 
et Poenis dimicarint. Quanto ludibrio exterarum gentium 
audiri ista putatis? peccatum substantiam esse, ait ille homo 
non floeci : immo in malam crucem ! inquit alius, ,accidens 
est. Hinc tibi clamor, fremitus, convicia, pugnae: quibus 10 
in rebus nonnulli ita obduruerunt, ut quod de Termino et 
Juventute narratur, Jovi ipsi regi nolint concedere. Ita 
fit, ut urbem religionis hostibus prodamus, dum castella 
eius defendimus, aa perinde, ut summa vel stultitia vel im- 
probitas sit, in eadem navi vehentes, quam praedones ex 15 
variis locis invasuri videantur, communi hoste conterapto 
ipsos secum conflictari atque dimicare: itidem nos facimus, 
qui nudum latus Pontificiis praebemus, dum inter nos prae- 
claros triumphos paramus, in quibus nescias victores plus 
detrimenti accipiant an victi. Antonii regis Navarrae dictum 20 
circumfertur, cum apud eum esset legatus regis Daniae, at- 
que, ut fit, orto sermone de religione, hortaretur multis 
verbis regem, ut Augustanam Confessionem introduceret, 
Calvini dogmate exploso, respondit ille: Nos quidem inter 
nos inquit, uno in capite dissidemus, a Pontificiis triginta 25 
praecipui fidei articuli nos seiungunt: hoc igitur agamus, 
ut illis victis de hac una controversia secnre disceptemus. 
Prudens, nisi fallor, et certe salutaris Ecclesiae vox, et 
cuius neglectae incommoda* nostrorum temporum calamitas 
comprobavit. Maiores nostri Germani concordibus semper 30 



1 fundere parati suraus A | 8 iste homo A | 11 obduruerant A \ 
13 tradamus B | 15 in A: eos in B | 19 nescio A \ 21 legatus esset A \ 
22 fit] sie A | 25 inquit fehlt in A \ 26 articuli fidei A \ 27 disputemus A \ 
29 neglecta A \ 30 semper fehlt in A 



Digitized by 



Google 



30 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 6. Mai 1882. 

armis et animis, ne servitutem servirent, iam inde a mille 
sexcentis amplius annis, cum potentissimis imperiis dimi- 
cantes, auimam proiecerunt pro patriae libertate: vos ne 
libertatem una cum religione amittatis, non providebitis ? 
5 Nisi forte periculum Germaniae nulluni esse putatis a Pon- 
tificiis, qui imminent profecto cervicibus nostris, qui adiici- 
unt oculos saepe ad hanc patriam; quam semel e faucibus 
ereptam dolent : qui vexillum Romanae purpuratae belluae 
(o Deus immortalis, averte, quaeso, ac detestare hoc omen!) 

10 in media Saxonia defixuros se minitantur: qui non praedam 
nostram, sed vitam; non servitutem, sed sanguinem concu- 
piscunt: quibus nullus ludus iucundior est quam cruor, quam 
caedes, quam ante oculos trucidatio innocentiura. An vero 
animi causa fingi putatis illa, quae de Gallia nuper certissi- 

15 mis nuntiis audivistis? cum Pontificio instinctu foedum illud 
et immane facinus patratum est, quod nulla barbaria velit ag- 
noscere, cuius labern nullus Oceanus possit eluere. rem 
cum visu crudelem, tum auditu nefariam! quam si non 
gestam, sed pictam videremus, non factam-, sed fictam le- 

20 geremus : tarnen omnia muta atque inanima tanta atrocitate 
rerum commoveri necesse sit. Jacebant in viis mediis tot 
insepultorum acervi corporum, senes cum pueris, viri cum 
feminis promiscua caede trucidati: quorum aliis abscissa 
membra, aliis amputata capita ad Pontificem Romanum tan- 

25 quam in triumphum mittebantur. Qua quidem in strage 
ii viri interfecti sunt, ut gladii ipsi et mucrones militam 
contremuisse mihi videantur, cum in tarn augustis t;orporibus 
defigerentur. Atque haec quidem Gallia tulit: quid vero 



1 armis et fehlt in B | 3 patria A | 4 una fehlt in A \ 5 nnllom 
periculum Germ. A \ 5 putabitis C \ 7 semel fehlt in A \ 8 purpuratae 
Romanae A, Romanae et purpuratae G \ 9 ac] et B \ 11 nostram fehlt 
in A | 11 sanguinem poscunt C \ 16 barbaries A \ 19 confictam B \ 
23 feminis] feminis in ipsa pompa nuptiali C \ 25 strage flos ille nobi- 
litatis Gallicae et C \ 26 ii AC: tot B 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 31 

his septem annis nos Beigas putatis, fratres et consangui- 
neos Germanorum? a quibus recensendis dolore deterreor. 
Quo igitur haec omnis spectat oratio? inquiet aliquis, aut 
cur ista commeinoro? Ideo nimirum, ut illud intelligatur, 
quod nos harum omnium calamitatum (durum est dicere et 5 
vereor, quomodo id accepturi sitis: dicara tarnen) nos, in- 
quam, nos harum omnium calamitatum culpam et causam 
sustinemus: qui, si omissis intestinis discordiis in Propa- 
ganda apud exteros Evangelii luce occuparemur, iam pridem 
tremefactis illis latronibus delapsa de manibus arma ceci- 10 
dissent. Quod quidem experti ipsi ante annos quinque et 
viginti estis in bello Germaniae. Minabatur nobis Romana 
meretrix cum illo impuro grege purpuratorum , instabat 
Imperator Karolus V, omnium, deniqne principum tanquam 
intentus arcus erat in unam religionem: sumta utrinque 15 
sunt arma, victoria ab illis partibns steterat. Quae igitur 
mox sunt consecuta? In eo statu rerum, ut iam salus ipsa 
vix servare nos posse videretur, tarnen cum in Ecclesia con- 
cordia et consensio maneret animorum, victi vicimus, pro- 
strati surreximus, et abiecti hostem spoliantem iam et ex- 20 
sultantem evertimus: arma precibus, audaciam virtute, furorem 
concordia fregimus: fuitque securitas Germaniae maior in 
ipso bello, quam nunc est in altissima pace. Quod si hoc 
tempore Lutherus ille paullisper revivisceret aut Philippus, 
divini heroes , quorum consiliis fixuni et fundatum hunc 25 
Ecclesiae statum retinemus, quid eos dicturos putatis ? nonne 
hac oratione uterentur ? Nos, inquiunt, cum oppressa tenebris 
Pontificiae superstitionis religio teueretur, Deo duce, comite 
labore nostro lucem Evangelii sitienti mundo ostendimus: 
nos iugum illud crudelissimae servitutis primi a cervicibus 30 



2 detineor A | 4 intellegatur A | 10 occidissent A | 12 vobis B \ 
14 Carolus ohne V B \ 15 unam] nostram C \ 22 maior Germaniae A \ 
23 si in hoc A \ 24 paullisper A G : fehlt in B \ 25 fixum et vacillantera 
tunc E. A | 27 inquient A \ 29 nostro labore A 



Digitized by 



Google 



32 Sitzung der phüos.-philöl. Glosse vom 6. Mai 1882. 

Germaniae depulinius; nostra opera propagata ad exteras 
gentes veritas est: per nos excitata Gallia lucem aspicere 
coepit: per nos Anglia, Dania, Suecia et extremus Oceanus 
verbi divini claritate illustratus est: per nos denique felix, 
5 nimis beata et fundata erat Ecclesia, nisi eam ex nostris 
scholis et ex nostro sinu profecti discipuli aliqnot pertur- 
bassent, qui ea omnia, quae communi nostra concordia Ec- 
clesiae acquisita sunt, suis dissidiis dissiparunt. infidi 
et ingrati discipuli! quid agitis? aut quae res ad banc 

10 amentiara vos impellit? an utilitas Ecclesiae? At illi quantum 
bis discordiis vulnus sit impositum, una voce ipsa testaretur, 
si loqui posset. An incitat exemplum nostrum? At non 
ita ego aut commilito ille meus Philippus, qui deposito 
omni humano affectu gloriam, honorem, vitam ipsam posteri- 

15 orem habuimus saluti communi. An ambitio vos impellit? 
Praeclaram vero praeceptoribus vestris refertis gratiam; 
quibus cum non solum eruditionem, sed etiam scripta om- 
nia vestra debeatis, illorum nomine ad invidiam abutentes 
velificamini honori privato. Haec si Lutherus aut Philippus 

20 diceret, nonne merito nobiscum expostularent? At nos clausis 
oculis ferimur praecipites, quos non ante aperiemus, donec 
veniat aliquando illud tempus, et illucescat illa dies, cum 
fideliter ista a nobis et nirais vere praedicta esse sero cog- 
noscamus. Ponite vobis ante oculos fertilera illam oram 

25 Asiae, respiciteGraeciam, intuemini finitimam vobis Ungariam, 
quae diu intestinis discordiis agitatae nunc tandem catenis 
premuntur aeternae servitutis. Neque enim civiliura dis- 
cordiarum alius unquam exitus fuit. Ardet adhuc in nostro 
vertice sanguineum illud sidus, quem Cometam vocamus: 

30 quod quid aliud quam perniciem et funestam caedem sep- 



2 coepit aspicere A | 3 Suecia, Dania A | 4 nfelii imis et beata 
fundata A | 5 eam] iam A | 11 volnus A | 13 meus ille A \ 19 Lutherus 
aut Philippus AC: Philippus aut Lutherus B \ 20 dicerent A \ 22 illu- 
cescat fehlt in A C \ 23 feliciter A 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine titterarhistorische Untersuchung. 33 

temtrioni denuntiat et Germaniae universae? quae tarnen 
omnia Deus ille misericors aut omnino in hostium capita 
a nobis avertat, aut pro dementia sua mitiget. Vos tantum, 
amplissimi viri, quorum aspectu recreor et in spem subito 
tollor, pro vestra prudentia eiusraodi Ecclesiae pericula pro- 5 
pulsate atque defendite. Quod quidem fecistis adhuc, et 
praeclare facitis cottidie, dum Illustrissimis et Prüden tissimis 
Electoribus fidelibus consiliis praeitis, quibus innixi scholas, 
id est, prima Ecclesiae fundamenta, partim novas instituunt, 
partim collapsas erigunt: in Ecclesiis Schismata et doctrinarum 10 
dissidia ne erumpant, avertunt, quae eruperunt, abscindunt. 
Quo in numero Illustrissimi Principis Augusti, Electoris 
Saxoniae, studia in universam Ecclesiam sie elucent, ut 
quemadmodum Octavianus ille Augustus fato quodam natus 
videbatur ad bella civilia Romanorum terminanda et multis 15 
post saeculis Jani templum claudendum: ita hie Princeps 
vere Augustus ad discordias Ecclesiae sedandas, lucem 
Eyangelii augendam concessus et donatus his extremis tem- 
poribus divinitus videatur. Vos etiam, studiosissimi adoles- 
centes, qui aut in gubernationem Reipublicae aut moderati- 20 
onem Ecclesiae, tanquam in magnum mare novi nautae in- 
gredimini, moneo et praedico, dum adhuc estis in portu, 
cavete ab illis contentionum scopulis, tanquam a cancro 
aut gangraena, qui morbi semel coneepti non nisi cum fu- 
nesta pernicie totius corporis deponuntur. Imitamini serio 25 
illud exemplum Atheniensium, qui legem d^vrjartag sanxerunt, 
omnemque memoriam discordiarum oblivione obruite sempi- 
terna. Consonet semper illa vox ad aures vestras, quam 
rex Micipsa moriens apud liberos suos vel veritate vel brevi- 
tate tanquam ex oraculo effudit : concordia res parvae creseunt, 30 

2 a nobis in hostium capita convertat B | 4 Amplissimi viri AC: 
Auditores B | 6 atque] et A \ 14 ille Augustus fehlt in A \ 21 nautae 
B: mundi A | 25 serio] sentio A \ 28 Consonet scilicet vox ista A\ 
ad fehlt in B \ 30 res parvas crescere, d. maximas dilabi B 
[1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 1 .] 3 



Digitized by 



Google 



34 Sitzung der philos.-phüol. Glosse vom 6, Mai 1882. 

discordia maximae dilabuntur. Postremo duo ista, religionem 
et Hbertatem, consentientibus animis retinete, defendite, 
quarum altera, sine altera eripi vobis non potest. Religi- 
onem non ita pridem singulari beneficio in his regionibus 
5 Deus accendit: libertatem maiores vestri multo sanguine 
partam ad hunc usque diem inviolatam vobis tradiderunt: 
vos, ut traditam conservetis, videte : aliae enim gentes Servi- 
tuten! pati possunt : Gerraanoruin est propria libertas. Dixi. 

Responsio Justi Lipsii ad petitionem M. Aegidii Salii pro 
10 candidatis. 

/"\Uae singula ad impetrandum magnum pondus habere possunt, 
^Cl. Domine Magister, Collega amicissime, ea in petitione tua 
elucent universa. Nam sive rogantis personam intueor, rogat is, 
cui vel dignitatis vel amicitiae causa negare quidquam difficile 

15 sit: sive eorum, quibus beneficium petitur, uno aspectu video 
adolescentes hos et a moribus et a doctrina sie paratos, ut hoc 
beneficium ultro conferendum illis videatur. Ut enim iis, qui 
apud Graecos Olympiis aut Pythiis in stadio vicerant, apud 
Romanos, qui ludis Circensibus post septimum missum priores 

20 ad metam constiterant , Corona imponebatur etiam invitis: 
itidem faciendum nobis in istis iudico, qui decurso honestissi- 
marum artium quasi spatio hunc titulum non appetere ambiti- 
one, sed mereri doctrina videntur, ut nesciam, an haec digni- 
tas illos magis ornatura sit, an hanc dignitatem illi. Qu od 

25 igitur Imperatores re bene gesta in bello faciunt, ut militibus 
phaleras, hastas puras aut armillas distribuant virtutis ergo : 
id nos in hac umbratili militia ita imitabimur, ut non gra- 
mineam coronam aut quernam aut nescio quid aliud leve 



2 et defendite A \ 3 quorum B\ eripi AG: erigi B \ 6 nobis A 
8 Dixi fehlt in A, ebenso die folgenden auf den Promotionsakt bezüg- 
lichen Stellen. Aach zu diesen hat Sagittarius a. a. 0. S. 78 einige 
gute Varianten mitgeteilt. 



Digitized by 



Google 



v. Halm; Eine litterarhistorische Untersuchung, 35 

aut caducum, sed illam honoris perpetui coronam istis 
quasi emeritis militibus, tribuamus, quam raulti sapientes 
mercandam sanguine putaverunt: de qua nihil invidia de- 
cerpat, nihil dies imminuat, nihil tempus delibet. Quam- 
obrem petitioni tuae lubens satisfacturus, prius tarnen reno- 5 
vabo exemplum Graecae militiae duce Miltiade contra Persas: 
ad quam ut non ante miles admittebatur, quam in salutares 
quasdam et certas leges iurasset: ita in haec nostra. quasi 
castra his VII adolescentibus aditus non ante über esto, 
quam in eas conditiones sacramentum dederint, quas minister 10 
publicus recitabit. 



Leges iuramenti. 
Ceremoniae. 

Quae igitur res bene vortat Ecclesiae, huic Scholae nostrae, 
nobis omnibus: ego M. J. Lipsius Iscanus Bruxellensis 15 
pro auctoritate eius officii, quod ab Academia impositnm 
sustineo, vobis VII Candidatis tribuo honorem et insignia 
Magisterii Philosophien, vosque Magistros Philosophiae dico 
facioque, factos renuntio in nomine S. Trinitatis, Patris, 
Filii et Spiritus Sancti : largiens vobis omnia Privilegia et 20 
Ornamenta, quae in hoc gradu maiores nostri elucere, et 
quibus quasi notis distingui voluerunt ab ordinibus reliquis. 
I. Qua in re, quia veteri in more positum est, solennes 
quosdam ritus peragi, qui mihi omnes ab antiqua Rep. fluxisse 
ad haec tempora videntur: primum vos in altiorem locum 25 
et hanc professorum cathedram colloco, ut facultatem vobis 
datam esse docendi legendique intelligatis, exemplo antiquo 
Romanorum Imperatorum, qui militem speetatae virtutis ad 
se in tribunal reeeptum coram tota concione laudabant et 
quasi imitandum proponebant. 30 

IL Aperio deinde hos libros, ut diligentiae vos ad- 
moneara et industriae, quae non labascere in cursu medio 

3* 



Digitized by 



Google 



56 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882. 

debet, sed ut nautae, cum portum aspexerant, velis et 
remis contentius ad terram contendere. Eosdem claudo, ut 
modum laboris et quietis demonstrent, ac post illam in- 
dustriam, libris clausis, locum scilicet dandum esse remissioni 
5 et honestae voluptati. Non dissimile quid Romani signifi- 
carunt, cum in bello Jani templum aperirent, idem in pace 
et otio clauderent. 

III. Pileos vobis impono rotundos, a consuetudine Ro- 
mana, qui servis, quos in libertatem asserebant, raso capite, 

10 pileum solebant imponere: sie vobis quasi ex angustis car- 
ceribus studiorum emissis in campum et lucem liberam do- 
cendi signum impertio. Purpureus color est in pileis, vel 
honoris causa, quia purpura Senatorum ordinem ab equitibus 
et plebe distinxit: vel admonendi gratia, quod quemadmodnm 

15 pnrpuram lana non combibit sine mixtione variorum colorum, 
sie florem illum altioris doctrinae mens non potest imbibere, 
nisi variis prius artibus tineta et quasi praeparata. 

IV. Aureos annulos vobis tribuo, vel imitatione eorundem 
Romanorum, qui libertis, quos in equestrem ordinem coop- 

20 tabant , ius dabant annulorum aureorum ; vel potius ad 
exemplum maiorum vestrorum Germanorum, qui uti liberis 
suis sub virilem aetatem frameam et scutum solebant pub- 
lice dare insignia bellicae virtutis: sie vobis annulum hunc 
rotundum quasi orbem quendam scientiarum a Philosophia 

25 matre dari putabitis, insigne eruditae doctrinae. Haec dona 
et ornamenta ut integra et inviolata servetis, non magis 
honoris vestri quam Reipublicae causa conari debetis. Ho- 
noris, quod turpius est, partam opinionem amittere, quam 
non acquirere : Reipublicae, quod iam e privata vita ingressi 

30 in scenam quasi et theatrum publicum sitis, ut, quemadmodum 
gubernatori cursus seeundus, medico salus, imperatori victoria, 

1 debet G : fehlt in B | 5 significarunt B : fecerunt G \ 9 assume- 
bant | 10 vobis .. emissis G: vos . . emissos B \ 12 signum G: liber- 
tatis signo B \ 27 causa G: fehlt in B 



Digitized by 



Google 



v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 37 

proponitur, sie vobis ad utilitatem conimunem posthac ora- 
nia consilia dirigenda sint. Vos autera, reliqui adolescentes, 
qui speetatores harum laudum estis, hortor et moneo, ut 
his exemplis incitati ad eadem praemia contendatis. Magnus 
est in re litteraria campus*, multis apertus cursus ad laudem. 5 
Themistoclem aiunt solitum dicere, cum totas noctes insomnis 
vagaretur, Miltiadis trophaeum somnum sibi eripere. Si 
illum unius ducis trophaeum tantopere concitavit, aemulatione 
vanae gloriae: quid vos facere convenit, qui istornm VII 
triumphos et quasi trophaea, debellatis hostibus, ignavia et lo 
voluptate, posita videtis? Sed, ut extremum habeat oratio 
mea , Deuni illum omnipotentem et aeternum, quem propter 
bonitatem Optimum, propter potentiam Maximum appellamus, 
veneror atque invoco, ut in hoc Musarum conventu studiis 
et laboribus omnium nostris volens propitiusque adsit ; con- 15 
cordiam illibatam, diligentiam indefessam conservet; rena- 
scentem Academiam in hac tenera quasi aetate tanquam 
tutor bonus defendat; eos, qui nefaria consilia turbandae 
Ecclesiae concordiae aut Scholae ineunt, a cervieibus nostris 
arceat, coniurationes et cogitata scelera in capita auetorum 20 
convertat. Dixi. * 

11 voluptate C: segnitie B \ 20 coniurationes C: cogitationes B. 



Digitized by 



Google 



Herr v. Christ legte eine Abhandlung des Herrn 
Dr. Hugo Riemann vor: 

„Ueber die MaQTVQiai der byzantinischen 
liturgischen Notation 41 . Ein Beitrag zur 
Entwickelungsgeschichte der Kirchentöne aus den 
altgriechischen Oktavengattungen. 

Zu den rätselhaftesten Bestandteilen der byzantini- 
schen Notation gehören die charakteristischen Zeichen der 
Tonarten, die sogenannten Martyrien: 

zu Anfang der 
Melodie (W^x- 
rixai) als: 77 

JS 

Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich in denselben 
ziemlich unkenntlich gewordene Formen der Buchstaben 
q> X /Li und d sehe. Der Zweck und Werth dieser Auf- 
stellung wird im weiteren Verlauf meiner Untersuchung 
hervortreten; ihre Berechtigung geht z. B. daraus hervor, 
dass die Martyrie — > in der Gestalt eines wirklichen X auf- 
tritt, sobald sie in Verbindung mit einem Tonbuchstaben 
eine Katalexis anzeigt: 

B z' z 

X X X u. s. w. (aber ©*) 

während die andern Martyrien ihre Gestalt unverändert bei- 
behalten. 1 und J^\ hält auch Philoxenos {Ad$i%Qv, Einl. 



1. 


Ton 


<? 


2. 


Ton 


— 


3. 


Ton 


72 


4. 


Ton 


fi 



Digitized by 



Google 



Riemann: Die MccqivqIcci der byzant.liturg. Notation. t 39 

S. r\) für <jp und <J, und wenn auch Christ (Beiträge zur 
kirchl. Litteratur der Byzantiner, 1870, S. 59j darin eitle 
Phantastereien sehen zu müssen glaubt, so wird ihn doch 
vielleicht der Gewinn, den diese Annahme für die Erkennt- 
niss der historischen Entwickelung ergiebt, für dieselbe 
günstiger stimmen. Die den räthselhaften Zeichen überge- 
schriebenen Buchstaben n ß y d x £ v sind bekanntlich 
wirkliche Tonbuchstaben, welche in unzweifelhafter Weise 
die Tonhöhe angeben, die Anfangsbuchstaben der Silben- 
Tonnamen 7ta ßov ya öi xe tco vrj, welche hinwiederum die 
7 ersten Buchstaben des griechischen Alphabets bergen: 
tcA Bov /a Ji xE Zco vH 

Die durch dieselben bezeichneten Töne sind: 



Pt s JB= 


— G 


£ 


— — 


G 


0- 



n B r J x Z v 

Diese Tonbuchstaben wiederholen sich in höherer und 
tieferer Oktave in derselben Weise, wie wir c c' c" etc. 
unterscheiden, doch nicht so regelmässig, insofern der Um- 
fang einer Oktave für die Anwendung der gleichen Ab- 
zeichen nicht innegehalten wird: 



p^- — 


Z v n B r J x V v' 


\3. 


- - V-^-^ 



v- 7i" b" r j' x' 





71* 

n 


D' 


r 


j' 


x" Z" 


v l> 


n" 




/ (O 


i 


L n *? ° 


t 


V\ * *t & 


\ 


V 




n 












Jr & 















Man bemerke dabei, dass die Tonbuchstaben, welche 
Zusatzbuchstaben in den Silbennamen der Töne sind, in der 
Gestalt kleiner Buchstaben {it x i>), die anderen dagegen 
als grosse auftreten {B T J Z). Diese Schlüsselnoten 
stellen am Anfang und bei den grösseren und kleineren 



Digitized by 



Google 



40 * Sitzung der phUos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882. 

Cäsuren der Melodie die absolute Tonhöhe fest, während 
die eigentlichen Melodiezeichen theils Intervallzeichen (aijfteia 
rtooorrjTÖg) in dem Sinne sind, wie sie im Abendlande Her- 
mann von Vehringen (Hermannus Contractus, gest. 1054) 
einzubürgern suchte, theils rhythmische Werthzeichen (orj- 
fxela TtoiotrjTog), theils Zeichen für Manieren (orjfxeia x^ ' 
vorlag). Die Schlüsselbuchstaben heissen wie die alten 
Zeichen der Tonarten ^Martyrien 1 und treten stets in Ge- 
sellschaft jener auf und zwar in folgenden Combinationen : 

1. Tiefste Töne: 

(Die Tonzeichen untergeschrieben) 

iPl « X n <ft « 
v" n" B" r* A l *' 

2. Mittlere Töne: 

(Von hier ab die Tonzeichen übergeschrieben) 

Z v it B ' r J x, 

fl 1 X 22 <Pl « 

3. Höhere Töne: 

z' p' 7i' B' r' j' 

X 22 <\ X 22 |Pl 

4. Höchste Töne: 

*" Z" v" n" 

1 * <ft 1 

d. h. die Martyrie j^) tritt stets mit vH (= c) und Ji (— g) 
durch alle Oktaven auf, <| mit txA (= d) und xE (— a), 
X (<v und y — <) mit Bov (= e) und Zw (= h) und endlich 
21 mit Ta (= f) und vH (= c), welches letztere jedoch 
häufiger mit dem Zeichen des ersten Tones J^\ erscheint. 
Die charakteristischen Töne sind also: 

c . . g . . c für J 1 ) 

d . . a . . d „ <j 
• e . . h . . e „ X 

f . . c . . f „ 22 



Digitized by 



Google 



Riemann: Die Mccqtvqicu der byzant. liturg. Notation. 



41 



Hier offenbart sich ein seltsamer Widerspruch : die Mar- 
tyrien stellen c . . g . . c als Haupttöne des 4. Kirchentones, 
des mixolydischen (/*■)) hin, während doch bekanntlich viel- 
mehr g . . d . . g diese Bedeutung zukommt! 

Vergleichen wir die Höhenlage der vier Haupttöne in 
der Folge, wie sie sich durch die Gleichartigkeit der Oktaven- 
theilung durch die Quinte hier ergiebt (also J^) unterhalb 
<\ und nicht oberhalb 22, wo es ein Schema mit Quarten- 
theilung ergäbe: g . . c . . g), so haben wir die Abstände: 

Vi Vi Va 

c....d....e..f 

Suchen wir in der antiken Skalenlehre nach einem 

Analogon dieser Abstände, so finden wir dasselbe unter den 

Oktavengattungen zwischen den Tonarten: 



lydisch = c . 
phrygisch = d . 


. C 

. . Vi • 
. d' 


hypophrygisch — G . . g 
hypodorisch = A . . a 


dorisch = e . , 


e' ° 


mixolydisch = H . . h 


hypolydisch = f . 




lydisch = c . . c' 



d. h. weder im einem noch im anderen Falle finden wir 
die Namen der vier Haupttonarten: dorisch, phrygisch, 
lydisch, mixolydisch, sondern in beiden Fällen theils Haupt- 
tonarten, theils Seitentonarten (mit hypo — ). Dagegen er- 
gibt die Beziehung auf die Transpositionsskalen ein 
überraschendes Resultat: 

dorisch: Proslambanomenos Ais (B) 



phrygisch : „ 

lydisch: „ 

mixolydisch : „ 

(hyperdorisch bei Alypius) 



d 

dis (es) 



7' 



Digitized by 



Google 



42 Sitzung der phüos.-phäol. Classe vom 6. Mai 1882. 

d. h. die Grund töne der notorisch wichtigsten und gebräuch- 
lichsten Transpositionsskalen weisen dieselben Abstände auf 
wie die Martyrien der 4 rj%oi. Ich denke, hier haben wir 
einen Fingerzeig, der gar nicht misszuverstehen ist, beson- 
ders da wir nun in den Martyrien die Anfangsbuchstaben 
der vier Haupttonarten wiederfinden: 
/*■) = d (öwqioq) 

4 = <T (<PQvyiog) 

~ = X (Xvdiog) 

22 = f.i (fdigolvdiog) 

Die Verwendung der Martyrien in den höheren und 
tieferen Oktaven entspricht völlig dieser Annahme,' denn die 
Zeichen fallen auf den Proslambanomenos , die Hypate hy- 
paton, die Mese, Nete diezeugmenon und Nete hyperbolaeon, 
d. h. die thatsächlichen Säulen der Skalen: 

IIqogX. r Yn. im, Miarj Nfa 6u£. Nijzri Jnegß. 

dorisch: c .... g .... c' .... g' .... c" 

phrygisch: d .... a .... d' .... a' .... d" 

lydisch: e .... h .... e' .... h' .... e" 

mixolydisch: f .... c' .... f .... c" .... f" 

Nehmen wir eine Kontinuität der Ueberlieferung der 
absoluten Tonhöhe aus dem klassischen Alterthume zum 
Byzantinismus an, so fallen die Ansätze für die absolute 
Tonhöhe der Transpositionsskalen freilich ganz anders aus, 
als sie F. Bellermann nicht ohne Wahrscheinlichkeit auf- 
gestellt hat (Die Tonleitern und Musiknoten der Griechen, 
S. 54 — 56). Nach Bellermann würde der hypodorische 
Proslambanomenos, der im Geiste der griechischen Noten- 
schrift durch unser Eis auszudrücken ist, geklungen haben 
wie Ci§ oder D, nach unserer gleich noch mehr zu festigen- 
den Aufstellung dagegen wie G, d. h. einen Ton höher an- 
statt eine Terz tiefer. Eine unbefangene Prüfung des Beller* 
mann'scben Nachweises ergiebt die einer solchen Annahme 



Digitized by 



Google 



Riemann; Die MaQtvftiat der byzant. liturg. Notation. 43 

entgegenstehenden Gründe als nicht zwingende; sehen wir 
daher, zu welchen Resultaten die neue Annahme führt. 

Die neuere griechische Buchstaben tonschrift mit n B r 
J x Z v nimmt ihren Ausgang von d (= it^i)\ doch er- 
fahren wir aus dem Lexikon des Philoxenos, dass die alte 
Grundskala (dgxaia itaqalXayii) die — schwerlich mit Recht — 
auf Ambrosius von Mailand bezogen wird, ihren Ausgang 
von dem jetzt mit vH bezeichneten Tone nahm, d. h. von 
unserem c, also von dem Tone, der die Martyrie J^ trägt, 
dem Proslambanomenos der dorischen Transpositionsskala, 
und durch die Grundtöne der ältesten und wichtigsten Ska- 
len lief: 

c = dorisch (Proslambanomenos, Mese, Nete hyperbolaeon) 

d == phrygisch „ „ „ 

e = lydisch „ „ „ 

f = mixolydisch „ „ „ 

__ j hypermixolydisch „ „ „ 

** l hypodorisch „ „ „ 

a = hypophrygisch „ 

h = hypolydisch „ „ „ 

d. h. der 7 von Ptolemäos (II, i) allein aufgezählten Trans- 
positionsskalen. Möglich, dass man beim Uebergange zur 
Beschränkung auf die Diatonik dieser einzigen Skala die 
Anfangsbuchstaben der Namen der Haupttonarten (ö (p l 
(x) als eine Art Notenschrift gebrauchte, welche sich in 
den Martyrien erhalten hat; mehr als wahrscheinlich ist, 
dass sodann die Namen auf die Oktavengattungen über- 
giengen, welche auf diesen Grundtönen ihren Sitz haben: 

cdefgahc' — dorisch 

defgahc'd'= phrygisch 

e f g ahc'd'e' = lydisch 

f g a h c' d' e' f = mixolydisch 



Digitized by 



Google 



44 Sitzung der philos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

ig a h c' d' e' f g' = hypermixolydisch | 
\6AHcvdefg= hypodorisch / 

AHcdefga = hypophrygisch 
Hcdefgah = hypolydisch 
Denn diese sonst ganz unerklärliche Benennung der 
Skalen finden wir in der That bei Bryennius (vgl. Christ 
1. c. S. 60): 

fyog a == hypermixolydisch (g — g') 
rj%og ß' = mixolydisch (f — f) 
jfapQ y = lydisch (e — e') 
I tjxog # = phrygisch (d — d') 

a nlcty. = dorisch (c — c') 
§1 Tthxy. = hypolydisch (H — h) 
/ Ttfoxy. = hypophrygisch (A — a) 
$ TtXay. = hypodorisch (6 — g) 
Auch findet damit die seltsame Grundskala (2v<rct][4a 
7ZEvreKaid€Y,a%OQdov) des Bryennius ihre Erklärung, welche 
die Intervalle G — g' ohne Vorzeichen aufweist, statt des 
antiken Normalsystems von A — a' ohne Vorzeichen: 

Bryennius: antik: 

Proslambanomenos G 

Hypate hypaton A Proslambanomenos 

Parhypate hypaton H Hypate hypaton 

Lichanos hypaton c Parhypate hypaton 

Hypate meson d Lichanos hypaton 

Parhypate meson e Hypate meson 

Lichanos meson f Parhypate meson 

Mese g Lichanos meson 

Paramese a Mese 

Trite diezeugmenon h Paramese 

Paranete diezeugmenon c' Trite diezeugmenon 

Nete diezeugmenon d' Paranete diezeugmenon 

Trite hyperbolaeon e' Nete diezeugmenon 



Digitized by 



Google 



Riemann: Die MccqtvqIcci der byzant. liturg. Notation. 45 

Paranete hyperbolaeon F' Trite hyperbolaeon 
Nete hyperbolaeon g' Paranete hyperbolaeon 
a' Nete hyperbolaeon 

Desgleichen erscheint die Bezeichnung des 3. Tons 
plagaliter (hypophrygisch) als r^og ßaQvg, welche schon dem 
Bryennius selbst räthselhaft war (Christ 1. c. S. 56) ein- 
fach dadurch erklärt, dass der Grundton des hypophrygischen 
dieser Ordnung auf den Proslam banomenos, d. h. den tief- 
sten Ton (A), des antiken Normalsystems fällt. 

Das für den plagalen 4. Ton nothwendig werdende G 
ist aber das im 10. Jahrhundert im Abendlande auftauchende 
r, das sich ja durch seine Form wie seine Geschichte (vor 
Odo von Clugny ist es unbekannt) als Zusatz erweist. Auch 
die im 9. — 10. Jahrhundert auftauchende Buchstabennotation 
mit ABCDEFGAim Sinne unseres heutigen c d e f 
g a h c', die ich in meinen „Studien zur Geschichte der 
Notenschrift" (1878) die fränkische genannt habe, findet so 
ihre natürliche Begründung in der alten byzantinischen 
Grundskala, wie bereits Christ bemerkte (1. c. S. 57), und 
ich muss daher davon absehen , in ihr etwas der Durauf- 
fassung des Abendlandes entsprungenes zu erblicken. 

Die ältere von Bryennius überlieferte Ordnung der by- 
zantinischen Kirchentöne, bei der d — d' ohne Vorzeichen 
nicht der erste, sondern der vierte Ton ist, verräth noch 
deutlich genug die Abstammung aus dem antiken System, 
einmal in der absteigenden Folge der Tonarten 

1. Ton g-g' 

2. Ton f — f 

3. Ton e — e' 

4. Ton d — d' 

sodann auch in dem Verhältniss der plagalen (nXctyioi) zu 
den authentischen (xt'gKu), sofern erstere eine Quinte 



Digitized by 



Google 



46 Sitzung der philos.'phüol. Classe vom 6. Mai 1882. 

tiefer liegen als letztere, während die abendländischen pla- 
galen eine Quarte tiefer liegen als die authentischen : 

antik : altbyzantinisch : 

dorisch: e' d' c' h a g f e ijx- «'• g — g' 

hypodorisch: ag fedcHA nhxy. a: c — c' 

abendländisch : 
dorisch: d e fgah c'd' 

hypodorisch: AHcdefg a 
Dagegen ist das neuere System der griechischen litur- 
gischen Musik ganz dem abendländischen nachgebildet, die 
authentischen Töne nunieriren von unten nach oben, die 
plagalen liegen eine Quarte tiefer als die kvqiol, und die 
neugriechische Grundskala ist der ij%og xvqioq a , d. h. das 
System ist noch konsequenter durchgebildet und vollständiger 
vom antiken emanzipiert als das abendländische, dessen Grund- 
skala noch dem antiken Pentekaidekachordon nachgebildet 
ist. Auch die antiken Tonartennamen werden jetzt von den 
Griechen in demselben Sinne gebraucht, in welchem wir 
sie zuerst bei Notker und Hugbald treffen. So konfus diese 
Anwendung der Namen im Hinblick auf die antiken Oktaven- 
gattungen ist, so muss sie doch schliesslich in sofern als 
eine geschickte bezeichnet werden, als die Namen der wich- 
tigsten Skalen der antiken Theorie übertragen sind auf die 
wichtigsten Skalen des mittelalterlichen Systems unter un- 
gefährer (Halbton und Ganzton gleichsetzender) Innehaltung 
der Abstände, welche im antiken Systeme die gleichnamigen 
Transpositionsskalen hatten : 

antik: bei Notker, Hugbald etc. 

(Transpositionsskalen) ( Kirchentöne) 

c — c' dorisch d — d' dorisch 

d — d' phrygisch e — e' phrygisch 

e — e' lydisch f — f ' lydisch 

f — P mixolydisch g — g' mixolydisch 



Digitized by 



Google 



Biemann: Die Magrvglai der byzant. liturg. Notation. 



47 



Wenn die Annahme richtig ist, dass man bei Aufgabe 
des Systems der Transpositionsskalen als unveränderliche 
diatonische Skala die aus den Grundtönen der vormals ge- 
bräuchlichsten Transpositionsskalen gebildete Tonleiter an- 
nahm : 



O. — 

3 _ 

£ - 

? 

H ~ 

M _ 

R ~~ 

I = 



hypodorischer Proslambanomenos. 
hypophrygischer 

hypolydischer 

dorischer 

phrygischer 

lydischer 



jj — hyperdorischer 

so entsprach die neue Grundskala der hypophrygischen Trans- 
positionsskala (natürlich unter Substitution der enharmonisch 
identischen Tonzeichen für die Parhypaten und Triten : b statt 

ais, es statt dis, z. B. ffl für ^ und F für ^). Der hy- 
□ M - 1 - "i 

podorische Proslambanomenos lag daun noch unterhalb des 

eigentlichen Proslambanomenos dieser Skala. Im Geiste der 

antiken Notenschrift — die hypolydische Transpositionsskala 

als die ohne Versetzungen unserem a Moll gleichgesetzt — 

wäre diese Skala wiederzugeben durch : 



G 



A B c d es f g 



a b c' d' es' f g' 



Digitized by 



Google 



48 Sitzung der philos.-pMlol. Glosse vom 6. Mai 1882. 

Da uns Dicht überliefert ist, dass die antiken Noten- 
zeichen der hypophrygischen Skala sich besonders lange in 
Gebrauch gehalten hätten (das wissen wir vielmehr von 
denen der lydischen), so müssen wir annehmen, dass wirk- 
lich mit der Aufgabe des Systems der Transpositionen 
wenigstens für die liturgische Musik die antike Notierung 
gänzlich aufgegeben wurde; nach den Angaben des Philo- 
xenos, die auf verlässliche Traditionen gestützt sein mögen, 
wenn ihm nicht vielleicht gar zweifellosere Anhalte vor- 
lagen, muss man schliessen, dass eine völlig neue Tonbe- 
zeichnung mit der Grundskala c d e f g a h heutiger Be- 
deutung gewählt wurde, unter Beifügung der Martyrien 
als Gedächtnisshülfe für die erste Erklärung. Das Bewusst- 
sein, dass die nun allein festgehaltene Skala eigentlich eine 
bypophrygische war, konnte daher verloren gehen und gieng 
verloren. Seit Vollendung dieser Umbildung war diese Skala 
daher nicht mehr eine Skala mit 2 Been, sondern eine Skala 
ohne Vorzeichen, eine Grundskala; da, wie ich nachgewiesen, 
die folgende Entwickelung die absolute Tonhöhe, soweit bei 
den damaligen unzulänglichen Kontroiverhältnissen davon 
die Rede sein kann, festhielt, so ist die Wiedergabe der 
Skala durch 

GAHcdefgabc'd'e'fg'a' 

nicht riur im Geiste der neuen Grundanschauung gefasst, 
sondern zugleich der rechte Schlüssel für die absolute 
Tonhöhe. 

Die folgende Zusammenstellung mag ein Gesammtbild 
der Verschiebung der Namen und des Wechsels der Grund- 
skalen geben : 



Digitized by 



Google 



Riemann: Die MctQtvQicu der lyzantAiturg. Notation. 49 

I. Grundskalen: 
a) Antik: 

f e d< c< h a g f ( N Q < q K c p r ) 

h) Byzantinisch und früh mittelalterlich abendländisch: 

c d e f g a h c' (A B C D E P G A und vielleicht 
ä cp X f* d (p l f.i 
oder: aßyde£y&?) 

c) Abendländisch seit dem 10. Jahrhundert (anschliessend an das 
antike Pentekaidekachord) : 

AHcdefga (ABCDEFGa) 

d) ßryennius: 

GAHcdefg 

e) Griechische neuere Schule: 
d e f g a h c' d' {itA Bov Ta Ji xE Zco vH nA) 

f) Moderne abendländische Grundskala: 

cdefgahc' 



L1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 1 j 



Digitized by 



Google 



50 



Sitzung der phüos.'phüöl. Glosse vom 6. Mai 1882. 



C 


o 

u 

Ö 

3 





rP 














rd 




► rP 




Vi 














o 




o 




rd 














0Q 




OS 




c3 














d 




i— • 
O 

:c3 




•-* 














.2 






CD 














• 




• 




r- 1 














■* rd 




:* rP 
















i— •« 


o 


fco £ 












' r= 




c 


co 


►» .2 




P 
TS 

a 

c3 

1—4 

•73 


d 
cd 

o 

CD 
Vi 




c 

V 


■s co s- 

> 'ES) •§ 

^ P* rc 


(hypolydi 


(bypophr 
(hypodor 



o 


P 
CD 
rQ 


bo 

P 
0> 


c 


c 
E- 


c 
> c 

• E-< 


c 


p- TS« 





CO <M «— • "* CO <N r-i 



rP 



o 



a 2 



M 



c3 


DJ 


>^ 


Ö 


rß 


3 




>j 




•p 




Cß 




O 




Ö 









> 


r« 


ort 


• r-l 


•p 


-M 


^ 


p 





öS 



CD 

rP 

p 
o 
H 



P 
o 





rP 




o 




CO 


rd 


'& 


CO 


r>> 


n3 

>> 


Vi 

rd 

Ph 


N — ^ 


^-^ 


P 


P 


O 


o 


H 


H 



/-s »73 

-d j>> 

co O 

»73 rP 



SP 

rP P 
P- 

o 

Ph 

rd 



"3 

rP 



bo bp 
'S- p* 



bp bo 

03 cö 



- c4 


CO 


H5 


i-H 


<M 


CO 


h5 


* rP 

CO 




• 




^3 


rd 


cc 








o 


o 


bi} 




rP 




CO 


CO 


>-, 


• »73 


rP 


o 

CO 

"bb 


•s 


•73 


Vi 

o 


v< 
rd 
P- 


O 


CO 


>> 


CO 


O 


o 


o 


Ph 


Vi • 


Vi 




M 


P4 


P- 


t>> 


O 


rP 


a 


>-. 


►* 


. rP 


•73 


Ph 


rd 


rP 



bD 


5-i 


"cd 


n3 


"b 


rd 


03 


bD 


5-i 


"b 


n3 


"o 


rd 


03 


bD 


CM 


"<D 


^3 


*b 


rP 


03 


bo 


cm 


CD 


»TS 


\) 


pd 


03 


bD 


CM 


CD 


•73 


\) 


rd 


03 


bD 


cm 


CD 


•73 


O 


rd 


03 


bC 


cm 


CD 


»73 


o 


w 


03 


bD 


cm 


CD 


H3 


ü 


w 


^ 


bß 


CM 


CP 


•73 


Ö 


B 


^ 


o 



Digitized by 



Google 



Historische Classe. 



Sitzung vom 6. Mai 1882. 



Herr Heigel hielt einen Vortrag: 

„Das Project einer Witteisbach i sehen Haus- 
union unter schwedischem Protectorat 
1667—1697". 

Aus den im bayerischen Staatsarchiv verwahrten zahl- 
reichen Schriftstücken, die aus dem Verkehr zwischen 
Schwedens Königen und bayerischen und pfalzischen Fürsten 
erwuchsen, wird ersichtlich, dass die nordische Grossmacht 
auch auf die Politik der süddeutschen Hofe weit bedeut- 
sameren Einfluss übte, als man anzunehmen pflegt. 

Hier sei zum Erstenmal aufmerksam gemacht auf ein 
bald nach Abschluss des westfälischen Friedens wiederholt 
aufgetauchtes Project, sämmtliche von Mitgliedern des Wit- 
telsbachischen Hauses regierte Staaten in einem Schutz- 
und Trutzbündniss zu vereinigen, um dem ältesten deutschen 
Fürstenhause eine angesehenere Stellung in Europa zu 
sichern. 

Die Initiative ergriff Philipp Wilhelm, der seit 1653 
über das Herzogthum Neuburg regierte, wozu nach Beendig- 
ung des Erbfolgestreits mit Brandenburg auch Jülich und 
Berg gekommen waren. Häusser nennt ihn einen „unbe- 

4* 



Digitized by 



Google 



52 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

deutenden Regenten" *). Gerade diese Charakteristik ist 
jedoch falsch und ungerecht. Gewiss lassen sich gegen 
die innere Politik des Herzogs, insbesondere bezüglich 
seines Verfahrens gegen die Protestanten in Jülich und 
Berg, schwere Vorwürfe erheben, allein wenn man die ver- 
mutlich von Häusser nicht gekannten Cabinetspapiere durch- 
forscht, wird man sogar staunen über die vielseitige Selbst- 
tätigkeit des Fürsten. Alle Briefe, Instructionen für Ge- 
sandte, Vertragsprojecte etc. entwirft er selbst, und zwar 
erstreckt sich dieser Verkehr fast über alle Hofe Europa's. 
Er erreichte denn auch durch seine unermüdlichen Be- 
mühungen wenigstens so viel, dass er sich, ob zwar nur 
Regent eines verhältnissmässig unbedeutenden Staats, am 
kaiserlichen Hof, wie bei auswärtigen Regierungen eines 
überraschenden Einflusses erfreute. Der erste Publicist seiner 
Zeit, Samuel Pufendorf, nennt ihn „einen der klügsten 
deutscheu Fürsten 11 . 2 ) Als er sich um die polnische Krone 
bewarb , wurde seine staatsmännische Befähigung von den 
Freunden mit höchster Auszeichnung hervorgehoben, und 
sogar von den Gegnern nicht bestritten. 

Die Bewerbung um Polens Krone war ihm nahe ge- 
legt durch seine Verbindung mit Anna Katharina, König 
Sigismund's Tochter. Schon zu Lebzeiten dieses Königs 
unterhielt er, um desto sicherer das goldene Erbe zu er- 
reichen, vertraulichen Briefwechsel mit einflussreichen pol- 
nischen Würdenträgern. Festere Gestalt gewann der Plan, 
als das Gerücht laut ward, Sigismund's Sohn, Johann 
Casimir, wolle dem Throne entsagen. Nun richtete der 
Herzog vor Allem auf das stammverwandte schwedische 



1) Häusser, Geschichte der rheinischen Pfalz, II, 749. 

2) Severinus de Mpnzambono, (Sam. Pufendorf) De statu imperii 
germanici, her. von Bresslau, 46. — Auch Droysen stimmt dieser Auf- 
fassung bei und zollt dem Herzog das Lob eines „vollendet tüchtigen 
Staatsmannes 4 *. (Geschichte der preussischen Politik, III, c, 264.) 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 53 

Haus sein Auge; er wollte jedoch nicht bloss die Unter- 
stützung seiner eigenen Pläue durch jene Kroue erbitten, 
sondern strebte von vorneherein ein Bündniss zu Stande 
zu bringen, das sämintliche Fürsten des Wittelsbachischen 
Hauses unifassen sollte. 

Die Aussichten auf ein Gelingen konnten nichts we- 
niger als günstig genannt werden. Der alte Zwiespalt der 
beiden Hauptlinien, Bayern und Kurpfalz, war durch den 
westfälischen Frieden nicht versöhnt. Kaum war der Streit 
um die Kurwürde beigelegt, entbrannte er um so heftiger 
um das Reichsvicariat. Auf dem Wahltag zu Frankfurt 1658 
war die feindselige Stimmung der beiden Höfe zu drastischem 
Ausdruck gelaugt, indem der jähzornige Kurfürst Karl 
Ludwig dem mit zäher Energie die bayerischen Interessen 
vertheidigenden Dr. Oexle in öffentlicher Sitzung das Dinten- 
fass an den Kopf warf. Es war zwar darauf eine soge- 
nannte Versöhnung erfolgt, eine Ehrenerklärung .gegeben 
und angenommen worden, aber an freundschaftlicheres Ein- 
vernehmen der verwandten Höfe war nicht zu denken, so 
lange nicht die Ursache der Entfremdung weggeräumt war. 
„Das Ende des Streits ist gar nicht abzusehen 41 , urtheilt 
Pufendorf in der 1667 veröffentlichten Schrift über die 
deutsche Reichsverfassung, „denn das Recht ist auf Seite 
von Kurpfalz, die Macht auf Seite Bayerns". 3 ) 

Auch den Kurstuhl von Köln hatte seit 1650 ein 

, Witteisbacher inne, Heinrich Maximilian, der jedoch ganz 

und gar von französischem Interesse abhängig und ohne 

Einwilligung Mazarin's zu keinem wichtigeren Schritt zu 

bewegen war. 

In Stockholm, wo nach der Thronentsagung Christinens 
(1654) Pfalzgraf Karl Gustav von der Linie Zweibrucken- 
Kleeburg die Regierung übernommen hatte, suchten wett- 



3) L. c, 121. 



Digitized by 



Google 



54 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

eifernd die Gesandten Frankreichs und des Kaisers die Freund- 
schaft der nordischen Grossmacht zu gewinnen. Auch nach 
Karl Gustav's Tod blieb die Haltung des Hofes schwankend. 
Karl's Wittwe Hedwig Eleonore übernahm im Verein mit 
den fünf höchsten Reichsbeamten die vormundschaftliche 
Regierung. Eintracht fehlte aber gerade hier, wo sie am 
nötigsten gewesen wäre; die Räthe waren theils französischen, 
theils kaiserlichen Einflüsterungen und Versprechungen zu- 
gänglich. Als die Seele der Regierung galt der Reichs- 
kanzler de la Gardie, der die französische Allianz begün- 
stigte. 4 ) Mit ihm und dem französischen Gesandten in 
Stockholm, Pomponne, trat demnach Herzog Philipp Wil- 
helm zunächst in Verbindung, um Unterstützung seiner 
polnischen Bewerbung zu erlangen. Die Antworten des 
Franzosen enthielten nur leere Höflichkeitsformeln, aber der 
Reichskanzler nahm das Gesuch des Pfalzgrafen nicht un- 
günstig auf. 5 ) Im Juni 1667 wurde denn auch von Schweden 
ein Vertrag mit Brandenburg abgeschlossen, worin u. A. 
kräftige Förderung der Erhebung des Neuburgers auf den 
polnischen Thron von beiden Regierungen zugesagt war. 
Der Herzog sandte eine eigene Gesandschaft, seinen Käm- 
merer Konrad Freiherrn von Velbrugg und den gelehrten 
Rechtsanwalt Dr. Tilman Ehrmanns nach Stockholm, um 
die Regentin und den jungen Thronfolger für seine Bewerb- 
ung und für den Plan einer Hausunion günstig zu stimmen. 
Sie fand wohlwollende Aufnahme. Der König, so wurde den 
Gesandten am 10. August 1667 eröffnet, wolle gern mit 
dem Herzog und allen andren Kurfürsten und Fürsten 



4) Carlson, Geschichte Schwedens, IV, 497. 

5) Bayr. Staatsarchiv. Kasten blau 60/9. Acta, worinnen die 
Correspondenzen mit verschiedenen Gesandten, als in Prankreich, Haag, 
zu Wien, Regenspurg, Mayntz, Stockholm and anderen befindlich, 1664 
bis 1670. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittehbachischen Hausunion. 55 

seines Hauses in nähere Verbindung treten ; man möge nur 
ohne Verzug Ort und Zeit für den Zusammentritt von Ge- 
sandten festsetzen. Bezüglich der polnischen Angelegenheit 
hege der König den aufrichtigsten Wunsch, dem Pfalz* 
grafen nützlich zu sein, wofür er sich der Anerkennung 
seines Erbrechts auf Jülich und Cleve versehe. 6 ) 

Philipp Wilhelm entfaltete nun, wie sich aus den vor- 
handenen Depeschen ersehen lässt, angestrengte Thätigkeit, 
um seiner Bewerbung neue Freunde zu gewinnen. Er er- 
hielt denn auch vom kaiserlichen, wie vom französischen Ca- 
binet die schmeichelhaftesten Versicherungen. Ludwig XIV. 
Hess sich sogar durch einen Vertrag vom 27. Juni 1668 
auf positive Verpflichtungen ein. 7 ) Auch der zwischen 
Schweden und Brandenburg im vorigen Jahre geschlossene 
Vertrag wurde erneuert, und Philipp Wilhelm selbst trat 
dem Bündniss bei (6. Mai 1668). 8 ) 

Als jedoch im September 1668 die Abdankung König 
Johann Kasimir's wirklich erfolgte, trat sofort zu Tage, 
dass fast ausnahmslos die glänzenden Verheissungen nur, 
um einen Ausdruck Pomponne's zu gebrauchen, „propter 
speciem" gemacht waren. Frankreich agitirte in Warschau 
für den Herzog von Conde, die kaiserliche Gesandtschaft 
empfahl zwar offiziell die Wahl des Pfalzgrafen, aber Nie- 
mand konnte im Zweifel sein, dass der Kaiser den Herzog 
von Lothringen begünstige. 9 ) Auch die Haltung des Kur- 
fürsten von Brandenburg war zweideutig. „Ihro Königliche 



6) B. St.-A. K. bl. 46/8. Correspondenz Sr. Churfürstl. Durch- 
laucht zu Pfalz mit Sr. Majestät in Schweden, 1654—1743. Erklärung 
der Königin Hedwig Eleonore auf das Anbringen der pfalz-neuburgischen 
Gesandten, vom 10. August 1667. 

7) Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 173. 

8) B. St.-A. K. bl. 46/8. „Actum Holmiae 6. Mai 1668". 

9) Stumpf, Philipp WilhelnTs, Pfalzgrafen etc. Bewerbung um die 
polnische Königskrone, in der Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, I, h 



Digitized by 



Google 



56 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

Majestät von Schweden", schrieb der Reichsfeldherr Graf 
Wrangel an Philipp Wilhelm, „glauben, dass des Chur- 
fiirsten von Brandenburg Benehmen in der polnischen Sache 
nachdenklich erscheine, dass er mit Frankreich unter einer 
Decke stecke". Nur Schweden fuhr fort, die Bewerbung 
des Herzogs zu unterstützen, und dieser war unablässig be- 
müht, Herrn de la Gardie und andere einflussreiche Beamte 
in Stockholm in ihrer „favorablen Gesiunung" zu erhalten. 11 ) 
Das Project der Hausunion wird jedoch nicht mehr aus- 
drücklich erwähnt. Die politische Lage war ja einer solchen 
Conjunctur so ungünstig wie möglich, denn das Verhältniss 
Bayerns zu Kurpfalz gestaltete sich immer unfreundlicher. 
Am 20. März 1668 wurde sogar zwischen Bayern und Kur- 
mainz ein Schutz- und Trutzbündniss vereinbart, in Folge 
„des bedenklichen Armirens der Churfürstlichen Durchlaucht 
zu Pfaltz, das den benachbarten Fürsten begreiflicherweise 
Jalousie einflösse". 1 2 ) 

Allein auch das polnische Project des Herzogs schlug 
fehl. Polen war, wie gewöhnlich, in Folge von Bestechung 
der wahlberechtigten Edelleute die Beute wilder Wahl Um- 
triebe, ja sogar blutige Händel zwischen der Neuburgischen 
und der Lothringischen Faction blieben nicht aus. Gerade 
dieses Uebermass von Parteileidenschaft führte jedoch einen 
plötzlichen Umschwung herbei. Man einigte sich dahin, 
die Krone keinem der beiden vom Ausland begünstigten 
Bewerber, sondern einem einheimischen Edelmann, Michael 
Wisniowiecki , zu übertragen. Am 11. Juli 1669 schreibt 
Philipp Wilhelm resignirt an Hedwig Eleonora, sie werde 



10) B. St.-A. K. bl. 59/6. Correspondenz mit verschiedenen k. 
Schwedischen Ministern, Generälen und Gesandten, 1655—1675. Brief 
WrangePs vom 28. September 1668. 

11) Ebenda. Zahlreiche Briefe au de la Gardie, Wrangel, Gier- 
schenstirn, Habbäus u. A. 

12) Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 170. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 57 

wohl schon selbst erfahren haben, dass das Wahlwerk 
„ganz unverhoffter Dingen und gegen alles Vermuthen ur- 
plötzlich" ungünstigen Wechsel erlitten habe; ihm bleibe 
nur noch übrig, der Krone Schweden aufrichtig zu danken, 
dass sie ihre „zu Erhebung des Stammhauses glorie und 
lustre tragende Pflicht" so gewissenhaft und tapfer erfüllt 
habe. Darauf wünscht ihm die Königin Glück, weil er die 
widrige Begegnung mit so freiem und wohl vergnügtem 
Gemüthe passire; immerhin sei es ein Trost, alle Fürsten 
Europa's darüber einig zu sehen, dass Philipp Wilhelm der 
würdigste, eine solche Krone zu tragen. 18 ). 

Von dem Allianzproject ist nicht mehr die Rede. In 
Stockholm hatte sich gegen den übermächtigen Reichs- 
kanzler eine Oppositionspartei erhoben, der es gelang, für 
den Augenblick den französischen Einfluss zurückzudrängen. 
Im April 1668 schloss Schweden mit England und Holland 
Allianz, um den Erfolgen der französischen Waffen in Spanien 
ein Ziel zu setzen. Es hatte den Anschein, als wolle Schweden 
hiermit in die Reihe der erklärten Feinde Frankreichs treten, 
allein in Wahrheit bedeutete die Schwenkung nur einen 
kurzlebigen Sieg der conservativen Partei im Kronrath, der 
bald wieder durch neue Strömungen jegliche Bedeutung 
verlor. Unermüdlich trachtete die französische Staatskunst, 
die in dieser Epoche ihre glänzendsten Erfolge aufzuweisen 
hat, durch verschiedenartigste Einwirkung auf die bethei- 
ligten Höfe jene Tripelallianz zu sprengen. Am raschesten 
glückte ihr dies in Stockholm, wo Pomponne, unterstützt 
durch finanzielle Verlegenheiten der Regierung, die nur durch 
französische Subsidiengelder gehoben werden konnten, aber- 



13) B. St.-A. K. bl. 46/8. Correspondenz Sr. Churfürstl. Durch- 
laucht zu Pfalz mit Sr. Majestät in Schweden, 1654 — 1753. — Uebrigens 
Hess der Herzog auch dem Kurfürsten von Brandenburg versichern, er 
wisse gar wohl, dass der Kurfürst sein einziger treuer Freund, „da ihn 
alle Anderen verrathen und verkauft hatten". (Droysen, III, c, 263.) 



Digitized by 



Google 



58 Sitzung der histor. Glasse vom 6. Mai 1882. 

nials den Boden für ein französisches Bündniss ebnete. Am 
4. April 1672 wurde ein Traktat unterzeichnet, der angeb- 
lich nur Aufrechthaltung des Westfälischen Friedens ver- 
bürgen sollte; es war aber kaum noch zweifelhaft, dass er 
zu feindlichen Unternehmungen gegen die bisherigen Bundes- 
genossen Schwedens führen werde. 1 *) 

Das schwedische Cabinet war jedoch nicht gesonnen, 
ein für allemal auf jedes Ansinnen des Bundesgenossen 
bereitwillig einzugehen und die Eroberungspolitik König 
Ludwig's zu unterstützen. Es strebte vielmehr darnach, 
sich, so gut es ging, freie Hand zu wahren und die durch 
das Bündniss eingegangenen Verpflichtungen dadurch abzu- 
schwächen, dass möglichst zahlreiche Freunde in's Ver- 
trauen gezogeu und zur Mitwirkung für Aufrechthaltung 
des Friedens gewonnen würden. Zunächst galt es, die ver- 
wandten deutschen Fürsten diesen Plänen zugänglich zu 
machen: ein Bund aller Witteisbacher wäre stark genug 
gewesen, nicht nur die Beschlüsse des deutschen Reichstags 
nach Beliebe» zu lenken, sondern auch auf die kaiserliche, 
wie auf die französische Politik wirksamen Druck auszu- 
üben. 

Im Sommer 1672 ging der schwedische Bevollmächtigte 
in Frankfurt, Arenten, in vertraulicher Mission nach Düssel- 
dorf. Dem Pfalzgrafen Philipp Wilhelm, auf dessen guten 
Willen und Eifer die schwedische Regierung das festeste 
Vertrauen setzte, wurde zuerst der zwischen Frankreich 
und Schweden geschlosse Vertrag enthüllt und zugleich das 
Anerbieten unterbreitet, dem Bündniss beizutreten. Der 
Herzog erklärte sich auch sofort dazu bereit, gab aber den 
lebhaften Wunsch zu erkennen, es möchte auch der Kur- 
fürst von Bayern „als auch einer vom Haus" in's Vertrauen 



14) Carlson, IV, 555. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 59 

gezogen werden. 15 ) Er wartete nicht ab, ob Schweden 
diesem Wunsche Rechnung tragen wolle, sondern schickte 
umgehend eine Abschrift des Vertrags nach München, mit 
der Erklärung, er sei zum Eintritt in's Bündniss bereit, 
wenn auch die verwandten Häuser sich solchem Anschluss 
geneigt zeigen würden. 16 ) 

Allerdings hatte sich am Münchner Hofe seit einigen 
Jahren ein Umschwung vollzogen, der den eingeweihten 
Herzog hoffen liess, dass sein Anerbieten fruchtbaren Boden 
finden werde. Auch Kurfürst Ferdinand Maria hatte der 
Lockung, durch französische Subsidiengelder den durch einen 
prunkvollen Hof halt erwachsenen finanziellen Schwierigkeiten 
abzuhelfen, nicht zu widerstehen vermocht. Am 17. Februar 
1670 ging er mit Frankreich einen Vertrag ein, der die 
unselige Politik Bayerns inaugurirt, die ein volles Jahr- 
hundert hindurch dem gefügigen Bundesgenossen Frank- 
reichs so schmerzliche Blutopfer auferlegte. Zum Ersten- 
mal wird hier Frankreichs Unterstützung in Aussicht ge- 
stellt, um gewisse Ansprüche auf österreichische Landestheile 
durchzusetzen, und zu Aufstellung einer grösseren Truppen- 
macht eine jährliche Subsidienzahlung von 800,000 Gulden 
zugesichert. 17 ) Der hiermit eingeschlagenen Politik getreu 
verstand sich der Kurfürst, als der Krieg zwischen Frank- 
reich und Holland ausbrach, auch zu einem neuen Vertrag, 
wonach er im bevorstehenden Feldzug das Erzstift Köln 



15) B. St.-A. K. bl. 68/5. Acta, Correspondenz mit Puffendorff 
und anderen königlich schwedischen Residenten zu Wien, Köln, Haag, 
Prankfurt etc. betr., 1672—1675. Schreiben des Herzogs Philipp Wil- 
helm an Johann von Arenten vom 6. Juli 1672. 

16) B. St.-A. Kasten schwarz 291/15. Correspondenz, die Allianz 
zwischen Frankreich und Schweden, wozu auch Bayern eingeladen wird, 
betr., 1672—1676. Brief Philipp Wilhelm's an Kurfürst Ferdinand 
Maria vom 11. Juni 1672. 

17) Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 186. 



Digitized by 



Google 



60 Sitzung der histor. Classe vom 6) Mai 1882. 

gegen die Holländer decken sollte. 18 ) Philipp Wilhelm, 
der selbst, durch französische Subsidien bewogen, einen Neu- 
tralitäts- und Freundschaftsvertrag abgeschlossen hatte, 19 ) 
kannte die in München vollzogenen Abmachungen, konnte 
also mit Bestimmheit erwarten, dass auch das schwedische 
Project, das „bei Gott und allen Heiligen" nur darauf ab- 
ziele, dass der Friede conservirt und das Reich nicht in die 
holländischen Händel verwickelt werde, in Bayern auf „ge- 
neigte sentiments" stossen werde. 

Die bayrische Regierung richtete zunächst an den Kur- 
fürsten von Köln vertrauliche Anfrage, was er über die an- 
gebotene Allianz denke. 20 ) Die kritische Lage fordere zu 
ernstester Erwägung auf. Was könne Bayern, was könne 
Köln veranlassen, sich um der holländischen Händel willen 
in Krieg verwickeln zu lassen? Schon verlaute immer be- 
stimmter, dass der Kaiser und Brandenburg mit Holland 
gemeinsame Sache machten und Truppen zusammenzögen, — 
dadurch sei unvermeidlich der Westfälische Friede gefährdet. 
Nicht wer sich der jeweiligen aggressiven Politik des Kaisers 
anschliesse, sondern wer für Aufrechthaltung des Friedens 
wirke, sei als treues Mitglied des Reichs zu betrachten! 
In Köln war man denn aucli mit solcher Ansicht durchaus 
einverstanden. Hier regierte ja nicht so fast der Kurfürst, 
als vielmehr der Domherr Landgraf Wilhelm von Fürsten- 
berg, der in französischem Sold stand und dem französischen 
Interesse jede andere Rücksicht opferte. Schon am 11. Juni 
1671 war mit Frankreich ein Neutralitätsvertrag geschlossen 
worden, durch dessen geheime Artikel der französischen 
Streitmacht freie Operation im erzstiftischen Gebiet einge- 
räumt war. Ein besonderer Vertrag sicherte der Familie 



18) Ebenda, IV, 198. Vertrag d. d. 27. Mai 1672. 

19) Ebenda, IV, 200. Vertrag d. d. 7. Juli 1672. 

20) B. St.-A. K. schw. 291/15. Schreiben an Kur-Köln vom 
28. Juni 1672. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 61 

Fürstenberg einen bedeutenden Antheil an der erwarteten 
holländischen Beute. Unter solchen Verhältnissen lautete 
natürlich die Antwort auf die von Bayern gestellte Anfrage: 
der Anschluss an die französisch-schwedische Allianz erscheine 
ebenso loyal, wie unbedenklich. 21 ) 

Sogar am kurpfälzischen Hofe hatte französisches Gold 
Eingang gefunden. Karl Ludwig, der bisher als Gegner 
des na ächtigen Nachbarstaats gegolten hatte, gab unerwartet 
1671 zur Vermählung seiner einzigen Tochter Elisabeth 
Charlotte mit dem Bruder des Königs von Frankreich seine 
Zustimmung, was auf einen Umschwung der auswärtigen 
Politik des Heidelberger Hofes zu deuten schien. 22 ) Als 
immer bestimmter zu Tage trat, dass der Krieg zwischen 
Frankreich und Holland nicht localisirt bleiben werde, war 
Karl Ludwig in der That dem Plan einer engeren Verbind- 
ung mit Frankreich — nationale Politik, patriotische Ideen 
dürfen wir ja in jenem Jahrhundert an keinem deutschen 
Hofe zu finden erwarten, eifersüchtige Rivalität und klein- 
licher Egoismus leitete die Politik des Kaisers, wie der 
Reichsstände! — nicht abgeneigt. Als der Kaiser forderte, 
dass seinen Truppen der Durchzug durch die Pfalz gestattet 
werde, lehnte der Kurfürst das Ansinnen rundweg ab. 28 ) 
Schon 1670 hatte Fürstenberg als diplomatischer Schild- 
träger Jjudwig's XIV. in Heidelberg mit Glück gearbeitet. 
Er hatte sich auch erboten, einen friedlichen Ausgleich be- 
züglich des Vikariats mit Bayern zu vermitteln, und Karl 
Ludwig hatte nachgiebigere Gesinnung durchblicken lassen. 
Mit Vergnügen habe er vernommen, dass von Seite Bayerns 
mehr Gewicht auf die Titelfrage gelegt werde; ihm aber sei 
es nur um die Sache, um sein gutes Recht zu thuo, und da 



21) Ebenda. Antwort des Kurfürsten von Köln vom 9. Juli 1672. 

22) Droysen, III, c, 365. 

23) Häusser, II, 627, 



Digitized by 



Google 



62 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

sich der als patriotischer Diplomat so hochberühmte Herr 
Landgraf des Einiglingswerkes annehmen wolle, werde es 
sicher zn Stande kommen ! Darauf erörtert er seine Forder- 
ungen an Bayern. Hauptsächlich sei bezüglich der von 
Kurpfalz losgerissenen oberpfalzischen Aemter, sowie wegen 
der an die kurpfälzische Hofkammer zu zahlenden Summen 
Genugthuung zu leisten. Falls sich Bayern dazu verstehen 
wolle, stehe der Hausunion Nichts mehr im Wege; mit 
vereinten Kräften könne man dann alle von andren Mächten 
streitig gemachten Hausrechte zur Geltung bringen und so- 
gar Kaiserlicher Majestaet beachtenswerthe Winke geben, 
sowie neue, für die Wittelsbachischen Hauptlinien geltende 
Erbverträge abschliessend 4 ) 

Nicht minder eifrig war Philipp Wilhelm von Neuburg 
thätig, das Bündniss, „das ganz allein noch den höchst 
noth wendigen Ruhestand im heiligen römischen Reich sta- 
biliren könne", zum Abschluss zu bringen. Während im 
Fürstenbergischen Project nur Zusammenfassung von Bayern, 
Pfalz und Köln in Aussicht genommen wird, legt der Neu- 
burger das Hauptgewicht auf den Beitritt Schwedens. Er 
unterhielt desshalb mit dem einflussreichen Reichszeugmeister 
Graf Gustav Oxenstierna, und mit den schwedischen Resi- 
denten im Reich regsten Verkehr. Hauptsächlich verhandelte 
er mit dem Gesandten in Frankfurt, Arenten.* 6 ) Es wird 
dabei wiederholt betont, dass man Feindseligkeit gegen den 
Kaiser nicht im Schilde führe, ja es wird der Hoffnung Aus- 
druck gegeben, der Kaiser selbst werde das Bündniss gut- 
heissen und bestätigen. Diese Erwartung hatte auch eine 



24) B. St.-A. K. bl. 89/3. Cörrespondenz zwischen Churpfalz und 
Pfalz-Neuburg, die gefährlichen damaligen Kriegsconjuncturen betr., 
1672—1673. Schreiben des Kurfürsten von der Pfalz an den Land- 
grafen Wilhelm von Fürstenberg vom 17. Dezember 1670. 

25) B. St.-A. K. bl. 68/5. Cörrespondenz mit Puffendorff und 
anderen k. schwedischen Residenten etc., 1672—1675. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 63 

gewisse Berechtigung. Es war noch keineswegs entschieden, 
auf welche Seite sich Kaiser Leopold im bevorstehenden 
Kriege schlagen werde. Noch hatte der französische Ge- 
sandte Gremonville Wien nicht verlassen. Der einflussreichste 
Minister in Wien, Fürst Lobkowitz, hegte französische Sym- 
pathien; der Kaiser selbst, ohnehin mit den ungarischen 
Angelegenheiten vollauf beschäftigt, machte kein Hehl daraus, 
dass ihm der Schutz der ketzerischen Holländer nichts we- 
niger als eine Herzenssorge. Auch nach Eröffnung des Feld- 
zugs durch Offensivbewegungen französischer Truppen und 
trotz dringender Mahnungen des Kurfürsten von Branden- 
burg konnte sich das Wiener Cabinet noch geraume Zeit 
zu entschiedenem und entschlossenem Handeln nicht auf- 
raffen, und der Herzog von Neuburg war mittels seiner freund- 
schaftlichen Beziehungen zu den Jesuiten in Wien über die 
Stimmung der massgebenden Kreise gut unterrichtet. 26 ) 

In den ersten Septembertagen 1672 ging Arenten nach 
München, um den Beitritt dieses Hofes zur Allianz zu be- 
treiben. Philipp Wilhelm hatte auf die Ankunft des Ge- 
sandten vorbereitet und zugleich die Mittheilung einfliessen 
lassen, dass er selbst im Lager zu Boxtel nahe an der Grenze 
seines Herzogthums mit dem allerchristlichsten König eine 
Unterredung hatte. Er weiss nicht genug zu rühmen, wie 
incliniret für das römische Reich und für den Frieden der 
König sich geäussert habe: jetzt nur noch auf das kaiser- 
liche Cabinet den entsprechenden Druck und die drohende 
Wetterwolke werde am Reiche vorüberziehen! 27 ) In ähn- 
lichem Sinn sprach der schwedische Gesandte in München. 
In Stockholm trage man lebhaftes Verlangen, mit dem 
kaiserlichen Hofe in Frieden und Freundschaft zu leben; 



26) Wagner, Historia Leopoldi imperatoris, 425. 

27) B. St.-A. K. schw. 291/15. Briefe des Herzogs Philipp Wil- 
helm an den Kurfürsten von Bayern vom 3. und 13. August 1672. 



Digitized by 



Google 



64 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

man habe diesem sogar ein Bündniss angeboten, aber die 
Verhandlungen seien an der Unentschiedenheit des Wiener 
Cabinets gescheitert. Darauf habe man mit Spanien unter- 
handelt, allein Graf Nunez sei im entscheidenden Augenblick 
ohne Instruction gewesen, — kurz, um nicht in der Stunde 
der Gefahr von Freunden gänzlich entblösst zu sein, sei 
die Krone Schweden nothgedrungen auf das Bündniss mit 
Frankreich eingegangen. Noch kehre sich aber diese Ver- 
bindung durchaus nicht feindlich gegen Kaiser und Reich, 
und wenn nur der Kurfürst als eine der vornehmsten Stützen 
des Reichs sich zum Beitritt entschliessen könnte, werde 
ohne Zweifel der Friede gerettet sein. 28 ) Gleichzeitig mit 
dem Schweden verweilte auch ein ausserordentlicher Ge- 
sandter Frankreichs, Roberte de Gravell, in München. Auch 
dieser überbrachte ein lateinisch abgefasstes Memorandum, 
worin König Ludwig die von ihm eingeschlagene Politik 
zu rechtfertigen sucht. Es dränge den König, — die Aus- 
drücke könnten nicht schmeichelhafter gewählt sein, — sein 
Herz vor seinem wahren Freunde, Bayerns würdigem Fürsten, 
aaszuschütten und die heilige Versicherung zu geben, wie 
es sein innigster Wunsch sei, mit Kaiser und Reich im 
Frieden zu leben. Der Brandenburger aber wolle um jeden 
Preis Aufruhr und Krieg, und da der Kaiser noch immer 
zaudere, sei für Frankreich nichts Anderes übrig geblieben, 
als zu eigenem Schutz deutsches Gebiet zu besetzen. Da 
aber offenbar der Brandenburger zuerst den Frieden ge- 
brochen habe, nehme König Ludwig als Garant des West- 
fälischen Friedens die Waffenhilfe des Kurfürsten von Bayern 
in Anspruch. 29 ) 



28) Ebenda. Schriftliches Anbringen des schwedischen Gesandten 
Arenten d. d. München 29. August 1672. 

29; Ebenda. Memorandum des französischen Gesandten ßobertus 
de Gravell d. d. Monachii 6. Sept. 1672. 



Ditjitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion» 65 

Nach den vorausgegangenen vertraulichen Eröffnungen 
an Kurköln muss überraschen, dass sich Kurfürst Ferdinand 
Maria jetzt, da es sich um entschiedene Parteinahme han- 
delte, mit einem Mal gar kühl und reservirt verhielt. An 
Aufmerksamkeiten habe man es zwar in München nicht 
fehlen lassen, klagt Arenten seinem Gönner Philipp Wil- 
helm, allein ausser einer ziemlich vag lautenden Erklärung 
habe er nichts erlangen können. 80 ) In jenem nicht einmal 
vom Kurfürsten, sondern nur vom Minister Grafen Berchem 
unterzeichneten Schriftstück vom 6. September 1672 wird 
dem Entschlüss der schwedischen Regierung, das west- 
fälische Friedensinstrument zu vertheidigen , begeistertes 
Lob gezollt, auch die Versicherung gegeben, der Kurfürst 
wünsche nicht minder sehnlich, dass das römische Reich 
„ausser frembden Händen gehalten werden möge/' — aber 
der angesonnene Beitritt zum Bündniss sei eine zu wichtige 
Sache, als dass man sich ohne reiflichste Ueberlegung dazu 
entschliessen dürfe. 81 ) Ebenso geschraubt und gewunden 
lautet die „Antwort auf den Vorschlag des Bevollmächtigten 
des allerchristlichsten Königs." Der Kurfürst habe mit 
Entzücken vernommen, welch friedliche Gesinnung Ihro 
Majestät hege, denn nichts gebe herrlicheres Zeugniss von 
Grossmuth und Edelsinn, als im Waffenglück Gleichmuth 
und friedliche Gesinnung zu bewahren. Was der König 
vom Kurfürsten wünsche, sei bereits früher geschehen: auf 
die erste Kunde von Vereinigung der kaiserlichen Truppen 
mit den brandenburgischen nahe er aus eigenem Antrieb 
in Wien gegen ein so gefahrliches Wagniss Vorstellungen 
erhoben, denn unter allen Umständen müsse abgewendet 
werden, dass um der undankbaren und keinen Dank ver- 



30) B. St.-A. K. bl. 68/5. Schreiben Arcnten's an den Herzog 
von Neuburg vom 14. September 1672. 

31) B. St.-A. K. scbw. 291/15. Antwort auf des k. schwedischen 
Gesandten Anbringen vom 6. September 1672. 

[1882. II. Philos.-philol. Just. Cl. 1.] 5 



Digitized by 



Google 



66 Sitzung der histor. Glosse vom 6. Mai 1882. 

dienenden Holländer willen der Krieg in's deutsche Reich 
übertragen werde. Für des Kurfürsten von Brandenburg 
Friedensstiramung glaube er sich verbürgen zu können; 
wenn Frankreich die zu Brandenburg gehörigen festen 
Plätze im Cleve'schen zurückgeben wollte, werde Alles noch 
gut werden, er, der Kurfürst, wolle mit gröster Freude 
hüben und drüben den Frieden vermitteln. 32 ) Der im Me- 
morandum des Gesandten kategorisch verlangten Bereitstel- 
lung bayrischer Truppen wird gar nicht Erwähnung gethan. 
Damit war ausgesprochen, dass sich Bayern durch die früher 
mit Frankreich eingegangenen Verträge nicht mehr ge- 
bunden erachte und wenigstens offenes Auftreten gegen den 
Kaiser und Brandenburg ablehne. Offenbar war Kurfürst 
Ferdinand Maria, ohnehin allen nach seinem Bedünken ge- 
waltsamen Entschlüssen abgeneigt, durch Vorstellungen der 
habsburgischen Parteigänger an seinem Hofe eingeschüch- 
tert; auch die Besetzung cleve'schen Gebiets durch fran- 
zösische Truppen hatte ihn peinlich berührt. Das Schreiben, 
worin er vor dem Herzog von Neuburg sein Verhalten ge- 
genüber den Gesandten Frankreichs und Schwedens recht- 
fertigt, giebt von dieser ängstlichen Stimmung Zeugniss: 
er habe sich auf so angenehme Vorschläge nicht eingelassen, 
„da sonderbar an dem kaiserlichen Hoff dieses foedus für 
so richtig nit gehalten wirdt." 8S ) 

Ohne Trost auf günstigere Wendung war jedoch Arenten 
nicht aus München geschieden. Der Kurfürst, berichtet 
der Gesandte an Philipp Wilhelm, trage zwar Scheu, sich 
etwa durch Beitritt zum Bündniss in Krieg verwickelt zu 
sehen, hege dagegen lebhaftes Interesse für die Hausunion ; 
er selbst habe den Vorschlag gemacht, dass alle betheiligten 



32) Ebenda. Resolutio ad propositionem Christ, regis ablegati, 
d. d. 11. Sept. 1672. 

33) Ebenda. Sehreiben des Kurfürsten von Bayern an Herzag 
Philipp Wilhelm vom 13. Sept. 1672. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Bas Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 67 

Fürsten Gesandte nach Ulm schicken sollten, um durch 
Conferenzen die letzten Hindernisse der Vereinigung zu be- 
seitigen. 84 ) Ohne einen Etiquettestreit, der ja bei keiner 
Episode des siebzehnten Jahrhunderts fehlen darf, ging es 
auch diesmal nicht ab. Wegen der Titulatur des Königs von 
Schweden und des Kurfürsten von Bayern wurden ziemlich 
gereizte Erklärungen gewechselt, bis Dank der Bemühungen 
Philipp Wilhelm's ein Ausgleich stattfand, deni König wurde 
der Titel Majestät, dem Kurfürsten die Anrede Serenissimus 
zugestanden. Dann erst konnten die Verhandlungen weiter 
geführt werden. 85 ) 

Es galt nun, auch Kurpfalz für das Einungswerk zu 
gewinnen. Philipp Wilhelm übernahm auch hier die Ver- 
mittlung. Bayern, Köln und Neuburg, schreibt er am 
21. August an Karl Ludwig, seien bereits wegen des Vi- 
cariats und andrer streitiger Punkte übereins gekommen, 
es fehle also nur noch die Zustimmung von Kurpfalz, 
um die Union perfect zu machen. „Unser Haus kann sich 
durch engere Zusammentretung und feste Beisammenhaltung 
in solche consideration setzen, dass es nicht allein seine 
eigene Sicherheit darbey finden, sondern auch dem gemeinen 
Wesen guten Dienst leisten wird. 44 86 ) Karl Ludwig ver- 
hielt sich scheinbar keineswegs von vornherein ablehnend. 
Er habe schon dem schwedischen Minister Bluhm erklärt, 
dass er für seine Person gar kein Bedenken trage, dem 
schwedisch -französischen Bündniss, sowie eventuell einer 
Hausunion beizutreten; Aufgabe der alliirten Fürsten werde 
es dann sein, die Mediation zu übernehmen, denn Theilnahme 
des Reichs am niederländischen Krieg wäre Thorheit und 



34) B. St.-A. K. bl. 68/5. Schreiben Arenten's an Herzog Philipp 
Wilhelm vom 25. Sept. 1672. . 

35) Ebenda. Schreiben des Herzogs an Arenten vom 28. Sept. 1672. 

36) B. St.-A. K. bl. 89/3. Brief des Herzogs Philipp Wilhelm 
an den Kurfürsten von der Pfalz vom 21. August und 10. Sept. 1672. 

5* 



Digitized by 



Google 



68 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

Verderben. 87 ) Darauf spricht Philipp Wilhelm seine Freude 
aus, den hochverehrten Vetter so wohl intentionirt zu finden, 
und bittet, Bevollmächtigte zu ernennen und abzuschicken, 
da demnächst die Unterhandlungen in Ulm beginnen 
sollten. 88 ) „Es wäre doch zu unverantwortlich, wann man 
dem Untergang des geliebten Vatterlands mit zusammen- 
geschlossenen Armen zusehen und gleichsam als von einem 
lethargo überfallen , sich nicht einmal rühren , noch zu 
applicirung dienlicher Arzney die Händt ausstrecken wollte." ") 
Die gleiche Mahnung, durch rasche Einigung eine Mediation 
zu ermöglichen, wurde an Bayern gerichtet. 

Trotz aller bündigen Versicherungen und glatten Worte 
schritt jedoch das Bundeswerk nur langsam vorwärts. Bald 
lief aus Heidelberg die Klage ein, dass Bayern keinen Ernst 
zeige, da es die zwischen den betheiligten Staaten kur- 
sirenden Schriftstücke so lang zurückhalte. 40 ) Dagegen gab 
Bayern dem Verdacht Ausdruck, der Pfälzer intriguire im 
Rücken der Stammesgenossen am Wiener Hofe gegen das 
Bundesproject. 41 ) Kurz, die seit Jahrhunderten festge- 
wurzelte Eifersucht zwischen Bayern und Pfalz kam bei 
jeder Gelegenheit wieder zum Ausbruch. Obwohl Alle des 
Hauses Wohlfahrt im Munde führten, hegte Jeder gegen 
Jeden Misstrauen und Argwohn. Es fehlte nicht viel, so 
hätte sich auch Philipp Wilhelm verstimmt von allen Ver- 
handlungen zurückgezogen, denn er fühlte sich verletzt, 
dass der schwedische Bevollmächtigte am Reichstag zu 



37) Ebenda Antwort des Kurfürsten von der Pfalz vom 12. Ok- 
tober 1672. 

38 j Ebenda. Antwort des Herzogs von Neuburg vom 2. Nov. 1672. 

39) Edenda. Brief des Herzogs von Neuburg an Karl Ludwig vom 
16. Nov. 1672. ' 

40) Ebenda. Schreiben Arenten's an Philipp Wilhelm vom 20. Ok- 
tober 1672. 

41) Ebenda. Antwort Philipp WilhelnTs vom 26. Okt. 1672. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsb achischen Hausunion. 69 

Regensburg, Bluhm, als stimmberechtigtes Mitglied des nach 
Köln berufenen Friedenscongresses nicht auch Pfalz-Neuburg 
in Vorschlag brachte. Er führte über solche Vernach- 
lässigung am schwedischen Hofe bittere Klage 42 ) und 
machte seinem Missmuth auch in einem Schreiben an 
Arenten Luft. Er sei des ewigen Umherbettelns herzlich 
müde und wolle sich nicht länger plagen, denn es habe 
sich ja bereits deutlich gezeigt, „dass dasjenige Project, 
welches man zuerst aufs Tapet geworfen, den erwünschten 
eventus zu des allgemeinen Wesens Besten nicht nach sich 
ziehen wollen, sondern die meisten, von deren access man 
Hoffnung gehabt, zweifelhaft blieben. 1143 ) Der schwedischen 
Regierung war jedoch daran gelegen, den thätigen Bundes- 
genossen nicht zu verlieren. Je fester sich der Kaiser den 
Generalstaaten anschloss, desto wichtiger war es für Frank- 
reich und Schweden, wenigstens einige einflussreiche Reichs- 
stände auf ihre Seite zu ziehen. Allerorten im Reich 
waren desshalb schwedische Gesandte thätig, um für Bünd- 
niss oder Mediation Freunde zu gewinnen. Ehrensteen 
wirkte dafür auf dem zu Köln eröffneten Congress, Bluhm 
am Reichstag zu Regensburg, Arenten besuchte die süd- 
deutschen Höfe, Pufendorf machte in Wien den letzten 
Versuch, von Theilnahme am holländischen Krieg zurück- 
zuhalten. Mit allen diesen Diplomaten stand Philipp 
Wilhelm in Briefwechsel, in alle Geheimnisse war er ein- 
geweiht, an allen Höfen hatte er Vertrauensmänner, — 
diesen Bundesgenossen durfte man nicht verloren geben. 
Königin Hedwig Eleonora erwiderte denn auch sofort, 
Nichts liege der schwedischen Regierung ferner, als Miss- 
achtung oder Beleidigung des werthesten Freundes, der 

42) Ebenda. Schreiben Philipp Wilhelm's an König Karl von 
Schweden vom 30. Nov. 1672. 

43) Ebenda. Schreiben Philipp Wilhelm's an Arenten vom 10. 
Dez. 1672. 



Digitized by 



Google 



70 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

sich wie kein Anderer ebenso um Schweden, wie um das 
allgemeine Wohl Europa's unsterbliches Verdienst erworben 
habe. 44 ) Bluhm wurde angewiesen, dem Herzog jede ge- 
forderte Ehrenerklärung zu geben. Nichts Anderes, ver- 
sicherte der Diplomat, habe ihn bewogen, den treuesten 
Bundesgenossen Schwedens zu übergehen, als die Besorgniss, 
dass das evangelische corpus Protest erheben könnte, wenn 
man ein so wichtiges Werk ausschliesslich katholischen 
Fürsten überlassen wollte. 46 ) 

Im Jänner 1673 konnten endlich die Conferenzen in 
Ulm eröffnet werden. Wer jedoch auf die Instruction, die 
Karl Ludwig seinen Mandataren, Caspar Preiherrn von Borck 
auf Falkenburg und Dr. Gerhard Schreiber, mitgab, einen 
Blick hätte werfen können, würde ohne Weiteres die Ueber- 
zeugung gewonnen haben, dass dieser Ulmer Tag erfolglos 
verlaufen müsse. Weder in Bezug auf den Vikariatstreit, 
noch auf die Hausunion durften Erklärungen ohne Klauseln, 
die jegliche Bedeutung des Votums wieder aufhoben, ab- 
gegeben werden. Aus jeder Zeile lassen sich Misstrauen 
und Abneigung gegen Bayern herauslesen. Forderungen in 
Fülle, aber keine Zugeständnisse ! Alle diejenigen Mitglieder 
des Hauses, die im laufenden Saeculum an Land und Leuten 
Gewinn erzielt hatten, sollten an die Pfalz, die ja doch das 
Haupt des Hauses sei, aber nur Verluste zu beklagen habe, 
jährliche Subsidien reichen; ausserdem sollten die ihr ent- 
rissenen oberpfälzischen Aemter zurückgegeben werden. 
Dagegen könne sich Kurpfalz der örtlichen Beschaffenheit 
halber zur Stellung von Truppen nicht verpflichten, sondern 
nur gute Verwahrung der festen Plätze in Aussicht stellen. 
Zu den Hausverträgen sei ausser Bayern und Pfalz nur 



44) Ebenda. Schreiben der Königin Hedwig Eleonora an Philipp 
Wilhelm vom 30. Dez (älterer Zeitrechnung) 1672. 

45) B. St.-A. K. bl. 59/6. Schreiben Reinhold Bluhm's an Phi- 
lipp Wilhelm vom 6. Febr. 1673. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 71 

noch Pfalz-Neuburg Zutritt zu gewähren, der König von 
Schweden aber, sowie der Kurfürst von Köln seien nur in 
ihrer Eigenschaft als Pfalzgrafen bei Rhein zuzulassen. 46 ) 
Ebensowenig war Bayern , das durch Rudolf von Warnpl 
in Ulm vertreten war, gesonnen, auf erhebliche Abtretungen 
oder Zahlungen einzugehen. Nach bayrischer Auffassung 
handelte es sich nicht so fast um einen Bund der Familien- 
glieder unter sich, als um Beitritt zur schwedisch-französischen 
Allianz. Seit Kurzem hatte am Münchner Hofe wieder die 
französische Partei, als deren Haupt der schlaue Vicckanzler 
Kaspar Schmid galt, die Oberhand gewonnen, und was we- 
nige Monate vorher abgelehnt worden, gedieh am 14. Jänner 
1673 zum Abschluss: ein neuer Vertrag mit Frankreich, 
wodurch sich Bayern zu Vertheidigung des Westfälischen 
Friedens im Allgemeinen und speciell zu Vermehrung seiner. 
Streitkräfte verpflichtete. 47 ) Dagegen wurden die Bezieh- 
ungen des Heidelberger Hofes zu Frankreich von Tag zu 
Tag gespannter. Der Uebermuth und die Raublust der 
französischen Truppen, die in der Pfalz wie in Feindesland 
hausten, brachten zu Wege, was den Vorstellungen des 
kaiserlichen Hofraths nicht geluugen war: Karl Ludwig 
suchte sich wieder dem Wiener Hofe zu nähern. Wie sich 
auch aus den geheimen Kabinetspapieren ersehen lässt, war 
er also von vorneherein nicht Willens, den Ulmer Debatten 
ernstere Bedeutung beizumessen. Er liess auch ausdrücklich 
dem Kurfürsten von Brandenburg die beruhigendsten Ver- 
sicherungen übermitteln ; Beschickung des Ulmer Tags habe 
er zwar nicht ablehnen können, aber es werde dort nur 
über Beilegung des Vikariatstreites, keinesfalls über andere 



46) B. St.-A. K. bl. 89/3. Instruction für den Reichstagsgesandten 
Caspar Freiherrn von Borck auf Falkenburg und Dr. Gerhard Schreiber 
bei dem zu Ulm angesetzten Tag wegen Vereinigung beider Chur- und 
fürstlichen Häuser Bayern und Pfalz, d. d. 4. Jänner 1673. 

47) Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 213. 



Digitized by 



Google 



72 Sitzung der histor. Glosse vom 6. Mai 1882. 

Fragen oder etwa gar über Bündnisse mit auswärtigen 
Streiten verhandelt werden. 48 ) 

Der Gegensatz der Ansichten und Absichten der Haupt- 
theilnehmer an den Ulmer Konferenzen erklärt deren lang- 
sames Fortschreiten und schliessliches Scheitern zur Genüge. 
Als nach langem Hin und Wider ein Vergleichsproject auf- 
gesetzt war, schrieb Karl Ludwig, der fortwährend den 
brandenburg'schen Oberpräsidenteu Schwerin über die Ulmer 
Beschlüsse unterrichtete, an seine Gesandten, er habe „nicht 
ohne Nachdenkeu und Befremdung" von dem Project, das 
für Kurpfalz so ungünstig wie möglich laute, Kenntniss 
genommen. Was ihnen denn einfiele ! Er könne wenigstens 
verlangen, Mitvicar zu werden, ein Adjunct Bayerns aber 
wolle er nimmer sein: das Project sei für ihn unannehm- 
bar. 49 ) 

Nun gab es neue Berathungen und Kämpfe, aber ein 
allseitig anerkannter Vergleich wollte nicht zu Stande 
kommen. Anfangs Juni gingen die Herren Räthe aus- 
einander, ohne etwas Anderes, wie schätzbares Material 
nach Hause zu bringen. Am glücklichen Ausgang in futuro, 
versichert dessenungeachtet Philipp Wilhelm dem schwedischen 
Gesandten Ehrensteen, sei gar nicht zu zweifeln. 60 ) Einen 
originellen Kontrast zu dieser optimistischen Aeusserung, 
wie zu den steifen, ceremoniösen Schriftstücken des diplo- 
matischen Verkehrs überhaupt bildet ein unter die kurpfäl- 
zischen Kabinetspapiere gerathenes Schreiben des Sebastian 
Class, Gastgeb zum weissen Ochsen in Ulm, an die kurfürst- 



48) B. St.-A. K. bl. 89/3. Schreiben des Kurfürsten von der 
Pfalz an den brandenburgischen Oberpräsidenten, Freiherrn von Schwerin, 
vom 11. Jänner 1673 ff. 

49) Ebenda. Schreiben des Kurfürsten Karl Ludwig an die nach 
Ulm geschickten Räthe vom 31. März 1673. 

50) B. St.-A. K. bl. 68/5. Schreiben des Herzogs Philipp Wil- 
helm an Ehrensteen vom 27. Juni 1673. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Bas Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 73 

liehe Hofkammer. Herr Class, in dessen Herberge sich die 
kurpfälzischen Gesandten einquartiert hatten, bittet, an 
seinem Gasthaus das pfälzische Wappen anbringen zu dürfen, 
wie dies seinem Concurrenten bezüglich des bayrischen Wap- 
pens gestattet worden sei. Gleichsam um seiner Bitte Nach- 
druck zu geben, fügt er bei, er könne nicht umhin, von 
einer zu grossem Verdruss der anwesenden bayrischen und 
neuburgischen Gesandten gelegentlich der Frohnleichnams- 
prozession in Ulm vorgefallenen lustigen Scene Mittheilung 
zu machen. Die ungeschickten Träger liessen nämlich den 
Baldachin, unter welchem der Herr Propst einherschritt, 
zu Boden fallen , wesshalb es schon an Ort und Stelle gar 
ärgerliche Worte absetzte. Noch stürmischer aber ging es 
bei dem Pestmahl in der Propstei her, wozu auch die er- 
wähnten katholischen Herren Gesandten invitirt waren, wo 
„die Pfaffen so hintereinander kamen, dass einer dem andern 
in die Haar gefallen und sich wohl geschlagen 41 . 51 ) Der 
Gastgeb wusste ohne Zweifel, dass seine von heller Schaden- 
freude dictirte Erzählung auch den kurpfälzischen Herren 
Räthen ergötzlich zu vernehmen sei, und desshalb kann das 
an und für sich bedeutungslose Schreiben als Beweis gelten, 
dass auch die Konfessionsverschiedenheit der Theilnehmer 
an den Ulmer Konferenzen und mittelbar der durch sie 
vertretenen Staaten ein nicht zu unterschätzendes Hinder- 
niss der Einung war. 

Im August 1673 ergriff nochmals Schweden die Initia- 
tive, um unter Wittelsbachischem Banner eine „dritte Partei 
in Europa 41 zu sammeln. Am 23. August wies König Karl 
seinen Gesandten in Köln an, mit dem neuburgischen Be- 
vollmächtigten Wachtendonk in Unterhandlung zu treten, 
um endlich den Abschluss der Hausunion herbeizuführen; 



51) B. St.-A. K. bl. 89/3. Schreiben des Gastgeb Class vom 
11. Juni 1673. 



Digitized by 



Google 



74 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

dem Gesandten wird erlaubt, die weitreichendsten Zugeständ- 
nisse und Versprechungen zu machen. 52 ) Auch der Reichs- 
kanzler de la Gardie schrieb am 29. August an Philipp Wil- 
helm, es sei der ernste Wille seines Königs, die Versöhn- 
ung von Pfalz und Bayern anzubahnen; wenn aber dies 
durchaus nicht gelingen sollte, wenn namentlich Kurpfalz 
hartnäckig darauf bestehen würde, nur sein Partikularin- 
teresse zu vertreten, so möge doch von den andern Staaten 
der Anfang gemacht und der Pfalz einstweilen der Beitritt 
offen gelassen werden. 58 ) 

In der That trat der feindselige Gegensatz schärfer 
denn je zu Tage. Bayern hatte am 14. Jänner 1673 den 
Allianzvertrag mit Frankreich erneuert; wenn auch diese 
Thatsache vielleicht noch anderen Höfen unbekannt war, 
so spielte doch der Herzog von Vitry am Münchner Hofe 
eine zu einflussreiche Rolle, als dass über die Stellung 
Bayerns noch ernste Zweifel hätten bestehen können. Auch 
mit Württemberg trat Bayern am 10. Februar 1673 „der 
in dem Reich besorgenden gefährlichen motuum halber 41 in 
Bündniss; am 12. Juni schloss sich diesem Vertrag auch 
Pfalz-Neuburg an. 54 ) 

Als bald darauf (10. November 1673) König Michael 
von Polen starb, tauchte nochmals der Plan einer neu- 
burgischen Bewerbung auf. Philipp Wilhelm richtete zuerst 
an den schwedischen Gesandten in Köln, Grafen Todt, eine 
bescheidene Anfrage. Es stehe zwar Angesichts der droh- 
enden Kriegsgefahr Wichtigeres auf dem Spiel ; „falls es 
aber dem publico zum Besten, der Krone* Schweden zu 



52) Ebenda. K. bl. 68/5. Schreiben König Karls an den Grafen 
Todt vom 23. August 1673. 

53) Ebenda. Schreiben de la Gardie's an Philipp Wilhelm vom 
29. August 1673. 

54) Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 216. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Bas Project einer Witt elsb achischen Rausunion. 75 

gntem Dienst und dem gesammtem Haus zu forderlicher 
Aufnahme gereichte," wäre er entweder selbst bereit, als 
Bewerber in Warschau aufzutreten oder seinen ältesten 
Sohn, der sich ja allenfalls mit der verwittweten Königin 
vermählen könnte, zu bewegen, sich „zu sacrificiren." 
Schweden erklärte sich auch bereit, diese Pläne zu unter- 
stützen. 56 ) Am 5. Februar 1674 schrieb König Karl ver- 
traulich an den Herzog, er wolle stets und in Allem nur 
mit seiuera lieben Verwandten einmüthig handeln, und diese 
herzliche Zuneigung werde sich vor Allem in der polnischen 
Sache verspüren lassen. Allein gerade diesmal waren solche 
Wünsche und Bestrebungen aussichtslos, denn da die Wahl 
unmittelbar unter dem Eindruck des Sieges bei Choczim 
erfolgte, war es dem glorreichen Türkensieger Johannes 
Sobiesky ein Leichtes, über alle fremden Bewerber zn ob- 
siegen (19. Mai 1674). 56 ) 

Mehr und mehr schwand die Aussicht, die Ausdehnung 
des, Krieges auf das deutsche Reich verhüten zu können. 
Der schwedische Gesandte in Wien, Esaias Pufendorf, spricht 
sich in den Briefen an Philipp Wilhelm ganz entmuthigt 
aus; er treffe am kaiserlichen Hofe nur verstockte Ohren, 
und wenn er endlich durchdringe, nur verkehrte und prä- 
occupirte Sinnen ; er wolle zwar fortfahren, pro salute Ger- 
maniae zu predigen, allein er hoffe nicht mehr auf günstige 
Wendung. 57 ) 

Als sich der Neuburger im September nochmals an 
Karl Ludwig wandte und ihm hocherfreut mittheilte, wie 



55) B. St.-A. K. bl. 68/5. Schreiben Philipp Wilhelm's an den 
Grafen Todt vom 17. Dezember 1673. 

56) Ebenda. Schreiben König Karls an Philipp Wilhelm vom 
5. Febrnar 1674. 

57) Ebenda. Schreiben Pufendorfs an Philipp Wilhelm Tom 7. Sep- 
tember 1673. 



Digitized by 



Google 



76 Sitzung der histor. Classe vom 6, Mai 1882. 

ernst und eifrig Schweden die Hausunion betreibe, jetzt 
oder nie sei der Augenblick gekommen, dem alten hässlichen 
Streit zwischen Bayern und Kurpfalz ein Ende zu setzen, 
der Kongress zu Köln, wo alle Wittelsbachischen Familien- 
glieder durch Gesandte vertreten seien, biete die passendste 
Gelegenheit, 58 ) erfolgte eine ablehnende Autwort, deren 
Deutlichkeit kein Missverständniss zuliess. Wie könne man 
von Hausinteressen und Hausuriion sprechen, wenn gleich- 
zeitig kurkölnische Truppen im Verein mit französischen 
in pfälzischen Landen „mit Morden, Brennen, Weiber- 
schänden, Plündern, Rauben, Verwüsten der Wein-, Baum- 
und anderen Gärten hauseten ? u Möge man hier zuerst wieder 
Ruhe und Sicherheit schaffen, dann könne man wieder an 
Vicariat und Titulaturen denken ! 59 ) In gleichem Sinn schrieb 
Karl Ludwig im November auch an König Karl ; er schil- 
dert die Verwüstung seines Landes und spricht die Hoffnung 
aus, der König werde dem Bewusstsein der Stammesgemein- 
schaft dadurch öffentlich Ausdruck geben, dass er die Pfalz 
vor gänzlichem Ruin rette. 60 ) 

Wirklich hatte es eine Zeit lang den Anschein, als 
werde sich in Schweden eine politische Schwenkung voll- 
ziehen. Am 10. Dezember 1673 ging es mit Brandenburg 
ein Bündniss ein, 61 ) dem am 18. April 1674 auch Pfalz- 
Neuburg beitrat. 62 ) Allein die antifranzösische Strömung 
wurde bald wieder zurückgestaut. Schweden hatte die 
französischen Subsidiengelder vonnöten, und diesem finan- 



58) Ebenda. K. bl. 89/3. Schreiben Philipp Wilhelm's an Karl 
Ludwig vom 29. September und 11. November 1673. 

59) Ebenda. Antwort Karl Ludwig's vom 14. November 1673. 

60) Ebenda. Schreiben Karl Ludwig's an König Karl vom 14. No- 
vember 1673. 

61) Droysen, a. a. 0., III, 3, 465. 

62} Zeitschrift für Bayern, a. a. 0., 218. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 77 

ziellen Interesse mussten alle anderen Rücksichten geopfert 
werden. 

Am 14. Februar 1674 wurde zu Köln auf Befehl des 
Kaisers der Leiter der französischen Propaganda in Deutsch- 
land, der kurkölnische Gesandte Wilhelm von Fürstenberg, 
verhaftet; damit war der Congress gesprengt, der Reichs- 
krieg gegen Frankreich erklärt. Schweden , das ja auch 
dem Reiche als mächtiger Reichsstand angehörte, war damit 
in schwierige Lage versetzt; die Regierung trachtete daher 
auch jetzt noch, eine Mediation zu Stande zu bringen. In 
diesem Sinne suchte auch Philipp Wilhelm wenigstens die 
verwandten Häuser von Theilnahme am Reichskrieg abzu- 
halten. Freilich hinderte dies den „trefflichen Diplomaten" 
nicht, auch dem Kaiser zu geloben, er wolle ihm „fürohin nit 
weniger als bisher devot und treu verbleiben, wie es einem ge- 
treuen und gehorsamben auch nahen anverwandten Fürsten 
des Reichs gebühret" (16. Juli 1564).*) Erfolglos blieb 
das Bemühen Schwedens, den Kurfürsten von Brandenburg 
von entschiedenen Schritten abzuhalten, erfolglos die Ueber- 
reichung eines Ultimatums in Wien, nur der Krieg konnte 
der allgemeinen Verwirrung ein Ziel setzen, und beide Par- 
teien versicherten, das wahre deutschpatriotische Interesse 
zu vertreten. „Es lauffe endlich, wie es wolle," sucht 
Pufendorf den Neuburger zu trösten, „so wird die unpar- 
theyische Welt zum wenigsten dieses judiciren, dass Ihro 
Königliche Majestaet gleich anfangs den rechten Weg, 
Teutschland aus dem Spiel halten zn können, eingerathen 
und dass nebenst noch einigen Anderen Ew. hochfürstliche 
Durchlaucht selbige heilsame consilia nicht allein appro- 
biret, besonders auch mit allem geziemendem Eyfer und 
Kräften secondiret haben ; was sie aber für Dank darmit 
verdienet und wie man gesuchet, eine so redliche Intention 



63) Ebenda, 225. 



Digitized by 



Google 



78 Sitzung dsr histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

nicht nur gleich im Anfang unfruchtbar zu machen, be- 
sonders noch dazu recht übel zu belohnen, wird zu seiner 
Zeit auch für den Tag kommen." 64 ) 

„Von Reichswegen 4 ' ward schon im Mai 1674 in Re- 
gensburg der Beschluss gefasst, die „Reichsvölker" mit der 
kaiserlichen Armee zu vereinigen. Dies hinderte aber nicht, 
dass gerade die mächtigeren Stände an ihrer jenem Be- 
schluss widerstreitenden Politik festhielten. Hannover stand 
offen auf Seite Schwedens, Kursachsen unterhielt mit der 
nordischen Grossmacht vertrauliche Beziehungen. Als vol- 
lends der Feldzug im Winter 1674 eine für den Kaiser und 
Brandenburg ungünstige Wendung nahm, waren auch die 
noch Schwankenden leicht zur Ansicht zu bekehren, dass 
auf Seite der Sieger auch das Recht. Ein an die ver- 
wandten und befreundeten Fürsten gerichtetes Memorandum 
König Karl's vom 16. Dezember 1674 betont überdies, dass 
Schweden durchaus» nicht das Vorgehen Frankreichs in allen 
Punkten billige, dass der Krieg mit Brandenburg nur Ab- 
wehr, nicht Angriff bezwecke. 66 ) Wieder besuchten schwe- 
dische Gesandte alle diejenigen Höfe, von welchen sich 
günstige Aufnahme solcher Vorstellungen erwarten Hess. 
Auch nach München kam im Februar 1675 der schwedische 
Geheimrath Georg Marschalk mit der Weisung, „über die 
gefährliche Weltlage" mit Kurfürst Ferdinand Maria Rück- 
sprache zu nehmen und, wenn möglich, ein Bündniss 
Bayerns mit Schweden zu Wege zu bringen. Der Obrist- 
kämmerer Baron Rechberg und der Vicekanzler Kaspar 
Schmid wurden am 26. Februar vom Kurfürsten mit Füh- 
rung der Unterhandlungen betraut; schon diese Namen be- 
weisen, welche Stimmung zur Zeit am Münchner Hofe 



64) B. St.-A. K. bl. 68/5. Schreiben Pufendorfs an Philipp 
Wilhelm vom 22. November 1674. 

65) Ebenda. K. schw. 291/2. Schwedische Correspondenz von 1673 
bis 1720. Schreiben Karl's XI. vom 16. Dezember 1674. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 79 

herrschte, denn heide Mandatare galten als entschiedene 
Freunde engsten Anschlusses an Frankreich und Schweden. 66 ) 
Wirklich kam jetzt auch rasch zu Stande, was früher so 
bestimmt abgewiesen worden war; das Bündniss zwischen 
Schweden und Bayern wurde durch Vertrag vom 9. März 
(27. Februar) 1675 vollendete Thatsache. Die Fürsten beider 
Staaten sollen fortan nach gemeinsam zu berathenden Ge- 
sichtspunkten ihre Politik regeln, wechselseitig ihre Inte- 
ressen unterstützen, zur Behauptung einer angesehenen 
Stellung eine bestimmte Truppenmacht unterhalten, vor 
Allem aber den Frieden wieder herzustellen trachten. „Sit 
foedus defensivum ," wird mit Nachdruck hervorgehoben, 
allein in eiuem geheimen Artikel WafFenhilfe Bayerns im 
Krieg mit Brandenburg zugesichert. 67 ) Hocherfreut gab 
Arenten dem Herzog von Neuburg Kenutniss von diesem 
Erfolg der schwedischen Diplomatie und fügte hinzu, er 
hoffe zuversichtlich bald günstige Nachrichten vom Kriegs- 
schauplatz übermitteln zu können. 

Da kam, Allen unerwartet, die Kunde von der Nieder- 
lage, welche die Schweden am 18. Juni bei Fehrbellin 
erlitten hatten. „Ganz Deutstchland wird seine Gedanken 
ändern," schrieb Turenne an Louvois, und diese Besorgniss 
war nicht unbegründet. Die Freunde Schwedens im Reich 
waren entmuthigt, am 18. Juli wurde in Regensburg 
die bis dahin hinausgeschobene Erklärung des Reichs- 
kriegs gegen Schweden votirt. 68 ) König Karl fand jetzt 



66) Ebenda. Kurfürstliches Dekret vom 26. Februar 1675. 

67) Ebenda. „Articul der Bündniss, welche zwischen dem durch- 
lauchtigsten und grossrnächtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Karl, 
König zu Schweden etc. etc. und dem durchlauchtigsten Fürsten und 
Herrn, Herrn Ferdinand Maria, Churfürsten in Bayern etc., den 27. Fe- 
bruarii (9. Martii) Anno 1675 geschlossen worden. (Gedruckt in der 
Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 235.) 

' 68) Droysen, III, 3, 537. 



Digitized by 



Google 



80 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

Gelegenheit, die Zuverlässigkeit seiner Bundesgenossen zu 
erproben. Im Herbst 1675 ordnete er wieder den Kanzler 
Pufendorf an die Höfe der verwandten süddeutschen Fürsten 
ab. In Neuburg wurde aber dem Gesandten bedeutet, der Her- 
zog habe eine Jagdparthie angetreten und werde wohl so bald 
nicht heimkehren. Ein nach einigen Tagen eintreffender 
Brief des Herzogs gab nur in allgemeinen Ausdrücken den 
Wunsch zu erkennen, es möge recht bald Friede vereinbart 
werden. 69 ) Es dauerte nicht lange, so ging Philipp Wil- 
helm ganz und gar in's kaiserliche Lager über. Kaiser 
Leopold selbst wurde im nächsten Jahre der Eidam des 
Herzogs, 70 ) und dieser trat offen der Haager Allianz bei. 71 ) 

Dass auch Bayern nach der Schlacht bei Fehrbellin 
das schwedische Bündniss „bei Seite gelegt habe, u wird 
von Carlson, 72 ) wie von Droysen 7S ) berichtet. Diese Be- 
hauptung oder wenigstens dieser Ausdruck entspricht aber 
nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Allerdings zog kein 
bayerisches Heer dem besiegten Bundesgenossen zu. Hilfe, 
und auch in den nächsten Jahren blieb der von schwe- 
discher Seite dringlich geltend gemachte Wunsch, Bayern 
möge endlich seine Truppen in's Feld rücken lassen, unbe- 
rücksichtigt. Allein man darf nicht übersehen, dass ein 
offenes Vorgehen Bayerns im Sinne der schwedischen For- 
derung unvermeidlich Besetzung des Landes durch die kai- 



69) B. St.-A. K. schw. 291/2. Schreiben Philipp Wilhelm's an 
Pufendorf vom 16. Oktober 1675. 

70) Leopold wurde der Gemahl der ältesten Tochter Philipp Wil- 
helms, Eleonora. (Finweg, Geschichte des Herzogthums Neuburg, 287.) 

71) Am 20. November 1676 bestätigt Kaiser Leopold den Beitritt 
des Pfalzgrafen Philipp Wilhelm zur Haager Allianz mit Spanien und 
Holland. (Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 238.) 

72) Carlson, IV, 608: „Hannover und Bayern traten vom fran- 
zosischen Bündnisse zurück". 

73) Droysen, III, 3, 537: „Schon hatte Bayern sein schwedisches 
Bündniss zur Seite gelegt und sich neutral erklärt". 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Projeet einer Wittelsbachischen Hausunion. 81 

serliche Uebermacht zur nächsten Folge gehabt hätte. Von 
einem Abfall Bayerns vom schwedischen Bündniss aber kann 
nicht die Rede sein, denn gerade in den nächsten Jahren 
blieb der diplomatische Verkehr zwischen den beiden Staaten 
besonders rege, und auch die Neutralität des im Süden des 
Reichs tonangebenden Staates war für die Verbündeten 
nicht ohne Nutzen. 

Am Münchner Hofe war der Vicekanzler Easpar Schmid 
der entschiedenste Anhänger des schwedisch-französischen 
Bündnisses. 74 ) Die Absichten und Ziele seiner Politik legt 
er selbst in einem ausführlichen Memorandum dar, das 
zwar nicht dem vorsichtigen Ferdinand Maria, aber den 
beiden nächsten Nachfolgern zur Richtschnur diente. Bayern 
müsse , so lautet das Programm , gründlich mit der An- 



74) Easpar Schmid wurde 1650 zum Regimentsrath in Straubing 
ernannt, 1651 als Hofrath nach München berufen, 1656 zum geheimen 
Rath, 1662 (bei OexYs Ernennung zum Kanzler) zum Vicekanzler des 
geheimen Raths befördert. Nach Oexl's Resignation 1667 erhielt Schmid 
zwar den Gehalt eines Kanzlers, den Titel aber führt er, nachdem in- 
zwischen Oexl 1675 gestorben war, erst seit 1677. Noch in einem De- 
kret vom 7. März 1677, wodurch ihm versprochen wird, dass nach seinem 
Ableben die Pflege Aibling einem seiner Söhne übertragen werden soll, 
wird er „geheimer Raths- Vicekanzler" genannt. Der „Sturz" des ein- 
flussreichen Staatsmannes erfolgte 1683. Nachdem ihm Max Emanuel 
schon 1682 angeblich zu seiner Erleichterung einen Vicekanzler, Johann 
Baptist von Leidl, später Leiden (gest. 1691) beigegeben hatte, erging 
am 27. Februar 1683 an den Kanzler die Weisung, „sich im Rath und 
in der Kanzlei von allen publicis zu entäussern", nur die privata sollten 
ihm noch belassen werden. Darauf bescbloss der Gekränkte, sich ganz 
zurückzuziehen, und setzte auch durch, dass er aus Gesundheitsrück- 
sichten am 5. März 1683 mit Fortbezug des ganzen Gehalts für emeri- 
tirt erklärt wurde, allerdings mit dem Vorbehalt, dass er sich, wenn 
es seine Leibesdisposition zulasse, auf Verlangen bei seinem Dienst 
wieder einstelle. Die letzten zehn Jahre vor seinem Ableben (8. Sept. 
1693) übte er immerhin noch von seinem Schlosse Schönbrunn Einfluss 
auf die Geschäfte ans; es wurde auch kein neuer Kanzler, sondern nur 
ein Vicekanzler (Johann Rudolf von Wampl) 1601 ernannt. 
[1882. IL Philos.-philol. hist. Cl. 1.] 6 



Digitized by 



Google 



82 Sitzung der histor. Glasse vom 6. Mai 1882. 

schauung brechen, dass nur derjenige reichstreu zu nennen 
sei, der sich den habsburgischen Interessen dienstbar mache. 
„Das, was Reich heisst, ist gegenwertig anderes nichts als 
der spanische ambassadeur in Wien und die kaiserliche 
Armee, so die daselbst geschmideten consilia und decreta 
exequirt." Noch habe Kaiser Leopold keinen männlichen 
Erben; man müsse also schon jetzt dafür Sorge tragen, 
dass für den Fall der Erledigung des Throns nicht wieder 
ein Spanier das Erbe der deutschen Habsburger antrete. 
Von allen deutschen Fürstenhäusern aber habe das baye- 
rische die beste Aussicht, die Mehrheit der Kurstimmen zu 
erlangen, zumal wenn es von so mächtigen Staaten, wie 
Frankreich und Schweden unterstützt würde. Allerdings 
gebe es ängstliche und kurzsichtige Politiker, die da meinten, 
die Kaiserkrone sei für Bayern kein wünschenswerthes Ziel, 
sondern vielmehr eine Last. Allein „dafür zu halten, dass 
ein Prinz von niederem Vermögen als ein Kayser vom Haus 
Oesterreich sich mit solcher dignitaet nur ruinirn würde, 
ist wie ein Gespenst, damit man jezu weilen die Künder und 
Unverständigen zu erschrecken pfleget , masseu denen, 
so die rechte Griff wissen, noch wol Mittl und Weg be- 
vorstehen, wardurch man sich die Unkosten einer Grönung 
und etwas stärkere Hofhaltung reichlich und mit Wuecher 
wider guet thun köndte, und man also diser consideration 
wegen gar nicht Ursach hette, einen solchen Bissen fahren 
zu lassen, wann die Gelegenheit, selbigen zu erhaschen, 
sich ereignete." Um die Erhebung Bayerns zum Erben 
des Habsburgischen Hauses anzubahnen, sei schon jetzt ge- 
boten, mit offnem Visir zu fechten ; der Kurfürt möge also 
unverzüglich seine Truppen zu dem Corps Conde's stossen 
lassen, damit dieser um so rascher die kaiserlichen Truppen 
zurückdränge und dem ganzen Reich klar vor Augen trette, 
„das es Chur Bayrn sei, bei welchem zugleich kluege und 
herzhafte consilia und nicht weniger unverruckte Treu und 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 83 

Glauben zu finden, und das es allein von deme kommen 
müesse, wardurch Teutschland von der bevorstehenden Dienst- 
barkeit cräftiglich errettet werden solle. 75 ) 41 

Um im Sinne dieser Rathschläge auf den Kurfürsten 
einzuwirken, ging Pufendorf selbst nach München; er konnte 
jedoch ein bündiges Versprechen nicht erlangen. Auch in 
Dresden und Hannover suchte er eine entschiedenere Schwen- 
kung zu Gunsten des schwedisch-französischen Bündnisses 
herbeizuführen. Ueber wirkliche und vermeintliche Erfolge 
seiner Mission berichtet er fast allwöchentlich an den Kanzler 
Schmid, der dem Kurfürsten zweckentsprechende Vorstel- 
lungen machte. In Hannover ist der Gesandte ganz und 
voll befriedigt vom Ergebniss seiner Bemühungen, in Sachsen 
findet er den Hof verstimmt wegen der Saumseligkeit des 
französischen Kabinets, das grosse Subsidienzahlungen zwar 
versprach, aber nicht leistete. Bayern möge sich doch, räth 
Pufendorf, am französischen Hofe verwenden, denn Fer- 
dinand Maria habe keinen getreueren Verehrer als den Kur- 
fürsten von Sachsen ; man müsse aber in Versailles „mit 
etwas vigueur" auftreten, „denn daselbst muss man nicht 
furchtsam seyn , sondern recht von der Brust sprechen, 
wenn man anders geholffen seyn will." 76 ) Sachsen und 
Bayern betonten denn auch, obwohl der Reichskrieg gegen 
Schweden fortdauerte, auf dem Reichstag mit Nachdruck 
die Notwendigkeit, dass der Friede wieder hergestellt werde, 
aber damit war Pufendorf noch nicht zufrieden. „Die- 
jenigen, 44 meint er, „so noch Kraft haben, sollten selbiger 
recht gebrauchen und nit nur reden, sondern auch agiren .... 
Mit temporisiren und lanciren wird gewis nichts ausge- 
richtet und ist ja besser, dass man den Brunnen zumachet, 



75) B. St.-A. . K. schw. 291/2. „Entwurf etlicher einfältiger Ge- 
danken über das Chur-Bayerische Interesse und Cooduiten" (s Anhang). 

76) Ebenda Schreiben Pufendorf s an Schmid vom 25. August 1677. 

6* 



Digitized by 



Google 



84 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882, 

ehe das Kalb vertrunken ist. 44 77 ) Er erkennt zwar mit 
Dank an, dass Bayern in Wien und in Nymwegen, wo ein 
Priedenscongress zusammengetreten war, seinen Einfluss zu 
Gunsten der schwedischen Sache geltend mache, aber : ,,Haec 
vita alios mores postulat, das Zuschauen und Nachgeben 
rieht nichts mehr aus ! u Es dränge ihn, dem Kurfürsten 
zuzurufen : „Praesta te Bavarum virum ! . . Es sind Cronen 
dabei zu gewinnen, man muss aber nicht schlaffen, sondern , 
geschwind zugreiffen, wenn das Fatum honestissimas occa- 
siones zeigt. 44 78 ) Auf so dringliche Aufforderungen konnte 
jedoch der Kanzler nur erwidern, der Kurfürst müsse sich 
vor überstürzten Unternehmungen hüteu, sei auch gar nicht 
der Herr dazu, solches zu thun; er selbst könne nur den 
Rath geben, der Gesandte möge sobald als möglich wieder 
nach München kommen und seinen Einfluss in die Wag- 
schale werfen,, freilich sei die Reise unter gegenwärtigen 
Umständen nicht nur strapaziös, sondern auch gefahrvoll! 79 ) 
Dies schreckte aber den Schweden nicht ab ; am 6. März 
1678 zeigte dem Kanzler ein Billet an, Pufendorf sei in 
München eingetroffen, habe sich als Herr von Gooss in 
Fraunhofer^ Gasthaus einquartiert und wünsche, baldigst 
zur Audienz geladen zu werden. 80 ) Er war von König Karl 
beauftragt, einen neuen Allianzvertrag abzuschliessen , da 
ja der auf drei Jahre vereinbarte Vertrag von 1672 nur 
noch kurze Zeit Geltung beanspruchen konnte. Auch ein 
französischer Bevollmächtigter, Kardinal D'Estrees, war zu 
gleichem Zweck in München eingetroffen. Die beiden Ge- 
sandten hatten täglich Konferenzen mit dem Kanzler, allein 
dieser hatte vom Kurfürsten selbst gemessene Instruction, 



77) Ebenda. Schreiben Pufendorf s an Schmid vom 21. Sept. 1677. 

78) Ebenda. Schreiben Pufendorf s an Schmid vom 8. Oktober 1677. 

79) Ebenda. Schreiben Schmid's an Pufendorf vom 11. Jänner 1678. 

80) Ebenda Schreiben Pufendorfs an Schmid vom 6. März 1678. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 85 

die Sache dilatorisch zu behandeln. 81 ) Es sei jetzt ein ganz 
ander Ding, mit fremden Mächten in Allianz zu treten, als 
vor drei Jahren. Damals sei der Kaiser noch nicht im 
Spiel gewesen , damals seien auch noch Hannover und 
Münster mit Schweden verbündet gewesen. Jetzt könne 
Bayern nicht zugemuthet werden, ganz allein vor allen 
Reichsständen offen für Schweden aufzutreten. Die Truppen 
seien zum Schutze des eigenen Landes vonnöten, denn es 
sei bekannte Thatsache, dass die in Ungarn gelegenen kai- 
serlichen Regimenter Ordre hätten, sich nach Böhmen zu 
wenden, um eventuell in Bayern einzurücken; im Allianz- 
vertrag sei ausdrücklich ausbedungen, dass die Verpflichtung 
zur Stellung von Hilfstruppen aufhöre, sobald die mili- 
tärischen Kräfte zur eigenen Vertheidigung aufgeboten 
werden müssten. Man möge aber in Schweden nicht etwa 
annehmen, dass sich Bayern aller eingegangenen Verpflich- 
tungen entschlagen wolle; der Kurfürst glaube nur, wirk- 
samer die schwedische Sache zu unterstützen, wenn er zwar 
nicht als offener Feind des Kaisers auftreten, aber in Wien 
und in Regensburg darauf dringen würde, dass das Frie- 
denswerk nach dem Wunsche der schwedischen Regierung 
ausfalle. 

Alle Versuche, den Kurfürsten, der sich, wie es scheint, 
absichtlich fortwährend in Schieissheim und in Dachau auf- 
hielt, umzustimmen, blieben vergeblich. 

Nach einer Rundreise an anderen süddeutschen Höfen 
kehrte Pufendorf im April nochmals nach München zurück, 
allein auch diesmal konnte ein neuer Vertrag nicht durch- 
gesetzt werden. Da man in München den Friedensschluss 



81) Ebenda. „Puncten, so diejenige zu beobachten, welche mit 
dem Schwedischen Abgeordneten, dem von Pufendorff, in conferenz zu 
treten", und „Was dem Herrn Pufendorff nach gestalt seines weiteren 
anbringens und negotiation von Ihro Churfürstlichen Durchlaucht wegen 
zu repraesentiren". 



Digitized by 



Google 



86 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

schon nahe bevorstehend wähnte and auch Pufendorf, zur 
Erklärung aufgefordert, ob der schwedische Reichstag seine 
Einwilligung zu den Nymwegener Abmachungen geben werde, 
Mangel an Information vorschützte, musste der Kurfürst 
befürchten, im letzten Augenblick, ohne auf Dank der neuen 
Bundesgenossen zählen zu dürfen, vor dem Kaiser com- 
promittirt zu werden. Am 27. April Hess er dem schwe- 
dischen Gesandten eine Erklärung zustellen, die als letztes 
Wort zu gelten hätte. Er verspricht darin, nach besten 
Kräften durch Vermittlung in Wien und bei befreundeten 
Fürsten des Reichs dahin zu wirken, dass die im jüngsten 
Krieg der Krone Schweden entrissenen Gebiete zurückge- 
stellt würden. Falls sich wider Erwarten herausstellen sollte, 
dass alle Mühe vergeblich sei, die streitenden Parteien ver- 
nünftigen Vorstellungen zugänglich zu machen, werde sich 
der Kurfürst den früher eingegangenen Verpflichtungen 
nicht entziehen und seine Truppen, sobald er es für das ge- 
meinsame Beste für räthlich erachte, zur schwedischen Kriegs- 
macht stossen lassen. 82 ) Da weitergehende Zusagen vom 

82) Ebenda: 

„Quae nomine Regiae Majestatis Sueciae serenissimo Electori Ba- 
variae domino nostro clementissimo dominus Esaias de Puffendorf e 
ratione renovationis et prorogationis foederis inter suam Regiam Maje- 

statem et serenissimum Electorem jam anno 1675 * ^ - — ad trien- 

J 27. Febr. 

nium initi et per decursum praedicti temporis non ita pridem extincti 

in concessa audientia oretenus exposuit, ea praenominata sua Serenitas 

Electoralis sufficienter intellexit et expendit. 

Inprimis itaque Sua Serenitas Electoralis Regiae Majestati Sueciae 

agit gratias perquam maximas, quod de conti nuanda vera et sincera 

amicitia fidelique consiliorum communicatione Serenitati Electorali tarn 

amicam contestationem et assecurationem facere voluerit, cum reciproca 

obligatione, se ex parte sua buic affectui simili promptitudine semper 

corresponsurum. Et cum Suae Serenitati Electorali nihil magis cordi 

sit, quam ut pax Westphalicä tanto sanguine et expensis parta sarta, 

tecta et illaesa maneat, ideo promittit, se omnibus viribus et fidelibus 



Digitized by 



Google 



Hetgel: Das Project einer Witt elsb achischen Hausunion. 87 

Kurfürsten nicht zu erreichen waren, verliess Pufendorf 
München und begab sich nach Leipzig, um Sachsen zu 
ähnlicher Erklärung einzuladen. 88 ) Der Briefwechsel mit 
dem Kanzler Schmid dauerte fort, und die beiden Politiker 
konnten bald mit Geuugthuung constatiren, dass ihre Pro- 
phezeiung in Erfüllung ging. Die fremden Mächte, Hol- 
land voran, um deren willen sich das Reich in den Krieg 
verflechten Hess, zogen den Hals aus der Schlinge, und das 
Reich konnte zusehen, wie es sich aus dem gefährlichen Handel 
befreie. 84 ) Freilich erging es den Bundesgenossen Frank- 
reichs nicht besser. Pufendorf selbst beschwert sich bitter 
über die Treulosigkeit Frankreichs, das sich um die garan- 



adhortationibus colloboraturum , ut Suae Regiae Majestati illa loca. 
ditiones et provinciae, qaae vi pacis Westpbalicae eodem competunt et 
moderno bello ablata sunt, quantum possibile est, restituantur : cum 
spe, etiam alios electores, principes et status imperii agnituros, quantum 
quietis publicae inlersit, ne a pactis et conventibus Westpbalicis rece- 
datur, cum palam sit, quae ex ruptura pacis Westpbalicae mala et in- 
commoda in imperio suboriri possint. Si autem Serenitas sua Elec- 
toralis viderit, omnem laborem suum inutilem esse neque partes belli- 
gerantes disponi posse, ut sanis consiliis acquiescant et secundum prae- 
scriptum pacis reducendae publicae tranquillitati locum dare velint, 
statuet Sua Serenitas Electoralis ea, quae viderit bono publico et sibi 
convenire, proindeque si necessarium iudicaverit, ut. pro consequenda 
pace ad operationem armorum suorum devenire deboat, cum Sua Regia 
Majestate fidelissime communicabit , quomodo id conjunctis viribus ad 
effectum deduci possit, ad quem finem Suae Serenitati Electorali nulla 
alia conventione opus esse videtur, quam ut articulus 5, 6, 7, 8, 9, 11, 
12, 13 et 14 prioris foederis confirmentur et ad aliud triennium exten- 
dantur; si proinde Suae Regiae Majestati id ipsum placuerit, Serenis- 
simus Elector, vi praesentis paginae se in praedictum casum ad omnia 
ea obligat, quae in modo enumeratis articulis prioris foederis plenius 
continentur. Expectat igitur Sua Serenitas Electoralis desuper Regiam 
declarationem et domino ablegato gratiam et propcusionem suam con- 
testatur. Dachavii 27. Aprilis 1678". 

83) Ebenda. Schreiben Pufendorf s an Schmid vom 2. Juni 1678. 

84) Ebenda. Schreiben Pufendorf s an Schmid vom 14. Sept. 1678. 



Digitized by 



Google 



88 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882, 

tirte Integrität Schwedens wenig kümmere, obwohl offen 
zu Tage liege, „quod Suecia non suum sed Gallorum bellum 
gerat und eben darumb in den Labyrinth gekommen." 85 ) 
Dass Bayern bei der Friedensvermittlung der Krone Schweden 
gute Dienste leistete, erkennt der Gesandte an, ja er erklärt, 
dass eigentlich „der teutsche Friede zu München wieder be- 
stätigt worden," allein die Haltung Bayerns gegenüber Bran- 
denburg ist ihm nicht entschieden genug. Er hebt dabei 
nicht den schwedischen, sondern den deutschen Standpunkt 
hervor. „Wir sind Teutsche und müssen als redliche Pa- 
trioten dahin trachten, dass wir die machinam imperii so 
lange und so gut beysammen halten, als uns immer mög- 
lich. Einen so nahe anverwaudten König und eine in sich 
selbst gar nicht ohnmächtige Krön in aeternum an das Chur- 
bayrische interesse zu verknüpfen, ist doch wohl werth, 
dass man eine martialische Mine machet, absonderlich wann 
man 18,000 Mann auf den Beinen und eine französische 
Armee im Brissgow hat, auch versichert ist, dass sie zu 
Wien dergleichen resolutionen von Hertzen wünschen." 86 ) 
Der Kurfürst blieb jedoch im Geleise der bisher verfolgten 
Politik und Hess sich nur bereit finden, den Frieden zwischen 
Schweden und Dänemark zu vermitteln, zu welchem Zwecke 
er einen Bevollmächtigten, Baron Zündt, nach Lund ab- 
ordnete. 

Noch ehe diese Unterhandlungen zu Ende gediehen, 
starb Ferdinand Maria (26. Mai 1679). An den Nachfolger, 
Max Emanuel, richtete Pufendorf am 31. Juli 1680 eine 
dringliche Aufforderung, die Wittelsbachische Union nicht 
aus den Augen zu verlieren ; schon strecke Frankreich lüstern 
seine Arme nach der Pfalz, es sei die höchste Zeit, diese 
Gefahr durch festes Zusammenstehen der verwandten Fürsten 



85) Ebenda. Schreiben Pufendorfs an Schmid vom 5. Okt. 1678. 

86) Ebenda. Schreiben Pufendorfs an Schmid vom 9. März 1679. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Witt elsb achischen Hausunion. 89 

abzuwenden. 87 ) Der Kurfürst scheint jedoch den Antrag 
nicht weiter beachtet zu haben. Im März 1682 wurde 
Bayern eingeladen, dem schwedisch-holländischen Bündniss 
zur Gewährleistung des Nyniwegen'schen Friedens beizu- 
treten ; der Kurfürst lehnte jedoch ab, „da man nicht wissen 
könne, wessen sich kaiserliche Majestaet resolvire." 88 ) Im 
Jänner 1683 kam wieder ein schwedischer Botschafter, 
v. Snolski, nach München ; das von ihm überbrachte könig- 
liche Schreiben enthielt jedoch nur eine in allgemeinen 
Ausdrücken sich bewegende Freundschaftsversicherung, die 
in ähnlichem Ton erwidert wurde. 89 ) 

Pfalzgraf Philipp Wilhelm, der sich, wie erwähnt, 
schon nach der Schlacht bei Fehrbellin dem Wiener Hofe 
genähert hatte, schloss sich seither immer inniger der kai- 
serlichen Politik an. 1676 vermählte sich Leopold mit der 
neuburgischen Prinzessin Eleonora, 1678 feierte der älteste 
Sohn Philipp Wilhelm's, Johann Wilhelm, in Wien Hoch- 
zeit mit Anna Josefa, Kaiser Ferdinands III. Tochter. Mit 
Unterstützung des kaiserlichen Hofes wurde am 22. Mai 1685 
zu Schwäbisch-Hall ein Erbvertrag zwischen Karl Ludwig 
und dem nächsten Verwandten der kurpfälzischen Linie, 
Philipp Wilhelm, aufgerichtet, 90 ) dem zu Folge dieser nach 
Ableben Karl Ludwigs Besitz von den Kurlanden ergriff. 
Wie jedoch Pufendorf vorausgesagt hatte, trat auch König 
Ludwig mit Ansprüchen hervor. Er forderte im Namen 
seiner Schwägerin, der Herzogin von Orleans, einen be- 



87) Ebenda. Schreiben Pufendorf s an Schmid vom 31. Juli 1680. 

88) B. St.-A. K. schw. 291/16. Manualacta des v. Wämpl als 
Gesandten zu Regensburg, die Schwedische Allianz mit den General- 1 
Staaten zu Garantirung des Westfälisch-Nymwegischen Friedensschlusses 
Vetr., 1682—1683. Erlasse des Kurfürsten an v. Wämpl vom 16. März 1682. 

89) Ebenda. Schreiben des Kurfürsten Max Emanuel an König 
Karl vom 20. Jänner 1683. 

90) Finweg, Geschichte des Herzogthums Neuburg, 287. 



Digitized by 



Google 



90 Sitzung der Jiistor. Classe vom 6. Mai 1882. 

trächtlichen Theil der Pfalz and Hess sich durch den Hin- 
weis auf den Verzicht Liselottens nicht beirren. Anfangs 
schien es bei gelehrten Deductionen und geharnischten Mani- 
festen sein Bewenden zu haben; Louvois wusste jedoch 
durchzusetzen, dass im September 1688, ohne dass vorher 
der Krieg erklärt worden wäre, ein französisches Heer die 
Grenze des Kurfürstenthums überschritt. Der Befehl „de 
brüler le palatinat" verwandelte die Pfalz in eine Wüste. 
In seinen letzten Lebenstagen musste Philipp Wilhelm 
verzweifelnd zusehen, wie seine mit den Schätzen einer 
tausendjährigen Kultur geschmückten Städte fast insge- 
sammt in Flammen aufgingen. Am 2. September 1690 
starb der Kurfürst in Wien. In der Regierung folgte 
Johann Wilhelm, der nicht minder fest an der Verbindung 
mit dem kaiserlichen Hofe festhielt. Der Krieg dauerte 
mit wechselndem Erfolg fort. Was den von Louvois aus- 
geschickten Mordbrennerbanden entgangen war, wurde im 
Frühjahr 1693 durch die Colonnen des Marschalls von Lorges 
vernichtet. Die Pfalz war von völligem Ruin bedroht. 

In dieser bedrängten Lage griff Johann Wilhelm das 
ehedem von seinem Vater angeregte Project wieder auf. 
Am 4. August 1693 schrieb er an König Karl, er sehe das 
einzige Rettungsmittel nur in schleunigem Abschluss einer 
Union aller Mitglieder des Wittelsbachischen Hauses. Das 
Werk könne diesmal um so leichter zu Stande kommen, 
da der Kaiser selbst es begünstige. 91 ) Von schwedischer 
Seite scheint jedoch — die königliche Antwort liegt 
nicht vor — eine zustimmende EntSchliessung nicht er- 
folgt zu sein. Schweden stand zwar, seit es 1682 
mit dem Kaiser ein Schutz- und Trutzbündniss abge- 
schlossen hatte, auf Seite der Gegner Frankreichs. Ins- 



91) B. St.-A. K. bl. 46/8. Schreiben des Kurfürsten Johann 
Wilhelm an König Karl vom 4. August 1693. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 91 

besondere der unternehmungseifrige Kanzler Oxenstierna 
drängte zu thatkräftiger Betheiligung am Kriege gegen 
Ludwig. Allein eine einflussreiche Hofpartei arbeitete nicht 
minder thätig wider diese Bestrebungen, und so ist auch in 
diesen Jahren ein gewisses Schwanken der Regierungspolitik 
erkennbar, je nachdem die eine oder die andre Fraction 
die Oberhand gewann. 92 ) Das Stammland der regierenden 
Dynastie, das Herzogthum Zweibrücken, hatte das Loos 
von Kurpfalz theilen müssen ; König Ludwig Hess jedoch in 
Stockholm erklären, er werde sofort das besetzte Herzog- 
thum herausgeben, falls König Karl zu Gunsten Frankreichs 
sein Schwert in die Wagschale legen oder doch annehm- 
bare Friedensbedingungen vermitteln werde. Ein solcher 
Antrag, der den König von Schweden gleichsam als Schieds- 
richter von Europa erscheinen Hess, war zu verführerisch; 
in der That begann König Karl, an den verbündeten Höfen 
zu Gunsten des Friedens zu wirken. 98 ) 

Unter solchen Umständen erschien es dem Kurfürsten 
von der Pfalz angemessen, einen eigenen Gesandten nach 
Stockholm zu abzuordnen, um den Boden zum Abschluss 
der Union ebnen zu lassen. Im September 1694 wurde 
mit dieser Aufgabe der kurpfalzische Geheimrath und Oberst- 
kämmerer Graf von Hamilton betraut. Ehe er jedoch die 
Reise antrat, wurde das Unionsproject dem Wiener Kabinet 
vorgelegt; Kaiser Leopold erwiderte, „er finde Alles ganz 
gut und zulässig und dem Reich und dessen Ständen ganz 
unpräjudicirlich". 94 ) Die dem Gesandten ertheilte Instruction 
weist ihn an , darauf aufmerksam zu machen , wie früher 
Schweden selbst für eine „mutuelle enge Verbindtnuss 

92) Carlson, V, 554. 

93) Ebenda, V, 571. 

94) B. St-A. K. bl. 12/9. Acta, den Haus-Allianz-Recess mit 
der Cron Schweden betr., 1694—1695. Schreiben Kaiser Leopolds an 
Johann Wilhelm vom 31. August 1694. 



Digitized by 



Google 



92 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

sambtlicher des Churhauses Pfalz hocher Herrn Agnaten" 
eifrig gewirkt habe. Jetzt endlich seien alle Hindernisse 
beseitigt, alle Agnaten von der Wichtigkeit und den Vor- 
theilen der früher bald da, bald dort beanstandeten Ver- 
bindung überzeugt. Der Kaiser zolle Beifall, alle anderen 
Mächte mit Ausnahme Frankreichs seien dem Project freund- 
lich gesinnt. Das Stammland Zweibrücken sei nicht minder 
als Kurpfalz bedroht, eine Beute des habgierigen Nachbarn 
zu bleiben; auch das Erbrecht des schwedischen Königs- 
hauses auf die pfalzischen Lande lege die Pflicht auf, für 
deren Erhaltung zu sorgen. Möge also „das in dem Chur- 
haus Pfaltz befindliche gekrönte Haupt" dem bedeutungs- 
vollen Plan zustimmen, möge der ruhmgekrönte König sein 
ganzes Haus zu Glanz und Ansehen emporheben! — Für 
solche Ideen soll Hamilton insbesondere den Kanzler günstig 
stimmen ; gern sei man erbötig, dem einflussreichsten Staats- 
mann „jede angenehme Wohlgefälligkeit" zu erzeigen. 
Ausserdem soll Hamilton mit Entschiedenheit betonen, dass 
alle von den Protestanten gegen die kurpfälzische Regier- 
ung erhobenen Beschwerden null und nichtig seien , dass 
der Kurfürst in der Fürsorge für seine Unterthanen keinen 
Religionsunterschied beachte. 

Der Entwurf des Hausvertrags, den Hamilton in Stock- 
holm zu unterbreiten hatte, weicht in wesentlichen Punkten 
von den früheren Projecten ab. Schweden, Kurköln, Bayern 
und Pfalz sollen sich verbinden und verpflichten, den Frieden 
im Reich aufrechtzuhalten und den Ansprüchen der einzelnen 
Bandesglieder mit vereinten Kräften Geltung zu schaffen. 
In streitigen Fällen habe Stimmenmehrheit zu entscheiden. 
Schweden soll nur mit seinen im deutschen Reich gelegenen 
Gebieten, nicht mit den auswärtigen am Bündniss betheiligt 
sein. Dagegen seien auch der Kaiser, Johann Wilhelm's 
Schwager, und Spanien, — König Karl IL war ebenfalls 
mit einer Schwester des Kurfürsten von der Pfalz ver- 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Witt elsb achischen Hausunion. 93 

mahlt — einzuladen, der Union beizutreten, dessgleichen 
der Bischof von Augsburg, der Deutschmeister und alle 
andren Verwandten des hochfürstlichen Hauses. 95 ) 

Im Allgemeinen konnte Hamilton mit der Aufnahme 
in Stockholm nicht unzufrieden sein. Nicht nur Oxen- 
stierna, sondern auch die königlichen Räthe Lars Wallen- 
stedt und Niels Gyldenstolpe , die als Freunde der Fran- 
zosen galten, sprachen sich wohlwollend über die pfalzischen 
Vorschläge aus, aber Alle beschwerten sich über die zwei- 
deutige Haltung des Kaisers und äusserten Besorgniss wegen 
der allzu vertraulichen Beziehungen von Kurpfalz zum 
Wiener Hof. 96 ) Die drei genannten Staatsmänner waren 
offiziell vom König beauftragt, mit Hamilton zu unter- 
handeln; ausserdem suchte dieser auch alle angeseheneren 
Minister und Mitglieder des Senats für den Zweck seiner 
Mission zu gewinnen. Der Senat sprach sich denn auch 
einstimmig für die Union aus, aber der König gab seine 
Bedenken nicht auf. Zweifellos mit Recht erklärte er, eine 
auf alle Fürsten, die gerade mit pfälzischen Prinzessinnen 
vermählt wären, ausgedehnte Allianz sei nicht mehr als 
eine Hausunion zu betrachten und trage von vorneherein 
den Keim der Auflösung in sich, denn wie könnte sich er- 
warten lassen, dass der deutsche Kaiser und der König von 
Spanien Wittelsbachische Hauspolitik treiben würden? Nur 
Schweden , Bayern und Pfalz könnten einen engeren Ver- 
band bilden, mit Köln, dessen Kurfürst zur Zeit dem Hause 
angehöre, und den übrigen Agnaten sollte man besondere 
Verträge schliessen, Oesterreich und Spanien aber gänzlich 



95) Ebenda. Instruction, wornach sich Ihrer Churfiirstl. Durch- 
laucht zu Pfalz Geheimrath und Oberstcamerer Graf von Hamilton bey 
seiner Abfertigung nach Schweden zu verbalten, 30. September 1694. 

96) Ebenda. Berichte Hamiltons aus Stockholm vom 27. No- 
vember und 8. Dezember 1694. 

97) Ebenda. Bericht vom 19. Jänner 1695. 



Digitized by 



Google 



94 Sitzung der histor, Glosse vom 6. Mai 1882. 

aus dem Spiel lassen. 98 ) Dem Kurfürsten Johann Wilhelm 
war dagegen gerade an diesen Bundesgenossen am meisten ge- 
legen ; der Beitritt kaiserlicher Majestaet, erwidert er, würde 
„keinerlei Präjudiz schaffen, wohl aber dem Bunde erhöhten 
lastre geben 14 . 99 ) König Karl' war jedoch davon nicht zu 
überzeugen. Hamilton glaubte die Weigerung hauptsächlich 
den Einflüsterungen des französischen Gesandten Grafen 
cTAvaux zuschreiben zu müssen; auch im geheimen Rath 
war ein Umschwung zu Gunsten Prankreichs, das ja der 
Krone Schweden die ehrenvolle Aufgabe der Mediation 
vertrauensvoll übertrage, eingetreten. 100 ) Wenn also Jo- 
hann Wilhelm überhaupt Hilfe von Schweden erlangen 
wollte , musste er seine speziellen Wünsche opfern und 
einem am 29. Jänner 1695 von Hamilton einerseits, Oxen- 
stierna, Gyldenstolpe und Wallenstedt andrerseits ausge- 
arbeiteten Vertrag, der vom pfälzischen Entwurf gerade in 
der Hauptsache abwich, seine Zustimmung geben. Der 
Vertrag war zwar als „Hausallianz" bezeichnet, auch wird 
das Interesse des gesammten pfälzischen Hauses wiederholt 
betont, aber nur Schweden mit seinen deutschen Provinzen 
und Kurpfalz sind wirklich betheiligt, und „künftiger Ueber- 
leguug" bleibt vorbehalten, „ob nicht etwan eine extension 
der Haus-Alliance auf eine oder andere Weise oder auch 
mehrerer Puissancen accession, so nicht von diesem hohen 
Hauss, ihrer convenientz und des gesambten Pfaltzischen 
Hauses interesse verträglich sein möchte 14 . 101 ) Durch einen 



98) Ebenda. Bericht vom 29. Jänner 1695. . 

99) Ebenda. Erlass Johann Wilhelm's an Hamilton vom 21. Fe- 
bruar 1695. 

100) Ebenda. Bericht Hamiltons vom 5. Februar 1695. 

101) Ebenda. Hausallianz zwischen König Karl von Schweden und 
dem Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz, d. d. Stockholm, 29. Ja- 
nuar 1695. (Gedruckt in der Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 
260.) 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 95 

Nebenrecess verpflichteten sich Schweden und Kurpfalz zur 
Aufstellung von Truppen zu wechselseitiger Unterstützung, 
jedoch sollen „die casus praesentis belli davon ausgenommen 
sein". 

Erst unmittelbar vor Eröffnung des Friedenscongresses 
zu Ryswyk wunje auch Bayern eingeladen, der Hausallianz 
beizutreten. Am 2. März 1697 wies Kurfürst Max Ema- 
nuel den Geheimrath Korbinian Prielmayr an, im Haag mit 
dem schwedischen Minister von Lilienroth in Unterhandlung 
zu treten. Es handle sich, schreibt der Kurfürst, um Ab- 
schluss der schon seit langer Zeit angestrebten Hausunion 
„zu deren pfälzischen Häusern selbsteigener conservation 
und gar nicht zu einiges Menschen offension." Im Allge- 
meinen könne man dem Project wohl zustimmen, aber es 
dürfe nur „in generalibus et simplicissimis terminis" abge- 
fasst sein, da sonst der Kaiser auf den Gedanken kommen 
möchte, es haudle sich um eine das Reich gefährdende Liga. 
Kurpfalz wünsche sogar, dass das Bündniss unter kaiser- 
lichen Schutz gestellt werde, allein dieser Antrag werde 
wohl am Widerstand Schwedens scheitern. 

Wichtiger sei es, fährt der Kurfürst fort, sich der Hilfe 
Schwedens für den Fall kinderlosen Ablebens des Königs 
von Spanien zu versichern. Demnach soll Prielmayr Alles 
thun, um nach dieser Richtung eine bestimmte Zusage zu 
erhalten, ohne jedoch schon jetzt den schwedischen Ge- 
sandten in alle Pläne des Kurfürsten einzuweihen. 102 ) 

Mit dieser Forderung war mittelbar schon Verzicht auf 
thatsächliches Zustandekommen der Hausunion ausge- 
sprochen, denn gerade in der spanischen Frage gingen aufs 
Neue die Wünsche und die Ansprüche von Bayern und 
Kurpfalz auseinander. Max Emanuel hatte bereits erreicht, 



102) B. St.-A. K. schw. 346/73. Acta, die Erneuerung des Erb- 
vereins de anno 1675 zwischen Schweden und Bayern betr., 1697. Kur- 
fürstlicher Erlass an Prielmayr, d. d. Brüssel, 2. März 1697. 



Digitized by 



Google 



96 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

dass ihm selbst 'die Statthalterschaft in den spanischen 
Niederlanden übertragen und eine einflussreiche Partei in 
Madrid für Einsetzung des bayerischen Kurprinzen zum 
Erben der gesammten spanischen Monarchie thätig war. 
Dagegen gab sich auch Johann Wilhelm der Hoffnung hin, 
dass ihm als Bruder der regierenden Königin ein Haupt- 
theil der Erbschaft, vor Allem die Statthalterschaft in den 
Niederlanden zufallen werde. 108 ) Unter solchen Verhält- 
nissen war eine Gemeinschaft politischen Verhaltens und 
Handelns von vorneherein ausgeschlossen. 

So scheiterte denn auch dieser letzte Versuch, die Er- 
hebung einer Wittelsbachischen Linie auf den schwedischen 
Thron zum Vortheil des Gesammthauses nutzbar zu machen 
und gegenüber den Höfen von Wien und Versailles eine 
„dritte Gruppe" in festeres Gefüge zu bringen, an der Un- 
gleichartigkeit der nächstgelegenen Interessen. Im spa- 
nischen Erbfolgekrieg standen sich die beiden Hauptlinien 
des Wittelsbachischen Hauses, Bayern und Kurpfalz, fast 
ebenso feindselig gegenüber wie im dreissigjährigen Krieg. 
Als es aber nach dem Friedensschluss endlich gelang, die 
Wurzeln des Streits auszurotten, als wirklich eine Haus- 
union zwischen Bayern und Kurpfalz 1724 zu Stande kam, 
war der nach dem Norden verpflanzte Zweig schon erstorben 
und damit den Unirten die Möglichkeit benommen , aus 
eigenen Kräften unter den mächtigeren Nachbarn das 
Gleichgewicht und hiedurch die eigene Selbständigkeit zu 
erhalten. 



103) Heigel, der spanische Erbfolgestreit und Kurprinz Josef Fer- 
dinand von Bayern, in den Sitzungsberichten der Münchner Akademie, 
bist. Cl. Jahrg. 1879, 284. 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 97 



Anhang. 



Entwurf etlicher einfältiger Gedanken über das Chur- Bayrische 
Interesse und Conduite. 

(Von Kanzler Schmid verfasst; vergl. Seite 81). 

Wenn man vorerst zum fundament saget, was durch 
sovil und deutliche Proben bekräftiget worden und dahero 
nicht einmal in Zweifl gezogen, vil weniger gelangnet werden 
kann, das nemblich die Herren Spanier dem Haus Bayrn 
ungeachtet der von selbigem empfangenen nuzlichen Dienst 
nicht einmal einen erklecklichen recompens bei dem Osna- 
brückischen tractaten gegönnet, besondern solches vil mehr 
an seiner satisfaction, sovil an ihnen gewesen, gehindert, 
auch lieber gesehen, das Chur Pfalz seine ganze dignitaet 
und Lande wider bekommen, als das Bayrn mit einem Stück 
davon bekleidet werden sollen : Wenn man ferner nach der 
wahren Ursach solcher Jalousie sich ein wenig erkundigt 
und befündet, das im Grund keine andere seien, als das 
Spanien in genere keine catholische Familie im Reich in 
einem solchen flor und Wachsthumb ohne Verdruss sehen 
kann, das sie mächtig genueg were, einmal die Kayserliche 
Cron zu tragen oder sich daryber mit einem vom Haus 
Oesterreich in competenz einzulassen, und in specie auf das 
Haus Bayrn solche reflexion zu machen veranlasset werde, 
nachdem malen dieses bereits in vorigen Zeiten einem Her- 
zogen von Österreich die Kayserliche dignitaet streitig ge- 
machet und gegen selbigen sighaftig behaubtet, auch sich 
bei letzter Wahl zu Franckfor t ausgewisen, das ausser die 
damalige Prinzen vom Haus Oesterreich niemand in oon- 
sideration kommen als Chur Bayrn und zu dessen elevation 
[1882. II. Philos.-philol. bist. Cl. 1.] 7 



Digitized by 



Google 



98 Sitzung der histor. Classe vom 6, Mai 1882. 

die frembden Cronen am liebsten contribuirt hetten: Wenn 
ich nacbgehends als unstreitig praesupponire, das so jemals 
Spanien die Kayserliche dignitaet in seinem Haus nötig ge- 
habt, eben aniezo dieselbe Zeit sei, da Franckreich einen so 
grossen ascendant bekommen, das ohne des teutschen Reichs 
kräftige Hilff die Spänische Niederland ihm nicht leichtlich 
aus den Händen zu reissen sein dörfften , auch sich vom 
jetzigen Krieg schon mehr als deutlich ausgewisen, das ohne 
einen teutschen Kaiser vom Haus Österreich die Cron Franck- 
reich alle seine desseins umb besseren Kauff erraicht haben 
wurde, und wann im Gegenthaile ebenmessig unlaugbar, 
das, so Spanien jemals Ursach gehabt, sich derentwegen 
höchst zu bekommern, aniezt das recht momentum sei, da 
eines theils vom Haus Österreich Teutscher Linie nur der 
einzige Kaiser übrig und für erst ungewis, ob dessen Ge- 
mahlin bei bevorstehender Niderkonfft einen Prinzen bringet, 
darnach ebenso ungewis, ob er lebendig bleibet und zu 
seinen mannlichen Jahren gelanget, noch ungewiser aber, ob 
der Kaiser so lang lebet, das ein Prinz, der noch erst in 
die Welt kommen soll, in das Alter gerathe, welches die 
güldene Bulla einem Römischen König oder Kaiser fürge- 
schriben, andern theils aber auf örvolgenden Todtfahl des 
jezigen Kaisers den Spaniern abermal ein Carolus vonnöthen 
ist, welcher sich der jezt hochgestigenen Kayserlichen Macht 
zu gebrauchen weis, die Franzosen aus denen seiter an. 1635 
occupirten Vortheilen mit teutschem Guet und Bluet auf 
einmal wider ausszutreiben, warzue sonsten ganze saecula 
und grosse revolutiones erfordert werden dörfften: Wann 
man endlich jezterzelte Ding nicht etwan für veränderliche 
und leicht für überstreichende reflexionen, besondern für 
maximen halten mues, die eine stets mehrende Ursach mit 
sich führen und so lang dauren werden, als Spanien sich 
und das seinige gegen seinem mächtigen Nachtbar zu be- 
haubten gedenket, so volgt meines Ermessens unwidersprech- 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 99 

lieh, das Chur Bayrn auf die Spänische Freundschaft keinen 
festen Grund sezen, consequenter auch dem Kayserlichen 
Hof sich nicht vertrauen kann, als welcher in disem sae- 
culo fast anders nichts als executrix consiliorum Madriten- 
sium gewesen und es nur an habilitaet der Spänischen 
Ministern gehafiftet, wann sie zu Wienn weniger als anjezt 
zu sagen gehabt haben. 

Wann hinwiderumb an sich selbst clar ist, das die 
figur, so das Haus Bayrn gegenwertig im Römischen machet 
und wardurch es über die andern catholische Familien weit 
emporgestigen, ihr fundament in dem Westphalischen Friden 
hat und ausser selbigem man von Chur Bayrn nicht ein- 
mal weiss, und ebenso clar, das es der Westphalische Frid 
seie, dessen Zernichtung das Haus Österreich noth wendig 
iutendirn mues, im fal es das von Carolo V. gemachte Pro- 
iect endlich zu Werk zu richten gedencket, so folgt von 
freyen Stucken, das bei einer fürseyenden Haubtrevolution 
in Teutschland Chur Bayrn es nicht mit dem Haus Öster- 
reich halten, besondern nur auf der jenigen Seiten stehen 
könne und solle, welche in dem gemeltera Fridensschlus ein 
wahres interesse haben, auch dessen conservation mit Ernst 
meinen und ihre consilia und actiones zu solchem Zweck 
einrichten. 

Wann nun allen Weltverständigen bekannt, das das 
eigentliche Absehen, so Franckreich bei dem Krieg gegen 
die vereinigte Niderlanden gehabt, dahin gegangen, die 
Republicque dergestalten in die Enge zu bringen, das sie 
sich den desseins gegen Spanien hiernegst nicht mehr also 
opponirn könne, wie sie seither anno 1667 gethan, und 
disem nach von Leuten, so bei gesunder Vernunft seind, 
anders nicht praesumirt werden mues, als das sie sich nicht 
auf einmal vil Feind unnötiger Weis übern Hals ziehen, 
noch ihre durch langwierigen schweren Krieg gemachte 
conquesten in neuen hazard sezen, vil weniger von ihren 

7* 



Digitized by 



Google 



100 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

desseins sogleich ganz abgehen, und ehe sie das vorige aus- 
geführt, etwas wders und gefahrlichers entreprenirn werden, 
so bin ich bei mir allerdings versichert, das Franckreich 
weder interesse noch willen habe, den Westphalischen Friden, 
wardurch es so stätliche Vortheil erlanget, mathwillig und 
zu einer Zeit, da es einen bessern zu machen keine Gelegen- 
heit absehen können, übern Hauffen zu werffen, besondern 
vilmehr dahin laboriern muesse, das derselbe in seinem vi- 
geur allerdings verbleibe. 

Eben selbiges ist von der Cron Schweden wahr und 
dardurch deutlich genueg zu Tag gegeben, das sie sich in 
gegenwertigen conjuncturen mit Chur Brandenburg unirn 
und gleiche cönsilia führen wolle, da doch bekannt, das der 
ChurfÜrst von Brandenburg eben derienige Prinz seie, 
welcher in Teutschland die meiste Jalousie gegen Schweden 
heget und disem nach keineswegs zuegeben wird, das 
Schweden einen Fuess breit Erd mehr in Teutschland be- 
komme, vil weniger wird er seiner dergestalt vergessen, 
das er selbst darzue contribuirn solte. Es hat sich auch 
selbst aus dem effect gewisen, das Schweden keine Weit- 
leuffigkeit weder in Teutschland noch anderswo gesuchet, 
sonsten es eine gar andere conduite geführt und in Zeiten 
zuegegriffen haben würde. Seind es also die beyden Cronen, 
die das grösste interesse und einvolglich den besten Willen 
haben, Teutschland in dem ienigen Zuestand zu lassen, in 
welchem es durch den Westphalischen Friden gesezt worden, 
und unsern obigen praesuppositis nach eben dieienige, bei 
welchen Chur Bayrn zu Erhaltung des jezt erwehnten 
Fridens stehen und warzue es alle seine Macht und Klueg- 
heit employrn muess, im Fahl es in einer wahren und re- 
ellen Sicherheit zu leben gedencket. 

Zwar man konte hier einwenden, das, wann auch gleich 
zuegestanden wurde, das Spanien solche Gedancken, wie 
obgemeldet, fovirte und in der That einen grossen Hass 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 101 

gegen Chur Bayrn trüge, es doch an sich selbst eine Sach 
were, die noch in weitem Feld stunde und die sich alsdann 
erst exercirn wurde, wann der Kayserliche Todtfahl und 
die vacanz im Reich sich ereignen solt. Zudem könte dises 
wohl wahr sein, das eben Österreich nit gern sehen, vil 
weniger selbst darzue helffen solte, das Chur Bayrn grosser 
und considerabler wurde, als es gegenwertig nicht were, 
aber dahin dörffte es gar leicht zu behandlen stehen, das 
es selbiges nicht nur in gegenwertigem Zuestand liesse, be- 
sondern auch Versicherung von sich gebe, das es ebenmessig 
keinem andern derentwegen etwas zu tentirn zuelassen wolte; 
ferner seie es ja nicht der Kaiser, der den Westphalischen 
Friden gebrochen, massen ihne keiner lieber als er zu halten 
begeret, wie solches auch seinem fridfertigen Gemiet und 
der vilfältigen patienz, die er bei allen disen Dingen eine 
Zeit hero gehabt, deutlich zu ersehen, vilmehr sei es Franck- 
reich, so Teutschland zuerst angegriffen, den Frieden mit 
Füessen getretten und den Kaiser gleichsam mit den Haren 
darzue gezogen, das er zu den Waffen greiffen und sein 
Ambt, Hochheit und nation von dem Schimpff und Ver- 
achtung, warein sie die franzosische insolenz gesezt, not- 
wendig erretten müessen: man habe nur die facta anzusehen 
und weiter keinen Beweis zu begeren, als welcher Chur 
Brandenburg zuerst, hernach den Elsässischen Städten und 
Chur Trier, endlich auch dem Churfürsten von Pfalz, das 
man von mehreren nit sage, mehr als zu deutlich in die 
Hand kommen, und were man ja solchen fridbrichigen 
Leuthen auch keinen Friden zn halten schuldig. 

Was Schweden im Sinn habe, könne man nit eigent- 
lich wissen, wolle anch nicht eben darüber disputirn, ob 
der junge König nicht grössere Lust zum Krieg als zum 
Friden habe und disem nach gern sehe, das die Karte in 
Teutschland broullirt werde. Genueg sei es, das es Chur 
Brandenburg angegriffen und sich dadurch alles dessen 



Digitized by 



Google 



102 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

theilhafftig gemacht, was Franckreich verdient. Das ganze 
Reich habe es auch also recht befunden und gegen beede 
Cronen den Krieg decernirt , von dessen conclusis Chur 
Bayrn sich nicht allein ausschliessen könne, wann es nicht 
wolle, das das Reich es hinwiderumb excludirn und in ein 
praedicament mit den beiden Cronen sezen solle, welches, 
wann es gescheche, wie gewislich geschechen werde, wann 
dises in seiner bisherigen conduite und contradiction fort- 
fahre, es dardurch in die gfahr, seine jezige dignitaet und 
ganzen estat zu verlihren, gerathen könde, da hergegen, 
wann es sich dem Kaiser accomodirte und denen Reichs 
conclusis gemäss bezaigte, auch seine Cräffte zu Ausschaffung 
der Frembden aus dem Reich und zu erlangung notwendiger 
satisfaction für die beleidigten anwendete, der Kayser und 
das ganze Reich erbiethig weren, Ire Churfürstliche Durch- 
laucht in Bairn in der lezten Formb zu garantirn, dass 
von allen deine, was dero Herr Vatter durch den West- 
phalischen Fridensschluss erlanget, nicht ein Har brait ge- 
nommen, besoudern ir alles in seinem gegenwärtigen Zue- 
stand sowol ratione dignitatum als ditionum unverruckt ge- 
lassen werden solle. 

Allein dises alles, wie specios es auch etwan klingen 
möchte, würdt verhoffentlich nit süffisant sein, uns von der 
oben gefassten Mainung abzubringen, wann wür nur die 
Müehe nemmen wollen, es recht nach einander zu über- 
legen. Dann ein mahl ist die Forcht der Herren Spanier 
gar nit in weitem Feld, besondern gleichsamb für der Thür, 
indeme der Fahl sich inerhalb 17 Jahren zuetragen mues, 
wann von oberzehlten Dingen nur eins geschichet oder 
fehlet, nemlich das eintweder auch dissmahl kein Prinz 
kombt oder doch nit lang lebet oder der Kayser inzwischen 
stirbt oder welches wür oben ausgelassen, niemand der 
Herren Churfürsten underdessen an einen Römischen König 
gedencket. Alles dises gehet denen Spänischen ministris 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Witt elsb achischen Hausunion. 103 

zu Gemüeth und repraesentirt inen den Zuestand irer Mo- 
narchie, in welchen sie durch ein dergleichen accident ge- 
sezt werden köndie als eine sach, die fast täglich bevor- 
stehet, absonderlich aber ist das letztere capabl, den ter- 
rainum fatalium gleichsamb zu antecipirn und also das- 
ienige, welches inen den maisten chagrin, consequenter den 
stärksten Hass gegen Chur Bayrn verursacht, massen sie 
leicht zuvor aussehen, dass ausser selbigen Hauses in Teutsch- 
land niemand seye, welcher zu der Wahl eines Römischen 
Königs Anlass geben köndte, und gesezt, man denke disseits 
nicht einmal daran, seye auch gar nit Willens, sich mit 
solcher Last belegen zu lassen, so werden es doch die 
Spanier immer glauben, weil man an irem aignen exempl 
noch täglich sihet, was der Kayser Mantel für ein schöner 
habit seye, und wieviel Dinge darmit bedecket werden 
können, die sonst der Welt nicht gar zum Besten in die 
Augen leuchten wurden, dan darfur zu halten, das ein 
Prinz von niderem Vermögen als ein Kayser vom Haus 
Österreich sich mit solcher dignitaet nur ruinirn wurde, 
ist wie ein Gespenst, damit man je zuweilen die Künder 
und Unverständigen zu erschrecken pfleget, massen denen, 
so die rechte Griff wissen, noch wol Mittl und Weg bevor- 
stehen, wardurch man sich die Uncosten einer Crönung 
und etwas stärkere Hoffhaltung reichlich und mit Wuecher 
wider guet thun köndte und man also diser considerationen 
wegen gar nicht Ursach hatte, einen solchen Bissen fahren 
zu lassen, wann die Gelegenheit, selbigen zu erhaschen, sich 
ereignete, und weil das Churhaus Bayrn im Fahl es nur 
in seinem gegenwartigen Flor bleibet und die angefangene 
Correspondenz und genaue Freundschaft mit denen aus- 
wertigen Cronen continuirt, auch ohne einen mehreren 
Zuewachs die solcher Dignitaet anklebente Last gar wol 
ertragen kann, so müssen die Herren Spanier entweder von 
denen Chur Bayrischen consiliis ebenso Maister werden, wie 



Digitized by 



Google 



104 Sitzung der histor. Glosse vom 6. Mai 1882. 

sie von denen zu Wienn und wie anno 58 von denen zu 
München gewesen, damit man diesseits auf sein eigenes 
interesse nicht reflectiren könne, oder aber Tag und Nacht 
dahin arbeiten, damit Chur Bayrn in einen so Schlechten 
Zuestand verfalle, dass in disem Stuck niemand mehr an 
selbiges gedencken köndte. Waraus dann volget, das Chur 
Bayrn im geringsten nicht versichert, das Spanien es nur 
im gegenwertigen Zuestand lassen wolle, im Fahl es änderst 
ein Mittl ausfinden kann, selbiges zu destruirn. 

Was die französische conduite anbetrifft, wollen wir 
uns zwar nicht undernemmen, selbige durch und durch zu 
iustificirn, were auch wol zu winschen, das man in einem 
und andern Stücke etwas mehr retenue gehabt hette. Allein 
wann man in geuere die Frag examinirn wolte, wer zum 
ersten den Teutschen Frieden gebrochen, so dörffte man 
nur die bei vorigem Reichstag und darauff ervölgter Depu- 
tation zu Frankfort, wie nicht weniger die bei der Kaiser- 
lichen Wahl passirte Akten auflfschlagen und durchseheii, 
welche Parthey über die schlechte Observanz des Fridens 
am maisten geclaget und ob nicht die beeden Cronen dessen 
so trifftige und erhebliche Ursachen gehabt, das sie auch 
von dem ganzen chnrfürstlichen Collegio approbirt und dan- 
nenhero der bekannte § Et ut es sincerior etc. in der Wahl- 
capitulation deutlicher explicirt und dem Kaiser in selbigem 
Stück die Hand desto stärcker gebunden werden müessen. 
Wahr ist es, das Franckreich den Krieg gegen die Hol- 
länder von freyen Stücken angefangen und der König nicht 
eben sagen kann, das der Kaiser im darzüe gerathen. Allein 
weillen der Gremonuillische Tractat afio 71 bloss zu dem 
Ende gemacht, auch den Kayserlichen ministris ohne Scheuch 
gesagt wurde, das man dardurch die occasion, sich mit 
dem Haus Österreich bei dem damals bevorstehenden Hol- 
ländischen Krieg zu collidirn meiden wolte, auch diejenige, 
so bei fabriciruüg des Tractats sich gebrauchen lassen, nicht 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 105 

undunckel zu verstehen gegeben, das wan gleich in dem 
punct de terris et circulis iraperii, wardurch die Holländer 
nicht angegriffen werden solten, etwas Unrechts fürgehen 
möchte, solches doch under dieienigen Dinger zu rechnen 
were, welche vermög eben selbigen Tractats nicht mit den 
Waffen, besondern via amicabili ausgemacht werden müessten, 
so kan es so gar unrecht nicht sein, wan man saget, das 
die Kaiserliche conduite den Krieg mit Holland nicht wenig 
befürdert, massen ohne die zu Wien gegebene und durch 
einen ordentlichen Tractat, wiewol captiose confirmirte Ver- 
sicherung der König von Franckreich den Krieg nicht ein- 
mal angefangen haben wurde. Zudeme hat Franckreich bei 
Wegnemung der mit Holländern besetzten Clevischen Vest- 
ungen bei weitem dasienige nicht gethan, was der Kaiser 
in compagnie des Churfursten von Brandenburg im Jahr 58 
und 59 gegen Schweden in Pommern ausgewürcket, und 
gleichwol bildete man sich damahls ein, das es mit einer 
blossen protestation (das man nemblich nicht gemeint, den 
Teutschen Frieden , darmit zu brechen , noch einige con- 
questen zu machen) verantworttet und alles wider guet ge- 
tbon werden köndte, lasst sich auch gar wol und mit Recht 
gegen den Wiennerischen Hoff und Chur Brandenburg alle- 
girn, massen sie in dieienigen exempla, so sie selbst ge- 
geben, in andern zu improbirn nicht vermögen, ob sie schon 
gegen einen tertium nicht zue gebrauchen stunden, als 
welcher alsobald mit Grund zu excipirn hette, das ime solche 
Dinge keine Consequenz zueziehn und man nicht nach 
exempln, sondern nach denen Gesäzen leben rauesse. Aber 
es ist die Frag nicht mehr, welcher Thail Ursach zu denen 
Troublen im Reich gegeben, besonderii ob wegen ein und 
anderer excessen und irregularitaeten der Teutsche Friede 
ganz ubern Hauffen geschmissen und die, so darbei derge- 
stalt hoch interessirt seindt , in neue Unsicherheit gesezt 
werden solen? Da dan nicht nur Chur Bayrn, besondern 



Digitized by 



Google 



106 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

andere rechtgestinte und fridlibente Stände mehr gleich an- 
fangs gesagt, das es dergleichen extremiteten nicht nöthig 
hette, massen alles, was fürgegangen, occasione belli inter 
alios gesti geschehen, auch denen beschädigten auff andere 
Weise satisfaction verschafft werden köndte, welcher threue 
Rath, wan er angenommen worden und die darnebenst für- 
geschlagene Offerten gleich Anfangs anno 72 in consideration 
kommen weren , so solten weder die Händl mit denen 
10 Städten, noch denen beeden Churfürsten, Trier und 
Pfalz, iemahls geschehen sein, massen ja solches alles, so zu 
reden, ex vitio primae concoctionis und aus der ersten prae- 
cipitirten conjunction der Österreichischen Waffen mit Chur 
Brandenburg seinen Ursprung eigentlich gewonnen. 

Das man ferner sagen will, es habe ja das Reich darein 
consentirt und den* Krieg gegen beede Cronen für nöthig 
und legitime gehalten, so ist die approbatio (im Fahl sie 
ja also zu nennen) erstlich ex postfacto und zu der Zeit 
geschehen, da durch eine denen constitutionibus imperii 
ganz eigentlich zuwider lauffente conduite der Kayser mit 
Franckreich schon in würklichen Kriege begriffen und hier 
nicht unbillich zu applicirn, dass die zu Anfang einer Sach 
comittirte Haubterrores nachgehents nicht corrigirt werden 
können, absonderlich wan dem tertio ein notabile praejudi- 
cium dardurch zuegezogen werden solte: über das ist die 
geruhmbte approbation aus keiner libertate votandi mehr 
hergeflossen, nachdemmahln der Kayser eine starcke armee 
inconsultis et consquenter invitis statibus in das Reich ge- 
füehrt und darmit quasi per vim metumve zu Weeg ge- 
bracht, das sie entweder, was er gern höret, sagen oder zu 
deme, was er begert, stillschweigen müessen. 

Ob nun dergleichen convent zu Regenspurg, da sovil 
fürneme Stand die ihrige nicht mehr haben, für ein Reich, 
welches nach denen Gesäzen administriert werden soll, zu 
nenimen, und ob einer in conscientia obligirt seye, solchen 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Projeci einer Wittelsbachischen Hausunion. 107 

theils praecipitirten, theils extorquirten conclusis zu Nach- 
theil und Unsicherheit seiner eigenen dignitet und estats 
sich zu nnderwerffen, im Fahl er Mittl hat, auff eine andere 
Weise sich zu prospicirn, daran muess ich nicht ohne Ur- 
sach zweiflen, zumahln da dise Frag noch nit einmahl aus- 
gemacht ist, ob eben die pluralitaet der Stimmen, wan auch 
schon keine widerrechtliche artificia, selbige heraus zu locken 
und zu erzwingen, gebraucht weren, jemand obligiren köndten, 
sich entweder ipso facto aus seinen juribus acquisitis sezen 
zu lassen oder selbst an dem Nez arbeiten zu helffen, wel- 
ches man ime hernach über den Kopf zu ziechen gedencket. 
Kan man also meines Erachfcens Chur Bayrn durch die 
Crafft der Reichsgesäze. nicht anhalten, das es bei gestalten 
Sachen approbirn müesste, was zu Regenspurg post oppressam 
libertatem votandi fabricirt würdt. Will man aber die ap- 
probatiqn mit Gewald abzwingen, so Chur Bayrn umb sovil 
mehr Ursach, sich an dieienige zu halten, die ein gleiches 
interesse haben, und würdt alsdan durch eine würckliche 
conjunction der Waffen die Parthey dergestalt considerable 
machen, das es so leucht kein unrechte Gewalt zu fürchten. 
Von gleicher Stärcke ist es, was endlich von der ga- 
rantie, die das Reich dem Haus Bayrn laisten wolle, erwehnet 
worden. Dan wer ist aniezo das Reich, als eben Spanien 
und dessen consilia, und mues dises notwendig wider empor 
und einen ascendant über Franckreich bekommen, auch die 
praemia belli darvon tragen, wan dem gefassten cpncept 
nach die beede Cronen gedemüethiget und aus dem Reich 
getrieben werden sollen. Und gleichwol mues es eben auch 
dasienige sein, welches Chur Bayrn garantirt und dardurch 
dem gemainen Sprüchwortt nach der Bock recht zum 
Garttner gesezt und das Schaf dem Wolff anverthrauet 
werde, nachdemmahln oben schon dargethon ist, wie wich- 
tige Ursachen Spanien zu haben glaube, das Haus Bayrn 
von der Erden zu vertilgen, wan es nur immer möglich : 



Digitized by 



Google 



108 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

zum wenigsten ist dises unlaugbar, das Chur Bayrn an Öster- 
reich sich nicht vertrauen, noch einer wahren Freundschaft 
von danen versichern könne, in Erwegung, das in Politicis 
pro lege fundamenti passirn mues, das ich von dem nichts 
guets zu gewartten, dessen interesse dem meinigen entgegen 
laufft, und zwar in eben dem tertio, welches zu maintenirn 
ich mich auff ine verlassen soll. 

Wie hat dan nun Chur Bayrn sich ferner zu gouver- 
niren, nachdem es sichet, das dessen zu Regenspurg bis an- 
hero interponirte contradictiones und protestationes nicht 
mehr dem Stich halten wollen und sich endlich zuetragen 
dörffte, das der Kayser Gelegenheit kriegte, zu andern Mitlen 
zu greiffen, wan ienes in der gebrauchten methode con- 
tinuirn wolte? Hier solten vielleicht etliche mainen, am 
sichersten zu sein, wan Chur Bayrn dem torrent wiche, 
sich mit denen andren Ständen zu Regenspurg confirmirte, 
und nachdeme es sich dero garantie versichert, die beede 
Cronen iren hazard lauffen Hesse, absonderlich da diese noch 
forye genueg hetten, zu resistireu, auch ein geringes accident 
kommen köndte, welches capabl, alle hochfahrente Spänische 
conceptus auff einmahl zu under brechen und Chur Bayrn 
von der Gefahr, accablirt zu werden, allerdings zu befreyen. 
Ja, es stunde nicht zu vermuthen, das die Cronen leichtlich 
in einen solchen Zuestand gerathen wurden, das man von 
denenselben im Reich keinen Beystand zu gewartten, wan 
ja etwa der Kayser aus Spanischem Antrieb sich des erlangten 
Glücks zu Undertruckung der Teutschen Freyheit und ab- 
sonderlich des Haus Bayrn misbrauchen wolte. 

Aber eben dasienige, was das grosste Gewicht in sich 
zu haben scheunet, warumb Chur Bayrn gleich denen andern 
die Hände im Schoss legen und dem Spill müessig zuesehen 
solle, nemblich weillen es mit denen Cronen nit so bald ge- 
thon und sie noch lang resistirn wurden, ist nach meinem 
Gutdünken die stärckeste und grösste Ursach, warumb Chur 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 109 

Bayrn länger nicht still sizen, besondern Parthey nemmen 
müesse, in reufer Erwegung, das durch continuation des Kriegs 
die Eingriff in der Stand praerogativ und Freyheiten taglich 
mehr und mehr zu-, hergegen dero Cr äffte dergestalt ab- 
nemmen, das sie zu Ende des Kriegs nit die geringste Macht 
mehr übrig haben, so wenig sich selbst für dem Joch, als 
Chur Bayrn für der befahrenden oppresion zu garantirn, 
wie solemniter sie sich auch darzue anheischig gemacht 
haben mögen. Dan ein Blinder ja mit Händen greiffen 
kann, das Spanien anders nichts als einen lang dau- 
ernden Krieg intendiret, auch ihm gar wenig darmit ge- 
dient, das die Sachen etwa in aequilibrio bleiben oder in 
die terminos wieder gerathen, worinn sie bei Anfang des 
Krieges gewesen, oder das es mit einem kleinen Vortheil 
vergnügt zu sein gedencken solte, sondern dessen rechte avan- 
tage bestehet darinnen, das durch Fortsezung des Krieges 
Franckreich, Schweden, Holland und die Teutschen Stand 
auff einmal ausgemattet und in solchen estat redigirt werden, 
das sie dem Haus Österreich praemia belli allein lassen und 
also selbst dasienige wieder empor haben muessen, was sie 
in verschiedenen Zeiten zu undertrucken getrachtet. 

Wann nun unwidersprechlich, das continuatio belli den 
ruin der teutschen Stand auf dem Rucken tragt und zu- 
gleich Chur Bayrn in Zuestand sezet, das es hernach und 
wann die Stand, so garantirn wollen, kein Crafft mehr 
haben, alle leges, die man ihnen furschreiben wird, annehmen 
müessen, so dörffte nicht mehr rathsam, sondern hochnötig 
sein, das dises ohne längern Verzug diejenige resolution 
ergreiffe, welche die sicherste, ja die einzigeste aniezt ist, 
eiiien schleunigen Friden zu weg und die kriegende po- 
tentien in einigen aequilibrium zu bringen, nemblich das 
es seine Waffen mit den beeden Cronen würcklich conjun- 
gire und dardurch dem Prinzen von Conde desto mehr Raum 
und Gelegenheit gqbe, das er die Kayserlichen aus Schwaben 



Digitized by 



Google 



110 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

in die Erbland und consequenter dahin treibe, das sie sich 
mit ihrem eigenen Fett bekriegen, und weilen sie solches 
lang nicht aushalten können, einen raisonablen Priden, 
warzu beide Cronen allemal willig und erbietig, annemmen 
müessten. Und gesezt, das Chur Bayrn bey solcher con- 
duite und resolution keinen Beifal im Reich bekäme, so ist 
es dardurch doch keiner grösseren Gefahr underworffen, als 
in welcher die beiden Cronen aniezt allein stehen, gestalten 
alle Kräfte, die vermuetlich nur immer feindlich werden 
können, bereits employirt worden, hergegen macht es seine 
Partei dermassen starck und considerable, das die Alliirten 
gezwungen werden, auff eine geschwinde composition zu 
gedencken ; ist auch gar nit zu fürchten, das Holland derent- 
wegen seinen ohne das sehr ausgefegten Beütl härter er- 
greiffen und die Unkosten zum Krieg länger fournirn werde, 
vil mehr es ganz auff andere consilia gerathen und gleich- 
sam über Hals und Kopff zu einem Friden eilen werde, 
wann es nemblich sichet, das, im Fahl es so lang im Krieg 
bleiben wolt, bis das Haus Österreich seinen Zweck erreichet, 
ihr eigner ruin dardurch unfelbar befördert wurde. 

Ist also diss, was Reich heisset, gegen wert ig nichts 
anders als der Spänische ambassadeur zu Wienn und die 
Kayserliche armee, so die daselbst geschmidete consilia und 
decreta exequirt, welche aber Chur Bayrn nicht mehr irri- 
tirn und gegen sich hiziger machen kann, als sie schon 
seind, vil mehr werden sie geschmeidiger und vom Friden 
zu sprechen anfangen, wann sie dergleichen vigeureuse reso- 
lution sehen, die sie sich vom hiesigen Hof vielleicht nim- 
mermehr vermuetet, wie dann eben darumb, das man in der 
Eil darzue schreiten solt, weilen ins gemein die Ding den 
besten effect thuen, derer sich der Feind am wenigsten 
versehen. 

Müesste dannenhero Chur Bayrn, ohne länger zu ba- 
lancirn, aniezt, da der Prinz von Conde sich so sehr ver- 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 111 

stärcket hat, das er etwas haubsächlichs wider anzufangen 
vermag, eine Partie dero Truppen in Schwaben schicken, 
damit sie zu iezterwehntem Prinzen, der inzwischen under- 
halb Breisach übern Rhein gienge, stossen und die Kayser- 
lichen mit desto münderer Gefahr in die Erbland zum Wün- 
terquartier treiben, für sich aber Schwaben und einen Theil 
des Fränckischen Creises zu recruten und neuen Werbungen, 
als welche imitelst mit aller Macht anzustellen weren, be- 
halden könde, hergegen liess man mit dem Gros der arraee 
die Gränizen gegen Böhmen und Osterreich so guet be- 
decken, als immer möglich, und dardurch verhindern, das, 
was in den Erblanden von Kayserlichen Trouppen noch 
übrig, sich nicht movirn, noch der Haubtarmee zu Hilff 
kommen dörffte. 

Wann nun auf solche Weis die Französische Partei 
in Oberteutschland bei weitem stärcker gemacht wurde, als 
die harassirte und nach festen Winterquartieren verlangende 
Eayserliche armee nit ist, so scheinet ja nochmals, das solche 
resolution keiner sonderbaren Gefahr underworfFen ist, nach- 
dem es nur inter raro contingentia zu reebnen, wann der 
kleinere und abgemattete Hauffe den grösseren und frischeren 
schlägt. 

Hergegen wann Chur Bayrn still sizet und die beide 
Cronen allein kazbalgen lässt, so hat es dises zu befahren, 
das, sobald Franckreich ein notable Unglück und die Eayser- 
liche Haubtarmee dardurch Lufft bekombt, sie ihme auff 
den Hals gehet und zu einem von beeden obligiret, das es 
entweder sich mit weit grösserer Gefahr als aniezt für die 
beede Cronen declarirn oder aber sein aecomodement machen 
und also sein eigen interesse mit dem Rücken ansechen, 
hergegen zugleich mit den andern das Joch allgemach über 
sich nemmen und alles, was gegen der Stand Freiheit schon 
geschechen und vermuetlich mehr geschechen wird, als wol 
und recht gethon hinpassirn lassen und endlich dasjenige, 



Digitized by 



Google 



112 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882. 

was Spanien ihm so lang nachgetragen, erwarten müesse. 
Und gleichwie der gesunden Vernunfft am ähnlichsten zu 
sein scheinet, das, wann die Gefahr und das remedium 
darfür zugleich vorhanden, man das leztere umb sovil ge- 
schwinder applicirn müesse, als sich befündet, das durch 
längeren Verzug ienes Kräffte zunemmen, dises Würckung 
aber sich verringert, also solte man billich sich aniezt der 
Gefahr entgegen sezen, weil von denen Cronen unverlangte 
Hilff zu gewarten und das Übl noch nicht so hoch gestigen, 
das es nicht durch ein dergleichen starck Gewicht, wie Chur 
Bayrn mit conjunction seiner Waffen darzue gibet, mit Glick 
und Ruehmb undergetrucket werden könne. 

Das endlich kein ander Chur- oder Fürst dergleichen 
herzhaffte resolution ergreiffen wurde, das mues Chur Bayrn 
sich zu keie^m argument dienen lassen, dero exempl zu 
folgen, znmaln keiner ist, der bei Zernichtung des West- 
phalischen Fridens so vil zu verlihren, nachdem Chur Bran- 
denburg sich persuadirn lassen, das es bei der pacification 
nicht allein nichts gewonen, besonder vil mehr ein merck- 
lichs eingepüsst, auch kein ander im Reich das Vermögen 
hat, sich mit Hoffnung eines gueten successes opponirn zu 
künnen, wan ihn gleich auch interesse und Muet dahin 
portirn solten. 

Wann nun zu allen obetaelten trifftigen considerationen 
auch dise kombt, das man sich zn dergleichen resolutionen 
durch solenne pacta engagirt hat, so wird ohne Zweifel ein 
solcher Schlus gefasset werden, welcher zu Erhaltung der 
teutschen Freiheit und dises Cburhauses eignem Etat nicht 
nur bei gegenwertigen coniuncturn vonnöten ist, sonder der 
auch Ir Chufürstl. Durchlaucht ins konfftige darzue dienen 
kann und wird, das alle rechtgesynte der Göttlichen pro- 
videnz, die das Haus Bayrn zn etwas grösserm destinirt 
zu haben scheinet, gleichsam entgegengehen und die fata 
maturirn helffen, nachdem sie an einem 80 ruhmblichen 



Digitized by 



Google 



Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 113 

Exempl gelernet, das es Chur Bayrn sei, bei welchem zu- 
gleich kluege und herzhaffte consilia und nicht weniger 
unverruckte Treu und Glauben zu fünden und das es allein 
von deme kommen müesse, wardnrch Teutschland von der be- 
vorstehenden Dienstbarkeit cräfftiglich errettet werden solle. 
Salvo rectiori. 



Herr von Druffel hielt einen Vortrag: 

„Kaiser Karl V. und die romische Curie vom 
Worraser Reichstagsabschied bis zum Be- 
ginne des Regensburger Reichstages 1545 
bis 1546". 

Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht 
werden. 



[1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 1.] 



Digitized by 



Google 



Philosophisch-philologische Classe. 



Sitzung vom 3. Juni 1882. 



Herr Brunn hielt einen Vortrag: 

„Studie über den Amazonenfries des Mausso- 
leums". 

Durch Plinius ist uns die Nachricht überliefert, dass 
an der bildnerischen Ausschmückung des Maussoleums vier 
Künstler betheiligt waren, und zwar in der Weise, dass ein 
jeder von ihnen die Arbeiten an einer der vier Seiten des 
Gebäudes übernommen hatte. Plinius schöpfte aller Wahr- 
scheinlichkeit nach aus dem Reisewerke seines Zeitgenossen 
Licinius Mucianus, der, in naturwissenschaftlichen Dingen 
leichtgläubig und den Vorurtheilen seiner Zeit unterworfen, 
in seinen geographischen und historischen Angaben als ein 
unverdächtiger Zeuge gelten darf. Wir haben also keinen 
Grund, die Nachricht des Plinius nach ihrem Wortlaute 
in Zweifel zu ziehen; vielmehr müssen wir in ihr eine 
Aufforderung erkennen, sie nach ihrem Inhalte an den er- 
haltenen Resten zu prüfen. Unter diesen können zunächst 
nicht allerlei vereinzelte Bruchstücke, sondern nur die um- 
fangreicheren Theile eines Amazonenfrieses in Betracht 
kommen ; denn da die erhaltenen Platten unter Zurechnung 
derer, die im Anschluss an sie nach bestimmten Spuren 
nothwendig vorausgesetzt werden müssen, eine Ausdehnung 



Digitized by 



Google 



Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussoleums. 115 

haben, welche die Länge einer Seite des Gebäudes über- 
schreitet, so werden wir auf die wohl allgemein anerkannte 
Voraussetzung geführt, dass die Amazonendarstellungen, 
ähnlich wie die Schlachtscenen in dem unteren Friese des 
Nereidenmonumentes von Xanthos, um das ganze Gebäude 
auf allen vier Seiten herumliefen. Sofern sich also, was 
freilich nicht von vornherein als ausgemacht betrachtet 
werden darf, Bruchstücke von jeder der vier Seiten erhalten 
haben sollten, so müsste sich gerade wegen der Gemeinsamkeit 
oder vielmehr Einheitlichkeit des Gesammtthemas der „Wett- 
streit der Hände", von dem Plinius spricht, an ihnen in 
bestimmter Weise nachweisen lassen. Der Versuch einer 
Scheidung ist somit in jedem Falle berechtigt. 

Da von den erhaltenen Platten nur wenige innerhalb 
der Ruinen des Gebäudes, und auch diese nicht in ihrer 
ursprünglichen architektonischen Verbindung gefunden sind, 
so können Fundnotizen nicht zum Ausgangspunkte der 
Untersuchung genommen werden. Ebensowenig lässt sich 
mit Erörterungen über den Styl der einzelnen Künstler be- 
ginnen, da wir nicht einmal von den Eigentümlichkeiten 
des bedeutendsten unter ihnen, .des Skopas, bis jetzt eine 
genügende Anschauung besitzen. Wir sind also zunächst 
ausschliesslich auf die Bildwerke selbst angewiesen und auf 
das , was sie uns an äusseren Kennzeichen in der Beklei- 
dung, der Bewaffnung, sowie an stylistischen Verschieden- 
heiten in der Auffassung und Ausführung darbieten. 

Die bisherigen Publicationen, namentlich die der nicht 
in den Ruinen des Maussoleums selbst, sondern in den 
Castellmauern von Budrun gefundenen Stücke (Mon. d. Inst. 
V, 18 — 21) erwiesen sich für die folgenden Untersuchungen 
als ungenügend. Es wurden ihnen vielmehr die grossen 
Photographien Caldesi's (Colnaghi & Co., 13 Pall Mall, East 
London) zu Grunde gelegt. Für manche feinere Züge mag 
sich allerdings eine Nachprüfung an den Originalen selbst 



Digitized by 



Google 



116 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 3. Juni 1882. 

als noth wendig erweisen , auf welche für jetzt verzichtet 
werden musste. Wenn indessen schon eine vorsichtige 
Analyse der Photographieeh eine Reihe sehr verständlicher 
Kriterien darbietet, so werden die auf diesem Wege ge- 
wonnenen Resultate eines bestimmten wissenschaftlichen 
Werthes nicht entbehren. 

Um das Schlussresultat voranzustellen, so scheinen sich 
allerdings vier Gruppen mit hinlänglicher Sicherheit so 
weit unterscheiden zu lassen, dass wir aus ihnen vier be- 
stimmt unter einander verschiedene künstlerische Individuali- 
täten kennen lernen. 

Die erste Serie ist die ausgedehnteste: sie enthält 
die in den Monumenti mit III, IV, VII— XI bezeichneten 
sieben Platten, von denen nur VII und VIII, IX und X 
sicli unmittelbar an eiuander schliessen. Im Aeusseren der 
Darstellung finden wir hier die meiste Mannigfaltigkeit: 
Krieger, theils nackt, theils mit kurzem Chiton oder nur 
mit der leichten Chlanis *) , nicht aber mit der Chlamys 
bekleidet ; mit unbedecktem Haupte , mit Visir- oder mit 
visirlosem Helme, der aber überall den wehenden Busch 
hat; mit und ohne Schild und Wehrgehenk, mit Schwert 
oder Lanze, welche plastisch ausgedrückt sonst nicht wieder 
vorkömmt; die Amazonen sämmtlich im kurzen Chiton, 
der hier geschlossen, dort an der Seite offen, die rechte 
Brust bedeckt oder frei lässt, einfach gegürtet oder ge- 
schürzt, einmal eine Art Doppelchiton ist. Bei den drei 
Reiterinnen, von denen eine (XI) vielleicht auch eine Aermel- 



1) Die antiken Namen gewisser Kleidungsstücke lassen sich wohl 
so wenig wissenschaftlich feststellen, wie die Namen so mancher Vasen- 
formen. Um aber dem praktischen Bedürfnisse einer bestimmten Ter- 
minologie Rechnung zu tragen, möchte ich mit Rücksicht auf den vor- 
liegenden Fall vorschlagen, zum Unterschiede von der gewöhnlichen 
mantelartigen Chlamys das einfache, lange viereckige Stück Zeug, 
welches etwa dem modernen Plaid entspricht, als Chlanis zu bezeichnen 



Digitized by 



Google 



Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussoleums. 117 

jacke trag, gesellt sich dazu die wehende Chlamys, bei 
manchen ihrer Genossinnen zu Fuss die Chlanis, die ein- 
mal als ein kurzer Schurz nach Art einer Schärpe um den 
Leib geschlungen ist. Zwei von ihnen tragen um die Hand 
oder den Vorderarm gewickelt ein leichtes Thierfell. Die 
asiatische Mütze, welche wiederum sämmtliche Reiterinnen 
tragen, findet sich bei den Fusskämpferinnen nur einmal, 
und eben so nur einmal ein Helm mit wehendem Busche, 
die Pelta zweimal unmittelbar neben einander. Die Füsse 
sind theils mit Stiefeln bekleidet, theils nackt. Speer, 
Schwert, Streitaxt als Angriffswaffen sind theils wirklich 
dargestellt, theils nothwendig vorauszusetzen. Dass Bogen- 
schützinnen ganz fehlen, ist auffällig, kann jedoch zufal- 
lig sein. 

In der Behandlung der Gewandung erinnert diese Serie 
mehrfach an die unruhige Art des Frieses von Phigalia. 
Namentlich an der (auf VII und VIII vertheilten) Amazone 
in Vorderansicht flattern einzelne Theile ziemlich regellos, 
einheitlicher im Motiv bei der Amazone in der Mitte von 
XI; in einer der Bewegung der Gestalt so gut wie ent- 
gegengesetzten Richtung an den Krieger VIII rechts. An 
Manier grenzt die öftere Wiederholung eines (ausserdem 
nur noch einmal in der 4. Serie vorkommenden) Motives, 
nemlich den linken Arm oder die Hand mit einem Gewand- 
stücke oder einem Felle zu umwickeln, eines Motives, das 
ausserdem in seiner Ausführung zu einer weichen und 
rundlichen Behandlung der Linien Anlass gab. Bei den 
Stellungen muss es auffallen, weniger dass einmal die be- 
helmte Amazone in voller Vorderansicht auftritt, als dass 
mehrere Gestalten in der Rückenansicht dargestellt sind 
und die Köpfe derselben nur von hinten oder in sehr ver- 
lorenem Profil sichtbar werden. Damit noch nicht zu- 
frieden verdeckte der Künstler ausserdem die Gesichter 
einiger dieser Kämpfer durch die Schilde, die sich über- 



Digitized by 



Google 



118 Sitzung der phüos-philöl. Glosse vom 3. Juni 1882. 

haupt durch Häufung dem Auge zu sehr aufdrängen und 
mehrfach durch ihre eiförmigen Verkürzungen wenig ange- 
nehme Linien bilden , die Körper zerschneiden oder ver- 
decken, während anderer Seits die überwiegend nackten 
Gestalten der Krieger sich theils in zu stark und unver- 
mittelt, theils in zu wenig gebrochenen, langgestreckten 
Linien darstellen und den Eindruck des Gespreizten machen. 
So wird nicht nur der harmonische Fluss, der Rhythmus 
der Linien vielfach getrübt, sondern das Ganze bekömmt 
einen unruhigen, hie und da mehr malerischen, als plastischen 
Charakter. 

Die Oberfläche der Platten hat durchgängig stark ge- 
litten, und es ist desshalb schwierig, aus einzelnen besser 
erhaltenen Stellen sich von dem Gesammtcharakter der Aus- 
führung eine klare Vorstellung zu bilden. Erst durch eine 
Vergleichung mit den übrigen Serien tritt es uns bestimmter 
entgegen, wie mit Auffassung und Linienführung auch die 
übrige Durchbildung Hand in Hand geht. An den Ge- 
wändern sind allerdings in der Behandlung der Falten die 
leichteren und schwereren Stoffe unterschieden. Aber in 
der Anlage der Chlamys bei den drei Reiterinnen z. B. 
zeigt sich eine gewisse Einförmigkeit; an andern Stellen 
haben besonders die von den Körpern sich loslösenden 
Partieen etwas Gelockertes und Unruhiges; an den um die 
Arme gewickelten Gewandstücken erscheinen die Falten 
weich und rundlich. Ueberall begegnen wir mehr einer 
allgemeinen Gewandtheit und Routine, als einer in das 
Einzelne eingehenden scharfen Charakteristik. Dasselbe 
scheint von dem Vortrage der Formen des Nackten, sowie 
der Pferdekörper zu gelten, soweit freilich bei dem Zu- 
stande des Marmors überhaupt ein Urtheil gestattet ist. 

Erscheinungen, wie sie hier hervorgehoben wurden, 
zeigen sich zuweilen, wo der Höhepunkt einer Entwickelung 
noch nicht erreicht, aber ebenso auch, wo derselbe bereits 



Digitized by 



Google 



Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussoleums. 119 

überstiegen war. Am Friese des Theseion z. B. beruht der 
Charakter einer gewissen Laxheit darauf, dass die Kunst 
noch der Reinigung und Abklärung bedurfte, welche ihr 
erst der Geist eines Phidias brachte; am Friese von Phi- 
galia vermissen wir die volle Harmonie, weil die Strenge 
der Schule des Phidias bereits eine Lockerung erfahren 
hatte. Ohne hier auf einen Vergleich der älteren und der 
jüngeren attischen Schule einzugehen, dürfen wir doch wohl 
aussprechen, dass die bisher betrachteten Platten nach ihrem 
Gesammteindruck eher einen Vergleich mit dem Friese von 
Phigalia als mit dem des Theseion gestatten, wenigstens 
insoweit, als der Mangel an Strenge auf eine künstlerische 
Persönlichkeit hindeutet, die nicht mehr in jugendlichem 
Vorwärtsstreben neuen Principien Geltung zu schaffen sich 
bemüht, sondern bereits im Besitze reicher künstlerischer 
Mittel mit denselben in freier, ja zuweilen rückhaltloser 
Weise schalten zu dürfen glaubt. 

Die Platte VI der Monumenti, deren Photographie 
mir nicht vorliegt, ist jetzt aus dem Kreise der Amazonen- 
darstellungen ausgeschieden, und wird gewiss mit Recht 
einem sonst nur in geringen Resten erhaltenen Kentauren- 
friese zugetheilt, der ein vollständiges Seitenstück zu dem 
Amazonenfriese gebildet zu haben scheint. Nach der Be- 
merkung Furtwänglers (Arch. Zeit. 1881, S. 306) mochten 
beide in ähnlicher Weise an dem Unterbaue des Mausso- 
leums vertheilt gewesen sein, wie die beiden grösseren Friese 
am Nereidenmonumente von Xanthos. Dennoch verdient 
diese Platte auch hier in Betracht gezogen zu werden. 
Wir begegnen hier wieder der einen männlichen Figur in 
der Rückenansicht; die andere in Profil zeigt uns die lang- 
gestreckte, ungebrochene Rückenlinie. Die fliehende Frau 
in Vorderansicht ist in den Motiven ihrer Bewegung fast 
das genaue Gegenbild der behelmten Amazone auf VII — VIII. 
Ihr flatteriger Mantel aber, ebenso wie die etwas schleppende 



Digitized by 



Google 



120 Sitzung der phüos.'phüol. Classe vom 3. Juni 1882. 

Chlanis des zweiten Jünglings verrathen die grösste Ver- 
wandtschaft mit der unruhigen Gewandung der ganzen 
ersten Serie. Bei so vielen Uebereinstimmungen innerhalb 
eines engen Raumes werden wir nicht umhinkönnen , in 
dieser vierten Platte dieselbe Künstlerhand, wie in den 
bisher besprochenen wiederzuerkennen. 

Der zweiten Serie glaube ich vier Platten zutheilen 
zu dürfen : I, II, XII und XIII der Monumenti, über welche 
zunächst einige factiscbe Bemerkungen zu machen sind. 
Der Krieger auf I ruft nicht, wie Braun (Annali 1850, 
p. 301) diese Figur deutet, seine Genossen zum Kampfe 
auf, sondern, wie ich mich vor Jahren an den Originalen 
selbst überzeugen konnte, er reisst mit seiner Rechten eine 
Amazone bei den Haaren von ihrem Rosse herunter. Die 
ganze Platte I aber schliesst sich unmittelbar an II an. 
Die Richtigkeit dieser Anordnung im britischen Museum 
wird durch die Photographieen bestätigt, während sich hier 
die Zeichnung der Monumenti als ganz besonders ungenau 
erweist. Ebenso hat es sich ergeben, dass die Platten XII 
und XIII eng aneinander schliessen. 

Von äusseren Kriterien tritt zunächst hervor, dass in 
dieser Serie mehrfach Amazonen mit Aermeln und mit 
Hosen vorkommen, und zwar so, dass diese Tracht nicht 
etwa als eine Besonderheit der Bogenschützinnen erscheint. 
Denn nach der Vereinigung von XII und XIII kann die 
gerade auf der Scheide dieser Platten stehende Amazone 
nicht mehr, wie Braun annahm, dieser Waffengattung an- 
gehören. Ausserdem sind auch an der einzigen Reiterin 
dieser Serie wenigstens die Aermel in den Photographieen 
bestimmt erkennbar. Dagegen trägt hier keine der Ama- 
zonen die sonst mit der vollen Kleidertracht eng ver- 
bundene asiatische Mütze, während bei der Bogenschützin 
in ungewohnter Weise halblange Locken weich über 
den Nacken herabfallen und auch bei ihrer Nachbarin 



Digitized by 



Google 



Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussöleums. 121 

die Haarmassen mehr als gewöhnlich nach hinten geordnet 
scheinen. Das gelöste Haar der Enieenden kommt aller- 
dings noch einmal in der vierten Serie bei einer Reiterin 
vor, scheint aber beide Male mehr znr Bezeichnung einer 
verzweifelungsvollen Situation, als zu einer Unterscheidung 
der Tracht verwendet worden zu sein. Der volleren Be- 
kleidung der Amazonen entspricht die vollere Rüstung des 
Kriegers auf I, an dem überhaupt der Panzer mit der an 
seinem unteren Ende herabfallenden doppelten Reihe von 
Lederstreifen, die sich am Original sicher erkennen lassen, 
als eines der ältesten Beispiele dieses Waffenstückes be- 
sondere Beachtung verdient. Die leichten losgelösten Ge- 
wandstücke fehlen nicht völlig, aber wo sie sich finden, 
zeigt sich in ihrer Verwendung z. B. bei der Chlamys der 
Reiterin ein strengerer Charakter, oder bei der von Herakles 
niedergerissenen Amazone eine grössere Zurückhaltung in 
der Ausführung, die von dem krausen Flattern der ersten 
Serie sich wesentlich entfernt. Auch die Chlanis des mit 
Helm und Schild bewaffneten Kriegers folgt durchaus der 
Gesammtbewegung der Gestalt. Weniger übersichtlich ist 
die Gewandung des mit Chiton und Chlanis bekleideten 
Kriegers disponirt, zumal sie durch den Schild zum grossen 
Theil zugedeckt wird und der Umriss desselben die Massen 
in ihren Linien scharf durchschneidet. Auch an der auf 
das Knie gesunkenen Amazone und ihrer Genossin wird 
der Chiton durch das Hervortreten des Schenkels in etwas 
gespreizter Weise auseinander getrieben, wobei noch die 
Wiederholung des Motives in zwei so nahe verbundenen 
Figuren wenig günstig wirkt. Die hier angedeutete Un- 
gleichartigkeit beschränkt sich aber nicht blos auf die Ge- 
wänder, sondern macht sich ebenso in der ganzen Anlage 
der Gestalten geltend. Einige derselben, energisch in ihren 
Motiven und von rhythmischer Klarheit stehen neben andern, 
die, weniger sicher in der Erfindung, des harmonischen 



Digitized by 



Google 



122 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 5. Juni 1882, 

Flusses der Linien entbehren. Vortrefflich gelungen ist die 
Gruppe der von Herakles niedergeworfenen Amazone. In 
der nächsten Gruppe ist das halbe Zurückweichen und Sich- 
umkreisen der beiden Gegner glücklich gedacht, aber 
künstlerisch nicht in allen seinen Feinheiten entwickelt. 
An der todten Amazone der nächsten Gruppe stört nicht 
nur die Einförmigkeit des oberen Umrisses : auch die ganze 
Gestalt fügt sich der Composition der Gruppe in sehr un- 
genügender Weise ein. Während ferner die Handlung des 
Bogenschiessens in ihrer strengen, fast mathematischen Ab- 
gemessenheit schon von der ältesten Kunst mit benierkens- 
werthem Geschick aufgefasst und künstlerisch verwerthet 
wurde, hat sie in der vorliegenden Gruppe viel von ihrem 
Reize verloren , indem bei der für die Schützin gewählten 
Stellung die rechte Schulter und der Oberarm dem Auge 
entzogen werden und der Vorderarm fast wie ausser Zu- 
sammenhang mit dem Körper erscheint. — Von den beiden 
andern, in einer Gruppe vereinigten Amazonen ist die 
stehende voll Energie und Leben; aber ihre künstlerische 
Schönheit wird nicht wenig dadurch beeinträchtigt, dass 
ihr ganzer rechter Schenkel durch den Körper der Gefallenen 
verdeckt wird und dadurch aufhört, für das weit nach aus- 
wärts gestellte linke Bein ein künstlerisches Gegengewicht 
zu bilden. Wenn ferner die zweite Amazone mit aus- 
einandergespreizten Schenkeln zu Boden gesunken ist und 
ihr Angreifer ihr das lang nach vorn gestreckte Bein auf 
den Schooss setzt, so entsteht aus der Vereinigung aller 
dieser Motive eine Composition, an der ein feineres Em- 
pfinden in mehr als einer Beziehung Anstoss nehmen muss. 
Klarer, aber auch lockerer ist die Verbindung innerhalb der 
letzten Gruppe, und es mag hier zugleich die Bemerkung 
Platz finden, dass überhaupt in dieser Serie die einzelnen 
Gruppen mehr lose neben einander gereiht, als auch nur 
äusserlich unter einander verknüpft sind. 



Digitized by 



Google 



Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussöleums. 123 

Beachtung verdient ferner eine Eigenthümlichkeit der 
Proportionen, die besonders an den besser erhaltenen der 
Amazonen hervortritt. Sie sind weit weniger schlank als 
die der andern Serien und namentlich erscheinen die Köpfe 
zu gross und schwer; doch leitete den Künstler offenbar 
nicht das Bestreben, seinen Gestalten den breiteren und 
kräftigeren Bau , überhaupt den mannhafteren Charakter 
der älteren „ephesischen" Amazonenstatuen zu verleihen, 
sondern vielmehr nur die Absicht, den Gegensatz des weib- 
lichen Geschlechtes zum männlichen im gesammten Cha- 
rakter der Formen zur Anschauung zu bringen. Er glaubte 
dies zu erreichen, indem er sie voller, runder und fleischiger 
bildete, gelangte aber dabei zu einem etwas weichlichen 
Formenvortrag, welcher mehrfach die elastische und ener- 
gische Spannung in Fügung und Haltung der Glieder ver- 
missen lässt, die gerade den kunstgeschichtlich jüngeren 
Amazonenbildungen eigen zu sein pflegt. — In der Durch- 
bildung des Einzelnen lässt sich das Streben nicht ver- 
kennen, z. B. bei der Ausführung der kurzen Gewänder 
der Amazonen Einförmigkeit zu vermeiden. Dies ist aller- 
dings äusserlich gelungen, aber schwerlich zum Vortheil 
der inneren Einheit des Styls und der Vortragsweise. 

Fassen wir Alles zusammen, so scheint uns in dieser 
zweiten Reihe eine Künstlernatur von wenig ausgeprägter 
Selbständigkeit entgegenzutreten, ein Künstler, der weniger 
der Kunst seiner Zeit den eigenen Charakter aufprägt, als 
dass er den verschiedenen ihn umgebenden Strömungen 
folgt. So mochte es ihm gelingen, im Anschluss an tüch- 
tige Vorbilder und Meister im Einzelnen Anerkennens- 
werthes zu leisten; aber es fehlte ihm die Kraft, die ver- 
schiedenen Anregungen einheitlich und harmonisch zu ver- 
arbeiten. 

Zur dritten Serie gehören die drei zusammenge- 
hörigen, von Newton entdeckten Platten (bei Overbeck 



Digitized by 



Google 



v*v 



124 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 3, Juni 1882. 

Gesch. d. gr. Plast. 8 , Fig. 111 nicht in der richtigen 
Reihenfolge, sondern 1, n, m), und ausserdem das wohl 
später gefundene, so viel ich weiss, noch nirgends pub- 
licirte Bruchstück einer vierten Platte mit einer lebhaft 
nach rechts vorschreitenden Amazone und einem hinter 
ihr nach der entgegengesetzten Seite gewendeten sehr frag- 
mentirten Manne (Photographie Nr. 26). 

Im Gegensatz zu den beiden ersten Serien macht sich 
hier eine Vorliebe für das Nackte geltend. Von dem Manne 
des letzten Fragmentes abgesehen, sind die kämpfenden 
Krieger ganz unbekleidet. Als Schutzwaffen tragen sie runde 
Schilde, die von der Innenseite sichtbar, geschickt zu künst- 
lerischer Verbindung der einzelnen Gruppen verwendet sind, 
und mit einer Ausnahme den Helm, der einmal eine eigen- 
thümliche, an die asiatische Mütze erinnernde Form hat. 
Von den Amazonen ist nur eine mit der Mütze und zu- 
gleich mit der Chlanis ausgestattet; Hosen und Aermel, die 
in der ersten und zweiten, und Stiefeln, die in der ersten 
Serie vorkommen, fehlen hier gänzlich. Der allen gemein- 
same kurze Chiton ist bei den meisten so geordnet, dass 
er von den nackten Formen des Körpers , namentlich von 
den Schenkeln, noch möglichst viel sichtbar werden lässt, 
ja das eine Mal fast nur als Hintergrund des Körpers 
dient. 

In der Behandlung des Nackten ist ein bestimmter 
Gegensatz der beiden Geschlechter mit bewusster Klarheit 
durchgeführt. Die weiblichen Formen sind überall ge- 
rundet, aber ohne die in der zweiten Serie gerügte Weich- 
lichkeit. Bei den Männern ist die Musculatur sehr be- 
bestimmt hervorgehoben, aber weniger die Schwellung der 
einzelnen Muskeln, als ihre Begrenzung nach den Haupt- 
flächen und Umrissen betont: ein System, das am klarsten 
bei dem knieenden Krieger hervortritt. Ueberhaupt aber 
herrscht eine gewisse Knappheit , mau möchte sagen : 



Digitized by 



Google 



Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussöleums. 125 

XeTtTorrjg der Formen, die in Verbindung mit der Nackt- 
heit das Bestreben unterstützt, die Umrisse der Gestalten 
in möglichst bestimmter Weise von dem Grunde loszulösen. 
Auch im Einzelnen, den Barten, den Gewandfalten tritt 
eine klare und scharfe Formenbezeichnung hervor. Doch 
zeigen sich hier einige Eigenthümlichkeiten, die zu weiteren 
Bemerkungen Anlass geben. An den beiden Reiterinnen 
hängen Theile des Chiton, so zu sagen passiv auf den Pferde- 
körper herab, ohne in das leitende Grundmotiv der ganzen 
Bewegung einbezogen zu sein und ohne dasselbe in dem 
leicht beweglichen Stoffe ausklingen zu lassen. Es scheint 
dies darin begründet zu sein, dass der Künstler zwar das 
Hauptmotiv der ganzen Gestalt noch ideal-schöpferisch auf- 
fasste, dass er jedoch daneben , ich will nicht sagen dem 
Modell, aber doch der Beobachtung der einzelnen Erschei- 
nungen der Wirklichkeit in der Durchbildung einen nicht 
unbedeutenden Spielraum gewährte. Hierdurch aufmerksam 
gemacht werden wir die Spuren gleicher Tendenzen auch 
anderwärts entdecken , so in den straff zwischen den 
Schenkeln angezogenen Falten des Chiton der einen, wie 
in der nicht mehr völlig naiven Anordnung des Chiton der 
halbnackt erscheinenden Amazone. Auch die Motive der 
Gestalten selbst zeigen sich durch eine ähnliche Betrach- 
tungsweise der Natur hie und da beeinflusst. Die Stellungen 
der beiden Amazonen zu Fuss auf den ersten Platten 
scheinen mehr dem Moment abgelauscht, als einheitlich aus 
der Idee geschaffen; und wenn es z. B. dem Künstler ge- 
lungen ist, das Motiv der auf ihrem Rosse umgewendeten 
Amazone mit seltener Frische und Lebendigkeit harmonisch 
auszugestalten, so spricht doch aus dem Ganzen, wie auch 
bei der zweiten Reiterin aus Motiven wie dem der Schenkel- 
baltung, die gleiche veränderte Grundanschaung. Sie macht 
sich aber unserem Empfinden um so mehr bemerkbar, als 
in der Rhythmik der männlichen Gestalten ein wesentlich 



Digitized by 



Google 



126 / Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 3. Juni 1882. 

anderes Princip zu walten scheint. Wir begegnen hier 
einem System von eckigen, scharf gebrochenen, fast etwas 
schematischen Linien, die auf eine strenge Schulung des 
Körpers für kriegerischen Kampf hinweisen, welche allen 
Bewegungen etwas Tactmässiges verleiht. Wir werden 
schwerlich irren, wenn wir hier das Streben erkennen, in 
ähnlicher Weise, wie in den körperlichen Formen den 
Gegensatz des männlichen und weiblichen Geschlechtes, so 
hier in der ganzen Kampfes weise den Gegensatz des männ- 
lichen und weiblichen Temperamentes zur Anschauung zu 
bringen. Alles dieses weist auf einen eigenartigen, sehr 
selbständigen Künstler hin; und wenn auch das Ziel, be- 
stimmte Contraste und Disharmonieen auf neue Weise har- 
monisch aufzulösen, noch nicht überall vollständig erreicht 
ist, so fesselt uns doch, abgesehen von der VortrefFlichkeit 
der sauber vollendeten Ausführung, gerade das geistige 
Ringen, in dem der Künstler neue Probleme zu lösen unter- 
nimmt. 

Bei dem nicht unmittelbar anschliessenden, noch un- 
publicirten Fragment spricht nicht nur die knappe Schlankheit 
der Amazone für die Zugehörigkeit, sondern auch die Be- 
handlung des vom Schenkel losgelösten Chiton, sowie auch 
der untere Theil der Gewandung des Mannes verrathen 
deutlich dieselbe Hand, wie an der halb entblössten Ama- 
zone. Dass die männliche Gestalt, abweichend von den 
kämpfenden Kriegern, überhaupt ein Gewand und noch 
dazu eine Art Mantel trägt, mochte durch die besondere 
Handlung motivirt sein. Sie steht mit dem Oberkörper 
etwas nach vorn gebeugt, ohne Schild, war also vielleicht 
ganz ohne Waffen und am Kampfe nicht direct betheiligt, 
sondern etwa mit der Pflege eines Verwundeten beschäftigt. 

Als zur vierten Serie gehörig betrachten wir zuerst 
eine grössere Platte, Nr. V der Monumenti. Bei der ge- 
ringen Zahl von Figuren, drei Kriegern und zwei Ama- 



Digitized by 



Google 



Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussoleums. 127 

zonen, ist auf die äusseren Kriterien der Tracht und Be- 
waffnung, die in der Fortsetzung der Composition leicht 
eine grössere Abwechselung zeigen konnten, zunächst kein 
besonderes Gewicht zu legen. Dagegen erkennen wir leicht, 
wie von dem unruhigen Flattern der Gewänder in der 
ersten Serie sich hier keine Spur zeigt, ebensowenig von 
den schweren Proportionen der Amazonen und ihrer Weich- 
lichkeit in der zweiten. Desgleichen finden wir hier nicht 
die Knappheit der dritten Serie und die leise Neigung zu 
sinnlichem Reiz, wie sie dort in der gesuchten Anordnung 
des geschlitzten Chiton und der Carnation der Amazonen 
sich zu verrathen beginnt. Es waltet vielmehr überall eine 
weise Zurückhaltung und Sparsamkeit, die jede Ueberladung 
vermeidet, aber sich eben so sehr von Dürftigkeit fern hält 
und in der Verwendung der Mittel stets ihres Zweckes 
wohl bewusst ist. Das ganze Motiv des seine Gegnerin 
vom Pferde herabreissenden Kriegers ist dadurch bedingt, 
dass sein linker Arm mit dem Schilde bewehrt und deshalb 
in die eigentliche Handlung einzugreifen verhindert ist. 
Die Chlamys auf seinem Rücken rundet nicht nur die ein- 
zelne Figur künstlerisch ab, sondern dient nicht minder, 
den Uebergang zur folgenden Gruppe zu vermitteln. In 
dieser aber fehlt dem einen Krieger nicht nur der Helm, 
der die zum entscheidenden Schlage erhobene Rechte ver- 
decken und sich mit dem Helme seines Genossen fast be- 
rühren würde, sondern auch der Schild, den der Künstler, 
wie in der ersten Serie in breiter einförmiger Fläche oder in 
unangenehmer Verkürzung hätte zeigen müssen. Ein etwa 
um den linken Arm gewickeltes Gewandstück würde sich 
leicht mit der Chlamys des Kriegers der vorhergehenden 
Gruppe vermischt haben. Es war daher ein geschickter 
Ausweg, dass der Künstler dem Krieger die Schwertscheide 
in die Linke gab, die nach dem Reste des Ansatzes der 
Hand und der darüber befindlichen Bruchfläche hier mit 



Digitized by 



Google 



128 Sitzung der philos.-phüöl. Glasse vom 3. Juni 1882. 

Bestimmtheit vorausgesetzt werden darf. Wenn ferner die 
ganze Gruppe in ihrem jetzigen Zustande etwas zu scharf 
pyramidalisch aufgebaut erscheint, so verschwindet dieser 
Anstand, sobald wir dem zweiten Krieger das Schwert nicht 
nach rückwärts gesenkt, sondern mit der Spitze etwas nach 
oben gerichtet in die erhobene Rechte geben. Auf diese 
Weise entwickelt sich dann eine vollendetere Harmonie der 
Linienführung , als wir in den andern Serien beobachten 
konnten ; und was wir über das Eckige, etwas Schematische 
in den Bewegungen der Krieger in der dritten Serie be- 
merkten, tritt vielleicht erst in volles Licht, wenn wir ein- 
zelne Figuren aus beiden Reihen einander gegenüberstellen: 
den Bekämpfer der Reiterin in der vierten dem vor einer 
Amazone sich zurückziehenden und sich duckenden Krieger 
in der dritten, und ebenso die vereint kämpfenden Gegner 
der einzelnen Amazonen in der einen und die einzelnen in 
der andern. Auch die knieende Amazone erscheint in ihrem 
Motiv einfach rhythmischer als der knieende Jüngling« 

Weitere Bemerkungen werden sich ergeben, wenn wir 
jetzt versuchen, der vierten Serie eine weitere Platte zu 
vindiciren, die erste der von Newton gefundenen (Newton 
Halicarn. pl. IX, 1 ; travels II, pl. 5) : eine Amazone zu 
Pferde, mit der sich später noch das Fragment eines 
Kriegers verbinden Hess, welcher vor ihr wegschreitend sich 
noch zu kräftiger Vertheidigung gegen sie zurückzuwenden 
scheint. Dass sie „sehr nahe" (very near : travels II, p. 95) 
den andern Platten der dritten Serie gefunden ist, beweist 
noch nicht nothwendig die Zusammengehörigkeit mit diesen, 
und darf uns wenigstens nicht hindern, die Frage nach 
inneren Gründen zu prüfen. 

Das Ross zeigt künstlerisch schöne, volle und breite 
Formen, man darf wohl sagen, einen idealen Charakter, 
während von den zweien der andern Platten namentlich 
das besser erhaltene durch eine Magerkeit auffällt, die ihre 



Digitized by 



Google 



Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussöleums. 129 

Erklärung und Rechtfertigung wohl nur darin findet, dass 
der Künstler, sei es einen bestimmten Racetypus, sei es 
ein für schnellen Lauf trainirtes Rennpferd darstellen wollte. 
Der Chiton der Amazone ist hier um den Leib doppelt ge- 
schürzt, aber wie dort am Schenkel aufgeschlitzt; allein die 
herabhängenden Zipfel bewegen sich in schönen, harmo- 
nischen Schwingungen, wirken schlichter, natürlicher, we- 
niger gesucht: die ideale Auffassung ist noch unberührt 
von realistischen Elementen. Auch die Körperformen des 
Kriegers sind vollgerundeter und kräftiger, als an den Ge- 
stalten der dritten Serie. Und da auch Nebenumstände für 
die Unterscheidung von Wichtigkeit sein können, so mag 
noch darauf hingewiesen werden, wie gegenüber der vier- 
mal wiederholten glatt behandelten Handhabe im Innern 
der Schilde an jenen Platten dieselbe hier besonders sauber 
und geschmackvoll decorativ durchgebildet ist. 

Dem Charakter der ersten Serie widerspricht die künst- 
lerische Ruhe der Erfindung und die Sicherheit der Aus- 
führung. In der zweiten kehrt zwar der Doppelschnitt der 
Mähne an einem der Rosse wieder, jedoch in nicht überein- 
stimmender Ausarbeitung. Aber das Ross selbst ist dort 
schwerer und von rundlicheren Formen, welche dem etwas 
weichlichen Charakter der ganzen Serie entsprechen. — 
Dagegen stimmen die Gesammtverhältnisse des Rosses, so- 
wie insbesondere der Knochenbau des Kopfes mit dem der 
vierten Serie, wobei auch wohl eine kleinere, beiden ge- 
meinsame Eigenthümlichkeit in der Stellung der Ohren 
nicht übersehen werden darf. Eine scheinbare Verschieden- 
heit in der Behandlung der Musculatur aber weist uns 
vielmehr auf eine besondere Feinheit in der Individualisi- 
rung der Handlung hin. Die Amazone, welche gewaltsam 
vom Rücken ihres Rosses herabgerissen werden soll, greift 
mit der Linken um den Hals desselben herum und stemmt 
sich mit der Rechten gegen die Seite ihres Gegners, während 
[1882. IL Philos.-philol. hist. Cl. 1-1 9 



Digitized by 



Google 



130 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 3. Juni 1882. 

sie mit den Schenkeln festen Schluss zu halten sucht. Durch 
diese complicirte Anstrengung übt sie einen starken Druck 
auf den Rücken des Pferdes, der dadurch stark eingebogen 
erscheint. Indem aber mit diesem Ringen das Pferd seine 
eigene Anstrengung verbindet, entsteht eine Anspannung 
der Muskeln in einer der Haltung der Reiterin durchaus 
entsprechenden Richtung, so dass dadurch das Grundmotiv 
gewissermassen verdoppelt und dadurch nur um so wirk- 
samer erscheint. Auf der Newton'schen Platte holte die 
Reiterin wahrscheinlich zum Wurfe aus. Dieser leichten 
elastischen Hebung, der eine energische Kraftanstrengung 
erst folgen soll, entspricht die leichte, bis in den Schweif 
hinein wirkende Hebung des Rosses, welche noch alle 
Formen in schönster Harmonie, aber doch kräftig und 
widerstandsfähig genug erscheinen lässt, um allen Impulsen 
der Reiterin ruhig und sicher zu folgen. 

Mit solchen Vorzügen verbindet sich ein entsprechendes 
Verdienst der Ausführung. Sie ist keineswegs raffinirt und 
ins Kleine gehend : so sind z. B. die Helmbüsche, an denen 
sonst fast immer die Haare besonders ausgedrückt sind, 
hier in einfachen Massen behandelt; von den scharfge- 
schnittenen Pferdemähnen ist die eine breit eingekerbt, die 
andere materiell kleinlicher, aber in absichtlich strenger 
Stylisirung gebildet. In der Gewandung aber, wie in den 
Körperformen ist stets das Wesentliche betont und mit 
fester und sicherer Hand dem Marmor eingeprägt, in kräf- 
tigem, breitem Styl, der aber gewiss mit klarem Bewusst- 
sein für eine bestimmte Fernwirkung berechnet war. — Die 
künstlerischen Kräfte stehen also hier im besten Gleichge- 
wicht; sie lassen ebensowenig etwas an voller Reife und 
Durchbildung vermissen, als dass nach irgend einer Seite 
bereits ein Abnehmen oder auch nur ein sorgloses Nach- 
lassen sichtbar würde. 

Noch ist des Fragmentes einer Amazone zu gedenken, 



Digitized by 



Google 



Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussöleums. 131 

welches von Newton im Museum von Konstantinopel vor- 
gefunden später ebenfalls in das britische Museum gelangt 
ist (Travels I, p. 40 ; pl. 1 ; Photogr. Nr. 25). Aus den 
ersten drei Serien liesse sich mit dieser Gestalt höchstens 
die mit Chiton und Chlanis bekleidete Amazone der dritten 
zusammenstellen. Eine genauere Vergleichung lässt aber 
vielmehr einen Gegensatz in der rhythmischen Auffassung 
bestimmt hervortreten. Ohne einen Contrast, wie ihn die 
gespannten Falten zwischen den Knieen der einen darbieten, 
durchdringt die ganze Gestalt der andern ein durchaus 
einheitliches Motiv, so dass der harmonische Fluss der 
Linien auch nirgends in der Ausführung die geringste 
Trübung erfährt. Gehört also dieses Fragment zu den 
Sculpturen des Maussöleums, so kann es nur in der rhyth- 
misch vollendetsten vierten Serie seine Stelle finden. 

Es bleibt noch das früher genueser, jetzt eben- 
falls im britischen Museum aufgestellte Relief zu betrachten 
übrig (Mon. d. Inst. V, t. 1 — 3). Seine Vorzüglichkeit 
nach allen Richtungen ist unbestritten. Meisterhaft ist die 
Erfindung der Gruppen wie der einzelnen Figuren. Wenn 
das Motiv des eine Amazone vom Pferde reissenden Kriegers 
in der vierten Serie dadurch bedingt war, dass der linke 
mit dem Schilde beschwerte Arm verhindert war, in die 
Handlung einzugreifen, so ist hier die Composition des die 
Schutzflehende angreifenden Kriegers gerade durch die 
Abwesenheit des Schildes bedingt. Die ganze Bewegung 
ist eine horizontal vorwärts strebende. In dieser Richtung 
droht das gezückte Schwert, gezückt zu horizontalem Stosse, 
aber noch nicht im Stosse begriffen: noch ist es fraglich, 
ob es die offen dargebotene Brust der Gegnerin durch- 
bohren, oder ob diese gerade in ihrer Hülflosigkeit das 
Herz des Gegners rühren wird, — sofern nicht etwa gar 
noch im letzten Augenblicke Hülfe gebracht werden sollte: 
in fliegender Eile ist eine Genossin herbeigestürmt und 



Digitized by 



Google 



132 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 3. Juni 1882. 

hemmt jetzt plötzlich den letzten Schritt, um durch einen 
kräftig und sicher geführten Schlag den Arm des Bedrohers 
zu lähmen. Meisterhaft sind in der zweiten Gruppe die 
Kräfte des Angriffes und des Widerstandes abgewogen. 
Halb niedergeworfen gewinnt der Krieger an seinem Schilde 
eine Stütze für seine linke Seite und dadurch eine Grund- 
lage, von welcher aus er auch in der Defensive noch volle 
energische Kraft zu einem Offensivschlag zu entwickeln 
vermag, so kräftig, dass die schon siegreich sich wähnende 
Gegnerin sich plötzlich zur Defensive mittelst des schnell 
vorgeworfenen Schildes genöthigt sieht und dadurch die 
Kraft des eigenen Angriffes schwächen muss. 

Den geistigen Intentionen entspricht auf das Vortreff- 
lichste die formale Durchbildung. Dem horizontalen Vor- 
wärtsstreben des ersten Kriegers folgt die Chlanis in un- 
gebrochenem Fluge. Das plötzliche Halt, das Zuckende in 
der ganzen Gestalt der ihm folgenden Amazone spricht 
sich in dem aufwärtsgebogenen Ende des fliegenden Ge- 
wandstückes aus. In der Chlamys dfcr dritten Amazone 
findet die Neigung der Gestalt nach vorn ihren Ausdruck. 
Aber auch an den kurzen Chitonen gliedern sich nicht nur 
die Massen nach der Bewegung, sondern die einzelnen Falten 
geben auch Rechenschaft von den Formen des Körpers, zu 
denen sie in Beziehung stehen, und lassen in weiser Unter- 
ordnung diese auch unter der Bekleidung klar und be- 
stimmt in ihrer von Ueberfülle und Magerkeit gleich ent- 
fernten Kräftigkeit zu Tage treten. Obwohl endlich der 
Marmor zwar einer Ueberarbeitung , aber doch nicht der 
Unsitte scharfen Putzens der Oberfläche entgangen ist, so 
lässt er doch noch an vielen Stellen die Vortrefflichkeit der 
Ausführung bis auf die energische Frische der Meisselfuh- 
rung deutlich genug erkennen. 

So bietet dieses Relief ein Bild der vollendetsten 
geistigen, rhythmischen und technischen Harmonie, von 



Digitized by 



Google 



Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussoleums. 133 

einer individuellen Feinheit, wie sie selbst den so vortreff- 
lichen Arbeiten der vierten Serie nicht eigen ist. Man 
könnte nun vielleicht geneigt sein, diese Differenz auf einen 
Unterschied der ausführenden Hand beschränken zu wollen. 
Es gesellen sich aber hierzu schwerwiegende Bedenken sehr 
materieller Art, welche überhaupt die Zugehörigkeit des 
genueser Reliefs zu dem Amazonenfriese des Maussoleums 
ernsthaft in Frage stellen müssen. Alle an Ort und Stelle 
gefundenen und ebenso die aus dem Castell von Budrun 
stammenden Stücke haben unter der Leiste, welche die 
Basis der Figuren bildet, ein gerundetes Glied. Die Grund- 
fläche des Reliefs steht vertical auf der Leiste und beugt 
sich nur am oberen Rande, der vorn mit einem Perlenstab 
verziert war, hohlkehlenartig vor. Rundstab, Hohlkehle 
und Perlenstab fehlen am genueser Relief, das oben nur 
durch eine ganz flache Leiste begrenzt ist. Dagegen neigt 
sich die ganze Relieffläche leicht gebogen nach vorn über, 
wenigstens um so viel, als die Breite der unten stark vor- 
springenden Leiste beträgt: eine Eigenthümlichkeit , die 
wohl in feineren optischen Berechnungen ihren Grund 
haben mag, um die Verkürzung der Figuren nach oben für 
das Auge einigermassen auszugleichen. Endlich ist das 
Figurenfeld selbst um etwa vier Centimeter niedriger und 
auf dem Felde reichen die Figuren weniger hoch gegen den 
Rand hinauf. 

Das genueser Relief ist also von den Sculpturen des 
Maussoleums zu trennen. Es gehört einer durchaus ver- 
wandten Kunstrichtung, wohl derselben Schule und fast 
genau derselben Zeit an, wenn es auch wegen der noch 
durchaus idealen Tendenzen in Auffassung und Ausführung 
und der Abwesenheit jedweder Spur von realistischen Nei- 
gungen vielleicht um ein Geringes früher zu datiren sein 
mag. Nicht vergessen dürfen wir dabei, dass die grosse 
Ausdehnung des Maussoleums fast nothwendig auf eine 



Digitized by 



Google 



134 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 3. Juni 1882. 

mehr decorative Behandlung hinführen musste, während 
das genueser Relief einem Denkmale geringeren Umfanges 
angehören mochte, dem ein bedeutender Künstler seine 
Sorge bis ins Einzelnste zuzuwenden vielleicht schon da- 
durch veranlasst wurde, dass er die ganze Ausführung für 
eine minder hohe Aufstellung berechnen musste. 

Wir stehen am Ende unserer analytischen Betrachtung, 
über deren Berechtigung zunächst noch einige allgemeine 
Bemerkungen einzuschalten sind. Es liegt in der Natur 
der Sache , dass umfangreiche Sculpturwerke von dem er- 
findenden Künstler nicht auch durchweg in Marmor ausge- 
führt werden können: wissen wir doch, dass z. B. Thor- 
waldsen nur ganz ausnahmsweise den Meissel mit eigener 
Hand geführt! Es ist ferner begreiflich, dass durch ber 
sondere Umstände die gleichmässige Durchführung eines 
mit allem Aufwände geistiger und materieller Mittel be- 
gonnenen Werkes wesentlich beeinträchtigt werden kann, 
wie es z. B. an einigen Theilen der pergamenischen Giganto- 
machie der Fall gewesen zu sein scheint. Es ist aber da- 
durch keineswegs gerechtfertigt, wenn man bei der Beur- 
theilung ähnlicher Werke den Unbequemlichkeiten, welche 
die Nichtübereinstimmung des künstlerischen Charakters 
mit selbstgemachten Voraussetzungen darbietet, dadurch 
aus dem Wege gehen zu können glaubt, dass man die 
scheinbaren Incongruenzen ohne Weiteres auf Rechnung 
der verschiedenen an der Ausführung betheiligten Hände 
setzt. Anstatt zn fragen, ob an den Statuen des Parthenon 
in dem Gegensatze der Formen des Kephisos und des so- 
genannten Theseus, oder der Gewandung der kurzbekleideten 
Iris und des langbekleideten wegeilenden Mädchens nicht 
die feinste Individualisierung der Gestalten und Charaktere 
vom Künstler beabsichtigt ist, sollen wir uns bei der Ver- 
schiedenheit der ausführenden Hände beruhigen. Anstatt 
sich zu bemühen, die neue und ungewohnte Formensprache 



Digitized by 



Google 



Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussöleums. 135 

der olympischen Giebelstatuen verstehen zu lernen, bürdet 
man alles, was den vorgefassten Meinungen über den Styl 
des Paeouios und Alkamenes nicht entspricht, „ungeschickten 
Gesellen 4 ' auf. So haben denn auch bei der Beurtheilung 
des Maussoleumfrieses diese ungeschickten Gesellen keine 
kleine Rolle gespielt; und von diesem Standpunkte aus 
könnte die ganze, auf die obige Analyse verwandte Arbeit 
leicht als verlorene Liebesmühe betrachtet werden. Welche 
Bewandtniss aber hat es unter gewöhnlichen Verhältnissen 
mit solchen Hülfsarbeitern ? Selbst der Archäologe soll sich 
nicht begnügen, einen Zeichner vor ein Monument zu stellen 
und dann später die fertige Zeichnung von ihm in Empfang 
zu nehmen. Er soll sich bestreben, seine eigenen Anschau- 
ungen auf den Zeichner zu übertragen und dadurch dessen 
Hand zu leiten, und sofern er sich nur selbst über die zu 
lösende Aufgabe klar ist, wird auch der Erfolg nie ganz 
ausbleiben. Um wie viel weniger wird ein in seiner Kunst 
geübter und erfahrener Meister sich darauf beschränken, 
einem Hülfsarbeiter einen flüchtigen Entwurf in die Hand 
zu geben, und ihn dann in den verschiedenen Stadien der 
langwierigen Ausführung in Marmor ganz sich selbst über- 
lassen! Er wird ihn fortwährend überwachen, und wenn 
auch seine Weisungen und Correcturen nicht den Erfolg 
haben können, der Arbeit in ihrer letzten Ausführung den 
Reiz der „originalen" Handschrift zu verleihen, so werden 
sie doch ausreichen, ihr den allgemeinen Stylcharakter des 
Meisters aufzuprägen. Geht hier der Hülfsarbeiter seinen 
eigenen abweichenden Weg, so werden wir dafür nicht den 
ungeschickten Gesellen, sondern den ungeschickten Meister 
verantwortlich machen müssen, sofern wir nicht etwa an- 
nehmen dürfen, dass die Leitung des Meisters gänzlich ge- 
fehlt habe. Das ist aber bei den Arbeiten des Maussöleums 
nicht gestattet, indem nach dem ausdrücklichen Zeugnisse 
des Plinius die Künstler selbst bei dem Tode der Artemisia 



Digitized by 



Google 



136 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 3. Juni 1882. 

die Arbeiten nicht unterbrachen, sondern das Werk als ein 
Denkmal ihres eigenen Ruhmes zu Ende führten; hodieque 
certant manus. 

Bei der Beurtheilung waren also in erster Linie nicht 
die Gesellen, sondern die vier Meister ins Auge zu fassen ; 
und die ersteren durften zunächst um so mehr in den 
Hintergrund treten, als die schlechte Erhaltung eines 
grossen Theiles der Platten nicht gestattete, auf die Eigen- 
tümlichkeiten der letzten Ausführung einen besonderen 
Nachdruck zu legen. Die entscheidenden Kriterien wurden 
daher vielmehr in der Erfindung und Auffassung, in dem 
Gesammtcharakter der Formengebung gesucht, also da, wo 
der leitende Meister im Stande sein musste, die ausführenden 
Hände mit voller Wirksamkeit zu überwachen, und wo also 
auch für die Untersuchung greifbare, dem blos subjectiven 
Empfinden entrückte Anhaltspunkte geboten waren. Auf 
diesem Wege ist es in der That gelungen, in den erhaltenen 
Scnlpturen die Individualität von vier verschiedenen Künst- 
lern zu erkennen ; und indem dadurch die Uebereinstimraung 
des monumentalen Befundes mit dem äusseren Zeugnisse 
des Plinius constatirt ist, darf wohl dieses Resultat als hin- 
länglich gesicherte Grundlage für weitere Untersuchungen 
betrachtet werden. 1 ) 

Denn allerdings ist bis jetzt nur die erste Frage be- 
antwortet. Es bleibt die zweite: wie die vier Serien unter 
die vier von Plinius namhaft gemachten Künstler nach den 
verschiedenen Himmelsrichtungen zu vertheilen sind. Die 



1) Wir haben oben (S. 119) in der einer Kentaurenscblacht ange- 
hörigen Platte die Hand des Künstlers der ersten Serie zu erkennen 
geglaubt. Andere Fragmente desselben Frieses sind weder in Gyps- 
abgüssen, noch in Photographieen und Zeichnungen verbreitet, ebenso- 
wenig wie, bis auf eine Figur, die Fragmente eines Wettrennens von 
Viergespannen. Es dürfte jetzt wohl an der Zeit sein, auch diese Reste 
an Ort und Stelle einer genaueren Prüfung zu unterziehen. 



Digitized by 



Google 



Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussoleums. 137 

Zeit, auch diese Frage mit Bestimmtheit zu beantworten, 
ist noch nicht gekommen. Es kann sich also zunächst nur 
darum handeln, einige aus den bisherigen Erörterungen ge- 
wonnene Momente mit den wenigen uns anderweitig be- 
kannten Thatsachen in Verbindung zu bringen. 

Welche Stelle die den Castellmauern von Budrun ent- 
nommenen Platten am Maussoleum selbst einnahmen, lässt 
sich natürlich durch äussere Zeugnisse jetzt nicht mehr 
feststellen. In den Ruinen selbst sind nur die von Newton 
entdeckten Platten gefunden, und zwar ganz allgemein ge- 
sprochen , an der Ostseite , aber keineswegs in ihrem ur- 
sprünglichen architektonischen Verbände. Aus diesem Grunde 
drückt sich auch Newton sehr vorsichtig aus und bezeichnet 
es nur als wahrscheinlich (it does not seem unreasonable : 
Haue. I, p. 600), dass diese Stücke der Ostseite angehören. 
Nehmen wir dazu, dass das grosse Rechteck in Newton'» 
Plan den Grundbau bezeichnet, dass aber das Gebäude selbst 
auf jeder Seite um nicht ganz wenig, zehn Fuss oder mehr, 
nach innen gerückt war, so liegt die Fundstelle nicht ein- 
fach auf der Ostseite, sondern sie nähert sich ziemlich stark 
der Nordostecke des Gebäudes; und damit wäre dann die 
Möglichkeit, dass die Reliefs ganz oder theil weise der Nord- 
seite entstammten, keineswegs ausgeschlossen. Sie muss 
sich vielmehr sogar zur Wahrscheinlichkeit steigern, sofern 
wir richtig erkannt haben, dass die vier Reliefs nicht einer 
und derselben, sondern zwei verschiedenen Serien und dem- 
nach auch zwei verschiedenen Seiten des Gebäudes angehören. 

Unter den vier Seiten wird die östliche von Plinius 
dem Skopas zugeschrieben. Ihm als dem berühmtesten und 
bedeutendsten wird gewiss jeder die besten unter den er- 
haltenen Arbeiten zuzusprechen geneigt sein, also die vierte 
Serie, der nach unsern Untersuchungen eine, und zwar die 
erste der von Newton gefundenen Platten angehört. Danach 
würden die drei andern der Nordseite entstammen, an 



Digitized by 



Google 



138 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 3. Juni 1882. 

welcher Bryaxis beschäftigt war, ein Künstler, dem nach 
verschiedenen Anzeichen vielleicht ein höherer Ruhm ge- 
bührt, als ihm bis jetzt zu Theil geworden ist. Er scheint 
der jüngste unter den vier Meistern gewesen zu sein; 
wenigstens war er jünger als Skopas und Leochares. Damit 
stimmt es vortrefflich, dass wir in den Arbeiten der dritten 
Serie, die ihm zufallen würde, eine Tendenz zu erkennen 
glaubten, in der Stylentwickelung über seine Genossen 
hinauszugehen und z. B. in der Einführung realistischer 
Elemente, in einer veränderten Rhythmik neue Wege ein- 
zuschlagen. Für Leochares an der West- und Timotheos 
an der Südseite würde dann die erste und die zweite Serie 
übrig bleiben. Leochares stand, als er am Maussoleum 
arbeitete, im mittleren Lebensalter und konnte seine innere 
Entwickelung schon so weit abgeschlossen haben, dass da- 
mit der mehr flotte und routinirte als strenge Charakter 
der ersten Serie nicht gerade in Widerspruch stehen würde. 
Immerhin hat dieselbe noch einige Vorzüge vor der zweiten 
voraus ; allein diese letztere blos deshalb, weil sie die am we- 
nigsten bedeutende ist, für Arbeit des Timotheos zu erklären, 
indem dieser als uns weniger bekannt zugleich auch für 
den minder bedeutenden Künstler zu halten wäre, würde 
eine Behauptung sein, der eine irgendwie zwingende Be- 
weiskraft nicht innewohnt. 

Halten wir also mit unserem ürtheil noch zurück! 
Etaben wir doch gegründete Hoffnung, in nicht zu langer 
Frist eine umfassendere Anschauung von den Werken ge- 
rade des bedeutendsten unter den vier Künstlern, des Skopas, 
zu gewinnen! Anderes führt vielleicht ein günstiger Zufall 
ans Licht. Dann wird es an der Zeit sein, die Untersuch- 
ung wieder aufzunehmen und mit neuen Mitteln weiter zu 
fuhren. Tragen dann die vorstehenden Erörterungen dazu 
bei, dass die neuen Aufgaben uns nicht unvorbereitet für 
ihre Lösung finden, so haben siev ihren Zweck erreicht. 



Digitized by 



Google 



Sitzungsberichte 

der 

philosophisch-philologischen und 
historischen Classe 

der 

k. b. Akademie der Wissenschaften 

zu ^/Tünchen. 



1882. Bd. II. Heft IL 



München. 

Akademische Buchdruckerei von F. Straub. 

1882. 

In Commist ion bei G. Frans. 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google 



Sitzungsberichte 

der 

königl. bayer. Akademie der Wissenschaften. 



Historische Classe. 



Sitzung vom 3. Juni 1882. 



Herr Rockinger hielt einen Vortrag: 

„Der Könige Buch und der sogenannte 
Schwabenspiegel". 

Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht 
werden. 



Herr F. v. Bezold hielt einen Vortrag: 

„Wolfgang Zündelin als protestantischer 
Zeitungsschreiber und Diplomat in Italien, 
1573—1590". 

Deutschlands diplomatischer Verkehr war im späteren 
XVI. Jahrhundert noch sehr unentwickelt. Selbst der 
Kaiserhof unterhielt nur wenige Gesandte im Ausland und 
war in Folge seiner elenden Finanzen oft genug dem Ein- 
fluss zugetragener Gerüchte oder Tendenzlügen preisgegeben. 
Es dauerte einen vollen Monat, bis man zu Prag über die 
Ermordung Heinrichs III. von Frankreich Gewissheit er- 
hielt; 1 ) von dem am 6. Januar 1592 erfolgten Ableben 



1) Hüb n er, Sixte-Quint I, 454 A. 1. 
[ 1 882. IL Pkilos.-philol. bist. Cl. 2.] 10 



Digitized by 



Google 



140 Sitzung der histor. Glasse vom 3. Juni 1882. 

des Pfalzgrafen Johann Casimir hatte der Kaiser erst am 
24. sichere Kunde. Der venezianische Gesandte in Prag 
klagt einmal , was am Sonntag deutschen Zeitungen nach- 
erzählt werde, sei ein paar Tage später nach dem Eintreffen 
der italienischen wieder ungültig. 1 ) Doch gab es wenigstens 
einige kaiserliche Gesandtschaften oder beglaubigte „Resi- 
denten", an der Curie, in Madrid, in Konstantinopel und 
Venedig ; die übrigen Reichsfürsten dagegen hatten höchstens 
dann und wann einen Agenten, dessen Tätigkeit eine vorüber- 
gehende war und der natürlich nicht das Ansehen eines stän- 
digen Vertreters genoss. So war man in der Regel , um 
überhaupt vom Weltlauf notdürftige Kenntniss zu nehmen, 
auf Privatcorrespondenzen und auf die eigentlichen ganz 
unverbürgten Zeitungen angewiesen. Letztere, die nur Ort 
und Datum, aber keinen Verfasser angaben, überschwemmten 
die Höfe, Kanzleien, Komtoirs und Gelehrtenstuben in un- 
glaublichen Massen, denn sie waren keineswegs nur den 
Fürsten und ihren Dienern, sondern jedem, der Geld und 
persönliche Verbindungen hatte, zugänglich. Sie fehlen 
selten beim Austausch fürstlicher Briefe und auch die Ge- 
sandten verschmähen es nicht, ihren Depeschen diese schrift- 
lich colportirten Gerüchte beizugeben. 2 ) 

Die Scheidung der gewerbsmässig abgefassten und ver- 
triebenen Zeitungen von den Berichten der Agenten oder 



1) Gradenigo an den Dogen, Prag 14./24. Okt 1589: „E cosadi gran 
meraviglia, che quello, che la dominica si dice in corte et tra princi- 
pali signori per avisi di Germania, il medesimo resti il giovedi rivo- 
cato per avisi d'Italia, in modo che non e alcuno che possa far fonda- 
mento sicuro con una incertezza tanto grande; la quäle nasce partico- 
larmente, perche Fimperator non tiene ministri alle corti, onde tutto 
conviene passar qul per via di gazzette". Wien, Staatsarchiv, Dispacci 
Veneti 16. Or. 

2) Vgl. Stieve, über die ältesten halbjährigen Zeitungen (Ab- 
handlungen der hist. Classe der Akademie XVI. 1, 180/1). 



Digitized by 



Google 



F. v. Bezdld: Wolf gang Zündelin. 141 

sonstigen Vertrauenspersonen ist übrigens nicht immer fest- 
zuhalten. Denn einmal konnten auch die landläufigen 
Neuigkeiten schon durch Auswahl und Gruppirung ten- 
denziös gefärbt werden. Dann waren aber die politischen 
Agenten und Correspondenten selbst sehr häufig Zeitungs- 
schreiber („Novellisten" oder „Gazzettanten") und versahen 
neben ihren fürstlichen Auftraggebern auch Privatpersonen, 
entweder gegen Bezahlung oder aus Gefälligkeit, mit den 
ihnen zukommenden Nachrichten. Wie weit sie dabei ihrer 
Kritik oder ihrem eignen Raisonnement Spielraum Hessen, 
hing von ihrem Belieben oder von äussern Umständen ab. 
Je nachdem sie die Möglichkeit und Fähigkeit guter Beob- 
achtung besassen, gaben sie teils wertvolle und planvolle 
Berichte, teils aber auch die gewöhnliche zusammenhangs- 
lose Compilation dessen, was ihnen gerade unter die Hand 
kam. Solche Mitteilungen wurden dann nicht selten, wenn 
sie dem Adressaten schwerwiegend erschienen , fast immer 
ohne nähere Bezeichnung der Quelle, aber als von „einem 
hohen und gewissen Ort u , von „wohlbeglaubten und ver- 
trauten Personen 14 herkommend weiterverbreitet. Daher 
kommt es, dass uns häufig in der unscheinbaren Form von 
Zeitungen sehr wichtige politische Schreiben begegnen ; 
hie und da glückt es den Verfasser zu erraten, während 
in anderen Fällen ausser der Versicherung des Absenders 
einzelne Andeutungen des Dokuments wenigstens den Schluss 
auf bedeutende Beziehungen der „gewissen Person 14 ge- 
statten. Nicht überall haben wir so treffliche Nachweise 
für die Herkunft solcher Gorrespondenzen, wie im bayrischen 
Archiv, wo eine stattliche Reihe von Bänden die Original- 
berichte auswärtiger Agenten enthält und die einflussreichsten 
kaiserlichen Räte, wie Seid, Zasius, Viebeuser, Erstenberger, 
als ständige Berichterstatter der Witteisbacher aufführt. 
Die wohlstilisirten lateinischen Relationen, die dem Herzog 
von Bayern über die niederländischen und kölnischen Un- 

10* 



Digitized by 



Google 



142 Sitzung der kistor. Classe vom 3. Juni 1882. 

ruhen in den achtziger Jahren durch den Niederländer 
ßarvitius zukamen, bilden sogar eine Art von fortlaufender 
historischer Darstellung (narratio). Auf protestantischer 
Seite haben die Berichte, die der geistreiche und welter- 
fahrene Franzose Languet dem Kurfürsten August von 
Sachsen und seinen eignen vertrauten Freunden lieferte, 
eine wohlverdiente Berühmtheit erlangt. Für die zahl- 
reichen Quellen politischer Neuigkeiten, die dem kur- 
pfälzischen Hof zur Verfügung standen, mag ein Schreiben 
des bekannten Staatsmanns Ehern an Landgraf Wilhelm 
von Hessen ') als Beleg dienen. Ehern teilt darin mit, was 
ihm ein guter Freund vom Kaiserhof, Beza aus Genf, ein 
bekannter und vertrauter Freund aus Polen und ein weiterer 
Gewährsmann aus England geschrieben haben. Er selbst 
verpflichtete sich wieder dem Landgrafen „continuando" 
zukommen zu lassen, „was mich von Frankreich und sonsten 
anlangte"; während sein Herr 1578 in den Niederlanden 
stand, erstattete er dem Landgrafen, der überdies einen 
eignen Sekretär auf den Kriegsschauplatz gesandt hatte, 
fortlaufende Berichte. 

Sehr häufig übernahmen Gelehrte, die sich an den 
Mittelpunkten des geistigen und politischen Lebens auf- 
hielten, solche Verpflichtungen. Gerade die Correspondenz 
des Landgrafen Wilhelm weist eine ganze Reihe von theo- 
logischen, philologischen, juristischen , medizinischen Nota- 
bilitäten auf, neben Languet den berühmten Strassburger 
Rektor Sturm, der übrigens seine Feder auch an Granvela 
verkauft hat, den Rechtsgelehrten Franz Hotman, Theologen 
wie Beza und Dathenus. In seltsamer Mischung werden 
religiös-politische und wissenschaftliche Fragen abgehandelt, 
die neuesten Zeitungen und die seltensten Samen und Zwiebeln 



1) Heidelberg 29. Juni 1574 (Kluckhohn, Briefe Friedrich des 
Frommen II, 703 ff.). 



Digitized by 



Google 



F. v, Bezold: Wolf gang Zündelin. 143 

mitgeteilt. Unter diesen gelehrten Politikern und politischen 
Gelehrten durfte natürlich ein ständiger Berichterstatter für 
Italien nicht fehlen 1 ) und auf ihn, wie auf seine Rolle in 
der pfälzisch-sächsischen Unionspolitik der ersten neunziger 
Jahre möchte ich hier aufmerksam machen, ohne freilich 
von seiner Persönlichkeit und Wirksamkeit ein ganz abge- 
schlossenes Bild geben zu können. Was mir bisher davon 
bekannt geworden ist, genügt immerhin, dem originellen 
Mann einen Platz in jener nicht sehr zahlreichen Gruppe 
anzuweisen, die im Gegensatz zu dem sich starr abschlies- 
senden Luthertum dem deutschen Protestantismus seine Welt- 
stellung zu wahren suchten. 

Wolfgang Zündelin aus Constanz 2 ) begegnet uns 
zuerst als Lehrer des jungen Pfalzgrafen Christoph (1565), 
dann vom Beginn der siebziger Jahre bis zum Jahr 1589 
als besoldeter Agent verschiedener protestantischer Reichs- 
fürsten in Venedig. In welchem Verwandtschaftsverhältniss 
er zu dem Bäcker Melchior Zündelin stand, der im Jahr 1548 
als Bürgermeister den Uebergang von Constanz unter öster- 
reiche Hoheit vermittelte und dann katholisch wurde, 3 ) ver- 



1) Venedig galt vor Allem für die hohe Schule der Politik. Hie- 
ron. Turlerus führt in seinem Buch de peregrinatione (Strassb. 1574) 
beispielsweise als Ziel einer italienischen Reise neben dem Studium des 
Rechts oder der Medizin an: „simul etiam notitiam gubernationis rei- 
publicae Venetae" (p. 10). Joachim Camerarius liess sich von interes- 
santen Relationen der venezianischen Gesandten Abschriften anfertigen ; 
die Briefe Pinello'9 aus Padua, der sie ihm verschaffte, erwähnen Re- 
lationen über Deutschland , Spanien , Rom , Konstantinopel , Polen, 
Frankreich, England, verschiedene italienische Staaten (Coli. Cam. XIV. 
484 ff.). 

2) Latinisirt Zundelinus oder Zindelinus, italianisirt Zondelini, 
Sendelino. 

3) Vgl. J. J. Simler, Sammlang alter und neuer Urkunden zur 
Beleuchtung der Kirchengesch. II, 513 ff.; G. Vögeli, der Constanzer 
Sturm p. 89 ff., 113. Ein Bruder Wolfgangs, Jakob, der in Geschäften 



Digitized by 



Google 



144 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882. 

mag ich nicht zu sagen. Ueberhaupt sind die Angaben 
über seinen äusseren Lebenslauf sehr spärlich , um so 
schmeichelhafter das Urteil der ihm Nahestehenden über 
Geist und Charakter des Gelehrten, der aber soviel ich 
sehe nichts veröffentlicht und nur zahlreiche bisher noch 
unverwertete Briefe hinterlassen hat. Seinen Ruf in den 
humanistisch gebildeten Kreisen verdankte er vor Allem 
einer stilistischen Eleganz, die von seinen Bewunderern als 
ciceronianisch gefeiert wurde* Nach dem Zeugniss des 
Adriaen van der Myle ! ) war er ein in Schrift und Rede 
gleich fertiger Latinist und besass ausserdem ein reiches 
und ausgebreitetes Wissen, namentlich in geschichtlichen 
und juristischen Dingen. Dass ihm auch das Gebiet der 
Medizin und Naturwissenschaft kein ganz fremdes war, geht 
aus seinen Briefen zur Genüge hervor. Während des 
langen Aufenthalts in Italien, im fortwährenden Verkehr 
mit den weltgewandten Venezianern schärfte sich sein po- 
litischer Blick; Christian von Anhalt sagte einmal, er 
wünsche sich nichts lieberes als den Zündelin immer an der 
Seite zu haben. 2 ) Mit diesen Gaben verband sich tiefe, 
wenn auch nicht dogmatisch gedrillte Religiosität und 
glühender Patriotismus. Einen echt deutschen Mann ohne 
Falsch nennt ihn der Niederländer Paul Merula 8 ) und van 



zu Florenz weüte, ging dort an den Folgen einer Verwundung zu 
Grunde (1575, Coli. Cam. XXI. 37; 40). 

1) Vgl. dessen ausführliches Schreiben an Zündelin, Speier 25, 
Februar 1573, in Illustrium et clarorum virorum epistolae 
selectiores, Leyden 1617, p. 571 ff. 

2) Monau an Camerarius, 27. Jan./6. Febr. 1590: „Christianus 
Anhaltinus mihi dicebat, se nullas voluptates tanti facturum, quanti 
hanc solara comoditatem , si sibi semper liceret habere a latere Zunde- 
linumj de quo sie loquebatur, ut eo nichil esse sibi carius ostenderet." 
Coli. Cam. XX. no. 50. Eigh. Vgl. G. J. Vossius, Comment. de 
rebus — Fabiani a Dhona p. 38. 

3) Vgl. Q. Ennii . . . annalium . . . fragmenta conlecta . . . 



Digitized by 



Google 



F. v. Bezöld: Wolf gang Zündelin. 145 

der Myle sagte zu Kurfürst Friedrich dem Frommen von 
der Pfalz, er habe viele Gelehrte gekannt, aber keinen 
wie den Zindelinus, „denn er befleissiget sich seine Gelehrt- 
heit allein zu gebrauchen den Kirchen und Republiken wie 
auch seinen Freunden zu gute." 

Das Staatsarchiv zu Marburg bewahrt die Correspondenz 
Zündelins mit Landgraf Wilhelm, der seinen Agenten nicht 
nur zu politischen Zwecken, sondern auch für seine bo- 
tanischen Liebhabereien zu verwerten wusste. *) Meine 
Quelle für die folgende Charakteristik des gelehrten Zeit- 
ungschreibers ist die kostbare camerarische Sammlung der 
Münchner Staatsbibliothek, die in zwei Bänden (XXI und 
XXII) die Briefe Zündelins an den Nürnberger Mediziner 
Joachim Camerärius aus den Jahren 1573 — 1598 ziemlich 
vollständig aufbewahrt. 2 ) Zahlreiche Randnotizen und Auf- 
lösungen der im Text befindlichen Abkürzungen — letztere 
nicht immer richtig — liefern den Beweis, dass eine Ver- 
öffentlichung der Briefe im Werke war, wobei der Heraus- 
geber nicht selten die scharfen Auslassungen des Verfassers 
als anstössig mit einem „Oniittantur" versehen oder auch 
willkürlich interpolirt hat. 8 ) Gerade diese bedenklichen 



ab Paullo G. F. P. N. Merula, Leyden 1595, in der Vorrede; Z. hatte 
u. a. dem Merula mitgeteilt, dass in der Bibliothek von S. Victor in 
Paris sich eine Handschrift des Calpurnius Piso befinde. 

1) Ausser einem Fascikel: L. Wilh. IV. Corr. mit Wolfg. Zunde- 
linus (VII. 4), der Briefe aus den Jahren 1578—1590 enthält, finden 
sich z. B. Zeitungen von Zündelin auch in L. W. IV. Corresp. Varia 
(VII. 4). Ueber die Bezielftingen, die der Landgraf als eifriger Bo- 
taniker im Ausland unterhielt, vgl. Bommel, Gesch. von Hessen V, 
728 ff. 

2) Als Cod. lat. 10371 und 10372; vgl. Catalogus codicum 
latinorum biblioth. reg. Monac. II. 1, 236; E. Halm in den Sitzungs- 
berichten der philolog.-philosoph. und histor. Classe der Münchener 
Akademie, 1873, p. 250; 265. 

3) So wird z. B. die bittere Kritik, die Z. an den politisch-kirch- 



Digitized by 



Google 



146 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882. 

Stellen werden wir in Betracht ziehen müssen, wenn wir 
ans Zündelin's eigentümliche Stellang zu den deutschen 
Verhältnissen vergegenwärtigen wollen. v Auch lässt sich 
denken, dass er vor einem befreundeten und gleichgesinnten 
Gelehrten sein Herz eher auszuschütten wagte, als in den 
Berichten an eine fürstliche Person. 

Als er im November 1573 die Correspondenz mit 
Camerarius auf dessen ausdrücklichen Wunsch eröffnete, 
war er bereits in Venedig heimisch, 1 ) sein fürstlicher Zög- 
ling Pfalzgraf Christoph den friedlichen Studien entwachsen 
und ganz in kriegerische Neigungen verfallen. Doch wusste 
der alte Kurfürst Friedrich zu rühmen, Christoph habe die 
schöne von Zündelin empfangene Institution noch nicht 
vergessen, „dermassen, dass er ihm in epistolis scribendis 
lustig imitirt, wie denn Zindelinus einen herlichen stylum 
führt". Van der Myle hatte im Febr. 1573 zu Heidelberg 
dem Kurfürsten die Berufung des vortrefflichen Mannes 
in seinen Rat nahe gelegt, aber keine bestimmte Antwort 
erhalten; Zündelins eigene Wünsche gingen jedenfalls weniger 
auf eine Stellung bei Hof als auf ein unabhängiges Leben 
in Italien, das ihm freilich nur bei sehr bescheidenen An- 
sprüchen ermöglicht war. Er blieb als Zeitungschreiber im 
kurpfalzischen Sold, bis der lutherische Nachfolger Friedrichs 
des Frommen, Kurfürst Ludwig, diesem Verhältniss ein 
Ende machte und die weitere Unterhaltung des Agenten 
dem Landgrafen Wilhelm und seinem calvinistischen Bruder 
Johann Casimir überliess. Zündelin, meinte er, habe von 
der Kurpfalz in dreizehn Jahren 1§00 Kronen bekommen, 
während seine Zeitungen „etwan wenig zugeschlagen, auch 

liehen Zustanden von Deutschland übte, einfach durch Auflösung der 
Sigle G. (= Germania) in Gallia unschädlich gemacht. 

1) Nach einem Schreiben des Giphanius an van der Myle vom 
27. November 1570 war Zündelin damals schon in Venedig (111. et 
clar. vir. epistolae p. 558). 



Digitized by 



Google 



F. ü. Bezold: Wolf gang Zündelin. 147 

die Pfalz daraus entweders keinen oder doch gar geringen 
Nutzen empfangen 1 '. 1 ) Johann Casimir dachte einen Augen- 
blick daran, den Verlassenen, wie so viele ehemalige Diener 
seines Vaters, zu sich zu nehmen, kam aber dann mit dem 
Landgrafen überein, Zündelin solle in Venedig bleiben. 
Aber um seinen Unterhalt scheinen sich die Herren zunächst 
nicht weiter gekümmert zu haben ; er findet es seltsam, dass 
man ihm zumute, in Italien von der Luft zu leben. 2 ) Er 
war eben damals in äusserster Bedrängniss, seine einzige 
Zuflucht ein Credit auf 20 Gulden, den ihm sein junger 
Freund Hütten zurückgelassen hatte. Als er nachmals in 
Diensten des Kurfürsten Christian von Sachsen tätig war, 
scheint es ihm auch nicht besser ergangen zu sein. Für 
solche „Schulmeister 14 war eben von den fürstlichen Kassen 
am schwersten etwas herauszuschlagen. 8 ) Was er sonst 
von vermöglichen Freunden wie Camerarius für seine Corre- 
spondenzen erhielt, war jedenfalls kein reichliches oder 
sicheres Einkommen; er klagt einmal über das Schicksal, 
das ihn fern vom Vaterland und den Freunden arm und 
ohne Hoffnung auf bessere Zukunft in der Fremde festhalte. 
Und doch gefiel er sich fast zwanzig Jahre in dieser 
Verbannung. Der Aufenthalt in Venedig wurde nur hie 
und da durch vorübergehende Uehersiedelung nach Padua 
unterbrochen. Dabei gehörte er keineswegs zu jenen un- 



1) Kf. Ludwig an L. Wilhelm, 14. Juni 1578 (Marburg Or.). 

2) Z. an Camerarius, 15. Mai 1578; 22. Mai: „magni quidem 
viri spe in Italia me victitare volunt, quo quid dici potest alienius? - 
(Coll. Cam. XXI. 107. 110.) Am 7. Okt. 1581 sagte er von einer 
Gratifikation des Landgrafen: „Quantulumcunque est, quod dedit, 
maius est meritis in ipsum meis" (ebd. 206). 

3) Andr. Pauli (sächs. Rat) an Camerarius, Dresden 4. Febr. 1590: 
„Vellemus eum [Z.] contentum hinc dimittere Crellius et ego, id quod 

ipsius rationes, ut video, plane postulare videntur 

Non enim ignoras, quam lentae sint deliberationes aulicae praesertim 
de negociis scholasticos concernentibus" (Bm. Coli. Cam. XXIV.). 



Digitized by 



Google 



148 Sitzung der histor. Glasse vom 3. Juni 1882. 

bedingten Verehrern des Wälschtums, von denen damals 
ein italienisches Sprichwort sagte: Tedesco italianato, dia- 
volo incarnato. 1 ) Aber die Sitten seiner Landsleute, wie 
er sie namentlich in Padua zur Genüge beobachten konnte, 
erschienen ihm unglaublich roh und widerwärtig; mit dem 
Abscheu eines Italieners spricht er von den Saufgelagen 
der deutschen Studenten. Als der junge Georg Ludwig 
von Hütten, der sich ihm besonders innig angeschlossen 
hatte, in die Heimat zurückkehrte, meinte Zündelin, sein 
Freund werde sich in das schale Treiben und die Bildungs- 
losigkeit der deutschen Standesgenossen nur schwer wieder 
finden können. Die Nordländer, die seinen Umgang suchten, 
waren durchgängig feinere Naturen , Leute wie Hütten, 
Fabian von Dohna , Jakob Monau , auch der edle Philipp 
Sidney, die Zierde der englischen Gesellschaft. 2 ) Ueber die 
Italiener, mit denen er verkehrte, geben seine Briefe nur 
unbestimmte Andeutungen; doch beruft er sich häufig auf 
„vornehme Gewährsmänner" 8 ) und zeigt sich trefflich ein- 
geweiht sowohl in die venezianischen Verhältnisse als auch 
in die charakteristische Denkart der italienischen Politiker. 
Dabei wahrt er sich freilich immer den eigenen Standpunkt, 



1) Hieron. Turlerus, de peregrinatione, Strassb. 1574, p. 38 f. 
Ueber „die deutschen Besucher der Univ. Padua im Jahrhundert der 
Ref." vgl. Kämmel in Fleckeisen's Neuen Jahrb. für Philo 1. und 
Pädag. 108 (Leipz. 1873), p. 65 ff. 

2) Vgl. Gillet, Crato von Crafftheira II, 74; Corresp. of 
Sidney p. 55, 216; Hütten wird von dem Dichter Melissus (in den 
seinen 1580 erschienenen Oden angehängten Epigrammen, p. 66) als 
Ciceronianer gefeiert; Heinrich Peter Herdesianus, der ebenfalls in 
Venedig mit ihm zusammen war, besingt ihn in der Aulica vita (Frank- 
furt 1577) p. 42 ff. Ein paar Briefe Huttens in 111. virorum epis- 
tolae. 

3) So z. B. in dem Br. vom 26. Juli 1578 (Coli. Cam. XXI. no. 
116): was er über Cypern geschrieben, „auctor magnus ex ore prin- 
cipis Veneti paullo post mihi confirmavit". 



Digitized by 



Google 



F. v. Bezold: Wolf gang Zündelin. 149 

ohne in die landläufigen Schmähungen des italienischen 
Wesens zu verfallen. Er spricht wiederholt von dem Rück- 
gang des Humanismus in Italien, den er auf die einseitige 
Selbstbewunderung der modernen Italiener zurückfuhrt. *) 
Auch die Schwäche in ihrer politischen Auffassung entgeht 
ihm nicht; „sie beurteilen die andern nach sich" (ex suo 
animo alios iudicantes). Er meint, wenn die Italiener das 
politische Ungeschick und Missgeschick der Deutschen vor- 
nehm belachten, so seien in Wahrheit gerade sie die Un- 
glücklichsten, da sie mit vollem Bewusstsein dem Unter- 
gang, den sie andern wünschten, entgegensteuerten. Hinter 
dieser scheinbaren Ruhe und Heiterkeit berge sich doch die 
gleiche tötliche Lähmung wie in Deutschland. 2 ) Dass ge- 
rade Venedig den Zenith seiner Grösse überschritten habe, 
steht ihm ausser Zweifel. Aber er ist unbefangen genug, 
diese Thatsache mit aufrichtigem Mitgefühl zu betrachten 
und den Hohn der Italiener nicht zurückzugeben; der 
schöne Nachruf, den er dem Dogen Sebastian Venier wid- 
met, die freudige Anerkennung, womit er dessen Nachfolger 
Pontano begrüsst, 8 ) würden einem geborenen Venezianer 
alle Ehre machen. 

Venedig war einer der ersten Plätze für die Sammlung 
und den Vertrieb politischer Nachrichten, vor Allem durch 
seine enge Verbindung mit dem Orient; unter den itali- 
enischen Städten konnte nur Rom als Centrum der kirch- 
lichen Politik mit der Beherrscherin der Meere wetteifern 
und gerade die römischen Berichte wurden auch wieder 



1) Br. vom 12. Aug. 1574 (ebd. no. 12): „Dum sua tantum ad- 
mirantur Itali veteraque proiiciunt, bona etiam ingenia perperam ex- 
colendo perdunt; utque est quisque ineptissimus , ita ad divulgandum 
velufci testimonium stulticiae suae est proiectissimus". 

2) Br. vom 19. April 1578 (ebd. no. 106). 

3) Br. vom 6. März 1578 (no. 101); vom . . . März (no. 102). 



Digitized by 



Google 



150 Sitzung der histor. C lasse vom 3. Juni 1882. 

regelmässig über Venedig nach Deutschland geleitet. 1 ) Der 
ständige Verkehr mit Rom und Konstantinopel lieferte das 
bedeutendste Material für die venezianischen Novellisten, 
wie auch Zündelins Briefe hinlänglich bezeugen. Er spricht 
wiederholt von den gewöhnlichen Wochenberichten, die aus 
Venedig nach Deutschland gingen, 2 ) und tut sich etwas 
darauf zu gute, dass er keineswegs auf die allgemein zu- 
gänglichen Quellen beschränkt sei. 8 ) Namentlich dem fran- 
zösischen Gesandten du Ferrier scheint er nahe gestanden 
zu sein; er gibt Mitteilungen aus Schreiben des Königs, 
des französischen Botschafters in Konstantinopel, lässt sich 
von du Ferrier erzählen, was diesem der Doge über den 
Streit Venedigs mit der Curie gesagt hatte. 4 ) Neben den 
Zeitungen und den Berichten über venezianische Vorgänge 
und Stimmungen nimmt das eigene Raisonnement einen be- 
trächtlichen Platz ein, das sich vorwiegend mit den Zu- 
ständen und Aussichten Deutschlands beschäftigt. In den 
ersten Jahren berichtet, kritisirt, klagt und spottet er ganz 
nach Herzenslust; dann wurde durch ein im Jahr 1580 er- 



1) Der gewöhnliche Tag für die Erledigung der Correspondenzen 
scheint der Freitag gewesen zu sein; sehr viele Briefe Z. sind vom 
Donnerstag oder Freitag datirt und er entschuldigt sich einmal bei 
Camerarius (17. Febr. 1581): „Accidit mihi iam aliquoties, ut, dum 
litteris eadem dieVeneris scilicet necessario scribendis 
operam do, tempus me ad te quoque scribere cupientem deficeret" 
(XXI. 186). 

2) 2. April 1574: „Quae hie vulgata sunt, ea scio multorum ad 
vos literis quavis heptomade scribi solere" (XXI. 6); 6. Mai 1575: „Quae 
hie vulgo feruntur, V. C, ex novis, quae ad Monacium nostrum hinc 
mittuntur, intelliges" (ebd. 41). 

3) 17. Jan. 1573: „Venio ad publica, de quibus pauca, sed ut 
spero quam vulgo ferantur certiora ex ore magni auctoris scribo, c n i u s 
de industria nomen iussus scilicet taceo". (ebd. 5). 

4) 16. Juni 1581 (ebd. 194). 



Digitized by 



Google 



F. v. Bezöld: Wolf gang Zündelin. 151 

lassenes Edikt die politische Briefstellern streng verboten. *) 
Zündelin, der bisher seine für den Landgrafen und für Jo- 
hann Casimir bestimmten Schreiben einfach dem letzteren 
zugeschickt hatte , ersuchte seinen Freund Camerarius die 
Schreiben an Landgraf Wilhelm in Empfang zu nehmen 
und zu besorgen; die deutschen Briefe seien fast noch nie- 
mals geöffnet worden. In seinen Briefen an Camerarius 
wusste er sich zu helfen. Unmittelbar nach dem Verbot 
setzt er sich mit einem Scherz über dasselbe hinweg. 2 ) 
Aber die Sache wurde doch ernsthafter, der Papst, unzu- 
frieden mit der bisherigen Toleranz der venezianischen Re- 
gierung, drängte zur Einführung einer „neuen und uner- 
hörten Inquisition". 8 ) Die Bemühungen, die bisher den 
Ausländern zugestandene Gewissensfreiheit zu beseitigen, 
misslangen allerdings; nach wie vor blieb die Universität 
Padua eine Freistätte der Wissenschaft, die auch Anders- 
gläubige beschirmte. Doch fand Zündelin zeitweilig das 
Geschäft eines calvin istischen Zeitungsschreibers im katho- 
lischen Italien sehr gefährlich ; in der That blieb seine Wirk- 
samkeit den Jesuiten nicht verborgen und nach Anregung 
Possevino's machte im Jahr 1584 der venezianische Ge- 
sandte am Kaiserhof seine Regierung auf „einen gewissen 
Wolfgang u als einen Haupturheber der gegen den Papst 



1) 25. Juli 1580: „Scriptione rerum novarum quam severe hie 
omnibus interdictum sit, iam te aeeepisse existimo" (ebd. 171). 

2) Br. ohne Datum (Aug. 1580): „De publicis edicto ut scis ve- 
tamur, ne scribamus aliquid. Alioqui ex litteris 2. Julii scriptis Con- 
stantinop. tibi significarem" u. s. w. (folgt der ganze Inhalt des 
Schreibens). 

3) Ueber die Schwierigkeit, womit Gregor XIII. die kirchliche 
Visitation im venezianischen Gebiet durchsetzte, vgl. M äff ei, Annali 
di Gregorio, II, 174 ff.; über Padua Groen van Prinsterer, Ar- 
chive« de la maison d 1 Orange-Nassau I. 7, 221 ff.; Beza an Witgen- 
stein, 23. März 1590, bei G. Friedländer, Beitrage zur Ref.-Gesch. 
p. 189. 



Digitized by 



Google 



152 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882. 

verbreiteten Verdächtigungen aufmerksam. 1 ) Zündelin fuhr 
fort seine Warnungsrufe nach Deutschland zu senden und 
suchte sich durch allerlei Kunstgriffe für den Fall einer 
Entdeckung zu sichern. Er kleidete seine Auslassungen 
gegen Eom und Spanien in medizinisches Gewand und 
sprach über Portschritte und Behandlung der Pest, über 
die verblendeten Aerzte, die angesichts dieser vernichtenden 
Seuche immer nur an Palliative gegen den morbns gallicus 
denken: oder er gab ein paar astrologisch raaskirte An- 
deutungen. Immer schrieb er, seit jener Einschränkung der 
Zeitungsfreiheit, als Katholik, sprach von den Ketzern und 
ihren frevelhaften Bestrebungen, von der Bedrohung der 
katholischen Religion. Dabei weiss er in den aus Rom 
mitgeteilten Stimmungsberichten, die manchmal fast nach 
eigner Arbeit aussehen, die Wünsche und Befürchtungen 
der Päpstlichen derart zu beleuchten, dass diese „Zeitungen" 
durchaus auf die Reizung oder Ermutigung der deutschen 
Protestanten berechnet erscheinen. Aber es war ein Dasein, 
das jeden Augenblick im Kerker enden konnte, von jeder 
Schwankung der venezianischen Politik abhing. Im März 1587 
wurde ein italienischer Freund, Donzellino, von der Inqui- 
sition verurteilt und Nachts ertränkt. 2 ) Im Herbst 1589 
wurde zu Rom ein Agent des erzkatholischen Herzogs von 
Nevers von der Inquisition gefasst und enthauptet. 8 ) Zu 



1) Lippomano an den Dogen, Prag 9. Mai 1584: Possevino's Cor- 
respondenz mit Sachsen zeigt das Miss trauen der deutschen Fürsten 
„per li sinistri avisi che li sono scritti d* Italia , et particolarmente da 
Venetia et da Padova o da quelli Tedeschi di fontico o da un Volf- 
gango, come esso padre dice; intorno che non voglio lasciar di dire 
alle Ecc. V. V. che in conformitä ne sono stato piü d* una volta da 
altre parte certificate". Wien, Disp. Ven. 11. Or. 

2) Br. vom 10. März 1587 (Coli. Cam. XXII. 8). Schon am 
18. Jan. 1586 berichtet Z. von der gleichen an einem Arzt, der in 
Genf gelebt hatte, vollzogenen Strafe (XXI. 3G3). 

3) Hübner Siite-Quint II, 255 ff. Am 1. Febr. 1589 schreibt 



Digitized by 



Google 



F. v. Bezold: Wolf gang Zündelin. 153 

Ende dieses Jahres muss Zündelin endlich Venedig verlassen 
haben ; er ging an den kursächsischen Hof, wo seit dem 
Sommer 1589 Krell das Kanzleramt führte und eine cal- 
vinisirende Unionspolitik mit allen Traditionen der vorher- 
gegangenen Regierung aufzuräumen begonnen hatte. 

Zündelin war von jeher ein eifriger Prediger der pro- 
testantischen Union, der gemeinsamen Verteidigung gegen 
den geraeinsamen Feind; die dogmatischen Kämpfe und die 
daraus erfolgende politische Zerrissenheit der deutschen Evan- 
gelischen erfüllten ihn mit Trauer und Empörung. Sein 
eigener religiöser Standpunkt scheint ein ziemlich freier ge- 
wesen zu sein, wie wir z. B. niemals einer Klage darüber be- 
gegnen, dass er so viele Jahre hindurch ohne öffentlichen 
Gottesdienst unter Andersgläubigen leben musste. Hie und 
da betont er die Notwendigkeit, sich in Gottes unerforsch- 
liche Ratschlüsse unbedingt zu ergeben, ohne irgendwie 
weiter zu dogmatisiren. Allerdings verfolgt er die Feinde 
des Evangeliums, wo er kann, mit bitterem Hohn, aber 
sie sind ihm zugleich die Feinde des Vaterlands und der 
Freiheit. Der starke religiöspolitische Zug, der dem Cal- 
vinismus und seinen Freunden überall eigen ist, verläugnet 
sich auch hier nicht; er überwiegt sogar bei Zündelin wie 
bei manchen seiner Gesinnungsgenossen weitaus die dog- 
matische Seite. Es ist der feingebildete Humanist, der in 
Italien geschulte Politiker, dem die klägliche Impotenz der 
deutschen Staatslenker und die anmassende Roheit ihrer 
Hoftheologen das Herz zusammenschnüren; es ist der eifrige 
Tyrannenfeind, der auf die Symptome der um sich greifenden 
,. spanischen Pest u hinweist und die Sache des Oraniers zu 
der seinigen macht. Dabei konnte sich die sarkastische 
Anlage des Schwaben im Verkehr mit den überlegenen, 

der pfölz. Rat Kolbinger an Camerarins über Zündelin: „Utinam ne 
diutius istic haereat et pericnlis . . . se tandem quasi sponte ezponat ! " 
(Coli. Cam. XIV. 183). 



Digitized by 



Google 



154 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882. 

Alles verspottenden Venezianern trefflich entwickeln. Er 
bleibt nicht bei der ernsten Rüge und Warnung, er zieht 
mit Vorliebe die kleinen und lächerlichen Seiten des Gegners 
ans Licht und sucht den Gefürchteten verächtlich zu machen. 
So wenn er sich wieder und wieder mit der falschen Nach- 
richt abgibt, dass Philipp II. verrückt geworden sei; wenn 
er die Skandalgeschichten von Heinrich III. registrirt, ihn 
selbst eine „beste", die Königin Katharina eine verwünschte 
Hexe nennt. 1 ) Mit der Person des Papstes musste er frei- 
lich glimpflicher verfahren, dafür wurde er nicht müde von 
den Bewegungen und Absichten des grossen katholischen 
Bundes zu reden. Er hatte überhaupt den Grundsatz, vom 
Gegner immer das Schlimmste zu erwarten , und suchte 
insbesondere die träge Sicherheit seiner Landsleute durch 
stark aufgetragene Alarmnachrichten zu stören. Uebrigens 
machte er sich wenig Hoffnung auf Erfolg; die Deutschen, 
meint er einmal, hätten die glückliche Anlage, sich lieber 
jede Schmach als die kleinste Unbequemlichkeit gefallen zu 
lassen. „Ne Epicurus quidem tarn beatus unquam fuit, 
mihi crede". 2 ) Mit grimmigem Hass überschüttet er die 
Hauptschuldigen , die kleinen deutschen „Päpste" , diese 
„tiefreligiösen und trefflichen Männer, die uns Unwissende 
nicht nur lehren was zum Heile nötig ist, die uns auch 
zwingen wollen nicht mehr noch weniger zu glauben als 
sie, die allein in ihrem Glauben selig und glücklich sind". 
Ein andermal wünscht er die, welche stets die Bruderliebe 
im Mund führen und so himmelweit von ihr entfernt sind, 
auf die Galeeren; da könnten sie ihre Lust in Sturm und 
Aufregung büssen, unter dem Heulen des Winds ihre zu 
unheilvollem Geschrei so kräftige Brust gegen die Wellen 
anstrengen, ihre bissigen Hundszähne au dem bekannten 

1) Vgl. auch die im Anhang mitgeteilte Schilderung des Kölner 
Erzbischofs Salentin und seiner Begleiter. 

2) Brief vom 28. Aug. 1577 (XXI. 79). 



Digitized by 



Google 



F. v. Bezold: Wolf gang Zündelin. 155 

Schiffsbrod üben und wenn sie Schlaf bekommen, den Ochsen- 
ziemer spüren. „Sed ineptissimi horaines faciunt, ut ipse 
quoque ineptiam u . Er sieht die Zeit herannahen, wo diese 
Regenten und Gesetzgeber der Höfe sich auch den päpst- 
lichen Titel geben und von ihren fürstlichen Beschützern 
den Fuss küssen lassen. 

Der Zorn des Patrioten und die Einsicht des Politikers 
konnte sich nicht darüber täuschen, dass ein so massloses 
Treiben doch nur durch die grenzenlose Schwäche der pro- 
testantischen Fürsten ermöglicht wurde. Wenn er die An- 
sicht der Italiener von diesen kleinen keines grossen Ge- 
dankens fähigen Geistern, von diesen Helden der verpassten 
Gelegenheiten, diesen ewigen Schläfern mitteilt, so gibt er 
damit sein eigenes Urteil. Er bezeichnet als Quelle des 
Uebels die hässliche Völlerei, die eine allgemeine Entwürdi- 
gung der Charaktere, Abstumpfung alles Ehrgefühls, feile 
Habsucht zur Folge habe; die Deutschen schämten sich 
nicht, ohne jede Leidenschaft, nur um schnöden Sold 
fremden Henkern Henkersdienste zu leisten. Wiederholt 
beklagt er die unheilvolle Kurzsichtigkeit eines August von 
Sachsen, den der päpstliche Legat in Venedig als einen der 
tatkräftigsten Bundesgenossen des heiligen Stuhls rühmte. 1 ) 
Aber auch der Führer der protestantischen Aktiouspartei, 
Johann Casimir, flösst ihm kein unbedingtes Vertrauen ein ; 
mit vollem Recht spricht er vor dem niederländischen Zug 
des Pfalzgrafen (1578) von der Eitelkeit und dem Eigen- 
nutz der deutschen Fürsten, von der törichten Geringschätz- 
ung des Gegners. Uebrigens erscheint ihm die Lage auch 
der übrigen christlichen Reiche derart, dass eine „allgemeine 
Veränderung der Dinge", eine grosse Umwälzung ganz un- 



1) Br. vom 27. Mai 1575 (ebd. 42). Der Legat sagte u. a., „pon- 
tificem quidem in Germania homines iam habere, qui iussa eius obli- 
quis vÜ8 ad Saxonem aggrediantur eumque si plane occupare non pos- 
sin t f saltem in tarn praeclaro officio contineant". 

[1882. IL Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 1 1 



Digitized by 



Google 



156 Sitzung der histor. Glasse vom S. Juni 1882. 

vermeidlich und in nächster Zeit bevorstehe, die er allerdings 
nicht astrologisch, sondern aus näher liegenden Ursachen 
zu erklären sucht. 1 ) Dabei kommt er unverkennbar zu 
einem gewissen Radicalismus, dessen Förderung Katholiken 
und Lutheraner dem calvinistischen Geist doch nicht ganz 
mit Unrecht vorwerfen. Er erklärt die Freiheit für das 
höchste irdische Gut (quae rerum humanarum pulcerrima 
est libertas) und wünscht als „halber Schweizer" den Nieder- 
ländern einen schweizerischen Sinn; freilich fügt er scher- 
zend hinzu, das Landleben habe ihn neuerdings so bäurisch 
und keck gemacht, dass er keine Scheu trage den Königen 
Krieg anzukündigen. 2 ) Ein anderes Mal teilt er den Brief 
eines italienischen Freundes mit, der die Stelle enthält: 
„Kurz ich sehe unter den christlichen Königen keinen, der 
nach Charakter und Geist würdig wäre die Krone zu tragen, 
die Gerechtigkeit ist ans den christlichen Reichen so gründ- 
lich ausgetrieben, dass ich einen gewaltigen und allgemeinen 
Umsturz befürchten muss". 8 ) Vielleicht am Nachdrück- 
lichsten spricht Zündelin seine Herzensmeinung in jenem 
Urteil über die Politik Oraniens aus, das er seinen „über 
die menschlichen Dinge souverän entscheidenden" italie- 
nischen Freunden in den Mund legt. Er verteidigt den 
Entschluss des Prinzen, sich vor Allem auf das Volk zu 
stützen, mit grosser Wärme. Das Volk habe Holland und 



1) Br. ohne Datum (1578? ebd. 100). 

2) Padua 27. Februar 1577 (ebd. 70): „Quid igitur? Helvetiorum 
semihelvetio placeret exemplum , si animum et concordiam (olim) bel- 
veticam ad communem libertatem defendendam genius belgicus aut sus- 
cipere aut susceptum retinere posset. Tarn rusticas vero cogitationes 
ita ridebis, ut rusticae natas memineris, quae excussa urbanitate omni 
ita rusticos nos et temerarios effecit, ut ne regibus quidem bellum in- 
ferre vereamur; quod tarnen ut faciamus tutins, rure denique relicto in 
urbem rediimus, quae omnis libertatis asylum hanc etiam in scribendo 
licentiam adauxit". 

3) In dem Br. vom 26. Aug. 1575 (ebd. 48). 



Digitized by 



Google 



F. v, Bezold: Wolf gang Zündelin. 157 

Seeland gerettet und den Niederlanden ihre Ehre zurückge- 
geben; die Pfaffen und Edeln seien fast alle nur durch das 
Volk zum Patriotismus genötigt worden und schielten ins- 
geheim sehnsüchtig nach dem Glanz der Tyrannei. Das 
Volk sei der einzige zuverlässige Kämpfer für die Freiheit, 
deren Früchte ihm recht eigentlich bestimmt seien, und 
gegen die Knechtschaft, deren Druck auf ihm weit härter 
gelastet habe. 

Solche Anschauungen hatten, so wenig sie an den Hof 
des strenglutherischen und hochconservativen Kurfürsten 
August passten, doch daselbst ihren Vertreter. Dr. An- 
dreas Pauli diente dem Kurfürsten unbehelligt ; wahrschein- 
lich schützten den Kryptocalvinisten seine grosse Geschäfts- 
gewandtheit und wohl auch eine weit gehende Vorsicht. 
Als er 1581 im Auftrag des Kurfürsten verschiedene italie- 
nische Höfe bereiste, schloss er in Venedig Freundschaft 
mit Zündelin, der über einen so aufgeklärten Rat des engher- 
zigen Fürsten erstaunt und entzückt war. Pauli dürfte wohl 
nach dem Tode Augusts dessen Nachfolger bestimmt haben, 
für den Unterhalt des Agenten etwas zu tun; er vertrat 
auch die Sache des aus Italien Zurückgekehrten, der offen- 
bar Gegner am Hof hatte. 1 ) Aber Krell selber nahm den 
Ankömmling, dem das Scheiden aus seinem italienischen 
Stillleben schwer genug fiel, in sein Haus. Wohl oder 
übel sah sich der geschäftsscheue Gelehrte in die Aufregung 
des Hoftreibens, bald auch in die grossen politischen Händel 
verwickelt. Er musste an der Zusammenkunft des Kur- 
fürsten Christian mit Johann Casimir zu Plauen (Februar 
1590) teilnehmen. Der Pfalzgraf empfing den langjährigen 
Correspondenten ausgesucht freundlich. Einen Monat später 
war Zündelin als Gesandter Kurfürst Christians auf dem 



1) Der letzte Br. Zündelins an Camerarius aus Venedig datirt 
vom 5./15. Dez. 1589. (C. C. XXII. 129, vgl. auch ebd. XIV. 612). 

11* 



Digitized by 



Google 



158 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882. 

Wege nach Italien. 1 ) Diese Episode seines Lebens müssen 
wir, obwohl keine unmittelbaren Zeugnisse seiner Tätigkeit 
vorliegen, etwas näher betrachten. 

Ranke hat in seiner Geschichte der Päpste 2 ) wieder- 
holt davon gesprochen, dass man im Jahr 1590, als Sixtus V. 
unentschlossen der grossen europäischen Frage, der fran- 
zösischen gegenüberstand, in Rom auch eine sächsische Ge- 
sandtschaft erwartete. Ausser dem katholischen Fürsprecher 
Heinrichs IV. Luxemburg hatte sich ein englischer, 3 ) ein 
hugenottischer Agent, ein Geschäftsträger des Landgrafen 
Wilhelm eingefunden. „Schon suchte sich der kaiserliche 
Botschafter gegen die Einflüsterungen , die er von dem 
sächsischen Gesandten fürchtete, der aufs Neue erwartet 
werde, sicher zu stellen: die Umtriebe des Kanzlers Krell 
drangen bis nach Rom u . Obwohl es beim Versuch ge- 
blieben, die sächsische Gesandtschaft nicht bis zur Curie ge- 
langt ist, sollen hier einige nähere Mitteilungen Platz finden, 
die den Berichten des kaiserlichen Gesandten und des bai- 
rischen Agenten zu Rom entnommen sind. Genauere Auf- 
klärung müsste man wohl im Dresdener und im Florentiner 
Archiv suchen. Mir genügt es, auf diese italienischen Be- 
ziehungen der im Entstehen begriffenen deutschprotestan- 
tischen Union neuerdings aufmerksam zu machen. Das 
Jahr 1590 war überhaupt fruchtbar an aussergewöhnlichen 
politischen Combinationen ; im Sommer finden wir den 
nämlichen bairischen Agenten, der im Frühjahr aus Rom 



1) Pauli an Camerarius, Dresden 3. März; 14. März: „Z. Anna- 
burgum usque nobiscum ducemns ibique eum dimittemus" ; 15. April : 
„Zundelinum sab principiura buius mensis una cum Ottbone a Star* 
scbedel in Italiam misimus*. Coli. Cam. XXIV. 

2) II (erste Ausgabe), 206; 212 (nach venezianischen Depeschen). 

3) Vgl. Badoer an den Dogen, Rom 5. März 1590 (Hübner, Sixte- 
Quint II, 517). 



Digitized by 



Google 



F. v. Bezold: Wolf gang Zündelin. 159 

berichtet, beim Pfalzgrafen Johann Casimir; eine Annäherung 
der calvinistischen und katholischen Witteisbacher, die 
freilich nicht von langer Dauer war. 1 ) 

Unmittelbar vor seinem Tod hatte König Heinrich III. 
sich an Florenz und Venedig um Unterstützung gewendet; 
die Signoria hatte bekanntlich den Mut, seinen Nachfolger 
den protestantischen Bourbon ohne Rücksicht auf den Papst 
und die katholischen Mächte als König von Frankreich 
anzuerkennen. Die deutschen Protestanten hatten bereits 
im Herbst 1589 durch ihre Subsidien die Sammlung eines 
Hülfscorps für den neuen König ermöglicht; als dasselbe 
jedoch im Dezember durch den Herzog von Lothringen vor 
dem Anmarsch überfallen und zersprengt worden war, 
kostete es einige Mühe die deutschen Herren zu weiteren 
Geldleistungen zu bewegen. 2 ) Um so willkommener mochte 
der Gedanke sein, eiustweilen die Sache Navarra's bei 
den italienischen Staaten zu vertreten; Kaspar von Schom- 
berg, der noch als Gesandter Heinrichs III. in Florenz 
gewirkt hatte, 8 ) suchte im Winter 1589 dem Kurfürsten 
von Sachsen das Wertvolle einer Verbindung mit dem an 
Geld und Einfluss reichen Grossherzog begreiflich zu machen. 
Zündelin's letzte Berichte vor seiner Abreise aus Italien 
stellten den Medicäer ebenfalls als einen heimlichen Gegner 
Spaniens und der französischen Liga dar, 4 ) während er 
früher als der Fürsprecher von Lothringens Absichten auf 
die französische Krone gegolten hatte. Jedenfalls war die 
Nachricht von einer bevorstehenden Sendung Kursachsens 
an Toskana schon im Februar 1590 an die Curie gelangt 
und der Papst säumte nicht die alten Hoffnungen auf eine 



1) Vgl. hierüber Stieve, Briefe und Akten IV, 13 f. 

2) Ritter, Briefe und Akten I, 13 ff. 

3) Ritter I, 29; Raumer, histor. Taschenbuch 1849 p. 304 ff. 

4) Br. vom 5./15. Dez. 1589 (Coli. Cam. XXII. 129). 



Digitized by 



Google 



160 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882, 

Bekehrung des ersten ketzerischen Reiphsfurstenhauses wieder 
hervorznsuchen. x ) 

In der Tat ging zu Anfang April eine stattliche Ge- 
sandtschaft ans Sachsen nach Italien, an der Spitze Otto 
%on Starschedel und Zündelin. 2 ) Sie war nicht nur beim 
Grossherzog, sondern auch beim Papst förmlich angekün- 
digt; der Neapolitaner Carlo Tetti, schon von Kurfürst 
August als Ingenieur beschäftigt, weilte im März zu Florenz, 
um durch Vermittlung des Grossherzogs bei Sixtus V. die 
Annahme der Gesandtschaft durchzusetzen. 8 ) Der kaiser- 
liche Gesandte bei der Curie, Veit von Dornberg, geriet 
bereits in grosse Unruhe. Kurfürst Christian galt am 
Wiener Hof für äusserst ehrgeizig und sein Uebertritt zum 
Katholizismus, „vielleicht mit der Absicht eine höhere Stufe 
zu erreichen 11 , erschien dem ängstlichen Dornberg keines- 
wegs als ein Ding der Unmöglichkeit. Er erkundigte sich 
daher beim Papst selber, indem er von der Sache als von 
einem Gerücht sprach und die Vermutung äusserte, man 
könne es allenfalls mit einem gegen das Haus Oesterreich 
gerichteten Scheinmanöver zu tun haben. Der Papst ent- 
gegnete, es sei nichts dergleichen im Namen Sachsens an 
ihn gebracht worden, doch höre er zu seiner Freude, dass 
der Kurfürst insgeheim dem katholischen Gottesdienst Dul- 
dung gewähre; für den Kaiser wäre es das grösste Glück, 



1) Badoer an den Dogen, Rom 14./24. Febr. 1590 (H ü b n e r III, 359). 

2) Minucci an Wilhelm von Bayern, Venedig 16./26. Mai: „Le- 
gationis principes erant Otto Starschedel Torgensis praefectus, quem 
aliqui Augusti electoris filium illegitimum fuisse sus- 
picantur, et Wolfg. Zundelinus". Der Erstere wird wohl mit dem 
später öfters genannten Rat des Landgrafen Moriz von Hessen iden- 
tisch sein. 

3) Minucci an Wilhelm von Baiern, Rom 21./31. März ; 28. März- 
7. April 1590. München, Staatsarchiv, Kasten (schwarz) 311/3 Eigh. 



Digitized by 



Google 



F. v. Beeold: Wölfgang Zündelin. 161 

wenn alle protestantischen Reichsfürsten diesen Weg gingen. 1 ) 
Dornberg, durch diese Antwort keineswegs beruhigt, musste 
seinen Verdacht bestätigt sehen, als ein paar Tage später 
der Papst ihn bei Seite nahm und ihm von Schreiben aus 
Wien erzählte, die jenes Gerücht vollkommen beglaubigt 
hätten; übrigens werde er keinen Schritt tun, ohne den 
Kaiser davon in Eenntniss Su setzen. Der Gesandte be- 
schränkte sich, da ihm diese Eröffnung in der Kirche ge- 
macht werde, seinen Dank und seine Freude auszudrücken. 
Als er aber in der nächsten Audienz (30. März) auf die 
Sache zurückkam, 'erklärte Sixtus, er habe seither wieder 
Schreiben erhalten, dass der sächsische Abgesandte dort 
eingetroffen sei, woher jene frühere Nachricht stamme; er 
habe ihm erlaubt hieher zu kommen und glaube, dass er 
heute da sein könne, werde aber nichts ohne Wissen Dorn- 
bergs vornehmen. Der Cardinal Montalto ergänzte diese 
Mitteilungen dahin, jene Person sei in Florenz. 2 ) Als je- 
doch über eine Woche verging, ohne dass der Gefürchtete 
eintraf, wurde die Aufmerksamkeit Dornbergs durch einen 
Agenten des Landgrafen Wilhelm abgelenkt, der am Palm- 
sonntag (5./15. April) wirklich Audienz beim Papst hatte. 
Er sollte für den Dekan von Hersfeld, der nach dem Tode 
des Abts Ludwig (1588) zu dessen Nachfolger gewählt 
worden war, die päpstliche Confirmation nachsuchen und 
wurde durch Empfehlungen Toskana's und des Nuntius zu 
Köln unterstützt. Der Papst zeigte sich anfangs nicht ab- 
geneigt, dem Wunsch des Landgrafen zu willfahren; die 
Sache, dem Cardinal Aldobrandini übergeben, nahm trotz- 
dem einen ungünstigen Verlauf, namentlich mit Zutun des 
bairischen Agenten Minucci, der seine ganze Gewandtheit auf- 



1) Dornberg an den Kaiser, Rom 14/24. März. Wien, Staats- 
archiv, MS. 595. Or. 

2) Dornberg an den Kaiser, Born 21./31. März. A. a. 0. Or. 



Digitized by 



Google 



162 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882. 

bot, um dem heiligen Stuhl diesen „Schandfleck" zu er- 
sparen. 1 ) 

Die grosse sächsische Gesandtschaft war inzwischen 
nach Venedig gelangt, wo sie bis in die ersten Tage des 
Mai verweilte. Wir haben einen Brief Zündelins an Came- 
rarius, der am 5. Mai, unmittelbar vor der Abreise aus 
Venedig geschrieben ist und f ohne auf die Verhandlungen 
mit der Signoria Bezug zu nehmen, ein sehr günstiges 
Bild der Situation gibt; der Papst scheine neuerdings teils 
durch die Bemühungen Venedigs und Toskana's teils durch 
das brutale Auftreten der Spanier auf* die Seite Navarra's 
gezogen zu werden. Dies entspricht, obwohl Zündelin seiner 
Sache keineswegs ganz sicher ist, in der Tat der damaligen 
Lage; Sixtus V. glaubte an die ihm angekündigte Bekeh- 
rung und vor Allem an das Prestige Heinrichs IV., wie es 
neuerdings durch den Sieg bei Ivry eine glänzende Be- 
kräftigung erfahren hatte, und er war durchaus nicht ge-~ 
sonnen, sich den unermündlichen und rücksichtslosen An- 
griffen des spanischen Gesandten Olivares zu ergeben. 2 ) 
Die Sachsen gingen weiter nach Ferrara, wo der von Rom 
nach Deutschland reisende Minucci mit ihnen zusammen- 
traf. Er berichtet dem Herzog von Baiern, sie wollten 
jedenfalls nach Florenz ; ob sie nach Rom kommen würden, 
hänge vom Grossherzog ab, denn sie selbst wüssten noch 
nichts von der Erlaubniss des Papstes und hätten die Ab- 



1) Vgl. über die Hersfelder Sache Rommel bei Ersch und Graber 
IL 7 (1830), 51; Dornberg an den Kaiser, IL/21. April; Minucci an 
Bayern, 28. März/7. April; 11./21. April; 18./28. April; 24. April/ 
4. Mai. Im Hersfelder Capitel sass eine Zeit lang als Propst ein na- 
türlicher Sohn des Landgrafen, Wilhelm von Korenberg, der in Italien^ 
wohin ihn sein Vater zu wissenschaftlicher Ausbildung schickte (Ho- 
tomanorum epistolaep. 66/7), auch mit Zündelin in Verbindung 
trat und ihm z. B. Gewächse zur Weiterbeförderung an den Landgrafen 
zukommen Hess, vgl. Zündelins Br. vom 22 Aug. 1578 (XXI. 117). 

2) Vgl. Hübner II, 314 ff.; 333 ff. 



Digitized by 



Google 



F. v. Bezöld: Wolf gang Zündelin. 163 

sieht gehabt, auf der Reise nach Florenz dem päpstlichen 
Gebiet auszuweichen. 1 ) In Florenz fiel nun die Entschei- 
dung gegen eine römische Reise ; noch vor Ende Juni waren 
die Gesandten auf dem Heimweg, den sie über Mantna, 
Verona, Wien und Prag nahmen. 2 ) Vielleicht hielt der 
Grossherzog den Zeitpunkt nicht für geeignet, da man in 
Rom eben das Eintreffen des besondern spanischen Gesandten 
Sessa erwartete. Dornberg gibt nach einer „sehr sicheren 
Quelle 41 einige Nachrichten über die Erfolge des sächsischen 
Gesandten; derselbe, angeblich ein Sekretär des Kurfürsten, 
habe zu Venedig, Ferrara und Florenz im Namen seines 
Herrn und der verbündeten Reichsfürsten für Navarra und 
gegen Spanien gewirkt, in Venedig eine etwas unbestimmte, 
aber doch befriedigende Antwort, in Ferrara die Erklärung 
erhalten, dass der Herzog als Vasall des Kaisers ganz von 
diesem abhänge. Ueber die Beantwortung in Florenz hatte 
er nichts erfahren können. 8 ) Obwohl also der eigentliche 
Verlauf der Gesandtschaft für uns im Dunkeln bleibt, gibt 
doch einmal die Tatsache, dass die Schöpfer der deutsch- 
protestantischen Union mit dem Papst und den selbstän- 
digen Mächten Italiens ernstlich Fühlung suchten, eine 
wenn auch sehr bescheidene Ergänzung zur Geschichte 
dieser Unionsbestrebungen. Ausserdem genügt schon das 



1) Minucci an Bayern, Venedig 16./26. Mai. Ueber Minuccio dei 
Minucci, der im J. 1591 päpstlicher Sekretär, 1596 Erzbischof von Zara 
wurde, vgl. Stieve, Briefe und Akten IV, 126 A. 1. 

2) Dornberg an den Kaiser, Rom 13/23 Juni: der Gesandte wird 
nicht hieherkommen; 20/30. Juni: derselbe ist von Florenz nach Deutsch- 
land abgereist. John Wroth an Camerarius, Venedig 8. Juni: „is [Zün- 
delin] iam Florentiis est, ubi adventum magni ducis . . . expeetat ; mag- 
nifice illura a duce Ferrariensi aeeeptura faisse audivi a ; 20. Juli: Z. 
auf der Rückreise nicht über Ven. gekommen; „Timportanza de suoi 
negocii lo constrinse di pigliar la dritta strada da Mantova per Verona" 
u. s. w. (Coli. Cam. XIV.) 

3) Dornberg an den Kaiser, 20/30. Juni. 



Digitized by 



Google 



164 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882. 

Wenige, was wir hierüber erfahren, um die eigentümliche 
Lage des Papstes und vor Allem die Haltung Toskana's in 
dem Kampf um die Existenz Frankreichs von einer noch 
wenig beachteten Seite zu beleuchten. 

Zündelins Wirksamkeit in Italien erreicht hiemit ihren 
Abschluss. Nach Dresden zurückgekehrt *) gelangte er 
keineswegs zu der ersehnten Ruhe, wurde vielmehr von 
Krell als ein brauchbares Werkzeug festgehalten. Sein 
Verhältniss zum Kanzler wie zum Kurfürsten scheint ein 
sehr vertrautes gewesen zu sein ; er musste sich sehr gegen 
seine Neigung daran gewöhnen dem Fürsten auf seinen 
Reisen und selbst auf der Jagd zur Seite zu bleiben. Ein- 
zelne Andeutungen in den Briefen an Camerarius zeigen, 
dass er in die Verhandlungen mit den fremden Gesandten 
wie mit den evangelischen Reichsständen vollkommen ein- 
geweiht war; er vertritt klar und bestimmt den Unionsge- 
danken und die Unterstützung Heinrichs IV., findet aber 
die Stellung seines Kurfürsten sehr isolirt und im Innern 
das Geschrei der „quakenden Frösche* 4 , d. h. der erbitterten 
Theologen unheilverkündend. Der vorzeitige Tod des Kur- 
fürsten erschütterte ihn auf's Tiefste, schien ihm aber we- 
nigstens die verlorene Freiheit wiederzugeben. Uebrigens 
glaubte er nicht an eine unmittelbar drohende Gefahr; 
noch am 20. Oktober 1591 spricht er von der Humanität 
des Administrators Friedrich Wilhelm, die sich bei der 
Neuordnung der Regierung geltend machen werde. Drei 
Tage später wurde Krell verhaftet und Zündelin erhielt 
Befehl, das Haus des Kanzlers, 'in dem er bisher fortwährend 
verkehrt hatte, zu meiden. Er Hess, um kein weiteres 



1) Zündelin an Camerarius, Dresden 20. Juli 1590 (XXII. 139): 
„Tandem . . . peregrinatione permolesta et difficili perfuncti in hanc 
urbem dei beneficio salvi et incolumes perveniraus". Zu Prag hörten sie 
vom Tod des Dr. Andreas Pauli. Er selbst wohnt wieder beim Kanzler. 



Digitized by 



Google 



F. v. Bezold: Wolf gang Zündelin. 165 

Aufsehen zu erregen, die auswärtigen Freunde bitten, keine 
Briefe unter seiner Adresse nach Dresden zu schicken, 1 ) 
aber entging trotzdem der „Verstrickung 14 nicht, da man 
ja längst wusste, dass er „stets bei dem Kanzler gewesen", 
und leicht vermuten konnte, „als wäre viel dieser Dinge 
durch ihn, wo nicht angegeben und gestiftet, doch gutge- 
heissen und gestärket". 2 ) Sein Freund Hütten, der nach 
Dresden eilen wollte, um für seine Befreiung zu wirken, 
erfuhr unterwegs in Weimar, Zündelin sei nicht mehr da 
und gar nicht verstrickt; letzteres schien ihm allerdings 
wenig glaublich. Das nächste Lebenszeichen Zündelins ist 
ein Brief an Gamerarius aus Frankfurt vom 25. Januar 1592; 
kurz darauf finden wir ihn zu Strassburg und Basel, wo 
ihn die ehrenvollsten Anträge von dem jungen Pfalzer 
Kurfürsten Friedrich IV. und dem Landgrafen Wilhelm 
auf's Neue der kaum gewonnenen Ruhe zu entreissen 
suchten. 

Es ist nicht meine Absicht, die späteren Schicksale 
Zündelins zu verfolgen; sowohl über seinen Dresdener 
Aufenthalt als über die folgenden in Heidelberg und in der 
Oberpfalz verbrachten Jahre geben die bis 1598 reichenden 
Briefe an Gamerarius manchen Aufschluss, während sie zu- 
gleich für die Geschichte Christians I. und Friedrichs IV. 
eine nicht zu unterschätzende Quelle eröffnen. Zündelin, 
der sich auch in Deutschland sein freies Urteil über poli- 
tische Dinge und Persönlichkeiten wahrte, wurde nach 
längerem Sträuben kurpfälzischer Rat 8 ) und scheint auch 
bei dem leichtsinnigen Kurfürsten Friedrich persönlich eine 



1) Kolbinger an Camerarias, 25. Okt. 1591. Coli. Cam. XV. Eigh. 

2) Georg Ludwig von Hütten an Camerarius, 26. Dez. 1591 (Coli. 
Cam. XXI): John Wroth an Camerarias, Venedig 11. Jan 1592 (ebd. XIV). 

3) Sein Abschied, datirt vom 22. Jan. 1601, angeführt in der 
Zeitschrift für Gesch. des Oberrheins XXXIII (1880), 223 A. 6; 
vgl. über seine Stellung am Hof ebd. 223 f.j 295. 



Digitized by 



Google 



166 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882, 

Vertrauensstellung gewonnen zu haben. Da verschwand er 
plötzlich am 30. Mai 1600 aus Heidelberg; nach den mir 
vorliegenden Andeutungen scheint neben seiner alten Ab- 
neigung gegen das Hofleben und einer nicht deutlich be- 
zeichneten besonderen Ursache die Furcht den Ausschlag 
gegeben zu haben, er könnte in das Schicksal seines Freundes 
Krell nachträglich verflochten werden. Am 2. Juni 1600 
schreibt Kolbinger an Dohna, nachdem Zündelin etliche 
Tage geklagt und letzten Donnerstag des jungen Fräuleins 
Begräbniss *) gehalten worden, sei er am Freitag früh heim- 
lich zum Schloss und zur Stadt hinausgegangen. Obwohl 
nun alle Dorfschaften aufgemahnt und er Tag und Nacht 
in allen Höhlen und Winkeln gesucht worden, habe man 
noch keine Nachricht, ob er tot oder lebendig, sich selbst 
entleibt oder ermordet worden sei. 2 ) Obwohl man ihn 
bald ausfindig machte und der Kurfürst ihn zur Rückkehr 
auffordern Hess, war er nicht zu bewegen sein Asyl, das 
er sich zu Winterthur gewählt hatte, wieder aufzugeben. 
Nach der Ueberzeugung eines Freundes, des pfälzischen Rats 
Lingelsheim, hatte den tief verstimmten und ängstlichen 
Mann, der sich ohnedies am pfälzischen Hof angefeindet 
glaubte, die Nachricht vollends irre gemacht, dass die Inter- 
cession von Pfalz und Hessen für den gefangenen Krell in 
Sachsen zurückgewiesen und sehr gravirende Enthüllungen 

1) Anna Eleonora, Tochter Kf. Friedrichs IV., geb. am 26. Dez. 
1598, f 24. Mai 1600. 

2) Kolbinger an Fabian von Dohna, Heid. 2. Juni 1600, München, 
Staatsarchiv K. blau 113/3° f. 317; ebd. 316 heisst es (in einem Be- 
richt vom 3. Juni) mit Bezug hierauf: „Sic orandum, domine, ne nos 
ducas in tentationem". Ueberein stimmend Lingelsheim an Bongars, 
Heid. 1. Juni (Bongarsi — epistolae p. 127). Ludwig Camerarius 
(Joachims Sohn) erklärt in der Vorrede zur Ausgabe von Hub. Lang- 
ueti epistolae ad Joach. Camerarium (an Acbatius von Dohna), Z. sei 
geflohen „panico quodam terrore sive potius atra melancholia ex causis 
mihi non ignotis correptus". 



Digitized by 



Google 



F. v, Bezöld: Wolf gang Zündelin. 167 

über den Angeklagten in Aussicht gestellt worden seien. 1 ) 
Kurz darauf weiss Lingelsheim von einem „höchst komischen" 
Abschluss dieser Sache zu berichten. Zündelin, bis dahin 
unverniähl t , hatte sich mit einer Wittwe von 45 Jahren 
verlobt. Obwohl dieser kühne Schritt des alten Gelehrten 
dem Freunde „unglaublich lächerlich" vorkam, scheint sich 
doch sein Lebensabend freundlich gestaltet zu haben. Wir 
hören nur noch, dass er geheiratet hat und nachmals zu 
Winterthur ruhig gestorben ist. 2 ) 

Ich lasse als beste Charakteristik des politischen Hu- 
manisten ein paar von seinen Briefen folgen. Der geist- 
volle Correspondent und eifrige Patriot gereicht dem evan- 
gelischen Deutschland jener Periode zur Zierde und ist, da 
er für seine literarische Unsterblichkeit nicht gesorgt hat, 
in eine unverdiente Vergessenheit geraten. 



1576. 7. Juni Padua. 
Wolfgang Zündelin an Joachim Camerarius. 

„De episcopi Coloniensis in eam urbem 8 ) adventu iam 
audivisti credo. Veneti hospitium homini cum muneribus 
obtulerant. Munera accepit, qui tarnen illa ferrent, eos in 
conspectum suum (ut aiunt) non admisit. Hospitio Claudi 
quondam tonsoris nunc lenonis celeberrimi, qui cubicula 



1) Lingelsheim an Bongars, 13. April (p. 119 f.); 27. Juni; 25 Juli 
(p. 128 ff.). 

2) Lingelsh. an Borg. 4. Sept. 1600 (ebd. 133); Ludwig Came- 
rarius a. a. 0. 

3) Venedig. Ueber diese Reise des Erzbischofs Salentin von Köln, 
den Grund ihrer Unterbrechung und den Anstoss, den seine militärische 
Gebahrung schon in München erregte, vgl. Lossen, der kölnische 
Krieg I, 389 f. 



Digitized by 



Google 



168 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882. 

locat, uti maluit. Urbis omnia visu digna perlustravit 
tanquam ignotus, omnibus fere tarnen cognitus. In navali 
convivio exceptus ad sponsalitia maris ut vocant biremi 
probe exornata evectus fuit. Comitiis nobilium quoque 
tanquam ignotus interfuit. Ne in caeteris quidem, ut in 
sermonibus et conversatione (sie ludunt Itali) prineipem se 
virum ostendit. Nam de vestitu quid risus eorum comme- 
morem? Pileo locis omnibus apparebat lato illo germanico, 
pallio breviore et vili, caligis dissectis et ad genua fere 
propendulis. Brevissimus ei capillus, in vertice Corona nulla, 
quae sacrificulum ostenderet, barba horrida et promissa, 
caeteraque omnia eiusmodi, ut militem potius loquerentur 
quam archiepiscopum , ubi praesertim in archilenonis con- 
spiceretur domo cum militari illa familia sua. Eodem plane 
babitu nudiustertius eum hie conspexi, qua die huc venit 
urbemque cum paucis aliquot nobilibus et stabulariis lustravit. 
In illis erat comes Arenbergius eins filius qui a Nassovio 
in Phrisia interfectus fuit. Dicitur habere secum 4 alios 
comites, equos summum 80. Magistratus ei hie muneribus 
honorem habuit, ipse tarnen aguosci aeeeptis illis noluit 
non magis ignotus quam Yenetiis. Natio quoque germanica 
salutare ipsum honoris caussa volens admissa non fuit; 
nihilominus libro eins sive annalibns a consiliario per no- 
bilem suum oblato nomen inscripsit, 1 ) mnnus ei nullum, 
contra quam moris est, reliquit, qnem morem ignorasse 
ipsum pntant, cum in Italos fuerit satis munificus. Heri 
rheda hinc summo mane Vicentiam discessit. Aulici ipsius 
sparserunt, eum Romam indeque in Hispaniam usque iturum 
fuisse, nisi a Caesare ad comitia revocatus esset. Alii ne- 
gant. Caussam adventus divinare mihi videntur potius 
plaerique quam scire. Multi credunt eum nulla de caussa 
eodem impetu, quo saepe alia multa, iter hoc arripuisse. 



1) Vgl. Kämmel a. a. 0. p. 77. 



Digitized by 



Google 



F. v. Bezold: Wölfgang Zündelin. 169 

Familiäres ipsius praecipui gloriosam sane et sibi et hero 
et Germanis omnibus hie reliquerunt sui memoriam, strenui 
adeo egregiiqae potatores, ut poculis non contenti ex im* 
manibus et inusitatis vasis inter se propinarent. Inde quam 
eximii secuti sint ludi, etiam me tacente intelligis" 

Coli. Cam. XXI. 66. Eigh. 



1577. 12. Dezember Padua. 
Zündelin an Camerarius. 

„Debeo humanitati et benevolentiae erga me tuae, 
quod copiosas ad me litteras oecupatissimus scripsisti deque 
iudicio tuo tantum detraxisti, quantum litteris meis nullo 
earum merito laudandis tribuisti; quam tibi iuiuriam etsi 
mea caussa a te ipso tibi aeeidisse nollem, delector tarnen 
amore in me tuo, unde illa est profeeta. Quem amorem 
nisi scirem meas omnes, uti a me scribuntur, ita in optimam 
partem aeeipere, scribere ad te profecto non anderem. Nunc 
ita me ille aujjacem reddit, ut quiequid oecurrit, id nullo 
delectu in epistolam coniieere et ad te mittere non dubitem. 
Tale credo fuisse, quod de Hispanis nuper ad te scripsi, 
neque enim profecto memini. Itaque si me et existimationem 
ames, non committes spero, ut quae temere a me acribemtur 
nee cuiquam minus quam mihi probantur, ea iudicio et cen- 
surae aliorum subiieias, tametsi ne mea plaeraque, sed 
eorum sunt, a quibus mutuari fere scribendi materiara soleo, 
qui iam diu hoc quasi privilegio fruuntur, ut de humanis 
rebus arbitrio suo pronuncient. Hi quid de Aurantio 
contra eos sentiant, quorum tu opinionem ad me scripsisti, 
cum a ine exspeetare videaris, breviter commemorabo. Ego 
enim Academicus hac in parte sustineo libenter ut debeo. 
Sic igitur existimant illi, non potuisse illum facere aliter, 
quin ordinibus se permitteret, in quorum se potestate fore 



Digitized by 



Google 



170 Sitzung der histor. Glasse vom 3. Juni 1882. 

semper esset professus, et dignitatem illam susciperet, cui 
gerendae tarn pauci idonei aut fidi reperiantur. Coniuratione 
autem illa detecta periculum suum aut reipublicae adeo non 
auxisse, ut machinam hosti adenierit, in qua is victoriae 
spem praecipue collocasset. Quod si coniuratio dubia ma- 
xime fuisset, tarnen e re Aurantii et publica esse, auctori- 
tate et potentia minus valere, qui privatim illi inimici et 
patriae satis amici nunquam fuissent. Huic qui faveant, 
facto hoc maxime laetaturos, qni minus, exemplo territos 
et sociis destitutos minus iam certe ausuros esse. Populum 
quidem ipsum huius participem facti Aurantio in Hispanos 
magis iam addictum monitaque eius postbac libentius audi- 
turum, quae nunquam contempserit sine maximo suo detri- 
mento atque periculo. Nihil illo quod dicatur mobilius et 
inconstantius , id per se verum esse, sed tarnen rem ipsam 
comprobasse populi praecipue opera Hollandiam atque Ze- 
landiam servatam et reliquis Belgis dignitatem pristinam 
restitutam. Reliquos enim ordines , sacrificulos nempe et 
nobiles plaerosque non tarn voluntate sua quam coactos a 
populo rempublicam amplexos esse. Illos metuere, ne sta- 
bilita libertas religionis mutationem et sui ordinis exitium 
una secum trahat; hos tyrannis assuetos et horum bene- 
ficiis demulsos tenuiora reipublicae beneficia contemnere et 
populum sibi in republica administranda socium dari aut 
custodem apponi iniquo animo ferre. Populum esse, qui 
cum et fructibus libertatis potioribus gaudeät et servitutis 
aerumnas atque miserias praecipue sentiat, et contra hanc 
pugnare acrius et illam fortius et constantius defendere 
soleat. Non male igitur Aurantium fecisse, qui ad hunc 
se voluntate etiam sua applicuerit, cum id necessitas iuberet. 
In illius certe potestate loca totius Belgicae munitissima 
quaeque esse. His quasi praesidiis auctum Aurantium, cui 
ante tanto imbecillior restiterit hosti, ei nunc multo magis 
restiturum. Quod si maxime sors illi omnis adversetur et 



Digitized by 



Google 



F. v. Bezold: Wolf gang Zündelin. 171 

fidem populutf cum animo proiiciat, non magis tarnen ac- 
cusandum Aurantium quam si mare navigans necessarioque 
ventis et tempestatibus se committens naufragium faceret. 
Quod si sistere cursum posset et in otii ac tranquillitatis 
portum aliquem confugere, stulte facturum sane, qui tot 
tantisque periculis sponte sua iterum se obiiceret. Sed 
integram rem non esse; eo scilicet pergendum esse, 
quo deus ipsum et respublica vocet. Tanti vero nominis 
viro nihil ad omnem laudis cumulum gloriosius accidere 
posse quam ut rempblicam aut penitus dignitati atque 
splendori pristino restituat aut si fata id non sinant, in 
ipso gloriosissimi operis conatu fortissime succumbat. 
Haec illi de Aurantio. 

Non diffitentur tarnen ob distractos adeo Belgarum 
animos plenam rem periculi esse. Sed ab H. H. parte 
haud minora vel pauciora aiunt se incommoda cernere: 
regis dementia capti, consilii ipsius in partes distracti, His- 
paniae factionibus divulsae, Italiae in spem libertatis erec- 
tae, odii universalis omnium gentium in Hispanos, aerarii 
exhausti, perfidiae vel a sociis vel ab hostibus reconciliatis 
extimescendae. His omnibus accedere, quod qui semel ruere 
coeperit Hispanus, cum fortuna potius quam virtute ulla 
niteretur, adminicula ex se nulla habeat, quibus sustinere 
se et praecipitium evitare possit. Addunt his ne suo qui- 
dem iudicio magni momenti, sed ominosum tarnen, quod 
et alibi et in regno Neapolitano possim quasi ex Sybillarum 
libris decantatur, ante annum 80. Hispanici imperii in 
Italia finem fore. 

Verum haec pluribus quam deceat. 

Res novae paucae. Suetiae legatus *) etsi negat (Tri- 
dentum audio discessisse) se cum pontifice de religione ali- 



1) Vgl. Ranke, Gesch. der Päpste II, 80; über die Werbung des 
Schweden in Venedig Nov. 1577 Roman in, storia di Venezia VI, 418. 
. [1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 12 



Digitized by 



Google 



172 Sitzung der histor. Classe vom 5. Juni 1882. 

quid muneris sui ratione contulisse et adfirmat id tan tum 
se egisse, ut ins, quod in Barrensi ducatu habet regina 
Suetiae, et debitos sibi inde ab Hispano redditus pontifici 
venderet , tarnen fide digni commemorant pontificem in 
magnara spem venisse illius regni in ordinem redigendi 
itaque Joannem Fachinetum in Suetiam mittere statuisse, 
qui Lutberanorum hostis insignis legatus Pii V. apud Ve- 
netos fuit. 

Hispani et Itali in Insubria coacti quid agant, non 
audio; magna pars tyrones esse dicuntur. Optandum esset 
iam nunc in via omnes esse et cum glacie, nivibus et fri- 
goribus ante pugnare quam cum Belgis, ueque enim id 
facerent sine exitio suo. 

Nuper audio equitum praefectos nescio quos Venetiis 
Florentiam abiisse, e quorum comitibus nobilis quidam, cum 
ex compotatione iam ebrius esset, cuidam mihi noto quasi 
secretum fassns dicitur, si Veneti tales adesse volucres 
scirent, non alas modo, sed caput ipsis praecisuros esse; 
Carolo Austriaco et Floren tino in eosdem Venetos con ve- 
nire, id propediem appariturum esse. Quae tametsi nuga- 
menta puto, tarnen vides, ebriosi isti quid non effutiant et 
in quantum se et alios periculum coniiciant. 

De rebus Turcicis nihil hoc tempore. Cometam, qui 
adhuc cernitur, horrendis ventis effectus horrendos etiam 
edidisse et navigia hinc inde vicino mari complura evertisse 
iam scripsi. In his quinque fuisse dicuntur, quae nepos 
pontificis quaestus caussa frumento onusta Sallonam ad 
Turcas mitteret. 

De eodem cometa nihil adhuc editum audio. Sollici- 
tabant Venetiis aliqui, ut sibi edere liceret, et hie mihi 
promi8sum est de eo viri doctissimi iudicium. Cum ha- 
buerim, ad te mittam. Hunc adfirmare aiunt, vix aliquot 
seculis cometam magis portentosum -fuisse. Quidam aiunt 
superioribus diebus intempesta nocte ingentem quasi lucis 



Digitized by 



Google 



F. v. Bezöld: Wolf gang Zündelin. 173 

splendoreni supra turrim D. Marci VeDetiis Visum esse, sed 
de eo fas non esse verba facere. Ego certe de hac re nihil. 

De P.P. fratrum novo dissidio l ) vehementer inflammato 
magno cum dolore audivi indeque deteriora omnia metuo. 
De Mosco non tarn miror quam metuo, ne in paucis deus 
nobis ostendat, quid nobis denique futurum sit, qui ignavia 
et stulticia nostra omne genus teterrimorum hostium 2 ) in 
nos certatim provocamus. Quod omen idem deus clementer 
avertat. Vale; et amicis quaeso S. P. 

P. 12. decembris anno 1577. 

Nox est, relegere aut distinguere non potui". 

Coli. Cam. XXL no. 93. Eigh. 



1583. 19./29. Oktober Rom. 
Römische Zeitung, von Zündelin an Camerarius geschrieben. 

„Pontifex quasi omnem in villa senectutem exuisset, 
ita ad omuem alacritatem et laeticiam renovatus in urbem 
rediit. Nulla autem re magis laetari dicitur quam continu- 
atis hactenus optatissimis de bello Coloniensi nunciis, quo 
se id consecuturum sperat, ut haeretici Germani, qui iam 
nunc labascere videntur, mox animis penitus concidant, ubi 
vestigia adspexerint Truchsessii apostatae et Casimiri san- 
guine ipsorum et exitio insignita. Plane enim sibi polli- 
cetur, nefarios homines tanquam victimas divinitus esse 
destinatos ad celebriorem et illustriorem victoriam efficien- 
dam, quam his caesis sibi de omnibas Germaniae haereticis 
indubitata spe promittit. Eo iam illi autem redacti di- 



1) Der Bruderzwist Kurf. Ludwigs von der Pfalz und Johann 
Casimirs wurde erst zu Anfang des nächsten Jahres beigelegt. 

2) Eine köstliche Schilderung von der Persönlichkeit und Auffüh- 
rung eines russischen Gesandten in Venedig (vgl. Roman in VI, 417) 
gibt Zündelin in dem Brief vom 17. Febr. 1581 (XXI. 186). 

12* 



Digitized by 



Google 



174 Sitzung der histor. Glosse vom 3. Juni 1882. 

cuntur, ut deserti a suis tanta virium suarnm imbecillitate 
diutiu8 stare non possint, cum praesertim hostis potens at- 
que promtus ad omnera ansam in perniciem illorum arripi- 
endam undique ipsos urgeat et ne momentnin quidem tem- 
poris respirare sinat. Interea ab electoribus Lutheranis 
Francofurti, ubi tanquam in nundinis magna est mercium 
omnis generis copiä, remedia quaedam parari aiunt, quibns 
vel mortuos socios suos in vitam revocent. Hae spes 
nostrorum et triumphi sunt, utinam non praematuri et ante 
quod aiunt victoriam! Otnnino enim verendum est, ne au- 
dacter nimium omnes irritando omnem denique septentrionem 
commoveamus, unde mala nobis omnia. Verum hunc ipsum 
metum vanum esse aiunt nee unquam futurum, ut haeretici 
adeo inter se distracti atque divulsi vel ad salutem suam, 
nedum in exitium nostrum consentiant. Sed non est novura, 
ut multi quantumvis acerbissimi inter se hostes in com- 
munis et potentioris bostis perniciem opes suas atque vires 
omnes conferant, et in Germania, etsi optimo animo, ita 
tarnen quaedam vehementer et inconsiderate a nostris ge- 
runtur, ut eos etiam intempestive in nos iueitare videantur, 
qui hactenus quieverunt nee se commovere sine magno 
nostro periculo poterunt. Nonnulla igitur sollicitudine ex- 
speetamus reliqua. Quod si inanis metus noster fuerit, pon- 
tifex in felicitate singulari numerabit, eo tempore praeclaris 
adeo se potitum victoriis, quo nihil est ipso ad omnem in- 
iuriam haereticis opportunius 

Roma, Uli. cal. Novemb. anno MDLXXCIII". 

Coli. Cam. XXI. 249. Eigh. 



Digitized by 



Google 



Philosophisch - philologische Classe. 



Sitzung vom 1. Juli 1882. 



Herr Spengel hielt einen Vortrag: 

„Ueber die Scenen-Eintheilungder la- 
teinischen Komödie". 

Derselbe wird später veröffentlicht werden. 



Historische Classe. 



Sitzung vom 1. Juli 1882. 



Herr Preger hielt einen Vortrag: 

„Ueber die Verträge Ludwigs des Bayern 
mit Friedrich dem Schönen in den 
Jahren 1325 und 1326 u . 

Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht 
werden. 



Digitized by 



Google 



Historische Classe. 



Sitzung vom 1. Juli 1882. 



Herr v. Kluckhohn legte vor: 

„Des Kurfürsten Karl Albrecht von Bayern 
italienische Reise im Jahre 1737, von 
ihm selbst beschrieben". Herausgegeben 
von Edmund Freiherrn v. Oefele, k. Kreis- 
archivsekretär. 

Ueber die italienische Reise Karl Albrechts von Bayern, 
seines ältesten Bruders Ferdinand und der Kurfürstin Amalie 
im Jahre 1737 ist nur Weniges im Hofkalender auf das 
folgende Jahr, in der „Staatsgeschichte des Churhauses 
Bayern" (1743, S. 356 f.), dann in Lipowsky's „Lebens- 
und Regierungsgeschichte" des Ersteren (S. 213 ff.) ver- 
öffentlicht worden. Dass aber der Kurfürst selbst eine Be- 
Schreibung dieser Reise in französischer Sprache verfasst, 
lehrte das Bruchstück einer unbeholfenen deutschen Ueber- 
tragung, welches die k. Hof- und Staatsbibliothek besitzt 
(cod. germ. 5057). Eine Kopie des Originalwerkes fand 
sich unter Papieren des im Jahre 1749 verstorbenen Ka- 
binetssekretäres Johann Askanius von Triva und wurde 
(1762) der Herzogin Maria Anna von Bayern gebracht. 
Deren Sekretär A. F. v. Oefele erkannte, dass diese Ab- 
schrift von einem Fräulein aus dem Gefolge der Kurfürstin, 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 177 

Therese von Gombert *) , herrühre , mit welcher er im 
Jahre 1737 sehr befreundet gewesen, so dass auch eine 
andere, von ihr selbst versuchte Beschreibung jener Reise 
bruchstückweise in seinem Nachlasse vorliegt. 

Wiederholt bezeichnet der Kurfürst als eigentlichen 
Zweck der Reise den Besuch Loretto's. So mochte ein 
Gelöbniss in Mitte liegen, wenn es auch kaum politische 
Gründe hatte, wie Lipowsky meint. Doch künden uns die 
folgenden Blätter mehr von unbefangener Schauenslust als 
von dem Ernste einer Pilgerfahrt. Die Reise begann zu 
München am 22. Mai und ging an diesem Tage über 
das gastfreundliche Benediktbeuern noch bis Mittenwald, 
am nächsten Morgen durch die Scharnitz, über Seefeld, 
Innsbruck, Schönberg nach Sterzing (23. Mai), dann 
über Brixen, Botzen nach Trient (24.), nach Roveredo 
(25.), Verona (26.), über Vicenza nach Padua(27.) von 
dort auf der Brenta nach Venedig (28.). Dieses wurde 
am 11. Juni verlassen und noch einmal Padua besucht, 
am 14. über Ferrara Bologna, am 15. über Cesena Pe- 
saro, am 16. über Sinigaglia endlich Loretto erreicht. 
Der Heimweg führte über Fano und Rimini (18.), Faenza 
und Imola zunächst nach Bologna (19.), von da weg 
aber in grösserer Eile über Buonporto, Concordia, Mantna, 
froverbello (24.), Ala, Trient (25.), Botzen, Steinach, 
Seefeld, Benediktbeuern wieder nach München (27. Juni). 
Mehrtägige Aufenthalte wurden also nur in Padua, Vene- 
dig, Loretto und Bologna genommen. Der längste und 
interessanteste war jener zu Venedig. Gerade hier mochte 



1) Geboren am 15. Oktober 1702 zu München, wurde sie im 
Jahre 1725 als Kammerdienerin der Kurprinzessin angestellt, heirathete 
später den Hofrath Anton Maria von Pellet und starb am 16. No- 
vember 1745. Ihr Vater (t 1725) war Andreas Ferrier du Chäteau 
Gombert, aus einer Marseil ler Familie, Chirurg der belgischen Armeen 
Max Emmanuels. 



Digitized by 



Google 



178 Sitzung der histor. Glasse vom 1. Juli 1882. 

das Inkognito der „Grafen und Gräfin von Cham u die er- 
quicklichsten Folgen für die Reisenden haben ; aber freilich 
fehlt aus dem nämlichen Grunde fast jede lokalgeschicht- 
liche Tradition. Mussten Ehrenbezeigungen unterbleiben, 
so schweigen die officiellen Akten, aus denen der Archiv- 
vicedirektor Toderini die „Ceremoniali e feste in occasione 
di venute e passaggi negli stati della repubblica Veneta di 
duchi e principi della casa di Baviera dall' anno 1390 a 
1783" zusammenstellte (cod. ital. 510 der k. Hof- und 
Staatsbibliothek) gänzlich von diesem Aufenthalte. Zu den 
schönsten Reiseerinnerungen zählte dennoch wohl das Fest 
am Himmelfahrtstage, die Vermählung des Dogen mit dem 
Meer, dann der Besuch des Arsenales unter der Führung 
Schulenburgs. Kirchen und Klöster und ihre Schätze bilden 
zumeist die ersten Gegenstände der Aufmerksamkeit. Dann 
kommen Theater und Musik, auch Wissenschaftliches an 
die Reihe. In Loretto überwältigt das Wunderbare, das 
mit gläubigem Sinne verehrt wird; in Venedig und Bo- 
logna schlägt der heitere Lebensgenuss vor. Aus der Zeit 
einer Jugendreise leben noch manche Persönlichkeiten, denen 
der Fürst nun wieder freundlich begegnet. Die Schön- 
heiten der Natur entzücken ihn stets aufs Neue. So geht 
durch die Reisebeschreibung, die einfach und ungekünstelt 
in schlichtem Tagebuchtone sich hält, ein liebenswürdiger, 
herzlicher Zug. Hie und da eine Aeusserung treffenden 
aber stachellosen Witzes. Es mag die letzte Reise gewesen 
sein, die Karl Albrecht frohen Gemüthes unternahm — ehe 
er von politischem Ehrgeize völlig geblendet dem Kaiser- 
verhängnisse zueilte! Wer könnte da ohne Bewegung jene 
Gedanken lesen, die ihm zuletzt das Schlachtfeld an der 
Secchia aufdrängt? Es klingt, als spräche er fünf Jahre 
später ! 

In dem folgenden Abdrucke ist der Text nur von den 
störenden Fehlern gereinigt, welche theils der Verfasser 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kurf. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 179 

tfaeils die Abschreiberin gegen die damals gültigen Regeln 
der. Grammatik und Orthographie begingen. Majuskel, Ac- 
cent und Interpunktion wurden nach heutigem Brauche 
gesetzt. 

Journal de mon voyage d' Italie de P annee 1737. 

Le 22 may avant les 7 heures du niatin je suis parti 
de Munic en compagnie de madame Telectrice et du duc 
Ferdinand sous le nom de comtes et comtesse de Camb. Les 
deux dames de la clef, mademoiselle de Star#hausen et 
mademoiselle de Fraunhofen, mon grand-ecuyer le comte de 
Preising, le capitaine des gardes le comte de Fugger, le 
baron de Mairhoffen, qui a pris le devant, et le comte de 
Seiblstorff pour servir le duc Ferdinand, toute la suitte 
consistoit en tout en 54 personnes et 66 chevaux, partagee 
en trois classes. 

C'est vers midi que je suis arrive ä Benedictbeirn, oü 
j'ai admire la magnificence du nouveau bätiment et surtout 
le> bon goüt du prelat, dont il a pris soin de faire meubler 
et accommoder chaque charabre d'un goüt different. Ce qui 
m'y a plu le plus, c'estoient les stucques, qui ont ete mis 
en couleur selon les meubles de chaque chambre. Apres 
diner, oü nous bümes des vins esquis du prelat, nous fümes 
ä l'^glise prendre la benediction et toucher la tete de Ste. 
Anastase, grande patrone contre les maux de tete. 

Nous en partimes vers les trois heures et arrivämes 
avant les 7 ä Miterwdld, oü madame la comtesse de Spaur 
et madame la comtesse de Sarentin 2 ) se sont rendues tout 



2) Wie Fräulein v. Gombert in ihrem Reiseberichte angibt, war 
Erstere eine geborne Gräfin von Königseck und Enkelin der verstor- 
benen bayerischen Obersthormeisterin Gräfin von Preuner; die Zweite 
hingegen eine Tochter des Obersthofmeisters der Kurfürstin, Freiherrn 
v. Closen. 



Digitized by 



Google 



180 Sitzung der histor. Classe vom 1. JiUi 1882. 

expres pour nous temoigner leur attention, laquelle ä la 
verite ne pouvoit qae nous faire plaisir. Elles nous mar- 
querent en meme tems l'empressement, que tonte la noblesse 
d'Insprugg avoit de nous faire leur cour. Nous nous en 
remerciämes, ne pouvant nous arreter plus qu'il nous falloit 
pour changer de chevaux. Le commandant de la Schämte 
se presenta de meme et offrit nous rendre tous les hon- 
neurs düs ä notre rang. Je lui repondis de meme, que, 
vojageant sous les noms de comtes et comtesse de Camb, 
nous ne pouvions recevoir des pareilles demonstrations publi- 
ques, qui derogeroient ä notre incognito. Le prelat d'Etal 
nous invita aussi de faire un petit tour ä son couvent, mais 
comme je n'etois pas intentione de m'arreter en chemin, 
je Ten remerciai et attendis sa messe. 

Le lendemain, jeudi le 23, oü nous partimes de Mitter- 
wald ä 6 heures et un quart, en passant ä la Schämte nous 
fumes re9us comme je l'avois souhaitte. II n'a pas fait tirer 
le canon, mais malgre tout cela il n'a pu s'empecher de 
faire sortir sa petite garnison, de la faire raettre öous les 
armes et de me saluer ä leur tete. «Tay observe en passaüt, 
que cet important passage se trouve beaucoup plus fortifie, 
qu'il ne Tetoit auparavant. II est en bon etat de defense, 
et les ouvrages avec les tourelles, qui se trouvent dans le 
roc, sont d'augmentation, le cöte gauche, oü il n'y a point 
d'ouvrage, se trouvant tout ä fait escarpe. Ce poste coüteroit 
bien eher ä qui voudroit Temporter, ä moins qu'ou pourroit 
se rendre maltre de la hauteur ä droite. Alors on pourroit 
former deux attaques, leur tomber dans les flancs et en 
meme tems de front. De cette facon le passage ne seroit 
pas si dtifficile ä empörter. 

Nous arrivämes ä 9 heures et demi ä Insprugg. Le 
comte de Taxis, maitre des postes, nous y recut fort poli- 
ment, me marquant en meme tems, que, passant aussi vite 
et tout ä fait incognito, le conseil d'etat, c'est a dire le 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Eeise. 181 

gouvemement, se trouvoit bien mortifie, qu'on ne leur lais- 
sät pas seulement le tems de s'assembler pour nous rendre 
ses devoirs. 11 nous offrit en meme tems de monter dans 
sa maison. Je m'excusois toujours sur l'incognito et le 
reinerciai de ses offres obligeants. Sa femme et niademoiselle 
de Königl vinrent ensuitte nous faire leurs compliniens, apres 
quoi nous avons continue notre voyage jusqu'ä Schönberg, 
oü nous dinämes. 

II est encore ä remarquer, qu'ä une poste avant Ins- 
prugg, nommee Seefeld) nous nous arretämes pour admirer 
les vestiges d'un tres grand miracle, qui se fit dans la per- 
sonne d'un nomine Miller, lequel, voulant estre comraunie 
d'une grande hostie comme les pretres et tout debout, ses 
armes ä cöte, fat tellement puni de sa demande trop arro- 
gante, qu'il enfon9a dans le marbre de Tautel avec la main 
droite ; tous les doigts y resterent marques, de meme que 
les fieds dans la terre, ce qu'on voit encore tres distincte- 
ment. On y montre aussi la sainte hostie, qui n'est pas 
encore corrompue, et ä laquelle on remarque un peu de 
sang. Sa femme, ne voulant point ajouter foy ä ce grand 
miracle, doit avoir dit, que plutöt un sureau porteroit des 
roses, qu'on lui persuaderoit la verite de cet evenement; et 
aussitöt trois roses parurent sur le sureau. La femme, toute 
epouvantee, prit la fuite vers le bois et les montagoes pro- 
chaines et ne fut jamais plus retrouvee. 3 ) 

On nous fit aussi voir avant notre arrivee A'Insprugg 
l'endroit au haut d'un rocher, marque d'un crucifix, oü 
Maximilien premier s'&oit egare sans esperance d'en pou- 
voir descendre, et l'on dit, que c'est un ange qui lui a 
montre le chemin et reconduit jusqu'au bas de la montagne. 



3) Ueber die Wundergeschichte, welche sich am Gründonnerstage 
1384 mit Oswald Milser (nicht Miller), Leheninhaber der Feste Schloss- 
berg, begeben haben soll, ist Staffier, Tirol und Vorarlberg Th. II, 
Bd. I, S. 390 f. zu vergleichen. 



Digitized by 



Google 



182 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

Apres avoir dine ä Schönberg nous passämes heureuse- 
ment le Prener et arrivämes par un tres maavais tems ä 
6 heures ä Ster#ingen. 

Vendredi le 24 nous nous levämes de grand matin 
dans l'intention de partir de bonne heure, raais un acci- 
dent bien fächeux nous en empecha. Le duc Ferdinand 
ayant ete attaque la nuit par des maux de gravelle, il a 
fallu, qu'il y demeure. J'ai laisse avec lui mon Chirurgien 
Joachim avec ordre de rassister et d'en prendre tous les 
soins imaginables, qu'aussitöt qu'il sera mieux de nie suivre 
et de m'en apporter lui meme la bonne nouvelle. Une 
estafette de Munic m'öta aussi quelque tems. Enfin apres 
avoir entendu la messe nous partim es ä 7 heures. 

Etant arrivez ä Brixen, je m'iuformois sur le champ, 
s'il n'y avoit point d'habile medecin pour Tenvoyer ä mon 
frere et faire relever Joachim, en cas qu'il souffroit encore. 
J'appris, que celui de Teveque etoit un des plus renommes, 
ainsi j'ay donne ordre, qu'il parte incessamment. 

En continuant ma route jusqu'ä Bolsan, oü nous di- 
nämes, apres diner je me remis d'abord en chemin. Le 
general comte de Wolkenstein, commandant de Roverede, 
fut ä notre rencontre jusqu'ä une poste hors de Trente, 
nommee Welschmichel. II nous complimenta avec autant 
de politesse que de soumission et nous t^moigna beaucoup 
d'attention pendant le voyage. La pluie continuelle ayant 
inonde le chemin ordinaire, il nous fallut passer une mon- 
tagne assez dangereuse. Le dit general prit la precaution 
de nous faire accompagner de deux de ses coureurs, autant 
que ce passage a dure. Nous arrivämes donc fort heureuse- 
ment ä Trente apres les 10 heures. Le general fut aussi 
celui , qui nous offrit sa inaison , que nous n'avons point 
acceptee par rapport au rigoureux incognito. 

Le lendemain, samedi le 25, nous nous reposämes le 



Digitized by 



Google 



t?. Oefele: Des Kurf. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 183 

matin et passämes notre tems ä visiter les eglises. L'eve- 
que nie fit complimentqr par son frere le comte de Thun 
et m'offrit sa residence, equipages et le present ordinaire. 
Je Ten remerciai et lui ay envoye en revanche mon capi- 
taine des gardes le comte de Fugger. L'eglise des jesuites 
fut la premiere, oü nous nous rendimes. Elle est toute 
nouvellement bätie, tres belle et fort riche en raarbre. Pas- 
sant par le College, l'eveque s'y presenta et nous fit ses 
compliments, que nous lui rendimes. II nous accompagna 
jusqu'au carosse, qui etoit de louage, oü nous nous mimes 
pele-raele et sommes alles voir Santa Maria Maggiore, 
tant renommee par le concile de Trente, qui y 6toit tenu, 
que par l'orgue magnifique, qui joue toute sorte d'instru- 
roents et contrefait parfaitement les chants des oiseaux. 
II est d'une structure ä admirer, et nous eümes bien du 
plaisir ä Tentendre jouer. De lä nous allämes ä une autre 
eglise, nommee St. Virgile, qui est le dorne, oü on nous 
montra un crucifix, qu'on ne scait de quelle matiere il est 
construit. Ce meme crucifix doit avoir confirme par un 
mouvement de tete le celebre concile de Trente, qui a ete 
mis ä la conclusion dans cette chapelle. L'enfant de Trente, 
qu'on nous fit voir apres dans Teglise de St. Simoncin, ne 
fut pas la moindre de nos admirations. Le corps de ce 
saint martyr, quoyque tout noir, n'est pas encore con- 
somme, il est si bien conserve, qu'on en voit toutes les 
parties jusqu'aux ongles des mains et pieds, excepte un pe- 
tit morceau du petit doigt, qui fut accorde et donne ä la 
reine de Portugal. Ce furent les juifs, qui ont martyrise 
ce saint enfant ä coups d'epingles, de pincettes et couteaux, 
dont ils Tont aussi circoncis par force. Toutes ces instru- 
ments s'y trouvent conserves, de meme que le sang, qu'on 
nous montra dans un verre. II garde encore sa couleur, 
laquelle ä ce qu'on dit devient plus vive toutes les fois, 
qu'on le porte dans la chambre , oü cet enfant a ete mar- 



Digitized by 



Google 



184 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

tyrise, ce qui arrive tous les ans le jcmr d'une procession, 
oü on l'y porte expres. 

Nous dinämes ensuite en compagnie du comte et com- 
tesse de Wölkenstein et partimes d'abord apres le diner 
pour Roverede, oü nous arrivämes ä 6 heures du soir. Le 
comte de Wolkenstein nous accompagna pendant tont le 
chemin. Nous y fümes refus au bruit du canon, tambour 
battant et la garnison en haie sous les armes. Le colonel 
Ginterot*) se rendit d'abord chez nous, envers lequel aussi 
bien qu'envers le comte de Wolkenstein je fis protester par 
rapport ä ces demonstrations pnbliques. Apres quoy je nie 
suis retire de bonne heure, comptant me lever le lendemain 
de grand matin. 

Dimanche le 26 je partis ä 5 heures de Roverede. 
Nous passämes des chemins affreux et eümes le malheur 
de rencontrer des chevaux, qui n'estoient pas accoutumes 
de courir la poste, et un postillon tres maladroit, de sorte 
que nous conrümes grand risque d'estre jettes dans l'Adige, 
une des roues etant dejä hors du chemin et en Fair pour 
faire tomber la chaise en bas du precipice, ce qui seroit 
aussi arrive infailliblement, si un horame secourable soute- 
nant tout le poids de la chaise sur lui et sauvant par un 
dernier effort sa vie avec la nötre ne l'eüt empeche. Ce 
qui nous obligea de faire le reste de la poste ä pieds, c'est 
ä dire quasi jusqu'ä Volargna. On nous fit observer en 
chemin faisant, jusqu'oü Tarmee fran^ise etoit avancee 
dans cette dernierö guerre, aussi bien que le camp, que 
les imperiaux prirent apres leur retraitte dans le Tirol. 5 ) 



4) Oberst Baron von Güntlierode ward im Mai 1746 als Kom- 
mandant von Forte Fuentes (im Mailändischen unweit des Einflusses 
der Adda in den Komersee) in Ruhestand versetzt und starb um 1755 
(Nachricht aus dem k. k. Kriegsarchive zu Wien, gütigst vermittelt 
durch Herrn Oberstlieutenant Erhard dahier). 

5) Im polnischen Thronfolgekrieg, Juni und September 1735 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern itat. Heise. 185 

Ainsi donc aprös avoir passe la Chiusa et tous les passages 
les plus dangereux nous partimes heureusement de Völargna, 
d'oü nous avons decouvert pour la premiere fois la char- 
mante Italic Les rochers et niontagnes commencerent ä dis- 
paroitre et paroissoient se metamorphoser en petites collines. 
Nous respirämes un air doux et agreable, et l'oeil, nous por- 
tant plus loin, fit admirer peu ä peu une plaine ä perte de 
veue. Nous observämes avec plaisir les charaps remplis de 
grains et entremel£s d'arbres a fruit, les vignes, qui sem- 
blent attacher un arbre ä l'autre, y forment les plus belies 
guirlandes du monde, les allees s'y trouvent naturellement 
plantees, et voilä, comme la Lombardie se presente bien 
avantageusement, apres les montagnes affreuses du Tirol 
on croit entrer dans un nouveau paradis terrestre, et ce 
pais merite a la v^rite le nom du jardin de l'univers. 

Poursuivant ainsi bien agreablement notre route, nous 
arrivämes vers lea deux heures et demi ä Verone, tout 
seuls et sans une äme de notre suitte. Le comte et la 
comtesse d'Arco, le comte Emilio^ comte Rambaldi, Marini 
et surtout le marquis de Sacramosa eurent d'abord Tatten- 
tion de se rendre ä notre auberge. Ce dernier nous offrit 
ses equipages, qne nous acceptämes et dont nous fumes 
servis tout le tems de notre sejour de Verone. Apres 
Tarrivee de la plupart de notre suitte nous avons ete en 
carosse (oü pour mieux marquer Tincognito nous primes 
les dernieres places) voir la foire nouvellement construite 
de Tinvention du comte Scipion Maffei, tres connu dans le 
monde tant par sa poesie, oü il excelle, qne par le talent, 
qu'il a pour toutes les curiosites, et la grande connoissance 
des antiquites. Ce bätiment est construit en forme d'e- 
toile; le milieu reste vide et forme une espece de petite 



(Schels, die Feldzüge der Oestreicher in Oberitalien 1733-1735 in der 
Oestreichischen militärischen Zeitschrift, Jahrg. 1824, Bd. IV, S. 95 f. 213). 



Digitized by 



Google 



186 Sitzung der histor. Glosse vom 1. Juli 1882. 

cour, d'oü on decouvre toutes les boutiques ä la fois. Au 
bout, ou pour mieux dire eil face, se presente un bätiment 
distingue, les autres forment des rues ou des vraies allees 
de murailles, remplies de tres belles marchandises dans le 
tems de la foire. Ce bätiment donc, qui fait le couronne- 
ment du tout, est l'endroit, ou on juge tous les differents, 
qui peuvent se presenter parmis les marchands. Toute la 
noblesse se promene en masque dans ces allees d'or, argent 
et de soie dans le tems de la foire, ce qui forme un spec- 
tacle magnifique ä ce qu'on dit et que je puis m'imaginer, 
etant venu quelques jours trop tard pour en estre moi- 
meme le temoin oculaire. 6 ) 

De lä nous nous rendimes ä la celebre arena, bätie 
par Tempereur Neron, endroit, oü il faisoit anciennement 
les jeux et les fetes des Romains, oü les gladiateurs firent 
voir leurs adresses de tems en tems, les chretiens et autres 
servirent de spectacles aux payens et furent dechires par 
les betes sauvages. Je me ressouvins aussi, que Tannee 
1716 cette noblesse donna une fete magnifique nommee 
giostra, c'est ä dire un carroussel. Alors tout cet amphi- 
tbeätre etoit rempli du monde, ce qui fit un tres bei eifet, 
et ce fut une des plus belies fetes, qu'on me donna en 
Italic 7 ) Ce qui est de plus remarquable dans cet ancien 



6) Dieses Gebäude, La Fiera genannt, wurde seit 1718 auf dem 
Campo Marzio errichtet. Im Jahre 1821 war es durch wiederholte Be- 
nützung für militärische Zwecke grösstenteils ruinirt (Maffei's Verona 
illustrata III, 92 ss., wo ein Plan, und Persico, Descrizione di Verona 
II, 20). 

7) Am 30. Januar 1717 (nicht 1716). Ueber die italienische Reise 
des damaligen Kurprinzen Karl Albrecht von Bayern als „Grafen von 
Trausnitz" vom 3. Dezember 1716 bis 24. August 1717 ist eine Be- 
schreibung, vermuthlich aus der Feder des Kabinetssekretäres Ferdinand 
Ehrenfried von Scholberg, im k. geh. Hausarchive vorhanden (Rockinger, 
Ueber ältere Arbeiten zur bayerischen und pfälzischen Geschichte im 
geheimen Haus- und Staatsarchive, I. Abtheilung, in den Abhandlungen 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 187 

bätiment, est, que tout s'y trouve tres bien conserve, et 
que meme on y voit encore une partie du couronnement 
d'en baut, ce qui est dejas tombe en ruine au Cdliseo de 
Rome. 

Etant retournes ä notre auberge, nous y soupämes en 
compagnie de plusieurs cavaliers et dames. De lä nous nous 
masquämes pour aller ä l 1 opera, qui reussit assez bien. Un 
certain jeune homme, nomme Loreniso Girardi, fut celui, qui 
se distingua le inieux, le reste de la troupe etoit mediocre. 
La composition de la musique est de Vivaldi, le livre avoit 
le nom de Caton, compose ancienneraent par le fameux poete 
Metastasio. Le tout ensemble ne laissa pas que de plaire. 
Mais plus que toute chose la belle structure de ce theätre, 
qui est un des plus grands d'Italie, oü toutes les loges se 
trouvent avancees de fa$on, que de partout on decouvre tout 
le theätre et entend les voix ä merveille. Les dames y 
estoient en grand nombre, toutes tres bien raises et parees, 
dans l'intention de faire leur cour ä la comtesse de Camb, 
mais elles .en furent detournees par madanie d 1 Arco, laquelle, 
eroyant, qu'elles nous seroient trop incommodeff, le leur 
deconseilla. Je fus cependant rendre Visite dans sa löge ä 
la comtesse Pedemonti, une dame de mon ancienne connois- 
sance. Au retour de Topera on s'empressa d'aller au lit 
pour se mettre le lendemain de bonne heure en train, et 
cela par raison, que le secretaire Triva nous a avertis par 
estafette, que des inondations terribles avoient rendu les 
chemins ä Padoue presque irapraticables, et qu'il y avoit 
grand danger ä les passer, surtout si on y venoit de nuit, 
eux ayant ete obliges de se servir des bateaux. 

Lundi le 27 nous partimes de Verone ä 6 heures du 



der k. bayer. Akademie der Wissenschaften III. Classe, XIV. Bd., 
III. Abtb., 1879, S. 57—58). Einen Auszug hieraus gab Söltl im 
Abendblatte zur Neuen Münchener Zeitung 1857, Nr. 127, S. 506—507 
und Nr. 128, S. 509-510. 

[1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 13 



Digitized by 



Google 



188 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

matin et arrivämes d'abord apres les 11 heures ä Vicence. 
Le corate de Porto, qui autrefois m'avoit donne une fort 
belle fete dans sa maison, fut d'abord me faire sa cour, la 
comtesse Tiene de meme que sa fille, ses fils et le jeune 
comte Porto, Nous les gardäraes ä diner dans notre auberge, 
et cette dame de mon ancienne connoissance fit tout son 
possible pour nous persuader de sejourner dans cette ville, 
oü il y avoit la foire et les masques. 

Effectivement quasi toutes les dames vinrent en masque 
nous voir diner. Notre route etant dejä reglee, je n'ai pas 
pu m'arreter, de sorte que je partis d'abord apres diner et 
arrivai ä Padoue avant les 6 heures. Nous firaes tout ce 
chemin, qu'on nous a depeint si dangereux et si long, en 
neuf heures de tems et avec la plus grande commodite du 
mon de. 

A peine arrivai-je ä Padoue, notre premier soin etoit 
de ne point perdre de tems. Ainsi nous l'employänies d'a- 
bord pour aller voir l'eglise de Ste. Justine. II faut avouer, 
que nous fümes veritablement frappes ä la vue de cette belle 
eglise. II. y a douze chapelles de differents maitres, Pune 
plus belle que Tautre. Celles, qui fönt le vis-ä-vis, sont ä 
peu pres du meme dessein, les autels y brillent en marbre, 
pieces rapportees et basreliefs. Les pieces rapportees s'y 
trouvent dans le goüt de la chapelle de Florence, c'est a 
dire toutes pierres precieuses, le pave de chaque chapelle 
du plus beau marbre du monde et tout d'un dessin different. 
Celui de toute l'eglise est uni comme la inain, ce qui est 
admirable. Toutes les peintures y sont toutea. des meilleurs 
maitres. Ce qui m'a etonne le plus dans cette magnifique 
eglise, fut la sculpture du choeur, qui surpasse veritable- 
ment toute imagination, tant par sa finesse que par ses 
proportions et de la fa§on , comme cela est travaille dans 
le bois, celui de noiselier etant la matiere, qu'un maitre 
fran9ois, certainement des plus habiles, qu'il n'y a jamais 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Älbrecht von Bayern itäl. Heise. 189 

eu dans le monde, a choisi pour en faire un ouvrage aussi 
parfait. On nous fit aussi voir une Vierge miraculeuse et 
une voüte sous terre, laquelle ä ce qu'on dit a servi de re- 
traite aux anciens chretiens. On pouvoit ä peine se lasser 
de voir cette belle eglise, mais enfin, comme le jour avan- 
90U vers son declin, il a fallu passer outre, et nous fümes 
voir le jardin du noble Papafava. Ce jardin tres riche en 
arbres, legumes et fleurs n'a point d'autre defaut que ce- 
luy d'estre regarde comme un beau corps sans äme, puis- 
qu'il se trouve sans eau, qu'on compte pour Tarne des 
jardins. Dans tout le reste il raerite d'estre vu. Tous ses 
espaliers sont en tres bon etat, les arbres parfaitement Pla- 
gues, une quantite d'oranges et de cedrats, beaucoup d'arbres 
ä fruit de toutes sortes. Ce que j'y ai regarde le plus 
digne d'admiration, est une espece de treillage, formee par 
les arbres meines, des vignes et de noiseliers, qui represen- 
terent tout un palais avec sa cour, corridor et double ap- 
partenient. On y jouit de Thombre pendant toute la jour- 
nee, de sorte que cet appartement seroit tres habitable 
pendant les grandes chaleurs, tandis que les pluies se trou- 
veroient egalement bannis . de ce jardin , que le sont les 
eaux vives. Le labyrinthe y est aussi fort amüsant; je 
m'y divertis voyant, que Telectrice meme y avoit perdu le 
chemin et la plupart de ma suitte. En attendant il com- 
mei^a ä faire sombre, et nous n'eümes plus le tems d'aller 
voir St. Antoine, ayant ete obliges de remettre cette sainte 
visite au lendernain. 

Mardi le 28 Telectrice s'en alla de grand matin faire 
ses devotions ä Teglise de St. Antoine. J'y suis arrive ä 
la nioitie de la preraiere messe, et nous y entendimes une 
seconde ensemble. De lä on nous mena dans la sacristie 
et y voir une quantite de reliques, dont la plus essentielle 
etoit la langue de St. Antoine. Apres la devotion nous 
nous en retournämes au logis et fimes des emplettes con- 

13» 



Digitized by 



Google 



190 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

sistantes en chapelets et medailles, qui ont touche les saintes 
reliques. 

Apres diner nous nous embarquämes avec toute notre 
stritte, bien Contents d'avoir troque de voiture, celle du 
bateau nous ayant par sa douceur dedommage de la rudesse 
des chaises de poste. Mais ce ne fut pas la voiture toute 
seule, qui nous rendit ce chemin agreable, la Brenta^ nous 
presentant tant d'objects divers, nous fit voir des environs 
enchantes et flotter dans une route de delices. Les magni- 
fiques palais, qu'on y deconvre pour ainsi dire ä cbaque 
moment, meritent toute l'attention. Leur diyersite occupe, 
leur beaute a Heu de cbarmer et la niagnificence merite ad- 
miration. Ce sont la plupart des maisons de cainpagne de 
nobles Venitiens, entourees de murs et avec de tres beaux 
jardins. Celui du doge, tout nouvellement bäti, a paru sou- 
tenir son rang, Tayant juge le plus beau de tous. C'est de 
cette fa^on que nous nous somnies heureusement avauces 
jusque vers les lagunes, oü on s'est rais en burcello. 9 ) 
C'est la, oü il falloit voir les admirations de toute la 
suitte en decouvrant une cite en mer. Les uns firent des 
acclamations ridicules, croiant se separer ä jamais de la 
terre ferme; les uns saus parier resterent la bouche ouverte; 
Tune, voyant les vaisseaux dans le port, croyant voir un 
foret, part)issoit s'etonner, qu'il croissoit des arbres sur la 
mer. Enfin tous egalement furent saisis de plaisir et d'ad- 
miration. Une petite peur n'a pas laisse que de s'en meler, 
surtout lorsque vers les 24 heures 9 j nous arrivämes au 



8) So hat die Abschrift immer statt des reinitalienischen bur- 
chiello. 

9) Der Unterschied der italienischen und deutschen Uhr ist u. A. 
von Göthe in der „Italiänischen Reise" erörtert. Hienach zählte man 
in Italien gemeiniglich noch immer 24 Tagesstunden ohne Zerlegung 
in zweimal zwölf, während das Zifferblatt und die Glocke nur 1 bis 12 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 191 

canal et que nous fümes empeches (Ten considerer la beaut£ 
par un orage terrible accompagne de beaucoup de pluie, 
qui survint. Le burcello, qui suivoit de loing, en essuia 
le plus, ceux de la stritte, qui y sont restes, n'en ont pas 
moins souffert. Ils ont ete obliges d'aborder ä Tisle de 
S. Giorgio et n'arriverent que deux heures apres nous, qui 
raimes pied ä terre chez un traitteur nomine Bon Cousin. 10 ) 
II faisoit nuit, ainsi il n'y avoit plus rien ä faire. C'est 
pour lors qu'on fut occupe de s'arranger le mieux qu'on 
put et de chercher du repos. 

Mercredi le 29. C'estoit le chercher envain, car le 
bruit du grand canal ne scauroit en laisser jouir ä ceux, 
qui n'y sout pas accoutumes. En s'eveillant ä la pointe 
du jour on paroissoit entendre en reve les cris des gondo- 
liers et un bruit sourd, qu'on ne comprenoit point. Celui des 
carosses en etoit banni, mais la gondole, tonte douce qu'elle 
est, n'en fait pas moins, puisque les charmants conducteurs 
ont toute la journee quelques exclamations sur la bouche, 



anzeigten. Aber die Stundenzählung begann nicht wie bei uns mit der 
astronomischen Mitternacht, sondern mit dem Nachteinbruche, welcher 
(nach Göthe) zu Verona in den verschiedenen Jahreszeiten von Abends 
5 Uhr bis Abends 9 Uhr unseres Zeigers fortschreitet, so dass es dort 
vom 15. Mai bis letzten Juli um 9 Uhr Abends Nacht wird. 

10) So hat deutlich unsere Abschrift. Aber wie Herr Bibliothekar 
Dr. G. M. Thomas dahier aus höchst dankenswerther Gefälligkeit in 
Venedig erfrag, ist in dem auf der Marciana daselbst befindlichen Tage- 
buche eines Antonius Benigna von 1714—1760 die Ankunft der hohen 
Reisenden zu Venedig am 28. Mai 1737 mit dem Beifügen aufgezeichnet: 
Sono ßtati alloggiati da Monsü Danrij a S. Gio. Grisostomo. Ueber die 
Person dieses Monsü d. i. Monsieur Danrij ist nichts Weiteres aufzu- 
finden, sein Haus bei San Giovanni Grisostomo aber existirt noch und 
hat die Aussicht auf den Canal grande. Wenn nun nicht etwa der 
Kurfürst den Namen seines Wirthes missverstund, oder die Kopistin 
ihre Vorlage unrichtig las, so übrigt nur die Vermuthung, dass „Bon 
Cousin " den Namen des Gasthauses wiedergibt. 



Digitized by 



Google 



192 Sitzung der histor. Glosse vom 1. Juli 1882. 

accompagnees d'injures toutes* des plus sales. Voilä ce 
qu'on y entend toute la journee. 11 semble, que c'est une 
querelle continuelle dans les tems qu'il ne s'agit que de se 
bien entendre, pour que les gondoles en se rencontrant ne 
hurtent une contre l'autre. Aussi y reussirent-ils si bien, 
qu'il en provient le proverbe italien connu par tout le 
monde: A Venezia le bar che si schivano come huomini, e 
gli huomini si urtano come bestie. Ce proverbe dit bien 
yrai. Comme on rencontre nne foule de monde dans toutes 
les rues et que les Venitiens sont accoutumes de marcher 
tres vite, on hurte ä tout moment Tun contre l'autre. 
L'etranger, qui n'est pas accoutume se retourner sur le 
champ, est bien souvent reconnu par lä et sert quelquefois 
de risee aux gens du pais. 

En ouvrant les yeux chaqu'un s'empressa de mettre la 
tete ä la fenetre. Le grand canal s'y presenta avec tous 
ses charmes, la confusion en apparence du monde et des 
barques ne fut pas le moindre sujet de nos etonnements. 
Tant d'objects differents, qui se presenterent ä la fois, parois- 
soient nous attacher ä la fenetre, de fa9on qu'on n'auroit 
pas songe ä la quitter, si on ne se trouvoit averti, qu'en 
voyageant il faut profiter de chaqu 1 instant, et que la ma- 
tinee, destinee ä la devotion, devoit se passer ä entendre la 
messe en quelque eglise. 

Dans cet intervalle le nonce du pape, Tambassadeur 
de Tempereur et celui de France nous firent complimenter 
et nous demanderent la permission de nous faire leur cour. 
Pour eviter toute ceremonie je m'excusai sur notre rigoureux 
incognito, lequel ne me permettoit point de recevoir des 
visites, que je me ferois malgre cela bien du plaisir de les ren- 
contrer partout, oü Toccasion s'en presenteroit. Les nobles 
Pisani, freres et neveux du doge, furent ä la riva de notre 
maison et temoignerent le meme empressement. (Test avec 
mon vrai d^plaisir que je me vis oblige de leur faire la 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Älbrecht von Bayern ital. Heise. 193 

meme reponse, pnisque c'est une famille, dont j'ay re9U 
bien des honnetetes en tous mes voyages, et que par cette 
raison j'avois veritablement pris en amitie sartout un de 
leurs freres, qui est raort du depuis, nomme Almero Pi- 
saniy et sa femrae la donna Isabella, laquelle vouloit de 
meme faire sa cour ä la comtesse de Camb et ne pouvoit 
estre re^ue par la meme raison. 

Nous allämes douc ä l'eglise de Ste. Therese, qui est 
un petit bijou tres riche en marbre. 

D'abord apres diner les masques ont commence. Nous 
nous rendimes ä la place et ensuite ä la foire. Tout y 
estoit rempli, de fa<jon meme qu'on avoit de la peine ä se 
retrouver. La signora Isabella souhaitoit me parier dans 
une boutique ä la foire. Je m'y rendis, et comrae eile 
souhaitoit de faire aussi sa reverence ä la comtesse de 
Camb, laquelle parmis cette grande foule n'etoit pas facile 
ä trouver, je pris sur moi de la chercher, et apres Tavoir 
rencontree je Ty conduisis avec moi. Cette dame aussi 
bien que les nobles Pisani, ses beaux-freres et oncles, firent 
beaucoup de contestations, tant de la part du doge que de 
leurs propres et de toute la maison de Pisani. Nous les 
re9umes avec beaucoup de reconnoissance et de plaisir et 
nous sommes quittes jusqu'au revoir ä Topera. 

C'est oü nous nous rendimes apres la promenade de la 
foire. Ce grand tbeätre estoit rempli de monde, qui s'at- 
tendoit sans doute a un plus beau spectacle de celui, qu'on 
y a trouve\ Venise, d'ailleurs tres renommee par les belles 
voix et la magnificence , qui brille . ordinairement en tous 
ses operas, s'est d^mentie pour cette fois, Topera intitre 11 ) 
La Giritta etant tres mediocre, depourvu de bonnes voix 
et sans aucun spectacle magnifique. Les danses seules ne 



U) So statt intitule. 



Digitized by 



Google 



194 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

deplaisoient pas, quoiqu'elles n'etoieni pas grande cbose. 
II y avoit cependant une nommee Testa Grossa qui dan- 
soit avec quelques gräces, [et] fut approuvee. Du reste 
toute la danse des autres ne consistoit que dans une vraie 
confusion, formee par des sauts extra vagants et plus ridi- 
cules que regles. La faruille de Pisani vint nous rendre 
visite dans notre löge. Cet opera a dure jusqu'ä 5 heures 
et demi d'Italie. Lequel fini, nous nous retiräraes dans 
Tattente de la fete principale du lendemain. 

Jeudi le 30. Le grand bruit cornmenfoit dejä ä la 
pointe du jour, de sorte qu'il n'y avoit pas moien de 
fermer Toeil. On ne voyoit qu'aller et venir sur le grand 
canal. Enfin l'heure s'approchant de la fete de l'ascension, 
ou pour mieux dire de la ceremonie, dont le doge de Venise 
epouse la nier le jour de cette fete, nous nous hätämes ä 
entendre la messe ä St. Jean Crisostome, eglise qui se 
trouvoit dans notre voisinage. De lä nous nous mimes en 
peotte. II est inutile de faire une description de cette 
ceremonie; eile se fait tous les ans, ainsi ce ne seroit 
qu'une repetition de choses, qui ont ete dites et comptees 
tant de fois. On dit cependant, que pour cette fois le 
nombre d'etrangers, qui s'y sont trouves, Ta rendue plus 
belle que jamais, du moins Tavoit-elle paru ä ceux, qui 
n'en ont pas vu d'autres et qui ont regarde tout ceci avec 
grande admiration. Nous enträmes dans notre peotte assez 
bien ornee, garnie de velours couleur de feu et galonne 
d'or, les gondoliers egalement habilles de bleu et blanc, de 
sorte que sans rompre Tincognito notre peotte n'etoit pas 
la moins paree. Avan§ant vers la piazeetta nous enten- 
dimes le signal du depart du Bucentaure, qui se donna 
aussitöt que le senat et le doge fut embarque. Tout s'em- 
pressa a joindre cette grande macbine d'or, qui nageoit sur 
l'eau, car c'est ainsi qu'il faut regarder ce bateau. II est 
d'ailleurs tres bien construit, ricbement dore et d'une belle 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 195 

sculpture. En dedans il ne forme qu'une tres grande salle 
sans Separation, en poupe il y a une espece de porte com ine 
un pont-leve, tres bien sculpte et dore, qu'on baisse en- 
suite, et qui sert de balcon au doge pour y faire la cere- 
monie. Tout le monde, tant gondoles que peottes, s'em- 
pressoient de s'approcber le plus pres, qu'il etoit possible, 
de ce Bucentaure. C'estoit conime un combat naval con- 
tinuel sans perdre de sang et saus abordage, ä qui avan- 
ceroit le mieux et scavoit se faire jour. Les peottes de 
Muran se distinguerent par leur structure tout ä fait par- 
ticuliere, les gondoles des ambassadeurs brillerent en mag- 
nificence, etant les seules, qui peuvent etre toutes dorees 
et de couleur. II y avoit par raille et mille de toute sorte 
des masques et des dames bien parees. Nous observämes 
une epouse venitienne, laquelle tant par le goüt de son 
habillement que par ses pierreries brilloit plus que toutes 
les autres, mais ce qui effacoit tout cela fut sa blancbeur, 
qui paroissoit au^ travers de son masque de velours noir 
(dont toutes les epouses doivent rester couvertes jusqu'au 
jour de ses noces). On s'etonna d'en trouver tant dans une 
Italienne et la suivit des yeux tant qu'on la put voir. 
Des objects diflförents, mais de moindre beaute et eclat pa- 
rurent en quantite. Tout nous presenta une diversite char- 
mante. C'est ainsi que toujours occupes de regarder de 
cöte et d'autre que nous avancames jusqu'au Castello del 
Lido, lequel passe la porte s'ouvrit. J'ai eu le bonheur de 
Tavoir approche le plus avec ma p6otte, tant par Taddresse 
de mes gondoliers que la complaisauce de ceux, qui ont 
du ou voulu me faire place. Enfin je le vis la bague ä 
la main faire la ceremonie, prendre la mer pour epouse et 
la lui jetter comme un lien eternel de son engagement. Je 
ne scais, si d'un element aussi inconstant on peut se pro- 
mettre une epouse fidele; du moins jusqu'ä present la r6- 
publique j a assez bien reussi par sa grande politique, 



Digitized by 



Google 



196 Sitzung der histor. Classe voin 1. Juli 1882. 

mais qui pourra repondre du tems ä venir? Cette cere- 
monie fiuie, je m'approchois du port pour voir descendre 
le doge et tont le senat, qui devoient entendre la messe 
ä l'eglise du Lido. Effectivement je le vis, ce vieillard 
venerable, qui avant 50 aus etoit un de ceux, qui a servi 
l'electeur mon pere peudant son sejour de Veuise, ce meme, 
qui in'a accable de politesses toutes les fois que je fus ici, 
et dont toute sa famille de Pisani s'est empressee de te- 
moigner en toute occasion uu devouement tout distiugue 
envers la maison de Baviere. 12 ) J'eus donc grand plaisir 
de le revoir; il estoit accompagne du nouce du pape ä sa 
droite et ä la gauche de Tambassadeur de Tempereur, toute 
sa cour le precedoit. Apres avoir vu cette descente j'allois 
profiter du tems de la messe pour voir la galere et la ga- 
leazza, qni couvroient le Bncentaure. Nous montämes dans 
la premiere, qui etoit de 12 pieces de cauons, oü le capi- 
taine, le noble Diedo, nous re9ut en bas de Tescalier ou 
echelle, par oü nous montämes. II y avöit beaucoup de 
dames et ca valiers, entre autres le fils aine du pretendant 
sous le nom de comte Albano, qui est un jeune prince 
d'assez jolie figure, mais trop petit pour son äge. Je lui 
fis un petit compliment par rapport ä notre proche pa- 
rente 18 ) et le quittai apr&s avoir fait le tour de la galere. 



12) Max Emmanuel hielt sich im Januar und Februar 1687, dann 
im Dezember 1691 zu Venedig auf. Aus Toderini's Manuskript (siehe 
oben S. 178) erfahren wir die Namen jener Nobili, welche im J. 1687 
dem Kurfürsten offiziell zu Diensten gestellt wurden; darunter befand 
sich aber kein Pisani. Hingegen war Alvise Pisani, der nachmalige 
Doge, in den Jahren 1706 — 1714 der unter dem Namen „Gräfin von 
Lichtenberg* 4 zu Venedig im Exile weilenden Kurfürstin Theresia Kuni- 
gunde und Almero Pisani (oben S. 193 erwähnt) im Februar 1717 dem 
Kurprinzen Karl Albrecht zur Dienstleistung beigegeben. Sonach dürfte 
die Textangabe bezüglich des Jahres 1687 eine irrthümliche sein. 

13) Eduard Karl, Graf von Albany, geboren am 31. Dezbr. 1720. 
Sein Vater Jakob III. Stuart, der englische Thronprätendent, war mit 



Digitized by 



Google 



■v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 197 

Nous retournämes dans notre peotte, oü le commandant 
nous accompagna et nous fit regaler de beaucoup de rin- 
freschi ä la maniere d'Italie. De lä nous allämes voir la 
grande gäleazza. Ce grand bätiment merite d'estre va, et 
cela d'autant plus, qu'il n'y a point d'autre puissance dans 
le monde, qui se puisse vanter d'en avoir. II est en forme 
de galere, c'est ä dire le tout en grand, porte plus de 60 
pieces de canons et le double de rameurs et peut aussi se 
servir de ses voiles, de sorte qu'il est en etat de se defendre 
contre douze et 20 galeres et que dans un calme il peut 
faire la conquete de plusieurs vaisseaux de guerre, mais il 
faut, que selon mon jugement il evite le haut de la mer; 
car le moindre vent desavantageux, dont les vaisseaux de 
guerre profiteroient , seroit sa perte. Le general nous re- 
§ut de meme que celui de la galere, et apres y avoir tout 
vu il voulut encore nous regaler de rinfreschi. Nous nous 
en remerciäines et remontämes dans notre peotte. 

Le general Schullenbourg eut la complaisance de nous 
accompagner partout; etant de retour ä la piazzetta, il 
nous conseilla d'eviter la foule du monde et de descendre 
ä la riva du doge, oü il se trouva egalement et nous con- 
duisit au palais pour y voir la table preparee pour le doge 
et les nobles. Cette table etoit couverte de desserts de 
differente maniere; on y voyoit des palais, des tours et 
toute sorte de figures en sucre. Ce n'est ä la verite pas 
grande chose, malgre tout cela les masques y accourent en 
foule, et cette salle etoit si remplie, qu'on avoit de la peine 
ä se remuer. Nous vimes aussi Tappartement du doge, tres 
bien meuble, et le marechal nous persuada de Taller voir 
mettre ä table, ce qui dura bien du tems. Les fils du doge 
nous y complimenterent en robe longne et revinrent en 



Elementine Sobiesky, Bruderstochter der Kurfürstin Ther. Eunig. von 
Bayern, vermählt (Klose, Leben des Prinzen Carl Stuart, 1842, S. 62 f. 65). 



Digitized by 



Google 



198 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

peu avec un masque sur le visage avec Ja commission de 
faire sortir la plapart des masques. Ils y reussirent tres 
mal, car malgre tout cela il en resta une grande quantite. 
Enfin le doge arriva avec le meine ordre, qu'il etoit sorti 
du Bacentaure, et se mit ä table entre le nonce et l'am- 
bassadeur de Tempereur. Nous en approchämes de fort 
pres; qaoique masques, le doge a paru nous connoitre et 
nous salua trds poliment, lorsque nous nous sommes retires 
pour aller diner apres 11 14 ) heures apres midi. 

Vers le soir on alla ä Jfwran, oü se fit le cours avec 
un grand concours de masques. Au retour nous descen- 
dimes ä la piaezetta, fimes quelques tours tant ä la foire 
que sous les procura ties et finimes notre journee ä entendre 
l'opera, qui dura jusque vers le 2 heures apres minuit. 

Le 31 nous avons ete entendre la messe aux jesuites, 
qui ont une eglise magnifique, tres riche en marbre et avec 
beaucoup de dorure. L'apres-diner s'est passe comme ä 
Tordinaire, c'est ä dire ä se promener sur la place en 
masque. Je me suis retire de bonne heure ce jour lä, la 
comtesse de Camb ayant ete seule ä Topera. 

Le 1 de juin. C'est ä Teglise du Salut, qui a une 
tres belle fa^ade, oü nous entendimes la messe. Nous 
füme8 veritablement enchantes, les autels se trouvant riche- 
ment ornes de marbre rapporte, ce qui fait un tres bei 
effet, de sorte que cette eglise peut estre mise dans le 
premier rang de Celles, que nous avons vues jusqu'ä present. 

De la Salute nous nous en fümes al Bedemptore. 
Cette eglise est Tunique des capucins, qui brille en magni- 
ficence, et cela, puisque un doge Ta bäti pour s'acquitter 
d'un voeux, qu'il a fait, et le pape ayant dispense, qu'elle 
fut donnee aux capucins. Entre autre ]e grand autel de 



14) Scheint verlesen statt II, 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Älbrecht von Bayern ital. Heise. 199 

marbre blanc, garni de figures de bronze, s'y trouve le plus 
digne d'admiration. 

La soiree se passa ä la foire, oü la curiosite des Ve- 
nitiens me fit rire plus d'une fois. Tantöt ils virent le 
fils du pretendant et le suivirent en foule, dont il fut 
tellemeut presse, qu'il etoit oblige de se retirer dans une 
boutique de marcband, d'un autre cöte parurent quelques 
dames 6trangeres saus masque, lesquelles sur le cbamp se 
virent egalement entourees, et apres les avoir bien consi- 
derees de pres, ne les trouvant pas selon leur attente, ils 
commencerent ä les sifler. La ils observerent un masque 
bien pare, que sur le cbamp ils etoient ä ses trousses, ils 
se releverent Tun Tautre pour Tadmirer, Tun, mettant les 
lunettes, s'ecria sur les pierreries, observant tout au net, 
les autres, aussitöt qu'elle öta les gants, parurent attacber 
leur vue sur ses belles mains. Etant entree dans un cafe 
pour se rafroichir, il y eut plus de curieux que la place 
ne contenoit; Tun disoit: „C'est ma femrae", Tautre: „C'est 
une dame etrangere de nos suittes u ; la plupart cependant 
tomberent d'accord, que ce fut una gentil-donna, puisqu'elle 
avoit deux brassieres, qui lui portoient le cercle, et prete 
la main ä la mode de Venise. Enfin, lorsqu'ils etoient dans 
Tattente de la voir demasquer et de sortir de doute, eile 
prit son rinfrescho sans öter le masque, commenfa ä rire 
de bon coeur et quitta la compagnie. Voilä comme ils 
etoient payes de leur curiosite! Je me trouvois au beau 
milieu d'eux et n'en fus certainement pas moins la dnpe, ni 
celui qui a ri le moins. Ce jour lä je me suis arrete ä la 
foire plus qu'ä Tordinaire, ayant observe tant de boutiques 
illuminees, oü la plupart de la* noblesse se sont retires 
aussitöt qu'il a fait nuit, ce qui fait un object charmant, 
toutes ces boutiques se trouvant arrangees avec beaucoup de 
goüt. Celle des miroirs et celle des verres, oü je fis quel- 
ques emplettes, n'eurent certainement pas moins de brillant 



Digitized by 



Google 



200 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

que les autres. Je m'y arretai partout et me sentis veri- 
tablement fatigue de la promenade, de sorte qu'apres souper 
je me suis rafroichi ä la maniere venitienne en me faisant 
voguer jusque bien avaut dans la nuit. 

Le 2 nous fümes entendre la messe ä San Giorgio 
Maggiore. C'est une tres belle eglise et couvent des moines 
fort riche en beaux tableaux des meilleurs maitres d'Italie. 
Le grand Paul Veronese, qui se trouve dans le refectoire, 
est celui, qu'on y trouve le plus digne d'admiration. On 
nous fit voir la belle bibliotheque, oü le fils du pretendant 
sous le nom de comte Albano nous attendit. Ce prince 
est bien ä plaindre par rapport au triste etat, dans lequel 
son pere se trouve. Depouille de ses pretentions ce n'est 
qu'ä Rome oü il fait briller sa triste dignite; il y vit en 
pauvre pensionnaire du pape. Le jeune prince a fait la 
campagne de Gaeta avec Don Carlos et voiage actuellement 
en Italic II promet beaucoup. J'etois charme de lui 
entendre faire le recit du siege, y ayant remarque beau- 
coup de justesse et de memoire. II nous accompagna par 
tout le couvent, 15 ) qui est ä la verite magnifique. Le jar- 
din me fit plaisir et surtout une espece de salle en forme 
de balcon, qui nous presenta la plus belle vue du monde, 
et d'oü on decouvrit toute Venise. La cour et Tescalier 
y sont de tres beaux morceaux d'architecture. Apres avoir 
pris conge du jeune comte nous nous retirämes pour aller 
diner, tres Contents de notre matinee, tant par rapport au 
beau couvent, que nous avions vu, qu'ä la charmante ren- 
contre d'un aussi aimable cousin. L'apres-diner se passa 
en masque tant ä la foire, que la moitie de la nuit ä 
Topera. 



15) Vgl. „Staatsgeschichte des Churhauses Bayern" S. 356 und 
Klose a. a. 0. S. 80 f. ; wegen Eduard Karl's Theilnahme an der Be- 
lagerung Gaeta's, das am 6. August 1734 kapitulirte, Klose S. 77 ff. 



Digitized by 



Google 



t?. Oefele: Des Kurf. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 201 

Le 3 nous entendimes la messe ä St. Zacharie, une 
assez belle eglise et couvent des religieuses, auxquelles nous 
rendimes visite ä la grille. Ce sont toutes des dames de 
la premiere noblesse, n'osant meme en recevoir de celles de 
famille noble par argent. Leur habillement et assez parti- 
culier, elles semblent chercher Tair de plaire et portent la 
gorge assez decouverte, d'ailleurs de tres bonnes ämes, qui 
s'occupent toute la journee ä la devotion, et dont de 
bonnes grilles de fer repondent assez de leur vertu. 

Nous fümes ensuite ä Teglise grecque, nommee St. Ge- 
orge , tres rare ä voir jpar rapport ä son antiquite. Leur 
pretre nous expliqua tout leur service selon Tetablissement 
de l'ancienne eglise. J'en etois charme, admirant surtout, 
avec quelle devotion et reverence ils celebrent le culte 
divin. 

L'apres-diner se passa de ma part a la foire, et la 
soiree ä prendre le froid sur le grand canal. La comtesse 
de Camb fut ä Topera, oü le nonce lui rendit visite. 

Le 4 nous fümes ä la messe ä l'eglise de St. Jean et 
Paolo, oü nous avons vu le celebre Titien, qui represente 
le martyre de St. Pierre dominicain. De la ä S. Lorenzo, 
oü il y a un couvent de religieuses, aussi de la premiere 
noblesse de Venise. Leur habillement n'est pas moins 
avantageux que celui des dames de St. Zacharie. Nous 
leur parlämes ä la grille, charmes d'y avoir observe quel- 
ques beaux visages, qui paroissoient nous corapter avec plus 
de gra.ce que les autres la fa§on, dont elles passoient leur 
tems dans leur cloiture, oü au bout du compte il ne s'agis- 
soit que du sacrifice de la liberte, ce qui ne me parut pas 
peu de chose, et qn'elles regardoient (du moins en appa- 
rence) comme un rien et une chose bien aisee de s'en 
passer. 

L'apres-diner et la soiree nous passames notre tems 
comme le jour precedent. L'ambassadeur de l'empereur iüt 



Digitized by 



Google 



202 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

dans la löge de madame la comtesse, cherchant aussi l'oe- 
casion de m'y voir; niais comnie je n'y fus pas, j'ai trouve 
le moyen d'eviter toutes ses visites jusqu'ä ce jour lä. 

Le 5, etant le jour destine a voir le palais, nous füraes 
entendre la messe ä S. Marco, qui est une tres belle mais 
ancienne eglise. On nous y fit voir beaucoup de saintes re- 
liques, toutes des plus rares, entre autres un tres grand 
morceau de la croix de Notre Seigneur, qui n'est pas beau- 
coup moindre que celui de Rome. Ensuite on nous ouvrit 
le tresor de la republique, qui meritoit certainement d'etre 
vu. L'ornement de tete du doge est admirable, celui de 
Ste. Helene et de ses dames, monte a Tantique, est tres 
pr^cieux par rapport ä la quantite de pierres precieuses, la 
plupart brutes, dont il fut orne. On nous montra plusi- 
eurs vases d'emeraudes, de pierres d'Egypte et de tout ce 
qu'il y a de plus rare, des rubis balais d'une grandeur 
prodigieuse et une grande quantite de pierreries, la plupart 
montee ä Tantique. De plus un ornement d'autel, garni de 
pierreries, et toute sorte de choses rares. Apres avoir vu 
ce beau tresor, qui est assurement un de plus magnifiques 
en Europe, on nous fit faire le tour du palais et montra 
entre autre un petit arsenal reserve pour le senat, tres 
bien arrange et toujours pret pour tout ce qui peut ar- 
river. C'est lä oü le general Schullenbourg, qui nous sui- 
voit partout, me dit ä Toreille: „Ces gens lä croient prendre 
de tres grandes precautions avec cet armement, mais je me 
fais fort de les chasser avec 6 grenadiers." Je me mis ä 
rire et lui repondis, que pour estre sür de leur fait, il me 
paroit, que leur etoit aussi necessaire de faire une provisiou 
de courage, surtout s'ils avoient envie de se servir de celle, 
qu'ils önt fait en armes. 

La soiree s'est passee ä la foire et ä nous faire voguer. 

Le 6 nous nous hätämes d'entendre la messe ä St. Criso- 
stome de meilleure heure qu'ä Tordinaire, pour avoir le teins 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Älbrecht von Bayern ital. Heise. 203 

d'y voir l'arsenal. C'en est certainement un des mieüx 
garnis dans le monde. Ce qui y est de plus remarquable 
est , que tout se trouve ä la main , et qu'ou n'a qu'ä se 
porter d'une de ses salles ä Vautre, pour y voir tous leurs 
manoeuvres differents, tant pour les fontes que la structure 
des vaisseaux et galeres, enfin tout ce qu'il faut pour l'ar- 
metuent de mer. Ils ont quelques mille pieces de canons, 
tant pieces de bronze que fer, plus de 42 vaisseaux de 
guerre, tant ä l'arsenal qu'en mer, dont on en voit des ä 
demi acheves, d'autres commences, d'autres dejä parfaits, 
leur monde se trouvant toujours occupe ä travailler. Ils 
comptent de meme en tout 23 galeres et six galeaces, dont 
il y a 4 dans l'arsenal. Ce qu'on estime le plus de tous 
les ouvrages, oü ils excellent, ce sont les cordes pour las 
ancres. Ceux de France aussi bien que des puissances 
maritimes avouent, que nulle part on y reussissoit mieux 
qu'ä cet arsenal de Venise. II est d'une grandeur prodigi- 
euse, on lui donne jusqu'ä trois milles d'Italie ä Tentour, 
de quoy ceux, qui le fönt, torabent aisement d'accord. 
Nous y avons vu avec bien du plaisir le modele de Corfü, 
comme il se trouve actuellement fortifie sous la direction 
et par Tordre du mareschal Schullenbourg. Ce meme mare- 
chal eut la complaisauce de m'expliquer tout lui-meme. II 
me montra, par oü il fut attaque Tannee 1716, jusqu'oü 
les Turcs avoient avance. Je fus surpris d'observer, que 
les Turcs s'etant dejä rendus maitres de deux montagnes, 
qui fönt la grande force de cette forteresse, en etoient 
dejä au corps de la place, et que, si par une valeur saus 
egal le marechal, se trouvant justement dans les ouvrages 
exterieurs de la place et ai'ant pour y vaincre ou monrir 
fait fermer la porte derriere lui, ne les avoit deloges, ce 
lieu important se trouveroit actuellement sous la domination 
des Turcs. II me compta, qu'il n'avoit que trois mille 
homraes de garnison, et que la place se trouvoit en assez 
[1882. IL Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 14 



Digitized by 



Google 



204 Sitzung der histor. Ülasse vom 1. Juli 1882. 

niauvais etat. Malgre tout cela il les en chassa, leur prit 
plas de 60 drapeaux et remporta une victoire complete. II 
y en eut, qui me disoient ä Toreille, que les Turcs en 
etant venus ä Tescalade, avoient mal pris leurs mesures, de 
sorte que les eschelies etoient trop courtes, ce qui a con- 
tribue le plus ä leur delogeraent. Que la chose soit comme 
eile veuille, il faut toujours et de justice en laisser tout 
Thonneur au marechal. (Test certainement un des plus 
habiles generaux de notre siecle et sans doute un de ceux, 
qui ont le plus d'experience. Ses discours ne laissent pas 
que de donner des lumieres tres utiles ä tous ceux, qui 
Tentendent, et chaque homnie de guerre doit se faire plaisir 
de Tecouter. On ne scauroit cependant desavouer, qu'il 
aime ä critiquer les actions cTautrui, et qu'il n'y a gaire 
de grands dans le raonde, qui meritent son entiere appro- 
bation. D'ailleurs c'est dommage, que ce grand homme 
vieillit. II est fort casse, commence quelques fois, quoi- 
que bien rarement, a s'embrouiller dans ses discours, perd 
la vue et n'a plus Touie trop bonne, de sorte qu'il y a 
ä craindre, qu'il ne durera plus longtems. 16 ) Apres nous 



16) Schalenburg starb aber erst am 14. März 1747 im 86. Lebens- 
jahre, nachdem er noch wenige Monate vorher ein militärisches Gut- 
achten abgegeben. Sein Znsammentreffen mit Karl Albrecht zu Venedig 
hat in dem gehaltvollen Werke „ Leben und Denkwürdigkeiten Johann 
Mathias Reichsgrafen von der Schulenburg, Feldmarschalls in Diensten 
der Republik Venedig" (1834) keine Erwähnung gefunden. Hingegen 
fällt auf die dort (II, 254) mitgetheilte Stelle eines Briefes, den der 
Marschall am 28. November 1738 aus Venedig schrieb, durch unsere 
Publikation einiges Licht. „Quant" sagt Schulenburg „a la demarche 
gracieuse de LL. AA.. EE. de Baviere, ce n'est qoe depuis peu de jours 
que Tagent de cette cour m'a donne les quatre portraits, ceiui de feu 
son pere a cause que j'ai 8er vi sous lui en Hongrie, sur le Rhin et au 
siege de Mayence, comme aussi en Brabant des teras du feu roi Guil- 
laume, et ensuite contre lui; et je puis dire, lorsque je le fus voir il 
y a 18 ans a Munich, il m'a accable* de graces et de distinctions. 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 205 

etre arretes assez longtems ä ce modele de Corfü, on nous 
mena dans une grande salle et nous offrit des refrecbise- 
ments. Nous achevänies ensuite de voir les vaisseaux de 
guerre et galere?, qui sont actuellenient en ouvrage, et mou- 
tämes dans le Bucentaure, lequel pour grande distinction 
ils eHoient inten tiones de faire aller en mer dans le teras, 
que nous nous y trouvämes. Cette raachine ne repondit 
pas ä leur attente; soit par rapport ä la pesanteur de la 
quantite de monde, qui nous a suivi, ou qu'ils n'avoient 
pas pris assez de precaution, le Bucentaure ne vouloit pas 
se remuer. Je me souvins, que Tannee 15 il marcha dans 
le nioment, raais pour cette fois on croioit dejä, qu'il n'en 
faisoit plus rien, jusqu'ä force de monde et d'effort, qu'on 
fit en le tirant de tout cöte avec de grandes cordes, on le 
mit enfin en mouvement et nous descendimes dans Teau 
avec beaucoup d'applaudissement du peuple. 17 ) 

Voilä comrae nous avons fini notre matinee en tres 
grand besoin de prendre un peu de repos. Ainsi on ne 
fit plus rien ce jour lä, que d'aller ä la place et ä se faire 
voguer le soir. 



Mais Telecteur a trouv£ a propos de joindre aux 4 portraits, que je lui 
avais demandes, une tabatiere, qui est une piece de cabinet, admiree 
partout ici. Je ne sais, par quel mojen je nie suis rendu si digne de 
Vamitie et de l'estirae, dont ce digne prince me fait assurer par la 
lettre de son ministre, comme vous verrez par la copie, que je joins 
ici. Si vous connaissiez cet electeur, vous avoueriez, que ce n'est pas 
le moindre des souverains d'aujourd'hui en Europe." Durch die bezeich- 
neten Geschenke sollten also ohne Zweifel die zu Venedig geleisteten 
Dienste verdankt werden. 

17) Am 2. März 1717 (nicht 1715) hatte der Kurprinz Karl Al- 
brecht das Arsenal zu Venedig besucht und den Bucintoro bestiegen, 
der sich sodann in Bewegung setzte. (Söltl a a. 0. S. 507). Jetzt 
aber war es nicht mehr der Bucintoro von 1717 sondern ein im J. 1728 
vom Stapel gelaufener, der 1797 in eine schwimmende Batterie ver- 
wandelt und erst 1824 vollständig demolirt wurde (Venezia e le sue 
lagune, 1847, vol. I, part. II, p. 202 s.) 

14* 



Digitized by 



Google 



206 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

Le 7 nous avons ete entendre la messe ä Notre Dame, 
ou il y a un couvent de religieuses servites. 18 ) ^C'est lä 
ou le nonce m'a attendu expres pour ine faire ses compli- 
ments, qu'il accompagna de beaucoup de contestations des 
plus polies. Je lui repondis avec la meme politesse, n'a- 
yant pu que me louer des bonnes manieres et attentions 
respectueuses du dit prelat. Et puis nous fümes aux je- 
suites, ou il y a ä preseut des dominicains. Ils bätissent 
uue nouvelle eglise, 19 ) qui est un tres beau morceau d'arcbi- 
tecture avec beaucoup de inarbres, surtout la fa^ade, qui 
est la seule chose d'acheve et tres belle ä voir. 

L'apres-diner nous avons ete ä Muran, endroit oü on 
fait les glaces et verres. C'est une tres belle promenade 
a une demi heure de Venise. On y passe par les lagunes. 
Plusieurs dames et cavaliers s'y promenent vers le soir pour 
prendre le froid et se faire voguer. Nous y avons vu faire 
un miroir, ce qui est assez curieux pour ceux, qui ne Ta- 
voient jamais vu, mais comme la cbaleur y fut doublement 
excessive, taut par rapport ä la scaison qu'au grand feu, 
auquel on travaille, et que Tun et Tautre nous ä paru 
d'autant plus insupportable , que nous etions toujours en 
masque, la peine en cette occasion a surpasse le plaisir. 

Apres notre retour nous allämes ä la foire et ä Topera. 
Vers le minuit les musiciens de la ville nous donnerent 
une grande Serenade sar le grand canal, qui etoit assez 
amüsante. Elle a dure jusqu'au jour; je crois, qu'elle ne 
seroit pas encore finie, si je ne les avois congedies moyen- 
nant un petit present. 

Le 8 nous avons entendu la messe aux recollets. L'a- 
pres-diuer, comme il n'y avoit point de masques par rapport 



18) Es muss also Santa Maria del Pianto gemeint sein (Venezia 
II. 2, 283). 

19) Santa Maria del Rosario alle Zattere, begonnen 1726 (Venezia 
II. 2, 188 s. 321). 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Älbrecht von Bayern ital. Heise. 207 

ä la veille de la pentecöte, nous avons passe nötre tems eu 
compagnie du mareschal Schullenbourg ä voir les isles des 
environs de Venise. Ce general s'etant donne la peine de 
nous montrer et de nous expliquer toute chose, on a com- 
mence par Tisle de St. Clement, qui est assez bien forti- 
fiee, mais plus en dedans que les autres. Celles de Lido 
et de Malamocco, donnant tout ä fait dans la grande mer, 
sont de plus grande consequence. C'est dans cette premiere 
isle qu'il y a une tres belle eglise et couvent de cainal- 
dules. Apres nous estre informes de leurs regles et ma- 
niere de vivre nous eüraes le plaisir d'entrer dans leurs 
cellules et ä voir tout leur petit menage, qui est d'une 
grande proprete. Leur pere superieur nous compta, qu'il 
y a eu un doge, qui s'est fait moine chez eux, exemple 
tres rare, et que dans la personne d'un doge la republique 
ne fournira plus de si tot. De lä nous avons ete ä celle 
de Lido. Cette isle est assez grande. Le general Schullen- 
bourg nous a mene tout autour. Elle est tres bien forti- 
fiee, et corame on ne scauroit entrer dans les lagunes que 
par des canaux, que les Venitiens ont fait preparer expres 
pour cela, ces isles en defendent Tentree, et c'est ce qui 
rend Venise le plus formidable et meme inattaquable de 
ce cöte lä, quasi tout le tour de la ville d'une etendue de 
plusienrs milles se trouve palissade, dont Tentretien leur 
cause une depense incroyable. II etoit etonnant de voir ce 
bon vieillard trotter toute la journee par cette grande cha- 
leur. II nous montra aussi les casermes et la garnison, 
qui consistoit en fort peu de Dalmatiens, que Schullenbourg 
assura estre une nation tres dure ä la fatigue et d'excellents 
soldats. II y passa aussi par hazard un escadron de dragons, 
qu'il fit marcher et ranger en bataille. J'ay trouve leurs 
chevaux miserables, les hommes passables, mais rien d'extra- 
ordinaire. 

C'est apres les vingt trois heures, que nous en somraes 



Digitized by 



Google 



208 Sitzung der histor. Classe vom 1, Juli 1882. 

revenus pour aller ä un hospital nomme La Pietä et y en- 
tendre une tres belle musique de filles trouvees, qu'on y 
eleve. Effectivement elles ont excelle en toutes sortes d'in- 
struments; quant aux voix, il n'y avoit rien d'extraordinaire. 
Et voylä comme noas avons fini cette journee. 

Le 9 nous avons este entendre la messe ä St. Job 
aux ermites et de lä ä St. Simeon, oü nous avons fait nos 
prieres les plus ardentes pour Tarne de madame Telectrice 
ma mere, dont le coeur et les entrailles se trouvent depo- 
sees dans cette eglise. 20 ) Apres quoy nous avons este aux 
litanies des incurables, 2 1 ) oü il y a eu tres belle musique. 
La voix de haute-contre d'une nommee Isabella surpassa 
toutes autres, quoiqu'il y avoit encore deux autres excel- 
lentes chanteuses. Ce meme jour on donna le bal dans la 
maison du noble Gradenigo pour le fils du pretendant, 
raais je ne m'y suis pas trouve. 

Le 10 apres avoir entendu la messe ä S. Marco nous 
avons este voir le grand conseil, nous pla^ant pele-mele 
parmis nos dames et gentilhommes , malgre que les fils du 
doge se sont toujours empresses de nous servir. La fa§on, 
dont le scruttino se fit, est connue par tout le monde. Et 



20) Die Pfarrkirche San Simeone Profeta, in deren Sprengel die 
Kurfürstin- Wittwe 1727 — 1730 gewohnt zu haben scheint. Dass die 
Leiche der am 10. März letzteren Jahres Verstorbenen im nächsten 
Monate nach München transportirt wurde, ersieht man aus Toderini's 
Manuskript (oben S. 178) womit die eigenhändigen Aufzeichnungen 
des Kurfürsten Karl Albrecht im k. Hausarchive (Rockinger, Arbeiten 
III in den Abhandl. der Akad. XV. 3 [1880] 189) zu vergleichen wären. 
Nach Haeutle, Genealogie S. 74 befindet sich aber jetzt auch ein Zinn- 
gefäss mit den Eingeweiden der Kurfürstin in der Gruft bei St. Kajetan 
zu München. 

21) Das Ospedale DegY Incurabili, welches im J. 1517 gegründet 
wurde und im J. 1777 fallirte, lag auf den Zattere (Corner, Notizie 
storiche delle chiese e monasteri di Venezia, 1758, p. 550; Venezia e 
le sue lagune II. 1, 289). 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 209 

de lä nous sommes entres dans la chambre du senat, oü il 
y avoit bien moins de monde et il s'agissoit de Telection 
d'un avvocatore di comune. (Test le noble Quirini, qui a 
este elu. Le senateur Delphin s'est donne la peine ä nous 
expliquer le tout. La grande police de cette republique et 
leurs ordres, jointe ä une politique des plus fines, est ad- 
mirable, de sorte qu'il y a a croire, qu'elle se soutiendra 
toujours. 

Apres avoir sorti du palais nous avons encore ete voir 
S. Pietro di Castello, eglise du patriarche, et S. Cajetano, 22 ) 
qui est une des plus belies de Venise. 

L'apres-diner je fis une petite visite ä la belle-fille du 
doge, V Isabella Pisani. Le doge meine vint nous sur- 
prendre dans son appartement et me fit mille contestations 
des plus poliees. En cette occasion le doge a fait un pas, 
qu'aucun autre n'a jamais fait. 

Le soir se passa ä la foire et ä Topera. 

Le 11 apres avoir entendu la messe ä St. Jean Cri- 
sostomo et fait partir en deux burcelli toute notre suitte, 
nous nous mimes en peotte vers les 13 heures d'Italie et 
quittämes avec grand regret Tagreable Venise, metamor- 
ph osant les c coureurs des masques en devots pelerins. Car 
c'est dans Tintention d' assister ä la fete de St. Antoine 
que nous nous embarquämes pour Padoue, et apres estre 
sortis des lagunes et arrives ä Fusina^ oü nous avons re- 
joint nos burcelli, nous y enträmes et poursuivimes Tagre- 
able route de la Brenta. Nous dinämes en chemin faisant 
dans le bateau, et j'etois resolu de mettre pied ä terre 
pour voir la plus belle de toutes ces maisons de campagne, 
appartenante au doge , mais la chaleur excessive , qu'il a 



22) Da dem hl. Kajetan (Gaetano) in Venedig auch zu jener Zeit 
keine Kirche geweiht war, so dürfte ein Missverständniss vorliegen und 
etwa S. Ganciano oder S. Cassiano gemeint sein. 



Digitized by 



Google 



210 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

fait ce jour lä, et plus encore la raison , que, m'etant fait 
mal ä un pied, j'aurois eu peine ä niarcher, m'en ont em- 
peche. Nous fimes tout ce chemin contre l'eau, tires par 
des chevanx, en moins de 9 heures, etant arrives vers le 
22 ä Padoue. 

Coinme dans tout Tetat de Venise toutes les grandes 
fetes se celebrent avec des masques et opera, les saints 
pelerins, se trouvant dans Toccasion, sont devenus larrons 
et ont commence par les plaisirs, differant la devotion au 
jour jsuivant. Ainsi, ä peine arrivez, nous nous preparämes 
pour Topera. Tout fut occupe ä se masquer et ä j aller 
d'abord apr&s les 24 heures. Cet opera, nomine Le Siroe^ 
fut assez bien represente et plus applaudi que celui de Ve- 
nise. Le merae jeuue garfon Lorenzo Girardi, qui a brille 
ä Verone, et que j'ai arrete pour notre opera de Munic, 28 ) 
y fit le premier rolle. Pinaci^ qui chante la taille, plut 
par rapport a son action , sa femme de meme , qui etoit 
habillee en homme. Une autre ferame, nommee la Manzini, 
merita de meme qnelque approbation. Elle fut generale 
pour les danses, quoique les connoisseurs n'en pouvoient 
applaudir qu'une seule danseuse, nommee la St. George, 
laquelle ä la verite a danse de tres bonne gräce et avec 
beaucoup de vitesse, n'ayant d'autre defaut que celui de 
s'estre accommod^e au goüt italien en sautant un peu trop 
haut, ce qui est assez difficile sans deranger le corps; ce- 
pendant eile y reussit assez bien. 

Je me trouvois bien puni d'avoir commence la devotion 
par la mascärade, mon mal au pied ayant tellement em- 
pire, que le lendemain, le 12, je fus oblige de garder le 
lit toute la journee, oü la comtesse de Camb eut la com- 



23) Ein Lorenzo Chirardi, Ghirardi aus Ravenna war in den 
Jahren 1737 und 1738 bei der italienischen Oper in München engagirt 
(Rudhart, Geschichte der Oper am Hofe zu München S. 186. 187). 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 211 

plaisance de me tenir corapagnie, excepte le tems de de- 
votion, dont eile scavoit faire meilleur usage que toute la 
compagnie. Ce fut donc par visiter Teglise de St. Antoine 
qu'elle comnien^a sa journee et y offrit un tres beau calice 
d'or, garni de brillants et emeraudes avec des petites images 
en etnail, representant les miracles de St. Antoine. On 
nous compta ce meme jour, que peu de tems avant notre 
arrivee ce saint doit avoir ressuscite un homrae assassine 
et enterre, et que ce meme homme doit estre actuellement 
ä Padoue, lequel cependant n'en parle ä personne, quoique 
son frere et au tres, qui doivent avoir este presents, le con- 
firment. La devotion de la comtesse de Camb fut sans 
doute ce qui me procura une prompte guerison, car le jour 
suivant je fus en etat d'aider ä celebrer la fete du saint, 
oü eile se trouva de grand matin, donnant Texemple ä 
tous, et y fit sa devotion. Le saint sacrifice se fit pour la 
premiere fois daus ce meme calice, qu'elle presenta la veille ; 
eile en fut communiee. La soiree se passa ä Topera, apres 
laquelle le 14 ä la pointe du jour la metamorphose se fit tout 
ä fait en bien. Nous quittämes les plaisirs et les masques en 
quittant les etats de Venise et avons entame le chemin de Lau- 
rette, qui etoit le veritable but de notre voyage. Nous dinämes 
ä S. Carlo 24 ) et passämes sans nous arreter par des bien mau- 
vais chemins et de pluie continuelle ä Ferare et arrivämes 
vers 1 heure d'Italie ä Boulogne. A peine arrives, qu'une 
deputation du senat, de dames et cavaliers fut dans notre 
antichambre. Comme nous etions assez fatigues et tres mal 
arranges, il n'y avoit pas moyen de paroitre, d'autant plus 
que nous etions intentiones de partir le landemain de 
grand matin, de sorte que m'excusant au tan t sur notre in- 



24) Hier scheint ein Missverständniss zu obwalten, denn die topo- 
graphischen Werke kennen keinen Ort dieses Namens zwischen Padua 
und Ferrara. 



Digitized by 



Google 



212 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

cognito que de n'avoir encore accepte nulle part de pa- 
reilles demonstrations publiques, je leur fit temoigner ma 
reconnoissance et remercier de leurs offres obligeantes , me 
reservant de voir ä mon retour leur procession ä la fete 
de Dieu et leur opera. 

Le 15 je partis d'assez bonne heure apres avoir en- 
tendu la messe. Nous eümes le plus beau cuemiu du monde, 
la Lombardie paroissant dans ces envirous encore plus 
brillante que nulle part. Le doux ramage des rossiggnols 
nous accompagnoit partout. Nous dinämes ä Cesena et 
fümes coucher ä Pesero. 

Le 16 en ouvrant les jeux nous decouvrimes la mer 
adriatique. Le bruit des vagues sembloit relever le cbant 
des oiseaux; bien loin d'estre aussi doux, il nous donna 
pourtant utfe diversite assez agreable. Une roue se trou- 
vant toujours dans l'eau paroit briser les ondes et Tautre 
demeurant sur le gravier s'assurer de la terre pour ne pas 
estre emportee; c'est ainsi qu'on court plusieurs postes tout 
au bord de la raer. Nous avons decouvert plusieurs vais- 
seaux, galeres et aatres bätiments, ce qui nous occupoit 
continuellement la vue. C'est ä Sinegali qu'on s'arreta 
pour diner. A la derniere poste avant Laurette notre en- 
voje Scarlati 25 ) avec le pere Halauer, assistant general, 
que j'avois mande pour lui confesser et le consulter sur un 
confesseur ä prendre, 26 ) vinrent au devant de nous. Le 



25) Von den fünf Mitgliedern dieser Familie, welche 1678—1765 
Bayern am päpstlichen Hofe vertraten (Heigel in den Sitzungsberichten 
der historischen Classe der k. b. Akademie d. Wissensch., Jahrg. 1881, 
Bd. II, S. 203 f.) ist es der Vorletzte, Philipp Max Baron von Scar- 
latti (f 1742). 

26) Der Jesuite Franz Xaver Hanauer, welcher im Jahre 1730 
von Seite der oberdeutschen Provinz als Assistent des Ordensgenerales 
nach Born geschickt worden war. In München bereits von früher, als 
Rektor des dortigen Kollegiums, bekannt, wurde Hailauer selbst bald 
hierauf an Stelle des am 19. April 1737 verstorbenen P. Joseph Falck 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern itdl. Meise. 213 

premier m'assura, que le gouverneur monsignor Älberoni, 
neveu du cardinal, avoit prepare son palais pour nous, 
qu'il alloit nous recevoir avec plusieurs carosses ä 6 che- 
vaux, et qu'enfin c'estoit une reception publique, qu'il nous 
preparoit. Effectivement ce prelat parut ä prendre 2 milles 
d'Italie, il mit pied ä terre, nous complimenta et offrit par 
ordre du pape tout ce que Scarlati avoit predit. Je lui 
fis bien des remercimens et en meme tems mes excuses 
ordinaires. Nous restämes dans notre chaise de poste et 
passämes outre. Trois ou quatre cens hommes des cbe- 
vaux-legers nous accompagnerent. CTetoit des troupes ä 
faire crever de rire, qui avoient veritablement l'air de sol- 
dats du pape et qui ne servoient ä autre chose qu'ä nous 
faire beaucoup de poussiere. A quoi j'ai remedie sur le 
champ, pressant un peu notre postillon; il les devanfa, et 
Ton a bientöt vu tous ces heros de Teglise s'eparpiller et 
derneurer un ä un, de sorte qu'ils ne sont arrives qu'une 
demie beure apres nous sans jamais plus se rassembler. 

Enfin apres les 22 heures nous arrivämes heureuse- 
ment ä la sainte maison , qui faisoit le but de notre vo- 
yage. Nous y enträmes sur le champ, et Ton a veritable- 
ment remarque un empressement egal en tous, ä qui se 
jetteroit le plus aux pieds de la Ste. Vierge. Tous ceux, 
qui n'y ont jamais ete, et sur tout la comtesse de Camb 
avouerent d ? y avoir trouve ce que je leur avois predit, 
c'est ä dire de s'estre senti frappe du premier abord et 
d'avoir eu une vraye consolation interne. Cette sainte 
chapelle, qui est tout miracle, inspire une devotion toute 
particuliere , qui se trouve tout naturellement attachee ä 
l'babitation de Jesus Christ et de la sainte famille. Le 



zum Beichtvater des Kurfürsten ernannt und blieb es bis zu seinem am 
5. Mai 1740 erfolgten Tode (vergl. Lang, Geschichte der Jesuiten in 
Baiern S. 173. 176). 



Digitized by 



Google 



214 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882, 

tems etant trop court ce jour lä pour nous faire expliquer 
toutes les particularites de cette chapelle deplacee deux fois 
par les anges et apportee dans ce Heu, nous le remimes au 
lepdeinain et apres nous estre remercies derechef autant du 
logement que du traitement, que le gouverneur nous avoit 
offert, nous allätnes loger ä l'auberge, oü le dit gouverneur 
nous suivit. L'eveque, 27 ) qui ne faisoit que d'arriver, m'y 
complimenta de meme. C'est un tres saint bomme, fort 
exemplaire, ce qu'on remarque d'abord en lui, aussitöt qu'il 
paroit. Ce prelat s'ecria beaucoup sur la grande devotion, 
que les etrangers temoignent avoir ä ce saint Heu, laquelle 
pour leur honte surpassoit de beaucoup celle des babitans. 
Ce n'est pas lui raais bien d'autres, qui m'ont compte, qu'il 
s'y doit trouver plus de 300 habitans de ces environs, qui 
n'ont jamais entr^ dans la sainte chapelle. Enfin que ce 
soit verite ou non, ce ne sera jamais un exemple ä suivre. 
C'estoit donc le 17 que tout se prepara ä faire ses 
devotions. Nous nous rendimes vers les 13 heures ä la 
sainte chapelle, oü nous refümes le bon Dieu de meme que 
toute notre suitte. Apres la premiere messe j'ofFris sur 
Tautel nos deux coeurs, couverts du bonnet electorale et 
garnis de saphirs et diamants; au milieu s'y trouvoient nos 
deux chiffres en diamants. La comtesse de Camb apres j 
avoir entendu quatre messes y resta encore plus longtems, 
pour donner un nouvel exemple ä tous, ayant fait le tour 
de la chapelle ä genoux, et cela d'une teile vitesse, que 
ceux, qui l'accompagnerent , ont eu bien de la peine ä la 
suivre. Elle revint ä Theure du diner, ou les deux prelats 
nous ont tenu compagnie. Malgre nos protestations le 
gouverneur envoya son present. Je n'en ai rien accepte 
hormis les choses de devotion, dont il nous regala tous, 



27) Vinzenz Anton Muscettola, seit 1728 f 1746 (Gams, Series 
episc. eccles. cathol. p. 719). 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 215 

que nous etions bien aise <T empörter avec nous. . L'apres- 
diner se passa ä faire une petite provision de medailles, 
chapelets, clochets et autres, dont plusieurs boatiques fu- 
rent entierement vuidees. En attendant l'heure s'approcha 
pour retourner ä la sainte chapelle, s'y faire montrer et 
expliquer Je tout et ensuitte d'aller voir le tresor. Nous 
nous [y] rendimes donc apres les 22 heures. On com- 
meu§a par nous faire voir le tresor, qui est a la verite d'un 
prix inestimable. Nous y trouväraes beaucoup de monu- 
ments et offrandes de nos deux maisons et en ressentimes 
une vraye consolation. Parmi les tableaux celui de Ra- 
phael Urbino sur passe les autres. On nous montra aussi 
Tendroit, oü le pave enfon9a avec un voleur, qui s'etoit 
laisse enfermer dans cet endroit pour y voler le tresor et 
dont il ne put sortir, se trouvant serre entre le marbre, 
qui'enfon§a avec lui jusqu'ä ce qu'il fut pris. A la sainte 
chapelle les orneinents, dont la Sainte Vierge est paree, 
consistent en oflrandes precieuses derriere l'auteL Toutes 
les lampes sont d'or massif. Ce qui snrpasse de bien loing 
le prix de tout Tor du monde, et cela malgre sa simpli- 
cite et sa structure d'une simple brique , est la cheminee, 
que nous admirämes avec veneration, oü la Ste. Vierge fit 
la cuisine. Comme dans une petite arraoire on nous montra 
les petits plats de terre, dont la sainte famille se servoit. 
Le bois, qui y tient la Separation, se trouve encore si bien 
conserve, comme si cela venoit d'estre fait, ce qui ne se 
pourroit sans miracle. II y a aussi les portraits de la 
Ste. Vierge et celui de Notre Seigneur crucifie, peints par 
St. Luc. J'y ai fait Tobservation , que ce peintre etant le 
seul, dont on peut s'attendre d'avoir fait le vrai original, 
a decide de la dispute, qu'on fait, si Jesus Christ a este 
crucifie ä trois ou quatre cloux, y ayant mis deux aux 
pieds et par consequent decide par les 4. On y conserve 
aussi Thabit de la Sainte Vierge et plusieurs autres choses. 



Digitized by 



Google 



216 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

Ce qu'il y a encore de tres remarquable, est une poutre, 
qui passe au travers du pave, laquelle pour la mieux con- 
server a este couverte par trois fois de toutes sortes de 
metaux, c'est ä dire de fer, d'or et argent. Tous ces me- 
taux se sont trouves corrompus et aneantis par la suitte du 
tems, et le bois reste toujours dans son estre saus la moindre 
tache ni apparence de corruption. Toutes les pierres, dont 
cette sainte maison est construite , se trouvent entieres et 
dans le meilleur etat du monde et ne souffrent point de 
division. Ilya des exemples, que raeme avec la permis- 
sion du pape une pierre fut emportee, mais que celui, qui 
avoit obtenu ce saint depöt, ne pouvoit jamais le garder, ayant 
souffert continuellement des maladies les plus etranges, dont 
il ne pouvoit guerir qu'apres avoir rendu cette pierre ä la 
sainte maison. On a de plus et pour plus grande sürete 
entoure cette sainte chapelle d'un autre mur, tout revetu 
de marbre et magnifiquement orne de basreliefs, maisce 
mur ne pouvoit jamais toucher les saintes murailles, les- 
quelles se sont d'elles memes detachees de fafon, qu'un pe- 
tit gar§on peut passer tout autour du vuide, qui reste entre 
[les] deux. II est donc bien vrai, qu'outre la memoire 
sacree de cette habitation cette maison est toute miracu- 
leuse, car tout ce qu'on y observe ä present et tout ce qui 
en reste ne subsiste que m i raculeu seinen t. C'est donc tout 
edifies et remplis d'admiration que nous en sortimes, lors- 
qu'une tres belle illumination nous frappa de nouveau. Le 
gouverneur par une distinction tonte particuliere nous a 
fait illuminer la sainte chapelle de la merae fa^on, dont 
on cölebre tous les ans une fois le jour remarquable, au- 
quel eile fut apportee par les anges. Cette illumination 
fait un tres bei effet, le haut de cette chapelle se trouvant 
couronne de mille et mille bougies. Ce qui donna le plus 
ä la vue et la rend encore plus brillante, est une etoille 
illuminee de la merae fa§on, qui descend pendant les litanies, 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 217 

lesquelles furent chantees par d'excellents musiciens. Apres 
les litanies j'en marquai ma reconnoissance au gouverneur, 
et nous nous retirämes pour estre de bonne heure en train 
le lendemain. 

Le 18 apres avoir entendu la messe et fait le tour de 
la sainte chapelle ä genoux avec toute notre suitte, le gou- 
verneur nous offrit encore une fois des rinfreschi, mais 
comme une sainte chaleur inspiree par la devotion ne doit 
jamais estre rafroidie, nous Ten remerciämes avec le ferme 
propos d'en demeurer toujours bien echauffes. C'est de 
cette fafon que nous primes conge des deux prelatö , qui 
nous accompagnerent jusqu'ä notre chaise de poste, et que 
nous partiraes vers les 11 heures d'Italie. Nou9 avons fait 
le meine chemin qu'en j allant, dine ä Fano et couchö ä 
Bimini. 

Le 19 apres avoir entendu la messe nous nous sommes 
mis en chemin vers les 10 heures. Dinee ä Faenea dans 
la maison d'un musicien nomme Borttoletto, qui etoit autre- 
fois ä notre Service. 28 ) II nous fit voir sa maison, qui 
etoit bätie avec bien du goüt. II fit un peu de musique 
et donna un dine magnifique. De lä nous eümes en chemin 
faisant quelque difficulte ä passer les eaux. Nous le fimes 
cependant fort heureusement en bateau malgre les protesta- 
tions des bateliers et postillons, dont les premiers nous 
firent debarquer sur leurs epaules, ayant ete obliges de 
porter un ä un ä terre, les chaises passerent de meine, et 
nous enträmes ainsi dans Imola, d'oü apres avoir change 
de chevaux nous avons continue notre route jusqu'ä Bou- 
logne, oü nous arrivämes heureusement vers les 24 heures. 

Lfe lendemain matin, le 20, la noblesse repeta les offres 
de la depntation tant en ca valiers que dames, mais nous 

28) Durch kurfürstliches Dekret vom 9. Novemhcr 1720 war der 
Virtuos Bortolo Portoletto zum Kammermusikus aufgenommen worden 
(vergl. Kudhart, Geschichte der Oper am Hofe zu München S. 188). 



Digitized by 



Google 



218 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

nous en reraerciämes. Ce fut le quaranta Angenelli, qui 
en porta la parole au nom du senat. Malgre le refus, que 
j'en fis, les deux freres Angenelli et le marquis de Bar- 
bazzo ne laisserent point que de nous accompagner partout. 
Ce inatin toute notre antichambre, c'est ä dire la meilleure 
chambre de notre auberge, fut reraplie de noblesse. Les 
dames demanderent aussi la perinission de venir baiser la 
main ä la comtesse de Camb , mais comme la place etoit 
trop etroite, on leur fit dire de s'entendre entre elles, qu'on 
en pouvoit recevoir dix ou douze par fois, et que Celles, 
qui venoient le raatin, pouvoient rester ä diner. (Test ainsi 
que nous l'avons observe pendant tout notre sejour, de 
sorte que la plupart des dames, ou du moins Celles, qui 
pouvoient paroitre en manteau, ont dine chez nous. Vers 
les 14 heures apres avoir refu les complimens de cejte 
nombreuse noblesse nous avons ete en carosse de louage, 
oü pour mieux marquer Tincognito nous nous somnies tou- 
jours places sur le devant. A une maison du seminaire 
vis ä vis du graud dorne, oü il faisoit la procession et y 
avoit un balcon arrete pour nous, le hazard voulut, que ce 
meine endroit fut arrete pour le fils du pretendant, qu'on 
traitte comme prince de Galles en ce pays la, et que par 
cette meme raison nous ne pouvions pas nous voir, par 
bonheur que nous fümes dejä places, lorsqu'il arriva. II 
descendit a la meme maison, monta les escaliers et fut 
dejä avance pour entrer dans la löge, lorsque son gouverneur 
(qui est un digne homme) le retira par la manche et Temmena 
dans une autre maison de la meme contree. II nous fit meme 
faire ses excuses, comme quoy le hazard avoit voulu, qu'on 
lui avoit indique la meme löge sans Tavertir, qu'elle etoit dejä 
arretee pour nous. Ses excuses furent accompagnees de quan- 
tite de contestations de respect et d'amitie, telles qu'on 
devoit s'attendre d'un prince tres bien eleve et rempli de 
politesse. Cette procession fut assez belle, quoyque pour 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kurf. Karl Älbrecht von Bayern ital. Reise. 219 

dire la verite eile n'approche pas les nötres. Cependant 
ce qu'il y a de plus remarquable est, qu'un chacun, qui 
s'y trouve, porte un grand flambeau de cire ä la main. 

Apres avoir vu la procession et avoir ete regales de 
rinfreschi ä la mode d'Italie nous fümes entendre la messe 
ä S. Pietro et de lä a diner au logis, oü une douzaine de 
dames, qui viurent baiser la main ä madame la comtesse 
de Camb, nous attendirent avec plusieurs ca valiers de di- 
stinction, de sorte que la table, qui etoit couverte pour 32, 
ne fut assez grande, et que ceux de notre suitte n'y avoient 
plus de place. L'apres-diner on fit musique, pendant la- 
quelle quelques autres dames vinrent faire leur cour. Vers 
les 23 heures dous allämes au cours, oü il y avoit une 
course de barbes, laquelle ä la verite n'etoit pas grande 
cbose, cette fete n'ayant brille que par la grande quan- 
tite de carosses et le nombre de dames, toutes tres bien 
mises, qui s'y sont trouvees. Apres les 24 heures nous 
avons ete ä Topera, qui porta le titre de Siface. La musi- 
que y etoit fort belle et les decorations magnifiques. Ce 
n'etoit cependant que les hommes qui ont soutenu cet 
opera, car pour les femmes il n'y avoit pas moyen de les 
entendre. En voix de soprano le fameux Carestini y bril- 
loit le plus, un musicien de Tempereur, norame Salimbeni, 
eut aussi son parti, et je puis dire, que ce jeune homme 
m'a plu infinement; lequel s'il continue ainsi , deviendra 
un des meilleurs d'Italie. Cependant la voix naturelle d'un 
certain Amorevöli a paru Temporter sur tous. Je puis 
dire, qu'aucun chanteur de basse taille ne m'a scu toucher 
comme celui-ci. II a une agilite etonnante, fait tous ses 
agrements avec bien du jugement et surpasse encore selon 
raon goüt le fameux Paeta, 29 ) qui etoit le plus approuve 
en Italic Une petite danseuse, nommee La Francese, eut 



29) Richtig Paita. 
[1882. IL Philos.-philol. bist. Cl. 2.] 15 



Digitized by 



Google 



220 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

aussi beaucoup cTapprobation , quoiqne selou mon goüt je 
lui preferois toujours celle de Padoue. Le reste de la danse 
ne valoit pas grande chose. 

Le 21 nous avons ete entendre la messe aux jesuites 
dans la chapelle, qui servoit de chambre ä St. Xavier, en- 
suitte dans la raaisoD de Casolani B0 ) , pour y voir la pro- 
cession, et puis promener aux adoppie, sl ) qu'on nomme 
ainsi ä Boulogne, c'est ä dire sous les arcades tapissees et 
ornees dans les contrees, on passe la procession. C'est ce 
qu'il y a de plus beau ä voir dans ce teras ici ä Boulogne. 
Toute la noblesse s'y rassemble ordinairement avant Theure 
du diner. Nous y renconträmes plusieurs et nous en re- 
vinmes au logis, oü le nombre ordinaire de dames nouB 
attendoit. Apres diner on fut se promener a la montagnola. 
C'est une petite butte, qui se trouve au bout de la ville, 
avec une espece de prairie au milieu et des arbres plantes 
tout autour. C'est la oü pendant Tete on fait une espece 
de cours. Toute la noblesse y va, et les carrosses s'arretent 
comme en cercle dans cette prairie ; les dames demeurent 
en carrosse, ce ne sont que les ca valiers qui mettent pied 
ä terre et s'en vont d'un carrosse ä l'autre pour entretenir 
les dames. De la montagnola nous fümes ä Topera et de 
lä au logis. 

Le 22 au matin nous avons ete visiter la sainte, c'est 
a dire Ste. Catherine de Boulogne, mais nous n'avons pu 
la voir qu'au travers d'une grille, le cardinal s'excusant, 
qu'il n'y avoit que le pape seul, qui pouvoit donner la 
permission d'entrer dans le couvent. La comtesse de Camb 
cependant fit naitre la question, que sortant de deux mai- 



30) Vermuthlich des Dr. med. Anton Kajetan Casolani, dessen 
Schwester Maria Elisabeth 1719—1731 am Münchener Hofe als „Singerin - , 
dann als Kammervirtuosin gedient hatte und am 17. Oktober 1732 zu 
Bologna gestorben war'(vergl. Rudhart a. a. 0. S. 186). 

31) Wohl addobbi. 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kurf. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 221 

sons fondatrices de plusieurs couvents de Vordre de Ste. Ciaire, 
qui est celui de ces religieuses, eile croioit, que saus autre 
nous pourrions jouir du privilege dV entrer. Je fis faire 
lä-dessns des nouvelles remonstrances an cardinal, qui les 
trouva lui merae d'assez de fond pour nous faire dire, que 
cette perniission, qu'il ne pouvoit pas donner, nous Tap- 
portions par nous memes, et qu'ainsi il n'y avoit pas des 
difficultez pour nous, mais qu'il prioit, que ce fftt avec peu 
de monde. 11 etoit trop tard pour cette matinee, ainsi 
nous avons remis cette visite ä Tapres-diner , puisqu'il fal- 
loit encore voir Tinstitut, oü nous nous rendiraes encore 
avant midi. C'est une grande maison, tres bien construite, 
oü on trouve toute sorte de curiositez et tout cela separe 
en diverses chambres. Dans Tune on voit des experiences 
de cbimie merveilleuses, dans l'autre des choses physiques 
et des möcaniques, Tecole des peintres et de Tarcbitecture 
geometrique; des desseins d'ingenieurs apprentis et de tout 
ce qu'on peut s'imaginer. L'une de ces chambres se trouve 
remplie de toutes sortes des oiseaux de proye, conserves 
dans leur plumage, dans l'autre des betes et insectes jus- 
qu'aux poissons, ecrevisses de mer et semblables et du bois, 
toutes sortes de pierres imaginables, enfin tout ce qu'il y 
a de curieux se trouve rassemble en cet endroit. On nous 
fit voir plusieurs effets d'air enferm6 et autre, dont tous les 
spectateurs 3toient parfaitement coutents, enfin tout parut 
admirable en ce Heu. Mais ce qui nous surprit le plus, 
ce fut Donna Laura, une fille de 24 ans, qui a si bien 
etudie, qu'elle a prip le grade de doctorat en philosopbie. 
J'ai soubaite l'entendre disputer et lui fis proposer une 
tbese. Elle y repondit avec autant d'eloquence que de 
doctrine et de fa£on meine, qu'aucun des avocats auroit pu 
se tirer mieux d'affaire qu'elle. 82 ) Nous devions encore 



32) Laura Maria Katharina Bassi, geboren am 29. Oktober 1711 

15* 



Digitized by 



Google 



222 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

aller ä Tobservatoire, mais comme il etoit trop tard, que 
de mon cöte je Tavois dejä vu une autre fois, que la com- 
tesse de Camb ne voaloit pas monter si haut, et qu'il etoit 
dejä plus de trois heures apres midi, nous en sommes re- 
tournes au logis pour diner en compagnie de toutes ces 
dames, qui dous attendoient comme ä Tordinaire. L'apres- 
diner le duc de Modene 88 ) envoya encore une fois le mar- 
quis de Bangoni, marquant, combien il etoit fache de ne 
se point trouver en etat de nous voir, offrant en raeme 
tems ses Services en tout, dont nous en pouvions avoir be- 
soing pendant notre passage par son pai's. Comme d'abord 
apres notre premiere arrivee j'y avois envoye le marquis 
de Caponi et marque Tempressement , que nous avions de 
voir les princesses, 84 ) elles ont Charge derechef le marquis 
Rangoni pour nous proposer, si c'est ä Boulogne ä Topera, 
ou bien ä notre passage ä Buonporto qu'elles pourroient 



zu Bologna als Tochter eines Rechtsgelehrten, wurde 1732 zur Doktorin 
der Philosophie graduirt, erhielt eine Professur derselben an der Uni- 
versität ond lehrte daneben am „Instituto" Sprachen, Mathematik und 
Physik. Sie heirathete 1738 einen Arzt Verati und starb zu Bologna 
am 20. Februar 1778. Näheres über sie bei Fantuzzi, Notizie degli 
scrittori bolognesi I, 384 — 391, womit Ersch und Gruber, Encyclopädie 
VIII, 50 zu vergleichen. Laura's Disputation vor Karl Albrecht ist zu 
Bologna unvergessen. Fantuzzi fügt der Erwähnung, dass unter anderen 
dnrch Bologna reisenden Fürsten im Jahre 1739 auch der Kurprinz 
Friedrich Christian von Sachsen sie disputiren gehört und ihr selbst 
einige philosophische Fragen vorgelegt habe, die Anmerkung (p. 388 
not. 6) bei: Lo stesso accadde nel passaggio per Bologna dell' elettore 
di Baviera, che poi fu imperadore col nome di Carlo VII., essendosi 
fatta udire a disputare nelle camere dell 1 instituto. 

33) Rainaldo, der am 12. Oktober dieses Jahres starb (Litta, Fa- 
miglie celebri italiane, „Este" tav. XVII). 

34) Benedikte Ernestine Marie, geb. 18. Aug. 1697, unvermählt 
gestorben im Jahre 1777 und Anna Amalie Josepha geb. 28. Juli 1699, 
unvermählt gestorben 5. Juli 1778 (Litta a. a. 0. und Voigtel, Genea- 
logische Tabellen, Tab. 260). 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 223 

nous voir. La coratesse de Camb ayant juge, qu'il seroit 
trop incomraode de s'arreter pendant le voyage, oü on se 
trouveroit assez mal arrasge apres avoir passe la moitie de la 
nuit en chaise de poste, et que meme on n'auroit eu assez 
de loisir de s'entretenir avec d'aussi aimables cousines, 85 ) 
[nous] preferions l'entrevue de Boulogne, et c'est ainsi que 
le marquis de Rangoni fut expedie. 

Apres quoi nous avons ete au couvent de Sainte Ca- 
therine. C'est certainement un grand miracle de voir cette 
sainte assise dans un fauteuil sans estre appuiee. On dit, 
que se relevant de son tombeau c'est par obeissance qu'elle 
s'est inise dans cette Situation. Tout son saint corps se 
trouve trös bien conserve, hormis que la peau est noire. 
On y voit encore les ongles aux mains et aux pieds, les 
deuis dans la boucbe et toutes les parties du visagö dans 
leur entier depuis trois cent ans que cette sainte est morte. 
Nous lui avons baise les pieds, et apres Tavoir admiree 
quelque tems avec beaucoup de veneration sa chere abbesse 
nous montra une partie du couvent, qui est assez beau. 

En attendant l'heure de la montagnola s'approcba. 
Nous y fumes, mais comme il y avoit une tres grande 
quantite de carrosses et que la foule du menu peuple sui- 
voient le notre, il n'y avoit pas moien de descendre sans 
courir le risque d'estre ecrase par la populace. Ainsi nous 
ne nous y arretämes que fort peu de tems. Etant retournes 
au logis, nous nous preparämes pour le bal, oü nous al- 
lämes vers 1 heure d'Italie. C'etoit dans la maison du 
marquis Fibia qu'il fut donne. La plupart des quaranta^ 
c'est a dire leurs s&iateurs, nous re§urent en descendant 
du cai*ro8se, et plusieurs dames en montant les escaliers 



35) Ihre Grossmutter mütterlicherseits, Benedikte Henriette Phi- 
lippine (f 1730), war nämlich eine mit Johann Friedrich Herzog von 
Hannover verheiratete Tochter des Pfalzgrafen Eduard, eines Sohnes 
des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, 



Digitized by 



Google 



224 Sitzung* der histor. Classe vom 1. Juli 1882. 

vinrent au devant de nous. II falloit passer quatre ou 
cinque chambres avant d'arriver ä la salle, toutes remplies 
de noblesse. La salle etoit tres bien eclairee, de meme que 
tout Tappartement. Toutes les dames s ? y trouverent ras- 
semblees magnifiquement parees et inises de tres bon gollt, 
ce qu'autrefois on ne voyoit pas en Italic II y en avoit 
ä peu pres 150. A peine arrive, le maitre de ceremonie, 
qui etoit un gentilhomme depute expres pour cela, m'invita 
de commencer le bal. Je pris la comtesse de Carnb, ensuite 
il lui fit prendre un prince polonois, qui se trouvoit ä cette 
fete, ä lui une autre dame, et [c'est] ainsi qu'alternativement 
il amena les ca valiers et daines, qui devoient danser. Apres 
cela nous. dansämes quelques contredanses et avons reste ä 
cette fete jusque vers les 7 heures d'Italie. 

Le 23 apres avoir entendu la messe ä S. Pietro de lä 
nous avons ete ä la maison d 1 Angenelli, qui nous a invites 
pour une academie de musique. Ces messieurs aussi bien 
que la inere et belles-filles nous attendirent en descendant 
du carrosse et nous conduisirent dans une tres belle galerie 
de glace, peinte en fresco, oü les chaises pour les danies 
furent rangees des deux cötes et la musique en face. II 
faut avouer, que c'etoit une de plus belles, que nous avions 
entendu de longtems. Les trois chanteurs de Topera y 
firent des merveilles , et ce Amorevole paroissoit dans la 
cbambre encore" mieux que sur le theätre. Un dnetto, que 
la Bosa, nommee La Bavaroise, cbanta avec Carestini, a 
merite Tapplaudisseraent geueral. Cette cbanteuse est ex- 
cellente, quand eile le veut bien, et chante träs mal, quand 
eile est de mauvaise bumeur, ce qui lui arrive le plus sou- 
vent. 86 ) Une autre chanteuse, nommee Torvoti, nous fiten- 



36) Maria Rosa Schwarzraann, eine Metzgerstochter aus München, 
wurde 1731 „Singerin 4 ', später „Kammervirtuosin 1 ' am kurfürstlichen 
Hofe, heirathete am 24. Oktober 1736 den italienischen Schauspieler, 
späteren Theatergarderobier Joseph Pasquali und starb am 16. No- 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 225 

tendre une tres belle voix. C'est dommage, que la graisse 
excessive Tempeche de chauter sur le theätre. Une autre 
fille, nommee la Schiantarelli, se fit entendre sur le clavecin, 
dont eile s'en acquitta ä merveille. Un joueur de basse de 
viole, un autre de violon excellerent, enfin ce fut une musique 
parfaite, pendant- laquelle on fut regale plusieurs fois par 
des rinfreschi. CTetoit seulement dommage, que l'heure s'avan- 
§ant, car il etoit dejä trois heures apres midi, nous a empeches 
d'en jouir plus longtems. Nous fümes donc obliges de nous 
en retourner au logis, pour ne pas faire attendre plus long- 
tems la compagnie nombreuse, qui nous y attendoit. 

Apres diner le marquis Bangoni revint nous dire, qu'il 
y avoit deux dames de Modöne d'arrivees, qui vinrent nous 
snrprendre dans notre auberge. Nous lui repondimes, que 
ce seroit une surprise bien agreable pour nous, et puisqu'elles 
le souhaitoient ainsi, que nous allions passer Tapres-diner 
comme ä l'ordinaire aevc un peu de musique, effectivement 
les princesses de Modene parurent tout d'un coup et lorsqu'on 
s'y attendoit le moins dans notre chambre. La comtesse 
de Camb les embrassa tendrement. Quant ä moi, j'ai re- 
nouvele avec elles notre ancienne connoissance, me ressou- 
venant toujours des grandes politesses, dont je fus accable 
a leur cour et des marques d'araitie, que j'ai re9ues de cette 
maison toutes les fois, que l'occasion s'en est presentee. 
La comtesse les prit toutes deux par la main et les pla^a 
ä cöte d'elle. Pour moi j'ai continue mon train ordinaire, 
je me mis ä chasser tantot aupres de Tune, tantot aupres 
de Tautre et tantot aussi entre les dames, comme Toccasion 
s'en presenta. J'ai trouve ces princesses a^sez bien conser- 
vees depuis les 21 ans que je ne les avois plus vues. Elles 
sont tres aimables et marquent avoir beaucoup d'esprit, 

veinber 1754. Wie es scheint, waren ihr Kunstreisen nach Italien er- 
laubt, wo sie zu Neapel den Beinamen „La Bavarese" erhalten haben 
soll (vergl. Rudbart, Geschichte der Oper am Hofe zu Münchens, 119). 



Digitized by 



Google 



226 Sitzung der histor. Glasse vom 1. Juli 1882. 

surtout l'ainee. Apres un entretien aussi agreable, qui dura 
presque vers les 24 heures, les princesses prirent conge. 
Pour jouir plus longtems de leur presence, je nie suis donne 
la satisfaction de conduire l'ainee jusqu'au carrosse. Apres 
quoy, le teras du cours etant passe, nous avons ete ä l'opera. 
Les dites princesses vinrent d'abord dans notre löge et 
convierent toutes les dames de Boulogne, de sorte qu'on 
ne pouvoit pas se remuer. Ce fut donc en partie pour leur 
faire place et pour leur rendre politesse pour politesse que 
j'en sortis, ayant fait la ronde de quasi toutes les loges des 
dames, qui ont este ehez nous. C'est ainsi que le tems 
s'est ecoule, que l'opera finit, et que l'heure fixee pour notre 
depart s'avan^it. Avant de sortir de l'opera je laissai 
quelques petits Souvenirs ä ces messieurs, qui s'empresserent 
le plus ä nous accompagner partout, c'est ä dire au marquis 
JBarbazzo, quaranta Davia et les deux freres Angenelli. Nous 
primes conge des princesses, nos cheres cousines, et nous 
sommes v retires apres les deux heures apres minuit. Le tems, 
qu'on employa pour souper et pour noug arranger, s'ecoula 
jusqu'ä huit heures d'Italie, c'est ä dire quatre heures du 
matin, oü nous avons quitte Tagreable sejour de Boulogne, 
que surtout la comtesse de Camb regretta infiniment. Nous 
avons entendu la messe ä la premiere poste ä St. Jean. 87 ) 
Le comte de Bandinella fit encore une fois ä Buonporto 
des compliments du duc de Modene et s'informa, si nous 
avons este bien servis. Comme dans tout le Modenois nous 
le fümes le mieux du monde, nous lui en avons redouble 
nos remercimens et fait faire des complimens reciproques 
au duc de Modene. C'est d'ici qu'on nous montra l'endroit, 
oü le comte de Königsegg fit le glorieux passage de la 
Seccia, et oü il surprit l'armee fran^ise. 88 ) J'y ai observe 

37) S. Giovanni. 

38) Am 15. September 1734 bei Quistello. Da dieses aber nörd- 
lich von Concordia liegt, so täuscht wohl den Verfasser sein Gedächtniss, 



Digitized by 



Google 



v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 227 

leur camp, qui etoit d'une terrible etendue, de sorte que, 
8i on avoit profite sur le champ de la deroute, oü ils etoient, 
ils auroient eu bien de la peine ä se reconnoitre, moins de 
se rassembler, et la victoire auroit este complete. II est 
bien certain, que tant l'homme de guerre que celui d'etat 
et du cabinet n'a qu'un seul principe ä observer, que c'est 
la en quoy consiste toute la politique dans le commerce des 
hommes, c'est ä dire de bien prendre son tems. Voilä ce 
qui decide de tout et ce qui regle toute chose. On a beau 
faire les meilleures dispositions du monde, d'approfondir 
toute chose dans son idee, de pourvoir tout ce qu'on croit 
humaiDement possible : si Ton ne profite du tems pour faire 
son coup, ou bien qu'on laisse echapper les moments favo- 
rables, tout est envain, et ce qui est le plus triste est, que 
les moments perdus ne reviennent plus. Pour parier en 
voyageur diligent, nous n'avons pas perdu les nötres; ayant 
avance bien vite, nous sommes arrives ä une heure apres 
midi ä Concor dia. Le nom de cette ville me fait encore 
ressouvenir du peu de cas, qu'on en fait dans le monde, 
malgre [que] le proverbe latin : Concor dia res parvae crescunt, 
discordia magnae düabuntur devroit assez nous en faire res- 
souvenir. Mais ä quoy bon toutes ces reflexions, lesquelles 
donnent tete ä tete dans les plus grandes occasions du monde, 
pour des devots pelerins, lesquels ne devroient ä present guöres 
s'embarasser de ces sortes d'affaires? 

Nous en partimes fort Contents et apres avoir passe ä 
Mautoue, oü malgre notre incognito [ils] nous saluerent du 
canon et que le general avec plusieurs officiers nous firent 
leurs reverences, nous sommes heureusement arrives apres 
les 22 heurefe ä Roverbello^ oü nous couchämes pour la der- 



weun er das Schlachtfeld bereits bei Buonporto gesehen haben will. 
Näheres über diese Aktion und die vier Tage später von den Oester- 
reichern verlorene Schlacht bei Guastalla bietet Schels in der oben 
Anm. 5 «itirten Abhandlang resp. Zeitschrift, Bd. III, S. 133 ff. 223 ff. 



Digitized by 



Google 



228 Sitzung der histor. Glosse i\om 1. Juli 1882. 

niere fois de ce voyage en Italic Le 25 nöus partimes 
apres les 9 heures d'Italie et apres avoir heureusement 
passe la Ghiusa et tous les chemins les plus dangereux 
nous sommes arrives ä Hälla ä nne henre apres midi. La 
comtesse de Gamb n'avoit pas encore vu les manufactnres 
de velours, ainsi je l'y ai menee, et nous y avons fait quel- 
ques emplettes. De lä nous avons continue notre route 
vers Trente, d'oü le comte de Wolkenstein est venu ä notre 
rencontre, repetant son invitation pour nous recevoir dans 
sa maison. Nous nous en sommes remercies et arrives ä 
Trente apres les 24 heures. 

Le lendemain, le 26, apres avoir entendu la messe 
nous en repartimes, agites du train de redoubler nos pas, 
selon le latin: motus in fine velocior, c'est ä dire, que tout 
mouvement, qui va ä sa fin, se fait avec plus de vitesse. 
C'est sur ce pied que nous avons fini notre voyage. Car 
nous primes notre diner ä Polsan, soupämes ä Stainach, 
dont apres souper nous avons continue le chemin sans nous 
mettre au lit, passant le lendemain, le 27, ä la pointe du 
jour ä Insprugg. Nous avons entendu la messe ä Seefeld y 
oü on nous a montre la sainte hostie miraculeuse, dont 
j'ai fait mention dans le commencement de notre voyage, 
dine ä Benedictbeiren, ou le prelat nous a traitte magnifi- 
quement et nous nous sommes arretes pres de trois heures. 
Enfin c'est ä 8 heures et un quart sans estre attendu de 
personne que nous fümes de retour ä Munic et avons joui 
de la consolation d'embrasser notre chöre famille en par- 
faite sante. La tendresse, qui se fit sentir de part et 
d'autre, c'est une chose ä lire au fond des coeurs et par 
consequent impossible ä detailler par ecrit. C'est ainsi que 
gräce ä Dieu se finit heureusemeut notre pelerinage de 
' Laurette, entrepris le 22 de may et acheve le 27 de juin 1737. 



Digitized by 



Google 



Oeffentliche Sitzung 

zur Vorfeier des Geburts- und Nainensfestes 
Seiner Majestät des Königs Ludwig IL 

am 29. Juli 1882. 



Der Präsident Herr v. Döllinger verkündete Folgendes: 

Die k. Akademie der Wissenschaften hatte im Jahre 
1879 aus Anlass der Sa vigny-Stiftung die Preisauf- 
gabe gestellt: 

„Die Formeln des Edictum perpetuum (Hadriani) in 
ihrem Wortlaute und ihrem Zusammenhange". 

Rechtzeitig eingelaufen sind zwei Bearbeitungen, die 
erste mit dem Motto „Conamur tenues grandia 44 , die zweite 
mit dem Motto „Ahi quanto a dir quäl era e cosa dura 44 . 
Ueber beide Arbeiten war das ürtheil des Herrn Professors 
Dr. von Brinz, auf dessen Anratben seiner Zeit die Auf- 
gabe gestellt wurde, erbeten und, wie dankbarst anerkannt 
wird, in einem ebenso eingehend als überzeugend begrün- 
deten Gutachten empfangen worden. Im Anschlüsse an 
dieses Gutachten erklärt die Akademie, dass die mit dem 
lateinischen Motto versehene Arbeit einer weiteren Berück- 
sichtigung unwerth ist, hingegen der das italienische Motto 
tragenden einlässlicHen Bearbeitung der ausgesetzte Preis 
zuerkannt wird, da dieselbe als Lösung der gestellten Auf- 
gabe zu betrachten ist, insoferne in ihr so viel geleistet 
worden, als binnen der gesetzten Zeit von Einem geleistet 
werden konnte, und ein Abschluss der Frage derartig er- 



Digitized by 



Google 



230 Oe ff 'entliche Sitzung vom 29. Juli 1882. 

reicht ist, dass alle weitere Forschung auf diesem Gebiete 
fortan von diesem Werke ihren Ausgang nehmen wird. 

Der Name des Verfassers ist: Dr. Otto Lenel, Privat- 
docent an der Universität Leipzig. 

Die vollständige Formulirung der Preisaufgabe hatte 
den Wortlaut: 

„Die Formeln des Edictum perpetuum (Hadriani) in 
ihrem Wortlaute und ihrem Zusammenhange. In 
der bekannten Arbeit RudorfTs „De iurisdictione 
edictum" hat sich die Restitution des prätorischen 
Edicts zum ersten Male dem formularen Bestand- 
teile desselben zugewendet. In dieser Richtung soll 
dieselbe nunmehr — und zwar mehr, als es bisher 
geschehen ist — aus den Edicts-Commentaren selbst 
heraus und unter Kritik der bisherigen Restitutionen 
gefördert und zum möglichsten Abschlüsse gebracht 
werden. tt 

Die ausführlichere Begründung des Urtheiles, welches 
sich die Akademie nach allen Seiten aneignete, lautet : 

Die erste mit dem lateinischen Motto versehene Arbeit 
wird jeder weiteren Berücksichtigung für unwerth erachtet; 
der Verfasser erklärt selbst, bloss den Weg anzeigen zu wollen, 
auf dem die gestellte Aufgabe zu lösen sein werde; aber auch 
was er dafür beibringt , besteht auf dem Räume von nur 20 
breit beschriebenen Folioseiten zu einem Drittel aus unwich- 
tigen zum Theil unrichtigen Bemerkungen, im Uebrigen aus 
unverarbeiteten Abschriften von Quellen- Citaten. 

Dagegen ist die zweite mit dem italienischen Motto ver- 
sehene 872 Folioseiten umfassende Arbeit als Lösung der ge- 
stellten Aufgabe zu betrachten. — In Gemässheit der Auflage, 
vorzugsweise durch Ausnutzung der Edicts-Commentare zu einer 
wo möglich über RudorfFs ersten Versuch hinausgehenden voll- 
ständigeren und genaueren Wiederherstellung der im Edict 
proponirt gewesenen Formeln zu gelangen , hat der Verfasser 
mit scharfem Sinne und feinem Gefühle , nicht uneingedenk 
auch der Kunst des Nichtwissens, mit Vorsicht von Schritt zu 
Schritt die Untersuchung weiter führend den in den Commen- 
taren eingehaltenen Gang und daraus den Text der Interpre- 



Digitized by 



Google 



Oeff entliche Sitzung vom 29. Juli 1882. 231 

tation zu ermitteln gesucht, sorgfältig scheidend, was auf die 
wenn überhaupt vorhandenen dann jedenfalls voranstehenden 
Edicts- Clausein und was auf die erst nachfolgenden Formeln 
sich bezieht. Es ist ihm auf diesem Wege gelungen, für zahl- 
reiche Formeln zum Theil Bestätigung, häufiger Verbesserungen 
und Ergänzungen zu finden, ja gelegentlich ganze Actionen 
und Formeln , welche bisher Niemand im Corpus iuris treffen 
zu können vermeinte, aus eben dieser Compilation neu hervor- 
zuziehen. Die Ergebnisse sind um so erfreulicher, als noch 
neuerdings von verschiedenen Seiten , ja vom Verfasser selbst 
beim Beginn seiner Arbeit in Zweifel gezogen wurde, ob auf 
dem durch die gestellte Aufgabe gewiesenen Wege etwas er- 
hebliches zu finden sein werde. 

Der Verfasser hat sogar über die Grenzen der gestellten 
Aufgabe hinausgehend auch die Wiederherstellung der Edicte, 
die Erforschung ihres Zusammenhanges , ihres Systemes und 
dessen Durchführung im Grossen und Kleinen in seine Arbeit 
hineingezogen. Was er darüber beibringt, dient nicht nur zur 
Festigung der bezüglich der Formeln gewonnenen Ergebnisse 
und zu der Einsicht, dass zu einem nicht geringen Theile der 
Edicts-Text selbst für die Jurisprudenz massgebend war, es 
ist auch darüber hinaus in vielen Punkten willkommen zu 
heissen als Erweiterung der wissenschaftlichen Erkenntniss des 
prätorischen Edicts überhaupt, dessen überlieferte Reste nun- 
mehr ebenso wie bei Rudorff als ein innerlich und äusserlich 
zusammenhängendes Ganze zur Darstellung gelangen. 

Es kann nicht fehlen, dass in einer so ausgedehnten, eine 
solche Masse von Einzelnheiten umfassenden Arbeit Manches 
zweifelhaft bleibt, Anderes verbesserungsbedürftig, wieder An- 
deres mit Grund bestreitbar erscheint, ja dass sogar hie und 
da Versehen und Verstösse mituntergelaufen sind. Auch 
möchten die scharfen Ausdrücke ohne Schaden zu vermeiden 
gewesen sein, mit denen der Verfasser im heiligen Eifer seine 
abfällige , immer übrigens rein sachlich gehaltene Kritik über 
die Thätigkeit der Compilatoren Justinians, nicht minder über 
manche frühere Restitutions-Versuche anderer Gelehrter, zumal 
des um die Wiederherstellung des Edicts so hochverdienten 
vom Verfasser selbst bereitwilligst anerkannten Rudorff, ge- 
legentlich zu erkennen gibt. 

Jedenfalls ist für die verlangte Wiederherstellung der 



Digitized by 



Google 



232 Oeff entliche Sitzung vom 29. Juli 1882. 

Formeln zumeist aus den Edictscommentaren in der Berichtig- 
ung und Ergänzung RudoriTs so viel geleistet worden , als 
binnen der gesetzten Zeit und von Einem geleistet werden 
konnte ; und sollte sich auch zeigen , dass hiebei nicht Alles 
erschöpft, fertig und richtig ist, so kann man doch sagen, 
dass die Formelrestitution aus den Commentaren der gestellten 
Aufgabe entsprechend insofern e zum möglichsten Abschlüsse 
gebracht ist, als ein mit allen Mitteln der Wissenschaft aus- 
gerüsteter Jurist die Commentare ad hoc durchgearbeitet, viel- 
fachen, ja reichen Erfolg erzielt und diesen so klar, übersicht- 
lich und verständig erörtert und dargestellt hat , dass wohl 
alle Kritik und weitere Forschung auf diesem Gebiete fortan 
von diesem Werke ihren Ausgang nehmen wird. 

Die kgl. Akademie beschliesst demnach, dem Verfasser 
der mit dem italienischen Motto bezeichneten Arbeit den aus- 
gesetzten Preis der Savigny-Stiftung zuzuerkennen". 



Wahlen. 

Die in der allgemeinen Sitzung vom 21. Juni vorge- 
nommene Wahl neuer Mitglieder hatte die allerhöchste 
Bestätigung erhalten, und zwar: 

A. Als ordentliche Mitglieder: 
Der philosophisch-philologischen Classe: 

Herr Dr. Andreas Spengel, Professor am Maximilians- 
Gymnasium zu München , bisher ausserordentliches 
Mitglied. 
.„ Dr. Wilhelm Meyer, II. Secretär der k. Hof- und 
Staatsbibliothek zu München, gleichfalls bisher ausser- 
ordentliches Mitglied. 

B. Als ausserordentliches Mitglied: 
Der historischen Classe: 

Herr Dr. Georg Gottfried Dehio, Privatdocent ander 
Universität München. 



Digitized by 



Google 



Oeff entliehe Sitzung vom 29. Juli 1882. 233 

C. Als auswärtiges Mitglied: 

Der philosophisch-philologischen Classe: 

Herr Dr. Heinrich Schliemann z. Z. in der Troade. 

D. Als cor respondir ende Mitglieder: 
Der historischen Classe: 

Herr Nikolaus Kalatschoff, Senator in St. Petersburg. 

„ Dr. Friedrich Maassen, Professor an der Uni- 
versität Wien. 

„ Dr. Franz Ludwig Bau mann, fürstlich Fürsten- 
bergischer Archiv-Secretär in Donaueschingen. 



Digitized by 



Google 



Philosophisch - philologische Classe. 



Sitzung vom 4. November 1882. 

Herr K. Hof mann trug vor: 

„Zur Textkritik des Guillaume le Marechal". 

Im letzten Januarheft der Romania (Nr. 41) findet 
sich eine Arbeit von Paul Meyer .über eine von ihm neu- 
entdeckte Reimchronik von grossem umfang (circa 20,000* V.) 
und höchster Wichtigkeit. Sie handelt von Guillaume le 
Marechal, Graf von Pembroke, Regent von England während 
der drei ersten Jahre der Regierung Heinrichs III. (1216 
bis 1272). Es ist die sehr detaillirte Lebensbeschreibung 
eines hohen Magnaten, der 1219 fast achtzigjährig starb, 
in seiner Jugend der Lieblingsritter Heinrichs mit dem 
kurzen Mantel, des „jungen Königs" gewesen war, so dass 
dieser ihn auf dem Todbette bat, sein Kreuz nach Jeru- 
salem zu bringen, der dann einer der tapfersten Verthei- 
diger Heinrichs IL im Kampfe gegen Richard von Poitou 
und Philipp August war, der später unter Richard Löwen- 
herz und Johann ohne Land beständig die höchsten Staats- 
ämter inne hatte und als Johann von Allen verlassen «und 
zu Grunde gerichtet, endlich starb, allein im Stande war, 
die Vormundschaft des jungen Heinrich zu übernehmen, 
die Regentschaft zu führen und trotz seines hohen Alters 
den Sohn von Philipp August und seine Anhänger zu 



Digitized by 



Google 



K. Hof mann: Zur Textkritik des Gruülaume le MarSchal. 235 

schlagen und dem Lande Ruhe zu verschaffen. Man be- 
greift, von welchem Werthe für die englische und fran- 
zösische Geschichte der genaue Bericht über die Thaten 
eines Mannes ist, der in den Ereignissen seiner Zeit eine 
so hervorragende Rolle gespielt hat. So führt P. Meyer 
das bedeutende Werk ein, von dem er als Probe ungefähr 
anderthalbtausend Verse mit einem ausführlichen historischen 
Commentar und philologischen Noten unter dem Text gibt. 
Ich habe mich mit dem Werke natürlich sofort näher be- 
kannt gemacht und erlaube mir als Resultat dieser Be- 
schäftigung einige auf die Textkritik bezügliche Bemerk- 
ungen und Vorschläge mitzutheilen. 

Seite 47 Vers 5 dürfte der Verschluss so zu ergänzen 
sein, im Anschluss an P. Meyers Ergänzung des 4. Verses, 
manere acort. 

V. 46 möchte ich statt delivre einfacher lui (aus lue) 
lesen. 

V. 181. Da Yembles offenbar verschrieben ist und in 
dem folgenden annes nur armes stecken kann, so muss 
zauächst aus yembles ein Adjectivum ausgeschieden werden 
(durch e mit proz verbunden) denn eine Partikel oder ein 
Prooomen, also qui nobles d' armes erte proz oder 
statt qui auch que, welches mit dem ke des folgenden 
Verses nicht Tautologie bilden würde, da das erste bedeutet 
denn, das zweite so dass. 

V. 269 — 70 scheint esteinz (umgekommen) und esteinz 
(erloschen) als rührende Reime zusammenzugehören, feus 
estreinz dürfte nicht sprachgebräuchlich sein. 

V. 391. Lies Clers fu decreiz en escripture. decreiz 
= discretus scheint alt französisch noch nicht belegt zu 
sein, doch hat La Curne descrecion (raison) und zwar aus 
anglonorm. Quelle (Britton). 

V. 394 muss mau der fehlenden Silbe wegen statt Ec- 
cestre nothwendig Eccecestre lesen (Exeter hiess Exancester). 
[1882. U. P hilos.-philol. hist. Cl. 2.] 16 



Digitized by 



Google 



236 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 4. November 1882. 

V. 423 lies entese statt enteste, welches nur be- 
deutet: in den Kopf steigen, begierig machen, während 
enteser in der Bedeutung: zielen, eine Waffe gegen 
einen richten, besser in den Zusammenhang passt. 

V. 567 wird statt saillir zu lesen sein asaillir, denn 
jenes bedeutet: einen Ausfall machen, während hier von 
einem Angriff der Belagerer unter einem Schutzdach gegen 
die Mauer die Rede ist. 

V. 599 — 600 enden gleich, regardout, resguar- 
dout. Der Herausgeber hat aus dem zweiten esguar- 
dout gemacht. Ich glaube nicht, dass diess nöthig ist, 
denn im ersteu Verse ist es ein aetives, im zweiten ein 
iutransitives Zeitwort. 

V. 602 sollen chevalers Stengel bedeuten 
qui creissent en la lande lee 
Qui ont la foille ague et lee. 
Da canavera im Prov. cafiavera im Spauischen Schilfrohr 
bedeutet, so wird eher ein zur Ableitung von canna ge- 
höriges französisches Wort zu erwarten sein, wo dann frei- 
lich das französische Wort in seiner latinisirten Form 
cheneverium (= cannabarium) schon bei Du Gange 
steht. Dieses bedeutet Hanfpflanzung und chenevier an 
unserer Stelle wurde also die langen Hanfstängel bedeuten, 
die allerdings in den landes wachsen und breite Blätter 
haben. Immerhin dürfte nach der Identität der Form auch 
die Bedeutung Schilfrohr ihre Geltung behalten, ja, sie 
wird eigentlich vollständig bestätigt durch die Mittheilung 
Littre's s. Nr. 2, dass lande un nom donne, dans quel- 
ques provinces au Jone marin qui croit dans ces terres 
incultes. On conpe les landes pour chauffer le four (also 
ganz wie die italienische canna), ferner durch V. 617, wo 
dem Rohr des Königs der Kopf abbricht, was nur bei 
einem Schilfrohrkolben einen Sinn hat. 

V. 622 hätte P. Meyer seine Emendation Ouvertüre 



Digitized by 



Google 



K. Hof mann: Zur Textkritik des Gruülaume le Marechal. 237 

doch unbedenklich in den Text setzen sollen, ebenso wie 
V. 668 aler für das erste aillors. 

V. 723 lies faiture wie V. 730. 

S. 60, V. 6811 sollte es statt esduent wohl seduent 
heissen. 

V. 6852 lies ariere statt a tiere. 

S. 64 V. 8935 sollte es statt entrefaites nicht besser 
heissen entrefez il. 

V. 8940 sollte nach France, da das folgende si ein 
Satzglied verbindendes ist, nur ein Komma stehen. 

V. S946 ist esloigne wohl im Sinne von Entfer- 
nung genommen. Es findet sich nichts in den Wörter- 
büchern, was recht hieher passte, denn ehloigne delai 
DC. elongatio 2 würde wohl nur die Tautologie ergeben: 
er solle sich durch keinen Aufenthalt aufhalten lassen. 
Vollkommen passt dagegen der bekannte terminus techuicus 
der Rechtssprache, der auch ganz in die gewöhnliche Sprache 
übergegangen ist, essoigne = Entschuldigung (impedi- 
mentum legitimum, ehaftiu not) 

V. 8951 möchte ich aus dem oben zu V. 8940 ange- 
gebenen Grunde interpungiren : 

,E il si fist, si li loerent. 

V. 8972. Die HS. hat frint oder fruit, daraus hat 
P. Meyer freint gemacht und es in den Text gesetzt. Mit 
V. 9085 verglichen dürfte in frint auch frit (friget) wie 
dort stecken und mit Or me, (wie im folgenden Verse) 
verbunden, würde es heissen: Nun friert es mich hinten 
und vornen. 

V. 8990 C. cuers statt cuirs. 

V. 9687 C. Qu'ele fu neire e perse et pale. 

V. 9095 iiga und 9101 fegie beziehen sich beide auf 
geronnenes Blut. Es ist wichtig, dass dieser im Alt- 
französischen so seltene Ausdruck hier zweimal erscheint. 
In der alten Sprache gilt dafür bete, wie ich in meinem 

16* 



Digitized by 



Google 



236 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. November 1882. 

V. 423 lies entese statt enteste, welches nur be- 
deutet: in den Kopf steigen, begierig machen, während 
enteser in der Bedeutung: zielen, eine Waffe gegen 
einen richten, besser in den Zusammenhang passt. 

V. 567 wird statt saillir zu lesen sein asaillir, denn 
jenes bedeutet: einen Ausfall machen, während hier von 
einem Angriff der Belagerer unter einem Schutzdach gegen 
die Mauer die Rede ist. 

■ V. 599 — 600 enden gleich, regardout, resguar- 
dout. Der Herausgeber hat aus dem zweiten esguar- 
dout gemacht. Ich glaube nicht, dass diess nöthig ist, 
denn im ersteu Verse ist es ein actives, im zweiten ein 
iu transitives Zeitwort. 

V. 602 sollen chevalers Stengel bedeuten 
qui creissent en la lande lee 
Qui ont la foille ague et lee. 
Da canavera im Prov. cafiavera im Spauischen Schilfrohr 
bedeutet, so wird eher ein zur Ableitung von canna ge- 
höriges französisches Wort zu erwarten sein, wo dann frei- 
lich das französische Wort in seiner latinisirten Form 
cheneverinm (= cannabarium) schon bei Du Gange 
steht. Dieses bedeutet Hanfpflanzung und chenevier an 
unserer Stelle wurde also die langen Hanfstängel bedeuten, 
die allerdings in den landes wachsen und breite Blätter 
haben. Immerhin dürfte nach der Identität der Form auch 
die Bedeutung Schilfrohr ihre Geltung behalten, ja, sie 
wird eigentlich vollständig bestätigt durch die Mittheilung 
Littre's s. Nr. 2, dass lande un nom donne, dans quel- 
ques provinces au Jone marin qui croit dans ces terres 
incultes. On conpe les landes pour chauffer le four (also 
ganz wie die italienische canna), ferner durch V. 617, wo 
dem Rohr des Königs der Kopf abbricht, was nur bei 
einem Schilfrohrkolben einen Sinn hat. 

V. 622 hätte P. Meyer seine Emendation ouverture 



Digitized by 



Google 



K. Hofmann: Zur Textkritik des Gruillaume le Marechal. 237 

doch unbedenklich in den Text setzen sollen, ebenso wie 
V. 668 aler für das erste aillors. 

V. 723 lies faiture wie V. 730. 

S. 60, V. 6811 sollte es statt esduent wohl secluent 
heissen. 

V. 6852 lies ariere statt a tiere. 

S. 64 V. 8935 sollte es statt entrefaites nicht besser 
heissen entrefez il. 

V. 8940 sollte nach France, da das folgende si ein 
Satzglied verbindendes ist, nur ein Komma stehen. 

V. 8946 ist esloigne wohl im Sinne von Entfer- 
nung genommen. Es findet sich nichts in den Wörter- 
büchern, was recht hieher passte, denn ehloigne delai 
DC. elongatio 2 würde wohl nur die Tautologie ergeben : 
er solle sich durch keinen Aufenthalt aufhalten lassen. 
Vollkommen passt dagegen der bekannte terminus techuicus 
der Rechtssprache, der auch ganz in die gewöhnliche Sprache 
übergegangen ist, essoigne = Entschuldigung (impedi- 
mentum legitimum, ehaftiu not) 

V. 8951 möchte ich aus dem oben zu V. 8940 ange- 
gebenen Grunde interpungiren : 

,E il si fist, si li loerent. 

V. 8972. Die HS. hat frint oder fruit, daraus hat 
P. Meyer freint gemacht und es in den Text gesetzt. Mit 
V. 9085 verglichen dürfte in frint auch frit (friget) wie 
dort stecken und mit Or me, (wie im folgenden Verse) 
verbunden, würde es heissen: Nun friert es mich hinten 
und vornen. 

V. 8990 C. cuers statt cuirs. 

V. 9687 C. Qu'ele fu neire e perse et pale. 

V. 9095 iiga und 9101 fegie beziehen sich beide auf 
geronnenes Blut. Es ist wichtig, dass dieser im Alt- 
französischen so seltene Ausdruck hier zweimal erscheint. 
In der alten Sprache gilt dafür bete, wie ich in meinem 

16* 



Digitized by 



Google 



238 Sitzung der phäos.-phüol. Classe vom 4. November 1882. 

akademischen Aufsatze über das Lebermeer vor vielen 
Jahren nachgewiesen habe. Im Neufranzösischen ist figer 
häufiger gebraucht; aber die Etymologie davon, wie sie 
sich nach Henricus Stepbanus und Du Cange bei Diez und 
Littre findet und in den Büchern zweiten und dritten 
Ranges wiederholt wird, ist unrichtig. Figer kommt 
nicht vom lat. figere (Littre figere), sondern es ist eine 
wörtliche Uebersetzung des altdeutschen giliberöt im Meri- 
garto (= gelebert, weil in der alten Medicin die Leber als 
geronnenes Blut betrachtet wurde). Ficätum wurde 
bekanntlich früh zu figatum, Cass. Glossen schon figido. 
Es ist diess ein schöner Beitrag zu den tausenden von 
Fällen, in welchen romanische und germanische Wörter 
zusammenfallen. 

V. 9142 lies sur tere. 

V. 9195—6 möchte ich den schönen und • effect vollen 
rührenden Reim enor: enor nicht aufgeben, sondern lieber 
zum Ausgangspunkt einer anderen Herstellung des Textes 
machen. Wenn wir das erste enor als Ehre fassen, so ist 
maint dafür unnöthig und aus dem folgenden Verse, wo es 
stehen muss, hier eingeschoben. Wenn wir daher lesen 
Par lui avez eu enor, 
Mainte richesse e maint'enor 
(Durch ihn habt ihr gehabt Ehre, 
Manchen Reichthum und manches Lehen) 
so kömmt der rührende Reim zur vollen Geltung. 

V. 9205—6 ist wieder ein rührender Reim mit zwei 
aveir (Habe und haben). Ich lese mit einer sehr leichten 
Veränderung in den Buchstaben 

1 ssi fu que tout ( = tolt) son aveir 
A celui qui tout sout aveir = So geschah es, 
Dass er (Estiene) seine ganze fahrende Habe (Baargeld) 
Dem nahm (dem König) der Alles zu haben gewohnt war. 
V. 9257 1. wie oben contre euer. 



Digitized by 



Google 



Historische Classe. 



Sitzung vom 4 November 1882. 



Herr Würdinger hielt eipen Vortrag: 

„Die Rentierst rasse von Scharnitz (Scarbia) 
bis Parteukirchen (Parthanum) und die 
mit ihr zusammenhängenden Befesti- 
gungen 14 . 

Ein längerer Aufenthalt an den Ufern des zwischen 
Partenkirchen und Mitten wald gelegenen Barmsees bot mir 
Gelegenheit die in dessen unmittelbarer Nähe liegende Römer- 
strasse von der Scharnitz bis Partenkirchen genauer als bis- 
her geschehen zu untersuchen, und ich erlaube mir das Er- 
gebnis dieser Forschung zum Gegenstände meines Vortrages 
zu machen. Die Untersuchung des Terrains ist wegen der 
steten Veränderungen, welche durch immer wiederkehrende 
Eingriffe der Elemente, durch die wechselnde Bewachsung 
der Oberfläche des Bodens im Laufe der Jahrhunderte im 
Hochgebirge hervorgerufen wurden, äusserst schwierig und 
erfordert die grösste Vorsicht und Unbefangenheit. Un- 
zählige Hügel, welche ihre Entstehung theils dem über den 
Wurzelstöcken des abgetriebenen Scharnitz waldes sich biU 
denden Humus, theils dem von den Bergen abgestürzten 
Gerolle verdanken; durch Wildwasser eingeschnittene Rinn- 
sale, die sich in verlassene Strassenbeete eingruben; Erd» 
trichter als Wirkung von Wasser wirbeln; durch Eis- und 
Scbneerutschungen entstandene, den Hpchäckern &hnelud© 



Digitized by 



Google 



240 Sitzung der histor. Classe vom 4. November 1882. 

Beete; sumpfiges Gelände, das früher trocken lag, sind ge- 
eignet dem an die Formen der Ebene gewöhnten Auge 
manche Täuschung und vergebliche Mühe zu bereiten. 
Möge es mir gelungen sein bei Bestimmung der Details 
der Strassen strecke , welche einen Theil der von Verona 
nach Augsburg führenden Consularstrasse bildet, das Rich- 
tige getroffen zu haben. 

Ueber den Brenner als den niedrigsten , Punkt der 
Tauernkette zog die Hauptstrasse von Italien nach Rätien. 
Sie wurde schon unter Drusus ausgesteckt, unter dessen 
Sohn Claudius (41 — 54) vollendet und erhielt nach Letz- 
terem den Namen via Claudia Augusta. Sie führte von 
Trient nach dem Knotenpunkte Wüten (Veldidena) bei 
Innsbruck. Von hier aus lief die eine Strasse, das alte 
Vindelicien betretend, nach Pons Oeni (Pfunzen) zum An- 
schluss an die von Augsburg nach Salzburg führende, eine 
zweite in westlicher Richtung über Leermoos, Reuti, Immen- 
stadt nach Bregenz, die dritte endlich über Scarbia (Schar- 
nitz), Parthanum (Partenkirchen) und das durch seine 
Thalsperre und Römerfunde gekennzeichnete Oberau, zu 
den bei Spatzenhausen am Staffelsee gesuchten Pontes Tes- 
senios, dann nach Ambra (wahrscheinlich Schöngeising) 
und Augusta Vindelicorum. — Scharnitz, der Ausgangs- 
punkt unserer Untersuchung, ist abgesehen von seiner stra- 
tegischen Lage durch das Auffinden von Grundmauern 
eines römischen Gebäudes, sowie von Münzen aus der 
Zeit Diocletians als römische Niederlassung erwiesen, und 
auch die in der Peutingerischen Tafel mit XXI bezeichnete 
Entfernung von Parthanum nach Scarbia entspricht der 
Ortslage. In dem von der Isar zerrissenen, vom Kar- 
wendel- und Mauleckberge eingeengten Thale kann von 
Scharnitz aus in nördlicher Richtung die Römerstrasse nur 
auf dem rechten Ufer erbaut worden sein. Unter den 
Trümmer» der von der Erzherzogin Claudia 1632, dann 



Digitized by 



Google 



Würdinger : Die Römerstrasse von Scharnitz bis Partenkirchen. 241 

im 18. und 19. Jahrhunderte von den Oesterreichern er- 
richteten Thalsperren, von denen die erstere den Namen 
porta Claudia trägt, liegen die Spuren des alten Heerweges 
begraben. Ob die in der Nähe der Wörthbrücke befind- 
liche, dammartige, mit Nadelholz bewachsene Erhöhung 
wirklich als Strassendamm diente, und nicht ein Schutt- 
hügel ist, möchte schwer zu entscheiden sein, doch spricht' 
für die erstere Eigenschaft ihre Richtung nach der Mühl- 
brücke zu, bei der erst kürzlich Münzen Hadrians gefunden 
wurden, während dann diese den Punkt des ältesten Fluss- 
überganges bezeichnet. Von der Brücke bis Mitten wald 
verliert sich der Strassenzug gänzlich. Lässt das Auffinden 
von Münzen aus der Zeit Hadrians, Constantins, Constan- 
tinus des Jüngern, sowie ein Meilenstein des Septimius Se- 
verus (194 — 211), der von Kaiser Maximilian I. nach Inns- 
bruck verbracht wurde, auf eine Niederlassung der Römer 
an diesem Platze schliessen, so kann trotz des Ausspruches 
Aventins, Mittenwald sei von Alters her ein castrum muni- 
tissiraum gewesen, an der Stelle des heutigen Marktes, der 
mehrseitig überhöht ist, ein grösserer Militärposten nicht 
gesucht werden, doch erscheint der mehr südlich gelegene 
Burgberg für eine Hochwarte sehr geeiguet: Er liegt an 
der engsten Stelle des Thaies, und schliesst das vom Ferchen- 
see und der Leutaschklamm auslaufende Defile. Die Wich- 
tigkeit beider Engnisse erhellt am Besten aus den No- 
vemberereignissen des Jahres 1805. 

Zwei Kilometer von Mittenwald unweit der Gabelung 
der nach Partenkirchen und Wallgau führenden Strassen, 
zeigt sich die Römerstrasse deutlich. Sie steigt aus dem 
Isarthale in ieiner Schlucht auf die nordwestlich des Flusses 
gelegene Höhe, führt längs der Krone, theil weise tief ein- 
geschnitten gegen den Schmalsee hinab, auf dessen west- 
lichem Ufer sie auf eine kurze Strecke gut erkennbar sich 
hinzieht. Nach Ueberscbreitung der Mulde, in die der 



Digitized by 



Google 



242 Sitzung der histor. Classe vom 4. November 1882. 

See gebettet ist, wendet sich der Strassenzug in scbarfem 
Winkel rechts von der Poststrasse ab und erscheint als 
Hohlweg zur Schmalseehöhe aufsteigend, zwischen zwei 
Kuppen als ein 8' breiter, 2—3' hoher Strassendamm mit 
Wassergräben. Während nun der Hauptzug die Landstrasse 
überschreitend sich in nordwestlicher Richtung dem Dorfe 
Clais nähert, zweigt sich noch auf der Schmalseehöhe von 
ihm in östlicher Richtung gegen Krün zu eine Seiten- 
strasse ab. Sie bildet die kürzeste Verbindung mit dem 
Isarthale bei Wallgau, und wird noch jetzt benützt. Von 
vielen Nebengeleisen durchfurcht ist sie oft kaum kennbar, 
an einer Terrasse südöstlich des Tennensees erscheint sie 
auf einer längeren Strecke als künstlich eingeschnittener 
Weg. In ihrer Nähe liegen mehrere Hügel, die ihrer 
Stein - Umfassung nach zu schliessen , Gräber enthalten 
könnten. Zur Heerstrasse zurückkehrend, so erscheint 
diese auf der Höhe südlich von Clais deutlich als alter 
Heerweg, und senkt sich dann als Hohlweg, der mit einer 
Rampe endet, in das vom Kranzbache gebildete Thal. Von 
Clais aus zieht sie zwischen den Bergen links der Post- 
strasse als erhaltener von Kiesgruben und Wassergräben 
begleiteter Strassendamm bis zum Gerold, und geht hier 
in einen breiten rechts der Strasse liegenden Hohlweg über, 
welcher, sich all mal ig verengend zuletzt dem Wasser des 
Brandgrabens als Bett dient. Bei dem Defilee von Kalten- 
bronn, einer Fundstätte von Römermünzen, kehrt der Römer- 
weg wieder auf die linke Seite der Strasse zurück, und 
senkt sich durch eine Schlacht auf eine tiefer gelegene 
Terrasse, auf der er, wenn nicht im Thale des Kanker- 
baches selbst, den Zug nach Partenkirchen fortsetzt. Hier 
möchte auf dem Set. Antoniusberge, der vor einigen Jahren 
als Fundort von Broncewaffen und Schmuck sich ergab, 
das Castell gestanden haben. Ein früher in Partenkirchen 
aufbewahrter Meilenstein, der nunmehr verschwunden, gab 



Digitized by 



Google 



Würdinger: Die Römerstrasse von Scharnitz bis Partenkirchen. 243 

die Entfernung von Augusta Vindelicorum bis Parthanum 
mit 66,000 Schritten an. Ob ein genaueres Suchen nach 
dem alten Parthanum zu günstigen archäologischen Funden 
führen wird, möchte ich bezweifeln, Bauten nach Art der 
in der Ebene aufgefundenen scheinen mir im Gebirge nicht 
ausgeführt worden zu sein. Für den Bau der Römerstrassen 
im Gebirge ergaben bei der Untersuchung der beschrie- 
benen Strecke sich für mich folgende Anhaltspunkte : Mög- 
lichste Vermeidung der Führung in der Ueberschwemmungen 
ausgesetzten Tiefe, sie laufen möglichst wenig auf dem 
Kamme der Höhe , sondern sind in die Wände derselben 
eingeschnitten, nur in den Mulden und bei Ueberschreitung 
der Wiesen erscheint ein von Graben begleiteter Strassen- 
dämm; wo es nöthig ist von der Höhe in das Thal herab- 
zusteigen, wird dieses auf dem kürzesten Wege überschritten, 
und möglichst rasch wieder eine dominirende Lage für die 
Fortführung gesucht; durch Weichland führt der Weg auf 
mit Kies überdeckten Knüppeldämmen. 

Eine weitere Frage, und zwar eine der wichtigsten ist 
die: durch welche Befestigungsarbeiten wurde diese ebenso 
für den Vor- wie den Rückmarsch wichtige Strassen strecke 
gegen einen feindlichen Ueberfall oder Angriff der Bar- 
baren gedeckt? entsprechen dieselben den Grundsätzen, 
welche die Römer bei Errichtung derartiger Werke be- 
folgten, oder benützten sie hier bereits vorhandene Ver- 
schanzungen der früheren Bewohner des Landes? Die Haupt- 
gefahr drohte der Römerstrasse von Nordosten her. Aus 
dem gegen Norden gelegenen Lande führte über den Kessel- 
berg eine Strasse, die vor ihrem Austritte in das Isarthal 
durch eine Reihe von Bergen gegen Einsicht geschützt ist, 
und Raum zum unbemerkten Ansammeln von Streitkräften 
bietet. Sie mündet in dem am südlichen Abhänge der 
Schafköpfe gelegenen Wallgau. Vor genanntem Orte öffnen 
sich in der Richtung gegen die Römerstrasse zu zwei De- 



Digitized by 



Google 



244 Sitzung der histor. Classe vom 4. November 1SS2. 

fileen, in südlicher Richtung das nach Mittenwald führende 
Isarthal, gegen Westen ein mehrere Kilometer langes und 
breites ehemaliges Seebeet, das nach Ueberschreitung des 
vom alten Wasserstande übrig gebliebenen Barmsees sich 
in zwei Thäler theilt, welche jetzt von dem Grub- und 
Wagenbrechsee der Breite nach geschlossen , bis an den 
Strassenkörper bei Clais und Gerold sich vorschieben. 
Diese Ebene ist von der Terrasse, auf der Wallgau sich 
befindet, nur durch den, den Charakter eines Gebirgswassers 
tragenden Flintsbach getrennt. 

Das durch die wechselnden Fluthen des Bergstromes 
zerrissene, von den Berghängen mit Wald bewachsene Isar- 
thal bot weniger Gefahr, doch sicherte sich auch hier der 
kriegskundige Römer. Wo sich in einer Entfernung von 
einer halben Stunde unterhalb Mitten wald das Thal am 
Fusse des Karwendeis etwas erweitert, findet sich ein wall- 
artiger Hochrain, und hinter diesem als Reduit der von 
einem Graben umgebene Hirtbühl. Beide Werke erscheinen 
als zur Sperrung des Thaies genügend. 

Mehr Sorgfalt erforderte die Befestigung der nach 
Westen gegen Clais zu sich öffnenden Mulde, und in ihrer 
Ausführung bestätigt sich wieder, dass der Schwerpunkt 
der römischen Ueberlegenheit und Macht mehr noch in 
militärischen Anlagen, als in ihrer Taktik lag. Bei Unter- 
suchung römischer Befestigungen handelt es sich hauptsäch- 
lich darum, das Einzelne als Glied des Ganzen, dessen Be- 
deutung in der innigen Zusammengehörigkeit der Theile 
lag, zu betrachten. 

Die südliche Begrenzung des bereits oben erwähnten 
Seebettes bildet eine Reihe von aus Moränenschutt ge- 
bildeten Hügeln, die sich mit kurzen Unterbrechungen von 
Clais nach Krün an das Isar-Ufer ziehen und von da nach 
Süden ausbiegend und zu bedeutenderer Höhe ansteigend in 
einer dreifachen Reihe bis Mittenwald das linke Ufer dieses 



Digitized by 



Google 



Würdinger: Die 'Römerstrasse von Schar nitz bis Partenkirchen. 245 

Flusses bilden. In der dem Seebette zunächst gelegenen 
Hügelkette findet sich am östlichen Fusse des Bärenbühls 
fast Krün gegenüber die drohendste, breiteste Lücke. Ihrer 
dem vorliegenden Gelände gegenüber tieferen Lage ent- 
sprechend, ist das Terrain mit Benützung des künstlich her- 
beigeleiteten Kranzbaches, der als ein nasser Graben gegen 
Norden und Osten die Befestigung schützt, zu einer einge- 
schnittenen Lagerstelle hergerichtet, die Westfront bilden 
die abgestochenen Ränder des Bärenbühls, die Kehle ist 
offen. In der Mitte des bei 200' breiten und ebenso tiefen 
Lager- Raumes steht ein künstlicher Spähhügel, der auf einen 
Abstand von 30 Schritten von einem Graben umgeben ist, 
und das Reduit der Stellung bildet. Von dieser Umfassung 
aus konnten alle Truppenbewegungen, die von Wallgau 
ausgingen, beobachtet und in den Richtungen nach West 
und Süd in die Flanke genommen werden. Die zweite 
Lücke findet sich westlicher zwischen dem Bären- und See- 
hügel, ihre Breite beträgt 120 Schritte. Sie ist mit einem 
Walle geschlossen, der an der Basis 8, an der Krone 4 m. 
breit, ausserdem 4 m. hoch ist. An seinem östlichen Ende 
ist ein vom Bärenhügel künstlich geschiedener Hügel, 
welcher sich zur Aufstellung einer Blide eignet und den 
Durchgang des Kranzbaches schützt. Der westlichste der 
Barmseehügel stösst an einen tiefen Morast, während vor 
den übrigen der Barmsee selbst einen Angriff unmöglich 
macht. Am nördlichen Ufer des Barmsees, den Pfahlbauten 
gegenüber, befindet sich ein seiner Bauart nach von den 
Urbewohnern errichteter Ringwall, er beherrscht den Raum 
zwischen dem See-Ufer uud dem Fusse. des Bietschacher- 
kopfes. — Vor den bis jetzt beschriebenen Werken liegen 
dem Feinde zunächst längs des Flintsbaches einzelne Späh- 
hügel als Vorhuten (praetenturae) und bilden mit ihnen 
die erste Linie des Vertheidigungswerkes. 

Nach dem Grundsatze der Römer wuchs der Wider- 



Digitized by 



Google 



246 Sitzung der histor. Classe vom 4. November 1882. 

stand gegen den andrängenden Feind nach der Tiefe zu, 
e9 musste also nach Durchbrechung der ersten langgedehnten 
Linie, eine zweite mit concentrirtem Widerstände vor- 
handen sein. 

Zwischen der durch Wälle verbundenen ersten Hügel- 
reihe und der südlicher gelegenen zweiten zieht sich eine 
breite Mulde hin, durch die jetzt die Strasse von Krün 
nach Clais läuft. An ihr befindet sich in der südlichen 
Hügelkette ein Einschnitt, durch welchen der kürzeste Weg 
gegen die Höhe vor Mittenwald und die auf ihr befindliche 
Römerstrasse führt. Um den gefahrlichen Punkt unschäd- 
lich zu machen, errichteten die Vertheidiger zwei hoch über 
dem Bette des Tennen-Sees, nach Nord und Westen ge- 
legene Wälle, die sich an einen zur Vertheidigung geeig- 
neten Hügel anlehnen und deren Fuss von dem oft ge- 
nannten Kranzbache umflossen wird. Unmittelbar an dieses 
Werk, das gleichsam den Stützpunkt am rechten Flügel bildet, 
anschliessend, zieht sich ein 1 — 2 m. tiefes, 6 m. breites Ka- 
nalbeet, das aus dem Kranzbache gespeist werden kann, über 
500 Schritte gut erhalten quer über das Thal bis zur jetzigen 
Strasse hin. Die jenseits derselben gelegene Fortsetzung 
ist auf eine Strecke durch Culturen verwischt, erscheint 
aber vor ihrem Abfalle zum Barmsee wieder als Graben 
des äussersten Barmseehügels , der , oben künstlich abge- 
plattet , eine Befestigung zum Schutze des linken Flügels 
des Kanales getragen haben mag. Durch diesen Wasser- 
graben, sowie die zwei auf seinen Flügeln gelegenen domi- 
nirenden Höhen wurde das ganze Thal seiner Breite nach 
abgesperrt. Ueberraschend war es mir auf die Frage, wozu 
dieser Kanal gedient habe, aus dem Munde des Volkes zu 
hören, auf diesem Wasser sei der Edelherr, der ein Heide 
gewesen, von einem Schlosse zum andern, und dann in den 
See mit seinen Kriegsleuten gefahren. — Zur zweiten Linie 
zählen auch noch die weiter nach Westen gelegenen ge- 



Digitized by 



Google 



Würdinger: Die Bömerstrasse von Scharnitz bis Partenkirchen. 247 

waltigen Wälle, welche die zu beiden Seiten des „in der 
Eltz" genannten Bergrückens befindlichen Defileen schliessen. 
Ob bei Clais, dessen Name dem in der späteren Zeit für 
Castellum gebrauchten clausura entstammen könnte, gegen- 
über dem westlichen Ausgange der Mulde ein grösseres ge- 
schlossenes Werk sich befand , wage ich aus Mangel an 
näherer Untersuchung nicht zu behaupten, doch fiel mir 
hinter und ober dem jetzigen Clais ein künstlich geebnetes 
viereckiges Plateau auf, das zu einer Verteidigungsstellung 
sich gut eignen würde; man fand hier auch bereits eine 
Römermünze. Die bisher als römisch bezeichneten Mauer- 
reste in der Thalmulde gehören aber, wie die Bloslegung 
der Grundmauern zeigte, einem mittelalterlichen Kirchen- 
baue an. 

Innerhalb des beschriebenen Befestigungsringes finden 
sich , besonders gut erhalten an der linken Seite der nach 
Krün führenden Strasse, unverkennbare Spuren von längst 
nicht mehr benützten künstlichen Wasserbetten. Sie waren 
zur Aufnahme und Ableitung der von den Bergen kom- 
menden Wildwasser, sowie zur Bewässerung der Wallgräben 
angelegt. Ihr Bau kann bei den obwaltenden Schwierig- 
keiten des Terrains nur von einem technisch gebildeten 
Fachmanue ausgeführt worden sein. Als nach dem Ab- 
züge der Römer die von ihnen erbauten Kanäle vernach- 
lässigt und zerstört wurden, bildeten sich im Gelände Ver- 
sumpfungen, hinter den Wällen Anstauungen, und letzteren 
verdanken die seichten allmälig in Bruchland übergehenden 
Tennen- und Grubsee ihre Entstehung, der Wagenbrechsee 
wenigstens eine Vergrösserung. 

Nehmen wir an, dass unter Castra nicht Eine einzige 
Stätte, sondern ein gewisser Terrainabschnitt zu verstehen, 
welcher für sich eine Befestigungsgruppe bildete, die von 
einer bestimmten Anzahl Truppen besetzt war, so sind die 
beschriebenen Schanzen am Barmsee und der Isar für die 



Digitized by 



Google 



248 Sitzung der histor. Glosse vom 4. Nocember 1882. 

von der Natur zum Schlusspunkte einer Verteidigungs- 
stellung vorbereitete Scharnitz (Scarbia) Vorlager (Procastra), 
welche die Zugänge zum Hauptlager und die dominirenden 
Punkte desselben schützten. — Von den Hochwachten 
(speculae) , welche alle Befestigungen an einer und der- 
selben Strasse, sowie sämmtliche eines Thaies mit unter 
sich zusammenhängenden Signallinien verbauden, fand ich 
allerdings noch keine Mauerreste , doch mögen sie unter 
den gegebenen Verhältnissen nur aus Holz gefertigt, dem 
Zahne der Zeit unterlegen sein. An Höhen p un kte n . deren 
Signale in Mittenwald und selbst in der Scharnitz gesehen 
werden konnten, fehlt es selbst in der nächsten Nähe unserer 
Befestigungen nicht, und zähle ich zu ihnen besonders den 
westlich des Schmalsees gelegenen Strasshügel, auf dessen 
Plateau eine Vertiefung zu sehen, welche für einen Thurm 
Raum geboten hätte. 

Für die Beurtheilung der Frage, ob die Römer bei 
ihrem Einmärsche hier bereits Befestigungen vorfanden, und 
dieselben nur vervollkommneten , oder ob sie von ihnen 
neu errichtet wurden, ergeben sich folgende Anhaltspunkte. 
Cäsar in den Büchern 2, 3, 5, 8 des gallischen Krieges 
sagt über die Befestigungsweise der Celten, sie legten ihre 
Kriegs- und Lagerplätze meist auf Felsen und Bergen, oder 
auf äusseren Landzungen und Vorgebirgen, deren Zugänge 
durch Gewässer und Sümpfe verwahrt wurden , an. Sie 
umgaben diese mit Wällen aus festgestampfter Erde und 
verbauden dieselben unter einander mit Pfahlreihen; dieses 
Bild findet sich in unserer Befestigung vollständig. Ein 
einziger, aber starker Wallgürtel mit der Lagerstelle bei 
Krnn , aus der jederzeit in die Offensive übergegangen 
werden konnte, die runde Form der Schanze am Barrasee 
der gänzliche Mangel an Mauerwerk sprechen dafür, dass 
dieses Vertheidigungswerk in schon vorrömischer Zeit als 
Landwehre angelegt wurde. Durch ein zweckmässiges An- 



Digitized by 



Google 



Würdinger: Die Bömerstrasse von Scharnitz bis Partenkirchen. 249 

passen an die Verhältnisse des Bodens, wie durch den plau- 
mässigen Zusammenhang und das Zusammenwirken mehrerer 
isolirter Objecte zeichnen sich ja die germanischen Befesti- 
gungen besonders aus. Von den Bewohnern dieses Land- 
striches aber wissen wir, dass sie den kriegerischen Sinn 
besassen, der zur Anlage einer solchen Befestigung Vorbe- 
dingung ist. Bereits Horaz besingt die Tapferkeit und die 
Stärke der auf hohen Bergen gelegenen Kriegsplätze der 
Breuni oder Breones, deren Wohnsitze von Landeck im 
Oberiunthal bis Achenthai und hinaus in die Gebirgspässe 
von Partenkirchen , Füssen und Tegernsee lagen. Der un- 
geheure Wald von Zierl in Tirol bis Oberau, der den 
Naraeu Scharnitz trägt, war in ihrem Besitze. Seine Tapfer- 
keit ehrend unterjochten die Römer dieses Volk nicht, sondern 
Hessen es in seinen Wohnsitzen, und verwendeten dasselbe 
als Grenz-Miliz zur Bewachung der Gebirgspässe (claustra 
provinciae). Beim Anstürmen der Allemanen gegen das 
römische Reich leisteten die Breoni gute Dienste, und die 
bei Murnau gefundenen eigenthümlichen Gräber, sowie der , 
an der Wallgauer Brücke ausgegrabene Wurfspiess, dürften 
aus diesen Kämpfen, deren Hauptschlag die Volkssage nach 
Schlattan verlegt, stammen. Venantius Fortunatus 562, 
Aribo in Corbinians Leben im 8. Jahrhundert, also in 
einer Zeit, in der bereits Wallgau und Barmsee in den 
Urkunden erscheinen, nennen noch die Brennonen als Ein- 
wohner. In ihnen dürften also auch die befähigten Er- 
bauer der ersten Befestigungen zu suchen sein. 

Als die Römer in das Land kamen, wählten sie bei 
Anlegung von Schutzwehren für ihre Eroberung dieselben 
Terraingegenstände zu Hauptstützpunkten , welche bereits 
von den Germanen zu Befestigungszwecken verwendet worden, 
und ergänzten sie nach den Regeln der Kriegskunst. Ihnen 
gehört die Anordung der zweiten Linie, die Führung der 
Strasse von Mitten wald in das Innere der Verschanzung, 



Digitized by 



Google 



250 Sitzung der histor. Classe vom 4. November 1882. 

die Anlegung der Kanäle und Entwässerungsgräben an, durch 
sie erhielt die Stellung erhöhte Widerstandsfähigkeit. — Bei 
der hohen militärischen Bedeutung, welche das Defilee am 
Barmsee, das Einzige, welches bis weit über Partenkirchen 
hinaus von Osten her den nach Augsburg führenden Strassen- 
zug bedroht, hat, war es nöthig, schon bei Anlage desselben 
auf die Beobachtung und Sperrung des Engnisses bedacht zu 
sein, und darum glaube ich , . dass das Vertheidigungswerk, 
wie es jetzt noch vorhanden , zur Zeit des Drnsus und 
seines Sohnes Claudius errichtet wurde; seine Bedeutung 
behielt es aber auch noch , als die Römer nach Jahrhun- 
derte langem Besitze des Landes von den Deutschen über 
die Alpen zurückgedrängt wurden. 

Am Schlüsse meiner Untersuchungen über die Römer- 
strasse und deren Befestigungen angelangt, möchte doch 
auch noch die Frage zu berühren sein ob von den Wohn- 
stätten der früheren Bewohner dieser Gegend keine Spuren 
erhalten blieben. — Es finden sich nun allerdings in der 
zwischen dem Flintsbache und der ersten Hügelgruppe liegen- 
den Ebene, wie auch auf den südlich gelegenen Hügeln in der 
Nähe der Römerstrasse, eigenthümliche konische Gruben, 
welche mit den unter dem Namen Martellen bekannten 
kellerartigen Wohnräumen unserer Vorfahren die grösste 
Aehulichkeit haben, doch möchte ich angesichts der Ver- 
änderungen, welche die Gewalt der Gewässer auf diesem 
Boden hervorrief, ohne genauere Untersuchung, ob sich 
in diesen Trichtern auch Spureu einstiger menschlicher 
Anwesenheit und Thätigkeit nachweisen lassen, kein Ur- 
theil über deren ursprüngliche Bestimmung abgeben. Hoch- 
interessant sind hingegen die beiden Pfahlbauten, welche 
im Barmsee liegen, und den Uferbewohnern in Zeiten der 
Gefahr Jahrhunderte lang als Zufluchtstätten gedient haben 
mögen. Der am südlichen Ufer gelegene zieht sich mit 
dem in Vertorfung begriffenen Festlande durch eine enge 



Digitized by 



Google 



Würdinger: Die Bömerstrasse von Schar nitz bis Partenkirchen: 251 

Reihe von Pfählen, welche eine Brücke trugen, verbunden 
in einer Länge von 300 Metern von Ost nach West. Am 
Ende des Steges beginnt eine Doppelreihe von starken 
Pfählen, von denen mehrere noch die zur Verbindung mit 
den Ueberlaghölzern nöthigen Zapfen zeigen. Von ihr 
ziehen sich in senkrechter Richtung gegen Norden Reihen 
eng aneinander stehender dünnerer Palisaden, welche nur 
hie und da und an der Spitze mit dickeren , deren Köpfe 
abgeplattet sind, unterbrochen werden. In den von diesen 
Reihen gebildeten Zwischenräumen liegen am Seeboden die 
hinabgestürzten Querhölzer. Die Köpfe der Pfähle reichen 
bis auf l 1 /* und 2 m. an die Oberfläche des Wassers herauf. 
Der zweite Bau liegt am nordöstlichen Ufer und bildet 
ein regelmässiges Viereck , dessen einzelne Seiten 40 m. 
lang sind. Eingehende Baggerungen sind bis jetzt noch 
N^jicht vorgenommen worden , und die bisher gemachten 
Funde, unter denen sich auch ein Paar kleiner Eisenmesser 
und graphithaltige Trümmer von Töpfen befinden, sprechen, 
wenn nicht die tieferen Lagen Gegenstände aus der Stein- 
oder Broncezeit ergeben, für kein besonders hohes Alter 
der Bauten. Dass die Ufer des Sees aber schon in sehr 
früher historischer Zeit bewohnt waren , beweist die Er- 
wähnung des Weilers Barmsee in einer Urkunde des Frei- 
singer Bischofs Joseph, welcher von 749 — 764 regierte. 
Erwähnung verdient noch, dass die im Beinhause des nahe- 
gelegenen Wallgau aufbewahrten Schädel die Typen von 
zwei ganz verschiedenen Völkerschaften tragen, weiteres 
Material zur anthropologischen Forschung möchten mehrere 
künstliche Hügel liefern, welche in dem alten Seebette 
liegen, ich halte sie nach ihrer Form und Ausdehnung für 
mit Steinen bedeckte Gräber. 



[1882. IL Philos.-philol. hist. Ol. 2.] 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google I 



Sitzungsberichte 

der 

philosophisch-philologischen und 
historischen Classe 

der 

k. b. Akademie der Wissenschaften 

zu Müinchen. 



1882. Bd. II. Heft III. 



München. 

Akademische Buchdruckerei von F. Straub. 

1882. 

In Commistion bei G. Franz. 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google 



Sitzungsberichte 

der 

königl. bayer. Akademie der Wissenschaften. 



Philosophisch - philologische Classe. 



Sitzung vom 2. December 1882. 

Herr Wilh. Meyer hielt einen Vortrag: 

„Ein Gedicht und ein Brief aus Preising 
von den Jahren 1084 und 1085 und ein 
Labyrinth mit Versen", sämmtliches aus Cod. 
lat. 6394 der Münchener Bibliothek. 

I. 
Gesang an den heimkehrenden Heinrich IV. a. 1084. 

Die Ankunft des Herrschers gab natürlich auch im 
Mittelalter Veranlassung zu besonderen Festlichkeiten. In 
alten Ritualbüchern findet sich oft ein besonderer Ordo ad 
recipiendum regem etc. Natürlich war es, und wird durch 
die Schilderungen in den Casus S. Galli und in andern 
Quellen bezeugt, dass hiebei die Gelehrten, insbesondere die 
Vorstände der Klosterschulen ihre Kunst in Festgedichten 
und in musikalischen Compositionen zeigten. 1 ) In dem Falle, 



1) Siebe hierüber besonders Schäbiger, Die Sängerschule St. 
Gallens, S. 27—32. 38. 60. 62—64. 73. 74. 76. 77. 85. 
[1882. IL Philos.-philol. hist. Cl. 3.] 18 



Digitized by 



Google 



254 Sitzung der philos.-phUol. dlasse vom 2. December 1882. 

auf welchen sich das folgende Gedicht bezieht, war, wie 
schon die Anfangszeilen 

Iste dies celebris decet ut sit in omnibus annis, 
Caesar Teutonicam quo repetit patriam 

bezeugen , die Feierlichkeit noch erhöht : sie galt dem 
Herrscher, welcher nach längerer Abwesenheit in Italien, 
nach harten Kämpfen und grossen Erfolgen siegreich in 
die deutsche Heimath zurückkehrte. 

Das Gedicht ist zwar in der aus Freising stammenden 
lateinischen Handschrift in München no. 6394 (Servii Com- 
mentarii in Virgilium saec. XI) erst von einer Hand aus 
der Mitte des XII. Jahrhunderts eingeschrieben (auf einer 
leergelassenen Stelle am Ende des 1. Buches der Georgica 
f. 18 a), allein es ist gewiss schon früher entstanden. Das 
zeigen zunächst die Reime. In den 31 Distichen haben 
29 Zeilen gleiche Vokale und gleiche Consonanten (tem- 
pestas: aestas), 16 gleiche Vokale aber ungleiche Conso- 
nanten (virtutes: reluces) in den beiden Schlusssilben; in 
17 Zeilen bindet der Reim nur die letzten Silben (pronas: 
famulas). Diese Thatsache weist nach dem, was ich in der 
Abhandlung über die lateinischen Rythmen S. 137 — 139 
dargelegt habe, unser Gedicht in den Schluss des XI. oder 
in den Anfang des XII. Jahrhunderts. Auf die Romfahrt 
Heinrich des V. kann dasselbe sich nicht beziehen ; denn Hein- 
rich V. hat weder das Gebiet der Gräfin Mathilde mit Feuer 
und Schwert verwüstet (Vers 33) noch den Lateran besetzt 
(V. 23). 

Heinrich der IV. ist es vielmehr, welcher bei der Heim- 
kehr aus Italien im Sommer 1084 mit diesem Gesänge be- 
grüsst wurde. Das zeigt die Vergleichung dessen, was wir 
von seinem dreijährigen (Vers 13) Aufenthalt in Italien 
wissen. Für das Jahr 1081 gibt Stumpf (Reichskanzler) 
die Daten 18. März Regensburg, 14. April Mailand, 4. Juni 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Gesang an Heinrich IV. a. 1084. 255 

Rom, und für 1084: 29. April Rom, 23. Mai Sutri, 17. Juni 
Verona, 4. Oct. Mainz. Seine Kämpfe mit Mathilde (V. 33 — 36) 
schildert Donizo (M. Scr. XII p. 383): 

Sola resistit ei Mathildis filia Petri, 

Rex exardescens contra quam concitat enses 

Proelia terrores et castris obsidiones. 

und die Vita Anselmi c. 20: Heinricus omnem furorem . . 
in Mathildam convertit, villas incendit, castella diruit. 

Dem, was über die Vorgänge in Rom gesagt ist 
(V. 20—26; V. 9), entsprechen die Notizen bei Ekkehard 
c Per legatos Romanorum rogatus, ut pacificus rediret, Romam 
rediit et ad portam Lateranensem castra ponens omnes 
dedititios accepit . . 11. Kai. Aprilis multis stipatus cum 
magna gloria intravit . . Rex cum regina Berhta in sancta 
dominica paschae imperiali benedictione sublimatus est. 
( C H. rex patricius Romanorum constituitur* fügt Siegbert 
hinzu). Die Gesta Trevirorum (Scr. 8 p. 185) enthalten 
einen Brief, welchen Heinrich (Roma rediens multa ibi 
caede patrata et papa Gregorio fugato, quo certe nichil in 
diebus illis celebriori farna ora omnium adimplebat) an den 
Bischof Dietrich von Verdun schrieb, sich rühmend c cum 
decem hominibus in nobis operatus est dominus, quod ante- 
cessores nostri si fecissent cum decem milibus, miraculum 
esset omnibus/ Am Schlüsse erklärt er c Deo favente in 
festivitate Petri et Pauli (29. Juni) Radisponae erimus.' 
Die Annales Augustani endlich berichten c In Italia triennio 
transacto rex Gregorio septimo fideles ditioni suae sub- 
iugavit . . reversus imperator Ratisponam cum omni af- 
fectu et honore susceptus est. 

Bei der feierlichen Begrüssung des heimkehrenden Sie- 
gers wurde Ende Juni 1084 unser Gedicht gesungen. Das- 
selbe hat durchaus keine lokale Färbung; da es aber in 
einer Freisinger Handschrift nebst dem nachher zu be- 

18* 



Digitized by 



Google 



256 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 2. December 1883. 

sprechenden Freisinger Aktenstück eingetragen ist, da ferner 
der Bischof Meginward damals noch auf der Seite des Kaisers 
stand, so ist wahrscheinlich dies Gedicht in Freising ge- 
dichtet, componirt und dem Kaiser auf der Durchreise nach 
Regensburg vorgesungen worden. 

Bisher unbekannte Thatsachen lernen wir nicht aus 
diesen Versen, allein sie haben dennoch beträchtlichen 
Werth. Das Gedicht ist durchweg mit Neumen versehen: 
wenn die Musiker einmal im Stande sein werden, die 
Neumen in moderne Noten umzusetzen, so werden sie auch 
entscheiden können, ob wir es mit einer traditionellen 
Melodie oder einer neuen Compositum zu thun haben; im 
letzteren Falle würde diese nach Ort und Zeit genau be- 
stimmbare Composition ein wichtiges Denkmal der Musik- 
geschichte werden. 

Der Verfasser dieser Verse scheint mir ein begabter 
Dichter gewesen zu sein. Er vermeidet es, viele Ereignisse 
und Namen aufzuführen — es wäre unpoetisch und denen 
gegenüber, welche All dies erlebt oder vollbracht hatten, 
mindestens überflüssig gewesen — , allein die Hauptsachen 
hebt er kräftig und im gewandtesten Stile hervor. Der 
Charakter des Lobliedes verlangt oder entschuldigt wenigstens 
einige üebertreibungen wie V. 20, auch die kirchlichen 
Fragen werden vorsichtig behandelt (V. 49—60); trefflich 
aber und für die damalige Stimmung eines guten T heiles 
der Deutschen sehr bezeichnend ist die helle Freude über die 
Thatkraft und die Erfolge des Herrschers, welche aus allen 
Worten des Gedichtes hervorleuchtet. So ist dieses fein 
ausgeführte Gedicht jedenfalls von Interesse für die Ge- 
schichte der Literatur und des Reiches. 1 ) 



1) Der Gedankengang ist einfach: Begrüssung des Kaisers 1 — 18; 
Lob der Kriegsthaten in Italien 19—36, der Thatkraft des Kaisers 37—48, 
und der Vortheile, welche er der Kirche schafft, 49—60: also mit merk- 
würdigem Parallelismus 18 + 18 + 12 + 12+2 Verse. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Gesang an Heinrich IV. a. 1084. 257 

1 Iste dies celebris decet ut sit in omnibus annis, 

C$sar Teutonicam Quo repetit patriam. 
3 Cessat terapestas, in Ossäre redditur aestas, 

Qu§ mundum nebulis Eripit et tenebris. 
5 Inclyte C$sar, ave, virtutum luraine clare, 

Pax tibi de c§lis Detur, ut ipse velis! 
7 Qui regnatorum quasi gemma videris avoruni, 

Quos satis excellis Laudibus et meritis. 
9 Qu§ tibi, patricio, resonat laus carmine nostro, 

Quam non precipuis Exuperes meritis? 
11 Nam per virtutes belli pacisque reluces, 

Sic ut in ambobus Sis nimis eximius. 
13 Hoc factis magnis testatus es his tribus aunis, 

Junctis perspicuo Viribus ingenio. 

15 Hac quia mixtura superabas omnia dura 

Consequiturque tuum Jam status arbitrium: 

17 Hinc gratare deo, celebri donate troph^o, 

Ascribasque sibi, Qu§ dedit ipse tibi. 
19 Quod nulli patrum decus est tibi, domne, paratum, 

Lamberet ut plantas Roma superba tuas. 
21 Huius tu culmen percussisti quasi fulmen 

Ad terramque ruit, Qu$ caput ante fuit. 
23 Et Lateranorum munimina summa virorum 

Complesti duro Milite cuncta tuo. 
25 Primates Rom§ subiecti deditione 

Te pie placabant, Dum sua colla dabant. 
27 Cui fuit ex Carolis ea gloria vel Ludovuicis, 

Cui fuit Ottonum Tarn speciale bonum? 
29 Urbes murat§ per plana vel arce locatQ 

Aut tibi se pronas Pr^buerant famulas, 
31 Aut, veluti ventus cinerem raptat violentus, 

Mox dispergebas, Jnclite victpr, eas, 



Digitized by 



Google 



258 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 2. December 1882. 

33 Regnum Tyrren§ vastasti Pentesileae; 

Ipsa tripertitum Pertulit excidium. 
35 Uiribus extensis late mit ignis et ensis, 

Quorum dens reliqui Nil faciebat ibi. 
37 Uirtutis cotem durum cupis esse laborem, 

Qu§ velut exacuat Te nitidum faciat. 
39 Perpeudis digne, quod testa coquatur in igne, 

Quando laborifera diligis ire via. 
41 Gloria venalem vitam facit imperialem, 

Quam tu pro dignis Vendere non renuis. 
43 Censes virtutem retinere per ardua lucem; 

Alter et Aleides Dura sequenda vides. 
45 Nempe co§qu§vo tibi gaudens turbine s<jvo, 

Laudas fortun§ Munera dura tu§. 
47 Quis mentem talera, rogo, quis sie imperialem 

Aut habet aut habuit Aut habiturus erit? 
49 Ex causis veris Isaac nunc alter haberis: 

Nempe laborifer§ filius ecclesi§. 
51 Post spes subduetas rediens sibi sera voluptas, 

Qu§, dum cousenuit, Spem sibi te genuit. 
53 H§c bene mutatum gaudet caput esse levatum 

A te, domne, sibi. Gratia magna tibi! 
55 Te fuerat dignum matri sie esse benignum, 

• Sic refici voluit, Qu§ caput indoluit. 
57 Nunc quia surrexit, quia te deus ipse revexit, 

Te quia l$ta videt, Sara seeunda viret. 
59 Atque reflorebit laudesque deo perhibebit, 

Quod tecum regnum Tendat ad §therium. 
61 Hoc pater et natus velit boc et spiritus almus, 

Simplex triplicitas Trinaque simplicitas! 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ein Brief Bischofs Meginward a. 1085. 259 

II. 
Brief Bischofs Meginward von Freising a. 1085. 

Die Blätterlagen der freisinger Serviushandschrift, aus 
der ich das oben behandelte Gedicht gewonnen habe, sind 
von verschiedenen Händen geschrieben. Mancher Schreiber 
brauchte weniger Raum als der, welcher ihm das zu 
schreibende Pensum zutheilte, berechnet hatte, so dass am 
Ende der Blätterlage ein Theil des Blattes leer blieb. In 
einer solchen leeren Stelle auf Blatt 179b hat eine Hand 
aus der Mitte des XII. Jahrhunderts — nicht dieselbe, 
welche das Gedicht auf Bl. 18 nachgetragen hatte — fol- 
genden Brief eingeschrieben: 

B. Archipresuli nominis celsitudinem moribns illumi- 
nanti M. Frisingensium electus et receptus, in omnibus 
feliciter prosperari. 

Nostr§ necessitas ecclesi? compellit nos vos frequenter 
invocare, ut propter deum, qui vos exaltavit in gloriam, 
cogitetis, ne contra voluntatem suam vestram consecrationem 
§quo diucius differatis. Prgsentate vestrg cogitationi Salz- 
burgensem Frisingensem Pataviensem ecclesiam velut tres 
luctuosas vos circumstare viduas, omnibus malefactorum per- 
secutionibus dilaceratas, hoc modo necessariam vobiscum 
habentes querimoniam: 'Usque quo, domine, cum emendare 
possis nostram calamitatem, pateris? Jam per octo annos 
miserrimam viduitatem sustinuimus, quia nullo defendente 
vel habuimus qu§ noluimus, ecclesiasticarura videlicet rerum 
invasiones clericorum obtruncationes homicidia periuria sacri- 
legia, vel non habuimus qu§ voluimus, clericorum scilicet 
ordinationes ecclesiarum consecrationes chrismatnm confec- 
tiones. Cum vero dominus per prophetam dicat: si non 
annunciaveris impio, ut avertat se a via sua, sanguinem 



Digitized by 



Google 



260 Sitzung der phÜos.-phüol. Glosse com 2. December 1882. 

eius de manu tua requiram, quid dicturus eris, qui nee ipse 
ad annunciandum impiis viam suam intras, et intrare 
desiderantes vetas?* Hoc si vobiscum ill§ tres miserrim§ 
sorores haberent colloquium, paratum fortassis congruum 
responsum non baberetis, quia si diceretis c Bella adhue ne- 
quaquam sopita nos vetant, iuventutis illecebrtj nos inpug- 
nant', vobis responderent, quod inter raundanas varietates ibi 
nostra fixa sint corda, ubi vera sunt gaudia. 

Quapropter, domine, cogitate de vobis, ut cogitare 
etiam possitis de nobis, ne nostr§ imponatis fraternitati 
aliquam de vobis necessitatem conquerendi. Illud evan- 
gelicum pensate c Jugum meum suave est et onus meum 
leve\ cum et propbeta dicat 'Bonum est viro cum portaverit 
iugum ab adolescentia sua.' Quidam ergo operarii Christi 
vineam sanetam (Videlicet ecclesiam > spätere Hand am Rand) 
ingrediuntur maue bora tercia sexta nona et undeeima, sed 
tarnen omnes, quia operarii sunt dicti, ad operandum sunt 
condueti. Unde, dilectissime domine, qui hora tercia id 
est in adolescentia ad Christi vineam venistis, in ea laborare 
non cessetis, ut incomparabilem denarium suseipiatis ad ex- 
tremum. Tempestivum est etenim, ut vestr§ prudentiQ 
lucerna ad dirigendos pedes nostros in viam pacis a modo 
rutilet in ecclesia. 

Da der Freisiger Bischof M*, welcher diesen Brief 
schrieb, nur Meginward sein kann, der von 1078—1098 
diese Würde bekleidete, so kann der ihm vorgesetzte — 
also salzburger — Erzbischof B., an welchen das Schreiben 
ging, nur Bertold sein. 

Die Haltung, welche Meginward in dem Streite 
zwischen Kaiser und Pabst beobachtete, war schon Meichel- 
beck (Historia Frisingensis I p. 278 ff.) unklar und, trotz- 
dem die Notizen jetzt gemehrt sind, ist sie noch nicht völlig 
klar. Im Qct, 1079 ist Meginward beim Kaiser in Regens« 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ein Brief Bisclwfs Meginward a. 1085. 261 

bürg (Mou. Boic. III, 104). Die Beschlüsse der Synode 
von Brixen 25. Juni 1080, welche Gregor den VII. absetzte, 
wurden auch von Meginward unterzeichnet: ego Megin- 
wardus Frisingensis episcopus subscripsi. In Quedlinburg 
verdammten a. 1085 die geistlichen Kirchenfürsten viele 
kaiserlich gesinnte Erzbischöfe und Bischöfe; unter den 
Verdammten befindet sich Meginward nicht. Aber unter 
den Unterzeichnern der Beschlüsse, welche die kaiserlichen 
Kirchenfürsten zu Mainz im Mai 1085 fassten, kommt 
vor Meginardus Fruxinensis, d. h. wohl Meginwardus 
Frisingensis. 

Aber im Frühjahr 1086 hat Meginward die Partei ge- 
wechselt. Die Annales Augustani berichten nemlich, der Zug 
Heinrichs nach Sachsen in den ersten Monaten des Jahres 1086 
sei besonders durch die Ränke einiger Herren in seinem 
Heere, die wir später noch näher kennen lernen werden, 
unglücklich ausgefallen ; dann . fahren sie weiter 'Imperatore 
in Pauwariam reverso coniurationis suae assumptis fautoribus 
Frisingam seducto cum dolis episcopo in paschali sol- 
leranitate occupant . . Fridericus Alemanniae dux . . Fri- 
singam (so besserte Giesebrecht das Frid der Handschrift) 
civitatem, licet frustra, receperunt. Nam adversarii . . civi- 
tatem ad deditionem coegerunt etepiscopum cum iura- 
mento sibi associaverunt. So ist es nicht zu wun- 
dern, dass Heinrichs heftigster Gegner, der salzburger 
Erzbischof Gebhard, im Jahre 1086 (oder 1087 vgl. Giese- 
brecht III, S. 1170, 4. Aufl.) wieder in sein Bisthum 
zurückgeführt wurde c concomitantibns se episcopis, Pata- 
viensi scilicet Altmanno et Meginwardo Frisingensi/ 
(Vita Gebehardi, Script. 11, 26). Wie lange er zum Pabste 
hielt, ist nicht sicher. Die Chronik Bernolds (Script. 5, 449) 
gibt zum Jahre 1089 c In Teutonicis partibus quatuor epis- 
copi in catholica communione perstiterunt, Wirceburgensis 
videlicet, Pataviensis, Wormatiensis, Constantiensis, set et 



Digitized by 



Google 



262 Sitzung der philos.- philo!. Classe vom 2. December 1882. 

Metensis episcopus, l ) quorum confortameuto reliqui catholici 
scismaticis a principio restiterunt. Darnach war Meginward 
damals schon zu den Anhängern des Kaisers zurückgekehrt. 
Derselbe Bernold bemerkt nun zum Jahre 1090 c In Baioaria 
fideles S. Petri iam adeo contra scismaticos invaluerunt, ut 
in Salzburgensi episcopatu catholicum ordinarent archie- 
piscopum, quem statim religiosissimus Pataviensis episcopus 
et Urbani papae legatus cum Wirceburgensi et Frisingensi 
episcopis sollemniter consecrant/ Hätte Bernold unter diesem 
Preisinger Bischof den Meginward verstanden, wie man all- 
gemein annimmt, dann widerspräche diese Angabe der oben 
zu 1089 angeführten. Den richtigen Weg zeigen uns viel- 
leicht die Annales S. Stephani Frising. (Script. 13, 52) 
c a. 1090 Meginwardo et Herimanno pro episcopatu alter- 
cantibus/ Dieser sonst völlig unbekannte Hermann wird 
wohl von Bernold unter dem episcopus Frisingensis ver- 
standen: er wäre also ein von der päbstlichen Partei auf- 
gestellter Gegenbischof gewesen. 

Vom Jahre 1093 an steht Meginward sicherlich auf 
der Seite des Kaisers. Denn in zwei Schenkungsurkunden 
Heinrich des IV., von Pavia 12. Mai 1093 datirt, erscheint 
er als Zeuge, und die Annales S. Stephani, welche zu 1095 
berichten c Meginwardus abstulit Erchangero abbatiam\ be- 
richten dann zum Jahre 1097 'Heinricus imperator reversus 
ab Italia reimpetravit Erchangero abbatiam.' 

Bert hold dagegen war stets ein Werkzeug des Kaisers 
und der Feind der päbstlichen Partei. Das Chron. Gurc. 
(Script. 23, 8) nennt ihn c Pertoldus, qui a vulgo Prunzagel 
dictus est, oriundus de Mosburch* und die Vita Chunradi 
bemerkt 'De Mosburch hunc fuisse fratrem nobilissimi prin- 



1) 'Cum quibusdam Saxonicis episcopis' ergänzt das unten sn er- 
wähnende Annalenfragment. 



Digitized by 



Google 



WÜh. Meyer: Ein Brief Bisclwfs Meginward a. 1085. 263 

cipis Purchardi nomine accepimus/ l ) Wenn die Annales 
S. Rudberti (Scr. 9, 774) berichten zu 1075 Perhtoldus . . 
sedem occupat Nonis Mai, so ist wahrscheinlich nur das 
Jahr, unter dem diese Notiz eingetragen wurde, falsch 
(LXXV statt LXXXV), dagegen der Tag richtig. Denr das 
von mir gefundene, dann von Giesebrecht (Kaiserzeit IV, 
2. Aufl., S. 513—528) und in den Monumenta (Script. 13, 48) 
veröffentlichte Bruchstück bairischer Annalen berichtet, dass 
der Kaiser eine Synode nach Mainz c post 14 dies paschalis 
festi* also auf den 19. April, angesagt, dort die feindseligen 
Bischöfe abgesetzt und deren Würden ihm ergebenen Geist- 
lichen verliehen habe. Da nun der obige Brief offenbar 
noch in die Anfangszeit von Bertholds Regierung fällt, 
Meginward aber Ostern 1086 zur päbstlichen Partei über- 
trat, so muss er zwischen Mai 1085 und Ostern 1086 ge- 
schrieben sein. 

Wenn wir an der Hand des eben erwähnten Annalen- 
fragmentes uns die Vorgänge der zweiten Hälfte des Jahres 
1085 vergegenwärtigen, 2 ) werden wir dem Schreiben seine 
bestimmte Stelle anweisen können. 

Im Sommer zog Heinrich nach Sachsen, musste aber 
nach einigen Monaten fliehen und ging nach Franken, um 



1J Lazius, De aliquot gentium migrat. 1572 p. 394 sagt 'Comites 
a Mosburg, qui templi Salisburgensis fuerant advocati, ex veteri prae- 
rogativa/ Dann 'ßurchardus II, primi filius, ex Gertrude tulit Bur- 
chardum III et Albertum quem Henrichus IV in bello intestino, Wel- 
phone Boiariae duce ad partes papae et hostium deficiente, inferioris 
Boiariae praesidem creaverat.' (Vgl. Heinrich, Die Grafen von Moos- 
burg in Verhandl. d. bist. Vereins f. Niederbayern, 17, S. 93). Wenn 
diese Angabe wirklich wahr ist, so war die Ernennung Bertholds um 
so bedeutungsvoller; an der Spitze der geistlichen und weltlichen An- 
hänger des Kaisers wären zwei Bruder gestanden. 

2) Vgl. Giesebrecht Kaiserzeit III, 4. Aufl. S. 611 u. 1170. IV, 
2. Aufl. S. 518. Biezler Gesch. Baierns I, 549. 



Digitized by 



Google 



264 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. Decemher 1882. 

dort einen neuen Zug nach Sachsen vorzubereiten. Unter- 
dessen hatte der neue Erzbischof Bertold Unruhen hervor- 
gerufen, welche die ganze kaiserliche Partei in Sorge ver- 
setzten. Graf Engelbert von Sponheim hatte früher, wir 
wissen nicht warum, Bertolds Bruder getödet und ihn selbst 
in strenger Gefangenschaft gehalten, bis Heinrich, 1 ) damals 
noch König, sie ausgelöst hatte. Bertold benützte desshalb 
die neue Macht zur Bache und verwüstete Engelberts Be- 
sitzungen in Kärnten weit und breit. Engelbert dagegen 
rückte gegen Salzburg und eroberte die Stadt mit der Um- 
gegend, nur nicht die Veste, welche die Anhänger Bertolds 
glücklich vertheidigten. So war der Erzbischof lange Zeit 
von Salzburg ausgeschlossen. Der Kaiser schickte aus 
Franken Unterhändler, allein die Erbitterung der Streitenden 
war zu heftig : weder der Graf noch der Erzbischof wollten 
sich fügen. In diese Zeit, also etwa in den Oktober 1085, 
muss unser Brief fallen, in yyelchem Bischof Meginward 
seinen Erzbischof mahnt, er solle das Feuer seiner Jugend 
bezähmen, den Kämpfen entsagen und sich consekriren 
lassen, damit die Diöcesen Salzburg, Freising und Passau 
nach 8jährigen Verwirrungen — im Jahre 1077 war Geb- 
hard geflohen — endlich wieder zu geordneten Zuständen 
kämen. Um aber in den Sitz seines Erzbisthums und zur 
Consekration gelangen zu können, musste Bertold von Engel- 
berts Besitzungen in Kärnten ablassen und mit Engelbert 
sich abfinden. Bertold scheint anfanglich auf die Bitten 
des Bischofs ebenso wenig geachtet zu haben wie auf den 
Befehl des Kaisers. Heinrich sah seine Entwürfe gegen 
Sachsen durch diesen ärgerlichen Streit empfindlich gestört, 
desshalb schlug er, als die Versöhnungsversuche nichts 
fruchteten, einen andern Weg ein. Er gab dem Grafen 



1) In den Monuraenta ist das H, der Hdschr. in Herman statt iq 
Heinricus aufgelöst, ich weiss nicht wesshalb. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ein Brief Bischofs Meginward a. 1085. 265 

Recht. 1 ) Jetzt inusste Bertold entweder seinen eigenen 
Schutzherrn bekämpfen oder nachgeben. Es ist natürlich, 
dass er nachgab. Als Anfangs November Heinrich nach 
Regensburg kam, fand unter den übrigen weltlichen und 
geistlichen Herren auch Engelbert sich dort ein und leistete 
Mitte Januar 1086 die verlangte Heeresfolge nach Sachsen. 
Die Annales Augustani bemerken Imperator . . Saxones . . 
resistentes ad pactionem conpulisset, nisi quorundam sequa- 
cium suorum fraudulentia clandestina impedisset; qui etiam 
statim in Pauariam eo reverso . . Frisingam . . in paschali 
sollemnitate occupant.* Giesebrecht bezieht (IV. S. 518 
2. Aufl.) diese Worte besonders auf Engelbert; auch der 
zerstörte Schluss des Annalenfragmentes scheint darauf zu 
deuten. Denn dass Engelbert zu den Feinden des Kaisers 
überging, beweist die Nachricht der Vita Gebhardi (Script. 
11, 26) 'Gebhardus nono exulationis anno (1086 oder 1087) 
ab Engilperto comite et ab aliis quibusdam ecclesiae 
suae militibus, etiam a compluribus servitoribus suis re- 
ductus est in episcopium suum/ Der Weg, auf dem er 
dazu kam, ist schon aus dem Vorausgehenden klar. Der 
Streit mit Bertold brach wieder aus, Engelbert wurde das 
Haupt von dessen Gegnern, machte gemeinsame Sache mit 
Gebhard und wurde so auch der Feind des Kaisers. Das- 
selbe scheint auch das Bruchstück der Annalen zu berichten. 
Denn in den Worten desselben: (Caesar presidi) beneficia 
augens illum fideliter se adiuvare in adversis rebus credidit. 
Ceterum ille, qui Perhtoldum super se dominum constituit, 
nimis ei infideiis postea fuit, glaube ich in der Hschr. 
quo d. h. quoniam statt qui lesen zu können. Aus Hass 
gegen Bertold wurde Engelbert ein Gegner des Kaisers. 



2) Culpasque presidis dissimulando eum laudabat, quia presidem 
exercitui contra Saxones aggregari . . (spe)rabat, so lese und ergänze 
icb ; bisher wird quia statt et gelesen und aggregari (impe)rabat ergänzt. 



Digitized by 



Google 



266 Sitzung der phüos.-phÜol. Classe vom 2, Deceniber 1882. 

Aus unser m Briefe lernen wir endlich, dass Bertold jung 
war, ate Heinrich ihn zum Erzbischof ernannte. So wird 
die Erzählung von seinen spätem Schicksalen verständlich. 
Die Vita Chunradi archiepiscopi berichtet (Script. 11, 67): 
Permansit Perhtoldus perseqaens ecclesiam Salzpurgensem 
usque ad tempora Chuonradi archiepiscopi (1106 — 1147), 
a quo excommunicatus in tantam decidit iniuriam, ut cum 
duobus clericis miseram vitam ducens Mosburch christiana 
communione careret annis ferme triginta, uno predictorum 
clericorum in fine vitae penitentiam desiderante et absoluto, 
altero impenitente et in excommunicatione mortuo. Sane 
ipse Perhtoldus imminente sibi iam termino vitae per ab- 
batem Seunensem Guntherum penitentiam offerens recon- 
ciliari ecclesiae petiit iussuque archiepiscopi ab eodem abbate 
communioni restitutus vix duabus septinianis supervixit. 
Die hier erwähnten 30 Jahre hat man auf die Zeit von 
1075, dem irrthümlich angenommenen Jahre der Erhebung 
Bertolds zum Erzbischof, bis 1106 bezogen. Sie sind aber 
offenbar so zu verstehen, dass Bertold nach Conrads Er- 
hebung zum Erzbischof noch 30 Jahre lang, also etwa 
1106 — 1136, wenig beachtet in seiner Heimath Mosburg 
lebte und durch den Seeoner Abt Günther, der 1139 in einer 
Urkunde (M. Boic. II, 129) erscheint, vom Banne freige- 
sprochen wurde. Da von 1085 — 1136 51 Jahre verflossen 
sind, so ergibt sich mit Benützung der Angabe unseres 
Briefes, Bertold sei als adolescens Erzbischof geworden, für 
ihn eine zwar hohe, aber nicht unglaubliche Zahl von 
Lebensjahren. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 267 

III. 
Ein Labyrinth mit Versen. 

(Mit einer Tafel.) 

Wie schon Schindler bemerkt hat, findet sich in der 
oben benützten münchner Handschrift no. 6394 auf der 
Rückseite des Blattes 164, am Ende einer Blätter läge eine 
Zeichnung mit Versen. Da dieselben fast erloschen waren, 
so habe ich, um sie vor dem Untergang zu bewahren, nicht 
ohne beträchtliche Mühe sie abgeschrieben. Die Verse 1 — 11 
stehen an Rändern der Figur, das Distichon im Innern bei 
einer gänzlich erloschenen Figur. 

Quid notet intextus septemplex hie Laborinthus 

Et vafer illius conditor atque reclusus, 
3 Vt sapiant pueri, vos dicite mysteriarchi. 

Nos effutimus, quid et interea sapia[mus]. 
5 * Vers 5 und Anfang von 6 ist weggeschnitten. 

* *s est zabulus, cui mundus erat Laborinthus 
7 . . .*) in hoc morsum secluserat ut Minotaurum. 

Mundo subiectos huic destinat atque vorandos, 
9 Donec ad hunc Theseus transmittitur ut patre Christus, 

Hunc deitatis ope superans ut hie Ariadnae. 
11 Vera decet falsis seiungere, sacra profanis. 



Ecce Minotaurus vorat omnes, quos Laborinthus 
Implicat: Infernum hie notat, hie zabulum. 

Der Dichter sagt ausdrücklich, er wolle sich auf die 
Deutung einiger Stücke beschränken, dass nemlich das 



1) Die 4 bis 6 ersten Buchstaben von V. 7 konnte ich nicht 
mehr lesen. 



Digitized by 



Google 



268 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 2. December 1882. 

Labyrinth mit dem Minotaurus der Welt entspräche, in 
welcher der Teufel die Menschen erbeutete, bis Christus mit 
Gottes Hilfe ihn bezwang, wie Theseus mit Ariadnens Hilfe 
den Minotaur. Dagegen die sieben Gänge seines Labyrinthes 
und den sinnreichen Erbauer desselben allegorisch auszu- 
deuten, das überlässt unser Dichter weiseren Meistern, den 
•Mysteriarchi, wie er sie mit Umformung dieses von Pru- 
dentius gebrauchten Wortes nennt. Wenn ich auch auf 
solche allegorische Deutungen verzichte, so lohnt es sich 
doch, seine Figur des Labyrinthes näher zu untersuchen. 
Diese Figur, welche den Durchmesser von 22 Centimeter 
hat, besteht aus 8 concentrischen Kreisen, deren Enden in 
der Weise bald verbunden, bald nicht verbunden sind, dass 
7 Gänge entstehen, welche man sämmtlich durchgehen rauss, 
bis man in das Innerste gelangt, wo der Minotaurus sich 
befindet. Ziehen wir, dem Weg des einwärts Wandernden 
entsprechend, durch diese Gänge eine Linie, so vertreten 
jene Kreise die Gangwände des Labyrinths, diese fort- 
laufende Linie den Ariadnefaden. 

Werden nun aber diese Kreise gestreckt, so wird 
Manches klar: der Ariadnefaden gibt genau zwei regel- 
mässige Windungen einer einfachen Maeanderform, deren 
horizontale Linien alle verlängert sind; unsere Figur gibt 
also genau die in Kreisform umgebogenen Linien, welche 
zwei Maeanderwindungen einschliessen. 1 ) 

Wie geht es zu, dass gerade Maeanderwindungen als 
Grundplan des Labyrinthes gewählt wurden ? Unser Dichter 
hat seine Figur nicht selbst erfunden, da er ausdrücklich 
darauf verzichtet, ihre Construction zu deuten. Da läge es 
nahe, an jene Verse des Ovid zu denken, mit denen er das 
Labyrinth schildert (Metam. 8, 162): 



1) Vgl. Fig. 3. 



Digitized by 



Google 



Wilk. Meyer: TÄn Labijrinth mit Versen. 269 

Non secus ac liquidus Phrygiis Maeandros in arvis 

Ludit et ambiguo lapsu refluitque fluitque 

Occurrensque sibi venturas aspicit undas 

Et nunc ad fontes iiudc in mare versus apertum 

Incertas exercet aquas: ita Daedalus implet 

Innumeras errore vias vixque ipse reverti 

Ad limen potuit; tanta est fallacia tecti. 

Man könnte nun verrauthen, ein sinnreicher Kopf des 
Mittelalters sei durch die ovidianische Vergleichung des Laby- 
rinthes mit dem Maeanderflusse angeregt worden, den Grund- 
plan des Labyrinthes nach den Windungen des Maeander- 
ornamentes zu construiren und, indem er um zwei Windungen 
Linien zog, gleich den Seitenmauern oder Gangwänden um 
den Weg, dann alle horizontalen Linien zu Kreisen umbog, 
sei unsere Figur entstanden. 

Doch dem ist nicht so. Wir haben nur ein Glied einer 
langen Kette gefasst, welche ebenso weit in das Alterthum 
hinauf als zu uns herabgeht. Für die Geschichte des Orna- 
mentes und der geometrischen Spiele ist es von ziemlichem 
Interesse, diese Entwicklung der Labyrinthdarstellungen näher 
darzulegen. *) 

Das Labyrinth auf den Münzen von Knossos. 

Ueber das egyptische Labyrinth ist weder aus den 
Stellen der Alten noch aus den Ueberresten Sicheres zu er- 
kennen; vgl. die von Bahr zu Herodot II, 148 angeführten 
Schriften und Lepsius, Denkmäler Abth. I Taf. 46. 48. 
Forchhammer, Daduchos S. 117 — 126, erklärt das egyptische 



1) Schon H. F. Massmann hat in seinem Schriftchen 'Wunderkreis 
und Irrgarten. Für Tarnplätze und Gartenanlagen', Leipzig, Basse, 1844, 
Beiträge zur Geschichte der Labyrinthdarstellungen gegeben, die Dar- 
stellungen selbst aber fast nur auf ihren Zusammenhang mit der Con- 
struction des Wunderkreises in den Turnschulen geprüft. 
11882. II. Philos.-philol. bist. Cl. :i] 19 



Digitized by 



Google 



270 Sitzung der philos.-pMöl. Classe vom 2. December 1882. 

Labyrinth für einen sehr umfangreichen Wasserbehälter zur 
Aufnahme und Bewahrung des Wassers, der jährlich durch 
den Canal aus dem Nil gefüllt wurde. Berühmter war 
im klassischen Alterthum das Labyrinth, welches Daedalus 
auf Kreta angelegt haben soll. Nun zeigen Münzen von 
Knossos aus dem 5. Jahrhundert vor Christus in der 
Mitte eine Art Stern und an jeder der 4 Seiten desselben 
eine einzelne einfache Maeanderwindung. 1 ) Dagegen ist auf 
den Münzen der Stadt Knossos vom Anfang des 4. Jahr- 
hunderts bis herein in die Kaiserzeit 2 ) eine andere künst- 
lichere Figur geprägt. Die Figur ist auf den meisten Münzen 
viereckig, auf wenigen rund, während die Construction der- 
selben stets genau die nemliche ist: ein neuer Beweis für 
jene Wahrnehmung, die wir auch später machen werden, 
dass die Bildung neuer linearer Ornamente sehr oft so vor 



1) Mehrere derartige und ähnliche Typen hat Massmann Taf.* I, 
H. 2—6 nach Münzen der Berliner Sammlung abgebildet. 

2i Eine Münze 'C. I. N. C. Töte d'AugU9te nue, ä droite. Rev. 
C. Petronio. M. Antonio. Ex. D. D. II. Vir. Labyrinthe AE. f welche 
Florez Medallas . . de Espana I pl. 16, 7 abgebildet hat, setzen Florez 
und Mionnet I p. 36 no. 259 nach Carthago nova. Allein Leake, A Sup- 
plement to Numismata Uellenica S. 158, setzte das ihm bekannte un- 
vollständige Exemplar wohl mit Recht nach Knossos und versteht unter 
C. 1. N. 'Caesar Julii Nepos'; vgl. noch Heiss, Description d. monn. 
ant. d'Espagne p. 275. — Beispiele des viereckigen Typus gibt Mass- 
mann auf Taf. I, und zwar J nach Montfaucon, J 2 — 5 (L 1. 2?) nach 
Berliner Münzen, wobei jedoch in no. 4 u. 5 die Darstellung des Lab. 
vereinfacht und verdorben ist; ich gebe in Figur 1 die Nachbildung 
einer münchner Münze, deren Abguss ich der Güte des H. Prof. v. Brunn 
verdanke; derselbe hat mich hingewiesen auf die schönen Photographien 
ähnlicher Münzen in 'Coins of the Ancients (in .the Brit* Museum), 
Barclay V. Head\ 2. edit. 1881 pl. 23, 39 u. 56, 28. Eine Abbildung 
des runden Typus gab Massmann Taf. I, E, 2; ich gebe in Figur 2 die 
Nachbildung einer Londoner Münze, (photogr. bei Barclay V. Head 
pl. 56, 29), nach einem Abguss, den ich den HH. Brunn und Gardner 
in London verdanke. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 271 

sich ging, dass man runde Figuren in Vierecke, Sechsecke, 
Achtecke u. s. w. oder umgekehrt Vielecke in Kreise um- 
setzte. Auch diese Figur besteht eigentlich aus 2 Maeander- 
windungen, einer liegenden und einer stehenden, welche in 
die Länge gezogen, dann in Vierecke gebrochen oder in 
Kreise gebogen sind, so dass, wie in der Freisinger Figur, 
7 Gänge entstehen, durch welche man das Innere der 
Figur vollständig durchwandert und endlich in das Innerste 
gelangt. Die Construction auf den knossischen Münzen hat 
ein besonderes Merkmal: die inneren Maeanderzungen liegen 
in gleicher Höhe und die Linien, welche die beiden Maeander- 
windungen trennen, schneiden sich mit der Axe der Figur 
in der Form des Kreuzes. Dadurch hat aber die Figur auf 
der Seite des Eingangs aussen einen Gang weniger, so dass 
dieselbe weder ein regelmässiges Viereck noch einen regel- 
mässigen Kreis bildet. Diese Figur wurde von den Numis- 
matikern von jeher als Typus des Labyrinthes angesehen. 
Den inschriftlichen Beweis biefiir liefert eine Wand in Pom- 
peji. Dort ist mit der Beischrift 'Labyrinthus. hie habitat 
Minotaurus* eine Figur eingeritzt, welche der viereckigen 
Labyrinthdarstellung auf den knossischen Münzen so genau 
entspricht, dass man einen Strich, der in der einen Publi- 
kation (Corpus Inscript. lat. IV uo. 2331 tab. 38, 1) weg- 
gelassen ist, nach den knossischen Münzen ergänzen könnte, 
wenn er nicht schon in dem andern Facsimile (Niccolini, Case 
di Pompei, Casa di Lucrezio tav. 1) richtig erhalten wäre. 
So viel lernen wir aus den knossischen Münzen, dass zur 
bildlichen Darstellung des Labyrinthes schon in früher Zeit 
künstlich verschlungene Maeanderornamente 1 ) benützt wur- 



1) Auf den Münzen von Städten, welche am Maeanderflusse liegen, 
z. B. von Apamea, glaubte man auch Labyrinthe zu sehen. Doch sind 
dies nur einfache Maeanderornamente, welche den Beinamen der Städte 
ad Maeandrura versinnbildlichen. Da dies nur geschehen konnte, wenn 
der Name für das Ornament schon ganz gebräuchlich war, so gewinnen 

19* 



Digitized by 



Google 



272 Sitzung der phüos. -philo! . Ciasse vom 2. December 1882. 

den, dass also Ovid, wenn er den Grundplan des Labyrinths 
mit dem Maeanderstrome vergleicht, Gegebenes benützt hat. 

Plutarch, Theseus cap. 21., berichtet von Thesens: 
'Ex xfjg KgriTrjQ OL7t07zXuov eig Jrjlov xaxeoye xai . . fyoqevae 
/*€tcc xcov rji&etov yoqeiavy r\v exi vvv JrjXiovg huxeXeiv Xt- 
yovoi, fjifirjiLicc xcov iv xcjt ^iaßvQiv&cü 7C€Qiodcov xal dieSodcov 
gv xwi t>v§\i(p 7ceQieXit;eiQ xal äveXi&tg eyovzi yiyvo\iivr]v. 
KaXelxai de xö yevog xovxo xrjg yoQelag vrcö Jr^XUov yiqavog, 
iog lozoQei JixataQyog. Und Pollux IV, 101: Trjv yegavov 
/.axa jcXrjd'Og coqyovvxo hxaoxog i<f> kxaoxio xccxd oxolyov 
(oxiypv vulg.), xd (xxqcc eytaTtQtü&ev tcov fjyefiovcov eyovxcov, 

XCOV 7T SQL &rjO€CC TCQCOXOV 7ceqI XOV Jl]XlOV ßcOfXOV CCTTO^lUrjOa- 

/xivcov xrjv ano xov XaßvQiv&ov l'&dov. Dieser Tanz, den 
Lncian veraltet nennt, wurde demnach von 2 Reihen aus- 
geführt, welche, wie wir sagen, im Gänsemarsch schritten 
zur Nachahmung der Art und Weise, wie von den Genossen 
des Theseus der Eine sich am Rücken des Andern hielt. 
Der Führer jeder Reihe hiess yeqavovXxog. Die prächtige 
Fran^oisvase, welche in den Mon. d. Inst. IV, 1848, tav. 56 
veröffentlicht ist, gibt nns hievon ein gutes Bild: voran 
schreitet Theseus, es folgt abwechselnd ein Jüngling und 
ein Mädchen, von denen immer der Vorangehende eine 
Hand des Folgenden fasst. Das Schema der Tanzfiguren 
kann dem Schema der knossischen Labyrinthdarstellungen 
verwandt gewesen sein. Wahrscheinlich stand dieser Tanz 
in Berührung mit dem zu erwähnenden Spiele der römi- 
schen Knaben. 



wir hier eine Bereicherung unserer Lexikographie. Denn bis jetzt wird 
der Gebrauch von Maeandros für das Ornament erst aus Ciceros Zeit 
belegt. Interessant ist zu sehen, wie auf den Typen einiger Städte die 
einzelnen Maeanderwindungen in die Länge gezogen sind; vgl. die von 
Magnesia und besonders die von Priene und Myus, in denen diese ver- 
längerten Maeanderwindungen am runden Rande hingezogen sind. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 273 

Andere autike Labyrinthdarstellungen. 

Plinius schreibt 36, 85 Daedalus fecit labyrinthuin in 
Greta, (qui) itinerum ambages occursusque ac recursus inex- 
plicabiles continet, non ut in pavimentis puerorumve 
ludicris carnpestribus videmus brevi lacinia railia pas- 
suum plura ambulationis continentem. Hiernach waren also 
Labyrinthconstructionen in den Fussböden und auf den Spiel- 
plätzen der Knaben etwas Gewöhnliches. Von dem Knaben- 
spiel wissen wir nichts Näheres, von Mosaiklabyrinthen 
haben sich aus der Kaiserzeit mehrere schone Exemplare 
erhalten. 

Um die weitere Entwicklung der Labyrinthdarstellungen 
zu begreifen, müssen wir einige Mängel der bisher betrach- 
teten Constructionen betrachten. Die knossischen Münzen 
zeigen eine auch äusserlich nicht ganz regelmässige Figur; 
aber auch wenn die Kreuzung der Linien, welche die beiden 
Maeanderwindungen scheiden , aufgegeben , die Maeander- 
zungen auf der einen Seite um einen Gang höher gerückt 
und so regelmässige Vierecke oder Kreise hergestellt würden, 
wie dies in dem freisinger Labyrinth der Fall ist, wären 
die Figuren für Mosaik nicht zu brauchen. Denn alle 
Wendungen der Gänge und alle Enden der Gangwände 
liegen links und rechts der Achse, in allen übrigen Theilen 
der Figur sieht man nur die parallel laufenden Gänge. So 
ist diese Gattung von Labyriuthdarstellungen , welche ich 
die einachsigen nenne, im Innern durchaus unharmonisch 
anzusehen. Aber für grosse Ornamente braucht man Figuren, 
die nach allen Seiten gleichmässig gebildet sind. Die ge- 
schickten Techniker der Alten halfen sich leicht: sie theilten 
die Figur in 4 oder 8 Keile, (vier- oder achtachsige Laby- 
rinthe). Endlich war es natürlich, dass in der Mitte des 
Labyrinthes der Minotaur dargestellt wurde. Auf den Münzen 
war dies nicht möglich, dagegen ist im Centruin fast aller 



Digitized by 



Google 



274 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2. December 1882. 

übrigen Darstellungen, auch der freisinger, ein Raum für 
denselben ausgespart. 

1) Das Salzburger Mosaik, 1815 gefunden und in 
den c Juvaviensischen Antiken' des Kurz von Goldenstein 
1815 Taf. III veröffentlicht ; vgl. 0. Jahn, Archäol. Beiträge 
S. 268. Das etwa 8 Fuss breite, viereckige Labyrinth ist 
aus 13 Gängen gebildet und in 4 Keile zerlegt. Der Weg 
durchläuft in jedem Keile 3 vollständige Maean der Windungen 
zu je 4 Gängen und läuft dann erst in den nächsten Keil 
hinüber. Im Innern ist Theseus und der stierköpfige Mino- 
taurus dargestellt. 

2) Ein zu Aventicum (Avenches in der Schweiz) 
gefundenes und von Bursian in den Mittheilungen d. antiquar. 
Gesellschaft zu Zürich XVI, I, Taf. 29 veröffentlichtes Mosaik 
zeigt ein rundes, von vielen Zinnen und 4 Thürmen umge- 
benes Labyrinth von 9 Gängen mit Theseus und dem stier- 
köpfigen Minotaur in dem Innern: es zerfällt in 8 Keile, 
deren jeden der Weg in einfachen Schlangenwindungen gänz- 
lich durchläuft, ehe er in den nächsten Keil hinüberläuft. 

3) Ein bei Bosseaz im Canton Waadt 1845 entdecktes, 
jetzt verschwundenes Mosaik wird bei 0. Jahn, Archäolog. 
Beiträge S. 271, so beschrieben 'Das 15 P. 4 Z. lange, 
11 F. 5 Z. breite Mosaik stellt in der Mitte das mit 16 
thurmartigeu Eingängen versehene Labyrinth durch mehrere 
im Viereck umherlaufende parallele Gänge dar, in demselben 
Theseus und Minotaur, dessen Kopf allein noch erhalten ist/ 

4) Bei Orleansville in Afrika wurden in einer Kirche, 
welche 324 gegründet und in welcher 475 der h. Reparatus 
bestattet ^worden ist , verschiedene Mosaiken gefunden, die 
dann Pifevost in der Revue archeol. IV p. 664 u. 800 und 
pl. 78 veröffentlichte. An der Seite des Schiffes liegt ein 
viereckiges Labyrinth von 11 Gängen, das in 4 Keile zer- 
fällt. Auch hier durchläuft der Weg zuerst vollständig 
einen' Keil, ehe er in den andern tritt, aber in doppelten 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 275 

Schlangen Windungen, so dass er in dem 1, 3, 5, 7. Gange 
hinein, in dem 6, 4, 2. Gange herausläuft. In der Mitte 
des Labyrinthes findet sich ein Buchstabenspiel, das die 
Worte Sancta eclesia gibt. Dieses Buchstabenspiel hat 
keinen tieferen Zusammenhang mit der Labyrinthdarstellung, 
da an einem andern Platze der Kirche die Worte Marinns 
sacerdos durch das gleiche Buchstabenspiel, aber in ganz 
anderer Umrahmung gegeben sind; (vgl. Corpus Inscr. 
lat. VIII no. 9708 — 9711). Dies ist für uns die erste 
Labyrinthdarstelinng, welche nur als Ornament dient. 

Wir haben also im klassischen Alterthum gefunden: 
1) die einachsigen Labyrinthe, viereckig oder rund zu 7 
Gängen, auf den knossischen Münzen und der Wand in 
Pompeji ; 2) das vierachsige Labyrinth im salzburger Mosaik, 
viereckig und zu 13 Gängen; 3) das vierachsige Lab. zu 
Orleansville, viereckig zu 11 Gängen; 4) das achtachsige 
Lab. zu Aventicum, rund zu 9 Gängen; 5) das viereckige 
Lab. von Bosseaz, von dessen Gonstruction Näheres nicht 
bekannt ist. 

Die mittelalterlichen Darstellungen des 
Labyrinths. 

Die mittelalterlichen Labyrinthe sind entweder ein- oder 
vierachsige; die einachsigen sind alle, von den vierachsigen 
die meisten rund; die einachsigen haben 7 oder 11 Gänge, 
die vierachsigen zumeist 11, nur einige haben weniger als 
11 Gänge; besonders ist zu beachten, ob und wie Theseus 
und Minotaurus im Innern des Labyrinths dargestellt .sind. 

t. Die einfachste Form ist die oben beschriebene zu 7 
Gängen, wie sie die Freisinger Handschrift zeigt (Figur 3) ; 
die Gänge folgen von aussen gezählt sich in dieser Reihe: 
3. 2. 1. 4. 7. 6. 5. 

I, a. Das älteste Beispiel dieser Form ist für uns in 
der Handschrift von S. Gallen 878 S. 277 erhalten. 



Digitized by 



Google 



276 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 2. Becember 1882. 

Dort ist, nach der gütigen Mittheilung des Stifts- 
bibliothekars P. Idtensohn, die Figur mit dem Durchmesser 
von 9 Cent, von einer Hand saec. IX gezeichnet und im 
Innern geschrieben Voraus 1 ; oben sind links und rechts 
erloschene Schriftzüge; links ist zur Noth noch zu lesen 
Momus', der Rest ist durch Reagentien unleserlich gemacht. 
Da aber Massmann, welcher diese Figur Taf. 1, E, 1 ab- 
bildete, ausdrücklich die Beischrift c domus Dedali* an- 
gibt, so war ohne Zweifel zu seiner Zeit diese Beischrift 
noch leserlich. Später werden wir die altfranzösische und 
isländische Uebersetzung dieses Namens kennen lernen. 

I, b. Das zweite Beispiel dieser Form findet sich eben- 
falls in S. Gallen in der notkerschen altdeutschen Ueber- 
setzung der Consolatio philos. (zu III, Prosa XII) des Boetius, 
cod. 825 S. 177, abgebildet in den Ausgaben des Notker 
(Graff S. 165, Hattemer III. S. 155, Piper I. S. 218). Die 
im saec. X/XI gezeichnete Figur bietet nichts Besonderes ; 
interessanter sind für uns die Worte des Boetius, welche 
durch dieselbe illustrirt werden : Ludis me, texens rationibus 
inextricabilem laborinthum l ) (so feruuündenen laborinthum 
uuorchendo), quae nunc quidem qua egrediaris introeas, 
nunc vero qua introieris egrediaris. (so iz in laborintho 
feret, ünde so du hier sehen mäht). P. Piper hat, wie er 
mir mittheilt, diese Zeichnung in andern Handschriften 
nicht gefunden. 

I, c. Unsere Freisinger Figur, deren Gang wände durch 
2 mit vielen kleinen Querstrichen ausgefüllte Linien ge- 
bildet sind, bietet nichts Bemerkenswerthes , als dass nach 
dem Zeugniss der Verse im Innern Minotaurus dargestellt 
war. Jetzt ist diese Zeichnung gänzlich verwischt; nur 
glaubte ich noch am Boden die gekrümmten Vorderbeine 
eines liegenden Stieres zu erkennen. 



1) Im Mittelalter stets laborinthus = labor intus. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. '^77 

I, d. Als ich Herrn Grtinbaum über Labyrinthe als 
Kinderspiel befragte, erzählte er mir, in seiner Jugend habe 
er solche Figuren gezeichnet und sie hätten damals die 
Mauern der Stadt Jericho geheissen. Um so mehr er- 
staunte ich, als ich die schon von Eiselen und dann von 
Massmann (Taf. I, D) veröffentlichte (siehe Fig. 4) Zeichnung 
der Münchner Handschrift 14731 Bl. 83 a fand 1 ) und dabei 
den schon im XII. Jahrhundert geschriebenen Vers : 

Urbs Jericho lunae fuit assimilata figurae. 
d. h. die Stadt Jericho hatte mondähnliche Form. Dieser, 
auf alten Auslegungen des Hieronymus und Isidor (Jericho 
per interpretationem luna dicitur) beruhenden Deutung zu 
liebe, ist in der Construction eine wichtige Veränderung vor- 
genommen: Die sonst in der Zeichnung festgehaltene Achse 
ist nicht mehr sichtbar, die beiden äusseren Maeanderzungen 
mit den sie umlaufenden Gängen sind weit von einander 
gerückt und , während sonst die Spitzen des breiteren 
äusseren und des gegenüber liegenden breiteren inneren Um- 
laufes sich berührten , sind sie ebenfalls weit von einander 
gerückt und durch eine langgezogene Hilfslinie verbunden. 
Hiedurch war Anlass geboten zum Gedanken, diese Hilfs- 
linie wegzulassen, wodurch der Anstoss zu wichtigen Um- 
bildungen der ganzen Figur gegeben wurde. Bemerkens- 
werth ist, dass in dieser Figur das durch ein Ornament 
bezeichnete Innere noch mit dem Mittelpunkt der Kreise 
zusammenfallt. 

Die Figur zu 7 Gängen ist ziemlich einfach; nahe lag 
der Versuch, dieselbe zu erweitern. Dies konnte auf ver- 
schiedene Weise geschehen, indem man entweder die Zahl 
der Windungen auf 3 oder mehr erhöhte (II) oder inner- 
halb der ursprünglichen zwei Windungen die Zahl der 



1) Die Gang wände der 13 Gentim. breiten Figur sind durch breite 
rothe, mit Grün schattirte, Streifen gebildet. 



Digitized by 



Google 



278 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. December 1882, 

Zangen (IV) oder der darum gelegten Gänge (III) ver- 
mehrte. 

IL Die einfachste Erweiterung geschah, indem eine 
3. Windung zugesetzt wurde. Da jede Windung 3 Gänge 
und 2 Zungen und die Verbindung einer Windung mit der 
anstossenden je einen Gang beansprucht, so ergeben sich 
3-\~l-\~3 + l-\-3 = l\ Gänge, die von aussen nach innen 
gezählt sich so folgen: 3. 2. 1; 4; 7. 6. 5; 8; 11. 10. 9, 
und im Ganzen 6 Zungen. 

II, a) Das bis jetzt älteste Beispiel dieser Form bietet das 
erste Blatt der Wiener Otf ried- Handschrift (nr. 2687) aus dem 
9. Jahrh.; vgl. Pipers Einl. S. 46 u. Bericht. S. VII; Erdmann 
S. I. Eine Durchzeichnung der schon von Massmann, Taf. I. F, 
veröffentlichten Figur verdanke ich der Güte des Herrn 
P. Piper. Die Figur hat 18 Centim. im Durchmesser. Die 
Gangwände sind durch breite Streifen von abwechselnd 
gelber, grüner und rother Farbe gebildet. Im Innern steht 
schwarz geschrieben PAS, Buchstaben, die ich noch nicht 
deuten kann. 

II, b) Das zweite, sonderbarer Weise von Massmann 
nicht erwähnte, Beispiel dieser Form findet sich in der 
münchner Handschrift 14731 auf der Rückseite von Bl. 82 
als Gegenstück zu der erwähnten (I, d) Darstellung der Stadt 
Jericho, die auf der Vorderseite von Bl. 83 steht. Die 
Gangwände der 13 Centim. breiten Figur sind durch rothe 
und blaue oder rothe und grüne Streifen gebildet. Der 
Eingang schliesst mit dem Kreise glatt ab, es fehlen also 
die Füsse der Wiener Zeichnung. Dieselbe Hand des XII. Jahr- 
hunderts, welche die Beischrift zur Stadt Jericho setzte, schrieb 
über diese Figur 

Cum Minothauro pugnat Theseus Laborinto. 

Dem entsprechend sehen wir im Innern einen lang- 
lockigen Jüngling mit Brustharnisch, auf die Knie reichendem 
Gewände und ringförmigen Beinschienen , welcher mit der 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ein Labyrinth büt Versen. 279 

linken einen Schild mit spitzem, weit vorspringendem Buckel 
vorhält, mit der Rechten ein Schwert erhebt, also einen echt 
romanischen Ritter, ihm gegenüber ein aufrecht stehendes 
Geschöpf mit eselähnlichem Kopfe (ohne Hörner aber mit 
langen Ohren), sonst aber einem Menschen ähnlich gebildet, 
nur dass er statt der Hände, Hufe hat; mit aufgesperrtem 
Rachen und erhobenen Hufen bedroht er den Ritter. Da 
auf den antiken Bildwerken Minotaur als Mensch mit einem 
Stierkopfe, der allerdings oft einem Eselskopfe zum Ver- 
wechseln ähnlich ist, dargestellt wird, so haben wir hier 
offenbar eine antike, aber in mittelalterliche Ausdrucksweise 
umgesetzte Darstellung vor uns. 

III. Eine andere Art der Erweiterung der Form zu 
7 Gängen bestand darin, dass die alte Zahl der zwei Wind- 
ungen mit den je 2 Zungen beibehalten , aber um jede 
Windung ein Gang mehr gelegt wurde; so entstand eine 
Figur mit 4 Zungen und 5+1 + 5 Gängen, die von 
aussen nach innen gezählt sich so folgen: 7. 10. 9. 8. 11; 
ß; 1. 4. 3. 2. 5. Diese Construction ist wichtig, weil aus 
ihr die Wunderkreise unserer Turnschulen gewachsen sind. 

III, a. Emile Arne hat in seinem später noch zu er- 
wähnenden Werk c Les Carrelages emailles, 1859, p. 52, Fuss- 
bodenplatten einer zerstörten Kirche in Toussaints (Marne) 
abgebildet. Auf denselben sind in einem Kranze von Orna- 
menten je 4 Labyrinthe, jedes mit einem Durchmesser von 
nur 12^2 Centim. eingepresst; siehe Figur 6. 

IV. Die siebengängige Figur kann ferner dadurch er- 
weitert werden, dass man innerhalb jeder der beiden Wind- 
ungen 2 Zungen und so auch 2 Gänge zusetzt. Wenn man 
in Figur 7 die drei Achsen weglässt und die links und 
rechts von der Eingangsachse auslaufenden Gangwände durch 
den ganzen Umfang der Figur zieht, so entsteht diese Form 
des Labyrinths, welche 8 Zungen und 5 + 1 + 5 Gänge 
zählt, die von aussen nach innen gerechnet sich in dieser 



Digitized by 



Google 



280 Sitzuny der phUosl-phllöl. Classe vom 2. Dccember 1883. 

Reihe folgen: 7. 8. 9. 10. 11; 6; 1. 2. 3. 4. 5. Ein mittel- 
alterliches Beispiel dieser Form habe ich noch nicht ge- 
funden ; allein sie muss existirt haben, da aus ihr die wich- 
tigste aller Labyrinthdarstellungen , die vierachsige unter 
Fig. 7 gegebene (vgl. S. 281) hervorgegangen ist. 

Vierachsige Labyrinthdarstellungen des 
Mittelalters. 

Als grössere Ornamente, insbesondere als Fussboden- 
Mosaiken, finden sich auch im Mittelalter keine einachsigen 
Labyrinthe verwendet; aber auch von den mehrachsigen 
Formen findet sich nicht die achtachsige, sondern nur die 
vierachsige verwendet. 

I. Die vielleicht älteste Darstellung dieser Art ist das 
Mosaik in San Michele zu Pavia, früher unvollständig (vgl. 
Piper, Mythol. und Symbolik I, 1847, S. 136), jetzt viel 
vollständiger veröffentlicht von Aus'm Weerth, der Mosaik- 
boden in St. Gereon, 1873 S. 14 und Taf. IV. Dies Mosaik 
stammt frühestens aus dem Schluss des XI. Jahrhunderts, 
da die reinen zweisilbigen Reime der drei Hexameter (in- 
tvavit: necavit; elatus: levatus; fortis: mortis) damals erst 
anfingen gesetzmässig zu werden. Das Werk ist bedeutend 
wegen des reichen Bilder schmuckes. Um das Labyrinth sind 
dargestellt die Figuren des Jahres und der Monate, ver- 
schiedene Gruppen und Wunderthiere, wie z. B. ein Hund, 
auf welchem eine Ziege reitet (Chimaera?), endlich David 
und Goliath als christliches Gegenstück zu Theseus und 
Minotaurus, welche offenbar nach alter Tradition im Innern 
des Labyrinthes dargestellt sind. Das vierachsige Labyrinth 
selbst ist rund und besteht aus 8 Gängen ; seine Construction 
ist leider bei Aus'm Weerth verzeichnet. Wichtig ist die 
Darstellung von Theseus und Minotaurus. Theseus, wie es 
scheint, nur mit einer Art phrygischer Mütze (HelmV = 
Goliath) und einem Gewände mit breitem Gurte angethan, 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: VAh Labyrinth mit Versen. 281 

schlägt mit einer Keule von hinten auf den Kopf des Mino- 
taurus. Dieser hält in der Linken ein Schwert, in der 
Rechten einen abgehauenen Kopf, der zu einem am Boden 
liegenden menschlichen Körper gehört. Merkwürdig ist die 
Bildung des Minotaur , oben Mensch (nur mit 2 kurzen 
Hörnern), unten Stier. Denn während im Alterthume Mino- 
taur als Mensch mit Stierkopf dargestellt wurde und die 
Darstellung als Stier sehr fraglich ist (vgl. 0. Jahn, Archäol. 
Beiträge S, 257), scheint im Mittelalter diese Darstellung 
des Minotaurus oben Mensch, unten Stier, die gewöhnliche 
gewesen zu sein. Wichtig ist die Thatsache, dass im Fuss- 
boden einer christlichen Kirche ein Labyrinth mit Theseus 
und Minotaur (Theseus intravit monstrumque biforme ne- 
cavit) angebracht wurde. Das konnte sich der mittelalter- 
liche Architekt nur gestatten, indem er einer häufigen Sitte 
folgte. 

IL Die wichtigste mittelalterliche Labyrinthform ist die 
in Figur 7 gegebene. 1 ) Die 11 Gänge der ihr zu Grunde 
liegenden einachsigen Form sind durch die hinzutretenden 
3 Achsen so zerschnitten, dass der Weg im Ganzen 31 Viertel 
und Halbbogen durchläuft, bis er im Innern anlangt. 

II, a. Herr Dr. H. Simonsfeld machte mich aufmerksam, 
dass in einigen Abschriften der Chronik des Venetianers 
P a u 1 i n u s , früher auch Jordanes genannt, über welche er 
in den Forschungen zur deutschen Geschichte XV S. 145 
und im neuen Archiv VII S. 58 gehandelt hat, zur Illu- 
stration des Textes sich Zeichnungen des Labyrinths be- 
finden. Zunächst erhielt ich durch die Güte meines Freundes 
Dr. A. Mau in Rom eine Copie von II, a, 1) der im Cod. 
Vatic. 1960 fol. 264b enthaltenen Labyrinthdarstellung. Vor 
dem Eingange ist, wie schon in dem Mosaik zu Aventicum, 
ein Thor gezeichnet. Im Innern hat der langhaarige mit 



1) Vgl. die isländischen Labyrinthe Fig. 8 u. 9, S. 288. 



Digitized by 



Google 



282 Sitzung der pMos.-philöl. ülasse vom 2. December 1882. 

Stiefeln und Leibrock bekleidete Tbeseus mit einer Keule 
eben den zottigen Kopf des Minotaurus getroffen, so dass 
dieser die rechte Hand wie wehklagend an den Kopf legt, 
während er in der Linken eine Art Keule hält. Am Boden 
liegen Stücke von menschlichen Körpern. Der Minotaur 
ist unten Stier, oben Mensch, (wie es scheint, ohne Hörner). 

n, a, 2. In der pariser Abschrift des Paulinus (latin. 
4939 f.*21) befindet sich ebenfalls eine Zeichnung des Laby- 
rinths, deren Copie ich der Güte des H. Leopold Delisle 
verdanke. Hier fehlt das Thor am Eingange; auch die 
Zeichnung im Innern ist vereinfacht (offenbar aus Mangel 
an Raum), indem nicht Theseus, sondern Minotaur allein 
dargestellt ist, wie er beide Hände erhebt, wohl um Schonung 
zu erbitten. Er ist wieder unten, Stier, oben Mensch, scheint 
aber sehr lange Ohren zu haben. Von der Zeichnung in 
(II, a, 3) der Venetianer Abschrift des Paulinus erhielt ich 
noch keine Copie : aber man kann mit Sicherheit annehmen, 
dass die Construction des Labyrinths die gleiche ist. 

Freilich ist die Chronik des Paulinus erst nach 1330 
zusammengestellt, allein die Zeichnungen können auf ältere 
Vorlagen zurückgehen. So enthält die vatikanische Ab- 
schrift ausser mythologischen Zeichnungen, welche nähere 
Untersuchung verdienen, auch Karten und Pläne, darunter 
einen von Rom, der, wie De Rossi nachgewiesen hat, sicher 
schon vor dem Ende des XIII. Jahrhunderts entstanden ist. 

II, b, 1. Dieselbe Figur fand ich am Ende der münchner 
lat. Handschrift 800, welche eine in Italien saec. XIV ge- 
fertigte Abschrift des Boetius de Consolatione philosophiae 
enthält. Diese 16 Centim. breite Figur hat ebenfalls vor 
dem Eingange ein Thor (vgl. II, a, 1). Es ergibt sich 
demnach mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit, dass im 13. und 
14. Jahrhundert diese Darstellung des Labyrinths eine be- 
kannte war. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 283 

II, c u. d, III. So vorbereitet verstehen wir leichter die 
Labyrinthdarstellungen , welche sich in bedeutenden gothi- 
schen Kirchen Nordfrankreichs aus dem 13. und 14. Jahr- 
huudert finden. Ueber dieselben ist schon Vieles ge- 
schrieben, 1 ) aber marf hat, ohne die geschichtliche Ent- 
wicklung und die Construction sorgfältig zu untersuchen, 
womit man doch billiger Weise hätte anfangen sollen, fast 
hur um die allegorische Deutung dieser Darstellungen sich 
gestritten. In Wahrheit aber haben die Labyrinthe von 
Chartres, St. Quentin, Amiens (Arras) und Poitiers, ebenso 
trotz der Verschnörkelungen auch das Labyrinth von St. Bertin 
zu St. Omer genau dieselbe Construction wie das Labyrinth 
im Panlinu8 und dem münchner Boetius (Fig. 7), was sich 
ergibt, wenn man die 31 Halb- und Viertelbogen vergleicht; 
das Labyrinth von Sens hat mit geringen, das von Reims 
mit stärkeren Abweichungen dasselbe Schema; nur das La- 
byrinth von Bayeux hat eine stark verschiedene Anlage. 
Von diesen Labyrinthen sind die einen rund , die andern 
sind durch einmalige Brechung der Viertelbogen viereckig, 
wieder andere durch zweimalige Brechung der Viertelbogen 
achteckig gebildet. 

II, c, 1. Chartres; bei Caumont, Gailhabaud und 
Arne; rund mit Durchmesser von I2V2 Meter; einst La Heue t 
genannt. Ein älterer Historiker von Chartres sagt, in der 
Mitte sei Theseus und Minotaurus dargestellt, von welchen 
Figuren jetzt nichts mehr zu sehen ist. 

II, c, 2. Poitiers. Das Lab. von Poitiers ist ver- 
schwunden, doch findet sich an der Kirchenwand eine 



1) Siehe besonders L. Deschamps de Pas in Didron's Annales 
archeol. XII, 1852 p. 147 — 152; Caumont, Abecedaire, 1851 p. 320 
mit 3 Abbildungen ; Gailhabaud, Farchitecture et les arts qui en de- 
pendent, 1858, in der Mitte des 2. Bandes mit 7 Abbildungen; iSmile 
Arno, les carrelages emailles 1859 p. 32 — 53 mit 7 Abbildungen. 



Digitized by 



Google 



284 Sitzung der phÜos.-phÜöl. Classe vom 2. December 1882. 

flüchtige Zeichnung, welche Arne veröffentlicht hat. Das 
Lab. ist rund und stimmt völlig mit dem vorigen. 1 ) 

II, c, 3. St. Qu entin; bei Gailhabaud (verzeichnet), 
bei Arne und in den Handbüchern von Mothes und Otte; 
achteckig, lO 1 ^ Meter im Durchmesser. 

II, c, 4. Amiens, bei Gailhabaud; achteckig mit ver- 
schiedenen Bildnissen (Arne S. 46 und Gailhabaud Fig. 5 ?) 
nebst der im Jahre 1288 eingelegten Inschrift, die also 
beginnt: 

Memore quand Teuvre de Tegle 
De cheens fu commenchie et fine 
II est escript el moilou de le 
Maison de Dalus. 

Dasselbe wurde im Jahre 1825 zerstört. 

II, c, 5. Das Lab. in Ar ras war ebenfalls achteckig 
und von derselben Anlage wie die zu St. Quentin und Amiens. 
Nach der Revolution wurde es zerstört. 

II, c, 6. St. Bertin zu St. Omer, bei Caumont, 
Gailhabaud (verzeichnet) und bei Arne; viereckig, doch mit 
mannigfachen Verschnörkelungen. Es soll zerstört worden 
sein , weil die darin laufenden Knaben und Fremden den 
Gottesdienst störten. 

II, d, 1. Sens, bei Caumont, Gailhabaud und Arne; 
rund mit dem Durchmesser von 10 Meter. Dies Lab. hat 
ebenfalls 11 concentrische Gänge, doch sind die Halb- und 
Viertelbogen zum Theil anders vertheilt, als in den voran- 
gehenden. 

II, d, 2. Reims, bei Gailhabaud und Arne. Es be- 
stand ebenfalls aus 11 concentrischen Gängen, doch wich 
die Vertheilung der Halb- und Viertelbogen von dem Schema 



1) Rund war auch das im Jahre 1690 zertörte Labyrinth von 
Auxerre. 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 285 

noch mehr ab als in dem Lab. zu Sens. Das Lab. zu Reims 
war eigentlich achteckig, doch waren die 4 Eckseiten wiederum 
zu kleinen Achtecken ausgebildet, in denen sich Figuren mit 
Instrumenten befanden , welche nach der Angabe von In- 
schriften die verschiedenen Baumeister darstellten. Dieses 
Lab. hiess Chemin de Jerusalem, und es gab för die Durch- 
wandernden ein eigenes Gebetbüchlein c Stations au Chemin 
de Jerusalem, qui se voit en l'eglise de Notre-Dame de 
Reims 5 . Weil aber auch die Knaben und die Fremden viel 
Vergnügen an dem künstlichen Werke hatten und durch 
ihr Laufen den Gottesdienst störten, Hessen im Jahre 1779 
zwei Kanoniker es sich 1500 Franken kosten, dies Labyrinth 
zu entfernen. 

III, a. Bayeux, bei Gailhabaud und Arne; rund mit 
dem Durchmesser von 3,80 Meter. Es besteht nicht, wie 
alle vorangehenden aus 11, sondern nur aus 10 concentrischen 
Gängen ; die Theilung der Gänge in Viertel- und Halbbogen 
ist ebenfalls eine durchaus verschiedene, und ausser diesen 
finden sich nicht weniger als 4 bis auf die Eingangsachse 
durchlaufende Kreise. Nicht minder unterscheidet es sich 
durch seinen geringen Durchmesser. 

Was nun die Zeit dieser Kirchenlabyrinthe 
betrifft, so lässt sich das Lab. von Amiens auf 1288, das 
von Reims etwa auf 1300 bestimmen; das von Bayeux wird 
in das 14. Jahrhundert gesetzt; die Herstellung der übrigen 
Labyrinthe wird mit dem inneren Ausbau der betreffenden 
Kirchen zusammenfallen, also in der Regel in die Zeit vor 
1300 zu petzen sein. 

Ueber die Bestimmung dieser Kirchenlabyrinthe 
haben sich die mittelalterlichen Archäologen sehr gestritten. 
Der eine findet hier c un jeu de patience des ouvriers*, die 
meisten mit Hinblick auf den Namen c Chemin de Jerusalem' 
eine allegorische Nachbildung von Christi Leidensweg auf 

[1882. II. philos.-philol.-hist. Cl. 3.] 20 



Digitized by 



Google 



286 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. December 1882. 

den Calvarienberg und erklären demnach diese Labyrinthe 
für un moyen de pelerinage abrege 5 . Die Geschichte führt 
uns auch hier den richtigen Weg. Das Lab. von San Michele 
in Pavia mit Theseus und Minotaurus in der Mitte lehrt, 
dass im Mittelalter die alte Sitte noch fortlebte, den Boden 
bedeutender Räume mit Labyrinthdarstellungen zu zieren. 
Dasselbe Lab. und viele der erwähnten Zeichnungen lehren 
uns ferner, dass im Mittelalter Jedermann sich bewusst war, 
in die Mitte des Labyrinthes gehöre Theseus und der Mino- 
taurus. Abgesehen von allem Andern (in dem Lab. des Doms 
zu Chartres sollen sogar Theseus und Minotaurus bildlich 
dargestellt gewesen sein) lehrt uns dasselbe die französische 
Sprache. LaCurne citirt in seinem Wörterbuche aus der 
Handschrift des Vatican 1490 die Verse c C'est la maisou 
Dedalu A sa devise Set cascun entrer Et tout i sont detenu\ 
und aus dem Tagebuch der Louise de Savoye den Eintrag 
von 1513 c En mon parc et pres du Dedalus'; dazu ist die 
obige Inschrift von Amiens zu fügeu, welche das Lab. eben- 
falls maison Dedalus nennt. Diese Bezeichnung ist nur eine 
Uebersetzung des Domus Dedali, das wir oben S. 276 schon 
im 9. Jahrhundert gefunden haben und später S. 289 in 
isländischer Uebersetzung finden werden. Ebendaher kommt 
es, dass die jetzige französische Sprache, als einzige unter den 
modernen, dedal als gleichbedeutend mit labyrinth gebraucht. 
Demnach ist es sicher, dass im Mittelalter jeder Gebildete 
beim Anblick dieser Figuren sich bewusst war, dass eigent- 
lich die Gestalten des Theseus und Minotaurus in die Mitte 
gehörten. Die nordfranzösische Architekturschule benutzte 
aber nur das altüberlieferte, sinnreiche Ornament, Hess da- 
gegen jene heidnischen Persönlichkeiten weg oder ersetzte 
sie durch die Bilder der beim Kirchenbau betbeiligten 
Bischöfe oder Baumeister. Wenn später Fromme diese 
Ornamente hie und da zu Bittwegen benützten, so lag das 
ursprünglich ebenso wenig in der Absicht der Erbauer, als 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 287 

dass die Knaben oder die Fremden sie als Turnlauf be- 
nätzen sollten. 

Zum dritten lehrt uns die übereinstimmende Con- 
struction dieser Kirchenlabyrinthe einerseits und der Zeich- 
nungen in der Chronik des Paulinus und in dem münchner 
Boetius andererseits, dass diese Art des vierachsigen Laby- 
rinths zu 11 Gängen im 13. Jahrhundert eine sehr ver- 
breitete war, und dass das Musterbuch jener Architekten 
diese Darstellung aus derselben Quelle bezogen hat, wie der 
Illustrator des Paulinus und des Boetius. 

IV, a. Aus Valturius de Re militari, Venedig 1472, 
Bl. 192 gibt Massmann Taf, I, 6 die Zeichnung eines Laby- 
rinths, welches sich auch in der fein gemalten münchner 
Handschrift 23467 Fol 158 findet. Dieses Lab. hat 4 Gänge 
und ist dreiachsig , indem die Gänge viertel , halbe , drei- 
viertel und ganze Kreise durchlaufen. Valturius will haupt- 
sächlich den Minotaur als Fahnen zeichen und das Laby- 
rinth nur als seine Wohnung anführen (Minotaurus usque 
ad humeros taurus, cetera homo; domicilium eius quondam 
laborinthus) ; demgemäss zeigt die münchner Handschrift 
in dem Innern den Minotaurus, freilich ganz als Stier ge- 
bildet. 

V, a. Ein geschnittener Stein, der im Mus. Florent. 
II, 351, Agostini, Le gemme antiche II nr. 131, Maffei, 
Antiche gemme, IV, 31 und bei Massmann, Taf. I, N, 3 
veröffentlicht ist, zeigt den Minotaur, unten als Stier, oben 
als Mensch gebildet, in der Mitte eines vierachsigen Laby- 
rinthes, das aus 5 Gängen gebildet ist und dessen Haib- 
und Viertelbogen den innern 5 Gängen der Figur 7 sehr 
ähnlich sind. Wegen der Bildung des Minotaur haben die 
Archäologen diese Gemme schon längst für ein Werk der 
Renaissance erklärt. Dasselbe geht auch aus der Bildung 
des Labyrinthes hervor. Denn während dasselbe mit der 
Construction der mittelalterlichen Figur 7 grosse Aehnlich- 

20* 



Digitized by 



Google 



288 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. December 1882. 

keit hat, findet sich im Alterthum kein vierachsiges Laby- 
rinth, dessen Bogen in den nächsten Keil bald übergreifen, 
bald nicht. 

Labyrinthdarstellungen im Norden Europas. 

Die sinnreiche Construction unserer Labyrinthe rauss 
jeden einfachen Menschen ergötzen. So werden wir uns 
nicht wundern, dieselben, wie jene einfachen Mährchen und 
Scherze, bei den verschiedensten Völkern wieder zu finden, 
wenn sie auch, wie jene, auf dieser Wanderung natürlich 
mancherlei Abänderungen erlitten haben. Die Nachrichten 
von Kälund 1 ) und Fries, auf welche H. K. Maurer mich 
aufmerksam machte, ebenso die Angaben Baers beweisen, 
dass diese Darstellungen im höchsten Norden Europas weit 
verbreitet waren und zum Theil noch jetzt verbreitet sind. 

Die ältesten der bis jetzt bekannten islÄn^ischen^Laby- 
rinthdarstellungen sind, wie Kälund bemerkte, in zwei 
Pergamenthandschriften der Bibliotheca Arnemagniana in 
Kopenhagen erhalten. Dass ich hievon genaue Nachricht 
geben kann, verdanke ich der Güte des H. Maurer. Auf 
seine Vermittlung hin hatte H. V. A. Sech er die Freund- 
lichkeit genaue Copien der beiden Zeichnungen anzufertigen ; 
den dazu gehörigen isländischen Text in A. M. 736. 4to 
schrieb H. Verner Dahlerup mit Beihilfe eines jungen 
Isländers ab und Maurer übersetzte denselben in das 
Deutsche. Die Labyrinthzeichnung in der ersten, um 1300 
geschriebenen, Handschrift A. M. 732. hat den Durchmesser 
von gut 9 l l% Centimeter ; in dem Innern steht, nach Kälunds 
Angabe von jüngerer Hand, c völundar hüs*; die andere Laby- 
rinthzeichnung in A. M. 736. 4to Tat den Durchmesser von 
7 Centim.; das Innere mit dem Durchmesser von 2 1 /* Centim. 



1) Bidrag til en bist, topogr. Beskrivelse of Island II (1882) S. 416. 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 289 

ist ganz ausgefüllt durch ein löwenähnliches Ungetüm; nur 
der Kopf ist ein missgestaltetes Mittelding zwischen Mensch 
und Thier (nicht Esel und nicht Stier, da sowohl Hörner als 
lange Ohren fehlen); dabei steht honocentaurus. (Fig. 9a.) 

Schon diese Thatsachen ergeben den Beweis, dass diese 
Figur nicht in Island erfunden, sondern von Aussen einge- 
führt ist. Völundarhüs (Wielandhaus), wie die erste Figur 
durch die Inschrift und die zweite durch den begleitenden 
Text genannt wird, ist die einfache Uebersetzung von Domus 
Daedali, welchen Beinamen der Labyrinthfigur wir schon im 
9. Jahrhundert (S. 276) und dann in der französischen Ueber- 
setzung Maison Dedalus vom Jahre 1288 (S. 286) gefunden 
haben. Maurer bemerkte, dass nach der Entwicklung der 
isländischen Literatur zu schliessen, diese Uebersetzung wohl 
in früher Zeit gemacht worden sei, Ferner ist der Hono- 
centaurus (Isidor Orig. 11, 3 media hominis species, media 
asini) unzweifelhaft nur ein missverstandener Minotaurus. 
Maurer wies darauf hin, dass im Isländischen auch die Form 
Minocentaurus sich finde (Stjorn, ed. Unger, Christiania 
1862, S. 85) und dass ho vielleicht nur aus Mi verlesen sei. 

Die Construction des Labyrinthes ist in den beiden Dar- 
stellungen* verschieden. Das Labyrinth in A. M. 732. 4to 
(siehe Figur 8) ist vierachsig mit 7 Gängen und dem vier- 
achsigen Labyrinth zu 1 1 Gängen (Figur 7) verwandt. Doch 
ist es einfacher und klarer. In schlangenförmigen Wind- 
ungen werden zuerst die 3 innern Bogen aller 4 Keile 
(Gangstücke 1. 2. 3; 3. 4. 5; 5. 6. 7; 7. 8. 9) durch- 
laufen, dann: die 3 folgenden Bogen (Gangstücke 10. 11. 
12; 12. 13. 14; 14. 15. 16;) von 3 Keilen; unregelmässig 
ist der 7. Gang, welcher als Bogen 17 zum 4. Keile (Gang- 
stück 17. 18. 19) hinleitet. 1 ) So hat die ganze Figur 



1) Einfacher wäre die Figur, wenn der Weg aus Gangstück 9 in 
das jetzt 18. Gangstück überliefe; dann könnte er in Gangstück 18, 



Digitized by 



Google 



290 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 2. December 1882. 

19 Viertel und Halbbogen. Das ähnliche Labyrinth in 
A. M. 736. 4to besteht ebenfalls aus 7 Gängen; doch ist 
es in andern Stücken willkürlich abgeändert; die 4 Achsen 
sind nicht streng festgehalten und dadurch, dass einige 
vollständige Kreise und einige 8 /4 Bogen angebracht sind, 
beträgt die Zahl der zu durchlaufenden Gangstücke nur 15. 
Wir sehen also auch hier, was wir schon bei der Ent- 
wicklung der übrigen mittelalterlichen Labyrinthdarstellungen 
gesehen haben, dass Mancher seine Geschicklichkeit dadurch 
zu zeigen suchte, dass er die ihm vorliegende Construction 
veränderte. Allein klar ist, dass diese beiden Figuren zu 
7 Gängen aus der einfachen einachsigen Figur zu 7 Gängen 
(Fig. 3) entwickelt sind. 1 ) Demnach ist sicher, dass die 



19. 10; 10. 11. 12. u. s. f. den 4. 5. und 6. Gang der 4 Keile durch- 
laufen und endlich aus Gangstück 16 mit dem jetzt 17. Gang rundum 
und neben dem Eingang direkt in das Innere laufen. 

1) Da der isländische Text, welcher in A. M. 736. 4to die 
Zeichnung begleitet, für die nordische Literatur interessant ist, von 
Kälund aber nur auszugsweise und nicht ohne Irrthümer mitgetheilt 
ist, so gebe ich denselben hier nach der wörtlichen Uebersetzung des 
H. v. Maurer: Mit dieser Figur, welche Völundarhüs genannt wird, hat 
es die Bewandtniss, dass in Syrien ein König war, welcher Dagur hiess. 
Er hatte einen Sohn, welcher Egeas hiess (Theseus war des A.egeus 
Sohn). Dieser Egeas war ein in Leibesübungen sehr gewandter Mann. 
Er zog in das Reich des Königs Soldan, um dessen Tochter zu freien. 
Der König sprach, er solle das Weib dadurch gewinnen, dass er allein 
das Thier überwinde, welches Honocentaurus heisst, welches Niemand 
mit menschlicher Kraft besiegen konnte. Weil aber des Königs Tochter 
über alle Massen klug war, mehr als alle Weisen in jenem Reiche, ver- 
suchte jener Königsohn sie insgeheim zu treffen und erzahlte ihr, was 
ihr Vater ihm auferlegt habe, wenn er sie gewinnen wolle. Weil er 
ihr wohlgefiel, sprach sie zu ihm: da menschliches Thuu dieses Thier 
nicht mit Gewalt besiegen kann, will ich dich lehren, eine Falle in 
dem Walde herzustellen, in welchem dasselbe beständig herumläuft; 
vorher aber (sollst du) alle Thiere ausrotten, die es zu seiner Nahrung 
zu haben pflegt. Dann nimm du Fleisch von einem Wildeber und be- 
streiche es mit Honig; damit wird das Thier angelockt, so dass es den 



Digitized by 



Google 



Wilh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 291 

isländischen Labyrinthdarstellungen ihren Ursprung in 
der gelehrten mittelalterlichen lateinischen Literatur haben. 
Nun berichtet aber Kälund weiter (Islands Fortids- 
laevninger p. 30 ^ Aarb. f. nord. Oldk. og Hist. 1882 
p. 86), dass sich auf der kgl Bibliothek einige Zeichnungen 
des Isländers S. M. Holm (f 1820) finden, die Wielands- 
häuser oder Labyrinthe von der oben beschriebenen Form 
darstellen; derselbe S. M. Holm gibt an, er habe für den 
Kammerherrn Suhm eine ähnliche Zeichnung angefertigt 
nach einem Labyrinth auf einem steinernen Pfosten oder 
Steinkreuz. Kälund fügt hinzu, diese Zeichnungen ent- 
sprächen genau dem bekannten Spiele, das häufig von den 
isländischen Knaben ausgeführt werde; und Maurer theilt 
mir mit, dass gar mancher Isländer in handschriftlichen 
Aufzeichnungen neben Recepten und Aehnlichem auch eine 
Labyrinthzeichnung habe. Bei diesem Stand der Dinge sehe 
ich nicht ein, warum die Reste von Labyrinthen, die auf 
freiem Felde im nordwestlichen Island sich finden oder fanden, 



Geruch davon bekommt and darnach läuft. Dann wende dich zur Falle 
und laufe allen Windungen nach, welche in ihr sein sollen, und springe 
dann auf die Mauer hinauf, welche zunächst an dem innersten Gemache 
ist, und von da aus tödte ( . . ein Riss im Pergament macht einige 
Worte unleserlich) das Thier; und wenn die Wunde nicht tödtlich ist, 
springe jenseits hinunter in den engen Gang der Falle, so dass der 
Weg für das Thier so weit wird, dass es dir keinen Schaden thun kann. 
Dann zeichnete sie auf einem Tuche die Falle auf, welche man Völun- 
darhüs nennt. Er aber Hess darnach eine solche aus Ziegeln und Steinen 
herstellen und machte Alles, wie sie ihm geheissen hatte; er Hess alle 
Thiere in jenem Walde ausrotten und brauchte das Fleisch als Lock- 
speise. Das Thier aber war hungrig und lief dem Wildbrete nach in 
das Haus hinein Egeas aber warf die Lockspeise nieder uud kam auf 
das Dach hinauf; er griff das Thier mit aller Kraft an und sprang jen- 
seits von der Mauer hinunter in den Gang. Das Thier aber brüllte 
schrecklich und ward 7 Tage später in derselben Falle todt gefunden. — 
Haben nicht vielleicht die labyrinthförmigen Fischnetze diese Verwendung 
des Labyrinths beeinflusst? Vgl. S. 297 Note. 



Digitized by 



Google 



292 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 2. December 1882, 

von den deutschen Kaufleuten zwischen 1400 — 1600 ange- 
legt sein sollen. Olav (I, 187) erwähnt ein solches Wieland- 
haus bei Holmarifsvik im Steingrirasfjord, Arne Magnusson 
ein anderes zu Bildudalseyri bei dem Handelsplatze Bildudal; 
ein drittes auf der kleinen flachen Landzunge Tingeyri, 
welche an der Küste der Dalasysla vom steilen Pelsrande 
in die See vorspringt, untersuchte Kälund 1874 nicht ge- 
nauer, da er damals von solchen Denkmälern noch Nichts 
wusste; es nahm sich, sagt er, vor meinen Augen aus wie 
eine sonderbare längliche Ansammlung von kleinen, unge- 
fähr 7* Elle breiten und hohen Rasenerhöhungen, welche 
in vielen Windungen, Vierecke, Ovale u. s. w. bildend, sich 
durcheinander schlangen. 

Aus einer Abhandlung Nordströms in Svenska For- 
minnesföreningens Tidskrift III, 1875—1877 S. 225—229, 
welche ich selbst nicht einsehen konnte, fügt Kälund Notizen 
über ähnliche Anlagen in Schweden, Norwegen und Däne- 
mark hinzu: in Schweden würden mehrere auf freiem 
Felde angelegte Labyrinthe gezeigt; im nördlichen Theile 
Norwegens fänden sich solche Steinsetzungen, die den 
Namen Trojeborg hätten; endlich fände sich in Däne- 
mark auf Hailands Väderö ein Labyrinth von aufs Feld 
gelegten Steinen, das dort Trelleborg (Trojaburg?) heisse 
und von schiffbrüchigen Seeleuten angelegt sein solle. 

Diese Steinsetzungen sind aber im Norden noch viel 
weiter verbreitet. Das lehrt die von Massmann citirte hübsche 
Abhandlung des Naturforschers Baer c Ueber labyrinth- 
förmige Steinsetzungen im russischen Norden' (Bulletin hist. 
philol. der Petersb. Akad. I, 1844, S. 70 — 79 mit einer 
Tafel) und die von Prof. v. Maurer mir mitgetheilten Nach- 
richten bei J. A. Fries, En Sommer i Finmarken, Russisk 
Lapland og Nordkarelen; Christiania 1871, S. 118—120. 
Baer erzählt, im Sommer 1838 sei er bei einer Fahrt im 
finnischen Meerbusen durch Aufhören des Windes gezwungen 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 293 

worden zum Aufenthalt an der unbewohnten Insel Wier, 
8 Werst südlich von der Insel Hochland. Auf dem völlig 
nackten Theile des Gerölllagers bemerkte er eine von runden 
Steinen gelegte Labyrinthfigur mit dem Durchmesser von 
etwa 6 Ellen, deren Abbildung er und nach ihm Massmann 
(Taf. I, S) gibt; siebe Figur 10. Diese einachsige Figur zu 
7 Gängen hat 2 Eingänge; durch den einen gelangt man 
in einfachen spiralförmigen Windungen in den äussersten, 
durch den andern in ebensolchen Windungen in den innersten 
Kreis der Figur: also eine Entstellung unserer einachsigen 
Labyrinthe zu 7 Gängen. Eine gleiche Steinsetzung derselben 
Figur von demselben Umfange sah Baer bei einer kleinen 
unbewohnten Bucht Wilowata an der Südküste des russi- 
schen Lapplands, dann 2 grosse, 12 — 15 Ellen breite, 
von grossen Blöcken gebildete und offenbar alte Stein- 
setzungen derselben Art bei dem Dorfe Ponoi im russischen 
Lappland, etwa 12 Werst von der Mündung des Flusses 
Ponoi. Auf einer Insel in der Tiefe des bottnischen Meer- 
busens, nicht weit von der Mündung des Flusses Kemi, be- 
findet sich nach den Erzählungen eines Eingebornen ein 
ähnliches Labyrinth. Fries berichtet c In der Nähe des Hofes 
Mortensnäs, im Varanger Fjord der norwegischen Finmark, 
findet sich ein Steinfeld (Stenurd), in welchem die Lappen 
vordem eine Begräbnissstätte gehabt haben. In dem Stein- 
felde findet man auch einzelne vorspringende Punkte, die 
man gut von der See aus sehen kann, gemauerte Stein- 
ringe. Ich habe ähnliche an mehreren anderen Orten in 
Finmarken gesehen, namentlich finden sich einige gut er- 
halten bei Laxelvand in Porsanger'. Ob diese Steinringe den 
von Baer geschilderten ähnlich sind, muss genauere Unter- 
suchung lehren. Ein Bürger von Kern gab Baer die Versicher- 
ung, eine solche Steinsetzung würde Babylon genannt ; er 
wusste nichts von einer historischen Bedeutung derselben, 
sondern meinte, sie wären eine Aufgabe des Witzes und der 



Digitized by 



Google 



294 Sitzung der philos.- philo!. Classe vom 2. December 1882. 

Geschicklichkeit. Pries sowohl wie Baer schildern ein Denk- 
mal auf dem Vorgebirge Mortens Naes (Martins-Spitze) 
im Varanger Fjord. Nach Fries finden sich Spuren, dass 
der dortstehende Bautastein einst von 14 Steinringen um- 
geben war, der eine um den andern, mit dem Bautastein 
als Centrum. Baer erhielt eine Zeichnung dieses schon in 
Keilhaus' Reise nach Finnmarken S. 15 beschriebenen Denk- 
mals. Darnach sieht man einen hohen Felsblock, umgeben 
von mehreren Steinkreisen, deren äusserster etwa 12 Ellen 
Durchmesser hat. Baer glaubt, dass diese Kreise ursprüng- 
lich ein Labyrinth gebildet haben. Fries wie Baer fähren 
nun einen alten Bericht an: im Jahre 1592 seien russische 
Bevollmächtigte wegen Grenzstreitigkeiten mit Norwegen 
nach Eola gekommen und hätten von den Eingeborenen 
gehört, dass unter den Karelen ein Held Namens Walit 
oder Warent am Ufer des Varanger Fjord die Norweger 
besiegt und dann, Jahrhunderten zum Gedächtnisse, dort 
einen gewaltigen über einen Faden hohen Stein hingesetzt 
habe, um den er eine zwölffache Mauer zog, welche er 
Babylon nannte. Dieser Stein heisse noch heutigen Tages 
der Walit- Stein. Ein eben solches Gemäuer fand sich an 
der Stelle des soätern Ostrogs Kola. Baer hält diesen Walit 
oder Warent für identisch mit einem um 1313 vorkommenden 
Lappenkönig Martin, und das von Walit erbaute Babylon 
für identisch mit dem Denkmal auf der Martinsspitze. Baer 
theilt noch mit, dass die labyrinthförmigen Zeichnungen 
jetzt eine weitverbreitete Unterhaltung der russischen Jugend 
seien; auch habe man auf der Insel Petrowski 1841 solch 
ein Labyrinth ausgegraben; die deutsche Jugend Lieflands 
pflege diese Figur auf Schiefertafeln zu zeichnen, ohne den 
Namen Babylon — den in Südrussland noch jetzt ausgedehnte 
Eiskeller hätten — anzuwenden und ohne sie durch Stein- 
setzungen auszuführen. 

Baer hält es für wahrscheinlich, dass diese Art von 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 295 

Steinsetzungen den finnischen Völkern oder den Russen an- 
gehöre. Das ist nach der von mir nachgewiesenen histori- 
schen Entwicklung dieser Figur durchaus unwahrscheinlich. 
Ob aber die Labyrinthdarstellungen aus dem lateinischen 
Europa zu den finnischen und russischen Völkern gewandert 
sind, oder durch die byzantinisch-griechische Miniaturmalerei 
vermittelt wurden , das bleibt noch zu entscheiden. Denn 
ich bin überzeugt, dass bei einiger Aufmerksamkeit sowohl 
in lateinischen wie in griechischen Handschriften des Mittel- 
alters noch viele Labyrinthdarstellungen werden aufgefunden 
werden, deren übereinstimmende oder verschiedene Einzel- 
heiten uns die Wanderung dieser Darstellungen klar legen 
werden, wie solche Aehnlichkeiten oder Verschiedenheiten 
in Nebenzügen uns ja auch die Wanderung mancher asiatisch- 
europäischen Sage klar legen. Nicht minder aber verdienen 
die einheimischen Darstellungen der Art die aufmerksame 
Prüfung der nordischen Alterthumsforscher, damit aus- 
geschieden werde, was einheimische Erfindung oder, wenn 
man will, praehistorische Denkmäler sind, und was Weiter- 
bildungen jener sinnreichen Figur, die etwa um 400 vor 
Christus in Knossos ersonnen wurde. 

Die Labyrinthe der Renaissance. 

Während die Bewohner des rauhen Nordens Labyrinthe 
bauten, indem sie statt der Layrinthwände Reihen von 
Stein blocken oder höchstens von Rasenstücken legten, er- 
freuten sich die Bewohner des mittleren Europas ihres glück- 
licheren Klimas. Soll ja ein englischer König ein Labyrinth I 
angelegt haben , um darin seine Geliebte von der übrigen 
Welt für sich abzuschliessen. Und Riughieri schildert in i 
seinen Spielen, welche im 16. und 17. Jahrhundert gewiss 
vielen feinen Gesellschaften Unterhaltung und manchem 
Künstler und Dichter Motive geboten haben, auch ein 
Labyrinthspiel, bei welchem die Gänge von Buschwerk oder 



Digitized by 



Google 



296 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. December 1882. 

von der Dienerschaft des Hanses gebildet werden nnd Amor 
mit seinem Hofe die Stelle des Minotanrns einnimmt; zum 
Schlüsse gibt er noch eine Anzahl Allegorien , welche im 
geistreichen Gespräche weiter ausgeführt werden konnten. 
Die erste Nachricht von einem Labyrinth als Garte n- 
anlage finde ich in der oben erwähnten Notiz von 1513 
im Tagebuche der Louise de Savoye c En mon parc et prös du 
Dedalus\ Wir müssen aber hier den Begriff des Wortes 
Labyrinth näher ins Auge fassen. Alle bisher betrachteten 
Constructionen bilden regelmässige Figuren, deren Inneres 
in verschiedene Gänge getheilt ist. In diesen kann man 
gar nicht irre gehen: man durchwandert sämmtliche Gänge 
und kommt endlich in den stärksten Windungen, aber 
sicher in das Innere und ebenso aus dem Innern wieder 
zum Ausgang, ohne dass ein Ariadnefaden nöthig oder auch 
nur nützlich wäre. Dass die Alten diese Figuren Laby- 
rinthe nannten , ist durch die knossischen Münzen , die 
pompejanische Wandinschrift und die Theseusdarstellungen 
sicher gestellt; wir könnten sie etwa Wundergang nennen. 
Mit dem Worte Labyrinth, Irrgang oder Irrgarten verbinden 
wir und verbanden gewiss auch die Alten eigentlich den Be- 
griff einer Anlage, in welcher man sich sehr leicht verirren 
kann. Derartige Anlagen sind seit dem Beginn der Re- 
naissance bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts viele 
gemacht worden. Dieselben bilden entweder regelmässige 
Figuren, wie deren Massmann Taf. I, 0. P. Q und Boeckler, 
Architectura curiosa Bd. IV, Bl. 17, 18. 19. 29 abgebildet 
haben, — dann sind so viele Sackgassen oder Kreuzwege 
angebracht, dass der Wanderer der Gefahr ausgesetzt ist, 
oft an denselben Ort zurück und nie in das Innere oder 
zum Ausgang zu kommen — , oder sie sind ganz unregel- 
mässig, wie z. B. das Labyrinth von Versailles, — dann 
ist es unmöglich den richtigen Weg zu finden, wenn nicht 
bestimmte Merkmale ihn kennzeichnen. Zu Ornamenten 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 297 

und Zeichnungen passen nur die Wundergänge; derartige 
Bauanlagen aber wären langweilig; dessbalb sind diese 
wahre Irrgänge nach willkürlichen Plänen. 

Die Labyrinthe der Turnschulen (Wunderkreise). 1 ) 

In Deutschland scheinen die alten Labyrinthdarstell- 
ungen nur in den Wunderkreisen der Turnschulen fortzu- 
zuleben. 2 ) Das ging so zu. Schon an dem Labyrinth von 
Toussaints (S. 279, Figur 6) sehen wir den leeren Raum 
im Innern sehr verengt und aus dem Centrum der 
Figur gegen den Eingang zu gerückt, so dass die inneren 
Zungen keine Kreisbögen mehr bilden. Der nächste Schritt 
geschah, indem die Spitze der breiteren äusseren Maeander- 
windung von der Spitze der breiteren inneren Maeander- 
windung getrennt wurde, so dass die Figur zwei offene Ein- 
gänge erhielt. 

Bei welchem der einachsigen Labyrinthe wir auch diese 
Veränderung vornehmen, dass wir an Stelle der Achse von 
aussen einen Zugang in das Ende des letzten Ganges öffnen, 
stets erhalten wir eine Figur mit 2 Oeffnungen, welche in 
der linken Oeffnung betreten, dann in allen ihren Gängen 
durchlaufen und durch die rechte Oeffnung verlassen wird, 
oder umgekehrt. Vorbereitet ist diese 2. Oeffnung schon in 
der Figur der Stadt Jericho (S. 277, Figur 4), wo es nahe 
lag, die breite Hilfslinie wegzulassen. Der Mittelpunkt der 
Figur ist aber daun nicht mehr der verborgenste, sondern 
durch die zweite Oeffnung der am leichtesten zu erreichende 
Ort des Labyrinthes, und es lag nahe, ihn zu vergessen und 



1) Vgl hierüber besonders Massmanns Schriftchen. 

2) Labyrinthformige Anlagen werden auch zum Fischfange benützt ; 
vgl. die Abbildungen im Bericht der Berliner Fischereiausstellung II, 
S. 241. 37. 236. III, 64, und die sinnreiche Vorrichtung zum Otterfang, 
welche Wilh. Bischoff, Anleitung zur Angelfischerei 1860 S. 99 beschreibt. 



Digitized by 



Google 



298 Sitzung der phüos.-philöl. Glosse vom 2. December 1882. 

die 2 innern Zungen, welche für den durchlaufenden jetzt 
die Hälfte des Weges und den verborgensten Ort der An- 
lage bezeichnen zum Mittelpunkt zu machen. Die Figur 11 
ist eine so hergestellte Umänderung des Labyrinthes von 
Toussaints. Bei z ist ein Zugang in das Ende des früher 
letzten Ganges geöffnet und der frühere Mittelpunkt ist 
nach gerückt, während x der Mittelpunkt der neuen Figur 
geworden ist. Verfolgt man aber von dem alten Eingange a 
aus die Gänge, so sind es genau dieselben wie in Figur 6. 
Betrachten wir nun den Ursprung der Labyrinthe in 
den Turnschulen. Fr L. J. Fischbacb sagt im 1. Theil seiner 
Statist, topogr. Städte - Beschreibungen der Mark Branden- 
burg (Berlin 1786) S. 13, zu Neustadt-Ebers walde 
liege dicht am Oberthor der Hausberg. Derselbe heisse auch 
Wuuderberg 'wegen des auf dem Gipfel des Berges aus 
vielen Linien in der Erde ausgestochenen und einem Laby- 
rinthe ähnlichen Kreises; welchen sogenannten Wunder- 
kreis der ehemalige Rector der Stadtschule Christoph 
Wachtmann um das Jahr 1609 zum Vergnügen angelegt. 
Er wurde sonst, jährlich Montags vor Himmelfahrt von den 
Schulknaben erneuert. Die jungen Leute pflegten sich auf 
demselben in der Art ein Vergnügen zu machen, dass ihrer 
zwei zugleich, der eine rechts, der andere links, zu laufen 
anfingen und eine Wette anstellten, welcher von beiden 
zuerst seinen Gang endigen würde. Der Berg ist übrigens 
beinahe schon halb abgetragen 5 . Diese Anlage sah Fr. L. 
Jahn und ahmte sie 1816 bei seinem Turnplatz auf der 
Hasenhaide in einem Labyrinthe nach, das Massmann Taf. I, C 
abbildet. Diese Anlage ist nichts als eine Erweiterung unserer 
Figur 11, indem um die vier Zungen so viel Gänge mehr ge- 
legt sind, dass wir von nach r gerechnet 9+1+9 = 19 
Gänge erhalten. Natürlich sind, wie es das Laufen erfor- 
dert, alle Ecken gerundet und die ganze Figur ist oval ge- 
worden ; doch sind die Linien zwischen x und o noch nach 



Digitized by 



Google 



Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 299 

x eingebogen und nicht nach o, dem alten Mittelpunkt der 
Figur, um den sie ursprünglich Kreise bildeten. Diese 
Erinnerung hat Eiselen völlig verwischt. Denn da beim 
Laufen alle scharfen Biegungen schwierig sind, so hat 
Eiselen die ovale Form der Figur in eine kreisrunde ver- 
wandelt 1 ) und auch die zwischen x und o liegenden Linien 
gegen o so ausgebogen, dass sie Kreise mit dem Mittel- 
punkte in x wurden, also gerade die umgekehrte Richtung 
erhielten, als sie im Ursprünge hatten. Zugleich legte er 
um die äussern Zungen noch einen Gang mehr, so dass 
diese Wunderkreise von o nach r gemessen 10+1 + 10 
Gänge zählen (Massmann Tafel I, B). Nach dieser Con- 
struction, an der Linden nur die Drehung um die beiden 
inneren Zungen des leichteren Laufens halber rundlicher 
gebildet hat (Massmann Tafel I, A), sind die Wunder- 
kreise fast aller deutschen und ausländischen Turnplätze ge- 
baut und diese beiden Constructionen werden gewöhnlich 
in den Handbüchern des Turnwesens abgebildet. Dass von 
den oben (S. 277) erwähnten möglichen Erweiterungen des 
einfachen ursprünglichen Labyrinthes zu 7 Gängen gerade 
diese Form (S. 279 no. III) für die Laufbahnen der Jugend 
sich eingebürgert hat, ist natürlich. Denn beim Laufen 
sind, wie erwähnt, alle kurzen Biegungen schwierig und 
verursachen baldige Zerstörung der naheliegenden Rasen- 
stücke. Solche kurzen Biegungen finden aber nur an den 
Zungen statt; also sind für solche Anlagen die Formen die 
geeignetsten, welche die wenigsten Zungen haben. Das ist 
von den oben erwähnten eben die geschilderte. Nur eine 
Figur gibt es, welche nur 2 Zungen (im Innern) hat, nem- 
lich die doppelte Spirale, welche desshalb auch Linden 
(Massmann Tafel II, b) für Turnläufe entworfen hat. Allein 



1) Eiselens Schriftchen c Der Wunderkreis', neu entworfen, Berlin 
1829, war mir leider nicht zugänglich. 



Digitized by 



Google 



300 Sitzung der philos.-phüol. Ciasse vom 2. December 1882, 

sie scheint nirgends Anklang zu finden und das mit Recht; 
denn sie zu durchlaufen ist langweilig. 

Jetzt wissen wenige, dass die Wunderkreise der Turn- 
schulen eine Abart der einst wohl bekannten Labyrinth- 
darstellungen sind. Auch sonst scheinen diese Figuren fast 
vergessen zu sein, wenigstens in Deutschland. Denn in den 
Spiellexika trifft man höchstens unter Jerusalemsweg eine 
aus Mothes' oder Otte's Handbüchern stammende Abbildung 
des Mosaiks von St. Quentin mit der ebendaher bezogenen 
schiefen Erklärung als Bittweg. 

Die Labyrinthdarstellungen verdienten aber in Wahrheit 
auch jetzt noch mehr Beachtung; sie könnten sowohl zum 
Spiele als zu Ornamenten bei Stickmustern und Mosaikein- 
lagen verschiedener Art verwendet werden. Es eigneten sich 
hiefür von den beiden oben (S. 273) besprochenen Klassen 
natürlich nur die regelmässigen, deren Geschichte darzulegen 
Aufgabe dieser Untersuchung gewesen ist. Von diesen regel- 
mässigen Labyrinthen oder Wundergängen könnten die ver- 
schiedenen Arten der einachsigen Gattung besonders zur 
Unterhaltung und Belehrung der Jugend verwendet werden, 
indem zuerst ihre Entstehung aus den Maeanderwindungen, 
ihre Erweiterung von 7 zu 1 1 oder mehr Gängen und durch 
ein- oder zweimalige Brechung der Viertelbogen ihre Ver- 
wandlung aus Kreisen in Vier- oder Achtecke begreiflich 
gemacht würde. Für Ornamente wäre die Gattung der vier- 
achsigen Labyrinthe mit den vielen verschiedenen Arten be- 
sonders geeignet. Denn diese Figuren sind ebenso schön 
wie viele der gebräuchlichen linearen Ornamente, übertreffen 
aber alle dadurch, dass sie zugleich sinnreich und desshalb 
für viele Menschen ergötzlicher sind. 



Herr Hof mann trug vor: 

1) „Ueber den Ursprung der Bienen im französi- 

schen Kaiserwappen." 

2) „Zur Textkritik des Floovant." 



Digitized by 



Google 






1 1 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google 



, T 1 

Dehio: Die Genes 

Die nachstehenden Grundrisse, ausgenommen 4 u, 







rrnrn 

6. Pompeji: casa di Pansa. 

ä. / Wiss. Justor. 67. 1882, Bl 9 W^^uS 



Historische Classe. 



Sitzung vom 2. Dezember 1KX2. 



Herr D e h i o trägt vor : 

„Die Genesis der christlichen Basilika." 
(Mit einer Tafel.) 

Diese Frage geht nicht die Kunstgeschichte allein an. 
Ein grosser, ja vielleicht der grössere Teil des Interesses, 
das man ihr entgegengebracht hat, gehört ihrem Bezug auf 
Religion und Kirche. In einer Liste der während der letzten 
vierzig Jahre in Deutschland aus Anlass ihrer veröffent- 
lichten Monographieen und Aufsätze, welche 23 Nummern 
enthält, finde ich 17 von Theologen herrührende. Mir nun 
sei gestattet, an dieser Stelle auf die Mittel und Ziele des 
Kunst historikers mich einzuschränken. Indess auch dem 
Kunsthistoriker bedeutet die Frage weit mehr, als unmittel- 
bar in ihr ausgedrückt scheint. Denn wie hoch oder niedrig 
immer man den absoluten Kunstwert der altchristlichen 
Basilikenarchitektur anschlagen mag: das Eine steht fest, 
dass sie der gesammten Kirchenbaukunst des Abendlandes 
bis zum Eintritt der Renaissance und selbst bis in diese 
hinein die Richtung bestimmt hat. Eine neue Formenwelt 
gewinnt im Mittelalter Leben, neue Constructionsmethoden 
werden erfunden, aber die beherrschende compositionelle Idee 
bleibt während des ganzen Zeitraumes unverrückt dieselbe; 
[1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 3.] 21 



Digitized by 



Google 



3 02 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882. 

eben die der Basilika. Das ist die eminente baugeschicht- 
liche Tragweite des Probleme«. 

Der Ruhm, die erste und dauerndste Theorie über den 
Ursprung der christlichen Basilika begründet zu haben, ge- 
hört dem grossen Florentiner L B. Alberti, dem Vater aller 
wissenschaftlichen Kunstbetrachtung. Er lehrte, dass die 
christliche Kirchenbasilika aus der heidnisch - römischen 
Forumsbasilika entstanden sei, und dies ist noch heute der all- 
gemeine Glaube der ausserdeutschen Archäologie. l ) Bei uns 
jedoch ist der kritische Rückschlag schon vor vier Decennien 
eingetreten und die Verhandlungen sind seitdem so uner- 
müdet im Gange geblieben, dass die Erinnerung an sie 
keiner Auffrischung bedarf. 2 ) Man wird mir deshalb ge- 
statten, ohne fortlaufende Auseinandersetzung mit den Mein- 
ungen meiner Vor- und Nebenmänner, geradeswegs auf die 
Punkte loszugehen, welche mir erneuter Prüfung am meisten 
bedürftig erschienen sind. 

Soviel ich sehe gibt es nur einen einzigen rationellen 
Ausgangspunkt für unsere Untersuchung. Das ist die all- 
gemein anerkannte zuerst von Weingärtner in diesem Zusam- 
menhang verwertete Tatsache, dass der christliche Gottes- 
dienst ursprünglich und zwei Jahrhunderte lang ausschliesslich 
Hausgottesdienst war. 3 ) In Anpassung an die gegebenen 
räumlichen Dispositionen des griechisch-römischen Wohn- 
hauses hat der gottesdienstliche Ritus, gleichsam als in seiner 
Gussform, die Grundzüge sein er äusseren Erscheinung fixirt, und 
man darf a priori erwarten, dass gleichermassen das gottes- 



1) Vgl. z. B. die bekannten Lehrbücher von de Caumont (1870) 
und Fergusson (1874), Rohault de Fleury (1877) u. s. w. 

2) Die einschlägige Literatur bei Stockbauer: Der christliche 
Kirchenbau; Kraus: Realen cyclopädie der christl. Altertümer. 

3) Leider hat W. unterlassen, seine glückliche Idee consequent 
durchzuarbeiten, ist vielmehr alsbald auf den zum Hypäthraltempel füh- 
renden Irrweg geraten ; sein Verdienst soll gleichwol unvergessen bleiben. 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 303 

dienstliche Gebäude das morphologische Gesetz seines Ur- 
sprunges auch noch in seinem späteren freien Wachstum in 
irgend einer Weise in Wirkung zeigen wird. Mag zwischen den 
ältesten uns erhaltenen Denkmälern des christlichen Kirchen- 
baues und der durch Vitrnv und Pompeji repräsentirten 
Epoche des antiken Hausbaues ein Zeitraum von drei Jahr- 
hunderten liegen : jeder methodische Ableitungsversuch muss 
zuerst bei den Verhältnissen der christlichen Urzeit und so- 
mit bei der Einrichtung des antiken Wohnhauses ansetzen ; 
— erst wenn hier die Auskunft verweigert wer- 
den sollte, mögen entferntere Instanzen an die 
Reihe kommen. 

Es ist wichtig, vorweg festzustellen, dass der Synkre- 
tismus der Nationalculturen, der die Kaiserzeit charakterisirt 
und für die Ausbreitung des Christentums so fördersam war, 
auch auf die Wohnsitten sieb erstreckt, dass ein erheblicher 
Unterschied zwischen griechischer und italischer Hausanlage 
nicht mehr existirt. Gleich wol handelt es sich um eine so 
gesetzmässig fortschreitende Entwicklung, dass wir noch einen 
Schritt zurück gehen und die nationalen Formen zuerst in 
ihrer gesonderten Art uns vergegenwärtigen müssen. 

Das griechische Haus zerfällt in eine Männer- 
uud eine Frauenwohnung. Wenigstens von der letztern 
gewährt Vitruv's Beschreibung eine für unseren Zweck ge- 
nügende Darstellung; (danach der Reconstructionsversuch 
Fig. 1). Der Mittelpunkt ist der Peristyl, ein im Innern 
von drei Seiten mit Säulenhallen umgebener Hof; an der 
vierten, dem Eingang gegenüber ein gedeckter, gegen die 
Säulenhalle in voller Breite offener Ausbau, die Prostas ; 
um dieses Centrum die übrigen Gemächer ohne feste Regel 
gruppirt. Noch sei bemerkt, dass, da die Strassenfront des 
Grundstückes ein für allemal limitirt ist, das Haus nur in 
der Längenaxe Erweiterung erfahren kann, weshalb für den 
Peristyl durchschnittlich oblonge Gestalt im Sinne dieser 

21* 



Digitized by 



Google 



304 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882. 

Axe anzunehmen ist. Von den reicheren Combinationen 
des vornehmen Hauses erhalten wir leider keine Nachricht. 
Im Gegensatz zu der lockeren Compositionsweise des 
griechischen Hauses bildet das italische ') eine feste nach 
bestimmtem Plan gegliederte Einheit und besitzt als solche 
ein das Ganze überspannendes einziges Dach. In dieser dem 
Bauernhause noch nahe stehenden Gestalt heisst es atrium 
testudinatum. Seine Entwicklungsgeschichte dreht sich um 
die Frage der Lichtfuhrung, und ich erlaube mir zu anti- 
cipiren, dass es hiermit in gerader Folge in die Entwick- 
lungsgeschichte des christlichen Kirchengebäudes übergeht. 
Der dem Ganzen den Namen gebende Mittel- und Haupt- 
raum ist das Atrium mit dem der griechischen Prostas ent- 
sprechenden Tablinum. In ältester Zeit, als auch das 
städtische Haus noch isolirt stand, war das Atrium in seinen 
vorderen Teilen allein durch die weite Türöffnung erhellt; 
um aber auch der Tiefe, wo der Heerd stand und die häus- 
lichen Arbeiten der Frauen ihren Platz hatten, das nötige 
Licht zuzuführen, wurde die Reihe der Seitengemächer in 
ihrem letzten Drittel nicht bis zur Rückwand durchgeführt, 
sondern durch eine in die Queraxe gelegte bis an die seit- 
liche Umfassungsmauer reichende uud somit zur Anlage 
von Fenstern Gelegenheit gebende Erweiterung, die alae, 
durchbrochen. — Die nächstfolgende Entwicklungsphase, 
bedingt durch die Einführung geschlossener Häuserinseln 
mit gemeinschaftlichen Zwischenwänden, drängt zu einem 
neuen Beleuchtungsverfahren : der Durchbrechung des Daches 
durch ein Oberlicht. Der Grundplan des Hauses stellt nun- 
mehr ein längliches Viereck dar, das aber stets seine schmale 
Seite — eine Nachwirkung des alten Giebelhauses — der 
Strasse zuwendet und, wenn irgend möglich, auch für den 



1) Für das Folgende beziehe ich mich insbesondere auf die „Pompe- 
janischen Studien*' von Heinrich Nissen. (1877;. 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 305 

Eingang, trotz der die Fronte einnehmenden Werkstätten 
und Kaufläden, die Mittelaxe festhält. In der auf dieser 
Stufe üblichen Constructionsform wird das Atrium als tus- 
canicum oder cavum aedium bezeichnet. Wie ehedem so 
wird auch jetzt das Dach desselben von zwei quergelegten 
Hauptbalken getragen, aber es ist kein Giebeldach mehr, 
sondern neigt sich von allen vier Seiten einwärts gegen die 
in der Mitte angebrachte Licht-, Luft- und Regenöffnung, 
das compluvium. Man erkennt, dass wegen dieser Con- 
struction und der nach wie vor aufrechterhaltenen Einheit 
mit den Alae und dem Tablinum das italische Atrium seine 
Dimensionen nicht beliebig zunehmen lassen kann, wie das 
griechische Peristyl, sondern an sehr bestimmte Grenzen 
gebunden bleibt. Die von den steigenden Ansprüchen an 
Würde und Behagen verlangte Raumvermehrung kann also 
nur durch Anhängung neuer Bauteile erreicht werden: 
etwa eines zweiten Atriums neben dem alten, oder — und 
das ist das Erwünschteste — eines hinteren luftigen Säulen- 
hofes nach griechischem Muster, mit einem Blumen- und 
Rasenplatz in der Mitte und Gesellschafts- und Speisezimmern 
(triclinia) an den Seiten. Das ist in dem ersten Jahrhundert 
der Kaiserzeit die Hausanlage der Reichen. Die Menge der 
Kleinbürger begnügt sich fort und fort mit dem einfachen 
Atrium, und es ist schon ein Zeichen von behaglicher Glücks- 
lage, wenn dieses unverkürzt bleiben darf. Bei jenen ist das 
Atrium nur mehr der Ort für den Verkehr mit der Oeffent- 
lichkeit, bei diesen bleibt es Mittelpunkt der Familienge- 
selligkeit. Als Beispiel für die eine und für die andere Art 
vergleiche man die beigegebenen Grundrisse zweier normal 
entwickelter Häuser in Pompeji, der casa di Sallustio (Fig. 5) 
und der casa di Pansa (Fig. 6). — In der Grossstadt Rom 
konnte die geschilderte Bauart nur in den wohlhabenden 
Classen aufrechterhalten bleiben, während die unbemittelte 
Masse in vielstöckigen Mietkasernen sich zusammen prangte; 



Digitized by 



Google 



306 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882. 

doch haben sich unter den Fragmenten des römischen Stadt- 
planes auch von jener ein paar Beispiele erhalten, dem 
pompejanischen Atrien typus wesentlich entsprechend. (Fig. 4a 
= Jordan tab. 23. fr. 173, cf. ibid. tab. 36. fr. 174b.) 
— Nun muss ich noch auf einige regelmässig wieder- 
kehrende Züge aufmerksam machen. Zuvörderst erscheint 
als des Atriums notwendiger Begleiter das Tablinum ; 
ursprünglich mit geschlossener Rückwand, nach vorn aber 
nur durch Vorhänge absperrbar. Vor Alters der Standort 
des in Cultus und Sitte geheiligten ehelichen Lagers ver- 
blieb das Tablinum bis in späteste Zeit der Ehrenplatz des 
Hauses, Schatzkammer, Archiv und Schauplatz feierlicher 
Familienacte. Mit bemerkenswerter Beharrlichkeit werden 
ferner auch die Alae zu beiden Seiten des Eingangs in's 
Tablinum festgehalten, nachdem ihre ursprüngliche Function 
(die seitliche Lichtznfübrnng) durch die Veränderung der 
Gesammtanlage längst in Wegfall gekommen ist. Ihre 
Wände zieren in den Häusern der Nobilität die wächsernen 
Gesichtsmasken der Ahnen, in den Häusern neuer Familien 
als Ersatz dafür bronzene oder silberne Medaillonporträts 
(clipeatae imagines) von Kaisern und andern berühmten 
Personen, und selbst in einfacheren Bürgershäusern, wie 
man in Pompeji sehen kann, wenigstens ausgezeichnetere Ge- 
mälde. Endlich findet sich auf typisch feststehendem Platze, 
zwischen Tablinum und Impluvium, ein nach Möglich- 
keit reich ornamentirter Marmortisch — der aus Pietät 
und religiöser Scheu conservirte Stellvertreter des alten 
Heerdes. 

Seit den letzten Zeiten der Republik tritt mit der tus- 
kanischen Atriuraform das Säulenatrium in Concurrenz, 
entweder in tetrastyler oder in korinthischer Anlage, wie 
Vitruv sie nennt. Das tetrastyle unterscheidet sich 
vom tuskanischen weiter nicht, als durch die Einschiebung 
von vier Stützen an den vier Ecken des Impluviums. Das 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 307 

korinthische acceptirt eine inehrsäulige Porticus und 
bringt damit die schweren durchlaufenden Deckbalken in 
Wegfall, während die an Umfang zunehmende Area nicht 
mehr durchaus vom Wasserbecken eingenommen wird, son- 
dern einen Rasenplatz mit umlaufenden Abzugscanälen er- 
hält. Die letztere Anlage ist, wie man sieht, eine Ver- 
quickung des nationalen Atriums mit dem modischen, den 
Griechen abgelernten Peristyl, ebenso dienlich, die erstere 
Bauform stattlicher auszubilden, wie die letztere, bei be- 
schränkten Raumverhältnissen, zu ersetzen. Ich gebe als 
Beispiel das Haus des M. Epidius Rufus zu Pompeji (bei 
welchem die abnormale Stelluug der Alae den stattgehabten 
Erweiterungsumbau zu erkennen gibt) und ein Fragment 
des römischen Stadtplanes (Fig. 4 b = Jordan tab. 16. fr. 
109 c). Schon an den Häusern von Pompeji kann man die 
rasch fortschreitende Umwälzung beobachten, welche die 
Einbürgerung der Säule im italischen Hausbau hervorrief. 
Denn nicht nur, dass dieselbe um ihrer schönen Erschein- 
ung willen reichlichste Verwendung fand, sie gab auch 
die Möglichkeit, ohne Verzicht auf den altgewohnten Grund- 
plan, zu gesteigerten Dimensionen und neuen Methoden der 
Lichtführung fortzuschreiten. Es ist mit Bestimmtheit 
anzunehmen, dass in der Kaiserzeit, mithin in der für 
unsere Untersuchung massgebenden Epoche, die ansehn- 
licheren Häuser ihr Atrium regelmässig als gesäultes ge- 
bildet haben. 

Endlich sind noch die Häuser der Reichsten, die eigent- 
lichen Paläste nach unserer Sprach weise, in Betracht zu 
ziehen. Im Gegensatz zu der Neigung der bürgerlichen Bau- 
weise, möglichst eng an Herkommen und Regel sich anzu- 
schliessen, besteht in der Palastarchitektur Uebereinstimraung 
nur in den allgemeinsten Tendenzen und — selbstverständ- 
lich — in den baulichen Grundelementen; in Bezug aber 
auf die Combination derselben im einzelnen Falle ist Ver- 



Digitized by 



Google 



308 Sitzung der histar. Classe vom 2. Dezember 1882. 

Schmähung alles Schematischeu, freiestes Walten von Phan- 
tasie und Laune das eigentlich Bezeichnende, und darum 
ist jeder Versuch znr Reconstructiou eines römischen Nor- 
malpalastes Verkennung des Grund Charakters dieser Gattung. 
Als Fundameutalzeugniss betrachtet man gewöhnlich Vitruv 
VI. 8: nobilibus vero qui honores magistratusque gerundo 
praestare debent officio, civibus, facienda sunt vestibula 
regalia alta, atria et peristylia amplissima, silvae ambu- 
lationesque laxiores ad decorem majestatis perfectae, prae- 
ter ea bibliothecae pinacothecae basilicae non dissimili 
modo quam publicorum operum magnificentia comparatae, 
quod in domibus eorum saepius et publica consilia et privata 
judicia arbitriaque conficiuntur. 

Dieser vitruvische Satz nun — man sieht es ihm wol 
nicht sogleich an — ist der Keimpunkt geworden für die 
Entwicklung der gegenwärtig herrschenden Lehre vom Ur- 
sprung der christlichen Basilika, und es ist nicht uninteres- 
sant zu sehen, auf welchem Wege er zu solcher Bedeutung 
gelangt ist. Wir müssen auf die Thesen Zestermann's 
zurückgreifen. Nach seiner reinlich paragraphisirenden Art 
hatte dieser Gelehrte die antiken Basiliken in vier Gat- 
tungen eingeteilt, wovon die wichtigsten die forensische und 
die private sind. Den Zusammenhang aber zwischen ihnen 
und der christlichen stellt er in Abrede. Unter Zester- 
mann's Gegnern ist der erfolgreichste J. A.*Messmer ge- 
worden. Er hat zweimal in verschiedener Weise Stellung 
genommen. Das erste mal lehnt er Zestermann's Sätze 
durchaus ab, verlangt die alte Ansicht ungeschmälert wieder- 
hergestellt zu sehen. Das zweite mal gesteht er deren Un- 
baltbarkeit stillschweigend zu und eignet sich auch die 
Classification seines Gegners an, aber zu einem andern 
Endzwecke. Da nicht die forensische das Vorbild der christ- 
lichen war — das ist der einfache Gedankengang — so 
muss es die andere Hauptgattung gewesen sein: diePalast- 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 309 

basilika. x ) Diese Behauptung ist zum Kern der gegen- 
wärtig bei uns herrschenden Doctrin gewordeu.*) 

In den meisten vornehmen Häusern — so wird gesetzt 
— „pflegte" eine „wirkliche* 1 Basilika sich zu befinden; die 
christlichen Gemeinden zählten viele Angehörige vornehmer 
Familien zu den Ihren und sie hielten ihre Gottesdienste in 
Privathäusern: — folglich hat die christliche 
Kirchenbasilika ihren Ursprung in der römi- 
schen Hausbasilika. 

So einfach liegen die Dinge nun doch nicht. 

* 
Einiges von den Schwächen der vorstehenden Deduction 
fällt ohne weiteres in's Auge. Ist es erlaubt, so muss ge- 
fragt werden, aus der beiläufigen Wendung eines, wie man 
weiss, seine Worte wahrlich nicht wägenden Schriftstellers 
einen Satz von so genereller Tragweite abzuleiten? Stellt 
Vitruv hier etwas anderes, als ein lediglich ideales Programm 
auf? Wo sind die Beweise, dass die Baupraxis demselben 
entsprochen hat? Wo die Beweise, dass die „Palastbasilika 41 
eine determinirte, einerseits von der Forumsbasilika, anderer- 
seits von den übrigen Saalanlagen der Privatarchitektur 
kenntlich unterschiedene Bauform besessen hat ? Ist es nicht 
wiederum dieselbe petitio principii, um derenwillen die 
älteren Archäologen so verachtend abgefertigt worden? Denn 
wie Alberti die (damals aus den Monumenten noch nicht zu 
studierende) öffentliche Basilika nach dem Bilde der christ- 
lichen reconstruirt hatte, genau so macht inan's jetzt mit 



1) Uebrigens gilt auch für diese These, wie so oft in der Ge- 
schichte der Wissenschaften, das „Alles schon dagewesen.". Bei Guat- 
tani, Mon. ined. Roma 1784, I. p. 31 ist zu lesen: „Ciö fu secondo al- 
cuni, perche fuggendo le persecuzioni trovavano asilo talvolta nelle 
Basiliche de' privati." 

2) Z. B. Kraus in der Realencyclopädie der christlichen Alter- 
tümer und A. Springer im Textbuch zu Seemanns kunsthist. Bilderbogen. 



Digitized by 



Google 



310 Sitzung der histor. Olasse vom 2. Dezember 1882. 

der privaten. — Doch lassen wir diese Bedenken einstweilen 
noch liegen, um zuvor über den Sprachgebrauch des Wortes 
basilica einiges anzumerken. Vorab ist die verbreitete Vor- 
stellung, als sei es die technische Bezeichnung für eine be- 
stimmt umschriebene architektonische Form, 1 ) aufs Ent- 
schiedenste abzuwehren. Es ist an und für sich nicht 
Form bezeichnung, sondern Zweck bezeichnung, nicht mehr 
und nicht minder wie die Worte Tempel, Theater u. s. w. 
Eine Basilika ist ein gedeckter Raum in unmittelbarem An- 
schluss an ein Forum, — um es kurz zu sagen: ein über- 
dachtes Nebenforum, ein vor den Extremen der Witterung 
behaglich geschützter Raum zur Verrichtung eben der Dinge, 
die sonst draussen betrieben wurden, zu Gerichtsverhand- 
lungen, zu geschäftlichem Verkehr aller Art, zum Flaniren 
der Müssiggänger. 2 ) Zunächst an diese Gebrauchsbestim- 
mung dachte der Römer, wenn er das Wort basilica aus- 
sprach, nicht, oder nur nebenher, an die bauliche Erschein- 
ung. 8 ) Ist es an sich nicht unwahrscheinlich, dass die 
ältesten Basiliken eine ziemliche Gleichartigkeit aufwiesen, 
so greift schon seit dem Ende der Republik solche Mannig- 
faltigkeit der Compositionen Platz, dass es völlig unmöglich 
ist, dieselbe auf eine gemeinschaftliche Formel, es wäre denn 
eine in's Allgemeinste verflüchtigte, zurückzuführen. Zum 
Beweise brauche ich nur die Namen der Ulpia, der Alexan- 



1) Z. B. Schnaase III. 41 : „Diese rein architektonische Bezeich- 
nungsweise" ; Messmer 14: „Gebäude von bestimmter Gestalt, so dass 
dasjenige Gebäude eben „basilica" hiess, welches eine Basilika wirklich 
war;** Stockbauer 20: „ein streng technologisch bestimmter Architektur- 
begriff" u. s. w. u. s. w. 

2) Eine durchaus zutreffende und präcise Definition u. a. bei Reber : 
Baukunst im Altertum 428, welche nicht wol begreifen lässt, wie die denn- 
noch statuirte Ausdehnung auf die „Privatbasilika'* damit zu vereinigen sei. 

3) Sehr charakteristisch z. B. Cicero ad Att, II. 14: Basilicam 
habeo, non villam, frequentia Formianorum — der Vergleichspunkt 
nicht die Bauform, sondern der Zusammenfluss der Leute. 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der chiistlichen Basilika. 311 

drina, der Constantiniana und der von Trier neben einander 
auszusprechen : — die erste fünfschiffig mit einer Grundriss- 
proportion von 1:2; die zweite bei einer Länge von 
1000 Fuss nur 100 breit, also wol nur das was wir sonst 
Porticus nenneu ; *) die dritte eine auf vier Binnenpfeilern 
ruhende Gewölbehalle; die vierte ein ungeteilter Saal mit 
flacher Balkendecke. Wie man sieht, teilen diese Basilikal- 
bauten formell nichts weiter miteinander, als dass sie grosse, 
gedeckte Säle sind, und in diesem ganz allgemeinen, archi- 
tektonisch indifferenten Sinne finden wir, seit der auguste- 
ischen Zeit, die Bezeichnung basilica auch auf Gebäude oder 
Gebäudeteile von anderer Gebrauchsbestimmung über- 
tragen, etwa unserem Worte „Halle u entsprechend, mit der 
Neben Vorstellung des Grossen und Prächtigen. 2 ) 

Besonders häufig findet sich basilica für porticus: so 
in Verbindung mit Bädern, Theatern, Curien, Tempeln, 3 ) 
Victualienmärkten; 4 ) umgekehrt werden wieder Basiliken 
im engeren Sinn (forensische) schlechthin als porticus,, 5 ) bei 
griechischen Autoren als aroai bezeichnet; ferner basilica 
für Tempel, 6 ) jüdische Synagogen, 7 ) aber auch für Wein- 



1) Aelius Lampridius V. Alex. Severi e. 20. 

2) Forcellini: Accipitur aliquando pro parte aedis ampla columnis 
omata, aut pro porticu, in qua ambulare et spatiari licet — insofern 
noch etwas zu eng, als zuweilen auch ungesäulte Hallen, als B. be- 
zeichnet sich vorfinden. 

3) Belege bei Zestermann %6, welcher dadurch auf die unglück- 
liche Erfindung der „Spazierbasilika'' als gesonderte Bauform geriet. 

4) Corp. Inscr. R. N. 5350, vgl. Nissen a. O. 209. 

5) Zestermann 110 und 327. Einen interessanten Vergleich giebt 
porticus perpetua = basilica in der Descriptio Urb. Const. und basilica 
perpetua — Portikus des Mittelschiffes bei Vitruv V. 1. 9. 

6) Drei Beispiele bei Urlichs: die Apsis 5; ferner die B. Jovis 
auf dem Palatin und wahrscheinlich wol auch die B. in honorem Plotinae 
bei Spart. V. Hadr. c. 19. 

7) Im Talmud und bei Hieronymus ; von Kreuser, Kirchenbau 1860 
zu einer phantastischen Hypothese missbraucht. 



Digitized by 



Google 



312 Sitzung der histor. (Masse vom 2. Dezember 1882. 

keller, 1 ) Exercierplätze, 2 ) kurz es scheint kaum irgend eine 
hallenartige Anlage zu geben, für welche nicht diese be- 
queme und dehnbare Bezeichnung passend befunden würde. 
Die Sorglosigkeit, mit welcher die Wortführer der christ- 
lichen Archäologie über diesen offenkundigen umstand hin- 
weggleiten, die Zuversicht mit der sie oft aus dem blossen 
Worte basilica technische Schlüsse ziehen, hat etwas unbe- 
greifliches. Eben vermöge dieses technisch unbestimmten 
Gehaltes findet das Wort Eingang in die christliche Ter- 
minologie: basilica ecclesiae ist nur ein würdevollerer Aus- 
druck für die durchaus promiscue gebrauchten domus ec- 
clesiae, olxog syuiXtjoiag; — dann schrieb man, wo ein Miss- 
verständniss ausgeschlossen schien, kurzweg basilica allein, 
und wahrscheinlich sehr frühe schon verband sich damit 
— anfangs als Nebenvorstellung, sehr bald aber als die 
dominirende — die willkommene symbolische Deutung, welche 
Isidor von Sevilla dahin angiebt: nunc autem ideo divina 
templa basilicae nominantur, quia regi ibi omnium, Deo, 
cultus et officia offeruntur — Anpassung also an die gleich- 
falls alten Bezeichnungen xvQiaxrj*), dominicum (Cyprian, 
Hieronymus) oder das vereinzelt vorkommende domus columbae 
(Tertullian). Die Behauptung, dass basilica nicht ein Kirchen- 



1) Palladins de re rast. I. 18. Cellara vinariam ... sie autem dis- 
positam, ut basilicae ipsius forma calcatorinra loco babeat altiore con- 
struetum — übersetze ich (trotz der Einwendungen von Brunn, Cotta 1 - 
sebes Kunstblatt 1848 Nr. 20): „dass die Formation der gedachten 
Halle (d. b. der cella vinaria) einen Kelter platz auf erhöhter Stelle dar- 
biete." 

2) Drei Beispiele verzeichnet Promis in Memor. della R. Accad. 
di Torino See. II. tom. 28 p. 245 f. 

3) Sämmtliche Bezeichnungen neben einander bei Eusebius 
olxog exxXtjaiag H. eccl. VII. 30. VIII. 13. IX. 9 — ßaotXixrj V. 
Const. III. 31. 32 — ßaaiXtios olxog H. eccl. X. 4 — «f avtov &i 
tov nZv oXwv xvgiov. 7Cccqo xai xvQi€tx(uv yt-itorrat Ttov inwvth- 
{lh<ov. Land. Const. XVlJ. 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Di* Genesis der christlichen Basüiha* 313 

gebäude überhaupt, sondern ein Kirchengebäude von be- 
stimmter Form bedeute, (Zestermann, Messmer u. s. w.), 
entbehrt jedes stichhaltigen Beweises: bis in's 4. Jahrhundert 
hinauf sind neuerdings Beispiele nachgewiesen, dass Cult- 
gebäude jeglicher Art und Gestalt, von den grossen Ge- 
meindekirchen bis hinab zu den Grabkapellen und Memorien 
diesen Namen tragen. 1 ) 

Nach den eben durchgegangenen Beobachtungen wird 
es nicht Wunder nehmen, einigemal auch von besonders 
prächtigen Privatpalasten ausgesagt zu finden, dass sie 
Basiliken — der Plural ist charakteristisch — enthalten 
hätten, und man wird nicht im Zweifel sein — da unmög- 
lich eine sonst überall vage Bezeichnung hier auf einmal 
etwas Determinirtes könnte bedeuten sollen — wie das zu 
nehmen sei: nicht anders, meine ich, wie wenn wir heute 
etwa von den „Hallen 11 eines Fürstenschlosses sprechen. 
Kaum etwas Bestimmteres (so schon Nissen a. 0. 209) hat 
nun auch V i t r u v in dem für uns in Rede stehenden Satze 
im Auge, wenn er in verschwenderischen Pluralen vestibula 
regalia alta, atria et perist ylia amplissima, Silvas ambu- 
lationesque laxiores, bibliothecas, pinacothecas, basüicas für 
den vornehmen Palast zu fordern nötig hält. Sehr häufig 
findet man bei den Erklärern dann die Schlussworte 
non dissimili modo — privata judicia arbitriaque con- 
ficiuntur ausschliesslich auf basilica bezogen, was, obwol 
ja grammatisch zulässig, den klaren natürlichen Sinn des 
Satzes verdunkelt; zweifellos gehen die Worte vielmehr auf 
das Ganze und sollen motiviren, weshalb die Stellung eiues 
nobilis qui honores magistratusque gerundo praestare debet 

1) Promis 1. c. Kraus Realen cyclopädie I. 109 mit Berufung auf De 
ßossi und Garucci. — Charakteristisch ist die Unterscheidung der Descr. Urb. 
Const. vgl. Zestermann 110 A. 327, wo basilica ausschliesslich für christliche 
Kirchen vorbehalten, dagegen die Geschäftsbasilika mit porticus wieder- 
gegeben wird — also eine Unterscheidung lediglich des Zweckes, nicht 
der Form. 



Digitized by 



Google 



314 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882. 

officio, civibus so grossen Bauaufwand gebiete. 1 ) — Nicht 
um nach allem Gesagten der Sache noch eine neue Seite 
abzugewinnen , sondern lediglich der Vollständigkeit zu 
Liebe mögen auch die wenigen etwa noch in Betracht 
kommenden Parallelstellen ihre Besprechung ünden. Zuerst 
ein Ausdruck Plutarch's im Leben des Publicola c. 15. 
Nach seiner moralisirenden Weise hält der Autor hier in 
der Schilderung der sitteneinfältigen guten alten Zeit inue, 
um ein Contrastbild aus der verderbten Gegenwart zu ent- 
rollen, und weist zu diesem Ende auf Domitians palatinisches 
Haus: „wer in diesem auch nur eine einzige Stoa oder 
Basilika u. s. w. erblickte, 14 „der müsste sich versucht 
fühlen auszurufen : Du bist ein Unfrommer, ein Uebermensch, 
ein Bauwutkranker !" El fxidv eidev Iv oixly ^Ojueziavov 
arodv tf ßaoilixrjv — schon diese pluralisirende Wendung, 
dann der synonyme Gebrauch von oxod und ßaoifoxr'j und 
am meisten die rein rhetorische Absicht des Satzes machen 
mir höchst unwahrscheinlich, dass Plutarch bei jedem dieser 
Ausdrücke an einen concreten einzelnen Bauteil des Palastes 
gedacht habe. Sollte dieses dennoch der Fall sein, und 
sollte der Autor speziell jenen Raum im Auge gehabt haben, 
der gegenwärtig in den Ruinen mit dem Namen „Basilika' 1 
versehen ist, so würde das für die architekturgeschichtliche 
Frage gleichwol nichts austragen, — in Folge weiter unten 
zu besprechender formaler Bedenken. — Ferner beruft sich 
die Doctrin von der Palastbasilika auf Julius Capitolinus 
V. Gordiani c. H2\ . . et villa eorum Praenestina, 



1) Zu den verhängnissvollen Ungenauigkeiten, dergleichen wir in 
der Behandlang der ganzen Frage nur allza oft begegnen müssen, ge- 
hört es, wenn F. X. Kraus, Realen cyclopädie der christlichen Altertümer 
I, 111 den obigen Vitruvischen Satz dabin wiedergiebt: B. heisse „der* 4 
Haupt- und Prachtsaal der Paläste römischer Grossen. Erst durch 
diesen Singular wird in die Stelle der Sinn hineingetragen, den Kraus 
im Anschluss an Messmer in ihr zu finden wünscht. 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 315 

ducentas columnas in tetrastylo Habens, quarum L. Cary- 
steae, L. Claudianae, L. Synnades, L. Numidicac, pari men- 
sura sunt ; in qua basilicae c e n tenariae tres — und wir 
werden aufgefordert, von Messmer bis herab auf deu jüngsten 
Bearbeiter (Holtzinger im Repertorium für Kunstwissenschaft 
1882 p. 286) diese basilicae tres ungefähr in gleicher Ge- 
stalt wie die christlichen uns vorzustellen. Was damit be- 
hauptet wird, versteht man erst ganz, wenn in Erinnerung 
gebracht wird, dass z. B. die Kirche S. Maria Maggiore bei 
dreischiffiger Anlage 44 Säulen, die Lateranskirche bei fünf- 
schiffiger Anlage 60 Säulen, S. Paolo fuori le mura, einer 
der grössten überdeckten Räume in der Baukunst aller 
Zeiten, 80 Säulen enthält: — und hier nun auf einem länd- 
lichen Lustsitz angeblich gleich drei Säle, davon ein jeder 
mit hundert Säulen — wahrlich, es ist, wenn man sich 
die Mühe giebt es zu überdenken, eine vollkommen in's 
Ungeheuerliche ausschweifende Vorstellung, die uns hier zu- 
gemutet wird. Zugeraatet indess nur von den Erklärern, 
nicht vom Schriftsteller selbst, wenn man nur dessen Worte 
nach dem wirklichen, nicht einem untergeschobenen, Sprach- 
gebrauch deutet. Schon Zestermann (p. 67 und 226) er- 
klärte sehr treffend den Ausdruck basilicae centenariae durch 
Pomp. Laeti R. Hist. de imp. Philippi : Ludis saecularibus 
Theatrum Pompeji arsit et eipropinquam Hecatostylon, centum 
columnarum in Campo Martio opus; centenariam Porti- 
cum appellabant etc. ; auch sonst mehrfach erwähnt und frag- 
mentarisch erhalten im Stadtplan, Jordan tab. V. Nimmt 
man hierzu die mehrfachen oben angeführten Beispiele, wo 
basilica — porticus, und vergegenwärtigt sich zum Vergleiche 
etwa den Villen palast Hadrians bei Tivoli, der wesentlich 
als Complex grösserer und kleinerer Säulenhöfe sich dar- 
stellt: so wird es im höchsten Grade plausibel, dass die 
basilicae tres an unserer Stelle dem vorhergeschilderten 
tetrastylon auch sachlich paralell zu setzen seien, d. h. dass 



Digitized by 



Google 



31b Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882. 

die Villa einen grossen quadratischen Portikenhof von 200 
Säulen, und drei kleinere, möglicherweise oblonge, von je 
100 Säulen umfasste. 

Die, wie man sieht, auch numerisch nicht eben ansehn- 
liche Reihe der zu Gunsten der Privatbasilika vorgeführten 
Zeugen wird beschlossen durch zwei christliche Schriftsteller: 
Pseudo-Cleniens (Recogn. X. 71) und Hieronymus 
(ep. 18 ad Marcellum, ep. 30 ad Oceanum) ; dieselben 
sollen zugleich die „unwidersprechlichen" Beweise für den 
behaupteten Zusammenhang mit dem christlichen Kirchen- 
gebäude enthalten. Ist es schon an und für sich misslich, 
aus nicht mehr als zwei Beobachtungsfällen eine Theorie 
von so umfassendem Anspruch zu construiren, so müssten 
wir um so entschiedener durch sie eine deutliche und ge- 
wisse Anschauung von der präsumirten Architekturform zu 
erhalten verlangen. Aber nichts davon ; — man verweiset 
uns wieder nur auf das Wort, und immer das Wort basilica, 
das, wie wir nun sattsam eingesehen haben, so vielbedeutend 
ist, class es fast nichts bedeutet. — Die Recognitionen er- 
zählen : * . ut Theophilus, qui erat cunctis potentibus in 
civitate (Antiochia) sublimior, domus suae ingentem basilicam 
ecclesiae nomine consecraret, in qua Petro apostolo constituta 
est ab omni populo cathedra. Die Schrift ist bekanntlich 
ein Roman, die vorgetragene Begebenheit eine fingirte ; erst 
wenn nachgewiesen wäre (was zu tun unmöglich ist), dass 
der Verfasser im Unterschiede vom allgemeinen Sprachge- 
brauch, eine bestimmte, und zwar die eine geforderte, Bau- 
form im Sinne gehabt habe, könnte dieser Stelle eine ge- 
wisse, obschon noch lange nicht eine generelle, Beweiskraft 
zugestanden werden. — Die Aussage im Briefe des Hierony- 
mus nun lautet dahin : dass die fromme Fabiola tota urbe 
spectante Romana ante diem Paschae in Basilica quondam 
Laterani, qui cesariano truncatus est gladio, staret in ordine 
poenitentium. Was hat Hieronymus hiermit sagen wollen ? 



Digitized by 



Google 



G. Dehip: Die Genesis der christlichen Basilika. 317 

was hat er sagen dürfen? Er bezeichnet im Hauptsatz den 
Ort, an welchem die fromme Fabiola zu sehen war : 
basilica Laterani, wie diese Kirche noch heute heisst — 
und hierbei fallt ihm eine historische Reminiscenz ein zur 
Erklärung dieses Namens. Mit Hülfe anderer Quellen l ) 
vermögen wir den Tatbestand ziemlich klar zu übersehen. 
Die Kirche war erbaut inmitten eines umfänglichen von 
Alters den Namen „in Laterano" führenden Palastbezirkes, 
welchen, der späteren Tradition zufolge, Constantin dem 
römischen Bischof geschenkt hatte. Gewiss ist, dass er 
vorher Eigentum der Gemahlin Constantins, der Fausta, war, 
und wahrscheinlich, dass diese ihn von ihrem Vater, dem Kaiser 
Maximian geerbt. Der Name aber geht auf die ältesten, durch 
Inschriften wie durch Historiographen beglaubigten Besitzer 
und Erbauer, die unter den Antoniuen und Septimius Severus 
in Macht und Gunst stehende Familie der Laterani zurück, 
gerade wie wir noch heute von einem „Palazzo Pitti u , einer 
„Villa d'Este u sprechen, obgleich beide seit 300 Jahren den 
betreffenden Familien entfremdet sind. Hieronymus jedoch, 
wenn er in der Zeit noch weiter hinaufsteigt und an den durch 
Nero hingerichteten Lateranus anknüpft, irrt, da dieser einer 
anderen Gens, der Plautia, angehörte. 2 ) Im Uebrigen ist der 
Sinn seiner Rede, trotz ihrer lässigen Kürze, klar. Es versteht 
sich nach dem dargelegten Sachverhalte von selbst, dass 



1) Schon von Ciainpini vollständig zusammengestellt. 

2) Schon von Bunsen (Beschreibung der Stadt Rom III a. 506) an- 
gemerkt, aber von den meisten späteren übersehen. Falsch ist auch 
die oft wiederholte Angabe (zuletzt noch bei Kraus a. 0. 113), 
dass Marc Aurel in diesem Hause geboren und erzogen sei; sie ist 
Messmer nachgeschrieben, welcher seinerseits wieder das Citat bei Ciam- 
pini nicht genau gelesen hat. Bei Julius Capitolinus c. 1. heisst es: 
Natus est Marcus Romae . . . in monte Coelio in hortis, avo suo 
(sc. Annio Vero) iterum et Augure . . . Educatus est in eo loco, quo 
natus est et in domo avi sui Veri, juxta aedes Laterani. 

[ 1 882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 3] 22 



Digitized by 



Google 



318 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882. 

„basilica Laterani" nicht „die von Lateran us erbaute 
Basilika", (wie die Urgirung des Wortlautes allerdings er- 
geben würde) bedeuten soll, sondern eben nur „die nach 
Lateranus benannt e." Ganz andere, grössere Dinge freilich 
sind für Messmer und die lange Reihe ihm sich anschliessender 
Archäologen durch des Hieronymus Worte „gewiss" ge- 
worden: Der edle Lateranus hat seine Hausbasilika den 
Christen geöffnet und im Besitz der Christen ist sie geblieben, 
bis Constantin sie zu einer grossen Kirche erweiterte! Wie? 
Hieronymus hätte bezeugen wollen, jener Lateranus, den die 
Profangeschichte als Bulen der Messalina und rastlosen Ver- 
schwörer kennt, sei Christ gewesen? Weder Hieronymus, 
noch sonst die Geschichte oder fegende weiss eine Sylbe 
von diesem Märtyrer. Und ist auch nur der Schatten 
eines Beweises vorhanden, dass bis in die Frühzeit der 
Kirche hinauf, ja überhaupt nur vor Constantin, eine christ- 
liche Cultstätte im Lateran gewesen sei? Von der Christ- 
lichkeit der Laterani des zweiten Jahrhunderts ist nichts 
bekannt, vielmehr weiset der Umstand, dass sie unter Marc 
Aurel und Septimius Severus hohe Staatsämter bekleideten, 
auf das Gegenteil. Die Familie der Fausta sodann war aus- 
gesprochen christenfeindlich. — Dass eine Behauptung von 
solcher Willkürlichkeit im Verhältniss zu den Worten der 
Quelle und von so übler Harmonie mit den beglaubigten 
Thatsachen, nicht nur Beifall, sondern, was mehr bedeutet, 
keinen ernstlichen Widerspruch finden konnte, macht der 
Methodik unserer christlichen Archäologen wenig Ehre. *) Leider 
ist das nicht der einzige kranke Punkt. Auch die Wahl 
des Ausgangspunktes war schon eine durchaus verfehlte. 



1) Mit „B. Laterani" vgl. „B. Semproniana" (S. Giorgio in Velabro), 
weil auf dem Platze eines alten Palastes der Sempronier, „Sessoriana," 
„Siciniana;" von letzterer sagte Messmer: „sie ist ein Beweis uud 
bleibt ein Beleg dafür, dass einzelner reicher Privater Häuser mit 
deren Basiliken in christlichen Gebrauch und Besitz übergingen." (!) 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 319 

Wie konnte man überhaupt nur erwarten, aus jener Aus- 
sage des Hieronymus für die allgemeine Frage nach 
dem Ursprung der christlichen Basilikalform einen Gewinn, 
und gar den entscheidenden zu ziehen, da ja der Bau, den 
Hieronymus vor Augen hatte, schon im 9. Jahrhundert 
durch Erdbeben zerstört ist und wir nichts sicheres darüber 
wissen, wie er ausgesehen hat? 1 ) Der Constantinische Bau 
ist für die architekturgeschichtliche Forschung nicht minder 
eine lediglich hypothetische Grösse, wie seine angebliche Vor- 
gängerin, die Hausbasilika des Lateranus. Und der Gleichung 
dieser beiden unbekannten Einzelfälle wird ohne Scrupel die 
Gleichung der generellen Kategorien „Kirchenbasilika" und 
„Hausbasilika 11 substituirt! 

Es war überhaupt ein Grundübel in der Behandlung 
unserer Frage, dass man lange Zeit vermeinte, aus der schrift- 
lichen Ueberlieferung allein sie beantworten zu können. 2 ) In- 
dem wir dieser Methode auf ihren Wegen nachgingen, ist es 
übergenug deutlich geworden, dass sie das ihr gesetzte Ziel ver- 
fehlt, dass weder der Name „Privatbasilika 11 , noch die unter 
diesem Namen gedachte Sache, d. h. eine gesonderte und 
formell bestimmte Baugattung, aus den litter arischen Quellen 
nachgewiesen oder auch nur wahrscheinlich gemacht werden 
kann, um wie viel weniger, dass dieselbe die Urquelle der- 
jenigen Bauform sei, welche wir heute — nach einem nicht 

1) So wenigstens wurde bis vor kurzem allgemein angenommen. 
Wieviel Verlass auf die bei den neuesten Restaurationsarbeiten aufge- 
tauchte Behauptung zu setzen ist, dass die Apsis noch Constanti- 
nische Beste enthalte, weiss ich nicht anzugeben. Uebrigens wird an 
der Hauptfrage dadurch nichts geändert. 

2) Ungeachtet der von Seiten der älteren Schwesterwissenschaft, 
der classischen Archäologie, rechtzeitig ergangenen Warnungen (U r 1 i c h s , 
die Apsis der alten Basiliken 1847, Brunn im Cotta'schen Kunstblatt 
1848 N. 19) oder Ergänzungsversuche (Reber in den Mitteilungen der 
Centr.-Comm. 1869). 

22* 



Digitized by 



Google 



320 Sitzwng der histor. Classe vom 2. Dezember 1882. 

historischen , sondern lediglich conventionell abgegrenzten 
Sprachgebrauch — als „christliche Basilika" bezeichnen. 
Beeilen wir uns, von diesem sterilen und schwankenden 
Boden auf den festen der Monumentalforschung überzutreten. 



Bei den Gelehrten, welche die Ableitung der christlichen 
Basilika aus dem Saalbau des vornehmen römischen Hauses 
vertreten, begegnen wir insgemein höchst übertriebenen Vor- 
stellungen von den durchschnittlichen Grössenverhältnissen 
des letzteren. Für die öffentliche und für die private Archi- 
tektur der Alten gilt ein völlig verschiedener Massstab, 
wonach die Aussagen der Schriftsteller zurechtzurücken sind. 
Auch der römische Palastbau grossen Stiles verleugnet nicht 
seine Abkunft aus dem Bürgerhause. Auch in ihm sind 
Atrium und Peristyl, wiewol in freiester Behandlung, die 
Hauptmotive: jenes für die Geschäfte und die vornehme 
Repräsentation bestimmt, dieses der Mittelpunkt der dem 
intimen häuslichen Leben und den geselligen Freuden ge- 
hörenden hinteren Hälfte des Hauses. Ihre Dimensionen zu 
steigern, ihre Zahl zu vermehren bleibt das Hauptaugenmerk 
des Bauluxus, und wir müssen die von den unseren so weit 
unterschiedenen Lebensgewohnheiten der Antike und des 
Südens uns immer gegenwärtig halten, um einzusehen, dass 
und warum im Verhältniss zu jenen den gedeckten Sälen 
und Gemächern stets nur ein massiger Raum zugestanden 
wurde. Solchergestalt ist das römische Luxushaus nach 
moderner Anschauung eher eine Villa als ein Palast. Aber 
man erkennt auch die Kostspieligkeit einer solchen in's 
Breite gehenden, die Häufung der Stockwerke als hässlichen 
Behelf der Mietcasernen verschmähenden Bauweise auf dem 
durch altüberlieferte Limitationen eingeengten Terrain der 
Städte. In Pompeji z. B. lässt es sich anschaulich verfolgen, 
wie jede Vergrösserung eines Hauses nur durch Ankauf und 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 321 

Niederlegung der benachbarten möglich wurde und wie doch 
immer das Resultat, nach unseren Begriffen, ein bescheidenes 
blieb. Und nun erst die von Berg und Tal durchschnittene, 
wegen ihrer Enge berüchtigte Grossstadt Rom! Anwesen 
etwa von dem Umfang der casa di Pansa in Pompeji können 
hier schon nur den Reichsten vorbehalten sein. Wenn 
irgendwo in Rom rücksichtloser Aufwand in's Werk gesetzt 
und das Ausserordentliche erstrebt wurde, so war es in 
Domitians palatinischem Hause: zwei gewaltige Hallen er- 
blicken wir hier, nach ihrer Lage dem Atrium und Tri- 
klinium des Bürgerhauses entsprechend, sonst aber nur 
mittelgrosse oder selbst kleine Gemächer. Ein zweites in- 
structives Beispiel gewährt der breitgelagerte Palast im 
Mittelpunkt jener wunderbaren Sommerresidenz des Kaisers 
Hadrian am Fusse der Berge von Tibur. Er ist durchaus 
Peristylbau: gedeckte Räume zwar in Menge, aber keiner 
von ihnen die massigsten Dimensionen überschreitend. Er- 
innern wir dann noch, als Massstab des Normalen, an das 
Haus der Livia auf dem Palatin, an die wahrhaft winzigen 
Tablinen und Triklinien Pompeji's oder an die Fragmente 
des römischen Stadtplanes, so wird zur Genüge deutlich, 
dass selbst in vornehmen Häusern ausser dem Atrium nicht 
leicht ein zur Aufnahme grösserer Versammlungen geschickter 
Raum zu finden war. 

Demnächst ist noch ein zweiter Umstand belangreich 
für unser Problem. Der Palastbau der Käiserzeit, wo er 
über das Gewöhnliche hinauswill, ist Gewölbebau und 
bevorzugt in Folge dessen in seinen gedeckten Räumlich- 
keiten quadratische oder wenigstens der quadratischen 
Form nahe kommende und centrisch combinirte Grund- 
pläne. Es erhellt also, dass gerade die am häufigsten an- 
gewandten und am meisten charakteristischen Formen der 
Palastsäle für die Ableitung des christlichen Kirchengebäudes 
von vornherein ausser Betracht bleiben. Unter den b- 



Digitized by 



Google 



322 Sitzung der histor. Ölasse vom 2. Dezember 1882. 

longsälen — denn nur diese können eventuell in Frage 
kommen — zeigen die Kuinen und der Stadtplan als die 
geläufigste Anlage die einschiffige: bald mit flacher Bal- 
kendecke, wie z. B. der sog. Philosophensaal der Hadria- 
nischen Villa (Fig. 3.), der grösste unter drei ähnlichen an diesem 
Orte, noch sicher erkennen lässt, — bald in Tonnenform 
überwölbt, wie der Speisesaal in der Villa ad Gallinas oder 
das „Auditorium des Mäcenas" auf dem Esquilin. — Schon 
seltener treffen wir auf gesäulte Oblongsäle. Das be- 
kannteste und wichtigste Beispiel bietet der Flavierpalast 
in Rom (Fig. 8. 9). Gleich bei seiner Aufdeckung im 
18. Jahrhundert wurde diesem Raum der Name ,, Basilika 41 
beigelegt und ist an ihm haften geblieben bis auf heute. 
Visconti und Lanciani (Guida del Palatino 1873 p. 105) 
wollen den Aufbau nach dem Muster der altchristlichen 
Kirchen S. Agnese und S. Lorenzo fuori gedacht wissen ; *) 
ähnlich Reber (Ruinen Rom's 2. A. p. 392), unter Rückweis 
auf seine Reconstruction der forensischen Basiliken aus der 
republikanischen Zeit. Die Operation, die hier vorgenommen 
wird, ist einfach die: erst schenkt man aus freier Macht- 
vollkommenheit den Namen und dann macht man nach 
diesem Namen die Form zurecht. Von positiven, im Bau- 
werk selbst liegenden Indizien ist nicht die Rede. Wollen 
wir indess die Restauration nach Vorschrift ausführen ! Bei 
dem Abstand der Säulenmittel von 3,40 m sind, wenn man 
den antiken Proportionen einigermassen treu bleiben will, 
für die Höhe der Säulen — es waren korinthische — min- 
destens 9 m zu fordern ; dann für das Gebälk uud das 
Galleriegeschoss gewiss eben so viel; dazu addire man noch 
den Lichtgaden, — und man erhält eine Gesammthöhe von 

1) Damit verbindet sich der alte Irrtum, dass diese beiden Monu- 
mente den Urtypus der römisch-christlichen Basilika am treuesten wieder- 
geben. In Wahrheit sind sie gerade Abweichungen von demselben, 
im 6. resp. 7. Jahrh. unter byzantinischem Einfluss erbaut, • 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 323 

ziemlich viel über 20 m, während die Länge der Säulenreihe 
nur 19 m beträgt. Was auf diese Weise entsteht, ist 
nicht eine Basilika, es ist eine unbenennbare und unver- 
gleichbare Missgestalt, an die ich nicht früher glauben 
könnte, als bis ich sie leibhaftig gesehen hätte. Ueberhaupt, 
wie man den Versuch einer Ergänzung mit Basilikenähn- 
lichkeit auch drehen will, man kommt aus dem fatalen 
Dilemma nicht heraus: entweder übersteigt der Raum die 
um ihn her liegenden — dann ergibt sich eine ebenso 
unförmliche Gestalt des Innern, wie eine empfindliche Dis- 
sonanz für die Fa9ade; oder er tut es nicht — und dann 
bleibt er ohne Beleuchtung. Ferner kann man doch nur 
sehr uneigentlich diesen Grundriss, bei der Enge des Zwischen- 
raumes zwischen Säulen und Wand , einen dreischiffigen 
nennen. Vielmehr ist die durch die Schnittlinie a — b be- 
zeichnete Mauermasse als eine einheitliche und das angeb- 
liche Seitenschiff nur als Nische aufzufassen, den Nischen der 
anderen Seite entsprechend. Mich dünkt: diese massige Be- 
schaffenheit der stützenden Teile, und nicht minder der Um- 
stand, dass sämintlicbe anschliessenden Räume offenbar mit Ge- 
wölben gedeckt waren, macht auch für den unsrigen die 
gleiche Bedeckungsart überaus wahrscheinlich. Und zwar liegt 
am nächsten, ein Tonnengewölbe (mit der bekannten 
Lichtöffnung im Scheitel) zu denken, eine Formation also 
schliesslich, welche mit der von Vitruv als oecus corinthius 
beschriebenen genau übereinkommt. *) Die betreffende Stelle 
(VI. 5) lautet: Inter corinthios autem et aegyptios hoc erit 



1) Selbstverständlich wird die Möglichkeit, dass dieser Raum dem 
Kaiser zu Gerichtszwecken gedient haben könnte, durch die obigen Er- 
örterungen nicht berührt. — Aehnlich bedingte Grundrisse sodann: im 
Kaiserpalaste zu Porto (Mon. Jol. Arch. VJII tav. 68); das Tempelchen 
im Prätorianerlager zu Rom; Fr. '28 und 116 des Stadtplans ; ferner — 
wenn man De Cassas trauen darf — im grossen Mittelsaal des Dio- 
kletianspalastes zu Spaletro und vielleicht auch im Palast zu Trier. 



Digitized by 



Google 



324 Sitzung der histw. Glasse vom 2. Dezember 1882. 

discrimen. corinthii simplices hdbeant cölumnas (d. h. 
eingeschossig) aut in podio positas aut in imo, supraque 
habeant epistylia et Coronas aut ex intestino opere aut dl- 
bario, praeterea supra Coronas curva lacunaria ad circinum 
delumbata (gedrückter oder Segmentbogen?), in aegyp- 
tiis autem supra cölumnas epistylia et ab epistyliis ad 
parietes, qui sunt circa imponenda est contignatio, supra 
coaxationem pavimentum, sub diu ut sit circuitus. deinde 
supra epistylium ad perpendiculum inferiorum columnarum 
inponendae sunt minores quarta parte columnae. supra 
earum epistylia, et ornamenta lacunariis ornantur et inter 
cölumnas superiores fenestrae (Lichtöffnungen) conlocantur. 
ita basilicarum *) ea similitudo , non corinthiorum triclini- 
orum, videtur esse. Zam Unterschied vom oecus corinthius 
muss vom aegyptius gesagt werden, dass es nicht hat ge- 
lingen wollen, in der ganzen nicht unbeträchtlichen Summe 
römischer Baureliquien einen auch nur einigermassen ein- 
leuchtenden Beleg für ihn aufzufinden. Wollte jemand die 
Vermutung aussprechen , Vitruv habe seine Angaben über 
diese Bauform gar nicht aus der römischen Baupraxis, son- 
dern lediglich, wie so manches andere, aus seiner alexan- 
drinischen Schriftquelle (wohin ja auch der Name weisen 
würde) entnommen, so wäre ein Widerspruch aus den Mo- 
numenten in der Tat nicht zu begründen. 2 ) 



1) Ganz sinnwidrig ist es, dies auf VI. 8 (angebliche Privatbasilika) 
zu beziehen. Das würde heissen:^ der Autor wolle dem Leser das Ver- 
ständniss erleichtern durch den Hinweis auf ein Ding, das derselbe noch 
nicht kennt und von dem er auch später nichts kennen lernt als den 
Namen. Handgreiflich ist es Rückweis auf die öffentliche 
Basilika — genauer gesprochen : auf die Vorschriften, die der Autor im 
vorangehenden Buch für dieselbe gegeben. 

2) Canina : La prima parte della Via Appia tav. XXXII. teilt den 
Grundriss eines zur Villa der Quinctilier gehörenden dreischiffigen und 
mit Apsis versehenen Saales mit, welcher demjenigen einer christlichen 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 325 

So weit will ich nun keineswegs gehen. Ich halte es, 
nach der allgemeinen Situation der Palastarchitektur, für 
ganz wahrscheinlich, dass sie mitunter auch die Oeci in 
dieser Weise, durch laternenartige Ueberhöhung, beleuchtet 
hat. Die Tatsache bleibt darum ungeschmälert bestehen, 
dass die weitaus gebräuchlichsten Saalformen solche sind, 
die von dem basilikalen Principe sich gründlich unterscheiden. 

Offenbar ist für die Erkenntniss des Ursprunges der 
christlichen Basilika aus der etwanigen Entdeckung verein- 
zelt hie und da auftauchender Analogien überhaupt nichts 
zu gewinnen. Bereits im Constantinischen Zeitalter tritt 
sie uns als fertige, man dürfte fast sagen erstarrte, Bildung 
entgegen; es wird nicht mehr gesucht und gewählt; es 
scheint sich längst von selbst zu verstehen, welche Formen 
anzuwenden, welche auszuschliessen sind; kurz, alles weiset 
auf eine Vorgeschichte hin, in der die bestimmenden Einflüsse 
in immer gleicher Gestalt wiedergekehrt sind. Darum 
vermöchten wir nur eine solche Bauform, in welcher, sei 
es fertig sei es im Keime, die ihre Wesenheit ausmachenden 
Züge bereits vorgebildet sind, als ihre wahre Mutterform 
anzuerkennen. Solche essentielle Merkmale sind aber: der 
oblonge, durch Freistützen in ein Hauptschiff mit begleiten- 
den Nebenschiffen geteilte Grundriss, und der das Haupt- 
schiff zum Zwecke seitlicher Oberlichter überhöhende Quer- 
schnitt. — Kann nun gesagt werden, dass die Oeci des 
römischen Palastbaues diesen Forderungen Genüge täten? 
Wahrlich: nein! Vorab fehlt ihnen das Erste und Not- 



Basilika allerdings genau entspricht. Doch kann ich die Beobachtung 
von Holtzinger (Repertorium f. Kunstwissenschaft V. 284) dass an Ort 
und Stelle nichts dergleichen zu finden ist, nur bestätigen; also hat wol 
Canina -r es wäre nicht das einzige mal — rein phantasirt. — Ein 
ähnlich gestalteter Bauriss auf den Colli di S. Stefano, südwestlich von 
der Villa Adriana bei Tivoli (heute nicht mehr erkennbar) gehorte nach 
Nibby, Descrizione etc. p. 59 evident einer mittetalterlichen Kirche an. 



Digitized by 



Google 



326 Sitzung der histor. Glasse vom 2. Dezember 1882. 

wendigste: ein einheitlicher Typus. Wir sehen mannig- 
faltigsten Wechsel sowol im Grundplan wie in der Bedeckung, 
Anlagen höchsten Ranges, wie die Kaiserpaläste zu Rom, 
Trier , Salona zu erkennen geben , kommen durchaus nur 
gewölbte Säle zu; doch keineswegs diesen allein. Flache 
Decken gehören den Villen und den Stadtpalästen massigeren 
Anspruches, wo ohnedies neben Atrium und Peristyl für 
Oeci von grösserer Dimension kein Raum ist. Die Säule 
findet in den Oeci dieser Gattung entweder keine, oder nur 
decorative Verwendung, mit andern Worten: dieselben sind 
durchschnittlich einschiffig angelegt. Kurz, nicht nur, dass die 
Saalarchitektur der Paläste unzureichend ist, die massge- 
benden Charakter züge der christlichen Basilika zu erklären, — 
man mnss sagen : wäre diese in Wahrheit Fortentwicklung 
aus jener gewesen, sie hätte eine wesentlich andere Gestalt 
annehmen müssen, als in der wir sie erblicken. 



Anscheinend hat uns die Betrachtung der monumen- 
talen Quellen der Lösung unserer Frage nicht näher ge- 
bracht, wie vorher die Betrachtung der litterarischen Quellen; 
die eine wie die andere musste mit einem negativen Ergeb- 
niss abschliessen. Angesichts dessen scheint es an der Zeit, 
die allgemeinen geschichtlichen Bedingungen, die wir als 
Basis unserer Untersuchung annahmen, noch einmal schärfer 
in's Auge zu fassen. Ich setzte: wie der christliche Cultus 
durch früheste und langdauernde Gewöhnung mit dem an- 
tiken Privathause verknüpft sei, so müsse voraussichtlich 
auch die dem christlichen Cultgebäude zu Grunde liegende 
Bautradition auf dieselbe Quelle zurückgehen. Das ist ja 
auch die Prämisse der herrschenden Lehre; aber dieselbe 
gab ihr vom Anfang an eine engere Fassung, indem sie 
nicht das antike Haus generell, sondern allein das 
vornehme Haus, den Palast, in Betracht zog. Ihre 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 327 

Folgerungen hängen in der Lnft ohne die Annahme, dass 
im Durchschnitt eine jede Gemeinde über einen Palast ver- 
fügt uud dass dieser Palast jedesmal einen Basilikensaal, 
wie man ihn sich denkt, enhalten habe. Es sind also eigent- 
lich zwei Prämissen , die hier verschmolzen werden : eine 
kirchengeschichtliche und eine architekturgeschichtliche. Von 
der Unhaltbarkeit der letzteren haben wir uns sattsam 
überzeugt. Nicht besser bestellt ist es mit der anderen. 
Während der für unsere Frage entscheidenden beiden ersten 
Jahrhunderte hatte das Christentum seine Anhäuger ganz 
überwiegend in den mittleren und niederen Regionen der 
Gesellschaft. An dieser allgemeinen Physiognomie der Ge- 
meinden ändert es nichts, dass sie schon früh einzelne vor- 
nehme Personen, namentlich Frauen, zu den Ihren zählen. 
Es sind im Verhältniss zur Gesammtheit doch nur wenige, 
und ihrer Hülfsbereitschaft setzen Rücksichten auf ihre 
Familie und auf den Staat sehr bestimmte Grenzen; man 
kann als gewiss ansehen, dass eigentliche Paläste wäh- 
rend der in Rede stehenden Frühperiode nur ganz aus- 
nahmsweise dem christlichen Cultus sich öffnen durften. 
Uebertritte ganzer Familien der römischen Aristokratie 
rechnet die Kirche erst von Kaiser Commodus ab, also von 
einer Zeit, wo die Ecclesia feste Verfassung und Gottes- 
dienstordnung, selbständiges Vermögen, besoldete Beamte, 
und (wie Minucius Felix und Tertullian bezeugen) auch 
ständige Versammlungshäuser bereits besass. Wenn selbst 
zwei Menschenalter nach Constantin das Christentum in den 
vornehmen Familien Roms noch nicht über die Majorität 
gebot, wie wäre auch nur zu denken, dass die gegen Ende 
des 3. Jahrhundert in Rom vorhandenen mehr wie vierzig 
Ecclesialbasiliken ebenso viel vornehmen Palästen angehört 
hätten? Und nun gar die mittlem und kleinern Provinzial- 
gemeinden ! Nein , es können in der grossen Masse nur 
Bürgerhäuser gewesen sein, in denen die Christen sich 



Digitized by 



Google 



328 Sitzung der histor. Glosse vom 2. Dezember 1882. 

versammelten, und in den Bauverhältnissen dieser haben 
wir die Entscheidung zu suchen. 

Im Bürgerhanse aber, nicht ausgenommen das reiche 
und stattliche, giebt es nur einen einzigen geschlossenen 
Kaum von ausreichendem Umfange für eine gottesdienstliche 
Versammlung: das ist das Atrium, beziehungsweise — in 
Ländern griechischer Sitte — der Peristyl. 

Hiermit ist die Untersuchung auf ein einfaches und 
durchgreifendes Princip zurückgeführt, ist eine Grundlage 
von der postulirten Beschaffenheit gewonnen, d. h. eine 
Summe wesentlich gleichartiger Einzelprämissen, dargestellt 
durch eine bestimmt ausgeprägte, an eine feste Tradition 
gebundene Baugattung. Wenn irgend 'wo, so muss auf 
diesem Punkte, auf den alle Erwägungen, positive wie 
negative, uns hindrängen, der gesuchte Zusammenhang sich 
enthüllen. 

Vergleichen wir den Grundriss des Atriums, zumal des in 
der Kaiserzeit am meisten gebräuchlichen Säulenatriums, mit 
jenem der christlichen Basilika, so fällt, trotz der hier gewaltig 
angewachsenen Dimensionen, in der Tat die Uebereinstimmung 
der Raumgestaltung ohne weiteres in's Auge, und wir er- 
kennen zugleich, wie die äussere Anordnung des Gottes- 
dienstes in der antiken häuslichen Sitte ihre Wurzel hat. 
Ich bringe in Erinnerung, dass die älteste Organisation der 
christlichen Gemeinde Familiengruppirung war, Anlehnung 
an das umfassende Rechts- und Pietätsverhältniss , das in 
der antiken Welt den Fremdling, der kein Bürgerrecht am 
Orte besass, oder den Gastfreund oder den Freigelassenen mit 
seinem Schutzherrn verband. 1 ) Der traditionelle Ort aber 
für den Verkehr des Patrons mit den. Clienten wie für die 
förmlichen und feierlichen Vorgänge des häuslichen Lebens 
überhaupt war das Atrium. Von den Teilen des Atriums 



1) Vgl. Weingarten in v. Sybel's Hist. Ztschr. N. F. IX. 446 f. 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 329 

ist das Tablinum der Ehrenplatz des Hausherrn — im 
Sinne der Gemeinde des dtdxovog, wie die Paulinischen Briefe 
ihn nennen: — es deckt sich, architektonisch wie zwecklich 
mit dem Priesterchor der entwickelten Basilika. Auch übersehe 
man nicht, dass es nicht, wie die Apsis der Forumsbasilika, ein 
willkürlicher und entbehrlicher Zusatz, sondern zum Begriff 
des Atriums gehörender unveräusserlicher Bestandteil ist. — 
Sodann in dem Querraum vor dem Tablinum haben wir uns 
die Diakone (im Sinn der nachapostolischen Zeit) und die 
Diakonissen und Wittwen zu denken , von denen es heisst, 
dass sie in der Versammlung an einem besonderen Platz 
sassen, un verschleiert , um ihr Amt der Rüge zu üben. 1 ) 
Es ist derselbe Raum, der später als Limiuare oder Solea, 
auch wol in ein Senatorium und Matronaeum geteilt er- 
scheint, in dem die Sitze der vornehmen Magistratspersonen, 
der Clerici minores, der geweihten Jungfrauen, sich befanden 
und wo den Laien die Communion erteilt wurde. Gerade 
an dieser Stelle nun , zwischen Tablinum und Impluvium, 
befand sich im antiken Hause, wie man sich erinnert, regel- 
mässig ein steinerner Tisch. Um ihn, als den Nachfahren 
des geheiligten Hausheerdes schwebte noch immer eine Er- 
innerung religiöser Weihe, und es kann kein Zweifel sein, 
dass wiederum sein Abkömmlung der christliche Altar 
wurde. Dass die ältesten, sei es real sei es im Bilde, uns 
überlieferten christlichen Altäre in ihrer Form den pompeja- 
nischen Atrientischen so ganz gleichen, ist längst aufgefallen ; 
noch bedeutsamer scheint mir die Uebereinstimmung des 
traditionell fixirten Standortes. — Nebenher möge dann 
auch eine Kleinigkeit Beachtung finden:, die Medaillons mit 
Papst- und Bischofsporträts als Wanddecoration der Kirchen, 
bei deren Anblick es nicht unerlaubt sein wird an die clipeatae 
imagines des römischen Atriums (oben S. 306) sich erinnert 



1) Hausrath, Neutestamen tl. Zeitgeschichte III. 548. 



Digitized by 



Google 



330 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882. 

zu fühlen. — Weiter ist die Analogie zwischen dem drei- 
geteilten Säulen cavaedium und dem Langhaus der christ- 
lichen Basilika augeu fallig. Für sich allein genommen würde 
dies freilich noch nichts beweisen ; aber im Zusammen- 
bange mit dem Tablinum und den Alae einerseits, dem 
Chor und Querschiff andrerseits, ist es vollkommen durch- 
schlagend , denn eine ähnliche Combination ist im ganzen 
Bereiche der antiken Architektur nicht mehr zu finden. 

Das Querschiff ist derjenige Theil des Kirchengebäudes, 
Jer den Erklärern bisher die meiste Beschwerde gemacht 
hat. Entweder verzichten sie überhaupt auf eine bau- 
geschichtliche Ableitung, oder sie helfen sich mit Hypo- 
thesen, denen die Ratlosigkeit an die Stirn geschrieben 
ist. Um nur die neuesten zu nennen : J. P. Richter er- 
klärt das Querschiff für ein in's Riesengrosse übertragenes 
Arkosolium; F. X. Kraus findet es in den Seitenapsiden 
der Cömeterialcellen vorgebildet 1 ); H. Holtzinger lässt es 
gelegentlich des Constantinischen Umbaus der Sessoriani- 
schen Basilika erfunden sein. Ein richtiges Gefühl liegt 
diesen Versuchen indess zu Grunde: einmal die Abkehr von 
der früher beliebten symbolischen Beziehung auf das Kreuz 
Christi; sodann die Anerkennung, dass es durch kein Be- 
dürfniss des Cultus gefordert, auch nicht aus der con- 
structiven oder formalen Grundidee der Basilika als solcher 
heraus entwickelt sei, sondern nur als von einem fremden 
Urbild übernommene Descendenzform betrachtet werden 
könne. Welche historische Bauform hier allein in Frage 
zu ziehen sei, kann für uns nicht mehr zweifelhaft sein. 
Die Zurückfübrung des BasilikenquerscbifFes auf die Alae 

1) Kraus schreibt (im Anschluss an Martigny) der Cömeterial- 
architektar überhaupt einen weitgehenden Einfluss auf die Ausbildung 
des Basilikenscheiua's zu. Ich für meinen Teil kann in ihr nur einen 
Reflex der Hauptbewegung, nicht einen activen Factor derselben aner- 
kennen. 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der- christlichen Basilika. 331 

des italischen Atrienschemas löst das Rätsel in denkbar 
einfachster Weise: es bedarf keiner hypothetischen Zwischen- 
glieder — das QuerscbifF ist da; ist fertig da als Wiegen- 
gabe einer uralten italischen Bau Überlieferung an das 
werdende christliche Gotteshaus. — Auch kann eine Gegen- 
probe angestellt werden. Sie liegt in der Beobachtung, 
dass das Querschiff ausschliesslich in Rom und den von 
Rom beeinflussten Landschaften des Occidents, und auch 
hier nicht regelmässig, sich vorfinde!, hingegen der morgen- 
ländischen Welt, mit Einschluss Ravenna's, fremd bleibt. 1 ) 
Der Grund dieser merkwürdigen Tatsache wird jetzt offen- 
bar: es sind die Alae eben ein dem griechischen Peristyl- 
hause unbekanntes, ein specifisch dem italischen Hause eigen- 
tümliches Motiv, dessen Geltung zwar im Laufe der Zeiten, 
am meisten durch das Eindringen des griechischen Säulen- 
baus, in der römischen Baupraxis geschmälert, aber nie 
ganz beseitigt worden ist, wie mehrere Fragmeute des in den 
Anfang des dritten Jahrhunderts gehörenden Stadtplanes be- 
urkunden, (z. B. Fig. 4.) 

Die landläufige Rede, die Configuration des christlichen 
Kirchengebäudes sei bestimmt durch den Geist und das Be- 
dürfniss des christlichen Cultus, ist also so wenig wahr, dass 
man sie vielmehr umkehren muss und sagen : der christliche 
Cultus ist nach seiner äusseren Einrichtung bestimmt durch 
die vorgefundene Configuration des antiken Hauses. Was 
die christliche Basilika vom griechischen Tempel so durch- 
greifend unterscheidet : dass sie lediglich als Innenarchitektur 
gedacht ist; — ferner der oblonge Grundplan mit der festen 
perspectiven Richtung auf das Sanctuarium, ja selbst alle 
einzelnen Züge des Grundplanes erweisen sich als ein Ge- 
gebenes: Querschiff und Chor im italischen Cavaedium, die 



1) Die Qaerschiffe der Demetriuskirche in Thessalonich und der 
Marienkirche in Bethlehem gehören einem durchaus anderen Formge- 
danken an, wie die römischen. 



Digitized by 



Google 



332 Sitzung der histor. Glasse vom 2. Dezember 18S2. 

dreischiffige Teilung des Langhauses im griechischen Peri- 
styl und die Verschmelzung beider im spätrömischeu Säuleu- 
atrium. — Soweit, in Bezug auf den Grundriss, ist die 
geschichtliche Ableitung vollständig und exact gelungen; 
es ist aber ein zweites Moment da, welches derselben noch 
harrt: der Querschnitt. 

Die Ausbildung des Querschnittes bezeichnet die zweite 
Phase in der Entstehungsgeschichte der christlichen Basilika. 
Eingeleitet wird dieselbe damit, dass das Haus eines Ge- 
meindemitgliedes durch Schenkung oder sonstige Vereinbar- 
ung Eigentum der Ecclesia und als solches zum ständigen 
Lokal des Gottesdienst eingerichtet wird. Nun können bau- 
liche Abänderungen und Zutaten, wofern sich ein Bedürfniss 
danach geltend macht, ihren Anfang nehmen. Will man, 
was auf diese Weise entsteht, Hausbasilika beneunen, so 
wäre nichts dagegen einzuwenden; doch müsste scbärfstens 
hervorgehoben bleiben, dass es etwas von der Hausbasilika 
in dem bisher in der Litteratur angewandten Sinne nach 
Ursprung und Art wesentlich Verschiedenes ist. Als die 
wichtigste Aufgabe der jetzt einsetzenden Fortbildung des 
Atriums erkennt man die vollständige Ueberdachung des- 
selben. Die entwickelte Kirchenbasilika hat bekanntlich 
eine feste Formel dafür : sie überhöhet das Mittelschiff. In 
der ausnahmslosen Geltung, in der dieses System schon im 
4. Jahrhundert sich vorfindet, habe ich oben ein Anzeichen 
zu sehen geglaubt, dass auch es auf einer frühen Entwick- 
lungsstufe sich stabilirt habe. Dies wird jetzt durch die 
Einsicht, dass die Kirchenbasilika vom Atrium ausgegangen 
ist, ganz klar. Ich habe am Eingang der Abhandlung auf 
den unlöslichen Zusammenhang hingewiesen , in dem die 
Bedachungs- mit der Beleuchtungsfrage und diese mit dem 
Gesammtgrundriss steht. Wollte man bei unverändertem 
Fortbestande des letzteren, d. h. bei der ringsum einge- 
schlossenen Situation des Atriums, das Compluvialsystem 



Digitized by 



Google 



G. Dehw: Die Genesis der christlichen Basilika. 333 

aufgeben, so gab es, wie ohne weiteres einleuchtet, keine 
Alternative als die basilikale Ueberhöhung. So ist also auch 
dieses zweite Hauptmerkmal des christlichen Kirchengebäudes 
eine aus den geschichtlich gegebenen Verhältnissen des bürger- 
lichen Hauses mit Notwendigkeit abfolgende Consequenz, 
ist das hoch über den Seitenräumen schwebende Dach des 
Hauptschiffes der Basilika ein Erinnerungszeichen an den 
Zustand, da dieses noch ein offener Hofraum war. — Ist es 
aber bloss ein logischer Zusammenhang? Hat diese Conse- 
quenz wirklich nie früher sich eingestellt, als durch die Ver- 
sammlungen der Christen? Es ist wahr, die überwiegende 
Mehrzahl der Atrieu Ponipeji's liegt in der Mitte dem freien 
Himmel offen. Aber Pompeji ist nicht ohne weiteres und 
in allem massgebend für ganz Italien, die Landstadt nicht 
für die Grossstadt, das erste Jahrhundert nicht für die folgen- 
den. Zudem hat durch die Verdrängung der tuskanischen 
Atrienform und die damit verbundene Erweiterung des Com- 
pluviums die Blossstellung gegen Kälte und Regen noch 
immer zugenommen. Wie hat man in dem Durchschnitts- 
hause, in dem ausser dem Atrium nichts als winzige Zim- 
merchen vorhanden waren, an Wintertagen überhaupt nur 
existiren können? Ist es irgend glaublich, dass ein im 
Raffinement des leiblichen Behagens so erfindungsreiches 
Geschlecht, wie das der Kaiserzeit, in diesem einen Punkte 
über einen so primitiven Zustand nicht hinausgekommen sein 
sollte? Scheint hiernach die Folgerung unausweichlich, dass 
im kaiserlichen Rom die Schliessung der Atrien eine min- 
destens häufige Sache gewesen sei, so bedarf es für uns keines 
weiteren Nachweises, um sagen zu dürfen, dass in den meisten 
Fällen die Ueberdachung des Compluviums nur in Verbind- 
ung mit Ueberhöhung desselben ausführbar sein konnte. 
Ausser diesen allgemeinen, aber wahrlich nicht leicht- 
wiegenden, Gründen glaube ich zu Gunsten meiner Vermut- 
ung auch noch Vitruv aufrufen zu sollen. Ich glaube, dass 
1.1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 3.] 23 



Digitized by 



Google 



334 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882. 

er in seine leider sehr wortkarge Beschreibung des atrium 
displuviatum (VI. 3.) den von mir angenommenen Fall 
miteinbegriffen hat. Displuviata autem sunt in quibus deli- 
quiae arcam sustinentes stillicidia reiciunt. Ueber die Deut- 
ung dieses Satzes besteht gegenwärtig nur Eine Meinung 
(Reber, Overbeck, Nissen u. s. w.) : man denkt sich das 
displuviatum nur dadurch vom tuscanicum unterschieden, 
dass die Dachflächen nicht einwärts sondern mit der Neig- 
ung nach aussen gestellt sind, wie Fig. 11 veranschaulicht. 
Ich will nun keineswegs sagen, dass diese Erklärung falsch 
sei, allein ich halte sie für unvollständig. Sie berücksichtigt 
nicht, was Vitruv unmittelbar hinzusetzt: haec hibernaculis 
maxime praestant utilitates^ quod compluvia eorum erecta 
non obstant luminibus tricliniorum. Bevor ich an die Er- 
läuterung dieser Stelle gehe, muss ich die Frage auf werfen, 
welche Vorteile denn eigentlich das displuviatum (in der 
angenommenen Gestalt) gegeuüber dem tuscanicum auf- 
weisen kann? Es ist nur der einzige da, dass das Im- 
pluvium vom Traufwasser befreit wird; aber es wird darum 
doch nicht entbehrlich gemacht, Kälte, Wind und Feuchtigkeit 
werden vom Binnenraum nicht besser abgehalten. Hingegen 
treten zwei schwere Uebelstände neu hinzu: der eine, den 
schon Vitruv hervorhebt, dass das Traufwasser durch Röhren 
abgeleitet werden muss, die in den Wänden stecken; der 
andere, den aber Vitruv merkwürdigerweise verschweigt, 
dass der Dachstuhl der eindringenden Feuchtigkeit schutzlos 
preisgegeben ist. Es ist der Fehler der üblichen Interpre- 
tation, dass das displuviatum lediglich mit dem tuscanicum, 
nicht aber auch mit dem testudinatum in Vergleich gesetzt 
wird. Ferner dass, wie gesagt, Vitruv's Zusatzbemerkuüg 
ganz unbeachtet bleibt. Es wird in dieser vom dis- 
pluviatum ausgesagt, einmal dass es für Winterwohnungen 
grosse Annehmlichkeit bietet, dann dass es der Beleuchtung 
der Seitengemächer (welche eben auf Lichtzufuhr aus dem 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 335 

Atrium angewiesen sind) nicht^ im Wege steht. Offenbar 
ist durch die erstere Eigenschaft ein Unterschied gegenüber 
dem tuscanicum, durch die zweite ein Unterschied gegen- 
über dem testudinatum augegeben. Nicht minder offenbar 
aber ist eine Dachconstruction, welche Beides in Einem ge- 
währleistet — Wetterschutz und Lichtfülle — unter den 
gegebenen Verhältnissen nicht erdenkbar, als allein in Ge- 
stalt einer über dem Compluvium angebrachten Laterne. 
Als eine solche Laterne wäre also die von den deliquiae, 
d. i. den aufwärts gerichteten Dachsparren getragene arca 
Vitruv's aufzufassen, und es scheint nicht bedeutungslos, 
dass gerade die ältesten römischen Altartabernäkel, die einen 
Tempel im Kleinen vorstellen, eben dieses Motiv aufweisen, 
ja dass auch für sie der Name arca im Gebrauch ist, wäh- 
rend der Name xißcoQiov, d. i, Becher, auf die in der morgen- 
läudischen Kirche vorherrschende Kuppelbedeckung hinweist. 
Weitere, wie mir scheint nicht verächtliche Zeugnisse für die 
Bekanntschaft mit dieser Einrichtung geben die in Africa ge- 
fundene Bronzelampe in Gestalt einer kleinen Basilika (abge- 
bildet bei de Rossi, Bull. 1866) und die architektonischen 
Hintergründe mancher altchristlichen Mosaiken, besonders 
reichlich in St. Georg zu Thessalonich (Texier et Pullan, 
Arch. byz. XXX- XXXIV). 

Der in Fig. 12 gegebene Restaurationsversuch nimmt 
den einfachsten Fall an, nämlich dass die Hauptbalken noch in 
derselben Weise angeordnet sind, wie im tuscanicum. Im 
tetrastylen oder im korinthischen Atrium kann die Aus- 
führung natürlich eine viel vollkommenere werden, ja es ist 
durch sie der Gedanke so nahe gelegt, dass es förmlich ver- 
wunderlich wäre, ihn nicht aufgenommen zu sehen. Weiter 
lese man nach, was Vitruv in einem späteren Capitel des- 
selben Buches (VI. 6.) über Beleuchtungsverhältnisse im 
Allgemeinen sagt, über die Schwierigkeiten, welche für die- 
selben aus der überragenden Höhe der Nachbarhäuser er- 

23* 



Digitized by 



Google 



336 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882. 

wachsen, über die Berechnung des Einfallswinkels u. s. w., 
und man wird finden, dass diese Erwägungen für ein Atrium 
mit Area sub diu gegenstandslos sind, vielmehr nur für 
eine Anlage mit seitlicher Lichtzuführung Sinn haben. 
Dass aber eben unter den von Vitruv in's Auge gefassten, 
in städtischen Häusern regelmässig wiederkehrenden Beding- 
ungen Seitenlichter nur bei einem in der angenommenen 
Weise überhöhten Querschnitte durchführbar sind, dafür be- 
darf es nach dem Bishergesagten keines Wortes mehr. 
Weiter als bis zu dieser logischen Beweisführung vermögen 
wir allerdings nicht vorzudringen, denn den Augenscheins- 
beweis zu erbringen versagt uns der Zustand der Monumente. 
Allein es gibt doch Wahrscheinlichkeiten, welche innerlich 
so stark begründet sind, dass sie nahezu den Wert von Tat- 
sachen erhalten. Und wenigstens in einem Falle liegt ein 
Baurest vor, welcher eine andere Ergänzung als die befür- 
wortete kaum zulassen möchte. Das ist der im Grundriss 
die Form eines korinthischen Atriums zeigende kleine Raum 
im sog. Palazzo der Villa Adriana, Fig. 2. 1 ) 

Nun glaube ich jedoch nicht, dass die hier angedeuteten 
Voraussetzungen die einzigen waren, welche auf die Quer- 
schnittentwickelung der christlichen Basilika eingewirkt haben. 
Es gab eine Architekturgattung, welche diese Formation 
bereits in grösstem Massstab durchgebildet zur Erscheinung 
brachte: ich meine die Forumsbasilika. Die oben hervor- 
gehobene Tatsache, dass für die Composition derselben ein 
gemeingültiger Canon nicht bestand, schliesst doch die häu- 
fige Wiederkehr bestimmter Grundmotive nicht aus. Dahin 
gehört die flache Balkendecke und die mehrschiffige Grund- 
rissteilung. Wie grosse, ja unersetzliche Vorzüge bei solchen 
Bedingungen die Ueberhöhuug des Mittelraums darbietet, 



1) Auf dem grossen Piranesi'schen Plan tav. II. n. 37 ; ein ähnlich 
angegebener, tav. III. n. 42, scheint fast ganz auf Ergänzung zu beruhen. 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basüika 337 

liegt auf flacher Hand und wenigstens in ein paar Beispielen 
öffentlicher Basiliken ist ihre Anwendung gewiss. Ob sie 
aber als etwas Normales oder aach nur Häufiges zu be- 
trachten sei, gilt als strittige Frage. Ich für meinen Teil 
zögere nicht mit Ja zu antworten, wenn schon ich von der 
Begründung dieser Ueberzeugung, da sie in eine sehr weit- 
läufige Digression verwickelt würde, hier absehen muss. 1 ) 
Ja, mich dünkt, dass dieses Querschnittprincip überhaupt für 
jede höher entwickelte Architektur, die auf mächtige Innen- 
wirkung ausgeht, für die Dauer als unentbehrlich sich heraus- 
stellen muss. In dieser Richtung aber liegt das Eigenste 
des römisch-nationalen Baugeistes. — Wer die eben ausge- 
sprochene Meinung von der römischen Forumsbasilika teilt, 
wird mit mir auch weiter natürlich und unvermeidlich finden, 
dass sie auf die werdende Kirchenbasilika, von dem Augen- 
blicke ab, da dieselbe aus der Schale des Privathauses heraos 
einer selbständigen monumentalen Existenz entgegenstrebte, 
unmöglich ohne Einfluss geblieben sein kann, sintemalen sie 



1) Nur eioe kurze Bemerkung zu Vitruv. Gelegentlich seiner 
Vorschriften für die Basilika im Allgemeinen erwähnt Vitruv die Ueber- 
höhung des Mittelschiffes allerdings nicht. Mehrere Ausleger, z B. 
Reber, erklären deshalb eben das Fehlen dieses Motives für das eigent- 
lich Charakteristische und Normale. Meines Erachten s ist aber bei einem 
Schriftsteller von der Art Vitruvs durch ein argumentum ex silentio 
schlechterdings nichts zu beweisen. Nach demselben Grundsatze müsste 
man z. B. auch leugnen, dass das Tribunal zur forensischen Basilika 
gehört habe; denn auch dieses übergeht Vitruv an der gedachten Stelle 
mit Stillschweigen. Nach Beber hätte die „ Normalbasilika K ihr Licht 
allein durch die Fenster der Gallerien erhalten; allein Vitruv schreibt 
ja doch vor, dass diese Gallerien durch einen bis auf 3 A der Säulenhöhe 
hinaufreichenden Mauergürtel (pluteum) gegen das Mittelschiff abgeschlossen 
sein sollen ; wie kann dabei letzteres zu seinem Licht kommen, ausser eben 
durch Ueberhöhung? Und was anders, als die Ueberhöhung kann es 
sein, was gelegentlich des bekannten Vergleiches zwischen dem ägypti- 
schen Oecus und der Basilika jenen dieser ähnlich, dem korinthischen 
Oecus aber unähnlich macht? 



Digitized by 



Google 



338 * Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882. 

bereits im Grossen durchgeprobt und gelöst vorwies, worauf 
jene durch Tradition und innere Notwendigkeit angewiesen 
war. Es kann keine unhistorischere Anschauung geben, als 
die den christlichen Kirchenbau aus dem grossen Gange der 
gemeinrömischen Architekturgeschichte wie eine autonome 
oder gar gegnerische Macht heraushebt. 

Der Vorgang, von dem wir sprechen und der in allem 
Einzelnen freilich der Beobachtung sich durchaus entzieht, 
führt hinüber in die dritte und letzte Phase der Entwick- 
lungsgeschichte des altchristlichen Kirchengebäudes. Auf 
dieser Stufe ist dasselbe nicht mehr oder nur noch aus- 
nahmsweise als Umbau eines übernommenen Privathauses, 
sondern als selbständiger Neubau, nicht mehr als Bedürf- 
nissarcbitektur, sondern als getragen von monumentaler Ab- 
sicht zu denken. Nach althergebrachter und noch heute 
sehr verbreiteter Meinung wäre diese Wendung nicht früher 
als unter Gonstantin vollzogen. Ein starkes Bedenken gegen 
diese Zeitbestimmung erwächst von vorneherein aus der 
Wahrnehmung, auf die ich immer zurückweisen muss, dass 
der Kirchenbau der Constantinischen Epoche ja bereits im 
grösstem Massstabe und in einer völlig abgeschlossenen und 
ihrer selbst sicheren, alle die angeblich kurz zuvor noch 
schwankenden Verhältnisse als fixirt betrachtenden Typik 
sich betätigt, also dass an Stelle stufenweiser Entwickelang 
ein Sprung, eine plötzliche Offenbarung oder gesetzgeberische 
Abmachung gedacht werden müsste, dergleichen die Archi- 
tekturgeschichte sonst nie und nirgends kennt. Hier greift 
die Architekturgeschichte in die allgemeine Kirchengeschichte 
hinüber. Mit einer Geschichtsauffassung, die mehr auf die 
Märtyreracten und das Papstbuch hört, als auf die echten 
zeitgenössischen Quellen, ist es freilich kaum möglich sich 
zu verständigen; wer jedoch den deutlichen Fingerzeigen 
der letzteren — ich nenne nur den Einen Eusebius — nach- 
geht, wird nicht im Zweifel sein, dass schon während des 



Digitized by 



Google 



G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 339 

ganzen dritten Jahrhunderts die Christen selbständige Cult- 
gebäude, Kirchen im vollen Verstände, in Menge in Gebrauch 
gehabt haben. Vornehmlich die vierzigjährige Toleranz- 
epoche zwischen der Decischen und der Diocletianischen Ver- 
folgung rauss es gewesen sein, in welcher die abschliessende 
Normirung erfolgte, deren Wirkung wir im Constantinischen 
Zeitalter und von da ab fast unverändert bis in\s nächste 
Jahrtausend hinein in einer langen Reihe von Monumenten 
vor Augen haben. Was dieser Entwicklungsepoche zu tun 
oblag, war die Anpassung des schon unlöslich mit den Ge- 
wohnheiten des Cultus verknüpften Atrienschemas an die 
jetzt geforderten grossen Raumabmessungen. Während 
Griechenland und der Orient, in näherem Anschluss an die 
öffentliche Basilika, die doppelgeschossige Anlage der Seiten- 
schiffe bevorzugte, entschieden sich die lateinischen Länder 
für die vielleicht nicht schönste aber einfachste, den Ur- 
sprungsverhältnissen am nächsten bleibende Lösung: über 
den Portiken, mit Verzicht auf Seitengallerien, sogleich die 
Obermauern aufsteigen zu lassen. Ob etwa auch schon die 
Profanbasilika zuweilen dieses System nicht verschmäht hatte, 
muss dahingestellt bleiben. Franz Kugler fand darin etwas 
Unantikes. Aber auch mit der in gleichem Masse unantiken 
Verbindung von Säule und Archivolte ist die spätrömische 
Profanarchitektur der christlichen vorausgegangen. Ich 
würde in beiden Fällen vorziehen zu sagen: ungriechisch. 
Denn es ist nicht zu verkennen, dass hier doch nur die von 
jeher dem römischen Baugeist eigene Tendenz durchbricht, 
das die Structur Bestimmende im Bedürfniss, nicht in strenger 
Formsymbolik gleich den Griechen zu suchen. — Währenddem 
blieb die Grundrissdisposition nahezu unverrückt so, wie sie 
schon durch die ersten Anfänge vorgezeichnet war. Wo die 
Forschung, direct oder indirect, noch auf das Vorbild der 
forensischen Basilika zurückgeht, betrachtet sie als wichtigste 
Veränderung die Wegräumung der Säulenreihe an fax dem 



Digitized b'y 



Google 



340 Sitzung der histor. Clause com 2, Dezember 1882. 

Altar zugewandten Schmalseite des Hauptschiffes. Allein 
das Fehlen derselben war schon für die gewöhnliche Form 
des griechischen Hausperistyls (Fig. 1) charakteristisch und 
begegnet uns nicht minder an römischen Säulenatrien (Fig. 2 
und 4). Dafür gibt es einmal auch ein merkwürdiges Beispiel von 
einer christlichen Basilika, welche die Ausstossung dieser Colon- 
nade nicht für nötig befunden hat. x ) Als etwas selbstverständ- 
liches vollzieht sich endlich die Umwandlung der Priester- 
exedra aus der rechtwinkeligen Gestalt, die sie im Tablinum und 
in der Prostas gehabt hatte, in die hemicyclische : d. i. in 
das der römischen Architektur geläufigste, in allen Gebäude- 
gattungen angewendete Abschlussmotiv. Uebrigens begegnen 
wir, in Africa und im Orient häufig, im Occident hie und 
da, noch Apsiden, welche nach aussen die rechtwinkelige 
Ummauerung conserviren. 



Es ist eine Stellung ohne Gleichen, die die altchrist- 
liche Basilika im Ganzen der Architekturgeschichte einnimmt. 
Keine zweite Bauform gibt es, in welcher soviel uralte 
Traditionen zusammenfliessen und soviel Keinje unendlicher 
neuer Gestalten verborgen sind. Nach ihren nächsten Ante- 
cedentien eine Weiterbildung aus der Atrium und Peristyl 
verquickenden spätrömischen Halle, umschliesstsiein gewissem 
Sinn zugleich eine Rückbildung zu dem alten, unmittelbar 
auf dem Bauernhaus beruhenden Testudinalatrium. Die Ein- 
heit des Raumes, im letzten Stadium etwas aufgelockert, 
wird wieder stärker zur Geltung gebracht, vor allem durch 
die Wiederherstellung der durchgehenden Bedachung. Nicht 
minder bedeutsam ist die veränderte Gestalt des Daches, 
die Rückkehr zur ursprünglichen Giebelform. Mit der Ein- 
führung des tuscanischen Atriums war dem italischen Hause 



1) De Vogitf: Syrie centrale pl. 19. 



Digitized by 



Google 



Separat- Abdruck aus den Sitzungsberichten der historischen Olasee 
der k. b. Akad. d. Wies. 1882. Band. II. Heft III. 



Beitrag 



zur 



militärischen Würdigung 



Schmalkaldischen Krieges. 



Von 
Aug. von Druffel. 



Digitized by 



Google 



So wenig Ranke es sonst liebt, an dem was er einmal 
niedergeschrieben Abänderungen vorzunehmen, so hat er 
doch eine Ausnahme gemacht hinsichtlich seiner Darstellung 
des Schmalkaldischen Krieges. In den späteren Auflagen 
weicht diese nicht unwesentlich von der Erzählung der ersten 
Auflage ab. Die Auffindung der Commentaires, dieser auf 
den Kaiser selbst zurückreichenden Schrift, ist hierfür vor- 
zugsweise bestimmend gewesen. Gestützt auf die Commen- 
taires schob Ranke den Absatz ein : „Karl meinte, es sei 
darauf abgesehen, 'ihn aus Deutschland zu verjagen; aber in 
seiner Seele war er entschlossen, als Kaiser in Deutschland 
zu leben oder zu sterben. 4 * *) Er berichtet von der Ver- 
wunderung, welche Karl darüber empfunden habe, dass die 
Protestanten ihn nicht sofort angegriffen hätten, als er noch 
ungerüstet in Regensburg weilte. Während in der früheren 
Auflage über die Lage zu Ende August, wo sich die beiden 
Heere bei Ingolstadt gegenüber standen, sein ürtheil lautete : 
„Man hat es von jeher behauptet, die namhaftesten Führer 
selber haben es gesagt, sie hätten hier den Kaiser angreifen 



1) Bänke IV, 316, 4. Aufl. Vgl. 1. Aufl. S. 429 fg. 



Digitized by 



Google 



v. Druff el: Beitr. z. militiir. Würdigung des Schmcdkald. Krieges. 343 

sollen u , ist später dieser Satz gestrichen. Ranke hat sich 
der Ansicht des Mencken'schen Anonymus angeschlossen, 
welcher es billigt, dass der Angriff auf die befestigte kaiser- 
liche Stellung unterblieben war. Auch hier gaben wohl die 
Commentaires den Ausschlag, in denen es heisst: „Man be- 
hauptet, dass die Schmalkaldner angreifen wollten. Mög- 
lich, dass sie besser daran thaten, es zu unterlassen; wenig- 
stens darf man ihnen keinen Vorwurf daraus machen, dass 
sie davon Umgang genommen haben. 11 In Bezug auf den 
am Franziskustage vom Kaiser geplanten und dann doch 
unterlassenen Angriff gegen das nach Nördlingen rückende 
Schmalkaldische Heer, tbeilt Ranke jetzt nach den Com- 
mentaires mit, dass der Kaiser sich überzeugt habe, wie die 
Ausfuhrung des Unternehmens zu sicherem Verderben habe 
fuhren müssen. Von diesen Fällen abgesehen, gewann er 
sonst aus den Commentaires nur eine Bestätigung seiner 
früheren a Auffassung : dem Kaiser, der Meister in seinem 
Heere und in seinem Cabinette gewesen, spricht er unbe- 
dingt die Oberhand zu in den Zügen auf dem Schachbrette 
des Kriegsschauplatzes. Sein Schlussurtheil lautet : „Ein 
späterer grosser Fürst und Feldherr sagt, in grossen Ange- 
legenheiten gebe allein Beharrlichkeit den Ausschlag. Ein 
Grundsatz, dessen Wahrheit selten ein Feldzug öo gut be- 
wiesen haben wird, wie dieser. Nachdem Karl V. nur 
einmal nach langem Zögern zum Entschluss gekommen, ist 
auch unter den misslichsten Umständen kein Schwanken 
und Zagen in ihm zu bemerken gewesen, weder als er fast 
unbewaffnet in Regensburg lag, noch der Uebermacht der 
feindlichen Geschütze bei Ingolstadt gegenüber, noch in den 
Widerwärtigkeiten des Lagers von Sontheim: er zeigte 
immer eine grossartige Ruhe und Siegeszuversicht." 

Diese Beurtheilung der kaiserlichen Heerführung während 
des Schmalkaldischen Krieges schliesst sich im Wesentlichen 
der Darstellung an, welche der den Kaiser verherrlichende 



Digitized by 



Google 



344 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

Höfling Avila gegeben hatte und welche sich auch in den 
Commeutaires im Ganzen durchgeführt findet. Diese beiden 
Quellenschriften wurden indessen abgefasst, nachdem der 
Krieg mit glücklichem Erfolge für den Kaiser beendet wor- 
den war und fast ganz Deutschland ihm zu Füssen lag. 
Dies günstige Ergebniss musste den'getreuen Anhänger des 
Kaisers ermuntern , in dem ganzem Verlauf die ruhige 
folgerichtige Verwirklichung eines kaiserlichen Planes zu 
schildern. Das ist der Grundgedanke Avila's, welcher dar- 
auf ausgeht, dem Leser klar zu machen, wie Karl in seiner 
Kriegführung die Vorzüge eines Fabius Gunctator mit denen 
eines Cäsar vereinigt habe. Eine panegyrische Stimmung 
bildet den Grundton seines Werkes und desshalb sollte ich 
meinen, um die Vorgänge wirklich richtig zu erkennen, 
würde der Versuch ganz am Platze sein, sich von demselben 
einmal frei zu machen und zu sehen, wie weit man kommt 
ohne die Schilderungen, welche erst nach dem Abschlüsse 
des Krieges, wenn auch von den zunächst betheiligten Per- 
sonen verfasst worden sind. Dieser Gedanke, welchen G. 
Voigt zuerst angeregt hat, scheint mir durchaus nicht so 
„sonderbar und unverständig" zu sein, wie Baumgarten dies 
gemeint hat. *) Selbst wenn über einen Feldzug ein General- 



1) Während Voigt gesagt hatte, einer nach Depeschen, Briefen 
und Zeitungen gearbeiteten Darstellung würden „die grossen Ten- 
denzen, welche das Detail ordnen und beherrschen, fehlen, oder der 
Geschichtschreiber würde sie mit mehr Willkühr ersetzen, als je einer 
der Zeitgenossen sich erlaubt" erklärt Baumgarten: „Die grossen das 
Detail beherrschenden Tendenzen würden ihm (dem sonderbaren Menschen, 
der so unverständig handelte) weniger entgehen, als umgekehrt sehr 
wichtiges Detail." Ich wüsste keinen einzelnen Punkt zu bezeichnen, 
über welchen wir durch Avila in unserer Kenntniss bereichert würden. 
Vgl. Voigt Die Geschichtschreibung über den Schmalkaldi sehen Krieg 
S. 3 (569) Sonderabdruck aus den Abhandlungen d. Sachs. Gesellschaft 
d. Wissensch. Bd. XVI und Bauragarten Zur Geschichte des Schmal* 
kaldischen Kriegs in Svbels Zeitschrift Bd. XXXVI, S. 26. 



Digitized by 



Google 



v. Druff eh Beitr. z. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 345 

stabswerk vorliegt, wird es sich für den Forscher der Mühe 
verlohnen, die Truppenberichte und die während des Krieges 
geschriebenen Briefe einmal allein ins Auge zu fassen, und 
ich zweifele nicht, dass man hie und da sogar wichtige 
militärische Vorgänge anders beurtheilen wird, als man unter 
dem Eindrucke einer zusammenfassenden Geschichtsdarstel- 
lung thun würde. 

Bereits früher habe ich darauf hingewiesen, dass gerade 
der Vergleich Karls V. mit Fabius und Cäsar nicht dem 
Kopfe Avila's entstammt. *) Durch einen seltsamen Zufall 
wissen wir, dass derselbe auf den Bischof Paulus Jovius 
zurückzuführen ist, welcher nach dem Siege von Mühlberg 
an den Generalquartiermeister des Kaisers Castaldo einen 
Brief richtete, worin der Freude der guten Christen Aus- 
druck gegeben wird, weil der gottlose Erzketzer, der Stein 
des Anstosses für ganz Deutschland fast ohne Opfer ge- 
fangen genommen sei. Dadurch habe der Kaiser gezeigt, 
dass er ein Feldherr sei, der nicht nur das Lob eines Fabius 
Maximus verdiene, sondern auch als schneller und über- 
raschender Blitz, gleich Cäsar, zu wirken wisse. Durch die 
Festigkeit und Beharrlichkeit seines hohen und unbezwing- 
lichen Geistes habe er den ersten Sieg verdient, der um so 
herrlicher leuchte, da er Vielen unerwartet gekommen sei, 
indem er jetzt ein anderes Verfahren eingeschlagen, habe 
er bewiesen, wie seine Vorsicht immer lebendig und hoch- 
herzig gewesen, und er stets bereit gewesen sei, mit starker 
Hand zuzufassen, sobald die Lage eine Entscheidung erfor- 
dert habe. 2 ) Indem er die Pläne der Feinde ausgespürt und 



1) Viglius van Zwichem Tagebuch S. 10*. 

2) Aus einem „Bericht" vom 13. Juli im Frankfurter Archiv hat 
Janssen Gesch. d. deutschen Volkes III, 574 die Nachricht veröffent- 
licht: Schon im Juli war den Schmalkaldenern durch den französischen 
König im Geheimen mitgetheilt worden, dass Herzog Ferdinand von 
Alba dem Kaiser gerathen habe: „keine Schlacht mit den Protestiren- 



Digitized by 



Google 



346 Nachtrag zur Sitzung der lmtor. Clause vom 4. Februar 1882. 

vorhergesehen, sich dann zum Uebergang über die von den 
alten Römern nie passirte Elbe, zu schnellem Angriff an 
dem entscheidenden Punkte und zur Ergreifung des Feindes 
entschlossen, habe der grosse Karl V. zugleich den Kriegs- 
leuten, deren Sinn nur darauf gehe im Handgemenge ihre 
Tüchtigkeit zu bewähren, deutlich gezeigt, dass er am St. 
Franziskustage der Schlacht nicht aus Bedenklichkeit über 
den Ausgang ausgewichen sei ; wegen der einleuchtendsten 
aber nicht Jedermann bekannten Gründe habe der Kaiser 
einem klareren und vollständigeren Siege zu Liebe ein kräf- 
tiges und kühnes Vorgehen verschoben. Jovius ruft den 
Kriegsleuten zu: Es ist nicht Eure Sache über Zeit und 
Gelegenheit zu urtheilen. Cäsar hat es schon gesagt, dass 
er von dem Soldaten ebenso sehr Geduld und Gehorsam als 
Muth und Tapferkeit fordern müsse. Der hochherzige Cäsar 
hat Euch jetzt den Sieg verschafft und dabei sich den dop- 
pelten Ruhm klugen Zuwartens und kühnen Entschlusses 
zum Kampfe erworben. 

Der Brief des Jovius, welcher in dieser Weise die 
Thaten des Kaisers verherrlichte, blieb nicht in der Hand 



den zu thun, sondern sie durch Unterhandlungen in Unkosten zu 
bringen. 44 Es ist nicht recht abzusehen, wie Franz I. so tief in die 
Geheimnisse des kaiserlichen Kriegsrathes zu einer Zeit, wo man noch 
nicht zu festen Entschlüssen gekommen sein konnte, einzudringen ver- 
mochte. Die hauptsächliche Bedeutung der Mittheilung geht jedenfalls 
dahin, dass der König die Schmalkaldner vor Unterhandlungen mit dem 
Kaiser warnen und zu energischer Kriegführung bestimmen wollte, da- 
mit Karl recht tief in Schwierigkeiten gerathen möge. Dass Franz I. 
bei dem Kaiser geringe Neigung zum Schlagen voraussetzte, ist nicht 
zu verwundern : es entsprach eine solche Zurückhaltung dem Charakter 
des Kaisers. Auch die unten S. 363 besprochene Flugschrift „Pas- 
quillus 44 enthält folgende Stelle: „Pasquillus: Aber als ich hör, so 
spricht Carolus: 4 Eil mit weil, gemach geht man auch weit*. Dyd. 
So wurd er doch nit der kaiser Augustus oder Fabius Cunctator werden, 
damit er mit seinem verziehen des babsts sache gut mache." 



Digitized by 



Google 



r. Druffel : Beitr. z. mUitär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 347 

des^Generals, an welchen derselbe gerichtet war. Castaldo 
schrieb am 20. Juni an Jovius, er habe den Brief gar nicht 
ordentlich zu Ende lesen können, der Herzog von Alba 
habe ihm denselben aus der Hand genommen und sofort dem 
Kaiser gebracht; dieser habe das Schriftstück gelesen und 
wieder gelesen und sich mit grosser Befriedigung die Stellen 
gemerkt, in denen er besonders gepriesen wurde. Auch 
Avila, der Geschichtschreiber des Krieges habe sich den von 
Jovius gebrauchten Vergleich zwischen Karl dem Grossen, 
welcher dreissig Jahre zur Besiegung der Sachsen noth- 
wendig gehabt und Karl V., welcher dies in dreissig Wochen 
vollführt habe, gut eingeprägt, wie wir denn wirklich am 
Schlüsse des Avila'scben Werkes diese Gegenüberstellung 
finden. Nur überbietet der Spanier den Italiener, indem er 
dessen dreissig Wochen auf weniger als drei Monate er- 
mässigt. 

Der begierige Eifer, mit welchem der Kaiser und seine 
Offiziere sich die Auffassung des Italienischen Bischofs an- 
eigneten, legt schon den Gedanken nahe, dass damals diese 
günstige Beurtheilung des eben beendeten Feldzugs keines- 
wegs die allgemein verbreitete war, und nicht so ohne 
Weiteres als die selbstverständliche und einzig mögliche an- 
genommen wurde. Gestützt wird diese Folgerung durch die 
Fassung des Briefes selbst. Wozu hätte sonst wohl die Er- 
mahnung an die Kriegsleute gedient, denen der grossartige 
Ueberblick des Kaisers über die Gesammtlage abgehe und 
die desshalb am Franziskustage hätten schlagen wollen, 
wenn Jovius es nicht für erforderlich gehalten hätte, der- 
artige ungünstigere Ansichten abzuwehren? Und grade die 
Art, wie Jovius diese Frage hinsichtlich des 4. Oktober be- 
spricht, kann bei einem m isstrau ischen Leser Bedenken über 
seine Aufrichtigkeit wachrufen. Es will doch wenig heissen, 
wenn Jovius uns einladet, aus des Kaisers Verhalten bei 
Mühlberg einen Rückschluss auf jenen früheren Fall zu 



Digitized by 



Google 



348 Nachtrag zur Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882. 

ziehen, wenn er ferner auf „augenscheinliche, aber doch 
nicht Jedermann bekannte 14 Beweggründe hinweist. Wird 
man nicht gar bei diesem letzteren Ausdruck an Ironie des 
boshaften Humanisten denken können? 

Dass man mit diesen vielleicht an sich etwas gekün- 
stelten Folgerungen nicht ganz fehlgreift, ergibt sich ans 
einem bisher noch nicht benutzten aber schon lange ge- 
druckten weiteren Briefe des Jovius. In einem Briefe, 
welcher mit dem Datum 29. August 1547 versehen ist, 
richtete Jovius an die beiden gefangenen Fürsten von Sachsen 
und Hessen mehrere Fragen über ihr Verhalten während 
des Krieges. 1 ) Unter Anderem bittet er dieselben um Aus- 
kunft über jenen Tag des 4. Oktober. „Warum — so 
fragt er — habt Ihr, in der Eile die Besetzung Nördlingens 
durch den Kaiser zu hindern, Eure Nachhut so weit hinter 
Euch gelassen, dass sie, wenn der Kaiser seinem muthigen 
und zum Angriff bereiten Heere vorzugehen erlaubt hätte, 
leicht geschlagen und vernichtet sein konnte, bevor die an- 
deren Heerestheile zu Hülfe zu kommen vermochten, indem 
ein dazwischen liegender Graben nur unter Schädigung der 
Ordnung zu überschreiten war? 

Jovius schreibt hier somit die Rettung der Schmal- 
kaldener ziemlich deutlich dem Umstände zu, dass der kaiser- 
liche Befehl den Angriff untersagt hatte. Aehnlich äusseren 
sich die gleich nach dem 4. Oktober im Lager geschriebenen 
Briefe, 2 ) und Viglius erhebt in seinem Tageboche folgende 
Klage: „Viele beschuldigten die Nachlässigkeit, Unkenntniss 
und Aengstlichkeit des Generalkapitains [Alba], aber Gott 
weiss es, an wem die Schuld lag, dass eine solche Gelegen- 
heit nicht benutzt wurde." Dass Avila ebenso urtheilte, 
kann man daraus schliessen, dass er über die Frage, ob man 



1) Vgl. Anhang» 

2) Vgl. D ruf fei Viglius S. 143. 



Digitized by 



Google 



v. Druff el: Beitr. z. militär. Würdigung des Schmcdkald. Krieges. 349 

an diesem Tage habe schlagen sollen, stillschweigend hin- 
weggeht, dem Nebel die Schuld gibt, dass die Protestanten 
ungehindert die Oertlichkeiten passiren konnten, an welchen 
der Kaiser sie hätte angreifen können, so dass man, wenn 
man nur Avila läse, gar nicht auf den Gedanken kommen 
würde, dass hier eine lebhaft erörterte militärische Streit- 
frage bestand. Die Commentaires dagegen lassen dies er- 
kennen: sie wurden zu einer Zeit niedergeschrieben, wo 
nach Karls Meinung die Fachmänner ihr Urtheil zu seinen 
Gunsten geändert hatten. 

Obgleich, wie er sagt, damals und später die verschie- 
densten Urtheile gefällt worden seien, wahrscheinlich auch 
jetzt noch gefällt würden, so hätten doch auch diejenigen, 
welche früher den Kampf befürwortet, bei gründlicher Be- 
sichtigung der Oertlichkeit, im Juli 1550, sich überzeugt, dass 
ihr Rath nichts getaugt habe. Der Kaiser sagt, wer noch 
behaupte, dass man hätte schlagen sollen, möge nur selbst 
hingehen und sich die Stellung des feindlichen Heeres auf 
der anderen Uferseite vergegenwärtigen, dadurch werde sich 
das Urtheil wohl anders gestalten. 

Es ist natürlich schwer zu bestimmen, ob die Offiziere, 
welche dem Kaiser anzeigten, dass sie sich zu deslsen Mein- 
ung bekehrt hätten, damit ihre wirkliche Ansicht wieder- 
gaben, oder ob sie es bloss für unzweckmäßig hielten, bei 
der späteren akademischen Erörterung der Streitfrage über 
die Frage der versäumten Gelegenheit, ihrem Heirrn gegen- 
über als rechthaberische Doktrinärs zu erscheinen, nachdem 
der Krieg im Ganzen so glücklich verlaufen war. 

Wie Jovius, trotz seiner in dem früheren Briefe an Castaldo 
gebrauchten den Kaiser verherrlichenden Redewendungen, sich 
bezüglich des 4. Oktober nicht als Anhänger der kaiser- 
lichen Unfehlbarkeit erweist, so drüpken sich aucji in den 
übrigen Anfragen, deren Beantwortung er von den ge- 
fangenen Schmalkaldischen Fürsten wünscht, Zweifel über 
[1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 3.] 24 



Digitized by 



Google 



350 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

die Tüchtigkeit der kaiserlichen Führung aus. Jovius stellt 
sieben Fragen, einige davon beziehen sich auf Vorgänge, 
welche auch in den Commentaires besprochen sind, aber 
nicht alle die fünf Fälle, in welchen nach Karls V. Auf- 
fassung Gott das Auge der Schmalkaldner mit Blindheit 
geschlagen hat, werden von ihm berührt. 

Drei Fehler , welche Karl den Schmalkaldnern vor- 
rechnet, gehören in die Zeit vor dem Beginn des eigent- 
lichen Feldzuges. Sie hängen mit der Beantwortung der 
folgenden zwei Fragen zusammen : x 

Erstens: Wie kam es, dass der Kaiser, welcher sich 
so lange mit dem Plane, Krieg zu führen, getragen hatte, 
ini entscheidenden Augenblicke nicht der Angreifer sondern 
der^ Angegriffene war? Zweitens: War es des Kaisers 
Verdienst oder der Gegner Ungeschick, dass diese ungün- 
stige anfängliche Lage keine schlimmen Folgen nach sich 
zog? Die Beantwortung beider Fragen haben die Commen- 
taires und Avila's Darstellungen versucht. 

In Bezug auf den ersten Punkt klagt A v i 1 a ') vor- 
zugsweise die Unentschlossenheit des Herzogs Wilhelm von 
Baiern an: dieser habe des Kaisers Vorbereitungen um eineu 
Monat verzögert, um eben so viel sei der König Ferdinand 
später gekommen, als der Kaiser erwartet habe. Ferner sei 
nachtheilig gewesen, dass einige Diener des Papstes geringe 
Behutsamkeit und Verschwiegenheit beobachtet und dass 
einige Geistliche in ihrer Leidenschaft nicht zu schweigen 
vermocht hätten. Die Commentaires geben der Sache 



1) Ausgabe von 1548 f. 6: El duque de Baviera, aunque catholico, 
tractava estos negocios tan atentadamente, ya que no digamos timida- 
mente, que tardo en determinarse mucho tiempo. La quäl indetermina- 
cion no acrescento poco la difficultad de nuestra guerra, porque, a deter- 
minarse mas presto, pudiera S. M ad las provisiones necessarias tener un 
mes antes, y no solamente fue este inconveniente solo, mas aun el rey 
de Romanos . . . tardo en venir un mes mas de lo que S. M ad le esperava. 



Digitized by 



Google 



r. Druff'el: Beitr. z. militär. Würdigung des SchmalTiald. Krieges. 351 

eine etwas andere Wendung. Hier versuchen die päpst- 
lichen Abgesandten und einige Geistliche beständig auf den 
Kaiser einzuwirken, dass er die Abmachungen mit dem 
Papste absch Hesse und die Waffen ergreife; aber Karl habe 
gezögert , einestheils wegen der Grösse und Schwere des 
Unternehmens, ferner, weil er sich erst mit dem Römischen 
Könige benehmen wollte. Indem das Geheimniss schlecht 
bewahrt worden sei, hätten die Protestanten solche Vor- 
kehrungen treffen können , dass sie daran denken durften, 
selbst anzugreifen. Der Kaiser habe, um Deutschland nicht 
aufzuregen , nichts unternommen , damit Jeder sich über- 
zeuge, dass er nicht anders handeln könne, und dass er 
durch sein langes Zuwarten mancherlei Vortheile verscherzt 
habe. Als der König Ferdinand, den er erwartet, gekommen, 
habe Herzog Wilhelm gezögert, so dass die angerechtfer- 
tigte Verspätung eingetreten sei, an der auch die Matt- 
herzigkeit der geistlichen Fürsten ihren Antheil gehabt habe. 
Die Commentaires urth eilen über die Lage: „Die Protestanten 
hatten über den Kaiser die Vortheile errungen, welche dieser 
über sie hätte haben können, wenn das Geheimniss gewahrt 
geblieben wäre Aus allen diesen Gründen war das Unter- 
nehmen mit viel grösseren Schwierigkeiten und Gefahren 
verknüpft. Indessen sah der Kaiser ein, dass man die Aus- 
führung des Verabredeten schwerlich unterlassen könne, dass 
die Zeit dahin schwinde, und dass, je mehr man zögere, die 
Sache offenkundiger, schwieriger und gefahrvoller werde. 14 
Man wird nicht verkennen , dass zwischen Avila und 
den Commentaires mancherlei Unterschiede obwalten. Wäh- 
rend ersterer die Zögerung bloss dem Verhalten Anderer 
zuschreibt uud sich sogar zu der Behauptuug versteigt, 
die Feinde hätten durch die Indiskretion der Geistlichen 
eher von den Kriegsabsichten erfahren, als die Freunde des 
Kaisers , fühlt man bei den Commentaires durch , wie der 
Kaiser seihst noch schwankte und zauderte. Es wird er- 

24* 



Digitized by 



Google 



352 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

forderlich sein, auf die gleichzeitig erwachsenen Korrespon- 
denzen zurückzugreifen, um die Richtigkeit oder Unrichtig- 
keit der beiden Darstellungen beurtheilen zu können. 

Aus den Briefen des Kaisers an Ferdinand 1 ) geht deut- 
lich hervor, dass Karl die Ankunft seines Bruders eifrig 
herbeisehnte, deren Verzögerung bedauerte, weil er persön- 
liche Berathung mit demselben wünschte, bevor er einen 
Entschluss fasste. Nur bei dem Eintreffen der Nachrichten 
über die von dem Kurfürsten von der Pfalz vorgenommene 
Religionsveränderung soll der Kaiser, nach dem Berichte 
des Nuntius, im Zorn einen Augenblick den Gedanken, den 
König zu erwarten , fallen gelassen haben : er wollte sich 
begnügen, mit dem Herzoge von Baiern Rücksprache zu 
nehmen. 2 ) Aber dieser, obgleich schon am 2. Mai 8 ) er- 

1) März 29 schrieb Karl: il m'a semble Vous declairer, qu'il empörte 
tant que plus ne pourroit, que Vous trouvez a Regensburg au temps 
que je y arriveray, ou le plus tost apres qu'il sera possible, en post- 
posant toutes aultres choses, actendu ce que Vous scavez des termes oü 
se retreuvent les affaires de ceste Germanie, dont depend le reraede 
ou hazard des Votres, avec ce que Vous scavez ce qu'est [sie] en train 
avec le pape. Vgl. D ruf fei Beiträge zur Reichsgeschichte Nr. 7, 11, 13. 
Mai 1 schrieb der Kaiser: «Tay receu Voz lectres du 24 du passe, et 
puisque Vous veez, selon que desja Vous ay escript, combien il empörte, 
non seullement a moy mais aussy plus a Vous, que nous puissions com- 
muniquer ensemble sur ce3te emprinse, estant chose de si grande im- 
portance et oü il y a tant de considerations et respeetz, ne Vous bail- 
leray plus de presse sur Votre venue, sinon, qu'il est plus que necessaire 
qu'elle soit le plus tost, qu'il sera possible, et mesmes que desja le temps 
court et est bien avant, et il y a plusieures choses et particularitez sur- 
venues des l'annee passee, pour lesquelles il fault tant plus peser la dite 
emprinse et ce que Ton pourra faire. Et avec ce y a aucuDs points es 
articles que le pape veult avoir ou traicte precisament, selon qu'il les 
afferme, qu'il est requis que Vous mesmement et les aultres catholiques 
entendez. 

2) Verallo schreibt Mai 4 an Cervino: Quella vedra per il som- 
mario che mando nelle lettere communi la bella conversione che ha 
fatta il conte Palatino in questa sua decrepita nonche vecchiezza, il che 



Digitized by 



Google 



r. Druff eh Beitr. z. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 353 

wartet, stellte sich erst am 30. Mai, zwei Tage später, als 
Ferdinand, ein. 1 ) In dem Briefwechsel spielt auch das Ge- 
heimhalten der Kriegsabsicht eine Rolle : man will von der 
Beschaffung von Pulver und Munition aus Deutschland ab- 
sehen, um keinen Verdacht zu erwecken. 2 ) 

So viel geht aus dem Gesagten hervor, dass die von 
Avila und den Comraentaires aufgezählten Gründe der Zö- 
gerung nicht aus der Luft gegriffen sind. Fraglich aber 
bleibt es , ob sie für den Zweck , zu welchem sie dienen 
sollen, ausreichen. Denn sie führen uns nur bis zum Ende 
Mai, bis zu der Zeit, wo Karl V. endlich schlüssig wurde, 
den Krieg zu unternehmen; aber von den angeführten 
Gründen könnte nur die mangelnde Geheimhaltung, über 
welche der Kaiser klagt, auch auf die folgenden Wochen 
Bezug haben; denn die Verhandlung mit König Ferdinand 
und Herzog Wilhelm von Baiern, bot, als beide einmal ge- 
kommen waren, keine Weitläufigkeit mehr dar, sie führte 
ziemlich schnell zu einem Ergebniss. Am 25. Mai hatte 
der Nuntius Verallo noch geschrieben: Ich hoffe, dass die 
Ankunft des Cardinais von Trient von Bedeutung sein 
wird, um in dem Kaiser einen schnelleren Entschluss zum 



e stato tanto dispiacevole a S. M tä » che ne saltö in una colera tanto 
grande, che mai fa veduto tale, et la ha fatto risolver che, quanto 
all' altro negocio che V. S. R ma sä, non aspettarä piü il re de 
Romani a deliberarne. Et perche vuor tutto communicare con il duca 
di Baviera lo ha mandato a domandar, che non se ritarde piü al venire 
qui. Et presto quella intenderä cosa che le piacerä in questo. Florenz 
Carte Cer vi n. 16/43. Vgl. LevaIV, 59 dessen Behauptung 'Ferdinando 
fece dipendere la sua venuta da quella del duca Maurizio* ich nicht zu 
belegen wüsste. Leva hat die Bedeutung der Haltung des Pfälzers für 
die Kriegsfrage und insbesondere für die Erschliessungen des Baiern-* 
fürsten richtig gewürdigt. 

1) Druffel Nr. 11. 

2) Viglius Tagebuch S. 1. 

3) Druffel Nr. 11, 13. 



Digitized by 



Google 



354 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

heiligen Kriege hervorzurufen. Mochte auch der Kaiser 
schon vorher grosse Lust dazu haben, so wirkten doch ver- 
schiedene Gutachten und Rathschläge entgegen, welche we- 
nigstens Aufschub und Zeitverlust bewirkten. Jetzt aber 
hat der Kaiser dem Cardinal Madruzzo Sonntag [Mai 23.] 
dem Cardinal Truchsess gestern mitgetheilt, dass er den 
Krieg unternehmen will. 1 ) Am 8. Juni reiste der Cardinal 
Madruzzo mit dem vom Kaiser unterschriebenen Bündniss- 
vertrage nach Rom ab. 2 ) 

Von nun an war nicht mehr an Geheimhaltung der 
Kriegsabsichten zu denken. Am Pfingstsonntage, 13. Juni, 
schrieb der Nuntius an den Cardinal Farnese, die Sache sei 
fast allgemein bekannt, der Kaiser werde wahrscheinlich 
morgen mit den geistlichen Fürsten davon reden. 3 ) Indem 
der Kaiser dies in Wirklichkeit noch an eben jenem hohen 
Festtage that, den Prälaten, wie der stets zu Witzworten 
aufgelegte Abt von Weingarten bemerkte, den heiligen Geist 
eröffnete, d. h. Geld zum Kriege von ihnen forderte, musste 
es in weitere Kreise dringen, was der Kaiser plante. 4 ) Der 
Krieg ist offenkundig, schreibt der Nuntius am 16. Juni. 5 ) 



1) Quirini Epistolae Poli IV, 308. 

2) Vgl. Leva S. 65. 

3) La cosa qui si e quasi che scoperta, et S. M tk penso che domani 
lo dirä a questi principi vescovi catholici che sono qtü. Et hora si for- 
mano li mandati alle terre franche, per farle intendere Che S. M** vuol 
castigar li rebelli et inobedienti, che non si moveno a darli aiuto, sotto 
pena di rivoltarli la ruina adosso di loro, di naaniera che non bisog- ' 
nara piü dissimularla, et ogni prestezza sara piü chara a S. M tä et piü 
aproposito. Verallo an Farnese, Ogl. in Neapel 688. 

4) Viglius Tagebuch S. 8 Ueber die Geldzahlungen der Deutschen 
Bischöfe schreibt Verallo Juni 29 zuerst: „Li prelati di Germania son 1 
partiti de qui, per andar a far la provision loro del danaro che fra 
tutti montara da 370 [?] M fiorini." In einem andern Briefe von dem- 
selben Tage heisst es: „(il C le d'Augusta) sta travagliato con questi 
vescovi per la contributione, che ne cavarä quasi 30 M di sussidio." 

5) Hora dico che la guerra qui e publica et Venerdi si fara la 



Digitized by 



Google 



v. Druff el: Beitr. 2. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 355 

An diesem Tage sprachen die Protestanten dem Kaiser ihre 
Bedenken ans über die Kriegsrüstungen, welche sie auf sich 
beziehen müssten ; man darf das nicht so auffassen, als ob 
bis dahin die Protestanten keine Ahnung gehabt hätten von 
dem Gewitter, welches sich gegen sie zusammenziehe, der 
Nuntius sieht darin einen Schritt, welcher bestimmt war, 
das gewaltsame Vorgehen des Kaisers zu hintertreiben l ) Er 
gab sich alle Mühe, eine friedliche Beilegung des Confliktes 
zu hindern, weil er die Hoffnung hegte, der Krieg werde 
zu günstigen Ergebnissen führen. Er hatte gehört, die 
Reichsstädte wollten keinen Pfennig für die Schmalkaldner 
opfern und dachte sich den Krieg als einen Angriffskrieg, 
indem er das eiue Mal des Kaisers Marsch gegen Frankfurt, 
das andere Mal den gegen Sachsen erwartet. 2 ) Aber zu- 
sehends stimmt er mit jedem weiteren Tage seine Erwar- 
tungen herab. Im Anfang Juli ist er in Bestürzung über 
die Gleichgültigkeit des Kaisers, während er im vorher- 



mostra qua di 2000 fanti. Karl V. empfiehlt freilich, dass der Graf 
von Büren bei seinen Rüstungen deren Beweggrund möglichst verheim- 
liche, Lanz II, 489; hier war aber durch die ganze Rolle, welche Büren 
im Rücken des feindlichen Heeres gestellt war, eher Geheimhaltung 
bedingt. 

1) Verallo schreibt in einem Postscript Juni 16 : „Adesso sono avisato, 
che questi protestanti che sono qua, cioe tutti principi presenti et comis- 
sarii delli absenti hoggi hanno pregato li stati catholici et ecclesiastici, 
che voglin' essere con loro da S. M tä Ces., et che vi saranno domani 
et vogliono dirli, come intendono che S. M tä - vuol far la guerra contra 
di loro, che la pregavan a non farla, perche faranno quanto S. M tä 
comandara et quanto lei vorria ; et piü dicono che le citta franche non 
vogliono aiutarlo d'un quattrino, et loro da se non hanno danari, di modo 
che, se la cosa non si impiastra, andara benissimo; che sia per aviso, 
quanto vi e sino qui." Eigenhändig fügt er bei: „Jo non resto di 
travagliar che la cosa non si vada appiastrando, perche mi par' di veder 
che, se costoro fanno questa offerta, ci siano indutti per quelli che hanno 
a dispiacer questa impresa." 

2) Juni 22 spricht er von Frankfurt, Juni 29 von Sachsen. 



Digitized by 



Google 



356 Naclrimcjt zur Sitzung * der \ histor; ülasse vom 4. Februar \18&£. 

gehenden ^Monät ' nur ; Rühmlü chds zu ! • m elden '- g'iwussfc-' hatt^. 
Er gfeht jetztisö- weit, i dassier-sioh^ so^ar <ftteer ^die'aöfäbg^ 
liehen Fortschritte der- Frotestknien" *-fteu«ir *rilfy ! weil 'da^ 
durch der Eäiiseiu vielleiöMt aufgerüttelt ^evdle^u 'größerer 
Thätigfceii^ wenngleich er 1 andererseits sich nicht Yerhehl^ 
das» eö einen < ! schlferihfeen Eindruclr ^achW, ^ alöhiie ©egne/, 
welche man mit Kriege übereieheirwolHe; «titt'deB^in ; i^ d«k» 
Lage« waren,' denn ersteh 1 Sfehlig' 'Ar föhren l Jf- ••' '^ ' ^ < {j ^, 
Dein ^ ^kpsrtichön^unmy'^ difese 1 hn^öfnsti^ knfän^ 
liehe- Erlegfclagte •' yiugenscheiüHfeh ^iÜe ] fefeinlichc! : ' ü^rräsch- 
urig. * M$ ! <km Tkgibudh : 'des 1 ' Viglrtis ersehn' 7 Wi? f kfcfer , ! ! flaÜ 
Granula- bereite unT Juni' feik 'fcitfaffi^es' tJrtnfeiV !i übe^ ^ 
getröflferien ^rberritükgen "W£ fitW ' &£ ! J Tücktigteit 1 "köi 
kaiserlitfnen Fetöberrn Alba' f§ll&, Hand dkratif ! ninWi^si 1 dakk 
dife 1^,000 Mann ! pä^ötfffcfier 1! TkW(in : eben tt{ sÜ Wenig 1 Zur 
Stelle' Mäh- äl^ 1 dte 80ÖÖ 1 Sanier; 1 Wche ! korriteen^ollten 1 .^ 

*m 



und 1 « d&j That; M e£ ^ehörtö 1 KMn'b Söhe^^ilkzüt^in'st^ 
sagen zu können, dass die päpstlichen Truppen noch einige 
Zeit äusbleiWn [r ^^ 

grössere 'Tnaftiß&eit ! ' mtfältet 1 ' nätte, 1 '' als (1er Kaiser selfcist; 
Djer, {^r$n^l ^rnpse ^te, Anfong (I Juflj, n^it ^q^r^ft^ 
Spannung Nachrichten erwartet über des Kaisers Entsohliefiw 
sungeui, nftumal/da inon' j>fcztt dto* Friedensschluß zwischen 
England 'üfld^Fitfnfer^ 'tou^st^' 

von dein niäri " eikäh Völligen Vriisctwün^ ' cler 'Kaiserlicnen 

77 '~-. .,-,"i '.[!'■ i,f •!(,! l'ofiv ''M/ - . . v . '.ti-i -M!->i>i!'»t'fr -uii'.-» ,if-ifi' («if^jlliuv f> 

IA .1) Vefajlo.ftft« #&rn0ae ■ ^uwi-^'t Das f Vorgehen | de* Ptfotestaiiteft 
vcrhiadeit rdent fflao ! des >Kawefls gegen Saehaen iuüd ■ Hessen ? vorangehen ^ 
der Krieg wird sioh ttm-Augsbiirg idrehenün ^Da 1 1 rana j banda ; oni i piaoe 
che m ßieno iHiossi' prima -larei da/^ispejrcbesfynM^ ai> svegtöe ün pftcb 
et laaei i adietro ü prooedere con i tantiö ^flegma i cjuante* fa, • dall r altro eant^ 
ml dispiäce^i perche tnpn Vi i isii gttä4agiuirav mente* iqaaoto ällal ripntiatioBe; 
che? > rioi : ihalkbiapiiü > raoflsd > la gueErit^ .e* i läro sianp \v ■ rpafimi * .1» far ^delle 
facende." *' livi-ppui ü t-.-.u j * v.n.M^ii' j. 

2)"Vig>Mtt8 t!Dagebiiehiiß..5u/l>lnj;r , i mtv i-» }ii-»n*j> L* 1 ' mnl. '.1: 



Digitized by 



Google 



r. Dniffel: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmcükcdd. Krieges. 357 

Politik fürchtete. Höchstens in drei bis vier Tagen, so 
schrieb er am 8. Juni, müsse die entscheidende Meldung in 
Rom eintreffen, denn längerer Aufschub sei völlig unmög- 
lichH) In der That kam am 13. Juni Abends der voraus- 
gesandte Sekretair des Cardinais Madruzzo nach Rom und 
andöreti Tagies sammelten sich Haufen von kriegslustigem 
Volke wöt demi Hause des bewährten Truppenführers Ales- 
sandroi.Vitellio an*nin der Absicht sich anwerben zu lassen 
uild das.HäadfeeWiin' Empfang zu nehmen. 2 ) Aber, nach- 



7777 — Trrrrrn ; < --».'ii-fio. --)» ^ 

;. I _l) ( ;Mai 3J sq)3pel) VjerallOj^n fa^nese, in 4 Tagen werde Madruzzo 
wohl abgefertigt sein ; dies bestätigte sich nicht : derselbe reiste Jnni 8 
ab!''2tai'i}9 schriet '^arnese an ÖerVino:' Öeute kam Nachricht von 
d&fr taie^eVzwiscM' Frankreich un^Ru^ähd/ mit Spannung erwartet 
itian Nachricht atrs'Regiensbufg übe» dte -Beschlüsse nach dem Eintreffen 
das RwiwWn K$bigsi»nd u des,;Hertog«!lvon ttaieriv i^alla venuta de' 
q^uaf^injRaJis^naj pa.yV chp sja^diffyirrja ogni ^e i ^erajjio,n ) a,, i se ) bene fino 
ad bora, et ultimamente piu che raai, ci sia mostro da qnella parte 
ogni dispositione et certezza della impresa, et noi siamo fatti tutti San 
Trfömayo;' se^rima 1 ' eravnWiMo credüli ' ! #* , iÜWra:" , ' , Öfgl;"^tM 
Jttnti4/iO;»Cervi ifl^ie». ' tfunl 8 : 'Vt* SJt^^htt da > saperö^cfhe, Wt* 
ostante il giuditio suo et di molti altri, da la corte continua l'aviso 
conatantisaimoi affirtnativo, che si ^öbba < for la impresa quesfco > antioi. 
E*[ aiamo* »edutti bora ad aipettare rla rieolutiqne peri il primospacoiö 
che • Tonga di fe, et dhe non . iptosa j tardare oltrej - a 4 giorni ; i et i in 
q&aknche riiodo i oi i par* neceseariO, che per il prim^ debbiamo eöser 
chiarij m«m compOTtando piu iL tempo düdiffierire le cctasulte' nedi darci 

parola; I f ■• mI > "f((--i T ,' ''> (: ../i-n: ■ . i- -r* ..'. ,'h> i._:"li ■ i 

üj ii 2)nUeberi diese Tage gibt uns- Auskunft ein« I mit ^grqseer 'Vorsicht 
die Nennung ivoai wirklicheni Namen vermeidender Rötmeöfeer Korrespon- 
dent desi.O^dinals Cervino, dessen Briefe de¥ Bruder de» letzteren ia 
Bannt V dern Carte < €ervini«ne \ znaanwnengeschrdeben hafcuü : Ddr Brief«« 
Schreiber • war jeden fall» ein ; tief eingereihter filmischer Präjat, : nach 
einer NetiztProepero Sarjtä»Gro«e. Dieser 1 sdhreibt Juni 12: M Main 
caotomo; fdamkrist Moräne gemeint] sta \n la contraria . «pimope . di 
tutti l'altri, che vogliaüo iche Si , facöi 'la impr&se, contra. «li Luteranv 
atworache Faniese k tengfai cettissima, et äeeldeora'aa^er, aenlei leidel suo 
parere o del contrariol" Juni 10/ „Ooraparsei el < secrefcario i da Trentd 
Domenica [Juni 13] sera a bore 2 di notte, i ei Ln^iedil a /mefezögiorno 



Digitized by 



Google 



358 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

dem man einmal wusste, dass der Kaiser sich dem Deutschen 
Unternehmen widmen werde, schien in Rom der Eifer in 
den massgebenden Kreisen der Curie zu erkalten, anstatt 
sich zu steigern. Den Cardinal selbst wollte man abwarten ; 
der Papst konnte zu keinem Entschlüsse kommen, er fragte 
überall um Rath. Das Ergebniss war Zögerung. Obschon 
der am 20. Juni in Rom eingetroffene Cardinal Madruzzo, 
wie Maffeo schreibt, 1 ) Feuer und Flamme war für den 
Krieg, blieb noch immer Paul III. voller Bedenken. Er 
mochte sich an die Erfahrung des Vorjahrs erinnern, wo 
der Kaiser ihn mit seinen übereilten Rüstungen schliesslich 
im Stich gelassen hatte; 2 ) jetzt schien ihm eine glückliche 
Durchführung um so schwieriger, da Frankreich mit Eng- 
land in Frieden und demgemäss, wie er meinte, sich mit 
den Lutheranern und vielleicht auch mit den Türken im 
Einverständniss befinde. 8 ) Aber sein Enkel Farnese machte 
geltend, dass die ganze Verantwortung auf die Curie fallen 
werde, wenn man sich jetzt nicht auf den Krieg einlasse, 
und auch der Cardinal Cervino, welcher nicht an des Kaisers 



di casa del S re Alessandro Vitello pareva ce fusse lo stazione a quello 
faceva la gente, perche pensavano toccare denari; adesso la cosa va piü 
raffreddando et s'aspetta che venga el R mo di Trento per le poste, el 
quäle habbi da portare Tultima resolutione et i capitoli. Et in questo 
mezzo Pio [Paul III.] non sä che ce fare, et va domandando consiglio." 

1) Hoggi alli 23 höre arrivö il C le di Trento, che e tutto fuoco 
in questa impresa. Dio facci etc. s. Leva S. 68. Am 19. Juni hatte 
(Prospero Santa-Croce) geschrieben: „Hiernotte venne un corriere a 
Giovanni di Vega da S. M^ delli 11, et hieri detto Giovanni fü con 
S. S tä , la quäle se resolve di non aspettare Trento per inolti respetti, 
ma di fare questa impresa et promesse [?prodezze?] con tutte le cau- 
tioni. Dio lassi far il meglio ! La fabrica [Morone] ne sta gabbata della 
sua opinione, et desidera saper la sua mente in cib, possendosi; se non, 
quello se po, et se l'offerisce et bacia la mano. " 

2) D ruffei Kaiser Karl V. und die Römische Curie; Abhand- 
lungen der historischen Klasse Bd. XVI, Abth. 1 S. 27. 

3) Leva IV, 68 Anm. 3. 



Digitized by 



Google 



v. Druff el: Beitr. z. milltär. Würdigung des Schmalkcdd. Krieges. 359 

ernstliche Absicht glaubte, empfahl, man möge den ge- 
gebenen Zusagen nicht untreu werden. 1 ) In der Cardinals- 
congregation vom 22. Juni wurde trotz des zum Erstaunen 
Madruzzo's ausserordentlich lebhaften Widerspruches der 
Französischen Cardinäle 2 ) dann der Krieg beschlossen und 



1) Am 29. Mai hatte Cervino an Maffeo geschrieben, aber dann 
wieder getilgt : „delP impresa boramai ogn' uno potra essere certo, che 
la non si puo piü fare, al raeno questo anno. 44 Dies ist im Concept der 
getilgte Schluss des Briefes bei Quirini IV, 301. Juni 26 schrieb er 
an Farnese: „Circa all' impresa io non so quel che habbia portato il 
R mo C le di Trento. Qui si dice per tutto, che, se non altro, se gli 
muta il nome per facilitarla, et nondimeno che Luterani non dormano, 
facendo gia gente [getilgt : a furia], quanto possano. Vedo da una parte, 
che N. S re non pub mancare delle promesse, et da altra dabito del evento 
[Correktur statt: che non habbia Tossa dure], per molti rispetti, et 
per consequente che il fine d'essa non sia tale, che porti poca utilitä 
alla religione, per la quäle principalmente gia fu ragionato di far Tim- 
presa, il che potendo essere o per mal successo, che Dio ne guardi, o 
per qualche accordo non bono, mi pare che a questo ultimo [il che — 
ultimo Correktur statt: et pero questo e il primo punto al quäle mi 
pare] S. 8«A et V. S ria R ma habbino da advertire. 44 Concept C. Cerv. 7/168. 

2) Farnese an Cervino, Juni 23: „Hieri mattina in congregatione 
generale, per non esser giorno di concistorio, fü proposto da S. S ta la 
impresa di Germania, per la quäle e venuto M. di Trento; et ricercato 
sopra essa il parer del collegio, come in cosa di momento, la risolutione 
fü: che S. S ta non dovesse mancar di aiutar gagliardamente S. M^ in 
una impresa tale. Et cosi hiersera col nome di Dio si dette principio 
ad expedir li capitani per far le genti." Maffeo, Juni 23: „Qai ogni 
cosa e arme., et io non posso resistere al servitio, tanto v'e da fare. 44 
Ueber die Congregation schreibt (Prospero S. Croce): „Hoggi N. S ro ha 
fatta una congregatione di tutti li cardinali che possono andare, in la 
quäle se letti li capituli di S. M ta portati da Trento, et cosi li s'e con- 
ces'so aiuto per sei mesi dalla sede apostolica; et il capitulo, che dissi 
Sabbato, che S. S ta voleva in questa resolutione, era la plasmatica 
[pragmatica] et altri desordini de Spagna — il quäle era consiglio della 
fabrica [Monone] — Thanno messo a monte, et s'e risoluto, per non lo 
portare il tempo, che Trento et Giovanni de Vega habbino promesso di 
pregare et farne ogni offitio con S. M^» 44 An dem vorhergehenden 



Digitized by 



Google 



360 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

jetzt sofort alles aufgeboten um Truppen zu rüsten und 
marschbereit zu machen. Am 16. Juli brach das Heer von 
Bologna auf, und traf am 26. Juli in Trient ein. 1 ) Behält 



Samstag hatte er geschrieben: „Quel de pesci [Frankreichs Gesandter 
oder ein Französischer Cardina]?] in 1 ha detto ut supra, raa dice che 
S. S tä ha detto volere far l'impresa et essere contentissimo, con questo : 
che Timperatore faccia la tal cosa, la quäle non se sa ; et si pensa debbia 
essere sopra del concilio." Gleichzeitig hat, nach ßaumgarten, in Sybels 
Zeitschrift N. F. V, 178 der Beichtvater dem Florentiner Gesandten 
insgeheim die Mittheilung gemacht „(S. S tä ) ha fatto secrete instantie 
a cesare, che si faccia presto presto un berlingozo del concilio, il che 
non gli rincrescerä, come si pensa; et per tal effetto s'e mandato il 
cardinale di Trento a Roma.* 4 Es ist nicht recht klar, ob Baumgarten 
diese Stelle anführt, um zu beweisen, „dass die befreundetsten Diplo- 
maten absichtlich falsch berichtet" wurden, oder ob er hier einen der 
Fälle wahrzunehmen glaubt, wo es „dem Florentiner gelang, hinter die 
Kulissen zu sehen." Es ist wohl das letztere anzunehmen, da er auf die 
Mittheilung Serristori's doch nur hingewiesen hat, um zu beweisen, „dass 
man erst aus anderen Quellen erfahren müsse, was des Viglius lakonische 
Notiz bedeutete." Indessen hat Baumgarten mit seinem Hinweis dem 
Forscher nur ein neues Räthsel aufgegeben. Denn wie ist der Satz: 
„il che non gli [d. h. doch all' imperatore] rincrescera come si pensa," 
in Einklang zu bringen mit der späteren Stelle, wonach der Beichtvater 
sich so empört zeigte bei dem Gedanken an eine Verlegung des Concils ? 
[Ich muss gestehen, dass ich Lust hätte 'riuscirä' statt 'rincrescera zu 
conjiciren.] Alle Versuche des Papstes, den Kaiser zu einer veränderten 
Haltung in Bezug auf das Concil zu bestimmen, scheiterten jedenfalls 
vollständig, und wenn der Beichtvater Soto „per la servitü, che tiene a 
V. S ria 111.", dem Gesandten glauben machen wollte, dass der Kaiser 
den Wünschen des Papstes entgegen zu kommen geneigt, und dies der 
Grund der Reise Madruzzo's sei, so entsprach dies durchaus nicht der 
Wahrheit. Das Gutachten des Beichtvaters, Maurenbrecher 38* erwähnt 
rmt Gegenforderungen des Papstes bezüglich der kirchlichen Einkünfte: 
qniöreique se le agradezca, y paresce que tiene razon; y se quexa de 
<fUftien^E8paaa se sequestran y impiden los provechos, y en otras partes 
[iki Neapel}' »tambien, y paresce que con alguna color. Diese Dinge 
stielen auph tnden Berichten des Nuntius eine Rolle. 
iä' < '•-4)nVigl. Vifchus (Tagebuch S. 34. Verallo schrieb Juli 22 an Far- 
nese': „Hieri si hebberö lettere da Trento del R m0 cardinale et delli 



igitized by. 



Google 



v. Druff el: Beiir. z. militär. Würdigung des Schmoll" (üd. Krieges. 361 

man diese Thatsachen im Auge, so wird man schwerlich 
geneigt sein, die Frage, ob durch die geringe Verschwiegen- 
heit auf päpstlicher Seite die anfangliche ungünstige Kriegs- 
lage hervorgerufen wurde, eine Frage, welche bereits in 
einem Briefe Karls V. vom 10. August 1546 aufgeworfen ') und 
im Jahre 1547 in gereiztem Tone zwischen Kaiser und 
Papst erörtert wurde, zu Gunsten der kaiserlichen Auffassung 
zu entscheiden. Das päpstliche Breve, welches an die Schweizer 
und den König von Frankreich erlassen wurde, ist vom 
3. Juli datirt. Zwar ist zuzugeben, dass dessen Bekannt- 
werden einen sehr nachtheiligen Erfolg auf den weiteren 



R mi legati, che avvisavano come la partita di V. S ria Ill ma et R ma da 
Bologna dovea essere il Lunedi passato, che furno li 19; ii che havea 
raffreddato tanto questa corte che per Timminente necessitä et potentia 
et diligentia delli nemici desidera gran celeritä, etiam oltre l'ordinario ; 
questa mattina poi son 1 venute lettere del suddetto R mo da Trento di 
17., come quella si mosse con Tessercito da Bologna alli 16, che per il 
contrario ci ha tutti rasserenati, perö, per amor di Dio, la supplico da 
parte di tutti li buoni, che si degni di far fare qoanta diligentia puo." 
Zum 8. Juli hatte man am kaiserlichen Hofe die Musterung erwartet; 
erheblich früher, als es geschah, hätte da« Heer wohl nicht in Marsch 
gesetzt werden können. Der Marsch selbst erfolgte bis Trient zwar 
nicht mit grosser Beschleunigung, aber doch für die damaligen Marsch- 
leistungen nicht auffallend langsam. 

1) Mauren brecher S. 47.* Die Klage dient hier zur Begründung 
der gesteigerten Geldanforderungen, welche Karl damals durch Vermitt- 
lung seines Sohnes Philipp an die Spanischen Cortes stellte. In der 
Audienz, von welcher Verallo Juli 12 berichtet, hatte der Kaiser gesagt, 
„che, poiche si erano mosse queste terre franche, et prevenuto S. M ta , 
per essersi sparsa la fama di questa impresa tanto avanti tempo, che 
S. M ta era deliberata di remediarlo" ; hier ist von einem Vorwurf gegen 
den Papst noch nicht die Rede. Im November, als es zu einer scharfen 
Erörterung zwischen dem Nuntius und Granvella kam über diese Frage, 
behauptete letzterer, dass das Mittheilen der Capitulation an die Schweizer 
die Hartnäckigkeit* der Reichsstädte bewirkt habe: c La cittä d'Augusta 
et l'altre terre franche stanno ostinatissime, che altramente le haveriamo 
in mano.' Vgl. Viglius S. 183. 



Digitized by 



Google 



Ö62 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe com 4. Februar 1882. 

Kriegs verlauf ausüben konnte, indem die Protestanten auf 
diese Weise vor aller Welt die Unterdrückung des Evan- 
geliunis als den eigentlichen Zweck des Krieges nicht bloss 
behaupten sondern auch klar beweisen, und dadurch die 
Zurückhaltung der Neutralitätslustigen als einen Verrath 
an der Sache des Evangeliums hinstellen, die religiösen 
Leidenschaften des Volkes besser fcu ihren Gunsten erregen 
konnten. Aber es ist zu beachten, dass die Folgen des 
päpstlichen Schrittes erst gegen Mitte August, 1 ) also zu 
einer Zeit eintraten, als der Krieg völlig im Gange, die 
Vereinigung des kaiserlichen und päpstlichen Heeres bewirkt 
war. Ob die von dem Cardinal Faruese aufgestellte Behaupt- 
ung, dass die kaiserlichen Gesandten zu Rom die fraglichen 
Breven selbst erbeten und deren Wortlaut genehmigt hätten, 
richtig ist, können wir ohne Kenntniss ihrer Berichte, 2 ) 



1) Janssen IN, 556 berichtet auf Grund des Archivs zu Luzern, 
da 88 die Werbung des Nuntius am 25. Juli erfolgte. Vgl. Viglius S. 77. 
Danach erhielten die Kriegsräthe ein Schreiben aus Basel erst am 
18. August, und Strassburg erfuhr erst August 16 die Vorgänge auf 
dem Tage zu Baden. Nach L. Müller Nördlingen S. 57 ist von dem 
päpstlichen Breve indessen schon in der Instruktion für die August 12 
bis 14 zu pflegende Unterhandlung mit Nürnberg die Rede. 

2) Maurenbrecher S. 106 verweist auf einen Bericht Vega's 
vom 23. Juni und (Prosper S. Croce) schrieb Juni 22 an Cervino „speden- 
dosi il corriere di S. M tä " ; in der That wäre es geradezu unbegreiflich, 
wenn nach der entscheidenden Cardinalskongregation kein Bericht an 
den Kaiser abgegangen wäre. Nach Verallo, Juni 29, wunderte man 
sich am kaiserlichen Hofe, dass vom Cardinal Madruzzo, der, wie man 
wusste, Juni 15 Mantua passirt hatte, noch keine Nachricht da war; 
noch Juli 2'schrieb Verallo den Legaten nach Trient: „Hormai si passa il 
tempo non senza dispiacere, che sino qui non sia venuto aviso di Roma 
deir arrivo suo, ancorche si pigli tutto et vadasi interpretando a buon 
fine," und an Cardinal Farnese: „Stando tanto a comparir lettere di 
la con l'aviso deir arrivo del R mo C le di Trento et di quello che si 
faccia, fa stare S. M 4i con tutta la corte malcontenta, vedendo che ne 
da V. S ria 111. ne dallo ambasciatore Giovanni de Vega, ne 



Digitized by 



Google 



•i\ Druffel: Beitr. z. militär. Würdigung des Sehmalkald. Krieges. 363 

Dicht mit Sicherheit feststellen Unglaubwürdig ist es nicht 
und ebenso hat die Behauptung Berechtigung, dass der 
eigentliche Zweck des Krieges nicht leicht zu verdecken war, 
wenn einmal, wie der Kaiser gewollt hatte, der Capitulations- 
entwurf von den Cardinälen verhandelt und ein päpstlicher 
Legat für das Heer aufgestellt worden war. 1 ) 

Bei weitem wahrscheinlicher ist die anderweitig auf- 
tauchende Nachricht, dass die Protestanten durch Briefe 
aus Rom von dem, was bevorstand, Kenntniss erhielten. So 
berichtet eine wahrscheinlich im Juli 1546 veröffentlichte 
Plugschrift: 2 ) „Ich höre sagen, es sei neulich ein brief von 
Rom hieher kommen, darin aiu guter freund den andern, 
oder, als mich gedünkt, ain sun den vater warnet, sich vor 
der grossen künftigen gfärlichait zu versehen ; dann der, so 
den brief geschriben wont zu Rom nit unter den minsten, 
gleichwie der Nicodemus under den Phariseern und Pfaffen. 
Das was der inhalt dises briefs : das Paulus der drit zu 
Rom, jetzund bapst, und Carl der fünft, Römischer kaiser 
sich zusamen verbunden , das sy wol gächling , so bald 
immer möglich, ain gewaltig kriegsvolk zusamen bringen 
und die Lutherischen überziehen, darzu nit an ainem, sonder 



dal detto cardmale sia stata spacciato pur una staffetta". Erst Juli 4 
berichtet er: „Hieri arrivorno le lettere di V. S ria lll ma et R ma di 28 
del passato le quali communicai con S. M tä dopo presentate le altre che 
andavano allei." Es scheint danach wirklich, als ob der Kaiser so lange 
über das Ergebniss der Sendung Madruzzo's im Zweifel geblieben sei. 

1) Depesche Farnese's vom 5. [nicht 15.] Februar, benutzt bei 
Pallavicini Lib. IX, Capitel 3. 

2) „Pasqvillus. || Der vertriben von || Rhom, so yetz und diser zeyti 
in Teutschland im eilend 1 1 vmbzeucht 1 1 Durch Alphonsum Aemilium j 
Sebastum erstlich inn Latein ge-|| macht, hernach in Teutsch 1 1 trans- 
feriert wor- 1 1 den. u Der Pasquill bezeichnet die Cardinäle von Trient 
und Augsburg als diejenigen, welche vorzugsweise den Krieg betrieben, 
und lässt die Enttäuschung der Protestirenden über die Haltung des 
Mainzer Erzbischofs erkennen 



Digitized by 



Google 



364 Nachtrag zur Sitzung der hisior. Classe vom 4. Februar 1882. 

an vilen orten mitainander angreifen. Zu welchem fürnemen 
taab der bapst ain grosse summa gelts verhaissen, darzu so 
nem man schon, in Welschland vil knecht an und darmit 
man dest mehr knecht bekeme, so hat der bapst gnad und 
ablass geben allen denen die wider die Lutherischen ziehen 
wollen." Und weiter heisst es : „Es ist on zweifei aus für- 
sehung Gottes geschehen, das die bündischen, welche man 
protestierend mit ainem ehrlichen namen, aber die feind sy 
der Lutherischen ketzerei patron und beschutzer nennen, 
solche rahtschleg vernommen haben. Gar in wenig tagen 
ist es in gantzem Teutschland erschollen, da fieng man 
allenthalben an, von wegen die religion zu beschützen, umb 
der liebe des vatterlands und die tyranney zu fürkommen, 
umbzuschlagen und ward in ainer gar kurtzen zeit so vil 
volks bestellt und zamen bracht, des die feind gar unmög- 
lich zu sein vermeint hetten." 

Auch aus anderen Nachrichten geht hervor, dass ziem- 
lich gleichzeitig mit der, soweit der Kaiser in Betracht kam, 
entscheidenden Sendung des Cardinais Madruzzo nach Rom 
alle Welt darüber aufgeklärt wurde, dass der Krieg bevor- 
stehe. Nicht bloss der Gesandte Cosimo's von Medici konnte 
am 9. Juni melden, 1 ) dass der Cardinal den Krieg in der 
Tasche habe, der päpstliche Nuntius zu Venedig, La Casa, 2 ) 
schrieb am 19. Juni an Farnese: „Man glaubt allgemein, 
dass der Krieg gegen die Lutheraner unternommen wird ; u 
die eilige Reise des Cardinais nach Rom bildete naturgemäss 
einen Gegenstand des Gesprächs. Dass kurze Zeit darauf 
ein Gesandter der Schmalkaldner in der Lagunenstadt ein- 
traf, um die Signorie zu bestimmen, dem erwarteten Durch- 
marsch des päpstlichen Heeres durch das Venetianische Ge- 



1) Baum garten in Sybels Zeitschrift N. P. V, 178. 

2) Ronchini Lettere (Thuomini illustri I, 665 



Digitized by 



Google 



v. Druff el: Beitr. z. mUitär. Würdigung des SchmalkcUd. Krieges. 365 

biet die Genehmigung zu versagen, *) berührte Karl V. nicht 
etwa desshalb peinlich, weil er daraus ersah, dass die Prote- 
stanten wussten, was man gegen sie im Schilde führte: was 
ihn erregte, war die zweideutige Haltung, welche nach 
seiner Meinung die Signorie solchen Anerbietungen gegen- 
über beobachtet hatte. 2 ) 



1) Verallo berichtet Juli 18: Questa M** non ha sentito poco li 
mali offitii di la da Venetiani et Francia, raa piü da Venetiani, come 
da chi non Taspettava, et allo arrivo di maestro Aurelio [Cattaneo] non 
restb di farne risentiraento alli oratori loro qui alle doi M**, che li 
poveri magnifici restorno con un palmo di naso, et intendo li disse sin 
a tanto che loro ne haveano dato aviso al Turco et rimandato indietro 
quei chiaus, perche mandasse a tarbare in Ungria. Certo, che 1 ! tratto 
non fu buono, qaando fasse cosi, ne cosi essa impresa lo meritava da 
loro, se talhora non si fassero contentati con l'ambasciadore de 1 prote- 
stanti, quäle doppo raolti consegli fatti pur 1 admisero, et horor 1 vi resta. 
Vgl. über die Politik Venedigs gegenüber den Türken Ronchini 154 
und 664. 

2) Sleidan II, 477 erwähnt ein Schreiben der Schmalkaldner an 
Venedig vom 21. Juni. Valerio Amanio, der von Pierluigi Farnese nach 
Venedig abgeschickte Sekretair meldet Juli 31 : „Qua si trova un huomo 
per li protestanti de 1 Luterani, il quäle ha fatta instanza efficacissima- 
mente con questi signori Ill mi , che voglino servare neutralitade in la 
impresa mossa contra di loro, et non dar passo ne vettovaglie all' esser- 
cito di S. S^. Gli e stato risposto che, quanto al primo capo, essi 
intendono d'esser neutrali, et che tanto piü volontieri useranno questa 
neutralitä, quanto che ne fanno piacere a essi signori protestanti ; perö, 
che al secundo capo, del negare il passo al predetto essercito, non puo- 
teva il collegio solo determinar cosa alcuna senza communicarla con 
altri signori gentilhuomini a chi si spetta et haverne la risolution loro. 
Ma in tanto che la risolutione si e aspettata, 1' essercito e passato al 
viaggio suo et alli 26 si trovava a Trento." Ronchini S. 155. Schon 
hieraus geht hervor, dass die Anfrage vor dein 18. Juli erfolgte, wo 
das Heer Venedigs Gebiet berührte. An diesem 18. Juli meldet nicht 
bloss der Nuntius Verallo zu Regensburg, dass der Kaiser sich den Ge- 
sandten Venedigs gegenüber scharf über die Signorie ausgelassen habe, 
sondern es hatte auch Massarelli zu Trient ein Gespräch mit Mendoza, 
der ihm aus einem kaiserlichen Briefe mittheilte: quod imperator con- 

[1882. II. Phüos.-philol. hist. CL 3.] 25 



Digitized by 



Google 



366 Nachtrag zur Sitzung der histw. Classe vom 4. Februar 1882. 

Die von Avila und den Commentaires zur Erklärung 
der im Beginn des Krieges so ungünstigen Lage des Kaisers 
beigebrachten Gründe reichen, wie man sieht, nicht aus. 
Baumgarten hat dieses richtig erkannt, und sich desshalb 
nach weiteren umgesehen. Er meinte erstens, dass „der 
Kaiser einen Faktor nicht in Rechnung gebracht habe, dass 
nämlich der oberdeutschen Bevölkerung sich ein religiöser 
Enthusiasmus bemächtigen werde, der alle seine klugen An- 
schläge überall, mit einziger Ausnahme des steif 
lutherischenund aristokratischen Nürnberg, 1 ) 
zu Schanden machte, seine Werbungen auf das empfind- 
lichste hinderte, und mit fast beispielloser Geschwindigkeit 
an der obern Donau ein Heer ins Feld stellte, das, ebenso 
energisch benützt wie gesammelt, den Kaiser widerstandslos 
nach Oestreich jagen konnte." Ohne die lebhaften Sym- 
pathien für die evangelische Sache in den Reichsstädten zu 
leugnen, möchte ich dagegen doch auf die Unterhandlungen 
Augsburgs mit dem Kaiser und auf die Bemerkung Avila's 
f. 6 hinweisen, wonach die Augsburger zu derselben Zeit, 
wo sie schon unter die Waffen traten, den kaiserlichen 
Commissaren unbeanstandet freien Durchzug gewährten. In 



questus est cum oratore , Veneto Ratisbonae, quod orator Venetus Roraae 
sit coactus persuadere pontifici, ne uniatur cum Caes. M. in hoc bello 
contra Luteranos, 2) quod cadat suspicio Venetis ne pontifex et im- 
perator hac belli occasione aliqua loca Venetorum surripere velint, 3) quod 
admi8erint oratorem Luteranorum Venetiis, cui dixerint, ne timeant 
bellum imperatoris, quia neque pontificis neque caesaris pecuniae hoc 
bellum diu sustinere possunt, quare perseverent in suis opinionibus, quia, 
sie perdurando per 4 menses, non deerunt, qui in sui favorem eis 
cooperirentur." Der Kaiser befahl desshalb dem Mendoza, nach Venedig 
zu reisen. Die Absendung des Schmalkaldischen Gesandten, von der in 
den bisherigen Darstellungen des Krieges nicht die Rede war, dürfte 
noch in den Juni fallen. 

1) Nürnberg leistete den Schmalkaldnern Geldunterstützung, L. 
Müller Nördlingen S. 57. 



Digitized by 



Google 



v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmälkald. Krieges. 367 

Augsburg x ) gewann indessen die Kriegspartei entschieden die 
Oberhand, die Art aber, wie Schärtlin am 8. Juli 2 ) über 
Kaufbeuren, Kempten und Memmingen 8 ) sich äussert, deutet 
nicht darauf hin, dass diese Städte mit jubelnder Begeister- 
ung für die Schmalkaldner thätig eintraten; sie hätten lieber, 
wie auch Nördlingen, sich mit einer den Schmalkaldnern 
wohlgeneigten Neutralität begnügt. 4 ) Und wenn man auch 



1) Viglius Tagebuch S. 21 und 24. Der Nuntius hatte Juni 22 
nach Rom berichtet: „In Augusta quelli cittadini, li quali governano, 
erano discordi tra loro, perche parte voleva tener la parte di S. M* 4 , 
parte non. Impero con la venuta di questi loro ambasciatori, che sono 
venuti oggi, si pensa che saranno d'accordo a prometter di non dar 
aiuto a langravio et Saxonia, se S. Ces. M 4i l'assicura, che per conto 
della religione non li molesti poi, il che non penso che S. M l * sia per 
fare." Verallo gibt wieder, was Peutinger über das grosse Geschrei 
der Papisten schreibt. 

2) Herberger Schärtlins Briefe S. 79, 74. 

3) Ueber Donauwörth berichtet der Nuntius Juli 22: Hieri sera 
venne aviso, che rinimici haveano mandate doi bandiere a Tonavert, che 
sta sol Danubio et e terra franca, con dire che non vogliono altro sinon 
ruvinare un monastero che hanno, et alla citta faranno ottimi tratta- 
menti ; la quäle, ancorche sino qua habbia fatto professione di Luterano, 
non perö ha voluto admetterli, con dire che vuole essere obediente a S. 
Ces. M**, la quäle e vero padrono loro, di modo che rinimici erano per 
mandarvi anche 10 altre bandiere, et pensano di volerla pigliare per 
forza, si non se li dara. Et in vero il luoco e importante per quel ponte 
del Danubio per conto delle vettovaglie, che perö penso ci fara,nno ogni 
opera per haverla." Die Stadt sandte ein Entschuldigungsschreiben an 
den Kaiser. Steichele Bisthum Augsburg III, 728. Vgl S. 369. 

4) Die Frage, welche Baumgarten, Sybels Zeitscb. XXXVI, 36, 
aufwirft, ob des Kaisers ganzer Plan nicht vielleicht eine ganz andere 
Gestalt gehabt habe, wird von ihm mit Recht nicht endgültig beant- 
wortet. Dass der Gedanke, sich der Person der Schmalkaldischen 
Bundesfürsten zu bemächtigen, falls dieselben nach Regensburg gekom- 
men wären, ernstlich gehegt wurde, wird Niemand behaupten oder be- 
streiten können, obgleich man sagen darf, dass Gewissensbedenken hiebei 
nicht in Betracht gekommen wären. Vgl. S. 370. Weder der Bericht 
Navagero's noch die von Baumgarten angeführte Stelle aus dem Gut- 

25» 



Digitized by 



Google 



368 Nacktrag zur Sitzung der kistor. Classe vom 4. Februar 1882. 

zugeben wollte, dass die oberdeutschen Städte eine Thätig- 
keit entfaltet hätten, welche der Kaiser nicht erwartete, so 
ist andererseits zu erwägen, dass die schüchterne Haltung 
des Pfälzischen Kurfürsten dafür dem Kaiser in eben so 
überraschender Weise zu Gute kam. Ich möchte glauben, 
dass man die „bewunderungswürdige Umsicht, mit welcher 
der Kaiser seit einem Jahre Alles für den grossen Schlag 
vorbereitet" ebenso überschätzt, als man wohl auch die Un- 
klarheit, Unordnung, Unentschlossenheit seiner Gegner zu 
einseitig betont. Der Eindruck, welchen eifrige Vertreter 
des Religionskrieges im Jahre 1545 empfingen, als dieSchmal- 
kaldner bei dem ersten Auftauchen des kaiserlich-päpst- 
lichen Kriegsplanes schnell gerüstet waren und dann den 
Herzog von Braunschweig niederschlugen, war zum Theil 
ganz entgegengesetzt. 1 ) Man verzweifelte an der Möglichkeit, 



achten des Beichtvaters dürften für beweisend gelten können. In dem 
Textesabdruck bei Maarenbrecher wird S. 30* Z. 6 v. u. 'sin,' statt su, 
zn lesen sein; S. 33* Z. 11 möchte ich lesen: „y estando la paz con 
Francia vinaos que el luego queria dar todo esto, y lo tenia ya apare- 
jado, quanto podia ser, quando fue Andelot." 

1) Vgl. Druffel Karl V. und die Römische Curie II, 26, N. 41 
und Massarelli bei Döllinger Ungedruckte Berichte I, 82 zu Juni 3: 
„Essi Luterani han posto insieme presso il ducato di Wirtemberg da 
20,000 fanti, ne si sa, per il che, solo per tm certo timor che hanno 
preso deir andata di C le Farnese all' iroperatore, parendoli che, accor- 
dati questi doi gran principi, facilmente potrebbono esser tolti alla 
sprovista et superati. Cesare, dico, ne sta suspeso, non facendo per lui 
pigliare alpresente le armi nelle mani in Germania, si perche vede 
quelli principi molto discordi insieme, ne ha di chi si possa intiera- 
raente fidare, si ancora che, ogni volta che si facesee guerra, li Luterani 
possono a sua posta mettere insieme 40,000 fanti secondo la lor' lega, 
et catholici non hanno i denari cola preparati et, trovati che fossero et 
ragunati soldati, non potrebbono mai star riposati sopra a suoi, essendo 
oggidi tanto la Germania infetta di Luteranismo, massimamente nella 
plebe, che facilmente potria esser che, venendosi alli mani li catholici mede- 
simi o, per dir melio, quelli che si chiamano catholici darebbero contra 



Digitized by 



Google 



v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmcdkald. Krieges. 369 

den Krieg zu unternehmen. Schon die Grösse des Unter- 
nehmens an sich würde bei Karl V. das stete Zögern er- 
klären, auch wenn er nicht genöthigt gewesen wäre, auf 
die Wahrscheinlichkeit auswärtiger Verwicklungen so sehr 
Rücksicht zu nehmen, als es der Fall war. Wie Karl sich 
entschlossen hatte, stellte er seiner Schwester Maria aller- 
dings in Aussicht, dass er mit dem Deutschen Unternehmen 
zu Ende sein werde, bevor auswärtige Einmischungsgelüste 
zu praktischer Bedeutung kommen könnten. 1 ) Sein Glück 
wollte, dass Prankreich und Venedig wirklich ruhig blieben 
und ihm von dieser Seite keine thatsächlichen Hindernisse 



alli veri catholici, che Dio sa quanti ne sono al presente in Germania." 
Der Cardinal Madruzzo führte Maasarelli gegenüber 1545 Aug. 31 ans: 
„1 quali disegni non sa coroo boggidl si potessero piü mettere ad esse- 
cutione, perche dapoi che, o per iraprudentia o negligentia o raalitia, 
— che non voleva fargli il nome — la cosa non solo non si e fatta, 
ma si e divulgata per tntto, i Lnterani si son* cominciati a roetter in 
ordine et roettano tuttavia, della sorte che ognan' vede et dabita, si 
roetteranno maggiormente con far* nn altra lega piü potente et piü 
stretta di qnella che banno gia fra loro, dimostrando moversi solo dalla 
liberta commune di Germania/ 1 Oktober 5 notirt Massarelli eine Nach- 
richt vom Ol. Truchsess, dass manche Reichsstädte, Augsburg, Ulm, 
Memmingen, Kempten [Woker druckt mit gewohnter Gedankenlosigkeit : 
Ingolstadt!] nach Schmalkalden Truppen sendeten. Die Machtstellung 
der Protestanten wurde auf katholischer Seite durchaus nicht unter- 
schätzt ; der Beichtvater allerdings sucht die entgegengesetzte Anschau- 
ung zur Geltung zu bringen und darzuthun, dass die Schmalkaldische 
Kriegführung im ersten wie im zweiten Braunschweigischen Kriege 
gleich erbärmlich gewesen sei. 

1) Karl schreibt: „Et pouvez estre asseuree, que je n'adventureray 
riens sans bon fondement ny plus avant que je verray estre bien a propos. 
Et si je useray de teile dilligence et dexterite', que, quant ores 
autres de dehors de la G<ermanie s'en voudroient mesler 
pour lesdits desvoyez, et auroient le pouvoir de le faire, ils y viendront 
trop tard et y pourront peu proufiter." Lanz II, 488. Baumgarten 
weist mit Recht zur Vergleichung auf das Jahr 1866 hin, wo es Napo- 
leon III. ebenso erging, wie damals Franz I. 



Digitized by 



Google 



370 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

in den Weg gelegt wurden, aber seine Hoffnung, er wercje 
der Königin bald gute Nachrichten schreiben können, wurde 
trotzdem bitter getäuscht. Denn seine Gegner waren früher 
als er im Stande,|mit einem Heere im Felde zu erscheinen ; 
sie konnten zum Angriff schreiten, ehe auch nur irgend eine 
Aussicht bestand, dass die päpstlichen Truppen hätten ein- 
greifen können, und bevor Karls Deutsche Rüstungen ein 
widerstandsfähiges Heer" zusammen gebracht hatten. Zur 
Erklärung dieser Thatsache werden wir nicht mit den den 
Kaiser verherrlichenden Darstellungen auf zufällige und 
unberechenbare Umstände hinweisen dürfen; man wird be- 
haupten müssen, dass die zögernde Unentschlossenheit des 
Kaisers die Hauptursache war, durch welche die anfanglichen 
Schwierigkeiten herbeigeführt wurden. 

Dass diese günstige Lage von den Schmalkaldnern nicht 
ausgebeutet wurde, das ist der zweite Punkt mit dessen 
Erörterung sich die zeitgenössischen Schilderungen beschäf- 
tigen. Die Commentaires, welche im Ganzen den Schmal- 
kaldnern fünf Fehler vorrechnen, greifen mit dem ersten in 
eine frühere Zeit zurück, indem sie tadeln, dass der Land- 
graf von Hessen zu Speier im März 1546 sich nicht des 
nur von schwachem Gefolge begleiteten Kaisers bemächtigt 
habe, indem ihm die Bundesgenossen nicht die zu einem 
solchen Handstreich erforderliche Reiterei gewähren wollten. 
Karl V. gibt damit zu verstehen, dass er selbst vor einem 
solchen Friedensbruch nicht aus Gewissensbedenken zurück- 
gescheut wäre, l ) sondern nur die Frage der Zweckmässigkeit 
für ihn in Betracht kam ; im Uebrigen aber kann dieser den 
Schmalkaldnern gemachte Vorwurf vom militairischen Stand- 
punkte nicht gewürdigt werden. Die beiden folgenden Fehler 
dagegen, welche die Commentaires anführen, beziehen sich 
auf die Art der Kriegsführung selbst. Nach Karls V. 



1) Vgl. S. 367 Anm. 4. 



Digitized by 



Google 



v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des SchmcUkald. Krieges. 371 

Meinung hätte Schärtlin, statt gegen die Klause, gegen 
Regensburg ziehen sollen, und hierin stimmt mit ihm Avila 
überein. Die beiden Fehler, welche Avila ausdrücklich als 
solche bezeichnet, werden von ihm gleich bei Beginn des 
Feldzuges vorgefunden. Avila wollte erstlich den Marsch 
Schärtlins gleich bei dem ersten Ausrücken von Augsburg 
aus gegen Regensburg gerichtet wissen, und erklärt dann 
dieselbe Massregel auch für den Zeitpunkt als richtig, wo 
die Truppen des Landgrafen und des Kurfürsten an der 
Donau eingetroffen waren. 

Es muss auffallen, dass dieser Punkt bei den späteren 
gegenseitigen Anklagen, welche nach dem ungünstigen Aus- 
gang des ganzen Feldzugs die Führer der Schmalkaldner 
unter einander austauschten, gar keine Rolle spielt. Ein 
Gutachten der oberländischen Kriegsräthe, welches nach An- 
kunft der norddeutschen Truppen den Marsch nach Regens- 
burg befürwortet, ist allerdings vorhanden, 1 ) es ist indessen 
auch sehr vorsichtig abgefasst und will keineswegs unbe- 
dingt den Angriff gegen die Reichsstadt empfehlen. Erwägt 
man die grosse Widerstandsfähigkeit, welche damals einer 
hinreichend besetzten befestigten Stadt gegenüber einer Feld- 
armee innewohnte, selbst wenn diese mit zahlreicher Artillerie 
versehen war, so wird man wohl bedenklich werden, sich 
dem Urtheile der Commentaires und Avila's ohne Weiteres 
anzuschliessen. Man wird erwägen, dass es dem nachträg- 
lich den Verlauf des Krieges überblickenden Feldherrn, wie 
seinem Lobredner Avila ein sehr erwünschter Effekt sein 
musste, wenn er sich vorstellte, dass er sich aus einer grade- 
zu verzweifelten anfänglichen Lage emporgeschwungen und 
durchgekämpft habe zum völligen Siege, Dank der eigenen 
Standhaftigkeit und dem Schutze Gottes, der die Augen der 
Feinde mit Blindheit schlug. 



1) Hortleder Buch III Kap. 18. 



Digitized by 



Google 



372 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4, Februar 1882. 

Auch die erste der an die gefangenen Schmalkaldner 
von Jovius gestellten Fragen bezieht sich auf das Unter- 
lassen des Marsches gegen Regensburg. Aber Jovius fasst 
einen andern Moment ins Auge, als die Commentaires und 
Avila. Er fragt, warum man Regensburg nicht angegriffen 
habe, nachdem Karl V. es verlassen hatte und nach Lands- 
hut gezogen war. Jovius bezeichnet Regensburg als eine 
Stadt, deren Treue gegen den Kaiser zweifelhaft, und die 
von Besatzung entblösst gewesen sei. 1 ) Dass erstere Be- 
hauptung richtig war, ergibt sich aus den anderen Quellen 2 ) 
auch, während in den Commentaires bezüglich der Stärke 
der Besatzung behauptet wird, dass die Stadt wohl versorgt 
und nach Viglius ein ganzes kaiserliches Regiment dort 
zurückgelassen war. Unzweifelhaft war es aber leichter sich 
der Stadt zu bemächtigen, wenn der Kaiser mit einer immer- 
hin doch ins Gewicht fallenden Truppenzahl abwesend war, 
als vorher, und begehrenswerth war deren Besitz in jedem 
Falle, auch wenn es sich dabei nicht um die Person des 
Kaisers drehte. 

Mag über die militairischen Aussichten, welche bei Aus- 
führung des Jovius'schen Vorschlages sich dargeboten hätten, 



1) Cur est, quod caesare imparato et periculosa quadam necessi- 
tate arma capere coacto cum e Ratisbona, non obscuro nie tu potius 
quam certa ratione discederet, urbem dubiae fidei, nudatam praesidio 
nee resistere paratam validis vestris exercitibus oecupandam non existi- 
mastis? Aut, si hoc ad rationem avertendi et non inferendi belli per- 
tinebat, cur continuo non perrexistis ad Landshutam et inde pulse caesare 
et in interiora Bavariae se reeipere coacto, Italica auxilia ponti- 
ficiorum et Hispanorum avertenda retro minime suseepistis, quod facile 
factu videri poterat, quum oecupata in faueibus montium specula ad 
Oeni usque pontem signa vestra sine periculo admovere possetis? 

2) Vgl. Viglius S. 48. Näheres enthält eine von L. Hochwart 
verfasste bisher nicht gedruckte Geschichte des Schmalkaldischen Krieges, 
auf welche mich Prhr. v. Oefele aufmerksam gemacht hat, und von 
welcher wir durch denselben hoffentlich bald Mittheilung erhalten. 



Digitized by 



Google 



v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmdlkdld. Krieges. 373 

ein Urtheil fast unmöglich sein, so ist des Jovius Frage 
doch desshalb von grossem Interesse, weil darin als Ursache 
des kaiserlichen Abmarsches offenbare Furcht bezeichnet 
wird. Er theilt somit durchaus die Ansicht derjenigen, 
welche denselben für des kaiserlichen Namens unwürdig 
hielten. 1 ) Der Nuntius Verallo 2 ) berichtet Juli 25 dem 
Cardinal Farnese von den verschiedenen Meinungen, welche 
über diese längere Zeit erörterte Frage im kaiserlichen 
Kriegsrath sich geltend machten: während die Einen sich 
in der wohlversorgten Stadt angreifen lassen wollten, befür- 
worteten die Andern, man möge vor Allem die Vereinigung 
mit den aus Italien heranmarschirenden Truppen im Auge be- 
halten, diesen entgegen ziehen. Längere Zeit schwankte 
der Kaiser, bis dann die Entscheidung damit herbeigeführt 
wurde, dass man, obgleich irrthümlich, den Uebergang des 



1) Viglins S. 48. 

2) „Le cose qnl stanno in termine, che si consulta quello habbia 
da fare S. M** in caso che Tinimici le vengano a trovar qnl dove ata, 
corae tatti li avisi confrontano; et il conseglio e diviso, perche nna parte 
vorria, che S. M&, per mantener la reputatione, restasse in questa terra, 
la quäle potra molto bene defendere d'ogni impeto con 16,000 over 1 
18,000, che si truova; et altri vorriano che uscisse in carapagna, ad in- 
contrar le nostre genti et poi cosi uni tarnen te fare ogni impresa. Non 
so quello si determinaranno hoggi, certo e che l'inimici crescono in grosso 
nnroero, et, per qoanto si pno fare iudicio, aspettano qnesti delle citta 
unirsi con landgravio et duca di Saxonia, et cosl uni tarnen te venir a 
qnesta volta, per fare nno delli doi effetti, cioe: per mettersi fra qneste 
genti Alemane nostre et l'Italiani che vengono, per impedirli che non 
si possano ghrotare, parendoli in quel caso di haver il gioco vinto, overo 
mettere talraente in necessita Timperatore, che li facciano fare un' 
accordo vitnperoso per lui, et al peggio che possano fare desegnano di 
travagliarlo tanto che per qnesto anno li facciano perdere l'opere et le 
spese, il che li potrebbe facilmente accadere qoando le nostre genti non 
fnssero qnl tanto presto, come si spera. Et, per dir tntto, quando tntti 
Tinimici saranno nniti, il che fra otto giorni potria facilmente essere, 
faranno da 60,000 fanti et 7000 cavalli con 100 pewi d'artiglieria grossa. 14 



Digitized by 



Google 



374 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

Schmalkaldischen Heeres auf das rechte Donauufer meldete, 
wodurch die Verbindung des Kaisers mit dem päpstlichen Heere 
bedroht erschien. Jetzt zog der Kaiser nach Landshut. 1 ) 

Warum die Schmalkaldner hier nicht angriffen, um 
dann, nach Verjagung des Kaisers in interiora Bavariae, 2 ) 
durch Besetzung von Innsbruck den päpstlichen Truppen 
den Vormarsch zu verlegen, ist der zweite Theil der ersten 
Frage des Jovius. Hier befindet er sich in Uebereinstim- 
mung mit den Commentaires ; AvHa lässt den Marsch des 
Kaisers nach Landshut nur desshalb erfolgen, weil man 
glaubte, die Schmalkaldner würden dorthin ziehen, und er 
urtheilt, dass, von dem Zuge gegen Regensburg abgesehen, 
sie nichts zweckmässiger es hätten thun können, denn so 
würden sie den Kaiser in Regensburg von der Verbindung 
mit den anrückenden anderweitigen Truppen abgeschnitten 
haben. 3 ) Aus den Commentaires 4 ) ist zu ersehen, dass der 

1) Viglius S. 61. 

2) Auch in dem Briefe an Pierluigi ist von 'salvarsi in Baviera' 
die Bede. 

3) En este tiempo vino aviso a S. M ad , que los enemigos deter- 
minavan de tomar a Lancuet . . . Y si esto ellos hizieran, despues de 
la empresa de Batisbona no podian hazer cosa mas acertada, porque 
pnestos alli, lo quäl facilmente pudieran ellos hazer, dexavan a. SS. M ad 
encerrado en Batisbona, y ponianse en parte, que ninguna gente de la 
que S. M ad esperava, aunque salieran de Tirol, pudieran legar a Batis- 
bona, . . . y despues desto pudieran dexar aqoel lugar fortificado y 
proveido, y bolverse sobre Batisbona, a donde, haziendo ellos esto, 
pudiera ser que estuvieran los negocios de S. M** en ruines terminos. 
Y por esto el [emperador] acordo de proveer a peligro tan evidente, y 
con su persona ir a defender aquella tierra, a la quäl se ender e- 
cava toda fa fuerca de los enemigos. Man wird zugeben, dass 
die Stellung der Schmalkaldner in Landshut, so lange Ingolstadt und 
Begensburg in Feindes Hand waren, sehr gefährdet gewesen wäre. Die 
strategische Phantasie Avila's hat den Zweck, den Marsch des Kaisers 
nach Landshut eher als eine Bewegung gegen einen vom Feinde be- 
drohten Punkt, denn als Bückzug erscheinen zu lassen. 
4) Commentaires S. 129. 



Digitized by 



Google 



v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmdlkdld. Krieges. 375 

Kaiser sich auch in Landshut in einer äusserst unbehaglichen 
Lage befand, und, um die Schwäche seines Heeres gegenüber 
der Ueberzahl der Feinde einigennassen auszugleichen, auf 
Befestigung seiner Stellung bedacht war. Deutet dieses 
auch auf die Absicht hin, sich dort zu halten, so wird man 
doch nicht behaupten dürfen, dass der Kaiser im Falle eines 
wirklichen Angriffs der Schmalkaldner es unbedingt ver- 
mieden haben würde, den päpstlichen Truppen noch weiter 
entgegen und sich damit vor dem Feinde zurück zu ziehen. 
Wenn dies geschah, so konnte leicht ein Vormarsch der 
Schmalkaldner diesen selbst eine gefährliche Lage bereiten. 

Die zweite Frage des Jovius bezieht sich auf die Stel- 
lung der beiden Heere am 23./24. August. „Warum — so 
fragt er — habt Ihr mit Eurem zahlreichen Heere den bei 
Neustadt die Donau überschreitenden Kaiser nicht angreifen 
wollen, obgleich dessen Heer bei der Insel in drei Theile 
zertrennt gradezu für eine Niederlage hergerichtet war? 
Warum habt Ihr, obgleich Ihr in der Nähe und durch ver- 
lässige Kundschafter unterrichtet wäret, Euch die Gelegen- 
heit zu sicherem Siege aus den Händen entschlüpfen lassen? *) 

In den kaiserlichen Geschichtsdarstellungen taucht dieser 
Gedanke an die Möglichkeit eines feindlichen Angriffs nicht 
auf; die Commentaires sagen vielmehr, dass dem Kaiser durch 
die Nachlässigkeit Anderer eine Gelegenheit, dem Feinde 
Abbruch zu thun, entgangen sei. 2 ) Avila sieht die Bedeu- 



1) Cur est quod tantis subnixi copiis ad Neustatum transenntera 
caesarem adoriri noluistis, quura circa insulam Danubii tripartitos eins 
exercitus ad cladem eicipiendam expositus esse videretur, et vos in pro- 
pinquo fidissimis exploratoribus freti paratae prope victoriae occasionem 
e manibus emittere videremini? 

2) Fante d'avoir ete adverti par ceux qui savaient ce qui se pas- 
sait, et qui pouvaient et devaient l'instruire de l'avantage qu'il anrait 
eu en attaquant les ennemia dana an lien si dlsavantageux pour eux, 
il perdit nne excellente occasion; mais ce ne fnt point par sa faute. 



Digitized by 



Google 



376 Nachtrag zur Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882. 

tung des Flussüberganges darin, 1 ) dass der Feind von jetzt 
an vorsichtiger geworden sei und den Entschluss des Kaisers, 
eine Schlacht anzunehmen, erkannt habe. Nach Mocenigo 2 ) 
wurde der Flussübergang beschlossen, weil man so dem 
feindlichen Heere, welches auf dem Marsche nach Regens- 
burg war, den Rückzug abzuschneiden hofite, während die 
Stadt gegen einen Angriff gesichert schien. In gleicher 
Weise äussert sich Faleti. 8 ) Dieser rühmt die Geschicklich- 
keit und Schnelligkeit, mit welcher der Brückenschlag und 
der Uebergang des Heeres bewirkt worden sei, ohne dass 
der Feind irgend Schwierigkeiten in den Weg gelegt habe. 
Vergleichen wir mit diesen Darstellungen die Korrespon- 
denzen Gryn's, 4 ) so zeigt sich, dass drei Tage vergingen, 



1) Esta passada fue de grandissima importancia, porque, demas de 
hazer al enemigo que anduviesse mas recogido que hasta alli, y no tan 
senor de la campafSa como avia andado, fue mostralle que se llevava 
determinacion de combatir con el, — quando el lugar lo permetiesse. 

2) Fiedler S, 91; Z. 13 v. u. lese ich: poco lontano, S. M^ 
deliberö/ 

3) S. 93. 

4) Gryn schreibt August 22 aus Neustadt: „S. M. hat mich aus 
dem veld hiher gejagt, zu sollicitiren, damit die brücken allhie aufs 
furderlicbist gemacht ward; das hab ich mit höchstem vlais gethuen. 
Dan je er diesselb brücken gemacht, je er kombt das volk, das sich 
warlichen ganz ybel leider bellt, aus dem land." August 23: „So bat 
man dise ganze nacht an der brücken zn der Neustat gearbait und da- 
neben die schefb rucken zu schlagen ungefangen, also, wan soliche brücken 
gemacht, so wollen wir von stund an hinüber rucken und inen nach- 
ziehen, und inen die profant aus Schwaben und dem stift Eystat ab- 
strecken, und inen, sie ziehen, wo si wollen, nachrucken. Also wollen 
wir, alsbald die brücken gemacht, hinüber rucken, und ist unmuglich, 
das sie [der Feind] so bald herüber zihen, das sie uns weren mögen, 
die brücken zu machen.' 4 August 24: „An gestern sind fast alle häufen, 
der Teutsch, Italianisch und Spanisch zu fues, sambt den ringen pferden 
und zwelf stuck des ringen veldgeschutz herüber komen. So zeucht der 
ander reisig sambt dem grossen geschutz rar und rar auch heryber; 
dan sambt der brücken, die man wider gemacht, bat man ein schiff- 



Digitized by 



Google 



v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 377 

ehe der Uebergang bewerkstelligt war. Am 22. August 
war Gryn bereits nach Neustadt geschickt worden, um den 
Brückenbau zu betreiben, man arbeitete die ganze Nacht an 
der Herstellung der Brücke, sowie der Schiffbrücke, «aber 
am 23. kam nur ein Theil des Fussvolks mit etwas leichter 
Reiterei und 12 Geschützen herüber; den ganzen folgenden 
Tag dauerte es, bis das gesammte Heer auf dem linken Ufer 
ankam; erst für die Mitternacht 24/25 konnte man den 
Weitermarsch ins Auge fassen, und da zeigte sich, dass 
es zu spät sei. Indem sich an den Uebergang kein 
unmittelbarer taktischer Erfolg anschloss, der sich nur 
bei ausserordentlicher Schnelligkeit hätte erreichen lassen, 
muss das Urtheil über des Kaisers Massregel ungünstig 
lauten, wie denn der Kaiser selbst au den Herzog von 
Baiern schrieb, *) er wäre ebenso gern auf dem rechten 
Ufer verblieben, auf welchem die Trains nach Ingolstadt 
weiter marchirten. Es war jetzt nichts anderes erreicht, als 
dass der Kaiser mit seinem schwächeren Heere dastand, 
das Neustädter Defiläe im Rücken, dass er den Weitermarsch 
nach Ingolstadt ausführen musste, die Donau in der linken 
Flanke. Man begreift, dass an diesem Punkte die Kritik 
des Jovius einsetzt: denn, obgleich Gryn am 23. August 
versprochen hatte, der Brückenbau werde vollendet sein, 
bevor der Feind angreifen könne, und nirgends sonst, weder 
auf kaiserlicher noch auf Schmal kaldischer Seite, während 
des Ueberganges der Gedanke auftaucht, die Schmalkaldner 



brücken daneben geschlagen, also das in wenig stunden das ganz hör 
allhie bei einander sein wirdet. August 25: So ist gestern zu mittag 
die Kai. M. entschlossen gewest als heut zu mitternacht auf zu sein und 
inen, den Lutherischen, vor zu komen. Dann darvor haben wir mit 
fueg nicht verrücken mögen, dieweil das ganz kriegsvolk nicht herüber, 
dan erst gestern gegen der nacht samht dem grossen geschutz volliglich 
komen haben mögen/* 

1) Druffel Beitr. z. Beichageachichte Nr. 39. 



Digitized by 



Google 



378 Nachtrag zur Sitzung der kistor. Classe vom 4. Februar 1882. 

könnten angreifen, so ist doch unzweifelhaft, dass der Ueber- 
gang des Kaisers über die jedem Angriffe offen stehenden 
Brücken bei Neustadt,, anstatt bei Ingolstadt, sein Heer 
während längerer Zeit in eine äusserst gefährdete Lage ver- 
setzte. Fraglich ist nur ob, wie Jovius behauptete, die 
Schmalkaldner wussten, was vorging, oder ob sie bloss den 
Vorwurf verdienten, nicht unterrichtet zu sein. Wir wissen 
nicht, was die von Jovius befragten Fürsten antworteten, 
über ihre damaligen Pläne und Absichten könnte uns nur 
aus Schmalkaldischer Quelle Aufklärung werden. 

An die durch den Donauübergang herbeigeführte schwie- 
rige Lage des kaiserlichen Heeres knüpft Jovius nun die 
dritte Frage an: „Warum habt Ihr den nach Ingolstadt 
eilenden Kaiser, wie er an einem offenen, freien, unbefestig- 
ten Platze übernachten musste, weder bei Tage während 
des Marsches, noch bei Nacht, als er sein Lager noch nicht 
befestigt hatte, angegriffen, obgleich man meinen sollte, dass 
Ihr, die Ihr an Reiterei und Fussvolk, durch Kennthiss der 
Oertlichkeit und die Zuneigung der Bevölkerung weit über- 
legen wäret, die Gelegenheit zu einer herrlichen Waffenthat 
gehabt hättet? 1 ) 

Es war die Folge des Ueberganges auf das rechte 
Donauufer, dass nun des Kaisers weiterer Vormarsch nach 
Ingolstadt mit grossen Gefahren verknüpft war. Selbst 
Avila urtheilt: „Bessere Einsicht vorbehalten, will es mir 
scheinen, dass der Feind, wenn er damals vorgegangen wäre 
und uns unterwegs angegriffen hätte, uns in grosse Gefahr 
gebracht haben würde, obschon der von dem Kaiser zur 
Schlacht ausersehene Platz sehr günstig war.* 4 Aus allen 

1) Cor caesarem ad Ingolstadium properantem et piano apertoque 
in loco sine munitione pernoctare co actum, vel interdiu in itinere vel 
noctu nequaquam munitis castris, non invasistis, quam, equitatu pedi- 
tatuque, locorum notitia et incolarum dubio studio firmiores, praeclari 
omnino facinoris edendi facultatem habuisse iudicaremini? 



Digitized by 



Google 



v. Druff eh Beitr. z. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 379 

Nachrichten geht hervor, dass der Marsch, welcher in Schlacht- 
ordnung vorgenommen werden musste, die Truppen unge- 
mein anstrengte, und dass die Heeresleitung darüber unsicher 
war, ob man in einem Tage nach Ingolstadt rücken oder 
in Mehring Etappe machen sollte. *) Der Nachtmarsch, 
durch welchen man schliesslich die Stellung bei Ingolstadt 
einnahm, hatte zur Folge, dass das Heer in schlimmer Ver- 
wirrung an seinen Lagerplatz gelangte. 

Schwieriger, ja unmöglich, ist es sich ein Urtheil zu 
bilden über die Berechtigung der weiteren Frage des Jovius, 
warum die Schmalkalduer sich bei Ingolstadt mit einer Ka- 
nonade begnügten, und nicht zum Angriff auf das nur 
unzureichend befestigte Lager vorgingen. 2 ) Schon in einem 
früheren Briefe an Pierluigi Farnese hatte Jovius 8 ) geäussert, 
dass Schärtlin's Vorschlag, anzugreifen, die Schmalkaldner 
zum sichern Siege habe führen müssen. Unzweifelhaft ist 
nur, dass das Unterbleiben des Angriffes und der schliess- 
liche Rückzug der Schmalkaldner in der öffentlichen Meinung 
für diese nachtheilig wirken mussten. 



1) Vgl. Viglius S. 80. 

2) Cur ultima die Augusti, quum inusitato audaciae militaris iin- 
petu castra caesaris borribili tormentorum procella pene obruistis, muni- 
tiones bostium, vix mediam aequantes tibiam praerumpere dubitastis, 
quando hostis, in suramo periculo terrefactus, omnibus rebus inferior 
esse putaretur? 

:J) Cbi havrebbe creduto che dopo Tassalto d'Ingelstadt, non havendo 
saputo dar dentro a certa vittoria, come voleva Sebastian Certelin, che 
almeno si fosse risoluto d'andare contra di Burra, il quäle inferior di 
gente in campagna restava senza dubbio o rotto o mandato a dietro in 
fuga necessaria? L. Domenichi Lettere volgari di Mons. Paolo 
Giovio, Venetia 1560, f. 24. Christof Arnold schreibt November 26 an 
den Pfalzgrafen Ottheinreich: „Das der kaiser vor Inglstat geschlagen 
wecden mögen und in seinem leger unwidersprecblich sei, das waist 
man, das aber seidher die angezogen red geschehen soll sein, davon hab 
ich nichts gehört. 44 Vgl. S. 383. 



Digitized by 



Google 



380 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

In Uebereinstiinmung mit Avila und den Commentaires 
tadelt Jovius in der 5. Frage, dass die Schnialkaldner am 
13. September sich nach Donauwörth zurückzogen, anstatt 
sich in Neuburg 1 ) zu behaupten, dessen Vortheile Avila mit 
Lebhaftigkeit preist. Dass dies ein bedenklicher Punkt für 
den Ruhm Schmalkaldischer Kriegführung war, scheint auch 
aus einem Briefe des Landgrafen Philipp an Margaretha 
von der Saal 8 ) hervorzugehen, worin derselbe einer un- 
günstigen Deutung der bevorstehenden Meldung von der 
Einnahme Neuburgs vorbeugt, indem er die, so viel wir 
sehen, durchaus unwahre Behauptung aufstellt, dass Statt- 
halter und Regenten selbst gerathen hätten, Neuburg nicht 
zu vertheidigen ; in deren Schreiben werden in Wirklichkeit 
ernstliche Klagen laut, 8 ) weil die Schnialkaldner ohne Noth 
Neuburg im Stiche gelassen hätten. Gleiche Bewandtniss 
hat es mit der Zusicherung, dass man die Stadt leicht 
wieder einnehmen werde, wie dies der Landgraf in demselben 
Briefe glauben machen will. 

Für Jedermann handgreiflich ist der sechste Fehler, 
auf welchen Jovius verweist, dass nämlich die Schmalkaldner 
den Vortheil der inneren Linie nicht ausbeuteten, um ent- 
weder Büren oder den Kaiser getrennt zu schlagen. 4 ) Jovius 



1) Vgl. Viglius S. 109. Cur est quod Neuburgum, quum valido 
praesidio munire aut certe relinquere possetis, id hostium praedae relin- 
quistis? Nam ad existimationem vestri nominis pertinebat id vali- 
dissirae tutari aut, postquam eo duxit hostis, universae pugnae aleara 
subire, ne in conspectu ea calamitas acciperetur. 

2) Duller Neue Beiträge z. Gesch. Philipps des Grossmüthigen 
S. 61: „Ob ein geschrei kerne, das Neuburg, das H. Ottheinrichs ist, 
gewonnen wer, darauf ist nit zu rechnen; dann wir haben's nit ver- 
sehen mögen, on grossen verlust, wie die Statthalter selbst geratten; 
ist woll wieder ingenommen und habben's mit unserra willen aufgeben. 

3) Viglius S. 111 fg. 

4) Cur adventantem comitem de Buren Rheni transitu prohibenÜum 
non putastis? Aut postquam ille amnem impune traiecit, cur nobile 



Digitized by 



Google 



r. Druff et: Beitr. z. vüJitär. Würdigung des Schmalkafd. Krieges. 381 

weist darauf hin, dass man nicht hätte fürchten sollen, der 
Kaiser könne ihrem Heere nachrücken; Büren's ermüdetes 
Heer habe man mit frischen Truppen jeden Augenblick an- 
greifen können. Auch diesen Punkt hatte Jovius bereits in 
dem Briefe an Pierluigi Farnese als unbegreiflichen Fehler 
bezeichnet 1 ); er wollte die lahmen Entschuldigungen, welche, 
nach Strozzi's Bericht, der Landgraf vorbrachte, nicht gelten 
lassen, und er hatte darin unzweifelhaft Recht, falls derselbe 
nichts anderes vorzubringen wusste, als dass er keinen An- 
griffskrieg habe führen wollen, und dass er geglaubt habe, 
das deutsche Klima würde den Spaniern und Italienern noch 
verderblicher sein, als es in der That der Fall war. 

Die Frage, mit welcher Jovius schliesst, bezieht sich 
auf den bereits oben erwähnten Vorgang vom 4. Oktober 2 ); 
seine Ansicht stimmt mit der des Viglius überein : er meint, 
dass ein Angriff auf die feindliche Nachhut deren Vernich- 
tung herbeigeführt hätte. Die weiteren Fälle versäumter 



militiaeque necessariüm consilium non sumpsistis aut occupandi cae- 
saris, priusquam Burensis auxilia supervenirent, aut, Ulma Augustaque 
mediocri praesidio firmatis, com numero copiarum superiores haberemini, 
cum Bura in itinere confligere minime statuistis, quandoquidem vobis 
facultas perampla relinqueretur, aut ex aequo confligendi cum caesare, 
si V08 adver8U8 Burram properantes temere in sequi vellet, aut delendi 
Burrae patentibus in campis, si vestris recentioribus et validioribus 
copÜ8 longo itinere fessus occurreret. 

1) Certo queste sono pur state espresse venture di cesare, ancorche, 
come dice lo Strozzi, langravio vada giustificando Tattioni sue, poiche, 
come reo et non come attore, faceva la guerra, et non credendo che 
Italiani et Spagnuoli y potessero sopportar tanto il freddo cielo di Lamagna. 

2) Postremo, cur est quod Norlingae praesidio ire contendentes, 
ne id oppidum praeoccuparetur a caesare, usque adeo postremum vestro- 
rum agmen a primo disjunctum properandi causa reliquistis, ut, si caesar 
id invadi urgerique perraisisset, alacri praesertim expeditoque eius exer- 
citu, ad navandam operam facile concidi delerique potuerit, priusquam 
a primis agminibus a Milium ferri posset, quod fossa intercideret, quae 
in regressu vestris non sine perturbatione ordinum transeunda videretur. 

[ 1 882. IL Philos.-philol. bist. Cl. 3.] 2ß 



Digitized by 



Google 



382 Nachtrag zur Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882. 

Gelegenheit, welche bei Avila und in den Commentaires 
aufgeführt werden, hat er nicht berücksichtigt. Letztere 
behaupten, bei dem Marsche des Kaisers nach Donauwörth, 
Oktober 11, habe sich eine gute Gelegenheit für einen Angriff 
den Schmalkaldner geboten ; der Landgraf entschuldigte sich 
mit einem Nebel, der ihn hinderte, des Kaisers Fortrücken 
rechtzeitig zu bemerken. Dieselbe Ausrede brauchte er bei 
Gelegenheit des kaiserlichen Marsches von Suntheim nach 
Lauingen, Oktober 31, während Avila hier eine Masse von 
Gründen anführt, warum die Schmalkaldner hätten schlagen 
sollen, die Commentaires dagegen die Meinung aussprechen, 
jene hatten es wohl aus Gründen, die ihnen triftig erschienen, 
unterlassen. Nach dem Berichte des Bairischen Agenten im 
kaiserlichen Hauptquartier, Bonacorsi Gryn, wurde der Rück- 
zug nach Lauingen vom Kaiser vorgenommen, um die Schmal- 
kaldner aus ihrem befestigten Lager und zu einer Schlacht 
zu verlocken. Indem dieses Schreiben verfasst wurde, als 
der Marsch nur geplant, aber noch nicht ausgeführt war, 
ist die Möglichkeit ausgeschlossen, dass man im kaiserlichen 
Hauptquartier sich nicht darüber klar gewesen wäre, es 
könne während des Marsches ein Angriff erfolgen. Wenn 
man einem solchen also offen ins Auge sah, kann man doch 
unmöglich gemeint haben, dabei geschlagen zu werden. 
Nur in der Ausführung des Planes vorgekommene Fehler 
und Nachlässigkeiten, von denen Avila aber nichts sagt, 
könnten Avila's Urtheil rechtfertigen. In ähnlicher Weise 
sprechen sich die Commentaires und Avila, erstere vorsich- 
tiger, der letztere bestimmter, auch dahin aus, dass die 
Schmalkaldner bei dem erneuten Vormarsche des Kaisers 
in das Lager bei Wittislingen hätten angreifen sollen. Avila 
führt aus, dass die durch das Terrain gebotene Trennung 
der kaiserlichen Reiterei von dem Fussvolk und der Artillerie 
dazu besonders hätten einladen müssen. 



Digitized by 



Google 



v. Druffel: Beitr. z. militär. Würdigung des Schnudkald. Krieges. 383 

Auf alle diese Urtheile werden wir nicht zu grosses 
Gewicht legen dürfen. Wie man auf der kaiserlichen Seite 
über die andauernde Thatenlosigkeit unzufrieden war, und 
desshalb einestheils die eigene Heeresleitung, anderentheils 
aber auch die Muthlosigkeit des Feindes anklagte, der, selbst 
wenn sich ihm eine vorteilhafte Gelegenheit dargeboten, 
diese nie benutzt habe, so wurde in gleicher Weise auch 
in dem Schmalkaldischen Heere — man verstatte den Aus- 
druck — raisonnirt, sowohl über den Kaiser, der sich hinter 
seine Schanzen verkrochen, als über den Landgrafen, der 
einem Gefechte stets ausgewichen sei, jede gute Gelegenheit 
leichtfertig vorüber gelassen habe. Man kann dies aus dem 
Schreiben Philipps von Hessen an die Kriegsräthe ersehen. 
Eine ähnliche Bedeutung hat auch vielleicht die öfter wieder- 
holte Behauptung des Kaisers bezüglich der durch seine 
Massregeln den Schmalkaldnern dargebotenen Einladung 
zu einem Kampfe unter für die Letzteren günstigen Verhält- 
nissen. Keine Truppe, welche thatenlos unter schweren 
Entbehrungen im Felde liegt, wird durch das Bewusstsein, 
dass der Feind noch schlimmer dulden müsse, sich befriedigt 
fühlen ; es wird sich der Drang geltend machen, auch wirklich 
einmal zum Schlagen zu kommen und von dem Feldherrn 
verlangt man, dass er nicht allzu ängstlich dem offenen Kampfe 
ausweiche. Die Commentaires und Avila geben daher zu 
verstehen, dass es an den Schmalkaldnern lag, wenn diese 
die von dem Kaiser dargebotenen Gelegenheiten nicht aus- 
beuteten, während der Kaiser stets bereit gewesen sei, dem 
Feinde, selbst unter minder günstigen Umständen, ent- 
schlossen die Stirn zu bieten. So sprach man schon, wäh- 
rend der Krieg noch im Gange war: Nach einem Schreiben 
des Pfalzgrafen Ottheinrich vom 16. November sollte der 
Kaiser geäussert haben, „die protestirenden hätten ihn drei- 
mal also gehabt, dass, wo sie fortgedruckt, ine wol slagen 

26* 



Digitized by 



Google 



384 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4, Februar 1882. 

inögen, aber, dieweil es nit geschehen, hoffte er zu Gott, 
es solle inen nimmer so gut werden." *) 

Wie von Anfang des Krieges an von kaiserlicher Seite 
eine kräftige Kriegsführung in Aussicht gestellt wurde, und 
man sich in dieser Beziehung stets mit neuen Plänen be- 
schäftigte, oder zu beschäftigen vorgab, so hören wir auch 
noch aus den letzten Tagen vor dem Abzüge des Schmal- 
kaldischen Heeres, dass der Kaiser sich einer anderweitigen, 
das feindliche Lager beherrschenden Stellung habe bemäch- 
tigen wollen, um so eine Entscheidung herbeizuführen. In 
den Commentaires und bei Avila wird dieser Plan erörtert, 
und auch bei Viglius wird zum 16. und 19. November 
notirt, dass der Kaiser mit dem Lager vorrücken wollte, in 
den Commentaires allerdings auch hinzugefügt, dass die 
Ungunst des Terrains die Ausführung unmöglich gemacht 
habe. Indem dann auf die freiwillige Ergebung Nördlingens 
und damit auf die Möglichkeit, dem Gegner die Zufuhr ab- 
zuschneiden, sich Aussicht eröffnete, wartete der Kaiser 
wieder zu ; er blieb der Herr der Lage, indem er beide Wege 
einschlagen konnte. In Wirklichkeit betrat er keinen von 
beiden, und als die Schmalkaldner wirklich abzogen, wurde 
zwar das kaiserliche Heer durch Märsche angestrengt, aber 
dem Feinde kein Nachtheil zugefügt, indem, nach Viglius 
Bericht, der Herzog von Alba den Angriff auf den folgenden 
Morgen verschob, weil der Feind bereits umzingelt sei, wie 
er irrthümlich behauptete. So wurde der strategische Sieg, 
welcher dem Kaiser durch den Abmarsch des Feindes zu 
Theil wurde, nicht von einem taktischen Erfolge begleitet, 
welchen man doch zu erreichen versucht und welchen her- 
vorragende Führer bei richtigem Vorgehen als gewiss an- 
gesehen hatten. Avila bietet bei dieser Gelegenheit seine 
ganze Beredsamkeit auf, um darzuthun, dass der Kaiser 



1) Pfalz. St. A. 543/3, 516. 



Digitized by 



Google 



v. Dru/fcl: Beitr. z. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 385 

unbedingt auch unter ungünstigen Verhältnissen dem Feinde 
gefolgt wäre, wenn nicht die Rücksicht auf die grossen 
Verpflegungsschwierigkeiten dies als völlig unmöglich hätte 
erscheinen lassen.« Er versichert, dass der Kaiser während 
des ganzen Feldzuges nicht bloss keine Gelegenheit gehabt 
habe, mit Vortheil, sondern keine, überhaupt zu schlagen, 
erörtert dann aber weiter, dass es ihm zweifelhaft sei, ob 
man eine sich darbietende Gelegenheit mit Rücksicht auf 
die Zweifelhaftigkeit des Kriegsglücks hätte benutzen sollen, 
und preist schliesslich den Ruhm eines unblutigen Sieges, 
dessen Verdienst ausschliesslich dem Feldherrn zukomme, 
während an einem blutigen die Tapferkeit der Soldaten 
ihren Antheil beanspruchen könne. Nach den Commentaires 
war es die Beharrlichkeit des Kaisers, welche entgegen der 
allgemeinen Ansicht das Heer zusammen hielt, als man bei 
elendem Wetter in dem Lager bei Lauingen lag; und nach 
dem Abzug der Schmalkaldner beharrte er auf dieser seiner 
Meinung, da er einsah, dass man sonst die Frucht des bis- 
herigen Erfolges aus der Hand geben werde, und weil er, 
wie behauptet wird, die Hoffnung hegte, er könne doch 
noch einmal durch einen Marsch während einer Winternacht 
dem Feinde auf den Leib rücken und denselben bei Tages- 
anbruch dann angreifen. Gerade diese Bemerkung zeigt, 
dass die Ausführungen Avila's über das Verdienst des un- 
blutigen Sieges bei dem Kaiser selbst keine Wurzeln ge- 
schlagen hatten. Ebensowenig entsprachen seinem inneren 
Sinne die Redensarten Godoi's über die goldenen Brücken, 
welche man dem abziehenden Feinde nach des grossen Co- 
lonna Grundsatz bauen müsse, wenngleich er natürlich ganz 
damit einverstanden war, dass diensteifrige Schriftsteller 
diese Beurtheilung des Feldzuges zu vertreten unternahmen, 
und die ruhige, zielbewusste und zugleich umsichtige Be- 
harrlichkeit priesen, welche der Kaiser in allen Gefahren 
bewiesen habe, 



Digitized by 



Google 



386 Nachtrag zur Sitzung der histor. Clässe vom 4. Februar 1882. 

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass nach einer zwar 
um mehrere Jahre später auftauchenden aber doch vielleicht 
gut unterrichteten Quelle der Entschluss, die Truppen zu- 
sammenzuhalten und sie nicht in Winterquartiere zu ver- 
legen, nicht auf den Kaiser selbst zurückzufuhren ist, sondern 
vielmehr auf den Rath seines Beichtvaters Soto. „Während 
der Kaiser zwischen Dillingen und Lauingen lag — so erzählte 
im März 1555 der Anonymus — ging der Kaiser zu Rathe, 
ob es sich empfehle, jetzt das Heer in die Winterquartiere 
zu vertheilen und einen Theil zu verabschieden. Granvella 
nämlich rieth, dass man es entlasse und nach Ulm, Augs- 
burg und anderen benachbarten Städten und Ortschaften 
ins Quartier verlege, und viele andere waren derselben An- 
sicht, zu welcher sich auch der Kaiser hinzuneigen schien, 
besonders weil, wie er sagte, es ihm an Geld fehle, um das 
Heer länger zu unterhalten; es widersetzten sich nur Ca- 
staldo und der Cardinal Truchsess. Dieser bemühte sich, 
dem Kaiser klar zu machen, dass Sieger sein werde, wer 
am längsten mit dem Heere aushalte, und dass man auf die 
Auflösung des Heeres der Lutheraner innerhalb 20 Tagen 
hoffen dürfe. Der Kaiser beschloss, hierin das Gutachten 
seines Beichtvaters Bruder Pedro Soto einzuholen, welcher 
sich nach Dillingen begeben hatte und so schwer krank 
war, dass man ihm die letzte Oelung gereicht hatte. Dieser 
beschloss, durch den vom Kaiser geschickten Boten zu ant- 
worten: er rathe und ermahne den Kaiser, beharrlich mit 
dem Heere im Felde zu verbleiben, in kurzer Frist hoffe er 
den Kaiser als Sieger zu sehen. So entschloss sich Karl 
zu bleiben und das Heer nicht zu theilen oder zu entlassen. 
Soto erwähnte mir gegenüber, dass er sich anfänglich ge- 
wundert habe, wie der Kaiser ihn, einen Mönch, in Kriegs- 
angelegenheiten um Rath bitten Hess, aber Gott habe ihm 
die Gnade erzeigt, dass er so dem Kaiser einen Rath er- 
theilen durfte, der sich zweifelsohne als nützlich erwies, 



Digitized by 



Google 



i\ Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmolkald. Krieges. 387 

Denn ehe 14 Tage vergingen, erhielt Johann Friedrich Nach- 
richt von dem Einfall des Römischen Königs und des Moriz 
in sein Land und dass dort alles drunter und drüber gehe, 
so dass er sich zum Abmarsch entschloss, um sein Land zu 
vertheidigen , wodurch sich dann das ganze Lutherische 
Heer auflöste l ) und der Kaiser Herr im Felde blieb, ohne 
dass jedoch dessen Reiterei, die beständig dem Feinde auf 
den Fersen war, demselben einigen Nachtheil zufügen konnte." 
In diesem Bericht fallen einige nebensächliche Punkte 
auf: die Verlegung der kaiserlichen Truppen nach Ulm 
und Augsburg war doch unmöglich, da sich diese Städte 
damals noch nicht unterworfen hatten, die Mittheilung über 
die Verfolgung der kaiserlichen Reiterei ist ungenau. Das 
sind indessen Dinge, welche leicht durch den Berichterstatter 
ungenau aufgefasst werden konnten; sie kommen nicht in 
Betracht für den eigentlichen Kern der Erzählung über den 
Einflus8 des Beichtvaters. Dass dieser eine bedeutende Rolle 
spielte, stets zum Kriege drängte, ist mannichfach bezeugt. 
Wenn man auch absieht von der in dem gleichen Schrift- 
stück auftretenden Behauptung, dass Soto schon im Jahre 
1544 dem gegen Frankreich gerüsteten Kaiser den Rath 
gegeben habe, sich mit Frankreich zu vertragen und sofort 
gegen die überraschten Lutheraner zu wenden, so erkennt 
man den Einfluss des Beichtvaters aus dem zur Verbrennung 
bestimmten Schreiben des Erasso an Cobos, welches Mauren- 
brecher aus Simancas mitgetheilt hat. Und dass nicht bloss 
vor dem Kriege der Beichtvater die Rathschläge Granvella's 
bekämpfte, welche auf friedliche Verständigung abzielten, 
sondern dass er auch während des Feldzuges eine einfluss- 
reiche Rolle spielte, sieht man aus den Berichten des 
Nuntius Verallo. Wegen der Krankheit Soto's hegt er die 
Besorgniss, dass es ihm nicht gelingen werde, die von dem 

1) Statt 'chiuse* ist 'sciolse' zu lesen ; S. 384 Z. 4 statt c cosa lies 'scortica.' 



Digitized by 



Google 



388 Nachtrag zur Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882. 

Kurfürsten von der Pfalz versuchte Aussöhnung mit dem 
Kaiser zu hintertreiben. Er beklagt die Krankheit des 
Mannes, weil derselbe zu allem Guten so dienstbereit sei, 
d. h. weil derselbe sich jedem auf Duldung abzielenden 
Schritte des Kaisers mit Eifer widersetzte. 

Als Ergebniss unserer Untersuchung werden wir hervor- 
heben dürfen, dass die schmeichlerischen Lobeserhebungen, 
welche Jovius dem Kaiser in seinem Briefe an Castaldo 
spendete und die von dort in die offizielle Geschichtschreib- 
ung ihren Weg gefunden haben, nicht die wirkliche An- 
sicht des Italienischen Humanisten wiedergeben. Vielmehr 
hatte dieser sich die Ueberzeugung gebildet, dass schwere 
Fehler der kaiserlichen Kriegführung nachzuweisen waren, 
wie er dieses in einem Briefe aus dem December 1546 an 
Pierluigi Farnese ausspricht, von welchem bereits oben die 
Rede war. Er schreibt: „Diese unerhörten und mühelosen 
Erfolge des Kaisers gegen die Deutschen lassen Jedermann 
glauben, dass die Göttin Fortuna ihm in feiner Arbeit die 
schöne Monarchie herrichte, welche kluge Leute, die die 
Gelegenheit zu ergreifen wissen, herbeisehnen ; um die Wahr- 
heit zu sagen, wer hätte geglaubt, dass König Franz, wie 
er die Kanonade von Ingolstadt hörte, ruhig bleiben und 
sich die Hoden in Rosenwasser baden würde, nachdem der 
Kaiser unüberlegt und zu einer für das Kriegführen unge- 
eigneten Zeit sich in diesen Krieg eingelassen hatte, ohne 
sich mit Frankreich zu verständigen, zumal da dieses mit 
England Frieden geschlossen hatte. Wer hätte je geglaubt, 
dass der Landgraf nach Füssens Einnahme nicht nach 
Regensburg gegangen wäre und auch die zweite Gelegenheit 
versäumt hätte, nach Landshut zu gehen, wodurch er die 
Italiener und Spanier fern gehalten und den Kaiser ge- 
zwungen hätte, sich nach Baiern zu retten? Wer hätte es 
für möglich gehalten, dass er, nach dem Treffen zu Ingol- 
stadt, wo er nicht, wie Sebärtlin gewollt, den sicheren Sieg 



Digitized by 



Google 



r. Druffcl: Beitr. z. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 389 

zu ergreifen gewusst, sich nicht mindestens dazu entschloss, 
gegen Büren zu ziehen, den er mit der geringen Truppen- 
zahl zweifelsohne entweder im Felde geschlagen oder zurückge- 
jagt hätte? Das waren sicherlich besondere Glücksfälle für 
den Kaiser!' 4 

Jovius beurtheilt hier den Verlauf des Krieges in ähn- 
licher Weise, wie in jenem Schreiben an die gefangenen 
Schmalkaldischen Fürsten. Er glaubt von Fehlern auch 
des Kaisers, nicht bloss der Schmalkaldner, zu wissen; im 
Gegensatze zu den meisten neueren Historikern, 1 ) welche, 
Baumgarten ausgenommen, grade in dem Zustande der aus- 
wärtigen Politik ein Motiv sehen, wesshalb der Kaiser den 
Krieg zu unternehmen habe wagen dürfen, macht Jovius 
darauf aufmerksam, dass kein Mensch sich habe vorstellen 
können, dass die auswärtigen Mächte den Kaiser bei seinem 
Deutschen Kriege unbehelligt lassen würden. Es mag sein, 
dass Jovius mit seinen abfälligen Urtheilen über den Kaiser, 
. in jenem Briefe an die Fürsten von Sachsen und Hessen 
den Zweck verband, dass der Kaiser, welchem sie durch den 
Herzog von Alba bekannt werden mussten, mit freigebiger 
Hand ihm eine bessere Meinung beizubringen versuchen 
sollte ; aber mit Bestimmtheit wird man behaupten dürfen, 
dass hier und in dem Briefe an Pierluigi Farnese das aus- 
gesprochen ist, was Jovius wirklich über die Kriegführung 
urtheilte, nicht aber in dem verherrlichenden Briefe, welchen 
er an Castaldo schrieb, wo, wie oben dargelegt wurde, nur 
zwischen den Zeilen eine versteckte Andeutung über seine 
wirkliche Ansicht zu entdecken ist. 

Nach dem Gesagten werden wir auch ermessen können, 
welche Bewandtniss es hat mit dem lobenden Vergleiche 
Karls V. mit Cäsar, Fabius Cunctator, Karl dem Grossen, 



1) Ranke IV, 308: Hülfe von aussen konnten die Protestanten 
auf keiner Seite erwarten, 



Digitized by 



Google 



390 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882. 

und was der Erfinder dieses Vergleiches innerlich über 
Avila urtheilte, der denselben seiner Geschichtsdarstellung 
einverleibte. Ich sage: innerlich, denn getreu dem Grund- 
satze, dass es thöricht sei, durch verletzende Bemerkungen 
über Lebende sich mit der Schriftstellerei statt erwünschter 
Gnadenbezeugungen Hass zuzuziehen, l ) hat Jovius der Welt 
gegenüber einen anderen Standpunkt eingenommen. Am 
14. August 1548 schrieb er dem Avila einen Brief mit be- 
geisterten Lobeserhebungen über dessen Commentar, in jeder 
Zeile sehe er mit Titians *) Pinsel nach der Natur gemalt die 
unvergleichliche Energie und das wunderbare Urtheil des 
hochherzigen Kaisers. Weil Avila so vortrefflich den Deut- 
schen Krieg beschrieben, so habe er selbst darauf verzichtet, 
denselben darzustellen, versichert er im November 1550 dem 
kaiserlichen Vicekanzler. In demselben Briefe preist er die 
Abänderungsvorschläge, welche ihm durch Arras bezüglich 
seiner Schilderang des Tunesischen Peldzugs zugekommen 
waren; wie Voigt 8 ) indessen nachgewiesen hat, machte er 
nur theilweise von denselben Gebrauch und Hess Manches 
stehen, dessen Abänderung man am kaiserlichen Hofe und 

1) Jovius an Torelli, Lett. f. 43: non ho osato offendere a carne 
viva di quegli che si potrehbono lamentar di me, se in qualche luogo 
nimis libero ore locutus videar; perche nihil ineptius et stultius esse 
videtur, quam inde parare odiura unde gratiam expectes. 

2) Veggo in ogni luogo ritratto dal naturale col pennello di Titiano 
rincomparabil vigore congiunto col maraviglioso giudicio del roagnanimo 
imperatore in sostenersi in temperarsi in tanti accidenti di varie attioni. 
1548 Aug 14, an Avila f. 47. 

3) Vgl. G. Voigt Zug Karls V. gegen Tunis, in Abhandl. d. phil.- 
hist. Klasse der Sachs. Gesellschaft der Wiss., VI, 193, 234 (33, 74). 
Die Korrespondenz über des Jovius Geschichtswerk wurde dadurch er- 
öffnet, dass dieser am 14. August dem Kaiser persönlich die Stelle, 
welche von dem Zuge gegen Tunis handelte, übersandte „accioch* ella 
sia trascorsa et riveduta prima ch'io la mandi alla stampa; essendo io 
pronto, come affettionatissimo servitore, a mutare aggiugnere et scemare, 
quanto parra a V. M tä si ricca di memoria et di perfetto giudicio." 



Digitized by 



Google 



v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des SchmcdkcUd. Krieges. 391 

zwar in einem eben von Avila verfassten Aufsatze ihm 
empfohlen hatte. Mit ziemlicher Bestimmtheit wird man 
behaupten dürfen, dass eine Darstellung des Deutschen 
Krieges aus der Feder des Jovius mit Avila's Schilderung 
sich eben so wenig gedeckt haben würde, als dieses hin- 
sichtlich ihrer Beschreibung des Afrikanischen Zuges der 
Fall ist; nach dem, was wir über seine Beurtheilung der 
kaiserlichen Kriegführung erfahren haben, kann man gewiss 
sein, dass dieselbe in wichtigen Punkten Vorwürfe gegen 
die kaiserliche Kriegführung erhoben haben würde, von 
denen bei Avila und in den Commentaires nicht die Rede 
ist, — allerdings vorausgesetzt, dass nicht kaiserliche Gnaden- 
bezeugungen seiner Feder eine andere Richtung gegeben 
hätten. Jovius hat, so viel wir wissen, den Deutschen Krieg 
nicht beschrieben, um so dankbarer müssen wir ihm für die 



Dem Bischof von Arras dankt er 1550 November 26 für die Erfüllung 
seiner Bitte: „Conosco molto bene che gli avedimenti et precetti che 
la S. V. Rev. mi da per adattar meglio il tenor dell' historia vengono 
da perfetto giudicio accompagnati con la luce della veritä, fede et carita. 
Per il che ne terrö quel conto ch'io debbo, et assetterö ogni cosa, tal- 
mente che satisfara al mondo." Dass dies satisfar al mondo nicht 
gleichbedeutend ist mit satisfar all' imperatore gibt er dann deutlich 
zu verstehen, indem er des kaiserlichen Staatsmanns Klage über die 
Bevorzugung der Franzosen mit der Bemerkung zurückweist, grade in 
den letzten Tagen habe der Franzosische Gesandte zu Rom sich über 
die in dem Werke vorherrschende Abneigung gegen die Franzosen und 
die Verherrlichung des Kaisers beklagt. Obschon er auch Avila gleich- 
zeitig schreibt, und demselben als dem eigentlichen Verfasser der über- 
sandten Berichtigungen die Versicherung gibt, dass er Alles verbessern 
wolle, da er vorzugsweise bestrebt sei, den Kaiser der Nachwelt als 
vollkommenen Feldherm zu schildern, hat er, wie Voigt nachgewiesen, 
keineswegs in allen Punkten die kaiserlichen Wünsche berücksichtigt. 
Hat der Humanist nicht den Avila verspottet, indem er denselben pries 
„poiche cosi leggiadramente scrive et inLatino, et in volgare", wäh- 
rend Avila sich seinen Aufsatz durch van Male hatte ins Lateinische 
übersetzen lassen? 



Digitized by 



Google 



392 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. frebmar 1882. 

wenigen Andeutungen sein, welche er uns hinterlassen hat, da 
sie uns die Möglichkeit gewähren, die einseitigen Schilderungen 
der Commentaires und Avila's zu prüfen, zu ergänzen und 
zu berichtigen. 



Anhang. 

I. Des Jovius Brief und der Dialog über den Schnialkaldischen Krieg. 

Es sind zwei Ausgaben der beiden Schriften vor- 
handen. Die eine besitzt die hiesige Staatsbibliothek; sie 
hat den Titel : De bello || Gerraanico Dialogvs. || Pauli Jovii 
histo- |1 rici ad Johannem Fre- || dericum Saxonum et Philip- 
puni Chat- || torum Principes Epistdla. || s. 1. anno MD XL VII. 
Auf dem Titelblatt der kaiserliche Doppeladler mit Krone. 

Die andere Ausgabe, ein anderer Druck, stellt die Titel 
um und hat nicht das kaiserliche Wappen ; in ihr folgt der 
Dialog dem Briefe. Sie ist in der Üniv.-Bibliothek. 

Das kaiserliche Wappen ist kein Beweis, dass das 
Schriftchen wirklich unter kaiserlicher Billigung gedruckt 
worden ist. Dieser Kunstgriff, das Wappen aufzudrucken, 
wurde von gegnerischer Seite zuweilen angewandt: Die 
„Newe Zeyttung || von disem Krieg. || Bibl. Mon. Eur. 346, 
65, 4°, eine durchweg dem Kaiser feindselige Flugschrift, 
trägt ebenfalls den kaiserlichen Adler mit Wappen, welches 
allerdings ebensowenig mit heraldischer Genauigkeit gezeichnet 
ist, als dasjenige, welches sich auf der Schrift des Jovius 
findet. Auch die Veröffentlichung des Jovius'schen Briefes 
dürfte dem Kaiser, welchem darin einige hämische Bemerk- 
ungen gewidmet werden, schwerlich angenehm gewesen sein. 

Der Gedanke, dass der Brief eine Fälschung sein 
könnte, muss indessen unbedingt zurückgewiesen werden. 
Bei Domenichi Lettere volgari di Mons, Paolo Giovio, 



Digitized by 



Google 



r. Druffel: Beitr. z. nnUtiii*. Wür<li(/un(f des Schmal kahl. Krieges. 393 

Venezia 1560, sind Briefe des Jovius an den Herzog von 
Alba und an Johann Castaldo abgedruckt, in deren erstem 
Alba gebeten wird , die Uebermittlnng des beifolgenden 
Briefes an die gefangenen Fürsten zu übernehmen, während 
in dem anderen Castaldo ersucht wird, auf die Gewährung 
dieser Bitte durch Alba hinzuwirken. Schon vorher hatte 
Jovius durch Castaldo dem Herzog von Alba anbieten lassen, 
dass er dessen Verdienste um den errungenen Sieg, wie er 
sich auszudrücken pflegt, in dem Buche des Lebens d. h. in 
seiner Geschichte feiern wolle, und Alba hatte dieses gnädig 
angenommen; jetzt bat er den Herzog selbst, ihm einen 
Bericht über den wahren Verlauf des Krieges, wenn auch 
in Spanischer Sprache, zukommen zu lassen und seinen Brief 
an Johann Friedrich von Sachsen, welcher am kaiserlichen 
Hoflager weilte, eigenhändig zu übergeben, dem Landgrafen 
aber eine Copie zukommen zu lassen. Er wollte, wie er 
sagt, in der Lage sein, die Aussagen der beiden Parteien 
abzuwägen und so das Richtige festzustellen, und führt zur 
Aufmunterung sowohl Alba's als der gefangenen Fürsten an, 
dass Karl V. ebenso wie Franz I. in gleicher Weise ihm 
gnädig gewesen seien, indem der erstere ihm über den 
Afrikanischen Sieg in entgegenkommendster Weise Mittheil- 
ungen gemacht habe, Franz I. aber verschiedene Male ihm 
die Ursachen seiner Niederlagen wie seiner Erfolge aus- 
einandergesetzt habe. Indem Jovius der Erwartung Ausdruck 
gibt, dass die gefangenen Fürsten ihm höflich entgegen- 
kommen würden, unterlässt er doch nicht, für den andern 
Fall die Drohung beizufügen, sie würden sich über ihn nicht 
beklagen können, wenn er dann ihren Ruf dem leichtfertigen 
Urtheil des unerfahrenen Haufens überlasse. 

Da Jovius in seinem Geschichtswerk des Schmalkaldi- 
schen Krieges nur am Schlüsse kurz gedenkt, vermögen wir 
nicht einmal eine Vermuthung zu äussern über den Erfolg, 
welchen sein Brief bei den gefangenen Fürsten gehabt hat. 



Digitized by 



Google 



394 Nachtrag zur Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882. 

Vielleicht dassNachforschungen im Marburger oder Weimarer 
Archiv Weiteres zu Tage fördern könnten. 

Der „Dialogus de hello Germanico," welcher mit dem 
Briefe des Jovius verbunden ist, steht mit demselben den- 
noch nur in zufälligem Zusammenhang. Die Tendenz des 
darin zwischen Ariovist und Caesarius geführten Gespräches 
ist dem Kaiser günstig. Ariovist ruft im Beginne seine Ger- 
manen zu den Waffen, um entweder glücklich zu siegen, 
oder muthig zu unterliegen: denn schon vor Jahren hat 
man beschlossen an Stelle der zu entwurzelnden Römischen 
Kirche die Wittenberger zu begründen, und jenen Karl, 
der sich zum Vertheidiger der Römischen Synagoge auf- 
werfe, zu unterdrücken. Cäsarius begrüsst die von Norden 
heranziehenden Schaaren und verhöhnt den Prahler, der 
nicht nur der grosse, sondern der grösste Alexander ge- 
nannt zn werden verdiene, indem er die Frage stellt, ob 
man vielleicht den Türken bekämpfen wolle. Die Antwort 
ist : Wir kommen zum Reichstage nach Regensburg, wollen 
dann das Concil zu Trient besuchen, vielleicht nach Rom, 
dem Papste die Füsse zu küssen, denn wir sind die Evan- 
gelischen, deren Ruhm den Erdkreis erfüllt, entschlossen 
den Kaiser mit allen seinen Spaniern und Italienern 
zu bekämpfen, um dann den Klerus zu vertilgen und die 
Kloster- und Kirchenschätze zu plündern. Gegen den Ein- 
wurf, der von Andern nicht besiegte Kaiser werde auch für 
sie unbesieglich sein, wendet Ariovist ein, dass sie unter 
Christi Führung kraft ihres Bundes den besiegen würden, 
an welchem Türke und Franzose sich vergeblich versucht 
hätten. Einer längeren Ausführung über die Pflicht, dem 
Kaiser, als der voq Gott geordneten Obrigkeit, zu gehorchen, 
weicht Ariovist dadurch aus, dass er das Recht betont, sich 
gegen den vom Papste beschlossenen Angriff zu rüsten, 
demselben zuvor zu kommen. Gegen ihre mächtigen Heer- 
schaaren werde der entfiederte Adler schwerlich etwas aus- 



Digitized by 



Google 



r. Druffel: Beitr. ,:. tnüitär. Würdigung des SchmnJkald. Kriege*. 395 

richten. Cäsarius will darin nicht die Berechtigung sehen, 
sich dem Kaiser entgegen zu setzen, dessen durch lange 
Jahre stets bezeigte Milde von den Protestanten dadurch 
beantwortet werde, daas sie demselben sogar vom Throne 
zu stosscn gedächten. Die Einwendung des Ariovist, das 
Schmalkaldische Bündniss bezwecke nur die Vertheidigung 
des Evangeliums beseitigt Cäsarius durch die Behauptung, 
der Kaiser habe den Krieg nicht begonnen, nur den unge- 
rechten Krieg der Evangelischen mit dem Schwerte besei- 
tigen, das bedrohte Römische Reich retten wollen. Der 
Krieg sei nicht formlich erklärt worden, nur durch Ge- 
rüchte sei den Protestanten die Nachricht zugekommen, der 
Gehorsam solle wieder hergestellt werden. Fühlen sich da- 
mit die Evangelischen persönlich getroffen? Wenn der 
Kaiser auch vorher nichts gegen sie im Sinne hatte, so 
mus8te derselbe sich jetzt erheben, wo die Evangelischen 
offenen Krieg in Deutschland beginnen, fremde Gebiete an- 
greifen, auch den Römischen König nicht schonen und zu 
diesem Werke Evangelischer Liebe Mahomeds Hülfe erbitten, 
da der Franzose sich zurückhält. Das heisst für das Vater- 
land so kämpfen, wie es einst Catilina und die Albigenser, die 
Taboriten und Münzer, die Zwinglianer und die Westfalen 
gethan haben. Ariovist dagegen betheuert sein Vertrauen auf 
Gottes Hülfe in dem Kampfe des Apfel- und des Schlüssel- 
trägers wider das Evangelium, denn der Gehorsam sei nur 
Vorwand, in Wirklichkeit meine man die Religion. Cäsarius 
entgegnet, dass auf diese Weise jeder Räuber seine Sache als 
gerecht hinstellen könne, vielmehr des Kaisers Sache sei 
die gerechte, derselbe kämpfe zur Vertheidigung der katho- 
lischen altväterlichen Religion und zwar gezwungen, später 
als er gesollt habe, und würde viel lieber gegen die Türken 
sich wenden, falls dies der Evangelischen Ruchlosigkeit zu- 
liesse, die nichts anderes planten, als die Beraubung der 
Katholiken und Plünderung der Klöster und Heiligthümer. 



Digitized by 



Google 



396 Nachtrag zur Sit zun// der histor. (Hasse vom 4. Februar 1882. 

Ariovist lässt es sich uicht nehmen, dass die [Evangelischen 
viele Gründe hätten, den Kaiser zu bekriegen, während der 
Kaiser keinen habe, verweist aber dann der Aufforderung 
des Cäsarius gegenüber, nur einen einzigen zu nennen, auf 
Bucers Ausführungen. 

Nach einigen Erörterungen über das Auftreten der Prote- 
stanten auf den Reichstagen, die vielen Versuche des Kaisers 
durch Gespräche, Reichstage und Concilien eine Versöhnung 
herbeizuführen, wird die Frage der Heranziehung des Spani- 
schen Kriegsvolks erörtert, welche Cäsarius durch die Untreue 
des Deutschen Soldaten erklärt und mit der Bemerkung recht- 
fertigt, dass die Protestanten gern Türken und Moscowiter zu 
Hülfe riefen; dann geht Ariovist dazu über sein Programm 
zu entwickeln : „Es geht um das Reich ; der Sieger soll Kaiser 
sein, die Römische Kirche muss vernichtet, das einst Römische 
jetzt Deutsche Kaiserthum muss von den Spanisch- Deutschen 
auf die ächten Deutschen übertragen werden, vom Klerus soll 
kein Stäubchen übrig bleiben. Da Gott für uns ist, vermag 
ganz Europa nichts gegen uns. Leb wohl, Bestie!" 

Merkwürdig ist der Schluss, welcher dem Cäsarius in 
den Mund gelegt ist: „Jesus Christus! Du wirst es besser 
wenden! Wir bekennen, dass die Römische Kirche das 
Schlimmste verdient hat und wir alle mehr ein scharfes 
Gericht als Barmherzigkeit verdienen, aber doch wankt 
unsere Hoffnung nicht. Wenn Da mich jetzt zur Rechen- 
schaft rufst, so weiss ich wohl, dass dem Willen Gottes 
Niemand widerstehen kann, und es ist gewiss wahr, wenn 
der gerechte Gott Eure Bosheit als eine bereite Geissei 
gegen die Verbrechen des Klerus und Volkes anwenden will, 
so wird kein irdischer Kämpfer etwas dagegen ausrichten, 
ehe nicht unsere Regenten zur Besserung der Kirche wie 
des Staates gebracht werden. Seid Ihr aber aus eigenem 
Antriebe zur Befriedigung der Gelüste Eures Herzens und 
aus Ruhmdurst erschienen, so werdet Ihr verweht werden 



Digitized by 



Google 



r. Druffel: Beiir. z. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 397 

wie der Staub vom Nordwind. Die Weissagungen müssen 
erfüllt werden: Wehe kommt von Euch über die Kirche, 
aber dann über Euch von dem, der die gereinigte Kirche 
nicht verlassen wird, wir wollen lieber als Katholiken ge- 
geisselt werden, als selbst die Geisseier sein. Nirgends 
steht geschrieben, dass Gott im Zorn die Christen durch 
Christen gezüchtigt habe, wenn nicht vielleicht Ziska, Münzer 
oder der Leidener eine solche Peitsche waren. Seid Ihr 
aber eine solche Geissei, wie einst Hunnen und Vandalen, 
so geschehe der Wille Gottes, aber Ihr müsst wissen, dass 
Euer ein schrecklicheres Eude wartet. Es steht geschrieben : 
Wehe Assur, die Geissei meines Zornes, und : Wer das 
Schwert ergreift, wird durch das Schwert umkommen. 
Mag auch der Römische Kaiser geschlagen und verjagt 
werden, so unterliegt doch nicht die gerechte Sache, und 
Euch befreit ein Benjaminischer oder Cadmeischer Sieg, 
der mehr dem göttlichen Zorne als Eurer Tapferkeit zuzu- 
schreiben wäre, niemals von Eurer Schuld. Unsere Sünden 
sind Eure Waffen, mit denen Ihr uns schlagt, so lange es 
Euch gestattet wird. Eine strenge Reform hätte uns schützen 
und Gottes Zorn von der Kirche abwenden können, aber 
da diejenigen, welchen es oblag zu bessern, nicht wollten, 
so werden wir vom Himmel geschlagen, denn gerecht ist 
des Herrn Gericht. Aber nach der Finsterniss kömmt das 
Licht und heiterer Tag. 44 

Der Dialog ist „im Juli 1546" datirt und der Inhalt 
stimmt mit dieser Angabe überein. Besonders der Schluss, 
welcher unter dem Eindrucke des anfänglichen Erfolges der 
Schmalkaldner geschrieben erscheint, macht diese Abfassungs- 
zeit wahrscheinlich. Wer der Verfasser sein mag, ist schwer 
zu sagen. v Die scharfe Wendung gegen Bucer könnte uns 
an Cochläus oder Latomus denken lassen. Grade die Schluss- 
wendung mit den Anklagen gegen die Nachlässigkeit der 
katholischen Oberhäupter würde zu Cochläus passen, welcher 
[1882. II. Philos.-philol. bist, Cl. 3.] 27 



Digitized by 



Google 



398 Nachtraft zur Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882. 

kurz vorher eine Schrift geschrieben hatte mit scharfen An- 
klagen gegen die Bischöfe, deren Druck aber dann auf An- 
rathen des Cardinais Cervino unterblieb. 

IL Ueber einige anonyme Aktenstücke in den Papiers de Granvelle. 

Die Stücke, welche in den Papiers de Granvelle von 
Weiss Band IV, S 380 fg. unter dem Namen des Cärdinals 
von Augsburg, seines Kämmerers Johann Lesinoschi, des 
Bernardo Pitti aufgeführt werden, und theils an N. N., 
theils an den Seigneur Logos gerichtet sein sollen, müssen 
auf ihren Ursprung genauer untersucht werden. Man sieht 
sofort, dass es keine wirklichen Briefe, sondern Auszüge aus 
solchen, oder Aufzeichnungen über mündliche Erzählungen 
sind, welche zum Theil der Cardinal Truchsess dem Ver- 
fasser mitgetheilt hatte. Dieser mnss ein Italiener gewesen 
sein, und zwar sind die Berichte derart, dass sie an die 
Römische Curie gerichtet zu sein scheinen. S. 381 wird 
davon gesprochen, dass ein von dem Legaten [dem er- 
warteten Morone] mitgebrachter Italienischer Prediger in 
Augsburg guten Erfolg haben werde; es wird ferner erzählt, 
die Gesandten Johann Friedrichs hätten geäussert, falls man 
den Jesuiten Jajus an den Hof ihres Herrn kommen lasse, 
würde die Einigung leicht hergestellt werden können. Das 
scheint darauf hinzudeuten, dass wir es hier mit Jesuiten- 
berichten zu thun haben, wozu der Abfassungsort Dillingen 
trefflich stimmen würde. Die Berichte setzen aus während 
der Zeit, wo der Cardinal Morone in Augsburg weilte — 
dieser ist der cardinalis [nicht consul !] vicarius, 1 ) der am 
31. März wegen der Papstwahl mit dem Cardinal Truchsess 
wieder abreiste, nachdem er am 24. März angekommen war — 
sie werden erst wieder aufgenommen am 25. Mai. Hieraus 
wird man zwar keinen Schlnss ziehen können, aber viel- 



1) ßaum garten Sleidan S. 272. 



Digitized by 



Google 



v. Druffel: Beitr. z. mtiitär. Würdigung des Sehmulkald. Krieges. 399 

leicht doch vermutheo dürfen, dass damals mündliche Be- 
richterstattung an die Stelle der Briefe trat. 

Bei Aufstellung unserer Conjektur bleibt eine Frage 
schwer zu beantworten. Wie sind diese Briefe in den Nach- 
lass des Cardinais Granvelle nach Besan^n gekommen? Aus 
den mir früher durch die Güte des Herrn Stiftsprobstes 
v. Döllinger zugänglich gemachten Heine'schen Auszügen 
aus dem Simancasarchiv ist zu ersehen, dass wenigstens eiu 
Theil dieser Briefe auch dort vorkommt, in den Libros de 
Berzosa leg. 2010, f. 140 fg., und zwar findet sich dort 
f. 141 folgende Stelle, die bei Weiss fehlt: „Che Granvella 
era tributato da Luterani, li quali li donavano grossi presenti, 
et il predetto Granvella ne dava la sua parte allo impera- 
tore, onde havendo detto piü volte allo imperatore che 
Granvella haveva presenti da Luterani, rispose lo impera- 
tore : fate che uua volta io il sappia. Pero occorse, che 
Augastani segretamente darono 15,000 fiorini, 10,000 per 
lo imperatore et 5000 per Granvella et raessero i danari" in 
certi bariletti dentro una botte di vino. u 

Nach Maurenbrecher Karl V. S. 168* hat Berzosa 
seine Sammlung in Rom zusammen gebracht; hier besteht 
also keine Schwierigkeit. Auf ähnliche Weise kann der 
Cardinal Granvella sich Abschriften, denn um solche wird 
es sich handeln, verschafft haben. Er fand darin eine durch- 
weg gegen ihn und seinen Vater feindselige Stimmung. 
Das stärkste ist wohl, wenn es lediglich dem Eigennutz 
Granvella's zugeschrieben wird, dass er sich dem Kriege 
Avidersetzte. *) 



1) S. 412: perche non li tornava a bene nel suo particular dissegno. 



27* 



Digitized by 



Google 



400 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. December 1882. 

Nachtrag zu W. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 

Zu S. 282. Die Venetianer Abschrift des Paulinus enthält nach 
Mittheilung des H. Prof. R. Fulin dieselbe Construction wie die römische 
und die pariser (Fig. 7), doch ohne Thier im Centrum. 

Zu S. 279. 291. 292. 297. 298. Durch die Güte des H. Ober- 
bibliothekar Bruun in Kopenhagen erhielt ich Cod. 1093 Fol. Nr. 15 und 
16 enthalten die S. 291 erwähnten, um 1777 gefertigten Zeichnungen 
des freilich nicht immer verlässigen Isländers Holm. Nr. 15: rund, 
vierachsig, mit 11 Gängen und 31 Gangstücken, sehr ähnlich Fig. 7 
(S. 281), doch mit einigen willkürlichen Abänderungen. Nr. 16 enthält 
die unten gegebene Figur (6 a). Dieselbe, rund, einachsig, zu 11 Gängen, 
aber zu nur 4 Zungen ist genau die S. 279, III von mir construirte 
Art, deren verschobenes Abbild III, a, Fig. 6 (Toussaints) gibt. 

In der soeben erschienenen 'Hansischen Wisbyfabrt* (Leipzig, Leop. 
Voss, 1883) S. 9 heisst es von Wisby auf der Insel Gotland: 'Im 
Norden der Stadt liegt der Galgenberg; an dessen Fnss der Spielplatz 
Tröburg (vgl. Trojeborg S. 292), eine zirkelrunde Steinsetzung mit 
Schlangengängen, die gegen dreiviertel Fuss breit durch Steinreihen 
von etwa faustgrossen Steinen von einander getrennt sind. In welcher 
Weise dieser Spielplatz benutzt wird, ist uns unbekannt.' Die beige- 
gebene Zeichnung gibt genau die Wege unserer Fig. 6 a. Das zeigt, 
dass ich S. 299 mit Recht annahm, aus dieser Figur hätten sich die 
Wunderkreise Wachtmanns und unserer Turnschulen entwickelt 

Fig. 6 a. 




Sollte der Name 'Trojaburg zusammenhängen mit dem noch im 
Mittelalter gebräuchlichen Ludus Trojae, einem Reiterspiel, dessen 
Figuren Virgil (Aen. 5, 588) den Windungen des Labyrinths vergleicht? 



Digitized by 



Google 



Verzeichnis» der eingelaufenen Büchergeschenke. 



Von der Historisch Genootschap in Utrecht: 

a) Werken. Nieuwe Serie Nr. 33. 1882. 8°. 

b) Bijdragen en Mededeelingen. Deel V. 1882. 8°. 

c) Supplement-Katalogus van de Boekerij. 1882. 8°. 

Von der Societe Provinciale des arts et sciences in Utrecht: 

a) Jaarverslag. 1881. 8°. 

b) Aanteekeningen der Sectiön. 1880 u. 1881. 8°. 

c) J. van Leeuwen, Commentatio de Aiacis Sophoclei authentia 
et integritate. Traj. ad Rh. 1881. 8°. 

d) J. F. Gebhard, Het Leven van Mr. Nicolaus Cornelisz 
Witsen. (1641 — 1717). 2 voll u. Table gem§alogique. 
1881-1882. 8°. 

e) Van Riemsdijk, Geschiedenis van de Kerspelkerk van St. 
Jacob te Utrecht. Leiden 1882. Fol. 

Von der k. Akademie der Wissenschaften in Copenhagen: 

a) Oversigt. Kjöbenhavn. 1881—1882. 8°. 

b) Regesta diplomatica historiae Danicae. Tom I. II. 1. 2. 
Ser. II. Tom. I. pars 1. Havniae 1847—80. 4°. 

c) Kong Frederik I. danske Registranter. 1 u. 2. Halvbind. 
1878—79. 8°. 

d; Danske Kancelliregistranter. 1535 — 1550. 1 u. 2. Halv* 
bind. 1881—82. 8°. 



Digitized by 



Google 



402 Einsendungen von Druckschriften. 

Von der Gesellschaft für Nordische Alterthumskunde in 
Kopenhagen : 

a) Memoires.« Nouv. S^r.1881. 8°. 

b) Aarböger. 1882. 8°. 

Vom k. statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart: 

Das Königreich Württemberg. Eine Beschreibung von Land, 
Volk und Staat. Liefg. 1— 4. 1882. 8". 

Von der Redaktion des Correspondenz-Blattes in Stuttgart: 

Correspondenzblatt für die Gelehrten- und Realschulen Württem- 
bergs. 2«. Jahrg. 1862. Heft 1, 2. Tübingen 1882. 8°. 

Von der archäologischen Gesellschaft in Athen: 

TlQaY.TiY.cL r^g iv l4&qvaig dQx al0 ^°Y l *V$ £*«*<?*<*£• 1 88 1 bis 

82. 8°. 

Vom Peabody Institute in Baltimore: 
15. annual Report. June 1. 1882. 8°. 

Von der allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der 
Schweiz in Bern: 

Jahrbuch für Schweizerische Geschichte. Bd. VII. Zürich 
1882. 8°. 

Von der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien: 

a) Denkschriften. Philosophisch-historische Classe. Bd. 32. 

b) Sitzungsberichte. Philosophisch-historische Classe. Bd. 99. 
1882. 8°. 

Archiv für österreichische Geschichte in Wien. Bd. 63. 1881 
bis 82. 8°. 

Von der k. preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin: 
a) Corpus inscription um atticarum. Vol. III. pars 2. 1882. Fol. 



Digitized by 



Google 



Einsendungen von Druckschriften. 403 

b) Sitzungsberichte I— XVII. 1882. 8°. 

c) Abhandlungen aus dem Jahre 1880 u. 1881. 1881 bis 
82. 4". 

d) Sitzungsberichte XVIII— XXXVIII. 1882. 8°. 

e) Politische Correspondenz Friedrichs des Grossen. Bd. VIII. 
1882. 8°. 

Vom Verein für Geschichte ehr Mark Brandenburg in Berlin: 
Märkische Forschungen. Bd. 17. 1882. 8 Ü . 

Von der k. Vittenhets Historie och Antiquitets Akademie 
in Stockliolm: 

a) Mänadsblad. Argäng 1880. 1881. 1881—82. 8°. 

b) Anglosachsiska Mynt i Svenska k. Myutkabinettet, af B. 
E. Hildebrand. 1881. 8°. 

Von der Fürstlich JablonowskiscJien Gesellschaft in Leipzig: 

a) Preisschriften. Nr. XXIII. F. 0. Weise, die griechischen 
Wörter im Latein. 1882. 8 U . 

b) Jahresbericht. 1882. 8°. 

Vom historischen Verein in St. Gallen: 
Mittheilungen. Heft 18. 1881. 8°. 

Von der k. Gesellschaft der Wissenschaften in Upsala: 
Nova Acta. Ser. III. Vol. XI. 1881. 4°. 

Von der Gesellschaft für Schleswig-Holstein-Lauenburgische 
Geschichte in Kiel: 

Zeitschrift. Bd. XI. 1881. 8°. 

Von der Royal Asiatic Society in London: 
Journal. Vol. XIV, 1881 — 1882- 8°, 



Digitized by 



Google 



404 Einsendungen von Druckschriften. 

Vom Verein für Geschichte der Stadt Meissen in Meissen: 
Jahresbericht 1881. 8°. 

Von der Eeal Academia de la historia in Madrid: 

Resumen de los acuerdos. 1879—80 und 1880—82. 1880 
bis 82. 8°. 

Von der k. Akademie gemeinnütziger Wissenschaften in Erfurt: 
Jahrbücher. N. Folge. Heft XI. 1882. 8°. 

Vom North CJiina Branch of the Royal Asiatic Society 
in Shanghai: 

a) Report of the Council for the year 1881. 1882. 8°. 

b) Journal. New, Ser. Nr. XV— XVII. Sanghai. 1880 
bis 82. 8°. 

Vom Verein von Alterthumsfreunden im Rheinlande zu Bonn: 
Jahrbücher. Heft 70-72. 1881—82. 8°. 

Von der Asiatic Society of Bengal in Calcutta: 

a) Journal. New. Ser. Vol. 51. 8°. 

b) Bibliotheca Indica. New. Ser. Nr. 394 u. 395. 1881. 8°. 

c) Bibliotheca Indica. N. S. Nr. 477 — 482. 1882. 8°. 

d) Bibliotheca Indica. Old. Series Nr. 244, 245. New. Ser. 
Nr. 473. 475. 476. 1882. 8°. 

e) The Oriental Biographical Dictionary by Thomas Will. 
Beale ; ed. by the Asiatic Society of Bengal. 1881. 4°. 

Von der herzoglichen Bibliothek in Gotha: 
Die arabischen Handschriften von W. Pertsch. Bd. IV. 1882. 8°. 

Von der Lebensversicherungsbank für Deutschland in Gotha: 
53. Rechenschaftsbericht für das Jahr 1881. 1882. 4°. 



Digitized by 



Google 



Einsendungen von Druckschriften, 405 

Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram: 

a) Rad. Bd. 59-61. 1881—82. 8°. 

b) Monumenta spectantia historiam Slavorum meridionalium. 
Vol. XII. 1882. 8 n . 

Von der Royal Society in Ediriburg : 

a) Transactions. Vol. XXX. 1880-81. 1881. ,4°. 

b) Proceedings Session 1S80 — Sl. 8°. 

Von der Section historique de VInstitut Royal Grand-Ducal 
in Luxembourg: 

Publications. Vol. XXXV. 1882. gr. 8°. 

Von der k. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen: 

a) Abhandlungen. Bd. XXVIII v. J. 1881. 1882. 8°. 

b) Urkunden der Stadt Göttingen aus dem XVI. Jahrhundert 
von A. Hasselblatt und G. Kaestner. 1881. 8°. 

Vom kirchlich-historisclien Verein für Geschichte in Freiburg: 
Freiburger Diözesan-Archiv. Bd. XV. 1882. 8°. 

Vom archäologischen Institut in Rom: 

a) Bulletino per l'anno 1881. 8°. 

b) Annali. Vol. 53. 1881. 8°. 

c) Monumenti per l'anno 1881. Pol. 

Vom Verem für Geschichte der Deutschen in Böhmen zu Prag: 

a) 19. Jahresbericht für das Vereinsjahr 1880—1881. 8°. 

b) Simon Hütteis Chronik der Stadt Trautenau (1484—1601) 
bearbeitet von L. Schlesinger. 1881. 8°. 

Von der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich: 

Denkschrift zur 50 jährigen Stiftungsfeier der Antiquarischen 
Gesellschaft in Zürich. 1882. 4°. 



Digitized by 



Google 



406 Einsendungen von Druckschriften. 

Von der American Academy of Arts & sciences in Boston : 
Memoirs. Vol. XI. Cambridge 1882. 4°. 

Vom Essex Institute in Salem: 
Bulletin. Vol. 13. 1881. 8°. 

Vom Verein für Nassauische Alterthumskunde und Geschichts- 
forschung in Wiesbaden: 

Annalen. Bd. XVI. 1881. 8°. 

Von der Accademia delle seiende delV Istituto di Bologna: 

a) Memorie. Serie IV. Tom. 2. 1880. 4°. 

b) T Accademia delle scienze deir Istituto di Bologna della 
sua origine a tutto il 1880. 1881. 8°. 

Von der öberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften 
in Görlitz: 

Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 58. 1882. 8°. 

Von der Genootschap van Künsten en Wetenschappen in Batavia: 

a) Verhandelingen. Deel 43. 1881—82. 4°. 

b) K. F. Holle, Tabel van Oud-en Nieuw-Indische Alphabeten. 
1882. 4°. 

c) Bealia. Register op de generale resolutien van het Kasteel. 
Batavia 1632—1805. Deel I. Leiden. 1882. 4". 

Von der Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft 

in Halle: 

a) Zeitschrift. Bd. 36. Leipzig 1882. 8°. 

b) Wissenschaftlicher Jahresbericht über die morgenländischen 
Studien im Jahre 1879. Leipzig 1881. 8°. 

Von der Societe Hollandaise des sciences in Hartem: 
Archives N^erlandaises. Tom. XVII. 1882. 8°, 



Digitized by 



Google 



Einsend ungeit von Druckschriften. 407 

Von Tcylers godgeleerd Genootschap in Harlem: 

Verhandelingen rakende den natuurlyken en geopenbaarden 
Godsdienst N. S. Deel X. 1882. 8". 

Vom &. Instituut voor de Taal-Land-en Volkenkunde van Neder- 
landsch Indi'e im Haag: 

Bijdragen. IV. Volgrecks. 's Graveühage. 1882. 8°. 

Von der Academie Imperiale des Sciences in Petersburg: 

a) Memoires. Tom. XXX. 1882 4°. 

b) Tableau general des matieres des publications de TAcademie 
Imperiale des Sciences. Supplöm. I. 1871—1881. 1882.8°. 

Vom historischen Verein für das Württembergische Franken 
in Schwäbisch-Hall : 

Wtirttembergisch Franken. N. F. I. 1882. 4°. 

Vom Verein für siebenbürgische Landeskunde in Hermannstadt: 

a) Archiv. Neue Folge. Bd. XVI. 1880—81. 8°. 

b) Jahresbericht für 187Ü — SO und 1880—81. 8°. , 

Von der Academia Olimpica in Vicenza: 

a) Atti. 1879 und 1880. 1879—81. 8°. 

b) Terzo Centenario di Andrea Palladio, discorso di Camillo 
Boito. 1880. 8°. 

Von der Gesellscliaft für pommerische Geschichte und Alter- 
thumskunde in Stettin: 

Baltische Studien. Jahrg. 32. 1882. 8°. 

Vom Istituto Veneto di scienze in Venedig: 

a) Memorie. Vol. XXI. parte 2. 1880. 4°. 

b) Atti. Serie V, Tom, 7. 1880—81. 8°. 



Digitized by 



Google 



408 Einsendungen von Druckschriften. 

' Vom Ateneo Veneto in Venedig : 

a) Atti. Ser. III. Vol. 4. 1880-81. 8°. 

b) L' Ateneo Veneto. Rivista mensile. Ser. IV. 1881. 8°. 

Von der Regia Accademia di stieme in Modena: 
Memorie. Tomo XX. 1880—81. 4". 

Vom Institut national in Genf: 
Bulletiü. Tom. 24. 1882. 8°. 

Vom Verein für Geschichte und Alterthümer in Stade: 

a) Archiv. Heft 8. 9. (1880-81). 1881 82. 8°. 

b) Das älteste Stader Stadtbuch von 1286. Heft I. 62. 8°. 

Vom Museumsverein in Lüneburg: 
3. und 4. Jahresbericht für 1880 und 1881. 1882. 8°. 

Vom statistischen Bureau der Hauptstadt Budapest: 
Publicationen. XV. 2. Berlin 1882. 8°. 

Vom Verein für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück: 

a) Mittheilungen. 12. Bd. 1882. 8°. 

b) II. Nachtrag zum Verzeichnisse der Bibliothek. Osnabrück 

1882. 8°. 

Von der Academie des Sciences in Lyon: 

a) Memoires. Classe des Lettres. Tom. 20. Paris -Lyon 
1881—82. 4°. 

b) Table des matieres des Memoires. 1S45 a 1881. Lyon 
1882. 4°. 

Vom Historischen Verein von Oberpfalz und Regensburg 
in Regensburg: 

Verhandlungen. Bd, 36. Stadtamhof 1882. 8° T 



Digitized by 



Google 



Einsendungen von Druckschriften. 409 

Vom historischen Verein in Bamberg: 
44. Bericht f. d. Jahr 1881. 1882. 8°. 

Von der Archäologischen Gesellschaft in Berlin : 
Die Befreiung des Prometheus ein Fund aus Pergamon. 1882. 4°. 

Von der schlesischcn Gesellschaft für vaterländische Cultur 
in Breslau: 

59. Jahresbericht für das Jahr 1881. 1882. 8°. 

Vom historischen Verein für das Grossh erzogt hum Hessen 
in Barmstadt : 

Quartalblätter 1881-1882. 1882. 8°. 

Vom historischen Verein für Niedersachsen in Hannover: 
Zeitschrift. Jahrgang 1882. 1882. 8". 

Vom schlestvig-holsteinischen Museum vaterländischer Alterthümer 

in Kiel: 

37. Bericht zur Alterthumskunde Schleswig-Holsteins von H. 
Handelmann. 1882. 4°. 

Vom Hennebergischen alterthumsfor sehenden Verein in Meiningen : 

Einladungsschrift zur Feier des 50 jährigen Bestehens des Vereins, 
von Adolf Schaubach. 1882. 8°. 

Vom Verein für Geschichte und Alterthumskunde Westfalens 
in Paderborn: 

Zeitschrift. Bd. 39. 40. Münster 1880—81. 8°. 



Von der Universität Würzburg: 

a) Alma Julia. Illustrirte Chronik ihrer dritten Säcularfeier. 
1882. Fol. 



Digitized by 



Google 



4-10 Einsendungen von Druckschriften. 

b) Geschichte der Universität Würzburg von F. X. v. Wegele. 
2 Theile. 1882. 8°. 



Vom historischen Verein für Steiermark in Graz: 

a) Mittheilungen. Heft 30. 1882. 8". 

b) Beiträge zur Kunde Steiermärkischer Geschichtsquelleti . 
Jahrgang 18. 1882. 8°. 

Vom Ferdinandeum in Innsbruck: 
Zeitschrift. 3. Folge. Heft 26. 1882. 8°. 

Von der Akademie der Wissenschaften in Krakau: 

a) Rocznik. 1881. 1882. 8°. 

b) Rozprawy filolog. Tom. 9. 1882. 8°. 

c) Archivum literat. Tom. 2. 1882. 8<>. 

d) Monumenta medii aevi. Tom. 6, 7. 1882. 4°. 

e) Kolberg Lud. Tom. 15. 1882. 8°. 

f) Korzon WewnQtrzne dzieje polski. Tom. 1. 1882. 8°. 

Vom Museum Francisco- Carolinum in Linz: 
40. Beriebt. 1882. 8°. 

Von der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde in Salzburg: 
Mittheilungen 22. Vereinsjahr 1882. 1882. 8'\ 

Vom Museo co-munale in Trient: 
Archivio Trentino. Anno I. 1882. 8°. 

Von der k. k. Familien-Fideicommiss-Bibliothek in Wien: 

Die Sammlungen der vereinten Familien- und Privat-Bibliothek 
S. Majestät des Kaisers. Bd. II, 2 und III, 1. 1879 

bis 82. Fol. 

Vom historiscJien Verein der fünf Orte in Luzem: 
Der Geschichtsfreund. Bd. 37. Einsiedeln 18S2. 8". 



Digitized by 



Google 



Einsendungen von Druckschriften. 411 

Von der finl-ändisrhen Gesellschaft der Wissenschaften 
in Helsingfors. 

a) Bitrag tili Kännedom of Finlauds Natur och Folk. Heft 
35—36. 1881. 8°. 

b) OefversigtafFörhandlingar. XXIII. 1880 — 1881. 1881. 8°. 

c) Katalog der Bibliothek 1881. 1881. 8°. 

Von der Commission Imperiale archeologique in St. Petersburg: 

Compte rendu pour l'annee 1880 avec un Atlas. 1882. 4° 
und Fol. 

Von der Royal Society in London: 

a) Philosophical Transactions. Vol. 173. 1881—82. 4°. 

b) Proceedings. Vol. 33. 34. 1881—82. 8°. 

c) Catalogue of the Library of the Royal Society. 1881. 8°. 

d) List of the Fellöws of the Royal Society, 30. November 
1881. 4°. 

Von der deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde 
Ostasiens in Yokohama : 

Mittheilungen. 27. Heft, August 18S2. 1882. Fol. 

Von John Hopkins University in Baltimore: 
7. Annal Report 1882. 1882. 8°. 

Von der American philological Association in Cambridge, Mass. : 

Proceedings of the 14 th annual session held in Cambridge, Mass. 
Juli 1882. 1882. 8°. 

Von der SmitJisonian Institution in Washington: 

a) Annual report for the year 1S00. 1881. 8°. 

b) First annual Report of the Bureau of Ethnology 1879 
bis 1880. 1881. 4°. 



Digitized by 



Google 



412 Einsendungen von Druckschriften. 

c) List of foreign Correspondents of the Smithsonian Insti- 
tution corrected to January 1882. 1882. 8°. 



Von der Royal Society of Victoria in Melbourne: 
Transactions and Proceedings. Vol. 18. 1882. 8°. 



Von Herrn Alfred v. Reumont in Burtscheid: 
Kleine historische Schriften. Gotha 1882. 

Von Herrn Le Comte J. de Cigalla in Santorin: 

a) Joxi/Aiov eyxeioidlov ij&iKtJQ Üeoloylag. Ermupoli 1851. 8°. 

b) neol Ttov noodojucov twv Tiyavitow Ermupoli 1860- 8". 

c) (Diloooq>iY.ai diaUSeig. I. Corfu 1876. 8°. II. Ermupoli 
(Sira) 1879. 8°. III. Ermupoli 1880. 8 ft . 

d) 'Hfjeooloyiov. Ermupoli 1881. 8°. 

Von Herrn Heinrich Handelmann in Kiel: 

Die amtlichen Ausgrabungen auf Sylt. 1873, 75, 77 u. 1880. 
1882. 8°. 

Von Herrn Conego J. Alves Matheus in Lissabon: 

OracjiO funebre do Bispo de Vizeu D. Antonio Alves Martins. 
Lisboa 1882. 8°. 

Von Herrn Spiridion De Medici Dilotti in Messina: 

Causa mossa dai verbi €Qx°H ai e nuöyw all* anomalia ed irre- 
golaritä, fantasia letteraria. Corfu 1882. 8°. 

Von Herrn L. A. Huguet-Latour in Montreal- Canada: 

a) The Canadian Antiquarian. Vol. VI Nr. 3. 4. 1878. 8°. 

b) Annuaire de Ville-Marie. Supplement Livr. 8 — 10. 1874 
bis 75. 8°. 



Digitized by 



Google 



Einsendungen von Druckschriften. 413 

c) Programme of the 31. Meeting of the American Association 
for the advancement of science in Montreal, 1882. 1882. 8°. 

d) Handbook for the City of Montreal and its environs. 
1882. 8°. 

e) Our boarding SchooPon Wheels. Montreal s. a. 8 Ü . 

Von Herrn M. A. Becker in Wien: 

a) Hernstein in Niederösterreich. I. Theil. Die geologischen 
Verhältnisse. 1882. 8°. 

b) Album von Hernstein. Illustrationen. 1882. Fol. 

Von Herrn Albert Jahn in Bern: 

Aristidis Quintiliani de musica libri III ed. Albertus Jahnius. 
Beroliüi 1882. 8. 

Von Herrn Sophm Bugge in Christ iania : 

Studien über die Entstehung der nordischen Götter- und Helden- 
sagen. I. Reihe. 2. Heft. München 1882. 8°. 

Von Herrn C. Schmidt in Strassburg: 

Zur Geschichte der ältesten Bibliotheken zu Strassburg. 

1882. 8°. 

Von Herrn Leopohl Delisle in Parte: 

a) L'auteur du Grand Coutumier de France. 1882. 8°. 

b) Notice sur deux livres ayant appartenu au roi Charles V. 
1881. 4°. 

c) Notice sur un manuscrit M^rovingien de la Bibliotheque 
Royale de Belgique. 1881. 4° mit 4 Taff. 

Von Herrn Andreas Spcngel in München: 

Reformvorschläge zur Metrik der lyrischen Versarten bei Plautus. 
Berlin 1882. 8°. 
[1882. IL Philos.-philol. hist. Cl. 3.] 28 



Digitized by 



Google 



414 Einsendungen von Druckschriften. 

Von Herrn C. Struckmann in Hannover: 
Die Einhornhöhle bei Scharzfeld am Harze. Berlin 1882. 4°. 

Von Herrn Jules Oppert in Paris: 
Fragments mythologiques. s. 1. s. a. 8°, 

Von Herrn John Henry Parker in Oxford: 

A Plan of Borne ancient and modern s. 1. s. a. 1 Blatt in 
Polio. 

Von Herrn Frantisek Prusik in Pribram: 

a) Prispevky k. nauce o tvoreni Kmenuv etc. Prag 1878. 8°. 

b) compartive ve slovanstine. Eaudnitz s. a. 8°. 

Von Herrn Arnold Luschin- Ebengreidh in Graz: 
Oesterreicher an italienischen Universitäten. Wien 1882. 8 ft . 

Von Herrn August Dillmann in Berlin: 

Verhandlungen des V. internationalen Orientalisten-Congresses. 
September 1881. Th. I. II. 1. 2. 1881—82. 8°. 

Von Herrn Richard Lehmann in Halle: 

Ueber systematische Förderung wissenschaftlicher Landeskunde 
von Deutschland. Berlin 1882. 8°. 

Von Herrn Clmrles Schoebel in Paris: 
La nuit dans les mythologies. s. 1. 1882. 8°. 

Von Herrn Emm. Rod. de Berlanga in Malaga: 

Decretum Pauli Aemilii, Pactum fiduciae, Lex metalli Vipas- 
censis. Malacae 1881. 8°. 



Digitized by 



Google 



Einsendungen von Druckschriften. 415 

Von Herrn Georges Edon in Paris : 

Restitution et nouvelle Interpretation du chant dit des freres 
Arvales. 1882. 8°. 

Von Herrn Ferdinand Knauz in Gran: 

Monumenta ecclesiae Strigoniensis. 2. Voll. Strigonii 1874 
bis 82. Fol. 

Von Herrn Konrad von Maurer in München: 
Upphof allsherjanikis ä Islandi. Reykjavik 1882. 8°. 

Von Herrn C. Mehlis m Bürkheim: 
Markomannen und Bajuwaren. München 1882. gr. 8°. 

Von Herrn Terenzio Mamiani in Rom: 

Delle questione sociali e particolarmente- dei proletarj e del 
capitale. 1882. 8°. 

Von Herrn Alex. Olenin in St. Petersburg: 
Archeologitscheskie Trudy. Bd. I. Heft 2. 1881. 8°. 

Von Herrn P. Willems in Loewen: 
Le Senat "de la republique Romaine. Tom. 2. 1883. 8°. 

Von Herrn S. P. Zechini in Turin: 

Di due propabili errori di amanuense nel Pater noster. Torino 
(1882). 8°. 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google 



Namen -Register. 



Baumann Frz. Ludw. 233 (Wahl). 
v. Bezold Priedr. 139. 
Brunn 114. 

Dehio 232 (Wahl). 301. 
v. Döllinger 229. 
v. Druffel 113. 342. 

v. Halm 1. 
Heigel 51. 
Hofmann 234. 300. 

Kalatschoff 233 (Wahl). 

Lenel Otto 230 (Preisträger der Savigny-Stiftung). 

Maassen 233 (Wahl). 

Meyer Wilh. 232 (Wahl). 253. 400. 

v. Oefele 176. 

Preger 175. 



Digitized by 



Google 



^18 Namen-Register. 

Riemann 38. 
Rockinger 139. * 

Schliemann 233 (Wahl). 
Spengel 232 (Wahl). 175. 

Würdinger 239. 



Digitized by 



Google 



Saeh-Begister.. 



Amazonen fries des Maussoleums 114. 

Basilika christliche, Genesis derselben 301. 
Bienen die im französischen Kaiserwappen 300. 
Buch der Könige 139. 
Byzantinisch-liturgische Notation 38. 

Christliche Basilika 301. 

Curie römische um d. J. 1545. 113. 

Floovant, zur Textkritik des 300. 
Französisches Kaiserwappen 300. 
Freisinger Brief v. J. 1085. 253. 
Friedrich der Schöne 175. 

Gedicht v. J. 1084. 253. 
Guillaume le Marechal 234. 

Kaiserwappen französisches 300. 

Karl V. Kaiser 113. 

Karl Albrecht Kurfürst, italienische Reise 176. 

Kirchenmusik 38. 

Könige, Buch der 139. 

Komödie lateinische, Scenen-Eintheilung 175. 

Krieg schmalkaldischer 342. 

Labyrinth mit Versen 267. 

Lipsius Just us, Aechtheit der Beden des 1. 

Ludwig der Bayer 175. 



Digitized by 



Google 



420 Sack -Register. 

Marechal Guillaome de 284. 

MctQxvqUu der byzantinisch -liturgischen Notation 88. 

Maussoleum, Amazonenfries 114. 

Notation byzantinisch -liturgische 88. 

Octayen altgriechische 88. 

Partenkirchen Römerstrasse 239. 

Protestantische Zeitungsschreibung in Italien um d. J. 1578. 189. 

Beden des Justus Lipsius 1. 
Regensburger Reichstag v. J. 1546. 118. 
Römerstrasse von Scharnitz nach Partenkirchen 289. 

Savigny-Stiftung 229. 

Scenen-Eintheilung der lateinischen Komödie 175. 

Scharnitz Römerstrasse 289. 

Scbmalkaldiscber Krieg 842. 

Schwabenspiegel 189. 

Schweden und eine Wittelsbacber Hausunion 51. 

Witteisbacher Hausunion geplant i. J. 1667. 51. 
Wormser Reichstagsabschied 118. 

Zündelin Wolfgang, protestantischer Zeitungsschreiber 189. 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google