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Full text of "Ueber spaetmittelalterliche Verkehrstechnik"

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ÜBER SPÄTMITTELALTERLICHE 
VERKEHRSTECHNIK ») 

Vorwiegend nach den Papieren der großen Ravensburg- Konstanzer 

Handelsgesellschaft 

Von ALOYS SCHULTE, Bonn 

Nach des Deutschen Reiches Krone ward in den mittelalterlichen Reichsstädten meist der erste 
Gasthof benannt, so in Lindau wie in Konstanz. Hier stand er an der Marktstätte, nur wenige 
Schritte von dem Kaufhause und der Schiffslände entfernt. Schon vor viereinhalb Jahrhunderten 
schrieb ein sehr begabter Sohn des Konstanzer Kronenwirtes an seine Handelsfirma, sie solle 
doch ihre Seeversicherungsordnung, und zwar den Quotensatz, den man von dem Warenwerte 
unversichert lasse, abändern. Denken Sie nicht, daß es sich dabei um eine Versicherung auf dem 
Bodensee handle. Andreas Sattler schrieb das 1478 aus Brügge an die große Ravensburger 
Handelsgesellschaft, und er hatte dabei die Seefahrt von Brügge an die spanischen Küsten, nach 
Genua, ja gelegentlich noch weiter hinaus im Auge. Diese Firma ist die erste deutsche, von der 
ein Anteil an dem Schiffsverkehr durch die Straße von Gibraltar bezeugt ist. Zwar charterte sie 
nicht den gesamten Schiffsraum; doch riet Sattler gerade dazu, es zu tun. Schon das zeigt, daß 
diese deutsche Gesellschaft mit den Kaufleuten der romanischen Länder in Wettbewerb trat um 
die Verbindung mit dem damaligen nordischen Welthandelsplatz Brügge, dem Westpunkte 
hansischen Handels. 

Die Gesellschaft hatte ihren Sitz in Ravensburg, Abb. 1. Ihre Teilhaber stammten aus zehn schwäbi- 
schen Reichsstädten. Das kleine Buchhorn, heute Friedrichshafen, stellte die wagelustigen 
Mötteli, Ravensburg die Humpis, unter deren Namen die Gesellschaft meist ging, Konstanz das 
aus Italien stammende Geschlecht der Muntprat, von denen um 1420 Lütfried Muntprat wohl 
der reichste deutsche Bürger war. Sie würden staunen, wenn ich alle ihre Agenturen, all die von 
den Gesellschaftern besuchten Märkte und Messen aufzählen würde. Ich begnüge mich, die meist 
ständig besetzten, eigene Rechnung führenden „Gelieger" zu erwähnen: Genf, Lyon, Avignon, 
Barcelona, Saragossa und Valencia, Mailand, Genua, Venedig, Wien, Ofen, Nürnberg und Brügge. 
Von den Agenturen nenne ich den Hafen Bouc bei Marseille und Bourg en Bresse. 

Die Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs war aus vielen Einzelangaben auf- 
zubauen. Aus den von Kaufleuten geführten Rechnungsbüchern sprach nur undeutlich die 
Seele des Unternehmers; der Briefe gab es wenige. Da wurde von Archivdirektor Obser ein 
Schatz entdeckt in dem auf Schloß Salem zurückgebliebenen Reste des Archivs des einstigen 
Zisterzienserklosters Salem. Auf einem alten Zettel stand zu lesen: „Unnütze Handelspapiere". 
Das war freilich nicht ein geschlossener Bestand, sondern eine äußerst bunte Sammlung von 
inneren Geschäftspapieren der Zentrale sowie der Gelieger, von Sorten, die nur hier uns erhalten 
sind. Von Rekordanzen, von Zollbriefen und Meßzetteln wußte man vordem nichts. Es eröffnete 
sich uns nun eine unbekannte Welt. Fast der ganze Aufbau der größten deutschen Firma ihrer 
Tage kam mit den innersten Geheimnissen an das Licht. Die Personen der Zentrale und der 
Geheger redeten ohne Rückhalt zu uns, oft in schöner, zutraulicher Sprache. Lebensvoll er- 
schloß sich das ganze Getriebe, von dem nach Spanien in die Lehre geführten Buben angefangen 
bis zum überalterten „Regenten", dem Leiter. 

x ) Vortrag, gehalten in der Fachsitzung „Technikgeschichte" der 71. Hauptversammlung des Vereines deutscher Inge- 
nieure am Bodensee am 26. Mai 1933 m Konstanz a. B. 

iS & 



Viele Jahre habe ich auf die Bearbeitung dieses Stoffes verwendet ; nun ist mir die Aufgabe ge- 
stellt, daraus die Verkehrstechnik jener Zeit klarzulegen. Zunächst will ich das Wesentlichste 
über den Seeverkehr der Gesellschaft vorbringen. 

Von Genua, Bouc und den spanischen Häfen aus benutzte die Gesellschaft die regelmäßigen 
Galeerenfahrten der Florentiner und Genuesen. Neben diesen Ruderfahrzeugen kamen aber auch 
Segelschiffe in Betracht, die großen Naus, die schnelleren Saitias, sogar Walfischfänger, die 
Balaneros. Gegen Seeräuber schützte man sich durch Schnellfahrer oder durch Fahrt in Coserva, 
d. h. Flottenfahrt. Sattler wies aber auf das zeitgemäße Schiff hin. Die Caravella vereinigte die 
portugiesische Beplankung, die die Bretter der Außenhaut durch Setzen in Nuten verband, mit 
der nordischen Segelstellung, die verhältnismäßig kleine Segel übereinander an den Masten 
aufwies. Die so gesteigerte Schnelligkeit der Caravelle gab auch Kolumbus die Möglichkeit und 
den Mut zu seiner Entdeckungsfahrt. Kolumbus selbst erscheint nicht in den Papieren der Ge- 
sellschaft. Wohl aber stand der Mann, der das spanische Königspaar für die Gestellung von 
Schiffen gewann und selbst i4000oMaravedis in das Unternehmen einschoß, Luis de SantAngH, 
als Zollpächter des von den Deutschen erhobenen Vorzugszolles in Valencia mit den Ravens- 
burgern in Verbindung. Briefe enthalten auch Nachrichten über die Auswirkungen der 
zweiten Ostindienfahrt Vasco de Gamas. Nebenbei sei bemerkt, daß Teilhaber der Gesellschaft 
den Buchdruck in Spanien eingeführt haben. 

Wie verkehrte nun die Zentrale mit ihren Geliegern ? Sie gab einem erfahrenen Gesellen einen 
langen Brief — einer enthält 69 Seiten — , eine Rekordanz, mit auf den Weg. Dieser Mann teilte 
dann die einzelnen Abschnitte des Briefes den Geliegern, etwa Lyon, Saragossa, Barcelona 
und Valencia, mit und erläuterte sie mündlich. Einem heimkehrenden Gesellen gaben die Ob- 
leute der Gelieger ihre Antworten und Berichte mit. Es entstand eine neue Rekordanz. Uns war 
der Name Rekordanz verlorengegangen, da gleichwertige Aktenstücke sonst nirgends enthalten 
sind. Und welche gemütvolle Sprache und Gesinnung und welche Klugheit spricht aus ihnen! 
Auf die Frage der Verwendung von besonderen Boten, von städtischen Boten und von befreun- 
deten Kaufleuten will ich nicht eingehen. Einem genauen Briefgebührvefzeichnis des Brügger 
Geliegers steht nur eine Nürnberger Quelle gleich. 

Die Technik der Warenbeförderung zu Lande zeigt vier verschiedene, örtlich bedingte Formen. 
In Deutschland, namentlich auf der Strecke Nürnberg — Bodensee — Genf, und, wenn der Fuhr- 
mann auch französisch sprach, bis Lyon, nahm die Gesellschaft deutsche Fuhrleute, allem An- 
scheine nach Einzelunternehmer. Von 37 Frachten eines Jahres zwischen Nürnberg und dem 
Bodensee entfielen elf auf einen Mann, je vier auf drei andere; im ganzen wurden 14 Fuhrleute 
beschäftigt. Die Gesellschaft vertraute dem Einzelfuhrmann nicht allein große Mengen an (im 
Höchstfalle 49 Quintal 2 ), nicht nur die teuersten Waren, die hier ganz selten von Gesellen be- 
gleitet wurden, sondern sie verpackte in einzelnen Sendungen auch große Geldsummen. Für die 
Sicherheit auf deutschen Straßen ist dies ein überraschendes Zeugnis. Man glaubt nämlich meist, 
daß jede Burg Raubritter barg, auch wenn sie weit von Handelsstraßen entfernt lag. Gewöhnlich 
hält man dafür, daß auch außerhalb der Meßzeiten nur große, von Geleitsreitern gedeckte Reihen 
von 100 und mehr Wagen die Straße gezogen seien. Gewiß gab es Raubritter, namentlich in den 
kleinen Ländern adliger Herren, die schnell einen Grund zur Fehde gegen eine Stadt fanden und 
damit einen Anspruch auf die Waren ihrer Kaufleute. Aber alle Forscher, die die Quellenangaben 
wohl durchdachten, sind mit mir der Meinung, daß der Verkehr weit sicherer war, als angenom- 
men wird. Wo hätten sonst Hunderte von Pferden jeden Abend einen guten Stall gefunden, und 
wo hätten die Fuhrleute im Gebirge ausreichende Vorspannpferde bekommen ? 
Man hat sorgfältig die vielen Zollstellen festgelegt. Durch die Ravensburger Papiere ergaben sich 
aber unerwartet zwei Tatsachen. Erstens wurden keineswegs die Fässer und Säcke an jedem 
Zollbaume geöffnet. Teure Safranballen gingen uneröffnet von Aragonien bis Nürnberg. Gute 
Firmenzeichen deckten die Waren; auch glaubte man den mitunter eidlich abgegebenen Erklä- 

*) 1 Quintal rd. 100 kg. 



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rungen, den , »Deklarationen". Bei Mailand wurde aber einmal verstecktes Silber abgefaßt, und 
es kamen die der Gesellschaft von den Herzögen gewährten Vorrechte in Gefahr. Auch bei den 
Zollpächtern gab es Betrügereien. Die berühmten Rechnungen über den deutschen Vorzugszoll 
in Barcelona, bei dessen Erlaß die Ravensburger hervorragend mitgewirkt hatten, wie bei den 
Vorrechten in Mailand, erweisen jetzt Unterschiede zwischen den Abrechnungen mit den Einzel- 
firmen und der Generalabrechnung für die Krone zugunsten der Zollpächter. 
Zweitens ist neu, daß von großen zuverlässigen Firmen der Zoll nicht sofort bar bezahlt wurde ; 
sondern ihnen bis zu drei Jahren gestundet blieb. Jeder Fuhrmann übergab an den verschiedenen 
Zollstellen der Nordschweiz eine verschlossene Erklärung der Gesellschaft. Bei der Abrechnung 
wurden sie den Ausstellern zurückgegeben. Ein dickes Bündel von solchen Erklärungen ist uns 
erhalten. Ich habe früher den Gesamtbetrag dieser eidgenössischen Zölle zur Berechnung der 
Verkehrsschwankungen verwendet. Das war aber ungenau. 

Anders als der innerdeutsche Verkehr sieht der von Lyon, zum Teil auch der von Genf zum 
Mittelmeer aus. Da taucht das Tragtier, der Maulesel, auf und mit ihm der Mulatiero. Daneben 
verschwindet der langsame Wagen; die schnellere Karre bleibt. Nur selten und nur zur Talfahrt 
wurden auch Rhonebarken verwendet. Hier erscheinen auch Knechte von Großunternehmern; 
hier hafteten die Fuhrleute bei verschuldetem Schaden für einen Teil des Wertes; so bot ein 
Fuhrmann, der einen Wagen mit 14 Kisten Zucker in die Durance geworfen hatte, einen billigen 
Schadenersatz an. 

Ich möchte hier einige Worte der Zuckerfabrikation der Gesellschaft widmen. Das nördlichste 
Anbaugebiet des Zuckerrohrs, das das einzige Süßungsmittel neben dem Honig darbot, lag bei 
Valencia. Südlich davon, in derVega von Gandia, betrieb die Gesellschaft jahrzehntelang auf 
der Besitzung eines spanischen Grafen auf eigene Kosten die Herstellung von Zucker mit eigenem 
„Geschirr", in eigenen Gebäuden, mit meist maurischen Arbeitern, unter Leitung eines Einge- 
borenen. Die schlechteste Sorte war die einmal gekochte de una cuita, besser die de doz cütas und 
die beste die dreimal gekochte. Als dann der Zuckeranbau nach der damals waldreichen Insel 
Madera verpflanzt wurde, konnte der wegen Holzmangel teure Betrieb des Raffinadors den einst 
hohen Gewinn auf dem flandrischen Markt nicht mehr erzielen. Damit ging die älteste, nach- 
weisbare, deutsche Kolonialwarenherstellung ein. Man kaufte den fertigen Zucker. Valencia, im 
paradiesischen Lande, ist auch die Heimat der gezuckerten Früchte. Davon ging als Lecker- 
bissen nur einiges an vornehme Gesellen in die Heimat. Die Ravensburger, die dem Zuckerrohr 
nicht folgten, gingen auch nicht den nunmehr um das Kap der Guten Hoffnung kommenden 
Gewürzen nach Lissabon entgegen. Hier zeigt sich eine Alterserscheinung ! 
Das gewinnbringendste Handelsgut war damals der Safran. Bevor in Ravensburg die Anord- 
nungen für die Anlegung erteilt wurden, hatten die Herren aus allen seinen Anbaugebieten — 
Österreich, Abruzzen, Südfrankreich, Catalonien und Aragonien — Angaben über die Ernte- 
aussichten planmäßig gesammelt. Dementsprechend erteilten sie ihre Aufträge. Dann hieß es 
zuerst mit der besten Sorte, der aragonesischen, auf den Messen von Frankfurt und Nürnberg 
zu erscheinen. 

Der aragonesische Safran mußte über ein Hochgebirge, die Pyrenäen, geschafft werden. In Ulm 
fand ich unter den Papieren einer Wettbewerbsgesellschaft eine genaue Anweisung, wie man am 
besten Zölle umgehen könne. Da mußte man bis fast zur Schneegrenze der Maladetta hinauf! 
Die Ravensburger waren für die Beförderung von Saragossa bis Lyon mehr oder weniger auf 
einen Großunternehmer angewiesen. Pedro de Barances war ,,ein verdorbener Mann und ein 
Bube. Gott behüte uns und alle frommen Leute vor ihm. Ein Strick wäre ihm der beste Lohn, daß 
man ihn hänge." So wird es verständlich, daß auf diesem Wege die Ware von einem erfahrenen 
Gesellen begleitet wurde. 

Mit einer ganz anderen Art hatte es die Gesellschaft bei der Beförderung über die Alpen zu tun. 
Man kennt seit langer Zeit die Rodgenossenschaften, die täglich andere „Transporteure" stellten. 
Das ist natürlich ; denn der Maultiertreiber muß sich auf seiner Strecke genau auskennen und den 



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Zustand der Saumpfade und Brücken, sowie die Lawinengefahr beurteilen können. Am Morgen 
übergibt der Teiler (partitor ballarum) die Ballen den an die Reihe kommenden Rodgenossen. 
Dann zieht der Trupp los, um am Abend bei der nächsten Sust (susta) die Lasten dem dortigen 
Teiler zu übergeben, der sie wettersicher unterbringt. 

Während der Fuhrmann in Deutschland bei Antritt der Fahrt die Hälfte der Kosten, am Ende 
den Rest bezahlt erhielt, mußten hier Tag für Tag die Summen, das sind der Lohn der Maultier- 
treiber, das Sustgeld und das Teilergeld, bar entrichtet werden. Der Einzelkaufmann mußte also 
die Frachtgüter selbst begleiten und in seiner um den Leib geschlungenen Geldkatze viele 
Münzen mit sich tragen. Ein Nürnberger dürfte froh gewesen sein, wenn er im Jahre dreimal 
nach Genua und zurück gelangte. 

Die Gesellschaft machte es anders. Sie hielt sich in Como einen Gesellen, der als ,, Geselle auf der 
Straße" bezeichnet wurde. Traf er von Como her auf einen anderen Frachtführer seiner Gesell- 
schaft, so übergaben sich beide gegenseitig ihre Transporte, sofern die Gesellschaft nichts anderes 
angeordnet hatte. Es hat sich ein ganz eigenartiges ,, Straßenbüchlein" erhalten, eine beredte 
Rechnung. Hans Heer ging am 8. Dezember von Ravensburg mit einer nach Como bestimmten 
Sendung ab. Er überschritt in 114 Tagen bei Winterszeit achtmal die Alpenwasserscheide. Daß 
er bei diesen Fußwanderungen drei Paar Schuhe verbrauchte, sie viermal „bletzen" ließ, daß 
ihm ein Hut vom Kopfe flog, und er dafür einen neuen kaufte, werden die Herren zweifellos in 
Ordnung gefunden haben. Er hatte in dieser Zeit 311 Ballen befördert. Durchschnittlich hatte er 
am Tage 4 Schillinge und 4% Pfennige für sich ausgegeben. Es waren billige Alpenfahrten über 
den Septimer und den Splügen! Es ist ersichtlich, daß diese Einrichtung die Frachtsendung 
sicherte, beschleunigte und verbilligte. Aber nur große Firmen konnten sich solche Gesellen auf 
der Straße halten. 

Den kleinen Kaufleuten war es von Nutzen, daß sich um 1500 die Reichsstadt Lindau entschloß, 
wöchentlich einmal eine Sammelsendung der bei dem Gredmeister, d. i. dem Verwalter des am 
Hafen liegenden Lagerhauses, eingelaufenen Waren und Briefe durch einen Beauftragten des 
Rates über die Berge begleiten zu lassen. Leider sind die Angaben über diese vielleicht älteste 
Paketpost sehr dürftig. 

Die Gesellschaft versicherte bei Landverfrachtung ihre Waren nicht. 

Nun möchte ich noch die Entstehung des deutschen Postwesens behandeln. Dabei muß man die 
Post von den übrigen Beförderungseinrichtungen unerbittlich absondern. Das hat sogar der große 
Former unserer Reichspost, Heinrich von Stephan, in seinen Arbeiten zur Geschichte des Post- 
wesens nicht immer getan. Schon in meiner „Geschichte des Handels und Verkehrs zwischen 
Westdeutschland und Italien" hatte ich diesen Fragen nachzugehen. Als Direktor des Preußisch- 
historischen Institutes in Rom habe ich für die nie vollendete zweite Auflage jenes Werkes Stoff 
für die italienische Vorstufe des Postwesens gesammelt. Dann fand ich in Bonn in dem hoch- 
begabten Fritz Ohmann einen Schüler, der in seiner Dissertation die Anfänge des Postwesens und 
die Taxis auf weitester Grundlage behandelte. Wie seine Arbeiten über die Entwicklung in Spanien 
und Frankreich hier ausscheiden, so darf ich auch nur nebenbei zwei andere Dissertationen er- 
wähnen, die ich veranlaßt habe. Die eine handelt über den Kölner Postmeister Henot, der, der 
Zeit vorauseilend, eine wirkliche Reichspost anstrebte; die andere über den Wandel des Begriffes 
Post. 

Die mittelalterliche Post hat zwei Vorstufen. Die eine umfaßt die Botenanstalten der Städte, 
der Universitäten und anderer Vereinigungen. Diese Anstalten dienten den betreffenden Be- 
hörden, die der Städte aber auch den Bürgern. Es war also eine gemeinnützige Einrichtung. 
Ihr technisches Kennzeichen besteht darin, daß der Brief vom Aufgabeort bis zum Empfänger 
in der Brieftasche ein und desselben Mannes verblieb. Doch gab der Bote Briefe für andere 
Bestimmungsorte bei Gelegenheit auch an andere Boten weiter. Die Boten gingen meist zu 
Fuß und bedurften auch der Nachtruhe; in solchem Falle war die Beförderung langsam. 



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Die zweite Vorstufe der Post war nur für ihren Herrn, einen Fürsten oder eine Behörde bestimmt. 
Es waren reitende Boten, Estafetten, deren Namen von staffa = Steigbügel kommt. Um ihr die 
möglichste Schnelligkeit zu geben, wurde das Brief felleisen (valigia) an einer festen Stelle (posta), 
wo ein neues Pferd bereitstand, von dem ersten Boten an einen zweiten zur Weiterbeförderung 
übergeben. Auch mochte der reitende Bote unterwegs wohl noch einmal das Pferd wechseln. 
Die Leistungsfähigkeit des Reiters, wie die des Pferdes waren für die Entfernung der Postwechsel 
(Stationen) maßgebend. Vor einer solchen blies der Reiter sein Posthorn, damit das frische Pferd 
bereitgestellt werde. Die Geschwindigkeit der Estafettenketten war sehr groß. Bekanntlich hat 
Kaiser Maximilian als Witwer mit dem Gedanken gespielt, sich zum Papst wählen zu lassen. 
War es möglich, daß auf einen Brief von Trient nach Burgos in 18 Tagen die Antwort des Königs 
von Spanien eintraf, so ist kein Zweifel, daß es dem Kaiser mit dem tollen Plane ernst war. Ich 
kann aber hierüber keine sichere Auskunft geben. 

In Italien sind Pferdewechselstellen für Boten, ja Unterkünfte für sie, früh nachweisbar; im 
Mailändischen herzogliche „Relais-Ketten" im Jahre 1385. Es kommt dort auf Eile an. Auf einem 
Briefe steht: „Portentur die noctuque (bei Tag und Nacht), non celeriter sed fulminantisse (wie 
der Blitz), per cavallarium postarum, sub pena mille fuccarum (bei Strafe von 1000 Galgen). 
Siebenmal folgt das Wort cito (schnell). 

Bei meinem Sammeln von Nachrichten ergab es sich, daß von den päpstlichen, mailändischen 
und venezianischen Postreitern (caballarii postarum) sehr viele aus den Alpentälern nördlich 
Bergamo stammten. In den Alpen ist der Nahrungsspielraum sehr eng und einer Ausdehnung nicht 
fähig. Der Überschuß der Bevölkerung muß sich auswärts Verdienst suchen, er ging in die 
Fremde als Söldner, z. B. in die schweizerischen Soldregimenter. Noch heute sind ausgezeichnete 
Zuckerbäckereien in den Händen von Graubündnern, ebenso viele Gasthöfe. Nahrungsmangel 
herrschte auch im deutschen Mittelgebirge. Fuhrleute aus dem Marktflecken Frammersbach im 
nördlichen Spessart kamen nachweislich vom 15. Jahrhundert bis nach 1870 in ferne Länder. 
Sie waren im 16. Jahrhundert die Hauptfuhrleute für Antwerpen. Zu den genannten berga- 
maskischen Postreitern gehörten auch die Tasso, deren langobardischer Ursprung durch das 
Bekenntnis zum langobardischen Rechte in Urkunden von 1390 und 1440 bezeugt ist. Auch der 
Dichter Torquato Tasso entstammte dieser Familie. 

1489 erscheint Janetto de Tassis als erster deutscher Postmeister im Dienste des Königs Maxi- 
milians für dessen einziges, ihm damals gehörendes Land Tirol. Maximilian erweiterte die Ein- 
richtung gewaltig; für die Lage der Linien war der wechselnde Aufenthaltsort des Herrschers 
maßgebend. 1891 veröffentlichte der jetzige Präsident der Wiener Akademie der Wissenschaften, 
Oswald Redlich, vier Poststundenpässe, die ersten dieser Art. Das sind die das Postfelleisen be- 
gleitenden Laufzettel, auf denen jeder Postreiter Zeit und Ort der Übernahme des Felleisens 
vermerkte. Dadurch wurde es möglich, jeden säumigen Postreiter sofort festzustellen. Die 
Caballarii mußten also lesen und schreiben können und forsche Reiter sein. Diese Pässe geben 
uns auch genau die Wege an. 

Bei der Deutung eines dieser Pässe fand ich einen kennzeichnenden Punkt heraus, der sich durch- 
aus bestätigt hat. Die Linie Mecheln — Innsbruck begleitet nur an einer einzigen Stelle den Rhein. 
Der Engpaß zwischen Eifel und Rhein, zwischen Sinzig und Andernach, war unvermeidlich. 
Aber von Andernach an ritt der Bote über die Eifel und den Hunsrück. Das einsam liegende 
Gasthaus zur Post inBrodenbach erinnert noch heute an den alten Postübergang über die Mosel. 
Und weiter ging das Felleisen quer durch das Land von der Nahe bis Neuhausen, südlich von Speyer, 
wo es vom Fergenmeister über den Rhein geschafft wurde. Alldem lag eine entscheidende Tatsache 
zu Grunde. Die Stadttore waren des Nachts geschlossen. Also mußten die Postreiter die Städte 
umreiten; wo das, wie im Rheindurchbruchstal, unmöglich war, mußten die Wege ins Gebirge 
verlegt werden. Noch lange sträubten sich sogar große Städte, bei Nacht das Tor zu öffnen. 
Heute liegen die Postämter meist im Mittelpunkt der Stadt, damals lagen sie vor den Toren, 



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so bei Ulm und Eßlingen. In dem Dorfe Neuhausen bei Speyer wurde mit Rücksicht auf die 
hier zusammenlaufenden Linien das Amt meist von einem Gliede der Familie Taxis verwaltet. 
Die Folgen gehen weiter. Der Frachtverkehr sucht gute Fahrstraßen. Der Fußbote benutzt auch 
Richtwege. Beide haben nur Tagesdienst. Wird der Postweg durchgehend durch Reiter benutzt, 
so muß er den Pferdehufen weichen Untergrund bieten. Als die Postkutsche aufkam, änderte 
sich das; die Reitwege genügten nicht mehr, man brauchte nun härteren Boden. Nur ganz lang- 
sam wurden die vielen Hemmungen beseitigt. 

Zunächst dienten die Stafettenzüge nur dem kaiserlichen Hofe und habsburgischen Behörden. 
Sie waren so wenig wie die Botenanstalten eine Post. Sie wurden erst dann eine solche, als sie 
auch dem öffentlichen Nachrichtenverkehr dienten und ihre Rosse auch Privatleuten zur Ver- 
fügung stellten. 

Jeder Stafettenverkehr bedurfte eines kräftigen, unermüdlichen, reitfreudigen Leiters. Die 
Taxis unterstanden zunächst der Innsbrucker Hofkammer; dort empfingen sie die Felleisen. 
Die so entstandene Post war ein beauftragter Staatsbetrieb, der dem Staat viel Geld kostete. 
Die Taxis verdienten mehr, wenn sie ein Alleinrecht erwarben und wenn sie ihren Postreitern 
auch Briefe Privater mitgaben. Sie erreichten jenes in gewissen Grenzen 1516. Das andere zu 
tun, hatten sie längst vorher begonnen. Sie konnten dies den großen, dem Kaiser Maximilian 
unentbehrlichen Handelshäusern der Fugger und der Welser nicht abschlagen. Die Möglichkeit, 
dies auszunutzen, vergrößerte sich, seitdem die Taxis und nicht mehr die Hofkammerbeamten 
die Felleisen verschlossen. Vielleicht waren die Beamten frühmorgens, wenn der Postreiter ab- 
gefertigt werden sollte, noch nicht im Dienste. Es gab deshalb Streit; aber schließlich siegten 
die Taxis, die mit ihren verschiedenen Linien eine Art Weltpostverein schufen. 
Schon 1500 ist die Beförderung welserischer Privatbriefe nachzuweisen, wie aus dem beigegebenen 
Teile des Poststundenpasses zu ersehen ist, Abb. 2. Auch ein Zeugnis der Ravensburger Papiere 
kann angeführt werden. Diese reine Warengesellschaft nahm 1507 für einen Brief nach Ravens- 
burg von Antwerpen aus einen „Stadt-Postboten". Da die Taxis'sche Linie in Mecheln ihr Ende 
hatte, kann vielleicht die Stadt Antwerpen eine Anschlußlinie bis Mecheln betrieben haben. 
Der zwischen dem Kaiser und den Taxis 15 16 abgeschlossene Vertrag schied die Benutzung der 
Personen- und Briefpost durch Private nicht mehr unbedingt aus. Der erste Beleg ist der Ritt 
eines Augsburger Kaufmanns auf Postpferden im Jahre 1515. 1521 begegnet uns die erste Geld- 
sendung: 1000 Gulden in bar für die Fugger, die übrigens auch eigene Boten (Kuriere) hatten. 
Seit 1543 war Briefpost, Geldpost und Personenpost ein klares, unanfechtbares Recht der 
Taxis. 

Die Posteinrichtung ist weit älter als die der Taxis. Sie ist in China schon weit früher entwickelt 
worden. Sven Hedin hat in der Wüste von Ostturkestan eine vom Sande fast begrabene, in 
17 Jahrhunderten nie durchfeuchtete Poststation und in ihr 36 auf Papier geschriebene Briefe 
und 121 kleine Holzlatten gefunden, die als Briefumschläge dienten. Mindestens so alt ist die 
chinesische Post. Ich sage Post; denn neben dienstlichen Schriftstücken, die schon auf eine 
Relaiskette passen würden, sind einige der Briefe an Privatpersonen gerichtet. Sogar eine 
Quittung über eine aufgegebene Postsendung ist erhalten. Das Verkehrstechnische wird durch 
die Bezeichnung der Verkehrsanstalt als „Tag und Nacht im Sattel" charakterisiert. Daß die 
Taxis dieses Vorbild bewußt nachahmten, ist wenig wahrscheinlich. 

Es ist nicht sicher erwiesen, wann regelmäßige Abgangszeiten festgelegt wurden. Doch halte ich 
das nicht für einen notwendigen Bestandteil des Begriffes Post. In der Extrapost erhielt sich am 
längsten das ursprüngliche Wesen der ältesten Zeit, in der das Posthorn erklang, eine Zeit, die 
uns fast wie ein Märchen anmutet, seitdem wir von ungeheuren technischen Errungenschaften 
als täglichen Selbstverständlichkeiten umgeben sind. 

Und doch gibt es Augenblicke, in denen uns begeisterte Bewunderung für eine geniale Erfindung 
ergreift, wenn wir z. B. den silbernen Leib eines Zeppelins in stolzer Majestät am Himmel 
ziehen sehen, über Ozeane hinweg, Länder und Völker verbindend. 



& 2j 



Vor einigen Jahren fuhr ich mit mehreren Professoren und Herrn Eckener auf dem kleinsten 
Kriegsschiff, um im Ausland Vorträge zu halten. Von Riga kehrten wir im Schnellzug heim. 
Litauische Schaffner erkannten unseren Führer und alle zogen vorüber, um ihn zu sehen. Wir 
harmlose Professoren wurden für seine Ingenieure gehalten. Gern erinnere ich mich heute, wo 
ich die Ehre hatte, in Ihrem Vereine vor wirklichen Ingenieuren zu sprechen, dieses kleinen 
Ereignisses, das uns damals viel Freude machte. 



SCHR IFTTUM 

Die Literatur über die Geschichte des Postwesens ist von sehr verschiedenem Werte. Der Grundfehler ist meist die 
mangelnde Sorgfalt in der Unterscheidung von Einrichtungen für Beförderung von Briefen, Personen usw. und den weit 
engeren postalischen Einrichtungen. Es kommt auf klare Unterscheidungen an. Der Begriff der Post ist von Hermann 
Kownatzki in seiner Bonner Dissertation: „Geschichte des Begriffes und Begriff der Post" in: Archiv für Post und 
Telegraphie (1923) S. 377 bis 432 geschichtlich verfolgt und geklärt worden. Die grundlegende Arbeit über die Anfänge 
des Postwesens ist gleichfalls eine Bonner Dissertation, von dem im Weltkriege gefallenen Prof. Dr. Fritz Ohmann: Die 
Anfänge des Postwesens und die Taxis, Leipzig 1909. Dieses Buch behandelt in sorgsamster Weise die Vorläufer und 
Anfänge in Spanien, Frankreich und Italien und dann die weitere Entwicklung. Zu welchen Ungeheuerlichkeiten eine 
mangelnde Klarheit der einschlägigen Begriffe führen kann, beweist schon der Titel eines aus dem Schwedischen über- 
setzten Buches von Nils Jakobson: Die Post der Urzeit oder die Nachrichten Vermittlung vor der Sintflut. Leipzig 1892. 
Aber auf denselben Fehler verfällt auch noch E. Kißkalt: Die Post, ein Werk Kaiser Friedrichs III., nicht der Taxis. 
Bamberg 1926. Es ist ein durchaus verfehlter Versuch, der leider auch mit Angriffen auf Ohmann belastet wurde, die 
ganz unbegründet sind. Die Klärung der Dinge wurde von dem fürstlich Thurn- u. Taxis 'sehen Archivrat Rübsam in 
Regensburg und mir vorbereitet. Vergl. das Kapitel: ,,Die Einführung der Posten" in der „Geschichte des mittelalter- 
lichen Handels und Verkehrs zwischen Westdeutschland und Italien", Leipzig 1900, Bd. 1, S. 500, und „Zur Entstehung 
des deutschen Postwesens". Beilage zur (Münchener) Allgemeinen Zeitung 1900, Nr. 85. 

Frachtverkehr : Schulte, A.: Geschichte der großen Ravensburger Handelsgesellschaft 1380 bis 1530. 3 Bände 1923, 
namentlich 2, 21 bis 48. 

Postwesen: Götter, Engelbert: Jakob Henot. Bonner Dissert. 1910. 



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Schulte: Über spätmittelaltevliche Verkehr stech nih. S. iS bis 24 



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Abb. 2. Teile aus einem Post- 
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