Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google -Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen.
UNIVERSITY OF ILLINOIS
LIBRARY
Class
SOQ>
P 11-20M
Book
Volume
MUPS 1662.
?E
Digitized by
Google
Return this book on or before the
Lotest Date stamped below.
Th«ft, mutilation, and und«rlining of bookt
ar* reasons for discipHnary action and may
result in dismlssal from th« Univ*rsity.
University of Illinois Library
f-
m 'z
s£p ?. n 19?-
0CT2j« r
APR 2 4 1976
L161— O-1096
Digitized by
Google
i
Digitized by
Google
i.
i
i
t
Sitzungsberichte
der
philosophisch-philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu ]S/Eünchen.
Jahrgang 1882.
Erster Band.
München.
Akademische Buchdruckerei von F. Stranb.
1882.
In Conimission bei G. Franz.
Digitized by
Google
! v? *;.-*>
Digitized by
Google
«■^^^»^^■PIWW— PJWWWH
Inhalts - Uebersicht.
Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
Oeffentliche Sitzung der Jcgl. Akademie der Wissenschaften
zur Feier des 123. Stiftungstages am 28. März 1882.
Seite
t. Prantl: Nekrologe 391
y. Giesebrecht: Nekrolog 417
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 7. Januar 1882.
Wilb. Meyer: Der Ladas de Antichristo and Bemerkungen
über die lateinischen Rythmen des XII. Jahrhunderts 1
Sitzung vom 4. Februar 1882.
*Bursian: Der Bhetor Menandros and seine Schriften . . . 237
Unger: Die historischen Glosseme in Xenophons Hellenika . 237
Sitzung vom 4. März 1882.
*▼. Christ: Die Attikus-Ausgabe des Demosthenes .... 355
Thomas: a) Bemerkungen zu einer Relation über Schweden aus
dem Jahre 1578 355
b) Der Einzug Kaisers Karl V. in München am
10. Juni 1530. Zwei Briefe eines Venezianers als
Augenzeugen 363
189316
/Google
Digitized by ^
IV
Sitzung vom 6. Mai 1882.
Seite
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen 422
Historische Classe.
Sitzung vom 7. Januar 1882.
y. Rieh!: Arcangelo Corelli im Wendepunkte xweier musik ge-
schichtlicher Epochen 193
Grcgorovias: Die Gründang der ersten wissenschaftlichen
Akademie Corsicas 235
Sitzung vom 4. Februar 1882.
Friedrich: Die vocati episcopi Erchanfried and Otkar der
Passaner und der Oadalhart episcopns der Freisinger Ur-
kunden 313
*v. Druffel: Beiträge zur militärischen Würdigung des schmal-
kaldischen Krieges 348
Sitzung vom 4. März 1882.
v. Loh er: Ueber angebliche Menschenopfer bei den Germanen 373
Einsendungen von Druckschriften 349. 492
Digitized by
Go^g[^
Sitzungsberichte
der
philosophisch-philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu München.
1882. Heft L
München.
Akademische Buchdruckerei von F. Straub.
1882.
In Commission bei G. Franz.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Sitzungsberichte
der
köoigl. bayer. Akademie der* Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 7. Januar 1882.
Herr Wilh. Meyer hielt einen Vortrag:
„Der Ludus de Antichristo und Bemer-
kungen über die lateinischen Rythinen
des XII. Jahrhunderts."
Kaum eine andere lateinische Dichtung hat in neuester
Zeit mehr Beachtung und Beifall gefunden, als das von Pez
entdeckte, von ihm und Zezschwitz herausgegebene *), dann
von Wedde 2 ) und Zezschwitz übersetzte Spiel vom Anti-
christen. Während Hase und Wilken es weniger hoch
stellten, haben Holland, Janssen, Zezschwitz, Wedde und
Scherer 8 ) ihm die wärmsten Lobsprüche gespendet. Und
1) Bernh. Pez Thesaurus Anecdotorura II, 3, S. 187—196. Zezsch-
witz 1) Der Kaisertraum des Mittelalters, Leipzig 1877. 2) Vom römi-
schen Kaisertum deutscher Nation, Leipzig 1877. (217 Seiten Einleitung,
23 Seiten Text, 1 Seite Facsimile). 3) Das Drama vom Ende des römi-
schen Kaisertums, Leipzig 1878 (Uebersetzung).
2) Das Drama vom röm. Reiche deutscher Nation, Hamburg 1878.
3) Karl Hase, das geistliche Schauspiel 1858, S. 25—30. Wil-
ken, Gesch. d. geistlichen Spiele in Deutschland 1872, S. 145—152.
Holland, Gesch. d. altdeutschen Dichtkunst in Bayern 1862, S. 612—
623. Janssen, Gesch. d. deutschen Volkes I S. 231. Scher er, Gesch.
d. deutsch. Litteratur, S. 77 — 79; vergl. denselben in der Zeitschrift f.
deutsches Alterthum, 24 S. 450.
[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. 1.] 1
Digitized by
Google
2 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 7. Januar 1882.
die Dichtung verdient allerdings Studium und Lob in reichem
Maasse, als ein Erzeugnis« der Bliithezeit der mittelalterlichen
lateinischen Poesie und als ein Vertreter der so schwierigen
dramatischen Dichtungsart, in welchem durch Instinkt viele
Gesetze derselben beobachtet sind.
Trotz allen Lobes ist es doch dem Dichter in vielen
Stücken schlecht ergangen. Zezschwitz hat zwar eingesehen,
dass der Traktat des Adso die alleinige Vorlage des Ge-
dichtes sei, aber nicht den Inhalt desselben von Stufe zu
Stufe mit seiner Vorlage verglichen : der Weg, der allein
zum richtigen Verständniss desselben führt. Dann meinte
er, die münchner Handschrift (No. 19411, in welcher allein
das Gedicht erhalten ist), habe den Text fast fehlerlos über-
liefert, und hat sich desshalb mit einem Abdruck der Hand-
schrift begnügt, der ein Facsimile ersetzen soll. In Wahr-
heit ist aber der Wortlaut in dieser Handschrift durch viele
Fehler entstellt, so dass Jeder sehen muss, wie er sich durch
Kritik und richtige Interpunktion den Druck Zezschwitz's
verbessern und verständlich machen kann. Emilich von der
Form des Gedichtes schreibt Wedde 'Antike Metrik darf
man hier gar nicht erwarten. Classischen Zunftphilologen
ist im Interesse ihres Wohlbefindens von der Leetüre des
Originals aufs dringendste abzurathen — ein Schlaganfall
wäre beim Anblick dieser "Längen und Kürzen" etwas sehr
Wahrscheinliches. Und auch von unserer heutigen Jamben-
und Trochäenhackbrettpoetik ist hier keine Rede.' Was
Wedde wohl thut, wenn wieder so ein klassischer Philologe
nachweist, dass auch unser Dichter sein Haupt unter das
Joch eines streng bestimmten Versgesetzes gebeugt und sich
nicht geschämt hat, Silben zu zählen und darauf zu achten,
dass er die Worttöne ja nicht unrichtig stelle?
Desshalb schien es mir eine Pflicht gegen den Dichter
zu sein, erstlich den Inhalt der Dichtung mit der Quelle
zu vergleichen, sodann den Wortlaut des Gedichtes mög-
Digitized by
— —
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo and über lat. Bythmen. 3
liehst gereinigt und verständlich wieder za geben, endlich
die rythmischen Formen, deren sich dieser Dichter bediente,
mit den Formen der andern rythmischen Dichter jener Zeit
zu vergleichen und so deutlicher zu erklären.
Die Sage vom Antichristen 1 ) gehört zu den
wichtigsten christlichen Sagen, da sie nicht nur die Theo-
logen fast aller Zeiten beschäftigt, sondern auch oft genug
bei politischen Aufregungen eine Rolle gespielt hat. Der
Sagenstoff, welcher sich in der griechischen Kirche hierüber
gesammelt hatte, wurde wahrscheinlich schon vor dem 8. Jahr-
hundert, mit ebenso grosser Belesenheit als reicher Phantasie
dargestellt und weiter ausgemalt in einer Schrift, die den
Namen des Methodius trägt. Im Abendlande hatte schon
Agobard am Ende seiner an Ludwig den Frommen gerich-
teten Schrift de Judaicis superstitionibus gewünscht : Utinam
jnberet religiosissimi Imperatoris industria alicui de suis, ut
colligeret omnia quae a magistris ecclesiae in scripturis
sanetis de Antichristo intelligenda vel exposita vel signata
sunt Dieser Wunsch war vielleicht schon erfüllt. Denn
schon in mehreren Handschriften, welche in das VIII/IX.
Jahrhundert gesetzt werden, findet sich eine lateinische
Uebersetzung des Methodius, welche dann im Mittelalter
wegen des Namens ihres angeblichen Verfassers bei Theo-
logen wie Historikern Verbreitung und Einfluss gewann. 2 )
Dies Ansehen machte ihr nur eine Schrift streitig, welche
aus derselben hervorgegangen ist. Die Schicksale dieser
zweiten Schrift sind von Froben in Alcuins Werken (IV
1) Theologisches Hauptwerk hierüber ist das Buch des Thomas
Malvencia de Antichristo Lejden 1647 ; vgl. besonders Alexandre Oracula
Sibyllina (1856) tom. II p. 490- 516.
2) Vgl. A. v. Gutschmid in der historischen Zeitschrift 41 (1879)
S. 152—154. Von demselben Gelehrten ist bald die VeröifentlichuDg
des griechischen und lateinischen Textes sammt Besprechung aller ein-
schlägigen Fragen zu erwarten.
1*
Digitized by
Google
4 Sitzung der phüosrphüol. Classe vom 7. Januar 1882,
p. 526 = Migne Cursus 101 p. 1289) dargelegt. Zuerst
schrieb Adso ,vor 954 auf Wunsch der Königin Gerberga
diesen Traktat nebst einer an die Konigin gerichteten Vor-
rede. Dann setzte Albainus in ein dem Cölner Erzbischof
Heribertus gewidmetes Sammelwerk (auch in der münchner
Handschrift 7797 f. 13 — 61) nicht nur die Schrift des Adso
vollständig ein, sondern schrieb in der Vorrede zum ganzen
Werke auch die Vorrede des Adso theilweise wörtlich ab.
So findet sich der Traktat, selten mit des Albuinus Namen,
sehr oft ohne jeden Namen und jede Einleitung in vielen
Handschriften und ist desshalb unter des Alcuin und des
Rabanus Namen und in den Supplementen zu Augustin ge-
druckt (Migne 40 p. 1130 und 101 p. 1289). Floss, der
all dieses nicht wusste, liess ihn wieder drucken in Haupts
Zeitschrift (X, 265).
Adso, die Quelle unseres Dramas, schreibt die Commen-
tatoren der Bibel und besonders den Methodius aus und hat
so ein ziemlich confuses Ganze zusammengebracht. Er schil-
dert zuerst wie der Teufel bei der Einpfangniss und Geburt
des Antichristen thätig ist, sodann in welchen Städten der-
selbe geboren und aufgezogen wird, wie er auftritt und seine
Macht auf Erden ausbreitet, insbesondere die Gläubigen
schwer bedrängt. Erscheinen werde er nicht, nisi venerit
discessio primum, id est, nisi omnia regna mundi discesserint
a Romano imperio, cui prius subdita erant . . . Tradunt
doctores nostri, quod unns ex regibus Francorura Roman um
imperium ex integro tenebit, qui in novissirao tempore erit ;
et ipse erit maximus omnium regum et ultimus, qui post-
quam regnum suum fideliter gubernaverit ad ultimum Hiero-
solymam veniet et in monte Oliveti sceptrum et coronam
suam deponet. hie erit finis et consummatio Romanorum
et Christianorum imperii. Dann erscheine der Antichrist.
Dies veranlasst Adso noch einmal auf das Auftreten des
Antichrists zurückzukommen, wie er sogar über die Trinität
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 5
sich erhebe, in Jerusalem sich beschneiden lasse und von
den Juden als der echte Messias aufgenommen werde. *)
Dann bekehrten Elias und Henoch die Juden zum Chris ten-
thum, würden getödtet, aber nach 3 Tagen wieder auferweckt.
Nachdem der Antichrist 3 1 /* Jahr gewüthet, werde er von
Gott in Babylon oder auf dem Mons Oliveti auf seinem
Throne getödtet.
Aus dieser ungeordneten Sammlung einzelner Notizen
lässt unser Dichter eine im Einzelnen reichbelebte, aber
doch im Ganzen einfache, sich klar entwickelnde und immer
mehr spannende Handlung emporsteigen; er verzichtet auf
manche auffallende Einzelnheiten, die Adso bot, auf alle
theologischen Erörterungen, zu denen viel Anlass nahe lag:
er ist nur auf die lebendigste Gestaltung seines Stoffes be-
dacht, ein Verdienst, das einem mittelalterlichen Dichter be-
sonders hoch anzurechnen ist. Zuerst macht sich der Kaiser
die Christenheit unterthänig und legt dann in Jerusalem die
kaiserliche Krone ab. Da erscheint der Antichrist, unter-
wirft sich die Könige der Christenheit und mit deren Hilfe
die Heiden, gewinnt durch Irrlehre die Juden, lässt dann
diese, welche durch Elias und Henoch zum Abfall von ihm
und zum Christenglauben bewogen sind, tödten und will
sich eben als dem obersten Gott und dem Herrn der Welt
huldigen lassen, da wird er getödtet und seine Anhänger
kehren zur Kirche zurück.
Zum besseren Verständniss scheint mir nothwendig, die
einzelnen Theile des Dramas mit der benützten Quelle zu
vergleichen.
Die Bühne (No. 1 des Textes) stellt die Erde dar mit
1) Eine Handschrift (ohne Adso's Namen) hat hier eine Inter-
polation aus einem sibyllinischen Orakel saec. XI— XII, von dem bis
jetzt drei Versionen gedruckt sind (bei Beda Migne 90 p. 1183, Got-
fried von Viterbo Chronik. X p. 219, Forschungen z. d. Gesch. X p. 621
= Mon. Script. XXII p. 375).
Digitized by
Google
6 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
sieben Thronen. Auf der Seite im Osten steht der Tempel
von Jerusalem, neben diesem der Sitz der Synagoge (1.) und
der des Königs von Jerusalem (2.)i der später (No. 48) als
der Sitz des Antichristen in den Tempel verbracht wird.
Auf der Seite im Westen steht das Imperium (No. 21. 30.
31), der Sitz des Kaisers (3.), der auch dem Umfange nach
das Gegenstück zu dem Tempel von Jerusalem bildet, da
auf demselben ausser dem Kaiser noch die Kirche mit der
Liebe und der Gerechtigkeit und der Pabst ihren Platz ein-
nehmen. Neben dem Imperium steht der anfanglich leere
(No. 9 u. 38) Sitz des deutschen Königs (4.) und jener des
Königs von Frankreich (5). 1 ) An der Hinterwand, der Süd-
seite, steht der Sitz des Königs von Griechenland (6.), end-
lich jener der Gentilitas und des Königs von Babylon (7.
vgl. No. 3). Da nun an dieser Seite wohl auch der Ein-
und Ausgang (No. 99) gedacht werden muss, da ich aber
zwischen den Ausdrücken Ad austrum (sedes regis Grecorum)
und Ad meridiem (sedes regis Babiloniae et Gentilitatis)
keinen Unterschied finden kann, so kann ich auch nicht
bestimmen, welchen dieser Sitze der Dichter sich östlich,
welchen westlich von diesem Eingange gedacht hat.
No. 2 — 36. Das Heidenthum mit dem König von Ba-
bylon betritt mit einem längeren Gesänge die Bühne und
besteigt seinen Thron; ebenso das Judenthum und ebenso
die Kirche, begleitet von der Liebe und Gerechtigkeit und
gefolgt vom Pabste und dem Kaiser. In ähnlicher Weise
nehmen dann noch die Könige von Frankreich, Griechen-
land und Jerusalem ihre Sitze ein (No 2 — 9). Der Kaiser
lässt den französischen König auffordern, den Berichten der
1) Die Sache lässt sich am einfachsten so denken, dass der Sitz
der Synagoge nördlich (also auf der Znschauerseite) vom Tempel, der
des deutschen Königs nördlich vom Imperium, die der Könige von Jeru-
salem und von Frankreich südlich von den Hauptthronen stehen.
Digitized byVjOOQlC
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 7
Geschichtschreiber und dem römischen Rechte gemäss ihm
als seinem Herrn zu huldigen und Waffendienst zu geloben.
Als dieser trotzig antwortet, die kaiserliche Würde gebühre
eigentlich den Franzosen, wird er besiegt und zur Huldig-
ung gezwungen. Der König von Griechenland wird dann
aufgefordert dem Kaiser zu huldigen und Tribut zu zahlen,
und thut es willig. Ebenso der König von Jerusalem (No.
10 — 28). Da erhebt sich der König von Babylon, um das
Christenthum zu vertilgen, und berennt zuerst Jerusalem,
die Geburtsstätte desselben. Zu Hilfe gerufen, schlägt der
Kaiser, der defensor ecclesiae, ihn in die Flucht (No. 29—36).
Zur Erfindung dieser Handlung mag der Dichter an-
geregt worden sein durch die Worte Adso's von dem Könige,
welcher 'Romanorum imperium ex integro tenebit' und von
der Macht des römischen Reiches: 'omnes populorum nationes
Romae subiacebant et serviebant ei sub tributo', wo manche
Handschriften auch bieten 'Romanis subiacebunt et servient
eis'. Hauptsächlich aber haben beim Aufbau dieses Aktes,
wie z. B. bei der Aaswahl der auftretenden Könige, bei der
geschickten Einfügung der Bedrohung und Vertheidigung
der Stadt Jerusalem, die Verhältnisse seiner Zeit, welche
später näher beleuchtet werden, besonderen Einfluss auf den
Dichter geübt. Um so deutlicher ist Adso's Einfluss in
der folgenden Handlung zu spüren.
Der siegreiche Kaiser betritt den Tempel von Jeru-
salem, nimmt die Kaiserkrone vom Haupte und gibt, die
Krone und das Scepter in den Händen haltend, Gott die
Kaiserherrschaft zurück 'Tibi imperium resigno, regi regum,
per quem reges regnant, qui solus imperator dici potes et
es.' Hierauf kehrt er zurück, aber nicht auf den kaiser-
lichen Thron, sondern auf den bisher leeren Sitz des deut-
schen Königs. Die Kirche allein bleibt im Tempel zurück
(No. 37 u. 38). Diese Handlung beruht durchaus auf den
oben (S. 4) angeführten Worten Adso's: dies ist auch die
Digitized by
Google
8 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Januar 1882.
von Adso hervorgehobene discessio 'omnia regna mnndi dis-
cesserint a Romano imperio, cui prius subdita erant\
Der Antichrist und die Heuchler spielen von jetzt
an Hauptrollen im Drama; es ist daher nothwendig, dass
wir uns über deren Wesen klar werden. Der Antichrist ist
kein gewöhnlicher Betrüger, kein blosser Pseudochristus, der
morgen diesen Namen wieder ablegen und ein gewöhnlicher
Mensch sein kann, sondern er ist ein Doppel wesen, fast wie
Christus. Adso hebt wiederholt hervor, welche Mühe der
Teufel bei der Erzeugung und bei dem Heranwachsen des
Antichrists sich geben wird 'plenitudo diabolicae potestatis
et totius malitiosi ingenii in eo habitabit\ Wie Adso vor-
gebildet hat 'maligni spiritus erunt duces eins et socii semper
et comites indivisi 1 , so fuhren (praecedent No. 42) zwei Geister
den Antichristen in die Menschheit ein und bleiben ihm zur
Seite. Dass unser Dichter hiefür die Gestalten der Heuchelei
und Irrlehre gewählt hat, hat eine bemerkenswerthe Paral-
lele bei Otto von Freising, der ebenfalls diese beiden Kräfte
dem Antichristen beistehen lässt. 1 ) Der Antichrist steht
über diesen Geistern, welche die Mitwisser seiner Bosheit
sind. Daher der Ton, in dem er zu ihnen spricht. Die
Heuchler dagegen sind keine Geister, keine Mitwisser
des Antichristen und ihrer eigenen Bosheit sich nicht be-
wusst; sie sind nur verblendete Menschen, welche den Anti-
christen wirklich für den halten, als welchen die Heuchelei
ihn ankündigt. 8 )
1) Chronicon 8, 1 Civitas Christi primo violentam a civitate mundi
sab tyrannis infidelibusque regibus, secundo fraudulentam haereticorum,
tertio fictam hypocritarum tempore persecntionem passa, nltimam tarn
violentam quam fraadulentam fictamque ac omnium gravissimam sab
Antichristo passura erit. Vgl. 8, cap. 3 zu Ende.
2) So erklären sich die scheinbaren Widersprüche zwischen V. 1 52 —
158 und 178—182, welche Scherer (Zeitschrift f. d. Alt. 24, 451) be-
wogen, die V. 151 — 170 und unbestimmte Theile der benachbarten Spiel-
ordnung für unpassende, spätere Interpolation zu erklären.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 9
Nachdem der Kaiser die Krone niedergelegt und den
Sitz des deutschen Königs eingenommen hat, wiederholen
Kirche, Heidenthum und Judenthnm ihre früheren Gesänge
ganz oder nur zum Theile. Während dieser Gesänge treten
die Heuchler auf, suchen zuerst durch Demuth und Schmei-
chelei alle Fürsten zu gewinnen, wenden sich dann insge-
sammt zum Könige von Jerusalem, den sie völlig für sich ge-
winnen. Jetzt tritt der Antichrist auf, der seinen Panzer
unter anderen Gewändern verbirgt (vergl. zu No. 40 des
Dramas), begleitet von der Heuchelei und der Irrlehre. Er
verkündet : Jetzt sei die Stunde seiner Herrschaft gekommen ;
sie, die er zu diesem Zwecke herangezogen, sollten ihm helfen
Christi Lehre zu vertilgen, indem die Heuchelei die Gunst
der Laien gewinne, die Irrlehre die Kleriker verführe. Die
Beiden gehen ihm dann voran und die Heuchelei verkündet
den Heuchlern die Ankunft des Antichristen. Diese be-
grüssen ihn freudig, die Religion sei schon längst in Ver-
fall, die Kirche und besonders die Kirchenfürsten verwelt-
licht. Er solle die Herrschaft übernehmen und die Welt
reformiren. Der Antichrist tritt in Worten wie in der
Kleidung Anfangs bescheiden auf und fragt, wie er, der Un-
bekannte, die» erreichen solle. Die Heuchler versprechen
ihm die Laien zu gewinnen, er solle die Lehre der Geist-
lichen überwinden. Den Thron von Jerusalem würden sie
ihm verschaffen, das Uebrige müsse er selbst thun. Der
Antichrist erklärt sich dazu bereit. Darauf vertreiben sie
den König von Jerusalem, krönen den Antichristen und
stellen seinen Thron in den Tempel.
Ausser den oben schon erwähnten Zügen sind dem
Adso noch andere nachgebildet: dass der Antichrist gleich
nach Niederlegung der Kaiserkrone erscheint, dass er zu-
nächst nach Jerusalem geht und dort seinen Thron in dem
Tempel aufstellt (Hierosolymam veniens . . suam sedem in
templo sancto parabit).
Digitized by
Google
10 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
Der Antichrist schickt sich nun an, die Reiche der
Erde zu unterwerfen. Es ist bemerkenswerth, dass er Nichts
gegen Christus sagt, sondern den Christen gegenüber sich
ausgibt für Christus, den vom Himmel gesandten Gottessohn,
den Heiden gegenüber für den Feind aller Götzenbilder und
den Juden gegenüber für den ersehnten Messias. Zuerst
lässt er durch die Heuchler dem griechischen Könige an-
kündigen, er müsse sich unterwerfen oder kämpfen. Dieser
huldigt ihm und der Antichrist malt ihm den ersten Buch-
staben seines Namens auf die Stirue. Dem französischen
Könige sendet er nur Geschenke; er werde ihm gewiss zu-
fallen, da ja die spitzfindige Klügelei dieses Königs und
seiner Leute ihm den Weg bereitet habe. Das geschieht
wirklich. Der Antichrist küsst den König (nur diesen!)
und bezeichnet ihn und die Seinen mit dem Male. Dem
deutschen Könige, der wegen der kriegerischen Tüchtigkeit
sehr zu fürchten sei, werden auch Geschenke gesendet, doch
von diesem als die Versuchung eines Betrügers mit stolzen
Worten zurückgewiesen. Darauf sendet der Antichrist sein
Heer gegen die Deutschen, allein es wird geschlagen. Da
versucht der Antichrist sein letztes Mittel : Wunderzeichen.
Er heilt Kranke und weckt einen scheinbar Todten auf:
der deutsche König wird im Glauben irre, unterwirft sich
und wird sammt den Seinen mit dem Male gezeichnet. Ja
er wird sogar mit dem Schwerte belehnt und unterwirft
dem Antichristen den König von Babylon, der huldigt und
mit dem Male gezeichnet wird (No. 49 — 81).
Wichtige Bestandtheile dieser Handlung sind aus Adso
entlehnt. Auch dort wird ausgemalt, wie der Antichrist
'extollitur supra omne quod dicitur deus'. Auch sein Vor-
gehen ist dasselbe 'reges et principes primum ad se conver-
tet et deinde per illos ceteros populos' und 'qui in eum
crediderint, signuni characteris eius in fronte suscipient 1 .
Ja die Disposition fast des ganzen Aktes hat unser Dichter
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 11
von dort entlehnt. Adso sagte: Eriget se contra fideles
tribus raodis id est terrore, muneribus et miraculis;
dabit credentibus in se auri atque argenti copias; quos
muneribus corrumpere non poterit, terrore superabit; quos
autem terrore non poterit vincere, signis et miraculis se-
ducere tentabit: von unserem Dichter werden gegen den
griechischen König terrores aut bellum (V. 200) ange-
wendet, gegen den französischen munera (V. 219), gegen
den deutschen signa (V. 275). Der König von Babylon
wird nicht wie früher (No. 36) nur in die Flucht geschlagen,
sondern dem Antichristen unterworfen ; dass dieses durch
den deutschen König geschieht, ist durch die obige Stelle
des Adso 4 ad se convertet reges et per illos ceteros populos 1
und eine damalige Volksmeinung vorbereitet. Wenigstens
sagt Otto von Freising in seinem Chronikon (8 cap. 3
zu Ende) der Antichrist werde nur durch Heuchelei und
den Trug der Irrlehre schaden, 'tormenta vero per poten-
tem ad hoc sibi ascitum sanctis intentaturum. Si qui vero
unum eum potentem utpote Romanorum imperatorem ad
hoc ascire coutendunt . ., non calumnior\
Der Antichrist lässt nun den Juden verkünden, er sei
der wahre Messias, der sie aus der Knechtschaft zur Herr-
schaft erlösen werde. Freudig eilen sie ihm entgegen und
werden ebenfalls mit dem Male gezeichnet. Da erscheinen
die Propheten Elias und Henoch und belehren die Juden,
dass Christus der wahre Messias, dieser aber ein Betrüger
sei. Die Juden bekehren sich zum Christenthum. Dem Anti-
christen werfen die Propheten seinen Betrug vor und sterben
dann mit den Juden den Märtyrertod als wahre Christen
(No. 81—99).
So hiess es schon bei Adso: dicet Jüdaeis: Ego sum
Christus vobis repromissus, qui ad salutem vestram veni, ut
vos, qui dispersi estis, congregem et defendam. Tunc ad
eum concurrent . . . Tunc mittentur in mundum duo magni
Digitized by
Google
12 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
prophetae, Elias et Enoch, qui contra impetum Antichristi
fideles divinis armis praemunient. Postea . . Antichristus
eoß interficiet.
So aaf dem Gipfel der Macht, aber auch der Bosheit
angelangt, beruft der Antichrist alle Könige mit ihren
Mannen, um sich feierlich huldigen zu lassen, da jetzt die
ganze Erde in Frieden ihm gehorche. Da donnert es über
ihm und er stürzt herab. Seine entsetzten Anhänger kehren
zur triumphirenden Kirche zurück, die den Gesang anstimmt,
in den alle Anwesenden einstimmen: Lobet Gott unsern
Herrn. Auch hier finden sich frei verwendete Elemente des
Adso, welcher angibt, nach einer Ueberlieferung werde der
Antichrist von Gott getödtet werden spiritu oris sui, nach
einer andern von dem Engel Michael in monte Oliveti in
papilione et solio suo : nach seinem Untergange werde den
Verführten noch einige Zeit zur Rückkehr und Busse ge-
lassen werden.
Anspielungen auf Zeitverhältnisse finden
sich in unserem Drama, doch nur wenige deutliche. Holland
und Zezschwitz fanden in dem No. 29—36 geschilderten
Zuge zur Befreiung Jerusalems eine Anspielung auf den
Kreuzzug Friedrich Barbarossa's, der letztere insbesondere
in der Niederlegung der Krone und dem Leerbleiben des
kaiserlichen Thrones eine Anspielung darauf, dass auf dem
Mainzer Reichstage im Jahre 1188 der Kaiser den Haupt-
sitz nicht einnehmen wollte, weil derselbe dem Herrn zu-
komme. Wedde und besonders Scherer haben sich dieser
Ansicht nicht angeschlossen. Der letztere leugnet jede
direkte Anspielung auf einen Kreuzzug und setzt die Ent-
stehung der Dichtung in die frühere Regierungszeit Fried-
riche, in die Jahre nach oder lieber vor 1160, da damals
die inneren Streitigkeiten des Königreiches Jerusalem in
Europa besonderes Aufsehen gemacht hatten.
Die bezüglichen Theile der Dichtung sind in Kürze
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 13
folgende : Neben dem Kaiser werden genannt : der König
von Frankreich wohl als Repräsentant der abendländischen
und der König von Griechenland als Repräsentant der grie-
chischen Christen, der König von Jerusalem wegen der be-
sonderen Stellung dieses Reiches. V. 117 — 146 weisen auf
eine Zeit, wo Jerusalem von den Muhamedanern wieder
ernstlich bedroht wurde. Die Rolle des Pab st es ist aller-
dings eine auffallende. Er besteigt anfänglich mit der Kirche
den Thron des Kaisers, und bleibt als stumme Person auf
demselben während des ganzen Stückes, sogar als die Kirche
und alle Anderen nach Jerusalem ziehen. Man könnte daran
denken, das Drama sei während der heftigen kirchlichen
Streitigkeiten im Ende der 50 er oder im Anfange der 60 er
Jahre geschrieben und der Dichter habe, wie z. B. Radewin,
es gemieden, für eine bestimmte Partei sich auszusprechen.
Allein der Grund kann auch ein anderer sein. Bei Metho-
dius ist natürlich vom Pabst keine Rede, bei Adso auch
nicht. Wollte unser Dichter ihn einführen und mithandeln
lassen, so musste er, wenn der Stoff nicht zu sehr abge-
ändert werden sollte, ihn auch vom Antichristen verführt
werden, also eine wenig rühmliche Rolle spielen lassen.
Dies allein kann ihn veranlasst haben, den Pabst so im
Hintergrund zu halten.
In Betreff der deutlicheren historischen Anspielungen
hat Prof. Wilh. v. Giesebrecht, welcher auch dieses
Drama genau untersucht hat, folgendes Urtheil gefällt, dessen
Mittheilung er gütigst gestattete : "Die historischen Bezieh-
ungen im Spiele vom Antichrist sind nicht so klar, dass
sich genau die Zeit der Abfassung bestimmen Hesse. Keinem
Zweifel wird unterliegen, dass bei der Person des Kaisers
nur an Kaiser Friedrich I. gedacht werden kann ; es kann
dann nicht vor der Kaiserkrönung desselben (18. Juni 1155)
entstanden sein. Da in dem ersten Theile des Spiels wegen
der Vereinigung des Kaiserthums und Königthums in Frie-
Digitized by
Google
14 Sitzung der phUos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
drichs Person der königliche Thron Deutschlands leer bleibt,
ist meines Erachtens an eine Zeit zu denken, wo factisch
es neben dem Kaiser keinen deutschen König gab. Da
Friedrich's Sohn Heinrich im Juni 1169 zum König ge-
wählt und bald darauf gekrönt wurde, dürfte das Spiel nicht
nach dem Juni 1169 abgefasst sein. Das Verhältniss zwischen
dem Kaiser und dem Könige von Frankreich erscheint im
Spiele (V. 69 ff., 219 — 224) als ein feindliches, und in der
That war jenes Verhältniss in den Jahren 1155—1169 meist
so gespannt, dass man den Ausbruch eines Krieges befürch-
tete, besonders in den Jahren 1162 — 1166. l ) Augenschein-
lich ist, dass in der Zeit, wo das Spiel gedichtet wurde,
Kreuzzugsgedanken das Abendland beherrschten, aber seit
dem unglücklichen Ausgange des zweiten Kreuzzugs hat
man sich unablässig mit solchen Gedanken beschäftigt.
Schon 1150 plante mau einen neuen Kreuzzug in Frank-
reich. 2 ) Friedrich wollte 1165 eine Kreuzfahrt unternehmen,
wenn es ihm gelänge das kirchliche Schisma beizulegen. 8 )
Am 14. Juli 1165 erliess Alexander III eine Bulle 4 ), in
welcher er alle Christen zur Vertheidigung der heiligen
Stätten aufrief, und in den nächsten Jahren wurden in
Frankreich und England Collecten gesammelt, um Kreuz-
fahrer auszurüsten. So nahe es auch liegt das Spiel mit
Friedrichs Kreuzfahrt i. J. 1189 in Verbindung zu bringen,
halte ich dies doch nicht für th unlieb, weil dann der leere
1) In dem Manifest des Kaisers aber die Reichstagsverhandlongen
zu Würzburg 1165 heisst es: . . regem Francorum, qui nulla nostra
culpa praeeunte una cum Rolando, imperii nostri hoste publico, eiusque
sequaeibus imperialem nostrum honorem manifeste molitur auferre. —
Mon. Germ. Legg. IL 137.
2) Kaiserzeit IV. 335 ff.
3) Schreiben Erzbischofs Reinald an König Ludwig VII. Du Chesne,
Scriptores. IV. 727.
4) ßymer, Foedera I. 21.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 15
deutsche Königsthron unerklärt bleibt und Frankreich da-
mals dem Kaiser zur Kreuzfahrt verbündet war. Beziehen
sich die bekannten Aeusserungen des Grerhoh von Reichers-
berg in seinem Werke über den Antichrist l ) auf unser Spiel,
so müsste dasselbe etwa um 1160 schon bekannt gewesen
sein ; denn Gerhoh schrieb jenes Werk in der Hauptsache
im Jahre 1161, 'setzte aber 1163 noch die zweite Vorrede
hinzu. Mit gutem Grund wird man das Spiel in die Zeit
um 1160 setzen können; jede genauere Zeitbestimmung er-
scheint bedenklich."
Betrachten wir die verschiedenartigen Weihnachtsspiele
1) Lib. I. cap. 5. Sacerdotes . . iam non ecclesiae vel altaris
ministerio dediti sunt, sed exercitiis avaritiae, vanitatum et spectacu-
lorum, adeo ut ecclesias ipsas, videlicet orationum domus, in theatra
coramutent ac mimicis ludorum spectaculis impleant. Inter quae nimi-
rum spectacula adstantibus ac spectantibus ipsorum feminis interdum et
Antichristi . . non ut ipsi aestimant imaginariam similitudinem exhibent,
sed in veritate, ut credi potest, iniquitatis ipsius mysterium pro parte
sua implent . . . Quid ergo mirum, si et isti nunc Antichristum vel
Herodera in suis ludis simulantes eosdem non ut eis intentioni est lu-
dicro mentiuntur sed in veritate exhibent, utpote quorura vita ab Anti-
christi laxa conversatione non longe abest? . . Contigit, ut comperimus,
aliquando apud tales ut eum quem inter ludicra sua quasi mortuum ab
Elisaeo propheta suscitandum exhiberent peracta simulatione mortuum
invenirent. Alius item Antichristo suo quasi suscitandus oblatüs (vergl.
No. 69 des Dramas) intra Septem dies vere mortuus, ut comperimus, et
sepultus est. Et quis scire potest, an et cetera simulata, Antichristi
scilicet effigiem, daemonum larvas, Herodianam insaniam in veritate non
exhibeant? . . . Exhibent praeterea imaginaliter et salvatoris infantiae
canabula, parvuli vagitum, puerperae virginis matronalem habitum, stellam
quasi sidus flammiger um, infantum necem, maternum Racheiis ploratum.
Sed divinitas insuper et matura facies ecclesiae abhorret spectacula thea-
tralia, non respicit in vanitates et insanias falsas, in quibus viri totos
se frangunt in feminas . ., clerici in milites, homines se in daemonum
larvas transfigurant . . . (sint) in coetu talium nonnulli genere clari,
litterarum scientia illustres, divitiis ampli, corporis et vestium cultu
splendidi. Gerhohi opera ined. cur. Scheibelberger I (1875) p. 25.
Digitized by
Google
16 Sitzung der phüos.-phUol. Classe vom 7. Januar 1882.
des XII. und XIII. Jahrhunderts: sie lassen sich auf eine
ursprüngliche Dichtung zurückführen. Ebenso sind die ver-
schiedenen Passions- und Auferstehungsspiele nur Weiter-
und Umbildungen einer ursprünglichen Dichtung. Da Ger-
hoh ein Antichristspiel gekannt hat, so dürften wir, falls
das unsere erst später entstanden wäre, ganz sicher an-
nehmen, dass es eine Umbildung jenes von Gerhoh gekannten
sei. Allein es wird sich später bei Untersuchung der ryth-
mischen Formen zeigen, dass wir es mit einer Originaldich-
tung zu thun haben. Demnach müssen wir schliessen, dass
dieses Drama schon vor 1161 existirte. Was Gerhoh davon
erzählt, stimmt mit dem unsern (denn das Wunder des
Elisaeus hat nichts damit zu thun); daraus anderseits, dass
unser Spiel in dem Benediktbeurer Weihnachtsspiel ausge-
schrieben ist, erkennen wir, dass es ziemlich verbreitet war.
Der Dichter war ein Geistlicher, wie Sprache und In-
halt anzeigen, aber ein Freund der weltlichen Prälaten, wie
Scherer aus V. 171 — 174 folgerte, und endlich ein guter
Deutscher. Denn er lobt nicht nur auf das Wärmste die
Kriegstüchtigkeit der Deutschen (V. 227 — 232 u. 271—274),
sondern er lässt auch den Kaiser dem terror und den münera
des Antichristen widerstehen, und erst den signa desselben
erliegen, die nach dem Evangelisten so wundersam sind, ut
in errorem inducantur si fieri potest etiam electi. Doch
auch darin geht er nicht zu weit. Denn auch der deutsche
König empfangt das Mal des Antichristen und dient ihm.
Ja,, wenn man überhaupt an eine Tendenz denken darf,
möchte hierin für den Kaiser eine leise Warnung liegen:
wenn auch noch so edel und kriegstüchtig, möge er bei
den kirchlichen Streitigkeiten sehr auf der Hut sein, dass
er seine Macht nicht dem Dienst des Bösen weihe. Allein
die Hauptstücke der Dichtung, die Niederlegung der Kaiser-
krone und die glorreiche Rolle der Juden, an die damals
Niemand dachte, zeigen, dass der Dichter nur den ihm vor-
liegenden Stoff möglichst lebendig darstellen wollte.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 17
Das ist ihm in jeder Beziehung gelungen. Denn es
sind nicht nur, was allgemein anerkannt wird, die Anlage
des Dramas und die einzelnen Gedanken vortrefflich, sondern
auch die Form erscheint mir eine durchaus entsprechende
zu sein. Die Ausdrucksweise ist frei von gelehrten Dun-
kelheiten, aber doch kräftig und würdevoll. Die lateinische
Sprache ist zudem bei diesem Drama eher erträglich als bei
irgend einem andern; denn wenn das Gedichtete wirklich
geschehen wäre, so hätten sich viele der vorkommenden
Personen eben jener Sprache bedient.
1) Templum domini et VII sedes regales primum collocentur
in hunc modum : Ad orientem templum domini ; hinc collo-
cantur sedes regis Hierosolimorum et sedes Sinagogae. Ad
occidentem sedes imperatoris ßomani ; hinc collocantur sedes
regis Theotonicorum et sedes regis Francorum. Ad austrum
sedes regis Grecorum. Ad meridiem sedes regis Babiloniae
et Gentilitatis.
2) His ita ordinatis primo procedat Gentilitas cum rege
Babilonis cantans:
Deorum immortalitas
2 est omnibus colenda,
eorum et pluralitas
4 ubique metuenda.
T : die Handschrift früher in Tegernsee, jetzt in München cod. lat.
19411 in 8° saec. XII — XIII (ein Pacsimile in Zezschwitzs Ausgabe), aus
welcher Pez (P), Zezschwitz (Z) und jetzt Meyer (M) den Text heraus-
gegeben haben. Statt £ in T setzte ich stets ae, statt e in T setzte
ich oft §. Das Kleingedruckte ist in T fast immer unterstrichen. End-
lich ist in T Alles fortlaufend geschrieben.
No. 1 domini hinc und roraani hinc M : huic T beide Male hierli-
morum T rom. T, Romanorum P. — No. 2 procedat so T babiloni T,
Babylon iae P. Vers 1 — 12 sind, wie Hase bemerkt hat, eingesetzt in
das Weihnachtsspiel der Carmina Burana fol. 106 b der Hschr., p. 94
[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. l.J 2
Digitized by
Google
18 Sitzung der phäos.-phäol. Classe vom 7. Januar 1883.
stulti sunt et vere fatui,
6 qui deum unum dicunt
et antiquitatis ritui
8 proterve contradicunt.
Si enim unum credimus
10 qui presit universis,
subiectum hunc concedimus
12 contrarie diversis,
cum hinc bonura pacis foveat
14 clementi pietate,
hinc belli tumultus moveat
16 seva crudelitate.
Sic multa sunt officia
18 diversaque deorum,
que nobis sunt indicia
20 discriminis eorum.
qui ergo tarn multifariis
22 unum dicunt preesse,
illorum deum contrariis
24 est affici necesse.
Ne ergo unum subici
26 contrariis dicamus
et bis divinam affici
28 naturam concedamus:
ratione hac decernimus
30 deos discriminare,
officia quorum cernimus
32 ab invicem distare.
von Schroetters Ausgabe. Es sind 4 Stroplien: 8 v;— , 7 — ^, 8 t^ — ,
1 J-v || 9 u-L., 7 — \j % 9 v — , 7 —\s mit der Reimstellung: *no,
am, no, am; ce, ur, ce, är\ 7 et Bur.: qaia TPZ 8 perpetuae P
17 offitia T 19 inditia T 21 ergo (g) M: g T 23 deum M, fehlt in
T u. edd. 31 offitia T.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer.: Ludus de Antichristo und über tat. Rythmen. 19
3) Quod etiam debet cantare per totum ludum in temporibus ;
et sie ipsa et rex Babilonis ascendunt in sedem suam.
4) Tunc sequitur Sinagoga cum Judeis cantans:
Nostra salus in te domine.
34 nulla vitae spes in horaine.
error est in Christi nomine
spem salutis estimari.
Mirum si morti subeubuit,
38 qui vitam aliis tribnit.
qui se salvare non potuit,
ab hoc qnis potest salvari?
Non nunc, sed qui est Emmanuel,
42 deum adorabis Israel.
Jesum sicut deos Ismahel
te iubeo detestari.
5) Quod et ipsa cantabit in singulis temporibus et sie ascendat
tronum suum.
6) Tunc Ecclesia in muliebri habitu procedit induta thor-
acem et coronata, assistente sibi Misericordia cum oleo ad
dextram et Justitia cum libra et gladio ad sinistram utris-
que muliebriter indutis. Sequentur etiam eam Apostolicus
a dextris cum clero et Imperator Romanus a sinistris cum
militia.
7) Cantabit autem Ecclesia f condit. Alto consilio, his qui eam
seeuntur ad singulos versus respondentibus :
No. 3 cantari P, vgl. No 5 ipsa cantabit. Diese und die No. 5
bezeichnete Wiederholung des Gesanges ist sicher in No. 39 gegeben.
Sonst ist dazu im Spiele keine besondere Stelle, babilon. asscendunt T
33-44: 3 Strophen '9 ^, 9 ^-^-, 9 u-L, 7 -i-u' mit der
Reimstellung * no, no, n6| am ' 33 Jer. 3, 23 in domino deo nostro salns
Israel 35 fol. 3a, 1 error 41 hunc (he) sed T: homines P, homo sed Z
No. 5 in singulis in T, singulis in edd. No. 6 rom. T No. 7 die
Worte cond. (conditor?) Alto consilio enthalten gewiss den Anfang
eines Hymnus auf die Dreieinigkeit. Den Hymnus selbst vermochte
ich nicht zu finden.
2*
Digitized by
Google
20 Sitzung der pküos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
Hqc est fides, ex qua vita,
46 in qna mortis lex sopita,
quisquis est, qui credit aliter,
48 hunc dampnamus §ternaliter.
8) Ascendit autem ipsa cum Apostolico et clero, Imperatore
et militia sua eundem tronum.
9) Postea procedunt et alii reges cum militia sua, cantantes
singuli, quod conveniens visum fuerit; et sie unusquisque
cum militia sua ascendet tronum suum, templo adhuc et
uno trono vaeuis remaDentibus.
10) Tunc Imperator dirigit nuntios suos ad singulos reges,
et primo ad regem Francorum dicens:
Sicut scripta tradunt historiographorum,
50 totus mundus fuerat fiscus Romanorum
Hoc primorum strenuitas elaboravit,
52 sed posterorum desidia dissipavit.
Sub bis inperii dilapsa est potestas,
54 quam nostrae repetit potentiae maiestas.
Reges ergo singuli prius instituta
56 nunc Romano solvant inperio tributa.
Sed quod in militia valet gens Francomm,
58 armis inperio rex serviat eorum.
Huic, ut hominium cum fidelitate
60 nobis in proximo faciat, imperate.
11) Tunc legati venientes ad regem Francorum coram eo
cantent :
Salutem mandat Imperator Romanorum
62 dilecto suo inclito regi Francorum.
Tuae discretioni notum seimus esse,
64 quod romano iuri tu debea& subesse.
No. 10 föl. 3 a 2. col. ad 49 hystoriograuornm T 51 w. 52, icie
61 u. 62 13 Süben ohne die regelmässige Pause 58 inperio 1. Hand,
imperio 2. Hd. T 59 hominium M: hominum T.
Digitized by
Google.
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lab. Rythmen. 21
Unde te repetit sententia tenenda
66 summi imperii et semper metuenda.
Cuias ad servitium dos te invitamus
68 et cito venire sab precepto mandamus.
12) Quibus ille:
Historiographis si qua fides habetur,
70 non nos imperio sed nobis hoc debetur.
Hoc enim seniores Galli possederunt
72 atque suis posteris nobis reliquerunt.
Sed hoc invasoria vi nunc spoliamur.
74 absit, invasoribus ut nos obsequamur.
13) Tunc legati redeuntes ad imperatorem cantent coram eo:
Ecce Franci super te nimium elati
76 proterve se opponunt tuae maiestati.
Immo et imperii tui ius infirmant
78 illud invasorium esse dum affirmant.
Digna ergo pena correpti resipiscant,
80 ut per eos alii obedire discant.
14) Tunc Imperator cantotf:
Gorda solent ante ruinam exaltari.
82 superba stultos loqui nolite mirari.
Quorum nos superbiam certe reprimemus
84 ac eos sub pedibus nostris conteremus.
Et qui nunc ut milites nolunt obedire,
86 tanquam servi postmodum cogentur servire.
65 tremenda? 71 Hoc M: Iiluc TZ, illud P No. 13 legati
fol. 3b 75 super te: superbi? vgl. Rom. 1, 30 superbos elatos 2. Tim.
3, 2 elati superbi. Pause zwischen Praeposition und Namen auch in 131.
11 infirmant M: infirmatur T (Wellenlinie über t), PZ 78 esse M: fehlt
in T affirmät T, affirmatur PZ 81 ruinam P: riuam T; vgl. Prov.
'ante ruinam exaltatur spiritus* 84 Jer. Lam. 3, 34: ut contereret sub
pedibus suis. 85 ut milites nolunt ut milites obedire, T 86 cogentur P
aus T cogntur; coguntur Z.
Digitized by
Google
22 Sitzung der jjhilos.-phUol. Classe vom 7. Januar 1882.
15) Et statim aciebus vadit ad expugnandum regem Fran-
corum. Qui sibi occurrens congreditur cum eo et super-
atus captivus reducitur ad sedem imperatoris. Et sedente
imperatore stat coram eo cantans :
Triumphi gloria est parcere devictis.
88 victas ego tais nunc obsequor edictis.
Vitam meam simul cum regni dignitate
90 positam fateor in taa potestate.
Sed si me pristino restitues honori,
92 erit honor victi laus maxima victori.
16) Tunc Imperator eum suscipiens in hominem et concedens
sibi regnum cantal :
Vive per gratiam et suscipe honorem,
94 dum me recognoscis solum imperatorem.
17) Et ille cum honore dimissus revertitur in regnum suum
cantans :
Bomani nominis honorem veneramur,
96 Augusto Cesari servire gloriamur.
Caius imperii virtus est formidanda
98 honor et gloria maneant veneranda.
Omniura rectorem te solum profitemur.
100 tibi tota mente semper obsequemar.
18) Tunc Imperator dirigens nuntios suos ad regem Gre-
corum cantotf:
Sicut scripta tradunt hystoriographornm,
102 quicquid habet mundns, fiscus est Romanorum.
Hoc primorum strenuitas elaboravit,
104 sed posterorum desidia dissipavit.
Sub his imperii dilapsa est potestas,
106 quam nostrae repetit potentiae maiestas.
Reges ergo singuli prius instituta
108 nunc Romano solvant imperio tributa.
No. 17 föl. 3b, 2- col. Et cantans P: cant. T, cantat Z,
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 23
Hoc igitur edictum Grecis indicate
110 et ab ipsis debitum censum reportate.
19) Qui venientes ad regem cmtant coram eo:
Salutem maudat et c, ibi mutantes
Cuius ad servitium nos te invitamus
112 et tributum dare sub precepto mandamus.
20) Quos ille honeste suscipiens canta£:
Romani nominis honorem veneramur,
114 tributum Cesari reddere gloriamur, et c.
21) Eosque cum honore dimittens ipsemet ascendet ad im-
perium cantans:
Romani nominis et c.
22) Qui eum in hominem suscipiens et regnum sibi concedens
cantatf :
Vive per gratiam et c.
23) Tunc ille suscepto regno revertitur cantaws:
Romani nominis et c.
-24) Tunc iterum dirigit nuntios suos imperator ad regem
Jerosolimorum dicens:
Sicut scripta tradunt et c.
25) Qui venientes ad regem coram eo c(antant) :
Salutem mandat imperator Romanorum
116 dilecto suo regi Jerosolimorum et c.
26) Quibus ille honeste susceptis cantatf:
Romani nominis et c.
27) Et ascendens ad imperium cmtat hoc ipsum iterans:
Romani nominis et c.
28) Quo ille suscepto concedit sibi regnum.
111 servitutem P nos M aus V, 67 : fehlt m T No. 21 ascendet
P; ascendens T fol. 4: nominis T.
Digitized by
Google
24 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Januar 1882.
29) Ipso itaque reverso in sedein suam cum iam tota ecclesia
subdita sit imperio Romano, consurgil rex Babylonis in
medio suorum cantans:
Ecce superstitio novitatis vanae,
118 quam error adinvenit sectae christianae,
Fere iam destruxit ritam antiquitatis
120 et diis subtraxit honorem deitatis.
Quorum cultum prorsus deleri ne sinamus,
122 nomen Christian um de terra deleamus.
Quod ab eo loco debemus inchoare,
124 unde primo cepit h^c secta pullulare.
30) Et ordinans acies suas vadit ad obsidendam Jerosolimam.
Tunc rex Jerosolimae dirigitf nuntios suos ad Imperium
cantaws:
Ite h§c ecclesiae mala nuntiantes,
126 nobis auxilium ab ipsa postulantes.
H§c dum cognoverit Romanus imperator,
128 ipse noster erit ab hoste liberator.
31) Qui venientes ad imperium cantaw^ coram eo :
Defensor ecclesiae nostri miserere,
130 quos volunt inimici domini delere.
Venerunt gentes in dei hereditatem,
132 obsidione tenent sanctam ciyitatem.
Locum, in quo sancti eius pedes steterunt,
134 ritu spurcissimo contaminare qu^runt.
32) Quibus ille:
Ite vestros propere fratres consolantes,
136 ut nostrum auxilium laeti postulantes
Nos pro certo sciant in proximo venire,
138 ne de ipsis valeant hostes saperbire.
119 iam M: fehlt in T No. 31 ue | nientes fol. 4a, 2. cöl. 131
vgl. Psalm. 78, 1 *Deus venerunt gentes in hereditatem tpanV etc. 132
obsidione P: obsidionem TZ.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Äntichristo und über lat. Bythmen. 25
33) Qui reversi stant coram rege cantantes :
Viriliter agens ab hoste sis securus.
140 adpropinquat enim ab hoc te redempturus.
Quem debes in prelio constans prestolari,
142 per hunc te gaudebis in brevi liberari.
34) Interim dum Imperator colhgit exercitum angelus domini
subito apparens c(antat) :
Juda et Jerusalem nolite timere
144 sciens te auxilium dei cras videre.
Nam tui fratres assunt, qui te liberabunt
146 atqne tuos hostes potenter superabunt.
35) Tunc chorus :
Juda et Jerusalem.
36) Interim Imperator cum suis procedat ad prelium, et, finito
responsorio, prelio congrediatur cum rege Babylonis. quo
superato et fugam ineunte
37) Imperator cum suis intret templum et postquam ibi ado-
raverit, tollens coronam de capite et tenens eam cum
sceptro f et imperio ante altare cantet:
Suscipe quod offero. nam corde benigno
148 tibi regi regum imperiura resigno.
Per quem reges regnant, qui solus imperator
150 dici potes et es cunctorum gubernator.
139 Paral. 1, 28, 20 viriliter age etc. 143 Juda M: Judea TPZ
vgl. Paral. 2, 20, 17: Juda et Jerusalem, nolite timere nee paveatis.
cras egrediemini contra eos. No. 35 Judea et Jerim mit Neumen T
chorus bezeichnet nicht die Zuschauermasse, sondern die Singenden
vertreten die christlichen Beiche. No. 36 resp. prelio M : prelio resp. T
u. edd. No. 37 'imperio' übersetzt Wedde mit 'Reichsapfel*. Ich kann
weder diese noch eine andere hier passende Bedeutung finden, und
halte, die Worte et imperio für verdorben. Vielleicht ist et zu tügen u.
imperiali zu schreiben oder imperio als Adjektiv zu fassen, was ich
mich erinnere schon gelesen zu haben, 149 reges fol. 4b.
Digitized by
Google
26 Sitzung der phUos.'philol. CUisse com 7. Januar l&s:>.
38) Et eis depositis super altare ipse revertitur in sedem an-
tiqui regni sui, Ecclesia quae secum descenderat Jerosoli-
mam in templo remanente.
39) Tunc cum Ecclesia et Gentilitas et Synagoga vicissim
cantant ut supra, procedant Ypocritae sub silentio et
specie humilitatis inclinantes circumquaque et captantes
favorem laicornm. ad ultimum omnes conveniant ante
Ecclesiam et sedem regis Jerosolim§, qui eos honeste sus-
cipiens ex toto se subdet eorum consilio.
40) Statim ingreditur Antichristus sub aliis indutus
loricam comitantibus eum Y p o c r i s i a dextris et Heresi
a sinistris, ad quas ipse cantat:
Mei regni venit hora.
152 per vos ergo sine mora
fiat, ut conscendam regni solium.
154 me mundus adoret et non alium.
Vos ad hoc aptas cognovi,
156 vos ad hoc hucusque fovi.
ecce labor vester et industria
158 nunc ad hoc sunt mihi necessaria.
En Christum gentes honorant
160 yenerantur et adorant.
eius ergo delete memoriam
162 in me suam transferentes gloriaui.
ad Yprocrisin: In te pono fundamentum.
ad Heresim: Per te fiet incrementum.
ad Yprocrisin: Tu favorem laicorum exstrue.
ad Heresim: Tu doctrinam clericorum destrue.
No. 40 sub aliis T: sub alis P, sub albis? M (aibae statt alba
z. B. Paulinus Aqu. De resurr. str. 12 Angelus sedens in albis). Giese-
brecht vermuthet sub velis, indem auch er ei in No. 46 nicht als Dativ
fasst und in sehr ansprechender Weise die räthselhaften Worte No. 90
tunc tollunt ei velum hierher bezieht. V. 151 — 170 5 Strophen '8 — u ,
8— v,ll w-L-, 11 v/~ mit der Reimstellung *6n, 6n, ru, ru* 155
hoc M, fehlt in T 158 nunc om. P.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludtts de Antichristo und über lat. Rythmen. 27
41) Tone ill§:
Per nos mundus tibi credet,
168 noraen Christi tibi cedet.
Ypocrisis: nam per nie favorem dabunt laici.
Heresis: et per me Christum negabunt clerici.
42) Tunc precedent eum ipso paulatim sequente. Et postquam
venerint ante sedem regis Jerosolimae Ypocrisis insu-
surret ypoeritis annuntians eis adventum Antichristi.
Qui statim oecurrunt sibi cantantes :
Sacra religio iam dia titubavit.
172 matrem ecclesiam vanitas oecupavit.
Ut quid perditio per viros faleratos?
174 deus non diligit seculares prelatos.
Ascende eulmina regiae potestatis.
176 per te reliquiae mutentur vetustatis.
43) Tunc Antichristus :
177 Qaomodo fiet hoc? ego sum vir ignotus.
44) Tunc ipsi:
Nostro consilio mundus favebit totus.
Nos oecupavimus favorem laicorum.
180 nunc per te corruat doctrina clericorum.
Nostris auxiliis hunc tronum oecupabis:
182 tu tuis meritis cetera consummabis.
45) Tunc Antichristus veniens ante sedem regis Jerosolimae
cantat ad ypoeritas:
Quem sub ecclesiae gremio coneepistis,
184 longis conatibus me tandem genuistis.
Ascendam igitur et regna subiugabo,
186 deponam vetera, nova iura dietabo.
169 fa | fol. 4b 2. col. | vorem No 42 oecurr. T, oecurrent P
173 Math. 26, 8 ut quid perditio haec (unguenti)? 177 hoc 1. Hd. über
der Zeüe, Vgl. die demüthige Frage der Maria; Luc, 1, 34 Quomodo
fiet istud, quoniain yiruni non cognoyi?
Digitized by
Google
28 Sitzung der philos. -philo!. Clusse com 7. Januar 1SH2.
46) Tunc exuentes ei superiora indumenta ascendunt expositis
gladiis et deponentes regem Jerosolimis coronant Anti-
christum cantantes:
Firmetur manus tua et exaltetar d(extera) t(ua).
47) Tunc rex Jerosolimis ascendit ad regem Teotonicorum
solus cantans:
Deceptus fueram per speciem bonorum.
188 ecce destituor fraude simulatorum.
Regni fastigia putabam f beata,
190 si essent talium edictis ordinata.
Romani culminis dam esses adyocatus,
192 8ub honore viguit ecclesiae status.
Nunc tuae patens est malum discessionis.
194 viget pestiferae lex superstitionis.
48) Interim ypocrittj conducunt Antichristum in templum do-
mini ponentes ibi tronum suum. Ecclesia vero quae ibi
remanserat multis contumeliis et verberibus affecta redibit
ad sedem apostolici.
49) Tunc Antichristus dirigitf nuntios suos ad singulos reges,
et primo ad regem Grecorum dicens :
Scitis divinitus ad hoc me vobis datum,
196 ut per omnes babeam terras principatum.
Ad hoc idoneos mmistros vos elegi,
198 per quos totus mundus subdatur nostrae legi.
Hinc primo terminos Grecorum occupate.
200 Grecos terroribus aut bello subiugate.
50) Qui uenientes ad regem Grecorum cantant coram eo :
Rex tibi salus sit dicta a salvatore
No. 46 Es ist unsicher, ob ei Nominativ oder Dativ ist. Jerosoli-
morum P Firmetnr etc. Psalm. 89> 13 No. 47 asceod T, ascendat P
187 spe d. h. specie oder spem T, spem P 189 beata ist aus einem
Worte wie firmata entstanden. 190 talium | f. 5 a 191 vgl. 129 defensor
ecclesiae 195 ad aus ab corrigirt T: ob edd. 201 dicta M, fehlt in T.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 29
202 nostro, regum et orbis totius rectore.
Qui sicut scripturis mundo fuit promissus.
204 descendit de caelis ab arce patris missus.
Ule semper idem manens in deitate
206 ad vitam sua nos invitat pietate.
Hie se vult a eunetis ut deum venerari
208 et a toto mundo se iubet adorari.
Huius edicti formam si tu preteribis,
210 in ore gladii cum tuis interibis.
51) Quibus ille:
Libenter exhibeo regi famulatum,
212 quem tanto dicitis honore sublimatum.
Honor est et gloria tali obedire.
214 huic tota mente desidero servire.
52) Et hoc iterans venit ad presentiam Antichristi et stans
coram eo c&ntat:
Tibi profiteor decus imperiale.
216 quo tibi serviam ius postulo regale.
53) Et flexo genu offert ei coronam. tunc Antichristus depingens
primam litteram nominis sui regi et omnibus suis in fronte
et coronam ei in capite reponens cantatf:
Vive per gratiam et suseipe honorem,
218 dum me recognoscis eunetorum creatorem.
54) Tunc ille revertitur ad sedem suam.
55) Iterum Antichristus äirigit ypoeritas ad regem Fran-
corum cum muneribus dicens:
H§c raunera regi Francorum offeretis,
220 quem cum suis ad nos per illa convertetis.
Hi nostro ritui formam adinvenere,
202 orb. tot. M : toc. orb. T 203 ex Script. T, ex tilgte M 210
in ore gladii Num. 21, 24 u. sonst, No. 52 stans | fol. 5 a 2. col. No. 53
vor coronam ist munera getilgt.
Digitized by
Google
30 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
222 nostro adventui viam preparavere.
Horum subtilitas nobis elaboravit
224 tronum conscendere, qnem virtus occupavit.
56) Tunc ypocritae acceptis muneribus vadunt ad regem Fran-
corum et stantes coram eo cantaw/:
Rex tibi salus sit et c.
ultimam clausulam ista commutaDtes :
Sed de tai regni certus deuotione
226 rependit tibi vicem voluntatis bonae.
57) Tunc rex acceptis muneribus canto/:
Libenter exhibeo et c.
et hoc iterans venit ad presentiam Antichristi et flexo
genu offert ei coronam cantans:
Tibi profiteor et c.
58) Antichristus eo suscepto in osculum signans eum et suos
in frontibus et imponens ei coronam canta/ :
Vive per gratiam et c.
59) Tunc iterum dirigit ypocritas ad regem Teotonicorum
cantaws :
Excellens est in armis vis Teotonicorum,
228 sicut testantur robur experti eorum.
Regem muneribus est opus mitigari.
230 est cum Teotonicis incautum preliari.
Hi secum pugnantibus sunt pessima pestis.
232 hos nobis subicite donis si potestis.
60) Tunc ypocritae acceptis muneribus transeunt ad regem
cantantes coram eo:
Rex tibi salus sit et c ,
ultimum versum iterum isto commutantes :
Et his te honorans muneribus absentem
234 amicum cernere desiderat presentem.
No.56 aiadunt T 227 vis: ins edd., T eher ius als nis. 228 rob. exp.
M: exp. rob. T eorum \f.5b, diese Seite ist bei Zezschwitz facsimilirt.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 31
61) Tunc rex Teotonicorum cantat:
Fraudis versutias cotnpellor experiri,
236 per quas nequitia vestra solet mentiri.
Sub forma veritas virtutis putabatur;
238 ostendit falsitas, quod forma mentiatur.
Per vos corrnpta est fides Christianorum.
240 per me conteretur regnum simulatorum.
Plena sunt fraudibus munera deceptoris.
242 iniquus corruet per gladium ultoris.
Secum pecunia sit in perditionem.
244 gravem iniuria exspectat ultionem.
62) Tudc ypocritae confusi redeunt et stantes coram Anti-
christo c(antant):
regni gloria, caput totins mundi,
246 offensam aspice populi furibundi.
Certe predictum est per fidem antiquorum,
248 quod tu subities cervices superborum.
Si virtute tua totus orbis subsistit,
250 qua vi teotonicus furor tibi resistit?
Tuam Germania blasphemat dicionem,
252 extollit cornna contra religionem.
Respice igitur nostram confusionem,
254 in ea iudica tuam offensionem.
Tuam potentiam iniuria testatur,
256 cuius imperio ruinam comminatur.
235—238 auch im Weihnachtsspiel der Carmina Burana föl. 106b
— Schindler S. 94 242 iniquus M: in quos T edd. ulturis T 243
Act. 8, 20 pecunia tna tecum sit in perditionem 246 offensam M:
offensa TPZ furibunda, ä^ui corrig. T 248 Jerem. 27, 11 gens
quae subiecerit cervicem suam sub iugo regis Babyloniae 250 teotoni-
cus M : teotonicorum TPZ 251 G. Tuam T , igitur setzte M in den
V.253 253 igitur fehlt in TPZ 255 testatur = provocat? 256 Von
der 1. Hand comutatur, dann von derselben cominatur T, conver-
Digitized by
Google
32 Sitzung der phüos.-jihüol. Classe vom 7. Januar 1882.
63) Tunc Antichristus :
Consummabo uere gentem perditionis
258 pro tanto scandalo sanctae religionis.
Ecce superbiam humanae potestatis
260 teret potentia divinae maiestatis.
64) Tunc dirig# singulos nuntios ad reges dicens eis:
Ite congregantes facultates regnorum.
262 conculcent impetu farorem saperborum.
65) Nuntii vero venientes coram regibus c(antant):
Ecce noster dominus et deus deoram
264 per nos exercitum convocavit suorum.
Ut per hos teotonicum condempnet furorem,
266 in bello martyrum consignabit crnorem.
66) Tunc reges conveniunt ante tronum Antichristi. Quibus ille :
Consummabo vere et c.
Ite Germaniae terminos invadetis,
268 superbmn populum com rege conteretis.
67) Tunc omnes cantawtf:
Deus nobiscuni est, quos tuetnr potenter.
270 Pro fide igitur pugnemus confidenter.
68) Et disponentes acies suas in occursum Teotonicorum con-
grediuntur cum eis et superatur exercitus Antichristi.
Tunc rex Teotonicorum rediens et sedens in trono suo
cantol :
Sangoine patriae honor est retinendus,
272 virtute patriae est hostis expellendus.
Jus dolo perditum est sanguine venale.
274 sie retinebimus decus imperiale.
tatur Z, imperinm , minatur P 259 snperbiam | 5b 2. col. 263 Dan.
2, 47 deus vester dens deorum est, und sonst. 265 hos M : eos T 273
Das soll wohl heissen: die von mir freiwillig aufgegebene, von dem Ant.
durch Trug erschlichene kaiserliche Machtbefugniss lässt sich durch
Digitized by
Google
Wüh. Meyer; Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 33
69) Tunc ypocritae adducunt claudum coram Antichristo. quo
sanato rex Teotonicorum hesitabit in fide. Tunc iterum
adducunt leprosum, et illo sanato rex plus dubitabit. Ad
ultimum important feretrum, in quo iacebit quidam simu-
lans se in prelio occisum. iubet itaque Antichristus ut
surgat dicens:
Signa semper querunt rüdes et infideles.
276 surge velociter, quis sira ego reveles.
70) Tunc ille de feretro cantat:
Tu sapientia supernae veritatis
278 virtus invicta es divinae maiestatis.
71) Et ypocritae secum c(antant) :
Tu sapientia et c.
72) Tunc rex Teotonicorum videns Signum seducitur dicens:
Nostro nos impetu semper periciitamur,
280 adversus dominum incauti preliamur.
In huius nomine mortui suscitantur
282 et claudi ambulant et leprosi mundantur.
Illius igitur gloriam veneremar
284 **
73) Tunc rex ascendit ad Antichristum hoc idem cantans. cum
autem venerit coram eo flexo genu offert ei coronam
c(antans) :
Tibi profiteor et c.
74) Tunc Antichristus signans eum et suos in frontibus et
imponens ei coronam c(antat) :
Vive per gratiam et c.
Blut wieder erwerben und so, als Sieger über die ganze Christenheit,
halte ich, wenn auch nicht den Titel, so doch den Glanz der kaiser-
lichen Herrschaft fest. No. 69 iacebit M: iacebat T 276 surge M:
surge surge T; vgl. Act. 12, 7 surge velociter. 278 | virtus föl. 6 T
282 et lepr. M: et fehlt in T vgl. Matth. 11, 5 claudi ambulant,
leprosi mundantur. Dass V. 284 ausgefallen ist, erkannte Wedde.
No. 73 h* d. h. hoc T, cantans M (et hoc idem cantat P): cantat T
vgl. No. 27 ascendens ad imperium cantat hoc ipsum iterans.
[1882. I. Phiios.-philol. bist. Cl. 1.] 3
Digitized by
Google
34 Sitzung der pMos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
75) Tunc committit sibi expeditionem ad gentes dicens :
Vobis credentibus convertimur ad gentes.
et dato sibi gladio c(antat) :
286 Per te disponimus has fieri credentes.
76) Tunc rex* veniens ad tronum Gentilitatis et mittens
legatum ad regem Babylonis qui cantat coram eo :
Potestas domini maneat in aeternura,
288 quae adoranda quasi numen sempiternum
condempnat penitus culturam idolorura,
290 precipit abici ritus siuiulacrorura.
77) Tunc Gentilitas ad legatum:
Finxit invidia hanc singularitatem,
292 ut unam coleret homo divinitatem.
Ille iure deus cupidus estirnatur,
294 qui spretis ceteris vult, ut solus colatur.
Nos ergo sequimur ritum antiquitatis,
296 diis discrimina reddimus deitatis.
78) Tunc nuntius :
Unus est dominus, qaem iure veneramur,
298 qui solus deus est,
et deiciens simulacrum c(antat) :
ydolam detestamur.
79) Statim gentiles concurrunt et preliantur cum exercitu
Antichristi. et superatus rex Babylonis ducitur captivus
No. 76 lengatum T qui Hess P weg. 287 Hehr. 7, 24 qaod
maneat in aeternum, sempiternum habet sacerdotium. 288 quasi M :
est quasi T 291 u. 292, 293 u. 294 im Weihnachtsspiel der Carmina
Bur. fol. 106 a u. &, SchmeUer S. 94 292 homo coleret unam Bur.
293 cup. deus Bur. 294 qui spas ceteris vult T, qui spretis ceteris
vult Bur. 295 ergo M, igitur edd., in T scheint der Buchstabe über
dem g eher i (igitur) als o (ergo) zu sein. No. 79 gentiles | fol. 6 a
2. col. nach offert ist ei getilgt in T.
Digitized by
Google
WÜh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Ryihmen. 35
ad Antichristum. Tunc rex genu flexo offert coronam
Antichristo d(icens) :
Tibi profiteor et c,
80) Tunc Antichristas signans eum et suos in frontibus et
imponens coronam ei c(antat) :
Vive per gratiam et c.
81) Statim redeunt ad sedes suas omnes cantantes:
Omnium rectorern te solutn profitemur.
300 tibi tota mente semper obsequemur.
82) Tunc Antichristus dirigens ypocritas ad Synagogam c(antat) :
Judeis dicite Messiam advenisse
302 et nie in gentibus tributnm accepisse.
Judeis dicite: en ego sum Messyas.
304 ego sum promissus eis per prophetias.
83) Tunc ypocritae ad Synagogam:
Regalis generis gens es peeuliaris,
306 fidelis pppulus ubique predicaris.
Pro tuenda lege iam dudum exulasti,
308 procul a patria Messiam exspectasti.
Hqc exspectatio reddet hereditatem,
310 iocunda novitas mutabit vetustatem.
Ecce mysterium tuäe redemptionis.
312 rex enim natus est auctor religionis.
Hie est Emmanuel, quem testantur scripturQ,
314 per cuius gratiam tu regnabis secure.
Erexit humiles et snperbos deiecit.
316 potenter omnia sub pedibus subiecit.
Surge Jerusalem, surge, illuminare,
318 et captiva diu Synagoga laetare.
n n
No. 81 cant. omnes d. h. omn. cant. T 305 es: e fest) T; populus
peeuliaris Deut. 7, 6 etc. Petr. 1, 2,9: genas electum, regale sacerdotium,
gens saneta. 306 predicans T 311 Gor. 1, 15, 51 ecce mysterium vobis
dico. 316 Cor. 1, 15, 26 omnia enim subiecit sub pedibus eins. 317
Jes. 60, 1 Surge illuminare Jerusalem, quia venit lumen tuum. 318 et M,
3*
Digitized by
Google
36 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 7. Januar 1882.
84) Tunc Synagoga :
H§c consolatio divinae bonitatis
320 laborem respicit nostrae captivitatis.
Eamus igitnr obviam salvatori.
322 dignum est reddere gloriam redemptori.
85) Tunc Synagoga surgens vadit ad Antichristum et cantat :
Ades Emanuel, quem semper veneramur,
324 in caius gloria dos quoque glorianiur.
86) Tunc venientem suscipit Synagogam signans eam et dicens :
Per rae egredere vectem confusionis.
326 tibi restituo terram promissionis.
In tuo luraine en gentes ambulabunt
328 et sub pacis taae lege reges regnabunt.
87) Tunc Synagoga redeunte intrant Prophetae dicentes:
Verbum patris habens divinitatem
330 in virgine snmpsit humanitatera.
Manen s deus effectus est mortalis,
332 seraper deus factus est temporalis.
Non naturae nsu sibi constante
334 hoc factum est sed deo imperante.
Nostram Christus sumpsit infirmitatem,
336 ut infirmis conferret firmitatem.
Hunc Judei mortalem cognovernnt,
338 immortalem quem esse nesciernnt.
Nee sermoni nee signis credidere.
340 sub Pilato Christum crueifixere.
fehlt in T No. 85 synagoga | fol. 6b 1. cöl. et cantat M: et cetera T
325 für egredere vectem confusionis fand ich keine passende Stelle;
am nächsten kommt Jonas 2, 7 terrae vectes concluserunt me. 327 am-
bulant T Jes. 60, 3 ambulabunt gentes in lumine tuo. 333 sibi con-
i
stante (s östante) M : sie testante T P Z 334 operante P 335 Christus
M, fehlt in T.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 37
Moriendo mortem mortificavit.
342 a Gehenna credentes liberavit.
Hie surrexit vere non moriturus.
344 regnat semper in proximo venturus.
Hie seculum per ignem iudicabit,
346 universos in carne suscitabit.
A reprobis salvandos separabit.
348 malos dampnans bonos glorificabit.
Vere scitis quid scripturae loquantur.
350 Enoch vivum et Heliam testantur.
88) Tunc Synagoga:
übinam sunt?
89) Helias:
Uli nos sumus vere,
352 in quos fines seclorum devenere.
Iste Enoch et ego sum Helias,
354 quos hueusque servaverat Messias,
Qui iam venit et adhuc est venturus,
356 per nos primum Israel rederapturus.
Ecce venit homo perditionis
358 magnae muros consumraans Babylonis.
Non est Christus (sed mendax Antichristus).
360
* * * *
90) Tunc tollunt ei velum. statim Synagoga convertitur ad
verba prophetarum dicens :
Seducti fuimus vere per Antichristum,
362 qui mentitur esse se Judeorum Christum.
349 Verae P 350 enooh T 351 Helias add. M; sunt ? Uli. Nos sumus T
352 8clorum T mit Strich durch 1, seculorum edd. vgl. 1 Gor. 10, 11 in qnos
fines seculorum devenerunt. 355 adhuc | föl. 6 b 2. col. 357 vgl. 2 Thess.
2, 3 homo peccati filius perditionis. 358 mur. cons. M : cons. mur. T 359
sed m. Ant. M in der schon von Wedde bemerkten Lücke von T No. 90
tollant ei velum, vgl. zu No. 40; Anstoss gibt mir nur, dass der Ant. nicht
zu dieser Handlung gehört. 361 fuimus M : sumus T 362 esse M, fehlt
Digitized by
Google
38 Sitzung der philos.~phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
Certa indicia sunt nostrae libertatis
364 Helyas et Enoch prophetae veritatis.
Tibi gratias damus Adonay rex gloriae,
366 persoiiarum triuitas eiusdem substantiae.
Vere pater deas est cuius unigenitus
368 deus est. idem deus est amborum Spiritus.
91) Interim ypocritae venientes ad Antichristum c(antant) :
culmen regium divinae maiestatis,
370 tibi subtrahitur honor divinitatis.
Intravere senes doctores vanitatis,
372 qui blasphemant tuae honorem potestatis.
Judeis predicant tenore scripturarum
374 te, rex omnipotens, caput ypocritarnm.
92) Tunc Antichristus ad ypocrifas:
Cum nie totus orbis studeat adorare,
376 ius mei nominis quis audeat negare?
Synagogam et senes mihi presentate.
378 reos conveniam super hac levitate.
93) Tunc ministri venientes ad prophetas et Synagogam c(antant) :
Testes mendatii, precones falsitatis,
380 Vos tribunal vocat divinae maiestatis.
94) Tunc prophetae :
Non seducet homo iniquitatis
382 servos Christi ministris falsitatis.
95) Tunc nuntii adducunt prophetas et Synagogam ad Anti-
christum. quibus ille :
Fert in insaniam f proprietatis
384 vos, quos decipiunt vultus auctoritatis.
in T 363 iuditia T 365—368 '7 + 7 - vJJ mit der Beimstellung
'no, no, rü, rd* 366 trinitas P: trinitatis TZ 376 nurainis? 377 pre-
sentate M: representate T 383 proprietatis ist aus dem Subjekte, wie
doctrina vanitatis (vgl. 371, 413) verdorben. 384 quos | fol. 7a 1. Col.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 39
Sanctis promissus sum redemptio futura.
386 vere Messias sum, ut testatur scriptura.
De me suscipite formam religionis.
388 sum infidelibus lapis offensionis.
96) Tunc prophetae:
Tu blasphemus auctor iniquitatis,
390 radix raali, turbator veritatis.
Antichristus, seductor pietatis,
392 vere mendax sub forma deitatis.
97) Tunc Antichristus commotus dicit ministris:
Ecce blasphemias meae divinitatis
394 ulciscatur manus divinae maiestatis.
Qui blasphemant in me divinam pietatem,
396 divini numinis gustent severitatem.
Pereant penitus oves occisionis
398 pro tanto scandalo sanctae religionis.
98) Tandem synagoga c(antat) confessionem istam :
Nos erroris penitet.
400 ad fidem convertimur.
quicquid nobis inferet
402 persecutor, patimur.
99) Tunc ministri educunt eos et occidunt. interim vero dum
occiduntur, Ecclesia c(antat) :
Fasciculus mirrae dilectus meus mihi.
100) Tunc ministris reversis Antichristus dirigit nuntios suos
ad singulos reges c(antans):
Reges conveniant et agmina suorum.
404 adorari volo a gloria regnorum.
386 sum M, felüt in T vgl. 303 ego sum Messias, ego sum pro-
missus. 388 Jes. 8, 14 erit in lapidem offensionis. 392 deitatis M :
pietatis T 397 Psalm 8, 22 oves occisionis. No. 99 Cant. 1, 12 403 su-
orum M : söorum (ä. h. sanctornm) T 404 Matth. 4, 8 ostendit . . regna
mundi et gloriam eorum.
Digitized by
Google
40 Sitzung der phÜoa.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882,
Cuncta divinitus manua ima firmavit,
406 suos divinita8 hostes exterminavit.
Pace conclusa sunt cuncta iura regnorum.
408 ad cofonam vocat suos deus deorum.
101) Tunc omnes reges conveniunt undique cum suis usque
ad presentiain Antichristi (cantantes) :
Cuncta divinitus et c.
102) Quibus Antichristus :
Ista predixerunt mei predicatores,
410 viri mei nominis et iuris cultores.
Haec mea gloria, quam diu predixere,
412 qua fruentur mecum, quicunque meruere.
Post eorum casum, quos vanitas illusit,
414 pax et securitas uni versa conclusit.
1 03) Statim fit sonitus super caput Antichristi et eo corruente
et omnibus suis fugientibus ecclesia cantatf:
Ecce homo qui non posuit deum adiutorem suum.
ego autem sicut oliva fructifera in domo dei.
104) Tunc omnibus redeuntibus ad fidem Ecclesia ipsos sus-
cipiens incipit:
Laudem dicite deo nostro.
No. 101 cantantes P, fehlt in T 409 pre | fol. 7a 2. col. \ dixerrmt
No. 103 Ecce homo etc.: Psalm 51, 9 u. 10.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Eythmen. 41
Ueber die lateinischen Rythmen.
Das Spiel vom Antichristen ist in festen ryth mi-
schen Formen gedichtet. Allein, so viele auch über
diese Dichtung geschrieben haben, keiner hat dieselben er-
kannt. Die Formen der mittelalterlichen lateinischen Dich-
tungen sind eben bis jetzt noch wenig erforscht, das Erforschte
noch wenig bekannt. Muratori 1 ) gab nur werth volles
Material für die Geschichte des Reims in den ältesten Zeiten.
J. Grimm und Schindler 2 ) haben die Formen der
von ihnen veröffentlichten schönen Gedichte nicht genügend
erforscht. Du Merils 8 ) eifrigem Sammeln danken der-
artige Forschungen die Grundlage ; er hatte auch den Blick
für die Formen ziemlich geschärft: allein er hielt die ver-
schiedenen Zeiten und Verhältnisse der einzelnen Dichtungen
zu wenig auseinander, so dass er über die einzelnen Be-
merkungen nicht zur Erkenntniss der wichtigen Fälle und
der Gesetze durchgedrungen ist. Mone 4 ), der viel ver-
kannte, zeigt in vielen einzelnen Bemerkungen feinen Sinn
für diese Formen. Nachdem L6on Gautier 5 ) bei der
Herausgabe gerade des Dichters, welcher den kunstmässigen
Bau der rythmischen Verse sehr ausgebildet hat, diese
1) Muratori, de rhythmica veterura poesi; Antiqu. Ital. III p. 664
— Migne Cursus patrol. lat. 151 p. 755. — 2) J. Grimm u. Schindler,
Lat. Gedichte des X. und XI. Jahrh. 1838. J. Grimm, Gedichte auf
Friedrich L, Abh. der Berliner Akad. 1843 — Kleinere Schriften III,
1 — 102. Schmeller, Carmina Burana, 1847, Bd. 16 der Bibl. d. lit.
Vereins in Stuttgart. — 3) Ed. Du Meril 1. Poesies pop. lat. anterieures
au douzierae siecle. Paris 1843. 2. Poesies pop. lat. du moycn äge.
Paris 1847. 3. Poesies in^dites du moyen äge. Paris 1854 — 4) Mone,
Lat. Hymnen des Mittelalters, 3 Bde. 1853 — 1855. — 5) L. Gautier,
Oeuvres poetiques d'Adam de S. Victor, Paris 1858.
Digitized by
Google
42 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Januar 1882.
Kunst durchaus verkannt und geleugnet hatte, war es Gaston
Paris 1 ) leicht, zunächst diesen Irrthum nachzuweisen. Er
knüpfte hieran eine Reihe feiner Bemerkungen über den
Bau der rythmischeu Verse, die bis jetzt nicht beachtet
wurden, weil sie in der Allgemeinheit, wie sie G. Paris
aufstellte, unrichtig sind; in der richtigen Beschränkung
dagegen sind sie anregend und wichtig und zeugen von
dem Scharfsinn und richtigen Gefühl dieses Forschers. Karl
Bartsch 2 ) hat nur eine einzelne Art von Gedichten, die
Sequenzen, behandelt, und auch von diesen gehören nach
meiner Ansicht nur die Sequenzen der späteren Periode zu
den rythmischen Gedichten; aber hier hat er durch reiche
und übersichtliche Zusammenstellung der Eigenthümlich-
keiten viele Gesetze klar gelegt und weitere Untersuchungen
erleichtert. Dann hat er bei verschiedenen Gelegenheiten
einzelne Zeilen- und besonders Strophenformen der lateini-
schen, romanischen und deutschen Dichter verglichen und
besprochen. In neuester Zeit hat Zarncke 8 ) die Ge-
schichte einer Rythmeuform behandelt, Ebert 4 ) und H ne-
in er 5 ) haben mehrere Stücke der ältesten rythmischen
Poesie näher untersucht. Leon G a u t i e r 6 ) hat den kunst-
mässigen Bau der mittelalterlichen Rythmen zugestanden
und eine Anzahl Gesichtspunkte für die Geschichte derselben,
besonders für die Entwicklung der mittelalterlichen Zeilen-
1) G. Paris, Lettre ä L. Gantier sur la versification Lat. rhyth-
raique. Paris 1866. — 2) K. Bartsch, Die lat. Sequenzen des Mittelalters.
Rostock 1868. -— 3) Fr. Zarncke, Berichte d. sächs. Ges. d. Wiss. zu
Leipzig 1877 p. 57—69. — 4) Ad. Ebert, Geschichte der Literatur des
Mittelalters Bd. I. IL 1874. 1880. Zeitschr. f. deutsches Alterthum 24
p. 144—150. — 5) Joh. Huemer, Unters, über den jamb. Dimeter vor
Karl d. Gr. Wien 1876. Unters, über die ältesten Lat. christl. Rhythmen,
Wien 1879. — 6) L. Gautier, Les Epopees Francaises, Paris 1878, I,
p. 281 — 298. Schon 1878 kündigte Gautier an 'Histoire de la poesie
Lat. au moyen äge : Versification rhythmique, Hymnes, Proses, Tropes,
Mysteites. (Sons presse.)
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 43
und Strophenarten aus den altrömischen aufgestellt, welche
er hoffentlich bald ausführlich darstellen wird.
Die lateinischen Rythmen des Mittelalters verdienen
eifrige Erforschung, nicht nur um des Inhaltes, sondern
auch der Formen willen. Dichtungen, wie viele der Car-
mina Burana, manche des Archipoeta, sehr viele Hymnen
und Sequenzen, werden stets zu den Perlen der Weltlitera-
tur gehören. Dann haben die lateinischen Rythmendichter
besonders im XL und XII. Jahrhundert mit feinem Gefühle
für den innern Bau der Zeilen Gesetze aufgestellt, welche
auf die romanische Dichtung im Mittelalter grossen Einfluss
.gehabt haben und zum Theil noch jetzt fortwirken, wie
z. B. der romanische Versbau heute noch auf dem damals
gelegten Grunde ruht; wenn auch ferner die deutschen
Dichter des Mittelalters den Vers nach einem ganz andern
Princip bauten, indem sie nur die betonten, nicht wie die
lateinischen und romanischen Dichter auch die unbetonten
Silben zählten, also nicht wie jene gleiche Silbenzahl in den
entsprechenden Zeilen beobachteten, so haben sie doch den
innern Bau der lateinischen rythmischen Zeilen in manchen
Stücken z. B. in der beschränkten Zulassung des Hiatus
beachtet. Und unser neuhochdeutscher Versbau, welcher die
betonten Silben als Längen rechnet, den Tonfall des Vers-
schemas und die Gleichheit der Zahl auch der unbetonten
Silben mit Vermeidung des Taktwechsels beobachtet, steht
auf demselben Standpunkt, wie viele lateinische Rythmen-
dichter des späteren Mittelalters, welche ebenfalls den Takt-
wechsel sich nicht gestatteten.
Die Zeilen- und insbesondere die Strophenarten aber
sind es vor Allem, welche die Dichter des XII. und XIII.
Jahrhunderts mit freudiger Schaffenslust in wunderbarer
Mannichfaltigkeit ersonnen haben. Die lateinischen Dichter
waren sicher hierin die ersten, später mögen bei dem Wett-
streite der lateinischen, romanischen und deutschen Dichter
Digitized by
Google
44 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882.
die lateinischen ein oder die andere Strophenform von den
romanischen oder deutschen Dichtern entlehnt haben. Wenn
auch die romanischen und germanischen Dichter der letzten
Jahrhunderte, insbesondere die deutschen Dichter des 19. Jahr-
hunderts vielerlei griechische, römische, orientalische und nor-
dische Zeilen- und Strophenarten nachgeahmt haben, diejenigen
Lieder und grösseren Gedichte, welche jedes einzelne Volk
als den echten Ausdruck seiner Gefühle anerkennt und liebt,
sind in Formen gekleidet, welche aus jener Zeit des über-
reichen Schaffens sich — in bescheidener Zahl — erhalten
haben.
Der Eifer Vieler ist jetzt darauf gerichtet, die Vers-
gesetze der mittelalterlichen Dichtungen in den romanischen
und germanischen Sprachen festzustellen : dem sollte eigent-
lich die Feststellung der Gesetze der mittelalterlichen latei-
nischen Bythmen vorangehen, da diese auf jene Einfluss
übten und da sie leichter zu erkennen sind. Denn während
dort wichtige Stücke streitig sind, wie z. B. die Aussprache
oder Unterdrückung von Endsilben, besteht hier nur über
wenige unbedeutende Vorfragen Zweifel. Eine Hauptschwierig-
keit bildet hier nur die Unsicherheit der Texte. Doch durch
die Bemühungen von Dümmler und Wattenbach, jenes um
die lateinischen Gedichte der früheren, dieses um die der
späteren Zeit, fällt ja auch in diese Finsterniss schon jetzt
einiges Licht.
Obwohl ich von einem Gedichte der zweiten Periode
ausging, habe ich doch von dem Ganzen der poetischen
Formen der ersten Periode, d. h. sowohl von dem Bau der
einzelnen Zeilen als von ihrer Zusammenfügung zu Strophen
und Gedichten in der Zeit bis zum Beginne des XL Jahr-
hunderts, ein Bild zu geben versucht, habe dagegen bei der
zweiten Periode nur den Bau der einfachen Zeilen besprochen.
Ich that dies, weil die Formen der ersten Periode noch sehr
wenig erforscht sind, ihre Kenntniss aber zum Verständniss
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 45
der späteren Formen nothwendig ist, weil das von mir be-
handelte Gedicht im Anfang der zweiten Periode entstanden
ist und weil endlich die Fülle der in der zweiten Periode
geschaffenen neuen Zeilen- und Strophenformen eine ausser-
ordentlich grosse ist. Bei dem oft mühsamen Zusammen-
zählen werde ich nicht selten geirrt haben, habe auch um
Text-Kritik mich nicht viel kümmern können. Wenn aber
die Haupt/iige der Rytb mengeschichte richtig erkannt sind,
so wird die Berichtigung solcher kleineren Fehler die Resul-
tate nicht ändern.
Indem ich die einzelnen Zeilen untersuchte, ach-
tete ich a) auf die Silbenzahl und die Pausen, b) den Schluss,
c) den Tonfall der sich entsprechenden Zeilen, endlich d)
auf die Zulassung von Hiatus und e) auf den Reim. Die
Gedichte schied ich in gleichzeitige und ungleichzeilige,
die aus ungleichen Zeilen, d. h. aus Strophen, gebildeten in
gleichstrophische (fast alle Hymnen), und ungleich-
strophische. Wenn in diesen letzteren Paare unter sich
gleicher, aber von den andern verschiedener Strophen an
einander gereiht sind, so heissen sie Sequenzen; strenge
Leiche nannte ich die Gedichte, in welchen auf eine Reihe
von verschiedenen Strophen in einer zweiten Reihe dieselben
Strophenarten in derselben Ordnung, sei es in gleicher oder
in verschiedener Zahl, sich folgen; freie Leiche endlich
diejenigen Gedichte, in welchen verschiedene Strophen zu
einer Reihe oder zu mehreren von einander verschiedenen
Reihen und Gesetzen verbunden sind.
Die Rythmen saec. VI. — XII.
Der Bau der sogenannten rythmischen Hexameter des
Commodian hat mit dem Bau der späteren Rythmen wenig
zu ihun; nicht viel mehr die barbarischen Achtsilber mit
trochäischem Schlüsse, welche Augustin in dem Gedicht gegen
die Donatisten sich construirt hat: doch finden sich bei
Digitized by
Google
46 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
ihnen die ersten sicheren Spuren des Reimes, indem bei
Commodian die sämmtlichen Zeilen eines kleinen Gedichtes
auf o, bei Augustin die 250 Langzeilen auf e enden. Da-
gegen findet sich in den Soldaten- und ähnlichen Volkslied-
chen der Kaiserzeit jenes Urprinzip aller rythmischen Poesie,
dass in die langen, also betonten Stellen des Versschemas
die betonten Wortsilben gerückt werden. Wenn auch die
von dem Grammatiker Virgilius Maro gebotenen Zeilenarten
zum Theil seine phantastische Erfindung sein mögen, so
sehen wir doch bei ihm schon ganz die Gesetze der ryth-
mischen Verse und reine zweisilbige Reime; und eben jene
vielleicht neuerfundenen Zeilenarten zeigen, dass wir den
rythmischen Dichtern auch dieser Zeit einige Neuerungen
zutrauen dürfen und dass dabei vielleicht gerade die Ge-
lehrten mithalfen. In manchen Dichtungen der nächsten Zeit,
und besonders in den Gedichten der von Karl dem Grossen
geehrten Dichter finden wir die Formen und die Technik,
welche sich bis zum XII. Jahrhundert erhielten: die kata-
lektischen trochäischen Tetrameter (15 v - / — ) mit steter
Pause nach der 8. Silbe, die jambischen Trimeter mit Pause
nach der 5. Silbe, die Zeilen zu 4 Jamben und die zu 4
Trochäen, die Siebensilber mit jambischem und die mit tro-
chäischem Schlüsse, lauter Formen, welche sich leicht auf
die Formen der alten quantitirenden Poesie zurückführen
lassen: in dem Bau der Zeilen das Gesetz, dass betonte
Silben nicht zusammenstossen, sondern durch unbetonte und
zwar in der Regel nur durch eine getrennt werden; die
daktylischen Zeilenarten verschwinden, und in den regel-
mässig dahinfliessenden trochäischen und jambischen Ryth-
men findet sich nur hie und da ein Daktylus beim Eintreten
von Taktwechsel, welcher in beschränkter Zahl von Fällen
gestattet ist. Elision findet sich nicht, Verschmelzen zweier
Vokale zu einem selten, aber auch Hiatus wird nicht zu
häufig gestattet. Der trochäische Zeilenschluss wird durch
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 47
ein mindestens zweisilbiges, der jambische durch ein min-
destens dreisilbiges Wort gebildet. Die Zeilen, welche oft
einsilbiger Reim oder einsilbige Assonanz bindet, sind meistens
in Gruppen zusammengestellt: die trochäischen Fünfeehn-
silber in Gruppen von je 2 oder 4 oder besonders von je
3 Zeilen, die Trimeter besonders zu Gruppen von je 5 Zeilen
oder, in Nachahmung der sapphischen Strophen, zu Gruppen
von 3 Zeilen mit einem Fünfsilber, die übrigen Zeilenarten
meistens in Gruppen von 2 oder 4 Zeilen. Ist ein Gedicht
in derartigen einfachen Formen geschrieben, so ist schwer
zu erkennen, ob es im 7. oder erst im 11. Jahrhundert
entstanden ist.
An diesem Stamme bildeten sich Auswüchse und Triebe,
die theils wieder abstarben, theils fortwuchsen und sich ent-
wickelten. So finden wir schon in irischen Gedichten des
7. und 8. Jahrhunderts den Tonfall auch der trochäischen
Verse so durchaus vernachlässigt, dass von Rythmus nicht
mehr die Rede sein kann; ja sogar die wichtige Gleichheit
der Zeilenschlüsse ist verletzt und unter die jambischen
Schlüsse hie und da ein trochäischer gemischt und umge-
kehrt; diese beiden Unsitten finden sich in einzelnen Ge-
dichten bis zum Schlüsse des XI. Jahrhunderts. Sehr wich-
tig wurde der Eifer, mit welchem die Iren den Reim
pflegten. Die ältesten Beispiele von reinen zweisilbigen
Reimen begegnen uns bei dem Grammatiker Virgilius Maro ;
aus seinen Kreisen l$am er vielleicht zu den Iren, bei denen
wir im 7. und 8. Jahrhundert reiche Reimfülle, ja sogar
einmal Binnenreim und ein anderes Mal, das einzige Mal
vor dem Schlüsse des XL Jahrhunderts, gekreuzte Reime
antreffen. Bonifatius, Aldhelm, Hibernicus Exul und Dicuil,
Iren oder Freunde von Iren, sind es, welche die Reimfülle
auf das Festland verpflanzt und dieselbe aus den rythmi-
schen auch auf die quautitirend gebauten Verse übertragen
und so den Grund zu dem später so weit verbreiteten Ge-
Digitized by
Google
48 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
schlechte der gereimten Hexameter gelegt haben. Grossen,
hie und da überwuchernden Reichthum von Reimen finden
wir später in den Gedichten Gotschalks und seiner Genossen,
in manchen Stücken der Cambridger Sammlung und bei
Wipo, bis gegen Ende des XI. Jahrhunderts die Anwendung
des Reimes gesetzmässig wurde.
Ein hässlicher Auswuchs ist zum Glücke wieder abge-
storben. In historischen und religiösen Gedichten des 8. und
9. Jahrhunderts findet sich mehr oder minder häufig vor
der regelmässigen Zeile noch eine unbetonte Silbe, ein Vor-
schlag, oder es ist in dem Innern der Zeile eine Silbe zu-
gesetzt, indem ein Daktylus statt eines Trochäus eintritt.
In der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts versuchte Notker,
den freien Läufen der langgezogenen Melodien, mit welchen
die einzelnen Silben des Alleluia ausgemalt wurden, Wörter-
reihen von gleichem Tonfall anzuschmiegen. Wenn nun
auch in diesen sogenannten Sequenzen der älteren Art die
einzelnen Zeilen nicht rythmisch gebaut und die kühnen
Strophen nur nach den Gängen der Melodie angelegt wurden,
so dass also die Rythmen- und die Sequenzen-Dichtung da-
mals zwei ganz geschiedene Gebiete waren, so wirkte doch
der Eifer und die Kühnheit der Sequenzendichter auf die
Rythmendichter. Es treten allmälich neue Zeilenarten auf;
es finden sich Gedichte in schwankenden Zeilen, in denen
die entsprechenden Zeilen an Silbenzahl und Bau sich nur
ähnlich, nicht gleich sind, eine Art, die im Laufe des XI.
Jahrhunderts wieder verschwindet ; insbesondere aber zeugen
von einem neuen Geiste einige neue und kühne Strophen-
formen, die sich im X. und XI. Jahrhundert finden. Damit
dass im Beginn des XII. Jahrhunderts die Sequenzendichter
sich herabliessen, ihre willkürlichen Zeilen und Strophen
aufgaben und aus regelmässig gebauten rythmischen Zeilen
ähnlich kühne Strophen zu fügen versuchten, war der ent-
scheidende Schritt geschehen : um diese ganz neue und
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 49
schwierige Aufgabe erfüllen zu können, mussten Neuerungen
gemacht werden, und kräftiges Leben begann jetzt in allen
Zweigen der rythmischen Dichtuug sich zu regen.
Von den einzelnen Zeilen.
Die Gedichte dieser früheren Zeit sind meistens gleich-
zeilig, nur werden oft die einzelnen Gruppen durch Re-
frain gekennzeichnet. Die Zeilen ohne Pause überschreiten
fast niemals die Zahl von 8 Silben; (vgl. nur XIII, 1—4).
Denn wenn eine der nachgeahmten antiken Zeilenarten (und
fast alle damals gebräuchlichen rythmischen Zeilenarten
waren Nachahmungen von antiken) mehr als 8 Silben zählte,
so wurde sie, durch Verwandlung der Caesur in eine förm-
liche Pause, zu 2 kleineren Zeilen zerlegt ; also bestehen die
trochäischen Fünfzehnsilber stets aus 2 Zeilen zu 8 und zu
7 Silben, die Trimeter aus 2 Zeilen zu 5 und 7 Silben, die
Sapphischen und alcaeischen Zeilen aus 5 + 6, die phalae-
cischen aus 6 + 5 und die asklepiadeischen aus 6 + 6
Silben. Die wenigen Gedichte, in welchen diese Pausen
nicht streug beobachtet sind (II, 27. 28 und IV, 3), sind
auch sonst so roh oder entstellt, dass sie fast allen Regeln
sich entziehen. Doch hatte man stets das Bewusstsein, dass
die beiden Stücke zusammengehören und verband daher in
den älteren Zeiten nur das Ende der Langzeilen durch
Reim. Ja, man scheint für Langzeilen überhaupt eine Vor-
liebe gehabt zu haben. Denn während es doch natürlich
war in einem Gedichte, das aus gleichen Zeilen, z. B. jam-
bischen Achtsilbern bestand, Zeile an Zeile zu reihen, wie
dies auch *in der Regel z. B. bei Aldhelm und meinen Ge-
nossen (VIII, 17 — 25) geschehen ist, sehen wir bei Dicuil
je 2 solche Achtsilber zu Langzeilen verbunden. Ebenso
sehen wir die trochäischen Achtsilber durch den Reim selten
in Stücke von 4 Silben zerlegt (Virgil und III, 2), meistens
die einzelnen Zeilen, aber bei Augustin Doppelzeileu von
[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. 1.] 4
Digitized by
Google
50 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
16 Silben an einander gereiht. In der ersten Hälfte, der
Basis der Langzeile, ist öfter Schwanken in der Silbenzahl
oder wenigstens im Rytbmus gestattet, während die 2. Halb-
zeile fest gebaut ist. Vgl. IX, 2 a. X, 3. XI, 1. XII, 2.
Gleiche Silbenzahl.
Die Gleichheit der Silbenzahl ist ein wesentliches Merk-
mal der rythmischen Gedichte, wenn sie auch nicht aus-
reicht, um einen Rythmus zu bilden. Schon in dem Anti-
phonarium Benchorense finden sich Gebete in Zeilen von
ungefähr ähnlicher Silbenzahl nebst Assonanz, z. B. p. 153
Tost Evangelium : Canticis spiritalibus delectati, | nos, Christe,
consonantes canimus tibi, | quibus tua maiestas possit pla-
cari, | oblata laudis hostia spiritali* : je 12 Silben mit Reim
auf i; ähnlich besteht die dem Otloh zugeschriebene Prosa
auf den heiligen Dionys (Du Meril 1843 p. 162) aus Lang-
zeilen von 12 -f- 9 Silben, deren Halbzeilen einsilbig reimen,
mit einer Einleitung von 2 Langzeilen zu 9 + 8 Silben.
Ich kann diese an Silbenzahl gleichen Zeilen ebensowenig
als die an Silbenzahl gleichen Strophen der Sequenzen älterer
Art zu den Rythmen zählen, da der rythmische Bau der
Zeilen fehlt. Andere Dichtungen, wie der gleichstrophische
und gereimte Pilgergesang XV, 2 stehen auf der Grenze.
Die gleiche Silbenzahl der entsprechenden Zeilen findet
sich auch in den wirklichen Rythmen öfter verletzt, indem
Silben zugesetzt sind. Zarncke (Ber. d. saechs. Ges.
d. Wiss. 1877 p. 60) hat hierauf hingewiesen, sucht aber
die Zahl der Fälle durch Mittel zu mindern, deren Anwen-
dung ich nicht für richtig halten kann. Augustin hat die
Gleichheit der Silbenzahl gewahrt, indem er keinen Hiatus
zuliess, sondern die Endsilben auf m und auf einen Vokal
vor anlautendem Vokal stets elidirte und die Silben ia, ea
u. s. w. in der Regel zu einer verschmelzen Hess. In der
folgenden Zeit ist in rythmischen Gedichten Verschmelzung
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über tat. Bythmen. 51
zweier Vokale zu einem Laute noch gestattet, wie z. B. in
dem irischen Gedicht (II, 20) sich solche Fünfsilber mit
trochäischem Schlüsse finden 'regi cum sociis', 'errantem
propriis', aber sie ist nicht häufig; vgl. I, 31. II, 16. Von
Elision habe ich nur in einem Gedichte sichere Fälle ge-
funden I, 33; hier werden durch Annahme der Elision
sämmtliche überzählige Silben entfernt und es bleibt in dem
Gedichte kein Hiatus übrig: allein das Gedicht scheint über-
haupt nicht zu den rythmischen zu gehören. Wenn aber,
wie in ziemlich vielen Gedichten, einerseits die Zulassung
des Hiatus sicher ist, z. B. 'honor illi et potestas', anderer-
seits die Zusetzung von Silben, z. B. 4 qui nos pastorem
super gregem', warum sollte man dann dem Dichter die
Inconsequenz zutrauen, dass er bald elidire bald nicht, und
nicht vielmehr, den andern Fällen folgend, auch in Versen
wie 4 ad expugnandum expellendum' zugleich Hiatus und
Zusetzung einer Silbe annehmen? Ein Beweis für die Rich-
tigkeit dieses Verfahrens liegt darin, dass in all den Ge-
dichten, wo einerseits Hiatus gestattet ist, andererseits sich
solche durch Elision entfernbare überschüssige Silben finden,
daneben stets solche Verse vorkommen, aus denen die über-
schüssigen Silben weder durch Elision noch durch Vokal-
verschmelzung entfernt werden können. Indem ich nach
diesem Grundsatze urtheilte, habe ich ausser in dem oben
erwähnten Gedichte in keinem andern sichere Fälle von
Elision gefunden.
Vom Schlüsse der Zeilen.
Der trochäische Schluss der Zeile wird durch ein min-
destens zweisilbiges Wort gebildet, der jambische durch ein
mindestens dreisilbiges; einsilbige schwere Wörter dürfen
nicht im Zeilenschluss stehen, doch hie und da die Hilfs-
wörter der Sprache, also kann z. B. natus est jambischen
Schluss bilden. Vom Anfang bis zum Ende dieser Periode
4*
Digitized by
Google
52 Sitzung der phüos.-phüöl. Ciasse vom 7, Januar 1882.
findet sich die Unsitte, Zeilen mit anderem Schlüsse einzu-
mischen; besonders die Iren waren hierin sehr nachlässig;
vgl. I, 29. 32. II, 20. V, 1. V, 2. VIII, 13. 14. IX, 5.
Doch auch bei den Angelsachsen VIII, 17 — 25 und in an-
deren Dichtungen früherer (z. B. II, 22. III, 3) und späterer
Zeit (I, 37. III, 5 und bes. VIII, 30) sind widersprechende
Versschlüsse in ziemlicher Zahl eingemischt.
Vom Tonfall innerhalb der Zeilen.
Die Gesetze zu erkennen, nach welchen das Innere der
Zeile gebaut wurde, ist ebenso wichtig als schwierig. Zu
berücksichtigen ist, wie es bei den späteren quantitirenden
Dichtern stand. Die lateinisch redenden Menschen der spä-
teren Kaiserzeit hatten für die Natur- und Positionslängen,
wenn ich so sagen darf, in ihrer Zungenspitze ebensowenig
Gefühl als wir, und, wenn sie quantitirende Gedichte machen
wollten, mussten sie die Regeln über das, was lang und
kurz sei, mühsam dem Gedächtnisse einprägen. Auf jenem
angeborenen Gefühle hatte aber die Ersetzung einer Länge
durch 2 Kürzen gänzlich und die Elision von Vokal vor
Vokal zum Theil beruht. Es ist nur natürlich, dass diese
beiden wesentlichen Eigenthümlichkeiten der quantitirenden
Poesie abstarben, und dass die späteren quantitirenden Dichter
Auflösung einer Länge in zwei Kürzen fast gar nicht, Elision
in bescheidenem Maasse anwendeten. So kamen sie in den
trochäischen und jambischen Reihen bei der gleichen Silben-
zahl der entsprechenden Zeilen an. Aehnlich ging es in
der griechischen Literatur. Ich habe (Abhandl. XV, II, 421)
darauf hingewiesen, wie in einigen Sammlungen von Me-
nandersprüchen (jambischen Trimetern) alle diejenigen weg-
gelassen sind, in denen sich die gehasste Auflösung fand,
deren Silbenzahl* also 12 überstieg. Auf diesem Wege, in-
dem auch noch regelmässige Caesuren ängstlich eingehalten
wurden, sind mehrere Gedichte entstanden, bei denen man
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludm de Antichristo und über lat. Byihmen. 53
schwankt, ob sie quantitirend oder rythmisch gebaut sind
(vgl. I, 33). Was den Bau der entschieden rythmischen
Gedichte betrifft, so ist das, was der Grammatiker Virgilius
Maro hierüber sagt, an und für sich wenig, und davon wieder
ein gut Theil unverlässig. So sind wir auf die Gedichte
selbst angewiesen. Die reinen Gedichte zeigen, dass die
Betonung des Lateinischen zu allen Zeiten im Wesent-
lichen die gleiche war, kleine Dinge abgerechnet, wie
nmlieris (immer), süadet^ langüit, oder que als einzelnes
Wort betont (selten). Die griechischen und hebräischen
Wörter, sowie fremde Eigennamen entziehen sich allen
Regeln; besonders werden die hebräischen Wörter gerne
auf der Endsilbe betont, so dass solche zweisilbige Wörter
sogar jambischen Zeilenschluss bilden können. Consequenz
darf man hier niemals erwarten. So ist z. B. in den ziem-
lich rein gebauten Trimetern (II, 9) in den Pünfsilbern
4, 4 Bethleem in urbe, 9, 2 Bethleem ad urbem dies Wort
zweisilbig, in 11, 3 natus est Bethleem und 35, 2 a magis
Bethleem zweisilbig und auf Beth betont, in dem Fünfsilber
24, 2 et tu Bethleem dreisilbig und auf le betont, in dem
Siebensilber 15, 2 Bethleem celeriter dreisilbig.
Für den rythmischen Bau galt als Hauptgesetz, dass
betonte Silben nicht zusammenstossen dürfen, sondern durch
unbetonte getrennt sein müssen. Sehen wir die angewen-
deten Zeilenarten an, so scheint es fast als ob die, welche
bei der Entstehung der geregelten rythmischen Dichtung
thätig waren, % die Parole ausgegeben hätten, die betonten
Silben dürften nur durch eine unbetonte getrennt werden,
daktylischer oder anapästischer Rythmus sei also nicht zu-
lässig. Zwar bei Virgilius Maro finden wir in seinen so-
genannten Versus liniati noch ziemlich viele Daktylen, allein
diese Zeilenart scheint seine Erfindung zu sein und geblieben
zu sein. Denn obwohl der daktylische Rythmus der latei-
nischen Sprache nicht ferne liegt, finden wir dennoch in
Digitized by
Google
54 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
den erhaltenen rythmischen Gedichten nicht nur keines, in
welchem sich mehrere Daktylen an einander reihen, sondern
selbst diejenigen, in denen zwei unbetonte Silben an einer
bestimmten Stelle vorkommen, sind sehr wenige: XI, 1.
XIII, l. 2. 3. 4. XV, 4. Durchaus zerbröckeln die Dak-
tylen zu Jamben, statt — v->^ — ^ kann ebenso gut ^— ^
— ^ stehen, statt — ^^— v->— : ^— w— ^— .
Der herrschende Rythmus ist stets trochäisch oder jam-
bisch, und die Zeilen dieser Periode sind eigentlich nichts
Anderes als längere oder kürzere Reihen von regelmässig ab-
wechselnden betonten und unbetonten Silben. Wenn wir die
zu kurzen Zeilen zu — ^ — ^, zu ^ — ^ — und — ^— ^—
ausschliessen, so bleiben also folgende trochäische Reihen:
— v^ — ^ — v^ (6 — v^)^ — w — v-> — v^ — (7 ^ — ), — ^ — ^ — w— ^
(8—^) und folgende jambische: w— w— ^ (5 — ^), v^—
V^ V-> (6 O ), ^ ^ W V^ (7 (j) ? v-/ W W V->
(8 u — ). Diese Kurzzeilen sind es, die entweder selbständig
oder in verschiedener Weise in Langzeilen zusammen gestellt,
die Formen der Gedichte bilden.
Hier zeigt sich nun die merkwürdige Erscheinung, dass
in den trochäischen Reihen in der Regel der Tonfall des
Schemas festgehalten, in den jambischen Reihen aber öfter
vernachlässigt als beobachtet wird. Diese jambischen Reihen
zu 5 — ^, 6 ^— , 7 — ^ und 8 ^ — beginnen häufiger mit
einer langen Silbe als mit einer kurzen. Man könnte hie-
für wohl einen theoretischen Grund finden. Alle zwei-
silbigen Wörter der lateinischen Sprache gelten als Tro-
chäen und von den drei- und mehrsilbigen hat naturgemäss
mindestens die Hälfte ebenfalls trochäischen Tonfall — -^ —
(omnium — die letzte Silbe aller Proparoxytona hat Neben-
ton und kann in der rythmischen Poesie als betonte gezählt
werden — ), — ^— u (imperator) u. s. w. ; demnach könnte
man sagen, der trochäische Rythmus sei der lateinischen
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Lucius de Antichristo und über lat. Bythmen. 55
Sprache angemessener als der jambische. 1 ) Allein vielleicht
hat hier die Praxis und nicht die Theorie eingewirkt. Für
Sechs- und Achtsilber mit trochäischem und für Siebensilber
mit jambischem Schlüsse konnte man bei den gangbaren
metrischen Dichtern, dem Horaz, Prudentius, Boetius und
Andern, nicht leicht andere gebräuchliche Schemata finden
als eben jene trochäischen; anders stand es bei den jambi-
schen: während Zeilen zu v — v — u sich einzeln fast nicht
fanden, waren die Adonier zu — ^^ — ^ in der späteren
Zeit ein sehr beliebtes Versmass; die Zeilen zu ^ — ^— ^—
waren selten, die — ^ u _ v — i n den asklepiadeischen sehr
gewöhnlich; für die Siebensilber mit trochäischem Schlüsse
standen drei Vorbilder zu Gebote, das oft gebrauchte jam-
bische ^ — ^ — ^ — u , das sehr oft gebrauchte pherekrateische
— ^— ^^ — ^, und das minder häufige (z. B. Horaz Od. I, 8)
logaödische — ^ ^ — u_w. Endlich als Vorbild für die Acht-
silber mit jambischem Schlüsse konnte man wohl noch häu-
figer als den jambischen Dirneter bei den metrischen Dich-
tern die Glykoneen zu ganzen Gedichten verwendet finden.
Vielleicht gewannen die Dichter hieraus das beruhigende
Bewusstsein, ob sie den Siebensilber nun v — ^ — u-— ^ oder
— ^ — ow — u oder — ^ ^ — v/ — u und den Achtsilber w —
^ — ^ — ^— oder — ~ — vu — u— betonten, jedenfalls werde
ein anerkanntes, antikes Versmass getroffen, und gewöhnten
sich daher an die ständige Mischung. Wie dem auch sei,
die Thatsache steht fest, dass vom Anfang bis zum Schluss
dieser Periode in den jambischen Reihen zu 5 — ^ , 6 ^ — ,
7 —v und 8 °— die Betonung des Schemas in allen Ge-
dichten sehr oft verlassen ist. In diesen Gedichten sind
in Wahrheit nur die Silben , gezählt, d. h. unter Beobach-
1) Sollten die Worte des Grammatikers Virgilius Maro Epit. 3, 2
'inter omnes pedes dactylns et spondaeus principatum habent* einen ver-
wandten Sinn haben?
Digitized by
Google
56 Sitzung der phÜos.-philol. Clasae vom 7. Januar 1882.
tung des gesetzmässigen Schlusses je 5 , 6 , 7 , 8 Silben in
die Zeile gestellt, wie auch Aedilwold in einem Briefe an
Aldhelm vor dem Jahre 706 (Jaffe Bibl. R. germ. 3 p. 37)
seine gereimten Achtsilber (8 *—) charakterisirt 'carraen
non pedum mensura elucubratuin, sed, octonis syllabis in
nno quolibet vorsu conpositis, una eademque littera con-
paribus linearum tramitibus aptata, caraxatum. 1 ) Ich be-
schränke daher die Untersuchung über den inneren Bau der
Zeilen auf die trochäischen Reihen.
Schwebende Betonung oder Taktwechsel.
Auch in den trochäischen Zeilen widerstreitet der Wort-
accent oft genug dem Versaccent. Unsere Gelehrten nahmen
in solchen Fällen die sogenannte 'schwebende Betonung' an
(vgl. besonders Huemer's Untersuchungen S. 24 — 32), ver-
mittelst deren sie nicht nur lesen können sine fine, sondern
auch cäntemüs und civitas u. s. w., kurz vermittelst deren
man allerdings Alles lesen kann, wie man will. Man ist
dadurch soweit gekommen solche Betonung wie (IX, 1)
Navis numqu^m turbäta quamvis fluctibus tönsa
Nuptis quaque parata regi domino sponsa
für möglich zu halten, und hiernach hat wohl auch D'Arbois
de Jubainville (Romania 8, 147) seine Regeln über die ver-
schiedene Betonung der lateinischen Wörter bei den Iren
der verschiedenen Perioden sich zurecht gemacht. Aber im
entschiedenen Gegensatz zu der auf Natur- und Positions-
längen gegründeten quantitirenden Dichtung beruht ja das
Wesen aller rythmischen Dichtung in der Beobachtung der
gewöhnlichen Betonung und Aussprache, welche in der Prosa 2 )
1) Dass die sämmtlichen jambischen Zeilen in dem Hymnus auf
den heiligen Gallus XIV, 3 (37 zu 7 — ^ und 30 zu 8 ^— ) reinen
jambischen Tonfall haben, ist offenbar Absicht, deren Zweck ich noch
nicht erkannt habe.
2) Der Dichter der Trimeter über die Synode von 698 (II, 22)
ueunt seine Verse Prosa; 'tua qui iussa nequivi, ut condecet, | pangere
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ladas de Antichristo und über tat. Rythmen, 57
angewendet wird. Darin vor Allem beruht für uns moderne
Menschen die Schönheit und die Wichtigkeit der rythmi-
schen Poesie, welche durch die Annahme einer solchen Un-
natürlichkeit, wie die schwebende Betonung sie ist, zerstört
wird. Dies Princip, dass die Wörter wie in der gewöhn-
lichen Rede betont und ausgesprochen werden, wodurch
allein die rythmischen Verse sich den Gefühlen des Menschen
zum richtigen Ausdruck so leicht auschmiegen, ist niemals
aufgegeben worden, und auch wir müssen die einzelnen
Wörter der rythmischen Verse ohne Rücksicht und Bewusst-
sein des Versschemas aussprechen. So zerlegt schon der
Grammatiker Virgilius Maro von den Achtsilbern
Festa dium sollemnia Pupla per canam compita
Quorum fistulae modela Poli persultant sidera
den ersten so: primus versus est trium metrorum, quorum
primuin per spondaeum et duo sequentia per dactylos pon-
derantur, ut: festa I, deum sol II, lemnia III (so schrieb
ich, festa deum I, sol II, lemnia III hat die neapolitaner
Handschrift). *)
Allein eine andere Freiheit, welche jene Theorie der
'schwebenden Betonung' hervorgerufen hat, haben die Dichter
der lateinischen Rythmen aller Zeiten mit Ausnahme einiger
des XIII. und XIV. Jahrhunderts sich gestattet, und nach
ihnen die romanischen und englischen Dichter des Mittel-
alters und der Neuzeit. Indem nemlich die gleiche Silben-
ore styloque contexere | recte, ut valent edissere m e d r i c i , ) scripsi per
prosa, ut oratiunculam 1 , und die trochäischen Fünfzehnsilber aus dem
8. oder 9. Jahrhundert de bonis sacerdotibus (I, 4) heissen 'prosa con-
positi 1 .
1) Die vielen Rythmen übergeschriebenen Neumen geben über
solche Fragen keine Auskunft. Denn einmal gesteht z. B. selbst Fetis,
es sei ihm nicht gelungen die reichen Neumen des Audi tellus (XIV, 1),
mit dem Tonfall der Worte in Uebereinstimmung zu bringen, anderer-
seits gilt der Satz: Singen kann man Alles.
Digitized by
Google
58 Sitzung der phüos.-philol. Glosse com 7. Januar 1682.
zahl und der gleiche Schluss aller Zeilen festgehalten wurde,
gestatteten sich auch sehr formfeste Dichter unter die grosse
Ueberzahl der genau nach dem Versschema betonten Zeilen
einzelne zu mischen, in welchen eine betonte Silbe in eine
andere Stelle gerückt wurde, als sie nach dem Versschema
einnehmen sollte. Es finden sich also neben den Zeilen mit
dem regelmässigen Tonfall: comparäbo cänibüs solche mit
der Betonung : non pätet mortalibus. Da hiebei der Grund-
satz festgehalten wurde, dass nicht 2 betonte Silben zu-
sammenstossen dürfen, so entsteht in solchen Zeilen durch
den Zusammenstoss von 2 unbetonten Silben daktylischer
Tonfall ; die Zahl unbetonter Silben wird um eine vermehrt,
die der betonten um eine vermindert; demnach ist in den
entsprechenden Zeilen nur die gleiche Silbenzahl überhaupt,
nicht die gleiche Zahl betonter uud unbetonter Silben ge-
setzmässig.
Die Möglichkeiten dieser Verschiebung der betonten
Silbe, die ich Taktwechsel nenne, sind nicht so gar viele.
In trochäisch schliessenden Zeilen muss ja der Länge des
letzten Trochaeus eine Kürze vorangehen, sind also die letz-
ten drei Silben gebunden, in jambisch schliessenden Zeilen
muss die drittletzte Silbe lang sein uud dieser wiederum
eine Kürze vorangehen, sind also die letzten vier Silben
gebunden. Es kann also in den kleinen Reihen _v_u,
^ — ^ — , — w — v ~ t überhaupt kein Taktwechsel eintreten, l )
in den Reihen _ v _ , u __ ^ (6 — v ) und — ^ — , ^ — ^ —
(7 «^ — ) je 1: yj — vv — v und ^ — wv>_ w — , in w v/
— u — \j yS — *-*) drei i — v/ u — uv> — ^ ^ , ^ — uw — o — w,
w — v> — w w _ w z. B. et lönge abivi 6 -— ^ , quas didici syl-
labas ?u~, Bäiolat iram in corde, contendere non potestis,
1) Es können nur — «-» — ^ und v> __ u _ m it einander vertauscht
werden, wie oft genug geschieht, wenn eine dieser Reihen die erste
Hälfte, die Basis einer Langzeile ist.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Lucius de Antichristo und über lat. Bythmen. 59
qua terrae tribus lugebunt 8 ^ — . In den jambischen Reihen
sind folgende Taktwechsel möglich: in w— , w_u, (5 — ^)
und w_, u _ v — (6 u— )je 1: ~ ^ ^ — ^ und — ^ w __ ^ — ,
in ^ — ^ — , w_w (7 — u) und ^ __ u — , w — w — (8 ^ — )
je 2: — v>w — o w und — ^ — v>vy — v> , — uu — v^ — w — und
_^__wu — u_ .; z. B. gäudium mägnum 5 — ^, örbis et
dömina 6 ^ — , venditum ä Judäeis und fllic conflnit aqua
7 — v , incolas esse növimus und pälam ömnium öculis 8 ^ — .
Das sind die in diesen Zeilen überhaupt möglichen Takt-
verschiebungen. Dieselben sind, wie oben bemerkt, in den
jambischen Zeilen durchaus so zahlreich zugelassen, dass
man keine Gesetze mehr verfolgen kann: dagegen die Zu-
lassung der Taktwechsel in den trochäischen Reihen gleicht
etwa der Zulassung des Hiatus in der rythmischen Dich-
tung. Es gibt nur sehr wenige Gedichte, in denen sich
kein Beispiel findet, wie z. B. in dem alten I, l und den
späteren XV, 3. Aber in dem Maasse seiner Zulassung zeigt
sich, was Boetius von dem Rythmus überhaupt sagt: docti
faciunt docte, rustici rustice. In sehr vielen und gerade in
den technisch besseren ist eine bescheidene Anzahl von Takt-
wechseln zugelassen, was sich besonders darin zeigt, dass
in den trochäischen Tetrametern (15 ^ — ) in den Sieben-
silbern der 2. Hälfte sich mehr finden als in den Acht-
silbern der ersten, obwohl hier die Möglichkeit doppelt so
oft sich bietet als dort. So finden sich z. B. in 36 Zeilen
des Paulus Diaconus (I, 3) 4 Taktwechsel in den Achtsilbern,
7 in den Siebensilbern, in andern 69 Zeilen (1, 5) kein Takt-
wechsel in den Achtsilbern, 11 in den Siebensilbern; und
am Ende der Periode hat Peter Damiani (I, 27) in etwa
222 Zeilen in den Achtsilbern nur 4 Mal, in den Sieben-
silbern 15 Mal sich Takt Wechsel gestattet. Andere dagegen
haben sich denselben mehr und mehr gestattet bis herab
zu den Dichtern, die gleich Augustin sich begnügten, unter
Beobachtung des richtigen Schlusses in jede Zeile die rich-
Digitized by
Google
60 Sitzung der philos. -philo!. Clas.se com 7. Januar 1882.
tige Zahl Silbeu zu setzen, aber um den Tonfall derselben
sich nichts kümmerten. So finden wir in 92 trochäischen
Fünfzehnsilbern eines Iren (I, 29) 48 Achtsilber und 30
Siebensilber und bei Wipo (III, 5) in 54 trochäischen Acht-
silbern 24 mit Taktwechsel. In solchen Gedichten ist von
Rythmus ebenso wenig die Rede als in den jambischen.
Silbenzusatz.
Mitten unter regelmässigen trochäischen Achtsilbern
finden wir Zeilen wie 4 lapidibüs auröque tecta' 'sed post-
quam venit ergo säcer' und unter regelrechten trochäischen
Siebensilbern solche 'et süscitävit populos', andererseits Acht-
silber wie 'fidem reforma desperätis' Käufer a nöbis peccäti
mölem', 'ädiuvä nos mündi salvator* und Siebensilber, wie
'protomärtyrem Stephanüm'. In diesen Fällen ist eine un-
gehörige Silbe zugesetzt, entweder durch eine unbetonte
Silbe, die der Zeile vorgesetzt wird, einen Vorschlag, oder
dadurch, dass im Innern der Zeile statt eines Trochaeus
ein Daktylus eintritt. Diese unregelmässige Silbenmehrung
gestatteten sich einige Dichter des 8. und 9. Jahrhunderts
besonders in den trochäischen Achtsilbern, seltener in den
trochäischen Siebensilbern ; vgl. bes. I, 38 ff. II, 25 ff. III, 6.
Mit dieser Silbenmehrung hat die Freiheit nichts zu thun,
welche ein alter irischer Dichter sich genommen hat (IV, 3).
Im Anfang und im Schlüsse des Gedichtes beobachtet er
sein Versschema (4 — ^ + 7 ^— ), allein da, wo er alle
möglichen Körpertheile aufzählen soll, geht ihm die Sache
der Form vor und er setzt mitunter Silben zuviel in die
Zeile.
Schwankende Zeilen.
In mehreren Gedichten treffen wir bald wechselnden
Rythmus der ersten Halbzeile (vgl. X, 3), bald Silben zu
viel, bald zu wenig; vgl. II, 28. III, 8. IV, 3. VIII, 29.
IX, 5. XI, 1. XII, 2-, aber die Ueberlieferung dieser Ge-
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 61
dichte ist meistens ebenso schlecht als ihre Sprache, so dass
man nie sicher entscheiden kann, ob diese Eigentümlich-
keiten Fehler des Abschreibers, ob sie Ungeschicklichkeiten
oder beabsichtigte Freiheiten des Dichters sind. Allein in
mehreren Gedichten des 9. bis 11. Jahrhunderts ist es sicher,
dass die Dichter auf die Gleichheit der Zeilen verzichteten
und nur mehr oder minder auf deren Aehnlichkeit achteten.
So gehen in dem Gedicht auf Placidas XIII, 3 dem Schlüsse
_u v_ w 122 Mal drei Silben, 76 Mal nur 2 Silben voran.
In XIV, 1 besteht nur die 3. Zeile stets aus 6 + 7 — ^
Silben ; die beiden ersten Zeilen sind sehr unregelmässig ;
die 4. Zeile besteht aus 5 — ^ -f- 5 — ^ oder 5—^+6
Silben; die 5. aus 5—^,6 oder 7 Silben + 5 — ^, 6 oder
7 Silben ; die 6. aus 5—^,6 oder 7 Silben + 5 — ^ ; die
7. Zeile besteht entweder aus 5 — ^ -f- 5 — ^ oder bildet
eine Langzeile von 7, 8 oder 9 Silben. In dem 6. Gedichte
der Cambridger Sammlung (XIV, 2) vom Jahre 1028 findet
sich etwa 5 Mal 4 — " im 1. Halbvers; im übrigen finden
sich 12 jambisch schliessende Halbverse (zu 5 ^ — ,6 ^ —
und 7 v> _), die andern Halbverse sind gebildet 44 Mal aus
5 __v und 16 Mal aas 6 — ^. Regelmässiger ist der Hymnus
auf den heiligen Gallus gebaut (XIV, 3). In 68 Zeilen be-
steht die erste Halbzeile 41 Mal aus 6 — ^, 24 Mal aus
7 v — und 3 Mal aus 7 — ^ , die zweite Halbzeile hat stets
reinen jambischen Tonfall und besteht 37 Mal aus 7 — ^
und 30 Mal aus 8 «-• — . In den letzten Zeilen der 17
Strophen beginnt sowohl die erste wie die zweite Halbzeile
trochäisch und besteht aus 6, 7 oder 8 Silben. In jenen
68 Zeilen , den 4 ersten jeder Strophe , besteht also die
Freiheit, dass am Ende jeder Halbzeile eine Silbe zugesetzt
werden kann.
Der Hymnus auf den h. Gallus ist aus dem Deutschen
in's Lateinische übersetzt; man könnte so auf den Gedanken
kommen, diese Freiheit der schwankenden Zeilen sei natio-
Digitized by
Google
62 Sitzung der philos-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
naler z. B. deutscher Dichtweise nachgebildet. Allein ge-
rade in diesem Gedichte ist so reiner Tonfall beobachtet,
wie sonst selbst in keinem lateinischen Gedichte dieser
früheren Zeit.
Von dem Hiatns.
Es ist fast unglaublich, aber wahr, dass man bis jetzt
noch gar nicht darauf geachtet hat, wie die Dichter der
lateinischen Rythmen sich zum Hiatus verhielten. Nur Du
Meril (1847, p. 426) spricht bei Abaelard nebenbei von fc le
soin constant avec lequel Taute ur a evite le concours des
voyelles 1 und Zarucke (Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1877
p. 61) bespricht das Verhältniss des Hiatus und der Elision
in einigen trochäischen Fünfzehnsilbern des 9. — 11. Jahr-
hunderts und kommt zu dem Schlüsse, dass (im 11. Jahr-
hundert) l die Abneigung gegen den Hiatus allmälich ganz
erlosch, absolut bei auslautendem m, während von den mehr
gelehrten Verfassern das Zusammenstossen zweier Vokale
nur gemieden ward.' Aber ich bin auf diese Untersuchung
gerade geführt worden durch die Bemerkung, dass in den
Gedichten des Archipoeta sich kein Hiatus findet. Ich habe
diese Untersuchung nur auf das Zusammenstossen von Vo-
calen im Aus- und Aulaut erstreckt, nicht auf das Zusammen-
stossen von auslautendem m und anlautendem Vokale. Man
wird allerdings noch einige Dichter auffinden köunen, die
auch das Zusammenstossen von Endsilben auf m mit voka-
lischem Anlaute gemieden haben (wie vielleicht der Dichter
von I, 33), allein es werden wenige und von den ältesten
seiu. Ich verstehe also hier unter Hiatus nur das Zusammen-
stossen eines auslautenden Vokales mit einem anlautenden ;
diesen zu vermeiden, konnte auch den rythmischen Dichtern"
leicht als Forderung des Wohlklanges sich ergeben.
Die Untersuchung vieler Gedichte hat mich gelehrt,
dass die lateinischen rythmischen Dichter aller Zeiten sich
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lab, Bythmen. 63
bewusst waren, der Hiatus sei unschön, und dass sie, je
nachdem ihnen* mehr oder weniger an der Form ihrer Ge-
dichte gelegen war, denselben mehr oder weniger vermieden
haben. Denn zählt man die Hiaten einiger Zeilen altrömischer
Prosa oder die Elisionen der hierin ziemlich unerquicklichen
Sermonen des Horaz einerseits und die Hiaten in rythmi-
schen Gedichten andererseits nach, so wird man in den
Rythraen immer weniger Hiaten finden, als man finden
müsste, wenn die Dichter ihre Zulassung nicht absichtlich
beschränkt hätten. Zwischen den Halbzeilen, aus denen
die Langzeilen der Trimeter, der trochäischen Fiiofzehnsilber
u. s. w. bestehen, haben sich manche Dichter Hiatus er-
laubt, wenn sie ihn auch sonst mieden. Ich bezeichne diesen
Hiatus mit (h). In den 46 Zeilen (15 <->— ) des uralten
Hymnus 'Apparebit repentina 1 (I, 1), finden sich 3 h und
3 (h); in den 36 Zeilen (15 u _) des Petrus an Paulus
Diaconus von ungefähr 763 (I, 7) findet sich kein h, in den
36 Zeilen der Antwort des Paulus (1, 3) dagegen 5 h und
l (h). In den 70 Triraetern des Paulinus Aquil. de Herico
(II, 2) und den ihm zugeschriebenen 75 Trinietern de resur-
rectione (11,4) findet sich kein h; ebenso keiner in den
S. Gallener Gedichten von je 30 Zeilen (15 ^— ) aus den
Jahren 829 und 838 (I, 10. 11) und in den 24 Trinietern
auf Hug vom Jahre 850 (II, 12). In den 24 Zeilen (zu
7 w- + 7 w-) des Hibernicus Exul (V, 1) findet sich
kein h ; in den je 50 Zeilen der hymni eccles. von Dämmler
No. IX (15 v_) und XIV (Trim.) je 1 h. In No. XI (50
Zeilen zu 8 ^— ) und No. XX (12 Zeilen) der Cambridger
Lieder ist kein h. In den Gedichten des Eichstädter Bischofs
Heribert (1021 — 1042) sind wenig h (II, 18. X, 3), ebenso
in denen des Petrus Damiani (II, 19. XIII, 5. XV, 5). Die
16 jambischen Achtsilber vom Jahre 1080 (VIII, 8) haben
kein h, und, während das Psalterium Mariae sonst der Technik
der Gedichte des Anselm widerspricht, theilt es mit ihnen
Digitized by
Google
64 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
den Zug, dass es wenige h hat (VIII, 11 und 30). Wir
sehen an diesen Beispielen, dass von 600 — ilOO nach Chr.
das Bewusstsein vorhanden war, der Hiatus sei eine zu
meidende Unregelmässigkeit.
Von dem Reim.
Alliteration und Assonanz finden sich als rhetorisches
Kunstmittel in allen Sprachen bisweilen angewendet; allein
erst die regelmässige Wiederholung macht dieselben zu ge-
setzmässigen Bestandteilen der poetischen Technik. Allite-
ration findet sich in sehr alter Zeit zuerst bei Virgilius
Maro, dann bei den Iren und besonders bei den Angel-
sachsen in regelmässiger Wiederholung: ob einheimischer
Dichtweise nachgeahmt oder Vorbild derselben, wird sich erst
entscheiden lassen, wenn das Alter der nicht lateinischen
alliterirenden Schriftstücke sicher gestellt ist. Bald aber
verschwand die nur in wenigen Gedichten angewendete Al-
literation aus der lateinischen ßythmik, wesshalb ich nicht
weiter auf sie eingehe.
Der Gleichklang der Vokale kann im Innern oder am
Ende der Zeilen stattfinden. Gesetzmässige Anwendung des
Reims im Innern der Zeile hat Moue in dem altirischen
Hymnus auf die Maria erkaunt (No. 572; unten I, 31), wo
in jeder 2. Zeile sich derartiger Reim findet
2 conclamantes deo dignum hymnum sanctae Mariae
4 ut vox pulset oinnem aurem per laudem vicariam
6 opportwwam dedit curam aegrotauti homini.
Dies ist das einzige mir bekannte Beispiel der Art. Der
Reim am Schlüsse der Zeilen tritt während dieser Periode
in mannichfachen Formen auf. Entweder sind nur die Vo-
kale der letzten oder der beiden letzten oder der drei letzten
Silben gleich, ein-, zwei-, dreisilbige Assonanz, oder es sind
auch noch die Consonanten, welche diesen Vokalen folgen,
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 65
gleich, ein-, zwei-, dreisilbiger Reim. Reim oder Assonanz
der letzten drei Silben ist so selten gesetzmässig, dass man
nicht eigentlich davon sprechen kann. Axich der reine zwei-
silbige Reim, der im XII. Jahrhundert der allein herrschende
wnrde, findet sich in dieser Periode in keinem Gedichte aus-
schliesslich angewendet, sondern nur mit zweisilbiger Asso-
nanz gemischt. Zweisilbiger Reim oder zweisilbige Assonanz
ergreift bei jambischem Schlüsse die beiden letzten Silben,
obwohl hiedurch dem trochäischeu Schlüsse gegenüber ein
ganz anderes Prinzip entsteht. Denn in Reimen wie tonsa :
sponsa wird die schwerbetonte Hauptsilbe der Wörter er-
griffen , in Reimen wie trucibus : flatibus nur die End-
silben. *)
In den Institutiones des Commodian schliessen II, 8 die
13 Hexameter mit e, II, 39 die 26 Hexameter mit o. Die
sämnitlichen 250 Langzeilen von Augustins Rythmus schlies-
sen mit e. Diese Thatsache genügt zum Beweise, dass der
Reim nicht von den Arabern entlehnt ist, bei denen man
denselben erst im Ende des 5. Jahrhunderts — allerdings
meist dreisilbig und rein — nachweisen kaun, auch nicht,
wie Zeuss meinte (Gramm. Celtica p. 948. 2 Aufl.), aus der
Dichtweise der Celten entlehnt ist. Allein das ist wahr,
dass er in celtischen Ländern besonders ausgebildet wurde.
Denn an weitaus den meisten Gedichten der früheren Jahr-
hunderte und darunter gerade an denen, welche in Hinsicht
auf Sprache und inneren Bau der Zeilen zu den besseren
gehören, begegnen wir theils dem Reime gar nicht, theils,
und das besonders in der späteren Zeit, nur einsilbiger As-
1) Für die Geschichte des Reimes in dieser älteren Zeit hat Mura-
tori in seiner Abhandlung über die alten Rythmen (Ant. Ital. III, 664
=: Migne Cursus 151 p. 755) das wichtigste Material gesammelt; vgl.
Huemer's Untersuchungen p. 44—51 (52—55 über Alliteration), über
die Reime der deutschen Gedichte des 9. u. 10. Jahrhunderts Zarncke
in Verh. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1874 S. 34.
[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 1 .] 5
Digitized by
Google
66 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
sonanz, die noch dazu von 3 oder 4 Zeilen meist wieder
1 oder auch 2 Zeilen freilässt. Dagegen treffen wir feste
zweisilbige Reime zuerst bei dem Grammatiker Virgilius
Maro, der sich einen Gallier nennt. Weiterhin haben sich
die Iren mit besonderem Eifer auf die Pflege des Reims
geworfen und ihnen scheint es derselbe zu verdanken, dass
er zu einem so wichtigen Stücke der poetischen Technik
geworden ist. Ja, bei ihnen finden sich auch die ältesten
Beispiele der Reimprosa. In dem oben (S. 50) angeführten
Gebete des Antiphonariums Benchor, und in vielen umlie-
genden Stücken (daselbst S. 152 — 154 und sonst) findet
sich einsilbige Assonanz am Ende der Absätze. So ist es
nicht zu verwundern, wenn diese Reimprosa sich verbreitete.
In den von Schuchardt (Vocalismus S. 32 und 64) und Bou-
cherie (Cinq Formules du 7. siecle. Paris 1867) besprochenen
Formeln findet sich oft zweisilbige, oft auch nur einsilbige
(in der letzten oder vorletzten Silbe) Assonanz in je 2 und
selten in 3 und mehr Zeilen. Diese Reimprosa hielt sich
die folgenden Jahrhunderte hindurch (z. B. in Roswith's
Dramen), bis sie dann am Ende des XI. Jahrhunderts all-
gemeiner und im XII. Jahrhundert sehr gewöhnlich wurde ;
vgl. z. B. die dem Honorius Augustodun. zugeschriebenen
Schriften und die um 1118 verfasste Polenchronik des so-
genannten Martinus Gallus, dessen übertriebene Reimprosa
besonders in der Ausgabe von Bandtkie 1824 hervortritt.
Von den altirischen Gedichten sind besonders die l Ver-
siculi familiae Benchuir' (IX, 1) merkwürdig. Denn hier
tritt der Reim bereits in den drei Formationen hervor, die
in dieser Periode überhaupt zu beachten sind. Es sind 40
Pherekrateen der Art
Area Cherubin teeta Omni parte aurata
Sacrosanctis referta Viris quatuor portata.
Virgo valde feeunda Haec et mater intaeta
Laeta ac tremebunda Verbo dei subaeta.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 67
Diese 40 Verse haben 1) stets zweisilbige Assonanz
oder zweisilbigen reinen Reim, 2) enden sie sämmtlich, nach
Art der Tiraden, mit demselben Vocal, nemlich mit a;
3) sind die Reime gekreuzt. Von diesen gekreuzten
Reimen kenne ich in dieser Periode kein Beispiel mehr;
nur in dem rohen Psalterium Mariae, das dem Anselm zu-
geschrieben wird, jedenfalls nach meiner Ansicht noch aus
dem XI. Jahrhundert stammt, finden sich manche Strophen
mit gekreuzten Reimen; z. B.
Ave cuius in tilio salutem pater posuit,
In quo sicut in unico fidem nostrara constituit.
Aber die Geschichte des zweisilbigen und die des Tiraden-
reims bedarf näherer Darlegung. Die Vorliebe der Iren für
den Reim beweisen zunächst die zahlreichen zweisilbigen
Assonanzen und Reime in den Gedichten des Antiphonariums
Benchorense (VIII, 13. 15), dann in den sehr % alten irischen
Gedichten (III, 2. I, 31. 32. IV, 3) und in den kurz nach
700 entstandenen Rythmeu ihrer angelsächsischen Nachbarn
und Schüler (VIII, 17—25). Einen merkwürdigen Reim-
reichthum zeigen die Gedichte der Iren, die bei den Caro-
lingern wirkten, des Hibernicus Exul (V, 1) und des Dicuil
(IX, 2. VIII, 1). So war der zweisilbige Reim auf dem
Festlande bekannt geworden, und, wenn wir ihn auch in
den nächsten Jahrhunderten nicht durch viele Beispiele be-
legen können, so wundern wir uns wenigstens nicht, wenn
wir z. B. in den Sprichwörtern des Wipo und in - seinem
Klagegesang auf Konrad (III, 5) fast nur zweisilbige Reime
finden. Im Verlauf des XI. Jahrhunderts wurde der Reim
für die Dichter immer mehr unvermeidliches Gesetz, so dass
auch Otloh (de doctrina spiritali, Pez Thes. III, 2, 432)
einigermassen sich fügte 'interdum subjungo consona verba,
quae nunc multorum nimius desiderat usus.' Hauptsächlich
herrschte die zweisilbige Assonanz, wie z. B. in einem Ge-
5*
Digitized by
Google
68 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
dichte von 1080 (VIII, 8) neben 30 zweisilbigen Assonanzen
(darunter nur 4 reine zweisilbige Reime) nur 2 einsilbige
vorkommen.
Der Tiradenreim, den wir schon bei Commodian und
Augustin als erste Stufe sahen, hat sich die ganze Periode
hindurch erhalten. In dem irischen Gedichte des Antipho-
uariums Benchor. (VIII, 13) ist gleicher Reim oder Asso-
nanz oft die 8 Zeilen der Strophe hindurch festgehalten ;
ebenso iu den 8 oder 6 zeiligen Strophen von VIII, 16.
Der Tiradenreim wurde auch in den quautitirend gebauten
Versen *) angewendet. So folgen sich in den Versus ad
Ebonem Rememsem (a. 816—835, bei Carol. 1 p. 623) 7
Hexameter, die in der Caesur und am Ende mit i reimen.
Eine merkwürdige Vorliebe für reichen Tiradenreim zeigen
besonders die quantitirenden Gedichte des Gotschalk und
seiner Schule. Denn während in den (verkannten) sapphi-
schen Strophen der Liturg. Fontavellan. bei Migne 151
p, 959 nur die ungleichen Halbzeilen reimen (Gemma coe-
1) Die ersten gereimten Hexameter finde ich ebenfalls in irisch-
angelsächsischen Kreisen; Koaena archiep. Eboracenais a. 767—781 gibt
einem Briefe 6 Hexameter bei, von denen 5 den Reim in der Caesur-
und letzten, 1 (Defendens vigili sanctos tutamine mandros) in der 7.
und letzten Silbe haben; das letztere geschieht in den älteren Leoninern
oft. In den Hexametern des Dicuil von 814
Nunc genitum Carolo volo dilectare loquendo
Per ludum faciens Uli argumenta canendo.
Ecce quotus mensis si vis haec scire memento.
dann : Successor Caroli felix Hlodvice valeto.
Dicuil haec ego quae feci argumenta videto.
dann: Longaevus victor Caesar Hlodvice valeto.
Dicuil haec ego quae feci ioca visa teneto.
finde ich die ältesten Hexameter mit Endreim (caudati), eine Art, welche
ich bis zum Ende des XI. Jahrhunderts nicht mehr angetroffen habe.
Denn die Versus ad Ebonem Remensem haben gemeinsamen Mittel- und
Endreim, also Tiradenreim.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 69
lestis pretiosa regis), haben hier (siehe Fr. Monnier, De
Gothescalci et Joannis Scoti controversia, Paris 1853 p. 101)
von 12 (schlecht edirten) sapphischen Strophen die 3 ersten
in allen Caesuren und Zeilenschlüssen den Reim um, dann
je 3 den Reim am, eni, or. Ebenda (S. 102) folgen sich
6 Adonici auf e, 6: or, 6 : o, 6: em, 6: am, 12: em, 12: e,
23 : i. In dem Briefe des Gotschalk an Ratramnus (circa
840) folgen sich 14 Jonici auf o, 3 auf i, u. s. w. ; dann
150 Hexameter mit leoninischem Reim, von denen aber
z. B. 7 nacheinander in der Caesur und am Schlüsse mit
as, 8 in der Caesur mit e und am Ende stets mit ore
reimen. Dieser letzten Reimweise entspricht Gotschalks
Rythmus (VII, l), in dessen 19 Strophen sämmtliche Halb-
zeilen (4 in jeder Strophe) und die drei Refraiuzeilen auf i
endigen, die Schlüsse der Langzeilen aber, zu welchen je 2
Halbzeilen zusammentreten, in den Strophen 1 — 16 stets
zweisilbig reimen oder assoniren (vgl. IX, 2). In dem
andern Gedichte (XV, 1) endigt Gotschalk nicht nur die
sämmtlichen 50 Zeilen und den Refrain auf e, sondern oft
auch noch die trochäischen Viersilber, in welche die troch.
Achtsilber hier stets zerlegt sind. Von den etwa 150 Acht-
silbern aus dem Jahre 853 (VIII, 27) enden 1—24, 25—30,
33 — 48 auf us, von jenen aus dem Jahre 900 (VIII, 28)
7 auf i . . e, 7 auf it u. s. w., von den 36 Trimetern von
c. 925 (II, 13) enden 1 — 18 und 21—36 auf a. Aehnliches
findet sich in anderen Gedichten, die aus dem IX.-XI. Jahr-
hundert stammen; so in der Coena Cypriani (I, 48) Reihen
von 7 und 4 Zeilen mit einsilbiger Assonanz, in den Askle-
piadeern (XII, 1) 2 mal 6 Zeilen auf a, 6 auf i-er, 6 auf
i-us, 7 auf e-im und 6 auf olum ; die 17 ersten Zeilen des
Pilgergesanges (XV, 2) enden auf e. Unter den Cambridger
Liedern enden die 12 Zeilen von No. XX (XV, 3) auf a,
von den 14 Zeilen von No. IX (I, 22) 12 (14?) auf e, die
48 von No. XXVII (I, 21) auf a, und am Schlüsse der
Digitized by
Google
70 Sitzung der phüos.-philöl. Glosse vom 7. Januar 1882.
Periode finden wir bei Anselm von Canterbury 82 trochä-
ische Fünfzehnsilber (I, 28), die sämmtlich mit e endigen.
Nach dieser Vorgeschichte begreift sich leicht die hervor-
ragende Rolle, welche der zweisilbige Reim bes. in der
lateinischen nnd der Tiradenreim bes. in der romanischen
Dichtung des XII. Jahrhunderts gespielt hat.
Der Reim soll stets die sich entsprechenden, also ein-
ander gleichen Zeilen binden. Wenn es also auch Sitte ist,
die troch. oder jambischen Achtsilber Zeile mit Zeile reimen
zu lassen, so kann man doch nichts dagegen sagen, wenn
Augustin nur jeden zweiten troch. und Dicuil (VIII, 1) jeden
zweiten jambischen Achtsilber mit Reim bindet; sie haben
eben je zwei gewöhnliche Zeilen zu wiederum sich gleichen
Langzeilen zusammengestellt ; auch dagegen lässt sich nicht
viel sagen, wenn (VIII, 5, Cambrid. No. XI) mitten unter
38 jambischen Achtsilbern, die Zeile um Zeile reimen, 12
stehen, von denen nur die zweiten Zeilen reimen, die also
Langzeilen zu 16 Silben bilden gleich denen des Dicuil.
Auch der Reim ungleicher Schlüsse wie
Scripturarum voces pluit
Et virtutes intonuit
ist nur hässlich, nicht ungesetzmässig. Dagegen war, soviel
ich sehe, in den ältesten Zeiten der Beim der an Silben-
zahl ungleichen Zeilen nicht gesetzmässig. Desshalb reimt
in den aus ungleichen Theilen zusammengesetzten Langzeilen :
in den troch. Fünfzehnsilbern, den Trimetern, den sapphi-
schen und alcäischen Zeilen u. s. w., in den älteren Zeiten
nicht die erste Halbzeile mit der zweiten Halbzeile derselben,
oder mit der ersten Halbzeile der folgenden Langzeile. Denn
im zweiten Falle würden gekreuzte Reime entstehen, — und
so sind wirklich im XI. — XII. Jahrhundert die später be-
liebten gekreuzten Reime entstanden — , im ersten Falle
würden ungleiche Zeilen durch den Reim gepaart. Um so
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und Über lat. Bythmen. 71
merkwürdiger ist es, dass in der quantitirenden Poesie nicht
die Hexameter mit Endreim, sondern, und das schon seit
dem Ende des 8. Jahrhunderts, jene mit leoniuischem Reime,
d. h. Reime der Caesursilbe und der letzten Silbe, iu Auf-
nahme gekommen sind. Denn der Reim auf diesen Silben,
die nur das gemeinsam haben, dass jede eine Halbzeile
schliesst, bindet nicht nur ungleiche Theile, sondern er
stellt auch die im Verse meist betonte (Caesur-) Silbe der
mindest betouten (Schluss-) Silbe entgegen. Doch finden
wir in den quantitirenden sapphischen Zeilen des 9. Jahr-
hunderts ebenfalls die ungleichen Zeilentheile durch den
Reim verbunden. In der rythmischen Poesie finde ich diese
Freiheit erst im XL Jahrhundert. Sie ist noch wenig
auffallend in dem Gedicht von 1028 (Cambridge No. VI,
unten XIV, 2), wo die Zeilen von 5 zu 7 Silben schwanken,
dagegen auffallend in dem Hymnus auf den h. Gallus (XIV, 3),
wo die Ungleichheit der Halbzeilen gesetzmässig ist, und
in dem Gedicht von 1024 (XV, 4, Cambr. No. III), wo
stets 8 — ^ zu 6 — v> reimt. In derselben Zeit lässt Heri-
bert stets in seinen phalaecischen Zeilen (X, 3) die Halb-
zeilen von 6 und 5 Silben und in seinen Trimetern (II, 18)
die Halbzeilen von 5 und 7 Silben reimen. Bei Petrus
Damiani finden sich eben solche Trimeter l ) (II, 19) und
viele neue Fünfzehnsilber, deren ungleiche Halbzeilen (zu
8 u — und 7 ^ — ) unter einander reimen. So ist auch die
in der nächsten Periode häufige Verbindung der verschie-
densten rythmischen Zeilen durch den gleichen Reim schon
genügend vorbereitet.
Von den Zeilenarten.
Weitaus die meisten Rythmen der früheren Zeit sind
in Formen gedichtet, welche Formen der quantitirenden
1) Auffallend ist, dass in diesen Trimetern bald die Halbzeilen,
bald die Trimeter, also bald gleiche, bald angleiche Stücke durch den
Beim verbunden sind.
Digitized by
Google
72 Sitzung der phüos.-phüol. Clause com 7. Januar 1882.
lateinischen Dichtung nachgeahmt sind. Die Nachahmung
der trochäischen Fünfzehnsilber (Art I) und Achtsilber
(Art III) war einfach. Bei Nachahmung der jambischen
Reihen liebte man es sehr, die Zeile ebenfalls mit einer
betonten Silbe zu beginnen, so dass dann im Verlauf der
Zeile einmal zwei unbetonte Silben hinter einander, also
daktylischer Tonfall vorkommen musste; so lautet ^ — ^ — ^
meistens um in-vu-u, y_ü_ ü -in_uu-.v;_ 1 u.8,w.
(vgl. oben S. 59; Art VIII. IX. X., 1. 2. II). Auf der andern
Seite wurden nie daktylische Reihen nachgebildet, ja selbst
die Zeilenarten sind sehr selten, in denen die Verbindung
von zwei unbetonten Silben, also daktylischer oder anapä-
stischer Tonfall, an einer bestimmten Stelle festgehalten
wurde (vgl. IX, 1. XIII, 1. 2. 3. 4. XV, 4). Der Daktylus
im Schlüsse blieb — v — , jeder vorangehende Daktylus konnte
in v,__ w umgesetzt werden; also sind die Adonier ebenso-
gut ^ — w— w als _^v>__u betont, so dass die Basis des
jambischen Trimeters und der alcaeischen Zeile (XI), die
2. Halbzeile der Phalaecischen Zeile (X, 3) u. s. w. mit
dem Adonier (X) in der rythmischen Dichtung zusammen-
fallen. Ebenso kann — v ^ _ ^ _ umlauten in ^ __ u — u —
(vgl. XI, 1). Choriambischer Schlnss — ^^— musste um-
lauten, so dass aus — u, _ uu_ wurde v>_, u_ u_ oder
__v, v, _ u_ (XII. X, 3). Zwei Kürzen im Anfang mussten
natürlich verändert werden ; so wurde aus w ^ _ ^ — ^ der
sapphischen Zeile — ^— ^ — ^ (VI).
In Betreff der übrigen Zeilen, die sich nicht als un-
mittelbare rythmische Umsetzung bekannter quantitirender
Arten ergeben, ist möglichst der Grundsatz festzuhalten, dass
Dichter, die sich die Mühe geben in lateinischer Sprache zu
dichten, auch die Formen der lateinischen Dichtweise dazu
benützten. Wenn also neue Zeilenarten sich zwar mit un-
mittelbaren quantitirenden Vorbildern nicht belegen lassen,
aber nichts weiter sind als die geläufigen Kurzzeilen der
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 73
rythmischen Poesie oder einzelne Stücke der geläufigen
Langzeilen in neuer Zusammenstellung, so muss man den
Dichtern dies Wenige von Phantasie und eigenem Wollen
zutraaen (vgl. Art TV. V. VII. IX, 6. 6 a. (X, 1). XIII, 5);
ja man muss sich eher wundern, nach den Zeilen construc-
tionen des Virgilius Maro aus der frühesten und den kühnen
Tongebäuden des Notker aus ziemlich früher Zeit, in dieser
ganzen Periode so wenige und so bescheidene Neuerungen
zu finden, und darf erwarten, dass in weiteren Publikationen
manche neue Zeilenart zu finden ist. Die neuen Zeilenarten,
welche sich nicht als neue Zusammensetzungen der geläu-
figen Kurzzeilen der ^lateinischen rythmischen Dichtung er-
geben, können frei erfunden, können aber auch nationalen
germanischen oder keltischen Dichtungsformen nachgeahmt
sein. Allein die wenigen Fälle der Art (XIII, 1. 2. 3. 4)
sind vielleicht doch Nachbildungen von seltenen oder schwie-
rigen quantitirenden Reihen ; jedenfalls gestatten sie durch-
aus noch nicht die Annahme, dass in dieser Periode die
Dichter lateinischer Rythmen nationale germanische oder
keltische Dichtungsformen nachgebildet haben.
,. Von den Zeilenarten habe ich zuerst die trochäischen
aufgeführt, dann die jambischen. Die Trimeter stellte ich
zu den trochäischen, da von den 2 Halbzeilen, in welche
sie zerfallen, die erste durchaus wechselnden Tonfall hat,
die zweite wichtigere aber zu den trochäischen Reihen ge-
hört, und da die Nebeneinanderstellung der beiden, in den
ersten Jahrhunderten beliebtesten Dichtungsformen belehrend
ist. Vorangestellt habe ich die Notizen über den Gramma-
tiker Virgilius Maro. Vollständige Sammlung des Materiales
erstrebte ich nicht; (besonders werden sich viele Hymnen
einreihen lassen ;) das gesammelte Material genügt aber wohl,
um die aufgestellten Grundsätze zu prüfen.
Digitized by
Google
74 Sitzung der phUos.'philol. Classe vom 7. Januar 1882.
Im Beginne der rythmischen Dichtung steht eine räthsel-
bafte Gestalt, der Grammatiker Virgilius Maro, ein
Gallier aus den Zeiten, wo sich noch Gebildete fanden, die
eben erst getauft waren, oder, wie Ozanam (La civilisation
chretienne chez les Francs chap. IX) begründete, ein Gelehrter,
der um 600 in Tours lebte. l ) Keil und Andere halten ihn für
den thörichtsten von allen lateinischen Grammatikern, Oza-
nam für den Erfinder einer Art Geheimsprache, die dann
als jene greuliche schwülstige Sprache zu den irischen und
angelsächsischen Gelehrten übergegangen sei und durch
diese auf die mittelalterliche lateinische Literatur kräftig
eingewirkt habe. Ich möchte Ozanams Ansicht verändern.
Die Gelehrten jener Zeit lebten nur im Lateinischen, aber
sie wussten auch nur zu gut, wie sehr ihr Latein von dem
der alten Schriftsteller abstach ; wenn sie Verse macheu
wollten, sahen sie, dass sie für die Prosodie kein Gefühl
hatten und von dem Bau der Verse kaum Etwas wussten.
Die meisten plagten sich nun im Schweisse ihres Angesichtes
den Alten nachzulernen: daher die vielen grammatischen
Compendien und Anleitungen zum Fabriciren quantitirender
Verse. Man fühlt das bei Traktaten wie die Aldhelms sind
(Mai Auetores class. V p. 501—599), nach denen Verse zu
machen eine herkulische Anstrengung verlangte. Diese Rich-
tung hat auch gesiegt. Aber zu wundern ist es nicht, wenn
Andern die Geduld riss und sie, des mühseligen Nachäffens
müde, selbstbewusst und kurz entschlossen das ihnen ge-
läufige Latein als berechtigt festhielten. Virgilius Maro
versuchte es, im Sinne dieser gallischen Gelehrten eine
nationale lateinische Grammatik zu schreiben. Daher neben
1) Mai hat in den Auetores classici V p. 1— -149 die Epistolae
I — VIII und Epitoroae 1 — 15, in der Appendix ad opera edita ab A. Maio,
Romae 1871, wiederum die Epistolae und Epit. 1 — 5 aus der. sehr ver-
derbten neapolitaner Handschrift herausgegeben.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat, Bythmen. 75
vielen alten richtigen Regeln manche neue, wie z. B. dass
von gleichlautenden Wörtern die Substantive auf der vor-
letzten, die Verba auf der letzten betont werden sollten,
also lege von lex, lege von lego. Solche Regeln sind weder
Witze noch Unsinn a priori. Daher die bei einem Gram-
matiker unerhörte Erscheinung, dass wohl Huuderte von
Citaten theils mit bekannten Namen, wie Terentius, Horatius,
Cato, theils mit unbekannten, wie Glengus, Galbungus,
Aeneas, sich' finden, allein unter all diesen Citaten kein
einziges, das in einem alten Schriftsteller sich nachweisen
Hesse. Daher sehr viele Citate mit l versus, metrum, canticum'
u. s. f., allein in der ganzen Schrift keine einzige quanti-
tirend gebaute Zeile, sondern nur Verse, welche nach dem
neuen nationalen Gesetze der rytümischen Dichtweise mit
Hiatus und Reim gebaut sind. Der Charakter dieser Rich-
tung und ihr Gegensatz zu der andern scheint mir am
besten durch folgenden Fall bezeichnet zu sein: bei allen
Gelehrten waren durch den Spottvers des alten Virgil
(Ecl. 3, 90) l Qui ßavium non odit, amet tua carmina, Maevi*
Bavius und Maevius die klassischen Beispiele schlechter
Dichter geworden, bei unserm Grammatiker wird der Vers
des Virgil auf den Kopf gestellt und Maevius verherrlicht:
Maevius vir in carminibus dulcissimus, de quo illud pro-
centum est 4 qui favum mellis non amat, odit tua carmina,
Maevi.' Natürlich suchten diese Leute ihrer Richtung auf-
zuhelfen, sie als möglichst wichtig, möglichst alt und be-
rühmt hinzustellen. Daher jene lächerlichen Erzählungen,
die wie Satire klingen, von Grammatikern, welche um die
Frage, ob ego einen Vocativ habe und um ähnliche, des
Nachts sich aus dem Bette holen, 14 Tage lang fast ohne
zu essen und zu trinken darüber disputiren und dabei bis
zum Messer kommen ; daher jene fingirte Literaturgeschichte
von Grammatikern derselben Richtung, jene Erfindung der
zwölferlei Arten Latein und jener unerhörten Conjunktionen,
Digitized by
Google
76 Sitzung der pküos.-pliüol. Classe vom 7. Januar 1882.
Präpositionen und Interjektionen, die weder lateinisch noch
griechisch sind, noch, soviel ich finden konnte, keltische
oder hebräische Wörter verbergen.
In diesem Lichte sind wohl die Citate von Versen bei
Virgilius Maro zu betrachten. Wir finden die Alliteration
in Epist. 8, 2 und sonst: z. B. terni terna flumen fontes
fronda ex una undatim daturi sepna semper. In manchen
Citaten gelingt es vielleicht noch r die Versgesetze zu er-
kennen, wie in der 'secta prosa' des Cicero (Epit. 2, 5):
lau. contemptus pecuniae
da. in omni molimine
bi. per araorem (philo) sophiae
lis. menti fiet peritae,
wo Siebensilber (2 zu ^ — ^ ^ — ^ — 1 2 zu — u — ^u — v)
mit zweisilbiger Assonanz angewendet zu sein scheinen. An
anderen Stellen ist sicher rythmischer Versbau l ) sammt
Reim; z. B. Epist. 2, 8 Donatus in quodam carmine:
nostras omnis familia nostrates quoque pecora
evadant imminentia hostilium pericula.
Epit. 5, 3 Virgilius Asianus quatuor poeticos confecit versus :
Summa in summis Potens (potestas?) caelis
Celsaque cuncta Gubernat celsa.
1) Nur Ozanara chap. IX ahnte diesen 'Enfin, ä Ja prosodie des
poetes classiques on substituait une versification nouvelle, dont les dac-
tyles et les spondees semblent mesures, non par la quantite, mais par
Taccent. Au milieu des obscurites de cette etrange poetique, on re-
marque cependant les compositions que Virgile nomme des proses, et qui
rappellent en efifet les proses de Teglise, composees de vers de huit syl-
labes. comme ce chant sur le lever du soleil:
Phoebus surgit, coelum scandit,
Polo claret, cunctis paret.
A ces coupes faciles, a ces riraes, on commence ä soupconner que le
grauimairien se meprend, et qu'au moment oü il promet les regles d'une
metrique savante, c'est le secret de la po6sie populaire qu'il laisse echapper.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lab. Bythmen. 77
Epist. 3, 30 (de quatuor elementis) Plastus elegantissimo
carmine disseruit dicens :
Limo solubili lympha meabili
Igne ardibili aura mutabili
Mundus visibilis sumptus initii
Cuins terribilis pendit tristitiara.
Was auch der Sinn dieser theilweise verderbten Stellen sein
möge, das ist sicher, dass es rythmisch gebaute Verse sind,
Achtsilber mit jambischem Schlüsse (8 ^~), Fünfsilber mit
trochäischem Schlüsse (5 — v ) und Sechssilber mit jambi-
schem Schlüsse (6 ^— ) [stets 2 Daktylen], dazu mit Hiatus
und mit Reim oder Assonanz in ein oder zwei Silben.
Eine förmliche Theorie der Formen der rythmischen
Poesie gibt Virgilius in der Epitome III De Metris. Er
nennt metra die einzelnen Versfüsse, phona die Wörter,
pedes die Silben. In § 11 definirt er 'Omnis versus hexa-
metrus sive heptametrus rhetoricus est, trimetrus autem et
tetrametrus et pentametius poeticus erit. De sapphico autem
metro et heroico versu in quadam epistola . . descripsisse
me sufficienter memini 1 .
Von den Versarten führe ich folgende an § 2 Metra
prosa quidem sunt per brevitatem, sicuti in Aenea lec-
tum est:
Phoebus surgit, caelum scandit,
Polo claret, cuuctis paret.
Hi duo versus octo metra habent . . . Omnes autem prosi
versus per spondaeum edi solent. Hoc autem sciendum est,
quod inter omnes pedes dactylus et spondaeus principatum
habeant. Mederiorum versuum est nee prosos nee
liniatos fieri . . Varrone canente:
Festa dium sollemnia
pupla per canam compita
Digitized by
Google
78 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1883.
quorum fistula modela
poli perstiltant sidera.
. . primus versus est trium metrorura, quorum primuni per
spondaeum et duo sequentia per dactylos ponderantur ut:
Festa deum I; sol II; (festa I; deum sol II V); lerania III.
— Liniati versus quinque semper metris metiri debent,
secundum illud Catonis elegantissimi rhetoris:
Bella consurgunt poli praesentis sub tine
Preco tempnuntur senum suetae doctrinae.
Regis dolosi dolos fovent*) tyrannos
Dium cultura moles neglecta per annos.
Das Charakteristische dieser Verse scheint zu sein, dass der
2. und 5. Fuss ein Trochaeus oder Spondens und dass das
1. und 3. Wort stets zweisilbig, das 2. und 4. dreisilbig ist.
Der letzteren Eigenschaft wegen scheinen sie liniati zu heissen.
— Die Verse, welche Virgilius Perextensi nennt, verstehe
ich noch nicht. Die Zeilen
'Archadius rex terrificus
laudabilis laude dignissimus'
und l Sol maxiraus raundi lucifer
omnia aera illustrat pariter*
nennt er triphoni und quadriphoni, da sie von je
3 oder 4 Wörtern gebildet sind. Von den carminum genera
extraordinaria, die *Virgilius weiterhin erwähnt, besteht das
cantamentum des Sagillius aus Fünfsilbern mit fcrochäischem
Schlüsse und zweisilbigem Reime
Mare et luna concurrunt una
Vice altante temporum gande. ! )
Diese Beispiele zeigen bedeutende Fortschritte in der
Entwicklung der rythmischen Dichtweise. Silbenzahl und
1) Zu gande vgl. Epist. II, 3 diutina diei gande.
Digitized by
Google
Wilb. Meyer: I/udus de Antichristo und über lat. Bythmen, 79
Schluss der Zeilen ist gleich, Takt Wechsel und Hiatus ge-
stattet. Die Construktion der versus liniati, mögen sie nun
eine Erfindung des Virgil sein oder nicht, beweist jedenfalls,
dass die rythmischen Dichter schon jener Zeit sich neue
Zeilenarten zu schaffen wagten. Noch wichtiger ist, dass
einige Male der . vollständige zweisilbige Reim angewendet
ist, das älteste mir bekannte Beispiel. Von Strophenbau
ist keine Rede und der Reim bindet nur gleiche Zeilen zu
Paaren. Aus dem Allen ist klar, dass dieser Schriftsteller
zum mindesten für die Geschichte der Alliteration und der
rythmischen Poesie eindringendes Studium verdient.
I. Trochaeische Fünfzehnsilber (15 v— ).
Diese Zeile war zu allen Zeiten beliebt. Sie zerfällt
stets in zwei Halbzeilen zu 8 und 7 Silben (8 — v +7 u— ).
Die Pause nach 8 —^ ist nothwendig; vgl. No. 20. 37.
Die Halbzeile 8 — ^ zerfällt oft und schon in den ältesten
Gedichten in 2 Theile zu 4 — u + 4 -^ (vgl. No. 1. 16.
18. 22. 37. 42); daher ist Taktwechsel in 8 _u seltener
als in 7 ^— . Der Schluss von 8 — ^ ist selten unrein
(vgl. 8 w— in No. 19. 36. 47.), in 7 u- oft: No. 29—37;
vgl. 5. 19. 20. 22. 26. 42. 47. Silbenzusatz, zu 8—« wie
zu 7 u— , findet sich in No. 38 — 46. Assonanz oder Beim
findet sich am Ende der Langzeilen häufig. Die einsilbige
Assonanz lässt von 3 oder 4 Zeilen oft 1 oder 2 frei; (vgl.
No. 2 — 8. 17. 20. 41. 47). Einsilbige und zweisilbige Reime
siehe in No. 9. 23. 25. 26. 27; zweisilbige bes. in No. 31.
32 und in der Schlussstrophe von 29 ; Tiradenreim in No.
21. 22. 28. 37. 48. Die Zeilen, sind meistens in. Gruppen
von je 3 Z. zusammengestellt; aus Gruppen von je 2 Zeilen
bestehen No. 1. 15. (22.) 26. 28. 31. 32. 34. 35. 42, aus
Gruppen von 2 Zeilen mit Refrain No. 18. 33. 44. Je 4
Digitized by
Google
80 Sitzung der phüos-philöl. Classe vom 7. Januar 1882.
Zeilen sind gruppirt in No. 8. 19. 29. Eine anders ge-
baute Strophe schliesst die Gedichte No. 29. 31. 32. Die
Initiulen der Strophen bilden das Alphabet in No. 1. 4. 12.
13. 14. 18. 29. 32. 34. 35. 38. 45. 46. In No. 30 bilden
die Anfange der Halbzeilen das Alphabet. In No. 2 geben
die Stropheninitialen *Adelperga pia\ in No. 6 'Paulus feci\
in No. 41 Gaidhadlus.
1,1. J ) A Du Möril 1843, 136 de judicio: Apparebit
repentina. von Beda citirt. alphab. 23 Str. zu 2. h 3 (und 3 h
zwischen den Halbzeilen). Tw nicht. Die Zeilen zu 8 _ w stets
in 4 — w -[- 4 — u zerlegt, nur nicht in D, 2. i, 2* Paulus
Diac. Carol. I p. 35 a. 763 de annis. 12 Str., deren Initialen
1) Ausser den am betreffenden Orte angeführten Werken habe ich
besonders benützt:
Bench. Antiphonarium Monasterii Bencliorensis aus der aus Bobbio
in die Ambroaiana gebrachten Handschrift saec. VJIl von Muratori her-
ausgegeben in den Anecdota Ambros. IV, a. 1713, p. 121 —159.
Carol, Poetae Latini aevi Carolini. ed. Em. Dümmler tom. I.
(Mon. Germ, hist.) Berlin 1881. Schon vorher hatte er ausführlichen
Bericht gegeben in 'Die handschr. TJ eberlief erung der lat. Dichtungen
aus der Zeit der Karolinger 1 ; Neues Archiv IV, p. 89—159. 241-322.
513—582. Dann hat D. in der Zeitschrift f. deutsches Alterthum (mit
Zs. von mir citirt) 22 p. 423 zwei Gedichte (II, 28 und I, 42) heraus-
gegeben; ebenda 22, 261 und 24, 151 hat D. 'Carolingiscbe Rythmen\
und in einer Hallenser Universitatsschrift 1881 'Rythmorum eccles. aevi
Carolini speeimen' (Hymnus) veröffentlicht; dieselben stammen fast alle
aus drei Handschriften : V, codex Veronensis XC (85) aus dem Ende des
IX. Jahrh., beschrieben von Dümmler Ueberl. S. 152; B, cod. Bruxel-
lensis 8860 aus dem Anfang des X. Jahrh. beschrieben ebenda S. 155;
P, cod. Parisinus 1154 aus dem X« Jahrh. beschr. ebenda S. 114. Diese
3 Handschriften sind die Fundgruben Du Merils und Dümmlers gewesen
und enthalten den Hauptschatz der Rythmen des IX. Jahrhunderts.
Boacherie, Melanges Latins et Bas-Latin s (Revue des langues Ro-
man es VII) hat aus Handschriften des VIII— X. Jahrh. wichtige Rythmen
veröffentlicht. Cambridger Lieder, hgb. von Jaffe in Zeitschr. f. d. Alter-
thum 1869 p. 449. Mit h bezeichne ich Hiatus, mit Tw Taktwechscl.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 81
Adelperga pia bilden, zu 3 Z, von denen 2 oder 3 meist assoniren.
h ziemlich viel. Tw in 8 u — 4, 2 ; in 7 u — etwa 10 Mal. i, 3.
Derselbe I p. 49 ad Petrum. Antwort auf Nr. 7, c. a. 781.
12 Str. zu 3, von denen 2 oder 3 assoniren. h 5. Tw nur 11
in 7 v — i, 4. Derselbe ? I p. 79 Alfabetum de bonis sacer-
dotibus prosa conpositum. 23. Str. zu 3 (Ass. in 2 oder 3 Z.)
h 11. Tw in 8 _u 4, in 7 u _ 20. J, 5. Derselbe I p. 625
alphab. 23 Str. zu 3 (Ass. in 2 oder 3 Z.). h sehr viele, der
Conjugationsbeispiele wegen. Tw in 8 — u nicht, 11 in 7 v^__.
7 — v statt 7 ^ — kommt nicht vor, also ist 20, 2 zu stellen
modus sonat litteris. I, 6. Daselbst I p. 628. 10 Str., deren
Initialen bilden Paulus feci, zu 3 Z. mit 2 oder 3 Ass. h viel.
Tw 2 in 8 ~u, 5 in 7 u — /, 7. Petri Grammatici Carol.
I p. 48, c. a. 781. 12 Str. zu 3 Zeilen mit Ass. in 2 oder
3 Z. h nicht. Tw 2 in 8 — w, 17 in 7 v — i, 8. Paulinus
Aquileiensis Carol. I p. 133. de Lazaro. 27 Str. zu 4 Z. (2 oder
3 mit Ass.) h 6. Tw 3 in 8 _u, 7 in 7 w_ . J, .9. Ber-
nowinus Carol. I p. 416 'Hanc quisquis'. 5 Str. zu 3 Z. mit
(oft zweisilbigem) Reim, h 1. Tw 4 in 8 — v , 5 in 7 u —
I, 10. und 11. Strabo? Du Meril 1843 p. 246; Schubiger,
Sängerschule p. 28. I, 10 ad Carolüm a. 829. 10 Str. zu 3.
h nicht. Tw 6 in 8 _u, 3 in 7 u — 1,11 ad Lotharium
a. 838. 10 Str. zu 3. h nicht. Tw 8 in 8 — u, 2 in 7 v_.
J, 12. Du Meril 1843 p. 249 (Dümmler Ueberl. p. 116) Schlacht
bei Fontenay a. 841. alphab. 13 Str. zu 3. h 5. Tw 8 in 8
_ w, 5 in 7 v-. 7, 13. Du Menl 1843 p. 261 (Dümmler
Ueberl. p. 118) de Aquileia. c. a. 850 alphab. 24 Str. zu 3.
h 4. Tw in 8 _ w und 7 ^ — ziemlich viele. I, 14. Du
Menl 1843 p. 264 (Dümmler Ueberl. p. 154) de Ludovico a.
871. alphab. 10 Str. zu 3. Text zu unsicher. 1, 15. Dümmler
Hymnus XIII. de resurrectione. 28 Str. zu 2. h wenig. Tw 2
in 8 _u, mehr in 7 o— . J, 16. Dümmler Zs. 24 p. 152
'Alexander urbis ßomae 1 . alphab. 12 Str. zu 3. h nicht. Tw
nur in 7 ^ — 5 Mal, da 8 — o stets in 4 — u t|-4 — w
zerfällt, fast quantitirend gebaut. i, 17. ebenda p. 153 ße-
spice de coelo. 12 Str. zu 3 Z. mit Ass. h 4. Tw. 2 in 8
— u, 4 in 7 v_. I, 18. Du Menl 1843 p. 182 Confessio.
alphab. 24 Str. zu 2 nebst Refr. von 10 w—. h 11. Die 8
— v sind sehr oft zu 4 — u -|- 4 — u zerlegt. Tw 5 in 8
— w, 12 in 7 sj — Wenn die Refrainzeilen Poenitenti, ChHste,
da veniam. Miserere mei piissime. Ab inferno, Christe, nos
[1882. I. Philos.-pl.ilol. bist. Cl. 1 J 6
Digitized by
Google
82 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882.
libera in 4 — ^ -|" 6 u — (uad nicht in 6 — u -|- 4 ^— )
zu theilen sind, dann wären dies die ältesten Zehnsilber zu
4 + 6 ^ 7, 19. Du Menl 1854 p. 286 (Hagen Carmina
medii aevi No. 53) de Joseph 52 Str. zu 4. h ziemlich viele.
Tw etwa 20 in 8 _u, etwa 36 in 7 ^ — 8 v>— statt 8
— u 3 Mal? 7 — u statt 7 ^— p. 289 dixit: haec est imago.
p. 294 consternati dixerunt. 7, 20. Guido Aretinus de musicae
explanatione etwa 250 Zeilen zu 3 reimend oder assonirend.
Viele h und Tw sowohl in 8 _v/ als in 7 w — Einmal fehlt
scheinbar die Pause De quaternis habet Diatesseron vocabulum,
das andere Mal Miror quatuor quosdem fecisse signa vocibus
ist umzustellen fecisse quosdam. Einige Male scheint 7 — v
statt 7 v — zu stehen (ibi vel diapente. plagis proti secundus).
Die andern von Coussemaker veröffentlichten Gedichte Guidos
sind zu schlecht edirt. 7, 21. Cambr. XXVII (vgl. Du M£ril
1843 p. 278) de luscinia. 16 Str. zu 3, alle Z. endigen auf a.
h 6. Tw 2 in 8 _ u, 7 in 7 u — 7, 22. Cambr. IX de
Willelmo. 13 Z., die auf e enden (5 corr. ornabile, 1 corr. sona-
bile). 4 h. 8 —v, = 4 — v -f 4 _„, nur nicht Z. 6, Z. 11
.= 4 v_ + 4 —sj. Tw 6 in 7 u_ . 7 _ u statt 7 u_
in Z. 13. Die 8 Fünfzehnsilber in Cambr. XX (unten XV, 3),
sind ganz rein, ohne h oder Tw, 8 — w stets = 4 — - u -j~
4 — sj. 1,23. Du Menl 1843 p. 280 de Constantio c. a.
1020 30 Str. zu 3 Z. mit (oft zweisilbigem) Reim. Wenig h
und Tw in 8 — ^ und 7 o — 7, 24. Ravaisson Rapport
p. 404 (Migne 151 p. 729), zum Theil in Cambr. XXVI und
Carm. Burana No. CCII, 47 (p. 92). 'Ad mensam philosophiae'
25 Str. zu 3, Reim ein-, oft zweisilbig, h 5. Tw 11 in 8 — u,
10 in 7 - — 7, 25. Sudendorf Registrum II p. 3. 'Ad oc-
casum cuncta 1 . 26 Str. zu 3 mit Reim, der oft fehlt, h 2 ?
Tw viele in 8 — v, und 7 w_. 7, 26. Du Menl 1847 p. 239
'Inclitorum Pisanorum' a. 1088, c. 250 Z zu 2 gereimt, h und
Tw in 8 u. 7 viele. Einige Male 7 — ^ . 7, 27. Petrus Damiani
(f 1072) Migne t. 145 No. 218. 14 Str. zu 3 mit 3 h, keinem
Tw in 8 — w, 1 in 7 u_; No 221 : 20 Str. zu 3 mit 7 h,
keinem Tw in 8 _w, 6 in 7 No. 224 u. 225: 20 Str.
zu 3 mit 3 h, 4 Tw in 8 _u, 3 in 7 v—. No. 226 (= p. 861
Migne zz: Du Meril 1843 p. 131): 'Ad perennis vitae fontem'
20 Str. zu 3 mit 1 h, kein Tw in 8 -u, 3 in 7 v — Reim
stets ein- oder zweisilbig. 7, 28. Anselm Cant. Migne 158
p. 1046 in laudem Mariae. 82 Z. zu 2 gruppirt ; jede Zeile
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 83
endet auf e, wenig h, 1 Tw in 8 — v, 12 in 7 u — Derselbe,
hymnus secundus: 9 Str. zu 3 mit einsilbigem Reim, der hie
und da fehlt, h ziemlich. 5 Tw in 8 — wj 5 in 7 u —
Troch. Fünfzehnsilber mit unreinem Schlüsse.
I, 29. Bench. p. 136 de S. Patricio, alph. 23 Str. zu 4. 38 h.
Tw 48 in 8— v, 30 in 7 u_. 8 Mal 7 _ v, statt 7 w_. (N 1
corr. domini, V 7 que). Am Schlüsse eine Strophe von 4X8
v — und 2 Xß — f -+* 5 — v ) mit zweisilbigem Reim. Eben-
solche Schlussstrophen finden sich in den alten irischen Gedich-
ten I, 31. 32, wo Mone also mit Unrecht sie tilgte. J, 30.
Bench. p. 142 de S. Camelaco. alphab., doch merkwürdiger Weise
so, dass nicht, wie soDst, die Anfangsbuchstaben der Langzeilen,
sondern die aller Halbzeilen gelten, also A 8 — u, B 7 u —
u. s. f. 12 Z. h 2. Tw 8 in 8_v, 2 in 7 u_. 3 Mal 7—w
(deo, suum, suum). Corr. domino in G, dominum in R. J, 31.
Mone 572. 'Cantemus in omni.' saec. IX. irisch. 13 Sti\ zu 2
und Schlussstrophe zu 4X8 ^ — ; vgl. No. I, 29. Reim fast
stets dreisilbig; dazu (das einzige Beispiel; siehe oben S. 64)
Binnenreim, h 3. Tw 3 in 8— v, 5 in 7 o — 2 Mal 7—v.
/, 32. Mone 314 de Michaele. saec. VIII. irisch, alphab. 23
Str. zu 2 und Schlussstrophe zu 4X8 ^ — , die Mone tilgte ;
vgl. No. I, 29. Der Reim, fast stets zweisilbig, fehlt hie und
da. h viel. Tw 14 in 8_w, 10 in 7 u_. 11 Mal 7— u.
I, 33. Dümmler Hymnus VI de Enoch. 35 Str. zu 2 Z. +
4—^ Refrain, h findet sich in 17, 2. 22, 2. 23, 1 bis. 27, 2.
(29, 2 novamque cod.). 30, 2. 33, 1. 35, 2, allein an all diesen
Stellen ist eine Silbe zu viel, was sonst in diesem Gedichte
nicht vorkommt. Also ist an diesen Stellen Elision anzu-
nehmen. Auch Endsilben mit m vor anlautendem Vocal finden
sich sonst nicht, als in 31, 2, wo Elision stattfindet (in 24, 1
virorumque examine Hschr., also auch Elision). Diesem Klassi-
cismus des Dichters entspricht es, dass auch «die unreinen Schlüsse
1, 2 in polum. ß, 1 ac duces. 18, 1 et pii. 25, 1 cum patre.
30, 2 ut iubar. 33, 2 regno patris, quantitirend gelesen, rein
werden. ^ Tw 24 in 8 — u, -6 in 7 w — Wenn man die ge-
ringe Zahl der Verstösse gegen die alte Prosodie betrachtet, so
wird man dies Gedicht eher für ein quantitirend, als ein ryth-
raisch gebautes erklären. I, 34. Hymnus IX de Hierusalem.
alphab. 25 Str. zu 2. h nur 1, 2? Tw o in 8 — w, 3 in 7 w— .
7 — w in 15, 1 et piae. 22, 1 est locus. /, 35. Hymnus VIII.
de accusatione. alphab. 18 Str. zu 2. h viel. Tw 4 in 8 — u,
6*
Digitized by
Google
84 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
7 in 7 v — 7 — u : 15, 2. 17, 2 (Vocalverschmelzung in 3, 1.
11, 1. 18, 2). 7, 36. Dümmler Zs. 23, 271 de divite. 13 Str.
zu 3. h ziemlich viel. Tw in 8 und 7 viel. 8 w — statt 8 — ^
in 10, 2. 12, 2. 12, 3. 7, 37. Cambr. VIII. Gratulatio reginae.
21 Z., die alle mit a cndeo. h nur Z. 11. Nach 8—v./ fehlt
in Z. 14 die Pause; sonst zerfällt 8 — u stets in 4 — w (4^ —
in Z. 7) + 4 — u ; in 7 u_ ist Tw nur Z. 20. 10 Mal 7 — v,
statt 7 w — (9 Mal betont — v — ^ ^ — c).
Troch. Ftinfzehnsilber mit Silbenzusatz. 1,38.
Carol. I p. 24. De Mediolano a. 721 — 739. alphab. 24 Str.
zu 3. viel h. Tw in 8 _u nur letzte Zeile, 8 in 7 u — Vor-
schlag in 8-u 9 Mal, in 7 v,_? (24, 1. 20, 1). 7, 39
Carol. I p. 119. de Verona c. a. 800. 33 Str. zu 3. viel h.
viel Tw in 8 — w und mehr in 7 u — Vorschlag in 8-u
etwa 25, in 7 u — etwa 6 Mal; — w u statt — ^ etwa 9 Mal in
8 — v , 3 Mal in 7 v — Der Bau ist also von dem des vorigen
Gedichtes verschieden. 7, 40. Carol. I p. 116. de Pippini vic-
toria a. 796. 15 Str. zu 3. Tw nicht in 8 _-u, in 7 ^ — nur
14, 2. Vorschlag sicher in 13, 2. 15, 2 (8 _u) u. 8, 2. 11, 2
(7 ^— ). Dann in 8 Fällen, die man durch Elision (6) oder Vocal-
verschmelzung (2) beseitigen könnte; — u v statt — v iü 6
Fällen , die man durch Elision (4) oder Vokalverschmelzung
beseitigen könnte. Da aber h in 2, 3. 9, 3. 15, 4 sicher ist,
so ist auch in allen anderen Fällen Hiatus und Vocalzusatz,
nicht Elision anzunehmen. 7, 41. Muratori Ant. Ital. III, 711
aus cod. V; von Gaidhadlus. 11 Str., deren Initialen den Namen
bilden, zu 3, meist 2 ZU. mit einsilb. Ass. Text (bes. die End-
ungen) verdorben z. B. D 2 Populorum regi obsecrantes pro
nostra facinora statt Polorum regi obsecrantes pro nostro faci-
nore ; in A 2 del. superadstat. h viel. Tw in 8 _ ^ : J 1 ; 4 in
7 w — Vorschlag 12 in 8 — o, 2 in 7 ^ — 7, 42. Dümmler
Zs. 22, 426. de annis a principio, a. 718. 36 Z. meist gereimt
zu 2. h viel. 8 — o stets in 4 — ^ -|-4 — v zerlegt und ohne
Tw, 2 Tw in 7 u- und 2 Mal 7 — v . Vorschlag zu 8 — u in
25. 29; (33 sunt del.). Vorschlag zu 7 v_ in 6. 20; in 3
tilge simul; in 23. 25. 27. 24 ist Vocalverschmelzung. 7, 43.
Dümmler Zs. 23, 266. de Judit. 18 Str. zu 3. h viel. Tw in
8, 1. 16, 1. (?), in 7 v,_ 3 Mal. Vorschlag zu 8 — u in 8, 3 et
absque arma triumphabit, — uu statt — u in 7 v — : 19, 3.
2, 3 (16, 2 omnes in ore gladii?). 7, 4JL. Dümmler hymnus I
de XIII diebus. 13 Str. zu 2 + Kefr. mirabilia fecit deus.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Eythmen. 85
h viel. Tw 3 in 8 — v, 2 in 7 u — — v <-» statt — ^ 8
Mal in 8 — ^, 13, 1 (?) in 7 u — Vorschlag oder Vocal Ver-
schmelzung in 2, 1. 12, 1. 12, 2. J, 45. Hymnus XV. 'Avarus'
alphab. 13 Str. zu 3. h viel. Tw 2 (3) in 8 _ v, 2 in 7 u_.
Vorschlag 7 in 8 — ^, — ^ ^ nur in 5, 2 valde suspirans cum
lamento. 1,46. Zarncke. Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1877
p. 57 * Alexander puer\ alphab. 8 Str. zu 3. Zarncke Dahm
keinen h und mehrfache Elision, dann Vorschlag an. Ich finde,
indem ich mich (abgesehen von groben Fehlern wie D 2 und
den verdorbenen Str. F. H) an die Hschr. halte, h in A 2. D 1.
Tw in E 2. Vorschlag zu 8 — ^ in C 1 , zu 7 ^ — in J 1.
C 2. 3. -~ ^ statt — ^ in A 2. 3. D 1. E 3. C 1.
1,47. Pertz Abh. der berl. Acad. 1845 p. 264 de mundi
rota saec. VII. 43 Str. zu 3, in 2 oder 3 ZI. meistens Asso-
nanz, h und Tw sehr viel. Sprache barbarisch und Text schlecht,
oft Silben zu viel. Doch scheint 7 — ^ statt 7 ^ — sicher in
67. 68. Ebenso 8 ~ — statt 8— v in Zeilen wie 13. 49. 53.
88. 96. J, 48. Coena Cypriani Du Menl 1843 p. 193 eben-
falls sehr schlecht überliefert, h und Tw viel. Sicher ist auch
öfter 7 — ^ statt 7 ^ — und 8 ^ — statt 7 ^ — , wie archi-
triclinus hydrias, deridebatque Isaac. 7, 5, 4 Z. assoniren (öfter
auch die 1. Halbzeilen).
II. Jambische Trimeter (5-—^ -f~ 7 w — ).
In dem jambischen Trimeter, der in den ersten Jahr-
hunderten sehr beliebt war, ist die Hauptcäsur des römi-
schen Senars zur Pause geworden, welche, abgesehen von
den verwilderten Gedichten No. 26. 27. 28. 29, die Zeile
in 2 Halbzeilen zu 5— ^ und 7 »— zerlegt. Taläwechsel
findet sich im 2. Halbvers bei manchen Dichtern seltener,
bei anderen häufiger; die 1. Halbzeile w — w — w gehört den
jambischen Reihen an und hat auch bei den Dichtern, welche
in 7 ^ — den Taktwechsel selten gestatteten, fast ebenso oft
Taktwechsel (— w w — w) als nicht (w — w — w). Desshalb
habe ich nur die Taktwechsel der zweiten Halbverse zu
7 w _ ( w _ ww _ w _) notirt. Der Schluss von 5 — ^ ist
stets rein (vgl. No. 2. 9. 26—29), der von 7 «— oft in
7— * geändert; vgl. No. 2. 4. 9. 18. 20 — 24. Assonanz
Digitized by
Google
86 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882.
mehrerer Langzeilen der Strophe hat No. 1 — 9. 15. 16. 20.
25. 28; Beim der Langzeilen No. 14. in No. 18 reimen
die ungleichen Halbzeilen untereinander (5 — ^ : 7 w— ), in
No. 19 bald die ungleichen Halbzeilen 5—^:7^—, bald
die Schlüsse der Langzeilen. Tiradenreim hat No. 13. Die
Zeilen treten zu Gruppen zusammen ; zu Gruppen von 2 Z.
in No. 13. 20. 21; von 2 Z. mit Refrain in No. 11. 14.
23. 26; von 3 Z. in No. 25. 27; von 3 Z. mit Refrain in
No. 15; von 4 Z. in No. 16. 18. 28; von 5 Z. in No. 2-7.
17. 22. 24; in Gruppen von 3 Z. mit einem Fünfsilber
(5 — ^), also zu einer Art von sapphischen Strophen, in
No. 1. 8. 9. 10. 12. 17. 19. Die Initialen der Strophen
sind von den Buchstaben des Alphabets gebildet in No. 1.
10. 14. 15. 16. 23. 26. 27. 28 (3 auf A); in No. 14 be-
ginnen auch die zweiten Zeilen der Strophe mit dem be-
treffenden Buchstaben; die Initialen von No. 22 bilden das
Wort Stefanus m.
II, 1. Paulus Diaconus? Carol. I p. 81 de malis sacer-
dotibus (vgl. I, 4). alphab. 23 sapph. Str. mit Ass. in 2 oder
3 Z. 7 h. Tw 18 (in 7 ^— ). II, 2. Paulinus Aquil. Carol.
I p. 131 de Herico. 14 Str. zu 5 Z. meistens mit Ass. meh-
rerer Zeilen, h o, (h) in 11, 3. Tw 18. 7—^ statt 7 ~— :
4, 4. 10, 2; (10, 1 Cecidit ubi?). II, S. Derselbe? p. 136
'Felix per omne'. 9 Str. zu 5 Z. oft mit Ass. mehrerer Z.
Tw (h h 3, 4 Linguae eorum claves caeli factae sunt, wohl zu
stellen Eorum linguae ; vgl. übrigens XIV, 1 Str. N Eorumque
linguae claves caeli sunt factae. II, 4. Derselbe? p. 137 'Re-
fulgit omnis'. 15 Str. zu 5 Z. oft mit Ass. mehrerer Z. h o.
Tw 9. 7— v in 8, 3 antefertur diebus. 11,5. Derselbe?
p. 138 'Refulsit almae'. 12 Str. zu 5 Z. mit Ass. mehrerer
Zeilen, h 4, 4 (?), 5, 3 (dederunt templo?) 9, 4. Tw 7. II, 6.
Derselbe? p. 140 'Jam nunc per omne'. 11 Str. zu 5 Z. mit
Ass. in mehreren Z. h in 6, 1. 7, 3. II, 7. Derselbe? p. 141
'Clara refulgent'. 9 Str. zu 5 Z. mit Ass. in mehreren Z. h 2, 2.
Tw 7. 17,8. Derselbe?? p. 142. de destructione Aquilegiae.
alphab. 23 sapph. Str. mit Ass. in mehreren Z. h 16. Tw 16.
71, 9, Derselbe? p. 144 de nativitate domini. 42 sapph. Str.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 87
mit Ass. in mehreren Z. 3 (5) h, 8 (h). Tw 20. 7 — ^ in
33, 2? 34, 2 corr. ammöniti sunt? 77, 10. Derselbe? p. 147
confessio 'Ad caeli clara' (vgl. No. 19). alphab. 24 sapph. Str.
h 3. 8 Tw. 77, 11. Carol. I p. 435 Planctus Karoli a. 814.
22 Str. zu 2 + Refr. Heu mihi misero. h 9, (h) 3. Tw 13.
77, 12 Du Märil 1843 p. $51 (Dümmler üeberl. p. 116). <Hug
dulce nomen'. 8 sapph. Str. h o. Tw nur 'cum fores mitis-
simus. II, 13. Du Menl 1843 p. 268 'de Modena'. 36 Z.
zu 2. 4 h, S (h). Tw 5. 7— ^ : adorata ut dea. Z. 1 — 18
u. 21 — 36 enden auf a (bes. i-a), 19 u. 20 auf ilis. 77, 14.
Dümmler Hymnus VII de Christo, alphab., doch so, dass auch
jede 2. Zeile mit demselben Buchstaben anfängt. 23 Str. zu
2Z. + Refrain von 2 Trim. Einsilb. Reim. 6 h. Tw viel.
77, 15. Dümmler Hymnus IV de accusatione hominis, alphab.
21 Str. zu 3 Z. (mit Ass. in 2 oder 3 Z.) + Refr. Jesus
clementer tribulantes subveni. h viel. Tw wenig. 77, 16.
Dümmler Zs. 23, 268 'de Ester', alphab. 23 Str. zu 4 Z., Ass.
in je 4 oder 2 Zeilen, h ziemlich viel. Tw 23. 77, 17. Oza-
nam Documents hat S. 245. 248. 255 Trimeter (theils in Str.
zu 5 theils in sapph. Strophen) mit oft unsicherm Texte ver-
öffentlicht. 77, 18. Heribert a. 1021—1042 Bischof in Eich-
statt Migne 141 p. 1370 (= Mone 111). 5 Str. zu 4 Z., in
denen der erste Halbvers (5 — ^) mit dem 2. (7 u— ) reimt
(per crucem sanctam lapsis dona gratiam?). h 1. Tw 2. 7 — ^
crimen necans in cruce. 77, 19. Petrus Damiani, Migne 145
No. 220. Paenitens (vgl. No. 10 ; z. B. Str. 5 non coelum
dignus oculis aspicere). 16 sapph. Str., in denen der Reim bald
die Halbzeilen, bald die Langzeilen bindet, bald fehlt, h 0,
(h) 4. Tw 1.
Trimeter mit unreinem Schlüsse. 77, 20. Bench.
p. 129 Apostolorum. 42 Str. zu 2 Z., die oft reimen, h c. 20.
Tw c. 15. Vocalverschmelzung öfter auch im Schlüsse z. B.
talibusque donariis. accedunt ei ut. 21 Mal 7 — ^ statt 7 ^ — .
77, 21. Bench p. 132 de communicatione. 11 Str. zu 2. h 4.
Tw 4. 7 — -^ in : laudes dicamus deo, u. Christus filius dei.
11,22. Mon. Germ. Script. Longob. saec. VI— IX. p. 190, de
synodo Ticinensi a. 698. 19 Strophen, deren Initialen bilden
SSTTEEFPAANNVVSS MM, zu 5 Z. 'nequivi edissere ut valent
medrici ; scripsi per prosa ut oratiunculain 1 . h c. 26. Tw c. 35.
6 Mal 7 — ^ . (corr. F 4 concordat cum quatuor ?). 77, 23.
Pttmmler Hymnus XI de Jobanne, alphab. 22 Str. zu 2 Z. mit
Digitized by
Google
88 Sitzung der phüos.-pliilol. Classe vom 7. Januar 1882.
Refrain von 2 Trimetern. h 9. Tw 15. Einsilb. Reim. 3 Mal
7 — ^ . II, 24. Dümmler Hyinnus XIV de initio quadra-
gesimae. 10 Str. zu 5 Z. h nur 4, 2. 6 Tw. 3 Mal 7—^
(mit dierum u. diebus).
Trimeter mit Silbenzusatz und verwilderte.
II, 25. Dümmler Hymnus XII de laude Mariae. 15 Str. zu 3 Z.
mit Ass. in 2 oder 3 Z. h viel. Tw 7. Vorschlag zu 7 <-* —
8 Mal (also auch 14, 3 laudabunt semper dominum Hsch. richtig),
— v, ^ statt — ^ 4 Mal. II, 26. Dümmler Hymnus XVII 'Audi
nos deus'. alphab. 10 Str. zu 2 Z. (mit Ass.) -f- Refrain 'suc-
curre nos Christe'. Verwildert, h c. 8. 8 Z. bestehen aus 5 — ^
-{- 7 w — , 7 Z. aus 6 — v + " w — un ^ ^ Z. aus 5 — ^ +
8 *• — . U, ,27. Dümmler Hymnus XVI de natale domini.
alphab. 9 Str. zu 3 Z. Ganz verwildert. Wenig h. 10 Z. zu
5 — ^ -j- 7 ^ — , 4 Z. zu 12 o — ohne Pause, die übrigen 1 3
Zeilen meistens zu 6 — |— 7 ^> — . II, £#. Theodofrid saec.
VII— VIH. Dümmler Zs. 22, 423 (vgl. Zs. 23, 280). alphab.
25 Str. zu 4 Z. (oft mit Ass. in 2 oder 3 Z.). 'Ante secula'.
h viel. Tw nicht viel. Text sehr verdorben, doch Sprache und
Form des Gedichtes schon ursprünglich sehr roh. . Zeilen mit mehr
und weniger als 12 Silben, ohne Pause, mit 4—^, 5 ^— ,
6 v — und 6 — v statt 5 — ^ , und mit 6 ^ — t 6 — ^, 8 ^ —
statt 7 *• — scheinen sicher ; für 7 — ^ statt 7 ^ — kein sicheres
Beispiel. II, 29. Dümmler Zs. 23, 273 'Adonai magne' 16
Zeilen sehr verdorben, oft ohne die richtige Pause und mit
einer Silbe zu viel oder zu wenig.
III. Trochäische Achtsilber (8 — « ).
Der trochäische Achtsilber ist gleich der ersten Halb-
zeile des trochäischen Fünfzehnsilbers. Wie dort, zerfällt
auch hier in manchen Gedichten die Zeile regelmässig in
2 Theile: 4 — - + 4 — - (vgl. No. 2. 4. 5 a), hat also
sehr wenig Taktwechsel; in andern ist dies nicht der Fall,
und es wird bisweilen auf den Tonfall gar nicht geachtet
(vgl. No. 3 u. 5). Der Schluss ist oft unrein; No. 3. 5. 7.
Der Beim bindet je 4 und 4 Silben in No. 2 (das man
also auch in Zeilen von je 4 — ^ eintheilen könnte), ge-
wöhnlich Zeile um Zeile , bei Augustin Langzeilen von
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Liidus de Antichristo und über lat. Bythmen. 89
2 Mal 8 — ~ . Assonanz ist in No. 4. 6. 7, einsilbiger
Reim in No. 3, zweisilbiger Reim in No. 2. 5. Tiraden-
reim bei Augustin. Die Zeilen sind gruppirt : je 3 oder 4
in No. 6, je 4 mit Refr. in No. 3 u. 8, je 6 in No. 7, je
8 mit Refr. in No. 5, je 10 oder 12 Doppelzeilen mit Re-
frain bei Augustin. In No. 3 werden die Initialen der 1.,
in No. 6 die der 1. und letzten Strophenzeile durch die
.Buchstaben des Alphabets gebildet.
III, 1. Augustin gegen die Donatisten ca. 393. Du Meril
1843 p. 120. alphab. 17 Str. zu 12, 3 Str. (CDE) zu 10,,
Epilog zu 30 Langzeilen von je 2 Achtsilbern. Jede Strophe
hat den Refrain 'Omnes qui gaudetis de pace modo verum
iudicate'. Jede Langzeile endet auf e. In jeder Zeile stehen
8 Silben, jede vorletzte Silbe ist betont und wird auch durch
Wörter wie dare, reus und ähnliche gebildet. Sonst ist Elision
von schliessendem Vocale oder m vor anlautendem Vocale gesetz-
mässig und die wenigen Verse, wo sie unterbleibt (wie epis-
copum ordinäre, et si credo esse sanctum) sind wohl unrichtig
überliefert. Vokalverschmelzung wird ausserordentlich oft an-
gewendet, z. B. habeat paleas area vestra; doch unterbleibt sie
in anderen Fällen. Auf den Tonfall der Silben ist ausser am
Schlüsse nicht geachtet, so dass unter der Mitwirkung von
Elision und Vocalverschmelzung die meisten Zeilen hässlich
klingen. HI, 2. MoneNo.269 Summe sator. altirisch. 21 Z.
Jede Zeile zerfällt in 4 — ^ _|- 4 — o und diese Halbzeilen
reimen untereinander mit reinem zweisilbigem Reim (19 Mal)
oder zweisilbiger Assonanz (2 Mal); vgl. S. 77 VirgiPs 'polo
claret cunctis paret'. 6 h. Tw 0. III, 3. Dümmler Hymnus
XVIH 'Ab aquilone'. alphab. 6 Str. zu 4 (mit Ass.) -|~ B- e "
frain 'reddam rationem' oder 'reddam retributionem'. 3 h. Tw 6.
4 Mal 8 w— statt 8—^. 111,4. Du Menl ' 1843 p. 271.
28 Z. gereimt oder ass. zu 2, 3 oder 4. 2 h. Tw nur 1, da
meist 4— u -|- 4 — v getheilt ist. III, 5. Wipo 1039 pro
obitu Chuonradi imp. Mon. Germ. Script. XI, 274 (Du M^ril
43 p. 290). 9 Str. zu 4 Langzeilen (von je 2 Achtsilbern) +
Refrain 'rex deus, vivos tuere et defunctis miserere'. Es reimen
die beiden Achtsilber jeder Langzeile unter sich mit reinem
zweisilbigen Reim, nur 2 Mal mit zweisilb. Ass. und 5 Mal
mit ein§ilb, Reim, 8 Langzeüen bestehen au§ 8 ü-r. -f 8 ^ — ,
Digitized by
Google
90 Sitzung der philos.-phi'ol. Clause vom 7. Januar 1882.
2 aus 8u_ -J- 8 — o. h6. Tw so viele, dass von Rythmus
keine Rede mehr ist.
III, 5a. In XV, 1 finden sich 20 Zeilen zu 8 _ u , die
stets in 4-w -J- 4_w (2 Mal 4 w_ -\- 4_w) zerfallen.
In VII, 1 finden sich 38 Zeilen zu 8 — w mit 8 Tw. In XV, 4
1 6 Zeilen zu 8 — w , von denen 13 in 4 _ w -}- 4 _- w zer-
fallen, 2 Tw haben, 1 jambisch endet.
Troch. Achtsilber mit Silbenzusatz und ver-
wilderte. III, 6. Dümmler Hymnus V de commendatione.
alphab. 15 Str. zu 4, 8 Str. zu 3 Z., mit Ass. oder Reim in
2 oder 3 Z. Jeder Strophe folgt eine Zeile, die einen Anruf
Gottes enthält, mit denselben Buchstaben beginnt, wie die Strophe,
und mit deus schliesst z. B. aeterne rex deus in A, benigne
fortis deus in B. viele h und Tw. Vorschlag 10 Mal, — w w
statt — w 20 Mal. III, 7. Boucherie Melanges p. 28 de die
iudicii. 13 Str. zu 6 Z. mit Ass. in 3—6 Z. der Str. h c. 20.
Tw c. 16. — w w statt — ~ in 1, 1. 10, 5. 12, 3. 8 w_ statt
8 _w in 4, 5. (6, 2 del dies?) 7, 1. 13, 2. III, 8. Dümmler
Zs. 24, 154. de castitate. alphab. 14 Str. zu 4 Z. -f- Refr.
'Adiuva nos deus meus ; in te posui cor meum' ; oft zu 2 as-
sonirend. Gänzlich verwildert. Wenn man auch Silbenzusatz und
starke Vocalverschmelzungen annimmt, so sind doch manche
Zeilen, wie 9, 3 = 12, 3. 11, 3. 13, 3 u. 4. 14, 1 nicht in
das Schema zu zwingen, h und Tw viele.
IV. Trochaeische Elfsilber (4 — v, + 7 v— ).
Da im troch. Fünfzehnsilber die erste Halbzeile oft in
4 — « + 4 — ^ zerlegt wurde (vgl. S. 79 u. 88), so lag
es nahe, das eine Stück zu 4 — ~ wegzulassen. So ist die
Zeile von 4 — « + 7 — « entstanden. J ) Sie wurde früh
gebraucht.
IV, 1. Dümmler Zs. 23, 265 'Andecavis abbas\ 5 Str. zu
4 Z. mit Refrain *Eia eia eia laudes eia laudes dicamus Libero'.
1) Bartsch (siehe No. 2), nach dessen Ansicht diese Zeilenart der
nationalen keltischen Poesie entlehnt wäre, erkannte nicht die Pause
nach 4 — w und nahm eine Pause nach der 8., 7. oder selten 6. oder 5.
Silbe an : natürlich, da alle jambisch auslautenden Zeilen meistens mit
einem drei- oder viersübigen, selten einem mehrsilbigen Worte schliessen.
Auch G. Paris, Romania 9 p. 188, hat die Pause nicht erkannt.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 91
Gewöhnlich bindet Ass. je 2 Zeilen ; einige Male fehlt sie. h 0.
Tw in 3, 2. 4, 1. IV, 2. Bartsch Zeitschr. f. rom. Philol. II,
(1878) p. 216 (vgl. ebenda III, 1879, p. 384) aus einem sehr
alten Evangeliarium in Maihingen. 42 Z. einsilbig gereimt meist
zu 4, 2 Mal zu 2, 1 Mal zu 6. h 7, (h) 6. 4 w_ statt
4 — v, in 4 u. 42. Tw 4 in 7 «-; 6Mal 7-w statt 7 - —
IV, 3. Mone No. 270 Hymnum luricae, altirisch. 92 Z. in Str.
zu 4. je 2 Z. haben einsilbigen Reim, dazu oft noch Reim oder
Ass. der vorletzten Silbe. Die ersten 17 und die letzten 12
Zeilen sind rein gebaut mit nur 2 Tw in 7 w — und mit Fehlen
der Pause in 8. 12. 87. In dem Mittelstück, wo der Dichter
fremde seltsame Wörter aufhäufte, kümmerte er sich mehr um
die Unterbringung dieser als um sein Zeilenschema. So fehlt
hier oft die Pause, oft sind Silben zu viel, einige Male auch
trochäischer Schluss hereingekommen. IV, Sa. In den 5 Stro-
phen des Petrus Damiani (Migne 145 S. 939, unten XV, 5)
kommen 1 5 Zeilen, zu 4 — « + 7w- mit Reim der Endsilben
vor. 2 Mal steht 4 ^ _ statt 4 _ w und in dem 2. Falle 'Quid
ergo miserrima quid facerem' fehlt auch die Pause.
V. Trochaeische Siebensilber (7 v— ).
Wie der erste Theil (8 — ^) der trochaeischen Fünfzehn-
silber, so wurde auch der zweite Theil, der trochäische Sieben-
silber, abgetrennt und einzeln zu Gedichten verwendet. *)
V, 1. Hibernicus Exul. Carol. I p. 399. 'Versus Caroli Im-
peratoris'. 48 Z. oder vielmehr 24 Langzeilen von 7 w — -\-
7 w — , da je der 2. Vers den Reim hat. Derselbe bindet je
2 Langzeilen und ist zweisilbig, ja meistens sind auch die
Vocale der drittletzten Silben gleich. In den 48 Zeilen sind
h 0, 19 Tw und 4 Mal 7— ^ statt 7 w_ (doch stets in der
1. Hälfte der Langzeile). V, 2. In Dicuils Computus, über
den Dümmler Ueberl. S. 256 genauere Nachricht gab, finden
sich Buch II cap. XIIII folgende Zeilen, die nach Hellers, von
Prof. Dümmler gütigst mir mitgetheilten, Abschrift lauten : De
yrnpno per rythmum facto.
Ceu tesserae in pirgis mutantur ludificis
1) Bartsch hat auch diese Zeilenart (7 w {- 7 w — ) für national
keltischen Ursprungs angesehen (vgl. Zeitschr. f. rom. Philol. III p. 383)*
Dagegen G. Paris in Romania 9 p. 187.
Digitized by
Google
92 Sitzumj der philos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
Sic hae partes in istis moventur versieulis. l )
Pulcherrimain auream non habeo aleam.
Aleas quas habeo tibi donare volo.
Domino caeli gloria atque terrae perpetua.
Es sind 8 Siebensilber und 2 Achtsilber (8 w — ) mit einsilbigem
Reim. Darin 2 h. Von den Siebensilbern haben 3 unreinen
Schluss, von den 5 Zeilen zu 7 w _ haben 4 Tw. V, 3.
Dümmler Zs. 23, 156. Katechismus 'de laude dei\ alphab.
23 Str. zu 2 Z. mit dem Refrain 'Benedictus dominus Christus
dei filius'. Gänzlich verwildert. Es sind hauptsächlich Zeilen
zu 7 w — mit ziemlich vielen h und Tw. Doch sind Zeilen
zu 7 — w, 8^ — , 8 — w, ja auch 9 — w darunter gemischt,
die man weder durch Annahme von Silbenzusatz noch von
Elision oder Vokalverschmelzung alle in das Schema von 7 w __
bringen kann.
VI. Sapphische Zeilen (5 — ^+6 — ^).
Interessant und lehrreich ist es, die Umwandlung der
quantitirendeu sapphischen Strophe in die ryth mische zu
beobachten. Das Schema der sapphischen Zeile war zuletzt
— «- | ww — w — w: Jäm satis terris | nivis ätque dirae.
Die Caesur ward zur Pause. Der Anfang v, w der zweiten
Halbzeile musste dem rythinischen Dichter zu — ^ werden,
also nivis ätque dirae. Da ein ans 2 oder mehr Längen
bestehender Schluss im Lateinischen stets auf der vorletzten
Silbe betont ist, so wurde der Schluss der ersten Halbzeile
zu — , also Jam satis terris; das geschah um
so lieber, weil nun die Basis der ersten 3 Zeilen der 4. Zeile,
dem Adonier, gleich und so der ganze Aufbau der Strophe-
klarer wurde. . Diese gar nicht so üble, neue rythmische
sapphische Strophe zu 5 — ^ + 6 — « , 5 — ^ + 6 — v, ,
5 — ^ + 6—^, 5—^ hat also dieselbe Silbenzahl und
Caesur und denselben Zeilenschluss wie die quantitirende
und ist doch im Tonfall von jener alten ziemlich verschieden.
Wir sehen hier auch, wie zwei verschiedene quantitirende
1) nemlich in den vorausgehenden hexametrischen Spielereien.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 93
Zeilenarten in der rythnrischen Dichtung zu einer werden.
Denn die rythmische sapphische Zeile ist so mit dem kata-
lektiscben jambischen Trimeter w_w__w | __w__w_w gleich
geworden, vgl. Jam sätis terris nivis ätque dirae
und Trahuntque siccas raächinae carinas.
VI, 1. Theodulfus. Carol. I p. 578 a. 818. 9 sappb. Str.
In den 8 ersten Str. 5 — ^ 21 Mal — ^ w — w, und nur 3 Mal
, in7w_3Tw. h 0. Dann Str. 9 Vale Ermen-
gardis regina et augusta, Et tui tecum in seculo nati : Idcirco
nostri in dulcedine cordis Semper habemus, also 3 Elisionen
und 3 Tw. VI, 2. Ozanam Documents p. 239 S. Sylvestri.
15 sapph. Str. b 8. in 6— w Tw 2? VI 3. Cambridger
Lieder No. XXVIII Carmen aestivum. 5 sapph. Str. h. 1.
Tw 2 in G— w.
VIF. Verschiedene Trochaeische Zeilen.
VII, 1. 8— - + 6_-. Gotschalk, Du Meril 1843 p. 177.
19 Str., die alle beginnen 'Deus miseri. Miserere servi' und
scbliessen 'Heu quid evenit mihi. Dazwischen stehen 4 Zeilen
zu 8 — w. 6 — ^, 8 — w, 6 — w. Die Refrainzeilen und diese
Zeilen scbliessen allesammt mit i. Dass die beiden .Kurzzeilen
8 — w -j- 6 — w eine Langzeile bilden sollen, geht daraus her-
vor, dass die Halbzeilen zu 6 _w in den Str. 1 — 13 stets mit
zweisilbigem Reim (10) oder zweisilbiger Ass. (3) scbliessen.
h 10. 8 Tw in den 38 Z. zu 8— -, 10 in den 38 Z. zu
[*^ VII, 2. Gaston Paris und Jules Lair in Bibl. de l'ecole
d. chartes 31 p. 389. 'Laxis fibris resonante 1 a. 942. 11 Str.
von 3 Z. zu 12— w -f 1 Z. 8_w, dazu Refr. Cuncti flete
pro Willelmo Innocenter interfecto. Dazu eine 12. Str. von 4 X
12—^. Im Schlüsse der 4. Z. ist meist Ass. Sowohl die Z.
zu 12 — w als die zu 8 — w zerfallen meist in 4 — w -[-4 — w.
h ziemlich viel.
Till. Jambische Achtsilber (8 v— ).
In der späten quantitirenden Poesie wurden jambische
Dimeter sehr oft, Glykoneen oft zu Gedichten verwendet.
Nach der ersten Zeilenart oder nach beiden wurden die
Digitized by
Google
94 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
jambischen Achtsilber gebildet (vgl. S. 55). Ein Gedicht
mit rein jambischem Falle kenne ich nicht; nur sehr wenige,
in denen eine bescheidene Anzahl von Tdktwechsel ist (vgl.
No. 6. 8. 9. 12) ; in der Regel beginnt die Zeile ebenso oft
mit — w als mit «— , ja manchmal öfter mit — « (vgl.
No. 1. 13. 15. 16. 22. 24), so dass meist nur Silben ge-
zählt wurden. Auch der Schluss ist oft unrein; vgl. No.
12 — 30. 2. 5. 8. 9. Zweisilb. Reim oder Ass. findet sich
in No. 1. 4. 8. 9. 10. 13. 15. 17—25. Einsilb. Ass. in
No. 2. 9. Tiradenreim in No. 27; vgl. 13. 16. 26. 28.
gekreuzte Reime hie und da in No. 30 (vgl. No. 29). Je
2 Zeilen sind gereimt in No. 4. 5. 6. 7. 11. 17. 1., je 4
in No. 8. 14. 15. Die Zeilen treten zusammen in Gruppen
von je 2 in No. 17 — 26, von je 4 in No. 1—6. 8—12. 14.
15. 27. 29. 30., je 6 mit Refrain in No. 16, je 8 oder 10
mit Refrain in No. 13, je 12 in No. 26. Die Initialen
der Strophen bilden die Buchstaben des Alphabets in No. 2.
13. 26. 29., wobei in No. 13 die sämmtlichen Zeilen von
A und D mit A und D beginnen ; in No. 22 bilden die
Initialen von 9 Zeilen das Wort Nithardus.
VIII, L Dicuil im Computus, a. 814, Dümmler Ueberl. p. 257.
28 Z. oder vielmehr 14 Langzeilen, da nur jede 2. Zeile zu
8 ^ — durch den Reim gebunden ist. Dieser ist 2 Mal ein-
silbig, 5 Mal zwei- und dreisilbig, h 4. 1 7 Tw. VIII, 1 a. In
XV, 1 finden sich 20 Z. zu 8 w — , von denen 16 als — ^ — ^,
w — w __ und nur 4 als w — w — w — ^ __ betont sind. VIII, 2,
Dümmler Hymnus III. de monachis. alphab. 24 Str. zu 4 Z.,
mit 2, 3 oder 4 Ass. 5 h. Viele Tw. 8 — w in f, 1. VIII, 3.
Ozanam Documents hat p. 236 einen Hymnus von 8 Str. zu
4 und p. 252 einen von 9 Str. zu 4 aus einer Handschrift
des IX. Jahrb. gedruckt. VIII, 4. Cambridge No. VII Eccl.
Trevirensis a. 1028 — 1035. 44 Z. reimend Zeile für Zeile mit
ein-, meist zweisilbigem Reim, h 7. Tw 15. VIII, 5. Cambr.
XI de Johanne abbate. 50 Z. Der einsilb. Reim bindet je 2
einzelne Zeilen. Nur in 12 Z. bindet er jede 2. Zeile, also
6 Langzeilen von 16 Silben, h 0. 1 Mal nee veste nee eibo
frui. VIII, 6. Cambr. XXIX Verna suspiria. 6 Str. zu 4 mit
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 95
Reim zu 2 oder 4. h 1. Tw 8. VIII, 7. Petrus Damiani
(Migne 145) hat viele Gedichte in 8 ^ — geschrieben. Sie sind
Zeile um Zeile ein- und mehrsilbig gereimt, h ist selten, Tw
häufig, 8 — w nicht eingemischt. VIII, 8. Sudendorf Registrum
1 p. 49 a. 1080. 4 Str. zu 4 Z. mit zweisilbiger Ass. (nur 2 Z.
mit einsilbiger Ass.). h 0. Tw nur 4. 1 Mal 8 _ ^ . VIII, 9.
Sudendorf I p. 55. Venite cuncti, a. 1084. 19 Str. zu 4 Z. mit
ein- oder zweisilbiger Ass. h 10. Tw nur 9. 1 Mal 8 — w.
VIU, 10. Du Menl 1843 p. 297 'Jerusalem mirabilis' c. a. 1095.
9 Str. zu 4, meist mit 2 silb. Reim, h 2. Tw 20 (8 ~ w 2,4:
conserens?). VIII, 11. Anselm Canterb. Migne 158 p. 931 =-
Mone No. 621. 58 Str. zu 4, gereimt (ein- und zweisilbig) zu 2.
h etwa 11. Migne p. 965 = Mone No. 627: 44 Str. zu 4,
gereimt zu 2 (hie und da nur Ass.). 16 h. Migne p. 1035 =
Mone No. 422—429: 17 Str. zu 4, gereimt zu 2. h 0.
Jambische Achtsilber mit unreinem Schlüsse.
VIII, 12. Daniel I, 85 <Rex aeterne', von Beda citirt, 16 Str.
zu 4. h ziemlich viel. Tw 14. 3 Z. zu 7 w — und 3 Z. zu
8 — ^ , meistens emendirt. VIII, 13. Bench. p. 139 de S. Com-
gillo. alphab. 21 Str. zu 8, 2 (AB) zu 10, 1 (J) zu 7 Z.' +
Refrain von 2 Achtsilbern. In A u. D fangen alle Z. mit A
u. D an ; vgl. J. K. Reim meist zweisilb. Ass. in der ganzen
Str. h 28. Tw 120, dazu 18 Mal 8_w. VIII, U. Bench.
p. 133. hymnus mediae noctis 14 Str. zu 4. h 7. Tw 20.
8 — w 8 Mal (corr. Dicamus laudes domino. und Quae stulte
vero remanent, Extinctas habent lampades). VHI, 15. Bench.
p. 143 Collectae. 10 Str. zu 4 mit (oft zweisilbigem) Reim.
12 h. Tw 28. 1 Mal 8-~. VIII, 16. Benchur p. 159 Me-
moria abbatum. 1 Str. zu 8, 5 Str. zu 6 ; dazu Refrain von
2 Achtsilbern. (Ohne die Eigennamen :3 h. Tw c. 25. 3 Mal
8 _ - ). Einsilb. Reim in allen Z. der Strophe. VIU, 17. Jaffe
Bibl. rerum Germ. III p. 38 'Rector casae 1 vor 706. 200 Z.,
von denen stets 2 durch (oft zwei, ja dreisilbigen) Reim ver-
bunden sind, h 18. Tw viele. 8— - c. 10 Mal. VIII, 18.
ebenda p. 41, vor 706. 'Nuper dein 1 . 184 Z. ; ähnlicher Bau
und Reim wie No. 17. 8_w c. 18 Mal. VIII, 19. ebenda
p. 44 'Summum satorem' 46 Z. ; ähnlicher Bau und Reim.
8 — w 2 Mal. VIU, 20. ebenda p. 45 an Aldhelm «Aethereus
qui\ 78 Z. Bau und Reim ähnlich. 8_w 7 Mal. VIII, 21.
ebenda p. 46 an Aethilwald 'Vale vale\ 78 Z. mit ähnlichem
Bau und Reim. 8 — w 3 Mal. VIII, 22. ebenda p. 52 Boni-
Digitized by
Google
96 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
facius c. 716 'Vale frater'. 28 Z. die Initialen von 9 Z. bilden
den Namen Nithardus. Je 2 durch (oft zweisilbigen) Reim ver-
bunden ; 1 Mal fehlt der Reim, h 3. Tw 15. VIII, 23. ebenda
p. 308. vor 786. «Vale Christo'. 12 Z., je 2 durch (meist
zweisilbigen) Reim verbunden. 7 mit Tw, 1 ohne Tw, 3 zu
8_-. VIII, 24. ebenda p. 312. Berthgyth «Vale vivens'
20 Z. zu 2 mit ein- und zweisilbigem Reim. 6 ohne, 14 mit
Tw. h 2. VIII, 25. ebenda p. 314 Berthgyth 'pro me quaero\
16 Z. zu 2 mit Reim (der in 4 Z. fehlt), h 5. 1 Z. ohne
Tw, 15 mit Tw. VIII, 26. Boucherie Melanges p. 15 u. Reiffer-
scheid Bibl. ital. II, 80. Altus prosator' alphab. 23 Str. zu
12 Z. mit Reim, der in der Regel nur 2 Z. bindet, h und Tw
viele. 8_w c. 16 Mal. VIII, 27. Du Muril 1843 p. 255
c. a. 850 'Dulces modos'. c. 150 Z. zu 4. Reim in 1 — 24 a,
25 — 30 und 33 — 48 us, sonst meist zu 4 oder 2. h 5. Tw
viele (14 in den 25 ersten Z.), 10 X 8 _ „. VIII, 28. Du
Meril 1843 p. 266 <o Fulco' c. a. 900. 76 Z. Reim verbindet
bald 7 bald weniger Z. h 9. Tw 32. 8 _~ 3 Mal. VIII, 29.
Mone I, 395 aus der Darmstädter Hsch. saec. IX — Cambridge
No. XXIII. 'Audax es vir iuvenis'. alphab. 23 Str. zu 4. In
der Cambridger Hschr. ist der Text sehr geglättet, besonders
sind Reime (auch gekreuzte) hereingebracht. Diesen Text hat
Jaffe wieder geglättet. Ich halte mich an den Text Mones,
der sehr roh ist. Ass. bindet oft je 2 Z., oft fehlt sie. h viele.
Etwa 6 Mal nur 7 -— , 9 Mal 9, 2 Mal 10 und 11 Silben.
8 __ ^ findet sich 7 Mal. VIII, 30. Psalterium Mariae unter
den Schriften des Anselm Cant. (Migne 158 p. 1038). 632 Z.
in Str. zu 4 Z., gereimt bald 1:2. 3:4, bald 1:3. 2:4
mit einsilbigem Reim, h nur wenige. Dagegen sehr viele Tw.
Sehr oft 8 — ~, z. B. in den 100 ersten Zeilen 45 Mal. Dem-
nach stammt entweder dieses oder die andern Gedichte (VIII,
11 u. I, 28) nicht von Anselm.
IX. Siebensilber mit trochaeisckem Schlug» (7 — ^ ).
IX, 1. Bench. p. 156 Versiculi familiae Benchuir. 10 Str.
zu 4 Z. oder vielmehr zu Langzeilen mit gekreuztem Reim
der Art:
Vere regalis aula variis gemmis ornata
Gregisque Christi caula patre summo servata.
Stets sind die Vocale der beiden letzten Silben gleich und alle
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 97
40 Z. enden auf a, die Consonanten zwischen den beiden letzten
Silben sind oft ungleich. 7 « — statt 7 — « haben 3 Z., von
den übrigen haben 16 den Tonfall — « ^ — « — ^ und 31
— w — ww — w, so dass in diesem Gedichte die auch in der
quantitirenden Poesie zu ganzen Gedichten verwendeten Phere-
krateen rythmisch nachgebildet sind, h 8. Mehrere Vokalver-
schmelzungen finden sich. IX, 2. Aus Dicuils Computus II
cap. 7 (a. 815) hat Dümmler Ueberl. p. 258 (Ymnus per
rythmum f actus) 12 Z. gedruckt, die ebenfalls als 6 Langzeilen
zu fassen sind. Jedes der 3 Paare von Langzeilen hat am
Schlüsse reinen zweisilbigen Reim ; die vorderen Halbzeilen
reimen einsilbig mit:
Gaudeo transiisse latos in campos prosae
Viam perlustrans plene loquelae spaciosae.
h 0. Der Tonfall ist nur 2 Mal jambisch ^ _ w __ w — ^ , 2 Mal
v « w . _ w und 8 Mal — « ^ « — w .
IX, 2 a. In dem Hymnus auf den h. Gallus (XIV, 1) wird
die 2. Zeilenhälfte 37 Mal von Zeilen zu 7 — ^ gebildet, die
merkwürdiger Weise stets den reinen jambischen Fall « — ^ —
« — w haben. IX, 3. Petrus Damiani Migne 145 p. 937 No. 61,
de Maria. 26 Str. zu 4 Z., je 2 durch zweisilb. (selten einsilb.)
Reim oder Ass. verbunden, h 5. Von den 104 Z. haben 50
den jamb. Tonfall ^ — ^ — ^ — ^. 26 — ww — ^ — ^ 24 — ^ —
v w __ w . IX, 4. Du Meril 1854 p. 283 De resurrectione 'Audite
omnes gentes'. alphab. 23 Str. zu 4 Z. -\- Refrain 'Jam Christus
resurrexit'. Je 2 Zeilen sind durch zwei- oder einsilbigen Reim
oder Assonanz verbunden. Der Text ist sehr schlecht, doch
scheint es sicher, dass einige Zeilen mehr, einige weniger als 7
Silben haben, einige mit ^ — schliessen. IX, 5. Unter den
Schriften des Columban (Migne 80 p. 293) ist ein Gedicht 'de
vanitate vitae' gedruckt, 29 Str. zu 4 Z. oder eher zu 2 Lang-
zeilen, da je die 2. und 4. Kurzzeile meist durch zweisilbige
Ass. verbunden sind. Das Ganze ist sehr roh, im Anfang sind
mehr Zeilen zu 7 — ^ , gegen Ende mehr zu 7 w _ , darunter
einige zu 8 ^ — und 8 — ^ .
Langzeile zu 7 — " -\- 7 w — .
IX, 6. Boucherie Melanges p. 6 aus einer Hschr. saec. VIII.
2 Gedichte, a) 'Portatus sum ut agnus', 14 Langzeilen, je 2
einsilbig gereimt, b) { A patre missus' 6 Str. von je 2 Lang-
zeilen (zu7-u -|-7 w~) mit einer Schlusszeile zu 7u_ mit
[1882. 1. Philos.-phüol. hist. Cl. 1.] 7
Digitized by
Google
98 Sitzung der philos. -philo!. Classe vom 7. Januar 1883.
einsilbigem Reim in den 3 Zeilen. In a) und b) h 6 ; von den
26 Z. zu 7_u haben 19 den jamb. Tonfall, 5 ~ — ^
und 2—^ — ^ w__o; von den 32 Z, zu 7 «- haben 10 Takt-
wechsel.
Langzeile zu 6 — « + 7 — w .
iX, 6a. In XIV, 1 besteht die 3. Zeile der 24 Strophen
aus G -f" ' Silben. In der ersten Halbzeile haben 10 Str.
6—^ (mit 1 Tw), 14: 6 w— (mit 7 Tw); die zweite hat
trochäiscben Schluss und in 6 Str. den/ Tonfall o — ^ — ^ — w,
in 9 — ^ — v/o — <^, in 7 — ^ ^ — ^ — ^ .
X. FUnfsilber mit trochaeischem Schlüsse (5 — w ).
Diese Zeilen, die Adonier, wurden in der quantitirenden
Poesie der späteren Zeit oft selbständig verwendet. Auch
in der rythmischen Poesie waren sie beliebt, da sie ja auch
in den so häufigen jambischen Trimetern (II), in den sapphi-
schen (VI) und alcaeischen (XI) Zeilen die Basis bildeten.
Schon Virgil Maro hat sie mehrfach verwendet (S. 76). Thr
Tonfall scheint fast ebenso oft ^ — ^ — « als — ^^ — ^
zu sein.
X, 1. Den troch. Ftinfzehnsilbern Bench. p. 142 (oben I, 30)
folgt eine Schlussstrophe
Patricii laudes semper dicamus
Ut nos cum illo senvper vivamus'
offenbar Doppelzeilen von je 2 Fünfsilbern mit zweisilbigem
Reime. Vielleicht finden sich solche auch in dem Gebete p. 152
post benedictionem trium puerorum.
Deus qui pueris fide ferventibus
flammam fornacis frigidam facis
(et) tribus invictis morte devicta
precamur nobis aestibus carnis
talem virtutem praestes adustis
per te Jesu Christe qui regnas etc. Zuerst je 2 Dactylen
(= Asklepiadeern XII), dann 8 Fünfsilber, in denen ich nur
forn. fl. umgestellt und et getilgt habe.
X, la. In XIV, 1 sind die Zeilen gern aus zwei Fünfsilberri
gebildet, von denen über 100 den Tonfall — ^ ^ — ^, etwa
17: ^_ u — ^ haben. X, 2. Cambridge No. I (Müllenhoff u.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 99
Scherer Denkmäler No. XXV). 11 Str. zu 6 Z., mit einsilb.
Reim in je 2. h 5. 33 Z. za - w u — w, 23 zu v — v — u.
Elfsilber mit troch. Schlags (Phalaecische Verse) (6 + 5 — « ).
Die in der späteren quantitirenden Poesie oft gebrauchte
Phalaecische Zeile -_^_^^_ ^_^__^ (vgl. Hagen Car-
olina medii aevi S. 39) hat oft Einschnitt nach der 6. Silbe.
X, 3. Heribert, Bischof von Eichstädt 1021—1042, Migne
141 p. 1370 No. II und III. No. II 'Mare fons ostium' 7 Str.
zu 3 Z. h 4. No. III 'Ave flos virginum' 5 Str. zu 3 Z. hl.
Jede Zeile zerfallt in 6 und 5 Silben. Die erste Halbzeile, die
Basis, ist schwankend im Rythmus, 17 X 6 w — ( ü — w — u —
11, — u u — v.» — 6) , und 4 X 6 — ^ ( — ^ — w — ^ 3 , v —
ww — v 1), die 2. Halbzeile hat stets troch. Schluss und 18
Mal den Tonfall ~^-u 3 MaK-v-w. In No. III sind
11 erste Halbzeilen zu 6 ^ — (w v, u — 5, — w v — u — 6),
4 zu 6 — ^ (_u_-u-_u 3, u_-o u — u 1); die 2. hat 14
Mal den Tonfall — u v — v , 1 Mal ^ — v — v, . Der meistens
einsilbige Reim bindet die ungleichen Halbzeilen 6:5, nicht
die Schlüsse der Langzeilen.
XI. Alcaeische Zeilen (5 — - + 6 - -).
% Regelmässiger daktylischer Tonfall war in der rythmi-
schen Poesie nicht zugelassen. Daher wurde — ^ ^ — ^ —
mit Beibehaltung des Schlusses ebenso oft ^ — - « — ^ — betont.
Das. Schema der rythmischen alcaeischen Zeile ist also
\j — kj
— ww_v, | — w w __ w _ . Gedichte in selbständigen quanti-
tirenden alcäischen Zeilen finden sich manche; siehe Mone
No. 573. Rythmisch betonte alcäische Zeilen fand ich bis
jetzt nur in einem älteren Gedicht:
XI, 1. Dümmler Hymnus II. de adnuntiatione Mariae
alphab. 23 Str. zu 2 Z., die meistens durch einsilb. Ass. ge-
bunden sind, nebst dem Refrain Beata virgo | et dei genetrix.
Der Text ist leider vielfach entstellt und unverständlich (vgl.
Str. E. H. J). Die zweite Halbzeile hat stets 6 Silben (12, 1
corr. Magi occurrunt | ferentes munera : offerentes cod.) mit
dem richtigen Schluss v — ; 12 haben den Tonfall — ^ w — v _,
die andern ^ — v — u — . Die erste Halbzeile, die Basis, ist
Digitized by
Google
100 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
wie in X, 3 schwankend und das nicht nur im Rythmus, son-
dern auch in der Silbenzahl. Von 43 Zeilen sind 33 richtige
Fünfsilber mit troch. Schluss 5 — ^ ( 5 v __ kommt nicht vor ;
22, 1 corr. Ymnum et laudes, laudibus cod.), 24 zu — ^ v — ^,
9 zu ^ — < — v; 10 sind Sechssilber, h viel.
XII. Asklepiadeische Zeilen 6 « — (- 6 « — .
Der Scblu&s — ^ v, _ ist in ry thnrischen Versen unmög-
lich. Denn alle mehrsilbigen lateinischen Wörter sind ent-
weder auf der vorletzten oder drittletzten Silbe, keines auf
der letzten oder viertletzten Silbe betont ; einsilbiger Schluss
ist aber überhaupt selten gestattet, der von schwerbetonten
Wörtern gebildete fast gar nicht, und selbst, wenn er ge-
stattet wäre, würde andere Betonung eintreten ; so ver-
wandelt sich omnibus rex zu omnibüs rex. Desshalb
musste der Schluss — ^ ^ — in den rythraischen Gedichten
zerfallen, und er zerfiel in der beliebten asklepiadeischen
Zeile — « — v » — |__w^_w_ so, dass der Schluss ~ —
gewahrt wurde, die Zeile also den Tonfall « — v,_ ^— oder
_^ w__w__ bekam, folglich der zweiten Halbzeile absolut
gleich wurde. Dadurch wurde das lebendige Maecenäs atavis |
edite regibus zu dem eintönigen Alexandriner: Cunctärum
ürbiüni | excellentissima, welchen nur die Abwechslung von
— u v — \j — und ^ — v> — kj — belebt.
XU, 1. Eiese Anthol. II p. XXXIX. Du Märil 1843 p. 239.
(No. II auch Cambridge No. XXX). 2 Gedichte: I <0 Eoma
nobilis' 3 Str. zu 6 Z. mit gleichem einsilb. Reim in den 6 Z.
(in der 2. Str. 2 silb. Asson. i— er), h 0. Von den 36 Halb-
zeilen zu 6 c/ — haben 20 v w — w — , 16 w — ^ — w — II. 'O
admirabile' 3 Str. die erste zu 6 Zeilen mit dem Reim 'olum',
die 2. zu 7 Z. mit dem Reim *e — im', die 3. Str. zu 6 Z. mit
dem Reim us. h 0. 4 Zeilen nacheinander haben deD unreinen
Schluss polum, solum, dolum, colum ; die Zeile Quo fugis amabo
ist falsch. Von den 38 Halbzeilen zu 6 haben 14 den
Tonfall — c v — w —
XII, 2. S. Zenonis Sermones ed. Ballerini p. CLI , de
Zenone. alphab. 67 Z. hie und da mit Reim. Der Text ist
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über Iah Rythmen. 101
sehr verdorben. Die 2. Halbzeile ist meist rein, besonders der
Schluss; die 1. Halbzeile ist wiederum (vgl XI, 1) schwankend;
sie schliesst nicht nur mit Trochäus, sondern zählt hie und da
sogar 7 Silben.
XII, 3. Mone 1014 de Kiliano. 8 Str. zu je 3 asklep.
Zeilen und 1 Achtsilber mit jamb. Schluss. Wegen der reichen,
theilweise gekreuzten Reime, die alle Halbzeilen und den Acht-
silbef binden, kann ich das Gedicht nicht für sehr alt halten;
doch fällt es wegen der unreinen Reime (meist zweisilbige Ass.)
wohl noch in den Anfang des XII. Jahrhunderts.
XIII. Verschiedene neue Zeilen.
XIII, 1. 9 c- — Dtimmler Zs. 23 p. 264. (bei Du Meril
1847 p. 10 anderer Text). Audite versus parabolae. 6 Str. zu
5 Z. mit Ass. in den meisten Zeilen, h 4. Bei Dümmler haben
von den 30 Zeilen 29 den Tonfell — ^ « __ ^ w — w , ni *r 6> 1
Si tantum vixisses tili mi. 27 haben Pause nach der dritten
Silbe, nur in 4, 5. 6, 2. 6, 5 fehlt sie. Also ist das Schema
__ \j \j
^ — ^ -}" — ^ w — w — » vielleicht eine rythmische Nachbildung
einer quantitir enden Zeile von 3 Daktylen.
XIII, 2. Coussemaker Hist. de Tharmonie p. 108 gibt 2
Versionen eines Gedichtes Jam dulcis amica venito, dessen
Rythmus ich noch nicht erkannt habe. Es sind meist Z. zu
9 — w, doch auch 9 ^ — und 10 w — Die Einmischung dak-
tylischen oder anapästischen Tonfalls scheint regelmässig zu sein.
XIII, 3. Dtimmler Zs. «23 p. 273 'Placidas fuit dictus'.
44 Str. zu 5 Z. mit einsilb. Ass. in 3 r- 5 Z. Die 2. Halb-
zeile ist stets sechssilbig und schliesst jambisch, sie hat 127
Mal den Tonfall w — ^_. ^ — , 93 Mal — « ^ _« — Die erste
Halbzeile schliesst stets trochäisch und besteht etwa 13 Male
aus 7 Silben zu ^ — «_w__^. Die übrigen Zeilen schli essen
mit — ^ w — «, welchen entweder 2 oder 3 Silben vorangehen,
so dass entstehen 76 Siebensilber zu — « — « ^ — «, 32 Acht-
silber zu — ww — v * — w sümite mödicum eibum, 90 Acht-
silber zu w — w__w « — w in ipsis finibus örat. Vielleicht liegt
eine Nachahmung des Paroemiacus zu Grunde, bei welcher nur
das letzte Paar von unbetonten Silben festgehalten wurde ; vgl.
No. 4. h viele, z. B. 14 in Z. 1 — 50.
XIII, 4. In dem Codex Palatinus, Vatic. No. 833 saec. IX,
stehen von fol. 49 an Epyt. civ. Piacent. Eccl. Beati Antonini;
Digitized by
>y Google
102 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 7. Januar 1882.
unter diesen lautet eines fol. 51 A nach der von Prof. Eugen
Bonnann gütigst mitgetheilten Abschrift : Epyt.
Quis mihi tribuat, ut fletus cessent inmensi
2 et luctus animae det locum vera dicenti?
Licet in lacrimis singultus verba erumpant,
4 de te certissime tuus discipulus loquar:
Te generositas, minister Christi parentum, %
6 te munda actio, Thomas, monstrabat honestum.
Tecum virginitas ab incunabulis vixit,
8 tecumque veritas ad vitae metam permansit.
Tu casto labio pudica verba promebas,
10 tu patientiam patiendo pie docebas.
Te semper sobrium, te cernebamus modestum.
12 Tu tribulantium vera consolatio verax.
Errore veteri diu Aquilegia caeca
14 Diffusam caelitus rectam dum rennueret fidem
Aspera viarum nioguidosque montium calles
16 Calcans indefessus glutinasti prudens scissos.
4 loquor Gruter 6 actio Gruter, actis cod. 8 vitar inetam
cod. 10 patientiam patiendo Meyer, patiens iam parcendo cod.
11 cernebamus cod., retinebamus Gruter. 1 2- tribulantium Meyer,
tribulantum cod.; vera scheint verderbt; eras? In diesem zu-
erst von Gruter (pag. MCLXIX No. 6) edirten und von Troya
(IV, III, 44) auf den in dem Gedichte von 698 (oben II, 22)
genannten Thomas bezogenen Inschrift fand Corssen (Ausspr. II,
1859, p. 397) schlecht gebaute Hexameter. Ich finde hier eine
interessante rythmische Zeilenart, bestehend aus 2 Halbzeilen,
zuerst einem Sechssilber mit jambischem Schlüsse ( v — v — u — )
und einem Achtsilber mit trochäischem Schlüsse, doch nicht
aus 4 Trochäen bestehend, sondern aus dem Schlüsse — ^ v — w ;
da a^uch die vorangehenden 3 Silben regelmässig den Tonfall
w — yj haben, so liegt es sehr nahe, in dieser Zeile ^ — ^ —
w v, — v eine rythmische Nachahmung des Paroemiacus zu sehen.
Diese Zeile ist also die Umkehrung der in XIII, 3 zumeist an-
gewendeten, h finden sich 3 ; Reim und Sinn gesellt die Zeilen
1 — 10 zu Paaren. Zeile 1 — 11 sind rein, nur in Z. 4 Takt-
wechsel in tuus. Zeile 12 — 16 weichen ab; der Schluss von
12 — 15 ist richtig — v v — u, allein es gehen 4 Silben voran;
in 13 diu kann wie in 10 patiendo Vokal Verschmelzung statt-
finden; in 12. 14 und 15 scheint sich der Dichter 4 Silben
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 103
statt der 3 gestattet zu haben, was, wenn er wirklich den
Paroemiacus nachahmte, nicht auffallend wäre, also ninguidösqiie
möntium cälles. In 15 ist der Anfang vielleicht herzustellen
Viarum aspera. Gibt es eine andere rythmische Inschrift aus
so alter Zeit?
XIII, 5. Petrus Dam. (Migne 145) hat eine neue Zeilen-
art :8w — -(- 7 o — in Strophen zu 3 Langzeilen, indem stets
die ungleichen Halbzeilen ein- oder zweisilbig reimen. No. 40 :
12 Str. zu 3 Z. Tw in 8 u_: 18, in 7 : 4. hl. No. 121
fcorr. Z. 1 auratis deum ,— domini ed. — citharis) 12 Str.
zu 3 Z. Tw 6 in 8 u— , 4 in 7. h 2. No. 172 : 3 Str. zu 3.
h 0. Tw 3 in 8 u_, 1 in 7 u_.
XIV. Schwankende Zeilen.
XIV, 1. Das interessanteste Beispiel der S. 61 charakteri-
sirten Compositionen von schwankenden Zeilen ist das in einer
Handschrift zu Montpellier (saec. X — XI) erhaltene Gedicht
über das Weltende 'Audi tellus' (hgb. von Paulin Blanc (1847)
in den Mdmoires de la Soc. arch. de Montpellier II p. 450 bis
510 mit vollständigem Facsimile ; ungenügend abgedruckt von
Coussemaker Hist. de l'Harmonie p. 116; vgl. Fetis Hist. de
la Musique IV p. 248 — 254). Es ist gleich merkwürdig wegen
des Inhalts als wegen der beigeschriebenen Neumen und. der
nicht erkannten Form, alphab. 24 Str. zu je 7 Langzeilen,
von denen Z. 3 — 6 stets, Z. 1 , 2 und 7 oft in 2 Halbzeilen
zerfallen. Einsilb. Reim oder Ass. bindet bald die Halbzeilen,
bald die Langzeilen, bald fehlt er. Die 7 Zeilen bilden 5, fast
ausnahmslos trochäisch schliessende Hauptgruppen, welche in
der Handschrift meist dadurch angedeutet sind, dass über die
betonten, vorletzten Silben in den Neumen das Zeichen n oder
f geschrieben ist. Die I. Periode, der Eingang der Strophe,
besteht aus den beiden ersten Zeilen, die beide trochäisch
schliessen, 21 Mal reimen und deren Ende durch das Zeichen f
über dem Schluss der 2. Zeile bezeichnet ist. Diese beiden
Zeilen sind die unregelmässigsten. Die erste besteht in 9 Str.
aus einer Z. von 9 — 13 Silben ohne Pause, in 14 Str. aus
der in diesem Gedicht sehr beliebten Verbindung von zwei Fünf-
silbern mit troch. Schlüsse (5 — ^ -f- 5 — «), in G aus 5 — ^
-\- 6 — w. Die zweite, kürzere Z. besteht in 5 Str. aus 10 bis
• 1 4 — « , in 11 Str. aus 7—9 — ^ , in 7 Str. aus 5 — « +
5 — ^ . IL Periode.) Die 3. Z. ist bezeichnet durch f im
Digitized by
Google
104 Sitzung der phüos.-phüol . Classe vom 7. Januar 1882.
Schlüsse der 2. Z. und n in ihrem eigenen Schlüsse. Sie ist
die Hauptzeile der Strophe, denn in ihr allein haben die beiden
Halbzeilen, in die sie stets zerfällt, ausnahmslos die gleiche
Silbenzahl. Der Eythmus der Basis ist schwankend; in 10 Str.
6 — w (mit Tw in Str. X), in 14 Str. 6 ^ — und zwar in
7 Str. — w ^ , — « — und in 7 andern : w — ^ »_ « — . Die
2. Halbzeile schliesst stets trochäisch ; l ) der eigentlich jam-
bische Tonfall w _«__ v _ « ist nur in 6 Str. beachtet; 9 Str.
haben — ^ — ^ ^ — «, 7: — ^ ^ , — « — ^ . Demnach sind ab-
zuth eilen die Zeilen
N Eorumque linguae claves caeli sunt factae.
(vgl. II, 3 Paulinus Aqu. 'eorum linguae claves caeli factae
sunt).
R Erumpent locustae hactenus numquam visae.
X Sanctorum cum eo agmina angelorum.
Y Rapiet (capiet) aeternos Satanas cruciatus.
III. Periode.) Im Schlüsse der 4. Z. steht 11 Mal das Zeichen n.
Die beiden Halbzeilen reimen 12 Mal. Die erste Halbzeile be-
steht stets aus 5_~, die 2. 13 Mal aus 5_^, 10 Mal aus
6 Silben und zwar 3 Mal aus — w _ « __ ^ , 7 mal hat sie jam-
bischen Schluss mit — ^ ^ — ^ __. IV. Periode.) Die 5. und
6. Zeile in C enthalten ein Citat und sind unregelmässig. In
12 Str. reimen dieselben, die 6. Zeile schliesst stets trochäisch
und ist 21 Mal durch n bezeichnet. Die 5. Zeile besteht nie
aus 5 — « -f- 5 — « , sondern die 1 . Halbzeile hat 3 Mal 5 — ^ ,
1 Mal 6 , 1 Mal 7 , 5 Mal 6 ~_, U Mal 7 «- (in
E 8 — ^ ? in G ist zu schreiben quj cum sit de semine | natus
iniquo); die 2. Halbzeile hat 8 Mal 5 — ^,3 Mal 6 — ^, je
1 Mal 6 -— und 7—«, und 10 Mal 7 Die 6. Zeile
bildet die erste Halbzeile 10 Mal aus 6 ^ — (5 Mal mit Tw),
die zweite aus 6 — « in M O fi (mit Tw in ß) ; in den übrigen
Strophen besteht sowohl die 1. wie die 2. Halbzeile aus 5— ^.
(In G ist wohl zu stellen Dicet de virgine j se procreatum).
V. Periode.) Die Schlusszeile reimt 14 Mal mit der 6. Zeile,
sie schliesst trochäisch und ist im Schlüsse 21 Mal durch n
gezeichnet. Sie ist meistens eine Langzeile ohne Pause (vgl.
Z. 2) von 7 — 9—^, 4 Mal besteht sie aus 5— w -{-' 5— w.
1) nur die überhaupt unregelmässige Str. C hat undique formidines;
in Str. M 'candelabra lucentia 1 (bei Paulinus Aqu. 2, 1 candelabra luce
radiantia) bildet ia eine Silbe.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und Über lat. Bythmen. 105
Die verschiedenen Refrainzeilen haben theils jambischen, theils
trochäischen Schluss mit Reim ; z. B.
Veni benigne (veni ?) rex pie.
subveni redemptis pretioso sanguine.
(vgl. Paulinus Aquil., oben II, 3, purpurata precioso sanguine).
Spes quibus ianuae nulla est reseranda (ae?).
w _
Abgesehen von der feststehenden dritten Zeile zu 6 -« -[" 7 — ^
sind also besonders Fünfsilber mit trochäischem Schluss ver-
wendet. Jedoch sind Halbzeilen eingemischt, in denen vorn
oder hinten eine oder zwei Silben zugesetzt sind (6 — « , 6 ^ — ,
7 «_, 7 — w), wobei aber von den jambisch schliessenden Reihen
nur einige zu 6 «.— im Schluss der 4. Zeile, die übrigen
zu 6 ^ — und 7 w — nur in der 5. und in der ersten
Halbzeile der 6. Zeile, und die Siebensilber mit trochäischem
Schluss (7 — «) nur in der 8. Zeile zugelassen sind. Von den
Ftinfsilbern haben über 100 den Tonfall — « - — «, etwa 17:
^ — ^ — ^ . Der Dichter hat also in den entsprechenden Zeilen
weder die Gleichheit des Tonfalles noch der Silbenzahl festge-
halten, aber dennoch, wie z. B. der so verschiedene Charakter
der 3., 4. und 5. Zeilen zeigt, Gesetze und Grenzen beobachtet.
Vielleicht gelingt es noch durch genaueres Studium, welches
dies merkwürdige Gedicht verdient, dieselben schärfer zu be-
stimmen. l )
XIV, 2. Cambridge No. VI a. 1Ö28 de Heinrico coronato,
13 Str. zu 3 Langzeilen; jede Langzeile zerfällt in 2 einsilbig
reimende Halbzeilen. I. Langzeile 1) Halbzeile ist 4 — ^ 5 Mal,
die Italia 1 Mal, 5—w 4 Mal, 6— w 3 Mal. 2. Halbzeile
5 — w 5 Mal, die pia Gallia 1 Mal, 6—^7 Mal. II. Lang-
zeile 1 . Halbzeile : cum Germania 1 Mal, 5 — « 6 Mal, 6 — «
1 Mal, 6^—5 Mal. Zweite Halbzeile: 5-« 12 Mal, 7 - —
1 Mal. III. Langzeile: 1. Halbzeile 5 — - 7 Mal, 6—^6 Mal.
2. Halbzeile 5—- 10 Mal, 6^—1 Mal, 7 «— 2 Mal. Also
12 jambisch schliessende Halbzeilen; sonst 5 Mal 4 — ^ in der
ersten Halbzeile. Von den 44 Z. zu 5 — « sind 34 — « « — « ,
10 w — « — « betont, von den 16 Z. zu 6 — w 13 zu — ^ — « __ w ,
o zu *-» — — *-» v ^ .
1) Vielleicht ist noch zu schreiben: Str. C2 (nee ullum) erit robur
in illis. D5 Commeatns navium; cum raeatus cod. F3 laude dignus
est (cod. et) pravus. K 3 Dividat (dividet cod.) O 4 in Sodoma (Apoc.
XI, 8. cod. Edomes).
Digitized by
Google
106 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Januar 1882.
XIV. 3, Du Menl 1843 p. 156. Mtillenhoff und Scherer
Denkmäler No. XII de S. Gallo. Ekkehard IV schreibt: Rat-
pertus moDachus Notkeri condiscipulus fecit Carmen barbaricum
populo in laudem S. Galli canendum, quod nos ut tarn dulcis
melodia latine luderet quam proxime potuimus in latinum trans-
tulimus. 17 Str. zu 5 Langzeilen, in denen die 1. und 2.
Halbzeile ein- oder zweisilbig reimen, h nur 4, 1 und 17, 5.
Der Bau der 4 ersten Zeilen der Strophen «ist gleich. Die 2.
Halbzeile besteht 37 Mal aus 7—^, 30 Mal aus 8 ^— (nur
8, 3 deum meum invocabo) und beginnt stets jambisch, so
dass, das einzige Beispiel dieser Art aus so früher Zeit, alle
Zeilen reinen jambischen Fall haben. Die erste Zeile ist 41
Mal 6--, 24 Mal 7 -_, 3 Mal (7, 1. 8, 2. 3.) 7 _« (1, 2
scheint misit an die Stelle des überzähligen unquam gesetzt
werden zu müssen). Diese Halbzeile beginnt etwa 10 Mal mit
« — , sonst mit — ^. Die 1. Halbzeile der 5. Langzeile besteht
aus 6-w 12 Mal, 7_- 1 Mal, 7^-2 Mal, 8 -_- 14, 5,
8 — w 16, 5 und beginnt stets mit — ^. Die 2. Halbzeile be-
steht aus 6 — v 4 Mal, 7 u _ 7 Mal, 7 —v 4 Mal und je
1 Mal 8 — ^ und 8 ^ — ; sie beginnt stets mit — ^ .
Von den Strophen.
Wie mühsam und langsam die rythmische Dichtweise
von der Herrschaft der Formen der quantitirenden Poesie
sich frei machte und sich eigene Wege bahnte, zeigt die
Geschichte der Strophen noch deutlicher als die der Zeilen-
arten. In den gleichzeiligen Gedichten des Horaz sind die
Zeilen meist zm Gruppen von 4 Zeilen zusammengestellt,
in dem Gedicht des Augustin sind je 10 oder 12 Zeilen
gruppirt. So bilden auch die Zeilen der meisten rythmi-
schen Gedichte gleichförmige Gruppen, die ich oben notirt
habe: die troch. Fünfzehnsilber meist Gruppen von 3 Z.,
doch auch oft von 2 oder 4 Z.; die troch. Achtsilber
Gruppen von 4, 6, 8, 10 oder 12 Z. ; die jamb. Trimeter
von 2, 3, 4 und gern von 5 Z., die jamb. Achtsilber von
2, 6, 8, 12 und besonders häufig von 4 Z. Auch die übri-
gen Zeilenarten bilden gern Gruppen von 4 Z. ; doch finden
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 107
sich auch Gruppen zu 3 (X, 3. XIII, 5. XIV, 2), zu 5 (XIII,
1. 3) und zu 6 Z. (XII, 1. 3). Ferner wiederholte Augu-
stin am Schlüsse jeder Strophe einen gleichlautenden Vers:
in der quantitirenden Poesie ist die einfachste Strophenart
die sapphische, in welcher drei gleiche Zeilen durch eine
Kurzzeile abgeschlossen werden. Diese beiden Refrainarten
finden sich auch in der rythmischen Poesie: die gleichen
Zeilengruppen haben bald eine Zeile derselben Art zum
Refrain (TI, 14. 15. 23. III, 3. 8. 5. V, 3. VIII, 13. 16.
IX, 4. XI, 1. XII, 2. XIV, 2), bald eine andere meist kürzere
(I, .18. 33. 44. II, 11. 26. VII, 1. 2. XIV, 3); zu den letz-
teren gehören die sapphischen Strophen (VI) und die pseudo-
sapphischen, aus drei Trimetern und einem Fünfsilber ge-
bildeten Strophen (II, 1. 8. 9. 10. 12. 17. 19). Dann bilden
bei Commodian die ersten Buchstaben der Zeilen oft Wörter,
bei Augustin bestehen die Initialen der 20 Strophen aus den
Buchstaben des Alphabets, Spielereien, die bei den späteren
quantitirenden Dichtern nicht selten sind. Unter den alten
rythmischen Gedichten sind viele Abecedarien, so unter den
troch. Fünfzehnsilbern 13 Gedichte (in I, 30 bilden die An-
fange der Halbzeilen das Alphabet), unter den Trimetern
9 Gedichte (in II, 14 beginnt auch jede 2. Zeile mit dem
betreffenden Buchstaben), unter den troch. Achtsilbern No. 3
und 6 (in No. 6 beginnt auch die letzte Zeile der Strophe
mit dem betr. Buchstaben), unter den jamb. Achtsilbern 4 Ge-
dichte (in VIII, 13 beginnen in A und D sämmtliche Zeilen
mit A und D) ; vgl. V, 3. IX, 4. XI, 1. XIV, 1; Namen
oder Wörter bilden die Initialen in I, 2. 6. 41. II, 22 (in
VIII, 22 die Initialen der Kurzzeilen). In den altirischen
Gedichten I, 29. 31. 32 steht am Schlüsse eine Gruppe von
Zeilen anderer Art.
Strophenbildung zeigt sich erst spät. Wir finden
aber abgesehen von den sapphischen und pseudosapphischen
Strophen, die eigentlich nur aus gleichzeitigen Gruppen mit
Digitized by
Google
108 Sitzung der phüos.-phÜol. Classe vom 7. Januar 1882.
einem refrainartigen Schlüsse bestehen, nicht die Strophen
der quantitirenden Poesie nachgebildet, sondern neue Arten.
In dem sehr alten Gedichte IX, 6 folgen sich zwei Lang-
zeilen zu 7 — ^ + 7 ^ — und eine Schlusszeile zu 7 ^ —
mit Reim am Schlüsse der 3 Zeilen. Gotschdlk (VII, 1)
lässt auf den stets sich wiederholenden Eingang deus
miseri, miserere servi ein Paar Langzeilen zu 8 — ^ + 6 — v
folgen und das Ganze durch den Refrain heu quid evenit
mihi abschliessen. Die Halbzeilen zu 8 — ^ und zu 6 — ^
und die Refrainzeilen, alle reimen auf i.
XV, 1. Ein anderes Gedicht Gotschalks *Ut quid iubes' (so,
nicht quid iubes, nach dem Facsimile bei Coussemaker Hist.
de 1'Harm. pl. II) bei Du M&il 1843 p. 253 besteht aus den
Zeilen 8^ — , 8 ^ — , 8 — <-- , 8 — ^, 4 — ^ mit dem Eefrain
cur iubes canere. Auch hier reimen alle Zeilen auf e. Der
Bythmus von 942 (oben VII, 2) wiederholt dreimal die Lang-
zeile von 4 — ^ + 4 — ^ + 4 — v , an die sich eine Zeile zu
4 — ^ -j" ^ — v UQ d ei Q Refrain von 2 Zeilen zu 4 — ^ +
4 — v schliesst. Es reimen die 3 Langzeilen und die erste
Kurzzeile.
XV, 2. Nur der strophenähnliche Bau, 6 + 6 + 8 Silben
(Audi nos Rex Christe, Audi nos domine, Et viam nostram
airige.) und der in den 3 Zeilen gleiche Reim ist es, wesshalb
man den alten Pilgergesang bei Boucherie Melanges p. 33 noch
zu den Rythmen rechnen kann. Denn sonst ist in diesen 38
Strophen, von denen die ersten 6 alle mit e reimen, weder auf
Rythmus noch auf Gleichheit des Zeilenschlusses geachtet. Im
Hymnus auf den h. Gallus (XIV, 3) folgt auf 4 unter sich
gleiche Langzeilen eine von diesen verschiedene Zeile. Das Merk-
würdige ist, dass während die beiden Halbzeilen jener 4 Lang-
zeilen ungleich sind und die erste meistens mit — ^ , die zweite
stets mit ^ — anhebt, die beiden Halbzeilen der 5. Zeile ein-
ander ähnlich sind und beide mit — ^ anheben.
Endlich regt sich neues Leben. In dem Gedicht über das
Weltende (XIV, 1) liegt sicherlich, so sehr die schwankenden
Zeilen auch die Erkenntniss des Gesetzes erschweren, eine ziem-
lich mannichfaltige Strophenform vor. Dies war gewiss die
Folge jener kühnen Strophenconstructionen, die von den Se-
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über tat. Bythmen. 109
quenzendichtern gewagt wurden. So finden sich in der Cam-
bridger Sammlung unter die Gedichte in Sequenzenform meh-
rere rythmische mit entwickelten Strophenformen gemischt.
XV, 3. Cambridge No. XX, Rachel, ist nur ein Fragment
von 2 1 ,'* Strophen. Auf 3 Langzeilen zu 4—^ + 4 — ^ -f-
7 kj — folgen 2 Kurzzeilen zu 7 ^ — ; der gleiche einsilbige
Reim bindet die 5 Zeilen, h und Tw findet sich nicht.
XV, 4. Cambridge No. III de mortuo Heinrico II, a. 1024.
8 Str. Auf zwei gleiche Zeilen zu 6 — ^ , die unter sich reimen,
folgen eine Zeile zu 8 — ^ und eine zu 5 — ^ , die wiederum
unter sich reimen. Diese 4 Zeilen wiederholen sich und dann
folgt in jeder Strophe der Hexameter 'Heinrico requiem rex
Christe dona perennem'. Der Reim ist meistens zweisilbig.
Unter den 32 Sechssilbern finden sich 5 mit Taktwechsel und
2 Z. zu 6 ^ — ; von den 16 Zeilen zu 8— ^ zerfallen 13 in
in 4 — v ~\- 4—^, 2 haben Taktwechsel und 8, 2 lautet ut
quiescat post obitum; die 16 Zeilen zu 5 — ^ haben alle den
reinen Tonfall — ^ ^ — <~>. h 5.
XV, 5. Petrus Damian, Migne 145 p. 939 No. 62. 5 Str.
de Maria. Der hauptsächlichste Bestandteil ist die Zeile zu
\j —
7 v/ — . Es folgen sich nemlich eine Langzeile zu 3 — u -f- 7 v/ — ,
eine Kurzzeile zu 7 v — und 3 Langzeilen zu 4— ^ -}- 7 ^ — .
Die 1. Zeile reimt mit der 2., die 3. mit der 4. und 5. Zeile.
Der Reim ist meistens zweisilbig, h 2. Taktwechsel sind 6 in
7 v — ; statt 4 — ^ steht 1 Mal 4 ^ — .
Von den Rythmen des XII. und XIII. Jahrhunderts.
Erstrecken wir auch die erste Periode der rythmischen
Dichtung über 500 Jahre, so ist doch von den Erzeugnissen
derselben nicht viel zu rühmen: der Bau der Zeilen ist
meistens roh, der Reim nicht regelmässig und meistens un-
bedeutend, die Zeilenarten wenige und nur Nachahmungen
von altrömischen, die Strophenarten endlich äusserst wenige
und unbeholfene. Das änderte sich um das Ende des XI. Jahr-
hunderts. Die rythmische Dichtweise in lateinischer Sprache
blühte ähnlich wie die in deutscher oder in den romani-
schen Sprachen. Die epischen Dichtungen waren allerdings
Digitized by
Google
HO Sitzutig der philos.-phüol. Clause vom 7. Januar 1882.
fast alle den quantitirenden Hexametern aufgespart, allein
die dramatische und insbesondere die lyrische Dichtung be-
dienten sich der rythniischen Formen zum einfachsten Liede
wie zum kunstreichen Leiche, zum frechen sinnlichen Ge-
dichte wie zu den frommen Gesängen, welche noch jetzt
von der Kirche festgehalten werden. Natürlich zeigen auch
die Gedichte die verschiedensten Stufen von Kunstfertigkeit.
Heiner von Lüttich hat sich noch um 1180 trochäische
Fünfzehnsilber und jambische Sechssilber der Art erlaubt:
Exscribensque communiter tuo quaeque libitu
admisi poetico synaloephas passim ritu.
Salutis amice Efficax medice.
Er gesteht freilich, er habe die dazu gehörigen 480 Hexa-
meter in 5 Tagen gemacht. Allein auf der andern Seite
stehen hervorragende Meister. Von ihnen scheint mir bis
jetzt Äbaelard der wichtigste zu sein, und es ist um so mehr
zu bedauern, dass seine Gedichte theils so ungenügend theils
noch gar nicht edirt sind. 1 ) In den kurz vor 1130 für
Heloise und ihre Genossinen gedichteten Hymnen zeigt er
1) L. Gautier, Les epopees Franc. I, 1878, p. 312 'ün grand
nombre de Rhythmes inedits d'Abailard se trouvent dans le 'Breviaire
du Paraclet 1 , qui est conserve a la Bibliotheque de Chaumont (Haute-
Marne) 1 . Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass, so weit das
bis jetzt veröffentlichte Material zu schliessen erlaubt, Abaelard's Ge-
dichte weitaus die wichtigsten sind zur Beurtheilung der Frage, wie
die Formen dieser Blüthezeit der rythmischen Dichtung sich gebildet
haben; und wenn ich recht sehe, so sind sie auch von Wichtigkeit zur
richtigen Beurtheilung der von den frühesten provenzalischen Dichtern
angewendeten Formen. Die von Cousiu und bei Migne (178 p. 1775 —
1816 genauer nach der Handschrift) gedruckten Hymnen lassen sich
vielfach verbessern. Dass Greith die 6 Planctus sehr schlecht aus der
Vaticanischen Handschrift Reg. 288 abgeschrieben hat, zeigte mir das
Studium ihrer Rythmen und die Vergleichung des 3. Planctus, welche
mein Freund E Monaci mir besorgte. Eine neue Ausgabe der gesammten
Rythmen mit genauer Untersuchung ihrer Formen ist dringend zu
wünschen.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 111
grosse Feinheit im Bau der Zeilen, überraschenden Reich-
thum an verschiedenen Zeilenforinen, aber ziemlich einfache
Strophenformen. Die Einfachheit in diesen hat er gewiss
nur mit Rücksicht auf die Bestimmung dieser Hymnen ein-
gehalten; denn in den Planctus, besonders dem 3. und 4.,
zeigt er seine Kraft auch im kühnen Aufbau von grossen
Leichen. Die Gedichte, welche in dem göttinger Quaternio
den Namen des Archipoeta tragen und die wenigen, welche
ziemlich sicher dazu gehören, zeigen keinen besonderen
Reichthum, aber hohe Reinheit der Formen, und der Dichter
hat seine genialen Gedanken gewiss nicht so schnell in
Worte gefasst, wie er sagt. Die reinsten und keuschesten
Formen gab Adam von S. Victor seinen zum Theile noch
jetzt fortlebenden geistlichen Dichtungen. Die Gedichte,
welche in der Pariser Handschrift unter dem Namen des
Walther von Chatillon vereinigt sind, zeigen keinen grossen
Reichthum, wohl aber manche Unreinheiten der Formen,
welch letztere nicht der schlechten Ueberlieferung oder Aus-
gabe allein zuzuschreiben sind. Sind von den lateinischen
Dichtungen des XII. und XIII. Jahrhunderts auch viele
untergegangen, viele noch nicht veröffentlicht, so beweisen
doch die gedruckten Sammlungen der Hymnen, die Carmina
Barana und das, was einzeln besonders von Wattenbach
veröffentlicht worden ist, den ausserordentlichen Reichthum
der rythmischen lateinischen Dichtung dieser Zeit, so dass
dieselbe im Verein mit ihrer Schwester, der quantitirenden
lateinischen Dichtung, den Vergleich mit den nationalen
germanischen oder romanischen Literaturen nicht zu schenen
braucht.
Diese reiche Thätigkeit hat sich auch einen wunder-
baren Reichthum von Formen und mannigfache Gesetze
für deren Anwendung geschaffen, und in deren allgemeiner
Anwendung zeigt sich der internationale Charakter der
lateinischen rythmischen Poesie. Es sind uns einige _ A&t
Digitized by
Google
112 Sitzung der phüos-phüd . Classe vom 7. Januar 1882.
leitungen für die Anfertigung rythmischer Gedichte er-
halten, welche meistens ans den grosseren Anweisungen für
schriftstellerische Thätigkeit, den Artes dictandi, genommen
sind. Zarncke hat (in den Berichten d. sächs. Ges. d. Wiss.
1871 S. 34 — 96) mehrere derselben veröffentlicht; sie lassen
sich aas Handschriften vermehren und verbessern, wie z. B.
die wichtigste Abhandlung bei Zarncke S. 55 — 81 nichts
Anderes ist als ein sehr entstellter Auszug aus der Poetria
des Magister Johannes Anglicus de arte prosaica, metrica
et rithmica. 1 ) Allein diese Tractate sind spät entstanden
und sprechen nur Weniges über einige Zeilenarten, dagegen
viel Nutzloses über die Construction der einfacheren Stro-
phen. So müssen wir fast Alles selbst aus den Gedichten
zusammen suchen. Es ist nur natürlich, dass Formen, welche
allen möglichen Gefühlen zum Ausdrucke dienten, in der
verschiedensten Weise behandelt wurden. Von der Reimprosa
an finden sich alle Zwischenstufen bis zu dem sorgfäl-
tigsten Versbau; in den kecken Studentenliedern ist beson-
ders in der Vagantenzeile, die aus einem trochäischen Sieben-
und Sechssilber besteht (7^_ -f- 6— ^), oft dem einen
oder dem andern Halbvers eine Silbe vorgesetzt ; der Schluss
der Zeilen ist selten verletzt. Der Tonfall der Zeilen ist
viel regelmässiger geworden ; die trochäischen Reihen haben
weniger Tonwechsel und auch in den jambischen Reihen
findet sich nicht mehr wie früher trochäischer Anfang in
der Ueberzahl. Dann lassen sich bei den besseren Dichtern
für die Anwendung des daktylischen Tonfalls, der bei Takt-
wechsel entsteht, Gesetze aufstellen, die in manchen Zeilen-
arten fast nie verletzt sind. Der Hiatus ist bei den besten
Dichtern fast gänzlich verbannt und selbst bei denen, welche
1) Handschriften sind in München Cod. lat. 6911 und in Brügge
cod. No. 564; vgl. Delisle Not. et Eitr. 27, 2 p. 81. Weder Rockinger
(in Quellen und Erörterungen IX, 1 p. 485) noch Andere haben diesen
wichtigsten Theil der Schrift gewürdigt.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 113
minder auf die Form achten, nur in beschränktem Maasse
zugelassen. Der Reim ist zu einem Hauptmerkmale ge-
worden. Jede Langzeile und sehr oft auch die Halbzeile
ist mit Reim belegt; dieser selbst ist nur im Anfange dieser
Periode noch als einsilbige oder zweisilbige Assonanz zu
finden ; bald, etwa von 1150 an, sind es nur die formlosesten
Gedichte, in denen nicht die beiden letzten Silben gleiche
Vokale und Consonanten haben. Die reinen Reime stehen
bald paarweise, bald gekreuzt, bald in längeren Reihen ; oft
verbinden und verschlingen sie die Zeilen der grösseren
Strophen in bunter Mannichfaltigkeit.
Was aber dieser Periode vor Allem ihr Gepräge gibt,
das sind die neuen Zeilen- und Strophenformen und der Auf-
bau der ganzen Gedichte. Sonst wird der Genuss dessen,
was das Mittelalter hervorgebracht hat, oft gestört durch
dessen Nachäffuug von Autoritäten; konnte man in der
Bibel, in einem Kirchenvater oder alten Klassiker ein Vor-
bild finden oder zu finden glauben, so war die stärkste Ge-
schmacklosigkeit entschuldigt, ja als Zeichen von Gelehr-
samkeit rühmlich; an den Formen der rythmischen Dicht-
kunst können wir, wie an denen der mittelalterlichen Bau-
kunst reine Freude haben. Denn hier galt nur, was für
passend und schön befunden wurde.
Schon im Anfange treffen wir bei Abaelard eine Fülle
neuer Zeilen- und Strophenarten. Das Verhältniss der An-
fänge dieser neuen Richtung der lateinischen Rythmik zu
den Anfangen der provenzalischen ist nicht klar. Die Mög-
lichkeit besteht, dass einzelne der neuen Zeilen- und Strophen-
arten den Gesangsweisen des Volkes oder auch der Kunst-
dichter nachgeahmt waren, doch für die Mehrzahl ist es
sicher, dass sie nur Erfindungen der Dichter waten. Neben
den schon früher gebräuchlichen Zeilen zu 8—^ +7^ —
und 6 ^ — + 6 ^ — findet sich in den weltlichen Gedichten
der Zehnsilber 4 — w + 6 ^ — und vor Allem der Drei-
[1882. 1. Philos.-phüol. hist. Cl. 1.] 8
Digitized by
Google
114 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
zehnsilber , die sogenannte Vagantenzeile 7 ^ — + 6 — ^
angewendet.
Die Zeilen traten zu Gruppen zusammen, noch öfter
wurden aus den verschiedenen Zeilenarten Strophen gebildet,
anfänglich so, dass einem Paar gleicher Zeilen ein Paar
anderer Zeilen folgt, oder dass das eine Glied einer Lang-
zeile verdoppelt wurde und diesem Paare die andere Halb-
zeile folgte, wie die berühmte Hymnenstrophe zu 8-w +
8— v, + 7 w — ; 8— w -f 8— v, 7 v— aus 2 Fünfeehn-
silbern entstanden ist, oder zwei verschiedenen Paaren oder
Langzeilen eine dritte als Schluss angereiht wurde. Auf
dieser Grundlage wurden dann oft sehr kunstreiche und
vielfach zusammengesetzte Strophen gebildet, in denen nicht
nur die gewöhnlichen Kurzzeilen angewendet, sondern auch,
wahrscheinlich nach den Gesetzen des künstlicheren Ge-
sanges, öfter jene Kurzzeilen in Theile zerlegt wurden.
Die Gedichte wurden meistens aus gleichen Strophen
gebildet; doch die künstlicheren vereinigten in sich meh-
rere Strophenformen. Entweder folgte auf ein Paar gleicher
Strophen ein Paar anderer Strophen, auf diese wieder ein
Paar von neuen Strophen u. s. f., wie in der Sequenzen-
form, oder einer Reihe verschiedener Strophen folgte eine
» zweite Reihe, in welcher dieselben Strophenarten in der
gleichen Ordnung wiederkehrten, oder es wurden endlich
verschiedene Strophen zu einer oder zu mehreren Gruppen
frei zusammengestellt. In diesen Gedichten wurden an die
Kunst des Dichters die höchsten Anforderungen gestellt,
und so finden wir hier einige Male quantitireud gebaute
Stücke mit rythmisch gebauten, ja einmal sogar quantitirend
und rythmisch und dazu nach Art der alten bloss silben-
zählenden Prosen gebaute Stücke zu einem Ganzen ver-
einigt. Sehen wfr bei dieser ganzen Entwicklung auf das,
worauf es bei Kunsterzeugnissen besonders ankommt, auf
die Schönheit und die Mannichfaltigkeit, so ist Ausserordent-
Digitized by
Google
Wflh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 115
liches geleistet worden. Wenigstens in den Strophen ist
das Ideal eines harmonischen Baues vielfach erreicht worden.
Durch den Eifer war die Leichtigkeit des Schaffens gewachsen;
mit der Leichtigkeit der Kunstthätigkeit stellte sich aber
bald die Küpstelei ein. Die rythmische Dichtung starb
dann allmählich ab; allein sie hatte sich nutzbar gemacht.
Sie hatte nicht nur vielen begabten Dichtern die Formen
geboten, in denen sie ihre fröhlichen oder ernsten Gefühle
ausprägten, sondern sie war auch in hervorragendem Maasse
Gemeingut und Bindemittel der verschiedenen Nationen ge-
wesen und hatte Anfangs als Lehrmeisterin, dann als mah-
nende oder wetteifernde Freundin auf die nationalen roma-
nischen und germanischen Dichtungen einen nachhaltigen
Einflnss geübt, unter dessen Nachwirkungen die heutigen
, Dichtungsformen stehen.
Von der Silbenzahl der Zeilen.
Auch in dieser Periode finden sich vielfach die den
echten Rythmen verwandten Stilarten. Selten natürlich sind
die nach Art der alten Sequenzen gebauten Strophen. In
dem kunstreichen Leiche Bur. 39 p. 127 ist nach den Worten
des Dichters auch die Prosenform angewendet; ich kann
dies nur auf den Anfang beziehen, wo nach einer Einlei-
tung von 2 X 13 Silben zwei Strophen folgen, welche aus
Zeilen von 12, 19, 17, 16 und 15 Silben mit dem Reime
etar in der ersten, isit in der zweiten Strophe bestehen;
auch im Schluss der 3. und 4. Strophe sind die Reihen mit
dem Reime amen, bez. orte wohl nach Prosenart gebaut.
Näher als die S. 66 erwähnte reine Reimprosa steht
der Rythmik jene Art von Knittelversen, in denen z. B. die
Biblia pauperum geschrieben ist:
Incipit Speculum humanae salvationis
in quo patet casus hominis et modus reparationis.
\ 8*
Digitized by
Google
116 Sitzung der phtlos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
Oder: Nullam sustineret debilitatem vel lassitudinem
numquam sentiret infirmitatem vel aegritudinem.
Der Reimprosa näher steht die Historia Apollonii Tyrii
Bur. 148 p. 53, wo bald lange bald kurze Glieder reimen,
oft mit einer Art Refrain. Die 116 Zeilen .von Bur. 17
p. 14 sind wohl in 58 Langzeilen zu gruppiren, deren 1. und
2. Halbzeile reinen zweisilbigen Reim haben. Die Silben-
zahl der Halbzeilen schwankt von 5 zu 9, besonders häufig
finden sich die Siebehsilber. 8 Langzeilen haben jambischen
Schluss, die andern trochäischen. In Bur. 22 p. 24, wel-
ches Gedicht sich nicht auf das Jahr 1188, sondern auf das
Jahr 1146 bezieht, da jene auch von Otto von Freising,
Gesta Frider. Prooem., erwähnte Prophezeiung (und zwar
nach der kürzeren Fassung bei Jaffe Bibl. I, 64 und besser
bei Giesebrecht IV, Docum. B, 6) in der 4. und 5. Strophe
verarbeitet ist, reimt ebenfalls eine Kurzzeile auf die andere
(einsilbig) ; dieselben bestehen aus 8 Silben mit jambischem
oder 7 mit trochäischem Schlüsse (ohne Hiatus) In Bur.
192 p. 73 schwanken die lateinischen Zeilen zwischen 7 ^— ,
7— u, 8w- und 8— v. Bur. 197 + 198 p. 76: einige
Stellen sind in 7 u_4-6-v;, andere in 8 — ^ geschrieben ;
sonst sind es einfache Kurzzeilen zu 6 — ^ , 7 ^ — , 7 — ^ ,
8—u und 9— u, meistens zu 3 oder 4 reimend. Vgl. Bur.
182 p. 242, 158 p. 223, 51 p. 145. An das S. 60 er-
wähnte altirische Gedicht (IV, 3) erinnert das Kneiplied
Bur. 175 p. 235, dessen erste 20 und letzte 26 Zeilen reine
troch. Achtsilber sind, während 10 Zeilen in der Mitte zum
Scherze auf 9, 10 und 11 Silben steigen.
Hievon zu unterscheiden sind diejenigen Gedichte, in
welchen der regelmässigen Zeile hie und da eine Silbe vor-
gesetzt ist. Es sind dies insbesondere manche kecke, in
der Vagantenzeile geschriebene Gedichte der Carmina Burana ;
so 78 p. 165. 25 p. 27. 125 p. 199 und andere. Vielleicht
ist auch 176 p. 236 die scherzhafte Nachbildung eines Ge-
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 117
dichtes von feinen Formen. Wie es hiebei zuging, zeigt
die Vergleichong der nicht eben genau gebauten einleiten-
den Stro'phA 1 — 4 von Bur. 36 p. 121 mit ihrer Parodie
Str. 1—4 von Bur. 174 p. 223.
Dies sind aber nur vereinzelte und seltene Ausnahmen.
Die allgemein befolgte Regel war, dass die entsprechenden
Zeilen gleichviel Silben zählen müssten. 1 )
Vom Schlüsse der Zeilen.
In den Schluss der Zeilen (siehe S. 51) wurde in dieser
Periode selten, aber immerhin häufiger als in der 1. Periode
ein einsilbiges Wort gestellt. Sehr häufig finden sich im
Schlüsse der nicht mit Beim belegten Zeilen die Pronomina
und andere Hilfswörter der Sprache also hie et hoc, doch
bei Walther von Chat, auch silvestre mel, Caesar vim, äquilä
quae sie und Aehnliches. Im Reime werden lieber voll-
tönende einsilbige Wörter genommen. So hat der Archi-
poeta in No. III 19 Hexameter der Art
Consilio cuius regitur validaque manu ius,
wo natürlich V. 21 pretundo mit der Handschrift zu bessern
ist in:
Unde vereeundo vultu tibi verba precum do.
(V. 4 ist haec und V. 19 non a ganz deutlich). So wundern
wir uns nicht bei ihm die Versschlüsse forte:' vereor te:
veste : penes te ; pascor : vas cor ; rectus : nee thus und sonst
1) Joh. Anglicus (p. 68 Zarncke bemerkt von den Eigenschaften
des Rythmus 'Conpar in numero sillabarum ponit pares sillabas in
nnmero in latino sermone praeeipue, quia qui componunt cenographa
romana, componnnt rithmos ita, ut paritas esse videatur in sillabis, licet
non sit; zu cenographa (ornagrapha bei Z ) bemerkt ein Scholion 'Ceno-
grapha dieuntur a cenos quod est commune et graphos quod est scrip-
tura, quasi communis scriptura.' Joh. Angl. scheint den romanischen
Dichtern faktische Ungleichheit der Silbenzahl vorzuwerfen.
Digitized by
Google
118 Sitzung der phüm.-phüdl. Classe vom 7. Januar 1882.
ähnliche zu finden ; z. B. in Strophe 29 Ton Ganymed und
Helena (Zeitschr. f. d. Alt, XVIII p. 127) super te, aperte,
per te, pater te.
Unter diesen letzten Beispielen sind 2 Fälle einer sel-
tenen Art. Die der quantitirenden Formen oft ebenso ge-
wohnten Dichter hielten auch im Schlüsse der rythmischen
Zeilen hie und da die quantitirende Messung der Wörter
fest. So reimt Walther von Chat, loqui: egö qui; cönfert:
lucrüm fert ; bei Radewin finden sich Schlüsse ä deö ; ab e6 ;
m eä; bei Mone 1041 exitium: cor piüm; ceciderunt mäni-
bus: vöto titulo quibüs; ja Bur. 84 p. 171 sogar tanta vi:
conclävi.
Der Schluss der entsprechenden Zeilen ist fast stets
rein, selten unrein, wie in den hässlichen Rythmen des
Reinerius Leod. (Migne 204 p. 95), wo statt 8 — <•' oft 8 ^ —
und statt 6 <-'— oft 6—«' gesetzt ist, und in den 136 Z.
zu 8 ^~ vom J. 1223 bei Du Meril 1847 p. 277, unter
die etwa 14 Z. mit Schlüssen wie ruit, factum, inimicis ge-
mischt sind.
Vom Tonfall innerhalb der Zeilen.
Einige prosodische Eigenthümlichkeiten finden sich auch
in dieser Periode; so trennt Abaelard que öfter von dem
vorangehenden Worte, z B. 8^- + 7-^: 4 Dum Christus
finis utrius | que complet sacramenta 1 und betont demnach
ütrosque; so sind heu, seu und ähnliche bald ein- bald
zweisilbig ; auch Schlüsse, wie quöd adhuc, nomine? tenüs,
älonge, deineeps, deinde, kann mau rechtfertigen.
Abgesehen von den wenigen später zu besprechenden
rythmischen Daktylen bestehen die Gedichte auch dieser
Periode nur aus trochäischen und jambischen Reihen. Der
Taktwechsel herrscht auch in dieser Periode durchaus und
Gedichte von reinem Tonfall sind sehr selten. So findet
sich bei Mone 233 ein Gedicht von 40 Langzeilen zu
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichnsto und über lat. Bytkmen. 119
7 v _ a + 7 — • v b,. in dessen 40 Z. zu 7 ^ — nur 1 Takt-
wechsel cor raeuni amplectere (Z. 15 corr. fateor aus A)
vorkommt, während die 40 jambischen Zeilen zu 7 — v/ alle
rein sind. In den Werken des Bernhard (Migne 184 p. 1319)
sind mit 296 rein gebauten Zeilen zu 8-v 74 jambische
Zeilen zu 8 ^ — gemischt, von denen nur 5 Tw. haben. In
den 5 hübschen trochäischen Strophen zn7v- a + 6^—b;
7 w— c + 7 u — c + 6 — v d in Bur. 47 p. 136 ist kein
Hiatus, kein Tw. zugelassen ; ebenso sind die 8 trochäischen
Strophen zu 4X8-^a + 3X7^-b+ 6 — ^ a in
Bur. 71 p. 41 rein von Hiatus und Tw. Vgl. noch Omer
No. 5. 10. 31. Noch auffallender ist es, wenn die jambischen
Reihen rein sind, wie in Bur. 122 p. 196 6 Langzeilen zu
7 — u -|- 6 ^ — ohne Hiatus und Tw. ; dann Bur. 35 p. 120
(Str. 11) 4 solche Zeilen, wo ex fraudibus alternis (alterius
cod.) et ignominia zu bessern ist; bei Adam I, 48 Str.
1 — 11 kommen in 22 Langzeilen zu 8 w_ -+- 7— ^ nur
3 Tw. in den Z. zu 8 ^ — und 2 in den Z. zu 7 -j- ^ vor.
Besonders die .kunstreich gebauten Sequenzen und Leiche
scheinen strenger gebaut zu sein; so scheint Bur. 31 p. 115
rein von Tw. und in der Sequenz Bur. 51 p. 59 (Bartsch
Sequenzen p. 242) findet sich in den ersten, jambisch ge-
bauten Strophen kein Tw. und auch sonst nur sehr wenig.
Doch in fast allen Gedichten aller Dichter ist Taktwechsel
zugelassen; in den troch. Reihen allerdings seltener als in
den jambischen.
Die trochäischen Zeilen zu 8 — ^ zerfallen fast stets in
4 — ^ + 4 — ^, wo Taktwechsel unmöglich ist; aber auch
dann, wenn nach der 4. Silbe keine Pause ist, findet sich
sehr selten Taktwechsel. So bei Walther von Chat. VIII, 15
Et eis non condescendam ; vgl. 73. 85 und X, 67, 73.; in
VIII, 77 und X, 115 opfert er, wie öfter dem Citat den
richtigen Rythmus 'quia in labiis suis'. Am häufigsten
noch findet sich der Taktwechsel (v_uv_v_) in den
Digitized by
Google
120 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
troch. Siebensilbern, wenn es auch selten ist, dass wie bei
Adam II, 481 Str. 2, 5 oder wie beim Archipoeta V Str. 16,
4 Zeilen mit Tw. sich unmittelbar folgen; sonst treffen
beim Archipoeta in No. VII 16 Tw. auf 66 Z., in IV 21 Tw.
auf 128 Z., in IX 15 auf 132, in X (Aestuans intrinsecus)
13 Tw auf 120 Z., undjn V 26 Tw. auf 100 Z. Bei Wal-
ther v. Chat, treffen in No. II etwa 20 Tw. auf 78 Z., in
No. I etwa 27 auf 96 Z. In Ganymed u. Hei. treffen 10 Tw.
auf 268 Z., in Jupiter und Danae 15 Tw. auf 108 Z., in
Phyllis und Flora (Bur. 65 p. 155) 33 Tw. auf 316 Z.
Die troch, Sechssilber 6—^ sind meistens rein. Takt-
wechsel (u — uw__u) ist häufiger als in 8 — ^ , aber seltener
als in 7 w-, So kommen in den 60 Z. zu 6 — v bei Abae-
lard Hymn. 60 und 61 nur 3 Tw. vor und in den 36 Z.
zu 6— v in Bur. 86 p. 49 nur 2 Tw. Bei Walther von
Chat, treffen in I 6 Tw. auf 66 Z., in II etwa 5 Tw. auf
48 Z., in Gan. u. Hei. 4 Tw. auf 268 Z , in Jup. u., Dan.
8 Tw. auf 108 Z., in Phyllis und Flora etwa 30 auf 316 Z.,
in den sapph. Strophen, in Zeitschr. f. d. Alt. 5 (1845)
p. 467, 4 Tw. auf 93 Z. Beim Archipoeta treffen wir eine
merkwürdige Regel : von seinen 460 Z. zu 7 — ^ + 6 — «
hat nur eine einzige V, 19, 1 cum sancto Martino Tw., der
höchst wahrscheinlich durch Umstellung zu entfernen ist.
Es ist klar, wie wichtig dieses Merkmal ist zur Erkenntniss
dessen, was ausser den Gedichten des Göttinger Quaternio
etwa von dem Archipoeta gedichtet sein könnte. G. Paris
bemerkt p. 19 von der Vagantenzeile (7^— • + 6— ^)
'dans le second hemistiche (feminin) les bons versificateurs
ne fönt jamais des fautes (er meint diesen Taktwechsel);
Celles qu'on trouve <jä et lä sont peütetre attribuables aux
manuscrits, d'autant plus que toujours elles se redressent
par une simple renversion'. Die an und für sich richtige
Beobachtung ist in dieser allgemeinen Fassung entschieden
falsch; ich wenigstens habe ausser jenen Gedichten der
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 121
Göttinger und Stabloer Handschrift nur sehr wenige ge-
funden, in welchen der zweite Theil der Vagantenzeile stets
yon Taktwechsel frei ist.
Bei den jambischen Reihen besteht noch immer grosse
Lust, die Zeile trochäisch zu beginnen. So haben von den
72 Z. zu 5 — v in Abaelard's Hymn. 48. 49 u. 50 sicher
32 den Tonfall — u v, _ v, , von den 48 Z. in Hymn. 70—73
etwa 25. Die Zeilen zu 6 v- haben ebenfalls sehr oft den
Umlaut -^ü_u_ statt u _ v _ o _ , so bei Adam ein Mal
6 unter 10 Z., des andern Mal 6 unter 18 Z. ; in der Klage
des Oedipus (Zschr. XIX p. 90) sind 24 Z. mit Tw. unter
84 Z.; beim Archipoeta I etwa 83 Tw. in 180 Z.
Wie in den Zeilen zu 7—^ und 8 v — die Möglich-
keit des Taktwechsels eine doppelte ist — uv_u— v und
_v — uv — v, so tritt er hier auch häufiger ein. Selten
ist ein Verhältniss wie bei Du Meril 1847 v. 125, wo auf
19 Z. zu 7— v nur 6 Tw. treffen; dagegen treffen ebenda
p. 255 51 Tw. auf 105 Z. ; bei Abaelard im Hymn. 33—36
gar 36 Tw auf 40 Z. zu 7 — ^. Wenn in den jambischen
Achtsilbern auch solche Häufung von Tw. selten ist, wie
in Bur. 165 p. 228, wo auf 28 Z. 24 mit Tw. treffen, so
ist ihre Zahl doch stets beträchtlich; z. B. treffen bei
Abaelard Hymn. 37-40 auf 88 Z. 39 mit Tw., bei Adam
I, 281 aaf 52 Z. 29 mit Tw., II p. 8 auf 56 Z. 28 mit Tw.
Während wir oben (S. 119) bei Bernhard die mit troch.
Achtsilbern gemischten jambischen Achtsilber fast rein
trafen, sind bei Petrus Vener., Migne 189 p. 1018, unter
56 troch. Achtsilber nur 16 jamb. Achtsilber ohne Tw.,
dagegen 48 mit Tw. gemischt. In der um 1118 abgeschlos-
senen Polenchronik des sogenannten Martin us Gallus finden
sich in 120 Z. zu 8-^ -f lu- in den Zeilen zu 8-w
kein Tw., in den Z. zu 7u- nur 19, dagegen in 56 Z.
zu 8 v— nicht weniger als 31 mit Tw.
Man könnte nun die Regel so formuliren wollen: der
Digitized by
Google
122 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
Bau der Zeilen sei in dieser Periode nicht viel anders als
in der früheren ; es seien eben bei troch. oder jamb. Schlüsse
die letzten 3 oder 4 Silben gebunden; die vorangehenden
Silben seinen von den Dichtern nur gezählt worden ; jedoch
habe im Allgemeinen Vorliebe für trochäischen Tonfall ge-
herrscht. Diese Regel wäre unrichtig; denn es gibt Ge-
setze, welche die Dichter auch in der Stellung derjenigen
Silben beobachteten, welche den gebundenen vorangehen.
Minder wichtig ist jenes Gesetz, dass bei Taktwechsel
in troch. Sechs- nnd Siebensilbern, also beim Tonfall ^ — w ,
v — v und v — v, , u _ u — die drei ersten Silben nicht aus
einem, sondern aus zwei Wortern bestehen sollten. Denn
dieses Gesetz findet sich nur in sehr wenigen Gedichten
beobachtet. In Ganymed u. Hei. (268 Z.) finden sich in
den Z. zu 7 v — 10 Tw. und in den Z. zu 6~w 4 Tw.;
nur 2 Z. zu 7 v- beginnen mit Natüram, die andern mit
Si nescis etc. In den 140 Langzeilen zu 7w- -f 6-^
im Pantheon des Gotfried von Viterbo (Mon. Script. XXII
p. 305) beginnen die 6 Z. zu 7 ^— und die 5 Z. zu 6— ^,
in denen sich Tw. findet, stets mit ^, — ^ z. B. ut sänet
egrotum. In den 108 Langzeilen zu 7^— + 6— ^ von
Jupiter und Danae haben wohl 15 Z zu 7 ^-— und 8 zu
6— v Tw., allein keine einzige derselben beginnt mit einem
dreisilbigen Worte ^ — u. In den 316 Langzeilen zu?w-
+ 6-^ von Phyllis und Flora haben 33 Z. zu 7 ^ — und
30 zu 6— v Tw., doch finden sich darunter nur folgende
dreisilbige Anfänge Dixisti de clerico, (Acantho), Secundum ;
Neptunus und Aetatis.
Dagegen ist ein anderes Gesetz sehr wichtig: Man
kann Tausende von Versen durchlesen, bis man solche Sechs-,
Sieben- und Achtsilber findet, wie:
Transgrediar mürum oder In läbiis tüis
Congaüdeant hodie oder Sed epulas regias.
Auditui meo däbis oder Dömine läbia mea.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über Tat. Bythmen. 123
d. h. es wird vermieden, drei- und mehrsilbige
Wörter so in die Zeile zu stellen, dass deren
beide letzten Silben unbetont sind, also der Schluss
des Wortes einen reinen Daktylus bildet. Ueber den
Grund dieser Regel werde ich später handeln, hier zunächst
über ihre Anwendung in den verschiedenen Zeilen,
Dass Niemand daran denke, es sei hier nur ein Spiel
des Zufalls, vergleiche man z. B. die in Hildeberts Ge-
dichten (Migne 171 p. 1339) gedruckte Lamentatio pecca-
tricis animae mit dem Gedichte vom Jahre 1128 bei Du
Meril 1847 p. 270. In den 420 Zeilen Jenas Gedichtes
findet sich kein einziger reiner Daktylus, in den 144 Zeilen
dieses Gedichtes nicht weniger als 18, wobei solche, wie
opere pro nefario, nicht gezählt sind.
In den troch. Sechssilbern findet sich der reine Dak-
tylus äusserst selten. Walther von Chat, hat ihn dreimal
sich gestattet
VII, 40 in deo Beelzebub transgrediar mürum
und dem Citat zu Liebe in
V, 87 Caesar^m si liberas erröribus suis,
diffusa est grätia in läbiis tuis.
Unter den 93 sapphischen Zeilen in Zeitschr. f. d. Alt. 5
(1845) p. 467 findet sich in Z. 93 esüriunt nünquara; am
auffallendsten ist jener einfachste aller Leiche Bur. 62 p. 153:
von den 12 Kurzzeilen zu 6—^ haben 9 Tw. und von
diesen wieder 5 reinen Daktylus; aber das ganze Gedicht
ist dunkel und der Eingang
Nos düo böni sub äere tetro
Sint tibi töni sub celeri (sceleri cod.) metro.
Tempore solis stant pecora retro
lässt auf absichtliche Verdrehung des Rythmus schliessen.
Für die troch. Siebensilber hat G. Paris dies Gesetz
erkannt: p. 17 'Je ferai une remarque, c'est que la derniere
Digitized by
Google
124 Sitzung der phüos.'phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
syllabe (Tun proparoxytonon, etant toujours compte comme
tonique, ne peut jamais etre suivie d'une syllabe accentuee;
ainsi ou ne trouvera jamais un proparoxytonon suivi d'un
disyllabe ou d'un proparoxytonon trisyllabe. Je n'ai pas
rencontre d'exception a cette rögle.' Die Beobachtung ist
fein; allein schon in dem so beschränkten Materiale, das
6. Paris stndirt hatte, hätte er sichere Ausnahmen finden
können. In den etwa 260 Zeilen zu 7 ü ~ des Abaelard
(Hymnus 56 — 59; planctus II— VI) findet sich kein reiner
Daktylus. In den vielen troch. Siebensilbern des Adam a S.
Victore findet sich kein mit reinem Daktylus schliessendes
Wort; denn das, welches Bartsch Sequ. p. 188 da, wo er
von dieser Zeile spricht, mit den Worten anführt l Ein sel-
tener Fall ist der, dass der Vers einsilbig beginnt und mit
einem dreisilbigen kretisch betonten Worte fortgesetzt wird
Sed conditum gratia Adam 1, 11, 28 ' ist ganz regelmässig
betont: Sed conditum gratia. Hieraus ergibt sich, dass die
'Prose attribuee ä Adam' n, 456 nicht von ihm sein kann ;
denn hier finden sich ausser 4 Hiatus folgende Sieben- und
Achtsilber
Gongaüdeant hödie Sed epulas regias
Pauperibus erogato Glädio Thomas sübditus.
In den vielen Hunderten von troch. Siebensilbern des
Archipoeta findet sich kein einziger rein daktylischer Wort-
schluss. Walther von Chat, hat auch diese Zeile nicht
immer sorgsam gebaut; so
IX, 50 quae singula trutinans; 52 hie igitur ärtium.
vgl. IX, 103. 116. VI, 43. 67. VII, 63. In den 232 Zeilen
des Scheirer Rythmus (Zschr. f. d. Alt. 23, 176) findet sich
kein reiner Daktylus ; also sind die Conjekturen (8, 1 Judex
inquiit bone und) 11, 1 Ignoscier pöterat nicht richtig.
Ueberhaupt muss man lange suchen, bis man Gedichte
findet, wie Omer No. 23, wo unter 42 Z. sich folgende 3
Digitized by
Google
WüK Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bytlmen. 125
finden: Dum flösculum tenera. Aut diligeus equitem. Sed
respice militem.
Die troch. Achtsilber sind meistens getheilt in 4 — «
-}- 4 — yj , wo dann Taktwechsel überhaupt picht vorkommen
kann. Doch auch da, wo jene Pause nicht beobachtet wird,
ist Taktwechsel sehr selten, und noch viel seiteuer finden
sich dann rein daktylische Wortschlüsse, wie unter den 10
troch. Achtsilbern in Omer No. 28:
Ver prodiens in virore. Jam Veneria a caterva.
Sic revocat me Minerva. Hac igitur ratione.
Es ist aber, wie nachher bemerkt werden wird, auch mög-
lich, dass hier prodiens, Venerfs, revocat, igitur betont
und so der rythmische Fehler zu einem einfachen Takt-
wechsel verwandelt wurde.
Der Bau der jambischen Zeilen ist überhaupt nachläs-
siger als der der troch. Zeilen; so findet sich rein daktyli-
scher Wortschluss hier häufiger, und Dichter, welche den-
selben in den troch. Reihen nicht zugelassen haben, haben
ihn wenigstens in ein oder der andern Art der jambischen
Reihen öfter zugelassen.
Jambische Fünfsilber (5 — ^ ). Abaelard in Hymnus
48—50 hat unter den 32 Zeilen mit dem Tonfall — u v — v
nur folgende 2 : Frontibus regum und Fruitur vita. Da-
gegen treffen auf die viel geringere Zahl solcher Zeilen in
Hymn. 70—73 13 Z. und in Planet. I 5 Z. mit rein dak-
tylischem Wortschlusse.
Die jambischen Sechssilber (6 ^ -) haben sehr oft den
Tonfall —^ «_w ._ (vgl. oben S. 121); darüber, ob die drei
ersten Silben — « « durch ein einziges Wort gebildet werden
dürften, waren offenbar die Schulmeinungen getheilt. In
Abaelards 720 Z. zu 6 -— (Hymn. 10—28) finden sich
nur 4 Z. wie Comites eligunt. Süscipit hominem ; in seinen
236 Zehnsilbern zu 4—« + 6 v_ (in Hymn. 1 — 9;
Digitized by
Google
126 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882.
29 — 32; 45 — 47. 51) findet sich nur der eine Gäude virgo
virginum glöria. Adam hat weder in seinen zahlreichen Z.
zu 6 «- noch in den ebenfalls zahlreichen Zehnsilbern zu
4 — ^ + 6 ^— reinen Daktylus sich gestattet; I, 181, wo
sich unter 48 Zehnsilbern folgende finden: Cöeli praeest
hödie civibus und Interesse fäciat gaudiis, ist auch aus
anderen technischen Gründen verdächtig. Unter den 624 Z.
zu 6«- des Petrus Vener. (Migne 189, 1012) fand ich
nur 4 mit reinem Daktylus, wie Redditur saeculo. In den
80 Z. zu 6 -- bei Bernhard (Migne 184 p. 1313) fand
ich keinen reinen Daktylus, in den 120 Zehnsilbern (ebenda
p. 1323) nur 2: Eadem gloria und Animae miserae. Ebenso
ist Bur. 76 p. 46 (70 Z.) frei davon; in Bur. 150 p. 57
(118 Z.) findet sich nur Thalamus sequitur und Portiter
ilia. In den 84 Z. der Klage des Oedipus kommen drei vor.
Man meine aber iiicht, der rein daktylische Wortschluss
sei in den jamb. Sechssilbern allgemein gemieden worden.
In Bur. 157 p. 223 findet er sich 7 Mal in 30 Z. Der
Archipoeta hat in I etwa 83 Zehnsilber mit dem Tonfall
— « — w , _w w, _«_ und unter diesen 14 der Art, wie Übi
palam loquitur veritas. Auch in der Apokalypse des Wal-
ther kommt er sehr oft vor; so 8 Mal in den 110 ersten
Zeilen. Auf die 50 Zeilen zu 6 « — in Omer 22 treffen
nicht weniger als 14 Z. mit rein daktylischem Worte.
In den jambischen Sieben- und Achtsilbern kann bei
Taktwechsel rein daktylischer Wortschluss an 2 Stellen ein-
treten:
Läncea regis cöeli. Sic mors neminem läedit.
Läcrimis flenda seduüs. fit nequitiae vindipem.
Sicher ist hier der daktylische Wortschluss in dem Falle,
dass das Wort im Anfange der Zeile steht, nur wenn ein
zweisilbiges Wort ihm folgt. Folgt dagegen ein viersil-
biges oder ein ö'n- und dreisilbiges Wort, so kann man an-
nehmen, dass das daktylische Wort hier, wie sonst immer,
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 127
auf der letzten Silbe einen zweiten Ton habe, also zn be-
tonen sei:
Glädiis renitentes. Eruit ab infernis.
Möritür pro iustitia. Monachüs simulätus est.
Doch gibt es Dichter, welche anch diese letztere, zweifel-
hafte Betonung vermieden haben.
In den jambischen Siebensilbern sind reine Daktylen
sehr selten. Unter den 36 jamb. Siebensilbern mit Tw. bei
Abaelard (Hymn. 33 — 36) sind vier unsichere daktylische
Wortschlüsse; wie Oleum de taberna und die beiden sicheren
Filios illa data und Gratiae tenet tipum. In den 105 Z.
zu 7 — - bei Du Meril 1847 p. 255 sind 51 Z. mit Tw.
und darunter 3 zu — ««, — «, — w i 1 zu — « , — ««,_«.
In dem rohen Leiche Bur. 35 p. 119 sind unter etwa 12 Z.
mit Tw. Feminae iüncto märi und Psällere virgo pridem.
Die Zeilen zu 8 « — sind viel häufiger als die zu 7 — « ;
so lassen sich auch mehr Fälle von rein daktylischem Wort-
schluss in ihnen nachweisen. Ausser in dem oben (S. 123)
angeführten Gedichte von 1128 finden sich im Prolog der
Polenchronik des sogenannten Martinus Gallus unter 31
Achtsilbern mit Taktwechsel 9 mit fehlerhaftem Rythmus,
während er in den 120 Z. zu 8—« + 7 « — nur einmal
(III, 11 resistere potuit) sich findet. Dieses Beispiel zeigt,
wie die verschiedenen Zeilen verschieden behandelt wurden.
Dagegen findet sich in den 90 Z. zu 8 « — bei Bernhard
Migne 184 p. 1315 kein reiner Daktylus, in den 192 ebenda
S. 1317 nur 2; in den etwa 360 Z. zu 8 «— bei Abaelard
nur Angelus äutem päuperi; in etwa 460 Zeilen bei Adam
nur Vindicent membra meritis.
Demnach hat reinen daktylischen Wortschluss Adam
von S. Victor durchaus gemieden, der Archipoeta in 7 « —
und 6 — « gemieden, dagegen in 4 — « + 6 « — oft zuge-
lassen; Walther von Chat, in 7 ^— und 6 — ^ einige Male
und in 6 ^ — oft zugelassen ; Abaelatd in 6 — « , 7 « — , in
Digitized by
Google
128 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
6 « — und 8 « — gemieden, in 7 — « und oft in 5 — * zu-
gelassen. *)
Schon aus dem Bestehen dieses Gesetzes von der Ver-
meidung rein daktylischen Wortschlusses ergibt sich zur
Genüge, dass die Silben, welche den durch Zeilenschluss ge-
bundenen Silben vorangehen, nicht bloss gezählt werden.
Dasselbe beweist die Beobachtung eines anderen Gesetzes.
Ueber die Betonung der einsilbigen Wörter be-
merkt G. Paris p. 15 4 I1 faut y ajonter le traitement, natu-
rellement assez arbitraire, des monosyllabes : ils ont ou
n'ont pas l'accent, ä la volonte du poete, uniquement astreint
ä ne pas violer l'accent oratoire. 1 Freilich erhebt er (p. 15
u. 20) Einsprache gegen Verse, wie 'Post deum spes sin-
guläris. Summa laus filio' und,- während er das Zusammen-
stossen von 2 betonten Silben in der Keile sonst zurück-
weist , bemerkt er : Deux toniques Pune pres de l'autre
'Summa laus filio'; car de regarder 'laus' comme atonon, il
n'y a pas d'apparence In Wahrheit beobachten die Dichter
im Gebrauch der einsilbigen Wörter bestimmte Regeln.
Wenn zwischen 2 betonten Silben nur eine unbetonte steht,
so kann jedes Wort diese unbetonte bilden; sogar solche
Verse wie fit lex perit per te sind nicht selten, ja sogar Si
sacerdos ut plebs est findet sich bei Walther von Chat. I,
102; Häufungen finden sich, wie beim Archipoeta
IV, 1, 4 Nön est in me försitan, fd quod d6 me Sintis
IV, 28, 2 in te nön est mäcula, nön est in te dolus.
Wenn dagegen bei Taktwechsel zwei unbetonte Silben sich
unmittelbar folgen und die zweite unbetonte Silbe durch
ein einzelnes Wort gebildet wird, so darf die« nur ein
Hilfswort der Sprache seiu, Pronomen, Adverb, Präposition,
1) Das Vorkommen dact. Wortschlusses in der früheren Periode
habe ich nicht untersucht. Keiner kommt vor in den 248 Z. zu 8 w —
über den h. Emmeran ans Clat. monach. 14436 (Dümmler im N. Archiv
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lai. Bythmen. 12S9
Conjunktion, Hilfszeitwort (auch fit); schwere einsilbige
Wörter sind dagegen an dieser Stelle verboten. Ausnahmen
sind bei den deutschen Dichtern sehr selten, bei den fran-
zösischen finden sich mehr und besonders, wie es scheint,
bei den früheren. Im Archipoeta fand ich nur die Zeile IX,
17, 2 Urbs bona flos ürbium; in den umfangreichen Ge-
dichten mit mehr oder weniger Taktwechsel, wie »in dem
Scheirer Rythmus, Ganymed und Helena, Jupiter und Danae,
Pbylli8 und Flora und anderen, fand ich niemals ein Wort
wie rex in der 2. unbetonten Silbe. Dagegen finden sich
welche, aber immerhin sehr wenige, bei Abaelard, Adam,
Walther von Chat, und ähnlichen. So fand ich bei Abae-
lard etwa 11 Zeilen zu 6 «- der Art 'Quarta lux decorat,
den Zehnsilber Sed nömini | tüo da glöriam, 3 Z. zu 8 « —
wie In quo summa stat operum, den Siebensilber Illäta
mors äggregat, und die Ftinfsilber Salve crux säncta. Ätque
stant rötae. Bei Adam findet sich diese Unregelmässigkeit
am häufigsten in Z. zu 8 «— , wie Quöd laudäre mens äp-
probat (etwa 8) ; in den selteneren jamb. Sechssilbern fand
ich Mira vis fidei; in den jamb. Siebensilbern Püer lux
sempiterna. Der Fünfsilber Salve crux ärbor ist durch die
Formel 'salve crux' veranlasst, ebenso der Siebensilber 'Sunt
fides spes Caritas' (I, 169); vgl. Hildebert (Migne 171 p. 1411),
wo sich in 203 Z. nur die eine findet Da fidem spem chäri-
tatem. Bei Walther von Chat, kann man sich auf die Aus-
gabe wenig verlassen; steht in dieser z. B. II, 18 Nam iste
grex höminum, so haben Handschriften grex ipse; doch
auch so finden sich nur wenige Fehler der Art, wie I, 25
Die päpadic pontifex, und in IV Super ius iürium. Vernat
vi pröpria; in Dens seit nescio hat Walther wieder, wie
öfter, dem Citat den guten Versbau geopfert. In den Ge-
VII, 605) saec. XI; (je ein Drittheil hat zweisilbigen Beim, zweisilb.
Assonanz oder einsilb. Reim).
[1882. I. Philos.-philol.hist.Cl. 1.] 9
Digitized by
Google
130 Sitzung der phttos.-phüöt. Classe vom 7. Januar 1882.
dichten von St. Omer finden sich in No. 22 und 30 vier
Sechssilber der Art Häusit lex inguinis, in 33 Nee tarnen
res älia, in 16 Nünquam füit rex Angliae, und so findet
sich dieser Fehler noch mehrfach in Gedichten französischen
Ursprungs; so sind bei Hildebert (Migne 171 p. 1339) in
420 Z. zu 8 « - spes, rex, da und lis als zweite unbetonte
Silbe gebraucht; ebenda (p. 1432) findet sich unter 138 Z.:
Pirätae vis importüna, wo wie öfter der Dichter lieber vis
als zweite unbetonte Silbe gebrauchte, als dass er durch die
Umstellung Vis pirätae importüna einen Hiatus in die Zeile
gebracht hätte. Bei Bernhard (Migne 184 p. 1317) finden
sich unter 192 Zeilen zu 8 «- sogar folgende 5: Quändo
cor nostrum visitas. Tibi laus honor nüminis. Veni veni
rex optime. In quo mea mens deficit. Rex virtütum rex
gloriae; allein diese Ausnahmen erschüttern nicht die Regel,
die in vielen Tausenden von Versen, wo sich so oft Gelegen-
heit zur Verletzung geboten hätte, stets beobachtet ist.
Die bisher dargelegten Gesetze über die Anwendung
des Taktwechsels überhaupt und im Besonderen über die
Vermeidung des daktylischen Wortschlusses in den meisten
Zeilenarten und seine Zulassung in einigen wenigen, sowie
über die NichtVerwendung der schweren einsilbigen Wörter
in der letzten Silbe des Daktylus haben, nach meiner An-
sicht wenigstens, ihren einfachen und vernünftigen Grund.
Wohlklang ist auch in den rythmischen Gedichten das
höchste Ziel. In den jambischen und trochäischen Reihen,
d. h. im einfachen Wechsel der betonten und unbetonten
Silben, braucht es nicht viel Vorsicht. Dagegen braucht es
derselben beim Taktwechsel, d. h. beim Eintritt daktylischen
Tonfalles oder der unmittelbaren Aufeinanderfolge von 2 un-
betonten Silben. Da die erste unbetonte Silbe immer mit
der vorausgehenden betonten zusammenfällt, so handelt es
sich um die zweite. Hier sind nun, abgesehen natürlich
von vielsilbigen Wörtern, wie 'solum imperatorem', deren
Digitized by
Google
tyilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. ttythmen. 131
Betonung unsicher ist, drei Fälle möglich : 1) die zweite un-
betonte Silbe gehört zum nächsten Worte, 2) sie wird durch
ein einzelnes Wort gebildet, 3) sie bildet mit den voraus-
gehenden Silben ein Wort. Im 1) Falle, also in Versen, wie
Secundo redärguor. Et vincit tacendo,
gleitet die Stimme leicht über die beiden unbetonten Silben
dahin. Ebenso, wenn 2) die 2. unbetonte Silbe durch ein
einzelnes Wort und zwar durch ein Hilfswort der Sprache,
durch Pronomen, Conjunktion, Praeposition, Hilfszeitwort
und Aehnliches gebildet ist, wie in
Jeiunant et abstinent. Semper et ündique.
Jügulätur in proelio.
Wird dieselbe aber durch ein einsilbiges Substantiv oder ein
Verbum gebildet, so entsteht eine Stockung; denn in Zeilen, wie
Urbs bona flos ürbiüm. Nülla spes erit exitus.
Da fidem spem chäritätem,
hält die Zunge an den Wörtern flos, spes, spem an, wäh-
rend sie zu der unmittelbar folgenden betonten Silbe eilen
sollte. Daher sind solche Zeilen fehlerhaft und wurden ge-
mieden. Die 3) Möglichkeit ist, dass die unbetonte Silbe
mit den vorausgehenden ein Wort bildet, wobei also dak-
tylischer Wortschluss entsteht. In Zeilen, wie
Transgrediar mürum. In läbiis tuis.
Congäudeant hodie. Sed epulas regias.
Auditui meo däbis. fit nequitiae vindicem.
Läncea regis coeli
schnappt nach dem reinen Daktylus die Stimme ab, und der
Fluss des Rythmus wird unterbrochen ; dazu kommt, dass
in den meisten Fällen die Zeile so zerrissen wird, dass dem
Daktylus eine einzelne Silbe vorangeht; desshalb ist der
rein daktylische Wortschluss besonders selten in den Zeilen
zu 6-« und zu 7 « —.
Anders geartet wird der Tonfall in den Reihen zu
5 _ w und 6 ^ — . In Früitur vita, Virginum flore entstehen
9*
Digitized by
Google
132 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
statt einer Zeile zwei Versstücke, die gut zu einander und
in den Verlauf der Zeilen passen. Die Sechssilber Virgin um
glöria, Hodie civibus zerfallen in zwei gleiche Theile, welche
zu einander passen und im Verein mit andern Zeilen nicht
stören. Diese Theilung ist so natürlich, dass, wie wir später
sehen werden, die jambischen Sechssilber öfter so zerlegt
und auch noch gereimt werden, z. B. Resonet consonet. Mea
lux, mea dux. Hierin liegt vielleicht der Grund, warum
Abaelard gerade in diesen Sechssilbern oft sich Wörter wie
sol lux pax fons erlaubt, wo sonst eine Kürze steht, z. B.
Cuius pax iügis est. Fides spes illa sunt.
Aber jedenfalls ist dies der Grund, wesshalb selbst Dichter,
welche sonst den rein daktylischen Wortschluss vermieden
haben, ihn gerade im jambischen Sechssilber zugelassen
haben, und wesshalb derselbe sich überhaupt bei dieser
Zeilenart so oft findet.
Demnach ist es ') gleichgiltig, ob die Zeilen mit einem
Jambus oder einem Trochäus anheben, ob der Tonfall im
Verlauf der Zeile jambisch oder trochäisch ist, auch gleich-
giltig, wie viel betonte und unbetonte Silben die Zeile zählt ;
dagegen müssen die entsprechenden Zeilen gleiche Anzahl
von Silben und gleichen Schluss haben, und der Zeilenschluss
sammt den vorangehenden Silben muss, unter Beobachtung
der oben dargelegten Gesetze, wohlklingenden rythmischen
t Fluss haben.
Dies Gesetz widerspricht allerdings unserm jetzigen
deutschen Versbau, der genaue Beobachtung des Schema's
verlangt, d. b. dass die entsprechenden Zeilen auch den
gleichen trochäischen oder jambischen Anfang und den
1) d. h. in allen einfacheren Zeilen Verbindungen ; denn in den sehr
kunstvollen Strophenformen, in welchen die verschiedensten Kurzzeilen
rasch abwechseln, wird zur scharfen Charakterisirung der einzelnen Zeilen
das Schema meistens beobachtet.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über tat. Bythmen. 133
gleichen troch. oder jamb. Tonfall der ganzen Zeile haben.
Dagegen wundere ich mich, dass G. Paris den Taktwechsel
licence oder fante (p. 19) nennen konnte. Denn dieser Bau
der lateinischen Rythmen, wornach bei gleicher Silbenzahl
und gleichem Schlüsse der Tonfall der ganzen Zeile nicht
nach der Schablone regelmässig, aber nach bestimmten Ge-
setzen wohlklingend gebaut wird, ist ja das Ideal, dem die
romanischen und englischen Dichter nachstreben müssen.
Man müht sich in neuester Zeit, z. B. in den französischen
Gedichten, besonders in den Alexandrinern feine Gesetze des
Baues nachzuweisen: ob mit Recht, kann ich nicht beur-
theilen ; aber das ist sicher, dass die Dichter der lateinischen
Bythmen des XII. und XIII. Jahrhunderts solche, ganz feste
Gesetze sich geschaffen hatten. Ich bin auch der Ueber-
zeugung, dass diese Dichter den Taktwechsel nicht aus Be-
quemlichkeit, sondern aus einem andern guten Grunde an-
gewendet haben. Fast alle Eurzzeilen sind in diesen Jahr-
hunderten mit Reim und zwar mit dem vollklingenden zwei-
silbigen belegt ; wenn nun der Tonfall aller Kurzzeilen regel-
mässig der gleiche ist, so ist Eintönigkeit unvermeidlich.
Wie der rythmische Fluss der Silben den Wohlklang wahrt,
so wehrt der Taktwechsel die Eintönigkeit ab, bringt Ab-
wechslung und Mannichfaltigkeit in die Reihen der sonst
regelmässig abwechselnden betonten und unbetonten Silben
und gibt dem Dichter wie dem Deklamator die Möglichkeit,
die Darstellung plastischer zu machen, wozu den griech. und
roem. Dichtern die Elisionen und die Ersetzung von 1 Länge
durch 2 Kürzen zu Gebot gestanden waren. Der jetzige
deutsche Vershau wird oft eintönig und klappernd genannt;
die romanischen und englischen Dichter haben dieselbe
Freiheit der Rytbmenwahl, wie die lateinischen Dichter des
Mittelalters ; sie haben es zwar nicht, wie jene, zu bestimm-
ten Gesetzen über den Taktwechsel gebracht ; aber auch so,
wo sie in diesem Punkte nur ihrem Geschmacke überlassen
Digitized by
Google
134 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
sind, befinden sie sich wohl bei jener Freiheit. Damit man
den Klang solcher Verse auch im Deutschen erproben könne,
bat ich meinen Freund Ludwig Laistner einige Verse des
Ludus de Antichristo mit Beobachtung wenigstens der zahl-
reichen Taktwechsel des Originals zu übersetzen. Ludus V.
329—348:
Wort, dem Vater gleich an göttlichem Wesen,
Hat Menschenart in der Magd sich erlesen :
Gott verbleibend, den Leib des Tods empfing es,
Gott noch immer, ein ins Zeitliche ging es.
Nicht nach Weltlaufs immer gleichem Geschehen
Vollzog sich das : von Gott war es versehen.
Christus machte ünsre Schwachheit sich eigen,
In den Schwachen sich mä'chtig zu erzeigen.
Juden durften ihn sehen in niedrer Hülle,
Die nicht ahnend der Gottheit Lebensfülle
Keinen Glauben dem Wort, den Zeichen schenkten,
An das Kreuz ihn unter Pilatus henkten.
Der dem Tode sterbend die Kraft genommen,
Aus der Hölle erlö'set hat die Frommen —
Auferstanden ist er, starb nicht in Wahrheit,
Herrscht ohn Ende, wird kommen bald voll Klarheit,
In Feuersglüt das Weltgericht vollstrecken,
Allesamt uns im Fleische äuferwecken,
Verworfene und Auserwä'hlte scheiden,
Böse strafen, Güte mit Licht bekleiden.
Vom Hiatus.
Das Zusammenstossen eines Vokals im Auslaut mit
einem Vokal im Anlaut des folgenden Wortes wurde auch
in dieser Periode als unschön betrachtet und desshalb ver-
mieden, uud zwar weit mehr als in der früheren. Die meisten
Dichter haben auch den Hiatus zwischen den Halbzeilen (h)
vermieden. Selten ist es allerdings, dass bei einem Dichter
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 135
sich gar kein Hiatus findet, wie in den Gedichten des Archi-
poeta (abgesehen natürlich von dem Citat l Tu autem' in I,
4, 4), der sogar in den Zeilen 7 ^~ a -f- 7 ^ — b den Hiatus
zwischen den Halbzeilen vermeidet. Demnach lautet die
bekannte Zeile: Menm est propositum | in taberna mori, so
grosse Verbreitung auch das natürlichere Mihi est prop.
gewonnen hat. Bei Äbaelard und Adam trifft oft auf 100
Zeilen ein Hiatus; auch bei Walther von Chat, sind sie
selten, so schlecht auch die Ueberlieferung ist. So ist No. I
frei; II nur 78 Et ferre prae äliis. III nur in 44. 55. 76.
IV Apokalypse etwa 7 h und 10 (h). V in 45 und in dem
Citat 88. VI 3. 18. VII, 118 (h). VIII, 9. 22. 25. (72.
77. 78. Citate) 104. IX, 2. 26. 95. 121. 154. 162. in 34 (h).
X 5 h und 3 (h). In den 121 Zeilen bei Bernhard (Migne
184 p. 1315) ist ein h; in den 140 Zeilen des Gotfried
von Viterbo (Pantheon, Mon. Script. XXII p. 305) 4 h vor
est, 1 h vor 4 in' und 1 (h). In den 56 Z. zu 8 w- und
den 126 Z. zu 8—^ + 7 w — der um 1118 beendeten
Polenchronik des Martinus Gallus findet sich kein h. In
den 203 Z. zu 8 — ^ bei Hildebert (Migne 171 p. 1411)
stehen aus rhetorischem Grunde 6 h nach Tu und Te und
in Quanti illi tantus iste; sonst findet sich nur Dans usiae
unitatem und Alpha et £2. In den 316 Zeilen von Phyllis
und Flora stehen 2 h nach de und 4 (h). In den 268
Zeilen von Ganymed und Helena 4 h vor est und 4 andere,
dann 1 (h). Die 108 Zeilen von Jupiter und Danae sind
frei von h wie (h). Im Scheirer Rythmus (232 Z.) steht
(h) Str. 12, 4. 24, 3. 31, 4. 37, 3; h scheint nicht vorzu-
kommen , da 28, 2 unsicher und 48, 1 falsch ist. Und
welche Gedichte man auch untersucht, stets ist der Hiatus
nur sparsam zugelassen; so in dem rohen, nur Silben zäh-
lenden Gedichte bei Du Meril 1847 p. 270 nur 5 Mal in
144 Zeilen zu 8 ^ — Ich will zum Beweise einige Partien
der bunten Sammlung der Carmina Burana durchgehen:
Digitized by
Google
136 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7, Januar 1882.
No. 2 p. 2 kein h, ebenso kein h in 3 p. 3, 10 p. 8, 12
p. 10, 15 p. 12 (nur 2, 7), 16 p. 13, in dem rohen Ge-
dichte 17 p. 14 nur 5 h, 18 p. 16 (nur 21, 2; nicht 11, 6)
u. s. f. In No. 34 p. 118 sind die Reime noch unrein,
doch nur 1 (h) ; in den grösseren Leichen sind zwischen
den Zeilen manche (h), doch innerhalb der Zeilen wenige h :
so in dem rohen 35 p. 119 5 h; 36 p. 121 3 h (5 h) und in
der Nachahmung 174 p. 233 3 h, 1 (h); 38 p. 125 1 (h);
40 p. 129 kein h; 41, 42, 43 kein h; 45 p. 135 u. 275
1 h; 46 p. 135 kein h u. s. f.
Ich glaube, aus diesen und den obigen (S. 63) Bei-
spielen ergibt sich die Gewissheit, dass der Hiatus den
Dichtern lateinischer Rythmen aller Zeiten für unschön galt
und dass, wenn auch romanische und germanische Dichter
den Hiatus vermieden haben, dies dem Einflüsse der latei-
nischen Rythniik zuzuschreiben ist.
Von dem Reime.
Ein Hauptmerkmal der Rythmen dieser Periode ist der
reine zweisilbige Reim, welcher gleiche Vokale in den beiden
letzten Silben und gleiche Consonanten am Anfang und
Schluss der letzten Silbe verlangt:
iterat: superat, doloris: amoris.
Aber auch in dieser Periode finden sich noch viele Ge-
dichte mit unreinen Reimen : es sind nur die Vokale der
letzten Silbe gleich, die Schlussconsonanten ungleich (ein-
silbige Assonanz, selten) in somnis: edocti, oder es sind die
Vokale der beiden letzten Silben gleich, fast stets mit
gleichen Schlussconsonanten der letzten Silbe (zweisilbige
Assonanz) prophetica: irrita, oder es sind nur die Vokale
(und der schliessende Consonant) der letzten Silbe gleich,
(einsilbiger Reim) animas : »recreas. Solche unreinen Reime
finden sich zu jeder Zeit in kunstlosen, besonders in histo-
Digitized by
Google
WÜh. Meyer: Ludus de Antichristo und über tat Bythmen. 137
Tischen Gedichten; so z. B. in dem Kreuzlied von 1146
Bar. 22 p. 24 einsilbige Reime meistens mit Ass. in der
vorletzten Silbe, und in den 136 Z. zu 8^- vom Jahre
1223 bei Du Meril 1847 p. 277 unter vielen reinen zwei-
silbigen Reimen auch einsilbige, wie lectulo: proelio, tradi-
dit: profuit, scandalis: piaculis. In der ersten Hälfte des
XII. Jahrhunderts haben aber selbst sehr formenfeste Dichter
noch unvollständigen oder unreinen Reim. So hat Äbaelard
hie und da nur Assonanz der letzten Silbe, weitaus in den
meisten Fällen Reim der letzten Silbe mit häufiger Assonanz
der vorletzten, und weniger häufig reinen Reim der beiden
letzten Silben; demnach kann der Hymnus 'Mittit ad vir-
ginem' (Daniel H, 59; Migne 178 p. 1815; Du Meril 1847
p. 423), wenn er auch sowohl von Hiatus als von rein
daktylischem Wortschlusse frei ist, nicht von Äbaelard sein,
da er nur zweisilbige Reime hat. Bartsch (Sequenzen S. 228)
hat noch bei Adam a. S. Victore und bei anderen Franzosen
eine Reihe unreiner oder unvollständiger Reime nachge-
wiesen (doch kann ich solche einsilbige Reime wie II, 157
Adam nicht zutrauen); allein auch in den mühsam gereim-
ten Gedichten des Radewin (um 1140) findet sich oft noch
Verschiedenheit der Consonanten, welche die beiden letzten
Silben trennen. Wenn wir nun in vielen kleineren und
grösseren Gedichten der Carmina Burana (z. B. No. 6 p. 5,
53 p. 147, 55 p. 147, 104 p. 182, 121 p. 195, 156 p. 220
und 72 p. 42, 35 p. 119, 89 p. 172, 141 p. 212, 143 p. 214)
noch unvollständige und unreine Reime finden, brauchen
wir dieselben desshalb nicht vor dem XH. Jahrhundert an-
zusetzen.
Doch der reine zweisilbige Reim hatte schon gegen
Ende des XI. Jahrhunderts, wo der Reim mit besonderem
Eifer gepflegt wurde (siehe S. 67) und zum gesetzmässigen
Bestandtheil wenigstens der rythmischen Gedichte sich aus-
bildete, mehrfach Anwendung gefunden. L. Gautier (Les
Digitized by
Google
138 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 7. Januar 1882.
Epop. Fran§. I, 1878, p. 331) meint, der reine zweisilbige
Reim sei im Anfange des XL Jahrhunderts in Deutschland,
wenn nicht erfunden, so doch besonders ausgebildet worden
und dann um 1080 nach Frankreich gelangt, und führt
einige kurze Gedichte aus Todtenrolleu oder Grabinschriften
(besonders aus Simons Gesta abbatum S. Bertini in Mon.
Germ. Script. XIII p. 639 8 Hex. von 1065?, p. 643 6 Hex.
von 1095) um 1090 an, die reine zweisilbige Reime haben.
Wenn ich auch oben (S. 67) glaube nachgewiesen zu haben,
dass der zweisilbige Reim viel älter ist und schon von den
Galliern oder Iren ausgebildet, dann in den nächsten Jahr-
hunderten, zwar bekannt aber nicht bevorzugt, im Stillen
fortlebte, bis er endlich zu einer höheren Rolle wieder her-
vorgeholt wurde, so stimmen doch mit der von Gautier an-
gesetzten Zeit noch andere Fälle. Dümmler hat im Neuen
Archiv I p. 180 30 Hexameter mit reinem zweisilbigen
Reim (nur 1 Mal minus: idus) von 1095 veröffentlicht und
S. 184 17 Hexameter derselben Art (nicht nur mit leoni-
nischem, sondern auch mit Endreim) aus den ersten Jahren
nach 1100. Doch sind dieses nur kurze Gedichte und mir
ist es sehr unwahrscheinlich, dass die 300 leoninischen
Hexameter mit reinem zweisilbigem Reim (nur 44 potest:
obest; 297 signa: Corinna), welche Dümmler (Zeitschr. f.
deutsches Alt. 14 p. 245) aus einer Handschrift in Ivrea
hat drucken lassen, schon um 1075 entstanden seien; die
historische Anspielung ist vielleicht anders zu deuten als
Dümmler sie gedeutet hat. Noch weniger kann der be-
rühmte Hymnus Veni sancte Spiritus, 10 Str. zu 3 Z.* (aa b)
mit nur 3 Taktwechseln, keinem h und reinen zweisilbigen
Reimen schon zur Zeit des Königs Robert von Frankreich
entstanden sein. Dagegen finden wir im Anfange des XII.
Jahrhunderts schon öfter die reinen Reime. So in den
c. 200 Zeilen in der Chronik des sogenannten Martinus
Gallus, die um 1118 abgeschlossen wurde. Und etwas später
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 139
sind in den grossen Rythmen des Petrus Vener. die reinen
Reime gehäuft, während in dem daktylischen Hymnus auf
Maria Magd, die Reime oft unrein sind z. B. Pondere quo
scelerüm gravidos | exoneräns levet ad superos. Auffallend
ist auch in dieser Beziehung wie Reiner von Lüttich noch
um 1180 (Migue 204 p. 79) gedichtet hat. Der rythmische
Prolog zu dem Gedicht l de Conflictu' hat reine Reime, die
Hexameter des Gedichtes selbst haben entweder keinen oder
einsilbigen Reim ; das Gedicht über die Reliquien des h. Lau-
rentius hat im Prolog Caudati und im eigentlichen Gedicht
Leonini mit reinem Reim, ebenso die rythmische Oratio an
denselben ; dagegen das rythmische Officium de S. Spiritn
wieder einsilbigen Reim. Wir können diese Thatsachen
dahin zusammenfassen, dass in der ersten Hälfte des XU.
Jahrhunderts auch kunstreiche Dichter sich noch des ein-
silbigen Reimes ' bedienten ; dass um 1150 der reine zwei-
silbige zwar zur unbedingten Herrschaft gekommen war,
aber doch noch manche Dichter, denen sehr wenig an der
Form lag, sich des verdrängten einsilbigen oder unreinen
zweisilbigen bedienten. Neben dem zweisilbigen findet sich
in manchen Gedichten auch dreisilbiger so oft, dass er
gewiss beabsichtigt ist. Von den 21 Strophen der Klage
des Oedipus haben 9 dreisilbigen Reim in allen 4 Zeilen
(enio, enui, erie, ilia, uria, ilii, itio, erui, abilis), 6 drei-
silbigen Reim in je 2 oder 4 Zeilen (emina : umina, oculus :
umulus, enuit : ebuit, erminis : iminis, abula : ecula, omni :
acui); eine andere Spielart zeigt Mone No. 447, wo die
Vokale der drei letzten Silben gleich, die Consonanten un-
gleich sind, fulgida : culmina, endida : errima, hodie : gloriae
(filium : luciferum), angelos : angelos, merita : femina, emio :
epio, omnia: gloria, virginum : filium, eperat: praebeat,
issime: virgine, abili: flamini.
Es ist verboten, dass dasselbe Wort in der nächsten
Zeile wieder den Reim bildet. Doch können rhetorische
Digitized by
Google
140 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
Grunde dies verlangen, wie bei Hildebert (Migne 171
p. 1434):
Sine motu sine loco Motnm praebes praees loco;
und so findet sich diese Reimart besonders oft (8 Mal) in
dem Gedicht bei Hildebert (p. 1411).
Ueber die von einsilbigen oder von metrisch betonten
Wörtern gebildeten Reime wie päscor: väs cor, aparte:
super te, habe ich oben beim Zeilenschlusse gehandelt
(S. 118). Falsche Reime werden nicht nur von nachlässigen
Dichtern gesetzt, welche Zeilen mit jamb. und troch. Reime
mischen, wie Reiner Leod.
Tüa me lübricum Vivere pudicum,
sondern auch mit Ueberlegung als Künstelei; so Bur. 43
133 Str. 8
quam dülcia Sunt haec gäudia
Veneris furta sunt pia.
Ergo pröpera Ad haec munera
Garent laude dona s£ra.
Ebenso in No. 57 p. 149 und 275 8 Stücke der Art 'Queam |
lmeam | Jam pudoris tangere. Auf denselben Fall bei Adam
II, 297 (gräni: Gethsemani, gyrum: märtyrum, freti: per-
peti, cibus: volatilibus) bat Bartsch (Sequ. S. 186) auf-
merksam gemacht; doch Adam I, 135 'Dulcis ardor, ros
divine, Bonitatis germine Eadem substantia' ist wohl genu-
inae zu schreiben. Noch Johannes Anglicus (p. 68 Zarncke ;
siehe oben S. 112) schreibt hierüber 'Annotninatio ponit
similia principia et correptionem et productionem attendit
ut hie:
Nos trans mundi märia ducas, o Maria
Deviis per ävia nobis esto via.
Diese Arten des Reimes sind aber nur seltene Aus-
nahmen. Die Fülle der gewöhnlichen, reinen Reime ist in
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und Über tat. Eythmen. 141
dieser Periode eine ausserordentlich grosse, da fast alle Kurz-
zeilen mit Reim belegt werden. Der gleiche Reim bindet
nicht nur Paare von Zeilen, sondern durch die Auflösung
der Langzeilen in Kurzzeilen ist der gekreuzte und dann
wiederum auf die mannichfachste Art verschlungene Reim
herbeigeführt worden. So wurde aus dem Paar 8 — ^ +
7 v — c und 8 — v -f- 7 ^ — c zunächst 8 — v b + 7 w — c
und 8-wb -J" ? w — c, daraus wieder 4 — v a -f 4 — w a
■f 7^-c und 4 — ^ b + 4-wb + 7 ^ — c und mit
Variationen 4 — ^a -+- 4— ^a + 7^— c, 4 — ^a +
4_v a -{- -7 v— c oder 4-«a -+- 4— ^b + 7 w — c,
4_va + 4 — ^ b + 7 w _ c, ja sogar mit Unregelmässig-
keit Bur. 6 p. 5 frängit tränsit | velut umbra | quae non
est corporea, wo der zwiefache Reim in der ersten den
Schlussreim der zweiten Zeile ersetzt. Auch die aus gleichen
Zeilen bestehenden Gedichte werden durch den Reim zu
Strophen gegliedert, indem derselbe die gleichen Zeilen
durch verschiedenartigen Reim auf das bunteste verschlingt.
So haben bei Bernhard (Migne 184 p. 1315) die je 11 jam-
bischen Achtsilber der 1. 3. und 5. Strophe die Reimstel-
lung ababbbaab, ab, die der 2. und 4. Strophe die Reim-
stellung babaaabba, ab, wobei alle a durch eris, alle b
durch ia gebildet werden; die je 10 jamb. Achtsilber der
folgenden 5 Strophen haben die Reimstellung sosoossoo,
o u wobei alle s durch itas, alle o durch io gebildet werden
(in Str. 6 ist k Et mortis festinatio 1 nach 'Homo quae vitae
brevitas 1 zu stellen). So ist es nicht zu wundern, dass der
gleiche Reim oft Zeilen von der verschiedensten Länge
bindet; so gehen in Bur. 28 p. 33 die sämmtlichen Zeilen
der 2. Strophe (5 *> — + 6 */- -f 3 X 7 *- + 3 X 8 "-)
auf itur aus, und nicht nur reimen die Schlüsse der Va-
gantenzeilen mit den oft beigegebenen Hexametern, wie
Nee regnabant Schismata sed vi modernörum
Effodiuntur opes irritamenta malorum.
Digitized by
Google
142 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 188$.
sondern in Bur. 156 p. 221 str. 6 — 11 reimen auch die Halb-
zeilen des Rythmus mit der Caesur des Hexameters, wie
Si quis istis ütitur more modernorum
Turpiter abutitur hac assuetudine morum.
Es ist natürlich, dass, um die Kunst zu zeigen, die
Reime auch vielfach getauft wurden ; hiefür nur wenige
Beispiele: Bur. 74 p. 165 enden 22 Zeilen abwechselnd auf
ium und io ; Omer 25 32 Z. abwechselnd auf ies und ium ;
Mone 376 7 Z. auf io, 7 uit, 7 itur, 7 itas. Bur. 95 p. 174
(Marner; bei Zingerle Wien. Sitzungsber. 54, 1866, p. 319) 7
auf a, 7 e, 7 i, 7 o, 7 u; Bur. 98 p. 177 20 Z. auf ies;
Mone 665 22 Z. auf ia, Flacius No. 71 29 Z. auf io. Doch
scheinen die rythinischen Dichter, welche ja auch auf die
Wahl der verschiedenen Zeilen, auf den Bau der Strophen
und ganzen Gedichte bedacht sein mussten, nicht so viel
Künstelei entwickelt zu haben als die Dichter der gereimten
Hexameter *) (denn ausser einigen sapphischen Strophen
finden sich andere quantitirende Zeilen- und Strophenarten
mit Reim äusserst selten); diesen war die Form gegeben,
und sie konnten sich der Reimkünstelei ungestört über-
lassen. Wenn z. B. die Zeilen
Peracto triduo vitam in mortuo reformans corpore
Surgit continuo nullo jam denuo passurus tempore
an Künstelei es aufnehmen können mit den Hexametern
Soluere vincula pellere vincula noxia eures
Sunt mala saecula sunt modo regula pessima plures,
so zählt das rythmische Gedicht (Migne 189 p. 1012) nur
208 Zeilen, das quantitirende (bei Flacius p. 232) fast 3000.
1) Die vielen verschiedenen Arten der gereimten Hexameter habe
ich in der Abhandlung 'Radewins Gedicht über Theophilus 1 , Sitzungsber.
der Akad. 1873 I, zusammengestellt.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 143
Ueberhaupt scheint mir dieser Tausch vorgekommen zu sein :
der Reim war ursprünglich aus der rythmischen Dichtung
in die quantitirende gekommen (siehe oben S. 68) ; der
regelmässige zweisilbige Reim aber wurde in saec. XI-XTI
zuerst in den Hexametern herrschend und gesetzmässig und
ging von da in die rythmische Dichtung über.
Von den Zeilenarten.
Die Zahl der Zeilen in der früheren Periode war eine
bescheidene. Wir fanden die Kurzzeilen 5 — ^ , 6«-, 6 — ^ ,
7v,_, 7 — ^ , 8 ^ — , 8 — ^ und in 4 — ^ + 7 ^ — auch
den Theil von 8 — ~ verwendet, um (nicht zahlreiche) Lang-
zeilen zu bilden. Zu diesen Kurzzeilen ist in dieser Periode
noch 5«- zu rechnen, und auch Zeilenstücke von 1, 2 u. 3
Silben, sowie die Stücke von 4«- und 4 — ^ finden sich
selbständig unter jene Kurzzeilen gemengt. Diese Kurzzeilen
finden sich nun in vielerlei Verbindungen; entweder folgen
sich die gleichen Kurzzeilen, wie 5«- -["" 5 « — , 7 u - +
7 v. — , oder verschiedene , wie 8 — « _|- 7 « — , 7 w — 4-
6 — ^ . Von diesen Verbindungen ist der Schluss stets mit
Reim belegt, das erste Stück ist bald ohne Reim, bald hat
es ebenfalls Reim, als 7 « — a -f 7 « — b oder 7«_a -p
7w — a, 8 — v,a-f- 7 « — b u. s. f. Wenn alle Kurzzeilen
gereimt sind, so kann man zweifeln, ob man noch von
Langzeilen sprechen darf; allein die Dichter wechseln selbst
mit dem Reim. So in Kehrein Sequ. No. 147 (Daniel V,
208), wo auf 6 Zeilen zu 7 ^ — a + 7«-b und 6 Z. zu
7 - — c + 6 — v d folgen 2 Z. zu 7 -— + 6-^ e, 2 Z.
zu 7«--|- 7 w_ f, und 4 Z. zu 7«~ + 6~«g. Ich
nehme also die Verbindungen c(er Kurzzeilen hier auf wie
Langzeilen und reihe sie bei der Kurzzeile ein, welche das
erste Stück bildet.
Sehr selten ist der Fall, dass die Zeilen von 9, 10 oder
11 Silben nicht eine regelmässige Pause haben, sich also
Digitized by
Google
144 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882.
nicht als die Verbindung von zwei bestimmten Kurzzeilen
behandeln lassen, Silbenreihen mit wechselnder Caesur oder
Pause, welche bei den Griechen und Römern gewöhnlich
und in den nationalen Dichtungen des Mittelalters nicht
selten sind, wurden in der lateinischen rythmischen Poesie
der älteren Periode ängstlich gemieden, was wohl ein Erb-
stück aus der trockenen Handhabung des Versbaues in der
späten quantitirenden Poesie war. So kam es, dass auch
die lat. rythmischen Dichter unserer Periode von der Fessel
der stets gleichen Pause nur sehr selten sich frei machen
konnten.
Viele rythmische Gedichte dieser Periode sind noch
nicht gedruckt; selbst von den gedruckten habe ich die
Hymnen nur vereinzelt in Betracht gezogen, und doch ist
die Fülle der hier zusammengestellten Zeilenarten eine grosse.
Bestimmte Gesetze in der Zusammenstellung der Eurzzeilen
zu Langzeilen kann ich nicht finden. Aber natürlich haben
sich nur die wohlklingenderen Bahn gebrochen. So wurden
von den Verbindungen gleicher Glieder die mit gleichem
Reime der Kurzzeilen gemieden, wenn die Kurzzeilen nur
wenige Silben umfassen ; 6 « — a + 6 w — * * 7 w __ a -f-
7 ~ — a finden sich in der bessern Zeit selten in längerer
Reihe. Von den Verbindungen der ungleichen Kurzzeilen
wurden besonders die beliebt, welche bei gleichem Tonfall
wechselnden Schluss hatten, also nicht 8 — * + 7 — « aber
8 — « + 7 «— oder 8^ + 7-w; nicht 7 « — + 6 «— ,
wohl aber 7 * — -j- 6 — «.
In den Verbindungen zu 4 — « + 5 « — und 4 — « +
6«- kommt es sehr oft vor, dass die Basis, das Stück
zu 4 — « , schwankt, d. h. mjt 4 « — vertauscht werden kann.
Adam hat nur 4 — « + 6 «— , Abaelard hat nur 4 — ^ +
7 w _, aber auch 4«- + 5 « — und 4 « — + 6 « — , und
fast alle anderen Dichter lassen in 4 — « + 6"— auch
4 v, _ zu. Sonst ist dies Schwanken des ersten Zeilenstückes
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über tat Bythmen. 145
selten. Nur in den über 200 Z. bei Du Meril 1847 p. 128
(zu 6«-x + 6 ^ — a) steht im 1. Gliede statt 6«_x
sehr oft 6 — ^ ; ebenso kami in den Zeilen zu 6 « — a +
6v,_a + 6^ — b bei Reiner Leodic. (Migne 204 p. 95)
statt der beiden ersten Stücke zu 6 « — a auch 6 — ^ ein-
treten ; ebenso steht in den Z. zu 8 — « + 7 « — desselben
Reiners auch oft 8 ^— . Sonst aber ist unreiner Schluss
in diesen ersten Kurzzeilen ebenso selten wie in den letzten.
Die zusammentretenden Kurzzeilen sind meistens nur um
1 Silbe länger und kürzer ; denn die nicht häufige Ver-
bindung 7^— + 4^—, 7^— + 4 — « scheint mir eine
Nachahmung* des Gesanges zu sein.
Bartsch hat (Zeitschrift f. roman. Philol. III, 1879,
359 — 384) versucht, mehreren Zeilen (von 7 + 7 Silben,
von 11-8 + 3 oder 7 + 4, von 10 = 5 + 5, und von
Silben) Keltischen Ursprung nachzuweisen. Er ging da-
von aus, er sei berechtigt, wo er bei Frauzosen und Proven-
zalen Formen antreffe, die im Keltischen sich wiederfinden,
im Lateinischen aber nicht begegnen, einen Zusammenhang
anzunehmen. Da aber all diese Zeilen im Lateinischen uns
begegnen, und zwar oft und schon frühe (vgl. z. B. die
Zeilen zu 5 ^ — ), so kann ich wenigstens einen solchen Ein-
fluss des Keltischen, wie ihn Bartsch sich dachte, nicht an-
nehmen. Die Sache steht vielmehr so: Wir sehen schon
bei Abaelard eine grössere Anzahl von zusammengesetzten
Zeilen, von denen wir in der früheren Periode Nichts ge-
sehen haben, die aber auch nicht als Umbildungen antiker
Zeilen angesehen werden können. Abaelard hat seine Hymnen
kurz vor 1130 gedichtet; er sagt nur von den früheren
Hymnen 'tanta est frequenter inaequalitas syllabarum, ut
vix cantici melodiam recipiant, sine qua nullatenus Hymnus
consistere potest'; dass er die Zeilenarten seiner Gedichte
selbst erfunden habe, sagt er nicht. Wenn dennoch manche
von ihm erfunden sind, so beweist sein Stillschweigen zum
[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 1.] 10
Digitized by
Google
146 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
mindesten, dass damals solche Zeilenconstructionen nichts
Seltenes waren. Die Thatsache steht fest: im Uebergange
des XI. zum XII. Jahrhundert tritt eine Fülle von neuen
Zeilen- und, wie sich nachher zeigen wird, von neuen Strophen-
formen auf. Die Dichter waren offenbar damals von einem
neuen Geiste erfüllt; sie wagten es, ja sie fanden es für
rühmlich neue Formen zu schaffen. Die Frage ist nun, wie
sie dieselben schufen. Bei dem ältesten provenzalischen
Dichter ganz im Anfange des XII. Jahrhunderts und bei
einigen ihm folgenden, Abaelard nahe stehenden,, finden sich
auch neue Zeilen- und Strophenarten, und es wäre demnach
möglich, dass die lateinische Rythraik manche Formen aus
der provenzalischen entlehnt habe. Ich glaube das nicht.
Denn jene Formen sind im Verhältniss zu den bei Abaelard
vorkommenden wenig an Zahl und in Hinsicht auf die
Pausen und den Schluss der Zeilen viel unreiner als die
lateinischen. Viel weiter brächten uns diese provenzalischen
Dichter auch nicht; denn sie sind alle ebenfalls Kunst-
dichter, die ihre Formen selbst erfunden haben können.
Auf der andern Seite hatten die lateinischen Dichter in den
kühnen, vielgestaltigen Tongebäuden der alten Sequenzen
ein hohes Ziel, dem nachstrebend sie zur Schöpfung neuer
Zeilen und Strophen geführt werden mussten; ferner war
die Musik theoretisch und praktisch mit ausserordentlichem
Fleisse betrieben worden. So haben wir schon im XI. Jahr-
hundert einige neue Strophenformen und bei Petrus Damiani
(f 1072) eine neue Strophen- und Zeilenform gesehen. Der
kühne Aufbau der grossen Gedichte Abaelards (vgl. Planctus
1) Ich citire besonders die schon oben S. 41 genannten Carolina
Bnrana (Bur), Du Merils 1843, 1847 und 1854 erschienene Samm-
lungen, Mones Hymnen, die Oeuvres poetiques tfAdam de S. Victor
von Qautier, Archipoeta in Grimms kleinen Schriften IN, dann die von
Mone im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit VII, 1838, S. 102
— 114 und 287-297 gedruckten Gedichte der Handschrift No. 351 in
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bytkmen. 147
III und IV) zeigt, dass dies nicht der erste Schritt auf
einem neuen Wege ist, sondern dass schon Manche voran-
gegangen waren, deren Namen und Gedichte wir eben nicht
kennen. Meine Ansicht ist demnach, dass viele Dichter sich
oft die Kurzzeilen nach eigenem Gutdünken zusammenstellten.
Für den Strophenbau leugnet dies Niemand, warum sollte
es bei den Zeilen anders gewesen sein?
Bythmische Daktylen.
Allerdings bestehen die regelmässigen rythmischen Reihen
nur aus Trochäen und Jamben, und daktylischer Tonfall ergibt
sich nur beim Eintritt von Taktwechsel. Da aber die latei-
nische Sprache dem daktylischen Tonfall auch in Rythmen nicht
widerstrebt und da sogar in den deutschen Gedichten des Mittel-
alters daktylische Reihen vorkommen,, so wäre es sonderbar,
wenn in den lateinischen Rythmen sich gar keine rythmischen
Daktylen fänden. Ich habe solche in folgenden Gedichten ge-
funden: a) Im Weihnachtsspiel der Carm. Bur. 202, 47 p. 92
sind 8 Strophen der Art
Cöncupesceutia mixti sapöris
In'gerit sömnia lenis amöris
also genau entsprechend den quantitir enden Daktylen in Bur.
46 p. 136
Hoc amor (?) praedicat haec macilenta
hoc sibi vendicat absque perempta
In Bur. 44 p. 134 sind verschiedenartige Stücke: Str. 2 zwei
Stücke der Art:
Jämque Diöne iöcis agöne r^levat, crüciat corda suörum.
Str. 3 besteht aus 2 solchen Paaren
Tela Ciipidinis äurea gästo l'gnem commercia cörde molesto.
der Stadtbibliothek zu S. Omer, die 10 Gedichte des Walther v. Chat,
nach der ungenügenden Ausgabe von W. Müldener Hannover 1859;
Flacius, varia . . de corrupto ecclesiae statu poemata a. 1754; für
Äbaelard benutzte ich die Ausgabe in Mignes Cursus Fatrol. 178, für
welche die Hschr. neu benützt wurde. Mit x bezeichne ich reimlosen
Zeilenschluss.
10*
Digitized by
Google
148 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
In Str. 4 scheinen quantitirende Adonier und rythm. Viersilber
wie 'expäveo' gemischt zu sein. Vgl. Bur. 167 p. 229 Str. 1.
Die Zeilen in Brit. Mus. Egerton 274 (Philipp de Greve?,
P. Meyer Archives d. miss. Ser. II, 3 p. 284)
Veritas equitas largitas corruit etc. (vgl. S. 149)
sind eher als 6 w — -\- 6 ~ — zu lesen.
Zeilenstöcke yon weniger als 5 Silben.
Beim Singen wird sehr oft innerhalb der Zeile eine Pause
gemacht und so die Zeile in 2 Stücke zerlegt. Die Dichter
haben dies nachgeahmt und diese Pause oft durch Reim
kennbar gemacht. Wenn also bei Adam, der die Strophe zu
7 v, — aabccb gerne anwendet, sich I, 131 findet
Spiritus paraclitus Procedens divinitus
Manet ante secula.
Populis discipulis Ad salutem sedulis
Pacis dedit oscula
und so fort durch 5 Strophen, so ist hier offenbar der erste
Siebensilber in 2 Theile zu 3^ — a + 4 ^ — a zerlegt. Wenn
bei dieser Theilung Stücke mit gleichem Schlüsse entstehen, so
können sie unter sich reimen ; andernfalls muss jedes Stück in
einer andern Zeile seinen Reimgenossen suchen. Im Allgemeinen
sind diese Zerlegungen der Zeilen nicht häufig und finden sich
fast nur in kunstvollen und zum Gesang bestimmten Gedichten.
Man liebte es, diesen besondern Innenreim durch den sonst fast
verbotenen Gebrauch eines schweren einsilbigen Wortes zu
markiren, so Bur. 36 p. 123 Gratia solatia, mea dos amorum
flos, mea lex livorum fex; mea dux te mea lux.
Diese Zerlegung findet sich häufig in den troch. Sieben-
silbern in der oben gezeigten Weise 3 ^ — a + ^ ^ — a > so m
Bur. 42, 131 'nemoris vis frigoris', 'rideo cum video'; 191
p. 251 o et o cum gaudio, 15 p. 12 Judica nil clandica; 10
p. 8, wo in 4 Strophen jede 2. und 5. Zeile so getheilt ist.
Die andere Theilung zu 4 — ^ -f- 3 ^ — findet sich vielleicht
in Abaelards Planctus I
Miserande iuvenis : Gentis tantae concidis.
In Bur. 45 p. 275 möchte ich der Interpunktion wegen ver-
binden
Brachia eius ligo, pressa figo basia, nee talia . . und
Strenua sese plicat et intricat genua, nee ianua etc.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 149
Ebenso sind die 9 Strophen von Mone 582 zu je 2 Mal
Jesse proles quibus doles leva moles scelerum
Mater solis carens dolis lux in polis siderum
nur die Langzeilen 8 — ^ -f- 7 ^ — zerlegt in 4 — ^ a -]- 4 — ^ a,
4 — ^ a -\- 3 ^ — b. Ueber die Zeilen zu 4 — «a-f-4 — « a
-\- 3 ^ — b siehe nachher.
Die trochäischen Achtsilber sind in der Regel zu 4 — ^ -f
4: — w zerlegt und diese Theile oft unter sich gereimt ; siehe
hierüber bei der Zeile 8 _ « , Andere Zerlegung wie Fidelis |
in coelis | coetus und Volenter | decenter | laetus (Bartsch Sequ.
p. 226 ) oder Pallentis aurore | rore und Fluit ex amore j more
bei Johannes Anglicus (Zarncke p. 70) sind selten. Auch der
jambische Achtsilber (8 ^ — ) wurde nicht selten in 4 ^ — a -f-
4 w — a zerlegt. So ist von den je 4 Zeilen zu 8 «-- in Bur.
20 p. 21 Str. 2 und 6 je die 3. und 4. gebildet aus 4 ^ — a
— 4w — a -)- 8 ^ — a.
Andere Zeilen sind seltener zerlegt (vgl. Bartsch Sequ.
p. 236). In einem Gedichte der Sterzinger Handschrift (bei
Zingerle, Wiener Sitzungsber. 54, 1866, S. 324) avis suavis
statt 4 — w; Bur. 57 p. 149 u. 275 vidi viridi, videns invidens
mit falschem Reime statt 5 ^ — Die Theilung von 6 — ^ zu
Sic in duris curis. Irretitur citur (bei Zingerle p. 324), Lupus
ut astutus, Polo sine dolo bei Mone 854 ist unschön ; sonst
konnte man 6 — u und 6 c — nur mit Hilfe des Taktwechsels
theilen ; so hat Abaelard Planctus I statt 6 — u -f- 7 w — :
Vae mihi, vae tibi, miserande iuvenis.
In strägem commünem gentis tantae concidis.
Bur. 43 p. 133 Str. 5 Est pater est mater, | Est frater qui
quater.
Häufiger sind die Z. 6 ^ — zerlegt; z. B. Adam I, 50 In-
tonet consonet, wobei dann oft der durch ein schweres, einsil-
biges Wort gebildete Reim eintritt: Bur. 149 p. 56 Anna dux
mea lux | Iste quis sit ambigo. So sind vielleicht auch die
Strophen im Brit. Mus. Egerton 274 (Philippe de Greve? bei
P. Meyer, Archiv d. missions Ser. II, 3 p. 284) als 6 w_ a
-|~ b, 6u_a -f b, 4v_a -)- b zu messen:
Veritas, aequitas, largitas corruit
Falsitas pravitas, parcitas viguit
Urbanitas evanuit.
Die Zeile 7 — v scheint in 3 — u a -(- 4 — v a zerlegt zu
Digitized by
Google
150 Sitzung der pJiüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
sein in Bur. 160 p. 225 Procantem anhelantem, Flacius 52 In-
grate pietate. Viel gefälliger ist die Theilung zu U — -f-
3 — v, in Bur. 45 p. 275 (7 u_ + 7 — w):
Mitior amasia Dans basia mellita.
Veluti sub anxio Suspirio sopita.
Bur. 38 p. 126 zum Schluss von Str. 5 u. 6 je 1 , und zum
Schluss von Str. 7 und 8 je 2 Verbindungen zu 7 ^ — a -f-
4 ^_a + 3-ub = 7v_ -f- 7 — v.
Wiederholung ron Zeilenstttcken.
Beim Gesang wird ganz gewöhnlich im Anfang oder am
Schluss der Zeile ein beliebiges Stück derselben wiederholt.
Natürlich sind diese Wiederholungen in den nicht neumirten
Handschriften selten ausgeschrieben, wie Bur. 145 p. 216 Re-
frain Vincula, vincula, vincula rumpebat. Dieses Verfahren
des Gesanges scheinen die Dichter nachgeahmt zu haben, indem
sie statt der repetirten gleichen Worte, andere von demselben
Tonfall setzten. Wenn so das Stück einer Langzeile, also eine
Kurzzeile, doppelt oder öfter gesetzt wurde, so entstand daraus
eine Strophe; so ist aus 7 v--f 7o_b, + 7 w_. -j-7-ub
entstanden die Reimstrophe 7 ^ — aab, 7* ccb, aus 8 — w
+ 7w- b, + 8—^4-7 w__ b die berühmte Strophe 8 — * a
+ 8— v,a-f7^ — b, 8_vc-f8_uc + 7v-_b. Zur
Zeilenbildung konnte dieses Prinzip der Wiederholung nur in-
sofern dienen, als man Stücke der zerlegten Kurzzeile repetirte.
Sind die Zeilen in gleiche Theile zerlegt, so ist unsicher,
ob man sich die Wiederholung im Anfang oder im Schluss
denken soll. So Bur. 20 p. 21 Perit lex | manet fex | bibit
grex und Sed cum sis | plena vis | cedat lis. Dann der Re-
frain von Bur. 81 p. 167 vireat, o floreat, o gaudeat | In
tempore iuventus ; Bur. 8 p. 6 Spem concipis, te decipis et
excipis | Ab aula summi principis. vgl. Omer 19, Bur. 42 p. 132
Schluss; so ist in Bur. 59 p. 150 eine Masse von 9 Mal 4 ^ —
auf ia eingeschlossen von 7 ^ — ia und 8 ^ — ia. 4 — ^ -|-
4 — ^ -J- 7vy — (=8 — ^ -{- 7^—) ist erweitert in den 6
Zeilen zu 4 — ^ a -J- 4 — ^ a -j- 4 — ^ a -f" 7 ^ — b in Bur.
154 p. 217 Str. 1. 4. 7 :
Eia dolor nunc me solor velut olor albus neci proximus ;
vgl. Daniel Thes. II, 68. Zu einer Art Strophe geworden sind
die 20 Zeilenpaare zu 4 - ^ a -f- a -J- b, 4 ~~ ^ c -j- c + b,
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ladies de Antichristo und über lat. Bythmen. 151
die Abaelards Hymn. 74 — 77 bilden und von denen 4 Paare
auch im Planctus V vorkommen :
Israelis murus fortis unde meus
Inimicus et amicus eras summus.
Deutlicher ist diese Erweiterung, wenn die Theile der zer-
legten Zeile ungleich sind; nur kann hier öfter Zweifei ein-
treten, in welcher Weise man die Zeilentheile zusammenfassen
will. So wird in Bur. 151 p. 59 (Bartsch Sequ. p. 242) die
erste und letzte Strophe geschlossen durch 4^ — -j"^ — ~r
3 — ^ = 7 — ^ : Exceperam | me miseram | quid feci. So
Bur. 3 p. 3 8u-a, + 4^a+4^a-i-3^b =
8^ — -f- 7—v- vgl. Omer 28. So erklärt sich wohl am
einfachsten die Zeile 4 — ^ a + ^ — u a + 3 ^ — b als die zer-
legte und durch Verdoppelung des ersten Gliedes erweiterte
Zeile 7^ — =4 — ^ -+- 3 ^ — ; man kann sie freilich auch für
die alte Zeile 4 — ^ -f" 7 ^ — mit Zerlegung der Z. 7 ^ — in
4 — v -J- 3 v — ansehen. Abaelard hat im Planctus III 2 Paare
der Art:
stupendam plus quam flendam virginem
quam rarum illi virum similem.
Derselbe hat im Hymn. 78 und 79 4 Str. zu je 4 Z. der Art,
denen er in Hymn. 80 und 81 4 Strophen zu 4 Z. von 4 — <-»
-f- 7 ^ — parallel gesetzt hat. In Bur. 154 p. 217 schliesst
Str. 2. (5.) 8 mit je 4 Z. der Art und Joh. Anglicus (p. 58
Zarncke) citirt:
Deo meo raro paro titulum
Astra castra regit egit seculum.
Wie in den Strophen die Zahl der Theile der Langzeilen,
so wurde auch die Zahl der Zeilentheile noch vermehrt; so
bei Petrus Clun. (Migne 189 p. 1017) 4—- -|- 4 — v a ,
4— v, -f 4 — v, a -|- 3 u — b; Bur. 59 p. 150 6 Mal 4 — ^
(ecto) -f- cilia.
Auf diese Weise lässt sich vielleicht eine sehr schwierige
Zeilenart erklären. Abaelard Planctus III hat 47 Zeilen, die
fast alle zu « — w a -f" w — ^ a -f- — ^ — b gebaut sind :
Ad festas choreas cöelibes.
Et planctus ut cäntus celebres.
In manchen Zeilen fehlt der Innenreim, wie 'Promisso | que
fräudet | dominum', in andern tritt im ersten oder zweiten oder
in beiden __ « ^ statt « — « ein : U nicae quod ndee diluit.
Hac valde virgine nobiles. 4'nnuos virginum ejlegos. Dann
Digitized by
Google
152 Sitzung der philos.-philol, Classe com 7. Januar 1882.
finden sich 9 Z. mit dem Baue « _ « a -[" w — w a + — ^ —
Nee möae nee tüae öbstes glöriae
Penigrans et plörans viicem planctibus;
nm* 2 Mal steht — ^ w statt w __ ^ .
Ich kann die erste Zeilenart nicht als Neunsilber mit Innen-
reim fassen ; denn abgesehen von allen andern Bedenken, wie
den Caesuren, kennt Abaelard keine Neunsilber der Art; auch
die 2. Art kann nicht als Verbindung von Sechssilber und
Fünfsilber erklärt werden; denn der Sechssilber würde 1 Mal
jambisch, 8 Mal trochäisch enden. Vielmehr scheinen mir jene
Verse Sechssilber (6 w „), diese Achtsilber (8 « _) mit Repe-
tition der ersten drei Silben zu sein ; indem statt 'Ad festas,
ad festas virgines' gesetzt ist 'Ad festas choreas virgines' und
statt 'Perägrans, perägrans vacem planctibus' : *Peragrans et
plorans v. pl.' Da nun die Zeile 6 (8) ^ — ebenso gut mit — w «
als mit ^ _ w beginnen kann, so gestattete sich Abaelard auch
einige Male — « « statt » — « zu setzen.
Wiederholung am Schlüsse.
Auf die Wiederholung von Schiusssilben beim Gesang sind
Zeilen zurückzuführen, wie Omer 4:
Festa dies agitur Qua sol verus oritur
Suscipit natura naturam
Redimit factura facturam.
Bei Du Meril 1817 p. 22 folgen auf 10 Z. zu 4 w _ -f 6 -_
mit dem Reim eris wie '0 natio nefandi generis' 4 erweiterte
Zeilen, in welchen die letzten Silben von 4 ^ _ repetirt sind, wie
Considera misera quare damnaberis
Quod literam perperam interpretaveris.
Aus diesem Prinzip der Wiederholung am Schlüsse sind, wie
ich glaube, die Zeiienverbindungen zu erklären, in welchen sich
4 ^ — an die jambisch schliessenden Kurzzeilen 5 «— , 7 « —
und 8 « — anschliesst. Die Verbindung von 8 ^ — und 4 ^ —
findet sich häufig, indem 4 « — bald vorangeht, bald nachfolgt ;
die Verbindungen 5 ^ — -j- 4^ — , 7 ^ — -{- 4 ^ — habe ich
bei den betreffenden Kurzzeilen besprochen.
Der Möglichkeiten, diese kurzen Zeilenstücke mit einander
zu verbinden, sind oft mehrere. In manchen, wenn auch im
Vergleich zur deutschen Poesie (vgl. Bartsch Germania XII,
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. By Mimen. 153
129—194) wenigen, Gedichten sind der Zerlegungen so viele,
dass eine Gliederung derselben zu gewöhnlichen Zeilen sehr
schwierig ist; vgl. Bur. 200 p. 78, 160 p. 224. Flacius 42, 56
u. andere. Andererseits wird es nicht Wunder nehmen, dass
ein oder das andere dieser Zeilenstücke auch selbständig ge~
braucht wurde. So ist der Schluss der 5 Strophen von Bur.
23 p. 25 gebildet aus 8~« aaa -f* — « b -f- 8 — ^ aa -\-
— ^ b, und — ^ — findet sich öfter zwischen längeren Zeilen
eingeschoben; vergl. Bur. 84 p. 170. 201 p. 79 Das Stück
w — v, ist zum Abschluss von 7 w _ benützt in Bur. 38
p. 126 und in dem Schlüsse Bur. 161 p. 225 (nach der
Hdschr.) :
Sentio Veneris officio turbari
Oculus Cordis hanc praeambulus venari.
Häufiger treten die jamb. Viersilber (4 w — ) selbständig auf.
Selten als Basis einer Zeile, wie wohl in Bur. 42 p. 131:
Et aethera silentio turbavit
Exilio dum aves relegavit,
und in der Verbindung 4 ^ — -f- 6 ^ — (siehe bei 6 v> __) ;
häufiger mit 8 w __,; dann in Verbindung mit trochäisch schlies-
senden Zeilen; so werden Bur. 179 p. 240 5 Z. zu 8 — ^ (auf
iti) geschlossen mit 'non dormiant | et sermones inauditi | pro-
siliant; vgl. die Verbindungen 5 — ^ ~J- 4^_, 6 — ^ -j- 4 ^ —
und 7 — v, -|- 4 U —
Der trochaeiscJie Viersilber (4— w) tritt häufiger selbständig
auf; vgl. Mone 554, wo die Strophen aus folgenden Zeilen zu-
sammengesetzt sind 1) 6 — ^x -f 4 _ ^ a -f- 5 — ^ a -f 4 — 4;
2)4--x+6-ua + 5-wa-|-4-«b; 3) 7 w_ n -f
7 — wx -[- 4 — ^ b. Die Basis bildet 4 — u in den Verbindungen
4 — v, -f- 5w_, 4 — - -f 6-_, 4 — - -f 7 w_. (4 — - -|-
7 — . y ), wo es bei vielen Dichtern mit 4 ^ — wechselt.
Trocliacische FUnfsilber (5 « — ).
Der jambische Fünfsilber, welcher in der früheren Periode
uns nicht vorgekommen ist, findet sich in dieser nicht selten.
Er ist natürlich stets frei von Taktwechsel.
Abaelards hymn. 62 — 69 enthält 27 Str. von je 3 Z. zu
5 v — -f- 5 ^ — a, ger. zu 3, z. B. Pörtae claviger | äulae cäe-
licae; (1 h; in Hymn. 65 u. 66 einige fehlerhafte Zeilen; hymn.
68 = Da». 5, 235 == Kehrein 385; vgl. Bartsch Sequ. p. 214).
Digitized by
Google
154 Sitzung der plUlos.-philol. Glosse vom 7. Januar 1882.
5w — a -j- 5« — a findet sich in Mone 448 von 7 — ~ b
-\- 7 — « b gefolgt ; ebenso 5« — a + 5 w — a-}"^ — «b
in Bar. 154 p. 218 Str. 3. 6. 9; 5w_a + 5w__a +
8 — w a 2 Mal in Bnr. 43 p. 133 Str. 8. Für die Verbind-
ung 5 w — a -f- 5« — b bieten die 3 Strophen von Bur. 163
p. 226 ein schönes Beispiel, wo 8 Z. zu 5 w — mit Reimstel-
lung abababaa durch 4 « __ b abgeschlossen werden.
In verschiedenen Verbindungen geht 5 « — voran. So in
5 « — -j- 4 « — : Cur damnaberis | gens misera in Bernhards
Hymn. Laetabundus. In Omer 8 schliesst jede der 5 Strophen
mit 2 Mal 5 «_a -f- 4 w_a -f- 6«-b; ebenso kommt in
Mone 170 öfter die Verbindung vor: propter fragiles | ut agiles.
Mit 6 — v, verbunden in Bur. 133 p. 206: 4 Str. zu 5 «_ a
-|- 6 — wb + 5v — a -f- 6 — ^ b -f- 5 v _ a + 5 %< — a -{-
6 — « b + 5 w — a. In Bur. 166 p. 228 ist Str. 1 zusammen-
gesetzt aus 3 Mal 5^_x -J- 6 — ^ a + subveni, Str. 2, 3
u. 4 dagegen aus 3 Mal 5w~x + 6v — a -+- subveni ; der
Refrain besteht aus 5 ^ _ x + 6 ^ — a + subveni.
Gemischt findet sich 5 w — in Bur. 24 p. 27 mit Zeilen
zu 4 + 6 *_, in Abael. Planet. IV 5u_a + 8 V -a +
4 * b (18 Strophen); in Bur. 11 p. 8 beginnen 9 Str. mit
2X(5«-a -f" 3-ub + 4 ^ — c) , vielleicht = 8 — v mit
Innenreim -j" 4w_; die Verbindung 8 — ^ -j- 5^ — a -f-
7 <~ — a kommt in Bur. 43 p. 133 Str. 3 zwei oder drei
Mal vor.
Als Schluss findet sich 5 v— in verschiedenen Verbind-
ungen ; so in 4 — ^ + 5 w _ ; 6 — v -|- 5 w __ ; 7 ^ — -J-
5 u _. ; 8 — \j -j- 5 v — Den Neunsilber 4 — > -\- 5 ^ — hat
Abaelard öfter verwendet; so in Planctus II 8 Z. gereimt zu
2 (3 Z. mit 4^_); dann besteht Hymnus 86 — 94 aus 32
Strophen zu 4 X (4 — » + 7 w — ) und 2 Z. zu 4 — w oder
4w_-J- 5v_b; vgl. Mone 1050 Str. 5 und die 12 Zeilen
in dem münchener Rachelspiel, Du Meril Origines p. 172 u. 174.
Jambische Fflnfsilber (5 — w ).
Ueber den Taktwechsel in dieser Zeile siehe oben S. 121,
über den rein daktylischen Wortschluss S. 125. Diese Adonier
wurden schon in der früheren Zeit selbständig zu Gedichten
verwendet. Während in Abaelards Planctus I 6Z. zu 5 — v x
•f 5-ua stehen mit 5 daktyl. Wortschlüssen , stehen in
Hvmn. 48. 49 u t 50 72 Z. gereimt zu 3 (aab), wobei jede
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 155
3. Z. (b) in 48 auf a, in 49 auf at, in 50 auf um reimt, so
dass vielleicht 24 Langzeilen zu 5 — vaab(ccb etc.) anzunehmen
sind ; darin finden sich nur 2 daktyl. Wortschlüsse. 5 — w a a a a
und 5— ^ aaa findet sich in Bur. 43 p. 133 Str. 5 u. 6.
Von den Verbindungen, in welchen 5 — ^ die Basis bildet,
ist die auffallendste die Zeile 5 — ^ x -f~ 4v — a, welche
Abaelard Hymn. 70 — 73 in 12 Str. zu 4 Z., gereimt zu 4, ver-
wendet hat, ohne h, aber mit 13 rein daktyl. Wortschlüssen
und den 2 Z. 'Pedes eorum | pedes recti' und 'Tamquam ex
aere | sint candenti'. 31 sapphische Strophen aus 5 — w -f-
6 — v gebildet finden sich in Zeitschr. f. deutsch. Alt. 5 (1845)
p. 467, ohne Reim; Borgia (Memorie di Benevento II, 277)
hat 10 sapph. Strophen mit nur 2 Z. zu v — u — v> , 38 zu
— w v — v und ohne Tw in den Zeilen zu 6 — ^ ; jedes Stück
zu 5 — kj reimt mit dem folgenden 6 — w z. B. Aula beati |
praesulis barbati ; der Schluss 5 — w ist ohne Reim ; ich glaube
nicht, dass das Gedicht vor dem XII. Jahrhundert entstanden
ist. Die sapphische und die alcaeische Zeile (5 — u -|- 6 w — )
sind gemischt in der Strophe bei Adam II, 219: 2 Mal (5 — u a
4- 6—^ b) + 7 ^— c, +2 Mal (5— w d + 6 » — e) +
7 ^— c und in den 3 Strophen von Bur. 83 p. 169, welche
beginnen mit 2 Mal (5 — <-» a -[" 6 v — D ) "f* 2 Mal (5 — v c
-J- 6 v — d) + 2 Mal (5 — u e -f" 6 — u f) ; besonders aber
in dem Leiche Bur. 62 p. 153, dessen Str. 1. 2. = 9. 10
bestehen aus 3 Mal (5_va + 6— v, b) , Str. 3. 4 = 11.
12 aus 3 Mal (5 — w a + 6 ^—b), Str. 5. 6. 7. 8 = 13.
14. 15. 16 aus 3 Mal (5— v a -f 5 v_.b). In den 48 Z.
zu 5 — v> finden sich 9 rein daktyl. Wortschlüsse.
Vgl. die Zeilen 7w — -|~ 5 — « .
Jambische Sechssilber (6 « — ).
Die Zeile 6 « — ist uns in der früheren Periode in der
alcaeischen Zeile 5 — w -}- 6 w und öfter in der umgeformten
asklepiadeischen 6 « — -|- 6 « — begegnet. Auch in dieser Pe-
riode tritt die asklepiadeische Zeile so oft auf, dass die einzeln
verwendeten Zeilen zu 6 w — sicher nur aus der Zerlegung jener
Langzeile herstammen. Ueber den Taktwechsel in dieser Zeile
siehe oben S. 121 und über rein daktylische Wortschlüsse
S. 125 und 132.
Weitaus am verbreitetsten ist die Zeile 6 « - x -f- 6 w — a.
Pie Hjrinni diurni 10^- 3 8 Abaelard^ umfassen in 90 Str. 360
Digitized by
Google
150 Sitzung der philos.-philol. Clause vom 7. Januar 1882.
Langzeilen, von denen je 2 reimen ; einige Reihen finden sich
im Planctus III. (in H. 14 Ist Arduum coeloruin caliem refu-
giunt umzustellen in Coel. ard. ; in H. 18 Ncc aetas terrena
in 'ferrea' zu ändern, H. 26 Ubi Christus sponsa eius est ecclesia
in: Vir Christus sponsa est eius eccl.) mit 4 h und 2 (h) in
den 360 Z. vgl. oben S. 125 u. 129. Die Apokalypsis dos
Walther von Chat, umfasst 440 Z., gereimt zu 4 (vgl. S. 120
u. 135). Petrus Yener. (Migne 189 p. 1020) hat 84 Z. ge-
reimt zu 2, ohne h, mit vier rein daktylischen Schlüssen; die
erste Hälfte der Zeile hat 3 quantitirend betonte Schlüsse iu
'Hugo pius pater. Clausus adhuc latet. Quae dentur dat deus.'
Bernhard (Migne 184 p. 1313) hat (nach 16 Z. zu 7 w_ -j-
6—w) 40 Z. zu 6w_ -|- 6w_a gereimt zu 4, mit 2 h.
Bur. 150 p. 57: 20 Str. zu 3 Z. ; in Str. 16 einige falsche
Zeilen, mit 3 h und 5 (h), reine Daktylen in 9, 4 und 10, 2.
Im Weihnachtsspiel 202 p. 81 u. 82 5 Str. zu 4 ger., mit
1 Mai l pariet ftlium' und 2 h in 'dei et'. Du Meril 1847
p. 180, 39 Str. zu 4, gereimt zu 4. Nur 2 Mal 'E'xpedit
vivere' und 'dücere fügias'; umzustellen 'Qui coeunt nimis |
incurrunt obitum' und 'Tarn cito volebant | nuptias fieri.' Denn
6 — w statt 6 w _ fand ich nur in folgendem Gedichte. Du
Meril 1847 p. 128, über 200 Z. gebunden zu 2, oft zu 4
durch ein- oder zweisilb. Reim oder Ass. Reine Daktylen, wie
'nitixirna crimina' kommen nicht viele vor, dagegen wird sehr
oft die erste Kurzzeile (6 ^ — x) durch 6 — ^ , wie : Affirmare
queo. Ipsi pätiüntur. I mmo si secündam', gebildet. In den 5
Strophen von Flacius 1 3 -)- 1 4 werden 4 Z. zu 6«-x-fa
geschlossen durch 6 ~ — a, in den 3 Strophen von Fiac. 21
werden 3 Z. zu 6 ^ — x -{- a geschlossen durch 4 ^ _ a -|-
6w — a + 8 w — a .
Fortlaufende Reihen von Zeilen zu 6 « — a -|- 6 w _ a,
d. h. mit dem gleichen Reim in beiden Kurzzeilen, sind wohl
der Eintönigkeit halber vermieden worden. Dagegen finden
sich Reihen von 6 ^ — aaabbb in Bur. 36 p. 122 Str. 5. 6.
20. 21. 30. und in der Nachahmung 174 p. 233 Str. 5. 6.
15. 16., mit Reimen wie dira sors, est mors, vitae sors, ut
nix, aut vix, corde pix, die in 174 zum Theil nachgeahmt sind.
Häufiger finden sich Reihen der Langzeilen 6w — a -\-
6 w — b, also mit gekreuztem Reim der Kurzzeilen. Bar. 76 p. 46
5 Str. von je 6 Z., zuerst 2 Mal (6 u — a -f- 6 ^ — b), dann
4 Mal (6 v _ c -f- 6^-d), ohne b oder reinen Dactylus, In
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über tat. Rythmen. 157
den 2 Str. von 74 p. 165 folgen auf 4 Z. zu 6 u — a -f-
6v> — b noch 6^ — b -f- 6o — a -f - 6 u — b, ohne h oder
rein. Dact., und mit dem Reim ium und io für a und b in den
22 Z. Eine Str. zu 4 Z. in 202, 33 p. 89 mit der Reim-
stellung ab ab c b c b. Flacius No. 22 hat 2 Str. von je
4 Z. zu a + b, No. 15 zuerst 3 Z. zu a -f- b, dann 1 Z.
b + a, 1 Z. a -f b.
Die asklepiadeische Zeile zerfiel in 2 völlig gleiche Theile ;
diese einzelnen Stücke zu 6 ^ — wurden nun in der mannig-
fachsten Weise verwendet. Von den verschiedenen Verbindungen
der Sechssilber mit sich selber gibt Adam viele Beispiele :
4 Mal (6 x + a) II, 89; (II, 40: 2 Reihen von 6 ab ab
u. 6 c d c d u. I, 293 von abab u. ddee, jede durch 6 _v
geschlossen) ; Strophen von 6 ^ — aabccb I, 30. 344. II, 81 ;
Strophe von 6 v — aaabcccb II, 229, 5; Strophe zu 6 ^ —
aaaabccccb II, 90, zu ababc dedec II, 229, 8.
Solche Verbindungen finden sich auch sonst oft. Z. B. hat
Petrus Vener. (Migne 189 p. 1012) 104 Paare von Langzeilen
zuGv. — aab, ccb mit sehr wenig h und nur 4 Z. wie 'red-
ditur saeculo' und mit unreinem Schlüsse iu Christe deus meus |
ad te clamo reus und Quando sine fine | summus ab homine.
Als solche Langzeilen sind auch die 11 Strophen des Reiner
von Lüttich (Migne 204 p. 95) 6u — aabccb zu denken ;
denn während die 6 ^ — b stets reinen Schluss haben, bestehen
die mit a oder c reimenden Kurzzeilen 22 Mal aus 6 ^ — und
ebenso oft aus 6_w. Mone 658, 44 — 57 hat eine künstliche
Reimstrophe zu 6 < aabccb d , eefggfd; Bur. 157 p. 223
4 Str. zu 6^ — ab ab bbaaab mit nur 1 (h), aber 7 rein
dact. Wortschlüssen; abgesehen von 4 Z. haben alle den Ton-
fall — \j u — yj — .
Die Verbindungen, welche 6 ^ — mit anderen Kurzzeilen
eingeht, so dass es die Basis der Verbindung bildet, sind nicht
häufig. Z. B. 6 v _ a -+ fi-vb, 6.-a-f 6-ub Bur.
40 p. 130 Str. 3; vgl. Adam II, 404; über die Zeile 6_v
-j- 7 — v wird am Schlüsse beim Ludus de Antichristo ge-
handelt werden. Mit 8u — oder 4 u — -[- 4 ^ — tritt 6 w —
zusammen in Bur. 43 p. 133 Str. 8, u. 159 p. 224 Str. 2. 3.
An andere Kurzzeiien schliesst 6 t — sich an in : 5v — -|-
6 <~> — , 5 — ^ -f~ 6 vy — und 7 — ^ -f- 6 ^ — ; besonders in
4 -(- 6 u — • Da ^ dieser Verbindung die Kurzzeile zu 4 Silben
den unwesentlichen Theil bildet, so behandle ich die Zeile hier.
Digitized by
Google
158 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882,
Die Zehnsilber zu 4 + 6 ^ — kommen in verschie-
denen Formen vor, je nachdem der erste Theil aus 4 ^ — oder
4—^ oder bald 4 — ^ bald 4^— besteht oder endlich die
Pause nach 4 öfter vernachlässigt wird.
Die Verbindung 4 ^ — + 6 ^— findet sich ohne Reim
in 4 v— bei Du Menl 1847 p. 222 in 10 Z., die alle auf
eris reimen; Omer 22 (5 Str.) reimen die 4^— a und die
6 ^ — b unter sich; am künstlichsten ist der Beim in Bur. 75.
p. 45, wo in den drei Paaren Z. 1 u. 2, 4 u. 5, 7 u. 8
4 ^ — a zu 4v/-a und 6 ^ — b zu 6 v — b reimt, dagegen
in den Zwischenzeilen 3 u. 6 4 ^ — b zu 6 ^ — b und 6 ^ — a
zu 4 ^ — a der vorangehenden Zeilen reimt. Erweitert ist die
Zeile in Flacius 129, wo 2 Mal 4 v — a + 4 *•— a + 6 °~~ a
eingesetzt ist (vgl. mit dem Anfang Joh. Anglicus bei Zarncke
p. 74); in Omer 22, wo auf die 4 Z. zu 4 **>— a -f- 6 v/— b
2 Absätze von je 4 ^— a -f- 6 ^ — a + 6^— a -j- 6^ — b
folgen ; endlich in Omer 32 , wo auf 3 Z. zu 7 — <^ a folgen
4 ^ — b 4" 6 *■/ — b, 4 ^ — c -f- ^ ° — c M~ 6 v — b ; b ist in
allen 8 Strophen *ula\
Selten besteht die Basis dieser Zehnsilber nur aus 4 — ^ ,
wie stets bei Adam und z. B. Flacius No. 17; in der Regel ist
neben 4 — ^ mehr oder minder häufig 4 ^ — zugelassen. Die
Vernachlässigung der Pause kommt nur in wenigen Stücken
vor, bes. in den Ludi; so in einem Osterspiel
Et dicant sur rexit a mortuis
viri for tes vobis dabimus.
Nach der gewöhnlichen, bes. von Gautier verfochtenen An-
sicht, ist dieser Zehnsilber eine rytbmische Nachbildung der in
späterer Zeit ziemlich beliebten daktylischen Reihe 'Quam cu-
pere^m tarnen ante necäm'. Mir scheint diese' Ableitung durch-
aus unsicher; denn ausser der Silbenzahl und dem Schlüsse
haben die Zeilen nichts gleich; die Caesur nach der 4. Silbe
ist in der daktylischen Reihe durchaus nicht gesetzmässig, und
der anlautende Daktylus sollte rythmisch zu u — ^ oder — v <-»
werden; im Zehnsilber ist aber — v^ — v/ der regelmässige An-
fang, « — . w — die Ausnahme. Vielleicht ist die Zeile 4 — w -f-
6u — eine freie Erfindung, nachgebildet den alten Zeilen zu
4 — w -f- 7 « — und 5 — ^ -|- 6 « —
Nur aus Zehnsilbern besteht Äbaelard's Hymn. 29 — 32,
22 Str. zu 4, gereimt zu 2, mit 2 h und 1 Mal Virginum
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lab. Bythmen. 159
glöria' ; 4 v, _ ist nicht selten ; in 29 '0 vere beata pauper
puerpera' tilge vere. Du Menl 1843 p. 294 90 Z. in Str.
zu 4, ger. zu 2, ohne h, mit 2 rein daktyl. Wortschlüssen
und oft 4 w — ; das Gedicht bezieht sich auf ein Ereigniss von
1087; da aber die Reime fast alle rein sind, ist seine so frühe
Entstehung unsicher. Die Klage des Oedipus (Zeitschr. f. d.
Alterth. XIX p. 90) 21 Str. zu 4 ger., wird von Joh. Anglicus
p. 71 Modus rithmi autenticus ab antiquo tempore genannt,
ist aber gewiss nicht alt, da sie reine zwei-, oft auch dreisilbige
Reime hat (oben S. 139); der Bau ist nicht rein: 4 « — 13
Mal ; 24 Tw in 6 ^ _ , darunter 3 mit daktyl. Wortschluss ;
h 7. Arcliipoeta No. I: 45 Str. ger. zu 4, ohne h; 22 Mal
4 w — ; in den Z. zu 6 « — 83 Tw, darunter 14 mit rein
daktyl. Wortschluss. l ) Eine Reimstrophe von Zehnsilbern zu
abab, baab hat Flacius No. 17; noch künstlichere (von
Philippe de Greve?) P. Meyer im Archiv, d. Missions II, 3
p. 283.
Häufiger treten die Zehnsilber mit andern Zeilenarten zu
Strophen zusammen. Äbaelard's Hymn. 1 — 9, 45 — 47 u. 51
bestehen aus 74 Strophen von 8 «-a-|- 8« — a-|- 10 u — b
-f- 10 « — b; in den 148 Zehnsilbern findet sich oft 4« — ,
kein daktyl. Wortschluss und 1 Mal sta t ; einige Z. zu 10 w_
auch in Hymn. 52 u. 53. Verschiedene Verbindungen bietet
Adam: Strophen zu 4, ger. zu a a b b oder a a a a oder abab
II p. 274. 220. 293; Strophen aus 2 Theilen zu je 3 mit
dem Reim aaa + ^ — w b I> 68 und II, 312 oder zu je 4
mit dem Reim aaaa -f ^ — w *> I? 271; Strophen aus 2
Theilen zu je 2 Z. a a + 7 «_ b I, 265 u. II, 101 (106);
II, 99 stehen 3 Z. zu ulo -f- 5 Z. zu ia. Statt 4 — v, steht
bei Adam niemals 4 w — ausser in I, 70 In te*rra päx | et iu-
bilätio; allein dies ist ein Citat; die Z, zu 6 «_ haben nie
rein daktylischen Wortschluss. Wenn demnach in I, 181 auch
die Strophen form, 2 Mal (3 Z. -f- 4 — v,), keinen Anstoss er-
regt, so macht das Faktum, dass 8 Mal 4 ^ -— und 2 Mal
daktyl. Wortschluss (vgl. 6 _ ^ in Str. 5) sich findet, es mir
sehr zweifelhaft, ob diese Sequenz von Adam ist. Auch bei
Bernhard (Migne 184 p. 1323) werden 30 Str. zu 4 Z., ge-
1) Verbessere aus der Hschr.: 14, 3 Redditurus; 21, 4 darapnatus;
26, 3 lucemae; 29, 3 omne (ornnem?) maleficura; 30, 3 Quae; 31, 1 In-
sistite ; 36, 1 vobis ; 39, 2 hoc mihi.
Digitized by
Google
160 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
reimt a a a a , durch 4 — ^ geschlossen ; darin nur 2 Mal 4 •> —
und 2 daktyl. Wortschlüsse; in Flacius 74 reimt, was ich
sonst nicht fand, auch die Basis der Zeile : 4 a -|- 6 b, 4 a +
6b, 4c; 4d -\- 6b,^4d -{- 6b, 4c. In Bur. 80 p. 167,
5 Str. zu 4 ; obwohl die 4 Z. gleichen Reim haben, steht nicht
minder nach dem 1. als dem 2. Paare ein Refrain; in No. 82
steht am Ende jeder Strophe von 4 Z. mit gleichem Reim ein
reimloser Schluss von — ^ : exul etc. Die 8. Strophe (Philipp
de Greve?) bei P. Meyer Arch. d. Miss. II, 3, p. 281 besteht
aus 2 Theilen zu je 2 Z. zu 10 ^ — und 1 Z. 8 — ^ mit Reim
a a b. Interessant ist die Mischung dieser Zehnsilber und der
troch. Fun falber in der wachsenden Strophe Bur. 24 p. 27
Quod spiritu | David praecinuit | Nunc exposuit u. s. w.
Trocliaeisclie Sechssilber (6 — ^).
Diese Zeile ist, mit sich selbst verbunden, in der geistlichen
Poesie weniger selten als in der weltlichen. Ueber Taktwechsel
und rein daktylischen Wortschluss in derselben siehe S. 120
u. 123. Abaclard hat (Hymn. 60. 61.) 15 Str. zu 4, gereimt
zu 2, ohne h mit nur 3 Tw. Die 6 Strophen von Bur. 86
p. 49 beginnen mit 2 Mal (6 — ^ a -\- 6 — ^ b); dagegen
finden sich in Mones Hymnen viele Strophen von 2 Mal (6 _ ^ .
a + b) in 789. 1051, von 6 — - aabb in 790. 813, 29
Strophen zu 6 — « aaa -)- 5 ^ — b, 6 — ^ c c c -|- 5 ^ — b,
6 — ^ ddd -{" & " — b m No. 498, also Erweiterung von 6 — ^
-[- 5 w — .
Den ersten Theil bildet 6 — w in verschiedenen Zeilen-
verbindungen, so in Bur. 140 p. 211 8 Str. zu 6 — ^ a -|*
4 -_ b, 6— - + 4 -_b, und in 100 p. 178 (6_- a +
4-_b)X 2 + 6--c + 4w_d + 6_.ee + 4 ~_ d.
Dann in 6 — ^ x -j- 5 .— ., von welcher Zeile Mone No. 209
7 Strophen zu 4, gereimt zu 2 bietet; Bur. 107 p. 184 be-
steht aus 3 Str. zu 6 — ^ -|- 5 ^ — a, 6 — « -|- 5. — a,
7 . — b, -\- 6 — « -|- 5 « — b. Vier Langzeilen zu 6 — . -f-
7 . — a stehen in Mone 372 Str. 7, je 2 solche finden sich
im Anfange der 5 Strophen von Bur. 23 p. 25. Die Verbin-
dung 6 — «a -|- 7 — ^a + ? — ^ a -\- 6« — b findet sich
in den 7 Str. von Omer 26.
Den SchlCTss der Zeilen Verbindungen bildet 6 — . in den
4 Z. zu 4 — . +6 — . in Abaelards Planctus V und in den
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 161
Verbindungen 5 ^ __ -[*- 6 — ^ , 5 — ^ -|- 6 — ^ , 6 « — -f-
6_w, 7 w_ + 6 (!), 8u_ + 6 — w und 8_w -f
6 — «. Die 5 Str. von Bur. 124 p. 198 bestehen aus 5 ^ — a
-f 6-wb, 5 o — a + 6 — - b, 6 — - + 6 — ~ b, 4 — w -f
6-.b.
Trochaeische Siebensilber (7 w — ).
Wir fanden schon in der vorigen Periode den zweiten Theil
des troch. Ftinfzehnsilbers, die Zeile zu 7 « _, von demselben
abgetrennt und als selbständige Zeile theils mit sich selbst,
theils mit anderen Kurzzeilen zu Verbindungen zusammenge-
stellt, welche die quantitirenden Dichter nicht gekannt hatten.
Dieselben sind in dieser zweiten Periode weit zahlreicher und
wichtiger. Ueber den Taktwechsel in dieser Zeile siehe oben
S. 120, über den hiebei möglichen rein daktylischen Wort-
schluss S. 123.
Zunächst geht die Zeile oft mit sich selbst Verbindungen
ein: 7 «__ -f 7 « —
7« — x-f7 o — a, mit Reim nur in jeder zweiten Kurz-
zeile. Äbaelard hat (in Hymn. 58 u. 59) 44 solche . Lang-
zeilen, gereimt zu 2, während in den dazu gelhörigen Hymn. 56
u. 57 die ersten Kürzzeilen unter sich reimen zu 7 w_a -f-
7 v — b. Der Kern des (sonst mit vielen fremden Lappen auf-
geputzten) Weihnachtspiels der Carmina Burana 202 p. 80 — 89
ist in dieser Zeilenart geschrieben : 43 Strophen zu je 4 Lang-
zeilen, gereimt zu 4; auch in Bur. 28 p. 33 finden sich 4,
dann 3, dann 4 solche Langzeilen mit gleichem Reim. Häufig
in den Ludi des Hilarius, Du Möril Origines p. 226. 229. 231.
245. 2M. Walther von Chat, hat in I u. II unter die Strophen
von 7v — + 6 — va an beliebigen Stellen Strophen (im
Ganzen 9) eingeschoben , die aus 3 Z. zu 7 ^ — -f- 7 ^ — a
und einem bald vollständigen, bald unvollständigen, aber mit
jenen 3 Zeilen reimenden Hexameter bestehen. No. IX dagegen
besteht aus 131 Z. zu 7 w_ -|- 7 v_a in Reimgruppen von
4, 5, 6 oder 8 Zeilen, mit 5 h, vielen Tw und daktyl. Wort-
schluss in 50. 52. 103. 106; dazwischen stehen einmal 19,
dann 12 Hexameter mit und ohne Reim.
Die Verbindung zweier unter sich reimenden Zeilen zu
1 \j — , also 1 \j— a + 7c — a, ist nicht selten. Äbaelard
hat Planctus V 16 Z. und PL VI 56 Z., die meistens zu 2,
oft auch zu 4 gereimt sind. Das Gedicht auf ein Ereigniss
[1882. I. Philos.-philol. bist. Cl. 1.] 11
Digitized by
Google
162 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882.
von 1128 bei Du Möril 1847 p. 260 mit vielen unreinen
oder unvollständigen Reimen besteht aus 156 Z. in Str. zu 4,
gereimt zu 2 oder 4; darin die Z. : 'Cleri defensor pius' un£
4 Nee audebat quis tuam (quispiam?)\ In derselben Z. ist
gedichtet das von Waitz veröffentlichte Liebesconcil (Zeitschr.
f. d. Alt. 7, 1849, p. 160), 238 Langzeilen mit meistens
reinen Reimen; vgl. noch Du M^ril Orig. p. 167 (Tres magi,
Orleans). Doch scheint diese Zeilenart wegen der zu rasch
sich folgenden gleichen Reime als eintönig nicht viel Anklang
gefunden zu haben.
Die Verbindung von 7 v — a -}- 7 i — b, 7 v — a -|-
7 v~b, also mit gekreuztem Reime, gefiel weit mehr. Schon
Abaelard hat Hymn. 56 u. 57 11 Strophen zu je 2 Langzeilen
der Art; dann 4 Str. in Planctus II. Bur. 164 p. 227 be-
steht aus 5 Str. von je 3, und 87 p. 50 (von a. 1208) aus
1 Str. von 4 solchen Zeilen. Der Archipoäa No. VII hat 11
Strophen von je 3 Zeilen zu 7 v — a -|- 7w_b, ohne h und
in den 16 Z. zu 7 w — mit Tw keinen daktyl. Wortschluss;
(verbessere aus der Hschr. : 3, 3 crederis ; 6, 2 David mansu-
ötior ; 6, 3 fehlt 'Et').
Lehrreich ist es zu sehen, wie Adam die Siebensilber mit
einander verbunden hat. II, 80 folgen sich a a, b b, cc, b b.
Von den Zeilen a + b stehen 2 Paare I, 214; II, 191 ;
4 Paare II, 252; drei Z. II, 323; 4 Z. I, 18 und 8 Z. mit
den gleichen Reimen I, 133. Viel häufiger hat Adam die Zeile
7u — a -f" 7^ — b durch Vervielfältigung der ersten Kurzzeile
zur Reimstrophe erweitert. Die, wie die Stabatstrophe, gebil-
dete Strophe 7 a a b c c b findet sich einzeln in vielen Gedichten,
ja I, 74 und I, 323 bestehen gänzlich aus je 9 solchen Strophen.
Die aus drei solchen Gliedern bestehende Strophe ist, wie bei
den Zeilen 8 — ^ -|- 7 v— , so auch hier selten; I, 54 ist
eine, II, 176 2 Strophen zu aabccbddb. Dagegen ist
aaab cccb häufiger (I, 54. 306. II, 82. 240. 285. 293. 456?);
sogar aaaabccccb ist nicht selten I, 229. II, 20. 116. 204.
In I, 82 wechselt die Reimstellung: 4 Str. haben aaabccb,
je 1 hat ababccb und aaaabbb.
«So werden wir uns nicht wundern, aus den Zeilen zu
7 ^ — auch sonst verschiedenartige Reimstrophen gebildet zu
sehen. 5 Reihen von 7u-aaa hat Bur. 202, 43 p. 91, 12
Mone 377. 16 Strophen von 7aaaa hat Abaelard in Hymn.
78 — 81 ; 2 Reihen von je 6 Z. mit gleichem Reim in Planet. IV.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 163
Je 1 Strophe zu aab ccb in Planet. IV u. VI; dieselbe Str.
hat Hilarius bei Du Menl Orig. p. 227. 228. 274. In Placius
71 folgen sich 29 Z. auf io. Der Leich im Brit. Mus. Eger-
ton 274 (Philippe de Gr&ve? bei P. Meyer Archives des miss.
II, 3, 280) beginnt mit 7w — abcabc; ebenda folgt die
Strophe aab ccb. 6 solche bilden Bur. 88 p. 171; aus der-
selben bestehen auch die 30 Z. des Hymnus *Veni Sancte
Spiritus' Mone 186, nur dass hier alle dritten Zeilen auf ium
reimen. Bur. 129 p. 203 besteht aus 6 Strophen zu 7 w —
a aab ab, Omer 23 aus 7 Str. zu aababa, Omer 17 aus
7 Str. zu aabaaba, 18 aus 4 Str. zu abababec, Flacius
95 aus 3 Str. zu ababaaab, Flac. 67 aus 7v — ababab,
dann 7 w — a -f 4 ^ — b und wieder 7 v—abab, Flac. 47
endlich aus 7 w — ab ab a b ab c edd.
Von den Zeilen Verbindungen , in welchen 7 ^ — einer
anderen Zeile vorangeht, ist die ungleichste 7 <*• — -(- 4 ^ — .
Sie ist, wie ich glaube, aus der Nachahmung der im Gesänge
häufigen Wiederholung der letzten 4 Silben entstanden; des-
halb ist der gleiche Reim in 7 v __ a und 4 v _ a nicht selten.
In Bur. 45 p. 135 u. 275 findet sich diese Zeile öfter; der
Refrain von 59 p. 1 50 besteht aus 3 Z. zu 7 v — a -f- 4w — a;
38 p. 126 Str. 7 = 8 besteht aus 7w-a + 4w-a, 7v-b
-f4u-b; 4 v-c + 7 w-c, 7 w-d + 4 u-d + 8-v c;
vgl. die Zeilen in Bur. 130 p. 203, und mehr in Bar. 159
p. 224; dann die Sequenz des Petrus Bles. (Migne 207 p. 1129)
Str. 5 u. 6 und den dort folgenden Leich Str. 3. 12. 13.
Nicht so häufig ist die Zeile ohne Reim in 7 ^ — Abae-
lard hat in Hymn. 82 und 83 die 3. und 4. Zeile von 5 Str.
gebildet aus 7 w — x + 4 w — a; nur in 1 Strophe reimt 7 w —
mit 7 «._. Aehnlich hat Adam I, 305 Str. 5: 7.--)-
4v-a, 7w_ -|" 4u_a, 4" 4 — üb; 7 ^_ c + 4^ — d,
1 v — . c -f- 4^ — d, -|" ^ — u b- Pie 5 Strophen von Bur.
139 p. 210 beginnen mit 4 Z. zu 7 u-x -(- 4 ^ — a, und
der Refrain von 57 p. 149 besteht aus 7w — + ^° — a »
7 u_ -|- 4u_a, 7u~b 4- 7u_b, Flacius 70 besteht
nur aus 4 solchen Zeilen.
Oefter wurde die Zeile 7u_a 4" 4 v_b angewendet.
Mone 324 besteht aus 7 Strophen von 4 Z. zu 7v — a 4"
4v-b und dazu 7 v — a. Die 8 Strophen von Bur. 56 p. 148
(besser im Codex Christin, und bei Wright Myst. p. 114) be-
ginnen mit 7 y-a-[- 4 ^ — b, 7v — a-(- 4 v-b-f 7 v — b.
11*
Digitized by
Google
164 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Januar 1882.
Die 5 Str. von Omer 8 beginnen mit je 2 Z. der Art. Flacius
65 besteht aus 5 Z. zu 7^_a 4" 4u_b, dazu 7 w — a +
7 v — a und einem mir unklaren Schlüsse. Das lateinisch-
provenzalische Lied Bur. 81, str. 3 cui tant a ben beginnend,
dessen Anfang, wie ich bei anderer Gelegenheit nachweisen
werde, No. 169 p. 231 bildet, hat die hübsche Strophenform
7w_ a-f 7w_a + 7^_ a + 4 -_b + 7 w_a -f-
4 w_b. In Bur. 38 p. 125 Str. 1 u. 2 ist unter die Z. zu
7 w — ein einzelner Viersilber gemischt.
Von der Verbindung 7« — a -j- 4 — «b finden sich bei
Abaelard in PI. V 4 Paare, 2 Paare in Mone 372. 5 Paare
7« — x 4" 4 — ^aa hat Hilarius bei Du Me*ril Orig. p. 246.
Häufiger sind die Erweiterungen ; so in Abaelards PI. VI 4 Str.
zu 7 w-aab + 4— «c + 7«-b + 4 — « c ; in Bern-
hards Sequenz Laetabundus folgen auf 4 Absätze zu 7 w — x
4. 7 w__x + 4 — v b, 2 zu 7 o_a -(- 7 - — a -f 7 - — a
-j- 4 — w b. Bei Adam finden sich 9 Strophen zu 7 ^ — a 4~
a + 4-w b, 7 «_c + c + 4-w b in I, 74; 1 Strophe
II, 100; von 7 ^ — aaa -\- 4-«b, 7 «_ccc -f" 4 — «b
finden sich 5 Strophen in II, 481 (?), je 1 in I, 252 u. 342.
Eine Variation bietet Bur. 15 p. 12 Str. 1 zu 7« — ab 4*
4 — v c + 7v — ab 4" 4= — «c 4" 7 ^ — ddee 4* 4 — «c.
Aus der Verbindung von 7« — -[* ^ w - a (einige Male
mit Reim der Z. zu 7 « — ) bestehen die beiden ersten Zeilen
der 9 Strophen in Abaelard' s Hymnus 82 — 85; in Planctus III
finden sich 2 Mal je 3 Reihen zu 7 w — a 4~ 5 « — b. Eine
Variation bilden die Strophen von Hymn. 41 — 44 zu 7 a 4" D
4- a 4" 5^_c 4" ?v — a + ^ w — c > un ^ die 6 Strophen
von Mone 1160 (Guido von Basoches) zu 7 x -(- a, 7 x + a,
7 x -)- 5 « - a. Eine noch stärkere Variation bilden die (ent-
stellten) 5 Strophen von Flacius 81 u. 82 , welche Gedichte
zusammen gehören, da die Strophe gleich ist und 'Si deus est
animus' den Anfang von 81 u. Schluss von 82 bildet; das
Maass ist: 7 ^ — a 4* *> > a -[- b, 7o__c4"^° — c +
5 w._d 4- 5 - — d 4- 5 w_ d, 4- 7 v — e + f, e + f.
14 Zeilen zu 7 v_ x 4" 5_u, alle einsilbig auf a
reimend, hat Du Menl Origines p. 124, und 6 auf orum der-
selbe p. 115.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 165
Die Vagantenzelle (7 v \- 6 — w ).
Keine Zeile ist in der rythmischen Poesie häufiger ange-
wendet worden, als die wohlklingende Verbindung des troch.
Siebensilbers mit dem troch. Sechssilber.
Wenn die 12 Strophen zu 4 Z. bei Petrus Damiani (f 1072 ;
Migne 145 p. 939) wirklich von ihm wären, so wären sie das
Slteste Beispiel; allein dagegen spricht entschieden der volle
zweisilbige Reim, der die 4. Z. jeder Strophe bindet und der
in den andern Gedichten des Petrus Damiani ebenso wenig sich
findet als bei den übrigen Dichtern dieser Jahre. So sind einst-
weilen die 4 Z. zu 7 ^ — a -f- 6 — ^ b bei Abaelard (Planet. II)
das älteste Beispiel. Jobannes Anglicus (bei Zarncke p. 69)
bemerkte 'Rithmus qui constat ex XIII sillabis aliquando con-
gonantiam habet duplicem (7 ^ — a + 6 — « b), aliquando uni-
cam (7w — x-f- 6 — wb). Von diesen Arten ist die letztere
weitaus häufiger.
Adam hat nur 4 Z. zu 7x + 6b in I, 267 nebst eini-
gen Erweiterungen^ Weit verbreitet ist dagegen diese Zeile
in der weltlichen Dichtung, und zu diesem Ansehen hat ihr
vielleicht der Archipoeta verholfen. Schon oben (S. 120) habe
ich bemerkt, dass er in der Z. 6 — ^ keinen Taktwechsel sieb
gestattet. Er bindet stets 4 Z. durch gleichen Reim. No. IV
besteht aus 128 Z. ohne h und mit 21 Tw in 7 w_. (20, 1
hat auch die Hschr. miseria; vgl. Bur. 194, 1 p. 74.) No. II,
100 Z. ohne h mit 26 Tw in 7 ^ — ; in 19, 1 ist Sancto cum
Martino' zu stellen (verbessere aus der Hschr. 2, 2 meis; 9, 3
ist viell. uideor in vereor zu ändern; 10, 2 habens (os?) de-
corum; 11, 2 nee; 11, 4 pro tuis ; 15, 2 uix; 25, 2 regit,
nicht reget). No. IX (codex Stabul.) 132 Z. ohne h mit 15 Tw
in 7 v — (16, 2 ist 'potenter agens dicat opus deo gratum'
wohl in 'potenter aggreditur' zu bessern). No. X 'Aestuans
intrinsecus' 120 Z. ohne h mit 13 Tw in 7 v, — Ohne Tw
in 6 — v ist z. B. auch Bur. 19 p. 19 'Utar .contra vitia' ;
denn 9, 3 'Si veüt causari* u. 11, 4 'ut bursa det granum'
(Hschr. 'Et inbursant granum') beruhen auf Conjektur, ebenso
die 3 h in 4, 1. 12, 3. 4. Roher ist der Versbau bei Walther
von Chat, in Strophen zu 4 mit gleichem Reim der 4 Zeilen, mit
Tw in 7 « — und in 6 — * und anderen Unreinheiten, von
denen manche allerdings durch eine vernünftige Kritik und
Handschriftenbenützung werden beseitigt werden, No. III 80 Z.
Digitized by
Google
166 Sitzung der phUos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1883.
mit etwa 3 h und vielen Tw. No. V 84 Z.; die beiden letzten
Zeilen sind des Citats wegen schlecht gebaut. Z. 17 — 19 wird
durch 2 Distichen gebildet. No. VII 120 Z., ohne h mit vielen
Tw, mit daktyl. Wortschluss in 40 u. 63. In den übrigen
Gedichten sind vierzeilige Strophen verwendet, deren drei erste
Zeilen aus 7 « — -f- 6 — « bestehen, deren 4. Z. jedoch durch
einen vollständigen oder verstümmelten Hexameter mit dem
gleichen Endreim gebildet wird; es ist diess fast immer eine
sogenannte auctoritas, ein Citat aas einem bekannten Schrift-
steller. *) No. VI besteht aus 17 solchen Strophen mit 2 h (?)
und daktyl. Wortschluss in 43 u. 67. No. I 22 Strophen
zu 7 v _ -)- 6 — ^ a, unter welche 5 Str. zu 7 ^ — -[- 7 « — a
gemischt sind, ohne h, mit etwa 27 Tw in den 96 Z. zu 7 « —
und 6 Tw in den 66 Z. zu 6 — o. No. II 16 Str. za7^
+ 6— v a u. 5 Str. zu 7w- 4- 7«_a; mit h in Z. 78
und etwa 20 Tw in den 78 Z. zu 7 ^ — und wenigen in
6 — « . Dieser Sorte von Strophe sind verwandt jene rohen
Vagantenzeilen in Bur. 156 p. 221 Str. 7 — 11, wo auf 2 Zeilen
zu 7(8) - _ a + 6(7)_ - b folgt 7(8) w_c + 6(7)— - b
mit einem Hexameter, dessen Caesur auf c und Ende auf b
reimt, der also 7 ^ — c -f" 6 — «b vertritt.
In den folgenden drei Gedichten ist, wie oben S. 122 be-
merkt, bei Taktwechsel der Anfang der Zeile fast stets durch
ein 1- und ein 2-silbiges Wort gebildet. Ganymed und Helena
(Zeitschr. f. d. Alt. 18 p. 127), 67 Strophen zu 4 Zeilen, ge-
reimt zu 4 mit etwa 8 h, 1 (h) und mit 10 Tw in 7 ^ —
(darunter nur 9, 3 = 10, 3 natüram) und 4 Tw in 6 — w.
Jupiter und Danae (ebenda p. 457), 108 Z. ohne h und mit
1 5 Tw in 7 w_ und 8 in 6 — ^ , stets aus v, , — « , gebildet
(4, 2 Quam e*rat coäctus üt | räperöt Diönae?; 21, 3 iram statt
viam). Phyllis und Flora Bur. 65 p. 155, 316 Z. mit 2 h
(11, 4. 40, 8) und 4 (h) und mit 33 Tw in 7 «_ und 30
in 6 — « , doch unter jenen nur 3, unter diesen nur 2 Tw mit
« — « , alle andern mit « , —
Der Scheirer Rythmus (Zeitschr. 23 p. 176), 232 Z. ohne
h und mit (h) nur in 12, 4. 24, 3. 31, 4. 37, 3; Tw viele in
7 w — wie in 6 — «. (8, 1 Index inquit bone, fac, ne?; 11, 1
1) Diese Neigung hat Walther wohl auch veranlasst, die 3. u. 6.
Zeile der Stabatstrophe VIII, 63 und 66 zu bilden aus
Si manus aere vacet Pauper ubique iacet.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lab. Rythmen. 167
Hoc ignosci poterat?; 11, 4 Quod lascivo rapuit morsu, non
avaro Hschr. richtig; 12, 1 sub tot aestibus? 28, 2 Et regni
divitias?; thesauri et splend. Hschr.; 48, 1 tot ac unum esse?).
Das grösste, in dieser Zeilenart geschriebene Gedicht ist wohl
der aus 224 Strophen = 896 Zeilen bestehende Rythmus des
Haymarus de expugnata Accone; die Form ist nicht eben rein,
er hat nicht viele h, aber viele Tw, vermeidet jedoch den
daktyl. Wortschluss (denn in 123, 398 und 536 ist gale*a zu
betonen, so 'ne'c galöae nöstrae sunt | £is ädversätae; 364 morti
dant feruentes?, 370 nostri est peccati? 479 pavimenta domuum?,
domini H) ; er reimt nicht nur prophanos: libera nos, sondern
auch discessit: unde sit. Welcher Unterschied ist zwischen
feinem und rohem Zeilenbau, kann man in den zwei Rythmen
sehen, die unter Gotfrid's von Viterbo Namen gedruckt sind.
Der eine aus dem Pantheon XXIII (Mon. Germ. Script. XXII
p. 305) hat in 35 Str. zu 4, gereimt zu 4, nur 4 h vor est,
1 vor in und 1 (h), dann 6 Tw in 7«_ und 5 Tw in 6 — * ,
doch stets mit ^ , __ ^ , also *ut sänet egrötum'. (Zu bessern
sind wohl die Z. zu 7 ^ — Non in lumbis Habrae: Abrahae?
vgl. Hebr. 7, 9; pugna innarrabilis : mirabilis cod. B 2; qui
semel introivit : introiit ; dann 6 — w debuit iudici : indici ?
Falsch sind die Zeilen Nos vincimus diabolnm per sancte crucis
Signum: Vinc. diab. nos per crucis Signum?; Hanc Christus
ecclesiam ab inferis erexit; ab?). Dagegen die 48 Strophen
'Gesta Heinrici VI auctore ut videtur Gotifredo' ebenda S. 334
haben zwar im Ganzen wenig h und in den Z. zu 6 — ^ nur
10Tw( w ,- w und v,__w), allein in den 192 Z. steht statt
7 «__: 23 Mal 7_o, 14 Mal 6-.- und 3 Mal 8 w __ ; in
den übrigen 148 Z. zu 7 «— sind allerdings sehr wenig Tw.
Ziemlich selten ist die Verbindung 7 ^ _ a + 6 — ^ b.
Abaelard Planctus II hat 4 Z. der Art.
Variirt findet sich die Zeile in mannigfacher Art , am
häufigsten so, dass die Zeile zu 7 ^ — oder die zu 6 — - ^ wieder-
holt wird. Adam I, 267 Str. 8: 7 -_x 4- 6 — ^ a, 7-— x
+ 6 — v, a, 7v»b + 7w_b + 6-wc; 7 «_ x + 6—- d,
7 w_ x + 6 d, 7 w_ e + 7 ^ — e + 6 — w c; hierauf
Str. 9: 7v/ — aab •+- 6 — uccd, 7 u — eeb -f- 6 — uiid.
II, 247 die harmonische Strophe 7 u — aa -f- 6 — vb, 7 <-» — cc
~\- 6 — v b, eine Strophenform, die in der geistlichen Dichtung
nicht selten ist. Dieselbe wurde durch Vermehrung der Zeilen
zu 7 v — erweitert, so finden sich bei Daniel Thes. 5, 67 zu-
Digitized by
Google
168 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
erst 2 Str. zu 7aa 6b -f- 7cc 6b, dann je eine Strophe zu
7aaa 6b -f- 7ccc 6b und 7aaaa 6b 4- 7cccc 6b.
Bur. 47 p. 136 besteht aus 5 hübschen Strophen von 2 Z. zu
7u-a -(" 6 — w b» denen die Erweiterung 7cc 6d -f- 7ee
6 d folgt; das Gedicht ist frei von h und Tw. Bur. 101 p. 179
besteht aus 4 Str. zu 7 v_ a -f- 6— v b, 7w — a + 6 — wD >
7w-c -f- 6-ub, 7u-c + 7 — vb, wobei die Reime
von 7u- öfter nur einsilbige sind. Bur. 137 p. 209 besteht
aus 5 Str. zu 7u..a^- 7 */ — a -f 6-ub, 7 w_ (a) +
6 — wb mit einigen unreinen Reimen. Bur. 10 p. 8 besteht
aus 4 Str. zu 7u — a -f" 7 w — a (= 3 v — a -f- 4 w — a) -f*
7u- a + 6 _^ b + 7 o— c ( = B v ~ c -f- 4u- c) +
6 —ob.
Die Zeilen Verbindung 7u — x -f* 7 — va bildet bei Du
Möril 1847 p. 125 ein Gedicht von 6 Strophen zu je 3 Z„,
ohne h; es sind in den 19 Z. zu 7w- nur 2 Tw, in den
19 Z. zu 7-u 6 Tw. 14 Z. ohne Tw in 7 — w und nur
2 Tw in 7 ^— bei Hilarius, Du Märil Origines p. 241. Eine
Str. von 4 X ( 7 ^— x + 7 — ^ a ) in Bur - 202 > 37 P- 90 5
vielleicht je 2 solche Zeilen in Bur. 31 p. 115 Str. 3. 4. 5.
Strophen von 2 Zeilen zu 7 v. — a -|* 7— vb finden sich 2
in Bur. 46 p. 136 Str. 3. 4; 20 Str. bei Conrad von Gaming
(Mone 233) ohne Tw in 7 w— wie in 7 — w, niir 1 Mal 'Cor
ine'um complectere'. Zur Strophe ist diese Verbindung auf. die
gewöhnliche Weise erweitert bei Abaelard Planctus II in dem
zweimaligen 7w — a + 7 * — a + 7 — wD > 7 v — c ~f" 7 v _ c
-(- 7 — w b, und bei Hilarius, Du Me'ril Origines p. 231. In
Bur. 134 p. 207 Str. 2 u. 3 folgt auf 2 Z. zu 7 ^— a +
7 — * b die Erweiterung 7 w— . c + 7w-e -f- 7 — v b. In
den beiden Strophen 7 = 8 von Bur. 39 p. 128 folgen auf 3
Zeilen zu 7 _ v, a 4 Langzeilen zu 7 v — x -j~ 7~wb.
Die Verbindung 7 v — a + 8 v — D findet sich 2 Mal in
Bur. 35 p. 119 Str. 11, und je 2 Mal am Schluss der 3
Strophen von Bur. 170 p. 65. 2 Zeilen zu 7u-x-|- 8 — v, a
in Bur. 202, 5 p. 81 (Ut haec [virga] floruit | omni carens
nutrimento).
Von den Verbindungen, in welchen die Zeile zu 7v —
die 2 Stelle einnimmt (4 — w -j- 7v — , 6u — -f .7 w — ,
8ü- + 7 w _ , 8 — v -f- 7v — )» w ^ * cn die Verbindung
zu 4 — « + 7 w — hier behandeln. Diese alte Zeile (siehe
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 169
S. 90) hat am meisten Äbaelard verwendet. Hymn. 86 — 94
bestehen aus 32 Strophen von je 4 Z. zu (4 _ ^ -[- 7 ^ _
a a b b) und 2 Z. zu (4 — w -|- 5w_cc). Während in den
Zeilen 4 — ^ -)- 5 « — Dicht selten 4 « — steht, findet es sich
in den Zeilen zu 4 — « -}- 7 « — nicht (hymn. 90 ändere
Qui si palma | non pollemus 'nostrum' in martyrum). In
Hymn. 80 und 81 hat Äbaelard 4 Strophen zu je 4 Z. aaaa;
diese Zeilen zu 4 — « -(-7« — a sind parallel den Zeilen zu
4 — oa + 4— v, a + 3w-b in Hymn. 78 u. 79. Die 3.
und 4. Zeile der 4 Strophen von Hymn. 84 und 85 'ist aus
4 — w-}-7o__a gebildet und parallel zu 7u-(a)-f 4w_b
in Hymn. 82 u. 83 ; auch hier steht niemals 4 « — statt 4 —
Hilarius bei Du Meril, Orig. p. 244 — 246, hat 2 Strophen zu
(4 — u -f- 7 v — ) aaaa und 2 Strophen zu a a a , stets mit 4 — v> .
Bei Adam sind die Zeilen zu 4 — ^ -f- 7 « — in I, 140 un-
sicher, sicher die je 2 Zeilen II, 239 und IL 383. Zur Strophe
verwendet ist die Zeile bei Daniel Thes. 5, 231 (4 — « -{-
7 w_a) X 2 + 7 w — a, (4— - + 7 w_a) X 2 + 7 w_a,
wo 1 Mal die Pause nach 4 vernachlässigt ist. Das Schema
der 3 Strophen von Bur. 127 p. 201 ist: (4— ~ + 7w-a)
X 2 + 7 w_b, (4_o + 7 o__ c ) X 2 + 7 ~_b, 11 — «d
+ (4— w -|- 7«__x) + 6-wd; doch ist in 4 — « +
7 w — einmal die Pause vernachlässigt, und statt 4 — « steht
2 Mal — w v, — w .
Jambische Siebensilber 7 — ^ .
Ueber den Taktwechsel, der in dieser Zeile an 2 Stellen
eintreten kann, und über hiebei vorkommenden rein daktyl.
Wortschluss siehe oben S. 121 und 126. Die Zeile ist nicht
häufig und findet sich meist nur in Verbindung mit andern.
Äbaelard eröffnet den Planctus IV mit 6 Z. zu 7 — ^ mit
gleichem Reim. Das längste Gedicht ist das auf die Erober-
ung Jerusalems Du Meril 1847 p. 255, 35 Str. von 3 Z., ge-
reimt zu 3, mit dem Refrain 'Jerusalem exulta' ; h 0, 51 Tw,
darunter 8 rein daktyl. Wortschlüsse. Wegen der reinen Reime
ist es mir fraglich, ob das Gedicht schon 1099 entstanden ist.
Mit anderen Zeilen gemischt ist 7 — « in Bur. 126 p. 200,
wo in den 5 Strophen auf 7 — « a a a folgt 8 « — b ~\- 1 — ^ a
-J- 8w-b -f- 7-wa, mit 16 Tw in 7— v, , aber ohne
daktyl. Wortschluss und ohne h im ganzen Gedicht; in den
8 Strophen von Omer 32 folgen auf 7 — « a a a die jamb.
Digitized by
Google
170 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
Zeilen 4«-b -f- 6 w — b+4o_-c+^°— c > + 6 « _ b
(b im ganzen Gedicht — ula), mit 10 Tw in 7 — ^ , doch ohne
h und ohne daktyl. Wortschluss im ganzen Gedicht.
Ausserdem dass 7 — w gern zum Abschluss von Strophen
oder Strophentiieilen benützt wird, findet sich eine grössere
Anzahl solcher Zeilen unter andere gemischt in dem rohen
Gedicht Bur. 35 p. 119 Str. 3 = 13; 1; 17 und sonst, und
in den Knittelversen von 17 p. 14.
Zeilen Verbindungen, in denen 7 — v, den Anfang bildet,
sind selten. Adam I, 306 hat eine Strophe (7) zu 7 — v, x +
4 « — a + 7 — ux-|-4w — a + 7— ^b, 7-wx-f-4w-c
-f- 7— * x + 4 w_c + 7—v, b. Bur. 35 p. 120 Str. 11
bietet 4 X (7 — ^ a + 6 ^ — b) z - B. 'Ex fraudibus altemis |
et ignominia' und Bur. 122 p. 196 6 Mal dieselbe Langzeile;
In beiden Fällen haben sowohl 7 — <-' als 6 ^ — reinen jam-
bischen Tonfall ohne Tw. Eine Erweiterung dieser Zeile ist
das Maass der 5 Strophen von Omer 13 zu 7 — v^a-f- 7 — ^ a
-f 6^/- b + 6 ^— b + 7— v, a + 6u-b -f- 7— ^a
(mit dem Refrain von 2 Mal : 4 ^ — c -f- 4^ — c + ? — ^ a ) 5
in Str. 1 und der letzten Zeile von Str. 2 — 5 reimt 7—^ stets
mit ura , während in Str. 2 — 5 die 3 ersten Zeilen zu 7 — ^
im Reime wechseln; h 0, in den 22 Z. zu 7 — v 1 Tw.
Häufiger sind die Verbindungen, in welchen 7 — v sich an
eine andere Zeile anschliesst. Ueber 4 — <-- -f- 7 — ^ , 6^ —
-f- 7 — <-/ und 6 — ^ -f~ 7 — ^ wird am Schlüsse bei den
Maassen des Ludus de Antichristo zu handeln sein. Häufiger
ist 7 ^— -|~ 7 — <-> und vor Allem 8 ^ — + 7 — ^ ; sehr
selten 4 — o -f- 4 — ^ -|- 7 — ^ .
Jambische Achtsilber (8 ~ — ).
Ueber den in dieser Zeile an 2 Stellen möglichen und
äusserst häufigen Taktwechsel und über hiebei vorkommenden
rein daktyl. Wortschluss siehe oben S. 121 und 127. Die Zeile
kommt meist in Gruppen von 4 Zeilen vor, mit der Reimfolge
aabb oder ab ab oder aaaa. Je 4 Zeilen mit dem Reim
aabb finden sich zunächst im Prolog der a. 1118 abgeschlos-
senen Polenchronik des sogenannten Martinus Gallus, 56 Z.
ohne h, aber mit 9 daktyl. Wortschlüssen in den 31 Z. mit
Tw. 22 Str. zu aabb hat Äbaelard Hymn. 37 — 40 ; in Hymn.
1 — 9, 45 __ 47 u . 51 folgen auf 2 Z. zu 8._aa 2 Zehnsilber
zu bb. In Hymn. 52 — 55 hat Äbaelard 25 Strophen mit ge-
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 171
kreuzten Reimen a b a b ; in Planctus II u. VI im Ganzen 6
Strophen zu aaaa. In diesen etwa 360 Zeilen fand ich nur
einmal daktyl. Wortschluss. In der Mischung des Reimes geht
Adam viel weiter als Abaelard; die vierzeilige Strophe hat
meistens die Reimstellung ab ab, oft aber auch aa bb und
aaaa (ab b a fand ich nicht) ; vgl. I, 63 10 Str. ; I, 281 13 Str. ;
II, 8 14 Str. ; II, 13 13 Str.; II, 303 13 Str. ; if, 434 13 Str.
(viel aaaa). II, 157 hat mit Ausnahme der Strophen 4, 3 und
4. 5 (it). 7 (e. a.) 9 (a. at) in den 15 Str. nur einsilbigen
Reim auf a; dieser Umstand und Verse 'melior est quam millia , ,
der falsche Reim Quae velle pötest mens pia', der Reim 'Quae
praefulget Augustinus' unter lauter Reimen auf a machen die
Autorschaft des Adam höchst zweifelhaft; auch II, 494 kann
schon wegen der Reimstellung (nur aa bb) kaum von Adam
sein. Bei andern Dichtern findet sich diese Mischung kaum ;
bei Bernhard (Migne 184 p. 1317) 48 Str. zu 4, gereimt zu 4,
mit 2 daktyl. Wortschlüssen; bei Hildebert (Migne 171 p. 1339)
105 Str. zu 4, ger. zu 4 mit etwa 26 h, ohne 8 — « (denn
in Vitam contempsi supernam ist superam zu bessern), und
ohne daktyl. Wortschluss (denn in der Schilderung des Para-
dieses ist 'Ager additur lucidus Jamque sub agro lucidus' in*
aditur und Fonsque zu bessern). Da Möril 1847 p. 266 ff.
hat drei Gedichte veröffentlicht, die sich auf dasselbe Ereigniss
a. 1128 beziehen; sie bestehen aus Strophen zu 4 Z., gereimt
zu 4; im 1) p. 266 zu 14 Str. finden sich 6 h, 8 Mal troch.
Schluss wie patrem tuum jugulasti, 1 Mal tänti sceleris cönscii ;
im 2) p. 268, 13 Str., 4 h, die Schlüsse sine fine u. corde
pio und 4 daktyl. Wortschlüsse; im 3) p. 270, 36 Str., h 5,
etwa 7 troch. Schlüsse und mindestens 17 rein daktyl. Wort-
schlüsse, so dass hier von rythmischem Bau der Zeile keine
Rede ist, sondern nur von gleicher Silbenzahl und meistens
gleichem Zeilenschluss. In den 34 Strophen vom Jahr 1223
(Du Menl 1847 p. 277) finden sich 14 Zeilen mit unreinem
Schlüsse, aber nur der eine, unsichere daktyl. Wortschluss :
Libera nunc de carcere.
Von späteren kunstvolleren Dichtern werden aus den Zeilen
zu 8u- mannigfache Reimstrophen gebildet. So besteht Bur. 5
p. 4 aus 3 Str. zu abba, cddcc ohne h und ohne daktyl.
Wortschluss. Bur. 165 p. 228 aus 4 Str. zu ababcxc ohne
daktyl. Wortschluss. Mancherlei Reimstrophen finden sich in
den von Flacius veröffentlichten späteren Gedichten, so No. 23
Digitized by
Google
172 Sitzung der phüos.-phüol. Ciasse vom 7. Januar 1882.
aabccb (3 Str.); 94 abab, baab; 113 abababab (3 Str.);
30 (2 Str.) ababcc, abba, abb; No. 85 und 86, die zu-
sammengehören, abab aabb, aab aabb; No. 87 aaabbb
bbbccdddd; No, 69 mit Einschiebung von 4 « __ aaab +
4 « b -|- bb + 4^ — b -f- bb; eine noch künstlichere Stel-
lung in Bril^ Mus. Egerton 274 (Philippe de Greve?, bei
P. Meyer in Archives d. miss. II, 3 p. 281) Str. 12—17 und
bei Bernhard (Migne 184 p. 1315; oben S. 141).
Von den Verbindungen, welche 8 « — mit andern Zeilen
eingeht, ist die von 8 » — -+- 4 « — sehr häufig ; denn in den
künstlicheren Gedichten wird 8« — oft zerlegt in 4 u _ + 4 u —
z. B. Omer 13 Refr. '0 partium | disparium | mirabilis iunc-
tura | Remedium | nascentium | de carne peritura' statt 8^ —
-|- 7 — v, ; so findet sich die Verbindung von 4 ^ — und 8 ^ — ,
z. B. oft in der Sequenz und in dem Leich bei Petrus Bles.
(Migne 207 p. 1127 u. 1129). Hilarius bei Du Menl Ori-
gines p. 276 hat 2 Str. zu 8v — aaa -|- 4 — ^ b, 8v — ccc
-J- 4 — w b. Du Meril Origines p. 110 (Resurrectio aus Orleans)
hat 9 Str. zu 8u — aa -|- 5 — ob mit unreinem Reim. Die
Verbindung von 8 « — und 6 — « ist selten; z. B. Bur. 146
p. 216 ; vgl. Omer 19: 4w_a-}"^ w — a *4~ ^ v, — a -j-
4« — a -J- 6 — v b -j~ ^ w — a 4" ö — «b. Die Verbindung
8 ^ — a -f- 7« — a , die in der früheren Periode bei Petrus
Damiani (Migne 145 No. 40. 121. 172) häufig ist, habe ich
in dieser Periode nicht gefunden, wenn man nicht Adam II, 80
Strophe 6 zu 2 Mal 4 v, — a + 4« — a -f- 7 w — b hierher
rechnen will.
Die wohlklingende Verbindung 8« — a -(- 7 — ^b hat
immer mehr Beifall gefunden. Adam I, p. 48 hat 11 Strophen
zu je 2 Zeilen ohne Reim in 8 u_; in den 22 Z. zu 8 ^ —
sind nur 3 Tw, in den 22 Z. zu 7 — - nur 2 Tw. Bur. 202
p. 94 No. 62 5 Str. zu je 2 Mal (8 ~_a + 7 —» b) ; in
Bur. 36 p. 122 bestehen Str. 11 — 14, 25 — 27 und in 174
p. 234 Str. 10. 11. 21. 22 aus je 2 Zeilen zu 8 o_a -f
7 — ^ b mit manchen Tw, aber keinem daktyl. Wortschluss.
Die Gedichte des Priors Conrad von Gaming, Mone 901 u. 957,
bestehen ebenfalls aus (24 u. 18) Strophen zu je 2 Z. zu
8^ — a -{- 7 — « mit sehr wenig Tw und keinem daktyl.
Wortschlusse. Zwei solcher Langzeilen bilden den Anfang der
3 Strophen von Bur. 68 p. 38. Hilarius hat bei Du Möril
Origines p. 230 und p. 253 je 1 Str. zu (4 u — a -f- 4v — a
-f- 7 — w) aabb.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 173
Die Zeile ist variirt in Bur. 16 p. 13, wo 6 Strophen
ohne h bestehen aus 3 Mal (8 ^__a + 7~«b) -f- 7 — « b
-}- 8w_a + 7-ub, ohne daktyl. Schluss in den Z. zu
8 v, — oder 7 — v, . Eine ähnliche Strophe findet sich 3 Mal
in Flacius No. 18: 3 Mal (8 -_ a + 7-wb) -f 7 — - b
-}- 8^ — c -|" 8 « — c + 7-vb; dieselbe Strophe steht in
No. 19, so dass man 18 u. 19 verbinden möchte, wenn nicht
am Schluss von 18 eine Strophe aus 7u- stünde. Flacius 89
besteht aus 3 Strophen zu 2 Mal (8 v — a -f- 7 — v b) +
3 Mal 6 w— c + 7— ~b; No. 105 aus 3 Str. zu 8u- ab
ab -f 7— v, c , + 8 u— b + 7— w C ; No. 93 aus 8 ^ —
ababcc + 7 — ^ d , + 8 «^ — - e e + 7 — ^d und nach
dem Stücke von 2 Mal (8 — -•-' n -(- 7 v/— o) aus dem Schlüsse
von 8u — hh + 7— vi, -p 8^-kk + 7 --vi. Diese
Strophe zu 8 ^ — aa -f- 7 — ^ b , -f- 8v-cc + 7 — ^b
findet sich 2 Mal in dem Leiche in Brit. Mus. Egerton 274
(Philippe de Greve? bei P. Meyer in Archiv, d. miss. II, 3
p. 280) und scheint später beliebt geworden zu sein; die
grossen, aber späten Gedichte bei Flacius p. 90 — 100, p. 175 —
189, p. 482 — 495 (nach 1312) bestehen aus solchen Strophen.
Selten findet sich 8 ^ — als zweites Glied einer Zeilen-
verbindung; so in 7^ — -j- 8^ — und in 8 — ^ -j- 8 ^ — .
Trochaeteche Achtsilber (8 — « ).
Die troch. Achtsilber zerfielen schon in der früheren Pe-
riode (S. 88) bei manchen Dichtern fast stets in 2 Theile zu
4 — v. In dieser Periode ist dies die Regel, das Fehlen der
Pause ist Ausnahme. Taktwechsel ist also sehr selten; wenn
er vorkommt, so ist meistens das erste Stück 4 — ^ durch
4 w__ ersetzt. Die Theile zu 4 — ^ wurden sehr oft unter
sich gereimt. Die Zeilen 8 — u haben selten gekreuzte Reime.
Die Zeilen zu 8 — v/ treten oft in Gruppen zu 2 auf ; so
Adam II, 181 13 Str. zu 4 Z., gereimt zu 2 ohne h oder
Tw, stets mit Pause nach 4 — ^. Abaelard hat im Planctus
III 2 Mal die Verbindung 4 — - v/ a + a + 8— ^b, 4 — ^ c
+ c + 8— ^b. Bei Hildebert (Migne 171 p. 1411) stehen
203 Z. ger. zu 2 ; 1 Mal fehlt die Pause, 1 Mal steht das Citat
'Da fidem spem caritatem\ Ebenda p. 1432 138 Z. ger. zu 2;
6 h; einige Male fehlt die Pause; einige Tw, um den Hiatus
zu vermeiden : 'Piratae vis importuna. Nescire quem est huma-
num. Rapina sit in ruinam'. Du M^ril 1843 p. 190 150 Z.
Digitized by
Google
174 Sitzung der philos.-phäol. Classe vom 7. Januar 1SS2.
zu 2 gereimt. Bur. 186 p. 72, 30 Z. zu 2 ger. mit 'möllitef
geren» me ipsum' ; 168 p. 230 11 Str. zu 4, ger. zu 2; dar-
unter 5 Z. ohne Pause; 73 p. -43, 36 Z. zu 2 gereimt, mit
3 Z. ohne Pause. 175 p. 235, 56 Z. zu 2 ger. Z. 1 — 20,
30 — 56 sind regelmässig, nur 2 Zeilen ohne Pause; die Zeilen
21 — 29 schwellen des Scherzes halber auf 9, 10, 11 Silben an.
Gruppen von je 4 Zeilen bilden die 36 Z. bei Hildebert
(Migne 171 p. 1720) ohne h und Tw, doch mit 7 Z. ohne
Pause nach 4 — ^. Der Archipoeta hat in No. II 94 Z., ohne
Pause in 35. 36. 92 und ohne Tw und h. Es folgen sich
16 Z. auf onum, 5 onam, 7 ivüs, 6 ui, 10 orte, 7 orat, 14
atum, 3 ittas, 6 itas, 10 este, 9 itis; bei Beginn einer neuen
Reimart steht stets ein grosser Anfangsbuchstabe; stets sind
es 5 oder mehr Zeilen mit gleichem Reim, doch 66 — 68 bilden
eine Gruppe von nur 3. Grimm hat eben nach Tutus ibo quo
me mittas den Vers 'Hederarum ferens vittas' übersehen. Das
folgende Non ist gross geschrieben ; (V. 80 ist insanus aus der
Hschr. herzustellen). Zu diesen einfachen Massen gleichgereimter
Zeilen bildet das entgegengesetzte Extrem die Reimstrophe in
Brit. Mus. Egerton 274 (Philippe de Greve? bei P. Meyer
Archiv, d. miss. II, 3, 280) mit 8 — ^aaa bbbba, ceddee.
Nicht stets sind die Z. zu 8 — w rein; Mone 521 besteht
aus 72 Z. gereimt zu 2 oder 4 fast stets mit reinen zweisil-
bigen Reimen, also wohl später als saec. XI; unter die Z. zu
8 — ^ sind 6 Paare zu 8 « — und 1 Paar zu 7 « — gemischt;
viele Z. zu 8 — v, haben nicht die Pause, 11 haben Tw., dar-
unter 6 rein daktyl. Wortschlüsse. Viel schlimmer sind die
Zeilen des Reinerius Leod. um 1180 (Migne 204 p. 95) im
Officium de S. Spiritu ; unter 36 Z. 8 — « sind fast 20 Z. zu
8 « — : also 8 Silben ohne Rücksicht auf Rythmus oder Schluss.
In mancherlei Zeilenverbindungen bildet 8 — « den ersten
Theil. 8 — ^ -|- 4 « — liegt zu Grunde der Variation in Bur.
179 p. 240, 6 Str. zu 8 — - aaaaa + 4 «__b + 8—« a
-[- 4 ^ — b. Die Zeile 8 — ^ -\- 5 v, — findet sich öfter in
Mone 170 wie Gaude plaude ama clama | voce valida; ebenso
bei Joh. Anglicus (Zarncke p. 70) Pallentis aurore rore | vultus
defluit | Fluit ex amore more | qui mox conruit. Leicht variirt
ist diese Zeile in Bur. 131 p. 204, 4 Str. zu 8- wa +
5v— b + 8— wa+5-_b, + 5o_c + 8_wd +
8 — w/d -[" & u — c, womit der Strophenbau von Bur. 114
p. 189 (5 Str r ) völlig übereinstimmt, nur dass hier die Theile,
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 175
von 8 — v auch Reim haben: also 4 — ua 4" 4 — va +
5 w — b, 4 — uc 4~ 4 — ^ c 4~ 5u — b, 5u_d + 4 — we
4~ 4 — ue -|" 8 — ^e -f- 5w — d (die deutsche Nachahmung
ist fehlerhaft); nur der Schluss ist verändert in Bur. 110
p. 186 (4 Str.): 4 _v a -f a + 5u-b, 4-^c + c +
5w — d, 7v — e -f- 4 — uf -f- 4 — ^ f 4" 5 w — e und noch
abweichender ist 155 p. 219 Str. 1, 2, 6: 8 _w a -f- 4— v a
+ 4 — u a -j- 5w — b + 5u — b -j- 4 — ^ c 4" 4 — u c +
7 v, — d + 7 w— d.
Die Zeile 8 — «a 4" 6 — ^ b findet sich bei Äbaelard im
Planctus I 6 Mal. Hilarius bei Du Meril Orig. p. 253 hat 2 Z.
zu (4 — ^ a 4" 4 — « a + 6 _ v, ) bb und 2 Z. zu (8 — ^ c
4~ 6_u) dd. In Bur. 36 p. 122 bestehen Strophe 8. 9. 23.
24 und in 174 p. 233 Str. 8. 9. 18. 19 aus 4— ^a +
4 — ^ a -f- 6-^'b, 4 — ^c + 4 — ^ c -4- 6 — ^b; Bur. 46
p. 135 beginnt mit 4 Zeilen zu 8 — ^ a + 6 — UD > von denen
je 2 zu einander reimen. Omer 5 besteht aus 4 Str. zu 4 Mal
(8 — v a -|- 6 — ^ b) mit Refrain von 7 vy — a b a b. Einseitige
Erweiterungen dieser Zeile sind die 6 Strophen von Bur. 52
p. 145 zu 8 — v a a a a a 4" 6 — *■> b (ora) und die 6 Str. von
Bur. 120 p. 195 zu 8 — uaaaaaa -f- 6— ^b (uta), mit
3 Z. ohne Pause und Tw in 6, 1 (3, 3 u. 4 sind wohl um-
zustellen). Eine schönere Erweiterung bilden die 4 Strophen
von Omer 14 zu 8 — ^a 4" 6 — <^a + 6 — ^ D 4* 8 — ^ a
+ 6—^ b, und Bur. 36 p. 122 Str. 7. 22. 31 = 174 p. 233
Str. 7. 17 zu 8 — ^/ a ('ante' in No. 36) + 6 — ^ b -f 8 — v a
4- 8 — ^ a +6 — v b. Harmonisch gebaut ist die Strophe
zu 8 — ^ a + a + 6 — uD , 8 — uC + c + 6 — ^b, deren
x 6 das Gedicht bei Adam 1 , 223 bilden. Drei Strophen der
Art finden sich in Flacius No. 74, zum Theil mit der künst-
lichen Reimstellüng 4-ua 4" 4— yb, + 4 — va-f 4 — üb
-J- 6— vc, 4" 4 — üb -|" ^ — wa, -f" 4 — vb -|- 4 — va
-j- 6 — u c. Diese Strophe wiederum ist variirt im Brit. Mus.
Egerton 274 (Philippe de Greve? bei P. Meyer Arcbives des
Missions II, 3 p. 288): 8a + 6b + 8a + 6b + 7- üb,
+ 8a -f- 6b + 8a + 8a + 6b + 6b, + 8a -f 8a
4-8a4-6D + 6b, 4-8a + 6b + 8a-f8a + 6b.
Die Zeile 8 — u -|- 7— v liegt zu Grunde der Zeile
4 — \j a -|- 4 — va 4" ^ — ^ b, deren 40, zu 2 gereimt bei
7— v, Äbaelard's Hymn. 33 — 36 bilden; von den 40 Z. zu
7 — v haben 35 Tw und mindestens 5 rein daktyl. Wortschluss.
Digitized by
Google
176 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1662.
Die regelmässige Verbindung von 8 — u und 8 u — ist
nicht selten. Bei Petrus Vener. (Migne 189 p. 1018) wechselt
stets 8 — kj a -j- 8 — wa mit 8u_b -j- 8 ^_ . b (vgl. Got-
schalk oben S. 108) mit 48 Tw in den 64 Z. zu 8 ' Bei
Bernhard (Migne 184 p. 1319) stehen 37 Strophen zu8-w
aabb -f- 8« — c, -f- 8 — «ddee -f- 8 v, __ c, mit ziemlich
vielen h, aber nur 5 Tw in den 74 Z. zu 8 »— . Mone 483
besteht aus 5 Strophen zu 8 — ^ a -f* a + 8 ^ — b > 8_«c
-f- c + 8 w_b.
Weitaus die gebräuchlichste von diesen Verbindungen ist
der alte Fünfzehnsilber. 118 Zeilen zu 8— v, -j- 7 ^ — mit
oft unreinem oder unvollständigem Reime in 7 » — zu 2 in
der Zeitschr. f. d. Alt. 5 (1845) p. 464. In den 36 durch
reinen Beim zu je 2 gebundenen Fünfzehnsilbern des Beiner
von Lüttich findet sich 11 Mal 8 ^ — statt 8 — ^, ja in Ad-
misi poetico synaloephas passim ritu fehlt sogar die Pause;
nicht besser sind die 6 Z. im Officium de S. Spiritu (p. 95).
In der um 1118 schon vollendeten Polenchronik des sogenannten
Martinus Gallus hat nur 7 ^ — den Reim, allein 8 — v, zer-
fallt stets in 4 — ^ -f-4 — ^ und sämmtliche Zeilen sind frei
von h; zu je 2 sind die Zeilen gereimt in II, 27 (6 Z.) und
III, 11 (20 Z.), zu je 3 in I, 16 (30 Z.) und III Prolog
(60 Z.; in 22 lies mit H: In his ergo collaudemus deum et
Laurentium.) ; II Prolog 10 Z. auf imus. Bei Adam findet
sich sowohl 8 — v.x + 7w-a (I, 377. I, 175. — II, 446
ist der Reime wegen unecht — ) als 8 — ^ a -f- 7 v, — b (I, 19)
und 4 — - a + 4 — - a + 7 w__b (I, 40. 169; bes. II, 365).
Dieselbe Zeile 8 — «a + 7« — b findet sich in 7 Strophen
zu 4 gleich gereimten Zeilen bei Alanus (Migne 210 p. 577)}
dann bei Flacius No. 33 und 101.
Die Erweiterung dieser Zeile zu 8 — v,a -f- 8 — « a -f-
7w_b, 8-wc -f 8 — v, c + 7 w _ b, die Strophe des Stabat
mater, ist das wichtigste Strophenmaass der geistlichen ryth-
mischen Dichtung. Besonders oft hat Adam sie angewendet.
Schon Petrus Vener. (f a. 1158) hat (Migne 189 p. 1018)
2 Strophen. Bei Bernhard (Migne 184 p. 1315) 6 Strophen,
deren 7 « — stets auf eris reimt. Walther von Chat, hat in
No. VIII 28 und in No. X 25 Strophen mit einigen Tw und
nicht häufiger Vernachlässigung der Pause in 8 — ^ . Die Er-
weiterung hat Adam nirgends weiter getrieben als bei diesen
Strophen. In II, 335 folgen sich Strophen zu 8aa-f 7 « — b,
Digitized by
Google
Wüh, Meyer: Ludus de Antichristo und über tat. Rythmen. 177
8cc -f- 7 v, — b, dann 8aaa -f* 7 ^ — b, 8ccc-f- 7 « — b,
endlich 8aabb -J- 7 ^ — c , 8ddee + 7w_c. Besonders
liebte er es, die Theile von 8 — ^ wieder zu reimen, so oft
4 — uaabb + 7u — c, 4 — wddee -f- 7v_ c ; 4 — v a a
bbcc + 7 u— d, 4— v, eeffgg -f 7,-d II, 117, ja
I, 307 8-vaaa+K~ b + 4—wcc. dd. ee+7u_b;
I, 334 ist Adam zu 4 — u a a. b b. c c. d d -{- 7 ^ — e, 4 — w
ffgghhii -f- 7 w> — e und II, 204 gar bis zu 4 — v a b a b.
cdcd. efef -f- 7^ — g, 4 — vhihi.klkl.mnmn -f-
1 kj — g gestiegen. l ) Hilarius, bei Du Me>il Origines p. 243,
hat 8aabb 7 c, 8ddee 7 c, 8 ff gg 7 c; (vgl. p. 275).
Unregelmässige Variationen der Zeile 8 — u -f- 7 ^ — oder
der Stabatstrophe finden sich mancherlei. So folgen im Leiche
des Brit. Mus. Egerton 274 (Philippe de Greve? bei P. Meyer
Arch. d. miss. II, 3 280) auf eine Stabatstrophe 2 Strophen
zu 8 — uaabb -f- 7w__c + 7 ^ — c + 8 — v a. Das in
der Form durchaus reine Gedicht Bur. 71 p. 41 besteht aus
8 Str. zu 8 — uaaaa + 7u_ bbb -f- 6-vc; genau
denselben Bau (nur andern Reim in 6 — v ) haben die 3 Strophen
von Flacius No. 16. In Flacius 31 folgt in 2 Strophen auf
8 — vabab -|- 8v-c,c + 8-vb der Schluss 8 — ^ d +
7«__e + 8— od + 7w__ e , + 8— - f + f+ 7 w__x.
Einfache Zeilen von mehr als 8 Silben.
Neunsilber. Die 3 Strophen von Bur. 113 p. 188
bestehen aus 8^-va-f 9v — b-|-8— ua-j-^u— b, denen
8u__c-f" & " — x + 8 w— c folgt. Die 6 Zeilen zu 9 w_
haben reinen troch. Tonfall und 4 lassen sich in 4 — u -\-
5^_, 2 in 6— v -f 3v_ theilen. In Bur. 36 p. 123,
bestehen die Str. 15. 16. 17. 28 und in Bur. 174 p. 233 die
Str. 12, deren Schluss verdorben ist, aus je 4 gleich reimenden,
längeren Zeilen mit einem Schluss von 4v — Von jenen längeren
Zeilen bestehen 2 aus 8 w — , wie Florenti desolatio, 1 aus 10
Silben, wie Sed hesitat adhuc nobilitas, die übrigen aus 9 Silben
mit jambischem Schluss; sie sehen aus wie Z. zu 8 ^ — , in
welchen, wie es beim Gesang leicht geschieht, einmal statt
1) Sehr beliebt ist bei Adam eine Erweiterung der Zeile, nach der
andern Seite : 8 — w a -f" 8 — ° a, -\- 7 ^ — bccb; in sehr vielen
Gedichten finden sich eine oder 2 von diesen Strophen eingemischt, selten
3 wie in I, 212. II, 240.
[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 1 J 12
Digitized by
Google
178 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
£iner unbetonten Silbe 2 gesetzt sind. Bur. 128 p. 202 be-
steht aus 4 Strophen zu 9 v — a + 8 v — b, 9 v — a -f"
8u_b, 7 w_c + (8) w_x + 6 v_c; die 4 Z. zu 9 u —
haben weder bestimmten Tonfall noch Pause.
Bur. 68 p. 38 besteht aus 3 Str. zu 8u-a -f 7— wb, /
8w/— a -f 7— v, b, 9— „ b + 8 u_a, 9 — ^b+8,- a;
die Z. zu 9 — w haben keine wiederkehrende Pause , keinen
bestimmten Tonfall und mehrere daktyl. Wortschlüsse. In Bur.
51 p. 145 sind Zeilen zu 8— v, 9 v— , 9 — u und 10 _ u
gemischt.
Zehnsilber. Mone 359 besteht aus 4 Strophen von
Zehnsilbern mit troch. Schlüsse und der Reimstellung a b a b
a a b b. Von den 32 Z. haben 24 rein troch. Tonfall — w — w
— yj — u — ^ , 8 Z. leichten Taktwechsel. Hilarius, Da Me'ril Orig.
p. 250, hat 10 solche Zeilen, mit 2 Tw. In Bur. 167 p. 229
besteht die erste Strophe aus 4 Zehnsilbern mit troch. Schlüsse,
worin vielleicht scherzhafte Daktylen stecken : Sic mea fäta can-
£ndo solör, darauf deutet wenigstens der folgende rythmische
Hexameter
Cura crescente labore' vigente vigore labente
(vgl. die Trini Salientes : qui cruciatur ad hoc reparatur ut hie
patiatur in meiner Abhandlung über Radewins Theophilus,
Sitzungsber. 1873 I p. 32); in Str. 2 u. 3 haben die Zehn-
silber jambischen Schluss.
Von den Strophen.
In den gleichzeiligen Gedichten bildet der Reim die
Gruppen oder Strophen : Reimstrophen ('consonantia ad dif-
ferentiam facit in rythmo simplici' Johannes Angl.) ; in nicht
gleichzeiligen Gedichten kennzeichnet ausser dem Reim die
Verschiedenheit der Zeilen die Absätze. Beispiele verschie-
dener Reimstrophen sind bei den Zeilenarten angeführt.
Die einfachste Art der Strophenbildung ist die gepaarte
a a b b oder a a a a. Diese Paarung ist auch in den ge-
reimten Hexametern regelmässig. So ist es unmöglich, dass
beim Archipoeta No. VI auf 22 leoninische Hexameter 23
caudati folgten ; Grimm hat den nach III, 2 stehenden Vers
Digitized by
Google
Wüh. Meyer; Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 179
'Sic da pauperibus sie in celis coacerva' übersehen; (ver-
bessere auch 4 totus. III, 1 loquatur) ; so entstehen 6 Strophen
zu a a a a. Bei Abaelard ist diese gepaarte Stellung die vor-
herrschende: so 6— «aabb, 8« — aabb, (5— « + 4«—)
aaaa, (5 «- + 5 «-) aaa, (4 — « + 6 w — )aabb,
(6 ^ — -|" 6 w '— ) a a b b. Auch wenn die Strophe aus ver-
schiedenen Zeilenarten zusammengesetzt ist, stehen sie mei-
stens paarweise : so 8«~aa + (4 + 6 «~) bb, dann
die 6 zeiligen Strophen (4 — « + 7 °— ) a a b b + (4 +
5 v — ) cc, die 14 zeiligen 7« — aaaabbbb + 8 — « c c
+ (4— w + 7 «— ) dddd.
Bei den andern Dichtern ist diese schlichte Strophen-
bildung selten. Die nächste Stufe ist die gekreuzte Stellung
der Zeilen a b a b. Diese sehr verbreitete Art findet sich
bei Abaelard, freilich nicht sehr häufig, sowohl bei gleichen
Zeilen 7 ^ — abab, 8^ — abab, als bei ungleichen 8 — ^ a
-[- 6 — ^ b. Adam mischt in gleichzeitigen Gedichten fast
stets die Reimstrophen, z. B. bald 8 ^ — a b a b , bald a a b b ,
bald aaaa; (vgl. S. 162 u. 171).
Der wichtigste Fortschritt in der Strophenbildung war
der, dass von einer Verbindung zweier Kurzzeilen die eine
wiederholt wurde (s. S. 150); gewöhnlich ist dies die erste,
so dass bei einmaliger Verdoppelung aus dem Zeilenpaar
a + b , a + b die Strophe a a b c c b entsteht ; die Zahl
der wiederholten Glieder steigt bis auf aaaabccccb,
selten darüber. Diese Form findet sich bei Abaelard so-
wohl bei gleichen Zeilen : 4 — «aabccb, 5-^aabccb,
7«-aabccb, als bei ungleichen: 4-«aa 3 «_ b +
4-wCC 3»-b, 7«-aa 7— « b + 7 «-cc 7 — « b.
Diese Art der Strophenbilduug hat Adam in der Regel an-
gewendet. Er liebt es, das Gedicht mit der Strophenbil-
dung a a b c c b zu beginnen, mit aaabcccb fortzusetzen
und mit aaaabccccb zu beenden , wobei in den aus
8 — « + 7 v,— erweiterten Zeilen noch oft durch die Auf-
12*
Digitized by
Google
180 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
lösung von 8—« in 4-« a + 4— « a die doppelte Zahl
von Reim stellen geschaffen wird. Sehr selten ist in einer
Strophe die erweiterte Zeile dreimal gesetzt 8-« aa 7 ^ — b
+ 8-- cc 7 - — b + 8 — - dd 7 -_b (Adam II, 177
u. 271) und 7- — aabccbeeb (I, 54 u. II, 176). Auf
diesem Prinzip der Zeilenerweiterung baut Johannes Anglicus
sein System auf.
Selten wird das zweite Glied allein vermehrt wie in
Omer 22, wo auf 4 X (4 a + 6 « — b) folgt 4 * — a +
6«-aab, 4 w_a + 6 «— aab; häufiger beide Glieder,
so bei Abaelard 6 «-aa + 7«— bebe und bei Adam
oft 8-«aa -f 7 " — beeb, und Bur. 71 p. 41 : 8 — «
aaaa + 7 «__bbb + 6-—« ; vgl. S. 177. Oft werden bei
der Erweiterung die Stücke umgestellt, so: 8—« a 5 « — b
8 — v, a 5 «-^b, 5 w — c 8 — w d 8 — « d 5 «— c, oder 5 «— a
6 — ob 5a 6b 5 a, 5a 6b 5 a. Wie Gedichte aus wachsen-
den Strophen, so werden auch Strophen aus wachsenden
Zeilen gebildet, so Bur. 24 p. 27 aus 5 « _ und 10 (4 + 6)
- — : 10a + 5a + lOaa + 5a + lOaaa + 5a -j-
10 a. In anderen Fällen wird dieselbe Kurzzeile als Schluss
festgehalten, aber verschiedene Zeilen vorangesetzt: so Bur.
124 p. 198 5 - — a + 6— « b, 5 - — a + 6 — - b, 6— -
+ 6 — b, 4 — - + 6 — - b.
Diese Strophenarten kann man aus den vorhandenen
Zeilenarten erklären. In sehr vielen Fällen sind die ver-
schiedenen Kurzzeilen in freier und willkürlicher Weise zu-
sammengesetzt. So bei Abaelard auf noch einfache Weise
in den 6 Strophen zu 5« — a + 8 «-— a + 4 — w b, 5c
8c4b, 5d8d4b (Planet. IV), in den 4 Str. zu 7 --aa
-j- 7 « — b 4 — « c -f 7«-b 4-«c und den zahlreichen
Str. zu 7^ — a + x + a + 5^ — b + 7 ^ — a 5 - — b. Mit
der Uebung sfieg die Fertigkeit, und wir finden in vielen
Gedichten noch vielgestaltigere und verschlungenere Zeilen-
strophen, als die oben verzeichneten Reimstrophen es waren.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 181
Bedeutenden Einfluss scheint Philippe de Greve (f 1237) ge-
habt zu haben. Paul Meyer hat in den Archiv, d. Miss. II,
3, 257 ausfuhrliche Nachriebt über die Handschrift Egerton
274 des britischen Museums gegeben, wo vor einer Samm-
lung sehr kunstreicher lateinischer und französischer Ge-
dichte der Name des Philipp steht. In Romania VII, 1878,
p. 99 hat er über einige ähnliche Gedichte in der Hand-
schrift des Brit. Mus. (addit. 30,091) berichtet. Schon vor-
her hatte Coussemaker (l'Art harmonique) aus der sehr reich-
haltigen Hschr. 196 zu Montpellier viele Auszüge gegeben.
Diese Sammlungen hängen alle unter sich zusammen. Zu
ihnen gehören noch mehrere andere. In einem Fragment
in München wird Flacius 7 In veritate comperi als 'motetus
episcopi Wilhelmi Parisiensis' angeführt; aus einer Samm-
lung solcher Gedichte sind viele in die Carmina Burana
übergegangen, noch mehr bieten die No. 1 — 148 bei Flacius,
und eine sehr reichhaltige, mit Melodien versehene Samm-
lung enthält die schöne Handschrift der Laurentiana (Plut.
29, 1; vgl. Bethmann in Pertz Archiv Xn p. 719). Aus diesen
Quellen sollte einmal klar gestellt werden, was. die lateinischen
rythmischen Dichter in kunstreichem Strophenbau geleistet
haben.
Vom Aufbau der Gedichte.
Die Dichter blieben nicht stehen beim harmonischen
Bau einer einzelnen Strophe, sie erstreckten ihre Kunst auch
auf den Aufbau der ganzen Gedichte. Baldric (f 1131),
Du Meril 1843 p. 292, hat vielleicht schon um 1090 7 kunst-
reiche quantitirend gebaute Strophen gedichtet, von denen
I = III = V, II = IV und VI = VII ist (Du Meril hat
III u. IV verstellt). In den rythmischen Gedichten finden
wir, auch abgesehen von den geistlichen Sequenzen, sehr
kunstreiche Anlage. Zunächst die reine Sequenzenförm in
Bur. 171 p. 65, wo Str. 1 = 2, 3 = 4, 5 = 6, 7 = 8;
Digitized by
Google
182 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 7. Januar 1882.
ebenso 38 p. 125 (4 verschiedene Strophenpaare) ; 40 p. 129
(5 Paare, da Str. 1—4 in je 2 Theile zerfällt und 5 = 6 ist) ;
45 p. 135 u. 275 (4 Paare); 51 p. 59 (Bartsch Sequ. p. 242;
6 Paare); Petrus Blesensis bei Migne 207 p. 1127 (5 Paare) ;
Flacius No. 74. Dann jene strengen Leiche, in denen sich
dieselbe Strophenreihe wiederholt. So jener einfachste aller
Leiche Bur. 62 p. 153 Str. 1. 2 = 9. 10; 3. 4 = 11. 12;
5. 6. 7. 8 = 13. 14. 15. 16. Bur. 85 p. 47, wo Str. 1=4;
2 = 5; 3 = 6 (Str. 1 u. 4, 3 u. 6 sind Variationen von
8—^ und 7 « — , Str. 2 u. 5 von 7 ^— und 6 — *). In
Bur. 20 p. 21 ist Str. 1 = 5, 2^6, 3 = 7, 4 wahr-
scheinlich = 8. Drei gleiche Reihen hat Bur. 154 p. 217,
wo Str. 1 = 4 == 7, 2 = 5 = 8, 3 = 6 = 9 ist (Str. 1.
4. 7 sind Variationen von 8— ^ und 7 ^ — ; Str. 2. 5. 8
von 7 v—, und Str. 3. 6. 9 von 5 v— -f- 5 — ^ -[- 6 ^— ).
Eines der grössten Gedichte der Art ist Bur. 36 p. 121 ;
nach einer Einleitung in schwankenden Zeilen (Str. 1 — 4)
folgen Str. 5. 6 = 20. 21 =-30; Str. 7 = 22 = 31 (mit
dem gleichen Reim ante) ; 8. 9 = 23. 24; 11 — 14 = 25—27;
15— 17 = 28; 18 = 29. Eine vollständige Nachahmung
dieses Leiches fand ich in Bur. 174 p. 233. Auch in den
rohen Formen von Bur. 35 p. 119 ist ein Leich versteckt,
wie die Gleichheit der Str. 4. 5. 6 mit 14. 15. 16 und die
Aehnlichkeit von 3 mit 8 und 17 andeutet. Einen ein-
fachen Leich dieser Art hat auch Abaelard Planctus IV,
wo die Reihen 7-uaaaaaa, ?v- bbbbbb, 6 ^ — ab
abcdcd und 9 Mal (5u_a-}-8w-a + 4-wb) sich nur
mit der Aenderung wiederholen, dass statt 7 — v eintritt
7 v, — aaaaaa.
Die 5 andern Planctus des Abaelard sind frei aufge-
baute Gedichte ; er liebt hiebei öfter die chiastische Stellung ;
so z. B. in Planctus I: auf die Einleitung zu (5 — ^ -f -
5 — u)- aaaaaa folgen 4 Str. zu (6 ^ — aa 7 v — bebe)
und 2 Str. zu (8-va 6 — ^b 8 — v a 6 — üb), auf diese
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 183
das Centrum des Gedichtes 7 ^-aaaa, worauf die vorher-
gehenden Theile in anderer Ordnung folgen : 2 Str. aus 8 — u
und 6 — v gebildet und 6 <-» — a 7 ^ — b, 6 ^— a 7^-b mit
2 Zeilen = 6 — ^ + 7 ^ — b. Den kunstreichsten Aufbau
hat Planctos III. Hier finden sich die oben S. 151 be-
sprochenen Zeilen zu w_v-» a, v — v a, _-u_b (= 9«-)
und v_ua, w — v a, — w_ u_b (= llv,_). Das Ge-
dicht besteht nach der Einleitung von 9 " — aaaa, aaaa
-J- (4-ub + 4 — v b + 3^_) dd + 9v-eeee +
(4— u f + 4— i/ f + 3^~) gg + 9 w—hhhh aus 2
grossen Theilen, in deren erstem Jephtas Zusammentreffen
mit der Tochter, im zweiten das Opfer selbst geschildert
wird. Der erste Theil besteht aus zwei fast gleichen Ab-
schnitten, die mit 'Victor hie e proelio' und 4 Ut sexu sie
animo' beginnen und aus 7 ^— , 11 " — aaa, 7 ^ — , 3 X
(7 u _c + 5«-b), 7«—, 11 ^ — ddd gebildet sind. Der
2. Theil 4 His gestis rediit' besteht aus 4 Abschnitten a)
(6 - — + 6 w— ) aaa + 12 X 9 « — , b) Reihen von
7 w __, 6 « — , 7 ^ — , 6 ^ — , 7 ^ — , c) 2 Strophen zu 2 Mal
(4 a + 4 — - a + 8 — - b) + 7 - — cedd, d) 16 Z.
zu 9 «— Einfach ist der Leich bei Petrus Vener. (Migne
189 p. 1017), der nach dem Eingang von 4 — ^ + 5 ^ —
aus Variationen von 4 — « + 4 — « und 7 v— besteht.
300 Zeilen umfasst das Gedicht bei Petrus Bles. (Migne 207
p. 1130). Kunstreicher sind Bur. 43 p. 132 und das Ge-
dicht (von Philippe de Greve) bei P. Meyer Arch. d. miss.
II, 3 p. 280. Unsicher ist, wohin man ein solches Gemisch
von Strophen rechnen soll, wie es sich in dem nach 1241
entstandenen Gedicht über die Ungarn findet (Forschungen
12 p. 643).
Der Höhepunkt der künstlichen Form ist erreicht, wenn
in ein und demselben Gedichte sich verschiedene Dichtweisen
mischen. Schlecht gebaute quantitirende daktylische Zehn-
silber enthält Bur. 98 p. 177 ; einige scheinen auch in Bur.
Digitized by
Google
184 Sitzung der phüm.-philol. Classe vom 7. Januar 1882.
161 p. 225 eingesetzt zu sein. Dagegen fand ich in den
freien Leichen Bur. 46 p. 135, 44 p. 134 und 39 p. 127
grössere quantitirend gebaute Stücke neben rythmisch ge-
bauten. So besteht No. 46 aus rythmischen Strophen von
8 — w +6--, 8 — - +7-— ,7-- + 7 — - und 7 -_
aaaa, welchen quantit. gebaute Daktylen 4 Hoc amor (?) prae-
dicat | haec macilenta' folgen. In Bar. 44 folgen auf ryth-
mische Daktylen mit Str. 4 'Felix seu peream' quantit. ge-
baute daktylische Trimeter und Tetrameter. Das merk-
würdigste Stück scheint mir No. 39 zu sein, wo nach des
Dichters eigener Angabe prosa, versus (d. h. quantitirend
gebaute Zeilen), satira und rythmachia gemischt sind (siehe
oben S. 115).
Die rythmischen Formen des Ludu-s de
An tichristo.
Prüfen wir nun nach den bisher entwickelten Grund-
sätzen die Formen des Ludus de Antichristo, so ergeben
sich auffallende Thatsachen. Die gleiche Silbenzahl
in den entsprechenden Zeilen beobachtet der Dichter streng ;
ich glaube die 4 Strophen 1 — 32 richtig hergestellt zu
haben; und, wo in den Dreizehnsilbern die Silbenzahl in
der Handschrift verletzt ist, fuhren fast immer auch andere
Merkmale darauf, dass der Schreiber den Text entstellt hat.
Ich habe sie desshalb überall hergestellt. Den Schluss
der Zeilen behandelt der Dichter mit besonderer Fein-
heit. In den 300 reimlosen Halbzeilen ist der jambische
Zeilenschluss selten durch ein einsilbiges Wort gebildet und
dann nur durch die Hilfswörter der Sprache, nemlich 1 Mal
in, 1 nos, 7 est, 2 sum, 1 es, 1 sunt, 1 sit, und bei tro-
chäischem Schlüsse et es, ad nos, ubinäm sunt und in me.
Ist der Schluss gereimt, so wird er nie durch ein einsilbiges
Wort gebildet. Mit einem zweisilbigen Wort schliessen
von den in der ersten Zeilenhälfte stehenden und reimlosen
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Anttchristo und über lat. Bythmen. 185
66 Zeilen zu 6-^ 51, von den 17 ebenda stehenden Zeilen
zu 7 — « gar 1 1 ; dagegen von den die Langzeilen beenden-
den und mit Reim belegten 54 Zeilen zu 6-« schliessen
nur 6 mit zweisilbigen Wörtern, und von den ebenda stehen-
den 270 mit Reim belegten Zeilen zn 7-« schliessen nur
8 mit zweisilbigen, 77 mit dreisilbigen, 131 mit viersilbigen
und 54 mit fünf- und mehrsilbigen Wörtern. Der Dichter
hat also von 83 nicht gereimten trochäischen Versschlüssen
62, dagegen von 324 gereimten trochäischen Versschlüssen
nur 14 durch ein zweisilbiges Wort gebildet, es demnach
gemieden, ein zweisilbiges Wort iu den trochäischen Reim
zu stellen. Die gleiche Sorgfalt zeigt sich im Reime selbst:
er ist stets zweisilbig und rein, und Fehler, wie in 392 das
mit sich selbst reimende pietatis, finden sich nicht.
In den andern Stücken zeigt der Dichter nicht die
gleiche Sorgfalt oder Schulung. Den Hiatus zu meiden,
gibt er sich nicht viel Mühe; so hat er ip den 3X)0 Drei-
zehnsilbern etwa 25 Hiatus im Innern der Halbzeilen und
etwa 8 zwischen denselben. Aehnlich steht es mit dem
Taktwechsel. Die in den lyrischen Stücken (V. 1 — 48,
151—170, 365—368 und 399—402) vorkommenden 16 Z.
zu 7 — « haben 3 Tw, die 8 Z. zu 8 ^ — sind rein, die
15 Z. zu 8 — v, haben 4 Tw, die 19 Z. zu 9^— haben
7 Tw und die 10 Z. zu 11 *_ 3 Tw. In den 300 Drei-
zehnsilbern und 38 Zeilen zu 4-« -{- 7_ « kommen vor:
38 Z. zu 4 Silben, von denen 34 aus 4 — « , 4 aus 4«-
bestehen; 167 Z. zu 6 ^ — , davon 70 mit Tw; 120 Z. zu
6 — ^, davon nur 17 mit Tw; 30 Z. zu 7 »~ ohne und
nur 7 mit Tw; 284 Z. zu 7 — ^, darunter 118 mit Tw.
Also auch hier ist Taktwechsel in den troebäischen Zeilen
6 — « und 7 « — seltener als in den jambischen 6 « — und
7__w, Rein daktylischer Wortschluss bei Takt-
wechsel kommt vor, aber selten ; in 6«~: V. 90 positam
fäteor, dann in 177. 253. 271. 290. 397; in 6--: 139
Digitized by
Google
186 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
virfliter ägens, 219 haec münera regi, 231 sunt p^ssima
pestis; in 7 « — nicht. In den so zahlreichen Zeilen zu
7 — « findet sich von der sichern Art des daktylischen
Wortschlusses (siehe S. 126), wo auf den Daktylus ein
zweisilbiges Wort folgt, nur V. 365 Tibi grätias dämus,
dagegen 18 Verse, in denen auf das daktylische Wort ein
viersilbiges und 1 Vers, in dem ein einsilbiges Wort folgt,
welche Verse aber wohl anders zu betonen (maneänt vene-
rända, mäneat in aeternum) und nicht hierher zu rechnen
sind. Unter den 15 Z. zu 8 — « findet sich der unsichere
44 Te iübeo detestari und unter den 19 Z. zu 9«- der
sichere 31 OflTcia quorum cernimus; die 10 Z. zu 11 «-
sind frei von daktylischem Wortschluss.
Das Merkwürdigste sind die von dem Dichter verwen-
deten Zeilenarten. Die im Anfang des Gedichtes vor-
kommenden Zeilen zu 9»- ohne bestimmte Pause sind
sehr selten, die Zeilen zull »~ (153 — 170) ohue bestimmte
Pause sind ohne Beispiele. In den Zeilen zu 8 — ^ wird
nicht nur die gewöhnliche Pausenach 4 — ^ vernachlässigt,
sondern sogar Takt Wechsel gestattet. Von 329 an treten
38 Z. zu 4 — « + 7 — ^ a auf, in denen 4 Mal 4«- statt
4 — v gesetzt ist. Diese Zeilenart fand ich nirgends sonst
und könnte sie nur mit den Zeilen zu 4-wa + 4-«a
+ 7 — wb bei Abaelard Hymn. 33 — 36 vergleichen. Die
Dreizehnsilber hat der Dichter so gebaut, dass er den
Schluss der ganzen Zeile stets trochäisch bildete, dann nach
der 6. oder 7. Silbe regelmässige Pause machte und die
erste Halbzeile entweder jambisch oder trochäisch schloss.
So ergeben sich folgende 4 Zeilenarten 1) 6 ^ f- 7 — w,
2) 6 — ^ + 7-w, 3) 7u— + 6 — w, 4) 7-^ + 6— *:
1) Quam nöstrae repetit potentiäe maiestas.
2) Digna ergo poena correpti resipiscant.
3) Tötus mündus füerat ffscus Romanörum.
4) Proterve se oppönunt tüae mäiestati.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 187
Vier Zeilen im Anfange haben keine dieser regelmässigen
Pausen: 50. 51 (= 103. 104). 60. 61. z. B.
60 Salutem mandat imperator Romanorum.
Es ist, wie S. 18 u. 144 gezeigt wurde, sehr selten, dass
der Schluss der ersten Halbzeile bald trochäisch, bald jam-
bisch ist; unser Dichter gestattet sich diesen Wechsel auch
in den Zeilen (7—- oder 7 -— + 7 - — ) 365—368. Aber
geradezu ohne Beispiel in den lateinischen Rythmen ist es,
wie er in diesen Dreizehnsilbern (und so wohl auch in den
oben genannten Zeilen zu 9«- und 11 »-) die Pause
wechselt und sich durch diese Emancipation von der Schab-
lone der Freiheit nähert, welche die antiken und die mo-
dernen Dichter haben. Einen Einblick in die Art, wie er
dichtete, gewährt folgende Beobachtung: unter dem 1. Hun-
dert von Dreizehnsilbern finden sich 62 Z. zu 6 + ? — - w
gegenüber 30 Z. zu 7 + 6 — ^ ; im 2. Hundert 87 Z. zu
6 + 7 — " gegenüber 13 Z. zu 7 + 6 — «; im 3. Hundert
97 Z. zu 6 + 7— - gegenüber 3 Z. zu 7 + 6 — -. Offen-
bar schwankte der Dichter, als er seine Dichtung begann,
zwischen den verschiedenen Arten und hat damals auch jene
4 Zeilen ohne Pause nach der 6. oder 7. Silbe zugelassen;
während des Dichtens gewann er eine Vorliebe für die Zeilen
mit der Pause nach der 6. Silbe und besonders für die mit
jambischem Schlüsse vor dieser Pause (180 Z. zu 6 ^— +
7 — w gegenüber 66 Z. zu 6 — ^ + 7«—). In dieser That-
sache liegt der Beweis, dass der Dichter sich seine Zeilen
selbst construirt hat. Natürlich konnten in jener Zeit, wo
dieses Selbstschaffen so gewöhnlich war, auch Andere die-
selben Verbindungen finden. Allein nur die eine Form
7 ^— + 6 — ^ ist gleich der weitverbreiteten Vaganten-
zeile. Für die Form 6 — ^ + 7— ^ und 7^« + 6 — «
habe ich kein Beispiel gefunden. Bartsch Sequ. S. 196 sagt
fc Bemerkens werth ist bei Adam I, 174:
Digitized by
Google
188 Sitzung der phUos.-phUol. Classe vom 7. Januar 1882.
Indissolubili bitumine fundata
Miris ac variis lapidibus distincta
die seltene Anwendung dreizehnsilbiger Verse (jambisch) mit
einer Caesur nach der 6. Silbe, also der französische Alexan-
driner.' l ) Ich habe oben S. 104 eine Reihe von Zeilen zu
6 + 7 — ^ mit demselben Schwanken der Basis von 6 ^ —
zu 6 — ^ nachgewiesen ; allein, obwohl auch in jenem merk-
würdigen Gedichte der nemliche Stoff wie in unserm Ludus
behandelt ist, so hat doch unser Dichter seine Zeilenform
6 + 7 — « nicht von dort entlehnt. Das beweist einmal
die Vermengung der Zeile 6 + 7 — ^ mit 7 + 6 — ^, die
in dem Gedicht von Montpellier nicht vorkommt, sodann
der Umstand, dass trotz des gleichen Inhaltes unser Ludus
keine Anklänge an jenes Gedicht enthält. Wie Bartsch in
jenen Dreizehnsilbern den französischen Alexandriner fand,
so fanden Andere in den Zeilen unseres Ludus die Nibe-
lungenzeile, und die Zeile 7 ^— + 6—« ist gleich mit
der berühmten Vagantenzeile. Unser Dichter ist von selbst
und zufällig zu diesen Zeilenarten gekommen. Das zeigt
vielleicht Weg in jenen so schwierigen Fragen über manche
Formen der epischen Poesie der verschiedenen Völker. Sie
sind sich oft sehr ähnlich, und manche haben desshalb be-
hauptet, dass ein Volk sie von dem andern entlehnt habe.
Die erzählende Dichtung braucht ebenmässig dahin fliessende
Zeilen ; sie nimmt nun entweder die längsten der Kurzzeilen,
die Zeilen zu 8 « — oder*8 — ^, oder Langzeilen. Die Lang-
zeilen zerlegt die menschliche Stimme stets in 2 Theile,
deren jeden sie in einem Zuge spricht. So wird jede Lang-
zeile durch Caesur oder Pause in 2 Kurzzeilen zerlegt. Diese
müssen natürlich einander im Umfange ähnlich sein. Zur
1) In dem Gedicht des Philippe de Greve (?) bei Paul Meyer, .
Archives d. Missions II, 3 p. 280 findet sich die aus 6 w (-7 — «
erweiterte Strophe 6 ^ — aa 7 — b, 6« — cc 7 ~ w b.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Rythmen. 189
Bildung solcher nicht zu kurzer und nicht zu langer Zeilen
sind die Verbindungen der Kurzzeilen zu 6 und zu 7 Silben
und wenn zwischen die betonten Silben öfter 2 unbetonte
treten, auch die zu 8 Silben die geeignetsten. Wenn also
bei verschiedenen Dichtern und Völkern sich ganz ähnliche
aus jenen Elementen gebildete Zeilen finden, so ist diese
Aehnlichkeit eine ebenso zufällige, oder vielmehr ebenso
natürliche, wie die Aehnlichkeit dieser Dreizehnsilber mit
dem Alexandriner, mit der Nibelungen- und der Vaganten-
zeile.
• Der Strophenbau unseres Dichters ist ein sehr un-
entwickelter uud einfacher. Die Dreizehnsilber und die
Zeilen zu 4— <-> -f~ 7— ^ reimen alle paarweise; desshalb
muss nach V. 283 und 359 eine Zeile ausgefallen sein. Ge-
paart sind auch die Zeilen in deu 5 Strophen (151 — 170)
zu 8-waa -|- 11 u_ bb, in der Strophe (45 — 48) 8 — ^
aa + 9 ~ — bb, in der Strophe (365—368) (7 + 7 ~ — )
aabb und 399 (7 ^— -f- 7 ^— ) aa. Einfachen gekreuzten
Reim zeigen die 4 Strophen (1 — 32) zu 8 ^— a + 7—"« b
+ 8-— a+7--b, 9 c + 7--d + 9--C +
7 — v, d und die 3 erweiterten Strophen 9 »_aaa 8 — « b,
9v,__ccc 8 — ^ b , 9 ^ — d d d 8 — ^ b. Höher ist die
Kunst des Dichters nicht gestiegen.
Sorgfalt zeigt demnach nur der Reim und der Bau des
Schlusses. Der einfache Strophenbau weist anf- frühe Zeit
der Entstehung. Die häufige Zulassung des Hiatus und
die (seltene) des daktylischen Wortschlusses, besonders aber
der Wechsel des jambischen und trochäischen Schlusses der
ersten Halbzeile und das Schwanken der Pause von der 6-.
zur 7. Silbe widersprechen den Regeln der Schule. Zum
Theil zeigt sich hier derselbe unabhängige Geist, welcher
in der Umformung des vorliegenden Sagenstoffes und in dem
Entwurf des ganzen Dramas sich gezeigt hat.
Digitized by
Google
190 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Januar 1882.
Nachträge.
Zu S. 68. Die ältesten gereimten Hexameter sind wohl die von
Dragoni, Cenni storici sulla Chiesa Cremonese p. 334, und Troya, Storia
d'Italia IV. 2 p. 538 veröffentlichten. Zuerst 2 Leonini mit clari : Rihaldi,
aequorum : virorum, dann 1 Hex. mit Innenreim, 1 Hex. mit Eigennamen
und de88halb ohne Reim, dann 3 Paare caodati 'dictus : relictus, creatus :
glorificatus, Jani: vani' mit dem 4. Paare (octuageni: septuageni ?) :
Ducentum atque decem tum quatuor octuagenae
Sunt anni domini sex et bis septua genta (676).
Den so natürlichen Endreim hatte ich im Anfange der Geschichte der
gereimten Hexameter oft vermiest.
Zu S. 67 u. 138 (Zweisilbiger Beim vor 1100). Neben Wipo ist
bes. Ekkehart IV von S. Gallen zu nennen. In dem Prolog des am
1030 dem Johannes, Abt von Trier und der Limburg, gewidmeten Liber
Benedictionum nennt er seine meistens zweisilbig gereimten Leoninischen
Hexameter 'presso tramite stricti 1 mit der eigenen Erklärung 'propter
consonantiam duplarum plerumque syllabarum, ut monuisti, minus po-
tenter inquiens, concinnari per unam; (vgl. Dümmler in Zeitschr. f. d.
Alterthum 14, 1867, S. 11).
Zu S. 75. Durch die besondere Liberalität der französischen Re-
gierung habe ich die Pariser Handschrift 4976 (die Epitomae des Vir-
gilius Maro) erhalten. Der Text ist reichhaltiger und oft besser als
der Mai's. Das oben Gesagte finde ich bestätigt; so hat die Hschr.
'Festa I, deum sol II, lempnia III (vgl. S. hl u. 78); auch diese Fas-
sung des Textes bietet kein quantitirend gebautes Citat, dagegen wird
z. B. das Oantamcntum bei Mai Epit. III 'Mea Matrona tuam amplector
zonam 1 zu 2 richtigen rythroischen Zeilen gebessert 'Mea, mea Matrona,
tuum amplector soma\
Zu S. 53 u. 103. Der longobardische rythmische Hexa-
meter.
Als Zeugnisse, wie tief die Bildung in der Longobardenzeit ge-
sunken sei, führt man (vgl. Corssen, Aussprache II p. 397) Inschriften
der Zeit an, — mit Recht, wenn dies wirklich, wie die Gelehrten meinen,
quantitirend gebaute Hexameter sein sollten. Das ist unmöglich. Denn
aus derselben Zeit und derselben Gegend gibt es gut gebaute Hexameter,
und jene Zeilen, die der Fehler wegen gewiss allgemeinen Spott erregt
hätten, stehen auf den Gräbern von Königen und ihnen Nahestehenden.
Dann steht (nach den von Prof. Eugen Borroann gütigst mir übersendeten
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ludus de Antichristo und über lat. Bythmen. 191
Collationen von Cod. Vat. Pakt. 833 saec. IX, fol. 50] neben der In-
schrift Gruter p. 1169 Z. 1 'RITM.', Z. 3 'MKTR.\ so dass die beiden
ersten Zeilen wohl als troch. Fünfzehnsilber (im 1. fehlen 2 Silben) zu
fassen sind; neben der berühmten Inschrift auf den Bischof Damian
(unten No. 2) steht ebenfalls 'RITHM.' Dadurch ist bewiesen, dass
solche Inschriften durchaus nicht als quantitirend gebaute angesehen
werden sollten.
Die Gedichte, welche ich diesen Spuren folgend zusammenfand und
hier in aller Kürze verzeichnen muss, bestehen aus Zeilen, die in der
Kegel 15 Silben zählen (vgl. No. 2. 4. 5.), seltener 14 und 16 (vgl-
No. 2. 4. 5.) und noch seltener 13 oder 17 (vgl. No. 2. und 9?). Diese
Zeilen enden stets mit — ^ v — ^ (ausgenommen einige Zeilen in No.
1 und 10), und zerfallen, den Caesuren des Hexameters entsprechend,
in 2 ungleiche Theile (vgl. das Facsimile von No. 5 bei Troya). Der I.,
kleinere, Theil besteht sehr selten aus 6 ^ — , meistens aus 6 — ^ ,
7 v — und seltener aus 7 — ^ mit oder ohne Tw, selten aus 8 ^ — und
noch seltener aus 8 — u ; der II., längere, Theil besteht selten aus 7 — u:
-!— \j — ^ \j — v , oft aus 8 — \j (— w w — v/ *• — v oder v — o -i- c «-/
— w), und noch öfter aus 9 — ^ ohne Tw: -L^-i-v/— c/ u-U\j, fast
nie aus, 9 — v mit Tw:^ — uv-^-v^ — v.
Die Gedichte verzeichne ich nach Troya, Storia d'Italia tomo IV,
parte III (Godice diplomatico Longobardo), wo sie alle abgedruckt sind,
und den Longobardiscben Regesten im Neuen Archiv III, 1877, pag.
229- 318 :
1) Epitaphium des Königs Cuningbert, Pavia a, 700; 8 Z. ; 2 un-
reine Schlüsse : robustissimus rex und viduata gemet. Troya p. 50, Reg.
p. 241. 2) Epit. des Damian, Bischof von Pavia a. 710; in der Hschr.
als RITHM. bezeichnet, 26 Z. zu 15 (17), 16 (6), 14(2), 17 (1) Silben;
der II. Theil (11 Mal 9 — J : J-v-L-^ — ^ w — u , 7 Mal 8 — w:
-i-i/ui-u \j — w) beginnt nur 3 Mal mit einer unbetonten Silbe. Troya
p. 111; Reg. p 244. 3) Epit. des Königs Ansprandus, Pavia a. 712;
8 Z. (in Z. 4 fehlt ein Wort). Troya p. 122; Reg. p. 245. 4) Epit.
ducis Audoaldi, Pavia a. 718 ; 13 Z. Troya p. 269; Reg. p. 247. 5) Epit.
Theodotae, Pavia a. 705 oder 720; 28 Z. Troya p. 70; Reg. p. 249.
6) De Fundatione Civitatis novae, circ. a. 734; 7 Zeilen, deren Schlüsse
fehlen. Troya p. 599; Reg. p. 255. 7) Epit. Cumiani episcopi, Bobbio
a. 736; 16 Z. (II. Theil 12 Mal -i-v-J-^ J-^ v-^-u). Troya p. 628;
Reg. p. 256. 8) Epit. Cunipergae, Cuniberti regis filiae, Pavia circ.
a. 740; 11 Z. Troya p. 78: Reg. 260. 9) Verdorben zu sein scheint
Gruter Inscr. p. 1169 No. 4 (aus Piacenza), 12 Z. mit dem mir unver-
ständlichen Schlüsse: Tabella en heroieum triligat exaroetrnm*
Digitized by
Google
192 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 7. Januar 1882.
10) Ich weiss nicht, ob hierher gehört Gruter p. 1169 No. 5 (aus Pia-
cenza), 10 Z., von denen jedoch 5 mit — ^ — ^ schliessen. 11) Die
Grabschrift des Bischofs Felix (t a. 724 in Ravenna in Mon. Germ.
Script. Longob. p 375) scheint zuerst Nachbildungen von Distichen zu
enthalten (vgl die Schlüsse 'praesules digni deo; Felix amator fuit.
magnanime floruit. etc. =: dem 2. Theil des Pentameters?), dann von
'Cuius ope fretus 1 an Nachbildungen von Hexametern. x )
Vielleicht sind die oben S. 102 besprochenen Zeilen zu 6 ^ (-
g — v w — u eine Abart dieser rythmischen Hexameter; sicher ist dies
die Zeile, in welcher ein Dichter (also saec. VIII?) viele Räthsel ge-
schrieben hat: ungefähr 370 Zeilen in Gruppen von je 6 bei Mone An-
zeiger 1839 S. 219 und Riese Anthol. lat I p. 296—304 und II p. LXVI
— LXXVJ; jede Zeile besteht aus 14 Silben und zerfallt in 2 Stucke;
das I. besteht aus 6, das IL aus 8 Silben zu -Lu-Lü — u und — u v-r
ego nata duos patres habere dinoscor;
auf etwa 10 Verse trifft ein Taktwechsel: w — w w — \s oder v — ^
-!— \j \j — u, z. B.
extremos ad brümae me prfmo confero mense
Diese bei den Longobardeh vorkommenden rythmischen Hexameter
haben sich weder weit verbreitet noch lange erhalten.
1) Die Inschriften 'O Rhode dulcis anima' (Gruter p. 1176, 7; Fleetwood pag.
476, 1), 'Bardorum bella' (Peregrini-Pratilli, Hist. princ. Longob. III p. 335) und
'Christe fave* (Troya p. 545; Reg. p. 253) scheinen mir ursprünglich anständige
quantit. Hexameter enthalten zu haben, die durch Zuthaten entstellt wurden
Wilh. Meyer gibt in Uebereinstimrauug mit H. Prof. Trumpp
zu S. 104 seiner Abhandlung 'die Geschichte des Kreuzholzes 1 (Abh. XVI,
2. Abth.) und zu S. V von Trumpps Abhandlung 'Das Hexaemeron des
Pseudoepipbanius' die Erklärung ab, dass er selbst das arab. aethiop.
Hexaemeron niemals für eine üebersetzung oder Umarbeitung des syri-
schen Epiphaniustextes gehalten hat, (auch die Bemerkung in Vita Adae
et Evae S. 190 war in diesem Sinne gemeint), und dass er jetzt, nach
Vergleich ung des von Lagarde (Symmikta II) übersetzten syrischen
Textes des Epiphanius de Mensuris (cap. 21) mit dem von Trumpp über-
setzten arab. aethiop. Hexaemeron, die feste (Jeberzeugnng gewonnen hat,
diese arab. aethiop. Schrift habe sowohl mit dem griechischen als mit
dem syrischen Texte des Epiphanius durchaus Nichts zu schaffen, sei
Vielmehr aus andern, noch zu erforschenden Quellen abgeleitet.
Digitized by
Google
Sitzungsberichte
der
philosophisch-philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu IVCiinchen.
1882. Heft IL
München.
Akademische Buchdruckerei von F. Straub.
1882.
In Commistion bei G. Franz.
Digitized by
Google
Dicjitized by
Google
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Historische Classe.
Sitzung vom 7. Januar 1882.
Herr v. Riehl hielt einen Vortrag:
„Arcangelo Corelli im Wendepunkte zweier
musikgeschichtlichen Epochen."
I.
Das siebenzehnte Jahrhundert trägt in der Musikge-
schichte den Character einer Episode.
Es hat keine so grossen, schöpferischen Meister aufzu-
weisen, wie das sechzehnte in den überragenden Gestalten
Palestrina's und Orlando Lasso's oder wie das achtzehnte in
Bach, Händel, Gluck, Haydn, Mozart, deren Hauptwerke
heute noch lebendig fortwirken. Die allermeisten Tonschöpf-
ungen des sieben zehnten Jahrhunderts bieten im Gegensatze
hierzu fast nur noch antiquarisches, historisches Interesse.
Seine Meister wurden von den Vorgängern und Nachfolgern
verdunkelt und verfielen der Geschichte.
Allein zum Ersätze ist dieses Jahrhundert höchst wich-
tig für die Genesis neuer musikalischer Formen,
die sich aus älteren Anfängen damals langsam zu steigender
Klarheit und wachsendem Einfluss entwickelten und aus
untergeordneten Versuchen des sechzehnten Jahrhunderts zur
[1882. I. Philos.-philol.bist.Cl. 2.] 13
Digitized by
Google
194 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882.
Herrschaft neuer Kunstgattungen im achtzehnten hinüber-
leiteten.
Die Meister dieser episodischen Zeit lösten bewusst und
unbewusst die mittelaltrigen Musikformen auf, welche durch
Palestrina ihren reichsten und reinsten Inhalt gewonnen
hatten, und entwarfen die Grundlinien der modernen Formen.
Und wer im Sinne solch überleitender Vorarbeit der Ge-
schichte verfallt, der hat darum doch nicht umsonst ge-
arbeitet.
Ist also auch das siebenzehnte Jahrhundert arm für
den heutigen praktischen Musiker und für den geniessenden
Musikfreund, so gewährt es dafür dem wissenschaftlichen
Forscher, vorab auf dem Gebiete der musikalischen Technik
und Tektonik, überaus reiche Ausbeute, die noch lange
nicht ganz gehoben ist.
Jene neuen Formen und Gattungen waren: die italie-
nische Oper und das französische Musikdrama, die weltliche
Cantate und das Oratorium mit den Unter formen des Reci-
tativs und der Arie; dann die Sonate und Suite mit ihren
zahlreichen Verzweigungen bis hinauf zur Symphonie und
zum Streichquartett.
Zwar hatte das sechzehnte Jahrhundert hier überall
bereits die ersten Keime gebracht, wie das achtzehnte die
klassische Blüthe bringen sollte; aber dazwischen bereitete
das siebenzehnte den Boden und förderte und regelte das
Wachsthum der neuen Form und Art.
Und nicht blos der Form. Denn auch im geistigen
Gehalte, im Kunstideal ward damals eine grosse Wandlung
angebahnt. Im sechzehnten Jahrhundert hatte noch die
strenge objective Kirchenmusik geherrscht, in. der ersten
Hälfte des achtzehnten hingegen gelangte die freiere, sub-
jectivere geistliche Musik zur höchsten Macht; die Messe
weicht dem Oratorium, um vollends in der zweiten Hälfte
der weltlichen Tonkunst den überragenden Platz zu räumen.
Digitized by
Google
v. Biehh: Arcangelo Corelli. 195
Daneben war die rein instrumentale Kunst, die absolute
Musik, im sechzehnten Jahrhundert noch in ganz unter-
geordneter Dienstbarkeit verharrt, während wir sie in der
ersten Hälfte des achtzehnten bereits ebenbürtig neben dem
Gesänge erblicken. Und rasch gelangt sie dann in der fol-
genden symphonischen Periode zur fast despotischen Herr-
schaft.
Der scharfe Gegensatz des achtzehnten Jahrhunderts
zum sechzehnten, der gewaltige Umschwung begreift sich
aber nur durch die dazwischen liegende rastlos zersetzende
und ebenso rastlos formbildende Thätigkeit des siebenzehnten
Jahrhunderts.
Unter den Meistern dieser episodischen Zeit behauptet
der Römer Arcangelo Corelli (geb. zu Pusignano 1653, gest.
zu Rom 1713) einen hervorragenden Platz.
Man hat ihn stets geehrt als den Begründer des kunst-
reichen Geigenspiels und des concertmässigen Geigensatzes,
als den Ahnherrn einer langen Geschlechterreihe glänzender
Geigenvirtuosen, die in ununterbrochener Folge von Meistern
und Schülern bis auf Viotti herabreicht. Allein es erging
ihm dabei wie geraume Zeit sogar Seb. Bach: über dem
Virtuosen Corelli wurde der Komponist Corelli vergessen,
dessen beste Werke sich gerade dadurch auszeichnen, dass
sie auf alles blos virtuosenhafte Beiwerk strenge verzichten,
wie man lange genug über dem Orgelvirtuosen Bach den
universal epochemachenden Tonsetzer Bach vergessen hat.
Beides ist leicht begreiflich. Der reproduktive Musiker ge-
hört der Gegenwart voll und ganz; je schöpferischer da-
gegen der „productive" Musiker war, um so mehr gehört
er auch der Zukunft. Die Zeitgenossen spendeten Corelli
das höchste Lob, indem sie ihn „Virtuosissimo di Violino"
nannten und auf mehreren gleichzeitigen Porträts ist er mit
einem Notenblatte in der Hand dargestellt, welches die An-
fangstakte seiner fünften Solo-Sonate zeigt. Diese Solo-
13*
Digitized by
Google
196 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882.
Sonaten des Virtuosen galten lange und gelten vielfach auch
heute noch fiir sein ausgezeichnetstes Werk, jedenfalls waren
sie das verbreitetste, und unter ihnen gewann die zwölfte,
La Follia, die grösste Popularität bis auf diesen Tag, ob-
gleich sie doch wohl die schwächste und inhaltlich ärmste
von allen ist. Aber sie ist die virtuosenhafteste. Eine
Aussprache dieser alten Tradition, die in dem Komponisten
Corelli zunächst den Virtuosen ehrt, finden wir selbst noch
bei Fetis, wenn derselbe in seiner Biographie universelle
des Musiciens die Solo-Sonaten als Corelli's Chef d'oeuvre
bezeichnet.
Allein der Schwerpunkt des grossen kunstgeschichtlichen
Einflusses, den Corelli als Komponist übte, liegt nicht in
diesem Werke sondern in seinen Geigen-Trios und in den
Concerti grossi. Die letzteren bieten uns den Schlüssel
zum historischen Verständniss der italienischen Orchestrir-
ung wie sie, im scharfen Gegensatze zu Bachs Orchester,
bis in's letzte Drittheil des vorigen Jahrhunderts auch in
Deutschland herrschte; die ersteren dagegen, die Kirchen-
und Kammer-Trios, sind die Vorläufer des klassischen deut-
schen Streich-Quartetts, wobei freilich das verbindende Mittel-
glied jener zahlreichen italienischen Trio-Componisten aus
der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht übersehen
werden darf, die den strengen Styl Corellis unter dem Ein-
flüsse des Opern-Satzes schmeidigten, popularisirten und
trivialisirten, — eine Gruppe von Kleinmeistern, die jetzt
ganz verschollen und historisch noch gar nicht gewürdigt ist.
Der Kammer-Komponist Corelli, der Meister des alten
Streich-Trios und der Prophet des neuen Streichquartetts,
ist es, auf welchen ich hier vorzugsweise mein Augenmerk
richte.
Er wird uns aber in dieser historischen Stellung nur
verständlich, wenn wir seine Werke untersuchen im Zu-
sammenhang mit der ganzen musikalischen Bewegung seiner
Digitized by
Google
v. Riehl: Arcangelo Corelli. 197
Zeit, im Wendepunkt jener zwei grossen Epochen. Gleich
einem Januskopfe schaut er vor- und rückwärts. Das gilt
zumal vonj der Periode seiner eingreifendsten schöpferischen
Thätigkeit, in den achtziger und neunziger Jahren des sieben-
zehnten Jahrhunderts. Was Corelli damals geworden war,
das ist er in seinem späteren Lebensalter auch wesentlich
geblieben.
II.
Corelli gehört zu jenen Meistern, die sich auf ein enges
Kunstgebiet beschränken (wir besitzen von ihm nur Kamnier-
und Konzertmusik für Streichinstrumente). Innerhalb dieser
Gattung hielt er dann weiter eine bestimmte Form fast aus-
schliessend fest, — die Sonatenform, oder genauer die Form
der Kirchensonate und der Suite. Auch im Aufbau dieser
Form gestattet er ,sich im Einzelnen wenig Freiheit, ringt
aber nach fein abgestuften Unterschieden der Empfindung
und des Ausdrucks. Grosses und Gewaltiges hat er uns
nicht zu sagen ; aber was er uns sagt ist die vornehm feine,
oft geistreiche Aussprache eines edeln, reinen und innigen
Gemüths.
Ein kühner Neuerer war er durchaus nicht. Diese
Rolle würde schon seinem persönlichen Wesen widersprochen
haben, welches als bescheiden, schlicht, anspruchslos, ja mit-
unter sogar als schüchtern und verlegen geschildert wird,
selbst in jenen Tagen, wo er sich eines europäischen Rufes
erfreute und mit Ehren und Auszeichnungen überhäuft wurde.
Sein Gesicht, aristokratisch fein wie seine Musik — wenig-
stens nach dem Stiche von Anderloni *) — Erinnert eher an
einen etwas reservirten vornehmen Herrn, an den „Marquis
1) In einer ßadirung nachgebildet bei Vidal, J^es fostruments $
ajrchet. Paris 1377 U. Vol. p. 114,
Digitized by
Google
198 Sitzung der histor. Clause Vom 7. Januar 1882.
von Ladenburg 11 , welchen Titel ihm der Kurfürst Philipp
Wilhelm von der Pfalz verlieh, 2 ) als an einen Künstler.
Corelli war nicht frühreif; er veröffentlichte sein erstes
Werk erst im dreissigsten Lebensjahre (1683), steht aber
mit demselben auch schon fest und fertig in abgeschlossener
Eigenart vor uns, die sich später nur glättet, läutert und
erweitert, nicht aber im Wesen verändert. Er schrieb ver-
gleichsweise nur wenig, nur sechs Werke. Allein dies sind
dann wirkliche Opera, wie er sie auch ausdrücklich nennt;
sie umfassen zusammen 72 Sonaten.
Sie gliedern sich in zwei Gruppen, welche zugleich
chronologisch als zwei Perioden erscheinen:
Erste Periode : Opus 1 — 4; 48 Kirchen- und Kammer-
Trios von 1683 — 1694 — Corelli führt den älteren mehr-
stimmigen Sonatenstyl der Italiener zu seinem Höhepunkte
und bereitet die Formen des späteren klassischen Streich-
quartettes vor.
Zweite Periode: Op. 5 und 6; 12 Solo-Sonaten für die
Violine 1700 und 12 Concerti grossi 1712. Hier tritt Co-
relli der Virtuose mehr in den Vordergrund, erscheint aber
in dem letzten Werke zugleich auch als Mitbegründer einer
2) Laut der Inschrift auf Corelli's Grabmal im Pantheon zu Rom.
Dort heisst es Arcangelo Corellio . . . Philippi Wilhelmi Comitis Pala-
tini Rheni S. R. I. Principis ac electoris beneficentia Marchioni de La-
den(s)burg . . . Petrus Cardinalis Ottobonus . . . monumentum ponere
curavit. Philipp Wilhelm regierte von 1685—90; er war, wie Häusser
sagt (Gesch. der rhein. Pfalz II, 761), „unter seinen Zeitgenossen als
ein gelehrter Fürst gerühmt". Corelli soll sich einige Zeit am kur-
pfälzischen Hofe aufgehalten haben; dies könnte aber nur während der
Regierung des Kurfürsten Karl (1680-85) gewesen sein. Wenn Wasie-
lewski („die Violine und ihre Meister" S. 44) angiebt, dass Kurfürst
Philipp Wilhelm jene Gedenktafel habe errichten lassen, so wird dies
schon durch den Wortlaut der Inschrift widerlegt, abgesehen davon, dass
Philipp Wilhelm bereits 23 Jahre vor Corelli gestorben ist und diesem
also schwerlich einen Grabstein gesetzt haben wird.
Digitized by
Google
v. Bielü: Arcangelo CorellL 199
auf grössere Vollstimmigkeit gebauten neuen Orchestrirung,
zunächst des Streichchores.
Das Ansehen und der Einfluss dieser Kompositionen
nicht blos in Italien sondern im musikalischen Europa ist
schon durch die zum Theil recht schönen gestochenen Aus-
gaben bezeugt, welche bei Lebzeiten des Meisters und un-
mittelbar nachher in Rom, Bologna, London, Amsterdam, Ant-
werpen und Paris erschienen. Einen alten deutschen Druck
finde ich nirgends verzeichnet. Es könnte dies auffallen, da
Corelli einige Zeit in Deutschland gelebt und gewirkt hat,
in fortdauernder Beziehung zu deutschen Künstlern und
Fürsten stand (noch sein letztes Werk ist dem Kurfürsten
Johann Wilhelm von der Pfalz s ) gewidmet), und nach dem
Zeugnisse von Printz, Quanz , Mattheson u. A. unter den
deutschen Musikern noch lange als eine grosse Autorität
geachtet und studiert wurde. Die Armuth Deutschlands nach
dem dreissigjährigen Kriege und der traurige Zustand unsers
damaligen Musikalien- Verlags und -Handels erklärt aber wohl
zur Genüge, dass sich die Deutschen, hier wie anderswo,
statt in einheimischen Drucken mit Paris und London zu
wetteifern, lieber mit einheimischen Abschriften der Pariser
und Londoner Drucke begnügten.
Erst in neuester Zeit unternahm es Chrysander in seinen
„Denkmälern der Tonkunst" eine deutsche Ausgabe Corelli's
in diplomatisch getreuem Abdrucke der Römischen und
3) Kurfürst Johann Wilhelm (reg. v. 1690—1716), durch seine Kunst-
und Prunkliebe bekannt, war • der Gründer der Düsseldorfer Gemälde-
Gallerie. Auch Corelli, mit Carlo Cignani und Carlo Maratta befreundet,
war ein leidenschaftlicher Bilder-Sammler und brachte eine stattliche
Privat-Gallerie zusammen, die er dem Kardinal Ottoboni vermachte.
Händel sagte (nach Hawkins, bei Chrysander, Händel I 226), Gemälde,
die er umsonst sehen konnte, seien Corelli's besondere Liebhaberei ge-
wesen. Allein durch das unentgeltliche Betrachten von Bildern pflegt
man doch keine Sammlung zu erwerben.
Digitized by
Google
200 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882.
Bologneser Originaldrucke durch Joseph Joachim herstellen
zu lassen. Diese höchst verdienstliche Ausgabe gerieth aber
in's Stocken und so besitzen wir davon bis jetzt nur den
ersten Band, welcher die 48 Trios, also die frühere Periode
Coreliis umfasst. Es ist dies aber der kunstgeschichtlich
wichtigste Theil von unseres Meisters Schaffen, und da seine
späteren Solo-Sonaten ohnedies immer verbreiteter waren
und in Neudrucken zugänglicher geblieben sind, als jene
fast verschollenen Trios, so darf man wohl sagen, dass selbst
durch die unvollendete Chrysander'sche Ausgabe das Studium
und die Kenntniss Corelli's wieder neu erweckt worden ist.
Zu bedauern bleibt nur, dass sein letztes Werk, die Concerti
grossi, bis auf diesen Tag zu den bibliothekarischen Selten-
heiten gehört.
Auch in anderer Weise wurde, das Studium Corelli's
neuerdings gefordert durch Jos. Wilh. von Wasielewski, der
in seinen beiden Schriften: „Die Violine und ihre Meister"
(1869) und „Die Violine im 17. Jahrhundert und die An-
fänge der Instrumentalcomposition" (1874) unsern Künstler
eingehend und gründlich gewürdigt hat. Dass übrigens auch
ein so ausgezeichneter Kenner wie Wasielewski sich erst ein-
leben musste in die Kenntniss Corelli's, beweist das Ver-
hältniss der zweiten Schrift zu der erstgenannten. Das
jüngere Buch ergänzt, vertieft und berichtigt die Ausführ-
ungen des älteren, und beide zusammengenommen geben erst
das treffend gezeichnete Bild unsers Meisters. Noch grös-
seren Dank des Forschers aber erwarb sich Wasielewski
durch die Partitur-Ausgabe von 38 „Instrumentalsätzen
vom Ende des 16. bis Ende des 17. Jahrhunderts" (Bonn,
M. Cohen 1874). Wir erhalten hier eine reiche Auswahl
zwei-, drei- und mehrstimmiger Sonatenwerke von den Vor-
läufern Corelli's seit Florentio Maschera (1593) bis zu seinen
Zeitgenossen Bassani, Veracini und Giuseppe Torelli, nach
Handschriften und Drucken der Bibliotheken von Berlin,
Digitized by
Google
t\ Riehl: Arcangelo Corelli. 201
Dresden, Brüssel und Bologna. Und dieses ebenso seltene
als werthvolle Material setzt uns erst in den Stand, durch
Vergleichung mit den Vorgängern die Schranke wie die
Grösse von Corelli's historischem Verdienste genauer zu
würdigen.
Wasielewski hat aber hiermit die Untersuchung über
Corelli keineswegs abgeschlossen, sondern dieselbe vielmehr
erst recht eröffnet, und so glaube ich denn auch im Nach-
folgenden auf manche unbeachtete Thatsache aufmerksam
machen und manche neue Gesichtspunkte hervorheben zu
können.
III.
Nicht weil Corelli im Anfang sondern weil er in der
Mitte der neuen instrumentalen Bewegung steht, weil er
ihren ersten Höhepunkt bezeichnet, erscheint er epoche-
machend. Er bat die Geigensonate und das Streichtrio nicht
erfunden, aber er hat die älteste Form beider Gattungen
so scharf gefestet, so klar ausgerundet und mit einem so
entsprechenden Inhalte erfüllt, dass seine Sonate und sein
Trio für lange Zeit massgebend blieb, soweit nur der Ein-
fluss der italienischen Musik reichte. Sein Name wurde
zum Stichwort der Periode und blieb im Gedächtniss der
Nachkommen auch als die Namen und Werke seiner Vor-
gänger und Nachfolger längst vergessen waren.
Die Instrumentalsätze eines Marini, Neri, Vitali, Bassani,
Veracini gehören doch zunächst der Spezialgeschichte der
italienischen Musik; Corelli gehört der allgemeinen Musik-
geschichte.
Seine Werke drangen schon um desswillen über Italien
hinaus in die Welt, weil er selber persönlich in die Welt
gekommen war, weil persönliche und künstlerische Bezüge
ihn, den Italiener zugleich mit den beiden andern grossen
Musikvölkern verbanden, mit den Deutschen und Franzosen»
Digitized by
Google
202 Sitzung der histor. Clause com 7. Januar 1882.
Iin 17. Jahrhundert begannen die Musiker zu wandern:
ein persönlicher internationaler Austausch hebt an, wie ihn
die frühere Zeit nicht gekannt hat. Am fleissigsten wan-
derten die Ialiener, und ihre Wanderschaft steigert sich
nicht selten zur Auswanderung, um in der Fremde dauernd
colonisatorisch zu wirken, auf Grund der Ueberzeugung,
dass Italien das Land der höheren musikalischen Cultur sei.
Hier gehen die Instruraentalkoinponisten voran, welche
als Virtuosen ihre eigenen Werke vortrugen und an den
Höfen musikliebender Fürsten gerne einen längeren Auf-
enthalt nahmen. Deutschland, Frankreich und England
wurde am häufigsten besucht, in späterer Zeit lockte auch
Russland. Nicht ganz so beweglich waren die Opernkom-
ponisten, dafür wanderten aber die Sänger und brachten
die italienischen Opern mit. Am sesshaftesten waren die
Kirchenmusiker. Ihr persönlicher Einfluss blieb darum auch
viel mehr örtlich begrenzt, ihre Werke oft örtlich ver-
borgen, wobei zudem noch die konfessionellen Schranken
bemalend in den Weg traten. Die sinkende Macht der
Kirchenmusik seit dem Ausgang des siebzehnten Jahrhunderts
gegenüber der aufsteigenden Herrschaft der weltlichen wird
zu einem Theile schon durch die scheinbar geringfügige
Thatsache erklärt, dass der weltliche Musiker in alle Welt
wanderte, während der Kirchenmusiker zu Hause blieb.
Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wanderten die
Italiener nach Deutschland um zu lehren und blieben Italiener ;
die Deutschen wanderten nach Italien um zu lernen und
verwälschten dort nicht selten. In der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts kehrte sich aber die Sache um. Die Bedeu-
tendsten der ausgewanderten Italiener verdeutschten oder
französisirten sich in der Fremde, wie Sacchini, Piccini,
Cherubini, Viotti, Clementi; denn die nationalen Centren
des europäischen Musiklebens lagen nun nicht mehr in Rom
und Neapel sondern in Wien und Paris,
Digitized by
Google
v, Bielü : Arcangelo Corelli. 203
Das so überaus wichtige musikalische Wanderleben und
Auswandererwesen jener beiden Perioden verdiente nach Ur-
sache und Wirkung einmal selbständig untersucht zu werden.
Corelli ist nicht viel und nicht lange gereist ; aber seine
Wanderjahre sind zugleich seine Lehrjahre gewesen; erst
nachdem er von ihnen heimgekehrt, begann er seine Werke
zu veröffentlichen, und für seinen späteren internationalen
Einfluss waren seine Reisen doch sehr massgebend.
Sein erster Ausflug nach Paris (1672), von wo ihn
Lully's Eifersucht wieder verscheucht haben soll, gilt neuer-
dings für sagenhaft oder schlechthin für erdichtet, weil
Hawkins 4 ), der von dieser Reise erzählt, seine Nachricht
nicht näher begründet habe, auch sonst über einen Aufent-
halt Corelli's in Paris nichts aufzufinden sei.
Allein wenn wir in den Biographien der älteren Musiker,
und vollends der kleineren Meister, nur diejenigen Thatsachen
gelten lassen wollten, welche urkundlich belegt sind, dann
bliebe von den meisten Musikergeschichten wenig oder gar
nichts mehr übrig. Und wo will man denn weiter heute noch
in Paris einen Nachweis darüber finden, dass sich vor mehr
als zweihundert Jahren einmal ein neunzehnjähriger, damals
noch sehr unbekannter italienischer Musiker des Studiums
halber vorübergehend dort aufgehalten habe?
Hawkins sagt von Corelli: About the year 1672 his
curiosity led him to visit Paris probably with a view to
attend the improvements which were making in music under
the influence of Cardinal Mazarin.
Vidal (a. a. 0. II, 111 flf.) citirt diese Stelle, um den
Zweifel an Corelli's Pariser Aufenthalt zu bestärken; denn
Mazarin (+ 1661) sei damals schon elf Jahre todt gewesen.
Auf Mazarin's Todesjahr kommt es aber hierbei meines Er-
achtens gar nicht an. Wenn unter dem Einflüsse des Kar-
4) Historjr of tbe seiende aud practic of music, T. IV,
Digitized by
Google
204 Sitzung der histor. Clause nun 7. Januar 1882.
dinals wirklich „improvements", Verbesserungen, in der
Musik gemacht worden waren, so konnten dieselben auch über
seinen Tod hinaus nachwirken und noch lange nachher einen
fremden Künstler zum Studium herbeilocken. Es fragt sich
nur, welches diese Verbesserungen gewesen sein könnten ?
Mazarin wird in der Geschichte des Pariser Opernwesens
genannt, insofern er 1647 den Versuch machte, durch eine
italienische Truppe die italienische Oper bei den Franzosen
einzubürgern. Dieser Versuch misslang jedoch vollständig
und führte später (nach des Kardinals Tode) vielmehr zum
Gegentheil, nämlich zu den Anfängen einer national franzö-
sischen Oper. Von Verbesserungen unter dem Einflüsse des
Kardinals kann also hier doch nicht geredet werden.
Dagegen gibt uns Vidal selbst, nur wenige Blätter vor
seiner Kritik der Hawkins'schen Stelle, auf Seite 102, sehr
dankenswerthe Notizen aus sonst schwer zugänglichen zeit-
genössischen Quellen, die uns an eine „Verbesserung" ganz
anderer Art unter Mazarin's Auspicien denken lassen. Zu der
Zeit, da der Kardinal auf der Höhe seiner Macht stand, ver-
anlasste Ludwig XIV. die Einführung der Streichinstrumente
bei der Kirchenmusik durch Lully, und als im März 1660
der päpstliche Heirathsdispens für Ludwig und die Infantin
Maria Theresia in Paris einlief, wurde dieses Ereigniss durch
ein vom Streichchor begleitetes Tedeum gefeiert. Ein langer
Streit entbrannte über diese Neuerung der kirchlichen In-
strumentalmusik, die den Einen ein Fortschritt, den Andern
eine Profanation däuchte; allein sie behauptete sich. Ein
Jahr nach Corelli's angeblichem Aufenthalte in Paris schreibt
der Mercure galant : On ne chante presque plus d'airs ä
quatre parties dans les temples et les menuets y sont de-
venus ä la mode.
Nun wurde es später eine der Lebensaufgaben Corellis,
die Instrumentalmusik in der Kirche immer fester einzu-
bürgern, und er hat epochemachend die Geigen neben die
Digitized by
Google
v. Rieht: Arcangelo Corelli. 205
Orgel und über die Orgel gestellt. In seinen für die Kirche
geschriebenen Streich-Trios läuft der Einfluss der französi-
schen Suite ganz deutlich mit unter, ja es fehlt sogar der
ächte Menuett nicht (z. B. Op. I, Son. 7, Satz 3), dem nur
die ausdrückliche Ueberschrift mangelt.
Sollte da nicht wenigstens die Hypothese erlaubt sein,
dass bei den „improvements", welche unter Mazarin's Ein-
fluss, oder mindestens zur Zeit, da der Kardinal herrschte,
in der französischen Musik eingeführt wurden, an die Geigen-
musik in der Kirche zu denken sei, und dass also gerade
die Stelle bei Hawkins, um derentwillen man Corelli's Pariser
Reise bezweifelt, dieselbe vielmehr wahrscheinlicher mache?
Aber selbst wenn unser Meister jene Reise gar nicht unter-
nommen hätte, behält die Sage davon, wie so manche
Künstler-Anekdote, dennoch eine tiefe innere Wahrheit: sie
versinnbildet Coreliis Rieht ang und seinen geistigen Rapport
mit der musikalischen Bewegung in Frankreich.
Von Lully, der damals die französische Musik geradezu
persönlich vertritt, dürfen wir aber auch in anderem Sinne
nicht absehen, wenn wir Corelli würdigen wollen.
Man beachtet Lully gewöhnlich nur als den Schöpfer
der Tragedie lyrique, und in dieser weitwirkenden That
gründet auch sein grosser historischer Name. Allein die
Forderung, die Musik dem Worte, die Melodie den rhetori-
schen Accenten zu opfern, wurde von Lully selbst nur auf
den dramatischen Gesang beschränkt, und in ihrem Erfolg
beschränkte sie sich zunächst nur auf die französische Opern-
bühne für einen kurzen Zeitraum. Von dieser Tendenz bleibt
Corelli völlig unberührt. Er bereitet die Herrschaft der ab-
soluten Melodie vor bei einer rein musikalischen Architek-
tonik des Instrumentalsatzes und ist insofern ein folge-
rechterer Widersacher des französischen Musikdramatikers
als selbst die gleichzeitigen italienischen Operncomponisten.
Digitized by
Google
206 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882.
Aber Lully paralysirte seine eigene Einseitigkeit durch
die zahlreichen instrumentalen Intermezzos, Pantomimen,
Ballette, mit welchen er seine melodielos deklamatorischen
Gesangseenen durchwob. Ja er war früher schon ein an-
erkannter Meister dieser absoluten, architektonischen Musik,
bevor er (seit 1673) der Meister der dramatischen Recitation
wurde. Lully's Tänze, Pantomimen und Ouvertüren ver-
breiteten sich auch in's Ausland, während sein dramatischer
Gesang nur in Frankreich Wurzel fassen konnte. Obgleich
er, meines Wissens, niemals grössere selbständige Instru-
mentalwerke komponirte, verdient er doch einen Platz
in der Geschichte der Instrumentalmusik. Und zwischen
diesem Lully und unserm Corelli besteht allerdings ein
geistiges Band. Beiden gemeinsam ist das Streben, zum
Urquell der Melodie, zum Voiksliede zurückzugreifen, wie
es als Tanzlied sein schärfstes rhythmisches Gepräge und
den nächsten Uebergang vom Gesang zum ' Instrumente ge-
funden hat; Beiden gemeinsam aber auch das Streben, die
Tanzweise über sich selbst zu erheben, so dass sie sich als
melodisch schöne Form der Aussprache mannichfaltigster
Stimmungen bietet.
Man braucht nur die Correnten, Sarabanden und Giguen
in den Sonaten der Vorgänger Corelli's, eines Marini, Magni,
Vitali, Bassani (vgl. Wasielewski „Instrumentalsätze 44 S. 17,
18, 46, 56, 57), mit den entsprechenden Corelli'schen Tanz-
weisen zu vergleichen, um zu erkennen, wie Corelli diese,
ich möchte sagen kunsthandwerklichen, Formen doch erst
auf ihre künstlerische Potenz erhoben hat.
Hierin ist er denn auch Lully weit überlegen; aber
dieser französisirte Florentiner, dessen Kunstverstand grösser
war als sein Genie, überragt dafür seinen römischen Lands-
mann durch die vielgestaltigen neuen Probleme, welche er
der Tanzmusik zu erschliessen sucht, ganz besonders nach
Seiten der orchestralen Tonmalerei. Auf diesem Wege folgte
Digitized by
Google
v. RieJü: Arcangelo Corelli. 207
ihm Corelli nicht, wohl aber Franz Couperin in vielen
Klaviersätzen seiner „Ordres u . Couperin's Technik aber
wirkte anregend auf Sebastian Bach, wie Corelli's auf Händel.
Und so sehen wir Deutsche, Italiener und Franzosen auch
hier wieder in weittragender Wechselbeziehung, und wenn
Corelli auch niemals in Paris gewesen wäre, so führen doch
die Wege seines Schaffens öfters nach Paris.
Unbestritten ist, dass Corelli um 1680 längere Zeit in
Deutschland verweilte und zwar am bayerischen und pfälzi-
schen Hofe. Printz sah ihn am markgräflichen Hofe zu
Ansbach, wo später Giuseppe Torelli wirkte und starb;
Chrysander berichtet von seiner Anwesenheit in Hannover,
wo damals die Instrumental - Kapelle vorzugsweise Lully
spielte. 6 )
Was Corelli auf seinen deutschen Wanderjahren bei
unsern Künstlern gelernt und welchen rückwirkenden Ein-
flnss er etwa auf dieselben geübt habe, das lässt sich nicht
mehr nachweisen ; nur der spätere Einfluss seiner Werke
und seiner Schüler bis in die zweite und dritte Generation
liegt uns deutlich vor Augen.
Seine direktesten persönlichen Beziehungen zur deut-
schen Kunst knüpfen sich aber örtlich nicht an München
oder Heidelberg, Ansbach oder Hannover, sondern an Rom,
wo er (1708) mit Händel zusammentraf. '
Händel war damals dreiundzwanzig, Corelli fünfund-
fünfzig Jahre alt. Die grössten Gegensätze des Künstler-
charakters standen in den beiden Männern verkörpert neben-
einander : — der junge Deutsche dem bereits auf der Höhe
des Mannesalters stehenden Italiener an Geist und Gaben
gewaltig überlegen, ein universal angelegtes Genie, voll
Drang und Kraft, die ganze weite Welt seiner Kunst zu
umfassen, während Jener, ein feines, in gemessenen Schranken
5) Chrysander, Händel I, 357.
Digitized by
Google
208 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882.
trefflich entwickeltes Talent, mit dem grösseren Theile seines
Schaffens schon abgeschlossen hatte; — Händel ungestüm,
selbstgewiss ; Corelli zurückhaltend und bescheiden ; der Eine
nach dem Tiefen, Grossen und Gewaltigen ringend, der
Andere eine anmuthige, sinnig gemüthvolle Kunst in ruhi-
gem Gleichmass pflegend. Man erzählt gewöhnlich nach
Hawkins, wie Händel seinen Humor über Corelli habe spielen
lassen, und wie dieser nicht im Stande gewesen sei, eine
Ouvertüre Händeis mit dem Feuer vorzutragen, welches der
deutsche Meister forderte und dem Italiener vergebens zu
veranschaulichen suchte. Dies lässt sich wohl begreifen.
Doch sollte man dabei nicht vergessen, dass andererseits
Händel auch seine Achtung vor dem älteren und mit Recht
berühmten Meister dadurch thatsächlich' aussprach, dass er
auf dessen Wunsch nachher eine Sinfonia im mehr italie-
nischen Geschmack statt jener Ouvertüre setzte. Kunstge-
schichtlich wichtiger als diese Anekdote ist aber der Aus-
tausch und die gegenseitige Anregung, welche wir in den
Werken beider Meister nach ihrem Zusammentreffen in Rom
wahrnehmen. Mit Recht bemerkt Wasielewski, dass Händel
die methodisch normale Behandlung der Streichinstrumente
Corelli's in sich aufgenommen habe, während andererseits
Corelli's Instrumentalsatz in seinen vier Jahre später ver-
öffentlichten Concerti grossi bisweilen sehr stark an Händeis
Orchesterstyl erinnere.
Die vorstehenden Andeutungen genügen wohl, um dar-
zuthun, dass der bescheidene, auf so eng begränztem Kunst-
gebiet thätige Corelli zu seiner Zeit nicht bloss Italien au-
gehörte sondern der musikalischen Welt und die damalige
internationale Machtstellung der italienischen Musik, em-
pfangend und schaffend, wesentlich fördern half.
Digitized by
Google
v. BieJü: Arcangelo Corelli. 209
IV.
Ich wende mich nun zu einer genaueren Untersuchung
von Corelli's Kirchen- und Kammer-Trios (Op. I — IV), in
welchen ich nach Form und Inhalt die bedeutendsten Vor-
studien des siebenzehnten Jahrhunderts zu der späteren
klassischen Kammermusik des deutschen Streichquartetts
erblicke.
Der dreistimmige Satz ging hier dem vierstimmigen
voraus ; durch hundert und mehr Jahre musste das Streich-
trio bis zur äussersten Uebersättigung dargeboten werden,
bevor es durch das Streichquartett verdrängt wurde. Wenn
Corelli die Dreistimmigkeit mit ganz besonderer Vorliebe
handhabt, so folgt er hierin nur d|rri herrschenden Ge-
schmacke seiner Zeit und seines Volkes, den er aber ver-
edelt und festigt.
Durch das Trio nimmt er Stellung als weltlicher Com-
ponist gegenüber den Kirchencomponisten, als Meister der
Geige gegenüber den Meistern der Orgel und des Kirchen-
gesanges. Der Kirchensatz gründete auf der Vierstimmig-
keit und strebte nach noch reicherer Polyphonie; denn er
ging aus vom Chorgesang und den natürlichen vier Lagen
der menschlichen Stimme. Der weltliche Instrumentalsatz
dagegen ist, gleich dem Volksliede, von dei* Einzelstimme
ausgegangen, welche zunächst eine zweite, dann eine dritte
Stimme zur Begleitung sucht.
Diese Gegensätze stehen zu Corelli's Tagen noch schroff
neben einander. Während sich Ottavio Pitoni bemühte, eine
zwölfehörige, d. h. achtundvierzigstimmige Messe zu schrei-
ben, 6 ) erblickten die italienischen Opern- und Geigencom-
ponisten vielmehr in durchsichtiger reiner Dreistimmigkeit
den Triumph einer schönen, anmuthigen Harmonie.
6) S. Proske Musica divina, Tom. I. LVJ.
[1882. 1. Philos.-philol. hiat. Cl. 2.] 14
Digitized by
Google
210 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882.
Der höhere Rang der Dreistimmigkeit vor der Poly-
phonie ward zu einem förmlichen Dogma des musikalischen
Fortschrittes. Matheson 7 ) behauptet , dass in einem Trio
mehr Kunst stecke als in vielstimmigen Sätzen, dass ein
rechtes Trio das grosseste Meisterstück der Harmonie sei;
er beruft sich dabei auf die gleiche Ansicht italienischer
und französischer Schriftsteller und lässt seine Weisheit in
den Versen des Christoph Donaverus gipfeln:
Crede, tribus bene qui cecinit, bene pluribus ille
Noverit harmonico concinuisse sono.
Die gedachte Dreistimmigkeit ist dann aber hoffentlich cor-
recter wie die Prosodie dieses Distichons.
Obgleich nun der vielstimmige Satz als besonders kirch-
lich, der dreistimmige als weltlich galt, setzte Corelli doch
auch seine Kirchensonaten für drei Stimmen. Er hält so
folgerecht auf die reine Dreistimmigkeit, dass er in seinen
sämmtlichen 48 Trios den Geigen nicht einen einzigen
Doppelgriff gibt. In seinen Solosonaten dagegen wimmelt
es von Doppelgriffen, weil der Geiger mit dem Basso con-
tinuo drei reale Stimmen darstellen soll. Diese Sonaten
sind darum viel schwerer wie jene Trios ; denn der Geiger
hat hier für Zwei zu spielen. Wir begreifen dann auch,
dass später eine fremde Hand die Solosonaten als Trios be-
arbeitete und solchergestalt Verwirrung in den Katalog der
Corelli'schen Werke brachte. Der Bearbeiter zog nur die
Dreistimmigkeit an's Licht, die bereits in den scheinbar
zweistimmigen Sätzen steckte. Schon der blosse Titel „Trio u
wirkte vor hundertundfünfzig Jahren wie eine Empfehlung.
Eine Sonate für Violine und Klavier, die wir heute ein Duo
nennen, nannte man darum auch ein Trio, weil man in
diesem Falle das Klavier für zwei Stimmen zählte. Setzte
7) „Neu eröffnetes Orchester" (1713) und „Vollkomm. Kapellmeister"
(1739) S. 344 f.
Digitized by
Google
v. BieM: Arcangelo CorelU. 211
man dagegen zu drei Solostimmen ein begleitendes Klavier,
so zählte man das letztere nicht mit und nannte das von vier
Spielern ausgeführte Musikstück gleichfalls ein Trio.
In Corelli's Concerti grossi, welche orchestral angelegt
und stellenweise zu vier-, ja sechsstimmigem Satze gesteigert
sind, bilden die drei Solo-Instrumente doch wieder ein Trio,
als Kern des Ganzen.
Dies führt zu der weiteren Thatsache, dass das italie-
nische Opern-Orchester noch bis über die Mitte des acht-
zehnten Jahrhunderts, auch wenn es über vollen Streich-
end Blasechor verfügte, dennoch zumeist dreistimmig ge-
halten war (die Viola mit dem Basse oder die zweite Vio-
line mit der ersten gehend). Die Instrumentation der Opern-
Arien Hasse's, der zu Dresden über das beste Orchester
seiner Zeit verfügte, bewegt sich, scheinbar dürftig aber
absichtlich, in überwiegender Dreistimmigkeit und selbst
noch Jomelli's Opern-Partituren zeigen meist ein nur drei-
stimmig geführtes Streichquartett; in seinen Messen, und
seinem Miserere dagegen behandelt er das Quartett vier-
stimmig; denn hier schrieb er für die Kirche.
Seb. Bach, von der Kirchenmusik ausgehend, steht
jenem italienischen Orchester ganz ferne ; er denkt polyphon,
auch wenn er eine Arie begleitet. Händel, weit mehr von
italienischer Kunst berührt, und durch die Oper zum Ora-
torium dringend, behauptet eine mittlere Stellung.
Auf die Frage, wie sich denn jene so langdauernde
und weitgreifende Vorliebe der Italiener für den dreistim-
migen Satz ästhetisch erklären lasse, dürfte Folgendes zu
antworten sein: Man rang die Melodie zu befreien. Die
thematische Vielstimmigkeit aber hatte die Melodie gefesselt
und verhüllt. Die Melodie ist der Zeichnung, die Harmonie
der Farbe vergleichbar; Corelli und die italienischen Opern-
componisten strebten vor allem nach einfach schöner, klarer
Zeichnung bei nur leichtem, durchsichtigem Farbenauftrag.
14*
Digitized by
Google
^1
212 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882.
Sie arbeiteten wohl thematisch, aber die sich kreuzenden
Stimmen sollten doch immer der Hauptstimme, der leiten-
den Melodie dienen. Die Entwicklung des freien Satzes
aus dem gebundenen war ihr Problem, und drei Stimmen
führten leichter zu dessen Lösung als vier oder mehrere.
Die Kunst im vielstimmigen Satz bald frei bald gebunden
zu schreiben, melodisch und thematisch zugleich, die Kunst,
die alte und neue Technik zu verschmelzen und auf die
höhere Potenz des ächten Quartettstyls zu erheben, ist dann
vollauf erst Haydn und Mozart gelungen, und auch diesen
erst in ihrer mittleren Periode. Corelli's Trios sind primi-
tive und doch überaus feine Vorstudien dazu.
Zum Verständniss seiner durchsichtig dreistimmigen
Schreibart ist abfer nicht bloss der Rückblick auf die alten
Contrapunktisten förderlich, sondern auch der Vorblick auf
die Satzweise unserer Zeit. Wir sind neuerdings in der
Musik immer coloristischer geworden, ganz wie in der
Malerei, und streben darum nach tief gesättigten, stark con-
trastirenden Modulationen, die nur durch selbständige voll-
klingende Mittelstimmen erreicht werden können. Das hier-
durch gewonnene harmonische Helldunkel dämpft und ver-
schleiert dann die melodischen Haaptumrisse nicht minder
stark als es die alten Contrapunkte gethan, aber in ganz
anderer Weise. Gerade dieses Helldunkel, welches wesent-
lich im Alt und Tenor liegt, floh Corelli. Er wollte einen
lichten, frischen Klang mit klarsten Conturen der Melodie.
Darum schrieb er seine Trios auch nicht für Violine, Viola
und Violoncell, sondern für zwei Violinen und Bass. So
hatten es seine Vorgänger gethan, so thaten auch seine
Nachfolger bis weit über die Mitte des achtzehnten Jahr-
hunderts. Die beiden Geigen, enge geführt, häufig gekreuzt,
bewegen sich dabei überwiegend in einer höheren Mittel-
lage; der Bass schreitet in der Tiefe, manchmal volle zwei
Oktaven von den Oberstimmen entfernt, seinen einsamen
Weg und steigt nur selten zur Tenorlage auf.
•Digitized by
Google
r. Riehl: Arcangelo Corelli. 213
Man hat schon oft bemerkt, dass Corelli's Geigenstimmen
das dreigestrichene d nur selten überschreiten und hat dies
durch die erst schwach entwickelte Technik des damaligen
Violinspiels erklärt. Diese Technik war aber nach anderer
Richtung (Doppelgriffe und Harpeggien) gar nicht schwach.
Corelli bedurfte keiner hohen und höchsten Lagen, weil er
keine tieferen Mittelstimmen hat, welche die Oberstimme
gedeckt und verdunkelt hätten. Je tiefer und voller d. h.
dunkler, unsere Mittelstimmen wurden, um so höher mussten
dagegen die Geigen geführt werden, um ihren hellen herr-
schenden Klang zu behaupten.
Wenn aber Corelli's Geigen nicht hoch gehen, so gehen
sie andererseits auch nicht tief, und auf Letzteres hat man
meines Wissens noch nicht aufmerksam gemacht. Man
kann die erste Stimme seiner meisten Triosätze, ja mitunter
eines ganzen Trios spielen, ohne die G-Saite auch nur ein
einzigesmal zu berühren. Und selbst die zweite Geige steigt
nur selten, nur gleichsam nothgedrungen zu den vollen
tiefen Klängen der G-Saite herab ; höchstens wird bei feier-
lich langsamen Schlusskadenzen von dieser Regel eine Aus-
nahme gemacht. Corelli verschmäht es also geradezu, die
sämmtlichen Klangregister seines Instrumentes auszubeuten,
und hier stand doch keine technische Schwierigkeit im
Wege. Allein er braucht keinen Alt und Tenor, er will
keinen haben, weil ihm der helle, freudige Klang der
höheren Saiten schöner dünkt und die Sopran-Melodie, welche
er so einseitig sucht, am klarsten hervortreten lässt. Seine
beiden Geigenstimmen sind concertirende Soprane, die sich
in gleicher Lage kreuzen. Dies wurde noch lange nachher
als förmliches Dogma der Theorie gefordert. Im Jahre
1752 schreibt noch Quantz 8 ) : „Ein Trio muss so beschaffen
8) Vergleft&e „ Joh. Joach. Quantzens Versuch einer Anweisung die
Flöte traversiere zu spielen", S. 303, ein Werk, welches keineswegs hlos
Digitized by
Google
214 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882.
sein, dass man kaum errathen könne, welche von beiden
(Ober-) Stimmen die erste sei." Wie getreu die Praktiker
selbst jener späteren Zeit noch diesem Gebote folgten, das
bezeugen z. B. die Trios Alessandro Besozzis (1700 — 1775)
und Johann Christian Bach's (des „Mailänder Bach"), zweier
Meister, die zwar nach Anlage und Inhalt der Sätze bereits
ganz andere Wege eingeschlagen haben wie Corelli, von
denen aber im Punkte der Stimmlagen und der instrumen-
talen Technik noch wörtlich dasselbe gilt, was ich hier von
Corelli sagte.
Bei Corelli's Solo -Sonaten (op. 5) dagegen gestaltet
sich die Sache sofort anders: der hoch geführte Bass des
begleitenden Cembalo und die Oberstimme liegen hier weit
enger bei einander als in den Trios und die Geige steigt
nicht selten und wirkungsreich zur tieferen Lage herab.
Nicht ein verändertes Ziel sondern die anderen Mittel der
Klangwirkung gestatteten und geboten Beides.
Corelli steht in einer Uebergangsperiode. So folgerecht,
ja einseitig darum auch seine Trio-Technik nach dem neuen
Ziele der Befreiung und Herrschaft der Melodie ringen mag,
so scharf und streng er die damals moderne und weltliche
Dreistimmigkeit durchführt, so hängt seinem dreistimmigen
Satze doch noch die Eierschale der alten Kirchenmusik
an: — der „Basso continuo", mitgespielt von der Orgel bei
den Kirchensonaten, vom Klavier oder der Orgel bei den
Kammersonaten.
Mit diesem „Continuo" stehen wir vor dem Kreuz aller
modernen praktischen Musiker, die sich bemühen, solche
Werke des siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts
eine Flötenschule sondern auch eine Kömpositionsschule nnd eine Funö>
grübe lehrreicher historischer Notizen ist.
Digitized by
Google
v. Biehl: Arcangelo Corelli. 215
durch die Aufführung für uns neu zu beleben ; und was ich
hier sage, gilt nicht blos von Corelli und seinen Genossen,
sondern auch ^_ von gar manchem Continuo Bach's und
Händers.
Im Continuo legt uns der alte Meister folgendes Räthsel
vor : er gibt ein streng dreistimmiges Werk, die drei Stim-
men sind voll und ganz in der Partitur ausgeschrieben,
aber mit dem Basse (Violone o Arcileuto) geht nun noch
unausgesetzt die Orgel oder das Klavier, welche nichts Neues
und Selbständiges bieten, sondern nur die in Ziffern ange-
deuteten Harmonien verdoppeln und ergänzen sollen. Also
hatte der Komponist doch das Bedürfniss gesättigterer Mittel-
stimmen, also empfand er doch die Leere des übergrossen
Abstandes zwischen Sopran und Bass! Und er füllt sie aus
— nicht durch eine vierte selbständige Stimme, denn da
wäre ja das Trio ein Quartett geworden, sondern durch
ein viertes Instrument, welches aber keine selbständige
Stimme führt, also durch eine Tautologie. Erst ein Men-
schenalter nach Corelli's Tode begannen die Italiener bei
ihren Trios diesen Continuo hinwegzulassen; bei den Solos
und bei vielstimmigen Werken hat er sich noch länger be-
hauptet.
Zu den drei Stimmen, deren Qang aufs Genaueste vor-
geschrieben ist, gesellt sich im Continuo ein viertes
Instrument, welches improvisirend ausfüllen soll. Auch
dieses Improvisiren erscheint uns unorganisch, und wir
möchten heutzutag eine solche Improvisation wohl kaum
mehr dulden, selbst wenn sich der rechte Mann dazu fände.
Wir suchen also den Continuo schriftlich zu enträthseln,
wir schreiben ihn aus.
Wie die alten Meister sich diese Enträthselung dachten,
das hat uns Joh. Ph. Kirnberger in einem klassischen Muster
gezeigt, indem er den Continuo der Trio-Sonate aus dem
„Musikalischen Opfer" seines Lehrers Seb. Bach vierstimmig
Digitized by
Google
216 Sitzung der lüstor. Classe vom 7. Januar 1882.
aussetzte. 9 ) Und so hat man sich denn auch neuerdings
oft genug in mehr oder minder stylgerechter Ausfüllung
alter Continuo-Bässe versucht und könnte dergleichen auch
leicht bei Corelli's Partituren einfügen.
Denken wir uns die Kirchensonaten von einem grossen
Streichchor ausgeführt und die fortlaufende Orgelbegleitung
durch wechselnde harmonische Fülle oder Aussparung wie
durch geschickte Registrirung fein abgestuft, dann mag das
Ganze auch für ein modernes Ohr wirksam klingen. Die
blos verstärkende und ergänzende Rolle des Orgel-Continuo
stört uns nicht, weil wir durch Kirchengesang und Ora-
torienwerke an dieselbe gewöhnt sind. Bei diesen ist denn
auch der historische Ursprung aller Continuo-Bässe zu
suchen. Der Kirchenchor bedurfte der fortwährenden Ton-
angabe und Harmonie- Verstärkung durch die Orgel, und
als man den Gesang auf Instrumente übertrug und so zur
selbständigen polyphonen Instrumentalmusik kam , nahm
man den ausfüllenden Fundamental- Bass der Orgel aus alter
Gewohnheit mit und übertrug ihn im Zimmer aufs Klavier.
Erst als der letzte Continuo aus dem Konzertsaale ver-
schwand, war die Emancipation der Instrumentalmusik von
der Kirchenmusik vollendet.
Soweit ist nun aber Corelli auch in seinen Kammer-
Trios noch lange nicht. Ueberwiegend aus Tänzen zusammen-
gesetzt, haben diese doch noch den Continuo des Klaviers,
der uns die wirksame Ausfuhrung der reizenden kleinen
Werke auf's äusserste erschwert. Schon aus dem Grunde,
weil die tonschwachen Cembali des siebenzehnten Jahr-
hunderts ganz andere Instrumente waren als unsere voll-
tönenden Flügel. Besetzen wir ein solches Trio einfach, so
erdrücken die unaufhörlichen Accordenfolgen des modernen
9) Diese Ergänzung Kirnbergers ist neuerdings abgedruckt in der
Peters'schen Ausgabe jenes Trios.
Digitized by
Google
v. Eiehl: Arcangelo Gorelli. 217
Klaviers die feine Stimmführung der Geigen. Auch wider-
strebt es unserm Fundamentalbegriff der höheren Kammer-
musik, zu drei realen Stimmen unablässig noch eine blose
Ausfüllstimme zu hören. Und überdiess ist das früher so
bescheiden dienende Klavier seit Mozart und Beethoven so
herrschgewaltig und herrschsüchtig geworden, dass uns
dessen blosse Diener-Rolle befremdet und stört.
Nach vielen praktischen Versuchen, die ich angestellt,
fand ich zuletzt folgende Wege, um die so überaus schönen
Corelli'schen Kammer-Trios, ohne irgendwelche fremdartige
Zuthat, dem modernen Ohre zu retten. Entweder: Man
spare den voll ausgeschriebenen Continuo des Klaviers nur
für kräftige Tutti-Stellen auf, und lasse bei den zarteren
und weicheren Partieen die drei Streichinstrumente für sich
allein den vollen Zauber reiner Dreistimmigkeit entfalten.
Oder : man beseitige den Continuo ganz und gar. Dies kann
aber nur geschehen, indem man die Lage des Basses häufig um
eine Oktave erhöht und dadurch den allzugrossen und leeren
Abstand zwischen Ober- und Unterstimmen aufhebt. Ein
Blick in die Partituren lehrt, dass uns dies der Komponist
sehr leicht gemacht hat, und da wir doch Corelli's Bass-
Instrument, Violone oder Arcileuto, gewiss nicht mehr an-
wenden werden, sondern unser Violoncello, so haben wir
auch ein Recht, seinen Bass violoncell-mässig umzuschreiben.
Noch viel schöner jedoch, namentlich auch bei grosser Be-
setzung, wird sich die Klangwirkung gestalten, wenn wir
die Bassstimme, häufig um eine Oktave erhöht, durchaus
der Viola übertragen und dann bei Forte- und Tutti-Stellen,
das Violoncello in der tieferen Oktave mit einsetzen lassen,
gleich dem Pedalbasse einer Orgel. Der Corelli so eigen-
tümliche Character der Zartheit und Innigkeit kommt auf
diese Weise wohl am schönsten zur Aussprache, während
die Verdoppelung des Basses verhütet, dass derselbe nicht
durchweg „zu jung 4 ' klingt,
Digitized by
Google
218 Sitzung der histor. Clause vom 7. Januar 1882.
VI.
Corelli's Kirchensonaten wurden ihrer Zeit in Italien
beim Gottesdienste gespielt. Ich berichtete bereits, dass da-
mals die Geigen in die Pariser Kirchen eingedrungen waren.
Auch in Italien vollzog und festigte sich gleichzeitig, wenn
nicht früher, diese Neuerung. Schon Carissimi hatte Instru-
mente zu seinen Motetten gefügt, und Corelli's „Lehrer und
Vorbild" Giovanni Battista Bassani hatte in Bologna seine
Messen und Motetten von Geigen begleiten lassen. Nur in
Rom hielt man die profanen Instrumente strenge fern vom
Gottesdienst. Allein Corelli's Sonaten weckten so sehr die
Andacht und Bewunderung der Römer, dass von nun an
auch in den römischen Kirchen die Sonate ihren Platz er-
oberte, und das begleitende Orchester von den kunstreichen
Gesängen der Messe nicht mehr zurückzuhalten war.
Die leidenschaftliche Vorliebe für concertmässige In-
strumentalmusik beim Gottesdienste steigerte sich dann im
achtzehnten Jahrhundert bis zum Uebermasse. Erzählt uns
doch Dittersdorf in seiner Selbstbiographie, dass der Geiger
Spagnoletto in der Kirche San Paolo in Bologna ein Violin-
concert von Tartini zwischen den Psalmen und der Vesper
gespielt s habe unter dem stillen Beifall eines grossen Publi-
kums von Kennern und Musikfreunden.
Die Kirchensonaten Corelli's bestehen grösstenteils aus
vier Sätzen : einem langsamen Satze als Introduktion, einer
Allegro-Fuge, einem langsamen Mittelsatze, der mitunter
auch zum blosen Ueberleitungs-Satze zusammenschrumpft
und einem raschen, öfters fugirten Schlusssatze. Das Ganze
fällt solchergestalt in einen etwas bedenklichen Parallel ismus
auseinander. Dies verhinderte jedoch nicht, dass diese Form,
die übrigens Corelli nicht geschaffen hat, sich noch bis über
die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts erhielt, wie wir
denn sogar noch von einem Zeitgenossen Haydn's und
Digitized by
Google
v. BieJü: Arcangelo Corelli. 219
Mozart 's, Florian Gassmann (1729—74) sechs Kirchenquar-
tette für Streich-Instrumente mit je zwei langsamen Sätzen
und zwei Fugen besitzen.
Die Präludien und langsamen Mittelsätze in Corellfs
Kirchentrios sind zwiefacher Art, entweder eine blose Ein-
leitungsmusik oder selbständige hymnenartige Adagios.
Ausnahmsweise schreibt unser Meister wohl auch ein
Allegro-Präludium. Dies zeigt dann (wie z. B. Op. I 7 u. 9 ;
Op. III 6) die Form der alten Toccata in einem etuden-
artigen Spiel mit ganz kurzen nachahmenden Motiven und
Figuren-Gruppen. In solchem präludirendem Suchen und
Anschlagen der Grundharmonie (schon der Wortbegriff der
Toccata und der synonymen früher gleichfalls gebräuch-
lichen Tastata deutet darauf hin) hatten sich die alten
Orgelmeister zuerst von der Gesangmelodie zu einer rein in-
strumentalen Figurirung von Läufen und Harpeggien her-
über gewagt. 10 )
10) Die Frage, was eine Toccata sei? lässt sich so allgemein gar
nicht beantworten; denn zu verschiedenen Zeiten, ja bei verschiedenen
Meistern derselben Zeit hat dieses Wort einen ganz verschiedenen Sinn.
In den Intonazioni d'Organo der beiden Gabrieli (1593) stehen die Toc-
caten als sehr breit ausgeführte Vorspiele neben den weit knapper und
kurzer präludirenden „ Intonationen ". In Frescobaldis Fiori Musicali
(1635) ist die Toccata gegen theils ein ganz kurzes Präludium. In dem
„Wegweiser die Orgel recht zu schlagen", Augsb. 1692, ist umgekehrt
die Tastata ein kurzes Vorspiel, die Toccata und Toccatina dagegen eine
kleine, aus zwei bis drei Sätzchen gebildete Orgelsonatine. In Joh. Speth's
Ars magna consoni et dissoni (Ende des 17. Jahrhdts.) ist die Toccata
eine freie, über mehrere Motive ausgeführte Fantasia. Georg Muffat in
seinem Apparatus musico-organisticus (1690) gibt vollständigen drei- bis
viersätzig aufgebauten Orgelsonaten den Titel Toccata. In Seb. Bach's
Klavier-Uebung Vierter Theil (um 1742) stehen zwei Toccaten, welche
wir Fugen-Phantasien mit breit angelegtem Vor- und Nachspiel nennen
würden. Clementi macht in einer Sonate von 1781 die Toccata gar
zum Finale ! und gibt unter diesem Namen einen regelrechten zweithei-
ligen Sopaten-Satz, Presto, der durch gar nichts mehr als etwa die
Digitized by
Google
" r "^(pfl
220 Sitzung der histor. Clause vom 7. Januar 1S82.
Tieferen künstlerischen Werth als die Präludien besitzt
jene zweite Gruppe der langsamen Sätze in Corelli's Souaten,
welche ich hyinnenartige Largos oder Adagios nannte. In
der Regel in die Mitte gestellt, finden sie sich mitunter
auch am Anfange wie z. B. das überaus edle und stimmungs-
volle Grave, womit die fünfte Sonate des ersten Werkes
beginnt.
Corelli soll ein besonderer Verehrer Palestrinas gewesen
sein und sich bei seinem Aufenthalte in Deutschland um
die Verbreitung Palestrina'scher Werke eifrig bemüht haben.
Letzteres möge dahingestellt bleiben. Aber manche jener
Adagios erscheinen wirklich vom Geiste des grossen Prä-
nestiners berührt. In einfachster Rhythmik angelegt, im
schlichtesten Ghoraltone und doch höchst geistvoll harmo-
nisirt, athmen diese Hymnen eine kindesreine Frömmigkeit,
die uns bald an das Et in terra pax hominibus der Missa
brevis von Palestrina, bald an Mozart's Ave verum erinnert.
Wir hören Streichinstrumente und glauben einen reinen
A capella- Gesang zu hören. Die Kirchentonarten haben
freilich dem neuen Dur und Moll bereits Platz gemacht;
dennoch dünken wir uns vom Ende des siebenzehnten Jahr-
hunderts zum Ende des sechzehnten zurückversetzt. Es wird
uns auf einmal wieder klar, dass die Instrumentalmusik an-
fangs nichts weiter als ein auf Instrumenten gespielter Ge-
sang gewesen ist, wie es bei Porster's Liederbuch von 1539
heisst: „Zu singen und (oder) auf allerlei Instrumenten zu
gebrauchen, 41 und wie wir bei Frescobaldi's wundersamen
reiche Figurirung an die alte Toccata erinnert. Stylvolle neueste Toc-
caten (von Rheinberger n. A.) dürfen wir wohl als selbständige Instru-
mentalsätze bezeichnen, welche auf zwei kurzen, stark contrastirenden
contrapunktischen Motiven aufgebaut und bald thematisch streng, bald
freier durchgeführt sind mit energisch entwickelter Figurirung, die dann,
bei der Kürze der Motive etudenartig klingt und also wieder auf Gabrielas
Toccatenform zurückdeutet.
Digitized by
Google
v. Biehl: Arcangelo Corelli. 221
Orgelsätzen über das Kyrie und Christe eleison des grego-
rianischen Chorals 11 ) keine Orgel mehr hören sondern einen
Kirchenchor ohne Worte.
So wäre es auch leicht manchem Corelli'schen Grave
und Adagio Worte zu unterlegen, und wir hätten einen
Kirchenchor. (Vgl. die Mittelsätze von Op. I, 3 ; 9 ; Op. III,
7 ; 8.) Gleich den Altmeistern der Orgel hält er hier seine
Geigen und Bässe fast durchweg im Tonumfang der Sing-
stimme ; er gibt ihnen keine Portschreitung, keine Figurir-
ung, die nicht streng gesanglich wäre.
So manche Adagios Tartini's und anderer späterer
Italiener sind gleichfalls Gesänge ohne Text, auf die Geige
übertragen ; aber sie sind Solo-Gesänge, die bereits den Ein-
fluss der Opern-Arie verrathen ; Corelli's Adagios sind akkord-
liche Chorgesänge im Kirchenstyl. Man ahnt dabei nicht,
dass er ein Zeitgenosse und Freund des sonst so herrsch-
gewaltigen Opernkomponisten Alessandro Scarlatti war. Die
eben so frisch aufblühende Oper hat noch keine Macht über
ihn gewonnen.
Wohl aber finden sich einzelne Sätze in seinen Sonaten,
die den Einfluss des schlichten weltlichen Volksliedes neben
dem Kirchengesang verrathen. Denn zum melodischen Motiv
drängt es ihn überall, obgleich er auch die thematischen
Motive des gelehrten Satzes gar wohl zu handhaben ver-
steht. Aber die contrapunktisch-thematischen Motive hatte
er in der Schule gelernt, die melodischen quollen ihm aus
der Seele. Er steht zwischen zwei grossen Epochen, und
dem melodischen Motiv gehörte die Zukunft. Noch herrschte
der Kanon und die Fuge und sollte durch Händel und Bach
sogar zu weit höherer und höchster Herrschaft gelangen;
11) Aus den „Fiori musicali" neuerdings abgedruckt bei Franz
Commer „Kompositionen für die Orgel aus dem 16., 17. u. 18. Jahrhdt.",
Heft II.
Digitized by
Google
222 Sitzung der histor. Classe vom 7, Januar 1682.
aber fünzig Jahre nach Corelli's Tode siegte tlie freie Me-
lodie und mit diesem Siege erstand unsere klassische sym-
phonische Periode. Corelli hat sie geweissagt.
Ich wende mich zu den Allegro-Sätzen seiner Kirchen-
Trios. Sie basiren entweder auf Formen der Tanzmusik
oder — der Fuge, wobei der Meister dann auch mitunter
eine Tanzweise fugirt.
Manche dieser Tanzweisen sind recht heiter, ja muth-
willig, wobei die fröhliche Laune dann freilich durch ernst-
hafte contrapunktische Arbeit gezügelt, aber keineswegs
unterdrückt wird. So ist z. B. in Op. I, 9 das Schluss-
allegro eigentlich eine Corrente, jener Tanz, mit welchem
man die Bälle des siebenzehnten Jahrhunderts, wie heutzu-
tage mit der Polonäse zu eröffnen pflegte. Die kanonischen
Imitationen der drei Stimmen erinnern uns zwar daran, dass
wir nicht im Tanzsaale sondern in der Kirche sind, allein
der Komponist scheint doch das Bedtirfniss einer noch deut-
licheren Mahnung selber empfunden zu haben, denn er lässt
die Corrente in vier hochfeierliche Adagiotakte auslaufen,
die nun fast wie ein „Amen u klingen ! Das Finale der fol-
genden Sonate ist eine verkappte Gavotte, der nächstfol-
genden eine Giga, die man nicht einmal verkappt nennen
kann. Bach hat in so mancher Sarabande seiner Suiten
und Partiten den Kirchenstyl in die Tanzmusik getragen;
Corelli bringt umgekehrt die Tanzweise in die Kirche. Und
doch haben wir auch hierbei nicht entfernt den störenden
Eindruck des Fremdartigen oder Frivolen. Der Meister ist
nicht minder fromm, wenn er sich im leichten Schwünge
des Menuett als wenn er sich im Schwerschritte des Chorals
bewegt. Für religiös und künstlerisch naive Gemüther gibt
es keinen besondern Kirchenstyl; die weltliche Kunst wird
von selber kirchlich, wenn wir sie möglichst rein und hoch
fassen. Skeptische und künstlerisch reflektirte Perioden
Digitized by
Google
v. Biehl: Arcangelo Corelli. 223
und Menschen suchen dagegen das Kirchliche im Herauf-
beschwören abgestorbener alterthümlicher Formen.
Und nun n6ch ein Wort von den Fugen der Corelli-
schen Kirchensonaten. Es wäre ungerecht, dieselben mit
den strengen, ernsten, herben, spröden,, tiefsinnigen, gross-
artigen Fugen unserer deutschen Orgelmeister von Froberger
bis zu Buxtehude und Händel und Bach zu vergleichen.
Sie können sich mit den besseren und besten dieser Werke
weder an äusserer Kunst noch an Tiefe des Gehaltes messen.
Aber sie sind und bleiben docb frische, kräftige, fein und
geistreich gearbeitete Fugen, die den langsamen Sätzen ein
wirksames Gegengewicht bieten. Ihr Hauptreiz liegt in den
rhythmisch und melodisch meist sehr originell und schön
erfundenen Themen; wer aber mit der Fugen-Technik ver-
traut ist, der weiss, dass nur derjenige ein gutes Fugen-
Thema erfinden kann, der es auch gut durchzuführea ver-
steht; denn die verschiedenen Möglichkeiten stylgerechter
Durchführung müssen schon von vornherein in dem Thema
stecken und in ihm vorgeahnt und vorgedacht sein.
Den Gesammtcharakter der Corelli'schen Kirchensonaten
möge noch eine Parallele erläutern. Unter den gleichzeitigen
deutschen Meistern der instrumentalen Kirchenmusik steht
Keiner nach Geist und Richtung Corelli näher als Georg
MufFat. Er kam nach Paris und studierte Lully ; dann weilte
er zu Rom, als Corelli eben seine ersten epochemachenden
Werke veröffentlicht hatte. Aus Muffat's Orgel-Toccaten 12 )
(1690) spricht uns derselbe reine, milde, kindlich fromme
Geist an, wie aus Corelli's Werken, derselbe Sinn für die
formschöne Melodie eignet Beiden ; in der Technik des
Satzes begegnen sie sich häufig; Muffat ist harmonisch
gründlicher und tiefer und hält strenger an den typischen
12) Vergl. namentlich die beiden Toccaten, welche Prof, Herzog
in seinem „Album für Organisten" S. 55 u. 67 mittheilt.
Digitized by
Google
224 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882.
Formen des alten Kirchensatzes, Corelli ist erfindungsreicher,
originaler und bahnbrechender. Der liebenswürdige Passauer
Dom-Kapellmeister wurde vergessen, während der römische
Geigenvirtuose weltbekannt blieb. Aber in unserer Zeit,
wo wir Muffat wiedergefunden und schätzen gelernt haben,
verstehen wir unsern italienisch anmuthigen deutschen Meister
erst ganz und begreifen, dass er so schreiben konnte, wie
er schrieb und doch auch ein Zeitgenosse und Landsmann
des tiefsinnig mächtigen, herben Dietrich Buxtehude sein
konnte, wenn wir ihn mit Corelli zusammenhalten — im
Wendepunkte zweier Epochen.
VII.
Zu Corelli's Zeit gab es noch keine öffentlichen Konzert-
Institute wie heutzutage. Wenn er Sonaten in der Kirche
spielte, so hatte er dort wohl ein grosses und gemischtes
Auditorium und trat an die volle Oeffentlichkeit : Kammer-
musik dagegen schrieb man für einen erlesenen Kreis von
Kennern und Kunstfreunden, für das Hauskonzert und zwar
zunächst im vornehmen Hause. Aus den Sälen der Fürsten-
und Adelsschlösser drang diese aristokratische Kunst dann
aber auch in den Kreis bürgerlicher Leute, die sich keine
Kammermusiker halten konnten , die aber selbst gesellig
musizirten; die Kammermusik wird später zugleich Haus-
musik. Durch die Dilettanten ist sie volksthümlich und
mächtig geworden. Ihre Triebkraft stockte und ihre Macht
sank, als sie zuletzt den Dilettanten über den Kopf ge-
wachsen war.
Diese Entwickelung währt von der zweiten Hälfte des
siebenzehnten Jahrhunderts bis in die ersten Jahrzehnte des
neunzehnten, von Corelli bis Beethoven. Wesen und Wachs-
thum unserer Kunstgattung lässt sich ohne diese äusser-
lichen Thatsachen gar nicht erklären. Bei aller Art Musik
ist die Frage, unter welchem Dache sie ursprünglich ge-
pflegt wurde, überaus wichtig.
Digitized by
Google
v. Riehl : Arcangelo CorelU. 225
Corelli fand dieses gastliche Dach für seine Person wie
für seine Kunst in dem Palaste des Kardinals Pietro Otto-
boni ,s ), der an jedem Montag Konzerte aufführen Hess
durch seine eigenen Instrumentalisten, die päpstlichen Sänger
und bedeutende fremde Künstler, unter welchen Händeis
Namen vor Allen glänzt. Der Kardinal bot bei diesen
Musikabenden, die Corelli leitete, seinen Gästen nicht blos
die erlesensten Kunstgenüsse (auch die- Poesie gesellte sich
zur Musik), sondern entfaltete auch äusserlich eine „maje-
stätische Pracht' 1 .
Die „Akademien" Ottoboni's sind ebenso vorbildlich
für die spätere ähnliche Kunstpflege deutscher und nament-
lich österreichischer Fürsten und Edeln, wie Corelli's Trios,
Sonaten und Konzerte vorbildlich wurden für die späteren
Formen der klassischen deutschen Instrumentalmusik.
Wir begreifen den durchweg vornehmen Character der
Corelli'schen Kammertrios erst ganz, wenn wir sie uns für
jenen erlesenen kunstaristokratischen Zirkel geschrieben
denken. %
In der Gliederung der Sätze unterscheiden sich die-
selben von den Kirchentrios durch die Suitenform. Bei den
späteren zwölf Solosonaten hat Corelli nur sechsen diese
Form gegeben, der andern Hälfte die Kirchenform ; bei den
Concerti grossi stellt sich die Form der Kirchensonate zur
Form der Suite wie acht zu vier.
Die bewegliche Tanzweise erhält in den Kammertrios
ihr Gegengewicht durch feierliche Präludien, zwischendurch
eingestreute Adagio-Mittelsätze und den getragenen Hymnen-
oder Liedes-Ton der Sarabanden. So verflechten sich auch
hier wieder Motive des Kirchensatzes mit einer oft fein
kontrapunktirten Tanzmusik. Bei Tartini und anderen
13) Ausführliches über diesen merkwürdigen Mäcen gibt Chry-
sander, Händel I, 211 ff.
[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 15
Digitized by
Google
226 Sitzung der histor. Classe vom 7.- Januar 1882.
späteren Meistern finden wir noch lange die gleiche
Mischung.
Scheinbar eine blose Mosaik kleiner Tonstücke, welche
lediglich durch die Einheit der Tonart zusammengehalten
werden, zeigen die Kammertrios bei genauerem Studium
doch auch ein Band innerer Einheit, der einheitlichen Ge-
müthsstimmung, die in Kontrasten und Parallelen oft recht
fein zum Kampfe und zum Abschlüsse kommt. Man ver-
gleiche z. B. in Opus II das frische, muntere elfte Trio mit
dem zart anmuthigen zehnten, und halte beiden anderer-
seits das achte gegenüber, welches einen tief seh wermüthigen
Character ausspricht. Jedes dieser drei Trios hat eine Alle-
mande; rhythmisch sind diese drei Tänze sehr ähnlich ge-
halten ; allein die Allemande der munteren Sonate soll Presto
gespielt werden, die Allemande der anmuthigen Allegro und
jene der melancholischen gar als ein schwer einher schreiten-
des Grave. Weit entfernt also blos Tanzstücke zusammen-
zureihen, beugt Corelli die Tanzweise sogar im Tempo der
angestrebten Stimmung und gibt Tänze, die gar keine Tänze
mehr sind. Denn die ächte Allemande verträgt das Grave
sowenig wie das Presto, da ihr vielmehr das Allegro mode-
rato eignet. (Nach Mattheson 14 ) soll sie „das Bild eines
zufriedenen oder vergnügten Gemüthes sein, das sich an
guter Ordnung und Ruhe ergötzt".)
' Corelli war nicht der erste Italiener, welcher so frei
verfuhr. Auch bei seinen Vorgängern wird die feierliche
Sorabanda mitunter bereits zum Allegro oder gar zum Presto.
Dies führt mich zu einem andern Punkte. Corelli be-
schränkt sich in seinen Trios auf nur wenige Tanzformen
(Allemande, Corrente, Gavotte, Sarabanda und Giga, wozu
noch ein einzigesmal die Ciaconna kommt). Er hält Haus
mit diesen fünf Arten, während die späteren Suiten- Kom-
14) Vollk. Kapellmeister S. 232.
Digitized by
Google
v. Biehl: Arcangelo Corelli. 227
ponisten eine weit reichere und buntere Musterkarte von
Tanz weisen führen. Durch jene Beschränkung erhalten
seine Trios eine gewisse Einförmigkeit, die ich nicht rühmen
will, gewinnen andererseits aber auch eine Einheitlichkeit,
die dann doch ein Vorzug ist.
Da es sich hier um spanische, französische und deutsche
Nationaltänze handelt, so könnte man erwarten, dass Corelli
diese Unterschiede ausbeuten und in Rythmik, Melodik und
Modulation, recht naturalistisch nachbildend, gegen einander
setzen werde. Dies thut er jedoch ganz und gar nicht. Er
glättet statt zu schärfen und italienisirt die spanische Sara-
banda nicht minder wie die deutsche Allemande oder die
französische Gavotte. Namentlich wandelt er die spröde
Grandezza der Sarabanda gerne um in den zarten weichen
Gesang einer italienischen Canzonette oder auch in schlicht
andächtige Hymnen -Weise. Der Melodik des heimischen
Volksliedes müssen sich bei ihm alle ausländischen Tanz-
weisen beugen, so dass sie durchaus nicht mehr acht klingen,
aber das gesammte Kunstwerk der Sonate klingt dafür um
so ächter. Die Tanzformen gaben ihm nur die Grundlage
rhythmischer Manichfaltigkeit , und das Characteristische
weicht dem Schönen.
Hier wie in manchem anderen Stücke deutet Corelli
prophetisch auf Haydn, der uns den französischen Menuett
so gründlich verdeutscht und in so manchem Andante den
italienischen Siciliano, in so manchem Rondo sogar die
Zigeunermusik in 's Deutsche übersetzt hat. Die Roman-
tiker des neunzehnten Jahrhunderts bestrebten sich in ähn-
lichen Fällen umgekehrt, die deutsche Musik zu magyari-
siren oder zu slavisiren.
Eine klar und folgerecht entwickelte Aesthetik der
Tonkunst gab es zu Corelli's Zeiten noch nicht. Und wann
hat es eine solche überhaupt gegeben? Die Künstler tas-
teten und experimentirten damals noch, die wahren Ziele
15*
Digitized by
Google
228 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882.
der neuen Instrumentalmusik zu finden. Die Gefahr einer
Verirrung in den Nebel der Tonmalerei und Tondichterei
lag dabei nahe genug, wie Euhnau zeigt, wenn er „biblische
Historien mit Auslegung" in 6 Sonaten giebt, Buxtehude,
wenn er die Natur der 7 Planeten in 7 Klaviersuiten dar-
stellen will, Proberger, wenn er seine Reiseabenteuer in
Instrumentalsätzen schildert. Auch Couperin der in den
seltsamen Ueberschriften seiner Klavierstücke bald Räthsel
aufgibt bald Räthsel löst und uns gar eine ganze fünfaktige
Komödie auf den Tasten vorspielen will, 15 ) gerieth auf
diesen Abweg. Nur lässt man sich in solchen Dingen kleine
schalkhafte Spielereien eher gefallen als ernstgemeinte grosse
Probleme. Dass auch altitalienische Geigen-Komponisten
die Klippe der Tonmalerei streiften, bestätigt Wasielewski
durch die in den „Instrumentalsätzen" etc. mitgetheilten
Proben von Carlo Farina (1627) und Marco üccellini (1669).
Von derlei Verirrung blieb Corelli vollständig frei.
Statt des vergeblichen Bestrebens, Bilder und Vorstellungen
in Tönen zu malen, die man nur in Worten schildern und
aussprechen kann, begnügt er sich weislich, die innere
Logik des musikalischen Aufbaues in einer durch Melodie
und Harmonie allein zu erzielenden innerlichsten Aussprache
der Empfindung und Stimmung voll und rein wirken zu
lassen. Er ebnete dadurch die Bahn, auf welcher später
unsere klassischen Meister der Symphonie und des Quar-
tetts das Höchste erreichten, indem sie in ihrer Instrumental-
musik nichts weiter gaben als — Musik.
Stylistisch zeichnen sich Corelli's Kirchen- und Kammer-
trios durch hohe Einfachheit aus, die darum doch nicht
arm oder leer klingt, selbst heute nicht, nach fast zwei-
hundert Jahren.
15) S. .Werke von Couperin", herausg. v. Job. Brahms, in den
„Denkmälern der Tonkunst", S. 208 ff.
Digitized by
Google
ü. Biehl: Arcangelo Corelli. 229
Die Grösse der damaligen italienische Meister des In-
strumentalsatzes wie der Oper gründet überhaupt in dem
Streben, durch die denkbar einfachsten Mittel ergreifend
schon zu wirken; sobald dieselben Künstler durch die Lust
an dem äusserlichen Formenspiel der Coloratur und anderem
melodischen Schnörkelwerk verlockt, diesem Streben untreu
werden, sinken sie dann aber auch doppelt tief herab. Wo
einem A. Scarlatti, Pergolese, Leo und selbst Hasse wahr-
haft Schönes und Grosses gelang, da war es allemal das
einfach Schöne und einfach Grosse. Kein Kunstschriftsteller
hat gerade diese eigenste Signatur jener Italiener schärfer
erfasst und beredter dargestellt als Wilhelm Heinse in seiner
„Hildegard von Hohenthal", einem Buche, welches, trotz
der poetischen Schlacken der verunglückten Romanform, in
seinen abhandelnden Theilen mit unvergleichlicher Intuition
in Geist und Form jener Meister eindringt und einführt.
Schöpferisch bahnbrechend in der gedachten Richtung
war Giacomo Carissimi vorangegangen; schon vor Corelli
hatte er von 1640 — 80 auf dem Gebiete des Gesanges ganz
ähnliche Ziele verfolgt wie unser Meister auf dem instru-
mentalen. Man könnte ihn den Corelli der Kantate nennen.
Vom kirchlichen Style ausgehend, vereinfachte er denselben,
indem er ihn mit dem volksthümlich schlichten Melos ver-
band. Sein Ideal war das einfach Schöne. „Wie schwer
ist es, so leicht zu sein !" soll er angesichts seines eigenen
Schaffens gesagt haben. Dasselbe Wort liesse sich auch in
Corelli's Mund legen, während bei Bach's Werken die Zu-
hörer vielmehr umgekehrt ausrufen möchten: „Wie leicht
ward es ihm, so schwer zu sein!"
Die Violinstimmen der Corellischen Trio's sind fast
durchweg streng gesanglich geführt ; alles Beiwerk von blos
schmückenden Coloraturen, Mordenten, Trillern etc. ist ver-
schmäht; nicht einmal der damals unvermeidliche Triller
bei der Schlusskadenz ist vorgeschrieben.
Digitized by
Google
230 Sitzung der histor. Classe vom 7. Januar 1882.
Ob diese Stimmen so ganz ohne Verzierung vorge-
tragen wurden, wie sie geschrieben stehen? Ich bezweifle
es. Allein wir sind dem Komponisten dankbar, dass er die
übliche Verschnörkelung und Verkröpfung seiner in ihrer
einfachen Cantilene so reizenden Melodien dem Belieben des
ausführenden Künstlers anheimgestellt hat. Nach unserm
Belieben fügen wir sie dann auch nicht zu. Wie dankbar
würden wir gleicherweise Couperin sein, wenn er geradeso
verfahren wäre wie Corelli und seine oft köstlichen Melodieen
nicht mit endlosem Beiwerk von Trillern und Mordenten
selber wieder verdorben hätte! Er stellt uns nun vor die
Gewissensfrage, ob wir diese Melodien schmucklos schön
spielen sollen, wie sie im Grunde gedacht, oder zopfig auf-
geputzt, wie sie leider geschrieben sind. Aber Couperin
ist Klavier-Komponist, und die Klavier-Sonate wurde von
jeher schnörkelhafter behandelt als der mehrstimmige Geigen-
satz. Durch's Klavier wären wir auch niemals zu der edeln
Feinheit des Quartettstyls gekommen.
Was ich hier von der erquickend reinen gesanglichen
Führung der Violinstimmen Corelli's sagte, das gilt vollauf
nur bei seinen Trios. In den Solosonaten wuchert schon
vielerlei Verschnörkelung. Namentlich lockt ihn hier der
Versuch eines freien Allegros (dessen volles Gelingen erst
einer späteren Zeit vorbehalten war) zu einer Art Akkord-
Colpratur, die zopfig trocken fast wie eine Schulübung
klingt (z. B. Sonate III, Satz 4; VI, 3 etc.), und er ent-
geht dieser Manier selbst in fugirten Sätzen nicht; in der
„Follia" aber erscheint sie in schlimmster Gestalt. Wenn
diese Sonaten den Trios auch in breiterer Anlage einzelner
Sätze und kühnerer Führung so mancher Melodie, mitunter
auch in originellerer Harmonisirung überlegen sind, so stehen
sie doch im Ganzen hinter jenen schon darum zurück, weil
bereits der Mehltbau des Virtuosenthums auf ihnen liegt.
Nicht in dem Prunk glänzend reicher Technik, sondern in
Digitized by
Google
v. Eiehl: Arcangelo Corclli. 231
der rührenden kindlichen Reinheit, in dem zarten Goldton
des keuschen einfach Schönen ruht Corelli's Grösse, — die
Grösse eines Virtuosen, der aller Virtuosität entsagt — , ruht
das Geheimniss des ergreifenden Eindrucks, den seine Werke
auch hente noch machen, wenn sie fein, rein und innig
vorgetragen werden. Und hierin sind seine älteren Trios
den Solosonaten weit voraus.
Merkwürdig ist, dass trotz des Virtuosenthums, wel-
ches sich in der Solotechnik der italienischen Geiger nach
Corelli immer breiter macht und bei Tartini (das Recht der
Gattung überhaupt vorausgesetzt) zu imponirender Meister-
leistung steigert, — die eigentlichen Trio-Komponisten an
dem Kanon der melodischen Einfachheit tiberwiegend fest-
hielten. Eben darum wurden sie vielleicht kunstgeschicht-
lich so wenig beachtet, denn lange genug sahen die Kritiker
im Portschritte der Technik schlechthin den Fortschritt der
Kunst. Allein eben darum auch bilden sie eine Brücke
zum klassischen Streichquartett, welches aus der Virtuosen-
sonate nicht erwachsen konnte und nur solange rein und
acht blieb, als es sich dem Virtuosenthum jeglicher Art
ferne zu halten verstand.
Diese zahllosen, jetzt völlig vergessenen Trios der spä-
teren Periode übten einen stillen aber tiefgreifenden Ein-
flu8s. Hat doch selbst Phil. Em. Bach, der uns in seinen
Klaviersonaten so ganz andere, neue Wege führte, in jungen
Jahren dem italienischen Trio nach Form und Art gehul-
digt. 16 ) Und Haydn schrieb, wohl schon gleichzeitig mit
seinen ersten Quartetten, die wiederum eine neue Bahn ein-
schlugen, nebenbei doch auch noch Trios für 2 Geigen und
Violoncello nach der beliebten alten Weise. C. F. Pohl
hat in seiner inhaltreichen und grundlegenden Biographie
Haydn's (Band I, S. 344 ff.) hierauf aufmerksam gemacht,
16) Bitter, Ph f E. B*cb S. 59,
Digitized by
Google
232 Sitzung der hlstor, Classe vom 7. Januar 1882.
dabei aber, wie mir scheint, die Bedentang dieser Trios,
ihren Gegensatz zur alten Orgelmusik und ihren Zusammen-
hang mit der neu aufsteigenden Quartettmusik nicht ein-
gehend genug gewürdigt. Pohl fuhrt 34 solcher Trio-Kom-
ponisten der späteren Zeit an, Deutsche und Italiener in
bunter Reihe, und doch wohl alle, wenigstens in ihren Trio-
werken vom italienischen Geiste berührt. Ich möchte zu
Pohrs Verzeichniss ergänzend noch folgende Meister fügen,
deren Trios mir bei meinen Studien durch die Hände ge-
gangen sind: Alessandro Besozzi, Franc. Zanetti, Demachi,
Franc. Negri, Carlo Monza, Giov. Ferrandini, Gipv. Elia
Selva, Pietro Beretta, Joh. Christ. Bach, Leopold Gassmann,
Florian Deller, Anton Stamitz. Diese Komponisten wenden
sich, wenigstens in den mir bekannten Trios, von der Form
der Kirchensonate wie von der Suitenform gleicherweise ab
und bringen dafür ein dreitheiliges Trio, dessen erster Satz
Andante, Adagio oder Moderato, der zweite ein breit aus-
geführtes, selten fugirtes Allegro, der dritte ein Menuett
ist oder doch Tempo di Menuetto. Man erkennt diese
Grundform in den ältesten Klavier- und Violinsonaten wieder,
die Mozart in seiner Kindheit (1763 — 68) schrieb und in
vielen Klaviersonaten und Klaviertrios Haydn's. Das Volks-
oder Kirchenlied ist dann bei jenen Spät-Italienern kaum
mehr melodisch beeinflussend gewesen, wohl aber die Can-
tilene der Opernarie. Im Quartett und der Symphonie
schuf Haydn einen ganz andern Aufbau der Sätze. Seine
Schüler blieben aber auch im Quartett noch ausnahmsweise
der dreith eiligen Form des spätitalienischen Trios getreu.
So hat Ignaz Pleyel in der (wohl in den neunziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts componirten und dem Könige von
Neapel gewidmeten) achten Sammlung seiner Quartette noch
ein solches, welches ganz nach Art jener italienischen Trios
aus einem Adagio, einem contrapunktisch gehaltenen Allegro
und einem Schluss-Menuett, sämmtlich in gleicher Tonart,
Digitized by
Google
v. Rieht: Arcangelo Corelli, 233
besteht, — vielleicht als ein Zeichen der Huldigung für den
königlichen Gönner in Italien.
vni.
Bei einem Geigen-Komponisten, der so ganz aus der
Seele seines Instrumentes erfand und schrieb wie Corelli,
fragen wir auch nach der Art der Instrumente, die ihm
dienten und auf welche er rechnete. Können wir uns doch
auch den grossen Unterschied in Bach's, Mozart's und Beet-
hoven's Klaviermusik nicht vollauf erklären ohne einen Seiten-
blick auf die grundverschiedenen Instrumente ihrer Zeit. Bei
Corelli steigert sich das Interesse der Frage noch durch den
Umstand, dass sein Leben in die Periode der höchsten Blüthe
jenes niemals wieder erreichten Kunstgewerbes der grossen
Cremoneser Meister fiel. ,
Als Corelli seine 48 Trios schrieb standen ihm zweier-
lei ausgezeichnete Instrumente bereits zu Gebote: die Bres-
cianer Geigen eines Maggini (1590—1640) mit ihrem kräf-
tigen aber noch etwas herben und melancholischen Klang,
und die Cremoneser Geigen der Amati, insbesondere des
Nicolo Amati (1596 — 1664) mit ihrem kleineren, aber äusserst
weichen , „leise verschleierten, jungfräulichen 44 Silberton.
Dieser zwiefache, eng verbundene Klangcharakter des sprö-
den und doch edel zarten Tones entspricht auch dem Geiste
von Corelli's Werken.
Der grosseste aller Meister des Geigenbaues, Antonio
Stradivari, war zwar ein Zeitgenosse Corelli's, ja sogar neun
Jahre älter als dieser. Allein zu der Zeit, da Corelli durch
seine Trios die Kammermusik zu neuer Höhe emporhob,
arbeitete Stradivari noch in der Weise seines Lehrers Nicolo
Amati (sogenannte amatisirte Stradivari-Geigen, bis 1680).
Dann mühete er sich, neue und eigenartige Verbesserungen des
Geigenbaues zu erfinden (bis 1700), und erst von da bis gegen
1725 stancl er auf der Höhe seiner originalen Meisterschaft.
Digitized by
Google
234 Sitzung der histor. Classe com 7. Januar 1882.
Diese Periode fällt noch zu einem guten Theil mit der
zweiten Periode Corelli's zusammen (1700-1712), mit der Zeit
seiner Virtuosen-Sonaten und seiner orchestralen Konzerte.
Vidal sagt (a. a. 0. I, 1 20) : Lorsque Stradivari faisait
ses recherches pour arriver ä la perfection du violon, il
avait ä sa disposition des violinistes de talent et bien cer-
tainement Corelli n'a pas ete etranger aux essais multiplies
qu'a du faire le grand maitre pour mener ä bonne fin ses
experiences. Obgleich ein direkter Einfluß Corelli's auf die
Verbesserungen des Stradivari nicht nachgewiesen ist, so
hat diese Ansicht bei der künstlerischen Herrscherstellung,
die unser Meister damals in Italien einnahm doch viele
Wahrscheinlichkeit.
Man könnte also sagen : die Brescianer und ältere Cre-
moneser Schule des Geigenbaues wirkte mitbestimmend auf
Corelli's Spiel und Schreibart. Dagegen wirkten seine Kunst-
bestrebungen mitbestimmend auf die Fortschritte, durch
welche die jüngere Cremoneser Schule (Antonio Stradivari
und Giuseppe Guarneri) den Gipfel der Tüchtigkeit und des
Ruhmes im Geigenbau erreichte.
Die Bässe Corelli's aber zeigen deutlich, dass er das
Violoncello im heutigen Sinne, wie wir es den Bemühungen
Stradivari's (seit 1700) verdanken, bei seinen Trios noch
nicht besessen hat. Eher liesse die Führung des Basses
seiner Solosonaten schon an ein mitgehendes Cello denken.
Aber erst in den Concerti grossi tritt dasselbe als Solo-
Instrument unter dem Namen eines Violoncello di concer-
tino ausdrücklich hervor.
So verkünden Corelli's Werke selbst in diesen äusser-
lichen Dingen den Wendepunkt zweier musikgeschichtlicber
Epochen.
Digitized by
Google
Herr Gregorovius hält einen Vortrag über:
„Die Gründung der ersten wissenschaft-
lichen Akademie Corsicas",
und teilt folgendes mit:
Am 19. December 1880 hat sich in Bastia, der be-
deutendsten Stadt dieser Insel, eine Gesellschaft gebildet
unter dem Namen : Societe des sciences historiques et natu-
relles de la Corse. Sie hat sich ein Statut in französischer
Sprache gegeben, ein Directorium ernannt, und zu ihrem
Präsidenten den Professor am Lyceum Bastia's, Herrn Abbe
Letteron, zu ihren Vicepräsidenten den Baron Cervoni und
den Rat am Appellhof Herrn de CarafFa erwählt.
Die Liste ihrer Mitglieder weist schon heute eine starke
Beteiligung von Corsen auf; viele historische Namen alter,
noch fortdauernder Geschlechter Corsicas sind darin ver-
zeichnet, von den Arrighi, Casanova, Colonna, GafFori, Vincen-
telli bis zu den Bonaparte.
Dem Programm der Societät gemäss hat dieses durch-
aus patriotische Institut zu seinem Hauptzwecke gemacht
die naturwissenschaftliche Erforschung der Insel und die
Förderung des Studiums der Landesgeschichte. Und gerade
hier bietet sich der Vaterlandsliebe der Corsen ein weites
Gebiet der Tbätigkeit dar. Der Vortragende nimmt sich
hier die Gelegenheit, von dem eigenartig abgeschlossenen,
individuellen Character der Geschichte Corsicas zu sprechen,
welche sich Jahrhunderte lang in den Heldenkämpfen des
Eilandes gegen die Herrschaft der Republik Genua bewegt
hat, bis sie in der Gesetzgebung des Pasquale Paoli cul-
minirt und in die Gestalt des Welteroberers Napoleon aus-
Digitized by
Google
236 Sitzung der histor. Classe com 7. Januar 1881.
geht, von dessen Zeit an Corsica keine politische Geschichte
mehr hat.
Der Vortragende verbreitet sich sodann über die Ge-
schichtschreiber der Insel, welche im Verhältniss zu ihrer
geringen Raumaasdehnung und Volkszahl sogar mehr und
bessere Historiographen hervorgebracht hat, als andere Inseln
des Mittelmeeres. Er erinnert an die Entstehung der cor-
sischen Landeschronik im Beginne des 15. Jahrhunderts und
ihre Zusammenfassung in dem Nationalwerke Filippinis, des
Zeitgenossen Sampiero's, und gibt eine üebersicht der cor-
sischen Geschichtschreiber bis auf die Gegenwart.
Da die mittelalterliche Historiographie Corsica's heute
einer kritischen Revision bedarf, so hat sich die neugegrün-
dete Gesellschaft die lobenswerte Aufgabe gestellt, aus den
Archiven der Insel wie des Festlandes neues Urkunden-
material zu ziehen, noch nicht edirte corsische Memoiren
zu sammeln, und dann in ihren Bulletins zu veröffentlichen.
Diese Publicationen wurden in der Regel monatlich ausge-
geben. Der Vortragende legt die Reihe der während des
ersten Jahres 1881 von der Societät veröffentlichten Bulle-
tins der Classe zur Einsicht vor. Unter den darin abge-
druckten schätzenswerten Beiträgen zur corsischen Geschichte
hebt er besonders hervor, die neu begonnene Sammlung von
unedirten Briefen des Pasquale Paoli, welche jene ergänzen
soll, die Niccolo Tommaseo im elften Bande des Archivio
Storico Italiano im Jahre 1846 herausgegeben hatte. Nach
ihm aus Bastia zugekommenen Nachrichten haben sich im
corsischen Privatbesitz heute schon mehr als 2000 noch
nicht edirte Briefe Paoli's vorgefunden.
Herr Gregorovius machte endlich der Classe den Vor-
schlag, sich in Verbindung mit der neu gegründeten wissen-
schaftlichen Societät Bastias zu setzen durch Austausch der
akademischen Publicationen, was einstimmig genehmigt wird.
Digitized by
Google
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 4. Februar 1882.
Herr Bursian hielt einen Vortrag:
„Der Rhetor Menandros und seine Schriften."
' Derselbe wird in den Abhandlungen veröffentlicht.
Der Classensekretär legt eine Abhandlung des
Herrn G. F. Unger vor:
„Die historischen Glosseme in Xenophons
Hellenika."
In der ersten, bis zum Ende des peloponnesischen
Krieges reichenden Abtheilung der Hellenika (I— II 3) findet
sich eine Anzahl sachlich meist werthvoller Angaben — be-
treffend die Summe abgelaufener oder das Datum neu An-
hebender Kriegsjahre, ferner abgerissene Notizen über ein-
zelne Ereignisse und andere Mittheilungen geschichtlichen
Inhalts — , welche von vielen Kritikern für unächte Zusätze
erklärt worden sind. Einen Theil derselben hat schon Mars-
ham (canon chronicus, 1672) und Dodwell (de cyclis, 1701 ;
chronologia Xenophontea, 1702) angefochten; die Verdacht-
gründe, welche sie geltend machten, waren so einleuchtend,
dass die meisten Späteren ihrem Urtheile zustimmten, viele
weiter giengen und der unächten Stellen noch mehr auf-
fanden oder aufzufinden glaubten; im weitesten Umfang
und oft in überzeugender Weise übte die Athetese Brückner,
de notationibus annorum in historia graeca Xenophontis
Digitized by
Google
238 Sitzung der phüos.-phUöl. Classe vom 4. Februar 1882.
suspectis, 1838. Nach ihm sind viele Stellen wieder in
Schutz genommen worden; aber alle zu vertheidigen haben
nur sehr wenige gewagt und der Versuch ist schlecht genug
ausgefallen. Gegenwärtig gelten die Jahrsummen und die
Datirungen allgemein für interpolirt; von den andern Stellen
sind zwar die meisten in den Ausgaben der Unächtheits-
klammern entledigt, jedoch nicht sowohl in Folge einer
überzeugenden, alle Bedenken niederschlagenden Verteidig-
ung, welche ihnen etwa zu Theil geworden wäre, als viel-
mehr wegen des Bestehens einer zweiten Controverse, von
deren bis jetzt noch nicht gelungener Schlichtung die Ent-
scheidung der Frage nach der Aechtheit vieler angefochtenen
Stellen abhängt. Sie werden verdächtigt, weil ihr Inhalt
einem andern Jahre anzugehören scheint als der des an-
grenzenden ächten Textes; aber dieses Hauptkriterium ist
selbst oft fraglich und unsicher. Von den sieben Jahres-
wechseln, welche während der von Xenophon Hell. I 1 —
II 3 behandelten Zeit (Herbst 411 — Herbst 404) einge-
treten sind, finden sich sechs theils ausdrücklich angegeben
theils durch Erwähnung von Winters Ende oder Frühlings
Anfang genügend angedeutet; einer ist nicht kenntlich ge-
macht und steht weiter nichts fest, als dass er entweder
im ersten oder im fünften Capitel des I. Buchs zu suchen
ist: im ersten Fall treffen die I 2, 1. 3, 1. 4, 2 bemerklich
gemachten Jahrübergänge in 409 408 407, im andern in
410 409 408; erst von I, 6, 1 und dem J. 406 an ist die
Zeitrechnung sicher.
Der Zweck vorliegender Untersuchung ist, zunächst die
Zeit der Hell. I 1 — 5 erzählten Ereignisse und damit die
Stelle des fraglichen Jahreswechsels zu ermitteln ; auf dieser
Grundlage dann die Ausscheid nng der unächten Stücke vor-
zunehmen ; endlich die Entstehung der Interpolation zu er-
klären und den verlorenen Werken nachzuforschen, als deren
Fragmente man die werthvollen Glosseme anzusehen hat.
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 239
I. Ordnung der Jahre.
Der erste, welcher sich mit der Frage nach der Stelle
des zweifelhaft gelassenen Uebergangs in ein neues Kriegs-
jahr eindringender beschäftigte, war Dodwell. Er suchte
ihn im ersten Capitel und Hess demgemäss im Laufe des-
selben den Wechsel vpn 410, bei t^J de älfop exet I 2, 1
den von 409 eintreten und bezog I 3, 1 stiel <f 6 %eifAcov
eXrjye auf 408, dqxo^evov de tov eagog I 4, 2 auf 407 ; dass
die Uebergänge von 406 405 404 in dem dreimal vorkom-
menden Tq) (J 5 etiiovxi exet I 6, 1. II 1, 10. 3, 1 zu finden
sind, war ausser Frage gestellt, weil das Datum der von
16,1 an erzählten Vorgänge durch Zeugnisse anderer
Schriftsteller bekannt ist. Die Jahrordnung Dodwells er-
hielt sich lange Zeit unangefochten in Kraft; erst Haacke,
de postremis belli pelop. annis 1822 stellte die Behauptung
auf, dass das erste Capitel nur die Zeit eines halben Jahres
umfasst, das Datum aller von I 2, 1 bis I 5, 1 behandelten
Ereignisse um ein Jahr früher als bei Dodwell zu setzen
und erst in I 5 der Jahreswechsel von 407 zu suchen ist.
Das Gewicht der Gründe, welche er geltend machte, war so
bedeutend, dass zuerst Boeckh, dann Krüger, allmählich fast
alle deutschen Forscher, welche mit dieser Frage sich zu be-
schäftigen Anlass hatten, auf seine Seite traten und Dod-
wells Ansicht nur in seiner Heimat, bei Clinton, Grote und
andern, sich in ungeschwächter Anerkennung behauptete.
Eine neue, noch jetzt fortwirkende Wendung führte Emil
Müller, de Xenophontis historiae graecae parte priore, 1856
herbei, welcher beide Fragen mit grosser Sachkenntniss in
Angriff nahm und in scharfsinniger Weise viele Punkte in
eine neue Beleuchtung brachte. Die Dodweirsche Ansicht
hat durch ihn wieder Anhänger gewonnen, noch grösser
war sein Erfolg in der Unächtheitsfrage : sein Werk ist es,
dass auch von solchen nur noch wenige Stellen entschieden
Digitized by
Google
240 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 4. Februar 1862.
beanstandet werden, die seiner Ausicht über die Jahrver-
theilung beizustimmen nicht vermocht haben. Die Triftig-
keit der Gründe, welche für Haacke sprechen, und die Ge-
waltsamkeit der Mittel, welche Müller behufs ihrer Weg-
räumung anwendet, hat Breitenbach, das Jahr der Rück-
kehr des Alkibiades, neue Jahrbb. f. Philol. 1872 p. 72 ff.
treffend hervorgehoben, auch einen* positiven Fortschritt
durch den Nachweis der Stelle gemacht, an welcher allein,
wenn der vermisste Jahreswechsel in I 5 zu suchen ist, der-
selbe gefunden werden kann; indess auf durchschlagenden
Erfolg durfte er schon desswegen nicht rechnen, weil er
auf die andere Frage nicht näher eingegangen ist und sich
dort lediglich die Ansichten Müllers angeeignet hat, welche
mit dessen Behandlung der Jahrübergänge in engstem Zu-
sammenhang stehen. Dazu kommt aber, dass auch seine
Widerlegung Müllers mit der Thatsache nicht fertig wird,
welche die Hauptstütze der Dodwell'schen Ansicht bildet.
Diese besteht darin, dass die im ersten Capitel erzählten
Vorgänge sichtlich über Frühlings Anfang 410 herabreichen,
es also unmöglich ist, mit Haacke den I 2, 1 gemeldeten
Jahreswechsel auf diesen dort bereits überschrittenen Zeit-
punkt zu beziehen. Andrerseits besitzt aber auch Haacke's
Anordnung einen unerschütterlichen Halt an den Worten
huxvTol TQelg *f\Gav I 4, 7, welche sich auf den Zwischen-
raum zwischen dem I 4, 2 angegebenen Jahreswechsel und
dem J. 405 beziehen und es zwingend nothwendig machen,
diesen Wechsel in das J. 408 zu setzen, von wo wir dann
rückwärts gehend mit dem I 3, 1 angedeuteten Uebergang
auf 409, mit dem zuerst erwähnten von I 2, 1 also doch
wieder auf 410 kommen. Dieses unüberwindlich scheinende
Dilemma lässt vermuthen, dass beide Parteien irgend einen
Grundirrthum, ein ttqcotov xpsvdog mit einander gemein
haben, und eine* genauere Betrachtung der beiderseitigen
Beweisgründe darf wohl hoffen, zur Erkenntniss desselben
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 241
durchzudringen. Die Dodwell'sche Ansicht hat ausser dem
vorhin erwähnten Argument nur noch ein einziges, ein Ar-
chontendatum des Dionysios von Halikarnassos, der es bloss
gelegentlich vorbringt und auch in anderen Daten dieser
Art sich "von Flüchtigkeitsfehlern *) nicht frei erhalten hat.
Dagegen die Haacke'sche lässt sich von Jahr zu Jahr durch
Belege bestätigen, welche sich zum Theil auf den inneren
Zusammenhang der laufenden Geschichte mit Thatsachen
anerkannten und unumstösslichen Datums stützen, und zu-
gleich bildet eben der gegen sie sprechende Umstand, dass
der Inhalt des ersten Capitels über den Frühlingsanfang
410 herabführt, ein noch grösseres Hinderniss für die An-
ordnung Dodwells und Müllers selbst: denn sein zeitlicher
Ueberschuss beträgt nicht, wie es diese voraussetzt, ein
ganzes Jahr sondern höchstens ein paar Monate, er führt
nicht in den Frühlingsanfang 409, sondern, wenn weit herab,
in Mitte 410.
Lässt sich annehmen, dass Xenophons Eriegsjahr erst
einige Zeit nach Frühlings Eintritt anhebt, so ist die einzige
nennenswerthe Schwierigkeit, welche Haacke und seine Nach-
folger uicht bewältigt haben, aus dem Wege geräumt. Diese
Annahme darf in der That aufgestellt werden. Es ist be-
kannt, dass der Ueberfall von Plataia durch die Thebaner
im Beginn des Frühlings 431, welchen Thukydides zur
Grundlage des Anfangs der Jahre des peloponnesischen
Krieges nimmt, nicht das einzige Ereigniss war, welches
auf solche Ehre Anspruch hatte: mit ebenso viel Recht
konnte man die erste Feindseligkeit, welche von den Pelo-
ponnesiern selbst verübt wurde und die Athener selbst be-
traf, zur Epoche nehmen, den Einfall jener in Attika bei
Oinoe, und Thukydides hat, was ebenso bekannt ist, incon-
1) Vgl. den .bekannten betreffs des Arch. Tbudemos, de Dinarcho
13 p. 999.
[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. 2.J 16
Digitized by
Google
242 Sitzung der phUos.'phüol. Classe vom 4. Februar 1882.
seqaenter Weise eiomal (V 20) das selbst gethan. Ebenso
inconsequent behandelt er die Uebergabe Athens als Schlass
des Krieges, dessen letzte Zackungen ein halbes Jahr dar-
nach verendeten ; erst mit der Ergebung der attischen Kle-
ruchen auf Samos hat er abgeschlossen. Diese sieht Xeno-
pbon als Ende des Krieges an: bat er sich hierin nicht
nach seinem Vorgänger gerichtet, warum soll er es in An-
sehung der Anfangsepoche gethan haben? Die Voraussetz-
ung aller Erklärer, dass seine Kriegsjahre mit Frühlings
Eintritt beginnen, stützt sich auf eine einzige, von vielen
(mit Recht) für unächt erklärte Stelle (I 3, 1), welche man
methodischer Weise eben desswegen aus dem Spiel hätte
lassen sollen. Des Genaueren wird von der Jahrepoche
Xenophons am Schlüsse dieses ersten Abschnitts die Rede
sein ; hier nur so viel, dass jener Einfall bei Oinoe um un-
gefähr ebenso viel Zeit (1 — 2 Monate) nach dem Ueberfall
von Plataia stattgefunden hat als der über Frühlings Ein-
tritt 410 herabführende Zeitüberschuss der Vorgänge von
Hell. I 1 ausmacht.
I 2, 1 : 410.
Die Unmöglichkeit, mit dem Inhalt von I 1 die Zeit vom
Herbst 411 bis Frühlingsanfang 409 auszufüllen, gesteht
Müller p. 55 f. insofern selbst zu, als er die Behauptung auf-
stellt, der Text dieses Capitels sei sehr lückenhaft überliefert;
seinen Versuch, die angeblichen Lücken zu ergänzen und die
Ereignisse in diesem Sinn zu datiren, hat bereits Breiten-
bach p. 76 widerlegt. Die Zeit jener Vorgänge reicht nicht
weiter als in den Mai 410. Die Schlacht bei Abydos fand
im November 411 statt, I 1, 2 (xq%oia£vov %e^u3i>os *) ; die
1) Winters Anfang ist der Frühuntergan £ des Siebengestirns, Som-
mers Anfang dessen Frühaufgang. Nach neueren Berechnungen fiel jener
zur Zeit des peloponnesischen Krieges unter dem Horizont von Athen
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 243
siegreichen Feldherrn bedurften, um den Erfolg gebührend
auszunutzen und die Macht Athens im Norden und Osten
wiederherzustellen, namhafte Verstärkungen ; um sie zu er-
wirken, überbrachte einer von ihnen, Thrasylos, die Glücks-
botscbaft persönlich in Athen. Das Gesuch wurde bewilligt
und Xenophon erzählt seine Ausfahrt mit den Verstärkungen
unmittelbar nachdem er den Jahreswechsel vermerkt hat,
welchen die eine Partei 410, die andere 409 vor sich gehen
lässt. Dass diese erst aQxo^ievov tov &£qov$, d. i. Mitte
Mai 409 abgiengen, ist begreiflich : der Zugang von Schiffen
konnte erst nach' dem Winter erwartet werden und da in-
zwischen am Ende dieser Jahreszeit in der Schlacht von
Kyzikos die feindliche Flotte fast vollständig vernichtet
worden war, so bestand kein dringender Anlass zu sofor-
tiger Absendung im Frühling 410; dass diese aber noch
bis in den Mai des nächsten Jahres hinausgeschoben worden
wäre, findet Haacke mit Recht undenkbar, zumal bei der
Bereitwilligkeit, welche das Volk von Anfang an zeigte,
und bei dem grossen Interesse, das es selbst haben musste;
es mangelt an allen Anzeichen einer Verzögerung, für die
auch Müller p. 25 keine Erklärung zu geben weiss. Als
unter Thrasylos Führung ein von Agis ') drohender Angriff
auf die Stadt vereitelt wurde, da zeigten die Athener noch
grösseren Eifer seinem Gesuch zu willfahren, und die Volks-
versammlung fasste Beschluss über die Stärke und Beschaffen-
heit der Streitkräfte, welche er bekommen sollte, I. 1, 34
diä %av%a ezi nqo^vpioreQOi i\oav eq> a r^e nai ensi/jqcpi-
4. November, dieser 16. Mai; doch geben die alten Astronomen für jenen
ein späteres Datum (Euktemon 10. November), s. Boeckh Sonnenkr.
p. 86. 95.
1) Ans Ttgopopriv noiovyLkvos § 33 lässt sich nicht mit Sicherheit
auf gute Jahreszeit schliessen, vgl. IV 1, 6 diex^tfioc^e avv nqovoyinlq
rä intr^Sfia \ctpßdv(av (Luckenbach, de ordine rerum a pugna apud
Aegospotamos p. 45).
16*
Digitized by
Google
244 Sitzung der phüos.-phüol. Ciasse vom 4. Februar 1882.
occvto xtX. Dies geschah um die Zeit der Schlacht von
Kyzikos; nicht lange nach dieser gieng Tbrasylos ab: als
die Nachricht von ihr nach Athen kam, schreibt Diodoros
XIII 52, da wurde das ganze Volk von Begeisterung er-
griffen, grossartige Opfer und Feste den Göttern gewidmet,
für den Krieg aber Mannschaften ausgehoben und Schiffe
ausgerüstet, welche man dem Alkibiades zuschickte.
Die Friedensgesandtschaft, welche nach der Schlacht
bei Kyzikos von Sparta nach Athen abgieng, setzt Philo-
choros bei Schol. Eur. Or. 361 unter Arch. Theopompos =
Ol. 92, 2. 411/0; massgebend für die Zeitbestimmung der
Schlacht ist Diodors Angabe, Mindaros habe seine Flotte
ijÖTj tov %ei(xo)vog XiqyovTog (XIII 49) zusammengezogen, um
die Scharte von Abydos auszuwetzen. Dies geschah also spä-
testens Mitte März 410, möglicher Weise schon Ende
Februar zur Zeit des ersten Wiederbeginns der Seefahrt.
Er fuhr von Abydos hinüber gegen Sestos; die attische
Flotte, durch Absendungen bedeutend geschwächt, wich nach
Kardia zurück, wo Alkibiades mit fünf Schiffen eintraf und
auf die Nachricht, dass die Feinde von Abydos nach Kyzi-
kos gefahren seien, die Schiffe nach Sestos zurückgehen Hess.
Als sie dort eben gegen den Feind ausfahren wollten, kamen
Theramenes and Thrasybulos mit 40 Schiffen herau, iü Parion
vereinigte sich die ganze Flotte, Tags darauf kam es zur
Schlacht (Xen. I 1, 11 — 16). Diese mit Müller in den Mai
410 zu setzen, verbietet das Zeugniss Diodors, gegen wel-
ches Müller keinen besseren Einwand vorzubringen weiss,
als dass der Gewährsmann desselben, Ephoros, ein unzuver-
lässiger Gewährsmann sei. Die Schlacht fallt spätestens
Anfang April, frühestens Mitte März; nach ihr folgen Er-
eignisse, welche den Schluss des Kriegsjahres jedenfalls in
den Lauf des Frühlings bringen.
Am Tage nach dieser Schlacht ergab sich Kyzikos den
Athenern; 20 Tage später fuhren sie nach Selymbria; dort
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 245
und in Perinthoa gut empfangen, srflchten sie Chrysopolis
am Bosporus auf, befestigten den Ort und errichteten eine
Zollstätte daselbst; mit der Rückfahrt in den Hellespont,
etwa Ende April oder Anfang Mai, endigen die Bewegungen
der attischen Flotte in diesem Kriegsjahr (Hell. I 1, 19 — 22).
Auf Seiten der Peloponnesier macht die Verlegung einer
Besatzung nach Byzantion den Schluss. Als Agis von De-
keleia aus eine Menge Kornschiffe *) dem Peiraieus zu-
steuern sah, kam er auf den Gedanken, Athen die Zufuhren
aus dem Pontus abzuschneiden ; sein Plan wurde genehmigt
und Klearchos, welcher die Schlacht bei Kyzikos mitgemacht
hatte, mit 15 von Megara, den Boiotern und andern Bundes-
genossen gestellten und bemannten Schiffen ausgeschickt;
drei von ihnen fielen im Hellespont dem attischen Wacht-
geschwader in die Hand, mit den andern erreichte er glück-
lich Byzantion. Jene Kornschiffe, deren Anblick die ange-
gebene Wirkung hervorgebracht hatten, waren ohne Zweifel
die ersten, die seit Winter im Frühjahr aus dem Pontus
zurückkamen, also um Anfang März 410 im Peiraieus aus-
gelaufen und gegen Anfang April wieder angelangt ; ihre
Ausfahrt lässt sich noch einige Tage, ihre Znrückkunft
zwei Wochen früher denken als hier angenommen ist. 2 )
1) nXoTa noXXa aitov I 1, 35, nicht die zur regelmässigen Zeit,
im September kommenden, für welche r« nXota der ständige Ausdruck
ist (JI 1, 17. V 4, 21. Demosth. c. Polycl. 19).
2) Der iiaqiyog nXoog Hesiods op. 676 beginnt mit Arkturs Spät-
aufgang (op. 650), dem bei den Bauern , Seefahrern und Astronomen
(deren Witterungskalender, die Parapegmen, auf den Gebrauch jener
berechnet waren) üblichen Frühlingsanfang; im Text haben wir überall
den modernen, auch den alten Geschichtschreibern gewohnten der Nacht-
gleiche vorausgesetzt. Der sog. scheinbare Spätaufgang des Arktur traf
in Athen damals auf 24. Februar, Boeckh Sonnenkr. p. 96. Plinius hist.
nat. II 122 (vgl. 125) schreibt sogar mit Beziehung auf den 8. Februar:
ver aperit navigantibus maria; Vegetius IV 39 nennt den 10. März
natalis navigationis ; Clodius Tuscus zum 17. März; p£ya nsXayos n%e-
Digitized by
Google
246 Sitzung der phüos.-philol . Classe vom 4. Februar 1882.
Von da bis zur zweiten Woche des Mai bleibt Spielraum
genug für das Unternehmen des Agis.
In den Mai fuhrt den Jahreswechsel Xenophons schon
der Wortlaut von I 2, 1 T(jj de älty etei Idd-rjvdioi fxev
Qoqmov hei%ioav, QqaavXog de %a tb xprjcpio&ivTa nhna
Xaßdiv Y.al nevTaxtaxtliovg tüv vavTwv nekcaotaq Ttoirjod-
/ievog i^€7vlevaev aQ%opievov xov &aqovQ elg Za/xov. Aus der
Corresponsion von Id&rjvaioi (xev mit &qccovXoq de erhellt,
dass beide Unternehmungen zu gleicher Zeit begonnen haben ;
wäre die des Thrasylos erheblich später in's Werk gesetzt
worden, so würde fxev nicht am Platze sein. Zwischen dem
Anfang der Befestigung von Thorikos und der Ausfahrt
des Thrasylos um 16. Mai liegen also nur die wenigen Tage,
welche die Wehrhaftmachung der Schiffsmannschaft weg-
nahm. Jenes (xev — de kann den Begriff der Gleichzeitig-
keit nur dadurch erhalten, dass sich die gemeinsame Be-
stimmung Ttp aXkif) ezei auf einen bestimmten Zeitpunkt,
d. i. auf den Eintritt des neuen Kriegsjahres, nicht auf eine
beliebige Zeit des ganzen Jahres bezieht. Auf diesen aber
werden wir auch durch den Zweck jener Befestigung ge-
führt, welche offenbar, wie auch die Erklärer bemerken,
durch den Plan des Agis veranlasst worden ist: wenn die
Spartaner die Kornschiffe nicht nach Athen lassen wollten,
so konnten sie auch wieder, wie früher schon geschehen,
an der Südostküste Attikas ihnen nachstellen. Der Anfang
jenes Kriegsjahres mag also etwa auf den 9. Mai fallen.
Gegen die Verlegung dieses Jahreswechsels in 409 ent-
stcci. Gegenwärtig befahren die Hydrioten und Spezzioten vom März
an das Meer, Aug. Mommsen griech. Jahreszeiten p. 19; so früh and
noch früher haben natürlich allezeit nur kühne oder dringliche Unter-
nehmungen begonnen. Von Athen bis Olbia lassen sich neun, bis Pan-
tikapaion (von der Istermündung bis zur Sudspitze der Krim geraden
Wegs auf hoher See, Skyl. 68) zwölf Tage Fahrt zählen, auf den bürger-
lichen Tag 1000 Stadien gerechnet.
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 247
scheidet auch der sicilische Synchronismus. Thrasylos lan-
dete, nachdem er drei Tage in Samos verweilt hatte, (um
21. Mai) auf der gegenüberliegenden Küste von Pygela, ver-
wüstete die Gegend, berannte die Mauern und schlug die
Milesier, welche den Einwohnern zu Hülfe gekommen waren ;
Tags darauf fuhr er nach Notion, von da nach Kolophon,
welches zu den Athenern übergieng; in der Nacht machte
er einen Einfall im angrenzenden Lydien d^/id^ovTog xov
aixov (I 2, 4). Am 17. Tage darnach, also Mitte Juni, er-
schien er vor Ephesos und griff die Stadt mit Tages An-
bruch auf zwei Seiten an, erlitt aber eine schwere Nieder-
lage, weil die Uebermacht gegen ihn war : Tissaphernes
hatte der Stadt ein Heer zu Hülfe geschickt und die Mann-
schaft von 27 sicilischen Kriegsschiffen leisteten tapferen
Beistand. Von diesen heisst es I 2, 8 eßo^rjoav — Aal
2VQCCKO01OI di % GL7ZO TÜV 7tQOt€QO)V SlKOOl VBtoV Kdl 01710
kv€Q(ov 7thts, aC etv%ov tote naqayevoixevai (vecoozi rjycovaai
ftetä — Ttiv OTQCtTTjyuiv), xal 2elivovoicu dvo. Im Juni 409
waren die Griechen Siciliens selbst so bedrängt, dass sie
ihre Mannschaften zu Hause dringender brauchten als je.
Im Anfang des Frühlings 409 (Diod. XIII 54, vgl. mit 44
extr.) landete Hannibal mit mehr als 100000 (nach Ephoros
204000) Mann in Lilybaion, vereinigte mit seinem Heere
das der Egestaner und andern Bundesgenossen, rückte vor
Selinus und eroberte binnen drei Monaten (Hell. I 1, 37)
zuerst diese Stadt, dann Himera. Die Selinuntier lagen
schon seit 410 mit Carthago im Krieg, mussten also auf
einen Angriff schon lange gefasst sein und hatten sich auch
nach Unterstützung umgesehen (Diod. XIII 44) ; es ist also
undenkbar, dass sie die zwei Kriegsschiffe mit 400 streit-
baren Männern inzwischen heimzurufen unterlassen oder
gar, was Müller und andere durch Verbindung von aal
2ehvovaiai dvo mit dem Relativsatz in den Text hinein
lesen, im Frühjahr 409 jene erst nach Asien geschickt
Digitized by
Google
248 Sitzung der phüos.-philol . Classe rom x 4. Februar 1882.
hätten. Die unerträgliche Härte, welche an dieser Verbin-
dung auffällt, benutzt Müller, um die seine Zeitrechnung
störenden Worte als ein aus Thukyd. VIII 26 xcu 2eXi-
vovvriai ovo eingedrungenes Glossem zu streichen ; näher
hätte es doch gelegen, eine so unpassende Construction gar
nicht anzunehmen : xcci JSeXtvovoiai, ovo gehört za ißorjdrjOav
xal Suqcckooioi, die anakoluthische Veränderung im Aus-
druck des Subjects entschuldigt und erklärt sich aus dem
Dazwischentritt und der Anziehungskraft der Parenthese.
Die Erwähnung der Selinuntier ist, wie Riemann, qua ra-
tione Hellenicon textus restituendus sit, diss. Paris 1879,
bemerkt, wegen § 10 Selivovoioig di unentbehrlich und
Müller scheint dies selbst gefühlt zu haben, da er, noch den
zweiten Vorschlag macht, xal 2ekivovaioi zu schreiben.
Dieser ist freilich schon aus äusseren Gründen wenig ein-
leuchtend und hat auch bei Niemand Beifäll gefunden ; sach-
lich aber kommt es auf dasselbe heraus, ob man mit Müller
und den meisten Erklärern die zwei im J. 412 gekommenen
Schiffe der Selinuntier bei Kyzikos untergegangen und
bloss die Mannschaft, oder (was das Richtige ist) auch die
Schiffe in Ephesos anwesend denkt: Thatsache ist, dass im
Juni bei Ephesos die Mannschaft den Ephesern hilft ; das
kann aber wegen der sicilischen Vorgänge nur 410, nicht
409, geschehen sein. 1 )
1) Im Text ist vielleicht mit Riemann at nach xai einzusetzen.
Schenkl in Bursians Jahresb. 1879. XVII 9 hält die Stelle für lücken-
haft, lässt aber die Möglichkeit zu, dass die zwei Schiffe während der
Schlacht von Kyzikos irgendwohin detachirt waren und so dem Ver-
derben, welches alle andern betraf, entgiengen. Letzteres ist wahrschein-
lich der Fall gewesen. Alle von Mindaros bei Kyzikos befehligten Schiffe
giengen verloren (Xen. I 1, 18. Diod. XIII 51. Plut. Ale. 28); wären
die von Selinus dabei gewesen, so müsste man mit Kurz annehmen, dass
sie gleich den peloponnesischen und syrakusischen durch den Neubau in
Antandros ei setzt worden seien (Xen. I 1, 24 f.); dass Pharnabazos sie
allein von der Wohlthat der Holzanweisung ausgeschlossen habe, wäre
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseihe in Xenophons Hellenika. 249
Die Selinuntier wurden 410 von den Egestanern, wel-
chen Cartbago punische und campanische Hölfstruppen ge-
schickt hatte, geschlagen ; sie wandten sich dann nach Syra-
kus mit der Bitte um Beistand, die Egestaner baten in Car-
thago um weitere Verstärkungen. Hier fasste man nun den
Plan, die Griechen aus der ganzen Insel zu jagen und rüs-
tete desswegen 'den Sommer und den darauffolgenden Winter
hindurch 1 , Diod. XIII 44. Selbstverständlich werden die
Selinuntier, als sie sich nach fremder Hülfe umsahen, nicht
die Absicht gehabt haben, noch länger die Peloponnesier
mit 400 streitbaren Männern, die sie jetzt selbst dringend be-
durften, zu unterstützen : die Botschaft, welche diese zurück-
rief, ist wohl gleichzeitig mit der nach Syrakus bestimmten
abgegangen, nach der eben citirten Angabe zu schliessen
zwischen Mai und Juli 410. Daraus erklärt sich eine auf-
unbegreiflich. Es ist aber nirgends zu lesen, dass Mindaros sammtliche
verfügbare Schiffe zu der Unternehmung, welche so unglücklich ausfiel,
genommen: vielmehr erhellt aus Diodoros, welcher XIII 45 ihm zuerst
84, dem Dorieus 13 Schiffe zuweist und die Summe nach der Vereinig-
ung beider ausdrucklich auf 97 angibt, dass nach dem Verlust von 30
Schiffen in der Schlacht bei Abydos (Xen. I 1, 1. Plut. Ale. 27) ihm
noch 67 geblieben sind; diese erreichten aber vor der Schlacht von
Kyzikos durch Nachschub mindestens die frühere Zahl von 97, Diod.
XIII 49 ix T€ ttjg TIeXoTtovvriaov noXkctt nagfyevr^d-riaav xccl rtccQa t<ov
SXkiov ofAoiiüs. Wenn also bei Kyzikos 60 (Xen I 1, 11) oder 80 (Diod.
XIII 50) untergegangen sind, so war damit nicht die ganze Flotte ver-
nichtet; vielmehr behaupteten sich bezeugter Massen noch namhafte
Ueberbleibsel in den Gewässern ausserhalb des Hellespont unmittelbar
nach der Schlacht, Plut. Ale. 28 ov povov tov 'EMfanovzov dxov
ßtßaiiüg (ol *4&rjvatoi) aXXä xcci xrjg ixXkvig ^aXänaijg ij-ylctaccv tovg
AccxeSatfxoviovg, Mindaros glaubte noch bei Beginn derselben nur die
40 Schiffe sich gegenüber zu haben, welche bei Eröffnung des Unter-
nehmens in Sestos gestanden waren; gegen diese genügten 60 vollauf
und eben daraus, dass er die Zeit vor dem Wiedereintreffen der andern
aus Makedonien benützen wollte, erklärt sich sein früher Aufbruch noch
vor Ende des Winters.
Digitized by
Google
250 Sitzung der phüos.-pMol. Classe vom 4. Februar 1882.
fallende Uebergehung bei Xenophon. Nach der Niederlage
vod Ephesos bat Thrasylos um die Leichen der 400 ge-
fallenen Athener und fuhr nach Notion, wo sie beerdigt
wurden; in Methymna, wohin er sich von da begab, sah
er die 25 syrakusischen Schiffe von Ephesos heransegeln:
er griff sie an, nahm vier weg und jagte die andern zurück
(I 1, 12). Die Nichterwähnung der zwei selinuntischen
Schiffe an dieser Stelle wird als ein Beweis der angeblichen
Unächtheit von %al lelivovaiai dvo angesehen ; sie erklärt
sich vielmehr daraus, dass jene inzwischen den Heimruf er-
halten und befolgt hatten.
Die Unmöglichkeit, die Schlacht von Ephesos in das
J. 409 zu verlegen, geht ferner aus Xenophons Mittheilung
von der Mitwirkung der syrakusischen Mannschaft und von
der kurz zuvor erfolgten Zusendung fünf neuer Schiffe her-
vor. Als Hannibal Ende März 409 in Lilybaion landete,
meldeten das die Selinuntier sogleich nach Syrakus und
baten um Hülfe (XIII 54) ; dort Hess man auf sich warten,
zunächst wegen eines Krieges mit den Chalkidiern, als man
aber dann auf die Nachricht von der Belagerung diesen
beilegte und (der ebenso undankbaren wie grausamen Be-
handlung, welche das eroberte Selinus erfahren sollte, nicht
gewärtig) grosse jedoch zeitraubende Rüstungen machte,
unterlag die Stadt, ehe sie fertig waren. Entweder im Zu-
sammenhang mit diesen Vorbereitungen oder (wie Müller
p. 46 annimmt) nach dem Fall von Selinus, jedenfalls spä-
testens bei Beginn der andern Belagerung haben die Syra-
kuser ihre Schiffe zurückgerufen : denn der Angriff auf das
an dem Kriege zwischen Egesta und Selinus gar nicht be-
theiligt gewesene Himera musste auch den Kurzsichtigsten
über die Absichten Hannibals die Augen öffnen. Ueber die
Zeit der Rückkehr des Geschwaders besitzen wir das be-
stimmte Zeugniss Diodors XIII 54, nach welchem sie in den
letzten Tagen der Belagerung Himeras erfolgte ; dieses zu be-
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 251
mangeln hat Müller p. 46 um so weniger Grund, als es ja
mit seiner eigenen Ansiebt von der Zeit des Heimrufes
stimmt und das Einzige, was er daran auszusetzen hat, der
Vorwurf, dass Diodor so spreche als hätten die Sikelioten
damals bloss jene 25 Schiffe besessen, ist erstens, wie der
Wortlaut üav€7tXevoctv 7tqog zrjv c lf.Uqav rcevze itqdg zalg
BLTLOÖL TQirjQBig TKXQCC ZCJV 2lXeXlO)ZWV, (XQ TtQOTBQOV flSV (X7te-
ozdXxeioav zaig ^iaxedaifxovioLg inl Gv\i[iaylav zoze (f dve-
OTQeipav and zijg ozQctzelag lehrt, völlig unbegründet, zwei-
tens aber ändert er gar nichts an der gemeldeten Thatsache
selbst. Da Himera nach Müllers eigner, zutreffender Rech-
nung im Juni 409 erobert worden ist und damals die Schiffe
schon zurückgekehrt waren, so können diese nicht wohl ein
Gefecht Mitte dieses Monats bei Ephesos mitgemacht haben,
jedenfalls aber nicht im Juli 409 oder noch später bei Me-
thymna geschlagen worden sein. 1 ) Diodors Zeugniss wird
überdies durch ein zweites, von M. hier nicht berücksich-
tigtes bestätigt, Justin. V 4 Syracusanorum auxilia inlatum
a Carthaginiensibus Siciliae bellum domum revoeavit; es
setzt voraus, dass die Heimberufung der Schiffe spätestens
beim Anfang der Belagerung von Gela ergangen ist.
Nach alle dem wird man das Gewicht eines Zeugnisses,
des einzigen, welches für die Dodwellsche Anordnung der
Jahre spricht, nicht sonderlich hoch anzuschlagen brauchen.
Dionysios v. Halik. über Lysias 21 Jiodozog, etg zwv pezä
GqaavXXov KazaXeyevzwv iv zqi neXo/tovvrjaiaii^ noXe^,
(xeXXiov ixnXeiv eig zrjv Idoiav eni rXccvKiTtnov aq^ovzog
1) Xen. I 2, 10 inst ij noXig anujXojXei bezieht Müller unrichtig
auf die Zeit zwischen den Schlachten von Ephesos und Methymna ; wenn
Ende Juni 409, wie er dem entsprechend annimmt, die Nachricht von
dem Falle der Stadt Selinus nach Ephesos gekommen wäre, so würde
ja die Fahrt der Abgesandten, welche dieselbe überbrachten und die
Schiffe heimriefen, so lange gedauert haben wie die ganze Belagerung
von Himera.
Digitized by
Google
252 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Februar 1882.
e'xcov vr t 7iia naidia öia^rjuag hiorqoaTO setzt die Ausfahrt
des Thrasylos Ol. 92, 3. 410/09, wodurch sie in den Mai 409
zu stehen käme. Diodotos fand in der Schlacht bei Ephesos
den Tod , sein Bruder aber , den er für diesen Fall zum
Vormund bestimmt hatte / , bestahl , nachdem er eine Zeit
lang den Todesfall verheimlicht hatte, acht Jahre lang die
Hinterbliebenen um ihr Vermögen. Diese acht Jahre spielen
eine Hauptrolle in der Rede, in den von Dionysios aufbe-
wahrten Fragmenten werden sie dreimal erwähnt (c. 25;
zweimal c. 27) ; das erste beginnt mit der Mittheilung des
Todes an die Familie, c. 25 inei de rqt XQ° V V idriXwoe %6v
xtavatov atTÖlg xai Inoirfiav %a vofAi^Ofieva, xov f.iev nq&tov
eviavTÖv ev IletQaiei diyxojvxo. Diese geschah um die Zeit, da
Glaukippos ins Amt trat (14. Juli 410); vielleicht hat also
Lysias an einer andern Stelle jenes erste Jahr nach Glaukippos
benannt und Dionysios ihr seine Datirung entlehnt.
Im Winter nach den Kämpfen des Thrasylos kam Kory-
phasion wieder in den Besitz der Spartaner, Hell. I 2, 18;
nachdem es seit Mai 425 15 Jahre lang in Feindeshand
gewesen, Diod. XIII 64 j4axedcuf.i6vioi iyxQateig eyivovro
Ttjg TIvXov TtevTeKccidewx errj tcSv l4&r)vaiwv avTr\v ytccTe-
0%r]>t6Tü)v dcp' ozov Jrjfioad-evrjg avTr^v krteteixioe; also im
Winter 410|09, nicht 409|8. Aus der dritten Prytanie des
Glaukipposjahres (22, Sept. — 6. Nov. 410) wird eine Zahl-
ung an den dortigen Befehlshaber erwähnt, CIA I 188;
dass nur wenige Monate später der Hunger die Uebergabe
habe herbeiführen können, findet Müller p. 44 unwahrschein-
lich; wir meinen aber, dass 4 — 5 Monate dazu vollständig
ausreichen konnten , auch war nur die Knappheit , nicht
völliges Ausgehen der Lebensmittel der Beweggrund, in Ver-
bindung mit der Unfähigkeit, bei karger Nahrung und täg-
licher Verminderung der Kampffähigen gegen den unaus-
gesetzten Ansturm der Belagerer den Ort zu halten, Diod.
a. a. O. ft^XQ 1 H& fivog ovxuxov TtQOodoxtovteg naqa tcov
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 253
jlcMEdaiixovlwv ßoq&eiav • cog ö'ol fxev 7toki\xioi rag tvqoo-
ßoXag ex öiaöox^g €7voiovvTO y tüv de Idiwv oi fxev in twv
TQav/ndvcjv ärte&vyoxov ol <T«c Trjg oirodeiag xaxcog anr\k-
hxTxov , V7t6ortovdoi tov totiov i^ehnov. Waren die Vor-
räthe schon völlig zu Ende gewesen, so kam auf die übrigen
Verhältnisse nichts mehr an. Der andere Einwand Müllers
gegen Haacke, dass es nicht begreiflich sei, woher die Spar-
taner sechs Monate nach der Schlacht von Kyzikos die Kraft
und den Muth genommen haben , Pylos zu Wasser und zu
Land zu belagern, ist von geringer Bedeutung: der Haupt-
angriff geschah auf der Land seit e und ein attisches Ge-
schwader hat sich, wie aus Diodors Darstellung hervorgeht,
nicht sehen lassen.
I 3, 1: 409.
Bei der Gesandtschaft beider kriegführenden Parteien,
die zu Beginn der Belagerung von Byzantion die Reise zum
Grosskönig antrat, befand sich laut Hell. I 3, 13 auch der
frühere Feldherr der Syrakuser, Hermokrates, welcher, zur
Zeit der Schlacht von Kyzikos geächtet, auf Bitten des Heers
den Befehl bis zum Eintreffen der neuen Heerführer be-
halten (I 1, 27 — 29), dann aber sich unter den Schutz des
Pharnabazos gestellt hatte (I 1, 31); während des Winter-
aufenthalts bei diesem in Gordion erfuhren die Gesandten
den Fall von Byzantion (I 4, 2); als sie mit Frühlings
Anfang weiter reisten, stiessen sie auf eine von Susa zurück-
kommende spartanische Gesandtschaft und zugleich auf den
eben die Statthalterschaft antretenden Kyros, welcher die
attischen Botschafter festhielt (I 4, 5). Von den andern
Theilnehmern der gemischten Botschaft meldet Xenophon
nichts; da aber ihr Zweck sowohl durch das Vorgehen des
Kyros als durch die Nachrichten, welche die Spartaner vom
Hofe brachten, vereitelt war, so muss angenommen werden,
Digitized by
Google
254 Sitzung der philos.~phüol. Classe vom 4. Februar 1882.
dass sie sich aufgelöst hat. Bei Dodwells Anordnung fallt
der Anfang der Gesandtschaftsreise und der Belagerung von
Byzantion in das Spätjahr 408, und ihr Abbruch in den
Frühling 407 ; aber seit Sommer oder Herbst 408 finden
wir Hermokrates bereits in Sicilien mit dem Unternehmen
beschäftigt, seine Aufnahme in Syrakus zu erzwingen (Diod.
XIII 63) : dazu passt bloss Haackes Jahrvertheilnng , bei
welcher die Gesandtschaftsreise desselben 409—408 statt-
findet. Müller p. 51 nimmt mit Schneider an, Hermokrates
sei schon vor der Belagerung Byzantions Mitte 409 in Si-
cilien angekommen , habe das bei Diodor XIII 63 und 75
bis zur Verbannung des Diokles Erzählte bis Herbst 409
vollbracht, im Frühling 408 Hellas wieder aufgesucht und
an der Gesandtschaft sich 408/7 betheiligt ; nach ihrer Auf-
lösung sei er im Frühling 407 zum zweiten Mal nach Si-
cilien gegangen und dort im Herbst 407 gefallen. Aber
schon die XIII 63 geschilderten Ereignisse nehmen mindestens
ein Vierteljahr weg und enden mit dem Schlnss der Jahres-
geschichte, welcher den Eintritt der rauhen Jahreszeit an-
zuzeigen scheint (TtaQeOKevd^ero Ttqoq tr\v avxov nd&odov
imineXtoQ, eldwg tovq dvTiTtoXizevofxevavg dvTi7vqd^ovTag).
Erst im Laufe der nächsten Jahresgeschichte kommt es
zum Sturz seines Hauptgegners, des Diokles; als er trotz-
dem in Syrakus nicht eingelassen wurde, gieng er nach
Selinus zurück ; nach einiger Zeit (perd xiva xqovov XIII 75)
rückte er, von seinen Anhängern gerufen wieder vor Syrakus
und fand dort im Kampfe den Tod. Eine Entfernung des
Hermokrates in der Zwischenzeit, noch dazu eine so lange
von einem Jahre und darüber, hätte Diodor nicht wohl
übersehen können, am allerwenigsten wenn mit ihr die
Gesandtschaftsreise verbunden war, und sie lässt sich auch
nirgends einschieben; daher haben die Bearbeiter der Ge-
schichte Siciliens diese Annahme einhellig verworfen, vgl.
Digitized by
Google
ünger: Die histor. Glosseme in Xenophons HelleniJca. 255
Völkerling de rebus Siculis 1868 p. 58; Holm II 424;
Meltzer Gesch. d. Karth. I 264. *)
I 4, 2 : 408.
Als die oben erwähnte gemischte Gesandtschaft nach
dem Winteraufenthalt, den sie mit Pharnabazos in Gordion
genommen, im Anfang des Frühlings {aqxofÄävov xov mQog
I 4, 2) die Reise fortsetzte, begegnete ihr Kyros und nötjiigte
den Satrapen, die Athener festzunehmen ; erst drei volle Jahre
darnach (§ 7 eneidri iviavrol tqbiq r t aav) bewog Pharna-
bazos jenen ihre Entlassung zu gestatten , sie wurden von
Ariobarzanes nach Kios geleitet, von wo sie zum attischen
Heer fuhren. Vom Frühling 407, an welchen Dodwell bei
aq%oii£vov %ov eagog denkt,, , würden die drei Jahre in 404
führen; aber seit dem Herbst 405 gab es kein attisches
Heer ausserhalb des Landes. Die Ausflucht Müllers p. 30,
diese Gesandtschaft sei nicht aus dem Lager des Alkibiades
sondern aus Athen gekommen, hat Breitenbach p. 62 wider-
legt; Müller verdächtigt aber auch die Worte eTteidrj — rjoav,
weil der Beweggrund, welchen Kyros zur Festnahme der
Gesandten hatte (§ 5 ßovkopevog tovg Zi&rjvatovg fxrj elöevai
xa TtgaTTOfACva) , nach Jahresfrist schon hinfällig gewesen
sein würde. Wie freilich jemand auf den Gedanken ge-
kommen sein soll, diesen Satz einzuschieben, und was vor-
her an seiner Stelle gestanden hat, gibt er nicht an. Nitsche
ZGW. 1873 p. 946 kommt ihm zu Hülfe, indem er iv
1) Diodor folgt XIII 63 (und 75) nicht mehr dem c. 54—62 in
der Geschichte der Belagerungen von Selinus und Himera benutzten
Timaios. Dieser hatte die Zahl der in Asien gewesenen Schiffe auf 25
angegeben (c. 61, die vier bei Methymna verlorenen waren also dank
der Unterstützung des Pharnabazos durch neugebaute ersetzt worden),
dagegen c. 63 sind ihrer wie c. 34 eilf mehr. Diese andere Quelle ist
wahrscheinlich Ephoros ; daraus und aus der Verbindung zweier Quellen
mit verschiedener Zeitrechnung erklärt sich der Anachronismus Diodors,
welcher c. 63 und 75 um ein Jahr zu früh datirt, vgl. Philol. XL 54 ff.
Digitized by
Google
256 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Februar 1882.
'iXov&ig statt eviavzoi Tqeig zu schreiben vorschlägt. Der
vorausgehende Gegensatz (Daovdßa&g rewg fiev v.axü%e
rovg 7TQeoßeig, cpdoKcov toie ftev dvd^eiv avxovg naqd ßaailea
Tote de owaäe a7ton:ejLHpeiv wg /Atjäev ^e^rprjzai erfordert
jedoch eine Zeitbestimmung wie sie in ejteiöri de eviavzoi
zqelg tjGav, iderj&t] zov Kiqov zum Gedanken passend und
dem Sprachgebrauch Xenophons (vgl. z. B. II 1, 25 nqlv
de r^xeqag dexa yeveod-ai) angemessen vorliegt; durch die
Ortsangabe wird die Stelle ganz unverständlich und Nitsche
hat es unterlassen, seine Conjectur zu erklären. Der Ort,
wo Pharnabazos die Gesandten festhielt, kann Iluza nicht
gewesen sein, weil es zur Statthalterschaft des Kyros ge-
hörte; auch würde dann kein Gegensatz vorhanden sein,
weil die Internirung im Gebiet des Pharnabazos schon im
ersten Glied (zecog fiev xazeixe) ausgesprochen und ein
Wechsel ihres Aufenthaltes nicht angegeben ist. Der Leser
findet überhaupt nicht, welches Subject zu r^oav gedacht
werden soll : ist nicht ol jrqeaßeig sondern Kvqog xat ®ccq-
vdßa^og nach Nitsches Ansicht zu ergänzen, so vermisst
man eine Aufklärung über Anlass und Zeit dieser neuen
Zusammenkunft; an einen Besuch des Ortes bei der Fort-
setzung der damaligen Reise des Kyros zu denken würde
wenig Wahrscheinlichkeit haben, weil Ilaza fern von Gordion
und der dort nach Susa führenden Strasse im Südwesten
Grossphrygiens an der lydischen Grenze lag, l ) wohin ihn
Pharnabazos schwerlich begleitet hat. Die Gesandten waren
1) Iluza wird als Stadt von Phrygia Pacatiana (auch Karophrygia
genannt, der westliche Theil Grossphrygiens) im Synekdemos des Hiero-
kles e. 22 und in den Listen der Bischofsitze angeführt, welche den
Namen zum Theil Eluza schreiben (8, 411. 9, 321 Iluza; 10, 434. 13,
284 Eluza; 3, 321 Elaza, s. Parthey's Hierocles); überall erscheint es
in der Umgebung von Städten der südwestlichen Gegend. Dadurch wird
die Vermuthung Mannerts bestätigt, welcher es mit Aludda, zwischen
Akmonion und dem lydischen Philadelpheia, von diesem 65, von jenem
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons HeTlenika. 257
in der Satrapie desselben, im hellespontischen Phrygien
internirt, aber die Verfügung über sie stand bei Kyros;
dieser kümmerte sich in Sardes wenig um ihr Schicksal,
Hess sie wohl gar absichtlich schmachten: vor der Heim-
reise, welche er im Sommer 405 antrat, mag er eine Zu-
sammenkunft mit Pharnabazos gehabt haben und bei dieser
Gelegenheit von jenem an sie erinnert worden sein.
Ein Scholion zu Aristot. eth. V, veröffentlicht von
Bywater im Hermes V 82, verbessert von Usener NJbb.
CHI 316 enthält zwei neue Fragmente der Atthis des
Androtion : c Evxrrjiicov Kvdad-rjvfuevg . snl tovtov 7vqeoßeig
rjX&ov and yLa%t8ai[iovog Id^vaQt MeyeXXog xai "Evdiog
xal OiXoxccQidag .* xal STtdyei c rwv de 7ceQiyevo[.i€va)v QTtedooav
(xvav vtczq exdoTOv Xaßovxeg. ixqourctov yaQ yv, oxi tovto
gvvz&evto vTteQ tcov dXioxofxevwv. Euktemon trat am 2 1 . Juli
408 ins Amt; bald nachher erschienen die Gesandten, denn
der Vorgang ist der erste in der Jahresgeschichte. Während
die nach der Schlacht von Kyzikos erschienene Gesandt-
schaft Austausch der Gefangenen beantragt hatte (Diod.
XIII 52 ßovX6fA.E&a tüjv alxiiaXtbxtov XvxqovvTEg avd-' 1 svog
l4&r]vaiov Xaßelv eva Ad%tova\ wird hier bloss von Lösegeld
gesprochen: nur die Athener waren demnach im Besitz von
Gefangenen. Diese werden als Ueberlebende bezeichnet:
also hatte auch eine namhafte Zahl im Kampfe den Tod
gefunden. Beides setzt eine grosse Niederlage der Pelo-
ponnesier voraus , welche nicht lange vorher stattgefunden
hatte; bei Dodwells Anordnung findet man aber kein hieher
passendes Ereigniss seit jener früheren Botschaft : vier syra-
kusische Schiffe sammt der Mannschaft wurden (409 Dodw.)
bei Methymna weggenommen, aber diese entrann im nächsten
25 röm. Milien entfernt, identificirt : neben Iluza und Elnza kann auch
die Aussprache Aluza bestanden haben und <5<5 tritt auch im Aiolischen
für t ein.
[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 17
Digitized by
Google
258 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Februar 1662.
Winter aus der Gefangenschaft (I 2, 14); der Harmost von
Chalkedon fand (Frühj. 408 Dodw.) mit einem Theil seiner
Leute bei einem Ausfall den Tod, die anderen retteten
sich in die Stadt (I 3, 7. Diod. XIII 66. Plut. Ale. 30).
In der ganzen Geschichte dieser Zeit gibt es keinen Vor-
gang, auf welchen Androtions Angaben passen als die Erober-
ung von Byzantion, geschehen im Anfang 408 nach Haacke,
407 nach Dodwell. Die Besatzung bestand nach Plut. Ale. 3 1
aus Peloponnesiern, Boiotern und Megarern; die Peloponnesier
aber waren ausschliesslich Lakedaimonier, Xen. I 3, 15 neqioi-
Y.wv tiveg xai xwv vsoöa/Koöaiv ov itolXoL Es war die Mann-
schaft der zwölf Schiffe, welche Klearchos im Auftrag des
Agis nach Byzantion gebracht hatte. Auch wenn, was
nicht mit Sicherheit aus I 1, 35 zu ersehen ist, die (kleinere)
Hälfte derselben nach Chalkedon gelegt worden war, ver-
blieben für Byzantion 1500 — 2000 Mann, von welchen nach
I 1, 35 vewv aTqaTi(j)xiöo)v fxailov i) Tcc%eid)v ein guter Theil
aus Hopliten bestand. Nach Diodor XIII 67 , aus dessen
Bericht sich die Abweichungen Xenophons und Plutarchs
von einander und von ihm erklären lassen, lieferte die eine
Hälfte der Besatzung den durch Verrath eingedrungenen
Athenern eine Schlacht, in welcher sie zum grössten Theil
aufgerieben, der Rest aber gefangen genommen wurde: die
Zahl desselben gibt Plut. Ale. 31 rovg 7ceQiyevofxevovg oaov
TQiaxooiovg £c5vtccq elaße; bei Diod. XIII 67 ol rtSQiXei-
q)&€vteg elg 7tevTaxoolovg xccTeqwyov 7tqog Tovg ev xoig leqoig
ßwfÄOvg sind die gefangenen Byzantier (die spartanisch ge-
sinnten hatten sich , was wir bloss aus Diodor erfahren,
an diesem Kampf betheiligt) eingezählt, welchen nachher
die Freiheit geschenkt wurde. Nachher ergab sich auch die
andere Hälfte der Besatzung (zum grössten Theil wohl in
der eigentlichen Schiffsmannschaft bestehend), welche während
des Kampfes die Schiffe im Hafen gehütet hatte. Somit
mögen etwa 450 — 700 gefallen, 1000—1700 in Gefangen-
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenopkons Hellenika. 259
schaft gerathen sein. Diese wurden sogleich nach Athen
geschickt; eine grosse Menge anderer brachte Alkibiades
im Juni mit (Diod. XIII 68); die Summe aller Pelopon-
nesier, welche während seiner Heerführung als Gefangene
nach Athen kamen, betrug nicht weniger als 5000 (Athen.
Xn 49).
I 5, 11: 407.
Nach den eleusinischen Mysterien, also Ende Boedro-
mion (September) hob Alkibiades 1500 Hopliten und 150
Reiter aus und fuhr mit 100 Schiffen gegen Andros. Die
Andrier wurden im Feld geschlagen, dann eingeschlossen;
wenige Tage später segelte er nach Samos und führte von
dort aus den Krieg (xäxei&ev OQfxcofxevog irtolefiei I 4, 23).
Daraus, dass Xenophons Erzählung hier zu den Unterneh-
mungen der Peloponnesier übergeht (I 5, 1 ff.) und aus der
späten Jahreszeit, in welcher Alkibiades ausfuhr, ist zu
schliessen, dass jetzt der Winter eingebrochen war. Die
Lakedaimonier aber, fährt X. I 5, 1 fort, hatten nicht lange
vorher, weil die Nauarchie des Kratesippidas abgelaufen
war, den Lysandros als Nauarchen ausgeschickt (rtQOTeqov
tovtwv ov 7toÄfo$ %qov(j) e&rtefiipav). Bei Dodwells Anord-
nung wäre Lysandros im Herbst des J. 407 dem Krate-
sippidas nachgefolgt, also nur ein halbes Jahr Nauarch ge-
wesen : denn von I 6, 1 t<$ & ZTtiovii vtu ^ivodvÖQip rtccQe-
hrjlv&orog rjdr) rov xqovov S7tefxxpav KaXkvKQaxiöav steht die
Zeit (406) fest. Die Nauarchie dauerte, wie allgemein und
mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen wird, mindestens
ein Jahr, unter Umständen auch l*/2, 2 und mehr; selbst
angenommen aber, es habe kein festes Minimum ihrer Dauer
bestanden, so würde man doch einen Nauarchen nicht bloss
für die rauhe Jahreszeit gewählt haben, in welcher er seine
Tüchtigkeit gar nicht bewähren konnte. Müller bezieht
daher jenes ttqotbqov tovtwv ov TtoXfop xqovw auf alles von
17*
Digitized by
Google
260 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 4. Februar 1882.
§ 20 an Erzählte, d. i. auf die ganze seit der Ankunft des
Alkibiades in Athen (25. Thargelion, Mitte Juni) verlaufene
Zeit und lässt den Wechsel der Nauarchie mit dem Früh-
ling 407 eintreten, so dass sie Lysandros ein volles Jahr
bekleidet hätte. Aber tovtmv muss jedenfalls auf den letzten
vorhergenannten Vorgang, die Ankunft des Alkibiades in
Samos bezogen werden: auch wenn man die nächstvorher-
gegangenen dazu nimmt, bleibt doch jene der Hauptgegen-
stand der zeitlichen Vergleichong: von einem im Frühling
geschehenen Vorgang aber konnte in einer analistischen
Erzählung nicht gesagt werden, dass es nicht lange vor
einem Ereigniss des Octobers stattgefunden habe.
Als ein Jahresamt scheint die Nauarchie denselben
Normalanfang gehabt zu haben wie die andern Jahresämter
der Spartaner, nämlich das Kalenderneujahr im Herbst *),
entsprechend dem attischen 1. Pyanopsion, was mit Dod-
well, Haacke u. a. auch Beloch Rh. Mus. XXXIV 117 ff.
annimmt; wollte man die Dauer verlängern, so wurde wahr-
scheinlich ein Kalenderhalbjahr oder mehrere hinzugefügt.
In unserem Falle bekleidet demnach Lysandros die Nau-
archie vom 1. Pyanopsion (Herbst 408) bis 1. Munychion
(Frühling 406) attischer Benennung. Er kam nach Rhodos,
nahm dort Schiffe, mit welchen er nach Kos und Miletos,
dann nach Ephesos fuhr, wo er verweilte, bis Kyros in
Sardes anlangte. Dieser war im Frühjahr auf dem Weg
zwischen Susa und Gordion mit den griechischen Gesandten
zusammengetroffen : da er ausser Lydien auch Grossphrygien
und Kappadokien zu verwalten hatte, so musste es ihm
nahe liegen, die Gelegenheit der Durchreise gleich zur Be-
sichtigung seiner Provinzen zu benützen, Audienzen zu er-
theilen, persönliche und sachliche Aenderungen zu treffen;
1) Dass es dem makedonischen, nicht dem attischen Neujahr ent-
sprach, wird Philol. XL 91 gezeigt.
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 261
es ist daher keineswegs auffallend, wenn er erst im Herbst
Sardes erreicht. Nachdem .Lysandros von Sardes zurück-
gekehrt war, Hess er die Schiffe an's Land ziehen und hielt
längere Rast, während die Schiffe trockneten und ausge-
bessert worden, I 5, 10 dvelxvoag tag sv ^Ecpaott) vccvg r\ov-
Xiccv rjyev, S7tiOHevd£wv xal dvaxpv%o)v ccvTccg. In diesen
Worten ist, wie Breitenbach erkannt hat, der Uebergang
zur Winterruhe 408(7 angedeutet und der Eintritt in die
gute Zeit des J. 407 daher nicht I 5, 1, wie früher ange-
nommen wurde, sondern I 5, 11 zu suchen, wo Xenophon
die Erzählung von den Unternehmungen des Alkibiades
wieder aufnimmt.
Die Jahrepoche.
Für die Zeit nach dem peloponnesischen Krieg legt
Xenophon Naturjahre zu Grund, beginnend wie bei Hero-
dotos Hieronymos Timaios Duris und andern Geschicht-
schreibern mit Frühlings Anfang. Zwischen dem Winter-
feldzug des Epameinondas in Lakonien und der Botschaft,
welche die Spartaner im Frühjahr 369 nach Ablauf des-
selben an die Athener sandten, liegt ihm der Jahreswechsel,
VII 1,1 r$ de toTSQcp erei Acwedcufiovioi rtQsoßeig fy&ov
Id&ipoOCp. Dass dieser genau auf den Eintritt des Frühlings
fiel, lehrt die Vergleichung von V 4, 63 elg vag Qrißag ovk
spßeßltjxortov tüv TtoXegÄLCov ovt sv tp KXeofißQOzog r^ye Tiijv
avqaxidv srei ovx sv tp Tipod-eog Ttsqisrcksvos. Das erste
der hier genaunten zwei Jahre trifft auf 376: in seinen
Lauf fiel nicht bloss der ganze Feldzug des Kleombrotos,
sondern laut § 61 auch die Schlacht von Naxos, welche
nach Plut. Phok. 6 am 16. Boedromion (9. Oktober 376)
stattfand ; von der Zeit aber, in welcher Kleombrotos aus-
zog, heisst es § 59 eaq ijzscpaive. Der grosse Seezug, auf
welchem Timotheos die Akarnanen, Kephallenen, Kerkyraier
und andere Völker am ionischen Meere gewann, nahm wahr-
Digitized by
Google
262 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 4. Februar 1882.
scheinlich den grossten Theil der guten Jahreszeit von
375 weg.
Hätte Xenophon auch in der Geschichte des pelopon-
nesischen Krieges das Jahr mit Frühlings Anfang begonnen,
so wäre es demnach fraglich, ob er nicht auch dort nach
Naturjahren rechnet ; erst durch den Nachweis, dass er dort
erheblich später anfangt, erhält die herkömmliche Annahme,
dass er die Anfangsepoche jenes Krieges zu Grunde legt,
ihre Berechtigung. Geliefert ist derselbe im Obigen für
den Wechsel von 410, welcher laut I 2, 1 in die erste
Hälfte des Mai fallt; die späteren Jahranfänge sind durch
keine Zeitangabe näher bestimmt, ausgenommen den letzten.
Dieser tritt II, 3, 1 nach der Uebergabe Athens (II 2, 23)
und vor der Wahl der Dreissig ein, also nach 16. Muny-
chion, dem Datum der Uebergabe (Plut. Lys. 15), welches
dem 25. April 404 entspricht. 1 ) Ferner wird II 3, 9—10
das Ende des Krieges in den Ausgang des Sommers (tsIsv-
riovrog %ov &sqovs), 27 Jahre 6 Monate nach seinem Aus-
bruch und unter den Ephoren Endios gesetzt. Da dieser
erst (am 4.) Oktober 404 das Amt angetreten hat, so ist,
wie Em. Müller erkannt hat, unter &€Qog hier nicht der
eigentliche Sommer zu verstehen, auf welchen mit Arkturs
Frühaufgang Mitte Septembers (zu Athen im J. 432 am
18. Sept., Boeckh Sonnenkr. p. 84) der Herbst folgt; eben-
desswegen und weil die sechs Monate erst nach dem 25. April
anheben, kann auch nicht an die Zweitheilung des Jahres
bei Thukydides gedacht werden, in welcher die Herbstnacht-
1) Die im Text gegebenen ßeductionen auf julianische Jahre lassen
eine Fehlerweite von 1 — 2 Tagen auf oder ab zu; ihre Rechtfertigung
s. Attischer Kalender, Akad. Sitzangsb. 1875. II 1 ff. und Att. Schalt-
kreis, Philol. XXXIX 512 ff. Wer die dort begründete, im Wesent-
lichen schon von Boeckh aufgestellte Annahme, dass zwischen 423 und
421 ein Schaltmonat ausgemerzt worden ist, verwerfen wollte, würde gar
den 24. Mai oder einen benachbarten Tag statt des 25. April erhalten.
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 263
gleiche die Grenze zwischen Sommer und Winter bildet.
Es bleibt also nur übrig, den Sommer über den ganzen
Herbst hin bis zum Eintritt des eigentlichen Winters im
November auszudehnen, und dies bestätigt sich sowohl da-
durch, dass d-eQog im weiteren Sinn bei Xenophon mit dem
Frühling anfängt (Philologus XXXVII 5), was auf die Be-
deutung mildere Zeit des Jahres überhaupt schli essen lässt,
als durch II 1, 1 ewg fiev &£qog fy, drto te Ttjg äqag ergs-
q>ovto vuxl €Qya£6pevoi fXLO&ov xara Ttjv %a>qav ertei de %ei-
fxcov iyevero xai Tqocprp oi% u%ov yvfivol te rjcav xal ävv-
7t6dt]TOi, §vvt<JTctvTO dXKr(koig. Von den Früchten des Landes,
welche die bessere Jahreszeit (äqa) bot, konnte man bis zum
Ende der Weinlese geniessen; diese und die Aussaat des
Getreides gaben Gelegenheit zu Arbeit und Verdienst bis
zum Eintritt des Winters (Plin. hist. XVIII 319 u. 224—5).
Der Krieg endigte also, wenn e^d^rjvog auf sechs volle
Monate gedeutet wird, nach dem 16. Pyanopsion = 19. Ok-
tober und vor dem 4. (oder 10.) November 404. *)
Xenophon hat natürlich, da er seine Darstellung nach
Kriegsjahren ordnet, wie Thukydides einen bestimmten Tag
als Anfang derselben gedacht: nämlich den des ersten Ein-
falls der Peloponnesier in Attika. Dieselben Gründe ferner,
welche Thukydides bewogen, seine Jahrepoche auf das Ka-
lenderdatum, nicht auf die Naturzeit des Kriegsausbruches
zu stellen, 2 ) mussten auch auf ihn bestimmend wirken: das
Naturjahr lieferte nur selten Mittel zu genauer Bestimmung
einzelner Ereignisse, durch die Sonn wenden und Nacht-
1) Aach die zwischen dem 3. September 404 (II 1, 4) und dem
Ende des Krieges liegenden Vorgänge setzen den Verlauf einer längeren
Zeit voraus: die Einnahme von Samos, Auswanderung der Kleruchen
und Zurückführung der früheren Besitzer, Einsetzung eines neuen Regi-
ments, Entlassung der Bundesgenossen, Heimfahrt, Ablieferung der atti-
schen Flotte, der erübrigten 470 Talente und anderer Werthe.
2) Zur Zeitrechnung des Thukydides. Akad. Sitzungsb. 1875. 1 88.
Digitized by
Google
264 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 4. Februar 1882.
gleichen, durch die hervorragendsten Phasen des Siebenge-
stirns, Arkturus, Orion, Sirius Hessen sich nicht viele Zeiten
und auch diese meist nur annähernd fixiren; ein Laie in
der Astronomie und wer für Laien schrieb, musste behufs
der Setzung eines Ereignisses auf einen bestimmten Tag
sich an den bürgerlichen Kalender halten. Man könnte
meinen (wie man es von Thukydides irrthümlich gemeint
hat), Xenophon habe den nächst gelegenen Zeitpunkt des
Naturjahrs, also den Anfang des Sommers gewählt; aber
I 2, 1 erwähnt er zuerst den Anfang des Jahres und dann,
als etwas später eingetreten, den des Sommers. Er hat
vielmehr das Kalenderdatum des ersten Einfalls zur Epoche
genommen : II 3, 9 sagt er s!;dfirp>os xal €tvtcc %ai ewooiv
STTj %<# TtoXafjUj} foekevra, nicht rifiiov y.al iitta ktX., und
verräth damit, dass er vom Monatstage des Einfalls zu
zählen angefangen hat: denn das Naturjahr der Griechen
hat keine Monate, diese sind dem Mondjahr eigen.
Die Zeit des Einfalls hat Thukydides nicht angegeben ;
nur vom Ende der Berennung Oinoe's, mit welcher die
Feindseligkeiten eröffnet wurden, schreibt er II 19, dass sie
am 80. Tag nach dem Ueberfall Plataias (also etwa, vom
viertletzten Anthesterion (Att. Kai. p. 10) ab gerechnet,
am 16. Thargelion) abgebrochen worden ist; die Mitte
dieses Zeitraums würde der 8. Munychion bilden. Die sechs
Monate II 3, 9 führten im J. 404 vom Jahranfang bis in
den Ablauf des Herbstes : je nachdem man Winters Anfang
auf 4. Nov. (3. Maimakterion) oder 10. Nov. (9. Maimakt.)
stellt, erhält man als vorläufige Spätgrenze den 3. oder 9.
Thargelion. Die Frühgrenze bildet der 16. Munychion, als
Datum der Uebergabe Athens x ) : in den nächsten Zeiten
1) Demnach ist nicht bloss Thuk. V 20 avtoösxa huir duX&ov-
Xiüv xal jjfjLBQtay okLytuv nageyeyxovacoy, wie Zeitrechn. d. Thukyd. p. 46
(geschrieben vor Erkenntniss der Jahrepoche Xenophons) aus V 24 er-
schlossen wurde, sondern auch V 26 en%d xal eXxoaiv hy xal ypigag
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenoj)hons Hellenika. 265
nach diesem begann Xenophons letztes Kriegsjahr (II 2, 23.
3, 1). Den Abstand zwischen beiden berechnet Thukydides
V 26 auf 'nicht viele Tage 5 ; also ist frühestens der 18. Muny-
chion statthaft. Im J. 410 verlief zwischen der Epoche und
dem Anfang des Sommers kaum mehr Zeit, als die Ueber-
nahme der Schiffe und Mannschaften nebst der Wehrhaft-
machung des Schiffsvolkes wegnahm : dem 16. Mai (Sommers
Anfang) entsprach aber damals der 1. Thargelion. Spätestens
also der 27., frühestens der 18., ungefähr der 22. Munychion
ist das Datum des Einfalls von Oinoe: die 27 Tage vom
26. Elaphebolion bis dahin passen zur Dauer der Thuk. V 21
(vgl. 19) — 24 verlaufenen Vorgänge. Dem 22. Munychion
entsprechen folgende Tage des julianischen Jahrs:
431 26. Mai 407 4. Mai
410 8. Mai* 406 23. April
409 26. April 405 12. Mai
408 14. Mai 404 1. Mai.
II. Ausscheidung der Glosseme.
Jahr 411. I 1, 37 [xal 6 sviavTog elrjyev, iv $ Kclq-
Xydovioi Idwlßa rjyovfievov OTQctTevoavzeg ETtl Sixellav dexa
(.ivoidai GTQccTLag aiQOvoiv iv tqloI fitjol ovo 7toXeig 'Etärjvidag
ov noXkag naQSvsyxovoag gegen Boeckh nctQ(t<p£Qeiv 'abweichen' im
Sinn eines Deficite nnd xal als 'und zwar* zu nehmen. Der Ausdruck
ist geflissentlich zweideutig gehalten, weil an beiden Stellen im Wider-
sprach mit allen andern Angaben des Werks der Einbruch bei Oinoe
statt des Ueberfalls von Plataia zur Epoche erhoben wird; der Anwen-
dung auf jenes frühere Ereigniss soll eine Hinterthüre offen bleiben :
dazu passt die bestimmte (addirende) Bedeutung, welche xai sonst hat,
während die bestimmte von na^atpsQBiv (verabsäumen) auf Subtraction
führt. Gerade nur an diesen Stellen, wo Thukydides von sich selbst
abweicht, findet sich der seltsame Ausdruck; an andern weiss er sich
deutlich auszudrücken, z. B. IV 32 veatv eß6ofx^xovxa xal oXiyat ntei-
oviuv einer-, II 2 ntyTrjxoyra dvoiv Seovta itrj andrerseits.
Digitized by
Google
266 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Februar 1882.
2elivovvra xai c I/xiQav.~\ T$ de ixlhfi erei xtL 1 ) Die Be-
lagerung der zwei Städte nach einander dauerte vom April
bis zum Juni 409 (p. 246) ; Xenophon würde also einen Ana-
chronismus von zwei Jahren (bei Dodwells und Müllers An-
ordnung von einem) begangen haben, wenn die Stelle acht
wäre. Müller nimmt an, dass er denselben begangen hat,
und die Späteren sind hier, wie bei den meisten eigentlich
historischen Glossemen, seinem Vorgang gefolgt, auch die
welche seine Anordnung nicht billigen. Aber dass ein Ge*
schichtschreiber einen so groben Fehler in Bezug auf Er-
eignisse, bei deren Eintritt er das 30. Lebensjahr schon
überschritten hatte, begangen haben sollte, widerstreitet
aller Wahrscheinlichkeit, um so mehr als dieselben mit dem
Inhalt seines Werkes in Zusammenhang standen, und ein
derartiger Irrthum ist ihm nirgends nachgewiesen worden.
Natürlich müsste er auch von der Jahreszeit derselben
nichts gewusst haben, da seine Epoche mitten in jene drei
Monate hineinfallt , er also den Bericht hätte auf zwei
Jahre vertheilen müssen. Welche Stirne gehörte dazu,
Vorgänge, von welchen er weder Jahr noch Jahreszeit
kannte, über die er nur eine dunkle Kunde vom Hören-
sagen hatte, unter einem bestimmten Jahr einzureihen, da
sie doch dem Plan seines Werkes fern lagen: Ereignisse
des peloponnesischen Krieges waren sie nicht, hellenische 3
(EAArpnnä) im Sinne seines Werkes auch nicht: denn die
sicilischen Geschichten der Zeit von 403 bis 362 werden
in demselben vollständig übergangen. Unsere Stelle hat
jedenfalls denselben Verfasser wie die andern Notizen über
Vorgänge Siciliens : sie alle finden sich nur in der Abtheil-
ung, welche anerkannt auch an andern Stellen historische
Glosseme enthält ; dieselbe Unkenntniss der Zeiten und der-
selbe Geschichtstabellenstil, den unsere Stelle zeigt, findet
1) Ueber das Citat bei Stephanos vgl. cap. III.
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 267
sich in den andern; auch die Wahl der Worte beweist
gleichen Ursprung. Mit nal 6 iviavrdg sh\ysv iv q> Kaq-
X*]dovioi OTQarevaavreg iitl 2ixsXiav dsxa /xvQiaai argariag
aiQOvoiv sv TQial prjol — c Ifxsqav vgl. I 5, 21 xal 6 sviavrog
s'Xrjysv, iv $ KaQxqdovioi ig JSineXiav arqarevaavreg — orqari&g
öwdexa fivqiaaiv elXov ld%qayavra Ttgoanad-e^ofievot S7trd
[irjvag und die dortige Bemerkung. Bei diesem und den
übrigen sicilischen Stücken aber werden sich noch mehr
Beweise der Unächtheit finden. Andere sprachliche An-
zeichen betreffs unserer Stelle s. zu I 2, 19 und II 3, 5.
Jahr 410. I 2, 1 T<£ ds äXXq> srei [$ i\v oXvfutiäg rqirri
nal svevtjKOOT*} , y Tvqoors&s'ioa ^vvwqlg ivlna Evayoqov
'HXelov, ro ds oradiov Evßwrag Kvqrjvalog, stzi icpoqov fisv
ovrog sv 27td(rrr] Evaqxirtrtov, aq%ovrog d'sv ^id"^vaig Evx-
ryjfiovog] ld&rp>avoi fxsv Qoqinov irslyysav. Die Stelle bildet
im Text die unmittelbare Fortsetzung der eben besprochenen.
Die 93. Olympienfeier fand 2 1 /* Jahre später, im August 408
statt, Euarchippos trat im Oktober, Euktemon im Juli 408
ins Amt. Die eingeschlossenen Worte, ebenso die Stellen
verwandten Inhalts werden allgemein unsrem Historiker ab-
gesprochen, sowohl wegen des Anachronismus als weil vor
Timaios (Polyb. XII 12) Niemand den einzelnen Jahrbe-
schreibungen solche Datirungen vorgesetzt hat.
410. I 2, 19 [xai 6 iviavrdg sXtjysv ovrog, sv tt) aal
Mrfioi ärtd Jaqsiov rov Ileqocov ßaoiXswg drtoordvrsg rcaXiv
izqoGsytaqr\oav adry.] Tov d* STtiovrog srovg (s. das nächste
Glossem). Die Zeit dieses Aufstandes ist unbekannt: es
wird sonst nirgends seiner Erwähnung gethan; aus dem
gemeinsamen Ursprung der verdächtigen Notizen darf ge-
schlossen werden, dass er im nächsten Jahr nach demjenigen,
unter welchem in der Quelle derselben der Fall von Selinus
und Himera angegeben war, also 408 stattgefunden hat.
Xenophon, welcher, wie zu I 1, 37 erinnert worden ist,
nicht einmal die Schicksale der Hellenenstädte Siciliens als
Digitized by
Google
268 Sitzung der phäos.-phäol. Glosse com 4. Februar 1882.
'EkXyvixä behandelt, sollte die uächste beste Empöruug im
persischen Reich erwäbnenswerth gefunden haben? Aller-
dings war, wie Müller p. 17 bemerkt, der Zustand desselben
für die Geschichte Griechenlands nicht gleichgültig, der
Aufstand der Meder hat aber auf dieselbe nicht eingewirkt;
konnte es auch nicht, weil er noch in demselben Jahre
niedergeschlagen wurde. Xenophon übergeht den Abfall
des grössten Unterthanenlandes , Aegyptens, und die Ent-
stehung eines zur Zeit, da er schrieb, noch blühenden Reiches
daselbst mit Stillschweigen, ein Ereigniss, welches durch
seine Folgen die persische Macht in ihren Grundlagen er-
schütterte und weitgreifende Einflüsse auf Hellas übte; er
übergeht die Kriege dieses Reiches mit Persien ebenso wie
er für den Aufstand des Kyros, dessen Wirkung doch das
Unternehmen des Agesilaos war, keine besondere Rubrik
öffnet; ebenso verfährt er mit dem grossen Aufstand des
Euagoras auf Cypern, der doch ein Hellene und mit Hel-
lenen verbündet war. Die Unächtheit der Stelle zeigt sich
auch an der Form. Hätte Xenophon das Ereigniss für er-
wähnenswerth gehalten, so würde er es als einen inte-
grirenden Bestaudtheil der Erzählung behandelt, es in einen
Hauptsatz eingekleidet und vor Erwähnung des Jahres-
schlusses angebracht haben ; das wäre seiner Weise, welche
auch die des Thukydides und aller Historiker ist, ange-
messen gewesen: wie er solche ausserhalb des Zusammen-
hangs stehende Vorgänge zu behandeln pflegt, zeigt der un-
mittelbar vorhergehende § 18 Tip d' avT$ %q6v(j) nal Acmz-
daifxovioi Tovg ig ro KoQvqxioiov äcpeOTcoTag — dcprjuav. kcctcc
ds tov ayTOv xcciqov %ai ev 'HQctxXelq tjj Tqa%ivi(f !4.%aiol —
Tvqosdooav xtL ; ferner II 1, 4 xaTci de tovtov tov xctiQÖr
Av*6q)Qwv 6 (Deqaiog — ivUrjOe ktL und andere Stellen.
Hier dagegen wird zuerst der Jahresschluss angebracht und
dann erst mittelst eines Relativsatzes die gleichsam ver-
gessene Notiz von dem Aufstande nachträglich angeflickt,
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 269
in derselben Weise und mit denselben Worten wie in den
Glossemen I 1, 37 %ai 6 eviavxog elrjyev ev (q Kaqxrjdovioi
aiQovoi, I 5, 21 xal 6 eviavrdg elrjyev ev ($ KaQxrjöovtoi
eiXov, II 2, 24 xal 6 eviavxog elrjyev ev ip diovioiog ezv-
Qavvrjoe. Denselben stilistischen Fehler zeigt 1 6, 1 q> r\
te oeXqvi] e^elircev %zl. nach t$ 6* enibvii exei. Die Con-
struction and JclqbIov djiooTavxeg ist, wie das II 3, 5 zwei-
mal vorkommende aTteoTtjoav and diovvolov lehrt, con-
stanter Sprachgebrauch der Notizen; Xenophon selbst schreibt
bald anoozrjvai aizo rivog bald a7tooxr\val xivog.
Jahr 409. I 3, 1 [xov 6* eixiovxog exovg 6 ev (Dioxalq
veaig tijg Idfhjvag even^qad-rj TtQrjoxrJQog eptneaovxog.'] enel
d* 6 xeifidiv elrjye [Ilavvaxleovg fi£v ecpOQevovxog, aQypvxog
6* l4vxiyevovg~\ [eaqog aQxo/xevov övolv nal £w.ooiv exüv xq>
nole^ naQelrjlv&oxwv] ol Id&rjvaloi enlevoav elg IIqoikov-
vrjoov. Antigenes und Pantakles traten erst 407, nicht 409,
ins Amt, auch nicht zu Frühlings Anfang, sondern jener
mitten im Sommer, dieser im Herbst. Ihre Erwähnung
gilt allgemein als unächt; ebenso, was man nicht hätte er-
warten sollen, die Jahrsummirung. Die Form derselben ist
untadelig, ebenso die Richtigkeit der allgemein üblichen
Ansicht von Xenophons Jahrepoche vorausgesetzt der Inhalt:
wenn das Jahr mit dem Frühling anhob, so waren wirklich
von 431 bis 409 22 Jahre verflossen. Dass die zwei andern,
entschieden unächten, Summirungen: I 6, 1 (naQelrjlv&o-
tcov) t$ Ttolepq) xexxaQtov Kai etKoaiv ercov und II 1, 7
excov ijdtj xqi noHfÄCo nevxe nal iwooi 7caQelrjlv&6xtov ähn-
lich gestaltet sind, erregt Verdacht, ist aber doch kein trif-
tiger Beweis der Unächtheit : der Urheber derselben könnte
ja unsere Stelle, an welcher eine Summirung zum ersten
Mal auftritt, zum Muster genommen haben. Erst die Er-
kenntniss, dass Xenophon die Jahrepoche nicht an den An-
fang des Frühlings setzen konnte, weil der 22. Munychion
niemals in eine so frühe Zeit fiel, rechtfertigt die Ausstossung
Digitized by
Google
270 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 4. Februar 1882.
der Worte dvdiv — TtctQehrjlv&OTwv. Umgekehrt gilt die
Notiz von dem Tempelbrand in Phokaia *) jetzt allgemein
für acht, obgleich ein schlagender Beweis des Gegentheils
vorliegt. Sollte wirklich Jemand es ftir denkbar halten,
dass Xenophon, mag er das Jahr mit dem Frühlingsanfang
oder mehrere Wochen darnach um den 22. Munychion be-
gonnen haben, die Erwähnung des Jahranfangs, wie in
unserem Texte geschieht, im Laufe des Winters angebracht
habe, oder kann man behaupten, dass mit rov 6* Irciovxog
sTovg vewg kvB7tQ^o&7], E7iü <f 6 xeifiwv sXrjye (eaqog aQyo-
pievov) ol sf&rjvaioi, S7vXevocev etwas anderes als das geschieht,
da es doch feststeht und von Niemand geleugnet wifd, dass
irtiovroQ kzovg auf das Frühjahr (409, Dodw. 408), %ELfiwvog
aber auf den unmittelbar vorhergegangenen Winter (410/9,
Dodw. 409/8) zu beziehen ist?
Die Worte eagog äQxopivov nach $7tel d* 6 xBificov klrjye
würden unanfechtbar sein, wenn Xenophon sich die chrono-
logische Terminologie des Thukydides angeeignet und unter
XEifjoüv ein ganzes Semester, das der rauheren Jahreszeit,
verstanden hätte; 2 ) so aber, da xetfiwv bei ihm nur den
eigentlichen Winter bedeutet, bürden sie ihm eine Tauto-
logie auf und zwar eine der schlimmsten, den Leser am
meisten beleidigenden Art, welche zwei begrifflich identische
Ausdrücke nicht, wie es in den aus rhetorischen Gründen
erlaubten Fällen geschieht, durch copulative Partikeln inner-
halb desselben Satzes mit einander Verbindet, sondern den
einen zur Protasis, den andern zu deren Apodosis macht.
1) Er gehört vermuthlich dem J. 407 an, weil die von dem Inter-
polator um zwei Jabre früher gesetzte Belagerung von Selinus und
Himera in 409, die dem nächsten zugewiesene von Akragas in 406 zu
setzen ist; genauer gesprochen dem im Herbst 407 zu Ende gehenden
Jahre, s. cap. III. Ueber die Kakophonie iye7i^a^rj 7iQtjat^Qog s. zu
II 3, 5.
2) Hierüber s. oben p. 262. f
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 271
Anderer Art und dem Gebiete der Tautologie gar nicht an-
gehörig sind Fälle wie I 4, 1 iv roQÖi(p ovzeg %ov %ei\iüva
tcl 7te7tQ(xyii6va rjKOvoav, aQxo.uevov de tov sagog %%X. und
II 1, 1 €(OQ fAEV &BQOS 1JV, ETQZCpOVTO — €7tel Ö€ %U(JlWV
iyevero xal TQoyrjv ovk u%ov wtX. Hiezu kommt, dass 6
XeLfiwv e'Xrjye, weil es im zeitlichen Nebensatz steht, nicht
den Ablauf des Winters selbst sondern die letzten Wochen
dieser Jahreszeit bedeutet, wie II 3, 9 ärtt'dwxe TeXevrüvrog
rov &€qovq (oben p. 262), der Frühling also damit noch nicht
begonnen hat. Anders eXrjye, ireXevTa ro erog> 6 xc^wy,
to &eqog im Hauptsatz bei Thukydides, was auch noch nicht
den Abschluss an sich, sondern den letzten Abschnitt be-
zeichnet, dadurch aber, dass in demselben kein Ereigniss
stattgefunden hat, welches der Geschichtschreiber hätte er-
zählen können, auch den Abschluss selbst mit in sich be-
begreift: diesen allein würde eXrjgev, eTeXerntjaev, dvi\X&ev
ausdrücken.
Jahr 407. I 5, 21 [xai 6 iviavrog e'Xrjyev, iv $ Kccq-
yr\d6vioi lg ZZineXlav orqaTevaavTeg ii%ooi xat e%axov TQirjQeoi
xal 7te£ijg OTQccziag dtodena [ivqlccoiv eiXov l4*Qayavra Xl/uw,
(A<*Xy psv fjTTtj&svceg rtQOOxa&e^Ofievoi, de ema iirjvag.] r$
ö iniovxi (s. d. folgende Glossem). Die Belagerung von
Akragas begann um Anfang Mai 406 und endigte im De-
cember desselben Jahres, Diodor XIII 91 iimqov Ttqo Trjg
XSL^eQtvrlg TQ07trjg; dieser gibt ihr 8 Monate Dauer; ihr
Anfang fällt demnach später als die erst I 6, 1 erwähnte
Mondfinsterniss des 15. April 406. Den Anachronismus
mit Müller u. a. auf Rechnung Xenophons zu setzen, ist
um so weniger am Platz, als auch andere Anzeichen der
Unächtheit vorliegen : schon oben erwähnt ist die im
historischen Stil fehlerhafte Anflickung der Notiz mittelst
eines Relativsatzes nach dem Vermerk des Jahresschlusses
und die wörtliche Uebereinstimmung eines Theils mit dem
Glossem I 1, 37; dazu kommt, dass die Einnahme von
Digitized by
Google
272 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 4. Februar 1882.
Akragas zum zweiten Mal II 2, 24 und zwar als ein Er-
eigniss der dort behandelten, sowohl der ächten Darstellung
als den verdächtigen Notizen zufolge um zwei Jahre späteren
Zeit erwähnt wird. 1 ) Mindestens eine von beiden Stellen
ist also nothwendig für interpolirt anzusehen : auch bei jener
sind andere Anzeichen des fremden Ursprungs vorhanden,
beide aber, wie die Uebereinstiramung der Sprache lehrt,
aus gleicher Quelle geflossen : mit KaQxqdovioi elXov 14kq<x-
yavxa Xi^ iidxy yTTfj&evceg hier vergl. dort pdxil fov*]-
d-ävrwv Kaq%rjdovi(i)Vy anavei öi oirov eXovzwv lAKQCcyama ;
s. auch zu II 3, 5.
Jahr 406. I 6, 1 t§ d : ' iitibvxi ezei [(p fj tb oeXrjvrj
e^eXinev eoneQag xal 6 naXaiog tij>£ Id&tjvag vewg ev l4.fr{\-
vaig €ve7iQT](j&rf\ \Jlixva. ftiv icnoQevorcog ägxovTog de Kctk-
Xiov Z4&rjv?]Oiv] ol jicMedaifiovioi %(j) Avoav8^ 7taqekr]Xv-
d-orog ijdt] xov xqovov [xai Ttj) nokefÄ^) tett&qwv xal bmoolv
iztuv] €7tefxxpav ircl rag vavg KaXXixQazldav. Die Jahr-
summirung ist falsch (es hätte 25 heissen sollen) und an
unrechter Stelle eingelegt: TtccQelrjlv&oTog zov %qovov steht
in ursächlichem Zusammenhang mit S7t€fxxpav 9 während hwv
nur zeitlich gemeint und bloss auf t$ <T ETtiovxi zu be-
ziehen, also auch dort zu erwarten ist. Die Datirung ist
abermals anachronistisch: Kallias und Pityas haben zwar
406 ihr Amt angetreten, aber jener höchst wahrscheinlich,
dieser sicher erst nach der Aussendung des Lysandros. Die
Notizen am Anfang hat Müller halb und halb verworfen,
freilich mit unzureichenden Gründen: er findet E07tiqag
neben ry irtiovii %%u unpassend, wir wissen nicht warum;
die Bemerkung über das Erechtheion wird jetzt durch eine
1) Die Quelle des Interpolators Hess das Jahr um den 1. Oktober
wechseln (s. zu II 2, 24); die Belagerung vertheilte sich also über zwei
Jahre derselben, von welchen das spätere, als Jahr der im Hauptverbum
angezeigten Handlung, für das Datum der ganzen Notiz (407, zu ver-
bessern in 405) zu gelten hat.
Digitized by
Google
Ünger: Die histor. Glosseme in Xenophons Rellenika. 273
Inschrift bestätigt, s. Köhler im Hermes II 20. Die Mond-
finsternis8 ereignete sich am 15. April 406 Abends; von
8 — 9 Uhr war sie total. Dieser Tag entspricht nach unserer
Rechnung im Allgemeinen dem 14., in unserem Falle aber,
weil der griechische Tag mit Sonnenuntergang anfängt,
dem 15. Munychion, hat also, auch wenn man eine Fehler-
weite von ein paar Tagen annimmt, schwerlich schon dem
neuen, 'nicht viele Tage' nach 16. Munychion beginnenden
Kriegsjahr angehört. Der Beweis der Unächtheit liegt in
der zu 12, 19 besprochenen Anflickung geschichtlicher
Mittheilungen an die Jahrepoche und darin, dass Xenophon
Ereignisse dieser Art nicht um ihrer selbst willen erwähnt
sondern, wie die Sonnenfinsterniss II 3, 4, nur dann wenn
sie mit einem politischen Vorgang zusammenhängen.
406 II 1, 7 — 9 rag fievroi vavg Ttaqeöooav Avoavdqq
\exwv ijdt] T(fi 7toke\u$ 7tivze xew eikooi 7taQeltjXv^0T(ov^.
\%ov%($ de Tqi iviavxy nal Kvqog a7reycxetvev Avxoßoiaaytrjv
Kai Mixqalov vlelg ovxag xrjg Jaqeiotlov ääeXqirjg xrjg xov
Seqt;ov xov Jaqeiov x ) naxqog, oxi avx$ anavxdvxeg ov die-
woccv diä Ttjg noqrjg tag %elqag> o noiovai ßaailel povov.
rj de koqt] eoxl fxaxqoxeqov rj %eiqig, ev jj xrjv yjüqa e%wv
ovdev av dvvaixo itoirfiai. c Ieqa/ievr]g (xev ovv xal ?) yvvr}
ekeyov nqog daqetaiov detvov elvai, el Tteqioxpexai xrjv llav
vßqiv xovxov 6 de avxov iiexaneiinexai d>g dqqwaxwv rtefi-
ipctg äyyelovg.] Die Summirung gibt unrichtig 25 statt 26
Jahre und ist in der vorliegenden Form an unrechter Stelle
angebracht, bei einem Ereigniss, welches nach § 10 vor
Jahresablauf geschehen ist, statt e'xovg 7tefX7vxov xal elnooxov
xekevxwvxog. Die von ßreitenbach früher gegen die Aecht-
heit von § 8 — 9 vorgebrachten Grunde hat Müller p. 17
1) Wohl Besserungs versuch eines Abschreibers (der nur an dieser
Stelle erkannte, dass unter Dareiaios der König zu verstehen ist) statt
Japeiaiov.
[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 2.1 18
Digitized by
Google
274 Sitzung der pküos.'phÜol. Glosse vom 4. Februar 1882.
mit solchem Erfolge bekämpft, dass mit den andern Heraus-
gebern auch jener auf seine Seite getreten ist. Das Auf-
treten der Form Dareiaios statt der gewöhnlichen, auch
von Xenophon (Auab. I 1, 1) gebrauchten hält er für weniger
wichtig; die andere auffallende, Form Ubq^ov statt l4(rva-
t;€Qt;ov beseitigt er durch Ausstossung der ohnehin durch
ihre Breite anstössigen und überflüssigen Worte rJjg xov
TtaTQOQ. 1 ) Am schwersten fallt der Umstand in's Gewicht,
dass die hier in das J. 406 gesetzte Heimberufung des Kyros
§ 13 noch einmal und zwar als ein Ereigniss des nächsten
Kriegsjahres berichtet wird, und diese Dublette lässt sich
durch die willkürliche Behauptung, nur das Vergehen des
Kyros falle in das alte, die Heimladung aber in das neue
Jahr, nicht bei Seite schaffen. In einer annalistisch geord-
neten Geschichtsdarstellung, wie es die xenophontische ist,
gehört jede Meldung eben desswegen dem Jahre an, unter
welchem sie vorgetragen wird, vorgreifende Erwähnungen
werden als solche entweder durch allgemeine Ausdrücke wie
z. B. voztQy xqovlj) II 4, 43 oder durch Jahrangabe wie
I 4, 7 kenntlich gemacht; au unsrer Stelle findet sich kein
solcher Fingerzeig, vielmehr wird 6 de avvov ^exaTiefinerat
Tiefiipag dyyelovg durch das unmittelbar darauffolgende t$
d* ertiovTi erei so gut wie ausdrücklich dem alten Jahre
zugewiesen. Ueberdies gibt die Form des zweiten Berichts
deutlich genug zu erkennen, dass in diesem eine dem Leser
noch nicht bekannte Thatsache mitgetheilt wird : es heisst
§ 13 enei avvcj) naga xov Ttaxqog ijjccv ayyelog y nicht 6
ayyeXog, und anstatt in zurückverweisenden Ausdrücken den
Auftrag der Botschaft anzudeuten, wird derselbe als dem
Leser neu vollständig angegeben : Xeycov oti ccQQtüozcov ixewoy
xaXoirj.
1) Kein Verstoss gegen den Sprachgebranch Xenophons ist die
Anwendung von xoyti (Schleppärmel) : *d»6vg in der Cyropädie bezeichnet
das mit solchen Aermeln versehene Kleid.
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 275
Ebenso schwer wiegt ein Verdachtgrund, welchen
Breitenbach und Müller gar nicht in's Auge gefasst haben.
Xenophon sieht die Erkrankung des Königs, welche dem
Kyros gemeldet wurde, als Thatsache und als den wirk-
lichen Grund seiner Heimberufung an, § 15 Kvqoq 7tQog
top nccciqa dqqcoaxovvTa iiBxdn^nxog dveßaive; er hält sie
für die Krankheit, welcher Dareios schliesslich (ein Jahr)
später unterlag, Anab. I 1, 2 B7tei r^a^evei xai V7ti07treve
TeXevrrjv xov ßlov, Ktgov ^eraTcefinerat; ebenso Plutarch
Ar tax. 2 tov 7iatqog vooovvrog ijSrj [letaneiiTZTog. Anders
und wahrscheinlich besser ist die Quelle des Glossems unter-
richtet: ihr ist die Beschwerde der Aeltern des gemordeten
Bruderpaares die wahre Ursache des Rufes, die Erkrank-
ung des Königs aber ein erdichteter Vorwand ((jieTcutefi-
nerai wg dqQcooTÜv)* als Kyros heimkam, mag die letzte
Krankheit desselben ihren Anfang genommen haben und so
jene falsche Meldung, welche Kyros selbst geglaubt und
dem Lysauder als Wahrheit mitgetheilt hatte, eine schein-
bare Bestätigung gefunden haben. Eine weniger bedeutende,
aber doch eine Abweichung liegt auch darin, dass Xeno-
phon einen einzigen Abgesandten (§ 13 ayyeXog), die ver-
dächtige Stelle aber mehrere (dyyeXovg) nennt. Ueber andere
Eigenthümlichkeiten s. unten p. 285 ff.
Jahr 405. II 1, 10 ry d° btclovtl srei [ercl Idqyixa pav
£q>OQevovTog aq%ovxog <f ev lA&rjvaig l4Xe£iov\ ^dvoavdqog
dg>ixopevog elg "Eq>eoov iiexeneiixpaTo 'EteovMov. Die An-
kunft .Lysanders fallt, wie aus dem ächten Schluss der vor-
hergehenden Jahresgeschichte (rag äi vctvg naqsdooav Av-
4jdvdQq>) und aus den Zeitverhältnissen der ihr nachfolgen-
den Ereignisse hervorgeht, in den Anfang des neuen Kriegs-
jahrs (Mitte Mai); Alexias trat erst im Juli, Archytas im
Oktober das Amt an.
405. II 2, 24 [xat 6 sviavtog eXrjyev, Iv q> (iboovvti
diovvoiog 6 'EqfioxQccrovg SvQanooiog itvQdvvrjoe, fidxj] (*ev
18*
Digitized by
Google
276 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 4. Februar 1882.
TtQOTeoov r\xxr\ &6VTtov ino 2vQaxoakov KaQxrfiovUöv, OTtavei
de oltov eXovziüv lixQayavra, ixXi7i6vrü)v zwv SixekitoTwv
ttjv nShv.'] T(p d* iniovxi %%u (folgt das nächste Glossem).
Die im ächten Text unmittelbar vorher erzählte Uebergabe
Athens gehört dem Schluss des Kriegsjahres 405 (genauer
405/4) an, sie geschah am 25. April 404; die Mitte des-
selben, in welche hier die Erhebung des Dionysios zum
Tyrannen gesetzt wird, fällt November 405 : aber Dionysios
wurde im März 405, also im vorhergehenden Kriegsjahre
406/5, Tyrann. Diodor erzählt dies Ereigmss dem Timaios
nach (Volquardsen , Quellen Diodors p. 92), dessen Jahr-
epoche Frühlings Anfang ist (Philologus XL 70), unter Bei-
behaltung der Jahrrechnung desselben: in den Anfang der
Jahresgeschichte fällt der Beginn der Belagerung von Akragas
(XIII 86, um 1. Mai 406, oben p. 271); einige Zeit nach
dem im December 406 (vgl. XIII 91) erfolgten Fall der
Stadt gewinnt Dionysios die Tyrannis; dies und den Be-
schluss der Punier, im kommenden Frühjahr 405 anzugreifen,
berichtet der Schluss der Jahrbeschreibung (XIII 96); von
der Ausführung jenes Beschlusses ist daher am Anfang cter
nächsten Jahrgeschichte die Rede (c. 108). Diodors Dar-
stellung steht mit allen anderweitigen Nachrichten im besten
Einklang, insbesondere dienen ihr die über Dionysios Thron-
besteigung vorhandenen Data, welche dieses Datum in OL
93, 3. 406/5 bringen, und die übereinstimmenden Angaben
von der 38jährigen Dauer seiner Ol. 103, 1 (Anfang 367)
beendigten Herrschaft zur Bestätigung, s. Clinton zu Ol.
93, 3 und 103, 1. Demgemäss haben alle Bearbeiter der
Geschichte Siciliens den Anfang des Dionysios in die ange-
gebene Zeit gesetzt und wenn E. Müller p. 48, um den-
selben in den September 405 zu bringen, die von Diodor
erzählte Vorgeschichte derselben auf 9, statt 3 Monate aus-
dehnt, so ist das ein willkürliches Verfahren, welches über-
dies sowohl von einer falschen Ansicht über Xenophons
Digitized by
Google
Unger: Die Mstw. Glosseme in Xenophons Hellenika. 277
Jahrrechnung ausgeht als auch den Angaben über die spä-
teren Ereignisse Gewalt anthut, s. unten zu II 3, 5.
Der Interpolator hat einen Gewährsmann benützt, wel-
cher nach makedonischer Weise das Jahr mit der Herbst-
nachtgleiche anfieng : da dessen Mitte, welcher die Throner-
hebung des Dionysius angehörte, auf März 405 fiel, so hatte
es mit Oktober 406 begonnen; hierüber s. cap. III. Dass
entweder diese Stelle oder ihre Dublette I 5, 21 unächt ist,
wurde schon p. 272 bemerkt: gegen die Aechtheit der vor-
liegenden zeugt die nicht bloss Xenophons, sondern jedes
Geschichtschreibers unwürdige Formlosigkeit der Sprache,
welche sich in der Häufung einander coordinirter, aber zu
einander und zum Hauptverbum in ganz verschiedenen Be-
ziehungen stehender Participien und in der Kakophonie ,
vrtb SvQccxoolcov Kaq%ridoviu)v zu erkennen gibt. Müller p. 49
streicht die Worte [idxjj f*ev — Trp> TtoXiv wegen der schlech-
ten Sprache; aber auch die relativische Anfügung des von
ihm als acht behandelten Restes ist vom Uebel (s. zu I 2, 19)
und der Zweck, welchem die Streichung dienen soll, wird
durch sie nicht erreicht, die Dublette nicht beseitigt: wäre
eine von beiden Stellen acht, so müsste es die unsrige sein,
weil in der andern die Einnahme von Akragas zwei Jahre
vor der Erbebung des Dionysius gesetzt wird, während in
Wahrheit nur drei (selbst nach Müllers Rechnung bloss
neun) Monate in der Mitte liegen. Unsere Stelle setzt ganz
richtig beide Ereignisse in ein und dasselbe Jahr; indem
sie aber dieses nach makedonischem Kalender berechnet,
erweist sie sich als die Notiz eines andern Schriftstellers,
nicht Xenophons.
Jahr 404. II 3, 1 ^ (f eniovti etei [q> r\v SXvfiTtidg,
% to arddiov evUa Kgonivag QevTaXdg, *Evdiov iv 27zaQTr]
icpOQevovzog IIv&odioQOv d* ev ld§r\vaig aQxovzog^ ov l4&r\-
vccioi, ort sv dXiyaQxi? ÜQG&i]} wx ovopd^ovoiv aXX avaq-
%lav tov enccvrov wXovoiv. eyivevo ds ij oXiyaqxia wde]
Digitized by
Google
278 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 4. Februar 1882.
eäo^e t(p drui(p %qta\ovxa avdqag eXeo&ai. Die Einlage stört
den grammatischen Zusammenhang; der Antritt des Pytho-
doros (im September) und des Endios (Oktober) fallen in
den Lanf, nicht, wie es hier scheint, an den Anfang des
xenophontischen Jahres; die Erklärung der Anarchie ist
unrichtig und kann von keinem Athener damaliger Zeit
herrühren, s. unten p. 288.
II 3, 4. Die Notiz von dem Sieg des Thessalers Ly-
kophron über seine Gegner ist mit Unrecht verdächtigt
worden: sie steht chronologisch am rechten Platz und be-
richtet ein wichtiges Ereigniss der Geschichte von Althellas,
die Begründung der Tyrannis von Pherai ; auch alle späteren
Inhaber derselben werden von Xenophon einer zum Theil
ausführlichen Besprechung gewürdigt.
404. II 3, 5 [iv de %($ avTcji XQ^ V V xa * diovvoiog 6
2vQan6oiOQ TVQctvvog [ia%rj rptrftelg vno KaQ%r]dovUov rihxv
aal KafiaQivav änwXeoe. \iex oklyov de xal Aeovxlvoi 2vqcc-
xooloig ovvoMOvvreg aTtiozrjoav elg zrjv ccvzcbv nokiv and
Jiowg'iov nal 2vQaKOOia)v. naqaxqrjfia de xal 61 2vQax6oioi
InneTg and l ) Jcowaiov elg Katavrp dneoTtjoav.] Ol de
2d[4ioi xtX. Das Eingeschlossene hat Brückner mit Recht
beanstandet. Den Worten iv t$ avzqi XQ° V V zufolge müsste
sein Inhalt in den September und Oktober 404 fallen (vor-
her ist von der Sonnenfinsterniss des 3. Sept. 404 die Rede,
nachher von der Beendigung des peloponnesischen Krieges
um 1. Nov. d.J.), aber die Belagerung von Gela und die
andern hier gemeldeten Ereignisse gehören, worüber alle
Kenner der Geschichte Siciliens einig sind, dem J. 405 an.
Müller, der schon die Erhebung des Dionysios unrichtig
aus dem März 405 in den September dieses Jahres verlegt
hat, behauptet p. 49, um die Stelle zu retten, der Inhalt
1) So, dno and äniattiaccv, ist statt vno and änsaxakrpav zu
lesen, s. Philologus XXXIII 690.
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 279
derselben falle in das J. 404; was er zur Begründung dieser
Ansicht anführt, beschränkt sich auf die Behauptung, dass
Diodor im Widerspruch mit sich selbst den Angriff auf Gela
in den der Belagerung von Akragas (406 v. Chr.) folgenden
Sommer und doch in die Zeit nach der Einnahme Athens
(Frühj. 404) setze. Bei Diodor ist von einem solchen Wider-
spruche nichts zu entdecken. Er behandelt in der Jahres-
geschichte von Ol. 93, 4 zuerst den peloponnesischen Krieg
und beschliesst sie in Beziehung auf diesen XIII 107 mit
der Einnahme Athens; c. 108 geht er nach zwei noch dem
östlichen Schauplatze angehörigen Notizen (Tod des Dareios II
am Ende von Ol. 93, 4 und Blüthe des Dichters Antimachos)
zur westlichen Abtheilung der Jahresgeschichte, zu den sici-
lischen Vorgängen über, welche er mit der stehenden Formel
xard d£ Tip 2txeXlav eröffnet : auf diesem Schauplatz macht
der Angriff auf Gela den Anfang und hier ist mit der Er-
zählung des Timaios auch wieder, wie immer, dessen Jahr-
epocbe zu Grunde gelegt: Ol. 93, 4 läuft hier von Frühlings
Anfang 405 bis Winters Ende 404, vgl. Philo]. XL 82.
Ueber die Jahrform des Glossems s. cap. III.
Die sprachliche Fassung der Stelle ist ganz und gar
unclassisch, ja überhaupt vollständig stil- und formlos: vier-
mal begegnet ein- und derselbe Name, in zwei Fällen (o 2vq<x-
xooiog und xai 2vQaxooicov) noch dazu überflüssiger Weise;
die schon bei I 1, 37 und 5, 21 gerügte schablonenhafte,
sei es aus Armuth an sprachlichen Mitteln oder aus salopper
Fahrlässigkeit entsprungene Stereotypie des Ausdrucks er-
reicht ihren höchsten Grad in dem rohen Parallelismus (*st
okiyov äi xal JLzovtlvoi ärteOTtjoav ig xr(v nokw oltio dio-
wolov, 7taqax^\(ia de xal ol 2vqcm6oioi Inneig med Jio-
waiov sg KaTavrjv a7C60Tr]oav: kaum dass in naQaxQfaa
neben [i&v okiyov (wie II 2, 24 orcavei oirov neben I 5, 21
li/^qj) ein schwacher Versuch gemacht wird, die Wieder-
holungen nicht allzusehr zu häufen. Der Ausdruck /ndxj]
Digitized by
Google
280 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Februar 1882.
ijTTr^eig (wie I 5, 21. II 2, 24) und die Constructien äno-
OTrjvcu oltzo gehören zu dem stehenden Sprachgebrauch des
Interpolators ; seine Gleichgültigkeit gegen kakophonische
Wiederholung zeigt auch I 3, 1 evenQjia&ri TtQrjOTtJQog ; I 1 37
und 5, 21 OTQarevaavteg — axqaxtag; II 1, 9 iieT<X7V€fX7ietcu
— nifixpag und die Häufung der Genetive ^Ttrj&ivvcov vtzo
2vqcmooIu)v KaQ%r]dovla)v — eXovzcov — ivXinovxwv II 2, 24.
Jenes evsTtQrjO&rj würde Xenophon mit Ttatexavd'r] vertauscht
haben, aber der Interpolator hat, wie es scheint, nur einen
geringen Wortvorrath zur Verfügung: wie dort 6 h Qco-
xai<f vedg zijg ^t&rjvag svertQrjo&r] so schreibt er I 6, 1 6
Ttjg id&rjvcig vewg iv y A§rpaig sveTtQyo&r]. — Auch der In-
halt verräth einen späteren Schriftsteller. Ein Zeitgenosse
der Ereignisse würde nicht geschrieben haben: Dionysios
verlor Gela und Eamarina ; diese Städte waren damals noch
selbständig und Dionysios nur Herrscher von Syrakus, er
konnte nicht verlieren, was er nicht besessen hatte.
II 3, 9 — 10. Die Worte ig o k^dfxrjvog — öixade xavi-
Ttlevaev werden von allen ausser Clinton und Müller für
unächt erklärt, obgleich sie dieser p. 12 fg. so gut ver-
theidigt hat, dass es schwer hält zu begreifen, wie die be-
reits widerlegten Verdachtgründe jetzt noch vorgebracht
werden können. Die Erwähnung des dreissigjährigen Friedens
ist nichts weniger als c albern': bei dem Eintritt des neuen
Friedens wird passend an den alten, durch den jetzt been-
digten Krieg abgebrochenen erinnert; an e^dfirjvog ist nach
Wegräumung des störenden aber in den besten Hdss. feh-
lenden Artikels 6 nichts Auffälliges mehr zu finden; die
falsche, von einem Abschreiber, welcher 27 */* Kriegsjahre
mit 29 Ephoren nicht zusammenreimen konnte, herrührende
Zahl 28*/2 ist in 27^2 zu verwandeln und die Zählung von
29 Ephoren nicht nur nicht falsch, sondern im Gegentheil
einzig richtig, weil bei Lysanders Heimkehr eben das Jahr
und damit die Ephoren neu gewechselt hatten. Ein posi-
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 281
tiver Beweis der Aechtheit liegt darin, dass nur die Ephoren
aufgezählt werden; jeder andere würde entweder auch die
Archonten oder nur diese angegeben haben ; Xenophon da-
gegen schrieb auf spartanischem Boden und zu einer Zeit,
da Sparta anerkannt die Führerschaft in ganz Hellas hatte.
Die späteren Autoren kennen keine Datirung nach Ephoren,
während die attische allgemein in Uebung war ; ob noch im
späten Mittelalter eine Ephorenliste vorhanden war, ist frag-
lich, dagegen erklärt sich eben daraus, dass Xenophon zwar
diese Ephoren, nicht aber die nach 404 angegeben hat, das
Aufhören der datirenden Glosseme nach unserer Stelle.
III. Ursprung der Glosseme.
Die Glosseme zerfallen in chronologische und eigent-
lich historische; jene wieder in summirende (I 3, 19. 6, 1.
II 1, 7) und datirende (I 2, 1. 3, 1. 6, 1. II 1, 10. 3, 1);
von den historischen gibt nur eines (II 1, 8—9) eine eigent-
liche Erzählung, die andern (I 1, 37. 2, 19. 3, 1. 5, 21.
II 1,8. 2, 24. 3, 5) enthalten blosse Erwähnungen, sum-
marische Notizen wie. man sie im Texte einer Zeittafel zu
finden pflegt.
Die Summirung der Kriegsjahre ist an zwei von den
drei Stellen falsch (I 6, 1. II 1, 7), also ohne Anwendung
eines die Zeit von 411 — 404 behandelnden literarischen Hülfs-
mittels gemacht. Der Urheber dieser Glosseme kennt die
Geschichte jener Zeit nur aus Xenophon: nachdem er I 2, 19
in bttü 6* 6 %unwv eXyye die (vermeintliche) Andeutung
eines Jahreswechsels gefunden und die unter dieser Voraus-
setzung richtige Summe von 22 zu Winters Ende 409 ab-
gelaufenen Kriegsjahren hinzugescbrieben hatte, lieferte ihm
I 4, 2 aQxofiivov di xov sagog das Anzeichen des nächsten
Jahreswechsels, dagegen verkannte er die auch von vielen
Neueren missachtete dunkle Andeutung des darauffolgenden
(I 5, 10); so kam es, dass er bei den ausdrücklich äuge-
Digitized by
Google
282 Sitzung der phüos.-phftol. Classe vom 4. Februar 1882.
gebenen Uebergängen von 406 und 405 irrig 25 und resp.
26 Kriegsjahre ablaufen liess statt 26 und 27. Woher
wusste er aber, dass bei I 3, 1 das 22. Jahr zu Ende ging?
Entweder war sein Exemplar der Hellenika am Anfang noch
vollständig und fand sich dort angegeben, dass die Erzäh-
lung im 21. Jahre anhebt, von wo der I 2, 1 angezeigte
Uebergang ihn in das 22. Kriegsjahr führte; zu dem Irr-
thum, Frühlings Anfang für Xenophons Kriegsjahrepocbe
zu halten, konnte er durch die Wahrnehmung kommen, dass
dieser bald von dem Anfang eines neuen Jahres, bald, an-
scheinend hiemit in gleichem Sinn, vom Ende des Winters
oder vom Anfang des Frühlings spricht. Oder, was wahr-
scheinlicher, 1 ) er erinnerte sich, dass Thukydides den Ueber-
fall von Plataia und viele Anfangsereignisse späterer Kriegs-
jahre in den Anfang des Frühlings gesetzt hatte und bis
in die Mitte des 21. Jahres gekommen war; Kenntniss des
thukydideischen Werkes dürfen wir einem Leser der Fort-
setzung desselben, Interesse für die Jahrepoche des einen
dem Ergänzer der Epochenangaben des andern wohl zu-
trauen.
Dass dieser lnterpolator ein anderer ist als der Ur-
heber der datirenden Glosseme, hat Em. Müller p. 16 an
dem Widerspruch gezeigt, welcher zwischen ihrer Jahrrech-
nung besteht. Den Jahresübergaug von 409, welchem jener
(halb richtig) die Summe von 22 vollendeten Kriegsjahren
beischreibt, stattet dieser mit der Datirung von 407 aus;
von da bis zu dem Wechsel von 406 zählt jener um zwei
Jahre weiter, dieser nur um eines. Müllers Beobachtung
lässt sich zunächst dahin erweitern, dass auch die Erzählung
und die Notizen anderen Ursprungs sind als die Jahrsummen
1) Der Einscbub von eapog dQx°^ y ov I 3, 1 lässt vermuthen,
dass ihm der Anfang des Kriegsjahres mit dem Frühling von vorn
herein festzustehen schien.
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 283
und dass der summirende Interpolator älter ist als die (oder
der) Verfasser der anderen Zusätze. Die Summirung am
Ende von II 1, 7 zag vavg Ttaqeäoaav ^ivodvdqq) [eztov i]drj
zqi TtoXeijKp Ttevze xal ewooi TtaQeXyXv&ozt v\ ist offenbar
in der Voraussetzung dort angebracht, dass unmittelbar
nach ihr die ursprünglich d. i. im ächten Text in der That
an naQedooav AvoavdQy angeschlossene Fortsetzung § 10
r<£ & ETtiovTi szei folgt; erst später wurde die Erzählung
§ 8 — 9 zovzq) de z§ eviavziji xal Kvqog a7t€xzeivev xrA.
zwischen beiden Stellen eingeschoben: stand diese schon
im Text, so würde das summirende Glossem erst nach oder
bei den letzten Worten der Erzählung angebracht worden
sein. Die eigentlich für die Einlage desselben ins Auge ge-
fasste Stelle war vielleicht eine noch jetzt später kommende
Stelle, eben der neue Uebergang z(ji § litiovzi ezei selbst,
und der Umstand, dass das Glossem entweder auf schmalem,
mehrere Zeilenausgänge begleitenden Rand oder zwischen
den Zeilen geschrieben war, verschuldete die unrichtige Ein-
ordnung in den Text der ersten Abschrift. Auch in den
datirenden Glossemen ist das Vorbandensein der unächten
Jabrsummen bereits vorausgesetzt. Den von Xenophon ohne
Anzeige eines Jahreswechsels gelassenen Zeitraum zwischen
I 2, 1. 410 und I 6, 1. 406 behandelt der Summator als
dreijährig (410 — 407), indem er zwei Jahreswechsel in dem-
selben vor sich gehen lässt, der datirende Interpolator als
zweijährig (408 — 406), von einem einzigen Wechsel unter-
brochen: er erkennt diesen in enei 6 xuimv eh]ye I 3, 1
und setzt die Data des nach seiner Rechnung nächsten
Jahres (407) bei, unter lässt das aber bei ctQyofievov zov k'ccqog
I 4, 2. Warum? weil der Summator bei I 3, 1 hinzuge-
fügt hatte dvolv y.cli bIkoolv izwv — nccQeXrjlv&ozcov, wäh-
rend bei I 4, 2 er zwar, wie seine späteren Summirungen
lehren, einen neuen Wechsel angenommen, ihn aber durch
einen ähnlichen Zusatz bemerklich zu machen unterlassen
Digitized by
Google
284 Sitzung der pMos.'phüol. Classe vom 4. Februar 1882.
hatte. Was von den Datirungen, gilt auch von den Notizen :
beide sind, wie sich später zeigen wird, gleicher Herkunft.
Eine von den Notizen (I 1, 37) wird in dem Auszug
aus Stephanos v. Byz. citirt, p. 690 Xeipega, nokig 2txeliag.
Sevoq)ü)v 'EAArjVMwv tcqwti^ ' OTQaT&uovzeg <? Ini 2ixellav dexa
juvQidoi OTQctTiag algovoiv iv tqioI prjol ävo rtokeig 'Ekkfjvl-
dag 2eXivovvrd te xai Xeifjegav. to <f s&vntov XeipeQcuog
cog 'IfieQalog; doch hat Meineke, wie es scheint ohne an die
uns hier beschäftigende Glossemenfrage zu denken, den
ganzen Artikel c ut imperiti et pessirao codice usi interpota-
toris additamentum' eingeklammert. Die Unkunde, welche
sich in der Annahme einer sicilischen Stadt Cheimera ver-
räth, wäre zwar für einen Stephanos nicht zu gross; aber
die Textverderbniss ist desto grösser : otgarevoavTeg in otqol*>
revovreg übergegangen, diesem ein de hinzugefügt, welches
die an Ort und Stelle vorausgehenden Worte KaQxrjdovioi
Ldvvißa iflovyikvov nicht zulassen, Selivovvra nal 'Ipegav in
SeXivotvrd tb nal Xei/utQccv verwandelt. Der letzte dieser
Fehler setzt zwei ältere, sich nach einander fortpflanzende
und vermehrende Entstellungen voraus : aus *al 'IfieQav
musste zunächst xal Etpegav, aus diesem durch Erasis Xei-
[leqav entstehen, ehe ein Dritter daran denken konnte, das
Asyndeton 2efavovw<x Xeifi€Qav in 2el. re nal Xsip. zu
corrigiren. Die Notizen müssten also vor der Zeit des Ste-
phanos, welcher im fünften Jahrhundert schrieb, bereits die
verderbliche Thätigkeit von drei Schreibern nach einander
erfahren, in ihrer ursprünglichen Gestalt also spätestens im
vierten schon bestanden, die unächten Summirungen aber
noch früher den Text der Hellenika verunstaltet haben.
Dies ist um so unwahrscheinlicher, als einerseits der Aus-
zug aus Stephanos auch nicht wenige andere Glosseme ent-
hält und uns nur in jungen Handschriften (die beste, der
Rehdigeramus ist ein Papiercodex) überliefert ist, während
noch in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts Eustathios
Digitized by
Google
Unger: Die kistor. Glosseme in Xenophons Helleniha. 285
ein weit besseres Exemplar benutzen konnte, andererseits
aber von den Handschriften der Hellenika die älteste erst
im XIV. Jahrhundert geschrieben ist.
Die zuerst in den Text eingedrungenen Glosseme, welche
die Jahrsummen enthalten, konnten allgemeine Verbreitung
erlangen, weil die Handschrift, welche sie enthielt, oder die
von ihr abgeleiteten vollständiger zu sein schienen als die
andern; das Gleiche lässt sich von einer zweiten späteren
Interpolation annehmen; aber kaum von mehr als einer.
Vielmehr darf man die drei jüngeren Glossemenclassen für
das Werk eines und desselben Interpolators ansehen: bei
keiner von ihnen lässt es sich wahrscheinlich machen, dass
sie beiden andern oder einer von ihnen zur Vorlage gedient
hat ; alle drei setzen ferner die Benützung literarischer Hülfs-
mittel voraus; auch kommt die ganze Gattung der histori-
schen Glosseme in der Geschichte der Glassikertexte so selten
vor, dass die Thätigkeit so vieler Interpolatoren dieser Art
an einem einzigen Texte kaum zu begreifen wäre. Die Datp.
insbesondere und die Notizen stehen mit einander im engsten
Zusammenhang, selbst die Abweichung, welche zwischen
ihnen besteht, lässt sich auf einen gemeinsamen Verfasser
zurückfuhren und der Umstand, dass beim Jahr 404, wo
die Datirung (wegen Unkenntniss der Ephorennamen von
403 bis zur Mantineiaschlacht) aufhört, auch die Notizen
ihr Ende finden, führt auf gleichen Ursprung beider; von
der Erzählung lässt sich wenigstens sagen, dass kein Grund
für die Annahme einer andern Herkunft spricht.
Die Erzählung II 1, 8—9 ist einem Schriftsteller
entlehnt, zu dessen Zeit das persische Reich noch bestand;
dies schliessen wir aus dem Praesens § 8 o /coiovoi ßaotXei
fxovov. Von der Erkrankung des Königs, welche Xenophon
und der Gewährsmann Plntarcbs für eine Tbatsache und
für die wahre Ursache der Heimberufung des Kyros halten,
weiss derselbe oder glaubt es wenigstens zu wissen, dass sie
Digitized by
Google
286 Sitzung der phüos-philol. Classe vom 4. Februar 1882.
nur vorgeschützt, die Ladung vielmehr durch eine Palast-
intrigue herbeigeführt worden war: was er erzählt, beruht
entweder auf Hofklatsch oder auf der tieferen Kenntniss
eines in die Serailyorgäuge Eingeweihten ; in beiden Fällen
passt es am besten auf Ktesias, welcher 17 Jahre am
Hofe zuerst des Dareios II, dann des Artaxerxes II lebend
Nachrichten beider Art in Menge zusammengetragen hat.
In unserem Falle war er, als Leibarzt des Dareios, wie kein
anderer in der Lage, zu wissen, ob derselbe damals krank
gewesen ist oder nicht, und die Erzählung gibt auch ohne
Zweifel den eigentlichen Sachverhalt wieder. 'Auch Müller
p. 18 meint, wenn sie nicht von Xenophon herrühre, müsste
Ktesi$s ihre Quelle gewesen sein, bezweifelt aber, dass dieser
einem Abschreiber zugänglich gewesen sei. Wir finden
keinen Grund, dies in Abrede zu stellen : im neunten Jahr-
hundert war das Werk in Byzantion noch zu haben, da-
mals veranstaltete Photios den Auszug, welchen wir in
seiner Bibliothek 5 noch besitzen : er konnte sich von da
mindestens bis in das XIII. Jahrhundert erhalten, in wel-
chem unter der Herrschaft der Lateiner ein grosser Theil
der alten Bücher- und Kunstschätze vernichtet worden ist.
Bis mindestens in dieses zurück darf man die unsern Hand-
schriften des Xenophon und Stephanos gemeinsame Inter-
polation ohne Bedenken verlegen ; der Einwand Müllers
aber würde ja die auch von ihm und allen für unädht er-
klärten Datirungen mittreffen.
Die Namensform Jaqeialog findet sich nur bei Ktesias
(Phot. bibl. p. 42) wieder und zwar bloss für den auch in
unsrer Erzählung gemeinten Dareios II Nothos, für diesen
aber ausschliesslich, so weit es sich um Könige handelt;
den Sohn des Hystaspes nennt auch er Dareios, bloss ein
Prinz (der eine von den Brüdern des Artaxerxes I) führt
ausserdem noch bei ihm die andere Namensform. Wie in
unsrer Erzählung, so wird Artaxerxes I Makrocheir auch
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 287
von Ktesias Phot. p. 41b 20. 40. 42 a 10 Xerxes (an andern
Stellen Artaxerxes) genannt, der Bruder des Kyros dagegen
bloss Artaxerxes. Mitraios, in unserer Erzählung der Name
des einen der zwei von Kyros Ermordeten, kehrt in dem
Auszug des Kephalion aus der assyrischen Geschichte des
Ktesias wieder (Euseb. chron. I 61. 62. Synkell. p. 317):
wie Ktesias so bedient sich auch Kephalion des ionischen
Dialekts, welcher es liebt, die Aspirata durch die Tenuis
zu ersetzen, und die in gewöhnlichem Griechisch abgefassten
Listen der Assyrerkönige des Ktesias geben dafür Mithraios
(Euseb. I 65. II 48. Synkell. 285 u. a.). So schreiben den
bekannten, auch von Xenophon (Cyrop. VIII 8. Anab. II 5.
VII 8) beibehaltenen Namen Mithridates oder Mithradates
Ktesias 43 b 8. 44 a 17 und Herodot I 110 ff. MiTQaddzrjg;
ebenso MiTQoßdtyg 1 ) Her. III 120, MiTQajovrjg Ktes. 43 b
33 (= Mi&QavOTr]Q Arrian Alex. III 8, 5), l4o7caf.uTQyg
Ktes. 39 b 40. 40 a 13; MiTQaipe^vrjg Nicol Damasc. fr. 10
in seinem Auszug aus Ktesias. Die gewöhnliche Form
Mi&Qaddtrjg findet sich in Schriften ionischen Dialekts nur
Ktes. 43 a 28, durfte aber dort wegen der zwei andern Stellen
als Textfehler anzusehen sein. Endlich noch eine stilistische
Parallele : dieselbe tautologische Breite, welche in ttjq daqu-
aiov ddeXq>fjg rijg xov StQ&v tov Jaqei(ai)ov naxqpg An-
stoss erregt hat, findet sich in Bezug auf eine andere
Schwester des Dareios II (der als Prinz Ochos geheissen
hatte) und Tochter des Artaxerxes I Ktes. 42 a 10 xov di
£2%ov £c5j> 6 TtaTtjQ c Y(maviü)v öazQajirjv BTtoirjoe dovg avz(^
yvvaiica Haqvöariv^ ijzig v\v Säq^ov frvydzqQ ddelcprj öi
otY.ua.
Die unrichtige Einstellung des Glossems in das der
Heimreise des Kyros vorausgegangene Jahr kann aus irriger
Abschätzung der Zeitverhältnisse hervorgegangen, aber auch
1) So auch Xen. Hell. I 3, 12; Mtzgäufig Heliodor V 8 ff.
Digitized by
Google
288 Sitzung der philos.-phüol. Glosse vom 4. Februar 1882.
auf das richtige Jahr berechnet und nur, weil es wegen
seines Umfangs einen grossen Theil des Randes der Hand-
schrift einnahm und über ty (P iitiovti evei hinaufreichte,
vom ersten Abschreiber am unrechten Platze eingeschaltet
worden sein. Ob Ktesias von Jahr zu Jahr erzählt und
die einzelnen datirt hat, ist aus dem Auszug nicht zn
ersehen.
Bedeutend jünger als die Quelle der Erzählung ist die
zu den Datirungen benutzte, dies beweist uns der Um-
stand, dass dort (II 3, I) dem ganzen attischen Jahre Ol.
94, 1. 404/3 die Bezeichnung Anarchie gegeben und diese
aus der Eigenschaft der Regierung erklärt wird, unter wel-
cher der Archont Pythodoros gewählt worden war. Beides
konnte keinem Kenner der Geschichte, weder einem Histo-
riker noch einem Chronologen der hellenischen und alexan-
drinischen Zeit einfallen. Die Oligarchie der Dreissig war
vom attischen Demos in der Volksversammlung gewählt und
anerkannt, also legitim; erst geraume Zeit nach der Ar-
chontenwahl (Xen. II 3, 11) gieng sie in eine Gewaltherr-
schaft über. Wenn, wie das Glossem will, die Archonten-
wahl jenes Jahres wegen des aristokratischen Regiments,
unter welchem sie zu Stande kam, mittelst der Benennung
Archontenleere nicht anerkannt worden wäre, so würde man
diese auch auf die Jahre der Archonten von 321 — 319 und
317 — 307 angewendet finden, zumal auf die ersteren, während
welcher mehr als die Hälfte des Demos in der Verbannung
schmachtete. Man müsste denn die Beschränkung derselben
auf die Zeit der Dreissig aus dem besonderen Hasse, welchen
sich diese zugezogen hatten, erklären und daher die Ent-
stehung und Herrschaft der Benennung auf die Demokratie,
von welcher die Dreissig gestürzt wurden, zurückführen.
Aber gleich beim Einzüge in die Stadt schwor der Demos,
alles vergeben und vergessen zu wollen, und ist nach Xeno-
phon II 4, 43 diesem Schwur noch zur Stunde, da dieser
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 289
schrieb, *) treu geblieben ; kaum zehn Jahre nach dem Sturz
der Dreissig schreibt ein erbitterter Feind derselben und
Vorkämpfer der Demokratie, Lysias, um dieses Jahr anzu-
zeigen, VII 9 enl TIvd'odojQOv ccqxovtoq, nicht €7ti Trjg dvaq-
%lag. Der Gewährsmann des Interpolators hält für Bezeich-
nung des ganzen Jahres, was die eines kleinen (kaum des
sechsten) Theiles war; er oder einer seiner Vorgänger kam
zu dieser Verwechslung dadurch, dass in der Mutterliste
zuerst die Anarchie und nach ihr die Regierung des Pytho-
doros aufgeführt war.
Eine ävaq%la im engsten und eigentlichsten 2 ) Sinn be-
stand vom ersten Tage jenes Jahres bis zur Wahl und
Amtsübernahme des Archonten Pythodoros, welche, bald
nach der Einsetzung der Dreissig stattfand: diese wurden
nach Xen. II 3, 4 um den 3. September (29. Metageitnion)
404 gewählt, also etwa 59 Tage nach dem Abgang der vor-
jährigen Archonten. Den einen der zwei Fehler unsrea
Interpolators begeht auch Diodor XIV 3, indem er eben-
falls das ganze Jahr Ol 94, 1 als Anarchie bezeichnet ;
richtig dagegen ist seine Erklärung des Wortes: dvaq%iag
ovorjg Id&Tjvyoi diä tt\v xctTaXvoiv vrjg iqye^oviag, und ihr
entsprechend vermeidet er den Irrthum, die Anarchie mit
Pythodoros gleichzeitig zu setzen. Hier ist nicht die Auf-
lösung der Hegemonie gemeint, welche thatsächlich seit der
Schlacht von Aigospotamoi, in aller Form aber durch die
Annahme der Friedensbedingungen und Uebergabe Athens
schon 2 1 /* Monate vor Ol. 94, 1 ihr Ende gefunden hatte,
sondern das Erlöschen der aQx<xi (aller Jahresbehörden ein-
schliesslich der höchsten, des Rathes) beim Ablauf von
1) Etwa zwanzig Jahre nach dem Schwor, s. Nitsche, über die
Abfassungszeit von Xen. Hell. 1872.
2) Aus den Inschriften und aus Phlegon sind viele Jahre der
späteren Zeit bekannt, welche in Folge Archontenmangels jene Bezeich-
nung führen.
[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 19
Digitized by
Google
290 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 4. Februar 1882.
Ol. 93, 4: x[ye\iovla heisst, wie das Lexikon lehrt, jede Re-
gierung eines Staats, gleichviel ob einer Monarchie oder Re-
publik, z. B. auch das Consulat, und ist insofern mit dq%rj
synonym, der Zusatz did rrjv xaTaXvoiv Trjg r\ye\ioviag dient
der Deutlichkeit, weil dvaqyia zugleich die weitere, moderne
Bedeutung staatlicher Unordnung hat, in welcher es mit
dvofxia synonym ist. In jenen Zeiten bestanden aber noch
zwei andere Anarchien. Die Archontenleere wiederholte sich
mit dem Abgang des Pythodoros beim Ablauf von Ol. 94, 1
(wenn er nicht mit den Dreissig schon früher abgetreten
ist): erst nachdem der Demos am 16. Boedromion eingezogen
war, wurden die Jahresbehörden gewählt, Xen. II 4, 13 *<xl
xoxe fiev aQ%äg xaraaTTjadf^evoi 6tvoXit€vovto ; auf diese über
2*|a Monate dauernde Zeit bezieht sich [Pltit.] decem orat.
835 f yqdipavTog ccvt$ (dem Lysias) QqaovßovXov itoXiielav
\iexd xr\v xd&odov en dvaq%lag xi\g n qo EvxXeidov. Voll-
ständige Listen mussten für Ol. 94, 2 zuerst die Anarchie,
dann Eukleides aufführen, Diodor XIV 12 begeht hier den
umgekehrten Fehler, das ganze Jahr dem Eukleides zuzu-
theilen. Eine dritte, diesen beiden vorausgegangene Anar-
chie erwähnt Suidas ®eo7to\mog\ yeyovwg ncttd tovg xQOvovg
T^g dvccQxlag *-A$v\vau\)v enl rrjg evevrjxoOTrjg %ol%r\g oXvft-
niddog, vjg ytal "Ecpogog, vgl. Suidas "EcpOQog'] v\v de enl xijg
ewaxooTtjg TQiTrjg oXv^nddog, tag xal ttqo rrjg (DiXirtnov
ßaoiXeiag elvai xov Maxedovog, wo r\v aus Missverständniss
des zweideutigen yeyovwg an die Stelle von eyevvr\&r) ge-
treten ist. Karl Müller fragm. hist. I p. CVIII denkt an
die Blüthezeit beider Schriftsteller (welche viel später ein-
getreten ist) und nimmt betreffs der Anarchie ein grosses
Missverständniss an: gemeint sei die zwischen Amyntas
und Perdikkas liegende makedonische Anarchie und das
Datum Olymp. 103, nicht 93, etwa 366 oder 365 v. Chr.
Eine solche Anarchie kennen die geschichtlichen Berichte
nicht: Amyntas, Alexandros, Ptolemaios, Perdikkas folgten
Digitfzed by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 291
ohne Unterbrechung aufeinander und nahmen die Zügel der
Regierung sogleich fest in die Hand. Eine Anarchie im
modernen Sinn bestand während der zweiten Hälfte von
Ol. 93, 4 und darüber hinaus : nachdem es entschieden war,
dass die Stadt sich nicht halten könne, gewann die Aristo-
kratenpartei immer grössere Macht and die demokratische
Verfassung und Regierung herrschte fast nur dem Namen
nach ; die anarchischen Zustände dieser Zeit schildert Lysias
in der Rede gegen Agoratos.
x Die vom Interpolator benützte Quelle war kein erzäh-
lendes Geschichtswerk, sondern eine Olympionikenliste. Die
Geschichtschreiber und überhaupt alle, welche sich der Olym-
piaden zum Datiren von Ereignissen bedienen, fügen selbst-
verständlich der Zahl derselben und dem Namen des Sta-
dioniken nicht die Erwähnung von Festakten hinzu, welche
sich nicht bei jeder Feier wiederholt, sondern nur einmal
stattgefunden hatten : Zusätze wie y TtqoOTe&eloa ^vvcoqlg
evlxa EvayoQOv 'Hleiov I 2, 1 nach oXv^miag xqbtr\ xat &>-
evrpiooTri gehören ausschliesslich zur Geschichte der olym-
pischen Spiele und werden daher auch nur in Olympioniken-
verzeichnissen mit jenen eigentlichen Daten verbunden. So
in dem des Eusebios chron. I 204 ivevrjxooTr] TQfarj. ]$jßa-
toq KvQtjvalog ozddiov . . . rtgooeted-r] ovviaqlg xal evUa
EvayoQag 'HXelog, während Diodor XIII 68 am Anfang der
Jahrbeschreibung die Datirung dXv[A7tiäg iyevero tqiti] nqdg
Talg ivevijKOVTa xa& qv evixa otclölov Evßarog KvQtjvalog,
aber erst c. 75 unter den geschichtlichen Notizen fCQoaeTi&r]
de xccl awiaqlg xata rrjv avzrjv okvfiTtiaöa angiebt. Die
Mehrzahl der Schriften, welche solche Verzeichnisse ent-
hielten, bestand in Zeittafeln, in welchen mit der Liste eine
Chronographie, d. i. Notizen über die wichtigsten Ereig-
nisse jedes Jahres verbunden waren ; zur Bezeichnung der
vier einzelnen Jahre dienten ausser den Nummern meist noch
die Nameu von Jahresbeamten, vor allen die der attischen
19*
Digitized by
Google
292 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 4. Februar 1882.
Archonten. Ein Werk dieser Art, eine Olympiaden-
chronik war die Quelle unsres Interpolators : sie fügte
der Festgeschichte die Archontennamen und geschichtliche
Notizen bei; Aufschluss über ihren Verfasser können wir
daher erst nach Untersuchung der Notizen gewinnen. Dass
dieselbe auch die treffenden spartanischen Ephoren ange-
geben hatte, ist schon an sich unwahrscheinlich, weil kaum
eine oder die andere dieses gethan und die einzige,, von
welcher es sich annehmen Hesse, die des Timaios, sich schwer-
lich bis in das spätere Mittelalter erhalten hat ; völlig aus-
geschlossen wird es durch einen Umstand, welcher auf Ab-
leitung der Ephorennamen aus einer anderen Quelle schliessen
lässt. Für die Frage, in welcher Weise die Amts- oder
Kalenderjahre der Olympiadenzähluug angepasst worden sind,
darf der Kanon aufgestellt werden, dass dasjenige bürger-
liche Jahr als erstes der Olympiade gilt, in welchem die
Spiele abgehalten wurden, z. B. als Ol. 93, 1 das der Con-
suln von 346/408, des Archonten Euktemon (Antritt Juli 408),
des Ephoren Arakos (Antritt Oktbr. 409) ; ebenso nach make-
donischer, byzantinischer und nach Timaios' Zeitrechnung
das um 1. Oktober, 1. September 409, mit dem Frühling
408 beginnende Jahr. Dies liegt in der Natur der Sache,
da im andern Fall die Spiele in das 4. Jahr der Olympiaden
gefallen sein würden, und wird durch alle thatsächlichen
Fälle bestätigt, für das lakonische Jahr des Ephoros und für
das des Timaios durch Diodor (Philologus XL 54), für die
späteren Kalender z. B. durch Julius Africanus (Philol. Anz.
XI 83), die Olympiadeuliste und die Kaiserdata des Euse-
bios, durch die byzantinischen Chronographen. Unser Inter-
polator setzt aber bei jedem Olympiadenjahr und dem dazu
passenden Archonten den Ephoren, welcher erst l */* Monate
nach dem olympischen Festtermin ins Amt getreten ist,
z. B. bei Ol. 93, 1 statt des Arakos seinen Nachfolger
Euarchippos. Dies erklärt sich daraus, dass er die Ephoren
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 293
aas Xenophon II 3, 10 entlehnt hat: d'eu für das letzte
Kriegsjahr dort genannten Endios stellt er mit dem Ar-
chonten desselben Kriegsjahrs Pythodoros, mit welchem er
zwar beim Ende des Krieges aber noch nicht bei der vor-
hergehenden Olympienfeier verbunden werden konnte, zu-
sammen und ordnet dem entsprechend auch die Vorgänger.
Die Notizen hat dem Interpolator kein Geschicht-
schreiber geliefert. In einem erzählenden Geschichtswerk
würde er gelesen haben, dass 410 die Schiffe von Selinus
wegen des Krieges dieser Stadt mit Carthago, 409 die von
Syrakus wegen der Bedrohung ganz Siciliens durch die
Punier aus Kleinasien zurückgerufen worden sind; selbst
der kurze Auszug Diodors aus Timaios erwähnt die Heim-
kehr der letzteren bei der Belagerung von Himera, ähnlich
der noch dürftigere des Justinus aus Trogus: der Inter-
polator würde daher nicht die Eroberung von Selinus und
Himera ein Jahr vor der Betheiligung der selinuntischen
und syrakusischen Schiffe an der Schlacht von Ephesos ge-
meldet, er würde auch die anderen starken Anachronismen
nicht begangen haben. Seine Quellte ist also eine Chrono-
graphie, welche nur einzelne Hauptereignisse in Gestalt
fragmentarischer Notizen verzeichnete; da sie aus dem Zu-
sammenhang gerissen waren, konnten sie leichter in eine
falsche Verbindung gebracht werden. Wenn, wie wahr-
scheinlich, von demselben Interpolator die Erzählung des
Ktesias eingeschoben worden ist, so folgt daraus, dass die
Notizenform schon der Quelle eigen war : sonst versteht
man nicht, warum er nicht auch die Heimladung des Kyros
als Notiz oder umgekehrt, soweit es der Raum erlaubte,
den Inhalt der Notizen ausführlicher behandelt hat. Dass
als Quelle ein später Compilator, kein Kenner der Geschichte,
auch schwerlich ein gelehrter Alexandriner gedient hat,
schliessen wir aus den Angaben über die Anarchie (II 3, 1)
und über die politische Stellung der sicilischen Städte im
Digitized by
Google
Xen.
Data
411
(409)
410
408
(409)
407
(408)
( 4.071
406
406
405
405
404
404
294 Sitzung der philos.'phüol. Classe vom 4. Februar 1882.
J. 405 (113,5) und denken daher an eine Olympiaden-
chronik der Eaiserzeit.
Die Abweichungen der Notizen von den Daten und beider
von Xenophon veranschaulicht am leichtesten eine Zu-
sammenstellung der Jahre vor Christi Geburt, welche über-
all vorausgesetzt werden:
Notizen
409 Selinus, Himera
408 Medien
(407) Phokaia
(406)
405 Akragas
406 Finsterniss; Athen
405 Akragas, Dionysios
404 Gela; Leontinoi u. a.
Diese Tafel zeigt, dass die Notizen Anfangs genau den-
selben Fehler, einen Anachronismus von zwei Jahren, be-
gehen wie die Daten, was auf gleichen Ursprung beider
führt; auch ihre Abweichung von einander spricht nicht
dagegen: in den Notizen sind die Jahre 406 405 zweimal
behandelt, offenbar um die am Anfang verlorenen zwei
Jahre hier wieder einzubringen; alles andere stimmt über-
ein. Ehe jedoch der Gang, den die Interpolation vermuth-
lich genommen hat, dargelegt werden kann, mu$s erst die
in der Tafel aufgestellte Gleichung der Jahrzahlen begrün-
det werden.
Die Erhebung des Dionysios zum Tyrannen im März
405 geschah der Notiz II 2, 24 zufolge ivitxvvy fxeaovvTi;
das Jahr ihrer Quelle begann also ungefähr um September
406, d. i. sie rechnete nach lakonischen oder, was wegen
ihres späten Zeitalters vorzuziehen, nach makedonischem
Kalender, dessen Neujahr ebenfalls auf den Neumond nächst
der Herbstgleiche fiel. Die Olympiadenchronik musste dieses
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 295
Jahr als Ol. 93, 4 (nicht 93, 3) zählen ; und diese Zähl-
ung wird auch wirklich in der Datirung desselben II 1, 10
(vgl. 3, 1) vorausgesetzt. In das folgende Jahr Ol. 94, 1
setzt die Notiz II 3, 5 den Fall von Gela und Kamarina,
die Auswanderung der Leontiner und der vornehmen Syra-
kuser, Ereignisse, welche nach Timaios (p. 279) zwischen
Frühlingsanfang 405 und Winters Ende 404 geschehen sind,
und zwar wahrscheinlich erst in der zweiten Hälfte dieses
Zeitraums. Die Belagerung von Gela, deren Ende das erste
jener Ereignisse bildet, begann im Hekatombaion (c. 18. Juli
— 16. Aug. 405), vgl. Timaios bei Diod. XIII 108 mit
Arrian Alex. II 24, 6 ; erst viel später, nach vielen Stürmen
einer- und Ausfällen andrerseits, rückte Dionysios, welcher
grosse Rüstungen angestellt und die Streitkräfte der Hel-
lenenstädte Siciliens und Italiens mit den syrakusischen ver-
einigt hatte, zum Entsatz heran; 20 Tage nach seinem Er-
scheinen vor der Stadt wurde die Schlacht geschlagen, welche
über ihr Schicksal entschied. Ihr Fall darf daher in die
Zeit um die Herbstnachtgleiche verlegt werden, so dass
dieses Jahr der Notizen, entsprechend dem vorausgegangenen,
vom Herbst 405 zum Herbst 404 läuft und als Olympiaden-
jahr wiederum mit dem in der Datirung angegebenen (Ol.
94, 1) zusammenfällt. Dasselbe gilt von den früheren No-
tizen, so weit deren Zeit bekannt ist, und darf daher auch
für die nicht näher bekannten (Medischer Aufstand, Brand
in Phokaia) gleiche Jahrform angenommen werden. Die
Belagerungen von Selinus und Akragas, März — Juni 409
fallen nach makedonischer Rechnung in Ol. 92, 4. Okt. 410
— Okt. 409 : die Datirung setzt wirklich Ol. 92, 4 voraus ;
die Mondfinsterniss des 15. April 406, makedonisch Ol. 93, 3.
Okt. 407 — Okt. 406, geschah auch der Datirung zufolge
Ol. 93, 3.
Bei dieser ist der Interpolator von dem letzten Jahre
Ol, 94, 1 ausgegangen. Seine letzten Datirungen treffen (von
Digitized by
Google
296 Sitzung der phüos-phüol. Classe vom 4. Februar 1882,
der Verschiedenheit der Jahrepoche zwischen Xenophon und
dem Chronographen abgesehen, welche der Interpolator nicht
erkannt hat) auf die von Xenophon gemeinten Jahre, seine
ersten nicht; gerade das letzte Jahr aber konnte auch ein
oberflächlicher Leser am besten treffen, weil es den grössten
und berühmtesten, auch in der magersten Chronographie
nicht leicht fehlenden Vorgang, den Fall Athens, enthält;
die Quelle des Interpolators deutete selbst in der Datirung
(Anarchie) jenen an : in das vorletzte Jahr entfallt die ebenso
bekannte Niederlage von Aigospotamoi. Der letzten Jahr-
beschreibung Xenophons (II 3, 9 — 10) sind die Ephorendata
des Interpolators entflossen, von ihr inusste er also bei der
Einlegung derselben ausgehen. Eben dort finden wir auch
die Ursache der ganzen Datirungsinterpolation, Jene Zu-
sammenstellung sämmtlicher Datirungsephoren des pelopon-
nesischen Krieges konnte in zwei Beziehungen nicht ohne
Grund auffallend und anstössig erscheinen: weil nur die
Jahresbeamten der einen, nicht auch die der andern krieg-
führenden Partei verzeichnet sind, und weil Xenophon sie
alle an einer Stelle angebracht hat, anstatt bei jedem Jahres-
wechsel einen von ihnen zu nennen und so, unter Hinzu-
fügung des gleichzeitigen Archonten und von vier zu vier
Jahren der Olympiade eine ordentliche Datirung herzustellen.
Diesen Mängeln wollte der Interpolator abhelfen. Der rück-
läufige Gang, welchen er einschlug, erklärt es am besten,
dass er zwei Jahreswechsel übersehen hat : durch ihn ver-
hindert, den Verlauf der Ereignisse und die feineren Andeu-
tungen der Jahreszeiten zu erkennen, verfolgte er lediglich
das Vorkommen des Wortes erog in Verbindung mit einem
Begriffe des Uebergangs und sprang so, von 404 auf 405
von da auf 406 gekommen, über die zwei bloss angedeuteten
Wechsel der Jahre 407 408 gleich auf 409 hinüber, wo
der ältere Interpolator für eine solche Angabe gesorgt hatte;
daher wurde ihn 409 zu 407 und 410 zu 408.
Digitized by
Google
Unger; Die histor. Glosseme in Xenojphons Hellenika. 297
Beim ersten Jahreswechsel angelangt und wohl ;nit Be-
friedigung auf die anscheinend so schön gelungene Verbes-
serung eines berühmten Werkes zurückblickend, mag er
sich zu weiteren Thaten gedrungen gefühlt haben, um so
mehr als ihm die Olympiadenchronik ausser den Daten auch
Notizen über Ereignisse an die Hand gab, deren Erwähnung
man bei Xenophon vergebens suchte. Hier freilich genügte
es nicht mehr, das Werk rückwärts und flüchtig zu durch-
blättern: um Stellen zu finden, welche einer Ergänzung
bedürftig oder fähig schienen, musste er es im Zusamnier4-
hang von Jahr zu Jahr mit Aufmerksamkeit durchlesen.
Eben beim ersten Jahre, 409, bot ihm die Chronographie
zwei Ereignisse , deren gesonderte Behandlung man bei
Xenophon um so mehr hätte erwarten dürfen, als von ihm
auf das eine in der nächsten Jahrbeschreibung hingewiesen
wird, in der Motivirung der besonderen Auszeichnung, welche
die Ephesier den Selinuntiern für ihren kräftigen Beistand
im Kampfe widmeten, I 2, 10 2eXivovoloig de, 67tel rj nokig
ccTcoltoXei, nal nokuvuav k'dooav. Diese Stelle bedeutet zwar
in Wirklichkeit: nachdem Selinus gefallen war, d. i. erst
nach der an dieser Stelle behandelten Zeit, ertheilten sie
ihnen das Bürgerrecht; aber die in der That dem Leser
zuerst sich aufdrängende Deutung ist die, von welcher der
Interpolator, da er den Fall der Stadt im vorhergehenden
Capitel anbringt, ausgegangen sein muss : weil Selinus ge-
fallen war. Nachdem er bei den drei ersten, ihm für 409
408 407 geltenden Jahren die nach seiner Ansicht wichtig-
sten *) Notizen aus der Chronographie herübergenoramen
1) Da88 er Anfangs nicht alle aufgenommen hat oder aufnehmen
wollte, geht aus der Nachholung der Notizen über die Finsterniss und
den Brand in Athen hervor. Ebenso lehrt die Vergleichung von I 5, 21
mit II 2, 24, dass er manche wenigstens nicht vollständig ausgeschrieben
hat: hier war er vermuthlich durch die Rücksicht auf den knappen
Baum des Bandes beengt.
Digitized by
Google
298 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Februar 1882.
hatte, ^am er an die nur angedeuteten Jahr Übergänge. Da
konnte ihm denn, nachdem er so ebeti bei dem von ihm
selbst mit einer Datirung ausgestatteten letzten Wechsel
I 3, 1 die Worte eaqog aQxopevov gelesen hatte, kaum ent-
gehen, dass mit aq^ofxivov de tov eaQog I 4, 2 ein neuer
eintrete, dass er mithin beim Datiren einen, eben diesen,
übersehen hatte. Hiedurch zu erhöhter Aufmerksamkeit
gespornt, mag er in I 5 auch den andern gleichfalls früher
verkannten entdeckt haben. Er glaubte sich verbessert zu
haben, wenn er diese als 406 (statt 408) und 405 (statt 407)
behandelte und, da er bloss bei 405 eine ihm wichtig schei-
nende Notiz in der Chronik fand, sie dort anbrachte. Volles
Licht über seine Irrungen, die Erkenntniss, dass er nicht
bloss zwei Jahre übersprungen, sondern alle vom Anfang
an falsch datirt hatte, gieng ihm auf, als er jetzt zu 406,
ihm bisher für 404 geltend, kam : denn bei 404 selbst zeigte
die Chronik den Fall von Athen und was sich daran schloss,
Vorgänge also, welche er zum Ausgang bei der Datirung
genommen hatte, von denen er noch wusste oder leicht er-
sehen konnte, dass sie bei Xenophon zwei Jahre später
standen.
Bei 406 beginnt er also die Besserung, so weit sie aus
äusseren Gründen, d. i. ohne das früher Geschriebene, das
den zu gründlichen Aenderungen nöthigen Raum wegnahm,
umzuschreiben, möglich war; ein Plickwerk das neue Fehler
machte um alte zu compensiren. Er behandelt die J. 1 406
und 405 nach ihrer wahren Zeit, und holt zu diesem Zwecke
die bei Xenophons J. 408 und 407 verschmähten Notizen
der Chronographie aus 406 und 405 nach: bei jenem die
Mondfinsterniss und den athenischen Brand, bei diesem die
Erhebung des Dionysios ; dass er die Eroberung von Akragas
hier noch einmal angebracht hat, kann als Eingeständniss
des begangenen Fehlers gegenüber denkenden Lesern, in
Betreff anderer als Versuch ihn zu verdecken angesehen
Digitized by
Google
Uriger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 299
werden: jenes wegen iieoovvti, dieses wegen der absoluten
Participia Aoristi mit aQOTeqov, durch welche der Schein
erregt wird als gehörte die ganze Belagerung von Akragas
in ein früheres Jahr. Nachdem er so den Inhalt der Chronik
in reicherem Masse auszunützen begonnen hatte, setzte er
dieses Verfahren bei 404 fort. Noch weiter zu gehen mit
seinen Bereicherungen und den Rest des Werkes zu vervoll-
ständigen, durfte ihm nach dieser Probe die Lust vergehen,
auch wenn der Verbrauch des von Xenophon gelieferten
Vorraths an lakonischen Datirungen und die grosse Selten-
heit der angezeigten Jahrübergänge ihm das nicht von vorn-
herein verwehrt hätte. Möglich aber war die lange, bis
Hell. I 6, 1 vorhaltende Verkennung seiner Anachronismen
nur, wenn die Chronik bis dahin kein Ereigniss des
peloponnesischen Krieges erwähnt hatte, welches
durch sein Vorkommen bei Xenophon ihn aus seinem Irr-
thum zu reissen im Stande gewesen wäre : nicht die Erober-
ung von Byzantion, den Triumph und den Sturz des Alki-
biades, nicht einmal die Schlacht bei den Arginusen und
die bei Aigospotamoi. Dass solches möglich war, lehrt der
Kanon des Eusebios, welcher (chron. II 108) von 411 — 404
gar keines, nicht einmal den Fall von Athen oder das Ende
des peloponnesischen Krieges erwähnt und, wenn man von
diesem in der profanen Geschichte früherer Zeiten ganz un-
wissenden Scribenten absehen wollte, die Chronik des Julius
Africanus: auch diese" findet weiter nichts als die Schlacht
von Aigospotamoi und die Uebergabe Athens nennenswerth
(Syncell. p. 490, s. Geizer Afr. I 182). Aber möglich war
solche Gleichgültigkeit gegen die bedeutendsten Kriegser-
eignisse der classischen Zeit doch erst späten und unhel-
lenischen Schriftstellern.
Sowohl hiedurch als durch die in den geschichtlichen
Irrthümern liegenden Anzeichen späten Zeitalters werden
die einschlägigen Werke eines Aristoteles (6Xv[Amov7xcu),
Digitized by
Google
300 Sitzung der phüos.-phUol. Glosse vom 4. Februar 1882.
Timaios (6Xvfi7ciovM<xi) , Philochoros (7teqi oXviATiiadcov),
Eratpsthenes (oXvftniovlxai oder xQOvoyQaqtlcu) und das aus
letzterem geflossene des Apollodoros (xqovmol) von voru
herein ausgeschlossen ; ebenso durch ihre Jahrepoche : den
Timaios etwa ausgenommen (wenn derselbe wie in seiner
Geschichte Siciliens und Unteritaliens vom Frühlingsanfang
ausgieng) haben sie alle nach attischem Kalender gerechnet,
nicht wie die Quelle des Interpolators nach makedonischem ;
Eratosthenes und Apollodoros insbesondere haben , nach
Diod. XIV 3 zu schliessen, die Anarchie anders und besser
erklärt und den Stadioniken Krokinas nicht als Thessaler
(Gloss. II 3, 1) sondern als Larissaier bezeichnet. Die Zeit
der dqxovrvov nai oXv(X7tioviytwv ävayQaqrri des Stesikleides
(Diog. La. II 55) und der 6Xvf.i7vioviY.ai des Skopas (Plin.
bist. VIII 82) lässt sich nur aus der ihrer Benutzer be-
stimmen, aber Skopas hat wahrscheinlich wie die Eleier
Euanorides, ein Zeitgenosse Hannibals, und Aristodemos,
ein Schüler Aristarchs, der Festgeschichte keine Chrono-
graphie hinzugefügt und Stesikleides als ein Athener weder
die Herbstepoche zu Grund gelegt noch die Geschichte des
peloponnesischen Krieges stiefmütterlich behandelt. Gegen
alle diese Schriften spricht überdies noch, dass sie im
späteren Mittelalter wahrscheinlich nicht mehr vorhanden
gewesen sind. Von den %qovm<x des Charax (um 160 n. Chr.)
ist es nicht nachweislich, dass sie eine Olympionikenliste
enthielten; gegen ihre Benützung in den Notizen spricht,
dass Charax die Geschichte von Althellas, zumal von Athen,
mit Vorliebe behandelt hat. Die bis Ol. 247 (209—213 n.Chr.)
reichende und von andrer Hand bis Ol. 249 fortgeführte
Festgeschichte, welche Eusebios chron. I 193 ff. erhalten
hat, wird von vielen als ein Bestandtheil der 221 geschriebenen
XQOvixä des Julius Africanus angesehen; diesem können die
Notizen des Interpolators nicht entlehnt sein, weil er aus
der Zeit von 411 — 404 ausser der Niederlage und dem Fall
Digitized by
Google
TJnger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 301
Athens nur noch den Synoikismos von Rhodos erwähnt
(Geizer Afr. I 182) und innerhalb der Olympiaden die ein-
zelnen Jahre in der Regel nicht unterschieden hat; ebenso
stimmt auch die Festgeschichte in Betreff des Krokinas
nicht mit dem Glossem sondern mit Diodor iiberein. Herenuios
Dexippos, dessen %(>aj>«cij igtoqlcc laut Cramers Anecd. par.
II 153 die Olympioniken bis Ol. 262 (269 n. Chr.) ver-
zeichnete, war ein Athener und das von Stesikleides Gesagte
gilt daher auch von ihm, um so mehr als er selbst nicht
nur ein Datirungsarchont gewesen ist, sondern auch durch
seine glänzende Heerführung gegen die Heruler, an welchen
er die Einnahme seiner Vaterstadt, die Vertreibung und
Ermordung ihrer Einwohner blutig rächte, eben im J. 269
dem Stolze auf die Herrlichkeit früherer Zeiten neue Nahrung
gegeben hatte. Was endlich die Chronik des Eusebios be-
trifft, so lehrt der Augenschein, dass diese den Stoff der
Glosseme nicht geliefert hat.
Die gegen diese Chroniken geltend gemachten Gründe
finden nur auf eine einzige keine Anwendung: auf die
ohjfXTtioviy.cov xal %qöviy.wv ovvaywyrj des Phlegon aus
Tralleis, eines Freigelassenen Hadrians, welche in Ol. 229
(137 — 141 n. Chr.) zu Ende ging. Unter allen profanen
Chronisten hat Phlegon in christlicher Zeit neben Charax
das grösste Ansehen genossen, sich aber noch länger er-
halten als jener ; zu Statten kam ihm besonders seine Notiz
über eine Sonnenfinsterniss und Erderschütterung, welche
allgemein auf die Verfinsterung und das Erdbeben bei Christi
Tod bezogen wurde. Von den vielen , welche ihn citiren,
hat nicht nur Africanus und Origenes sondern auch im J. 593
Euagrios (hist. eccl. I 20) ihn wirklich benützt; im IX. Jahr-
hundert hatte Photios noch das ganze Werk in Händen,
den Anfang desselben hat eine Pfälzer Handschrift des
X. Jahrh. auf unsere Zeit gebracht. Seine Vaterstadt ge-
hörte zur Provinz Asia, in welcher nach makedonischem
Digitized by
Google
302 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 4. Februar 1882.
Kalender datirt wurde; das Neujahr desselben fiel dort auf
den 1. Kaisarios, welcher bei Einführung des Sonnenjahrs
auf den 24. September fixirt wurde (ldeler I 414). Dass
er wirklich, wie die Quelle unserer Notizen, sowohl das
Jahr im Herbst als auch die Olympiaden mit dem vor,
nicht nach der Festfeier liegenden Herbst anheben Hess, soll
jetzt an seiner Beschreibung der 177. Olympiade, welche
Photios bibl. cod. 97 vollständig abgeschrieben hat, erwiesen
werden.
Die chronographische Abtheilung derselben beginnt mit
dem Anfang oder der Fortsetzung der Belagerung von
Amisos, welche Phlegon bei attischer Jahrrechnung (Ol. 177
= Juli 72 — Juli 68) in Ol. 176 hätte setzen müssen, da
sie im Herbst 73 und Winter 73/2 stattgefunden hat: Aev-
xolkog de !d[iiodv itvoXioQxei xai MovQqvav erri xfjg tzoXioq-
xiag xaTaki7tü)v [texä dvdiv xay\xaxoiv avxog \A&ta xqiwv
äXfoüv rtQorjyev ircl KaßeiQCov , otvov die%eiixat t e. xal
l4dqiavov inexa^e 7toXef.ifjocu Mt^Qidaxrj xcw TtoXefxr^oag
sviytrjae. Gegen Drumann IV 133 fg., welcher wegen dieser
Stelle die Belagerung in den Winter 72/1, die Niederlage
und Flucht des Mithridates nach Armenien in das J. 71
setzt, haben die Späteren sich mit^Recht für die um ein
Jahr höhere Datirung erklärt, sowohl wegen der Zeit der
vorausgegangenen und der nachfolgenden Ereignisse, als
wegen des bestimmten Zeugnisses eines Zeitgenossen, Plu-
tarch Luculi. 33 Salovoxiog cprjai xaXercclJg diaxe&ijvai xovg
axQccxiarxag nqog avxov ev$vg ev olqxJ} xov noXefxov nqog
Kv^Uq* xal Ttakw rcqog lifALö^ dvo xeifxüvag e^rjg ev %aqaxi
diayayetv ävayKao&evxag ; der Krieg begann 74, die Be-
lagerung von Kyzikos nahm den Winter 74/3, die von
Amisos also den folgenden von 73|2 in Anspruch. Phlegous
Datum der Belagerung steht keineswegs in Widerspruch mit
der wahren Zeitrechnung: Ol. 177, 1 beginnt ihn nicht
mit Juli 72 sondern Oktober 73.
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenilca. 303
Ebenso wie der Anfang wird auch das Ende der Olym-
piade von Phlegon nach makedonischem Kalender berechnet :
das 4. Jahr ist ihm nicht Mitte 69 — Mitte 68, sondern
Herbst 70 — - Herbst 69: %($ de xexaqx^ exu TiyQavyg xccl
Mi&Qiddrrjg ä&Qoloavreg 7ie£ovg pev Teoaaqag fXvquxdag
i7C7tiag de rqelg xal xov y ha%iY.6v avxovg Ta&vzeg xqoTtov
irtokefiirjoav ^/tevKoHq* xai vtxijc jLevY.olXog xai 7tevTaY.io%lXioi
fxiv twv fierä TiyQavovg eneoov rtXeiovg de tovtcov j^uaAoj-
Tio&rjoav x w QiS T °v alAov ovyxXvdog oxXov. Diese Stelle
bezieht man, in Folge des Vorurtheils, dass ihr attische
Jahrrechnung zu Grunde liege, auf die zweite Schlacht des
Tigraneskrieges, die von Tigranocerta, 6. Oktober 685/69
nach altrömischem Kalender ; aber Phlegon spricht von der
ersten. Er setzt in Ol. 177, 4, wie sowohl der Anfang der
Stelle als sein Schweigen über Tigranes beim 3. Jahr lehrt,
die Eröffnung des Krieges. Mitte 70 beschloss der König
in den Kampf einzutreten (Plut. Luc. 22. Memnon 46. App.
Mithr. 82, s. Fischer röm. Zeittafeln p. 204) ; auf die Nach-
richt davon reiste Lucullus zum Heer in den Pontus, eröff-
nete die Belagerung von Sinope, eroberte die Stadt und er-
fuhr bei seinem Aufenthalt daselbst, dass Tigranes, um in
seiner Abwesenheit die Provinz Asia zu überfallen, sich
schon den Grenzen Lykaoniens und Kilikiens genähert habe
(Plut. Luc. 23). Er zog daher in Eilmärschen an den
Euphrat, in den ersten Monaten von 69, Plut. L. 24 odev-
aag im xov EvcpQdtrjv xal xcctiovtcc nokvv xal d'oXeqov vtco
Xeipwvog evQwv ijoxaXXev, von da durch Sophene an den
Tigris; nach seinem Einzug fn Armenien, Frühjahr 69, fand
die erste Schlacht statt. Die zweite, durch die völlige
Niederlage, welche das ungeheure Heer des Tigranes trotz
zwanzigfacher Ueberzahl (Plut. Luc. 28) erlitt, wird schon
durch die bescheidenen Zahlen unsrer Stelle ausgeschlossen.
Nicht 40 000 sondern 170 000 (Plut. Luc. 26), nach Appian
(M. 85) sogar 250000 Mann zählte sein Fussvolk; die Rei-
terei 55 000 (nach Appian 50 000). Nie zuvor hatte die
Digitized by
Google
304 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 4. Februar 1882.
Sonne eine solche Schlacht beschienen, schrieb ein Augen-
zeuge (der Philosoph Antiochos), nie ein römisches Heer
gegen solche Ceber macht gefochten, Livius bei Plut. Luc. 28 ;
die 15 000 heranziehenden Römer waren dem König c fur
Gesandte zu viel, als ein Heer zu wenig' vorgekommen.
Getödtet wurden von seinen Soldaten nicht 5 000, wie es
bei Phlegon heisst, sondern vom Fussvolk über 100 000,
von der Reitern entkam fast keiner (Plut, L. 28): das
Metzeln war nach der Schlacht an den Fliehenden fortge-
setzt worden 120 Stadien weit, bis die Nacht einbrach (App.
M. 85). Auf solche Stärke hatten aber Tigranes und Mithri-
dates ihr Heer erst nach der ersten Schlacht gebracht (Plut.
L. 25. Appian M. 84); in dieser hatte seine Ueberzahl sich
in weit massigeren Verhältnissen bewegt, Plut. L. 25 Mi&qo-
ßaqCdvt^g €7t€[icp&r] avv IttifEVGL TQio%i'kloig ne£di$ de na(x-
TtoXkotg; Appian M. 84 Mi&QoßctQ^dvrjv ngövrieftTte ixeta
öiaxMcov i7tnewv übersieht, mit gewohnter Flüchtigkeit, das
Fussvolk. Die 40 000 Phlegous passen zu Plutarchs Ttetpi
7ta[X7ZoXkoi, die 30000 Reiter zwar nicht zu den 2 — 3000,
aber ein Verhältniss von 3 : 4 zwischen Reiterei und Fuss-
volk findet man nicht einmal in den parthischen Heeren,
geschweige denn in den armenischen und pontischen: die
Zahlen Plutarchs und Appians für beide Schlachten setzen
ein ganz anderes voraus. Phlegon schrieb TQLG%ikiovg, nicht
TQelg (fxvQiddag) : ein Abschreiber hat jy mit / verwechselt,
Ebeuso stimmt Phlegons Angabe über den Verlust der
Könige nur zu den Mittheilungen Plutarchs (cpevyoweg änw-
Xovxo nkr\v oliycov anavTeg) und Appians (Mi&QoßccQtdvtjv
TQeipdpevog sdiwxe) über den Ausgang der ersten Schlacht.
Die ungleich berühmtere von Tigranocerta hat Phlegon unter
Ol. 177 nicht mehr erwähnt, die Zeit derselben, Herbst 69,
mithin schon zu Ol. 178, 1 gerechnet. 1 )
1) Jahreszeit und Datum der Schlachten hat er vermuthlich seiner
griechischen Quelle entlehnt ; rein römische Data, wie die Geburt Vergils,
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 305
Die Olympiadenchronik des Interpolators hatte einige
Eigentümlichkeiten ganz individueller Art, welche man
schwerlich bei mehreren Verfassern solcher Werke vereinigt
findet. Das vornehmste, geschichtlich wichtigste Land der
Zeit von 411 bis 404 war Hellas, der hervorragendste Staat
Athen, der grösste und zugleich am längsten dauernde Vor-
überträgt er unverändert in das Olympiadenjahr, mit welchem nach dem
angegebenen Kanon das Consulat zn gleichen ist. In OL 177, 4 (Okt.
70 — Okt. 69) setzt er auch den Anfang des kretischen Krieges: xal
MiteXkog inl xop Kqtjzixov noXepop oQftjaccs xqicc xdypaxa e/top yX&ep
Big Xtjp ptjgop xccl ftd/fl viXr^aag xop Acco&ivrj ccvxoxqdxtüQ dprjyoQev&ri
xal xec/rj^eig xaxeaxijae tovg Kgrjxag. Dieser wird mit Unrecht in 68
gesetzt : Metellns übernahm als Consul, also 69, die bei der Loosung
seinem Collegen zugefallene, von jenem aber verschmähte Provinz Kreta,
Dio Cass. fr. 138 xXrjQOv/uepiop rmp vndxtop 'Ogxrioiog xop TtQog KQtjxag
iXa/6 noXtpop* dXX dxeipog — xqi avpag/opu xijg öxgccxiccg i&eXopxrig
sgiaxtj. 6 6s <5ij MixeXXog iaxUXaxo xe elg Kqt^xijp xal xtjp prjaop anaaap
eX€iQü}aaxo ptxcc xoZxo, wo pexd xovxo offenbar hinzugesetzt ist, weil
die Beendigung des Krieges nicht in jenem Jahre, sondern 67 erfolgt
ist; er gibt noch einmal das J. 685/69 als erstes des Krieges an, indem
er in dieselben Zeiten "die Schlacht von Tigranocerta setzt : AovxovXXog
xaxd tovg xaiQovg xovxovg Tiygdpijp noXsfjux) pixr^occg xai cpvyofxax^tp
dpayxdaag xd TiygapoxsQxa inoXiogxu. Die herrschende Zeitbestim-
mung beruht ausser der attischen Berechnung der Olympiaden Phlegons
auf Liv. epit. 98 Q. Metellas proconsul bello sibi adversus Cretenses
mandato Cydoniam obsedit, wo proconsul ein dittographischer, ans epit. 99
Q. Metellus proconsul eingeschlichener Fehler statt consul ist : die Epi-
tome behandelt den kretischen Krieg an drei von einander entfernten
Stellen, setzt also drei, nicht "zwei, Jahresfeldzüge voraus (69, 68 u. 67);
ebenso schreibt Velleius II 34, dass er per triennium geführt, und Eutro-
pius Vi 11, dass er post triennium beendigt worden ist: was man doch
von einem 68 — 67 geführten Kriege nicht sagen konnte. Umgekehrt
war es bei 69 — 67 ganz statthaft, so zu schreiben wie Orosius: Cretam
per biennium Metellus evertit; denn nach Pblegon und Livius wurde
im ersten Jahre bloss Kydonia belagert, keine Stadt erobert und ver-
wüstet oder zerstört; evertit konnte nur vom zweiten und dritten ge-
sagt werden, vgl. Livius ep. 99 vom zweiten: Gnosson et Lyctum et
Cydoniam et plurimas alias urbes expugnavit.
[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 20
Digitized by
Google
306 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 4. Februar 1882.
gang jenes Zeitraums der peloponnesische Krieg; aber der
Interpolator fand in seiner Quelle von politischen und krie-
gerischen Ereignissen, welche Hellas betrafen, gar keines als
den Fall Athens berücksichtigt. Der Chronist hatte also —
und daraus erklärt sich auch die Unkunde, welche er in
der Geschichte jener Zeiten verräth — wenig Sinn und In-
teresse für diejenigen Vorgänge, welche den Hauptinhalt
der alten Gesch ich ts werke bilden und demgemäss auch von
den meisten Chronographen in erster Linie berücksichtigt
worden sind. Unter diesen gibt es einen einzigen, dem sich
diese Eigenthümlichkeit nachweisen lässt, das ist eben
Phlegon. Der am längsten dauernde Krieg der 177. Olym-
piade, zugleich der grösste, eigenthümlichste und den Römern
furchtbarste, der Fechterkrieg, wurde in dem Lande gefuhrt,
welches jetzt die Hauptrolle spielte, in Italien 73: begonnen
und 71 beendigt nahm er etwa die Hälfte der mit Oktober 73
anhebenden Olympiade weg; aber Phlegon erwähnt weder
die Niederlagen beider Consuln von 72 im Kampf gegen
Spartacus noch ein anderes Ereigniss dieses Krieges. Er
meldet auch nichts von der Niederlage' des Perperna und
dem Ende des hispanischen Krieges: über diese und andre
Vorgänge gleitet er nach Erwähnung des Mithridateskrieges
und des Erdbebens von Ol. 177, 1 mit den Worten aal
aXka de itkuGxa iv TavTtj £vvrjV€%&rj rg oXvfATtiaÖL hinweg,
um mit Uebergehung des zweiten Jahres zu der römischen
Censuszahl des dritten zu kommen.
Sein Interesse haftet vorwiegend an den kleineren Vor-
kommnissen der Geschichte, welche bei den anderen theils
die zweite theils gar keine Rolle spielen : die Fragmente
melden von merkwürdigen kosmischen Vorgängen, von einem
Wunderkind, den Münzen der Gergithier mit dem Bild der
Sibylla, Christus war als Prophet besprochen, Orakel citirt
er mit Vorliebe und widmet dem Caltus grosse Aufmerk-
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 307
samkeit, 1 ) die Plünderung der heiligen Insel Delos durch
Seeräuber und die Schutzmassregeln der Römer gegen eine
zweite Beraubung beschliesst den chronographischen Theil
der 177. Olympiade. Wichtig ist ihm die Literatur : Vergils
Geburt und die Neubesetzung des epikureischen Lehrstuhls
wird in Ol. 177 gemeldet. Von politischen Vorgängen der-
selben beschäftigen ihn nicht etwa die grossen Verfassungs-
änderungen des J. 70 in Rom, aber die Zählung der Bürger
und im Osten der parthische Thronwechsel. Hiemit ver-
gleiche man in den Notizen des Interpolators die Thron-
besteigung des Dionysios, mit der Sonnenfinsterniss Phlegons
die Mondfinsterniss des Glossems, mit der Plünderung des
delischen und der Einweihung des nach dem Brand
wieder aufgebauten capitolinischen Heiligthums bei jenem
die Tempelbrände in Phokaia und auf der athenischen
Akropolis bei dem Interpolator. Die kriegerischen Vor-
gänge, welche Phlegon nennenswerth findet, sind die seine
Heimat am nächsten berührenden : der mithridatische, welcher
zum Theil in der Provinz Asia spielte, der armenische, welcher
diese bedrohte, der kretische ; auch die Erwähnung des me-
dischen Aufstandes bei dem Interpolator lässt sich dahin
rechnen. Alle andern Notizen dieser Art in den Hellenika
betreffen Sicilien : die Belagerungen von Selinus , Himera,
Akragas, Gela, die Schlachten von Akragas und Gela ; selbst
gegenüber dem peloponnesischen Krieg so geringfügige Vor-
gänge wie der Abfall der Leontiner und die Auswanderung
der vornehmen Syrakuser werden einer Erwähnung gewürdigt.
1) Die Festgeschichte von Ol. 177 ist fast so lang wie die ganze
Chronographie derselben : wohl nur wenige haben wie Phlegon die Sieger
in allen Kampfesarten aufgeführt. Die kürzere Ausgabe des Werks in
8 statt 16 Büchern konnte einfach durch Beschränkung der Sieger auf
die Stadioniken die Hälfte des ursprünglichen Umfangs bekommen: die
grosse Ausgabe umfasste in ihrem ersten Drittel (5 Büchern) mehr als
zwei Drittel der ganzen Zeit, 170 von den 229 Olympiaden.
20*
Digitized by
Google
308 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 4. Februar 1882.
Diese ganz auffallende Inconseqnenz erklärt sieb daraus, dass
Phlegon ein besonderes Interesse für Sicilien batte : als eines
seiner Werke nennt Suidas eine Beschreibung der Insel, I'xcjpga-
oiv Sixeltag.
Die Sprache anlangend muss berücksichtigt werden,
dass der Interpolator durch Rücksichten auf den Raum ge-
bunden und auf möglichste Kürze angewiesen war; doch
erkennt man auch in der Beschreibung der 177. Olympiade
die an jenem gerügte Stillosigkeit wieder: fast alle, zum
Theil zeitlich oder inhaltlich einander fernstehende Angaben
werden durch xcu mit einander verbunden, wodurch der
Chronographie das Gepräge der Eintönigkeit aufgedrückt*
wird; schablonenhafter Parallelismus, welcher sich dem an
Hell. II 5, 3 auffallenden nähert, zeigt die Stelle xal 2iva-
TQOvxyv tov ndcQ&cov ßaatXäa TeXevr^aavTa diedi^ccvo ®qcc-
dtrjg — aal 0a7ÖQOv xov 'EnixovQtiov ötede^avo TIaTQWv ;
gleiche oder ähnliche Worte kehren auch sonst bei kurzem
Zwischenraum ohne Noth wieder : inoXiOQKei — no'kiOQY.iag,
fterd dvdlv — /xstcc tqiwv, /toXefxriaai — nole^ijaag, erovg —
€T€i , auch Namen : ^teixoXXog — ^tevxoXXqt. Der Anfang
des Werkes und die Schrift tvbqI &avfiaolo)v zeigen, dass er
diese Härten, welche dort fehlen, hier geflissentlich zuliess,
als Eigentümlichkeiten welche zum Gegenstand passen.
Die einzelnen Jahre werden in der Beschreibung der
177. Olympiade nur mit Zahlen bezeichnet, nicht wie in
den Glossemen auch nach Archonten datirt; das schliesst
indess nicht aus, dass Phlegon auch diese aufgeführt hat:
er kann sie an einer andern Stelle vereinigt angegeben
haben. Eusebios hat die Olympiadenliste nicht mit dem
Kanon , welchem seine Notizen beigeschrieben sind , ver-
schmolzen, sondern sie dem ersten Buch seiner Chronik ein-
verleibt, welches Auszüge aus den Quellenwerken über die
Geschichte der einzelnen Völker und seine eigenen Dar-
legungen über die biblische Zeitrechnung enthält: dort, in
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophons Hellenika. 309
dem untergegangenen Schlüsse des Buchs stand laut der
Vorrede (I 6 Seh.) die Consulnliste ; in jenem Buche würde
er auch die Archonten aufgeführt haben, wenn er ihre Er-
wähnung nicht für überflüssig gehalten hätte. Das andere
Buch, der xQOvixog xavwv mit den Notizen, bezeichnet daher
die einzelnen Jahre, wie Phlegons Beschreibung der 177. Olym-
piade, nur mit Zahlen. Ein ähnliches Verfahren hatte schon
Eratosthenes eingeschlagen: nach den Angaben genau ci-
tirender Schriftsteller zu schliessen, hat er die Chronologie
entweder in zwei Abtheilungen eines Werkes oder in zwei
getrennten Werken behandelt: aus dem I. Buch der oXvp-
7TiovM.cLi citirt Athenaios IV 39 eine Bemerkung über den
Faustkampf, aus derselben Schrift berichtet Diog. La. VIII 51
über einen Olympiensieger; dagegen eine literarhistorische
Notiz stand h Tt$ Tteql xQ°voyQ<xq)iü)v (Harpokrat. Evrjvog),
ebenso die über Roms Gründung in den xQOvoyqaylai (Dionys.
Hai. ant. I 74). Phlegon selbst datirt in der Schrift Tteqi
&av[*aoiwv nicht nach Olympiadenjahren sondern bloss nach
Archonten und Consuln, c. 6 lyhvto dvdqoyvvog aQxovvog
Z4&rjvT](JlV 14VT17TCLTQ0V VTtCCTeVOVTtoV iv'Pcbfxj] Mccqxov BlVl-
ntov xal Titov ^taxiklov Tavqov tov Kogßlvov B7tinh]&evTog;
ebenso c. 7—10. 20. 22 — 25. 27, vgl. auch c. 3. Ist diese
vor der Chronik entstanden, so begreift man nicht, wie ein
Schriftsteller, welcher gewohnt war nach Archonten und
Consuln zu datiren, bei der Abfassung seines grossen chrono-
graphischen Werkes, in welchem die Olympiaden mit ver-
schwenderischer Ausführlichkeit behandelt waren, seiner Ge-
pflogenheit hat untreu werden können, noch dazu zum
Schaden der Brauchbarkeit desselben und in hohem Lebens-
alter, in welchem nicht ohne die triftigsten Gründe auf
gute Gewohnheiten verzichtet wird, während hier absolut
kein Anlass dazu erfindlich ist und jene Beigabe wenige
Worte kostete. Ist aber die Chronik das frühere Werk, so
würde Phlegon in dem späteren durch die Datirung nach
Digitized by
Google
310 Sitzung der phüos.-philöl. Glosse vom 4. Februar 1882.
Jahresbeamten, deren Zeitalter und Jahr in seinem grossen
Werke gar nicht aufzufinden war, dieses desavouirt und
indirekt selbst die Unbrauchbarkeit desselben eingestanden
haben.
Dass er anstatt der Jahrzahlen Namen wählt, kann
man erklären : diese waren vor Abschreiberfehlern besser
gesichert als die Zahlen; und er konnte sich auf sie be-
schränken, wenn er der Chronik einen Anhang beigegeben
hatte, welcher die leisten der Archonten und Oonsuln ent-
hielt. Solches Verfahren durfte sich im eigenen und im
Interesse des Lesers empfehlen. Die herrschende Datirung
z. B. der römischen Ereignisse gab nicht die Zahl der
Stadtjahre sondern die Consuln an : nach diesen, wenn die
Zeit derselben gefunden werden sollte, in sämmtlichen 15
oder 16 Blichern herumzusuchen, sie mitten in einer ihnen
fremden Umgebung zu erkennen, wäre sehr zeitraubend ge-
wesen ; er selbst aber hätte sowohl , da er bei manchem
Jahre wie z. B. bei Ol. 177, 2 nichts zu bemerken hat und
daher gar nichts darüber sagt, bloss jener Beamten wegen
demselben eine besondere Bemerkung widmen als auch die
Worte aQxowog Zd&r'jvrjoiv — vrtccTevovTtov ev 'Pwfirj oder
ähnliche unaufhörlich wiederholen und so auch sich selbst
eine zeit- und raumraubende Plackerei auferlegen müssen;
beides unnöthiger Weise, da es ihm freistand, durch Ver-
einigung der Namen in einer leicht übersichtlichen Liste
ihre Aufzeichnung abzukürzen, und der Leser dann nur
wenige Blätter zu durchlesen hatte, um zu den Namen die
Zahl der Olympiade und vermuthlich auch die des römischen
Stadtjahrs zu findeu.
Die Schrift 7ieql davpaolcov ist, wie Klein Rh. Mus. 1878
p. 134 durch Verbesserung von c. 10 erwiesen hat, erst
nach 150 abgefasst; die Chronik reichte nach Photios bibl.
cod. 97 f*&XQ l ™v 'Aöqiavov xQOvojv, nach Suidas f*£xQ l T ^S
<jx&' dlv^7Ciaöog ; ungenau Euseb. chron. I 265 in compen-
Digitized by
Google
Unger: Die histor. Glosseme in Xenophöns Hellenika. 311
dium reduxit olympiadas CCXXIX. Hadrian starb während
der 229. Olympiade: sein Tod (10. Juli 138) fiel nach
Phlegons Rechnung Ol. 229, 2, nach attischer 229, 1 oder 2 ;
diese. Olympiade ist also nicht, wie es nach Eusebios scheinen
könnte, vollständig von ihm beschrieben. Dass das Werk
den Tod Hadrians nicht mehr enthielt, also vor diesem
Ereigniss vollendet und herausgegeben wurde, ist aus (jl&xqi
^zcbv lAÖQtavov xqovcov zu schliessen : wenigstens pflegt in ent-
gegengesetzten Fällen n£%Qi i% — TeXewrjg gesagt zu werden ;
mit Sicherheit folgern wir es aus Photios Angabe über die
Widmung 7tQoa<pü)vei to avvraypa Ttqög !Alxißiadrjv tivd,
og elg i(v twv elg rrjv qtvXctKrjv Tevaypevwv %ov lAöqLavov:
die Stellung dieses sonst nicht genannten Alkibiadea kennt
Photios ohne Zweifel aus der Widmung, nach dem Tode
des Kaisers gab es ein solches Amt nicht mehr. Hienach
ist die Chronik nach der Olympienfeier des August 137
und vor Juli 138 veröffentlicht worden. Der Inhalt der
sechs letzten Olympiaden war vor allen auf einen Leser,
den Kaiser, und auf Befriedigung der bekannten Eitelkeit
desselben berechnet ; auch der Umstand , dass das Werk
nicht, wie man erwarten sollte, diesem selbst gewidmet ist,
darf damit in Zusammenhang gebracht werden : jener Zweck
sollte, im Einverständniss mit dem Kaiser, verhüllt werden,
s. Spartian Hadr. 16 famae celebris Hadrianus tarn cupidus
fuit, ut libros vitae suae scriptos a se libertis literatis de-
derit, iubens ut eos suis nominibus publicarent: nam et
Phlegontis libri Hadriani esse dicuntur. Unter den 'Büchern*
Phlegons ist nicht etwa eine (nirgends erwähnte) Biographie
zu verstehen, dies verbietet die Partikel et ; in der Chronik
gab 6s Gelegenheit genug, vom Leben und Wirken des
Kaisers zu schreiben ; sie ist das Hauptwerk Phlegons ; mit
der Mirabilienschrift zusammen ist die über die ältesten
Personen der Vergangenheit, wie der Titel 7teqi [AaxQoßlajv
Kai &av(x(xoia)v lehrt, herausgegeben, also auch diese erst
Digitized by
Google
312 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 4. Februar 1882.
nach 150 geschrieben worden ; ausserdem wird nur die Be-
schreibung Siciliens namhaft gemacht, in welcher von Hadrian
nicht viel gesagt werden konnte. Die Vermuthung der Mit-
urheberschaft des Kaisers an der Chronik konnte entstehen,
wenn ihm in derselben stark geschmeichelt war. Mit An-
gabe der Buchzahl werden aus dieser 11 Fragmente citirt,
darunter nicht weniger als 6 aus B. XV, keines aus XVI;
die aus XV aber beziehen sich, wie Meineke Steph. Byz#
p. 204 zeigt, mehr oder weniger deutlich alle auf die Re-
gierungszeit Hadrians, welcher doch wahrscheinlich nur das
letzte, höchstens noch ein geringer Theil des vorletzten
Buches gewidmet sein konnte. Meineke und Bekker ver-
muthen daher, bei Suidas eyqaipev oXv/tTtiddag iv ßißXioig
ig sei die Zahl in te zu verwandeln; unnöthiger Weise,
wie wir jetzt sagen dürfen. 1 ) Die Aufzählung von etwa
647 Consulaten und 820 Archonten mochte gerade den Um-
fang eines Buches ergeben ; dieses wurde das letzte der
sechszehn.
1) Die Angabe von 14 Büchern bei Euseb. ehr. I 265 ist offenbar
unrichtig.
Digitized by
Google
Historische Classe.
Sitzung vom 4. Februar 1882.
Herr Friedrich hielt einen Vortrag:
„Die vocati episcopi Erchanfried und Ot-
kar der Passauer und der Oadalhart
episcopus der Freisinger Urkunden."
I. Die Bezeichnung vocatus episcopus im 8. Jahrhundert. —
Erchanfried und Otkar in den Passauer Urkunden.
Die Bezeichnung vocatus episcopus bereitete den Ge-
schichtsforschern schon vielfache Verlegenheiten, und nament-
lich in der bayerischen Geschichte wurde die Deutung der-
selben in mancher Hinsicht bedeutsam. In den Passauer
Urkunden kommen ja zwei vocati episcopi, Erchanfried und
Otkar, vor, welche nach Schreitwein im Anfange des 7. Jahr-
hunderts gelebt haben sollen, und auch in den Freisinger
Traditiones treten, wenigstens zu Anfang des 9. Jahrhunderts,
solche Bischöfe auf.
Die Lage der Dinge ist aber nicht so geartet, dass man
nicht das Bedürfniss gefühlt hätte, eine nähere Untersuch-
ung über die Bedeutung dieser Bezeichnung anzustellen ; im
Gegentheil gab sich Resch an mehreren Stellen seiner
Annales Sabionenses mit der Frage ab, und das Ergebniss
seiner Untersuchung, das er dahin zusammenfasste : vocatus
Digitized by
Google
314 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
episcopus bedeute, besonders in den Freisinger Urkunden
dieser Zeit, meistens das nämliche als Coepiscopus oder
Coadjutor eines anderen Bischofs oder auch Chorepiscopus, *)
— blieb seitdem massgebend. So kommt es denn, dass
auch Graf Hundt die vocati episcopi der Freisinger Ur-
kunden, soferne sie nicht als fremde Bischöfe nachweisbar
sind, als Coepiscopi von Freising zählt, - obwohl ihm trotz
der Untersuchung Resch' ein Zweifel an der Richtigkeit
der Annahme aufgestiegen ist. 2 ) Andere gaben der Be-
zeichnung die Bedeutung von „Land- oder Chorbischöfen u ,
oder, da über der von Erchanfried redenden Urkunde, doch
offenbar von späterer Hand, steht : Sub Erchanfrido regio-
nario episcopo, — von Regionarbischöfen. 8 )
In neuester Zeit hat sich meines Wissens nur Oelsner
behufs Feststellung der Zeit des Convents von Attigny und
der Chronologie der S. Gallischen Begebenheiten in den Jahr-
büchern des fränkischen Reiches 4 ) mit der Bezeichnung
vocatus episcopus befasst; allein eine erschöpfendere Unter-
suchung lag nicht in seinem Plane.
Es dürfte sich daher wohl der Mühe lohnen, den Ver-
such zu machen, die Bedeutung von vocatus episcopus min-
destens für das VIII. und angehende IX, Jahrhundert fest-
zustellen, indem für das VII. Jahrhundert kein Material
vorhanden ist, im IX. aber eine Wendung eintritt. Da ich
jedoch zunächst nur Bayern im Auge habe, so beschränke
1) Resch, Annal. Sabion. I, 775. n. 648; II, 91. n. 204; Ad-
denda II, 736.
2) Hundt, Die Urkunden des Bisth. Freising aus der Zeit der
Karolinger. Akad. Abhandl. 13. Bd. I. Abthlg. S. 55 ff.
3) Edlbacher, Die Entwicklung des Besitzstandes der bisch.
Kirche zu Passau 1870 (?), S. 13. — Auch AI. Hub er, Gesch. der
Einführg. u. Verbreitg. des Christenth. in Südostdeutschland III, 351
nennt Erchanfried u. Otkar „ Gaubischöfe ".
4) Oelsner, Jahrbücher des frank. Reiches unter König Pipin,
S. 476. 514. v ;
Digitized by
Google
Friedrich: Die vocati episcopi der Passauer Urkunden etc. 315
ich mich bei meiner Untersuchung blos auf jene Länder,
welche nachweisbar in irgend einer Beziehung zu Bayern
standen, also auf Süddeutschland, oder ausser Bayern noch
auf die Diöcesen Augsburg, Constanz, Basel und Chur, und
mache davon nur insofern eine Ausnahme, als ich auch
die Formelbücher (mit dem Liber diurnus der päpstlichen
Kanzlei; heranziehe. Es ist diese Ausnahme schon darum
geboten, weil man sich zur Bestimmung der Bedeutung des
vocatus episcopus auch früher, z. B. Mabillon, Resch und
Oelsner, darauf bezog.
Es ist nämlich allerdings richtig, dass der Liber diurnus
eine epistola vocatoria enthält, 1 ) worin der eben erwählte,
noch nicht consekrirte Bischof vocatus episcopus beisst.
Allein wenn diese Formel nach de Roziere's Meinung auch
keine ursprünglich römische, sondern aus dem Frankenreiche
stammende wäre, da sie fast wörtlich, nur in etwas erwei-
terter Form sich auch hier findet, 2 ) so wäre doch damit wenig
gewonnen. Denn das Alter derselben zu bestimmen, bleibt
gleich schwierig, da sie keineswegs zu dem ursprünglichen
Liber diuruus, sondern nur zu Appendix I gehört, und da
auch für die fränkische Formel ein chronologisches Merkmal
nicht gegeben ist. Dieselbe scheint vielmehr, wie sie auch
Cordesius unter den opuscula Hincmari zuerst druckte, in
die Zeit dieses Rheiraser Erzbischofs zu gehören, welcher
sich wirklich kurz nach seiner Wahl auf der synodus Bello-
vacensis im April 845 zuletzt als presbiter et vocatus archi-
1) Liber diurn., ed. de Roziere, form. 107. p. 247 sq.: Dilectissi-
inis fratribns et filiis, presbyteris, diaconibus, clericis, honoratis, posses-
soribuset cunctae plebi illius ecclesiae, simulque vocato Uli episcopo»
auxiliante Domino, futuro illius sanctae ecclesiae.
2) Roziere, Recueil g&ieral des formales II, 637, form. 522: Dilec-
tissimis fratribus et filiis . . . simulque vocato episcopo illi, M., auxili-
ante Domino, metropolitanus sanctae sedis apostolicae illius. Auch de
Roziere lässt sie von da in den lib. diurn. übergehen,
Digitized by
Google
316 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
episcopus unterzeichnete. *) Diese Formel fällt daher in
eine zu späte Zeit und kann nicht ohne Weiteres, wie z. B.
noch Oelsner thut, für das VIII. Jahrhundert als beweisend
herangezogen werden. Ihr Gebrauch im VIII. Jahrhundert
kann aber auch nicht nachgewiesen werden; denn in allen
Formeln, welche sich auf die Wahl der Bischöfe beziehen,
kommt nicht ein einziges Mal der Ausdruck vocatus epis-
copus vor. 2 ) Daraus ergibt sich aber, dass das gesammte
Material, das die Formelbücher für unsere Untersuchung
bieten, unter die übrigen Quellen gestellt werden muss.
Diese sind aber keineswegs ohne Weiteres zu gebrauchen,
sondern müssen erst daraufhin untersucht werden, ob sie
sich etwa auf einen blos gewählten, nicht consekrirten
Bischof, oder auf einen consekrirten mit oder ohne Bischofs-
sitz beziehen. Erst aus dieser Untersuchung wird es sich
ergeben, was wir im VIII. Jahrhundert unter vocatus epis-
copus zu verstehen haben.
Vorerst ist zu bemerken, dass die Bezeichnung vocatus
überhaupt nicht auf die Bischöfe beschränkt ist, sondern
von Priestern, Diakonen, Mönchen und Aebten angewendet
wird. Es kann aber durchaus kein Zweifel seiu, dass sie
hier einen wirklichen Priester, Diakon oder Mönch bedeutet
und nur heissen soll: -obwohl ich unwürdig einer solchen
Würde bin, so besitze ich sie doch durch die Gnade Gottes,
weshalb in der Kegel ac si indignus, quamvis indignus, ac
si peccator oder blos indignus hinzugefügt wird. 8 ) Weniger
bestimmt gilt dies freilich schon von vocatus abbas; denn
gerade bei den Aebten bemerken wir zuerst eine bestimmte
1) Pertz, leg. I, 387. Oelsner S. 476. Resch II, 91. n. 204.
2) Roziere II, 611 sqq.
3) Grandidier, hist. de l'egl. de Strasbourg IL Preuv. No. 71.
— Neugart, Cod. dipl. Alem. I. No. 40. 90. 101. 103. 131. 137. —
Mon. boica 28. 2. No. 1. 15. 70. — Schöpflin, Alsat. dipl. I. No. 65.
66. 76. — Meichelbeck, hist. Fris. I. 1. No. 7. 19. 75.
Digitized by
Google
Friedrich: Die vocati episcopi der Passauer Urkunden etc. 317
Wendung in dem Gebrauche des Ausdrucks. Es fragt sich
nun aber, wie es sich bei den Bischöfen verhält, wenn sie
sich dieses Ausdruckes bedienen. Die Frage wird sieb am
sichersten dadurch erledigen lassen, dass ich nachweise: die-
selben sind thatsächlich consekrirte Bischöfe mit festen Sitzen
gewesen.
Am wenigsten hat dieser Nachweis bei den Strass-
burger Bischöfen, welche fast durchgängig diese Be-
zeichnung führen, eine Schwierigkeit. Widegern, seit 720
Bischof, schreibt im Eingange seiner Schenkungsurkunde
für Kl. Murbach 728 : Ego Widegernus . . in Stradoburgo
civitate vocatus episcopus; am Schlüsse aber: Ego Wi-
degernus, hac si indignus Episcopus subscripsi. *) Heddo,
seit 734 Bischof, in einer Schenkungsurkunde von 748 (nach
Oelsner 749) im Eingange: Heddo gratia Dei ecclesiaeque
matris in Stradburgo civitate vocatus episcopus; am Schlüsse:
Ego in Dei nomen Heddo peccator per misericordiam Dei
vocaius episcopus. 2 ) Der gleiche Ausdruck findet sich aber
auch noch in seinem Testament von 763 (Oelsner 762):
Ego in Dei noraine Eddo peccator, vocatus Argentinensis
urbis episcopus, während der Schluss lautet: Actum est hoc
testamentum . . regnante D. N. Pipino . . et venerabili
episcopo Eddone. Ego in Dei nomine Eddo peccator per
misericordiam Dei vocatus episcopus hoc testamentum a me
factum relegi et subscripsi. 8 ) Ausserdem heisst er jedoch
einfach Eddo Strazburgensis ecclesie episcopus etc. 4 ) Im
J. 788 überschreibt aber gar B. Rachio seine Canonen-
sammlung: Ego itaque Rachio hmnilis Christi servus ser-
vorum Dei . . gracia Dei vocatus episcopus Argentoratensis
1) Grandidier I. Prenv. No. 39.
2) L. c. No. 43.
3) L. c. No. 55.
4) L. c. No. 63. 65. 68.
Digitized by
Google
318 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
urbis in anno V. Episcopati mei. 1 ) Und diese Bezeichnung
reicht bei den Strassburger Bischöfen noch ins 9. Jahr-
hundert hinüber, aber nunmehr scheint sie wirklich nur
noch den eben erwählten, aber noch nicht consekrirten
Bischof zu bezeichnen, denn sowohl bei B. Adaloch in einem
Diplom Ludwigs des Frommen 817 als bei B. Rathold in
einem solchen Kaiser Lothars vom 29. Juli 840 2 ) fallt sie
mit der Erhebung zum Bischof zusammen, während letzterer
schon im folgenden Jahre am 30. März in einem Diplome
Ludwigs des Deutschen einfach Bischof heisst. 8 )
Damit ist aber das Beweismaterial der Strassburger
Urkunden noch nicht erschöpft. Abgesehen von einem nicht
bestimmbaren Ardolinus vocatus episcopus, welcher die Ur-
kunde Widegerns unterschreibt, findet sich unter den Unter-
schriften der Schenkung Heddo's von 749: in Dei nomen
Hiddo peccator vocatus episcopus von Autun, dessen Er-
nennungszeit sich nicht mehr feststellen zu lassen scheint,
aber jedenfalls, da die Unterschrift erst später als 748, zu
Attigny 762, hinzugefügt ist, früher als die Unterzeichnung
der Schenkung Heddo's liegt. B. Remedius von Ronen
(seit 755) unterschreibt zwar Heddo's Urkunde nur: In Dei
nomine ego Remedius peccator donum Dei Episcopus, aber
zu gleicher Zeit in Attigny: Remedius vocatus episcopus
civitas Rodoma. 4 ) In einer weiteren Urkunde von 778
schreibt der Passauer Bischof Walderich (seit 774): Ego in
Dei nomine Waldericus vocatus episcopus, sowie Baldebert
von Basel (seit den Tagen des P. Zacharias 741 — 752): Ego
Waldebertus vocatus episcopus. 6 )
1) L. c. No. 78.
2) L. c. No. 91. 114.
3) L. c. No. 115.
4) Pertz, leg. I, 30. Oelsner S. 366.
5) Giandidier II. No. 73. Oelsner S. 365. Die Annal. Alam.
bei Pertz, SS. I, 26 haben: 751 Baldebertus episcopus benedietus.
Digitized by
Google
Friedlich: Die vocati episcopi der Passauer Urkunden etc. 319
Der Bischof Tello von Chur, welcher schon längst
Bischof war, als solcher 759 — 60 bei Bischof Sidonius von
Constanz zu Gunsten St. Gallens umsonst intervenirte und
762 den Todtenbund von Attigny unterschrieb, nennt sich
in seinem Testament vom 15. Dezember 765: ego indignus
Tello vocatus episcopus, und damit gar kein Zweifel übrig
bleibt, dass er wirklich consekrirter Bischof sei, sagt
er in demselben auch: ego Tello peccator ordinatus epis-
copus, sowie: qui (Jesus Christus) me etiam indignum et
exiguum omnium servorum Dei, non meis meritis, sed sua
dementia inter praesules ecclesiae suae dignatus est col-
locare. l )
Die Bezeichnung vocatus episcopus treffen wir auch
bei Sindpert von Augsburg, zwar nicht in den Urkunden
von Murbach, in welchen er genannt wird, aber in dem
Formelbuch von St. Gallen: Sindbertus gracia Dei vocatus
episcopus atque abba de monasterio Morbac 2 ) und : Sind-
bertus donum Dei vocatus episcopus atqne abba de mona-
sterio Morbac. 3 ) Da aber Sindpert nach allgemeiner An-
nahme früher Bischof von Augsburg als Abt von Murbach
gewesen wäre, so nannte er sich, obwohl er consekrirter
und sesshafter Bischof war, doch vocatus episcopus. Vor
oder nach seiner Uebernahme der Abtei Murbach fiele dann
die Formel, worin er sich Sindpertus episcopus nennt. 4 )
In den bayerischen Bisthümern kommt der Ausdruck,
wenn wir zunächst von Erchanfried und Otkar noch ab-
sehen, im VIII. Jahrhundert nicht vor, jedoch sehen wir,
dass er den Vertretern derselben nicht ganz fremd war, in-
dem sich der Passauer Bischof Walderich in einer Strass-
bnrger Urkunde von 778, also vier Jahre nach seinem Amts-
1) Eichhorn, Episcopat. Curiens. Cod. probat. No. 2.
2) Roziere Recueil form. 677.
3) L. c. form. 678.
4) L. c. form. 742.
Digitized by
Google
320 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
antritt, vocatus episcopus nannte. Auch ist es wahrschein-
lich, dass Urolf von Passau noch in der Weise des VIII.
Jahhrhunderts um 805 eine Urkunde, in der es zuerst von
ihm heisst: in praesenti Urolfo episcopo et omnium nobi-
liuni, unterzeichnete: Et iterum ego Urilfus tarnen per dei
misericordiam in ore episcopus vocatus. 1 ) Nicht mehr
zweifelhaft kann es aber sein, wenn er 806 schrieb : Et ego
Urolf tarnen per Dei misericordiam vocatus episcopus. 2 ) Auch
schon darum konnte er übrigens den bayerischen Bischöfen
nicht fremd sein, weil sich B. Rachio von Strassburg in
der Einleitung zu seiner Canonensammlung, welche auch in
Bayern bekannt war, so benannte, obwohl er schon im
fünften Jahre seines Episkopates stand. Aus ihr nämlich
stammt ohne Zweifel der, soviel ich sehe, hier allein vor-
kommende Eintrag in das Verbrüderungsbuch von S. Peter
in Salzburg: rachto vocatus episcopus. 8 ) Nur weil Karajan
diesen Umstand übersah, sowie der Meinung war, vocatus
episcopus heisse allein der nicht consekrirte Bischof, kam
er über blose Vermuthungen über diesen Eintrag nicht
hinaus: „Vocatus wird aber in der Sprache der Kirche ein
Bischof genannt, so lange er noch nicht consecrirt ist. Diess
Hesse schliessen, dass Rachto an dieser Stelle im Jahre 783
oder kurz vorher eingetragen worden sei. Dem widerspricht
aber die für d ermittelte Eintragszeit, welche das dritte bis
1) M. b. 28. 2. No. 48.
2) L. c. No. 31. — Allerdings schreibt auch Arn von Salzburg:
Venerabilibus patribus, omnibus senatoribus, et coabbatibus italia manen-
tibus, ego Arn exiguus et quasi abortivus servus servorum dei indignus
vocatus abba et episcopus successor religiosissimi et famosissimi Virgilü
in doinino salutera (Mon. boica 14, 351. No. 2); allein diese Formel ist
zu unbestimmt, so dass man nicht weiss, ob sich vocatus nur auf abba
oder auch auf episcopus beziehen soll. Wahrscheinlich daserstere; aber
gerade hinsichtlich der Aebte ändert sich zuerst die Bedeutung des
vocatus.
3) Karajan, Das Verbrüderungsbuch v. St. Peter, col. 14, 3.
Digitized by
Google
Friedrich: Die vocati episcopi der Passauer Urkunden etc. 321
achte Jahrzehend des neunten Jahrhunderts umfasst. Wir
können diesen Widerspruch uns dadurch erklären, dass wir
annehmen, d habe aus irgend einer anderen Vormerkung,
welche bis zum Jahre 783 zurückreichte, den Bischof Rachto
sainmt jenem Beisatze hier unter die Lebenden herüberge-
tragen . . ." Die Hand d hatte allerdings eine Vorlage
vor sich, welche, wenn zwar nicht bis 783, doch bis 788
zurückreichte und Rachto, den consekrirten Bischof Rachto,
als vocatus bezeichnete, nämlich seine oben erwähnte Canonen-
sammlung.
Uebersehen wir nun alle Fälle, in denen Bischöfe im
VIII. Jahrhundert sich des Ausdrucks vocatus episcopus be-
dienten, 1 ) so bezeichnet er nie wedereinen Chorbischof
(Gaubischof) noch auch einen ernannten, nicht con-
sekrirten Bischof.
Oelsner kann sich für die letztere Annahme auch nur
auf die epistola vocatoria im Liber diurnus berufen, von
der schon die Rede war, ferner auf die zu spät liegende,
ebenfalls oben berührte Unterschrift Hinkmars von Rheims
und endlich auf die Unterschrift des Bischofs Johannes von
Constanz : Ego Johannis ac si peccator vocatus episcopus
sive abbas in der Urkunde 36 bei Wartmann. Es kann
sich aber nur um diesen handeln. Ich muss jedoch ge-
stehen, dass ich vorweg bezweifle, ob hier der Ausdruck
den nicht consekrirten, aber ernannten Bischof bezeichnen
solle; denn wenn die Formel vocatus episcopus, wie hier,
mit ac si peccator vervollständigt wird, ist sie durchgehends
der Ausdruck der Demuth. Es kommt aber hinzu, dass
Wartmann und Oelsner hinsichtlich der Datirung differiren,
1) Oelsner S. 476 weist noch auf Fulcharios vocatus indignus
episcopus, Vulfrannus vocatus episcopus unter den Unterschriften der
Urkunde Chrodegangs für Gorze 757 hin und bemerkt selbst, dass Folc-
ricus schon 748 Bischof von Lüttich war.
[1882. I. Philos.-philol. bist Cl. 2.] ' 21
Digitized by
Google
322 Sitzung der hifttor. Classe vom 4. Februar 1882.
der erstere sie auf den 18. August 762 l ) der letztere gerade
wegen des Ausdrucks vocatus episcopus auf den 18. August
760 ansetzt, 2 ) indem es sich darum bandelt, von welchem
Jahre die Regierungsjahre K. Pipins zu rechnen sind. In-
dem aber Oelsner in dieser Urkunde dem Ausdrucke vocatus
episcopns die signifikante Bedeutung: erwählt, aber nicht
consekrirt beilegen will, sieht er sich gezwungen, die ähn-
liche Formel des B. Johannes : Ego in Dei nomine Johannes
episcopus, Dei dono vocans (vocatus bei Neugart) episcopus
et abbas vom 29. März 779, 8 ) sowie die andere: In Dei
nomine Johannes episcopus Dei gratia abbas vocatus 4 ) von
780 dahin abzuschwächen : „ . . . in den übrigen 7 Ur-
kunden Johann's . . . kehrt der gleiche Ausdruck nicht
wieder; denn Dei dono vocans in No. 87 bedeutet nur so
viel als: heissend, genannt; derselbe Sinn liegt in der ver-
änderten Wortfolge der No. 93 : Johannis episcopus, gratia
Pei abba vocatus.' 4
Allein diese Gründe kann ich nicht als entscheidend
betrachten. Dass B. Johannes den Ausdruck vocatus später
nicht mehr gebrauche, ist schon darum zu beschränken,
weil er allerdings in zwei folgenden (Nr. 87. 93) noch
vorkommt ; entscheidet aber insofern nichts, als auch andere
Bischöfe ihn bald gebrauchen, bald nicht. Von B. Sind-
pert z. B. ist er zweimal in den Formeln von S. Gallen
gebraucht, einmal nicht, und in den von Schöpflin mitge-
theilten vier Urkunden schreibt Sindpert kein einziges Mal
sich vocatus episcopus, während wohl die Schreiber der-
selben sich ab wechslungs weise vocatus presbjter (der näm-
liche auch blos presbjter) und vocatus monachus nennen. 5 )
1) Wartmann, Urkundenbuch der Abtei S.Gallen I, 38 No.36.
2) Oelsner S. 514.
3) Wartmann No. 87. — Neugart No. 74.
4) Wartmann No. 93. — Neugart No. 77.
5) Schöpflin No. 63. 64. 65. 66.
Digitized by
Google
Friedrich: Die vocati episcopi der Passauer Urkunden etc. 323
Dann hat Oelsner zweifellos mit Unrecht die Datirung
Wartmann's bestritten und die Urkunde um zwei Jahre
früher angesetzt. Es geht dies aus dem von ihm ganz
übersehenen Umstände unwiderleglich hervor, dass der
Schreiber der Urkunde vom 18. August (Nr. 36) sich Au-
doinus presbiter nennt, während er in den Urkunden
Nr. 27 vom 27. März 761 und Nr. 33 vom 15. Jan. 762
sich noch als Audoinus lector und Autwinus lector be-
zeichnet. Da es aber kein Aufsteigen vom presbiter zum
lector gibt, sondern umgekehrt Audoinus nur vom lector
zum presbiter aufgestiegen sein kann, so muss nothwendig
die Urkunde Nr. 36 vom 18. August im Jahre 762, wie
Wartmann annahm, geschrieben sein, nicht, wie Oelsner
will, 760. *) «Es ist dann aber auch nicht gestattet, mit
Oelsner in der Datirung des Audoinus : anno fceptimo Pippino
rege, anno octavo Pippino rege, anno nono regnante Pippino
re. einen „Fehler der Urkunde" anzunehmen; es müsste denn
sein, dass man behaupten wollte, Audoinus habe nicht blos
hinsichtlich des Datums sondern auch der Angabe seines
Charakters lector und presbiter irrig geschrieben.
Mit der Feststellung dieser Urkunde Nr. 36 als am
18. August 762 geschrieben ist aber auch der letzte An-
halt geschwunden, dass im VIII. Jahrhundert ein Bischof,
der sich vocatus episcopus nannte, sich als erwählten, aber
noch nicht consekrirten Bischof bezeichnen wollte.
Ein anderes Resultat wird sich aber auch aus den
Formelbüchern nicht gewinnen lassen. Die unter die
S. Gallener Formeln aufgenommenen Briefe des B. Sindpert
sind schon besprochen. Dann bleibt aber nur noch weniges
Material übrig, und dieses ist äusserst schwierig zu be-
1) Neugart Cod. dipl. Alem. I. No. 31 übersieht ebenfalls die
Bezeichnung Audoins als presbiter und setzt die Urkunde am 18. Aug.
760 an. — Ueber einen Fall, wie er nach der Ausführung Oelsners an-
genommen werden müsste, vgl. Wartmann I. No 6, Anmerkg.
21*
Digitized by
Google
324 Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882.
handeln, da es nur selten möglich ist deren Alter genau
festzustellen und die Bezeichnung vocatus episcopus ihrer
Bedeutung nach zu bestimmen. Marculf selbst hat den
Ausdruck überhaupt nicht, wohl aber kommt er in dem
Anhang zu seinen Formeln vor. So : Igitur ego ille, sanctae
ille ecclesiae vocatus episcopus, iniungo, mando et per has
litteras delego tibi illo , fideli meo . . . *) Ich glaube aber
nicht, dass ein erst erwählter, noch nicht consekrirter und
in sein Bisthum eingeführter Bischof bereits die Verwaltung
des Bisthams übernahm und bezüglich des Besitzstandes
Anordnungen traf. Em wirklich consekrirter und sesshafter
Bischof ist aber sicher in dem Tndiculum ad regem gemeint,
wenn es heisst: Domino tarn piissimo religiosissirao , ego
ille indignus vocatus episcopus, tarnen fidelis vester sum et
omnia devotus.* 2 ) Ebenso verhält es sich mit der, wie es
scheint, jüngeren Formel: Sanctis ac venerabilibus claraque
culmina sacerdotum, illo vocato episcopo vel cuncto clero
ecclesiae Bituricensis urbem, salutem in Domino, welche
die Dimissorien eines Priesters betrifft. 8 ) In den folgenden
commendatitias litteras differiren schon die Handschriften,
indem die einen haben : Domino beatissimo et meritis vene-
randum sancto patri illi abbate, ille in Domno perpetuam
mitto salutem, eine andere aber schreibt : Domino beatissimo
et meritis venerando sancto patri illo abbate sive episcopo,
ego ille, ac si indignus, vocatus ille . . . 4 ) Zu der gewöhn-
lichen Art gehört :... ille ultimus servorum Dei servus, ac
si vilis, ille infimus vocatus episcopus, salutem. — 5 ) De-
siderabili domino perque magnifico et amantissimo magistro
episcopo ac si vilis et indignus vocatus episcopus devot us
1) Ro ziere, Kecueil No. 390.
2) L. c. No. 636.
3) L. c. No. 659.
4) L. c. No. 665.
5) L. c. No. 723.
Digitized by
Google
Friedrich: Die vocati episcopi der Passauer Urkunden etc. 325
tarnen et fidelia orator perpetem in Christo pacem et sa-
lutem ... ist die erste der Epistolae Alati, welche nach des
Collegen Rockinger Untersuchung in der zweiten Hälfte
des IX. Jahrhunderts entstanden sind. 1 )
Hingegen dürfte t die schon besprochene epistola voca-
toria im Anhange des Liber diurnus, welche auch in den
fränkischen Formeln sich findet, den Wendepunkt im Ge-
brauche des vocatus episcopus bezeichnen. Es ist noch
nicht gelungen, den Zeitraum genau zu begränzen, in welchem
der liber diurnus entstand. Nimmt man aber mit de Roziere
an, dass die Redaction desselben in den Jahren 685 bis 751
stattgefunden, und beachtet man ferner, dass die epistola
vocatoria wegen der Differenz der Handschriften als zum
Anhang gehörig sich charakterisirt, so fällt ihre Entstehung
etwa um das Ende des "VIII. Jahrhunderts, also kurz vor
der Zeit, wo es allerdings üblich wird, dass die ernannten,
noch nicht consekrirten Bischöfe sich vocatus episcopus
nennen.
Doch wenn es auch im VIII. Jahrhundert vorgekommen
wäre, dass sich ernannte, nicht schon consekrirte Bischöfe
vocatus episcopus genannt hätten, so wäre dies doch in
Bezug auf den Punkt, welchen ich im Auge habe,, gleich-
gültig. Ich wollte nur die Annahme untersuchen und, wenn
möglich, beseitigen, dass vocatus episcopus im VIII. Jahr-
hundert Coepiscopus (Coadjutor) oder Chor-, Gau- oder
Regionarbischof bezeichnet habe. Dieses, glaube ich, ist
mir aber vollkommen gelungen. Ist dieses aber der Fall,
so müssen danach auch die in den Passauer Urkunden vor-
kommenden vocati episcopi Erchanfried und Otkar beurtheilt
werden.
Die Stellen, in welchen sie genannt werden, lauten
1) Rockinger, Drei Formelbücher, S. 171. No. 1 u. Einleitung
S. 28. — Roziere No. 811.
Digitized by
Google
326 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
aber : . . . illa prefata Eoza venit ad patavia civitate quando
erchanfridus vocatus episcopus cum suis fidelibus ibidem
fuisset et renovavit omnem traditionem *) . . . Hec igitur
ego Sigiricus presbyter . . . renovavi traditionem meam, quam
olim factam babueram ad sauctum §tephanum anteriorum
episcoporum temporibus. Erchanfrido vocato episcopo prae-
sente et donavi . . . 2 ) Dum non est incognitum, sed coram
plurimis ponitur noticia qualiter Reginolf presbyter propriam
hereditatem ad ecclesiam b. Stephani martyris infra rauro
civitate Patavie tradidit sicut hie continetur ... In ea vero
die manentibus Otkario vocato episcopo una cum fidelibus
suis in loco nuneupante ad Puoche, ubi preciosus martyr
Florianus corpore requiescit ut ipso praefato presbytero a
nobis humiliter rogante praestare ei quasdam causas a s.
Stephano una ad Ofterigon, alia ad Tegerinpach. In ea
vero ratione econtra suam traditionem ipse renovavit. qnia
antea coram Erchanfrido vocato episcopo similiter fecit, et
nobis placuit atque convenit. 8 )
Die Folgerungen daraus zu ziehen, kann ich unter-
lassen; aber ich meine, man sollte, auch wenn man mit
Dümmler Erchanfried und Otkar zu gleicher Zeit und neben
Rupert im VIII. Jahrhundert auftreten lässt, 4 ) dieses Auf-
treten beider Bischöfe zugleich mit der Erwähnung von
vorausgehenden Bischöfen (anteriorum episcoporum) nicht
ignoriren, sondern als hochwichtige Zeugnisse anerkennen,
und diesen Bischöfen ihre Stelle auch nicht dadurch ver-
kümmern, dass man sie zu blossen Regionär- oder Gau-
oder Chorbischöfen herabdrückt.
1) M. b. 28. 2. No. 78.
2) L. c. No. 44.
3) L. c. No. 38.
4) Dümmler, Piligrim von Passau S. 4 f. 151.
Digitized by
Google
Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 327
IL Der Bischof Oadälhart (Udalhart) der Freisinger
Urkunden als Bischof von Neuburg.
Ein anderer Punkt, den ich noch bei dieser Gelegenheit
besprechen möchte, betrifft die Methode, Bischöfe, welche
in Schenkungsurkunden einer Diöcese neben dem Diöcesan-
bischof vorkommen und deren Sitze nicht bekannt sind,
sofort und ohne Bedenken zu Hilfsbischöfen oder auch zu
Chorbischöfen dieser Diöcesanbischöfe zu machen. Dieses
Verfahren hat sich namentlich in der Behandlung der Frei-
singer Urkunden, auch jüngst noch in den fleissigen Ar-
beiten unseres verstorbenen Collegen, des Grafen Hundt,
geltend gemacht. Man kann auf diese Weise allerdings die
Reihe der Freisinger „Weihbischöfe 41 bis in das VIII. Jahr-
hundert hinauf verfolgen, wie ich aber an einem Beispiele
zeigen werde, mit Unrecht.
Bei der vorausgehenden Untersuchung begegnete mir
in den Freisinger Urkunden auch der Bischof Oadälhart,
und es lässt sich nicht leugnen : sein Auftreten kann Ver-
legenheiten bereiten, wenn man seine Stellung nur aus den
Freisinger Urkunden allein zu beurtheilen versucht. Allein
auch sie, das muss ich schon hier bemerken, zwingen nicht
zu der Annahme, dass er ein Freisinger Weihbischof sein
muss. Meichelbeck selbst hielt ihn für einen Freisinger
Chorbischof, 1 ) Resch glaubte ihn aber verbessern und Oadäl-
hart zu einem Coepiscopns oder Coadjutor von Freising
machen zu sollen. 2 ) Ich selbst habe schon in meiner Kirchen-
geschichte Deutschlands darauf hingewiesen und unter dem
Vorbehalt, später darauf zurückzukommen, kurz zu begründen
gesucht, dass Oadälhart Bischof von Neuburg gewesen ist. 3 )
1) Meichelbeck, h. Fr. I, 88.
2) Resch, Annal. Sabion. I, 712. No. 484. p. 772. n. 647.
3) Friedrich, Kirch.-Gesch. Deutschlds. II, 652. n. 2082.
Digitized by
Google
328 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882,
Gleichwohl hat Graf Hundt neuerdings die Annahme Resch 1
in seiner Schrift: Die Urkunden des Bisthums Freising aus
der Zeit der Karolinger — wiederholt und geschrieben (S. 56):
„Bischof Oadalhart steht neben Bischof Arbeo zuerst in
einer Urkunde vom 16. November 777 in villa publica vel
Castro Frisinga. Während des Wechsels der Bischöfe Arbeo
und Atto scheint um das Jahr 784 eine weitere Urkunde
ausgestellt, ohne Tag und Ort, worin Oadalhart allein als
Bischof erscheint. Mit Bischof Atto ist er dann in Tegern-
see im Juni 804, ohne ihn im Juli 807 im Kloster Caroz,
Gars am Inn, bei Erzbischof Arno, dann mehrmals in Frei-
sing und zuletzt am 8. September 809 genannt. Er scheint
demnach die Funktionen des Weihbischofs in Freising unter
den Bischöfen Arbeo und Atto 777 — 810 versehen zu haben.
Niemals wird er Chorepiscopus oder vocatus Episcopus ge-
nannt 41 .
Diese ganze Beweisführung ist verfehlt; denn weder
folgt aus der Unterschrift eines Bischofs neben dem Diöcesan-
bischof, dass derselbe des letzteren Coadjutor oder Weih-
bischof sein muss, noch aus dem sonstigen Auftreten Oadal-
harts, dass er in Freising seinen Sitz gehabt hat. Die
Regesten des Grafen Hundt selbst beweisen dies auf's
schlagendste.
In gleicher Weise nämlich, wie Oadalhart neben Arbeo
und Atto unterschreibt, thun es auch andere Bischöfe, z. B.
Manno (zu Freising) : Signa joseph epi,Maunoni epi (Reg.19);
AI im (zu Freising): Inprimis doranus dux Tassilo testis;
deinde Alim et Heres epi . . . und am Schlüsse noch: T. Vir-
gilius eps, Wisurih eps (Reg. 38); Virgilius (zu Freising):
in manus Arbeonis epi. T. Virgilius (Reg. 52); Virgilius
(zu Passau) : Virgilius eps rogitus a Wisurihho epo (Reg. 95);
Virgilius als Abt: Signa Virgilii abb. (Anhg. I. No. 3)
Es kann durchaus kein Zweifel daran bestehen, dass diese
Bischöfe, wenn man ihre Sitze nicht kannte, ebenfalls zu
Digitized by
Google
Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 329
Coadjutoren oder Weihbischöfen von Freising u. s. w. ge-
macht würden. Das Verfahren wäre irrig ; aber ebenso
unstatthaft ist es, aus einer gleichen Unterschrift des Oadäl-
hart sofort darauf zu schliessen, dass er ein Coadjutor der
Bischöfe Arbeo und Atto von Freising gewesen.
Es ist aber eben so falsch, von einer Häufigkeit seines
Aufenthalts in Freising zu sprechen oder gar, wie Meichel-
beck, zu behaupten, hie und da scheine er deutlich als
zum Freisinger Klerus gehörig bezeichnet zu sein. Oadäl-
hart erscheint in Anbetracht seiner langen Amtsthätigkeit
(c. 774 bis c. 809) kaum öfter in Freising als Zeuge unter-
schrieben als andere Bischöfe, und in der Regel ist noch
die Veranlassung seiner Anwesenheit dort oder anderwärts,
entweder Tagen der Bischöfe oder der Sendboten, angegeben.
Allein ist er in Freising 789 (?), obwohl der Ort
nicht angegeben ist : Actum est haec in praesentia Domni
Attonis Episcopi, et Oadalharti Episcopi (M. nr. 98), und
später wo es zweimal heisst: in praesentia Attonis Epis-
copi, seu Oadharti Episcopi.. und: Actum est haec in
IUI. Non. Aprilis in domo s. Mariae seu s. Corbiniani
conf. Christi in praesentia Attonis Episcopi, et Oadalharti
Episcopi . . . (M. 157). Dagegen tritt er dreimal zugleich
mit anderen Bischöfen oder Aebten auf. So 777
in Freising zugleich mit Virgilius : . . Duce consentiente vel
Proceribus, qui ibidem esse potuerunt Virgilio praesente
Episcopo, hos testes per aures utrisque partibus tradiderunt
. . . Arbeo , Oadälhart testes , seu alii quam plurimi layci
(M. 54). Zugleich mit einem Abte (in publico placito) in
einer undatirten Urkunde: Actum est haec in praesentia
Attonis Episcopi, et Oadalharti Episcopi, Meginhart abbatis
(M. 250), und ebenso: Actum est haec in praesentia cunctae
familiae s. Mariae, seu aliorum, qui praesentes adfuerunt,
qucfrum nomina haec sunt: inprimis Oadälhart Episcopus,
Sigimoat vocatus Abbas (M. 285). Die anderen Male be-
Digitized by
Google
330 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
gegnet er uns nur noch ausserhalb Freising, aber wieder
zugleich mit anderen Bischöfen oder mit Aebten. Das ist
der Fall 804 zu Tegernsee. Nachdem schon auf einem Con-
vente von Bischöfen und Aebten zu Regensburg eine An-
gelegenheit zwischen B. Atto von Freising und Abt Adal-
bert von Tegernsee verhandelt worden war (coram Epis-
copis, et Abbatibus . . . Inprimis Altheus Episcopus, Walterich
Episc, Arn Episc., Itheri Abbas etc.), wurde sie neuerdings
der Gegenstand einer Vergleichung auf einem pro hoc an-
gesagten publicum placitum, et qualiter adunata est cohors,
et stipata caterva in loco, qui dicitur in Tegarinseo ad
translationem corporis s. martyris Christi Quirini hie in-
telligitur. Ipso die resedentibus viris inlustrissimis Arnonem
Archi-Episc, Attonem Episc, Oadalhardum Episc, Hiltigero
vocato Episc, Maginhardo Abbate etc. (M. 121). Im J. 807
tagen die Sendboten Erzbischof Arn und die Grafen Orendil
und Amalrih zu Kloster Gars; auch hier ist Oadalhart
ebenso wie Atto anwesend : Et haec nomina testium per
aurem tracti in conspectu Arnonis, et Oadalharti Episcopis,
et in conspectu Amalricis, et Orendil Comitibus etc. (M. 1 24).
Endlich begegnet er in einer Urkunde, deren Ausstellungs-
ort fehlt, in welcher aber, wie Hundt vermuthet, Oadalhart
als Freisinger Weihbischof die Geschäfte des Bisthums zwischen
dem Tod Arbeo's und dem Antritt des Bischofs Atto ge-
führt zu haben scheint. Allein die Vermuthung wird durch
nichts gestützt. Die Veranlassung zum Erscheinen des
Oadalhart war ein Tag, den Herzog Tassilo, unbestimmt
an welchem Orte, hielt, und wozu auch noch Aebte und
Andere zusammengekommen waren : Signum Huuasmoti.
Signum Tassiloni duci. Signum Oadalharti Episcopi. Signum
Hunrih abbatis. Signum Frichoni presbyteri. Signum Sigideo
Abbatis . . . (M. 97). Er ist bei der auf diesem Tage ge-
machten Schenkung eben Zeuge, wie die übrigen auch, und
keine Silbe deutet an, dass die Schenkung zur Freisinger
Digitized by
Google
Friedrich: Der Oadalhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 331
Kirche, und zwar durch die Hände des Oadalhart vermacht
worden wäre. Die Urkunde ist sogar ganz so abgefasst,
wie die über eine Schenkung Tassilo's an die Freisinger
Kirche, welche bei Meichelbeck (M. 11) noch unter Bischof
Joseph, der jedoch nicht erwähnt wird, gestellt ist: Inprimis
Tassilo propria manu signum fecit. Signum Virgilii Abbatis.
Signum Reginperti . . . Gesetzt aber auch den Fall, Oadal-
hart hätte sich während der Sedisvakanz nachweislich in
Freising aufgehalten, so würde dies noch nichts beweisen,
indem es recht gut zu denken wäre, dass er als Visitator
zum Schutze der Kirche sich dort befand, wie z. B.^im
Liber diurnus eine Formel eine solche Anweisung enthält. 1 )
Aus diesem fünfmaligen Auftreten Oadalharts in Freising
lässt sich also durchaus kein Schluss darauf ziehen, dass er
in Freising seine Stellung hatte, da Virgil von Salzburg
ebenfalls drei-, oder vielleicht viermal als Zeuge in Freising
erscheint. Ich möchte hinzufügen, dass es geradezu un-
glaublich wäre, dass Oadalhart in den zahlreichen, in Freising
selbst errichteten Urkunden nicht öfter hätte genannt werden
sollen, als es wirklich der Fall ist. Was mir aber ganz
besonders wichtig erscheint, ist der Umstand, dass er gerade
bei mehreren von den Sendboten Arn von Salzburg und
Adalwin von Regensburg zu Freising gehaltenen Gerichts-
tagen nicht anwesend ist (M. 115. 116. 117).
Ich weiss, dass ich mit dieser Ausführung nur die bis-
her üblichen Beweise als unzureichend dargethan, keines-
wegs aber auch die Annahme beseitigt habe, dass Oadalhart
trotzdem Weihbischof in Freising gewesen sei. Es wird
darum noth wendig sein, den Sitz desselben nachzuweisen,
weil erst dann die eben berührte Annahme ganz unhaltbar
geworden ist. Ich glaube nun, dass der Beweis vollständig
geliefert werden kann.
1) Lib. diurn. form. 109, ed. ßoz. p. 251.
Digitized by
Google
332 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
Wir sahen, dass der Bischof Marino gerade so neben
dem Bischof Joseph von Freising auftrat, wie später Oadal-
hart neben den Bischöfen Arbeo und Atto. Die Bischöfe
sämmtlicher bayerischer Bisthüraer seit ihrer festen Ein-
richtung durch Bonifatius sind uns aber bekannt, nur für
Manno ist uns ein Nachfolger nicht bekannt. In der Ge-
bets-Convention der bayerischen Bischöfe zwischen 771 bis
773 (?) tritt Manno, wahrscheinlich als der älteste dem
Weihealter nach, noch an der Spitze derselben auf: Manno,
Alim, Virgilius, Wisurih, Sindperht, Heres epi. 1 ) Seitdem
verschwindet er, und zeitlich zusammentreffend tritt nun-
mehr lange Jahre hindurch zu den bayerischen Bischöfen
ein Oadalhart episcopus hinzu, ohne dass sein Sitz genannt
würde. Es liegt nahe in diesem Bischof den Nachfolger
Manno's zu erblicken, mit Hilfe des Verbrüderungsbuches
von S. Peter in Salzburg können wir ihn aber als solchen
auch nachweisen. In die Columne 70 trug die erste Hand
die gestorbenen bayerischen Bischöfe mit Ausnahme der
Salzburgischen ein und darunter auch Manno ; in Columne 35
hingegen die lebenden, und zwar, wie die Regierungsjahre
derselben zeigen, zwischen 784 und 792. 2 ) Da finden wir
nun folgende Reihenfolge:
Ordo episcoporum viv.
aljni ep. et congregatio ipsius
sindperht ep. et cong. ips.
u dal hart ep. et cong. ips.
chaldrih (Waldrih) ep. et cong. ips.
atto ep. et cong. ips.
1) Pertz, leg. III, 461. Hundt, die agilolf. Urk. p. 215 No.14.
2) Ueber die Hand a vgl. Karajan, Verbrüderungsbuch, p. IX,
der schliesslich sagt: „die Hand a hat somit im äussersten Falle in
den letzten beiden Jahrzehnten des 8. und dem ersten des 9. Jahrh.
eingetragen. Wahrscheinlich aber schon vor dem 13. August 780."
Digitized by
Google
Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 333
Es kann nun kein Zweifel sein, dass wir hier die
Fortsetzung der schon erwähnten Gebets-Convention der
bayerischen Bischöfe vor uns haben, und zwar ihrem Weihe-
alter entsprechend (Alim c. 769 bis c. 806; Sindpert 766 (?)
bis 791 2 ); üdalhart c. 774; Waldrich 774 bis 804; Atto
784 bis 811). Die Bischöfe, welche die erste Gebets-Con-
vention schlössen und inzwischen gestorben sind (in Co-
lumne 70 sämmtlich verzeichnet) , sind insgesammt ersetzt
bis aufManno; aber statt seiner erscheint Üdalhart. Schon
der Eintrag mitten unter den lebenden bayerischen Bischöfen
bezeichnet ihn als einen Bischof mit einem Sitze in Bayern.
Da aber ausser dem des Manno kein anderer übrig ist, und
üdalhart in der Liste der Lebenden genau die Stelle Manno's
in der Todtenliste einnimmt, so muss dieser wohl in üdal-
hart seinen Nachfolger gefunden haben, und da Wisurich
von Passau (f 774) nach Manno in die Todtenliste, üdal-
hart hingegen vor Waldrich von Passau (seit Aug. 774)
in die Reihe der lebenden Bischöfe eingetragen ist, so dürfte
Manno 773 oder vielleicht schon 770 gestorben sein, da er
auf einem Conyente Tassilo's mit sämmtlichen bayerischen
Bischöfen in Freising am 26. September 770 (M., hist. Fr.
I, 68) nicht mehr ist, und üdalhart ihm spätestens in der
ersten Hälfte des Jahres 774 gefolgt sein.
Ganz und gar unhaltbar ist aber gegenüber dem Ver-
brüderungsbuch die Annahme geworden, dass Oadälhart
Freisinger Weihbischof gewesen ; denn Oadälhart erscheint
nicht blos ebenbürtig unter den bayerischen Bischöfen,
sondern das Entscheidende liegt in der Beobachtung, dass
1) Da Alim hier wie in der Gebets-Convention oben dem Sindpert
vorangesetzt wird, ist dieser ohne Zweifel der jüngere Bischof. Dass
man in der That in Col. 35 u. 70 chronologische Einträge hat, zeigt
der Umstand, dass der Todtenliste col. 70: Sigirih (761—768), Manno
(c. 759—773), Wisnrih (t vor Aug. 774) der Ersatz in der Liste der
Lebenden entspricht: Sindpert, üdalhart, Waldrih.
Digitized by
Google
334 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
er wie Atta von Freising eine Coagregation unter sich hat, 1 )
also einen, nm mich so auszudrücken, bischöflichen Klerus.
Zwei Congregationen als bischofliche Kleriseien hat aber
noch Niemand für Freising im VIII. Jahrhundert nachge-
wiesen. Aber Klostervorstand konnte Udalhart ebensowenig
sein, da die lebenden Klostervorsteher Bayerns neben den
lebenden Bischöfen eine besondere Columne (36) haben.
Oadalhart und seine Congregation müssen also anderwärts
ihren Sitz gehabt haben, wie wir sahen, in Neuburg. Es
ist jedoch möglich, dass er, wie eine Reihe anderer Bischöfe,
ebenfalls aus dem Freisinger Domklerus stammte, da in der
That zweimal, um 760 und 770, ein Kleriker Oadalhart in
1) Das sah übrigens schon Earajan ein, der zu col. 35, 23 be-
merkt : „ udalhart ep. et cong. ips. Den hier genannten Bischof, der in
Freisinger Urkunden öfters als ,Oadalbardus episcopus' vorkommt, hält
Meichelbeck für einen Land- oder Regionarbischof. Vergl. dessen hist.
Fris 1, 1, 88 und 1, 2, 79. Mich macht aber der Zusatz auf unserer
Zeile ,et cong. ips.' bedenklich. Es scheint mir nämlich derselbe eher
auf den Vorstand einer Ordens-Congregation, also einen Bischof mit
bleibendem Sitze, zu weisen. Die Urkunde 1. c. 1, 2, 79, in welcher
Odalhart als gegenwärtig erscheint, gehört übrigens in 's Jahr 788. Resch
in den Annal. Sabion. 1, 712 Note 484 hat eine ganze Reihe (sie) von
Urkunden aufgeführt, in denen Odalhart wiederholt neben dem Bischof
Atto von Freising und als derselben ,familiae s. Mariae' angehörig be-
zeichnet wird.* Hundt hat leider das Verbrüderungsbuch zu seinen
Arbeiten wenig herangezogen. Was übrigens die auch von Earajan hin-
genommene Behauptung Meichelbeck's betrifft, dass Oadalhart als zum
freisingischen Klerus gehörig erscheine, so ist dieselbe durchaus falsch;
denn das besagt nicht N. 157: in praesentia Attonis Episcopi et Oadal-
harti Episcopi, seu praedietae familiae s. Mariae, denn dann müssten,
wie gezeigt, auch andere Bischöfe Bayerns zu der familia s. Mariae in
Freising gehört haben. Im Gegentheil nimmt ihn die Urkunde N. 258
ausdrücklich aus der Familia s. Mariae aus: in praesentia eunetae
familiae s. Mariae seu aliorum, quorum nomina haec sunt:
inprimis Oadalhart Episcopus, Sigimoat vocatus abbas etc. So wenig
Sigimoat zu dem Freisinger Klerus nach dieser Formel gehörte, eben-
sowenig Oadalhart.
Digitized by
Google
Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 335
Freisinger Urkunden auftritt; vielleicht ebendeswegen kam
er auch manchmal nach Freising, ohne durch öffentliche
Angelegenheiten dahin gerufen zu sein.
Die Erinnerung an Oadälhart als Bischof von Neuburg
ist auch später nicht ganz erloschen. Schon im Verbrüder-
ungsbuche von S. Peter können wir bemerken, dass die
Hand i, welche nach Karajan seit c. 820 eintrug, das Ge-
dächtniss desselben festhalten wollte. Sie schrieb nämlich
zu der Columne 70 und gerade zu den verstorbenen baye-
rischen Bischöfen odalhart, freilich ohne den Beisatz epis-
copus, aber ich meine doch, dass der Eintrag unter der
Ueberschrift : Ord. comm. epor. vel abb. defnnct. zwischen
zwei Columnen von Bischöfen und Aebten unseren Oadälhart
betreffen sollte. 1 ) Ebenso hatte man auch in Benedikt-
beuern noch einige Jahrhunderte später, offenbar auf Grund
älterer Aufzeichnung, die Kenntniss davon, dass Oadälhart
der Nachfolger Manno's von Neuburg war. Kunstmann
hat zum ersten Male, ohne die Notiz in unserer Richtung
weiter zu verfolgen, darauf aufmerksam gemacht.. Er ent-
nahm dieselbe dem Cod. Ben. 118 saec. X/XI (jetzt Cod.
lat. Monac. 4618). In ihm ist nämlich bei der Vertheilang
der bischöflichen Sitze, Bayerns durch Bonifaz in Willibaldi
vita s. Bonifatii c. 7 eingefügt: Quartum (episcopum) in
Nova civitate nomine Mannonem, cui Uodalhart episcopus
successit. 2 ) Dazu stimmen auch Annalen einer alten Hand-
schrift, welche Lazius benützt und in Bezug auf unsere
Frage erhalten hat. Auch nach ihnen wäre Manno nicht
ohne Nachfolger geblieben ; aber derselbe heisst nicht Oadal-
1) Col. 21, 10 steht der Abt Adalhart von Corbie auch ohne den
Beisatz Abb. eingetragen.
2) Kunstmann, Bemerk, üb. eine ungedr. Stelle aus der Lebens-
beschreibung des h. Bonifacius. Oberbay. Archiv. I, 155. — Jaffe, Mon.
Mog. p. 457.
Digitized by
Google
336 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
hart, sondern Hildegart. 1 ) Ich glaube aber, dass hier nicht
ein unter anderen Verhältnissen leicht denkbarer Fehler
des Schreibers untergelaufen ist, indem er Hildegart statt
Oadalhart schrieb, sondern eine Combination vorliegt, welche
absichtlich Hildegart statt Oadalhart setzte. Jm J. 804.
kommt nämlich auf dem schon erwähnten Tage zu Tegern-
see unmittelbar hinter Oadalhart: Hiltigero vocato Episcopo,
und dieser Hiltiker verdrängte wahrscheinlich bei dem Anna-
listen des Lazius den Oadalhart, wie es noch bis in die
neuere Zeit bei den Schriftstellern der Fall ist. „Resch,
schreibt Graf Hundt, glaubt in seinen Sebener Annalen
Hiltikern wegen des Vorhandenseins zweier Bischöfe in
Freising anderwärts unterbringen zu sollen , und weist auf
das Bisthnm Neuburg hin. Rettberg (in seiner Kirchen-
geschichte Deutschlands) ist geneigt, in Hiltiker jenen Hilde-
gart zu erkennen, welcher nach einer Vormerkung bei Wolf-
gang Lazius aus ungenannten Annalen dem Bischof Mammo,
vielmehr Manno, zu Neuburg gefolgt sein soll. Nach Anton
Winters in seinen Vorarbeiten für Bayerns Kirchengeschichte
entwickelten Ansichten hätte das Bisthum Neuburg bis zum
1) Lazius, de gentium aliquot migrationib. Frcf. 1600, p. 232.
Es ist von der kirchl. Eintheilung Bayerns durch Bonifatius die Rede,
dann fährt er fort : Haec ex antiquo Annalium codice, ubi praeterea ista
leguntur, sub paragrapho Zachariae Romani episcopi: Jste Zacharias,
rogante Carole rege, duos episcopos ordinavit, Wicconem in novam civi-
tatera , et Rozilonem (Tozzilonem, Tozzonem ?) in Augustam. Deinde
Dominus Pipinus jussit Bonifacium episcofram Maguntinum, cui secundus
Gregorius vicem suam per Galliam et Gerraaniam commiserat, et Bili-
baldum una cum ceteris sapientibus viris, ex praecepto domini Apostolici,
per omne regnum res ecclesiasticas ordinäre. Proinde b.Bonifacius epis-
copus eodem itinere venit in Boiariam, et sedens in civitate nova, ordi-
navit exinde episcopales sedes per totam Boiariam, atque ob merita sua
deposuit Wicconem episcopum, et consensu atque praecepto domini Pipini
regis et Odilonis ducis ordinavit iilic Mannonem, eoque mortuo ordi-
natus est illic Hildegart episcopus.
Digitized by
Google
Friedrich: Der Oadcdhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 337
J. 809 gedauert, und so wäre dann 804 für das Auftreten
Hiltikers als dessen Bischof Platz. Allein Rettberg bekämpft
mit guten Gründen Winter in Bezug auf die Dauer des
Bisthums Neuburg, indem er darthut, dass jener Reichs-
kataster, in welchem die Civitas nova um 809 mit solcher
Bedeutung erscheinen soll, dass in ihr ein Bischofssitz an-
zunehmen wäre, weder der Zeit nach feststehe, noch eine
kirchliche Beziehung habe. Das Bisthum Neuburg, welches
in Bonifazius Einrichtung der Kirche Bayerns sich nicht
findet, kann wohl nur aus dem Zeiträume der Kämpfe
zwischen Franken und Bayern stammen, wo es von politi-
scher Bedeutung war, das Bisthum Augsburg nach den das-
selbe durchschneidenden Landesgränzen in zwei zu theilen.
Mit der Einverleibung Bayerns in das grosse Frankenreich
fielen die Gründe für einen Bischofssitz in Neuburg und
war derselbe der Lage und Gestaltung nach unhaltbar ge-
worden. Nach dem J. 788 fehlt denn auch jegliche Nach-
richt über ein Fortbestehen des Bisthums Neuburg, während
schon an sich Bischof Manno's Leben über 788 hinaus kaum
zu erstrecken sein dürfte, Hiltiker aber, wie vorbemerkt,
noch 793 sich unter der Domgeistlichkeit Freising befunden
zu haben scheint. Es wird daher eine spätere Aufstellung
eines Bischofs zu Neuburg nach längst erloschenen Gründen
für das Fortbestehen des Bisthums, aber auch in gleichem
Grade eine weiter gefolgte Wiederabsetzung des Bischofs, wie
sie Rettberg zur Erklärung des vocatus Episcopus Hiltiker
andeutet, höchst unwahrscheinlich, zumal der Titel vocatus
Episcopus in der Ausdehnung von zehn und mehr Jahren
geführt worden sein müsste. u Da aber Hundt den Oadal-
hart für einen Freisinger Coepiscopus erklärt, darum auch
meint, Hiltiker erscheine auf dem Tage zu Tegernsee „mitten
unter der Priesterschaft des Bisthums Freising nach den
Bischöfen Atto und Oadalhart und vor den Aebten u , und
da nirgends angedeutet ist, dass Hiltiker anderwärts die
[1882. I. Philos.-phüol. hist. Cl. 2.1 22
Digitized by
Google
338 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
bischöfliche Würde bekleidet habe, so kommt er begreiflich
wegen der zwei gleichzeitigen Freisinger Coepiscopi in Ver-
legenheit, glaubt aber unter Hinweis auf die viel spätere
Synode von Dingolfing 902 , wo zwei Chorbischöfe des
Bischofs von Eichstätt zugegen waren, diese Erscheinung
für begründet halten zu dürfen. „Wir erblicken demnach,
schliesst er, in Hiltiker einen Coepiscopus von Freising,
dessen Wirksamkeit aber im Hinblicke auf bald auftauchende
andere Namen eine sehr kurze gewesen sein dürfte." Bei
dem Verfahren Hundt's treten nämlich in der kurzen Zeit
von 804 — 811 nicht weniger als vier, eigentlich sogar fünf
Coepiscopi von Freising auf. 1 )
Durch den oben geführten Nachweis, dass Oadalhart
Bischof von Neuburg und Manno's Nachfolger war, ist diese
ganze Combination mit Hiltiker als unbegründet beseitigt;
aber allerdings auch wieder mehr Raum für ihn als Co-
episcopus in Freising gewonnen. Gleichwohl ist Hundt
auch hiemit auf einen Irrweg gerathen. Vocatus episcopus
bedeutet auch jetzt keinen Chor- oder Weihbischof, sondern
mindestens einen ernannten, noch nicht seinen Stuhl in Be-
sitz nehmenden Bischof. Mit Hilfe des Verbrüderungsbuches
von S. Peter wäre er aber vielleicht darauf gekommen, wo
dieser Hiltiker Bischof gewesen. In der Celumne 61 steht
nämlich an der Spitze mehrerer Bischöfe hiltigaer eps, aller-
dings erst von der Hand k eingetragen, welche dem dritten
bis achten Jahrzehent des IX. Jahrhunderts angehört; aber
die Bischöfe, welche sich folgen : hiltigaer, Daniel, heimpert
sind, wie Karajan bemerkt, drei sich folgende Bischöfe
Trients, deren Lebenszeit in die Jahre 802 bis 845 fallt,
der erste, Hiltigaer, also gerade in die Zeit, wo er in der
Freisinger Urkunde auftritt. In der Columne 47 ist er von
der Hand q, der nämlichen, welche hier auch Arn Archiep.
1) Hundt, Karol. Urkunden, S. 56 ff.
Digitized by
Google
Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 339
eintrug, als hiltegarius eps eingeschoben, ein Beweis, dass
der Trienter Bischof in Salzburg und in der bayerischen
Kirche wohlbekannt war. Würde der Freisingische Dom-
geistliche, welcher 772 (M. 28) und 793 (M. 111) in Frei-
singer Urkunden erscheint, der spätere Bischof Hiltiker sein,
so würde dieser allerdings aus Freising nach Trient berufen
worden sein und vielleicht vor seinem Abgange in seine
Diöcese der Translation des hl. Quirinus und dem Tag zu
Tegernsee beigewohnt haben,
Oadälhart als Nachfolger Manno's im Bisthum Neuburg
ist, glaube ich, vollkommen gesichert. Nun entstehen aber
neue Fragen: Wie lange war er Bischof von Neuburg?
Hatte er selbst noch einen Nachfolger? Die Antwort auf
diese Fragen ist weit schwieriger noch, als die Feststellung
Oadalharts als Bischof von Neuburg. Während der Lebzeit
desselben tritt nämlich noch der Bischof Sindpert von Augs-
burg auf, welcher das Bisthum Neuburg wieder mit dem
von Augsburg vereinigt hat. Dieses steht fest aus folgenden
Thatsachen. Gegen Ende des VIII. Jahrhunderts tritt Oadäl-
hart, obwohl noch am Leben, als bayerischer Bischof zurück
und Sindpert an seine Stelle, ja als Papst Leo III. den
bayerischen Bischöfen 798 die Erhebung Arn's zum Erz-
bischof ankündigt, wird er in dessen Schreiben ausdrücklich
Bischof von Neuburg genannt: Sintperto ecclesiae Nivuin-
burcgensis. *) Auf der Synode der bayerischen Bischöfe zu
ßeisbach, in Bezug auf welche Sintpert eine Sendung des
Königs Karl des Grossen an Erzbischof Arn erhalten haben
soll, war ebenfalls neben den übrigen bayerischen Bischöfen
nur er als Bischof von Neuburg vertreten: Simbertus New-
burgensis, 2 ) und wenn er auch in der von Meichelbeck an-
1) Kleymaiern, Juvavia, Anhang No. 10. Zahn, Urkdhch. d.
Herzogth. Steiermark. I. Nr. 2.
2) Pertz, leg. III, 496.
22*
Digitized by
Google
340 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
geführten, für die Freisinger Kirche zu Reisbach ausge-
fertigten Urkunde zugleich mit Alim von Seben nicht ge-
nannt ist , so fehlt doch auch Oadalhart. 1 ) Ebenso fehlen
beide auf der Synode zu Salzburg 807, 2 ) obgleich Oadalhart
wenige Monate später auf dem schon erwähnten Tag zu
Kloster Gars wieder auftritt. Endlich ist Sindpert auch
faktisch in einer Freisinger Urkunde als der Ordinarius in
der Diöcese Neuburg anerkannt, da von ihm der Freisinger
Bischof Atto (f 810) die Erlaubniss zur Einweihung zweier
Kirchen in Ecknach bei Aichach auf dem Boden der Neu-
burger Diöcese erhielt. 8 )
Darüber kann also kein Zweifel erhoben werden, dass
Sindpert gegen Ende des VIII. Jahrhunderts das Bisthum
Neuburg besass. Es fragt sich nur: seit welchem Jahre
diese Aenderung eingetreten ist. Dasselbe ist annähernd
nachzuweisen und trifft allerdings mit der Zeit zusammen,
in welcher ein Grund für ein besonderes Bisthum Neuburg
nicht mehr bestand. Wir sahen, dass Oadalhart spätestens
in der ersten Hälfte 774 Bischof von Neuburg wurde, zu
einer Zeit, wo Sindpert noch gar nicht Bischof von Augs-
burg (seit 779) gewesen sein soll. Im Eintrage der lebenden
Bischöfe Bayerns in das Verbrüderungsbuch von S. Peter
ist wohl Oadalhart mit seiner Congregation , nicht aber
Sindpert von Augsburg oder Neuburg genannt, und da
derselbe, wie oben gezeigt, zwischen 784—792 gemacht
sein muss, so muss Oadalhart in diesen Jahren noch Bischof
von Neuburg gewesen sein, und kann es Sindpert mindestens
784, wo der zuletzt eingetragene Freisinger Atto Bischof
wurde, noch nicht gewesen sein. Nun verwickelten sich
1) Meicbelbeck, bist. Pris. I, 94.
2) L. c. II, No. 286. — Pertz, leg. III, 479 sq.
3) L. c. II No. 429 : . . . propter familiärem fraternitatem, quam cum
Aitone fidele Episcopo semper habuerunt, cum licentia Sindberti Episcopi
Attonem ep. conduxerunt, ut ipse illorum consecrasset ecclesias.
Digitized by
Google
Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 341
die Verhältnisse in Bayern immer mehr, und 788 wird das
Land dauernd mit dem Frankenreiche verknüpft. Auch die
kirchlichen Verhältnisse konnten sich dem Wechsel nicht
entziehen. Schon 789 vergab Karl das Kloster Chiemsee
an den Bischof Angilramm von Metz und Papst Leo III.
selbst erwähnt in seinem Schreiben an die bayerischen Bi-
schöfe (798), dass sich Karl der Grosse der Ordnung der
Kirchenprovinz Bayern angenommen und diese allseitig,
wie es sich ziemte, wunderbar geordnet habe. 1 ) Da sich
aber der Papst auf ein Bittgesuch der Bischöfe beruft, so
muss die Sache wohl einige Jahre zurückreichen. Und in
der That sehen wir Sindpert selbst um 792 von einer Aender-
ung seiner Stellung getroffen. Derselbe vereinigte 787 nach
dem Tode des Abtes Amicho die Abtei Murbach mit seinem
Bisthum, behielt sie jedoch nur bis 792, indem sie nach
einer kurzen Verwaltung durch Karl den Grossen selbst 2 )
an Bischof Gerhoch von Eichstätt 793 verliehen wurde.
Sollte diese Aenderung ohne Entschädigung Sindperts vor
sich gegangen sein? Ich glaube nicht und möchte letztere
gerade in der Verleihung des Bisthums Neuburg erblicken,
das ja auch in Neuburg seine Congregation nach dem Ver-
1) Kleyraaiern, Juvav. Anhg, No. 10: Dilectionis vestre quas
nobis petitorias emisistis sillabas, libenti suscepimus animo, in quibus
ferebatur ut in provincia vestra Bajovuarioram arcbiepiscopum ordina-
remns, quomodo provincia ipsa mirifice a filio nostro Domino Karolo
excellentissimo rege Francorum et Longobardorura atque patricio Roma-
noram penitus ex omni parte sicut decuit ordinata est.
2) Schöpfiin, Alsat. dipl. I. No. 67. 68, von 792—794, wenn
in der zweiten wie in der folgenden 69 das Regierungsjahr richtig ist
und nicht ebenfalls 792 gelesen werden muss, da dem B. Gerhoh von
Eichstatt nach den Annal. Alam. bei Pertz Scr. I, 47 schon 793 das
Kl. Murbach verliehen worden ist. Auch Jaffa, Mon. Alcuin. p. 340
n. 5 bestreitet diese letztere Angabe nicht, obwohl er auf Schöpfliu u.
die Gall. ehr. XV, 540 hinweist, welche Gerhoh erst 795 Abt werden
Digitized by
Google
342 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
brüderungsbuche von S« Peter oder Religiösen nach der
Gebets-Convention der bayerischen Bischöfe hatte. In diese
Zeit also mnss anch die Verdrängung des Bischofs Oadal-
hart fallen.
Von da an gibt es nur noch Vermuthungen über die
Stellung des Oadalhart. Das Einladungsschreiben Arn's an
die Bischöfe, sich zur Synode in Reisbach einzufinden,
fordert dieselben auf, auch ihre Chorbischöfe und Archi-
presbiter zur Synode mitzubringen. In den Verzeichnissen
sind aber keine Chorbischöfe, sondern nur Archipresbiter
als anwesend genannt. Da ist nun bemerkenswerth , dass
an der Spitze derselben ein Odalhart steht. 1 ) Hundt, welcher
nur die schon berührte Freisinger Urkunde bei Meichelkteck
in Betracht zieht, meint: die Archipresbiter „Arno und
Paldrih sind auf der Synode zu Reisbach um 799, wohin
Erzpriester Ellannod seinen Bischof (Atto von Freising) be-
gleitet hatte. Es waren daselbst auch Arno und die Bischöfe
von Regensburg und von Passau. Jene Erzpriester, welche
in den Urkunden von Freising nirgends genannt sind,
werden daher mit den erwähnten Bischöfen nach Reisbach
gekommen sein". 2 ) Nach den weiteren Nachrichten waren
aber ausser diesen auch die anderen bayerischen Bischöfe
von Seben und Neuburg (in unum congregatis archiepis-
copo, cunctis episcopis Bavarie . . .) Alim und Sindpert an-
wesend, und sie werden wohl ebenso wie ihre Collegen ihre
Archipresbiter mitgebracht haben. Wenn aber in der Frei-
singer Urkunde Alim und Sindpert sowie zwei Archipresbiter
fehlen, so werden diese letzteren wohl auch die Archipres-
biter der fehlenden Bischöfe gewesen sein. Jedenfalls aber
gehört der Archipresbiter Odalhart nicht nach Freising.
1) Pertz, leg. III, 496: Archipresbiteri: Odalhart, Paldrih, Os-
pald, Emod. Früher las man statt Odalhart: Adalhard.
2) Hundt, Karol. Urk. S. 92.
Digitized by
Google
Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 343
Würde er nun der Oadälhart episcopns der Freisinger Ur-
kunden sein, 1 ) so würde sich uns die Erscheinung darbieten,
dass der frühere Neuburger Diöcesanbischof, seitdem Sind-
pert das Bisthum Neuburg mit dem von Augsburg ver-
einigte, die Stellung eines Archipresbiters unter Sindpert
einnahm. Es würde diese Vermuthung auch zu einer anderen
fast gleichzeitigen Nachricht stimmen. Gerade damals näm-
lich gab es eine neue Veränderung in der Diöcese Augs-
burg-Neuburg , indem Sindpert seinen Sitz von Neuburg,
wo er nach dem Schreiben Leo's III. von 798 war, nach
Staffelsee verlegte; denn in dem Schreiben des nämlichen
Papstes vom IL April 800 an die bayerischen Bischöfe
heisst es bereits: Sintberto Stafnensis ecclesie. 2 ) Das kann
nicht ohne eine Auseinandersetzung mit Oadälhart und den
bayerischen Bischöfen geschehen sein. Es wäre möglich,
dass Sindpert den bayerischen Theil seiner Diöcese (Neu-
burg) Oadälhart in der Stellung eines Archipresbiters über-
liess, und dass dieser in der Gegenwart Sindperts, wie in
1) Es ist höchst wahrscheinlich, dass dieser Odalhart wirklich der
Archipresbyter Sindperts war. In der Urkunde für Freising kommen
vier Bischöfe: Waltrih von Passau, Arn von Salzburg, Adalwin von
ßegensburg und Atto von Freising vor. Der Archipresbyter Atto's ist
bekannt und der in den Freisinger Urkunden oft genannte Ellannod.
Der in der Reisbacher Urkunde für Freising wie in den Unterschriften
der Reisbacher Synode vorkommende Hiltiperht .diaconus ist an Stelle
eines Archipresbyters der Begleiter Arn's von Salzburg. Vgl. den Ein-
trag desselben im Verbrüderungsbuch col. 14, 5 hiltibertus diac. un-
mittelbar unter am. Arno und Paldrih fallen dann auf Walderich und
Adalwin. Für Paldrih ist dies auch durch M. 118 erwiesen, da hier
neben Arn, Adalwin, Atto und Walderih vorkommen: Ellannod archi-
presb., Theorolf diac, Paldrih archipresb., Oadalfried presb. Die Archi-
presbyter Odalhart und Ospald können also in der That nur auf die
Bischöfe Sindpert und Alim, welche die Urkunde für Freising nicht
unterzeichneten, fallen. Es ist also nur die Wahl, ob man Odalhart
Sindpert oder Alim zutheilen will.
2) Kleymaiern, Juvav. Anhg. No. 14.
Digitized by
Google
344 Sitzung der histor. Classe vom 4. Fehruar 1882.
Reisbach, sich nur als Archipresbiter unterzeichnete, ausser-
dem aber seinen Titel Bischof fortführte und mit ihm ge-
nannt wurde. Denn wir sehen auch anderwärts, dass Bischöfe
nicht gerade immer als solche bezeichnet wurden, wenn sie
noch ein anderes Amt bekleideten, indem z. B. Johannes,
Bischof von Constanz und Abt von S. Gallen öfter nur
Abt heisst. 1 ) Es wäre jedoch auch denkbar, dass nach 800
eine neue Aenderung eingetreten und Neuburg als selb-
ständiges Bisthum fortgeführt worden wäre.
Diese Vermuthung scheint nicht ohne Anhaltspunkte
zu sein. Eben in diesen Jahren nahm Karl der Grosse
eine durchgreifende Organisation der deutschen Kirche vor.
Wie die Kirchenprovinz Bayern ihren Metropoliten in dem
Salzburger Bischof Arn erhielt, so wurde Köln gleichzeitig
zur Metropole erhoben und dem Bischof Hiltebold als Erz-
bischof übertragen. Damit erlitt aber die Metropole Mainz
wesentliche Verluste. Im J. 751 constituirte Papst Zacharias
die Mainzer Provinz aus den Bisthümern: Tongern, Köln,
Worms, Speier, Utrecht und denjenigen, welche in den von
Bonifaz neu bekehrten Ländern errichtet werden, 2 ) also
Würzburg und Eichstätt, da Erfurt bald wieder einging.
Durch die Erhebung Köln's zur Metropole gingen also dieses,
dann Tongern und Utrecht für Mainz verloren, welcher
Verlust natürlich wieder gedeckt werden musste, und wozu
zunächst nur die ftlamannischen Bisthümer übrig blieben.
Die Suffraganstellung Augsburgs war darum selbst eine
schwankende, indem es sich fragte, ob es zu Salzburg oder
Mainz geschlagen werden solle. Wenn aber das bisherige
Bisthum Neuburg zugleich mit Augsburg unter Mainz ge-
stellt werden sollte, so war dies gleichbedeutend mit der
Verkleinerung der Kirchen pro vinz Bayern oder mit einer
1) Wart mann, Urkdtroch. von S. Gall. I. No. 87. 47. 62.
2) Jaffe, Mon. Mag. p. 227.
Digitized by
Google
Friedrich: Der Oadalhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 345
empfindlichen Beeinträchtigung der Metropole Salzburg.
Das würde aber so wenig als andere Erzbischöfe Arn gern
gesehen haben, der so sorgfaltig über den Besitz seiner
Kirche und die Grenzen seines Erzbisthums gegen Aquileia
hin wachte. Im J. 800, wie das Schreiben Papst Leo's III.
bezeugt, war auch in der That Sindpert als Bischof von
StafFelsee wenigstens für den bayerischen Theil seiner Diö-
cese, das Bisthum Neu bürg, noch Mitglied der bayerischen
Kirchenprovinz. Es entspräche daher ganz der Lage der
Dinge, wenn die bayerischen Bischöfe die Selbständigkeit
des Bisthums Neuburg hätten bewahrt wissen wollen. Da
aber schon 829 auf der vom Kaiser angeordneten Mainzer
Synode Augsburg zur Metropole Mainz gehört und die
Metropole Salzburg nur noch die Suffraganbisthümer
Freising, Regensburg, Passau und Seben zählt, 1 ) so ist
zwischen 800 und mindestens 827/8 die Aenderung in der
SuflFragan Stellung Augsburgs erfolgt. Solange aber Arn, der
am Hofe wie in Rom gleich angesehene und um beide
gleich verdiente Erzbischof, lebte (f 24. Jan. 821), wurde
wohl keine völlige Veränderung vorgenommen; allein die
Verhandlungen über die Stellung Augsburgs und Neuburgs
zu Salzburg oder Mainz mögen schon in seine Lebenszeit
sich erstreckt haben. Sindpert wenigstens und überhaupt
ein Augsburger Bischof erscheint nach 800 nie mehr unter
den bayerischen Bischöfen, so oft sie sich auch versammeln
oder zusammenfinden, während dabei noch immer Oadalhart
auftritt. So fehlt Sindpert 807 auf der bayerischen Synode
zu Salzburg, wo manches Nützliche und auch das Zehent-
verhältniss verhandelt wurde, 2 ) und in gleicher Weise ist
1) He fele,Conc -Gesch. IV, 72. Hartz he im Conc. Germ. 11,54 sq.
2) Meichelbeck IL No. 286 : Dum se congregasset Synodns Epis-
coporum, Abbatum ceteroruraque Clericorura Bajoariae Provinciae ad
metropolim Salzburgensem . . . Arn archiepisc. Atto, Adalwinus, Einricu«,
Hato . . ,
Digitized by
Google
346 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
kein Augsburger Bischof auf der Regensburger Synode,
deren Zeit nicht angegeben ist , aber von Resch l ) um 809
angesetzt wird, sowie auf dem Gerichtstag von Ergolting 823, 2 )
während bei den beiden letzten Conventen regelmässig ein
Agnus als bayerischer Bischof zu den übrigen an letzter
Stelle hinzutritt. Resch nimmt diesen als Neuburger Co-
episcopus des Sindpert, 8 ) was jedoch Hundt bestreitet, indem
er meint: „Er dürfte einem der Bayerischen Bisthümer als
Coepiscopus zuzutheilen sein. Ihn mit Rosch, in dessen
Annalen von Seben, dem Bisthum Augsburg-Neuburg zu
überweisen, können Gründe kaum geltend gemacht werden.
Keinenfalls war Neuburg um 822 noch eigenes Bisthum." 4 )
Allein diese Behauptung Hundt's kann ich zu der
meinigen durchaas nicht machen, indem sie von zwei nicht
bewiesenen Voraussetzungen ausgeht, dass nämlich einmal
um 822 Neuburg kein selbständiges Bisthum mehr gewesen
sein könne, und dass zweitens jeder Bischof, dessen Sitz
man nicht anderswoher wisse, ein Coepiscopus sein müsse.
Mir erscheint die Lage der Dinge anders. Oadalhart ist
bis 808 sicher , und zwar als Bischof, zu verfolgen 6 ) ; im
J. 809 oder 810 muss er hochbetagt gestorben sein. Der
Tod Sindperts wird ebenfalls 809 angesetzt, um die näm-
liche Zeit tritt aber auch Agnus als bayerischer Bischof
auf, und zwar gerade so wie Manno und ursprünglich Oadal-
1) Resch, Annal. Sabion, II, 21. — Meichelbeck, No. 256:
Hoc autem factum est ad Reganaspuruc in publico conventu Episco-
porum, seu etiam Presbyterorum, in quo erat Arn Archiepisc, Atto
Episc, Adalwinus Episc, Hato Episc, Einrich Episc, Agnus Episc.
2) Meichelbeck No. 434: Dum scdissent Cotafrid videlicet, et
Hatto ad Ergeltingas, Adalram, Hitto, Baturich, Beginnen, Agnus
Episcopi ...
3) Resch II, 21 n. 46.
4) Hundt, Karol. Urk., S. 60.
5) Hundt, a. a. O., S. 56 erblickt auch M. 172 in dem Oadal-
hart ohne Titel unseren Bischof, also 8. Sept. 809.
Digitized by
Google
Friedrich: Der Oadälhart episcopus d. Freisinger Urkunden etc. 347
hart als fünfter neben Salzburg, das jetzt Metropole ist.
Es mag also sein, dass mindestens nach dem Tode Sind-
perts und Oadalharts die bayerischen Bischöfe die Wieder-
herstellung der ursprünglichen bayerischen Provinz an-
strebten und erreichten, 1 ) dass aber nach dem Tode Arn's
das Bisthum Neuburg für immer mit Augsburg und der
Metropole Mainz vereinigt wurde. Dazu stimmt auch das
Zusammentreffen der einzelnen Daten sehr gut: Arn stirbt 821,
Agnus kommt zum letzten Male vor 823, und 829 ist Augs-
burg Suffragan- Bisthum von Mainz, während von Neuburg
oder einem fünften bayerischen Bischof keine Rede mehr ist.
1) Ganz unstichhaltig ist jedenfalls die Meinung St reber 's i. d.
Art. Augsburg der 2. Aufl. des Wetzer und Welte'schen Kirchenlexikons
col. 1620: „Als im J. 798 Salzburg zur Metropole der bayer. Lande er-
hoben wurde, bewirkte Sintbert, dass alle der Augsburger Kirche zuge-
hörigen bayer. Theile von Salzburg unabhängig wurden und die parochia
ambarum partium Lici fluminis (Translat. s. Magni, MG. SS. IV, 425)
der Metropole Mainz unterstellt blieben." Bis zum J. 800 stand Augs-
burg kaum schon unter Mainz und war Sindpert die Lostrennung der
Neuburger Theile von Salzburg noch nicht gelungen. Dem Papste war
wohl bekannt, dass derselbe sich nunmehr in Staffelsee aufhalte, aber
er rechnete ihn doch noch zu den Bischöfen der „provintia Baiuuariorura"
(Juvavia, Anhg. No. 14). Später kommt aber Sintpert, ausser in dem
Mandatum von Aachen (Pertz, leg. I, 90), wo sich aber keine Ortsangabe
findet, in gleichzeitigen Schriftstücken nicht mehr vor. Die Stelle in
der Translat. s. Magni, auf welche sich Streber beruft, heisst aber:
Parochiam vero ambarum partium Lici fluminis per auctoritatem domni
Leonis tunc temporis papae et confirmationem domni Karoli iara facti
imperatoris in utroque regno siraul Domino favente coadunavit. Darin
steht aber keine Silbe davon, Sindpert habe bewirkt, dass die Diöcese
Augsburg sammt ihrem bayerischen Theile der Metropole Mainz
unterstellt blieb; vielmehr nur soviel, als uns auch sonst aus gleich-
zeitigen Quellen bekannt ist, dass nämlich wirklich Sindpert das Bis-
thum Augsburg mit Neuburg innehatte. Wie schlecht übrigens der
späte Verfasser der Translatio s, Magni unterrichtet war, zeigt er schon
dadurch, dass er die Vereinigung erst geschehen lässt, als Karl d. Gr.
bereits Kaiser war.
Digitized by
Google
348 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
Ich wiederhole jedoch, dass die Erörterungen über Neu-
burg seit dem Auftreten Sindperts als Neuburger Bischof
nur Vermuthungen sind, welche übrigens ebensoviel Be-
rechtigung für sich haben, als die gegentheiligen An-
nahmen.
Herr v. Druffel hielt einen Vortrag:
„Beiträge zur militärischen Würdigung
des schmalkaldischen Krieges."
Derselbe wird später in den Sitzungsberichten veröffent-
licht werden.
Digitized by
Google
Verzeichni8S der eingelaufenen Büchergeschenke.
Von der Babaviaasch G-enootschap van Künsten en Wetenschappen
in Batavia :
Verhandelinger Deel 41, Stuck 2. 1880. 4°.
Vom Kgl. Instituut voor de Taal-, Land- en Volkenkunde van
Nederlandsch Indie im Haag:
Bydragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-
Indie. 4 Reeks. Deel 5. s' Gravenhage 1881. 8°.
Vom Institut des langues orientales in Petersburg:
Collections scientifiques. IV. Monnaies de dififörentes dynasties
musulmanes. 1881. 8 e .
Von der Provinciaal Utrechtsch Genootschap der Künsten en
Wetenschappen in Utrecht:
a) Jaarverslag 1879 en 1880. 1879/1880. 8°.
b) Sectie-Verslag. 1879. 8°.
c) De Polybii fontibus et auctoritate scripsit J. M. J. Valeton
Trajecti ad Eh. 1879- 8°.
d) Het Leven en de Verdiensten van Petrus Camper, door
C. E. Daniöls. 1880. 4°.
e) Het Kloster te Windesheim, door J. G. E. Acquoy. 3. /Deel.
1880. 8°.
f) Naamlyst der Leden.' 1880. 8°.
g) Eegisters. 1879. 8°.
Digitized by
Google
350 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Sächsischen Alterthumsverein in Dresden:
a) Neues Archiv für sächsische Geschichte. Bd. II. 1881. 8°.
b) Jahresbericht f. d. J. 1880—81. 1881. 8°.
Von der Societä Slciliana per la storia patria in Palermo :
Documenti per servire alla storia di Sicilia. Vol. I fasc. 2.
1881. 8°.
Von der Asiatic Society of Bengal in Cdlcutta :
Bibliotheca Indica. Old Series. No. 243. New Series No. 469 —
471. 1881. 8°.
Von der American Oriental Society in New Haven:
Proceedings at New Haven. Oct. 26. 1881. 8°.
Von der Archäologischen Gesellschaß in Agram:
Viestnik. Bd. IV. 1882. 8°.
Vom historischen Verein für Niedersachsen in Hannover:
Zeitschrift Jahrg. 1881. 1881. 8°.
Von der k. preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin :
Politische Korrespondenz Friedrich's des Grossen. Bd. VII.
1881. 8°.
Vom westfälischen Provinzial- Verein für Wissenschaft und Kunst
in Münster:
8. u. 9. Jahresbericht pro 1879 u. 80. 1880 — 81. 8°.
Vom Geschichtsverein und Naturhistorischen Landesmuseum in
Klagenfurt :
Carinthia. 71. Jahrgang 1881. 1881. 8°.
Digitized by
Google
Einsendungen von Druckschriften. 351
Von der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde in Salzburg:
Mittheilungen. 21. Vereinsjahr 1881. 8°.
Von der Archäologischen Gesellschaft in Berlin:
41. Winckelmannsprogramm. Ueber die Verwendung von Terra-
kotten an griechischen Bauwerken. 1881. 4°.
Vom Geschichts- und Alterthums-Verein in Leisnig:
Mittheilungen. 6. Heft. 1881. 8°.
Von der Academie de Metz in Metz:
Memoires. 60 e annöe (= 3 e Sdr. 8 e ann^e). 1878 — 79.
1881. 8°.
Von der Societe d'histoire de la Suisse romande in Lausanne:
Memoires et Documents. Tom. 36. 1882. 8°.
Vom Verein für Hamburgische Geschichte in Hamburg:
Mittheilungen. 4. Jahrgang. 1882. 8°.
Vom Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg:
a) Mittheilungen. Heft 3. 1881. 8°.
b) Jahresbericht f. d. Jahr 1880. 1881. 8°.
Von der Universidad de Chile in Santiago:
a) Anales de la Universidad 1879—80, 2 voll. 1879 — 80. 4°.
b) Cämara de Senadores. Sesiones estraordinarias en 1879.
Sesiones ordinarias en 1880. 1879—80. 4°.
c) Cämara de Diputados. Sesiones ordinarias y estraordinarias
en 1879. 4°.
d) Cuenta jeneral de las entradas y gastos fiscales de la repu-
blica de Chile en 1879. 1880 % 4".
e) Annuario estadistico de la Republica de Chile en los afios
1877-78. Tom. XX. 1879. 4°.
Digitized by
Google
352 Einsendungen von Druckschriften.
f) Memorias de los ministerios :
a) del Ministerio del Interior 1880.
b) Memoria de justicia, culto e instraccion publica 1880.
c) Memoria del Ministerio de hacienda 1880.
d) Memoria de guerra y marina 1880.
e) Memoria de relaciones esteriores 1880. 1880. 4°.
f) La cuestion de limites entre Chile y la Eepüblica
Argentina por Miguel Luis Amunategui. Tom. 2.
Santiago 1880. 4°.
g) Informe sobre si conviene a Chile la inmigracion de
los Chinos por Francisco Casanueva. 1880. 4°.
h) El arbitraje internacional en el pasado, en el presente
y en el porvenir (trad. del francös) Sant. 1877. 8°.
Von der Societe des sciences historiques et naturelles de la Corse
in Bastia:
Bulletin 1881. 8°.
Von der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerhunde
Ostasiens in Yokohama:
Mittheilungen. 25. Heft. December 1881. fol.
Von der Real Academia de la historia in Madrid:
Boletin. Vol. II. 1882. 8°.
Von der k. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag:
a) Abhandlungen. 6. Folge. 10. Bd. 1881. 8°.
b) Sitzungsberichte. Jahrg. 1880. 1881. 8°.
c) Jahresbericht ausgegeben am 3. Juni 1880. 1880. 8°.
d) Decem registra censuum bohemica ed. Jos. Emier 1881. 8°.
Von der Südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram :
a) Ead. Bd. 58. 1881 8°.
b) Starine. Bd. 13. 1881. 8°.
Digitized by
Google
Einsendungen, von Druckschriften. 353
Von der Royal Dublin Society in Dublin:
The scientific Proceedings. New Ser. Vol. III. 1880—81. 8°.
Von der Finnländischen Gesellschaft der Wissenschaften in
Helsingfors :
Observations mötöorologiques. Vol. 7. Annöe 1879. 1882. 8°.
Vom K. statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart:
Württemberg'sche Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. Jahr-
gang IV. 1881. 4".
Von der R. Accademia delle seiende in Turin:
Atti. Vol. 17. 1881. 8°.
Von der Societe scientifique polonaise in Thorn:
Carte archöologique de la Prasse occidentale avec un texte ex-
plicatif. Cracovie 1881 fol.
Von Teylers godgeleerd Genootschap in Haarlem:
a) Verhandelingen rakende der natuurlijken en geopenbaarden
gotsdienst. N. Ser. 9. Deel. 1880. 8°.
b) Archives du Musee Teyler. Se>. II. Partie II. 1881. 8°.
Von Herrn Stephan Dubrawski in Stryjl (Galizien):
Der slavische Interrogativsatz. 1881. 8°.
Von Herrn Ernst Trumpp in München:
Bemerkungen über den indischen Eeformator Kabir s. 1. s. a.
1881. 8°.
[1882. I. Philos.-philol. Hist. Cl. 2.] 23
Digitized by
Google
354 Einsendungen von Druckschriften.
Von Herrn Willibald Hauthaler in Salzburg:
Die Salzburgischen Traditions- Codices des X. und XI. Jahr-
hunderts. 1881. 8°.
Von Herrn L. A. Huguet-Latour in Montreal, Canada:
a) Annuaire de Ville-Marie. Vol. I. Livr. 2. Vol. IL Livr.
1. 3. 4. 1878/1880. 8°.
b) The Canadian Antiquarian. Vol. II. No. 2. VIII. No. 4.
IX. No. 3. 4. X. No. 1. 2. Montreal 1873—1881. 8°.
Digitized by
Google
Sitzungsberichte
der
philosophisch-philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu IVEüucheii.
1882. Heft III.
Hünchen.
Akademische Buchdruckerei von F. Straub.
1882.
In Commission bei G. Franz.
Digitized by
Google
;
Digitized by
Google
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 4. März 1882.
Herr v. Christ hielt einen Vortrag:
„Die Attikus-Ausgabe des Dem os th en es u .
Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht
werden.
Herr G. Thomas trug vor:
I.
„Bemerkungen zu einer Relation über
Schweden aus dem Jahre 1578 u .
Unter den Schriften, welche bei Gelegenheit des dritten
internationalen Geographen-Congresses in Venedig vergang-
enen Herbstes zu Tage kamen, befindet sich auch eine
Abhandlung von C. Bullo über eine abenteuervolle, an Müh-
salen und Gefahren, Noth und Elend überreiche Reise des
venezianischen Flandern-Fahrers Piero Querini, welcher 1431
Schiffbruch gelitten hatte, vom Sturme weit nordwärts an
die Lofodden der Norwegischen Küste verschlagen worden
war, und mit wenigen Geretteten von da durch Schweden
und Deutschland in die Heimat zurückkehrte; daran reiht
sich dann eine weitere über die Beziehungen der Republik
[1882. 1. Philos.-philol. hist. Cl. 3] 24
Digitized by
Google
356 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. März 1882.
zu Schweden überhaupt: „(7. Bullo il viaggio di M. Piero
Querini e le relazioni della repubblica Veneta colla Svezia"
— Venezia tipografia Antonelli 1881 — , also lautet der
Titel.
Ich habe in einem allgemeinen Bericht über den Con-
gress — Allgemeine Zeitung, Beilage Nr. 327 vom 23. No-
vember 1881 — die Hoffnung ausgesprochen, auf diese Ab-
handlung zurückzukommen, weil ich im Stande wäre, mit
einem Münchener Codex einem Theil derselben berichtigend
aufzuhelfen : dieses möge hier geschehen !
Unter den Documenten nehmlich, welche ausser einem
neuen Texte des einen Reiseberichts der „infelice e sven-
turata chocha Querini 41 — es sind zwei dergleichen über-
liefert — aus einer Handschrift der Marciana der Abhand-
lung beigegeben sind, befindet sich auch als Nr. II eine
„Relatione delle cose pertinenti alla cognitione delh stato
presente del Regno di Svetia 1578" welche einer Handschrift
des Museo Civico — Miscellanea Correr Nr. 1358 entnommen
ist. Schon die Zeit des Berichtes, aus der Regierungsperiode
Johann III., rief gleich anfangs eine alte Erinnerung wach,
als ob ich einer ähnlichen bei Bearbeitung der italienischen
Codices unserer Bibliothek (im J. 1857) begegnet wäre.
Als ich nach der Heimkehr den Catalog nachschlug, stimmte
die Zeit, und als ich die Handschrift selbst hervorholen
liess, fand sich, dass dieselbe wesentlich die gleiche Relation,
wie jene Correr'sche, darbietet. Ich habe über diesen Codex
auf Seite 173 unter Nr. 811 des Catalogs gehandelt. Es
ist der Codex Italiens Nr. 90, einer jener vielen und inhalt-
reichen, welche die Bibliothek dem gelehrten und trefflichen
Probst Töpsl von Fölling zu danken hat.
Der Vergleich nun des von Bullo herausgegebenen
Textes mit dem im Münchener Codex fol. 145 — 183 ergab
alsbald die Erkenntniss, dass unsere Copie von Anfang bis
zu Ende viel besser, viel genauer, viel ausführlicher her-
Digitized by
Google
Thomas: Bemerkungen zu einer "Relation über Schweden etc. 357
gestellt ist, als jene im Correr'schen Codex, wobei übrigens
der Abschreiber zum Zweck dieses Drucks noch vielfache
Irrthümer begangen haben mag, und wenn auch die Münchener
Copie, besonders in Eigennamen u. dgl., nicht ohne sicht-
bare Fehler gemacht ist.
Die Hauptsache aber ist, dass der Herausgeber aus der
fehlerhaften letzten Abschrift verleitet wurde, anzunehmen,
diese Relation sei für den Dogen von Venedig gemacht,
welcher dieselbe vom päbstlichen Nuntius in Stockholm,
dem Jesuiten Antonio Possevino sich erbeten habe.
Im Schluss-Satz nehmlich der Relation hat der letzte
Abschreiber — wie ick vermuthe — gewisse Abkürzungen
falsch gefasst, er setzt eine „Serenitä" an die Stelle der
, x Santitä" und „Beatitudine" , und daraufhin stejlt der
Herausgeber das eben genannte geschichtlich unnachweis-
bare, an sich damals unwahrscheinliche Verhältniss auf,
ohne, wie billig, auf den Geist und die Richtung der Re-
lation, und auf andere bestimmte Hinweise in derselben
Acht zu geben.
Jener Schluss-Satz lautet im Druck also: Io qui ho
posto quanto e di relatione ho inteso dall' istesso Re, e da
suoi principali, et anco d' altri molto periti di quei paesi.
II che tutto. ho fatto per ordine mandatomi da Vostra
Serenita a Bologna. II restante oltre quel che neH'altra
Relatione ho toccato, et il che tocca piu propriamente alla
mia vocatione e missione, poträ dirsi a bocca a chi si deg-
nerä Vostra Serenitä di comandarmi che io lo dica —
im Codex Monacensis aber:
Io qui ho posto quanto di vista e di relatione ho in-
teso in piu ragionamenti fatti con V istesso Re, e da suoi
piü Principali, et anco da altri molto periti e pratichi di
quei Paesi. II che ho fatto per V espresso ordine manda-
tomi dalla Santitä Vostra a Bologna.
24*
Digitized by
Google
358 Sitzung der phüos.-phüaH. Classe vom 4. März 1882.
II restante, oltre quello che nell 1 altra mia Relatione
ho toccato, e che tocca piü propriamente alla mia vocatione
e missione, poträ dirsi a bocca a chi si degnera Vostra
Beatitudine di coinmandarmi , ch' io lo dica , alla quäle
humilissimamente baccio li santissimi piedi. —
Jedermann erkennt aus dieser Parallele ohne weiteres,
mit welch' einer Schrift wir es hier zu thun v haben , und
welchen Werth der Münchener Text vor jenem abgedruckten
haben muss.
Es ist der zweite Theil der Relation Possevino's an
Gregor XIII. über Schweden unter dem katholisirenden
König Johann III. ; im ersten Theil hatte der päbstliche
Abgeordnete eigens über die religiösen Verhältnisse des
Königreichs berichtet, wie es das erste Capoverso des Druckes
ausdrücklich bezeugt — dieses fehlt im Münchener Codex —
und wie es das letzte oben wiedergegebene und auch der
Context (p. 90 des Drucks) wiederholt bestätigt.
Aber, hätten wir auch diese redenden Stellen nicht
überliefert, der ganze Ton dieser Relation auch über die
staatlichen und weltlichen Dinge in Schweden, die Ausfälle
auf das Lutherthum, die vertrauensvollen Aussichten auf
Gegenreformation und römische Propaganda von Schweden
aus über Finland bis Moscovien — dieses und anderes
würde verbieten, auch nur von ferne anzunehmen, die Re-
lation sei für einen Dogen von Venedig bestimmt gewesen.
Selbst ein minder gewandter und geschulter Mann, als wie
Possevino, möchte kaum den Herren in Venedig u. a. damit
aufgewartet haben, dass er die steigende Trunksucht der
Männer in Schweden mit der Ausbreitung der Lehre Luthers
in Zusammenhang bringt, eine culturhistorische Bemerkung,
welche einer gewissen Partei von heute unzweifelhaft richtig
und verwendbar erscheinen muss. Sonst kann der Bericht-
geber nicht umhin, die Tugendhaftigkeit der Bevölkerung
Digitized by
Google
Thomas: Bemerkungen zu einer Belation über Schweden etc. 359
zu loben ; doch habe fremdes Soldatenthum und die Häresie
der Einfalt der Sitten Eintrag gethan, auch, wie er an-
nimmt, der allgemeinen Gastlichkeit — eine angestammte
Eigenschaft aus heidnischer Zeit, Vgl. Konrad Maurer,
Norwegen 2, 184 — ; doch gibt er dabei wieder zu, dass
dieselbe wie früher von den katholischen Geistlichen, so
nun von den Pastoren gepflegt werde. Die Genossen Que-
rini's sind dagegen voller Bewunderung über die Unver-
dorbenheit ihrer Wirthe auf der Insel Rost: sie kamen sich
im Vergleich italienischer Art vor als wären sie dort im
Paradies gewesen, vgl. Seite 69: „nel primo zerchio de
paradixo a confnsione et obprobrio de chosturai italiei".
Ist nun auch die angenommene Adresse dieser Relation
entschieden verfehlt und werden damit auch einige andere
Aufstellungen des Herausgebers hinfällig, der rein sachliche
Werth ebenderselben bleibt ungeschmälert; die römischen
Emissäre in fremden Ländern waren nicht minder gute
Beobachter als die venezianischen Gesandten — nur fehlte
ihnen in einem grossen Puncte ein Grosses, die Unpartei-
lichkeit, und jede römische Mission war zugleich ein Er-
oberungsplan für die Alleinherrschaft des Pontifex.
Was die Relation des weiteren über Schweden darlegt,
über Regierung und Volk, über Land und Einwohner, über
die Einrichtungen des staatlichen Lebens, über Militär und
Marine, über Einnahmen und Gefälle, über Sitten, Gebräuche,
Lebensart und Umgang, ist ebenso anziehend als klar dar-
gelegt; es wäre von Nutzen, würde dieser Bericht mit Zu-
grundelegung der Münchener Handschrift neu herausgegeben
und von kundiger Hand erläutert.
Zum Beweis, welcher Gewinn aus unserem Codex zu
ziehen wäre, will ich noch eine Stelle aus dem Druck neben
jenem Text zur Anschauung bringen, eine Stelle, welche
dort mehrfach geradezu unverständlich ist.
Digitized by
Google
360 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 4. März 1882.
Druck, Seite 90;
De peccati, ne fraudi non
ho veduto, ne udito, le*donne
sono prudenti, come quelle
che si astengano dall'ebrieta
il che negli huomini special-
mente da 40 anni in qua
(poiche s-' inebriano della
dottrina di Luthero) e molto
frequente. Non hanno be-
stemmie salvo talhora quella
di maledire e dare al de-
in onio le creature.
Quanto ai riti, e cose della
religione se bene nell' altra re-
latione a longo se ne ragiona,
nondimeno dirö questo che
il Popolo si puö dire vera-
mente ingannato, non distin-
guendosi i veri da i falsi Preti,
per cioche questi vanno con
habito lungo da Sacerdoti
eccetto la berretta la quäle
portano ritonda a guisa de
i laici. In Italia pefö i seco-
lari in Svetia non la portano
in quel modo.
Serba il Popolo molti riti
antichi (che bestemmiano i
luterani) percioche osserva
i digiuni, prega buona parte
di loro, massime i piü vecchi,
Codex Monacensis fol. 178
verso :
De peccati nefandi non hö
udito parlarne: le Donnesono
assai prudenti, come quelle
che si astengono dall' ebrietä.
II che negl' huomini, e special-
mente da 40. Anni in qua,
poiche s' inclinorno alla Dot-
trina di Lutero, e molto fre-
quente. Non hanno alcuna
sorte di bestemmia: salvo che
talhora quella del maledire
e dare al Demonio le Creature.
Quanto ä riti e cose della
Religione, se bene nell' altra
mia Relatione assai ä lungo
se n' e ragionato, nondimeno
dirö an cor al presente questo,
che quel Popolo si puö dire
veramente ingannato , non
distinguendosi li veri dalli
falsi Profeti, percioche questi
vanno con habito lungo da
Sacerdoti, eccetto la Beretta,
la quäle usanq portare ro tonda
ä guisa de Laici d' Italia: perö
li secolari in Suetia non la
portano ä quel modo.
Osserva quel Popolo ancora
molti riti antichi, che bestem-
miano li Lutherani, percioche
osserva i digiuni, prega buona
parte di loro, massime quelli
Digitized by
Google
Thomas: Bemerkungen zu einer Relation über Schweden etc. 361
per i morti. Honora e prega
in molti luoghi la Madre di
Dio, et ancora hoggidi in
Finlandia quando uno star-
nuta si usa dire: Iddio e la
sna Madre ti aggiutano.
Laonde chi guadagnerä in
Finlandia la coüversione dell'
anime, aprirä nna gran porta
alla Moscovia, e perö meno
alcuni di qualche paese,
purche siano in Roma in-
stituiti.
che sono molto in lä con
T etä loro , per li morti : si
honora e si prega in molti
luoghi la Madre di Dio, et
ancora hoggi in Firilandia,
quando uno stranuta, se gl'
usa di dire: Iddio, e la sua
Madre t' aiutino.
Laonde chi guadagnerä in
quella Provincia la cenversi-*
one deir Anime, aprirä una
gran Porta alla Moscovia:
Et perciö io ho menati alcuni
giovanetti di quel Paese, per-
che sieno qui in Roma bene
instrutti e disciplinati.
Man erkennt, dass der Münchener Codex gleichsam die
ursprüngliche Redaction darbietet, und zugleich viel sorg-
fältiger abgeschrieben ist. Firilandia statt Finlandia geht
durch den ganzen Text ; qui in Roma ist für die Abfassung
nicht zu übersehen.
Ausheben möchte ich gerade hierorts, was der Bericht
über die Sprachen und das Sprachtalent in Schweden vor-
bringt. Drei Idiome seien im Reich gebräuchlich: das
Schwedische in allen Theilen des eigentlichen Schweden,
in Gothland, Norwegen und Dänemark; dem Schwedischen
nahe verwandt sei das Sächsische in vielen Wörtern, wie
mit einiger Aenderung der Aussprache das Vlämische und
Englische. Dann das Finnische im ganzen sogenannten
Grossherzogtbum Finnland, ausgenommen einer Provinz,
Nyland, wo das Schwedische sich erhalte, und in Rival und
seiner Umgebung. Das dritte das Lappische.
Digitized by
Google
362 Sitzung der phüosrphUdl. Classe vom 4. März 1882.
Das Schwedische und Finnische sei wegen des Reich-
thums an Vocalen nicht so schwierig zu erlernen, und zu
sprechen, als die Sprache des oberen Deutschland; der Be-
richterstatter habe Franzosen und Italiener kennen gelernt,
welche nach Versicherung von Schweden ihrer Sprache gut
Herren waren.
Im Capitel „della qualitä de gl' Ingegni" — Druck
S. 89. Codex fol. 177 verso — wird bemerkt, diese Völker
seien geistig wohl befähigt, nicht bloss zur Erlernung von
Handfertigkeit, sondern auch für Unterricht, speculatives
Wissen und auch für Sprachen ; wer von gewissem Ansehen
sei, lerne insgemein die deutsche oder die lateinische Sprache,
oder beide zusammen. Wenn dieselben andere Sprachen
erlernten, hätten sie bei der Aussprache nicht jene Schwierig-
keiten, wie sie die Deutschen haben, weder in der italienischen
noch in der lateinischen Sprache. —
Wie diese Relation, gibt auch die Erzählung von der
Reise Piero Querini's interessante Einzelnheiten scandi-
navischen Lebens; „die Beschreibung des Zustandes von
Norwegen und dessen Handel, sowie auch das Gemälde der
Sitten der Einwohner, sind ungemein schöne Bruchstücke
der Geschichte der Menschheit" — so Joh. Reinhold Forster,
in seiner Geschichte der Entdeckungen und Schiffahrten im
Norden, Frankfurt a. d. Oder 1784, Seite 273, welcher
diese Berichte Querinis und seiner Gefährten gut ausgezogen
hat — , aber auch sie erwartet noch in der Zukunft schul-
gerechte Behandlung.
Digitized by
Google
Thomas: Der Einzug Kaisers Karl F. in München etc. 363
Ferner :
IL
„Der Einzug Kaisers Karl V. in München
am 10. Juni 1530. Zwei Briefe eines Veue-
zianers als Augenzeugen."
Die Reise Karls V. zum Augsburger Reichstag war
von Innsbruck an bis zum Einritt in die altberühmte
Augusta am Lech, 6. — 15. Juni 1530, ein beständiger Zug
durch festliches Gepränge; vorzüglich glänzend und mit
verschiedenen Spielen, Darstellungen und Gelagen ausge-
stattet war der Empfang des Kaisers in München : die Her-
zoge wollten sich zeigen und dabei ihre politisch-religiöse
Parteistellung zur Schau tragen. Es gibt eine kurze, aber
sehr seltene Beschreibung dieses Einzuges in deutscher
Sprache „Kayserlicher Majestaet Einreyttung zu München,
den X. tag Junij. Im M. CCCCC. vnd XXX. Jar u , ohne
Druckort und andere Angaben, — auf der Münchener Biblio-
thek bei Eur. 412/20 4° — , wiedergegeben in Förste-
mann's Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu
Augsburg 1 , 245. Eine weitläufigere Erzählung enthält
der bei Laemmer Monumenta vaticana unter Nr. XXXII
pag. 36 abgedruckte Brief des Cardinal-Legaten Campeggi.
Zu diesem bieten nun zwei Briefe eines Venezianers, welcher
sich im Gefolge des Orators der Republik befand, eine nicht
unbedeutende Ergänzung. Dieselben hat uns Marino Sanuto
im 53. Band seiner einzigen Diarien aufbewahrt.
Der erste Brief gibt eine anschauliche Schilderung
theils von den Schauspielen vor und ausserhalb der Stadt,
eines militärischen und einer Art Fischerstechen auf der
Digitized by
Google
364 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 4. März 1882.
Isar, tbeils und insbesondere von drei plastischen Vorstel-
lungen, welche auf eigens aufgerichteten Bühnen nach
einander inner der Stadt während des Einrittes der Herr-
schaften aufgeführt wurden. Eine, die erste, friedlich und
ansprechend, die beiden andern aber so wahrhaft blutrünstig,
dass man dabei im Lesen von Schaudern erfüllt wird. Den
Vorwurf zu diesen schrecklichen Bildern nahm man zweifels-
ohne aus, den Erzählungen der Alten, namentlich aus Hero-
dot 111, 35, wo berichtet wird, wie Cambyses den Sohn
des Prexaspes vor den Augen des Vaters ins Herz schiesst
und dem Getroffenen sofort die Brust öffnen lässt, um die
Wunde im noch zitternden Herzen zu prüfen. Die andere
Darstellung bezog sich auf den Ausgang des Cyrus in der
Schlacht gegen die Massageten Königin Tomyris: man sah
abgeschlagene Köpfe, abgerissene Gliedmassen, und das Blut
kochen und quellen aus den offenen Wunden! Die erste
Bühne war nach dem deutschen Bericht im „Thal" am Bach,
die zweite bei den „Fleischbenken", die dritte beim „Schloss."
Wozu, fragt man, solches Grausal und solche Barbarei bei
dieser Gelegenheit ? Auch damals frug man, was hat solches
zu bedeuten?
Der Cardinal-Legat errieth sofort den geheimen Sinn
der Darstellungen. Man könne dergleichen, sagte er dem
Kaiser, gegen die Ketzer anwenden; wollen sie sich nicht
friedlich fügen, werde man die eiserne Ruthe gebrauchen.
Darauf der Kaiser: nicht mit Eisen, sondern mit Feuer sei
es hergebracht selbe zu strafen. So schreibt Campeggi
selbst mit kaltem Blut pag. 38; vgl. De Leva, storia do-
cumentata di Carlo V. Band 3, Seite 10. Wie stimmt
dieser Zug so ganz und gar zur berüchtigten Instruction
ebendesselben Mannes; vgl. Ranke, Päpste (2. Aufl.) I, 111,
und De Leva am angeführten Orte, Seite 6 seines classischen
Geschichtswerks, welches diesseits und jenseits der Alpen
des ernstesten Studiums würdig ist.
Digitized by
Google
Thomas: Der Einzug Kaisers Karl V. in München etc. 365
Im zweiten Brief ergeht sich der Verfasser in einer
genauen Beschreibung des herzoglichen Gartens, in welchem
damals ein mehr als luxoriöses Banket gehalten wurde, beim
32. Gericht war man erst in der Mitte des Schmauses.
Die Herstellung dieses Prachtgartens habe 40000 Ducaten
gekostet. Dieser Theil des Briefes erscheint für die Ge-
schichte des Hoflebens sehr beachtenswerth. Ob von den
hiebei mit Lust gezeichneten Kunstwerken noch sonst etwas
bekannt sein mag?
Sicher haben diese Briefe für uns mindestens die gleiche
Anziehung, als wie einstens für Marin Sanuto, bei welchem
man nicht weiss f was man mehr bewundern soll , Fleiss,
Ausdauer und Beharrlichkeit, oder Richtigkeit und Feinheit
des Urtheils bei der Auswahl eines überströmenden hi-
storischen Stoffes.
Ich will bei dieser Gelegenheit bekannt geben, dass
Marin Sanuto den deutschen Dingen, der geistigen Beweg-
ung der Reformation einen vorragenden Antheil geschenkt
hat — so dass er z. B. auch die „Confessio opinionis sive
resolutio intentionis Martini Lutheri in presenti Imperiali
dieta Augustae proponenda, decem et Septem articulis com-
prehensa" , voll aufgenommen hat, eine nebenbei gesagt
von der gewöhnlichen Form abweichende Redaction — , und
dass ich alles was sich darauf bezieht, in vollständigen Ab-
schriften vieler Documente zumal, aus den Bänden 28 — 56
d. h. den Jahren 1519—1532 besitze. Diese Auszüge würden
einen Band wichtiger Beiträge zur Geschichte jener grossen
Epoche darstellen. Eine schöne Probe gab Herr Th. Elze
in* der Rivista Cristiana 1875: „Martino Lutero alla Dieta
di Vormazia nel 1521."
Digitized by
Google
366 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 4. März 1882.
SANVTO. Diarii. Vol e - 53. 3. Luglio 1530. C te - 182—183.
Sumario di lettere di Älemagna scritte per Paxim Berecio l )
a ser Thomä Tiepolo q n - ser Francesco, la prima data a
Monaco alli XI. di Zugno 1530, et ricevute tutte doe adi
3. Luio.
Alli 6. di lo instante se partissimo de Hispnrch 2 ) im
compagnia dello Iraperador et per viaggio fin qui havemo
patito grandemente, et questo e stato perche alla terra
dove si allogiö, la sera che fö a Sboz, 8 ) si erano preparati
X m - persone che venivano incontra al Imperador, et per
veder quello si facea, non parse al Clarissirao Patron 4 ) di
partirse niente dal Imperator.
Qneste persone veramente erano benissimo in ordine,
giovane et belle di corpo, aspettavano in doi battag lioni
1) Pasin Bereccio war im Gefolge des venezianischen Gesandten
Nicolö Tiepolo, vielleicht sein Hofmeister (Maestro di casa).
2) Hispnrch = Innsprnck.
3) Sboz = Schwaz.
4) 11 clarissimo suo Patron war Nicolö Tiepolo, einer der berühm-
testen Diplomaten Venedigs in jener Zeit. Ist Doctor, Ritter und Senator
gewesen. 1523 ist er als ausserordentlicher Gesandter an Clemens VII.
gesendet worden, um im Namen der Republik dem neuerwählten Papste
den Huldigungsakt auszurichten.
1529 ausserordentlicher Gesandter an Kaiser Karl V. in Bologna.
1530—33 gewöhnlicher Gesandter an denselben Kaiser.
1534 ausserordentlicher Gesandter an den neuerwählten Papst
Paul III.
1535 Bailo in Constantinopel.
1536 Gesandter in Genua bei Kaiser Karl V.
1538 Commissär beim Congress von Nizza.
1542 wieder Gesandter an Kaiser Karl V.
Und ungeachtet aller dieser diplomatischen Sendungen fand er Zeit, um
einen Commentar über die Probleme des Aristoteles zu schreiben, und
viele Gedichte in italienischer Sprache, die den allgemeinen Beifall
erhielten, zu publiciren. — Tommaso Tiepolo war sein Bruder.
Digitized by
Google
Thomas: Der Emzug Kaisers Karl V. in München etc. 367
sopra una prateria lo Imperador; el quäl gionto, a modo
di fatto d' arme , corendosi V una parte contra V altra, lo
serarono in mezzo lui et il Serenissimo Re con assaissime
altre gente et scaricarono tutti li archibusi et artillarie, et
cosi T Imperator passö per mezzo di detta gente et poi
d' intorno, quäle tutte seinginochiavano et abassavano li loro
piche in terra in segno di riverentia.
Eravi etiam da zirca 500 puti d' anni 13, fin 17, in
nno battaglion armati con le bandiere et tamburi al ordi-
nanza, che con bonissima ciera furono veduti dalla Maesta
Cesarea et dal Serenissimo Re suo fratello.
Fu fatto grandissiraa festa in ditto loco per tal venuta
de li loro Signori et allegrezza, et cussi alli 9. gion'gessemo
qui a Monaco, terra di Baviera, dove siamo bene allogiati.
Alli X, fe T intrata lo Imperator, et fu incontrato
dalli Duchi de ditto loco con zerca 600 cavalli alla borgog-
nona armati, bellissimi e di grandissima Valuta, quali haveano
ciascuno il suo ragazo 5 ) che portava 1' elmetto , e tutti
coperti di penacchi, a diverse liyree li penachii soli, et
eravi tale elmetto che havea pene per XXV. scudi et piü.
Le lanze erano dipinte mezze negre et mezze bianche, et
li vestimenti loro erano saglioni 6a ) rossi con la divisa alla
manicha de li Signori soi. Li Capi di questi erano vestiti
di damasco et di raso cremesino con catene d' oro al collo
di valuta grandissima.
Inanti che intrasse nellä terra, vi erano doi bataglioni
ivi in foggia di voler far fatto d' arme , zoe di fantarie
benissimo in ordine con cerca 130 pezi d' artillarie posti in
cadauno di questi bataglioni, et li scaricarono dette artillarie
et ambi doi si andarono ad incontrarsi che fu cosa bellissima
a veder.
5) Ragazo = Page.
6a) Sagloni, von sajo, lat. sagum, abgeleitet, militärische Oberröcke.
Digitized by
Google
368 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 4. März 1882.
Gionto poi soa Maiestä apresso la terra dove e uno
ponte 6 ) sopra un aqua corente corae h il Adese, 7 ) che con-
duse zatere et etiam se navega con barche, et e fora di la
terra longo da braza 100 et piü; et era in ditto fiume un
caratello 8 ) posto sopra un legno in forma di quintana, 9 )
con una bandiera sopra; et erano sei barche con homini
dentro, che giostravano in ditto caratello e i piü di loro
andavano in aqua, repercossi dalle loro botte, et erano
guidate da doi remi V una, et a seconda 10 ) grandissima
dil fiumo venivano.
Sopra ditto ponte se firmö lo Imperator a veder la
giostra per un pezo, et poi intrö in la terra et andö alla
habitatione preparata per sua Maestä.
Et in tre lochi avanti chel giungesse alla habitatione,
erano tre soleri 11 ) di longheza di braza 12 et di largheza
di braza 8., sopra il primo de li quali era uno vestito da
Re, che sedeva sopra un tribunale et intorno a se molti gen-
tilbuomini che sedevano, et nanti a se una Regina con uno
sceptro in mano con li ginochij in terra, et erano tanto
fermi che molti credevano che fusseno di pietra o di legno.
Sopra il secondo erano gente armate, che haveano
fatto d' arme, et vi si vedevano quelle persone tanto ben
poste, che pareva propriamente, che alcuni havessero tag-
6) Die Brücke über die Isar.
7) Adese, Adige, Etsch.
8) Caratello, Pass.
9) quintana, Zielscheibe, eigentlich eine männliche Figur von Holz,
welche als Ziel der Lanze galt; gewöhnlich in der Gestalt eines Sara-
cenen. Die Entstehung des Wortes, welches auch im französischen vor-
kommt — quintaine — ist noch unklar. Vgl. Diez sub voce.
10) a segonda grandissima del fiume: längs der starken Strömung
des Flusses ; flussabwärts.
11) soleri, Gerüste, auf welchen plastische Bilder dargestellt wurden:
Buhne, wie der deutsche Bericht sagt.
Digitized by
Google
Thomas: Der Einzug Kaisers Karl V. in München etc. 369
liata la testa et alcuni le mani et alcuni le braza, e alcuni
le gambe, et vedevasi loro tutti star tanto fermi, che non
si poteva credere che non fosseno cosi feriti et morti, perche
si vedeva bollire et scaturire il sangue fora di le piaghe,
cosa amiranda a vedere.
Sopra il terzo era uno in habito regale, che havea fatto
aprire nno et cavarli il cor, et havea in mano uno core
caldo et semivivo, che palpitava alhora alhora, et intorno
erano persone che stavano quiete ad admirare.
Nel mostrar di queste cose usavano gran cerimonie et
come haveano aperto le corfcine per spazio de mezzo quarto
de hora, le seravano, et poi serate per un poco, le ritor-
navano ad aprire.
Qaesti tre palchi erano di bellissimi drappi di seta
adornati, et ben ordinati, et niuno si poteva saziar di
vederli.
Molte altre belle cose sono sta fatte, che io non so per
aver convenuto star in casa con il Sig. Marco Savorgnano,
quäl e araalato di dragonzelli, 1 2 ) et e risanato per la Dio
gratia.
Hoggi doi de li illustrissimi Signori Duchi di Baviera
hanno mandato a donare al Clarissimo patron mio sachi
quattro di biava da cavallo, pol esser sta stara 16 venetiani
zircha, mastelli tre di bon vin et un gran cervo morto, et
lo hanno invidato doman da sera a cenar con loro nel suo
giardino, si dice che hanno speso in far quello giardino
40 000 ducati, credo debbia essere bellissirao.
Questa terra e di bellezza e supera a judicio di cadauno
di la famiglia Bologna, Mantua, et Ferrara, et altre citade
di Italia, siehe la e bellissima et ha de bell issi ine doune.
12) dragonzelli. Ist echt venezianisch; es sind Geschwülste anter
dem Kinn und um den Hals, welche das Einschlacken verhindern. Dieser
Marco Savorgnan war ein junger Edelmann im Gefolge des Gesandten.
Digitized by
Google
370 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. März 1882.
SANTJTO. Diarii. VoK 53. 3. Luglio 1530. C te - 183.
183 terg0 -
Lettera dil ditto data in Auspurch ditta Augusta adi
16. Zugno 1530.
Da Monaco scrissi la lntrata dil Imperador, et mi di-
menticai dirli, come da poi li soldati era fabricato sopra la
piaza nno castello di lignami, qualle al gionger di saa
Maestä in piazza in uno instante fu rninato da certi fochi
artificiadi che erano dentro et archibusi con gran rumor,
et fo molto bello a veder, et dissi del invito fatto per li
duchi al Imperador et altri Signori a cena nel suo giardino,
e bora ho avuto Y ordine dil seder dei convitati, lo scrivo,
el quäl e questo: in capo di la tavola sedeva lo Imperator,
a parte dextra il Rev mo Legato Pontificio Campegio, il Car-
dinal di Trento, V orator di Franza, V orator di Venetia,
il marchese di Arescolt, 1 ) il marchese di Villa Franca, il
Gran maestro dil Imperator monsignor di Granville, suo
consier, il Gran Comendador di Leon, il vescovo di Costanza,
il Duca Guilelmo di Baviera, a parte sinistra il Re Feran-
dino, il Card, di Salzpurch over Curzense, il Cardinal di
Leggie, il nuntio Pontificio, 2 ) V archiepiscopo di Bari, 1' ora-
tor di Mantoa, il marchexe di Brandiburg, il vescovo di
Spira, il vescovo di Brexanon, il vescovo di Patavia, il Duca
Lodovico di Baviera, il fratello dil Card, di Brandiburg —
capo di tavolla — di sotto il Conte Palatino fratello de lo
Elector.
Questi tutti erano alla tavola cosi ordinatamente et vi
sentarono a höre XXI. et stetteno fina un hora di notte,
1) vielmehr Areschott.
2) Vincenzo Pimpinello, Erzbischof von Rosano; er hielt die Predigt
vor Eröffnung des Reichstags, und zwar in allbefriedigender Weise. De
Leva a. a. 0. 8. 10.
Digitized by
Google
Thomas: Der Einzug Kaisers Karl V. in München etc. 371
et fin quell' hora haveano portato in tavola 32. sorte di
vivande che si era a mezzo la cena, et portavano alcnne
vivande di aniroali, che parevano vivi; allo Imperator fu
portato primo una aquila, cicogna, grua, cervo et altre
sorte di animali; et essendo a mezzo il convitto V Imperator
si levö et comandö che tutti si levassero , et questo perche
si faceva una festa nella terra, dove erano le piü belle donne
della terra, et fu etiam assignato a tutti il suo ballo, pur
T Imperator et il Re ne volse piü di uno, et ivi stetteno
fio alle 3V 2 DOre di notte, et poi tutti andarono alle loro caxe.
II Giardin preditto e molto bello e di gran Valuta, e
a volerlo descriver, li vorebbe altro ingegno che il mio,
pur dirö questo, che a tutti parve il piü bello.
Quasi al mezzo vi e una fontana et ha sopra doi leoni
et doi orsi che stanno a sedere , et sopra la testa loro
hanno uno putto per cadauno et cosi uno in brazo, che
pareno vivi et butano V aqua da alcune trombette che hanno
in bocca et la pissano etiam, et cosi li orsi et li leoni.
Sopra di questa fontana vi e una stuva, 8 ) quäl ha tre
quadri dipinti di guerre di Romani, che sono pycture di
gran precio et ha il fornello facto a figure, che pareno
vive ; — dalla parte di sotto vi sono gente che ballano,
et per il ballo fanno questione; dove si vede molti morti
e feriti, al mezzo vi e una ordinanza di fanteria a tre a
tre armati con le bandiere che danno lo assalto a una terra
et quelli di la terra si difendono et ne amazanp molti.
Di sopra vi e Salomone che ha le due donne et le sen-
tentia che il figliolo sia diviso et dato a ciaschuna una
parte; poi da un' altra parte e uno Re, che inanti a se
ha tre giovani, et ciascun si crede esser figliolo suo e a
3) Stuva, stufa, eigentlich Ofen; dann gewärmter Raum, Warm-
stube, Warm- und Treibbaus, welches hier eine Art Gartensalon darge-
stellt haben mag.
[1882. 1. Philos.-philol. bist. Cl. 3.] 25
Digitized by
Google
3 72 Sitzung der phiios.-pkitöl. Ctasse vom 4. März X882.
lui pervenir la facultä; quäl Re par sia extrato dalla se-
pultura et voler colui, che li passerä il core con la frezza
esser lo herede, si vede doi di loro haverli tirato con r
T arco le loro frezze in mezzo al core, et il vero figliolo
romper V arco et la freza piangendo, et a lui fu sententiä
havesse la facultä.
Poi e David che combatte con Golias et lo amazoe, e
vi etiam Pyramo et Tisbe morti alla fontana, con molte
altre cose belle che tutte pareno vive. Sono etiam altre
statue belle e altro che non so dirle, basta ch' e bellisöimo
giardino.
Digitized by
Google
Historische Classe.
Sitzung vom 4. März 1882.
Herr v. Löher trug vor:
„Ueber angebliche Menschenopfer bei
den Germanen."
Für die richtige Auffassung des Bildungsstandes der
Germanen ist die Frage, ob sie Menschen opferten, von
einschneidender Bedeutung. Von den Meisten wird diese
Frage noch bejaht: die Gründe dafür sind aber der Art,
dass sie von selbst anreizen, sie näher zu untersuchen.
Es wäre doch ein seltener Widerspruch, wenn die Ger-
manen, bei denen vor andern Völkern eine reine und geistige
Religion blühete, geglaubt hätten, es sei dem göttlichen
Wesen wohlgefällig, wenn ihm das edelste Geschöpf zwischen
Himmel und Erde geschlachtet werde. Wären die Ger-
manen wirklich von so furchtbarem Wahne verblendet ge-
wesen, so müsste doch ihr gesammtes Religionswesen ein
anderes Gesicht tragen.
Sehen wir uns zunächst auf ihren sogenannten Opfer-
stätten um, die zahlreich festgestellt sind. Da müssten sich
neben der Menge von Thierknochen doch auch regelmässig
wenigstens ein paar Schädel und Gebeine von Menschen
finden. Soviel man aber danach gesucht und gegraben hat,
25*
Digitized by
Google
374 Sitzung der histor. Ölasse vom 4. März 1882.
sie wollten und wollen sich nirgends so, wie erwartet, zeigen.
Doch an einem Orte fand sich etwas, dies ist der Lochen-
stein, der — gegen dreitausend Fuss hoch — im westlichen
Süddeutschland eine ähnliche Stelle einnimmt wie der Brocken
im Harze. Während man in Norddeutschland sagt: „Ich
wollte, dass du auf dem Blocksberg sässest !" heisst es hier:
„Ich wollte, dass du auf der Lochen wärest!", und die
Hexen tanzten und buhlten mit den Teufeln auf der einen
wie der andern Berghohe. Neben dem sogen. Opfersteine
auf der Lochen lag unter der Rasendecke, wie 0. Fraas jüngst
nach sorgfältigen Erhebungen festgestellt hat, l ) bei zahllosen
Knochen eine solche Menge von rohen Stein Werkzeugen der
ältesten Zeit, sowie von fein gearbeiteten Eisen- und Bronze-
sachen aus der Römerzeit, dass man die Jahrhunderte, wäh-
rend welcher hier Feste gefeiert wurden, auf einige vor und
ebensoviele nach Christus berechnen muss. Es fanden sich
da Mahlsteine zum Kornzerreiben, um Mehl und Schrot für
Brodbacken zu gewinnen, zu Tausenden Scherben von Töpfen,
aus denen man einst Meth und Bier getrunken, und endlich
die Knochen der Thiere, welche gebraten und verspeist
wurden. Von den letzteren gehörten 40 Prozent dem Rinde,
26 dem Schaf und der Ziege, 17 dem Schweine, nur 8 dem
Pferde, 4 dem Hirsch, 3 dem Hunde an, in die noch übrigen
2 Prozent theilteu sich Auerochs, Elch, Biber, Reh, Schwan
und — Mensch. Ein menschliches Schenkelbein war von
Hieben zerhauen und ein Menschenschädel arg mitgenommen.
Darf man nun wohl von diesem ganz verschwindend kleinen
Antheil des Menschengebeins einen Beweis hernehmen, dass
seine Besitzer einst geopfert worden? Liegt denn die Ver-
muthung nicht viel näher, dass in den fünf oder sieben
Jahrhunderten auf dieser Stätte auch einmal ein paar
1) Correspondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie,
Ethnologie und Urgeschichte. München 1883, XIII. No. 3.
Digitized by
Google
v. Loher: Ueber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 375
Menschen bei einer Rauferei erschlagen oder wegen argen
Frevels anf der Stelle bestraft sind ?
Wir durchgehen nun die zahlreichen Bildwerke, die sich
um die Antonins- und Trajanssäule winden, von denen nicht
bloss die erste, sondern, wie leicht darzuthun, auch die andere
uns anschauliche Genrebilder aus dem Leben und Treiben
der Germanen darstellen. Hätte es bei Diesen Menschen-
opfer gegeben, so würden wir unter den Bildwerken ihre
Schilderung ebenso sicher antreffen, wie die aufgespiessten
Feindesköpfe auf germanischen Verschanzungen, die Peinig-
ung der Gefangenen mit Feuer und Eisen durch die Weiber,
die Selbstvergiftung der überwundenen Häuptlinge. Allein
weder an der Trajans- noch an der Antoninssäule lässt sich
das Geringste entdecken, was auf Menschenopfer hindeutet.
Wir wenden uns endlich zu den schriftlichen Quellen,
die über die Germanenzeit Kunde geben. Es kommen hier
vorzugsweise drei Arten in Betracht: die Sagen, die Volks-
rechte und Gesetze, und die Lebensbeschreibungen der
Glaubensboten,
In den Liedern und Sagen der älteren Edda, sowie im
Beowulfs- und Waltarilied, im Ruodlieb, und dem Bruch-
stücke der Muspilli und der Sage von Hildebrand und Hade-
brand liegt vom religiösen und sittlichen Brauch und Glauben
nicht wenig ausgebreitet vor uns. Trifft man aber nur auf
eine einzige Andeutung von Menschenopfern darin? Auf
keine einzige.
Wo bei einem Volke ein so gräulicher Götterdienst
Wurzel geschlagen, da wird dadurch — es kann nicht
anders sein — das ganze öffentliche Leben verdüstert und
verzerrt. Wir müssten also auch in Recht und Sitte und
Verfassung der Germanen noch vielfach auf die Spuren
solchen Opferdienstes stossen. Diese Spuren fehlen aber
gänzlich, so reichlich auch die Aufzeichnungen sind, die
wir von den alten Volksrechten besitzen. Mindestens müsste
Digitized by
Google
376 Sitzung der histor. Classe vom 4. März 1882.
doch in den Gesetzen der Merowinger und Karolinger, die
auf's Strengste den alten heidnischen Wahn und Brauch
verfolgten, vor allem andern wiederholt und ausdrücklich
von Menschenopfern die Rede sein. Sie schweigen davon.
Jedenfalls würden, wenn solche Gräuel vorgekommen
wären, die Glaubensboten, die zahlreich sich unter die . heid-
nischen Germanen wagten, die blutige Feier selbst geschil-
dert und ihres Sieges über den entsetzlichen Wahn sich
gerühmt haben. Allein auch davon lesen wir nicht das
Mindeste in den Lebensbeschreibungen dieser Missionäre, so
sehr die Verfasser auch dem Glauben an Wunder und Selt-
samkeiten sich zuneigen.
Bei solchem Stande der Dinge lässt sich die Anforder-
ung nicht abweisen, dass das Wenige in den ältesten Ge-
setzen und Berichten, das man allenfalls von Menschenopfern
verstehen könnte, erst wohl darauf zu prüfen ist, ob es sich
nicht mit viel mehr Fug und Recht auch anders erklären
lasse?
Wie aber? Wenn wir alle diese Stellen durchlesen,
rnuss es da nicht auffallen, dass — ausgenommen die einzige
Angabe des Tacitus, es kämen bei den Germanen auch
Menschenopfer vor, die ganz allgemein gehalten ist und auf
gleicher Höhe steht mit seiner fabelhaften Erzählung vom
Isisdienst und von der odysseischen Gründung der Asciburg,
— dass mit dieser einzigen f werthlosen Ausnahme alle die
Stellen immer nur von Sachsen und Friesen handeln und
nicht auch von anderen Stämmen auf deutschem Boden?
Warum sollen nur Sachsen und Friesen solche Unheilssöhne
gewesen sein? Zwar waren sie ihrer Härte und Wildheit
wegen verschrieen, allein, da bei allen deutschen Stämmen
in Denkungsart Recht und Einrichtungen entschiedene Ueber-
einstimmung herrscht, so wäre es geradezu unmöglich, dass
eine so gräuliche Sitte , wie Menschenopfer , wenn sie bei
Sachsen und Friesen wirklich bestand, bloss auf Diese wäre
Digitized by
Google
v. Löher: Ueber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 377
beschränkt geblieben. Nun hatten die Römer einige Jahr-
hunderte lang mit Markomannen, Franken, Allemannen und
Burgundern, mit West- und Ostgothen, Vandalen, Herulern,
Rugiern und Gepiden zu thun. Es wanderten so viele Händler
über den Rhein und die Donau in's Innere Germaniens, es
kehrten so viele Kriegsgefangene, die dorthin geschleppt
waren, zurück: irgend einmal müsste doch einer von ihnen
einem feierlichen Menschenopfer beigewohnt und in der
Heimath den begierig Horchenden davon erzählt haben uud
diese Erzählung in die Berichte der römischen und griechischen
Geschichtschreiber eingeflossen sein. In all' diesen Berichten
aber findet sich — eine noch zu erwähnende Stelle bei
Prokop ausgenommen — wohlmal eine allgemeine Andeut-
ung, eine bestimmte klare Erzählung aber ebenso wenig,
als bei den nationalen Geschichtschreibern der Gothen
Franken Sachsen und Angeln.
Doch prüfen wir nun die Stellen selbst, die angeblich
von Menschenopfern bei Sachsen und Friesen berichten. Es
sind zehn. Richthofen, der an Menschenopfer glaubt, hat
Alles darüber in seinem vortrefflichen Werke über die alte
Lex Saxonum sorgfältig gesammelt. 1 ) Prüfen wir die Be-
richte alle zehn nach der Reihe.
Der Hauptartikel findet sich in dem Kapitular, welches
Karl der Grosse im Jahr 877 für die sächsischen Lande
erliess. Darin werden die heidnischen Bräuche mit Strafe
belegt. Diese sind nämlich das Gelübde, das zu heiligen
Bäumen oder Hainen oder Quellen gemacht wurde, — das
Verspeisen von etwas zu Ehren eines göttlichen Wesens, —
das Wahrsagen und Zaubern, — der Vampyrglaube, — das
Leichenverbrennen, — und da beisst es denn auch im neunten
Artikel : Si quis hominem diabulo sacrificaverit et in hostiam
1) Dr. Karl Freiherr von Richthofen Zur lex Saxonum.
Berlin 1868. Monum. Germ. Leg. tom. V fasc. I, Hannover 1875.
Digitized by
Google
378 Sitzung der histor. Classe vom 4. März 1882,
more pagaDorum daemonibus obtulerit, morte moriatur. Hier
könnte wirklich von Menschenopfern die Rede sein, wenn
schon anderweit feststände, dass sie bei den Sachsen im
Schwünge gewesen. Da aber dies nicht der Fall , da das
Gesetz nicht lautet „geopfert und getödtet hat", so
dürfen wir den Zusatz von „den Dämonen darbringen " nur
dahin auslegen, dass er deutlicher machen soll, was unter
dem Opfern (sacrificare) zu verstehen, nämlich das förmliche
Verwünschen und Uebergeben an Dämonen mit feierlichen
Worten, ein Heidenbrauch, zu welchem das bekannte. „Dass
Dich der Teufel hole!" noch tagtäglichen Nachklang giebt.
Die Härte der Strafe aber darf nicht auffallen ; denn Todes-
strafe soll nach dem achten Artikel schon erleiden, wer
sich aus Furcht vor der Taufe versteckt, und nach dem
siebenten auch, wer eine Leiche verbrennt und die Knochen
in Asche verwandelt. Denn das Verbrennen der Weichtheile
des Körpers blieb straflos.
Die andere Stelle ist aus dem Friesenrecht. Als im
achten Jahrhundert die alten Volksgesetze der Friesen auf-
geschrieben wurden, fand sich auch ein Zettel von Ulemar,
einem früheren angesehenen Rechtsverständigen, und auf
diesem Zettel lautet der Satz, welcher jetzt den Schluss des
Friesenrechts bildet, noch recht altgermanisch: „Qui fanum
effregerit et ibi aliquid de sacris tulerit, ducitur ad mare
et in sabulo, quod accessus maris operire solet, finduntur
aures ejus, et castratur, et immolatur diis, quorum templa
violavit. Offenbar spricht dies Gesetz von keinem Menschen-
opfer, sondern von einer Strafe für Frevel am Heiligthum.
Das immolare bestand , wie aus dem gleich anzuführenden
Bericht Wulframs zu ersehen, darin , dass der Frevler ins
Meer geworfen wurde. Dass er aber auf dem trügerischen
Sande, welchen die Fluth zu unterwässern pflegt, also kurz
vor Erleidung der Todesstrafe erst durch Ohrenschlitzen
und Entmannen auf die fürchterlichste Weise geschändet
Digitized by
Google
v. Löher: Ueber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 379
wird, zeigt nur, welchen Abscheu sein arges Verbrechen
erregte.
Ganz dasselbe, was dieses alte Gesetz aus der Heiden-
zeit besagt, nämlich die Bestrafung wegen Verbrechens am
Heiligthum, kehrt in drei andern Berichten wieder :
Von Bischof Wulfram von Sens, der unter den Friesen
als Bekehrer gewirkt und 695 im französichen Kloster
Fontanelle gestorben , hat eiu Klosterbruder nicht lange
darauf eine Lebensbeschreibung verfasst. Darin heisst es:
Praedicante sancto pontifice in populo (Fresionum) contigit
die quadam, puerum ex ipsa Fresionum natione ortum, diis
immolandum, duci ad laqueum. Orabat autem vir sanctus
incredulem ducem (Rathbodum), ut hujus pueri vitam sibi
donaret. Tunc animosi gentiles unanimes frustrabantur
ejus precem, dicentes : si tuus Christus eum de tormento mortis
eripuerit, sit ejus tuusque servus aevo perenni. Appenditur
deinde puer in patibulum. — Im folgenden Kapitel wird ein
ähnlicher Vorfall erzählt. Alii quoque adolescentes ex prae-
dicta Fresionum natione similiter ritu profano daemonibus
immolandi, missa sorte more patrio, sunt deprehensi. Pro
quibus supplicaturus inclytus praesul Wulframus accessit,
sed gentiles, preces illius audire contemnentes , pvaefatos
pueros projecerunt in pelagus, ut illic inter fluctus illis ne-
catis sacrificium execrabile perficerent daemonibus. Quo
peracto ajunt Sancto: Vade nunc jam et si inde liberare
eos poteris, habeat eos deus tuus in servos jure perenni. —
Der Friesenapostel Wulfram sah also einmal einen Knaben
zum Galgen führen, und ein andermal wurden Jünglinge,
welche das Loos getroffen, ergriffen und in's Meer geworfen:
beidemal braucht der Erzähler den Ausdruck, sie wären
den Dämonen geopfert. Dass aber hier bloss Rache für
Frevel an Heiligthümern geübt wurde, geht sowohl aus dem
eben hergesetzten Artikel des Friesenrechts, und aus den
herkömmlichen Verbrechensstrafen — Galgen oder Er-
Digitized by
Google
380 Sitzung der histor. Classe vom 4. März 1882.
tränken, — als aus einer Stelle in der von Alkuin her-
rührenden Lebensbeschreibung Willibrords hervor, die eben-
falls Menschenopfer beweisen soll: Injurias suorum deorum
ulcisci cogitabat (rex Radbodus) et per tres dies semper
tribus vicibus sortes suo more mittebat, et numquara dam-
natorum sors super servum Dei aut aliquera ex suis cadere
potuit, nee nisi unus tantum ex sociis suis sorte monstratus
martyrio coronatus est, quia violatores sacroruni illius atro-
cissima raorte (rex) daranare solebat. — Der Missionär hat
nämlich auf Helgoland um das Jahr 700 Rinder schlachten
lassen, die auf einer heiligen Stätte weideten, und eine dort
springende Quelle, aus welcher man nur in stiller Ehrfurcht
trinken durfte, zu einer öffentlichen redereichen Taufe be-
nutzt. Gaukönig Radbod ist ergrimmt darüber uud lässt
drei Tage hinter einander dreimal das Loos werfen, um
Diejenigen zu erfahren und mit dem Tode zu bestrafen,
welche Haupturheber des Frevels gewesen.
Ferner sagt Rudolf von Fulda in einer Beschreibung
der Translation der Reliquien des hl. Alexander: coluernnt
(Saxones pagani) eos, qui natura non erant dii; inter quos
maxime Mercurium venerabantur, cui certis diebus humanis
quoque hostiis litare consueverant. Das ist wörtlich aus
dem Tacitus genommen , kann also für sich selbst nichts
beweisen.
Zwei andere Stellen, die eine in Lebuins, die andere
in Liudgers Lebensbeschreibung, deren jede erst im neunten
Jahrhundert oder später noch geschrieben wurde, werden
ebenfalls zum Beweis von Menschenopfern angeführt: sie
sprechen aber nur von Gelübden und Opfern überhaupt,
von Menschentödten ist darin nicht die Rede. Von der
grossen Versammlung der Sachsen 770 zu Marklo an der
Weser heisst es nämlich: omnis concionis illius multitudo
primo suorum proavorum servare contendit instituta, nu-
minibus videlicet suis vota solvens ac sacrificia. Herzog
Digitized by
Google
v. Löher: lieber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 381
Widukind aber hatte im Jahre 782 einen Theil der Friesen
dazu gebracht, vom Christenthum abzufallen, et usque ad
Fleo fluvium fecit Fresones Christi fidem relinquere et im-
molare idolis juxta morem erroris pristini.
Von einem grausamen Herkommen bei sächsischen See-
räubern, die an den gallischen Küsten heerten und raubten,
berichtet zu Ende des fünften Jahrhunderts der Bischof von
Clermont , Sidonius Apollinaris, der bekanntlich seine Er-
zählungen gern in einem blühenden Stil vortrug. Priusquam
(archipiratae Saxonici) de continenti in patriam vela laxantes
hostico mordaces ancoras vado vellant, mos est remeaturis,
decimum quemque captorum per aequales et cruciarias poenas,
plus ob hoc tristi quam superstitioso ritu necare, superque
collectam turbam periturorum mortis iniquitatem sortis aequi-
tate dispergere; talibusque eligunt votis, victimis solvunt.
Et per hujusmodi non tarn sacrificia purgati, quam sacri-
legia polluti, religiosum putant caedis infaustae perpetratores
de capite captivo magis exigere tormenta quam pretia. —
Ehe die Seeräuber vom Festlande die Anker zur Heimkehr
lichteten, musste der zehnte Mann der zusammengeraubten
Menschen sterben. „Ueber diese Schaar der Todgeweihten
verstreuen sie des Todes Unrecht durch des Looses Recht:
unter solchen Gelübden wählen sie, zahlen sie mit Schlacht-
opfern. Und durch solchen heiligen Brauch weniger ge-
reinigt als durch Heiligthumsschändung befleckt halten die
unheilvollen Mörder es für etwas Religiöses, von ihrer
Menschenbeute lieber Qualen, als Verkaufspreise zu erpressen 11 .
Offenbar ist hier nicht von Menschenopfern die Rede, sondern
von einer gräulichen Art und Weise, die Zukunft zu er-
forschen, ob nämlich auf Heil zur Heimfahrt zu hoffen.
Aehnlich wird man auch die einzige Stelle verstehen
müssen , die bestimmt von Menschenopfern redet. Papst
Gregor III. schreibt nämlich im Jahr 732 an Bonifacius:
Et hoc inter alia discrimen agi in partibus illis dixisti,
Digitized by
Google
382 Sitzung der histor. Glosse vom 4. März 1882.
quod quidam ex fidelibus ad immolandum paganis sua ve-
nundant mancipia. Hoc ut magnopere corrigere debes, frater,
nee sinas fieri ultra: scelus enim est et impietas. — Sollten
aber wirklich die neuen Christen einen so schändlichen
Brauch, wenn sie ihm selbst nicht mehr fröhnten, bei
ihren Nachbarn begünstigt haben? Und warum kaufte man
denn Fremde, da der heimischen Leibeigenen aller Orten ge-
nug waren ? Wenn des Missionärs Zuträger nicht ihn oder
nicht selber sich getäuscht, so lief wohl die Sache darauf
hinaus, dass selten einmal ein fremder Sklave oder Kriegs-
gefangener gekauft wurde, um aus seinem strömenden Blute
eine Weissagung zu ziehen. Denn von solchem Aber-
glauben waren die Germanen allerdings tief umnachtet.
Gleichwie bei den Römern ekelhaft in den Eingeweiden
geschlachteter Thiere gewühlt wurde, um aus dereu Ver-
schlingungen in das Wirrsal der Zukunft hinein zu blicken,
so diente germanischen Weibern dazu das Ringeln und
Quirlen von frischem Menschenblut im siedenden Kessel.
Auch bei den Cimbern schon erschienen diese fürchterlichen
Frauen, welche das Blut gefangener Römer in ihre Kessel
laufen liessen.
Das sind nun alle Stellen in Quellenschriften, die be-
zeugen sollen, dass es bei den alten Sachsen und Friesen
— und diese waren doch berüchtigt ihrer eisernen Herzen
wegen — Menschenopfer gegeben. Ganz ähnlich ergiebt
bei den andern und noch dazu äusserst wenigen Nachrichten,
die von Menschenopfern bei Germanen ausserhalb Deutsch-
land etwas enthalten, die Untersuchung sofort, dass ent-
weder von Kriegsgefangenen die Rede, die aus Rache, oder
weil man sie nicht länger ernähren konnte, erschlagen, —
oder von Verbrechern, die bestraft werden, — oder von
Solchen, die freiwillig den Tod als Sühnopfer auf sich
nahmen. Was wird nicht Alles noch heutzutage im Volke
von Hexen Wärwölfen und Vampyren erzählt, oder von
Digitized by
Google
v. Löher: Ueber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 383
Christenkinder schlachtenden Juden, oder von Hexenmeistern,
die, um ihren Zauber zu vollbringen, des Blutes oder Fingers
von einem unschuldigen Kinde bedürfen ! Soll man also
Prokop, der beständig sich auf der Anekdotenjagd befindet,
Glauben beimessen, wenn er für Menschenopfer ausgiebt,
als christliche Franken in Italien gefangene Feindeskinder
tödteten und in einen Fluss warfen „als des Krieges Erst-
linge"? Oder muss man gleich an Opferfeier denken, wenn
Jordanis schreibt: „Die Dankopfer für den Kriegsgott waren
die Tode der Kriegsgefangenen"? Wenn aber Dietmar von
Merseburg bloss aus Hörensagen von einer dänischen Opfer-
feier erzählt, die vor einem Jahrhundert alle 9 Jahre auf
Seeland stattgefunden hätte und bei welcher je 99 Menschen,
Pferde, Hunde und Habichte oder Hähne geschlachtet worden
seien , und wenn Adam von Bremen dasselbe Mordfest als-
dann nach Upsala verlegt, so kann man solche Nachrichten,
welche der erste Erzähler selbst als bedenklich bezeichnet,
ebenso wohl auf sich beruhen lassen, als wenn der nor-
wegische Chronist Snorro versichert: in den ältesten Zeiten
seien in Skandinavien Menschenopfer nicht Brauch gewesen,
erst unter König Domald habe man sie erfunden, um eine
allgemeine Hungersnoth abzuwenden, weil erkannt worden,
mit dem bisherigen Opfer eines wegen Uebermastung halb
tollen Stiers lasse sich bei Odin nichts mehr ausrichten. —
Doch wir dürfen noch einen Schritt weiter gehen und
fragen, ob es bei Germanen überhaupt solche Opfer gab,
wie bei Semiten Griechen und Römern?
Germanen hatten, worüber die neueren Forscher fast
sämmtlich einverstanden sind, keinen Priesterstand, sondern
gleichwie jeder Hausvater für seine Familie, so übten Richter
Grafen und Könige alles das für das Volk, was anderswo
zu priesterlichem Amte gehörte, nämlich Festzüge sammeln,
Hymnen anstimmen und jeden andern religiösen Brauch
ordnen. Wer in der öffentlichen Yersammlung priester-
Digitized by
Google
384 Sitzung der histor. Glasse vom 4. März 1882.
liebe Handlungen verrichtete, hiess einfach e-wart oder a-säga,
Rechtssager oder Rechtswart, denn ewa bedeutete das ge-
sammte Recht und Gesetz. Wo man aber keine Priester
im Sinne der Alten kannte, da liegt der Zweifel nahe, ob
es denn dort auch Opfer im Sinne der Alten gegeben?
Gewiss gab es Opfer, soweit sie nämlich im ehrfürch-
tigen Darbringen und Weihen und damit verbundenen Ver-
zehren von Thieren und Früchten des Feldes bestanden, —
jedoch in Bezug auf Opfer, insofern ihr Wesentliches in der
Vernichtung von etwas Geschaffenem liegt, ist die Frage
zu verneinen.
Im Verhältniss zu semitischen Völkern, die sich ewig
mit Opfern und Heiligthümern müheten, erschienen die
Germanen als weltlich gesinnte Leute. Ja, man hätte das
Volk, das in seinem tiefsten Wesen von Ehrfurcht vor dem
Göttlichen und vom Glauben an Unsterblichkeit erfüllt und
durchdrungen war, im Vergleich mit all jenen Völkern ein
irreligiöses nennen müssen; denn des Germanen religiöses
Gefühl war ein wesentlich innerliches. Es war. ihm weder
ßedürfniss noch Gewohnheit, in bestimmten gottesdienst-
lichen Gebäuden und zu bestimmten Zeiten äussere religiöse
Handlungen zu verrichten, sondern wenn sein übervolles
Gemüth oder der Ernst des Augenblicks ihn drängte, da
flehte er zu den göttlichen Wesen, wo er ging und stand.
Er flehete zu ihnen und weihete sich ihnen im ahnungs-
vollen Grauen des Morgens, im mittäglichen Allschweigen
der besonnten Flur, in feierlicher Abendstille, — oder wenn
ihn das heilige Rauschen des Waldes oder die stürzende
Fluth und des Wasserfalles Schäumen oder ernste hoch-
ragende Felsen zur Andacht stimmten, — oder wo sein
Haus, sein Geschlecht, sein Volk sich feierlich versammelte,
— oder wenn der Heerbann alles mit sich fortreissend in
die Schlacht stürmte. Dass man die lichten Höhen bestieg,
dass man dort die Hände faltete und über's Haupt empor-
Digitized by
Google
v. Loher: lieber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 385
hob, oder sie zum Himmel ausstreckte, oder dass man bei
Bestürzung, Trauer und Reue die Blicke zur Erde schlug,
bei Dank- und Hoffnungsgefühl das frohe Antlitz empor
richtete, — diese natürlichen Geberden, in welchen halb
unbewusst religiöses Ergriffensein sich kundgab, waren allen
Germanen ebenso gemeinsam, wie allen Semiten die Ge-
wohnheit, sich vor des Allerhöchsten un er messlicher Allge-
walt niederzuwerfen, dass das Haupt den Boden schlug.
Wenn aber bei wichtigen Ereignissen des Hauses —
bei Geburtsfesten und Namengebung, bei Eheschliessung,
bei Gutsübertragung an den Sohn, bei Bestattung eines
Greises — die Hausbewohner sich mit Verwandten und
Nachbarn versammelten, — oder wenn man je nach dem
Wechsel der Jahreszeiten das Erstemal auszog zu Feld und
Wald zu gemeinsamen Arbeiten, oder den letzten Aernte-
wagen herein holte, — oder wenn das gesammte Volk nach
altem Herkoramen sich schaarte zur Naturfeier am Sonne-
wendtage, oder zur Erinnerungsfeier an nationalen Ge-
dächtnisstagen, oder bei den Hügeln edler Todten, oder zu
des Landes Ordnung und Gericht, zu Berathungen und Ver-
bindungen der Stämme, zur Heerfahrt gegen den Feind, —
bei solchen Gelegenheiten suchte das innere Verlangen, der
Gottheit Theilnahme Schutz und Weihe zu erflehen, nach
stärkerem Ausdruck. Nicht um die Familie oder die Ge-
meinde oder das Volk förmlich zu heiligen, nahm man feier-
liche Handlungen vor, sondern das lebendige religiöse Ge-
fühl machte sich ganz von selbst um so mächtiger geltend,
je gehobener die gemeinsame Stimmung war durch die
Menge und Erregung der Versammelten, durch die Wichtig-
keit dessen, was sie vornahmen, und durch die Ungewiss-
heit des Ausgangs. Da vereinigte sich Alles zu feierlichen
Umzügen, in denen man die Thiere, die zum gemeinsamen
Festmahl dienen sollten, mit Grün und Blumen bekränzt
einher führte. Da wurden auf den Höhen Freudenfeuer an-
Digitized by
Google
386 Sitzung der histor. Classe vom 4. März 1882.
gezündet, alte Hymnen und Heldendichtungen vorgetragen,
Gesänge und Jubelruf angestimmt, und Reihentänze, Kampf-
spiele und Gelage beschlossen den Tag.
Von förmlichen Bitt- Sühn- und Dankopfern war bei
solcher Feier keine Rede. Nennt man es Opfer, wenn man
im gemeinsamen ehrfürchtigen Gedenken einer höheren Macht
Speise und Trank geuiesst, oder wenn der Bauer im stillen
Gefühl des Dankes gegen den Segenspender bei Aernten
etwas Obst an den Bäumen oder ein paar Aehren im Felde
lässt, so übten die Germanen gar manchen Opferbrauch.
Es brachten die Verwandten und Nachbarn zu ihren Festen
Krüge voll Meth und Bier, Rinder Ochsen Schafe und
Pferde, die den Göttern geweihet geschlachtet und verzehrt
wurden. Sie setzten auch vor ihre Hausthüre oder an ge-
heiligte Stellen Blumen oder abgehauenes junges Baumgrün,
oder von Speise und Trank etwas für die Thiere des Waldes
und Feldes, vor Allem theilten sie Armen und Bedürftigen
mit. Der Gedanke aber, der Gottheit zu gefallen bloss da-
durch, dass man Erschaffenes vernichtet, wäre nach ihrer
Geistesart den Germanen eine Thorheit gewesen. Das Wort
Opfer kommt in die deutsche Sprache erst durch die Kirche,
und gleichwie die Sprache anzeigt, dass Kelch und Altar,
Orgel und Messe aus der Fremde eingeführt wurden, so
verhielt es sich auch mit Wort und Sache des Opferns.
Insoferne es Darbringen von Lebendigem odqr Unleben-
digem bedeutet, indem man es vernichtet, Blut umherspritzt,
durch Feuer das Geweihete verzehren, die Erde das Aus-
gegossene trinken, oder die Luft es zerstören lässt, nöthigt
keine einzige Stelle in den alten Gesetzen und Schriften dazu,
gerade solche Art von Opfern bei Germanen anzunehmen.
Wäre dergleichen üblich gewesen, gewiss, es lebte
heute noch in Gebräuchen unseres Landvolkes fort; denn
es ist beinahe nichts völlig untergegangen , was uns von
religiösem Glauben und Aberglauben der Germanen zuver-
Digitized by
Google
v. Löher: lieber angebliche Menschenopfer bei den Germanen. 387
lässig berichtet worden. Hätten Diese jene Bitt- und Sühn-
und Dankopfer gehabt, so würde sich in ihrer Sprache auch
eine ganze Reihe Namen für Opfergebräuche und Opfergeräthe
finden. Die Sprache schweigt aber davon, und vergebens
werden im althochdeutschen neihunga Opfer wie bei Juden
und Römern üblich, im zepar oder Geziefer die Opferthiere,
im fraglichen Worte „Gebütt" das Brandopfer von Herz Lunge
und Leber, was den Göttern gehören sollte, gesucht. Ulfilas kam
in Verlegenheit, als er das jüdische Opferwesen ausdrücken
musste in gothischer Sprache. Er fand in dieser das Wort
blotan, welches jede Art von religiöser Verehrung bedeutet,
und übersetzte Gebet und Flehen zu Gott richtig mit Us-
bloteins, Gottesverehrung mit Blotinassus, und Gottesver-
ehrer mit Guthblostreis. Für Altar aber konnte er, weil
die Gothen keinen Altar kannten, nur das Wort Biuds, das
heisst Platte oder Tisch, benützen. Für die verschiedenen
Arten der jüdischen Opfer fehlten ihm die Wörter gänzlich :
für Räucheropfer nahm er daher das griechische Aroma an,
Brandopfer, übersetzte er mit Allbrunst, das ist heiliger
Brand, und um Opfer überhaupt auszudrücken, wusste er
sicji nicht anders zu helfen, als dass er dafür Sauths, das
heisst Sud, anwendete. Nicht an einen_ Fleisch-Siedekessel
dachte er dabei, denn dieser hätte doch zu sehr an das Zu-
bereiten von Fleisch zum Essen erinnert, selbst vorausgesetzt,
dass seine Gothen bei ihren Festen das Fleisch lieber ge-
sotten als gebraten verspeist hätten, sondern, was ihm vor-
schwebte, war der Sud, welchen die wahrsagenden Weiber
seines Volkes unter religiösen Sprüchen bereiteten, um je nach
dem Wellen und Wogen der im Kessel treibenden gemeinen
oder edlen Flüssigkeit zu weissagen.
So auffallend arm aber das Germanische an Ausdrücken
für liturgische Gebräuche ist, so äusserst selten ist von
Opfern, welche Menschen verrichten, in den Götter- und
Heldensagen die Rede. Die ganze Hälfte der älteren Edda
[1882. L Philos.-philol. hist. Ol. 3.] 26
Digitized by
Google
388 Sitzung der histor. Classe vom 4. März 1882.
besteht in Dichtungen von mehr oder minder religiöser Art:
Opferhandlungen von Menschen werdeu aber kaum er-
wähnt, es sei denn, man wolle Stellen, wie sie in Odins
berühmtem Runenlied gleich hinter einander folgen, von
Opfern im Sinne des alten Testamentes verstehen. Die eine
Stelle lautet:
Weisst du, wie man (Runen) beten soll?
Weisst du, wie man (Runen) opfern soll?
Dies ist wohl so zu deuten, dass Gebet und Weihe-
spruch in Runen aufgeschrieben sind, und das Opfern darin
besteht, dass Stäbchen oder Täfelchen mit den Runen in
die Luft verstreuet oder in einen Fluss geworfen werden.
Dann heisst es gleich, offenbar nur von Geschenken unter
Menschen, etwas hausbacken:
Besser ist, um nichts bitten,
Als zu viel opfern;
Immer erwartest du Vergeltung der Gabe;
Besser nichts gesendet,
Als zuviel verschwendet.
Die Meinung aber der Germanen bei ihren mit Religion
verknüpften Schmausen und Gelagen wird uns durch einen
schönen Gebrauch deutlicher, dureh das Minnetrinken. Man
trank Thors oder Wodans Minne oder eines anderen gött-
lichen Wesens, indem man bei dem Trinken voll Ehrfurcht
ihrer gedachte. So trank man auch eines abwesenden oder
verstorbenen Freundes Minne, wobei, wenn Mehrere bei-
sammen waren, ein Spruch, ein Zuwinken und Anstossen
mit den Bechern vorherging. Minnan Lieben ist ja eines
Stammes mit man d. h. denken: man trinkt des Freundes
Minne, indem man auf sein Bild und Wesen die Kraft der
Seele und der Gedanken richtet. Geradeso dachte man ehr-
fürchtig des Gottes, indem man die Hände zu dem Mahl
ausstreckte, das von dem ihm heiligen Thier, von Wodans
Digitized by
Google
v. Löher: lieber angebliche Menschoiopfer bei den Germanen. 389
Pferd oder Nerthus Eber oder Freyas Hirsch oder der Erden-
mutter geduldigen Rindern, bereitet war. Geradeso isst
man noch heutzutage Namenstagskuchen , Fastenbrezeln,
Osterscbinken, Martinsgänse zu Ehren eines Lebenden oder
Vorgestellten. Wird doch auch schon im Alterthum von
Götterbildchen aus Mehlteig (consparsa farina) berichtet!
Wie in der That die eigentliche Opferhandlung höchst
einfach darin bestand, dass man Speise und Trank einem
göttlichen Wesen darbrachte und sodann — frohe oder
ernste Gedanken auf dasselbe gerichtet — zu sich nahm,
erhellt noch deutlich aus der Frage in dem Wormser Beicht-
spiegel zu Ausgang des zehnten Jahrhunderts: „Bist Du,
um zu beten, an einen andern Ort gegangen, als zur Kirche,
nämlich zu Felsen oder Quellen oder Scheidewegen? Hast Du
dort ein Licht angezündet, Brod hingebracht und dort ge-
gessen?" Gerade so hiess es im Gesetz über den Sachsen-
Glauben: „Wer zu Quellen oder Bäumen oder Hainen ein
Gelübde gethan, oder etwas nach heidnischer Weise darge-
bracht und zu Ehren der Götter gegessen hat, soll, wenn
es ein Adeliger ist, 60, wenn ein Freier, 30, wenn ein
Höriger, 15 Schilling büssen. Wenn sie nichts besitzen,
wovon sie sofort zahlen, sollen sie der Kirche zum Dienst
gegeben werden, bis diese Schillinge gezahlt sind u . Die
Strafgesetze wissen von heidnischen Gebräuchen nichts zu
verfolgen, als das Zusammentreffen von drei Dingen, näm-
lich: zu altheiliger Stätte gehen, auf ihr Licht oder Feuer
machen, und etwas dort essen und trinken. Wenn aber die
einzige Ausuahmestelle , die der Wormser Beichtspiegel er-
kennt , davon spricht , dass man den Scbicksalsschwestern
etwas zur Speise hinstellte, so war das ein ähnlicher Aber-
glauben, wie wenn noch in später Zeit den Hausgeistern
etwas in eine Ecke gesetzt wurde, nicht zu heidnischer
Opferverrichtung, sondern Jenen zu wirklicher Labung.
Ein Opfer aber kannten die Germanen, ein hohes und
26»
Digitized by
Google
390 Sitzung der histor. Classe vom 4. März 1882.
herrliches, das Sühnopfer des eigenen Lebens durch hoch-
herzigen Entschluss. Dem gottgläubigen und sinnenden
Menschen liegt es nahe, Unheil als Unrechts Folge aufzu-
zufassen, und wenn das unselige Wesen nicht von der
Schwelle weichen will, zu deuken, dass eine grosse Schuld
begangen und zu sühnen sei. Dann aber kann wohl in
grossmüthigen Seelen der Gedanke keimen, die Schuld auf
das eigene Haupt zu nehmen und sich zu opfern, damit die
Geliebten wieder glücklich werden. Von solchen Sühnopfern,
die freiwillig in den Tod gingen, um ihr Volk zu retten,
sind uns Beispiele überliefert. In der nordischen Heims-
kringlasage heisst es sogar: in offener Volksversammlung
sei in einer Zeit, als schwere Noth und Misswachs das Land
bedrückte, beschlossen worden, der Edelste des Volkes, der
König selbst, solle Unheil und Tod aufsein Haupt nehmen. 1 )
1) Was sich an Berichten und Sagen bei älteren und späteren
Schriftstellern auf Menschenopfer deuten lässt, hat bereits der Altonaer
Pastor Gottfried Schütze gesammelt in seinem 1743 in Leipzig ver-
öffentlichten Buche De cruentis Germanorura gentilium victimis humanis.
Digitized by
Google
Oeffentliche Sitzung der königl. Akademie der
Wissenschaften
zur Feier des 123. Stif tuügstages
am 28. März 1882.
Der Classensecretär Herr v. Prantl widmete den im
abgelaufenen Jahre verstorbenen Mitgliedern Adalb. Kuhn,
Albr. Bernh. von Dorn, Theod. Benfey, Herrn.
Lotze, Theod. Bergk, Franz Hoffmann, Adr.
de Longperier, John Muir, Charles Thurot eine
kurze Ehren-Erwähnung, das Nähere der hiemit folgenden
Druck- Veröffentlichung vorbehaltend :
Franz Felix Adalbert Kuhn
war geboren am 19. November 1812 zu Königsberg in der
Neumark, woselbst sein Vater Gymnasial-Lehrer war ; nach
dem frühen Tode des letzteren (1813) siedelte die Wittwe
nach Berlin um, und dort besuchte der Sohn zunächst die
Hartung'sche Schule, dann (1825) das Gymnasium zum
grauen Kloster und hierauf das Joachimsthaler Gymnasium,
an welchem Meineke wirkte. Nachdem Kuhn bereits in den
letzten Jahren dieser Vorbereitungsstudien durch den Gym-
nasiallehrer Classen, sowie durch Dr. Poley, einen eifrigen
Schüler Bopp's, in das Sanskrit eingeführt worden war, setzte
er (seit 1832) als Studirender der Berliner Universität, wo
Digitized by
Google
392 Oeffentliche Sitzung am 28. März 1882.
er insbesondere durch Bopp sich der trefflichsten Leitung
erfreute, diese Bestrebungen mit hingehendstem Fleisse fort;
einen mächtigen und bestimmenden Eindruck machte auf
ihn (1835) das Erscheinen von Jakob Grimm's deutscher
Mythologie. Im J. 1837 promovirte er mit einer Abhand-
lung „De coniugatione in \xi linguae sanscritae ratione
habita", und nachdem er im gleichen Jahre die staatliche
Prüfung mit glänzendem Erfolge bestanden, fand er sofort
eine Verwendung am Köllnischen Real-Gymnasium zu Berlin,
woselbst er 1841 die Stelle eines ordentlichen Lehrers er-
hielt und unter .dem tüchtigen Director E. Ferd. August
mit Freuden seines Amtes walten konnte; nach dem Tode
des letzteren (Oct. 1870) wurde er mit der Leitung dieser
Anstalt betraut. Im J. 1872 wurde er unter die Mitglieder
der Berliner Akademie aufgenommen (unserer Akademie ge-
hörte er seit 1879 an) und 1876 war er an der Conferenz
behufs Herstellung einer deutschen Orthographie betheiligt.
Das Leben dieses Mannes, welcher durch seine treue Wahr-
haftigkeit, sein Pflichtgefühl und seine Arbeitskraft sich die
allgemeinste Achtung erworben hatte, wurde plötzlich am
5. Mai 1881 durch einen Schlagfluss geendet. Zeugniss für
die hohen Verdienste, welche er sich um den Fortschritt
der Wissenschaft erwarb, geben seine zahlreichen schrift-
stellerischen Leistungen. Er begann zunächst mit Studien,
welche sich an Grimm anschlössen, und gab in den Publi-
cationen des Vereines für Geschichte der Mark Branden-
burg Untersuchungen über das Verhältniss märkischer Sagen
und Gebräuche zur altdeutschen Mythologie (1841); dann
folgten als Ergebnisse eines auf Ferien-Reisen bethätigten
Sammelfleisses „Märkische Sagen und Märcheu" (1843), hier-
auf später gemeinschaftlich mit seinem Schwager Schwartz
bearbeitet „Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche"
(1848). Sowie er aber bereits unterdessen durch eine Re-
cension über Rosen's Rigveda (1844) seine gründliche
Digitized by
Google
v. Prantl: Nekrolog auf Franz Felix, Addlbert Kuhn. 393
Kenntniss des Sanskrit bekundet hatte und in einem Gyni-
nasial-Programme „Zur ältesten Geschichte der indogerma-
nischen Völker" (1845, später umgearbeitet im I. Bande von
Weber's Indischen Studien) den Kern seiner Methode histo-
rischer Linguistik andeutete, so wirkte er bald als persön-
licher Mittelpunkt dieser Studien und zugleich als hervor-
ragender Förderer ihrer Portschritte, indem er (1852) in
Gemeinschaft mit Aufrecht die „Zeitschrift für vergleichende
Sprachforschung auf dem Gebiete des Deutschen, Griechi-
schen und Lateinischen 11 gründete, welche später (1858)
eine Ergänzung erfuhr durch die mit Schleicher herausge-
gebenen „Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung auf
dem Gebiete der arischen, celtischen und slavischen Sprachen".
Hauptsächlich dem Sanskrit zugewendet beschäftigte sich
Kuhn mit der sprachlichen, metrischen und mythologischen
Erklärung der Veden und veröffentlichte in den genannten
Beiträgen „Sprachliche Resultate aus der vedischen Metrik"
und die bezüglich der Lautlehre wichtige Abhandlung „Ueber
das alte S", sowie (in Weber 's indischen Studien) „Ueber
die Brihaddevatä", ausserdem auch zahlreiche Aufsätze zur
vergleichenden Sprachwissenschaft und Mythologie in der
von ihm redigirten Zeitschrift, in Haupt' s Zeitschrift (Band
II bis VI) und in der Zeitschrift für Kunde des Morgen-
landes. Daneben erschien ein Gymnasialprogramm „Die
Mythen von der Herabkunft des Feuers bei den Indoger-
manen" (1858), und die hiebei gegebenen Grundlagen fanden
eine reiche Ausführung in der Schrift „Die Herabkunft des
Feuers und des Göttertrankes" (1859), während er zu gleicher
Zeit „Sagen, Märchen und Gebräuche aus Westfalen" (1859,
2 Bände) herausgab. Nach seinem Eintritte in die Aka-
demie verfasste er neben mehreren (bisher ungedruckten) Ab-
handlungen, welche er daselbst vortrug, die hochwichtigen
Untersuchungen „Ueber Entwicklungsstufen der Mythen-
bildung" (1873), auch brachte 1876 aus seiner Feder die
Digitized by
Google
394 Oeff entliche Sitzung am 28. März 1882.
„Vossische Zeitung" Aufsätze zur Beurtheilung der in den
ältesten Ausgaben Schiller 1 s bestehenden Orthographie. Kuhn's
Name bleibt für immer verflochten mit der Geschichte der
indogermanischen Sprachwissenschaft und der vergleichenden
Mythologie, denn ausgerüstet mit umfassenden Kenntnissen,
mit scharfem Blicke, geistvoller Combination und unbestech-
lichem Urtheile eröffnete er neue bedeutungsvolle Richtungen,
indem er die Linguistik als Mittel der Erforschung der
ältesten Culturzustände verwerthete und auf solchem Wege
mittelst sorgsamster Untersuchung die Einsicht in eine ur-
sprüngliche Gemeinsamkeit manigfacher geistiger Verhält-
nisse der arischen Völker gewann und verbreitete. Weit
entfernt von phantastischer Combinationssucht brachte er
durch besonnenste Forschung die vedische Literatur in Ver-
bindung mit mythologischen Gestalten der Hellenen und
mit germanischen Volkssagen, wovon eines der schönsten
und wohl auch bekanntesten Beispiele in seiner Abhand-
lung über die Herabkunft des Feuers vorliegt, und nicht
minder suchte er in das allgemeine Princip des Vorganges
der Mythenbildung einzudringen, so dass seine Arbeiten für
die Methode der Mythen-Forschung auf indogermanischem
Gebiete als bahnbrechend gelten können. (Seine sämmt-
lichen Schriften sind aufgezählt in Bursian's Biogr. Jahrb.
f. Alterthumskunde, 1881, S. 54 u. 63 f.)
Joh. Albrecht Bernhard v. Dorn,
welcher seit 1860 unserer Akademie als auswärtiges Mitglied
augehörte, war am 11. Mai 1805 in Scheuerfeld bei Koburg
geboren, besuchte das Gymnasium zu Halle und studirte
dann in Leipzig zuerst Theologie, hierauf aber unter Rosen-
müller's Leitung Orientalia. Im Jahre 1825 habilitirte er
sich als Docent in Leipzig mittelst einer Dissertation „De
psalterio aethiopico conimentatio" und wurde alsbald hierauf
Digitized by
Google
# v. Prantl: Nekrolog auf Joh. Albrecht Beruh, v. Dorn. 395
der russischen Regierung durch Chr. M. Frähn zur Ueber-
nahme eiuer Professur der orientalischen Sprachen an der
Universität Charkow empfohlen, welche Stelle er aber erst
1829 antrat, nachdem er eine längere Reise durch Frank-
reich und England gemacht hatte. Nach sechs Jahren ver-
liess er Charkow, da er (1835) nach Petersburg als Pro-
fessor der Geschichte und Geographie Asiens an das orien-
talische Institut des auswärtigen Ministeriums berufen wurde;
im Jahre 1839 trat er als Mitglied in die Petersburger
Akademie ein und 1842 wurde er Director des asiatischen
Museums; als 1843 jene mit dem Ministerium verbundene
Lehrstelle aufgehoben wurde, erhielt Dorn die Stelle eines
Oberbibliothekares an der kaiserlichen Bibliothek. In den
Jahren 1860 und 1861 durchreiste er den Kaukasus und
die persische Provinz Ghilan am Südwestufer des kaspischen
Meeres, sowie die östlich daran gränzende Provinz Masen-
deran; mit reichen Forschungs-Ergebnissen an Inschriften
und sprachlichem Materiale kehrte er nach St. Petersburg
zurück, wo er nach vieljähriger literarischer Thätigkeit am
31. Mai 1881 starb. Das specielle Gebiet, in welchem die
Fachwissenschaft dankbar seine Leistungen anerkennt, liegt
in Geschichte, Geographie und Sprache Afghanistans, Kau-
kasiens, der südlichen Küstenländer des kaspischen Meeres
und der nördlichen Provinzen Persiens. Nach einer Ueber-
setzung dreier Abschnitte aus Sadi's Rosenhain (1827) ver-
öffentlichte er „History of the Afghans translated from the
Persian of Neamet-Ullah" (1829 ff.), „Grammatische Be-
merkungen über die Sprache der Afghanen' 4 (1840), sodann
„Beiträge zur Geschichte der kaukasischen Länder und Völker
aus morgenländischen Quellen" (1841 — 43, 5 Theile), ferner
„Das asiatische Museum der kaiserl. Akademie der Wissen-
schaften zu St. Petersburg" (1846) und „A chrestomathy
of the Pushtü or Afghan language" (1847). Hierauf folgten
1850 — 58 „Muhammedanische Quellen zur Geschichte der
Digitized by
Google
396 Oe ff entliehe Sitzung vom 28. März 1882.
südlichen Küstenländer des kaspischen Meeres" (nemlich
Uebersetzungen von Schireddin's Geschichte von Tabaristan,
Dschurdschan und Masenderan, von Khondemir's Geschichte
Tabaristans, von Ali-Ben-Schems-Eddin's Khanischem Ge-
schichtswerke und von Fumeni's Geschichte von Ghilan).
Daneben erschienen „Catalogue des manuscripts et xylo-
graphes orientaux de la bibliotheque imperiale" (1852) und
„Vier syrische Handschriften der kaiserlichen Bibliothek zu
St. Petersburg" (1853) und später folgten „Beiträge zur
Kenntniss der iranischen Sprachen" (1860 und 1866, 2 Theile),
worin er zum ersten Male Texte im persischen Dialekte
von Masenderan veröffentlichte, sodann „Sur la collection
de manuscripts orientaux achetee par la bibliotheque im-
periale" (1865) und „Drei in der kaiserlichen Bibliothek zu
St. Petersburg befindliche astronomische Instrumente" (1865),
sowie „Chronologisches Verzeichniss der von 1801 — 1866
in Kasan gedruckten arabischen, türkischen, tatarischen
und persischen Werke" (1867). Ferner veröffentlichte er
„Caspia, über die Einfalle der alten Russen in Tabaristan" (1875)
und „Ueber die semmanische Mundart" (1878); ausserdem
gab er hinterlassene numismatische Schriften des Chr. M.
Frähn heraus (1855) und lieferte zahlreiche Beiträge in die
Bulletins und Memoires der Petersburger Akademie.
Theodor Benfey
geboren am 28. Januar 1809 in Nörten bei Göttingen be-
suchte 1816 — 24 das Göttinger Gymnasium, von wo er als
Studirender der classischen Philologie an die dortige Uni-
versität übergieng und Vorlesungen bei Ottfr. Müller, Dissen,
Mitscherlich, Heeren, sowie bei dem Philosophen und Literar-
historiker Bouterweck hörte; im Jahre 1827 studirte er in
München unter Thiersch und Ast, zurückgekehrt nach Göt-
tingen proinovirte er am 28. Oct. 1828. Als er 1830 nach
Digitized by
Google
v. Prantl: Nekrolog auf Theodor Benfey. 397
Frankfurt a/M. gieng, lernte er den Sanskritforscher Poley
kennen, wodurch die wissenschaftliche Richtung des jungen
Mannes für die Folgezeit bestimmt wurde, und mit Studium
des Sanskrit und der Sprachvergleichung beschäftigt ver-
weilte er bis 1834 theils in Frankfurt theils in Heidelberg.
Im Jahre 1834 habilitirte er sich als Privatdocent in Göt-
tingen, wo er 1848 ausserordentlicher und 1852 ordent-
licher Professor wurde und mit anerkanntem .Ruhme bis zu
seinem am 26. Juni 1881 erfolgten Tode wirkte. Seine
Erstlingsschrift „Ueber die Monatsnamen einiger alter Völker,
insbesondere der Perser, Kappadokier, Juden und Syrer*'
(1836) hatte er gemeinschaftlich mit seinem Freunde Stern
verfasst ; alsbald aber trat er — abgesehen von einer Ueber-
setzung des Terentius (1837, 2. Aufl. 1854) — mit einem
kühnen Wurfe seiner Genialität in die Oeffentlichkeit, indem
sein „Griechisches Wurzel-Lexikon" (1839, 2 Bände), welches
den Voluey'schen Preis erhielt, auf Grund einer ausgedehnten
Gelehrsamkeit und einer staunenswerthen Combinationsgabe
den griechischen Wortschatz nach seinen verwandtschaftlichen
Beziehungen allseitig darzustellen versuchte. Hierauf zeigte
der umfangreiche Artikel „Indien" in der Ersch-Gruber 'sehen
Encyclopädie (1840) sowohl die Weite und Tiefe des Wissens,
über welches Benfey bereits damals verfügte, als auch die
Selbständigkeit seiner Auffassung, indem er z. B. die Vermuth-
ung aussprach, dass die indische Schrift ursprünglich von der
phönikischen abstamme, womit dann auch seine spätere
Hypothese zusammenhing, dass der Ursitz der Indogermanen
nicht in Asien, sondern in Europa zu suchen sei. Die Viel-
seitigkeit aber seiner wissenschaftlichen Werkstätte tritt
uns wieder vor Augen, indem er in den folgenden Jahren
„Ueber das Verhältniss der ägyptischen Sprache zum semi-
tischen Sprachstamme" (1844) schrieb und bald darauf ,,Die
persischen Keilinschriften mit Uebersetzung und Glossar 4
(1847) veröffentlichte, woneben „Die Hymnen des Sama-
Digitized by
Google
398 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1882.
Veda mit Uebersetzung und Glossar u (1848) hergingen,
während in Bälde mehrere „Beiträge zur Erklärung des
Zend" (1850 — 53) folgten. Zugleich aber hatte er das
Sanskrit-Gebiet reichlichst durchgearbeitet und als Ergeb-
niss hievon erschien „Handbuch der Sanskritsprache, 1. Ab-
theilung Vollständige Grammatik der Sanskritsprache" (1850)
und „2. Abtheilung Chrestomathie aus Sanskritwerken und
Glossar" (185.4, 2 Tbeile), wobei er insbesondere auch die
eingehendste Kenntniss der alten indischen Grammatiker
verwerthete. Einen Auszug gab er als „Kurze Sanskrit-
Grammatik zum Gebrauche für Anfänger 14 (1855), worin
er unter Anderem die auch von Jac. Grimm getheilte An-
sicht aussprach, dass der gesammte Wortschatz aus dem
Verbum hervorgegangen sei, und hiemit eine Frage berührte,
welche* für Sprachphilosophie von hoher Wichtigkeit ist,
während er allerdings im Ganzen sich gegen die philoso-
phische Richtung der Sprachforschung spröde oder selbst
gegnerisch verhielt. Im Jahre 1859 erschien das wichtige
Werk „Pantschatantra, fünf Bücher indischer Fabeln, Mär-
chen und Erzählungen" in 2 Bänden, deren erster Unter-
suchungen über die Quellen und die Verbreitungs-Wege
dieser Literargattung enthält, während der zweite Text,
Uebersetzung und Commentar gibt. Neben einer englischen
Bearbeitung der Sanskrit-Grammatik (A practical graminar
of the Sanscrit language, 1863, 2. Aufl. 1868) veröffent-
lichte er als eine Vierteljahrsschrift „Orient und Occident,
insbesondere in ihren gegenseitigen Beziehungen" (1. Bd.
1862, 2. Bd. 1864, vom 3. Bd. 1866 drei Hefte), worin der
Aufsatz „Ein Wort über primitive Verba oder Wurzeln
der indogermanischen Sprache" hervorragen dürfte. Hier-
auf folgten „Ueber die Aufgabe des platonischen Dialoges
Kratylos" (1866), „A Sanscrit-English Dictionary" (1866),
„Ueber einige Plural bildungen des indogermanischen Ver-
bums" (1867) und sodann in dem von der historischen
Digitized by
Google
v. Prantl: Nekrolog auf Theodor Benfey. 399
Commission unserer Akademie herausgegebenen Unternehmen
einer Geschichte der Wissenschaften die „Geschichte der
Sprachwissenschaft und orientalischen Philologie in Deutsch-
land seit dem Anfange des 19. Jahrhunderts mit einem Rück-
blicke auf die früheren Zeiten" (1869), ein Werk, in dessen
staunenswerthe Fülle des literarischen Materiales Benfey
das ordnende Band geistvoller Auffassung zu flechten ver-
stand, wobei er vielfach auch auf die Ergebnisse seiner
eigenen Forschung hinweisen konnte. Waren mit dieser
Leistung seine grösseren Publicationen abgeschlossen, so
verdankt ihm die Wissenschaft aus seinen späteren Jahren
noch zahlreiche Einzeln-Untersuchungen, welche er haupt-
sächlich in den Abhandlungen der k. Societät der Wissen-
schaften zu Göttingen niederlegte; unter denselben mögen
genannt werden: „Jubeo und seine Verwandte" (1871),
„Ist in der indogermanischen Grundsprache ein nominales
Suffix ia oder ya anzusetzen?" (1871) „Ueber die Entsteh-
ung und Verwendung der im Sanskrit mit r anlautenden
Personal endungen" (1871), ,, Ueber die Entstehung und
die Form des indogermanischen Optatives" (1872) „Ueber
die Entstehung des indogermanischen Vocatives" (1872),
womit auch die sprachvergleichenden Untersuchungen über
den Accent zusammenhängen, „Einleitung in die Gram-
matik der vedischen Sprache" (1874), „Ueber die indoger-
manischen Endungen des Genetiv Singular ians, ias, ia u
(1874), „Die Quantitätsverschiedenheiten in den Samhitä-
und Pada-Texten der Veden" (1874 ff.) „Das indogermanische
Thema des Zahlwortes t zwei' ist t du'" (1876), „Hermes,
Minos, Tartaros" (1877), „Altpersisch mazdäh, zendisch
mazdäonh, sanskrit medhäs" (1878), „Einige Derivate des
indogermanischen Verbums ANBH =: NABH" (1878), „Ueber
einige Wörter mit dem Bindevocal i im Rigveda" (1879),
„Die Behandlung des auslautenden a in na im iügveda"
(1881). Ausserdem flössen aus seiner Feder viele Beiträge
Digitized by
Google
400 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1882.
zu den Göttinger Gelehrten Anzeigen, zur Zeitschrift für
Sprachvergleichung und zu „Das Ausland" ; auch schrieb er
eine Vorrede zu Fick's indogermanischem Wörterbuche und
eine Einleitung zu G. Bickell's Ausgabe der alt-syrischen
Uebersetzung des indischen Fürstenspiegels. Neben all'
solcher Thätigkeit aber arbeitete er während der letzten
Jahre an einer „Grammatik der Vedensprache" , welche
wohl sicher einen würdigen Abschluss des so reichhaltigen
literarischen Lebens hätte bilden können. Benfey gehörte
unserer Akademie seit 1856 an, und auch die Akademien
zu Berlin, Wien, Pest, sowie das Institut de France, die
Asiatic Society und die American Oriental Society hatten
durch die Aufnahme dieses Gelehrten sich selbst geehrt.
Rudolf Hermann Lotze
war als Sohn eines Militärarztes in Bautzen am 21. Mai 1817
geboren , besuchte das Gymnasium zu Zittau und bezog
Ostern 1834 die Universität Leipzig, wo er neben dem
Fachstudium der Medicin , welches er völlig berufsmässig
betrieb, mit grösstem Eifer auch philosophische Vorlesungen
besuchte und in dieser Richtung insbesondere durch Chr.
H. Weisse reiche Anregung empfieng. Er erlangte im
März 1838 die philosophische und im darauffolgenden Juli
die mediciniscbe Dootorwürde und habilitirte sich alsbald
als Privatdocent in diesen beiden Facultäten, in letzterer
im Herbste 1839 und in ersterer im Mai 1840; am Schlüsse
des Jahres 1842 wurde er ausserordentlicher Professor der
Philosophie und 1844 erhielt er auf Anregung Rud. Wagner's
einen Ruf als ordentlicher Professor an die Universität Göt-
tingen, woselbst er als einflussreicher Lehrer eine lange
Reihe von Jahren wirkte. Im Frühjahre 1881 folgte er
einem Rufe nach Berlin, wo jedoch seine Thätigkeit nur
nach Wochen zählte, da er am 1. Juli einem Herz- und
Digitized by
Google
v. Prantl: Nekrolog auf Budolf Hermann Lotze. 401
Lungen-Leiden erlag. Seine schriftstellerische Laufbahn
begann er mit einer „Metaphysik" (1841) und einer
„Logik" (1843), in welch' beiden er vorerst kritisch gegen
Hegel und Herbart Boden zu gewinnen versuchte; zugleich
aber betrat er das Gebiet der Naturwissenschaften, und es
erschienen von ihm „Allgemeine Pathologie und Therapie
als mechanische Naturwissenschaften" (1842, 2. Aufl. 1848)
und in Rud. Wagner's Handwörterbuch der Physiologie die
Artikel „Leben und Lebenskraft", „Instinct", und „Seele
und Seelenleben" (1843—46), sodann „Allgemeine Physio-
logie des körperlichen Lebens" (1851) und „Medicinische
Psychologie oder Physiologie der Seele" (1852), woneben
er übrigens in den „Göttinger Studien" die Aufsätze „lieber
den Begriff der Schönheit" (1845) und „Ueber Bedingungen
der Kunstschönheit" (1847) veröffentlicht hatte. Hierauf
folgte jenes sein Hauptwerk, durch welches das Ansehen
seiner Philosophie alsbald auch in weitere Kreise drang,
nemlich „Mikrokosmus, Ideen zur Naturgeschichte und Ge-
schichte der Menschheit" (3 Bände, 1856—64, 2. Aufl. 1869
bis 1872, 3. Aufl. 1876 — 80), womit dann auch die gegen
H. J. Fichte gerichteten „Streitschriften" (1. Heft. 1857)
zusammenhiengen. Nicht unerwähnt möge bleiben, dass er
auch „Quaestiones Lucretianae" (im „Pbilologus" 1852)
schrieb und als Frucht einer Ferien-Musse eine metrische
lateinische Uebersetzung der Antigone des Sophokles ver-
öffentlichte (1857). Nachdem er in dem von der historischen
Commission unserer Akademie herausgegebenen Unternehmen
einer Geschichte der Wissenschaften die „Geschichte der
Aesthetik in Deutschland" (1869) bearbeitet hatte, begann
er, seinen nunmehr längst ausgereiften speculativen An-
schauungen die erforderliche systematische Gestaltung zu
geben, und so erschien „System der Philosophie, erster
Theil: Drei Bücher der Logik" (1874, 2. Aufl. 1880) und
„Zweiter Theil: Drei Bücher der Metaphysik" (1879); den
Digitized by
Google
402 Oeffentliche Sitzung am 28. März 1882.
dritten Theil, welcher Ethik, Aesthetik und Religionsphilo-
sophie enthalten sollte, konnte er nicht mehr vollenden.
Sein letztes Erzeugniss war, veranlasst durch eine Schrift
G. Th. Fechner's, ein Aufsatz „Alter und neuer Glaube,
Tagesansicht und Nachtansicht u in der „Deutschen Revue",
Mai 1879. (Eine vollständige Aufzählung seiner sämmt-
lichen Schriften mit Einschluss der Recensionen und dgl.
findet sich in „Grundzüge der Psychologie, Dictate aus den
Vorlesungen von H. Lotze", 1881, S. 93 ff.). Lotze, welcher
an Kenntniss der Naturwissenschaften unter seinen Fachge-
nossen eine hervorragende Stellung einnahm, hatte in seinen
musterhaften biologischen und psychologischen Schriften be-
züglich der materiellen Vorgänge und Kräfte die mechanische
Naturerklärung auf Grund exactester Forschung durchge-
führt und erweitert, ja er wurde bis 1855 nicht zu den
Philosophen, sondern zu den Physiologen gezählt. Aber es
galt ihm grundsätzlich der natürliche Mechanismus nur als
der eine unerlässliche Bestandtheil, nie aber als das Ganze
der Philosophie, und so fügte er die andere idealistische
Seite hinzu, indem er sich dabei auf die unmittelbaren Er-
lebnisse des Gemüthes stützte. Da er die Einsicht gewonnen
hatte, dass der Idealismus auf den Wegen, welche er durch
Fichte, Schelling, Hegel betreten, nicht als Wissenschaft
bezeichnet werden könne, suchte er seinerseits in wissen-
schaftlicher Untersuchung mittelst einer Berichtigung und
Umarbeitung der Begriffe dem idealen Impulse Zucht und
Ordnung einzuflössen, und er konnte hiemit den metho-
dischen Verdiensten Herbart's Anerkennung zollen, mit
welchem er auch inhaltlich durch Hinneigung zu Leibniz
einige Berührungspuncte besass, während er in den Prin-
cipien des Systemes weit von demselben geschieden war.
Indem er einen höchsten idealen Lebensinhalt als das Wesen-
liafte aller Wirklichkeit darzulegen bestrebt war, erlangten
bei ihm die Thatsachen des Gemüthes, welche in ethisch-
Digitized by
Google
v. Prantl: Nekrolog auf Budolf Hermann Lotze. 403
i
ästhetischen und religiösen Empfindungen vorliegen , eine
derartig principielle Stellung, dass er in der That die Meta-
physik aus der Ethik ableitete, wobei er von einem an sich
subjectiven Standpunkte aus zur vollen Objectivität des
höchsten Ideales zu gelangen hoffte. Die Idee des Guten,
die Existenz eines persönlichen Gottes und die Freiheit des
Willens waren ihm die Kernpunkte eines eigenthümlichen
Theismus, welcher unverkennbar in pantheistische Anschau-
. ungen. hinüberstreift. An die Durchführung des Standpunktes,
dass alle Einzeln- Wesen als gesetzlich zweckmässig zu-
sammenhängende Modifikationen der Einen absoluten leben-
digen Persönlichkeit gelten, knüpfte er allseitig scharfsinnigste
Untersuchungen über Räumlichkeit, über Wechselwirkung,
über Freiheit und Teleologie, wobei er stets mit subtilster
Sorgfalt die streitenden Parteien verhörte, um schliesslich
Frieden zu stiften und wenigstens bei der Möglichkeit einer
erklärenden Bewahrung des letzten idealen Kernes anzu-
langen. Auch wer den Aufbau des Systemes für anfecht-
bar hält, wird freudigst anerkennen, dass neben der Ge-
schichte der Aesthetik die neue Bearbeitung der Logik
zweifellos auch in Zukunft ihre tief anregende Wirkung er-
weisen wird, und Niemand wird ihm das allgemeine Ver-
dienst bestreiten , dass er nicht nur durch scharfsinnige
Analyse sondern auch durch Darlegung einer idealistischen
Weltanschauung einen förderlichen Einfluss bis in weitere
Kreise hinein ausübte, zu welch' letzterem in nicht geringem
Grade sein meisterhaft geschmackvoller Stil beitrug. Der
hohe wissenschaftliche Werth seiner Leistungen fand die
verdiente Anerkennung, indem ihn die Berliner Akademie,
die Academie des sciences morales et politiques zu Paris
und die Accademia dei nuovi Lincei unter ihre Mitglieder
aufnahmen; unserer Akademie gehörte er seit 1876 an.
[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. 3J 27
Digitized by
Google
404 Öeffentliche Sitzung vom $8. März 1882.
Theodor Bergk,
Sohn eines Privatgelehrten Job. Adam Bergk, welcher zahl-
reiche populär-philosophische Schriften verfasste, war ge-
boren am 22. Mai 1812 in Leipzig, wo er 1825 als Schüler
in die Thomas-Schule eintrat und hernach (seit 1830) an
dortiger Universität unter Christ. Daniel Beck, Gottfr. Her-
mann und Dindorf classische Philologie studirte. Im Jahre
1836 erhielt er von der Universität Rostock das Doctor-
diplom und begab sich nach Halle, wo er alsbald eine Lehr-
stelle an der lateinischen Schule des Waisenhauses erhielt;
von da kam er als Gymnasiallehrer auf kurze Zeit nach
Neustrelitz und 1838 in gleicher Eigenschaft an das Joa-
chimsthaler Gymnasium in Berlin, wo für ihn eine, wenn
auch kurze , doch sehr wichtige Lebensperiode begann ; er
trat nemlich zu dem Director der Anstalt A. Meineke in
die engsten persönlichen Beziehungen (— etwas später ver-
mählte er sich mit einer Tochter desselben — ) und sowie
er im Umgange mit ihm vielfache Förderung seiner philo-
logischen Studien fand, so weckte auch zugleich das viel-
bewegte Leben Berlins sein Interesse für andere geistige
Bestrebungen. Er vertiefte sich damals in philosophische
Studien und suchte sich in der deutschen Literatur in ihrem
ganzen Umfange zu orientiren; auch die politischen und
kirchlichen Fragen beschäftigten lebhaft seinen Geist. Im
J. 1840 kam er als Gymnasiallehrer nach Cassel, und von
dort gieng er 1842 als ordentlicher Professor an die Uni-
versität Marburg über; hier übernahm er gemeinschaftlich
mit Cäsar die Redaction der „Zeitschrift für die Altertums-
wissenschaft' 1 , bei welcher er bis 1853 betheiligt war. Er
musste in den Jahren 1847 und 1848 sein Lehramt unter-
brechen, da das Vertrauen seiner Mitbürger ihn sowohl in
den hessischen Landtag als auch in das Frankfurter Parla-
ment wählte, in welch beiden politischen Körperschaften er
Digitized by
Google
v. Pranth Nekrolog auf Theodor BergJc. 405
mit entschiedenem Freimnthe seine Ansicht vertrat; gerne
aber kehrte er 1849 nach Marburg zurück, welches er 1852
verliess, um einem Rufe nach Freiburg i. Br. zu folgen,
woselbst er (1854) auch das Amt des Oberbibliothekars über-
nahm. Nach fünf Jahren aber (1857) wurde er nach Halle
an die Stelle des verstorbenen E. Meyer berufen; indem
jedoch seine von Jugend an zarte Köperbeschaffenheit, deren
Pflege ihm wiederholte Reisen in den Harz und in den
Schwarzwald zum Bedürfnisse machte, allmälig zu dauernder
Kränklichkeit geführt hatte, sah er sich im April 1869 ge-
nöthigt, die Professur niederzulegen, und er siedelte nach
Bonn um, wo er als Professor honorarius nach freiem Be-
lieben noch bis zum J. 1877 öfters Vorlesungen hielt. Er
starb in Ragaz am 20. Juli 1881. Bergk's Aufnahme als
Mitglied des archäologischen Institutes (1844), der Berliner
Akademie (1845), sowie unserer Akademie (1860) war nur
eine Anerkennung der bedeutsamen Stellung, welche er im
Gebiete der classischen Philologie einnahm, da er sowohl
ausgedehntes Wissen als auch geistvolle Auffassung und
hervorragenden Scharfsinn in Grammatik, Text-Kritik, Lite-
raturgeschichte, Antiquitäten, Kunstgeschichte, Mythologie
und Epigraphik der Griechen und Römer manigfachst be-
währt hatte. Allerdings stand mit seinen körperlichen
Leiden eine grosse Reizbarkeit in Verbindung, welche sich
auf literarischem Gebiete in scharfer Polemik kundgab ; jeder
hergebrachten Schulmeinung feind suchte er überall eine
eigene Meinung zu fassen und vertrat diese gegen Wider-
spruch nicht selten mit äusserster Schärfe, wodurch er sich
manche Gegner zuzog; aber die ihm näher Stehenden
wussten, dass er ein weiches liebevolles Gemüth hatte und
seine Polemik stets mehr der Sache, als der Person galt.
Schriftstellerisch war er seit seiner Studienzeit unablässig
thätig; noch als Mitglied des Leipziger philologischen Se-
minares hatte er eine „Commentatio de fragmentis Sophoclis"
27*
Digitized by
Google
406 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1882.
(1833) und seine Ausgabe der Fragmente des Anakreon
(1834) veröffentlicht,, worauf „Commentationes de reliquiis
comoediae atticae antiquae" (1838) folgten, sowie bald her-
nach die Sammlung der Fragmente des Aristo phanes (1840,
in Meineke's Fragmenta comicorum graecorum); auch ver-
fasste er ausführliche ablehnende Recensionen über Becker's
Charikles (Halle'sche Jahrbücher, 1841) und über Otfr.
Müllers Gesch. d. griech. Literatur (Deutsche Jahrb., 1842).
Sodann erschien die für den betreffenden Zweig der griechi-
schen Literaturgeschichte epochemachende Ausgabe der
„Poetae lyrici graeci" (1840, 4. Aufl. 1878—82), hierauf
die Abhandlung „De Aristotelis libello de Xenophane, Zenone
et Gorgia u (1843) und „Beiträge zur griechischen Monats-
kunde 1 ' (1845), ferner in der Teubnerischen Sammlung die
Textausgabe des Aristophanes (1852, 2. Aufl. 1857), sowie
bei ' Tanchnitz eine mit literar-geschichtlicher Einleitung
versehene Ausgabe des Sophokles (1858) und inzwischen
„Anthologia lyrica" (1854, 2. Aufl. 1868); dann folgten
„Etymologicum Vindobonense" (1861), „Theocriti Carmen
ineditum" (1865), ,,Simmias Rhodius" und „Theocriti fistula"
und „Corinnae reliquiae u (1866). Etwas später erschienen
noch „Beiträge zur lateinischen Grammatik" (1870), worin
Untersuchungen über das auslautende d enthalten sind, und
ein erster Band einer griechischen Literaturgeschichte (1872),
sowie „Augusti rerum a se gestarum index cum graeca
metaphrasi" (1873) ; auch der Abriss der griechischen Lite-
raturgeschichte in der Ersch-Gruber'schen Encyclopädie ist
von ihm verfasst. Neben all diesem entfaltete er von 1841
bis 1869 eine fruchtbarste Tbätigkeit in zahlreichen Pro-
grammen, welche sich auf die griechischen Lyriker, auf
Aeschylos, Sophokles, Epicharmos, Parmenides, Kallimachos,
Eratosthenes, Hermesianax, Phönix von Kolophon, Babrios,
auf griechische und lateinische Inschriften, auf römische
Geschichte, auf Ennius, Varro, Plautus, Lucretius, Cicero,
Digitized by
Google
v. Prantl: Nekrolog auf Franz Hoffmann. 407
Catullus, Cornificius, Plinius, Persius, Marius Victorinus be-
zogen ; besonders hervortreten dürften „De Chrysippi libris
7teql ärtocpccTMaiv (1841), „Artifices, qui Laocoontem finxer-
unt, ad Macedonum aetatem referendos esse" (1846) und
„Ueber das älteste Versmass der Griechen 44 (1854); ferner
in den Annali dell' Instituto archeologico (1846) die Be-
sprechung einer Gemme „Ulisse füren te e la nascita di
Tagete", und in den Jahrbüchern des Vereins von Alter-
thumsfreunden in den Rheinlanden (Heft 55) „Inschriften
römischer Schleudergeschosse 1 ', sowie das letzte, was er
schrieb „Der Verfasser der Schrift Tteql xoa/iot;" (im Rhein.
Museum, Neue Folge, Bd. 37). Endlich mag erwähnt werden,
dass er im J. 1857 acht bis dahin unbekannte Lieder Göthe's
veröffentlichte, sowie, dass eine in Aussicht gestellte Publi-
cation unter dem Titel „Zur Geschichte und Topographie
der Rheinlande in römischer Zeit*' mehrere Aufsätze Bergk's
enthalten wird.
Franz Hoffmann,
welcher i. J. 1857 als auswärtiges Mitglied in unsere Aka-
demie aufgenommen wurde, war am 19. Januar 1804 in
Aschaffenburg geboren, woselbst er auch das Gymnasium,
sowie das dortige Lyceum besuchte; i. J. 1826 begab er
sich nach München, um Jurisprudenz zu studiren, aber be-
reits nach dem ersten Jahre wandte er sich hievon ab und
besuchte nunmehr philosophische, naturwissenschaftliche und
auch theologische Vorlesungen. Vor Allem waren es Schel-
ling und Franz v. Baader, an welche er sich anschloss, und
ausserdem hörte er bei Ast, Görres, Schubert und später
bei Oken; die philosophische Doktorwürde erlangte er 1832
durch eine Dissertation über die Dialektik Piatons. Im
Jan. 1834 wurde er an Stelle des in den Ruhestand treten-
den Rixner zum Professor am Lyceum zu Amberg ernannt,
Digitized by
Google
408 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1882.
von wo er nach kurzer Zeit (1835) als ordentlicher Professor
an die Universität Würzburg übergieng. In den letzten
Jahren zog er sich allmälig vom Lehramte zurück und gab
sich völlig seiner schriftstellerischen Thätigkeit hiu ; in Folge
seiner persönlichen Liebenswürdigkeit verblieb ihm stets die
allgemeinste Achtung und Zuneigung bis zu seinem Tode,
welcher am 22. Oktober 1881 eintrat. Die speculative Rich-
tung Baader's hatte von Anfang an massgebend und be-
stimmend auf ihn eingewirkt, und so war er in all seiner
reichen Thätigkeit einer der lebhaftesten Vertreter jenes
Theismus, welcher eine durchweg idealistische Weltanschau-
ung auf theosophische Grundlagen stützt. In solchem Sinne
liess er auf eine kleinere Schrift „Grundzüge der Erkennt-
nisslehre" (1834) alsbald folgen „Speculative Entwicklung
der ewigen Selbsterzeugung Gottes" (1835), woran sich an-
reihten „Zur katholischen Theologie und Philosophie" (1836)
und „Vorhalle zur speculativen Lehre Franz v. Baader's
(1836). Nach einer Ausgabe von Baader's kleinen Schriften
(1848, 2. Aufl. 1850) erschienen „Frz. v. Baader in seinem
Verhältnisse zu Hegel und Schelling" (1850) und „Grund-
züge einer Geschichte des Begriffes der Logik" (1851). Nun
begann er im Vereine mit Hamberger, Lutterbeck, Osten-
Sacken und Schlüter die Gesammtausgabe der Werke Baader's,
welche nicht ohne nachhaltige Unterstützung seitens der
bayerischen Regierung in den Jahren 1851 — 1860 in 15
Bänden veröffentlicht wurde; hiebei verfasste Hoffmann die
Biographie Baader's (1857), sowie auch die Einleitungen,
welche daneben unter dem Titel „Acht philosophische Ab-
handlungen" in besonderem Abdrucke erschienen. Während
dieser Jahre vertrat er, — abgesehen von einem Leitfaden
seiner Vorlesungen „Grundriss der allgemeinen reinen Logik"
(2. Aufl. 1855) — , seine philosophische Anschauung auch
in den Schriften: „Zur Wiederlegung des Materialismus,
Naturalismus, Pantheismus und Monadologismus" (1853),
Digitized by
Google
v. Prantl: Nekrolog auf Henri Adrien Prevost de Longptrier. 409
„Zur Würdigung der herrschenden Vorurtheile Über die
Lehre Baaders" (1855) und „Franz v. Baader als Begründer
der Philosophie der Zukunft 4 ' (1856). Hierauf folgten : Ueber
die Gottesidee des Anaxagoras 44 (1860), „Ueber Theismus
und Pantheismus 41 (1861), ferner „Die Weltalter, Licht-
strahlen aus Frz. v. Baader's Werken 14 (1868), und im Hin-
blicke auf die durch das vaticanische Concilium erfolgte
Bereicherung der katholischen Dogmatik erschien „Frz. v.
Baader's Blitzstrahl wider Rom, die Verfassung der christ-
lichen Kirche und der Geist des Christenthums, mit Vor-
reden und Anmerkungen von Prof. Frz. Hoflfmann 44 (1871),
womit die Schrift zusammenhängt „Kirche und Staat, die
Revolution von Oben in der römisch-katholischen Kirche
und Beiträge zur Politik und Staatsphilosophie 44 (1872).
Seit 1867 hatte er begonnen, seine gesammelten kleineren
„Philosophischen Schriften 4 * herauszugeben, welche bis 1881
auf 7 Bände angewachsen sind und theils Recensionen über
nahezu sämmtliche neue Erscheinungen der philosophischen
Literatur, theils Erläuterungen zu Baader und Darlegung
der Stellung desselben zu anderen Vertretern der Philo-
sophie enthalten. Ausserdem hatte er (1845, 1853, 1858)
Rectorats-Reden zu verfassen und hielt auch die Festreden
zur Schiller-Feier (1859) und zur Fichte-Feier (1862).
Hftiri Adrien Prevost de Longperier,
welcher zu den hervorragendsten Archäologen Frankreichs
gehörte, war am 21. September 1816 in Paris geboren und
wurde, da seine Eltern früh starben, bei einer reichen
Familie in Meaux erzogen; 1835 kam er wieder nach Paris
und sowie er schon als heranreifender Knabe neben einer
vielseitig von Fach zu Fach umspringenden Begabung ein
besonderes Geschick für Numismatik gezeigt hatte, so be-
gann er jetzt wissenschaftliche Studien am Münzcabinete
Digitized by
Google
410 Oe ff entliehe Sitzung vom 28. März 1882.
der Bibliothe'que royale, woneben er zugleich in jahrelanger
Ausdauer sich reiche Kenntnisse in allen Zweigen der an-
tiken Plastik zu erwerben bemühte und ausserdem auch
orientalische Sprachen, insbesondere die arabische und die
persische, kennen lernte. Nachdem er bereits 1835 eine An-
stellung am Cabinet des medailles gefunden hatte und 1838
Mitglied der Societe des antiquaires de France geworden
und 1840 in die Vorstandschaft der Societe asiatique ein-
getreten war, erhielt er 1846 nach Dubois' Tod die Stelle
eines Adjuncten am ägyptischen Museum des Louvre, mit
welchem bald darauf nach dem Eintreffen der Botta'schen
Funde aus Khorsabad (1847) auch das neue assyrische
Museum verbunden wurde. Im Jahre 1848 wurde Longperier
zum wirklichen Conservator des Musee des antiquites er-
nannt und als solcher unternahm er auf Grund einer neuen
Anordnung der Denkmäler eine Katalogisirung derselben ;
1854 wurde er Mitglied der Academie des Inscriptions, deren
Vorstandschaft ihm 1867 übertragen wurde. In Verbindung
mit Anderen rief er zwei literarische Unternehmungen ins
Leben, nemlich 1855 war er Mitgründer des „Athenaeum
fran£ais", dessen Bulletin archeologique er redigirte, und
1856 entstand durch ihn in Gemeinschaft mit De Witte
die „Revue numismatique" , durch welche er einen frucht-
baren Einflusss auf dieses Gebiet der Wissenschaft ausübte.
Sowie er in verschiedene wissenschaftliche Commissionen und
auch unter die Preisrichter der Pariser Ausstellung aufge-
nommen wurde, so fanden seine Verdienste auch die ge-
bührende Anerkennung seitens des Archäologischen Institutes
in Rom, des Aegyptischen Institutes in Alexandria, der Royal
archeologic society in London, des Musee imperial in Moskau
und der Akademien zu Berlin, Brüssel, Turin, Madrid (unsere
Akademie nahm ihn 1868 unter ihre auswärtigen Mitglieder
auf). Manche seiner Schriften beanspruchen ebensosehr für
die Orientalisten wie für die Numismatiker eine hohe Wichtig-
Digitized by
Google
v. Pranfl: Nekrolog auf Henri Adrien Prevost de Longperier. 411
keit, und die Fachgenossen erkennen überhaupt rühmend
an, dass er mit einem ausserordentlichen Kenntniss-Reich-
thume einen seltenen natürlichen Spürsinn (insbesondere
bei allen Fälschungen jeder Art) und eine feine künstlerische
Auffassung verband, sowie dass er seine amtliche Stellung
im Louvre, welche er jedoch 1869 in Folge mehrfacher
Verdriesslichkeiten aufgab, durch liebenswürdige Dienstfertig-
keit zum Besten der Wissenschaft verwerthete. Er starb
in Paris am 14. Januar 1882. Neben einer „Etüde sur
des monnaies inedites de quelques prelats fran^ais" (1837)
und der Beschreibung einiger Privat-Sammlungen fran-
zösischer Münzen der Herren Dassy, Magnoncour und Rousseau
sowie der Linck'schen Sammlung griechischer und römischer
Münzen (1840 bis 1843) erregte er zuerst allgemeinere
Aufmerksamkeit durch seinen „Essai sur les medailles de
rois Perses de la dynastie Sassanide" (1840) und „Sur la
numismatique des röis Sassanides et des rois Arsacides
(1840 und 1854); dann folgten „Description de quelques
monuments emailles du moyen-äge(1842), „Ninive et Khorsa-
bad u (1844); „Explication d'une coupe Sassanide inedite"
(1843) hierauf unter dem Titel „Notice des monuments
exposes etc." die Kataloge der griechischen, der assyrischen,
baylonischen, persischen, hebräischen und der amerikanischen
Alterthümer des Louvre (1849 — 52) und „Description de
quelques poids antiques" (1847), „Dissertation sur deux
deniers frappes en Provence" (1849), sowie „Documents
numismatiques pour servir ä F histoire des Arabes d* Es-
pagne" (1851), ferner „Memoires sur la Chronologie et
V iconographhie des rois Parthes Arsacides" (1853) , von
welcher Schrift aber wegen einiger mit untergelaufener Irr-
thümer er möglichst alle Exemplare aus dem Handel zurück-
zog, „Antiquites de la Perse" (1853) und eine Beschreibung
des Mnsee Napoleon III., eingetheilt in Architecture, Sculp-
ture, Ornementation, Terres-cuites (1864, unvollendet, indem
Digitized by
Google
412 elf entliche Sitzung vom 28. März 1882.
von 140 versprochenen Lieferungen nur 25 erschienen), so-
dann noch „Une anecdote iconographique, extrait d' un me-
moire sur des coupes Sassanides" (1866) und „Choix de
monuments antiques pour servir ä V histoire de V art en
Orient et en Occident" (1867). Ausserdem verfasste er
mehrere Gedächtnissreden für die Academie des Inscriptions
und zahlreiche Aufsätze in Revue archeologique , Revue
numismatique , Annali dell' instituto archeologico , Journal
asiatique, Revue de philologie, Tresor numismatique, Moni-
tenr des arts, Memoires de Ja Societe des antiquairs, An-
nuaire de la Societe de Y historire de France und im Plu-
tarque fra^ais. Ein Verzeichniss seiner sämmtlichen Schriften
beabsichtigt sein Freund Schlumberger in den Memoires de
la Societe des Antiquaires zu veröffentlichen.
John Muir
geboren am 5. Februar 1810 in Glasgow studirte in Irvine,
dann an der Universität seiner Vaterstadt, hierauf an der
Schule der ostindischen Compagnie zu Haileybury und be-
gab sich 1828 nach Bengalen, wo er das College von Fort
William absolvirte und zunächst Secretär der Finanzkammer
in Allahabad wurde ; hernach wirkte er als Lehrer in Azim-
ghur, dann in Benares, und erhielt zuletzt die Stelle eines
Civilrichters des Kreises Futtehpoor im nordwestlichen In-
dien. Während dieses Aufenthaltes in Brittisch-Indien ver-
fasste er zahlreiche grössere oder kleinere Tractate, um die
gebildeten Stände der Inder für die christliche Religion zu
gewinnen, worunter als die hauptsächlichsten zu erwähnen
sind : „A sketch of the argument for Christianity against
Hinduism, in sanskrit verse" (1839), „Sarmapaddhati , the
way of happiness" (1841), „History of St. Paul, in sanskrit
verse" (s. a.) „Qri Yeshu Khrista Mahatmya, the glory of
Jesus Christ" (2. Aufl. 1849) und „Mataparftshä, or exami-
Digitized by
Google
v. Prantl: Nekrolog auf John Muir. 413
nation of religions" (1852, 2 Bände, im Sanskrit und zu-
gleich in englischer Sprache erschienen) ; zum gleichen
Zwecke stiftete er auch einen Preis von 500 Lstr. für die
Universität Cambridge, welchen Rowland Williams durch
die Schrift „Dialogue of the knowledge of the Supreme
Lord" gewann. Im Jahre 1853 verliess er den indischen
Dienst und auf dem Rückwege nach Europa veröffentlichte
er in Capstadt „Remarks on the conduct of missionary
Operations in Northern India u (1853). Heimgekehrt erwarb
er sich ein grosses Verdienst um die im Jahre 1862 er-
folgende Gründung einer Professur für Sanskrit und ver-r
gleichende Sprachwissenschaft in Edinburg, wozu er aus
seinen Privatmitteln einen Beitrag von 4000 Lstr. bei-
steuerte, welchen er in Bälde auf 5000 erhöhte. In Folge
des Studiums der kritischen Literatur, welche durch David
Strauss begonnen hatte, verliess er seine theologisirenden
Bestrebungen und warf sich ausschliesslich auf die Veden.
Sein Hauptwerk, welches ihm durch Förderung der Ge-
schichte , Alterthumskunde und Literatur des indischen
Volkes die allgemeine Anerkennung seitens der Fachwissen-
schaft verschafft, war „Original Sanskrit texts, on the ori-
gine and history of the people of India, their religion and
institutions" (5 Bände, 1858—70, 2. Aufl. 1868 ff.), ein
aus zahlreichsten Sanskrit-Stellen mit beigefügter englischer
Uebersetzung bestehendes Sammelwerk, dessen Inhalt durch
die Titel der fünf Haupttheile folgendermassen bezeichnet
ist: 1) Mythical and legendary accounts of caste, 2) Trans-
himalayan origin of the Hindus, 3) The Vedas, opinions of
Indian autbors on their origin, inspiration and authority,
4) Comparison of the Vedic with the later representations
of the principal Indian deities, 5) Contributions to a know-
ledge of the cosmogony, mythologie, religions, ideas, life
and manners of the Indians in the Vedic age. Er verfolgte
dabei namentlich auch die Absicht, auf die tief greifenden
Digitized by
Google
414 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1882.
Widersprüche hinzuweisen, welche zwischen den späteren
Gestaltungen der indischen Religion und den alten Veden
bestehen, Widersprüche, welche von den modernen gelehrten
Indiern durch sophistische Künsteleien beseitigt werden wollen.
Eine Fortsetzung und Ergänzung des Werkes gab Muir in
mehreren Aufsätzen im Journal of the royal Asiatic Society
(1865 u. 1866), wo er z. B. über die Theogonie der Veden,
über die im Rigveda und Atharvaveda enthaltene Lehre
vom Leben nach dem Tode, und über die vedischen Priester
handelte. Auch gab er „Some account of the recent pro-
gress of Sanskrit studies" (1863) und „Beiträge zur Kennt-
niss der vedischen Theogonie und Mythologie" (1866 in
Benfey's „Orient und Occident u ) ; später folgte „Metrical
translations from sanskrit whriters with an introduction,
prose versions and parallel passages from classical authors"
(1879), eine Sammlung von 258 Sprüchen, wobei er sich
in der Einleitung mit der Ansicht Lorinser's auseinander-
setzte, dass in Bbagavadgita zahlreiche Entlehnungen aus
dem Neuen Testamente zu erkennen seien. Ein Nachtrag
erschien als „Further metrical translations with prose versions
from the Mahabharata and two short metrical translations
from the Greek" (1880). Muir, welcher Mitglied der Asiatic
Society in London, der Akademien zu Paris, Leyden, Ber-
lin, seit 1873 auch unserer Akademie, sowie mehrerer
anderer gelehrten Gesellschaften war, starb in Edinburg am
7. März 1882.
Francis Charles Eugene Thurot,
welcher unserer Akademie seit 1876 als correspondirendes
Mitglied angehörte, war am 13. Februar 1823 in Paris ge-
boren, wo er in seinen Jünglingsjahren durch Weil in die
Philologie eingeführt wurde. Nachdem er als Lehrer in
Pau , Rheims , Besan$on , Poitiers und Clermont gewirkt
Digitized by
Google
v. Prantl: Nekrolog auf Francois Charles Eugene Ihurot. 415
hatte, erhielt er 1861 die Professur der Grammatik an der
Ecole normale zu Paris, woselbst er ausgerüstet mit einer
seltenen Lehrgabe den Unterricht durch Hinweis auf Sprach-
geschichte zu erhöhen verstand. Im J. 1866 gründete er
in Vereinigung mit Anderen die „Revue critique d'histoire
et de litterature", deren eifriger Mitarbeiter er stets blieb,
sowie er sich auch an der „Revue de philologie" und der
„Revue archeologique" lebhaft betheiligte. Sowohl bei dieser
literarischen Thätigkeit als auch in der Academie des In-
scriptions, deren Mitglied er im J. 1871 wurde, gehörte er
zu jenen Gelehrten Frankreichs, welche den Leistungen der
Deutschen eine liebevolle Aufmerksamkeit schenken, und
wirkte so in der That als ein Vermittler deutscher und
französischer Wissenschaft. Durch die freundliche und opfer-
willige Unterstützung, welche er den Arbeiten Anderer zu-
wandte, wurde er auch ein Mittelpunkt der wissenschaft-
lichen Bewegung innerhalb der jüngeren Generation der
Philologen Prankreichs. Er starb am 17. Januar 1882 in
Paris. Seine zahlreichen Schriften, welche besonders in der
aristotelischen Literatur und vor Allem in der Geschichte
der Grammatik ihm bleibende Verdienste sichern, zeigen
durchweg eine sorgfältige Gewissenhaftigkeit der Einzeln-
Forschung, mit welcher er auch grössere Gesichtspunkte
verfolgte. Er begann die literarische Laufbahn mit einer
Abhandlung „De Alexandri de Villadei Doctrinali eiusque
fortnna" (1850), worauf unmittelbar folgte „De Torgani-
sation de l'enseignement dans l'universite de Paris au inoyen-
äge" (1850); dann erschienen „Etudes sur Aristote, Poli«
tique, Dialectique, Rhetoriqne" (1860) und hierauf in der
Revue archeologique (1864) „De Ja logique de Pierre
d'Espagne" ( — dagegen richtete ich meine Schrift „Michael
Psellus und Petrus Hispanus" — ), sowie ebendaselbst kri-
tische Bemerkungen zu den aristotelischen Schriften Rhet.,
Poet., D. part. anim. und Meteor, und „Recherches histo-
Digitized by
Google
416 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1882.
rique sur le principe d'Archimede" (1868). Sodann ver-
öffentlichte er die auf unermüdlicher Durchforschung der
Pariser und mehrerer Provincial-Bibliotheken beruhenden
„Extraits de divers manuscripts latins pour servir ä l'his-
toire des doctrines grammaticales au moyen-äge (1869 in
den Notices et extraits des manuscripts de la bibliotheque
national) und damit zusammenhängend „Documenta relatifs
ä Thistoire de la grammaire au moyen-äge u (1870 in den
Comptes-rendus de TAcademie des Inscriptions) ; ferner Ale-
xandre d'Aphrodisias commentaire sur le traite d'Aristote
de sensu et sensibili (1873) und eine Ausgabe des Epik-
tetos (1875), daneben eine Abhandlung über die syntaktische
Stellung des „non" (1870) in den Memoires de la Society
de linguistique) sowie über verschiedene Puncte der grie-
chischen Moduslehre (1871 im Annuaire de Tassociation
pour les etudes grecques) und „Ciceron, Epist. ad famil.,
notice sur un manuscript du 12 me siecle" (in der Biblio-
theque de Tecole des hautes etudes, 1874). Nachdem er
bereits 1854 im Journal de Instruction publique eine Ab-
handlung über die Aussprache der auslautenden Consonanten
im Französischen gegeben hatte, verfolgte er dieses Gebiet
fortwährend in umfassender Weise, und als Ergebniss dieser
sorgfältigen Studien erschien noch im letzten Jahre seines
Lebens der erste Band seiner „Histoire de la prononciation
fran^aise dans les trois derniers sieeles" (1881); aus dem
Nachlasse ist die Herausgabe des zweiten Bandes ebenso
gesichert, wie auch noch seine „Prosodie latine" er-
scheinen wird.
Das ordentliche Mitglied der philos.-philol. Classe Herr
Prof. Dr. Lauth hat am 16. März 1882 freiwillig seinen
Austritt erklärt.
Digitized by
Google
v. Giesebrecht: Nekrolog auf Karl Friedr, Stumpf-Brentano, 417
Der Classensecretär Herr von Giesebrecht sprach:
Auch die historische Classe hat ein schmerzlicher Ver-
lust betroffen. Am 12. Januar ds. Js. starb nach kurzer
Krankheit zu Innsbruck der k. k. ordentliche Professor an
der dortigen Universität Dr. Karl Friedrich Stumpf-Bren-
tano, seit 1866 correspondirendes Mitglied unserer Akademie.
Sodann wurde vom Classensecretär auf den nachstehenden
Nekrolog verwiesen:
Stumpf, geboren am 13. August 1829 zu Wien, ver-
lebte seine Kindheit theils in seiner Vaterstadt, theils in
Pest. Die Gymnasialstudien machte er 1839 — 1845 in dem
Convict der Piaristen zu Totis bei Komorn und besuchte
dann 1845 — 1851 die Universitäten zu Olraütz und Wien.
Obwohl er sich die Jurisprudenz zum Fachstudium erwählt
hatte, zogen ihn doch schon in Olmütz, wo damals der
rühmlichst bekannte Statistiker Ad. Ficker Geschichte lehrte,
die historischen Studien besonders an, uud bei der 1849
begonnenen Reform des österreichischen Unterrichtswesens
reifte in ihm der Entscbluss sich ganz dem historischen
Lehramt zu widmen. Er trat deshalb 1S51 in das neu er-
richtete historisch-philologische Seminar zu Wien, wo auch
Bonitz damals wirksam war und auf ihn einen grossen Ein-
fluss übte. Nach der mit dem besten Erfolge bestandenen
Lehramtsprüfung wurde Stumpf an der Wiener Universitäts-
bibliothek als Amanuensis angestellt, zugleich vertrat er im
Sommersemester 1853 als Supplent den erkrankten Professor
der Geschichte an der Universität Olmütz. Aber schon 1854
begab er sich nach Berlin, weil er dort die lebhaftesten
Anregungen für seine historischen Studien zu finden hoffte.
Fast zwei Jahre verweilte er in Berlin und trat besonders
mit den jüngeren Gelehrten, die sich dort um Pertz und
Ranke als ihre Meister schaarten, in die lebhafteste Verbind-
Digitized by
Google
418 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1882.
trag. Seine liebenswürdige Persönlichkeit und die Lebhaftig-
keit, mit welcher er auf alle geistigen Bestrebungen ein-
ging, verschafften ihm leicht in weiten Kreisen Eingang
und gewannen ihm dauernde Freundschaften.
Mit Vorliebe wandte sich Stumpf schon früh der Ge-
schichte des deutschen Mittelalters zu, und immer mehr be-
festigte er sich in der Ueberzeugung, dass nur durch Heran-
ziehung des grossen, noch zu wenig benutzten Urkunden-
raaterials eine feste Grundlage für diese Geschichte gewonnen
werden könne. Dies gab ihm die Veranlassung, sich im
Sommer 1856 nach Frankfurt a. M. zu begeben, um mit
J. F. Böhmer, dem Meister der Urkundenforschung, in nähere
Beziehungen zu treten. Böhmer kam ihm auf das Freund-
lichste entgegen, und es entspann sich zwischen beiden ein
Verhältniss, welches auf alle weiteren Studien Stumpfs den
bestimmenden Eiufluss geübt hat; als den Schüler Böhmer's
hat sich Stumpf dann immer mit besonderem Nachdruck
bezeichnet. Nachdem er kurze Zeit (October 1856 bis
Juli 1857) als Professor der Geschichte an der Rechtsaka-
demie zu Pressburg gewirkt hatte, kehrte er im December
1858 nach Frankfurt zurück und verweilte dort bis zum
April 1860 bei Böhmer, um sich ganz ungestört in seine
urkundlichen Forschungen vertiefen zu können.
In Frankfurt war Stumpf auch mit Julius Ficker in
Berührung gekommen, und die durch gemeinsame Studien
und Gesinnungen begründete Freundschaft mit diesem Ge-
lehrten veranlasste ihn nach Innsbruck überzusiedeln, wo
ihm bald (November 1861) eine Professur der Geschichte
und der historischen Hilfswissenschaften an der Universität
übertragen wurde. Wiederholt wurden ihm später Aus-
sichten an grösseren Universitäten eröffnet, aber er ist
immer Innsbruck treu geblieben; theils fesselten ihn dort
persönliche Beziehungen, theils die Ueberzeugung, dass er
Digitized by
Google
v. Giesebrecht: Nekrolog auf Karl Friedr. Stumpf-Brentano. 419
die begonnenen Arbeiten von dort aus am besten durch-
fähren könne.
Im Interesse dieser Arbeiten hat Stumpf durch zwei
Jahrzehnte eine lange Reihe von wissenschaftlichen Reisen
unternommen, für welche er kein Opfer an Zeit und Geld
scheute. Zahlreiche Bibliotheken und Archive in Deutsch-
land, der Schweiz, Belgien, Frankreich und Italien sind von
ihm durchforscht worden, und manche von ihnen mehr als
einmal. Diesen Reisen dankte er nicht nur die Hebung
vieler bis dahin unbekannter Urkundenschätze, sondern auch
zahlreiche persönliche Verbindungen mit hervorragenden Ge-
lehrten, und diese Verbindungen waren denn auch seinen
Arbeiten weiter förderlich. Für solche Reisen war Stumpf
wie geschaffen; bei seinem herzlichen und lebensfrischen
Wesen war er überall willkommen, und überall wusste er
für seine Bestrebungen Interesse zu wecken.
Stumpf 's literarische Arbeiten beziehen sich fast sämmt-
lich auf das Urkundenwesen. Manche kleinere Arbeiten
sind in gelehrten Zeitschriften veröffentlicht; besonders er-
schienen sind die „Acta Moguntina sec. XII." (Innsbruck 1863),
„Die Würzburger Immunitäts-Urkunden des 10. und 11. Jahr-
hunderts 41 (Innsbruck 1874) und vor Allem sein Hauptwerk:
„Die Reichskanzler vornehmlich des 10., 11. und 12. Jahr-
hunderts (Innsbruck 1865— 1881)". Dieses Werk, in welchem
Stumpf recht eigentlich seine Lebensaufgabe sah, umfasst
drei Abtheilungen. Von der ersten, welche die Geschichte
der Reichskanzler und Reichskanzlei in den bezeichneten
Jahrhunderten im Zusammenhange darlegen sollte, ist ein
einziges Heft publicirt, welches eigentlich nur die Einleitung
giebt. Dagegen ist die zweite Abtheilung, welche das chrono-
logische Verzeichniss der Eaiserurkunden in der angegebenen
Epoche enthält, bis auf die beabsichtigten Nachträge und
Register vollständig erschienen, und die dritte Abtheilung,
in welcher über 500 Kaiserurkunden aus jenen Jahrhunderten
[1882. L Phüos.-philol. hist. Cl. 3.] 28
Digitized by
Google
420 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1882.
meist zum ersten Male gedruckt sind, ist völlig zum Abschluss
gebracht worden. Die Resultate der unermüdlichsten Nach-
forschungen und sehr mühevoller kritischer Untersuchungen
sind in gedrängter Kürze in diesem Werke niedergelegt,
welches schon längst Allen, die sich mit der Geschichte
unserer alten Kaiser beschäftigen, ein unentbehrliches Hilfs-
mittel ist.
Wie Stumpf bei seinen überaus beschwerlichen und
oft trocken erscheinenden Arbeiten doch stets höhere Ge-
sichtspunkte leiteten, hat er selbst in der Vorrede zur
zweiten Abtheilung seines grossen Werks in folgenden
Worten ausgesprochen : ^Indern ich diese Arbeit der Oeffent-
lichkeit übergebe, hoffe ich etwas Nützliches und Förderndes
für die vaterländische Geschichtsschreibung beitragen, zu-
gleich aber auch zur Stärkung und Befestigung der Bande
mitwirken zu können, die meine engere Heimat mit dem
gemeinsamen grossen Vaterlande umschliessen. Denn was
ist geeigneter, um dauernd an einander zu fesseln, als die
Pflege grosser geschichtlicher Erinnerungen, die das Gemein-
gut aller unserer Stämme sind. Darin liegt das Erhabene
unseres Berufs, zugleich aber auch unsere beste Genugtu-
ung". In der That konnte nur das Gefühl patriotischer
Pflicht eine so lebhafte und vielseitig angeregte Natur, wie
Stumpf war, Jahrzehnte hindurch bei diesen entsagungs-
vollen Studien erhalten.
Auf den Beifall des grossen Publicums können Arbeiten,
wie sie Stumpf lieferte, nicht rechnen, aber doch hat es an
Anerkennung seiner Verdienste nicht gefehlt. Es sind ihm
von der österreichischen Regierung, wie von den Akademien
und gelehrten Gesellschaften Deutschlands und Italiens viel-
fache Auszeichnungen zu Theil geworden. Die Wiener Aka-
demie der Wissenschaften, deren correspondirendes Mitglied
er seit 1872 war, wählte ihn auch zum Mitgliede der Cen-
traldirection der Monumenta Germaniae, und das germanische
Digitized by
Google
v. Giesebrecht : Nekrolog auf Karl Friedr. Stumpf-Brentano. 421
Nationalmuseum nahm ihn in seinen Verwaltungsausschuss
auf; hier wie dort hat er durch seinen Eifer, seine Umsicht
und Dienstwilligkeit sehr Erspriessliches geleistet.
In voller Manneskraft raffte der Tod ihn hin. Er starb
zu früh der Wissenschaft, ohne sein grosses Werk ganz
vollendet zu haben, zu früh seiner Familie, in deren Mitte
er beglückt und beglückend waltete, zu früh seinen zahl-
reichen Freunden, welche ohne Ahnung dieses tiefschmerz-
lichen Verlustes die Nachricht von seinem Tode wie ein
Donnerschlag traf. Die Ruhestätte ist ihm in Frankfurt a. M.
bereitet worden, welche Stadt ihm durch seine Vermählung
mit Maria Brentano (1862) zur zweiten Heimath geworden
war. Auf dem Schloss im benachbarten Rödelheim pflegte
er in dem letzten Jahrzehnt die Sommermonate zuzubringen,
während er im Winter meist seine Lehrthätigkeit in Inns-
bruck fortsetzte. Seit dem Jahre 1873 führte er den Namen
Stumpf-Brentano. 1 )
1) Nach eigenen Aufzeichnungen des Verstorbenen, die durch Herrn
Professor A. Busson in Innsbruck mitgetheilt wurden und die auch in
v. Wurzbach's Biographischem Lexicon des Kaiserthums Oesterreich
Bd. 40 S. 197—199, wie in dem Nekrolog der Allgemeinen Zeitung
(1882. Beilage 88) benützt sind.
28*
Google
Digitized by
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 6. Mai 1882.
Herr Wölfflin hielt einen Vortrag über:
„Die Gemination im Lateinischen."
Wer in München in den frühen Morgenstunden Colleg
liest oder hört und seinen Weg durch den Garten der Forst-
schule nimmt, der wird regelmässig einen Beamten der
Anstalt mit verschiedenen Messungen beschäftigt autreffen.
Er wiederholt dieselben zu anderen Zeiten des Tages und
übergiebt sie dem Vorstande, der vielleicht nach zehn Jahren
auf Grund eines umfassenden Materiales die Beobachtungen
veröffentlicht und daraus allgemeine Schlüsse zieht, denen
dann die verdiente Anerkennung nicht vorenthalten bleibt
Auch die Philologen, welche diess täglich sehen, finden es
ohne Zweifel ganz in der Ordnung ; dass sie selbst in gleicher
Weise beobachten sollten, fallt wohl. Wenigen ein. Wo sollte
da die eigene Gescheidtheit bleiben, wenn man sich so von
äusseren Factoren abhängig machen wollte? Die Philologie
hat es ja mit dem Geiste, und nicht mit der Natur zu
thun. Und doch, so gut man der Natur ihre Geheimnisse
ablauschen und abrechnen muss und keine vorgefassten
geistreichen Hypothesen in dieselbe hineintragen darf, so
Digitized by
Google
WÖlfflin: Die Gemination im Lateinischen. 423
gut gilt diess von der Sprache. Wenn freilich in der
Sprachbildung nur die Natur thätig wäre, so hätte man,
wie dort mit den verschiedenen Himmelsstrichen und Boden-
beschaffenheiten, so hier nur mit Stammesunterschieden und
nationalen Anlagen zu rechnen, und wenn die Grundformeln
genau festgestellt wären, so Hesse sich alles Einzelne mathe-
matisch sicher bestimmen: so aber wirken, wenn auch we-
niger in der Urzeit als in der Periode der höheren Ent-
wicklung, einzelne hervorragende Geister durch die Litera-
tur so mächtig auf die Sprache ein und der Geschmack der
Völker und Jahrhunderte bewegt sich in so launischen
Curven, dass der individuelle Einfluss und die Macht der
menschlichen Freiheit der der Natur oder der constanten
ratio mindestens gleich zu setzen ist. Dadurch gewinnt
das Leben der Sprache in dem Maasse an Reichthum, als
die Beobachtung verwickelt und erschwert wird. Darum
wird aber der Philologe der Detailbeobachtung sich so wenig
zu schämen haben als der Naturforscher, und im Gegentheile
sich wie dieser bestreben müssen zum Behufe möglichst
scharfer und genauer Beobachtungen eigene Messmethoden
und Messinstrumente zu ersinnen. Das Wort Beobach-
tung muss ein Schlagwort der Philologie werden, nicht
die rohe Observation der alten Holländer, die mehr nur das
Phraseologische, insofern es für den Stil und die Kritik
wichtig war, in's Auge fasste, sondern die unserem Jahr-
hundert und der historischen Grammatik angepasste. Wie
der mit guten Augen Gesegnete, aber archäologisch nicht
Vorgebildete an einem antiken Kunstwerke nur die Hälfte
dessen sieht, was der Künstler zum Ausdrucke gebracht hat,
so muss man auch in der Philologie erst lernen, worauf es
bei sprachlichen Untersuchungen in erster Linie ankommt,
dann aber, nachdem diess erkannt ist, die einzelnen Glieder
der Gleichung möglichst genau bestimmen. Eine solche
Rechnung, auf Grund der vorhandenen Litteratur einmal
Digitized by
Google
424 Sitzung der phüos.-phüöl. Glasse vom 6. Mai 1882.
gemacht, genügt, wenn das Material sich nicht durch Ent-
deckungen in ungeahnter Weise vermehrt, für alle Zeiten,
während approximative Berechnungen nur zu unsicheren
Werthen fuhren und durch die Portpflanzung des Irrthums
Alles, was weiter darauf gegründet wird, in Frage stellen.
Wie weit die approximativen Werthe in unserer heutigen
Grammatik auseinandergehen, wollen wir im Interesse der
Sache lieber verschweigen; denn nicht nur bezeichnet der
Eine als ,häufig ft , was dem Andern als ,selten 4 erscheint,
sondern man ist sehr oft darüber im Unklaren, ob etwas
überhaupt vorkomme oder nicht : man behauptet das Fehlen
und wird bald des Gegentheiles überführt, oder man be-
hauptet das Vorkommen und die zum Beweise angeführten
Stellen erweisen sich bei näherer Prüfung als hinfällig.
Die Wiederholung eines Wortes ist ein so einfaches
und naheliegendes Mittel des sprachlichen Ausdruckes, dass
nicht nur die indogermanischen, sondern auch die semiti-
schen und wohl alle Sprachen überhaupt dasselbe in ver-
schiedenem Sinne ausgenutzt haben (die Nubier sagen bei-
spielsweise ben ben, zwischen zwischen =■ mittelmässig) und
daher von vornherein die Ansicht auszuschliessen sein wird,
als müsste, was sich hier oder dort Aehnliches findet, darum
gleich auf Nachahmung oder Entlehnung beruhen. 1 )
Man kann unter dieser Verdoppelung Verschiedenes
verstehen, wie auch Aug. Friedr. Pott in seinem bekannten
Buche über die Doppelung (Lemgo und Detmold 1862) sehr,
sehr Vieles unter diesem Namen verstanden hat: denn man
kann darunter ebenso gut die Wiederholung des Wortstammes
(Reduplication) als auch die ganzer Wörter und Wort-
gruppen, in unveränderter wie auch in wenig veränderter
1) Eine in ihrer Allgemeinheit nichtssagende Bemerkung darüber
findet sich in der Romania VIII 615.
Digitized by
Google
Wblfflin: Die Gemination im Lateinischen. 425
Form begreifen. Wir haben die Bezeichnung „Gemina-
tion 11 vorgezogen, weil Fremdwörter Gefässen zu ver-
gleichen sind, in die man hineinlegen kann, soviel man
will. Daher haben wir uns an dieser Stelle dahin zu er-
klären, dass wir die Reduplication nur streifen, soweit es
um des Zusammenhanges willen wünschenswerth erscheint;
gänzlich soll aber die Wiederholung in veränderter Form
ausgeschlossen sein, also Beispiele wie : in diem ex die Cato
bei Priscian p. 482 H. ; diem ex die expectare Gic. Attic
7, 26, 3; facie ad faciem hist. misc. 24, 38, und selbst
wenn die Formen gleich wären, wie in poco a poco (die
Nubier sagen schwäije schwdije = ein wenig ein wenig =
langsam), vis ä vis (Diez, roman. Gram. II 8 , 465), Hand
in Hand, Zahn um Zahn, könnten wir solche Beispiele wegen
der in der Mitte stehenden Präposition in unsere Unter-
suchung nicht hereinziehen. Demnach werden wir die
Wiederholung gleicher Wörter nur in so weit berücksich-
tigen, als dieselben unmittelbar, asyndetisch, oder bloss
durch Copula (et, que, ac, atque) verknüpft aufeinander
folgen. Auch mag noch etwa eine schwache Trennung,
etwa durch eine Interjection, einen Vocativ oder durch iw-
quit mit in den Kauf genommen werden. Stärkere Tren-
nung führt aus dem Gebiete der Gemination hinüber in das
der Anapher, welche schon alte Grammatiker und Rhetoren
als eine Wiederholung ,uno alterove verbo interposito* von
derjenigen geschieden haben ,quae nullum verbum in medio
habet 4 . Beide Figuren gehen auch äusserlich dadurch aus-
einander, dass die Gemination sich in der Regel nur auf
zwei Worte, die Anapher häufig sich auf drei Glieder er-
streckt, und dass letztere immer das Gepräge der Kunst
trägt, selbst bei Plautus Cist. 1, 1, 60 doleo ab animo,
doleo ab oculis, doleo ab aegritudinc, während viele Formen
der unmittelbaren Wiederholung, wie sich zeigen wird, auch
der kunstlosen Conversationssprache eigen thümlich sind. Vgl.
Digitized by
Google
426 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 6. Mai 1882.
Charisius p. 281, 22. Diomedes 446, 11 K. Mart. Cap.
p. 178, 22 Eyss. Ebenso Hegt die Wiederholung ganzer,
aus mehreren Worten bestehender Sätze oder Satztheile
über unser Programm hinaus, es müsste denn sein, dass
zwei Worte nur einen Begriff ausdrücken, wie Plautus
Cas. 3, 5, 1 nulla sum, nulla sunt = occidi, occidi.
Der eigentliche Ausgangspunct der Untersuchung war
die Frage, ob die italienische Elativbildung wie
lungo lungo, piccolo piccolo im Lateinischen gleiche
oder doch ähnliche Vorläufer habe und ob die Möglich-
keit eines Zusammenhanges mit dem Italienischen in den
Kreis sprachgeschichtlicher Erwägungen einzuführen sei oder
nicht. Die Beobachtungen des Latinisten haben für die
Kenntniss der romanischen Sprachen immer die Bedeutung
eines Lichtes, welches in der Höhe schwebt; ist es auch
an sich nicht sehr intensiv, so wirkt es doch vermöge seiner
günstigen Stellung, und in diesem Gefühle ist die folgende,
mit ungewöhnlichen Schwierigkeiten verbundene Darstellung
versucht worden.
Eine Litteratur über diese Frage gibt es nicht; die
besten Grammatiker geben ein oder höchstens zwei Beispiele
der Gepiiqatio, viele auch das nicht ; das Meiste Fr. H a a s e
in den Vorlesungen über lat. Sprachwissenschaft, I, 192 f.
H. Paldamus, de repetitione vocura in sermone Graeco
ac Latino (Ztschr. f. Alterthumswissenschaft. 1838. 1205 ff.),
bei dem man erwarten könnte wenigstens brauchbares Ma-
terial zu finden, mengt so Heterogenes durcheinander, dass
für unsere Zwecke nichts herausspringt ; dagegen giebt eine
sehr gute Uebersicht über die Reduplication in der lateini-
schen Wortbildung das im J. 1878 erschienene Danziger
Gymnasialprogramm von Dr. Carl Jacoby; ausserdem ist,
abgesehen von dem bereits genannten Buche Potts, zu ver-
gleichen: Richard Volkmann, Rhetorik der Griechen und
Römer, Berlin 1872, S. 397, und die Noten von C. L. Kayser
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 427
zu Cornificius 4, 28, 38, S. 296; endlich der Aufsatz von
Friedr. Diez, ,Gemination und Ablaut im Romanischen 4
(in Höfers Zeitschr. f. d. Wiss. d. Sprache, 1851, 397—405),
der übrigens nur die Wortbildung, nicht die Syntax betrifft.
1. Die affirmative (rhetorische, emphatische)
Gemination.
Wenn die Rhetoren von der Gemination als einer
Redefigur sprechen, so denken sie an eine Ausdrucksweise,
welche zwischen den beiden wiederholten Wörtern keine
Copula in der Mitte duldet und den Sinn einer Bekräftig-
ung hat. Die Griechen nannten sie meist ävadl7tlcooig;
ihre Musterbeispiele sind xvQie MQie (Evang. Matth. 7, 21)
liye Xeye Taty&eQi womit gesagt sein soll, dass sie ebenso
gut das Nomen als das Verbum treffen könne. Die Römer
fanden sie in der gehobenen Poesie wie in der rhetorischen
Prosa, also beispielsweise mehr in den ausgearbeiteten Reden
Ciceros als in den eben nur skizzenhaften Controversien
Senecas, mehr in den Reden der Geschichtsschreiber als in
der historischen Erzählung; sie findet sich aber auch in
der Conversationssprache, so oft Pathos und Affect in die
Rede gelegt wird. Cornificius giebt ihr 4, 28, 38 den Namen
conduplicatio 1 ) und erkennt als ihre beiden Haupt-
zwecke an eine Sache zu amplificieren oder Mitleid zu er-
regen, wobei indess zu beachten ist, dass ihm nicht der
Schriftsteller überhaupt, sondern der Redner im engeren
Sinne des Wortes vorschwebt. Cicero, welcher de orat. 3, 206
statt duplicatio lieber sagte g e m i n a t i o , spricht ihr inter-
dum vim, leporem alias zu, was Quintilian 9, 3, 28 dahin
1) Die Präposition con ist in diesem Substantivtim archaisch- vulgär,
wie auch das Verbum conduplicare bei Plautus, Terenz und Lucrez
vorkommt. Vgl. Thielmann, De sermone Cornific. 1879, p. 10 = Dissert.
Argentor. II. p. 356 sqq.
Digitized by
Google
428 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882.
erläutert, dass er zwar die amplificatio und die commiseratio
des Coruificius beibehält, aber auch entsprechend dem lepor
Ciceros eine humoristisch -ironische Anwendung zugiebt.
Richtig interpretiert er auch die Worte Ciceros p. Mil. 72
occidi, occidi non Spurium Maelium etc. mit den Worten:
(dterutn est, quod indicat, alterum quod adfirmat, d. h.
das erste occidi giebt die Thatsache an, das zweite bekräf-
tigt, betheuert sie. Wiewohl nun auch der Vf. des Carmen
de figuris Vers 76 (Rhet. lat. min. ed. Halm, p. 66) mit
den beiden grossen Rhetoren den lateinischen Namen gemi-
natio festgehalten hat, so ist dieser doch nie ein allgemein
anerkannter terminus technicus geworden. In den Namen
und Definitionen der Redefiguren herrscht überhaupt grosse
Willkür, so dass Gellius 13, 25 (24) 4 unter dem nämlichen
Worte die Häufung zweier Synonyma verstehen konnte.
Aquila Romanus § 29 und Martianus Capeila p. 178, 17
Eyss. nannten unsere Figur lieber iteratio (naXdoyia),
unter welchem Ausdrucke Cicero de orat. 3, 53, 203 die
€7tavdXr]ipig verstand, wenn das Schlusswort eines Satzes an
der Spitze des folgenden wieder aufgenommen wird, Quin-
tilian 4, 2, 43 die tadelnswerthe Tautologie. Die grosse
Masse der Grammatiker indessen blieb bei den griechischen
Kunstausdrücken stehen: anadiplosis heisst es in dem
Commentuin Pompeii (Gramm, lat. ed. Keil, 5, 302, 26 =
Donat. gramm. p. 398, 1 und Isidor orig. 1, 35, 7) von
dem Falle, wenn die beiden wiederholten Worte sich auf
den Schluss eines Verses und den Anfang des folgenden
vertheilen; Epizeuxis gebrauchen Charisius p. 281, 22
und Diomedes p. 446, 11 mit der Einschränkung, dass die-
selben unmittelbar aufeinander folgen müssen, nach dem
Musterbeispiele Virgils Aen. 9, 427 rne, tne, und ihnen ist
Beda de schematibus gefolgt, p. 609, 23 ff. Halm, nur mit
dem Unterschiede, dass er seine Belegstellen dem alten Testa-
mente entnommen hat (auch das bisher nicht nachgewiesene
Digitized by
Google
WÖlfflin: Die Gemination im Lateinischen. 429
vivens vivens aus Jes. 38, 19); Epanalepsis sagt Diomedes
445, 22 mit Bezug auf den Vers des Horaz Od. 2, 14, 1 Eheu
fugaces Postume Postume etc. Ob es passend sei, mit Volk-
mann die Theilung in amplificatio und commiseratio beizube-
halten, wollen wir nicht entscheiden ; doch scheint uns Ap-
sines p. 406 richtiger sich auszudrücken, wenn er von den
rhetorischen Geminationen im Allgemeinen sagt nd&og
TtOlOVGlV.
Da diese Gemination in den verschiedenen Redetheilen
verschieden reflectiert, so werden wir dieselben im Folgen-
den auseinanderzuhalten haben.
Der Casus des Substantivs, welcher am häufigsten
wiederholt worden ist, wird wohl der Vocativ sein. Pflegt
man schon im gewöhnlichen Leben, wenn man jemanden
ruft, den Namen zu wiederholen um die Aufmerksamkeit
in höherem Grade zu erregen, oder auch auf die Gefahr
hin, dass der erste Ruf nicht verstanden worden wäre, so
wird diess ebenso oft der Fall sein, wenn man jemanden
ins Gewissen reden will, überhaupt wenn man in die An-
rede einen stärkeren Aflfect irgend welcher Art hineinlegt.
Daher finden wir schon bei Plautus Merc. 4, 4, 60 heus
uxor uxor (heda), Cure. 166 Palinure Palinure, Mil. 313
Sceledre Sceledre; Petron. 36 Carpe Carpe, 45 Glyco Glyco,
64 bucca bucca personifiziert; evang Luc. 10, 41 Martha
Martha, 22, 31 Simon Simon. Mit Interjectionen Plaut.
Rud. 1235 o Gripe Gripe, Cure. 626 o cives cives (= HQr.
epist. 1, 1, 53), ßacch. 814 o stulte stulie, Trin. 1180 o
pater pater; Mil. 415 eho Sceledre, Sceledre, ibid. Pulaestrio,
eho Palaestrio; mit doppelter Interjection Poen. 5, 4, 36
o patrue, o patrue mi patruissime, wo die stärkere Emphase
des zweiten Gliedes noch besonders durch den Superlativ
hervorgehoben wird. Auch die höhere Poesie gebraucht
diese Form zum Ausdrucke des Schmerzes, der Verzweiflung
und ähnlicher Stimmungen. So Virgil Buc. 2, 69 a Corydon
Digitized by
Google
430 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 6. Mai 1882.
Garydon (schon Theoer. id. 11, 72 c3 Kvxliaxp, Ktmhoifi),
ibid. 6, 44 Hyla Hyla; in der Hochzeitspoesie der Griechen
IlaQ&evlct, FIctQ&evict (personifiziert: Sappho) und der be-
kannte auch von Catull aufgenommene Refrain Hymen o
Hymenaee, sammt den Variationen von carm. 61. Dass die
Form aber nur bei fingierten Namen vorkomme, dass mit-
hin der von Horaz od. 2, 14, 1 angeredete Postumus in
Wirklichkeit nicht existiert habe (rhein. Mus. 1882, 234),
wage ich nicht zu behaupten. Besonders häufig wird diess
im Gebetsstile aller Völker gewesen sein ; so schon im alten
Testamente Psalm 139, 8. 140, 8 domine, domine; Ps. 8, 2
und 10 domine, dominus noster; Ps. 49, 7 deus dem; 47, 15.
66, 7 deus deus noster; bei Ennius Annal. 115 o Bomule,
Bomüle die, dem Gebetsstile nachgebildet Ovid art. am. 2, 91
pater, o pater, und schliesslich bei den Christen, im evang.
Matth. 7, 21. 22 non omnis, qui dicit mihi Domine Domine,
intrabit in regnum caelorum. Christus selbst hat die be-
kannten Worte ,mein Gott, mein Gott, warum hast du
mich verlassen'? (Matth. 27, 46. Marc. 15, 34) aramäisch
(Eli Eli oder Eloi Eloi) gesprochen, und Aehnliches weisen
wohl alle modernen Sprachen auf, Comparetti canti pop. 4,
p. 36 oh dio 9 oh diol franz. mon dieu, mon dieu. Indessen
ist die Anrufung ,Herr, Herr* nicht auf das religiöse Ge-
biet eingeschränkt, sondern auch die thörichten Jungfrauen
empfangen den Bräutigam mit diesen Worten nach Matth.
2£, 11 domine domine (xvgie xvQie) aperi nobis.
Dem Vokativ am nächsten steht der Nominativ, so
Virg. Buc. 5, 64 deus, deus ille Menalca; bei Hör. Epod. 14, 6
deus, deus nam me vetat; Virg. Buc. 8, 48 puer, a puer im-
probus ille ; Lucr. 2, 434 tactus enim, tactus etc. ; fälschlich
bei Caes. b. Gall. 5 , 44 hie dies dies . . . iudicabit , wo
höchstens hie, hie dies stehen könnte. Dann wird sich der
Accusativ anreihen, wie Hör. od. 3, 3, 18 llion Ilion
(vgl. Schütz im krit. Anhang z. St.) in der Rede der Juno;
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 431
Cornif. 4, 38 tumultus, C. Gracche, tumultus comparas als
Beispiel der conduplicatio. Natürlich sind auch die übrigen
casus obliqui der Gemination nicht unzugänglich, aber die
Beispiele sind doch seltener, so dass man aus dem augen-
fälligen Ueberwiegen des Vokativs die Ueberzeugung ge-
winnt, die rhetorische Gemination des Substantivs sei aus
der Wiederholung der persönlichen Anrede hervorgegangen.
Nach dem Vorgange Homers Iliad. 6, 395
'UmWog, | 'Herttov dg evctiev yx%.
haben die augusteischen Dichter gerne einen Eigennamen
an das Ende des Hexameters gestellt, um ihn im Anfang
des folgenden wieder aufzunehmen, so schon
Catull 64, 285 viridantia Tempe, \ T. quae silvae cingunt.
Virg. Buc. 6, 20 supervenit Aegle, \ A. Naiadum pulcherrima.
ib. 10, 72 maxima Gallo \ G. cuius amor etc.
Aen. 10, 180 pulcherrimus Astyr, \ A. equo fidens.
Prop. 3, 32, 85 Varro, \ V. Leucadiae maxima flamma suae.
Mit nomen appellativum schon Catull 63, 8
leve typanum. \ Typanum, tuom Cyhebe.
Virg. Aen. 10, 821 ora, \ Ora modis pollentia miris;
6, 495 ora \ Ora manusque ambas.
Sidon. Apoll, carm. 7 (4) 260) arma f \ Arma fremit;
Corippus in laud. Just. 1, 103 portum, Portum, quem.
Wie die Beispiele zeigen, ist dem zweiten Substantiv oft
entweder eine Apposition beigegeben, oder es wird an das-
selbe ein Relativsatz angeknüpft, so dass die Gemination sich
dann mit der ächtlateinischen Wiederholung des Substantivs
im Relativsatze berührt (diem quo die; leges quibus legi-
bus). Ein dactylisches Wort kann natürlich nur den fünften
und den ersten Versfuss einnehmen, wie
Catull 64, 259 orgia cistis, \ Orgia quae etc.
ib. 321 talia divino fuderunt carmine fata,
carmine quod etc.
Digitized by
Google
432 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882.
Prop. 5, 1, 63 ut nostris tumefacta superabat Umbria libris,
Umbria Romani patria Callimachi.
1, 3, 25 omniaque ingrato largibar tnunera somno,
munera de prono saepe voluta sinu.
Andere Stellungen Prop. 1, 3, 31. 1, 11, 28. Hoin.
Od. 1, 22.
Die Redner fügen dem zweiten Gliede gerne in quam
hinzu, welches wir mit ja 4 übersetzen können : Cic. Cluent.
168 pater, pater L illius; \errin. 5, 162 crux, crux i. ;
p. Mur. 80 cives, cives i.; Phil. 5, 33 hello, b. i. decertan-
dum est; diess geschieht namentlich, wenn die beiden Sub-
stantiva getrennt sind, wie Cic. Cluent. 12 t&ater...m. in-
quam, wo das Verbum den halb vergessenen Subjectsbegriff
wieder aufnimmt. Selbst in den philosophischen Dialog ist
diese Form gedrungen; wenigstens entspricht bei Cic. Lael.
27, 100 Virtus, virtus inquam . . . conciliat amicitias voll-
kommen dem feierlichen Tone des Epiloges, wenn auch
mehrere Handschriften und Herausgeber das zweite Sub-
stantiv weglassen. Vgl. Mor. Seyffert z. St.
Entsprechend dem Vocativ der Substantive wird man
auch bei dem Pronomen diesen Casus am häufigsten ge-
miniert zu finden erwarten. Um zu begreifen, dass diess
nicht der Fall ist, hat man sich einfach zu vergegenwärtigen,
dass das Pronomen personale der ersten Person wegfallt,
weil man sich selbst in der Regel nicht anredet, das der
dritten, weil es erst in die zweite übergehen müsste um
zur Anrede verwendet werden zu können, endlich, dass tu
und vos wohl Vocative sein können, durch Hinzutritt des
Verbnms aber meist eine andere Casusform (Subject) an-
nehmen , wenn sie nicht gar wegfallen , weil sie in dem
Personalsuffixe schon enthalten sind. Cic. Phil. 2, 91 tu,
tu, inquam, illas faces incendisti; Catull 68, 21 tu mea 9 tu
moriens fregisti commoda frater. Dazu kommt dann noch,
dass die Römer seltener, als man vermuthen könnte, das
Digitized by
Google
WÖlfflin: Die Gemination im Lateinischen. 433
Pronomen personale verdoppelt haben, nicht sowohl aus
Gründen der Bescheidenheit, die überhaupt in ihrer Beredt-
samkeit eine untergeordnete Rolle spielt, sondern weil neben
den Composita meme, tete, sese (s. unten) bei mangelnder
Worttrennung eine Gemination me, me u. s. w. schweren
Stand hatte , und dann weil diesen Bildungen die Neben-
formen auf met Concurrenz machten. Begnügen wir uns
daher mit wenigen Beispielen wie : egone, egone ? bei Plautus
Poen. 1, 3, 19; me, me (ergänze petite), adsum qui feci,
in me convertite ferrum Virg. Aen. 9, 427; a me, me
discet Catull 21, 11; me, me duce Virg. 12, 260 (Vgl. a
me f me vole be' Comparetti canti pop. IV. p. 37): nos nos-
met Plautus Mil. 429; nos, nos, dico aperte, consules desumus
Cic. Catil. 1, 1, 3. Per te, per te, inquam Cic. Ligar. 15;
vos, vos appello Cic. Mil. 101. Daran reihen sich von selbst
die Pronom. possessiva, wie Hör. Od. 3, 4, 21 vester, Ca-
menae, vester; Cic. Flacc. 94 vestris, vestris, inquam, umeris.
Zahlreichere Belege stellen die Pronomina demonstrativa
wie hoc, hoc est Plaut. Bacch. 5, 1, 13 ; haec, haec, inquam
Cic. Verrin. 1, 61; hoc, hoc tribuno militum Hör. Epod. 4,
20, einschliesslich der Lokaladverbia, z. B. hie, hie sunt Cic.
Catil. 1, 9; huc 9 huc veni Catull 61, 8. Petron 23. Pacat.
Paneg. 44.; namentlich ille, bei Cic. Catil. 3, 22 itte, i.
Juppiter, ähnlich Cic. p. Caec. 14, p. Balb. 11; en illa, i.
quam saepe optastis libertas Sali. Catil. 20, 14; Lesbia illa,
illa Lesbia Catull 58, 1 ; quid hohes illius, i. quae spirabat
amores Hör. Od. 4, 13, 18; illo, i. inquam loco Cic. p.
Font. 4; equites Romani Uli, Uli tui Cic. Mil. 94. Ge-^
ringeren Antheil an der Gemination haben iste, ipse 9
talis u. ä. : Virg. Catal. 2, 2 iste, iste rhetor; Fronto p. 144
N. ipsi, ipsi inquam ; Val. Flacc. 1 , 343 tales, tales (reges) ;
gar keinen die Pronomina relativa und indefinita, dagegen
wieder starke Berührungen mit unserer Figur alle Arten
der fragenden Fürwörter, wie quid, quid bei Plaut. Epid. 1,
Digitized by
Google
434 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882.
1, 99. Petron 49 ; unde y unde haec Ulis modestia Livius 8,
4, 10; o quantum, q. Plaut. Poen. 3, 4, 28; ma quanno,
quanno, umbrisches Volkslied bei Marcoaldi, canti pop. N. 47 ;
und die negierenden wie nemo, nemo inqwxm Cic. Font. 4.
Mamert. grat. act. 31; nihil, n. inquam Cic. Gluent. 62. l )
Beim Verbum hat der Imperativ, entsprechend dem
Vocativ des Nomens, die Gemination am häufigsten ange-
nommen ; namentlich sind es die Aufforderungen zu sprechen
oder zu schweigen, zu bleiben oder fortzugehen, bei welchen
dieses Mittel zur Anwendung kommt. So tace t. Plaut.
Pers. 4, 4, 42. Pseud. 579. Ter. Eun. 834. Apul. Met. 1. 8 ;
1) Auszuschliessen sind hier die nur äasserlieh ähnlichen Redens*
arten wie hie et hie, üle et üle u. ä., weil hier unter dem zweiten hie
oder üle, wie schon die Copula andeutet, eine andere Person verstanden
wird. Während die classische Latinität zur Bezeichnung verschiedener
Personen auch verschiedene Pronomina anwendete, also hie et üle, dieser
und jener, finden wir seit Cornificius (vgl Thielmann, de serm. Cornif. 69)
hie et hie, der und der, Hör. Sat. 1, 1, 112 hunc atque hunc als Nach-
hildung des Conversationsstiles, und bei Cic. epist. 9, 16, 4 eine Aeus-
serung des Servius ,hic versus Plauti non est, hie est 1 ; entsprechend
hinc atque hinc Virg. Aen. 12, 431, Hör. Epod. 2, 31. 5, 97. huc et
huc ibid. 4, 9, und mehr hei Porbiger zu Virg. Buc. 4, 56, von wel-
chem den Gebrauch Livius angenommen zu haben scheint, z. B. 21, 8, 8
hinc spes, hinc desperatio, wornach Dräger § 330, 2 zu berichtigen ist.
Es mag dazu auch die Analogie von alibi . . alibi, oder von &da pkv,
sv&a de u. ä verführt haben, wo freilich per und 6s den Gegensatz be-
zeichnen. Mit gleichem Rechte könnte auch üle (et) üle im Sinn von
hie (et) üle oder alter, alter, alii . . alii gebraucht werden, so schon bei
Ter. Phorm. 2, 2, 18, in Ulis fruetus est, in Ulis opera luditur; dann
bei Cic. Rose. Am. 59. August, civ d. 13, 24. üle aut üle; üle et üle
bei Gaius Digest. 40, 7, 31. Pulgent. Rusp. serm. 45 (col. 911b Migne);
üle atque üle Cassiod. epist. 11, 7; üle vel üle August, civ. d. 12, 10.
Als Vorläufer des französischen tel et tel mögen noch angeführt sein
Tertull. adv. Hermog. 31 scaena erat talis et talis t und bei Augustin
talis vel talis, wie überhaupt die Afrikaner nicht selten vel für et
setzen.
Digitized by
Google
WÖlfflin: Die Gemination im Lateinischen. 435
eloquere e. Enniu^ Trag. 323 ; matte m. Plaut. Asin. 229.
Epid. 2, 2, 22. Merc. 2, 4, 6. 5, 2, 87. Pseud. 234. Jnc.
ine. trag. 79 R. Catull 10, 27. ite ite Plaut. Truc. 2, 7, 1.
dbi tibi Plaut. Mil. 857. Ter. Ad. 620. redi redi Ter. Heaut.
349. discede (L Apul. met. 2, 7. migrate m. Vict. Vit. 2, 20 ;
unsicher perge [perge] Plaut. Men. 150 nach Schwabe in
Jahns Jahrb. 105, 407. Auch beim Gruss und Abschied
wird gerne verdoppelt: have h. Grut. inscr. 1123, 2; valev.
ibid. 708, 5. Ovid met. 3, 501 und substantiviert longum
vale v. bei Virg. Buc. 3, 79, salve salve bei Coripp. Just.
3, 35, und die ungeduldig vor der Thüre Wartenden rufen
in der Komödie oft genug ihr aperi a.; aperite a. Plaut.
Pseud. 1272. Trin. 870. 1174.
Zur Tnterjection herabgesunken ist der Imperativ age
age Plaut. Mil. 1024. Epid. 5, 1, 25. Ter. Ad. 877. Andr.
310. Heaut. 332. 722. Phorm. 559. 662. Cic. fin. 5, 8, und
entsprechend das noli noli als blosse Umschreibung des Ver-
botes bei Cato 37, 6 Jord. Fronto p. 100 N. Vict. Vit.
3, 28. Man könnte mit Leichtigkeit einige weitere Dutzende
von Beispielen zusammenstellen, wenn es einen Nutzen hätte ;
doch dürfte von einigem Interesse sein, dass die Gemination
bei Petron und Apuleius besonders hervortritt: voca v.
Petr. 49 und cave \cave~\ canem unsicher 29, obschon wahr-
scheinlich durch die Parallele Hör. Epod. 6, 11 cave, cave,
womit man vergleiche guarda, g. bei Dante Inf. 21, 23.
Bei Apuleius finden wir sine sine Met. 1, 7, wie schon
bei Ter. Heaut. 1, 1; miserere m. 2, 28; desine . . desine
2, 29; proeliare et fortiter p. 2, 17 ; aas der Vulgata mögen
angeführt werden Jesaia 40, 1 consolamini c; 51, 17 ele-
vare e.; das zweimalige crueifige bei Luc. 23, 21. Joh. 19, 6
und das dem Johannes allein gehörende tolle tolle crueifige
19, 15. In formeller Hinsicht ist beachtenswerth , dass
Dichter die Gemination namentlich einsilbiger Imperative
dadurch gemildert haben, dass sie die beiden, wie wir ähn-
fl882. I. Philos.-pbilol. hist. Cl. 3.1 29
Digitized by
Google
436 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882.
lieh (S. 431) beim Substantiv gesehen, an das Versende und
den Versanfang vertheilen, so Juvenal 6, 279:
Die | Die aliquem, sodes . . . colorem,
oder auch durch Einschiebung einer Interjection wie bei
Ovid Met. 14, 842 duc, o duc (vgl. 2, 424 sunt, o sunt).
Zeigen nun schon die oben genannten Beispiele aus dem
alten und neuen Testamente, dass diese Ausdrucksweise
durchaus nicht der lateinischen Sprache eigenthümlich ist,
so lehrt es auch die Erzählung vou den Avaren (a. 582
p. Chr.) in der histor. misc. 19, 13: patria voce dicens
,torna torna' und maximis voeibus exclamantes ,torna torna'.
Ein interessantes Beispiel von der dritten Person giebt
Plutarch im Leben des Pompeius 14, wo er erzählt, Sulla
habe, als der junge Pompeius gegen das Gesetz, aber hart-
näckig einen Triumph verlangte, endlich in grösster Auf-
regung zweimal hintereinander ausgerufen ^Qiafißevadvo).
Da der Coniunctiv der Aufforderung oder des
Wunsches an Energie hinter dem Imperativ zurücksteht,
so eignet er sich auch weniger zur Gemination ; immerhin
wird der Grammatiker um Beispiele nicht gerade verlegen
sein, wie Plaut. Pseud. 295 (307 Fl.) nach Lorenz det, det
usque; Ci'c Mil. 93 valeant, v. cives mei, womit der dop-
pelte ImperativS. 435 zu vergleichen; Frontop. 155 negle-
gas n.; Apul. flor. 1, 9 velim velim; Tert. de resurr. carn. 9
absit absit.
Unter den Indicati v formen sind sowohl Gegenwart
als Vergangenheit und Zukunft vertreten ; also beispielsweise
video v. te Inc. ine. trag. 47 R. (viget veget Varro sat. M.
157, 7 R.) ; parce precor, precor Hör. Od. 4, 4, 70 ; gaudeo g.
Sen. suas. 2, 17; teneo te, inquit, teneo Apul. met. 10, 22
(entsprechend tene tene Plaut. Aulul. 4, 9, 1. Cas. 3. 5, 15.
retine r. Cure. 310); erras e. Inc. ine. trag. 125 R. ; ince-
dunt L Trag. ine. bei Cic. acad. pr. 2, 89. Auch wird das
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 437
zweite Glied durch in quam verstärkt Cic. Verrin. 2, 128.
4, 37, und ohne Trennung video, video inquam p. Scauro 49.
Häufiger als das Imperfectum (dolebam, d. Cic. Phil.
2, 37) ist das Perfect zur Bezeichnung eines glücklichen
Abschlusses (Cic. Mil. 72 occidi, o.) oder umgekehrt in dem
Sinne, dass es aus sei mit etwas ; so Cic. Catil. 1,4 fuit
f. ista quondam virtus (Fronto 117); occidit, o. spes omnis
bei Hör. od. 4, 1, 2 und analog cecidit, c. Babylon magna
Apocal. 18, 2; recepi, r. Fronto 120: im Passiv ßsßlcoTai, ß.
Sen. epist. 12, 8; deserti, d. inquam sumus Cic. Phil. 8, 22;
decepti, d. inquam sumus, ibid. 12, 3.
Mit Futurum: erit, e. profecto Cic. Mil. 69 (wie est,
est profecto ibid. 84); ibimus, i. Hör. Carm. 2, 17, 10;
veniam v. Suet. Cal. 49 ; dabo, inquit, d. Apul. met. 2, 30 ;
non patiar, inquit, non p. ibid. 10, 9; vivet ilicet, v. Sid.
Apoll, epist. 8, 5. Alles diess wird auch in anderen
Sprachen so ziemlich gleich sein, zumal für den Imperativ,
weil hier die Emphase ganz natürlich ist, z. B. ital. mari-
tete, maritete! Blessig canti pop. Romani 55; lo vojo (=
vogliö) lo vojo Comparetti canti pop. IV. p. 39.
Schliesslich noch einige Bemerkungen über die In-
declinabilia. Giebt man auf eine Frage eine entschieden
bejahende oder verneinende Antwort, so greift man unwill-
kürlich zur Gemination, heisst es doch schon im Evang.
Matth. 5, 37 ,Eure Rede sei Ja, ja, Nein, nein, und was
darüber ist, das ist vom Uebel 1 . (Brief Jacobi 5, 12). Da
der Ausdruck der lateinischen Conversationssprache für ,ja l
ita war, so spricht Quartilla bei Petron 25 ganz correct,
wenn sie sagt: Ita, ita bene admonuisti. Ja, ja, du hast
ganz Recht, und so geben auch die guten Handschriften.
Sic gebrauchte die classische Sprache nur in Verbindung
mit est, später aber, als ita untergieng, an dessen Stelle,
so der Verfasser von Sic et non und mit Gemination heute
noch die Italiener ihr Si, si 9 während die Vulgata der
29*
Digitized by
Google
438 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 6. Mai 1882.
oben citierten Matthäusstelle est est bietet, wie Ausonius
Epist. 25, 40 est und non, ja und nein. Ein Compositum
davon ist cosi, c. = consic (vgl. cotanto, cotäle), obwohl es
Diez Wörterb. P, 141 von aeque sie ableitet. Neugriechisch
entspricht IV£(*) IV£(*), deutsch so so, auch so so, lala, er-
weitert nach der Terminologie der italienischen Tonleiter.
(cosi e cosi, er^i X6ir£(i) enthält überdiess die Copula, eigent-
lich so und so).
Für Nein gebrauchte schon das alte Vulgärlatein und
selbst Cicero non; so mit Gemination bei Apul. met. 7, 3
identidem boavi Non, non, wie heute noch die Italiener,
und nefeh stärker bei Plautus Trin. 752, Cic. Mil. 104
minume minume. Natürlich kann non auch in der Be-
deutung von , nicht 1 wiederholt werden, z. B. Catull 14, 16
non non hoc tibi sie dbibit; Prop. 3, 2, 27 non non humani
partus sunt talia dona; Sulp. Sever. epist. 2 non deerit,
mihi crede, non non deerit; analog ne im energischen Ver-
bote, wie Sanskrit ma ma. In weiterem Sinne mag auch
nunquam nunquam bei Properz 2, 6, 41 und Aehnliches
hierher gerechnet werden. (Schiller: und begehre nimmer
und nimmer zu schauen.)
Von wiederholten Temporalpartikeln belegt Hand
Tursell. 4, 343 nunc nunc aus Horaz Epod. 5, 51 (adeste),
und in Verbindung mit dem nämlichen Imperativ treffen
wir es bei Sen. Herc. für. 502 P. Med. 13, mit insurgite
bei Virg. Aen. 5, 189, mit, o liceat crudelem abrumpere
vitam ibid. 8, 579. Es ist vielleicht nur poetische Variation
für das prosaische iamiam, worauf wir im zweiten Capitel
zu sprechen kommen; dass es steigern solle im Sinne des
Comparativs ocius = je bälder, desto lieber, Hesse sich wohl
denken, doch nicht überall beweisen, und gerade an der
zuletzt genannten Stelle Virgils entspricht der Verdoppel-
ung ein doppelgliedriger Temporalsatz mit dum . . dum.
Das correspondierende tunc tunc habe ich zufallig nur aus
Digitized by
Google
Wolf f lim Die Gemination im Lateinischen. 439
der Anthol. lat. 253, 118 R. notiert; häufiger ist simul
sitntd, bei Catull 63, 12 und durch Iiterjection getrennt
bei Ovid Trist. 1, 3, 81 simul , a simul ibimus. Tandem
tandem sagt Palinurus bei Plaut. Cure. 7, wie intus, intus
inquam, est equus Troianus der Redner Cicero p. Mur. 78. *)
Daran reihen sich die Interjectionen der Freude,
des Schmerzes, der üeberraschung. So vero vero bei
Petron 72, etwa unserem Bravo bravo entsprechend; euge
eugem ähnlichem Sinne bei Plautus Epid. 3, 3, 20. 3, 4, 62.
Trin. 705. Stich. 5, 6, 3. Rud. 1, 2, 75 neben perlene.
Aulul. 4, 6, 11 (wie Martial 2, 27 enge, beate); viermal
in den Psalmen 34, 21. 25. 39, 16, 69, 4. und Ezech. 25, 3.
Zum Ausdrucke des Gegen theiles heu heu bei Plaut. Pseud.
1312, Ennius trag. 307, ine. trag. 22. Virg. Buc. 2, 58.
3, 100. Ciris 264. Culex 256. Hör. od. 1, 15, 9. 4, 6, 17
(heu, nefas, heu), epod. 15, 23. Petron. 42. 44. 64, und
noch im chronicon Novaliciense 21. 59. 76. 84, wogegen
dem Catull und Tibull die Verdoppelung wohl mit Recht
abgesprochen wird von Bährens analecta Catulliana p. 64.
Au au bei Terenz Ad. 336, Petron 67 ; a a bei Hör.
Epod. 5, 71. Andere geminierte Partikeln sind zusammen-
gewachsen oder von Haus aus Reduplicationsbildungen ge-
wesen, so das vieldeutige attat (besser als atat, Richter
de usu particularum, Strassb. 1874) und attatae = ärrarai;
babae = ßaßai Plaut. Pseud. 353 mit der Note von Lorenz,
verdoppelt Petron 37, weiter gebildet zu babaeculus ; papae =
1) In der Wortbildung kommt es seltsamer Weise vor, dass Verba
dieselbe Präposition doppelt zn sich nehmen. Es kann diess natür-
lich nur geschehen, wenn die erste Präposition in Folge der Assimilier-
ung mit dem Verbum so zusammengewachsen ist, dass die beiden Be-
standtheile nicht mehr kenntlich sind und damit auch die Kraft der
Präposition erlischt. Dahin gehören adalligo, häufig bei dem Natur-
forscher Plinius, (adagnosco), adagnitio bei Tertullian, concolligo im
Spätlatein.
Digitized by
Google
440 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882,
7ta7tai; fufae von Charisius ohne Beleg angeführt 239, 6,
etwa unserni ,pfui'%)der dem französischen fi entsprechend;
butubatta bei Nävius und Piautas. Vergl. darüber die ein-
gehenden Untersuchungen von P. Richter im Hagenaaer
Programm von 1878 und in Studemunds Studia in priscos
scriptores latinos collata, vol. II. Fase. 2.
Damit ist eine Uebersicht über die im Allgemeinen be-
kannte, wenn auch bisher nicht in ihre Einzelerscheinungen
zergliederte Figur gegeben, so weit sie den Stilisten inter-
essiert; Paralleles wird sich in allen Litteraturen finden
und auch in dem oben übergangenen Redetheile, dem Zahl-
worte, z. B. unuSi unus Virg. Aen. 10, 691; in einem eng-
lischen Volksliede bei Shakespeare, twelthnigt II, Sc. 4:
a thousand, thousand sighs. Für den Sprachforscher ist in-
dessen dieser Theil der minder bedeutende; sein Blick wird
sich vielmehr auf ganz andere Gebiete richten.
2. Die plurativ-iterative Gemination.
Lange bevor die Sprache und Rhetorik, bewusst und
unbewusst, die Wiederholung eines Wortes zur nachdrück-
licheren Hervorhebung desselben ausgebildet hatte, wandte
die noch werdende Sprache die Gemination in einem anderen
Sinne an, und zwar zunächst wohl zur Bezeichnung des
Plurals, wie diess beispielsweise im Sumerischen geschehen
ist, wo kur kur, eigentlich Land Land, so viel als Länder
bedeutet. Auch in den malayisch-polynesischen Sprachen
wird der Plural vermittelst der Gemination gebildet, z. B.
radja radja Könige, während in Mankassar mit bälla-bälla
ein kleines Haus, also das Deminutiv bezeichnet wird. Die
Hieroglyphen haben die Gemination wenigstens graphisch
zur Bezeichnung des Plurales beibehalten , und wenn die
Buchstabenschrift gewiss späteren Ursprungs ist, so möchte
man wohl schliessen, die älteste sprachliche Bezeichnung
der Mehrzahl sei die Gemination gewesen.
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen, 441
Diese plurative Gemination ist indessen der lateinischen
wie der griechischen Sprache fremd geblieben, oder, wenn sie
ihr je einmal eigen war, überwunden worden durch die in allen
Theilen des Wortschatzes durchdringenden organischen Plural-
bildungen. Nur in demjenigen Redetheile könnte ein Ueber-
rest erhalten sein, der überhaupt manche alterthümliche
Bildung bewahrt hat, in dem Pronomen, welches als Suffix
zur Conjugation verwendet wurde. Wenigstens soll nach
einer heute weit verbreiteten Ansicht fertis, ihr traget, ent-
standen sein aus fer-ti-si, tragen du du, gleichsam tu
av zu tragen ihr, und auch der Plural des Imperativ ama-
tote könnte vielleicht so gedeutet werden.
Andrerseits ist es kein lateinisch empfundener Ausdruck,
wenn Apuleius von Madanra de magia 9 sagt: ignis et
ignis, d* h. die Liebe zum Critias und zur Charine ver-
zehre ihn, was er gleich im folgenden Verse mit den
Worten- hasce duas flammas patiar verdeutlicht. 1 ) Vielmehr
erinnert diess an das hebräische eben va-eben, ejphah va
ejphah, beleb valeb, in der Vulgata Proverb. 20, 10 pondus
et pondus, mensura et mensura, bei Luther ,mancherlei
(zweierlei?) Gewicht und Mass 1 . Vgl. Deuteron. 25, 13.
Psalm. 12, 3 in corde et corde, 1 Chron. 12, 33 in corde
duplici. Die Frage, ob mit der Gemination der Dual oder
der Plural bezeichnet werde, scheint sich ursprünglich so
gelöst zu haben, dass die Wiederholung ohne Copula sym-
bolisch eine Vielheit ausdrückte, während durch Einschieb-
ung einer solchen (Gewicht und Gewicht) ein Gewicht einem
anderen gegenübergestellt, mithin ein Dual bezeichnet wird.
Erscheinen im Plural die Personen oder Sachen neben-
einander und gleichzeitig, so kann man sich dieselben auch
1) Ebenso unlateinisch hat sich der Afrikaner Liberatus, Diaconi
breviar. cp. 6' (Migne 68, 981) ausgedrückt, wenn er septem et Septem
episcopi für 14 schreibt. Dichterisch wäre bis septem.
Digitized by
Google
442 Sitzung der phUos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882.
räumlich oder zeitlich getrennt denken, und von dieser die
Vertheilung der Mehrheit andeutenden (distributiven, itera-
tiven) Gemination sind noch Spuren vorhanden. Diese Aus-
drucksweise verletzt nicht einmal, so selten sie auch sein
mag, unser modernes Sprachbewusstsein, da ja Göthe schreiben
konnte (Pandora, 1. Aufzug, 3. Scene gegen das Ende):
Einzeln schafft sich Blum' und Blume
Durch das Grüne Baum und Platz.
So heisst es nun N aber schon in der Vulgata des 4.
(2.) Buches der Könige 17, 29 von den zehn nach Assyrien
entführten Stämmen Israel, gens et gens habe sich ihren
Gott gemacht, aber ebendaselbst auch unaquaeque gens, so
dass die Stämme nicht gemeinsam verbunden, sondern um-
gekehrt vereinzelt gedacht werden, was Luther richtig über-
setzt mit ,ein jegliches Volk 1 . Giebt das alte Testament
selbst schon eine Pluralform, so wird durch die Verdopp-
lung derselben der Begriff der Vielheit noch stärker hervor-
gehoben, so Genes. 14, 10 beerot beerot, puteos multos nach
der Vulgata, Exod. 8, 10 (14) von der Aufhäufung der
todten Frösche chomarim chomariin, nach der Vulgata in
immensos aggeres, nach Luther ,hier einen Haufen und da
einen Haufen 1 .
Oefter begegnet uns in der ältesten lateinischen Bibel-
übersetzung die Gemination von dem Nacheinander bei Sub-
stantiven, welche selbst schon einen Zeitbegriff enthalten.
So lesen wir in dem zweiten Corintherbriefe 4, 16, der
innere Mensch erneuere sich ^/hsqijc xal fjfisQq, was Ter-
tullian Scorp. 13 mit die et die, Luther mit ,von Tag
zu Tag' übersetzt; Exod. 3, 15 in generationem et gene-
rationem, für und für; evang. Luc. 1, 50 in progenies et
progenies, für und für. Aber dass diess weder Griechisch
noch Lateinisch, sondern nur wörtliche Uebersetzung sei,
bedarf wohl des Beweises nicht mehr; mindestens müsste
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 443
es rjftaQ xcct' r^iaq heissen, wo die Wiederholung durch die Prä-
position ausgedrückt ist, und das deutsch-griechische Wörter-
buch empfiehlt erst noch für unser ,Tag um Tag 1 eine grössere
Anzahl von Redensarten, in denen das Substantiv nur ein-
mal vorkommt. Auch die Vulgata hat die oben angeführten
Uebersetzungen grossentheils gegen andere dem lateinischen
Sprachidiom näher liegende vertauscht, so Luc. 1, 50 apro-
genie in progenies ; 2 Corinth. 4, 16 de die in diem, und
an vielen andern Stellen ist die wortgetreue Wiedergabe
des semitischen Originales vielleicht gar nie versucht worden.
Diess zeigen zur Genüge Deuteron. 14, 22. 15, 20 per an-
nos singulos, Genes. 39, 10 per singulos dies, Psalm. 61, 9
de die in diem, Deuteron. 32, 7 generationes singulas,
Esth. 2, 11 quotidie, 9, 21 revertente semper anno, wo
überall der Urtext Gemination des Hauptwortes hat. Nur
an einer einzigen Stelle hat der lateinische Uebersetzer die
Gemination sogar ohne Copula *) beizubehalten gewagt , in
dem Propheten Sophan. 3, 5 dominus mane mane iudicium
suum dabit in lucem, nach Luther richtig jeden Morgen 1 ,
während in der Uebersetzung des Ezechiel 46, 14. 15 von
dem täglich in der Frühe darzubringenden Opfer cata mane
mane, ebendaselbst V. 13 quotidie semper mane gesagt ist.
Damit man freilich in dieser Ausdrucksweise keinen speci-
fischen Semitismus erkenne, müssen wir hier gleich bei-
fügen, dass sie auch in indogermanischen Sprachen heimisch
gewesen ist; denn im Sanskrit finden wir djavi-djavi oder
dive-dive, Tag für Tag, Rig-Veda 1, 4, 1. 1, 25, 4. 2, 20, 2
und oft, im Ganzen in den Veden 46 mal, also nicht aus-
1) Das Asyndeton muss im Hebräischen, wie auch im Lateinischen,
die ältere Form gewesen sein, z. B. schanäh schanah, jedes Jahr,
Deuteron. 14, 22. 15, 20. le dor dor, alle Zeit, Exod. 3, 15; jom jom,
jeden Tag, Genes. 39, 10. Psalm. 61, 9: doch auch mit Verbindungs-
partikel ve (vaj Deuter. 32, 7. Esth. 9, 21. 2, 11. isch ve-isch Psalm
87, 5. Vgl. Gesenius-Kautzsch, hebr. Gr. (1878), § 108.
Digitized by
Google
444 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 6. Mai 1882.
nahms weise, sondern normal, weil ein Adverb — quotannis
fehlt; im späteren Indisch varshe-varshe, alle Jahre; neu-
persisch gäh-gäht, von Zeit zu Zeit. Nach dem Vorbilde
dieser Ausdrücke sind weiter gebildet worden vrätain-vrätain
(Rig Veda 3, 26, 6) Rotte für Rotte, ebendaselbst gaqain-
ganain, Schaar für Schaar ; Sanskr. pade pade, auf Schritt
und Tritt (eigentl. Locativ von pada, Schritt), und ver-
gleichen lässt sich noch das italienische colpo colpo, Schlag
auf Schlag; doch tritt gewöhnlich die Präposition hinzu,
wie in a grado a grado, a passo a passo, a luogo a luogo,
bald hier bald dort, ad uno ad uno^ einer nach dem andern,
successiv.
Sind wir so aus der plurativen Gemination in die itera-
tive gelangt, so lässt sich dieser Uebergang auch iu der la-
teinischen Wortbildung verfolgen. Denn murmur ist zu-
nächst nur ein mur Vieler (vgl. Petron 57 nee mu nee rna
argutas), aber gewöhnlich doch ein eine Zeit lang fortge-
setztes Gemurmel; ähnlich susurrus = sursurrus ein Ge-
säusel, während cincinnus das sich örtlich fortsetzende
Kräuseln des Haares bezeichnet. Indisch marmara rauschend;
lat. marmor der glänzende Stein, von dem sich immer wieder-
holenden Ausstrahlen des Lichtes ; papilio^ Fifalter, ital. fan-
falla, der Schmetterling, von dem lange fortgesetzten Flattern.
Daher ist die Gemination oder Reduplication *) regel-
mässig gebraucht zur Bezeichnung der sich wiederholenden
1) Dass die durch Compositum in der Mitte der Wörter ent-
stehende Reduplication im Lateinischen durch Unterdrückung der ersten
Silbe vermieden wird, z. B. fastidium =z fastitidium, domusio =
domus usio, ist zwar im Ganzen bekannt und auch ruf das Deutsche
(Beamter = Beamteter, Bedienter = Bediensteter, der mit einem Dienste
Betraute) und für das Griechische (xelcctyeyfc = xelaivoreyris , fxojvv
%sg = lAovcSvvxes) in weitem Umfange zutreffend, obwohl es noch an
einer zusammenfassenden Darstellung fehlt. Vergl. namentlich Kuhn's
Zeitschr. f. vergl. Sprachforsch. 14, 415. 20, 79. 347. 22, 98—102. 222.
Digitized by
Google
Wolf f lim Die Gemination im Lateinischen. 445
Laute, so in tintinnire^ welches, von tinnire hergeleitet,
ein längeres Klingeln, z. B. der Ohren ausdrückt. Recht
plastisch sind die Namen einer Reihe von Vögeln, wie
turtur Turteltaube, ulula Eule, upupa Wiedehopf (ertoxp),
cuculus -Kukuk, und im Indischen heisst der Hund kurkura =
der Knurrer. Ihnen entsprechen die Verba wie cuculare
(xoxxi$£w) vom Kukuk, pulpulare vom Geier, cacabare vom
Rebhuhn, cucubare von der Nachteule, pipiare von jungen
pipenden Vögeln, cucurare vom Hahn, singt ja auch die in
einen. Vogel verwandelte Procne nach Virg. Culex 252 Ityn
Ityn. Unser Kikeriki hat sein Analogon in cocococo, womit
Petron 59, 2 den Naturlaut der Hühner ausdrückt, (franz.
coq, Hahn, koxkvKco vom Hahne Aristophanes) und ebenso
sind onomatopoietische Ausdrücke, welche wiederholte Laute
malen, gern geminiert, z. B. taxtax oder taxpax, oder mit
Ablaut tuxtax, wenn es Schläge regnet, Klatsch Klatsch,
wie im Italienischen toppa toppa. Mehr findet man theils
in ~W. Wackernagels Variae voces animantium, 2. Aufl.
Basel 1869, theils in dem zu Anfang genannten Programme
von Jakoby.
Man braucht diese reduplicierten Bildungen durchaus
nicht als einen Sieg der Kunst und der höheren Cuitur in
eine spätere Entwicklungsperiode der Sprache zu verlegen,
da ja die Dopplung im Anfange der Wörter den Kindern
so leicht fällt und man ja das Stottern umgekehrt als eine
Vorstufe des Sprechens bezeichnen könnte. Es kann doch
nicht bloss auf Rechnung des Geschmackes der Ammen ge-
setzt werden (in jener Urzeit gab es überhaupt noch keine),
234. 371 f. Corssen III. 347. 525. Leo Meyer, vergl. Gram. 1, 281.
Fleckeisens Jahrb. f. Philol. 105, 104. Rhein. Mus. 1879. 499. Hermes
1881. 232. Vielleicht ist daher auch vestibulum = vestistibulum,
Aufbewahrungsort der vestis im weitesten Sinne (vgl. naustibulum, vav-
atcc&fios) zu erklären, da ja auch Vitruv 6, 8, 2 das Wort mit stabulum
in Verbindung bringt.
Digitized by
Google
446 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882.
wenn heute noch die Kleinen das Pferd Hühü, den Hund
Wauwau, das Huhn Pipi, die Ziege Didi (im Canton Aar-
gau), den Ludwig Lalu, die Elise Lili, die Emilie Mimi,
die Kinderspeise Pappe (vgl. papa, Varro bei Nonius 81, 3),
das Getränk Memmem (vgl. mamma, Brust, Mutter; Pott
Dopplung S. 32), einen Schmerz (Weh) Wiwi, die Uhr mit
Ablaut Tiktak nennen. Genau entsprechende Bildungen
weist Diez auf romanischem Boden nach, pepere Väterchen,
memere Mütterchen =z Grossmutter, tatan Tante, (vgl. don-
don dickes Weib, fanfan Kindchen) fifile, frefrere, Ghachale
Karlchen, Bdbarpe Bärbchen, bebete Thierchen, cocoche
Schweinchen, boulboul (normannisch) Stier, dedet Fingerchen,
doch (genferisch = cloche) Uhr. Ueber bonbon Zucker-
zeug, joujou Spielzeug, cancan u. ä. vgl. Diez, Gramm. II 8 ,
441. Wenn man diesen sich noch weiter ausdehnenden,
aber fast nur auf die Dinge der Kinderwelt beschränkten
Wortschatz ,Ammensprache' genannt hat, so ist man damit
der Sache nicht auf den Grund gegangen. Vgl. Herrn. Paul,
Principien der Sprachgeschichte, 1880, S. 191. L. Tobler,
Wortzusammensetzung, Berl. 1868. S. 7.
Ist es uns bisher nur gelungen zerstreute Spuren dieser
Gemination aufzudecken, so finden wir eine weitverzweigte
hiehergehörige Wortfamilie in demjenigen Redetheile wieder,
dessen conservativen Character wir schon oben haben kennen
lernen, im Pronomen, und zwar in quisquis und den
davon abgeleiteten Formen (assyrisch m am man, wer nur
immer, hebr. #*# ttfyt, jedermann, Gen. 40, 5. Exod. 36, 4.
Joel 2, 7). Pluralisch dürfen wir diese Gemination nicht
nennen, weil das Pronomen nicht für omnes steht, sondern
die Mehrheit immer in die einzelnen Theile auflöst, so bei
Plaut. Amph. 1, 1 158 quisquis homo huc profecto veneria
pugnos edet =: jeder einzelne, nicht alle zusammen. Das
älteste Latein sagte dafür nach Varro ling. lat* 7, 2, 8
quirquir, was insofern ungewöhnlich ist, als sonst rnn-
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 447
gekehrt das s der archaischen Sprache, das r der classischen
angehört, wie in honos honor, quaeso quaero, lases lares.
Dass quisquis beiden Geschlechtern dient und dafür seltener
in alter Latinität auch quiqui gesagt worden ist, darf als
bekannt vorausgesetzt werden (vgl. Neue, Formenlehre der lat.
Spr. II 2 , 241); dagegen ist es ein in der Lexicographie und
anderwärts beharrlich wiederholter Irrthum eines späteren
lateinischen Grammatikers, dass das Neutrum quidquid
oder quicquid eine Nebenform quodquod gehabt habe.
Las man sie noch bei Sen. contr. 2, 9, 25 (127, 10 Bu.
quodquod simulabat, ad verum redegit), so beruhte sie nur
auf Öonjectur und ist desshalb von Kiesling mit Recht be-
seitigt, zumal man in dem Rhetor kein zweites Beispiel
findet; möglich, dass die Form nicht gebildet wurde, weil
sie sich mit quotquot zu nahe berührt hätte.
Sind die beiden genannten Formen quisquis und quid-
quid in der Latinität immer lebenskräftig geblieben, so ist
eine dritte, der Ablativ quo quo auf ein engeres Gebiet
zurückgedrängt worden. Gebrauchen sie schon Plautus und
Terenz nur in der Verbindung mit modo und pacto, so
haben auch die guten Klassiker mit Vorliebe die erstere
Formel festgehalten, während pactum als Synonymum von
modus, noch häufig bei Cornificius und Cicero de inventione
(Cornif. 1, 26. 3, 2. Cic. inv. 2, 44 und öfters) immer
mehr ztirückgieng. Da Neue, Formenl. d. lat. Spr. II 2 , 247,
bereits die zahlreichen Belegstellen aus den Reden Ciceros
vorgelegt hat, so brauchen wir wohl nur die ältere aus
Cornific. 4, 23 quoquo modo possit und die wenig jüngere
aus Sallust. Jug. 60 quoquo modo potuere, endlich einige
aus den philosophischen Schriften und den Briefen beizu-
fügen, um die Vermuthung von C. F. W. Müller zu Cic.
Laelius 41, in der Ueberlieferung des cod. Paris, quoque
modo potuimus stecke quoquo und nicht quocunqm, beinahe
zur Sicherheit zu erheben. Und wenn gar noch quoquo
Digitized by
Google
448 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882.
modo, wie in der Laeliusstelle, häufig mit posse verbunden
wird, Brut. 237; offic. 3, 118; ad Q. fr. 1, 2, 14; ad
Attic. 2, 4, 1. 8, 12, 1, so wie dreimal in den Reden, quo-
cunque modo dagegen nur ausnahmsweise von Cicero ge-
braucht wird, so lässt die Bündigkeit des Schlusses nichts
zu wünschen übrig. Demnach war quoquo modo nahezu
so zusammengewachsen wie quomodo und quemadmodum,
oder wie das von Cornificius bei der Anführung von Bei-
spielen so oft und so formelhaft in dem Sinne von ita oder
sie oder veluti gebrauchte hoc modo und ad hunc modum.
Von späteren Prosaikern sind namentlich Tacitus (hist.
1, 7. 5, 5. Ann. 2, 50. 3, 5. 17. 19. 73. 6, 38. 12, 46. 14,
16. 15, 53) und Apuleius (metam. 4, 16. 6, 11. 7, 19. 9, 15.
mund. 24 mit posse) bei quoquo modo stehen geblieben,
nur mit dem Unterschiede, dass sie es nicht in relativem,
sondern in indefinitem Sinn gebrauchen, wie schon Cic. epist.
9, 16, 1, wo an der Ergänzung [quo]quo modo nicht ge-
zweifelt werden darf. Man erklärt solche Sätze, wie: ut
quoquo modo liberarem te cura durch Ellipse von posse =
quoquo modo fieri posset.
Die folgenden Casusformen müsseo geradezu als Selten-
heiten bezeichnet werden: der Accusativ quem quem bei
Ter. Hec. 1, 1, 8 (Umpfenb. quemque) 9 den auch Cledonius
mit dieser Stelle belegt; der Nomin. plur* quiqui bei
Plautus, der mit der alten Singularnebenform collidierte;
wenn ausserdem namentlich Juristen, Gaius, Ulpian, Paulus
u. A. Formen wie qua qua als Ablat. sing, (auch Tac. annal.
6, 7) quaequae als Neutr. plur. quosquos conserviert
habe», so verrathen sie auch darin ihr conservatives Prinzip,
und wenn sich ihnen gerade Tertullian de virg. vel. 13
(quaequae), vielleicht auch adv. Marc. 2, 20, sicher de
poenit. 3 (quaqua) anschliesst, so wird er diese Formen
weniger aus der lebendigen Umgangssprache als aus seinen
juristischen Studien — er war ja Advokat — geschöpft
Digitized by
Google
Wolfflin: Die Gemination im Lateinischen. 449
haben. (Unsicher Pseodo-ApuL mund. 27.) Quamquam
als Accus, fem. ist, soviel wir wissen, gar nicht gebildet
worden, offenbar wegen der Collision mit der concessiven
Partikel.
Am meisten aber hat sich die Sprache gegen die Ver-
doppelung der mehrsilbigen Prominalformen gesträubt ; denn
quibusquibus findet sich nur bei Livius 41, 8, 10 und
quorumquorum kennen wir gar nicht. Der Dativ cui-
cui, durch diphthongische Aussprache zweisilbig geworden,
musste wegfallen, weil der Genetiv cuiuscuius durch
Kürzung diese Form annahm, allerdings nur in der festen
Verbindung mit modi, die wir analog auch im Ablativ ge-
funden haben, und so selbst bei Cicero, obwohl er in dem
sorgfaltig stilisierten Werke de fin. 4, 28 und 5, 49 der
Form cuiuscunque modi den Vorzug gegeben hat, wie auch
Sallust Cat. 52, 5 : pacti concurriert in diesem Casus gar
nicht, so wenig als neben eiusmodi und huius(ce)modi.
So sehen wir, dass die lateinische Sprache mit Aus-
nahme zweier oder dreier Casus sich der geminierten Formen
zu erwehren öder deren Weiterbildung zu stören gesucht
hat, was natürlich nur möglich war, wenn sie dafür eine
bessere und deutlichere Ersatzbildung bieten konnte. Eine
solche fand sie in cunque, in welchem cum = quom tem-
poral im Sinne von ,wann, jedesmal wann, immer* zu ver-
stehen ist; also quicumque = wer immer. In que aber er-
kennen wir denselben wiederholten, nur abgeschwächten und
unflectierten Pronominalstamm, so dass der alte Nominativ
quiqui durch die Umbildung zu quicumqui zunächst nur
verdeutlicht, zugleich aber auch in euphonischer Hinsicht
verbessert wurde, indem die Einschiebung der Partikel die
Härte der Reduplication milderte. Auch ist in archaischer
wie in archaistischer Latinität der Mittelweg eingeschlagen
worden, ohne Hülfe des cum den zweiten pronominalen Theil
für alle Casus zu que zu schwächen, so dass quisque für
Digitized by
Google
450 Sitzung der pMos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882.
quisquis, quemque für quemquem gebraucht wird (Brix zu
Plaut. Men. 717 und Zangemeister, Corp. inscr. lat. IV, 1937.
VIII. 1027 im Hexameter quisque sapis. Minuc. Fei. 13, 1.
nicht bei Tertullian und Arnobius, doch sehr oft bei Cyprian
nach Hartel, ind. S. 449, bei Venant. Fort, nach Leo, bei
Auson. VII Sap. Pittac. 5 pareto legi, quisque legem san-
xeris, Cleob. 5 parcit quisque malis, per der e vult bonos).
So ist denn das classische quisque, ein jeder, identisch mit
quisquis, nur mit Ellipse des Verbums est, wer es immer
sei, und beide Arten der Neubildung können nur als ein
Beweis dafür betrachtet werden, dass man die verdoppelten
Formen als eine Last empfand. Am altertümlichsten ist
in diesem Puncte Lucrez; denn er verbindet quidquid mit
Superlativen, wofür man sonst nur quisque gebraucht, so
primum quidquid = pr. quodque 5, 264. 284. 304; sum-
mum quidquid 4, 145; unum quidquid 5, 1454. Daneben
sind die Formen quilibet etc. seit Plautus im Gebrauch.
Betrachten wir diesen Kampf zwischen quisquis und
quicumque näher, so ist er am lebhaftesten um die Ablativ-
form des Mascul. geführt, und selbst das beinahe stereotyp
gewordene quoquo modo heftig angegriffen worden. Hatte
Cicero in den Reden consequent, d. h. an 15 Stellen, an
dieser Formel festgehalten, so schrieb er doch im Orator
§ 69 auch quocunque modo postuldbit causa, und de fin. 5, 30
quomodocunque (cod. Palat. B. quoquomodocunque) dicitur;
ebenso Lucr. 2, 774, Sallust Jug. 103 und Propert. 1, 8, 17
quocunque modo; von dem Philosophen Seneca kann man
sogar in Anbetracht der Grösse seines litterarischen Nach-
lasses sagen, dass er den geminierten Ablativ verworfen,
und nur quocunque modo oder quomodocunque (epist. 36, 6.
98, 14 u. s. w., ebenso Juvenal 14, 117. Florus 2, 11 =
3, 23) gebraucht hat, während Quintilian als Nachahmer
Ciceros nach Belieben wechselte. Wie genau Cicero die
Grenzen seines Sprachgebrauches &bmass, ersehen wir daraus,
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 451
dass er, obschon er quoquo modo billigte, doch nur qua-
cunque ratione schrieb, Catil. 2, 11. offic. 1, 43 u. s. w.
wie ad Q. fr. de pet. cons. 18 quibuscunque ratiönibus.
Blieb also für den Ablativ der Usus schwankend und
von dem subjectiven Geschinacke des Einzelnen abhängig,
so bot die Bildung mit cumque unter allen Umständen die
Möglichkeit, die fehlenden Casus von quisquis zu ergänzen,
z. B. quorumcumque stilus velox est Sen. controv. 1. praef. 18;
quoscumque audivi Cic. Q. fr. 1, 2, 4; Nomin. plur. qui-
cunque estis Sen. contr. 1, 2, 21; quicunquc fuerant Sen.
epist. 21, 6; und während Seneca epist. 18, 7. 78, 8 und
oft quidquid aliud geschrieben hatte, bildete er den Plural
mit quaecunque alia Epist. 14, 11. Durch das nämliche
Mittel wurde auch die Bezeichnung des Geschlechtes unter-
stützt durch Bildungen wie: quaecunque quinquennio non
peperit bei Sen. controv. 2, 13. 14. 15. Was die Stelluug
von cumque anbetrifft, so hat es sich zwar in der Regel
an das Pronomen unmittelbar angehängt, doch haben wir
schon im Vorhergehenden Beispiele eines freieren Gebrauchs
gefunden, und speziell die Dichter haben sich nie in eine
feste Regel zwängen lassen. Vgl. Ter. Andr. 1, 1, 36 cum
quibus erat cumque una; Manil. 3, 141 movent ut mundum
sidera cumque, und noch Apul. mag. 54 quod conditum
cunque.
Da nun quisquis und quidquid nie zu Falle gebracht,
ja nicht einmal erschüttert werden konnten, so lag es nahe
die Doppelformen quicumquc und quodcunquc uicht als nutz-
lose Doppelgänger stehen zu lassen, sondern syntactisch zu
differenzieren, zunächst so, dass man die eine Form substan-
tivisch, die andere adjectivisch anwandte. So gebrauchte
das archaische Latein quicunque lieber ohne Substantiv, z. B.
in der lex Papiria tribuuicia des J. 213 v. Chr. Quicumque
praetor f actus erit, und darum hat es einen alterthürnlichen
Anstrich, wenn Cic. de rep. 1, 50 schreibt: cum esset haben-
[1882. 1. Philos.-phüol. bist. Ol. 3.] 30
Digitized by
Google
452 Sitzung der phüos.-phüol. Classe Dom 6. Mai 1882.
dus rex, quicumque genere regio natus esset. Allein die
Scheidung ist nicht durchgedrungen und in der Classicität
eher quisquis auf den substantivischen Gebrauch angewiesen
worden, so dass quisquis color, q. honos bei Virgil und
Horaz als dichterische Freiheiten gelten, die der doch sonst
nicht von dichterischem Geiste getragene Naturforscher
Plinius in geschmackloser Weise nachgeahmt hat. Vielleicht
aus Rücksicht auf den Wohllaut hat Cic. epist. 10, 31, 3
umgekehrt gesagt : quicunque is est, (mag der Alleinherrscher
Cäsar oder Pompejus oder sonst wie heissen) ei me profiteor
inimicum.
Dass es mit der Unterscheidung der Neutral formen
eher schlimmer stand, kann man an einer einzelnen, oft
gebrauchten Redensart deutlich nachweisen. Bei Terenz
Heaut. 3, 1, 75 lesen wir: quod cuique cunque inciderit in
mentem, und ebenso bei Cic. fin. 4, 43. 47; daneben aber
quidquid in mentem venu, incidit bei Cic. Attic. 9, 9, 1,
oder vulgär quidquid in buccam venit ad Attic. 1, 9. 12,
1, 2. Martial 12, 24, 5. Hieron. epist, 2, 9 extr. Pompeius
schreibt (Cic. Att. 8. 12% 4) quodcunque militum contrahere
poteritis, und Livius 22, 8, 4 quodcunque adversi inciderit
(vgl. Fabri-Heerwagen zur St.), wofür Cicero quidquid ge-
sagt hätte. Dichter und nachclassische Prosaiker lassen
beide Formen wechseln, so Tibull 4, 4, 7
Et quodcumque malist et quidquid triste timemus.
Prop. eleg. 2, 1, 15
Seu quidquid fecit sivest quodcunque locuta.
Sen. epist. 97, 7 quidquid prospici potest . . . quodcumque
laesurum est.
Darum darf aber der sorgfältige Stilist die Formen
doch nicht promiscue gebrauchen, da die guten Classiker
oft deutlich genug unterschieden haben, z. B. Cic de orat.
1, 51 quidquid erit, quacunque ex arte, quocunque de genere.
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 453
Jeder Leser wird quicumque adjectivisch verstehen in Cic.
Orator 12, oratorem si modo sim aut etiam quicunque
(= qualis) sim, wo der Conjunctiv durch den Accus, c.
inf. veranlasst ist, oder Cic. offic. 3, 27 homini quicumque
sit, mag er hoch oder niedrig gestellt sein, wogegen quis-
quis est bedeutet, möge er der A oder der B sein. Sogar
die Dichter suchen trotz der Fesseln des Metrums der
Grammatik zu ihrem Rechte zu verhelfen, wie Tibull 4, 2,
17, metit quidquid . . . et quascumque gemmas colligit; Mar-
tial 6, 68, 1 1 quidquid id est, subitae quaecungue est causa
rapinae. Darnach sind beispielsweise normal geformt Sätze
wie Sen. suas. 1, 1 cuiuscunque rei magnitudinem natura
dederat; Cic. fin. 4, 76 cuicunque artißcio praesunt; Cic.
Mil. 96 quemcumque casum fortuna dederit et quaecumque
fortuna erit oblata; Cic. Rab. Post. 21 quaecunque mens
illa fuit et quoquo consilio (für Cicero möglich nach Ana-
logie seines quoquo modo) fecit.
Die Sprachentwicklung ist somit auf halbem Wege
stehen geblieben. Hätte sie die alten verdoppelten Formen
sämmtlich beibehalten und ihnen die mit cumque an die
Seite gestellt, so hätte sie ein Mittel gehabt den substan-
tivischen und den adjectivischen Gebrauch genau zu scheiden;
da sie aber nur zwei Geminationen sanctionierte und eine
dritte nur halb, so konnte auch von keiner consequenten
Trennung die Rede sein, weil der Ausweg verfehlt wurde,
quicunque im Gegensatz zu dem indefiniten quilibet nur als
Relativum zu gebrauchen. Andrerseits hat sie wohl quis-
quis als Relativum, quisque als Indefinitum geschieden, aber
auch das nicht ohne Ausnahmen, wie oben gelegentlich be-
merkt worden ist.
Wenn nun schon bei quisquis von der Vorstellung
einer Mehrheit ausgegangen wird, so gilt die Aussage doch
nicht von Allen miteinander, sondern nur von jedem Ein-
30*
Digitized by
Google
454 Sitzung der philos.-phüöi. Glosse vofn 6. Mai i88$.
zelnen, und darum wird das Pronomen kaum v.a%a ovveoiv
mit dem Plural verbunden werden , obschon diess bei dem
indefiniten quisque häufig genug der Fall ist, z. B. Plaut.
Capt. 497 ubi quisque vident, wozu man die Note von Brix
vergleiche. Aber während quisquis fecit ursprünglich be-
deutete ,jeder, der es gethan hat 4 , sowohl der A als auch
der B u. s. w. in welchem Falle der Indicativ allein zu-
lässig war, kann es bekanntlich auch heissen ,wer es auch
gethan haben möge 1 , so dass unter Vielen die Auswahl ge-
lassen, aber nur Einer als der Thäter gedacht wird. Dieses
quisquis werden wir nicht mehr plurativ nennen dürfen,
wie man es auch nicht durch einen Plural umschreiben
könnte. In diesem zweiten (verallgemeinernden) Sinne sind
die Lokaladverbien quo quo und qua qua und das con-
cessive quam quam zu verstehen: es ist immer nur ein
Ort, ein Grad gemeint und nur frei gelassen denselben
nach Belieben zu bestimmen. Wie nun cum in quicumque
(irgend einmal, jedesmal, immer) die Personen oder Dinge
zeitlich auseinanderlegt, so können quoquo und andere Ad-
verbia (s. unten) eine örtliche Bestimmung erhalten durch
gentium Plaut. Merc. 5, 2, 17; Solin. 22, 8 (pg. 114,
10 M.), durch t er rar um Ter. Phorm. 551 (indefinit Tac.
ann. 14, 1), durch locorum (ubicunque) Apul. mag. 40,
durch orbis Solin. 21 (pg. 111, 13 M. q. o. velis , exeas).
Denken wir uns quoquo loci, so ist quicumque dem Sinne
nach =z qui temporis qui eine durchaus änliche Bildung;
nur konnte sich die einsilbige Partikel in die Mitte ein-
schieben, wogegen das Substantiv sich hinten anhängt.
Quoquo wird von Plautus mit, Verben der Bewegung
und Richtung, wie mittere, spectare verbunden, Aulul. 5,
3, 1; Cure. 5, 3, 22; Pseud. 858. quoquo versum oder
vorsum, wie bei Cato de re rust. 15. 22. 46 K. ohne Vari-
ante überliefert ist, blieb technischer Ausdruck für in omnes
partes, findet sich daher sehr oft bei Vitruv, aber auch bei
Digitized by
Google
WÖlfflin: Die Gemination im Lateinischen, 455-
Cäsar, bei Cic Phil. 9, 17 locum sepulchro pedes triginta
quoquo versus adsignet, bei Apul. met. 2, 2. 4, 6. 8, 27 u. s. w.
woraus sich denn erklärt, dass Cicero Lael. 6, 22 sich zu
schreiben erlaubte quoquo te verteris, de divin. 2, 24 quoquo se
verterint Stoici, parad. 3, 20 g. verteris, Epist. 7, 24 1 q. tne verti,
während er das Adverb mit andern Zeitwörtern nicht verbunden
zu haben scheint. Die von Nipperdey in den quaest. Caesar,
pg. 71. 72 aufgestellte Unterscheidung, dass nur im Relativ-
satze quoquoversus, in allen andern Fällen die von quisque her-
geleitete Form quoqueversus zu gebrauchen sei, findet in
den Handschriften nicht genügende Bestätigung. Während
die classische Latiuität sich des adverbiellen quoquo mit
Ausnahme der Verbindung mit verto im Ganzen enthielt (Ti-
bull 4, 2, 7 quidquid agit, quoquo vestigia movit ist Aus-
nahme), haben die Afrikaner sie wieder aufgenommen, Apul.
mag. 63 quoquo eam, mag. 14 velis; mag. 52 duxerit; Ter-
tullian de anima 21, später Solin 12, 13 (87, 19 M.) q. eant
(Variante eunt) coniuges evagantur. Sidonius Apollinaris
gebrauchte das Wort in uncorrecter Weise auf die Frage
Wo? Epist. 4, 2. 7, 11 Bar. quoquo loci es und est. Der
Ersatz ist in quocumque, welches schon Lucr. 3, 51. 4,
166. 424 neben quolibet (4, 901) bevorzugte, von selbst ge-
geben, und gerade Cicero, welcher sich für quoquo modo
entschieden hatte (oben S. 447), musste quocunque in die
Function des Adverbs einsetzen, z. B. Verrin. 5, 167 q ve-
ner int; Mil. 1 q. inciderunt (oculi); orat. 52. Indessen hat
auch die ganze silberne Prosa diese geminierten Formen
perhorresciert , z. B. Seneca epist. 12, 1 quocunque me
verti, 12, 4 q. adverteram, 19, 4 fugeris, 21, 8 transtuleris,
9 ierint, u. ,s. w.
Qu aqua (ergänze parte oder via) ist plautiuisch (Mil.
2, 1, 14 incedit, Epid. 5, 2, 9 tangit), bereits von Lucret.
(1 , 507 quacunque vacat spatium . . . qua porro cunque
tenet se corpus, 1076 motus q. feruntur^ Uli etc.) abge*
Digitized by
Google
456 Sitzung der philos.-phäol. Classe vom 6. Mai 1882.
worfeü, dann von Apuleius z. B. metam. 4, 6 und Amtnian
14, 6, 17 wieder aufgegriffen, von Classikern durchweg ver-
mieden und nicht einmal in der Verbindung mit versus zu-
gelassen. Der gewissenhafte Stilist muss dafür quacunqtte
schreiben mit Cic. fin. 5, 5 q. ingredimur, de leg. agr. 2,
34 u. s. w. oder qualibet nach Plaut. Most. 809 R. u. A.
Quamquam, wörtlich ,wie sehr auch immer 1 , ist,
wenn man von quamlibet absieht, allein durch keine Con-
currenzform bedroht worden; vielmehr ist quamcunquc
auf den Accus, sing, beschränkt, während die Conjunction
der Gemination treu blieb. Dafür hat diese Bildung zuerst,
nach Analogie von licet u. ä. bei Dichtern den Coniunctivus
hypotheticus zu sich genommen, der in der silbernen Prosa
solche Aufnahme gefunden hat, dass er bei Tacitus über-
wiegt und in der Vulgata sogar allein vorkommt. Das
Spätlatein begann überhaupt zu den verallgemeinernden Re-
lativa auch den Coniunctiv zu setzen, der im Französischen
nach quiconque Regel geworden ist.
Der Gang der Untersuchung führt uns von quoquo und
quaqua auf ubiubi, undeunde, utut, da diese Formen von
jenen sich nur dadurch unterscheiden, dass das c oder q im
Anlaute abgefallen ist, während es sich beispielsweise in
sicubi = si cubi = si alicubi erhalten hat.
Es verlohnt sich der Mühe, was Neue übergangen
und Holze II, 292 nur mit drei Beispielen andeutet, den
Gebrauch von ubiubi zu verfolgen. Es ist nämlich an
sechs Stellen bei Plautus überliefert (Asin. 287. Cas. 3, 6, 5.
Cure. 97. Epid. 3, 4, 60. Mil. 1379. Rud. 1210), beruht
auf Conjectur Bacch. 1087 qui quomque [ubi]ubique sunt,
wo es in ungewöhnlicher Weise Pronom. indefin. statt rela-
tivum sein inüsste, desgleichen auf Ergänzung Pseud. 580
[ubi]ubi congrediar, wo das Verbum auffällt, weil sonst das
Adverb bei Plautus nur mit esse, zweimal ausserdem mit
gentium verbunden erscheint, wie auch bei Terenz Andr, 684«
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 457
Enn. 295. 1042. Vollkommen entspricht dagegen dem
Sprachgebrauche die Conjectur bei Attius trag. 425 Rib.
ubiubi est statt des überlieferten ubi, und der Vorschlag
von Andr. Spengel bei Publil. Syr. 154 Exuli ubi[ubist],
nusquam domus est, den Ribbeck billigt; wogegen Ritschis
auf die editt. vett. gegründete Lesart bei Aquilius Com. 6
Rib. ubiubi monebat wegen des Verbums Bedenken erregt.
Während nun die classische und sogar die silberne
Latinität dem Worte consequent ausweicht, mit Ausnahme
von Livius 42, 57, 12 ubiubi essent conversuros aciem (denn
Cic. Tusc. 1, 70 ist die Conjectur ubiubi sit längst aufge-
geben) , holt es wieder Frontos Schüler , Marcus , hervor,
pg. 70 N. ubiubi es, ferner der gleichzeitige Pseudosallust
in Cicer. 1, 1 ubiubi M. Tullius leges defendit, und Ter-
tullian de resurr. carn. 15; auch die Juristen haben es nicht
vergessen nach Dirkgen manuale 983. Noch spät erscheint
es bei Liutprand von Cremona in der Antapod. 3, 21. legat.
44. 58. Die Fähigkeit auch auf die Zeit übertragen zu
werden, wie das einfache ubi, hat das Compositum nie er-
langt: dagegen ist es interessant zu beobachten, wie das
Spätlatein seine Abneigung' gegen das zweigliedrige Asyn-
deton darin äussert, dass es die Copula et einschiebt. Vgl.
Pardessüs, diplom. chart epist. leg. N. 282 (anno 636
p. Chr.) ubi et ubi, in quascunque regiones; 518 (a. 721)
ubi et ubi, in quiscunque libet pagis und nochmals 569 (743).
Die Ersatzbildung ist eine doppelte, in erster Linie und
schon sehr frühe ubicumque, gern durch gentium, locorum,
terrarum u. ä. verstärkt; bei Plautus Bacch. 252 noch in
Tmesis ubi fit quomque mentio; in der Asin. 110 (ubi erisP
ubiquomque lubitum erit animo meo) und bei Ter. Heaut.
578. Hec. 608, bei Inc. trag. 92 Rib. (patria est, ubicum-
que estbene), Lucr. 1, 980 schon zusammengewachsen, mehr-
mals bei Cicero und normal in classischer Latinität nament-
lich mit esse (Cic. Verrin. 5, 55» Phil, 2, 113. nat. d. 1, 121.
Digitized by
Google
458 Sitzung der phUos.~phüol. Glasse vom 6. Mai 1882.
Epist. 2, 5, 1. 5, 17, 4. Attic. 3, 25. Caes. b. Gall. 7, 3.
Hör. Epist. 1, 3, 34), bei beiden Seneca, controv. 2, 1, 4.
7, 5, 13. 7, 7, 15. Epist.. 62, 1. 71, 21. 77, 4. 89, 21 u. s. w. J )
Ausserdem sagen Cicero u. A. umschreibend quocumque
inloco, z. B. Martial 14, V quo vis cunque loco; Sen. tranq.
an. 1, 4 und Augustin ulilibet.
Seltener ist in archaischer Latinität undeunde, sehr
unsicher bei Plaut. Pseud. 106 (undeunde dicam, nescio),
nicht viel besser bei Catull 67, 27 (et quaerendus [unde]
unde foret), verbürgt bei Hör. Sat. 1, 3, 88 numos u. extricat,
was für uns wichtig ist, weil damit das Fortleben der Form
in der Volkssprachp constatiert wird. Erst Apuleius (met. 5,
30 solatium u. spernendum) und Tertnllian greifen das Wort
wieder auf, schwerlich aus der Leetüre des Plautus ; letzterer
an zahlreichen Stellen adv. nat. 2, 12 (Conjectur von Oehler),
test. an. 1, adv. Marc. 3, 9 (dreimal), 4, 33. adv. Herrn.
1) Diese und die folgenden Fragen wird die historische Syntax
im Capitel der Localsätze zu hehandeln haben. Wenn ich die Ab-
sonderung dieser heute nicht anerkannten Satzart verlange, so will ich
zur Rechtfertigung nur in Kürze beifügen, dass man die Localsätze nicht
unter die Relativ- (Adiectiv, Attributiv) sätze stecken darf; denn die
Temporal-, Causal-, Comparativ- u. a. Sätze sind der Form nach auch
Relativsätze, werden aber selbstständig behandelt. Da man nun bei
den Partikeln eine locale, dann eine temporale, endlich eine modale Be-
deutung unterscheidet, so müssen in der Syntax den Temporalsätzen
noth wendig die Localsätze vorausgehen, möge darüber viel oder wenig
zu sagen sein. Immerhin werden, analog den Sätzen mit quom tum,
eo quod, ut ita die mit tibi ibi, unde inde, quo eo, qua ea, quatenus
eatenus, quousque eousque u. a. zu besprechen sein. Dabei dürfte
Manches Unbekannte an das Tageslicht kommen, z. B. dass die classische
Latinität eatenus quatenus vermieden hat (Cicero eatenus qua oder
e. quoad) f und dass zuerst die der Deutlichkeit huldigenden Juristen
Gaius (4, 73), Ulpian, Javolenus u. A. und nach ihnen Spätlateiner die
monotone Form angenommen haben, ausser Celsus Veget. mil. 4, 41.
Gromat. 42, 15 L. Schol. Bob. Cic. pg. 300 Or. August, retract. 1, 11,
3. 1, 19, 2. u. A.
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 459
10. 22. 27. de anhna 51 als Relativuni und Indefinitum.
Es vermochte aber, wiewohl es auch in der juristischen
Litteratur einen schwachen Halt hatte (Dirksen Manuale 1013),
bei der allgemeinen Antipathie gegen die Geminationsbild-
ungen nicht mehr durchzudringen und kann daher bei
Sidonius Apollinaris epist. 4, 2 (9) (non u. quarumpiam
personarum voluntates inquirerem), Marc. Empir. u, A. nur
als gelehrte Reminiscenz betrachtet werden. Die Ersatz-
bildung undecumque tritt uns auch hier wieder zunächst
in Tmesis entgegen bei Lucr. 6, 1015 unde vacefit cunque
locus, in der guten Prosa als ein Wort; undelibet zu-
erst bei Cornific. 4, 63 als indefin.
Noch am meisten Glück hatte utut, welches den vier-
silbigen Schwesterformen gegenüber sehr im Vortheile war;
von einer Verdopplung der altern Form uti ist uns nichts
bekannt; Schon bei Plautus ist es zwar am häufigsten mit
est verbunden (Bacch. 1201. Merc. 3, 2, 15. Pseud. 298.
310.)» ebenso bei Terenz Phorm. 468. 531, synonym bei
PI. Most. 530 utut res sese haec habet; allein es tritt auch
zu den mit esse umschriebenen Tempora, PI. Amph. 1101
utut meritast, Cist. 1, 1, 110 utut est meritus, Amph. 397
utut facturus, Ter. Ad. 630 rem utut erat gcsta> Ad. 248
utut haec sunt acta, und bei Plautus Merc. 1, 1, 81 ganz
frei zu animum offirmo meurn (?). Cicero hat die Form
nicht so verworfen, wie ubiubi und undeunde, sie aber doch
nur ungern gebraucht, Verrin. 11, 1, 4 utut esset hoc iu-
dicatum, ad Attic. 15, 25 utut est res; ibid. 15, 26 \ut]ut
erit. Die silberne Latinität hat sich noch viel consequenter
von dem Worte fern gehalten und auch die Spätlateiner
(Tertull. adv. Hermog. 41 und wohl auch adv. nat. 1, 10,
wo Havercamp das handschriftliche ut aut so verbessert hat)
sind so massig, dass man es tadeln muss, wenn die Neu-
lateiner es so häufig gebrauchen.
(Ueiphbedeutende Redensarten, die man an die Stelle
Digitized by
Google
460 Sitzung der phüos.-ph'dol. Classe vom 6. Mai 1882.
setzen konnte, gab es mehrere; einmal quidquid est, welches
wenigstens unter bestimmten Umständen in die Lücke tritt,
namentlich aber das oben erwähnte quoquo modo, welches
genau die nämlichen Verbindungen eingeht, nämlich mit
est Cic. Q. fr. 1, 2, 14; mit res se habet Cic. epist. 4, 12, 1.
ad Q. fr. 2, 2, 1. Attic. 10, 4, 6. 14, 13 b , 3. Verrin. 5, 89.
Ligar. 23; mit meritus sum Cic. Mil. 93. Tac. Anual. 3, 17.
Das Einfachste, durch die Analogie Gegebene war freilich
utcumque zum Nachfolger zu machen, was die archaische
Latinität nur darum nicht gerne that, weil das Wort bei
Plautus (Epid. 1, 1, 47. Poen. 3, 5, 9) und bei Horaz die
Bedeutung von ,sobald 4 (ut primum) hat. Bei Cicero ist
das Wort ganz gewöhnlich, fin. 5, 11 utcunque res postu-
aret, offic. 1, 135. or. ad Quir. 23, ebenso bei Virgil,
Tibull, Properz, Ovid, Livius, Seneca u. a. Die Lieblings-
formel ist auch hier utc. est (Tibull 3, 4, 11. Livius praef.
3. 42, 40, 3. Sen. epist. 15, 8. 24, 6) und u. res se habet
Liv. 37, 54, 7. Plin. Epist. 7, 33, 10. Durch Ellipse des
Verbums wurde die Relativform in der silbernen Latinität
eine indefinite, z. B. Suet. Tib. 1 1 utcunque meritae (s. oben)
quidquid umquam dcmo dedisset concedere, so wenig sie es
auch verdient hatte: in Verbindung mit tolerare und Syno-
nymen (Liv. Curt. Sen. epist. 83, 21. Quintil.) kann es mit
,wohl oder übel, leidlich 1 übersetzt werden. Dass aber die
Form doch einmal uticunque gelautet habe, scheint aus der
Verkürzung utique hervorzugehen, die sich mit quandoque
= qwxndoeunque vergleichen lässt.
Ausser quis sind auch noch quantus, qualis, quotus
einer Verdopplung fähig. Quantusquantus (oaog ooog) ent-
gieng schon den lateinischen Grammatikern wie Priscian
(vgl. auch Gramm, lat. 5, 207, 25 K.) nicht, da sie es bei
Plautus Poen. 3, 4, 28. Ter. Ad. 394. Phorm. 904 fanden;
dass es in der Volkssprache fortlebte, verbürgt die Stelle
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 461
Cic. ad Attic. 12, 23, 3 "quantiquanti, bene emitur quod
necesse est, die an den alten Cato erinnert, und die pompei-
anische Inschrift (corp. inscr. 4, 3061), sowie der Gebrauch
bei Apul. met. 9, 35 quantulumquantulum nicht anders zu
interpretieren sein wird. Wenn es Markland bei Cic. de domo
118 verlangte, so widerstrebt die Form freilich dem jdleren
Stile, so dass wir mindestens dem grossen Redner eine
Ersatzbildung zuschieben müssten; findet man es noch im
Kirchenlatein (evang. Luc. 5, 3 inducere a terra quantum-
quantum nach cod. Cantabr.), so wird man es auch den
Juristen zutrauen, und bedauern, dass Dirksen Man. 800
die Stelle des Ulpian Dig. 38, 5, 1, 2 legare quantumquantum
vellet übersehen hat. Quant uscunque wird von Cicero
und Livius oft von der Grösse wie von der Menge gebraucht
(vgl. Madvig, Emend. Liv. zu 27, 45, 3); eine Steigerung
dazu ist quantuluscunque, von Cicero ab nicht selten, z. B.
Martial 11, 14, 2. quicquid est, quantumcumque est Pseudo
Apul. Asciep. 16 und ebenso übersetzt die Vulgata Hebr.
10, 37 jämqov oaov ooov nicht wörtlich, sondern mit quan-
tultmtcumque; quantuslibet seit Ovid und Livius ; durchaus
vulgär quammagnuscunque in dem Compend. Vitruv.
p. 303, 4 Rose.
Qualisqualis und qualiterqualiter ist nament-
lich den Juristen geläufig (Dirksen Man. 797) und arta%
elqrjiievov bei Tertullian de anima 54 qualiterqualiter vo-
lunt; Cicero sagt qualiscunque ad Att. 13, 41. 14, 14
oder qualislibet (pron. indefin. Nat. deor. 2, 93) und
auch die silberne Latinität nur qualitercunque.
Quotquot wird aus quotiquoti entstanden sein, wie
tot aus toti. Das Alter der Bildung lässt sich aus den
Wörterbüchern nicht mit Sicherheit bestimmen, da, man
weiss nicht ob zufällig, Belege aus der archaischen Latinität
fehlen , obschon doch sonst alle Analogie für ein hohes
Alter spricht» Jn der alten Gesetzessprache heisst es bei
Digitized by
Google
462 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6. Mai 1882.
Cic. leg. 3, 8 quotcunque senatus creverit populusve iusserit,
tot suntOy wo man um so weniger an Modernisierung durch
Cicero glauben möchte, als ja das archaische creverit == de-
creverit treu bewahrt ist. Cicero hat selbst auf eigene
Rechnung und Gefahr de invent. 2, 145 quotquot erunt ge-
schrieben, während die Form Epist. 11, 23 auf Cratander
beruht und jetzt der Lesart quot gewichen ist. Bekannt
sind Catulls Verse 42, 12
Adeste hendecasyllabi, quot estis
Omnes undique, quotquot estis omnes.
In der Zusammenrückung quotquotannis (Varro ling.
lat. 9, 24) = alljährlich wurde die eine Silbe unterdrückt
und quotannis allgemein recipiert (s. S. 444 Anm.), während
quotquot mensibus, omnibus mensibus, singulis mensibus
nebeneinander bestehen blieben, Varro 5, 47. Jordan im
Hermes 1881 , 232. In Anbetracht dass noch die Vulgata
quotquot an einem Dutzend Stellen hat, (Evang. Luc. 11, 8
Var. quantos) und noch Richer. hist. 1, 7, kann man doch
nicht behaupten, dass die geminierte Form stark angegriffen
oder gar verdrängt worden sei, wenn auch quotcumque
ebenso alt (Catull 64, 280) und ebenso häufig sein mag;
quotlibet Hyg. astron. 1, 6 ist nur Lesart jüngerer Handschr.
statt quaslibet.
Hier ist, so viel mir bekannt, die Gemination des Pro-
nom. qui stehen geblieben; die Personalpronomina meine,
tete, sese lassen sich nicht wohl in Parallele bringen, da
die Bedeutung eine verschiedene ist. Die bisher erläuterten
'Bildungen sind sämmtlich alt und auch die von den Juristen
geretteten als solche anzusehen; wie Koffniane (Gesch. des
Kirchenlateines 138) sagen konnte, das spätere Latein habe
eine Reihe von Verdopplungen gebildet, ist mir unverständ-
lich. Mit Ausnahme von quisquis, quidquid, quamquam,
quotquot haben die Classiker und die Autoren des silbernen
Digitized by
Google
Wolfflin: t>ie Gemination im Lateinischen. 463
Lateins sämmtlichen Bildungen stärkeren oder schwächeren
(diess bei quoquo) Widerstand entgegengesetzt, und nicht
ohne Erfolg: sie empfanden sie als rohe und meistentheils
übelklingende, und sie scheuten sich daher nicht, durch
Zulage von 1 — 2 Silben organischere herzustellen. Wurde
schon der Gemination zweisilbiger Worte entgegengearbeitet,
so ist die dreisilbiger nur in qualiterqualiter erhalten; in
allen andern Fällen musste man cunque zu Hülfe nehmen,
z. B. quotienscunque oder quotieslibet (Boeth. inst, music. 1, 4),
nicht quotiensquotiens ; quandocunque oder quandolibet (Neuer-
ung des Lact. opif. dei 4, 7), nicht quandoquando. Den
nämlichen Grundsätzen sind auch andere Sprachen gefolgt.
Forschen wir weiter nach, ob sich diese Gemination
oder Reduplication (denn die Reduplication in der Wort-
bildung ist doch gewissermassen nur eine unvollständige
Gemination) bei andern Redetheilen nachweisen lasse, so
dürfen wir sie wohl für das Sumerische im Verb um finden.
In dieser Sprache nämlich drückt die Verbalreduplication
die fortdauernde (also sich immer erneuernde, wiederholende)
Handlung aus, da die Assyrer die betreffenden Formen mit
ihrem Präsens wiedergeben. Deutlicher tritt der Begriff der
Wiederholung hervor in einer Gerundialbildung des Sanskrit,
utthäya u. so oft man aufsteht, und noch deutlicher bei
dem Afrikaner Luxorius N. 327, 5 anthol. lat. R.
Mox cadit et cadit et rursum cadit, inde rcsurgit.
So auch im Deutschen: sinkt und sinkt, weint und weint.
Endlich glaube ich sie im Comparativ des Adiectivs
gefunden zu haben, wo die Gemination zur Bezeichnung
eines successiven Zunehmens oder Abnehmens dient ; während
nämlich der einfache Comparativ eine Eigenschaft als seiend
und bleibend bezeichnet, drückt die Wiederholung des Com-
parativs die im Werden begriffeue Entwicklung aus.
Digitized by
Google
464 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882.
Die Wiederholung in der Zeit wird bei magis magis-
que sehr oft noch besonders durch in dies 1 ) ausgedrückt,
von Cicero fil. Epist. 16, 21, 2 (duplicari), Sallust Cat. 5, 7
(agitabatur), 20, 6 (accenditur; nach cod. Vatic), Jug. 7, 6
(amplecti), Fronto p. 187 (augetur), Apul. met. 11, 21
(gliseebat), Inc. paneg. in Constant. (814 (venerari), Spart.
Hei. 6 (adgravari), Dictys 1, 19 (saeviens), 3, 3 (aestuare);
durch in dies et horas von Catull 38, 3 (malest); durch
cotidie von Cic. Brut. 308 (probabatur), Philip. 1, 2, 5
(minttari), ad Attic. 14, 18, 4 (cogito), entsprechend bei
Augustin civ. d. 13, 10 cotidie fit minus minusque; durch
semper von Tibull 1, 7, 64 (candidior s. eandidiorque
veni); durch s üb in de von Pomp. Mel. 2, 79 (grandis et
subinde grandior) ; durch quotannis Priap. 86 (85) 4
(beata). So wenig diese hinzutretenden adverbialen Aus-
drücke unumgänglich nothwendig sind, so wenig darf man
sie als müssig auffassen ; vielmehr bestimmen sie die Wieder-
holung, welche durch die Gemination nur im Allgemeinen
aasgedrückt wird, genauer nach den einzelnen Zeitmomenten.
Genügt somit ,es wurde schlimmer und schlimmer 1 , so wird
diess doch näher präcisiert durch den Zusatz ,von Stunde
zu Stunde, von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr 4 ; nur
empfiehlt es sich dann vom Standpunct einer vernünftigen
Oekonomie in der Sprache dafür den zweiten Comparativ
fallen zu lassen. Auch das Uebrige, was an diesen Ver-
bindungen Interesse erregt, wird sich am leichtesten an der
häufigsten Formel magis magisque beobachten lassen, die
in plus plusque (Plaut. Aulul. 3, 6, 11. Cic. Att. 6, 2
in dies diligebat; piü e piü, Blanc Vocabolario dantesco
p. 2 fg.) nur sehr schwache Concurrenz hat.
1) Diess ist eigentlich ein Pleonasmus, da dem strengeren Stile
Ciceros magis in dies (p. Mil. 25) vollkommen genügt, ebenso dem
reiferen Sallust hist. 3, 61, 28 u. a.
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 465
Einmal bietet hier das Griechische eine Analogie in
txXeov tvXsov bei Aristophanes, \iaXkov iiaXkov bei Menander.
Dann darf es als sicher gelten, dass das asyndetische, dem
Griechischen entsprechende magis magis, erhalten bei Catull
38, 3. 64, 275 nnd Virgil Georg. 4, 311 die älteste Form
gewesen sein muss. Das classische Latein gab dem magis
magis que (welches Lucilius durch ein Wort zu trennen
pflegt, Aetna V. 482. 526) den Vorzug, so dass es über-
flüssig sein dürfte, hiefür Beispiele anzuführen; das älteste
ist vielleicht Plaut. Pseud. 1197. Magis et magis ist
bei Dichtern zu entschuldigen, wie Priap. 86 (85) 4, anthol.
Lat. II, 240, bei Cic. Attic. 14, 18, 4 jedenfalls Ausnahme,
und daher unsicher, ob Cic. Attic. 16, 3, 1 gerade magis
[et magis] delectari zu ergänzen sei. Ungleich gebräuch-
licher, in Prosa wie in Poesie, ist magis ac magis,
allerdings nicht bei Cicero, wohl aber bei Lucr. 3, 546. 6,
126. Hör. Sat. 2, 4, 60 und namentlich in der silbernen
Prosa bei Sen. dial. 5, 1, 4. benef. 2, 14, 4. nat. q. 3, 25,
12. epist. 114, 25; bei Sueton Vit. 11. Tit. 3. gramm. 3;
bei Tacitus und Plin. epist. 7, 3, 4. 10, 28, 3, wenn auch
nicht bei Quintilian. Magis atque magis passte den
hexametrischen Dichtern wie Catull 68, 48. Virg. Aen. 2,
299. Hör. Sat. 2, 3, 318. Seren. Sammon. 372. 901. 946.
anthol. lat. I. 1. pg. 46 R, Vers 36 und 38. Polysyn-
detisches magisque magis que wird wohl um so eher
vorkommen, als schon Ennius Annal. 315 mit plusque
magisque vorangegangen war.
Asyndetisches plus plus und minus minus hat weder
S. Preuss gefunden (De bimembris dissoluti usu solemni,
Edenkoben, 1881), noch ist es mir erinnerlich; die älteste
nachweisbare Verbindung war minus m%nusque (Plaut.
Aulul. 18. Ter. Heaut. 594), minus atque minus wohl
Neuerung des Virgil Aen. 12, 616 (August, epist. 3, 2);
minus ac minus Neuerung der silbernen Prosa nach dem
Digitized by
Google
466 Sitzung der phüos.'phüol. Glosse vom 6. Mai 1882.
Vorgange Virgils bei Livius 26, 17, 12. Pomp. Mel. 3, 74.
Plin. nat. hist. u. a. minus et minus Licenz des Hör.
Carm. 1, 25, 6. Ovid raet. 11, 723. Heroid. 2, 129.
Die übrigen Comparative ordnen wir chronologisch nach
ihrem ersten Vorkommen. Cic. Attic. 13, 21, 6 Attica
levius ac levius (ergänze se habet). Tibull 1, 7, 64
candidior semper candidiorque veni. Ovid met. 7,
639 crescere . . . et maius maiusque videri. Pomp.
Mel. 2, 79 iam grandis et subinde grandior. Sen. dial.
5, 42, 4 und Epist. (nach Otto Rauschning, De latinitate
L. Annaei Senecae philosophi. Regim. 1876. p. 54) propius-
que ac propius accedere (p. p. que accedere Stat. silv.
5, 1, 184; p. p. que sonoro quadrupedum cornu tellus gemit
Sil Ital. 4, 95. p. p. que agnosci Mamert. genethl. Max. (3)
10). Apul. met. 8, 2 carior cariorque factus. Pseudo-
apul. Asclep. 41 melius melius (ohne Copula!) ominare
entspricht der Stelle des Lactant. 6, 25, 11 bene bene ominare,
und der des Plautus Rud. 337 melius ominare. Genethl.
Mamert. 16, 3 longius longiusque protendere. Passio
Theodoti c. 35 (a. 303 nach Chr. in den Acta sine, mar-
tyrum ed. Ruinart) amplius et ampliu$ eis offerebat
de vino. Schiller im Taucher : ,und hohler und hohler hört
man's heulen 1 .
Vermöge seiner an den griechischen Comparativ erin-
nernden Endung ist auch Herum hier einzureihen. Herum
iterumque (Awesta Vendidad 8, 27 vifjeiti vifjeitika
nach der Erklärung von Dr. Wilh. Geiger) nicht in clas-
sischer Prosa, zuerst bei Ovid met. 11, 619. art. am. 2, 127
(rogare); dann bei Pomp. Mela 1, 51. 3, 9. Plin. pan.
79, 1. Martial 2, 14, 13. Flor. 1, 23 (2, 7) 15. Veget.
mulomed. 4, 27: 9 iterum atque Herum Hör. Sat. 1, 10,
39. Sil. Ital. 7, 393. Plin. pan. 28, 6. Fronto p. 94 N.
Vopisc. Aurel. 45, 15. Vulg. 3 Reg. 22, 16 und 2 Par.
18, 15 mit adiuro. Querul. Peip. 45, 23. Victor Vit. pass
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 467
b. M. 14: polysyndetisch iterumque iterumque mit
vocare Virg. Aen. 2, 769 und consol. ad Liv. 219; mit
monere Aen. 3, 436. Die Clapsiker sagen dafür saepius
iterumque, rursus iterumque u. ä.
Ueberhaupt können auch andere, formell der Comparativ-
bildung fremde Wörter, welche an sich eine einmalige
Wiederholung oder Erneuerung bezeichnen, durch Gemination
eine mehrmalige Wiederholung ausdrücken. So sagt Ter-
tullian vom Jenseits, Sterben und Auferstehen setzten sich
dort nicht mehr fort, apol. 48: ideo nee mors iam nee rur-
sus ac rursus resurrectio, womit der in die Anapher
übergehende Vers des Valerius Flaccus Argon. 3, 596 Rur-
sus Hylan et rursus Hylan reelamat verglichen werden
kann. Und in derselben Schrift Tertullians, Apol. 35 heisst
es von dem jedesmal den Thron besteigenden Kaiser: no vi
ac novi (ac novi fehlt in DF) Caesaris scaena congiario
dividundo praesidentis , und adv. Marc. 1, 8 novo semper
ac novo titulo, wo die Wiederholung wie bei den Compara-
tiven durch das Adverb besonders ausgedrückt ist. Diese
Redeweise hat sich bei alius uud seiner ganzen Familie bei
allen Autoren erhalten; alii atque alii (Lucr. 1, 813.
2, 243. 377 etc. Cicero) bedeutet also nicht nur ,der eine
und der andere 1 , sondern ,immer wieder Andere, Neue 1 .
Verdeutlichend können Adverbia dazu treten, wie Sen. epist.
85, 29 pars subinde (ein bei Sen. sich auffallend hervor-
drängendes Wort =: souvent) alia atque alia, oder epist.
32, 2 aliud eius subinde atque aliud facientes initium. Nur
geht Rauschning p. 54 zu weit, wenn er glaubt, eine Tren-
nung der beiden Pronomina komme sonst nicht vor, da er
Ja bei seinem eigenen Autor epist. 90, 15 subinde alia facics
atque alia hätte finden können. Die Verknüpfung durch
que gehört wohl der silbernen Latinität an (Tibull 4, l, 17)
und ist bei Celsus (s. den Index von Matth. Gesner) stehend,
auch für das Adverbium, aliter aliterque. Qnintiliau
[1882. I. Philos.-philol. bist. Cl. 3.] 31
Digitized by
Google
468 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882.
hat mit Ausnahme von 10, 5, 9 aliae aliaque formae das
ciceronianische atque beibehalten , so wie auch Celsus 3,
3 extr., der Philosoph Seneca und der Naturforscher Plinius.
Nur um die Mannigfaltigkeit des Gebrauches klar zu macheu,
erinnern wir an Beispiele wie Sen. epist. 35, 14 aliubi
atque aliubi adparere, immer anderswo, immer wieder
an einem neuen Orte auftauchen; de brev. vit. 11, 2 alio
atque alio spargi; Plin. nat. hist. 13, 4 alibi atque
alibi; in der histor. miscella 19, 31. 25, 17 alias atque
aliter 1 coli. 19, 53. Die deutsche Sprache, welche in der
Gemination der Comparative mit der lateinischen zusammen-
stimmt, weicht hier entschieden ab.
Sem per semperque petere , immer und immer
wieder, bei Seneca apocol. 15 kann nach dem satirischen
Character der Schrift nur vulgär gewesen sein = Herum
iterumque, und ist im italienischen sempre sempre erhalten;
asyndetisches semper semper aber, welches Rauschning p. 66
aus Sen. vit. beat. 7, 4 anführt, ist Glossem, von Haase
schon eingeklammert, von Koch-Vahlen getilgt, und bei
Catull 65, 11 semper amabo, semper als Anapher zu fassen.
Parallel steht noch das seltene, von Muret gern gebrauchte
usque et usque (allatrare Martial 5, 60, 1. fines pro-
terminare Apul. met. 9, 38).
Es ist schwer hier abzubrechen. Denn dem Sinne nach
ist auch das bekannte etiam atque etiam, welches oft
mit reputare, videre, monere, considerare u. ähnl. Verben
verbunden wird (= nochmals und nochmals) hier einzu-
reihen. Von Plautus an (Aulul. 4, 2, 7. Trin. 3, 2, 48)
zieht es sich bis in das Spätlatein, findet sich vereinzelt
bei Ennius, Lucrez, Catull, doch nicht bei Cäsar und nur
einmal bei Sallust in der Rede des Marius Jug. 85, 28,
häufig dagegen in den Reden und Briefen Ciceros, vor vale
elliptisch zu verstehen mit Ergänzung eines Verbums wie
moneo (ad Attic. 5, 19, 2. 5, 20, 9 u. s. w. und besonders
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 469
oft am Schlüsse der Briefe des 16. Buches ad famil.), etwa
zehnmal bei Livius, bei Curtius (5, 4, 13), Seneca (benef.
3, 14, 2) und wieder bei Fronto p. 66. 152, Apulejus
flor. 4, 19, Gellius 2, 30, 3. Die Formel etiam etiamque,
welche Bentley zu Hör. Sat. 1, 6, 18 und Haase, Vorles.
I. 193 anführen, ist mir so wenig bekannt, als Hand, Tur-
sell. Tl. 576 ff. und etiam et etiam mag Baibus verant-
worten, der es geschrieben Cic. epist. Att. 8, 15% 2. Vgl.
auch Ferd. Heerdegen, Unters, z. lat. Semasiologie, III
(1881). S. 44.
Es ist unmöglich hier mit Stillschweigen über das ver-
wandte iam iamque hinwegzugehen, wenn auch gewisse
Gelehrte etiam gar nicht von iam ableiten, sondern aus tri
und dem Suffixe am (vgl. protinam, coram, palam) ent-
stehen lassen. Nur hatte Haase nicht so ganz Unrecht,
wenn er (Vorles. I. 193) mit Rücksicht auf die Unsicher-
heit der Ueberlieferung {iam ) iamiam, iamiamque) und die
verschiedenen mit dem Ausdrucke verbundenen Tempora
(Präsens, Perfect, Futurum) die Frage als weiterer Unter-
suchung bedürftig bezeichnete. Vorerst wird sich heraus-
stellen, dass in archaischer Latinität iamiam (spanisch ya yd)
überwiegt (Plaut. Cure. 218. 707. Mil. 1084 R. Most. 403.
Pers. 5, 2, 41. Ter. Ad. 853. Att. trag. 611), iamiamque
(PI. Pseud. 219) zurücktritt, gerade wie in magis magisque
die Copula spätere Zuthat ist. Der Begriff der Wieder-
holung tritt insofern hervor, als es mit Futurum oder leb-
haftem stellvertretendem Präsens verbunden ,im nächsten
Augenblick = jeden Augenblick' bedeutet, so namentlich
in Verbindung mit adesse, Cic. Att. 7, 20 illum rucre
nuntiant et iamiamque adesse (er kommt jeden Augenblick
= er kann jeden Augenblick kommen), ibid. 14, 22 ipse
iamiamque adero. Caes. civ. 1, 14 Caesar adventare iam-
iamque et adesse eius equites nuntiabantur. Tac. anual. 14, 7
iam iamque adfore obtestans. Enmen. paneg. Constaut. 15
31*
Digitized by
Google
470 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882.
iamiamque venturum. Auf die nämliche Anschauung hinaus
laufen Verbindungen mit expectare Cic. epist. 12, 10, 4;
video (bellum) Cic. Att. 16, 9; sciemus ibid. 7, 25; imminere
Sen. dial. 7, 26, 3 ; iamiam puto (ich überzeuge mich jeden
Augenblick mehr) bei Sallust Jug. 14, 22, wo eine er-
klärende Anmerkung nicht überflüssig wäre, dem Sinne
nach = magis magisque, wie bei Catull 63, 73 iamiam
dolet quod egi iamiamque paenitety und Virgil Aen. 12, 940
Et iam iamque magis cunctantem etc. Man wird freilich
zugeben müssen, dass diese iterative Bedeutung sich all-
mählig verdunkelte, und selbst bei den besten Prosaikern,
wie Cicero, da wir uns ja Philip. 2, 87 statt iam iam minime
miror eigentlich zu denken haben minus oder minus minus-
que = mehr und mehr, von Tag zu Tag mehr begreife ich.
Steht dagegen iamiam mit einem Tempus der Vergangen-
heit = soeben, bereits , so kann nicht mehr von Wieder-
holung gesprochen werden, vielmehr ist dann die Gemi-
nation intensiv zu verstehen (unten S. 482) nach Analogie
von modo modo. Vgl. Madvig, emendat. Liv. 2. Aufl. 384.
624 Note.
Die Analogie der besprochenen Redensarten bestimmt
uns nun vielleicht, identidem in gleicher Weise mit
Priscian als Wiederholung von idem zu betrachten, obschon
Vaniceck, griech. lat. etymol. Wörterb. T 320. u. A. die
Bildung anders erklären. Es lässt sich dafür geltend machen,
dass wir das Wort oft zu den Verbis monendi gestellt finden,
gerade wie etiam atque etiam. Ueber den Gebrauch, der
mit Plautus anhebt (Trin. 147. Truc. 4, 2, 25) und sich
noch bei Richer. hist. 2, 32. 3, 51 findet, kann man sich
nach Hand Tursell. III. 174 eine Vorstellung machen; nur
glauben wir beifügen zu sollen, dass das Wort ein Lieb-
lingswort des Apuleius und in den Metamorphosen allein
zwanzig mal gebraucht.
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 471
Selbst der Vers des Ennius Annal. 527
Atque atque accedit muros Bomana inventus
= adque adque, heran und heran, kann nur in dem Sinne
des oben angeführten propius propiusque accedere inter-
pretiert werden, obschon Gellius 10, 29 die Worte nicht
iterativ, sondern intensiv verstanden wissen will (gemina
si ftat, äuget intenditque rem), immerhin besser als P. Böhmer,
die latein. Vulgärsprache. Oels 1869. 19, der ,und dazu
und dazu 4 erklärt.
3. Die intensive Gemination.
Um von der plurativ-iterativen Gemination auf die
intensive hinüber zu kommen ist dem Grammatiker eine
bequeme Brücke gebaut. Da nämlich pulsare wiederholt
klopfen und stark klopfen bedeutet, so könnte man den
Uebergang der Verba frequentativa oder iterativa in die
intensiva benützen, um eine ähnliche Verwandlung auch
dem Nomen zu vindicieren. Bedeutet tschak tschak im
Persischen einen aus vielen Lauten bestehenden Lärm, so
wird er eben dadurch ein gewaltiger, intensiver; richtigergeht
man aber wohl auf die affirmative Gemination zurück und
denkt sich t. ^als einen Lärm, der diesen Namen im wahren
Sinne des Wortes verdient, als einen Lärm xcrc' iioxrjv, und
also consequent bonus bonus nicht iterativ zu in mehreren
Beziehungen gut, sondern = gut im eminenten Sinne des
Wortes (vgl. ital. sette volte buono). Fanden wir die rhe-
torische Gemination ohne Copula bei allen Redetheilen, die
plurative meist beim Nomen, die iterative beim Verbum
und beim Comparativ, meist mit Copula, so trifft die inten-
sive vorwiegend den Positiv des Adiectivs, beziehungsweise
Adverbs.
Denkbar ist eine Potenzierung des Begriffes vermittelst
der Geminatiou für alle Redetheile, und mehr als eine
Digitized by
Google
472 Sitzimg der phüos.-philol. Classe vom 6. Mai 18S2.
Sprache hat in einer gewissen Periode sich dieser Ausdrucks-
weise bedient; nur leuchtet ein, dass eine Sprache in der-
selben Zeit der Gemination nicht affirmative, plurativ-iterative
und intensive Bedeutung unterlegen kann , weil man sonst
im einzelnen Falle nicht wüsste, in welchem Sinne die Worte
zu verstehen seien. Iu einer ausgebildeten Sprache können
mithin im besten Falle die verschiedenen Bedeutungen im
grossen Ganzen sich an verschiedene Redetheile anlehnen.
Im Hebräischen konnte zur Noth ^ähäb fähäb, kesef kesef
(Jerem. 52, 19) , weil die Stoffnaraen einen Plural aus-
schliessen, bedeuten : massiv von Gold und Silber, aus reinem
Gold und Silber (Luther nur golden und silbern), wie im
Italienischen fare a corri corri = a tutto corso, en pleine
carriere, oder bei Dante Inf. 14, 12 a randa, a randa am
äussersten Rande, gleichsam am Rande des Randes. Dar-
nach könnte rex rex , welches man sich in einer andern
Sprache als Plural Jenken kann, und welches im Lateinischen
noch emphatisch wirkt (ein König, ja ich bleibe dabei, ein
König; ein K. sage ein K.), auch intensiv einen König im
eminenten Sinne des Wortes, einen Grosskönig oder Ober-
könig bedeuten. Allein so haben die classischen Sprachen
sich nicht ausgedrückt, sondern lieber zur Subordination
gegriffen mit rex regum, ßaodevg ßaailicov , womit die
Perser einen über Könige herrschenden König bezeichneten,
sowie auch die Griechen, nicht etwa einen von Königen
abstammenden König, was man nach Plato Alcib. I. 121 A
ßaoiXelg eloiv ex ßaaikicov it€%Qi Jiog und Xenoph. Ages.
1, 2 verum then könnte. Vgl. Landgraf in den Acta semin.
Erlang. II. 36 ff. Unter den Pronominalbildungen zeigen
avravxog und die unsicheren Formen ipsipsus (Plaut. Cist.
2, 3, 58) und ipsippe (mittelhochd. selpselpo) einige Aehn-
lichkeit, insofern ihnen die Superlative avxoxaxog und ipsi-
muSy ipsissimus (Plaut. Trin. 4, 2, 146) zur Seite, stehen.
Dass dagegen in sese eine intensive Kraft liege, wird nie-'
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 473
mand behaupten, so wenig als der Unterschied im Gebrauche
von sese und se plausibel ist, den Charisius 1, 15, pg. 86
bei Cäsar beobachtet haben wollte; nur so viel scheint
klar, dass mit dem Zurücktreten einer Gemination se, se
(oben S. 443), welches sich aus der Natur des Pronom. re-
flex. erklärt, Raum für ein sese gewonnen wurde.
In weiterem Umfange hat sich bei den Verben die
Sprache von einer solchen Anschauung leiten lassen, wenn
sie die vollendete Handlung durch die unvollständige Ge-
mination , die Reduplication , bezeichnete. Nicht die Vor-
zeitigkeit wird durch dieses Mittel ausgedrückt, sondern die
zum endgiltigen Abschlüsse gelangte und in ihren Wirk-
ungen noch fortdauernde Handlung.
Da aber der Redetheil, der am ehesten eine Steigerung
zulässt, ohne Zweifel das Adiectiv, beziehungsweise Adverb
ist, so hat hier die Wiederholung am leichtesten zu dem
sogenannten Elativus geführt, und das ist es eben, was wir
vor Allem unter der intensiven Gemination verstehen.
Gehen wir vom Italienischen aus, so hat dasselbe
Redensarten wie lungo, lungo, molto molto, sempre sempre,
spesso spesso, presso presso, piccolo piccolo (wohl nachge-
bildet von Göthe in dem Gedichte ,um Mitternacht 1 : klein
kleiner Knabe, vgl. provenz. petit e petit Diez, Gramm. II 8 ,
465) ; also besonders häufig in Wörtern , die einen Quan-
titätsbegriff oder ein Mass bezeichnen, dann aber auch mit
Vorliebe subito subito, tosto tosto, ratto ratto, pronta
pronta (Belli, N. 14 ed. Olckers), or ora eben jetzt, presto
presto, via via (Fra Jacop. Cessol. 54), weil man beim Be-
fehl oft auf Beschleunigung dringt (umgekehrt lento lento,
piano piano, adagio a. u. ä.), auch von Farbenbenennungen
bianco bianco schneeweiss, rosso rosso blutroth, um den
intensiven Character der Farbe zu bezeichnen; aber nicht
minder bene bene, lieto lieto (Volkslied von Albano, bei
Müller, Egeria S, 5) ritto ritto ganz gerade, Grenzen lassen
Digitized by
Google
474 Sitzumj der phUos.-phüol. Glosse com 6. Mal 1882.
sich keine ziehen, da beispielsweise der römische Volks-
dichter Belli in einigen 200 Versen sieben Beispiele hat,
wie secco secco, arto arto y sana sana, bbrutto bbrutto, wo-
mit doch deutlich genug bezeugt ist, dass die Gemination
mehr in der Volkssprache lebt als in der edleren Schrift-
sprache. Bei dreisilbigen Adiectiven mit langer Mittelsilbe
verliert das erste seine Endsilbe o, z. B. vicin vicino, ebenso
bei viersilbigen piccinin piccinino, ausnahmsweise sogar bei
andar bei bello (vorsichtig). Auch substantivierte Adiective
geminieren, z. B. un poco poco, erst einen Augenblick (Doni,
Attavanta p. 30, Ende des XVI. Jahrb.), bettln bellino falscher
Freund (ibid. p. 62); mal male hinfallende Krankheit, Libr.
vetr. 29 ; alle diese Beispiele nach gefälliger Mittheilung
von Dr. Karl Sittl. Endlich tritt das zweite Wort in den
Superlativ, z. B. fa freddo freddissimo, fa un tempo
bello bellissimo, pian pianissimo (neben piano, piano) im
bolognesischen Dialecte. Täuschen wir uns nicht, so ist
die Gemination häufiger bei Adverbien als bei Eigenschafts-
wörtern und fast nur auf die Formen auf o beschränkt.
Verfolgen wir diess nun im Lateinischen, so müssen
wir, ehe wir an den Aufbau denken können, alten Schutt
wegräumen. Bis auf Arist. Baragiola hinab (italienische
Grammatik, 1880, S. 69 Note) citiert man eine stattliche
Reihe von Beispielen aus Gruters Inscriptiones , die eine
wissenschaftliche Prüfung nicht aushalten. Der grosse Sca-
liger war es, der die Indices zu dem genannten Inschriften-
werke verfertigte und mit dem 19. Capitel ,geminatio pro
superlativo 1 Andere täuschte, wie Rönsch und den Vf. (Lat.
und roman. Compar. S. 4), der sich selbst wieder auf Rönsch
bezog. Es wurde also ein libenter libenter = liben-
tissime durch den Druck' fortgepflanzt (13, 18. 15, 9 et
alibi non raro) , obschon die Inschriften nur L. L. haben,
was man, sobald man das weiss, natürlich heutzutage durch
libens (lubens) laetus auflöst. Vgl. Acta semin. Erlang. I.
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen, 475
33. 34 ; des Vf. allitterierende Verbind. S. 63. L. L. M. M.
375, 6 in einer Grabschrift ist ein gedankenloser Dual von
L. M. (lubens merito), nicht libentissime, merentissime. 268, 4
F. F. P. P. F. F. im Kaisertitel steht zu vereinsamt , als
dass man fortis fortis ^ pii pii, felicis felicis interpretieren
dürfte. B. B. (65, 6. 172, 7. 318, 9) ist nicht bene bene,
was im Zusammenhang nicht einmal einen Sinn giebt, auch
nicht bonus bonus, sondern theils unsicher und corrupt (65, 6
=z Corp. inscr. lat. VI. 670 etwa für B. F. z= beneftciarius),
theils von Mommsen Corp. inscr. VIII. p. 1104 als bonis
bene erklärt; 284, 6 BD. NN. Constantino et Constantio BB.
beatissimisque Caess. ist es einfach Dual von bonus. Aus-
geschrieben auf dem Steine ist nur 777, 6 *) Dolus malus
malus abesto, aber um so mehr als Dittographie verdächtig,
als die Formel dolus malus (vgl. Wilmanns, Ex. I. N. 454)
so bekannt ist und es nicht in der Absicht des Verfassers
liegen konnte, nur den allerschlimmsten Betrug wegzu-
wünschen. Zur Vertheidigung wüsste ich nur Virgil Ciris
278 anzuführen nisi te malus, o malus . . . casusve deusve
kdisset. Damit zerfällt die ganze inschriftliche Basis in
nichts, und zugleich verliert auch Coinmodian instr. 2, 24, 8
Ludwig
Largiri vis, ut te quasi malum malum depurges
seinen Halt, zumal die Ueberlieferung des cod. Cheltenham.
giebt :
Largiri vis inde 9 ut te quasi malum depurges,
deren Richtigkeit durch die Vergleichung von V. 2 unde
tu largiris über jeden Zweifel erhoben wird, so weit die
1) Es ist mir leider während der Drucklegung nicht mehr mög-
lich, die jetzt in wissenschaftlichen Kreisen antiquierten Citate aus
Gruter auf das Berliner Corpus zu reducieren, und die ersten Heraus-
geber der Inschriften, deren Zuverlässigkeit sehr verschieden ist, anzu-
führen,
Digitized by
Google
476 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 6. Mai 1882.
Frage uns berührt, wenn auch statt mdlum besser passt
malo.
Es gilt jetzt das Verlorene wieder zu ersetzen. Die
Verbindung ungleicher Grade, um diese vorauszunehmen,
ist im Lateinischen erst durch die Africitas ausgebildet,
und zwar nur mit Hülfe der Copula. Denn man kann es
doch wohl kaum als Zufall betrachten , dass Fronto p. 39
(hone et optime magistcr), Apul. met. 8, 9 (boni et optimi
consulis) und Tertull. paenit. 4 (bonum et Optimum esse
quod deus praecipit) fast gleichzeitig diese Verbindung in
die Litteratur einführen, welche dann auch in die Vulgäta
gedrungen ist, Tob. 7, 7 boni et optimi viri filius, Judith
12, 14 quod erit bonum et Optimum, evang. Luc. 8, 15 in
corde bono et optimo, und selbst in die hist. misc. 20, 48.
22, 30 bene et optime. Es war diese Verbindung, wie sich
aus der griechischen Uebersetzung des alten Testamentes er-
giebt, der entsprechende Ausdruck für xalog xal äya&og
(Luc. iv KccQdlq Kalfi xai äya&jj); die Afrikaner konnten
aber am ehesten auf diese Wendung verfallen, weil sie die
Superlative und in erster Linie die irregulär gebildeten am
frühesten degradiert und als eigene Adiectiva behandelt
haben, wie Tertull. cult. femin. 6 male ac pessime,
und nach ihm einzelne Spätlateiner, z. B. Veget. mulomed.
praef. 1 in multis plurimisque. Da statt der zuerst
angeführten Formel auch utilis et optimus vorkommt (lat.
und rom. Compar. 58) und das Deminutiv von bonus, bellus
= benulus im Lateinischen wie in den romanischen Sprachen
eine ganz neue Bedeutung angenommen hat, so kann man
folgerichtig in bonus opt. keine Verbindung von Synonymen
annehmen, und die ganze Erscheinung konnte daher nur
als Durchgangspunct erwähnt werden. Die Combination
regulärer und synonymer Bildungen datiert in der Litteratur
von Arnobius p. 119, 6 E. der aegre atque aegerrime
verbunden hat, und taucht dann vereinzelt bei Afrikanern
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 477
auf, so bei Aurel. Victor Caes. 41, 4 vetus veterrimumque
supplicium, wo fälschlich teterrimum conjiciert wird, bei
Cael. Aurel. acut. 3, 176 crebra atque creberrima.
Gehen wir zu der Gemination von Positiven über, so
ist die häufigste die bereits im Italienischen gefundene von
longe; an dieser Redensart gilt es den Character und den
Gebrauch festzustellen, was freilich aus den vier von Hand,
Tursellinus 3, 552 angeführten Beispielen nicht möglich
wäre. Das früheste findet sich bei Cicero fin. 2, 21, 68
plurimum se et longe longeque 1 ) plurimum tribuere
honestati, wozu die Commentatoren sich nicht veranlasst
finden eine Bemerkung zu machen. Der Umstand indessen,
dass sich in der ganzen classischen Prosa kein zweites Bei-
spiel mehr findet, ist uns eine Gewähr, dass Cicero die
Phrase wohl einmal im Dialoge gebrauchen durfte, dass sie
aber nicht auf allgemeine Geltung Anspruch machen konnte.
Möglich ist allerdings, dass Livius 1, 32, 2 geschrieben hat
longe longeque (cod. longeque) antiquissimum ratus, wie
Madvig vermuthet, da gerade das erste Buch des Historikers
viele Eigentümlichkeiten aufweist, und auch der Superlativ,
wie er der Cicerostelle entspricht, ein aVra£ eiqrj^ievov bei
1) Selbstverständlich ist der Fall auszuscheiden, wenn in der For-
mel longe longeque das erste und das zweite Adverb sich auf verschiedene
Worte beziehen, wie Lucr. 2, 106 dissiliunt longe longeque recursant;
3, 69 effugisse volunt longe longeque recesse; 6, 690. Juven. 3, 272
longe repetes longeque revolvas. Diese chiastische Wortstellung liebt
gerade Lucr. 3, 286 ni calor ac ventus seorsum seorsumque potestas
Aeris interemant sensum; 3, 457 gigni pariter pariterque videmus
crescere; aber auch anderwärts begegnet sie uns, z. B. Manil. astron. 1,
205 surgentem pariter pariterque cadentem, ibid. 241. 824. Juv. sat.
3, 158. Plin. paneg. 84 suspiciunt invicem, invicem cedunt. Apul.
flor. 2, 14 provisum satis et satis consultum. Min. Fei. Octav. 5, 5
beati satis satisque prudentes; Cyprian epist. 76, 6. Claud. nupt. Honor.
33t diligimus pariter pariterque timemus neben de III. consul. Honor.
147 pariter foedavimus . . . p. prostravimus. Coripp. Justin. 3, 170.
Paneg. in Pison. 180 et vitare simul, simul et captare petentem.
Digitized by
Google
478 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 6. Mai 1882.
Livius ist statt des sonst gebrauchten nihil antiquius. Die
Corruptel wäre die nämliche, wie bei Syminachus epist. 9,
50, wo statt prudentissimi longeque zu schreiben sein wird
longe longeque. Sicher ist jetzt die Verbindung bei Hör.
Sat. 1, 6, 18 a volgo longe longeque remotos, wo schon der
feine Beobachter Bentley, um die Vulgata longe lateque zu
widerlegen, auf die Wiederholung des Adverbs aufmerksam
gemacht hat. Ovid, der dem Satiriker folgte, stellte longe
longeque zu einem Comparativ, Metam. 4, 325 longe cunctis
longeque beatior, nachdem Sallust mit longe (statt multo)
saevior vorausgegangen war, und auch das Beispiel aus
Plin. epist. 5, 6, 32 longe longeque praecedit gehört in die
nämliche syntactische Rubrik, obschon hier wieder die ge-
ringere Ueberlieferung longe lateque daran erinnert, dass die
Redensart den Abschreibern wenig bekannt gewesen sein
muss. Sonst hat die silberne Prosa und Poesie dieselbe
aus ihrem Wortschatze consequent ausgemerzt, während
ebenso consequent vier Afrikaner der zweiten Hälfte des
2. Jahrhunderts dieselbe wieder, wenn auch schüchtern, zu
Ehren zu bringen versucht haben. Voran geht, wie natür-
lich, der Bannerträger Fronto, p. 143 mit der an Plinius
anklingenden Redensart longe longeque praeferre; Florus
sagt 1, 45, 4 longe longeque cruentior; Gellius 13, 29, 3
longe longeque amplius, so dass also longe, in klassischer
Latinität mit Superlativ verbunden, einem Ablativus men-
surae gleichbedeutend erachtet wurde. Wenn Scävola in
den Digest. 4, 4, 39, abweichend von dem ciceronianischen
Gebrauche es mit dem Comparativ verbunden hat (longe
longeque rem meliorem facit; Variante longe lateque), so ist
diess eine individuelle Geschmackssache, die auf die Juristen-
sprache im Ganzen ohne Einfluss geblieben ist. Aber miss-
verstanden hat das von Fronto gegebene Signal Apuleius,
wenn er metam. 11, 3 schrieb longe longeque confutare:
besser immerhin der afrikanische Kirchenvater Amobius 7,
Digitized by
Google
Wolf f lim Die Gemination im Lateinischen. 479
44 longe longeque aliena, da wenigstens alius der Bedeutung
nach den Comparativen sehr nahe kommt.
Von einer nachhaltigen Wirkung dieses von den Afri-
kanern ausgegangenen Stosses ist mir freilich nichts bekannt ;
die Litteratur der übrigen Provinzen hat sich mit der Formel
nicht befreundet, es müsste denn sein, dass einzelne Stellen
durch die Abschreiber verdorben worden wären, was bei der
Wiederholung des nämlichen Wortes und bei der Concurrenz
einer bekannteren Phrase nur zu leicht möglich war. So
steht bei Boeth. schol. Cicer. p. 316, 18 Or. longe lateque
divcrsus, 349, 17 longe diversus, während laut gef. Mit-
theilung von H. Dr. Stangl an beiden Stellen mit den besten
Handschriften longe longeque zu schreiben ist. Der Aus-
druck des Gellius 14, 1, 20 supra longe atque longe = weit,
weit früher in temporaler Bedeutung, lehnt sich zwar an
die oben genannten Comparative an, weicht aber in der
Partikel atque ab, die sich der fleissige Leser des alten Cato
angewöhnt hatte und hier am unrechten Orte hervorzog.
Dass man in der Umgangssprache asyndetisch longe longe
sagte, lässt schon das Italienische und die Analogie zahl-
reicher lateinischer Formeln vermuthen (vgl. des Vf. allitter.
Verbind, in den Sitzungsber. der philos.-philol. Cl. 1881. II.
13 ff. und Sigm. Preuss, de bimembris dissoluti apud scrip-
tores Romanos usu sollemni, Edenkoben 1881), zum Ueber-
flusse aber bestätigt es auch die stark vulgäre versio Palatina
des Herrn, pastor, similit. 9, 7, 2 longe longe a turri proice
illos (so der codex; die Herausgb. bloss longe).
Ein möglichst nahes Analogon bietet die lateinische
Sprache in procul procul, welches Arnobius 1, 32 mit
longe verbunden hat: disccdat haec longe atque a nohis
procul procul inquam, ut dicitur , averruncetur amcntia.
Auch dieses hat Apuleius syndetisch gebraucht raetam. 7, 2
quo velocius frustratis insecutoribus procul ac procul
abderet sese f während die Dichter die beiden Adverbia durch
Digitized by
Google
480 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882.
eine Interjection trennen, Virg. Aen. 6, 258 procul, o procul
este; Ovid metara. 15, 587 procul, a t procul omina pellant;
Juvenal 14, 45 procul, ah procul inde puellae lenonum,
während die Lesart Bentleys bei Hör. epist. 2, 2, 199
pauperics immunda procul, procul dbsit nur geringe Wahr-
scheinlichkeit hat. Vgl. gloss. Isidor.
In der Verbindung mit einem Comparativ berührt sich
longe longequc am meisten mit multo multoque, wie ja
überhaupt multo in archaischer Latinität zu Comparativ und
Superlativ gezogen, in classischer auf den Comparativ be-
schränkt und in der zweiten Function durch longo ersetzt,
in der nachclassi sehen Periode wieder mit longe zusammen-
geworfen worden ist. Vgl. lat. und roman. Compar. 37 ff.
In der Litteratur findet sich diese Formel wohl zuerst bei
Valer. Max. 4, 1, 2 multo multoque operosius, ja nach Draeger,
hist. Synt. II 2 , 39 nur an dieser Stelle: dann aber wieder-
holt bei Fronto p. 28 mit longior, 102 amplius, 214 magis
obnoxius; in der unächten Epist. Sallustii ad Caes. 1, 1, 8,
welche mit Recht in die Zeit des Fronto gesetzt wird, m. m.
asperius; bei Mamertin, der ausser Cicero auch Fronto
studiert zu habeu scheint, in der grat. actio 21 m.m. facilior;
bei den Afrikanern Augustin confess. 7, 10 m. m. clarius
und Macrob. somn. Scip. 1, 20, 9 saepius. Affirmativ und
ohne Copula steht die Verbindung bei Cic. de harusp. resp.
146 multo mihi, multo inquam praestat. Vergleichen Hesse
sich die Uebersetzung von Evang. Luc. 10, 41 (iieQipvqg
Tteql rtoXka) im Gigas librorum (schwedische Monstrebibel)
plurima, plurima, wenn nicht Dittographie anzunehmen ist.
Schon jetzt ergiebt sich als Facit der vorgeführten Rech-
nungsposten, dass diese Gemination nicht der archaischen
Litteratur, nicht einmal dem Plautus angehörte, sondern
dass sie, vereinzelte Vorläufer abgerechnet, erst mit Fronto
Boden gewann (ital. molto molto ) gar sehr). Indem wir
nun, durch drei häufiger vorkommende Formeln vorläufig
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 481
orientiert, die übrigen Beispiele zusammenstellen, halten wir
die Adiectiva und die Adverbia auseinander.
Die ersteren stellen sich sehr spärlich ein: bei Catull
61, 135 miser a miser concubine; 63, 61 miser a miser
anime; bei Horaz Sat. 2, 7, 92 Jiber, liber sum 1 im Dialog,
ich habe es durchaus in meiner Hand zu leben oder zu
sterben.
Der nämliche Horaz schreibt dann in den Epist. 1, 16, 59
clare clare cum dixit ,Jane pater\ den Conversationston
nachbildend; und die Verdoppelung des adverbialen nimium,
welches in deu Hexameter sehr leicht sich fügte, zuerst von
Lygdamus (Tib. 3, 6, 21) gebraucht,
Convenit iratus nimium nimiumque severos
(=z severiores Catull 5, 2), wird von Ovid Heroid. 1, 41
aufgenommen:
o nimium nimiumque oblite tuorum,
in freier Weise nachgeahmt von Stat. Theb. 7, 547
heu nimium mitis nimiumque oblite tuorum,
wogegen die Conjectur Burmanns Ovid. art. am. 1, 127
nimium nimiumque negarat keine Gewähr hat, und auch
Apul. met. 8, 7 nimium nimiumque clamare (Colvius;
nimium nimius cod.; vielleicht nimium nimium) die Lesart
nicht feststeht. Ein dem longe verwandter Adverbialbegriff
liegt auch in diu, welches Apuleius verdoppelt met. 5, 20
salutem diu diuque cogitatam und 11, 20 hanc imaginem
diu diuque revolvebam; nur aus der consol. ad Liviara 167
bekannt ist vix vixque = aegerrime. Benest, benest lesen
wir bei Sidon. Apoll, epist. 9, 8 (9)> und bene bene,
ominare bei Lactant. inst. 6, 25, 11 = Pseudo Apul. Asclep.
41 melius melius ominare. Satis (sat) wird durch ein Wort
getrennt, z. B. Prop. 3, 5, 9
Sat mea sat magnast, si tres sint pompa libelli,
Digitized by
Google
482 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882.
bei Plautus meist satis, tarn satis. Die Gemination des
Ovid endlich met. 2, 179:
TJt vero sttmmo despexit ab aethere terras
Infelix Phaethon penitus penitusque iacentes
scheint Haupt als iterative nach Analogie der Comparative
gedeutet zu haben, wenn er übersetzt ,tief und wiederum
tief =: tief und tiefer 1 , was voraussetzt, dass Phaeton mehr-
mals oder doch längere Zeit nach der Erde geschaut hätte,
mit der einmaligen Handlung des ut vero despexit aber nicht
recht stimmt. Darum haben wir die Worte zum Elativ
gezogen. 1 ) Dem Gedanken nach gehört auch Plant. Cas. 3,
5, 1 tota tota occidi hieher, insofern ja das Adiectiv nur
das fehlende Adverb ersetzt. Unsicher ist totum ac mire
(mirifice) totum bei Fronto p. 17 N. nach Studemund in
Klussmanns EmencL Frouton. p. 25. Vgl. ital. tutto tutto y
tututto. Dem subito subito der Italiener wissen wir zur Zeit,
da wir cito cito, or ora, bei einem lateinischen Autor nach-
zuweisen nicht im Staude sind, nichts Aehnlicheres zur Seite
zu setzen, als das verdoppelte modo bei Petron 37. 42. 4G
(= vor ganz kurzer Zeit), welches sich durch den Fundort
als vulgär kennzeichnet, so wie der nämliche Autor den
komischen Elativ bildet cap. 43 noveram kontinent olim
oliorum. Im Sinne von ,gerade jetzt 1 finden wir das doppelte
modo bei Fulg. Rusp. serm. 31. col. 888 a M. : Ne tunc
quaeratis, quando inveniri non potest. Modo modo (sc.
quaeratis), dum in forma apparet servi. In den Veden
265, 20 lesen wir maJcsü maJcsü (mox mox) = recht bald.
Das Gesaramtresultat dieser Einzelbeobachtungen aber
bleibt immerhin, dass der Classicismus das äusserlich mecha-
nische Mittel der Gemination geflissentlich vermieden hat ;
1) Circumcirca ist wohl =: circa circum, im Kreis herum; oder
ist die Form geminiert mit Wechsel der Endung, wie verumenimvero ?
Digitized by
Google
WÖlffUn: Die Gemination im Lateinischen. 483
wollte man den nämlichen Begriff zweimal geben, so wählte
man lieber Synonyma wie longe midtumque, diu multumque,
multum diuque, vix tandem, vix aegre Acta Cypriani vom
J. 258, cp. 4, vix aegreque (Capitol. Maxim. 30, 6. Aur.
Vict. Caes. 11), vix et aegerrime Apul. met. 1, 14. Auch
wir sagen ,ganz und gar 4 und der Grieche wechselt wenig-
stens in der Form, wie in 7tavtd7zaoi, 7tdvxi\ (xcu) ndvTog
bei Plato, Aristoteles, Polyb 40, 5, 8; eigentliche Gemi-
nationen bilden dagegen adverbiell gebrauchte Präpositionen,
z. B. ,durch und durch, für und für 1 , wie iterativ ,fort und
fort, nach und nach.' Ja man darf vielleicht vermuthen,
dass statt des classischen satis superque oder satis abunde
(que) ein vulgäres satis satis (que), statt frustra (ac) nequi-
quam (vgl. Hand. Tursellin.), frustra incassumque (Mart.
Cap. 1, 10. incassum frustraque Lucr. 2, 1060) ein frustra
(ac) frustra üblich gewesen sei. Darnach wären dann die
Neulateiner doch von einem richtigen Sprachgefühle geleitet
gewesen, wenn sie sensim sensimque 1 ) schrieben, ob-
schon in der classischen Latinität nur sensim pedetentimque
(Cic. off. 1, 120. . Tusc. 3, 54), sensim et paulatim u. ä.
nachzuweisen ist.
Noch zwei Fälle dürften zur Aufhellung des Sachver-
haltes etwas beitragen. In einem Senatus consultum nach
Commodus Tod soll (es wird ja über die Aechtheit dieser
Documente gestritten) gestanden haben nach Lamprid.
Commod. 18, 14: Te salvo sdlvi et securi sumus, vere
vere (vere severe codd.) modo vere modo digne 9 modo vere
modo libere 9 and ebendaselbst § 5 hostis parricida vere vere.
Die8s klingt nicht römisch (vgl. vero enim vero) 9 sondern
christlich, und erinnert an das amen amen, welches der
Evangelist Johannes constant, d h. 25 mal verdoppelt vor
1) Das Beispiel kann auch in die iterative Gemination gezogen
werden; s. oben S. 468.
[1882. I. Philos.-philol. hist. Cl. 3/| 32
Digitized by
Google
484 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 6. Mai 1882.
dico vobis (tibi), während diess in den andern Büchern der
heiligen Schrift (Numeri 5, 22. I Esdr. 8, 6) nur aus-
nahmsweise, in den analogen Stellen der Evang. Matth.
Marc. Luc, gar nicht vorkommt.
Für den christlichen Character dieser Verdoppelungen
spricht auch, dass Augustin in der Uebersetzung von Stellen
des alten Testamentes mehrmals valde valde (vgl. des
Vf. Comparation S. 5) gebraucht. Aber eben diese Redens-
art kann uns von der Grenze des vierten und fünften Jahr-
hunderts nach Chr. auf die altern Quellen zurückführen:
denn sie entspricht zunächst dem aq)6dqa oyoÖQa, der Septua-
ginta, in letzter Instanz dem verdoppelten hebräischen -jxp?
was eigentlich Kraft, dann sehr bedeutet. Die wörtliche
Uebersetzung des Augustin ist in die Vulgata nicht durch-
gedrungen; im Gegentheil entschuldigt sich Augustin Locut.
de genesi 52 mit den Worten: Latini ,augeam ie nimis
valde', Graeci (d. h. die griechische Uebersetzung von Genes.
17, 6) habent ,valde valde'. Er fühlte, dass man dem Geiste
der lateinischen Sprache Gewalt anthue mit der Verdopplung,
und dass man die Härte mildere durch die Verbindung
zweier Synonyme. So hat die Vulgata Genes. 17, 2. Ezech.
16, 13 vehementer nimis; Ezech. 9, 9. 37, 10 nimis valde;
2 Esdra 2, 2 valde ac nimis mit Copula; Genes. 17, 6
vehementissime; Exod. 1, 7. 1 Sam. 11, 15 bloss nimis,
1 Reg. 7, 47. 2 chron. 16, 14 nimius; Genes. 17, 20.
Num. 14, 7 valde; Genes. 27, 33. 2 Reg. 10* 4 vehementer.
Die Verdoppelung ist mithin Hebraismus; man kann viel-
leicht auch sagen Semitismus, wenn man bei Duval, traite
de grammaire syriaque, Paris 1881. pg. 349, liest, das
Adverb werde durch Verdopplung verstärkt, z. B. male male
— pessime, bene bene = optime. Nach Macrob. Saturn. 1,
23, 17 nannten die Assyrier einen Gott Adad, was Macr.
mit unus unus übersetzt. Im Arabischen, freilich vorwiegend
im Romanstil und schwerlich im Koran bedeutet Jcabir Jcabir
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 485
sowohl grösser als auch sehr gross, ohne Unterscheidung
von Adiectiv und Adverbium. — Auch Erman sagt in der
neuägyptischen Grammatik § 64: Gesteigert wird der
Adiectivbegriff durch nachgesetzte Adverbia oder durch
Doppelung.
Geringeren Antheil haben an dieser Bildung im Ganzen
die altern indogermanischen Sprachen, und in keiner ist die
Gemination normal geworden zur Bezeichnung des Elativus.
Indessen hat doch das Sanskrit manche Adverbia, bezieh-
ungsweise adverbiell gebrauchte Substantiva verdoppelt, so:
gamam gamam (Gang Gang) = fortwährend, svairam sv.
langsam langsam, sinnverwandt ganaih can., und mandam-
mandam im Pantschatantra, bei Benfey, chrestomath. 1853.
S. 97 ; sukhasuJchena, adverbieller Instrumentalis von suJc-
hasulcha , ganz gern : uparjupari = hoch über , zu An-
fang des Nalas. Nicht selten im Neuhochdeutschen, z. B.
tief tief, des Knaben Wunderhorn, I, 283 Hempel.
Damit ist der Stammbaum in eine anständige Höhe
hinaufgeführt, und es hat sich, wie zu erwarten war, ge-
zeigt, dass die intensive Gemination nicht Specialeigenthum
irgend einer Völkerfamilie ist und dass man überall auf
dieses einfache Mittel verfallen konnte; nur in der Häufig-
keit des Gebrauches sind gewaltige Unterschiede zu con-
statieren, und wenn innerhalb des Lateinischen das afri-
kanische Latein den Löwenantheil in Anspruch nimmt, so
liegt es doch sehr nahe einen Einfluss des Punischen anzu-
nehmen. Für einen Zusammenhang der Africitas dagegen
mit dem Italienischen ist noch nichts nachgewiesen ; war er
vorhanden, so ist der Nachweis darum schwierig, weil die
Gemination sich mehr in der lebendigen Volkssprache als
in der Litteratur festsetzte. Von Augustin bis in das 19. Jahr-
hundert ist eine weite Strecke: aber die kleinere Hälfte ist
bereits zurückgelegt, wenn wir versichern können, dass die
Gemination schon bei Dante floriert. Die Beispiele aus der
32*
Digitized by
Google
486 Sitzung der phüos.-phüol. Glasse vom 6. Mai 1882.
Divina commedia giebt Blaue, Vocabolario dantesco, S. 2 ff.,
denen ich nach gefälliger Mittheilung von H. Prof. Suchier
hinzufüge: Inf. 17, 115 lenta lenta, 17, 101 indietro i.,
21, 89 quatto q. 21, 115 posa p., 22, 75 intorno int. 29,
70 passo passo.
4. Die Triplication.
Es muss schliesslich noch die Frage aufgeworfen werden,
wie sich die affirmativ-intensive Gemination zu der ent-
sprechenden, 1 ) doch nicht so seltenen Triplication verhalte,
die gerade auch am liebsten bei Vocativen und Imperativen,
Adiectiven, Adverbien und Iuterjectionen Anwendung findet.
Im Trinumus des Plautus V. 1094 ruft Charmides, der
seinen Schatz durch die Treulosigkeit seines Freundes ver-
loren glaubt, in Verzweiflung dreimal o Callicles, und im
Pseudolus 237 begrüsst der Träger der Titelrolle den Ballio
zu seinem Geburtstage, da er ihn nicht gleich hört, drei-
mal mit den Worten: Hodie nate, heus, hodie nate; tibi
ego dico Heus hodie nate. Cicero beginnt einen Brief an
Quintus (1, 3), als ihm Mangel an Liebe vorgeworfen wird,
mit einem dreifachen mi frater , und der Ruf Talassio,
welcher ertönte, wann die Braut über die Schwelle getragen
wurde, und schon von den Alten richtiger als Vocativ denn
als Dativ erklart wird, folgt sich dreimal bei Virg. Catal.
4, 9. 5, 16. Das Nämliche beobachten wir bei den Impera-
tiven; im Curculio des Plautus 276 wird exi, im Trin. 589
i modo, in Gruters inscr. 2389 vale dreimal hintereinander
wiederholt, während anderwärts der dritte Imperativ von
dem zweiten durch wenige Worte getrennt ist, wie Soph.
1) Nur ausnahmsweise findet sich iterative Triplication Priap. 77, 8
usque et usque et usque. Vgl. Arnobius iunior de deo trino, 1, 4:
Serapwn dioät. Ergo et älius et alius et alius est. Arnobius dixit,
Alius et alius est et tarnen unus deus est,
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 487
Aiax 396 hl€0&\ eXea&e fx olxrJTOQa, ekeottt fi\ oder Sidon.
Apoll, carra. 9, 4 die, die quod peto, Magne, die. Die
Imperative age age age bei Plaut. Pers. 5, 1, 14. Epid. 5,
1, 15 leiten uns von selbst hinüber zu den Interjectionen
und Adverbien: Soph. Ai. 867 ny nq nq yaq ovx eßav
eyio; rqig ala^eiv 425; vae vae vae in der Apocalypse 8,
13; hie hie hie in der bist, miscella 13, 22. Vierfach aber
mit veränderter Form ist der Jubelruf der Bacchantinnen
euhan euhoe euhoe euhiim bei Ennius trag. 109 R: Soph.
Aiax 370 aldi, qlai.
Unter den wiederholten Eigenschaftswörtern steht obenan
das hebräische Heilig, heilig, heilig bei Jesaia 6, 3. Apocal.
4, 8, welches uns durch die Missa solemuis oder durch
Schillers Gang nach dem Eisenhammer in Erinnerung ge-
bracht wird:
Und als des Sanctus Worte kamen,
Da schellt er dreimal bei dem Namen.
Die Griechen haben ihr TQlgfiaxaQ , ihr TQigolßiog,
welches doch nichts anderes ist, als ein addiertes oXßiog,
olßiog, olßiog; die römischen Dichter ihr ter felix und ter
beatus (Ovid Met. 7, 51) analog ihrem trifur Erzdieb (Plaut.
Aul. 625), triportentum, Meerwunder (Pacuv. 381) und ein-
gedenk des homerischen tqi%$<x xcu TerQax&a und des callima-
cheischen xzTQcmahxi (Aristophanes de^anaXaC) die Griechen
überboten durch ihr terque quaterque beati Virg. Aen. 1, 94.
Sidon. Apollin. Epist. 1, 6 B. ; (er quater in easta felix bei
Properz 4, 11 (3, 12) 15; quater beatus Tibull 1, 10, 63;
ter feliees et amplius Hör. Od. 1, 13, 17. Noch überschwäng-
licher Ovid. Trist. 3, 12, 25
o quater et quotiens non est numerare beatum,
wörtlich copiert von Rutil. Namat. 1, 5; und art. am. 2, 447
o quater et quotiens numero comprendere non est Felicem.
Digitized by
Google
488 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 6, Mai 1882.
Dass diese feierliche Ausdrucks weise ihre Heimat in
der Sacralspraclie gehabt habe, wird schon dadurch wahr-
scheinlich , dass den Griechen ein TQigdyiog (Schiller Don
Carlos 2, 2 der dreimal heilige Gott) nicht fehlt, und eine
Abhandlung über die symbolische Bedeutung der Zahlen
müsste das noch viel heller ins Licht setzen. Numero deus
impare gaudet sagt Virg. Ciris 371 und der Refrain des
Arvalliedes triumpe (wohl ein Vocativ) wird gar fünfmal
wiederholt. Die dreimalige Anrede wird durch den Rhythmus
feierlich, indem durch eine folgende Pause (j J | J J) die
Dreizahl als etwas Geschlossenes heraustritt. Wie oft bei
Horaz Od. 4, 2, 49 io triumphe wiederholt zu denken sei,
lässt sich mathematisch nicht bestimmen , da der Dichter
nur sagt non semel dicemus. Vgl. Ovid Trist. 4, 2, 51.
Der gehobensten Stimmung entspricht die Triplication, wie
in der Messe das berühmte mea culpa, mea culpa, mea
maxima culpa, und in Schillers Wilhelm Teil:
Seid einig, einig, einig.
während unsere fade Prosa glaubt nachhelfen zu müssen
mit einem : Er lebe hoch, und noch einmal hoch, und zum
drittenmal hoch.
Ein Zusammenhang dieser Form mit der Gemination
wird uns um so näher gelegt, als einige der genannten
Ausdrücke auch in einfacher Wiederholung erscheinen.
Dem dreimaligen Talassio entspricht in der griechisch-
römischen Hochzeitspoesie o Hymen Hymenae, o Hymen
Hymenaee bei Catull 61, 4 ff. und etwas variiert 62, 5.
Ausdrücklich doppelte Anrufung bezeugen Ovid Art.
am. 2, 1
Dicite ,io Paean 1 et ,?*o 4 bis dicite ,Paean''.
Metam. 5, 625 Et bis ,io Arethusa, io Arethusa' vocavit.
Age age und vale vale sind oben (S. 435) angeführt,
Digitized by
Google
Wölfflin: Die Gemination im Lateinischen. 489
und vae vae findet sich nicht nur bei Ezechiel 16, 23,
sondern auch in der Apocalypse 18, 10. 16.
Aber die Gemination als eine Abschwächung der Tripli-
cation aufzufassen wäre doch ein vgtsqov ttqoteqov, welches
voraussetzte, dass man von 1 auf 3 gesprungen, nachher auf
2 herabgesunken wäre. Drehen wir daher lieber die Sache
um und denken wir uns, der gehobene Ton habe anfänglich
zur Gemination geführt und die Sprache des Priesters habe
diese zur Triplication gesteigert. Schon bei Homer Od. 9,
65 sagt Odysseus, er sei nicht eher von dem Kikonenlande
abgefahren, bevor den Gefallenen die Ehre des dreimaligen
Todtenrufes zu Theil geworden sei ;
Ttqiv xiva tüjv deifaov ezccQwv tqiq exccovov dvoai.
Dann lässt uns die sacrale Triplication ahnen, dass die
Gemination, wenn sie auch im Griechischen in beschränktem
Umfange erhalten ist, kein flüchtiger Dnrchgangspunct,
sondern eine Entwicklungsstufe war, die feste Wurzeln
musste gefasst haben, bevor sie selbst auf die dritte Potenz
erhoben werden konnte.
Wir sind weit entfernt zu glauben das letzte Wort in
dieser Frage gesprochen zu haben ; vielmehr musste , ehe
dieselbe spruchreif werden kann, Material, welches nicht auf
der Oberfläche der litterarischen Studien liegt, gesammelt,
anderes, welches in dieses Gebiet zu gehören schien, bei
näherer Betrachtung jedoch sich als unbrauchbar erwies,
ausgeschieden werden ; vor Allem aber galt es die verschie-
denen Arten der Redefigur festzustellen und abzugrenzen,
da ihr so verschiedene Anschauungen zu Grunde liegen und
deren Gebrauch in den einzelnen Sprachen und Sprachperi-
oden so stark auseinandergeht Vgl. Fr. Müller, Sitzungs-
ber. d. Wien. Akad. 1860. hist. phil. Cl. 35, 56. Wenn
Digitized by
Google
490 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 6. Mai 1882.
man von der affirmativ-rhetorischen Gemination absieht,
welche wesentlich als ein Prodact der Kunst zu betrachten
ist, sind von der plurativen die meisten Spuren im Sub-
stantiv und Pronomen, namentlich bei den einen Temporal-
begriff involvierenden Hauptwörtern (vgl. darüber den be-
rühmten indischen Grammatiker Pänini 8, 1, 4, und Rosen,
Anmerk. zu Rigveda 1, 3, der ausser dive dive noch an-
führt ahar dhar täglich , masa mäsa monatlich , und vise
vise jedem Menschen , welches sich mit quisquis berührt),
von der iterativen im Comparativ, von der intensiven im
Positiv erhalten.
In Betreff der letzteren glauben wir zunächst negativ
behaupten zu dürfen , dass sie nicht als griechisch gelten
kann; die Griechen hatten ein zu feines Gefühl, um eine
so äusserliche, nach ihrem Geschmacke offenbar rohe Aus-
drucksweise zu dulden, und selbst von dem Neugriechischen
wird es noch gelten, dass auf die Wiederholung eines Posi-
tivs nur etwa ein Kind verfallen kann. Auffallend selten
sind Beispiele aus der altrömischen Volkssprache (Plautus,
Horaz) ; aber e i n Bedenken gegen den Zusammenhang des
alten Vulgärlateins und des Italienischen wird beseitigt oder
abgeschwächt sein, nachdem wir festgestellt haben, dass die
Einschaltung der Copula ein Product der fortschreitenden
Cultur ist und wenig oder nichts an der Sache ändert,
wornach wir denn von dieser Seite berechtigt sind, das la-
teinische longe longeque mit dem italienischen lungo lungo
identisch zu setzen. Unklar ist auch noch, worüber die
Herrn Romanisten sich schlüssig machen mögen, ob die
italienische Elativgemination am Po und in den Abbruzzen
ebenso häufig und heimisch sei als in Rom und iu der
Toscana, und ob im Adiectiv ebenso eingebürgert wie im
Adverb. Es hält freilich schwer zu glauben, dass das La-
teinische die Wiederholung der einer Gradation fähigen
Worte auch nur in annähernd ähnlichem Umfange gekannt
Digitized by
Google
WÖlfflin: Die Gemination im Lateinischen. 491
habe wie das Italienische; denn einmal müsste uns, auch
wenn die Ausdrucksweise dem höheren Stile fehlte, die
Brief litteratur , der Roman, die Satire, die Komödie, das
Kirchenlatein mehr Beispiele davon erhalten haben, und
dann hätte man auch das Recht zahlreichere Ueberreste im
Spanischen und Französischen zu erwarten. Ausserdem ist,
wo die Gemination im Lateinischen angewendet wird, eine
stärkere Emphase als in den modernen Litteraturen unmög-
lich zu verkennen, woraus dann folgt, dass sie auch seltener
sein muss. Immerhin ist die Ausbildung einzelner Formeln
wie longe longeque, multo multoque, nimium nimiumque,
procul ac procul soweit von Belang, dass damit möglicher
Weise etwas gegeben war, woran die spätere Sprachent-
wicklung erweiternd anknüpfen konnte.
Die Grammatik hat hier noch Manches aufzuhelleu:
denn der Ansicht, dass in dieser Disciplin nicht mehr viel
zu thun sei, sind wir, da wir uns auf den historischen
Standpunct stellen, so wenig, dass wir umgekehrt glauben
dem Anfang näher zu stehen als dem Ende; womit natür-
lich nicht gesagt sein soll , dass , wenn man die Aufgabe
nach den heutigen Erfahrungen anpackt, ebenso viele Jahr-
hunderte für die Vollendung nöthig seien als bisher ver-
braucht worden sind.
An merk. Bei der Transscription orientalischer Wörter haben oft die
Buchstaben mit untergesetztem Puncte u. ä. gefehlt, wess-
halb einige Ungenauigkeiten entschuldigt werden mögen.
Digitized by
Google
Yerzeichniss der eingelaufenen Bfichergeschenke.
Vom k. statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart:
Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde.
Jahrg. 1881. Bd. I. 1. 2. Bd. II. 1. 2. 1881. gr. 8°-
Von der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften in
Görlitz:
Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 57. 1882. 8°.
Von der Academie Boy die des sciences in Brüssel:
a) Annuaire 1882. 48. annöe. 1882. 8°.
b) Bulletin. 3. S3r. tom. 3. 1882. 8°.
Vom Germanischen National-Museum in Nürnberg:
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Jahrg. 1881.
1881. 4°.
Von der Universite catholique in Löwen:
a) Annuaire 1881. 45. annöe 1881. 8°.
b) Revue catholique. Tom. 51. 52. annee 188J. 8°.
Vom B. Istittäo Lombardo di scienze in Mailand:
a) Memorie. Classe di lettere. Vol. XIV fasc. 2. 1881. 4°.
b) Rendiconti. Serie II Vol. 13. 1880. 8°.
Digitized by
Google
Einsendungen von Druckschriften. 493
Von der k. Akademie der Wissenschaften in Amsterdam:
Afdeeling Letterkunde. II. Eeeks. X. Deel. 1881. 8°.
a) Jaarboek voor 1880. 1880. 8°.
b) Tria carmina latina. 1881. 8°.
Von der Societe Boyale des sciences in Lüttich:
Mömoires. IL S&rie. Tom. 9. Bruxelles 1882. 8°.
Von der Asiatic Society of Bengal in Calcutta:
Bibliotheca Indica Nr. 467. 468. 472. 1882. 8° und 4°.
Vom Harz- Verein für Geschichte in Wernigerode:
Zeitschrift. 14. Jahrgang 1881. 1882. 8°.
Von der Societe Boyale des Antiquaires du Nord in Copenhagen :
a) Mömoires. Nouv. Sörie 1880. 1881. 8°.
b) Aarböger for Nordisk Oldkyndighed og Historie. 1881.
1881. 8°.
Vom historischen Verein der Pfalz in Speier:
Mittheilungen. X. 1882. 8°.
Von Uer Beale Accademia dei Lincei in Born:
Atti. Serie IL Vol. 5 — 7. Serie III. Memorie della classe
di scienze morali. Vol. 6. 1880 — 81. 4°.
Von der k. k. Akademie der Wissenschaften in Krakau:
a) Pamietnik. Tom. 6. 1881. 4°.
b) Rozprawy histor. Tom. 14. 1881. 8°.
c) Scriptores rerum Polonicarum. Tom. 6 und 7. 1881. 4°.
d) Kolberg Lud. Tom. 14. 1881. 8°.
Digitized by
Google
494 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Musee Guimet in Lyon:
a) Annales. Tom. 2. 3. Paris 1881. 4°.
b) Eevue de Thistoire des religions. Tom. IV. Paris 1881. 8 n .
Von der Societe d' Emulation du JDoubs in Besancon :
Mömoires. V. Sene Vol. 5. 1880. 1881. 8°.
Von der Societe d' Emulation in Abbeville:
Bulletin des Proces-verbaux. Annees 1877—1880. 1881. 8°.
Von der historisch-statistischen Sektion der k. k. mährisch-
schlesiscJien Ackerbaugesellschaft in Brunn:
Schriften. Band 25. 1881. 8°.
Von der B. Beputazione degli studi di storia patria in Florenz :
Statuti della Universitä e Studio Fiorentino delP anno 1387.
Firenze 1881. 4°.
Von der Haagsch Genootschap tot verdediging van den christe-
lyken Godsdienst im Haag:
Werken. 5. Reeks. Deel 15. Leiden 1882. 8°.
Von der Genootschap van Künsten en Wetenschappen in Batavia:
a) Verhandelingen. Deel. 42. 1881. 4°.
b) Tydschrift. Deel. 27. 1881. 8°.
Von der k. Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg:
Bulletin. Tom. 28. 1882. 4°.
Vom Verein für Geschichte der Stadt Meissen in Meissen:
Mittheilungen. 1. Heft. 1882. 8°.
Vom Jiistorischen Verein in Neuburg ajB.:
Collectaneen-Blatt. 45. Jahrg. 1881. 8°.
Digitized by
Google
Einsendungen von Druckschriften. 495
Von der gelehrten estnischen Gesellschaft in Dorpat:
Sitzungsberichte 1881. 1882. 8°.
Von der North China Branch of the 'Royal Asiatic Society in
Shanghai:
Journal. New Ser. Vol. XVI. 1881. 8°.
Von der Royal Asiatic Society in Calcutta:
a) Bibliotheca Indica. New Series Nr. 474. 1882. 8°.
b) Proceedings. 1882. 8°.
Von der American Oriental Society in New Haven:
Journal. XI. Vol. 1882. 8°.
Vom historischen Verein in Ansbach:
41. Jahresbericht. 1881. 4°.
Vom k. böhmischen Museum in Prag:
Casopis Musea krälovstvi Sesköho. 1880 — 82. 8°.
Von der historischen und antiquarischen Gesellschaft in Basel:
Beiträge zur vaterländischen Geschichte. Neue Folge. Bd. 1.
1882. 8°.
Vom historischen Verein in Bayreuth:
Archiv für Geschichte von Oberfranken. Bd. XV. 1881. 8°.
Von der Je. preussischen Akademie der WissenscJiaften in Berlin:
a) Commentaria in Aristotelem graeca. Vol. IX et XL 1882. 8°.
b) Inscriptiones graecae antiquissimae edidit Hermaunus Roehl.
1882 fol.
Digitized by
Google
496 Einsendungen von Druckschriften.
Von Herrn C. Schoebel in Paris:
Memoire sur les origines de V öcriture alphabötique. Paris
1882. 8°.
Von Herrn Carl Stampf el Verleger in Pressburg:
Dr. Heinzens Anklageschrift „Hungarica" im Lichte der Wahr-
heit. 1882. 8°.
Digitized by
Google
Namen -Register.
Benfey (Nekrolog) 396.
Bergk (Nekrolog) 404.
ßursian 237.
v. Christ 355.
v. Dorn (Nekrolog) 394.
v. Druffel 348.
Friedrich 313.
v. Gieseb recht 417.
Gregorovius 235.
Hoffmann Franz (Nekrolog) 407.
Kuhn Adalbert (Nekrolog) 391.
v. Loher 373.
Longperier (Nekrolog) 409.
Lotze (Nekrolog) 400.
I
Meyer Wilh. 1.
Muir (Nekrolog) 412.
Digitized by
Google
498 Namen-Register.
v. Prantl 391.
v. Riehl 193.
Stumpf-Brentano (Nekrolog) 417.
Thomas 355.
Thurot (Nekrolog) 414.
Unger 237.
Wölfflin 422.
Digitized by
Google
Sach-Register.
Akademie in Corsica 235.
Antichristo Indus de 1.
Arcangelo Corelli 193.
Attikus- Ausgabe des üemosthenes 355.
Corelli Arcangelo 193.
Corsica Akademie 235.
Demosthenes, Attikus- Ausgabe 355.
Episcopi yocati 313.
Erchanfried episc. 313. *
Freisinger Urkunden 313.
Gemination im Lateinischen 422.
Germanische Menschenopfer 373.
Glosse rae in Xenophon's Hellenika 237.
Karl V. Kaiser 363.
Lateinische Gemination 422.
Lateinische Bythmen des XII. Jahrh. 1.
Ludus de Antichristo 1.
[1882. I. Philos.-philol. bist. Cl. 3.]
33
Digitized by
Google
500 Sack-Register.
Menandros der Rhetor 237.
Menschenopfer bei den Germanen 373.
Militärisches über den schmalkaldischen Krieg 348.
München, Kaiser Karl's V. Einzug 363.
Musikgeschich tliches 193.
Oadalhart episc. 313.
Otkar episc. 313.
Passauer Urkunden 313.
Rhetor Menandros 237.
Rythmen lateinische des XII. Jahrh 1.
Schmalkäldischer Krieg 348.
Schweden, eine Relation über 355.
Venezianer ein, über Karl V. 363.
Xenophon's Hellenika 237.
Digitized by
Google
Sitzungsberichte
der
philosophisch-philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu Miünchen.
Jahrgang 1882.
Zweiter Band.
JLü neben.
Akademische Buchdruckerei von F. Straub.
1882.
In Commistion bei G. Franz.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Inhalts - Uebersicht.
Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
Oeffentliche Sitzung zur Vorfeier des Geburts- und Namens-
festes Seiner Majestät des Königs Ludwig IL
am 29. Juli 1882. Seite
v. Döllinger: Verkündigung betreffs Preisaufgabe der Savigny-
Stiftung 229
Neuwahlen 232
Philosophisch -philologische Classe.
Sitzung vom 6. Mai 1882.
v. Halm: Ueber die Aechtheit der dem Justus Lipsius zuge-
schriebenen Reden. Eine litterarhistorische Untersuchung 1
R i e m a n n : Ueber die MctQtvQiai der byzantinischen liturgischen
Notation. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der
Kirchentöne aus den altgriechischen Oktavengattungen . 38
Sitzung vom 3. Juni 1882.
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussole ums . . 114
Sitzung vom 1. Juli 1882.
*Spengel: Ueber die Scenen-Eintheilung der lateinischen
Komödie 175
Digitized by
Google
IV
Sitzung vom 4. November 1882. Seite
K. Hofmann: Zur Textkritik des Guillaume le Marechal . . 234
Sitzung vom 2. Dezember 1882.
Wilh. Meyer: Ein Gedicht und ein Brief aas Freising von
den Jahren 1084 und 1085 und ein Labyrinth mit Versen,
8ämmtliche8 aus Cod. lat. 6394 der Münchener Bibliothek
(mit einer Tafel) 253
Nachtrag hiezu 400
♦Hofmann: 1. Ueber den Ursprung der Bienen im französischen
Kaiserwappen. 2. Zur Textkritik des Ploovant .... 300
Historische Classe.
Sitzung vom 6. Mai 1882.
Hei gel: Das Project einer Wittelsbachischen Haasunion unter
schwedischem Protectorat 1667—1697 51
*v. D ruffei: Kaiser Karl V. und die römische Curie vom
Wormser Reichstagsabschied bis zum Beginne des Regens-
burger Reichstages 1545 — 1546 113
Sitzung vom 3. Juni 1882.
*Rockinger: Der Könige Buch und der sogenannte Schwaben-
spiegel 139
F. v. B e z o 1 d : Wolfgang Zündelin als protestantischer Zeitungs-
schreiber und Diplomat in Italien, 1573—1590 .... 139
Sitzung vom 1. Juli 1882.
* P r e g e r : Ueber die Verträge^Ludwigs des Bayern mit Friedrich
dem Schönen in den Jahren 1325 und 1326 175
v. O e f e 1 e : Des Kurfürsten Karl Albrecht von Bayern italienische
Reise im Jahre 1737, von ihm selbst beschrieben . . . 176
Digitized by
Google
V
Sitzung vom 4. November 1882. Seite
Würdinger: Die Römerstrasse von Scharnitz (Scarbia) bis
Partenkirchen (Parthairam) und die mit ihr zusammen-
hangenden Befestigungen . 239
Sitzung vom 2. Dezember 1882.
Dehio: Die Genesis der christl. Basilika (mit einer Tafel) . . 301
Nachträglich zur Sitzung vom 4. Februar 1882.
v. D ruf fei: Beitrag zur militärischen Würdigung des Schmal-
kaldischen Krieges 342
Einsendungen von Druckschriften 401
Digitized by
Google
'1
Digitized by
Google
Sitzungsberichte
der
philosophisch-philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu !M!ünchen.
1882. Bd. II. Heft I.
München.
Akademische Bachdruckerei von F. Straub.
1882.
In Commission bei G. Franz.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Clasg^e.
Sitzung vom 6. Mai 1882.
Herr v. Halm hielt einen Vortrag:
„Ueber die Aechtheit der dem Justus Lipsius
zugeschriebenen Reden". Eine literarhisto-
rische Untersuchung.
Ein Jahr nach dem Tode des Lipsius, der am 24. April
1606 erfolgt ist, erschien zu Darmstadt ohne Vorwort und
Nennung des Herausgebers eine Sammlung seiner Reden:
Justi Lipsii orationes VIII Jenae potissimum babitae, e tene-
bris erutae. Liest man diese Reden nacheinander, so ergiebt
sich leicht, dass die vier letzten den vier ersten an Wert
bedeutend nachstehen. In der siebenten Rede c Utruin duae
illae adversariae orationes, quae nuper in bis scholis Ciceronis
et Salustii esse adsertae sunt , re vera sint Salustii an *)
Ciceronis 5 antwortet Lipsius auf eine Deklamation des Lud.
Carrio, der als anwesend bezeichnet wird. Dieser war ein
Studiengenosse desselben auf der Universität zu Löwen, wie
von ihm selbst in dem bekannten Briefe an Jo. Woverius
(Epist. Cent. III. misc. n. 87), der dessen Autobiographie
bis zum Jahre 1600 enthält, berichtet wird. Der gleichen
1) an wahrscheinlich Druckfehler für ac.
[1882. IL Philos.-philol. hist.Cl. 1.]
Digitized by
Google
2 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 6. Mai 1882.
Zeit gehören nach Inhalt und Form die fünfte und sechste
Rede an; sie fallen in das 18. Lebensjahr des Lipsius, der
a. a. 0. sagt: Annum agebam tum fere decimum octavum,
et publice iam specimen aliquod mei dederam declamando
in scholis aut disserendo. Die achte Rede, die zu Ehren
des Victor Giselinus bei seiner Doktorpromotion gehalten
ist, fällt einige Jahre später (1571). Sie erwähnt Lipsius
ausdrücklich in dem Briefe an Woverius, wo es heisst? Ibi
(zu Dole in der Franche-Comte) acerrima febris me pae-
nissime (sie!) sustulit: quam contraxeram oratiuneula in
honore et titulo Giselini mei dieta a meridie et convivio
mox insecuto. 1 ) Die bisher erwähnten Deklamationen
konnten füglich uugedruckt bleiben. Wir müssen aber
doch dem unbekannten Herausgeber für ihre Veröffentlichung
dankbar sein, weil wir durch ihre unzweifelhafte Aechtheit
zu der Annahme berechtigt sind, dass auch für die vier ersten
zu Jena gehaltenen Reden dem Herausgeber gute Quellen zu
Gebote gestanden sind. Diese zeichnen sich alle durch grosse
rhetorische Vorzüge aus, so dass es schwer erscheint za be-
stimmen, welche etwa als die beste zu erklären wäre. Die
Gewandtheit in der gauzen Darstellung und die Fülle der
Sprache ist so bedeutend, dass man gleich gute aus der-
selben Zeit nicht nachweisen kann. Als Vorbild dienten
die besten Reden Ciceros, aus denen viele Stellen benützt,
aber mit sehr grossem Geschick verwertet sind ; die Sprache
ist äusserst lebendig, der lateinische Ausdruck im Ganzen
korrekt und trotz einiger Schwächen weit besser als in den
meisten lateinischen Schriften der damaligen Zeit. Was die
politische und religiöse Gesinnung betrifft, so zeigt sich der
Verfasser als einen entschiedenen Feind des Pabsttums und
warmen Verehrer aller religiösen und politischen Freiheit.
1) Die Rede ist als ein Ineditum Lipsii auch gedruckt in Lipsii
epistolarum, quae in Centuriis non extant, decades XVIII ed. Jo. Js.
Pontanus (Hardervici 1621. 8°) p. 346 sqq.
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 3
Die zweite und dritte Rede sind in der Darmstädter
Ausgabe zum ersten Male gedruckt. Die zweite, mit welcher
Lipsius seine Vorlesungen in Jena eröffnete, enthält eine
Einleitung zu einem erklärenden Collegium über Tacitus;
in ihr ist die Tyrannei des Herzogs Alba, der in Vergleich
mit Tiberius gestellt wird, mit den lebhaftesten Farben
gebrandmarkt. Die dritte, de ratione interpretandi Ciceronis,
als Einleitung zur Erklärung der Briefe an Atticus erscheint
als ein rhetorisches Meisterstück in ihrer Art; auch sie
enthält, so ferne auch der Gegenstand an sich lag, eine be-
geisterte Apostrophe an Luther und Melanchthon „duo illa
Germaniae vel Europae potius luraina" und an den grossen
Erasmus. Zur Beglaubigung dieser beiden Reden dient ein
Brief des Lipsius an Joachim Camerarius vom 18. Nov. 1572
aus Jena, den Th. Sagittarius in seiner polemischen Schrift
Lipsius Proteus (Frankfurt 1614) S. 21 f. mitteilt (s. auch
Lipsii epist. praetermissarum decades VI p. 111); in diesem
spricht Lipsius von seinen scholia in Tacitum ad veteres
libros emendatum, die er bereits ausgefeilt habe, 1 ) und er-
zählt noch, dass er publice die Briefe an Atticus eben er-
kläre. Aus den Akten der Jenaer Universität gibt Sagittarius
a. a. 0. S. 26 an, dass Lipsius die Erklärung der Briefe
am 25. Nov. 1572 begonnen und das erste Buch am 20. Juni
1573 beendet habe. Es dürfte daher schwer sein, die Aechtheit
dieser trefflich durchgeführten Reden in Zweifel zu ziehen.
Bereits gedruckt war die erste Rede de obitu principis
Johannis Guilielmi ducis Saxoniae, in welcher die Verdienste
des verstorbenen Fürsten und des ganzen sächsischen Hauses
um die Verbreitung eines reineren Glaubens mit Begeister-
ung gepriesen werden. 2 ) Da von dieser Rede noch bei Leb-
1) Damit stimmt überein, dass die erste Ausgabe des berühmten
Commentars bereits 1584 im Druck erschienen ist.
2) So.heisst es pag. 13 (ich citiere nach der bekanntesten Aus-
gabe der VIII Orationes von Kromayer, Jena 1726): Ut illa Scipionum
1*
Digitized by
Google
4 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882.
Zeiten des Lipsius drei Ausgaben *) erschienen sind, so kann
von einer Frage, ob acht oder nnächt, keine Rede sein.
Auffallig erscheint, dass die am 19. März 1573 gehaltene
Rede, welche eine vom 3. Juni 1573 datierte Dedikation an
die Wittwe des Herzogs Dorothea Susanna enthält, erst 1577
zum erstenmal erschienen ist. In einem Briefe des Lipsius,
den P. Burman in der Sylloge epistolarum I. p. 162 er-
wähnt, verspricht er der Herzogin Wittwe, seine in funere
principis gehaltene Rede nächstens politam, d. h. gehörig
ausgefeilt schicken zu wollen. Wieder ist die Rede erwähnt
in einem Briefe des Lipsius an seinen Freund A. Ellinger
aus Frankfurt vom 1. April 1574, 2 ) wo es heisst: Vinariae
illustrissiraa Princeps benigne et comiter me excepit. egit
de oratiuncula funebri vulganda : gratiam et praemium pro-
posuit. negavi, ut quibusdam visus sum, subrustice et insi-
pienter. At ego valde desipiam, nisi sie desipiam: caussae
tibi notae. Die erste Ausgabe enthält als Anhang ein Carmen
gens apud Romanos ad Carthaginem evertendam fato nata videbatur,
sie haec Saxonica generosa stirps ad Dei hostes extirpandos, errores
evertendos, pestem pontificiam exaeindendam donata divinitus et con-
cessa ecclesiae est. Ferner p. 14: huius principis gloriam ulla unquam
delebit oblivio ? qui non falsum deorum cultum, sed unius Dei invo-
cationem, non mendacem superstitionem, sed veram evangelii doctrinam,
non tenebras, sed lucem, non mendacia, sed veritatem induxit, induetam
stabilivit, stabilitam defendit.
1 ) Die erste Ausgabe erschien Jenae 1577 exeud. Donatus Richtzen-
han, 18 Bl. 8°; eine zweite sine loco 1601, 12 Bl. 4°, beide in der
Jenaer Bibliothek. Eine dritte Halis Saxonum 1602, 4° enthält die De-
dikation an die Herzogin Wittwe nicht. In dieser heisst es in der
Vorrede: Quoniam huius viri doctissimi de obitu Principis oratio diser-
tissima et gravissima iam diu suppressa latuit et ad nos quasi post-
liminio rediit, visa fuit in medium proferenda etc.
2) Der Brief des Ellinger vom 21. März 1574, dem L. antwortet,
ist in Burman's Sylloge epistolarum I. num. 4 gedruckt. Die Antwort
des L. findet sich in dessen Epistolarum selectarum Ceirturia prima
(Antverpiae 1586. 8°) num. 10.
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 5
A. Ellingeri in rectoratum principis D. Friderici Guilielmi,
Ducis Sax., quem iuiit anno 1574 a. d. XII. K. Mart., woraus
zu schliessen ist, dass ihm die Herausgabe der Rede zu ver-
danken ist. Der Abdruck derselben in den VIII Orationes
ist keine Wiederholung eines der drei früheren Drucke,
sondern es lag dem Herausgeber ein handschriftliches Exem-
plar der Rede vor , das mehrere Berichtigungen der ersten
Ausgabe enthält und eine grössere Stelle in einer anderen,
älteren Passung gibt. Nach dieser entschuldigt sich Lipsius
in der Einleitung, weshalb er sich veranlasst fühle post
eruditissimam et longe gravissimam Doctoris Heshusii orati-
onem das Andenken des abgeschiedenen Fürsten durch eine
neue Rede zu feiern. Da der berühmte Theologe Tileman
Heshusius als des Kryptocalvinismus verdächtig noch in
demselben Jahre aus Jena verjagt wurde, 1 ; so ist es be-
greiflich, dass bei der Herausgabe der Rede die betreffende
Stelle unterdrückt wurde, wodurch eine andere Fassung des
Uebergangs erforderlich ward. Der Herausgeber der Darm-
städter Ausgabe war aber so gewissenhaft, in einem Anhang
auch die spätere Fassung der betr. Stelle mitzuteilen.
Da es schwer sein dürfte, die Aechtheit einer der bis-
her besprochenen Reden anzuzweifeln, so muss es von vorn
herein als unwahrscheinlich erscheinen, dass die letzte, der
Reihenfolge nach die vierte, die in der Darmstädter Ausgabe
den Titel hat: Oratio de Concordia, habita Jenae 28. Julii
1) Das gleiche Schicksal traf, als Kurfürst August von Sachsen
nach dem Tode des Herzogs Johann Wilhelm als Vormund die Verwalt-
ung seiner Länder übernahm, gegen hundert Theologen und Geistliche,
s. Herzog's Realencycl. VI, S. 78 (2). Lipsius schreibt an Joach. Camerarius
(Jenae 1573 a. d. V. Nonas Julii): Qui status Academiae nostrae sit,
audisse te iam opinor de aliis. Professores omnes veteres abdicare
coacti sunt quatuor exceptis, in quibus Doctor Ellingerus et ego reman-
simus; s. Epist. praetermiss. decades VI, p. 125. Aus diesen Wirren ist
wohl auch die späte Veröffentlichung der oratio funebris zu erklären.
Digitized by
Google
6 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882. *
hora octava anno 1573 in promotione VII magistrorum
von einem anderen Verfasser herrühre. Die Rede besteht
aus zwei Teilen, die nur lose zusammenhängen. Der eine
ist gegen die Händel- und Skandalsucht, oder richtiger ge-
sagt, gegen die krasse Zuchtlosigkeit der Mehrzahl der da-
maligen Studenten gerichtet; der zweite gegen die Klopf-
fechtereien der lutherischen Geistlichen , deren Hauptheerd
gerade Jena in jener Zeit war, 1 ) die in ihrer Blindheit nicht
einsähen, wie grossen Schaden sie damit ihrer eigenen Kirche
bereiteten. 2 ) Man mag über die Tendenz der Rede urteilen,
,wie man will, so verdient der männliche Freimut, mit
welchem der Redner in einer heiklen Sache gesprochen und
schlimme sociale Schäden aufgedeckt hat, jedenfalls alle Be-
wunderung.
Als noch bei Lebzeiten des Lipsius eine Ausgabe der
Rede 1600 in Zürich erschien, 8 ) erklärte derselbe mit aller
Entschiedenheit, dass er nicht der Verfasser sei. Dass der
Herausgabe der Rede, die der bekannte Jurist und Historiker
Melchior Goldast vermittelt hatte, die Absicht zu
Grunde lag, dem Lipsius, der längst zur katholischen Kirche
zurückgekehrt war , Schaden und Aerger zu bereiten , ist
mit Recht in einem vortrefflichen Programm von J. Mich.
Heinsius: De Justo Lipsio professore Jenensi prolusio
(Weimar 1773. 4°) bemerkt, der noch beifügt: quod nescio
an hodie aliquis humanior laudare velit vel probare , cum
nullo inde commodo bona causa aucta sit vel augeri tum
potuerit. War die Veröffentlichung in der Absicht gemacht
1) S. E. Wülcker in der Allg. D. Biographie XIV, 417 ff.
2) Schon am 1. Jan. 1573 schrieb Lipsius an Jo. Camerarius (Epist.
praeterm. decades VI, p. 116): Equidem angor intimis sensibus, Ecclesiam
ita misere dissipari et quosdam eo dementiae venisse, ut dum alios
obruant, etiam navim, in qua ipsi navigent, perforare conentur.
3) Der Titel der sehr seltenen Ausgabe lautet: Justi Lipsii de
duplici concordia oratio, non prius edita. Tiguri 1600. 20 Seiten 4°.
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 7
worden, den Lipsius zu ärgern, so war der Zweck voll-
ständig erreicht. Er war an der verwundbarsten Stelle ge^
troffen und wnsste sich nicht anders zu helfen, als dass er
in einem Schreiben an die Consules et Senatum imperialis
oppidi Francofurtensis, dd. Löwen, 29. Sept. 1600 die Autor-
schaft der Rede in ausführlicher Motivierung in Abrede
stellte. Dass die Apologeten des Lipsius mit dieser Erklär-
ung zufrieden waren und mit Phrasen schmählicher Ver-
leumdung um sich warfen, darf nicht Wunder nehmen ; sie
gingen nach dem Tode des Lipsius so weit, dass sie den
Vermittler des Druckes Goldast, trotzdem dass die Latinität
der Rede eine ganz vorzügliche ist, geradezu als ihren Ver-
fasser bezeichneten.
Doch ehe wir auf eine Prüfung der Gründe des Lipsius
eingehen , wird es nötig sein , mitzuteilen , was von den
äusseren Schicksalen des Züricher Drucks bekannt geworden
ist. In dem Werke Virorum doctorum ad Melchiorem
Goldastum epistolae ex bibliotheca H. G. Thülemarii (Spirae,
1688. 4°) schreibt J. Guil. Stuckius an Goldast aus Zürich
am 17. März 1600, dass gegen sein Wissen die Rede de
duplici concordia Frisii et Eglini opera gedruckt worden
sei, und zwar mit einem abscheulichen Fehler am Eingang
mihi causa fuit de re pravissima dicendi statt de re gra-
vissima. Der berühmte Gelehrte werde sofort wie eine ge-
reizte Horniss gegen uns mit seinen spitzigen Stacheln
wüten und es unseren Leuten, die ihrer Studien halber nach
Belgien gingen , zu entgelten wissen. Aus Paris schreibt
P. Vassanius am 23. September 1600 an Goldast: Lipsii
oratio nova nobis visa fuit, nee in ea Lipsii stylum sine
monitione tua unquam agnovissemus. In einem Schreiben
aus Zürich vom Monat November 1600 berichtet der eine
von den oben genannten Druckern oder Verlegern von der
Versendung der Rede und versichert, dass er und sein
Collega sich alle Mühe für Korrektheit des Druckes gegeben
Digitized by
Google
8 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882.
hätten; auf der ersten Seite stehe deutlich im Manuscript
de re pravissima, ein Fehler, den sie erst spät bemerkt,
aber in allen Exemplaren noch verbessert hätten. In dem
uns vorliegenden Exemplar der Züricher Stadtbibliothek,
das sonst keinerlei Korrekturen enthält , ist auch wirklich
der Buchstabe p in g mit der Feder verbessert. In dem
nächsten Briefe der Sammlung Nr. 33, der nicht datirt ist,
berichtet der Verleger Frisius an Goldast, dass der Buch-
händler Kung (Kungius) *) Exemplare der Rede nach Frank-
furt gebracht habe. Da sei sogleich der Buchdrucker Plantin
(der Hauptverleger der Werke des Lipsius) herbeigeeilt und
habe erklärt, dass es keine ächte Rede des Lipsius sei; der-
selbe habe alle Exemplare, gegen hundert an Zahl, aufge-
kauft und zu Makulatur gemacht (et pro maculatura usur-
passe). Auch habe er die Drohung beigefügt, dass man an
die Züricher Behörde schreiben und sowohl dem Auetor
editionis als dem Drucker einen Prozess anhängen werde.
Am 1. Dezember 1600 schreibt Kaspar Waser, der damals
Censor in Zürich war, an Goldast „Lipsius Hess in Frank-
furt durch einen Adelichen mit einem Prozess drohen, den
er gegen den Züricher Drucker wegen seiner Rede an-
strengen werde, die er für unterschoben erklärt und ein
Pasquill nennt. Ich bitte Dich daher, mir für alle Fälle
ausführlicher zu schreiben, wie sich beweisen lasse, dass
Lipsius und kein anderer der Verfasser sei; zwar erhellt
dieses ganz klar aus dem Stil, doch teile Du noch andere
Gründe mit; denn, fügt er bei, tandem omnis in me cuderetur
faba, qui censurae nostrae destinatus sum. Die Mahnung
um Mitteilung von Gründen wiederholte Waser in einem
Schreiben vom 21. März 1601. Weitere auf die Ausgabe
bezügliche Stellen finden sich in den Briefen an Goldast
1) In einem anderen Briefe heisst der Name wohl richtiger
Kingius.
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 9
nicht; ob es zu der angedrohten Klage gekommen ist und
mit welchem Erfolg, ist unbekannt.
Da jesuitische Schriftsteller nicht ruhten, den Goldast
als Fälscher zu verschreien , l ) sah sich derselbe veranlasst,
um sich von einem derartigen Verdacht zu rechtfertigen,
am 16. März 1613 ein Schreiben an den Weimarischen
Rath Friedrich Hortleder zu richten, worin er seinen Freund
ersuchte, Nachfrage in Jena anzustellen, ob 1) noch jemand
dort zu finden sei, der den Lipsius sprechen gehört habe,
2) ob aus dem Archiv der Akademie sich erweisen lasse,
wer jene sieben Magister gewesen seien, 3) ob in den Uni-
versitätsakten berichtet sei, welcher Art die Rede gewesen,
die der Dekan damals gehalten habe. Hortleder wandte sich
an den Professor Thomas Sagittarius in Jena, der ihm am
8. April aus Jena antwortete: 1) dass es in Jena und der
Umgegend nicht wenige Leute noch gebe, die den Lipsius
die Rede de concordia sprechen gehört und Abschriften da-
von sich gemacht haben, 2) dass die sieben Magister in den
Akten verzeichnet seien, 3) dass über die Art der Rede,
d. h. über ihren Inhalt, in den Akten nichts stehe, was zu
1) So hcisst es in J. Lipsii defensio postum a von Car. Scribanius
S. J. (zuerst zu Antwerpen 1608 8° erschienen), die in dem Sammelwerk
'Lipsii sapientiae et litterarom antistitis fama postuma' (Ed. IL Antv.
1613. 4°) wieder abgedruckt ist p. 269: palam edico omnibus: Orationis
Jenae habitae parens Melchior Haiminsfeldius Goldastus. Hie
ille Pseudolus calumniarum instruetor scenae, hie ille Pandorus, qui
malevolentiae mantello tectus sagittas spargit, et vulneri in Lipsio
locum quaerit etc. Ebenso stark ist eine Stelle in c De vera J. Lipsii
religione dialogus Arnoldi a Boecop Usipiopolitani', ebendaselbst p. 300.
Die Stelle vom Pandorus, die Arn. a Boecop wiederholt hat, ist aus
dem Schreiben des Lipsius an den Frankfurter Senat entnommen, wo
er vom Homericus Utis (s. u S. 14) sagt: sicut Pandarus . . ex insidiis
Menelaum vulnerat, sie iste calumniae sagittas spargit. Pandarus
erschien den gelehrten Apologeten ein Druck- oder Schreibfehler ihres
Meisters; sie verbesserten Pandorus,
Digitized by
Google
10 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882,
vermerken auch sonst nicht üblich gewesen sei. Die be-
treffenden Briefe sind in der schon oben erwähnten , sehr
selten gewordenen Schrift des Sagittarius „Lipsius Proteus 44
abgedruckt mit einer Reihe von Aktenstücken aus dem Archiv
der Universität, aus denen der unwiderlegbare Beweis ge-
liefert ist, dass Lipsius am 28. Juli 1573 als Dekan eine
Promotion von sieben Magistern vorgenommen hat; ihre
Namen sind S. 69 mitgeteilt. Trotzdem könnte die Rede
selbst unterschoben sein, wenn nicht gerade aus der Art,
wie Lipsius seine Autorschaft in Abrede stellt, sich das
Gegenteil erweisen Hesse. In einer gerechten Sache bedarf
es keiner unredlichen Waffen. Zwar ist auch Sagittarius
auf eine Prüfung des Schreibens an den Senat in Frankfurt
S. 28 ff. eingegangen, aber er schimpft mehr als er beweist
und hat gerade die wichtigsten Punkte nicht oder unge-
nügend erörtert, so dass eine gründlichere Untersuchung
der streitigen Frage wohl am Orte erscheint, um das noch
immer in biographischen Darstellungen spukende Gespenst
von einer Fälschung des Goldast l ) endlich aus der Welt
zu schaffen.
Die Gründe, mit welchen Lipsius seine Autorschaft
bestreitet, sind teils allgemeine, teils spezielle, die sich c ex
1) So schreibt J. J. Thonissen (de Louvain) in der sonst ganz
guten Biographie des L. in der Nouvelle Biographie g£n. par Hoefer
(1860) : Le baron de Reiffenberg a publie une monographie tres interes-
sante sous le titre de Bibliotheca Lipsiana (in seinem Commen-
tarius de Lipsii vita et scriptis, Brüssel 1823. 4°) ; eile renferme Y indi-
cation exacte de tous les ouvrages attribues ä J. Lipse. II n 1 a eu que
le seul tort de mentionner comrae appartenant au professeur de Louvain
plusieurs opuscules q u e celui-ciavaitformellenientdesavoues.
Der Tadel bezieht sich darauf, dass in der Bibliotheca der erste Druck
der or. de concordia, eine Ausgabe der or. funebris und eine der VIII
orationes p. 177 und 181 aufgeführt sind. Dass Lipsius die Autorschaft
von plusieurs opuscules in Abrede gestellt habe, ist eine aus der Luft
gegriffene Behauptung.
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 11
ipso scripto 5 ergeben. Ueber die ersteren kann ich mich
ziemlich kurz fassen. Sie gipfeln in dem Satze: res ipsa
dissidet, phrasis non convenit et facies tota scriptionis.
Als erster Beweis wird hingestellt, dass er auch nicht im
Traume einen Theologen machen wolle (nee theologum vel
in somnio assimilamus). Darauf ist in der Rede selbst be-
reits die Antwort gegeben: iam animo prospicio, quanta
invidiae procella a certis hominibus mihi impendeat, qui
clamabunt: „porro Quirites": indignum facinus in sacra
theologiae leguleium invadere. Quod non est ita, audi-
tores, atque hanc opinionem iam ante a vobis deprecor.
Non usque adeo praeeeps et amens in causa feror, ut aut
personae meae aut professionis oblitus invadam in professi-
otiem alienam. Nihil de Theologia disputo: querelam mihi
sumsi hoc loco, non doctrinam, dolendi partes, non do-
cendi. Die Worte nihil de Theologia disputo sind buch-
stäblich wahr; die Rede enthält nicht die geringste Er-
örterung eines Glaubenssatzes; wie sie vorliegt, so konnte
ein jeder Nichttheologe sprechen.
Die hauptsächlichste Erörterung in dem allgemeinen
Theil betrifft die Verschiedenheit des Stils. Wessen Nase,
ruft Lipsius, oder Gehirn ist so verschleimt, dass er nicht
mich und meinen Stil vermissen sollte? Pleraque omnia
non dicam languida, insulsa, sine Charite et Venere, sed
multa sordentia aut absona, quae non solum puritas et ele-
gantia, sed norma et grammatica respuet Latiaris. Es sind
starke Ausdrücke, mit denen Lipsius sein eigenes Kind ver-
läugnet; in ihnen liegt nicht ein ästhetisches Urteil vor,
über das man allenfalls streiten könnte, sondern geradezu
eine Unwah/heit. Zur einzigen Entschuldigung könnte nur
der Umstand dienen , dass der Züricher Ausgabe ein von
Fehlern entstelltes Manuscript zu Grunde lag, die sich fast
alle aus der weit besseren Darmstädter Ausgabe berichtigen
lassen. Aber durch diese Fehler ist der Stil nicht inkor-
Digitized by
Google
12 Sitzung der philos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882.
rekt geworden, sondern nur an mehreren Stellen unver-
ständlich. Die vielen kräftigen Stellen, die fehlerfrei sind,
zeigen durchaus einen Stilisten von seltener Gewandtheit,
so dass man mit bestem Fuge den Satz des Lipsius geradezu
umdrehen und sagen könnte : Nicht weil die Rede so schlecht
stilisirt, sondern weil sie in so gutem Latein geschrieben
ist, 1 ) hat es keine Wahrscheinlichkeit, dass sie von Lipsius
herrühre. Sehr richtig sagt J. G. Heineccius (Pundam. stili
cnltioris p. 266) : J. Lipsii orationes elegantiores purioresque
sunt eius epistolis, adeo ut eas nonuulli Lipsio suppositas
existiment» Der bizarre und unnatürliche Stil, den sich
Lipsius in Nachahmung des Tacitus und Seneca in seinen
späteren Jahren angewöhnt hat, reich an witzelnden Anti-
thesen, frostigen Wortspielen, orakelhaft dunklen Sätzen,
sprachwidrigen neuen Wortbildungen — dieser Stil hat
noch bei keinem Kenner Beifall gefunden. Dass er aber
im J. 1573, wo er im 26. Lebensjahre stand, besser zu
schreiben wusste, beweist die Trauerrede auf den Herzog
Johann Wilhelm, womit noch zu vergleichen ist, was er in
einem Briefe sagt: ego ut mutem (stilum) serum est: arbus-
cula haec sive recta sive aliter crevit et induruit in hanc
formam. Ciceronem amo : olim etiam imitatus sum.
Alius mihi sensus nunc viro. Wollte Lipsius die Verschieden-
heit des Stils beweisen , so lag es am nächsten , die oben
erwähnte Rede wegen der Gleichheit des Jahres und der
Schriftgattung heranzuziehen. Er hat sich aber weislich
gehütet, dieser Rede zu gedenken. Ihre Autorschaft konnte
er unmöglich in Abrede stellen, 2 ) er hat sie aber in seinen
1) Treffend sagt Scaliger, der die zweite und dritte der Jenaer
Reden nicht gekannt zu haben scheint (Scaligeriana , Genevae 1666
p. 204): Orationes de duplici concordia et in obitum Ducis Saxoniae
latinissimae sunt et aliis Lipsii operibus latiniores.
2) Indirekt ist es vielleicht geschehen in der Praef. zu c De cruce
libri HI* (Antv. 1593, 4) in den Worten : Quid, quod alii gravius etiam
Digitized by
Google
v. Hcdm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 13
Schriften tot geschwiegen. Den oben angeführten Brief an
A. Ellinger, in welchem sie allein erwähnt wird, fand er
für gut, in späteren Ausgaben der betreffenden Centuria
zu unterdrücken. 1 ) Da mein Urteil über den stilistischen
Wert der Rede immer ein subjektives ist, so werde ich im
Anhang die Rede selbst mitteilen und zwar unter Benütz-
ung der zwei stark abweichenden Ausgaben in einer wesent-
lich verbesserten Gestalt.
Ehe Lipsius auf den besonderen Teil zu sprechen
kommt, nimmt er einen gewaltigen Anlauf, indem er sagt:
Haec satis apud sapientes iudices . . . sed lubet exspatiari
longius et toto campo discurrere, non laborantem sed insul-
tantem. Age, ex ipso scripto, si palam elicio et efficio me
scriptorem non esse? Nam ut furibus aliquid fere ad in-
dicium, sie mendaeibus solet excidere ad agnoscendum.
Es sind vier Indicien, die aufgeführt werden. Das
schwächste betrifft den Druckort. Lipsius sagt: Titulus
peccant? qui excipiunt aut intereipiunt dieta aut oratiunculas nostras
et in contumeliaro mei divulgant. In solchen Fällen ist es immer
klüger, sich in allgemeinen Ausdrücken zu bewegen als bestimmte Fälle
anzuführen.
1) Er fehlt bereits, wie in allen späteren Ausgaben, in jener von
1590 'Epistolarum centuriae duae, quarum prior innovata, altera nova\
die nur 4 Jahre später erschienen ist, nachdem Lipsius selbst den Brief
hatte drucken lassen. In diesen späteren Ausgaben fehlt auch ein aus
Jena 1573 datirter Brief mit Gratulationsgedicht (num. 69 der Ausg.
von 1586), und ein Brief an den berühmten Juristen Donellus (num. 76),
worin erwähnt wird, dass ihn Dr. Ellinger f tunc medicus in corpore,
saepe postea in animo* bei einer Krankheit in Jena curirt habe. Wie
man sieht, so sollten alle Erinnerungen an Jena verwischt werden. Die
unterdrückten Briefe sind wieder gedruckt in folgender seltenen Schrift :
Justi Lipsii ad C. Suetonii Tranquilli tres posteriores libros commen-
tarii. Eiusdem epistolarum praetermissarum decades sex nunc primum
editae, partim ex primis editionibus retraetae. Offenbaci 1610 239 pagg.
8°. Die kleine Sammlung enthält 8 aus Jena geschriebene Briefe, darunter
6 an Joachim Camerarius.
Digitized by
Google
14 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 6. Mai 1882.
libri praefert orationem hanc in Lugduno urbe typis ex-
cusam. Quaero, in utra? in Celtica illa longinquiore an
in hac nostra vicina? neutribi. Sed cum rem inquisivimus,
compertum est, Tiguruni Helvetiorum theatruni esse, nbi
scaena haec calumniae instracta. Per fidem, hoc est fidem
quaerere, in ipsa fronte atque aditu sie mentiri ? Quis auteni
typographus? latet, nee alius ibi editus quam Homericus
ille Utis. Aus diesen wohl absichtlich dunkel gehaltenen
Worten muss man vermuten, dass ein Buchhändler von
Leyden (von Lyon kann bei Lugdun um begreiflicherweise
keine Rede sein) eine Anzahl von Exemplaren der Rede
gekauft und mit seiner Firma versehen ausgegeben hat. 1 )
Politische und theologische Pamphlete war es in jener Zeit
ganz gewöhnlich mit fingirtem Druckort erscheinen zu lassen ; 2 )
aus dem Umstand , dass ein solcher falsch ist , folgt noch
nicht, dass auch der Name des auf dem Titel genannten
Verfassers ein fingirter ist. Der Witz über den Züricher
Typographen, der ein homerischer Utis genannt wird, er-
scheint nicht bloss als ein frostiger, sondern auch als ein
sehr unüberlegter; denn eine halbe Seite später wird aus
der Aussage dieses Utis das zweite Indicium gegen die Aecht-
heit der Rede entnommen.
Lipsius stellt den Satz hin: manum meam deposco ut
germanum aliquid sit meum. Wie man nun, fahrt er fort,
den Typographeu in Prankfurt über das Manuscript befragt
habe, erklärte er, für den Druck habe das chirographum
auctoris gedient. Ueber die Schrift befragt, sagte er aus:
omnis munda, nitida atque adeo capitales clausularum
1) Ein solches Exemplar erwähnt ReifFenberg in seiner Bibliotheca
Lipsiana p. 177: c Lugd. Bat. 1600 in 4°*; der Titel ist sonst derselbe
wie in der editio Tigurina, s. oben S. 6.
2) Auch die Zürcher Ausgabe kann als ein Pamphlet gelten, weil
der Druck der Rede nicht vom Verfasser, sondern gegen denselben er-
folgt ist.
Digitized by
Google ,
v. Halm: Eine Utterarhistorische Untersuchung. 15
litterarum minio notatae. noster Apollo, ruft Lipsius
aus, ich schreibe schön und rein? ich wünschte es, aber
ich habe ganz Europa als Zeugen meiner Kalligraphie.
Wie oft erschollen Klagen, dass man meine Handschrift nur
schwer oder gar nicht lesen könne ! *)
Der Verleger hatte ein Manuscript mit dem Titel Justi
Lipsii oratio etc. erhalten ; es war ihm erlaubt, anzunehmen,
dass ihm das Autograph des Verfassers zugekommen sei.
Dass er sich jedoch darin geirrt hat, ergiebt sich aus seiner
Aussage selbst. Hatte er ein reines und sauberes Manuscript
erhalten, so konnten schlimme Druckfehler wegen Unleser-
lichkeit nicht entstehen ; so aber ist der Druck durch eine
grosse Anzahl von sinnstörenden Fehlern der schwersten
Art entstellt; 2 ) /damit ergibt sich von selbst, dass ein Auto-
graph des Verfassers nicht zur Vorlage gedient hat.
1) Kleinlich ist was Lipsius in seinem Schreiben noch beifügt:
Sed tarnen aliud ecce manus meae argumentum, nam Volgus et V o 1-
nus et Volt us scribitur, illo scilicet antiquariorurn more etc. An den
zwei einzigen betreffenden Stellen steht in der Darmstädter Ausg. vultus
und vulnus, wie Lipsius immer geschrieben hat.
2) Sinnstörende Druckfehler finden sich, wie der Abdruck der
Rede ausweisen wird, gegen 40 ; es genüge zur Probe ein halbes Dutzend
anzuführen: ut arbores et fruges immoderata (st. moderata) caeli
temperie aluntur, frigore occidunt, sie etc. — quos quo nomine appellem,
nescio. an studiosos illo 8? ut qui (statt an studiosos? illosne qui)
conviviis et immanibus poculis sie sunt immersi, ut etc. — sed ad haec
omnia magnifica mihi quaedam et praeclara defensio ostenditur . . . reli-
gionis, inquiunt, est defensio (st. dissensio). — Quos.. quid aliud
dicam quam imitari P. Clodium? a cuius furoribus ceteri quoque
(st. ceteroqui) non multum abhorrent. — fideles tui non solum ab ex-
tremis (st. externis) hostibus oppugnantur, sed etiam inter se invicem
discordiis atteruntur. — Vos etiam, studiosissimi adolescentes, qui aut
in gubernationem Reipublicae aut moderationem Ecclesiae, tanquam in
magnum mare novi m u n d i (st. nautae) ingredimini, moneo etc. Selbst
an einer Interpolation fehlt es nicht. In der Darmstädter Ausgabe
heisst es richtig : ut . . nulla futura sit posthac publica consensio, nuila
bonorum auetoritas, nullum perfugium aut praesidium salutis. Daraus
Digitized by
Google
16 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882.
Als drittes Indicium führt Lipsius an, Sed aliud etiam
in titulo: dictam Jenae ultimo Julio 1 ) anni LXXTV. Diese
Angabe wird dadurch widerlegt, dass er schon am 1. März
des genannten Jahra«? 2 ) Jena verlassen habe. Er macht sich
selbst den Einwurf: at erratum est in numero. Allein das
habe keine Wahrscheinlichkeit ; denn antiquario modo stehe
absichtlich LXXIV; bei der Schreibung LXXIIII war eine
Verwechslung mit der Zahl LXX1II denkbar. Die Darm-
städter Ausgabe, die aus einem andern Manuscript her-
stammt, hat die richtige Jahreszahl 1573. Die Zahl 74
steht mit einer Stelle der Rede im Widerspruch, wie sich
sogleich ergeben wird, ist also sicher entweder ein Schreib-
oder Druckfehler.
Das vierte Indicium führt Lipsius mit den Worten ein:
'Diese Lügen finden sich auf dem Titel, doch welche in
der Rede selbst? mehrfache, aber eine ganz nette; sie lässt
mich sagen 8 ) : Ardet adhuc in vertice nostro sanguineum
illud sidus, quem Cometam vocamus. Ei wirklich, ein Komet
entstand durch Auslassung folgende Interpolation: at.. Bulla futura
sit posthac ulla bonorum consensio, nullum perfugium etc. — In der
Darmstädter Ausgabe heisst es : quos medio foro volitantes videtis . .
petaso tectos et quidem, ut Mercurium credo imitentur, etiam pennatos.
Statt der zwei letzten Worte hat die Züricher Ausgabe fünf Sternchen
als Zeichen einer Lücke zum klaren Beweise, dass das sauber geschrie-
bene Manuscript, welches dem Druck zur Vorlage diente, nicht das Ori-
ginal des Verfassers, sondern die Copie einer schlechten und theilweise
unleserlichen Handschrift gewesen ist.
1) Auf dem Titel steht deutlich XXI1X. Julii.
2) Die Angabe ist ungenau, wie sich aus einem Briefe des Lipsius
an die Räte zu Weimar, dd. 12. März 1574 aus Jena (Claroroin virorum
epistolae CXVII e bibliothecae Gothanae autographis ed. E. S. Cypri-
anus. Lips. 1714 p. 182) ergiebt, worin es heisst: quoniam intra sex
dies proximos discessurus sum etc. Lipsius hat Jena am 20. März 1574
verlassen.
3) es heisst: facit me dicere, wie Lipsius im J. 1573 sicherlich
nicht geschrieben hätte.
Digitized by
Google
v. Halm: Eine Utterarhistorische Untersuchung. 17
in jenem Jahre? Wir wissen, dass ein einziger Komet in
mildem und jovialem Glänze (Joviali splendore) geleuchtet,
nicht blutrot gebrannt habe (sanguineum arsisse) gerade
im J. 72 und dann wieder ein anderer, ein grosser, drohender
78. Wo aber und wann dieser dein Zwischenkomet? *) In
Europa hat ihn keiner von uns gesehen. Du, neuer Eudoxus,
sahst ihn am Himmel, wie mich in Jena\
Es gehörte eine starke Stirne dazu, diese Worte nieder-
zuschreiben, da sie so leicht aus einer andern Schrift des
Lipsius widerlegt werden konnten, was zu thun freilich
noch niemanden beigefallen ist. Lipsius hat es aber ge-
wagt, weil man eifrig dafür gesorgt hatte, dass wie die
Züricher Ausgabe der or. de concordia, so die drei Drucke
der Rede de obitu principis etc. bald zu grossen literarischen
Seltenheiten geworden sind. 2 ) In dieser Rede, die einige
Monate früher gehalten und darauf noch besser ausgefeilt
wurde, ist der Komet und zwar nicht als ein sidus miti
splendore fulgens in längerer Stelle wiederholt erwähnt:
S. 19 f. astrum coeleste, quem cometam vocamus! quas
tu lacrimas nobis, quem lnctum ecclesiae . . denuntiasti? so-
dann: neque in illo coelesti corpore tot menses fax illa
1) Der Komet vom J. 1573 ist auch erwähnt in der Geschichte
der Kometen von Pingre (Cometographie. Paris 1783. 4° Tom. I. p. 511):
„1573. On vit une terrible Ötoile chevelue, vers la fin du signe des
Poissons. Si c' etoit une vraie Comete , eile ne devoit pas ötre si ter-
rible, puisqoe si peu d 1 Auteurs en fönt mention. Adlzreitter [Ann. P.
IL 1. XI. n°. 36], apres avoir parle sur Tan 1472 de la nouvelle Etoile
rapporte la naissance du Duc Maximilien de Baviere, en Avril 1573;
et il ajoute que V apparition de cet astre favorable fut accompagnee de
celle d 1 une Etoile chevelue".
2) Die in der Literatur des XVI. Jahrhunderts so reiche Münchner
Staatsbibliothek besitzt nur die Halle'sche Ausgabe der or. funebris;
die Universitätsbibliothek in München besass die ed. princeps derselben
Rede, das Exemplar ist aber, wie ein Revisionsprotokoll ausweist, ver-
schwunden, vielleicht pia fraude.
[1882.1LPhilos.-philol.hist.01. 1.] 2
Digitized by
Google
18 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6, Mai 1882.
tristissimi incendii comparuit sine comminatione impeudentiam
raalorum ; noch heisst es : Haec Dei immortalis vox . . iudi-
canda est, cum agri, cum templa contremiscunt, cum ipsum
caelum inusitato astro vim et quasi Iliadem quandam de-
nn ntiat malorum.
Da Lipsius in seinem Schreiben an den Senat alle
wahrscheinlichen und handgreiflich unwahrscheinlichen Gründe
aufgeboten hat, um die Autorschaft der Rede von sich ab-
zulehnen, muss es Wunder nehmen, dass er es nicht der
Mühe wert fand , auch nur eine Vermutung aufzustellen,
wer denn die Rede verfasst haben mochte. Ich finde ge-
rade in ihrer Meisterschaft den Hauptbeweis, dass nur Lipsius
sie konnte geschrieben haben; einen ebenso sprachgewandten
Redner wüsste ich in der damaligen Zeit weder in Holland
noch in Deutschland namhaft zu machen. Nach dem Stil
hätte sie von den damaligen Philologen nur etwa der Fran-
zöse Muret schreiben können; sein lateinischer Stil ist
ebenso fliessend und rein, aber in seinen Reden erscheint
er nicht so gedankenreich.
Noch wichtiger ist ein anderer Punkt, den Lipsius in
seiner langen Apologie begreiflicherweise nicht berührt hat.
War die Rede unterschoben in der Absicht, den Lipsius
als begeisterten Anhänger der Lutherischen Lehre zu schil-
dern, so muss man sich wundern, dass der Verfasser nicht
ein anderes Thema gewählt hat. Der so schön durchge-
führte erste Teil gegen die Zuchtlosigkeit der Studentenschaft
war zu diesem Behufe völlig überflüssig; auch statt des
zweiten Teiles hätte man ein passenderes Thema erwartet,
zumal als die Hauptstelle, die dem Lipsius schaden konnte,
in der Luther und Melanchthon den streitsüchtigen Theo-
logen eine kräftige Strafrede halten, erst in der peroratio,
also gleichsam ev Ttaqody vorkommt. Dass die Streitsucht
der lutherischen Geistlichen so derb gegeisselt wird, konnte
man ihm eher zum Lobe als Tadel anrechnen, weil dieses
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung, 19
kühne Auftreten zu der Vermutung berechtigte, dass er
gerade durch den Anblick dieses widerwärtigen Treibens
von der Anhänglichkeit für die lutherische Lehre abge-
kommen sei.
Für den folgenden Abdruck der Rede ist zu bemerken, dass in
den Noten Lesarten der Züricher Ausgabe mit A, der Darmstädter vom
J. 1607 mit B, mit C einzelne Varianten bezeichnet sind, die Sagittarius
in seinem Lipsius Proteus S. 71 ff. aus einer oder zwei Abschriften be-
kannt gemacht hat.
Justi Lipsii oratio de concordia, habita Jenae XXIIX. Julii
hora octaya Anno 1573 in promotione YII Magistrorum.
Etsi non est consuetudinis meae initio dicendi rationem red-
dere, cur de qualibet re disseram, propterea quod in ora-
toris voluntate situm esse arbitror, quod optimum iudicet 5
deligere: tarnen in hac causa, quam suscepi, defleetendum
paul lisper ab instituto veteri videtur, propterea quae iustissima
mihi causa fuit de re gravissima dicendi, eadem vobis ad
audiendum debet videri. Nam me cum Scholae huius dig-
nitas et vestra utilitas, ut de Concordia publica orationem 10
instituerem, adhortata est, tum vero ut id studiosissime
facerem, temporum istorum ratio et hoc officium, quod uua
cum salute Academiae sustineo, impulerunt. Etenim si un-
quam fuit boni et Christiani civis, cum statum Reipublicae
convelli labefactarique videat, suceurrere fortunis communibus 15
et medicinam consilii sui adferre, hoc certe tempus est,
quo cum alia multa praesidia Ecclesiae et Scholarum paene
sunt eversa, tum vel praecipuum earum firmamentum Con-
cordia sie in discrimen adducitur, ut nisi huic nascenti malo
1 De duplici concordia oratio dieta Jenae in promotione Magistrorum,
XXIIX. Julij, ClQ.lQ. LXX1V. A | 5 potestate A | esse fehlt in A \
8 pravissima A (gravissima mit Feder corrigirt) | 8 eadem] ea A \
11 hortata B | 12 una fehlt in | 18 eorum A
2*
Digitized by
Google
20 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 6. Mai 1882.
tanquam perniciosissimo incendio omnes boni subveniamus,
nulla fatura sit posthac publica consensio, nulla bonorum
auctoritas, nulluni perfugium aut praesidium salutis.
Quae cum ita sint, labor quidem dicendi meis humeris
5 incumbet, studium salutis publicae conservandae commune
mihi vobiscum esse debebit, a quibus tria haec pro meo
quasi iure peto. Primum, ut praestetis in me audiendo
eam benevolentiam, quam soletis: eam attentionem, quam
vultus vestri et ista oculorum in me coniectio tacite polli-
10 cetur. Deinde, ut quoniam scopuloso et difficili in loco,
pleno suspitionura pars orationis meae versabitur, nemo in
me (quod iam animo futurum praecipio) nimis ingeniosus
sit et plus dixisse me suspicetur, quam dixeram. Pos-
tremo, ut si in hoc motu temporum in quorundam animis
15 insedit quiddam opinionis incommodae, eam si ratio labe-
factarit, veritas extorserit, ut ne repugnetis animisque vestris
libentibus aut omnino deponatis, aut si id non potest, ad
finem orationis meae seponatis. Equidem, si quis Deus mihi
vestram benevolentiam conciliaverit, efficiam profecto , ut
20 fateamini, sermonem hunc non solara sensibus vestris non
iniacundum, sed animis etiam utilem et salutarem fuisse.
Sed priusquam de re ipsa dicam, certos terminos et quasi
cancellos orationi'raeae vel brevitatis vel perspicuitatis causa
constituam: extra quos si egredi conabor, facile me existimatione
25 vestra revocabitis. De duplici Concordia instituta mihi haec
oratio est: quarum alteram in Scholis constituo, alteram in
Ecclesia necessariam iudico. De priore dum breviter dico,
quia ea pars orationis ad vos, studiosi adolescentes, pertinet,
2 posthac ulla bonorum consensio A | 2 nulia bon. auctoritas feblt
in A | 5 incumbit A | 7 uti me audiendo adbibeatis eam A j 8 eam
att.] nam att. A | 9 uoltus A | pollicetur, * * *. Deinde A | 10 ut fehlt
in A | 13 me fehlt in A | 13 dixerim A | 15 incommodae] iniectae A \
16 reputetis A \ 19 vestram fehlt in A \ 22 et und meae fehlt in A \
27 Ecciesiis A | priori B \ 28 orationis tota ad C
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 21
peto a vobis, ut paullisper aegros imitemini, quorum affectae
corporis parti cum a medicis scalpellum adhibetur, uri se
et secari aequo aniino patiuntur: itidem vos, si aut acerbi-
tatem oratio mea aut aculeos quosdam habere videbitur,
salutis vestrae causa me sascepisse haue personara cogitetis. 6
Duo genera hominum versari in hac schola video, quorum
alteri studiosi et appellantur et re ipsa sunt, alteri cum a
re longissime absint, nomen tarnen in speciem et dicis causa
usurpant; quos inter studiosos ita recensere possumus, ut
Epicureos inter Philosophos. In prima illa Classe pono 10
eos, quorum neque in studiis diligentia requiritur, et in
moribus pudor cum modestia elucet. Secunda Classis con-
tinet illos, quos apud Romanos capite censos aut proletarios
appellare possumus; quos non litterae, sed laseivia, non
studia, sed convivia, non virtus, sed vis et audacia delectant; 15
quos medio foro volitantes videtis, brevi palliolo amictos,
petaso tectos et quidem , ut Mercurium credo imitentur,
etiam pennatos; nisi quod ille talaria in pedibus, isti in
capite gestant: quorum omnis industria vitae et vigilandi
labor in poculis et intempestivis conviviis consumitur, nisi 20
quod interdum, animi credo causa, Juris studiosos se solent
dicere. Duo igitur studiosorum quasi genera videtis ; e quibus
priores illi, etsi modesta eorum voluntas ad turbas aut se-
ditionem non inclinat, tarnen in istis fluetibns rerum et hoc
quasi flexu temporum adhaeserunt paullipser ad metam, et 25
ad illas discordiarum scopulos fato quodam delati videntur.
Quorum tarnen exuleeratos animos ut sanem, facilis mihi et
expedita ratio proponitur. Nam si studiis et litterarum
cognitione dueuntur, quod prae se ferunt, concordiam con-
5 suseepisse me B \ 6 hominum genera in hac Schola versari A \
13 aut] vel A\ 18 etiam pennatos fehlt in A, dafür 5 Sternchen als
Zeichen eines Defekts | 20 intemperatis C | consumuntur A | 21 quod]
qui A | sese A | 22 quasi genera studiosorum A | 23 eorum] eos C \
24 rerum ex hoc quasi fluetu A | 26 discordiarum fehlt in A
Digitized by
Google
22 Sitzung der pMos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882.
servent necesse est, sine qua non magis stare ulla litterarum
societas, quam vita mortalium sine aqua aut igni potest.
Quod cum praeclare intelligerent maiores nostri, et Scholas
ipsas nominarunt ab otio, et novem Musas praeesse studiis
5 voluerunt, quas et mulieres pinxerunt et virgines. Quid ita
mulieres? nimirum quia eius sexus propria est imbecillitas,
ex imbecillitate metus, ex metu Studium pacis. Cur autem
virgines? quod ad sacra Musarum non solum tranquillum
animum adferre debemus, sed etiam castum et verecundum.
10 Ex qua eadem ratione manavit, quod ille sanetissimi chori
praeses Apollo et imberbis conspicitur, id est, muliebrem
paene in modum mollis et placidus, et lyram cum cithara
tenens, ut honestam anirai voluptatem pro telo esse ad di-
scendum significet, iram, discordias, perturbationes pestem et
15 perniciem studiorum. Quod quidem ex ipsis artibus cog-
noscere licet, quas tractamus, quae in pace inventae, in pace
excultae non solum tumultum, sed etiam tumultus suspici-
onem reformidant. Age, sume tibi ex illo artium choro
Poetam. An vero in turbis et seditione divino spiritu eum
20 adflari posse putemus ? quem non solum iracundiam et istos
vehementiores animi motus in gyrura rationis reducere, sed
etiam tristitiam frenare veteres illi voluerunt. Horti vide-
licet et amoeni secessus et silvae inter avium cantus et
aquarum strepitus, non tubae aut tumultus poetam educant.
25 Nam quid de Philosophia, tarn verecuoda virgine dicam?
quae alumna semper pacis fuit, et quae ex hortis et timbra-
culis Atheniensium, non e militaribus tabernaculis prodiit.
Quid de eloquentia? quae comes est otii, et simul ac in-
crepuit bellicum, ut ait poeta vetus,
1 litterarum ulla B | 2 aut] et A | 5 voluerunt studiis A | 6 quia
sexus est propria A | 12 et vor lyram fehlt in B | 13 voluntatem A \
15 ex iis ipsis C | 20 adflari eum A | 21 vehementiores anirai C, animi
vehementiores A , fehlt in B \ ducere A \ 22 Horti nempe et A \ et
silvae fehlt in A \ 26 semper scilicet A \ 29 vetus poeta A
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 23
„Pellitur e medio sapientia, vi geritur res,
„Spernitur orator bonus; horridus miles amatur."
Omnino enim res sie se habet: Ut arbores et fruges
moderata coeli temperie aluntur, frigore oeeidunt: sie nostrae
artes vigent in otio, discordiarum tempestate coneidunt. 5
Quod si in hac tanta multitudine prohiberi non potest,
quin sit aut animorum aut voluntatum aliqua diversitas; at
certe ne contumeliosis voeibus, ne convitiis, quae bis diebus
cum dolore audivimus, publica tranquillitas violetar, cavere
non solum possumus, sed etiam debemus. Ut enim in fidi- 10
bus atque cantu concentus est quidam tenendus ex distinetis
sonis, quem imrautatum ac discrepantem eruditae aures ferre
non possunt, isque concentus ex diversissimarum vocum
moderatione Concors tarnen efficitur et congruens: sie in
coetu litteratorum ex diversissimis nationibus, aetatibus, 15
sententiis, studiis consensio tarnen est quaedam retinenda,
et quae harmonia a Musicis dicitur, ea est in scholis con-
cordia, aretissimum atque Optimum in omni Rep. vinculum
incolumitatis. Hannibal ille imperatoriis laudibus consecratus
ad posteritatem omnium saeculorum cum sedeeim annorum 20
spatio victorem exercitum in Italia contineret, efficere po-
tuit, ut inter tot gentes, lingua, moribus, institutis discre-
pantes, nulla unquam turba aut seditio coorta sit. Quod
illum rudern et barbarum ducem natura doeuit, id ratio
nos non docebit? Quod ille apud feros et militares animos 25
potuit, quos tanquam auriga in curru quoeunque yoluit in-
flexit, id apud literatos homines sapientiae ipsius vox non
valebit? Atqui, si in exercitu et in ipso bello opus tarnen
est quadam concordia et coniunetione animorum: quid de
3 sese A | 4 immoderata A | 7 aliqua] inter se A | 8 quae] quod B \
16 quaedam est A \ 17 est hat A nach incolumitatis | aretissimum . .
incolumitatis A G: fehlt in B \ 23 coorta sit, idque inter prineipes eius
laudes posuit antiquitas C \ 28 Atque sie in exercitu et bello ipso A \
28 bello, quod conflatum est ex tumultu C
Digitized by
Google
24 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 6. Mai 1882.
studiis nostris existiraemus, quae pax genuit, concordia aluit,
otium confirmavit? Haec meditanda iis sunt, qui augusto no-
mine studiosorum dignantur, apud quos neque existere discor-
diae debent, et si quae natae sunt, tanquam ignis in aquam
5 coniectus celeriter restingui. Atque ut ille optitnus poeta de
apibus scribit, quae si aliquando in proelium exarserunt,
tarnen
Hi motus animorum atque haec certamina tanta
Pulveris exigui iactu compressa quiescunt:
10 sie nimirum nos, qui in studiis laborem et industriam apum
referimus, earum quoque facilitatem et quasi mollitiera na-
turae in deponendis offensionibus exprimamus. Sed haec de
primo illo genere satis. Venio nunc ad seeundam classera,
in qua oecurrit mihi chorus ille protervorum adolescentium,
15 qui ut seditiosi illi tribuni, Gracchi et Saturnini in Re-
publica Romana, sie isti in re literaria flabella seditionis
et seminarium omnium turbarum sunt: quos quomodo sanem,
non invenio. Musas videlicet et Apollinem apud studiosos
advocem? quos ne ille quidem Apollinis filius Aesculapius
20 vigore hellebori ad sanitatem reduxerit. Pugnem rationibus?
scilicet legum auetoritas saneta apud eos erit, qui ita se
compararunt, ut dedecus putent parere legibus? Quid ergo?
Opinor sie agam: ad naturae eos legem primara revocabo,
quae summos cum infimis, medios cum imis, sanos cum furi-
25 osis complectitur. Est enim quaedam naturae lex diffusa in
omnes, quam una cum nutricis lacte hausimus, imbibimus,
expressimus; quae naturali instinetu vocet ad officium iu-
bendo, vetando a vitiis deterreat: huic legi neque obrogari
fas est, nee derogari ex hac aliquid licet nee abrogari tota
2 sunt iis A | 3 studiorum A | 5 extingui A | 6 scripsit A \
8 tanta fehlt in A \ 11 facultatem A \ 12 expromamus C | 12 haec primo
illi generi B | Hadolescentum A | 16 flagella A \ 18 et] aut A \ 19 filius
Apollinis A | 20 vigore A C: iugere B \ 21 itaj natura A \ 23 leges
eos primum A \ 28 obrogari] obligari C \ 29 derogare A
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 25
potest. Estque summus ille quasi dictator et imperator
omnium Dens legis huius inventor, disceptator, lator, cui
qui uon parebit, eum ex numero hominum eiiciendum, ex
finibua humanae naturae exterminandum arbitramur. HaDC
igitur legem si spectamus, quid tarn a primo ortu insitum 5
est animantibus quam pax? qua uon solum ii, quibus natura
sensum dedit, sed etiam agri et campi ipsi laetantur. Quid
tarn optaudura , quam secura tranquillitas? quam feri et
militares animi etiam in mediis armis dilaudarunt, ut for-
tissimus quisque ideo maximos labores suscipiendos putet, 10
ut aliquando possit pervehi ad illum tranquillitatis portum
incolumi dignitate. Est enim haec, auditores, non scripta,
sed innata lex; ad quam non doetrina nos instituit, sed
natura imbuit; quae non tradita nobis, sed infixa; non in-
stillata, sed insita est. Quod si nulla unquam barbaria 15
contra naturae studia tarn vehementer obduruit, ut hanc *
legem violaret: quid nos facere convenit, quos ad concordiam
natura genuit, doetrina exereuit, fortuna destinavit? Quan-
quam frustra haec praedico apud nonnullos, quos quo no-
mine appellem, nescio. An studiosos? illosne, qui conviviis 20
et immanibus poculis sie sunt immersi, ut raro solem ori-
entem aut oeeidentem viderintV an milites? iam id quidem
arrogant sibi et praeclarum putant. An furiosos potius et
improbos? Quid enim studiosos appellem eos, qui mihi sur-
gentes a conviviis eibo languidi, erapula confecti, vino va- 25
cillantes nocte socia, hortante petulantia discurrunt per me-
diam urbem, in notos et ignotos tanto furore baechantes,
ut nunquam, opinor, in illis veteribus Bacchi Orgiis tarn
furiosa petulantia aut tarn petulans furor fuerit: a quibus
1 quasi fehlt in A | 3 numero] nostro coetu A | 7 laetantur C \
10 Vt . . putat A | 11 provehi A | 13 nata B \ 15 est fehlt in A \ 16 tarn
fehlt in A \ 17 violarit C \ 20 studiosos illos? ut qui A \ 22 quidem id
sibi arrogant A \ 25 conferti A \ 28 in ipsis A \ 29 aut tarn petulans
furor fehlt in C
Digitized by
Google
26 Sitzung der phüos.-philol. Glasse vom 6. Mai 1882,
ipsam noctem eligi arbitror, non ob verecundiam, quae tegit
scelera, sed ob silentium, quod apparet, ut exaudiri latius et
resonare clarius furiales illae voces possint. Sentio iam
pridem, Auditores, sentio non esse auctoritatis meae ac ne
5 aetatis quidem huius tarn graviter ista dicere: sed in tanto
dedecore et infamia omnium nostrum dolor me incitat, qui
a mutis infantibus vocem solet elicere. Quid iam nocturnas
illas lapidationes, quid gladiorum et armorum strepitus eom-
memorem? quae omnia sunt eius modi, ut, nisi quidem ab-
10 rogata consuetudo vetus esset, suspicari possemus, famulos
Matris Idaeae gladiis inter se ludentes discurrere : cum interea
isti vinolenti obturbant nobis sobriis, ut propter istos furi-
osos nee in somno secure quiescere, et ne non sentire
quidem sine sensu aliquo timoris possimus. Sed ad haec
15 omnia magnifica mihi quaedam et praeclara defensio osten-
ditur : nomen pietatis tanquam murus ad omnem aecusationem
meam opponitnr. Religionis enim est, inquiunt, dissensio.
homines religiosos et iam non cum nostrae aetatis ho-
minibus, sed com veteribus illis Petris et Paulis comparandos!
20 Quos in hac defensione quid aliud dicam quam imitari P.
Clodium? a cuius furoribus ceteroqui non multum abhorrent:
qui cum esset religionum omnium non hostis solum, sed
etiam contemptor, tarnen sceleribus iis, quae in tribunatu
patravit, religionem et auspicia fuit ausus praetexere: sie
25 isti, quorum omnis religio in poculis, pietas in conviviis,
modestia in nocturnis debacchationibus consumitur, quasi
illorum humeris religio sicut Atlante coelum niteretur, au-
dent furori suo velum obtendere pietatis. Equidem, Viri
Amplissimi, (ad vos enim convertitur oratio mea) non ab-
30 undo aut prudentia aut consilio, sed tarnen, quod Academiae
2 apparet] propaget B | 3 iam primum A | 7 a multis A | 13 nee]
ne A\ 13 ne AC: fehlt in B \ 17 Religionis, inquiunt, est defensio.
Homines A \ 20 P. fehlt in A \ 21 caeteri quoque A \ 22 religionis
(ohne omnium) A \ 23 iis fehlt in A \ 29 convertetur B j 30 quod] quia A
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 27
dignitas flagitat, si eluere hanc labern et delere inustam
Academiae infamiam volumus, haec nobis causa tollenda
est: tumultus, inqaam, nocturni coercendi sunt, quo tan-
quam trunco everso facile fibrae omnes discordiarura elidentur.
Ut enim in seminibus causa est arborum atque frugum, sie 5
omniura malorum, quae praeteritis diebus vidimus, ab istis
furoribu8 causa manavit. At quanto Romani sapientius,
quorum in illa populi übertäte tarnen tanta diseiplinae
severitas fuit, ut neminem cum telo aut gladio in urbe
Roma versari voluerint: qui secus fecisset, capitalis fraus 10
esset. Extitit Plinii tempore, ut ipse fatetur,* edictum Cn.
Pompeii Magni in tertio consulatu, vetantis telum ullum in
tota urbe esse. Quod institutum sapientissima Venetorum
Respublica adhuc hodie retinet. At nos edieta quidera
gravia habemus et severa, sed inclusa in libris tanquam 15
gladium in vagina reconditum, et diuturna iam hnpunitate
patimur hebescere aciem nostrae auetoritatis. Sed haec, si
qui ex iis oratione sanari possunt, satis multa, aliis etiam,
qui non possunt, nimis multa; quos equidem non Anticyram
relegabo, ne longum iter videatur et sub Turcarum imperio 20
periculosum, sed duntaxat Romam ad templum Bonae Mentis
dimittam, aut quoniam iuris studiosos se solent dicere, ad
Iure consultos, qui ex lege duodeeim tabularum ad agnatos
et gentiles eos deducant.
Sed ne egrediar extra eos terminos , quos initio orati- 25
onis ipse mihi circumdedi, venio ad seeundam orationis
meae partem, in qua de Ecclesiae concordia breviter insti-
tueram dicere. Magnum opus, periculosus locus, et in quo
2 volumus] volumus: quis autem est tarn inimicus Reip. et com-
muni otio, qui id noo velit? C | 7 causa] culpa A | 7 sapientius AG:
sapientiores B \ 8 populari 5(12 telum unum B \ 13 tota fehlt in A \
sapientissimorum A\ 18 sed aliis, qui non possunt nimis etiam multa
B | 20 videatur iter A I 20 imperiis A \ 27 meae fehlt in 4
Digitized by
Google
28 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 6. Mai 1882.
iam ante prospicio, quanta invidiae procella a certis hominibus
mihi impendeat, qui clamabunt: c Porro Quirites*: indignum
facinus in sacra Theologiae leguleinm invadere. Quod non
est ita, Auditores, atque hanc opinionem iam ante a vobis
5 deprecor. Non usque adeo praeceps et amens in causa
feror, ut aut personae meae aut professionis oblitus invadam
in professionem alienam. Nihil de Theologia disputo:
querelam mihi sumsi hoc loco , non doctrinam : dolendi
partes, non docendi. Ecquis enim est tarn ferreus, per
10 Deum immortalem, in quo scintilla ulla Christianae religi-
onis supersifr, qui hunc afflictum Christianae Reipublicae
statum intueri possit sine lacrimis? quam cum a maioribus
nostris tanquam picturam accepissemus egregiam, ea non
modo vetustate quodammodo evanuit, sed etiam nostris
15 vitiis sie corrupta est, ut vix simulacrum et extrema tan-
quam lineamenta priscae dignitatis appareant. Etenim con-
vertimini animis ad civilem politiam : Videbitis ardere
Europam bellis intestinis; in ipsa Germania alienatos inter
se prineipum animos : ab orientali plaga Turcam, coniuratum
20 Christianorum hostem, cum classe mari Tyrreno ineumbere:
a septemtrione cum Scythis et Getis ducem Moschorum
trahere secum barbariam ultimam: ut omnia iam minari
ruinam, et magnus ille annus vertens Piatonis aut instare
plane videatur aut certe appropinquare. Age nunc intue-
25 mini Ecclesiam. Deus immortalis ! (non enim possum
quin exclamem) quam spem salutis ostendis, aut quemnam
das exitum nobis? in tarn parvo et angusto grege fideles
tui non solum ab externis hostibus oppugnantur, sed etiam
inter se invicem discordiis atteruntur, cum quidem perniciosae
30 dissensiones eo iam proruperint, ut in Confessione Augustana,
1 perspicio A | 9 est fehlt in A | 12 quem B | 15 simulacra A \
20 Tyrrheno A, fehlt in C | 21 Septemtrionem A | Moschum C \ 22 bar-
bariem A \ 24 nunc fehlt in A \ 26 aut quonam C \ 27 exitum dabis A \
28 ab extremis A \ 29 quidem AG: quaedam B
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 29
quam profiteraur, pro qua sanguineni hunc parati samus
profundere, acriora odia inter fratres sint quam iuter hostes
coniuratos. De rebus non dicara levibus (sit sane ita, ut
nihil in religione parvum aut leve sit), attamen certe, quod
oranes concedent, minime necessariis ita contendimus , ut 5
nunquara Romani acrius pro aris et focis cum Hannibale
et Poenis dimicarint. Quanto ludibrio exterarum gentium
audiri ista putatis? peccatum substantiam esse, ait ille homo
non floeci : immo in malam crucem ! inquit alius, ,accidens
est. Hinc tibi clamor, fremitus, convicia, pugnae: quibus 10
in rebus nonnulli ita obduruerunt, ut quod de Termino et
Juventute narratur, Jovi ipsi regi nolint concedere. Ita
fit, ut urbem religionis hostibus prodamus, dum castella
eius defendimus, aa perinde, ut summa vel stultitia vel im-
probitas sit, in eadem navi vehentes, quam praedones ex 15
variis locis invasuri videantur, communi hoste conterapto
ipsos secum conflictari atque dimicare: itidem nos facimus,
qui nudum latus Pontificiis praebemus, dum inter nos prae-
claros triumphos paramus, in quibus nescias victores plus
detrimenti accipiant an victi. Antonii regis Navarrae dictum 20
circumfertur, cum apud eum esset legatus regis Daniae, at-
que, ut fit, orto sermone de religione, hortaretur multis
verbis regem, ut Augustanam Confessionem introduceret,
Calvini dogmate exploso, respondit ille: Nos quidem inter
nos inquit, uno in capite dissidemus, a Pontificiis triginta 25
praecipui fidei articuli nos seiungunt: hoc igitur agamus,
ut illis victis de hac una controversia secnre disceptemus.
Prudens, nisi fallor, et certe salutaris Ecclesiae vox, et
cuius neglectae incommoda* nostrorum temporum calamitas
comprobavit. Maiores nostri Germani concordibus semper 30
1 fundere parati suraus A | 8 iste homo A | 11 obduruerant A \
13 tradamus B | 15 in A: eos in B | 19 nescio A \ 21 legatus esset A \
22 fit] sie A | 25 inquit fehlt in A \ 26 articuli fidei A \ 27 disputemus A \
29 neglecta A \ 30 semper fehlt in A
Digitized by
Google
30 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 6. Mai 1882.
armis et animis, ne servitutem servirent, iam inde a mille
sexcentis amplius annis, cum potentissimis imperiis dimi-
cantes, auimam proiecerunt pro patriae libertate: vos ne
libertatem una cum religione amittatis, non providebitis ?
5 Nisi forte periculum Germaniae nulluni esse putatis a Pon-
tificiis, qui imminent profecto cervicibus nostris, qui adiici-
unt oculos saepe ad hanc patriam; quam semel e faucibus
ereptam dolent : qui vexillum Romanae purpuratae belluae
(o Deus immortalis, averte, quaeso, ac detestare hoc omen!)
10 in media Saxonia defixuros se minitantur: qui non praedam
nostram, sed vitam; non servitutem, sed sanguinem concu-
piscunt: quibus nullus ludus iucundior est quam cruor, quam
caedes, quam ante oculos trucidatio innocentiura. An vero
animi causa fingi putatis illa, quae de Gallia nuper certissi-
15 mis nuntiis audivistis? cum Pontificio instinctu foedum illud
et immane facinus patratum est, quod nulla barbaria velit ag-
noscere, cuius labern nullus Oceanus possit eluere. rem
cum visu crudelem, tum auditu nefariam! quam si non
gestam, sed pictam videremus, non factam-, sed fictam le-
20 geremus : tarnen omnia muta atque inanima tanta atrocitate
rerum commoveri necesse sit. Jacebant in viis mediis tot
insepultorum acervi corporum, senes cum pueris, viri cum
feminis promiscua caede trucidati: quorum aliis abscissa
membra, aliis amputata capita ad Pontificem Romanum tan-
25 quam in triumphum mittebantur. Qua quidem in strage
ii viri interfecti sunt, ut gladii ipsi et mucrones militam
contremuisse mihi videantur, cum in tarn augustis t;orporibus
defigerentur. Atque haec quidem Gallia tulit: quid vero
1 armis et fehlt in B | 3 patria A | 4 una fehlt in A \ 5 nnllom
periculum Germ. A \ 5 putabitis C \ 7 semel fehlt in A \ 8 purpuratae
Romanae A, Romanae et purpuratae G \ 9 ac] et B \ 11 nostram fehlt
in A | 11 sanguinem poscunt C \ 16 barbaries A \ 19 confictam B \
23 feminis] feminis in ipsa pompa nuptiali C \ 25 strage flos ille nobi-
litatis Gallicae et C \ 26 ii AC: tot B
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 31
his septem annis nos Beigas putatis, fratres et consangui-
neos Germanorum? a quibus recensendis dolore deterreor.
Quo igitur haec omnis spectat oratio? inquiet aliquis, aut
cur ista commeinoro? Ideo nimirum, ut illud intelligatur,
quod nos harum omnium calamitatum (durum est dicere et 5
vereor, quomodo id accepturi sitis: dicara tarnen) nos, in-
quam, nos harum omnium calamitatum culpam et causam
sustinemus: qui, si omissis intestinis discordiis in Propa-
ganda apud exteros Evangelii luce occuparemur, iam pridem
tremefactis illis latronibus delapsa de manibus arma ceci- 10
dissent. Quod quidem experti ipsi ante annos quinque et
viginti estis in bello Germaniae. Minabatur nobis Romana
meretrix cum illo impuro grege purpuratorum , instabat
Imperator Karolus V, omnium, deniqne principum tanquam
intentus arcus erat in unam religionem: sumta utrinque 15
sunt arma, victoria ab illis partibns steterat. Quae igitur
mox sunt consecuta? In eo statu rerum, ut iam salus ipsa
vix servare nos posse videretur, tarnen cum in Ecclesia con-
cordia et consensio maneret animorum, victi vicimus, pro-
strati surreximus, et abiecti hostem spoliantem iam et ex- 20
sultantem evertimus: arma precibus, audaciam virtute, furorem
concordia fregimus: fuitque securitas Germaniae maior in
ipso bello, quam nunc est in altissima pace. Quod si hoc
tempore Lutherus ille paullisper revivisceret aut Philippus,
divini heroes , quorum consiliis fixuni et fundatum hunc 25
Ecclesiae statum retinemus, quid eos dicturos putatis ? nonne
hac oratione uterentur ? Nos, inquiunt, cum oppressa tenebris
Pontificiae superstitionis religio teueretur, Deo duce, comite
labore nostro lucem Evangelii sitienti mundo ostendimus:
nos iugum illud crudelissimae servitutis primi a cervicibus 30
2 detineor A | 4 intellegatur A | 10 occidissent A | 12 vobis B \
14 Carolus ohne V B \ 15 unam] nostram C \ 22 maior Germaniae A \
23 si in hoc A \ 24 paullisper A G : fehlt in B \ 25 fixum et vacillantera
tunc E. A | 27 inquient A \ 29 nostro labore A
Digitized by
Google
32 Sitzung der phüos.-philöl. Glosse vom 6. Mai 1882.
Germaniae depulinius; nostra opera propagata ad exteras
gentes veritas est: per nos excitata Gallia lucem aspicere
coepit: per nos Anglia, Dania, Suecia et extremus Oceanus
verbi divini claritate illustratus est: per nos denique felix,
5 nimis beata et fundata erat Ecclesia, nisi eam ex nostris
scholis et ex nostro sinu profecti discipuli aliqnot pertur-
bassent, qui ea omnia, quae communi nostra concordia Ec-
clesiae acquisita sunt, suis dissidiis dissiparunt. infidi
et ingrati discipuli! quid agitis? aut quae res ad banc
10 amentiara vos impellit? an utilitas Ecclesiae? At illi quantum
bis discordiis vulnus sit impositum, una voce ipsa testaretur,
si loqui posset. An incitat exemplum nostrum? At non
ita ego aut commilito ille meus Philippus, qui deposito
omni humano affectu gloriam, honorem, vitam ipsam posteri-
15 orem habuimus saluti communi. An ambitio vos impellit?
Praeclaram vero praeceptoribus vestris refertis gratiam;
quibus cum non solum eruditionem, sed etiam scripta om-
nia vestra debeatis, illorum nomine ad invidiam abutentes
velificamini honori privato. Haec si Lutherus aut Philippus
20 diceret, nonne merito nobiscum expostularent? At nos clausis
oculis ferimur praecipites, quos non ante aperiemus, donec
veniat aliquando illud tempus, et illucescat illa dies, cum
fideliter ista a nobis et nirais vere praedicta esse sero cog-
noscamus. Ponite vobis ante oculos fertilera illam oram
25 Asiae, respiciteGraeciam, intuemini finitimam vobis Ungariam,
quae diu intestinis discordiis agitatae nunc tandem catenis
premuntur aeternae servitutis. Neque enim civiliura dis-
cordiarum alius unquam exitus fuit. Ardet adhuc in nostro
vertice sanguineum illud sidus, quem Cometam vocamus:
30 quod quid aliud quam perniciem et funestam caedem sep-
2 coepit aspicere A | 3 Suecia, Dania A | 4 nfelii imis et beata
fundata A | 5 eam] iam A | 11 volnus A | 13 meus ille A \ 19 Lutherus
aut Philippus AC: Philippus aut Lutherus B \ 20 dicerent A \ 22 illu-
cescat fehlt in A C \ 23 feliciter A
Digitized by
Google
v. Halm: Eine titterarhistorische Untersuchung. 33
temtrioni denuntiat et Germaniae universae? quae tarnen
omnia Deus ille misericors aut omnino in hostium capita
a nobis avertat, aut pro dementia sua mitiget. Vos tantum,
amplissimi viri, quorum aspectu recreor et in spem subito
tollor, pro vestra prudentia eiusraodi Ecclesiae pericula pro- 5
pulsate atque defendite. Quod quidem fecistis adhuc, et
praeclare facitis cottidie, dum Illustrissimis et Prüden tissimis
Electoribus fidelibus consiliis praeitis, quibus innixi scholas,
id est, prima Ecclesiae fundamenta, partim novas instituunt,
partim collapsas erigunt: in Ecclesiis Schismata et doctrinarum 10
dissidia ne erumpant, avertunt, quae eruperunt, abscindunt.
Quo in numero Illustrissimi Principis Augusti, Electoris
Saxoniae, studia in universam Ecclesiam sie elucent, ut
quemadmodum Octavianus ille Augustus fato quodam natus
videbatur ad bella civilia Romanorum terminanda et multis 15
post saeculis Jani templum claudendum: ita hie Princeps
vere Augustus ad discordias Ecclesiae sedandas, lucem
Eyangelii augendam concessus et donatus his extremis tem-
poribus divinitus videatur. Vos etiam, studiosissimi adoles-
centes, qui aut in gubernationem Reipublicae aut moderati- 20
onem Ecclesiae, tanquam in magnum mare novi nautae in-
gredimini, moneo et praedico, dum adhuc estis in portu,
cavete ab illis contentionum scopulis, tanquam a cancro
aut gangraena, qui morbi semel coneepti non nisi cum fu-
nesta pernicie totius corporis deponuntur. Imitamini serio 25
illud exemplum Atheniensium, qui legem d^vrjartag sanxerunt,
omnemque memoriam discordiarum oblivione obruite sempi-
terna. Consonet semper illa vox ad aures vestras, quam
rex Micipsa moriens apud liberos suos vel veritate vel brevi-
tate tanquam ex oraculo effudit : concordia res parvae creseunt, 30
2 a nobis in hostium capita convertat B | 4 Amplissimi viri AC:
Auditores B | 6 atque] et A \ 14 ille Augustus fehlt in A \ 21 nautae
B: mundi A | 25 serio] sentio A \ 28 Consonet scilicet vox ista A\
ad fehlt in B \ 30 res parvas crescere, d. maximas dilabi B
[1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 1 .] 3
Digitized by
Google
34 Sitzung der philos.-phüol. Glosse vom 6, Mai 1882.
discordia maximae dilabuntur. Postremo duo ista, religionem
et Hbertatem, consentientibus animis retinete, defendite,
quarum altera, sine altera eripi vobis non potest. Religi-
onem non ita pridem singulari beneficio in his regionibus
5 Deus accendit: libertatem maiores vestri multo sanguine
partam ad hunc usque diem inviolatam vobis tradiderunt:
vos, ut traditam conservetis, videte : aliae enim gentes Servi-
tuten! pati possunt : Gerraanoruin est propria libertas. Dixi.
Responsio Justi Lipsii ad petitionem M. Aegidii Salii pro
10 candidatis.
/"\Uae singula ad impetrandum magnum pondus habere possunt,
^Cl. Domine Magister, Collega amicissime, ea in petitione tua
elucent universa. Nam sive rogantis personam intueor, rogat is,
cui vel dignitatis vel amicitiae causa negare quidquam difficile
15 sit: sive eorum, quibus beneficium petitur, uno aspectu video
adolescentes hos et a moribus et a doctrina sie paratos, ut hoc
beneficium ultro conferendum illis videatur. Ut enim iis, qui
apud Graecos Olympiis aut Pythiis in stadio vicerant, apud
Romanos, qui ludis Circensibus post septimum missum priores
20 ad metam constiterant , Corona imponebatur etiam invitis:
itidem faciendum nobis in istis iudico, qui decurso honestissi-
marum artium quasi spatio hunc titulum non appetere ambiti-
one, sed mereri doctrina videntur, ut nesciam, an haec digni-
tas illos magis ornatura sit, an hanc dignitatem illi. Qu od
25 igitur Imperatores re bene gesta in bello faciunt, ut militibus
phaleras, hastas puras aut armillas distribuant virtutis ergo :
id nos in hac umbratili militia ita imitabimur, ut non gra-
mineam coronam aut quernam aut nescio quid aliud leve
2 et defendite A \ 3 quorum B\ eripi AG: erigi B \ 6 nobis A
8 Dixi fehlt in A, ebenso die folgenden auf den Promotionsakt bezüg-
lichen Stellen. Aach zu diesen hat Sagittarius a. a. 0. S. 78 einige
gute Varianten mitgeteilt.
Digitized by
Google
v. Halm; Eine litterarhistorische Untersuchung, 35
aut caducum, sed illam honoris perpetui coronam istis
quasi emeritis militibus, tribuamus, quam raulti sapientes
mercandam sanguine putaverunt: de qua nihil invidia de-
cerpat, nihil dies imminuat, nihil tempus delibet. Quam-
obrem petitioni tuae lubens satisfacturus, prius tarnen reno- 5
vabo exemplum Graecae militiae duce Miltiade contra Persas:
ad quam ut non ante miles admittebatur, quam in salutares
quasdam et certas leges iurasset: ita in haec nostra. quasi
castra his VII adolescentibus aditus non ante über esto,
quam in eas conditiones sacramentum dederint, quas minister 10
publicus recitabit.
Leges iuramenti.
Ceremoniae.
Quae igitur res bene vortat Ecclesiae, huic Scholae nostrae,
nobis omnibus: ego M. J. Lipsius Iscanus Bruxellensis 15
pro auctoritate eius officii, quod ab Academia impositnm
sustineo, vobis VII Candidatis tribuo honorem et insignia
Magisterii Philosophien, vosque Magistros Philosophiae dico
facioque, factos renuntio in nomine S. Trinitatis, Patris,
Filii et Spiritus Sancti : largiens vobis omnia Privilegia et 20
Ornamenta, quae in hoc gradu maiores nostri elucere, et
quibus quasi notis distingui voluerunt ab ordinibus reliquis.
I. Qua in re, quia veteri in more positum est, solennes
quosdam ritus peragi, qui mihi omnes ab antiqua Rep. fluxisse
ad haec tempora videntur: primum vos in altiorem locum 25
et hanc professorum cathedram colloco, ut facultatem vobis
datam esse docendi legendique intelligatis, exemplo antiquo
Romanorum Imperatorum, qui militem speetatae virtutis ad
se in tribunal reeeptum coram tota concione laudabant et
quasi imitandum proponebant. 30
IL Aperio deinde hos libros, ut diligentiae vos ad-
moneara et industriae, quae non labascere in cursu medio
3*
Digitized by
Google
56 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882.
debet, sed ut nautae, cum portum aspexerant, velis et
remis contentius ad terram contendere. Eosdem claudo, ut
modum laboris et quietis demonstrent, ac post illam in-
dustriam, libris clausis, locum scilicet dandum esse remissioni
5 et honestae voluptati. Non dissimile quid Romani signifi-
carunt, cum in bello Jani templum aperirent, idem in pace
et otio clauderent.
III. Pileos vobis impono rotundos, a consuetudine Ro-
mana, qui servis, quos in libertatem asserebant, raso capite,
10 pileum solebant imponere: sie vobis quasi ex angustis car-
ceribus studiorum emissis in campum et lucem liberam do-
cendi signum impertio. Purpureus color est in pileis, vel
honoris causa, quia purpura Senatorum ordinem ab equitibus
et plebe distinxit: vel admonendi gratia, quod quemadmodnm
15 pnrpuram lana non combibit sine mixtione variorum colorum,
sie florem illum altioris doctrinae mens non potest imbibere,
nisi variis prius artibus tineta et quasi praeparata.
IV. Aureos annulos vobis tribuo, vel imitatione eorundem
Romanorum, qui libertis, quos in equestrem ordinem coop-
20 tabant , ius dabant annulorum aureorum ; vel potius ad
exemplum maiorum vestrorum Germanorum, qui uti liberis
suis sub virilem aetatem frameam et scutum solebant pub-
lice dare insignia bellicae virtutis: sie vobis annulum hunc
rotundum quasi orbem quendam scientiarum a Philosophia
25 matre dari putabitis, insigne eruditae doctrinae. Haec dona
et ornamenta ut integra et inviolata servetis, non magis
honoris vestri quam Reipublicae causa conari debetis. Ho-
noris, quod turpius est, partam opinionem amittere, quam
non acquirere : Reipublicae, quod iam e privata vita ingressi
30 in scenam quasi et theatrum publicum sitis, ut, quemadmodum
gubernatori cursus seeundus, medico salus, imperatori victoria,
1 debet G : fehlt in B | 5 significarunt B : fecerunt G \ 9 assume-
bant | 10 vobis .. emissis G: vos . . emissos B \ 12 signum G: liber-
tatis signo B \ 27 causa G: fehlt in B
Digitized by
Google
v. Halm: Eine litterarhistorische Untersuchung. 37
proponitur, sie vobis ad utilitatem conimunem posthac ora-
nia consilia dirigenda sint. Vos autera, reliqui adolescentes,
qui speetatores harum laudum estis, hortor et moneo, ut
his exemplis incitati ad eadem praemia contendatis. Magnus
est in re litteraria campus*, multis apertus cursus ad laudem. 5
Themistoclem aiunt solitum dicere, cum totas noctes insomnis
vagaretur, Miltiadis trophaeum somnum sibi eripere. Si
illum unius ducis trophaeum tantopere concitavit, aemulatione
vanae gloriae: quid vos facere convenit, qui istornm VII
triumphos et quasi trophaea, debellatis hostibus, ignavia et lo
voluptate, posita videtis? Sed, ut extremum habeat oratio
mea , Deuni illum omnipotentem et aeternum, quem propter
bonitatem Optimum, propter potentiam Maximum appellamus,
veneror atque invoco, ut in hoc Musarum conventu studiis
et laboribus omnium nostris volens propitiusque adsit ; con- 15
cordiam illibatam, diligentiam indefessam conservet; rena-
scentem Academiam in hac tenera quasi aetate tanquam
tutor bonus defendat; eos, qui nefaria consilia turbandae
Ecclesiae concordiae aut Scholae ineunt, a cervieibus nostris
arceat, coniurationes et cogitata scelera in capita auetorum 20
convertat. Dixi. *
11 voluptate C: segnitie B \ 20 coniurationes C: cogitationes B.
Digitized by
Google
Herr v. Christ legte eine Abhandlung des Herrn
Dr. Hugo Riemann vor:
„Ueber die MaQTVQiai der byzantinischen
liturgischen Notation 41 . Ein Beitrag zur
Entwickelungsgeschichte der Kirchentöne aus den
altgriechischen Oktavengattungen.
Zu den rätselhaftesten Bestandteilen der byzantini-
schen Notation gehören die charakteristischen Zeichen der
Tonarten, die sogenannten Martyrien:
zu Anfang der
Melodie (W^x-
rixai) als: 77
JS
Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich in denselben
ziemlich unkenntlich gewordene Formen der Buchstaben
q> X /Li und d sehe. Der Zweck und Werth dieser Auf-
stellung wird im weiteren Verlauf meiner Untersuchung
hervortreten; ihre Berechtigung geht z. B. daraus hervor,
dass die Martyrie — > in der Gestalt eines wirklichen X auf-
tritt, sobald sie in Verbindung mit einem Tonbuchstaben
eine Katalexis anzeigt:
B z' z
X X X u. s. w. (aber ©*)
während die andern Martyrien ihre Gestalt unverändert bei-
behalten. 1 und J^\ hält auch Philoxenos {Ad$i%Qv, Einl.
1.
Ton
<?
2.
Ton
—
3.
Ton
72
4.
Ton
fi
Digitized by
Google
Riemann: Die MccqivqIcci der byzant.liturg. Notation. t 39
S. r\) für <jp und <J, und wenn auch Christ (Beiträge zur
kirchl. Litteratur der Byzantiner, 1870, S. 59j darin eitle
Phantastereien sehen zu müssen glaubt, so wird ihn doch
vielleicht der Gewinn, den diese Annahme für die Erkennt-
niss der historischen Entwickelung ergiebt, für dieselbe
günstiger stimmen. Die den räthselhaften Zeichen überge-
schriebenen Buchstaben n ß y d x £ v sind bekanntlich
wirkliche Tonbuchstaben, welche in unzweifelhafter Weise
die Tonhöhe angeben, die Anfangsbuchstaben der Silben-
Tonnamen 7ta ßov ya öi xe tco vrj, welche hinwiederum die
7 ersten Buchstaben des griechischen Alphabets bergen:
tcA Bov /a Ji xE Zco vH
Die durch dieselben bezeichneten Töne sind:
Pt s JB=
— G
£
— —
G
0-
n B r J x Z v
Diese Tonbuchstaben wiederholen sich in höherer und
tieferer Oktave in derselben Weise, wie wir c c' c" etc.
unterscheiden, doch nicht so regelmässig, insofern der Um-
fang einer Oktave für die Anwendung der gleichen Ab-
zeichen nicht innegehalten wird:
p^- —
Z v n B r J x V v'
\3.
- - V-^-^
v- 7i" b" r j' x'
71*
n
D'
r
j'
x" Z"
v l>
n"
/ (O
i
L n *? °
t
V\ * *t &
\
V
n
Jr &
Man bemerke dabei, dass die Tonbuchstaben, welche
Zusatzbuchstaben in den Silbennamen der Töne sind, in der
Gestalt kleiner Buchstaben {it x i>), die anderen dagegen
als grosse auftreten {B T J Z). Diese Schlüsselnoten
stellen am Anfang und bei den grösseren und kleineren
Digitized by
Google
40 * Sitzung der phUos.-phüol. Classe vom 6. Mai 1882.
Cäsuren der Melodie die absolute Tonhöhe fest, während
die eigentlichen Melodiezeichen theils Intervallzeichen (aijfteia
rtooorrjTÖg) in dem Sinne sind, wie sie im Abendlande Her-
mann von Vehringen (Hermannus Contractus, gest. 1054)
einzubürgern suchte, theils rhythmische Werthzeichen (orj-
fxela TtoiotrjTog), theils Zeichen für Manieren (orjfxeia x^ '
vorlag). Die Schlüsselbuchstaben heissen wie die alten
Zeichen der Tonarten ^Martyrien 1 und treten stets in Ge-
sellschaft jener auf und zwar in folgenden Combinationen :
1. Tiefste Töne:
(Die Tonzeichen untergeschrieben)
iPl « X n <ft «
v" n" B" r* A l *'
2. Mittlere Töne:
(Von hier ab die Tonzeichen übergeschrieben)
Z v it B ' r J x,
fl 1 X 22 <Pl «
3. Höhere Töne:
z' p' 7i' B' r' j'
X 22 <\ X 22 |Pl
4. Höchste Töne:
*" Z" v" n"
1 * <ft 1
d. h. die Martyrie j^) tritt stets mit vH (= c) und Ji (— g)
durch alle Oktaven auf, <| mit txA (= d) und xE (— a),
X (<v und y — <) mit Bov (= e) und Zw (= h) und endlich
21 mit Ta (= f) und vH (= c), welches letztere jedoch
häufiger mit dem Zeichen des ersten Tones J^\ erscheint.
Die charakteristischen Töne sind also:
c . . g . . c für J 1 )
d . . a . . d „ <j
• e . . h . . e „ X
f . . c . . f „ 22
Digitized by
Google
Riemann: Die Mccqtvqicu der byzant. liturg. Notation.
41
Hier offenbart sich ein seltsamer Widerspruch : die Mar-
tyrien stellen c . . g . . c als Haupttöne des 4. Kirchentones,
des mixolydischen (/*■)) hin, während doch bekanntlich viel-
mehr g . . d . . g diese Bedeutung zukommt!
Vergleichen wir die Höhenlage der vier Haupttöne in
der Folge, wie sie sich durch die Gleichartigkeit der Oktaven-
theilung durch die Quinte hier ergiebt (also J^) unterhalb
<\ und nicht oberhalb 22, wo es ein Schema mit Quarten-
theilung ergäbe: g . . c . . g), so haben wir die Abstände:
Vi Vi Va
c....d....e..f
Suchen wir in der antiken Skalenlehre nach einem
Analogon dieser Abstände, so finden wir dasselbe unter den
Oktavengattungen zwischen den Tonarten:
lydisch = c .
phrygisch = d .
. C
. . Vi •
. d'
hypophrygisch — G . . g
hypodorisch = A . . a
dorisch = e . ,
e' °
mixolydisch = H . . h
hypolydisch = f .
lydisch = c . . c'
d. h. weder im einem noch im anderen Falle finden wir
die Namen der vier Haupttonarten: dorisch, phrygisch,
lydisch, mixolydisch, sondern in beiden Fällen theils Haupt-
tonarten, theils Seitentonarten (mit hypo — ). Dagegen er-
gibt die Beziehung auf die Transpositionsskalen ein
überraschendes Resultat:
dorisch: Proslambanomenos Ais (B)
phrygisch : „
lydisch: „
mixolydisch : „
(hyperdorisch bei Alypius)
d
dis (es)
7'
Digitized by
Google
42 Sitzung der phüos.-phäol. Classe vom 6. Mai 1882.
d. h. die Grund töne der notorisch wichtigsten und gebräuch-
lichsten Transpositionsskalen weisen dieselben Abstände auf
wie die Martyrien der 4 rj%oi. Ich denke, hier haben wir
einen Fingerzeig, der gar nicht misszuverstehen ist, beson-
ders da wir nun in den Martyrien die Anfangsbuchstaben
der vier Haupttonarten wiederfinden:
/*■) = d (öwqioq)
4 = <T (<PQvyiog)
~ = X (Xvdiog)
22 = f.i (fdigolvdiog)
Die Verwendung der Martyrien in den höheren und
tieferen Oktaven entspricht völlig dieser Annahme,' denn die
Zeichen fallen auf den Proslambanomenos , die Hypate hy-
paton, die Mese, Nete diezeugmenon und Nete hyperbolaeon,
d. h. die thatsächlichen Säulen der Skalen:
IIqogX. r Yn. im, Miarj Nfa 6u£. Nijzri Jnegß.
dorisch: c .... g .... c' .... g' .... c"
phrygisch: d .... a .... d' .... a' .... d"
lydisch: e .... h .... e' .... h' .... e"
mixolydisch: f .... c' .... f .... c" .... f"
Nehmen wir eine Kontinuität der Ueberlieferung der
absoluten Tonhöhe aus dem klassischen Alterthume zum
Byzantinismus an, so fallen die Ansätze für die absolute
Tonhöhe der Transpositionsskalen freilich ganz anders aus,
als sie F. Bellermann nicht ohne Wahrscheinlichkeit auf-
gestellt hat (Die Tonleitern und Musiknoten der Griechen,
S. 54 — 56). Nach Bellermann würde der hypodorische
Proslambanomenos, der im Geiste der griechischen Noten-
schrift durch unser Eis auszudrücken ist, geklungen haben
wie Ci§ oder D, nach unserer gleich noch mehr zu festigen-
den Aufstellung dagegen wie G, d. h. einen Ton höher an-
statt eine Terz tiefer. Eine unbefangene Prüfung des Beller*
mann'scben Nachweises ergiebt die einer solchen Annahme
Digitized by
Google
Riemann; Die MaQtvftiat der byzant. liturg. Notation. 43
entgegenstehenden Gründe als nicht zwingende; sehen wir
daher, zu welchen Resultaten die neue Annahme führt.
Die neuere griechische Buchstaben tonschrift mit n B r
J x Z v nimmt ihren Ausgang von d (= it^i)\ doch er-
fahren wir aus dem Lexikon des Philoxenos, dass die alte
Grundskala (dgxaia itaqalXayii) die — schwerlich mit Recht —
auf Ambrosius von Mailand bezogen wird, ihren Ausgang
von dem jetzt mit vH bezeichneten Tone nahm, d. h. von
unserem c, also von dem Tone, der die Martyrie J^ trägt,
dem Proslambanomenos der dorischen Transpositionsskala,
und durch die Grundtöne der ältesten und wichtigsten Ska-
len lief:
c = dorisch (Proslambanomenos, Mese, Nete hyperbolaeon)
d == phrygisch „ „ „
e = lydisch „ „ „
f = mixolydisch „ „ „
__ j hypermixolydisch „ „ „
** l hypodorisch „ „ „
a = hypophrygisch „
h = hypolydisch „ „ „
d. h. der 7 von Ptolemäos (II, i) allein aufgezählten Trans-
positionsskalen. Möglich, dass man beim Uebergange zur
Beschränkung auf die Diatonik dieser einzigen Skala die
Anfangsbuchstaben der Namen der Haupttonarten (ö (p l
(x) als eine Art Notenschrift gebrauchte, welche sich in
den Martyrien erhalten hat; mehr als wahrscheinlich ist,
dass sodann die Namen auf die Oktavengattungen über-
giengen, welche auf diesen Grundtönen ihren Sitz haben:
cdefgahc' — dorisch
defgahc'd'= phrygisch
e f g ahc'd'e' = lydisch
f g a h c' d' e' f = mixolydisch
Digitized by
Google
44 Sitzung der philos.-phüol. Glosse vom 6. Mai 1882.
ig a h c' d' e' f g' = hypermixolydisch |
\6AHcvdefg= hypodorisch /
AHcdefga = hypophrygisch
Hcdefgah = hypolydisch
Denn diese sonst ganz unerklärliche Benennung der
Skalen finden wir in der That bei Bryennius (vgl. Christ
1. c. S. 60):
fyog a == hypermixolydisch (g — g')
rj%og ß' = mixolydisch (f — f)
jfapQ y = lydisch (e — e')
I tjxog # = phrygisch (d — d')
a nlcty. = dorisch (c — c')
§1 Tthxy. = hypolydisch (H — h)
/ Ttfoxy. = hypophrygisch (A — a)
$ TtXay. = hypodorisch (6 — g)
Auch findet damit die seltsame Grundskala (2v<rct][4a
7ZEvreKaid€Y,a%OQdov) des Bryennius ihre Erklärung, welche
die Intervalle G — g' ohne Vorzeichen aufweist, statt des
antiken Normalsystems von A — a' ohne Vorzeichen:
Bryennius: antik:
Proslambanomenos G
Hypate hypaton A Proslambanomenos
Parhypate hypaton H Hypate hypaton
Lichanos hypaton c Parhypate hypaton
Hypate meson d Lichanos hypaton
Parhypate meson e Hypate meson
Lichanos meson f Parhypate meson
Mese g Lichanos meson
Paramese a Mese
Trite diezeugmenon h Paramese
Paranete diezeugmenon c' Trite diezeugmenon
Nete diezeugmenon d' Paranete diezeugmenon
Trite hyperbolaeon e' Nete diezeugmenon
Digitized by
Google
Riemann: Die MccqtvqIcci der byzant. liturg. Notation. 45
Paranete hyperbolaeon F' Trite hyperbolaeon
Nete hyperbolaeon g' Paranete hyperbolaeon
a' Nete hyperbolaeon
Desgleichen erscheint die Bezeichnung des 3. Tons
plagaliter (hypophrygisch) als r^og ßaQvg, welche schon dem
Bryennius selbst räthselhaft war (Christ 1. c. S. 56) ein-
fach dadurch erklärt, dass der Grundton des hypophrygischen
dieser Ordnung auf den Proslam banomenos, d. h. den tief-
sten Ton (A), des antiken Normalsystems fällt.
Das für den plagalen 4. Ton nothwendig werdende G
ist aber das im 10. Jahrhundert im Abendlande auftauchende
r, das sich ja durch seine Form wie seine Geschichte (vor
Odo von Clugny ist es unbekannt) als Zusatz erweist. Auch
die im 9. — 10. Jahrhundert auftauchende Buchstabennotation
mit ABCDEFGAim Sinne unseres heutigen c d e f
g a h c', die ich in meinen „Studien zur Geschichte der
Notenschrift" (1878) die fränkische genannt habe, findet so
ihre natürliche Begründung in der alten byzantinischen
Grundskala, wie bereits Christ bemerkte (1. c. S. 57), und
ich muss daher davon absehen , in ihr etwas der Durauf-
fassung des Abendlandes entsprungenes zu erblicken.
Die ältere von Bryennius überlieferte Ordnung der by-
zantinischen Kirchentöne, bei der d — d' ohne Vorzeichen
nicht der erste, sondern der vierte Ton ist, verräth noch
deutlich genug die Abstammung aus dem antiken System,
einmal in der absteigenden Folge der Tonarten
1. Ton g-g'
2. Ton f — f
3. Ton e — e'
4. Ton d — d'
sodann auch in dem Verhältniss der plagalen (nXctyioi) zu
den authentischen (xt'gKu), sofern erstere eine Quinte
Digitized by
Google
46 Sitzung der philos.'phüol. Classe vom 6. Mai 1882.
tiefer liegen als letztere, während die abendländischen pla-
galen eine Quarte tiefer liegen als die authentischen :
antik : altbyzantinisch :
dorisch: e' d' c' h a g f e ijx- «'• g — g'
hypodorisch: ag fedcHA nhxy. a: c — c'
abendländisch :
dorisch: d e fgah c'd'
hypodorisch: AHcdefg a
Dagegen ist das neuere System der griechischen litur-
gischen Musik ganz dem abendländischen nachgebildet, die
authentischen Töne nunieriren von unten nach oben, die
plagalen liegen eine Quarte tiefer als die kvqiol, und die
neugriechische Grundskala ist der ij%og xvqioq a , d. h. das
System ist noch konsequenter durchgebildet und vollständiger
vom antiken emanzipiert als das abendländische, dessen Grund-
skala noch dem antiken Pentekaidekachordon nachgebildet
ist. Auch die antiken Tonartennamen werden jetzt von den
Griechen in demselben Sinne gebraucht, in welchem wir
sie zuerst bei Notker und Hugbald treffen. So konfus diese
Anwendung der Namen im Hinblick auf die antiken Oktaven-
gattungen ist, so muss sie doch schliesslich in sofern als
eine geschickte bezeichnet werden, als die Namen der wich-
tigsten Skalen der antiken Theorie übertragen sind auf die
wichtigsten Skalen des mittelalterlichen Systems unter un-
gefährer (Halbton und Ganzton gleichsetzender) Innehaltung
der Abstände, welche im antiken Systeme die gleichnamigen
Transpositionsskalen hatten :
antik: bei Notker, Hugbald etc.
(Transpositionsskalen) ( Kirchentöne)
c — c' dorisch d — d' dorisch
d — d' phrygisch e — e' phrygisch
e — e' lydisch f — f ' lydisch
f — P mixolydisch g — g' mixolydisch
Digitized by
Google
Biemann: Die Magrvglai der byzant. liturg. Notation.
47
Wenn die Annahme richtig ist, dass man bei Aufgabe
des Systems der Transpositionsskalen als unveränderliche
diatonische Skala die aus den Grundtönen der vormals ge-
bräuchlichsten Transpositionsskalen gebildete Tonleiter an-
nahm :
O. —
3 _
£ -
?
H ~
M _
R ~~
I =
hypodorischer Proslambanomenos.
hypophrygischer
hypolydischer
dorischer
phrygischer
lydischer
jj — hyperdorischer
so entsprach die neue Grundskala der hypophrygischen Trans-
positionsskala (natürlich unter Substitution der enharmonisch
identischen Tonzeichen für die Parhypaten und Triten : b statt
ais, es statt dis, z. B. ffl für ^ und F für ^). Der hy-
□ M - 1 - "i
podorische Proslambanomenos lag daun noch unterhalb des
eigentlichen Proslambanomenos dieser Skala. Im Geiste der
antiken Notenschrift — die hypolydische Transpositionsskala
als die ohne Versetzungen unserem a Moll gleichgesetzt —
wäre diese Skala wiederzugeben durch :
G
A B c d es f g
a b c' d' es' f g'
Digitized by
Google
48 Sitzung der philos.-pMlol. Glosse vom 6. Mai 1882.
Da uns Dicht überliefert ist, dass die antiken Noten-
zeichen der hypophrygischen Skala sich besonders lange in
Gebrauch gehalten hätten (das wissen wir vielmehr von
denen der lydischen), so müssen wir annehmen, dass wirk-
lich mit der Aufgabe des Systems der Transpositionen
wenigstens für die liturgische Musik die antike Notierung
gänzlich aufgegeben wurde; nach den Angaben des Philo-
xenos, die auf verlässliche Traditionen gestützt sein mögen,
wenn ihm nicht vielleicht gar zweifellosere Anhalte vor-
lagen, muss man schliessen, dass eine völlig neue Tonbe-
zeichnung mit der Grundskala c d e f g a h heutiger Be-
deutung gewählt wurde, unter Beifügung der Martyrien
als Gedächtnisshülfe für die erste Erklärung. Das Bewusst-
sein, dass die nun allein festgehaltene Skala eigentlich eine
bypophrygische war, konnte daher verloren gehen und gieng
verloren. Seit Vollendung dieser Umbildung war diese Skala
daher nicht mehr eine Skala mit 2 Been, sondern eine Skala
ohne Vorzeichen, eine Grundskala; da, wie ich nachgewiesen,
die folgende Entwickelung die absolute Tonhöhe, soweit bei
den damaligen unzulänglichen Kontroiverhältnissen davon
die Rede sein kann, festhielt, so ist die Wiedergabe der
Skala durch
GAHcdefgabc'd'e'fg'a'
nicht riur im Geiste der neuen Grundanschauung gefasst,
sondern zugleich der rechte Schlüssel für die absolute
Tonhöhe.
Die folgende Zusammenstellung mag ein Gesammtbild
der Verschiebung der Namen und des Wechsels der Grund-
skalen geben :
Digitized by
Google
Riemann: Die MctQtvQicu der lyzantAiturg. Notation. 49
I. Grundskalen:
a) Antik:
f e d< c< h a g f ( N Q < q K c p r )
h) Byzantinisch und früh mittelalterlich abendländisch:
c d e f g a h c' (A B C D E P G A und vielleicht
ä cp X f* d (p l f.i
oder: aßyde£y&?)
c) Abendländisch seit dem 10. Jahrhundert (anschliessend an das
antike Pentekaidekachord) :
AHcdefga (ABCDEFGa)
d) ßryennius:
GAHcdefg
e) Griechische neuere Schule:
d e f g a h c' d' {itA Bov Ta Ji xE Zco vH nA)
f) Moderne abendländische Grundskala:
cdefgahc'
L1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 1 j
Digitized by
Google
50
Sitzung der phüos.'phüöl. Glosse vom 6. Mai 1882.
C
o
u
Ö
3
rP
rd
► rP
Vi
o
o
rd
0Q
OS
c3
d
i— •
O
:c3
•-*
.2
CD
•
•
r- 1
■* rd
:* rP
i— •«
o
fco £
' r=
c
co
►» .2
P
TS
a
c3
1—4
•73
d
cd
o
CD
Vi
c
V
■s co s-
> 'ES) •§
^ P* rc
(hypolydi
(bypophr
(hypodor
o
P
CD
rQ
bo
P
0>
c
c
E-
c
> c
• E-<
c
p- TS«
CO <M «— • "* CO <N r-i
rP
o
a 2
M
c3
DJ
>^
Ö
rß
3
>j
•p
Cß
O
Ö
>
r«
ort
• r-l
•p
-M
^
p
öS
CD
rP
p
o
H
P
o
rP
o
CO
rd
'&
CO
r>>
n3
>>
Vi
rd
Ph
N — ^
^-^
P
P
O
o
H
H
/-s »73
-d j>>
co O
»73 rP
SP
rP P
P-
o
Ph
rd
"3
rP
bo bp
'S- p*
bp bo
03 cö
- c4
CO
H5
i-H
<M
CO
h5
* rP
CO
•
^3
rd
cc
o
o
bi}
rP
CO
CO
>-,
• »73
rP
o
CO
"bb
•s
•73
Vi
o
v<
rd
P-
O
CO
>>
CO
O
o
o
Ph
Vi •
Vi
M
P4
P-
t>>
O
rP
a
>-.
►*
. rP
•73
Ph
rd
rP
bD
5-i
"cd
n3
"b
rd
03
bD
5-i
"b
n3
"o
rd
03
bD
CM
"<D
^3
*b
rP
03
bo
cm
CD
»TS
\)
pd
03
bD
CM
CD
•73
\)
rd
03
bD
cm
CD
•73
O
rd
03
bC
cm
CD
»73
o
w
03
bD
cm
CD
H3
ü
w
^
bß
CM
CP
•73
Ö
B
^
o
Digitized by
Google
Historische Classe.
Sitzung vom 6. Mai 1882.
Herr Heigel hielt einen Vortrag:
„Das Project einer Witteisbach i sehen Haus-
union unter schwedischem Protectorat
1667—1697".
Aus den im bayerischen Staatsarchiv verwahrten zahl-
reichen Schriftstücken, die aus dem Verkehr zwischen
Schwedens Königen und bayerischen und pfalzischen Fürsten
erwuchsen, wird ersichtlich, dass die nordische Grossmacht
auch auf die Politik der süddeutschen Hofe weit bedeut-
sameren Einfluss übte, als man anzunehmen pflegt.
Hier sei zum Erstenmal aufmerksam gemacht auf ein
bald nach Abschluss des westfälischen Friedens wiederholt
aufgetauchtes Project, sämmtliche von Mitgliedern des Wit-
telsbachischen Hauses regierte Staaten in einem Schutz-
und Trutzbündniss zu vereinigen, um dem ältesten deutschen
Fürstenhause eine angesehenere Stellung in Europa zu
sichern.
Die Initiative ergriff Philipp Wilhelm, der seit 1653
über das Herzogthum Neuburg regierte, wozu nach Beendig-
ung des Erbfolgestreits mit Brandenburg auch Jülich und
Berg gekommen waren. Häusser nennt ihn einen „unbe-
4*
Digitized by
Google
52 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
deutenden Regenten" *). Gerade diese Charakteristik ist
jedoch falsch und ungerecht. Gewiss lassen sich gegen
die innere Politik des Herzogs, insbesondere bezüglich
seines Verfahrens gegen die Protestanten in Jülich und
Berg, schwere Vorwürfe erheben, allein wenn man die ver-
mutlich von Häusser nicht gekannten Cabinetspapiere durch-
forscht, wird man sogar staunen über die vielseitige Selbst-
tätigkeit des Fürsten. Alle Briefe, Instructionen für Ge-
sandte, Vertragsprojecte etc. entwirft er selbst, und zwar
erstreckt sich dieser Verkehr fast über alle Hofe Europa's.
Er erreichte denn auch durch seine unermüdlichen Be-
mühungen wenigstens so viel, dass er sich, ob zwar nur
Regent eines verhältnissmässig unbedeutenden Staats, am
kaiserlichen Hof, wie bei auswärtigen Regierungen eines
überraschenden Einflusses erfreute. Der erste Publicist seiner
Zeit, Samuel Pufendorf, nennt ihn „einen der klügsten
deutscheu Fürsten 11 . 2 ) Als er sich um die polnische Krone
bewarb , wurde seine staatsmännische Befähigung von den
Freunden mit höchster Auszeichnung hervorgehoben, und
sogar von den Gegnern nicht bestritten.
Die Bewerbung um Polens Krone war ihm nahe ge-
legt durch seine Verbindung mit Anna Katharina, König
Sigismund's Tochter. Schon zu Lebzeiten dieses Königs
unterhielt er, um desto sicherer das goldene Erbe zu er-
reichen, vertraulichen Briefwechsel mit einflussreichen pol-
nischen Würdenträgern. Festere Gestalt gewann der Plan,
als das Gerücht laut ward, Sigismund's Sohn, Johann
Casimir, wolle dem Throne entsagen. Nun richtete der
Herzog vor Allem auf das stammverwandte schwedische
1) Häusser, Geschichte der rheinischen Pfalz, II, 749.
2) Severinus de Mpnzambono, (Sam. Pufendorf) De statu imperii
germanici, her. von Bresslau, 46. — Auch Droysen stimmt dieser Auf-
fassung bei und zollt dem Herzog das Lob eines „vollendet tüchtigen
Staatsmannes 4 *. (Geschichte der preussischen Politik, III, c, 264.)
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 53
Haus sein Auge; er wollte jedoch nicht bloss die Unter-
stützung seiner eigenen Pläue durch jene Kroue erbitten,
sondern strebte von vorneherein ein Bündniss zu Stande
zu bringen, das sämintliche Fürsten des Wittelsbachischen
Hauses unifassen sollte.
Die Aussichten auf ein Gelingen konnten nichts we-
niger als günstig genannt werden. Der alte Zwiespalt der
beiden Hauptlinien, Bayern und Kurpfalz, war durch den
westfälischen Frieden nicht versöhnt. Kaum war der Streit
um die Kurwürde beigelegt, entbrannte er um so heftiger
um das Reichsvicariat. Auf dem Wahltag zu Frankfurt 1658
war die feindselige Stimmung der beiden Höfe zu drastischem
Ausdruck gelaugt, indem der jähzornige Kurfürst Karl
Ludwig dem mit zäher Energie die bayerischen Interessen
vertheidigenden Dr. Oexle in öffentlicher Sitzung das Dinten-
fass an den Kopf warf. Es war zwar darauf eine soge-
nannte Versöhnung erfolgt, eine Ehrenerklärung .gegeben
und angenommen worden, aber an freundschaftlicheres Ein-
vernehmen der verwandten Höfe war nicht zu denken, so
lange nicht die Ursache der Entfremdung weggeräumt war.
„Das Ende des Streits ist gar nicht abzusehen 41 , urtheilt
Pufendorf in der 1667 veröffentlichten Schrift über die
deutsche Reichsverfassung, „denn das Recht ist auf Seite
von Kurpfalz, die Macht auf Seite Bayerns". 3 )
Auch den Kurstuhl von Köln hatte seit 1650 ein
, Witteisbacher inne, Heinrich Maximilian, der jedoch ganz
und gar von französischem Interesse abhängig und ohne
Einwilligung Mazarin's zu keinem wichtigeren Schritt zu
bewegen war.
In Stockholm, wo nach der Thronentsagung Christinens
(1654) Pfalzgraf Karl Gustav von der Linie Zweibrucken-
Kleeburg die Regierung übernommen hatte, suchten wett-
3) L. c, 121.
Digitized by
Google
54 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
eifernd die Gesandten Frankreichs und des Kaisers die Freund-
schaft der nordischen Grossmacht zu gewinnen. Auch nach
Karl Gustav's Tod blieb die Haltung des Hofes schwankend.
Karl's Wittwe Hedwig Eleonore übernahm im Verein mit
den fünf höchsten Reichsbeamten die vormundschaftliche
Regierung. Eintracht fehlte aber gerade hier, wo sie am
nötigsten gewesen wäre; die Räthe waren theils französischen,
theils kaiserlichen Einflüsterungen und Versprechungen zu-
gänglich. Als die Seele der Regierung galt der Reichs-
kanzler de la Gardie, der die französische Allianz begün-
stigte. 4 ) Mit ihm und dem französischen Gesandten in
Stockholm, Pomponne, trat demnach Herzog Philipp Wil-
helm zunächst in Verbindung, um Unterstützung seiner
polnischen Bewerbung zu erlangen. Die Antworten des
Franzosen enthielten nur leere Höflichkeitsformeln, aber der
Reichskanzler nahm das Gesuch des Pfalzgrafen nicht un-
günstig auf. 5 ) Im Juni 1667 wurde denn auch von Schweden
ein Vertrag mit Brandenburg abgeschlossen, worin u. A.
kräftige Förderung der Erhebung des Neuburgers auf den
polnischen Thron von beiden Regierungen zugesagt war.
Der Herzog sandte eine eigene Gesandschaft, seinen Käm-
merer Konrad Freiherrn von Velbrugg und den gelehrten
Rechtsanwalt Dr. Tilman Ehrmanns nach Stockholm, um
die Regentin und den jungen Thronfolger für seine Bewerb-
ung und für den Plan einer Hausunion günstig zu stimmen.
Sie fand wohlwollende Aufnahme. Der König, so wurde den
Gesandten am 10. August 1667 eröffnet, wolle gern mit
dem Herzog und allen andren Kurfürsten und Fürsten
4) Carlson, Geschichte Schwedens, IV, 497.
5) Bayr. Staatsarchiv. Kasten blau 60/9. Acta, worinnen die
Correspondenzen mit verschiedenen Gesandten, als in Prankreich, Haag,
zu Wien, Regenspurg, Mayntz, Stockholm and anderen befindlich, 1664
bis 1670.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittehbachischen Hausunion. 55
seines Hauses in nähere Verbindung treten ; man möge nur
ohne Verzug Ort und Zeit für den Zusammentritt von Ge-
sandten festsetzen. Bezüglich der polnischen Angelegenheit
hege der König den aufrichtigsten Wunsch, dem Pfalz*
grafen nützlich zu sein, wofür er sich der Anerkennung
seines Erbrechts auf Jülich und Cleve versehe. 6 )
Philipp Wilhelm entfaltete nun, wie sich aus den vor-
handenen Depeschen ersehen lässt, angestrengte Thätigkeit,
um seiner Bewerbung neue Freunde zu gewinnen. Er er-
hielt denn auch vom kaiserlichen, wie vom französischen Ca-
binet die schmeichelhaftesten Versicherungen. Ludwig XIV.
Hess sich sogar durch einen Vertrag vom 27. Juni 1668
auf positive Verpflichtungen ein. 7 ) Auch der zwischen
Schweden und Brandenburg im vorigen Jahre geschlossene
Vertrag wurde erneuert, und Philipp Wilhelm selbst trat
dem Bündniss bei (6. Mai 1668). 8 )
Als jedoch im September 1668 die Abdankung König
Johann Kasimir's wirklich erfolgte, trat sofort zu Tage,
dass fast ausnahmslos die glänzenden Verheissungen nur,
um einen Ausdruck Pomponne's zu gebrauchen, „propter
speciem" gemacht waren. Frankreich agitirte in Warschau
für den Herzog von Conde, die kaiserliche Gesandtschaft
empfahl zwar offiziell die Wahl des Pfalzgrafen, aber Nie-
mand konnte im Zweifel sein, dass der Kaiser den Herzog
von Lothringen begünstige. 9 ) Auch die Haltung des Kur-
fürsten von Brandenburg war zweideutig. „Ihro Königliche
6) B. St.-A. K. bl. 46/8. Correspondenz Sr. Churfürstl. Durch-
laucht zu Pfalz mit Sr. Majestät in Schweden, 1654—1743. Erklärung
der Königin Hedwig Eleonore auf das Anbringen der pfalz-neuburgischen
Gesandten, vom 10. August 1667.
7) Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 173.
8) B. St.-A. K. bl. 46/8. „Actum Holmiae 6. Mai 1668".
9) Stumpf, Philipp WilhelnTs, Pfalzgrafen etc. Bewerbung um die
polnische Königskrone, in der Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, I, h
Digitized by
Google
56 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
Majestät von Schweden", schrieb der Reichsfeldherr Graf
Wrangel an Philipp Wilhelm, „glauben, dass des Chur-
fiirsten von Brandenburg Benehmen in der polnischen Sache
nachdenklich erscheine, dass er mit Frankreich unter einer
Decke stecke". Nur Schweden fuhr fort, die Bewerbung
des Herzogs zu unterstützen, und dieser war unablässig be-
müht, Herrn de la Gardie und andere einflussreiche Beamte
in Stockholm in ihrer „favorablen Gesiunung" zu erhalten. 11 )
Das Project der Hausunion wird jedoch nicht mehr aus-
drücklich erwähnt. Die politische Lage war ja einer solchen
Conjunctur so ungünstig wie möglich, denn das Verhältniss
Bayerns zu Kurpfalz gestaltete sich immer unfreundlicher.
Am 20. März 1668 wurde sogar zwischen Bayern und Kur-
mainz ein Schutz- und Trutzbündniss vereinbart, in Folge
„des bedenklichen Armirens der Churfürstlichen Durchlaucht
zu Pfaltz, das den benachbarten Fürsten begreiflicherweise
Jalousie einflösse". 1 2 )
Allein auch das polnische Project des Herzogs schlug
fehl. Polen war, wie gewöhnlich, in Folge von Bestechung
der wahlberechtigten Edelleute die Beute wilder Wahl Um-
triebe, ja sogar blutige Händel zwischen der Neuburgischen
und der Lothringischen Faction blieben nicht aus. Gerade
dieses Uebermass von Parteileidenschaft führte jedoch einen
plötzlichen Umschwung herbei. Man einigte sich dahin,
die Krone keinem der beiden vom Ausland begünstigten
Bewerber, sondern einem einheimischen Edelmann, Michael
Wisniowiecki , zu übertragen. Am 11. Juli 1669 schreibt
Philipp Wilhelm resignirt an Hedwig Eleonora, sie werde
10) B. St.-A. K. bl. 59/6. Correspondenz mit verschiedenen k.
Schwedischen Ministern, Generälen und Gesandten, 1655—1675. Brief
WrangePs vom 28. September 1668.
11) Ebenda. Zahlreiche Briefe au de la Gardie, Wrangel, Gier-
schenstirn, Habbäus u. A.
12) Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 170.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 57
wohl schon selbst erfahren haben, dass das Wahlwerk
„ganz unverhoffter Dingen und gegen alles Vermuthen ur-
plötzlich" ungünstigen Wechsel erlitten habe; ihm bleibe
nur noch übrig, der Krone Schweden aufrichtig zu danken,
dass sie ihre „zu Erhebung des Stammhauses glorie und
lustre tragende Pflicht" so gewissenhaft und tapfer erfüllt
habe. Darauf wünscht ihm die Königin Glück, weil er die
widrige Begegnung mit so freiem und wohl vergnügtem
Gemüthe passire; immerhin sei es ein Trost, alle Fürsten
Europa's darüber einig zu sehen, dass Philipp Wilhelm der
würdigste, eine solche Krone zu tragen. 18 ).
Von dem Allianzproject ist nicht mehr die Rede. In
Stockholm hatte sich gegen den übermächtigen Reichs-
kanzler eine Oppositionspartei erhoben, der es gelang, für
den Augenblick den französischen Einfluss zurückzudrängen.
Im April 1668 schloss Schweden mit England und Holland
Allianz, um den Erfolgen der französischen Waffen in Spanien
ein Ziel zu setzen. Es hatte den Anschein, als wolle Schweden
hiermit in die Reihe der erklärten Feinde Frankreichs treten,
allein in Wahrheit bedeutete die Schwenkung nur einen
kurzlebigen Sieg der conservativen Partei im Kronrath, der
bald wieder durch neue Strömungen jegliche Bedeutung
verlor. Unermüdlich trachtete die französische Staatskunst,
die in dieser Epoche ihre glänzendsten Erfolge aufzuweisen
hat, durch verschiedenartigste Einwirkung auf die bethei-
ligten Höfe jene Tripelallianz zu sprengen. Am raschesten
glückte ihr dies in Stockholm, wo Pomponne, unterstützt
durch finanzielle Verlegenheiten der Regierung, die nur durch
französische Subsidiengelder gehoben werden konnten, aber-
13) B. St.-A. K. bl. 46/8. Correspondenz Sr. Churfürstl. Durch-
laucht zu Pfalz mit Sr. Majestät in Schweden, 1654 — 1753. — Uebrigens
Hess der Herzog auch dem Kurfürsten von Brandenburg versichern, er
wisse gar wohl, dass der Kurfürst sein einziger treuer Freund, „da ihn
alle Anderen verrathen und verkauft hatten". (Droysen, III, c, 263.)
Digitized by
Google
58 Sitzung der histor. Glasse vom 6. Mai 1882.
nials den Boden für ein französisches Bündniss ebnete. Am
4. April 1672 wurde ein Traktat unterzeichnet, der angeb-
lich nur Aufrechthaltung des Westfälischen Friedens ver-
bürgen sollte; es war aber kaum noch zweifelhaft, dass er
zu feindlichen Unternehmungen gegen die bisherigen Bundes-
genossen Schwedens führen werde. 1 *)
Das schwedische Cabinet war jedoch nicht gesonnen,
ein für allemal auf jedes Ansinnen des Bundesgenossen
bereitwillig einzugehen und die Eroberungspolitik König
Ludwig's zu unterstützen. Es strebte vielmehr darnach,
sich, so gut es ging, freie Hand zu wahren und die durch
das Bündniss eingegangenen Verpflichtungen dadurch abzu-
schwächen, dass möglichst zahlreiche Freunde in's Ver-
trauen gezogeu und zur Mitwirkung für Aufrechthaltung
des Friedens gewonnen würden. Zunächst galt es, die ver-
wandten deutschen Fürsten diesen Plänen zugänglich zu
machen: ein Bund aller Witteisbacher wäre stark genug
gewesen, nicht nur die Beschlüsse des deutschen Reichstags
nach Beliebe» zu lenken, sondern auch auf die kaiserliche,
wie auf die französische Politik wirksamen Druck auszu-
üben.
Im Sommer 1672 ging der schwedische Bevollmächtigte
in Frankfurt, Arenten, in vertraulicher Mission nach Düssel-
dorf. Dem Pfalzgrafen Philipp Wilhelm, auf dessen guten
Willen und Eifer die schwedische Regierung das festeste
Vertrauen setzte, wurde zuerst der zwischen Frankreich
und Schweden geschlosse Vertrag enthüllt und zugleich das
Anerbieten unterbreitet, dem Bündniss beizutreten. Der
Herzog erklärte sich auch sofort dazu bereit, gab aber den
lebhaften Wunsch zu erkennen, es möchte auch der Kur-
fürst von Bayern „als auch einer vom Haus" in's Vertrauen
14) Carlson, IV, 555.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 59
gezogen werden. 15 ) Er wartete nicht ab, ob Schweden
diesem Wunsche Rechnung tragen wolle, sondern schickte
umgehend eine Abschrift des Vertrags nach München, mit
der Erklärung, er sei zum Eintritt in's Bündniss bereit,
wenn auch die verwandten Häuser sich solchem Anschluss
geneigt zeigen würden. 16 )
Allerdings hatte sich am Münchner Hofe seit einigen
Jahren ein Umschwung vollzogen, der den eingeweihten
Herzog hoffen liess, dass sein Anerbieten fruchtbaren Boden
finden werde. Auch Kurfürst Ferdinand Maria hatte der
Lockung, durch französische Subsidiengelder den durch einen
prunkvollen Hof halt erwachsenen finanziellen Schwierigkeiten
abzuhelfen, nicht zu widerstehen vermocht. Am 17. Februar
1670 ging er mit Frankreich einen Vertrag ein, der die
unselige Politik Bayerns inaugurirt, die ein volles Jahr-
hundert hindurch dem gefügigen Bundesgenossen Frank-
reichs so schmerzliche Blutopfer auferlegte. Zum Ersten-
mal wird hier Frankreichs Unterstützung in Aussicht ge-
stellt, um gewisse Ansprüche auf österreichische Landestheile
durchzusetzen, und zu Aufstellung einer grösseren Truppen-
macht eine jährliche Subsidienzahlung von 800,000 Gulden
zugesichert. 17 ) Der hiermit eingeschlagenen Politik getreu
verstand sich der Kurfürst, als der Krieg zwischen Frank-
reich und Holland ausbrach, auch zu einem neuen Vertrag,
wonach er im bevorstehenden Feldzug das Erzstift Köln
15) B. St.-A. K. bl. 68/5. Acta, Correspondenz mit Puffendorff
und anderen königlich schwedischen Residenten zu Wien, Köln, Haag,
Prankfurt etc. betr., 1672—1675. Schreiben des Herzogs Philipp Wil-
helm an Johann von Arenten vom 6. Juli 1672.
16) B. St.-A. Kasten schwarz 291/15. Correspondenz, die Allianz
zwischen Frankreich und Schweden, wozu auch Bayern eingeladen wird,
betr., 1672—1676. Brief Philipp Wilhelm's an Kurfürst Ferdinand
Maria vom 11. Juni 1672.
17) Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 186.
Digitized by
Google
60 Sitzung der histor. Classe vom 6) Mai 1882.
gegen die Holländer decken sollte. 18 ) Philipp Wilhelm,
der selbst, durch französische Subsidien bewogen, einen Neu-
tralitäts- und Freundschaftsvertrag abgeschlossen hatte, 19 )
kannte die in München vollzogenen Abmachungen, konnte
also mit Bestimmheit erwarten, dass auch das schwedische
Project, das „bei Gott und allen Heiligen" nur darauf ab-
ziele, dass der Friede conservirt und das Reich nicht in die
holländischen Händel verwickelt werde, in Bayern auf „ge-
neigte sentiments" stossen werde.
Die bayrische Regierung richtete zunächst an den Kur-
fürsten von Köln vertrauliche Anfrage, was er über die an-
gebotene Allianz denke. 20 ) Die kritische Lage fordere zu
ernstester Erwägung auf. Was könne Bayern, was könne
Köln veranlassen, sich um der holländischen Händel willen
in Krieg verwickeln zu lassen? Schon verlaute immer be-
stimmter, dass der Kaiser und Brandenburg mit Holland
gemeinsame Sache machten und Truppen zusammenzögen, —
dadurch sei unvermeidlich der Westfälische Friede gefährdet.
Nicht wer sich der jeweiligen aggressiven Politik des Kaisers
anschliesse, sondern wer für Aufrechthaltung des Friedens
wirke, sei als treues Mitglied des Reichs zu betrachten!
In Köln war man denn aucli mit solcher Ansicht durchaus
einverstanden. Hier regierte ja nicht so fast der Kurfürst,
als vielmehr der Domherr Landgraf Wilhelm von Fürsten-
berg, der in französischem Sold stand und dem französischen
Interesse jede andere Rücksicht opferte. Schon am 11. Juni
1671 war mit Frankreich ein Neutralitätsvertrag geschlossen
worden, durch dessen geheime Artikel der französischen
Streitmacht freie Operation im erzstiftischen Gebiet einge-
räumt war. Ein besonderer Vertrag sicherte der Familie
18) Ebenda, IV, 198. Vertrag d. d. 27. Mai 1672.
19) Ebenda, IV, 200. Vertrag d. d. 7. Juli 1672.
20) B. St.-A. K. schw. 291/15. Schreiben an Kur-Köln vom
28. Juni 1672.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 61
Fürstenberg einen bedeutenden Antheil an der erwarteten
holländischen Beute. Unter solchen Verhältnissen lautete
natürlich die Antwort auf die von Bayern gestellte Anfrage:
der Anschluss an die französisch-schwedische Allianz erscheine
ebenso loyal, wie unbedenklich. 21 )
Sogar am kurpfälzischen Hofe hatte französisches Gold
Eingang gefunden. Karl Ludwig, der bisher als Gegner
des na ächtigen Nachbarstaats gegolten hatte, gab unerwartet
1671 zur Vermählung seiner einzigen Tochter Elisabeth
Charlotte mit dem Bruder des Königs von Frankreich seine
Zustimmung, was auf einen Umschwung der auswärtigen
Politik des Heidelberger Hofes zu deuten schien. 22 ) Als
immer bestimmter zu Tage trat, dass der Krieg zwischen
Frankreich und Holland nicht localisirt bleiben werde, war
Karl Ludwig in der That dem Plan einer engeren Verbind-
ung mit Frankreich — nationale Politik, patriotische Ideen
dürfen wir ja in jenem Jahrhundert an keinem deutschen
Hofe zu finden erwarten, eifersüchtige Rivalität und klein-
licher Egoismus leitete die Politik des Kaisers, wie der
Reichsstände! — nicht abgeneigt. Als der Kaiser forderte,
dass seinen Truppen der Durchzug durch die Pfalz gestattet
werde, lehnte der Kurfürst das Ansinnen rundweg ab. 28 )
Schon 1670 hatte Fürstenberg als diplomatischer Schild-
träger Jjudwig's XIV. in Heidelberg mit Glück gearbeitet.
Er hatte sich auch erboten, einen friedlichen Ausgleich be-
züglich des Vikariats mit Bayern zu vermitteln, und Karl
Ludwig hatte nachgiebigere Gesinnung durchblicken lassen.
Mit Vergnügen habe er vernommen, dass von Seite Bayerns
mehr Gewicht auf die Titelfrage gelegt werde; ihm aber sei
es nur um die Sache, um sein gutes Recht zu thuo, und da
21) Ebenda. Antwort des Kurfürsten von Köln vom 9. Juli 1672.
22) Droysen, III, c, 365.
23) Häusser, II, 627,
Digitized by
Google
62 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
sich der als patriotischer Diplomat so hochberühmte Herr
Landgraf des Einiglingswerkes annehmen wolle, werde es
sicher zn Stande kommen ! Darauf erörtert er seine Forder-
ungen an Bayern. Hauptsächlich sei bezüglich der von
Kurpfalz losgerissenen oberpfalzischen Aemter, sowie wegen
der an die kurpfälzische Hofkammer zu zahlenden Summen
Genugthuung zu leisten. Falls sich Bayern dazu verstehen
wolle, stehe der Hausunion Nichts mehr im Wege; mit
vereinten Kräften könne man dann alle von andren Mächten
streitig gemachten Hausrechte zur Geltung bringen und so-
gar Kaiserlicher Majestaet beachtenswerthe Winke geben,
sowie neue, für die Wittelsbachischen Hauptlinien geltende
Erbverträge abschliessend 4 )
Nicht minder eifrig war Philipp Wilhelm von Neuburg
thätig, das Bündniss, „das ganz allein noch den höchst
noth wendigen Ruhestand im heiligen römischen Reich sta-
biliren könne", zum Abschluss zu bringen. Während im
Fürstenbergischen Project nur Zusammenfassung von Bayern,
Pfalz und Köln in Aussicht genommen wird, legt der Neu-
burger das Hauptgewicht auf den Beitritt Schwedens. Er
unterhielt desshalb mit dem einflussreichen Reichszeugmeister
Graf Gustav Oxenstierna, und mit den schwedischen Resi-
denten im Reich regsten Verkehr. Hauptsächlich verhandelte
er mit dem Gesandten in Frankfurt, Arenten.* 6 ) Es wird
dabei wiederholt betont, dass man Feindseligkeit gegen den
Kaiser nicht im Schilde führe, ja es wird der Hoffnung Aus-
druck gegeben, der Kaiser selbst werde das Bündniss gut-
heissen und bestätigen. Diese Erwartung hatte auch eine
24) B. St.-A. K. bl. 89/3. Cörrespondenz zwischen Churpfalz und
Pfalz-Neuburg, die gefährlichen damaligen Kriegsconjuncturen betr.,
1672—1673. Schreiben des Kurfürsten von der Pfalz an den Land-
grafen Wilhelm von Fürstenberg vom 17. Dezember 1670.
25) B. St.-A. K. bl. 68/5. Cörrespondenz mit Puffendorff und
anderen k. schwedischen Residenten etc., 1672—1675.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 63
gewisse Berechtigung. Es war noch keineswegs entschieden,
auf welche Seite sich Kaiser Leopold im bevorstehenden
Kriege schlagen werde. Noch hatte der französische Ge-
sandte Gremonville Wien nicht verlassen. Der einflussreichste
Minister in Wien, Fürst Lobkowitz, hegte französische Sym-
pathien; der Kaiser selbst, ohnehin mit den ungarischen
Angelegenheiten vollauf beschäftigt, machte kein Hehl daraus,
dass ihm der Schutz der ketzerischen Holländer nichts we-
niger als eine Herzenssorge. Auch nach Eröffnung des Feld-
zugs durch Offensivbewegungen französischer Truppen und
trotz dringender Mahnungen des Kurfürsten von Branden-
burg konnte sich das Wiener Cabinet noch geraume Zeit
zu entschiedenem und entschlossenem Handeln nicht auf-
raffen, und der Herzog von Neuburg war mittels seiner freund-
schaftlichen Beziehungen zu den Jesuiten in Wien über die
Stimmung der massgebenden Kreise gut unterrichtet. 26 )
In den ersten Septembertagen 1672 ging Arenten nach
München, um den Beitritt dieses Hofes zur Allianz zu be-
treiben. Philipp Wilhelm hatte auf die Ankunft des Ge-
sandten vorbereitet und zugleich die Mittheilung einfliessen
lassen, dass er selbst im Lager zu Boxtel nahe an der Grenze
seines Herzogthums mit dem allerchristlichsten König eine
Unterredung hatte. Er weiss nicht genug zu rühmen, wie
incliniret für das römische Reich und für den Frieden der
König sich geäussert habe: jetzt nur noch auf das kaiser-
liche Cabinet den entsprechenden Druck und die drohende
Wetterwolke werde am Reiche vorüberziehen! 27 ) In ähn-
lichem Sinn sprach der schwedische Gesandte in München.
In Stockholm trage man lebhaftes Verlangen, mit dem
kaiserlichen Hofe in Frieden und Freundschaft zu leben;
26) Wagner, Historia Leopoldi imperatoris, 425.
27) B. St.-A. K. schw. 291/15. Briefe des Herzogs Philipp Wil-
helm an den Kurfürsten von Bayern vom 3. und 13. August 1672.
Digitized by
Google
64 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
man habe diesem sogar ein Bündniss angeboten, aber die
Verhandlungen seien an der Unentschiedenheit des Wiener
Cabinets gescheitert. Darauf habe man mit Spanien unter-
handelt, allein Graf Nunez sei im entscheidenden Augenblick
ohne Instruction gewesen, — kurz, um nicht in der Stunde
der Gefahr von Freunden gänzlich entblösst zu sein, sei
die Krone Schweden nothgedrungen auf das Bündniss mit
Frankreich eingegangen. Noch kehre sich aber diese Ver-
bindung durchaus nicht feindlich gegen Kaiser und Reich,
und wenn nur der Kurfürst als eine der vornehmsten Stützen
des Reichs sich zum Beitritt entschliessen könnte, werde
ohne Zweifel der Friede gerettet sein. 28 ) Gleichzeitig mit
dem Schweden verweilte auch ein ausserordentlicher Ge-
sandter Frankreichs, Roberte de Gravell, in München. Auch
dieser überbrachte ein lateinisch abgefasstes Memorandum,
worin König Ludwig die von ihm eingeschlagene Politik
zu rechtfertigen sucht. Es dränge den König, — die Aus-
drücke könnten nicht schmeichelhafter gewählt sein, — sein
Herz vor seinem wahren Freunde, Bayerns würdigem Fürsten,
aaszuschütten und die heilige Versicherung zu geben, wie
es sein innigster Wunsch sei, mit Kaiser und Reich im
Frieden zu leben. Der Brandenburger aber wolle um jeden
Preis Aufruhr und Krieg, und da der Kaiser noch immer
zaudere, sei für Frankreich nichts Anderes übrig geblieben,
als zu eigenem Schutz deutsches Gebiet zu besetzen. Da
aber offenbar der Brandenburger zuerst den Frieden ge-
brochen habe, nehme König Ludwig als Garant des West-
fälischen Friedens die Waffenhilfe des Kurfürsten von Bayern
in Anspruch. 29 )
28) Ebenda. Schriftliches Anbringen des schwedischen Gesandten
Arenten d. d. München 29. August 1672.
29; Ebenda. Memorandum des französischen Gesandten ßobertus
de Gravell d. d. Monachii 6. Sept. 1672.
Ditjitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion» 65
Nach den vorausgegangenen vertraulichen Eröffnungen
an Kurköln muss überraschen, dass sich Kurfürst Ferdinand
Maria jetzt, da es sich um entschiedene Parteinahme han-
delte, mit einem Mal gar kühl und reservirt verhielt. An
Aufmerksamkeiten habe man es zwar in München nicht
fehlen lassen, klagt Arenten seinem Gönner Philipp Wil-
helm, allein ausser einer ziemlich vag lautenden Erklärung
habe er nichts erlangen können. 80 ) In jenem nicht einmal
vom Kurfürsten, sondern nur vom Minister Grafen Berchem
unterzeichneten Schriftstück vom 6. September 1672 wird
dem Entschlüss der schwedischen Regierung, das west-
fälische Friedensinstrument zu vertheidigen , begeistertes
Lob gezollt, auch die Versicherung gegeben, der Kurfürst
wünsche nicht minder sehnlich, dass das römische Reich
„ausser frembden Händen gehalten werden möge/' — aber
der angesonnene Beitritt zum Bündniss sei eine zu wichtige
Sache, als dass man sich ohne reiflichste Ueberlegung dazu
entschliessen dürfe. 81 ) Ebenso geschraubt und gewunden
lautet die „Antwort auf den Vorschlag des Bevollmächtigten
des allerchristlichsten Königs." Der Kurfürst habe mit
Entzücken vernommen, welch friedliche Gesinnung Ihro
Majestät hege, denn nichts gebe herrlicheres Zeugniss von
Grossmuth und Edelsinn, als im Waffenglück Gleichmuth
und friedliche Gesinnung zu bewahren. Was der König
vom Kurfürsten wünsche, sei bereits früher geschehen: auf
die erste Kunde von Vereinigung der kaiserlichen Truppen
mit den brandenburgischen nahe er aus eigenem Antrieb
in Wien gegen ein so gefahrliches Wagniss Vorstellungen
erhoben, denn unter allen Umständen müsse abgewendet
werden, dass um der undankbaren und keinen Dank ver-
30) B. St.-A. K. bl. 68/5. Schreiben Arcnten's an den Herzog
von Neuburg vom 14. September 1672.
31) B. St.-A. K. scbw. 291/15. Antwort auf des k. schwedischen
Gesandten Anbringen vom 6. September 1672.
[1882. II. Philos.-philol. Just. Cl. 1.] 5
Digitized by
Google
66 Sitzung der histor. Glosse vom 6. Mai 1882.
dienenden Holländer willen der Krieg in's deutsche Reich
übertragen werde. Für des Kurfürsten von Brandenburg
Friedensstiramung glaube er sich verbürgen zu können;
wenn Frankreich die zu Brandenburg gehörigen festen
Plätze im Cleve'schen zurückgeben wollte, werde Alles noch
gut werden, er, der Kurfürst, wolle mit gröster Freude
hüben und drüben den Frieden vermitteln. 32 ) Der im Me-
morandum des Gesandten kategorisch verlangten Bereitstel-
lung bayrischer Truppen wird gar nicht Erwähnung gethan.
Damit war ausgesprochen, dass sich Bayern durch die früher
mit Frankreich eingegangenen Verträge nicht mehr ge-
bunden erachte und wenigstens offenes Auftreten gegen den
Kaiser und Brandenburg ablehne. Offenbar war Kurfürst
Ferdinand Maria, ohnehin allen nach seinem Bedünken ge-
waltsamen Entschlüssen abgeneigt, durch Vorstellungen der
habsburgischen Parteigänger an seinem Hofe eingeschüch-
tert; auch die Besetzung cleve'schen Gebiets durch fran-
zösische Truppen hatte ihn peinlich berührt. Das Schreiben,
worin er vor dem Herzog von Neuburg sein Verhalten ge-
genüber den Gesandten Frankreichs und Schwedens recht-
fertigt, giebt von dieser ängstlichen Stimmung Zeugniss:
er habe sich auf so angenehme Vorschläge nicht eingelassen,
„da sonderbar an dem kaiserlichen Hoff dieses foedus für
so richtig nit gehalten wirdt." 8S )
Ohne Trost auf günstigere Wendung war jedoch Arenten
nicht aus München geschieden. Der Kurfürst, berichtet
der Gesandte an Philipp Wilhelm, trage zwar Scheu, sich
etwa durch Beitritt zum Bündniss in Krieg verwickelt zu
sehen, hege dagegen lebhaftes Interesse für die Hausunion ;
er selbst habe den Vorschlag gemacht, dass alle betheiligten
32) Ebenda. Resolutio ad propositionem Christ, regis ablegati,
d. d. 11. Sept. 1672.
33) Ebenda. Sehreiben des Kurfürsten von Bayern an Herzag
Philipp Wilhelm vom 13. Sept. 1672.
Digitized by
Google
Heigel: Bas Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 67
Fürsten Gesandte nach Ulm schicken sollten, um durch
Conferenzen die letzten Hindernisse der Vereinigung zu be-
seitigen. 84 ) Ohne einen Etiquettestreit, der ja bei keiner
Episode des siebzehnten Jahrhunderts fehlen darf, ging es
auch diesmal nicht ab. Wegen der Titulatur des Königs von
Schweden und des Kurfürsten von Bayern wurden ziemlich
gereizte Erklärungen gewechselt, bis Dank der Bemühungen
Philipp Wilhelm's ein Ausgleich stattfand, deni König wurde
der Titel Majestät, dem Kurfürsten die Anrede Serenissimus
zugestanden. Dann erst konnten die Verhandlungen weiter
geführt werden. 85 )
Es galt nun, auch Kurpfalz für das Einungswerk zu
gewinnen. Philipp Wilhelm übernahm auch hier die Ver-
mittlung. Bayern, Köln und Neuburg, schreibt er am
21. August an Karl Ludwig, seien bereits wegen des Vi-
cariats und andrer streitiger Punkte übereins gekommen,
es fehle also nur noch die Zustimmung von Kurpfalz,
um die Union perfect zu machen. „Unser Haus kann sich
durch engere Zusammentretung und feste Beisammenhaltung
in solche consideration setzen, dass es nicht allein seine
eigene Sicherheit darbey finden, sondern auch dem gemeinen
Wesen guten Dienst leisten wird. 44 86 ) Karl Ludwig ver-
hielt sich scheinbar keineswegs von vornherein ablehnend.
Er habe schon dem schwedischen Minister Bluhm erklärt,
dass er für seine Person gar kein Bedenken trage, dem
schwedisch -französischen Bündniss, sowie eventuell einer
Hausunion beizutreten; Aufgabe der alliirten Fürsten werde
es dann sein, die Mediation zu übernehmen, denn Theilnahme
des Reichs am niederländischen Krieg wäre Thorheit und
34) B. St.-A. K. bl. 68/5. Schreiben Arenten's an Herzog Philipp
Wilhelm vom 25. Sept. 1672. .
35) Ebenda. Schreiben des Herzogs an Arenten vom 28. Sept. 1672.
36) B. St.-A. K. bl. 89/3. Brief des Herzogs Philipp Wilhelm
an den Kurfürsten von der Pfalz vom 21. August und 10. Sept. 1672.
5*
Digitized by
Google
68 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
Verderben. 87 ) Darauf spricht Philipp Wilhelm seine Freude
aus, den hochverehrten Vetter so wohl intentionirt zu finden,
und bittet, Bevollmächtigte zu ernennen und abzuschicken,
da demnächst die Unterhandlungen in Ulm beginnen
sollten. 88 ) „Es wäre doch zu unverantwortlich, wann man
dem Untergang des geliebten Vatterlands mit zusammen-
geschlossenen Armen zusehen und gleichsam als von einem
lethargo überfallen , sich nicht einmal rühren , noch zu
applicirung dienlicher Arzney die Händt ausstrecken wollte." ")
Die gleiche Mahnung, durch rasche Einigung eine Mediation
zu ermöglichen, wurde an Bayern gerichtet.
Trotz aller bündigen Versicherungen und glatten Worte
schritt jedoch das Bundeswerk nur langsam vorwärts. Bald
lief aus Heidelberg die Klage ein, dass Bayern keinen Ernst
zeige, da es die zwischen den betheiligten Staaten kur-
sirenden Schriftstücke so lang zurückhalte. 40 ) Dagegen gab
Bayern dem Verdacht Ausdruck, der Pfälzer intriguire im
Rücken der Stammesgenossen am Wiener Hofe gegen das
Bundesproject. 41 ) Kurz, die seit Jahrhunderten festge-
wurzelte Eifersucht zwischen Bayern und Pfalz kam bei
jeder Gelegenheit wieder zum Ausbruch. Obwohl Alle des
Hauses Wohlfahrt im Munde führten, hegte Jeder gegen
Jeden Misstrauen und Argwohn. Es fehlte nicht viel, so
hätte sich auch Philipp Wilhelm verstimmt von allen Ver-
handlungen zurückgezogen, denn er fühlte sich verletzt,
dass der schwedische Bevollmächtigte am Reichstag zu
37) Ebenda Antwort des Kurfürsten von der Pfalz vom 12. Ok-
tober 1672.
38 j Ebenda. Antwort des Herzogs von Neuburg vom 2. Nov. 1672.
39) Edenda. Brief des Herzogs von Neuburg an Karl Ludwig vom
16. Nov. 1672. '
40) Ebenda. Schreiben Arenten's an Philipp Wilhelm vom 20. Ok-
tober 1672.
41) Ebenda. Antwort Philipp WilhelnTs vom 26. Okt. 1672.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsb achischen Hausunion. 69
Regensburg, Bluhm, als stimmberechtigtes Mitglied des nach
Köln berufenen Friedenscongresses nicht auch Pfalz-Neuburg
in Vorschlag brachte. Er führte über solche Vernach-
lässigung am schwedischen Hofe bittere Klage 42 ) und
machte seinem Missmuth auch in einem Schreiben an
Arenten Luft. Er sei des ewigen Umherbettelns herzlich
müde und wolle sich nicht länger plagen, denn es habe
sich ja bereits deutlich gezeigt, „dass dasjenige Project,
welches man zuerst aufs Tapet geworfen, den erwünschten
eventus zu des allgemeinen Wesens Besten nicht nach sich
ziehen wollen, sondern die meisten, von deren access man
Hoffnung gehabt, zweifelhaft blieben. 1143 ) Der schwedischen
Regierung war jedoch daran gelegen, den thätigen Bundes-
genossen nicht zu verlieren. Je fester sich der Kaiser den
Generalstaaten anschloss, desto wichtiger war es für Frank-
reich und Schweden, wenigstens einige einflussreiche Reichs-
stände auf ihre Seite zu ziehen. Allerorten im Reich
waren desshalb schwedische Gesandte thätig, um für Bünd-
niss oder Mediation Freunde zu gewinnen. Ehrensteen
wirkte dafür auf dem zu Köln eröffneten Congress, Bluhm
am Reichstag zu Regensburg, Arenten besuchte die süd-
deutschen Höfe, Pufendorf machte in Wien den letzten
Versuch, von Theilnahme am holländischen Krieg zurück-
zuhalten. Mit allen diesen Diplomaten stand Philipp
Wilhelm in Briefwechsel, in alle Geheimnisse war er ein-
geweiht, an allen Höfen hatte er Vertrauensmänner, —
diesen Bundesgenossen durfte man nicht verloren geben.
Königin Hedwig Eleonora erwiderte denn auch sofort,
Nichts liege der schwedischen Regierung ferner, als Miss-
achtung oder Beleidigung des werthesten Freundes, der
42) Ebenda. Schreiben Philipp Wilhelm's an König Karl von
Schweden vom 30. Nov. 1672.
43) Ebenda. Schreiben Philipp Wilhelm's an Arenten vom 10.
Dez. 1672.
Digitized by
Google
70 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
sich wie kein Anderer ebenso um Schweden, wie um das
allgemeine Wohl Europa's unsterbliches Verdienst erworben
habe. 44 ) Bluhm wurde angewiesen, dem Herzog jede ge-
forderte Ehrenerklärung zu geben. Nichts Anderes, ver-
sicherte der Diplomat, habe ihn bewogen, den treuesten
Bundesgenossen Schwedens zu übergehen, als die Besorgniss,
dass das evangelische corpus Protest erheben könnte, wenn
man ein so wichtiges Werk ausschliesslich katholischen
Fürsten überlassen wollte. 46 )
Im Jänner 1673 konnten endlich die Conferenzen in
Ulm eröffnet werden. Wer jedoch auf die Instruction, die
Karl Ludwig seinen Mandataren, Caspar Preiherrn von Borck
auf Falkenburg und Dr. Gerhard Schreiber, mitgab, einen
Blick hätte werfen können, würde ohne Weiteres die Ueber-
zeugung gewonnen haben, dass dieser Ulmer Tag erfolglos
verlaufen müsse. Weder in Bezug auf den Vikariatstreit,
noch auf die Hausunion durften Erklärungen ohne Klauseln,
die jegliche Bedeutung des Votums wieder aufhoben, ab-
gegeben werden. Aus jeder Zeile lassen sich Misstrauen
und Abneigung gegen Bayern herauslesen. Forderungen in
Fülle, aber keine Zugeständnisse ! Alle diejenigen Mitglieder
des Hauses, die im laufenden Saeculum an Land und Leuten
Gewinn erzielt hatten, sollten an die Pfalz, die ja doch das
Haupt des Hauses sei, aber nur Verluste zu beklagen habe,
jährliche Subsidien reichen; ausserdem sollten die ihr ent-
rissenen oberpfälzischen Aemter zurückgegeben werden.
Dagegen könne sich Kurpfalz der örtlichen Beschaffenheit
halber zur Stellung von Truppen nicht verpflichten, sondern
nur gute Verwahrung der festen Plätze in Aussicht stellen.
Zu den Hausverträgen sei ausser Bayern und Pfalz nur
44) Ebenda. Schreiben der Königin Hedwig Eleonora an Philipp
Wilhelm vom 30. Dez (älterer Zeitrechnung) 1672.
45) B. St.-A. K. bl. 59/6. Schreiben Reinhold Bluhm's an Phi-
lipp Wilhelm vom 6. Febr. 1673.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 71
noch Pfalz-Neuburg Zutritt zu gewähren, der König von
Schweden aber, sowie der Kurfürst von Köln seien nur in
ihrer Eigenschaft als Pfalzgrafen bei Rhein zuzulassen. 46 )
Ebensowenig war Bayern , das durch Rudolf von Warnpl
in Ulm vertreten war, gesonnen, auf erhebliche Abtretungen
oder Zahlungen einzugehen. Nach bayrischer Auffassung
handelte es sich nicht so fast um einen Bund der Familien-
glieder unter sich, als um Beitritt zur schwedisch-französischen
Allianz. Seit Kurzem hatte am Münchner Hofe wieder die
französische Partei, als deren Haupt der schlaue Vicckanzler
Kaspar Schmid galt, die Oberhand gewonnen, und was we-
nige Monate vorher abgelehnt worden, gedieh am 14. Jänner
1673 zum Abschluss: ein neuer Vertrag mit Frankreich,
wodurch sich Bayern zu Vertheidigung des Westfälischen
Friedens im Allgemeinen und speciell zu Vermehrung seiner.
Streitkräfte verpflichtete. 47 ) Dagegen wurden die Bezieh-
ungen des Heidelberger Hofes zu Frankreich von Tag zu
Tag gespannter. Der Uebermuth und die Raublust der
französischen Truppen, die in der Pfalz wie in Feindesland
hausten, brachten zu Wege, was den Vorstellungen des
kaiserlichen Hofraths nicht geluugen war: Karl Ludwig
suchte sich wieder dem Wiener Hofe zu nähern. Wie sich
auch aus den geheimen Kabinetspapieren ersehen lässt, war
er also von vorneherein nicht Willens, den Ulmer Debatten
ernstere Bedeutung beizumessen. Er liess auch ausdrücklich
dem Kurfürsten von Brandenburg die beruhigendsten Ver-
sicherungen übermitteln ; Beschickung des Ulmer Tags habe
er zwar nicht ablehnen können, aber es werde dort nur
über Beilegung des Vikariatstreites, keinesfalls über andere
46) B. St.-A. K. bl. 89/3. Instruction für den Reichstagsgesandten
Caspar Freiherrn von Borck auf Falkenburg und Dr. Gerhard Schreiber
bei dem zu Ulm angesetzten Tag wegen Vereinigung beider Chur- und
fürstlichen Häuser Bayern und Pfalz, d. d. 4. Jänner 1673.
47) Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 213.
Digitized by
Google
72 Sitzung der histor. Glosse vom 6. Mai 1882.
Fragen oder etwa gar über Bündnisse mit auswärtigen
Streiten verhandelt werden. 48 )
Der Gegensatz der Ansichten und Absichten der Haupt-
theilnehmer an den Ulmer Konferenzen erklärt deren lang-
sames Fortschreiten und schliessliches Scheitern zur Genüge.
Als nach langem Hin und Wider ein Vergleichsproject auf-
gesetzt war, schrieb Karl Ludwig, der fortwährend den
brandenburg'schen Oberpräsidenteu Schwerin über die Ulmer
Beschlüsse unterrichtete, an seine Gesandten, er habe „nicht
ohne Nachdenkeu und Befremdung" von dem Project, das
für Kurpfalz so ungünstig wie möglich laute, Kenntniss
genommen. Was ihnen denn einfiele ! Er könne wenigstens
verlangen, Mitvicar zu werden, ein Adjunct Bayerns aber
wolle er nimmer sein: das Project sei für ihn unannehm-
bar. 49 )
Nun gab es neue Berathungen und Kämpfe, aber ein
allseitig anerkannter Vergleich wollte nicht zu Stande
kommen. Anfangs Juni gingen die Herren Räthe aus-
einander, ohne etwas Anderes, wie schätzbares Material
nach Hause zu bringen. Am glücklichen Ausgang in futuro,
versichert dessenungeachtet Philipp Wilhelm dem schwedischen
Gesandten Ehrensteen, sei gar nicht zu zweifeln. 60 ) Einen
originellen Kontrast zu dieser optimistischen Aeusserung,
wie zu den steifen, ceremoniösen Schriftstücken des diplo-
matischen Verkehrs überhaupt bildet ein unter die kurpfäl-
zischen Kabinetspapiere gerathenes Schreiben des Sebastian
Class, Gastgeb zum weissen Ochsen in Ulm, an die kurfürst-
48) B. St.-A. K. bl. 89/3. Schreiben des Kurfürsten von der
Pfalz an den brandenburgischen Oberpräsidenten, Freiherrn von Schwerin,
vom 11. Jänner 1673 ff.
49) Ebenda. Schreiben des Kurfürsten Karl Ludwig an die nach
Ulm geschickten Räthe vom 31. März 1673.
50) B. St.-A. K. bl. 68/5. Schreiben des Herzogs Philipp Wil-
helm an Ehrensteen vom 27. Juni 1673.
Digitized by
Google
Heigel: Bas Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 73
liehe Hofkammer. Herr Class, in dessen Herberge sich die
kurpfälzischen Gesandten einquartiert hatten, bittet, an
seinem Gasthaus das pfälzische Wappen anbringen zu dürfen,
wie dies seinem Concurrenten bezüglich des bayrischen Wap-
pens gestattet worden sei. Gleichsam um seiner Bitte Nach-
druck zu geben, fügt er bei, er könne nicht umhin, von
einer zu grossem Verdruss der anwesenden bayrischen und
neuburgischen Gesandten gelegentlich der Frohnleichnams-
prozession in Ulm vorgefallenen lustigen Scene Mittheilung
zu machen. Die ungeschickten Träger liessen nämlich den
Baldachin, unter welchem der Herr Propst einherschritt,
zu Boden fallen , wesshalb es schon an Ort und Stelle gar
ärgerliche Worte absetzte. Noch stürmischer aber ging es
bei dem Pestmahl in der Propstei her, wozu auch die er-
wähnten katholischen Herren Gesandten invitirt waren, wo
„die Pfaffen so hintereinander kamen, dass einer dem andern
in die Haar gefallen und sich wohl geschlagen 41 . 51 ) Der
Gastgeb wusste ohne Zweifel, dass seine von heller Schaden-
freude dictirte Erzählung auch den kurpfälzischen Herren
Räthen ergötzlich zu vernehmen sei, und desshalb kann das
an und für sich bedeutungslose Schreiben als Beweis gelten,
dass auch die Konfessionsverschiedenheit der Theilnehmer
an den Ulmer Konferenzen und mittelbar der durch sie
vertretenen Staaten ein nicht zu unterschätzendes Hinder-
niss der Einung war.
Im August 1673 ergriff nochmals Schweden die Initia-
tive, um unter Wittelsbachischem Banner eine „dritte Partei
in Europa 41 zu sammeln. Am 23. August wies König Karl
seinen Gesandten in Köln an, mit dem neuburgischen Be-
vollmächtigten Wachtendonk in Unterhandlung zu treten,
um endlich den Abschluss der Hausunion herbeizuführen;
51) B. St.-A. K. bl. 89/3. Schreiben des Gastgeb Class vom
11. Juni 1673.
Digitized by
Google
74 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
dem Gesandten wird erlaubt, die weitreichendsten Zugeständ-
nisse und Versprechungen zu machen. 52 ) Auch der Reichs-
kanzler de la Gardie schrieb am 29. August an Philipp Wil-
helm, es sei der ernste Wille seines Königs, die Versöhn-
ung von Pfalz und Bayern anzubahnen; wenn aber dies
durchaus nicht gelingen sollte, wenn namentlich Kurpfalz
hartnäckig darauf bestehen würde, nur sein Partikularin-
teresse zu vertreten, so möge doch von den andern Staaten
der Anfang gemacht und der Pfalz einstweilen der Beitritt
offen gelassen werden. 58 )
In der That trat der feindselige Gegensatz schärfer
denn je zu Tage. Bayern hatte am 14. Jänner 1673 den
Allianzvertrag mit Frankreich erneuert; wenn auch diese
Thatsache vielleicht noch anderen Höfen unbekannt war,
so spielte doch der Herzog von Vitry am Münchner Hofe
eine zu einflussreiche Rolle, als dass über die Stellung
Bayerns noch ernste Zweifel hätten bestehen können. Auch
mit Württemberg trat Bayern am 10. Februar 1673 „der
in dem Reich besorgenden gefährlichen motuum halber 41 in
Bündniss; am 12. Juni schloss sich diesem Vertrag auch
Pfalz-Neuburg an. 54 )
Als bald darauf (10. November 1673) König Michael
von Polen starb, tauchte nochmals der Plan einer neu-
burgischen Bewerbung auf. Philipp Wilhelm richtete zuerst
an den schwedischen Gesandten in Köln, Grafen Todt, eine
bescheidene Anfrage. Es stehe zwar Angesichts der droh-
enden Kriegsgefahr Wichtigeres auf dem Spiel ; „falls es
aber dem publico zum Besten, der Krone* Schweden zu
52) Ebenda. K. bl. 68/5. Schreiben König Karls an den Grafen
Todt vom 23. August 1673.
53) Ebenda. Schreiben de la Gardie's an Philipp Wilhelm vom
29. August 1673.
54) Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 216.
Digitized by
Google
Heigel: Bas Project einer Witt elsb achischen Rausunion. 75
gntem Dienst und dem gesammtem Haus zu forderlicher
Aufnahme gereichte," wäre er entweder selbst bereit, als
Bewerber in Warschau aufzutreten oder seinen ältesten
Sohn, der sich ja allenfalls mit der verwittweten Königin
vermählen könnte, zu bewegen, sich „zu sacrificiren."
Schweden erklärte sich auch bereit, diese Pläne zu unter-
stützen. 56 ) Am 5. Februar 1674 schrieb König Karl ver-
traulich an den Herzog, er wolle stets und in Allem nur
mit seiuera lieben Verwandten einmüthig handeln, und diese
herzliche Zuneigung werde sich vor Allem in der polnischen
Sache verspüren lassen. Allein gerade diesmal waren solche
Wünsche und Bestrebungen aussichtslos, denn da die Wahl
unmittelbar unter dem Eindruck des Sieges bei Choczim
erfolgte, war es dem glorreichen Türkensieger Johannes
Sobiesky ein Leichtes, über alle fremden Bewerber zn ob-
siegen (19. Mai 1674). 56 )
Mehr und mehr schwand die Aussicht, die Ausdehnung
des, Krieges auf das deutsche Reich verhüten zu können.
Der schwedische Gesandte in Wien, Esaias Pufendorf, spricht
sich in den Briefen an Philipp Wilhelm ganz entmuthigt
aus; er treffe am kaiserlichen Hofe nur verstockte Ohren,
und wenn er endlich durchdringe, nur verkehrte und prä-
occupirte Sinnen ; er wolle zwar fortfahren, pro salute Ger-
maniae zu predigen, allein er hoffe nicht mehr auf günstige
Wendung. 57 )
Als sich der Neuburger im September nochmals an
Karl Ludwig wandte und ihm hocherfreut mittheilte, wie
55) B. St.-A. K. bl. 68/5. Schreiben Philipp Wilhelm's an den
Grafen Todt vom 17. Dezember 1673.
56) Ebenda. Schreiben König Karls an Philipp Wilhelm vom
5. Febrnar 1674.
57) Ebenda. Schreiben Pufendorfs an Philipp Wilhelm Tom 7. Sep-
tember 1673.
Digitized by
Google
76 Sitzung der histor. Classe vom 6, Mai 1882.
ernst und eifrig Schweden die Hausunion betreibe, jetzt
oder nie sei der Augenblick gekommen, dem alten hässlichen
Streit zwischen Bayern und Kurpfalz ein Ende zu setzen,
der Kongress zu Köln, wo alle Wittelsbachischen Familien-
glieder durch Gesandte vertreten seien, biete die passendste
Gelegenheit, 58 ) erfolgte eine ablehnende Autwort, deren
Deutlichkeit kein Missverständniss zuliess. Wie könne man
von Hausinteressen und Hausuriion sprechen, wenn gleich-
zeitig kurkölnische Truppen im Verein mit französischen
in pfälzischen Landen „mit Morden, Brennen, Weiber-
schänden, Plündern, Rauben, Verwüsten der Wein-, Baum-
und anderen Gärten hauseten ? u Möge man hier zuerst wieder
Ruhe und Sicherheit schaffen, dann könne man wieder an
Vicariat und Titulaturen denken ! 59 ) In gleichem Sinn schrieb
Karl Ludwig im November auch an König Karl ; er schil-
dert die Verwüstung seines Landes und spricht die Hoffnung
aus, der König werde dem Bewusstsein der Stammesgemein-
schaft dadurch öffentlich Ausdruck geben, dass er die Pfalz
vor gänzlichem Ruin rette. 60 )
Wirklich hatte es eine Zeit lang den Anschein, als
werde sich in Schweden eine politische Schwenkung voll-
ziehen. Am 10. Dezember 1673 ging es mit Brandenburg
ein Bündniss ein, 61 ) dem am 18. April 1674 auch Pfalz-
Neuburg beitrat. 62 ) Allein die antifranzösische Strömung
wurde bald wieder zurückgestaut. Schweden hatte die
französischen Subsidiengelder vonnöten, und diesem finan-
58) Ebenda. K. bl. 89/3. Schreiben Philipp Wilhelm's an Karl
Ludwig vom 29. September und 11. November 1673.
59) Ebenda. Antwort Karl Ludwig's vom 14. November 1673.
60) Ebenda. Schreiben Karl Ludwig's an König Karl vom 14. No-
vember 1673.
61) Droysen, a. a. 0., III, 3, 465.
62} Zeitschrift für Bayern, a. a. 0., 218.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 77
ziellen Interesse mussten alle anderen Rücksichten geopfert
werden.
Am 14. Februar 1674 wurde zu Köln auf Befehl des
Kaisers der Leiter der französischen Propaganda in Deutsch-
land, der kurkölnische Gesandte Wilhelm von Fürstenberg,
verhaftet; damit war der Congress gesprengt, der Reichs-
krieg gegen Frankreich erklärt. Schweden , das ja auch
dem Reiche als mächtiger Reichsstand angehörte, war damit
in schwierige Lage versetzt; die Regierung trachtete daher
auch jetzt noch, eine Mediation zu Stande zu bringen. In
diesem Sinne suchte auch Philipp Wilhelm wenigstens die
verwandten Häuser von Theilnahme am Reichskrieg abzu-
halten. Freilich hinderte dies den „trefflichen Diplomaten"
nicht, auch dem Kaiser zu geloben, er wolle ihm „fürohin nit
weniger als bisher devot und treu verbleiben, wie es einem ge-
treuen und gehorsamben auch nahen anverwandten Fürsten
des Reichs gebühret" (16. Juli 1564).*) Erfolglos blieb
das Bemühen Schwedens, den Kurfürsten von Brandenburg
von entschiedenen Schritten abzuhalten, erfolglos die Ueber-
reichung eines Ultimatums in Wien, nur der Krieg konnte
der allgemeinen Verwirrung ein Ziel setzen, und beide Par-
teien versicherten, das wahre deutschpatriotische Interesse
zu vertreten. „Es lauffe endlich, wie es wolle," sucht
Pufendorf den Neuburger zu trösten, „so wird die unpar-
theyische Welt zum wenigsten dieses judiciren, dass Ihro
Königliche Majestaet gleich anfangs den rechten Weg,
Teutschland aus dem Spiel halten zn können, eingerathen
und dass nebenst noch einigen Anderen Ew. hochfürstliche
Durchlaucht selbige heilsame consilia nicht allein appro-
biret, besonders auch mit allem geziemendem Eyfer und
Kräften secondiret haben ; was sie aber für Dank darmit
verdienet und wie man gesuchet, eine so redliche Intention
63) Ebenda, 225.
Digitized by
Google
78 Sitzung dsr histor. Classe vom 6. Mai 1882.
nicht nur gleich im Anfang unfruchtbar zu machen, be-
sonders noch dazu recht übel zu belohnen, wird zu seiner
Zeit auch für den Tag kommen." 64 )
„Von Reichswegen 4 ' ward schon im Mai 1674 in Re-
gensburg der Beschluss gefasst, die „Reichsvölker" mit der
kaiserlichen Armee zu vereinigen. Dies hinderte aber nicht,
dass gerade die mächtigeren Stände an ihrer jenem Be-
schluss widerstreitenden Politik festhielten. Hannover stand
offen auf Seite Schwedens, Kursachsen unterhielt mit der
nordischen Grossmacht vertrauliche Beziehungen. Als vol-
lends der Feldzug im Winter 1674 eine für den Kaiser und
Brandenburg ungünstige Wendung nahm, waren auch die
noch Schwankenden leicht zur Ansicht zu bekehren, dass
auf Seite der Sieger auch das Recht. Ein an die ver-
wandten und befreundeten Fürsten gerichtetes Memorandum
König Karl's vom 16. Dezember 1674 betont überdies, dass
Schweden durchaus» nicht das Vorgehen Frankreichs in allen
Punkten billige, dass der Krieg mit Brandenburg nur Ab-
wehr, nicht Angriff bezwecke. 66 ) Wieder besuchten schwe-
dische Gesandte alle diejenigen Höfe, von welchen sich
günstige Aufnahme solcher Vorstellungen erwarten Hess.
Auch nach München kam im Februar 1675 der schwedische
Geheimrath Georg Marschalk mit der Weisung, „über die
gefährliche Weltlage" mit Kurfürst Ferdinand Maria Rück-
sprache zu nehmen und, wenn möglich, ein Bündniss
Bayerns mit Schweden zu Wege zu bringen. Der Obrist-
kämmerer Baron Rechberg und der Vicekanzler Kaspar
Schmid wurden am 26. Februar vom Kurfürsten mit Füh-
rung der Unterhandlungen betraut; schon diese Namen be-
weisen, welche Stimmung zur Zeit am Münchner Hofe
64) B. St.-A. K. bl. 68/5. Schreiben Pufendorfs an Philipp
Wilhelm vom 22. November 1674.
65) Ebenda. K. schw. 291/2. Schwedische Correspondenz von 1673
bis 1720. Schreiben Karl's XI. vom 16. Dezember 1674.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 79
herrschte, denn heide Mandatare galten als entschiedene
Freunde engsten Anschlusses an Frankreich und Schweden. 66 )
Wirklich kam jetzt auch rasch zu Stande, was früher so
bestimmt abgewiesen worden war; das Bündniss zwischen
Schweden und Bayern wurde durch Vertrag vom 9. März
(27. Februar) 1675 vollendete Thatsache. Die Fürsten beider
Staaten sollen fortan nach gemeinsam zu berathenden Ge-
sichtspunkten ihre Politik regeln, wechselseitig ihre Inte-
ressen unterstützen, zur Behauptung einer angesehenen
Stellung eine bestimmte Truppenmacht unterhalten, vor
Allem aber den Frieden wieder herzustellen trachten. „Sit
foedus defensivum ," wird mit Nachdruck hervorgehoben,
allein in eiuem geheimen Artikel WafFenhilfe Bayerns im
Krieg mit Brandenburg zugesichert. 67 ) Hocherfreut gab
Arenten dem Herzog von Neuburg Kenutniss von diesem
Erfolg der schwedischen Diplomatie und fügte hinzu, er
hoffe zuversichtlich bald günstige Nachrichten vom Kriegs-
schauplatz übermitteln zu können.
Da kam, Allen unerwartet, die Kunde von der Nieder-
lage, welche die Schweden am 18. Juni bei Fehrbellin
erlitten hatten. „Ganz Deutstchland wird seine Gedanken
ändern," schrieb Turenne an Louvois, und diese Besorgniss
war nicht unbegründet. Die Freunde Schwedens im Reich
waren entmuthigt, am 18. Juli wurde in Regensburg
die bis dahin hinausgeschobene Erklärung des Reichs-
kriegs gegen Schweden votirt. 68 ) König Karl fand jetzt
66) Ebenda. Kurfürstliches Dekret vom 26. Februar 1675.
67) Ebenda. „Articul der Bündniss, welche zwischen dem durch-
lauchtigsten und grossrnächtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Karl,
König zu Schweden etc. etc. und dem durchlauchtigsten Fürsten und
Herrn, Herrn Ferdinand Maria, Churfürsten in Bayern etc., den 27. Fe-
bruarii (9. Martii) Anno 1675 geschlossen worden. (Gedruckt in der
Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 235.)
' 68) Droysen, III, 3, 537.
Digitized by
Google
80 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
Gelegenheit, die Zuverlässigkeit seiner Bundesgenossen zu
erproben. Im Herbst 1675 ordnete er wieder den Kanzler
Pufendorf an die Höfe der verwandten süddeutschen Fürsten
ab. In Neuburg wurde aber dem Gesandten bedeutet, der Her-
zog habe eine Jagdparthie angetreten und werde wohl so bald
nicht heimkehren. Ein nach einigen Tagen eintreffender
Brief des Herzogs gab nur in allgemeinen Ausdrücken den
Wunsch zu erkennen, es möge recht bald Friede vereinbart
werden. 69 ) Es dauerte nicht lange, so ging Philipp Wil-
helm ganz und gar in's kaiserliche Lager über. Kaiser
Leopold selbst wurde im nächsten Jahre der Eidam des
Herzogs, 70 ) und dieser trat offen der Haager Allianz bei. 71 )
Dass auch Bayern nach der Schlacht bei Fehrbellin
das schwedische Bündniss „bei Seite gelegt habe, u wird
von Carlson, 72 ) wie von Droysen 7S ) berichtet. Diese Be-
hauptung oder wenigstens dieser Ausdruck entspricht aber
nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Allerdings zog kein
bayerisches Heer dem besiegten Bundesgenossen zu. Hilfe,
und auch in den nächsten Jahren blieb der von schwe-
discher Seite dringlich geltend gemachte Wunsch, Bayern
möge endlich seine Truppen in's Feld rücken lassen, unbe-
rücksichtigt. Allein man darf nicht übersehen, dass ein
offenes Vorgehen Bayerns im Sinne der schwedischen For-
derung unvermeidlich Besetzung des Landes durch die kai-
69) B. St.-A. K. schw. 291/2. Schreiben Philipp Wilhelm's an
Pufendorf vom 16. Oktober 1675.
70) Leopold wurde der Gemahl der ältesten Tochter Philipp Wil-
helms, Eleonora. (Finweg, Geschichte des Herzogthums Neuburg, 287.)
71) Am 20. November 1676 bestätigt Kaiser Leopold den Beitritt
des Pfalzgrafen Philipp Wilhelm zur Haager Allianz mit Spanien und
Holland. (Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV, 238.)
72) Carlson, IV, 608: „Hannover und Bayern traten vom fran-
zosischen Bündnisse zurück".
73) Droysen, III, 3, 537: „Schon hatte Bayern sein schwedisches
Bündniss zur Seite gelegt und sich neutral erklärt".
Digitized by
Google
Heigel: Das Projeet einer Wittelsbachischen Hausunion. 81
serliche Uebermacht zur nächsten Folge gehabt hätte. Von
einem Abfall Bayerns vom schwedischen Bündniss aber kann
nicht die Rede sein, denn gerade in den nächsten Jahren
blieb der diplomatische Verkehr zwischen den beiden Staaten
besonders rege, und auch die Neutralität des im Süden des
Reichs tonangebenden Staates war für die Verbündeten
nicht ohne Nutzen.
Am Münchner Hofe war der Vicekanzler Easpar Schmid
der entschiedenste Anhänger des schwedisch-französischen
Bündnisses. 74 ) Die Absichten und Ziele seiner Politik legt
er selbst in einem ausführlichen Memorandum dar, das
zwar nicht dem vorsichtigen Ferdinand Maria, aber den
beiden nächsten Nachfolgern zur Richtschnur diente. Bayern
müsse , so lautet das Programm , gründlich mit der An-
74) Easpar Schmid wurde 1650 zum Regimentsrath in Straubing
ernannt, 1651 als Hofrath nach München berufen, 1656 zum geheimen
Rath, 1662 (bei OexYs Ernennung zum Kanzler) zum Vicekanzler des
geheimen Raths befördert. Nach Oexl's Resignation 1667 erhielt Schmid
zwar den Gehalt eines Kanzlers, den Titel aber führt er, nachdem in-
zwischen Oexl 1675 gestorben war, erst seit 1677. Noch in einem De-
kret vom 7. März 1677, wodurch ihm versprochen wird, dass nach seinem
Ableben die Pflege Aibling einem seiner Söhne übertragen werden soll,
wird er „geheimer Raths- Vicekanzler" genannt. Der „Sturz" des ein-
flussreichen Staatsmannes erfolgte 1683. Nachdem ihm Max Emanuel
schon 1682 angeblich zu seiner Erleichterung einen Vicekanzler, Johann
Baptist von Leidl, später Leiden (gest. 1691) beigegeben hatte, erging
am 27. Februar 1683 an den Kanzler die Weisung, „sich im Rath und
in der Kanzlei von allen publicis zu entäussern", nur die privata sollten
ihm noch belassen werden. Darauf bescbloss der Gekränkte, sich ganz
zurückzuziehen, und setzte auch durch, dass er aus Gesundheitsrück-
sichten am 5. März 1683 mit Fortbezug des ganzen Gehalts für emeri-
tirt erklärt wurde, allerdings mit dem Vorbehalt, dass er sich, wenn
es seine Leibesdisposition zulasse, auf Verlangen bei seinem Dienst
wieder einstelle. Die letzten zehn Jahre vor seinem Ableben (8. Sept.
1693) übte er immerhin noch von seinem Schlosse Schönbrunn Einfluss
auf die Geschäfte ans; es wurde auch kein neuer Kanzler, sondern nur
ein Vicekanzler (Johann Rudolf von Wampl) 1601 ernannt.
[1882. IL Philos.-philol. hist. Cl. 1.] 6
Digitized by
Google
82 Sitzung der histor. Glasse vom 6. Mai 1882.
schauung brechen, dass nur derjenige reichstreu zu nennen
sei, der sich den habsburgischen Interessen dienstbar mache.
„Das, was Reich heisst, ist gegenwertig anderes nichts als
der spanische ambassadeur in Wien und die kaiserliche
Armee, so die daselbst geschmideten consilia und decreta
exequirt." Noch habe Kaiser Leopold keinen männlichen
Erben; man müsse also schon jetzt dafür Sorge tragen,
dass für den Fall der Erledigung des Throns nicht wieder
ein Spanier das Erbe der deutschen Habsburger antrete.
Von allen deutschen Fürstenhäusern aber habe das baye-
rische die beste Aussicht, die Mehrheit der Kurstimmen zu
erlangen, zumal wenn es von so mächtigen Staaten, wie
Frankreich und Schweden unterstützt würde. Allerdings
gebe es ängstliche und kurzsichtige Politiker, die da meinten,
die Kaiserkrone sei für Bayern kein wünschenswerthes Ziel,
sondern vielmehr eine Last. Allein „dafür zu halten, dass
ein Prinz von niederem Vermögen als ein Kayser vom Haus
Oesterreich sich mit solcher dignitaet nur ruinirn würde,
ist wie ein Gespenst, damit man jezu weilen die Künder und
Unverständigen zu erschrecken pfleget , masseu denen,
so die rechte Griff wissen, noch wol Mittl und Weg be-
vorstehen, wardurch man sich die Unkosten einer Grönung
und etwas stärkere Hofhaltung reichlich und mit Wuecher
wider guet thun köndte, und man also diser consideration
wegen gar nicht Ursach hette, einen solchen Bissen fahren
zu lassen, wann die Gelegenheit, selbigen zu erhaschen,
sich ereignete." Um die Erhebung Bayerns zum Erben
des Habsburgischen Hauses anzubahnen, sei schon jetzt ge-
boten, mit offnem Visir zu fechten ; der Kurfürt möge also
unverzüglich seine Truppen zu dem Corps Conde's stossen
lassen, damit dieser um so rascher die kaiserlichen Truppen
zurückdränge und dem ganzen Reich klar vor Augen trette,
„das es Chur Bayrn sei, bei welchem zugleich kluege und
herzhafte consilia und nicht weniger unverruckte Treu und
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 83
Glauben zu finden, und das es allein von deme kommen
müesse, wardurch Teutschland von der bevorstehenden Dienst-
barkeit cräftiglich errettet werden solle. 75 ) 41
Um im Sinne dieser Rathschläge auf den Kurfürsten
einzuwirken, ging Pufendorf selbst nach München; er konnte
jedoch ein bündiges Versprechen nicht erlangen. Auch in
Dresden und Hannover suchte er eine entschiedenere Schwen-
kung zu Gunsten des schwedisch-französischen Bündnisses
herbeizuführen. Ueber wirkliche und vermeintliche Erfolge
seiner Mission berichtet er fast allwöchentlich an den Kanzler
Schmid, der dem Kurfürsten zweckentsprechende Vorstel-
lungen machte. In Hannover ist der Gesandte ganz und
voll befriedigt vom Ergebniss seiner Bemühungen, in Sachsen
findet er den Hof verstimmt wegen der Saumseligkeit des
französischen Kabinets, das grosse Subsidienzahlungen zwar
versprach, aber nicht leistete. Bayern möge sich doch, räth
Pufendorf, am französischen Hofe verwenden, denn Fer-
dinand Maria habe keinen getreueren Verehrer als den Kur-
fürsten von Sachsen ; man müsse aber in Versailles „mit
etwas vigueur" auftreten, „denn daselbst muss man nicht
furchtsam seyn , sondern recht von der Brust sprechen,
wenn man anders geholffen seyn will." 76 ) Sachsen und
Bayern betonten denn auch, obwohl der Reichskrieg gegen
Schweden fortdauerte, auf dem Reichstag mit Nachdruck
die Notwendigkeit, dass der Friede wieder hergestellt werde,
aber damit war Pufendorf noch nicht zufrieden. „Die-
jenigen, 44 meint er, „so noch Kraft haben, sollten selbiger
recht gebrauchen und nit nur reden, sondern auch agiren ....
Mit temporisiren und lanciren wird gewis nichts ausge-
richtet und ist ja besser, dass man den Brunnen zumachet,
75) B. St.-A. . K. schw. 291/2. „Entwurf etlicher einfältiger Ge-
danken über das Chur-Bayerische Interesse und Cooduiten" (s Anhang).
76) Ebenda Schreiben Pufendorf s an Schmid vom 25. August 1677.
6*
Digitized by
Google
84 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882,
ehe das Kalb vertrunken ist. 44 77 ) Er erkennt zwar mit
Dank an, dass Bayern in Wien und in Nymwegen, wo ein
Priedenscongress zusammengetreten war, seinen Einfluss zu
Gunsten der schwedischen Sache geltend mache, aber : ,,Haec
vita alios mores postulat, das Zuschauen und Nachgeben
rieht nichts mehr aus ! u Es dränge ihn, dem Kurfürsten
zuzurufen : „Praesta te Bavarum virum ! . . Es sind Cronen
dabei zu gewinnen, man muss aber nicht schlaffen, sondern ,
geschwind zugreiffen, wenn das Fatum honestissimas occa-
siones zeigt. 44 78 ) Auf so dringliche Aufforderungen konnte
jedoch der Kanzler nur erwidern, der Kurfürst müsse sich
vor überstürzten Unternehmungen hüteu, sei auch gar nicht
der Herr dazu, solches zu thun; er selbst könne nur den
Rath geben, der Gesandte möge sobald als möglich wieder
nach München kommen und seinen Einfluss in die Wag-
schale werfen,, freilich sei die Reise unter gegenwärtigen
Umständen nicht nur strapaziös, sondern auch gefahrvoll! 79 )
Dies schreckte aber den Schweden nicht ab ; am 6. März
1678 zeigte dem Kanzler ein Billet an, Pufendorf sei in
München eingetroffen, habe sich als Herr von Gooss in
Fraunhofer^ Gasthaus einquartiert und wünsche, baldigst
zur Audienz geladen zu werden. 80 ) Er war von König Karl
beauftragt, einen neuen Allianzvertrag abzuschliessen , da
ja der auf drei Jahre vereinbarte Vertrag von 1672 nur
noch kurze Zeit Geltung beanspruchen konnte. Auch ein
französischer Bevollmächtigter, Kardinal D'Estrees, war zu
gleichem Zweck in München eingetroffen. Die beiden Ge-
sandten hatten täglich Konferenzen mit dem Kanzler, allein
dieser hatte vom Kurfürsten selbst gemessene Instruction,
77) Ebenda. Schreiben Pufendorf s an Schmid vom 21. Sept. 1677.
78) Ebenda. Schreiben Pufendorf s an Schmid vom 8. Oktober 1677.
79) Ebenda. Schreiben Schmid's an Pufendorf vom 11. Jänner 1678.
80) Ebenda Schreiben Pufendorfs an Schmid vom 6. März 1678.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 85
die Sache dilatorisch zu behandeln. 81 ) Es sei jetzt ein ganz
ander Ding, mit fremden Mächten in Allianz zu treten, als
vor drei Jahren. Damals sei der Kaiser noch nicht im
Spiel gewesen , damals seien auch noch Hannover und
Münster mit Schweden verbündet gewesen. Jetzt könne
Bayern nicht zugemuthet werden, ganz allein vor allen
Reichsständen offen für Schweden aufzutreten. Die Truppen
seien zum Schutze des eigenen Landes vonnöten, denn es
sei bekannte Thatsache, dass die in Ungarn gelegenen kai-
serlichen Regimenter Ordre hätten, sich nach Böhmen zu
wenden, um eventuell in Bayern einzurücken; im Allianz-
vertrag sei ausdrücklich ausbedungen, dass die Verpflichtung
zur Stellung von Hilfstruppen aufhöre, sobald die mili-
tärischen Kräfte zur eigenen Vertheidigung aufgeboten
werden müssten. Man möge aber in Schweden nicht etwa
annehmen, dass sich Bayern aller eingegangenen Verpflich-
tungen entschlagen wolle; der Kurfürst glaube nur, wirk-
samer die schwedische Sache zu unterstützen, wenn er zwar
nicht als offener Feind des Kaisers auftreten, aber in Wien
und in Regensburg darauf dringen würde, dass das Frie-
denswerk nach dem Wunsche der schwedischen Regierung
ausfalle.
Alle Versuche, den Kurfürsten, der sich, wie es scheint,
absichtlich fortwährend in Schieissheim und in Dachau auf-
hielt, umzustimmen, blieben vergeblich.
Nach einer Rundreise an anderen süddeutschen Höfen
kehrte Pufendorf im April nochmals nach München zurück,
allein auch diesmal konnte ein neuer Vertrag nicht durch-
gesetzt werden. Da man in München den Friedensschluss
81) Ebenda. „Puncten, so diejenige zu beobachten, welche mit
dem Schwedischen Abgeordneten, dem von Pufendorff, in conferenz zu
treten", und „Was dem Herrn Pufendorff nach gestalt seines weiteren
anbringens und negotiation von Ihro Churfürstlichen Durchlaucht wegen
zu repraesentiren".
Digitized by
Google
86 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
schon nahe bevorstehend wähnte and auch Pufendorf, zur
Erklärung aufgefordert, ob der schwedische Reichstag seine
Einwilligung zu den Nymwegener Abmachungen geben werde,
Mangel an Information vorschützte, musste der Kurfürst
befürchten, im letzten Augenblick, ohne auf Dank der neuen
Bundesgenossen zählen zu dürfen, vor dem Kaiser com-
promittirt zu werden. Am 27. April Hess er dem schwe-
dischen Gesandten eine Erklärung zustellen, die als letztes
Wort zu gelten hätte. Er verspricht darin, nach besten
Kräften durch Vermittlung in Wien und bei befreundeten
Fürsten des Reichs dahin zu wirken, dass die im jüngsten
Krieg der Krone Schweden entrissenen Gebiete zurückge-
stellt würden. Falls sich wider Erwarten herausstellen sollte,
dass alle Mühe vergeblich sei, die streitenden Parteien ver-
nünftigen Vorstellungen zugänglich zu machen, werde sich
der Kurfürst den früher eingegangenen Verpflichtungen
nicht entziehen und seine Truppen, sobald er es für das ge-
meinsame Beste für räthlich erachte, zur schwedischen Kriegs-
macht stossen lassen. 82 ) Da weitergehende Zusagen vom
82) Ebenda:
„Quae nomine Regiae Majestatis Sueciae serenissimo Electori Ba-
variae domino nostro clementissimo dominus Esaias de Puffendorf e
ratione renovationis et prorogationis foederis inter suam Regiam Maje-
statem et serenissimum Electorem jam anno 1675 * ^ - — ad trien-
J 27. Febr.
nium initi et per decursum praedicti temporis non ita pridem extincti
in concessa audientia oretenus exposuit, ea praenominata sua Serenitas
Electoralis sufficienter intellexit et expendit.
Inprimis itaque Sua Serenitas Electoralis Regiae Majestati Sueciae
agit gratias perquam maximas, quod de conti nuanda vera et sincera
amicitia fidelique consiliorum communicatione Serenitati Electorali tarn
amicam contestationem et assecurationem facere voluerit, cum reciproca
obligatione, se ex parte sua buic affectui simili promptitudine semper
corresponsurum. Et cum Suae Serenitati Electorali nihil magis cordi
sit, quam ut pax Westphalicä tanto sanguine et expensis parta sarta,
tecta et illaesa maneat, ideo promittit, se omnibus viribus et fidelibus
Digitized by
Google
Hetgel: Das Project einer Witt elsb achischen Hausunion. 87
Kurfürsten nicht zu erreichen waren, verliess Pufendorf
München und begab sich nach Leipzig, um Sachsen zu
ähnlicher Erklärung einzuladen. 88 ) Der Briefwechsel mit
dem Kanzler Schmid dauerte fort, und die beiden Politiker
konnten bald mit Geuugthuung constatiren, dass ihre Pro-
phezeiung in Erfüllung ging. Die fremden Mächte, Hol-
land voran, um deren willen sich das Reich in den Krieg
verflechten Hess, zogen den Hals aus der Schlinge, und das
Reich konnte zusehen, wie es sich aus dem gefährlichen Handel
befreie. 84 ) Freilich erging es den Bundesgenossen Frank-
reichs nicht besser. Pufendorf selbst beschwert sich bitter
über die Treulosigkeit Frankreichs, das sich um die garan-
adhortationibus colloboraturum , ut Suae Regiae Majestati illa loca.
ditiones et provinciae, qaae vi pacis Westpbalicae eodem competunt et
moderno bello ablata sunt, quantum possibile est, restituantur : cum
spe, etiam alios electores, principes et status imperii agnituros, quantum
quietis publicae inlersit, ne a pactis et conventibus Westpbalicis rece-
datur, cum palam sit, quae ex ruptura pacis Westpbalicae mala et in-
commoda in imperio suboriri possint. Si autem Serenitas sua Elec-
toralis viderit, omnem laborem suum inutilem esse neque partes belli-
gerantes disponi posse, ut sanis consiliis acquiescant et secundum prae-
scriptum pacis reducendae publicae tranquillitati locum dare velint,
statuet Sua Serenitas Electoralis ea, quae viderit bono publico et sibi
convenire, proindeque si necessarium iudicaverit, ut. pro consequenda
pace ad operationem armorum suorum devenire deboat, cum Sua Regia
Majestate fidelissime communicabit , quomodo id conjunctis viribus ad
effectum deduci possit, ad quem finem Suae Serenitati Electorali nulla
alia conventione opus esse videtur, quam ut articulus 5, 6, 7, 8, 9, 11,
12, 13 et 14 prioris foederis confirmentur et ad aliud triennium exten-
dantur; si proinde Suae Regiae Majestati id ipsum placuerit, Serenis-
simus Elector, vi praesentis paginae se in praedictum casum ad omnia
ea obligat, quae in modo enumeratis articulis prioris foederis plenius
continentur. Expectat igitur Sua Serenitas Electoralis desuper Regiam
declarationem et domino ablegato gratiam et propcusionem suam con-
testatur. Dachavii 27. Aprilis 1678".
83) Ebenda. Schreiben Pufendorf s an Schmid vom 2. Juni 1678.
84) Ebenda. Schreiben Pufendorf s an Schmid vom 14. Sept. 1678.
Digitized by
Google
88 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882,
tirte Integrität Schwedens wenig kümmere, obwohl offen
zu Tage liege, „quod Suecia non suum sed Gallorum bellum
gerat und eben darumb in den Labyrinth gekommen." 85 )
Dass Bayern bei der Friedensvermittlung der Krone Schweden
gute Dienste leistete, erkennt der Gesandte an, ja er erklärt,
dass eigentlich „der teutsche Friede zu München wieder be-
stätigt worden," allein die Haltung Bayerns gegenüber Bran-
denburg ist ihm nicht entschieden genug. Er hebt dabei
nicht den schwedischen, sondern den deutschen Standpunkt
hervor. „Wir sind Teutsche und müssen als redliche Pa-
trioten dahin trachten, dass wir die machinam imperii so
lange und so gut beysammen halten, als uns immer mög-
lich. Einen so nahe anverwaudten König und eine in sich
selbst gar nicht ohnmächtige Krön in aeternum an das Chur-
bayrische interesse zu verknüpfen, ist doch wohl werth,
dass man eine martialische Mine machet, absonderlich wann
man 18,000 Mann auf den Beinen und eine französische
Armee im Brissgow hat, auch versichert ist, dass sie zu
Wien dergleichen resolutionen von Hertzen wünschen." 86 )
Der Kurfürst blieb jedoch im Geleise der bisher verfolgten
Politik und Hess sich nur bereit finden, den Frieden zwischen
Schweden und Dänemark zu vermitteln, zu welchem Zwecke
er einen Bevollmächtigten, Baron Zündt, nach Lund ab-
ordnete.
Noch ehe diese Unterhandlungen zu Ende gediehen,
starb Ferdinand Maria (26. Mai 1679). An den Nachfolger,
Max Emanuel, richtete Pufendorf am 31. Juli 1680 eine
dringliche Aufforderung, die Wittelsbachische Union nicht
aus den Augen zu verlieren ; schon strecke Frankreich lüstern
seine Arme nach der Pfalz, es sei die höchste Zeit, diese
Gefahr durch festes Zusammenstehen der verwandten Fürsten
85) Ebenda. Schreiben Pufendorfs an Schmid vom 5. Okt. 1678.
86) Ebenda. Schreiben Pufendorfs an Schmid vom 9. März 1679.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Witt elsb achischen Hausunion. 89
abzuwenden. 87 ) Der Kurfürst scheint jedoch den Antrag
nicht weiter beachtet zu haben. Im März 1682 wurde
Bayern eingeladen, dem schwedisch-holländischen Bündniss
zur Gewährleistung des Nyniwegen'schen Friedens beizu-
treten ; der Kurfürst lehnte jedoch ab, „da man nicht wissen
könne, wessen sich kaiserliche Majestaet resolvire." 88 ) Im
Jänner 1683 kam wieder ein schwedischer Botschafter,
v. Snolski, nach München ; das von ihm überbrachte könig-
liche Schreiben enthielt jedoch nur eine in allgemeinen
Ausdrücken sich bewegende Freundschaftsversicherung, die
in ähnlichem Ton erwidert wurde. 89 )
Pfalzgraf Philipp Wilhelm, der sich, wie erwähnt,
schon nach der Schlacht bei Fehrbellin dem Wiener Hofe
genähert hatte, schloss sich seither immer inniger der kai-
serlichen Politik an. 1676 vermählte sich Leopold mit der
neuburgischen Prinzessin Eleonora, 1678 feierte der älteste
Sohn Philipp Wilhelm's, Johann Wilhelm, in Wien Hoch-
zeit mit Anna Josefa, Kaiser Ferdinands III. Tochter. Mit
Unterstützung des kaiserlichen Hofes wurde am 22. Mai 1685
zu Schwäbisch-Hall ein Erbvertrag zwischen Karl Ludwig
und dem nächsten Verwandten der kurpfälzischen Linie,
Philipp Wilhelm, aufgerichtet, 90 ) dem zu Folge dieser nach
Ableben Karl Ludwigs Besitz von den Kurlanden ergriff.
Wie jedoch Pufendorf vorausgesagt hatte, trat auch König
Ludwig mit Ansprüchen hervor. Er forderte im Namen
seiner Schwägerin, der Herzogin von Orleans, einen be-
87) Ebenda. Schreiben Pufendorf s an Schmid vom 31. Juli 1680.
88) B. St.-A. K. schw. 291/16. Manualacta des v. Wämpl als
Gesandten zu Regensburg, die Schwedische Allianz mit den General- 1
Staaten zu Garantirung des Westfälisch-Nymwegischen Friedensschlusses
Vetr., 1682—1683. Erlasse des Kurfürsten an v. Wämpl vom 16. März 1682.
89) Ebenda. Schreiben des Kurfürsten Max Emanuel an König
Karl vom 20. Jänner 1683.
90) Finweg, Geschichte des Herzogthums Neuburg, 287.
Digitized by
Google
90 Sitzung der Jiistor. Classe vom 6. Mai 1882.
trächtlichen Theil der Pfalz and Hess sich durch den Hin-
weis auf den Verzicht Liselottens nicht beirren. Anfangs
schien es bei gelehrten Deductionen und geharnischten Mani-
festen sein Bewenden zu haben; Louvois wusste jedoch
durchzusetzen, dass im September 1688, ohne dass vorher
der Krieg erklärt worden wäre, ein französisches Heer die
Grenze des Kurfürstenthums überschritt. Der Befehl „de
brüler le palatinat" verwandelte die Pfalz in eine Wüste.
In seinen letzten Lebenstagen musste Philipp Wilhelm
verzweifelnd zusehen, wie seine mit den Schätzen einer
tausendjährigen Kultur geschmückten Städte fast insge-
sammt in Flammen aufgingen. Am 2. September 1690
starb der Kurfürst in Wien. In der Regierung folgte
Johann Wilhelm, der nicht minder fest an der Verbindung
mit dem kaiserlichen Hofe festhielt. Der Krieg dauerte
mit wechselndem Erfolg fort. Was den von Louvois aus-
geschickten Mordbrennerbanden entgangen war, wurde im
Frühjahr 1693 durch die Colonnen des Marschalls von Lorges
vernichtet. Die Pfalz war von völligem Ruin bedroht.
In dieser bedrängten Lage griff Johann Wilhelm das
ehedem von seinem Vater angeregte Project wieder auf.
Am 4. August 1693 schrieb er an König Karl, er sehe das
einzige Rettungsmittel nur in schleunigem Abschluss einer
Union aller Mitglieder des Wittelsbachischen Hauses. Das
Werk könne diesmal um so leichter zu Stande kommen,
da der Kaiser selbst es begünstige. 91 ) Von schwedischer
Seite scheint jedoch — die königliche Antwort liegt
nicht vor — eine zustimmende EntSchliessung nicht er-
folgt zu sein. Schweden stand zwar, seit es 1682
mit dem Kaiser ein Schutz- und Trutzbündniss abge-
schlossen hatte, auf Seite der Gegner Frankreichs. Ins-
91) B. St.-A. K. bl. 46/8. Schreiben des Kurfürsten Johann
Wilhelm an König Karl vom 4. August 1693.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 91
besondere der unternehmungseifrige Kanzler Oxenstierna
drängte zu thatkräftiger Betheiligung am Kriege gegen
Ludwig. Allein eine einflussreiche Hofpartei arbeitete nicht
minder thätig wider diese Bestrebungen, und so ist auch in
diesen Jahren ein gewisses Schwanken der Regierungspolitik
erkennbar, je nachdem die eine oder die andre Fraction
die Oberhand gewann. 92 ) Das Stammland der regierenden
Dynastie, das Herzogthum Zweibrücken, hatte das Loos
von Kurpfalz theilen müssen ; König Ludwig Hess jedoch in
Stockholm erklären, er werde sofort das besetzte Herzog-
thum herausgeben, falls König Karl zu Gunsten Frankreichs
sein Schwert in die Wagschale legen oder doch annehm-
bare Friedensbedingungen vermitteln werde. Ein solcher
Antrag, der den König von Schweden gleichsam als Schieds-
richter von Europa erscheinen Hess, war zu verführerisch;
in der That begann König Karl, an den verbündeten Höfen
zu Gunsten des Friedens zu wirken. 98 )
Unter solchen Umständen erschien es dem Kurfürsten
von der Pfalz angemessen, einen eigenen Gesandten nach
Stockholm zu abzuordnen, um den Boden zum Abschluss
der Union ebnen zu lassen. Im September 1694 wurde
mit dieser Aufgabe der kurpfalzische Geheimrath und Oberst-
kämmerer Graf von Hamilton betraut. Ehe er jedoch die
Reise antrat, wurde das Unionsproject dem Wiener Kabinet
vorgelegt; Kaiser Leopold erwiderte, „er finde Alles ganz
gut und zulässig und dem Reich und dessen Ständen ganz
unpräjudicirlich". 94 ) Die dem Gesandten ertheilte Instruction
weist ihn an , darauf aufmerksam zu machen , wie früher
Schweden selbst für eine „mutuelle enge Verbindtnuss
92) Carlson, V, 554.
93) Ebenda, V, 571.
94) B. St-A. K. bl. 12/9. Acta, den Haus-Allianz-Recess mit
der Cron Schweden betr., 1694—1695. Schreiben Kaiser Leopolds an
Johann Wilhelm vom 31. August 1694.
Digitized by
Google
92 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
sambtlicher des Churhauses Pfalz hocher Herrn Agnaten"
eifrig gewirkt habe. Jetzt endlich seien alle Hindernisse
beseitigt, alle Agnaten von der Wichtigkeit und den Vor-
theilen der früher bald da, bald dort beanstandeten Ver-
bindung überzeugt. Der Kaiser zolle Beifall, alle anderen
Mächte mit Ausnahme Frankreichs seien dem Project freund-
lich gesinnt. Das Stammland Zweibrücken sei nicht minder
als Kurpfalz bedroht, eine Beute des habgierigen Nachbarn
zu bleiben; auch das Erbrecht des schwedischen Königs-
hauses auf die pfalzischen Lande lege die Pflicht auf, für
deren Erhaltung zu sorgen. Möge also „das in dem Chur-
haus Pfaltz befindliche gekrönte Haupt" dem bedeutungs-
vollen Plan zustimmen, möge der ruhmgekrönte König sein
ganzes Haus zu Glanz und Ansehen emporheben! — Für
solche Ideen soll Hamilton insbesondere den Kanzler günstig
stimmen ; gern sei man erbötig, dem einflussreichsten Staats-
mann „jede angenehme Wohlgefälligkeit" zu erzeigen.
Ausserdem soll Hamilton mit Entschiedenheit betonen, dass
alle von den Protestanten gegen die kurpfälzische Regier-
ung erhobenen Beschwerden null und nichtig seien , dass
der Kurfürst in der Fürsorge für seine Unterthanen keinen
Religionsunterschied beachte.
Der Entwurf des Hausvertrags, den Hamilton in Stock-
holm zu unterbreiten hatte, weicht in wesentlichen Punkten
von den früheren Projecten ab. Schweden, Kurköln, Bayern
und Pfalz sollen sich verbinden und verpflichten, den Frieden
im Reich aufrechtzuhalten und den Ansprüchen der einzelnen
Bandesglieder mit vereinten Kräften Geltung zu schaffen.
In streitigen Fällen habe Stimmenmehrheit zu entscheiden.
Schweden soll nur mit seinen im deutschen Reich gelegenen
Gebieten, nicht mit den auswärtigen am Bündniss betheiligt
sein. Dagegen seien auch der Kaiser, Johann Wilhelm's
Schwager, und Spanien, — König Karl IL war ebenfalls
mit einer Schwester des Kurfürsten von der Pfalz ver-
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Witt elsb achischen Hausunion. 93
mahlt — einzuladen, der Union beizutreten, dessgleichen
der Bischof von Augsburg, der Deutschmeister und alle
andren Verwandten des hochfürstlichen Hauses. 95 )
Im Allgemeinen konnte Hamilton mit der Aufnahme
in Stockholm nicht unzufrieden sein. Nicht nur Oxen-
stierna, sondern auch die königlichen Räthe Lars Wallen-
stedt und Niels Gyldenstolpe , die als Freunde der Fran-
zosen galten, sprachen sich wohlwollend über die pfalzischen
Vorschläge aus, aber Alle beschwerten sich über die zwei-
deutige Haltung des Kaisers und äusserten Besorgniss wegen
der allzu vertraulichen Beziehungen von Kurpfalz zum
Wiener Hof. 96 ) Die drei genannten Staatsmänner waren
offiziell vom König beauftragt, mit Hamilton zu unter-
handeln; ausserdem suchte dieser auch alle angeseheneren
Minister und Mitglieder des Senats für den Zweck seiner
Mission zu gewinnen. Der Senat sprach sich denn auch
einstimmig für die Union aus, aber der König gab seine
Bedenken nicht auf. Zweifellos mit Recht erklärte er, eine
auf alle Fürsten, die gerade mit pfälzischen Prinzessinnen
vermählt wären, ausgedehnte Allianz sei nicht mehr als
eine Hausunion zu betrachten und trage von vorneherein
den Keim der Auflösung in sich, denn wie könnte sich er-
warten lassen, dass der deutsche Kaiser und der König von
Spanien Wittelsbachische Hauspolitik treiben würden? Nur
Schweden , Bayern und Pfalz könnten einen engeren Ver-
band bilden, mit Köln, dessen Kurfürst zur Zeit dem Hause
angehöre, und den übrigen Agnaten sollte man besondere
Verträge schliessen, Oesterreich und Spanien aber gänzlich
95) Ebenda. Instruction, wornach sich Ihrer Churfiirstl. Durch-
laucht zu Pfalz Geheimrath und Oberstcamerer Graf von Hamilton bey
seiner Abfertigung nach Schweden zu verbalten, 30. September 1694.
96) Ebenda. Berichte Hamiltons aus Stockholm vom 27. No-
vember und 8. Dezember 1694.
97) Ebenda. Bericht vom 19. Jänner 1695.
Digitized by
Google
94 Sitzung der histor, Glosse vom 6. Mai 1882.
aus dem Spiel lassen. 98 ) Dem Kurfürsten Johann Wilhelm
war dagegen gerade an diesen Bundesgenossen am meisten ge-
legen ; der Beitritt kaiserlicher Majestaet, erwidert er, würde
„keinerlei Präjudiz schaffen, wohl aber dem Bunde erhöhten
lastre geben 14 . 99 ) König Karl' war jedoch davon nicht zu
überzeugen. Hamilton glaubte die Weigerung hauptsächlich
den Einflüsterungen des französischen Gesandten Grafen
cTAvaux zuschreiben zu müssen; auch im geheimen Rath
war ein Umschwung zu Gunsten Prankreichs, das ja der
Krone Schweden die ehrenvolle Aufgabe der Mediation
vertrauensvoll übertrage, eingetreten. 100 ) Wenn also Jo-
hann Wilhelm überhaupt Hilfe von Schweden erlangen
wollte , musste er seine speziellen Wünsche opfern und
einem am 29. Jänner 1695 von Hamilton einerseits, Oxen-
stierna, Gyldenstolpe und Wallenstedt andrerseits ausge-
arbeiteten Vertrag, der vom pfälzischen Entwurf gerade in
der Hauptsache abwich, seine Zustimmung geben. Der
Vertrag war zwar als „Hausallianz" bezeichnet, auch wird
das Interesse des gesammten pfälzischen Hauses wiederholt
betont, aber nur Schweden mit seinen deutschen Provinzen
und Kurpfalz sind wirklich betheiligt, und „künftiger Ueber-
leguug" bleibt vorbehalten, „ob nicht etwan eine extension
der Haus-Alliance auf eine oder andere Weise oder auch
mehrerer Puissancen accession, so nicht von diesem hohen
Hauss, ihrer convenientz und des gesambten Pfaltzischen
Hauses interesse verträglich sein möchte 14 . 101 ) Durch einen
98) Ebenda. Bericht vom 29. Jänner 1695. .
99) Ebenda. Erlass Johann Wilhelm's an Hamilton vom 21. Fe-
bruar 1695.
100) Ebenda. Bericht Hamiltons vom 5. Februar 1695.
101) Ebenda. Hausallianz zwischen König Karl von Schweden und
dem Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz, d. d. Stockholm, 29. Ja-
nuar 1695. (Gedruckt in der Zeitschrift für Bayern, Jahrg. 1816, IV,
260.)
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 95
Nebenrecess verpflichteten sich Schweden und Kurpfalz zur
Aufstellung von Truppen zu wechselseitiger Unterstützung,
jedoch sollen „die casus praesentis belli davon ausgenommen
sein".
Erst unmittelbar vor Eröffnung des Friedenscongresses
zu Ryswyk wunje auch Bayern eingeladen, der Hausallianz
beizutreten. Am 2. März 1697 wies Kurfürst Max Ema-
nuel den Geheimrath Korbinian Prielmayr an, im Haag mit
dem schwedischen Minister von Lilienroth in Unterhandlung
zu treten. Es handle sich, schreibt der Kurfürst, um Ab-
schluss der schon seit langer Zeit angestrebten Hausunion
„zu deren pfälzischen Häusern selbsteigener conservation
und gar nicht zu einiges Menschen offension." Im Allge-
meinen könne man dem Project wohl zustimmen, aber es
dürfe nur „in generalibus et simplicissimis terminis" abge-
fasst sein, da sonst der Kaiser auf den Gedanken kommen
möchte, es haudle sich um eine das Reich gefährdende Liga.
Kurpfalz wünsche sogar, dass das Bündniss unter kaiser-
lichen Schutz gestellt werde, allein dieser Antrag werde
wohl am Widerstand Schwedens scheitern.
Wichtiger sei es, fährt der Kurfürst fort, sich der Hilfe
Schwedens für den Fall kinderlosen Ablebens des Königs
von Spanien zu versichern. Demnach soll Prielmayr Alles
thun, um nach dieser Richtung eine bestimmte Zusage zu
erhalten, ohne jedoch schon jetzt den schwedischen Ge-
sandten in alle Pläne des Kurfürsten einzuweihen. 102 )
Mit dieser Forderung war mittelbar schon Verzicht auf
thatsächliches Zustandekommen der Hausunion ausge-
sprochen, denn gerade in der spanischen Frage gingen aufs
Neue die Wünsche und die Ansprüche von Bayern und
Kurpfalz auseinander. Max Emanuel hatte bereits erreicht,
102) B. St.-A. K. schw. 346/73. Acta, die Erneuerung des Erb-
vereins de anno 1675 zwischen Schweden und Bayern betr., 1697. Kur-
fürstlicher Erlass an Prielmayr, d. d. Brüssel, 2. März 1697.
Digitized by
Google
96 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
dass ihm selbst 'die Statthalterschaft in den spanischen
Niederlanden übertragen und eine einflussreiche Partei in
Madrid für Einsetzung des bayerischen Kurprinzen zum
Erben der gesammten spanischen Monarchie thätig war.
Dagegen gab sich auch Johann Wilhelm der Hoffnung hin,
dass ihm als Bruder der regierenden Königin ein Haupt-
theil der Erbschaft, vor Allem die Statthalterschaft in den
Niederlanden zufallen werde. 108 ) Unter solchen Verhält-
nissen war eine Gemeinschaft politischen Verhaltens und
Handelns von vorneherein ausgeschlossen.
So scheiterte denn auch dieser letzte Versuch, die Er-
hebung einer Wittelsbachischen Linie auf den schwedischen
Thron zum Vortheil des Gesammthauses nutzbar zu machen
und gegenüber den Höfen von Wien und Versailles eine
„dritte Gruppe" in festeres Gefüge zu bringen, an der Un-
gleichartigkeit der nächstgelegenen Interessen. Im spa-
nischen Erbfolgekrieg standen sich die beiden Hauptlinien
des Wittelsbachischen Hauses, Bayern und Kurpfalz, fast
ebenso feindselig gegenüber wie im dreissigjährigen Krieg.
Als es aber nach dem Friedensschluss endlich gelang, die
Wurzeln des Streits auszurotten, als wirklich eine Haus-
union zwischen Bayern und Kurpfalz 1724 zu Stande kam,
war der nach dem Norden verpflanzte Zweig schon erstorben
und damit den Unirten die Möglichkeit benommen , aus
eigenen Kräften unter den mächtigeren Nachbarn das
Gleichgewicht und hiedurch die eigene Selbständigkeit zu
erhalten.
103) Heigel, der spanische Erbfolgestreit und Kurprinz Josef Fer-
dinand von Bayern, in den Sitzungsberichten der Münchner Akademie,
bist. Cl. Jahrg. 1879, 284.
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 97
Anhang.
Entwurf etlicher einfältiger Gedanken über das Chur- Bayrische
Interesse und Conduite.
(Von Kanzler Schmid verfasst; vergl. Seite 81).
Wenn man vorerst zum fundament saget, was durch
sovil und deutliche Proben bekräftiget worden und dahero
nicht einmal in Zweifl gezogen, vil weniger gelangnet werden
kann, das nemblich die Herren Spanier dem Haus Bayrn
ungeachtet der von selbigem empfangenen nuzlichen Dienst
nicht einmal einen erklecklichen recompens bei dem Osna-
brückischen tractaten gegönnet, besondern solches vil mehr
an seiner satisfaction, sovil an ihnen gewesen, gehindert,
auch lieber gesehen, das Chur Pfalz seine ganze dignitaet
und Lande wider bekommen, als das Bayrn mit einem Stück
davon bekleidet werden sollen : Wenn man ferner nach der
wahren Ursach solcher Jalousie sich ein wenig erkundigt
und befündet, das im Grund keine andere seien, als das
Spanien in genere keine catholische Familie im Reich in
einem solchen flor und Wachsthumb ohne Verdruss sehen
kann, das sie mächtig genueg were, einmal die Kayserliche
Cron zu tragen oder sich daryber mit einem vom Haus
Oesterreich in competenz einzulassen, und in specie auf das
Haus Bayrn solche reflexion zu machen veranlasset werde,
nachdem malen dieses bereits in vorigen Zeiten einem Her-
zogen von Österreich die Kayserliche dignitaet streitig ge-
machet und gegen selbigen sighaftig behaubtet, auch sich
bei letzter Wahl zu Franckfor t ausgewisen, das ausser die
damalige Prinzen vom Haus Oesterreich niemand in oon-
sideration kommen als Chur Bayrn und zu dessen elevation
[1882. II. Philos.-philol. bist. Cl. 1.] 7
Digitized by
Google
98 Sitzung der histor. Classe vom 6, Mai 1882.
die frembden Cronen am liebsten contribuirt hetten: Wenn
ich nacbgehends als unstreitig praesupponire, das so jemals
Spanien die Kayserliche dignitaet in seinem Haus nötig ge-
habt, eben aniezo dieselbe Zeit sei, da Franckreich einen so
grossen ascendant bekommen, das ohne des teutschen Reichs
kräftige Hilff die Spänische Niederland ihm nicht leichtlich
aus den Händen zu reissen sein dörfften , auch sich vom
jetzigen Krieg schon mehr als deutlich ausgewisen, das ohne
einen teutschen Kaiser vom Haus Österreich die Cron Franck-
reich alle seine desseins umb besseren Kauff erraicht haben
wurde, und wann im Gegenthaile ebenmessig unlaugbar,
das, so Spanien jemals Ursach gehabt, sich derentwegen
höchst zu bekommern, aniezt das recht momentum sei, da
eines theils vom Haus Österreich Teutscher Linie nur der
einzige Kaiser übrig und für erst ungewis, ob dessen Ge-
mahlin bei bevorstehender Niderkonfft einen Prinzen bringet,
darnach ebenso ungewis, ob er lebendig bleibet und zu
seinen mannlichen Jahren gelanget, noch ungewiser aber, ob
der Kaiser so lang lebet, das ein Prinz, der noch erst in
die Welt kommen soll, in das Alter gerathe, welches die
güldene Bulla einem Römischen König oder Kaiser fürge-
schriben, andern theils aber auf örvolgenden Todtfahl des
jezigen Kaisers den Spaniern abermal ein Carolus vonnöthen
ist, welcher sich der jezt hochgestigenen Kayserlichen Macht
zu gebrauchen weis, die Franzosen aus denen seiter an. 1635
occupirten Vortheilen mit teutschem Guet und Bluet auf
einmal wider ausszutreiben, warzue sonsten ganze saecula
und grosse revolutiones erfordert werden dörfften: Wann
man endlich jezterzelte Ding nicht etwan für veränderliche
und leicht für überstreichende reflexionen, besondern für
maximen halten mues, die eine stets mehrende Ursach mit
sich führen und so lang dauren werden, als Spanien sich
und das seinige gegen seinem mächtigen Nachtbar zu be-
haubten gedenket, so volgt meines Ermessens unwidersprech-
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 99
lieh, das Chur Bayrn auf die Spänische Freundschaft keinen
festen Grund sezen, consequenter auch dem Kayserlichen
Hof sich nicht vertrauen kann, als welcher in disem sae-
culo fast anders nichts als executrix consiliorum Madriten-
sium gewesen und es nur an habilitaet der Spänischen
Ministern gehafiftet, wann sie zu Wienn weniger als anjezt
zu sagen gehabt haben.
Wann hinwiderumb an sich selbst clar ist, das die
figur, so das Haus Bayrn gegenwertig im Römischen machet
und wardurch es über die andern catholische Familien weit
emporgestigen, ihr fundament in dem Westphalischen Friden
hat und ausser selbigem man von Chur Bayrn nicht ein-
mal weiss, und ebenso clar, das es der Westphalische Frid
seie, dessen Zernichtung das Haus Österreich noth wendig
iutendirn mues, im fal es das von Carolo V. gemachte Pro-
iect endlich zu Werk zu richten gedencket, so folgt von
freyen Stucken, das bei einer fürseyenden Haubtrevolution
in Teutschland Chur Bayrn es nicht mit dem Haus Öster-
reich halten, besondern nur auf der jenigen Seiten stehen
könne und solle, welche in dem gemeltera Fridensschlus ein
wahres interesse haben, auch dessen conservation mit Ernst
meinen und ihre consilia und actiones zu solchem Zweck
einrichten.
Wann nun allen Weltverständigen bekannt, das das
eigentliche Absehen, so Franckreich bei dem Krieg gegen
die vereinigte Niderlanden gehabt, dahin gegangen, die
Republicque dergestalten in die Enge zu bringen, das sie
sich den desseins gegen Spanien hiernegst nicht mehr also
opponirn könne, wie sie seither anno 1667 gethan, und
disem nach von Leuten, so bei gesunder Vernunft seind,
anders nicht praesumirt werden mues, als das sie sich nicht
auf einmal vil Feind unnötiger Weis übern Hals ziehen,
noch ihre durch langwierigen schweren Krieg gemachte
conquesten in neuen hazard sezen, vil weniger von ihren
7*
Digitized by
Google
100 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
desseins sogleich ganz abgehen, und ehe sie das vorige aus-
geführt, etwas wders und gefahrlichers entreprenirn werden,
so bin ich bei mir allerdings versichert, das Franckreich
weder interesse noch willen habe, den Westphalischen Friden,
wardurch es so stätliche Vortheil erlanget, mathwillig und
zu einer Zeit, da es einen bessern zu machen keine Gelegen-
heit absehen können, übern Hauffen zu werffen, besondern
vilmehr dahin laboriern muesse, das derselbe in seinem vi-
geur allerdings verbleibe.
Eben selbiges ist von der Cron Schweden wahr und
dardurch deutlich genueg zu Tag gegeben, das sie sich in
gegenwertigen conjuncturen mit Chur Brandenburg unirn
und gleiche cönsilia führen wolle, da doch bekannt, das der
ChurfÜrst von Brandenburg eben derienige Prinz seie,
welcher in Teutschland die meiste Jalousie gegen Schweden
heget und disem nach keineswegs zuegeben wird, das
Schweden einen Fuess breit Erd mehr in Teutschland be-
komme, vil weniger wird er seiner dergestalt vergessen,
das er selbst darzue contribuirn solte. Es hat sich auch
selbst aus dem effect gewisen, das Schweden keine Weit-
leuffigkeit weder in Teutschland noch anderswo gesuchet,
sonsten es eine gar andere conduite geführt und in Zeiten
zuegegriffen haben würde. Seind es also die beyden Cronen,
die das grösste interesse und einvolglich den besten Willen
haben, Teutschland in dem ienigen Zuestand zu lassen, in
welchem es durch den Westphalischen Friden gesezt worden,
und unsern obigen praesuppositis nach eben dieienige, bei
welchen Chur Bayrn zu Erhaltung des jezt erwehnten
Fridens stehen und warzue es alle seine Macht und Klueg-
heit employrn muess, im Fahl es in einer wahren und re-
ellen Sicherheit zu leben gedencket.
Zwar man konte hier einwenden, das, wann auch gleich
zuegestanden wurde, das Spanien solche Gedancken, wie
obgemeldet, fovirte und in der That einen grossen Hass
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 101
gegen Chur Bayrn trüge, es doch an sich selbst eine Sach
were, die noch in weitem Feld stunde und die sich alsdann
erst exercirn wurde, wann der Kayserliche Todtfahl und
die vacanz im Reich sich ereignen solt. Zudem könte dises
wohl wahr sein, das eben Österreich nit gern sehen, vil
weniger selbst darzue helffen solte, das Chur Bayrn grosser
und considerabler wurde, als es gegenwertig nicht were,
aber dahin dörffte es gar leicht zu behandlen stehen, das
es selbiges nicht nur in gegenwertigem Zuestand liesse, be-
sondern auch Versicherung von sich gebe, das es ebenmessig
keinem andern derentwegen etwas zu tentirn zuelassen wolte;
ferner seie es ja nicht der Kaiser, der den Westphalischen
Friden gebrochen, massen ihne keiner lieber als er zu halten
begeret, wie solches auch seinem fridfertigen Gemiet und
der vilfältigen patienz, die er bei allen disen Dingen eine
Zeit hero gehabt, deutlich zu ersehen, vilmehr sei es Franck-
reich, so Teutschland zuerst angegriffen, den Frieden mit
Füessen getretten und den Kaiser gleichsam mit den Haren
darzue gezogen, das er zu den Waffen greiffen und sein
Ambt, Hochheit und nation von dem Schimpff und Ver-
achtung, warein sie die franzosische insolenz gesezt, not-
wendig erretten müessen: man habe nur die facta anzusehen
und weiter keinen Beweis zu begeren, als welcher Chur
Brandenburg zuerst, hernach den Elsässischen Städten und
Chur Trier, endlich auch dem Churfürsten von Pfalz, das
man von mehreren nit sage, mehr als zu deutlich in die
Hand kommen, und were man ja solchen fridbrichigen
Leuthen auch keinen Friden zn halten schuldig.
Was Schweden im Sinn habe, könne man nit eigent-
lich wissen, wolle anch nicht eben darüber disputirn, ob
der junge König nicht grössere Lust zum Krieg als zum
Friden habe und disem nach gern sehe, das die Karte in
Teutschland broullirt werde. Genueg sei es, das es Chur
Brandenburg angegriffen und sich dadurch alles dessen
Digitized by
Google
102 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
theilhafftig gemacht, was Franckreich verdient. Das ganze
Reich habe es auch also recht befunden und gegen beede
Cronen den Krieg decernirt , von dessen conclusis Chur
Bayrn sich nicht allein ausschliessen könne, wann es nicht
wolle, das das Reich es hinwiderumb excludirn und in ein
praedicament mit den beiden Cronen sezen solle, welches,
wann es gescheche, wie gewislich geschechen werde, wann
dises in seiner bisherigen conduite und contradiction fort-
fahre, es dardurch in die gfahr, seine jezige dignitaet und
ganzen estat zu verlihren, gerathen könde, da hergegen,
wann es sich dem Kaiser accomodirte und denen Reichs
conclusis gemäss bezaigte, auch seine Cräffte zu Ausschaffung
der Frembden aus dem Reich und zu erlangung notwendiger
satisfaction für die beleidigten anwendete, der Kayser und
das ganze Reich erbiethig weren, Ire Churfürstliche Durch-
laucht in Bairn in der lezten Formb zu garantirn, dass
von allen deine, was dero Herr Vatter durch den West-
phalischen Fridensschluss erlanget, nicht ein Har brait ge-
nommen, besoudern ir alles in seinem gegenwärtigen Zue-
stand sowol ratione dignitatum als ditionum unverruckt ge-
lassen werden solle.
Allein dises alles, wie specios es auch etwan klingen
möchte, würdt verhoffentlich nit süffisant sein, uns von der
oben gefassten Mainung abzubringen, wann wür nur die
Müehe nemmen wollen, es recht nach einander zu über-
legen. Dann ein mahl ist die Forcht der Herren Spanier
gar nit in weitem Feld, besondern gleichsamb für der Thür,
indeme der Fahl sich inerhalb 17 Jahren zuetragen mues,
wann von oberzehlten Dingen nur eins geschichet oder
fehlet, nemlich das eintweder auch dissmahl kein Prinz
kombt oder doch nit lang lebet oder der Kayser inzwischen
stirbt oder welches wür oben ausgelassen, niemand der
Herren Churfürsten underdessen an einen Römischen König
gedencket. Alles dises gehet denen Spänischen ministris
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Witt elsb achischen Hausunion. 103
zu Gemüeth und repraesentirt inen den Zuestand irer Mo-
narchie, in welchen sie durch ein dergleichen accident ge-
sezt werden köndie als eine sach, die fast täglich bevor-
stehet, absonderlich aber ist das letztere capabl, den ter-
rainum fatalium gleichsamb zu antecipirn und also das-
ienige, welches inen den maisten chagrin, consequenter den
stärksten Hass gegen Chur Bayrn verursacht, massen sie
leicht zuvor aussehen, dass ausser selbigen Hauses in Teutsch-
land niemand seye, welcher zu der Wahl eines Römischen
Königs Anlass geben köndte, und gesezt, man denke disseits
nicht einmal daran, seye auch gar nit Willens, sich mit
solcher Last belegen zu lassen, so werden es doch die
Spanier immer glauben, weil man an irem aignen exempl
noch täglich sihet, was der Kayser Mantel für ein schöner
habit seye, und wieviel Dinge darmit bedecket werden
können, die sonst der Welt nicht gar zum Besten in die
Augen leuchten wurden, dan darfur zu halten, das ein
Prinz von niderem Vermögen als ein Kayser vom Haus
Österreich sich mit solcher dignitaet nur ruinirn wurde,
ist wie ein Gespenst, damit man je zuweilen die Künder
und Unverständigen zu erschrecken pfleget, massen denen,
so die rechte Griff wissen, noch wol Mittl und Weg bevor-
stehen, wardurch man sich die Uncosten einer Crönung
und etwas stärkere Hoffhaltung reichlich und mit Wuecher
wider guet thun köndte und man also diser considerationen
wegen gar nicht Ursach hatte, einen solchen Bissen fahren
zu lassen, wann die Gelegenheit, selbigen zu erhaschen, sich
ereignete, und weil das Churhaus Bayrn im Fahl es nur
in seinem gegenwartigen Flor bleibet und die angefangene
Correspondenz und genaue Freundschaft mit denen aus-
wertigen Cronen continuirt, auch ohne einen mehreren
Zuewachs die solcher Dignitaet anklebente Last gar wol
ertragen kann, so müssen die Herren Spanier entweder von
denen Chur Bayrischen consiliis ebenso Maister werden, wie
Digitized by
Google
104 Sitzung der histor. Glosse vom 6. Mai 1882.
sie von denen zu Wienn und wie anno 58 von denen zu
München gewesen, damit man diesseits auf sein eigenes
interesse nicht reflectiren könne, oder aber Tag und Nacht
dahin arbeiten, damit Chur Bayrn in einen so Schlechten
Zuestand verfalle, dass in disem Stuck niemand mehr an
selbiges gedencken köndte. Waraus dann volget, das Chur
Bayrn im geringsten nicht versichert, das Spanien es nur
im gegenwertigen Zuestand lassen wolle, im Fahl es änderst
ein Mittl ausfinden kann, selbiges zu destruirn.
Was die französische conduite anbetrifft, wollen wir
uns zwar nicht undernemmen, selbige durch und durch zu
iustificirn, were auch wol zu winschen, das man in einem
und andern Stücke etwas mehr retenue gehabt hette. Allein
wann man in geuere die Frag examinirn wolte, wer zum
ersten den Teutschen Frieden gebrochen, so dörffte man
nur die bei vorigem Reichstag und darauff ervölgter Depu-
tation zu Frankfort, wie nicht weniger die bei der Kaiser-
lichen Wahl passirte Akten auflfschlagen und durchseheii,
welche Parthey über die schlechte Observanz des Fridens
am maisten geclaget und ob nicht die beeden Cronen dessen
so trifftige und erhebliche Ursachen gehabt, das sie auch
von dem ganzen chnrfürstlichen Collegio approbirt und dan-
nenhero der bekannte § Et ut es sincerior etc. in der Wahl-
capitulation deutlicher explicirt und dem Kaiser in selbigem
Stück die Hand desto stärcker gebunden werden müessen.
Wahr ist es, das Franckreich den Krieg gegen die Hol-
länder von freyen Stücken angefangen und der König nicht
eben sagen kann, das der Kaiser im darzüe gerathen. Allein
weillen der Gremonuillische Tractat afio 71 bloss zu dem
Ende gemacht, auch den Kayserlichen ministris ohne Scheuch
gesagt wurde, das man dardurch die occasion, sich mit
dem Haus Österreich bei dem damals bevorstehenden Hol-
ländischen Krieg zu collidirn meiden wolte, auch diejenige,
so bei fabriciruüg des Tractats sich gebrauchen lassen, nicht
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 105
undunckel zu verstehen gegeben, das wan gleich in dem
punct de terris et circulis iraperii, wardurch die Holländer
nicht angegriffen werden solten, etwas Unrechts fürgehen
möchte, solches doch under dieienigen Dinger zu rechnen
were, welche vermög eben selbigen Tractats nicht mit den
Waffen, besondern via amicabili ausgemacht werden müessten,
so kan es so gar unrecht nicht sein, wan man saget, das
die Kaiserliche conduite den Krieg mit Holland nicht wenig
befürdert, massen ohne die zu Wien gegebene und durch
einen ordentlichen Tractat, wiewol captiose confirmirte Ver-
sicherung der König von Franckreich den Krieg nicht ein-
mal angefangen haben wurde. Zudeme hat Franckreich bei
Wegnemung der mit Holländern besetzten Clevischen Vest-
ungen bei weitem dasienige nicht gethan, was der Kaiser
in compagnie des Churfursten von Brandenburg im Jahr 58
und 59 gegen Schweden in Pommern ausgewürcket, und
gleichwol bildete man sich damahls ein, das es mit einer
blossen protestation (das man nemblich nicht gemeint, den
Teutschen Frieden , darmit zu brechen , noch einige con-
questen zu machen) verantworttet und alles wider guet ge-
tbon werden köndte, lasst sich auch gar wol und mit Recht
gegen den Wiennerischen Hoff und Chur Brandenburg alle-
girn, massen sie in dieienigen exempla, so sie selbst ge-
geben, in andern zu improbirn nicht vermögen, ob sie schon
gegen einen tertium nicht zue gebrauchen stunden, als
welcher alsobald mit Grund zu excipirn hette, das ime solche
Dinge keine Consequenz zueziehn und man nicht nach
exempln, sondern nach denen Gesäzen leben rauesse. Aber
es ist die Frag nicht mehr, welcher Thail Ursach zu denen
Troublen im Reich gegeben, besonderii ob wegen ein und
anderer excessen und irregularitaeten der Teutsche Friede
ganz ubern Hauffen geschmissen und die, so darbei derge-
stalt hoch interessirt seindt , in neue Unsicherheit gesezt
werden solen? Da dan nicht nur Chur Bayrn, besondern
Digitized by
Google
106 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
andere rechtgestinte und fridlibente Stände mehr gleich an-
fangs gesagt, das es dergleichen extremiteten nicht nöthig
hette, massen alles, was fürgegangen, occasione belli inter
alios gesti geschehen, auch denen beschädigten auff andere
Weise satisfaction verschafft werden köndte, welcher threue
Rath, wan er angenommen worden und die darnebenst für-
geschlagene Offerten gleich Anfangs anno 72 in consideration
kommen weren , so solten weder die Händl mit denen
10 Städten, noch denen beeden Churfürsten, Trier und
Pfalz, iemahls geschehen sein, massen ja solches alles, so zu
reden, ex vitio primae concoctionis und aus der ersten prae-
cipitirten conjunction der Österreichischen Waffen mit Chur
Brandenburg seinen Ursprung eigentlich gewonnen.
Das man ferner sagen will, es habe ja das Reich darein
consentirt und den* Krieg gegen beede Cronen für nöthig
und legitime gehalten, so ist die approbatio (im Fahl sie
ja also zu nennen) erstlich ex postfacto und zu der Zeit
geschehen, da durch eine denen constitutionibus imperii
ganz eigentlich zuwider lauffente conduite der Kayser mit
Franckreich schon in würklichen Kriege begriffen und hier
nicht unbillich zu applicirn, dass die zu Anfang einer Sach
comittirte Haubterrores nachgehents nicht corrigirt werden
können, absonderlich wan dem tertio ein notabile praejudi-
cium dardurch zuegezogen werden solte: über das ist die
geruhmbte approbation aus keiner libertate votandi mehr
hergeflossen, nachdemmahln der Kayser eine starcke armee
inconsultis et consquenter invitis statibus in das Reich ge-
füehrt und darmit quasi per vim metumve zu Weeg ge-
bracht, das sie entweder, was er gern höret, sagen oder zu
deme, was er begert, stillschweigen müessen.
Ob nun dergleichen convent zu Regenspurg, da sovil
fürneme Stand die ihrige nicht mehr haben, für ein Reich,
welches nach denen Gesäzen administriert werden soll, zu
nenimen, und ob einer in conscientia obligirt seye, solchen
Digitized by
Google
Heigel: Das Projeci einer Wittelsbachischen Hausunion. 107
theils praecipitirten, theils extorquirten conclusis zu Nach-
theil und Unsicherheit seiner eigenen dignitet und estats
sich zu nnderwerffen, im Fahl er Mittl hat, auff eine andere
Weise sich zu prospicirn, daran muess ich nicht ohne Ur-
sach zweiflen, zumahln da dise Frag noch nit einmahl aus-
gemacht ist, ob eben die pluralitaet der Stimmen, wan auch
schon keine widerrechtliche artificia, selbige heraus zu locken
und zu erzwingen, gebraucht weren, jemand obligiren köndten,
sich entweder ipso facto aus seinen juribus acquisitis sezen
zu lassen oder selbst an dem Nez arbeiten zu helffen, wel-
ches man ime hernach über den Kopf zu ziechen gedencket.
Kan man also meines Erachfcens Chur Bayrn durch die
Crafft der Reichsgesäze. nicht anhalten, das es bei gestalten
Sachen approbirn müesste, was zu Regenspurg post oppressam
libertatem votandi fabricirt würdt. Will man aber die ap-
probatiqn mit Gewald abzwingen, so Chur Bayrn umb sovil
mehr Ursach, sich an dieienige zu halten, die ein gleiches
interesse haben, und würdt alsdan durch eine würckliche
conjunction der Waffen die Parthey dergestalt considerable
machen, das es so leucht kein unrechte Gewalt zu fürchten.
Von gleicher Stärcke ist es, was endlich von der ga-
rantie, die das Reich dem Haus Bayrn laisten wolle, erwehnet
worden. Dan wer ist aniezo das Reich, als eben Spanien
und dessen consilia, und mues dises notwendig wider empor
und einen ascendant über Franckreich bekommen, auch die
praemia belli darvon tragen, wan dem gefassten cpncept
nach die beede Cronen gedemüethiget und aus dem Reich
getrieben werden sollen. Und gleichwol mues es eben auch
dasienige sein, welches Chur Bayrn garantirt und dardurch
dem gemainen Sprüchwortt nach der Bock recht zum
Garttner gesezt und das Schaf dem Wolff anverthrauet
werde, nachdemmahln oben schon dargethon ist, wie wich-
tige Ursachen Spanien zu haben glaube, das Haus Bayrn
von der Erden zu vertilgen, wan es nur immer möglich :
Digitized by
Google
108 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
zum wenigsten ist dises unlaugbar, das Chur Bayrn an Öster-
reich sich nicht vertrauen, noch einer wahren Freundschaft
von danen versichern könne, in Erwegung, das in Politicis
pro lege fundamenti passirn mues, das ich von dem nichts
guets zu gewartten, dessen interesse dem meinigen entgegen
laufft, und zwar in eben dem tertio, welches zu maintenirn
ich mich auff ine verlassen soll.
Wie hat dan nun Chur Bayrn sich ferner zu gouver-
niren, nachdem es sichet, das dessen zu Regenspurg bis an-
hero interponirte contradictiones und protestationes nicht
mehr dem Stich halten wollen und sich endlich zuetragen
dörffte, das der Kayser Gelegenheit kriegte, zu andern Mitlen
zu greiffen, wan ienes in der gebrauchten methode con-
tinuirn wolte? Hier solten vielleicht etliche mainen, am
sichersten zu sein, wan Chur Bayrn dem torrent wiche,
sich mit denen andren Ständen zu Regenspurg confirmirte,
und nachdeme es sich dero garantie versichert, die beede
Cronen iren hazard lauffen Hesse, absonderlich da diese noch
forye genueg hetten, zu resistireu, auch ein geringes accident
kommen köndte, welches capabl, alle hochfahrente Spänische
conceptus auff einmahl zu under brechen und Chur Bayrn
von der Gefahr, accablirt zu werden, allerdings zu befreyen.
Ja, es stunde nicht zu vermuthen, das die Cronen leichtlich
in einen solchen Zuestand gerathen wurden, das man von
denenselben im Reich keinen Beystand zu gewartten, wan
ja etwa der Kayser aus Spanischem Antrieb sich des erlangten
Glücks zu Undertruckung der Teutschen Freyheit und ab-
sonderlich des Haus Bayrn misbrauchen wolte.
Aber eben dasienige, was das grosste Gewicht in sich
zu haben scheunet, warumb Chur Bayrn gleich denen andern
die Hände im Schoss legen und dem Spill müessig zuesehen
solle, nemblich weillen es mit denen Cronen nit so bald ge-
thon und sie noch lang resistirn wurden, ist nach meinem
Gutdünken die stärckeste und grösste Ursach, warumb Chur
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 109
Bayrn länger nicht still sizen, besondern Parthey nemmen
müesse, in reufer Erwegung, das durch continuation des Kriegs
die Eingriff in der Stand praerogativ und Freyheiten taglich
mehr und mehr zu-, hergegen dero Cr äffte dergestalt ab-
nemmen, das sie zu Ende des Kriegs nit die geringste Macht
mehr übrig haben, so wenig sich selbst für dem Joch, als
Chur Bayrn für der befahrenden oppresion zu garantirn,
wie solemniter sie sich auch darzue anheischig gemacht
haben mögen. Dan ein Blinder ja mit Händen greiffen
kann, das Spanien anders nichts als einen lang dau-
ernden Krieg intendiret, auch ihm gar wenig darmit ge-
dient, das die Sachen etwa in aequilibrio bleiben oder in
die terminos wieder gerathen, worinn sie bei Anfang des
Krieges gewesen, oder das es mit einem kleinen Vortheil
vergnügt zu sein gedencken solte, sondern dessen rechte avan-
tage bestehet darinnen, das durch Fortsezung des Krieges
Franckreich, Schweden, Holland und die Teutschen Stand
auff einmal ausgemattet und in solchen estat redigirt werden,
das sie dem Haus Österreich praemia belli allein lassen und
also selbst dasienige wieder empor haben muessen, was sie
in verschiedenen Zeiten zu undertrucken getrachtet.
Wann nun unwidersprechlich, das continuatio belli den
ruin der teutschen Stand auf dem Rucken tragt und zu-
gleich Chur Bayrn in Zuestand sezet, das es hernach und
wann die Stand, so garantirn wollen, kein Crafft mehr
haben, alle leges, die man ihnen furschreiben wird, annehmen
müessen, so dörffte nicht mehr rathsam, sondern hochnötig
sein, das dises ohne längern Verzug diejenige resolution
ergreiffe, welche die sicherste, ja die einzigeste aniezt ist,
eiiien schleunigen Friden zu weg und die kriegende po-
tentien in einigen aequilibrium zu bringen, nemblich das
es seine Waffen mit den beeden Cronen würcklich conjun-
gire und dardurch dem Prinzen von Conde desto mehr Raum
und Gelegenheit gqbe, das er die Kayserlichen aus Schwaben
Digitized by
Google
110 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
in die Erbland und consequenter dahin treibe, das sie sich
mit ihrem eigenen Fett bekriegen, und weilen sie solches
lang nicht aushalten können, einen raisonablen Priden,
warzu beide Cronen allemal willig und erbietig, annemmen
müessten. Und gesezt, das Chur Bayrn bey solcher con-
duite und resolution keinen Beifal im Reich bekäme, so ist
es dardurch doch keiner grösseren Gefahr underworffen, als
in welcher die beiden Cronen aniezt allein stehen, gestalten
alle Kräfte, die vermuetlich nur immer feindlich werden
können, bereits employirt worden, hergegen macht es seine
Partei dermassen starck und considerable, das die Alliirten
gezwungen werden, auff eine geschwinde composition zu
gedencken ; ist auch gar nit zu fürchten, das Holland derent-
wegen seinen ohne das sehr ausgefegten Beütl härter er-
greiffen und die Unkosten zum Krieg länger fournirn werde,
vil mehr es ganz auff andere consilia gerathen und gleich-
sam über Hals und Kopff zu einem Friden eilen werde,
wann es nemblich sichet, das, im Fahl es so lang im Krieg
bleiben wolt, bis das Haus Österreich seinen Zweck erreichet,
ihr eigner ruin dardurch unfelbar befördert wurde.
Ist also diss, was Reich heisset, gegen wert ig nichts
anders als der Spänische ambassadeur zu Wienn und die
Kayserliche armee, so die daselbst geschmidete consilia und
decreta exequirt, welche aber Chur Bayrn nicht mehr irri-
tirn und gegen sich hiziger machen kann, als sie schon
seind, vil mehr werden sie geschmeidiger und vom Friden
zu sprechen anfangen, wann sie dergleichen vigeureuse reso-
lution sehen, die sie sich vom hiesigen Hof vielleicht nim-
mermehr vermuetet, wie dann eben darumb, das man in der
Eil darzue schreiten solt, weilen ins gemein die Ding den
besten effect thuen, derer sich der Feind am wenigsten
versehen.
Müesste dannenhero Chur Bayrn, ohne länger zu ba-
lancirn, aniezt, da der Prinz von Conde sich so sehr ver-
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 111
stärcket hat, das er etwas haubsächlichs wider anzufangen
vermag, eine Partie dero Truppen in Schwaben schicken,
damit sie zu iezterwehntem Prinzen, der inzwischen under-
halb Breisach übern Rhein gienge, stossen und die Kayser-
lichen mit desto münderer Gefahr in die Erbland zum Wün-
terquartier treiben, für sich aber Schwaben und einen Theil
des Fränckischen Creises zu recruten und neuen Werbungen,
als welche imitelst mit aller Macht anzustellen weren, be-
halden könde, hergegen liess man mit dem Gros der arraee
die Gränizen gegen Böhmen und Osterreich so guet be-
decken, als immer möglich, und dardurch verhindern, das,
was in den Erblanden von Kayserlichen Trouppen noch
übrig, sich nicht movirn, noch der Haubtarmee zu Hilff
kommen dörffte.
Wann nun auf solche Weis die Französische Partei
in Oberteutschland bei weitem stärcker gemacht wurde, als
die harassirte und nach festen Winterquartieren verlangende
Eayserliche armee nit ist, so scheinet ja nochmals, das solche
resolution keiner sonderbaren Gefahr underworfFen ist, nach-
dem es nur inter raro contingentia zu reebnen, wann der
kleinere und abgemattete Hauffe den grösseren und frischeren
schlägt.
Hergegen wann Chur Bayrn still sizet und die beide
Cronen allein kazbalgen lässt, so hat es dises zu befahren,
das, sobald Franckreich ein notable Unglück und die Eayser-
liche Haubtarmee dardurch Lufft bekombt, sie ihme auff
den Hals gehet und zu einem von beeden obligiret, das es
entweder sich mit weit grösserer Gefahr als aniezt für die
beede Cronen declarirn oder aber sein aecomodement machen
und also sein eigen interesse mit dem Rücken ansechen,
hergegen zugleich mit den andern das Joch allgemach über
sich nemmen und alles, was gegen der Stand Freiheit schon
geschechen und vermuetlich mehr geschechen wird, als wol
und recht gethon hinpassirn lassen und endlich dasjenige,
Digitized by
Google
112 Sitzung der histor. Classe vom 6. Mai 1882.
was Spanien ihm so lang nachgetragen, erwarten müesse.
Und gleichwie der gesunden Vernunfft am ähnlichsten zu
sein scheinet, das, wann die Gefahr und das remedium
darfür zugleich vorhanden, man das leztere umb sovil ge-
schwinder applicirn müesse, als sich befündet, das durch
längeren Verzug ienes Kräffte zunemmen, dises Würckung
aber sich verringert, also solte man billich sich aniezt der
Gefahr entgegen sezen, weil von denen Cronen unverlangte
Hilff zu gewarten und das Übl noch nicht so hoch gestigen,
das es nicht durch ein dergleichen starck Gewicht, wie Chur
Bayrn mit conjunction seiner Waffen darzue gibet, mit Glick
und Ruehmb undergetrucket werden könne.
Das endlich kein ander Chur- oder Fürst dergleichen
herzhaffte resolution ergreiffen wurde, das mues Chur Bayrn
sich zu keie^m argument dienen lassen, dero exempl zu
folgen, znmaln keiner ist, der bei Zernichtung des West-
phalischen Fridens so vil zu verlihren, nachdem Chur Bran-
denburg sich persuadirn lassen, das es bei der pacification
nicht allein nichts gewonen, besonder vil mehr ein merck-
lichs eingepüsst, auch kein ander im Reich das Vermögen
hat, sich mit Hoffnung eines gueten successes opponirn zu
künnen, wan ihn gleich auch interesse und Muet dahin
portirn solten.
Wann nun zu allen obetaelten trifftigen considerationen
auch dise kombt, das man sich zn dergleichen resolutionen
durch solenne pacta engagirt hat, so wird ohne Zweifel ein
solcher Schlus gefasset werden, welcher zu Erhaltung der
teutschen Freiheit und dises Cburhauses eignem Etat nicht
nur bei gegenwertigen coniuncturn vonnöten ist, sonder der
auch Ir Chufürstl. Durchlaucht ins konfftige darzue dienen
kann und wird, das alle rechtgesynte der Göttlichen pro-
videnz, die das Haus Bayrn zn etwas grösserm destinirt
zu haben scheinet, gleichsam entgegengehen und die fata
maturirn helffen, nachdem sie an einem 80 ruhmblichen
Digitized by
Google
Heigel: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion. 113
Exempl gelernet, das es Chur Bayrn sei, bei welchem zu-
gleich kluege und herzhaffte consilia und nicht weniger
unverruckte Treu und Glauben zu fünden und das es allein
von deme kommen müesse, wardnrch Teutschland von der be-
vorstehenden Dienstbarkeit cräfftiglich errettet werden solle.
Salvo rectiori.
Herr von Druffel hielt einen Vortrag:
„Kaiser Karl V. und die romische Curie vom
Worraser Reichstagsabschied bis zum Be-
ginne des Regensburger Reichstages 1545
bis 1546".
Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht
werden.
[1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 1.]
Digitized by
Google
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 3. Juni 1882.
Herr Brunn hielt einen Vortrag:
„Studie über den Amazonenfries des Mausso-
leums".
Durch Plinius ist uns die Nachricht überliefert, dass
an der bildnerischen Ausschmückung des Maussoleums vier
Künstler betheiligt waren, und zwar in der Weise, dass ein
jeder von ihnen die Arbeiten an einer der vier Seiten des
Gebäudes übernommen hatte. Plinius schöpfte aller Wahr-
scheinlichkeit nach aus dem Reisewerke seines Zeitgenossen
Licinius Mucianus, der, in naturwissenschaftlichen Dingen
leichtgläubig und den Vorurtheilen seiner Zeit unterworfen,
in seinen geographischen und historischen Angaben als ein
unverdächtiger Zeuge gelten darf. Wir haben also keinen
Grund, die Nachricht des Plinius nach ihrem Wortlaute
in Zweifel zu ziehen; vielmehr müssen wir in ihr eine
Aufforderung erkennen, sie nach ihrem Inhalte an den er-
haltenen Resten zu prüfen. Unter diesen können zunächst
nicht allerlei vereinzelte Bruchstücke, sondern nur die um-
fangreicheren Theile eines Amazonenfrieses in Betracht
kommen ; denn da die erhaltenen Platten unter Zurechnung
derer, die im Anschluss an sie nach bestimmten Spuren
nothwendig vorausgesetzt werden müssen, eine Ausdehnung
Digitized by
Google
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussoleums. 115
haben, welche die Länge einer Seite des Gebäudes über-
schreitet, so werden wir auf die wohl allgemein anerkannte
Voraussetzung geführt, dass die Amazonendarstellungen,
ähnlich wie die Schlachtscenen in dem unteren Friese des
Nereidenmonumentes von Xanthos, um das ganze Gebäude
auf allen vier Seiten herumliefen. Sofern sich also, was
freilich nicht von vornherein als ausgemacht betrachtet
werden darf, Bruchstücke von jeder der vier Seiten erhalten
haben sollten, so müsste sich gerade wegen der Gemeinsamkeit
oder vielmehr Einheitlichkeit des Gesammtthemas der „Wett-
streit der Hände", von dem Plinius spricht, an ihnen in
bestimmter Weise nachweisen lassen. Der Versuch einer
Scheidung ist somit in jedem Falle berechtigt.
Da von den erhaltenen Platten nur wenige innerhalb
der Ruinen des Gebäudes, und auch diese nicht in ihrer
ursprünglichen architektonischen Verbindung gefunden sind,
so können Fundnotizen nicht zum Ausgangspunkte der
Untersuchung genommen werden. Ebensowenig lässt sich
mit Erörterungen über den Styl der einzelnen Künstler be-
ginnen, da wir nicht einmal von den Eigentümlichkeiten
des bedeutendsten unter ihnen, .des Skopas, bis jetzt eine
genügende Anschauung besitzen. Wir sind also zunächst
ausschliesslich auf die Bildwerke selbst angewiesen und auf
das , was sie uns an äusseren Kennzeichen in der Beklei-
dung, der Bewaffnung, sowie an stylistischen Verschieden-
heiten in der Auffassung und Ausführung darbieten.
Die bisherigen Publicationen, namentlich die der nicht
in den Ruinen des Maussoleums selbst, sondern in den
Castellmauern von Budrun gefundenen Stücke (Mon. d. Inst.
V, 18 — 21) erwiesen sich für die folgenden Untersuchungen
als ungenügend. Es wurden ihnen vielmehr die grossen
Photographien Caldesi's (Colnaghi & Co., 13 Pall Mall, East
London) zu Grunde gelegt. Für manche feinere Züge mag
sich allerdings eine Nachprüfung an den Originalen selbst
Digitized by
Google
116 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 3. Juni 1882.
als noth wendig erweisen , auf welche für jetzt verzichtet
werden musste. Wenn indessen schon eine vorsichtige
Analyse der Photographieeh eine Reihe sehr verständlicher
Kriterien darbietet, so werden die auf diesem Wege ge-
wonnenen Resultate eines bestimmten wissenschaftlichen
Werthes nicht entbehren.
Um das Schlussresultat voranzustellen, so scheinen sich
allerdings vier Gruppen mit hinlänglicher Sicherheit so
weit unterscheiden zu lassen, dass wir aus ihnen vier be-
stimmt unter einander verschiedene künstlerische Individuali-
täten kennen lernen.
Die erste Serie ist die ausgedehnteste: sie enthält
die in den Monumenti mit III, IV, VII— XI bezeichneten
sieben Platten, von denen nur VII und VIII, IX und X
sicli unmittelbar an eiuander schliessen. Im Aeusseren der
Darstellung finden wir hier die meiste Mannigfaltigkeit:
Krieger, theils nackt, theils mit kurzem Chiton oder nur
mit der leichten Chlanis *) , nicht aber mit der Chlamys
bekleidet ; mit unbedecktem Haupte , mit Visir- oder mit
visirlosem Helme, der aber überall den wehenden Busch
hat; mit und ohne Schild und Wehrgehenk, mit Schwert
oder Lanze, welche plastisch ausgedrückt sonst nicht wieder
vorkömmt; die Amazonen sämmtlich im kurzen Chiton,
der hier geschlossen, dort an der Seite offen, die rechte
Brust bedeckt oder frei lässt, einfach gegürtet oder ge-
schürzt, einmal eine Art Doppelchiton ist. Bei den drei
Reiterinnen, von denen eine (XI) vielleicht auch eine Aermel-
1) Die antiken Namen gewisser Kleidungsstücke lassen sich wohl
so wenig wissenschaftlich feststellen, wie die Namen so mancher Vasen-
formen. Um aber dem praktischen Bedürfnisse einer bestimmten Ter-
minologie Rechnung zu tragen, möchte ich mit Rücksicht auf den vor-
liegenden Fall vorschlagen, zum Unterschiede von der gewöhnlichen
mantelartigen Chlamys das einfache, lange viereckige Stück Zeug,
welches etwa dem modernen Plaid entspricht, als Chlanis zu bezeichnen
Digitized by
Google
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussoleums. 117
jacke trag, gesellt sich dazu die wehende Chlamys, bei
manchen ihrer Genossinnen zu Fuss die Chlanis, die ein-
mal als ein kurzer Schurz nach Art einer Schärpe um den
Leib geschlungen ist. Zwei von ihnen tragen um die Hand
oder den Vorderarm gewickelt ein leichtes Thierfell. Die
asiatische Mütze, welche wiederum sämmtliche Reiterinnen
tragen, findet sich bei den Fusskämpferinnen nur einmal,
und eben so nur einmal ein Helm mit wehendem Busche,
die Pelta zweimal unmittelbar neben einander. Die Füsse
sind theils mit Stiefeln bekleidet, theils nackt. Speer,
Schwert, Streitaxt als Angriffswaffen sind theils wirklich
dargestellt, theils nothwendig vorauszusetzen. Dass Bogen-
schützinnen ganz fehlen, ist auffällig, kann jedoch zufal-
lig sein.
In der Behandlung der Gewandung erinnert diese Serie
mehrfach an die unruhige Art des Frieses von Phigalia.
Namentlich an der (auf VII und VIII vertheilten) Amazone
in Vorderansicht flattern einzelne Theile ziemlich regellos,
einheitlicher im Motiv bei der Amazone in der Mitte von
XI; in einer der Bewegung der Gestalt so gut wie ent-
gegengesetzten Richtung an den Krieger VIII rechts. An
Manier grenzt die öftere Wiederholung eines (ausserdem
nur noch einmal in der 4. Serie vorkommenden) Motives,
nemlich den linken Arm oder die Hand mit einem Gewand-
stücke oder einem Felle zu umwickeln, eines Motives, das
ausserdem in seiner Ausführung zu einer weichen und
rundlichen Behandlung der Linien Anlass gab. Bei den
Stellungen muss es auffallen, weniger dass einmal die be-
helmte Amazone in voller Vorderansicht auftritt, als dass
mehrere Gestalten in der Rückenansicht dargestellt sind
und die Köpfe derselben nur von hinten oder in sehr ver-
lorenem Profil sichtbar werden. Damit noch nicht zu-
frieden verdeckte der Künstler ausserdem die Gesichter
einiger dieser Kämpfer durch die Schilde, die sich über-
Digitized by
Google
118 Sitzung der phüos-philöl. Glosse vom 3. Juni 1882.
haupt durch Häufung dem Auge zu sehr aufdrängen und
mehrfach durch ihre eiförmigen Verkürzungen wenig ange-
nehme Linien bilden , die Körper zerschneiden oder ver-
decken, während anderer Seits die überwiegend nackten
Gestalten der Krieger sich theils in zu stark und unver-
mittelt, theils in zu wenig gebrochenen, langgestreckten
Linien darstellen und den Eindruck des Gespreizten machen.
So wird nicht nur der harmonische Fluss, der Rhythmus
der Linien vielfach getrübt, sondern das Ganze bekömmt
einen unruhigen, hie und da mehr malerischen, als plastischen
Charakter.
Die Oberfläche der Platten hat durchgängig stark ge-
litten, und es ist desshalb schwierig, aus einzelnen besser
erhaltenen Stellen sich von dem Gesammtcharakter der Aus-
führung eine klare Vorstellung zu bilden. Erst durch eine
Vergleichung mit den übrigen Serien tritt es uns bestimmter
entgegen, wie mit Auffassung und Linienführung auch die
übrige Durchbildung Hand in Hand geht. An den Ge-
wändern sind allerdings in der Behandlung der Falten die
leichteren und schwereren Stoffe unterschieden. Aber in
der Anlage der Chlamys bei den drei Reiterinnen z. B.
zeigt sich eine gewisse Einförmigkeit; an andern Stellen
haben besonders die von den Körpern sich loslösenden
Partieen etwas Gelockertes und Unruhiges; an den um die
Arme gewickelten Gewandstücken erscheinen die Falten
weich und rundlich. Ueberall begegnen wir mehr einer
allgemeinen Gewandtheit und Routine, als einer in das
Einzelne eingehenden scharfen Charakteristik. Dasselbe
scheint von dem Vortrage der Formen des Nackten, sowie
der Pferdekörper zu gelten, soweit freilich bei dem Zu-
stande des Marmors überhaupt ein Urtheil gestattet ist.
Erscheinungen, wie sie hier hervorgehoben wurden,
zeigen sich zuweilen, wo der Höhepunkt einer Entwickelung
noch nicht erreicht, aber ebenso auch, wo derselbe bereits
Digitized by
Google
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussoleums. 119
überstiegen war. Am Friese des Theseion z. B. beruht der
Charakter einer gewissen Laxheit darauf, dass die Kunst
noch der Reinigung und Abklärung bedurfte, welche ihr
erst der Geist eines Phidias brachte; am Friese von Phi-
galia vermissen wir die volle Harmonie, weil die Strenge
der Schule des Phidias bereits eine Lockerung erfahren
hatte. Ohne hier auf einen Vergleich der älteren und der
jüngeren attischen Schule einzugehen, dürfen wir doch wohl
aussprechen, dass die bisher betrachteten Platten nach ihrem
Gesammteindruck eher einen Vergleich mit dem Friese von
Phigalia als mit dem des Theseion gestatten, wenigstens
insoweit, als der Mangel an Strenge auf eine künstlerische
Persönlichkeit hindeutet, die nicht mehr in jugendlichem
Vorwärtsstreben neuen Principien Geltung zu schaffen sich
bemüht, sondern bereits im Besitze reicher künstlerischer
Mittel mit denselben in freier, ja zuweilen rückhaltloser
Weise schalten zu dürfen glaubt.
Die Platte VI der Monumenti, deren Photographie
mir nicht vorliegt, ist jetzt aus dem Kreise der Amazonen-
darstellungen ausgeschieden, und wird gewiss mit Recht
einem sonst nur in geringen Resten erhaltenen Kentauren-
friese zugetheilt, der ein vollständiges Seitenstück zu dem
Amazonenfriese gebildet zu haben scheint. Nach der Be-
merkung Furtwänglers (Arch. Zeit. 1881, S. 306) mochten
beide in ähnlicher Weise an dem Unterbaue des Mausso-
leums vertheilt gewesen sein, wie die beiden grösseren Friese
am Nereidenmonumente von Xanthos. Dennoch verdient
diese Platte auch hier in Betracht gezogen zu werden.
Wir begegnen hier wieder der einen männlichen Figur in
der Rückenansicht; die andere in Profil zeigt uns die lang-
gestreckte, ungebrochene Rückenlinie. Die fliehende Frau
in Vorderansicht ist in den Motiven ihrer Bewegung fast
das genaue Gegenbild der behelmten Amazone auf VII — VIII.
Ihr flatteriger Mantel aber, ebenso wie die etwas schleppende
Digitized by
Google
120 Sitzung der phüos.'phüol. Classe vom 3. Juni 1882.
Chlanis des zweiten Jünglings verrathen die grösste Ver-
wandtschaft mit der unruhigen Gewandung der ganzen
ersten Serie. Bei so vielen Uebereinstimmungen innerhalb
eines engen Raumes werden wir nicht umhinkönnen , in
dieser vierten Platte dieselbe Künstlerhand, wie in den
bisher besprochenen wiederzuerkennen.
Der zweiten Serie glaube ich vier Platten zutheilen
zu dürfen : I, II, XII und XIII der Monumenti, über welche
zunächst einige factiscbe Bemerkungen zu machen sind.
Der Krieger auf I ruft nicht, wie Braun (Annali 1850,
p. 301) diese Figur deutet, seine Genossen zum Kampfe
auf, sondern, wie ich mich vor Jahren an den Originalen
selbst überzeugen konnte, er reisst mit seiner Rechten eine
Amazone bei den Haaren von ihrem Rosse herunter. Die
ganze Platte I aber schliesst sich unmittelbar an II an.
Die Richtigkeit dieser Anordnung im britischen Museum
wird durch die Photographieen bestätigt, während sich hier
die Zeichnung der Monumenti als ganz besonders ungenau
erweist. Ebenso hat es sich ergeben, dass die Platten XII
und XIII eng aneinander schliessen.
Von äusseren Kriterien tritt zunächst hervor, dass in
dieser Serie mehrfach Amazonen mit Aermeln und mit
Hosen vorkommen, und zwar so, dass diese Tracht nicht
etwa als eine Besonderheit der Bogenschützinnen erscheint.
Denn nach der Vereinigung von XII und XIII kann die
gerade auf der Scheide dieser Platten stehende Amazone
nicht mehr, wie Braun annahm, dieser Waffengattung an-
gehören. Ausserdem sind auch an der einzigen Reiterin
dieser Serie wenigstens die Aermel in den Photographieen
bestimmt erkennbar. Dagegen trägt hier keine der Ama-
zonen die sonst mit der vollen Kleidertracht eng ver-
bundene asiatische Mütze, während bei der Bogenschützin
in ungewohnter Weise halblange Locken weich über
den Nacken herabfallen und auch bei ihrer Nachbarin
Digitized by
Google
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussöleums. 121
die Haarmassen mehr als gewöhnlich nach hinten geordnet
scheinen. Das gelöste Haar der Enieenden kommt aller-
dings noch einmal in der vierten Serie bei einer Reiterin
vor, scheint aber beide Male mehr znr Bezeichnung einer
verzweifelungsvollen Situation, als zu einer Unterscheidung
der Tracht verwendet worden zu sein. Der volleren Be-
kleidung der Amazonen entspricht die vollere Rüstung des
Kriegers auf I, an dem überhaupt der Panzer mit der an
seinem unteren Ende herabfallenden doppelten Reihe von
Lederstreifen, die sich am Original sicher erkennen lassen,
als eines der ältesten Beispiele dieses Waffenstückes be-
sondere Beachtung verdient. Die leichten losgelösten Ge-
wandstücke fehlen nicht völlig, aber wo sie sich finden,
zeigt sich in ihrer Verwendung z. B. bei der Chlamys der
Reiterin ein strengerer Charakter, oder bei der von Herakles
niedergerissenen Amazone eine grössere Zurückhaltung in
der Ausführung, die von dem krausen Flattern der ersten
Serie sich wesentlich entfernt. Auch die Chlanis des mit
Helm und Schild bewaffneten Kriegers folgt durchaus der
Gesammtbewegung der Gestalt. Weniger übersichtlich ist
die Gewandung des mit Chiton und Chlanis bekleideten
Kriegers disponirt, zumal sie durch den Schild zum grossen
Theil zugedeckt wird und der Umriss desselben die Massen
in ihren Linien scharf durchschneidet. Auch an der auf
das Knie gesunkenen Amazone und ihrer Genossin wird
der Chiton durch das Hervortreten des Schenkels in etwas
gespreizter Weise auseinander getrieben, wobei noch die
Wiederholung des Motives in zwei so nahe verbundenen
Figuren wenig günstig wirkt. Die hier angedeutete Un-
gleichartigkeit beschränkt sich aber nicht blos auf die Ge-
wänder, sondern macht sich ebenso in der ganzen Anlage
der Gestalten geltend. Einige derselben, energisch in ihren
Motiven und von rhythmischer Klarheit stehen neben andern,
die, weniger sicher in der Erfindung, des harmonischen
Digitized by
Google
122 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 5. Juni 1882,
Flusses der Linien entbehren. Vortrefflich gelungen ist die
Gruppe der von Herakles niedergeworfenen Amazone. In
der nächsten Gruppe ist das halbe Zurückweichen und Sich-
umkreisen der beiden Gegner glücklich gedacht, aber
künstlerisch nicht in allen seinen Feinheiten entwickelt.
An der todten Amazone der nächsten Gruppe stört nicht
nur die Einförmigkeit des oberen Umrisses : auch die ganze
Gestalt fügt sich der Composition der Gruppe in sehr un-
genügender Weise ein. Während ferner die Handlung des
Bogenschiessens in ihrer strengen, fast mathematischen Ab-
gemessenheit schon von der ältesten Kunst mit benierkens-
werthem Geschick aufgefasst und künstlerisch verwerthet
wurde, hat sie in der vorliegenden Gruppe viel von ihrem
Reize verloren , indem bei der für die Schützin gewählten
Stellung die rechte Schulter und der Oberarm dem Auge
entzogen werden und der Vorderarm fast wie ausser Zu-
sammenhang mit dem Körper erscheint. — Von den beiden
andern, in einer Gruppe vereinigten Amazonen ist die
stehende voll Energie und Leben; aber ihre künstlerische
Schönheit wird nicht wenig dadurch beeinträchtigt, dass
ihr ganzer rechter Schenkel durch den Körper der Gefallenen
verdeckt wird und dadurch aufhört, für das weit nach aus-
wärts gestellte linke Bein ein künstlerisches Gegengewicht
zu bilden. Wenn ferner die zweite Amazone mit aus-
einandergespreizten Schenkeln zu Boden gesunken ist und
ihr Angreifer ihr das lang nach vorn gestreckte Bein auf
den Schooss setzt, so entsteht aus der Vereinigung aller
dieser Motive eine Composition, an der ein feineres Em-
pfinden in mehr als einer Beziehung Anstoss nehmen muss.
Klarer, aber auch lockerer ist die Verbindung innerhalb der
letzten Gruppe, und es mag hier zugleich die Bemerkung
Platz finden, dass überhaupt in dieser Serie die einzelnen
Gruppen mehr lose neben einander gereiht, als auch nur
äusserlich unter einander verknüpft sind.
Digitized by
Google
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussöleums. 123
Beachtung verdient ferner eine Eigenthümlichkeit der
Proportionen, die besonders an den besser erhaltenen der
Amazonen hervortritt. Sie sind weit weniger schlank als
die der andern Serien und namentlich erscheinen die Köpfe
zu gross und schwer; doch leitete den Künstler offenbar
nicht das Bestreben, seinen Gestalten den breiteren und
kräftigeren Bau , überhaupt den mannhafteren Charakter
der älteren „ephesischen" Amazonenstatuen zu verleihen,
sondern vielmehr nur die Absicht, den Gegensatz des weib-
lichen Geschlechtes zum männlichen im gesammten Cha-
rakter der Formen zur Anschauung zu bringen. Er glaubte
dies zu erreichen, indem er sie voller, runder und fleischiger
bildete, gelangte aber dabei zu einem etwas weichlichen
Formenvortrag, welcher mehrfach die elastische und ener-
gische Spannung in Fügung und Haltung der Glieder ver-
missen lässt, die gerade den kunstgeschichtlich jüngeren
Amazonenbildungen eigen zu sein pflegt. — In der Durch-
bildung des Einzelnen lässt sich das Streben nicht ver-
kennen, z. B. bei der Ausführung der kurzen Gewänder
der Amazonen Einförmigkeit zu vermeiden. Dies ist aller-
dings äusserlich gelungen, aber schwerlich zum Vortheil
der inneren Einheit des Styls und der Vortragsweise.
Fassen wir Alles zusammen, so scheint uns in dieser
zweiten Reihe eine Künstlernatur von wenig ausgeprägter
Selbständigkeit entgegenzutreten, ein Künstler, der weniger
der Kunst seiner Zeit den eigenen Charakter aufprägt, als
dass er den verschiedenen ihn umgebenden Strömungen
folgt. So mochte es ihm gelingen, im Anschluss an tüch-
tige Vorbilder und Meister im Einzelnen Anerkennens-
werthes zu leisten; aber es fehlte ihm die Kraft, die ver-
schiedenen Anregungen einheitlich und harmonisch zu ver-
arbeiten.
Zur dritten Serie gehören die drei zusammenge-
hörigen, von Newton entdeckten Platten (bei Overbeck
Digitized by
Google
v*v
124 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 3, Juni 1882.
Gesch. d. gr. Plast. 8 , Fig. 111 nicht in der richtigen
Reihenfolge, sondern 1, n, m), und ausserdem das wohl
später gefundene, so viel ich weiss, noch nirgends pub-
licirte Bruchstück einer vierten Platte mit einer lebhaft
nach rechts vorschreitenden Amazone und einem hinter
ihr nach der entgegengesetzten Seite gewendeten sehr frag-
mentirten Manne (Photographie Nr. 26).
Im Gegensatz zu den beiden ersten Serien macht sich
hier eine Vorliebe für das Nackte geltend. Von dem Manne
des letzten Fragmentes abgesehen, sind die kämpfenden
Krieger ganz unbekleidet. Als Schutzwaffen tragen sie runde
Schilde, die von der Innenseite sichtbar, geschickt zu künst-
lerischer Verbindung der einzelnen Gruppen verwendet sind,
und mit einer Ausnahme den Helm, der einmal eine eigen-
thümliche, an die asiatische Mütze erinnernde Form hat.
Von den Amazonen ist nur eine mit der Mütze und zu-
gleich mit der Chlanis ausgestattet; Hosen und Aermel, die
in der ersten und zweiten, und Stiefeln, die in der ersten
Serie vorkommen, fehlen hier gänzlich. Der allen gemein-
same kurze Chiton ist bei den meisten so geordnet, dass
er von den nackten Formen des Körpers , namentlich von
den Schenkeln, noch möglichst viel sichtbar werden lässt,
ja das eine Mal fast nur als Hintergrund des Körpers
dient.
In der Behandlung des Nackten ist ein bestimmter
Gegensatz der beiden Geschlechter mit bewusster Klarheit
durchgeführt. Die weiblichen Formen sind überall ge-
rundet, aber ohne die in der zweiten Serie gerügte Weich-
lichkeit. Bei den Männern ist die Musculatur sehr be-
bestimmt hervorgehoben, aber weniger die Schwellung der
einzelnen Muskeln, als ihre Begrenzung nach den Haupt-
flächen und Umrissen betont: ein System, das am klarsten
bei dem knieenden Krieger hervortritt. Ueberhaupt aber
herrscht eine gewisse Knappheit , mau möchte sagen :
Digitized by
Google
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussöleums. 125
XeTtTorrjg der Formen, die in Verbindung mit der Nackt-
heit das Bestreben unterstützt, die Umrisse der Gestalten
in möglichst bestimmter Weise von dem Grunde loszulösen.
Auch im Einzelnen, den Barten, den Gewandfalten tritt
eine klare und scharfe Formenbezeichnung hervor. Doch
zeigen sich hier einige Eigenthümlichkeiten, die zu weiteren
Bemerkungen Anlass geben. An den beiden Reiterinnen
hängen Theile des Chiton, so zu sagen passiv auf den Pferde-
körper herab, ohne in das leitende Grundmotiv der ganzen
Bewegung einbezogen zu sein und ohne dasselbe in dem
leicht beweglichen Stoffe ausklingen zu lassen. Es scheint
dies darin begründet zu sein, dass der Künstler zwar das
Hauptmotiv der ganzen Gestalt noch ideal-schöpferisch auf-
fasste, dass er jedoch daneben , ich will nicht sagen dem
Modell, aber doch der Beobachtung der einzelnen Erschei-
nungen der Wirklichkeit in der Durchbildung einen nicht
unbedeutenden Spielraum gewährte. Hierdurch aufmerksam
gemacht werden wir die Spuren gleicher Tendenzen auch
anderwärts entdecken , so in den straff zwischen den
Schenkeln angezogenen Falten des Chiton der einen, wie
in der nicht mehr völlig naiven Anordnung des Chiton der
halbnackt erscheinenden Amazone. Auch die Motive der
Gestalten selbst zeigen sich durch eine ähnliche Betrach-
tungsweise der Natur hie und da beeinflusst. Die Stellungen
der beiden Amazonen zu Fuss auf den ersten Platten
scheinen mehr dem Moment abgelauscht, als einheitlich aus
der Idee geschaffen; und wenn es z. B. dem Künstler ge-
lungen ist, das Motiv der auf ihrem Rosse umgewendeten
Amazone mit seltener Frische und Lebendigkeit harmonisch
auszugestalten, so spricht doch aus dem Ganzen, wie auch
bei der zweiten Reiterin aus Motiven wie dem der Schenkel-
baltung, die gleiche veränderte Grundanschaung. Sie macht
sich aber unserem Empfinden um so mehr bemerkbar, als
in der Rhythmik der männlichen Gestalten ein wesentlich
Digitized by
Google
126 / Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 3. Juni 1882.
anderes Princip zu walten scheint. Wir begegnen hier
einem System von eckigen, scharf gebrochenen, fast etwas
schematischen Linien, die auf eine strenge Schulung des
Körpers für kriegerischen Kampf hinweisen, welche allen
Bewegungen etwas Tactmässiges verleiht. Wir werden
schwerlich irren, wenn wir hier das Streben erkennen, in
ähnlicher Weise, wie in den körperlichen Formen den
Gegensatz des männlichen und weiblichen Geschlechtes, so
hier in der ganzen Kampfes weise den Gegensatz des männ-
lichen und weiblichen Temperamentes zur Anschauung zu
bringen. Alles dieses weist auf einen eigenartigen, sehr
selbständigen Künstler hin; und wenn auch das Ziel, be-
stimmte Contraste und Disharmonieen auf neue Weise har-
monisch aufzulösen, noch nicht überall vollständig erreicht
ist, so fesselt uns doch, abgesehen von der VortrefFlichkeit
der sauber vollendeten Ausführung, gerade das geistige
Ringen, in dem der Künstler neue Probleme zu lösen unter-
nimmt.
Bei dem nicht unmittelbar anschliessenden, noch un-
publicirten Fragment spricht nicht nur die knappe Schlankheit
der Amazone für die Zugehörigkeit, sondern auch die Be-
handlung des vom Schenkel losgelösten Chiton, sowie auch
der untere Theil der Gewandung des Mannes verrathen
deutlich dieselbe Hand, wie an der halb entblössten Ama-
zone. Dass die männliche Gestalt, abweichend von den
kämpfenden Kriegern, überhaupt ein Gewand und noch
dazu eine Art Mantel trägt, mochte durch die besondere
Handlung motivirt sein. Sie steht mit dem Oberkörper
etwas nach vorn gebeugt, ohne Schild, war also vielleicht
ganz ohne Waffen und am Kampfe nicht direct betheiligt,
sondern etwa mit der Pflege eines Verwundeten beschäftigt.
Als zur vierten Serie gehörig betrachten wir zuerst
eine grössere Platte, Nr. V der Monumenti. Bei der ge-
ringen Zahl von Figuren, drei Kriegern und zwei Ama-
Digitized by
Google
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussoleums. 127
zonen, ist auf die äusseren Kriterien der Tracht und Be-
waffnung, die in der Fortsetzung der Composition leicht
eine grössere Abwechselung zeigen konnten, zunächst kein
besonderes Gewicht zu legen. Dagegen erkennen wir leicht,
wie von dem unruhigen Flattern der Gewänder in der
ersten Serie sich hier keine Spur zeigt, ebensowenig von
den schweren Proportionen der Amazonen und ihrer Weich-
lichkeit in der zweiten. Desgleichen finden wir hier nicht
die Knappheit der dritten Serie und die leise Neigung zu
sinnlichem Reiz, wie sie dort in der gesuchten Anordnung
des geschlitzten Chiton und der Carnation der Amazonen
sich zu verrathen beginnt. Es waltet vielmehr überall eine
weise Zurückhaltung und Sparsamkeit, die jede Ueberladung
vermeidet, aber sich eben so sehr von Dürftigkeit fern hält
und in der Verwendung der Mittel stets ihres Zweckes
wohl bewusst ist. Das ganze Motiv des seine Gegnerin
vom Pferde herabreissenden Kriegers ist dadurch bedingt,
dass sein linker Arm mit dem Schilde bewehrt und deshalb
in die eigentliche Handlung einzugreifen verhindert ist.
Die Chlamys auf seinem Rücken rundet nicht nur die ein-
zelne Figur künstlerisch ab, sondern dient nicht minder,
den Uebergang zur folgenden Gruppe zu vermitteln. In
dieser aber fehlt dem einen Krieger nicht nur der Helm,
der die zum entscheidenden Schlage erhobene Rechte ver-
decken und sich mit dem Helme seines Genossen fast be-
rühren würde, sondern auch der Schild, den der Künstler,
wie in der ersten Serie in breiter einförmiger Fläche oder in
unangenehmer Verkürzung hätte zeigen müssen. Ein etwa
um den linken Arm gewickeltes Gewandstück würde sich
leicht mit der Chlamys des Kriegers der vorhergehenden
Gruppe vermischt haben. Es war daher ein geschickter
Ausweg, dass der Künstler dem Krieger die Schwertscheide
in die Linke gab, die nach dem Reste des Ansatzes der
Hand und der darüber befindlichen Bruchfläche hier mit
Digitized by
Google
128 Sitzung der philos.-phüöl. Glasse vom 3. Juni 1882.
Bestimmtheit vorausgesetzt werden darf. Wenn ferner die
ganze Gruppe in ihrem jetzigen Zustande etwas zu scharf
pyramidalisch aufgebaut erscheint, so verschwindet dieser
Anstand, sobald wir dem zweiten Krieger das Schwert nicht
nach rückwärts gesenkt, sondern mit der Spitze etwas nach
oben gerichtet in die erhobene Rechte geben. Auf diese
Weise entwickelt sich dann eine vollendetere Harmonie der
Linienführung , als wir in den andern Serien beobachten
konnten ; und was wir über das Eckige, etwas Schematische
in den Bewegungen der Krieger in der dritten Serie be-
merkten, tritt vielleicht erst in volles Licht, wenn wir ein-
zelne Figuren aus beiden Reihen einander gegenüberstellen:
den Bekämpfer der Reiterin in der vierten dem vor einer
Amazone sich zurückziehenden und sich duckenden Krieger
in der dritten, und ebenso die vereint kämpfenden Gegner
der einzelnen Amazonen in der einen und die einzelnen in
der andern. Auch die knieende Amazone erscheint in ihrem
Motiv einfach rhythmischer als der knieende Jüngling«
Weitere Bemerkungen werden sich ergeben, wenn wir
jetzt versuchen, der vierten Serie eine weitere Platte zu
vindiciren, die erste der von Newton gefundenen (Newton
Halicarn. pl. IX, 1 ; travels II, pl. 5) : eine Amazone zu
Pferde, mit der sich später noch das Fragment eines
Kriegers verbinden Hess, welcher vor ihr wegschreitend sich
noch zu kräftiger Vertheidigung gegen sie zurückzuwenden
scheint. Dass sie „sehr nahe" (very near : travels II, p. 95)
den andern Platten der dritten Serie gefunden ist, beweist
noch nicht nothwendig die Zusammengehörigkeit mit diesen,
und darf uns wenigstens nicht hindern, die Frage nach
inneren Gründen zu prüfen.
Das Ross zeigt künstlerisch schöne, volle und breite
Formen, man darf wohl sagen, einen idealen Charakter,
während von den zweien der andern Platten namentlich
das besser erhaltene durch eine Magerkeit auffällt, die ihre
Digitized by
Google
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussöleums. 129
Erklärung und Rechtfertigung wohl nur darin findet, dass
der Künstler, sei es einen bestimmten Racetypus, sei es
ein für schnellen Lauf trainirtes Rennpferd darstellen wollte.
Der Chiton der Amazone ist hier um den Leib doppelt ge-
schürzt, aber wie dort am Schenkel aufgeschlitzt; allein die
herabhängenden Zipfel bewegen sich in schönen, harmo-
nischen Schwingungen, wirken schlichter, natürlicher, we-
niger gesucht: die ideale Auffassung ist noch unberührt
von realistischen Elementen. Auch die Körperformen des
Kriegers sind vollgerundeter und kräftiger, als an den Ge-
stalten der dritten Serie. Und da auch Nebenumstände für
die Unterscheidung von Wichtigkeit sein können, so mag
noch darauf hingewiesen werden, wie gegenüber der vier-
mal wiederholten glatt behandelten Handhabe im Innern
der Schilde an jenen Platten dieselbe hier besonders sauber
und geschmackvoll decorativ durchgebildet ist.
Dem Charakter der ersten Serie widerspricht die künst-
lerische Ruhe der Erfindung und die Sicherheit der Aus-
führung. In der zweiten kehrt zwar der Doppelschnitt der
Mähne an einem der Rosse wieder, jedoch in nicht überein-
stimmender Ausarbeitung. Aber das Ross selbst ist dort
schwerer und von rundlicheren Formen, welche dem etwas
weichlichen Charakter der ganzen Serie entsprechen. —
Dagegen stimmen die Gesammtverhältnisse des Rosses, so-
wie insbesondere der Knochenbau des Kopfes mit dem der
vierten Serie, wobei auch wohl eine kleinere, beiden ge-
meinsame Eigenthümlichkeit in der Stellung der Ohren
nicht übersehen werden darf. Eine scheinbare Verschieden-
heit in der Behandlung der Musculatur aber weist uns
vielmehr auf eine besondere Feinheit in der Individualisi-
rung der Handlung hin. Die Amazone, welche gewaltsam
vom Rücken ihres Rosses herabgerissen werden soll, greift
mit der Linken um den Hals desselben herum und stemmt
sich mit der Rechten gegen die Seite ihres Gegners, während
[1882. IL Philos.-philol. hist. Cl. 1-1 9
Digitized by
Google
130 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 3. Juni 1882.
sie mit den Schenkeln festen Schluss zu halten sucht. Durch
diese complicirte Anstrengung übt sie einen starken Druck
auf den Rücken des Pferdes, der dadurch stark eingebogen
erscheint. Indem aber mit diesem Ringen das Pferd seine
eigene Anstrengung verbindet, entsteht eine Anspannung
der Muskeln in einer der Haltung der Reiterin durchaus
entsprechenden Richtung, so dass dadurch das Grundmotiv
gewissermassen verdoppelt und dadurch nur um so wirk-
samer erscheint. Auf der Newton'schen Platte holte die
Reiterin wahrscheinlich zum Wurfe aus. Dieser leichten
elastischen Hebung, der eine energische Kraftanstrengung
erst folgen soll, entspricht die leichte, bis in den Schweif
hinein wirkende Hebung des Rosses, welche noch alle
Formen in schönster Harmonie, aber doch kräftig und
widerstandsfähig genug erscheinen lässt, um allen Impulsen
der Reiterin ruhig und sicher zu folgen.
Mit solchen Vorzügen verbindet sich ein entsprechendes
Verdienst der Ausführung. Sie ist keineswegs raffinirt und
ins Kleine gehend : so sind z. B. die Helmbüsche, an denen
sonst fast immer die Haare besonders ausgedrückt sind,
hier in einfachen Massen behandelt; von den scharfge-
schnittenen Pferdemähnen ist die eine breit eingekerbt, die
andere materiell kleinlicher, aber in absichtlich strenger
Stylisirung gebildet. In der Gewandung aber, wie in den
Körperformen ist stets das Wesentliche betont und mit
fester und sicherer Hand dem Marmor eingeprägt, in kräf-
tigem, breitem Styl, der aber gewiss mit klarem Bewusst-
sein für eine bestimmte Fernwirkung berechnet war. — Die
künstlerischen Kräfte stehen also hier im besten Gleichge-
wicht; sie lassen ebensowenig etwas an voller Reife und
Durchbildung vermissen, als dass nach irgend einer Seite
bereits ein Abnehmen oder auch nur ein sorgloses Nach-
lassen sichtbar würde.
Noch ist des Fragmentes einer Amazone zu gedenken,
Digitized by
Google
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussöleums. 131
welches von Newton im Museum von Konstantinopel vor-
gefunden später ebenfalls in das britische Museum gelangt
ist (Travels I, p. 40 ; pl. 1 ; Photogr. Nr. 25). Aus den
ersten drei Serien liesse sich mit dieser Gestalt höchstens
die mit Chiton und Chlanis bekleidete Amazone der dritten
zusammenstellen. Eine genauere Vergleichung lässt aber
vielmehr einen Gegensatz in der rhythmischen Auffassung
bestimmt hervortreten. Ohne einen Contrast, wie ihn die
gespannten Falten zwischen den Knieen der einen darbieten,
durchdringt die ganze Gestalt der andern ein durchaus
einheitliches Motiv, so dass der harmonische Fluss der
Linien auch nirgends in der Ausführung die geringste
Trübung erfährt. Gehört also dieses Fragment zu den
Sculpturen des Maussöleums, so kann es nur in der rhyth-
misch vollendetsten vierten Serie seine Stelle finden.
Es bleibt noch das früher genueser, jetzt eben-
falls im britischen Museum aufgestellte Relief zu betrachten
übrig (Mon. d. Inst. V, t. 1 — 3). Seine Vorzüglichkeit
nach allen Richtungen ist unbestritten. Meisterhaft ist die
Erfindung der Gruppen wie der einzelnen Figuren. Wenn
das Motiv des eine Amazone vom Pferde reissenden Kriegers
in der vierten Serie dadurch bedingt war, dass der linke
mit dem Schilde beschwerte Arm verhindert war, in die
Handlung einzugreifen, so ist hier die Composition des die
Schutzflehende angreifenden Kriegers gerade durch die
Abwesenheit des Schildes bedingt. Die ganze Bewegung
ist eine horizontal vorwärts strebende. In dieser Richtung
droht das gezückte Schwert, gezückt zu horizontalem Stosse,
aber noch nicht im Stosse begriffen: noch ist es fraglich,
ob es die offen dargebotene Brust der Gegnerin durch-
bohren, oder ob diese gerade in ihrer Hülflosigkeit das
Herz des Gegners rühren wird, — sofern nicht etwa gar
noch im letzten Augenblicke Hülfe gebracht werden sollte:
in fliegender Eile ist eine Genossin herbeigestürmt und
Digitized by
Google
132 Sitzung der phüos.-phüöl. Glosse vom 3. Juni 1882.
hemmt jetzt plötzlich den letzten Schritt, um durch einen
kräftig und sicher geführten Schlag den Arm des Bedrohers
zu lähmen. Meisterhaft sind in der zweiten Gruppe die
Kräfte des Angriffes und des Widerstandes abgewogen.
Halb niedergeworfen gewinnt der Krieger an seinem Schilde
eine Stütze für seine linke Seite und dadurch eine Grund-
lage, von welcher aus er auch in der Defensive noch volle
energische Kraft zu einem Offensivschlag zu entwickeln
vermag, so kräftig, dass die schon siegreich sich wähnende
Gegnerin sich plötzlich zur Defensive mittelst des schnell
vorgeworfenen Schildes genöthigt sieht und dadurch die
Kraft des eigenen Angriffes schwächen muss.
Den geistigen Intentionen entspricht auf das Vortreff-
lichste die formale Durchbildung. Dem horizontalen Vor-
wärtsstreben des ersten Kriegers folgt die Chlanis in un-
gebrochenem Fluge. Das plötzliche Halt, das Zuckende in
der ganzen Gestalt der ihm folgenden Amazone spricht
sich in dem aufwärtsgebogenen Ende des fliegenden Ge-
wandstückes aus. In der Chlamys dfcr dritten Amazone
findet die Neigung der Gestalt nach vorn ihren Ausdruck.
Aber auch an den kurzen Chitonen gliedern sich nicht nur
die Massen nach der Bewegung, sondern die einzelnen Falten
geben auch Rechenschaft von den Formen des Körpers, zu
denen sie in Beziehung stehen, und lassen in weiser Unter-
ordnung diese auch unter der Bekleidung klar und be-
stimmt in ihrer von Ueberfülle und Magerkeit gleich ent-
fernten Kräftigkeit zu Tage treten. Obwohl endlich der
Marmor zwar einer Ueberarbeitung , aber doch nicht der
Unsitte scharfen Putzens der Oberfläche entgangen ist, so
lässt er doch noch an vielen Stellen die Vortrefflichkeit der
Ausführung bis auf die energische Frische der Meisselfuh-
rung deutlich genug erkennen.
So bietet dieses Relief ein Bild der vollendetsten
geistigen, rhythmischen und technischen Harmonie, von
Digitized by
Google
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussoleums. 133
einer individuellen Feinheit, wie sie selbst den so vortreff-
lichen Arbeiten der vierten Serie nicht eigen ist. Man
könnte nun vielleicht geneigt sein, diese Differenz auf einen
Unterschied der ausführenden Hand beschränken zu wollen.
Es gesellen sich aber hierzu schwerwiegende Bedenken sehr
materieller Art, welche überhaupt die Zugehörigkeit des
genueser Reliefs zu dem Amazonenfriese des Maussoleums
ernsthaft in Frage stellen müssen. Alle an Ort und Stelle
gefundenen und ebenso die aus dem Castell von Budrun
stammenden Stücke haben unter der Leiste, welche die
Basis der Figuren bildet, ein gerundetes Glied. Die Grund-
fläche des Reliefs steht vertical auf der Leiste und beugt
sich nur am oberen Rande, der vorn mit einem Perlenstab
verziert war, hohlkehlenartig vor. Rundstab, Hohlkehle
und Perlenstab fehlen am genueser Relief, das oben nur
durch eine ganz flache Leiste begrenzt ist. Dagegen neigt
sich die ganze Relieffläche leicht gebogen nach vorn über,
wenigstens um so viel, als die Breite der unten stark vor-
springenden Leiste beträgt: eine Eigenthümlichkeit , die
wohl in feineren optischen Berechnungen ihren Grund
haben mag, um die Verkürzung der Figuren nach oben für
das Auge einigermassen auszugleichen. Endlich ist das
Figurenfeld selbst um etwa vier Centimeter niedriger und
auf dem Felde reichen die Figuren weniger hoch gegen den
Rand hinauf.
Das genueser Relief ist also von den Sculpturen des
Maussoleums zu trennen. Es gehört einer durchaus ver-
wandten Kunstrichtung, wohl derselben Schule und fast
genau derselben Zeit an, wenn es auch wegen der noch
durchaus idealen Tendenzen in Auffassung und Ausführung
und der Abwesenheit jedweder Spur von realistischen Nei-
gungen vielleicht um ein Geringes früher zu datiren sein
mag. Nicht vergessen dürfen wir dabei, dass die grosse
Ausdehnung des Maussoleums fast nothwendig auf eine
Digitized by
Google
134 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 3. Juni 1882.
mehr decorative Behandlung hinführen musste, während
das genueser Relief einem Denkmale geringeren Umfanges
angehören mochte, dem ein bedeutender Künstler seine
Sorge bis ins Einzelnste zuzuwenden vielleicht schon da-
durch veranlasst wurde, dass er die ganze Ausführung für
eine minder hohe Aufstellung berechnen musste.
Wir stehen am Ende unserer analytischen Betrachtung,
über deren Berechtigung zunächst noch einige allgemeine
Bemerkungen einzuschalten sind. Es liegt in der Natur
der Sache , dass umfangreiche Sculpturwerke von dem er-
findenden Künstler nicht auch durchweg in Marmor ausge-
führt werden können: wissen wir doch, dass z. B. Thor-
waldsen nur ganz ausnahmsweise den Meissel mit eigener
Hand geführt! Es ist ferner begreiflich, dass durch ber
sondere Umstände die gleichmässige Durchführung eines
mit allem Aufwände geistiger und materieller Mittel be-
gonnenen Werkes wesentlich beeinträchtigt werden kann,
wie es z. B. an einigen Theilen der pergamenischen Giganto-
machie der Fall gewesen zu sein scheint. Es ist aber da-
durch keineswegs gerechtfertigt, wenn man bei der Beur-
theilung ähnlicher Werke den Unbequemlichkeiten, welche
die Nichtübereinstimmung des künstlerischen Charakters
mit selbstgemachten Voraussetzungen darbietet, dadurch
aus dem Wege gehen zu können glaubt, dass man die
scheinbaren Incongruenzen ohne Weiteres auf Rechnung
der verschiedenen an der Ausführung betheiligten Hände
setzt. Anstatt zn fragen, ob an den Statuen des Parthenon
in dem Gegensatze der Formen des Kephisos und des so-
genannten Theseus, oder der Gewandung der kurzbekleideten
Iris und des langbekleideten wegeilenden Mädchens nicht
die feinste Individualisierung der Gestalten und Charaktere
vom Künstler beabsichtigt ist, sollen wir uns bei der Ver-
schiedenheit der ausführenden Hände beruhigen. Anstatt
sich zu bemühen, die neue und ungewohnte Formensprache
Digitized by
Google
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussöleums. 135
der olympischen Giebelstatuen verstehen zu lernen, bürdet
man alles, was den vorgefassten Meinungen über den Styl
des Paeouios und Alkamenes nicht entspricht, „ungeschickten
Gesellen 4 ' auf. So haben denn auch bei der Beurtheilung
des Maussoleumfrieses diese ungeschickten Gesellen keine
kleine Rolle gespielt; und von diesem Standpunkte aus
könnte die ganze, auf die obige Analyse verwandte Arbeit
leicht als verlorene Liebesmühe betrachtet werden. Welche
Bewandtniss aber hat es unter gewöhnlichen Verhältnissen
mit solchen Hülfsarbeitern ? Selbst der Archäologe soll sich
nicht begnügen, einen Zeichner vor ein Monument zu stellen
und dann später die fertige Zeichnung von ihm in Empfang
zu nehmen. Er soll sich bestreben, seine eigenen Anschau-
ungen auf den Zeichner zu übertragen und dadurch dessen
Hand zu leiten, und sofern er sich nur selbst über die zu
lösende Aufgabe klar ist, wird auch der Erfolg nie ganz
ausbleiben. Um wie viel weniger wird ein in seiner Kunst
geübter und erfahrener Meister sich darauf beschränken,
einem Hülfsarbeiter einen flüchtigen Entwurf in die Hand
zu geben, und ihn dann in den verschiedenen Stadien der
langwierigen Ausführung in Marmor ganz sich selbst über-
lassen! Er wird ihn fortwährend überwachen, und wenn
auch seine Weisungen und Correcturen nicht den Erfolg
haben können, der Arbeit in ihrer letzten Ausführung den
Reiz der „originalen" Handschrift zu verleihen, so werden
sie doch ausreichen, ihr den allgemeinen Stylcharakter des
Meisters aufzuprägen. Geht hier der Hülfsarbeiter seinen
eigenen abweichenden Weg, so werden wir dafür nicht den
ungeschickten Gesellen, sondern den ungeschickten Meister
verantwortlich machen müssen, sofern wir nicht etwa an-
nehmen dürfen, dass die Leitung des Meisters gänzlich ge-
fehlt habe. Das ist aber bei den Arbeiten des Maussöleums
nicht gestattet, indem nach dem ausdrücklichen Zeugnisse
des Plinius die Künstler selbst bei dem Tode der Artemisia
Digitized by
Google
136 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 3. Juni 1882.
die Arbeiten nicht unterbrachen, sondern das Werk als ein
Denkmal ihres eigenen Ruhmes zu Ende führten; hodieque
certant manus.
Bei der Beurtheilung waren also in erster Linie nicht
die Gesellen, sondern die vier Meister ins Auge zu fassen ;
und die ersteren durften zunächst um so mehr in den
Hintergrund treten, als die schlechte Erhaltung eines
grossen Theiles der Platten nicht gestattete, auf die Eigen-
tümlichkeiten der letzten Ausführung einen besonderen
Nachdruck zu legen. Die entscheidenden Kriterien wurden
daher vielmehr in der Erfindung und Auffassung, in dem
Gesammtcharakter der Formengebung gesucht, also da, wo
der leitende Meister im Stande sein musste, die ausführenden
Hände mit voller Wirksamkeit zu überwachen, und wo also
auch für die Untersuchung greifbare, dem blos subjectiven
Empfinden entrückte Anhaltspunkte geboten waren. Auf
diesem Wege ist es in der That gelungen, in den erhaltenen
Scnlpturen die Individualität von vier verschiedenen Künst-
lern zu erkennen ; und indem dadurch die Uebereinstimraung
des monumentalen Befundes mit dem äusseren Zeugnisse
des Plinius constatirt ist, darf wohl dieses Resultat als hin-
länglich gesicherte Grundlage für weitere Untersuchungen
betrachtet werden. 1 )
Denn allerdings ist bis jetzt nur die erste Frage be-
antwortet. Es bleibt die zweite: wie die vier Serien unter
die vier von Plinius namhaft gemachten Künstler nach den
verschiedenen Himmelsrichtungen zu vertheilen sind. Die
1) Wir haben oben (S. 119) in der einer Kentaurenscblacht ange-
hörigen Platte die Hand des Künstlers der ersten Serie zu erkennen
geglaubt. Andere Fragmente desselben Frieses sind weder in Gyps-
abgüssen, noch in Photographieen und Zeichnungen verbreitet, ebenso-
wenig wie, bis auf eine Figur, die Fragmente eines Wettrennens von
Viergespannen. Es dürfte jetzt wohl an der Zeit sein, auch diese Reste
an Ort und Stelle einer genaueren Prüfung zu unterziehen.
Digitized by
Google
Brunn: Studie über den Amazonenfries des Maussoleums. 137
Zeit, auch diese Frage mit Bestimmtheit zu beantworten,
ist noch nicht gekommen. Es kann sich also zunächst nur
darum handeln, einige aus den bisherigen Erörterungen ge-
wonnene Momente mit den wenigen uns anderweitig be-
kannten Thatsachen in Verbindung zu bringen.
Welche Stelle die den Castellmauern von Budrun ent-
nommenen Platten am Maussoleum selbst einnahmen, lässt
sich natürlich durch äussere Zeugnisse jetzt nicht mehr
feststellen. In den Ruinen selbst sind nur die von Newton
entdeckten Platten gefunden, und zwar ganz allgemein ge-
sprochen , an der Ostseite , aber keineswegs in ihrem ur-
sprünglichen architektonischen Verbände. Aus diesem Grunde
drückt sich auch Newton sehr vorsichtig aus und bezeichnet
es nur als wahrscheinlich (it does not seem unreasonable :
Haue. I, p. 600), dass diese Stücke der Ostseite angehören.
Nehmen wir dazu, dass das grosse Rechteck in Newton'»
Plan den Grundbau bezeichnet, dass aber das Gebäude selbst
auf jeder Seite um nicht ganz wenig, zehn Fuss oder mehr,
nach innen gerückt war, so liegt die Fundstelle nicht ein-
fach auf der Ostseite, sondern sie nähert sich ziemlich stark
der Nordostecke des Gebäudes; und damit wäre dann die
Möglichkeit, dass die Reliefs ganz oder theil weise der Nord-
seite entstammten, keineswegs ausgeschlossen. Sie muss
sich vielmehr sogar zur Wahrscheinlichkeit steigern, sofern
wir richtig erkannt haben, dass die vier Reliefs nicht einer
und derselben, sondern zwei verschiedenen Serien und dem-
nach auch zwei verschiedenen Seiten des Gebäudes angehören.
Unter den vier Seiten wird die östliche von Plinius
dem Skopas zugeschrieben. Ihm als dem berühmtesten und
bedeutendsten wird gewiss jeder die besten unter den er-
haltenen Arbeiten zuzusprechen geneigt sein, also die vierte
Serie, der nach unsern Untersuchungen eine, und zwar die
erste der von Newton gefundenen Platten angehört. Danach
würden die drei andern der Nordseite entstammen, an
Digitized by
Google
138 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 3. Juni 1882.
welcher Bryaxis beschäftigt war, ein Künstler, dem nach
verschiedenen Anzeichen vielleicht ein höherer Ruhm ge-
bührt, als ihm bis jetzt zu Theil geworden ist. Er scheint
der jüngste unter den vier Meistern gewesen zu sein;
wenigstens war er jünger als Skopas und Leochares. Damit
stimmt es vortrefflich, dass wir in den Arbeiten der dritten
Serie, die ihm zufallen würde, eine Tendenz zu erkennen
glaubten, in der Stylentwickelung über seine Genossen
hinauszugehen und z. B. in der Einführung realistischer
Elemente, in einer veränderten Rhythmik neue Wege ein-
zuschlagen. Für Leochares an der West- und Timotheos
an der Südseite würde dann die erste und die zweite Serie
übrig bleiben. Leochares stand, als er am Maussoleum
arbeitete, im mittleren Lebensalter und konnte seine innere
Entwickelung schon so weit abgeschlossen haben, dass da-
mit der mehr flotte und routinirte als strenge Charakter
der ersten Serie nicht gerade in Widerspruch stehen würde.
Immerhin hat dieselbe noch einige Vorzüge vor der zweiten
voraus ; allein diese letztere blos deshalb, weil sie die am we-
nigsten bedeutende ist, für Arbeit des Timotheos zu erklären,
indem dieser als uns weniger bekannt zugleich auch für
den minder bedeutenden Künstler zu halten wäre, würde
eine Behauptung sein, der eine irgendwie zwingende Be-
weiskraft nicht innewohnt.
Halten wir also mit unserem ürtheil noch zurück!
Etaben wir doch gegründete Hoffnung, in nicht zu langer
Frist eine umfassendere Anschauung von den Werken ge-
rade des bedeutendsten unter den vier Künstlern, des Skopas,
zu gewinnen! Anderes führt vielleicht ein günstiger Zufall
ans Licht. Dann wird es an der Zeit sein, die Untersuch-
ung wieder aufzunehmen und mit neuen Mitteln weiter zu
fuhren. Tragen dann die vorstehenden Erörterungen dazu
bei, dass die neuen Aufgaben uns nicht unvorbereitet für
ihre Lösung finden, so haben siev ihren Zweck erreicht.
Digitized by
Google
Sitzungsberichte
der
philosophisch-philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu ^/Tünchen.
1882. Bd. II. Heft IL
München.
Akademische Buchdruckerei von F. Straub.
1882.
In Commist ion bei G. Frans.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Historische Classe.
Sitzung vom 3. Juni 1882.
Herr Rockinger hielt einen Vortrag:
„Der Könige Buch und der sogenannte
Schwabenspiegel".
Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht
werden.
Herr F. v. Bezold hielt einen Vortrag:
„Wolfgang Zündelin als protestantischer
Zeitungsschreiber und Diplomat in Italien,
1573—1590".
Deutschlands diplomatischer Verkehr war im späteren
XVI. Jahrhundert noch sehr unentwickelt. Selbst der
Kaiserhof unterhielt nur wenige Gesandte im Ausland und
war in Folge seiner elenden Finanzen oft genug dem Ein-
fluss zugetragener Gerüchte oder Tendenzlügen preisgegeben.
Es dauerte einen vollen Monat, bis man zu Prag über die
Ermordung Heinrichs III. von Frankreich Gewissheit er-
hielt; 1 ) von dem am 6. Januar 1592 erfolgten Ableben
1) Hüb n er, Sixte-Quint I, 454 A. 1.
[ 1 882. IL Pkilos.-philol. bist. Cl. 2.] 10
Digitized by
Google
140 Sitzung der histor. Glasse vom 3. Juni 1882.
des Pfalzgrafen Johann Casimir hatte der Kaiser erst am
24. sichere Kunde. Der venezianische Gesandte in Prag
klagt einmal , was am Sonntag deutschen Zeitungen nach-
erzählt werde, sei ein paar Tage später nach dem Eintreffen
der italienischen wieder ungültig. 1 ) Doch gab es wenigstens
einige kaiserliche Gesandtschaften oder beglaubigte „Resi-
denten", an der Curie, in Madrid, in Konstantinopel und
Venedig ; die übrigen Reichsfürsten dagegen hatten höchstens
dann und wann einen Agenten, dessen Tätigkeit eine vorüber-
gehende war und der natürlich nicht das Ansehen eines stän-
digen Vertreters genoss. So war man in der Regel , um
überhaupt vom Weltlauf notdürftige Kenntniss zu nehmen,
auf Privatcorrespondenzen und auf die eigentlichen ganz
unverbürgten Zeitungen angewiesen. Letztere, die nur Ort
und Datum, aber keinen Verfasser angaben, überschwemmten
die Höfe, Kanzleien, Komtoirs und Gelehrtenstuben in un-
glaublichen Massen, denn sie waren keineswegs nur den
Fürsten und ihren Dienern, sondern jedem, der Geld und
persönliche Verbindungen hatte, zugänglich. Sie fehlen
selten beim Austausch fürstlicher Briefe und auch die Ge-
sandten verschmähen es nicht, ihren Depeschen diese schrift-
lich colportirten Gerüchte beizugeben. 2 )
Die Scheidung der gewerbsmässig abgefassten und ver-
triebenen Zeitungen von den Berichten der Agenten oder
1) Gradenigo an den Dogen, Prag 14./24. Okt 1589: „E cosadi gran
meraviglia, che quello, che la dominica si dice in corte et tra princi-
pali signori per avisi di Germania, il medesimo resti il giovedi rivo-
cato per avisi d'Italia, in modo che non e alcuno che possa far fonda-
mento sicuro con una incertezza tanto grande; la quäle nasce partico-
larmente, perche Fimperator non tiene ministri alle corti, onde tutto
conviene passar qul per via di gazzette". Wien, Staatsarchiv, Dispacci
Veneti 16. Or.
2) Vgl. Stieve, über die ältesten halbjährigen Zeitungen (Ab-
handlungen der hist. Classe der Akademie XVI. 1, 180/1).
Digitized by
Google
F. v. Bezdld: Wolf gang Zündelin. 141
sonstigen Vertrauenspersonen ist übrigens nicht immer fest-
zuhalten. Denn einmal konnten auch die landläufigen
Neuigkeiten schon durch Auswahl und Gruppirung ten-
denziös gefärbt werden. Dann waren aber die politischen
Agenten und Correspondenten selbst sehr häufig Zeitungs-
schreiber („Novellisten" oder „Gazzettanten") und versahen
neben ihren fürstlichen Auftraggebern auch Privatpersonen,
entweder gegen Bezahlung oder aus Gefälligkeit, mit den
ihnen zukommenden Nachrichten. Wie weit sie dabei ihrer
Kritik oder ihrem eignen Raisonnement Spielraum Hessen,
hing von ihrem Belieben oder von äussern Umständen ab.
Je nachdem sie die Möglichkeit und Fähigkeit guter Beob-
achtung besassen, gaben sie teils wertvolle und planvolle
Berichte, teils aber auch die gewöhnliche zusammenhangs-
lose Compilation dessen, was ihnen gerade unter die Hand
kam. Solche Mitteilungen wurden dann nicht selten, wenn
sie dem Adressaten schwerwiegend erschienen , fast immer
ohne nähere Bezeichnung der Quelle, aber als von „einem
hohen und gewissen Ort u , von „wohlbeglaubten und ver-
trauten Personen 14 herkommend weiterverbreitet. Daher
kommt es, dass uns häufig in der unscheinbaren Form von
Zeitungen sehr wichtige politische Schreiben begegnen ;
hie und da glückt es den Verfasser zu erraten, während
in anderen Fällen ausser der Versicherung des Absenders
einzelne Andeutungen des Dokuments wenigstens den Schluss
auf bedeutende Beziehungen der „gewissen Person 14 ge-
statten. Nicht überall haben wir so treffliche Nachweise
für die Herkunft solcher Gorrespondenzen, wie im bayrischen
Archiv, wo eine stattliche Reihe von Bänden die Original-
berichte auswärtiger Agenten enthält und die einflussreichsten
kaiserlichen Räte, wie Seid, Zasius, Viebeuser, Erstenberger,
als ständige Berichterstatter der Witteisbacher aufführt.
Die wohlstilisirten lateinischen Relationen, die dem Herzog
von Bayern über die niederländischen und kölnischen Un-
10*
Digitized by
Google
142 Sitzung der kistor. Classe vom 3. Juni 1882.
ruhen in den achtziger Jahren durch den Niederländer
ßarvitius zukamen, bilden sogar eine Art von fortlaufender
historischer Darstellung (narratio). Auf protestantischer
Seite haben die Berichte, die der geistreiche und welter-
fahrene Franzose Languet dem Kurfürsten August von
Sachsen und seinen eignen vertrauten Freunden lieferte,
eine wohlverdiente Berühmtheit erlangt. Für die zahl-
reichen Quellen politischer Neuigkeiten, die dem kur-
pfälzischen Hof zur Verfügung standen, mag ein Schreiben
des bekannten Staatsmanns Ehern an Landgraf Wilhelm
von Hessen ') als Beleg dienen. Ehern teilt darin mit, was
ihm ein guter Freund vom Kaiserhof, Beza aus Genf, ein
bekannter und vertrauter Freund aus Polen und ein weiterer
Gewährsmann aus England geschrieben haben. Er selbst
verpflichtete sich wieder dem Landgrafen „continuando"
zukommen zu lassen, „was mich von Frankreich und sonsten
anlangte"; während sein Herr 1578 in den Niederlanden
stand, erstattete er dem Landgrafen, der überdies einen
eignen Sekretär auf den Kriegsschauplatz gesandt hatte,
fortlaufende Berichte.
Sehr häufig übernahmen Gelehrte, die sich an den
Mittelpunkten des geistigen und politischen Lebens auf-
hielten, solche Verpflichtungen. Gerade die Correspondenz
des Landgrafen Wilhelm weist eine ganze Reihe von theo-
logischen, philologischen, juristischen , medizinischen Nota-
bilitäten auf, neben Languet den berühmten Strassburger
Rektor Sturm, der übrigens seine Feder auch an Granvela
verkauft hat, den Rechtsgelehrten Franz Hotman, Theologen
wie Beza und Dathenus. In seltsamer Mischung werden
religiös-politische und wissenschaftliche Fragen abgehandelt,
die neuesten Zeitungen und die seltensten Samen und Zwiebeln
1) Heidelberg 29. Juni 1574 (Kluckhohn, Briefe Friedrich des
Frommen II, 703 ff.).
Digitized by
Google
F. v, Bezold: Wolf gang Zündelin. 143
mitgeteilt. Unter diesen gelehrten Politikern und politischen
Gelehrten durfte natürlich ein ständiger Berichterstatter für
Italien nicht fehlen 1 ) und auf ihn, wie auf seine Rolle in
der pfälzisch-sächsischen Unionspolitik der ersten neunziger
Jahre möchte ich hier aufmerksam machen, ohne freilich
von seiner Persönlichkeit und Wirksamkeit ein ganz abge-
schlossenes Bild geben zu können. Was mir bisher davon
bekannt geworden ist, genügt immerhin, dem originellen
Mann einen Platz in jener nicht sehr zahlreichen Gruppe
anzuweisen, die im Gegensatz zu dem sich starr abschlies-
senden Luthertum dem deutschen Protestantismus seine Welt-
stellung zu wahren suchten.
Wolfgang Zündelin aus Constanz 2 ) begegnet uns
zuerst als Lehrer des jungen Pfalzgrafen Christoph (1565),
dann vom Beginn der siebziger Jahre bis zum Jahr 1589
als besoldeter Agent verschiedener protestantischer Reichs-
fürsten in Venedig. In welchem Verwandtschaftsverhältniss
er zu dem Bäcker Melchior Zündelin stand, der im Jahr 1548
als Bürgermeister den Uebergang von Constanz unter öster-
reiche Hoheit vermittelte und dann katholisch wurde, 3 ) ver-
1) Venedig galt vor Allem für die hohe Schule der Politik. Hie-
ron. Turlerus führt in seinem Buch de peregrinatione (Strassb. 1574)
beispielsweise als Ziel einer italienischen Reise neben dem Studium des
Rechts oder der Medizin an: „simul etiam notitiam gubernationis rei-
publicae Venetae" (p. 10). Joachim Camerarius liess sich von interes-
santen Relationen der venezianischen Gesandten Abschriften anfertigen ;
die Briefe Pinello'9 aus Padua, der sie ihm verschaffte, erwähnen Re-
lationen über Deutschland , Spanien , Rom , Konstantinopel , Polen,
Frankreich, England, verschiedene italienische Staaten (Coli. Cam. XIV.
484 ff.).
2) Latinisirt Zundelinus oder Zindelinus, italianisirt Zondelini,
Sendelino.
3) Vgl. J. J. Simler, Sammlang alter und neuer Urkunden zur
Beleuchtung der Kirchengesch. II, 513 ff.; G. Vögeli, der Constanzer
Sturm p. 89 ff., 113. Ein Bruder Wolfgangs, Jakob, der in Geschäften
Digitized by
Google
144 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882.
mag ich nicht zu sagen. Ueberhaupt sind die Angaben
über seinen äusseren Lebenslauf sehr spärlich , um so
schmeichelhafter das Urteil der ihm Nahestehenden über
Geist und Charakter des Gelehrten, der aber soviel ich
sehe nichts veröffentlicht und nur zahlreiche bisher noch
unverwertete Briefe hinterlassen hat. Seinen Ruf in den
humanistisch gebildeten Kreisen verdankte er vor Allem
einer stilistischen Eleganz, die von seinen Bewunderern als
ciceronianisch gefeiert wurde* Nach dem Zeugniss des
Adriaen van der Myle ! ) war er ein in Schrift und Rede
gleich fertiger Latinist und besass ausserdem ein reiches
und ausgebreitetes Wissen, namentlich in geschichtlichen
und juristischen Dingen. Dass ihm auch das Gebiet der
Medizin und Naturwissenschaft kein ganz fremdes war, geht
aus seinen Briefen zur Genüge hervor. Während des
langen Aufenthalts in Italien, im fortwährenden Verkehr
mit den weltgewandten Venezianern schärfte sich sein po-
litischer Blick; Christian von Anhalt sagte einmal, er
wünsche sich nichts lieberes als den Zündelin immer an der
Seite zu haben. 2 ) Mit diesen Gaben verband sich tiefe,
wenn auch nicht dogmatisch gedrillte Religiosität und
glühender Patriotismus. Einen echt deutschen Mann ohne
Falsch nennt ihn der Niederländer Paul Merula 8 ) und van
zu Florenz weüte, ging dort an den Folgen einer Verwundung zu
Grunde (1575, Coli. Cam. XXI. 37; 40).
1) Vgl. dessen ausführliches Schreiben an Zündelin, Speier 25,
Februar 1573, in Illustrium et clarorum virorum epistolae
selectiores, Leyden 1617, p. 571 ff.
2) Monau an Camerarius, 27. Jan./6. Febr. 1590: „Christianus
Anhaltinus mihi dicebat, se nullas voluptates tanti facturum, quanti
hanc solara comoditatem , si sibi semper liceret habere a latere Zunde-
linumj de quo sie loquebatur, ut eo nichil esse sibi carius ostenderet."
Coli. Cam. XX. no. 50. Eigh. Vgl. G. J. Vossius, Comment. de
rebus — Fabiani a Dhona p. 38.
3) Vgl. Q. Ennii . . . annalium . . . fragmenta conlecta . . .
Digitized by
Google
F. v. Bezöld: Wolf gang Zündelin. 145
der Myle sagte zu Kurfürst Friedrich dem Frommen von
der Pfalz, er habe viele Gelehrte gekannt, aber keinen
wie den Zindelinus, „denn er befleissiget sich seine Gelehrt-
heit allein zu gebrauchen den Kirchen und Republiken wie
auch seinen Freunden zu gute."
Das Staatsarchiv zu Marburg bewahrt die Correspondenz
Zündelins mit Landgraf Wilhelm, der seinen Agenten nicht
nur zu politischen Zwecken, sondern auch für seine bo-
tanischen Liebhabereien zu verwerten wusste. *) Meine
Quelle für die folgende Charakteristik des gelehrten Zeit-
ungschreibers ist die kostbare camerarische Sammlung der
Münchner Staatsbibliothek, die in zwei Bänden (XXI und
XXII) die Briefe Zündelins an den Nürnberger Mediziner
Joachim Camerärius aus den Jahren 1573 — 1598 ziemlich
vollständig aufbewahrt. 2 ) Zahlreiche Randnotizen und Auf-
lösungen der im Text befindlichen Abkürzungen — letztere
nicht immer richtig — liefern den Beweis, dass eine Ver-
öffentlichung der Briefe im Werke war, wobei der Heraus-
geber nicht selten die scharfen Auslassungen des Verfassers
als anstössig mit einem „Oniittantur" versehen oder auch
willkürlich interpolirt hat. 8 ) Gerade diese bedenklichen
ab Paullo G. F. P. N. Merula, Leyden 1595, in der Vorrede; Z. hatte
u. a. dem Merula mitgeteilt, dass in der Bibliothek von S. Victor in
Paris sich eine Handschrift des Calpurnius Piso befinde.
1) Ausser einem Fascikel: L. Wilh. IV. Corr. mit Wolfg. Zunde-
linus (VII. 4), der Briefe aus den Jahren 1578—1590 enthält, finden
sich z. B. Zeitungen von Zündelin auch in L. W. IV. Corresp. Varia
(VII. 4). Ueber die Bezielftingen, die der Landgraf als eifriger Bo-
taniker im Ausland unterhielt, vgl. Bommel, Gesch. von Hessen V,
728 ff.
2) Als Cod. lat. 10371 und 10372; vgl. Catalogus codicum
latinorum biblioth. reg. Monac. II. 1, 236; E. Halm in den Sitzungs-
berichten der philolog.-philosoph. und histor. Classe der Münchener
Akademie, 1873, p. 250; 265.
3) So wird z. B. die bittere Kritik, die Z. an den politisch-kirch-
Digitized by
Google
146 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882.
Stellen werden wir in Betracht ziehen müssen, wenn wir
ans Zündelin's eigentümliche Stellang zu den deutschen
Verhältnissen vergegenwärtigen wollen. v Auch lässt sich
denken, dass er vor einem befreundeten und gleichgesinnten
Gelehrten sein Herz eher auszuschütten wagte, als in den
Berichten an eine fürstliche Person.
Als er im November 1573 die Correspondenz mit
Camerarius auf dessen ausdrücklichen Wunsch eröffnete,
war er bereits in Venedig heimisch, 1 ) sein fürstlicher Zög-
ling Pfalzgraf Christoph den friedlichen Studien entwachsen
und ganz in kriegerische Neigungen verfallen. Doch wusste
der alte Kurfürst Friedrich zu rühmen, Christoph habe die
schöne von Zündelin empfangene Institution noch nicht
vergessen, „dermassen, dass er ihm in epistolis scribendis
lustig imitirt, wie denn Zindelinus einen herlichen stylum
führt". Van der Myle hatte im Febr. 1573 zu Heidelberg
dem Kurfürsten die Berufung des vortrefflichen Mannes
in seinen Rat nahe gelegt, aber keine bestimmte Antwort
erhalten; Zündelins eigene Wünsche gingen jedenfalls weniger
auf eine Stellung bei Hof als auf ein unabhängiges Leben
in Italien, das ihm freilich nur bei sehr bescheidenen An-
sprüchen ermöglicht war. Er blieb als Zeitungschreiber im
kurpfalzischen Sold, bis der lutherische Nachfolger Friedrichs
des Frommen, Kurfürst Ludwig, diesem Verhältniss ein
Ende machte und die weitere Unterhaltung des Agenten
dem Landgrafen Wilhelm und seinem calvinistischen Bruder
Johann Casimir überliess. Zündelin, meinte er, habe von
der Kurpfalz in dreizehn Jahren 1§00 Kronen bekommen,
während seine Zeitungen „etwan wenig zugeschlagen, auch
liehen Zustanden von Deutschland übte, einfach durch Auflösung der
Sigle G. (= Germania) in Gallia unschädlich gemacht.
1) Nach einem Schreiben des Giphanius an van der Myle vom
27. November 1570 war Zündelin damals schon in Venedig (111. et
clar. vir. epistolae p. 558).
Digitized by
Google
F. ü. Bezold: Wolf gang Zündelin. 147
die Pfalz daraus entweders keinen oder doch gar geringen
Nutzen empfangen 1 '. 1 ) Johann Casimir dachte einen Augen-
blick daran, den Verlassenen, wie so viele ehemalige Diener
seines Vaters, zu sich zu nehmen, kam aber dann mit dem
Landgrafen überein, Zündelin solle in Venedig bleiben.
Aber um seinen Unterhalt scheinen sich die Herren zunächst
nicht weiter gekümmert zu haben ; er findet es seltsam, dass
man ihm zumute, in Italien von der Luft zu leben. 2 ) Er
war eben damals in äusserster Bedrängniss, seine einzige
Zuflucht ein Credit auf 20 Gulden, den ihm sein junger
Freund Hütten zurückgelassen hatte. Als er nachmals in
Diensten des Kurfürsten Christian von Sachsen tätig war,
scheint es ihm auch nicht besser ergangen zu sein. Für
solche „Schulmeister 14 war eben von den fürstlichen Kassen
am schwersten etwas herauszuschlagen. 8 ) Was er sonst
von vermöglichen Freunden wie Camerarius für seine Corre-
spondenzen erhielt, war jedenfalls kein reichliches oder
sicheres Einkommen; er klagt einmal über das Schicksal,
das ihn fern vom Vaterland und den Freunden arm und
ohne Hoffnung auf bessere Zukunft in der Fremde festhalte.
Und doch gefiel er sich fast zwanzig Jahre in dieser
Verbannung. Der Aufenthalt in Venedig wurde nur hie
und da durch vorübergehende Uehersiedelung nach Padua
unterbrochen. Dabei gehörte er keineswegs zu jenen un-
1) Kf. Ludwig an L. Wilhelm, 14. Juni 1578 (Marburg Or.).
2) Z. an Camerarius, 15. Mai 1578; 22. Mai: „magni quidem
viri spe in Italia me victitare volunt, quo quid dici potest alienius? -
(Coll. Cam. XXI. 107. 110.) Am 7. Okt. 1581 sagte er von einer
Gratifikation des Landgrafen: „Quantulumcunque est, quod dedit,
maius est meritis in ipsum meis" (ebd. 206).
3) Andr. Pauli (sächs. Rat) an Camerarius, Dresden 4. Febr. 1590:
„Vellemus eum [Z.] contentum hinc dimittere Crellius et ego, id quod
ipsius rationes, ut video, plane postulare videntur
Non enim ignoras, quam lentae sint deliberationes aulicae praesertim
de negociis scholasticos concernentibus" (Bm. Coli. Cam. XXIV.).
Digitized by
Google
148 Sitzung der histor. Glasse vom 3. Juni 1882.
bedingten Verehrern des Wälschtums, von denen damals
ein italienisches Sprichwort sagte: Tedesco italianato, dia-
volo incarnato. 1 ) Aber die Sitten seiner Landsleute, wie
er sie namentlich in Padua zur Genüge beobachten konnte,
erschienen ihm unglaublich roh und widerwärtig; mit dem
Abscheu eines Italieners spricht er von den Saufgelagen
der deutschen Studenten. Als der junge Georg Ludwig
von Hütten, der sich ihm besonders innig angeschlossen
hatte, in die Heimat zurückkehrte, meinte Zündelin, sein
Freund werde sich in das schale Treiben und die Bildungs-
losigkeit der deutschen Standesgenossen nur schwer wieder
finden können. Die Nordländer, die seinen Umgang suchten,
waren durchgängig feinere Naturen , Leute wie Hütten,
Fabian von Dohna , Jakob Monau , auch der edle Philipp
Sidney, die Zierde der englischen Gesellschaft. 2 ) Ueber die
Italiener, mit denen er verkehrte, geben seine Briefe nur
unbestimmte Andeutungen; doch beruft er sich häufig auf
„vornehme Gewährsmänner" 8 ) und zeigt sich trefflich ein-
geweiht sowohl in die venezianischen Verhältnisse als auch
in die charakteristische Denkart der italienischen Politiker.
Dabei wahrt er sich freilich immer den eigenen Standpunkt,
1) Hieron. Turlerus, de peregrinatione, Strassb. 1574, p. 38 f.
Ueber „die deutschen Besucher der Univ. Padua im Jahrhundert der
Ref." vgl. Kämmel in Fleckeisen's Neuen Jahrb. für Philo 1. und
Pädag. 108 (Leipz. 1873), p. 65 ff.
2) Vgl. Gillet, Crato von Crafftheira II, 74; Corresp. of
Sidney p. 55, 216; Hütten wird von dem Dichter Melissus (in den
seinen 1580 erschienenen Oden angehängten Epigrammen, p. 66) als
Ciceronianer gefeiert; Heinrich Peter Herdesianus, der ebenfalls in
Venedig mit ihm zusammen war, besingt ihn in der Aulica vita (Frank-
furt 1577) p. 42 ff. Ein paar Briefe Huttens in 111. virorum epis-
tolae.
3) So z. B. in dem Br. vom 26. Juli 1578 (Coli. Cam. XXI. no.
116): was er über Cypern geschrieben, „auctor magnus ex ore prin-
cipis Veneti paullo post mihi confirmavit".
Digitized by
Google
F. v. Bezold: Wolf gang Zündelin. 149
ohne in die landläufigen Schmähungen des italienischen
Wesens zu verfallen. Er spricht wiederholt von dem Rück-
gang des Humanismus in Italien, den er auf die einseitige
Selbstbewunderung der modernen Italiener zurückfuhrt. *)
Auch die Schwäche in ihrer politischen Auffassung entgeht
ihm nicht; „sie beurteilen die andern nach sich" (ex suo
animo alios iudicantes). Er meint, wenn die Italiener das
politische Ungeschick und Missgeschick der Deutschen vor-
nehm belachten, so seien in Wahrheit gerade sie die Un-
glücklichsten, da sie mit vollem Bewusstsein dem Unter-
gang, den sie andern wünschten, entgegensteuerten. Hinter
dieser scheinbaren Ruhe und Heiterkeit berge sich doch die
gleiche tötliche Lähmung wie in Deutschland. 2 ) Dass ge-
rade Venedig den Zenith seiner Grösse überschritten habe,
steht ihm ausser Zweifel. Aber er ist unbefangen genug,
diese Thatsache mit aufrichtigem Mitgefühl zu betrachten
und den Hohn der Italiener nicht zurückzugeben; der
schöne Nachruf, den er dem Dogen Sebastian Venier wid-
met, die freudige Anerkennung, womit er dessen Nachfolger
Pontano begrüsst, 8 ) würden einem geborenen Venezianer
alle Ehre machen.
Venedig war einer der ersten Plätze für die Sammlung
und den Vertrieb politischer Nachrichten, vor Allem durch
seine enge Verbindung mit dem Orient; unter den itali-
enischen Städten konnte nur Rom als Centrum der kirch-
lichen Politik mit der Beherrscherin der Meere wetteifern
und gerade die römischen Berichte wurden auch wieder
1) Br. vom 12. Aug. 1574 (ebd. no. 12): „Dum sua tantum ad-
mirantur Itali veteraque proiiciunt, bona etiam ingenia perperam ex-
colendo perdunt; utque est quisque ineptissimus , ita ad divulgandum
velufci testimonium stulticiae suae est proiectissimus".
2) Br. vom 19. April 1578 (ebd. no. 106).
3) Br. vom 6. März 1578 (no. 101); vom . . . März (no. 102).
Digitized by
Google
150 Sitzung der histor. C lasse vom 3. Juni 1882.
regelmässig über Venedig nach Deutschland geleitet. 1 ) Der
ständige Verkehr mit Rom und Konstantinopel lieferte das
bedeutendste Material für die venezianischen Novellisten,
wie auch Zündelins Briefe hinlänglich bezeugen. Er spricht
wiederholt von den gewöhnlichen Wochenberichten, die aus
Venedig nach Deutschland gingen, 2 ) und tut sich etwas
darauf zu gute, dass er keineswegs auf die allgemein zu-
gänglichen Quellen beschränkt sei. 8 ) Namentlich dem fran-
zösischen Gesandten du Ferrier scheint er nahe gestanden
zu sein; er gibt Mitteilungen aus Schreiben des Königs,
des französischen Botschafters in Konstantinopel, lässt sich
von du Ferrier erzählen, was diesem der Doge über den
Streit Venedigs mit der Curie gesagt hatte. 4 ) Neben den
Zeitungen und den Berichten über venezianische Vorgänge
und Stimmungen nimmt das eigene Raisonnement einen be-
trächtlichen Platz ein, das sich vorwiegend mit den Zu-
ständen und Aussichten Deutschlands beschäftigt. In den
ersten Jahren berichtet, kritisirt, klagt und spottet er ganz
nach Herzenslust; dann wurde durch ein im Jahr 1580 er-
1) Der gewöhnliche Tag für die Erledigung der Correspondenzen
scheint der Freitag gewesen zu sein; sehr viele Briefe Z. sind vom
Donnerstag oder Freitag datirt und er entschuldigt sich einmal bei
Camerarius (17. Febr. 1581): „Accidit mihi iam aliquoties, ut, dum
litteris eadem dieVeneris scilicet necessario scribendis
operam do, tempus me ad te quoque scribere cupientem deficeret"
(XXI. 186).
2) 2. April 1574: „Quae hie vulgata sunt, ea scio multorum ad
vos literis quavis heptomade scribi solere" (XXI. 6); 6. Mai 1575: „Quae
hie vulgo feruntur, V. C, ex novis, quae ad Monacium nostrum hinc
mittuntur, intelliges" (ebd. 41).
3) 17. Jan. 1573: „Venio ad publica, de quibus pauca, sed ut
spero quam vulgo ferantur certiora ex ore magni auctoris scribo, c n i u s
de industria nomen iussus scilicet taceo". (ebd. 5).
4) 16. Juni 1581 (ebd. 194).
Digitized by
Google
F. v. Bezöld: Wolf gang Zündelin. 151
lassenes Edikt die politische Briefstellern streng verboten. *)
Zündelin, der bisher seine für den Landgrafen und für Jo-
hann Casimir bestimmten Schreiben einfach dem letzteren
zugeschickt hatte , ersuchte seinen Freund Camerarius die
Schreiben an Landgraf Wilhelm in Empfang zu nehmen
und zu besorgen; die deutschen Briefe seien fast noch nie-
mals geöffnet worden. In seinen Briefen an Camerarius
wusste er sich zu helfen. Unmittelbar nach dem Verbot
setzt er sich mit einem Scherz über dasselbe hinweg. 2 )
Aber die Sache wurde doch ernsthafter, der Papst, unzu-
frieden mit der bisherigen Toleranz der venezianischen Re-
gierung, drängte zur Einführung einer „neuen und uner-
hörten Inquisition". 8 ) Die Bemühungen, die bisher den
Ausländern zugestandene Gewissensfreiheit zu beseitigen,
misslangen allerdings; nach wie vor blieb die Universität
Padua eine Freistätte der Wissenschaft, die auch Anders-
gläubige beschirmte. Doch fand Zündelin zeitweilig das
Geschäft eines calvin istischen Zeitungsschreibers im katho-
lischen Italien sehr gefährlich ; in der That blieb seine Wirk-
samkeit den Jesuiten nicht verborgen und nach Anregung
Possevino's machte im Jahr 1584 der venezianische Ge-
sandte am Kaiserhof seine Regierung auf „einen gewissen
Wolfgang u als einen Haupturheber der gegen den Papst
1) 25. Juli 1580: „Scriptione rerum novarum quam severe hie
omnibus interdictum sit, iam te aeeepisse existimo" (ebd. 171).
2) Br. ohne Datum (Aug. 1580): „De publicis edicto ut scis ve-
tamur, ne scribamus aliquid. Alioqui ex litteris 2. Julii scriptis Con-
stantinop. tibi significarem" u. s. w. (folgt der ganze Inhalt des
Schreibens).
3) Ueber die Schwierigkeit, womit Gregor XIII. die kirchliche
Visitation im venezianischen Gebiet durchsetzte, vgl. M äff ei, Annali
di Gregorio, II, 174 ff.; über Padua Groen van Prinsterer, Ar-
chive« de la maison d 1 Orange-Nassau I. 7, 221 ff.; Beza an Witgen-
stein, 23. März 1590, bei G. Friedländer, Beitrage zur Ref.-Gesch.
p. 189.
Digitized by
Google
152 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882.
verbreiteten Verdächtigungen aufmerksam. 1 ) Zündelin fuhr
fort seine Warnungsrufe nach Deutschland zu senden und
suchte sich durch allerlei Kunstgriffe für den Fall einer
Entdeckung zu sichern. Er kleidete seine Auslassungen
gegen Eom und Spanien in medizinisches Gewand und
sprach über Portschritte und Behandlung der Pest, über
die verblendeten Aerzte, die angesichts dieser vernichtenden
Seuche immer nur an Palliative gegen den morbns gallicus
denken: oder er gab ein paar astrologisch raaskirte An-
deutungen. Immer schrieb er, seit jener Einschränkung der
Zeitungsfreiheit, als Katholik, sprach von den Ketzern und
ihren frevelhaften Bestrebungen, von der Bedrohung der
katholischen Religion. Dabei weiss er in den aus Rom
mitgeteilten Stimmungsberichten, die manchmal fast nach
eigner Arbeit aussehen, die Wünsche und Befürchtungen
der Päpstlichen derart zu beleuchten, dass diese „Zeitungen"
durchaus auf die Reizung oder Ermutigung der deutschen
Protestanten berechnet erscheinen. Aber es war ein Dasein,
das jeden Augenblick im Kerker enden konnte, von jeder
Schwankung der venezianischen Politik abhing. Im März 1587
wurde ein italienischer Freund, Donzellino, von der Inqui-
sition verurteilt und Nachts ertränkt. 2 ) Im Herbst 1589
wurde zu Rom ein Agent des erzkatholischen Herzogs von
Nevers von der Inquisition gefasst und enthauptet. 8 ) Zu
1) Lippomano an den Dogen, Prag 9. Mai 1584: Possevino's Cor-
respondenz mit Sachsen zeigt das Miss trauen der deutschen Fürsten
„per li sinistri avisi che li sono scritti d* Italia , et particolarmente da
Venetia et da Padova o da quelli Tedeschi di fontico o da un Volf-
gango, come esso padre dice; intorno che non voglio lasciar di dire
alle Ecc. V. V. che in conformitä ne sono stato piü d* una volta da
altre parte certificate". Wien, Disp. Ven. 11. Or.
2) Br. vom 10. März 1587 (Coli. Cam. XXII. 8). Schon am
18. Jan. 1586 berichtet Z. von der gleichen an einem Arzt, der in
Genf gelebt hatte, vollzogenen Strafe (XXI. 3G3).
3) Hübner Siite-Quint II, 255 ff. Am 1. Febr. 1589 schreibt
Digitized by
Google
F. v. Bezold: Wolf gang Zündelin. 153
Ende dieses Jahres muss Zündelin endlich Venedig verlassen
haben ; er ging an den kursächsischen Hof, wo seit dem
Sommer 1589 Krell das Kanzleramt führte und eine cal-
vinisirende Unionspolitik mit allen Traditionen der vorher-
gegangenen Regierung aufzuräumen begonnen hatte.
Zündelin war von jeher ein eifriger Prediger der pro-
testantischen Union, der gemeinsamen Verteidigung gegen
den geraeinsamen Feind; die dogmatischen Kämpfe und die
daraus erfolgende politische Zerrissenheit der deutschen Evan-
gelischen erfüllten ihn mit Trauer und Empörung. Sein
eigener religiöser Standpunkt scheint ein ziemlich freier ge-
wesen zu sein, wie wir z. B. niemals einer Klage darüber be-
gegnen, dass er so viele Jahre hindurch ohne öffentlichen
Gottesdienst unter Andersgläubigen leben musste. Hie und
da betont er die Notwendigkeit, sich in Gottes unerforsch-
liche Ratschlüsse unbedingt zu ergeben, ohne irgendwie
weiter zu dogmatisiren. Allerdings verfolgt er die Feinde
des Evangeliums, wo er kann, mit bitterem Hohn, aber
sie sind ihm zugleich die Feinde des Vaterlands und der
Freiheit. Der starke religiöspolitische Zug, der dem Cal-
vinismus und seinen Freunden überall eigen ist, verläugnet
sich auch hier nicht; er überwiegt sogar bei Zündelin wie
bei manchen seiner Gesinnungsgenossen weitaus die dog-
matische Seite. Es ist der feingebildete Humanist, der in
Italien geschulte Politiker, dem die klägliche Impotenz der
deutschen Staatslenker und die anmassende Roheit ihrer
Hoftheologen das Herz zusammenschnüren; es ist der eifrige
Tyrannenfeind, der auf die Symptome der um sich greifenden
,. spanischen Pest u hinweist und die Sache des Oraniers zu
der seinigen macht. Dabei konnte sich die sarkastische
Anlage des Schwaben im Verkehr mit den überlegenen,
der pfölz. Rat Kolbinger an Camerarins über Zündelin: „Utinam ne
diutius istic haereat et pericnlis . . . se tandem quasi sponte ezponat ! "
(Coli. Cam. XIV. 183).
Digitized by
Google
154 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882.
Alles verspottenden Venezianern trefflich entwickeln. Er
bleibt nicht bei der ernsten Rüge und Warnung, er zieht
mit Vorliebe die kleinen und lächerlichen Seiten des Gegners
ans Licht und sucht den Gefürchteten verächtlich zu machen.
So wenn er sich wieder und wieder mit der falschen Nach-
richt abgibt, dass Philipp II. verrückt geworden sei; wenn
er die Skandalgeschichten von Heinrich III. registrirt, ihn
selbst eine „beste", die Königin Katharina eine verwünschte
Hexe nennt. 1 ) Mit der Person des Papstes musste er frei-
lich glimpflicher verfahren, dafür wurde er nicht müde von
den Bewegungen und Absichten des grossen katholischen
Bundes zu reden. Er hatte überhaupt den Grundsatz, vom
Gegner immer das Schlimmste zu erwarten , und suchte
insbesondere die träge Sicherheit seiner Landsleute durch
stark aufgetragene Alarmnachrichten zu stören. Uebrigens
machte er sich wenig Hoffnung auf Erfolg; die Deutschen,
meint er einmal, hätten die glückliche Anlage, sich lieber
jede Schmach als die kleinste Unbequemlichkeit gefallen zu
lassen. „Ne Epicurus quidem tarn beatus unquam fuit,
mihi crede". 2 ) Mit grimmigem Hass überschüttet er die
Hauptschuldigen , die kleinen deutschen „Päpste" , diese
„tiefreligiösen und trefflichen Männer, die uns Unwissende
nicht nur lehren was zum Heile nötig ist, die uns auch
zwingen wollen nicht mehr noch weniger zu glauben als
sie, die allein in ihrem Glauben selig und glücklich sind".
Ein andermal wünscht er die, welche stets die Bruderliebe
im Mund führen und so himmelweit von ihr entfernt sind,
auf die Galeeren; da könnten sie ihre Lust in Sturm und
Aufregung büssen, unter dem Heulen des Winds ihre zu
unheilvollem Geschrei so kräftige Brust gegen die Wellen
anstrengen, ihre bissigen Hundszähne au dem bekannten
1) Vgl. auch die im Anhang mitgeteilte Schilderung des Kölner
Erzbischofs Salentin und seiner Begleiter.
2) Brief vom 28. Aug. 1577 (XXI. 79).
Digitized by
Google
F. v. Bezold: Wolf gang Zündelin. 155
Schiffsbrod üben und wenn sie Schlaf bekommen, den Ochsen-
ziemer spüren. „Sed ineptissimi horaines faciunt, ut ipse
quoque ineptiam u . Er sieht die Zeit herannahen, wo diese
Regenten und Gesetzgeber der Höfe sich auch den päpst-
lichen Titel geben und von ihren fürstlichen Beschützern
den Fuss küssen lassen.
Der Zorn des Patrioten und die Einsicht des Politikers
konnte sich nicht darüber täuschen, dass ein so massloses
Treiben doch nur durch die grenzenlose Schwäche der pro-
testantischen Fürsten ermöglicht wurde. Wenn er die An-
sicht der Italiener von diesen kleinen keines grossen Ge-
dankens fähigen Geistern, von diesen Helden der verpassten
Gelegenheiten, diesen ewigen Schläfern mitteilt, so gibt er
damit sein eigenes Urteil. Er bezeichnet als Quelle des
Uebels die hässliche Völlerei, die eine allgemeine Entwürdi-
gung der Charaktere, Abstumpfung alles Ehrgefühls, feile
Habsucht zur Folge habe; die Deutschen schämten sich
nicht, ohne jede Leidenschaft, nur um schnöden Sold
fremden Henkern Henkersdienste zu leisten. Wiederholt
beklagt er die unheilvolle Kurzsichtigkeit eines August von
Sachsen, den der päpstliche Legat in Venedig als einen der
tatkräftigsten Bundesgenossen des heiligen Stuhls rühmte. 1 )
Aber auch der Führer der protestantischen Aktiouspartei,
Johann Casimir, flösst ihm kein unbedingtes Vertrauen ein ;
mit vollem Recht spricht er vor dem niederländischen Zug
des Pfalzgrafen (1578) von der Eitelkeit und dem Eigen-
nutz der deutschen Fürsten, von der törichten Geringschätz-
ung des Gegners. Uebrigens erscheint ihm die Lage auch
der übrigen christlichen Reiche derart, dass eine „allgemeine
Veränderung der Dinge", eine grosse Umwälzung ganz un-
1) Br. vom 27. Mai 1575 (ebd. 42). Der Legat sagte u. a., „pon-
tificem quidem in Germania homines iam habere, qui iussa eius obli-
quis vÜ8 ad Saxonem aggrediantur eumque si plane occupare non pos-
sin t f saltem in tarn praeclaro officio contineant".
[1882. IL Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 1 1
Digitized by
Google
156 Sitzung der histor. Glasse vom S. Juni 1882.
vermeidlich und in nächster Zeit bevorstehe, die er allerdings
nicht astrologisch, sondern aus näher liegenden Ursachen
zu erklären sucht. 1 ) Dabei kommt er unverkennbar zu
einem gewissen Radicalismus, dessen Förderung Katholiken
und Lutheraner dem calvinistischen Geist doch nicht ganz
mit Unrecht vorwerfen. Er erklärt die Freiheit für das
höchste irdische Gut (quae rerum humanarum pulcerrima
est libertas) und wünscht als „halber Schweizer" den Nieder-
ländern einen schweizerischen Sinn; freilich fügt er scher-
zend hinzu, das Landleben habe ihn neuerdings so bäurisch
und keck gemacht, dass er keine Scheu trage den Königen
Krieg anzukündigen. 2 ) Ein anderes Mal teilt er den Brief
eines italienischen Freundes mit, der die Stelle enthält:
„Kurz ich sehe unter den christlichen Königen keinen, der
nach Charakter und Geist würdig wäre die Krone zu tragen,
die Gerechtigkeit ist ans den christlichen Reichen so gründ-
lich ausgetrieben, dass ich einen gewaltigen und allgemeinen
Umsturz befürchten muss". 8 ) Vielleicht am Nachdrück-
lichsten spricht Zündelin seine Herzensmeinung in jenem
Urteil über die Politik Oraniens aus, das er seinen „über
die menschlichen Dinge souverän entscheidenden" italie-
nischen Freunden in den Mund legt. Er verteidigt den
Entschluss des Prinzen, sich vor Allem auf das Volk zu
stützen, mit grosser Wärme. Das Volk habe Holland und
1) Br. ohne Datum (1578? ebd. 100).
2) Padua 27. Februar 1577 (ebd. 70): „Quid igitur? Helvetiorum
semihelvetio placeret exemplum , si animum et concordiam (olim) bel-
veticam ad communem libertatem defendendam genius belgicus aut sus-
cipere aut susceptum retinere posset. Tarn rusticas vero cogitationes
ita ridebis, ut rusticae natas memineris, quae excussa urbanitate omni
ita rusticos nos et temerarios effecit, ut ne regibus quidem bellum in-
ferre vereamur; quod tarnen ut faciamus tutins, rure denique relicto in
urbem rediimus, quae omnis libertatis asylum hanc etiam in scribendo
licentiam adauxit".
3) In dem Br. vom 26. Aug. 1575 (ebd. 48).
Digitized by
Google
F. v, Bezold: Wolf gang Zündelin. 157
Seeland gerettet und den Niederlanden ihre Ehre zurückge-
geben; die Pfaffen und Edeln seien fast alle nur durch das
Volk zum Patriotismus genötigt worden und schielten ins-
geheim sehnsüchtig nach dem Glanz der Tyrannei. Das
Volk sei der einzige zuverlässige Kämpfer für die Freiheit,
deren Früchte ihm recht eigentlich bestimmt seien, und
gegen die Knechtschaft, deren Druck auf ihm weit härter
gelastet habe.
Solche Anschauungen hatten, so wenig sie an den Hof
des strenglutherischen und hochconservativen Kurfürsten
August passten, doch daselbst ihren Vertreter. Dr. An-
dreas Pauli diente dem Kurfürsten unbehelligt ; wahrschein-
lich schützten den Kryptocalvinisten seine grosse Geschäfts-
gewandtheit und wohl auch eine weit gehende Vorsicht.
Als er 1581 im Auftrag des Kurfürsten verschiedene italie-
nische Höfe bereiste, schloss er in Venedig Freundschaft
mit Zündelin, der über einen so aufgeklärten Rat des engher-
zigen Fürsten erstaunt und entzückt war. Pauli dürfte wohl
nach dem Tode Augusts dessen Nachfolger bestimmt haben,
für den Unterhalt des Agenten etwas zu tun; er vertrat
auch die Sache des aus Italien Zurückgekehrten, der offen-
bar Gegner am Hof hatte. 1 ) Aber Krell selber nahm den
Ankömmling, dem das Scheiden aus seinem italienischen
Stillleben schwer genug fiel, in sein Haus. Wohl oder
übel sah sich der geschäftsscheue Gelehrte in die Aufregung
des Hoftreibens, bald auch in die grossen politischen Händel
verwickelt. Er musste an der Zusammenkunft des Kur-
fürsten Christian mit Johann Casimir zu Plauen (Februar
1590) teilnehmen. Der Pfalzgraf empfing den langjährigen
Correspondenten ausgesucht freundlich. Einen Monat später
war Zündelin als Gesandter Kurfürst Christians auf dem
1) Der letzte Br. Zündelins an Camerarius aus Venedig datirt
vom 5./15. Dez. 1589. (C. C. XXII. 129, vgl. auch ebd. XIV. 612).
11*
Digitized by
Google
158 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882.
Wege nach Italien. 1 ) Diese Episode seines Lebens müssen
wir, obwohl keine unmittelbaren Zeugnisse seiner Tätigkeit
vorliegen, etwas näher betrachten.
Ranke hat in seiner Geschichte der Päpste 2 ) wieder-
holt davon gesprochen, dass man im Jahr 1590, als Sixtus V.
unentschlossen der grossen europäischen Frage, der fran-
zösischen gegenüberstand, in Rom auch eine sächsische Ge-
sandtschaft erwartete. Ausser dem katholischen Fürsprecher
Heinrichs IV. Luxemburg hatte sich ein englischer, 3 ) ein
hugenottischer Agent, ein Geschäftsträger des Landgrafen
Wilhelm eingefunden. „Schon suchte sich der kaiserliche
Botschafter gegen die Einflüsterungen , die er von dem
sächsischen Gesandten fürchtete, der aufs Neue erwartet
werde, sicher zu stellen: die Umtriebe des Kanzlers Krell
drangen bis nach Rom u . Obwohl es beim Versuch ge-
blieben, die sächsische Gesandtschaft nicht bis zur Curie ge-
langt ist, sollen hier einige nähere Mitteilungen Platz finden,
die den Berichten des kaiserlichen Gesandten und des bai-
rischen Agenten zu Rom entnommen sind. Genauere Auf-
klärung müsste man wohl im Dresdener und im Florentiner
Archiv suchen. Mir genügt es, auf diese italienischen Be-
ziehungen der im Entstehen begriffenen deutschprotestan-
tischen Union neuerdings aufmerksam zu machen. Das
Jahr 1590 war überhaupt fruchtbar an aussergewöhnlichen
politischen Combinationen ; im Sommer finden wir den
nämlichen bairischen Agenten, der im Frühjahr aus Rom
1) Pauli an Camerarius, Dresden 3. März; 14. März: „Z. Anna-
burgum usque nobiscum ducemns ibique eum dimittemus" ; 15. April :
„Zundelinum sab principiura buius mensis una cum Ottbone a Star*
scbedel in Italiam misimus*. Coli. Cam. XXIV.
2) II (erste Ausgabe), 206; 212 (nach venezianischen Depeschen).
3) Vgl. Badoer an den Dogen, Rom 5. März 1590 (Hübner, Sixte-
Quint II, 517).
Digitized by
Google
F. v. Bezold: Wolf gang Zündelin. 159
berichtet, beim Pfalzgrafen Johann Casimir; eine Annäherung
der calvinistischen und katholischen Witteisbacher, die
freilich nicht von langer Dauer war. 1 )
Unmittelbar vor seinem Tod hatte König Heinrich III.
sich an Florenz und Venedig um Unterstützung gewendet;
die Signoria hatte bekanntlich den Mut, seinen Nachfolger
den protestantischen Bourbon ohne Rücksicht auf den Papst
und die katholischen Mächte als König von Frankreich
anzuerkennen. Die deutschen Protestanten hatten bereits
im Herbst 1589 durch ihre Subsidien die Sammlung eines
Hülfscorps für den neuen König ermöglicht; als dasselbe
jedoch im Dezember durch den Herzog von Lothringen vor
dem Anmarsch überfallen und zersprengt worden war,
kostete es einige Mühe die deutschen Herren zu weiteren
Geldleistungen zu bewegen. 2 ) Um so willkommener mochte
der Gedanke sein, eiustweilen die Sache Navarra's bei
den italienischen Staaten zu vertreten; Kaspar von Schom-
berg, der noch als Gesandter Heinrichs III. in Florenz
gewirkt hatte, 8 ) suchte im Winter 1589 dem Kurfürsten
von Sachsen das Wertvolle einer Verbindung mit dem an
Geld und Einfluss reichen Grossherzog begreiflich zu machen.
Zündelin's letzte Berichte vor seiner Abreise aus Italien
stellten den Medicäer ebenfalls als einen heimlichen Gegner
Spaniens und der französischen Liga dar, 4 ) während er
früher als der Fürsprecher von Lothringens Absichten auf
die französische Krone gegolten hatte. Jedenfalls war die
Nachricht von einer bevorstehenden Sendung Kursachsens
an Toskana schon im Februar 1590 an die Curie gelangt
und der Papst säumte nicht die alten Hoffnungen auf eine
1) Vgl. hierüber Stieve, Briefe und Akten IV, 13 f.
2) Ritter, Briefe und Akten I, 13 ff.
3) Ritter I, 29; Raumer, histor. Taschenbuch 1849 p. 304 ff.
4) Br. vom 5./15. Dez. 1589 (Coli. Cam. XXII. 129).
Digitized by
Google
160 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882,
Bekehrung des ersten ketzerischen Reiphsfurstenhauses wieder
hervorznsuchen. x )
In der Tat ging zu Anfang April eine stattliche Ge-
sandtschaft ans Sachsen nach Italien, an der Spitze Otto
%on Starschedel und Zündelin. 2 ) Sie war nicht nur beim
Grossherzog, sondern auch beim Papst förmlich angekün-
digt; der Neapolitaner Carlo Tetti, schon von Kurfürst
August als Ingenieur beschäftigt, weilte im März zu Florenz,
um durch Vermittlung des Grossherzogs bei Sixtus V. die
Annahme der Gesandtschaft durchzusetzen. 8 ) Der kaiser-
liche Gesandte bei der Curie, Veit von Dornberg, geriet
bereits in grosse Unruhe. Kurfürst Christian galt am
Wiener Hof für äusserst ehrgeizig und sein Uebertritt zum
Katholizismus, „vielleicht mit der Absicht eine höhere Stufe
zu erreichen 11 , erschien dem ängstlichen Dornberg keines-
wegs als ein Ding der Unmöglichkeit. Er erkundigte sich
daher beim Papst selber, indem er von der Sache als von
einem Gerücht sprach und die Vermutung äusserte, man
könne es allenfalls mit einem gegen das Haus Oesterreich
gerichteten Scheinmanöver zu tun haben. Der Papst ent-
gegnete, es sei nichts dergleichen im Namen Sachsens an
ihn gebracht worden, doch höre er zu seiner Freude, dass
der Kurfürst insgeheim dem katholischen Gottesdienst Dul-
dung gewähre; für den Kaiser wäre es das grösste Glück,
1) Badoer an den Dogen, Rom 14./24. Febr. 1590 (H ü b n e r III, 359).
2) Minucci an Wilhelm von Bayern, Venedig 16./26. Mai: „Le-
gationis principes erant Otto Starschedel Torgensis praefectus, quem
aliqui Augusti electoris filium illegitimum fuisse sus-
picantur, et Wolfg. Zundelinus". Der Erstere wird wohl mit dem
später öfters genannten Rat des Landgrafen Moriz von Hessen iden-
tisch sein.
3) Minucci an Wilhelm von Baiern, Rom 21./31. März ; 28. März-
7. April 1590. München, Staatsarchiv, Kasten (schwarz) 311/3 Eigh.
Digitized by
Google
F. v. Beeold: Wölfgang Zündelin. 161
wenn alle protestantischen Reichsfürsten diesen Weg gingen. 1 )
Dornberg, durch diese Antwort keineswegs beruhigt, musste
seinen Verdacht bestätigt sehen, als ein paar Tage später
der Papst ihn bei Seite nahm und ihm von Schreiben aus
Wien erzählte, die jenes Gerücht vollkommen beglaubigt
hätten; übrigens werde er keinen Schritt tun, ohne den
Kaiser davon in Eenntniss Su setzen. Der Gesandte be-
schränkte sich, da ihm diese Eröffnung in der Kirche ge-
macht werde, seinen Dank und seine Freude auszudrücken.
Als er aber in der nächsten Audienz (30. März) auf die
Sache zurückkam, 'erklärte Sixtus, er habe seither wieder
Schreiben erhalten, dass der sächsische Abgesandte dort
eingetroffen sei, woher jene frühere Nachricht stamme; er
habe ihm erlaubt hieher zu kommen und glaube, dass er
heute da sein könne, werde aber nichts ohne Wissen Dorn-
bergs vornehmen. Der Cardinal Montalto ergänzte diese
Mitteilungen dahin, jene Person sei in Florenz. 2 ) Als je-
doch über eine Woche verging, ohne dass der Gefürchtete
eintraf, wurde die Aufmerksamkeit Dornbergs durch einen
Agenten des Landgrafen Wilhelm abgelenkt, der am Palm-
sonntag (5./15. April) wirklich Audienz beim Papst hatte.
Er sollte für den Dekan von Hersfeld, der nach dem Tode
des Abts Ludwig (1588) zu dessen Nachfolger gewählt
worden war, die päpstliche Confirmation nachsuchen und
wurde durch Empfehlungen Toskana's und des Nuntius zu
Köln unterstützt. Der Papst zeigte sich anfangs nicht ab-
geneigt, dem Wunsch des Landgrafen zu willfahren; die
Sache, dem Cardinal Aldobrandini übergeben, nahm trotz-
dem einen ungünstigen Verlauf, namentlich mit Zutun des
bairischen Agenten Minucci, der seine ganze Gewandtheit auf-
1) Dornberg an den Kaiser, Rom 14/24. März. Wien, Staats-
archiv, MS. 595. Or.
2) Dornberg an den Kaiser, Born 21./31. März. A. a. 0. Or.
Digitized by
Google
162 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882.
bot, um dem heiligen Stuhl diesen „Schandfleck" zu er-
sparen. 1 )
Die grosse sächsische Gesandtschaft war inzwischen
nach Venedig gelangt, wo sie bis in die ersten Tage des
Mai verweilte. Wir haben einen Brief Zündelins an Came-
rarius, der am 5. Mai, unmittelbar vor der Abreise aus
Venedig geschrieben ist und f ohne auf die Verhandlungen
mit der Signoria Bezug zu nehmen, ein sehr günstiges
Bild der Situation gibt; der Papst scheine neuerdings teils
durch die Bemühungen Venedigs und Toskana's teils durch
das brutale Auftreten der Spanier auf* die Seite Navarra's
gezogen zu werden. Dies entspricht, obwohl Zündelin seiner
Sache keineswegs ganz sicher ist, in der Tat der damaligen
Lage; Sixtus V. glaubte an die ihm angekündigte Bekeh-
rung und vor Allem an das Prestige Heinrichs IV., wie es
neuerdings durch den Sieg bei Ivry eine glänzende Be-
kräftigung erfahren hatte, und er war durchaus nicht ge-~
sonnen, sich den unermündlichen und rücksichtslosen An-
griffen des spanischen Gesandten Olivares zu ergeben. 2 )
Die Sachsen gingen weiter nach Ferrara, wo der von Rom
nach Deutschland reisende Minucci mit ihnen zusammen-
traf. Er berichtet dem Herzog von Baiern, sie wollten
jedenfalls nach Florenz ; ob sie nach Rom kommen würden,
hänge vom Grossherzog ab, denn sie selbst wüssten noch
nichts von der Erlaubniss des Papstes und hätten die Ab-
1) Vgl. über die Hersfelder Sache Rommel bei Ersch und Graber
IL 7 (1830), 51; Dornberg an den Kaiser, IL/21. April; Minucci an
Bayern, 28. März/7. April; 11./21. April; 18./28. April; 24. April/
4. Mai. Im Hersfelder Capitel sass eine Zeit lang als Propst ein na-
türlicher Sohn des Landgrafen, Wilhelm von Korenberg, der in Italien^
wohin ihn sein Vater zu wissenschaftlicher Ausbildung schickte (Ho-
tomanorum epistolaep. 66/7), auch mit Zündelin in Verbindung
trat und ihm z. B. Gewächse zur Weiterbeförderung an den Landgrafen
zukommen Hess, vgl. Zündelins Br. vom 22 Aug. 1578 (XXI. 117).
2) Vgl. Hübner II, 314 ff.; 333 ff.
Digitized by
Google
F. v. Bezöld: Wolf gang Zündelin. 163
sieht gehabt, auf der Reise nach Florenz dem päpstlichen
Gebiet auszuweichen. 1 ) In Florenz fiel nun die Entschei-
dung gegen eine römische Reise ; noch vor Ende Juni waren
die Gesandten auf dem Heimweg, den sie über Mantna,
Verona, Wien und Prag nahmen. 2 ) Vielleicht hielt der
Grossherzog den Zeitpunkt nicht für geeignet, da man in
Rom eben das Eintreffen des besondern spanischen Gesandten
Sessa erwartete. Dornberg gibt nach einer „sehr sicheren
Quelle 41 einige Nachrichten über die Erfolge des sächsischen
Gesandten; derselbe, angeblich ein Sekretär des Kurfürsten,
habe zu Venedig, Ferrara und Florenz im Namen seines
Herrn und der verbündeten Reichsfürsten für Navarra und
gegen Spanien gewirkt, in Venedig eine etwas unbestimmte,
aber doch befriedigende Antwort, in Ferrara die Erklärung
erhalten, dass der Herzog als Vasall des Kaisers ganz von
diesem abhänge. Ueber die Beantwortung in Florenz hatte
er nichts erfahren können. 8 ) Obwohl also der eigentliche
Verlauf der Gesandtschaft für uns im Dunkeln bleibt, gibt
doch einmal die Tatsache, dass die Schöpfer der deutsch-
protestantischen Union mit dem Papst und den selbstän-
digen Mächten Italiens ernstlich Fühlung suchten, eine
wenn auch sehr bescheidene Ergänzung zur Geschichte
dieser Unionsbestrebungen. Ausserdem genügt schon das
1) Minucci an Bayern, Venedig 16./26. Mai. Ueber Minuccio dei
Minucci, der im J. 1591 päpstlicher Sekretär, 1596 Erzbischof von Zara
wurde, vgl. Stieve, Briefe und Akten IV, 126 A. 1.
2) Dornberg an den Kaiser, Rom 13/23 Juni: der Gesandte wird
nicht hieherkommen; 20/30. Juni: derselbe ist von Florenz nach Deutsch-
land abgereist. John Wroth an Camerarius, Venedig 8. Juni: „is [Zün-
delin] iam Florentiis est, ubi adventum magni ducis . . . expeetat ; mag-
nifice illura a duce Ferrariensi aeeeptura faisse audivi a ; 20. Juli: Z.
auf der Rückreise nicht über Ven. gekommen; „Timportanza de suoi
negocii lo constrinse di pigliar la dritta strada da Mantova per Verona"
u. s. w. (Coli. Cam. XIV.)
3) Dornberg an den Kaiser, 20/30. Juni.
Digitized by
Google
164 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882.
Wenige, was wir hierüber erfahren, um die eigentümliche
Lage des Papstes und vor Allem die Haltung Toskana's in
dem Kampf um die Existenz Frankreichs von einer noch
wenig beachteten Seite zu beleuchten.
Zündelins Wirksamkeit in Italien erreicht hiemit ihren
Abschluss. Nach Dresden zurückgekehrt *) gelangte er
keineswegs zu der ersehnten Ruhe, wurde vielmehr von
Krell als ein brauchbares Werkzeug festgehalten. Sein
Verhältniss zum Kanzler wie zum Kurfürsten scheint ein
sehr vertrautes gewesen zu sein ; er musste sich sehr gegen
seine Neigung daran gewöhnen dem Fürsten auf seinen
Reisen und selbst auf der Jagd zur Seite zu bleiben. Ein-
zelne Andeutungen in den Briefen an Camerarius zeigen,
dass er in die Verhandlungen mit den fremden Gesandten
wie mit den evangelischen Reichsständen vollkommen ein-
geweiht war; er vertritt klar und bestimmt den Unionsge-
danken und die Unterstützung Heinrichs IV., findet aber
die Stellung seines Kurfürsten sehr isolirt und im Innern
das Geschrei der „quakenden Frösche* 4 , d. h. der erbitterten
Theologen unheilverkündend. Der vorzeitige Tod des Kur-
fürsten erschütterte ihn auf's Tiefste, schien ihm aber we-
nigstens die verlorene Freiheit wiederzugeben. Uebrigens
glaubte er nicht an eine unmittelbar drohende Gefahr;
noch am 20. Oktober 1591 spricht er von der Humanität
des Administrators Friedrich Wilhelm, die sich bei der
Neuordnung der Regierung geltend machen werde. Drei
Tage später wurde Krell verhaftet und Zündelin erhielt
Befehl, das Haus des Kanzlers, 'in dem er bisher fortwährend
verkehrt hatte, zu meiden. Er Hess, um kein weiteres
1) Zündelin an Camerarius, Dresden 20. Juli 1590 (XXII. 139):
„Tandem . . . peregrinatione permolesta et difficili perfuncti in hanc
urbem dei beneficio salvi et incolumes perveniraus". Zu Prag hörten sie
vom Tod des Dr. Andreas Pauli. Er selbst wohnt wieder beim Kanzler.
Digitized by
Google
F. v. Bezold: Wolf gang Zündelin. 165
Aufsehen zu erregen, die auswärtigen Freunde bitten, keine
Briefe unter seiner Adresse nach Dresden zu schicken, 1 )
aber entging trotzdem der „Verstrickung 14 nicht, da man
ja längst wusste, dass er „stets bei dem Kanzler gewesen",
und leicht vermuten konnte, „als wäre viel dieser Dinge
durch ihn, wo nicht angegeben und gestiftet, doch gutge-
heissen und gestärket". 2 ) Sein Freund Hütten, der nach
Dresden eilen wollte, um für seine Befreiung zu wirken,
erfuhr unterwegs in Weimar, Zündelin sei nicht mehr da
und gar nicht verstrickt; letzteres schien ihm allerdings
wenig glaublich. Das nächste Lebenszeichen Zündelins ist
ein Brief an Gamerarius aus Frankfurt vom 25. Januar 1592;
kurz darauf finden wir ihn zu Strassburg und Basel, wo
ihn die ehrenvollsten Anträge von dem jungen Pfalzer
Kurfürsten Friedrich IV. und dem Landgrafen Wilhelm
auf's Neue der kaum gewonnenen Ruhe zu entreissen
suchten.
Es ist nicht meine Absicht, die späteren Schicksale
Zündelins zu verfolgen; sowohl über seinen Dresdener
Aufenthalt als über die folgenden in Heidelberg und in der
Oberpfalz verbrachten Jahre geben die bis 1598 reichenden
Briefe an Gamerarius manchen Aufschluss, während sie zu-
gleich für die Geschichte Christians I. und Friedrichs IV.
eine nicht zu unterschätzende Quelle eröffnen. Zündelin,
der sich auch in Deutschland sein freies Urteil über poli-
tische Dinge und Persönlichkeiten wahrte, wurde nach
längerem Sträuben kurpfälzischer Rat 8 ) und scheint auch
bei dem leichtsinnigen Kurfürsten Friedrich persönlich eine
1) Kolbinger an Camerarias, 25. Okt. 1591. Coli. Cam. XV. Eigh.
2) Georg Ludwig von Hütten an Camerarius, 26. Dez. 1591 (Coli.
Cam. XXI): John Wroth an Camerarias, Venedig 11. Jan 1592 (ebd. XIV).
3) Sein Abschied, datirt vom 22. Jan. 1601, angeführt in der
Zeitschrift für Gesch. des Oberrheins XXXIII (1880), 223 A. 6;
vgl. über seine Stellung am Hof ebd. 223 f.j 295.
Digitized by
Google
166 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882,
Vertrauensstellung gewonnen zu haben. Da verschwand er
plötzlich am 30. Mai 1600 aus Heidelberg; nach den mir
vorliegenden Andeutungen scheint neben seiner alten Ab-
neigung gegen das Hofleben und einer nicht deutlich be-
zeichneten besonderen Ursache die Furcht den Ausschlag
gegeben zu haben, er könnte in das Schicksal seines Freundes
Krell nachträglich verflochten werden. Am 2. Juni 1600
schreibt Kolbinger an Dohna, nachdem Zündelin etliche
Tage geklagt und letzten Donnerstag des jungen Fräuleins
Begräbniss *) gehalten worden, sei er am Freitag früh heim-
lich zum Schloss und zur Stadt hinausgegangen. Obwohl
nun alle Dorfschaften aufgemahnt und er Tag und Nacht
in allen Höhlen und Winkeln gesucht worden, habe man
noch keine Nachricht, ob er tot oder lebendig, sich selbst
entleibt oder ermordet worden sei. 2 ) Obwohl man ihn
bald ausfindig machte und der Kurfürst ihn zur Rückkehr
auffordern Hess, war er nicht zu bewegen sein Asyl, das
er sich zu Winterthur gewählt hatte, wieder aufzugeben.
Nach der Ueberzeugung eines Freundes, des pfälzischen Rats
Lingelsheim, hatte den tief verstimmten und ängstlichen
Mann, der sich ohnedies am pfälzischen Hof angefeindet
glaubte, die Nachricht vollends irre gemacht, dass die Inter-
cession von Pfalz und Hessen für den gefangenen Krell in
Sachsen zurückgewiesen und sehr gravirende Enthüllungen
1) Anna Eleonora, Tochter Kf. Friedrichs IV., geb. am 26. Dez.
1598, f 24. Mai 1600.
2) Kolbinger an Fabian von Dohna, Heid. 2. Juni 1600, München,
Staatsarchiv K. blau 113/3° f. 317; ebd. 316 heisst es (in einem Be-
richt vom 3. Juni) mit Bezug hierauf: „Sic orandum, domine, ne nos
ducas in tentationem". Ueberein stimmend Lingelsheim an Bongars,
Heid. 1. Juni (Bongarsi — epistolae p. 127). Ludwig Camerarius
(Joachims Sohn) erklärt in der Vorrede zur Ausgabe von Hub. Lang-
ueti epistolae ad Joach. Camerarium (an Acbatius von Dohna), Z. sei
geflohen „panico quodam terrore sive potius atra melancholia ex causis
mihi non ignotis correptus".
Digitized by
Google
F. v, Bezöld: Wolf gang Zündelin. 167
über den Angeklagten in Aussicht gestellt worden seien. 1 )
Kurz darauf weiss Lingelsheim von einem „höchst komischen"
Abschluss dieser Sache zu berichten. Zündelin, bis dahin
unverniähl t , hatte sich mit einer Wittwe von 45 Jahren
verlobt. Obwohl dieser kühne Schritt des alten Gelehrten
dem Freunde „unglaublich lächerlich" vorkam, scheint sich
doch sein Lebensabend freundlich gestaltet zu haben. Wir
hören nur noch, dass er geheiratet hat und nachmals zu
Winterthur ruhig gestorben ist. 2 )
Ich lasse als beste Charakteristik des politischen Hu-
manisten ein paar von seinen Briefen folgen. Der geist-
volle Correspondent und eifrige Patriot gereicht dem evan-
gelischen Deutschland jener Periode zur Zierde und ist, da
er für seine literarische Unsterblichkeit nicht gesorgt hat,
in eine unverdiente Vergessenheit geraten.
1576. 7. Juni Padua.
Wolfgang Zündelin an Joachim Camerarius.
„De episcopi Coloniensis in eam urbem 8 ) adventu iam
audivisti credo. Veneti hospitium homini cum muneribus
obtulerant. Munera accepit, qui tarnen illa ferrent, eos in
conspectum suum (ut aiunt) non admisit. Hospitio Claudi
quondam tonsoris nunc lenonis celeberrimi, qui cubicula
1) Lingelsheim an Bongars, 13. April (p. 119 f.); 27. Juni; 25 Juli
(p. 128 ff.).
2) Lingelsh. an Borg. 4. Sept. 1600 (ebd. 133); Ludwig Came-
rarius a. a. 0.
3) Venedig. Ueber diese Reise des Erzbischofs Salentin von Köln,
den Grund ihrer Unterbrechung und den Anstoss, den seine militärische
Gebahrung schon in München erregte, vgl. Lossen, der kölnische
Krieg I, 389 f.
Digitized by
Google
168 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1882.
locat, uti maluit. Urbis omnia visu digna perlustravit
tanquam ignotus, omnibus fere tarnen cognitus. In navali
convivio exceptus ad sponsalitia maris ut vocant biremi
probe exornata evectus fuit. Comitiis nobilium quoque
tanquam ignotus interfuit. Ne in caeteris quidem, ut in
sermonibus et conversatione (sie ludunt Itali) prineipem se
virum ostendit. Nam de vestitu quid risus eorum comme-
morem? Pileo locis omnibus apparebat lato illo germanico,
pallio breviore et vili, caligis dissectis et ad genua fere
propendulis. Brevissimus ei capillus, in vertice Corona nulla,
quae sacrificulum ostenderet, barba horrida et promissa,
caeteraque omnia eiusmodi, ut militem potius loquerentur
quam archiepiscopum , ubi praesertim in archilenonis con-
spiceretur domo cum militari illa familia sua. Eodem plane
babitu nudiustertius eum hie conspexi, qua die huc venit
urbemque cum paucis aliquot nobilibus et stabulariis lustravit.
In illis erat comes Arenbergius eins filius qui a Nassovio
in Phrisia interfectus fuit. Dicitur habere secum 4 alios
comites, equos summum 80. Magistratus ei hie muneribus
honorem habuit, ipse tarnen aguosci aeeeptis illis noluit
non magis ignotus quam Yenetiis. Natio quoque germanica
salutare ipsum honoris caussa volens admissa non fuit;
nihilominus libro eins sive annalibns a consiliario per no-
bilem suum oblato nomen inscripsit, 1 ) mnnus ei nullum,
contra quam moris est, reliquit, qnem morem ignorasse
ipsum pntant, cum in Italos fuerit satis munificus. Heri
rheda hinc summo mane Vicentiam discessit. Aulici ipsius
sparserunt, eum Romam indeque in Hispaniam usque iturum
fuisse, nisi a Caesare ad comitia revocatus esset. Alii ne-
gant. Caussam adventus divinare mihi videntur potius
plaerique quam scire. Multi credunt eum nulla de caussa
eodem impetu, quo saepe alia multa, iter hoc arripuisse.
1) Vgl. Kämmel a. a. 0. p. 77.
Digitized by
Google
F. v. Bezold: Wölfgang Zündelin. 169
Familiäres ipsius praecipui gloriosam sane et sibi et hero
et Germanis omnibus hie reliquerunt sui memoriam, strenui
adeo egregiiqae potatores, ut poculis non contenti ex im*
manibus et inusitatis vasis inter se propinarent. Inde quam
eximii secuti sint ludi, etiam me tacente intelligis"
Coli. Cam. XXI. 66. Eigh.
1577. 12. Dezember Padua.
Zündelin an Camerarius.
„Debeo humanitati et benevolentiae erga me tuae,
quod copiosas ad me litteras oecupatissimus scripsisti deque
iudicio tuo tantum detraxisti, quantum litteris meis nullo
earum merito laudandis tribuisti; quam tibi iuiuriam etsi
mea caussa a te ipso tibi aeeidisse nollem, delector tarnen
amore in me tuo, unde illa est profeeta. Quem amorem
nisi scirem meas omnes, uti a me scribuntur, ita in optimam
partem aeeipere, scribere ad te profecto non anderem. Nunc
ita me ille aujjacem reddit, ut quiequid oecurrit, id nullo
delectu in epistolam coniieere et ad te mittere non dubitem.
Tale credo fuisse, quod de Hispanis nuper ad te scripsi,
neque enim profecto memini. Itaque si me et existimationem
ames, non committes spero, ut quae temere a me acribemtur
nee cuiquam minus quam mihi probantur, ea iudicio et cen-
surae aliorum subiieias, tametsi ne mea plaeraque, sed
eorum sunt, a quibus mutuari fere scribendi materiara soleo,
qui iam diu hoc quasi privilegio fruuntur, ut de humanis
rebus arbitrio suo pronuncient. Hi quid de Aurantio
contra eos sentiant, quorum tu opinionem ad me scripsisti,
cum a ine exspeetare videaris, breviter commemorabo. Ego
enim Academicus hac in parte sustineo libenter ut debeo.
Sic igitur existimant illi, non potuisse illum facere aliter,
quin ordinibus se permitteret, in quorum se potestate fore
Digitized by
Google
170 Sitzung der histor. Glasse vom 3. Juni 1882.
semper esset professus, et dignitatem illam susciperet, cui
gerendae tarn pauci idonei aut fidi reperiantur. Coniuratione
autem illa detecta periculum suum aut reipublicae adeo non
auxisse, ut machinam hosti adenierit, in qua is victoriae
spem praecipue collocasset. Quod si coniuratio dubia ma-
xime fuisset, tarnen e re Aurantii et publica esse, auctori-
tate et potentia minus valere, qui privatim illi inimici et
patriae satis amici nunquam fuissent. Huic qui faveant,
facto hoc maxime laetaturos, qni minus, exemplo territos
et sociis destitutos minus iam certe ausuros esse. Populum
quidem ipsum huius participem facti Aurantio in Hispanos
magis iam addictum monitaque eius postbac libentius audi-
turum, quae nunquam contempserit sine maximo suo detri-
mento atque periculo. Nihil illo quod dicatur mobilius et
inconstantius , id per se verum esse, sed tarnen rem ipsam
comprobasse populi praecipue opera Hollandiam atque Ze-
landiam servatam et reliquis Belgis dignitatem pristinam
restitutam. Reliquos enim ordines , sacrificulos nempe et
nobiles plaerosque non tarn voluntate sua quam coactos a
populo rempublicam amplexos esse. Illos metuere, ne sta-
bilita libertas religionis mutationem et sui ordinis exitium
una secum trahat; hos tyrannis assuetos et horum bene-
ficiis demulsos tenuiora reipublicae beneficia contemnere et
populum sibi in republica administranda socium dari aut
custodem apponi iniquo animo ferre. Populum esse, qui
cum et fructibus libertatis potioribus gaudeät et servitutis
aerumnas atque miserias praecipue sentiat, et contra hanc
pugnare acrius et illam fortius et constantius defendere
soleat. Non male igitur Aurantium fecisse, qui ad hunc
se voluntate etiam sua applicuerit, cum id necessitas iuberet.
In illius certe potestate loca totius Belgicae munitissima
quaeque esse. His quasi praesidiis auctum Aurantium, cui
ante tanto imbecillior restiterit hosti, ei nunc multo magis
restiturum. Quod si maxime sors illi omnis adversetur et
Digitized by
Google
F. v. Bezold: Wolf gang Zündelin. 171
fidem populutf cum animo proiiciat, non magis tarnen ac-
cusandum Aurantium quam si mare navigans necessarioque
ventis et tempestatibus se committens naufragium faceret.
Quod si sistere cursum posset et in otii ac tranquillitatis
portum aliquem confugere, stulte facturum sane, qui tot
tantisque periculis sponte sua iterum se obiiceret. Sed
integram rem non esse; eo scilicet pergendum esse,
quo deus ipsum et respublica vocet. Tanti vero nominis
viro nihil ad omnem laudis cumulum gloriosius accidere
posse quam ut rempblicam aut penitus dignitati atque
splendori pristino restituat aut si fata id non sinant, in
ipso gloriosissimi operis conatu fortissime succumbat.
Haec illi de Aurantio.
Non diffitentur tarnen ob distractos adeo Belgarum
animos plenam rem periculi esse. Sed ab H. H. parte
haud minora vel pauciora aiunt se incommoda cernere:
regis dementia capti, consilii ipsius in partes distracti, His-
paniae factionibus divulsae, Italiae in spem libertatis erec-
tae, odii universalis omnium gentium in Hispanos, aerarii
exhausti, perfidiae vel a sociis vel ab hostibus reconciliatis
extimescendae. His omnibus accedere, quod qui semel ruere
coeperit Hispanus, cum fortuna potius quam virtute ulla
niteretur, adminicula ex se nulla habeat, quibus sustinere
se et praecipitium evitare possit. Addunt his ne suo qui-
dem iudicio magni momenti, sed ominosum tarnen, quod
et alibi et in regno Neapolitano possim quasi ex Sybillarum
libris decantatur, ante annum 80. Hispanici imperii in
Italia finem fore.
Verum haec pluribus quam deceat.
Res novae paucae. Suetiae legatus *) etsi negat (Tri-
dentum audio discessisse) se cum pontifice de religione ali-
1) Vgl. Ranke, Gesch. der Päpste II, 80; über die Werbung des
Schweden in Venedig Nov. 1577 Roman in, storia di Venezia VI, 418.
. [1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 12
Digitized by
Google
172 Sitzung der histor. Classe vom 5. Juni 1882.
quid muneris sui ratione contulisse et adfirmat id tan tum
se egisse, ut ins, quod in Barrensi ducatu habet regina
Suetiae, et debitos sibi inde ab Hispano redditus pontifici
venderet , tarnen fide digni commemorant pontificem in
magnara spem venisse illius regni in ordinem redigendi
itaque Joannem Fachinetum in Suetiam mittere statuisse,
qui Lutberanorum hostis insignis legatus Pii V. apud Ve-
netos fuit.
Hispani et Itali in Insubria coacti quid agant, non
audio; magna pars tyrones esse dicuntur. Optandum esset
iam nunc in via omnes esse et cum glacie, nivibus et fri-
goribus ante pugnare quam cum Belgis, ueque enim id
facerent sine exitio suo.
Nuper audio equitum praefectos nescio quos Venetiis
Florentiam abiisse, e quorum comitibus nobilis quidam, cum
ex compotatione iam ebrius esset, cuidam mihi noto quasi
secretum fassns dicitur, si Veneti tales adesse volucres
scirent, non alas modo, sed caput ipsis praecisuros esse;
Carolo Austriaco et Floren tino in eosdem Venetos con ve-
nire, id propediem appariturum esse. Quae tametsi nuga-
menta puto, tarnen vides, ebriosi isti quid non effutiant et
in quantum se et alios periculum coniiciant.
De rebus Turcicis nihil hoc tempore. Cometam, qui
adhuc cernitur, horrendis ventis effectus horrendos etiam
edidisse et navigia hinc inde vicino mari complura evertisse
iam scripsi. In his quinque fuisse dicuntur, quae nepos
pontificis quaestus caussa frumento onusta Sallonam ad
Turcas mitteret.
De eodem cometa nihil adhuc editum audio. Sollici-
tabant Venetiis aliqui, ut sibi edere liceret, et hie mihi
promi8sum est de eo viri doctissimi iudicium. Cum ha-
buerim, ad te mittam. Hunc adfirmare aiunt, vix aliquot
seculis cometam magis portentosum -fuisse. Quidam aiunt
superioribus diebus intempesta nocte ingentem quasi lucis
Digitized by
Google
F. v. Bezöld: Wolf gang Zündelin. 173
splendoreni supra turrim D. Marci VeDetiis Visum esse, sed
de eo fas non esse verba facere. Ego certe de hac re nihil.
De P.P. fratrum novo dissidio l ) vehementer inflammato
magno cum dolore audivi indeque deteriora omnia metuo.
De Mosco non tarn miror quam metuo, ne in paucis deus
nobis ostendat, quid nobis denique futurum sit, qui ignavia
et stulticia nostra omne genus teterrimorum hostium 2 ) in
nos certatim provocamus. Quod omen idem deus clementer
avertat. Vale; et amicis quaeso S. P.
P. 12. decembris anno 1577.
Nox est, relegere aut distinguere non potui".
Coli. Cam. XXL no. 93. Eigh.
1583. 19./29. Oktober Rom.
Römische Zeitung, von Zündelin an Camerarius geschrieben.
„Pontifex quasi omnem in villa senectutem exuisset,
ita ad omuem alacritatem et laeticiam renovatus in urbem
rediit. Nulla autem re magis laetari dicitur quam continu-
atis hactenus optatissimis de bello Coloniensi nunciis, quo
se id consecuturum sperat, ut haeretici Germani, qui iam
nunc labascere videntur, mox animis penitus concidant, ubi
vestigia adspexerint Truchsessii apostatae et Casimiri san-
guine ipsorum et exitio insignita. Plane enim sibi polli-
cetur, nefarios homines tanquam victimas divinitus esse
destinatos ad celebriorem et illustriorem victoriam efficien-
dam, quam his caesis sibi de omnibas Germaniae haereticis
indubitata spe promittit. Eo iam illi autem redacti di-
1) Der Bruderzwist Kurf. Ludwigs von der Pfalz und Johann
Casimirs wurde erst zu Anfang des nächsten Jahres beigelegt.
2) Eine köstliche Schilderung von der Persönlichkeit und Auffüh-
rung eines russischen Gesandten in Venedig (vgl. Roman in VI, 417)
gibt Zündelin in dem Brief vom 17. Febr. 1581 (XXI. 186).
12*
Digitized by
Google
174 Sitzung der histor. Glosse vom 3. Juni 1882.
cuntur, ut deserti a suis tanta virium suarnm imbecillitate
diutiu8 stare non possint, cum praesertim hostis potens at-
que promtus ad omnera ansam in perniciem illorum arripi-
endam undique ipsos urgeat et ne momentnin quidem tem-
poris respirare sinat. Interea ab electoribus Lutheranis
Francofurti, ubi tanquam in nundinis magna est mercium
omnis generis copiä, remedia quaedam parari aiunt, quibns
vel mortuos socios suos in vitam revocent. Hae spes
nostrorum et triumphi sunt, utinam non praematuri et ante
quod aiunt victoriam! Otnnino enim verendum est, ne au-
dacter nimium omnes irritando omnem denique septentrionem
commoveamus, unde mala nobis omnia. Verum hunc ipsum
metum vanum esse aiunt nee unquam futurum, ut haeretici
adeo inter se distracti atque divulsi vel ad salutem suam,
nedum in exitium nostrum consentiant. Sed non est novura,
ut multi quantumvis acerbissimi inter se hostes in com-
munis et potentioris bostis perniciem opes suas atque vires
omnes conferant, et in Germania, etsi optimo animo, ita
tarnen quaedam vehementer et inconsiderate a nostris ge-
runtur, ut eos etiam intempestive in nos iueitare videantur,
qui hactenus quieverunt nee se commovere sine magno
nostro periculo poterunt. Nonnulla igitur sollicitudine ex-
speetamus reliqua. Quod si inanis metus noster fuerit, pon-
tifex in felicitate singulari numerabit, eo tempore praeclaris
adeo se potitum victoriis, quo nihil est ipso ad omnem in-
iuriam haereticis opportunius
Roma, Uli. cal. Novemb. anno MDLXXCIII".
Coli. Cam. XXI. 249. Eigh.
Digitized by
Google
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 1. Juli 1882.
Herr Spengel hielt einen Vortrag:
„Ueber die Scenen-Eintheilungder la-
teinischen Komödie".
Derselbe wird später veröffentlicht werden.
Historische Classe.
Sitzung vom 1. Juli 1882.
Herr Preger hielt einen Vortrag:
„Ueber die Verträge Ludwigs des Bayern
mit Friedrich dem Schönen in den
Jahren 1325 und 1326 u .
Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht
werden.
Digitized by
Google
Historische Classe.
Sitzung vom 1. Juli 1882.
Herr v. Kluckhohn legte vor:
„Des Kurfürsten Karl Albrecht von Bayern
italienische Reise im Jahre 1737, von
ihm selbst beschrieben". Herausgegeben
von Edmund Freiherrn v. Oefele, k. Kreis-
archivsekretär.
Ueber die italienische Reise Karl Albrechts von Bayern,
seines ältesten Bruders Ferdinand und der Kurfürstin Amalie
im Jahre 1737 ist nur Weniges im Hofkalender auf das
folgende Jahr, in der „Staatsgeschichte des Churhauses
Bayern" (1743, S. 356 f.), dann in Lipowsky's „Lebens-
und Regierungsgeschichte" des Ersteren (S. 213 ff.) ver-
öffentlicht worden. Dass aber der Kurfürst selbst eine Be-
Schreibung dieser Reise in französischer Sprache verfasst,
lehrte das Bruchstück einer unbeholfenen deutschen Ueber-
tragung, welches die k. Hof- und Staatsbibliothek besitzt
(cod. germ. 5057). Eine Kopie des Originalwerkes fand
sich unter Papieren des im Jahre 1749 verstorbenen Ka-
binetssekretäres Johann Askanius von Triva und wurde
(1762) der Herzogin Maria Anna von Bayern gebracht.
Deren Sekretär A. F. v. Oefele erkannte, dass diese Ab-
schrift von einem Fräulein aus dem Gefolge der Kurfürstin,
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 177
Therese von Gombert *) , herrühre , mit welcher er im
Jahre 1737 sehr befreundet gewesen, so dass auch eine
andere, von ihr selbst versuchte Beschreibung jener Reise
bruchstückweise in seinem Nachlasse vorliegt.
Wiederholt bezeichnet der Kurfürst als eigentlichen
Zweck der Reise den Besuch Loretto's. So mochte ein
Gelöbniss in Mitte liegen, wenn es auch kaum politische
Gründe hatte, wie Lipowsky meint. Doch künden uns die
folgenden Blätter mehr von unbefangener Schauenslust als
von dem Ernste einer Pilgerfahrt. Die Reise begann zu
München am 22. Mai und ging an diesem Tage über
das gastfreundliche Benediktbeuern noch bis Mittenwald,
am nächsten Morgen durch die Scharnitz, über Seefeld,
Innsbruck, Schönberg nach Sterzing (23. Mai), dann
über Brixen, Botzen nach Trient (24.), nach Roveredo
(25.), Verona (26.), über Vicenza nach Padua(27.) von
dort auf der Brenta nach Venedig (28.). Dieses wurde
am 11. Juni verlassen und noch einmal Padua besucht,
am 14. über Ferrara Bologna, am 15. über Cesena Pe-
saro, am 16. über Sinigaglia endlich Loretto erreicht.
Der Heimweg führte über Fano und Rimini (18.), Faenza
und Imola zunächst nach Bologna (19.), von da weg
aber in grösserer Eile über Buonporto, Concordia, Mantna,
froverbello (24.), Ala, Trient (25.), Botzen, Steinach,
Seefeld, Benediktbeuern wieder nach München (27. Juni).
Mehrtägige Aufenthalte wurden also nur in Padua, Vene-
dig, Loretto und Bologna genommen. Der längste und
interessanteste war jener zu Venedig. Gerade hier mochte
1) Geboren am 15. Oktober 1702 zu München, wurde sie im
Jahre 1725 als Kammerdienerin der Kurprinzessin angestellt, heirathete
später den Hofrath Anton Maria von Pellet und starb am 16. No-
vember 1745. Ihr Vater (t 1725) war Andreas Ferrier du Chäteau
Gombert, aus einer Marseil ler Familie, Chirurg der belgischen Armeen
Max Emmanuels.
Digitized by
Google
178 Sitzung der histor. Glasse vom 1. Juli 1882.
das Inkognito der „Grafen und Gräfin von Cham u die er-
quicklichsten Folgen für die Reisenden haben ; aber freilich
fehlt aus dem nämlichen Grunde fast jede lokalgeschicht-
liche Tradition. Mussten Ehrenbezeigungen unterbleiben,
so schweigen die officiellen Akten, aus denen der Archiv-
vicedirektor Toderini die „Ceremoniali e feste in occasione
di venute e passaggi negli stati della repubblica Veneta di
duchi e principi della casa di Baviera dall' anno 1390 a
1783" zusammenstellte (cod. ital. 510 der k. Hof- und
Staatsbibliothek) gänzlich von diesem Aufenthalte. Zu den
schönsten Reiseerinnerungen zählte dennoch wohl das Fest
am Himmelfahrtstage, die Vermählung des Dogen mit dem
Meer, dann der Besuch des Arsenales unter der Führung
Schulenburgs. Kirchen und Klöster und ihre Schätze bilden
zumeist die ersten Gegenstände der Aufmerksamkeit. Dann
kommen Theater und Musik, auch Wissenschaftliches an
die Reihe. In Loretto überwältigt das Wunderbare, das
mit gläubigem Sinne verehrt wird; in Venedig und Bo-
logna schlägt der heitere Lebensgenuss vor. Aus der Zeit
einer Jugendreise leben noch manche Persönlichkeiten, denen
der Fürst nun wieder freundlich begegnet. Die Schön-
heiten der Natur entzücken ihn stets aufs Neue. So geht
durch die Reisebeschreibung, die einfach und ungekünstelt
in schlichtem Tagebuchtone sich hält, ein liebenswürdiger,
herzlicher Zug. Hie und da eine Aeusserung treffenden
aber stachellosen Witzes. Es mag die letzte Reise gewesen
sein, die Karl Albrecht frohen Gemüthes unternahm — ehe
er von politischem Ehrgeize völlig geblendet dem Kaiser-
verhängnisse zueilte! Wer könnte da ohne Bewegung jene
Gedanken lesen, die ihm zuletzt das Schlachtfeld an der
Secchia aufdrängt? Es klingt, als spräche er fünf Jahre
später !
In dem folgenden Abdrucke ist der Text nur von den
störenden Fehlern gereinigt, welche theils der Verfasser
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kurf. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 179
tfaeils die Abschreiberin gegen die damals gültigen Regeln
der. Grammatik und Orthographie begingen. Majuskel, Ac-
cent und Interpunktion wurden nach heutigem Brauche
gesetzt.
Journal de mon voyage d' Italie de P annee 1737.
Le 22 may avant les 7 heures du niatin je suis parti
de Munic en compagnie de madame Telectrice et du duc
Ferdinand sous le nom de comtes et comtesse de Camb. Les
deux dames de la clef, mademoiselle de Star#hausen et
mademoiselle de Fraunhofen, mon grand-ecuyer le comte de
Preising, le capitaine des gardes le comte de Fugger, le
baron de Mairhoffen, qui a pris le devant, et le comte de
Seiblstorff pour servir le duc Ferdinand, toute la suitte
consistoit en tout en 54 personnes et 66 chevaux, partagee
en trois classes.
C'est vers midi que je suis arrive ä Benedictbeirn, oü
j'ai admire la magnificence du nouveau bätiment et surtout
le> bon goüt du prelat, dont il a pris soin de faire meubler
et accommoder chaque charabre d'un goüt different. Ce qui
m'y a plu le plus, c'estoient les stucques, qui ont ete mis
en couleur selon les meubles de chaque chambre. Apres
diner, oü nous bümes des vins esquis du prelat, nous fümes
ä l'^glise prendre la benediction et toucher la tete de Ste.
Anastase, grande patrone contre les maux de tete.
Nous en partimes vers les trois heures et arrivämes
avant les 7 ä Miterwdld, oü madame la comtesse de Spaur
et madame la comtesse de Sarentin 2 ) se sont rendues tout
2) Wie Fräulein v. Gombert in ihrem Reiseberichte angibt, war
Erstere eine geborne Gräfin von Königseck und Enkelin der verstor-
benen bayerischen Obersthormeisterin Gräfin von Preuner; die Zweite
hingegen eine Tochter des Obersthofmeisters der Kurfürstin, Freiherrn
v. Closen.
Digitized by
Google
180 Sitzung der histor. Classe vom 1. JiUi 1882.
expres pour nous temoigner leur attention, laquelle ä la
verite ne pouvoit qae nous faire plaisir. Elles nous mar-
querent en meme tems l'empressement, que tonte la noblesse
d'Insprugg avoit de nous faire leur cour. Nous nous en
remerciämes, ne pouvant nous arreter plus qu'il nous falloit
pour changer de chevaux. Le commandant de la Schämte
se presenta de meme et offrit nous rendre tous les hon-
neurs düs ä notre rang. Je lui repondis de meme, que,
vojageant sous les noms de comtes et comtesse de Camb,
nous ne pouvions recevoir des pareilles demonstrations publi-
ques, qui derogeroient ä notre incognito. Le prelat d'Etal
nous invita aussi de faire un petit tour ä son couvent, mais
comme je n'etois pas intentione de m'arreter en chemin,
je Ten remerciai et attendis sa messe.
Le lendemain, jeudi le 23, oü nous partimes de Mitter-
wald ä 6 heures et un quart, en passant ä la Schämte nous
fumes re9us comme je l'avois souhaitte. II n'a pas fait tirer
le canon, mais malgre tout cela il n'a pu s'empecher de
faire sortir sa petite garnison, de la faire raettre öous les
armes et de me saluer ä leur tete. «Tay observe en passaüt,
que cet important passage se trouve beaucoup plus fortifie,
qu'il ne Tetoit auparavant. II est en bon etat de defense,
et les ouvrages avec les tourelles, qui se trouvent dans le
roc, sont d'augmentation, le cöte gauche, oü il n'y a point
d'ouvrage, se trouvant tout ä fait escarpe. Ce poste coüteroit
bien eher ä qui voudroit Temporter, ä moins qu'ou pourroit
se rendre maltre de la hauteur ä droite. Alors on pourroit
former deux attaques, leur tomber dans les flancs et en
meme tems de front. De cette facon le passage ne seroit
pas si dtifficile ä empörter.
Nous arrivämes ä 9 heures et demi ä Insprugg. Le
comte de Taxis, maitre des postes, nous y recut fort poli-
ment, me marquant en meme tems, que, passant aussi vite
et tout ä fait incognito, le conseil d'etat, c'est a dire le
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Eeise. 181
gouvemement, se trouvoit bien mortifie, qu'on ne leur lais-
sät pas seulement le tems de s'assembler pour nous rendre
ses devoirs. 11 nous offrit en meme tems de monter dans
sa maison. Je m'excusois toujours sur l'incognito et le
reinerciai de ses offres obligeants. Sa femme et niademoiselle
de Königl vinrent ensuitte nous faire leurs compliniens, apres
quoi nous avons continue notre voyage jusqu'ä Schönberg,
oü nous dinämes.
II est encore ä remarquer, qu'ä une poste avant Ins-
prugg, nommee Seefeld) nous nous arretämes pour admirer
les vestiges d'un tres grand miracle, qui se fit dans la per-
sonne d'un nomine Miller, lequel, voulant estre comraunie
d'une grande hostie comme les pretres et tout debout, ses
armes ä cöte, fat tellement puni de sa demande trop arro-
gante, qu'il enfon9a dans le marbre de Tautel avec la main
droite ; tous les doigts y resterent marques, de meme que
les fieds dans la terre, ce qu'on voit encore tres distincte-
ment. On y montre aussi la sainte hostie, qui n'est pas
encore corrompue, et ä laquelle on remarque un peu de
sang. Sa femme, ne voulant point ajouter foy ä ce grand
miracle, doit avoir dit, que plutöt un sureau porteroit des
roses, qu'on lui persuaderoit la verite de cet evenement; et
aussitöt trois roses parurent sur le sureau. La femme, toute
epouvantee, prit la fuite vers le bois et les montagoes pro-
chaines et ne fut jamais plus retrouvee. 3 )
On nous fit aussi voir avant notre arrivee A'Insprugg
l'endroit au haut d'un rocher, marque d'un crucifix, oü
Maximilien premier s'&oit egare sans esperance d'en pou-
voir descendre, et l'on dit, que c'est un ange qui lui a
montre le chemin et reconduit jusqu'au bas de la montagne.
3) Ueber die Wundergeschichte, welche sich am Gründonnerstage
1384 mit Oswald Milser (nicht Miller), Leheninhaber der Feste Schloss-
berg, begeben haben soll, ist Staffier, Tirol und Vorarlberg Th. II,
Bd. I, S. 390 f. zu vergleichen.
Digitized by
Google
182 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
Apres avoir dine ä Schönberg nous passämes heureuse-
ment le Prener et arrivämes par un tres maavais tems ä
6 heures ä Ster#ingen.
Vendredi le 24 nous nous levämes de grand matin
dans l'intention de partir de bonne heure, raais un acci-
dent bien fächeux nous en empecha. Le duc Ferdinand
ayant ete attaque la nuit par des maux de gravelle, il a
fallu, qu'il y demeure. J'ai laisse avec lui mon Chirurgien
Joachim avec ordre de rassister et d'en prendre tous les
soins imaginables, qu'aussitöt qu'il sera mieux de nie suivre
et de m'en apporter lui meme la bonne nouvelle. Une
estafette de Munic m'öta aussi quelque tems. Enfin apres
avoir entendu la messe nous partim es ä 7 heures.
Etant arrivez ä Brixen, je m'iuformois sur le champ,
s'il n'y avoit point d'habile medecin pour Tenvoyer ä mon
frere et faire relever Joachim, en cas qu'il souffroit encore.
J'appris, que celui de Teveque etoit un des plus renommes,
ainsi j'ay donne ordre, qu'il parte incessamment.
En continuant ma route jusqu'ä Bolsan, oü nous di-
nämes, apres diner je me remis d'abord en chemin. Le
general comte de Wolkenstein, commandant de Roverede,
fut ä notre rencontre jusqu'ä une poste hors de Trente,
nommee Welschmichel. II nous complimenta avec autant
de politesse que de soumission et nous t^moigna beaucoup
d'attention pendant le voyage. La pluie continuelle ayant
inonde le chemin ordinaire, il nous fallut passer une mon-
tagne assez dangereuse. Le dit general prit la precaution
de nous faire accompagner de deux de ses coureurs, autant
que ce passage a dure. Nous arrivämes donc fort heureuse-
ment ä Trente apres les 10 heures. Le general fut aussi
celui , qui nous offrit sa inaison , que nous n'avons point
acceptee par rapport au rigoureux incognito.
Le lendemain, samedi le 25, nous nous reposämes le
Digitized by
Google
t?. Oefele: Des Kurf. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 183
matin et passämes notre tems ä visiter les eglises. L'eve-
que nie fit complimentqr par son frere le comte de Thun
et m'offrit sa residence, equipages et le present ordinaire.
Je Ten remerciai et lui ay envoye en revanche mon capi-
taine des gardes le comte de Fugger. L'eglise des jesuites
fut la premiere, oü nous nous rendimes. Elle est toute
nouvellement bätie, tres belle et fort riche en raarbre. Pas-
sant par le College, l'eveque s'y presenta et nous fit ses
compliments, que nous lui rendimes. II nous accompagna
jusqu'au carosse, qui etoit de louage, oü nous nous mimes
pele-raele et sommes alles voir Santa Maria Maggiore,
tant renommee par le concile de Trente, qui y 6toit tenu,
que par l'orgue magnifique, qui joue toute sorte d'instru-
roents et contrefait parfaitement les chants des oiseaux.
II est d'une structure ä admirer, et nous eümes bien du
plaisir ä Tentendre jouer. De lä nous allämes ä une autre
eglise, nommee St. Virgile, qui est le dorne, oü on nous
montra un crucifix, qu'on ne scait de quelle matiere il est
construit. Ce meme crucifix doit avoir confirme par un
mouvement de tete le celebre concile de Trente, qui a ete
mis ä la conclusion dans cette chapelle. L'enfant de Trente,
qu'on nous fit voir apres dans Teglise de St. Simoncin, ne
fut pas la moindre de nos admirations. Le corps de ce
saint martyr, quoyque tout noir, n'est pas encore con-
somme, il est si bien conserve, qu'on en voit toutes les
parties jusqu'aux ongles des mains et pieds, excepte un pe-
tit morceau du petit doigt, qui fut accorde et donne ä la
reine de Portugal. Ce furent les juifs, qui ont martyrise
ce saint enfant ä coups d'epingles, de pincettes et couteaux,
dont ils Tont aussi circoncis par force. Toutes ces instru-
ments s'y trouvent conserves, de meme que le sang, qu'on
nous montra dans un verre. II garde encore sa couleur,
laquelle ä ce qu'on dit devient plus vive toutes les fois,
qu'on le porte dans la chambre , oü cet enfant a ete mar-
Digitized by
Google
184 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
tyrise, ce qui arrive tous les ans le jcmr d'une procession,
oü on l'y porte expres.
Nous dinämes ensuite en compagnie du comte et com-
tesse de Wölkenstein et partimes d'abord apres le diner
pour Roverede, oü nous arrivämes ä 6 heures du soir. Le
comte de Wolkenstein nous accompagna pendant tont le
chemin. Nous y fümes refus au bruit du canon, tambour
battant et la garnison en haie sous les armes. Le colonel
Ginterot*) se rendit d'abord chez nous, envers lequel aussi
bien qu'envers le comte de Wolkenstein je fis protester par
rapport ä ces demonstrations pnbliques. Apres quoy je nie
suis retire de bonne heure, comptant me lever le lendemain
de grand matin.
Dimanche le 26 je partis ä 5 heures de Roverede.
Nous passämes des chemins affreux et eümes le malheur
de rencontrer des chevaux, qui n'estoient pas accoutumes
de courir la poste, et un postillon tres maladroit, de sorte
que nous conrümes grand risque d'estre jettes dans l'Adige,
une des roues etant dejä hors du chemin et en Fair pour
faire tomber la chaise en bas du precipice, ce qui seroit
aussi arrive infailliblement, si un horame secourable soute-
nant tout le poids de la chaise sur lui et sauvant par un
dernier effort sa vie avec la nötre ne l'eüt empeche. Ce
qui nous obligea de faire le reste de la poste ä pieds, c'est
ä dire quasi jusqu'ä Volargna. On nous fit observer en
chemin faisant, jusqu'oü Tarmee fran^ise etoit avancee
dans cette dernierö guerre, aussi bien que le camp, que
les imperiaux prirent apres leur retraitte dans le Tirol. 5 )
4) Oberst Baron von Güntlierode ward im Mai 1746 als Kom-
mandant von Forte Fuentes (im Mailändischen unweit des Einflusses
der Adda in den Komersee) in Ruhestand versetzt und starb um 1755
(Nachricht aus dem k. k. Kriegsarchive zu Wien, gütigst vermittelt
durch Herrn Oberstlieutenant Erhard dahier).
5) Im polnischen Thronfolgekrieg, Juni und September 1735
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern itat. Heise. 185
Ainsi donc aprös avoir passe la Chiusa et tous les passages
les plus dangereux nous partimes heureusement de Völargna,
d'oü nous avons decouvert pour la premiere fois la char-
mante Italic Les rochers et niontagnes commencerent ä dis-
paroitre et paroissoient se metamorphoser en petites collines.
Nous respirämes un air doux et agreable, et l'oeil, nous por-
tant plus loin, fit admirer peu ä peu une plaine ä perte de
veue. Nous observämes avec plaisir les charaps remplis de
grains et entremel£s d'arbres a fruit, les vignes, qui sem-
blent attacher un arbre ä l'autre, y forment les plus belies
guirlandes du monde, les allees s'y trouvent naturellement
plantees, et voilä, comme la Lombardie se presente bien
avantageusement, apres les montagnes affreuses du Tirol
on croit entrer dans un nouveau paradis terrestre, et ce
pais merite a la v^rite le nom du jardin de l'univers.
Poursuivant ainsi bien agreablement notre route, nous
arrivämes vers lea deux heures et demi ä Verone, tout
seuls et sans une äme de notre suitte. Le comte et la
comtesse d'Arco, le comte Emilio^ comte Rambaldi, Marini
et surtout le marquis de Sacramosa eurent d'abord Tatten-
tion de se rendre ä notre auberge. Ce dernier nous offrit
ses equipages, qne nous acceptämes et dont nous fumes
servis tout le tems de notre sejour de Verone. Apres
Tarrivee de la plupart de notre suitte nous avons ete en
carosse (oü pour mieux marquer Tincognito nous primes
les dernieres places) voir la foire nouvellement construite
de Tinvention du comte Scipion Maffei, tres connu dans le
monde tant par sa poesie, oü il excelle, qne par le talent,
qu'il a pour toutes les curiosites, et la grande connoissance
des antiquites. Ce bätiment est construit en forme d'e-
toile; le milieu reste vide et forme une espece de petite
(Schels, die Feldzüge der Oestreicher in Oberitalien 1733-1735 in der
Oestreichischen militärischen Zeitschrift, Jahrg. 1824, Bd. IV, S. 95 f. 213).
Digitized by
Google
186 Sitzung der histor. Glosse vom 1. Juli 1882.
cour, d'oü on decouvre toutes les boutiques ä la fois. Au
bout, ou pour mieux dire eil face, se presente un bätiment
distingue, les autres forment des rues ou des vraies allees
de murailles, remplies de tres belles marchandises dans le
tems de la foire. Ce bätiment donc, qui fait le couronne-
ment du tout, est l'endroit, ou on juge tous les differents,
qui peuvent se presenter parmis les marchands. Toute la
noblesse se promene en masque dans ces allees d'or, argent
et de soie dans le tems de la foire, ce qui forme un spec-
tacle magnifique ä ce qu'on dit et que je puis m'imaginer,
etant venu quelques jours trop tard pour en estre moi-
meme le temoin oculaire. 6 )
De lä nous nous rendimes ä la celebre arena, bätie
par Tempereur Neron, endroit, oü il faisoit anciennement
les jeux et les fetes des Romains, oü les gladiateurs firent
voir leurs adresses de tems en tems, les chretiens et autres
servirent de spectacles aux payens et furent dechires par
les betes sauvages. Je me ressouvins aussi, que Tannee
1716 cette noblesse donna une fete magnifique nommee
giostra, c'est ä dire un carroussel. Alors tout cet amphi-
tbeätre etoit rempli du monde, ce qui fit un tres bei eifet,
et ce fut une des plus belies fetes, qu'on me donna en
Italic 7 ) Ce qui est de plus remarquable dans cet ancien
6) Dieses Gebäude, La Fiera genannt, wurde seit 1718 auf dem
Campo Marzio errichtet. Im Jahre 1821 war es durch wiederholte Be-
nützung für militärische Zwecke grösstenteils ruinirt (Maffei's Verona
illustrata III, 92 ss., wo ein Plan, und Persico, Descrizione di Verona
II, 20).
7) Am 30. Januar 1717 (nicht 1716). Ueber die italienische Reise
des damaligen Kurprinzen Karl Albrecht von Bayern als „Grafen von
Trausnitz" vom 3. Dezember 1716 bis 24. August 1717 ist eine Be-
schreibung, vermuthlich aus der Feder des Kabinetssekretäres Ferdinand
Ehrenfried von Scholberg, im k. geh. Hausarchive vorhanden (Rockinger,
Ueber ältere Arbeiten zur bayerischen und pfälzischen Geschichte im
geheimen Haus- und Staatsarchive, I. Abtheilung, in den Abhandlungen
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 187
bätiment, est, que tout s'y trouve tres bien conserve, et
que meme on y voit encore une partie du couronnement
d'en baut, ce qui est dejas tombe en ruine au Cdliseo de
Rome.
Etant retournes ä notre auberge, nous y soupämes en
compagnie de plusieurs cavaliers et dames. De lä nous nous
masquämes pour aller ä l 1 opera, qui reussit assez bien. Un
certain jeune homme, nomme Loreniso Girardi, fut celui, qui
se distingua le inieux, le reste de la troupe etoit mediocre.
La composition de la musique est de Vivaldi, le livre avoit
le nom de Caton, compose ancienneraent par le fameux poete
Metastasio. Le tout ensemble ne laissa pas que de plaire.
Mais plus que toute chose la belle structure de ce theätre,
qui est un des plus grands d'Italie, oü toutes les loges se
trouvent avancees de fa$on, que de partout on decouvre tout
le theätre et entend les voix ä merveille. Les dames y
estoient en grand nombre, toutes tres bien raises et parees,
dans l'intention de faire leur cour ä la comtesse de Camb,
mais elles .en furent detournees par madanie d 1 Arco, laquelle,
eroyant, qu'elles nous seroient trop incommodeff, le leur
deconseilla. Je fus cependant rendre Visite dans sa löge ä
la comtesse Pedemonti, une dame de mon ancienne connois-
sance. Au retour de Topera on s'empressa d'aller au lit
pour se mettre le lendemain de bonne heure en train, et
cela par raison, que le secretaire Triva nous a avertis par
estafette, que des inondations terribles avoient rendu les
chemins ä Padoue presque irapraticables, et qu'il y avoit
grand danger ä les passer, surtout si on y venoit de nuit,
eux ayant ete obliges de se servir des bateaux.
Lundi le 27 nous partimes de Verone ä 6 heures du
der k. bayer. Akademie der Wissenschaften III. Classe, XIV. Bd.,
III. Abtb., 1879, S. 57—58). Einen Auszug hieraus gab Söltl im
Abendblatte zur Neuen Münchener Zeitung 1857, Nr. 127, S. 506—507
und Nr. 128, S. 509-510.
[1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 13
Digitized by
Google
188 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
matin et arrivämes d'abord apres les 11 heures ä Vicence.
Le corate de Porto, qui autrefois m'avoit donne une fort
belle fete dans sa maison, fut d'abord me faire sa cour, la
comtesse Tiene de meme que sa fille, ses fils et le jeune
comte Porto, Nous les gardäraes ä diner dans notre auberge,
et cette dame de mon ancienne connoissance fit tout son
possible pour nous persuader de sejourner dans cette ville,
oü il y avoit la foire et les masques.
Effectivement quasi toutes les dames vinrent en masque
nous voir diner. Notre route etant dejä reglee, je n'ai pas
pu m'arreter, de sorte que je partis d'abord apres diner et
arrivai ä Padoue avant les 6 heures. Nous firaes tout ce
chemin, qu'on nous a depeint si dangereux et si long, en
neuf heures de tems et avec la plus grande commodite du
mon de.
A peine arrivai-je ä Padoue, notre premier soin etoit
de ne point perdre de tems. Ainsi nous l'employänies d'a-
bord pour aller voir l'eglise de Ste. Justine. II faut avouer,
que nous fümes veritablement frappes ä la vue de cette belle
eglise. II. y a douze chapelles de differents maitres, Pune
plus belle que Tautre. Celles, qui fönt le vis-ä-vis, sont ä
peu pres du meme dessein, les autels y brillent en marbre,
pieces rapportees et basreliefs. Les pieces rapportees s'y
trouvent dans le goüt de la chapelle de Florence, c'est a
dire toutes pierres precieuses, le pave de chaque chapelle
du plus beau marbre du monde et tout d'un dessin different.
Celui de toute l'eglise est uni comme la inain, ce qui est
admirable. Toutes les peintures y sont toutea. des meilleurs
maitres. Ce qui m'a etonne le plus dans cette magnifique
eglise, fut la sculpture du choeur, qui surpasse veritable-
ment toute imagination, tant par sa finesse que par ses
proportions et de la fa§on , comme cela est travaille dans
le bois, celui de noiselier etant la matiere, qu'un maitre
fran9ois, certainement des plus habiles, qu'il n'y a jamais
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Älbrecht von Bayern itäl. Heise. 189
eu dans le monde, a choisi pour en faire un ouvrage aussi
parfait. On nous fit aussi voir une Vierge miraculeuse et
une voüte sous terre, laquelle ä ce qu'on dit a servi de re-
traite aux anciens chretiens. On pouvoit ä peine se lasser
de voir cette belle eglise, mais enfin, comme le jour avan-
90U vers son declin, il a fallu passer outre, et nous fümes
voir le jardin du noble Papafava. Ce jardin tres riche en
arbres, legumes et fleurs n'a point d'autre defaut que ce-
luy d'estre regarde comme un beau corps sans äme, puis-
qu'il se trouve sans eau, qu'on compte pour Tarne des
jardins. Dans tout le reste il raerite d'estre vu. Tous ses
espaliers sont en tres bon etat, les arbres parfaitement Pla-
gues, une quantite d'oranges et de cedrats, beaucoup d'arbres
ä fruit de toutes sortes. Ce que j'y ai regarde le plus
digne d'admiration, est une espece de treillage, formee par
les arbres meines, des vignes et de noiseliers, qui represen-
terent tout un palais avec sa cour, corridor et double ap-
partenient. On y jouit de Thombre pendant toute la jour-
nee, de sorte que cet appartement seroit tres habitable
pendant les grandes chaleurs, tandis que les pluies se trou-
veroient egalement bannis . de ce jardin , que le sont les
eaux vives. Le labyrinthe y est aussi fort amüsant; je
m'y divertis voyant, que Telectrice meme y avoit perdu le
chemin et la plupart de ma suitte. En attendant il com-
mei^a ä faire sombre, et nous n'eümes plus le tems d'aller
voir St. Antoine, ayant ete obliges de remettre cette sainte
visite au lendernain.
Mardi le 28 Telectrice s'en alla de grand matin faire
ses devotions ä Teglise de St. Antoine. J'y suis arrive ä
la nioitie de la preraiere messe, et nous y entendimes une
seconde ensemble. De lä on nous mena dans la sacristie
et y voir une quantite de reliques, dont la plus essentielle
etoit la langue de St. Antoine. Apres la devotion nous
nous en retournämes au logis et fimes des emplettes con-
13»
Digitized by
Google
190 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
sistantes en chapelets et medailles, qui ont touche les saintes
reliques.
Apres diner nous nous embarquämes avec toute notre
stritte, bien Contents d'avoir troque de voiture, celle du
bateau nous ayant par sa douceur dedommage de la rudesse
des chaises de poste. Mais ce ne fut pas la voiture toute
seule, qui nous rendit ce chemin agreable, la Brenta^ nous
presentant tant d'objects divers, nous fit voir des environs
enchantes et flotter dans une route de delices. Les magni-
fiques palais, qu'on y deconvre pour ainsi dire ä cbaque
moment, meritent toute l'attention. Leur diyersite occupe,
leur beaute a Heu de cbarmer et la niagnificence merite ad-
miration. Ce sont la plupart des maisons de cainpagne de
nobles Venitiens, entourees de murs et avec de tres beaux
jardins. Celui du doge, tout nouvellement bäti, a paru sou-
tenir son rang, Tayant juge le plus beau de tous. C'est de
cette fa^on que nous nous somnies heureusement avauces
jusque vers les lagunes, oü on s'est rais en burcello. 9 )
C'est la, oü il falloit voir les admirations de toute la
suitte en decouvrant une cite en mer. Les uns firent des
acclamations ridicules, croiant se separer ä jamais de la
terre ferme; les uns saus parier resterent la bouche ouverte;
Tune, voyant les vaisseaux dans le port, croyant voir un
foret, part)issoit s'etonner, qu'il croissoit des arbres sur la
mer. Enfin tous egalement furent saisis de plaisir et d'ad-
miration. Une petite peur n'a pas laisse que de s'en meler,
surtout lorsque vers les 24 heures 9 j nous arrivämes au
8) So hat die Abschrift immer statt des reinitalienischen bur-
chiello.
9) Der Unterschied der italienischen und deutschen Uhr ist u. A.
von Göthe in der „Italiänischen Reise" erörtert. Hienach zählte man
in Italien gemeiniglich noch immer 24 Tagesstunden ohne Zerlegung
in zweimal zwölf, während das Zifferblatt und die Glocke nur 1 bis 12
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 191
canal et que nous fümes empeches (Ten considerer la beaut£
par un orage terrible accompagne de beaucoup de pluie,
qui survint. Le burcello, qui suivoit de loing, en essuia
le plus, ceux de la stritte, qui y sont restes, n'en ont pas
moins souffert. Ils ont ete obliges d'aborder ä Tisle de
S. Giorgio et n'arriverent que deux heures apres nous, qui
raimes pied ä terre chez un traitteur nomine Bon Cousin. 10 )
II faisoit nuit, ainsi il n'y avoit plus rien ä faire. C'est
pour lors qu'on fut occupe de s'arranger le mieux qu'on
put et de chercher du repos.
Mercredi le 29. C'estoit le chercher envain, car le
bruit du grand canal ne scauroit en laisser jouir ä ceux,
qui n'y sout pas accoutumes. En s'eveillant ä la pointe
du jour on paroissoit entendre en reve les cris des gondo-
liers et un bruit sourd, qu'on ne comprenoit point. Celui des
carosses en etoit banni, mais la gondole, tonte douce qu'elle
est, n'en fait pas moins, puisque les charmants conducteurs
ont toute la journee quelques exclamations sur la bouche,
anzeigten. Aber die Stundenzählung begann nicht wie bei uns mit der
astronomischen Mitternacht, sondern mit dem Nachteinbruche, welcher
(nach Göthe) zu Verona in den verschiedenen Jahreszeiten von Abends
5 Uhr bis Abends 9 Uhr unseres Zeigers fortschreitet, so dass es dort
vom 15. Mai bis letzten Juli um 9 Uhr Abends Nacht wird.
10) So hat deutlich unsere Abschrift. Aber wie Herr Bibliothekar
Dr. G. M. Thomas dahier aus höchst dankenswerther Gefälligkeit in
Venedig erfrag, ist in dem auf der Marciana daselbst befindlichen Tage-
buche eines Antonius Benigna von 1714—1760 die Ankunft der hohen
Reisenden zu Venedig am 28. Mai 1737 mit dem Beifügen aufgezeichnet:
Sono ßtati alloggiati da Monsü Danrij a S. Gio. Grisostomo. Ueber die
Person dieses Monsü d. i. Monsieur Danrij ist nichts Weiteres aufzu-
finden, sein Haus bei San Giovanni Grisostomo aber existirt noch und
hat die Aussicht auf den Canal grande. Wenn nun nicht etwa der
Kurfürst den Namen seines Wirthes missverstund, oder die Kopistin
ihre Vorlage unrichtig las, so übrigt nur die Vermuthung, dass „Bon
Cousin " den Namen des Gasthauses wiedergibt.
Digitized by
Google
192 Sitzung der histor. Glosse vom 1. Juli 1882.
accompagnees d'injures toutes* des plus sales. Voilä ce
qu'on y entend toute la journee. 11 semble, que c'est une
querelle continuelle dans les tems qu'il ne s'agit que de se
bien entendre, pour que les gondoles en se rencontrant ne
hurtent une contre l'autre. Aussi y reussirent-ils si bien,
qu'il en provient le proverbe italien connu par tout le
monde: A Venezia le bar che si schivano come huomini, e
gli huomini si urtano come bestie. Ce proverbe dit bien
yrai. Comme on rencontre nne foule de monde dans toutes
les rues et que les Venitiens sont accoutumes de marcher
tres vite, on hurte ä tout moment Tun contre l'autre.
L'etranger, qui n'est pas accoutume se retourner sur le
champ, est bien souvent reconnu par lä et sert quelquefois
de risee aux gens du pais.
En ouvrant les yeux chaqu'un s'empressa de mettre la
tete ä la fenetre. Le grand canal s'y presenta avec tous
ses charmes, la confusion en apparence du monde et des
barques ne fut pas le moindre sujet de nos etonnements.
Tant d'objects differents, qui se presenterent ä la fois, parois-
soient nous attacher ä la fenetre, de fa9on qu'on n'auroit
pas songe ä la quitter, si on ne se trouvoit averti, qu'en
voyageant il faut profiter de chaqu 1 instant, et que la ma-
tinee, destinee ä la devotion, devoit se passer ä entendre la
messe en quelque eglise.
Dans cet intervalle le nonce du pape, Tambassadeur
de Tempereur et celui de France nous firent complimenter
et nous demanderent la permission de nous faire leur cour.
Pour eviter toute ceremonie je m'excusai sur notre rigoureux
incognito, lequel ne me permettoit point de recevoir des
visites, que je me ferois malgre cela bien du plaisir de les ren-
contrer partout, oü Toccasion s'en presenteroit. Les nobles
Pisani, freres et neveux du doge, furent ä la riva de notre
maison et temoignerent le meme empressement. (Test avec
mon vrai d^plaisir que je me vis oblige de leur faire la
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Älbrecht von Bayern ital. Heise. 193
meme reponse, pnisque c'est une famille, dont j'ay re9U
bien des honnetetes en tous mes voyages, et que par cette
raison j'avois veritablement pris en amitie sartout un de
leurs freres, qui est raort du depuis, nomme Almero Pi-
saniy et sa femrae la donna Isabella, laquelle vouloit de
meme faire sa cour ä la comtesse de Camb et ne pouvoit
estre re^ue par la meme raison.
Nous allämes douc ä l'eglise de Ste. Therese, qui est
un petit bijou tres riche en marbre.
D'abord apres diner les masques ont commence. Nous
nous rendimes ä la place et ensuite ä la foire. Tout y
estoit rempli, de fa<jon meme qu'on avoit de la peine ä se
retrouver. La signora Isabella souhaitoit me parier dans
une boutique ä la foire. Je m'y rendis, et comrae eile
souhaitoit de faire aussi sa reverence ä la comtesse de
Camb, laquelle parmis cette grande foule n'etoit pas facile
ä trouver, je pris sur moi de la chercher, et apres Tavoir
rencontree je Ty conduisis avec moi. Cette dame aussi
bien que les nobles Pisani, ses beaux-freres et oncles, firent
beaucoup de contestations, tant de la part du doge que de
leurs propres et de toute la maison de Pisani. Nous les
re9umes avec beaucoup de reconnoissance et de plaisir et
nous sommes quittes jusqu'au revoir ä Topera.
C'est oü nous nous rendimes apres la promenade de la
foire. Ce grand tbeätre estoit rempli de monde, qui s'at-
tendoit sans doute a un plus beau spectacle de celui, qu'on
y a trouve\ Venise, d'ailleurs tres renommee par les belles
voix et la magnificence , qui brille . ordinairement en tous
ses operas, s'est d^mentie pour cette fois, Topera intitre 11 )
La Giritta etant tres mediocre, depourvu de bonnes voix
et sans aucun spectacle magnifique. Les danses seules ne
U) So statt intitule.
Digitized by
Google
194 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
deplaisoient pas, quoiqu'elles n'etoieni pas grande cbose.
II y avoit cependant une nommee Testa Grossa qui dan-
soit avec quelques gräces, [et] fut approuvee. Du reste
toute la danse des autres ne consistoit que dans une vraie
confusion, formee par des sauts extra vagants et plus ridi-
cules que regles. La faruille de Pisani vint nous rendre
visite dans notre löge. Cet opera a dure jusqu'ä 5 heures
et demi d'Italie. Lequel fini, nous nous retiräraes dans
Tattente de la fete principale du lendemain.
Jeudi le 30. Le grand bruit cornmenfoit dejä ä la
pointe du jour, de sorte qu'il n'y avoit pas moien de
fermer Toeil. On ne voyoit qu'aller et venir sur le grand
canal. Enfin l'heure s'approchant de la fete de l'ascension,
ou pour mieux dire de la ceremonie, dont le doge de Venise
epouse la nier le jour de cette fete, nous nous hätämes ä
entendre la messe ä St. Jean Crisostome, eglise qui se
trouvoit dans notre voisinage. De lä nous nous mimes en
peotte. II est inutile de faire une description de cette
ceremonie; eile se fait tous les ans, ainsi ce ne seroit
qu'une repetition de choses, qui ont ete dites et comptees
tant de fois. On dit cependant, que pour cette fois le
nombre d'etrangers, qui s'y sont trouves, Ta rendue plus
belle que jamais, du moins Tavoit-elle paru ä ceux, qui
n'en ont pas vu d'autres et qui ont regarde tout ceci avec
grande admiration. Nous enträmes dans notre peotte assez
bien ornee, garnie de velours couleur de feu et galonne
d'or, les gondoliers egalement habilles de bleu et blanc, de
sorte que sans rompre Tincognito notre peotte n'etoit pas
la moins paree. Avan§ant vers la piazeetta nous enten-
dimes le signal du depart du Bucentaure, qui se donna
aussitöt que le senat et le doge fut embarque. Tout s'em-
pressa a joindre cette grande macbine d'or, qui nageoit sur
l'eau, car c'est ainsi qu'il faut regarder ce bateau. II est
d'ailleurs tres bien construit, ricbement dore et d'une belle
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 195
sculpture. En dedans il ne forme qu'une tres grande salle
sans Separation, en poupe il y a une espece de porte com ine
un pont-leve, tres bien sculpte et dore, qu'on baisse en-
suite, et qui sert de balcon au doge pour y faire la cere-
monie. Tout le monde, tant gondoles que peottes, s'em-
pressoient de s'approcber le plus pres, qu'il etoit possible,
de ce Bucentaure. C'estoit conime un combat naval con-
tinuel sans perdre de sang et saus abordage, ä qui avan-
ceroit le mieux et scavoit se faire jour. Les peottes de
Muran se distinguerent par leur structure tout ä fait par-
ticuliere, les gondoles des ambassadeurs brillerent en mag-
nificence, etant les seules, qui peuvent etre toutes dorees
et de couleur. II y avoit par raille et mille de toute sorte
des masques et des dames bien parees. Nous observämes
une epouse venitienne, laquelle tant par le goüt de son
habillement que par ses pierreries brilloit plus que toutes
les autres, mais ce qui effacoit tout cela fut sa blancbeur,
qui paroissoit au^ travers de son masque de velours noir
(dont toutes les epouses doivent rester couvertes jusqu'au
jour de ses noces). On s'etonna d'en trouver tant dans une
Italienne et la suivit des yeux tant qu'on la put voir.
Des objects diflförents, mais de moindre beaute et eclat pa-
rurent en quantite. Tout nous presenta une diversite char-
mante. C'est ainsi que toujours occupes de regarder de
cöte et d'autre que nous avancames jusqu'au Castello del
Lido, lequel passe la porte s'ouvrit. J'ai eu le bonheur de
Tavoir approche le plus avec ma p6otte, tant par Taddresse
de mes gondoliers que la complaisauce de ceux, qui ont
du ou voulu me faire place. Enfin je le vis la bague ä
la main faire la ceremonie, prendre la mer pour epouse et
la lui jetter comme un lien eternel de son engagement. Je
ne scais, si d'un element aussi inconstant on peut se pro-
mettre une epouse fidele; du moins jusqu'ä present la r6-
publique j a assez bien reussi par sa grande politique,
Digitized by
Google
196 Sitzung der histor. Classe voin 1. Juli 1882.
mais qui pourra repondre du tems ä venir? Cette cere-
monie fiuie, je m'approchois du port pour voir descendre
le doge et tont le senat, qui devoient entendre la messe
ä l'eglise du Lido. Effectivement je le vis, ce vieillard
venerable, qui avant 50 aus etoit un de ceux, qui a servi
l'electeur mon pere peudant son sejour de Veuise, ce meme,
qui in'a accable de politesses toutes les fois que je fus ici,
et dont toute sa famille de Pisani s'est empressee de te-
moigner en toute occasion uu devouement tout distiugue
envers la maison de Baviere. 12 ) J'eus donc grand plaisir
de le revoir; il estoit accompagne du nouce du pape ä sa
droite et ä la gauche de Tambassadeur de Tempereur, toute
sa cour le precedoit. Apres avoir vu cette descente j'allois
profiter du tems de la messe pour voir la galere et la ga-
leazza, qni couvroient le Bncentaure. Nous montämes dans
la premiere, qui etoit de 12 pieces de cauons, oü le capi-
taine, le noble Diedo, nous re9ut en bas de Tescalier ou
echelle, par oü nous montämes. II y avöit beaucoup de
dames et ca valiers, entre autres le fils aine du pretendant
sous le nom de comte Albano, qui est un jeune prince
d'assez jolie figure, mais trop petit pour son äge. Je lui
fis un petit compliment par rapport ä notre proche pa-
rente 18 ) et le quittai apr&s avoir fait le tour de la galere.
12) Max Emmanuel hielt sich im Januar und Februar 1687, dann
im Dezember 1691 zu Venedig auf. Aus Toderini's Manuskript (siehe
oben S. 178) erfahren wir die Namen jener Nobili, welche im J. 1687
dem Kurfürsten offiziell zu Diensten gestellt wurden; darunter befand
sich aber kein Pisani. Hingegen war Alvise Pisani, der nachmalige
Doge, in den Jahren 1706 — 1714 der unter dem Namen „Gräfin von
Lichtenberg* 4 zu Venedig im Exile weilenden Kurfürstin Theresia Kuni-
gunde und Almero Pisani (oben S. 193 erwähnt) im Februar 1717 dem
Kurprinzen Karl Albrecht zur Dienstleistung beigegeben. Sonach dürfte
die Textangabe bezüglich des Jahres 1687 eine irrthümliche sein.
13) Eduard Karl, Graf von Albany, geboren am 31. Dezbr. 1720.
Sein Vater Jakob III. Stuart, der englische Thronprätendent, war mit
Digitized by
Google
■v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 197
Nous retournämes dans notre peotte, oü le commandant
nous accompagna et nous fit regaler de beaucoup de rin-
freschi ä la maniere d'Italie. De lä nous allämes voir la
grande gäleazza. Ce grand bätiment merite d'estre va, et
cela d'autant plus, qu'il n'y a point d'autre puissance dans
le monde, qui se puisse vanter d'en avoir. II est en forme
de galere, c'est ä dire le tout en grand, porte plus de 60
pieces de canons et le double de rameurs et peut aussi se
servir de ses voiles, de sorte qu'il est en etat de se defendre
contre douze et 20 galeres et que dans un calme il peut
faire la conquete de plusieurs vaisseaux de guerre, mais il
faut, que selon mon jugement il evite le haut de la mer;
car le moindre vent desavantageux, dont les vaisseaux de
guerre profiteroient , seroit sa perte. Le general nous re-
§ut de meme que celui de la galere, et apres y avoir tout
vu il voulut encore nous regaler de rinfreschi. Nous nous
en remerciäines et remontämes dans notre peotte.
Le general Schullenbourg eut la complaisance de nous
accompagner partout; etant de retour ä la piazzetta, il
nous conseilla d'eviter la foule du monde et de descendre
ä la riva du doge, oü il se trouva egalement et nous con-
duisit au palais pour y voir la table preparee pour le doge
et les nobles. Cette table etoit couverte de desserts de
differente maniere; on y voyoit des palais, des tours et
toute sorte de figures en sucre. Ce n'est ä la verite pas
grande chose, malgre tout cela les masques y accourent en
foule, et cette salle etoit si remplie, qu'on avoit de la peine
ä se remuer. Nous vimes aussi Tappartement du doge, tres
bien meuble, et le marechal nous persuada de Taller voir
mettre ä table, ce qui dura bien du tems. Les fils du doge
nous y complimenterent en robe longne et revinrent en
Elementine Sobiesky, Bruderstochter der Kurfürstin Ther. Eunig. von
Bayern, vermählt (Klose, Leben des Prinzen Carl Stuart, 1842, S. 62 f. 65).
Digitized by
Google
198 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
peu avec un masque sur le visage avec Ja commission de
faire sortir la plapart des masques. Ils y reussirent tres
mal, car malgre tout cela il en resta une grande quantite.
Enfin le doge arriva avec le meine ordre, qu'il etoit sorti
du Bacentaure, et se mit ä table entre le nonce et l'am-
bassadeur de Tempereur. Nous en approchämes de fort
pres; qaoique masques, le doge a paru nous connoitre et
nous salua trds poliment, lorsque nous nous sommes retires
pour aller diner apres 11 14 ) heures apres midi.
Vers le soir on alla ä Jfwran, oü se fit le cours avec
un grand concours de masques. Au retour nous descen-
dimes ä la piaezetta, fimes quelques tours tant ä la foire
que sous les procura ties et finimes notre journee ä entendre
l'opera, qui dura jusque vers le 2 heures apres minuit.
Le 31 nous avons ete entendre la messe aux jesuites,
qui ont une eglise magnifique, tres riche en marbre et avec
beaucoup de dorure. L'apres-diner s'est passe comme ä
Tordinaire, c'est ä dire ä se promener sur la place en
masque. Je me suis retire de bonne heure ce jour lä, la
comtesse de Camb ayant ete seule ä Topera.
Le 1 de juin. C'est ä Teglise du Salut, qui a une
tres belle fa^ade, oü nous entendimes la messe. Nous
füme8 veritablement enchantes, les autels se trouvant riche-
ment ornes de marbre rapporte, ce qui fait un tres bei
effet, de sorte que cette eglise peut estre mise dans le
premier rang de Celles, que nous avons vues jusqu'ä present.
De la Salute nous nous en fümes al Bedemptore.
Cette eglise est Tunique des capucins, qui brille en magni-
ficence, et cela, puisque un doge Ta bäti pour s'acquitter
d'un voeux, qu'il a fait, et le pape ayant dispense, qu'elle
fut donnee aux capucins. Entre autre ]e grand autel de
14) Scheint verlesen statt II,
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Älbrecht von Bayern ital. Heise. 199
marbre blanc, garni de figures de bronze, s'y trouve le plus
digne d'admiration.
La soiree se passa ä la foire, oü la curiosite des Ve-
nitiens me fit rire plus d'une fois. Tantöt ils virent le
fils du pretendant et le suivirent en foule, dont il fut
tellemeut presse, qu'il etoit oblige de se retirer dans une
boutique de marcband, d'un autre cöte parurent quelques
dames 6trangeres saus masque, lesquelles sur le cbamp se
virent egalement entourees, et apres les avoir bien consi-
derees de pres, ne les trouvant pas selon leur attente, ils
commencerent ä les sifler. La ils observerent un masque
bien pare, que sur le cbamp ils etoient ä ses trousses, ils
se releverent Tun Tautre pour Tadmirer, Tun, mettant les
lunettes, s'ecria sur les pierreries, observant tout au net,
les autres, aussitöt qu'elle öta les gants, parurent attacber
leur vue sur ses belles mains. Etant entree dans un cafe
pour se rafroichir, il y eut plus de curieux que la place
ne contenoit; Tun disoit: „C'est ma femrae", Tautre: „C'est
une dame etrangere de nos suittes u ; la plupart cependant
tomberent d'accord, que ce fut una gentil-donna, puisqu'elle
avoit deux brassieres, qui lui portoient le cercle, et prete
la main ä la mode de Venise. Enfin, lorsqu'ils etoient dans
Tattente de la voir demasquer et de sortir de doute, eile
prit son rinfrescho sans öter le masque, commenfa ä rire
de bon coeur et quitta la compagnie. Voilä comme ils
etoient payes de leur curiosite! Je me trouvois au beau
milieu d'eux et n'en fus certainement pas moins la dnpe, ni
celui qui a ri le moins. Ce jour lä je me suis arrete ä la
foire plus qu'ä Tordinaire, ayant observe tant de boutiques
illuminees, oü la plupart de la* noblesse se sont retires
aussitöt qu'il a fait nuit, ce qui fait un object charmant,
toutes ces boutiques se trouvant arrangees avec beaucoup de
goüt. Celle des miroirs et celle des verres, oü je fis quel-
ques emplettes, n'eurent certainement pas moins de brillant
Digitized by
Google
200 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
que les autres. Je m'y arretai partout et me sentis veri-
tablement fatigue de la promenade, de sorte qu'apres souper
je me suis rafroichi ä la maniere venitienne en me faisant
voguer jusque bien avaut dans la nuit.
Le 2 nous fümes entendre la messe ä San Giorgio
Maggiore. C'est une tres belle eglise et couvent des moines
fort riche en beaux tableaux des meilleurs maitres d'Italie.
Le grand Paul Veronese, qui se trouve dans le refectoire,
est celui, qu'on y trouve le plus digne d'admiration. On
nous fit voir la belle bibliotheque, oü le fils du pretendant
sous le nom de comte Albano nous attendit. Ce prince
est bien ä plaindre par rapport au triste etat, dans lequel
son pere se trouve. Depouille de ses pretentions ce n'est
qu'ä Rome oü il fait briller sa triste dignite; il y vit en
pauvre pensionnaire du pape. Le jeune prince a fait la
campagne de Gaeta avec Don Carlos et voiage actuellement
en Italic II promet beaucoup. J'etois charme de lui
entendre faire le recit du siege, y ayant remarque beau-
coup de justesse et de memoire. II nous accompagna par
tout le couvent, 15 ) qui est ä la verite magnifique. Le jar-
din me fit plaisir et surtout une espece de salle en forme
de balcon, qui nous presenta la plus belle vue du monde,
et d'oü on decouvrit toute Venise. La cour et Tescalier
y sont de tres beaux morceaux d'architecture. Apres avoir
pris conge du jeune comte nous nous retirämes pour aller
diner, tres Contents de notre matinee, tant par rapport au
beau couvent, que nous avions vu, qu'ä la charmante ren-
contre d'un aussi aimable cousin. L'apres-diner se passa
en masque tant ä la foire, que la moitie de la nuit ä
Topera.
15) Vgl. „Staatsgeschichte des Churhauses Bayern" S. 356 und
Klose a. a. 0. S. 80 f. ; wegen Eduard Karl's Theilnahme an der Be-
lagerung Gaeta's, das am 6. August 1734 kapitulirte, Klose S. 77 ff.
Digitized by
Google
t?. Oefele: Des Kurf. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 201
Le 3 nous entendimes la messe ä St. Zacharie, une
assez belle eglise et couvent des religieuses, auxquelles nous
rendimes visite ä la grille. Ce sont toutes des dames de
la premiere noblesse, n'osant meme en recevoir de celles de
famille noble par argent. Leur habillement et assez parti-
culier, elles semblent chercher Tair de plaire et portent la
gorge assez decouverte, d'ailleurs de tres bonnes ämes, qui
s'occupent toute la journee ä la devotion, et dont de
bonnes grilles de fer repondent assez de leur vertu.
Nous fümes ensuite ä Teglise grecque, nommee St. Ge-
orge , tres rare ä voir jpar rapport ä son antiquite. Leur
pretre nous expliqua tout leur service selon Tetablissement
de l'ancienne eglise. J'en etois charme, admirant surtout,
avec quelle devotion et reverence ils celebrent le culte
divin.
L'apres-diner se passa de ma part a la foire, et la
soiree ä prendre le froid sur le grand canal. La comtesse
de Camb fut ä Topera, oü le nonce lui rendit visite.
Le 4 nous fümes ä la messe ä l'eglise de St. Jean et
Paolo, oü nous avons vu le celebre Titien, qui represente
le martyre de St. Pierre dominicain. De la ä S. Lorenzo,
oü il y a un couvent de religieuses, aussi de la premiere
noblesse de Venise. Leur habillement n'est pas moins
avantageux que celui des dames de St. Zacharie. Nous
leur parlämes ä la grille, charmes d'y avoir observe quel-
ques beaux visages, qui paroissoient nous corapter avec plus
de gra.ce que les autres la fa§on, dont elles passoient leur
tems dans leur cloiture, oü au bout du compte il ne s'agis-
soit que du sacrifice de la liberte, ce qui ne me parut pas
peu de chose, et qn'elles regardoient (du moins en appa-
rence) comme un rien et une chose bien aisee de s'en
passer.
L'apres-diner et la soiree nous passames notre tems
comme le jour precedent. L'ambassadeur de l'empereur iüt
Digitized by
Google
202 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
dans la löge de madame la comtesse, cherchant aussi l'oe-
casion de m'y voir; niais comnie je n'y fus pas, j'ai trouve
le moyen d'eviter toutes ses visites jusqu'ä ce jour lä.
Le 5, etant le jour destine a voir le palais, nous füraes
entendre la messe ä S. Marco, qui est une tres belle mais
ancienne eglise. On nous y fit voir beaucoup de saintes re-
liques, toutes des plus rares, entre autres un tres grand
morceau de la croix de Notre Seigneur, qui n'est pas beau-
coup moindre que celui de Rome. Ensuite on nous ouvrit
le tresor de la republique, qui meritoit certainement d'etre
vu. L'ornement de tete du doge est admirable, celui de
Ste. Helene et de ses dames, monte a Tantique, est tres
pr^cieux par rapport ä la quantite de pierres precieuses, la
plupart brutes, dont il fut orne. On nous montra plusi-
eurs vases d'emeraudes, de pierres d'Egypte et de tout ce
qu'il y a de plus rare, des rubis balais d'une grandeur
prodigieuse et une grande quantite de pierreries, la plupart
montee ä Tantique. De plus un ornement d'autel, garni de
pierreries, et toute sorte de choses rares. Apres avoir vu
ce beau tresor, qui est assurement un de plus magnifiques
en Europe, on nous fit faire le tour du palais et montra
entre autre un petit arsenal reserve pour le senat, tres
bien arrange et toujours pret pour tout ce qui peut ar-
river. C'est lä oü le general Schullenbourg, qui nous sui-
voit partout, me dit ä Toreille: „Ces gens lä croient prendre
de tres grandes precautions avec cet armement, mais je me
fais fort de les chasser avec 6 grenadiers." Je me mis ä
rire et lui repondis, que pour estre sür de leur fait, il me
paroit, que leur etoit aussi necessaire de faire une provisiou
de courage, surtout s'ils avoient envie de se servir de celle,
qu'ils önt fait en armes.
La soiree s'est passee ä la foire et ä nous faire voguer.
Le 6 nous nous hätämes d'entendre la messe ä St. Criso-
stome de meilleure heure qu'ä Tordinaire, pour avoir le teins
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Älbrecht von Bayern ital. Heise. 203
d'y voir l'arsenal. C'en est certainement un des mieüx
garnis dans le monde. Ce qui y est de plus remarquable
est , que tout se trouve ä la main , et qu'ou n'a qu'ä se
porter d'une de ses salles ä Vautre, pour y voir tous leurs
manoeuvres differents, tant pour les fontes que la structure
des vaisseaux et galeres, enfin tout ce qu'il faut pour l'ar-
metuent de mer. Ils ont quelques mille pieces de canons,
tant pieces de bronze que fer, plus de 42 vaisseaux de
guerre, tant ä l'arsenal qu'en mer, dont on en voit des ä
demi acheves, d'autres commences, d'autres dejä parfaits,
leur monde se trouvant toujours occupe ä travailler. Ils
comptent de meme en tout 23 galeres et six galeaces, dont
il y a 4 dans l'arsenal. Ce qu'on estime le plus de tous
les ouvrages, oü ils excellent, ce sont les cordes pour las
ancres. Ceux de France aussi bien que des puissances
maritimes avouent, que nulle part on y reussissoit mieux
qu'ä cet arsenal de Venise. II est d'une grandeur prodigi-
euse, on lui donne jusqu'ä trois milles d'Italie ä Tentour,
de quoy ceux, qui le fönt, torabent aisement d'accord.
Nous y avons vu avec bien du plaisir le modele de Corfü,
comme il se trouve actuellement fortifie sous la direction
et par Tordre du mareschal Schullenbourg. Ce meme mare-
chal eut la complaisauce de m'expliquer tout lui-meme. II
me montra, par oü il fut attaque Tannee 1716, jusqu'oü
les Turcs avoient avance. Je fus surpris d'observer, que
les Turcs s'etant dejä rendus maitres de deux montagnes,
qui fönt la grande force de cette forteresse, en etoient
dejä au corps de la place, et que, si par une valeur saus
egal le marechal, se trouvant justement dans les ouvrages
exterieurs de la place et ai'ant pour y vaincre ou monrir
fait fermer la porte derriere lui, ne les avoit deloges, ce
lieu important se trouveroit actuellement sous la domination
des Turcs. II me compta, qu'il n'avoit que trois mille
homraes de garnison, et que la place se trouvoit en assez
[1882. IL Philos.-philol. hist. Cl. 2.] 14
Digitized by
Google
204 Sitzung der histor. Ülasse vom 1. Juli 1882.
niauvais etat. Malgre tout cela il les en chassa, leur prit
plas de 60 drapeaux et remporta une victoire complete. II
y en eut, qui me disoient ä Toreille, que les Turcs en
etant venus ä Tescalade, avoient mal pris leurs mesures, de
sorte que les eschelies etoient trop courtes, ce qui a con-
tribue le plus ä leur delogeraent. Que la chose soit comme
eile veuille, il faut toujours et de justice en laisser tout
Thonneur au marechal. (Test certainement un des plus
habiles generaux de notre siecle et sans doute un de ceux,
qui ont le plus d'experience. Ses discours ne laissent pas
que de donner des lumieres tres utiles ä tous ceux, qui
Tentendent, et chaque homnie de guerre doit se faire plaisir
de Tecouter. On ne scauroit cependant desavouer, qu'il
aime ä critiquer les actions cTautrui, et qu'il n'y a gaire
de grands dans le raonde, qui meritent son entiere appro-
bation. D'ailleurs c'est dommage, que ce grand homme
vieillit. II est fort casse, commence quelques fois, quoi-
que bien rarement, a s'embrouiller dans ses discours, perd
la vue et n'a plus Touie trop bonne, de sorte qu'il y a
ä craindre, qu'il ne durera plus longtems. 16 ) Apres nous
16) Schalenburg starb aber erst am 14. März 1747 im 86. Lebens-
jahre, nachdem er noch wenige Monate vorher ein militärisches Gut-
achten abgegeben. Sein Znsammentreffen mit Karl Albrecht zu Venedig
hat in dem gehaltvollen Werke „ Leben und Denkwürdigkeiten Johann
Mathias Reichsgrafen von der Schulenburg, Feldmarschalls in Diensten
der Republik Venedig" (1834) keine Erwähnung gefunden. Hingegen
fällt auf die dort (II, 254) mitgetheilte Stelle eines Briefes, den der
Marschall am 28. November 1738 aus Venedig schrieb, durch unsere
Publikation einiges Licht. „Quant" sagt Schulenburg „a la demarche
gracieuse de LL. AA.. EE. de Baviere, ce n'est qoe depuis peu de jours
que Tagent de cette cour m'a donne les quatre portraits, ceiui de feu
son pere a cause que j'ai 8er vi sous lui en Hongrie, sur le Rhin et au
siege de Mayence, comme aussi en Brabant des teras du feu roi Guil-
laume, et ensuite contre lui; et je puis dire, lorsque je le fus voir il
y a 18 ans a Munich, il m'a accable* de graces et de distinctions.
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 205
etre arretes assez longtems ä ce modele de Corfü, on nous
mena dans une grande salle et nous offrit des refrecbise-
ments. Nous achevänies ensuite de voir les vaisseaux de
guerre et galere?, qui sont actuellenient en ouvrage, et mou-
tämes dans le Bucentaure, lequel pour grande distinction
ils eHoient inten tiones de faire aller en mer dans le teras,
que nous nous y trouvämes. Cette raachine ne repondit
pas ä leur attente; soit par rapport ä la pesanteur de la
quantite de monde, qui nous a suivi, ou qu'ils n'avoient
pas pris assez de precaution, le Bucentaure ne vouloit pas
se remuer. Je me souvins, que Tannee 15 il marcha dans
le nioment, raais pour cette fois on croioit dejä, qu'il n'en
faisoit plus rien, jusqu'ä force de monde et d'effort, qu'on
fit en le tirant de tout cöte avec de grandes cordes, on le
mit enfin en mouvement et nous descendimes dans Teau
avec beaucoup d'applaudissement du peuple. 17 )
Voilä comrae nous avons fini notre matinee en tres
grand besoin de prendre un peu de repos. Ainsi on ne
fit plus rien ce jour lä, que d'aller ä la place et ä se faire
voguer le soir.
Mais Telecteur a trouv£ a propos de joindre aux 4 portraits, que je lui
avais demandes, une tabatiere, qui est une piece de cabinet, admiree
partout ici. Je ne sais, par quel mojen je nie suis rendu si digne de
Vamitie et de l'estirae, dont ce digne prince me fait assurer par la
lettre de son ministre, comme vous verrez par la copie, que je joins
ici. Si vous connaissiez cet electeur, vous avoueriez, que ce n'est pas
le moindre des souverains d'aujourd'hui en Europe." Durch die bezeich-
neten Geschenke sollten also ohne Zweifel die zu Venedig geleisteten
Dienste verdankt werden.
17) Am 2. März 1717 (nicht 1715) hatte der Kurprinz Karl Al-
brecht das Arsenal zu Venedig besucht und den Bucintoro bestiegen,
der sich sodann in Bewegung setzte. (Söltl a a. 0. S. 507). Jetzt
aber war es nicht mehr der Bucintoro von 1717 sondern ein im J. 1728
vom Stapel gelaufener, der 1797 in eine schwimmende Batterie ver-
wandelt und erst 1824 vollständig demolirt wurde (Venezia e le sue
lagune, 1847, vol. I, part. II, p. 202 s.)
14*
Digitized by
Google
206 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
Le 7 nous avons ete entendre la messe ä Notre Dame,
ou il y a un couvent de religieuses servites. 18 ) ^C'est lä
ou le nonce m'a attendu expres pour ine faire ses compli-
ments, qu'il accompagna de beaucoup de contestations des
plus polies. Je lui repondis avec la meme politesse, n'a-
yant pu que me louer des bonnes manieres et attentions
respectueuses du dit prelat. Et puis nous fümes aux je-
suites, ou il y a ä preseut des dominicains. Ils bätissent
uue nouvelle eglise, 19 ) qui est un tres beau morceau d'arcbi-
tecture avec beaucoup de inarbres, surtout la fa^ade, qui
est la seule chose d'acheve et tres belle ä voir.
L'apres-diner nous avons ete ä Muran, endroit oü on
fait les glaces et verres. C'est une tres belle promenade
a une demi heure de Venise. On y passe par les lagunes.
Plusieurs dames et cavaliers s'y promenent vers le soir pour
prendre le froid et se faire voguer. Nous y avons vu faire
un miroir, ce qui est assez curieux pour ceux, qui ne Ta-
voient jamais vu, mais comme la cbaleur y fut doublement
excessive, taut par rapport ä la scaison qu'au grand feu,
auquel on travaille, et que Tun et Tautre nous ä paru
d'autant plus insupportable , que nous etions toujours en
masque, la peine en cette occasion a surpasse le plaisir.
Apres notre retour nous allämes ä la foire et ä Topera.
Vers le minuit les musiciens de la ville nous donnerent
une grande Serenade sar le grand canal, qui etoit assez
amüsante. Elle a dure jusqu'au jour; je crois, qu'elle ne
seroit pas encore finie, si je ne les avois congedies moyen-
nant un petit present.
Le 8 nous avons entendu la messe aux recollets. L'a-
pres-diuer, comme il n'y avoit point de masques par rapport
18) Es muss also Santa Maria del Pianto gemeint sein (Venezia
II. 2, 283).
19) Santa Maria del Rosario alle Zattere, begonnen 1726 (Venezia
II. 2, 188 s. 321).
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Älbrecht von Bayern ital. Heise. 207
ä la veille de la pentecöte, nous avons passe nötre tems eu
compagnie du mareschal Schullenbourg ä voir les isles des
environs de Venise. Ce general s'etant donne la peine de
nous montrer et de nous expliquer toute chose, on a com-
mence par Tisle de St. Clement, qui est assez bien forti-
fiee, mais plus en dedans que les autres. Celles de Lido
et de Malamocco, donnant tout ä fait dans la grande mer,
sont de plus grande consequence. C'est dans cette premiere
isle qu'il y a une tres belle eglise et couvent de cainal-
dules. Apres nous estre informes de leurs regles et ma-
niere de vivre nous eüraes le plaisir d'entrer dans leurs
cellules et ä voir tout leur petit menage, qui est d'une
grande proprete. Leur pere superieur nous compta, qu'il
y a eu un doge, qui s'est fait moine chez eux, exemple
tres rare, et que dans la personne d'un doge la republique
ne fournira plus de si tot. De lä nous avons ete ä celle
de Lido. Cette isle est assez grande. Le general Schullen-
bourg nous a mene tout autour. Elle est tres bien forti-
fiee, et corame on ne scauroit entrer dans les lagunes que
par des canaux, que les Venitiens ont fait preparer expres
pour cela, ces isles en defendent Tentree, et c'est ce qui
rend Venise le plus formidable et meme inattaquable de
ce cöte lä, quasi tout le tour de la ville d'une etendue de
plusienrs milles se trouve palissade, dont Tentretien leur
cause une depense incroyable. II etoit etonnant de voir ce
bon vieillard trotter toute la journee par cette grande cha-
leur. II nous montra aussi les casermes et la garnison,
qui consistoit en fort peu de Dalmatiens, que Schullenbourg
assura estre une nation tres dure ä la fatigue et d'excellents
soldats. II y passa aussi par hazard un escadron de dragons,
qu'il fit marcher et ranger en bataille. J'ay trouve leurs
chevaux miserables, les hommes passables, mais rien d'extra-
ordinaire.
C'est apres les vingt trois heures, que nous en somraes
Digitized by
Google
208 Sitzung der histor. Classe vom 1, Juli 1882.
revenus pour aller ä un hospital nomme La Pietä et y en-
tendre une tres belle musique de filles trouvees, qu'on y
eleve. Effectivement elles ont excelle en toutes sortes d'in-
struments; quant aux voix, il n'y avoit rien d'extraordinaire.
Et voylä comme noas avons fini cette journee.
Le 9 nous avons este entendre la messe ä St. Job
aux ermites et de lä ä St. Simeon, oü nous avons fait nos
prieres les plus ardentes pour Tarne de madame Telectrice
ma mere, dont le coeur et les entrailles se trouvent depo-
sees dans cette eglise. 20 ) Apres quoy nous avons este aux
litanies des incurables, 2 1 ) oü il y a eu tres belle musique.
La voix de haute-contre d'une nommee Isabella surpassa
toutes autres, quoiqu'il y avoit encore deux autres excel-
lentes chanteuses. Ce meme jour on donna le bal dans la
maison du noble Gradenigo pour le fils du pretendant,
raais je ne m'y suis pas trouve.
Le 10 apres avoir entendu la messe ä S. Marco nous
avons este voir le grand conseil, nous pla^ant pele-mele
parmis nos dames et gentilhommes , malgre que les fils du
doge se sont toujours empresses de nous servir. La fa§on,
dont le scruttino se fit, est connue par tout le monde. Et
20) Die Pfarrkirche San Simeone Profeta, in deren Sprengel die
Kurfürstin- Wittwe 1727 — 1730 gewohnt zu haben scheint. Dass die
Leiche der am 10. März letzteren Jahres Verstorbenen im nächsten
Monate nach München transportirt wurde, ersieht man aus Toderini's
Manuskript (oben S. 178) womit die eigenhändigen Aufzeichnungen
des Kurfürsten Karl Albrecht im k. Hausarchive (Rockinger, Arbeiten
III in den Abhandl. der Akad. XV. 3 [1880] 189) zu vergleichen wären.
Nach Haeutle, Genealogie S. 74 befindet sich aber jetzt auch ein Zinn-
gefäss mit den Eingeweiden der Kurfürstin in der Gruft bei St. Kajetan
zu München.
21) Das Ospedale DegY Incurabili, welches im J. 1517 gegründet
wurde und im J. 1777 fallirte, lag auf den Zattere (Corner, Notizie
storiche delle chiese e monasteri di Venezia, 1758, p. 550; Venezia e
le sue lagune II. 1, 289).
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 209
de lä nous sommes entres dans la chambre du senat, oü il
y avoit bien moins de monde et il s'agissoit de Telection
d'un avvocatore di comune. (Test le noble Quirini, qui a
este elu. Le senateur Delphin s'est donne la peine ä nous
expliquer le tout. La grande police de cette republique et
leurs ordres, jointe ä une politique des plus fines, est ad-
mirable, de sorte qu'il y a a croire, qu'elle se soutiendra
toujours.
Apres avoir sorti du palais nous avons encore ete voir
S. Pietro di Castello, eglise du patriarche, et S. Cajetano, 22 )
qui est une des plus belies de Venise.
L'apres-diner je fis une petite visite ä la belle-fille du
doge, V Isabella Pisani. Le doge meine vint nous sur-
prendre dans son appartement et me fit mille contestations
des plus poliees. En cette occasion le doge a fait un pas,
qu'aucun autre n'a jamais fait.
Le soir se passa ä la foire et ä Topera.
Le 11 apres avoir entendu la messe ä St. Jean Cri-
sostomo et fait partir en deux burcelli toute notre suitte,
nous nous mimes en peotte vers les 13 heures d'Italie et
quittämes avec grand regret Tagreable Venise, metamor-
ph osant les c coureurs des masques en devots pelerins. Car
c'est dans Tintention d' assister ä la fete de St. Antoine
que nous nous embarquämes pour Padoue, et apres estre
sortis des lagunes et arrives ä Fusina^ oü nous avons re-
joint nos burcelli, nous y enträmes et poursuivimes Tagre-
able route de la Brenta. Nous dinämes en chemin faisant
dans le bateau, et j'etois resolu de mettre pied ä terre
pour voir la plus belle de toutes ces maisons de campagne,
appartenante au doge , mais la chaleur excessive , qu'il a
22) Da dem hl. Kajetan (Gaetano) in Venedig auch zu jener Zeit
keine Kirche geweiht war, so dürfte ein Missverständniss vorliegen und
etwa S. Ganciano oder S. Cassiano gemeint sein.
Digitized by
Google
210 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
fait ce jour lä, et plus encore la raison , que, m'etant fait
mal ä un pied, j'aurois eu peine ä niarcher, m'en ont em-
peche. Nous fimes tout ce chemin contre l'eau, tires par
des chevanx, en moins de 9 heures, etant arrives vers le
22 ä Padoue.
Coinme dans tout Tetat de Venise toutes les grandes
fetes se celebrent avec des masques et opera, les saints
pelerins, se trouvant dans Toccasion, sont devenus larrons
et ont commence par les plaisirs, differant la devotion au
jour jsuivant. Ainsi, ä peine arrivez, nous nous preparämes
pour Topera. Tout fut occupe ä se masquer et ä j aller
d'abord apr&s les 24 heures. Cet opera, nomine Le Siroe^
fut assez bien represente et plus applaudi que celui de Ve-
nise. Le merae jeuue garfon Lorenzo Girardi, qui a brille
ä Verone, et que j'ai arrete pour notre opera de Munic, 28 )
y fit le premier rolle. Pinaci^ qui chante la taille, plut
par rapport a son action , sa femme de meme , qui etoit
habillee en homme. Une autre ferame, nommee la Manzini,
merita de meme qnelque approbation. Elle fut generale
pour les danses, quoique les connoisseurs n'en pouvoient
applaudir qu'une seule danseuse, nommee la St. George,
laquelle ä la verite a danse de tres bonne gräce et avec
beaucoup de vitesse, n'ayant d'autre defaut que celui de
s'estre accommod^e au goüt italien en sautant un peu trop
haut, ce qui est assez difficile sans deranger le corps; ce-
pendant eile y reussit assez bien.
Je me trouvois bien puni d'avoir commence la devotion
par la mascärade, mon mal au pied ayant tellement em-
pire, que le lendemain, le 12, je fus oblige de garder le
lit toute la journee, oü la comtesse de Camb eut la com-
23) Ein Lorenzo Chirardi, Ghirardi aus Ravenna war in den
Jahren 1737 und 1738 bei der italienischen Oper in München engagirt
(Rudhart, Geschichte der Oper am Hofe zu München S. 186. 187).
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 211
plaisance de me tenir corapagnie, excepte le tems de de-
votion, dont eile scavoit faire meilleur usage que toute la
compagnie. Ce fut donc par visiter Teglise de St. Antoine
qu'elle comnien^a sa journee et y offrit un tres beau calice
d'or, garni de brillants et emeraudes avec des petites images
en etnail, representant les miracles de St. Antoine. On
nous compta ce meme jour, que peu de tems avant notre
arrivee ce saint doit avoir ressuscite un homrae assassine
et enterre, et que ce meme homme doit estre actuellement
ä Padoue, lequel cependant n'en parle ä personne, quoique
son frere et au tres, qui doivent avoir este presents, le con-
firment. La devotion de la comtesse de Camb fut sans
doute ce qui me procura une prompte guerison, car le jour
suivant je fus en etat d'aider ä celebrer la fete du saint,
oü eile se trouva de grand matin, donnant Texemple ä
tous, et y fit sa devotion. Le saint sacrifice se fit pour la
premiere fois daus ce meme calice, qu'elle presenta la veille ;
eile en fut communiee. La soiree se passa ä Topera, apres
laquelle le 14 ä la pointe du jour la metamorphose se fit tout
ä fait en bien. Nous quittämes les plaisirs et les masques en
quittant les etats de Venise et avons entame le chemin de Lau-
rette, qui etoit le veritable but de notre voyage. Nous dinämes
ä S. Carlo 24 ) et passämes sans nous arreter par des bien mau-
vais chemins et de pluie continuelle ä Ferare et arrivämes
vers 1 heure d'Italie ä Boulogne. A peine arrives, qu'une
deputation du senat, de dames et cavaliers fut dans notre
antichambre. Comme nous etions assez fatigues et tres mal
arranges, il n'y avoit pas moyen de paroitre, d'autant plus
que nous etions intentiones de partir le landemain de
grand matin, de sorte que m'excusant au tan t sur notre in-
24) Hier scheint ein Missverständniss zu obwalten, denn die topo-
graphischen Werke kennen keinen Ort dieses Namens zwischen Padua
und Ferrara.
Digitized by
Google
212 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
cognito que de n'avoir encore accepte nulle part de pa-
reilles demonstrations publiques, je leur fit temoigner ma
reconnoissance et remercier de leurs offres obligeantes , me
reservant de voir ä mon retour leur procession ä la fete
de Dieu et leur opera.
Le 15 je partis d'assez bonne heure apres avoir en-
tendu la messe. Nous eümes le plus beau cuemiu du monde,
la Lombardie paroissant dans ces envirous encore plus
brillante que nulle part. Le doux ramage des rossiggnols
nous accompagnoit partout. Nous dinämes ä Cesena et
fümes coucher ä Pesero.
Le 16 en ouvrant les jeux nous decouvrimes la mer
adriatique. Le bruit des vagues sembloit relever le cbant
des oiseaux; bien loin d'estre aussi doux, il nous donna
pourtant utfe diversite assez agreable. Une roue se trou-
vant toujours dans l'eau paroit briser les ondes et Tautre
demeurant sur le gravier s'assurer de la terre pour ne pas
estre emportee; c'est ainsi qu'on court plusieurs postes tout
au bord de la raer. Nous avons decouvert plusieurs vais-
seaux, galeres et aatres bätiments, ce qui nous occupoit
continuellement la vue. C'est ä Sinegali qu'on s'arreta
pour diner. A la derniere poste avant Laurette notre en-
voje Scarlati 25 ) avec le pere Halauer, assistant general,
que j'avois mande pour lui confesser et le consulter sur un
confesseur ä prendre, 26 ) vinrent au devant de nous. Le
25) Von den fünf Mitgliedern dieser Familie, welche 1678—1765
Bayern am päpstlichen Hofe vertraten (Heigel in den Sitzungsberichten
der historischen Classe der k. b. Akademie d. Wissensch., Jahrg. 1881,
Bd. II, S. 203 f.) ist es der Vorletzte, Philipp Max Baron von Scar-
latti (f 1742).
26) Der Jesuite Franz Xaver Hanauer, welcher im Jahre 1730
von Seite der oberdeutschen Provinz als Assistent des Ordensgenerales
nach Born geschickt worden war. In München bereits von früher, als
Rektor des dortigen Kollegiums, bekannt, wurde Hailauer selbst bald
hierauf an Stelle des am 19. April 1737 verstorbenen P. Joseph Falck
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern itdl. Meise. 213
premier m'assura, que le gouverneur monsignor Älberoni,
neveu du cardinal, avoit prepare son palais pour nous,
qu'il alloit nous recevoir avec plusieurs carosses ä 6 che-
vaux, et qu'enfin c'estoit une reception publique, qu'il nous
preparoit. Effectivement ce prelat parut ä prendre 2 milles
d'Italie, il mit pied ä terre, nous complimenta et offrit par
ordre du pape tout ce que Scarlati avoit predit. Je lui
fis bien des remercimens et en meme tems mes excuses
ordinaires. Nous restämes dans notre chaise de poste et
passämes outre. Trois ou quatre cens hommes des cbe-
vaux-legers nous accompagnerent. CTetoit des troupes ä
faire crever de rire, qui avoient veritablement l'air de sol-
dats du pape et qui ne servoient ä autre chose qu'ä nous
faire beaucoup de poussiere. A quoi j'ai remedie sur le
champ, pressant un peu notre postillon; il les devanfa, et
Ton a bientöt vu tous ces heros de Teglise s'eparpiller et
derneurer un ä un, de sorte qu'ils ne sont arrives qu'une
demie beure apres nous sans jamais plus se rassembler.
Enfin apres les 22 heures nous arrivämes heureuse-
ment ä la sainte maison , qui faisoit le but de notre vo-
yage. Nous y enträmes sur le champ, et Ton a veritable-
ment remarque un empressement egal en tous, ä qui se
jetteroit le plus aux pieds de la Ste. Vierge. Tous ceux,
qui n'y ont jamais ete, et sur tout la comtesse de Camb
avouerent d ? y avoir trouve ce que je leur avois predit,
c'est ä dire de s'estre senti frappe du premier abord et
d'avoir eu une vraye consolation interne. Cette sainte
chapelle, qui est tout miracle, inspire une devotion toute
particuliere , qui se trouve tout naturellement attachee ä
l'babitation de Jesus Christ et de la sainte famille. Le
zum Beichtvater des Kurfürsten ernannt und blieb es bis zu seinem am
5. Mai 1740 erfolgten Tode (vergl. Lang, Geschichte der Jesuiten in
Baiern S. 173. 176).
Digitized by
Google
214 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882,
tems etant trop court ce jour lä pour nous faire expliquer
toutes les particularites de cette chapelle deplacee deux fois
par les anges et apportee dans ce Heu, nous le remimes au
lepdeinain et apres nous estre remercies derechef autant du
logement que du traitement, que le gouverneur nous avoit
offert, nous allätnes loger ä l'auberge, oü le dit gouverneur
nous suivit. L'eveque, 27 ) qui ne faisoit que d'arriver, m'y
complimenta de meme. C'est un tres saint bomme, fort
exemplaire, ce qu'on remarque d'abord en lui, aussitöt qu'il
paroit. Ce prelat s'ecria beaucoup sur la grande devotion,
que les etrangers temoignent avoir ä ce saint Heu, laquelle
pour leur honte surpassoit de beaucoup celle des babitans.
Ce n'est pas lui raais bien d'autres, qui m'ont compte, qu'il
s'y doit trouver plus de 300 habitans de ces environs, qui
n'ont jamais entr^ dans la sainte chapelle. Enfin que ce
soit verite ou non, ce ne sera jamais un exemple ä suivre.
C'estoit donc le 17 que tout se prepara ä faire ses
devotions. Nous nous rendimes vers les 13 heures ä la
sainte chapelle, oü nous refümes le bon Dieu de meme que
toute notre suitte. Apres la premiere messe j'ofFris sur
Tautel nos deux coeurs, couverts du bonnet electorale et
garnis de saphirs et diamants; au milieu s'y trouvoient nos
deux chiffres en diamants. La comtesse de Camb apres j
avoir entendu quatre messes y resta encore plus longtems,
pour donner un nouvel exemple ä tous, ayant fait le tour
de la chapelle ä genoux, et cela d'une teile vitesse, que
ceux, qui l'accompagnerent , ont eu bien de la peine ä la
suivre. Elle revint ä Theure du diner, ou les deux prelats
nous ont tenu compagnie. Malgre nos protestations le
gouverneur envoya son present. Je n'en ai rien accepte
hormis les choses de devotion, dont il nous regala tous,
27) Vinzenz Anton Muscettola, seit 1728 f 1746 (Gams, Series
episc. eccles. cathol. p. 719).
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 215
que nous etions bien aise <T empörter avec nous. . L'apres-
diner se passa ä faire une petite provision de medailles,
chapelets, clochets et autres, dont plusieurs boatiques fu-
rent entierement vuidees. En attendant l'heure s'approcha
pour retourner ä la sainte chapelle, s'y faire montrer et
expliquer Je tout et ensuitte d'aller voir le tresor. Nous
nous [y] rendimes donc apres les 22 heures. On com-
meu§a par nous faire voir le tresor, qui est a la verite d'un
prix inestimable. Nous y trouväraes beaucoup de monu-
ments et offrandes de nos deux maisons et en ressentimes
une vraye consolation. Parmi les tableaux celui de Ra-
phael Urbino sur passe les autres. On nous montra aussi
Tendroit, oü le pave enfon9a avec un voleur, qui s'etoit
laisse enfermer dans cet endroit pour y voler le tresor et
dont il ne put sortir, se trouvant serre entre le marbre,
qui'enfon§a avec lui jusqu'ä ce qu'il fut pris. A la sainte
chapelle les orneinents, dont la Sainte Vierge est paree,
consistent en oflrandes precieuses derriere l'auteL Toutes
les lampes sont d'or massif. Ce qui snrpasse de bien loing
le prix de tout Tor du monde, et cela malgre sa simpli-
cite et sa structure d'une simple brique , est la cheminee,
que nous admirämes avec veneration, oü la Ste. Vierge fit
la cuisine. Comme dans une petite arraoire on nous montra
les petits plats de terre, dont la sainte famille se servoit.
Le bois, qui y tient la Separation, se trouve encore si bien
conserve, comme si cela venoit d'estre fait, ce qui ne se
pourroit sans miracle. II y a aussi les portraits de la
Ste. Vierge et celui de Notre Seigneur crucifie, peints par
St. Luc. J'y ai fait Tobservation , que ce peintre etant le
seul, dont on peut s'attendre d'avoir fait le vrai original,
a decide de la dispute, qu'on fait, si Jesus Christ a este
crucifie ä trois ou quatre cloux, y ayant mis deux aux
pieds et par consequent decide par les 4. On y conserve
aussi Thabit de la Sainte Vierge et plusieurs autres choses.
Digitized by
Google
216 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
Ce qu'il y a encore de tres remarquable, est une poutre,
qui passe au travers du pave, laquelle pour la mieux con-
server a este couverte par trois fois de toutes sortes de
metaux, c'est ä dire de fer, d'or et argent. Tous ces me-
taux se sont trouves corrompus et aneantis par la suitte du
tems, et le bois reste toujours dans son estre saus la moindre
tache ni apparence de corruption. Toutes les pierres, dont
cette sainte maison est construite , se trouvent entieres et
dans le meilleur etat du monde et ne souffrent point de
division. Ilya des exemples, que raeme avec la permis-
sion du pape une pierre fut emportee, mais que celui, qui
avoit obtenu ce saint depöt, ne pouvoit jamais le garder, ayant
souffert continuellement des maladies les plus etranges, dont
il ne pouvoit guerir qu'apres avoir rendu cette pierre ä la
sainte maison. On a de plus et pour plus grande sürete
entoure cette sainte chapelle d'un autre mur, tout revetu
de marbre et magnifiquement orne de basreliefs, maisce
mur ne pouvoit jamais toucher les saintes murailles, les-
quelles se sont d'elles memes detachees de fafon, qu'un pe-
tit gar§on peut passer tout autour du vuide, qui reste entre
[les] deux. II est donc bien vrai, qu'outre la memoire
sacree de cette habitation cette maison est toute miracu-
leuse, car tout ce qu'on y observe ä present et tout ce qui
en reste ne subsiste que m i raculeu seinen t. C'est donc tout
edifies et remplis d'admiration que nous en sortimes, lors-
qu'une tres belle illumination nous frappa de nouveau. Le
gouverneur par une distinction tonte particuliere nous a
fait illuminer la sainte chapelle de la merae fa^on, dont
on cölebre tous les ans une fois le jour remarquable, au-
quel eile fut apportee par les anges. Cette illumination
fait un tres bei effet, le haut de cette chapelle se trouvant
couronne de mille et mille bougies. Ce qui donna le plus
ä la vue et la rend encore plus brillante, est une etoille
illuminee de la merae fa§on, qui descend pendant les litanies,
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 217
lesquelles furent chantees par d'excellents musiciens. Apres
les litanies j'en marquai ma reconnoissance au gouverneur,
et nous nous retirämes pour estre de bonne heure en train
le lendemain.
Le 18 apres avoir entendu la messe et fait le tour de
la sainte chapelle ä genoux avec toute notre suitte, le gou-
verneur nous offrit encore une fois des rinfreschi, mais
comme une sainte chaleur inspiree par la devotion ne doit
jamais estre rafroidie, nous Ten remerciämes avec le ferme
propos d'en demeurer toujours bien echauffes. C'est de
cette fafon que nous primes conge des deux prelatö , qui
nous accompagnerent jusqu'ä notre chaise de poste, et que
nous partiraes vers les 11 heures d'Italie. Nou9 avons fait
le meine chemin qu'en j allant, dine ä Fano et couchö ä
Bimini.
Le 19 apres avoir entendu la messe nous nous sommes
mis en chemin vers les 10 heures. Dinee ä Faenea dans
la maison d'un musicien nomme Borttoletto, qui etoit autre-
fois ä notre Service. 28 ) II nous fit voir sa maison, qui
etoit bätie avec bien du goüt. II fit un peu de musique
et donna un dine magnifique. De lä nous eümes en chemin
faisant quelque difficulte ä passer les eaux. Nous le fimes
cependant fort heureusement en bateau malgre les protesta-
tions des bateliers et postillons, dont les premiers nous
firent debarquer sur leurs epaules, ayant ete obliges de
porter un ä un ä terre, les chaises passerent de meine, et
nous enträmes ainsi dans Imola, d'oü apres avoir change
de chevaux nous avons continue notre route jusqu'ä Bou-
logne, oü nous arrivämes heureusement vers les 24 heures.
Lfe lendemain matin, le 20, la noblesse repeta les offres
de la depntation tant en ca valiers que dames, mais nous
28) Durch kurfürstliches Dekret vom 9. Novemhcr 1720 war der
Virtuos Bortolo Portoletto zum Kammermusikus aufgenommen worden
(vergl. Kudhart, Geschichte der Oper am Hofe zu München S. 188).
Digitized by
Google
218 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
nous en reraerciämes. Ce fut le quaranta Angenelli, qui
en porta la parole au nom du senat. Malgre le refus, que
j'en fis, les deux freres Angenelli et le marquis de Bar-
bazzo ne laisserent point que de nous accompagner partout.
Ce inatin toute notre antichambre, c'est ä dire la meilleure
chambre de notre auberge, fut reraplie de noblesse. Les
dames demanderent aussi la perinission de venir baiser la
main ä la comtesse de Camb , mais comme la place etoit
trop etroite, on leur fit dire de s'entendre entre elles, qu'on
en pouvoit recevoir dix ou douze par fois, et que Celles,
qui venoient le raatin, pouvoient rester ä diner. (Test ainsi
que nous l'avons observe pendant tout notre sejour, de
sorte que la plupart des dames, ou du moins Celles, qui
pouvoient paroitre en manteau, ont dine chez nous. Vers
les 14 heures apres avoir refu les complimens de cejte
nombreuse noblesse nous avons ete en carosse de louage,
oü pour mieux marquer Tincognito nous nous somnies tou-
jours places sur le devant. A une maison du seminaire
vis ä vis du graud dorne, oü il faisoit la procession et y
avoit un balcon arrete pour nous, le hazard voulut, que ce
meine endroit fut arrete pour le fils du pretendant, qu'on
traitte comme prince de Galles en ce pays la, et que par
cette meme raison nous ne pouvions pas nous voir, par
bonheur que nous fümes dejä places, lorsqu'il arriva. II
descendit a la meme maison, monta les escaliers et fut
dejä avance pour entrer dans la löge, lorsque son gouverneur
(qui est un digne homme) le retira par la manche et Temmena
dans une autre maison de la meme contree. II nous fit meme
faire ses excuses, comme quoy le hazard avoit voulu, qu'on
lui avoit indique la meme löge sans Tavertir, qu'elle etoit dejä
arretee pour nous. Ses excuses furent accompagnees de quan-
tite de contestations de respect et d'amitie, telles qu'on
devoit s'attendre d'un prince tres bien eleve et rempli de
politesse. Cette procession fut assez belle, quoyque pour
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kurf. Karl Älbrecht von Bayern ital. Reise. 219
dire la verite eile n'approche pas les nötres. Cependant
ce qu'il y a de plus remarquable est, qu'un chacun, qui
s'y trouve, porte un grand flambeau de cire ä la main.
Apres avoir vu la procession et avoir ete regales de
rinfreschi ä la mode d'Italie nous fümes entendre la messe
ä S. Pietro et de lä a diner au logis, oü une douzaine de
dames, qui viurent baiser la main ä madame la comtesse
de Camb, nous attendirent avec plusieurs ca valiers de di-
stinction, de sorte que la table, qui etoit couverte pour 32,
ne fut assez grande, et que ceux de notre suitte n'y avoient
plus de place. L'apres-diner on fit musique, pendant la-
quelle quelques autres dames vinrent faire leur cour. Vers
les 23 heures dous allämes au cours, oü il y avoit une
course de barbes, laquelle ä la verite n'etoit pas grande
cbose, cette fete n'ayant brille que par la grande quan-
tite de carosses et le nombre de dames, toutes tres bien
mises, qui s'y sont trouvees. Apres les 24 heures nous
avons ete ä Topera, qui porta le titre de Siface. La musi-
que y etoit fort belle et les decorations magnifiques. Ce
n'etoit cependant que les hommes qui ont soutenu cet
opera, car pour les femmes il n'y avoit pas moyen de les
entendre. En voix de soprano le fameux Carestini y bril-
loit le plus, un musicien de Tempereur, norame Salimbeni,
eut aussi son parti, et je puis dire, que ce jeune homme
m'a plu infinement; lequel s'il continue ainsi , deviendra
un des meilleurs d'Italie. Cependant la voix naturelle d'un
certain Amorevöli a paru Temporter sur tous. Je puis
dire, qu'aucun chanteur de basse taille ne m'a scu toucher
comme celui-ci. II a une agilite etonnante, fait tous ses
agrements avec bien du jugement et surpasse encore selon
raon goüt le fameux Paeta, 29 ) qui etoit le plus approuve
en Italic Une petite danseuse, nommee La Francese, eut
29) Richtig Paita.
[1882. IL Philos.-philol. bist. Cl. 2.] 15
Digitized by
Google
220 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
aussi beaucoup cTapprobation , quoiqne selou mon goüt je
lui preferois toujours celle de Padoue. Le reste de la danse
ne valoit pas grande chose.
Le 21 nous avons ete entendre la messe aux jesuites
dans la chapelle, qui servoit de chambre ä St. Xavier, en-
suitte dans la raaisoD de Casolani B0 ) , pour y voir la pro-
cession, et puis promener aux adoppie, sl ) qu'on nomme
ainsi ä Boulogne, c'est ä dire sous les arcades tapissees et
ornees dans les contrees, on passe la procession. C'est ce
qu'il y a de plus beau ä voir dans ce teras ici ä Boulogne.
Toute la noblesse s'y rassemble ordinairement avant Theure
du diner. Nous y renconträmes plusieurs et nous en re-
vinmes au logis, oü le nombre ordinaire de dames nouB
attendoit. Apres diner on fut se promener a la montagnola.
C'est une petite butte, qui se trouve au bout de la ville,
avec une espece de prairie au milieu et des arbres plantes
tout autour. C'est la oü pendant Tete on fait une espece
de cours. Toute la noblesse y va, et les carrosses s'arretent
comme en cercle dans cette prairie ; les dames demeurent
en carrosse, ce ne sont que les ca valiers qui mettent pied
ä terre et s'en vont d'un carrosse ä l'autre pour entretenir
les dames. De la montagnola nous fümes ä Topera et de
lä au logis.
Le 22 au matin nous avons ete visiter la sainte, c'est
a dire Ste. Catherine de Boulogne, mais nous n'avons pu
la voir qu'au travers d'une grille, le cardinal s'excusant,
qu'il n'y avoit que le pape seul, qui pouvoit donner la
permission d'entrer dans le couvent. La comtesse de Camb
cependant fit naitre la question, que sortant de deux mai-
30) Vermuthlich des Dr. med. Anton Kajetan Casolani, dessen
Schwester Maria Elisabeth 1719—1731 am Münchener Hofe als „Singerin - ,
dann als Kammervirtuosin gedient hatte und am 17. Oktober 1732 zu
Bologna gestorben war'(vergl. Rudhart a. a. 0. S. 186).
31) Wohl addobbi.
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kurf. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 221
sons fondatrices de plusieurs couvents de Vordre de Ste. Ciaire,
qui est celui de ces religieuses, eile croioit, que saus autre
nous pourrions jouir du privilege dV entrer. Je fis faire
lä-dessns des nouvelles remonstrances an cardinal, qui les
trouva lui merae d'assez de fond pour nous faire dire, que
cette perniission, qu'il ne pouvoit pas donner, nous Tap-
portions par nous memes, et qu'ainsi il n'y avoit pas des
difficultez pour nous, mais qu'il prioit, que ce fftt avec peu
de monde. 11 etoit trop tard pour cette matinee, ainsi
nous avons remis cette visite ä Tapres-diner , puisqu'il fal-
loit encore voir Tinstitut, oü nous nous rendiraes encore
avant midi. C'est une grande maison, tres bien construite,
oü on trouve toute sorte de curiositez et tout cela separe
en diverses chambres. Dans Tune on voit des experiences
de cbimie merveilleuses, dans l'autre des choses physiques
et des möcaniques, Tecole des peintres et de Tarcbitecture
geometrique; des desseins d'ingenieurs apprentis et de tout
ce qu'on peut s'imaginer. L'une de ces chambres se trouve
remplie de toutes sortes des oiseaux de proye, conserves
dans leur plumage, dans l'autre des betes et insectes jus-
qu'aux poissons, ecrevisses de mer et semblables et du bois,
toutes sortes de pierres imaginables, enfin tout ce qu'il y
a de curieux se trouve rassemble en cet endroit. On nous
fit voir plusieurs effets d'air enferm6 et autre, dont tous les
spectateurs 3toient parfaitement coutents, enfin tout parut
admirable en ce Heu. Mais ce qui nous surprit le plus,
ce fut Donna Laura, une fille de 24 ans, qui a si bien
etudie, qu'elle a prip le grade de doctorat en philosopbie.
J'ai soubaite l'entendre disputer et lui fis proposer une
tbese. Elle y repondit avec autant d'eloquence que de
doctrine et de fa£on meine, qu'aucun des avocats auroit pu
se tirer mieux d'affaire qu'elle. 82 ) Nous devions encore
32) Laura Maria Katharina Bassi, geboren am 29. Oktober 1711
15*
Digitized by
Google
222 Sitzung der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
aller ä Tobservatoire, mais comme il etoit trop tard, que
de mon cöte je Tavois dejä vu une autre fois, que la com-
tesse de Camb ne voaloit pas monter si haut, et qu'il etoit
dejä plus de trois heures apres midi, nous en sommes re-
tournes au logis pour diner en compagnie de toutes ces
dames, qui dous attendoient comme ä Tordinaire. L'apres-
diner le duc de Modene 88 ) envoya encore une fois le mar-
quis de Bangoni, marquant, combien il etoit fache de ne
se point trouver en etat de nous voir, offrant en raeme
tems ses Services en tout, dont nous en pouvions avoir be-
soing pendant notre passage par son pai's. Comme d'abord
apres notre premiere arrivee j'y avois envoye le marquis
de Caponi et marque Tempressement , que nous avions de
voir les princesses, 84 ) elles ont Charge derechef le marquis
Rangoni pour nous proposer, si c'est ä Boulogne ä Topera,
ou bien ä notre passage ä Buonporto qu'elles pourroient
zu Bologna als Tochter eines Rechtsgelehrten, wurde 1732 zur Doktorin
der Philosophie graduirt, erhielt eine Professur derselben an der Uni-
versität ond lehrte daneben am „Instituto" Sprachen, Mathematik und
Physik. Sie heirathete 1738 einen Arzt Verati und starb zu Bologna
am 20. Februar 1778. Näheres über sie bei Fantuzzi, Notizie degli
scrittori bolognesi I, 384 — 391, womit Ersch und Gruber, Encyclopädie
VIII, 50 zu vergleichen. Laura's Disputation vor Karl Albrecht ist zu
Bologna unvergessen. Fantuzzi fügt der Erwähnung, dass unter anderen
dnrch Bologna reisenden Fürsten im Jahre 1739 auch der Kurprinz
Friedrich Christian von Sachsen sie disputiren gehört und ihr selbst
einige philosophische Fragen vorgelegt habe, die Anmerkung (p. 388
not. 6) bei: Lo stesso accadde nel passaggio per Bologna dell' elettore
di Baviera, che poi fu imperadore col nome di Carlo VII., essendosi
fatta udire a disputare nelle camere dell 1 instituto.
33) Rainaldo, der am 12. Oktober dieses Jahres starb (Litta, Fa-
miglie celebri italiane, „Este" tav. XVII).
34) Benedikte Ernestine Marie, geb. 18. Aug. 1697, unvermählt
gestorben im Jahre 1777 und Anna Amalie Josepha geb. 28. Juli 1699,
unvermählt gestorben 5. Juli 1778 (Litta a. a. 0. und Voigtel, Genea-
logische Tabellen, Tab. 260).
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Reise. 223
nous voir. La coratesse de Camb ayant juge, qu'il seroit
trop incomraode de s'arreter pendant le voyage, oü on se
trouveroit assez mal arrasge apres avoir passe la moitie de la
nuit en chaise de poste, et que meme on n'auroit eu assez
de loisir de s'entretenir avec d'aussi aimables cousines, 85 )
[nous] preferions l'entrevue de Boulogne, et c'est ainsi que
le marquis de Rangoni fut expedie.
Apres quoi nous avons ete au couvent de Sainte Ca-
therine. C'est certainement un grand miracle de voir cette
sainte assise dans un fauteuil sans estre appuiee. On dit,
que se relevant de son tombeau c'est par obeissance qu'elle
s'est inise dans cette Situation. Tout son saint corps se
trouve trös bien conserve, hormis que la peau est noire.
On y voit encore les ongles aux mains et aux pieds, les
deuis dans la boucbe et toutes les parties du visagö dans
leur entier depuis trois cent ans que cette sainte est morte.
Nous lui avons baise les pieds, et apres Tavoir admiree
quelque tems avec beaucoup de veneration sa chere abbesse
nous montra une partie du couvent, qui est assez beau.
En attendant l'heure de la montagnola s'approcba.
Nous y fumes, mais comme il y avoit une tres grande
quantite de carrosses et que la foule du menu peuple sui-
voient le notre, il n'y avoit pas moien de descendre sans
courir le risque d'estre ecrase par la populace. Ainsi nous
ne nous y arretämes que fort peu de tems. Etant retournes
au logis, nous nous preparämes pour le bal, oü nous al-
lämes vers 1 heure d'Italie. C'etoit dans la maison du
marquis Fibia qu'il fut donne. La plupart des quaranta^
c'est a dire leurs s&iateurs, nous re§urent en descendant
du cai*ro8se, et plusieurs dames en montant les escaliers
35) Ihre Grossmutter mütterlicherseits, Benedikte Henriette Phi-
lippine (f 1730), war nämlich eine mit Johann Friedrich Herzog von
Hannover verheiratete Tochter des Pfalzgrafen Eduard, eines Sohnes
des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz,
Digitized by
Google
224 Sitzung* der histor. Classe vom 1. Juli 1882.
vinrent au devant de nous. II falloit passer quatre ou
cinque chambres avant d'arriver ä la salle, toutes remplies
de noblesse. La salle etoit tres bien eclairee, de meme que
tout Tappartement. Toutes les dames s ? y trouverent ras-
semblees magnifiquement parees et inises de tres bon gollt,
ce qu'autrefois on ne voyoit pas en Italic II y en avoit
ä peu pres 150. A peine arrive, le maitre de ceremonie,
qui etoit un gentilhomme depute expres pour cela, m'invita
de commencer le bal. Je pris la comtesse de Carnb, ensuite
il lui fit prendre un prince polonois, qui se trouvoit ä cette
fete, ä lui une autre dame, et [c'est] ainsi qu'alternativement
il amena les ca valiers et daines, qui devoient danser. Apres
cela nous. dansämes quelques contredanses et avons reste ä
cette fete jusque vers les 7 heures d'Italie.
Le 23 apres avoir entendu la messe ä S. Pietro de lä
nous avons ete ä la maison d 1 Angenelli, qui nous a invites
pour une academie de musique. Ces messieurs aussi bien
que la inere et belles-filles nous attendirent en descendant
du carrosse et nous conduisirent dans une tres belle galerie
de glace, peinte en fresco, oü les chaises pour les danies
furent rangees des deux cötes et la musique en face. II
faut avouer, que c'etoit une de plus belles, que nous avions
entendu de longtems. Les trois chanteurs de Topera y
firent des merveilles , et ce Amorevole paroissoit dans la
cbambre encore" mieux que sur le theätre. Un dnetto, que
la Bosa, nommee La Bavaroise, cbanta avec Carestini, a
merite Tapplaudisseraent geueral. Cette cbanteuse est ex-
cellente, quand eile le veut bien, et chante träs mal, quand
eile est de mauvaise bumeur, ce qui lui arrive le plus sou-
vent. 86 ) Une autre chanteuse, nommee Torvoti, nous fiten-
36) Maria Rosa Schwarzraann, eine Metzgerstochter aus München,
wurde 1731 „Singerin 4 ', später „Kammervirtuosin 1 ' am kurfürstlichen
Hofe, heirathete am 24. Oktober 1736 den italienischen Schauspieler,
späteren Theatergarderobier Joseph Pasquali und starb am 16. No-
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 225
tendre une tres belle voix. C'est dommage, que la graisse
excessive Tempeche de chauter sur le theätre. Une autre
fille, nommee la Schiantarelli, se fit entendre sur le clavecin,
dont eile s'en acquitta ä merveille. Un joueur de basse de
viole, un autre de violon excellerent, enfin ce fut une musique
parfaite, pendant- laquelle on fut regale plusieurs fois par
des rinfreschi. CTetoit seulement dommage, que l'heure s'avan-
§ant, car il etoit dejä trois heures apres midi, nous a empeches
d'en jouir plus longtems. Nous fümes donc obliges de nous
en retourner au logis, pour ne pas faire attendre plus long-
tems la compagnie nombreuse, qui nous y attendoit.
Apres diner le marquis Bangoni revint nous dire, qu'il
y avoit deux dames de Modöne d'arrivees, qui vinrent nous
snrprendre dans notre auberge. Nous lui repondimes, que
ce seroit une surprise bien agreable pour nous, et puisqu'elles
le souhaitoient ainsi, que nous allions passer Tapres-diner
comme ä l'ordinaire aevc un peu de musique, effectivement
les princesses de Modene parurent tout d'un coup et lorsqu'on
s'y attendoit le moins dans notre chambre. La comtesse
de Camb les embrassa tendrement. Quant ä moi, j'ai re-
nouvele avec elles notre ancienne connoissance, me ressou-
venant toujours des grandes politesses, dont je fus accable
a leur cour et des marques d'araitie, que j'ai re9ues de cette
maison toutes les fois, que l'occasion s'en est presentee.
La comtesse les prit toutes deux par la main et les pla^a
ä cöte d'elle. Pour moi j'ai continue mon train ordinaire,
je me mis ä chasser tantot aupres de Tune, tantot aupres
de Tautre et tantot aussi entre les dames, comme Toccasion
s'en presenta. J'ai trouve ces princesses a^sez bien conser-
vees depuis les 21 ans que je ne les avois plus vues. Elles
sont tres aimables et marquent avoir beaucoup d'esprit,
veinber 1754. Wie es scheint, waren ihr Kunstreisen nach Italien er-
laubt, wo sie zu Neapel den Beinamen „La Bavarese" erhalten haben
soll (vergl. Rudbart, Geschichte der Oper am Hofe zu Münchens, 119).
Digitized by
Google
226 Sitzung der histor. Glasse vom 1. Juli 1882.
surtout l'ainee. Apres un entretien aussi agreable, qui dura
presque vers les 24 heures, les princesses prirent conge.
Pour jouir plus longtems de leur presence, je nie suis donne
la satisfaction de conduire l'ainee jusqu'au carrosse. Apres
quoy, le teras du cours etant passe, nous avons ete ä l'opera.
Les dites princesses vinrent d'abord dans notre löge et
convierent toutes les dames de Boulogne, de sorte qu'on
ne pouvoit pas se remuer. Ce fut donc en partie pour leur
faire place et pour leur rendre politesse pour politesse que
j'en sortis, ayant fait la ronde de quasi toutes les loges des
dames, qui ont este ehez nous. C'est ainsi que le tems
s'est ecoule, que l'opera finit, et que l'heure fixee pour notre
depart s'avan^it. Avant de sortir de l'opera je laissai
quelques petits Souvenirs ä ces messieurs, qui s'empresserent
le plus ä nous accompagner partout, c'est ä dire au marquis
JBarbazzo, quaranta Davia et les deux freres Angenelli. Nous
primes conge des princesses, nos cheres cousines, et nous
sommes v retires apres les deux heures apres minuit. Le tems,
qu'on employa pour souper et pour noug arranger, s'ecoula
jusqu'ä huit heures d'Italie, c'est ä dire quatre heures du
matin, oü nous avons quitte Tagreable sejour de Boulogne,
que surtout la comtesse de Camb regretta infiniment. Nous
avons entendu la messe ä la premiere poste ä St. Jean. 87 )
Le comte de Bandinella fit encore une fois ä Buonporto
des compliments du duc de Modene et s'informa, si nous
avons este bien servis. Comme dans tout le Modenois nous
le fümes le mieux du monde, nous lui en avons redouble
nos remercimens et fait faire des complimens reciproques
au duc de Modene. C'est d'ici qu'on nous montra l'endroit,
oü le comte de Königsegg fit le glorieux passage de la
Seccia, et oü il surprit l'armee fran^ise. 88 ) J'y ai observe
37) S. Giovanni.
38) Am 15. September 1734 bei Quistello. Da dieses aber nörd-
lich von Concordia liegt, so täuscht wohl den Verfasser sein Gedächtniss,
Digitized by
Google
v. Oefele: Des Kur f. Karl Albrecht von Bayern ital. Heise. 227
leur camp, qui etoit d'une terrible etendue, de sorte que,
8i on avoit profite sur le champ de la deroute, oü ils etoient,
ils auroient eu bien de la peine ä se reconnoitre, moins de
se rassembler, et la victoire auroit este complete. II est
bien certain, que tant l'homme de guerre que celui d'etat
et du cabinet n'a qu'un seul principe ä observer, que c'est
la en quoy consiste toute la politique dans le commerce des
hommes, c'est ä dire de bien prendre son tems. Voilä ce
qui decide de tout et ce qui regle toute chose. On a beau
faire les meilleures dispositions du monde, d'approfondir
toute chose dans son idee, de pourvoir tout ce qu'on croit
humaiDement possible : si Ton ne profite du tems pour faire
son coup, ou bien qu'on laisse echapper les moments favo-
rables, tout est envain, et ce qui est le plus triste est, que
les moments perdus ne reviennent plus. Pour parier en
voyageur diligent, nous n'avons pas perdu les nötres; ayant
avance bien vite, nous sommes arrives ä une heure apres
midi ä Concor dia. Le nom de cette ville me fait encore
ressouvenir du peu de cas, qu'on en fait dans le monde,
malgre [que] le proverbe latin : Concor dia res parvae crescunt,
discordia magnae düabuntur devroit assez nous en faire res-
souvenir. Mais ä quoy bon toutes ces reflexions, lesquelles
donnent tete ä tete dans les plus grandes occasions du monde,
pour des devots pelerins, lesquels ne devroient ä present guöres
s'embarasser de ces sortes d'affaires?
Nous en partimes fort Contents et apres avoir passe ä
Mautoue, oü malgre notre incognito [ils] nous saluerent du
canon et que le general avec plusieurs officiers nous firent
leurs reverences, nous sommes heureusement arrives apres
les 22 heurefe ä Roverbello^ oü nous couchämes pour la der-
weun er das Schlachtfeld bereits bei Buonporto gesehen haben will.
Näheres über diese Aktion und die vier Tage später von den Oester-
reichern verlorene Schlacht bei Guastalla bietet Schels in der oben
Anm. 5 «itirten Abhandlang resp. Zeitschrift, Bd. III, S. 133 ff. 223 ff.
Digitized by
Google
228 Sitzung der histor. Glosse i\om 1. Juli 1882.
niere fois de ce voyage en Italic Le 25 nöus partimes
apres les 9 heures d'Italie et apres avoir heureusement
passe la Ghiusa et tous les chemins les plus dangereux
nous sommes arrives ä Hälla ä nne henre apres midi. La
comtesse de Gamb n'avoit pas encore vu les manufactnres
de velours, ainsi je l'y ai menee, et nous y avons fait quel-
ques emplettes. De lä nous avons continue notre route
vers Trente, d'oü le comte de Wolkenstein est venu ä notre
rencontre, repetant son invitation pour nous recevoir dans
sa maison. Nous nous en sommes remercies et arrives ä
Trente apres les 24 heures.
Le lendemain, le 26, apres avoir entendu la messe
nous en repartimes, agites du train de redoubler nos pas,
selon le latin: motus in fine velocior, c'est ä dire, que tout
mouvement, qui va ä sa fin, se fait avec plus de vitesse.
C'est sur ce pied que nous avons fini notre voyage. Car
nous primes notre diner ä Polsan, soupämes ä Stainach,
dont apres souper nous avons continue le chemin sans nous
mettre au lit, passant le lendemain, le 27, ä la pointe du
jour ä Insprugg. Nous avons entendu la messe ä Seefeld y
oü on nous a montre la sainte hostie miraculeuse, dont
j'ai fait mention dans le commencement de notre voyage,
dine ä Benedictbeiren, ou le prelat nous a traitte magnifi-
quement et nous nous sommes arretes pres de trois heures.
Enfin c'est ä 8 heures et un quart sans estre attendu de
personne que nous fümes de retour ä Munic et avons joui
de la consolation d'embrasser notre chöre famille en par-
faite sante. La tendresse, qui se fit sentir de part et
d'autre, c'est une chose ä lire au fond des coeurs et par
consequent impossible ä detailler par ecrit. C'est ainsi que
gräce ä Dieu se finit heureusemeut notre pelerinage de
' Laurette, entrepris le 22 de may et acheve le 27 de juin 1737.
Digitized by
Google
Oeffentliche Sitzung
zur Vorfeier des Geburts- und Nainensfestes
Seiner Majestät des Königs Ludwig IL
am 29. Juli 1882.
Der Präsident Herr v. Döllinger verkündete Folgendes:
Die k. Akademie der Wissenschaften hatte im Jahre
1879 aus Anlass der Sa vigny-Stiftung die Preisauf-
gabe gestellt:
„Die Formeln des Edictum perpetuum (Hadriani) in
ihrem Wortlaute und ihrem Zusammenhange".
Rechtzeitig eingelaufen sind zwei Bearbeitungen, die
erste mit dem Motto „Conamur tenues grandia 44 , die zweite
mit dem Motto „Ahi quanto a dir quäl era e cosa dura 44 .
Ueber beide Arbeiten war das ürtheil des Herrn Professors
Dr. von Brinz, auf dessen Anratben seiner Zeit die Auf-
gabe gestellt wurde, erbeten und, wie dankbarst anerkannt
wird, in einem ebenso eingehend als überzeugend begrün-
deten Gutachten empfangen worden. Im Anschlüsse an
dieses Gutachten erklärt die Akademie, dass die mit dem
lateinischen Motto versehene Arbeit einer weiteren Berück-
sichtigung unwerth ist, hingegen der das italienische Motto
tragenden einlässlicHen Bearbeitung der ausgesetzte Preis
zuerkannt wird, da dieselbe als Lösung der gestellten Auf-
gabe zu betrachten ist, insoferne in ihr so viel geleistet
worden, als binnen der gesetzten Zeit von Einem geleistet
werden konnte, und ein Abschluss der Frage derartig er-
Digitized by
Google
230 Oe ff 'entliche Sitzung vom 29. Juli 1882.
reicht ist, dass alle weitere Forschung auf diesem Gebiete
fortan von diesem Werke ihren Ausgang nehmen wird.
Der Name des Verfassers ist: Dr. Otto Lenel, Privat-
docent an der Universität Leipzig.
Die vollständige Formulirung der Preisaufgabe hatte
den Wortlaut:
„Die Formeln des Edictum perpetuum (Hadriani) in
ihrem Wortlaute und ihrem Zusammenhange. In
der bekannten Arbeit RudorfTs „De iurisdictione
edictum" hat sich die Restitution des prätorischen
Edicts zum ersten Male dem formularen Bestand-
teile desselben zugewendet. In dieser Richtung soll
dieselbe nunmehr — und zwar mehr, als es bisher
geschehen ist — aus den Edicts-Commentaren selbst
heraus und unter Kritik der bisherigen Restitutionen
gefördert und zum möglichsten Abschlüsse gebracht
werden. tt
Die ausführlichere Begründung des Urtheiles, welches
sich die Akademie nach allen Seiten aneignete, lautet :
Die erste mit dem lateinischen Motto versehene Arbeit
wird jeder weiteren Berücksichtigung für unwerth erachtet;
der Verfasser erklärt selbst, bloss den Weg anzeigen zu wollen,
auf dem die gestellte Aufgabe zu lösen sein werde; aber auch
was er dafür beibringt , besteht auf dem Räume von nur 20
breit beschriebenen Folioseiten zu einem Drittel aus unwich-
tigen zum Theil unrichtigen Bemerkungen, im Uebrigen aus
unverarbeiteten Abschriften von Quellen- Citaten.
Dagegen ist die zweite mit dem italienischen Motto ver-
sehene 872 Folioseiten umfassende Arbeit als Lösung der ge-
stellten Aufgabe zu betrachten. — In Gemässheit der Auflage,
vorzugsweise durch Ausnutzung der Edicts-Commentare zu einer
wo möglich über RudorfFs ersten Versuch hinausgehenden voll-
ständigeren und genaueren Wiederherstellung der im Edict
proponirt gewesenen Formeln zu gelangen , hat der Verfasser
mit scharfem Sinne und feinem Gefühle , nicht uneingedenk
auch der Kunst des Nichtwissens, mit Vorsicht von Schritt zu
Schritt die Untersuchung weiter führend den in den Commen-
taren eingehaltenen Gang und daraus den Text der Interpre-
Digitized by
Google
Oeff entliche Sitzung vom 29. Juli 1882. 231
tation zu ermitteln gesucht, sorgfältig scheidend, was auf die
wenn überhaupt vorhandenen dann jedenfalls voranstehenden
Edicts- Clausein und was auf die erst nachfolgenden Formeln
sich bezieht. Es ist ihm auf diesem Wege gelungen, für zahl-
reiche Formeln zum Theil Bestätigung, häufiger Verbesserungen
und Ergänzungen zu finden, ja gelegentlich ganze Actionen
und Formeln , welche bisher Niemand im Corpus iuris treffen
zu können vermeinte, aus eben dieser Compilation neu hervor-
zuziehen. Die Ergebnisse sind um so erfreulicher, als noch
neuerdings von verschiedenen Seiten , ja vom Verfasser selbst
beim Beginn seiner Arbeit in Zweifel gezogen wurde, ob auf
dem durch die gestellte Aufgabe gewiesenen Wege etwas er-
hebliches zu finden sein werde.
Der Verfasser hat sogar über die Grenzen der gestellten
Aufgabe hinausgehend auch die Wiederherstellung der Edicte,
die Erforschung ihres Zusammenhanges , ihres Systemes und
dessen Durchführung im Grossen und Kleinen in seine Arbeit
hineingezogen. Was er darüber beibringt, dient nicht nur zur
Festigung der bezüglich der Formeln gewonnenen Ergebnisse
und zu der Einsicht, dass zu einem nicht geringen Theile der
Edicts-Text selbst für die Jurisprudenz massgebend war, es
ist auch darüber hinaus in vielen Punkten willkommen zu
heissen als Erweiterung der wissenschaftlichen Erkenntniss des
prätorischen Edicts überhaupt, dessen überlieferte Reste nun-
mehr ebenso wie bei Rudorff als ein innerlich und äusserlich
zusammenhängendes Ganze zur Darstellung gelangen.
Es kann nicht fehlen, dass in einer so ausgedehnten, eine
solche Masse von Einzelnheiten umfassenden Arbeit Manches
zweifelhaft bleibt, Anderes verbesserungsbedürftig, wieder An-
deres mit Grund bestreitbar erscheint, ja dass sogar hie und
da Versehen und Verstösse mituntergelaufen sind. Auch
möchten die scharfen Ausdrücke ohne Schaden zu vermeiden
gewesen sein, mit denen der Verfasser im heiligen Eifer seine
abfällige , immer übrigens rein sachlich gehaltene Kritik über
die Thätigkeit der Compilatoren Justinians, nicht minder über
manche frühere Restitutions-Versuche anderer Gelehrter, zumal
des um die Wiederherstellung des Edicts so hochverdienten
vom Verfasser selbst bereitwilligst anerkannten Rudorff, ge-
legentlich zu erkennen gibt.
Jedenfalls ist für die verlangte Wiederherstellung der
Digitized by
Google
232 Oeff entliche Sitzung vom 29. Juli 1882.
Formeln zumeist aus den Edictscommentaren in der Berichtig-
ung und Ergänzung RudoriTs so viel geleistet worden , als
binnen der gesetzten Zeit und von Einem geleistet werden
konnte ; und sollte sich auch zeigen , dass hiebei nicht Alles
erschöpft, fertig und richtig ist, so kann man doch sagen,
dass die Formelrestitution aus den Commentaren der gestellten
Aufgabe entsprechend insofern e zum möglichsten Abschlüsse
gebracht ist, als ein mit allen Mitteln der Wissenschaft aus-
gerüsteter Jurist die Commentare ad hoc durchgearbeitet, viel-
fachen, ja reichen Erfolg erzielt und diesen so klar, übersicht-
lich und verständig erörtert und dargestellt hat , dass wohl
alle Kritik und weitere Forschung auf diesem Gebiete fortan
von diesem Werke ihren Ausgang nehmen wird.
Die kgl. Akademie beschliesst demnach, dem Verfasser
der mit dem italienischen Motto bezeichneten Arbeit den aus-
gesetzten Preis der Savigny-Stiftung zuzuerkennen".
Wahlen.
Die in der allgemeinen Sitzung vom 21. Juni vorge-
nommene Wahl neuer Mitglieder hatte die allerhöchste
Bestätigung erhalten, und zwar:
A. Als ordentliche Mitglieder:
Der philosophisch-philologischen Classe:
Herr Dr. Andreas Spengel, Professor am Maximilians-
Gymnasium zu München , bisher ausserordentliches
Mitglied.
.„ Dr. Wilhelm Meyer, II. Secretär der k. Hof- und
Staatsbibliothek zu München, gleichfalls bisher ausser-
ordentliches Mitglied.
B. Als ausserordentliches Mitglied:
Der historischen Classe:
Herr Dr. Georg Gottfried Dehio, Privatdocent ander
Universität München.
Digitized by
Google
Oeff entliehe Sitzung vom 29. Juli 1882. 233
C. Als auswärtiges Mitglied:
Der philosophisch-philologischen Classe:
Herr Dr. Heinrich Schliemann z. Z. in der Troade.
D. Als cor respondir ende Mitglieder:
Der historischen Classe:
Herr Nikolaus Kalatschoff, Senator in St. Petersburg.
„ Dr. Friedrich Maassen, Professor an der Uni-
versität Wien.
„ Dr. Franz Ludwig Bau mann, fürstlich Fürsten-
bergischer Archiv-Secretär in Donaueschingen.
Digitized by
Google
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 4. November 1882.
Herr K. Hof mann trug vor:
„Zur Textkritik des Guillaume le Marechal".
Im letzten Januarheft der Romania (Nr. 41) findet
sich eine Arbeit von Paul Meyer .über eine von ihm neu-
entdeckte Reimchronik von grossem umfang (circa 20,000* V.)
und höchster Wichtigkeit. Sie handelt von Guillaume le
Marechal, Graf von Pembroke, Regent von England während
der drei ersten Jahre der Regierung Heinrichs III. (1216
bis 1272). Es ist die sehr detaillirte Lebensbeschreibung
eines hohen Magnaten, der 1219 fast achtzigjährig starb,
in seiner Jugend der Lieblingsritter Heinrichs mit dem
kurzen Mantel, des „jungen Königs" gewesen war, so dass
dieser ihn auf dem Todbette bat, sein Kreuz nach Jeru-
salem zu bringen, der dann einer der tapfersten Verthei-
diger Heinrichs IL im Kampfe gegen Richard von Poitou
und Philipp August war, der später unter Richard Löwen-
herz und Johann ohne Land beständig die höchsten Staats-
ämter inne hatte und als Johann von Allen verlassen «und
zu Grunde gerichtet, endlich starb, allein im Stande war,
die Vormundschaft des jungen Heinrich zu übernehmen,
die Regentschaft zu führen und trotz seines hohen Alters
den Sohn von Philipp August und seine Anhänger zu
Digitized by
Google
K. Hof mann: Zur Textkritik des Gruülaume le MarSchal. 235
schlagen und dem Lande Ruhe zu verschaffen. Man be-
greift, von welchem Werthe für die englische und fran-
zösische Geschichte der genaue Bericht über die Thaten
eines Mannes ist, der in den Ereignissen seiner Zeit eine
so hervorragende Rolle gespielt hat. So führt P. Meyer
das bedeutende Werk ein, von dem er als Probe ungefähr
anderthalbtausend Verse mit einem ausführlichen historischen
Commentar und philologischen Noten unter dem Text gibt.
Ich habe mich mit dem Werke natürlich sofort näher be-
kannt gemacht und erlaube mir als Resultat dieser Be-
schäftigung einige auf die Textkritik bezügliche Bemerk-
ungen und Vorschläge mitzutheilen.
Seite 47 Vers 5 dürfte der Verschluss so zu ergänzen
sein, im Anschluss an P. Meyers Ergänzung des 4. Verses,
manere acort.
V. 46 möchte ich statt delivre einfacher lui (aus lue)
lesen.
V. 181. Da Yembles offenbar verschrieben ist und in
dem folgenden annes nur armes stecken kann, so muss
zauächst aus yembles ein Adjectivum ausgeschieden werden
(durch e mit proz verbunden) denn eine Partikel oder ein
Prooomen, also qui nobles d' armes erte proz oder
statt qui auch que, welches mit dem ke des folgenden
Verses nicht Tautologie bilden würde, da das erste bedeutet
denn, das zweite so dass.
V. 269 — 70 scheint esteinz (umgekommen) und esteinz
(erloschen) als rührende Reime zusammenzugehören, feus
estreinz dürfte nicht sprachgebräuchlich sein.
V. 391. Lies Clers fu decreiz en escripture. decreiz
= discretus scheint alt französisch noch nicht belegt zu
sein, doch hat La Curne descrecion (raison) und zwar aus
anglonorm. Quelle (Britton).
V. 394 muss mau der fehlenden Silbe wegen statt Ec-
cestre nothwendig Eccecestre lesen (Exeter hiess Exancester).
[1882. U. P hilos.-philol. hist. Cl. 2.] 16
Digitized by
Google
236 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 4. November 1882.
V. 423 lies entese statt enteste, welches nur be-
deutet: in den Kopf steigen, begierig machen, während
enteser in der Bedeutung: zielen, eine Waffe gegen
einen richten, besser in den Zusammenhang passt.
V. 567 wird statt saillir zu lesen sein asaillir, denn
jenes bedeutet: einen Ausfall machen, während hier von
einem Angriff der Belagerer unter einem Schutzdach gegen
die Mauer die Rede ist.
V. 599 — 600 enden gleich, regardout, resguar-
dout. Der Herausgeber hat aus dem zweiten esguar-
dout gemacht. Ich glaube nicht, dass diess nöthig ist,
denn im ersteu Verse ist es ein aetives, im zweiten ein
iutransitives Zeitwort.
V. 602 sollen chevalers Stengel bedeuten
qui creissent en la lande lee
Qui ont la foille ague et lee.
Da canavera im Prov. cafiavera im Spauischen Schilfrohr
bedeutet, so wird eher ein zur Ableitung von canna ge-
höriges französisches Wort zu erwarten sein, wo dann frei-
lich das französische Wort in seiner latinisirten Form
cheneverium (= cannabarium) schon bei Du Gange
steht. Dieses bedeutet Hanfpflanzung und chenevier an
unserer Stelle wurde also die langen Hanfstängel bedeuten,
die allerdings in den landes wachsen und breite Blätter
haben. Immerhin dürfte nach der Identität der Form auch
die Bedeutung Schilfrohr ihre Geltung behalten, ja, sie
wird eigentlich vollständig bestätigt durch die Mittheilung
Littre's s. Nr. 2, dass lande un nom donne, dans quel-
ques provinces au Jone marin qui croit dans ces terres
incultes. On conpe les landes pour chauffer le four (also
ganz wie die italienische canna), ferner durch V. 617, wo
dem Rohr des Königs der Kopf abbricht, was nur bei
einem Schilfrohrkolben einen Sinn hat.
V. 622 hätte P. Meyer seine Emendation Ouvertüre
Digitized by
Google
K. Hof mann: Zur Textkritik des Gruülaume le Marechal. 237
doch unbedenklich in den Text setzen sollen, ebenso wie
V. 668 aler für das erste aillors.
V. 723 lies faiture wie V. 730.
S. 60, V. 6811 sollte es statt esduent wohl seduent
heissen.
V. 6852 lies ariere statt a tiere.
S. 64 V. 8935 sollte es statt entrefaites nicht besser
heissen entrefez il.
V. 8940 sollte nach France, da das folgende si ein
Satzglied verbindendes ist, nur ein Komma stehen.
V. S946 ist esloigne wohl im Sinne von Entfer-
nung genommen. Es findet sich nichts in den Wörter-
büchern, was recht hieher passte, denn ehloigne delai
DC. elongatio 2 würde wohl nur die Tautologie ergeben:
er solle sich durch keinen Aufenthalt aufhalten lassen.
Vollkommen passt dagegen der bekannte terminus techuicus
der Rechtssprache, der auch ganz in die gewöhnliche Sprache
übergegangen ist, essoigne = Entschuldigung (impedi-
mentum legitimum, ehaftiu not)
V. 8951 möchte ich aus dem oben zu V. 8940 ange-
gebenen Grunde interpungiren :
,E il si fist, si li loerent.
V. 8972. Die HS. hat frint oder fruit, daraus hat
P. Meyer freint gemacht und es in den Text gesetzt. Mit
V. 9085 verglichen dürfte in frint auch frit (friget) wie
dort stecken und mit Or me, (wie im folgenden Verse)
verbunden, würde es heissen: Nun friert es mich hinten
und vornen.
V. 8990 C. cuers statt cuirs.
V. 9687 C. Qu'ele fu neire e perse et pale.
V. 9095 iiga und 9101 fegie beziehen sich beide auf
geronnenes Blut. Es ist wichtig, dass dieser im Alt-
französischen so seltene Ausdruck hier zweimal erscheint.
In der alten Sprache gilt dafür bete, wie ich in meinem
16*
Digitized by
Google
236 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. November 1882.
V. 423 lies entese statt enteste, welches nur be-
deutet: in den Kopf steigen, begierig machen, während
enteser in der Bedeutung: zielen, eine Waffe gegen
einen richten, besser in den Zusammenhang passt.
V. 567 wird statt saillir zu lesen sein asaillir, denn
jenes bedeutet: einen Ausfall machen, während hier von
einem Angriff der Belagerer unter einem Schutzdach gegen
die Mauer die Rede ist.
■ V. 599 — 600 enden gleich, regardout, resguar-
dout. Der Herausgeber hat aus dem zweiten esguar-
dout gemacht. Ich glaube nicht, dass diess nöthig ist,
denn im ersteu Verse ist es ein actives, im zweiten ein
iu transitives Zeitwort.
V. 602 sollen chevalers Stengel bedeuten
qui creissent en la lande lee
Qui ont la foille ague et lee.
Da canavera im Prov. cafiavera im Spauischen Schilfrohr
bedeutet, so wird eher ein zur Ableitung von canna ge-
höriges französisches Wort zu erwarten sein, wo dann frei-
lich das französische Wort in seiner latinisirten Form
cheneverinm (= cannabarium) schon bei Du Gange
steht. Dieses bedeutet Hanfpflanzung und chenevier an
unserer Stelle wurde also die langen Hanfstängel bedeuten,
die allerdings in den landes wachsen und breite Blätter
haben. Immerhin dürfte nach der Identität der Form auch
die Bedeutung Schilfrohr ihre Geltung behalten, ja, sie
wird eigentlich vollständig bestätigt durch die Mittheilung
Littre's s. Nr. 2, dass lande un nom donne, dans quel-
ques provinces au Jone marin qui croit dans ces terres
incultes. On conpe les landes pour chauffer le four (also
ganz wie die italienische canna), ferner durch V. 617, wo
dem Rohr des Königs der Kopf abbricht, was nur bei
einem Schilfrohrkolben einen Sinn hat.
V. 622 hätte P. Meyer seine Emendation ouverture
Digitized by
Google
K. Hofmann: Zur Textkritik des Gruillaume le Marechal. 237
doch unbedenklich in den Text setzen sollen, ebenso wie
V. 668 aler für das erste aillors.
V. 723 lies faiture wie V. 730.
S. 60, V. 6811 sollte es statt esduent wohl secluent
heissen.
V. 6852 lies ariere statt a tiere.
S. 64 V. 8935 sollte es statt entrefaites nicht besser
heissen entrefez il.
V. 8940 sollte nach France, da das folgende si ein
Satzglied verbindendes ist, nur ein Komma stehen.
V. 8946 ist esloigne wohl im Sinne von Entfer-
nung genommen. Es findet sich nichts in den Wörter-
büchern, was recht hieher passte, denn ehloigne delai
DC. elongatio 2 würde wohl nur die Tautologie ergeben :
er solle sich durch keinen Aufenthalt aufhalten lassen.
Vollkommen passt dagegen der bekannte terminus techuicus
der Rechtssprache, der auch ganz in die gewöhnliche Sprache
übergegangen ist, essoigne = Entschuldigung (impedi-
mentum legitimum, ehaftiu not)
V. 8951 möchte ich aus dem oben zu V. 8940 ange-
gebenen Grunde interpungiren :
,E il si fist, si li loerent.
V. 8972. Die HS. hat frint oder fruit, daraus hat
P. Meyer freint gemacht und es in den Text gesetzt. Mit
V. 9085 verglichen dürfte in frint auch frit (friget) wie
dort stecken und mit Or me, (wie im folgenden Verse)
verbunden, würde es heissen: Nun friert es mich hinten
und vornen.
V. 8990 C. cuers statt cuirs.
V. 9687 C. Qu'ele fu neire e perse et pale.
V. 9095 iiga und 9101 fegie beziehen sich beide auf
geronnenes Blut. Es ist wichtig, dass dieser im Alt-
französischen so seltene Ausdruck hier zweimal erscheint.
In der alten Sprache gilt dafür bete, wie ich in meinem
16*
Digitized by
Google
238 Sitzung der phäos.-phüol. Classe vom 4. November 1882.
akademischen Aufsatze über das Lebermeer vor vielen
Jahren nachgewiesen habe. Im Neufranzösischen ist figer
häufiger gebraucht; aber die Etymologie davon, wie sie
sich nach Henricus Stepbanus und Du Cange bei Diez und
Littre findet und in den Büchern zweiten und dritten
Ranges wiederholt wird, ist unrichtig. Figer kommt
nicht vom lat. figere (Littre figere), sondern es ist eine
wörtliche Uebersetzung des altdeutschen giliberöt im Meri-
garto (= gelebert, weil in der alten Medicin die Leber als
geronnenes Blut betrachtet wurde). Ficätum wurde
bekanntlich früh zu figatum, Cass. Glossen schon figido.
Es ist diess ein schöner Beitrag zu den tausenden von
Fällen, in welchen romanische und germanische Wörter
zusammenfallen.
V. 9142 lies sur tere.
V. 9195—6 möchte ich den schönen und • effect vollen
rührenden Reim enor: enor nicht aufgeben, sondern lieber
zum Ausgangspunkt einer anderen Herstellung des Textes
machen. Wenn wir das erste enor als Ehre fassen, so ist
maint dafür unnöthig und aus dem folgenden Verse, wo es
stehen muss, hier eingeschoben. Wenn wir daher lesen
Par lui avez eu enor,
Mainte richesse e maint'enor
(Durch ihn habt ihr gehabt Ehre,
Manchen Reichthum und manches Lehen)
so kömmt der rührende Reim zur vollen Geltung.
V. 9205—6 ist wieder ein rührender Reim mit zwei
aveir (Habe und haben). Ich lese mit einer sehr leichten
Veränderung in den Buchstaben
1 ssi fu que tout ( = tolt) son aveir
A celui qui tout sout aveir = So geschah es,
Dass er (Estiene) seine ganze fahrende Habe (Baargeld)
Dem nahm (dem König) der Alles zu haben gewohnt war.
V. 9257 1. wie oben contre euer.
Digitized by
Google
Historische Classe.
Sitzung vom 4 November 1882.
Herr Würdinger hielt eipen Vortrag:
„Die Rentierst rasse von Scharnitz (Scarbia)
bis Parteukirchen (Parthanum) und die
mit ihr zusammenhängenden Befesti-
gungen 14 .
Ein längerer Aufenthalt an den Ufern des zwischen
Partenkirchen und Mitten wald gelegenen Barmsees bot mir
Gelegenheit die in dessen unmittelbarer Nähe liegende Römer-
strasse von der Scharnitz bis Partenkirchen genauer als bis-
her geschehen zu untersuchen, und ich erlaube mir das Er-
gebnis dieser Forschung zum Gegenstände meines Vortrages
zu machen. Die Untersuchung des Terrains ist wegen der
steten Veränderungen, welche durch immer wiederkehrende
Eingriffe der Elemente, durch die wechselnde Bewachsung
der Oberfläche des Bodens im Laufe der Jahrhunderte im
Hochgebirge hervorgerufen wurden, äusserst schwierig und
erfordert die grösste Vorsicht und Unbefangenheit. Un-
zählige Hügel, welche ihre Entstehung theils dem über den
Wurzelstöcken des abgetriebenen Scharnitz waldes sich biU
denden Humus, theils dem von den Bergen abgestürzten
Gerolle verdanken; durch Wildwasser eingeschnittene Rinn-
sale, die sich in verlassene Strassenbeete eingruben; Erd»
trichter als Wirkung von Wasser wirbeln; durch Eis- und
Scbneerutschungen entstandene, den Hpchäckern &hnelud©
Digitized by
Google
240 Sitzung der histor. Classe vom 4. November 1882.
Beete; sumpfiges Gelände, das früher trocken lag, sind ge-
eignet dem an die Formen der Ebene gewöhnten Auge
manche Täuschung und vergebliche Mühe zu bereiten.
Möge es mir gelungen sein bei Bestimmung der Details
der Strassen strecke , welche einen Theil der von Verona
nach Augsburg führenden Consularstrasse bildet, das Rich-
tige getroffen zu haben.
Ueber den Brenner als den niedrigsten , Punkt der
Tauernkette zog die Hauptstrasse von Italien nach Rätien.
Sie wurde schon unter Drusus ausgesteckt, unter dessen
Sohn Claudius (41 — 54) vollendet und erhielt nach Letz-
terem den Namen via Claudia Augusta. Sie führte von
Trient nach dem Knotenpunkte Wüten (Veldidena) bei
Innsbruck. Von hier aus lief die eine Strasse, das alte
Vindelicien betretend, nach Pons Oeni (Pfunzen) zum An-
schluss an die von Augsburg nach Salzburg führende, eine
zweite in westlicher Richtung über Leermoos, Reuti, Immen-
stadt nach Bregenz, die dritte endlich über Scarbia (Schar-
nitz), Parthanum (Partenkirchen) und das durch seine
Thalsperre und Römerfunde gekennzeichnete Oberau, zu
den bei Spatzenhausen am Staffelsee gesuchten Pontes Tes-
senios, dann nach Ambra (wahrscheinlich Schöngeising)
und Augusta Vindelicorum. — Scharnitz, der Ausgangs-
punkt unserer Untersuchung, ist abgesehen von seiner stra-
tegischen Lage durch das Auffinden von Grundmauern
eines römischen Gebäudes, sowie von Münzen aus der
Zeit Diocletians als römische Niederlassung erwiesen, und
auch die in der Peutingerischen Tafel mit XXI bezeichnete
Entfernung von Parthanum nach Scarbia entspricht der
Ortslage. In dem von der Isar zerrissenen, vom Kar-
wendel- und Mauleckberge eingeengten Thale kann von
Scharnitz aus in nördlicher Richtung die Römerstrasse nur
auf dem rechten Ufer erbaut worden sein. Unter den
Trümmer» der von der Erzherzogin Claudia 1632, dann
Digitized by
Google
Würdinger : Die Römerstrasse von Scharnitz bis Partenkirchen. 241
im 18. und 19. Jahrhunderte von den Oesterreichern er-
richteten Thalsperren, von denen die erstere den Namen
porta Claudia trägt, liegen die Spuren des alten Heerweges
begraben. Ob die in der Nähe der Wörthbrücke befind-
liche, dammartige, mit Nadelholz bewachsene Erhöhung
wirklich als Strassendamm diente, und nicht ein Schutt-
hügel ist, möchte schwer zu entscheiden sein, doch spricht'
für die erstere Eigenschaft ihre Richtung nach der Mühl-
brücke zu, bei der erst kürzlich Münzen Hadrians gefunden
wurden, während dann diese den Punkt des ältesten Fluss-
überganges bezeichnet. Von der Brücke bis Mitten wald
verliert sich der Strassenzug gänzlich. Lässt das Auffinden
von Münzen aus der Zeit Hadrians, Constantins, Constan-
tinus des Jüngern, sowie ein Meilenstein des Septimius Se-
verus (194 — 211), der von Kaiser Maximilian I. nach Inns-
bruck verbracht wurde, auf eine Niederlassung der Römer
an diesem Platze schliessen, so kann trotz des Ausspruches
Aventins, Mittenwald sei von Alters her ein castrum muni-
tissiraum gewesen, an der Stelle des heutigen Marktes, der
mehrseitig überhöht ist, ein grösserer Militärposten nicht
gesucht werden, doch erscheint der mehr südlich gelegene
Burgberg für eine Hochwarte sehr geeiguet: Er liegt an
der engsten Stelle des Thaies, und schliesst das vom Ferchen-
see und der Leutaschklamm auslaufende Defile. Die Wich-
tigkeit beider Engnisse erhellt am Besten aus den No-
vemberereignissen des Jahres 1805.
Zwei Kilometer von Mittenwald unweit der Gabelung
der nach Partenkirchen und Wallgau führenden Strassen,
zeigt sich die Römerstrasse deutlich. Sie steigt aus dem
Isarthale in ieiner Schlucht auf die nordwestlich des Flusses
gelegene Höhe, führt längs der Krone, theil weise tief ein-
geschnitten gegen den Schmalsee hinab, auf dessen west-
lichem Ufer sie auf eine kurze Strecke gut erkennbar sich
hinzieht. Nach Ueberscbreitung der Mulde, in die der
Digitized by
Google
242 Sitzung der histor. Classe vom 4. November 1882.
See gebettet ist, wendet sich der Strassenzug in scbarfem
Winkel rechts von der Poststrasse ab und erscheint als
Hohlweg zur Schmalseehöhe aufsteigend, zwischen zwei
Kuppen als ein 8' breiter, 2—3' hoher Strassendamm mit
Wassergräben. Während nun der Hauptzug die Landstrasse
überschreitend sich in nordwestlicher Richtung dem Dorfe
Clais nähert, zweigt sich noch auf der Schmalseehöhe von
ihm in östlicher Richtung gegen Krün zu eine Seiten-
strasse ab. Sie bildet die kürzeste Verbindung mit dem
Isarthale bei Wallgau, und wird noch jetzt benützt. Von
vielen Nebengeleisen durchfurcht ist sie oft kaum kennbar,
an einer Terrasse südöstlich des Tennensees erscheint sie
auf einer längeren Strecke als künstlich eingeschnittener
Weg. In ihrer Nähe liegen mehrere Hügel, die ihrer
Stein - Umfassung nach zu schliessen , Gräber enthalten
könnten. Zur Heerstrasse zurückkehrend, so erscheint
diese auf der Höhe südlich von Clais deutlich als alter
Heerweg, und senkt sich dann als Hohlweg, der mit einer
Rampe endet, in das vom Kranzbache gebildete Thal. Von
Clais aus zieht sie zwischen den Bergen links der Post-
strasse als erhaltener von Kiesgruben und Wassergräben
begleiteter Strassendamm bis zum Gerold, und geht hier
in einen breiten rechts der Strasse liegenden Hohlweg über,
welcher, sich all mal ig verengend zuletzt dem Wasser des
Brandgrabens als Bett dient. Bei dem Defilee von Kalten-
bronn, einer Fundstätte von Römermünzen, kehrt der Römer-
weg wieder auf die linke Seite der Strasse zurück, und
senkt sich durch eine Schlacht auf eine tiefer gelegene
Terrasse, auf der er, wenn nicht im Thale des Kanker-
baches selbst, den Zug nach Partenkirchen fortsetzt. Hier
möchte auf dem Set. Antoniusberge, der vor einigen Jahren
als Fundort von Broncewaffen und Schmuck sich ergab,
das Castell gestanden haben. Ein früher in Partenkirchen
aufbewahrter Meilenstein, der nunmehr verschwunden, gab
Digitized by
Google
Würdinger: Die Römerstrasse von Scharnitz bis Partenkirchen. 243
die Entfernung von Augusta Vindelicorum bis Parthanum
mit 66,000 Schritten an. Ob ein genaueres Suchen nach
dem alten Parthanum zu günstigen archäologischen Funden
führen wird, möchte ich bezweifeln, Bauten nach Art der
in der Ebene aufgefundenen scheinen mir im Gebirge nicht
ausgeführt worden zu sein. Für den Bau der Römerstrassen
im Gebirge ergaben bei der Untersuchung der beschrie-
benen Strecke sich für mich folgende Anhaltspunkte : Mög-
lichste Vermeidung der Führung in der Ueberschwemmungen
ausgesetzten Tiefe, sie laufen möglichst wenig auf dem
Kamme der Höhe , sondern sind in die Wände derselben
eingeschnitten, nur in den Mulden und bei Ueberschreitung
der Wiesen erscheint ein von Graben begleiteter Strassen-
dämm; wo es nöthig ist von der Höhe in das Thal herab-
zusteigen, wird dieses auf dem kürzesten Wege überschritten,
und möglichst rasch wieder eine dominirende Lage für die
Fortführung gesucht; durch Weichland führt der Weg auf
mit Kies überdeckten Knüppeldämmen.
Eine weitere Frage, und zwar eine der wichtigsten ist
die: durch welche Befestigungsarbeiten wurde diese ebenso
für den Vor- wie den Rückmarsch wichtige Strassen strecke
gegen einen feindlichen Ueberfall oder Angriff der Bar-
baren gedeckt? entsprechen dieselben den Grundsätzen,
welche die Römer bei Errichtung derartiger Werke be-
folgten, oder benützten sie hier bereits vorhandene Ver-
schanzungen der früheren Bewohner des Landes? Die Haupt-
gefahr drohte der Römerstrasse von Nordosten her. Aus
dem gegen Norden gelegenen Lande führte über den Kessel-
berg eine Strasse, die vor ihrem Austritte in das Isarthal
durch eine Reihe von Bergen gegen Einsicht geschützt ist,
und Raum zum unbemerkten Ansammeln von Streitkräften
bietet. Sie mündet in dem am südlichen Abhänge der
Schafköpfe gelegenen Wallgau. Vor genanntem Orte öffnen
sich in der Richtung gegen die Römerstrasse zu zwei De-
Digitized by
Google
244 Sitzung der histor. Classe vom 4. November 1SS2.
fileen, in südlicher Richtung das nach Mittenwald führende
Isarthal, gegen Westen ein mehrere Kilometer langes und
breites ehemaliges Seebeet, das nach Ueberschreitung des
vom alten Wasserstande übrig gebliebenen Barmsees sich
in zwei Thäler theilt, welche jetzt von dem Grub- und
Wagenbrechsee der Breite nach geschlossen , bis an den
Strassenkörper bei Clais und Gerold sich vorschieben.
Diese Ebene ist von der Terrasse, auf der Wallgau sich
befindet, nur durch den, den Charakter eines Gebirgswassers
tragenden Flintsbach getrennt.
Das durch die wechselnden Fluthen des Bergstromes
zerrissene, von den Berghängen mit Wald bewachsene Isar-
thal bot weniger Gefahr, doch sicherte sich auch hier der
kriegskundige Römer. Wo sich in einer Entfernung von
einer halben Stunde unterhalb Mitten wald das Thal am
Fusse des Karwendeis etwas erweitert, findet sich ein wall-
artiger Hochrain, und hinter diesem als Reduit der von
einem Graben umgebene Hirtbühl. Beide Werke erscheinen
als zur Sperrung des Thaies genügend.
Mehr Sorgfalt erforderte die Befestigung der nach
Westen gegen Clais zu sich öffnenden Mulde, und in ihrer
Ausführung bestätigt sich wieder, dass der Schwerpunkt
der römischen Ueberlegenheit und Macht mehr noch in
militärischen Anlagen, als in ihrer Taktik lag. Bei Unter-
suchung römischer Befestigungen handelt es sich hauptsäch-
lich darum, das Einzelne als Glied des Ganzen, dessen Be-
deutung in der innigen Zusammengehörigkeit der Theile
lag, zu betrachten.
Die südliche Begrenzung des bereits oben erwähnten
Seebettes bildet eine Reihe von aus Moränenschutt ge-
bildeten Hügeln, die sich mit kurzen Unterbrechungen von
Clais nach Krün an das Isar-Ufer ziehen und von da nach
Süden ausbiegend und zu bedeutenderer Höhe ansteigend in
einer dreifachen Reihe bis Mittenwald das linke Ufer dieses
Digitized by
Google
Würdinger: Die 'Römerstrasse von Schar nitz bis Partenkirchen. 245
Flusses bilden. In der dem Seebette zunächst gelegenen
Hügelkette findet sich am östlichen Fusse des Bärenbühls
fast Krün gegenüber die drohendste, breiteste Lücke. Ihrer
dem vorliegenden Gelände gegenüber tieferen Lage ent-
sprechend, ist das Terrain mit Benützung des künstlich her-
beigeleiteten Kranzbaches, der als ein nasser Graben gegen
Norden und Osten die Befestigung schützt, zu einer einge-
schnittenen Lagerstelle hergerichtet, die Westfront bilden
die abgestochenen Ränder des Bärenbühls, die Kehle ist
offen. In der Mitte des bei 200' breiten und ebenso tiefen
Lager- Raumes steht ein künstlicher Spähhügel, der auf einen
Abstand von 30 Schritten von einem Graben umgeben ist,
und das Reduit der Stellung bildet. Von dieser Umfassung
aus konnten alle Truppenbewegungen, die von Wallgau
ausgingen, beobachtet und in den Richtungen nach West
und Süd in die Flanke genommen werden. Die zweite
Lücke findet sich westlicher zwischen dem Bären- und See-
hügel, ihre Breite beträgt 120 Schritte. Sie ist mit einem
Walle geschlossen, der an der Basis 8, an der Krone 4 m.
breit, ausserdem 4 m. hoch ist. An seinem östlichen Ende
ist ein vom Bärenhügel künstlich geschiedener Hügel,
welcher sich zur Aufstellung einer Blide eignet und den
Durchgang des Kranzbaches schützt. Der westlichste der
Barmseehügel stösst an einen tiefen Morast, während vor
den übrigen der Barmsee selbst einen Angriff unmöglich
macht. Am nördlichen Ufer des Barmsees, den Pfahlbauten
gegenüber, befindet sich ein seiner Bauart nach von den
Urbewohnern errichteter Ringwall, er beherrscht den Raum
zwischen dem See-Ufer uud dem Fusse. des Bietschacher-
kopfes. — Vor den bis jetzt beschriebenen Werken liegen
dem Feinde zunächst längs des Flintsbaches einzelne Späh-
hügel als Vorhuten (praetenturae) und bilden mit ihnen
die erste Linie des Vertheidigungswerkes.
Nach dem Grundsatze der Römer wuchs der Wider-
Digitized by
Google
246 Sitzung der histor. Classe vom 4. November 1882.
stand gegen den andrängenden Feind nach der Tiefe zu,
e9 musste also nach Durchbrechung der ersten langgedehnten
Linie, eine zweite mit concentrirtem Widerstände vor-
handen sein.
Zwischen der durch Wälle verbundenen ersten Hügel-
reihe und der südlicher gelegenen zweiten zieht sich eine
breite Mulde hin, durch die jetzt die Strasse von Krün
nach Clais läuft. An ihr befindet sich in der südlichen
Hügelkette ein Einschnitt, durch welchen der kürzeste Weg
gegen die Höhe vor Mittenwald und die auf ihr befindliche
Römerstrasse führt. Um den gefahrlichen Punkt unschäd-
lich zu machen, errichteten die Vertheidiger zwei hoch über
dem Bette des Tennen-Sees, nach Nord und Westen ge-
legene Wälle, die sich an einen zur Vertheidigung geeig-
neten Hügel anlehnen und deren Fuss von dem oft ge-
nannten Kranzbache umflossen wird. Unmittelbar an dieses
Werk, das gleichsam den Stützpunkt am rechten Flügel bildet,
anschliessend, zieht sich ein 1 — 2 m. tiefes, 6 m. breites Ka-
nalbeet, das aus dem Kranzbache gespeist werden kann, über
500 Schritte gut erhalten quer über das Thal bis zur jetzigen
Strasse hin. Die jenseits derselben gelegene Fortsetzung
ist auf eine Strecke durch Culturen verwischt, erscheint
aber vor ihrem Abfalle zum Barmsee wieder als Graben
des äussersten Barmseehügels , der , oben künstlich abge-
plattet , eine Befestigung zum Schutze des linken Flügels
des Kanales getragen haben mag. Durch diesen Wasser-
graben, sowie die zwei auf seinen Flügeln gelegenen domi-
nirenden Höhen wurde das ganze Thal seiner Breite nach
abgesperrt. Ueberraschend war es mir auf die Frage, wozu
dieser Kanal gedient habe, aus dem Munde des Volkes zu
hören, auf diesem Wasser sei der Edelherr, der ein Heide
gewesen, von einem Schlosse zum andern, und dann in den
See mit seinen Kriegsleuten gefahren. — Zur zweiten Linie
zählen auch noch die weiter nach Westen gelegenen ge-
Digitized by
Google
Würdinger: Die Bömerstrasse von Scharnitz bis Partenkirchen. 247
waltigen Wälle, welche die zu beiden Seiten des „in der
Eltz" genannten Bergrückens befindlichen Defileen schliessen.
Ob bei Clais, dessen Name dem in der späteren Zeit für
Castellum gebrauchten clausura entstammen könnte, gegen-
über dem westlichen Ausgange der Mulde ein grösseres ge-
schlossenes Werk sich befand , wage ich aus Mangel an
näherer Untersuchung nicht zu behaupten, doch fiel mir
hinter und ober dem jetzigen Clais ein künstlich geebnetes
viereckiges Plateau auf, das zu einer Verteidigungsstellung
sich gut eignen würde; man fand hier auch bereits eine
Römermünze. Die bisher als römisch bezeichneten Mauer-
reste in der Thalmulde gehören aber, wie die Bloslegung
der Grundmauern zeigte, einem mittelalterlichen Kirchen-
baue an.
Innerhalb des beschriebenen Befestigungsringes finden
sich , besonders gut erhalten an der linken Seite der nach
Krün führenden Strasse, unverkennbare Spuren von längst
nicht mehr benützten künstlichen Wasserbetten. Sie waren
zur Aufnahme und Ableitung der von den Bergen kom-
menden Wildwasser, sowie zur Bewässerung der Wallgräben
angelegt. Ihr Bau kann bei den obwaltenden Schwierig-
keiten des Terrains nur von einem technisch gebildeten
Fachmanue ausgeführt worden sein. Als nach dem Ab-
züge der Römer die von ihnen erbauten Kanäle vernach-
lässigt und zerstört wurden, bildeten sich im Gelände Ver-
sumpfungen, hinter den Wällen Anstauungen, und letzteren
verdanken die seichten allmälig in Bruchland übergehenden
Tennen- und Grubsee ihre Entstehung, der Wagenbrechsee
wenigstens eine Vergrösserung.
Nehmen wir an, dass unter Castra nicht Eine einzige
Stätte, sondern ein gewisser Terrainabschnitt zu verstehen,
welcher für sich eine Befestigungsgruppe bildete, die von
einer bestimmten Anzahl Truppen besetzt war, so sind die
beschriebenen Schanzen am Barmsee und der Isar für die
Digitized by
Google
248 Sitzung der histor. Glosse vom 4. Nocember 1882.
von der Natur zum Schlusspunkte einer Verteidigungs-
stellung vorbereitete Scharnitz (Scarbia) Vorlager (Procastra),
welche die Zugänge zum Hauptlager und die dominirenden
Punkte desselben schützten. — Von den Hochwachten
(speculae) , welche alle Befestigungen an einer und der-
selben Strasse, sowie sämmtliche eines Thaies mit unter
sich zusammenhängenden Signallinien verbauden, fand ich
allerdings noch keine Mauerreste , doch mögen sie unter
den gegebenen Verhältnissen nur aus Holz gefertigt, dem
Zahne der Zeit unterlegen sein. An Höhen p un kte n . deren
Signale in Mittenwald und selbst in der Scharnitz gesehen
werden konnten, fehlt es selbst in der nächsten Nähe unserer
Befestigungen nicht, und zähle ich zu ihnen besonders den
westlich des Schmalsees gelegenen Strasshügel, auf dessen
Plateau eine Vertiefung zu sehen, welche für einen Thurm
Raum geboten hätte.
Für die Beurtheilung der Frage, ob die Römer bei
ihrem Einmärsche hier bereits Befestigungen vorfanden, und
dieselben nur vervollkommneten , oder ob sie von ihnen
neu errichtet wurden, ergeben sich folgende Anhaltspunkte.
Cäsar in den Büchern 2, 3, 5, 8 des gallischen Krieges
sagt über die Befestigungsweise der Celten, sie legten ihre
Kriegs- und Lagerplätze meist auf Felsen und Bergen, oder
auf äusseren Landzungen und Vorgebirgen, deren Zugänge
durch Gewässer und Sümpfe verwahrt wurden , an. Sie
umgaben diese mit Wällen aus festgestampfter Erde und
verbauden dieselben unter einander mit Pfahlreihen; dieses
Bild findet sich in unserer Befestigung vollständig. Ein
einziger, aber starker Wallgürtel mit der Lagerstelle bei
Krnn , aus der jederzeit in die Offensive übergegangen
werden konnte, die runde Form der Schanze am Barrasee
der gänzliche Mangel an Mauerwerk sprechen dafür, dass
dieses Vertheidigungswerk in schon vorrömischer Zeit als
Landwehre angelegt wurde. Durch ein zweckmässiges An-
Digitized by
Google
Würdinger: Die Bömerstrasse von Scharnitz bis Partenkirchen. 249
passen an die Verhältnisse des Bodens, wie durch den plau-
mässigen Zusammenhang und das Zusammenwirken mehrerer
isolirter Objecte zeichnen sich ja die germanischen Befesti-
gungen besonders aus. Von den Bewohnern dieses Land-
striches aber wissen wir, dass sie den kriegerischen Sinn
besassen, der zur Anlage einer solchen Befestigung Vorbe-
dingung ist. Bereits Horaz besingt die Tapferkeit und die
Stärke der auf hohen Bergen gelegenen Kriegsplätze der
Breuni oder Breones, deren Wohnsitze von Landeck im
Oberiunthal bis Achenthai und hinaus in die Gebirgspässe
von Partenkirchen , Füssen und Tegernsee lagen. Der un-
geheure Wald von Zierl in Tirol bis Oberau, der den
Naraeu Scharnitz trägt, war in ihrem Besitze. Seine Tapfer-
keit ehrend unterjochten die Römer dieses Volk nicht, sondern
Hessen es in seinen Wohnsitzen, und verwendeten dasselbe
als Grenz-Miliz zur Bewachung der Gebirgspässe (claustra
provinciae). Beim Anstürmen der Allemanen gegen das
römische Reich leisteten die Breoni gute Dienste, und die
bei Murnau gefundenen eigenthümlichen Gräber, sowie der ,
an der Wallgauer Brücke ausgegrabene Wurfspiess, dürften
aus diesen Kämpfen, deren Hauptschlag die Volkssage nach
Schlattan verlegt, stammen. Venantius Fortunatus 562,
Aribo in Corbinians Leben im 8. Jahrhundert, also in
einer Zeit, in der bereits Wallgau und Barmsee in den
Urkunden erscheinen, nennen noch die Brennonen als Ein-
wohner. In ihnen dürften also auch die befähigten Er-
bauer der ersten Befestigungen zu suchen sein.
Als die Römer in das Land kamen, wählten sie bei
Anlegung von Schutzwehren für ihre Eroberung dieselben
Terraingegenstände zu Hauptstützpunkten , welche bereits
von den Germanen zu Befestigungszwecken verwendet worden,
und ergänzten sie nach den Regeln der Kriegskunst. Ihnen
gehört die Anordung der zweiten Linie, die Führung der
Strasse von Mitten wald in das Innere der Verschanzung,
Digitized by
Google
250 Sitzung der histor. Classe vom 4. November 1882.
die Anlegung der Kanäle und Entwässerungsgräben an, durch
sie erhielt die Stellung erhöhte Widerstandsfähigkeit. — Bei
der hohen militärischen Bedeutung, welche das Defilee am
Barmsee, das Einzige, welches bis weit über Partenkirchen
hinaus von Osten her den nach Augsburg führenden Strassen-
zug bedroht, hat, war es nöthig, schon bei Anlage desselben
auf die Beobachtung und Sperrung des Engnisses bedacht zu
sein, und darum glaube ich , . dass das Vertheidigungswerk,
wie es jetzt noch vorhanden , zur Zeit des Drnsus und
seines Sohnes Claudius errichtet wurde; seine Bedeutung
behielt es aber auch noch , als die Römer nach Jahrhun-
derte langem Besitze des Landes von den Deutschen über
die Alpen zurückgedrängt wurden.
Am Schlüsse meiner Untersuchungen über die Römer-
strasse und deren Befestigungen angelangt, möchte doch
auch noch die Frage zu berühren sein ob von den Wohn-
stätten der früheren Bewohner dieser Gegend keine Spuren
erhalten blieben. — Es finden sich nun allerdings in der
zwischen dem Flintsbache und der ersten Hügelgruppe liegen-
den Ebene, wie auch auf den südlich gelegenen Hügeln in der
Nähe der Römerstrasse, eigenthümliche konische Gruben,
welche mit den unter dem Namen Martellen bekannten
kellerartigen Wohnräumen unserer Vorfahren die grösste
Aehulichkeit haben, doch möchte ich angesichts der Ver-
änderungen, welche die Gewalt der Gewässer auf diesem
Boden hervorrief, ohne genauere Untersuchung, ob sich
in diesen Trichtern auch Spureu einstiger menschlicher
Anwesenheit und Thätigkeit nachweisen lassen, kein Ur-
theil über deren ursprüngliche Bestimmung abgeben. Hoch-
interessant sind hingegen die beiden Pfahlbauten, welche
im Barmsee liegen, und den Uferbewohnern in Zeiten der
Gefahr Jahrhunderte lang als Zufluchtstätten gedient haben
mögen. Der am südlichen Ufer gelegene zieht sich mit
dem in Vertorfung begriffenen Festlande durch eine enge
Digitized by
Google
Würdinger: Die Bömerstrasse von Schar nitz bis Partenkirchen: 251
Reihe von Pfählen, welche eine Brücke trugen, verbunden
in einer Länge von 300 Metern von Ost nach West. Am
Ende des Steges beginnt eine Doppelreihe von starken
Pfählen, von denen mehrere noch die zur Verbindung mit
den Ueberlaghölzern nöthigen Zapfen zeigen. Von ihr
ziehen sich in senkrechter Richtung gegen Norden Reihen
eng aneinander stehender dünnerer Palisaden, welche nur
hie und da und an der Spitze mit dickeren , deren Köpfe
abgeplattet sind, unterbrochen werden. In den von diesen
Reihen gebildeten Zwischenräumen liegen am Seeboden die
hinabgestürzten Querhölzer. Die Köpfe der Pfähle reichen
bis auf l 1 /* und 2 m. an die Oberfläche des Wassers herauf.
Der zweite Bau liegt am nordöstlichen Ufer und bildet
ein regelmässiges Viereck , dessen einzelne Seiten 40 m.
lang sind. Eingehende Baggerungen sind bis jetzt noch
N^jicht vorgenommen worden , und die bisher gemachten
Funde, unter denen sich auch ein Paar kleiner Eisenmesser
und graphithaltige Trümmer von Töpfen befinden, sprechen,
wenn nicht die tieferen Lagen Gegenstände aus der Stein-
oder Broncezeit ergeben, für kein besonders hohes Alter
der Bauten. Dass die Ufer des Sees aber schon in sehr
früher historischer Zeit bewohnt waren , beweist die Er-
wähnung des Weilers Barmsee in einer Urkunde des Frei-
singer Bischofs Joseph, welcher von 749 — 764 regierte.
Erwähnung verdient noch, dass die im Beinhause des nahe-
gelegenen Wallgau aufbewahrten Schädel die Typen von
zwei ganz verschiedenen Völkerschaften tragen, weiteres
Material zur anthropologischen Forschung möchten mehrere
künstliche Hügel liefern, welche in dem alten Seebette
liegen, ich halte sie nach ihrer Form und Ausdehnung für
mit Steinen bedeckte Gräber.
[1882. IL Philos.-philol. hist. Ol. 2.]
Digitized by
Google
Digitized by
Google I
Sitzungsberichte
der
philosophisch-philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu Müinchen.
1882. Bd. II. Heft III.
München.
Akademische Buchdruckerei von F. Straub.
1882.
In Commistion bei G. Franz.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 2. December 1882.
Herr Wilh. Meyer hielt einen Vortrag:
„Ein Gedicht und ein Brief aus Preising
von den Jahren 1084 und 1085 und ein
Labyrinth mit Versen", sämmtliches aus Cod.
lat. 6394 der Münchener Bibliothek.
I.
Gesang an den heimkehrenden Heinrich IV. a. 1084.
Die Ankunft des Herrschers gab natürlich auch im
Mittelalter Veranlassung zu besonderen Festlichkeiten. In
alten Ritualbüchern findet sich oft ein besonderer Ordo ad
recipiendum regem etc. Natürlich war es, und wird durch
die Schilderungen in den Casus S. Galli und in andern
Quellen bezeugt, dass hiebei die Gelehrten, insbesondere die
Vorstände der Klosterschulen ihre Kunst in Festgedichten
und in musikalischen Compositionen zeigten. 1 ) In dem Falle,
1) Siebe hierüber besonders Schäbiger, Die Sängerschule St.
Gallens, S. 27—32. 38. 60. 62—64. 73. 74. 76. 77. 85.
[1882. IL Philos.-philol. hist. Cl. 3.] 18
Digitized by
Google
254 Sitzung der philos.-phUol. dlasse vom 2. December 1882.
auf welchen sich das folgende Gedicht bezieht, war, wie
schon die Anfangszeilen
Iste dies celebris decet ut sit in omnibus annis,
Caesar Teutonicam quo repetit patriam
bezeugen , die Feierlichkeit noch erhöht : sie galt dem
Herrscher, welcher nach längerer Abwesenheit in Italien,
nach harten Kämpfen und grossen Erfolgen siegreich in
die deutsche Heimath zurückkehrte.
Das Gedicht ist zwar in der aus Freising stammenden
lateinischen Handschrift in München no. 6394 (Servii Com-
mentarii in Virgilium saec. XI) erst von einer Hand aus
der Mitte des XII. Jahrhunderts eingeschrieben (auf einer
leergelassenen Stelle am Ende des 1. Buches der Georgica
f. 18 a), allein es ist gewiss schon früher entstanden. Das
zeigen zunächst die Reime. In den 31 Distichen haben
29 Zeilen gleiche Vokale und gleiche Consonanten (tem-
pestas: aestas), 16 gleiche Vokale aber ungleiche Conso-
nanten (virtutes: reluces) in den beiden Schlusssilben; in
17 Zeilen bindet der Reim nur die letzten Silben (pronas:
famulas). Diese Thatsache weist nach dem, was ich in der
Abhandlung über die lateinischen Rythmen S. 137 — 139
dargelegt habe, unser Gedicht in den Schluss des XI. oder
in den Anfang des XII. Jahrhunderts. Auf die Romfahrt
Heinrich des V. kann dasselbe sich nicht beziehen ; denn Hein-
rich V. hat weder das Gebiet der Gräfin Mathilde mit Feuer
und Schwert verwüstet (Vers 33) noch den Lateran besetzt
(V. 23).
Heinrich der IV. ist es vielmehr, welcher bei der Heim-
kehr aus Italien im Sommer 1084 mit diesem Gesänge be-
grüsst wurde. Das zeigt die Vergleichung dessen, was wir
von seinem dreijährigen (Vers 13) Aufenthalt in Italien
wissen. Für das Jahr 1081 gibt Stumpf (Reichskanzler)
die Daten 18. März Regensburg, 14. April Mailand, 4. Juni
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Gesang an Heinrich IV. a. 1084. 255
Rom, und für 1084: 29. April Rom, 23. Mai Sutri, 17. Juni
Verona, 4. Oct. Mainz. Seine Kämpfe mit Mathilde (V. 33 — 36)
schildert Donizo (M. Scr. XII p. 383):
Sola resistit ei Mathildis filia Petri,
Rex exardescens contra quam concitat enses
Proelia terrores et castris obsidiones.
und die Vita Anselmi c. 20: Heinricus omnem furorem . .
in Mathildam convertit, villas incendit, castella diruit.
Dem, was über die Vorgänge in Rom gesagt ist
(V. 20—26; V. 9), entsprechen die Notizen bei Ekkehard
c Per legatos Romanorum rogatus, ut pacificus rediret, Romam
rediit et ad portam Lateranensem castra ponens omnes
dedititios accepit . . 11. Kai. Aprilis multis stipatus cum
magna gloria intravit . . Rex cum regina Berhta in sancta
dominica paschae imperiali benedictione sublimatus est.
( C H. rex patricius Romanorum constituitur* fügt Siegbert
hinzu). Die Gesta Trevirorum (Scr. 8 p. 185) enthalten
einen Brief, welchen Heinrich (Roma rediens multa ibi
caede patrata et papa Gregorio fugato, quo certe nichil in
diebus illis celebriori farna ora omnium adimplebat) an den
Bischof Dietrich von Verdun schrieb, sich rühmend c cum
decem hominibus in nobis operatus est dominus, quod ante-
cessores nostri si fecissent cum decem milibus, miraculum
esset omnibus/ Am Schlüsse erklärt er c Deo favente in
festivitate Petri et Pauli (29. Juni) Radisponae erimus.'
Die Annales Augustani endlich berichten c In Italia triennio
transacto rex Gregorio septimo fideles ditioni suae sub-
iugavit . . reversus imperator Ratisponam cum omni af-
fectu et honore susceptus est.
Bei der feierlichen Begrüssung des heimkehrenden Sie-
gers wurde Ende Juni 1084 unser Gedicht gesungen. Das-
selbe hat durchaus keine lokale Färbung; da es aber in
einer Freisinger Handschrift nebst dem nachher zu be-
18*
Digitized by
Google
256 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 2. December 1883.
sprechenden Freisinger Aktenstück eingetragen ist, da ferner
der Bischof Meginward damals noch auf der Seite des Kaisers
stand, so ist wahrscheinlich dies Gedicht in Freising ge-
dichtet, componirt und dem Kaiser auf der Durchreise nach
Regensburg vorgesungen worden.
Bisher unbekannte Thatsachen lernen wir nicht aus
diesen Versen, allein sie haben dennoch beträchtlichen
Werth. Das Gedicht ist durchweg mit Neumen versehen:
wenn die Musiker einmal im Stande sein werden, die
Neumen in moderne Noten umzusetzen, so werden sie auch
entscheiden können, ob wir es mit einer traditionellen
Melodie oder einer neuen Compositum zu thun haben; im
letzteren Falle würde diese nach Ort und Zeit genau be-
stimmbare Composition ein wichtiges Denkmal der Musik-
geschichte werden.
Der Verfasser dieser Verse scheint mir ein begabter
Dichter gewesen zu sein. Er vermeidet es, viele Ereignisse
und Namen aufzuführen — es wäre unpoetisch und denen
gegenüber, welche All dies erlebt oder vollbracht hatten,
mindestens überflüssig gewesen — , allein die Hauptsachen
hebt er kräftig und im gewandtesten Stile hervor. Der
Charakter des Lobliedes verlangt oder entschuldigt wenigstens
einige üebertreibungen wie V. 20, auch die kirchlichen
Fragen werden vorsichtig behandelt (V. 49—60); trefflich
aber und für die damalige Stimmung eines guten T heiles
der Deutschen sehr bezeichnend ist die helle Freude über die
Thatkraft und die Erfolge des Herrschers, welche aus allen
Worten des Gedichtes hervorleuchtet. So ist dieses fein
ausgeführte Gedicht jedenfalls von Interesse für die Ge-
schichte der Literatur und des Reiches. 1 )
1) Der Gedankengang ist einfach: Begrüssung des Kaisers 1 — 18;
Lob der Kriegsthaten in Italien 19—36, der Thatkraft des Kaisers 37—48,
und der Vortheile, welche er der Kirche schafft, 49—60: also mit merk-
würdigem Parallelismus 18 + 18 + 12 + 12+2 Verse.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Gesang an Heinrich IV. a. 1084. 257
1 Iste dies celebris decet ut sit in omnibus annis,
C$sar Teutonicam Quo repetit patriam.
3 Cessat terapestas, in Ossäre redditur aestas,
Qu§ mundum nebulis Eripit et tenebris.
5 Inclyte C$sar, ave, virtutum luraine clare,
Pax tibi de c§lis Detur, ut ipse velis!
7 Qui regnatorum quasi gemma videris avoruni,
Quos satis excellis Laudibus et meritis.
9 Qu§ tibi, patricio, resonat laus carmine nostro,
Quam non precipuis Exuperes meritis?
11 Nam per virtutes belli pacisque reluces,
Sic ut in ambobus Sis nimis eximius.
13 Hoc factis magnis testatus es his tribus aunis,
Junctis perspicuo Viribus ingenio.
15 Hac quia mixtura superabas omnia dura
Consequiturque tuum Jam status arbitrium:
17 Hinc gratare deo, celebri donate troph^o,
Ascribasque sibi, Qu§ dedit ipse tibi.
19 Quod nulli patrum decus est tibi, domne, paratum,
Lamberet ut plantas Roma superba tuas.
21 Huius tu culmen percussisti quasi fulmen
Ad terramque ruit, Qu$ caput ante fuit.
23 Et Lateranorum munimina summa virorum
Complesti duro Milite cuncta tuo.
25 Primates Rom§ subiecti deditione
Te pie placabant, Dum sua colla dabant.
27 Cui fuit ex Carolis ea gloria vel Ludovuicis,
Cui fuit Ottonum Tarn speciale bonum?
29 Urbes murat§ per plana vel arce locatQ
Aut tibi se pronas Pr^buerant famulas,
31 Aut, veluti ventus cinerem raptat violentus,
Mox dispergebas, Jnclite victpr, eas,
Digitized by
Google
258 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 2. December 1882.
33 Regnum Tyrren§ vastasti Pentesileae;
Ipsa tripertitum Pertulit excidium.
35 Uiribus extensis late mit ignis et ensis,
Quorum dens reliqui Nil faciebat ibi.
37 Uirtutis cotem durum cupis esse laborem,
Qu§ velut exacuat Te nitidum faciat.
39 Perpeudis digne, quod testa coquatur in igne,
Quando laborifera diligis ire via.
41 Gloria venalem vitam facit imperialem,
Quam tu pro dignis Vendere non renuis.
43 Censes virtutem retinere per ardua lucem;
Alter et Aleides Dura sequenda vides.
45 Nempe co§qu§vo tibi gaudens turbine s<jvo,
Laudas fortun§ Munera dura tu§.
47 Quis mentem talera, rogo, quis sie imperialem
Aut habet aut habuit Aut habiturus erit?
49 Ex causis veris Isaac nunc alter haberis:
Nempe laborifer§ filius ecclesi§.
51 Post spes subduetas rediens sibi sera voluptas,
Qu§, dum cousenuit, Spem sibi te genuit.
53 H§c bene mutatum gaudet caput esse levatum
A te, domne, sibi. Gratia magna tibi!
55 Te fuerat dignum matri sie esse benignum,
• Sic refici voluit, Qu§ caput indoluit.
57 Nunc quia surrexit, quia te deus ipse revexit,
Te quia l$ta videt, Sara seeunda viret.
59 Atque reflorebit laudesque deo perhibebit,
Quod tecum regnum Tendat ad §therium.
61 Hoc pater et natus velit boc et spiritus almus,
Simplex triplicitas Trinaque simplicitas!
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ein Brief Bischofs Meginward a. 1085. 259
II.
Brief Bischofs Meginward von Freising a. 1085.
Die Blätterlagen der freisinger Serviushandschrift, aus
der ich das oben behandelte Gedicht gewonnen habe, sind
von verschiedenen Händen geschrieben. Mancher Schreiber
brauchte weniger Raum als der, welcher ihm das zu
schreibende Pensum zutheilte, berechnet hatte, so dass am
Ende der Blätterlage ein Theil des Blattes leer blieb. In
einer solchen leeren Stelle auf Blatt 179b hat eine Hand
aus der Mitte des XII. Jahrhunderts — nicht dieselbe,
welche das Gedicht auf Bl. 18 nachgetragen hatte — fol-
genden Brief eingeschrieben:
B. Archipresuli nominis celsitudinem moribns illumi-
nanti M. Frisingensium electus et receptus, in omnibus
feliciter prosperari.
Nostr§ necessitas ecclesi? compellit nos vos frequenter
invocare, ut propter deum, qui vos exaltavit in gloriam,
cogitetis, ne contra voluntatem suam vestram consecrationem
§quo diucius differatis. Prgsentate vestrg cogitationi Salz-
burgensem Frisingensem Pataviensem ecclesiam velut tres
luctuosas vos circumstare viduas, omnibus malefactorum per-
secutionibus dilaceratas, hoc modo necessariam vobiscum
habentes querimoniam: 'Usque quo, domine, cum emendare
possis nostram calamitatem, pateris? Jam per octo annos
miserrimam viduitatem sustinuimus, quia nullo defendente
vel habuimus qu§ noluimus, ecclesiasticarura videlicet rerum
invasiones clericorum obtruncationes homicidia periuria sacri-
legia, vel non habuimus qu§ voluimus, clericorum scilicet
ordinationes ecclesiarum consecrationes chrismatnm confec-
tiones. Cum vero dominus per prophetam dicat: si non
annunciaveris impio, ut avertat se a via sua, sanguinem
Digitized by
Google
260 Sitzung der phÜos.-phüol. Glosse com 2. December 1882.
eius de manu tua requiram, quid dicturus eris, qui nee ipse
ad annunciandum impiis viam suam intras, et intrare
desiderantes vetas?* Hoc si vobiscum ill§ tres miserrim§
sorores haberent colloquium, paratum fortassis congruum
responsum non baberetis, quia si diceretis c Bella adhue ne-
quaquam sopita nos vetant, iuventutis illecebrtj nos inpug-
nant', vobis responderent, quod inter raundanas varietates ibi
nostra fixa sint corda, ubi vera sunt gaudia.
Quapropter, domine, cogitate de vobis, ut cogitare
etiam possitis de nobis, ne nostr§ imponatis fraternitati
aliquam de vobis necessitatem conquerendi. Illud evan-
gelicum pensate c Jugum meum suave est et onus meum
leve\ cum et propbeta dicat 'Bonum est viro cum portaverit
iugum ab adolescentia sua.' Quidam ergo operarii Christi
vineam sanetam (Videlicet ecclesiam > spätere Hand am Rand)
ingrediuntur maue bora tercia sexta nona et undeeima, sed
tarnen omnes, quia operarii sunt dicti, ad operandum sunt
condueti. Unde, dilectissime domine, qui hora tercia id
est in adolescentia ad Christi vineam venistis, in ea laborare
non cessetis, ut incomparabilem denarium suseipiatis ad ex-
tremum. Tempestivum est etenim, ut vestr§ prudentiQ
lucerna ad dirigendos pedes nostros in viam pacis a modo
rutilet in ecclesia.
Da der Freisiger Bischof M*, welcher diesen Brief
schrieb, nur Meginward sein kann, der von 1078—1098
diese Würde bekleidete, so kann der ihm vorgesetzte —
also salzburger — Erzbischof B., an welchen das Schreiben
ging, nur Bertold sein.
Die Haltung, welche Meginward in dem Streite
zwischen Kaiser und Pabst beobachtete, war schon Meichel-
beck (Historia Frisingensis I p. 278 ff.) unklar und, trotz-
dem die Notizen jetzt gemehrt sind, ist sie noch nicht völlig
klar. Im Qct, 1079 ist Meginward beim Kaiser in Regens«
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ein Brief Bisclwfs Meginward a. 1085. 261
bürg (Mou. Boic. III, 104). Die Beschlüsse der Synode
von Brixen 25. Juni 1080, welche Gregor den VII. absetzte,
wurden auch von Meginward unterzeichnet: ego Megin-
wardus Frisingensis episcopus subscripsi. In Quedlinburg
verdammten a. 1085 die geistlichen Kirchenfürsten viele
kaiserlich gesinnte Erzbischöfe und Bischöfe; unter den
Verdammten befindet sich Meginward nicht. Aber unter
den Unterzeichnern der Beschlüsse, welche die kaiserlichen
Kirchenfürsten zu Mainz im Mai 1085 fassten, kommt
vor Meginardus Fruxinensis, d. h. wohl Meginwardus
Frisingensis.
Aber im Frühjahr 1086 hat Meginward die Partei ge-
wechselt. Die Annales Augustani berichten nemlich, der Zug
Heinrichs nach Sachsen in den ersten Monaten des Jahres 1086
sei besonders durch die Ränke einiger Herren in seinem
Heere, die wir später noch näher kennen lernen werden,
unglücklich ausgefallen ; dann . fahren sie weiter 'Imperatore
in Pauwariam reverso coniurationis suae assumptis fautoribus
Frisingam seducto cum dolis episcopo in paschali sol-
leranitate occupant . . Fridericus Alemanniae dux . . Fri-
singam (so besserte Giesebrecht das Frid der Handschrift)
civitatem, licet frustra, receperunt. Nam adversarii . . civi-
tatem ad deditionem coegerunt etepiscopum cum iura-
mento sibi associaverunt. So ist es nicht zu wun-
dern, dass Heinrichs heftigster Gegner, der salzburger
Erzbischof Gebhard, im Jahre 1086 (oder 1087 vgl. Giese-
brecht III, S. 1170, 4. Aufl.) wieder in sein Bisthum
zurückgeführt wurde c concomitantibns se episcopis, Pata-
viensi scilicet Altmanno et Meginwardo Frisingensi/
(Vita Gebehardi, Script. 11, 26). Wie lange er zum Pabste
hielt, ist nicht sicher. Die Chronik Bernolds (Script. 5, 449)
gibt zum Jahre 1089 c In Teutonicis partibus quatuor epis-
copi in catholica communione perstiterunt, Wirceburgensis
videlicet, Pataviensis, Wormatiensis, Constantiensis, set et
Digitized by
Google
262 Sitzung der philos.- philo!. Classe vom 2. December 1882.
Metensis episcopus, l ) quorum confortameuto reliqui catholici
scismaticis a principio restiterunt. Darnach war Meginward
damals schon zu den Anhängern des Kaisers zurückgekehrt.
Derselbe Bernold bemerkt nun zum Jahre 1090 c In Baioaria
fideles S. Petri iam adeo contra scismaticos invaluerunt, ut
in Salzburgensi episcopatu catholicum ordinarent archie-
piscopum, quem statim religiosissimus Pataviensis episcopus
et Urbani papae legatus cum Wirceburgensi et Frisingensi
episcopis sollemniter consecrant/ Hätte Bernold unter diesem
Preisinger Bischof den Meginward verstanden, wie man all-
gemein annimmt, dann widerspräche diese Angabe der oben
zu 1089 angeführten. Den richtigen Weg zeigen uns viel-
leicht die Annales S. Stephani Frising. (Script. 13, 52)
c a. 1090 Meginwardo et Herimanno pro episcopatu alter-
cantibus/ Dieser sonst völlig unbekannte Hermann wird
wohl von Bernold unter dem episcopus Frisingensis ver-
standen: er wäre also ein von der päbstlichen Partei auf-
gestellter Gegenbischof gewesen.
Vom Jahre 1093 an steht Meginward sicherlich auf
der Seite des Kaisers. Denn in zwei Schenkungsurkunden
Heinrich des IV., von Pavia 12. Mai 1093 datirt, erscheint
er als Zeuge, und die Annales S. Stephani, welche zu 1095
berichten c Meginwardus abstulit Erchangero abbatiam\ be-
richten dann zum Jahre 1097 'Heinricus imperator reversus
ab Italia reimpetravit Erchangero abbatiam.'
Bert hold dagegen war stets ein Werkzeug des Kaisers
und der Feind der päbstlichen Partei. Das Chron. Gurc.
(Script. 23, 8) nennt ihn c Pertoldus, qui a vulgo Prunzagel
dictus est, oriundus de Mosburch* und die Vita Chunradi
bemerkt 'De Mosburch hunc fuisse fratrem nobilissimi prin-
1) 'Cum quibusdam Saxonicis episcopis' ergänzt das unten sn er-
wähnende Annalenfragment.
Digitized by
Google
WÜh. Meyer: Ein Brief Bisclwfs Meginward a. 1085. 263
cipis Purchardi nomine accepimus/ l ) Wenn die Annales
S. Rudberti (Scr. 9, 774) berichten zu 1075 Perhtoldus . .
sedem occupat Nonis Mai, so ist wahrscheinlich nur das
Jahr, unter dem diese Notiz eingetragen wurde, falsch
(LXXV statt LXXXV), dagegen der Tag richtig. Denr das
von mir gefundene, dann von Giesebrecht (Kaiserzeit IV,
2. Aufl., S. 513—528) und in den Monumenta (Script. 13, 48)
veröffentlichte Bruchstück bairischer Annalen berichtet, dass
der Kaiser eine Synode nach Mainz c post 14 dies paschalis
festi* also auf den 19. April, angesagt, dort die feindseligen
Bischöfe abgesetzt und deren Würden ihm ergebenen Geist-
lichen verliehen habe. Da nun der obige Brief offenbar
noch in die Anfangszeit von Bertholds Regierung fällt,
Meginward aber Ostern 1086 zur päbstlichen Partei über-
trat, so muss er zwischen Mai 1085 und Ostern 1086 ge-
schrieben sein.
Wenn wir an der Hand des eben erwähnten Annalen-
fragmentes uns die Vorgänge der zweiten Hälfte des Jahres
1085 vergegenwärtigen, 2 ) werden wir dem Schreiben seine
bestimmte Stelle anweisen können.
Im Sommer zog Heinrich nach Sachsen, musste aber
nach einigen Monaten fliehen und ging nach Franken, um
1J Lazius, De aliquot gentium migrat. 1572 p. 394 sagt 'Comites
a Mosburg, qui templi Salisburgensis fuerant advocati, ex veteri prae-
rogativa/ Dann 'ßurchardus II, primi filius, ex Gertrude tulit Bur-
chardum III et Albertum quem Henrichus IV in bello intestino, Wel-
phone Boiariae duce ad partes papae et hostium deficiente, inferioris
Boiariae praesidem creaverat.' (Vgl. Heinrich, Die Grafen von Moos-
burg in Verhandl. d. bist. Vereins f. Niederbayern, 17, S. 93). Wenn
diese Angabe wirklich wahr ist, so war die Ernennung Bertholds um
so bedeutungsvoller; an der Spitze der geistlichen und weltlichen An-
hänger des Kaisers wären zwei Bruder gestanden.
2) Vgl. Giesebrecht Kaiserzeit III, 4. Aufl. S. 611 u. 1170. IV,
2. Aufl. S. 518. Biezler Gesch. Baierns I, 549.
Digitized by
Google
264 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. Decemher 1882.
dort einen neuen Zug nach Sachsen vorzubereiten. Unter-
dessen hatte der neue Erzbischof Bertold Unruhen hervor-
gerufen, welche die ganze kaiserliche Partei in Sorge ver-
setzten. Graf Engelbert von Sponheim hatte früher, wir
wissen nicht warum, Bertolds Bruder getödet und ihn selbst
in strenger Gefangenschaft gehalten, bis Heinrich, 1 ) damals
noch König, sie ausgelöst hatte. Bertold benützte desshalb
die neue Macht zur Bache und verwüstete Engelberts Be-
sitzungen in Kärnten weit und breit. Engelbert dagegen
rückte gegen Salzburg und eroberte die Stadt mit der Um-
gegend, nur nicht die Veste, welche die Anhänger Bertolds
glücklich vertheidigten. So war der Erzbischof lange Zeit
von Salzburg ausgeschlossen. Der Kaiser schickte aus
Franken Unterhändler, allein die Erbitterung der Streitenden
war zu heftig : weder der Graf noch der Erzbischof wollten
sich fügen. In diese Zeit, also etwa in den Oktober 1085,
muss unser Brief fallen, in yyelchem Bischof Meginward
seinen Erzbischof mahnt, er solle das Feuer seiner Jugend
bezähmen, den Kämpfen entsagen und sich consekriren
lassen, damit die Diöcesen Salzburg, Freising und Passau
nach 8jährigen Verwirrungen — im Jahre 1077 war Geb-
hard geflohen — endlich wieder zu geordneten Zuständen
kämen. Um aber in den Sitz seines Erzbisthums und zur
Consekration gelangen zu können, musste Bertold von Engel-
berts Besitzungen in Kärnten ablassen und mit Engelbert
sich abfinden. Bertold scheint anfanglich auf die Bitten
des Bischofs ebenso wenig geachtet zu haben wie auf den
Befehl des Kaisers. Heinrich sah seine Entwürfe gegen
Sachsen durch diesen ärgerlichen Streit empfindlich gestört,
desshalb schlug er, als die Versöhnungsversuche nichts
fruchteten, einen andern Weg ein. Er gab dem Grafen
1) In den Monuraenta ist das H, der Hdschr. in Herman statt iq
Heinricus aufgelöst, ich weiss nicht wesshalb.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ein Brief Bischofs Meginward a. 1085. 265
Recht. 1 ) Jetzt inusste Bertold entweder seinen eigenen
Schutzherrn bekämpfen oder nachgeben. Es ist natürlich,
dass er nachgab. Als Anfangs November Heinrich nach
Regensburg kam, fand unter den übrigen weltlichen und
geistlichen Herren auch Engelbert sich dort ein und leistete
Mitte Januar 1086 die verlangte Heeresfolge nach Sachsen.
Die Annales Augustani bemerken Imperator . . Saxones . .
resistentes ad pactionem conpulisset, nisi quorundam sequa-
cium suorum fraudulentia clandestina impedisset; qui etiam
statim in Pauariam eo reverso . . Frisingam . . in paschali
sollemnitate occupant.* Giesebrecht bezieht (IV. S. 518
2. Aufl.) diese Worte besonders auf Engelbert; auch der
zerstörte Schluss des Annalenfragmentes scheint darauf zu
deuten. Denn dass Engelbert zu den Feinden des Kaisers
überging, beweist die Nachricht der Vita Gebhardi (Script.
11, 26) 'Gebhardus nono exulationis anno (1086 oder 1087)
ab Engilperto comite et ab aliis quibusdam ecclesiae
suae militibus, etiam a compluribus servitoribus suis re-
ductus est in episcopium suum/ Der Weg, auf dem er
dazu kam, ist schon aus dem Vorausgehenden klar. Der
Streit mit Bertold brach wieder aus, Engelbert wurde das
Haupt von dessen Gegnern, machte gemeinsame Sache mit
Gebhard und wurde so auch der Feind des Kaisers. Das-
selbe scheint auch das Bruchstück der Annalen zu berichten.
Denn in den Worten desselben: (Caesar presidi) beneficia
augens illum fideliter se adiuvare in adversis rebus credidit.
Ceterum ille, qui Perhtoldum super se dominum constituit,
nimis ei infideiis postea fuit, glaube ich in der Hschr.
quo d. h. quoniam statt qui lesen zu können. Aus Hass
gegen Bertold wurde Engelbert ein Gegner des Kaisers.
2) Culpasque presidis dissimulando eum laudabat, quia presidem
exercitui contra Saxones aggregari . . (spe)rabat, so lese und ergänze
icb ; bisher wird quia statt et gelesen und aggregari (impe)rabat ergänzt.
Digitized by
Google
266 Sitzung der phüos.-phÜol. Classe vom 2, Deceniber 1882.
Aus unser m Briefe lernen wir endlich, dass Bertold jung
war, ate Heinrich ihn zum Erzbischof ernannte. So wird
die Erzählung von seinen spätem Schicksalen verständlich.
Die Vita Chunradi archiepiscopi berichtet (Script. 11, 67):
Permansit Perhtoldus perseqaens ecclesiam Salzpurgensem
usque ad tempora Chuonradi archiepiscopi (1106 — 1147),
a quo excommunicatus in tantam decidit iniuriam, ut cum
duobus clericis miseram vitam ducens Mosburch christiana
communione careret annis ferme triginta, uno predictorum
clericorum in fine vitae penitentiam desiderante et absoluto,
altero impenitente et in excommunicatione mortuo. Sane
ipse Perhtoldus imminente sibi iam termino vitae per ab-
batem Seunensem Guntherum penitentiam offerens recon-
ciliari ecclesiae petiit iussuque archiepiscopi ab eodem abbate
communioni restitutus vix duabus septinianis supervixit.
Die hier erwähnten 30 Jahre hat man auf die Zeit von
1075, dem irrthümlich angenommenen Jahre der Erhebung
Bertolds zum Erzbischof, bis 1106 bezogen. Sie sind aber
offenbar so zu verstehen, dass Bertold nach Conrads Er-
hebung zum Erzbischof noch 30 Jahre lang, also etwa
1106 — 1136, wenig beachtet in seiner Heimath Mosburg
lebte und durch den Seeoner Abt Günther, der 1139 in einer
Urkunde (M. Boic. II, 129) erscheint, vom Banne freige-
sprochen wurde. Da von 1085 — 1136 51 Jahre verflossen
sind, so ergibt sich mit Benützung der Angabe unseres
Briefes, Bertold sei als adolescens Erzbischof geworden, für
ihn eine zwar hohe, aber nicht unglaubliche Zahl von
Lebensjahren.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 267
III.
Ein Labyrinth mit Versen.
(Mit einer Tafel.)
Wie schon Schindler bemerkt hat, findet sich in der
oben benützten münchner Handschrift no. 6394 auf der
Rückseite des Blattes 164, am Ende einer Blätter läge eine
Zeichnung mit Versen. Da dieselben fast erloschen waren,
so habe ich, um sie vor dem Untergang zu bewahren, nicht
ohne beträchtliche Mühe sie abgeschrieben. Die Verse 1 — 11
stehen an Rändern der Figur, das Distichon im Innern bei
einer gänzlich erloschenen Figur.
Quid notet intextus septemplex hie Laborinthus
Et vafer illius conditor atque reclusus,
3 Vt sapiant pueri, vos dicite mysteriarchi.
Nos effutimus, quid et interea sapia[mus].
5 * Vers 5 und Anfang von 6 ist weggeschnitten.
* *s est zabulus, cui mundus erat Laborinthus
7 . . .*) in hoc morsum secluserat ut Minotaurum.
Mundo subiectos huic destinat atque vorandos,
9 Donec ad hunc Theseus transmittitur ut patre Christus,
Hunc deitatis ope superans ut hie Ariadnae.
11 Vera decet falsis seiungere, sacra profanis.
Ecce Minotaurus vorat omnes, quos Laborinthus
Implicat: Infernum hie notat, hie zabulum.
Der Dichter sagt ausdrücklich, er wolle sich auf die
Deutung einiger Stücke beschränken, dass nemlich das
1) Die 4 bis 6 ersten Buchstaben von V. 7 konnte ich nicht
mehr lesen.
Digitized by
Google
268 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 2. December 1882.
Labyrinth mit dem Minotaurus der Welt entspräche, in
welcher der Teufel die Menschen erbeutete, bis Christus mit
Gottes Hilfe ihn bezwang, wie Theseus mit Ariadnens Hilfe
den Minotaur. Dagegen die sieben Gänge seines Labyrinthes
und den sinnreichen Erbauer desselben allegorisch auszu-
deuten, das überlässt unser Dichter weiseren Meistern, den
•Mysteriarchi, wie er sie mit Umformung dieses von Pru-
dentius gebrauchten Wortes nennt. Wenn ich auch auf
solche allegorische Deutungen verzichte, so lohnt es sich
doch, seine Figur des Labyrinthes näher zu untersuchen.
Diese Figur, welche den Durchmesser von 22 Centimeter
hat, besteht aus 8 concentrischen Kreisen, deren Enden in
der Weise bald verbunden, bald nicht verbunden sind, dass
7 Gänge entstehen, welche man sämmtlich durchgehen rauss,
bis man in das Innerste gelangt, wo der Minotaurus sich
befindet. Ziehen wir, dem Weg des einwärts Wandernden
entsprechend, durch diese Gänge eine Linie, so vertreten
jene Kreise die Gangwände des Labyrinths, diese fort-
laufende Linie den Ariadnefaden.
Werden nun aber diese Kreise gestreckt, so wird
Manches klar: der Ariadnefaden gibt genau zwei regel-
mässige Windungen einer einfachen Maeanderform, deren
horizontale Linien alle verlängert sind; unsere Figur gibt
also genau die in Kreisform umgebogenen Linien, welche
zwei Maeanderwindungen einschliessen. 1 )
Wie geht es zu, dass gerade Maeanderwindungen als
Grundplan des Labyrinthes gewählt wurden ? Unser Dichter
hat seine Figur nicht selbst erfunden, da er ausdrücklich
darauf verzichtet, ihre Construction zu deuten. Da läge es
nahe, an jene Verse des Ovid zu denken, mit denen er das
Labyrinth schildert (Metam. 8, 162):
1) Vgl. Fig. 3.
Digitized by
Google
Wilk. Meyer: TÄn Labijrinth mit Versen. 269
Non secus ac liquidus Phrygiis Maeandros in arvis
Ludit et ambiguo lapsu refluitque fluitque
Occurrensque sibi venturas aspicit undas
Et nunc ad fontes iiudc in mare versus apertum
Incertas exercet aquas: ita Daedalus implet
Innumeras errore vias vixque ipse reverti
Ad limen potuit; tanta est fallacia tecti.
Man könnte nun verrauthen, ein sinnreicher Kopf des
Mittelalters sei durch die ovidianische Vergleichung des Laby-
rinthes mit dem Maeanderflusse angeregt worden, den Grund-
plan des Labyrinthes nach den Windungen des Maeander-
ornamentes zu construiren und, indem er um zwei Windungen
Linien zog, gleich den Seitenmauern oder Gangwänden um
den Weg, dann alle horizontalen Linien zu Kreisen umbog,
sei unsere Figur entstanden.
Doch dem ist nicht so. Wir haben nur ein Glied einer
langen Kette gefasst, welche ebenso weit in das Alterthum
hinauf als zu uns herabgeht. Für die Geschichte des Orna-
mentes und der geometrischen Spiele ist es von ziemlichem
Interesse, diese Entwicklung der Labyrinthdarstellungen näher
darzulegen. *)
Das Labyrinth auf den Münzen von Knossos.
Ueber das egyptische Labyrinth ist weder aus den
Stellen der Alten noch aus den Ueberresten Sicheres zu er-
kennen; vgl. die von Bahr zu Herodot II, 148 angeführten
Schriften und Lepsius, Denkmäler Abth. I Taf. 46. 48.
Forchhammer, Daduchos S. 117 — 126, erklärt das egyptische
1) Schon H. F. Massmann hat in seinem Schriftchen 'Wunderkreis
und Irrgarten. Für Tarnplätze und Gartenanlagen', Leipzig, Basse, 1844,
Beiträge zur Geschichte der Labyrinthdarstellungen gegeben, die Dar-
stellungen selbst aber fast nur auf ihren Zusammenhang mit der Con-
struction des Wunderkreises in den Turnschulen geprüft.
11882. II. Philos.-philol. bist. Cl. :i] 19
Digitized by
Google
270 Sitzung der philos.-pMöl. Classe vom 2. December 1882.
Labyrinth für einen sehr umfangreichen Wasserbehälter zur
Aufnahme und Bewahrung des Wassers, der jährlich durch
den Canal aus dem Nil gefüllt wurde. Berühmter war
im klassischen Alterthum das Labyrinth, welches Daedalus
auf Kreta angelegt haben soll. Nun zeigen Münzen von
Knossos aus dem 5. Jahrhundert vor Christus in der
Mitte eine Art Stern und an jeder der 4 Seiten desselben
eine einzelne einfache Maeanderwindung. 1 ) Dagegen ist auf
den Münzen der Stadt Knossos vom Anfang des 4. Jahr-
hunderts bis herein in die Kaiserzeit 2 ) eine andere künst-
lichere Figur geprägt. Die Figur ist auf den meisten Münzen
viereckig, auf wenigen rund, während die Construction der-
selben stets genau die nemliche ist: ein neuer Beweis für
jene Wahrnehmung, die wir auch später machen werden,
dass die Bildung neuer linearer Ornamente sehr oft so vor
1) Mehrere derartige und ähnliche Typen hat Massmann Taf.* I,
H. 2—6 nach Münzen der Berliner Sammlung abgebildet.
2i Eine Münze 'C. I. N. C. Töte d'AugU9te nue, ä droite. Rev.
C. Petronio. M. Antonio. Ex. D. D. II. Vir. Labyrinthe AE. f welche
Florez Medallas . . de Espana I pl. 16, 7 abgebildet hat, setzen Florez
und Mionnet I p. 36 no. 259 nach Carthago nova. Allein Leake, A Sup-
plement to Numismata Uellenica S. 158, setzte das ihm bekannte un-
vollständige Exemplar wohl mit Recht nach Knossos und versteht unter
C. 1. N. 'Caesar Julii Nepos'; vgl. noch Heiss, Description d. monn.
ant. d'Espagne p. 275. — Beispiele des viereckigen Typus gibt Mass-
mann auf Taf. I, und zwar J nach Montfaucon, J 2 — 5 (L 1. 2?) nach
Berliner Münzen, wobei jedoch in no. 4 u. 5 die Darstellung des Lab.
vereinfacht und verdorben ist; ich gebe in Figur 1 die Nachbildung
einer münchner Münze, deren Abguss ich der Güte des H. Prof. v. Brunn
verdanke; derselbe hat mich hingewiesen auf die schönen Photographien
ähnlicher Münzen in 'Coins of the Ancients (in .the Brit* Museum),
Barclay V. Head\ 2. edit. 1881 pl. 23, 39 u. 56, 28. Eine Abbildung
des runden Typus gab Massmann Taf. I, E, 2; ich gebe in Figur 2 die
Nachbildung einer Londoner Münze, (photogr. bei Barclay V. Head
pl. 56, 29), nach einem Abguss, den ich den HH. Brunn und Gardner
in London verdanke.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 271
sich ging, dass man runde Figuren in Vierecke, Sechsecke,
Achtecke u. s. w. oder umgekehrt Vielecke in Kreise um-
setzte. Auch diese Figur besteht eigentlich aus 2 Maeander-
windungen, einer liegenden und einer stehenden, welche in
die Länge gezogen, dann in Vierecke gebrochen oder in
Kreise gebogen sind, so dass, wie in der Freisinger Figur,
7 Gänge entstehen, durch welche man das Innere der
Figur vollständig durchwandert und endlich in das Innerste
gelangt. Die Construction auf den knossischen Münzen hat
ein besonderes Merkmal: die inneren Maeanderzungen liegen
in gleicher Höhe und die Linien, welche die beiden Maeander-
windungen trennen, schneiden sich mit der Axe der Figur
in der Form des Kreuzes. Dadurch hat aber die Figur auf
der Seite des Eingangs aussen einen Gang weniger, so dass
dieselbe weder ein regelmässiges Viereck noch einen regel-
mässigen Kreis bildet. Diese Figur wurde von den Numis-
matikern von jeher als Typus des Labyrinthes angesehen.
Den inschriftlichen Beweis biefiir liefert eine Wand in Pom-
peji. Dort ist mit der Beischrift 'Labyrinthus. hie habitat
Minotaurus* eine Figur eingeritzt, welche der viereckigen
Labyrinthdarstellung auf den knossischen Münzen so genau
entspricht, dass man einen Strich, der in der einen Publi-
kation (Corpus Inscript. lat. IV uo. 2331 tab. 38, 1) weg-
gelassen ist, nach den knossischen Münzen ergänzen könnte,
wenn er nicht schon in dem andern Facsimile (Niccolini, Case
di Pompei, Casa di Lucrezio tav. 1) richtig erhalten wäre.
So viel lernen wir aus den knossischen Münzen, dass zur
bildlichen Darstellung des Labyrinthes schon in früher Zeit
künstlich verschlungene Maeanderornamente 1 ) benützt wur-
1) Auf den Münzen von Städten, welche am Maeanderflusse liegen,
z. B. von Apamea, glaubte man auch Labyrinthe zu sehen. Doch sind
dies nur einfache Maeanderornamente, welche den Beinamen der Städte
ad Maeandrura versinnbildlichen. Da dies nur geschehen konnte, wenn
der Name für das Ornament schon ganz gebräuchlich war, so gewinnen
19*
Digitized by
Google
272 Sitzung der phüos. -philo! . Ciasse vom 2. December 1882.
den, dass also Ovid, wenn er den Grundplan des Labyrinths
mit dem Maeanderstrome vergleicht, Gegebenes benützt hat.
Plutarch, Theseus cap. 21., berichtet von Thesens:
'Ex xfjg KgriTrjQ OL7t07zXuov eig Jrjlov xaxeoye xai . . fyoqevae
/*€tcc xcov rji&etov yoqeiavy r\v exi vvv JrjXiovg huxeXeiv Xt-
yovoi, fjifirjiLicc xcov iv xcjt ^iaßvQiv&cü 7C€Qiodcov xal dieSodcov
gv xwi t>v§\i(p 7ceQieXit;eiQ xal äveXi&tg eyovzi yiyvo\iivr]v.
KaXelxai de xö yevog xovxo xrjg yoQelag vrcö Jr^XUov yiqavog,
iog lozoQei JixataQyog. Und Pollux IV, 101: Trjv yegavov
/.axa jcXrjd'Og coqyovvxo hxaoxog i<f> kxaoxio xccxd oxolyov
(oxiypv vulg.), xd (xxqcc eytaTtQtü&ev tcov fjyefiovcov eyovxcov,
XCOV 7T SQL &rjO€CC TCQCOXOV 7ceqI XOV Jl]XlOV ßcOfXOV CCTTO^lUrjOa-
/xivcov xrjv ano xov XaßvQiv&ov l'&dov. Dieser Tanz, den
Lncian veraltet nennt, wurde demnach von 2 Reihen aus-
geführt, welche, wie wir sagen, im Gänsemarsch schritten
zur Nachahmung der Art und Weise, wie von den Genossen
des Theseus der Eine sich am Rücken des Andern hielt.
Der Führer jeder Reihe hiess yeqavovXxog. Die prächtige
Fran^oisvase, welche in den Mon. d. Inst. IV, 1848, tav. 56
veröffentlicht ist, gibt nns hievon ein gutes Bild: voran
schreitet Theseus, es folgt abwechselnd ein Jüngling und
ein Mädchen, von denen immer der Vorangehende eine
Hand des Folgenden fasst. Das Schema der Tanzfiguren
kann dem Schema der knossischen Labyrinthdarstellungen
verwandt gewesen sein. Wahrscheinlich stand dieser Tanz
in Berührung mit dem zu erwähnenden Spiele der römi-
schen Knaben.
wir hier eine Bereicherung unserer Lexikographie. Denn bis jetzt wird
der Gebrauch von Maeandros für das Ornament erst aus Ciceros Zeit
belegt. Interessant ist zu sehen, wie auf den Typen einiger Städte die
einzelnen Maeanderwindungen in die Länge gezogen sind; vgl. die von
Magnesia und besonders die von Priene und Myus, in denen diese ver-
längerten Maeanderwindungen am runden Rande hingezogen sind.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 273
Andere autike Labyrinthdarstellungen.
Plinius schreibt 36, 85 Daedalus fecit labyrinthuin in
Greta, (qui) itinerum ambages occursusque ac recursus inex-
plicabiles continet, non ut in pavimentis puerorumve
ludicris carnpestribus videmus brevi lacinia railia pas-
suum plura ambulationis continentem. Hiernach waren also
Labyrinthconstructionen in den Fussböden und auf den Spiel-
plätzen der Knaben etwas Gewöhnliches. Von dem Knaben-
spiel wissen wir nichts Näheres, von Mosaiklabyrinthen
haben sich aus der Kaiserzeit mehrere schone Exemplare
erhalten.
Um die weitere Entwicklung der Labyrinthdarstellungen
zu begreifen, müssen wir einige Mängel der bisher betrach-
teten Constructionen betrachten. Die knossischen Münzen
zeigen eine auch äusserlich nicht ganz regelmässige Figur;
aber auch wenn die Kreuzung der Linien, welche die beiden
Maeanderwindungen scheiden , aufgegeben , die Maeander-
zungen auf der einen Seite um einen Gang höher gerückt
und so regelmässige Vierecke oder Kreise hergestellt würden,
wie dies in dem freisinger Labyrinth der Fall ist, wären
die Figuren für Mosaik nicht zu brauchen. Denn alle
Wendungen der Gänge und alle Enden der Gangwände
liegen links und rechts der Achse, in allen übrigen Theilen
der Figur sieht man nur die parallel laufenden Gänge. So
ist diese Gattung von Labyriuthdarstellungen , welche ich
die einachsigen nenne, im Innern durchaus unharmonisch
anzusehen. Aber für grosse Ornamente braucht man Figuren,
die nach allen Seiten gleichmässig gebildet sind. Die ge-
schickten Techniker der Alten halfen sich leicht: sie theilten
die Figur in 4 oder 8 Keile, (vier- oder achtachsige Laby-
rinthe). Endlich war es natürlich, dass in der Mitte des
Labyrinthes der Minotaur dargestellt wurde. Auf den Münzen
war dies nicht möglich, dagegen ist im Centruin fast aller
Digitized by
Google
274 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2. December 1882.
übrigen Darstellungen, auch der freisinger, ein Raum für
denselben ausgespart.
1) Das Salzburger Mosaik, 1815 gefunden und in
den c Juvaviensischen Antiken' des Kurz von Goldenstein
1815 Taf. III veröffentlicht ; vgl. 0. Jahn, Archäol. Beiträge
S. 268. Das etwa 8 Fuss breite, viereckige Labyrinth ist
aus 13 Gängen gebildet und in 4 Keile zerlegt. Der Weg
durchläuft in jedem Keile 3 vollständige Maean der Windungen
zu je 4 Gängen und läuft dann erst in den nächsten Keil
hinüber. Im Innern ist Theseus und der stierköpfige Mino-
taurus dargestellt.
2) Ein zu Aventicum (Avenches in der Schweiz)
gefundenes und von Bursian in den Mittheilungen d. antiquar.
Gesellschaft zu Zürich XVI, I, Taf. 29 veröffentlichtes Mosaik
zeigt ein rundes, von vielen Zinnen und 4 Thürmen umge-
benes Labyrinth von 9 Gängen mit Theseus und dem stier-
köpfigen Minotaur in dem Innern: es zerfällt in 8 Keile,
deren jeden der Weg in einfachen Schlangenwindungen gänz-
lich durchläuft, ehe er in den nächsten Keil hinüberläuft.
3) Ein bei Bosseaz im Canton Waadt 1845 entdecktes,
jetzt verschwundenes Mosaik wird bei 0. Jahn, Archäolog.
Beiträge S. 271, so beschrieben 'Das 15 P. 4 Z. lange,
11 F. 5 Z. breite Mosaik stellt in der Mitte das mit 16
thurmartigeu Eingängen versehene Labyrinth durch mehrere
im Viereck umherlaufende parallele Gänge dar, in demselben
Theseus und Minotaur, dessen Kopf allein noch erhalten ist/
4) Bei Orleansville in Afrika wurden in einer Kirche,
welche 324 gegründet und in welcher 475 der h. Reparatus
bestattet ^worden ist , verschiedene Mosaiken gefunden, die
dann Pifevost in der Revue archeol. IV p. 664 u. 800 und
pl. 78 veröffentlichte. An der Seite des Schiffes liegt ein
viereckiges Labyrinth von 11 Gängen, das in 4 Keile zer-
fällt. Auch hier durchläuft der Weg zuerst vollständig
einen' Keil, ehe er in den andern tritt, aber in doppelten
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 275
Schlangen Windungen, so dass er in dem 1, 3, 5, 7. Gange
hinein, in dem 6, 4, 2. Gange herausläuft. In der Mitte
des Labyrinthes findet sich ein Buchstabenspiel, das die
Worte Sancta eclesia gibt. Dieses Buchstabenspiel hat
keinen tieferen Zusammenhang mit der Labyrinthdarstellung,
da an einem andern Platze der Kirche die Worte Marinns
sacerdos durch das gleiche Buchstabenspiel, aber in ganz
anderer Umrahmung gegeben sind; (vgl. Corpus Inscr.
lat. VIII no. 9708 — 9711). Dies ist für uns die erste
Labyrinthdarstelinng, welche nur als Ornament dient.
Wir haben also im klassischen Alterthum gefunden:
1) die einachsigen Labyrinthe, viereckig oder rund zu 7
Gängen, auf den knossischen Münzen und der Wand in
Pompeji ; 2) das vierachsige Labyrinth im salzburger Mosaik,
viereckig und zu 13 Gängen; 3) das vierachsige Lab. zu
Orleansville, viereckig zu 11 Gängen; 4) das achtachsige
Lab. zu Aventicum, rund zu 9 Gängen; 5) das viereckige
Lab. von Bosseaz, von dessen Gonstruction Näheres nicht
bekannt ist.
Die mittelalterlichen Darstellungen des
Labyrinths.
Die mittelalterlichen Labyrinthe sind entweder ein- oder
vierachsige; die einachsigen sind alle, von den vierachsigen
die meisten rund; die einachsigen haben 7 oder 11 Gänge,
die vierachsigen zumeist 11, nur einige haben weniger als
11 Gänge; besonders ist zu beachten, ob und wie Theseus
und Minotaurus im Innern des Labyrinths dargestellt .sind.
t. Die einfachste Form ist die oben beschriebene zu 7
Gängen, wie sie die Freisinger Handschrift zeigt (Figur 3) ;
die Gänge folgen von aussen gezählt sich in dieser Reihe:
3. 2. 1. 4. 7. 6. 5.
I, a. Das älteste Beispiel dieser Form ist für uns in
der Handschrift von S. Gallen 878 S. 277 erhalten.
Digitized by
Google
276 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 2. Becember 1882.
Dort ist, nach der gütigen Mittheilung des Stifts-
bibliothekars P. Idtensohn, die Figur mit dem Durchmesser
von 9 Cent, von einer Hand saec. IX gezeichnet und im
Innern geschrieben Voraus 1 ; oben sind links und rechts
erloschene Schriftzüge; links ist zur Noth noch zu lesen
Momus', der Rest ist durch Reagentien unleserlich gemacht.
Da aber Massmann, welcher diese Figur Taf. 1, E, 1 ab-
bildete, ausdrücklich die Beischrift c domus Dedali* an-
gibt, so war ohne Zweifel zu seiner Zeit diese Beischrift
noch leserlich. Später werden wir die altfranzösische und
isländische Uebersetzung dieses Namens kennen lernen.
I, b. Das zweite Beispiel dieser Form findet sich eben-
falls in S. Gallen in der notkerschen altdeutschen Ueber-
setzung der Consolatio philos. (zu III, Prosa XII) des Boetius,
cod. 825 S. 177, abgebildet in den Ausgaben des Notker
(Graff S. 165, Hattemer III. S. 155, Piper I. S. 218). Die
im saec. X/XI gezeichnete Figur bietet nichts Besonderes ;
interessanter sind für uns die Worte des Boetius, welche
durch dieselbe illustrirt werden : Ludis me, texens rationibus
inextricabilem laborinthum l ) (so feruuündenen laborinthum
uuorchendo), quae nunc quidem qua egrediaris introeas,
nunc vero qua introieris egrediaris. (so iz in laborintho
feret, ünde so du hier sehen mäht). P. Piper hat, wie er
mir mittheilt, diese Zeichnung in andern Handschriften
nicht gefunden.
I, c. Unsere Freisinger Figur, deren Gang wände durch
2 mit vielen kleinen Querstrichen ausgefüllte Linien ge-
bildet sind, bietet nichts Bemerkenswerthes , als dass nach
dem Zeugniss der Verse im Innern Minotaurus dargestellt
war. Jetzt ist diese Zeichnung gänzlich verwischt; nur
glaubte ich noch am Boden die gekrümmten Vorderbeine
eines liegenden Stieres zu erkennen.
1) Im Mittelalter stets laborinthus = labor intus.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. '^77
I, d. Als ich Herrn Grtinbaum über Labyrinthe als
Kinderspiel befragte, erzählte er mir, in seiner Jugend habe
er solche Figuren gezeichnet und sie hätten damals die
Mauern der Stadt Jericho geheissen. Um so mehr er-
staunte ich, als ich die schon von Eiselen und dann von
Massmann (Taf. I, D) veröffentlichte (siehe Fig. 4) Zeichnung
der Münchner Handschrift 14731 Bl. 83 a fand 1 ) und dabei
den schon im XII. Jahrhundert geschriebenen Vers :
Urbs Jericho lunae fuit assimilata figurae.
d. h. die Stadt Jericho hatte mondähnliche Form. Dieser,
auf alten Auslegungen des Hieronymus und Isidor (Jericho
per interpretationem luna dicitur) beruhenden Deutung zu
liebe, ist in der Construction eine wichtige Veränderung vor-
genommen: Die sonst in der Zeichnung festgehaltene Achse
ist nicht mehr sichtbar, die beiden äusseren Maeanderzungen
mit den sie umlaufenden Gängen sind weit von einander
gerückt und , während sonst die Spitzen des breiteren
äusseren und des gegenüber liegenden breiteren inneren Um-
laufes sich berührten , sind sie ebenfalls weit von einander
gerückt und durch eine langgezogene Hilfslinie verbunden.
Hiedurch war Anlass geboten zum Gedanken, diese Hilfs-
linie wegzulassen, wodurch der Anstoss zu wichtigen Um-
bildungen der ganzen Figur gegeben wurde. Bemerkens-
werth ist, dass in dieser Figur das durch ein Ornament
bezeichnete Innere noch mit dem Mittelpunkt der Kreise
zusammenfallt.
Die Figur zu 7 Gängen ist ziemlich einfach; nahe lag
der Versuch, dieselbe zu erweitern. Dies konnte auf ver-
schiedene Weise geschehen, indem man entweder die Zahl
der Windungen auf 3 oder mehr erhöhte (II) oder inner-
halb der ursprünglichen zwei Windungen die Zahl der
1) Die Gang wände der 13 Gentim. breiten Figur sind durch breite
rothe, mit Grün schattirte, Streifen gebildet.
Digitized by
Google
278 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. December 1882,
Zangen (IV) oder der darum gelegten Gänge (III) ver-
mehrte.
IL Die einfachste Erweiterung geschah, indem eine
3. Windung zugesetzt wurde. Da jede Windung 3 Gänge
und 2 Zungen und die Verbindung einer Windung mit der
anstossenden je einen Gang beansprucht, so ergeben sich
3-\~l-\~3 + l-\-3 = l\ Gänge, die von aussen nach innen
gezählt sich so folgen: 3. 2. 1; 4; 7. 6. 5; 8; 11. 10. 9,
und im Ganzen 6 Zungen.
II, a) Das bis jetzt älteste Beispiel dieser Form bietet das
erste Blatt der Wiener Otf ried- Handschrift (nr. 2687) aus dem
9. Jahrh.; vgl. Pipers Einl. S. 46 u. Bericht. S. VII; Erdmann
S. I. Eine Durchzeichnung der schon von Massmann, Taf. I. F,
veröffentlichten Figur verdanke ich der Güte des Herrn
P. Piper. Die Figur hat 18 Centim. im Durchmesser. Die
Gangwände sind durch breite Streifen von abwechselnd
gelber, grüner und rother Farbe gebildet. Im Innern steht
schwarz geschrieben PAS, Buchstaben, die ich noch nicht
deuten kann.
II, b) Das zweite, sonderbarer Weise von Massmann
nicht erwähnte, Beispiel dieser Form findet sich in der
münchner Handschrift 14731 auf der Rückseite von Bl. 82
als Gegenstück zu der erwähnten (I, d) Darstellung der Stadt
Jericho, die auf der Vorderseite von Bl. 83 steht. Die
Gangwände der 13 Centim. breiten Figur sind durch rothe
und blaue oder rothe und grüne Streifen gebildet. Der
Eingang schliesst mit dem Kreise glatt ab, es fehlen also
die Füsse der Wiener Zeichnung. Dieselbe Hand des XII. Jahr-
hunderts, welche die Beischrift zur Stadt Jericho setzte, schrieb
über diese Figur
Cum Minothauro pugnat Theseus Laborinto.
Dem entsprechend sehen wir im Innern einen lang-
lockigen Jüngling mit Brustharnisch, auf die Knie reichendem
Gewände und ringförmigen Beinschienen , welcher mit der
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ein Labyrinth büt Versen. 279
linken einen Schild mit spitzem, weit vorspringendem Buckel
vorhält, mit der Rechten ein Schwert erhebt, also einen echt
romanischen Ritter, ihm gegenüber ein aufrecht stehendes
Geschöpf mit eselähnlichem Kopfe (ohne Hörner aber mit
langen Ohren), sonst aber einem Menschen ähnlich gebildet,
nur dass er statt der Hände, Hufe hat; mit aufgesperrtem
Rachen und erhobenen Hufen bedroht er den Ritter. Da
auf den antiken Bildwerken Minotaur als Mensch mit einem
Stierkopfe, der allerdings oft einem Eselskopfe zum Ver-
wechseln ähnlich ist, dargestellt wird, so haben wir hier
offenbar eine antike, aber in mittelalterliche Ausdrucksweise
umgesetzte Darstellung vor uns.
III. Eine andere Art der Erweiterung der Form zu
7 Gängen bestand darin, dass die alte Zahl der zwei Wind-
ungen mit den je 2 Zungen beibehalten , aber um jede
Windung ein Gang mehr gelegt wurde; so entstand eine
Figur mit 4 Zungen und 5+1 + 5 Gängen, die von
aussen nach innen gezählt sich so folgen: 7. 10. 9. 8. 11;
ß; 1. 4. 3. 2. 5. Diese Construction ist wichtig, weil aus
ihr die Wunderkreise unserer Turnschulen gewachsen sind.
III, a. Emile Arne hat in seinem später noch zu er-
wähnenden Werk c Les Carrelages emailles, 1859, p. 52, Fuss-
bodenplatten einer zerstörten Kirche in Toussaints (Marne)
abgebildet. Auf denselben sind in einem Kranze von Orna-
menten je 4 Labyrinthe, jedes mit einem Durchmesser von
nur 12^2 Centim. eingepresst; siehe Figur 6.
IV. Die siebengängige Figur kann ferner dadurch er-
weitert werden, dass man innerhalb jeder der beiden Wind-
ungen 2 Zungen und so auch 2 Gänge zusetzt. Wenn man
in Figur 7 die drei Achsen weglässt und die links und
rechts von der Eingangsachse auslaufenden Gangwände durch
den ganzen Umfang der Figur zieht, so entsteht diese Form
des Labyrinths, welche 8 Zungen und 5 + 1 + 5 Gänge
zählt, die von aussen nach innen gerechnet sich in dieser
Digitized by
Google
280 Sitzuny der phUosl-phllöl. Classe vom 2. Dccember 1883.
Reihe folgen: 7. 8. 9. 10. 11; 6; 1. 2. 3. 4. 5. Ein mittel-
alterliches Beispiel dieser Form habe ich noch nicht ge-
funden ; allein sie muss existirt haben, da aus ihr die wich-
tigste aller Labyrinthdarstellungen , die vierachsige unter
Fig. 7 gegebene (vgl. S. 281) hervorgegangen ist.
Vierachsige Labyrinthdarstellungen des
Mittelalters.
Als grössere Ornamente, insbesondere als Fussboden-
Mosaiken, finden sich auch im Mittelalter keine einachsigen
Labyrinthe verwendet; aber auch von den mehrachsigen
Formen findet sich nicht die achtachsige, sondern nur die
vierachsige verwendet.
I. Die vielleicht älteste Darstellung dieser Art ist das
Mosaik in San Michele zu Pavia, früher unvollständig (vgl.
Piper, Mythol. und Symbolik I, 1847, S. 136), jetzt viel
vollständiger veröffentlicht von Aus'm Weerth, der Mosaik-
boden in St. Gereon, 1873 S. 14 und Taf. IV. Dies Mosaik
stammt frühestens aus dem Schluss des XI. Jahrhunderts,
da die reinen zweisilbigen Reime der drei Hexameter (in-
tvavit: necavit; elatus: levatus; fortis: mortis) damals erst
anfingen gesetzmässig zu werden. Das Werk ist bedeutend
wegen des reichen Bilder schmuckes. Um das Labyrinth sind
dargestellt die Figuren des Jahres und der Monate, ver-
schiedene Gruppen und Wunderthiere, wie z. B. ein Hund,
auf welchem eine Ziege reitet (Chimaera?), endlich David
und Goliath als christliches Gegenstück zu Theseus und
Minotaurus, welche offenbar nach alter Tradition im Innern
des Labyrinthes dargestellt sind. Das vierachsige Labyrinth
selbst ist rund und besteht aus 8 Gängen ; seine Construction
ist leider bei Aus'm Weerth verzeichnet. Wichtig ist die
Darstellung von Theseus und Minotaurus. Theseus, wie es
scheint, nur mit einer Art phrygischer Mütze (HelmV =
Goliath) und einem Gewände mit breitem Gurte angethan,
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: VAh Labyrinth mit Versen. 281
schlägt mit einer Keule von hinten auf den Kopf des Mino-
taurus. Dieser hält in der Linken ein Schwert, in der
Rechten einen abgehauenen Kopf, der zu einem am Boden
liegenden menschlichen Körper gehört. Merkwürdig ist die
Bildung des Minotaur , oben Mensch (nur mit 2 kurzen
Hörnern), unten Stier. Denn während im Alterthume Mino-
taur als Mensch mit Stierkopf dargestellt wurde und die
Darstellung als Stier sehr fraglich ist (vgl. 0. Jahn, Archäol.
Beiträge S, 257), scheint im Mittelalter diese Darstellung
des Minotaurus oben Mensch, unten Stier, die gewöhnliche
gewesen zu sein. Wichtig ist die Thatsache, dass im Fuss-
boden einer christlichen Kirche ein Labyrinth mit Theseus
und Minotaur (Theseus intravit monstrumque biforme ne-
cavit) angebracht wurde. Das konnte sich der mittelalter-
liche Architekt nur gestatten, indem er einer häufigen Sitte
folgte.
IL Die wichtigste mittelalterliche Labyrinthform ist die
in Figur 7 gegebene. 1 ) Die 11 Gänge der ihr zu Grunde
liegenden einachsigen Form sind durch die hinzutretenden
3 Achsen so zerschnitten, dass der Weg im Ganzen 31 Viertel
und Halbbogen durchläuft, bis er im Innern anlangt.
II, a. Herr Dr. H. Simonsfeld machte mich aufmerksam,
dass in einigen Abschriften der Chronik des Venetianers
P a u 1 i n u s , früher auch Jordanes genannt, über welche er
in den Forschungen zur deutschen Geschichte XV S. 145
und im neuen Archiv VII S. 58 gehandelt hat, zur Illu-
stration des Textes sich Zeichnungen des Labyrinths be-
finden. Zunächst erhielt ich durch die Güte meines Freundes
Dr. A. Mau in Rom eine Copie von II, a, 1) der im Cod.
Vatic. 1960 fol. 264b enthaltenen Labyrinthdarstellung. Vor
dem Eingange ist, wie schon in dem Mosaik zu Aventicum,
ein Thor gezeichnet. Im Innern hat der langhaarige mit
1) Vgl. die isländischen Labyrinthe Fig. 8 u. 9, S. 288.
Digitized by
Google
282 Sitzung der pMos.-philöl. ülasse vom 2. December 1882.
Stiefeln und Leibrock bekleidete Tbeseus mit einer Keule
eben den zottigen Kopf des Minotaurus getroffen, so dass
dieser die rechte Hand wie wehklagend an den Kopf legt,
während er in der Linken eine Art Keule hält. Am Boden
liegen Stücke von menschlichen Körpern. Der Minotaur
ist unten Stier, oben Mensch, (wie es scheint, ohne Hörner).
n, a, 2. In der pariser Abschrift des Paulinus (latin.
4939 f.*21) befindet sich ebenfalls eine Zeichnung des Laby-
rinths, deren Copie ich der Güte des H. Leopold Delisle
verdanke. Hier fehlt das Thor am Eingange; auch die
Zeichnung im Innern ist vereinfacht (offenbar aus Mangel
an Raum), indem nicht Theseus, sondern Minotaur allein
dargestellt ist, wie er beide Hände erhebt, wohl um Schonung
zu erbitten. Er ist wieder unten, Stier, oben Mensch, scheint
aber sehr lange Ohren zu haben. Von der Zeichnung in
(II, a, 3) der Venetianer Abschrift des Paulinus erhielt ich
noch keine Copie : aber man kann mit Sicherheit annehmen,
dass die Construction des Labyrinths die gleiche ist.
Freilich ist die Chronik des Paulinus erst nach 1330
zusammengestellt, allein die Zeichnungen können auf ältere
Vorlagen zurückgehen. So enthält die vatikanische Ab-
schrift ausser mythologischen Zeichnungen, welche nähere
Untersuchung verdienen, auch Karten und Pläne, darunter
einen von Rom, der, wie De Rossi nachgewiesen hat, sicher
schon vor dem Ende des XIII. Jahrhunderts entstanden ist.
II, b, 1. Dieselbe Figur fand ich am Ende der münchner
lat. Handschrift 800, welche eine in Italien saec. XIV ge-
fertigte Abschrift des Boetius de Consolatione philosophiae
enthält. Diese 16 Centim. breite Figur hat ebenfalls vor
dem Eingange ein Thor (vgl. II, a, 1). Es ergibt sich
demnach mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit, dass im 13. und
14. Jahrhundert diese Darstellung des Labyrinths eine be-
kannte war.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 283
II, c u. d, III. So vorbereitet verstehen wir leichter die
Labyrinthdarstellungen , welche sich in bedeutenden gothi-
schen Kirchen Nordfrankreichs aus dem 13. und 14. Jahr-
huudert finden. Ueber dieselben ist schon Vieles ge-
schrieben, 1 ) aber marf hat, ohne die geschichtliche Ent-
wicklung und die Construction sorgfältig zu untersuchen,
womit man doch billiger Weise hätte anfangen sollen, fast
hur um die allegorische Deutung dieser Darstellungen sich
gestritten. In Wahrheit aber haben die Labyrinthe von
Chartres, St. Quentin, Amiens (Arras) und Poitiers, ebenso
trotz der Verschnörkelungen auch das Labyrinth von St. Bertin
zu St. Omer genau dieselbe Construction wie das Labyrinth
im Panlinu8 und dem münchner Boetius (Fig. 7), was sich
ergibt, wenn man die 31 Halb- und Viertelbogen vergleicht;
das Labyrinth von Sens hat mit geringen, das von Reims
mit stärkeren Abweichungen dasselbe Schema; nur das La-
byrinth von Bayeux hat eine stark verschiedene Anlage.
Von diesen Labyrinthen sind die einen rund , die andern
sind durch einmalige Brechung der Viertelbogen viereckig,
wieder andere durch zweimalige Brechung der Viertelbogen
achteckig gebildet.
II, c, 1. Chartres; bei Caumont, Gailhabaud und
Arne; rund mit Durchmesser von I2V2 Meter; einst La Heue t
genannt. Ein älterer Historiker von Chartres sagt, in der
Mitte sei Theseus und Minotaurus dargestellt, von welchen
Figuren jetzt nichts mehr zu sehen ist.
II, c, 2. Poitiers. Das Lab. von Poitiers ist ver-
schwunden, doch findet sich an der Kirchenwand eine
1) Siehe besonders L. Deschamps de Pas in Didron's Annales
archeol. XII, 1852 p. 147 — 152; Caumont, Abecedaire, 1851 p. 320
mit 3 Abbildungen ; Gailhabaud, Farchitecture et les arts qui en de-
pendent, 1858, in der Mitte des 2. Bandes mit 7 Abbildungen; iSmile
Arno, les carrelages emailles 1859 p. 32 — 53 mit 7 Abbildungen.
Digitized by
Google
284 Sitzung der phÜos.-phÜöl. Classe vom 2. December 1882.
flüchtige Zeichnung, welche Arne veröffentlicht hat. Das
Lab. ist rund und stimmt völlig mit dem vorigen. 1 )
II, c, 3. St. Qu entin; bei Gailhabaud (verzeichnet),
bei Arne und in den Handbüchern von Mothes und Otte;
achteckig, lO 1 ^ Meter im Durchmesser.
II, c, 4. Amiens, bei Gailhabaud; achteckig mit ver-
schiedenen Bildnissen (Arne S. 46 und Gailhabaud Fig. 5 ?)
nebst der im Jahre 1288 eingelegten Inschrift, die also
beginnt:
Memore quand Teuvre de Tegle
De cheens fu commenchie et fine
II est escript el moilou de le
Maison de Dalus.
Dasselbe wurde im Jahre 1825 zerstört.
II, c, 5. Das Lab. in Ar ras war ebenfalls achteckig
und von derselben Anlage wie die zu St. Quentin und Amiens.
Nach der Revolution wurde es zerstört.
II, c, 6. St. Bertin zu St. Omer, bei Caumont,
Gailhabaud (verzeichnet) und bei Arne; viereckig, doch mit
mannigfachen Verschnörkelungen. Es soll zerstört worden
sein , weil die darin laufenden Knaben und Fremden den
Gottesdienst störten.
II, d, 1. Sens, bei Caumont, Gailhabaud und Arne;
rund mit dem Durchmesser von 10 Meter. Dies Lab. hat
ebenfalls 11 concentrische Gänge, doch sind die Halb- und
Viertelbogen zum Theil anders vertheilt, als in den voran-
gehenden.
II, d, 2. Reims, bei Gailhabaud und Arne. Es be-
stand ebenfalls aus 11 concentrischen Gängen, doch wich
die Vertheilung der Halb- und Viertelbogen von dem Schema
1) Rund war auch das im Jahre 1690 zertörte Labyrinth von
Auxerre.
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 285
noch mehr ab als in dem Lab. zu Sens. Das Lab. zu Reims
war eigentlich achteckig, doch waren die 4 Eckseiten wiederum
zu kleinen Achtecken ausgebildet, in denen sich Figuren mit
Instrumenten befanden , welche nach der Angabe von In-
schriften die verschiedenen Baumeister darstellten. Dieses
Lab. hiess Chemin de Jerusalem, und es gab för die Durch-
wandernden ein eigenes Gebetbüchlein c Stations au Chemin
de Jerusalem, qui se voit en l'eglise de Notre-Dame de
Reims 5 . Weil aber auch die Knaben und die Fremden viel
Vergnügen an dem künstlichen Werke hatten und durch
ihr Laufen den Gottesdienst störten, Hessen im Jahre 1779
zwei Kanoniker es sich 1500 Franken kosten, dies Labyrinth
zu entfernen.
III, a. Bayeux, bei Gailhabaud und Arne; rund mit
dem Durchmesser von 3,80 Meter. Es besteht nicht, wie
alle vorangehenden aus 11, sondern nur aus 10 concentrischen
Gängen ; die Theilung der Gänge in Viertel- und Halbbogen
ist ebenfalls eine durchaus verschiedene, und ausser diesen
finden sich nicht weniger als 4 bis auf die Eingangsachse
durchlaufende Kreise. Nicht minder unterscheidet es sich
durch seinen geringen Durchmesser.
Was nun die Zeit dieser Kirchenlabyrinthe
betrifft, so lässt sich das Lab. von Amiens auf 1288, das
von Reims etwa auf 1300 bestimmen; das von Bayeux wird
in das 14. Jahrhundert gesetzt; die Herstellung der übrigen
Labyrinthe wird mit dem inneren Ausbau der betreffenden
Kirchen zusammenfallen, also in der Regel in die Zeit vor
1300 zu petzen sein.
Ueber die Bestimmung dieser Kirchenlabyrinthe
haben sich die mittelalterlichen Archäologen sehr gestritten.
Der eine findet hier c un jeu de patience des ouvriers*, die
meisten mit Hinblick auf den Namen c Chemin de Jerusalem'
eine allegorische Nachbildung von Christi Leidensweg auf
[1882. II. philos.-philol.-hist. Cl. 3.] 20
Digitized by
Google
286 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. December 1882.
den Calvarienberg und erklären demnach diese Labyrinthe
für un moyen de pelerinage abrege 5 . Die Geschichte führt
uns auch hier den richtigen Weg. Das Lab. von San Michele
in Pavia mit Theseus und Minotaurus in der Mitte lehrt,
dass im Mittelalter die alte Sitte noch fortlebte, den Boden
bedeutender Räume mit Labyrinthdarstellungen zu zieren.
Dasselbe Lab. und viele der erwähnten Zeichnungen lehren
uns ferner, dass im Mittelalter Jedermann sich bewusst war,
in die Mitte des Labyrinthes gehöre Theseus und der Mino-
taurus. Abgesehen von allem Andern (in dem Lab. des Doms
zu Chartres sollen sogar Theseus und Minotaurus bildlich
dargestellt gewesen sein) lehrt uns dasselbe die französische
Sprache. LaCurne citirt in seinem Wörterbuche aus der
Handschrift des Vatican 1490 die Verse c C'est la maisou
Dedalu A sa devise Set cascun entrer Et tout i sont detenu\
und aus dem Tagebuch der Louise de Savoye den Eintrag
von 1513 c En mon parc et pres du Dedalus'; dazu ist die
obige Inschrift von Amiens zu fügeu, welche das Lab. eben-
falls maison Dedalus nennt. Diese Bezeichnung ist nur eine
Uebersetzung des Domus Dedali, das wir oben S. 276 schon
im 9. Jahrhundert gefunden haben und später S. 289 in
isländischer Uebersetzung finden werden. Ebendaher kommt
es, dass die jetzige französische Sprache, als einzige unter den
modernen, dedal als gleichbedeutend mit labyrinth gebraucht.
Demnach ist es sicher, dass im Mittelalter jeder Gebildete
beim Anblick dieser Figuren sich bewusst war, dass eigent-
lich die Gestalten des Theseus und Minotaurus in die Mitte
gehörten. Die nordfranzösische Architekturschule benutzte
aber nur das altüberlieferte, sinnreiche Ornament, Hess da-
gegen jene heidnischen Persönlichkeiten weg oder ersetzte
sie durch die Bilder der beim Kirchenbau betbeiligten
Bischöfe oder Baumeister. Wenn später Fromme diese
Ornamente hie und da zu Bittwegen benützten, so lag das
ursprünglich ebenso wenig in der Absicht der Erbauer, als
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 287
dass die Knaben oder die Fremden sie als Turnlauf be-
nätzen sollten.
Zum dritten lehrt uns die übereinstimmende Con-
struction dieser Kirchenlabyrinthe einerseits und der Zeich-
nungen in der Chronik des Paulinus und in dem münchner
Boetius andererseits, dass diese Art des vierachsigen Laby-
rinths zu 11 Gängen im 13. Jahrhundert eine sehr ver-
breitete war, und dass das Musterbuch jener Architekten
diese Darstellung aus derselben Quelle bezogen hat, wie der
Illustrator des Paulinus und des Boetius.
IV, a. Aus Valturius de Re militari, Venedig 1472,
Bl. 192 gibt Massmann Taf, I, 6 die Zeichnung eines Laby-
rinths, welches sich auch in der fein gemalten münchner
Handschrift 23467 Fol 158 findet. Dieses Lab. hat 4 Gänge
und ist dreiachsig , indem die Gänge viertel , halbe , drei-
viertel und ganze Kreise durchlaufen. Valturius will haupt-
sächlich den Minotaur als Fahnen zeichen und das Laby-
rinth nur als seine Wohnung anführen (Minotaurus usque
ad humeros taurus, cetera homo; domicilium eius quondam
laborinthus) ; demgemäss zeigt die münchner Handschrift
in dem Innern den Minotaurus, freilich ganz als Stier ge-
bildet.
V, a. Ein geschnittener Stein, der im Mus. Florent.
II, 351, Agostini, Le gemme antiche II nr. 131, Maffei,
Antiche gemme, IV, 31 und bei Massmann, Taf. I, N, 3
veröffentlicht ist, zeigt den Minotaur, unten als Stier, oben
als Mensch gebildet, in der Mitte eines vierachsigen Laby-
rinthes, das aus 5 Gängen gebildet ist und dessen Haib-
und Viertelbogen den innern 5 Gängen der Figur 7 sehr
ähnlich sind. Wegen der Bildung des Minotaur haben die
Archäologen diese Gemme schon längst für ein Werk der
Renaissance erklärt. Dasselbe geht auch aus der Bildung
des Labyrinthes hervor. Denn während dasselbe mit der
Construction der mittelalterlichen Figur 7 grosse Aehnlich-
20*
Digitized by
Google
288 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. December 1882.
keit hat, findet sich im Alterthum kein vierachsiges Laby-
rinth, dessen Bogen in den nächsten Keil bald übergreifen,
bald nicht.
Labyrinthdarstellungen im Norden Europas.
Die sinnreiche Construction unserer Labyrinthe rauss
jeden einfachen Menschen ergötzen. So werden wir uns
nicht wundern, dieselben, wie jene einfachen Mährchen und
Scherze, bei den verschiedensten Völkern wieder zu finden,
wenn sie auch, wie jene, auf dieser Wanderung natürlich
mancherlei Abänderungen erlitten haben. Die Nachrichten
von Kälund 1 ) und Fries, auf welche H. K. Maurer mich
aufmerksam machte, ebenso die Angaben Baers beweisen,
dass diese Darstellungen im höchsten Norden Europas weit
verbreitet waren und zum Theil noch jetzt verbreitet sind.
Die ältesten der bis jetzt bekannten islÄn^ischen^Laby-
rinthdarstellungen sind, wie Kälund bemerkte, in zwei
Pergamenthandschriften der Bibliotheca Arnemagniana in
Kopenhagen erhalten. Dass ich hievon genaue Nachricht
geben kann, verdanke ich der Güte des H. Maurer. Auf
seine Vermittlung hin hatte H. V. A. Sech er die Freund-
lichkeit genaue Copien der beiden Zeichnungen anzufertigen ;
den dazu gehörigen isländischen Text in A. M. 736. 4to
schrieb H. Verner Dahlerup mit Beihilfe eines jungen
Isländers ab und Maurer übersetzte denselben in das
Deutsche. Die Labyrinthzeichnung in der ersten, um 1300
geschriebenen, Handschrift A. M. 732. hat den Durchmesser
von gut 9 l l% Centimeter ; in dem Innern steht, nach Kälunds
Angabe von jüngerer Hand, c völundar hüs*; die andere Laby-
rinthzeichnung in A. M. 736. 4to Tat den Durchmesser von
7 Centim.; das Innere mit dem Durchmesser von 2 1 /* Centim.
1) Bidrag til en bist, topogr. Beskrivelse of Island II (1882) S. 416.
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 289
ist ganz ausgefüllt durch ein löwenähnliches Ungetüm; nur
der Kopf ist ein missgestaltetes Mittelding zwischen Mensch
und Thier (nicht Esel und nicht Stier, da sowohl Hörner als
lange Ohren fehlen); dabei steht honocentaurus. (Fig. 9a.)
Schon diese Thatsachen ergeben den Beweis, dass diese
Figur nicht in Island erfunden, sondern von Aussen einge-
führt ist. Völundarhüs (Wielandhaus), wie die erste Figur
durch die Inschrift und die zweite durch den begleitenden
Text genannt wird, ist die einfache Uebersetzung von Domus
Daedali, welchen Beinamen der Labyrinthfigur wir schon im
9. Jahrhundert (S. 276) und dann in der französischen Ueber-
setzung Maison Dedalus vom Jahre 1288 (S. 286) gefunden
haben. Maurer bemerkte, dass nach der Entwicklung der
isländischen Literatur zu schliessen, diese Uebersetzung wohl
in früher Zeit gemacht worden sei, Ferner ist der Hono-
centaurus (Isidor Orig. 11, 3 media hominis species, media
asini) unzweifelhaft nur ein missverstandener Minotaurus.
Maurer wies darauf hin, dass im Isländischen auch die Form
Minocentaurus sich finde (Stjorn, ed. Unger, Christiania
1862, S. 85) und dass ho vielleicht nur aus Mi verlesen sei.
Die Construction des Labyrinthes ist in den beiden Dar-
stellungen* verschieden. Das Labyrinth in A. M. 732. 4to
(siehe Figur 8) ist vierachsig mit 7 Gängen und dem vier-
achsigen Labyrinth zu 1 1 Gängen (Figur 7) verwandt. Doch
ist es einfacher und klarer. In schlangenförmigen Wind-
ungen werden zuerst die 3 innern Bogen aller 4 Keile
(Gangstücke 1. 2. 3; 3. 4. 5; 5. 6. 7; 7. 8. 9) durch-
laufen, dann: die 3 folgenden Bogen (Gangstücke 10. 11.
12; 12. 13. 14; 14. 15. 16;) von 3 Keilen; unregelmässig
ist der 7. Gang, welcher als Bogen 17 zum 4. Keile (Gang-
stück 17. 18. 19) hinleitet. 1 ) So hat die ganze Figur
1) Einfacher wäre die Figur, wenn der Weg aus Gangstück 9 in
das jetzt 18. Gangstück überliefe; dann könnte er in Gangstück 18,
Digitized by
Google
290 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 2. December 1882.
19 Viertel und Halbbogen. Das ähnliche Labyrinth in
A. M. 736. 4to besteht ebenfalls aus 7 Gängen; doch ist
es in andern Stücken willkürlich abgeändert; die 4 Achsen
sind nicht streng festgehalten und dadurch, dass einige
vollständige Kreise und einige 8 /4 Bogen angebracht sind,
beträgt die Zahl der zu durchlaufenden Gangstücke nur 15.
Wir sehen also auch hier, was wir schon bei der Ent-
wicklung der übrigen mittelalterlichen Labyrinthdarstellungen
gesehen haben, dass Mancher seine Geschicklichkeit dadurch
zu zeigen suchte, dass er die ihm vorliegende Construction
veränderte. Allein klar ist, dass diese beiden Figuren zu
7 Gängen aus der einfachen einachsigen Figur zu 7 Gängen
(Fig. 3) entwickelt sind. 1 ) Demnach ist sicher, dass die
19. 10; 10. 11. 12. u. s. f. den 4. 5. und 6. Gang der 4 Keile durch-
laufen und endlich aus Gangstück 16 mit dem jetzt 17. Gang rundum
und neben dem Eingang direkt in das Innere laufen.
1) Da der isländische Text, welcher in A. M. 736. 4to die
Zeichnung begleitet, für die nordische Literatur interessant ist, von
Kälund aber nur auszugsweise und nicht ohne Irrthümer mitgetheilt
ist, so gebe ich denselben hier nach der wörtlichen Uebersetzung des
H. v. Maurer: Mit dieser Figur, welche Völundarhüs genannt wird, hat
es die Bewandtniss, dass in Syrien ein König war, welcher Dagur hiess.
Er hatte einen Sohn, welcher Egeas hiess (Theseus war des A.egeus
Sohn). Dieser Egeas war ein in Leibesübungen sehr gewandter Mann.
Er zog in das Reich des Königs Soldan, um dessen Tochter zu freien.
Der König sprach, er solle das Weib dadurch gewinnen, dass er allein
das Thier überwinde, welches Honocentaurus heisst, welches Niemand
mit menschlicher Kraft besiegen konnte. Weil aber des Königs Tochter
über alle Massen klug war, mehr als alle Weisen in jenem Reiche, ver-
suchte jener Königsohn sie insgeheim zu treffen und erzahlte ihr, was
ihr Vater ihm auferlegt habe, wenn er sie gewinnen wolle. Weil er
ihr wohlgefiel, sprach sie zu ihm: da menschliches Thuu dieses Thier
nicht mit Gewalt besiegen kann, will ich dich lehren, eine Falle in
dem Walde herzustellen, in welchem dasselbe beständig herumläuft;
vorher aber (sollst du) alle Thiere ausrotten, die es zu seiner Nahrung
zu haben pflegt. Dann nimm du Fleisch von einem Wildeber und be-
streiche es mit Honig; damit wird das Thier angelockt, so dass es den
Digitized by
Google
Wilh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 291
isländischen Labyrinthdarstellungen ihren Ursprung in
der gelehrten mittelalterlichen lateinischen Literatur haben.
Nun berichtet aber Kälund weiter (Islands Fortids-
laevninger p. 30 ^ Aarb. f. nord. Oldk. og Hist. 1882
p. 86), dass sich auf der kgl Bibliothek einige Zeichnungen
des Isländers S. M. Holm (f 1820) finden, die Wielands-
häuser oder Labyrinthe von der oben beschriebenen Form
darstellen; derselbe S. M. Holm gibt an, er habe für den
Kammerherrn Suhm eine ähnliche Zeichnung angefertigt
nach einem Labyrinth auf einem steinernen Pfosten oder
Steinkreuz. Kälund fügt hinzu, diese Zeichnungen ent-
sprächen genau dem bekannten Spiele, das häufig von den
isländischen Knaben ausgeführt werde; und Maurer theilt
mir mit, dass gar mancher Isländer in handschriftlichen
Aufzeichnungen neben Recepten und Aehnlichem auch eine
Labyrinthzeichnung habe. Bei diesem Stand der Dinge sehe
ich nicht ein, warum die Reste von Labyrinthen, die auf
freiem Felde im nordwestlichen Island sich finden oder fanden,
Geruch davon bekommt and darnach läuft. Dann wende dich zur Falle
und laufe allen Windungen nach, welche in ihr sein sollen, und springe
dann auf die Mauer hinauf, welche zunächst an dem innersten Gemache
ist, und von da aus tödte ( . . ein Riss im Pergament macht einige
Worte unleserlich) das Thier; und wenn die Wunde nicht tödtlich ist,
springe jenseits hinunter in den engen Gang der Falle, so dass der
Weg für das Thier so weit wird, dass es dir keinen Schaden thun kann.
Dann zeichnete sie auf einem Tuche die Falle auf, welche man Völun-
darhüs nennt. Er aber Hess darnach eine solche aus Ziegeln und Steinen
herstellen und machte Alles, wie sie ihm geheissen hatte; er Hess alle
Thiere in jenem Walde ausrotten und brauchte das Fleisch als Lock-
speise. Das Thier aber war hungrig und lief dem Wildbrete nach in
das Haus hinein Egeas aber warf die Lockspeise nieder uud kam auf
das Dach hinauf; er griff das Thier mit aller Kraft an und sprang jen-
seits von der Mauer hinunter in den Gang. Das Thier aber brüllte
schrecklich und ward 7 Tage später in derselben Falle todt gefunden. —
Haben nicht vielleicht die labyrinthförmigen Fischnetze diese Verwendung
des Labyrinths beeinflusst? Vgl. S. 297 Note.
Digitized by
Google
292 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 2. December 1882,
von den deutschen Kaufleuten zwischen 1400 — 1600 ange-
legt sein sollen. Olav (I, 187) erwähnt ein solches Wieland-
haus bei Holmarifsvik im Steingrirasfjord, Arne Magnusson
ein anderes zu Bildudalseyri bei dem Handelsplatze Bildudal;
ein drittes auf der kleinen flachen Landzunge Tingeyri,
welche an der Küste der Dalasysla vom steilen Pelsrande
in die See vorspringt, untersuchte Kälund 1874 nicht ge-
nauer, da er damals von solchen Denkmälern noch Nichts
wusste; es nahm sich, sagt er, vor meinen Augen aus wie
eine sonderbare längliche Ansammlung von kleinen, unge-
fähr 7* Elle breiten und hohen Rasenerhöhungen, welche
in vielen Windungen, Vierecke, Ovale u. s. w. bildend, sich
durcheinander schlangen.
Aus einer Abhandlung Nordströms in Svenska For-
minnesföreningens Tidskrift III, 1875—1877 S. 225—229,
welche ich selbst nicht einsehen konnte, fügt Kälund Notizen
über ähnliche Anlagen in Schweden, Norwegen und Däne-
mark hinzu: in Schweden würden mehrere auf freiem
Felde angelegte Labyrinthe gezeigt; im nördlichen Theile
Norwegens fänden sich solche Steinsetzungen, die den
Namen Trojeborg hätten; endlich fände sich in Däne-
mark auf Hailands Väderö ein Labyrinth von aufs Feld
gelegten Steinen, das dort Trelleborg (Trojaburg?) heisse
und von schiffbrüchigen Seeleuten angelegt sein solle.
Diese Steinsetzungen sind aber im Norden noch viel
weiter verbreitet. Das lehrt die von Massmann citirte hübsche
Abhandlung des Naturforschers Baer c Ueber labyrinth-
förmige Steinsetzungen im russischen Norden' (Bulletin hist.
philol. der Petersb. Akad. I, 1844, S. 70 — 79 mit einer
Tafel) und die von Prof. v. Maurer mir mitgetheilten Nach-
richten bei J. A. Fries, En Sommer i Finmarken, Russisk
Lapland og Nordkarelen; Christiania 1871, S. 118—120.
Baer erzählt, im Sommer 1838 sei er bei einer Fahrt im
finnischen Meerbusen durch Aufhören des Windes gezwungen
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 293
worden zum Aufenthalt an der unbewohnten Insel Wier,
8 Werst südlich von der Insel Hochland. Auf dem völlig
nackten Theile des Gerölllagers bemerkte er eine von runden
Steinen gelegte Labyrinthfigur mit dem Durchmesser von
etwa 6 Ellen, deren Abbildung er und nach ihm Massmann
(Taf. I, S) gibt; siebe Figur 10. Diese einachsige Figur zu
7 Gängen hat 2 Eingänge; durch den einen gelangt man
in einfachen spiralförmigen Windungen in den äussersten,
durch den andern in ebensolchen Windungen in den innersten
Kreis der Figur: also eine Entstellung unserer einachsigen
Labyrinthe zu 7 Gängen. Eine gleiche Steinsetzung derselben
Figur von demselben Umfange sah Baer bei einer kleinen
unbewohnten Bucht Wilowata an der Südküste des russi-
schen Lapplands, dann 2 grosse, 12 — 15 Ellen breite,
von grossen Blöcken gebildete und offenbar alte Stein-
setzungen derselben Art bei dem Dorfe Ponoi im russischen
Lappland, etwa 12 Werst von der Mündung des Flusses
Ponoi. Auf einer Insel in der Tiefe des bottnischen Meer-
busens, nicht weit von der Mündung des Flusses Kemi, be-
findet sich nach den Erzählungen eines Eingebornen ein
ähnliches Labyrinth. Fries berichtet c In der Nähe des Hofes
Mortensnäs, im Varanger Fjord der norwegischen Finmark,
findet sich ein Steinfeld (Stenurd), in welchem die Lappen
vordem eine Begräbnissstätte gehabt haben. In dem Stein-
felde findet man auch einzelne vorspringende Punkte, die
man gut von der See aus sehen kann, gemauerte Stein-
ringe. Ich habe ähnliche an mehreren anderen Orten in
Finmarken gesehen, namentlich finden sich einige gut er-
halten bei Laxelvand in Porsanger'. Ob diese Steinringe den
von Baer geschilderten ähnlich sind, muss genauere Unter-
suchung lehren. Ein Bürger von Kern gab Baer die Versicher-
ung, eine solche Steinsetzung würde Babylon genannt ; er
wusste nichts von einer historischen Bedeutung derselben,
sondern meinte, sie wären eine Aufgabe des Witzes und der
Digitized by
Google
294 Sitzung der philos.- philo!. Classe vom 2. December 1882.
Geschicklichkeit. Pries sowohl wie Baer schildern ein Denk-
mal auf dem Vorgebirge Mortens Naes (Martins-Spitze)
im Varanger Fjord. Nach Fries finden sich Spuren, dass
der dortstehende Bautastein einst von 14 Steinringen um-
geben war, der eine um den andern, mit dem Bautastein
als Centrum. Baer erhielt eine Zeichnung dieses schon in
Keilhaus' Reise nach Finnmarken S. 15 beschriebenen Denk-
mals. Darnach sieht man einen hohen Felsblock, umgeben
von mehreren Steinkreisen, deren äusserster etwa 12 Ellen
Durchmesser hat. Baer glaubt, dass diese Kreise ursprüng-
lich ein Labyrinth gebildet haben. Fries wie Baer fähren
nun einen alten Bericht an: im Jahre 1592 seien russische
Bevollmächtigte wegen Grenzstreitigkeiten mit Norwegen
nach Eola gekommen und hätten von den Eingeborenen
gehört, dass unter den Karelen ein Held Namens Walit
oder Warent am Ufer des Varanger Fjord die Norweger
besiegt und dann, Jahrhunderten zum Gedächtnisse, dort
einen gewaltigen über einen Faden hohen Stein hingesetzt
habe, um den er eine zwölffache Mauer zog, welche er
Babylon nannte. Dieser Stein heisse noch heutigen Tages
der Walit- Stein. Ein eben solches Gemäuer fand sich an
der Stelle des soätern Ostrogs Kola. Baer hält diesen Walit
oder Warent für identisch mit einem um 1313 vorkommenden
Lappenkönig Martin, und das von Walit erbaute Babylon
für identisch mit dem Denkmal auf der Martinsspitze. Baer
theilt noch mit, dass die labyrinthförmigen Zeichnungen
jetzt eine weitverbreitete Unterhaltung der russischen Jugend
seien; auch habe man auf der Insel Petrowski 1841 solch
ein Labyrinth ausgegraben; die deutsche Jugend Lieflands
pflege diese Figur auf Schiefertafeln zu zeichnen, ohne den
Namen Babylon — den in Südrussland noch jetzt ausgedehnte
Eiskeller hätten — anzuwenden und ohne sie durch Stein-
setzungen auszuführen.
Baer hält es für wahrscheinlich, dass diese Art von
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 295
Steinsetzungen den finnischen Völkern oder den Russen an-
gehöre. Das ist nach der von mir nachgewiesenen histori-
schen Entwicklung dieser Figur durchaus unwahrscheinlich.
Ob aber die Labyrinthdarstellungen aus dem lateinischen
Europa zu den finnischen und russischen Völkern gewandert
sind, oder durch die byzantinisch-griechische Miniaturmalerei
vermittelt wurden , das bleibt noch zu entscheiden. Denn
ich bin überzeugt, dass bei einiger Aufmerksamkeit sowohl
in lateinischen wie in griechischen Handschriften des Mittel-
alters noch viele Labyrinthdarstellungen werden aufgefunden
werden, deren übereinstimmende oder verschiedene Einzel-
heiten uns die Wanderung dieser Darstellungen klar legen
werden, wie solche Aehnlichkeiten oder Verschiedenheiten
in Nebenzügen uns ja auch die Wanderung mancher asiatisch-
europäischen Sage klar legen. Nicht minder aber verdienen
die einheimischen Darstellungen der Art die aufmerksame
Prüfung der nordischen Alterthumsforscher, damit aus-
geschieden werde, was einheimische Erfindung oder, wenn
man will, praehistorische Denkmäler sind, und was Weiter-
bildungen jener sinnreichen Figur, die etwa um 400 vor
Christus in Knossos ersonnen wurde.
Die Labyrinthe der Renaissance.
Während die Bewohner des rauhen Nordens Labyrinthe
bauten, indem sie statt der Layrinthwände Reihen von
Stein blocken oder höchstens von Rasenstücken legten, er-
freuten sich die Bewohner des mittleren Europas ihres glück-
licheren Klimas. Soll ja ein englischer König ein Labyrinth I
angelegt haben , um darin seine Geliebte von der übrigen
Welt für sich abzuschliessen. Und Riughieri schildert in i
seinen Spielen, welche im 16. und 17. Jahrhundert gewiss
vielen feinen Gesellschaften Unterhaltung und manchem
Künstler und Dichter Motive geboten haben, auch ein
Labyrinthspiel, bei welchem die Gänge von Buschwerk oder
Digitized by
Google
296 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. December 1882.
von der Dienerschaft des Hanses gebildet werden nnd Amor
mit seinem Hofe die Stelle des Minotanrns einnimmt; zum
Schlüsse gibt er noch eine Anzahl Allegorien , welche im
geistreichen Gespräche weiter ausgeführt werden konnten.
Die erste Nachricht von einem Labyrinth als Garte n-
anlage finde ich in der oben erwähnten Notiz von 1513
im Tagebuche der Louise de Savoye c En mon parc et prös du
Dedalus\ Wir müssen aber hier den Begriff des Wortes
Labyrinth näher ins Auge fassen. Alle bisher betrachteten
Constructionen bilden regelmässige Figuren, deren Inneres
in verschiedene Gänge getheilt ist. In diesen kann man
gar nicht irre gehen: man durchwandert sämmtliche Gänge
und kommt endlich in den stärksten Windungen, aber
sicher in das Innere und ebenso aus dem Innern wieder
zum Ausgang, ohne dass ein Ariadnefaden nöthig oder auch
nur nützlich wäre. Dass die Alten diese Figuren Laby-
rinthe nannten , ist durch die knossischen Münzen , die
pompejanische Wandinschrift und die Theseusdarstellungen
sicher gestellt; wir könnten sie etwa Wundergang nennen.
Mit dem Worte Labyrinth, Irrgang oder Irrgarten verbinden
wir und verbanden gewiss auch die Alten eigentlich den Be-
griff einer Anlage, in welcher man sich sehr leicht verirren
kann. Derartige Anlagen sind seit dem Beginn der Re-
naissance bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts viele
gemacht worden. Dieselben bilden entweder regelmässige
Figuren, wie deren Massmann Taf. I, 0. P. Q und Boeckler,
Architectura curiosa Bd. IV, Bl. 17, 18. 19. 29 abgebildet
haben, — dann sind so viele Sackgassen oder Kreuzwege
angebracht, dass der Wanderer der Gefahr ausgesetzt ist,
oft an denselben Ort zurück und nie in das Innere oder
zum Ausgang zu kommen — , oder sie sind ganz unregel-
mässig, wie z. B. das Labyrinth von Versailles, — dann
ist es unmöglich den richtigen Weg zu finden, wenn nicht
bestimmte Merkmale ihn kennzeichnen. Zu Ornamenten
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 297
und Zeichnungen passen nur die Wundergänge; derartige
Bauanlagen aber wären langweilig; dessbalb sind diese
wahre Irrgänge nach willkürlichen Plänen.
Die Labyrinthe der Turnschulen (Wunderkreise). 1 )
In Deutschland scheinen die alten Labyrinthdarstell-
ungen nur in den Wunderkreisen der Turnschulen fortzu-
zuleben. 2 ) Das ging so zu. Schon an dem Labyrinth von
Toussaints (S. 279, Figur 6) sehen wir den leeren Raum
im Innern sehr verengt und aus dem Centrum der
Figur gegen den Eingang zu gerückt, so dass die inneren
Zungen keine Kreisbögen mehr bilden. Der nächste Schritt
geschah, indem die Spitze der breiteren äusseren Maeander-
windung von der Spitze der breiteren inneren Maeander-
windung getrennt wurde, so dass die Figur zwei offene Ein-
gänge erhielt.
Bei welchem der einachsigen Labyrinthe wir auch diese
Veränderung vornehmen, dass wir an Stelle der Achse von
aussen einen Zugang in das Ende des letzten Ganges öffnen,
stets erhalten wir eine Figur mit 2 Oeffnungen, welche in
der linken Oeffnung betreten, dann in allen ihren Gängen
durchlaufen und durch die rechte Oeffnung verlassen wird,
oder umgekehrt. Vorbereitet ist diese 2. Oeffnung schon in
der Figur der Stadt Jericho (S. 277, Figur 4), wo es nahe
lag, die breite Hilfslinie wegzulassen. Der Mittelpunkt der
Figur ist aber daun nicht mehr der verborgenste, sondern
durch die zweite Oeffnung der am leichtesten zu erreichende
Ort des Labyrinthes, und es lag nahe, ihn zu vergessen und
1) Vgl hierüber besonders Massmanns Schriftchen.
2) Labyrinthformige Anlagen werden auch zum Fischfange benützt ;
vgl. die Abbildungen im Bericht der Berliner Fischereiausstellung II,
S. 241. 37. 236. III, 64, und die sinnreiche Vorrichtung zum Otterfang,
welche Wilh. Bischoff, Anleitung zur Angelfischerei 1860 S. 99 beschreibt.
Digitized by
Google
298 Sitzung der phüos.-philöl. Glosse vom 2. December 1882.
die 2 innern Zungen, welche für den durchlaufenden jetzt
die Hälfte des Weges und den verborgensten Ort der An-
lage bezeichnen zum Mittelpunkt zu machen. Die Figur 11
ist eine so hergestellte Umänderung des Labyrinthes von
Toussaints. Bei z ist ein Zugang in das Ende des früher
letzten Ganges geöffnet und der frühere Mittelpunkt ist
nach gerückt, während x der Mittelpunkt der neuen Figur
geworden ist. Verfolgt man aber von dem alten Eingange a
aus die Gänge, so sind es genau dieselben wie in Figur 6.
Betrachten wir nun den Ursprung der Labyrinthe in
den Turnschulen. Fr L. J. Fischbacb sagt im 1. Theil seiner
Statist, topogr. Städte - Beschreibungen der Mark Branden-
burg (Berlin 1786) S. 13, zu Neustadt-Ebers walde
liege dicht am Oberthor der Hausberg. Derselbe heisse auch
Wuuderberg 'wegen des auf dem Gipfel des Berges aus
vielen Linien in der Erde ausgestochenen und einem Laby-
rinthe ähnlichen Kreises; welchen sogenannten Wunder-
kreis der ehemalige Rector der Stadtschule Christoph
Wachtmann um das Jahr 1609 zum Vergnügen angelegt.
Er wurde sonst, jährlich Montags vor Himmelfahrt von den
Schulknaben erneuert. Die jungen Leute pflegten sich auf
demselben in der Art ein Vergnügen zu machen, dass ihrer
zwei zugleich, der eine rechts, der andere links, zu laufen
anfingen und eine Wette anstellten, welcher von beiden
zuerst seinen Gang endigen würde. Der Berg ist übrigens
beinahe schon halb abgetragen 5 . Diese Anlage sah Fr. L.
Jahn und ahmte sie 1816 bei seinem Turnplatz auf der
Hasenhaide in einem Labyrinthe nach, das Massmann Taf. I, C
abbildet. Diese Anlage ist nichts als eine Erweiterung unserer
Figur 11, indem um die vier Zungen so viel Gänge mehr ge-
legt sind, dass wir von nach r gerechnet 9+1+9 = 19
Gänge erhalten. Natürlich sind, wie es das Laufen erfor-
dert, alle Ecken gerundet und die ganze Figur ist oval ge-
worden ; doch sind die Linien zwischen x und o noch nach
Digitized by
Google
Wüh. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen. 299
x eingebogen und nicht nach o, dem alten Mittelpunkt der
Figur, um den sie ursprünglich Kreise bildeten. Diese
Erinnerung hat Eiselen völlig verwischt. Denn da beim
Laufen alle scharfen Biegungen schwierig sind, so hat
Eiselen die ovale Form der Figur in eine kreisrunde ver-
wandelt 1 ) und auch die zwischen x und o liegenden Linien
gegen o so ausgebogen, dass sie Kreise mit dem Mittel-
punkte in x wurden, also gerade die umgekehrte Richtung
erhielten, als sie im Ursprünge hatten. Zugleich legte er
um die äussern Zungen noch einen Gang mehr, so dass
diese Wunderkreise von o nach r gemessen 10+1 + 10
Gänge zählen (Massmann Tafel I, B). Nach dieser Con-
struction, an der Linden nur die Drehung um die beiden
inneren Zungen des leichteren Laufens halber rundlicher
gebildet hat (Massmann Tafel I, A), sind die Wunder-
kreise fast aller deutschen und ausländischen Turnplätze ge-
baut und diese beiden Constructionen werden gewöhnlich
in den Handbüchern des Turnwesens abgebildet. Dass von
den oben (S. 277) erwähnten möglichen Erweiterungen des
einfachen ursprünglichen Labyrinthes zu 7 Gängen gerade
diese Form (S. 279 no. III) für die Laufbahnen der Jugend
sich eingebürgert hat, ist natürlich. Denn beim Laufen
sind, wie erwähnt, alle kurzen Biegungen schwierig und
verursachen baldige Zerstörung der naheliegenden Rasen-
stücke. Solche kurzen Biegungen finden aber nur an den
Zungen statt; also sind für solche Anlagen die Formen die
geeignetsten, welche die wenigsten Zungen haben. Das ist
von den oben erwähnten eben die geschilderte. Nur eine
Figur gibt es, welche nur 2 Zungen (im Innern) hat, nem-
lich die doppelte Spirale, welche desshalb auch Linden
(Massmann Tafel II, b) für Turnläufe entworfen hat. Allein
1) Eiselens Schriftchen c Der Wunderkreis', neu entworfen, Berlin
1829, war mir leider nicht zugänglich.
Digitized by
Google
300 Sitzung der philos.-phüol. Ciasse vom 2. December 1882,
sie scheint nirgends Anklang zu finden und das mit Recht;
denn sie zu durchlaufen ist langweilig.
Jetzt wissen wenige, dass die Wunderkreise der Turn-
schulen eine Abart der einst wohl bekannten Labyrinth-
darstellungen sind. Auch sonst scheinen diese Figuren fast
vergessen zu sein, wenigstens in Deutschland. Denn in den
Spiellexika trifft man höchstens unter Jerusalemsweg eine
aus Mothes' oder Otte's Handbüchern stammende Abbildung
des Mosaiks von St. Quentin mit der ebendaher bezogenen
schiefen Erklärung als Bittweg.
Die Labyrinthdarstellungen verdienten aber in Wahrheit
auch jetzt noch mehr Beachtung; sie könnten sowohl zum
Spiele als zu Ornamenten bei Stickmustern und Mosaikein-
lagen verschiedener Art verwendet werden. Es eigneten sich
hiefür von den beiden oben (S. 273) besprochenen Klassen
natürlich nur die regelmässigen, deren Geschichte darzulegen
Aufgabe dieser Untersuchung gewesen ist. Von diesen regel-
mässigen Labyrinthen oder Wundergängen könnten die ver-
schiedenen Arten der einachsigen Gattung besonders zur
Unterhaltung und Belehrung der Jugend verwendet werden,
indem zuerst ihre Entstehung aus den Maeanderwindungen,
ihre Erweiterung von 7 zu 1 1 oder mehr Gängen und durch
ein- oder zweimalige Brechung der Viertelbogen ihre Ver-
wandlung aus Kreisen in Vier- oder Achtecke begreiflich
gemacht würde. Für Ornamente wäre die Gattung der vier-
achsigen Labyrinthe mit den vielen verschiedenen Arten be-
sonders geeignet. Denn diese Figuren sind ebenso schön
wie viele der gebräuchlichen linearen Ornamente, übertreffen
aber alle dadurch, dass sie zugleich sinnreich und desshalb
für viele Menschen ergötzlicher sind.
Herr Hof mann trug vor:
1) „Ueber den Ursprung der Bienen im französi-
schen Kaiserwappen."
2) „Zur Textkritik des Floovant."
Digitized by
Google
1 1
Digitized by
Google
Digitized by
Google
, T 1
Dehio: Die Genes
Die nachstehenden Grundrisse, ausgenommen 4 u,
rrnrn
6. Pompeji: casa di Pansa.
ä. / Wiss. Justor. 67. 1882, Bl 9 W^^uS
Historische Classe.
Sitzung vom 2. Dezember 1KX2.
Herr D e h i o trägt vor :
„Die Genesis der christlichen Basilika."
(Mit einer Tafel.)
Diese Frage geht nicht die Kunstgeschichte allein an.
Ein grosser, ja vielleicht der grössere Teil des Interesses,
das man ihr entgegengebracht hat, gehört ihrem Bezug auf
Religion und Kirche. In einer Liste der während der letzten
vierzig Jahre in Deutschland aus Anlass ihrer veröffent-
lichten Monographieen und Aufsätze, welche 23 Nummern
enthält, finde ich 17 von Theologen herrührende. Mir nun
sei gestattet, an dieser Stelle auf die Mittel und Ziele des
Kunst historikers mich einzuschränken. Indess auch dem
Kunsthistoriker bedeutet die Frage weit mehr, als unmittel-
bar in ihr ausgedrückt scheint. Denn wie hoch oder niedrig
immer man den absoluten Kunstwert der altchristlichen
Basilikenarchitektur anschlagen mag: das Eine steht fest,
dass sie der gesammten Kirchenbaukunst des Abendlandes
bis zum Eintritt der Renaissance und selbst bis in diese
hinein die Richtung bestimmt hat. Eine neue Formenwelt
gewinnt im Mittelalter Leben, neue Constructionsmethoden
werden erfunden, aber die beherrschende compositionelle Idee
bleibt während des ganzen Zeitraumes unverrückt dieselbe;
[1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 3.] 21
Digitized by
Google
3 02 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882.
eben die der Basilika. Das ist die eminente baugeschicht-
liche Tragweite des Probleme«.
Der Ruhm, die erste und dauerndste Theorie über den
Ursprung der christlichen Basilika begründet zu haben, ge-
hört dem grossen Florentiner L B. Alberti, dem Vater aller
wissenschaftlichen Kunstbetrachtung. Er lehrte, dass die
christliche Kirchenbasilika aus der heidnisch - römischen
Forumsbasilika entstanden sei, und dies ist noch heute der all-
gemeine Glaube der ausserdeutschen Archäologie. l ) Bei uns
jedoch ist der kritische Rückschlag schon vor vier Decennien
eingetreten und die Verhandlungen sind seitdem so uner-
müdet im Gange geblieben, dass die Erinnerung an sie
keiner Auffrischung bedarf. 2 ) Man wird mir deshalb ge-
statten, ohne fortlaufende Auseinandersetzung mit den Mein-
ungen meiner Vor- und Nebenmänner, geradeswegs auf die
Punkte loszugehen, welche mir erneuter Prüfung am meisten
bedürftig erschienen sind.
Soviel ich sehe gibt es nur einen einzigen rationellen
Ausgangspunkt für unsere Untersuchung. Das ist die all-
gemein anerkannte zuerst von Weingärtner in diesem Zusam-
menhang verwertete Tatsache, dass der christliche Gottes-
dienst ursprünglich und zwei Jahrhunderte lang ausschliesslich
Hausgottesdienst war. 3 ) In Anpassung an die gegebenen
räumlichen Dispositionen des griechisch-römischen Wohn-
hauses hat der gottesdienstliche Ritus, gleichsam als in seiner
Gussform, die Grundzüge sein er äusseren Erscheinung fixirt, und
man darf a priori erwarten, dass gleichermassen das gottes-
1) Vgl. z. B. die bekannten Lehrbücher von de Caumont (1870)
und Fergusson (1874), Rohault de Fleury (1877) u. s. w.
2) Die einschlägige Literatur bei Stockbauer: Der christliche
Kirchenbau; Kraus: Realen cyclopädie der christl. Altertümer.
3) Leider hat W. unterlassen, seine glückliche Idee consequent
durchzuarbeiten, ist vielmehr alsbald auf den zum Hypäthraltempel füh-
renden Irrweg geraten ; sein Verdienst soll gleichwol unvergessen bleiben.
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 303
dienstliche Gebäude das morphologische Gesetz seines Ur-
sprunges auch noch in seinem späteren freien Wachstum in
irgend einer Weise in Wirkung zeigen wird. Mag zwischen den
ältesten uns erhaltenen Denkmälern des christlichen Kirchen-
baues und der durch Vitrnv und Pompeji repräsentirten
Epoche des antiken Hausbaues ein Zeitraum von drei Jahr-
hunderten liegen : jeder methodische Ableitungsversuch muss
zuerst bei den Verhältnissen der christlichen Urzeit und so-
mit bei der Einrichtung des antiken Wohnhauses ansetzen ;
— erst wenn hier die Auskunft verweigert wer-
den sollte, mögen entferntere Instanzen an die
Reihe kommen.
Es ist wichtig, vorweg festzustellen, dass der Synkre-
tismus der Nationalculturen, der die Kaiserzeit charakterisirt
und für die Ausbreitung des Christentums so fördersam war,
auch auf die Wohnsitten sieb erstreckt, dass ein erheblicher
Unterschied zwischen griechischer und italischer Hausanlage
nicht mehr existirt. Gleich wol handelt es sich um eine so
gesetzmässig fortschreitende Entwicklung, dass wir noch einen
Schritt zurück gehen und die nationalen Formen zuerst in
ihrer gesonderten Art uns vergegenwärtigen müssen.
Das griechische Haus zerfällt in eine Männer-
uud eine Frauenwohnung. Wenigstens von der letztern
gewährt Vitruv's Beschreibung eine für unseren Zweck ge-
nügende Darstellung; (danach der Reconstructionsversuch
Fig. 1). Der Mittelpunkt ist der Peristyl, ein im Innern
von drei Seiten mit Säulenhallen umgebener Hof; an der
vierten, dem Eingang gegenüber ein gedeckter, gegen die
Säulenhalle in voller Breite offener Ausbau, die Prostas ;
um dieses Centrum die übrigen Gemächer ohne feste Regel
gruppirt. Noch sei bemerkt, dass, da die Strassenfront des
Grundstückes ein für allemal limitirt ist, das Haus nur in
der Längenaxe Erweiterung erfahren kann, weshalb für den
Peristyl durchschnittlich oblonge Gestalt im Sinne dieser
21*
Digitized by
Google
304 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882.
Axe anzunehmen ist. Von den reicheren Combinationen
des vornehmen Hauses erhalten wir leider keine Nachricht.
Im Gegensatz zu der lockeren Compositionsweise des
griechischen Hauses bildet das italische ') eine feste nach
bestimmtem Plan gegliederte Einheit und besitzt als solche
ein das Ganze überspannendes einziges Dach. In dieser dem
Bauernhause noch nahe stehenden Gestalt heisst es atrium
testudinatum. Seine Entwicklungsgeschichte dreht sich um
die Frage der Lichtfuhrung, und ich erlaube mir zu anti-
cipiren, dass es hiermit in gerader Folge in die Entwick-
lungsgeschichte des christlichen Kirchengebäudes übergeht.
Der dem Ganzen den Namen gebende Mittel- und Haupt-
raum ist das Atrium mit dem der griechischen Prostas ent-
sprechenden Tablinum. In ältester Zeit, als auch das
städtische Haus noch isolirt stand, war das Atrium in seinen
vorderen Teilen allein durch die weite Türöffnung erhellt;
um aber auch der Tiefe, wo der Heerd stand und die häus-
lichen Arbeiten der Frauen ihren Platz hatten, das nötige
Licht zuzuführen, wurde die Reihe der Seitengemächer in
ihrem letzten Drittel nicht bis zur Rückwand durchgeführt,
sondern durch eine in die Queraxe gelegte bis an die seit-
liche Umfassungsmauer reichende uud somit zur Anlage
von Fenstern Gelegenheit gebende Erweiterung, die alae,
durchbrochen. — Die nächstfolgende Entwicklungsphase,
bedingt durch die Einführung geschlossener Häuserinseln
mit gemeinschaftlichen Zwischenwänden, drängt zu einem
neuen Beleuchtungsverfahren : der Durchbrechung des Daches
durch ein Oberlicht. Der Grundplan des Hauses stellt nun-
mehr ein längliches Viereck dar, das aber stets seine schmale
Seite — eine Nachwirkung des alten Giebelhauses — der
Strasse zuwendet und, wenn irgend möglich, auch für den
1) Für das Folgende beziehe ich mich insbesondere auf die „Pompe-
janischen Studien*' von Heinrich Nissen. (1877;.
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 305
Eingang, trotz der die Fronte einnehmenden Werkstätten
und Kaufläden, die Mittelaxe festhält. In der auf dieser
Stufe üblichen Constructionsform wird das Atrium als tus-
canicum oder cavum aedium bezeichnet. Wie ehedem so
wird auch jetzt das Dach desselben von zwei quergelegten
Hauptbalken getragen, aber es ist kein Giebeldach mehr,
sondern neigt sich von allen vier Seiten einwärts gegen die
in der Mitte angebrachte Licht-, Luft- und Regenöffnung,
das compluvium. Man erkennt, dass wegen dieser Con-
struction und der nach wie vor aufrechterhaltenen Einheit
mit den Alae und dem Tablinum das italische Atrium seine
Dimensionen nicht beliebig zunehmen lassen kann, wie das
griechische Peristyl, sondern an sehr bestimmte Grenzen
gebunden bleibt. Die von den steigenden Ansprüchen an
Würde und Behagen verlangte Raumvermehrung kann also
nur durch Anhängung neuer Bauteile erreicht werden:
etwa eines zweiten Atriums neben dem alten, oder — und
das ist das Erwünschteste — eines hinteren luftigen Säulen-
hofes nach griechischem Muster, mit einem Blumen- und
Rasenplatz in der Mitte und Gesellschafts- und Speisezimmern
(triclinia) an den Seiten. Das ist in dem ersten Jahrhundert
der Kaiserzeit die Hausanlage der Reichen. Die Menge der
Kleinbürger begnügt sich fort und fort mit dem einfachen
Atrium, und es ist schon ein Zeichen von behaglicher Glücks-
lage, wenn dieses unverkürzt bleiben darf. Bei jenen ist das
Atrium nur mehr der Ort für den Verkehr mit der Oeffent-
lichkeit, bei diesen bleibt es Mittelpunkt der Familienge-
selligkeit. Als Beispiel für die eine und für die andere Art
vergleiche man die beigegebenen Grundrisse zweier normal
entwickelter Häuser in Pompeji, der casa di Sallustio (Fig. 5)
und der casa di Pansa (Fig. 6). — In der Grossstadt Rom
konnte die geschilderte Bauart nur in den wohlhabenden
Classen aufrechterhalten bleiben, während die unbemittelte
Masse in vielstöckigen Mietkasernen sich zusammen prangte;
Digitized by
Google
306 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882.
doch haben sich unter den Fragmenten des römischen Stadt-
planes auch von jener ein paar Beispiele erhalten, dem
pompejanischen Atrien typus wesentlich entsprechend. (Fig. 4a
= Jordan tab. 23. fr. 173, cf. ibid. tab. 36. fr. 174b.)
— Nun muss ich noch auf einige regelmässig wieder-
kehrende Züge aufmerksam machen. Zuvörderst erscheint
als des Atriums notwendiger Begleiter das Tablinum ;
ursprünglich mit geschlossener Rückwand, nach vorn aber
nur durch Vorhänge absperrbar. Vor Alters der Standort
des in Cultus und Sitte geheiligten ehelichen Lagers ver-
blieb das Tablinum bis in späteste Zeit der Ehrenplatz des
Hauses, Schatzkammer, Archiv und Schauplatz feierlicher
Familienacte. Mit bemerkenswerter Beharrlichkeit werden
ferner auch die Alae zu beiden Seiten des Eingangs in's
Tablinum festgehalten, nachdem ihre ursprüngliche Function
(die seitliche Lichtznfübrnng) durch die Veränderung der
Gesammtanlage längst in Wegfall gekommen ist. Ihre
Wände zieren in den Häusern der Nobilität die wächsernen
Gesichtsmasken der Ahnen, in den Häusern neuer Familien
als Ersatz dafür bronzene oder silberne Medaillonporträts
(clipeatae imagines) von Kaisern und andern berühmten
Personen, und selbst in einfacheren Bürgershäusern, wie
man in Pompeji sehen kann, wenigstens ausgezeichnetere Ge-
mälde. Endlich findet sich auf typisch feststehendem Platze,
zwischen Tablinum und Impluvium, ein nach Möglich-
keit reich ornamentirter Marmortisch — der aus Pietät
und religiöser Scheu conservirte Stellvertreter des alten
Heerdes.
Seit den letzten Zeiten der Republik tritt mit der tus-
kanischen Atriuraform das Säulenatrium in Concurrenz,
entweder in tetrastyler oder in korinthischer Anlage, wie
Vitruv sie nennt. Das tetrastyle unterscheidet sich
vom tuskanischen weiter nicht, als durch die Einschiebung
von vier Stützen an den vier Ecken des Impluviums. Das
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 307
korinthische acceptirt eine inehrsäulige Porticus und
bringt damit die schweren durchlaufenden Deckbalken in
Wegfall, während die an Umfang zunehmende Area nicht
mehr durchaus vom Wasserbecken eingenommen wird, son-
dern einen Rasenplatz mit umlaufenden Abzugscanälen er-
hält. Die letztere Anlage ist, wie man sieht, eine Ver-
quickung des nationalen Atriums mit dem modischen, den
Griechen abgelernten Peristyl, ebenso dienlich, die erstere
Bauform stattlicher auszubilden, wie die letztere, bei be-
schränkten Raumverhältnissen, zu ersetzen. Ich gebe als
Beispiel das Haus des M. Epidius Rufus zu Pompeji (bei
welchem die abnormale Stelluug der Alae den stattgehabten
Erweiterungsumbau zu erkennen gibt) und ein Fragment
des römischen Stadtplanes (Fig. 4 b = Jordan tab. 16. fr.
109 c). Schon an den Häusern von Pompeji kann man die
rasch fortschreitende Umwälzung beobachten, welche die
Einbürgerung der Säule im italischen Hausbau hervorrief.
Denn nicht nur, dass dieselbe um ihrer schönen Erschein-
ung willen reichlichste Verwendung fand, sie gab auch
die Möglichkeit, ohne Verzicht auf den altgewohnten Grund-
plan, zu gesteigerten Dimensionen und neuen Methoden der
Lichtführung fortzuschreiten. Es ist mit Bestimmtheit
anzunehmen, dass in der Kaiserzeit, mithin in der für
unsere Untersuchung massgebenden Epoche, die ansehn-
licheren Häuser ihr Atrium regelmässig als gesäultes ge-
bildet haben.
Endlich sind noch die Häuser der Reichsten, die eigent-
lichen Paläste nach unserer Sprach weise, in Betracht zu
ziehen. Im Gegensatz zu der Neigung der bürgerlichen Bau-
weise, möglichst eng an Herkommen und Regel sich anzu-
schliessen, besteht in der Palastarchitektur Uebereinstimraung
nur in den allgemeinsten Tendenzen und — selbstverständ-
lich — in den baulichen Grundelementen; in Bezug aber
auf die Combination derselben im einzelnen Falle ist Ver-
Digitized by
Google
308 Sitzung der histar. Classe vom 2. Dezember 1882.
Schmähung alles Schematischeu, freiestes Walten von Phan-
tasie und Laune das eigentlich Bezeichnende, und darum
ist jeder Versuch znr Reconstructiou eines römischen Nor-
malpalastes Verkennung des Grund Charakters dieser Gattung.
Als Fundameutalzeugniss betrachtet man gewöhnlich Vitruv
VI. 8: nobilibus vero qui honores magistratusque gerundo
praestare debent officio, civibus, facienda sunt vestibula
regalia alta, atria et peristylia amplissima, silvae ambu-
lationesque laxiores ad decorem majestatis perfectae, prae-
ter ea bibliothecae pinacothecae basilicae non dissimili
modo quam publicorum operum magnificentia comparatae,
quod in domibus eorum saepius et publica consilia et privata
judicia arbitriaque conficiuntur.
Dieser vitruvische Satz nun — man sieht es ihm wol
nicht sogleich an — ist der Keimpunkt geworden für die
Entwicklung der gegenwärtig herrschenden Lehre vom Ur-
sprung der christlichen Basilika, und es ist nicht uninteres-
sant zu sehen, auf welchem Wege er zu solcher Bedeutung
gelangt ist. Wir müssen auf die Thesen Zestermann's
zurückgreifen. Nach seiner reinlich paragraphisirenden Art
hatte dieser Gelehrte die antiken Basiliken in vier Gat-
tungen eingeteilt, wovon die wichtigsten die forensische und
die private sind. Den Zusammenhang aber zwischen ihnen
und der christlichen stellt er in Abrede. Unter Zester-
mann's Gegnern ist der erfolgreichste J. A.*Messmer ge-
worden. Er hat zweimal in verschiedener Weise Stellung
genommen. Das erste mal lehnt er Zestermann's Sätze
durchaus ab, verlangt die alte Ansicht ungeschmälert wieder-
hergestellt zu sehen. Das zweite mal gesteht er deren Un-
baltbarkeit stillschweigend zu und eignet sich auch die
Classification seines Gegners an, aber zu einem andern
Endzwecke. Da nicht die forensische das Vorbild der christ-
lichen war — das ist der einfache Gedankengang — so
muss es die andere Hauptgattung gewesen sein: diePalast-
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 309
basilika. x ) Diese Behauptung ist zum Kern der gegen-
wärtig bei uns herrschenden Doctrin gewordeu.*)
In den meisten vornehmen Häusern — so wird gesetzt
— „pflegte" eine „wirkliche* 1 Basilika sich zu befinden; die
christlichen Gemeinden zählten viele Angehörige vornehmer
Familien zu den Ihren und sie hielten ihre Gottesdienste in
Privathäusern: — folglich hat die christliche
Kirchenbasilika ihren Ursprung in der römi-
schen Hausbasilika.
So einfach liegen die Dinge nun doch nicht.
*
Einiges von den Schwächen der vorstehenden Deduction
fällt ohne weiteres in's Auge. Ist es erlaubt, so muss ge-
fragt werden, aus der beiläufigen Wendung eines, wie man
weiss, seine Worte wahrlich nicht wägenden Schriftstellers
einen Satz von so genereller Tragweite abzuleiten? Stellt
Vitruv hier etwas anderes, als ein lediglich ideales Programm
auf? Wo sind die Beweise, dass die Baupraxis demselben
entsprochen hat? Wo die Beweise, dass die „Palastbasilika 41
eine determinirte, einerseits von der Forumsbasilika, anderer-
seits von den übrigen Saalanlagen der Privatarchitektur
kenntlich unterschiedene Bauform besessen hat ? Ist es nicht
wiederum dieselbe petitio principii, um derenwillen die
älteren Archäologen so verachtend abgefertigt worden? Denn
wie Alberti die (damals aus den Monumenten noch nicht zu
studierende) öffentliche Basilika nach dem Bilde der christ-
lichen reconstruirt hatte, genau so macht inan's jetzt mit
1) Uebrigens gilt auch für diese These, wie so oft in der Ge-
schichte der Wissenschaften, das „Alles schon dagewesen.". Bei Guat-
tani, Mon. ined. Roma 1784, I. p. 31 ist zu lesen: „Ciö fu secondo al-
cuni, perche fuggendo le persecuzioni trovavano asilo talvolta nelle
Basiliche de' privati."
2) Z. B. Kraus in der Realencyclopädie der christlichen Alter-
tümer und A. Springer im Textbuch zu Seemanns kunsthist. Bilderbogen.
Digitized by
Google
310 Sitzung der histor. Olasse vom 2. Dezember 1882.
der privaten. — Doch lassen wir diese Bedenken einstweilen
noch liegen, um zuvor über den Sprachgebrauch des Wortes
basilica einiges anzumerken. Vorab ist die verbreitete Vor-
stellung, als sei es die technische Bezeichnung für eine be-
stimmt umschriebene architektonische Form, 1 ) aufs Ent-
schiedenste abzuwehren. Es ist an und für sich nicht
Form bezeichnung, sondern Zweck bezeichnung, nicht mehr
und nicht minder wie die Worte Tempel, Theater u. s. w.
Eine Basilika ist ein gedeckter Raum in unmittelbarem An-
schluss an ein Forum, — um es kurz zu sagen: ein über-
dachtes Nebenforum, ein vor den Extremen der Witterung
behaglich geschützter Raum zur Verrichtung eben der Dinge,
die sonst draussen betrieben wurden, zu Gerichtsverhand-
lungen, zu geschäftlichem Verkehr aller Art, zum Flaniren
der Müssiggänger. 2 ) Zunächst an diese Gebrauchsbestim-
mung dachte der Römer, wenn er das Wort basilica aus-
sprach, nicht, oder nur nebenher, an die bauliche Erschein-
ung. 8 ) Ist es an sich nicht unwahrscheinlich, dass die
ältesten Basiliken eine ziemliche Gleichartigkeit aufwiesen,
so greift schon seit dem Ende der Republik solche Mannig-
faltigkeit der Compositionen Platz, dass es völlig unmöglich
ist, dieselbe auf eine gemeinschaftliche Formel, es wäre denn
eine in's Allgemeinste verflüchtigte, zurückzuführen. Zum
Beweise brauche ich nur die Namen der Ulpia, der Alexan-
1) Z. B. Schnaase III. 41 : „Diese rein architektonische Bezeich-
nungsweise" ; Messmer 14: „Gebäude von bestimmter Gestalt, so dass
dasjenige Gebäude eben „basilica" hiess, welches eine Basilika wirklich
war;** Stockbauer 20: „ein streng technologisch bestimmter Architektur-
begriff" u. s. w. u. s. w.
2) Eine durchaus zutreffende und präcise Definition u. a. bei Reber :
Baukunst im Altertum 428, welche nicht wol begreifen lässt, wie die denn-
noch statuirte Ausdehnung auf die „Privatbasilika'* damit zu vereinigen sei.
3) Sehr charakteristisch z. B. Cicero ad Att, II. 14: Basilicam
habeo, non villam, frequentia Formianorum — der Vergleichspunkt
nicht die Bauform, sondern der Zusammenfluss der Leute.
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der chiistlichen Basilika. 311
drina, der Constantiniana und der von Trier neben einander
auszusprechen : — die erste fünfschiffig mit einer Grundriss-
proportion von 1:2; die zweite bei einer Länge von
1000 Fuss nur 100 breit, also wol nur das was wir sonst
Porticus nenneu ; *) die dritte eine auf vier Binnenpfeilern
ruhende Gewölbehalle; die vierte ein ungeteilter Saal mit
flacher Balkendecke. Wie man sieht, teilen diese Basilikal-
bauten formell nichts weiter miteinander, als dass sie grosse,
gedeckte Säle sind, und in diesem ganz allgemeinen, archi-
tektonisch indifferenten Sinne finden wir, seit der auguste-
ischen Zeit, die Bezeichnung basilica auch auf Gebäude oder
Gebäudeteile von anderer Gebrauchsbestimmung über-
tragen, etwa unserem Worte „Halle u entsprechend, mit der
Neben Vorstellung des Grossen und Prächtigen. 2 )
Besonders häufig findet sich basilica für porticus: so
in Verbindung mit Bädern, Theatern, Curien, Tempeln, 3 )
Victualienmärkten; 4 ) umgekehrt werden wieder Basiliken
im engeren Sinn (forensische) schlechthin als porticus,, 5 ) bei
griechischen Autoren als aroai bezeichnet; ferner basilica
für Tempel, 6 ) jüdische Synagogen, 7 ) aber auch für Wein-
1) Aelius Lampridius V. Alex. Severi e. 20.
2) Forcellini: Accipitur aliquando pro parte aedis ampla columnis
omata, aut pro porticu, in qua ambulare et spatiari licet — insofern
noch etwas zu eng, als zuweilen auch ungesäulte Hallen, als B. be-
zeichnet sich vorfinden.
3) Belege bei Zestermann %6, welcher dadurch auf die unglück-
liche Erfindung der „Spazierbasilika'' als gesonderte Bauform geriet.
4) Corp. Inscr. R. N. 5350, vgl. Nissen a. O. 209.
5) Zestermann 110 und 327. Einen interessanten Vergleich giebt
porticus perpetua = basilica in der Descriptio Urb. Const. und basilica
perpetua — Portikus des Mittelschiffes bei Vitruv V. 1. 9.
6) Drei Beispiele bei Urlichs: die Apsis 5; ferner die B. Jovis
auf dem Palatin und wahrscheinlich wol auch die B. in honorem Plotinae
bei Spart. V. Hadr. c. 19.
7) Im Talmud und bei Hieronymus ; von Kreuser, Kirchenbau 1860
zu einer phantastischen Hypothese missbraucht.
Digitized by
Google
312 Sitzung der histor. (Masse vom 2. Dezember 1882.
keller, 1 ) Exercierplätze, 2 ) kurz es scheint kaum irgend eine
hallenartige Anlage zu geben, für welche nicht diese be-
queme und dehnbare Bezeichnung passend befunden würde.
Die Sorglosigkeit, mit welcher die Wortführer der christ-
lichen Archäologie über diesen offenkundigen umstand hin-
weggleiten, die Zuversicht mit der sie oft aus dem blossen
Worte basilica technische Schlüsse ziehen, hat etwas unbe-
greifliches. Eben vermöge dieses technisch unbestimmten
Gehaltes findet das Wort Eingang in die christliche Ter-
minologie: basilica ecclesiae ist nur ein würdevollerer Aus-
druck für die durchaus promiscue gebrauchten domus ec-
clesiae, olxog syuiXtjoiag; — dann schrieb man, wo ein Miss-
verständniss ausgeschlossen schien, kurzweg basilica allein,
und wahrscheinlich sehr frühe schon verband sich damit
— anfangs als Nebenvorstellung, sehr bald aber als die
dominirende — die willkommene symbolische Deutung, welche
Isidor von Sevilla dahin angiebt: nunc autem ideo divina
templa basilicae nominantur, quia regi ibi omnium, Deo,
cultus et officia offeruntur — Anpassung also an die gleich-
falls alten Bezeichnungen xvQiaxrj*), dominicum (Cyprian,
Hieronymus) oder das vereinzelt vorkommende domus columbae
(Tertullian). Die Behauptung, dass basilica nicht ein Kirchen-
1) Palladins de re rast. I. 18. Cellara vinariam ... sie autem dis-
positam, ut basilicae ipsius forma calcatorinra loco babeat altiore con-
struetum — übersetze ich (trotz der Einwendungen von Brunn, Cotta 1 -
sebes Kunstblatt 1848 Nr. 20): „dass die Formation der gedachten
Halle (d. b. der cella vinaria) einen Kelter platz auf erhöhter Stelle dar-
biete."
2) Drei Beispiele verzeichnet Promis in Memor. della R. Accad.
di Torino See. II. tom. 28 p. 245 f.
3) Sämmtliche Bezeichnungen neben einander bei Eusebius
olxog exxXtjaiag H. eccl. VII. 30. VIII. 13. IX. 9 — ßaotXixrj V.
Const. III. 31. 32 — ßaaiXtios olxog H. eccl. X. 4 — «f avtov &i
tov nZv oXwv xvgiov. 7Cccqo xai xvQi€tx(uv yt-itorrat Ttov inwvth-
{lh<ov. Land. Const. XVlJ.
Digitized by
Google
G. Dehio: Di* Genesis der christlichen Basüiha* 313
gebäude überhaupt, sondern ein Kirchengebäude von be-
stimmter Form bedeute, (Zestermann, Messmer u. s. w.),
entbehrt jedes stichhaltigen Beweises: bis in's 4. Jahrhundert
hinauf sind neuerdings Beispiele nachgewiesen, dass Cult-
gebäude jeglicher Art und Gestalt, von den grossen Ge-
meindekirchen bis hinab zu den Grabkapellen und Memorien
diesen Namen tragen. 1 )
Nach den eben durchgegangenen Beobachtungen wird
es nicht Wunder nehmen, einigemal auch von besonders
prächtigen Privatpalasten ausgesagt zu finden, dass sie
Basiliken — der Plural ist charakteristisch — enthalten
hätten, und man wird nicht im Zweifel sein — da unmög-
lich eine sonst überall vage Bezeichnung hier auf einmal
etwas Determinirtes könnte bedeuten sollen — wie das zu
nehmen sei: nicht anders, meine ich, wie wenn wir heute
etwa von den „Hallen 11 eines Fürstenschlosses sprechen.
Kaum etwas Bestimmteres (so schon Nissen a. 0. 209) hat
nun auch V i t r u v in dem für uns in Rede stehenden Satze
im Auge, wenn er in verschwenderischen Pluralen vestibula
regalia alta, atria et perist ylia amplissima, Silvas ambu-
lationesque laxiores, bibliothecas, pinacothecas, basüicas für
den vornehmen Palast zu fordern nötig hält. Sehr häufig
findet man bei den Erklärern dann die Schlussworte
non dissimili modo — privata judicia arbitriaque con-
ficiuntur ausschliesslich auf basilica bezogen, was, obwol
ja grammatisch zulässig, den klaren natürlichen Sinn des
Satzes verdunkelt; zweifellos gehen die Worte vielmehr auf
das Ganze und sollen motiviren, weshalb die Stellung eiues
nobilis qui honores magistratusque gerundo praestare debet
1) Promis 1. c. Kraus Realen cyclopädie I. 109 mit Berufung auf De
ßossi und Garucci. — Charakteristisch ist die Unterscheidung der Descr. Urb.
Const. vgl. Zestermann 110 A. 327, wo basilica ausschliesslich für christliche
Kirchen vorbehalten, dagegen die Geschäftsbasilika mit porticus wieder-
gegeben wird — also eine Unterscheidung lediglich des Zweckes, nicht
der Form.
Digitized by
Google
314 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882.
officio, civibus so grossen Bauaufwand gebiete. 1 ) — Nicht
um nach allem Gesagten der Sache noch eine neue Seite
abzugewinnen , sondern lediglich der Vollständigkeit zu
Liebe mögen auch die wenigen etwa noch in Betracht
kommenden Parallelstellen ihre Besprechung ünden. Zuerst
ein Ausdruck Plutarch's im Leben des Publicola c. 15.
Nach seiner moralisirenden Weise hält der Autor hier in
der Schilderung der sitteneinfältigen guten alten Zeit inue,
um ein Contrastbild aus der verderbten Gegenwart zu ent-
rollen, und weist zu diesem Ende auf Domitians palatinisches
Haus: „wer in diesem auch nur eine einzige Stoa oder
Basilika u. s. w. erblickte, 14 „der müsste sich versucht
fühlen auszurufen : Du bist ein Unfrommer, ein Uebermensch,
ein Bauwutkranker !" El fxidv eidev Iv oixly ^Ojueziavov
arodv tf ßaoilixrjv — schon diese pluralisirende Wendung,
dann der synonyme Gebrauch von oxod und ßaoifoxr'j und
am meisten die rein rhetorische Absicht des Satzes machen
mir höchst unwahrscheinlich, dass Plutarch bei jedem dieser
Ausdrücke an einen concreten einzelnen Bauteil des Palastes
gedacht habe. Sollte dieses dennoch der Fall sein, und
sollte der Autor speziell jenen Raum im Auge gehabt haben,
der gegenwärtig in den Ruinen mit dem Namen „Basilika' 1
versehen ist, so würde das für die architekturgeschichtliche
Frage gleichwol nichts austragen, — in Folge weiter unten
zu besprechender formaler Bedenken. — Ferner beruft sich
die Doctrin von der Palastbasilika auf Julius Capitolinus
V. Gordiani c. H2\ . . et villa eorum Praenestina,
1) Zu den verhängnissvollen Ungenauigkeiten, dergleichen wir in
der Behandlang der ganzen Frage nur allza oft begegnen müssen, ge-
hört es, wenn F. X. Kraus, Realen cyclopädie der christlichen Altertümer
I, 111 den obigen Vitruvischen Satz dabin wiedergiebt: B. heisse „der* 4
Haupt- und Prachtsaal der Paläste römischer Grossen. Erst durch
diesen Singular wird in die Stelle der Sinn hineingetragen, den Kraus
im Anschluss an Messmer in ihr zu finden wünscht.
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 315
ducentas columnas in tetrastylo Habens, quarum L. Cary-
steae, L. Claudianae, L. Synnades, L. Numidicac, pari men-
sura sunt ; in qua basilicae c e n tenariae tres — und wir
werden aufgefordert, von Messmer bis herab auf deu jüngsten
Bearbeiter (Holtzinger im Repertorium für Kunstwissenschaft
1882 p. 286) diese basilicae tres ungefähr in gleicher Ge-
stalt wie die christlichen uns vorzustellen. Was damit be-
hauptet wird, versteht man erst ganz, wenn in Erinnerung
gebracht wird, dass z. B. die Kirche S. Maria Maggiore bei
dreischiffiger Anlage 44 Säulen, die Lateranskirche bei fünf-
schiffiger Anlage 60 Säulen, S. Paolo fuori le mura, einer
der grössten überdeckten Räume in der Baukunst aller
Zeiten, 80 Säulen enthält: — und hier nun auf einem länd-
lichen Lustsitz angeblich gleich drei Säle, davon ein jeder
mit hundert Säulen — wahrlich, es ist, wenn man sich
die Mühe giebt es zu überdenken, eine vollkommen in's
Ungeheuerliche ausschweifende Vorstellung, die uns hier zu-
gemutet wird. Zugeraatet indess nur von den Erklärern,
nicht vom Schriftsteller selbst, wenn man nur dessen Worte
nach dem wirklichen, nicht einem untergeschobenen, Sprach-
gebrauch deutet. Schon Zestermann (p. 67 und 226) er-
klärte sehr treffend den Ausdruck basilicae centenariae durch
Pomp. Laeti R. Hist. de imp. Philippi : Ludis saecularibus
Theatrum Pompeji arsit et eipropinquam Hecatostylon, centum
columnarum in Campo Martio opus; centenariam Porti-
cum appellabant etc. ; auch sonst mehrfach erwähnt und frag-
mentarisch erhalten im Stadtplan, Jordan tab. V. Nimmt
man hierzu die mehrfachen oben angeführten Beispiele, wo
basilica — porticus, und vergegenwärtigt sich zum Vergleiche
etwa den Villen palast Hadrians bei Tivoli, der wesentlich
als Complex grösserer und kleinerer Säulenhöfe sich dar-
stellt: so wird es im höchsten Grade plausibel, dass die
basilicae tres an unserer Stelle dem vorhergeschilderten
tetrastylon auch sachlich paralell zu setzen seien, d. h. dass
Digitized by
Google
31b Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882.
die Villa einen grossen quadratischen Portikenhof von 200
Säulen, und drei kleinere, möglicherweise oblonge, von je
100 Säulen umfasste.
Die, wie man sieht, auch numerisch nicht eben ansehn-
liche Reihe der zu Gunsten der Privatbasilika vorgeführten
Zeugen wird beschlossen durch zwei christliche Schriftsteller:
Pseudo-Cleniens (Recogn. X. 71) und Hieronymus
(ep. 18 ad Marcellum, ep. 30 ad Oceanum) ; dieselben
sollen zugleich die „unwidersprechlichen" Beweise für den
behaupteten Zusammenhang mit dem christlichen Kirchen-
gebäude enthalten. Ist es schon an und für sich misslich,
aus nicht mehr als zwei Beobachtungsfällen eine Theorie
von so umfassendem Anspruch zu construiren, so müssten
wir um so entschiedener durch sie eine deutliche und ge-
wisse Anschauung von der präsumirten Architekturform zu
erhalten verlangen. Aber nichts davon ; — man verweiset
uns wieder nur auf das Wort, und immer das Wort basilica,
das, wie wir nun sattsam eingesehen haben, so vielbedeutend
ist, class es fast nichts bedeutet. — Die Recognitionen er-
zählen : * . ut Theophilus, qui erat cunctis potentibus in
civitate (Antiochia) sublimior, domus suae ingentem basilicam
ecclesiae nomine consecraret, in qua Petro apostolo constituta
est ab omni populo cathedra. Die Schrift ist bekanntlich
ein Roman, die vorgetragene Begebenheit eine fingirte ; erst
wenn nachgewiesen wäre (was zu tun unmöglich ist), dass
der Verfasser im Unterschiede vom allgemeinen Sprachge-
brauch, eine bestimmte, und zwar die eine geforderte, Bau-
form im Sinne gehabt habe, könnte dieser Stelle eine ge-
wisse, obschon noch lange nicht eine generelle, Beweiskraft
zugestanden werden. — Die Aussage im Briefe des Hierony-
mus nun lautet dahin : dass die fromme Fabiola tota urbe
spectante Romana ante diem Paschae in Basilica quondam
Laterani, qui cesariano truncatus est gladio, staret in ordine
poenitentium. Was hat Hieronymus hiermit sagen wollen ?
Digitized by
Google
G. Dehip: Die Genesis der christlichen Basilika. 317
was hat er sagen dürfen? Er bezeichnet im Hauptsatz den
Ort, an welchem die fromme Fabiola zu sehen war :
basilica Laterani, wie diese Kirche noch heute heisst —
und hierbei fallt ihm eine historische Reminiscenz ein zur
Erklärung dieses Namens. Mit Hülfe anderer Quellen l )
vermögen wir den Tatbestand ziemlich klar zu übersehen.
Die Kirche war erbaut inmitten eines umfänglichen von
Alters den Namen „in Laterano" führenden Palastbezirkes,
welchen, der späteren Tradition zufolge, Constantin dem
römischen Bischof geschenkt hatte. Gewiss ist, dass er
vorher Eigentum der Gemahlin Constantins, der Fausta, war,
und wahrscheinlich, dass diese ihn von ihrem Vater, dem Kaiser
Maximian geerbt. Der Name aber geht auf die ältesten, durch
Inschriften wie durch Historiographen beglaubigten Besitzer
und Erbauer, die unter den Antoniuen und Septimius Severus
in Macht und Gunst stehende Familie der Laterani zurück,
gerade wie wir noch heute von einem „Palazzo Pitti u , einer
„Villa d'Este u sprechen, obgleich beide seit 300 Jahren den
betreffenden Familien entfremdet sind. Hieronymus jedoch,
wenn er in der Zeit noch weiter hinaufsteigt und an den durch
Nero hingerichteten Lateranus anknüpft, irrt, da dieser einer
anderen Gens, der Plautia, angehörte. 2 ) Im Uebrigen ist der
Sinn seiner Rede, trotz ihrer lässigen Kürze, klar. Es versteht
sich nach dem dargelegten Sachverhalte von selbst, dass
1) Schon von Ciainpini vollständig zusammengestellt.
2) Schon von Bunsen (Beschreibung der Stadt Rom III a. 506) an-
gemerkt, aber von den meisten späteren übersehen. Falsch ist auch
die oft wiederholte Angabe (zuletzt noch bei Kraus a. 0. 113),
dass Marc Aurel in diesem Hause geboren und erzogen sei; sie ist
Messmer nachgeschrieben, welcher seinerseits wieder das Citat bei Ciam-
pini nicht genau gelesen hat. Bei Julius Capitolinus c. 1. heisst es:
Natus est Marcus Romae . . . in monte Coelio in hortis, avo suo
(sc. Annio Vero) iterum et Augure . . . Educatus est in eo loco, quo
natus est et in domo avi sui Veri, juxta aedes Laterani.
[ 1 882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 3] 22
Digitized by
Google
318 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882.
„basilica Laterani" nicht „die von Lateran us erbaute
Basilika", (wie die Urgirung des Wortlautes allerdings er-
geben würde) bedeuten soll, sondern eben nur „die nach
Lateranus benannt e." Ganz andere, grössere Dinge freilich
sind für Messmer und die lange Reihe ihm sich anschliessender
Archäologen durch des Hieronymus Worte „gewiss" ge-
worden: Der edle Lateranus hat seine Hausbasilika den
Christen geöffnet und im Besitz der Christen ist sie geblieben,
bis Constantin sie zu einer grossen Kirche erweiterte! Wie?
Hieronymus hätte bezeugen wollen, jener Lateranus, den die
Profangeschichte als Bulen der Messalina und rastlosen Ver-
schwörer kennt, sei Christ gewesen? Weder Hieronymus,
noch sonst die Geschichte oder fegende weiss eine Sylbe
von diesem Märtyrer. Und ist auch nur der Schatten
eines Beweises vorhanden, dass bis in die Frühzeit der
Kirche hinauf, ja überhaupt nur vor Constantin, eine christ-
liche Cultstätte im Lateran gewesen sei? Von der Christ-
lichkeit der Laterani des zweiten Jahrhunderts ist nichts
bekannt, vielmehr weiset der Umstand, dass sie unter Marc
Aurel und Septimius Severus hohe Staatsämter bekleideten,
auf das Gegenteil. Die Familie der Fausta sodann war aus-
gesprochen christenfeindlich. — Dass eine Behauptung von
solcher Willkürlichkeit im Verhältniss zu den Worten der
Quelle und von so übler Harmonie mit den beglaubigten
Thatsachen, nicht nur Beifall, sondern, was mehr bedeutet,
keinen ernstlichen Widerspruch finden konnte, macht der
Methodik unserer christlichen Archäologen wenig Ehre. *) Leider
ist das nicht der einzige kranke Punkt. Auch die Wahl
des Ausgangspunktes war schon eine durchaus verfehlte.
1) Mit „B. Laterani" vgl. „B. Semproniana" (S. Giorgio in Velabro),
weil auf dem Platze eines alten Palastes der Sempronier, „Sessoriana,"
„Siciniana;" von letzterer sagte Messmer: „sie ist ein Beweis uud
bleibt ein Beleg dafür, dass einzelner reicher Privater Häuser mit
deren Basiliken in christlichen Gebrauch und Besitz übergingen." (!)
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 319
Wie konnte man überhaupt nur erwarten, aus jener Aus-
sage des Hieronymus für die allgemeine Frage nach
dem Ursprung der christlichen Basilikalform einen Gewinn,
und gar den entscheidenden zu ziehen, da ja der Bau, den
Hieronymus vor Augen hatte, schon im 9. Jahrhundert
durch Erdbeben zerstört ist und wir nichts sicheres darüber
wissen, wie er ausgesehen hat? 1 ) Der Constantinische Bau
ist für die architekturgeschichtliche Forschung nicht minder
eine lediglich hypothetische Grösse, wie seine angebliche Vor-
gängerin, die Hausbasilika des Lateranus. Und der Gleichung
dieser beiden unbekannten Einzelfälle wird ohne Scrupel die
Gleichung der generellen Kategorien „Kirchenbasilika" und
„Hausbasilika 11 substituirt!
Es war überhaupt ein Grundübel in der Behandlung
unserer Frage, dass man lange Zeit vermeinte, aus der schrift-
lichen Ueberlieferung allein sie beantworten zu können. 2 ) In-
dem wir dieser Methode auf ihren Wegen nachgingen, ist es
übergenug deutlich geworden, dass sie das ihr gesetzte Ziel ver-
fehlt, dass weder der Name „Privatbasilika 11 , noch die unter
diesem Namen gedachte Sache, d. h. eine gesonderte und
formell bestimmte Baugattung, aus den litter arischen Quellen
nachgewiesen oder auch nur wahrscheinlich gemacht werden
kann, um wie viel weniger, dass dieselbe die Urquelle der-
jenigen Bauform sei, welche wir heute — nach einem nicht
1) So wenigstens wurde bis vor kurzem allgemein angenommen.
Wieviel Verlass auf die bei den neuesten Restaurationsarbeiten aufge-
tauchte Behauptung zu setzen ist, dass die Apsis noch Constanti-
nische Beste enthalte, weiss ich nicht anzugeben. Uebrigens wird an
der Hauptfrage dadurch nichts geändert.
2) Ungeachtet der von Seiten der älteren Schwesterwissenschaft,
der classischen Archäologie, rechtzeitig ergangenen Warnungen (U r 1 i c h s ,
die Apsis der alten Basiliken 1847, Brunn im Cotta'schen Kunstblatt
1848 N. 19) oder Ergänzungsversuche (Reber in den Mitteilungen der
Centr.-Comm. 1869).
22*
Digitized by
Google
320 Sitzwng der histor. Classe vom 2. Dezember 1882.
historischen , sondern lediglich conventionell abgegrenzten
Sprachgebrauch — als „christliche Basilika" bezeichnen.
Beeilen wir uns, von diesem sterilen und schwankenden
Boden auf den festen der Monumentalforschung überzutreten.
Bei den Gelehrten, welche die Ableitung der christlichen
Basilika aus dem Saalbau des vornehmen römischen Hauses
vertreten, begegnen wir insgemein höchst übertriebenen Vor-
stellungen von den durchschnittlichen Grössenverhältnissen
des letzteren. Für die öffentliche und für die private Archi-
tektur der Alten gilt ein völlig verschiedener Massstab,
wonach die Aussagen der Schriftsteller zurechtzurücken sind.
Auch der römische Palastbau grossen Stiles verleugnet nicht
seine Abkunft aus dem Bürgerhause. Auch in ihm sind
Atrium und Peristyl, wiewol in freiester Behandlung, die
Hauptmotive: jenes für die Geschäfte und die vornehme
Repräsentation bestimmt, dieses der Mittelpunkt der dem
intimen häuslichen Leben und den geselligen Freuden ge-
hörenden hinteren Hälfte des Hauses. Ihre Dimensionen zu
steigern, ihre Zahl zu vermehren bleibt das Hauptaugenmerk
des Bauluxus, und wir müssen die von den unseren so weit
unterschiedenen Lebensgewohnheiten der Antike und des
Südens uns immer gegenwärtig halten, um einzusehen, dass
und warum im Verhältniss zu jenen den gedeckten Sälen
und Gemächern stets nur ein massiger Raum zugestanden
wurde. Solchergestalt ist das römische Luxushaus nach
moderner Anschauung eher eine Villa als ein Palast. Aber
man erkennt auch die Kostspieligkeit einer solchen in's
Breite gehenden, die Häufung der Stockwerke als hässlichen
Behelf der Mietcasernen verschmähenden Bauweise auf dem
durch altüberlieferte Limitationen eingeengten Terrain der
Städte. In Pompeji z. B. lässt es sich anschaulich verfolgen,
wie jede Vergrösserung eines Hauses nur durch Ankauf und
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 321
Niederlegung der benachbarten möglich wurde und wie doch
immer das Resultat, nach unseren Begriffen, ein bescheidenes
blieb. Und nun erst die von Berg und Tal durchschnittene,
wegen ihrer Enge berüchtigte Grossstadt Rom! Anwesen
etwa von dem Umfang der casa di Pansa in Pompeji können
hier schon nur den Reichsten vorbehalten sein. Wenn
irgendwo in Rom rücksichtloser Aufwand in's Werk gesetzt
und das Ausserordentliche erstrebt wurde, so war es in
Domitians palatinischem Hause: zwei gewaltige Hallen er-
blicken wir hier, nach ihrer Lage dem Atrium und Tri-
klinium des Bürgerhauses entsprechend, sonst aber nur
mittelgrosse oder selbst kleine Gemächer. Ein zweites in-
structives Beispiel gewährt der breitgelagerte Palast im
Mittelpunkt jener wunderbaren Sommerresidenz des Kaisers
Hadrian am Fusse der Berge von Tibur. Er ist durchaus
Peristylbau: gedeckte Räume zwar in Menge, aber keiner
von ihnen die massigsten Dimensionen überschreitend. Er-
innern wir dann noch, als Massstab des Normalen, an das
Haus der Livia auf dem Palatin, an die wahrhaft winzigen
Tablinen und Triklinien Pompeji's oder an die Fragmente
des römischen Stadtplanes, so wird zur Genüge deutlich,
dass selbst in vornehmen Häusern ausser dem Atrium nicht
leicht ein zur Aufnahme grösserer Versammlungen geschickter
Raum zu finden war.
Demnächst ist noch ein zweiter Umstand belangreich
für unser Problem. Der Palastbau der Käiserzeit, wo er
über das Gewöhnliche hinauswill, ist Gewölbebau und
bevorzugt in Folge dessen in seinen gedeckten Räumlich-
keiten quadratische oder wenigstens der quadratischen
Form nahe kommende und centrisch combinirte Grund-
pläne. Es erhellt also, dass gerade die am häufigsten an-
gewandten und am meisten charakteristischen Formen der
Palastsäle für die Ableitung des christlichen Kirchengebäudes
von vornherein ausser Betracht bleiben. Unter den b-
Digitized by
Google
322 Sitzung der histor. Ölasse vom 2. Dezember 1882.
longsälen — denn nur diese können eventuell in Frage
kommen — zeigen die Kuinen und der Stadtplan als die
geläufigste Anlage die einschiffige: bald mit flacher Bal-
kendecke, wie z. B. der sog. Philosophensaal der Hadria-
nischen Villa (Fig. 3.), der grösste unter drei ähnlichen an diesem
Orte, noch sicher erkennen lässt, — bald in Tonnenform
überwölbt, wie der Speisesaal in der Villa ad Gallinas oder
das „Auditorium des Mäcenas" auf dem Esquilin. — Schon
seltener treffen wir auf gesäulte Oblongsäle. Das be-
kannteste und wichtigste Beispiel bietet der Flavierpalast
in Rom (Fig. 8. 9). Gleich bei seiner Aufdeckung im
18. Jahrhundert wurde diesem Raum der Name ,, Basilika 41
beigelegt und ist an ihm haften geblieben bis auf heute.
Visconti und Lanciani (Guida del Palatino 1873 p. 105)
wollen den Aufbau nach dem Muster der altchristlichen
Kirchen S. Agnese und S. Lorenzo fuori gedacht wissen ; *)
ähnlich Reber (Ruinen Rom's 2. A. p. 392), unter Rückweis
auf seine Reconstruction der forensischen Basiliken aus der
republikanischen Zeit. Die Operation, die hier vorgenommen
wird, ist einfach die: erst schenkt man aus freier Macht-
vollkommenheit den Namen und dann macht man nach
diesem Namen die Form zurecht. Von positiven, im Bau-
werk selbst liegenden Indizien ist nicht die Rede. Wollen
wir indess die Restauration nach Vorschrift ausführen ! Bei
dem Abstand der Säulenmittel von 3,40 m sind, wenn man
den antiken Proportionen einigermassen treu bleiben will,
für die Höhe der Säulen — es waren korinthische — min-
destens 9 m zu fordern ; dann für das Gebälk uud das
Galleriegeschoss gewiss eben so viel; dazu addire man noch
den Lichtgaden, — und man erhält eine Gesammthöhe von
1) Damit verbindet sich der alte Irrtum, dass diese beiden Monu-
mente den Urtypus der römisch-christlichen Basilika am treuesten wieder-
geben. In Wahrheit sind sie gerade Abweichungen von demselben,
im 6. resp. 7. Jahrh. unter byzantinischem Einfluss erbaut, •
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 323
ziemlich viel über 20 m, während die Länge der Säulenreihe
nur 19 m beträgt. Was auf diese Weise entsteht, ist
nicht eine Basilika, es ist eine unbenennbare und unver-
gleichbare Missgestalt, an die ich nicht früher glauben
könnte, als bis ich sie leibhaftig gesehen hätte. Ueberhaupt,
wie man den Versuch einer Ergänzung mit Basilikenähn-
lichkeit auch drehen will, man kommt aus dem fatalen
Dilemma nicht heraus: entweder übersteigt der Raum die
um ihn her liegenden — dann ergibt sich eine ebenso
unförmliche Gestalt des Innern, wie eine empfindliche Dis-
sonanz für die Fa9ade; oder er tut es nicht — und dann
bleibt er ohne Beleuchtung. Ferner kann man doch nur
sehr uneigentlich diesen Grundriss, bei der Enge des Zwischen-
raumes zwischen Säulen und Wand , einen dreischiffigen
nennen. Vielmehr ist die durch die Schnittlinie a — b be-
zeichnete Mauermasse als eine einheitliche und das angeb-
liche Seitenschiff nur als Nische aufzufassen, den Nischen der
anderen Seite entsprechend. Mich dünkt: diese massige Be-
schaffenheit der stützenden Teile, und nicht minder der Um-
stand, dass sämintlicbe anschliessenden Räume offenbar mit Ge-
wölben gedeckt waren, macht auch für den unsrigen die
gleiche Bedeckungsart überaus wahrscheinlich. Und zwar liegt
am nächsten, ein Tonnengewölbe (mit der bekannten
Lichtöffnung im Scheitel) zu denken, eine Formation also
schliesslich, welche mit der von Vitruv als oecus corinthius
beschriebenen genau übereinkommt. *) Die betreffende Stelle
(VI. 5) lautet: Inter corinthios autem et aegyptios hoc erit
1) Selbstverständlich wird die Möglichkeit, dass dieser Raum dem
Kaiser zu Gerichtszwecken gedient haben könnte, durch die obigen Er-
örterungen nicht berührt. — Aehnlich bedingte Grundrisse sodann: im
Kaiserpalaste zu Porto (Mon. Jol. Arch. VJII tav. 68); das Tempelchen
im Prätorianerlager zu Rom; Fr. '28 und 116 des Stadtplans ; ferner —
wenn man De Cassas trauen darf — im grossen Mittelsaal des Dio-
kletianspalastes zu Spaletro und vielleicht auch im Palast zu Trier.
Digitized by
Google
324 Sitzung der histw. Glasse vom 2. Dezember 1882.
discrimen. corinthii simplices hdbeant cölumnas (d. h.
eingeschossig) aut in podio positas aut in imo, supraque
habeant epistylia et Coronas aut ex intestino opere aut dl-
bario, praeterea supra Coronas curva lacunaria ad circinum
delumbata (gedrückter oder Segmentbogen?), in aegyp-
tiis autem supra cölumnas epistylia et ab epistyliis ad
parietes, qui sunt circa imponenda est contignatio, supra
coaxationem pavimentum, sub diu ut sit circuitus. deinde
supra epistylium ad perpendiculum inferiorum columnarum
inponendae sunt minores quarta parte columnae. supra
earum epistylia, et ornamenta lacunariis ornantur et inter
cölumnas superiores fenestrae (Lichtöffnungen) conlocantur.
ita basilicarum *) ea similitudo , non corinthiorum triclini-
orum, videtur esse. Zam Unterschied vom oecus corinthius
muss vom aegyptius gesagt werden, dass es nicht hat ge-
lingen wollen, in der ganzen nicht unbeträchtlichen Summe
römischer Baureliquien einen auch nur einigermassen ein-
leuchtenden Beleg für ihn aufzufinden. Wollte jemand die
Vermutung aussprechen , Vitruv habe seine Angaben über
diese Bauform gar nicht aus der römischen Baupraxis, son-
dern lediglich, wie so manches andere, aus seiner alexan-
drinischen Schriftquelle (wohin ja auch der Name weisen
würde) entnommen, so wäre ein Widerspruch aus den Mo-
numenten in der Tat nicht zu begründen. 2 )
1) Ganz sinnwidrig ist es, dies auf VI. 8 (angebliche Privatbasilika)
zu beziehen. Das würde heissen:^ der Autor wolle dem Leser das Ver-
ständniss erleichtern durch den Hinweis auf ein Ding, das derselbe noch
nicht kennt und von dem er auch später nichts kennen lernt als den
Namen. Handgreiflich ist es Rückweis auf die öffentliche
Basilika — genauer gesprochen : auf die Vorschriften, die der Autor im
vorangehenden Buch für dieselbe gegeben.
2) Canina : La prima parte della Via Appia tav. XXXII. teilt den
Grundriss eines zur Villa der Quinctilier gehörenden dreischiffigen und
mit Apsis versehenen Saales mit, welcher demjenigen einer christlichen
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 325
So weit will ich nun keineswegs gehen. Ich halte es,
nach der allgemeinen Situation der Palastarchitektur, für
ganz wahrscheinlich, dass sie mitunter auch die Oeci in
dieser Weise, durch laternenartige Ueberhöhung, beleuchtet
hat. Die Tatsache bleibt darum ungeschmälert bestehen,
dass die weitaus gebräuchlichsten Saalformen solche sind,
die von dem basilikalen Principe sich gründlich unterscheiden.
Offenbar ist für die Erkenntniss des Ursprunges der
christlichen Basilika aus der etwanigen Entdeckung verein-
zelt hie und da auftauchender Analogien überhaupt nichts
zu gewinnen. Bereits im Constantinischen Zeitalter tritt
sie uns als fertige, man dürfte fast sagen erstarrte, Bildung
entgegen; es wird nicht mehr gesucht und gewählt; es
scheint sich längst von selbst zu verstehen, welche Formen
anzuwenden, welche auszuschliessen sind; kurz, alles weiset
auf eine Vorgeschichte hin, in der die bestimmenden Einflüsse
in immer gleicher Gestalt wiedergekehrt sind. Darum
vermöchten wir nur eine solche Bauform, in welcher, sei
es fertig sei es im Keime, die ihre Wesenheit ausmachenden
Züge bereits vorgebildet sind, als ihre wahre Mutterform
anzuerkennen. Solche essentielle Merkmale sind aber: der
oblonge, durch Freistützen in ein Hauptschiff mit begleiten-
den Nebenschiffen geteilte Grundriss, und der das Haupt-
schiff zum Zwecke seitlicher Oberlichter überhöhende Quer-
schnitt. — Kann nun gesagt werden, dass die Oeci des
römischen Palastbaues diesen Forderungen Genüge täten?
Wahrlich: nein! Vorab fehlt ihnen das Erste und Not-
Basilika allerdings genau entspricht. Doch kann ich die Beobachtung
von Holtzinger (Repertorium f. Kunstwissenschaft V. 284) dass an Ort
und Stelle nichts dergleichen zu finden ist, nur bestätigen; also hat wol
Canina -r es wäre nicht das einzige mal — rein phantasirt. — Ein
ähnlich gestalteter Bauriss auf den Colli di S. Stefano, südwestlich von
der Villa Adriana bei Tivoli (heute nicht mehr erkennbar) gehorte nach
Nibby, Descrizione etc. p. 59 evident einer mittetalterlichen Kirche an.
Digitized by
Google
326 Sitzung der histor. Glasse vom 2. Dezember 1882.
wendigste: ein einheitlicher Typus. Wir sehen mannig-
faltigsten Wechsel sowol im Grundplan wie in der Bedeckung,
Anlagen höchsten Ranges, wie die Kaiserpaläste zu Rom,
Trier , Salona zu erkennen geben , kommen durchaus nur
gewölbte Säle zu; doch keineswegs diesen allein. Flache
Decken gehören den Villen und den Stadtpalästen massigeren
Anspruches, wo ohnedies neben Atrium und Peristyl für
Oeci von grösserer Dimension kein Raum ist. Die Säule
findet in den Oeci dieser Gattung entweder keine, oder nur
decorative Verwendung, mit andern Worten: dieselben sind
durchschnittlich einschiffig angelegt. Kurz, nicht nur, dass die
Saalarchitektur der Paläste unzureichend ist, die massge-
benden Charakter züge der christlichen Basilika zu erklären, —
man mnss sagen : wäre diese in Wahrheit Fortentwicklung
aus jener gewesen, sie hätte eine wesentlich andere Gestalt
annehmen müssen, als in der wir sie erblicken.
Anscheinend hat uns die Betrachtung der monumen-
talen Quellen der Lösung unserer Frage nicht näher ge-
bracht, wie vorher die Betrachtung der litterarischen Quellen;
die eine wie die andere musste mit einem negativen Ergeb-
niss abschliessen. Angesichts dessen scheint es an der Zeit,
die allgemeinen geschichtlichen Bedingungen, die wir als
Basis unserer Untersuchung annahmen, noch einmal schärfer
in's Auge zu fassen. Ich setzte: wie der christliche Cultus
durch früheste und langdauernde Gewöhnung mit dem an-
tiken Privathause verknüpft sei, so müsse voraussichtlich
auch die dem christlichen Cultgebäude zu Grunde liegende
Bautradition auf dieselbe Quelle zurückgehen. Das ist ja
auch die Prämisse der herrschenden Lehre; aber dieselbe
gab ihr vom Anfang an eine engere Fassung, indem sie
nicht das antike Haus generell, sondern allein das
vornehme Haus, den Palast, in Betracht zog. Ihre
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 327
Folgerungen hängen in der Lnft ohne die Annahme, dass
im Durchschnitt eine jede Gemeinde über einen Palast ver-
fügt uud dass dieser Palast jedesmal einen Basilikensaal,
wie man ihn sich denkt, enhalten habe. Es sind also eigent-
lich zwei Prämissen , die hier verschmolzen werden : eine
kirchengeschichtliche und eine architekturgeschichtliche. Von
der Unhaltbarkeit der letzteren haben wir uns sattsam
überzeugt. Nicht besser bestellt ist es mit der anderen.
Während der für unsere Frage entscheidenden beiden ersten
Jahrhunderte hatte das Christentum seine Anhäuger ganz
überwiegend in den mittleren und niederen Regionen der
Gesellschaft. An dieser allgemeinen Physiognomie der Ge-
meinden ändert es nichts, dass sie schon früh einzelne vor-
nehme Personen, namentlich Frauen, zu den Ihren zählen.
Es sind im Verhältniss zur Gesammtheit doch nur wenige,
und ihrer Hülfsbereitschaft setzen Rücksichten auf ihre
Familie und auf den Staat sehr bestimmte Grenzen; man
kann als gewiss ansehen, dass eigentliche Paläste wäh-
rend der in Rede stehenden Frühperiode nur ganz aus-
nahmsweise dem christlichen Cultus sich öffnen durften.
Uebertritte ganzer Familien der römischen Aristokratie
rechnet die Kirche erst von Kaiser Commodus ab, also von
einer Zeit, wo die Ecclesia feste Verfassung und Gottes-
dienstordnung, selbständiges Vermögen, besoldete Beamte,
und (wie Minucius Felix und Tertullian bezeugen) auch
ständige Versammlungshäuser bereits besass. Wenn selbst
zwei Menschenalter nach Constantin das Christentum in den
vornehmen Familien Roms noch nicht über die Majorität
gebot, wie wäre auch nur zu denken, dass die gegen Ende
des 3. Jahrhundert in Rom vorhandenen mehr wie vierzig
Ecclesialbasiliken ebenso viel vornehmen Palästen angehört
hätten? Und nun gar die mittlem und kleinern Provinzial-
gemeinden ! Nein , es können in der grossen Masse nur
Bürgerhäuser gewesen sein, in denen die Christen sich
Digitized by
Google
328 Sitzung der histor. Glosse vom 2. Dezember 1882.
versammelten, und in den Bauverhältnissen dieser haben
wir die Entscheidung zu suchen.
Im Bürgerhanse aber, nicht ausgenommen das reiche
und stattliche, giebt es nur einen einzigen geschlossenen
Kaum von ausreichendem Umfange für eine gottesdienstliche
Versammlung: das ist das Atrium, beziehungsweise — in
Ländern griechischer Sitte — der Peristyl.
Hiermit ist die Untersuchung auf ein einfaches und
durchgreifendes Princip zurückgeführt, ist eine Grundlage
von der postulirten Beschaffenheit gewonnen, d. h. eine
Summe wesentlich gleichartiger Einzelprämissen, dargestellt
durch eine bestimmt ausgeprägte, an eine feste Tradition
gebundene Baugattung. Wenn irgend 'wo, so muss auf
diesem Punkte, auf den alle Erwägungen, positive wie
negative, uns hindrängen, der gesuchte Zusammenhang sich
enthüllen.
Vergleichen wir den Grundriss des Atriums, zumal des in
der Kaiserzeit am meisten gebräuchlichen Säulenatriums, mit
jenem der christlichen Basilika, so fällt, trotz der hier gewaltig
angewachsenen Dimensionen, in der Tat die Uebereinstimmung
der Raumgestaltung ohne weiteres in's Auge, und wir er-
kennen zugleich, wie die äussere Anordnung des Gottes-
dienstes in der antiken häuslichen Sitte ihre Wurzel hat.
Ich bringe in Erinnerung, dass die älteste Organisation der
christlichen Gemeinde Familiengruppirung war, Anlehnung
an das umfassende Rechts- und Pietätsverhältniss , das in
der antiken Welt den Fremdling, der kein Bürgerrecht am
Orte besass, oder den Gastfreund oder den Freigelassenen mit
seinem Schutzherrn verband. 1 ) Der traditionelle Ort aber
für den Verkehr des Patrons mit den. Clienten wie für die
förmlichen und feierlichen Vorgänge des häuslichen Lebens
überhaupt war das Atrium. Von den Teilen des Atriums
1) Vgl. Weingarten in v. Sybel's Hist. Ztschr. N. F. IX. 446 f.
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 329
ist das Tablinum der Ehrenplatz des Hausherrn — im
Sinne der Gemeinde des dtdxovog, wie die Paulinischen Briefe
ihn nennen: — es deckt sich, architektonisch wie zwecklich
mit dem Priesterchor der entwickelten Basilika. Auch übersehe
man nicht, dass es nicht, wie die Apsis der Forumsbasilika, ein
willkürlicher und entbehrlicher Zusatz, sondern zum Begriff
des Atriums gehörender unveräusserlicher Bestandteil ist. —
Sodann in dem Querraum vor dem Tablinum haben wir uns
die Diakone (im Sinn der nachapostolischen Zeit) und die
Diakonissen und Wittwen zu denken , von denen es heisst,
dass sie in der Versammlung an einem besonderen Platz
sassen, un verschleiert , um ihr Amt der Rüge zu üben. 1 )
Es ist derselbe Raum, der später als Limiuare oder Solea,
auch wol in ein Senatorium und Matronaeum geteilt er-
scheint, in dem die Sitze der vornehmen Magistratspersonen,
der Clerici minores, der geweihten Jungfrauen, sich befanden
und wo den Laien die Communion erteilt wurde. Gerade
an dieser Stelle nun , zwischen Tablinum und Impluvium,
befand sich im antiken Hause, wie man sich erinnert, regel-
mässig ein steinerner Tisch. Um ihn, als den Nachfahren
des geheiligten Hausheerdes schwebte noch immer eine Er-
innerung religiöser Weihe, und es kann kein Zweifel sein,
dass wiederum sein Abkömmlung der christliche Altar
wurde. Dass die ältesten, sei es real sei es im Bilde, uns
überlieferten christlichen Altäre in ihrer Form den pompeja-
nischen Atrientischen so ganz gleichen, ist längst aufgefallen ;
noch bedeutsamer scheint mir die Uebereinstimmung des
traditionell fixirten Standortes. — Nebenher möge dann
auch eine Kleinigkeit Beachtung finden:, die Medaillons mit
Papst- und Bischofsporträts als Wanddecoration der Kirchen,
bei deren Anblick es nicht unerlaubt sein wird an die clipeatae
imagines des römischen Atriums (oben S. 306) sich erinnert
1) Hausrath, Neutestamen tl. Zeitgeschichte III. 548.
Digitized by
Google
330 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882.
zu fühlen. — Weiter ist die Analogie zwischen dem drei-
geteilten Säulen cavaedium und dem Langhaus der christ-
lichen Basilika augeu fallig. Für sich allein genommen würde
dies freilich noch nichts beweisen ; aber im Zusammen-
bange mit dem Tablinum und den Alae einerseits, dem
Chor und Querschiff andrerseits, ist es vollkommen durch-
schlagend , denn eine ähnliche Combination ist im ganzen
Bereiche der antiken Architektur nicht mehr zu finden.
Das Querschiff ist derjenige Theil des Kirchengebäudes,
Jer den Erklärern bisher die meiste Beschwerde gemacht
hat. Entweder verzichten sie überhaupt auf eine bau-
geschichtliche Ableitung, oder sie helfen sich mit Hypo-
thesen, denen die Ratlosigkeit an die Stirn geschrieben
ist. Um nur die neuesten zu nennen : J. P. Richter er-
klärt das Querschiff für ein in's Riesengrosse übertragenes
Arkosolium; F. X. Kraus findet es in den Seitenapsiden
der Cömeterialcellen vorgebildet 1 ); H. Holtzinger lässt es
gelegentlich des Constantinischen Umbaus der Sessoriani-
schen Basilika erfunden sein. Ein richtiges Gefühl liegt
diesen Versuchen indess zu Grunde: einmal die Abkehr von
der früher beliebten symbolischen Beziehung auf das Kreuz
Christi; sodann die Anerkennung, dass es durch kein Be-
dürfniss des Cultus gefordert, auch nicht aus der con-
structiven oder formalen Grundidee der Basilika als solcher
heraus entwickelt sei, sondern nur als von einem fremden
Urbild übernommene Descendenzform betrachtet werden
könne. Welche historische Bauform hier allein in Frage
zu ziehen sei, kann für uns nicht mehr zweifelhaft sein.
Die Zurückfübrung des BasilikenquerscbifFes auf die Alae
1) Kraus schreibt (im Anschluss an Martigny) der Cömeterial-
architektar überhaupt einen weitgehenden Einfluss auf die Ausbildung
des Basilikenscheiua's zu. Ich für meinen Teil kann in ihr nur einen
Reflex der Hauptbewegung, nicht einen activen Factor derselben aner-
kennen.
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der- christlichen Basilika. 331
des italischen Atrienschemas löst das Rätsel in denkbar
einfachster Weise: es bedarf keiner hypothetischen Zwischen-
glieder — das QuerscbifF ist da; ist fertig da als Wiegen-
gabe einer uralten italischen Bau Überlieferung an das
werdende christliche Gotteshaus. — Auch kann eine Gegen-
probe angestellt werden. Sie liegt in der Beobachtung,
dass das Querschiff ausschliesslich in Rom und den von
Rom beeinflussten Landschaften des Occidents, und auch
hier nicht regelmässig, sich vorfinde!, hingegen der morgen-
ländischen Welt, mit Einschluss Ravenna's, fremd bleibt. 1 )
Der Grund dieser merkwürdigen Tatsache wird jetzt offen-
bar: es sind die Alae eben ein dem griechischen Peristyl-
hause unbekanntes, ein specifisch dem italischen Hause eigen-
tümliches Motiv, dessen Geltung zwar im Laufe der Zeiten,
am meisten durch das Eindringen des griechischen Säulen-
baus, in der römischen Baupraxis geschmälert, aber nie
ganz beseitigt worden ist, wie mehrere Fragmeute des in den
Anfang des dritten Jahrhunderts gehörenden Stadtplanes be-
urkunden, (z. B. Fig. 4.)
Die landläufige Rede, die Configuration des christlichen
Kirchengebäudes sei bestimmt durch den Geist und das Be-
dürfniss des christlichen Cultus, ist also so wenig wahr, dass
man sie vielmehr umkehren muss und sagen : der christliche
Cultus ist nach seiner äusseren Einrichtung bestimmt durch
die vorgefundene Configuration des antiken Hauses. Was
die christliche Basilika vom griechischen Tempel so durch-
greifend unterscheidet : dass sie lediglich als Innenarchitektur
gedacht ist; — ferner der oblonge Grundplan mit der festen
perspectiven Richtung auf das Sanctuarium, ja selbst alle
einzelnen Züge des Grundplanes erweisen sich als ein Ge-
gebenes: Querschiff und Chor im italischen Cavaedium, die
1) Die Qaerschiffe der Demetriuskirche in Thessalonich und der
Marienkirche in Bethlehem gehören einem durchaus anderen Formge-
danken an, wie die römischen.
Digitized by
Google
332 Sitzung der histor. Glasse vom 2. Dezember 18S2.
dreischiffige Teilung des Langhauses im griechischen Peri-
styl und die Verschmelzung beider im spätrömischeu Säuleu-
atrium. — Soweit, in Bezug auf den Grundriss, ist die
geschichtliche Ableitung vollständig und exact gelungen;
es ist aber ein zweites Moment da, welches derselben noch
harrt: der Querschnitt.
Die Ausbildung des Querschnittes bezeichnet die zweite
Phase in der Entstehungsgeschichte der christlichen Basilika.
Eingeleitet wird dieselbe damit, dass das Haus eines Ge-
meindemitgliedes durch Schenkung oder sonstige Vereinbar-
ung Eigentum der Ecclesia und als solches zum ständigen
Lokal des Gottesdienst eingerichtet wird. Nun können bau-
liche Abänderungen und Zutaten, wofern sich ein Bedürfniss
danach geltend macht, ihren Anfang nehmen. Will man,
was auf diese Weise entsteht, Hausbasilika beneunen, so
wäre nichts dagegen einzuwenden; doch müsste scbärfstens
hervorgehoben bleiben, dass es etwas von der Hausbasilika
in dem bisher in der Litteratur angewandten Sinne nach
Ursprung und Art wesentlich Verschiedenes ist. Als die
wichtigste Aufgabe der jetzt einsetzenden Fortbildung des
Atriums erkennt man die vollständige Ueberdachung des-
selben. Die entwickelte Kirchenbasilika hat bekanntlich
eine feste Formel dafür : sie überhöhet das Mittelschiff. In
der ausnahmslosen Geltung, in der dieses System schon im
4. Jahrhundert sich vorfindet, habe ich oben ein Anzeichen
zu sehen geglaubt, dass auch es auf einer frühen Entwick-
lungsstufe sich stabilirt habe. Dies wird jetzt durch die
Einsicht, dass die Kirchenbasilika vom Atrium ausgegangen
ist, ganz klar. Ich habe am Eingang der Abhandlung auf
den unlöslichen Zusammenhang hingewiesen , in dem die
Bedachungs- mit der Beleuchtungsfrage und diese mit dem
Gesammtgrundriss steht. Wollte man bei unverändertem
Fortbestande des letzteren, d. h. bei der ringsum einge-
schlossenen Situation des Atriums, das Compluvialsystem
Digitized by
Google
G. Dehw: Die Genesis der christlichen Basilika. 333
aufgeben, so gab es, wie ohne weiteres einleuchtet, keine
Alternative als die basilikale Ueberhöhung. So ist also auch
dieses zweite Hauptmerkmal des christlichen Kirchengebäudes
eine aus den geschichtlich gegebenen Verhältnissen des bürger-
lichen Hauses mit Notwendigkeit abfolgende Consequenz,
ist das hoch über den Seitenräumen schwebende Dach des
Hauptschiffes der Basilika ein Erinnerungszeichen an den
Zustand, da dieses noch ein offener Hofraum war. — Ist es
aber bloss ein logischer Zusammenhang? Hat diese Conse-
quenz wirklich nie früher sich eingestellt, als durch die Ver-
sammlungen der Christen? Es ist wahr, die überwiegende
Mehrzahl der Atrieu Ponipeji's liegt in der Mitte dem freien
Himmel offen. Aber Pompeji ist nicht ohne weiteres und
in allem massgebend für ganz Italien, die Landstadt nicht
für die Grossstadt, das erste Jahrhundert nicht für die folgen-
den. Zudem hat durch die Verdrängung der tuskanischen
Atrienform und die damit verbundene Erweiterung des Com-
pluviums die Blossstellung gegen Kälte und Regen noch
immer zugenommen. Wie hat man in dem Durchschnitts-
hause, in dem ausser dem Atrium nichts als winzige Zim-
merchen vorhanden waren, an Wintertagen überhaupt nur
existiren können? Ist es irgend glaublich, dass ein im
Raffinement des leiblichen Behagens so erfindungsreiches
Geschlecht, wie das der Kaiserzeit, in diesem einen Punkte
über einen so primitiven Zustand nicht hinausgekommen sein
sollte? Scheint hiernach die Folgerung unausweichlich, dass
im kaiserlichen Rom die Schliessung der Atrien eine min-
destens häufige Sache gewesen sei, so bedarf es für uns keines
weiteren Nachweises, um sagen zu dürfen, dass in den meisten
Fällen die Ueberdachung des Compluviums nur in Verbind-
ung mit Ueberhöhung desselben ausführbar sein konnte.
Ausser diesen allgemeinen, aber wahrlich nicht leicht-
wiegenden, Gründen glaube ich zu Gunsten meiner Vermut-
ung auch noch Vitruv aufrufen zu sollen. Ich glaube, dass
1.1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 3.] 23
Digitized by
Google
334 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882.
er in seine leider sehr wortkarge Beschreibung des atrium
displuviatum (VI. 3.) den von mir angenommenen Fall
miteinbegriffen hat. Displuviata autem sunt in quibus deli-
quiae arcam sustinentes stillicidia reiciunt. Ueber die Deut-
ung dieses Satzes besteht gegenwärtig nur Eine Meinung
(Reber, Overbeck, Nissen u. s. w.) : man denkt sich das
displuviatum nur dadurch vom tuscanicum unterschieden,
dass die Dachflächen nicht einwärts sondern mit der Neig-
ung nach aussen gestellt sind, wie Fig. 11 veranschaulicht.
Ich will nun keineswegs sagen, dass diese Erklärung falsch
sei, allein ich halte sie für unvollständig. Sie berücksichtigt
nicht, was Vitruv unmittelbar hinzusetzt: haec hibernaculis
maxime praestant utilitates^ quod compluvia eorum erecta
non obstant luminibus tricliniorum. Bevor ich an die Er-
läuterung dieser Stelle gehe, muss ich die Frage auf werfen,
welche Vorteile denn eigentlich das displuviatum (in der
angenommenen Gestalt) gegeuüber dem tuscanicum auf-
weisen kann? Es ist nur der einzige da, dass das Im-
pluvium vom Traufwasser befreit wird; aber es wird darum
doch nicht entbehrlich gemacht, Kälte, Wind und Feuchtigkeit
werden vom Binnenraum nicht besser abgehalten. Hingegen
treten zwei schwere Uebelstände neu hinzu: der eine, den
schon Vitruv hervorhebt, dass das Traufwasser durch Röhren
abgeleitet werden muss, die in den Wänden stecken; der
andere, den aber Vitruv merkwürdigerweise verschweigt,
dass der Dachstuhl der eindringenden Feuchtigkeit schutzlos
preisgegeben ist. Es ist der Fehler der üblichen Interpre-
tation, dass das displuviatum lediglich mit dem tuscanicum,
nicht aber auch mit dem testudinatum in Vergleich gesetzt
wird. Ferner dass, wie gesagt, Vitruv's Zusatzbemerkuüg
ganz unbeachtet bleibt. Es wird in dieser vom dis-
pluviatum ausgesagt, einmal dass es für Winterwohnungen
grosse Annehmlichkeit bietet, dann dass es der Beleuchtung
der Seitengemächer (welche eben auf Lichtzufuhr aus dem
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 335
Atrium angewiesen sind) nicht^ im Wege steht. Offenbar
ist durch die erstere Eigenschaft ein Unterschied gegenüber
dem tuscanicum, durch die zweite ein Unterschied gegen-
über dem testudinatum augegeben. Nicht minder offenbar
aber ist eine Dachconstruction, welche Beides in Einem ge-
währleistet — Wetterschutz und Lichtfülle — unter den
gegebenen Verhältnissen nicht erdenkbar, als allein in Ge-
stalt einer über dem Compluvium angebrachten Laterne.
Als eine solche Laterne wäre also die von den deliquiae,
d. i. den aufwärts gerichteten Dachsparren getragene arca
Vitruv's aufzufassen, und es scheint nicht bedeutungslos,
dass gerade die ältesten römischen Altartabernäkel, die einen
Tempel im Kleinen vorstellen, eben dieses Motiv aufweisen,
ja dass auch für sie der Name arca im Gebrauch ist, wäh-
rend der Name xißcoQiov, d. i, Becher, auf die in der morgen-
läudischen Kirche vorherrschende Kuppelbedeckung hinweist.
Weitere, wie mir scheint nicht verächtliche Zeugnisse für die
Bekanntschaft mit dieser Einrichtung geben die in Africa ge-
fundene Bronzelampe in Gestalt einer kleinen Basilika (abge-
bildet bei de Rossi, Bull. 1866) und die architektonischen
Hintergründe mancher altchristlichen Mosaiken, besonders
reichlich in St. Georg zu Thessalonich (Texier et Pullan,
Arch. byz. XXX- XXXIV).
Der in Fig. 12 gegebene Restaurationsversuch nimmt
den einfachsten Fall an, nämlich dass die Hauptbalken noch in
derselben Weise angeordnet sind, wie im tuscanicum. Im
tetrastylen oder im korinthischen Atrium kann die Aus-
führung natürlich eine viel vollkommenere werden, ja es ist
durch sie der Gedanke so nahe gelegt, dass es förmlich ver-
wunderlich wäre, ihn nicht aufgenommen zu sehen. Weiter
lese man nach, was Vitruv in einem späteren Capitel des-
selben Buches (VI. 6.) über Beleuchtungsverhältnisse im
Allgemeinen sagt, über die Schwierigkeiten, welche für die-
selben aus der überragenden Höhe der Nachbarhäuser er-
23*
Digitized by
Google
336 Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882.
wachsen, über die Berechnung des Einfallswinkels u. s. w.,
und man wird finden, dass diese Erwägungen für ein Atrium
mit Area sub diu gegenstandslos sind, vielmehr nur für
eine Anlage mit seitlicher Lichtzuführung Sinn haben.
Dass aber eben unter den von Vitruv in's Auge gefassten,
in städtischen Häusern regelmässig wiederkehrenden Beding-
ungen Seitenlichter nur bei einem in der angenommenen
Weise überhöhten Querschnitte durchführbar sind, dafür be-
darf es nach dem Bishergesagten keines Wortes mehr.
Weiter als bis zu dieser logischen Beweisführung vermögen
wir allerdings nicht vorzudringen, denn den Augenscheins-
beweis zu erbringen versagt uns der Zustand der Monumente.
Allein es gibt doch Wahrscheinlichkeiten, welche innerlich
so stark begründet sind, dass sie nahezu den Wert von Tat-
sachen erhalten. Und wenigstens in einem Falle liegt ein
Baurest vor, welcher eine andere Ergänzung als die befür-
wortete kaum zulassen möchte. Das ist der im Grundriss
die Form eines korinthischen Atriums zeigende kleine Raum
im sog. Palazzo der Villa Adriana, Fig. 2. 1 )
Nun glaube ich jedoch nicht, dass die hier angedeuteten
Voraussetzungen die einzigen waren, welche auf die Quer-
schnittentwickelung der christlichen Basilika eingewirkt haben.
Es gab eine Architekturgattung, welche diese Formation
bereits in grösstem Massstab durchgebildet zur Erscheinung
brachte: ich meine die Forumsbasilika. Die oben hervor-
gehobene Tatsache, dass für die Composition derselben ein
gemeingültiger Canon nicht bestand, schliesst doch die häu-
fige Wiederkehr bestimmter Grundmotive nicht aus. Dahin
gehört die flache Balkendecke und die mehrschiffige Grund-
rissteilung. Wie grosse, ja unersetzliche Vorzüge bei solchen
Bedingungen die Ueberhöhuug des Mittelraums darbietet,
1) Auf dem grossen Piranesi'schen Plan tav. II. n. 37 ; ein ähnlich
angegebener, tav. III. n. 42, scheint fast ganz auf Ergänzung zu beruhen.
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basüika 337
liegt auf flacher Hand und wenigstens in ein paar Beispielen
öffentlicher Basiliken ist ihre Anwendung gewiss. Ob sie
aber als etwas Normales oder aach nur Häufiges zu be-
trachten sei, gilt als strittige Frage. Ich für meinen Teil
zögere nicht mit Ja zu antworten, wenn schon ich von der
Begründung dieser Ueberzeugung, da sie in eine sehr weit-
läufige Digression verwickelt würde, hier absehen muss. 1 )
Ja, mich dünkt, dass dieses Querschnittprincip überhaupt für
jede höher entwickelte Architektur, die auf mächtige Innen-
wirkung ausgeht, für die Dauer als unentbehrlich sich heraus-
stellen muss. In dieser Richtung aber liegt das Eigenste
des römisch-nationalen Baugeistes. — Wer die eben ausge-
sprochene Meinung von der römischen Forumsbasilika teilt,
wird mit mir auch weiter natürlich und unvermeidlich finden,
dass sie auf die werdende Kirchenbasilika, von dem Augen-
blicke ab, da dieselbe aus der Schale des Privathauses heraos
einer selbständigen monumentalen Existenz entgegenstrebte,
unmöglich ohne Einfluss geblieben sein kann, sintemalen sie
1) Nur eioe kurze Bemerkung zu Vitruv. Gelegentlich seiner
Vorschriften für die Basilika im Allgemeinen erwähnt Vitruv die Ueber-
höhung des Mittelschiffes allerdings nicht. Mehrere Ausleger, z B.
Reber, erklären deshalb eben das Fehlen dieses Motives für das eigent-
lich Charakteristische und Normale. Meines Erachten s ist aber bei einem
Schriftsteller von der Art Vitruvs durch ein argumentum ex silentio
schlechterdings nichts zu beweisen. Nach demselben Grundsatze müsste
man z. B. auch leugnen, dass das Tribunal zur forensischen Basilika
gehört habe; denn auch dieses übergeht Vitruv an der gedachten Stelle
mit Stillschweigen. Nach Beber hätte die „ Normalbasilika K ihr Licht
allein durch die Fenster der Gallerien erhalten; allein Vitruv schreibt
ja doch vor, dass diese Gallerien durch einen bis auf 3 A der Säulenhöhe
hinaufreichenden Mauergürtel (pluteum) gegen das Mittelschiff abgeschlossen
sein sollen ; wie kann dabei letzteres zu seinem Licht kommen, ausser eben
durch Ueberhöhung? Und was anders, als die Ueberhöhung kann es
sein, was gelegentlich des bekannten Vergleiches zwischen dem ägypti-
schen Oecus und der Basilika jenen dieser ähnlich, dem korinthischen
Oecus aber unähnlich macht?
Digitized by
Google
338 * Sitzung der histor. Classe vom 2. Dezember 1882.
bereits im Grossen durchgeprobt und gelöst vorwies, worauf
jene durch Tradition und innere Notwendigkeit angewiesen
war. Es kann keine unhistorischere Anschauung geben, als
die den christlichen Kirchenbau aus dem grossen Gange der
gemeinrömischen Architekturgeschichte wie eine autonome
oder gar gegnerische Macht heraushebt.
Der Vorgang, von dem wir sprechen und der in allem
Einzelnen freilich der Beobachtung sich durchaus entzieht,
führt hinüber in die dritte und letzte Phase der Entwick-
lungsgeschichte des altchristlichen Kirchengebäudes. Auf
dieser Stufe ist dasselbe nicht mehr oder nur noch aus-
nahmsweise als Umbau eines übernommenen Privathauses,
sondern als selbständiger Neubau, nicht mehr als Bedürf-
nissarcbitektur, sondern als getragen von monumentaler Ab-
sicht zu denken. Nach althergebrachter und noch heute
sehr verbreiteter Meinung wäre diese Wendung nicht früher
als unter Gonstantin vollzogen. Ein starkes Bedenken gegen
diese Zeitbestimmung erwächst von vorneherein aus der
Wahrnehmung, auf die ich immer zurückweisen muss, dass
der Kirchenbau der Constantinischen Epoche ja bereits im
grösstem Massstabe und in einer völlig abgeschlossenen und
ihrer selbst sicheren, alle die angeblich kurz zuvor noch
schwankenden Verhältnisse als fixirt betrachtenden Typik
sich betätigt, also dass an Stelle stufenweiser Entwickelang
ein Sprung, eine plötzliche Offenbarung oder gesetzgeberische
Abmachung gedacht werden müsste, dergleichen die Archi-
tekturgeschichte sonst nie und nirgends kennt. Hier greift
die Architekturgeschichte in die allgemeine Kirchengeschichte
hinüber. Mit einer Geschichtsauffassung, die mehr auf die
Märtyreracten und das Papstbuch hört, als auf die echten
zeitgenössischen Quellen, ist es freilich kaum möglich sich
zu verständigen; wer jedoch den deutlichen Fingerzeigen
der letzteren — ich nenne nur den Einen Eusebius — nach-
geht, wird nicht im Zweifel sein, dass schon während des
Digitized by
Google
G. Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika. 339
ganzen dritten Jahrhunderts die Christen selbständige Cult-
gebäude, Kirchen im vollen Verstände, in Menge in Gebrauch
gehabt haben. Vornehmlich die vierzigjährige Toleranz-
epoche zwischen der Decischen und der Diocletianischen Ver-
folgung rauss es gewesen sein, in welcher die abschliessende
Normirung erfolgte, deren Wirkung wir im Constantinischen
Zeitalter und von da ab fast unverändert bis in\s nächste
Jahrtausend hinein in einer langen Reihe von Monumenten
vor Augen haben. Was dieser Entwicklungsepoche zu tun
oblag, war die Anpassung des schon unlöslich mit den Ge-
wohnheiten des Cultus verknüpften Atrienschemas an die
jetzt geforderten grossen Raumabmessungen. Während
Griechenland und der Orient, in näherem Anschluss an die
öffentliche Basilika, die doppelgeschossige Anlage der Seiten-
schiffe bevorzugte, entschieden sich die lateinischen Länder
für die vielleicht nicht schönste aber einfachste, den Ur-
sprungsverhältnissen am nächsten bleibende Lösung: über
den Portiken, mit Verzicht auf Seitengallerien, sogleich die
Obermauern aufsteigen zu lassen. Ob etwa auch schon die
Profanbasilika zuweilen dieses System nicht verschmäht hatte,
muss dahingestellt bleiben. Franz Kugler fand darin etwas
Unantikes. Aber auch mit der in gleichem Masse unantiken
Verbindung von Säule und Archivolte ist die spätrömische
Profanarchitektur der christlichen vorausgegangen. Ich
würde in beiden Fällen vorziehen zu sagen: ungriechisch.
Denn es ist nicht zu verkennen, dass hier doch nur die von
jeher dem römischen Baugeist eigene Tendenz durchbricht,
das die Structur Bestimmende im Bedürfniss, nicht in strenger
Formsymbolik gleich den Griechen zu suchen. — Währenddem
blieb die Grundrissdisposition nahezu unverrückt so, wie sie
schon durch die ersten Anfänge vorgezeichnet war. Wo die
Forschung, direct oder indirect, noch auf das Vorbild der
forensischen Basilika zurückgeht, betrachtet sie als wichtigste
Veränderung die Wegräumung der Säulenreihe an fax dem
Digitized b'y
Google
340 Sitzung der histor. Clause com 2, Dezember 1882.
Altar zugewandten Schmalseite des Hauptschiffes. Allein
das Fehlen derselben war schon für die gewöhnliche Form
des griechischen Hausperistyls (Fig. 1) charakteristisch und
begegnet uns nicht minder an römischen Säulenatrien (Fig. 2
und 4). Dafür gibt es einmal auch ein merkwürdiges Beispiel von
einer christlichen Basilika, welche die Ausstossung dieser Colon-
nade nicht für nötig befunden hat. x ) Als etwas selbstverständ-
liches vollzieht sich endlich die Umwandlung der Priester-
exedra aus der rechtwinkeligen Gestalt, die sie im Tablinum und
in der Prostas gehabt hatte, in die hemicyclische : d. i. in
das der römischen Architektur geläufigste, in allen Gebäude-
gattungen angewendete Abschlussmotiv. Uebrigens begegnen
wir, in Africa und im Orient häufig, im Occident hie und
da, noch Apsiden, welche nach aussen die rechtwinkelige
Ummauerung conserviren.
Es ist eine Stellung ohne Gleichen, die die altchrist-
liche Basilika im Ganzen der Architekturgeschichte einnimmt.
Keine zweite Bauform gibt es, in welcher soviel uralte
Traditionen zusammenfliessen und soviel Keinje unendlicher
neuer Gestalten verborgen sind. Nach ihren nächsten Ante-
cedentien eine Weiterbildung aus der Atrium und Peristyl
verquickenden spätrömischen Halle, umschliesstsiein gewissem
Sinn zugleich eine Rückbildung zu dem alten, unmittelbar
auf dem Bauernhaus beruhenden Testudinalatrium. Die Ein-
heit des Raumes, im letzten Stadium etwas aufgelockert,
wird wieder stärker zur Geltung gebracht, vor allem durch
die Wiederherstellung der durchgehenden Bedachung. Nicht
minder bedeutsam ist die veränderte Gestalt des Daches,
die Rückkehr zur ursprünglichen Giebelform. Mit der Ein-
führung des tuscanischen Atriums war dem italischen Hause
1) De Vogitf: Syrie centrale pl. 19.
Digitized by
Google
Separat- Abdruck aus den Sitzungsberichten der historischen Olasee
der k. b. Akad. d. Wies. 1882. Band. II. Heft III.
Beitrag
zur
militärischen Würdigung
Schmalkaldischen Krieges.
Von
Aug. von Druffel.
Digitized by
Google
So wenig Ranke es sonst liebt, an dem was er einmal
niedergeschrieben Abänderungen vorzunehmen, so hat er
doch eine Ausnahme gemacht hinsichtlich seiner Darstellung
des Schmalkaldischen Krieges. In den späteren Auflagen
weicht diese nicht unwesentlich von der Erzählung der ersten
Auflage ab. Die Auffindung der Commentaires, dieser auf
den Kaiser selbst zurückreichenden Schrift, ist hierfür vor-
zugsweise bestimmend gewesen. Gestützt auf die Commen-
taires schob Ranke den Absatz ein : „Karl meinte, es sei
darauf abgesehen, 'ihn aus Deutschland zu verjagen; aber in
seiner Seele war er entschlossen, als Kaiser in Deutschland
zu leben oder zu sterben. 4 * *) Er berichtet von der Ver-
wunderung, welche Karl darüber empfunden habe, dass die
Protestanten ihn nicht sofort angegriffen hätten, als er noch
ungerüstet in Regensburg weilte. Während in der früheren
Auflage über die Lage zu Ende August, wo sich die beiden
Heere bei Ingolstadt gegenüber standen, sein ürtheil lautete :
„Man hat es von jeher behauptet, die namhaftesten Führer
selber haben es gesagt, sie hätten hier den Kaiser angreifen
1) Bänke IV, 316, 4. Aufl. Vgl. 1. Aufl. S. 429 fg.
Digitized by
Google
v. Druff el: Beitr. z. militiir. Würdigung des Schmcdkald. Krieges. 343
sollen u , ist später dieser Satz gestrichen. Ranke hat sich
der Ansicht des Mencken'schen Anonymus angeschlossen,
welcher es billigt, dass der Angriff auf die befestigte kaiser-
liche Stellung unterblieben war. Auch hier gaben wohl die
Commentaires den Ausschlag, in denen es heisst: „Man be-
hauptet, dass die Schmalkaldner angreifen wollten. Mög-
lich, dass sie besser daran thaten, es zu unterlassen; wenig-
stens darf man ihnen keinen Vorwurf daraus machen, dass
sie davon Umgang genommen haben. 11 In Bezug auf den
am Franziskustage vom Kaiser geplanten und dann doch
unterlassenen Angriff gegen das nach Nördlingen rückende
Schmalkaldische Heer, tbeilt Ranke jetzt nach den Com-
mentaires mit, dass der Kaiser sich überzeugt habe, wie die
Ausfuhrung des Unternehmens zu sicherem Verderben habe
fuhren müssen. Von diesen Fällen abgesehen, gewann er
sonst aus den Commentaires nur eine Bestätigung seiner
früheren a Auffassung : dem Kaiser, der Meister in seinem
Heere und in seinem Cabinette gewesen, spricht er unbe-
dingt die Oberhand zu in den Zügen auf dem Schachbrette
des Kriegsschauplatzes. Sein Schlussurtheil lautet : „Ein
späterer grosser Fürst und Feldherr sagt, in grossen Ange-
legenheiten gebe allein Beharrlichkeit den Ausschlag. Ein
Grundsatz, dessen Wahrheit selten ein Feldzug öo gut be-
wiesen haben wird, wie dieser. Nachdem Karl V. nur
einmal nach langem Zögern zum Entschluss gekommen, ist
auch unter den misslichsten Umständen kein Schwanken
und Zagen in ihm zu bemerken gewesen, weder als er fast
unbewaffnet in Regensburg lag, noch der Uebermacht der
feindlichen Geschütze bei Ingolstadt gegenüber, noch in den
Widerwärtigkeiten des Lagers von Sontheim: er zeigte
immer eine grossartige Ruhe und Siegeszuversicht."
Diese Beurtheilung der kaiserlichen Heerführung während
des Schmalkaldischen Krieges schliesst sich im Wesentlichen
der Darstellung an, welche der den Kaiser verherrlichende
Digitized by
Google
344 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
Höfling Avila gegeben hatte und welche sich auch in den
Commeutaires im Ganzen durchgeführt findet. Diese beiden
Quellenschriften wurden indessen abgefasst, nachdem der
Krieg mit glücklichem Erfolge für den Kaiser beendet wor-
den war und fast ganz Deutschland ihm zu Füssen lag.
Dies günstige Ergebniss musste den'getreuen Anhänger des
Kaisers ermuntern , in dem ganzem Verlauf die ruhige
folgerichtige Verwirklichung eines kaiserlichen Planes zu
schildern. Das ist der Grundgedanke Avila's, welcher dar-
auf ausgeht, dem Leser klar zu machen, wie Karl in seiner
Kriegführung die Vorzüge eines Fabius Gunctator mit denen
eines Cäsar vereinigt habe. Eine panegyrische Stimmung
bildet den Grundton seines Werkes und desshalb sollte ich
meinen, um die Vorgänge wirklich richtig zu erkennen,
würde der Versuch ganz am Platze sein, sich von demselben
einmal frei zu machen und zu sehen, wie weit man kommt
ohne die Schilderungen, welche erst nach dem Abschlüsse
des Krieges, wenn auch von den zunächst betheiligten Per-
sonen verfasst worden sind. Dieser Gedanke, welchen G.
Voigt zuerst angeregt hat, scheint mir durchaus nicht so
„sonderbar und unverständig" zu sein, wie Baumgarten dies
gemeint hat. *) Selbst wenn über einen Feldzug ein General-
1) Während Voigt gesagt hatte, einer nach Depeschen, Briefen
und Zeitungen gearbeiteten Darstellung würden „die grossen Ten-
denzen, welche das Detail ordnen und beherrschen, fehlen, oder der
Geschichtschreiber würde sie mit mehr Willkühr ersetzen, als je einer
der Zeitgenossen sich erlaubt" erklärt Baumgarten: „Die grossen das
Detail beherrschenden Tendenzen würden ihm (dem sonderbaren Menschen,
der so unverständig handelte) weniger entgehen, als umgekehrt sehr
wichtiges Detail." Ich wüsste keinen einzelnen Punkt zu bezeichnen,
über welchen wir durch Avila in unserer Kenntniss bereichert würden.
Vgl. Voigt Die Geschichtschreibung über den Schmalkaldi sehen Krieg
S. 3 (569) Sonderabdruck aus den Abhandlungen d. Sachs. Gesellschaft
d. Wissensch. Bd. XVI und Bauragarten Zur Geschichte des Schmal*
kaldischen Kriegs in Svbels Zeitschrift Bd. XXXVI, S. 26.
Digitized by
Google
v. Druff eh Beitr. z. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 345
stabswerk vorliegt, wird es sich für den Forscher der Mühe
verlohnen, die Truppenberichte und die während des Krieges
geschriebenen Briefe einmal allein ins Auge zu fassen, und
ich zweifele nicht, dass man hie und da sogar wichtige
militärische Vorgänge anders beurtheilen wird, als man unter
dem Eindrucke einer zusammenfassenden Geschichtsdarstel-
lung thun würde.
Bereits früher habe ich darauf hingewiesen, dass gerade
der Vergleich Karls V. mit Fabius und Cäsar nicht dem
Kopfe Avila's entstammt. *) Durch einen seltsamen Zufall
wissen wir, dass derselbe auf den Bischof Paulus Jovius
zurückzuführen ist, welcher nach dem Siege von Mühlberg
an den Generalquartiermeister des Kaisers Castaldo einen
Brief richtete, worin der Freude der guten Christen Aus-
druck gegeben wird, weil der gottlose Erzketzer, der Stein
des Anstosses für ganz Deutschland fast ohne Opfer ge-
fangen genommen sei. Dadurch habe der Kaiser gezeigt,
dass er ein Feldherr sei, der nicht nur das Lob eines Fabius
Maximus verdiene, sondern auch als schneller und über-
raschender Blitz, gleich Cäsar, zu wirken wisse. Durch die
Festigkeit und Beharrlichkeit seines hohen und unbezwing-
lichen Geistes habe er den ersten Sieg verdient, der um so
herrlicher leuchte, da er Vielen unerwartet gekommen sei,
indem er jetzt ein anderes Verfahren eingeschlagen, habe
er bewiesen, wie seine Vorsicht immer lebendig und hoch-
herzig gewesen, und er stets bereit gewesen sei, mit starker
Hand zuzufassen, sobald die Lage eine Entscheidung erfor-
dert habe. 2 ) Indem er die Pläne der Feinde ausgespürt und
1) Viglius van Zwichem Tagebuch S. 10*.
2) Aus einem „Bericht" vom 13. Juli im Frankfurter Archiv hat
Janssen Gesch. d. deutschen Volkes III, 574 die Nachricht veröffent-
licht: Schon im Juli war den Schmalkaldenern durch den französischen
König im Geheimen mitgetheilt worden, dass Herzog Ferdinand von
Alba dem Kaiser gerathen habe: „keine Schlacht mit den Protestiren-
Digitized by
Google
346 Nachtrag zur Sitzung der lmtor. Clause vom 4. Februar 1882.
vorhergesehen, sich dann zum Uebergang über die von den
alten Römern nie passirte Elbe, zu schnellem Angriff an
dem entscheidenden Punkte und zur Ergreifung des Feindes
entschlossen, habe der grosse Karl V. zugleich den Kriegs-
leuten, deren Sinn nur darauf gehe im Handgemenge ihre
Tüchtigkeit zu bewähren, deutlich gezeigt, dass er am St.
Franziskustage der Schlacht nicht aus Bedenklichkeit über
den Ausgang ausgewichen sei ; wegen der einleuchtendsten
aber nicht Jedermann bekannten Gründe habe der Kaiser
einem klareren und vollständigeren Siege zu Liebe ein kräf-
tiges und kühnes Vorgehen verschoben. Jovius ruft den
Kriegsleuten zu: Es ist nicht Eure Sache über Zeit und
Gelegenheit zu urtheilen. Cäsar hat es schon gesagt, dass
er von dem Soldaten ebenso sehr Geduld und Gehorsam als
Muth und Tapferkeit fordern müsse. Der hochherzige Cäsar
hat Euch jetzt den Sieg verschafft und dabei sich den dop-
pelten Ruhm klugen Zuwartens und kühnen Entschlusses
zum Kampfe erworben.
Der Brief des Jovius, welcher in dieser Weise die
Thaten des Kaisers verherrlichte, blieb nicht in der Hand
den zu thun, sondern sie durch Unterhandlungen in Unkosten zu
bringen. 44 Es ist nicht recht abzusehen, wie Franz I. so tief in die
Geheimnisse des kaiserlichen Kriegsrathes zu einer Zeit, wo man noch
nicht zu festen Entschlüssen gekommen sein konnte, einzudringen ver-
mochte. Die hauptsächliche Bedeutung der Mittheilung geht jedenfalls
dahin, dass der König die Schmalkaldner vor Unterhandlungen mit dem
Kaiser warnen und zu energischer Kriegführung bestimmen wollte, da-
mit Karl recht tief in Schwierigkeiten gerathen möge. Dass Franz I.
bei dem Kaiser geringe Neigung zum Schlagen voraussetzte, ist nicht
zu verwundern : es entsprach eine solche Zurückhaltung dem Charakter
des Kaisers. Auch die unten S. 363 besprochene Flugschrift „Pas-
quillus 44 enthält folgende Stelle: „Pasquillus: Aber als ich hör, so
spricht Carolus: 4 Eil mit weil, gemach geht man auch weit*. Dyd.
So wurd er doch nit der kaiser Augustus oder Fabius Cunctator werden,
damit er mit seinem verziehen des babsts sache gut mache."
Digitized by
Google
r. Druffel : Beitr. z. mUitär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 347
des^Generals, an welchen derselbe gerichtet war. Castaldo
schrieb am 20. Juni an Jovius, er habe den Brief gar nicht
ordentlich zu Ende lesen können, der Herzog von Alba
habe ihm denselben aus der Hand genommen und sofort dem
Kaiser gebracht; dieser habe das Schriftstück gelesen und
wieder gelesen und sich mit grosser Befriedigung die Stellen
gemerkt, in denen er besonders gepriesen wurde. Auch
Avila, der Geschichtschreiber des Krieges habe sich den von
Jovius gebrauchten Vergleich zwischen Karl dem Grossen,
welcher dreissig Jahre zur Besiegung der Sachsen noth-
wendig gehabt und Karl V., welcher dies in dreissig Wochen
vollführt habe, gut eingeprägt, wie wir denn wirklich am
Schlüsse des Avila'scben Werkes diese Gegenüberstellung
finden. Nur überbietet der Spanier den Italiener, indem er
dessen dreissig Wochen auf weniger als drei Monate er-
mässigt.
Der begierige Eifer, mit welchem der Kaiser und seine
Offiziere sich die Auffassung des Italienischen Bischofs an-
eigneten, legt schon den Gedanken nahe, dass damals diese
günstige Beurtheilung des eben beendeten Feldzugs keines-
wegs die allgemein verbreitete war, und nicht so ohne
Weiteres als die selbstverständliche und einzig mögliche an-
genommen wurde. Gestützt wird diese Folgerung durch die
Fassung des Briefes selbst. Wozu hätte sonst wohl die Er-
mahnung an die Kriegsleute gedient, denen der grossartige
Ueberblick des Kaisers über die Gesammtlage abgehe und
die desshalb am Franziskustage hätten schlagen wollen,
wenn Jovius es nicht für erforderlich gehalten hätte, der-
artige ungünstigere Ansichten abzuwehren? Und grade die
Art, wie Jovius diese Frage hinsichtlich des 4. Oktober be-
spricht, kann bei einem m isstrau ischen Leser Bedenken über
seine Aufrichtigkeit wachrufen. Es will doch wenig heissen,
wenn Jovius uns einladet, aus des Kaisers Verhalten bei
Mühlberg einen Rückschluss auf jenen früheren Fall zu
Digitized by
Google
348 Nachtrag zur Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882.
ziehen, wenn er ferner auf „augenscheinliche, aber doch
nicht Jedermann bekannte 14 Beweggründe hinweist. Wird
man nicht gar bei diesem letzteren Ausdruck an Ironie des
boshaften Humanisten denken können?
Dass man mit diesen vielleicht an sich etwas gekün-
stelten Folgerungen nicht ganz fehlgreift, ergibt sich ans
einem bisher noch nicht benutzten aber schon lange ge-
druckten weiteren Briefe des Jovius. In einem Briefe,
welcher mit dem Datum 29. August 1547 versehen ist,
richtete Jovius an die beiden gefangenen Fürsten von Sachsen
und Hessen mehrere Fragen über ihr Verhalten während
des Krieges. 1 ) Unter Anderem bittet er dieselben um Aus-
kunft über jenen Tag des 4. Oktober. „Warum — so
fragt er — habt Ihr, in der Eile die Besetzung Nördlingens
durch den Kaiser zu hindern, Eure Nachhut so weit hinter
Euch gelassen, dass sie, wenn der Kaiser seinem muthigen
und zum Angriff bereiten Heere vorzugehen erlaubt hätte,
leicht geschlagen und vernichtet sein konnte, bevor die an-
deren Heerestheile zu Hülfe zu kommen vermochten, indem
ein dazwischen liegender Graben nur unter Schädigung der
Ordnung zu überschreiten war?
Jovius schreibt hier somit die Rettung der Schmal-
kaldener ziemlich deutlich dem Umstände zu, dass der kaiser-
liche Befehl den Angriff untersagt hatte. Aehnlich äusseren
sich die gleich nach dem 4. Oktober im Lager geschriebenen
Briefe, 2 ) und Viglius erhebt in seinem Tageboche folgende
Klage: „Viele beschuldigten die Nachlässigkeit, Unkenntniss
und Aengstlichkeit des Generalkapitains [Alba], aber Gott
weiss es, an wem die Schuld lag, dass eine solche Gelegen-
heit nicht benutzt wurde." Dass Avila ebenso urtheilte,
kann man daraus schliessen, dass er über die Frage, ob man
1) Vgl. Anhang»
2) Vgl. D ruf fei Viglius S. 143.
Digitized by
Google
v. Druff el: Beitr. z. militär. Würdigung des Schmcdkald. Krieges. 349
an diesem Tage habe schlagen sollen, stillschweigend hin-
weggeht, dem Nebel die Schuld gibt, dass die Protestanten
ungehindert die Oertlichkeiten passiren konnten, an welchen
der Kaiser sie hätte angreifen können, so dass man, wenn
man nur Avila läse, gar nicht auf den Gedanken kommen
würde, dass hier eine lebhaft erörterte militärische Streit-
frage bestand. Die Commentaires dagegen lassen dies er-
kennen: sie wurden zu einer Zeit niedergeschrieben, wo
nach Karls Meinung die Fachmänner ihr Urtheil zu seinen
Gunsten geändert hatten.
Obgleich, wie er sagt, damals und später die verschie-
densten Urtheile gefällt worden seien, wahrscheinlich auch
jetzt noch gefällt würden, so hätten doch auch diejenigen,
welche früher den Kampf befürwortet, bei gründlicher Be-
sichtigung der Oertlichkeit, im Juli 1550, sich überzeugt, dass
ihr Rath nichts getaugt habe. Der Kaiser sagt, wer noch
behaupte, dass man hätte schlagen sollen, möge nur selbst
hingehen und sich die Stellung des feindlichen Heeres auf
der anderen Uferseite vergegenwärtigen, dadurch werde sich
das Urtheil wohl anders gestalten.
Es ist natürlich schwer zu bestimmen, ob die Offiziere,
welche dem Kaiser anzeigten, dass sie sich zu deslsen Mein-
ung bekehrt hätten, damit ihre wirkliche Ansicht wieder-
gaben, oder ob sie es bloss für unzweckmäßig hielten, bei
der späteren akademischen Erörterung der Streitfrage über
die Frage der versäumten Gelegenheit, ihrem Heirrn gegen-
über als rechthaberische Doktrinärs zu erscheinen, nachdem
der Krieg im Ganzen so glücklich verlaufen war.
Wie Jovius, trotz seiner in dem früheren Briefe an Castaldo
gebrauchten den Kaiser verherrlichenden Redewendungen, sich
bezüglich des 4. Oktober nicht als Anhänger der kaiser-
lichen Unfehlbarkeit erweist, so drüpken sich aucji in den
übrigen Anfragen, deren Beantwortung er von den ge-
fangenen Schmalkaldischen Fürsten wünscht, Zweifel über
[1882. II. Philos.-philol. hist. Cl. 3.] 24
Digitized by
Google
350 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
die Tüchtigkeit der kaiserlichen Führung aus. Jovius stellt
sieben Fragen, einige davon beziehen sich auf Vorgänge,
welche auch in den Commentaires besprochen sind, aber
nicht alle die fünf Fälle, in welchen nach Karls V. Auf-
fassung Gott das Auge der Schmalkaldner mit Blindheit
geschlagen hat, werden von ihm berührt.
Drei Fehler , welche Karl den Schmalkaldnern vor-
rechnet, gehören in die Zeit vor dem Beginn des eigent-
lichen Feldzuges. Sie hängen mit der Beantwortung der
folgenden zwei Fragen zusammen : x
Erstens: Wie kam es, dass der Kaiser, welcher sich
so lange mit dem Plane, Krieg zu führen, getragen hatte,
ini entscheidenden Augenblicke nicht der Angreifer sondern
der^ Angegriffene war? Zweitens: War es des Kaisers
Verdienst oder der Gegner Ungeschick, dass diese ungün-
stige anfängliche Lage keine schlimmen Folgen nach sich
zog? Die Beantwortung beider Fragen haben die Commen-
taires und Avila's Darstellungen versucht.
In Bezug auf den ersten Punkt klagt A v i 1 a ') vor-
zugsweise die Unentschlossenheit des Herzogs Wilhelm von
Baiern an: dieser habe des Kaisers Vorbereitungen um eineu
Monat verzögert, um eben so viel sei der König Ferdinand
später gekommen, als der Kaiser erwartet habe. Ferner sei
nachtheilig gewesen, dass einige Diener des Papstes geringe
Behutsamkeit und Verschwiegenheit beobachtet und dass
einige Geistliche in ihrer Leidenschaft nicht zu schweigen
vermocht hätten. Die Commentaires geben der Sache
1) Ausgabe von 1548 f. 6: El duque de Baviera, aunque catholico,
tractava estos negocios tan atentadamente, ya que no digamos timida-
mente, que tardo en determinarse mucho tiempo. La quäl indetermina-
cion no acrescento poco la difficultad de nuestra guerra, porque, a deter-
minarse mas presto, pudiera S. M ad las provisiones necessarias tener un
mes antes, y no solamente fue este inconveniente solo, mas aun el rey
de Romanos . . . tardo en venir un mes mas de lo que S. M ad le esperava.
Digitized by
Google
r. Druff'el: Beitr. z. militär. Würdigung des SchmalTiald. Krieges. 351
eine etwas andere Wendung. Hier versuchen die päpst-
lichen Abgesandten und einige Geistliche beständig auf den
Kaiser einzuwirken, dass er die Abmachungen mit dem
Papste absch Hesse und die Waffen ergreife; aber Karl habe
gezögert , einestheils wegen der Grösse und Schwere des
Unternehmens, ferner, weil er sich erst mit dem Römischen
Könige benehmen wollte. Indem das Geheimniss schlecht
bewahrt worden sei, hätten die Protestanten solche Vor-
kehrungen treffen können , dass sie daran denken durften,
selbst anzugreifen. Der Kaiser habe, um Deutschland nicht
aufzuregen , nichts unternommen , damit Jeder sich über-
zeuge, dass er nicht anders handeln könne, und dass er
durch sein langes Zuwarten mancherlei Vortheile verscherzt
habe. Als der König Ferdinand, den er erwartet, gekommen,
habe Herzog Wilhelm gezögert, so dass die angerechtfer-
tigte Verspätung eingetreten sei, an der auch die Matt-
herzigkeit der geistlichen Fürsten ihren Antheil gehabt habe.
Die Commentaires urth eilen über die Lage: „Die Protestanten
hatten über den Kaiser die Vortheile errungen, welche dieser
über sie hätte haben können, wenn das Geheimniss gewahrt
geblieben wäre Aus allen diesen Gründen war das Unter-
nehmen mit viel grösseren Schwierigkeiten und Gefahren
verknüpft. Indessen sah der Kaiser ein, dass man die Aus-
führung des Verabredeten schwerlich unterlassen könne, dass
die Zeit dahin schwinde, und dass, je mehr man zögere, die
Sache offenkundiger, schwieriger und gefahrvoller werde. 14
Man wird nicht verkennen , dass zwischen Avila und
den Commentaires mancherlei Unterschiede obwalten. Wäh-
rend ersterer die Zögerung bloss dem Verhalten Anderer
zuschreibt uud sich sogar zu der Behauptuug versteigt,
die Feinde hätten durch die Indiskretion der Geistlichen
eher von den Kriegsabsichten erfahren, als die Freunde des
Kaisers , fühlt man bei den Commentaires durch , wie der
Kaiser seihst noch schwankte und zauderte. Es wird er-
24*
Digitized by
Google
352 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
forderlich sein, auf die gleichzeitig erwachsenen Korrespon-
denzen zurückzugreifen, um die Richtigkeit oder Unrichtig-
keit der beiden Darstellungen beurtheilen zu können.
Aus den Briefen des Kaisers an Ferdinand 1 ) geht deut-
lich hervor, dass Karl die Ankunft seines Bruders eifrig
herbeisehnte, deren Verzögerung bedauerte, weil er persön-
liche Berathung mit demselben wünschte, bevor er einen
Entschluss fasste. Nur bei dem Eintreffen der Nachrichten
über die von dem Kurfürsten von der Pfalz vorgenommene
Religionsveränderung soll der Kaiser, nach dem Berichte
des Nuntius, im Zorn einen Augenblick den Gedanken, den
König zu erwarten , fallen gelassen haben : er wollte sich
begnügen, mit dem Herzoge von Baiern Rücksprache zu
nehmen. 2 ) Aber dieser, obgleich schon am 2. Mai 8 ) er-
1) März 29 schrieb Karl: il m'a semble Vous declairer, qu'il empörte
tant que plus ne pourroit, que Vous trouvez a Regensburg au temps
que je y arriveray, ou le plus tost apres qu'il sera possible, en post-
posant toutes aultres choses, actendu ce que Vous scavez des termes oü
se retreuvent les affaires de ceste Germanie, dont depend le reraede
ou hazard des Votres, avec ce que Vous scavez ce qu'est [sie] en train
avec le pape. Vgl. D ruf fei Beiträge zur Reichsgeschichte Nr. 7, 11, 13.
Mai 1 schrieb der Kaiser: «Tay receu Voz lectres du 24 du passe, et
puisque Vous veez, selon que desja Vous ay escript, combien il empörte,
non seullement a moy mais aussy plus a Vous, que nous puissions com-
muniquer ensemble sur ce3te emprinse, estant chose de si grande im-
portance et oü il y a tant de considerations et respeetz, ne Vous bail-
leray plus de presse sur Votre venue, sinon, qu'il est plus que necessaire
qu'elle soit le plus tost, qu'il sera possible, et mesmes que desja le temps
court et est bien avant, et il y a plusieures choses et particularitez sur-
venues des l'annee passee, pour lesquelles il fault tant plus peser la dite
emprinse et ce que Ton pourra faire. Et avec ce y a aucuDs points es
articles que le pape veult avoir ou traicte precisament, selon qu'il les
afferme, qu'il est requis que Vous mesmement et les aultres catholiques
entendez.
2) Verallo schreibt Mai 4 an Cervino: Quella vedra per il som-
mario che mando nelle lettere communi la bella conversione che ha
fatta il conte Palatino in questa sua decrepita nonche vecchiezza, il che
Digitized by
Google
r. Druff eh Beitr. z. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 353
wartet, stellte sich erst am 30. Mai, zwei Tage später, als
Ferdinand, ein. 1 ) In dem Briefwechsel spielt auch das Ge-
heimhalten der Kriegsabsicht eine Rolle : man will von der
Beschaffung von Pulver und Munition aus Deutschland ab-
sehen, um keinen Verdacht zu erwecken. 2 )
So viel geht aus dem Gesagten hervor, dass die von
Avila und den Comraentaires aufgezählten Gründe der Zö-
gerung nicht aus der Luft gegriffen sind. Fraglich aber
bleibt es , ob sie für den Zweck , zu welchem sie dienen
sollen, ausreichen. Denn sie führen uns nur bis zum Ende
Mai, bis zu der Zeit, wo Karl V. endlich schlüssig wurde,
den Krieg zu unternehmen; aber von den angeführten
Gründen könnte nur die mangelnde Geheimhaltung, über
welche der Kaiser klagt, auch auf die folgenden Wochen
Bezug haben; denn die Verhandlung mit König Ferdinand
und Herzog Wilhelm von Baiern, bot, als beide einmal ge-
kommen waren, keine Weitläufigkeit mehr dar, sie führte
ziemlich schnell zu einem Ergebniss. Am 25. Mai hatte
der Nuntius Verallo noch geschrieben: Ich hoffe, dass die
Ankunft des Cardinais von Trient von Bedeutung sein
wird, um in dem Kaiser einen schnelleren Entschluss zum
e stato tanto dispiacevole a S. M tä » che ne saltö in una colera tanto
grande, che mai fa veduto tale, et la ha fatto risolver che, quanto
all' altro negocio che V. S. R ma sä, non aspettarä piü il re de
Romani a deliberarne. Et perche vuor tutto communicare con il duca
di Baviera lo ha mandato a domandar, che non se ritarde piü al venire
qui. Et presto quella intenderä cosa che le piacerä in questo. Florenz
Carte Cer vi n. 16/43. Vgl. LevaIV, 59 dessen Behauptung 'Ferdinando
fece dipendere la sua venuta da quella del duca Maurizio* ich nicht zu
belegen wüsste. Leva hat die Bedeutung der Haltung des Pfälzers für
die Kriegsfrage und insbesondere für die Erschliessungen des Baiern-*
fürsten richtig gewürdigt.
1) Druffel Nr. 11.
2) Viglius Tagebuch S. 1.
3) Druffel Nr. 11, 13.
Digitized by
Google
354 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
heiligen Kriege hervorzurufen. Mochte auch der Kaiser
schon vorher grosse Lust dazu haben, so wirkten doch ver-
schiedene Gutachten und Rathschläge entgegen, welche we-
nigstens Aufschub und Zeitverlust bewirkten. Jetzt aber
hat der Kaiser dem Cardinal Madruzzo Sonntag [Mai 23.]
dem Cardinal Truchsess gestern mitgetheilt, dass er den
Krieg unternehmen will. 1 ) Am 8. Juni reiste der Cardinal
Madruzzo mit dem vom Kaiser unterschriebenen Bündniss-
vertrage nach Rom ab. 2 )
Von nun an war nicht mehr an Geheimhaltung der
Kriegsabsichten zu denken. Am Pfingstsonntage, 13. Juni,
schrieb der Nuntius an den Cardinal Farnese, die Sache sei
fast allgemein bekannt, der Kaiser werde wahrscheinlich
morgen mit den geistlichen Fürsten davon reden. 3 ) Indem
der Kaiser dies in Wirklichkeit noch an eben jenem hohen
Festtage that, den Prälaten, wie der stets zu Witzworten
aufgelegte Abt von Weingarten bemerkte, den heiligen Geist
eröffnete, d. h. Geld zum Kriege von ihnen forderte, musste
es in weitere Kreise dringen, was der Kaiser plante. 4 ) Der
Krieg ist offenkundig, schreibt der Nuntius am 16. Juni. 5 )
1) Quirini Epistolae Poli IV, 308.
2) Vgl. Leva S. 65.
3) La cosa qui si e quasi che scoperta, et S. M tk penso che domani
lo dirä a questi principi vescovi catholici che sono qtü. Et hora si for-
mano li mandati alle terre franche, per farle intendere Che S. M** vuol
castigar li rebelli et inobedienti, che non si moveno a darli aiuto, sotto
pena di rivoltarli la ruina adosso di loro, di naaniera che non bisog- '
nara piü dissimularla, et ogni prestezza sara piü chara a S. M tä et piü
aproposito. Verallo an Farnese, Ogl. in Neapel 688.
4) Viglius Tagebuch S. 8 Ueber die Geldzahlungen der Deutschen
Bischöfe schreibt Verallo Juni 29 zuerst: „Li prelati di Germania son 1
partiti de qui, per andar a far la provision loro del danaro che fra
tutti montara da 370 [?] M fiorini." In einem andern Briefe von dem-
selben Tage heisst es: „(il C le d'Augusta) sta travagliato con questi
vescovi per la contributione, che ne cavarä quasi 30 M di sussidio."
5) Hora dico che la guerra qui e publica et Venerdi si fara la
Digitized by
Google
v. Druff el: Beitr. 2. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 355
An diesem Tage sprachen die Protestanten dem Kaiser ihre
Bedenken ans über die Kriegsrüstungen, welche sie auf sich
beziehen müssten ; man darf das nicht so auffassen, als ob
bis dahin die Protestanten keine Ahnung gehabt hätten von
dem Gewitter, welches sich gegen sie zusammenziehe, der
Nuntius sieht darin einen Schritt, welcher bestimmt war,
das gewaltsame Vorgehen des Kaisers zu hintertreiben l ) Er
gab sich alle Mühe, eine friedliche Beilegung des Confliktes
zu hindern, weil er die Hoffnung hegte, der Krieg werde
zu günstigen Ergebnissen führen. Er hatte gehört, die
Reichsstädte wollten keinen Pfennig für die Schmalkaldner
opfern und dachte sich den Krieg als einen Angriffskrieg,
indem er das eiue Mal des Kaisers Marsch gegen Frankfurt,
das andere Mal den gegen Sachsen erwartet. 2 ) Aber zu-
sehends stimmt er mit jedem weiteren Tage seine Erwar-
tungen herab. Im Anfang Juli ist er in Bestürzung über
die Gleichgültigkeit des Kaisers, während er im vorher-
mostra qua di 2000 fanti. Karl V. empfiehlt freilich, dass der Graf
von Büren bei seinen Rüstungen deren Beweggrund möglichst verheim-
liche, Lanz II, 489; hier war aber durch die ganze Rolle, welche Büren
im Rücken des feindlichen Heeres gestellt war, eher Geheimhaltung
bedingt.
1) Verallo schreibt in einem Postscript Juni 16 : „Adesso sono avisato,
che questi protestanti che sono qua, cioe tutti principi presenti et comis-
sarii delli absenti hoggi hanno pregato li stati catholici et ecclesiastici,
che voglin' essere con loro da S. M tä Ces., et che vi saranno domani
et vogliono dirli, come intendono che S. M tä - vuol far la guerra contra
di loro, che la pregavan a non farla, perche faranno quanto S. M tä
comandara et quanto lei vorria ; et piü dicono che le citta franche non
vogliono aiutarlo d'un quattrino, et loro da se non hanno danari, di modo
che, se la cosa non si impiastra, andara benissimo; che sia per aviso,
quanto vi e sino qui." Eigenhändig fügt er bei: „Jo non resto di
travagliar che la cosa non si vada appiastrando, perche mi par' di veder
che, se costoro fanno questa offerta, ci siano indutti per quelli che hanno
a dispiacer questa impresa."
2) Juni 22 spricht er von Frankfurt, Juni 29 von Sachsen.
Digitized by
Google
356 Naclrimcjt zur Sitzung * der \ histor; ülasse vom 4. Februar \18&£.
gehenden ^Monät ' nur ; Rühmlü chds zu ! • m elden '- g'iwussfc-' hatt^.
Er gfeht jetztisö- weit, i dassier-sioh^ so^ar <ftteer ^die'aöfäbg^
liehen Fortschritte der- Frotestknien" *-fteu«ir *rilfy ! weil 'da^
durch der Eäiiseiu vielleiöMt aufgerüttelt ^evdle^u 'größerer
Thätigfceii^ wenngleich er 1 andererseits sich nicht Yerhehl^
das» eö einen < ! schlferihfeen Eindruclr ^achW, ^ alöhiie ©egne/,
welche man mit Kriege übereieheirwolHe; «titt'deB^in ; i^ d«k»
Lage« waren,' denn ersteh 1 Sfehlig' 'Ar föhren l Jf- ••' '^ ' ^ < {j ^,
Dein ^ ^kpsrtichön^unmy'^ difese 1 hn^öfnsti^ knfän^
liehe- Erlegfclagte •' yiugenscheiüHfeh ^iÜe ] fefeinlichc! : ' ü^rräsch-
urig. * M$ ! <km Tkgibudh : 'des 1 ' Viglrtis ersehn' 7 Wi? f kfcfer , ! ! flaÜ
Granula- bereite unT Juni' feik 'fcitfaffi^es' tJrtnfeiV !i übe^ ^
getröflferien ^rberritükgen "W£ fitW ' &£ ! J Tücktigteit 1 "köi
kaiserlitfnen Fetöberrn Alba' f§ll&, Hand dkratif ! ninWi^si 1 dakk
dife 1^,000 Mann ! pä^ötfffcfier 1! TkW(in : eben tt{ sÜ Wenig 1 Zur
Stelle' Mäh- äl^ 1 dte 80ÖÖ 1 Sanier; 1 Wche ! korriteen^ollten 1 .^
*m
und 1 « d&j That; M e£ ^ehörtö 1 KMn'b Söhe^^ilkzüt^in'st^
sagen zu können, dass die päpstlichen Truppen noch einige
Zeit äusbleiWn [r ^^
grössere 'Tnaftiß&eit ! ' mtfältet 1 ' nätte, 1 '' als (1er Kaiser selfcist;
Djer, {^r$n^l ^rnpse ^te, Anfong (I Juflj, n^it ^q^r^ft^
Spannung Nachrichten erwartet über des Kaisers Entsohliefiw
sungeui, nftumal/da inon' j>fcztt dto* Friedensschluß zwischen
England 'üfld^Fitfnfer^ 'tou^st^'
von dein niäri " eikäh Völligen Vriisctwün^ ' cler 'Kaiserlicnen
77 '~-. .,-,"i '.[!'■ i,f •!(,! l'ofiv ''M/ - . . v . '.ti-i -M!->i>i!'»t'fr -uii'.-» ,if-ifi' («if^jlliuv f>
IA .1) Vefajlo.ftft« #&rn0ae ■ ^uwi-^'t Das f Vorgehen | de* Ptfotestaiiteft
vcrhiadeit rdent fflao ! des >Kawefls gegen Saehaen iuüd ■ Hessen ? vorangehen ^
der Krieg wird sioh ttm-Augsbiirg idrehenün ^Da 1 1 rana j banda ; oni i piaoe
che m ßieno iHiossi' prima -larei da/^ispejrcbesfynM^ ai> svegtöe ün pftcb
et laaei i adietro ü prooedere con i tantiö ^flegma i cjuante* fa, • dall r altro eant^
ml dispiäce^i perche tnpn Vi i isii gttä4agiuirav mente* iqaaoto ällal ripntiatioBe;
che? > rioi : ihalkbiapiiü > raoflsd > la gueErit^ .e* i läro sianp \v ■ rpafimi * .1» far ^delle
facende." *' livi-ppui ü t-.-.u j * v.n.M^ii' j.
2)"Vig>Mtt8 t!Dagebiiehiiß..5u/l>lnj;r , i mtv i-» }ii-»n*j> L* 1 ' mnl. '.1:
Digitized by
Google
r. Dniffel: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmcükcdd. Krieges. 357
Politik fürchtete. Höchstens in drei bis vier Tagen, so
schrieb er am 8. Juni, müsse die entscheidende Meldung in
Rom eintreffen, denn längerer Aufschub sei völlig unmög-
lichH) In der That kam am 13. Juni Abends der voraus-
gesandte Sekretair des Cardinais Madruzzo nach Rom und
andöreti Tagies sammelten sich Haufen von kriegslustigem
Volke wöt demi Hause des bewährten Truppenführers Ales-
sandroi.Vitellio an*nin der Absicht sich anwerben zu lassen
uild das.HäadfeeWiin' Empfang zu nehmen. 2 ) Aber, nach-
7777 — Trrrrrn ; < --».'ii-fio. --)» ^
;. I _l) ( ;Mai 3J sq)3pel) VjerallOj^n fa^nese, in 4 Tagen werde Madruzzo
wohl abgefertigt sein ; dies bestätigte sich nicht : derselbe reiste Jnni 8
ab!''2tai'i}9 schriet '^arnese an ÖerVino:' Öeute kam Nachricht von
d&fr taie^eVzwiscM' Frankreich un^Ru^ähd/ mit Spannung erwartet
itian Nachricht atrs'Regiensbufg übe» dte -Beschlüsse nach dem Eintreffen
das RwiwWn K$bigsi»nd u des,;Hertog«!lvon ttaieriv i^alla venuta de'
q^uaf^injRaJis^naj pa.yV chp sja^diffyirrja ogni ^e i ^erajjio,n ) a,, i se ) bene fino
ad bora, et ultimamente piu che raai, ci sia mostro da qnella parte
ogni dispositione et certezza della impresa, et noi siamo fatti tutti San
Trfömayo;' se^rima 1 ' eravnWiMo credüli ' ! #* , iÜWra:" , ' , Öfgl;"^tM
Jttnti4/iO;»Cervi ifl^ie». ' tfunl 8 : 'Vt* SJt^^htt da > saperö^cfhe, Wt*
ostante il giuditio suo et di molti altri, da la corte continua l'aviso
conatantisaimoi affirtnativo, che si ^öbba < for la impresa quesfco > antioi.
E*[ aiamo* »edutti bora ad aipettare rla rieolutiqne peri il primospacoiö
che • Tonga di fe, et dhe non . iptosa j tardare oltrej - a 4 giorni ; i et i in
q&aknche riiodo i oi i par* neceseariO, che per il prim^ debbiamo eöser
chiarij m«m compOTtando piu iL tempo düdiffierire le cctasulte' nedi darci
parola; I f ■• mI > "f((--i T ,' ''> (: ../i-n: ■ . i- -r* ..'. ,'h> i._:"li ■ i
üj ii 2)nUeberi diese Tage gibt uns- Auskunft ein« I mit ^grqseer 'Vorsicht
die Nennung ivoai wirklicheni Namen vermeidender Rötmeöfeer Korrespon-
dent desi.O^dinals Cervino, dessen Briefe de¥ Bruder de» letzteren ia
Bannt V dern Carte < €ervini«ne \ znaanwnengeschrdeben hafcuü : Ddr Brief««
Schreiber • war jeden fall» ein ; tief eingereihter filmischer Präjat, : nach
einer NetiztProepero Sarjtä»Gro«e. Dieser 1 sdhreibt Juni 12: M Main
caotomo; fdamkrist Moräne gemeint] sta \n la contraria . «pimope . di
tutti l'altri, che vogliaüo iche Si , facöi 'la impr&se, contra. «li Luteranv
atworache Faniese k tengfai cettissima, et äeeldeora'aa^er, aenlei leidel suo
parere o del contrariol" Juni 10/ „Ooraparsei el < secrefcario i da Trentd
Domenica [Juni 13] sera a bore 2 di notte, i ei Ln^iedil a /mefezögiorno
Digitized by
Google
358 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
dem man einmal wusste, dass der Kaiser sich dem Deutschen
Unternehmen widmen werde, schien in Rom der Eifer in
den massgebenden Kreisen der Curie zu erkalten, anstatt
sich zu steigern. Den Cardinal selbst wollte man abwarten ;
der Papst konnte zu keinem Entschlüsse kommen, er fragte
überall um Rath. Das Ergebniss war Zögerung. Obschon
der am 20. Juni in Rom eingetroffene Cardinal Madruzzo,
wie Maffeo schreibt, 1 ) Feuer und Flamme war für den
Krieg, blieb noch immer Paul III. voller Bedenken. Er
mochte sich an die Erfahrung des Vorjahrs erinnern, wo
der Kaiser ihn mit seinen übereilten Rüstungen schliesslich
im Stich gelassen hatte; 2 ) jetzt schien ihm eine glückliche
Durchführung um so schwieriger, da Frankreich mit Eng-
land in Frieden und demgemäss, wie er meinte, sich mit
den Lutheranern und vielleicht auch mit den Türken im
Einverständniss befinde. 8 ) Aber sein Enkel Farnese machte
geltend, dass die ganze Verantwortung auf die Curie fallen
werde, wenn man sich jetzt nicht auf den Krieg einlasse,
und auch der Cardinal Cervino, welcher nicht an des Kaisers
di casa del S re Alessandro Vitello pareva ce fusse lo stazione a quello
faceva la gente, perche pensavano toccare denari; adesso la cosa va piü
raffreddando et s'aspetta che venga el R mo di Trento per le poste, el
quäle habbi da portare Tultima resolutione et i capitoli. Et in questo
mezzo Pio [Paul III.] non sä che ce fare, et va domandando consiglio."
1) Hoggi alli 23 höre arrivö il C le di Trento, che e tutto fuoco
in questa impresa. Dio facci etc. s. Leva S. 68. Am 19. Juni hatte
(Prospero Santa-Croce) geschrieben: „Hiernotte venne un corriere a
Giovanni di Vega da S. M^ delli 11, et hieri detto Giovanni fü con
S. S tä , la quäle se resolve di non aspettare Trento per inolti respetti,
ma di fare questa impresa et promesse [?prodezze?] con tutte le cau-
tioni. Dio lassi far il meglio ! La fabrica [Morone] ne sta gabbata della
sua opinione, et desidera saper la sua mente in cib, possendosi; se non,
quello se po, et se l'offerisce et bacia la mano. "
2) D ruffei Kaiser Karl V. und die Römische Curie; Abhand-
lungen der historischen Klasse Bd. XVI, Abth. 1 S. 27.
3) Leva IV, 68 Anm. 3.
Digitized by
Google
v. Druff el: Beitr. z. milltär. Würdigung des Schmalkcdd. Krieges. 359
ernstliche Absicht glaubte, empfahl, man möge den ge-
gebenen Zusagen nicht untreu werden. 1 ) In der Cardinals-
congregation vom 22. Juni wurde trotz des zum Erstaunen
Madruzzo's ausserordentlich lebhaften Widerspruches der
Französischen Cardinäle 2 ) dann der Krieg beschlossen und
1) Am 29. Mai hatte Cervino an Maffeo geschrieben, aber dann
wieder getilgt : „delP impresa boramai ogn' uno potra essere certo, che
la non si puo piü fare, al raeno questo anno. 44 Dies ist im Concept der
getilgte Schluss des Briefes bei Quirini IV, 301. Juni 26 schrieb er
an Farnese: „Circa all' impresa io non so quel che habbia portato il
R mo C le di Trento. Qui si dice per tutto, che, se non altro, se gli
muta il nome per facilitarla, et nondimeno che Luterani non dormano,
facendo gia gente [getilgt : a furia], quanto possano. Vedo da una parte,
che N. S re non pub mancare delle promesse, et da altra dabito del evento
[Correktur statt: che non habbia Tossa dure], per molti rispetti, et
per consequente che il fine d'essa non sia tale, che porti poca utilitä
alla religione, per la quäle principalmente gia fu ragionato di far Tim-
presa, il che potendo essere o per mal successo, che Dio ne guardi, o
per qualche accordo non bono, mi pare che a questo ultimo [il che —
ultimo Correktur statt: et pero questo e il primo punto al quäle mi
pare] S. 8«A et V. S ria R ma habbino da advertire. 44 Concept C. Cerv. 7/168.
2) Farnese an Cervino, Juni 23: „Hieri mattina in congregatione
generale, per non esser giorno di concistorio, fü proposto da S. S ta la
impresa di Germania, per la quäle e venuto M. di Trento; et ricercato
sopra essa il parer del collegio, come in cosa di momento, la risolutione
fü: che S. S ta non dovesse mancar di aiutar gagliardamente S. M^ in
una impresa tale. Et cosi hiersera col nome di Dio si dette principio
ad expedir li capitani per far le genti." Maffeo, Juni 23: „Qai ogni
cosa e arme., et io non posso resistere al servitio, tanto v'e da fare. 44
Ueber die Congregation schreibt (Prospero S. Croce): „Hoggi N. S ro ha
fatta una congregatione di tutti li cardinali che possono andare, in la
quäle se letti li capituli di S. M ta portati da Trento, et cosi li s'e con-
ces'so aiuto per sei mesi dalla sede apostolica; et il capitulo, che dissi
Sabbato, che S. S ta voleva in questa resolutione, era la plasmatica
[pragmatica] et altri desordini de Spagna — il quäle era consiglio della
fabrica [Monone] — Thanno messo a monte, et s'e risoluto, per non lo
portare il tempo, che Trento et Giovanni de Vega habbino promesso di
pregare et farne ogni offitio con S. M^» 44 An dem vorhergehenden
Digitized by
Google
360 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
jetzt sofort alles aufgeboten um Truppen zu rüsten und
marschbereit zu machen. Am 16. Juli brach das Heer von
Bologna auf, und traf am 26. Juli in Trient ein. 1 ) Behält
Samstag hatte er geschrieben: „Quel de pesci [Frankreichs Gesandter
oder ein Französischer Cardina]?] in 1 ha detto ut supra, raa dice che
S. S tä ha detto volere far l'impresa et essere contentissimo, con questo :
che Timperatore faccia la tal cosa, la quäle non se sa ; et si pensa debbia
essere sopra del concilio." Gleichzeitig hat, nach ßaumgarten, in Sybels
Zeitschrift N. F. V, 178 der Beichtvater dem Florentiner Gesandten
insgeheim die Mittheilung gemacht „(S. S tä ) ha fatto secrete instantie
a cesare, che si faccia presto presto un berlingozo del concilio, il che
non gli rincrescerä, come si pensa; et per tal effetto s'e mandato il
cardinale di Trento a Roma.* 4 Es ist nicht recht klar, ob Baumgarten
diese Stelle anführt, um zu beweisen, „dass die befreundetsten Diplo-
maten absichtlich falsch berichtet" wurden, oder ob er hier einen der
Fälle wahrzunehmen glaubt, wo es „dem Florentiner gelang, hinter die
Kulissen zu sehen." Es ist wohl das letztere anzunehmen, da er auf die
Mittheilung Serristori's doch nur hingewiesen hat, um zu beweisen, „dass
man erst aus anderen Quellen erfahren müsse, was des Viglius lakonische
Notiz bedeutete." Indessen hat Baumgarten mit seinem Hinweis dem
Forscher nur ein neues Räthsel aufgegeben. Denn wie ist der Satz:
„il che non gli [d. h. doch all' imperatore] rincrescera come si pensa,"
in Einklang zu bringen mit der späteren Stelle, wonach der Beichtvater
sich so empört zeigte bei dem Gedanken an eine Verlegung des Concils ?
[Ich muss gestehen, dass ich Lust hätte 'riuscirä' statt 'rincrescera zu
conjiciren.] Alle Versuche des Papstes, den Kaiser zu einer veränderten
Haltung in Bezug auf das Concil zu bestimmen, scheiterten jedenfalls
vollständig, und wenn der Beichtvater Soto „per la servitü, che tiene a
V. S ria 111.", dem Gesandten glauben machen wollte, dass der Kaiser
den Wünschen des Papstes entgegen zu kommen geneigt, und dies der
Grund der Reise Madruzzo's sei, so entsprach dies durchaus nicht der
Wahrheit. Das Gutachten des Beichtvaters, Maurenbrecher 38* erwähnt
rmt Gegenforderungen des Papstes bezüglich der kirchlichen Einkünfte:
qniöreique se le agradezca, y paresce que tiene razon; y se quexa de
<fUftien^E8paaa se sequestran y impiden los provechos, y en otras partes
[iki Neapel}' »tambien, y paresce que con alguna color. Diese Dinge
stielen auph tnden Berichten des Nuntius eine Rolle.
iä' < '•-4)nVigl. Vifchus (Tagebuch S. 34. Verallo schrieb Juli 22 an Far-
nese': „Hieri si hebberö lettere da Trento del R m0 cardinale et delli
igitized by.
Google
v. Druff el: Beiir. z. militär. Würdigung des Schmoll" (üd. Krieges. 361
man diese Thatsachen im Auge, so wird man schwerlich
geneigt sein, die Frage, ob durch die geringe Verschwiegen-
heit auf päpstlicher Seite die anfangliche ungünstige Kriegs-
lage hervorgerufen wurde, eine Frage, welche bereits in
einem Briefe Karls V. vom 10. August 1546 aufgeworfen ') und
im Jahre 1547 in gereiztem Tone zwischen Kaiser und
Papst erörtert wurde, zu Gunsten der kaiserlichen Auffassung
zu entscheiden. Das päpstliche Breve, welches an die Schweizer
und den König von Frankreich erlassen wurde, ist vom
3. Juli datirt. Zwar ist zuzugeben, dass dessen Bekannt-
werden einen sehr nachtheiligen Erfolg auf den weiteren
R mi legati, che avvisavano come la partita di V. S ria Ill ma et R ma da
Bologna dovea essere il Lunedi passato, che furno li 19; ii che havea
raffreddato tanto questa corte che per Timminente necessitä et potentia
et diligentia delli nemici desidera gran celeritä, etiam oltre l'ordinario ;
questa mattina poi son 1 venute lettere del suddetto R mo da Trento di
17., come quella si mosse con Tessercito da Bologna alli 16, che per il
contrario ci ha tutti rasserenati, perö, per amor di Dio, la supplico da
parte di tutti li buoni, che si degni di far fare qoanta diligentia puo."
Zum 8. Juli hatte man am kaiserlichen Hofe die Musterung erwartet;
erheblich früher, als es geschah, hätte da« Heer wohl nicht in Marsch
gesetzt werden können. Der Marsch selbst erfolgte bis Trient zwar
nicht mit grosser Beschleunigung, aber doch für die damaligen Marsch-
leistungen nicht auffallend langsam.
1) Mauren brecher S. 47.* Die Klage dient hier zur Begründung
der gesteigerten Geldanforderungen, welche Karl damals durch Vermitt-
lung seines Sohnes Philipp an die Spanischen Cortes stellte. In der
Audienz, von welcher Verallo Juli 12 berichtet, hatte der Kaiser gesagt,
„che, poiche si erano mosse queste terre franche, et prevenuto S. M ta ,
per essersi sparsa la fama di questa impresa tanto avanti tempo, che
S. M ta era deliberata di remediarlo" ; hier ist von einem Vorwurf gegen
den Papst noch nicht die Rede. Im November, als es zu einer scharfen
Erörterung zwischen dem Nuntius und Granvella kam über diese Frage,
behauptete letzterer, dass das Mittheilen der Capitulation an die Schweizer
die Hartnäckigkeit* der Reichsstädte bewirkt habe: c La cittä d'Augusta
et l'altre terre franche stanno ostinatissime, che altramente le haveriamo
in mano.' Vgl. Viglius S. 183.
Digitized by
Google
Ö62 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe com 4. Februar 1882.
Kriegs verlauf ausüben konnte, indem die Protestanten auf
diese Weise vor aller Welt die Unterdrückung des Evan-
geliunis als den eigentlichen Zweck des Krieges nicht bloss
behaupten sondern auch klar beweisen, und dadurch die
Zurückhaltung der Neutralitätslustigen als einen Verrath
an der Sache des Evangeliums hinstellen, die religiösen
Leidenschaften des Volkes besser fcu ihren Gunsten erregen
konnten. Aber es ist zu beachten, dass die Folgen des
päpstlichen Schrittes erst gegen Mitte August, 1 ) also zu
einer Zeit eintraten, als der Krieg völlig im Gange, die
Vereinigung des kaiserlichen und päpstlichen Heeres bewirkt
war. Ob die von dem Cardinal Faruese aufgestellte Behaupt-
ung, dass die kaiserlichen Gesandten zu Rom die fraglichen
Breven selbst erbeten und deren Wortlaut genehmigt hätten,
richtig ist, können wir ohne Kenntniss ihrer Berichte, 2 )
1) Janssen IN, 556 berichtet auf Grund des Archivs zu Luzern,
da 88 die Werbung des Nuntius am 25. Juli erfolgte. Vgl. Viglius S. 77.
Danach erhielten die Kriegsräthe ein Schreiben aus Basel erst am
18. August, und Strassburg erfuhr erst August 16 die Vorgänge auf
dem Tage zu Baden. Nach L. Müller Nördlingen S. 57 ist von dem
päpstlichen Breve indessen schon in der Instruktion für die August 12
bis 14 zu pflegende Unterhandlung mit Nürnberg die Rede.
2) Maurenbrecher S. 106 verweist auf einen Bericht Vega's
vom 23. Juni und (Prosper S. Croce) schrieb Juni 22 an Cervino „speden-
dosi il corriere di S. M tä " ; in der That wäre es geradezu unbegreiflich,
wenn nach der entscheidenden Cardinalskongregation kein Bericht an
den Kaiser abgegangen wäre. Nach Verallo, Juni 29, wunderte man
sich am kaiserlichen Hofe, dass vom Cardinal Madruzzo, der, wie man
wusste, Juni 15 Mantua passirt hatte, noch keine Nachricht da war;
noch Juli 2'schrieb Verallo den Legaten nach Trient: „Hormai si passa il
tempo non senza dispiacere, che sino qui non sia venuto aviso di Roma
deir arrivo suo, ancorche si pigli tutto et vadasi interpretando a buon
fine," und an Cardinal Farnese: „Stando tanto a comparir lettere di
la con l'aviso deir arrivo del R mo C le di Trento et di quello che si
faccia, fa stare S. M 4i con tutta la corte malcontenta, vedendo che ne
da V. S ria 111. ne dallo ambasciatore Giovanni de Vega, ne
Digitized by
Google
•i\ Druffel: Beitr. z. militär. Würdigung des Sehmalkald. Krieges. 363
Dicht mit Sicherheit feststellen Unglaubwürdig ist es nicht
und ebenso hat die Behauptung Berechtigung, dass der
eigentliche Zweck des Krieges nicht leicht zu verdecken war,
wenn einmal, wie der Kaiser gewollt hatte, der Capitulations-
entwurf von den Cardinälen verhandelt und ein päpstlicher
Legat für das Heer aufgestellt worden war. 1 )
Bei weitem wahrscheinlicher ist die anderweitig auf-
tauchende Nachricht, dass die Protestanten durch Briefe
aus Rom von dem, was bevorstand, Kenntniss erhielten. So
berichtet eine wahrscheinlich im Juli 1546 veröffentlichte
Plugschrift: 2 ) „Ich höre sagen, es sei neulich ein brief von
Rom hieher kommen, darin aiu guter freund den andern,
oder, als mich gedünkt, ain sun den vater warnet, sich vor
der grossen künftigen gfärlichait zu versehen ; dann der, so
den brief geschriben wont zu Rom nit unter den minsten,
gleichwie der Nicodemus under den Phariseern und Pfaffen.
Das was der inhalt dises briefs : das Paulus der drit zu
Rom, jetzund bapst, und Carl der fünft, Römischer kaiser
sich zusamen verbunden , das sy wol gächling , so bald
immer möglich, ain gewaltig kriegsvolk zusamen bringen
und die Lutherischen überziehen, darzu nit an ainem, sonder
dal detto cardmale sia stata spacciato pur una staffetta". Erst Juli 4
berichtet er: „Hieri arrivorno le lettere di V. S ria lll ma et R ma di 28
del passato le quali communicai con S. M tä dopo presentate le altre che
andavano allei." Es scheint danach wirklich, als ob der Kaiser so lange
über das Ergebniss der Sendung Madruzzo's im Zweifel geblieben sei.
1) Depesche Farnese's vom 5. [nicht 15.] Februar, benutzt bei
Pallavicini Lib. IX, Capitel 3.
2) „Pasqvillus. || Der vertriben von || Rhom, so yetz und diser zeyti
in Teutschland im eilend 1 1 vmbzeucht 1 1 Durch Alphonsum Aemilium j
Sebastum erstlich inn Latein ge-|| macht, hernach in Teutsch 1 1 trans-
feriert wor- 1 1 den. u Der Pasquill bezeichnet die Cardinäle von Trient
und Augsburg als diejenigen, welche vorzugsweise den Krieg betrieben,
und lässt die Enttäuschung der Protestirenden über die Haltung des
Mainzer Erzbischofs erkennen
Digitized by
Google
364 Nachtrag zur Sitzung der hisior. Classe vom 4. Februar 1882.
an vilen orten mitainander angreifen. Zu welchem fürnemen
taab der bapst ain grosse summa gelts verhaissen, darzu so
nem man schon, in Welschland vil knecht an und darmit
man dest mehr knecht bekeme, so hat der bapst gnad und
ablass geben allen denen die wider die Lutherischen ziehen
wollen." Und weiter heisst es : „Es ist on zweifei aus für-
sehung Gottes geschehen, das die bündischen, welche man
protestierend mit ainem ehrlichen namen, aber die feind sy
der Lutherischen ketzerei patron und beschutzer nennen,
solche rahtschleg vernommen haben. Gar in wenig tagen
ist es in gantzem Teutschland erschollen, da fieng man
allenthalben an, von wegen die religion zu beschützen, umb
der liebe des vatterlands und die tyranney zu fürkommen,
umbzuschlagen und ward in ainer gar kurtzen zeit so vil
volks bestellt und zamen bracht, des die feind gar unmög-
lich zu sein vermeint hetten."
Auch aus anderen Nachrichten geht hervor, dass ziem-
lich gleichzeitig mit der, soweit der Kaiser in Betracht kam,
entscheidenden Sendung des Cardinais Madruzzo nach Rom
alle Welt darüber aufgeklärt wurde, dass der Krieg bevor-
stehe. Nicht bloss der Gesandte Cosimo's von Medici konnte
am 9. Juni melden, 1 ) dass der Cardinal den Krieg in der
Tasche habe, der päpstliche Nuntius zu Venedig, La Casa, 2 )
schrieb am 19. Juni an Farnese: „Man glaubt allgemein,
dass der Krieg gegen die Lutheraner unternommen wird ; u
die eilige Reise des Cardinais nach Rom bildete naturgemäss
einen Gegenstand des Gesprächs. Dass kurze Zeit darauf
ein Gesandter der Schmalkaldner in der Lagunenstadt ein-
traf, um die Signorie zu bestimmen, dem erwarteten Durch-
marsch des päpstlichen Heeres durch das Venetianische Ge-
1) Baum garten in Sybels Zeitschrift N. P. V, 178.
2) Ronchini Lettere (Thuomini illustri I, 665
Digitized by
Google
v. Druff el: Beitr. z. mUitär. Würdigung des SchmalkcUd. Krieges. 365
biet die Genehmigung zu versagen, *) berührte Karl V. nicht
etwa desshalb peinlich, weil er daraus ersah, dass die Prote-
stanten wussten, was man gegen sie im Schilde führte: was
ihn erregte, war die zweideutige Haltung, welche nach
seiner Meinung die Signorie solchen Anerbietungen gegen-
über beobachtet hatte. 2 )
1) Verallo berichtet Juli 18: Questa M** non ha sentito poco li
mali offitii di la da Venetiani et Francia, raa piü da Venetiani, come
da chi non Taspettava, et allo arrivo di maestro Aurelio [Cattaneo] non
restb di farne risentiraento alli oratori loro qui alle doi M**, che li
poveri magnifici restorno con un palmo di naso, et intendo li disse sin
a tanto che loro ne haveano dato aviso al Turco et rimandato indietro
quei chiaus, perche mandasse a tarbare in Ungria. Certo, che 1 ! tratto
non fu buono, qaando fasse cosi, ne cosi essa impresa lo meritava da
loro, se talhora non si fassero contentati con l'ambasciadore de 1 prote-
stanti, quäle doppo raolti consegli fatti pur 1 admisero, et horor 1 vi resta.
Vgl. über die Politik Venedigs gegenüber den Türken Ronchini 154
und 664.
2) Sleidan II, 477 erwähnt ein Schreiben der Schmalkaldner an
Venedig vom 21. Juni. Valerio Amanio, der von Pierluigi Farnese nach
Venedig abgeschickte Sekretair meldet Juli 31 : „Qua si trova un huomo
per li protestanti de 1 Luterani, il quäle ha fatta instanza efficacissima-
mente con questi signori Ill mi , che voglino servare neutralitade in la
impresa mossa contra di loro, et non dar passo ne vettovaglie all' esser-
cito di S. S^. Gli e stato risposto che, quanto al primo capo, essi
intendono d'esser neutrali, et che tanto piü volontieri useranno questa
neutralitä, quanto che ne fanno piacere a essi signori protestanti ; perö,
che al secundo capo, del negare il passo al predetto essercito, non puo-
teva il collegio solo determinar cosa alcuna senza communicarla con
altri signori gentilhuomini a chi si spetta et haverne la risolution loro.
Ma in tanto che la risolutione si e aspettata, 1' essercito e passato al
viaggio suo et alli 26 si trovava a Trento." Ronchini S. 155. Schon
hieraus geht hervor, dass die Anfrage vor dein 18. Juli erfolgte, wo
das Heer Venedigs Gebiet berührte. An diesem 18. Juli meldet nicht
bloss der Nuntius Verallo zu Regensburg, dass der Kaiser sich den Ge-
sandten Venedigs gegenüber scharf über die Signorie ausgelassen habe,
sondern es hatte auch Massarelli zu Trient ein Gespräch mit Mendoza,
der ihm aus einem kaiserlichen Briefe mittheilte: quod imperator con-
[1882. II. Phüos.-philol. hist. CL 3.] 25
Digitized by
Google
366 Nachtrag zur Sitzung der histw. Classe vom 4. Februar 1882.
Die von Avila und den Commentaires zur Erklärung
der im Beginn des Krieges so ungünstigen Lage des Kaisers
beigebrachten Gründe reichen, wie man sieht, nicht aus.
Baumgarten hat dieses richtig erkannt, und sich desshalb
nach weiteren umgesehen. Er meinte erstens, dass „der
Kaiser einen Faktor nicht in Rechnung gebracht habe, dass
nämlich der oberdeutschen Bevölkerung sich ein religiöser
Enthusiasmus bemächtigen werde, der alle seine klugen An-
schläge überall, mit einziger Ausnahme des steif
lutherischenund aristokratischen Nürnberg, 1 )
zu Schanden machte, seine Werbungen auf das empfind-
lichste hinderte, und mit fast beispielloser Geschwindigkeit
an der obern Donau ein Heer ins Feld stellte, das, ebenso
energisch benützt wie gesammelt, den Kaiser widerstandslos
nach Oestreich jagen konnte." Ohne die lebhaften Sym-
pathien für die evangelische Sache in den Reichsstädten zu
leugnen, möchte ich dagegen doch auf die Unterhandlungen
Augsburgs mit dem Kaiser und auf die Bemerkung Avila's
f. 6 hinweisen, wonach die Augsburger zu derselben Zeit,
wo sie schon unter die Waffen traten, den kaiserlichen
Commissaren unbeanstandet freien Durchzug gewährten. In
questus est cum oratore , Veneto Ratisbonae, quod orator Venetus Roraae
sit coactus persuadere pontifici, ne uniatur cum Caes. M. in hoc bello
contra Luteranos, 2) quod cadat suspicio Venetis ne pontifex et im-
perator hac belli occasione aliqua loca Venetorum surripere velint, 3) quod
admi8erint oratorem Luteranorum Venetiis, cui dixerint, ne timeant
bellum imperatoris, quia neque pontificis neque caesaris pecuniae hoc
bellum diu sustinere possunt, quare perseverent in suis opinionibus, quia,
sie perdurando per 4 menses, non deerunt, qui in sui favorem eis
cooperirentur." Der Kaiser befahl desshalb dem Mendoza, nach Venedig
zu reisen. Die Absendung des Schmalkaldischen Gesandten, von der in
den bisherigen Darstellungen des Krieges nicht die Rede war, dürfte
noch in den Juni fallen.
1) Nürnberg leistete den Schmalkaldnern Geldunterstützung, L.
Müller Nördlingen S. 57.
Digitized by
Google
v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmälkald. Krieges. 367
Augsburg x ) gewann indessen die Kriegspartei entschieden die
Oberhand, die Art aber, wie Schärtlin am 8. Juli 2 ) über
Kaufbeuren, Kempten und Memmingen 8 ) sich äussert, deutet
nicht darauf hin, dass diese Städte mit jubelnder Begeister-
ung für die Schmalkaldner thätig eintraten; sie hätten lieber,
wie auch Nördlingen, sich mit einer den Schmalkaldnern
wohlgeneigten Neutralität begnügt. 4 ) Und wenn man auch
1) Viglius Tagebuch S. 21 und 24. Der Nuntius hatte Juni 22
nach Rom berichtet: „In Augusta quelli cittadini, li quali governano,
erano discordi tra loro, perche parte voleva tener la parte di S. M* 4 ,
parte non. Impero con la venuta di questi loro ambasciatori, che sono
venuti oggi, si pensa che saranno d'accordo a prometter di non dar
aiuto a langravio et Saxonia, se S. Ces. M 4i l'assicura, che per conto
della religione non li molesti poi, il che non penso che S. M l * sia per
fare." Verallo gibt wieder, was Peutinger über das grosse Geschrei
der Papisten schreibt.
2) Herberger Schärtlins Briefe S. 79, 74.
3) Ueber Donauwörth berichtet der Nuntius Juli 22: Hieri sera
venne aviso, che rinimici haveano mandate doi bandiere a Tonavert, che
sta sol Danubio et e terra franca, con dire che non vogliono altro sinon
ruvinare un monastero che hanno, et alla citta faranno ottimi tratta-
menti ; la quäle, ancorche sino qua habbia fatto professione di Luterano,
non perö ha voluto admetterli, con dire che vuole essere obediente a S.
Ces. M**, la quäle e vero padrono loro, di modo che rinimici erano per
mandarvi anche 10 altre bandiere, et pensano di volerla pigliare per
forza, si non se li dara. Et in vero il luoco e importante per quel ponte
del Danubio per conto delle vettovaglie, che perö penso ci fara,nno ogni
opera per haverla." Die Stadt sandte ein Entschuldigungsschreiben an
den Kaiser. Steichele Bisthum Augsburg III, 728. Vgl S. 369.
4) Die Frage, welche Baumgarten, Sybels Zeitscb. XXXVI, 36,
aufwirft, ob des Kaisers ganzer Plan nicht vielleicht eine ganz andere
Gestalt gehabt habe, wird von ihm mit Recht nicht endgültig beant-
wortet. Dass der Gedanke, sich der Person der Schmalkaldischen
Bundesfürsten zu bemächtigen, falls dieselben nach Regensburg gekom-
men wären, ernstlich gehegt wurde, wird Niemand behaupten oder be-
streiten können, obgleich man sagen darf, dass Gewissensbedenken hiebei
nicht in Betracht gekommen wären. Vgl. S. 370. Weder der Bericht
Navagero's noch die von Baumgarten angeführte Stelle aus dem Gut-
25»
Digitized by
Google
368 Nacktrag zur Sitzung der kistor. Classe vom 4. Februar 1882.
zugeben wollte, dass die oberdeutschen Städte eine Thätig-
keit entfaltet hätten, welche der Kaiser nicht erwartete, so
ist andererseits zu erwägen, dass die schüchterne Haltung
des Pfälzischen Kurfürsten dafür dem Kaiser in eben so
überraschender Weise zu Gute kam. Ich möchte glauben,
dass man die „bewunderungswürdige Umsicht, mit welcher
der Kaiser seit einem Jahre Alles für den grossen Schlag
vorbereitet" ebenso überschätzt, als man wohl auch die Un-
klarheit, Unordnung, Unentschlossenheit seiner Gegner zu
einseitig betont. Der Eindruck, welchen eifrige Vertreter
des Religionskrieges im Jahre 1545 empfingen, als dieSchmal-
kaldner bei dem ersten Auftauchen des kaiserlich-päpst-
lichen Kriegsplanes schnell gerüstet waren und dann den
Herzog von Braunschweig niederschlugen, war zum Theil
ganz entgegengesetzt. 1 ) Man verzweifelte an der Möglichkeit,
achten des Beichtvaters dürften für beweisend gelten können. In dem
Textesabdruck bei Maarenbrecher wird S. 30* Z. 6 v. u. 'sin,' statt su,
zn lesen sein; S. 33* Z. 11 möchte ich lesen: „y estando la paz con
Francia vinaos que el luego queria dar todo esto, y lo tenia ya apare-
jado, quanto podia ser, quando fue Andelot."
1) Vgl. Druffel Karl V. und die Römische Curie II, 26, N. 41
und Massarelli bei Döllinger Ungedruckte Berichte I, 82 zu Juni 3:
„Essi Luterani han posto insieme presso il ducato di Wirtemberg da
20,000 fanti, ne si sa, per il che, solo per tm certo timor che hanno
preso deir andata di C le Farnese all' iroperatore, parendoli che, accor-
dati questi doi gran principi, facilmente potrebbono esser tolti alla
sprovista et superati. Cesare, dico, ne sta suspeso, non facendo per lui
pigliare alpresente le armi nelle mani in Germania, si perche vede
quelli principi molto discordi insieme, ne ha di chi si possa intiera-
raente fidare, si ancora che, ogni volta che si facesee guerra, li Luterani
possono a sua posta mettere insieme 40,000 fanti secondo la lor' lega,
et catholici non hanno i denari cola preparati et, trovati che fossero et
ragunati soldati, non potrebbono mai star riposati sopra a suoi, essendo
oggidi tanto la Germania infetta di Luteranismo, massimamente nella
plebe, che facilmente potria esser che, venendosi alli mani li catholici mede-
simi o, per dir melio, quelli che si chiamano catholici darebbero contra
Digitized by
Google
v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmcdkald. Krieges. 369
den Krieg zu unternehmen. Schon die Grösse des Unter-
nehmens an sich würde bei Karl V. das stete Zögern er-
klären, auch wenn er nicht genöthigt gewesen wäre, auf
die Wahrscheinlichkeit auswärtiger Verwicklungen so sehr
Rücksicht zu nehmen, als es der Fall war. Wie Karl sich
entschlossen hatte, stellte er seiner Schwester Maria aller-
dings in Aussicht, dass er mit dem Deutschen Unternehmen
zu Ende sein werde, bevor auswärtige Einmischungsgelüste
zu praktischer Bedeutung kommen könnten. 1 ) Sein Glück
wollte, dass Prankreich und Venedig wirklich ruhig blieben
und ihm von dieser Seite keine thatsächlichen Hindernisse
alli veri catholici, che Dio sa quanti ne sono al presente in Germania."
Der Cardinal Madruzzo führte Maasarelli gegenüber 1545 Aug. 31 ans:
„1 quali disegni non sa coroo boggidl si potessero piü mettere ad esse-
cutione, perche dapoi che, o per iraprudentia o negligentia o raalitia,
— che non voleva fargli il nome — la cosa non solo non si e fatta,
ma si e divulgata per tntto, i Lnterani si son* cominciati a roetter in
ordine et roettano tuttavia, della sorte che ognan' vede et dabita, si
roetteranno maggiormente con far* nn altra lega piü potente et piü
stretta di qnella che banno gia fra loro, dimostrando moversi solo dalla
liberta commune di Germania/ 1 Oktober 5 notirt Massarelli eine Nach-
richt vom Ol. Truchsess, dass manche Reichsstädte, Augsburg, Ulm,
Memmingen, Kempten [Woker druckt mit gewohnter Gedankenlosigkeit :
Ingolstadt!] nach Schmalkalden Truppen sendeten. Die Machtstellung
der Protestanten wurde auf katholischer Seite durchaus nicht unter-
schätzt ; der Beichtvater allerdings sucht die entgegengesetzte Anschau-
ung zur Geltung zu bringen und darzuthun, dass die Schmalkaldische
Kriegführung im ersten wie im zweiten Braunschweigischen Kriege
gleich erbärmlich gewesen sei.
1) Karl schreibt: „Et pouvez estre asseuree, que je n'adventureray
riens sans bon fondement ny plus avant que je verray estre bien a propos.
Et si je useray de teile dilligence et dexterite', que, quant ores
autres de dehors de la G<ermanie s'en voudroient mesler
pour lesdits desvoyez, et auroient le pouvoir de le faire, ils y viendront
trop tard et y pourront peu proufiter." Lanz II, 488. Baumgarten
weist mit Recht zur Vergleichung auf das Jahr 1866 hin, wo es Napo-
leon III. ebenso erging, wie damals Franz I.
Digitized by
Google
370 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
in den Weg gelegt wurden, aber seine Hoffnung, er wercje
der Königin bald gute Nachrichten schreiben können, wurde
trotzdem bitter getäuscht. Denn seine Gegner waren früher
als er im Stande,|mit einem Heere im Felde zu erscheinen ;
sie konnten zum Angriff schreiten, ehe auch nur irgend eine
Aussicht bestand, dass die päpstlichen Truppen hätten ein-
greifen können, und bevor Karls Deutsche Rüstungen ein
widerstandsfähiges Heer" zusammen gebracht hatten. Zur
Erklärung dieser Thatsache werden wir nicht mit den den
Kaiser verherrlichenden Darstellungen auf zufällige und
unberechenbare Umstände hinweisen dürfen; man wird be-
haupten müssen, dass die zögernde Unentschlossenheit des
Kaisers die Hauptursache war, durch welche die anfanglichen
Schwierigkeiten herbeigeführt wurden.
Dass diese günstige Lage von den Schmalkaldnern nicht
ausgebeutet wurde, das ist der zweite Punkt mit dessen
Erörterung sich die zeitgenössischen Schilderungen beschäf-
tigen. Die Commentaires, welche im Ganzen den Schmal-
kaldnern fünf Fehler vorrechnen, greifen mit dem ersten in
eine frühere Zeit zurück, indem sie tadeln, dass der Land-
graf von Hessen zu Speier im März 1546 sich nicht des
nur von schwachem Gefolge begleiteten Kaisers bemächtigt
habe, indem ihm die Bundesgenossen nicht die zu einem
solchen Handstreich erforderliche Reiterei gewähren wollten.
Karl V. gibt damit zu verstehen, dass er selbst vor einem
solchen Friedensbruch nicht aus Gewissensbedenken zurück-
gescheut wäre, l ) sondern nur die Frage der Zweckmässigkeit
für ihn in Betracht kam ; im Uebrigen aber kann dieser den
Schmalkaldnern gemachte Vorwurf vom militairischen Stand-
punkte nicht gewürdigt werden. Die beiden folgenden Fehler
dagegen, welche die Commentaires anführen, beziehen sich
auf die Art der Kriegsführung selbst. Nach Karls V.
1) Vgl. S. 367 Anm. 4.
Digitized by
Google
v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des SchmcUkald. Krieges. 371
Meinung hätte Schärtlin, statt gegen die Klause, gegen
Regensburg ziehen sollen, und hierin stimmt mit ihm Avila
überein. Die beiden Fehler, welche Avila ausdrücklich als
solche bezeichnet, werden von ihm gleich bei Beginn des
Feldzuges vorgefunden. Avila wollte erstlich den Marsch
Schärtlins gleich bei dem ersten Ausrücken von Augsburg
aus gegen Regensburg gerichtet wissen, und erklärt dann
dieselbe Massregel auch für den Zeitpunkt als richtig, wo
die Truppen des Landgrafen und des Kurfürsten an der
Donau eingetroffen waren.
Es muss auffallen, dass dieser Punkt bei den späteren
gegenseitigen Anklagen, welche nach dem ungünstigen Aus-
gang des ganzen Feldzugs die Führer der Schmalkaldner
unter einander austauschten, gar keine Rolle spielt. Ein
Gutachten der oberländischen Kriegsräthe, welches nach An-
kunft der norddeutschen Truppen den Marsch nach Regens-
burg befürwortet, ist allerdings vorhanden, 1 ) es ist indessen
auch sehr vorsichtig abgefasst und will keineswegs unbe-
dingt den Angriff gegen die Reichsstadt empfehlen. Erwägt
man die grosse Widerstandsfähigkeit, welche damals einer
hinreichend besetzten befestigten Stadt gegenüber einer Feld-
armee innewohnte, selbst wenn diese mit zahlreicher Artillerie
versehen war, so wird man wohl bedenklich werden, sich
dem Urtheile der Commentaires und Avila's ohne Weiteres
anzuschliessen. Man wird erwägen, dass es dem nachträg-
lich den Verlauf des Krieges überblickenden Feldherrn, wie
seinem Lobredner Avila ein sehr erwünschter Effekt sein
musste, wenn er sich vorstellte, dass er sich aus einer grade-
zu verzweifelten anfänglichen Lage emporgeschwungen und
durchgekämpft habe zum völligen Siege, Dank der eigenen
Standhaftigkeit und dem Schutze Gottes, der die Augen der
Feinde mit Blindheit schlug.
1) Hortleder Buch III Kap. 18.
Digitized by
Google
372 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4, Februar 1882.
Auch die erste der an die gefangenen Schmalkaldner
von Jovius gestellten Fragen bezieht sich auf das Unter-
lassen des Marsches gegen Regensburg. Aber Jovius fasst
einen andern Moment ins Auge, als die Commentaires und
Avila. Er fragt, warum man Regensburg nicht angegriffen
habe, nachdem Karl V. es verlassen hatte und nach Lands-
hut gezogen war. Jovius bezeichnet Regensburg als eine
Stadt, deren Treue gegen den Kaiser zweifelhaft, und die
von Besatzung entblösst gewesen sei. 1 ) Dass erstere Be-
hauptung richtig war, ergibt sich aus den anderen Quellen 2 )
auch, während in den Commentaires bezüglich der Stärke
der Besatzung behauptet wird, dass die Stadt wohl versorgt
und nach Viglius ein ganzes kaiserliches Regiment dort
zurückgelassen war. Unzweifelhaft war es aber leichter sich
der Stadt zu bemächtigen, wenn der Kaiser mit einer immer-
hin doch ins Gewicht fallenden Truppenzahl abwesend war,
als vorher, und begehrenswerth war deren Besitz in jedem
Falle, auch wenn es sich dabei nicht um die Person des
Kaisers drehte.
Mag über die militairischen Aussichten, welche bei Aus-
führung des Jovius'schen Vorschlages sich dargeboten hätten,
1) Cur est, quod caesare imparato et periculosa quadam necessi-
tate arma capere coacto cum e Ratisbona, non obscuro nie tu potius
quam certa ratione discederet, urbem dubiae fidei, nudatam praesidio
nee resistere paratam validis vestris exercitibus oecupandam non existi-
mastis? Aut, si hoc ad rationem avertendi et non inferendi belli per-
tinebat, cur continuo non perrexistis ad Landshutam et inde pulse caesare
et in interiora Bavariae se reeipere coacto, Italica auxilia ponti-
ficiorum et Hispanorum avertenda retro minime suseepistis, quod facile
factu videri poterat, quum oecupata in faueibus montium specula ad
Oeni usque pontem signa vestra sine periculo admovere possetis?
2) Vgl. Viglius S. 48. Näheres enthält eine von L. Hochwart
verfasste bisher nicht gedruckte Geschichte des Schmalkaldischen Krieges,
auf welche mich Prhr. v. Oefele aufmerksam gemacht hat, und von
welcher wir durch denselben hoffentlich bald Mittheilung erhalten.
Digitized by
Google
v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmdlkdld. Krieges. 373
ein Urtheil fast unmöglich sein, so ist des Jovius Frage
doch desshalb von grossem Interesse, weil darin als Ursache
des kaiserlichen Abmarsches offenbare Furcht bezeichnet
wird. Er theilt somit durchaus die Ansicht derjenigen,
welche denselben für des kaiserlichen Namens unwürdig
hielten. 1 ) Der Nuntius Verallo 2 ) berichtet Juli 25 dem
Cardinal Farnese von den verschiedenen Meinungen, welche
über diese längere Zeit erörterte Frage im kaiserlichen
Kriegsrath sich geltend machten: während die Einen sich
in der wohlversorgten Stadt angreifen lassen wollten, befür-
worteten die Andern, man möge vor Allem die Vereinigung
mit den aus Italien heranmarschirenden Truppen im Auge be-
halten, diesen entgegen ziehen. Längere Zeit schwankte
der Kaiser, bis dann die Entscheidung damit herbeigeführt
wurde, dass man, obgleich irrthümlich, den Uebergang des
1) Viglins S. 48.
2) „Le cose qnl stanno in termine, che si consulta quello habbia
da fare S. M** in caso che Tinimici le vengano a trovar qnl dove ata,
corae tatti li avisi confrontano; et il conseglio e diviso, perche nna parte
vorria, che S. M&, per mantener la reputatione, restasse in questa terra,
la quäle potra molto bene defendere d'ogni impeto con 16,000 over 1
18,000, che si truova; et altri vorriano che uscisse in carapagna, ad in-
contrar le nostre genti et poi cosi uni tarnen te fare ogni impresa. Non
so quello si determinaranno hoggi, certo e che l'inimici crescono in grosso
nnroero, et, per qoanto si pno fare iudicio, aspettano qnesti delle citta
unirsi con landgravio et duca di Saxonia, et cosl uni tarnen te venir a
qnesta volta, per fare nno delli doi effetti, cioe: per mettersi fra qneste
genti Alemane nostre et l'Italiani che vengono, per impedirli che non
si possano ghrotare, parendoli in quel caso di haver il gioco vinto, overo
mettere talraente in necessita Timperatore, che li facciano fare un'
accordo vitnperoso per lui, et al peggio che possano fare desegnano di
travagliarlo tanto che per qnesto anno li facciano perdere l'opere et le
spese, il che li potrebbe facilmente accadere qoando le nostre genti non
fnssero qnl tanto presto, come si spera. Et, per dir tntto, quando tntti
Tinimici saranno nniti, il che fra otto giorni potria facilmente essere,
faranno da 60,000 fanti et 7000 cavalli con 100 pewi d'artiglieria grossa. 14
Digitized by
Google
374 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
Schmalkaldischen Heeres auf das rechte Donauufer meldete,
wodurch die Verbindung des Kaisers mit dem päpstlichen Heere
bedroht erschien. Jetzt zog der Kaiser nach Landshut. 1 )
Warum die Schmalkaldner hier nicht angriffen, um
dann, nach Verjagung des Kaisers in interiora Bavariae, 2 )
durch Besetzung von Innsbruck den päpstlichen Truppen
den Vormarsch zu verlegen, ist der zweite Theil der ersten
Frage des Jovius. Hier befindet er sich in Uebereinstim-
mung mit den Commentaires ; AvHa lässt den Marsch des
Kaisers nach Landshut nur desshalb erfolgen, weil man
glaubte, die Schmalkaldner würden dorthin ziehen, und er
urtheilt, dass, von dem Zuge gegen Regensburg abgesehen,
sie nichts zweckmässiger es hätten thun können, denn so
würden sie den Kaiser in Regensburg von der Verbindung
mit den anrückenden anderweitigen Truppen abgeschnitten
haben. 3 ) Aus den Commentaires 4 ) ist zu ersehen, dass der
1) Viglius S. 61.
2) Auch in dem Briefe an Pierluigi ist von 'salvarsi in Baviera'
die Bede.
3) En este tiempo vino aviso a S. M ad , que los enemigos deter-
minavan de tomar a Lancuet . . . Y si esto ellos hizieran, despues de
la empresa de Batisbona no podian hazer cosa mas acertada, porque
pnestos alli, lo quäl facilmente pudieran ellos hazer, dexavan a. SS. M ad
encerrado en Batisbona, y ponianse en parte, que ninguna gente de la
que S. M ad esperava, aunque salieran de Tirol, pudieran legar a Batis-
bona, . . . y despues desto pudieran dexar aqoel lugar fortificado y
proveido, y bolverse sobre Batisbona, a donde, haziendo ellos esto,
pudiera ser que estuvieran los negocios de S. M** en ruines terminos.
Y por esto el [emperador] acordo de proveer a peligro tan evidente, y
con su persona ir a defender aquella tierra, a la quäl se ender e-
cava toda fa fuerca de los enemigos. Man wird zugeben, dass
die Stellung der Schmalkaldner in Landshut, so lange Ingolstadt und
Begensburg in Feindes Hand waren, sehr gefährdet gewesen wäre. Die
strategische Phantasie Avila's hat den Zweck, den Marsch des Kaisers
nach Landshut eher als eine Bewegung gegen einen vom Feinde be-
drohten Punkt, denn als Bückzug erscheinen zu lassen.
4) Commentaires S. 129.
Digitized by
Google
v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmdlkdld. Krieges. 375
Kaiser sich auch in Landshut in einer äusserst unbehaglichen
Lage befand, und, um die Schwäche seines Heeres gegenüber
der Ueberzahl der Feinde einigennassen auszugleichen, auf
Befestigung seiner Stellung bedacht war. Deutet dieses
auch auf die Absicht hin, sich dort zu halten, so wird man
doch nicht behaupten dürfen, dass der Kaiser im Falle eines
wirklichen Angriffs der Schmalkaldner es unbedingt ver-
mieden haben würde, den päpstlichen Truppen noch weiter
entgegen und sich damit vor dem Feinde zurück zu ziehen.
Wenn dies geschah, so konnte leicht ein Vormarsch der
Schmalkaldner diesen selbst eine gefährliche Lage bereiten.
Die zweite Frage des Jovius bezieht sich auf die Stel-
lung der beiden Heere am 23./24. August. „Warum — so
fragt er — habt Ihr mit Eurem zahlreichen Heere den bei
Neustadt die Donau überschreitenden Kaiser nicht angreifen
wollen, obgleich dessen Heer bei der Insel in drei Theile
zertrennt gradezu für eine Niederlage hergerichtet war?
Warum habt Ihr, obgleich Ihr in der Nähe und durch ver-
lässige Kundschafter unterrichtet wäret, Euch die Gelegen-
heit zu sicherem Siege aus den Händen entschlüpfen lassen? *)
In den kaiserlichen Geschichtsdarstellungen taucht dieser
Gedanke an die Möglichkeit eines feindlichen Angriffs nicht
auf; die Commentaires sagen vielmehr, dass dem Kaiser durch
die Nachlässigkeit Anderer eine Gelegenheit, dem Feinde
Abbruch zu thun, entgangen sei. 2 ) Avila sieht die Bedeu-
1) Cur est quod tantis subnixi copiis ad Neustatum transenntera
caesarem adoriri noluistis, quura circa insulam Danubii tripartitos eins
exercitus ad cladem eicipiendam expositus esse videretur, et vos in pro-
pinquo fidissimis exploratoribus freti paratae prope victoriae occasionem
e manibus emittere videremini?
2) Fante d'avoir ete adverti par ceux qui savaient ce qui se pas-
sait, et qui pouvaient et devaient l'instruire de l'avantage qu'il anrait
eu en attaquant les ennemia dana an lien si dlsavantageux pour eux,
il perdit nne excellente occasion; mais ce ne fnt point par sa faute.
Digitized by
Google
376 Nachtrag zur Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882.
tung des Flussüberganges darin, 1 ) dass der Feind von jetzt
an vorsichtiger geworden sei und den Entschluss des Kaisers,
eine Schlacht anzunehmen, erkannt habe. Nach Mocenigo 2 )
wurde der Flussübergang beschlossen, weil man so dem
feindlichen Heere, welches auf dem Marsche nach Regens-
burg war, den Rückzug abzuschneiden hofite, während die
Stadt gegen einen Angriff gesichert schien. In gleicher
Weise äussert sich Faleti. 8 ) Dieser rühmt die Geschicklich-
keit und Schnelligkeit, mit welcher der Brückenschlag und
der Uebergang des Heeres bewirkt worden sei, ohne dass
der Feind irgend Schwierigkeiten in den Weg gelegt habe.
Vergleichen wir mit diesen Darstellungen die Korrespon-
denzen Gryn's, 4 ) so zeigt sich, dass drei Tage vergingen,
1) Esta passada fue de grandissima importancia, porque, demas de
hazer al enemigo que anduviesse mas recogido que hasta alli, y no tan
senor de la campafSa como avia andado, fue mostralle que se llevava
determinacion de combatir con el, — quando el lugar lo permetiesse.
2) Fiedler S, 91; Z. 13 v. u. lese ich: poco lontano, S. M^
deliberö/
3) S. 93.
4) Gryn schreibt August 22 aus Neustadt: „S. M. hat mich aus
dem veld hiher gejagt, zu sollicitiren, damit die brücken allhie aufs
furderlicbist gemacht ward; das hab ich mit höchstem vlais gethuen.
Dan je er diesselb brücken gemacht, je er kombt das volk, das sich
warlichen ganz ybel leider bellt, aus dem land." August 23: „So bat
man dise ganze nacht an der brücken zn der Neustat gearbait und da-
neben die schefb rucken zu schlagen ungefangen, also, wan soliche brücken
gemacht, so wollen wir von stund an hinüber rucken und inen nach-
ziehen, und inen die profant aus Schwaben und dem stift Eystat ab-
strecken, und inen, sie ziehen, wo si wollen, nachrucken. Also wollen
wir, alsbald die brücken gemacht, hinüber rucken, und ist unmuglich,
das sie [der Feind] so bald herüber zihen, das sie uns weren mögen,
die brücken zu machen.' 4 August 24: „An gestern sind fast alle häufen,
der Teutsch, Italianisch und Spanisch zu fues, sambt den ringen pferden
und zwelf stuck des ringen veldgeschutz herüber komen. So zeucht der
ander reisig sambt dem grossen geschutz rar und rar auch heryber;
dan sambt der brücken, die man wider gemacht, bat man ein schiff-
Digitized by
Google
v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 377
ehe der Uebergang bewerkstelligt war. Am 22. August
war Gryn bereits nach Neustadt geschickt worden, um den
Brückenbau zu betreiben, man arbeitete die ganze Nacht an
der Herstellung der Brücke, sowie der Schiffbrücke, «aber
am 23. kam nur ein Theil des Fussvolks mit etwas leichter
Reiterei und 12 Geschützen herüber; den ganzen folgenden
Tag dauerte es, bis das gesammte Heer auf dem linken Ufer
ankam; erst für die Mitternacht 24/25 konnte man den
Weitermarsch ins Auge fassen, und da zeigte sich, dass
es zu spät sei. Indem sich an den Uebergang kein
unmittelbarer taktischer Erfolg anschloss, der sich nur
bei ausserordentlicher Schnelligkeit hätte erreichen lassen,
muss das Urtheil über des Kaisers Massregel ungünstig
lauten, wie denn der Kaiser selbst au den Herzog von
Baiern schrieb, *) er wäre ebenso gern auf dem rechten
Ufer verblieben, auf welchem die Trains nach Ingolstadt
weiter marchirten. Es war jetzt nichts anderes erreicht, als
dass der Kaiser mit seinem schwächeren Heere dastand,
das Neustädter Defiläe im Rücken, dass er den Weitermarsch
nach Ingolstadt ausführen musste, die Donau in der linken
Flanke. Man begreift, dass an diesem Punkte die Kritik
des Jovius einsetzt: denn, obgleich Gryn am 23. August
versprochen hatte, der Brückenbau werde vollendet sein,
bevor der Feind angreifen könne, und nirgends sonst, weder
auf kaiserlicher noch auf Schmal kaldischer Seite, während
des Ueberganges der Gedanke auftaucht, die Schmalkaldner
brücken daneben geschlagen, also das in wenig stunden das ganz hör
allhie bei einander sein wirdet. August 25: So ist gestern zu mittag
die Kai. M. entschlossen gewest als heut zu mitternacht auf zu sein und
inen, den Lutherischen, vor zu komen. Dann darvor haben wir mit
fueg nicht verrücken mögen, dieweil das ganz kriegsvolk nicht herüber,
dan erst gestern gegen der nacht samht dem grossen geschutz volliglich
komen haben mögen/*
1) Druffel Beitr. z. Beichageachichte Nr. 39.
Digitized by
Google
378 Nachtrag zur Sitzung der kistor. Classe vom 4. Februar 1882.
könnten angreifen, so ist doch unzweifelhaft, dass der Ueber-
gang des Kaisers über die jedem Angriffe offen stehenden
Brücken bei Neustadt,, anstatt bei Ingolstadt, sein Heer
während längerer Zeit in eine äusserst gefährdete Lage ver-
setzte. Fraglich ist nur ob, wie Jovius behauptete, die
Schmalkaldner wussten, was vorging, oder ob sie bloss den
Vorwurf verdienten, nicht unterrichtet zu sein. Wir wissen
nicht, was die von Jovius befragten Fürsten antworteten,
über ihre damaligen Pläne und Absichten könnte uns nur
aus Schmalkaldischer Quelle Aufklärung werden.
An die durch den Donauübergang herbeigeführte schwie-
rige Lage des kaiserlichen Heeres knüpft Jovius nun die
dritte Frage an: „Warum habt Ihr den nach Ingolstadt
eilenden Kaiser, wie er an einem offenen, freien, unbefestig-
ten Platze übernachten musste, weder bei Tage während
des Marsches, noch bei Nacht, als er sein Lager noch nicht
befestigt hatte, angegriffen, obgleich man meinen sollte, dass
Ihr, die Ihr an Reiterei und Fussvolk, durch Kennthiss der
Oertlichkeit und die Zuneigung der Bevölkerung weit über-
legen wäret, die Gelegenheit zu einer herrlichen Waffenthat
gehabt hättet? 1 )
Es war die Folge des Ueberganges auf das rechte
Donauufer, dass nun des Kaisers weiterer Vormarsch nach
Ingolstadt mit grossen Gefahren verknüpft war. Selbst
Avila urtheilt: „Bessere Einsicht vorbehalten, will es mir
scheinen, dass der Feind, wenn er damals vorgegangen wäre
und uns unterwegs angegriffen hätte, uns in grosse Gefahr
gebracht haben würde, obschon der von dem Kaiser zur
Schlacht ausersehene Platz sehr günstig war.* 4 Aus allen
1) Cor caesarem ad Ingolstadium properantem et piano apertoque
in loco sine munitione pernoctare co actum, vel interdiu in itinere vel
noctu nequaquam munitis castris, non invasistis, quam, equitatu pedi-
tatuque, locorum notitia et incolarum dubio studio firmiores, praeclari
omnino facinoris edendi facultatem habuisse iudicaremini?
Digitized by
Google
v. Druff eh Beitr. z. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 379
Nachrichten geht hervor, dass der Marsch, welcher in Schlacht-
ordnung vorgenommen werden musste, die Truppen unge-
mein anstrengte, und dass die Heeresleitung darüber unsicher
war, ob man in einem Tage nach Ingolstadt rücken oder
in Mehring Etappe machen sollte. *) Der Nachtmarsch,
durch welchen man schliesslich die Stellung bei Ingolstadt
einnahm, hatte zur Folge, dass das Heer in schlimmer Ver-
wirrung an seinen Lagerplatz gelangte.
Schwieriger, ja unmöglich, ist es sich ein Urtheil zu
bilden über die Berechtigung der weiteren Frage des Jovius,
warum die Schmalkalduer sich bei Ingolstadt mit einer Ka-
nonade begnügten, und nicht zum Angriff auf das nur
unzureichend befestigte Lager vorgingen. 2 ) Schon in einem
früheren Briefe an Pierluigi Farnese hatte Jovius 8 ) geäussert,
dass Schärtlin's Vorschlag, anzugreifen, die Schmalkaldner
zum sichern Siege habe führen müssen. Unzweifelhaft ist
nur, dass das Unterbleiben des Angriffes und der schliess-
liche Rückzug der Schmalkaldner in der öffentlichen Meinung
für diese nachtheilig wirken mussten.
1) Vgl. Viglius S. 80.
2) Cur ultima die Augusti, quum inusitato audaciae militaris iin-
petu castra caesaris borribili tormentorum procella pene obruistis, muni-
tiones bostium, vix mediam aequantes tibiam praerumpere dubitastis,
quando hostis, in suramo periculo terrefactus, omnibus rebus inferior
esse putaretur?
:J) Cbi havrebbe creduto che dopo Tassalto d'Ingelstadt, non havendo
saputo dar dentro a certa vittoria, come voleva Sebastian Certelin, che
almeno si fosse risoluto d'andare contra di Burra, il quäle inferior di
gente in campagna restava senza dubbio o rotto o mandato a dietro in
fuga necessaria? L. Domenichi Lettere volgari di Mons. Paolo
Giovio, Venetia 1560, f. 24. Christof Arnold schreibt November 26 an
den Pfalzgrafen Ottheinreich: „Das der kaiser vor Inglstat geschlagen
wecden mögen und in seinem leger unwidersprecblich sei, das waist
man, das aber seidher die angezogen red geschehen soll sein, davon hab
ich nichts gehört. 44 Vgl. S. 383.
Digitized by
Google
380 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
In Uebereinstiinmung mit Avila und den Commentaires
tadelt Jovius in der 5. Frage, dass die Schnialkaldner am
13. September sich nach Donauwörth zurückzogen, anstatt
sich in Neuburg 1 ) zu behaupten, dessen Vortheile Avila mit
Lebhaftigkeit preist. Dass dies ein bedenklicher Punkt für
den Ruhm Schmalkaldischer Kriegführung war, scheint auch
aus einem Briefe des Landgrafen Philipp an Margaretha
von der Saal 8 ) hervorzugehen, worin derselbe einer un-
günstigen Deutung der bevorstehenden Meldung von der
Einnahme Neuburgs vorbeugt, indem er die, so viel wir
sehen, durchaus unwahre Behauptung aufstellt, dass Statt-
halter und Regenten selbst gerathen hätten, Neuburg nicht
zu vertheidigen ; in deren Schreiben werden in Wirklichkeit
ernstliche Klagen laut, 8 ) weil die Schnialkaldner ohne Noth
Neuburg im Stiche gelassen hätten. Gleiche Bewandtniss
hat es mit der Zusicherung, dass man die Stadt leicht
wieder einnehmen werde, wie dies der Landgraf in demselben
Briefe glauben machen will.
Für Jedermann handgreiflich ist der sechste Fehler,
auf welchen Jovius verweist, dass nämlich die Schmalkaldner
den Vortheil der inneren Linie nicht ausbeuteten, um ent-
weder Büren oder den Kaiser getrennt zu schlagen. 4 ) Jovius
1) Vgl. Viglius S. 109. Cur est quod Neuburgum, quum valido
praesidio munire aut certe relinquere possetis, id hostium praedae relin-
quistis? Nam ad existimationem vestri nominis pertinebat id vali-
dissirae tutari aut, postquam eo duxit hostis, universae pugnae aleara
subire, ne in conspectu ea calamitas acciperetur.
2) Duller Neue Beiträge z. Gesch. Philipps des Grossmüthigen
S. 61: „Ob ein geschrei kerne, das Neuburg, das H. Ottheinrichs ist,
gewonnen wer, darauf ist nit zu rechnen; dann wir haben's nit ver-
sehen mögen, on grossen verlust, wie die Statthalter selbst geratten;
ist woll wieder ingenommen und habben's mit unserra willen aufgeben.
3) Viglius S. 111 fg.
4) Cur adventantem comitem de Buren Rheni transitu prohibenÜum
non putastis? Aut postquam ille amnem impune traiecit, cur nobile
Digitized by
Google
r. Druff et: Beitr. z. vüJitär. Würdigung des Schmalkafd. Krieges. 381
weist darauf hin, dass man nicht hätte fürchten sollen, der
Kaiser könne ihrem Heere nachrücken; Büren's ermüdetes
Heer habe man mit frischen Truppen jeden Augenblick an-
greifen können. Auch diesen Punkt hatte Jovius bereits in
dem Briefe an Pierluigi Farnese als unbegreiflichen Fehler
bezeichnet 1 ); er wollte die lahmen Entschuldigungen, welche,
nach Strozzi's Bericht, der Landgraf vorbrachte, nicht gelten
lassen, und er hatte darin unzweifelhaft Recht, falls derselbe
nichts anderes vorzubringen wusste, als dass er keinen An-
griffskrieg habe führen wollen, und dass er geglaubt habe,
das deutsche Klima würde den Spaniern und Italienern noch
verderblicher sein, als es in der That der Fall war.
Die Frage, mit welcher Jovius schliesst, bezieht sich
auf den bereits oben erwähnten Vorgang vom 4. Oktober 2 );
seine Ansicht stimmt mit der des Viglius überein : er meint,
dass ein Angriff auf die feindliche Nachhut deren Vernich-
tung herbeigeführt hätte. Die weiteren Fälle versäumter
militiaeque necessariüm consilium non sumpsistis aut occupandi cae-
saris, priusquam Burensis auxilia supervenirent, aut, Ulma Augustaque
mediocri praesidio firmatis, com numero copiarum superiores haberemini,
cum Bura in itinere confligere minime statuistis, quandoquidem vobis
facultas perampla relinqueretur, aut ex aequo confligendi cum caesare,
si V08 adver8U8 Burram properantes temere in sequi vellet, aut delendi
Burrae patentibus in campis, si vestris recentioribus et validioribus
copÜ8 longo itinere fessus occurreret.
1) Certo queste sono pur state espresse venture di cesare, ancorche,
come dice lo Strozzi, langravio vada giustificando Tattioni sue, poiche,
come reo et non come attore, faceva la guerra, et non credendo che
Italiani et Spagnuoli y potessero sopportar tanto il freddo cielo di Lamagna.
2) Postremo, cur est quod Norlingae praesidio ire contendentes,
ne id oppidum praeoccuparetur a caesare, usque adeo postremum vestro-
rum agmen a primo disjunctum properandi causa reliquistis, ut, si caesar
id invadi urgerique perraisisset, alacri praesertim expeditoque eius exer-
citu, ad navandam operam facile concidi delerique potuerit, priusquam
a primis agminibus a Milium ferri posset, quod fossa intercideret, quae
in regressu vestris non sine perturbatione ordinum transeunda videretur.
[ 1 882. IL Philos.-philol. bist. Cl. 3.] 2ß
Digitized by
Google
382 Nachtrag zur Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882.
Gelegenheit, welche bei Avila und in den Commentaires
aufgeführt werden, hat er nicht berücksichtigt. Letztere
behaupten, bei dem Marsche des Kaisers nach Donauwörth,
Oktober 11, habe sich eine gute Gelegenheit für einen Angriff
den Schmalkaldner geboten ; der Landgraf entschuldigte sich
mit einem Nebel, der ihn hinderte, des Kaisers Fortrücken
rechtzeitig zu bemerken. Dieselbe Ausrede brauchte er bei
Gelegenheit des kaiserlichen Marsches von Suntheim nach
Lauingen, Oktober 31, während Avila hier eine Masse von
Gründen anführt, warum die Schmalkaldner hätten schlagen
sollen, die Commentaires dagegen die Meinung aussprechen,
jene hatten es wohl aus Gründen, die ihnen triftig erschienen,
unterlassen. Nach dem Berichte des Bairischen Agenten im
kaiserlichen Hauptquartier, Bonacorsi Gryn, wurde der Rück-
zug nach Lauingen vom Kaiser vorgenommen, um die Schmal-
kaldner aus ihrem befestigten Lager und zu einer Schlacht
zu verlocken. Indem dieses Schreiben verfasst wurde, als
der Marsch nur geplant, aber noch nicht ausgeführt war,
ist die Möglichkeit ausgeschlossen, dass man im kaiserlichen
Hauptquartier sich nicht darüber klar gewesen wäre, es
könne während des Marsches ein Angriff erfolgen. Wenn
man einem solchen also offen ins Auge sah, kann man doch
unmöglich gemeint haben, dabei geschlagen zu werden.
Nur in der Ausführung des Planes vorgekommene Fehler
und Nachlässigkeiten, von denen Avila aber nichts sagt,
könnten Avila's Urtheil rechtfertigen. In ähnlicher Weise
sprechen sich die Commentaires und Avila, erstere vorsich-
tiger, der letztere bestimmter, auch dahin aus, dass die
Schmalkaldner bei dem erneuten Vormarsche des Kaisers
in das Lager bei Wittislingen hätten angreifen sollen. Avila
führt aus, dass die durch das Terrain gebotene Trennung
der kaiserlichen Reiterei von dem Fussvolk und der Artillerie
dazu besonders hätten einladen müssen.
Digitized by
Google
v. Druffel: Beitr. z. militär. Würdigung des Schnudkald. Krieges. 383
Auf alle diese Urtheile werden wir nicht zu grosses
Gewicht legen dürfen. Wie man auf der kaiserlichen Seite
über die andauernde Thatenlosigkeit unzufrieden war, und
desshalb einestheils die eigene Heeresleitung, anderentheils
aber auch die Muthlosigkeit des Feindes anklagte, der, selbst
wenn sich ihm eine vorteilhafte Gelegenheit dargeboten,
diese nie benutzt habe, so wurde in gleicher Weise auch
in dem Schmalkaldischen Heere — man verstatte den Aus-
druck — raisonnirt, sowohl über den Kaiser, der sich hinter
seine Schanzen verkrochen, als über den Landgrafen, der
einem Gefechte stets ausgewichen sei, jede gute Gelegenheit
leichtfertig vorüber gelassen habe. Man kann dies aus dem
Schreiben Philipps von Hessen an die Kriegsräthe ersehen.
Eine ähnliche Bedeutung hat auch vielleicht die öfter wieder-
holte Behauptung des Kaisers bezüglich der durch seine
Massregeln den Schmalkaldnern dargebotenen Einladung
zu einem Kampfe unter für die Letzteren günstigen Verhält-
nissen. Keine Truppe, welche thatenlos unter schweren
Entbehrungen im Felde liegt, wird durch das Bewusstsein,
dass der Feind noch schlimmer dulden müsse, sich befriedigt
fühlen ; es wird sich der Drang geltend machen, auch wirklich
einmal zum Schlagen zu kommen und von dem Feldherrn
verlangt man, dass er nicht allzu ängstlich dem offenen Kampfe
ausweiche. Die Commentaires und Avila geben daher zu
verstehen, dass es an den Schmalkaldnern lag, wenn diese
die von dem Kaiser dargebotenen Gelegenheiten nicht aus-
beuteten, während der Kaiser stets bereit gewesen sei, dem
Feinde, selbst unter minder günstigen Umständen, ent-
schlossen die Stirn zu bieten. So sprach man schon, wäh-
rend der Krieg noch im Gange war: Nach einem Schreiben
des Pfalzgrafen Ottheinrich vom 16. November sollte der
Kaiser geäussert haben, „die protestirenden hätten ihn drei-
mal also gehabt, dass, wo sie fortgedruckt, ine wol slagen
26*
Digitized by
Google
384 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4, Februar 1882.
inögen, aber, dieweil es nit geschehen, hoffte er zu Gott,
es solle inen nimmer so gut werden." *)
Wie von Anfang des Krieges an von kaiserlicher Seite
eine kräftige Kriegsführung in Aussicht gestellt wurde, und
man sich in dieser Beziehung stets mit neuen Plänen be-
schäftigte, oder zu beschäftigen vorgab, so hören wir auch
noch aus den letzten Tagen vor dem Abzüge des Schmal-
kaldischen Heeres, dass der Kaiser sich einer anderweitigen,
das feindliche Lager beherrschenden Stellung habe bemäch-
tigen wollen, um so eine Entscheidung herbeizuführen. In
den Commentaires und bei Avila wird dieser Plan erörtert,
und auch bei Viglius wird zum 16. und 19. November
notirt, dass der Kaiser mit dem Lager vorrücken wollte, in
den Commentaires allerdings auch hinzugefügt, dass die
Ungunst des Terrains die Ausführung unmöglich gemacht
habe. Indem dann auf die freiwillige Ergebung Nördlingens
und damit auf die Möglichkeit, dem Gegner die Zufuhr ab-
zuschneiden, sich Aussicht eröffnete, wartete der Kaiser
wieder zu ; er blieb der Herr der Lage, indem er beide Wege
einschlagen konnte. In Wirklichkeit betrat er keinen von
beiden, und als die Schmalkaldner wirklich abzogen, wurde
zwar das kaiserliche Heer durch Märsche angestrengt, aber
dem Feinde kein Nachtheil zugefügt, indem, nach Viglius
Bericht, der Herzog von Alba den Angriff auf den folgenden
Morgen verschob, weil der Feind bereits umzingelt sei, wie
er irrthümlich behauptete. So wurde der strategische Sieg,
welcher dem Kaiser durch den Abmarsch des Feindes zu
Theil wurde, nicht von einem taktischen Erfolge begleitet,
welchen man doch zu erreichen versucht und welchen her-
vorragende Führer bei richtigem Vorgehen als gewiss an-
gesehen hatten. Avila bietet bei dieser Gelegenheit seine
ganze Beredsamkeit auf, um darzuthun, dass der Kaiser
1) Pfalz. St. A. 543/3, 516.
Digitized by
Google
v. Dru/fcl: Beitr. z. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 385
unbedingt auch unter ungünstigen Verhältnissen dem Feinde
gefolgt wäre, wenn nicht die Rücksicht auf die grossen
Verpflegungsschwierigkeiten dies als völlig unmöglich hätte
erscheinen lassen.« Er versichert, dass der Kaiser während
des ganzen Feldzuges nicht bloss keine Gelegenheit gehabt
habe, mit Vortheil, sondern keine, überhaupt zu schlagen,
erörtert dann aber weiter, dass es ihm zweifelhaft sei, ob
man eine sich darbietende Gelegenheit mit Rücksicht auf
die Zweifelhaftigkeit des Kriegsglücks hätte benutzen sollen,
und preist schliesslich den Ruhm eines unblutigen Sieges,
dessen Verdienst ausschliesslich dem Feldherrn zukomme,
während an einem blutigen die Tapferkeit der Soldaten
ihren Antheil beanspruchen könne. Nach den Commentaires
war es die Beharrlichkeit des Kaisers, welche entgegen der
allgemeinen Ansicht das Heer zusammen hielt, als man bei
elendem Wetter in dem Lager bei Lauingen lag; und nach
dem Abzug der Schmalkaldner beharrte er auf dieser seiner
Meinung, da er einsah, dass man sonst die Frucht des bis-
herigen Erfolges aus der Hand geben werde, und weil er,
wie behauptet wird, die Hoffnung hegte, er könne doch
noch einmal durch einen Marsch während einer Winternacht
dem Feinde auf den Leib rücken und denselben bei Tages-
anbruch dann angreifen. Gerade diese Bemerkung zeigt,
dass die Ausführungen Avila's über das Verdienst des un-
blutigen Sieges bei dem Kaiser selbst keine Wurzeln ge-
schlagen hatten. Ebensowenig entsprachen seinem inneren
Sinne die Redensarten Godoi's über die goldenen Brücken,
welche man dem abziehenden Feinde nach des grossen Co-
lonna Grundsatz bauen müsse, wenngleich er natürlich ganz
damit einverstanden war, dass diensteifrige Schriftsteller
diese Beurtheilung des Feldzuges zu vertreten unternahmen,
und die ruhige, zielbewusste und zugleich umsichtige Be-
harrlichkeit priesen, welche der Kaiser in allen Gefahren
bewiesen habe,
Digitized by
Google
386 Nachtrag zur Sitzung der histor. Clässe vom 4. Februar 1882.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass nach einer zwar
um mehrere Jahre später auftauchenden aber doch vielleicht
gut unterrichteten Quelle der Entschluss, die Truppen zu-
sammenzuhalten und sie nicht in Winterquartiere zu ver-
legen, nicht auf den Kaiser selbst zurückzufuhren ist, sondern
vielmehr auf den Rath seines Beichtvaters Soto. „Während
der Kaiser zwischen Dillingen und Lauingen lag — so erzählte
im März 1555 der Anonymus — ging der Kaiser zu Rathe,
ob es sich empfehle, jetzt das Heer in die Winterquartiere
zu vertheilen und einen Theil zu verabschieden. Granvella
nämlich rieth, dass man es entlasse und nach Ulm, Augs-
burg und anderen benachbarten Städten und Ortschaften
ins Quartier verlege, und viele andere waren derselben An-
sicht, zu welcher sich auch der Kaiser hinzuneigen schien,
besonders weil, wie er sagte, es ihm an Geld fehle, um das
Heer länger zu unterhalten; es widersetzten sich nur Ca-
staldo und der Cardinal Truchsess. Dieser bemühte sich,
dem Kaiser klar zu machen, dass Sieger sein werde, wer
am längsten mit dem Heere aushalte, und dass man auf die
Auflösung des Heeres der Lutheraner innerhalb 20 Tagen
hoffen dürfe. Der Kaiser beschloss, hierin das Gutachten
seines Beichtvaters Bruder Pedro Soto einzuholen, welcher
sich nach Dillingen begeben hatte und so schwer krank
war, dass man ihm die letzte Oelung gereicht hatte. Dieser
beschloss, durch den vom Kaiser geschickten Boten zu ant-
worten: er rathe und ermahne den Kaiser, beharrlich mit
dem Heere im Felde zu verbleiben, in kurzer Frist hoffe er
den Kaiser als Sieger zu sehen. So entschloss sich Karl
zu bleiben und das Heer nicht zu theilen oder zu entlassen.
Soto erwähnte mir gegenüber, dass er sich anfänglich ge-
wundert habe, wie der Kaiser ihn, einen Mönch, in Kriegs-
angelegenheiten um Rath bitten Hess, aber Gott habe ihm
die Gnade erzeigt, dass er so dem Kaiser einen Rath er-
theilen durfte, der sich zweifelsohne als nützlich erwies,
Digitized by
Google
i\ Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des Schmolkald. Krieges. 387
Denn ehe 14 Tage vergingen, erhielt Johann Friedrich Nach-
richt von dem Einfall des Römischen Königs und des Moriz
in sein Land und dass dort alles drunter und drüber gehe,
so dass er sich zum Abmarsch entschloss, um sein Land zu
vertheidigen , wodurch sich dann das ganze Lutherische
Heer auflöste l ) und der Kaiser Herr im Felde blieb, ohne
dass jedoch dessen Reiterei, die beständig dem Feinde auf
den Fersen war, demselben einigen Nachtheil zufügen konnte."
In diesem Bericht fallen einige nebensächliche Punkte
auf: die Verlegung der kaiserlichen Truppen nach Ulm
und Augsburg war doch unmöglich, da sich diese Städte
damals noch nicht unterworfen hatten, die Mittheilung über
die Verfolgung der kaiserlichen Reiterei ist ungenau. Das
sind indessen Dinge, welche leicht durch den Berichterstatter
ungenau aufgefasst werden konnten; sie kommen nicht in
Betracht für den eigentlichen Kern der Erzählung über den
Einflus8 des Beichtvaters. Dass dieser eine bedeutende Rolle
spielte, stets zum Kriege drängte, ist mannichfach bezeugt.
Wenn man auch absieht von der in dem gleichen Schrift-
stück auftretenden Behauptung, dass Soto schon im Jahre
1544 dem gegen Frankreich gerüsteten Kaiser den Rath
gegeben habe, sich mit Frankreich zu vertragen und sofort
gegen die überraschten Lutheraner zu wenden, so erkennt
man den Einfluss des Beichtvaters aus dem zur Verbrennung
bestimmten Schreiben des Erasso an Cobos, welches Mauren-
brecher aus Simancas mitgetheilt hat. Und dass nicht bloss
vor dem Kriege der Beichtvater die Rathschläge Granvella's
bekämpfte, welche auf friedliche Verständigung abzielten,
sondern dass er auch während des Feldzuges eine einfluss-
reiche Rolle spielte, sieht man aus den Berichten des
Nuntius Verallo. Wegen der Krankheit Soto's hegt er die
Besorgniss, dass es ihm nicht gelingen werde, die von dem
1) Statt 'chiuse* ist 'sciolse' zu lesen ; S. 384 Z. 4 statt c cosa lies 'scortica.'
Digitized by
Google
388 Nachtrag zur Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882.
Kurfürsten von der Pfalz versuchte Aussöhnung mit dem
Kaiser zu hintertreiben. Er beklagt die Krankheit des
Mannes, weil derselbe zu allem Guten so dienstbereit sei,
d. h. weil derselbe sich jedem auf Duldung abzielenden
Schritte des Kaisers mit Eifer widersetzte.
Als Ergebniss unserer Untersuchung werden wir hervor-
heben dürfen, dass die schmeichlerischen Lobeserhebungen,
welche Jovius dem Kaiser in seinem Briefe an Castaldo
spendete und die von dort in die offizielle Geschichtschreib-
ung ihren Weg gefunden haben, nicht die wirkliche An-
sicht des Italienischen Humanisten wiedergeben. Vielmehr
hatte dieser sich die Ueberzeugung gebildet, dass schwere
Fehler der kaiserlichen Kriegführung nachzuweisen waren,
wie er dieses in einem Briefe aus dem December 1546 an
Pierluigi Farnese ausspricht, von welchem bereits oben die
Rede war. Er schreibt: „Diese unerhörten und mühelosen
Erfolge des Kaisers gegen die Deutschen lassen Jedermann
glauben, dass die Göttin Fortuna ihm in feiner Arbeit die
schöne Monarchie herrichte, welche kluge Leute, die die
Gelegenheit zu ergreifen wissen, herbeisehnen ; um die Wahr-
heit zu sagen, wer hätte geglaubt, dass König Franz, wie
er die Kanonade von Ingolstadt hörte, ruhig bleiben und
sich die Hoden in Rosenwasser baden würde, nachdem der
Kaiser unüberlegt und zu einer für das Kriegführen unge-
eigneten Zeit sich in diesen Krieg eingelassen hatte, ohne
sich mit Frankreich zu verständigen, zumal da dieses mit
England Frieden geschlossen hatte. Wer hätte je geglaubt,
dass der Landgraf nach Füssens Einnahme nicht nach
Regensburg gegangen wäre und auch die zweite Gelegenheit
versäumt hätte, nach Landshut zu gehen, wodurch er die
Italiener und Spanier fern gehalten und den Kaiser ge-
zwungen hätte, sich nach Baiern zu retten? Wer hätte es
für möglich gehalten, dass er, nach dem Treffen zu Ingol-
stadt, wo er nicht, wie Sebärtlin gewollt, den sicheren Sieg
Digitized by
Google
r. Druffcl: Beitr. z. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 389
zu ergreifen gewusst, sich nicht mindestens dazu entschloss,
gegen Büren zu ziehen, den er mit der geringen Truppen-
zahl zweifelsohne entweder im Felde geschlagen oder zurückge-
jagt hätte? Das waren sicherlich besondere Glücksfälle für
den Kaiser!' 4
Jovius beurtheilt hier den Verlauf des Krieges in ähn-
licher Weise, wie in jenem Schreiben an die gefangenen
Schmalkaldischen Fürsten. Er glaubt von Fehlern auch
des Kaisers, nicht bloss der Schmalkaldner, zu wissen; im
Gegensatze zu den meisten neueren Historikern, 1 ) welche,
Baumgarten ausgenommen, grade in dem Zustande der aus-
wärtigen Politik ein Motiv sehen, wesshalb der Kaiser den
Krieg zu unternehmen habe wagen dürfen, macht Jovius
darauf aufmerksam, dass kein Mensch sich habe vorstellen
können, dass die auswärtigen Mächte den Kaiser bei seinem
Deutschen Kriege unbehelligt lassen würden. Es mag sein,
dass Jovius mit seinen abfälligen Urtheilen über den Kaiser,
. in jenem Briefe an die Fürsten von Sachsen und Hessen
den Zweck verband, dass der Kaiser, welchem sie durch den
Herzog von Alba bekannt werden mussten, mit freigebiger
Hand ihm eine bessere Meinung beizubringen versuchen
sollte ; aber mit Bestimmtheit wird man behaupten dürfen,
dass hier und in dem Briefe an Pierluigi Farnese das aus-
gesprochen ist, was Jovius wirklich über die Kriegführung
urtheilte, nicht aber in dem verherrlichenden Briefe, welchen
er an Castaldo schrieb, wo, wie oben dargelegt wurde, nur
zwischen den Zeilen eine versteckte Andeutung über seine
wirkliche Ansicht zu entdecken ist.
Nach dem Gesagten werden wir auch ermessen können,
welche Bewandtniss es hat mit dem lobenden Vergleiche
Karls V. mit Cäsar, Fabius Cunctator, Karl dem Grossen,
1) Ranke IV, 308: Hülfe von aussen konnten die Protestanten
auf keiner Seite erwarten,
Digitized by
Google
390 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1882.
und was der Erfinder dieses Vergleiches innerlich über
Avila urtheilte, der denselben seiner Geschichtsdarstellung
einverleibte. Ich sage: innerlich, denn getreu dem Grund-
satze, dass es thöricht sei, durch verletzende Bemerkungen
über Lebende sich mit der Schriftstellerei statt erwünschter
Gnadenbezeugungen Hass zuzuziehen, l ) hat Jovius der Welt
gegenüber einen anderen Standpunkt eingenommen. Am
14. August 1548 schrieb er dem Avila einen Brief mit be-
geisterten Lobeserhebungen über dessen Commentar, in jeder
Zeile sehe er mit Titians *) Pinsel nach der Natur gemalt die
unvergleichliche Energie und das wunderbare Urtheil des
hochherzigen Kaisers. Weil Avila so vortrefflich den Deut-
schen Krieg beschrieben, so habe er selbst darauf verzichtet,
denselben darzustellen, versichert er im November 1550 dem
kaiserlichen Vicekanzler. In demselben Briefe preist er die
Abänderungsvorschläge, welche ihm durch Arras bezüglich
seiner Schilderang des Tunesischen Peldzugs zugekommen
waren; wie Voigt 8 ) indessen nachgewiesen hat, machte er
nur theilweise von denselben Gebrauch und Hess Manches
stehen, dessen Abänderung man am kaiserlichen Hofe und
1) Jovius an Torelli, Lett. f. 43: non ho osato offendere a carne
viva di quegli che si potrehbono lamentar di me, se in qualche luogo
nimis libero ore locutus videar; perche nihil ineptius et stultius esse
videtur, quam inde parare odiura unde gratiam expectes.
2) Veggo in ogni luogo ritratto dal naturale col pennello di Titiano
rincomparabil vigore congiunto col maraviglioso giudicio del roagnanimo
imperatore in sostenersi in temperarsi in tanti accidenti di varie attioni.
1548 Aug 14, an Avila f. 47.
3) Vgl. G. Voigt Zug Karls V. gegen Tunis, in Abhandl. d. phil.-
hist. Klasse der Sachs. Gesellschaft der Wiss., VI, 193, 234 (33, 74).
Die Korrespondenz über des Jovius Geschichtswerk wurde dadurch er-
öffnet, dass dieser am 14. August dem Kaiser persönlich die Stelle,
welche von dem Zuge gegen Tunis handelte, übersandte „accioch* ella
sia trascorsa et riveduta prima ch'io la mandi alla stampa; essendo io
pronto, come affettionatissimo servitore, a mutare aggiugnere et scemare,
quanto parra a V. M tä si ricca di memoria et di perfetto giudicio."
Digitized by
Google
v. Druff el: Beitr. z. müitär. Würdigung des SchmcdkcUd. Krieges. 391
zwar in einem eben von Avila verfassten Aufsatze ihm
empfohlen hatte. Mit ziemlicher Bestimmtheit wird man
behaupten dürfen, dass eine Darstellung des Deutschen
Krieges aus der Feder des Jovius mit Avila's Schilderung
sich eben so wenig gedeckt haben würde, als dieses hin-
sichtlich ihrer Beschreibung des Afrikanischen Zuges der
Fall ist; nach dem, was wir über seine Beurtheilung der
kaiserlichen Kriegführung erfahren haben, kann man gewiss
sein, dass dieselbe in wichtigen Punkten Vorwürfe gegen
die kaiserliche Kriegführung erhoben haben würde, von
denen bei Avila und in den Commentaires nicht die Rede
ist, — allerdings vorausgesetzt, dass nicht kaiserliche Gnaden-
bezeugungen seiner Feder eine andere Richtung gegeben
hätten. Jovius hat, so viel wir wissen, den Deutschen Krieg
nicht beschrieben, um so dankbarer müssen wir ihm für die
Dem Bischof von Arras dankt er 1550 November 26 für die Erfüllung
seiner Bitte: „Conosco molto bene che gli avedimenti et precetti che
la S. V. Rev. mi da per adattar meglio il tenor dell' historia vengono
da perfetto giudicio accompagnati con la luce della veritä, fede et carita.
Per il che ne terrö quel conto ch'io debbo, et assetterö ogni cosa, tal-
mente che satisfara al mondo." Dass dies satisfar al mondo nicht
gleichbedeutend ist mit satisfar all' imperatore gibt er dann deutlich
zu verstehen, indem er des kaiserlichen Staatsmanns Klage über die
Bevorzugung der Franzosen mit der Bemerkung zurückweist, grade in
den letzten Tagen habe der Franzosische Gesandte zu Rom sich über
die in dem Werke vorherrschende Abneigung gegen die Franzosen und
die Verherrlichung des Kaisers beklagt. Obschon er auch Avila gleich-
zeitig schreibt, und demselben als dem eigentlichen Verfasser der über-
sandten Berichtigungen die Versicherung gibt, dass er Alles verbessern
wolle, da er vorzugsweise bestrebt sei, den Kaiser der Nachwelt als
vollkommenen Feldherm zu schildern, hat er, wie Voigt nachgewiesen,
keineswegs in allen Punkten die kaiserlichen Wünsche berücksichtigt.
Hat der Humanist nicht den Avila verspottet, indem er denselben pries
„poiche cosi leggiadramente scrive et inLatino, et in volgare", wäh-
rend Avila sich seinen Aufsatz durch van Male hatte ins Lateinische
übersetzen lassen?
Digitized by
Google
392 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 4. frebmar 1882.
wenigen Andeutungen sein, welche er uns hinterlassen hat, da
sie uns die Möglichkeit gewähren, die einseitigen Schilderungen
der Commentaires und Avila's zu prüfen, zu ergänzen und
zu berichtigen.
Anhang.
I. Des Jovius Brief und der Dialog über den Schnialkaldischen Krieg.
Es sind zwei Ausgaben der beiden Schriften vor-
handen. Die eine besitzt die hiesige Staatsbibliothek; sie
hat den Titel : De bello || Gerraanico Dialogvs. || Pauli Jovii
histo- |1 rici ad Johannem Fre- || dericum Saxonum et Philip-
puni Chat- || torum Principes Epistdla. || s. 1. anno MD XL VII.
Auf dem Titelblatt der kaiserliche Doppeladler mit Krone.
Die andere Ausgabe, ein anderer Druck, stellt die Titel
um und hat nicht das kaiserliche Wappen ; in ihr folgt der
Dialog dem Briefe. Sie ist in der Üniv.-Bibliothek.
Das kaiserliche Wappen ist kein Beweis, dass das
Schriftchen wirklich unter kaiserlicher Billigung gedruckt
worden ist. Dieser Kunstgriff, das Wappen aufzudrucken,
wurde von gegnerischer Seite zuweilen angewandt: Die
„Newe Zeyttung || von disem Krieg. || Bibl. Mon. Eur. 346,
65, 4°, eine durchweg dem Kaiser feindselige Flugschrift,
trägt ebenfalls den kaiserlichen Adler mit Wappen, welches
allerdings ebensowenig mit heraldischer Genauigkeit gezeichnet
ist, als dasjenige, welches sich auf der Schrift des Jovius
findet. Auch die Veröffentlichung des Jovius'schen Briefes
dürfte dem Kaiser, welchem darin einige hämische Bemerk-
ungen gewidmet werden, schwerlich angenehm gewesen sein.
Der Gedanke, dass der Brief eine Fälschung sein
könnte, muss indessen unbedingt zurückgewiesen werden.
Bei Domenichi Lettere volgari di Mons, Paolo Giovio,
Digitized by
Google
r. Druffel: Beitr. z. nnUtiii*. Wür<li(/un(f des Schmal kahl. Krieges. 393
Venezia 1560, sind Briefe des Jovius an den Herzog von
Alba und an Johann Castaldo abgedruckt, in deren erstem
Alba gebeten wird , die Uebermittlnng des beifolgenden
Briefes an die gefangenen Fürsten zu übernehmen, während
in dem anderen Castaldo ersucht wird, auf die Gewährung
dieser Bitte durch Alba hinzuwirken. Schon vorher hatte
Jovius durch Castaldo dem Herzog von Alba anbieten lassen,
dass er dessen Verdienste um den errungenen Sieg, wie er
sich auszudrücken pflegt, in dem Buche des Lebens d. h. in
seiner Geschichte feiern wolle, und Alba hatte dieses gnädig
angenommen; jetzt bat er den Herzog selbst, ihm einen
Bericht über den wahren Verlauf des Krieges, wenn auch
in Spanischer Sprache, zukommen zu lassen und seinen Brief
an Johann Friedrich von Sachsen, welcher am kaiserlichen
Hoflager weilte, eigenhändig zu übergeben, dem Landgrafen
aber eine Copie zukommen zu lassen. Er wollte, wie er
sagt, in der Lage sein, die Aussagen der beiden Parteien
abzuwägen und so das Richtige festzustellen, und führt zur
Aufmunterung sowohl Alba's als der gefangenen Fürsten an,
dass Karl V. ebenso wie Franz I. in gleicher Weise ihm
gnädig gewesen seien, indem der erstere ihm über den
Afrikanischen Sieg in entgegenkommendster Weise Mittheil-
ungen gemacht habe, Franz I. aber verschiedene Male ihm
die Ursachen seiner Niederlagen wie seiner Erfolge aus-
einandergesetzt habe. Indem Jovius der Erwartung Ausdruck
gibt, dass die gefangenen Fürsten ihm höflich entgegen-
kommen würden, unterlässt er doch nicht, für den andern
Fall die Drohung beizufügen, sie würden sich über ihn nicht
beklagen können, wenn er dann ihren Ruf dem leichtfertigen
Urtheil des unerfahrenen Haufens überlasse.
Da Jovius in seinem Geschichtswerk des Schmalkaldi-
schen Krieges nur am Schlüsse kurz gedenkt, vermögen wir
nicht einmal eine Vermuthung zu äussern über den Erfolg,
welchen sein Brief bei den gefangenen Fürsten gehabt hat.
Digitized by
Google
394 Nachtrag zur Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882.
Vielleicht dassNachforschungen im Marburger oder Weimarer
Archiv Weiteres zu Tage fördern könnten.
Der „Dialogus de hello Germanico," welcher mit dem
Briefe des Jovius verbunden ist, steht mit demselben den-
noch nur in zufälligem Zusammenhang. Die Tendenz des
darin zwischen Ariovist und Caesarius geführten Gespräches
ist dem Kaiser günstig. Ariovist ruft im Beginne seine Ger-
manen zu den Waffen, um entweder glücklich zu siegen,
oder muthig zu unterliegen: denn schon vor Jahren hat
man beschlossen an Stelle der zu entwurzelnden Römischen
Kirche die Wittenberger zu begründen, und jenen Karl,
der sich zum Vertheidiger der Römischen Synagoge auf-
werfe, zu unterdrücken. Cäsarius begrüsst die von Norden
heranziehenden Schaaren und verhöhnt den Prahler, der
nicht nur der grosse, sondern der grösste Alexander ge-
nannt zn werden verdiene, indem er die Frage stellt, ob
man vielleicht den Türken bekämpfen wolle. Die Antwort
ist : Wir kommen zum Reichstage nach Regensburg, wollen
dann das Concil zu Trient besuchen, vielleicht nach Rom,
dem Papste die Füsse zu küssen, denn wir sind die Evan-
gelischen, deren Ruhm den Erdkreis erfüllt, entschlossen
den Kaiser mit allen seinen Spaniern und Italienern
zu bekämpfen, um dann den Klerus zu vertilgen und die
Kloster- und Kirchenschätze zu plündern. Gegen den Ein-
wurf, der von Andern nicht besiegte Kaiser werde auch für
sie unbesieglich sein, wendet Ariovist ein, dass sie unter
Christi Führung kraft ihres Bundes den besiegen würden,
an welchem Türke und Franzose sich vergeblich versucht
hätten. Einer längeren Ausführung über die Pflicht, dem
Kaiser, als der voq Gott geordneten Obrigkeit, zu gehorchen,
weicht Ariovist dadurch aus, dass er das Recht betont, sich
gegen den vom Papste beschlossenen Angriff zu rüsten,
demselben zuvor zu kommen. Gegen ihre mächtigen Heer-
schaaren werde der entfiederte Adler schwerlich etwas aus-
Digitized by
Google
r. Druffel: Beitr. ,:. tnüitär. Würdigung des SchmnJkald. Kriege*. 395
richten. Cäsarius will darin nicht die Berechtigung sehen,
sich dem Kaiser entgegen zu setzen, dessen durch lange
Jahre stets bezeigte Milde von den Protestanten dadurch
beantwortet werde, daas sie demselben sogar vom Throne
zu stosscn gedächten. Die Einwendung des Ariovist, das
Schmalkaldische Bündniss bezwecke nur die Vertheidigung
des Evangeliums beseitigt Cäsarius durch die Behauptung,
der Kaiser habe den Krieg nicht begonnen, nur den unge-
rechten Krieg der Evangelischen mit dem Schwerte besei-
tigen, das bedrohte Römische Reich retten wollen. Der
Krieg sei nicht formlich erklärt worden, nur durch Ge-
rüchte sei den Protestanten die Nachricht zugekommen, der
Gehorsam solle wieder hergestellt werden. Fühlen sich da-
mit die Evangelischen persönlich getroffen? Wenn der
Kaiser auch vorher nichts gegen sie im Sinne hatte, so
mus8te derselbe sich jetzt erheben, wo die Evangelischen
offenen Krieg in Deutschland beginnen, fremde Gebiete an-
greifen, auch den Römischen König nicht schonen und zu
diesem Werke Evangelischer Liebe Mahomeds Hülfe erbitten,
da der Franzose sich zurückhält. Das heisst für das Vater-
land so kämpfen, wie es einst Catilina und die Albigenser, die
Taboriten und Münzer, die Zwinglianer und die Westfalen
gethan haben. Ariovist dagegen betheuert sein Vertrauen auf
Gottes Hülfe in dem Kampfe des Apfel- und des Schlüssel-
trägers wider das Evangelium, denn der Gehorsam sei nur
Vorwand, in Wirklichkeit meine man die Religion. Cäsarius
entgegnet, dass auf diese Weise jeder Räuber seine Sache als
gerecht hinstellen könne, vielmehr des Kaisers Sache sei
die gerechte, derselbe kämpfe zur Vertheidigung der katho-
lischen altväterlichen Religion und zwar gezwungen, später
als er gesollt habe, und würde viel lieber gegen die Türken
sich wenden, falls dies der Evangelischen Ruchlosigkeit zu-
liesse, die nichts anderes planten, als die Beraubung der
Katholiken und Plünderung der Klöster und Heiligthümer.
Digitized by
Google
396 Nachtrag zur Sit zun// der histor. (Hasse vom 4. Februar 1882.
Ariovist lässt es sich uicht nehmen, dass die [Evangelischen
viele Gründe hätten, den Kaiser zu bekriegen, während der
Kaiser keinen habe, verweist aber dann der Aufforderung
des Cäsarius gegenüber, nur einen einzigen zu nennen, auf
Bucers Ausführungen.
Nach einigen Erörterungen über das Auftreten der Prote-
stanten auf den Reichstagen, die vielen Versuche des Kaisers
durch Gespräche, Reichstage und Concilien eine Versöhnung
herbeizuführen, wird die Frage der Heranziehung des Spani-
schen Kriegsvolks erörtert, welche Cäsarius durch die Untreue
des Deutschen Soldaten erklärt und mit der Bemerkung recht-
fertigt, dass die Protestanten gern Türken und Moscowiter zu
Hülfe riefen; dann geht Ariovist dazu über sein Programm
zu entwickeln : „Es geht um das Reich ; der Sieger soll Kaiser
sein, die Römische Kirche muss vernichtet, das einst Römische
jetzt Deutsche Kaiserthum muss von den Spanisch- Deutschen
auf die ächten Deutschen übertragen werden, vom Klerus soll
kein Stäubchen übrig bleiben. Da Gott für uns ist, vermag
ganz Europa nichts gegen uns. Leb wohl, Bestie!"
Merkwürdig ist der Schluss, welcher dem Cäsarius in
den Mund gelegt ist: „Jesus Christus! Du wirst es besser
wenden! Wir bekennen, dass die Römische Kirche das
Schlimmste verdient hat und wir alle mehr ein scharfes
Gericht als Barmherzigkeit verdienen, aber doch wankt
unsere Hoffnung nicht. Wenn Da mich jetzt zur Rechen-
schaft rufst, so weiss ich wohl, dass dem Willen Gottes
Niemand widerstehen kann, und es ist gewiss wahr, wenn
der gerechte Gott Eure Bosheit als eine bereite Geissei
gegen die Verbrechen des Klerus und Volkes anwenden will,
so wird kein irdischer Kämpfer etwas dagegen ausrichten,
ehe nicht unsere Regenten zur Besserung der Kirche wie
des Staates gebracht werden. Seid Ihr aber aus eigenem
Antriebe zur Befriedigung der Gelüste Eures Herzens und
aus Ruhmdurst erschienen, so werdet Ihr verweht werden
Digitized by
Google
r. Druffel: Beiir. z. militär. Würdigung des Schmalkald. Krieges. 397
wie der Staub vom Nordwind. Die Weissagungen müssen
erfüllt werden: Wehe kommt von Euch über die Kirche,
aber dann über Euch von dem, der die gereinigte Kirche
nicht verlassen wird, wir wollen lieber als Katholiken ge-
geisselt werden, als selbst die Geisseier sein. Nirgends
steht geschrieben, dass Gott im Zorn die Christen durch
Christen gezüchtigt habe, wenn nicht vielleicht Ziska, Münzer
oder der Leidener eine solche Peitsche waren. Seid Ihr
aber eine solche Geissei, wie einst Hunnen und Vandalen,
so geschehe der Wille Gottes, aber Ihr müsst wissen, dass
Euer ein schrecklicheres Eude wartet. Es steht geschrieben :
Wehe Assur, die Geissei meines Zornes, und : Wer das
Schwert ergreift, wird durch das Schwert umkommen.
Mag auch der Römische Kaiser geschlagen und verjagt
werden, so unterliegt doch nicht die gerechte Sache, und
Euch befreit ein Benjaminischer oder Cadmeischer Sieg,
der mehr dem göttlichen Zorne als Eurer Tapferkeit zuzu-
schreiben wäre, niemals von Eurer Schuld. Unsere Sünden
sind Eure Waffen, mit denen Ihr uns schlagt, so lange es
Euch gestattet wird. Eine strenge Reform hätte uns schützen
und Gottes Zorn von der Kirche abwenden können, aber
da diejenigen, welchen es oblag zu bessern, nicht wollten,
so werden wir vom Himmel geschlagen, denn gerecht ist
des Herrn Gericht. Aber nach der Finsterniss kömmt das
Licht und heiterer Tag. 44
Der Dialog ist „im Juli 1546" datirt und der Inhalt
stimmt mit dieser Angabe überein. Besonders der Schluss,
welcher unter dem Eindrucke des anfänglichen Erfolges der
Schmalkaldner geschrieben erscheint, macht diese Abfassungs-
zeit wahrscheinlich. Wer der Verfasser sein mag, ist schwer
zu sagen. v Die scharfe Wendung gegen Bucer könnte uns
an Cochläus oder Latomus denken lassen. Grade die Schluss-
wendung mit den Anklagen gegen die Nachlässigkeit der
katholischen Oberhäupter würde zu Cochläus passen, welcher
[1882. II. Philos.-philol. bist, Cl. 3.] 27
Digitized by
Google
398 Nachtraft zur Sitzung der histor. Glosse vom 4. Februar 1882.
kurz vorher eine Schrift geschrieben hatte mit scharfen An-
klagen gegen die Bischöfe, deren Druck aber dann auf An-
rathen des Cardinais Cervino unterblieb.
IL Ueber einige anonyme Aktenstücke in den Papiers de Granvelle.
Die Stücke, welche in den Papiers de Granvelle von
Weiss Band IV, S 380 fg. unter dem Namen des Cärdinals
von Augsburg, seines Kämmerers Johann Lesinoschi, des
Bernardo Pitti aufgeführt werden, und theils an N. N.,
theils an den Seigneur Logos gerichtet sein sollen, müssen
auf ihren Ursprung genauer untersucht werden. Man sieht
sofort, dass es keine wirklichen Briefe, sondern Auszüge aus
solchen, oder Aufzeichnungen über mündliche Erzählungen
sind, welche zum Theil der Cardinal Truchsess dem Ver-
fasser mitgetheilt hatte. Dieser mnss ein Italiener gewesen
sein, und zwar sind die Berichte derart, dass sie an die
Römische Curie gerichtet zu sein scheinen. S. 381 wird
davon gesprochen, dass ein von dem Legaten [dem er-
warteten Morone] mitgebrachter Italienischer Prediger in
Augsburg guten Erfolg haben werde; es wird ferner erzählt,
die Gesandten Johann Friedrichs hätten geäussert, falls man
den Jesuiten Jajus an den Hof ihres Herrn kommen lasse,
würde die Einigung leicht hergestellt werden können. Das
scheint darauf hinzudeuten, dass wir es hier mit Jesuiten-
berichten zu thun haben, wozu der Abfassungsort Dillingen
trefflich stimmen würde. Die Berichte setzen aus während
der Zeit, wo der Cardinal Morone in Augsburg weilte —
dieser ist der cardinalis [nicht consul !] vicarius, 1 ) der am
31. März wegen der Papstwahl mit dem Cardinal Truchsess
wieder abreiste, nachdem er am 24. März angekommen war —
sie werden erst wieder aufgenommen am 25. Mai. Hieraus
wird man zwar keinen Schlnss ziehen können, aber viel-
1) ßaum garten Sleidan S. 272.
Digitized by
Google
v. Druffel: Beitr. z. mtiitär. Würdigung des Sehmulkald. Krieges. 399
leicht doch vermutheo dürfen, dass damals mündliche Be-
richterstattung an die Stelle der Briefe trat.
Bei Aufstellung unserer Conjektur bleibt eine Frage
schwer zu beantworten. Wie sind diese Briefe in den Nach-
lass des Cardinais Granvelle nach Besan^n gekommen? Aus
den mir früher durch die Güte des Herrn Stiftsprobstes
v. Döllinger zugänglich gemachten Heine'schen Auszügen
aus dem Simancasarchiv ist zu ersehen, dass wenigstens eiu
Theil dieser Briefe auch dort vorkommt, in den Libros de
Berzosa leg. 2010, f. 140 fg., und zwar findet sich dort
f. 141 folgende Stelle, die bei Weiss fehlt: „Che Granvella
era tributato da Luterani, li quali li donavano grossi presenti,
et il predetto Granvella ne dava la sua parte allo impera-
tore, onde havendo detto piü volte allo imperatore che
Granvella haveva presenti da Luterani, rispose lo impera-
tore : fate che uua volta io il sappia. Pero occorse, che
Augastani segretamente darono 15,000 fiorini, 10,000 per
lo imperatore et 5000 per Granvella et raessero i danari" in
certi bariletti dentro una botte di vino. u
Nach Maurenbrecher Karl V. S. 168* hat Berzosa
seine Sammlung in Rom zusammen gebracht; hier besteht
also keine Schwierigkeit. Auf ähnliche Weise kann der
Cardinal Granvella sich Abschriften, denn um solche wird
es sich handeln, verschafft haben. Er fand darin eine durch-
weg gegen ihn und seinen Vater feindselige Stimmung.
Das stärkste ist wohl, wenn es lediglich dem Eigennutz
Granvella's zugeschrieben wird, dass er sich dem Kriege
Avidersetzte. *)
1) S. 412: perche non li tornava a bene nel suo particular dissegno.
27*
Digitized by
Google
400 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. December 1882.
Nachtrag zu W. Meyer: Ein Labyrinth mit Versen.
Zu S. 282. Die Venetianer Abschrift des Paulinus enthält nach
Mittheilung des H. Prof. R. Fulin dieselbe Construction wie die römische
und die pariser (Fig. 7), doch ohne Thier im Centrum.
Zu S. 279. 291. 292. 297. 298. Durch die Güte des H. Ober-
bibliothekar Bruun in Kopenhagen erhielt ich Cod. 1093 Fol. Nr. 15 und
16 enthalten die S. 291 erwähnten, um 1777 gefertigten Zeichnungen
des freilich nicht immer verlässigen Isländers Holm. Nr. 15: rund,
vierachsig, mit 11 Gängen und 31 Gangstücken, sehr ähnlich Fig. 7
(S. 281), doch mit einigen willkürlichen Abänderungen. Nr. 16 enthält
die unten gegebene Figur (6 a). Dieselbe, rund, einachsig, zu 11 Gängen,
aber zu nur 4 Zungen ist genau die S. 279, III von mir construirte
Art, deren verschobenes Abbild III, a, Fig. 6 (Toussaints) gibt.
In der soeben erschienenen 'Hansischen Wisbyfabrt* (Leipzig, Leop.
Voss, 1883) S. 9 heisst es von Wisby auf der Insel Gotland: 'Im
Norden der Stadt liegt der Galgenberg; an dessen Fnss der Spielplatz
Tröburg (vgl. Trojeborg S. 292), eine zirkelrunde Steinsetzung mit
Schlangengängen, die gegen dreiviertel Fuss breit durch Steinreihen
von etwa faustgrossen Steinen von einander getrennt sind. In welcher
Weise dieser Spielplatz benutzt wird, ist uns unbekannt.' Die beige-
gebene Zeichnung gibt genau die Wege unserer Fig. 6 a. Das zeigt,
dass ich S. 299 mit Recht annahm, aus dieser Figur hätten sich die
Wunderkreise Wachtmanns und unserer Turnschulen entwickelt
Fig. 6 a.
Sollte der Name 'Trojaburg zusammenhängen mit dem noch im
Mittelalter gebräuchlichen Ludus Trojae, einem Reiterspiel, dessen
Figuren Virgil (Aen. 5, 588) den Windungen des Labyrinths vergleicht?
Digitized by
Google
Verzeichnis» der eingelaufenen Büchergeschenke.
Von der Historisch Genootschap in Utrecht:
a) Werken. Nieuwe Serie Nr. 33. 1882. 8°.
b) Bijdragen en Mededeelingen. Deel V. 1882. 8°.
c) Supplement-Katalogus van de Boekerij. 1882. 8°.
Von der Societe Provinciale des arts et sciences in Utrecht:
a) Jaarverslag. 1881. 8°.
b) Aanteekeningen der Sectiön. 1880 u. 1881. 8°.
c) J. van Leeuwen, Commentatio de Aiacis Sophoclei authentia
et integritate. Traj. ad Rh. 1881. 8°.
d) J. F. Gebhard, Het Leven van Mr. Nicolaus Cornelisz
Witsen. (1641 — 1717). 2 voll u. Table gem§alogique.
1881-1882. 8°.
e) Van Riemsdijk, Geschiedenis van de Kerspelkerk van St.
Jacob te Utrecht. Leiden 1882. Fol.
Von der k. Akademie der Wissenschaften in Copenhagen:
a) Oversigt. Kjöbenhavn. 1881—1882. 8°.
b) Regesta diplomatica historiae Danicae. Tom I. II. 1. 2.
Ser. II. Tom. I. pars 1. Havniae 1847—80. 4°.
c) Kong Frederik I. danske Registranter. 1 u. 2. Halvbind.
1878—79. 8°.
d; Danske Kancelliregistranter. 1535 — 1550. 1 u. 2. Halv*
bind. 1881—82. 8°.
Digitized by
Google
402 Einsendungen von Druckschriften.
Von der Gesellschaft für Nordische Alterthumskunde in
Kopenhagen :
a) Memoires.« Nouv. S^r.1881. 8°.
b) Aarböger. 1882. 8°.
Vom k. statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart:
Das Königreich Württemberg. Eine Beschreibung von Land,
Volk und Staat. Liefg. 1— 4. 1882. 8".
Von der Redaktion des Correspondenz-Blattes in Stuttgart:
Correspondenzblatt für die Gelehrten- und Realschulen Württem-
bergs. 2«. Jahrg. 1862. Heft 1, 2. Tübingen 1882. 8°.
Von der archäologischen Gesellschaft in Athen:
TlQaY.TiY.cL r^g iv l4&qvaig dQx al0 ^°Y l *V$ £*«*<?*<*£• 1 88 1 bis
82. 8°.
Vom Peabody Institute in Baltimore:
15. annual Report. June 1. 1882. 8°.
Von der allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der
Schweiz in Bern:
Jahrbuch für Schweizerische Geschichte. Bd. VII. Zürich
1882. 8°.
Von der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien:
a) Denkschriften. Philosophisch-historische Classe. Bd. 32.
b) Sitzungsberichte. Philosophisch-historische Classe. Bd. 99.
1882. 8°.
Archiv für österreichische Geschichte in Wien. Bd. 63. 1881
bis 82. 8°.
Von der k. preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin:
a) Corpus inscription um atticarum. Vol. III. pars 2. 1882. Fol.
Digitized by
Google
Einsendungen von Druckschriften. 403
b) Sitzungsberichte I— XVII. 1882. 8°.
c) Abhandlungen aus dem Jahre 1880 u. 1881. 1881 bis
82. 4".
d) Sitzungsberichte XVIII— XXXVIII. 1882. 8°.
e) Politische Correspondenz Friedrichs des Grossen. Bd. VIII.
1882. 8°.
Vom Verein für Geschichte ehr Mark Brandenburg in Berlin:
Märkische Forschungen. Bd. 17. 1882. 8 Ü .
Von der k. Vittenhets Historie och Antiquitets Akademie
in Stockliolm:
a) Mänadsblad. Argäng 1880. 1881. 1881—82. 8°.
b) Anglosachsiska Mynt i Svenska k. Myutkabinettet, af B.
E. Hildebrand. 1881. 8°.
Von der Fürstlich JablonowskiscJien Gesellschaft in Leipzig:
a) Preisschriften. Nr. XXIII. F. 0. Weise, die griechischen
Wörter im Latein. 1882. 8 U .
b) Jahresbericht. 1882. 8°.
Vom historischen Verein in St. Gallen:
Mittheilungen. Heft 18. 1881. 8°.
Von der k. Gesellschaft der Wissenschaften in Upsala:
Nova Acta. Ser. III. Vol. XI. 1881. 4°.
Von der Gesellschaft für Schleswig-Holstein-Lauenburgische
Geschichte in Kiel:
Zeitschrift. Bd. XI. 1881. 8°.
Von der Royal Asiatic Society in London:
Journal. Vol. XIV, 1881 — 1882- 8°,
Digitized by
Google
404 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Verein für Geschichte der Stadt Meissen in Meissen:
Jahresbericht 1881. 8°.
Von der Eeal Academia de la historia in Madrid:
Resumen de los acuerdos. 1879—80 und 1880—82. 1880
bis 82. 8°.
Von der k. Akademie gemeinnütziger Wissenschaften in Erfurt:
Jahrbücher. N. Folge. Heft XI. 1882. 8°.
Vom North CJiina Branch of the Royal Asiatic Society
in Shanghai:
a) Report of the Council for the year 1881. 1882. 8°.
b) Journal. New, Ser. Nr. XV— XVII. Sanghai. 1880
bis 82. 8°.
Vom Verein von Alterthumsfreunden im Rheinlande zu Bonn:
Jahrbücher. Heft 70-72. 1881—82. 8°.
Von der Asiatic Society of Bengal in Calcutta:
a) Journal. New. Ser. Vol. 51. 8°.
b) Bibliotheca Indica. New. Ser. Nr. 394 u. 395. 1881. 8°.
c) Bibliotheca Indica. N. S. Nr. 477 — 482. 1882. 8°.
d) Bibliotheca Indica. Old. Series Nr. 244, 245. New. Ser.
Nr. 473. 475. 476. 1882. 8°.
e) The Oriental Biographical Dictionary by Thomas Will.
Beale ; ed. by the Asiatic Society of Bengal. 1881. 4°.
Von der herzoglichen Bibliothek in Gotha:
Die arabischen Handschriften von W. Pertsch. Bd. IV. 1882. 8°.
Von der Lebensversicherungsbank für Deutschland in Gotha:
53. Rechenschaftsbericht für das Jahr 1881. 1882. 4°.
Digitized by
Google
Einsendungen von Druckschriften, 405
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram:
a) Rad. Bd. 59-61. 1881—82. 8°.
b) Monumenta spectantia historiam Slavorum meridionalium.
Vol. XII. 1882. 8 n .
Von der Royal Society in Ediriburg :
a) Transactions. Vol. XXX. 1880-81. 1881. ,4°.
b) Proceedings Session 1S80 — Sl. 8°.
Von der Section historique de VInstitut Royal Grand-Ducal
in Luxembourg:
Publications. Vol. XXXV. 1882. gr. 8°.
Von der k. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen:
a) Abhandlungen. Bd. XXVIII v. J. 1881. 1882. 8°.
b) Urkunden der Stadt Göttingen aus dem XVI. Jahrhundert
von A. Hasselblatt und G. Kaestner. 1881. 8°.
Vom kirchlich-historisclien Verein für Geschichte in Freiburg:
Freiburger Diözesan-Archiv. Bd. XV. 1882. 8°.
Vom archäologischen Institut in Rom:
a) Bulletino per l'anno 1881. 8°.
b) Annali. Vol. 53. 1881. 8°.
c) Monumenti per l'anno 1881. Pol.
Vom Verem für Geschichte der Deutschen in Böhmen zu Prag:
a) 19. Jahresbericht für das Vereinsjahr 1880—1881. 8°.
b) Simon Hütteis Chronik der Stadt Trautenau (1484—1601)
bearbeitet von L. Schlesinger. 1881. 8°.
Von der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich:
Denkschrift zur 50 jährigen Stiftungsfeier der Antiquarischen
Gesellschaft in Zürich. 1882. 4°.
Digitized by
Google
406 Einsendungen von Druckschriften.
Von der American Academy of Arts & sciences in Boston :
Memoirs. Vol. XI. Cambridge 1882. 4°.
Vom Essex Institute in Salem:
Bulletin. Vol. 13. 1881. 8°.
Vom Verein für Nassauische Alterthumskunde und Geschichts-
forschung in Wiesbaden:
Annalen. Bd. XVI. 1881. 8°.
Von der Accademia delle seiende delV Istituto di Bologna:
a) Memorie. Serie IV. Tom. 2. 1880. 4°.
b) T Accademia delle scienze deir Istituto di Bologna della
sua origine a tutto il 1880. 1881. 8°.
Von der öberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften
in Görlitz:
Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 58. 1882. 8°.
Von der Genootschap van Künsten en Wetenschappen in Batavia:
a) Verhandelingen. Deel 43. 1881—82. 4°.
b) K. F. Holle, Tabel van Oud-en Nieuw-Indische Alphabeten.
1882. 4°.
c) Bealia. Register op de generale resolutien van het Kasteel.
Batavia 1632—1805. Deel I. Leiden. 1882. 4".
Von der Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft
in Halle:
a) Zeitschrift. Bd. 36. Leipzig 1882. 8°.
b) Wissenschaftlicher Jahresbericht über die morgenländischen
Studien im Jahre 1879. Leipzig 1881. 8°.
Von der Societe Hollandaise des sciences in Hartem:
Archives N^erlandaises. Tom. XVII. 1882. 8°,
Digitized by
Google
Einsend ungeit von Druckschriften. 407
Von Tcylers godgeleerd Genootschap in Harlem:
Verhandelingen rakende den natuurlyken en geopenbaarden
Godsdienst N. S. Deel X. 1882. 8".
Vom &. Instituut voor de Taal-Land-en Volkenkunde van Neder-
landsch Indi'e im Haag:
Bijdragen. IV. Volgrecks. 's Graveühage. 1882. 8°.
Von der Academie Imperiale des Sciences in Petersburg:
a) Memoires. Tom. XXX. 1882 4°.
b) Tableau general des matieres des publications de TAcademie
Imperiale des Sciences. Supplöm. I. 1871—1881. 1882.8°.
Vom historischen Verein für das Württembergische Franken
in Schwäbisch-Hall :
Wtirttembergisch Franken. N. F. I. 1882. 4°.
Vom Verein für siebenbürgische Landeskunde in Hermannstadt:
a) Archiv. Neue Folge. Bd. XVI. 1880—81. 8°.
b) Jahresbericht für 187Ü — SO und 1880—81. 8°. ,
Von der Academia Olimpica in Vicenza:
a) Atti. 1879 und 1880. 1879—81. 8°.
b) Terzo Centenario di Andrea Palladio, discorso di Camillo
Boito. 1880. 8°.
Von der Gesellscliaft für pommerische Geschichte und Alter-
thumskunde in Stettin:
Baltische Studien. Jahrg. 32. 1882. 8°.
Vom Istituto Veneto di scienze in Venedig:
a) Memorie. Vol. XXI. parte 2. 1880. 4°.
b) Atti. Serie V, Tom, 7. 1880—81. 8°.
Digitized by
Google
408 Einsendungen von Druckschriften.
' Vom Ateneo Veneto in Venedig :
a) Atti. Ser. III. Vol. 4. 1880-81. 8°.
b) L' Ateneo Veneto. Rivista mensile. Ser. IV. 1881. 8°.
Von der Regia Accademia di stieme in Modena:
Memorie. Tomo XX. 1880—81. 4".
Vom Institut national in Genf:
Bulletiü. Tom. 24. 1882. 8°.
Vom Verein für Geschichte und Alterthümer in Stade:
a) Archiv. Heft 8. 9. (1880-81). 1881 82. 8°.
b) Das älteste Stader Stadtbuch von 1286. Heft I. 62. 8°.
Vom Museumsverein in Lüneburg:
3. und 4. Jahresbericht für 1880 und 1881. 1882. 8°.
Vom statistischen Bureau der Hauptstadt Budapest:
Publicationen. XV. 2. Berlin 1882. 8°.
Vom Verein für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück:
a) Mittheilungen. 12. Bd. 1882. 8°.
b) II. Nachtrag zum Verzeichnisse der Bibliothek. Osnabrück
1882. 8°.
Von der Academie des Sciences in Lyon:
a) Memoires. Classe des Lettres. Tom. 20. Paris -Lyon
1881—82. 4°.
b) Table des matieres des Memoires. 1S45 a 1881. Lyon
1882. 4°.
Vom Historischen Verein von Oberpfalz und Regensburg
in Regensburg:
Verhandlungen. Bd, 36. Stadtamhof 1882. 8° T
Digitized by
Google
Einsendungen von Druckschriften. 409
Vom historischen Verein in Bamberg:
44. Bericht f. d. Jahr 1881. 1882. 8°.
Von der Archäologischen Gesellschaft in Berlin :
Die Befreiung des Prometheus ein Fund aus Pergamon. 1882. 4°.
Von der schlesischcn Gesellschaft für vaterländische Cultur
in Breslau:
59. Jahresbericht für das Jahr 1881. 1882. 8°.
Vom historischen Verein für das Grossh erzogt hum Hessen
in Barmstadt :
Quartalblätter 1881-1882. 1882. 8°.
Vom historischen Verein für Niedersachsen in Hannover:
Zeitschrift. Jahrgang 1882. 1882. 8".
Vom schlestvig-holsteinischen Museum vaterländischer Alterthümer
in Kiel:
37. Bericht zur Alterthumskunde Schleswig-Holsteins von H.
Handelmann. 1882. 4°.
Vom Hennebergischen alterthumsfor sehenden Verein in Meiningen :
Einladungsschrift zur Feier des 50 jährigen Bestehens des Vereins,
von Adolf Schaubach. 1882. 8°.
Vom Verein für Geschichte und Alterthumskunde Westfalens
in Paderborn:
Zeitschrift. Bd. 39. 40. Münster 1880—81. 8°.
Von der Universität Würzburg:
a) Alma Julia. Illustrirte Chronik ihrer dritten Säcularfeier.
1882. Fol.
Digitized by
Google
4-10 Einsendungen von Druckschriften.
b) Geschichte der Universität Würzburg von F. X. v. Wegele.
2 Theile. 1882. 8°.
Vom historischen Verein für Steiermark in Graz:
a) Mittheilungen. Heft 30. 1882. 8".
b) Beiträge zur Kunde Steiermärkischer Geschichtsquelleti .
Jahrgang 18. 1882. 8°.
Vom Ferdinandeum in Innsbruck:
Zeitschrift. 3. Folge. Heft 26. 1882. 8°.
Von der Akademie der Wissenschaften in Krakau:
a) Rocznik. 1881. 1882. 8°.
b) Rozprawy filolog. Tom. 9. 1882. 8°.
c) Archivum literat. Tom. 2. 1882. 8<>.
d) Monumenta medii aevi. Tom. 6, 7. 1882. 4°.
e) Kolberg Lud. Tom. 15. 1882. 8°.
f) Korzon WewnQtrzne dzieje polski. Tom. 1. 1882. 8°.
Vom Museum Francisco- Carolinum in Linz:
40. Beriebt. 1882. 8°.
Von der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde in Salzburg:
Mittheilungen 22. Vereinsjahr 1882. 1882. 8'\
Vom Museo co-munale in Trient:
Archivio Trentino. Anno I. 1882. 8°.
Von der k. k. Familien-Fideicommiss-Bibliothek in Wien:
Die Sammlungen der vereinten Familien- und Privat-Bibliothek
S. Majestät des Kaisers. Bd. II, 2 und III, 1. 1879
bis 82. Fol.
Vom historiscJien Verein der fünf Orte in Luzem:
Der Geschichtsfreund. Bd. 37. Einsiedeln 18S2. 8".
Digitized by
Google
Einsendungen von Druckschriften. 411
Von der finl-ändisrhen Gesellschaft der Wissenschaften
in Helsingfors.
a) Bitrag tili Kännedom of Finlauds Natur och Folk. Heft
35—36. 1881. 8°.
b) OefversigtafFörhandlingar. XXIII. 1880 — 1881. 1881. 8°.
c) Katalog der Bibliothek 1881. 1881. 8°.
Von der Commission Imperiale archeologique in St. Petersburg:
Compte rendu pour l'annee 1880 avec un Atlas. 1882. 4°
und Fol.
Von der Royal Society in London:
a) Philosophical Transactions. Vol. 173. 1881—82. 4°.
b) Proceedings. Vol. 33. 34. 1881—82. 8°.
c) Catalogue of the Library of the Royal Society. 1881. 8°.
d) List of the Fellöws of the Royal Society, 30. November
1881. 4°.
Von der deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde
Ostasiens in Yokohama :
Mittheilungen. 27. Heft, August 18S2. 1882. Fol.
Von John Hopkins University in Baltimore:
7. Annal Report 1882. 1882. 8°.
Von der American philological Association in Cambridge, Mass. :
Proceedings of the 14 th annual session held in Cambridge, Mass.
Juli 1882. 1882. 8°.
Von der SmitJisonian Institution in Washington:
a) Annual report for the year 1S00. 1881. 8°.
b) First annual Report of the Bureau of Ethnology 1879
bis 1880. 1881. 4°.
Digitized by
Google
412 Einsendungen von Druckschriften.
c) List of foreign Correspondents of the Smithsonian Insti-
tution corrected to January 1882. 1882. 8°.
Von der Royal Society of Victoria in Melbourne:
Transactions and Proceedings. Vol. 18. 1882. 8°.
Von Herrn Alfred v. Reumont in Burtscheid:
Kleine historische Schriften. Gotha 1882.
Von Herrn Le Comte J. de Cigalla in Santorin:
a) Joxi/Aiov eyxeioidlov ij&iKtJQ Üeoloylag. Ermupoli 1851. 8°.
b) neol Ttov noodojucov twv Tiyavitow Ermupoli 1860- 8".
c) (Diloooq>iY.ai diaUSeig. I. Corfu 1876. 8°. II. Ermupoli
(Sira) 1879. 8°. III. Ermupoli 1880. 8 ft .
d) 'Hfjeooloyiov. Ermupoli 1881. 8°.
Von Herrn Heinrich Handelmann in Kiel:
Die amtlichen Ausgrabungen auf Sylt. 1873, 75, 77 u. 1880.
1882. 8°.
Von Herrn Conego J. Alves Matheus in Lissabon:
OracjiO funebre do Bispo de Vizeu D. Antonio Alves Martins.
Lisboa 1882. 8°.
Von Herrn Spiridion De Medici Dilotti in Messina:
Causa mossa dai verbi €Qx°H ai e nuöyw all* anomalia ed irre-
golaritä, fantasia letteraria. Corfu 1882. 8°.
Von Herrn L. A. Huguet-Latour in Montreal- Canada:
a) The Canadian Antiquarian. Vol. VI Nr. 3. 4. 1878. 8°.
b) Annuaire de Ville-Marie. Supplement Livr. 8 — 10. 1874
bis 75. 8°.
Digitized by
Google
Einsendungen von Druckschriften. 413
c) Programme of the 31. Meeting of the American Association
for the advancement of science in Montreal, 1882. 1882. 8°.
d) Handbook for the City of Montreal and its environs.
1882. 8°.
e) Our boarding SchooPon Wheels. Montreal s. a. 8 Ü .
Von Herrn M. A. Becker in Wien:
a) Hernstein in Niederösterreich. I. Theil. Die geologischen
Verhältnisse. 1882. 8°.
b) Album von Hernstein. Illustrationen. 1882. Fol.
Von Herrn Albert Jahn in Bern:
Aristidis Quintiliani de musica libri III ed. Albertus Jahnius.
Beroliüi 1882. 8.
Von Herrn Sophm Bugge in Christ iania :
Studien über die Entstehung der nordischen Götter- und Helden-
sagen. I. Reihe. 2. Heft. München 1882. 8°.
Von Herrn C. Schmidt in Strassburg:
Zur Geschichte der ältesten Bibliotheken zu Strassburg.
1882. 8°.
Von Herrn Leopohl Delisle in Parte:
a) L'auteur du Grand Coutumier de France. 1882. 8°.
b) Notice sur deux livres ayant appartenu au roi Charles V.
1881. 4°.
c) Notice sur un manuscrit M^rovingien de la Bibliotheque
Royale de Belgique. 1881. 4° mit 4 Taff.
Von Herrn Andreas Spcngel in München:
Reformvorschläge zur Metrik der lyrischen Versarten bei Plautus.
Berlin 1882. 8°.
[1882. IL Philos.-philol. hist. Cl. 3.] 28
Digitized by
Google
414 Einsendungen von Druckschriften.
Von Herrn C. Struckmann in Hannover:
Die Einhornhöhle bei Scharzfeld am Harze. Berlin 1882. 4°.
Von Herrn Jules Oppert in Paris:
Fragments mythologiques. s. 1. s. a. 8°,
Von Herrn John Henry Parker in Oxford:
A Plan of Borne ancient and modern s. 1. s. a. 1 Blatt in
Polio.
Von Herrn Frantisek Prusik in Pribram:
a) Prispevky k. nauce o tvoreni Kmenuv etc. Prag 1878. 8°.
b) compartive ve slovanstine. Eaudnitz s. a. 8°.
Von Herrn Arnold Luschin- Ebengreidh in Graz:
Oesterreicher an italienischen Universitäten. Wien 1882. 8 ft .
Von Herrn August Dillmann in Berlin:
Verhandlungen des V. internationalen Orientalisten-Congresses.
September 1881. Th. I. II. 1. 2. 1881—82. 8°.
Von Herrn Richard Lehmann in Halle:
Ueber systematische Förderung wissenschaftlicher Landeskunde
von Deutschland. Berlin 1882. 8°.
Von Herrn Clmrles Schoebel in Paris:
La nuit dans les mythologies. s. 1. 1882. 8°.
Von Herrn Emm. Rod. de Berlanga in Malaga:
Decretum Pauli Aemilii, Pactum fiduciae, Lex metalli Vipas-
censis. Malacae 1881. 8°.
Digitized by
Google
Einsendungen von Druckschriften. 415
Von Herrn Georges Edon in Paris :
Restitution et nouvelle Interpretation du chant dit des freres
Arvales. 1882. 8°.
Von Herrn Ferdinand Knauz in Gran:
Monumenta ecclesiae Strigoniensis. 2. Voll. Strigonii 1874
bis 82. Fol.
Von Herrn Konrad von Maurer in München:
Upphof allsherjanikis ä Islandi. Reykjavik 1882. 8°.
Von Herrn C. Mehlis m Bürkheim:
Markomannen und Bajuwaren. München 1882. gr. 8°.
Von Herrn Terenzio Mamiani in Rom:
Delle questione sociali e particolarmente- dei proletarj e del
capitale. 1882. 8°.
Von Herrn Alex. Olenin in St. Petersburg:
Archeologitscheskie Trudy. Bd. I. Heft 2. 1881. 8°.
Von Herrn P. Willems in Loewen:
Le Senat "de la republique Romaine. Tom. 2. 1883. 8°.
Von Herrn S. P. Zechini in Turin:
Di due propabili errori di amanuense nel Pater noster. Torino
(1882). 8°.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Namen -Register.
Baumann Frz. Ludw. 233 (Wahl).
v. Bezold Priedr. 139.
Brunn 114.
Dehio 232 (Wahl). 301.
v. Döllinger 229.
v. Druffel 113. 342.
v. Halm 1.
Heigel 51.
Hofmann 234. 300.
Kalatschoff 233 (Wahl).
Lenel Otto 230 (Preisträger der Savigny-Stiftung).
Maassen 233 (Wahl).
Meyer Wilh. 232 (Wahl). 253. 400.
v. Oefele 176.
Preger 175.
Digitized by
Google
^18 Namen-Register.
Riemann 38.
Rockinger 139. *
Schliemann 233 (Wahl).
Spengel 232 (Wahl). 175.
Würdinger 239.
Digitized by
Google
Saeh-Begister..
Amazonen fries des Maussoleums 114.
Basilika christliche, Genesis derselben 301.
Bienen die im französischen Kaiserwappen 300.
Buch der Könige 139.
Byzantinisch-liturgische Notation 38.
Christliche Basilika 301.
Curie römische um d. J. 1545. 113.
Floovant, zur Textkritik des 300.
Französisches Kaiserwappen 300.
Freisinger Brief v. J. 1085. 253.
Friedrich der Schöne 175.
Gedicht v. J. 1084. 253.
Guillaume le Marechal 234.
Kaiserwappen französisches 300.
Karl V. Kaiser 113.
Karl Albrecht Kurfürst, italienische Reise 176.
Kirchenmusik 38.
Könige, Buch der 139.
Komödie lateinische, Scenen-Eintheilung 175.
Krieg schmalkaldischer 342.
Labyrinth mit Versen 267.
Lipsius Just us, Aechtheit der Beden des 1.
Ludwig der Bayer 175.
Digitized by
Google
420 Sack -Register.
Marechal Guillaome de 284.
MctQxvqUu der byzantinisch -liturgischen Notation 88.
Maussoleum, Amazonenfries 114.
Notation byzantinisch -liturgische 88.
Octayen altgriechische 88.
Partenkirchen Römerstrasse 239.
Protestantische Zeitungsschreibung in Italien um d. J. 1578. 189.
Beden des Justus Lipsius 1.
Regensburger Reichstag v. J. 1546. 118.
Römerstrasse von Scharnitz nach Partenkirchen 289.
Savigny-Stiftung 229.
Scenen-Eintheilung der lateinischen Komödie 175.
Scharnitz Römerstrasse 289.
Scbmalkaldiscber Krieg 842.
Schwabenspiegel 189.
Schweden und eine Wittelsbacber Hausunion 51.
Witteisbacher Hausunion geplant i. J. 1667. 51.
Wormser Reichstagsabschied 118.
Zündelin Wolfgang, protestantischer Zeitungsschreiber 189.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google