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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE
)J> 2 u -2 4;
THERAPIE.
HERAUSGEGEBEN
VON
Geh.-Rath Prof. Beieger (Berlin), Geh.-Rath Prof. Ctjrschmann (Leipzig), Prof. Eichhorbt (Zürich),
Prof. Einhorn (New-York), Geh.-Rath Prof. Ewald (Berlin), Prof. A. Frankel (Berlin), Geh.-Rath
Prof. B. Frankel (Berlin), Geh.-Rath Prof. Fürbringer (Berlin), Prof. J. Gad (Prag), Geh.-Rath
Prof. Gerhardt (Berlin), Geh.-Rath Prof. Heubner (Berlin), Geh.-Rath Prof. A. Hoffmann (Leipzig),
Prof. v. Jakbch (Prag), Geh -Rath Prof. Jolly (Berlin), Prof. v. Jürgensen (Tübingen), Geh.-Rath
Prof. Käst (Breslau), Prof. Kitasato (Tokio), Prof. G. Klemperer (Berlin), Geh.-Rath Pof. Lichtheim
(Königsberg), Geh.-Rath Prof. Liebreich (Berlin), Prof. v. Mering (Halle), Geh.-Rath Prof. Mosler
(Greifswald), Prof. Fr Müller (Basel), Geh.-Rath Prof. Naunyn (Strassburg), Prof. v. Noorden
(Frankfurt a. M.), Hofrath Prof. Nothnagel (Wien), Prof. Pel (Amsterdam), Prof. A. Pribram (Prag),
Geh.-Rath Prof. Quincke (Kiel), Geh.-Rath Prof. Renverb (Berlin), Geh.-Rath Prof. Riegel (Giessen),
Prof. Rosenstein (Leiden), Geh.-Rath Prof. Rubner (Berlin), Prof. Sahli (Bemj, Prof. Schreiber
(Königsberg), Geh.-Rath Prof. Senator (Berlin), Prof. Stokvis (Amsterdam), Sir Hermann Weber,
M. D. (London), Prof. Winternitz (Wien), Prof. Zuntz (Berlin).
REDIGIRT
VON
E. von LEYDEN,
A. GOLDSCHEIDER und P. JACOB.
Fünfter Band.
Mit 91 Abbildungen.
LEIPZIG
VERLAG VON GEOIJG TTTTEME
1 0 0 2 .
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Inhaltsverzeichnis des Y. Bandes
I.
Original - Arbeiten.
Heft Seite
Sanatorien auf Insein und am Meeresufer. Von Sir Hermann Weber M. D. F. R. S.,
konsult Arzt am German Hospital 'in London, am National Hospital for Con-
sumption in Ventnor und am North London Hospital for Consumption .... 1 5
Die Energiebilanz des Säuglings. Von Geh.-Rath Professor Dr. Otto Heubner in
Berlin. Mit 5 Abbildungen. I 13
Bemerkungen zur hydriatischen Behandlung der Lungenentzündung. Aus der Hydro¬
therapeutischen Anstalt der Universität zu Berlin. Von Geh.-Rath Professor
Dr. L. Brieger. I 30
Radfahren bei Magenkrankheiten. Von Geb.-Rath Professor Dr. Fürbringer in Berlin I 40
Beitrag zur Erklärung harnsaurer Niederschläge im Urin. Aus dem chemischen Labora¬
torium des Berliner Instituts für medicinischc Diagnostik. Von Professor Dr.
G. Klemperer in Berlin. I 48
Bemerkungen zur therapeutischen Verwerthung der Muskelthätigkeit. Von Professor
Dr. N. Zuntz in Berlin . . . .*. II 99
Feber Heissluftapparate und Heissluftbehandlung. Aus der medicinischen Universitäts-
Poliklinik in Königsberg i. Pr. Von Professor Dr. Julius Schreiber. Mit
6 Abbildungen. II 104
Die Kostordnung auf der inneren Abtheilung des evangelischen Diakonissenhauses in
Freiburg i. Br. Von Oberarzt Professor Dr. A. Schüle. II 116
Ueber die Verwendung Blinder in der Massage. Von Dr. E. Eggebrecht in Leipzig II 119
Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. Von Dr. M. Siegfried in
Bad Nauheim. l.Theil. Mit 11 Abbildungen. II 131
Ueber Sitophobie intestinalen Ursprungs. Von Dr. Max Einhorn, Professor an der
New-Yorker Post-Graduate Medical School. III 187
Untersuchungen und Beobachtungen über den Einfluss der abdominellen Massage auf
Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls sowie auf die Peristaltik. Aus der HI. medi¬
cinischen Klinik der Königlichen Charitö zu Berlin (Direktor Geh.-Rath Professor
Dr. Senator). Von Dr. Erik Ekgren aus Stockholm. III 191
Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. Aus der medi¬
cinischen Abtheilung des städtischen Krankenhauses zu Frankfurt a. M. (Direktor
Professor v. Noorden). Von Dr. H. Salomon, I. Assistenzarzt. III 20r>
Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. Von Dr. M. Siegfried in
Bad Nauheim. 2. Theil. Mit 11 Abbildungen (Schluss). III 220
Beschreibung einer auch bei wechselndem Wasserdruck sicher funktionierenden Douche-
vorrichtung. Von Sanitätsrath Dr. Pelizaeus, Sanatorium Suderode am Harz.
Mit 1 Abbildung. III 227
Untersuchungen über Diabetikerbrote. Von Dr. W. Camerer jun. in Stuttgart. . . III 229
Das hydrotherapeutische Institut an der Universität Berlin. Von Dr. Julian Marcuse
in Mannheim. Mit 3 Abbildungen. III 232
Ueber den arteriellen Blutdruck der Phthisiker. Aus der inneren Abtheilung des
städtischen Krankenhauses am Urban zu Berlin. (Direktor: Prof. Dr. A. Frankel.)
Von Dr. Max John aus Budapest. IV 275
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UNIVERSITY 0F MICHIGAN
IV Inhaltsverzeichnis».
Heft Seit©
Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor - Eisenbäder und
deren physiologische Wirkung. Von Dr. Richard Heller in Salzburg. Mit
22 Abbildungen. IV 279
Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. Von Dr. M. Löwen-
sohn aus Wercholensk (Russland). IV 302
Zur Behandlung des nervösen Hustens mittelst bahnender und hemmender Uebungs-
therapie. Aus der I. deutschen medicinischen Klinik des Hofrath Professor
Pfibram in Prag. Von M. U. Dr. Rudolf Funke, em. erster Assistent der
Klinik. V 303
Die Thermometrie am Krankenbette. Historische Aufzeichnungen von Dr. C. E. D aniö 1 s,
Amsterdam. Mit 4 Abbildungen. V 388
Tuberkulose und Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. Von Dr.
E. Achert in Bad Nauheim . . . . .. V 404
Ueber die Lichtbehandlung von Hautaffektionen nach der Finsen’sehen Methode. Von
Professor Dr. E. Lesser in Berlin. Mit 2 Abbildungen. VI 451
Ueber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N - haltiger Nahrung unter
physiologischen und pathologischen Verhältnissen. Aus dem pathologisch¬
chemischen Laboratorium der K. K. Krankenanstalt »Rudolfs-Stiftung« in Wien
(Vorstand: Dr. Ernst Freund). Von Dr. Leopold Lauf er, Sekundärarzt. . VI 458
Vereinfachtes Geräth für manuelle Heilgymnastik. Von Dr. S. Salaghi, Professor der
physikalischen Therapie an der Königl. Universität Bologna. Mit 5 Abildungen VI 471
Koch , s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose.
Von Professor Dr. Ostertag in Berlin. VI 476
Die öffentliche Krankenküche (Berlin, Briiderstr. 10), ihre Bedeutung und Einrichtung.
Von Frau A. vom Rath. Mit 2 Abbildungen.VII 539
Fine therapeutische Handlampe mit gekühlten Eisenelektroden. Von Dr. Sophus Bang,
Laboratoriumsvorstand in »Finsens medieinske Lysinstitut«, Kopenhagen. Mit
1 Abbildung.VII 54G
Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur und deren physikalische Behandlung.
Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-Rath
Professor Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus, Volontär-Assistent der Klinik VII 550
Eine einfache Vorrichtung zur Verhütung der Flexionspronationskontraktur des Armes.
Aus der inneren Abtheilung des städtischen Krankenhauses Moabit (Professor Dr.
Goldscheider). Von Dr. W. Alexander, Assistenzarzt. Mit 3 Abbildungen VII 567
Der Kefir (Ferment und Heilgetränk aus Kuhmilch). Geschichte, Bereitung, Zusammen¬
setzung des Getränks, Morphologie des Ferments und dessen Erkrankungen;
physiologische und therapeutische Bedeutung des Getränks. Von Professor Dr.
W. Podwyssozki in Odessa. Uebersetzt aus dem Russischen von Dr. Rechts-
hamraer.VII 570
Die russischen Hungerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen. Von Professor
Dr. F. Eris mann in Zürich.VIII 627
Der Kefir (Ferment und Heilgetränk aus Kuhmilch). Geschichte, Bereitung, Zusammen¬
setzung des Getränks, Morphologie des Ferments und dessen Erkrankungen;
physiologische und therapeutische Bedeutung des Getränks. Von Professor Dr.
W. Podwyssozki in Odessa. Uebersetzt aus dem Russischen von Dr. Rechts-
hammer. (Schluss).VIII 643
Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlornatrium - Schwefel - Thermen von Baden
(Schweiz). Vortrag gehalten an der zweiten Jahresversammlung der schweize¬
rischen balneologischcn Gesellschaft in Baden am 13. Oktober 1901. Von Dr. Paul
Roethlisbergcr in Baden.VHI 658
Ueber die Ersetzung gelähmter Muskelfunktionen durch elastische Züge, speziell bei
der hemiplegischen Beinlähmung. Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu
Berlin (Direktor Geh. Mcd.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus,
Volontär-Assistent der Klinik. Mit 5 Abbildungen.VHI 669
Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur und deren physikalische Behandlung.
Bemerkungen zu dem Aufsatze von P. Lazarus auf S. 550ff. dieser Zeitschrift.
Von Dr. Ludwig Mann, Privatdozent in Breslau.VIII 676
e
Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Inhaltsverzeichnis. V
Heft Seite
II.
Kritische Umschau.
Die Cytotoxine. Von Dr. Jules Renault in Paris. I 57
Die Grundlagen der Organtherapie. Kritisches Referat von Dr. M. Lewandowsky,
prakt. Arzt in Berlin. I 67
Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie in Russland. Von
Dr. A. Dworetzky in Riga. III 235
Künstliche Präparate für die Ernährung des Säuglings. Von Dr. Salge, Assistent der
Kinderklinik (Charitö). IV 314
Die neuesten Resultate der Sehnentransplantationen bei peripherischen Lähmungen.
Von Rudolf Noehte, Unterarzt. VI 490
Diätetisches aus Russland. Zusammenfassender Bericht von Dr. A. Dworetzky in
Riga-Schreyenbusch. VI 495
III.
Referierte Bücher und Aufsätze.
Akopenko, Zur Chromotherapie der Geisteskrankheiten. Die Wirkung der farbigen
Lichtstrahlen auf die Schnelligkeit des Ablaufs der psychischen Prozesse ... II 104
Alapy, Baineotherapeutische Behandlung der tuberkulösen Gelenks- und Knochen¬
krankheiten bei Kindern. VI 514
Albu, Zur Bewerthung der vegetarischen Diät.VIII 686
Albu, Der Stoffwechsel bei vegetarischer Kost.VIII 687
Arloing, Inoculabilitö de la tuberculose humaine aux herbivores.VII 596
Babajew, Die Balneotherapie der Herzkrankheiten .. V 422
Baedeker, Die Arsonvalisation.VIII 698
Bälint, Ueber die diätetische Behandlung der Epilepsie.VII 601
Bätsch, Massage bei Lymphangitis.VII ,608
Behla, Die Karcinomlitteratur. VI 528
Bendix, Beiträge zur Ernährungsphysiologie des Säuglings. II 149
Bendix und Finkeistein, Ein Apparat für Stoffwechseluntersuchungen am Säugling V 416
Berger, Ueber den Einfluss reiner Milchdiät bei Diabetes melitus. VI 330
Berju, Ueber eine Aenderun g der Methode der künstlichen Verdauung ei weisshaltiger
Nahrungsmittel.VII 602
Bema bei, L’assortimento extrapolmonare dei gas e la emfisiterapia.VH 607
Bernheim, Behandlung von Aneurysmen mit Elektrolyse durch eingeführten Draht . V 432
Biedert, Die diätetische Behandlung der Verdauungsstörungen der Kinder .... IU 251
Biedert, Ueber Ernährung und Ernährungsstörungen, Gastrektasie und Colitis . . . VH 604
Biernacki, Die moderne Heil Wissenschaft, Wesen und Grenzen des ärztlichen Wissens VIH 700
Blätter für Volksgesundheitspflege 1901. H 168
Blätter für Volksgesundheitspflege. Heft 14—20. IV 350
Blumenthal und Wohlgemuth, Ueber Glykogenbildung aus Eiweiss. VI 507
Boas, Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten. IV 321
Börners Reichs-Medicinal-Kalender 1902 VI 529
Börner’s Reichs - Medicinal - Kalender 1902 VH 600
Bonifas, Du coupage du lait chez les enfants du premier äge. III 254
Borissow, Ueber den Einfluss des Lichtes und der Dunkelheit auf die Zusammen¬
setzung des Blutes. IV 337
Borissow, Zur Lehre von der Wirkung des Lichtes und der Dunkelheit auf den
thierischen Organismus. IV 337
Bornträger, Das Buch vom Impfen.VIH 701
Box, M. D., The thcrapeutic value of suprarenal preparations in Addison disease . . VIII 686
Braun, Ueber Vibrationsmassage der oberen Luftwege mit spezieller Berücksichtigung
der Vibration der Nase bei Stimhöhlenkatarrh und der Tuba bei Schwerhörigkeit IV 347
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
VI
Inhaltsverzeichnis.
Heft Seite
Braun, Ueber Vibrationsmassage der oberen Luftwege. VIII 691
Brühl-Hjelt-Aschan,iDie Pflanzen-Alkaloide.VIII 687
v. Bunge, Der wachsende*Zuckerkonsum und seine Gefahren. VI 506
Cautru, Massage abdominal. VI 516
Charrin et Guillemonat, Influence des modifications experimentales de l’organisme
sur la consommation de la glycose. IV 326
Cieaves,\Arthritis deformans and thc benefits of elcctrical treatment. VI 519
C off in, Results of hot air treatment in rheumatism an gout. III 258
Cohn, Therapeutische Versuche mit Wechselströmen hoher Frequenz und Spannung
(Teslaströmen). III 260
Corner, The technique of lumbar puncture. IV 347
Crozier Griffith, M. D., The relation of seurvey to recent methods of artificial feedings VI 512
Dagron, Massothörapie. VI 517
Danegger, Experimentelle Untersuchungen des Lignosulfit mit Rücksicht auf seine
Verwendbarkeit in der Behandlung der Tuberkulose. III 261
David, Grundriss der orthopädischen Chirurgie. III 261
Davidsohn, Zur therapeutischen Verwendung der feuchten Wärme. Teinperierbare
Kataplasmen. III 258
Dehio, Ein Apparat zur mechanischen Behandlung des Hydrops anasarca und Unter¬
suchungen über; die chemische Zusammensetzung der Oedemflüssigkeit .... VI 524
Dixon, The compositum and action of orchitic extract.VII 606
Dogel, Der Einfluss der Musik und die Wirkung der Farben des Spektrums auf das
Nervensystem des Menschen und der Thiere. II 164
Donath, Meniöre’scher Symptomenkomplex geheilt mittels galvanischen Stromes . VIII 697
Douglass/ A study of the application of the galvano-cauteiy in the nose .... III 260
Doum er und Ran$on, Traitement de la diarrhöc chez les tuberculeux par la faradi-
sation abdominale. II 166
Dresdner, Aerztliche Verordnungsweise für Krankenkassen und Privatpraxis nebst
Rezeptsammlung. V 439
v. Drigalski, Zur Wirkung der Lichtwärmestrahlen. IV 336
Düms, Handbuch der]Militärkrankheiten. UI. Band: Die Krankheiten der Sinnes¬
organe und des Nervensystems, einschliesslich der Militärpsychosen. III 263
v. Düngern, Eine praktische Methode, um Kuhmilch leichter verdaulich zu machen . VU 601
Du Pasquier und Löri, 'Injections intra- et extra-durales de cocaTne ä dose minime
dans le traitement de, la sciatique. V 436
Durig und Lode, Ergebnisse einiger Rospirationsversuche bei wiederholten kalten
Bädern. IV 344
Dwight Chapin, M. D., A simple and accuratc method of substituts infant feeding. VIII 685
Edel, Ueber den Einfluss des künstlichen Schwitzens auf die Magensaftsekretion . . V 425
Einhorn, Mendelsohn und Rosen, Die Prophylaxe in der inneren Medicin . .. VI 526
Elschnig, Die Massage in der Augenheilkunde. V 427
Emmert, Ueber die antiphlogistische Fernwirkung der Kälte.VIII 688
Engel, Zur Behandlung der Pocken mit rothem Licht nebst einigen Bemerkungen
über forzierte Vaccination. V 429
Engelmann, Dreissig Jahre Badepraxis.VII 608
Epidurale Kokaininfusion. V 528
Erlenmeyer, Ueber die Bedeutung der Arbeit bei der Behandlung von Nerven¬
kranken in Nervenheilanstalten. VI 515
Eulenburg, Ueber einige physiologische und therapeutische Wirkungen der An¬
wendung hochgespannter Wechselströme (Arsonvalisation). V 433
Ewart, Eis oder Wärme iu der lokalen Anwendung?. II 155
Ewart und Dickinson, Ueber die Behandlung des chronischen Hydrocephalus durch
Punktion und Einführung sterilisierter Luft in die Ventrikel. VI 528
Falloise, Influence de la respiration d’une atmosphere suroxygönee sur Tabsoiption
d’oxygöne.VII 607
Feer, Neuere Fortschritte und Bestrebungen in der Sänglingscmährung. II 148
Förster, Alkohol und Kinderheilkunde. V 415
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Inhaltsverzeichniss. VII
Heft Seit©
Forel, La question des asiles pour alcoolisös incurables. II 153
Frankel, Die Verwendung des Alkohols in der Behandlung der Infektionskrankheiten VI 510
Frankenhäuser, Die Elektrochemie als medicinische Wissenschaft. V 431
Frankenhäuser, Die praktische Verwerthung der elektrochemischen Erscheinungen
für die Balneotherapie ..VI 522
Frenkel, Die Behandlung der tabischen Ataxie mit Hülfe der Uebung. Kompen¬
satorische Uebungstherapie, ihre Grundlagen und Technik. II 159
Frdtin, Kinesiterapia. Tratamiento mecänico de la coqueluche. V 425
Freund und Fpreund,iBeiträge zum Stoffwechsel im Hungerzustande. VI 506
Frey, Die Heilwirkungen des Franklin’schen Stromes.VIII 697
Friedländer, Beitrag zur mechanischen Behandlung der Lungentuberkulose . ... VI 519
Fried mann, Die Pflege und Ernährung des Säuglings.VIII 686
Fürst, Ueber den Todidurch giftige Gase. VI 528
Garnault, Traitement de la tuberculose par la viande crue et par les injections intra-
tachöales d’orthoforme.. • • V 413
Gebhardt, Die mikrophotographische Aufnahme gefärbter Präparate. III 259
Gerbsmann, Die Massage bei der Enuresis nocturna. V 426
Gevaerts, Diöte sans phosphore. V 413
Gockel, Ueber Erfolge mit tPankreon«. IV 326
Godin, Du role der anthropomötrie en education phisique.VIII 696
Gorl, Zur Lichtbehandlung mit ultravioletten Strahlen. V 429
t H 145
Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie.< III 251
l VII 597
Goldschmidt, Weitere Beiträge zum nervösen Asthma. II 152
Golubew, Der Kumys und seine Verwendung. IV 334
Gregor, Ueber die Verwendung des Leims in der Säuglingsemährung. V 414
Grün bäum und Amson, Ueber die Beziehungen der Muskelarbeit zur Pulsfrequenz VIII 695
Grünbaum und Amson, Der Einfluss der Bewegungen auf die Pulsfrequenz . . . VIII 695
Guimbail, La thörapeutique par les agents phisiques. V 434
Hagenberg, Ueber die Acetonvermehrung beim Menschen nach Zuführung niedriger
Fettsäuren. IV 330
Hagen-Torn, Die englische Krankheit, ihre Symptome, ihr endemischer Charakter und
ihre Abhängigkeit von der relativen Feuchtigkeit der Luft. VI 523
Handbuch der Heil-, Pflege- und Kuranstalten (Privatanstalten). IV 350
Hansemann, Einige Zellprobleme und ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Be¬
gründung der Organtherapie. IV 322
Hatschek, Eine einfache Methode für Kohlensäureapplikationen. II 159
Hecht, Die Heissluftbehandlung bei chronischen Mittelohreiterungen. VI 515
Heftler, Traitement balnö möcanique, ä domicile, des affecdons chroniques du coeur III 256
Heidenhain, Ueber den Nutzen des Schwitzens. IV 343
Heitzmann, Ueber die manuelle Behandlung der Frauenkrankheiten. V 425
Hellmer, Heliotherapie. V 436
Herzen, Einfluss einiger Nahrungsmittel auf die Menge und den Pepsingehalt des
Magensaftes. VI 505
Hildebrandt, Sandtherapie. IV 342
Hirschfeld, Die Behandlung der leichten Formen von Glykosurie VII 603
Jaboulay, Einspritzungen von Chininlösungen in den Canalis sacralis. VI 527
Jacob und Pannwitz, Entstehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose ... IV 317
Jacobson, Zur Behandlung von Bronchialerkrankungen durch Lagerung. IV 346
Jänsch, Der Zucker in seiner Bedeutung für die Volksernährung. IV 323
Jaquet, Zur Frage der sogenannten Verlangsamung des Stoffwechsels bei Fettsucht V 413
Jaquet, Recherches sur Taction physiologique du climat d’altitude. V 421
Jaquet, De Finfluence du climat d’altitude ßur les öchanges respiratoires.V1LI 690
Jefimow, Zur Entstehung des Skorbuts. II 155
Jendrassik, Klinische Beiträge zum Studium der normalen und pathologischen
Gangarten.VIII 694
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
VIII
Inhal tsverzeichniss.
Heft Seite
Josoph, Die Prophylaxe bei Haut- und Geschlechtskrankheiten. III 263
Josiäs und Roux, Essai sur le traitement de la tuberculose pulmonaire chez les
enfants par le sörum musculaire, suivant le proeödö de M. M. Charles Richet
et Hericourt. VI 509
Kassowitz, Wirkt Alkohol nährend oder toxisch?. V 419
Kattenbracker, Tragbare Lichtbäder. IV 340
Kaufmann, Stoffwechselbeobachtung bei einem mit Nebennierensubstanz behandelten
Fall von Morbus Adisonii. VI 508
Keller, Ueber Nahrungspausen bei der Sauglingsemährung. II 147
Keller, Malzsuppe in der Praxis. V 415
Kienböck, Ueber die Einwirkung des Röntgenlichtes auf die Haut. VI 520
Kisch, Die ärztliche Ueberwachung der Entfettungskuren. III 254
Kisch, Entfettungskuren. VI 510
Kisskalt, Die Erkältung als krankheitsdisponierendes Moment.VHI 688
Klapp, Ueber die Behandlung von Gelenkergüssen mit heisser Luft. IV 338
Knöpfelmacher, Die Nahrungsmengen im Säuglingsalter. VI 508
König, Neuere Forschungen über die Beziehungen zwischen Elektrizität und Materie V 431
Königshöfer, Die Prophylaxe in der Augenheilkunde. V 437
Koeppe, Die physikalisch-chemische Analyse des Liebensteiner Stahlwassers ... II 158
Koeppe, Gefrierpunktserniedrigung und elektrische Leitfähigkeit natürlicher Mineral¬
wässer . IV 330
Kolisch, Lehrbuch der diätetischen Therapie chronischer Krankheiten für Aerzte und
Studierende.. . . .. III 253
Kornfeld, Ueber den Einfluss physischer und psychischer Arbeit auf den Blutdruck II 161
Kössa, Die Wirkung des Phlorizins auf die Nieren. II 147
Lange, Beitrag zur Frage der Fleischkonservierung mittels Borsäure-, Borax- und
schwefelsauren Natronzusätzen. Mit einem Anhang, Milchkonservierung betreffend VII 605
Langendorff, Ueber das Luftbad. II 156
Lan go woy, Ueber den Einfluss der Körperlage auf die Frequenz der Herzkontraktionen II 163
Lasurski, Ueber den Elinfluss der Muskelbewegung auf die Blutzirkulation in der
Schädelhöhle. II 163
Lemoine, Ueber kalte Irrigationen ins Rektum beim Typhus.VIH 689
Le red de, La photothörapie et ses applications ä la thörapeutique des affeedons cutanöes V 429
Lewaschow, Die gegenwärtigen experimentellen Ergebnisse zur Frage über den
Einfluss der Luft auf den menschlichen Organismus. IV 345
Liebe, Der Stand der Volksheilstättenbewegung im In- und Auslande. IV 322
Loebel, Zur Purpurabehandlung mit Trink- und Badekuren .. III 256
Loewy und Cohn, Ueber die Wirkung der Teslaströme auf den Stoffwechsel ... III 260
Loveland, Rheumatic gout. V 426
Lovett, The meebanies of lateral curvature of the spine. V 429
Makarow, Ueber die Behandlung des Typhus abdominalis durch Injecrionen von
Kochsalzlösungen.VIH 689
Marboux, Les indications du regime laet6 dans le traitement des albuminuries . . IV 327
Marcuse, Zur Frage der alkoholfreien Ersatzgetränke. III 255
Marcuse, Kritische Uebersicht über die diätetischen Nährpräparate der Neuzeit . . IV 323
Martin, E'ormulaire d'hydrothörapic et de balneotherapie. IV 345
Martins, Allgemeine Prophylaxe. V 438
Maslennikow, Die mechanische Behandlung allgemeiner Oedeme VI 524
Matthaei, Die Schädlichkeit mässigen Alkoholgenusses. IV 335
Menzer, Ein Stoffwechselversuch über die Ausnutzung des Fersaus durch den mensch¬
lichen Organismus. V 415
v. Mering, Lehrbuch der inneren Medicin. VII 598
Minine, Ueber ein vereinfachtes Verfahren der Lupusbehandlung durch die Photo¬
therapie . VI 523
Möhlau, Die rationelle Behandlung der chronischen Gonorrhoe durch Massage . .. V 428
Monrad, Om Anveldelsen af raa Maelk vod Atrofi og kronisk Mave-Tarmkatar hos
spaede Born. . IV 326
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Inhaltsverzeichnis. IX
Heft Seite
Moreigne, Action des purgatifs sur la nutrition . IV 335
Moritz, Ueber den klinischen Werth von Gefrierpunktsbestinmmngen. IV 331
Morris und Dore, Remarks on Finsen's light treatment of lupus and rodend ulcer V 429
Moss6, Erdäpfel als Nahrung bei Diabetes melitus. IV 330
Müller, Was verspricht die methodische Anwendung des Lichts für die Dermato-
therapie?. III 258
Naumann, Ueber die Luftliegekur bei der Behandlung der chronischen Lungen¬
tuberkulose . VI 516
Neumann, Der Tallerman’sche Apparat.VII 608
Obesersky, Ueber die Salzsäuresekretion bei Zufuhr von Eigelb in den Magen . . IV 335
Ochsn er, Ueber Verwendung ausschliesslicher Rektalernährung in akuten Appen-
dicitisfäüen. II 149
Page, Typhoid fever. IV 347
Pandy, Neuritis multiplex und Ataxie.VIII 696
Papst, Zur Kenntniss der Wirkung des schwarzen und weissen Fleisches bei chro¬
nischer Nierenerkrankung. IV 328
Paravicini, Selbstmassage und Gymnastik im lauen Bade. V 428
Paulesco, La mödication thyroidenne dans le traitement des troubles throphiques des
extrömitös. IV 325
Pfaundler, Ueber Stoffwechselstörungen an magendarmkranken Säuglingen .... VH 602
Pie ring, Ueber Massage bei Frauenkrankheiten. VIII 693
Poll ätsch ek. Die therapeutischen Leistungen des Jahres 1900, ein Jahrbuch für
praktische Aerzte.VH 601
Porter, Gout and Rheumatism, their aetiology and dietetic treatment. II 152
Potapow-Pracaitis, Influence de quelques prindpes alimentaires sur la söcrötion
du suc gastrique et sa richesse en pepsine. VI 511
Reichel, Inwieweit ist die diätetische Behandlung der Nephritis begründet? ... V 421
Revillet, Ueber Erfahrungen bezüglich der Uebertragung der Tuberkulose auf Kinder
durch den Genuss tuberkelbadllenhaltiger Milch. VI 511
Reymond, Quelques rösultats de la thörapeutique par les machines de Zander,
ä Pinstitut mödico-möcanique de Genöve.VH 609
Riegel, Ueber die Anwendung schmerzstillender Mittel bei Magenkrankheiten ... IV 329
Riffel, Weitere pathogenetische Studien über Schwindsucht und Krebs und einige
andere Krankheiten . IV 320
Riviöre, Action of currents of high frequency upon tuberculosis.VH 610
Rodari, Ueber ein neues elektrisches Heilverfahren (Eugen Konrad Müller's
Permeaelektrotherapie).VII 611
Roos, Zur Verwendung von Pflanzeneiweiss als Nährmittel. VI 507
Rosenbach, Zur Pflege und Prophylaxe bei Herzkranken. II 151
Rosenbach, Bemerkungen über psychische Therapie mit besonderer Berücksichtigung
der Herzkrankheiten. III 262
Rosenfeld, Untersuchungen über Kohlehydrate. IV 7 327
Rosin, Ueber einige poliklinisch häufige Krankheitsformen und ihre hydriatische Be¬
handlung . V 424
Rotch, Milk; its production, its care, its use. IV 332
Rubner, Der Energiewerth der Kost des Menschen.VIII 681
Rubner. Beiträge zur Ernährung im Knabenalter mit besonderer Berücksichtigung
der Fettsucht.VUI 681
Ruhemann, Aetiologie und Prophylaxe der Lungentuberkulose. IV 319
Rupp, On the dietetic» of the convalescent stage of fevers. IV 324
Sachs, Die Kohlenoxyd Vergiftung in ihrer klinischen, hygienischen und gerichts¬
ärztlichen Bedeutung. IV 330
Sarason, Ueber Wasserkuren im Rahmen der wissenschaftlichen Heilkunde .... VI 514
Saundby, An adress on the modern treatment of Diabetes melitus. II 153
Schaefer, Die Kost des Gesunden und Kranken. III 256
Schatzky, Die Grundlagen der therapeutischen Wirkung der Franklinisation ... VI 521
Schenk, Die Hydrotherapie des Darmtraktus mittels Enteroklyse. IV 343»
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X
Inhaltsverzeichnis*.
Heft Seite
Scherbakow, Die Mineralschlammbadeorte des europäischen Russland. II 166
Schlesinger, Lehrkurse für Bereitung der Krankenkost. IV 324
Schlesinger, Die Bereitung der Krankenkost. VI 504
Schneider, Die Bakterienfurcht. V 439
Schoenstaedt, Ueber vegetarische Ernährung und ihre Zulässigkeit in geschlossenen
Anstalten und bei Menschen, welche sich in einem Zwangsverhältniss befinden II 146
Schott, Die Heilfaktoren Bad Nauheims. IV 342
Schreiber, Ueber die Verwendung frischen Kaseins in der Ernährung. VI 505
Schroeder, The benefits of balneotherapy in the treatment of chronic rheuraatism
and gout. III 258
Schwarz, Ueber die mechanische Behandlung der Hydropsien kardialen Ursprungs . VI 524
Sellentin, Zeitgemässe Aufklärungen über einige Grundfragen wissenschaftlicher Heil¬
kunde . VI 527
Sequiera, A preliminaiy communication on the treatment of rodent ulcer by the
x rays. V 429
Shukowsky, Die englische Krankheit und ihre Unabhängigkeit von der relativen
Luftfeuchtigkeit. VI 523
Sloan, Three and a half years* experience of faradisation of the head, on scientific
principles in the treatment of chronic insomnia and associated neuroses, com-
prising a series of fourty-qix cases.VII 610
Snegireff, Einige Worte über Lehmbäder. III 257
Sommerfeld, Ueber die Milchkontrolle im Kaiser und Kaiserin Friedrich - Kranken¬
hause in Berlin. II 150
Sorgo, Zur Diagnose der Aneurysmen der Aorta und der Arteria anonyma und über
die Behandlung derselben mit subkutanen Gelatineinjektionen. VI 526
Soxhlet, Ueber die künstliche Ernährung des Säuglings.VIH 684
Spassokukotzky, Die Kapillardrainage bei Hydrops anasarca kardialen Ursprungs . VI 524
Spiegler, Ueber den Stoffwechsel bei Wasserentziehung. VI 508
Stadelmann, Beiträge zur Uebungstherapie . . IV 261
Stadelmann, Ueber Entfettungskuren.VIII 683
Stange, Ueber die Behandlung der Typhuskranken mit kalten Bädern. V 423
Staploton, A criticism on the light treatment of lupus. V 429
Starck, Die Divertikel der Speiseröhre.VIII 683
Steiner, Beitrag zur Kenntniss der Einwirkung von Dampfbädern auf die Gesichtshaut VIII 691
Stern bo, Ueber die schmerzberuhigende Wirkung der Röntgenstrahlen. II 160
Sträter, Welche Rolle spielen die Röhren bei der therapeutischen Anwendung der
Röntgenstrahlen?. V 433
St au ss, Untersuchungen über die Resorption und den Stoffwechsel bei Apepsia
gastrica, mit besonderer Berücksichtigung der pemieiösen Anämie. VI 504
Strauss, Grundsätze der Diätbehandlung Magenkranker.VIII 682
Strauss, Die chronischen Nierenentzündungen in ihrer Einwirkung auf die Blutflüssig¬
keit und deren Behandlung nach eigenen Untersuchungen an Blutserum und an
Transsudaten.VIII 699
Strebei, Gewebsökonomie und Osmose. IV 325
Strebei, Moine Erfahrungen mit der Lichttherapie. IV 339
Strebei, Die Fettleibigkeit und ihre Behandlung. V 416
Sugär, Ueber die systematischen Hörübungen und deren therapeutischen Werth bei
Taubstummen und Tauben.VIII oy5
Tarabrin, Zur Behandlung der Geschwüre mit strahlender Wanne. VI 513
Taylor, A summer paster-of - Paris jacket for Pott’s disease. IV 345
Teuschcr, Heisse Sandbäder. IV 342
Thiersch, Ueber Korset und Reformkleidung. VI 518
Tittel, Die Verwendbarkeit des Siebold’schen Milclieiweisses (Plasmon) in der
Säuglingsnahmng.VII 605
v. Torday, Die Skrophulose und die Sool- und Seebäder.VIII 690
Townsend, Bemerkungen zur Ernährung der Kinder mit spezieller Beziehung der Be-
handlungswcise der Milch im Hause. 11 150
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Inhaltsverzeichnis. XI
Heft Seite
Townscnd, Home modification of milk. IV 332
Tröper und Ufer, Die Kinderfehler. III 263
Tschdanow, Behandlung der Hämorrhoiden und Fissuren des Anus mit d’Arsonval-
schen Strömen. IV 338
Ullmann, Die Behandlung von Geschwürsformen mit trockener Heissluft. IV 341
Vaquez, Ueber die Ernährung bei Abdominaltyphus. HI 254
Vetlesen, Om extrabuccal og specielt rektal ernaering. V 416
Vidal, Ueber den Einfluss verschiedener Ernährungszustände von Thieren auf die
Umwandlung subkutan eingespritzten Methämoglobins. IV 328
Voit, Die Grösse des Eiweisszerfalls im Hunger. VI 507
Vossius, Ein Beitrag zur Lehre von der Aetiologie, Pathologie und Therapie der
Diphtheritis coniunctivao. IV 348
Vulpius, Der heutige Stand der Skoliosenbehandlung.VHI 692
Wegele, Bemerkungen zu dem Artikel: »Ueber Erfolge mit Pankreon«. IV 326
Weinschenker, Ueber Nährpräparate, im besonderen über das Fleisch- und Kaseinmehl IV 333
Winckler, Ueber Gasbäder und Gasinhalationen aus Schwefelwässern. II 158
Windscheid, Pathologie und Therapie der Erkrankungen des peripherischen Nerven¬
systems . IH 262
Wohlgemuth, Beiträge zur Zuckerabspaltung aus Ei weise. IV 330
Wood and Merrill, A report of investigations on the digestibility and nutrivo value
of bread. IV 333
Wolpert, Die Ventilation. VI 513
Younge, Desinfektion der von Phthisikern bewohnten Räume. IV 348
Zabludowski, Ueber Schreiber- und Pjanistenkrampf. V 440
Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstätten wesen. IV 321
Zeitschrift des Deutschen Vereins für Volkshygiene Heft 23—26. VI 529
Ziegclroth, Die physikalisch-diätetische Therapie der Syphilis. IV 348
Zimmermann, Ueber Erfahrungen mit dem Tallerman’schen Apparat.VII 608
Zuntz, Sind kalorisch äquivalente Mengen von Kohlehydraten und Fett für Mast und
Entfettung gleichwerthig?.VIII 687
IV.
Kleinere Mittheilungren.
Die Pyrenäenbäder. Eine Skizze von Dr. B La quer in Wiesbaden. I 82
Ein neues Zimmerfahrrad. Von Privatdozent Dr. Paul Jacob in Berlin. Mit l Abbildung I 88
Ueber die Wirkung des Seeklimas auf den Stoffwechsel. Von Dr. Joh. Ide, Inselarzt
und Arzt des christlichen Seehospizes auf Amrum. II 169
Ein Fall von Serratuslähmung durch lokale Hitze gebessert. Von Oberstabsarzt Dr.
Heermann in Posen . II 174
Ueber eine einfache Methode der therapeutischen Verwendung des elektrischen Lichtes.
Von Dr. Leopold Laquer in Frankfurt a. M. Mit 1 Abbildung. III 264
Ein neuer (Halbmond-) Stromunterbrecher für Radiographie und Ströme von hoher
Spannung. Von Dr. Ch. Colombo, Professor der medicinischen Fakultät, Direktor
des kinesitherapeutisehen Institutes zu Rom und Ch. Thouveust, Elektrotechniker
am kinesitherapeutisehen Institut zu Rom. Mit 5 Abbildungen. IV 351
Erwiderung an Herrn Sanitätsrath Dr. Pelizaeus (Sanatorium Suderode am Harz). Von
Professor H. Rieder in München. IV 355
Bericht über die Verwendung des Eiweissnähnnittels »Roborat« in der Praxis. Von
Dr. Hermann Schlesinger in Frankfurt a. M. V 441
Bemerkungen zu Dr. M. Einhornes Artikel: Ueber Sitophobie intestinalen Ursprungs.
Von Dr. R. v. Hocsslin, dirigierendem Arzt der Kuranstalt Neuwittelsbach iu
München. VI 529
Mittheilung aus der Klinik der Aerzte L. Bucho.ltz und A. Grasmück in Saratoff.
Von Dr. L. Bucholtz. VI 530
Die Verwendung von Gemüse- und Fleischkonserven in den Armeen der Grossmächte VII 612
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XII Inhaltsverzeichnis».
Heft Seit«
Eine neue Sandbadeeinriehtung. Mit 2 Abbildungen.VII 616
Der Cyklostat, eine Modifikation des Jacob’sehen stationären Fahrrades. Aus der
1. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-Rath Professor
Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus. Mit 1 Abbildung.VIII 701
Zur mechanischen Therapie der Fettleibigkeit. Von Dr. F. Sylvan in Berlin . . . VIII 704
V.
Berichte über Kongresse und Vereine.
Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft zu
Berlin. 7.—12. März 1901. Erstattet von —n. I 90
Franz Müller (Berlin), Ueber die Beeinflussung der blutbildenden Funktion
des Knochenmarks durch therapeutische Massnahmen. I 90
Winternitz (Wien), Theoretische und praktische Mittheilungen über Hydro-
und Phototherapie. I 90
Lindemann (Berlin), Ueber Lichttherapie. I 91
Bruno Schürmayer (Hannover), Ueber die Bakterienflora von Nähr¬
präparaten . I 92
Siegfried (Nauheim), Ueber Vibrationsmassage, insbesondere bei Herz¬
krankheiten . I 92
Burwinkel (Nauheim), Herzleiden und Ernährung. 1 9:3
Frankenhäuser (Berlin), Ueber elektrochemische Therapie. I 94
Zabludowski (Berlin), Die neue Massageanstalt der Universität Berlin . . I 9f>
Pariser, Das praktische Problem der internen Behandlung der Gallenstein¬
krankheit . II 175
Munter, Die Hydrotherapie der Gicht . . . . II 176
Putzer, Praktische Erfahrungen über die hydriatische Behandlung bei Masern
und Scharlach. II 177
Kothe, Zur physikalisch-diätetischen, insbesondere hydriatischen Behandlung
der Neurosen. II 178
Brügelmann, Ueber Asthma, sein Wesen und seine Behandlung .... II 180
Schenk, Die physikalische Therapie der Lungentuberkulose mittels Stauungs¬
hyperämie . II 180
Eulen bürg, Ueber Anwendung hochgespannnter Wechselströme zu thera¬
peutischen Zwecken. II 181
Müller de la Fuente, Die nervöse Schlaflosigkeit und ihre Behandlung . II 182
Diätetisches und Physikalisches vom 19. Kongress für innere Medicin zu Berlin. Von
Privatdozent Dr. H. Strauss in Berlin. II 183
VIII. internationaler Kongress gegen den Alkoholismus zu Wien vom 9.—14. April
1901. Von Dr. Julian Marcusc in Mannheim. III 265
Physikalisches von der Versammlung süddeutscher Laryngologen zu Heidelberg am
27. Mai 1901. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. III 269
Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft zu Berlin
7.—12. März 1901. Erstattet von —n. (Schluss). III 271
Determam, Das Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für Kranke III 271
Der Tuberkulosekongress in London. Von Dr. J. Meyer. Volontärarzt der II. medi¬
cinischen Universitätsklinik (Berlin). IV 355
Zur Frage der Beziehungen zwischen Menschen- uud Rindertuberkulose. Referat auf
Grund der Verhandlungen des britischen Tuberkulosekongresses (1901. 22. bis
26. Juli) zusammengestellt von Dr. Julian Marcuse (Mannheim). V 444
XIV. internationaler Kongress zu Madrid 1902 . V 448
Bericht über die zweite Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder.
Von Dr. Theodor Mayer in Berlin VI 531
Aus französischen Gesellschaften. . . VI 535
Ueber den XIV. Internationalen Kongress zu Madrid 1903 . VI 536
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Inhaltsverzeichniss. XIII
Heft Seite
Jahresversammlung des deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke
am 29.—30. Oktober 1901 zü Breslau. Von Dr. Waldschmidt in Charlotten-
burg-Westend ..VII 618
Ueber die Bedeutung des Leims als Nährmittel und ein neues Nährpräparat »Gluton«.
Autoreferat und einige Bemerkungen über Diätetika. Von Dr. H. Brat in Rummels¬
burg ..•.VII 622
Ueber die erste ärztliche Studienreise in die deutschen Nordseebäder. Von Privatdozent
Dr. H. Strauss in Berlin.VII 624
V. Congres international de Physiologie. Turin. 17.—21. September 1901. (Arch. ital.
de biologie. Bd. 36).VIII 707
Orsowa, Ueber Linkshändigkeit.VIII 707
Grützner, Ueber Bewegungen des Mageninhaltes.VT1I 708
Prßvost und Batt^ell, Influence de Talimentation sur le rßtablissement des
fonctions du coeur.VIII 708
Gley, R6sum6 des preuves des reladons qui existent entre la glande thyroide
et les glandes parathyroides.VUI 708
Röhmann undNagaro, Ueber die Resorption vonMono- und Disacchariden
im Darmkanal.VIII 708
de Schrötter,J Communication d’cxpGriences physiologiques faites pendant
un voyage en ballon ä 7500 m.VIII 708
de Lee und Herrojd, The action of alcohol on muscle.VIII 708
Walther, Zur Kenntniss der Einwirkung des Darmsaftes auf Pankrenssaft . VIII 709
Spineau, r Sur la gastro-acidimätrie.VIII 709
Barbara, Alimentazione sottocutanea ed eliminatione della bilc*.VIII 709
Boruttau, Zur Frage der Fettbildung im Thierkorper.VIII 709
Londoner Brief.VIII 709
Die balneologischen Kurse in Baden-Baden im Oktober 1901.VIII 711
XX. Kongress für innere Medicin zu Wiesbaden ..VIII 712
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XIV
Inhalts vereeichniss.
Namenregister der Mitarbeiter (Autoren und Referenten).
0 — Original.
Achert 0 404.
Alexander 0 567.
Bang 0 546.
Bial R 440. R 607. R 687.
Block R 709.
Böttcher R 326. R 416.
Brat 0 622.
Brieger 0 36.
Bucholtz 0 530.
Buschan R 425. R 696.
Buttersack R 256. R 263. R 263. R 439. R 513.
R 527.
Camerer 0 229.
Colombo 0 351.
Cowl R 260. R 429.
Daniöls 0 388.
Determann R 158. R 158.
du Bois-Reymond R 690. R 694.
Dworetzky R 155. R 164. 0 235. R331. R 333.
R 334. R 335. R 337. R 345. R 422. R 423.
R 426. 0 495. R 523. R 524.
Eggebreeht 0 119.
Einhorn 0 187.
Ekgren 0 191.
Erismann 0 627.
Forchheimer R 324. R 425. R 428. R 518.
Frey R 161.
Freyhan R 150. R 151. R 152. R 163. R261.
R 263. R 342. R 415. R 415. R 424. R 425.
R 438. R 504. R519. R 526. R 526. R 608.
Friedländer R 152. R 153. R 258. R 258. R 260.
R 324. R 345. R 347. R 347. R 348. R 426.
Funke 0 363.
Fürbringer 0 40.
Gerhardt R 147. R 506. R 506. R 507. R 507.
R 507. R 508. R 681. R681.
Haike R 515.
Heermann 0 174.
Heller 0 279.
Heubner 0 13.
Hirsch R 150. R 155.
Hirschei R 147. R 148. R 148. R 254. R 414.
R 415. R 416. R 508. R 601. R 602. R 605.
R 684. R 686. 692.
Honig R 514. R 690. R 695.
v. Hoesslin 0 529.
R = Referat.
Jacob 0 88. R 159. R 168. R 319. R 320. R 321.
R 360. R 436. R 604. R 51 1 . R 523. R 527.
R 528. R 528. R 529. R 529. R 596. R 598.
R 600. R 689. R 689.
Idc 0 169.
John 0 275.
Kirstein R 528.
Klemperer 0 48.
Laquer 0 82. 0 264.
Laqueur R 159. R 258. R 258. R 336. R 338.
R 339. R 514. R 515. R 520. R 608. It 688.
R 691.
Läufer 0 458.
Lazarus 0 550. 0 669. Ii 695. Ii 696. R 700.
R 701. 0 701.
Lemke R516. R517.
Lesser 0 452.
Lewandowsky 0 67. R 607. R 707.
Lichtenstem R505.
Linow R256.
Lippert R 322. R 342. R 343. R 343. R 348.
R 421. R 516.
Löwensohn 0 302.
Lots R 256.
Mann R 166. R 166. R262. R431. R. 431. R 433.
R 434. R 521. R 522. R 610. R 610. R 611.
0 676 R 697. R 697. R 098.
Marcuse R 153. R 156. 0 232. R 255. 0 265.
0 269. R 317. 11323. R 335. R 340. R341.
R 346. R 419. R 432. R 433. R 439. 0 444.
R 511. R 519. R 528. R601. R 602. R 605.
R 609. R 691. R 711.
Matthes R 145. R251. R 597. R 699.
Mayer R 332. R 332. R 333. 0 531.
Meyer 0 355.
Nicolai R 348. R 427. R 437.
Noehte 0 490.
—n. 0 90. 0 175. R 255. R 261 0 271. R 325.
R 330. R 347. R 416. R 421. R 428. lt 436.
R 693.
Ostertag 0 476.
Pelizaeus 0 227.
Plaut R 510. R 603. R 604.
v. Podwyssozki 0 570. 0 043.
(R) R 321. R 350. R 448. R 536.
vom Rath 0 539.
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Inhalts veraeichniss.
XV
Renault 0 57.
Reyher R 608.
Richter R 149. R 264. R 322. R 683.
Roethlisberger 0 658.
Rogowin R 166.
Rosin R 335. R 344. R 34.“).
Ruhetnann R 688.
Salaghi0 47l. *
SaJge R 251. 0 314.
Salomon 0 205.
Schilling R413. R 413. R 509. R 686. R
R 687.
Schlesinger 0 441.
Schreiber 0 104.
Schöle 0 116.
Siegfried 0 131. 0 220.
Simon R 163. R 257. R 338. R 513.
Strauss 0 183. R 253. R 323. R 325. R 326.
R 326. R 327. R 327. R 327. R 328. R. 328.
R 329. R 330. R 505. R 508. R 510. R 601.
R 624. R 683.
Sylvan 0 704.
Thouveust 0 351.
Voit R 147. R 260. R 260. R 330. R 330. R 330.
R 330.
Vulpius R 261. R 429.
I Waldschmidt R 618.
I Weber 0 1.
Wegele R 682.
Weis R 606. R 686.
Weiss R 512. R 685.
Wohlgemuth R 146.
Zinn R 262.
Zuntz 0 99.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE ohd PHYSIKALISCHE
THERAPIE.
--
HERAUSGEGEBEN
VON
Geh.-Rath Prof. Brieger (Berlin), Geh.-Rath Prof. Curschmann (Leipzig), Prof. Eichhorst (Zürich),
Prof. Einhorn (New-York), Geh.-Rath Prof. Ewald (Berlin), Prof. A. Fränkel (Berlin), Geh.-Rath
Prof. B. Frankel (Berlin), Geh.-Rath Prof. Fürbringer (Berlin), Prof. J. Gad (Prag), Geh.-Rath
Prof. Gerhardt (Berlin), Geh.-Rath Prof. Heubner (Berlin), Geh.-Rath Prof. A. Hoffmann (Leipzig),
Prof. v. Jaksch (Prag), Geh -Rath Prof. Jolly (Berlin), Prof. v. Jürgensen (Tübingen), Geh.-Rath
Prof. Käst (Breslau), Prof. Kitasato (Tokio), Prof. G. Klemperer (Berlin), Geh.-Rath Pof. Licht¬
heim (Königsberg), Prof. v. Liebermeister (Tübingen), Geh.-Rath Prof. Liebreich (Berlin), Prof,
v. Mering (Halle), Geh.-Rath Prof. Mosler (Greifswald), Prof. Fr. Müller (Basel), Geh.-Rath. Prof.
Naunyn (Strassburg), Prof. v. Noorden (Frankfurt a. M.), Hofrath Prof. Nothnagel (Wien), Prof.
Pel (Amsterdam), Prof. A. Pribram (Prag), Geh.-Rath Prof. Quincke (Kiel), Prof. Renvers (Berlin),
Geh.-Rath Prof. Riegel (Giessen), Prof. Rosenstein (Leiden), Geh.-Rath Prof. Rubner (Berlin),
Prof. Sahli (Bern), Prof. Schreiber (Königsberg), Geh.-Rath Prof. Senator (Berlin), Prof. Stokvis
(Amsterdam), Sir Hermann Weber, M. D. (London), Prof. Winternitz (Wien), Geh. Ober Med.-Rath
Prof. v. Ziemssen (München), Prof. Zuntz (Berlin).
REDIGIRT VON
E. V. LEYDEN und A. GOLDSCHEIDER
in Berlin.
Fünfter Band (Jahrgang 1901/1902). — Krstes Heft.
LEIPZIG
YERLAG VON GEORG THIEME
1901 *
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Original frorri
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(ifif. Kattv 1‘i'uf l'r. Senator
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Vorsitzender des Geseluii'tseoniitr
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Gv.b. liaih l’rof. Or. Maunyn
(Sfras.shurjz):
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.UNIVERSITT OF WCtdGÄN
Zur Begrüssung
des 19. Kongresses'für innere Medicin zu Berlin.
Zum vierten Male wird der Kongress für innere Medicin in Berlin tagen.
Die Redaktion der Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie
überreicht demselben das 1. Heft des 5. Jahrganges als besondere Fest¬
nummer. Obwohl die Themata, welche auf dem Programm des diesjährigen
Kongresses stehen, zum grossen Theil andere Gebiete der wissenschaftlichen
Therapie als die der diätetischen und physikalischen Heilmethoden be¬
rühren, so wissen wir doch, dass die Kongressmitglieder für diese modernen
Behandlungsmethoden der inneren Krankheiten ein lebhaftes Interesse be¬
sitzen, und geben uns der Hoffnung hin, dass die Aufsätze in dieser Fest¬
nummer ihr Interesse und ihre Billigung finden werden. Wir sprechen den
hervorragenden Berliner Gelehrten, welche zu dieser Festnummer Beiträge
geliefert haben, unsern besten Dank für ihre bereitwillige Mitwirkung aus.
Der neue 5. Jahrgang der Zeitschrift für diätetische und physikalische
Therapie, welchen wir mit dieser Festnummer eröffnen, beginnt unter günstigen
Auspizien. Wie sehr die Begründung unserer Zeitschrift den herrschenden
Strömungen entgegengekommen ist, geht daraus hervor, dass die durch die¬
selbe vertretenen Gebiete in den letzten Jahren sich sowohl in Deutschland
wie in anderen Ländern in ausserordentlicher Weise entfaltet haben. Auch
die Regierungen haben durch die Begründung staatlicher Institute für Hydro¬
therapie, Massage, Heilgymnastik u. s. w. dafür Sorge getragen, dass von
nun an auch den Studierenden hinreichend Gelegenheit geboten wird, sich
vor ihrem Eintritt in die Praxis auf diesen so wichtigen Gebieten der modernen
Therapie auszubilden. Eine ganze Reihe von Monographien und Zeitschriften
ist im In- und Auslande ins Leben gerufen, welche die gleichen Ziele, wie
wir, vertreten. Alle diese Fortschritte begrüssen wir mit Freuden und glauben,
zu dieser Entwicklung der diätetischen und physikalischen Heilmethoden und
ihrer wissenschaftlichen Beurtheilung und Behandlung zur rechten Zeit einen
fruchtbaren Anlass gegeben zu haben. Wir werden nach besten Kräften auch
fernerhin dahin streben, auf diesen Gebieten der modernen Therapie die prak¬
tische Verwendung mit den wissenschaftlichen Prinzipien in Einklang zu
bringen.
Die Redaktion.
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INHALT
Original-Arbeiten. Seite
I. Sanatorien auf Inseln und am Meeresufer. Von Sir Hermann Weber M. D. F. R. S.,
konsult. Arzt am German Hospital in London, am National Hospital for Consumption
in Ventnor und am North London Hospital for Consumption..*>
II. Die Energiebilanz des Säuglings. Von Geh.-Rath Professor Dr. Otto lleubncr in Berlin.
Mit ö Abbildungen.13
III. Bemerkungen zur hydriatischen Behandlung der Lungenentzündung. Aus der Hydro¬
therapeutischen Anstalt der Universität zu Berlin. (Leiter: Geh.-Rath Prof. Dr.
L. Brieger.) Von L. Brieger.30
IV. Radfahren bei Magenkrankheiten. Von Geh.-Rath Professor Dr. Fürbringer in Berlin . 40
V. Beitrag zur Erklärung harnsaurer Niederschläge im Urin. Aus dem chemischen l^aboratoriuin
des Berliner Instituts für medicinische Diagnostik. Von Professor Dr. G. Kl em per er
in Berlin.48
Kritische Umschau.
I. Die (Zytotoxine. Von Dr. Jules Renault in Paris.f>7
II. Die Grundlagen der Organotherapie. Kritisches Referat von Dr. M. Lewandowsky,
prakt. Arzt in Berlin. •.07
Kleinere Mitteilungen.
I. Die Pvrenäeubädcr. Eine Skizze von Dr. B. Laqucr in Wiesbaden.82
II. Ein neues Zimmerfahrrad. Von Privatdozent Dr. Paul Jacob in Berlin. Mit 1 Abbildung 88
Berichte über Kongresse und Vereine.
Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Bai neologischen Gesellschaft zu Berlin.
7 —12. März 1001. Erstattet von - n.90
Franz Müller (Berlin), Ueber die Beeinflussung der blutbildenden Funktion des
Knochenmarks durch therapeutische Massnahmen.90
Winternitz (Wien), Theoretische und praktische Mittlieilungen über Hydro- und
Phototherapie. ‘.KJ
Lindemann (Berlin), Ueber Lichttherapie.91
Bruno Schürmayer (Hannover), Ueber die Bakterienflora von Nährpräparaten . . 92
Siegfried (Nauheim), Ueber Vibrationsmassage, insbesondere bei Herzkrankheiten . 92
Burwinkel (Nauheim), Herzleiden und Ernährung.93
Frankenhäuser (Berlin), Ueber elektrochemische Therapie.94
Zabludowski (Berlin), Die neue Massageanstalt der Universität Berlin.9f>
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Original - Arbeiten
i.
Sanatorien auf Inseln und am Meeresufer.
Von
Sir Hermann Weber M. D. F. R. S.,
koinmlt. Arzt am German Hospital in London, am National Hospital for Gonsumption in Ventnor
und am North London Hospital for Gonsumption.
Die Natur der Seeluft und die klimatischen Verhältnisse der Seeufer sind in
dem ersten, der Gebrauch und die Wirkung der Seebäder in dem zweiten Abschnitte
des Kapitels Thalassotherapie behandelt worden, welches demnächst in dem
von Goldscheider und Jacob herausgegebeneu Ilandbuche für physikalische
Therapie veröffentlicht werden wird. Wir wollen deshalb diese Lehren der physi¬
kalischen Therapie, auf die der Nutzen von Seesanatorien gegründet ist, als bekannt
voraussetzen und nur an einige Eigenschaften der Luft am Meeresufer erinnern. Sie
ist in der Regel verhiiltnissmässig frei von organischen Verunreinigungen (Bacillen) und
auch von mineralischem Staub, ausser in gewissen (iegemlen mit sehr staubigen Strassen;
sie enthält aber zugleich mit Wasserdunst wechselnde Mengen von Kochsalz und ganz
geringe von Jod und Brom, welche theils von zerstäubtem Seewasser, theils von der
Zersetzung der durch die Wellen an den Strand geworfenen Seepflauzen und See-
tliiere herrühren. Die Luft am Meere wird in fortwährender Bewegung erhalten
durch die regelmässig wechselnden See- und Landwinde, und durch diese Lokalwinde
sowohl wie durch die am Strande stärkeren allgemeinen Winde wird sie beständig
erneuert. Die Luftfeuchtigkeit ist ziemlich hoch und ist ebenso wie die Temperatur
geringeren Schwankungen unterworfen; ferner ist der Ozongehalt gross; der Luft¬
druck ist hoch und zeigt etwas kleinere Oscillationen. Die Lichtmenge ist bedeutend
und wird durch Vom Meere reflektierte Strahlen noch vermehrt. Obgleich die direkte
Sonnenwärme erheblich ist und an vielen Orten durch die reflektierte vermehrt wird,
so wird doch dem Körper etwas mehr Wärme entzogen, infolge der vermehrten Luft¬
strömungen, weshalb wärmere Bekleidung nothwendig ist.
Das Zusammenwirken aller dieser Eigenschaften giebt der Luft am Seeufer
einen belebenden Charakter, wie er nirgends im Binncnlande gefunden wird, ausser
etwa in manchen Höhenregionen. East alle Bewohner des Binnenlandes bemerken,
wenn sie ans Meer kommen, eine allgemeine Vermehrung der Energie und der Be¬
wegungsfähigkeit, Zunahme des Appetits und Verbesserung der Verdauung. Hierdurch
wird die Ernährung des ganzen Körpers gehoben, und der Organismus wird in den
Stand gesetzt, gewisse Krankheiten zu überwinden, welche im Innern des Landes
Jahre lang bestanden und sich allmählich verschlimmert haben. Es sind dies besonders
skrophulöse Leiden, welche nahe verwandt, wenn auch klinisch nicht identisch mit
den tuberkulösen sind. Besonders günstig beeinflusst werden diese extrapulmonären
oder äusseren tuberkulösen Affektionen in den Drüsen, Gelenken und Knochen mit Ein¬
schluss der Pott’sehen Krankheit, während die Einwirkung des Seeklimas auf die
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Hermann Weber
Lungentuberkulose weniger konstant und manchmal sogar nachteilig ist. Die meisten
mit Lungentuberkulose Behafteten und sogar manche dazu nur disponierte Menschen
vertragen starke Winde schlecht; und da nun an vielen Seeplätzen häufig hohe
Winde herrschen, so eignen sich dem Winde stark ausgesetzte Sceufer weniger für
Phthisiker und wirken oft nachtheilig, besonders bei vorgeschrittener Krankheit. An
vor Wind geschützten Seeufern jedoch und an Stellen in der Nähe von Seeufern, welche
durch Dünen oder andere Hügel oder Wald vor starken Winden geschützt sind, be¬
finden sich Lungenkranke ziemlich gut.
Wenn wir uns ganz allgemein die günstigen Wirkungen der Meeresufer erklären
wollen, so denken wir, dass sie durch Verbesserung der Allgemeinernährung des
ganzen Körpers und die hierdurch ermöglichte Ueberwindung der Bacillen erzeugt
werden.
Zu der Heilung genügt aber nicht der blosse Aufenthalt am Seeufer, sondern
es müssen damit verbunden sein:
1. passende Nahrung in reichlicher Menge, welche dem Zustande der einzelnen
Kranken und deren Verdauungsorganen angepasst werden muss; 2. gut eingerichtete
Zimmer mit ungehinderter Zulassung fortwährend erneuter Seeluft, mit Balkons und
anderen Einrichtungen, auf welchen die Kranken in ihren Betten bezw. auf ihren
Sophas liegen können, vom Morgen bis zur Nacht, oft selbst während der Nacht, mit
Hilfe des nöthigen Schutzes, so dass sie sich unausgesetzt in der Seeluft befinden;
3. gute Anstalten zum Baden im offenen Meer im Sommer, und in erwärmten
Schwimmbädern im Winter, welche letzteren in manchen Fällen auch im Sommer
zu benutzen sind; 4. ein guter, sympathischer Arzt, welcher die Diät, die Art des
Luftgenusses, die körperliche Bewegung, die aktiven und passiven gymnastischen
Uebungen, das Tragen von Unterstützungsapparaten, wo sie nöthig sind, anordnet
und überwacht und die etwa nothwendigen Operationen ausführt. Die ärztliche Be¬
handlung in dem Sanatorium muss natürlich in den einzelnen Fällen sehr verschieden
sein. So kann es bei an Drüsenskrophulose leidenden Kindern wünschenswerth sein,
dass sie den ganzen Tag auf dem Sande liegen oder herumgehen und spielen, für
andere, dass sie häufige Fahrten auf dem Meere machen, während solche, die an
tuberkulösen Entzündungen der Hüftgelenke oder der Knie- oder Fussgelenke oder
an Pott’scher Krankheit leiden, stets liegen und dem kranken Organe Ruhe geben
müssen, aber in der Weise, dass ihre Betten den ganzen Tag in.der freien Seeluft
stehen.
Ausser den skrophulösen und tuberkulösen Kranken sind es besonders die an
Anämie und Rachitis Leidenden, welchen das Leben am Meere grossen Nutzen
bringt. Bei den Anämischen lässt sich der Seeaufenthalt oft durch andere Behandlung
im Innern des Landes ersetzen; bei den Rachitischen ist aber die Thalassotherapie
allen anderen Kurmethoden vorzuziehen.
Wenngleich auch bei Erwachsenen die Behandlung in Seehospizen (oder Sana¬
torien) sehr nützlich ist, so ist sie doch in viel höherem Grade bei Kindern nöthig;
für diese empfehlen wir sie daher besonders dringend. Für wohlhabende kranke
Kinder lassen sich auch Einrichtungen in Privathäusern am Meere treffen; aber für
die armen kranken Kinder, deren Anzahl wegen der kläglichen Nahrungs- und Wohnungs¬
verhältnisse viel grösser ist, ist eine gründliche Behandlung fast nur in Seesanatorien
möglich, und für sie müssen wir die thätige Theilnahme aller derer erbitten, welche
die Mittel besitzen, zu helfen. Diejenigen, welche nicht in näheren Verkehr mit
den unglücklichen kleinen Wesen kommen, können sich keine Idee von den grenzen-
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Sanatorien auf Inseln und am Meeresufer. 7
losen Leiden machen, welche mit der Pott’schen Krankheit oder den tuberkulösen
Entzündungen des Hüft- oder Knie- oder Fussgelenks verbunden sind: in ihren licht-
und luftlosen Wohnungen gehen die kleinen Patienten ohne passende Nahrung ent¬
weder nach langen Qualen elend zu Grunde oder, wenn sie sich allmählich erholen,
so müssen sie meist als Krüppel durch das Leben gehen und können als solche
ihr Brot nicht verdienen. In den Hospitälern des Binnenlandes ist ihnen meist nicht
zu helfen. Auch als Prophylaxis gegen Lungentuberkulose ist bei skrophulösen Kindern
die Behandlung in Seesanatorien von grossem Werthe; denn viele von denen, welche
dem Tode an den oben genannten Leiden entgehen, werden später von Lungentuber¬
kulose ergriffen und tragen so zur Verbreitung dieser Volkskrankheit bei.
Und doch ist den armen Kleinen in fast allen Fällen zu helfen, wenn sie nur
frühzeitig in Seesanatorien gebracht werden. Aber auch hier sollte man nie mit
halben Maassregeln zufrieden sein, nicht mit einem Aufenthalt von einem Monat
oder sechs Wochen, sondern man sollte denselben mehr als verdoppeln, ja bei
manchen Kranken auf zwei bis drei Jahre ausdehnen, bis die Heilung so vollkommen
wie irgend möglich geworden ist, Es ist fast nutzlos, Kinder mit Pott’scher Krank¬
heit und anderen tuberkulösen Gelenk- und Knochenentzündungen nur auf sechs
Wochen in ein Sanatorium aufzunehmen und sie dann in ihre elenden, unhygieni¬
schen Verhältnisse zurückzuschicken. Es ist ferner unzulänglich, die Behandlung in
den Seehospizen auf den Sommer zu beschränken; sie muss auch im Winter fort¬
gesetzt werden, und es ist ganz verkehrt, diese Sanatorien im Winter zu schliessen.
Die Behandlung in den Seesanatorien ist für arme Kinder im Winter sogar noch noth-
wendiger als im Sommer, weil im Winter die Fenster in den engen Wohnungen der
Armen fast nie geöffnet werden und die Luft in denselben verpestet ist. Wer die
Armen in ihren Wohnungen behandelt hat, kann hierüber keinen Zweifel haben. Die
Witterungsverhältnisse sind zwar während des Winters in den nördlichen Sanatorien,
an den Küsten von Deutschland, Holland, Belgien, Nordfrankreich, England und
Skandinavien nicht ganz so günstig wie im Sommer, sie lassen sich aber durch pas¬
sende Schutzmittel ganz erträglich machen; und selbst ohne Schutz ist das kranke
Kind im Winter sowohl wie im Sommer in jedem Sanatorium am Meere in einer
unvergleichlich viel besseren Lage für seine Genesung als in den licht- und luft¬
losen, überfüllten Stuben im Binnenlande. Im Winter können ganz gut warme See¬
bäder gegeben werden, und die kranken Kinder können, warm bekleidet und zu¬
gedeckt, während des grösseren Theil des Tages in offenen Gallerieen, zuweilen sogar
ganz im Freien liegen.
In früheren Jahren hat man auch für die Behandlung der Lungen tuberkulösen
die Kurorte und Sanatorien nur während eines Theils des Jahres offen gehalten,
und selbst H. Brehmer hat in Görbersdorf in dieser Weise begonnen. Bald aber
hat man eingesehen, dass dies unzulänglich war, und dass die Kranken im Winter
in der Heimath oder an heissen Kurorten von dem viel verloren, was sie im
Sommer gewonnen hatten. In Davos und St. Moritz verfiel man zuerst in den
umgekehrten Fehler, nämlich in den, die Kur auf den Winter zu beschränken, bis
man sah, dass im Sommer in der Heimath eingebüsst wurde, was im Winter angelegt
war. Jetzt fängt man an, die Kur durch das ganze Jahr an demselben Orte fortzusetzen.
Leider fehlt es hierfür noch sehr an Mitteln. Für jedes Bett, welches gegenwärtig
in den bestehenden Sanatorien geboten wird, sollten wenigstens 100 Betten gegründet
werden. Es mag im Augenblick recht schwer, ja unmöglich sein, dies auszuführen,
weil das Publikum, die Kranken- und Arbeitervereine, die Gemcinderäthe und
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8
Hermann Weber
Gesundheitsbehörden die Frage noch nicht hinreichend verstehen; wir dürfen aber
den Muth nicht verlieren, sondern müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um das
Ziel zu erreichen. Es müssen nationale Gesellschaften gegründet werden unter Leitung
hochstehender und hervorragender Persönlichkeiten, an welchem sich alle wohl¬
habenden Stände, natürlich mit Einschluss der Aerzte betheiligen. Die Frauenvereine
haben hier eine der schönsten Aufgaben vor sich, und diejenigen Frauen, welche
die armen Kinder in ihren Wohnungen und später in den Sanatorien besucht haben,
werden ihr Herz für die Sache öifnen. Der Staat mag Einiges beitragen, aber die
Gemeinde- und Stadträthe und zum Theil die Arbeitervereine müssen vor allem für
die kranken Kinder der Armen sorgen. Wenn die Stadt Paris allein Sanatorien für
mehr als 1030 Kinder in Berck - sur - Mer Sommer und Winter unterhält, und noch
dazu eine grosse Anzahl von kranken Kindern auf ihre (der Stadt) Kosten in ver¬
schiedene andere Seesanatorien schickt und sie dort so lange verpflegen lässt, als
der Arzt es für uöthig hält, so sollten andere Nationen und Städte diesem rühmlichen
Beispiele folgen.
Noch einmal müssen wir betonen, dass fast alle skrophulösen und fast alle
an äusserer Tuberkulose (wir sprechen hier nicht von Lungentuberkulose) leidenden
Kinder geheilt werden, wenn sie nur frühzeitig in Seehospize gesandt und lange
genug dort behandelt werden.
Vor fast 40 Jahren hat unser verstorbener Freund J. W. Beneke diesen
wichtigen Gegenstand wiederholt mit uns ausführlich besprochen, und es gereicht
ihm zu unvergesslicher Ehre, dass er unermüdlich in dieser Richtung in Deutschland
gearbeitet hat, und dass es ihm endlich gelungen ist, das schöne Sanatorium von
Norderney ins Leben zu rufen.
Es ist hier nicht der Platz, genauer auf die Beschreibung der Lage und der
Einrichtungen der Meersanatorien einzugehen, aber einige Worte mögen erlaubt sein.
Selbstverständlich soll das Sanatorium an einer durchaus gesunden Stelle liegen,
auf trockenem, infektionsfreiem Boden, entfernt von Sümpfen und stehenden Wässern,
von Fabriken und anderen die Luft verunreinigenden Einflüssen, nahe an einem
sandigen Strande. Das Sanatorium soll auf allen Seiten der Sonne und freien Luft
ausgesetzt, nicht an einen Felsen angebaut sein, aber, so weit als möglich, vor kalten
Winden geschützt liegen. Es müssen grosse, offene aber vor Regen und kalten
Winden schützbare Gallerieen vorhanden sein, ferner freie Spielräume getrennt für
Knaben und Mädchen, sowie Plätze zum Gehen und zu gymnastischen Uebungen
bei gutem und schlechtem Wetter. Die Schlafzimmer dürfen nicht tief sein, so dass
jedes Bett der freien Luft ausgesetzt ist; sie müssen grosse Fenster haben von der
Decke bis zum Boden, weit genug, dass die Betten durch dieselben bequem auf die
Terrassen oder Gallerieen gerollt oder geschoben werden können. Es muss gute
Gelegenheit zu gefahrlosem Baden im Meere vorhanden sein, und es müssen auch
geschützte Schwimmbäder mit dem Hause in Verbindung stehen, in welchen er¬
wärmte Seebäder im Winter, und, wo nöthig, auch im Sommer genommen werden
können; daneben auch Einzelbäder für besondere Fälle. Isolierhäuser für ansteckende
Kranke dürfen nicht fehlen, und auch für Kranke, welche an anderen akuten Krank¬
heiten wie Pneumonie, rheumatischen Fiebern und Meningitis leiden, muss Trennung
möglich sein. Ferner muss ein Operationsraum einen Theil von jedem Sanatorium
bilden, obgleich die operativen Eingriffe möglichst beschränkt werden sollten, da sie
bei den mächtigen hygienischen Einwirkungen der Seeluft, der Seebäder und der
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Sanatorien auf Inseln und am Meeresufer. •*
reichlicheren Nahrungsaufnahme viel weniger nöthig sind, als in den Hospitälern
des Binnenlandes.
Es hat sich gewiss Vielen der Gedanke bereits aufgedrängt, dass schwimmende
Sanatorien von grossem Nutzen sein würden; es ist dies zwar nicht so vollkommen
auszuführen, als man es wünschen möchte, aber es Hesse sich manches thun.
Man könnte z. B. mit jedem Seesanatorium ein gut eingerichtetes Schiff in Ver¬
bindung bringen und bei ruhigem Wetter diejenigen Kranken, welche auf das Schiff
gehen oder getragen werden können, auf das Schiff bringen, um sie vier bis zehn Stunden
auf das Meer fahren zu lassen. Das Schiff könnte ein Dampfschiff oder ein Segelschiff
sein. Von solchen kleinen gefahrlosen Seefahrten würden viele Kinder grossen Nutzen
ziehen, denn die Luft auf dem Meere selbst ist doch noch mehr belebend als die
am Ufer, besonders bei Windstille. Ferner könnte man ein grosses Schiff in einer
geschützten Bucht verankern und die Kranken ganz auf demselben leben und be¬
handeln lassen. Bei diesem zweiten Plane aber würde es schwer sein, hinreichenden
Raum für Gänge zu beschaffen, und der Transport von Kindern aus dem Schlafzimmer
auf das Deck würde in manchen Fällen beschwerlich sein. Auch würde die Luft in
den Schlafzimmern etwas beengt sein, wenn man nicht die letzteren sehr gross an-
legen würde. Die St. Johns Guild in New-York besitzt ein floating hospital ship, mit
welchem Kranke täglich sechs bis sieben Stunden auf das Meer fahren.
Indikationen.
Unter den Zuständen, für welche die Behandlung in Seehospizen angezeigt ist,
verdienen besonders genannt zu werden:
1. Allgemeine Schwäche und mangelhafte Ernährung, welche diese Behandlung
aus prophylaktischen Gründen erfordern.
2. Unvollständige Erholung nach verschiedenen akuten Krankheiten mit Ein¬
schluss von Pneumonie, Pleuritis und chronischer Bronchitis.
3. Skrophulöse oder tuberkulöse Aflfektionen der Lymphdrüsen.
4. Skrophulöse oder tuberkulöse Gelenkentzündungen mit Einschluss der Hüft¬
gelenkentzündungen und der Pott’schen Krankheit.
5. Knochenkaries.
6. Adenoide Wucherungen in der Nase und im Schlunde mit oder ohne Hyper¬
trophie der Mandeln.
7. Skrophulöse Augenentzündungen.
8. Skrophulöse Hautkrankheiten.
9. Anämische Zustände mit Einschluss von Chlorose.
10. Rachitis.
11. Skoliose.
In manchen der genannten Zustände, wie denen unter 1, 2 und 9 gruppierten,
ist eine Behandlung von 6—8 Wochen oft genügend, in anderen dagegen, welche
besonders in den Gruppen 3, 4 und 5 zu suchen sind, muss die Behandlung über
4 bis 6 bis 12 Monate, selbst ein paar Jahre ausgedehnt werden, je nach der Kon¬
stitution und dem Fortschritt, den die Krankheit vor dem Beginn der Behandlung
gemacht hatte.
Gegenanzeigen kennen wir nur in den seltensten Fällen.
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10
Hermann Weber
Seewasser wurde schon im Alterthum innerlich und in Bädern gebraucht, und
wohl auch später von den in der Nähe des Meeres lebenden Völkern. Eine aus¬
führlichere Mittheilung hierüber hat, so weit uns bekannt ist, zuerst Dr. Richard
Rüssel (auch Russell geschrieben) veröffentlicht (Oeconomia naturae in morbis
glandulärem. London 1755; und »Dissertation on the use of seawate in diseases of
the glands; translated from-the latin, with Spead on sea water etc.« 1769. Fifth
edition). Diese Arbeit scheint Anklang gefunden zu haben, sonst würde ihreUeber-
setzung nicht in kurzer Zeit eine fünfte Auflage erlebt haben. Rüssel machte viel¬
fach vom Trinken des Seewassers Gebrauch, mehr aber von den Seebädern und ge¬
legentlich von Umschlägen auf kranke Theile. Er erwähnt nichts vom Aufenthalt
am Seeufer und hat vielleicht auf diesen keinen besonderen Werth gelegt. Wir dürfen
aber glauben,' dass die Kranken während des regelmässigen Gebrauchs der See¬
bäder am Meere gewohnt haben und dass durch das Athmen der Seeluft die Kur
mächtig unterstützt worden ist.
Allmählich scheint diese Ansicht zur Ueberzeugung der Aerzte und Laien ge¬
kommen zu sein und unter Anregung von Dr. Lettsom und Dr. Latham 1791 zur
Gründung der »General seabathing infirmary« in Margate an der Küste von Kent
geführt zu haben, an einem der am meisten belebenden Seeufer von England. Der
Name wurde wiederholt verändert und ist seit 1898 »Royal seabathing hospital«,
zur Aufnahme von Kranken, welche an tuberkulösen und anderen Krankheiten leiden,
die zur Heilung ausser ärztlicher und chirurgischer Behandlung den Einfluss der Seeluft
und Seebäder brauchen. Dieses Hospital ist sehr gut eingerichtet und hat sich seit
der Gründung in der letzten Zeit besonders durch die Liberalität des bekannten Haut¬
arztes Sir Erasmus Wilson sehr vergrössert, so dass es jetzt 150 Betten enthält;
aber die mittlere Dauer des Aufenthalts jedes Kranken (4 bis 10 Wochen) ist für
die Mehrzahl der Fälle kaum genügend. Eine kleinere Anstalt ist in Rhyl in Flint-
shire, an der Küste von Northwales, errichtet worden, wo das Royal Alexandra chil-
drens hospital 50 Betten hat. Leider hat die Gründung von Sanatorien am Meere für
skrophulöse und tuberkulöse Kinder in England nicht den Fortschritt gemacht, den
sie hätte machen sollen.
Viel grösser, obgleich verhältnissmässig jünger ist der Fortschritt in der Be¬
handlung der Skrophulose und Tuberkulose der Kinder in Sanatorien am Meere in
Frankreich, einUmstand, welcher dem einsichtsvollen Wohlthätigkeitssinn der Nation
Ehre macht, ebenso wie vielen mitwirkenden Aerzten, unter denen wir nur Bergeron,
Armangaud, Monod und Ch. Leroux besonders nennen wollen, und schliesslich
manchen verständigen Philantropen, wie Baron James Rothschild und dessen
Familie, den Gründern und den Unterhaltern des schönen Hopital Rothschild in
Berck-sur-Mer und M. Pallu, dem Gründer des Vereins »Oeuvre des hopitaux
marinst. Die Gründung und der Betrieb der meisten Seehospize oder Sanatorien an
den Küsten von Frankreich steht unter der Leitung von zwei Vereinen: »L’assistance
maritime des enfants scrofoleux et rachitiques«, und »L’oeuvre des hopitaux marins«.
Der Anfang geschah jedoch durch die Privatwohlthätigkeit, indem Madame Armengaud
(nee Hin sh) 1847 ein Hospital mit 24 Betten in Cette gründete.
Die Seehospize von Frankreich haben sehr verschiedene Klimate; gross ist der
Unterschied zwischen den Nord-, West-, und Südküsten, nur eins haben sie gemein¬
sam, das ist die Lage am Seeufer mit der mächtigen Einwirkung des Meeres. An
der Südküste nennen wir: die Hospize von Cannes, Cette, Banguis - sur - Mer und
Hyeres-Giens; an der Westküste: Arcachon, Saint Trojan auf der Insel Oleron und
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Sanatorien auf Inseln nnd am Meeresufer.
Pen-Brou bei Le Croisic neben ein paar kleineren Anstalten; an der Nordküste sind
das kleine Sanatorium Saint - Pol-sur-Mer und die Seesanätorien Stadt Berck-sur-
Mer. Die Stadt Paris, oder, um es genauer auszudrücken, L’assistance publique de
Paris hat allein dort 1034 Betten, von denen 700 im grossen Hospital, die übrigen
im kleinen Hospital und in den beiden Maisons Cornu sind. Ausserdem ist in Berck
das schöne Höpital Rothschild, welches sehr gut eingerichtet ist und 100 Kinder auf¬
nimmt; dieselben werden von der Familie Rothschild im Winter sowohl wie im
Sommer unterhalten. Neben diesen nur für arme Kinder bestimmten Hospitälern
giebt es in Berck-sur-Mer noch verschiedene Pensionen oder Sanatorien für mehr
oder weniger wohlhabende Kranke.
Italien hat früh den Werth der Seesanatorien in der Behandlung der Skrophulose
und Tuberkulose erkannt, besonders infolge der verdienstvollen Anregungen des
Dr. Barzelai. Das erste Sanatorium wurde in Viareggio 1841 gegründet; später
folgten viele andere, unter welchen wir Sestri Levante, Porto d’Anzio, Loano, Palermo,
Lido (Venedig), Rimini, Riccione und Fano nennen wollen. Es haben sich in Italien
zur Förderung dieses Werks mehrere Gesellschaften gebildet, so die »Societä degli
amici dell'infanzia«, »Institutione romana degli ospizi marini pei fanciulli poveri
rachitici e scrophulosi«.
Auch Oesterreich-Ungarn hat an den Küsten des adriatischen Meeres mehrere
gute Seehospize, so in Triest, Grado, S. Pelagio bei Rovigno, das Maria Amalia Asyl
bei Lussin Grande und Dr. Szegös Kindersanatorium bei Abbazia. Das Interesse für
Seehospize ist im Wachsen und wird von der Kaiserlichen Familie und dem »Verein
zur Errichtung und Förderung von Seehospizen für kranke, insbesondere skrophulöse
und rachitische Kinder« gefördert. Es wäre zu wünschen , dass die Kurzeit für
die einzelnen Kranken weniger beschränkt und die Sanatorien auch im Winter
offen wären.
Deutschland hat vier Seehospize unter der Leitung des »Vereins für Kinder¬
heilstätten an den deutschen Seeküsten«: 1. das Seehospiz »Kaiserin Friedrich« in
Norderney; 2. das Hospiz in Wyk auf Föhr; 3. das Friedrich Franz-Hospiz in Gross-
Muritz und 4. das Hospiz Zoppot bei Danzig. In Norderney stehen 240 Betten zur
Verfügung; durch einen neuen Pavillon werden noch 24 hinzukommen; in Wyk
auf Föhr jetzt 80, die bald auf 100 gebracht werden sollen; in Gross-Muritz 70, die
auf 90 vermehrt werden, und in Zoppot 50. Die Dauer des Aufenthalts jedes Kindes
beträgt nur ungefähr sechs Wochen. Norderney ist der einzige Platz, wo das Sana¬
torium im Winter offen bleibt; und es ist kaum glaublich, dass die Möglichkeit,
kranke Kinder im Winter dorthin zu bringen, nur spärlich benutzt wird, obgleich
die Seeuferplätze im Winter für die armen Kinder hundert Mal besser wären als
die engen, heissen Zimmer der Armen mit geschlossenen Fenstern in Berlin,
Dresden, Bremen, Hamburg, Magdeburg oder irgend einer Stadt mit einer zahl¬
reichen Arbeiterbevölkerung. Sehr richtig haben die Herrn Ewald, Salomon und
A. Baginsky auf dem Berliner internationalen Kongresse zur Bekämpfung der Tuber¬
kulose in kurzen, aber bestimmten Worten darauf hingewiesen, dass die Dauer der
Kuren in den deutschen Seesanatorien ungenügend ist, und Ewald bedauerte noch
besonders, dass Norderney im Winter nicht gehörig besucht wird. Es ist wahrhaftig
nöthig, dass die Berufsgenossen, welche Einsicht in die hygienischen Fragen haben,
alles auf bieten, um sowohl Aerzte als Laien über diese wichtigen Punkte zu belehren.
Die Resultate der Behandlung sind hier ziemlich befriedigend, wenn auch nicht so
günstig als in den französischen Sechospizen; sie würden aber sicherlich ebenso gute
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1- llennann Weber, Sanatorien auf Inseln und am Meeresufer.
werden, wenn die Dauer der Kur in jedem einzelnen Falle nicht beschränkt wäre. Wir
erinnern uns immer noch mit Freuden an einen Besuch in Berck-sur-Mer, wo Dr. Calot,
der behandelnde Arzt in dem Pariser Hospiz, unsere Frage, wie lange er das gerade
untersuchte, an schwerer Pott’scher Krankheit leidende Kind im Hospital behalten
dürfe, antwortete: ein Jahr oder zwei Jahre oder so lange es nöthig ist. — So
sollte es überall sein!
Auch in den anderen an die Nord- und Ostsee grenzenden Staaten sind in der
letzten Zeit Seehospize gegründet worden, in Holland, Belgien, Schweden und Nor¬
wegen, Dänemark und Russland; aber auch in diesen Ländern bis jetzt noch in
ungenügender Anzahl.
In den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika besteht bis jetzt nur in be¬
schränkten Kreisen grosses Interesse für Seehospize. In New-York und in Philadelphia
sind mehrere Wohlthätigkeitsgesellschaften, welche Sanatorien für schwächliche und
auch kranke Kinder und ihre Mütter am Meeresufer besitzen; aber die Dauer der Kur
ist auf wenige Wochen und nur auf den Sommer beschränkt. Die St. John’s Guild
in New-York hat auch, wie schon oben erwähnt, ein »Floating hospital and sea
side nursery«, welches die schwachen Kinder mit ihren Müttern mehrmals in der
Woche für H—7 Stunden auf das offene Meer und zurück fährt. Es ist dies eine
gute Idee, aber die kurze Dauer des Aufenthalts im Sanatorium beschränkt die Zahl
der Fahrten auf sehr wenige. Es ist selbstverständlich, dass ein Kind, welches mit
skrophulo-tuberkulösen Affektionen der Drüsen, der Gelenke oder Knochen behaftet
ist, nicht in einigen Wochen geheilt, wenn auch in der Allgemeingesundheit wesent¬
lich gebessert werden kann. Wenn einmal in Amerika die richtige Einsicht in den
grossen Nutzen der Behandlung in Seehospitälern geweckt werden wird und zwar in
den Kreisen, von welchen die Gründung einiger der grössten und best eingerichteten
Hospitäler der Welt ausgeht, so werden bewundernswerthe Seesanatorien entstehen,
zur grössten Wohlthat der armen Kinder der grossen Städte in Nord-Amerika.
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13
Otto Ilcubucr, Die Energiebilanz des Säuglings.
II.
Die Energiebilanz des Säuglings.
Von
Goh.-Rath Professor Dr. Otto Heubner
in Rerlin.
Es giebt zwei Hauptwege, auf denen die Forschung den Vorgängen bei der
Ernährung eines Organismus, in unserem Falle des Säuglings, nachgehen kann. Auf
dem einen verfolgt sie die Schicksale der einzelnen Stoffe, die dem Körper mit der
Nahrung zufliessen; sie sucht zu ergründen, wie sie innerhalb dieses zerfallen
müssen, um von seinen Innenflächen aufgenommen werden zu können, welchen Abbau
sie sodann jenseits des Darmes in dem Blut und den Organen erfahren, zu welchen
Körpern die Trümmer der verwertheten Moleküle wieder zusammentreten, um schliess¬
lich in Gestalt von einfacheren Verbindungen den Organismus, dem sie gedient haben,
zu verlassen; sie sucht klarzulegen, in welcher Weise diese verwickelten Umsetzungen
die Unterhaltung der Organfunktionen, das Wachsthum oder die Erhaltung des Körper¬
bestandes, den Fortgang des Lebens gewährleisten. Die hier aufgethürmten Räthsel
zu lösen sind zahlreiche physiologische Chemiker seit Jahrzehnten bemüht; sie haben
auch eine Reihe von Einblicken in den intermediären Stoffwechsel eröffnet. Aber
wir sind doch noch weit davon entfernt, auch nur für einen Nährstoff, geschweige
denn für die Gesammtnahrung ein klares Bild der einzelnen Glieder, die sich hier
vom Eingang bis zum Ausgang aneinanderketten, entwerfen zu können und damit
zu einer geschlossenen Lehre des ganzen Ernährungsprozesses zu gelangen.
Der andere Weg sieht zunächst davon ab, welche Veränderungen mit den zuge¬
führten Stoffen im Innern des Körpers vor sich gehen, und begnügt sich — etwa
wie der Generalbericht eines grossen Bankhauses — den Gesammthaushalt der Er¬
nährung mittels Messen und Wägen der Einnahmen und Ausgaben darzulegen und
daraus dann den Gewinn oder Verlust, der aus den einzelnen Formen der Ernährung
erspriesst. zu erkennen. Um bei dem Gleichniss zu bleiben, so lässt dieser Weg
der Forschung keinen oder nur einen sehr beschränkten Blick in den inneren Ge¬
schäftsbetrieb thun, aber er lässt ein Urtheil darüber zu, ob das Geschäft überhaupt
prosperiert. Das ist nun aber für den Praktiker, dem die Sorge obliegt, einen ihm
anvertrauten Organismus richtig zu leiten, zunächst das wichtigste, und so haben die
mit dieser Methode erlangten Resultate den entscheidensten Einfluss auf sein Han¬
deln ausgeübt.
Bei der hier gewählten Betrachtungsweise lassen sich die Ernährungsvorgänge
unter der Formel einer einfachen Gleichung zusammenfassen, deren Inhalt lautet: Die
Zufuhr von Stoffen zum Körper ist gleich der Abfuhr aus diesem und seinem Wachs¬
thum. Letztere Grösse kann positiv, negativ oder Null sein. Je nachdem nimmt
der ernährte Organismus zu, ab oder bleibt im Gleichgewicht.
Den experimentellen Beweis der Richtigkeit dieser Gleichung — zuerst für den
Stickstoff der Nahrung — verdanken wir dem Forscherblick und der Lebensarbeit
Carl Voit’s. Seine bahnbrechenden Untersuchungen räumten mit der Lehre vom
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14 Otto Heubner
sogenannten Stickstoffdefizit auf und zeigten, dass nichts von diesem Elemente bei
seiner Wanderung durch den Körper verloren geht. Spätere Untersuchungen lehrten
das gleiche für den Schwefel, den Phosphor und eine ganze Zahl anderer Elemente,
die dem Körper mit der Nahrung zufliessen. Schwieriger war dieser Nachweis für
den Kohlenstoff und den Wasserstoff, doch wurde auch er möglich, nachdem es ge¬
lungen war, den ßespirationsapparat zur Messung der gasförmigen Ausscheidungen
des Organismus anzuwenden.
So wurde man allmählich in den Stand gesetzt, die Bilanz der stickstoffhaltigen
und der stickstofffreien Nährstoffe, jede für sich, zu betrachten, jener grossen Haupt¬
gruppen, deren wesentlich verschiedene Bedeutung für den zu ernährenden Organismus
Liebig zuerst oder doch am schärfsten erkannt und eindringlich gelehrt hatte. Seit¬
dem blieb der Gehalt der Nahrungsmittel an stickstoffhaltigen, insbesondere eiweiss¬
haltigen, und stickstofffreien Substanzen maassgebend für die Abschätzung ihres Er-
nährungswerthes. Als die bedeutungsvolleren, ja zeitweilig als die weit wichtigeren
wurden die ersteren angesehen, während den »Respirationscmitteln eine viel geringere
Beachtung in der Ernährungslehre geschenkt wurde.
Aber es lehrte doch jeder Stoffwechselversuch, dass von dem zugeführten Stick¬
stoff selbst im wachsenden Organismus nur ein verhältnissmässig kleiner Theil zum
Ansatz kam, dass also auch die plastischen Nahrungsstoffe wohl noch zu anderen
Zwecken verwendet werden müssten, als dazu, Wachsthum zu erzielen, oder den täg¬
lichen Verlust an stickstoffhaltiger Substanz zu ersetzen. — Als man weiter er¬
fuhr, dass bei der Muskelarbeit der Stickstoffverbrauch kaum gesteigert war, so
gestaltete sich die Erklärung der Nothwendigkeit der stickstoffhaltigen Nahrung noch
schwieriger. Denn die Thatsache dieser Nothwendigkeit war ja durch zahlreiche aus¬
schlaggebende Versuche ebenso wie durch die Erfahrung des täglichen Lebens ganz
sicher gestellt. Trotzdem muss eigentlich wohl zugestanden werden, dass eine zahlen-
mässig erschöpfende Antwort auf die Frage, warum (für den nicht mehr wachsenden
Organismus) die tägliche Zufuhr einer bestimmten Eiweissmenge unentbehrlich ist,
noch immer aussteht. — Die Messung der Drüsenarbeit, wie sie von Pawlow und
seinen Schülern begonnen worden ist, verspricht vielleicht hier noch manche Auf¬
klärung.
Inzwischen hatte aber ein Schüler Carl Voit’s, Max Rubner, seine Aufmerk¬
samkeit den bisher etwas mehr im Hintergrund der Betrachtung gebliebenen stick¬
stofffreien Nahrungsmitteln zugewendet. Bei dem Studium ihrer Leistungen für den
Gesammtstoffwechsel machte er die Entdeckung, dass die beiden grossen Gruppen
von Nährstoffen, die hier in Frage kommen, die Fette und die Kohlehydrate, in
weitem Umfange einander in der Nahrung vertreten können, ohne dass die Ernährung
Noth leidet. Es kommt nur darauf an, dass der dynamische Werth der Nahrung,
die in ihr enthaltene Energie, ausgedrückt durch ihre Verbrennungswärme, auf der
gleichen Höhe bleibt. Selbstverständliches Erforderniss ist ausserdem, dass die Nah¬
rung gleich gut verdaut wird. Und nur soweit dieses letztere bei zu starkem Ueber-
wiegen des einen oder des anderen Nährstoffes nicht mehr der Fall ist, scheint der
gegenseitigen Vertretung der beiden stickstofffreien Hauptgruppen von Nährstoffen
eine Grenze gesetzt zu sein. Selbst der stickstoffhaltige Antheil der Nahrung, soweit
er das unbedingt erforderliche Maass von Eiweisszufuhr übersteigt, scheint durch die
stickstofflosen Bestandtheile ersetzt werden zu können. Diese Entdeckungen nun
führten Rubner zu einer ganz neuen Betrachtungsweise der Ernährung überhaupt.
Zum ersten Male fing einer der führenden Gedanken des abgelaufenen Jahrhunderts,
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15
Die Energiebilanz des Säuglings.
derjenige von der Erhaltung der Energie, an, Besitz zu ergreifen von dem Ge¬
biete, das bisher als Lehre vom Stoffwechsel bezeichnet worden war.
Von welcher Bedeutung diese Umwerthung des Ernährungsbegriffes für die
Praxis schon seit Jahren geworden ist, lehren alle medicinischen Schriften über die
Ernährung Kranker und Gesunder, in denen fast durchweg die Nahrungsmittel nicht
mehr nur nach ihrem Gehalt an Stoffen, sondern an Energie (Kalorieen) dargestellt
werden.
Der erste und eigentlich einzige, der diese neuen Gedanken auf die Säuglings¬
ernährung zu übertragen versucht hat, ist Wilhelm Camerer. Er hat zuerst 1889
auf der Naturforscherversammlung in Heidelberg das Nahrungsbedürfniss in der Form
von Wärmeeinheiten darzustellen versucht, und neuestens 1 ) seine Auffassung der Er¬
nährung als Arbeit eingehender dargelegt. Er ist aber fast unbeachtet geblieben.
Auch mein Versuch auf dem internationalen Kongress in Paris, diese Lehre durch
Beibringung neuer Thatsachen weiter zu begründen und zu verwerthen, ist, wie es
scheint, ohne tieferen Eindruck auf die Fachgenossen geblieben. 2 )
Trotzdem werde ich nicht müde werden, ebenso wie Camer er den Fusstapfen
Rubner’s 3 ) zu folgen. Denn für den Fortschritt unseres Denkens und Arbeitens über
die Säuglingsernährung sind auf diesem Wege viele und fruchtbare Anregungen zu
Anden.
Auch die Energiebilanz des Säuglings lässt sich in einer sehr einfachen Gleichung
ausdrücken. Sie lautet:
Die mit der Nahrung in den Körper eingeführte potentielle oder Kraftarbeit ist
gleich der vom Körper geleisteten und der in ihm aufgespeicherten Arbeit. Man be¬
merkt aber sogleich den anderen Charakter dieser Gleichung: es wird nicht Einfuhr,
Verbleib und Ausfuhr bestimmter Stoffe, sondern die Leistung der Zufuhr mit der
Gesammtleistung des Organismus verglichen: an sich schon eine wesentlich klarere
physiologische Erwägung.
Die Zufuhr liefert dem zu ernährenden Organismus Spannungsenergie, Kraft¬
arbeit, die sich fasslich und erschöpfend ausdrücken lässt durch ihre Verbrennungs-
wärme. Die Leistung des Organismus dagegen besteht zum weitaus grössten Theile
in Bewegungsarbeit, die wieder zum grössten Theil als Wärme den Körper verlässt.
Sie setzt sich zusammen aus den »regulatorischen« Verbrennungsprozessen, besonders
in den Muskeln sowie in anderen Zellterritorien des Körpers, und aus mechanischer
und chemischer Bewegung, sei es in den inneren und äusseren Muskeln, sei es in
den Drüsenzellen, wo diese zur Verdauung, Harnabsonderung, Nerventhätigkeit,
inneren Sekretion u. s. w. nöthig sind. Nur zu einem kleinen Theil besteht die
Leistung des ernährten Organismus in der Aufspeicherung von Kraftarbeit, soweit
nämlich Ansatz an den Körper erfolgt. Bei diesem Vorgänge soll nach Camerer
eine Umsetzung von Arbeit aus dem latenten in den freien Zustand nicht erfolgen,
vielmehr die potentielle Energie der Zufuhr als solche in der dem Stoffansatz ent¬
sprechenden Menge zur Ablagerung kommen. Das wird für das Fett wohl seine
Richtigkeit haben. Aber beim Kohlehydrataufspeichern und noch mehr beim Eiweiss¬
ansatz vollziehen sich Spaltungen und nachher wieder Synthesen, die lebendige Arbeit
erfordern. Man kann diese aber allerdings zur Verdauungsarbeit füglich hinzurechnen.
i) Jahrbuch für Kinderheilkunde Bd. öl.
*) Monti (Archiv für Kinderheilkunde Bd. 29. S. 392) hat sich sogar zu einem persönlichen
Angriff verstiegen, den ein Schriftsteller seiner Vergangenheit füglich hätte unterlassen dürfen.
s ) Rubner, Biologische Gesetze. Marburg 1887.
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16 Otto Heubner
Bedienen wir uns algebraischer Zeichen zur Bezeichnung der dargelegten Grössen,
und nennen mit Camerer
die in der zugeführten Nahrung enthaltene Arbeit.n,
die zur Erzeugung der abfliessenden Wärme verwendeten Arbeit e,
die in dem Körperanwuchs des Säuglings enthaltene Arbeit . a,
so lautet die Gleichung
n — e a
für das wachsende Kind. (Es wird hierbei, der Einfachheit halber, von der äusseren
mechanischen Arbeit (l nach Camerer), die beim gesunden jungen Säugling so gering
ist, dass sie vernachlässigt werden kann, abgesehen). Hierbei ist nun zu beachten,
dass von den beiden Summanden auf der rechten Seite der Gleichung e den weitaus
grösseren Betrag darstellt Denn in ihm, d. h. also der ganzen Energie, die den
Körper als freie oder gebundene Wärme verlässt, ist die Arbeit der Oxydationsvorgänge
in den Zellen, das Nebenprodukt der Arbeit des Herzens, der Nieren, der Verdauungs¬
drüsen und Muskeln enthalten. Nach Rubner 1 ) ist beim hungernden Thier und bei
niederer Aussentemperatur die vom Körper gelieferte Arbeit (die dann von der Körper¬
substanz selbst ihre Quellen bezieht) nicht wesentlich verschieden von der beim
mässig genährten und beläuft sich bei Organismen von dem gleichen Gewicht, wie
das neugeborene Kind, auf 88 Kalorieen pro Kilo. Bei dem von Rubner und mir
an einem ziemlich gut wachsenden Säugling angestellten Versuche*) ergab sich, dass
von der gesammten Energie, die dem Kinde mit der verabreichten gezuckerten Kuh¬
milch zufloss, nur der neunte Theil zum Ansatz benutzt werden konnte, während das
ganze Uebrige den Körper wieder verliess. In diesem Beispiel war alsoe —88°/ 0
von n, a = 12°/ 0 von n.
Auf alle Fälle muss bei der Ernährung n> als e (-h t) sein, wenn ein Ansatz
möglich sein soll, also wenn das Resultat der Ernährung dem physiologischen Ver¬
halten des Säuglings entsprechen soll.
Wird n^e(+ l), so kann der Säugling leben, aber nimmt nicht zu. Das ist
aber ein pathologischer Zustand, da normalerweise eben eine fortdauernde Zunahme
im Säuglingsalter herrscht. Der Säugling befindet sich dann, ähnlich wie der Er¬
wachsene, auf »Erhaltungsdiät«. Obwohl pathologisch, kann dieser Zustand vom
Säugling thatsächlich wochen- und monatelang ertragen werden, wie mir eine ganze
Reihe von Beobachtungen meiner Säuglingsabtheilung im Laufe der letzten Jahre
gelehrt haben. Ja es ist selbst nach so langer Dauer solchen Zustandes eine Behebung
und völlige Rückkehr zum physiologischen Zustand möglich.
Das Verhältniss zwischen den beiden Gliedern der Gleichung kann sich aber auch
so gestalten, dass nee wird. Das kann auf doppelte Weise geschehen. Einmal
dadurch, dass n kleiner wird; d. h. .der Nahrungswerth unter den Bedarf des Orga¬
nismus herabgeht. Das ist leicht verständlich. Dieser Effekt wird z. B. auch ein-
treten, wenn eine an sich genügend energiehaltige Nahrung im Darmkanal nicht
ordentlich ausgenutzt wird. Er könnte sich auch ereignen, wenn die Fähigkeit, die
Nährstoffe innerhalb des Körpers bis zu den Endprodukten zu verbrennen, abnähme,
weil dann eine pathologisch grosse Energiemenge den Körper (durch die Nieren
hauptsächlich) unbenutzt verlassen würde. Doch haben wir für eine solche Annahme
noch keineswegs sichere Unterlagen, auch würde ein solcher Zustand wohl schwerlich
i) Rubner, 1. c.
*) Zeitschrift für Biologie Bd. 38.
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Dio Energiebilanz des Säuglings. 17
lange ertragen werden. Die alimentäre Laktosurie lässt sich nicht ohne weiteres in
diesem Sinne verwerthen. Endlich ergab der einzige positive Versuch, der von Rubner
und Verfasser an einem atrophischen Kinde angestellt wurde, eine völlig normale
Fähigkeit, die zugefiihrte Nahrung zu den Endprodukten zu zersetzen. Die C0 2 -
Ausscheidung entsprach ganz dem zu erwartenden Betrage (Zeitschrift für Biologie
Bd. 38). Aber, und das ist weniger einfach, auch dadurch kann n < e werden, dass
die Grösse e (-f J) wächst, d. h. bei gleichbleibendem Energiegehalt der Nahrung die
vom Körper zu leistende Arbeit sich vergrössert. Das ist z. B. beim Erwachsenen
der Fall, wenn dieser anstrengende mechanische Arbeit zu verrichten gezwungen ist.
Beim Säugling kommt das allenfalls bei grosser Unruhe in Betracht, aber unter
normalen Verhältnissen kaum. Wohl aber kann hier die innere Arbeit, ganz besonders
die Arbeit der Verdauungsdrüsen, eine solche Steigerung erfahren, dass (bei gleich¬
bleibendem Werthe von n) e grösser als n wird.
Mag nun die Gleichung auf die eine oder andere Weise gestört werden, unter
allen Umständen muss der an n fehlende Betrag ergänzt werden, und damit muss
eine neue Grösse in der Gleichung auftreten. Der Organismus selbst giebt von seinem
Bestände einen mehr oder weniger grossen Antheil her, dessen Zersetzung alsdann
die für das Leben nöthige Arbeit mit liefern hilft. Camerer bezeichnet diesen
Werth mit k (Körpersubstanz), die Gleichung lautet dann n -(- k = e (- 1 - l).
Das Leben bleibt ermöglicht, aber der betreffende Organismus nimmt jetzt an
Gewicht ab.
Es dürfte aus diesen wenigen Auseinandersetzungen hervorgehen, wie wichtig
es für das Verständniss des ganzen ErnährungsVorganges sein müsste, die einzelnen
Glieder der Energiegleichung im konkreten Falle messen und in bestimmten Zahlen
ausdrücken zu können. Im Prinzip müsste die Arbeitsgrösse des Körpers e , die ganz
und gar in Form von Wärme diesen verlässt, sich ohne Verlust kalorimetrisch er¬
mitteln lassen. Ein unvollständiger derartiger Versuch ist auch von Langlois 1 )
bereits einmal gemacht; aber die Wiederholungen scheiterten noch an den praktischen
Schwierigkeiten. Man hat sich im allgemeinen damit geholfen, diese Grösse bei
gesunden gut zunehmenden Säuglingen nach dem Kalorieenwerth der Nahrung zu
schätzen. Da man aus der Grösse a (dem täglichen Wachsthum) annähernd 2 ) die
aus der Nahrung im Körper aufgespeicherte Energie berechnen kann, so ist es in
der That möglich, wenn n bekannt ist, daraus und aus a die Grösse e wenigstens
ungefähr zu ermitteln, 7 da n — a --=e.
Nun ist aber selbst der Energiewerth der Nahrung bisher noch keineswegs sehr
eingehend erforscht. Gerade an diesem Punkte lässt sich aber zuerst und verhältniss-
mässig am leichtesten der Hebel ansetzen. Denn bei der Säuglingnahrung haben
wir es mit einer im ganzen recht gleichmässig zusammengesetzten und einförmigen
Zufuhr zu thun, deren Energiebetrag nicht nur berechnet, sondern auch ohne grössere
Schwierigkeiten durch den Verbrennungsversuch direkt festgestellt werden kann.
Dieser aber giebt natürlich ungleich zuverlässigere Werthe, als die Berechnung nach
der chemischen Zusammensetzung.
In der Milch z. B. finden sich ja gewisse unbekannte Stoffe, in der der Frau von
nicht zu vernachlässigender Menge, deren Energiewerth noch gar nicht berechenbar
') Centralblatt für Physiologie 1887.
2 ) Genauer wird dieses möglich sein, wenn man erst die quantitative chemische Zusammen¬
setzung des Säuglings genau kennen wird, worauf durch Camerer’s neuere Arbeiten Aussicht vor¬
handen ist.
Zeitschr. f. diät. u. pliysik. Therapie Bd. V. Heft 1.
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18
Otto Hcubner
ist; ferner ist es fraglich, ob für das Milcheiweiss, auch für Milchfett, die allgemein
zur Rechnung benützten Zahlen ohne weiteres gültig sind. — Es liegen aber zur
Zeit solche direkte Bestimmungen (mittels der Verbrennung in der Berthelot’schen
Bombe) sowohl für gewöhnliche gute Handelsmilch, wie auch für Frauenmilch vor.
Sie stammen von Rubner 1 ). Die Frauenmilch stammte von zwei verschiedenen
Frauen, von denen die eine eine fettarme, die andere eine fettreiche Milch lieferte.
Der Energiegehalt der ersteren wurde zu 614,2 grossen Kalorieen pro Kilo, derjenige
der letzteren zu 723,9 Kalorieen bestimmt. Die Bestimmungen verschiedener Kuh¬
milchsorten bewegten sich zwischen 622 und 690 Kalorieen pro Kilo. — Bei den
folgenden Untersuchungen ist die Muttermilch zu rund 650, die Kuhmilch zu 670
Kalorieen im Kilo angesetzt. — Ausser diesen Bestimmungen hat Herr Professor
Rubner auf meine Bitte die Güte gehabt, noch einige Gemische, die auf meiner
Klinik bei der Ernährung kranker Säuglinge zur Verwendung gelangen, auf ihren
Energiegehalt zu bestimmen. Ich erwähne aus diesen Bestimmungen, dass im Liter
der Lieb ig’sehen Suppe, wie sie nach Keil er’s Vorschrift jetzt zubereitet wird,
808 grosse Kalorieen enthalten sind; die gleiche Menge Buttermilch, nach de Jager
zubereitet, enthält 698 grosse Kalorieen, ein Liter Allenbury - Mischung (No. I.)
enthält 546 Kalorieen, ein Liter Mehlsuppe aus Rademanns Mehl (ohne Milch;
5°/ 0 ig) 195 Kalorieen, ein Liter Eselsmilch*) (von Hofrath Dr. Klemm in Dresden
gütigst zur Untersuchung übersandt) 502,5 Kalorieen. Ist man im Besitz dieser
Zahlen, so handelt es sich nur um die genaue Messung des täglich vom Säugling
genossenen Volumens oder auch Gewichtes der betreffenden Nahrung, um einen
Ueberblick über den Energiewerth der Zufuhr zu bekommen. Da es sich um die
Ernährung eines wachsenden Organismus handelt, also eines regelmässig sich ver¬
ändernden, so darf man, wenn man grössere Zeiträume der Ernährung oder ver¬
schiedene Kinder unter einander vergleichen will, nicht die absolute Quantität der
täglichen Zufuhr als Maassstab wählen, sondern muss ein konstantes Verhältniss,
also z. B. die Grösse der Kalorieenzufuhr, die auf ein Kilo Kindskörper kommt,
dazu benutzen. Diese Grösse mag der Energiequotient der Nahrung heissen.
Bekommt also z. B. ein Säugling von 7,6 Kilo eine tägliche Energiezufuhr von 620
Kalorieen, so ist der Energiequotient ~ = 81,6 Kalorieen.
< ,b
Es handelt sich nun darum, will man weitere Aufschlüsse nach dieser Richtung
erhalten, diesen Energiequotienten in einer möglichst grossen Zahl von Einzelbeobach¬
tungen festzustellen. Aus diesen wird sicli dann ergeben, ob diese Zahl eine gewisse
Konstanz hat, wie hoch sie sein muss, um Ansatz zu erzielen, ob verschiedene Sorten
von Nahrung in dieser Beziehung verschiedenwerthig sind u. v. a.
Voraussetzung dabei ist aber, dass diese Untersuchungen an gesundeu Säug¬
lingen vorgenommen werden, von denen man voraussetzen kann, dass die zugeführtc
Nahrung in dem normalen Prozentsatz zur Aufsaugung gelangt (zu etwa 91 % der
dargebotenen Energie, vergl. Rubner und Heubner, Zeitschr. für BiologieBd.38).
Denn trifft diese Voraussetzung nicht zu, so würde die Rohzufuhr gar nicht mehr
als Maassstab zu gebrauchen sein, müsste vielmehr in jedem einzelnen Falle die
Resorptionsgrösse vorher bestimmt werden, was ja bekanntlich ein umständliches
i) Zeitschr. tür Biologie Bd. 36.
-') Diese stammte von einer Eselin und war so gewonnen, dass vom Anfang, der Mitte und
dem Ende des Melkens Proben zusammengemischt waren.
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Die Energiebilanz des Säuglings.
19
Verfahren ist. Hat man aber gesunde, d. h. durch die ganze monatelange Beobach¬
tungszeit hindurch gut gedeihende Kinder vor sich, so darf man auch voraussetzen,
dass die Aufsaugung keine Abweichungen darbieten kann, und darf die Bruttoein¬
nahme ganz wohl zum Vergleiche mit anderen Grössen verwenden.
Nun sind freilich Beobachtungen, die eine Untersuchung in dem eben bezeich-
neten Sinne durch einen grossen Theil der Säuglingszeit oder durch das ganze erste
Jahr hindurch zulassen, in der Litteratur nur erst äusserst spärlich vorhanden. Denn
es genügt ja nicht nur eine Tag für Tag fortgesetzte genaue Feststellung der zugeführten
Nahrungsmenge, sondern es muss auch die Zusammensetzung so genau bekannt
sein, dass eben die Umrechnung der Stoffe in Energie möglich ist. In dieser Be¬
ziehung fehlt leider in manchen sonst sehr sorgfältigen Aufzeichnungen die genaue
Angabe des zugesetzten Zuckers, was sie natürlich ohne weiteres unbrauchbar macht.
Ausserdem muss eine wenigstens allwöchentlich vorgenommene Gewichtsbestimmung
vorhanden sein.
Für die künstliche Ernährung ist es mir in der Litteratur nicht gelungen eine
fortlaufende Beobachtung aufzufinden, wohl aber einige über ein paar Monate sich
erstreckende Fragmente. Dagegen verdankeich der Güte des Herrn Doc. Dr. Finke 1-
stein zwei und der der Herren Camerer-Söldner eine über ein Jahr fortlaufende
Beobachtung, die allen obigen Anforderungen genügt. Für die natürliche Ernährung
habe ich die bekannte Ernährungsgeschichte des Kindes von Feer 1 ), die einzige
erschöpfende Beobachtung über eine Säugungsperiode von Anfang bis Ende, be¬
nützen können.
Die Untersuchung der einzelnen Fälle wurde nun in der Weise ausgeführt,
dass jede Woche des Lebens eine Periode bildete, für die 1. jedesmal das mittlere
Gewicht, 2. jedesmal der Energiequotient der zugeführten Nahrung nach der oben
angegebenen Methode bestimmt wurde. Gleichzeitig wurde das Volumen notiert, in
dem die gesammte Energiemenge täglich dem Kinde zugeführt wurde.
Diese drei Grössen wurden in Kurven eingetragen, und so entstanden die Dia¬
gramme, die nunmehr erläutert werden sollen. Die obere schwarze Linie stellt die
Wachsthumskurve dar, die untere schwarze Säule den Energiequotienten, die Höhe
der blassen Säule bedeutet das Volumen der täglich gereichten Nahrung. Die Wachs¬
thumskurve ist im Original auf gutes Millimeterpapier eingezeichnet, um genau
gleiche Zeiten (jeder Millimeter der Abscisse = 1 Tag) auf die Gewichtszunahmen
zu beziehen. Immerhin sind die Kurven nur unter einander zu vergleichen, da die
Bedeutung des Millimeters der Ordinate = 50 g willkürlich ist.
Betrachten wir zuerst das Diagramm, das den Gang der Ernährung an der
Mutterbrust darstellt (Feer): Fig. 1.
Während des ersten Lebensvierteljahres beträgt der Energiequotient durchweg
entweder über 100, meist erheblich darüber, oder gerade 100. Eine Ausnahme
macht nur die erste Woche (die Energiemengen der Anfangsmilch sind nach den
Analysen vonCamerer und Söldner berechnet), während deren die mittlere Zufuhr
50 Kalorieen pro Kilo beträgt Während dieser Zeit nimmt der Säugling 50 g
(Mittelzahl) ab. Von der zweiten Woche an aber steigt die Gewichtskurve steil an
(Linie No. I), so dass der Winkel, den sie mit der Abscissenachse bildet, 39°45'
beträgt *).
>) Jahrbuch für Kinderheilkunde Bd. 42. S. 195.
*) Die Sekunden sind bei der Ablesung am Transporteur geschätzt.
2 *
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OttoHeühiict-
In <lem zweiten:■ Lebensvierteljahr (von der 12. Ws etwa 24. Woche) sinkt der
Eiiergieiiuotient gut)* alhttältlieji. Die Meuten vön Nahrung, dk die Mutterbrissf
liefert, bleiben zwar die gleichen' wk vorher ümgefidtr 1 I.iterJ, aber die Milch -
Sekretion, nimmt nicht in gleichem \"mh;i!tnk:W‘ wie - das Wamst hum zu — daher
das Sinke» des Knemk'.tjwoticinen. Ili> zur 18. Woche »*>« )> annähernd l<»0. ge«,!,
er ilutifl auf ÜO herilöter und in der 2S ? Woche auf 80. Die Gewichtszunahme des
Kindes .gebt Stetig weiter alter in weniger steiler Kurve. Di© fdhie No. II' bildet
mit der Absrisse einen Winkel von- 22" 4.V.
< ira/oi*
iK '-JKU5 I^yjyv y /t i
»**4
EiUT^icJiüfuJir hvi natürlicher Ernährung an der Mwttcrbnist
Im dritte» Lebens Vierteljahr itex Ihiroet öoeh annähernd gleichem Volumen
der Niahritng — ideiltf der .lij«ii'gie«|HC<t.iiiuf: auf wenig über 80 Kaloriken stehen
und zwar bis zur :l}$. Woche. 3» det 2'». Woche sinkt er sogar auf Tr Kahmeen.
Danach /füllt die Gewjciit.skucv»' ein wenig, steigt aber doch nachher wieder an. aber
mit der geringsten Geschwindigkeit. Dk-se dril-te-(nicht das ganze dritte tjuartnl
timtassöMde)ciWnude kf, wm (las Gedeihen des Kinde.': uu langt, die unrollkoimuenst«.
i*iv Ltiiie 3M, die diesen Theil der Kürjre vertritt, bildet mir der Ahseisse einen
Winkel von 7" )?*'.
In de! vierte»' l'emxic der DcolütciifUhe ''beginnt die ?dild.sekK-tiim sich zu
iimitlerm tttt> allmählich (he zur Di. Wucht-) shi versiege«. Jetzt tritt, die Nothweudig-
keit rin,.Mhugel fldfeh Zugabe von Kuhmilch änszüglejchen. Iter
Ihuirgie.)•«•»Gent ••iT>kt io der :-;s. Woche .••nl Unter btt,, hebt srth «her darin wieder
auf 75. l»ic Gewiciirskorve heM sich unter ^vhwjtöktuigen nubsig rasch, aber immer
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Die Energiebilanz des Säuglings.
•21
noch besser als in der dritten Periode. Der Winkel, den die Linie IV mit der
Abscisse bildet, beträgt 14°.
Die eigentliche Wachsthumsintensität finden wir für die verschiedenen Perioden,
wenn wir die Tangenten der vier Winkel bestimmen 1 )- Es ergiebt sich dann
für Periode I eine Wachsthumsintensität = tang / 39° 4 5' — 0,8302
» » II s » = tang _/ 22° 45' — 0,4061
» > s III » » — tang /_ 7° 10' ----- 0,1246
» » IV » » —- tang / 14° ^ 0,2493.
Wir finden also in der ersten Periode eine siebenmal grössere Wachsthums-
intensität als in der dritten, obwohl der Energiequotient nicht entfernt etwa in
gleichem Maasse sinkt. Das ist ein recht klarer Ausdruck dafür, dass das Wachs¬
thum beim Säugling nur mit einem verhältnissmässig kleinen überschiessenden Theil
der dem Kinde zugeführten Energie, bewerkstelligt wird und nicht eher möglich
ist, als bis der für das Leben nothwendige Bedarf gedeckt wird. Bei einem dürftig
an der Brust ernährten Kinde fanden Rubner und ich in einem siebentägigen
Versuch, dass dieses bei einem Energiequotienten von 70 Kalorieen sich gerade
auf seinem Bestand hielt, ohne zuzunehmen. Setzen wir diesen Werth in obigem
Falle als Nothbedarf für die Erhaltung ein, so steigt in der ersten Periode der
Ueberschuss auf circa 50 Kalorieen, in der dritten Periode im Mittel auf
7—8 Kalorieen. Das ist das nämliche Verhältniss, wie es in der Verschiedenheit
der Wachsthumsintensität sich abspiegelt. Es dürfte kaum ein Fehlschluss sein,
wenn man annimmt, dass die beinahe gesetzmässige starke Ermässigung der Wachs¬
thumsgeschwindigkeit der Brustkinder im dritten Lebensvierteljahr mit diesem phy¬
siologischen Missverhältniss zwischen steigendem Körpergewicht und Gleichbleiben
oder Abnahme der Spannungsenergie, die die Mutterbrust liefert, in kausalem Zu¬
sammenhang steht.
Die zweite Beobachtung (Fig. 2) reicht von der 7. bis zur 36. Woche. Die
Nahrung bestand zur Hälfte, später zu einem Drittel aus verdünnter Kuhmilch mit
Mehl- und Zuckerzusatz. Sowohl Quantität wie Zusammensetzung waren für jeden
Tag genau bestimmt und damit berechenbar. Die gereichten Volumina beliefen sich
bis zur 22. Woche auf 1 Liter pro Tag, später auf 1100 bis 1200 ccm.
Das Kind weiblichen Geschlechts war mit annähernd normalem Gewicht ge¬
boren (3100 g), nahm anfangs bei einer wenig milchreichen Amme langsam zu, dann
unter Beinahrung gut; unter einer zweiten Amme erfolgte wieder Abnahme, so dass
es Anfang der 7. Woche auf einem Gewicht von 3950 g stand. Nun folgt der dar¬
gestellte Ernährungsversuch 7.-36. Woche. Von der 37. Woche an wurde nicht
mehr genau gemessen, aber nach der gleichen Methode weiter ernährt. Am Jahres¬
ende wog die Kleine 11500 g, und befand sich im 14. Monat in blühendem Gesundheits¬
zustand, ohne Zeichen von Rachitis.
Man kann an diesem Diagramm, wenn man nicht zu sehr ins Detail eingehen
will, etwa drei Perioden des Wachsthums unterscheiden, ausgedrückt durch die
Linien I von der 7.-22. Woche, Linie II von der 23.-33. Woche und Linie III die
34.-36. Woche umfassend. Von der 7.—11. Woche betrug der Energiequotient
i) Alle diese Zahlen haben natürlich nur für die hier gewählte Registriemiethode Geltung,
wo, wie gesagt, in den Originalkurven ein Millimeter der Ordinate = 50 g, ein Millimeter der Abscisse
= 1 Tag ist. — Nur aus Kurven, die in dieser Weise gewonnen sind, lassen sich mit den hier ge¬
gebenen Wcrthcn vergleichbare Zahlen ableiten.
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Ott»r Hrufmc»
anfangs 135 Kulorieen, und sank in 4 Wochen bei gleichbleibendor -Zufuhr auf .126;
Als ia der «6. Woche durch stärkere Konzert tration der Nabrong der frühere Quotient
wieder erreicht war, trat Dyspepsie ein,- so dass 4ie ^t‘8dhning unter .massigem
öevfiditsriicbgaug uüierbfodjen werden musste. 0ie Jiabrnng wurde mtjsi qualitativ
^eäßdert) aber so, dass der EnergiegidihU der gieiehe Idieh und mit zußtdtrjjendetn
öe^ichic immer ein wenig verstärkt (■/•• — v ,'. 1 Milch mit Milchzucker und Ktjfecko-
raehl). So blieb also der 'Energiequotient bis zur .41. Woche immer erheblich
über ICK), zwischen 125 und 135 kalorieen.
fl m fl
uw ;•
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In der -32. —34. Wodte. gelang es utchf mehr den QucdienteQ iibe? l<w» zu
hringeu, erst als das Kind in der 35. Woche Vollmilch mit MÜchzurker und Kuferke-
rucltl bekam, stieg es wieder auf die frühere l|«hc.
.Das.- Wachstlmiü des Kindes vollzog sich in dev:Wc>-c. dass es int Anfang der
Begtehtungszeit am langsamsten war. Linie 1 bildet mit der Absehse einen Winkel
von 22" 45' ; in der zweiten Periode wurde es >ehor> rascher, Linie II läuft unter
einem.- Wickel von ?t> !Ut\ endlich während der letzten Wochen steigt die Linie ganz
steil a.ß, dsfö Gew ieht aübiutviö drei Wochen um l kg zu. f>-eiWeh ging,- dasWöchs-
thuui nicht bis zum Ende des Wahres, in gleichem Tempo weiter, du auf dessen letzte
AVmTu'ii also ufw iiöcii die Hälfte
I fi Wochen '»qfch: .#ti^ : S!dMnn:e' Voir.iVi kg, nisl
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Die Energiebilanz des Säuglings. 23
des von der 34.-36. Woche beobachteten Ansatzes kommen. Aber es ist für diese
Zeit auch nicht bekannt, ob eine weitere Aufrechterhaltung des bisherigen Energie¬
quotienten möglich war. Wahrscheinlich ist es nicht.
Die Wachsthumsintensität beträgt:
von der 7.—22. Woche (tang. /_ 22° 48') 0,4142
> > 23.-33. » (tang. / 26 <> 30') 0,1986
* » 34.-36. » (tang. / 45« 12 7 ) 1,0180
Vergleichen wir damit das Verhalten des Brustkindes, so ergiebt sich W. I
(Wachsthumsintensität):
Brustkind Flaschenkind
7.—14. Woche . . . 0,8302 0,4142
23.-33. » ... 0,1246 0,4986
34.-36. > ... 0,2493 1,0180
(43.)
Hinzugefügt sei noch, dass das Brustkind von der 37.—52. Woche um 1200 g
(von 8700 auf 9950), also etwa Vs Mal so viel als das Flaschenkind zunahm.
Der Vergleich beider Beobachtungen bietet interessante Ergebnisse. Es fragt
sich nur, da wir es nicht mit denselben, sondern mit verschiedenen Individuen zu
thun haben, ob ein Vergleich überhaupt statthaft ist, da ja eine grosse Verschieden¬
heit in der angeborenen Verdauungskraft vorliegen könnte. Dieser Einwurf ist aber
mindestens mit grosser Wahrscheinlichkeit als unbegründet zu bezeichnen. Das
Flaschenkind war ein mit niedrigerem Gewicht als das Brustkind geborenes Mädchen,
das Brustkind, ein Knabe, offenbar von ganz gesunden kräftigen Eltern abstammend,
war auch während der ganzen Säugungsperiode nie nennenswerth krank. Auch wird
die Beobachtung III lehren, wie sich ein wirklich schwach veranlagtes Kind bei der
hier zur Anwendung kommenden Methode der Untersuchung darstellt. Es liegt also
nicht der geringste Grund zu der Annahme vor, dass das Wachsthum des Knaben
aus inneren Gründen ein geringeres hätte sein sollen, als das des Mädchens.
In der ersten Periode der Ernährung ist ja auch das Brustkind dem Flaschen¬
kind um das Doppelte überlegen. Fragen wir uns jetzt, wie es da um den
Energiequotienten stand, so sehen wir, dass diese Periode beim Brustkinde dadurch
ausgezeichnet war, dass der betreffende Quotient hoch war, unausgesetzt über 100,
zeitweilig bis über 125.
Er ist aber nicht höher als bei dem Flaschenkind in der nämlichen
Lebensperiode, und trotzdem steht das letztere dem ersteren um die Hälfte an
Wachsthumsintensität nach. In diesem Falle sehen wir nun, wie auch die Betrachtung
der Säuglingsernährung vom Standpunkte der Energielehre die Ueberlegenheit der
natürlichen Uber die künstliche Ernährung auf das deutlichste vor Augen führt. Es
fragt sich, ob diese Lehre den Sachverhalt auch zu erklären vermag.
Bis in die neueste Zeit hat man die Schwierigkeit bei der Ernährung mit
Kuhmilch in ganz einseitiger Weise in dem grösseren Eiweissgehalt dieser gesehen,
der noch dadurch erschwerend wirken sollte, dass das Kasein der Kuhmilch ein ganz
anderer chemischer Körper sein sollte, als das der Frauenmilch und deshalb der
Verdauung im Darme viel erheblichere Hindernisse entgegensetzen sollte. So ent¬
stünden schon im Magen die groben »Kaseinflocken«, die den Darmsekreten nicht
zugänglich sein sollten, es käme zum schädlichen Nahrungsrest u. s. w. Diese
Lehre muss fallen gelassen werden. Ich sehe ganz von den chemischen Streitigkeiten
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24
Otto Heubner
betreffs des Kasein ab, die übrigens auch noch nicht geschlichtet sind, seit der
Schüler eines der besten Eiweisskenner (Kühne) Otto Cohnheim 1 ), die chemische
Verschiedenheit des Frauen- und Kuhmilchkase'ins noch als ganz unbewiesen be¬
zeichnet. Aber Monti 2 ) und Schlossmann 3 ) mögen noch so lebhaft protestieren,
sie werden damit die Thatsache nicht aus der Welt schaffen, dass alle Unter¬
suchungen aller exakten Forscher, die am lebenden gesunden Kinde die Frage ge¬
prüft haben, zu dem Resultate gelangt sind, dass das Eiweiss der Kuhmilch ganz
ebenso gut vom gesunden Säugling ausgenutzt wird, wie das der Frauenmilch«).
Sogar bei vielen darmkranken Kindern hat man das Nämliche’gefunden. Also darin
kann die Lösung der auch in praktischer Beziehung hochwichtigen Frage nicht
gesucht werden. Eher könnte man an das Fett denken. Die voluminösen
Stühle der Kuhmilchkinder bestehen in der Hauptsache aus anorganischen Salzen,
Fettseifen und Fett (nicht aus Eiweiss). Aber die absolute Menge des unverdauten
Fettes ist doch so gering, dass auch dieses keine Rolle spielen kann. Dieses Defizit
steckt eben in den 9% Kalorieen, die bei jedem normalen Kinde (auch dem Brust¬
kinde), wie schon oben erwähnt, von der Roheinfuhr durch -nicht völlige Aus¬
nutzung (Koth) oder noch energiehaltige Stoffwechselprodukte (Urin) zu Verlust
gehen.
Da also die Energiezufuhr bei unserem künstlich genährten Kinde nicht durch
mangelhafte Ausnützung so vermindert worden sein kann, dass mit den beim Brust¬
kind ebenso wie beim Flaschenkind für den Ansatz am Körper disponiblen 50 bis
60 Kalorieen potentieller Energie das Flaschenkind nur halb so schnell gewachsen
ist als das Brustkind, so muss die Frage einfach so lauten: wo steckt die Arbeit
des Flaschenkindes, die es verhindert hat, den gleichen Betrag von Energie im
Körper aufzuspeichern wie das Brustkind? Da es sich in beiden Fällen um Kinder
wohlsituierter Eltern handelte, so ist nicht anzunehmen, dass das Flaschenkind etwa
infolge häufiger Abkühlungen (s. Rubner, biologische Gesetze) zu einer erhöhten
Zersetzung von Stoffen in seiner Muskulatur genöthigt worden wäre. Auch spricht
dagegen, dass das Flaschenkind in den späteren Perioden mit seiner Zufuhr sehr
guten Ansatz bewirkt hat. Auch stärkere mechanische Arbeit wird das Flaschen¬
kind (das ja auch in der ersten Periode, von der wir jetzt sprechen, ganz gesund
war) kaum geleistet haben, als das Brustkind. — Es bleibt also unter den bis jetzt
(hauptsächlich durch die Rubner’schen Untersuchungen) bekannten Arbeitsgebieten
des Organismus nur die Drüsenarbeit und die Verdauungsarbeit übrig. Hier¬
unter ist nicht nur die Spaltung des Eiweisses und Fettes im Darm mit der Sekretion
der hierzu nöthigen Verdauungssäfte und die Aufsaugung der gelösten Spaltungs-
J) Chemie der Eiweisskörper. Braunschweig 1900. S. 178.
2 ) Verhandlungen der pädiatr. Sektion des internationalen Kongresses in Paris. Archiv für
Kinderheilkunde Bd. 31. S. 29.
3 ) Archiv für Kinderheilkunde Bd. 30. S. 340. Es ist auch unrichtig, wenn Schlossmann mcint>
diese Thatsache widerspreche der täglichen Beobachtung. Die tägliche Beobachtung lehrt nichts
weiter als dass manche schwache Säuglinge die Kuhmilch schlecht vertragen, mag sic mehr oder
weniger stark verdünnt sein. Die unerlaubte Interpolation, die an dieser Thatsache geübt
wird, besteht nun darin, dass sic mit der mangelhaften Verdauung des Kuhmilcheiweisses im
Säuglingsdarm erklärt, dann aber die Erklärung so mit der Erfahrungsthatsache verquickt wird,
dass jene selbst eine Thatsache zu sein scheint. Das ist aber eine petitio principii, der eben die
Resultate der Untersuchungen widersprechen.
«) Als neuesten dieser Forscher führe ich Praussnitz’ Schüler Paul Müller an: Zeitschrift
für Biologie Bd. 39. S. 47. r >.
Original from
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Die Energiebilanz des Säuglings. 2’>
Produkte zu verstehen, sondern auch die weitere Verarbeitung der Nährstoffe jenseits
des Darms in der Leber und anderen Territorien des Organismus, ihre intermediären
Spaltungen und Synthesen. — Diese Arbeit muss es sein, die von der Muttermilch
in wesentlich geringerem Grade beansprucht wird, als bei der künstlichen Ernährung.
Sie ist bis jetzt beim Säugling noch niemals gemessen worden. Man weiss aber durch
experimentelle Feststellungen (s. Rubner 1. c. S. 27), dass man bei geeigneter Ein¬
richtung des Versuches (Ausschaltung niedriger Aussentemperatur) durch die Nahrungs¬
aufnahme die C0 2 -Ausscheidung um 12—35% steigern kann. Diese Vermehrung
kommt lediglich auf die grössere Verdauungsarbeit (nicht etwa auf die Verbrennung
der Nährstoffe, diese ist ja genau so gross im Hungern, nur dass da die Körperstoffe
verbrannt werden statt zugeführter Nahrung). Diese nämliche Beobachtung konnten
wir an den von uns im Respirationsapparat gemessenen Säuglingen machen 1 ). Wo
aber mehr Kohlensäure ausgeschieden wird, wird mehr Wärme gebildet, welche ab-
fliesst und dem Wachsthum des Kindes nicht zu gute kommen kann. Wir be¬
kommen mithin in unserer obigen Gleichung ein Anwachsen von e , bei gleich¬
bleibender Grösse von n, da aber n — e + a, so muss, wenn e grösser wird, a, d. h.
das Wachsthum, abnehmen.
Soweit also bis jetzt unsere Kenntnisse Uber den Energiehaushalt reichen, werden
wir annehmen dürfen, dass eine Ernährungsweise, die bei gleichem Energiewerth
der Nahrung einen besseren Ansatz bewirkt als eine andere, dieses dadurch thut,
dass sie die Verdauungsarbeit vermindert. Das ist nicht identisch mit dem
Begriffe der Verdaulichkeit überhaupt, denn verdaulich bleibt eiD Nährstoff so lange
er ohne erheblichen Rest in den Säftestrom aufgenommen wird, gleichgültig wieviel
Arbeit er den Drüsen verursacht. Durch diese grössere Arbeit braucht auch garnicht
unbedingt eine Krankheit zu entstehen. Aber je mehr die Verdauungsarbeit sich
mindert, um so mehr bleibt für den Ansatz am Körper übrig. Es ist sehr möglich,
dass eine Nahrung, die nicht sklavisch der Muttermilch, soweit das überhaupt mög¬
lich ist, in Bezug auf deren chemische Zusammensetzung nachgebildet ist, diesen
Anforderungen besser entspricht als manche künstliche Nahrung, die sich mit ihrer
Muttermilchähnlichkeit brüstet *).
*) Vergl. Zeitschr. für Biologie Bd. 36 u. 38. Berliner klinische Wochenschrift 1899. No. 1.
-) Man muss sich aber hüten, aus der hier sehr deutlich erkennbaren Verschiedenheit des
Verhaltens gegenüber der natürlichen und künstlichen Ernährung eine Regel konstruieren zu wollen,
für die etwa immer die gleichen Zahlen gelten würden. Es giebt vielmehr Kinder, die bei sehr
sorgfältiger Ueberwachung und Dosierung der künstlichen Ernährung mit einer solchen beinahe so
gut wirthschaften, wie es in dem oben geschilderten Falle das Brustkind vermochte, so dass die
Differenz in der Zahl viel geringer wird, wenn sie auch immerhin noch erkennbar bleibt. Hierfür
bin ich sogar in der Lage den direkten Beweis zu erbringen mit einer Beobachtung, die erst nach
Fertigstellung dieser Abhandlung mir zugänglich gemacht wurde. (2. Fall Fink eist ein).
Sie betrifft einen Knaben, mit dem Gewicht von ungefähr 3250 g geboren, und von der dritten
Woche an genau beobachtet und in quantitativer und qualitativer Hinsicht höchst sorgfältig gefüttert.
Zubereitung der Nahrung nach Soxhlet:
Mischung in der 3. u. 4. Woche 250 Milch auf 500 Reiswasscr mit Milchzucker (15 g Reis 40 g Zucker)
von
5.
Woche
an
300 Milch auf 450 g Mischung
11.
»
400
»
» 450 »
13.
»
»
500
»
» 400 «
21.
h
»
600
»
» 450 »
»
»
23.
»
»
750
))
» 450 >>
»
28.
u
»
800
))
» 400 )*
32.
V
»
900
»
» 300 »
»
36.
J>
»
950
»
» 250 »
»
39.
J>
j»
reine Milch, 1 Liter, u.
Suppe; später gemischtere Nahrung.
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26
Otto Hcubner
Gehen wir jetzt zur zweiten Periode des künstlich genährten Säuglings über,
so sehen wir, dass die Wachsthumsintensität gegen die erste etwas sich hebt. Aber
der Unterschied ist nicht bedeutend, das Verhältniss ist wie 6:7. In dieser ganzen
Zeit bewegt sich das Wachsthum in einer Kurve, die der zweiten (zum Vergleich
nicht mit herangezogenen) Periode des Brustkindes entspricht. Noch immer ist aber
die Ueberlegenheit der Muttermilchnahrung zu erkennen, denn dieses nimmt mit
einem Energiequotienten von 80—100 Kalorieen von der 14.—24. Woche noch immer
annähernd so reichlich zu, wie das Flaschenkind von der 7.-33. Woche mit einem
solchen von 125—135 Kalorieen. Erst als der Quotient beim Brustkinde auf 75—80
sinkt, wird ihm das Flaschenkind mit seiner viel grösseren Energiezufuhr überlegen.
Jetzt sinkt die Raschheit des Wachsthums auf den vierten Theil desjenigen,
welches der künstlich genährte Säugling noch weiterhin darbietet. Vergleichen wir
hier wieder die Energiemengen, die in beiden Fällen übrig bleiben, nachdem die
70 zur Erhaltung des Lebens nothwendigen Kalorieen vom Energiequotienten abge¬
zogen sind (s. S. 21), so bleiben während dieser Periode dem Brustkinde 5—10
Kalorieen, dem Flaschenkinde 55—65. Es ergiebt sich daraus, dass auch in dieser
Zeit das Brustkind noch immer in der Lage gewesen ist, mit grossem Vortheil'zu
wirthschaften. Denn die disponible Energie war dort achtmal grösser.
In der letzten Periode (drittes Quartal des ersten Lebensjahres) tritt in beiden
Beobachtungen eine Aenderung des bisherigen Verhaltens ein. Das Brustkind wird
jetzt zu einem sehr erheblichen Antheil auch mit Kuhmilch ernährt. Der Energie¬
quotient erhebt sich aber nicht mehr über 75 Kalorieen. Trotzdem wird die Wachs¬
thumsintensität jetzt wieder höher, doppelt so gross als vorher. Ganz ebenso ist cs
mit dem Flaschenkind. Der Energiequotient wird namentlich gegen das Ende der
Beobachtung hin wieder auf die frühere Höhe gebracht und nunmehr iibcrtrifFt die
Wachsthumsintensität die vorherigen um mehr als das doppelte. Beide Kinder
wirthschaften jetzt also mit der zugeführten Energie besser, als im ersten
Lebenshalbjahr. — Das kann nichts anderes bedeuten, als dass die Grösse e in der
Gleichung n - e -f- a ab nimmt, sei es dass die Verdauungsarbeit jetzt sich ermässigt,
oder dass die Zersetzung im allgemeinen eine geringere wird. Experimentell ist für
das hier in Frage kommende Lebensalter der Erhaltungsbedarf an Kalorieen
noch nicht festgestellt. Wir wissen aber durch Rubner’s Untersuchungen, dass
die Zersetzungsvorgäuge im Organismus im allgemeinen mit der Abnahme der
Oberfläche (im Verhältniss zum Volumen) in gleichem Verhältniss sich verringern.
Diese Abnahme aber tritt mit zunehmendem Wachsthum ein. Daher muss auch die
Grösse e schon durch diesen Umstand in der hier behandelten Lebensperiode sich
Dieses Kind nahm nun bis auf zwei kleine Storungen in der 9. und 13. Woche ausser¬
ordentlich stetig und regelmässig zu, und wog in der 38. Woche 9300 g. Das Verhältniss zwischen
den einzelnen Grössen'war folgendes; ich setze wieder die gleichen Zeiten des Brustkindes daneben:
Flaschenkind
Brustkind
Zeit
W.I.
E.Q.
Zeit W.I.
E.Q.
3. Woche
0,8243
117 ]
4.— 7. »
0,5430
105 j
- 2.-11. Woche 0,8302
116
11. — 12.
0,4086
100 1
1
12.—24. f» 0,4061
92
14.-38.
0,4986
101 j
25.-33. f> 0,1246
76
3V).—48. »
0,3492
Eine kleine Ueberlegenheit zeigte, wie man sieht, auch hier das Brustkind noch durchweg,
aber die Differenz ist doch viel geringer als bei dem Flaschenkind oben.
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Pit’ EneritipMlunz tlps
verringern »»«4 hei gleiehbJoibeuden Enorgifqiiobeftli Ci foehr für die Grosse n, also für
das WfiebBthum, übrig lileibon. — Das Verhältniss der Waehstlnmidntwisitiit zwischen
beulen Kimlorn bieibi übrigens das nömUdie, wie in Permäe H. (ins .noch zmtt Tlteil
mit Franennjjielt genährte Kind scheint sieh uudt letzt «och immer einer »wissen
l'dierlegenhm! ia Bezog anf die physiologische Ausnutzung der zugeführten Energie
zu befinden.
R& 3.1
•0 piuo tti >,4—|
U* a» !j« -aj jia juk*i .uj W.j'im) ! *s *£ ** \sä:jf ;
ßmtrgjVziifubr hH Emahrmtg fiSä$a>f rfihgctwrcareu K iudex
J.*;tdritte Diagramm betrifft «las Kind (Mädchen> eines <’liemikers. «las mit dem
Gowu-hr v»n 1,35 kg gehoröit mni von .Anfang fetiastlid), in .der Hauptsache mit }•<•)»-
ionisierter L.ocfDi lid’sdieR Kindmnikh. unter allmriliHdier Zugabe reiner Milch er¬
nährt wurde. Die Notizen über tägliche Menge und rbemiselie 7,usriinmipnscT'aMiig'
der Nahrung waten so sorgfältig und gcnn«j geführt, dassvsieh ihr KtiergiegcfuiH gut
berechnen Kess.
Das 0e’«lt:bt. stand zunächst «iret Wovhii« lang hei einem Knetgie«i»wtimiieu von
2.0 Kalorieen Stilb In der. 4, mul, h. Woche bei einem F,tk'.rgie«juotie!detli von 0«<
uml 90 fing ein geringes Steiget (!«.*. fGit')i<Hgewiehtes aft, t .n«l v.«t« «la nt« k.-M.o,
sich vier HauptperiodyB mHetsdnriden
Pie erste Periode geht vor» «Km i -d W o« he, wahrend welcher Zeit da- Körper*
gewicht.; tun 400 g.sich lieht. Die WaclisthmuBkum', t>i!»let üiueii Winkel von !•;"
mit- der Ahsns>e. was einer WiiriiBVlminsintonritäF- von 0,230!} erttsj<ri«-ht- Der Energie-
•■(Utjtienr hot) sich in den beiden h-t/.ieu Wochen auf 130. Das Mittel der ganzen
sechs Wochen betrog DM.
Die .zweitePeriode reicht von der 1<>.— I7. .Woclic, um! ist, via.- «Ile Wachs-
tbumsintcnsitai »nfcmgt.. die günstigste. Tn t EnergimpiuUeui hob sich -lir der l’P'AVnrhe:
»ul lüft .Kalorieen und in dieser MVho «.-liolulc ein starke- WadriOunn von' -’.V» »
Wahrend der übrigen Wochen dit-rr .Periode PGiödinkte «ier (Miergieqtmtmni . zwischen.
28 Otto Heubner
125 und 150 und betrug im Mittel 135. Die Wachsthumskurve stieg während dieser
Zeit unter einem Winkel von 25 «45'; die Wachsthumsintensität betrug 0,4822. Das
Volumen der Nahrung schwankte zwischen 900 und 1100 ccm täglich. — Das Kind
hatte nach Ablauf dieser Periode das normale Geburtsgewicht erreicht.
Die dritte Periode geht von der 18.—39. Woche. Auch während dieser ganzen
Zeit mit Ausnahme von drei Wochen bleibt der Energiequotient unausgesetzt über
100 Kalorieen, im Mittel 120 (in jenen drei Wochen sinkt er nur einmal auf 90, in
den anderen beiden beträgt er 100 Kalorieen). — Die Gesammtenergie, die dem
Körper zugeführt wird, bleibt aber immerhin gegenüber der zweiten Periode zurück.
— Die Gewichtskurve steigt weniger steil als in der letzteren, sie bildet mit der
Abscisse einen Winkel von 15°, die Wachsthumsintensität ist — 0,2680. Die Volumina
der gereichten Nahrung liegen zwischen 800 und 900.
Endlich die vierte Periode, von der 40.—52.Woche, zeigt das ungünstigste Wachs¬
thum. Unter mannigfachen Schwankungen auf- und abwärts hebt sich das Gewicht
schliesslich in den ganzen 13 Wochen nur um 200 g. Die Kurve bildet mit der
Abscisse einen Winkel von nur 3 °, die Wachsthumsintensität ist = 0,0524. Der
Energiequotient ist im ganzen niedriger als in den früheren Perioden, erreicht vier¬
mal kaum 100 und ist meist nicht viel darüber. Im Mittel beträgt er 107 Kalorieen.
Die Volumina der täglichen Nahrung belaufen sich meist auf 800.
Das Kind entwickelte sich im weiteren ganz befriedigend und ist jetzt elf Jahre
alt, ganz gesund, aber allerdings hat es eine zarte Konstitution behalten.
Stellen wir nun noch einmal die Resultate der drei im Vorstehenden analisierten
Beobachtungen zusammen, so ergiebt sich folgende Tabelle:
Periode
des Säuglingsjahrs
Energie¬
quotient
1 im Mittel
Wachsthums¬
intensität
1. B
r u s t k i n d.
2.—11. Woehe
110
0,8302
12.—24.
| 02 1
0,4061
25.-33.
1 76
0,124«
34.-43. »
, 60
0,2403
2. Künstlich genährtes normales Kind.
7.-24. Woche
120
0,4142
23.- 33. »
121
0,40*0
34.-36. >.
112
1,0180
3. Künstlich genährtes frühgeborenes Kind.
5. — 0. Woche
125
0,2309
10. 17.
135
0,4822
18.-39.
120
0,2050
40. -ol». >
107
0,0524
Der Vergleich dieser drei Fälle ergiebt nun mehrere interessante Aufschlüsse.
In den Fällen 1 und 3 geht im ersten Halbjahr des Lebens die Intensität des
Wachsthums gleichlaufend mit dem Energiequotienten (im Fall 2 ist eine
starke Differenz in der Wachsthumsintensität während fast des ganzen ersten Lebens¬
halbjahres nicht deutlich nachzuweisen). Im zweiten Lebenshalbjahre wächst bei
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Die Energiebilanz dca Säuglings.
29
allen drei Kindern die Fähigkeit, mit der gleichen Energiezufuhr ein
besseres Wachsthum zu erzielen, als im ersten Lebenshalbjahre (eine Ausnahme
macht nur das letzte Vierteljahr der Frühgeborenen, wo die Verhältnisse wohl in¬
folge besonderer Umstände ungünstiger sind als je zuvor).
Andrerseits ist aber der grosse Unterschied leicht nachzuweisen, der in Bezug
auf die Fähigkeit, die Wachsthumsintensität mittels der zugeführten
Energie zu erhöhen, zwischen den drei Säuglingen besteht. Weitaus am besten
steht hier das Brustkind und weitaus am schlechtesten das frühgeborene Kind.
Nehmen wir z. B. die Kalorieenzahl von ungefähr 120, so sehen wir damit
das Brustkind ein Wachsthum von 0,83 Intensität,
» Flaschenkind » > » 0,49 »
» frühgeborene Flaschenkind » » » 0,26 »
erzielen. Ein Wachsthum von 0,48—0,49 Intensität beansprucht
beim normalen Flaschenkind 121 Kalorien,
» frühgeborenen » 135 »
Es ist nicht anzunehmen, dass bei einem gesunden Kinde — das war auch das früh¬
geborene, in der Hauptsache wenigstens während der ersten s / 4 Jahre, ganz bestimmt
waren es die beiden anderen — der Ansatz am Körper, der das Wachsthum bewirkt,
eine sehr verschiedene chemische Zusammensetzung hat. Dürfen wir dieses also als
richtig voraussetzen, so hat die Einheit des Werthes er, also z. B. 1 g a, in der Gleichung
n = e + a bei den verschiedenen Säuglingen auch den gleichen Energiegehalt. Wenn
nun bei dem gleichbleibenden Werthe von n das eine Kind einen höheren, das
andere einen niedrigeren Ansatz zeigt, d. h. a bald grösser, bald kleiner ist, so kann
das nur dadurch erklärt werden, dass dort, wo a kleiner, e grösser sein muss und
umgekehrt.
Es wird dieses an einem bestimmten Beispiel demjenigen verständlicher werden,
der an die abstrakte Behandlungsweise nicht gewöhnt ist.
Wir sahen, dass ein Kind, um den Bedarf der täglichen Leistungen zu decken
(im ersten Lebenshalbjahre), 70 Kalorieen pro Kilo nöthig hat. Bei einer Kalorieen-
zufuhr von 120, wie sie in der oben gegebenen Zusammenstellung erfolgte, behielt
somit jedes Kind 50 Kalorieen zur Disposition, die zum Ansatz kommen konnten.
Wenn nun dabei das Brustkind mit einer Geschwindigkeit von 0,83, das früh¬
geborene Kind bei künstlicher Ernährung mit derjenigen von 0,26 wächst, oder wenn
im Durchschnitt das erstere täglich 40,5, das letztere täglich 13,6 g ansetzt, so muss
das frühgeborene Kind einen erheblichen Theil der disponiblen Kalorieen zu etwas
anderem brauchen als zum Wachsthum: sie müssen also bei der täglichen Zersetzung
im Körper verloren gehen. Das heisst also die Grö s se e, die als Wärme abfliessende
chemische u. s. w. Arbeit im Körper ist beim frühgeborenen Kind eine weit höhere als
beim Brustkind. — Warum ist der Körper der Frühgeborenen zu grösserer Arbeit ge¬
zwungen? Erstens weil er kleiner ist, weil desshalb seine Oberfläche relativ
grösser ist, als die des Brustkindes; und weil nach dem schon mehrfach angezogenen
Rubner’schen Gesetz die Oxydationsvorgänge proportional mit der Oberfläche wachsen.
Es geht aus dieser Betrachtung hervor, dass ein Säugling mit abnorm niedrigem
Gewicht (sei es infolge früher Geburt oder schwächlicher Veranlagung oder auch
infolge vorausgegangener Krankheit) einer höheren E.nergiezufuhr bedarf, als
aus der Berechnung nach dem Energieverbrauch eines Kindes mit nor¬
malem Gewichte hevorgehen würde. Mit andern Worten: der Energiebedarf
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30 Otto Heubner
steht in umgekehrtem Verhältniss zum Körpergewicht. Es liefert diese Erkenntniss
gleichzeitig eine wissenschaftliche Erklärung für den Erfahrungssatz, dass kleine früh¬
geborene Kinder künstlich warm gehalten und vor jeder Abkühlung geschützt werden
müssen, sowie dass jede Abkühlung mit einem Rückgang des Körpergewichtes ver¬
bunden ist 1 )- Jeder erheblichere Wärmeverlust steigert sofort reflektorisch die Zer¬
setzung im Körper, damit vermehrt sich die Grösse e, und bei dem geringen Betrag
der Nahrung, die solche kleine unentwickelte Geschöpfe nur bewältigen können, wird
dann die Gleichung n — e-\- a zunächst sich so ändern, dass a wegfällt (das Körper¬
gewicht stehen bleibt) oder auch dass n kleiner als e wird und daher durch Körper¬
substanz ergänzt werden muss: n-\-k — e (Gleichung für die Abnahme des Körper¬
gewichtes).
Umgekehrt wenn der Körper künstlich erwärmt wird, so vermindert sich die
Zersetzung und e wird kleiner. Von der mit n zugeführten Energie bleibt etwas
übrig, was als potentielle Energie (Kraftarbeit) an dem Körper angesetzt werden
kann. Nach Rubner (1. c. S. 17 u. i8) lieferte ein Thier von 617 g Gewicht bei
0°C Temperatur der umgebenden Luft 2,9 g C0 2 pro Kilo und Stunde, dagegen bei
30° C nur 1,3g. Die Zersetzung hatte also in der Wärme um mehr als die Hälfte
abgenommen.
Ein zweiter Faktor für die grössere Arbeit des Organismus bei dem frühgeborenen
Kinde wird aber wohl auch wieder darin zu suchen sein, dass bei der Verdauung
der zugeführten Nahrung die Drüsen des Darms, der Leber etc. mehr Energie ver¬
brauchen, als beim Brustkind. Wir haben bei der Vergleichung des normalen Flaschen¬
kindes und des Brustkindes bereits gesehen, dass die Verdauungsarbeit ohne allen
Zweifel eine Rolle spielen muss, da in jenem Falle die absoluten Gewichte nicht so
stark differierten, dass der Einfluss der verschiedenen Oberfläche dort zur Geltung
gelangt wäre. — Beim schwächlicheren Kinde wird aber die Verdauungsarbeit, wenn
auch nicht absolut, aber doch relativ noch grösser sein müssen als beim kräftigen.
Auch hierdurch aber wird wieder die Grösse e vermehrt werden, ohne dass das Kind
irgend einen Vortheil für das Wachsthum davon hat.
Fragen wir uns nunmehr, ob sich aus dem bisher Dargelegten ein Anhalts¬
punkt, eine bestimmte Regel für die Einrichtung der Ernährung des Säug¬
lings ableiten lässt, so muss zugegeben werden, dass die Zahl der hier vorgelegten
Beobachtungen noch eine zu geringe ist und ein aus ihnen abgeleiteter Kanon durch
weitere Beobachtungen (die aber in gleicher Ausführlichkeit angestellt sein müssten)
modifiziert werden könnte. Immerhin ist die Durchführung der Beobachtung in den
obigen drei Fällen deswegen wenigstens vorläufig recht wohl zur Aufstellung einer
Regel zu verwerthen, weil sie sich auf einen sehr grossen Theil des ganzen ersten
Lebensjahres erstreckt.
Ueberblicken wir das gesammte Material, so geht aus ihm erstens hervor,
dass um gleichen Erfolg zu erzielen, der Energiequotient bei künstlicher Ernährung
zeitweilig höher sein muss, als bei der Ernährung an der Mutterbrust. Darauf
würde also bei der künstlichen Ernährung mehr Gewicht zu legen sein«), als auf
') Vergl. Schmidt, Pflege kleiner Frühgeburten. Jahrb. f. Kinderheilkunde Bd. 42 S. 301 ff.
*) Es ist erwähnenswerth, dass zwei Ernährangsformen, die sich auf meiner Klinik besonders
bewährt haben (die Liebig’sche Suppe nach Keller und die Buttermilch nach de Jager), dadurch
ausgezeichnet sind, dass sie in verhältnissmässig kleinem Volumen eine erhebliche Energieznfuhr
gestatten. Vergl. Seite 22 dieser Abhandlung.
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31
Die Energiebilanz des Säuglings.
eine möglichste »chemische Aehnlichmachung« der künstlichen Nahrung mit der
Frauenmilch — ein an sich zur Zeit ohnedem etwas dilettantisches Beginnen, wo
unsere Kenntniss der feineren Milchchemie noch auf recht schwachen Füssen steht.
Zweitens geht aus den bisherigen Beobachtungen soviel hervor, dass ein
Sinken des Energiequotienten auf 70 Kalorieen selbst beim Brustkinde mit einer
zweckentsprechenden Zunahme nicht mehr vereinbar ist. Wenigstens in der ersten
Hälfte des Lebensjahres nicht. Dazu stimmt auch das bisher einzige vollständige
Experiment, das vonRubner und mir 1 ) an einem Brustkinde angestellt worden ist
Dabei zeigte es sich, dass eine Zufuhr von 70 Kalorieen pro Kilo und Tag (im Ver¬
lauf eines neuntägigen Versuches) nicht hinreichte Körperansatz zu bewirken, wohl
aber den Körper auf seinem Bestand zu erhalten.
Um ein befriedigendes Wachsthum zu erzielen, scheint in den hier vorgelegten
Beobachtungen bei natürlicher Ernährung im ersten Lebenshalbjahr der Energie¬
quotient nicht unter 100 Kalorieen sinken zu dürfen und bei künstlicher nicht
unter 120. Es erfolgt ja auch bei niedrigeren Werthen noch Körperansatz. Rubner
und ich*) fanden bei einem siebentägigen Versuche an einem künstlich genährten
Kinde im Experiment ein Anwachsen des Körpergewichtes noch bei einem Energie¬
quotienten von 96 Kalorieen. Aber die Gewichtszunahme war doch niedriger als
unter physiologischen Verhältnissen.
(Es sei hier nebenbei erwähnt, dass in diesen beiden Experimenten von den
70 Kalorieen, die das Brustkind erhielt, 64 wirklich den Körper durchflossen, von
den 96, die das Flaschenkind erhielt, 90.)
Die folgende Beobachtung zeigte, dass die Zahl auch für eine von einem anderen
Autor angestellte Untersuchung stimmt. Fig. 4.
Sie stellt allerdings nur ein Fragment dar, das mit dem 4. Lebensmonate beginnt
und über 2 '/ 2 Monate sich erstreckt. Man erkennt, wie das Körpergewicht bei einem
verdauungskranken Kind und sehr geringem Energiequotienten anfangs stark abnimmt.
Als dann eine Amme engagiert wurde, erfolgte zunächst unter Fortdauer der
Diarrhoeen ungenügende Zunahme. Nunmehr wurde ziemlich drei Wochen lang die
Brusternährung absichtlich niedrig gehalten, so dass (bei dem noch nicht genesenen,
mangelhaft resorbierenden Kinde) der Energiequotient unter 100 blieb. Das Gewicht
blieb während dieser Zeit stehen. Erst als die Brust wieder so reichlich gegeben
wurde, dass der Energiequotient auf 125 anstieg, begann das Wachsthum, obwohl
die Diarrhoeen noch fortdauerten.
Auch wenn man die neuesten von Schlossmann (1. c.) veröffentlichten Be¬
obachtungen über die Nahrungsmengen von Brustkindern an der Hand seiner eigenen
Angaben berechnet, so findet man, dass ein gutes Gedeihen fast ausnahmslos erst
dort stattfand, wo der Energiequotient über 100 Kalorieen betrug, z. B. 106, 107,
125, 135 Kalorieen etc. In einem Falle zeigte ein Kind (freilich bei nur zehn¬
tägiger Beobachtung) in der 8. und 9. Lehenswoche eine sehr erhebliche Zunahme
bei einem Energiequotienten, der nach dem Durchschnitt der Ammenmilchzusammen¬
setzung auf 91,26 Kalorieen anzusetzen wäre. Leider findet sich gerade über die
Zusammensetzung dieser Milch unter den zahlreichen Einzeluntersuchungen nichts
i) Zeitschrift für Biologie Bd. 36.
*) Zeitschrift für Biologie Bd. 38.
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Otm HfMUnier
erwähnt I» ejnem Falle ungenügende»;/Jiinaluij« habe ich einen Encrgiequotientcn
von 78 Kalorigen. berechnet (Fall 13 ).
Et ist sehr zu wünschen, dass die Einzelbeobachtungen ton langer. Dauer, Wo¬
möglich. mit direktem kaloriscbev Bestimmung der Nahrungen (Bäugniigsstatumen mit
zahlreichen Ammen wurden hier ein treffliches -Material i»ieien)V BftCÜ recht vermehrt
würden
.Vielleicht dienen diese Ausführungen dazu, den eine» oder anderen Forscher
für t1i£ hier angedeutete Richtung zu erwärmen.
iivnvatn
Volu
l^nif«hr iii tmimi Mmimaizufiüir su bt^tuoiueo Vvurile.
'' ^ iNadi Biedert*).
in dem bisherigen Bang der Darstelltütg wurde auf die erste Woche des
Lehens keine Rücksicht genommen. A priori sollte man auriehruen, dass zu dieser
Zpit der K«ergio<fhotlei)t ce.teris paribus grösser sein müsste als jemals später, weil
der Säugling unter physiologischen A r erh;lltj«sseii um diese Zeit kleiner ah jemals.
Bgchhpr i&i. — Aber diese Aofe-rderMug könnte dadurch eingeschränkt vverdem ':<&&$..
der Säugling wohl m kuuoer Zeit wärmer gehalten wird als in den erste» Lebeus-
iag.ei! mul dass dadurch seiiie Zersouyugsgrosse p§ bedeutend ,'herabgesetzt wird.
Es wird , iud darüber ins Klare, zu koininejg Messung und Wägung «ach hier aoth-
AVepdig sein. Da der .Neugeborene ift dom efsk-« Tage» gewöhnlich ulminunt. so ist
seine Oleichung zynischst a 4- k r. !'»a>. ändert - sich -.aber binnen kurzer Zeit me?
bald gilt auch hier die obige indcfiowg n * - re
Niui bat in. jnagstcv Zeit Vv» Hier-.i Deofiiicbtttttgeit gmule «her diese I.ebet:s-
y)'j (uv KTitrterhviTJvurtttc»-' ']£$ i: B«1 •*
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33
Die Energiebilanz des Säuglings.
Periode veröffentlicht, die alles bisher über das Minimum von Nahrungszufuhr Be¬
kannte weit hinter sich lassen.
Allerdings ist der Energiewerth der von diesem Autor während der ersten
Lebenstage gereichten Milch nicht angegeben. Wenn man aber die minimalen Mengen
der verdünnten Milch mit wenig Zuckerzusatz, die nach Cramer’s Beschreibung die
von ihm in der geburtshülflichen Klinik zu Breslau beobachteten Säuglinge während
der ersten Lebenstage erhielten, in der üblichen Weise berechnet, so kommen sehr
ungewöhnliche Verhältnisse zum Vorschein. Er würde dann Zunahmen von 46 g
pro die erzielt haben bei Kindern, deren Energiequotient 10—30 Kalorieen würde
betragen haben. Rubner (1. c.) fand bei einem 3,19 kg schweren Thier bei mittlerer
Temperatur im Hungerzustand eine Zersetzung von 88,07 Kalorieen pro Tag und Kilo.
Das wäre also der Bedarf, der lediglich zur täglichen Zersetzung nöthig war, und wo¬
bei noch keine Rede von Ansatz sein konnte. Nehmen wir an, dass dieser Betrag
bei starker Erhöhung der Tempe¬
ratur der umgebenden Luft auf Fig. 5.
die Hälfte herabgesetzt werden
könne, so bliebe noch immer ein
Energiequotient von 44 Kalorieen.
Der Bedarf von schwachen
Frühgeburten an Kalorieen ist
nach A. Schmidt (1. c.), Finkei¬
stein, Budin 1 ) u. a. ein so un-
verhältnissmässig viel grösserer,
dass es sich mit Cramer’s An¬
gaben nicht vereinigen lässt. Ich
selbst habe bis jetzt in drei Fällen
Kinder in den ersten zehn Lebens¬
tagen mit Nahrungsmengen ge¬
füttert, die einem Energiequo¬
tienten von 30 Kalorieen ent¬
sprachen, und regelmässig rasch
zunehmende Abnahme gesehen. In
einem vierten Falle nahm aller¬
dings ein Säugling vom 6. bis
zum 18. Tage bei einem Energie¬
quotienten von etwa 45 Kalorieen
täglich 21,5 g an Gewicht zu und
befand sich dabei auch sonst völlig
wohl. Die Beobachtung konnte Energiezufuhr während der ersten Lebenswochen,
leider in dem Falle nicht fort¬
gesetzt werden, da die Mutter das Kind, nachdem sie sich von dem Wochenbette
erholt hatte, wieder zu sich nahm. Die Ernährung war in der Form meiner 1 / 3 Milch
erfolgt Allzuviel darf man keinesfalls aus so kurzen Zeiträumen schliessen. Die
Energiezufuhr war aber auch immer noch weit höher als bei Cramer, die durch¬
schnittliche Wachsthumsintensität war 0,4245. Endlich führe ich hier noch eine
Beobachtung an einem Enkel Camerer’s an.
Gramm
4000
i) Finkolstein, T T eber Pflege kleiner Frühgeburten.
Zeitschr. f. dilt u. phyaik. Therapie Bd. V. Heft 1.
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Therapie der Gegenwart 1900.
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34 Otto Henbner
Das Kind war mit einem Gewicht von 2810 g und einer Körperlänge von 49,2 cm
zur Welt gekommen. Die von dem 1. Tage an von diesem Kinde getrunkene Milcli-
menge ist von Camerer selbst genau bestimmt worden. Die Berechnung'ihres
Energiegehaltes ist nach den von Söldner und Camerer ausgeführten bekannten
Analysen') angestellt.
Das Kind trank am 1. Lebenstage 5 g, am 2. 110, am 3. 245, am 4. 350, am
5. 470, am G. 525, am 7. 5G5. Der Energiequotient betrug am 2. Tage 25 Kaloriccn,
am 3. 55, am 4. 80, am 5. 103, am (». 112, am 7. 117 Kalorieen. Das Anfangs¬
gewicht war am G. Lebenstage wieder erreicht, nachdem der Energiequotient bereits
am 5. über 100 gestiegen war. Die Abnahme in den ersten 3 Tagen hatte IGOg
betragen, die erste Zunahme erfolgte bei einem Energiequotienten, der zwischen 55
und 80 Kalorieen lag. — Der mittlere Energiequotient betrug für die 1. Woche 70,
für die 2. 115, für die 3. 12G, für die 4. 123 Kalorieen. Der mittlere Energiequotient
für die ersten 30 Tage betrüg 109, mit Ausschluss der Abnahmetage 117 Kalorieen.
Die Zunahme vom 5. Tage an betrug im Durchschnitt 40 g.
Somit hat in diesem Falle der Beginn der Zunahme allerdings bei einem ver-
hültnissmässig niedrigen Energiequotienten eingesetzt. Immerhin war er aber
mindestens noch einmal so hoch, als der aus Cramer’s Beobachtungen zu be¬
rechnende. Bei diesem Quotienten erfolgte in dem eben berichteten Falle (vom 2.
zum 3. Tage) noch starke Abnahme. Vom 6. Tage an stimmt dieser vollkommen
mit dem oben ausführlich berichteten des Brustkindes (Beobachtung 1) überein.
Ich vermag somit die von Cramer als physiologisch für die Neugeborenen be-
zeichneten Nahrungsmengen nicht mit den bisherigen Erfahrungen in Uebereinstim-
mung zu bringen. Ich halte doch eine weitere Prüfung dieser Frage am Neu¬
geborenen für nothwendig, allerdings unter so genauer Angabe der Zusammensetzung
der Nahrung, dass eine einigermaassen zuverlässige kalorische Rechnung möglich ist,
noch besser womöglich unter direkter kalorischer Bestimmung der betreffenden Nah¬
rung durch den Verbrennungsversuch.
Auch für die Ernährung kranker und rekonvalescenter Kinder dürfte die hier vor¬
getragene Betrachtungsweise nicht ohne Werth sein. Vor allem wird man eine Nah¬
rung daraufhin zu prüfen haben, ob ihr Energiequotient für das zu ernährende Kind
nach den dargelegten Erfahrungen genügend hoch ist. Dann aber kommt es darauf
an, ob die Arbeit, die zur Aufnahme und intermediären Verwerthung der Nährstoffe
nöthig, nicht zu gross ist, und eventuell, ob die Ausnützung der Nahrung nicht
erheblich unter die Norm sinkt. Beides lässt sich schliessen aus dem Verhältniss
zwischen Energiequotienten und Körpergewichtszunahme. Wo letztere trotz hohen
Energiequotienten nicht eintritt, da ist die Indikation unmittelbar gegeben, die
Nahrung zu wechseln, bis eben dieser Erfolg herbeigeführt wird. Und hier hilft gar
nichts anderes, als in jedem Einzelfalle von neuem zu probieren, da man von keiner
chemisch noch so »wissenschaftlich« zubereiteten Nahrung Voraussagen kann, ob sie
gerade in dem vorliegenden Falle »anschlagen« wird.
Nur die Frauenmilch pflegt allerdings in solchen Fällen die beinahe nie ver¬
sagende Lösung der Aufgabe zu bringen.
Die Beurtheilung der Nahrung nach ihrem Energiequotienten schützt aber auch
besser als andere Methoden vor Ueberernährung. Es ist keineswegs bei jedem Kinde
!) Zeitschrift für Biologie Bd. 33 und 3(3.
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Die Energiebilanz des Säuglings. 35
derselbe chemische Körper, dessen zu reichliche Zufuhr mit Nachtheilen verknüpft
ist, so dass man sich auf falschem Wege befindet, wenn man meint, nur die Ueber-
crnährung mit Eiweiss vermeiden zu müssen. Wie Czerny und seine Schule her¬
vorgehoben haben, können mit zu reichlicher Fettzufuhr bei einer Reihe von Kindern
auffällige Stoffwechselstörungen verbunden sein. Eine dritte Kategorie von Kindern
erkrankt bei Zufuhr von zuviel Kohlehydrat. Es kann auch die Wasserzufuhr eine
so grosse werden, dass sie mechanische Störungen nach sich zieht, obwohl die
Differenzen in den zugeführten Volumina vielleicht eine so grosse Rolle nicht spielen,
wie man früher gemeint hat. Das scheint aus den obigen Kurven hervorzugehen.
Aber man sorge nur dafür, dass der Energiewerth der Nahrung im ganzen die
oben beschriebenen Quantitäten nicht überschreitet. Im übrigen muss man, wie schon
mehrfach hervorgehoben, versuchen, was dem einzelnen Individuum am zuträglichsten
ist Beim gesunden Kinde wird man fast stets mit den einfachen massigen Milch¬
verdünnungen und Zusatz von etwas Mehl und Zucker auskommen. Eine Reihe
Autoren finden selbst die reine Milch schon frühzeitig geeignet.
Dass aber eine rationelle derartige Ernährung, wenn sie in Bezug auf den
Energiequotienten zu hoch getrieben wird, auch vom gesunden Kinde nicht vertragen
wird, lehrt meine Beobachtung 2, wo nach einem solchen Verfahren eine Dyspepsie
auftrat, als es bei einem noch zu jungen Kinde eingeschlagen wurde. Wenige Wochen
später wurde eine Nahrung mit dem nämlichen Quotienten vertragen und verwerthet.
Bei kranken und schwachen Kindern wird man aber zu den verschiedenen
Surrogaten der reinen schwachverdünnten Kuhmilch greifen müssen, die in möglichst
kleinem Volumen einen möglichst hohen Energiequotienten mit möglichst wenig An¬
spruch an Verdauungsarbeit verbinden, bei den hier zu versuchenden Präparaten
aber keineswegs nöthig haben, sich einseitig von dem Vorwiegen des einen oder
anderen Nährstoffes in der Nahrung leiten zu lassen.
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Bemerkungen zur hydriatischen Behandlung der Lungenentzündung.
Aus der Hydrotherapeutischen Anstalt der Universität zu Berlin.
(Leiter: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. L. Briegcr.)
Von
L. Brieger.
Auf dem letzten Kongress für innere Medicin führte die Besprechung der Be¬
handlung der Pneumonie von seiten der Referenten v. Koranyi und Pel zu dem
Schlussergebniss, dass eine Abkürzung oder direkte Beeinflussung dieses Krankheits¬
prozesses durch therapeutische Bestrebungen sich nicht erzielen lasse, dass aber bei
Bekämpfung der bedrohlichen Symptome, besonders der Herzschwäche, die Therapie
ausserordentlich leistungsfähig sei. Hierbei wurden die diätetischen Maassnahmen,
die medikamentösen Heilmittel, der Aderlass, die Serumtherapie vollauf berück¬
sichtigt, die Hydrotherapie aber nur ganz oberflächlich gestreift. Nur Pel empfiehlt
regelmässige Waschungen der Haut als angenehm und wohlthuend für den Kranken.
Im Laufe der Diskussion bekennen sich als warme Anhänger der Wasserbehandlung
bei der Pneumonie noch Nothnagel und Bäumler. Nothnagel sah von kalten
und warmen Bädern, sowie von Uebergiessungen und Einpackungen recht prompte
Wirkung, wenn alle andern Mittel versagten. Dieser günstige Einfluss der Hydro¬
therapie beruht nach Bäumler nicht in der Antipyrese, sondern in der Einwirkung
auf die Gefässe.
Trotzdem sich also auf dem letzten Kongresse für innere Medicin nur wenige
Stimmen zu Gunsten von hydriatischen Prozeduren bei der Pneumoniebehandlung
erhoben, würde man doch fehlgehen, wenn man die Hydrotherapie als Stiefkind der
gegen die Pneumonie gerichteten Heilbestrebungen betrachten wollte. Wie ja gerade
in den letzt vergangenen zwei Dezennien von v. Ziemssen, v. Liebermeister,
v. Jürgense'n, Winternitz, Fismer, Buxbaum, Baruch, Penzoldt, Strümpell,
Tripier und Bouveret, Holdheim, Karl Schütze und Pick die Wasserbehand¬
lung bei der Pneumonie mit Nachdruck empfehlen. Und zwar theilen sich diese
Anhänger der Hydrotherapie in zwei Lager; auf der einen Seite vertreten durch
Kliniker, welche hauptsächlich die Bäderbehandlung anwenden, während sich auf
der anderen Seite die eigentlichen Hydrotherapeuten finden, welche nur von der
geschickten Auswahl unter den mannigfachen hydriatischen Einzelprozeduren eine
rationelle Bekämpfung der Pneumonie erwarten.
Am lebhaftesten wurde bislang die Bäderbehandlung erörtert, als deren eifrigster
Vorkämpfer bekanntlich v. Jürgensen gilt, der gegenwärtig *)> ohne Scheu vor Herz¬
schwäche, die er durch alkoholische Excitantien bekämpft, selbst die Anwendung
sehr kalter Bäder bis herab zu 6 0 C von geringer Dauer und in häufiger, eventuell
zweistündlicher Wiederholung in schweren Fällen mit sehr hohem Fieber (über 41 0 C)
i) Pen zoldt-Stintzing, Handbuch der Therapie innerer Krankheiten. 2. Auf). Jena 1898
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Bemerkungen zur hydriatischen Behandlung der Lungenentzündung. 37
oder bei starker Prostration und nervösen Störungen für nützlich erachtet und diese
Bäderbehandlung nur bei Kindern, solange die Körperwärme 40 0 C nicht überschreitet,
durch kalte Packungen ersetzt Einzig bei Fettleibigen, Greisen und schwächlichen
Personen lässt v. Jürge'nsen lauwarme Bäder von 25 — 30° C drei- bis viermal
täglich von 20—30 Minuten Dauer zu.
In recht schroffem Gegensatz hierzu steht Aufrecht, in dessen Augen die
Wasserbehandlung offenbar das fünfte Rad am therapeutischen Wagen ist. Nachdem
Aufrecht den Heilschatz für die Pneumoniebehandlung auf die vier Räder: Aderlass,
Brechmittel, Digitalis, Alkohol verladen hat, Räder, die aber sämmtlich im Laufe
der Zeit sich als mehr oder minder morsch erwiesen haben, schiebt dieser Autor
als Zusatzrad noch die Hydrotherapie unter. Er stellt irgend welchen Nutzen der
Wasserbehandlung auf den Krankheitsprozess in Abrede (Nothnagel’s Handbuch).
Gemäss den Vorschriften von Winternitz und seiner Schule (Buxbaum) be¬
streben sich die eigentlichen Hydrotherapeuten die Einzelprozeduren der Wasser¬
anwendung in möglichst vielseitiger Weise zu verwerthen zur Abwendung der Ge¬
fahren der Pneumonie, wie sie sich aus dem verhinderten Gasaustausch, der Erlahmung
der Herzkraft und dem hohen Fieber ergeben. Stets soll zuerst mit Theilwaschungen
begonnen werden, welche bei Greisen wegen der Brüchigkeit des Gefässsystems und
bei Fettleibigen zur Vermeidung der Kontrastwirkung die hauptsächlichste Behandlungs¬
methode bilden. Bei kräftigen Personen kann man dann übergehen zu kühlen Halb¬
bädern von 27,5 — 22,5° C von fünf Minuten Dauer verbunden mit tüchtiger Frottierung
der Körperoberfläche und kalten Uebergiessungen (Winternitz', Buxbaum); oder
aber an deren Stelle wähle man langsam abgekühlte Wannenbäder von 30—27 °C
von 15 Minuten Dauer, kombiniert mit Uebergiessungen von 10° C zwei- bis dreimal
täglich, also in ähnlicher Weise wie sie bei der Typhusbehandlung üblich sind, nur
etwas weniger häufig als dort. Diese letzte Form der Bäder wirkt, wie ich mich oft
überzeugen konnte, ungemein belebend auf die Herzkraft sowie die Respiration und
stärken dadurch, dass sie direkt schlaferregend wirken, das Allgemeinbefinden der
Patienten. Man verabsäume aber nie, stets vor, im und nach dem Bade Wein zu
verabfolgen. Bei Kindern und schwächlichen Personen kann man, falls Theilwaschungen
nicht ausreichen, bald zu Halbbädern von 38 — 33° C und 5—10 Minuten Dauer
mit hoher Uebergiessung mittels dünnem Strahl auf den Nacken übergehen, um
hier, wo Wärmeentziehung Vorsicht erheischt, Wärme zuzuführen und reflektorisch
auf Herz und Lunge zu wirken. Solche Bäder können alle drei Stunden wieder¬
holt werden.
Als Unterstützungsmittel in der Zeit zwischen den Bädern bewähren sich nach
Buxbaum 1 ) kalte Kreuzbinden in zwei- bis dreistündlichem Wechsel in Verbindung
mit Stammumschlägen, um ein Wiederansteigen der Temperatur nach dem Bade
hintanzuhalten.
Von nicht zu unterschätzender Bedeutung bei der Pneumoniebehandlung ist der
Herzkühlschlauch, da er die allgemeine Forderung der Therapeuten bei der Pneu¬
monie, die Aufrechterhaltung der Herzkraft, in vollstem Maasse erfüllt.
Diese Vielgestaltigkeit der Hydrotherapie und deren Nutzen für die Behandlung
der Lungenentzündung spiegelt sich auch wieder in einigen Publikationen der letzten
Jahre. Da aus denselben der Praktiker mancherlei wichtige Fingerzeige für seine
Praxis entnehmen kann, so stehe ich nicht an auf dieselben hier noch einzugehen.
i1 Lehrbuch der Hydrotherapie S. 193. Leipzig 1900. Verlag von Georg Thieme.
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L. Brieger
Karl Schütze 1 ) verwirft jede Schablone bei der Pneuraoniebehandlung und legt
deshalb das Hauptgewicht auf eine individualisierte Wasserbehandlung. Bei der
Pneumonie der Erwachsenen sind es der Kaltwasserschlauch, das Lakenbad und das
Vollbad, die sich ihm am rationellsten durch eigene Erfahrung erwiesen haben'.
Der Kaltwasserechlauch, der besondere gute Dienste gegen die Schmerzen leistet, wird auf
die blosse Haut aufgelegt and mittels eines in 4° C Wasser getauchten Brustumschlages fcstgehalten.
Haben die Schmerzen nach mchretiindlichcr Anwendung des Schlauches nachgelassen, dann bietet
ein absteigendes Vollbad von 25—15° C mit beständigen Frottierungen 8—10 Minuten dauernd, das
beste Mittel zur Herabsetzung der Körperwärme. Hat der Prozess mehr als einen Lungenlappen
befallen, dann empfiehlt Schütze das Pricssnitz'scho Lakenbad. Der Patient wird in ein in
Giswasser getauchtes Betttuch eingescblagen und darin solange frottiert, bis das nasse Laken körper¬
warm geworden ist. Dann wird das Tuch nochmals mittels eines Schwammes mit Eiswasser abge-
kühlt und Patient nochmals frottiert. Sobald die Frottierungen das Laken wieder auf Körper¬
temperatur erwärmt haben, wird eine Wolldccko darüber geschlagen und der Patient in dieser
Packung 2—3 Stunden liegen gelassen. Dieses Lakenbad soll alle 3—4 Stunden solange wiederholt
werden, bis die Schmerzen und das Fieber nachgelassen haben. Ist der Schmerz geringer geworden,
die Temperatur aber noch nicht genügend gesunken, dann findet auch hier wieder das absteigende
Vollbad seine Verwendung. In der Behandlung der Kindcrpneumonieen haben sich Schütze der
kalte Schlauch, der mit einem in 20° C getauchten Tuch befestigt wird, und bei sehr hohen Fieber¬
steigerungen absteigende Vollbäder von 34 — 20» C am zweckdienlichsten erwiesen. Während des
Bades, von 6—8 Minuten Dauer, soll der Körper mit der Hand energisch gerieben werden.
Aus der Abhandlung von Alois Pick»), welcher die Beobachtung der von
ihm vom Oktober 1898 bis April 1900 im Wiener Garnisonhospital behandelten
Patienten zu Grunde liegt, erhellt die Bedeutung der überall und leicht auszu*
führenden Theilwaschungen, die stets in Aktion traten, sobald die Pulsspannung
nachliess, sonst aber bei gutem Puls viermal täglich ausgeführt wurden. Besonders
bewährten sich Pick auch die Theilwaschungen bei sehr schweren Kranken mit aus¬
gedehnter Infiltration und dadurch bedingter Dyspnoe, ebenso bei Herzschwäche mit
sehr labilem Pulse. Für die Zwischenzeit empfiehlt dieser Autor Kreuzbinden oder
Stammumschläge. Die hydrotherapeutischen Prozeduren unterstützt übrigens Pick
durch Alkoholika, Digitalis, Kampfer und Natron salicylicum.
Gestützt auf eine 40jährige Praxis warnt Simon Baruch*) vor kühlen Bädern
bei der lobären kroupösen Pneumonie, da dieselben hier im Gegensatz zum Typhus
einen zu jähen Temperaturabfall bedingen und damit die Gefahr eines Kollapses
heraufbeschwören. An deren Stelle gebraucht Baruch Brustumschläge (15,5—18° C),
welche schon bei Temperaturen von 37,8—39,5° C Körperwärme von ihm angelegt
werden; bei noch höheren Temperaturen werden diese Brustumschläge mit Wasser
gesättigt und im Wechsel von Vj— 1 Stunde erneuert. Die Wirkung derselben wird
als stimulierend bezeichnet; zugleich wird die Athmung vertieft, die Pulsspannung
erhöht, die Harnmenge vermehrt und die Körperwärme herabgesetzt.
Von hypothetischen Erwägungen ausgehend, vermeint man durch die genannten
hydriatischen Eingriffe Toxinzerstörung, Antitoxinförderung, Vermehrung der Leuko-
cyten (Winternitz), Erzielung eines stärkeren Wassergehaltes des Blutes (Loewy 4 ),
also geradezu Naturheilung anbahnen zu können.
>) Fortschritte (1er Hydrotherapie. Herausgegeben von Dr. A. Strasser und Dr. B. Busc¬
häum. Wien 1897.
Blätter für klinische Hydrotherapie und verwandte Heilmethoden 1900. No. 7 u. 8.
3) The Boston Medical and Surgical Journal Bd. 143. No. 16.
9 Berliner klinische Wochenschrift 1896.
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Bemerkungen zur hydriatischen Behandlung der Lungenentzündung. 39
Aus dem Umstande, dass gerade bei den schweren Fällen von Pneumonie
Fraenkel’sche Diplokokken oder Streptokokken im Blute angetroffen werden,
schliesse ich, dass hier ein den septischen Erkrankungen ähnlicher Krankheitsprozess
vorliegt, der mit ähnlichen Mitteln wie jene, also mit Bädern und Alkohol am
erfolgreichsten bekämpft wird. Auf Grund dieser Erwägungen erklärt sich auch der
Zwiespalt der Meinungen über die Bäderbehandlung. Allzu kalte Bäder werden erst
recht die im Blute kreisenden Krankheitskeime in Zirkulation bringen und dieselben
in die funktionswichtigen inneren Organe verjagen, deren Thätigkeit dadurch rapide
ausgelöscht werden muss. Auf diese Weise erkläre ich mir die bei überkalten Bädern
beobachteten Kollapsanfälle.
Sind aber nur Toxine im Umlauf, so werden die hier so schädlichen kalten
Bäder u. s. w. durch ihre die Oxydation anregende Kraft die so labilen chemischen
Krankheitsstoffe rasch verbrennen und damit den krauken Organismus entlasten.
Voraussetzung hierbei ist natürlich, dass nicht die Entzündung der Lunge so grosse
Theile derselben ergriffen hat, dass schon das rein mechanische Moment zur Ge¬
fährdung des Lebens ausreicht. Indessen auch bei der vornehmlichen Betheiligung
der Lungen allein giebt uns die Natur durch den kritischen Schweissausbruch mit
ihrer Konsequenz der Euphorie und mit dem nachfolgenden raschen Abklingen des
ganzen Krankheitsprozesses einen Wegweiser, wie wir unseren Kranken zur Hülfe eilen
können. Zur Entlastung der blutüberfüllteu Organe wird dieser von der Natur cin-
geleitete kritische Schweissausbruch in erster Linie beitragen. Das gleiche Ziel
müssen wir mit milden hydriatischen Prozeduren, ohne das Herz in Mitleidenschaft
zu ziehen, zu bewerkstelligen suchen. Demgemäss sieht man durch prolongierte
(bis 10 Minuten währende) heisse Bäder (37 — 38 °C) mit nachfolgender Trocken¬
packung selbst noch bei schwächlichen Kindern gute Erfolge. Doch sind diese
Prozeduren für erwachsene Pneumoniker unerträglich, für Greise und Fettleibige be¬
denklich. Für derartige Patienten ziehe ich deshalb Brustpackungen mit in stuben¬
kaltes Wasser getauchtem und dann gut ausgerungenem Laken vor, die in üblicher
Weise mit trockener Leinwand bedeckt werden. Besteht höhere Temperatur, so
werden diese Packungen des öfteren gewechselt, bis die Körperwärme auf 39° C
herabgesunken ist. Alsdann bleibt die Packung solange liegen, bis Schweissausbruch
erfolgt. Es empfiehlt sich dabei den Patienten recht viel warme Getränke, Potatoren
auch mässige Alkoholgaben zuzuführen. Natürlich folgt auf den Schweissausbruch,
den man solange andauern lässt, als Patient es verträgt, resp. die Pulsverhältnisse
es zulassen, einejkurze, kühle Waschung. Selbst bei nur einmaliger täglicher Vor¬
nahme dieser Prozedur empfinden die Patienten Erleichterung, und der ganze Krankheits¬
prozess scheint einen milderen Verlauf zu nehmen. Besonders dankbare Objekte hier¬
für scheinen die Influenzapneumonieen mit dem in ihrem Gefolge oft unvermuthet
auftretenden Herzkollaps zu sein. So konnte ich selbst bei mehreren Diabetikern
mit Influenzapneumonie einzig durch diese lokalen Packungen das drohende Ver-
hängniss abwenden. Erst neuerdings behandelte ich einen Diabetiker mit 5 % Zucker
und chronischer Nierenentzündung mit viel Eiweiss im Urin in dieser Weise. Ob¬
wohl zu gleicher Zeit Oedeme der Füsse und Beine bis hinauf zu den Genitalien
bestanden, brachten diese Schwitzpackungen das pneumonische Exsudat zum Ein¬
schmelzen. Hand’in Hand hiermit ging die Rückbildung des Oedems, sodass Patient
nach vierwöchentlicher Behandlung trotz seines schweren Diabetes seinen Beruf wieder
aufnehmen konnte. Selbst äusserst fettleibige Personen vertragen sehr wohl diese
Schwitzpackungen, wie ich vor einiger Zeit bei einem 36jährigen sehr korpulenten
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Fürbringer
40
Potator beobachten konnte: Eine schwere Influenzainfiltration des linken unteren
Lungenlappens wich den genannten Prozeduren, obwohl die starke Cyanose, der aus¬
setzende unregelmässige Puls die Prognose von vornherein ungünstig erscheinen liess.
Ein rationelles System der Bekämpfung der Lungenentzündung mittels der
soviel verheissenden hydriatischen Prozeduren kann sich nur aufbauen auf die Kenntniss
der biologischen Eigenheiten jener Bakterienarten, welche die Pneumonie verursachen.
Die Bakteriologie hat gezeigt, dass, abgesehen vom mechanischen Moment der In¬
filtration, der Verlauf der Pneumonie von ihrem Erreger abhängt. Die Fraenkel-
Friedländer-Pneumonieen, die Streptokokken-Influenza-Pestpneumonieen u. s. w.
zeigen in ihrem Verlauf sowie in der Gefährdung lebenswichtiger Organe ganz wesent¬
liche Unterschiede, die zur Bekämpfung eben das Rüstzeug der Hydrotherapie in
ihren mannigfaltigen Variationen erfordern. Eine Aufgabe, die nur an der Hand
weiterer recht umfangreicher bakteriologischer Forschungen und klinischer Beob¬
achtungen zu lösen sein wird.
IV.
Radfahren bei Magenkrankheiten.
Von
Geh.-Rath Professor Dr. Fürbringer
in Berlin.
Von den 'krankhaften Zuständen, deren Trägern das Fahrrad als Heilmittel ver¬
ordnet wird, finden sich in der Litteratur die gastrischen Leiden mit am stiefmütter¬
lichsten behandelt. Selbst dem aufmerksamen Späher tritt .ausser dem wohl ein¬
stimmigen Lob, das dem modernen Sport rücksichtlich seiner hervorragenden appetit¬
steigernden Wirkung gezollt wird, wenig auf unser spezielles Thema Bezügliche
entgegen. Und doch habe ich Grund zur Annahme, dass nicht wenige Magenkranke
die wohlthuendsten Besserungen ihres Leidens und selbst Heilungen dem Rade ver¬
danken. Ich weiss auch, dass die Zahl derer, welche den ärztlichen Rath entgegen¬
genommen, weit durch jene Schaar übertroffen wird, welche ohne Konsultation zur
Stahlmaschine gegriffen. Aber gerade unter den Magenleidenden der letzteren Kategorie
finden sich, wie die sekundäre ärztliche Beobachtung lehrt, in grösserer Zahl die
Opfer vertreten, welche über Misserfolge des selbstverordneten Heilverfahrens und
selbst bedrohliche Gestaltung ihres Leidens klagen. Und weil dem so ist, lohnt sich
wohl eine ernstere Behandlung der Frage einer Cyklotherapie der Magenkrankheiten
in praktisch-klinischer^Richtung. Aus nahen Gründen hat diese Frage vor allem die
ärztliche Erfahrung auf breiterer Basis zur Vorraussetzung. Meines Wissens fehlen
bislang in der maassgebenden Litteratur von anderer Seite einschlägige Veröffent¬
lichungen, welche Auskunft über Indikationen und Gegenanzeigen gäben.
In dem bekannten, auf Veranlassung v. Leyden’s im Verein für innere Medicin
vor nunmehr fünf Jahren vonM. Mendelsohn zum Vortrag gebrachten, noch immer
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Radfahren bei Magenkrankheiten. 41
sehr dankenswertben und werthvollen Referat 1 ) ist nur von der Hebung des Appetits
und seiner »oft sehr beträchtlichen Steigerung in das Uebernormale« durch das Rad¬
fahren die Rede. Der Autor erklärt das durch den Stoffverbrauch, warnt vor un¬
günstiger Beeinflussung der Magenverdauung durch reichliche Nahrungsaufnahme
vor grösseren Touren und durch die den Magen komprimierende nach vorn geneigte
Haltung des Fahrers. Ich bin sicher, dass Mendelsohn, wäre er damals selbst
Radfahrer gewesen und mit Sportskollegen in engeren Verkehr getreten, Anlass ge¬
nommen hätte, im Für und Wider das erstere mit einer freundlicheren Physiognomie zu
versehen. Auch P. Schiefferdecker (Bonn) beschränkt sich in seinem neueren umfäng¬
lichen, noch lange nicht genug bekannt gewordenen Werke 2 * ) im wesentlichen auf die
Hervorkehrung der genannten Gesichtspunkte, obwohl er sichtlich ein sachverständiger
Freund der Cyklotherapie; und nur S. Merkel (Nürnberg) erwähnt in seinem die
Hygiene des Radfahrens betreffenden Referat») auf der vorjährigen Versammlung
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege zu Trier eigens, dass das
Radfahren bei Magenerkrankungen besonders nervöser Art zu empfehlen sei.
Ich selbst habe im letzten Sommer zum ersten Mal einige spezielle Differen¬
zierungen in meinen Beiträgen zur Würdigung des Radfahrens vom ärztlichen Stand¬
punkte 4 ) zum Ausdruck gebracht. Nicht eher, als bis ich auf einem eigenen, freilich
vorwiegend in der Sprechstunde gesammelten Beobachtungsmaterial zu fussen ver¬
mochte und mich selbst zur Erlangung der Sachverständigenqualifikation — an der
Grenze der zweiten Hälfte des Lebensjahrhunderts — auf das Stahlross gesetzt, mich
allmählich mit ihm befreundet und dann auf ihm einige tausend Kilometer zurückgelegt,
in der Heimath, in fremdsprachlichen Landen, im Frühlings wind, auf heissem Boden,
in herbstlicher Flur und auf hartgefrorenem Erdreich.
Was ich über die Wirkung des Radfahrens bei Magenstörungen zu sagen ver¬
mochte, beschränkte sich der Hauptsache nach darauf, zu registrieren, dass nicht nur
bei Gesunden fast ausnahmslos das Nahrungsbedürfniss sich nach richtigen Radaus¬
flügen steigere, vielmehr auch Magenkranke recht häufig eine wesentliche Auf¬
besserung darniederliegenden Appetites davon trügen. In erster Linie Hess ich das
nach meiner Erfahrung von der nervösen Dyspepsie gelten, weniger vom richtigen
chronischen Magenkatarrh.
Meine Erfahrungen haben sich seitdem einigermaassen vermehrt und vertieft,
so dass ich eine bestimmtere Formulierung wagen zu sollen glaube. Aber auch sie
bleibt bei der Schwierigkeit der allgemeineren Beurtheilung zahlloser von der Natur
geschaffener Abweichungen im Krankheitsbilde und seiner wechselvollcn Gestaltung
ein erster Anfang, ein Versuch.
Selbstverständlich scheidet zunächst der regelrechte Magenkrebs aus. Den
Kachektiker wird selbst der Fanatiker nicht aufs Rad setzen. Immerhin kenne ich
einige Fälle der erwähnten Selbstverordnung, in denen die noch nicht siechen Opfer
der Krankheit ganz kurze Strecken mit sichtlicher Verschlimmerung des Leidens be-
1) »Ist das Radfahren als eine gcsondheitsgemässe Uebung anzusehen und aus ärztlichen
Gesichtspunkten zu empfehlen?« Deutsche medicinische Wochenschrift 1896. No. 18 ff. (nebst umfang¬
reicher bemerkenswerther Diskussion).
2 ) Das Radfahren und seine Hygiene nebst einem Anhang: das Recht des Radfahrers von
Prof. Dr. jur. Schumacher. Stuttgart 1900. (538 Seiten.)
») Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege 1901. Bd. 33. Heft 1, mit aus¬
führlichem Litteraturverzeichniss.
*) Deutsche Aerztezeitung 1900. Heft 17.
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zahlen mussten. Ich möchte sogar diese Reaktion mit einiger diagnostischer Be¬
deutung versehen, in ähnlicher Weise, wie der Fortschritt der Krankheit trotz
rationell geleiteter Kuren in bewährten Bädern und Sanatorien den erfahrenen Arzt
stutzig machen muss, ob nicht ein latentes Neoplasma den Magen befallen habe.
Auch der akute Magenkatarrh kommt nicht eigentlich in Betracht. Sofern
er als fieberhafter seinen Träger zum richtigen Kranken macht, bildet er selbverständ-
lich eine unbedingte Gegenanzeige. Aber auch sonst ist seine kurze Dauer und Neigung
zur Spontanverheilung nicht dazu angethan, eine besondere physikalische Therapie
zu erfordern. Am ehesten würden sie noch seine leichteren, durch Diätfehler bedingten
Formen, die allbekannten »Magenverstimmungen« zulassen. Es ist in der Tliat be-
merkenswerth, wie rapid bisweilen die lästigen Erscheinungen solcher Indigestionen
einem Radausfluge weichen.
Etwas mehr Bedeutung darf die Cyklotherapie für den chronischen Magen¬
katarrh beanspruchen, wofern er nicht als Begleiterscheinung schwerer organischer
Grundleiden auftritt, sondern mehr Halbkranke betrifft. Doch muss ich hier gleich
bemerken, dass ich zu denjenigen zähle, welche die chronische Gastritis als eine
nicht häufige bezw. bei weitem seltenere Krankheit als die nervöse Dyspepsie erachten.
Gerade erfahrene Aerzte wissen es am besten, wie oft die sichere Unterscheidung
beider Formen trotz des Aufgebots aller diagnostischen Mittel schwer fällt, ja un¬
möglich bleibt, zumal Mischformen mannichfachster Gruppierung nichts weniger als
Seltenheiten bedeuten. Von den reineren Formen kamen für unsere Betrachtungen
der Hauptsache nach Säuferkatarrhe verschiedener Gradabstufungen in Betracht.
Immerhin Hess sich in einem nicht kleinen Theil derjenige Grad von Besserung
durch die Radfahrübungen vermissen, wie er bei der grossen Gruppe der nervösen
Magenkrankheiten ohne konkurrierende wesentliche Entzündungsprozesse nach unseren
Erfahrungen geradezu zur Regel zählt.
Es gehört der Sammelbegriff der nervösen Dyspesic so recht zu derjenigen
Kategorie von krankhaften Zuständen, bei denen, wie wir es schon einmal in der er¬
wähnten Arbeit formuliert, das Radfahren überhaupt, von ganz gesunden Personen
abgesehen, seine Wohlthaten äussert. Das ist die Gruppe derjenigen chro¬
nischen funktionellen Störungen, die ihren Träger mehr zum Erholungs¬
bedürftigen, als zum eigentlichen Kranken stempeln. Wirkliche Kranke pflegen
keine Radfahrer zu sein und von den Opfern organischer Leiden nur Halbkranke in
Betracht zu kommen. Es muss uns hier fern liegen, auch nur der Haupttypen der
gastrischen Neurasthenie mit ihrem bunten und wechselnden Mosaik der Begleit¬
erscheinungen zu gedenken. Wir glauben zunächst unter spezieller Berücksichtigung
des Themas festlegen zu sollen, dass die Fälle mit vorwaltender Appetit¬
störung in Bezug auf den günstigen Erfolg obenan stehen. Wer es aus eigener
vielfacher Erfahrung weiss, welche Grade bei gesunden Radfahrern die nach ver¬
nünftigen, unter günstigen Bedingungen zurückgelegten Touren sich einstellende
Euphorie erreichen kann und wie der ins Grossartige gesteigerte Appetit einen
wesentlichen Bestandtheil der behaglichen, von allem Beengenden losgelösten Ver¬
fassung darstellt, der wird den hervorragenden Einfluss der Cyklotherapie gerade
auf diese Form verstehen. In der That haben es mich Dutzende solcher Dyspeptiker,
die ihr Grundleiden, eine zum Theil nicht leichte Chloroneurasthenie, der Hauptsache
nach von bedenklicher Ueberarbeitung in der Studierstube oder dem Bureau davon¬
getragen, immer und immer wieder versichert, dass keine der früheren ärztlichen Maass¬
nahmen auch nur annähernd ihnen die Erlösung von ständiger Pein gebracht, wie ihre
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Radfahren bei Magenkrankheiten. 43
Stahlmaschine. Sie galt ihnen mehr als alle Stomachika und Peptika unseres Arznei¬
schatzes» die Diätverordnungen und sonstige physikalische Therapie, sogar den Kur¬
aufenthalt in den Bädern nicht ausgenommen. Es hat hier selbst an schwereren
Formen nervöser Anorexie mit fast unüberwindlicher Furcht und Abneigung vor der
Nahrung nicht gefehlt. Dass der oder jener der Gebesserten, ja Geheilten Rückfälle
im Winter ohne Vermittelung der üppigen Diners der Grossstadt erlitten, um sie
mit den im Frühling wieder aufgenommenen Radtouren abermals zum Weichen zu
bringen, kann geradezu als experimenteller Beweis der ursächlichen Wirkung gelten.
Freilich bleibt die unfreiwillige Pause in der schlechten Jahreszeit ein Nachtheil
unserer Therapie; allein er ist der wesentlichen Abmilderung fähig, wenn die schönen
Wintertage nicht ohne Noth gemieden werden.
An zweiter Stelle dürfte jene Form der nervösen Dyspepsie zu nennen sein,
welche unter Begleitung mannichfacher sonstiger neurasthenischer Erscheinungen
bei launischem Appetit den Patienten in wechselnder und fast unberechenbarer Weise
abnorme und quälende örtliche Sensationen nach der Nahrungsaufnahme, vor allem
Magenschmerz, Aufstossen und Brechreiz bescheert. Nicht wenigo dieser Opfer
der gastrischen Neurasthenie waren, nachdem sie nur einige Wochen den Radfahr¬
sport in mässiger Weise betrieben, nicht wieder zu erkennen, ja fühlten sich magen¬
gesund und selbst unter relativ schwierigen, von Küche und Keller gestellten Be¬
dingungen. Ich glaube an diese Gruppe gleich jene Abart anschliessen zu sollen,
die ich vor acht Jahren der Balneologiscben Gesellschaft hierselbst als »Magen¬
schwäche« skizzieren durfte (Deutsche Med.-Zeitung 1893. No. *29); vortrefflicher
Appetit, Druck- und Vollgefühl — keine eigentlichen Schmerzen — im Magen noch lange
vor dem Stillen desselben und insbesondere nach bestimmten Speisen und Getränken
zeichnen der Hauptsache nach diese Form aus, für welche sich immer und immer
wieder Vertreter mir aufgedrängt, mit neurasthenischen Begleitsymptomen und ohne
solche. Einige derselben waren aus Anlass einer konsequent durchgeführten Cyklo-
therapie so weit gediehen, dass sie, zumal am Ende ihrer Ausflüge, ihren erstaun¬
lichen Appetit voll und sogar mit den sonst gefürchteten Speisen befriedigen konnten,
ohne dass das verhasste drückende und nagende Gefühl sich meldete 1 ).
Nichtsdestoweniger muss ich ehrlicher Weise bekennen, was ich auch schon am
angeführten Orte kurz erwähnt, dass es selbst im Bereich der genannten Gruppen
an Misserfolgen der neuen physikalischen Therapie nicht gefehlt hat, obzwar
den Patienten Vorwürfe über unzweckmässiges Verhalten, namentlich auch hin¬
sichtlich der Diät nicht zu machen gewesen. Einige Male" sank der Appetit in
unmittelbarem Anschluss an die Uebungen und auch später überhaupt dermaassen,
dass sie schleunigst wieder aufgegeben werden mussten. So prägte das reizbar
schwache Nervensystem seine unberechenbare Laune, wie bei jeder neuen anti-
neurasthenischen Kur, auch hier aus. Aber auch unter den nicht rebellischen Fällen
habe ich unwillkommene Rückfälle zu verzeichnen, die freilich fast durchweg sich
auf den Winter mit dem Einzug der Tafelfreuden und dem Ende der Radfahrlust
beschränkten.
Eine weitere Klassifikation der Magenkrankheiten rücksichtlich der Anzeigen
und Gegenanzeigen der Cyklotherapie kann ich nicht wagen, da die zudem recht
lückenhaften Beobachtungen verwerthbare Schlüsse nicht zuliessen. Dies gilt u. a.
!) S. Merkel, .. wiewohl zugegeben werden muss, dass eine Reihe von Speisen, die sonst
nicht vertragen werden, verdaut wird«.
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44 Fürbringer
von mehrfachen Fällen ausgesprochener Dyspepsia acida, welche die Bewegung
auf dem Rade recht widerspruchsvoll beantworteten. Das eine oder andere Mal
wurde der Erfolg, insbesondere der Abgang von Kardialgie und Sodbrennen gerühmt,
ohne dass die späteren Untersuchungen eine Abnahme der Hyperacidität erweisen
konnten. Wenn man, was auch wir thun, das Hauptkontingent dieser Hyperchlor-
hydrieen i. e. S. dem Begriff der nervösen Dyspepsie unterordnet, wird man solche
Reaktionen nicht als besondere Wunder auffassen.
Als letztere Kategorie muss ich aber noch eines gleich wichtigen und häufigen
Magenleidcns gedenken, des Geschwürs. Wenn ich mich früher nur dahin resümiert,
dass ich bei Verdacht auf Magengeschwür vom Radfahren bestimmt abgerathen, so
habe ich auch jetzt keine Veranlassung, diese Warnung zu modifizieren. Dies um so
weniger, als ich weiss, dass die Fehldiagnose oder Ahnungslosigkeit überhaupt Rad¬
fahrern als böse Folge ihres Sports schwere Magenblutungen in gleicher Weise ein¬
getragen, wie den Objekten einer Bauchmassage oder ähnlichen Kur im medico-mecha-
nischen Institut. Und doch glaube ich nicht verschweigen zu sollen, dass einige
offenbare Träger von Folgezuständen des Magengeschwürs (Verwachsungen) sich auf
das bestimmteste anmaassen, ihre Beschwerden durch das Rad los geworden zu sein.
Trotz alledem rathe ich eindringlich, da, wo die Anamnese das frühere Magen¬
geschwür erweist, oder den dringenden Verdacht begründet — das zumal als offnes
erkannte Ulkus bedeutet natürlich die strengste, gar nicht die diskutierende Gegen¬
anzeige — das Radfahren ein für alle Mal zu verbieten. Auch dann, wenn die Lern¬
zeit mit ihren obligaten unfreiwilligen Trennungen von Ross und Reiter nicht mehr
in Betracht kommt. Selbst der beste Cyklist, der sich möglichst gute und verkehrs¬
arme Wege aussucht, ist nie ganz sicher vor dem Fall und sonstiger schwerer Er¬
schütterung; die Eventualität einer unheilvollen Wirkung solcher Zufälle auf die so
häufig ungünstig gelegenen und gearteten Karben und Adhäsionen bedarf keines
weiteren Wortes.
So bleiben in der That im wesentlichen bestimmte Formen chronischer funk¬
tioneller Magenstörungen, also die nervöse Dyspepsie Hauptgegenstand der Cyklo-
therapie Hnd um so dankenswerterer, je schärfer sie als Theilsymptome des
Grundleidens der Neurasthenie bezw. Hysterie und Anämie in die Erscheinung treten.
Diese Ueberlegung deutet meines Erachtens zugleich das Wie der günstigen Wirkung
des Radfahrens an. In erster Linie kommt offenbar der antineurasthenische
Heilerfolg des Radfahrens in Betracht, wie er von einer Reihe Sachverständiger ein-
müthig aufs Schild gehoben wird. Wenn ich ihn s. Z. bei der enormen Verbreitung
der reizbaren Schwäche des Nervensystems als Grundlage der relativ grössten Triumphe
angesprochen habe, zumal da, wo die Blutarmuth sich hinzugesellt, so konnte ich
mich, von den nicht gerade spärlichen Eigenerfahrungen abgesehen, schon damals
auf andere massgebende Autoren stützen; so auf v. Leyden, der den »schönen
gesundheitsmässen Sport« als ausserordentliche Wohlthat für nervöse Damen be¬
zeichnet, und nicht weniger auf Eulenburg, der ihn fast vor jeder anderen Art
kurativen Gymnastik bevorzugt. Auch Hammond ist ein warmer Parteigänger,
und mit Recht heben Placzek und L. Hahn hervor, wie das frische heitere Aus¬
sehen, das ungezählte blasse, empfindliche und verdüsterte Stubenhocker nach Er¬
lernung des Sports gewinnen, der Theorie so manchen Skeptikers in der Zahl der
»Radlerfeinde« spottet. »Alles, was man dem Radfahren vorgeworfen hat, verschwindet
für uns vollständig gegenüber der Thatsache, dass in zahllosen Fällen unendlicher
Nutzen damit zu stiften ist und zwar ganz besonders bei krankhaft veranlagten
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Radfahren bei Magenkrankheiten. 45
nervösen (neurasthenischen) Personen beiderlei Geschlechts« (Eulenburg). Hier ist
auch der Ort, der bedeutungsvollen »Philosophie des Fahrrads« von Eduard Bertz*)
zu gedenken. Das Buch, von dessen Inhalt Kenntniss zu nehmen wir eindringlich
empfehlen, obwohl der Autor Nichtarzt, entstand, wie ich seiner freundlichen brief¬
lichen Mittheilung und dem Text entnehme, aus dem Gefühl der Dankbarkeit heraus
für die wunderbare Verjüngung, die das Rad ihm, dem durch geistige Ueber-
anstrengung vorzeitig Gealterten, geleistet. Man sehe nur seine, des dem kritiklosen
Enthusiasmus abholden Philosophen Begründung des Satzes ein, dass der richtig be¬
triebene Radsport die nothwendige Ergänzung der sonstigen Mittel zur Leibespflege
für den Menschen des 20. Jahrhunderts darstellt.
Zu der wirksamen Bekämpfung des nervösen Grundleidens tritt für unsere
Kategorie von Störungen die ganz ausserordentliche, mehr oder weniger selbständige
Steigerung des Appetits, über die wir uns bereits geäussert. Beides aber muss der
Hauptsache nach als Folge der Muskelarbeit in frischer Luft beurtheilt werden.
Aber noch mehr als das: Die reizvolle, spielende Ueberwindung weiter
Entfernungen durch eigene Muskelkraft und, wie Siegfried u. v. a. mit Recht
hervorheben, die gleichzeitige Erziehung des Körpers und Geistes, das Züchten von
Selbstvertrauen und Selbständigkeit, von Muth gegenüber der Gefahr, das thätige
und denkende Reisen vertreten werthvolle Sonderwirkungen. 2 )
Freilich — und wir legen kritikloser einseitiger Uebertreibung zu Gunsten des
Fahrrads gegenüber darauf besonderen Werth — die genannten Vorzüge sind mehr
weniger auch in anderen Sportübungen enthalten, nicht nur im Rudern und Schlitt¬
schuhlaufen, sondern auch in gewisser Richtung im Schwimmen, Turnen und selbst
Reiten, vor allem aber im Bergsteigen; und wir dürfen, um uns nur auf das
letztere zu beschränken, über dessen Vergleichsfähigkeit sich bekanntlich im An¬
schluss an die ersten Lehren Mendelsohn’s eine anregende wissenschaftliche Kontro¬
verse, zumal zwischen ihm und Siegfried«) entsponnen, billig fragen, wo denn der
besondere Vorzug des Radfahrens in Bezug auf unser Thema gegenüber dem alpinen
Sport und dem Touristenthum überhaupt stecke. Dies um so mehr, als wir selbst
jeder Bewegung in frischer Luft die gleichsinnige Wirkung im Prinzip zuerkannt
und bestritten haben, dass das Radfahren in seiner Wirkung auf den Appetitmangel
vor dem Bergsteigen etwas Spezifisches voraus habe. Fleissige Alpinisten wissen
auch Erstaunliches von ihrer Appetitsteigerung und günstigen Beeinflussung von
Magenstörungen zu berichten; ja schon dem einfachen Spaziergänger ist solche Wirkung
geläufig.
Und doch fühlen wir uns bei aller Hochhaltung der erspriesslichen Wirkung
des Wanderns, zumal im Hochgebirge, gehalten, das Radfahren in der uns be¬
schäftigenden therapeutischen Richtung mit einem besonderen praktischen Vortheil
i) Dresden und Leipzig 1900 (234 Seiten).
*) Schon aus dieser Ueberlegung ergiebt sich, wie weit das Radfahren die Zimmergymnastik
mit Tretapparaten, der ja die Fortbewegung in frischer Luft ganz abgeht, hinter sich zurücklassen
muss, und wie vollends die modernen »Konkurrenten« des Rades, die Automobilen, nicht in Vergleich
treten dürfen. Hier das passive Sichfortrollenlassen, dort die eigene körperliche Arbeit als Treibkraft.
*) Vergl. meine Ausführungen über diese Frage in der citierten Abhandlung. Weitero Be¬
obachtungen lassen mir eine strenge Abgrenzung einzelner Muskelgruppen bei der komplizierten
Tretbewegung des Radfahrers immer zweifelhafter erscheinen, und ich muss der Verwahrung von
Bertz gegen die einseitige plumpe Muskelentwicklung beitreten. Mindestens ist das »Radfahrbein«
vielfach arg übertrieben worden.
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46 Fürbringer
auszustatten. Ganz abgesehen von den Bedingungen des Terrains müssen wir es auf
Grund eigener und fremder Erfahrung als hochwahrscheinlich gelten lassen, dass
durchschnittlich der von uns erörterte günstige Erfolg auf die Magenstörung in
wesentlich kürzerer Zeit beim Radfahrer sich einstellt, als beim Fuss-
gänger. Schon das unmittelbare, in Appetit und sonstiger Euphorie sich äussernde
Resultat, das eine cinstündige rationelle Radtour herbeizuführen pflegt, kann der
Wanderer der Regel nach durch den doppelten Zeitaufwand kaum leisten. Zu dieser
werthvollen Zeitersparniss kommt ein zweiter wesentlicher Faktor: das trotz gleichen
Stoffverbrauchs geringere Anstrengungsgefühl des Cyklisten 1 ). Das bedeutet
eine nicht zu unterschätzende subjektive Wohlthat zumal für Bequeme. Bekannt ist,
wie nicht wenige gehfaule Fettleibige die angenehme Entlastung von der »An¬
strengung« der Spaziergänge bei Benutzung des Rades nicht genug rühmen können.
Die genannte Eigenart der gesammten günstigen Wirkung des Radfahrens auf
zumal nervöse Magenstörungen in der erörterten Weise bei der sonstigen weitgehen¬
den Uebereinstimmung in Bezug auf die Hauptfaktoren, Muskelarbeit und Genuss
von frischer Luft, lässt sich schwer befriedigend erklären. Mit dem appetit¬
steigernden Begriff der Muskelarbeit und des Kräfteverbrauchs ist es ebenso wenig
gethan, wie mit den oben angeführten Vorzügen des Radfahrsports. Ist doch auch
der Bergsteiger in besonderem Vortheil bezüglich des Naturgenusses, der, wie Bertz
mit Recht hervorhebt, beim Radfahrer wegen des flüchtigen Vorbeihuschens der Land¬
schaft und seiner dem Wege in höherem Grade gewidmeten Aufmerksamkeit eine wesent¬
liche Einbusse erleidet. Den »komprimierteren Sauerstoffgenusst des Radfahrers,
der dreimal schneller die Luft durchschneidet, als selbst der Wanderer in der Ebene,
vermag ich als ins Gewicht fallendes differentielles Moment nicht recht ernst zu nehmen.
Aber vielleicht ist eine Hypothese, zu der ich mich gedrängt fühle, an dem zeitlichen
Wirkungsunterschied betheiligt. Ich meine die von der Muskelaktion an sich unab¬
hängige anhaltende Erschütterung des ganzen Körpers und mit ihm des Verdauungs¬
apparates, wie sie unausbleiblich, wenn der Radfahrer nicht auf ganz glatte Bahnen
angewiesen ist, und wie sie oft genug namhafte, an die Vibrationsmasssage
erinnernde Grade für längere Fristen erreicht. Dem Fussgänger und selbst dem Hoch¬
touristen ist sie in dieser Ausbildung fremd. Ich weiss freilich nicht, ob der wahre,
von seinem Thier geschüttelte Reiter in der uns interessierenden Richtung vor dem
Ritter vom Pedal im Vortheil ist.
Wo auch immer Magenkranke zum Fahrrad als Heilmittel greifen, sind gegen¬
über dem Sport ganz Gesunder und zumal robuster Jünglinge, besondere Vorsichts¬
maassregeln unerlässlich und um so mehr, je stärker die örtliche Störung und
das Grundleiden, also die reizbare Schwäche des Nervensystems dem Körper bereits
zugesetzt hat*). Dann wird Massigkeit zur höchsten Pflicht Je strenger sich die
Patienten zur Partei der »Modestes de la p^dale« Lucas - Championnifcre’s
bekennen, um so besser. Das schliesst ein gelegentliches Durchsausen günstigen
Geländes nach Herzenslust nicht aus, wofern das Herz nicht in ausgeprägtem Maasse
mitleidet. Immerhin warne ich mit Sehrwald auch bei sonstiger günstiger Verfassung
im allgemeinen vor einer Schnelligkeit, die einschliesslich kurzer Absitze für das
') Von der gefährlichen Seite dieser bekannten Unterschätzung der aufgewendeten Arbeit auf
Grund des Ermüdungsgefühls (Oertel, Mondeisohn, Villaret, Albu, J. Meyer, Kisch, L. Zuntz,
B. Lewyu. a.) in Ansehung der Hcrzthätigkeit haben wir hier nicht zu sprechen.
*) Schwere Formen von Neurasthenie und Hysterie gehören überhaupt nicht aufs Rad.
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Radfahren bei Magenkrankheiten. 47
Kilometer durchschnittlich mehr als fünf Minuten braucht. Als obere Grenze der
Tagestour dürften 40 Kilometer gelten. J ) Selbstverständlich hat der Patient nur
mit dem Begriff der Besserung seines Zustandes, nie mit der Ausnutzung der Kräfte
zu Sportszwecken zu rechnen und jeden Vortheil, jede Erleichterung der gestellten
Aufgaben wahrzunehmen. Wir haben uns in der früheren Abhandlung zu gleicher Zeit,
wie S. Merkel in seinem Referat (s. o.) eingehend über einige wichtigere, aus der
eigenen Praxis abgeleitete Rathschläge ausgelassen und dürfen den freundlichen Leser
auf den einschlägigen Inhalt beider Abhandlungen verweisen. Er findet nicht nur
das Verhalten des vom Arzt auf das Rad gesetzten Patienten zu seinen schlimmsten
Naturfeinden, den Anstieg und Gegenwind, berücksichtigt, sondern auch die Frage
der Haltung des Radfahrers sowie der geeigneten Sattelkonstruktion und Ueber-
setzung kurz behandelt. Will er ausführlicher Auskunft über diese Fragen und
ausserdem über die spezielle Einrichtung und Behandlung der Maschine, die Er¬
lernung des Sports in Wort und Bild, die Ausstattung und Diätetik des Radfahrers
und sein Recht theilhaft werden, so kann ihm das Studium des genannten Schieffer-
decker-Schumacher’ sehen Werkes nicht angelegentlich genug empfohlen werden.*)
Es begreift sich, dass für den magenkranken Radfahrer die früheren Diätvor¬
schriften zunächst keineswegs überflüssig werden. Da, wo in dem Glauben, dass
der neuerwachte Appetit und die Erlösung von den örtlichen Beschwerden von der
bisherigen Rücksicht auf die Wahl von Speisen und Getränken ohne weiteres ent¬
binden, an der lockenden Tafel darauf los gesündigt wird, pflegt die Indigestion mit
elementarer Gewalt zur Geltung zu kommen und der Heilwirkung des neuen physi¬
kalischen Kurverfahrens bösen Abbruch zu thun. Auch die sonstigen bewährten
physikalischen, medikamentösen und balneologischen Maassnahmen dürfen nimmer
durch das Fahrrad verdrängt werden; die Cyklotherapie steht neben, nicht über
ihnen.
’) Ueberanstrengung hat nicht selten, wie icli versichern kann, eine Verminderung des Appetits
und Steigerung der Magenbeschwerden zur Folge in gleicher Weise, wie Bergsteiger, uneingedenk
der Bideker’schen Wanderregeln, vom Excess auch ohne besondere Diätfehler gern eine tiefere
Magenverstimmung davontragen.
*) Auch die kleinen Katechismen von Fresscl, Biesendahl, Kilian, Smutny u. a. geben
treffliche Anleitungen.
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G. Klemperer
V.
Beitrag zur Erklärung hamsaurer Niederschläge im Urin.
Aus dem chemischen Laboratorium des Berliner Instituts für medicinische Diagnostik.
Von
Professor Dr. 6. Klemperer in Berlin.
Die Bildung von Nierensteinen beruht auf dem Ausfallen gewisser wohlbekannter
Substanzen aus Lösungen, deren Zusammensetzung bekannt ist. Da nun die Zu¬
sammensetzung dieser Lösungen, insbesondere aber ihr Gehalt an den ausfallenden
Substanzen, hauptsächlich von der Zusammensetzung der Nahrung abhängt, so müsste
eigentlich die Verhinderung des Ausfallens eine Aufgabe sein, welche die Diätetik
mit mathematischer Genauigkeit zu lösen im Stande wäre.
In der That gehört die Berathung eines Patienten, der einen Nierenstein aus-
gestossen hat, zu den dankbaren Aufgaben des sachkundigen Arztes. Aber neben
vielem Gesicherten und Bekannten ist doch noch mancher Kausalzusammenhang un¬
gewiss und strittig.
In Bezug auf die Prophylaxe der harnsauren Nierensteine wissen wir, dass
reichliche Flüssigkeitszufuhr durch Vermehrung des Harnwassers die Lösung er¬
leichtert, das nukleinarme Nahrung die Urate vermindert, und dass pflanzliche
Nahrung, indem sie dem Urin kohlensaure Alkalien zuführt, dessen Reaktion in einer
die Harnsäurelösung günstigen Weise beeinflusst. So sollte man meinen, dass man
das Ausfallen der Harnsäure und der harnsauren Salze mit Sicherheit verhindern könne.
Und doch bleibt die Thatsache bestehen, dass trotz sorgfältiger Befolgung
solcher diätetischen Rathschläge oft ein Harnsäuresediment sich bildet.
In Bezug auf die weitere Erforschung des Problems der Harnsäureniederschläge
sind nun zwei Fälle zu unterscheiden: das eine Mal besteht das Sediment aus saurem
harnsaurem Natron, das andere Mal aus reiner Harnsäure. In Bezug auf das Blut liegen
die Verhältnisse viel weniger kompliziert, indem hier nur saure harnsaure Salze in
Lösung gehalten sind und im pathologischen Fall niedergerissen werden. Im Urin
aber besteht eine grosse Mannichfaltigkeit. Ich habe 30 Sedimente aus sauren Harnen
wahllos hintereinander untersucht. 16 mal war reine Harnsäure, 14 mal Urat aus-
krystallisiert. In drei Fällen, in welchen der saure Urin sandig getrübt aus der
Harnröhre gelassen wurde, bestand der Niederschlag jedesmal aus Krystallen reiner
Harnsäure. Fragt man, worauf die Verschiedenheit beruht, so darf man wohl an¬
nehmen, dass saures harnsaures Alkali die gewöhnliche Daseinsform der Harnsäure
im Urin darstellt, sofern genügende Mengen Alkalien mit der Nahrung aufgenommen
sind. Ist in diesem Falle die Harn wassermenge nicht gross genug, so fällt bei grosser
Konzentration schon im Körper, sonst im erkaltenden Urin das Urat aus. Fehlt da¬
gegen Alkali in der Nahrung, was namentlich bei fleischreicher, pflanzenarmer Kost
der Fall ist, so wird nach bekannten Gesetzen die Harnsäure als schwerstlösliche
Säure die erste sein, welche in zum Theil ungesättigten Zustand zum Ausfallen
kommt. Sie wird im übrigen um so eher ausfallen, je mehr Salze der Urin im
ganzen enthält.
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Beiträge zur Erklärung harnsaurcr Niederschläge im Urin. 40
Aus dieser Betrachtung wäre verständlich, dass beim reichlichen Fleischgenuss
Harnsäure ausfallt; Zugabe von Obst und Gemüse müsste dann eine Lösung her¬
beiführen.
In vielen Fällen bleibt aber trotz gemischter Kost eine Ausscheidung reiner
Harnsäure bestehen.
Indem ich den Ursachen dieser oft beobachteten Erscheinungen nachging, legte
ich mir die Frage vor, ob bei der Ausfällung der Harnsäure eine bisher wenig be¬
achtete Säure die Mitschuld trüge, nämlich die Kohlensäure.
Dass der saure Urin Kohlensäure physikalisch absorbiert enthält, ist eine sehr
bekannte Thatsache. Sehr häufig, wenn man zum Nachweis von Eiweiss Urin er¬
hitzt, sieht man Gasbläschen entweichen und zugleich eine Trübung auftreten, die
sich bei Säurezusatz löst; es ist der phosphorsaure Kalk, der durch die absorbiert
gewesene Kohlensäure in Lösung gehalten war.
Als QueUe der Urin-Kohlensäure kommen vorerst die Karbonate in Betracht,
welche aus dem Blut in den Urin übertreten. Sofern der Urin saurer Reaktion ist,
setzen sich dann die kohlensauren Salze mit den sauren Salzen um, und es entsteht
freie Kohlensäure, welche zur Absorption kommt. Es wird deren Menge also wohl
am grössten sein, wenn kohlensaure Salze in der Nahrung enthalten sind, die be¬
kanntlich quantitativ in den Urin übergehen. Da pflanzensaure Salze zu Karbonaten
im Körper verbrannt werden, so wird man auch nach Obst- und Gemüsegenuss reich¬
lich Kohlensäure im Urin erwarten dürfen, wenn der Urin sauer ist. Eine offene
Frage schien es mir, ob im Blut enthaltene freie oder locker gebundene C0 2 durch
die Nieren diffundieren kann.
Meine Untersuchungen richteten sich nun auf zwei Punkte:
I. Welche Einwirkung hat die Kohlensänre auf die Lösungsverhältnisse
der Harnsäure und ihrer Salze?
II. Wie gross ist der Gehalt des Urins an physikalisch absorbierter Kohlen¬
säure unter verschiedenen Ernährungsbedingungen V
Die folgenden Versuche habe ich im Institut für med. Diagnostik mit Herrn
Dr. Tritschier angestellt, dem ich für seine Mühe zu grossem Dank verpflichtet bin.
I.
Zuerst prüfte ich die Einwirkung der Kohlensäure auf Lösungen von saurem
harnsaurem Natron in Wasser, in 2 % Harnstofflösung, sowie in solchen Salzlösungen,
welche der Zusammensetzung des Urins ähnlich zusammengesetzt waren.
Die folgende Tabelle zeigt das Resultat dieser Lösungsversuche.
Es lösen sich gramm sauren harnsaurem Natron bei 38 0 in je 100 ccm:
1 1
2 % Harn-
Lösung von
Losung von
Lösung von
Lösung von
Lösung von
H*0
0,5 Na CI
2g U
lg KCl
1 g NaCl
Stofflösung
0/) KCl
; 4 - 0,23 P 4 O 5 *)
0,23 PjO.,
+ 0,23 P 2 0 Ä
"t" 0,23 P 2 0 0
ohne C0 2
0,1372
0,1552
0,0165
1
0,026
0,0324
0,0224
0,0014
unter 1 stdl.
Einwirkung
j
i
|
j
l
von C0 2
0,0852
0,0840
0,0580
0,0338
0,0450
0,0434
0,0029
') Es waren zu gleichen Theilen saures und neutrales phosphorsaures Natron gemischt, *<>
dass der Ucsammtprozentgehalt an P a 0-, 0,23 war.
Zeitsohr. L di&L u. phyeilc. Therapie lid. V. Heft 1. 4
Original frnm
UNIVERSUM OF MICHIGAN
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" * r“/ -r*
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r.o
(>. Kleuipcrcr
Es wird also aus Wasser und wässriger Harnstoff lösung saures harnsaures
Natron durch den Kohlensäurestrom zum Theil ausgefällt, während in Lösungen von
Kochsalz, Chlorkalium und Phosphaten die Löslichkeit des sauren harnsauren Natrons
durch die Kohlensäure erhöht wird.
Da hiernach offenbar die Einwirkung der Kohlensäure mehr auf physikalischen
Faktoren als auf chemischer Umsetzung beruhte, so schien es unmöglich, die Wirkung
der Kohlensäure in den komplizierten Lösungsverhältnissen des Urins auch nur an¬
nähernd im voraus zu beurtheilen. Ich ging also dazu über, Urin mit Kohlensäure
zu durchströmen, und die Löslichkeit der Harnsäure und ihrer Salze vor und nach
der Durchströmung zu bestimmen. In jeder Versuchsreihe wurde in dem betreffenden
Urin, welcher die in 24 Stunden gesammelte Menge eines gesunden Menschen dar¬
stellte, zuerst die Harnsäure und das Verhältniss der Gesammtphosphorsäure zum
sauren Phosphat (Acidität) bestimmt. Danach wurden je zweimal 100 ccm des Urins
mit gewogener Menge reiner Harnsäure, Natronbiurat, Kalibiurat versetzt. Alle
sechs Proben kamen in den Brutschrank; in drei Bechergläser wurden gebogene
Glasröhren bis auf den Grund geführt, in welche dauernd Kohlensäure aus dem
Kipp’sehen Apparat in langsamem Strom einströmte. Dazu kam noch eine Urinprobe
ohne Zusatz, in die ebenfalls C0 2 eingeleitet wurde. In allen Bechergläsern wurde
das am Boden niedergesunkene Pulver von Harnsäure bezw. Urat in kurzen Zwischen¬
räumen aufgerührt Nach der Digestion wurde von der ungelösten Harnsäure ab¬
filtriert und im filtrierten Urin von neuem die Harnsäure bestimmt. Das Resultat
der Versuche ist in folgender Tabelle wiedergegeben.
a
b
c
e
o/o Gehalt an
Harnsäure
Acidität
o/ 0 Gehalt an Harnsäure nach Digerieren mit
lf .. saurem 1 saurem
Harnsäure
■
hams. Na
hams. R
oline CO-,
50,9
0,0-456
0,0487
0,0021
I.
o,or> 2 i
mit CO*
51,4
0,0024
0,0514
0,0689
ohne CO,
50,01
0,0577
0,0061
0,0705
II.
0,0803
mit CO>
■
49,0
0,0103
0,0753
0,0810
ohne C0 2
!
35,02
0,0541
0,0738
0,0855
J1L
0,0740
mit CÜ 2
35,53
0,0437
0,0795
0,0794
ohne CO.,
54,9
0,0394
0,0537
0,0798
IV.
0,0411
mit C0 2
52,06
0,0319
0,0576
0,0832
ohne (’O.j
V.
33,8
0,0755
0,0845
0,0879
0,0750
mit C0 2
33,0
0,0748
0,0877
0,1011
ohne C0 2
28,5
0,0561
0,0756
0,0823
VI.
0,0740
mit C0 2
29,0
0,0672
0,0779
0,0871
Die Durchsicht dieser Versuchsreihe
ergiebt folgendes:
1. die Acidität des Urins, ausgedrückt durch das Verhältniss der Gesammt-
phosphorsäurc zu den sauren Phosphaten, wird durch die Einwirkung der Kohlen-
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51
Beitrag zur Erklärung harnsaurcr Niederschläge im Urin.
säure nicht verändert Die erhaltenen Differenzen liegen innerhalb der Grenzen der
Bestimmungsfehler der bekannten Lieb lei n’schen Methode. In Wirklichkeit aber
ergiebt sich aus diesen Versuchen, dass das hier bestimmte Verhältnis durchaus
nicht ein Maassstab der Acidität, d. h. des quantitativen Verhältnisses zwischen der
Gesammtheit der sauren und basischen Verbindungen des Urins ist. Auf diese Frage
werde ich an anderer Stelle zurückkommen.
2. Reine Harnsäure wird durch die Kohlensäure zur Ausscheidung gebracht.
Der Harnsäureverlust durch den C0 2 -Strom aus 100 ccm Harn beträgt in den sechs
Versuchen 13,2mg, 17,4 mg, 10,4mg, 7,5 mg, 0,7 mg, 11,1mg. Zur Würdigung
dieser Zahlen muss hervorgehoben werden, dass die zu den Versuchen benützten
Urine mit Harnsäure augenscheinlich gesättigt waren, sodass sie (mit Ausnahme von
Versuch V) beim blossen Digerieren mit reiner Harnsäure schon Harnsäure fallen
Hessen, wie ein Vergleich der Rubriken a und c ergiebt. Die Einwirkung des C0 2 -
Stroms erhöht aber in jedem Fall die Menge der abgeschiedenen Harnsäure.
3. Saures harnsaures Natron wird durch Einwirkung von C0 2 im Urin gelöst.
In 100 ccm Urin liessen sich durch Kohlensäure 2,7 mg, 9,2 mg, 5,7 mg, 3,9 mg,
3.2 mg, 2,3 mg in Lösung bringen. Der Vergleich der Rubriken a und d ergiebt,
dass in den Versuchen I, II und III die Urine mit harnsaurem Natron übersättigt
waren, so dass sie an das zugesetzte Urat Harnsäure abgaben; in den übrigen Ver¬
suchen erfolgt im Gegentheil eine Auflösung von saurem harnsaurem Natron durch
einfache Digestion. Die Kohlensäure aber wirkt in allen sechs Versuchen in gleich¬
sinniger Weise, theils Minderabgabe, theils Mehrlösung hervorrufend.
4. Saures harnsaures Kali wird ebenfalls durch Einwirkung von C0 2 im Urin
gelöst. In 100 ccm Urin lösen sich durch C0 2 6,8 mg, 7,5 mg, 3,4 mg, 13,2 mg,
5.2 mg. Nur in einem Versuch findet trotz der Kohlensäurewirkung eine Minder¬
lösung von 6,1 mg Harnsäure statt. Der Vergleich der Rubriken a und e ergiebt,
dass auch Kalibiurat (mit Ausnahme von Versuch U) sich durch einfache Digestion
in den Urinen löste; die Kohlensäure bewirkte aber in fünf Fällen von sechs die an¬
gegebene Mehrlösung.
Wir dürfen also aus den berichteten Versuchen die Schlussfolgerung ziehen,
dass die freie Kohlensäure des Urins die Löslichkeit der freien Harn¬
säure im Urin erschwert, dagegen die Löslichkeit der Uratc erleichtert.
II.
Nach dieser Feststellung schien es der Mühe werth, den Gehalt des mensch¬
lichen Urins an freier Kohlensäure unter verschiedenen Lebensbedingungen zu stu¬
dieren. Quantitative C0 2 - Bestimmungen des Urins sind in diesem Zusammenhänge
meines Wissens bisher nicht gemacht worden. Aus anderen Untersuchungen weiss
man, dass der Urin, wie jede andere Körperflüssigkeit, immer etwas Kohlensäure
absorbiert enthält, deren Menge bei Einnahme von kohlensauren Alkalien etwa
150 bis 250 ccm im Liter beträgt.
Die im Folgenden aufgezeichneten C0 2 - Bestimmungen wurden so angestellt,
dass ein Wasserstoffstrom durch den Urin geleitet wurde. Frühere Untersucher
haben einen Luftstrom angewendet, doch ist es sehr zweifelhaft, ob es gelingt, den¬
selben CO a frei zu machen. In unseren Versuchen ging der Wasserstoff aus der
Kipp’schen Flasche durch mehrere Chlorkalciumröhren und durch den Liebig’schen
Kaliapparat, ehe er in den mit 1 Urin gefüllten Kolben eintrat; beim Austreteu
wurde er wiederum erst durch die ('hlorkalciumröhren gelassen, ehe er durch den
4 *
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52 G. Klemperer
gewogenen Geissler’schen Kaliapparat hindurchtrat. Die Entwickelung geschah in
sich langsam folgenden Gasblasen und dauerte jedesmal eine Stunde. Darauf wurde
der Geissler'sehe Apparat von neuem gewogen und die gewonnenen Gewichtszahlen
in bekannter Weise auf Volumzahlen umgerechnet.
Die Versuchspersonen waren jüngere Männer, die theils selbst an den Unter¬
suchungen ein gewisses Interesse hatten, theils Patienten meiner Privatklinik, welche
zumeist Nierenkoliken überstanden hatten. Die Ernährung sowie die Sammlung des
Urins wurde von dem geschulten Wärterpersonal gut überwacht.
I. Versuchsreihe.
23jähriger Chemiker.
Urinmenge |j
Ernährungsform
i CO* i,
i
Harnsäuremenge in 100 ccm
nach Digestion mit
II
spoc. Gew. Reakt.
Lebensweise
j
Liter
Gesammt-
Ur- ; reiner j saurem j saurem
menge ji sprünglich I Harnsäure I hams. Na | haras. K
1. Tag.
1140/102/»
sauer
i Nur Fleisch, aus¬
gekochtes Wasser.
Nur Laboratoriums¬
arbeit
5,35 6,9
1
!
0,0788
0,0633
!
0,0805
0,0902
2. Tag.
1500/1019
sauer
Nur Fleisch,
800 ccm Wasser bei
150 m it C0 2 gesät¬
tigt 2 Stunden Be¬
wegung im Freien
:*8,5
55,75
!
0,0488
0,0466
0,0497
0,0541
3- Tag.
1080/1026
sauer
Nur Fleisch,
800 ccm Wasser mit
5 g NaHCOg
! 2 Stunden Beweg,
im Freien
77,0
83,2
0,084
1
0,0714
1 ;
0,0841
0,0888
4. Tag.
1250/1020
alkalisch
Nur Fleisch,
a/ 4 1 Fach. Wasser,
1 / 4 1 Sodawasser.
1 Nur Laboratoriums¬
arbeit
117,6
1
147,0
0,0778
,
1
0,089
0,0698
0,085
Epikrise. Bei einer Nahrung,
die nur
aus Fleisch und ausgekochtem Wasser
bestand, und bei mässiger Bewegung betrug die 24ständige Gesammt-CO* des Urins
nur 6,9 ccm. Als das aufgenommene Wasser mit C 0* imprägniert war und die Be¬
wegung bedeutend stärker, stieg die Menge auf 55,8 ccm; durch Zusatz von NaHCO*
zum Wasser auf 83,2, und durch gleichzeitige Aufnahme von NaHCO* und CO*
auf 147.
Man kann aus diesen Versuchen ableiten, dass die Niere für die Blutkohlen¬
säure durchlässig sei; denn sonst wäre nicht verständlich, wie einerseits Körperarbeit,
andrerseits Zusatz freier Kohlensäure zum Trinkwasser die CO* des Urins vermehren
könnte.
Eine Anwendung des oben erkannten Einflusses der Kohlensäure auf die Lösung
von Harnsäure und Uraten ist nicht zu machen. Es ist ja aber ohne weiteres klar,
dass dieser Einfluss niemals allein wirkend sein kann, sondern immer nur neben
den anderen wesentlichen Faktoren in Frage kommen wird. Als solche sind natür-
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Beitrag zur Erklärung hameaurer Niederschläge im Urin.
53
lieh der Gehalt an Harnsäure einerseits und das Verhältniss von Basen und Säuren
andrerseit von vorzüglicher Bedeutung. Auf die darauf bezüglichen Bestimmungen
will ich an anderer Stelle näher eingehen.
II. Versuchsreihe.
(25jähriger Ingenieur, Magenneurose.)
Urinmenge !
spec.Gew. |
Reaktion
i 1
Emährungsform j
Lebensweise
! _ . _J
1
j
i
; Liter
CO* j Ha
lj
Gesammt-j ;U rsprüng-
menge || lieh
rnsäuremen^
nach Dige
reiner
Harnsäure
£e in 100 ccm Ij ||
stion mit Ioqi
1 .1 cö g !
saurem saurem ^2
harns. Na j harns. K 1 ,g j
_ j.
1. Tag
Fleisch,
17,9
! li
89,6 !
0,0463
! 0,0393
i i 1
0,0447 | 0,0476 ,1,075,
2200; 1019
Fettdiät,
jl
1
1
sauer
Bettruhe
i
i
! Ij
2. Tag
Fleisch, Fett-
1 110,0
210,4
| 0,0529
0,0485
0,051 ö 0,0576 1,029
1940/1020 i
diät Viel Be¬
1
I
1 !|
sauer |
wegung
1
|
j ■
3. Tag
Fleisch, Fett.
| 46,3
123,9 j
0,0373
0,0341
0,0375 , 0,0453 0,87 ,
2680/1016
Getränk 1
1
i
1 '1 1
sauer
CO* halt. Wasser.
'1
1 i
f
I
Bettruhe
1
4. Tag
Fleisch, Fett,
) 71,2
153,8 I
0,0362
0,0392
0,0493 ! 0,0497 Ö,93
2160/1016
1 Liter Fachinger
(|
i
|
j |' j
sauer
l Bettruhe
! ü i
In dieser Versuchsreihe
hat sich ebenfalls
ergeben,
dass starke Körperbew,
a E
'<3*3
*>
|?:l
S|"
. b© o5
*8 5
s®n
«'S
*<8
die CO*-Ausscheidung durch die Nieren vermehrt; auch CO*-haltiges Getränk zeigt
sich als vermehrend; desgleichen in noch höherem Maasse Karbonat und CO*-haltiges
Wasser.
Was die Harnsäurelösung betrifft, so ist aus den festgestellten Zahlen zu
schliessen, dass am zweiten und dritten Tage die nothwendige Basenmenge gefehlt
hat; da danach Harnsäure im Ueberschuss frei blieb, so trug die freie Kohlensäure
zur Unlöslichmachung derselben bei.
III. Versuchsreihe.
(52jähriger Kaufmann, welcher Nierenkoliken gehabt hat).
Urinmenge Ernährung8form! j CO*
spec. Gew.
Reaktion Lebensweise ^j ter iGesammt-[Ursprung- reiner
I * menge j lieh ' Harnsäure
Hamsäuremenge in 100 ccm
nach Digestion mit
saurem I saurem
hams. Na harns. K
i i I |
1 . Tag. | Fleisch, Gemüse 202,2 768,4 I 0,0259 0,0205 0,0505 I 0,0745 Urin trüb
2030/1015 21 Bier. I I I entleert
sauer | Bewegung |’ Sedim. v.
| : I ! : | ca. 0,3 g u
2 . Tag. /Fleisch, Gemüse 51,0 70,2 j 0,0608 0,0565 I o,0635 0,0714 kein
1360 1021 1 kein Bier. i I j Sediment
| Bewegung i I I 'l
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Original from
UNIVERSETY OF MICHIGAN
G. Klcuipcrcr
r»4
Es zeigt sich hier ein unerwarteter Einfluss des Biergenusses auf den CO s -Gehalt
des Urins, der augenscheinlich auf die Kohlensäure des Bieres zurückzuführen ist.
Im übrigen ist bemerkenswerth, dass an dem 1. Versuchstage, trotz des reichlichen
Harnwassers, trotz gemischter Kost und trotz sehr geringen Harnsäuregehalts, reichlich
freie Harnsäure schon innerhalb der Harnwege zur Ausscheidung kam. Nach den
im 1. Theil gemachten Feststellungen muss erwogen werden, ob nicht der hohe Gehalt
der freien Kohlensäure an der Ausfällung Schuld ist. Diese Erwägung ist um so
näher liegend, als am 2. Versuchstage, trotz im wesentlichen analoger Lösungs¬
bedingungen, und trotz viel höherem Harnsäuregehalt keine Harnsäure zur Ausfüllung
kommt, während die C0 2 -Zahl beträchtlich geringer ist.
Ich lasse nun die Versuche folgen, welche besonders zur Bestimmung des C0 2 -
Gehalts des Urins, ohne die gleichzeitigen mühsamen Lösungsversuche, angestellt
wurden.
Zuerst wurden unter verschiedenen Ernährungsbedingungen an dem Urin des
oben genannten Chemikers (I. Versuchsreihe) folgende Bestimmungen gemacht:
III. Versuchsreihe.
1. Nur Fleisch, mässige Bewegung nur im Laboratorium, 1 Liter Bier.
Urinmenge 1035, sauer. Harnsäuregehalt 0,0854 °/ 0 .
C0 2 im Liter 69,2, im ganzen 71,6 ccm.
2. Nur Fleisch, mässige Bewegung im Laboratorium, 5 /, Liter Milch.
Urinmenge 1110, sauer. Harnsäuregehalt 0,0732%.
C0 2 im Liter 72,9, im ganzen 80,9 ccm.
3. Gemischte Kost, mit 1% Liter Fachinger Wasser.
Urinmenge 1300, schwach alkalisch. Harnsäuregchalt 0,0840 %.
C0 2 im Liter 220,6, im ganzen 286,8 ccm.
4. Gemischte Kost, mit 1 Flasche Karlsbader Mühlbrunnen.
Urinmenge 2400, sauer. Harnsäuregehalt 0,0471 %.
C0 2 im Liter 99,8, im ganzen 239,5 ccm.
5. Gemischte Kost, mit l Flasche Karlsbader Mühlbrunnen.
Urinmenge 1610, sauer. Harnsäuregehalt 0,0681 %.
C0 2 im Liter 123, im ganzen 198 ccm.
Auch hier ist die Kohlensäuremenge des Urins nach Biergenuss grösser als bei
mässiger Bewegung allein. Freilich ist der C0 2 -Gehalt des Urins nach Milchgenuss
nicht geringer.
Es wurde ferner der Einfluss des Karlsbader Mühlbruunen mit dem Fachinger
Wasser verglichen; es ergab sich die C0 2 -Menge nach dem Fachinger Wasser grösser,
doch war sie auch nach dem Mühlbrunnen beträchtlich
IV. Versuchsreihe.
Ein 36jähriger Arzt wurde mit gemischter Kost ernährt und trank zuerst
Trinkwasser, am 2. Tag Bier, am 3. 'lag Fachinger Wasser, an jedem Tag je 1 Liter.
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Beiträge zur Erklärung hamsaurer Niederschläge im Urin.
55
Diät
Urin
Harnsäure
in 100 ccm
co 2
im Liter
co 2
gesammt
l. Tag.
Wasser
_
1360/1024
sauer
0,0577
99,9
136
Auch hier zeigt sich, dass durch Bier
2 . Tag.
Bier
1290/1024
sauer
I 0,0698 |
1
1
142,6
183,9
der Kohlensäuregehalt bei saurer Reak¬
tion gesteigert wird, mehr noch bei
alkalischer Reaktion durch Faehinger
3. Tag..
1750/1016
0,0413 !
274,3
480
Wasser.
Faehingcr
alkalisch
1
V. Versuchsreihe.
Herr von 41 Jahren, welcher mehrfach Nierenkoliken Überstunden hat; einige
Zeit nach diesen Versuchen entleert er einen grossen Oxalatstein.
Diät Urin |
°/o
Harns.
C0 2
im Liter gesammt
f
Sediment 1
k 2 o %: j
Na 2 0 o/o
i
o/o Na CI
1. Tag
i
Milch, Ei, 1500/1022
Brod sauer
2 . Tag | 1
0,0565
42,8
64,2
kein
Sediment
1,41
Fleisch, Milch 1150/1025
Ei, Brod j sauer
i
0,0829
67,7
77,9
Sediment
von Urat u.
oxals. Ca
0,247
!
0,574
1,11
3. Tag 1
Fleisch 1090/1027
Gemüse sauer
l 1
0,1073
39,1
42,6
Sediment
von Urat u.
oxals. Ca 1
0,2412
1
0,4931
0,94
4. Tag !
Dieselbe Kost 920/1026
grosser sauer
Spaziergang
0,096
35,6
32,7
Sediment 1
von Urat u. :
oxals. Ca 1
0,2866 ,
i
i
0,3*181
1,08
5- Tag
Dieselbe Kost 1250/1021
1 Flasche 1
BilinerWasser
0,0774
157,7
197,1
kein j
Sediment
' i
0,2602
0,5563
1
1,20
6 . Tag ! |
Dieselbe Kost 1800/1019,
1V* Flaschen • 1
BilinerWasser
0,0558
234
421,2
kein
Sediment
i
0,2633
! 0,5389
!
1,21
Auch aus dieser Versuchsreihe geht hervor, dass Milchdiät den CO--Gehalt
des Urins gegenüber blosser Fleischnahrung erhöht, während andererseits blosse
Zugabe von Gemüse eine solche Erhöhung nicht immer hervorbringt. Dagegen
wirkt Biliner Wasser sehr stark erhöhend.
Bemerkenswerth ist das Ausfallen der Urate am 2.-5. Versuchstag. Wir dürfen
für dasselbe den verhältnissmässig geringen C0 2 -Gehalt des Urins mit verantwortlich
machen.
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.')(! (i. Klcmpcror, Beiträge zur Erklärung liamsaurer Niederschläge im Urin.
Die Bestimmung der Basen ist an diesem Tage zu besonderen Zwecken erfolgt,
mag aber hier wiedergegeben werden, um zu zeigen, dass die zur Sättigung der Harn¬
säure nothwendigen Alkalimengen vorhanden waren.
VI. Versuchsreihe.
55jähriger Herr mit nervösen Darmschmerzen.
i ~ i
Diät
i
Urin
co 2
1
Ham säure
Sediment
i
Liter
Menge
°/o
1. Tag
Milch, Eier, Brot
Butter;
Bewegung
760/1022
sauer
93,2
70,8 ;
0,0656
Weuig Harn¬
säure
2. »
Kost desgl.
Bettruhe
700/1023
sauer
53,5 ,
i
37,1
0,0654
0
1
o. »
Milch; Ruhe
630/1025
35,6
22,4
0,0968
j Urate
4. »
Milch;
a/iStd. Spaziergang
750/1023
33,1
24,1
0,0742
0
i
5. »
, Milchdiät;
1 Stunde Spazier¬
gang
650/1027
i 53,5
34,7
0,0869
0
1). »
Milch; Bettruhe
715/1023
62,3
1 46,7
' 0,0882
0
7. »
Gemischte Kost;
Milch; Bettruhe j
810/1023
i
57,0
1 46,2
0,0870
0
8r »
Desgl.
850/1020
89,1
75,6
0,0775
o
0. »
Desgl.
1200/1019 j
56,6
«7,9
; 0,0579
0
In diesen Versuchstagen wurde 6 Tage lang eine nur aus Milch, Eiern, Brod
und Butter bestehende Nahrung gereicht; die C0 2 -Ausscheidung in 24 Stunden betrug
22—46 ccm. Am 1. Tag ist die Vermehrung auf die Körperbewegung zu beziehen,
während am 4. und 5. Tag der gleiche Einfluss nicht zu bemerken ist. Die Ein¬
wirkung der gemischten Kost ist auf den C0 2 -Gehalt auch hier nur mässig.
Fasse ich die gemachten Beobachtungen zusammen, so hat sich bestätigt, was
ja nach allgemeinen Gesetzen nicht zweifelhaft war, dass bei absoluter Fleischdiät
der C0 2 -Gehalt des Urins sehr gering ist, während er sehr beträchtlich ist bei Ein¬
nahme von kohlensaurem Natron und im sauren Urin. Dies beruht darauf, dass das
Karbonat in den Urin übergeht und hier durch die sauren Salze zersetzt wird.
Andererseits zeigt sich, dass nach Genuss von C0 2 haltigem Wasser sowie von
Bier und Milch nicht wenig C0 2 in den Urin Übertritt, ebenso wie nach Bewegungen
oft mittlere Mengen C0 2 im Urin gefunden werden.
Es ist hierdurch als festgestellt zu betrachten, dass die freie Blutkohlensäure
durch die Niere diffundieren kann.
Nicht anders ist es zu erklären, wenn nach dem Genuss alkalischer C0 2 haltiger
Wässer sehr reichlich C0 2 im Urin enthalten ist, trotzdem der Urin alkalisch ist.
Wenn vegetarische Kost die CO s -Menge des Urins nicht allzu sehr in die Höhe
treibt, so liegt das wohl daran, dass in Gemüsen und Früchten wohl pflanzliche
Säuren, die zu C0 2 verbrannt werden, nicht aber in jedem Fall die nothwendigen
Mengen von Basen enthalten sind, um die Bildung von Karbonat zu ermöglichen
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Jules Renault, Die Cytotoxine. 57
Wenn es gilt, die Ursache einer Sedimentbildung von Harnsäure oder harn¬
sauren Salzen aufzuklären, wird man in Zukunft auch den Kohlensäuregehalt des
Urins in Betracht ziehen müssen.
Niederer Kohlensäuregehalt erleichtert das Sedimentieren der Urate. Hoher
Kohlensäuregehalt erleichtert bei saurer Reaktion das Ausfallen der reinen Harn¬
säure. Bei schwach alkalischer Reaktion befördert ein hoher Kohlensäuregehalt die
Lösung der harnsauren Salze.
Es führt also die Betrachtung zu folgender Schlussfolgerung für die Diät der
Uratiker:
Man sorge für eine der neutralen sich nähernde Reaktion
und hohen Kohlensäuregehalt des Urins, indem man bei ge¬
mischter Diät den Genuss alkalischer CO a -haltiger Mineral¬
wässer verordnet.
Ich brauche an dieser Stelle nicht besonders zu betonen, dass der Kohlensäure¬
gehalt des Urins selbstverständlich nur einer von sehr vielen Faktoren ist, die für
die Lösung der Harnsäure in Betracht kommen. Je mehr man sich in dies Problem
vertieft, desto vielseitiger und verwickelter erscheint es. Bei jeder diätetischen Ver¬
ordnung wird man gut thun, deren Effekt auf die Lösung der Harnsäre im Urin
nicht ohne weiteres als gegeben anzusehen sondern in jedem Einzelfall erst dies durch
Beobachtung sicher zu stellen.
Kritische Umschau.
i.
Die Cytotoxine.
Von
Dr. Jules Renault in Paris. *)
Die Cytotoxine**) sind Zellgifte, welche im Thierkörper unter gewissen beson¬
deren Bedingungen entstehen; die Eigenschaften dieser Toxine sind augenblicklich
Gegenstand eifriger Studien.
Büchner machte bereits vor längerer Zeit die Beobachtung, dass das Blutserum
einer Thiergattung bisweilen die Fähigkeit besitzt, die rothen Blutkörperchen, welche
einer anderen Thiergattung entstammen, zu zerstören: mischt man z. B. das Serum
eines Kaninchens mit dem Blute eines Meerschweinchens, so werden die rothen Blut¬
körperchen durchsichtig, indem ihr Hämoglobin aufgelöst wird.
Im Jahre 1888 berichteten Belfanti und Carbone 1 ) von einer toxischen Sub¬
stanz, welche sich in dem Blute von Thieren entwickelt, nachdem diese mit dem Blute
einer anderen Thiergattung behandelt worden waren.
J. Bordet*) zeigte im Jahre 1895/96, dass das Blutserum einer Thiergattung
im Stande sei, die rothen Blutkörperchen einer anderen Thiergattung zu agglomerieren:
*) Die Uebereetzung des Artikels aus den Archives Generales, der für die Leser unserer Zeit¬
schrift besonderes Interesse beanspruchen darf, wurde uns von der Redaktion des Archivs gütigst
gestattet
**) Das Wort »Cytotoxine« gebrauchte zuerst Metchnikoff. — Synonyme Bezeichnungen sind:
Histolysine, Histotoxine.
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:>8
Jules Renault
Das Blutserum vom Huhn z. B. agglomeriert die rothen Blutkörperchen der Ratte
und besonders die des Kaninchens »mit einer geradezu überraschenden Energie«.
Im Jahre 1898») zeigte er, »dass, wenn man bei intakten Thieren mehrfach
Injektionen mit defibriniertem Blute einer anderen Thiergattung ausführt, man bei
ersteren die Fähigkeit hervorrufen kann, nicht nur die Blutkörperchen zu agglome¬
rieren, sondern auch durch das Serum zerstörend auf gleichrassige Blutkörperchen
vorher injizierter Thiere einzuwirken«. Wenn man einem Meerschweinchen in fünf
oder sechs Intervallen 10 ebem defibiniertes Kaninchenblut injiziert, gewinnt das
Meerschweinchenserum ausser anderen Eigenschaften die Fähigkeit, die rothen Blut¬
körperchen des Kaninchens kräftig zu agglomerieren und zu zerstören.
»Die durch das Serum agglomerierten Blutkörperchen bieten dann die Erschei¬
nungen äusserst raschen Zerfalles. Wenn man z. B. einen Theil defibrinierten Kaninchen¬
blutes mit zwei oder drei Theilen aktiven Serums mischt, so wird die Mischung
nach zwei bis drei Minuten rotli, klar und durchsichtig. Unter dem Mikroskop sieht
man in der Flüssigkeit nur die Strömen der Blutkörperchen mehr oder weniger
deformiert, sehr transparent,'ihres Glanzes beraubt und daher für das Auge ziemlich
schwer zu erkennen«.
Die globulicidc, hämolytische und hämotoxische Wirkung des Serums intakter
Thiere und besonders der mit dem Blute anderer Thiergattungen behandelten Thiere
ist jetzt auf Grund umfangreicher Untersuchungen von sämmtlichen Autoren anerkannt.
Injiziert man einem Meerschweinchen in die Bauchhöhle 2 ebem defibriniertes Kanin¬
chenblut, und dann von 12 zu 12 Tagen weitere 5, 10, 15 ebem, so erhält man ein
hämolytisches Serum von der Stärke 1 :2 bis 1:3, d. h. 1 ebem dieses Serums löst
die Blutkörperchen von 2—3 ebem Kaninchenblut auf (Cantacuzöne)«)*).
Die hämolytischen Sera sind spezifisch: Das Serum eines mit Kaninchen¬
blut injizierten Meerschweinchens hat nur globulicide Wirkung auf die Blutkörperchen
des Kaninchens und umgekehrt; ebenso ist das Serum eines mit Hunde- oder Pferde¬
blut injizierten Kaninchens nur globulicid für Hund und Pferd.
Die Injektion von 5 ebem frischen Serums eines intakten Meerschweinchens in
die Vena auricularis eines Kaninchens bewirkt eine leichte Anämie von kurzer Dauer:
am nächsten Tage nach der Einspritzung verringert sich die Zahl der rothen Blut¬
körperchen pro cbmm um 1 Million, dann aber macht sich eine lebhafte Thätigkeit
der Hämatoblasten geltend, welche in einigen Tagen die Rückkehr zum normalen
Zahlenverhältniss zustande bringen.
Das hämolytische Serum eines Meerschweinchens, in starker Dosis (5—15 ebem)
einem Kaninchen in die Vena auricularis injiziert, tötet das Thier fast augenblicklich:
»Nach einigen Sekunden bricht das Thier zusammen, hat heftige klonische Zuckungen,
wird unter schwerer Cyanose stark dyspnoiseh, schreit einige Male und stirbt nach
1—2 Minuten« (Cantacuzöne 4 ). Bei der Autopsie findet man im Herzen und in den
grossen Gefässen flottierende Blutgerinnsel in dem roth gefärbten S.erum; die Nieren
und die Muskeln zeigen hämorrhagische Suffusioneu (Bordet).
Cantacuzcne hat die Wirkung von Injektionen von hämolytischem Meer¬
schweinchenserum in nicht tötlichen Dosen an Kaninchen genau untersucht.
Die starken Dosen (2—3 ebem) bewirken in einigen Stunden eine auffallend
starke Anämie: a) die Zahl der rothen Blutkörperchen fällt von 6000000 auf 4500000
in einer Stunde, auf 600000 in 36 Stunden, auf 300000 in 48 Stunden. Untersucht
man das Blut nach einer Stunde mikroskopisch, so sieht man, »dass sehr viele rothe
Blutkörperchen von einem diffusen Strahlenkranz umgeben sind, welcher sich mit
Eosin rosaroth färbt, während der Zellkern im Centrum nur schwache Färbung an¬
nimmt; das Stroma des rothen Blutkörperchens lässt nämlich seinen Inhalt in Form
grosser Tropfen entweichen, um sich dann in dem umgebenden Medium aufzulösen;
*) Um die globulicide Kraft eines Serums zu messen, setzt man sieben bis acht Tuben an,
in'.welche man 10 ebem einer Mischung von l Theil Blut und 0 Theilen einer 1"„ Chlomatrium-
lösung giebt; dann setzt man jeder Tube 0 , 00 , o.l , 0,|ö. 0.2, o,25, 0,.'>, I ebem Serum zu; hierauf
kommen die Tuben 2 Stunden in den Brutofen bei :t7"; man eentrifugiert hierauf oder lässt absetzen
und prüft die Farbe der zu oberst stehenden Flüssigkeitsschichte jeder einzelnen Farbe (Wolf) 5 ).
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51)
I)ic Cytotoxine.
das rothe Blutkörperchen bleibt in der Form eines leeren Bläschens, farblos, kaum
wahrnehmbar, bestehen«. Nach 48 Stunden sind 19 /- 2 o der rothen Blutkörperchen
verschwunden, einige sind entfärbt, umgeben von einer Diffusionsaureole, die Mehr¬
zahl derselben aber bleibt normal. Während nun die normalen rothen Blutkörperchen
abnehmen, treten die mit Kernbildung versehenen rothen Blutkörperchen deutlicher
in ihrer Kernzeichnung hervor und vermehren sich bis zu dem Zeitpunkte, wo die
Zahl der rothen Blutkörperchen auf ihr Minimum sinkt; — b) der Hämoglobingehalt
fällt von 85% auf 35%; — c) die Leukocyten vermehren sich um V,; diese Zunahme
erfolgt hauptsächlich zu Gunsten der polynukleären Zellen, deren Yerhältniss von
55% auf 80% steigt.
Mit dem 4. Tage beginnt die Zellregeneration, die Anämie verschwindet mehr
und mehr; a) die Zellregeneration beginnt mit einer ganz ausserordentlichen Thätig-
keit der Hämatoblasten: ihre Zahl steigt von 250000 pro cbmm auf 1700000; ferner
sieht man eine ganze Menge von Uebergangsformen zwischen Hämatoblasten und
rothen Blutkörperchen; die Affinität der neugebildeten Zellen in Bezug auf das
Hämoglobin zeigt sich nur in dem Augenblick, wo sie sich auf 5 n nähern: während
dieser Zeit werden die mit Zellkernen versehenen rothen Blutkörperchen geringer;
— b) das Hämoglobin beginnt nur in dem Augenblick zuzunehmen, wo die Zahl
der rothen Blutkörperchen die Höhe von 2000000 erreicht hat; — c) die Vermehr
rung der Leukocyten erlischt nach dem 15. Tage. Nach secns Wochen sind die x
Verhältnisse der Blutbeschaffenheit ungefähr wieder normal geworden.
Die halbschwachen Dosen (0,1 — 1 ccm) rufen anfangs eine Störung in dem
Verhältnis zwischen dem Hämoglobin und den rothen Blutkörperchen hervor,
a) die rothen Blutkörperchen beginnen vom 3.Tage an sich zu vermehren, bis sie
die Höhe von 8 000 000 am 5. Tage erreicht haben; vom 2. Tage an steigt die Zahl
der Hämatoblasten auf 800 000; — b) der Hämoglobingehalt sinkt am 3.—5. Tage
von 90% auf 60% und kehrt erst vom 12.Tage an wieder zur Norm zurück; —
c) 1 Tag nach der Injektion überziehen sich die polynukleären Leukocyten mit einer
pseudoeosinophylen Granulationsfläche.
Die schwachen Dosen (0,033—0,1 ccm) vermehren von Anfang an gleichzeitig
die rothen Blutkörperchen und das Hämoglobin: a) der Zellreichthum erreicht in
3 Tagen die Höhe von 8 000 000; die Zahl der Hämatoblasten vermehrt sich vom
l.Tage an auffallend; Zellen mit Kernen sieht man überhaupt nicht; — b) der
Hämoglobingehalt steigt von 95 % auf 105 %; — c) die polynukleären Zellen über¬
ziehen sich mit pseudoeosinophylen Granulationen. Diese Zunahme des Zellreich¬
thums und des Hämoglobingehaltes dauert ungefähr 3 Wochen.
Wenn man die Injektionen mit schwachen Dosen in Zwischenräumen von einigen
Tagen wiederholt, unter genauer Beobachtung des Abschlusses eines jedesmaligen
Anschubes des Hämatoblasten, so ist man im Stande, nach jeder Injektion dieselben
Phänomene hervorzurufen, d.h. jeder neue Anschub von Hämatoblasten ruft fast
augenblicklich eine Vermehrung der Zellen und des Hämoglobingehaltes hervor: man
erzielt dann nach einigen Injektionen das überhaupt erreichbare Maximum, welches
5—6 Wochen anhält.
Diese äusserst interessanten Untersuchungen beweisen, dass das Hämotoxin in
starken Dosen als ein heftiges Gift zu betrachten ist, dass es dagegen in schwachen
Dosen gleichsam als ein blutbildendes, biologisches Stimulans wirkt.
Landsteiner 6 ) erzielte durch Injektion von Spermatozoen eines Stieres beim
Kaninchen ein toxisches Serum für die Spermatozoen des Stieres; Moxter 7 )
stellte ein Spermotoxin durch Injektion von Hammelspermatozoen beim Kaninchen
dar; Metchnikoff machte beim Meerschweinchen Einspritzungen von Hodenextrakt
des Kaninchens, und Metalnikoff injizierte einem Kaninchen den Testikelsaft des
Meerschweinchens.
Metchnikoff«) nimmt Hoden und Nebenhoden vom Kaninchen, zerstampft sie
fein, maceriert sie in physiologischer Kochsalzlösung und treibt den Brei durch'ein
feines metallnes Sieb. Spritzt man diese Maceration Meerschweinchen ein, so erhält
hierdurch deren Serum eine für die Spermatozoen des Kaninchens toxisch wirkende
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60 Jules Renault
Eigenschaft, welche das Serum eines normalen Meerschweinchens nur in geringem
Maasse besitzt: »wenn man Serum eines injizierten Meerschweinchens und Sperma-
tozoen eines Kaninchens zusammenbringt, so sieht man nach wenigen Minuten bei
letzteren ein Auf hören der Eigenbewegung und ein Sichzusammendrängen in stern¬
förmigen Häufchen, deren äussere Grenze durch die Schwänzchen der Spermatozoen
gebildet werdenc, jedoch ohne dass die Spermatozoen hierbei zur Auflösung gelangen.
Dieses mittels Kaninchenhoden hergestellte Spermotoxin des Meerschweinchens
ist spezifisch für das Kaninchen. Es wirkt weder auf die Zellen der Leber,
noch auf die der Milz, der Niere, der Lymphdrüsen; — es wirkt nicht auf die
Spermatozoen andrer Lebewesen, z. B. der Maus, der Ratte, des Menschen, des
Meerschweinchens; nur die Spermatozoen des Kaninchens werden durch dasselbe be¬
einflusst, während sowohl das hämolytische als auch das antileukocytäre Serum ab¬
solut wirkungslos auf sie bleiben. Moxter wendete gegen diese Spezificität ein,
dass das nach obiger Methode hergestellte Spermotoxin einen gewissen Einfluss auf
die rothen Blutkörperchen hat. Metchnikoff entgegnete hierauf, dass die hämo-
toxische Wirkung des spermotoxischen Serums ohne Zweifel auf der gleichzeitigen
Einspritzung von Hoden- und Nebenhodensubstanz, sowie auf dem in ersterer ent¬
haltenen Blute beruht.
Metalnikoff 9 ), ein Schüler Metchnikoff’s, bewies die volle Berechtigung
der Entgegnung seines Lehrers.
Er stellte nach derselben Methode ein für das Meerschweinchen spermotoxisches
Serum dar, indem er Kaninchen eine Maceration von Hoden- und Nebenhodensubstanz
eines Meerschweinchen einspritzte. Er bekräftigte durch das auf diese Weise ge¬
wonnene Spermotoxin die Annahme der Spezificität dieser Substanz und bewies die
Hypothese von Metchnikoff, dass das (largestellte Serum stets Spermotoxin und
Hämotoxin enthält, auf folgende Weise: Man nimmt zwei gleiche Quantitäten Serum;
in dem einen lässt man zwei Stunden lang bei 37 0 rothe Blutkörperchen vom Meer¬
schweinchen, im anderen Spermatozoen desselben Thieres macerieren; dann centri-
fugiert man: das mit rothen Blutkörperchen gesättigte Serum löst in Gegenwart einer
neuen Menge von Alexin (Serum vom intakten Meerschweinchen) keine Blutkörper¬
chen mehr auf; es immobilisiert aber die Spermatozoen genau wie vor ihrer voll¬
kommenen Sättigung: es hat also doch die spezifische Sensibilität für die Blut¬
körperchen eingebüsst, dagegen hat es sich dieselben für die Spermatozoen erhalten.
Umgekehrt hat das mit Spermatozoen gesättigte Serum seine Sensibilität für die
Spermatozoen verloren, während es die für die Blutkörperchen noch behielt; aber
es hat sie sich nur theilweise erhalten, und gerade diesen letzteren Umstand führte
Moxter an, um die Identität des Spermotoxins und des Hämotoxins zu beweisen.
Das antileukocytäre Serum wurde zuerst von Delzenne 10 ) dargestellt,
welcher durch Einspritzungen von Hundeleukocyten an einem Kaninchen in des
letzteren Blute einen Körper erzeugte, der im Stande war, Hundeleukocyten auf¬
zulösen. Besredka 11 ) konstatierte dieselbe Wirksamkeit des antileukocytären Serums
auf die Leukocyten sowohl im Reagensglase, als bekräftigte er auch die bereits
von Delzenne gekennzeichnete Wirksamkeit durch Thierversuche.
Besredka stellte ein antileukocytäres Serum oder antileukotoxisches Serum
oder Leukotoxin her, indem er bei einem Meerschweinchen subkutane Injektionen
von Mesenterialdrüsenemulsion eines Kaninchens machte, oder einem Kaninchen
Mesenterialdrüsenemulsion eines Meerschweinchens unter die Haut spritzte: nach
einer oder mehreren Injektionen erzielte er ein wirksames Leukotoxin von 1:20
(1 Theil Serum auf 20 Tlieile Peritoneallymphe). Man erhält ebenfalls ein gut
wirkendes Leukotoxin, wenn man einem Thiere eine Knochenmarkemulsion einer
andren Spezies einspritzt; indess ist dieses Leukotoxin zu Versuchszwecken weniger
geeignet, da es wegen des Blutgehaltes des Knochenmarks gleichzeitig hämotoxisch
wirkt. Das Serum hält sich schlecht und verliert seine Wirksamkeit bei einer Er¬
wärmung von 55 °.
Die antileukocytären Sera sind im allgemeinen spezifisch: so sind z. B. die
aus den Drüsen des Pferdes, des Rindes, des Kalbes, des Hammels, der Ziege, des
Hundes dargestellten Sera unwirksam auf die Leukocyten des Menschen (Besredka).
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61
Die Cytotoxine.
Spritzt man eine starke Dosis (3 ccm) leukotoxischen Kaninchenserums einem
Meerschweinchen intraperitoneal ein, so stirbt dasselbe in drei bis vier Stunden.
»Unmittelbar nach der Injektion legt sich das Meerschweinchen auf den Bauch, die
Haare sträuben sich, oft treten profuse Diarrhoeen ein, der Leib ist kugelig auf¬
getrieben und schmerzhaft, das Thier bekommt Schüttelfrost, die rektale Temperatur
8inktauf30°. Die Autopsie ergiebt einen ausgebreiteten leichten Entzündungszustand
aller Eingeweide; in der Peritonealhöhle ein sehr reichliches, klares, an geformten
Elementen, namentlich an Leukocyten sehr armes Exsudat; bei der mikroskopischen
Untersuchung findet man in einem Gesichtsfelde kaum zwei bis drei weisse Blut¬
körperchen, die mehr oder weniger degeneriert und in eine grosse Menge endotheli¬
aler Zellen eingestreut sind. Tritt der Tod schnell ein, so ist die Peritonealflüssig¬
keit sowie das Blut steril«. Stirbt das Thier nicht nach den ersten 24—48 Stunden,
so macht sich in der Peritonealhöhle eine starke Vermehrung von Leukocyten und
zahlreichen Mikroben geltend, welche durch die Darmwand durchgewandert sind.
Je nach der Anzahl der Leukocyten oder der Virulenz der Bakterien wird das Thier
entweder,} genesen oder der Allgemeininfektion erliegen.
Wenn man bei einem Meerschweinchen, statt einer intraperitonealen Injektion
von Kaninchen-Leukotoxin in tötlicher Dosis, nur 0,5 cbcm einspritzt, so wird das
Thier zwar auf einige Stunden recht krank, gewinnt aber seinen völligen Gesund¬
heitszustand bald wieder. Untersucht man dann täglich die Peritonealflüssigkeit,
so machen sich mehrere äusserst wichtige Erscheinungen geltend: am ersten Tage
enthält die klare Flüssigkeit überhaupt nur desquamierte Endothelialzellen; am
zweiten und dritten Tage scheint die Zahl der Leukocyten vermindert zu sein: in
den folgenden Tagen wird die Peritonealflüssigkeit dick, klebrig, trübe und entnält
eine beträchtliche Zahl hauptsächlich mononukleärer Leukocyten. Die Reaktion des
Peritoneums des Meerschweinchens auf Leukotoxin unterscheidet sich wesentlich von
der Reaktion, welche Bouillon, physiologische Kochsalzlösung und normales Serum
zeigen; nach Injektion dieser letzteren Flüssigkeiten beobachtet man vom zweiten
Tage an eine Hyperleukocytose (17 500), welche 24—48 Stunden anhält; dagegen
zeigt sich nach einer Einspritzung von leukocytärem Serum anfangs eine kurzdauernde
(zwei Tage) Hypoleukocytose, woran sich dann erst eine länger dauernde (sechs bis
acht Tage) und beträchtlichere (100000 Blutkörperchen und mehr) Hyperleukocytose
anschliesst Die Hyperleukocytose ohne vorhergehende Hypoleukocytose kann man
hervorrufen, wenn man mehrere Injektionen hintereinander beim Meerschweinchen
macht: dieser hyperleukocytäre Zustand nimmt nach jeder Injektion zu, und man
kann die Höhe von 400000 bis 500000 weissen Blutkörperchen pro cbmm erreichen.
Die öfter wiederholten Einspritzungen mit normalem Serum rufen eine nur geringe
und kurze Zeit andauernde Hypoleukocytose hervor.
Dieselben Erscheinungen treten in derselben Reihenfolge, jedoch in geringerer
Intensität auf, wenn man einem Kaninchen leukotoxisches Serum eines Meerschweinchens
subkutan appliziert: die Blutuntersuchung ergiebt anfangs eine kurzdauernde (einen
Tag) Hypoleukocytose, welche einer beträchtlichen (30000 weisse Blutkörperchen
statt 12000) Hyperleukocytose von 6—7 tägiger Dauer Platz macht.
Man sieht, dass entsprechend den Dosen die Leukotoxine eine verschiedene
Wirkung hervorrufen. Während auf starke Dosen toxische Erscheinungen eintreten,
wirken kleine Dosen gleichsam als biologisches Stimulans: also ein analoges Ver-
hältniss wie bei dem Hämotoxin. Wie erklärt man sich nun diese Erscheinungen?
Bildet sich etwa bei dem mit Leukotoxin injiziertem Thiere ein Antileukotoxin,
welches den Zufluss von Leukocyten bedingt? Dies ist nach den Untersuchungen
von Besredka nicht sehr wahrscheinlich: erstens geht, nach Ansicht dieses Autors,
die der Leukotoxininjektion nachfolgende Hyperleukocytose der Bildung des Anti-
leukotoxins voraus; zweitens erzielt man, wenn man einem intakten Meerschweinchen
antileukotoxisches Serum intraperitoneal injiziert, keine andauernde Hyperleukocytose,
sondern bald eine vorübergehende Hyperleukocytose, bald eine ständige Hypo¬
leukocytose. Es scheint viel wahrscheinlicher zu sein, dass das Leukotoxin direkt
auf die Leukocyten wirkt und somit a) bei starken Dosen den Zufluss von Leukocyten
verursacht (positiv chemotaktische Wirkung), b) bei schwachen Dosen das Gegentheil
(negativ chemotaktische Wirkung) (Besredka).
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Jiilcs Renault
f»2
Wir haben bis jetzt Cytotoxine betrachtet, welche durch Injektion von zelligen
Elementen einer Thiergattung (Heterotoxine) entstanden. Die Injektion zelliger
Elemente thierischen Ursprunges bei Thieren derselben Gattung kann bisweilen ein
für diese Thiergattung toxisch wirkendes Serum entwickeln, ausgenommen für das
injizierte Thier selbst (Isotoxine): so z. B. erzielten Ehrlich und Morgenroth ein
Isotoxin dadurch, dass sie einer Ziege Blut von einer anderen Ziege mit Wasser
verdünnt einspritzten.
Metalnikoff stellte ein Autotoxin dar. Er injizierte Meerschweinchen-Sper-
matozoen einem anderen Meerschweinchen; dieses letztere besass nach drei Injektionen
ein Serum, welches nicht allein toxisch auf die Spermatozoen anderer Meerschweinchen,
sondern auch auf die eigenen wirkte; mischte man nämlich das Serum mit den
Spermatozoen im Verhältniss von zehn Tropfen zu einem Tropfen, so erlosch nach
4 Minuten die Eigenbewegung des letzteren.
Belfanti, Carbone, Bordet, Metalnikoff haben sich vergeblich bemüht,
das Autohämotoxin darzustellen.
Eine interessante Thatsache ist noch folgende: In den Geschlechtsorganen eines
Thieres, dessen Serum autospermotoxisch ist, erscheinen die Spermatozoen ganz
normal und nicht im geringsten in ihrer Eigenbewegung herabgesetzt. Bringt man
sie aber im Iteagensglase in Berührung mit dem Serum eines intakten Thieres, so
wird ihre Eigenbewegung sofort aufgehoben: ein Beweis dafür, dass sie also bereits
abhängig geworden waren von dem Einflüsse zwar desselben, aber nicht spermo-
toxischen Serums eines intakten Thieres; sie waren, wie wir sehen werden, imprägniert
mit einer gewissen »Iteizauslösbarkeit« (sensibilisatrice), einer Eigenschaft, welche die
Alexine als Angriffspunkt wählen.*)
Das normale Serum**) verdankt seine globulicide Wirkung seinem Alexin: erhitzt
mau es bei 55° eine halbe Stunde lang, so verliert es diese Fähigkeit völlig und
zwar für immer. Das Serum eines geimpften Meerschweinchens besitzt eine sehr
viel höhere hämolytische Kraft, verliert sie aber ebenfalls bei einer Erhitzung von
55—56«; dieser Umstand lässt den Schluss zu, dass diese erhöhte globulicide Kraft
ebenfalls an das Alexin gebunden ist: indess »wenn man zu einer Mischung eines
defibrinierten Kaninchenblutes und eines solchen vorher auf 55° erhitzten Serums
eine bestimmte Menge frischen Serums eines normalen (vorher nicht injizierten) Meer¬
schweinchens oder eines intakten Kaninchens hinzufügt, so treten in dieser Mischung
Zeichen der Zerstörung ihrer Integrität ein. Die Mischung wird nach einigen Minuten
klar und roth. Der Versuch gelingt am besten, wenn man zu einer Mischung von
defibriniertem Blute eines intakten Kaninchens und von erhitztem aktiven Serum
frisches Serum desselben Kaninchens hinzufügt. Die Blutkörperchen dieses Kaninchens
sind nun sensibel gegen das Alexin desselben Kaninchens geworden und zwar unter
dem Einflüsse einer agglomerierenden fremden Substanz, welche dem mit defibriniertem
Blute injizierten Meerschweinchen entstammt« (Bordet). Das Serum des injizierten
Meerschweinchens (Immunserum) würde demnach zwei Substanzen enthalten: 1. das
Alexin **’), welches auch im normalen Serum vorhanden ist und innerhalb einer halben
Stunde bei Erhitzung von 55° verschwindet, 2. eine widerstandsfähigere Substanz,
welche die Blutkörperchen für die cytolytische Wirkung des Alexins sehr empfänglich
macht, eine »Substance sensibilisatrice«f) (Bordet), die ausschliesslich den Sera
der mit Injektion behandelten Thiere eigenthümlich ist.
Alle intakten Sera enthalten das Alexin als eine globulicid und hämolytisch
wirkende Substanz, im allgemeinen aber vermag das Alexin nur dann in einer mehr
oder weniger bemerkenswerthen Stärke auf die Blutkörperchen zu wirken, wenn
*' In alierneuster Zeit wurden auch Toxine gegen das Flimmerepithel der Trachea, sogen.
»Neurotoxine« (van Düngern) dargestellt.
1 ) Camus und Pagnicz haben vor kurzer Zeit (Soc. de Biologie 11)00) nachgewiesen, dass
bestimmte Urire globulicide Wirkung haben.
*•**) Synonym: »complement« nach Ehrlich.
r) Synonym: Zwischeukörper (substance intermediaire) nach Ehrlich und Morgenstern;
nnticorps spccifitpie, lmniiinköipcr. mutiere preventive.
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Die Cytotoxinc. 63
dieselben durch die »Substance sensibilisatrice« empfindlich gemacht worden sind.
Es werden also die Blutkörperchen des Kaninchens unbeeinflusst gelassen durch das
Serum von einem noch nicht behandelten Kaninchen; schwach alteriert durch das
Serum des Meerschweinchens, der Ratte, der Ziege, des Hundes; stark in Mitleiden¬
schaft gezogen, ja zerstört durch dieselben Sera, wenn man die »Substance sensibili-
satrice«, den »Zwischenkörper« hinzufügt. (Dieser wird gewonnen, indem man das
hämotoxische Serum eines mit Kaninchenblut injizierten Meerschweinchens eine halbe
Stunde bei 55° erhitzt.)
Diese Erscheinung lässt sich nun vollkommen mit der bekannten Thatsache
vergleichen, dass die Vibrionen der Cholera »empfindlich gemacht« durch den
>Zwischenkörper« der Cholera (dargestellt durch einhalbstündiges Erhitzen des Serums
einer gegen Cholera immun gemachten Ziege bei 55°) sich im Reagensglase
in rundliche Granulationshäufchen Zusammenschlüssen, wenn man intaktes (selbst¬
verständlich alexinhaltiges) Serum vom Meerschweinchen, Kaninchen, Ratte, Mensch,
Ziege, Hund, Huhn, Taube hinzufügt.
Die Vibrionen und die »empfindlich gemachten« Blutkörperchen können in¬
dessen doch in Mitleidenschaft gezogen werden durch zahlreiche Alexine, welche
ganz verschiedenen intakten Sera entstammen. Doch gilt dies nicht für alle Fälle:
so z. B. werden die Blutkörperchen eines durch den ihm entsprechenden Zwischen¬
körper empfindlich gemachten Huhnes (gewonnen durch Erhitzung 55—56 0 des
mit Hühnerblut behandelten hämolytischen Serums eines Kaninchens) unbeeinflusst
gelassen durch das Alexin des Huhns (frisches Hühnerserum). Es scheint, »dass
in ein empfindlich gemachtes Blutkörperchen nur gewisse Alexine eindringen und
das Blutkörperchen zerstören, während andere wieder völlig wirkungslos bleiben«
(Bordet).
J. Bordet bewies durch einen ebenso einfachen wie geistreichen Versuch »die
Identität des bakteriologischen Alexins und des hämotolytischen Alexins in ein und
demselben Serum«:
Fügt man zu 0,5 ebem intakten Serums (z. B. von Meerschweinchen) 0,5 ebem
einer Emulsion normaler d. h. nicht durch Cholerazwischenkörper empfindlich ge¬
machter Vibrionen, so werden die Vibrionen nicht zerstört; ebenso bleiben, wenn
man zu 0,3 ebem intakten Meerschweinchenserums 0,3 ebem Kaninchenblut hinzu¬
fügt, die Blutkörperchen völlig unverändert. In dem einen wie in dem anderen
Falle bleibt das Alexin des intakten Serums wirkungslos. — Giebt man aber zu der
ersten Mischung Blutkörperchen von hämolytischem Serum, so werden diese sofort
zerstört; setzt man zur zweiten Mischung Vibrionen von erhitztem Choleraserum,
so nehmen dieselben bald Granulationsformen an: dies beweist, dass in der einen
wie in der anderen Älischung das Alexin weder gebunden noch modifiziert,
sondern frei und im Besitze seiner vollen Wirkungsfähigkeit geblieben war.
Wenn man nun eine Mischung aus intaktem Serum, ferner aus empfindlich
gemachten Vibrionen (d. h. hinzugesetzt zu erhitztem Choleraserum) und endlich
ans rothen Blutkörperchen darstellt, so nehmen die Vibrionen Granulationsformen an,
die Blutkörperchen bleiben unverändert; mischen wir andererseits intaktes Serum,
ferner empfindlich gemachte Blutkörperchen (d. h. unter Zusatz von erhitztem hämo¬
lytischen Serum), schliesslich Choleravibrionen, so werden die Blutkörperchen auf¬
gelöst, die Vibrionen bleiben unverändert. Diese Experimente liefern den schlagenden
Beweis, dass das Alexin ganz verwendet wird, um im ersteu Falle die Vibrionen,
im zweiten Falle die Blutkörperchen zu zerstören; hieraus folgt dann aber, dass
ein und dieselbe Substanz oder dass ein und dasselbe Alexin fähig ist, sowohl
bakteriologisch als auch hämolytisch zu wirken.
Die Versuche von Ehrlich und Morgenroth, ferner die von J. Bordet
haben nun gezeigt, dass das Alexin von den empfindlich gemachten rothen Blut¬
körperchen absorbiert wird. Welcher Theil des Blutkörperchens ist aber fähig,
das Alexin auf diese Weise zu binden? J. Bordet gab hierfür folgende Erklärung:
Wenn man zu 3 ebem defibrinierten Kaninchenblutes 15 ebem destillierten
Wassers hinzufügt, so erhält man eine stark rothe, eben noch durchsichtige Flüssigkeit,
in welcher man unter dem Mikroskop die Strömen ganz durchleuchtend, scheinbar
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64
Jules Renault
ganz mit Wasser imbibiert sieht. Durch Centrifugieren gelingt es leicht, die Flüssigkeit
in zwei Schichten zu trennen; zwar zeigen beide eine rothe Färbung, jedoch mit dem
Unterschied, dass die eine, klar und durchsichtig, kein Stroma enthält, während
die andere, sehr trüb, eine grosse Menge des Stromas in Suspension birgt In der
ersten Schicht befindet sich nur das Hämoglobin, in der zweiten Hämoglobin und
die von jenem getrennten Strömen.
Zu gleichen Mengen dieser beiden Flüssigkeiten fügt man identische Quantitäten
des Zwischenkörpers (hämolytisches Serum nach Erhitzung auf 55 °) und des Alexins
(intaktes Meerschweinchenserum); falls das Alexin nicht zu kräftig ist, so wird es
ganz durch die bindungsfähige Substanz absorbiert und verliert so die Fähigkeit,
weiter auf die rothen Blutkörperchen wirken zu können, wenn man es diesen beiden
Mischungen zusetzt. Wenn man der stromahaltigen Mischung stark empfindlich
gemachte Blutkörperchen zufügt, so lösen sich dieselben nicht oder nur sehr langsam
darin auf. Dagegen lösen sie sich sehr schnell in der durchsichtigen Flüssigkeit auf.
Im ersten Falle war also das Alexin durch die Anwesenheit der Strömen absorbiert
worden, während es im zweiten Falle trotz der Gegenwart der Farbsubstanz frei
geblieben war. »Man muss also den Strömen die Fähigkeit zusprechen, das Alexin
in Gegenwart von Zwischen körpern absorbieren zu können.«
Das Stroma ist aber auch derjenige Theil des Blutkörperchens, welcher den
Zwischenkörper bindet. Man fügt zu den frei durch Centrifugieren erhaltenen
rothen Flüssigkeiten eine gewisse Menge hämolytischen Serums nach Erhitzung
auf 55 0 (mit anderen Worten »Zwischenkörper«) zu und trennt dann nach einer
gewissen Zeit durch Centrifugieren die trübe Flüssigkeit von den darin enthaltenen
Strömen. Die auf diese Weise abgesetzte Flüssigkeit sieht genau so aus, wie die
andere, sie hat indess ihren »Zwischenkörper« eingebüsst, während die andere sich
ihn erhalten hat; fügt man nun zur ersten und zweiten rothe Kaninchenblutkörperchen
und das Alexin (intaktes Meerschweinchenserum) hinzu, so bleiben in der ersten
Lösung die Blutkörperchen unverändert, während sie in der zweiten dem Zerfall
unterliegen. Dies ist der Beweis, dass die letztere Mischung allein noch den »Zwischen¬
körper« enthält, welchem das Alexin seine Wirksamkeit verdankt, während die Strömen
der ersteren den »Zwischenkörper« absorbiert hatten. »Die Fähigkeit, die »Zwischen¬
körper« zu absorbieren, kommt also den Strömen zu.«
Endlich kann man noch durch einen dritten Versuch beweisen, dass die
Strömen das Alexin in Gegenwart von »Zwischenkörpern« absorbieren,
während sie es bei Abwesenheit dieses letzteren Bestandtheiles nicht
vermögen. Um diesen Versuch auszuführen, stellt man sich eine dicke Emulsion
von Strömen dar, welcher man eine grosse Menge physiologischer Kochsalzlösung
zufügt. Man centrifugiert, giesst dann die obere, durchsichtige und schwach rosa
gefärbte Flüssigkeit ab. Man wiederholt diese Auswaschung mit physiologischer
Kochsalzlösung so oft, bis diese stromahaltige Flüssigkeit ganz weiss, also vom
Hämoglobin völlig befreit ist. Man theilt dann diese Flüssigkeit in zwei gleiche
Quanten und fügt jeder dieser beiden Flüssigkeitsmengen die gleiche Dosis von Alexin
(intaktes Meerschweinchenserum) zu. In die erstere Mischung giebt man dann
ein wenig von dem »Zwischenkörper« (hämolytisches Serum nach Erhitzung auf 55°);
in die zweite eine gleiche Dosis intaktes Meerschweinchenserum, nachdem es gleicli-
mässig auf 55 0 erwärmt war. Ausserdem kann man durch dieses fortgesetzte Ver¬
fahren konstatieren, dass in der ersten Mischung das Alexin in der Flüssigkeit ver¬
schwand, indem es an die Strömen gebunden wurde; diese Absorption des Alexins
findet. in der zweiten Mischung wegen des Mangels an dem »Zwischenkörper«
nicht statt.
Die Alexine scheinen nicht spezifisch zu sein: während wir sie einerseits
in allen intakten thierischen Sera antreffen, entwickeln sie andererseits ihre toxische
Wirkung auf die Blutkörperchen, die Leukocyten und die Spermatozoen, voraus¬
gesetzt, dass diese Zellelemente vorher »empfindlich gemacht« worden sind. Da¬
gegen zerstört das für das Kaninchen hämolytisch wirkende Meerschweincheuserum
nur die rothen Blutkörperchen des Kaninchens, und auf 55 0 erhitzt (also seines
Alexins beraubt) macht es nur dieselben Blutkörperchen empfindlich. Dies ist,
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Die Cytotoxine.
65
wie wir gesehen haben, bei allen Cytotoxinen der Fall. Sie wirken also nicht
spezifisch durch ihre Alexine, sondern durch ihre Zwischenkörper: Die Immunkörper
(les anticorps) ebenso wie die Agglutinine sind es, welchen spezifische Wirkung
zukommmt.*)
Die Agglutinine und die Immunkörper (les anticorps) sind zwei verschiedene
Stoffe. Was ihre Wirkung auf die Mikroben anbetrifft, so hat Gengon durch Ein¬
spritzung von Milzbrand Vaccine No. 1 bei einem Hunde eine stark agglutinierende
Fähigkeit ohne Bildung von Immunkörpern erzeugt; Deutsch bewies es ebenfalls
durch den völligen Mangel eines Parallelismus zwischen der Formation der Agglutinine
und der Immunkörper bei Thieren, welche mit Typhusserum geimpft waren. Was
die rothen Blutkörperchen anbetrifft, so haben Ehrlich und Morgenroth gezeigt,
dass das Serum von Ziegen, welche mit Hammelblut eingespritzt waren, globulicid
wirkt, aber nicht agglutiniert; Landsteiner wies nach, dass das Serum eines
Kaninchens, welches mit Pferde- oder Hundeblut injiziert war, mehr agglutinierende
als globulicide Wirkung besitzt. Wolf bewies ferner, dass das Serum einer Taube,
welche mit Hübnerblut behandelt ist, agglutiniert, aber nicht globulicid wirkt; und
weiter, dass das Ausbleiben der globuliciden Wirkung abhängt von der Abwesenheit
des Immunkörpers, weil die Globulolyse nicht mehr stattfindet, sobald man Alexin-
haltiges Serum eines normalen Kaninchens zufügt
Wenngleich, nach Wolf, das Serum eines Thieres,' welches mit Thierblut
einer anderen Gattung eingespritzt ist, stets agglutinierend und hämolytisch auf die
Blutkörperchen dieses letzteren wirkt, so sind es doch nicht die nämlichen Bestand-
theile des injizierten Blutes, welche die agglutinierende und hämolytische Wirkung
hervorzurufen im Stande sind: Der Protoplasmamantel des injizierten Blutkörperchens
bewirkt die Agglutination, während der Zellinhalt die Fähigkeit besitzt, den Immun¬
körper zu bilden. Bordet kommt allerdings nicht zu demselben Schluss, trotzdem
er ganz dieselbe Technik verfolgt: Die Strömen des Kaninchenblutkörperchens ent¬
wickeln, nachdem man sie durch sorgfältiges Auswaschen von ihren löslichen Stoffen
befreit und dann einem Meerschweinchen injiziert hat, in drei Wochen ein aktives,
hämolytisches Serum, während die Farbstoffe die hämolytische Kraft des Serums
durchaus nicht verändern.
Alle über die Cytotoxine angestellten Untersuchungen haben bis vor kurzem
noch den Anschein nur rein spekulativer Experimente gehabt; indess ist die Cyto-
toxinfrage in allerjüngster Zeit in ein ganz neues Licht gerückt worden und zwar
durch seine therapeutische Verwendbarkeit, begründet in der verschiedenartigen
Wirkungsweise der Cytotoxine je nach der Höhe der angewendeten Dosen.
Metchnikoff und Besredka 12 ) spritzten einer Ziege 34 cbcm Menschenblut
36 Tage hintereinander ein und erzielten so ein äusserst kräftiges, auf die mensch¬
lichen Blutkörperchen hämolytisch wirkendes Serum (1 Volum Serum löste in 7 Mi¬
nuten alle in 1 Volumen Blut enthaltenen Blutkörperchen auf).
Spritzte man dieses hämolytische Serum Leprakranken in Dosen von 0,5—7 cbcm
ein, so erzeugte es selten eine leichte Fieberbewegung, stets aber eine ausgedehnte
Kongestion um die frischesten Lepraeruptionen, begleitet von einer äusserst reich¬
lichen Absonderung von Eiter, in welchem man ausschliesslich und in grosser Anzahl
Leprabacillen im Innern der Phagocyten fand: die Eiterung ging dann in Schorf¬
bildung über, und nach Abstossung des Schorfes vernarbte die noch Testierende
Ulceration auffallend schnell.
Diese Resultate lassen sich mit den von Carrasguilla und Laverde erzielten
vergleichen, welche Leprakranken 10—20 cbcm eines Serums, genannt »Serum anti-
leprosum«, injizierten; das Präparat wurde dadurch gewonnen, dass man Blut von
Leprakranken oder aus Leprageschwülsten Thieren einimpfte. Metchnikoff und
Besredka glauben, dass ihr Serum und ihre antileprösen Sera auf die Leukocyteu
durch das darin enthaltene Leukotoxin wirken, genau so, wie es, nach den Versuchen
von Besredka, das bei Thieren in kleinen Dosen eingespritzte Leukotoxin thut
*) Siebe die »Revue critiquc« des vorletzten Jahrganges der »Archives gCncrales de rnCdecine».
Dfcembre 1899.
Zeltachr. f. dUtt u. physik. Therapie Bd. V. Heft 1.
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66 Jules Renault, Die Cytotoxine.
Es ist wahrscheinlich, dass die Sera von Carrasguilla und Laverde nicht anti¬
leprös, wenigstens im spezifischen Sinne des Wortes, sind, weil man dieselben Resultate
erhält mit einem Serum von Ziegen, denen man eine Emulsion von Uteruscarcinom-
substanz (Laverde) oder Menschenblut (Metchnikoff und Besredka) injiziert
hatte. Doch ist dies kein Hämotoxin mehr, weil man auch wieder zu denselben
Resultaten kommt mit Serum von einer Ziege, der man blos Menschenblutserum ein¬
gespritzt hatte; auch wissen wir, dass die Einspritzung von thierischem Blutserum
bei einem Thiere anderer Gattung bei diesem letzteren kein Hämotoxin, sondern
lediglich nur Leukotoxin erzeugt.
Metchnikoff und Besredka schliessen hieraus, dass die Injektionen von
cytotoxischem Serum bei den Leprakranken als Anregungsmittel für die phagocytäre
Thätigkeit wirken.
Das Hämotoxin, welches in dem cytotoxischen Serum der Ziege enthalten ist
und mit Menschenblut präpariert wurde, bleibt indessen nicht ohne Wirkung. Es
erzeugt bei Leprakranken dieselbe lebhafte Thätigkeit der Hämotoblasten, dieselbe
Vermehrung der rothen Blutkörperchen und des Hämoglobins, was schon Cantacuzfene
durch Versuche bewiesen hatte, indem er hämotoxisches Kaninchenserum Meerschwein¬
chen einspritzte. — Nach den Versuchen am Institut Pasteur glaubt man auch,
in diesem Serum ein Behandlungsmittel der Anämie erblicken zu dürfen.
Wir können daher« mit vollem Rechte unsere Hoffnungen auf die jüngst ge¬
machten therapeutischen Errungenschaften setzen, soweit sie uns durch die Kenntniss
der Cytotoxine ermöglicht wurden.
Litteratur.
1) Belfanti et Carbone, Giomale della R. Acad. di med. di Torino 1898.
2 ) Bordet, Annales de l'Institut Pasteur 1900.
•>) Bordet, Annales de l’Institut Pasteur 1898.
-*) Cantacuzöne, Annales de l’Institut Pasteur 1900. Juin.
*) Wolf, Annales de l’Institut Pasteur 1900. Mai.
#) Landsteiner, Centralblatt für Bakteriologie 1899.
7) Moxter, Deutsche medicinische Wochenschrift 1900.
8 ) Metchnikoff, Annales de l’Institut Pasteur 1900.
Metalnikoff, Annales de l’Institut Pasteur 1900.
10 ) Delzenne, Acadßmie des Sciences 1900.
u ) Besredka, Annales de l’Institut Pasteur 1900.
'-) Metchnikoff et Besredka, Annales de l’Institut Pasteur 1900.
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M. Lewandowsky, Die Grundlagen der Organotherapie.
67
II.
Die Grundlagen der Organotherapie.
Kritisches Referat
von
Dr. M. Lewandowsky, prakt. Arzt in Berlin.
Der Organotherapie liegt der uralte Gedanke zu Grunde, ein untüchtig gewordenes
Organ durch ein solches gleicher Art von einem anderen Individuum zu ersetzen.
Wird auch der Traum des Arztes, der Wunsch des Patienten, dem kranken Organis¬
mus ein neues Herz, eine gesunde Lunge einzusetzen, nicht in Erfüllung gehen,
so ist doch nicht geringes erreicht, wenn der Chirurg im Stande ist, grosse Haut¬
defekte zu decken, oder an die Stelle zertrümmerter Knochen andere einznpflanzen,
welche nicht als totes Material vorübergehend verwandt, sondern als lebende Organ-
theile übernommen werden. Von dieser Thätigkeit des Chirurgen ist die Organo¬
therapie des inneren Arztes ihrem Wesen nach nicht verschieden. Der Chirurg,
der in der Hauptsache einen mechanischen Ersatz anstrebt, muss die Organtheile in
toto überpflanzen, er muss Organ durch Organ ersetzen. Der innere Arzt will
sich damit begnügen, die zerstörte Organfunktion zu ersetzen, indem er
in biologischem Sinne totes, aber physiologisch wirksames Material in
den Körper, d. h. in den Kreislauf einfuhrt.
Indem die Organotherapie so ihrem Wesen nach Ersatztherapie ist, ist sie damit
zugleich durchaus eine spezifische Therapie. Als solche stellt sie sich der Serum¬
therapie an die Seite. Benutzt die letztere vom pathologischen Organismus fertig¬
gestellte Substanzen, so verwendet die erstere das Material des gesunden, durch
irgend welche fremde Einflüsse unberührten Körpers.
Es ist nur natürlich, dass der Gesichtspunkt der spezifischen Ersatztherapie
von der Praxis bald in weitem Umfange ausser acht gelassen wurde, als man einer¬
seits in den Organsäften (Opotherapie) nicht nur spezifisch, sondern auch allgemein
wirksame Mittel kennen lernte, und man andererseits den Kreis der Organfunktionen,
die ersetzt werden sollten, in unkritischer und oft geradezu phantastischer Weise
erweiterte.
So giebt es denn für eine kritische Betrachtung kaum ein ähnlich dankbares
oder, wenn man will, undankbares Gebiet, als die Grundlagen der sogenannten Organo¬
therapie.
Eine kritische Betrachtung des Gegenstandes kann nur von dem Standpunkt
der spezifischen Ersatztherapie ausgehen, und da ist naturgemäss die erste Frage,
welche Organe es sind, deren Funktion durch die Einführung toten Materials in den
Körper ersetzt werden kann. Auch der der Sache Unkundige wird hier natürlich
antworten: Zunächst die Organe, welche selbst intra vitam die Aufgabe haben, solch
Material in den Kreislauf abzugeben, und so treffen wir denn hier sofort auf den
Begriff (oder das Schlagwort) der inneren Sekretion, thatsächlich die wissenschaft¬
liche Mutter der Organotherapie, mögen auch die Chinesen schon seit tausenden von
Jahren eine wilde Organotherapie treiben. Die Organotherapie ist uralt, dass sie Er¬
folge erzielt, verdankt sie der wissenschaftlichen Betrachtungsweise, und in diesem
Sinne die Organotherapie begründet zu haben, ist ein Verdienst, das Brown-
Sdquard nicht streitig gemacht werden kann, wenn er auch im einzelnen durch
seinen Enthusiasmus fast überall zu Irrthümern geführt wurde.
Verstehen wir unter innerer Sekretion ganz allgemein die Abgabe irgend
welcher Stoffe in den Kreislauf, d. h. das Blut oder die Lymphe, so sehen wir sofort,
dass es kein Organ geben wird, welches eine solche innere Sekretion nicht besitzt.
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68
H. Lewandowsky
In diesem allgemeinen Sinne würde innere Sekretion nur den einen Theil des Stoff-
wechselvorganges bezeichnen, der ja gleichbedeutend mit dem Leben selber ist.
Andererseits ist es in der That ausserordentlich schwer eine engere Definition zu
geben. Worauf sollte sie sich stützen? Etwa darauf, dass diese in den Kreislauf
übergehenden Substanzen im Körper vor ihrer Ausscheidung noch irgend welche
Wirkungen entfalten. Ja wer sagt uns, dass nicht alle Organprodukte — man
denke z. B. an die spezifischen Bestandtheile des Gehirns, die auf dem Umweg der
Cerebrospinalflüssigkeit die allgemeine Cirkulation erreichen — eine Funktion im
Körper zu erfüllen haben, die aber in der Mannigfaltigkeit des Organismus zu be¬
grenzen vielleicht nie möglich sein wird. Wissen wir doch, dass ein ganz allgemeines
Produkt aller Organe, die Kohlensäure, für das Leben geradezu unentbehrlich ist,
indem sie den wichtigsten Reiz für fast alle Organe darstellt, den Reiz, der durch
die Feinheit seiner Abstufung vor allen andern die Thätigkeit der Organe reguliert
und die Harmonie des Gesammtorganismus sichert. Weder die Spezifizität, noch die
Bedeutung jener Stoffe kann als principium divisionis genügen.
Am ehesten kann uns noch die Anatomie hier weiter helfen, welche schon seit
langer Zeit die in Betracht kommenden Organe als Blutgefässdrüsen zusammenfasst,
freilich alle Organe mit unbekannter Funktion in diese Gruppe einreihend. Das Wort
deutet jedenfalls auf die Thatsache hin, dass es epitheliale Organe sind, welche man
im allgemeinen als Träger der inneren Sekretion betrachtet. Dagegen nimmt das
Wort »Drüse« wieder die Funktion der Sekretion voraus, und so sehr wir die
heuristische Fruchtbarkeit dieses Begriffs anerkennen, so sehr müssen wir betonen,
dass eine wirkliche Sekretion nur in wenigen Fällen mit Sicherheit nachgewiesen ist.
Anatomisch festgestellt ist nur eine ausserordentlich enge Beziehung
der Gefässe zu den Epithelien in diesen Organen. Diese Beziehung giebt
die Grundlage für eine Deutung der Funktion, welche der inneren Sekretion geradezu
entgegengesetzt ist, nämlich die Entgiftungstheorie. Nimmt die letztere doch in
ihrer strengen Fassung an, dass nicht Produkte der Zellen in den Kreislauf, sondern
umgekehrt im Kreislauf befindliche Stoffe in die Zellen gelangen, um dort unschäd¬
lich gemacht zu werden, dadurch, dass sie entweder in kleinere Moleküle gespalten
oder zu grösseren durch Bindung zusammengefügt werden. Man sieht sofort, dass
eine solche Entgiftung auch im Kreislauf durch von den Organen gelieferte Sub¬
stanzen möglich ist, dass es also eine Brücke giebt zwischen innerer Se¬
kretion und Entgiftung.
Die Möglichkeit einer Ersatztherapie ist also auch im Falle der Entgiftungs¬
funktion gegeben. Auch dann, wenn sie normaler Weise an die lebende Zelle ge¬
bunden sein sollte, könnte die tote Organsubstanz im Kreisläufe eintreten. In jedem
Falle aber ist es ein besonderes Glück für die Therapie, wenn die Funktion des
Organs nicht an die lebende Zelle gebunden ist. Es dürfen also aus therapeutischen
Misserfolgen bei Anwendung von Organsäften keine Schlüsse auf die Funktion des
Organs selbst gezogen werden. Die Unvollkommenheit der Methode der Organsaft¬
therapie würde vermieden werden können durch die Implantation ganzer Organe.
Leider scheint dieselbe nur bei der Schilddrüse möglich zu sein (Schiff, Bircher,
v. Eiseisberg), wo wir sie für den Menschen entbehren können. Zartere Gewebe,
wie das der Nebennieren, gehen dabei zu Grunde, ein Vorgang, der von Poll ge¬
nauer verfolgt ist. Dass auch vorschnelle Versuche am Menschen zu kläglichen Er¬
gebnissen geführt haben, ist um so mehr zu bedauern, als wir sehen werden, dass
die Organsafttherapie uns hier fast im Stich lässt.
Die Nebennieren, mit denen wir unsere spezielle Betrachtung beginnen, sind
der Typus der Blutgefässdrüsen. Epithelien und Kapillaren, das sind die beiden
in ihren Beziehungen zu einander charakteristischen Gewebsbestandtheile. Ein Flach¬
schnitt durch die Rinde der Nebenniere sieht aus wie ein dichtes Sieb, in dem die
quergetroffenen Kapillaren die Löcher bilden, das Zwischengewebe tritt ganz in den
Hintergrund, so dass also die denkbar günstigsten Bedingungen für den Austausch
von Stoffen zwischen Epithel und Kreislauf gegeben sind. Auch die Markssubstanz
der Nebenniere ist, wie neuerdings von Aichel nachgewiesen wurde, epithelialen
Ursprungs, sie steht in keiner genetischen Beziehung zum Nervensystem, bezw. zum
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Die Grundlagen der Organotherapie. 60
Sympatbicus. Echtes Nervengewebe, Nervenfasern und vereinzelte Nervenzellen
kommen vor, sind jedoch im histologischen Bilde, wie auch wohl physiologisch
durchaus nebensächlich. Die Annahme, dass die Nebennieren nervöse Organe
seien, ist unhaltbar geworden.
Hat die Nebenniere eine innere Sekretion? In der That ist sie viel¬
leicht das einzige Organ, von dem wir diese Frage mit Sicherheit bejahen können,
die Entscheidung über diese Grundfrage ist nämlich keineswegs so leicht. Es genügt
nicht, irgend welche Organsäfte irgend einem Thier in den Blutkreislauf zu bringen
und dann irgend eine Funktion des Organismus zu beobachten, etwa eine Blutdruck¬
kurve zu zeichnen. Auf diese Weise kann man einiges finden, sehr viel schreiben,
alles erklären, aber nichts beweisen. Wohin würden wir kommen mit der Annahme,
dass alle die Stoffe, welche wir aus dem toten Organ ausziehen oder auspressen können,
nun auch in wirksamer Menge in die Cirkulation übergehen? Um diese weitverbreitete
und thatsächlich vielfach ausgesprochene Meinung ad absurdum zu führen, genügt
die Beobachtung Blumenthals, dass die Organpresssäfte, welche unter sehr hohem
Druck gewonnen werden, schon in recht geringer Menge eine letale Wirkung ent¬
falten können.
Eine innere Sekretion ist mit Sicherheit nur dann bewiesen, wenn der wirk¬
same Stoff oder seine spezifische Wirkung im Venenblut oder in der Lymphe des
fraglichen Organs nachgewiesen ist, mit grosser Wahrscheinlichkeit, wenn die Ein¬
führung von Organsaft den Erscheinungen, welche die Exstirpation des Organs macht,
entgegenwirkt. Der Nachweis von Ausfallserscheinungen allein kann in fast allen
Fällen ebenso auf den Fortfall einer Entgiftung wie einer inneren Sekretion bezogen
werden. Garnichts aber beweist, um es noch einmal zu wiederholen,
die alleinige Wirkung der Injektion von Organsäften.
Für die Nebennieren ist nun in der That der Uebergang einer spezifisch
wirkenden Substanz in das Venenblut erwiesen. Der Marktheil der Nebenniere ent¬
hält eine eigenthümliche blutdrucksteigernde Substanz (Oliver und Schäfer,
Seymonowicz und Cybu 1 ski). Der Angriffspunkt dieser Substanz liegt peripher
und ist wahrscheinlich das Protoplasma der Muskeln selbst. Das lässt sich schliessen
nach Analogie der Wirkung auf die glatten Muskeln des Auges (Ref.). Auch
für die glatten Muskeln der Haut ist vom Ref. eine erregende Wirkung
des Nebennierensaftes nachgewiesen. Diese Substanz, welche von v. Fürth
als Dihydrooxypyridin angesprochen wird, geht nun in der That in das Blut über.
Cybulski hat nachgewiesen, Dreyer u. a. haben bestätigt, dass das Nebennieren¬
venenblut in genügender Quantität die spezifische Wirkung des Saftes der Neben¬
niere besitzt
Der Wirkung des Nebennierensaftes auf den Blutdruck geht parallel eine solche
auf das Herz, dessen Schläge verstärkt werden. Wie Gottlieb u. a. festgestellt
haben, ist diese Wirkung bedingt durch eine Beeinflussung des Herzens selbst, wenn¬
gleich es selbstverständlich ist, dass bei darniederliegender Cirkulation eine so
enorme Erhöhung des Blutdruckes, wie sie Injektion von Nebennierensaft macht,
einen günstigen Einfluss auf das Herz haben muss.
Ist nun mit der Feststellung dieser Thatsachen dasltäthsel der Nebenniere gelöst?
Genügt der Ausfall einer blutdrucksteigernden Substanz, um das Symp-
tomenbild der Addison’schen Krankheit zu begründen? Denn dass die
Addison’sche Krankheit aus dem Ausfall der Nebennierenfunktion folgt, ist eine durch
hundertfache klinische Erfahrung so sicher gestellte Thatsache, dass ihre Hauptsymp¬
tome einen vollen Platz in jedem physiologischen Lehrbuch verdienten. Zu diesen
Symptomen gehört auch die Pigmentierung der Haut, wenngleich sie vielleicht nur
sekundär durch die Kachexie bedingt ist, und auch, aber nie in so typischer Weise bei
Erkrankungen anderer Organe (Pankreas, Schilddrüse) vorkommt. Es ist ein unbilliges
Verlangen, das ganze Symptomenbild einer Krankheit bis in alle Details im Experi¬
ment wiederherstellen zu können, um sie in ihrer Pathogenese anzuerkennen. Das
Experiment ist hier gleichsam nur die Probe auf das Exempel. Das Exempel
wird nicht dadurch falsch, dass die Ausführung der Probe erschwert oder unmöglich ist.
Im allgemeinen hat ja auch das Experiment erwiesen, dass die Nebennieren
lebensnothwendige Organe sind; ihre vollständige Entfernung wird nur für Tage
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70 M. Lewandowsky
vertragen. Kaninchen können überleben,“wenn zwischen die Exstirpation des einen
und des anderen Organs längere Zeit gelegt wird (Hultgren und Andersson);
diese Bedingung weist mit Sicherheit darauf hin, dass hier die allmähliche Ent¬
wickelung einer vicariierenden Funktion erfolgt. Dieselbe Erklärung ist auch
auf die extrem seltenen Fälle anzuwenden, in welchen auch Hunde die doppelseitige
Exstirpation vertragen (Pal). Als Träger dieser vicariierenden Funktion dürften
jene Nebennierenanlagen in Betracht kommen, welche in der Nähe der Geschlechts¬
organe nach neueren Befunden regelmässig bestehen, beim weiblichen Individuum
im ligamentum latum neuerdings von Aichel als March an d’sche Nebenniere
bezeichnet.
Wenn also die vollständige Entfernung der Nebenniere mit dem Leben nicht
verträglich ist, so ist doch der Ausfall der blutdrucksteigernden Substanz nicht
im Stande, weder beim Thier noch beim Menschen, die Symptome irgendwie zu erklären.
Sowohl im Thierversuch wie auch bei der Addison’schen Krankheit stehen die Er¬
scheinungen von Seiten des Cirkulationsapparates durchaus im Hintergrund und
in Abhängigkeit von der allgemeinen Kachexie. Ref. ist sogar der Meinung,
dass der fragliche Stoff überhaupt nicht in einer so erheblichen Menge
ausgeschieden wird, um auf den Blutdruck erhöhend wirken zu können.
Camus und Langlois haben sich dieser Anschauung angeschlossen. Es ist
dieser Gesichtspunkt um so mehr zu berücksichtigen, als neuerdings Moore und
Pur in ton nachgewiesen haben, dass kleinste Mengen von Nebennierensaft
eine Blutdrucksenkung bewirken. Ref. ist der Ansicht, dass die eigentliche Aufgabe
dieses Stoffes noch durchaus unbekannt ist. Von Bedeutung ist wohl, dass dieser Stoff
chemisch ausserordentlich reaktionsfähig ist, und dass verhältnissmässig enorme Mengen
davon vom Organismus in wenigen Minuten zerstört, bezw. so umgewandelt werden,
dass die blutdrucksteigernde Wirkung vernichtet wird.
Ob diese chemische Reaktionsfähigkeit etwa einer Entgiftung dient oder
dienen kann, ist nicht sicher. Nahe gelegt wird ein solcher Gedanke besonders
durch die pathologischen Veränderungen, welche eine Reihe bakterieller Gifte,
besonders das der Diphtherie in den Nebennieren hervorruft.
Die durch den Ausfall der Nebennierenfunktion bewirkten mächtigen
allgemeinen Störungen spotten aber vorläufig jeder näheren Erklärung.
Was die besonders ins Auge fallende motorische Schwäche anlangt, so hatten
Abelous und Langlois die Theorie zu begründen versucht, dass die Muskelarbeit
zur Bildung curareartig wirkender Stoffe führt, welche von der Nebenniere neu¬
tralisiert würden. Dementsprechend sollten Frösche nach Nebennierenexstirpation
unter den Erscheinungen einer Curarevergiftung sterben. Ref. kann auf Grund
eigener Versuche nur sagen, dass Frösche, deren Nebennieren zerstört sind, zwar
langsam zu Grunde gehen, aber dabei keine spezifischen Erscheinungen zeigen.
Auch Gourfein hat solche bestritten. Die Injektion von Nebennierensaft beim
Säugethier hat zwar einen gewissen Einfluss auf die Kurve der Muskelzuckung
(Oliver und Schäfer), indem die Erschlaffung des Muskels längere Zeit beansprucht
als normal; diese Wirkung ist jedoch in keiner Weise als einer Curarewirkung
entgegengesetzt zu bezeichnen.
Die blutdrucksteigernde Substanz stammt übrigens allein aus dem Mark
der Nebenniere. Ueber die Rolle der Rinde wissen wir noch gar nichts.
Ja, wir wissen noch nicht einmal, ob das Mark oder die Rinde die Lebensnothwendigkeit
des Organs bedingt. Schon daraus folgt, dass es nicht angeht, von der blutdruck¬
steigernden Substanz als »der wirksamen Substanz der Nebenniere« zu sprechen.
Es ist am besten, wenn wir uns eingestehen, dass wir über die Physiologie
der Nebenniere nichts weiter wissen, als dass sie für den Bestand des Lebens noth-
wendig ist, und dass die hier nicht näher zu erörternden Symptome der doppel¬
seitigen Nebennierenexstirpation bezw. der Addison’schen Krankheit (Adynamie u.s.w.)
wesentlich durch eine mehr'weniger schnell fortschreitende Kachexie bedingt sind.
Wie diese im einzelnen zu Stande kommt, ist heut zu Tage unmöglich zu erklären
und führt nur zu nutzlosen und den weiteren wissenschaftlichen Fortschritt hindern¬
den Hypothesen.
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Die Grundlagen der Organotherapie,
71
Nun könnte es uns ja gleichgiltig sein, wie die Pathogenese der Addison’schen
Krankheit sich im einzelnen gestaltet, sind wir doch sicher, dass sie als Ganzes
durch den Ausfall der Nebennierenfunktion bedingt ist, und erscheint also theoretisch
die Möglichkeit gegeben, diesen Ausfall durch Einführung der Nebennierensubstanz
in den Körper zu ersetzen. Demgegenüber steht die praktisch festgestellte Thatsache,
dass die Erfolge dieser Therapie bisher höchst zweifelhafte gewesen sind. Dauernde
Erfolge sind wohl überhaupt nicht erzielt worden. Dagegen scheint dem Ref. die
Durchsicht der Litteratur doch zu ergeben, dass in einer Reihe von Fällen die Ver¬
abreichung von Nebennierensubstanz bei zweifelloser Addison’scher Krankheit
die Symptome der Adynamie und vor allem auch der Pigmentation zeitweilig günstig
beeinflusst hat. Wie gesagt, erscheint trotzdem der Addisonkranke auch heute noch
unrettbar dem Tode verfallen. Trotzdem giebt man in Deutschland wohl fast all¬
gemein in solchen Fällen Nebennierenpräparate, meistens Tabletten, um sein Gewissen
durch die Anwendung einer »rationellen, kausalen« Therapie zu beruhigen.
Im Experiment scheint die subcutane Injektion von Nebennierenextrakt bei doppel¬
seitig operierten Thieren gleichfalls einen gewissen vorübergehenden Erfolg zu haben,
wie besonders aus den genauen Angaben von Hultgren und Andersson hervorgeht.
Die prämortale Temperaturerniedrigung konnte ausgeglichen werden, das Allgemein¬
befinden besserte sich. Trotzdem konnte das Leben nicht erhalten werden, da die
Wirkung bei öfterer Wiederholung der Injektion völlig versagte.
Der Misserfolg der Nebennierentherapie wird uns nicht mehr Wunder
nehmen. Der Erfolg einer Organotherapie ist eben keineswegs ein logisches Postulat,
als welches wir ihn oft hingestellt finden; man kann eben nicht immer die Funktion
lebender Zellen durch totes Material ersetzen. Aber selbst, wenn wir diesen Gesichts¬
punkt einmal zurückstellen, so ist es auch nicht dasselbe, ob wir die wirksamen Bestand-
theile in den Magendarmkanal einführen oder ob dieselben aus dem Organ selbst #
unmittelbar in den Blutkreislauf gelangen. Eine grosse Reihe differenter Stoffe *
wird ja durch die Verdauungssäfte angegriffen. Auch die subcutane Injektion ist
noch nicht dasselbe wie eine innere Sekretion ins Blut; denn mit der ersteren
bringen wir ja die Substanz nur in die Lymphspalten, d. h. in das Gewebe, und
gerade von dem wirksamen Bestandtheile der Nebenniere wissen wir, dass er im
Gewebe ausserordentlich schnell verändert wird.
Ob man demgegenüber mit intravenöser Injektion des Nebennierenextrakts
(auf welche auch Neusser hinweist) weiterkommen könnte, dürfte auch sehr zweifel¬
haft erscheinen, da die in grossen Zeitintervallen erfolgende Zuführung (vielleicht!)
wirksamer Substanz einer dauernden Sekretion nicht gleichwerthig zu sein braucht.
Auch ist es zweifelhaft, ob nicht die ganz enorme und nicht zu dosierende Blutdruck¬
steigerung bei intravenöser Injektion gefährliche und das Leben selbst bedrohende
Folgen haben kann, wenngleich das Ref. bei Thieren in vielfachen Versuchen nie
beobachtet hat.
Auf einen Punkt aber möchte Ref. noch besonders hinweisen, dass nämlich
die Verwendung von künstlichen Präparaten und Tabletten, mögen sie auch noch
so schonend hergestellt worden sein, doch vielleicht die Verwendung der frischen
Drüsen nicht ersetzen kann. Es handelt sich bei den wirksamen Stoffen der frag¬
lichen Organe ja sicherlich um sehr labile Substanzen. Es ist z. B. festgestellt,
dass Extrakte aus Nebennierentabletten gar keine blutdrucksteigernde Wirkung mehr
zu haben brauchen, eine Wirkung, die doch dem Saft der frischen Drüse in unglaublich
kleinen Quantitäten zukommt. Ref. möchte hier hervorheben, dass der für den Erfolg
der Nebennierentherapie heweisendste Fall von Schillings (Münch, med. Wochenschr.
1897. No. 7) mit Fütterung von Nebennieren frischgeschlachteter Thiere behandelt
worden ist. Es handelt sich um einen Fall, in dem durch die von autoritativer Seite
gemachte Sektion später an Stelle der Nebennieren nur Narben, bezw. käsige Herde
gefunden wurden; in diesem Fall war, nach dem alle andere Behandlungsmethoden
lange Zeit vergeblich gewesen waren, durch Fütterung mit frischen Nebennieren
ein Schwinden der Pigmentierung und Arbeitsfähigkeit des vorher fast dekrepiden
Patienten erreicht worden. Schon auf Grund dieses einen Falles würden wir
dringend dazu rathen, gerade bei Addison’scher Krankheit sich nicht
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M. Lewandowsky
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auf die'Tabletten zu verlassen, sondern die frischen Organe in Anwendung
zu bringen. Ein zeitweiliger Erfolg ist schliesslich besser wie gar keiner.
Wir haben nun noch davon zu sprechen, inwieweit die Nebennierensubstanz
als allgemeines therapeutisches Agens unabhängig von Erkrankung der Neben¬
nieren verwerthbar ist. Die wirksame Substanz des Marks ist ja von einer
enormen allgemeinen Wirkung, indem sie in den minimalsten Mengen
den Blutdruck zu Höhen emportreiben kann, die anders schlechterdings
garnicht zu erreichen sind. Die praktische Verwendung dieser Eigenschaft findet
aber nun an zwei Seiten eine Grenze: Die Blutdruckerhöhung tritt erstens nur ein
bei intravenöser Injektion und dauert dann zweitens nur einige (durchschnittlich
3—5 Minuten), nachdem sie schon in 1 — 2 Minuten ihr Maximum erreicht hat.
Soweit der Ref. sehen kann, ist diese intravenöse Injektion von Nebennierensaft
therapeutisch zur Hebung des Blutdrucks und der Herzkraft noch nicht planmässig
verwendet worden, und doch müsste sie in Fällen, wo es darauf ankommt, den
plötzlich gesunkenen Blutdruck zu heben, von grossem Werthe sein. Ref. denkt also
an Fälle von plötzlichem, bedrohlichem Shok, vor allem aber an den primären
Herzstillstand im Anfang der Chloroformnarkose. Er stellt sich vor, dass
durch die Wirkung einer oder einiger intravenöser Injektionen die für den Erfolg
entscheidende Wirkung der künstlichen Athmung auf die Cirkulation erheblich ge¬
fördert oder erst ermöglicht werden würde. Vielleicht sieht sich der eine oder
andere Chirurg veranlasst, zugeschmolzene Glasröhrchen mit sterilem
Nebennierensaft in seinem Operationsraum zum Gebrauch fertig unter¬
zubringen. Bedingung für einen Erfolg ist aber jedenfalls intravenöse Injektion.
Da der Angriffspunkt der blutdrucksteigernden Substanz peripher liegt, so er¬
klärt es sich, dass die lokale Applikation des Nebennierensaftes eine mächtige
vasoconstrictorische bezw. anämisierende Wirkung entfaltet. Am bekanntesten ist
hier die von den Augenärzten benutzte Anämie der Konjunctivalgefässe bei In¬
stillation in den Bindehautsack (Darier) Eine Wirkung auf die Pupille tritt
dabei nicht ein im Gegensatz zur intravenösen Injektion, weil die Substanz schon
auf dem Wege durch die Häute des Auges zerstört wird (Ref.). Auch an anderen
Schleimhäuten ist die anämisierende Wirkung des Nebennierenextraktes verwerthet
worden. In der rhinologischen und laryngologischen Praxis hat man sie zu therapeu¬
tischen und diagnostischen Zwecken herangezogen (Lermitte, Mosse). Auch zur
Bekämpfung von Darmblutungen und zu ähnlichen Zwecken ist sie verwendet worden.
Man wird in solchen und ähnlichen Fällen von dem Nebennierensaft unbedenklich
Gebrauch machen können, da er wenigstens nichts schadet.
Wenn wir einige mehr weniger phantastische Vorschläge wie z. B. das Glaucom
mit intravenöser Injektion zu behandeln (es ist zu bedenken, dass die Wirkung
3—4 Minuten dauert) absehen, so seien hier noch die Versuche genannt (Huchard,
Pantanetti), durch Behandlung mit Nebennierenextrakt die Muskelkraft bei Neu¬
rasthenie und ähnlichen Krankheiten zu erhöhen. Angesichts der positiven Ergeb¬
nisse, welche mit dem Testicularsaft erzielt worden sind, worauf wir unten zurück¬
kommen werden, thut man wohl gut, bei aller Skepsis doch die Möglichkeit eines
thatsächlichen Erfolges im Auge zu behalten.
Auf den Eiweissstoffwechsel sollen Nebennierenpräparate keinen Einfluss be¬
sitzen. Stoelzner hat die Nebennierenfütterung mit grossem Erfolge bei rachitischen
Kindern angewandt, diese Erfolge sind allerdings bereits von anderer Seite kategorisch
bestritten (Neter).
Die Nebennieren erschienen uns besonders geeignet, um einige Grundfragen der
Lehre von der Organotherapie zu behandeln. lieber eine Reihe anderer, ähnlich ge¬
bauter Organe können wir kurz hinweggehen.
Da sind zunächst die NebenschiIddrftsen, nicht zu verwechseln mit den
accessorischen Schilddrüsen, welch letztere man in der Gegend der Trachea bis her¬
unter zur Aorta finden kann, und die unter Umständen für die erkankte Schilddrüse
eintreten können. Im Unterschied zu ihnen sind die Nebenschilddrüsen (Epithel¬
körperchen. Ko hn) Organe von konstanter Lage und zwar giebt es auf jeder Seite
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Die Grundlagen der Organotherapie. 73
zwei. 1 ) Die eine liegt in der Schilddrüse selbst, die andere meist etwas über ihr.
Sie bestehen, wie die Nebenniere, aus Epithel und Blutgefässen. Was ihre Funktion
betrifft, so glaubte Gley, dass sie die der Schilddrüse unterstützen und nötigenfalls
ersetzen könnte; indessen sind diese Angaben von Blumenreich und Jacoby be¬
stritten. Zu therapeutischen Zwecken sind die Nebenschilddrüsen natürlich auch schon
verwandt worden.
Auch von der Thymus, welche ursprünglich ein epitheliales Organ ist und
erst nach der Geburt allmählich eine Umwandlung in adenoides Gewebe erfährt,
wissen wir nichts. Ob sie im embryonalen Organismus eine Funktion hat, ist
ungewiss. An dieser Stelle möchten wir bemerken, dass uns überhaupt die Lehre
von dem Vorhandensein besonderer embryonaler Funktionen höchst un¬
wahrscheinlich ist. Wir glauben vielmehr, dass ausser dem Kreislauf der mütter¬
liche Organismus alle Funktionen des kindlichen versieht. Wenn auch die Organe
des Fötus theihveise thätig sein mögen, wie z. B. die Nieren, so geschieht das doch
mehr als Probe, gewissermaassen zur Uebung. Nothwendig scheinen diese Funktionen
nicht zu sein, was besonders aus der Betrachtung der Missbildungen hervorgeht.
Was nun diese Thymustherapie betrifft, so hat Stoppato bei Pädatrophie
durch Fütterung Hebung des Allgemeinzustandes erzielen wollen. Auffallend sind
die Resultate, welche Mikulicz bei Kropf mit Thymusfütterung erreicht hat.
Auch das Pankreas kann hier in Kürze behandelt werden, weil seine Funktion
in einer grösseren Reihe von zusammenfassenden Berichten (vergl. bes. Minkowski
in Lnbarsch-Osterstag’s Ergebnissen Bd. I) und Sammelwerken (vergl. Naunyn
und Oser in Nothnagel’s Handbuch) fast durchweg, wenigstens in Deutschland, mit
besonderer Kritik und Zurückhaltung behandelt worden ist. Was die klassischen
Experimente von v. Mering und Minkowski mit Sicherheit bewiesen haben, ist, dass
die Totalexstirpation des Pankreas Diabetes in seiner schweren Form zur unabwend¬
baren Folge hat. Wie diese Störung des Kohlehydratstoffwechsels im einzelnen zu
Stande kommt, ist unsicher. Insbesondere mehren sich die Stimmen gegen das
glykolytische Ferment Lgpine’s. Die Abwiegung der verschiedenen Möglichkeiten
ist besonders in den Arbeiten Minkowski’s genauer nachzusehen. Bemerkenswerth
ist es jedenfalls, dass das Pankreas das einzige Organ mit sogenannter innerer Se¬
kretion ist, das in den Pfortaderkreislauf eingeschaltet ist. Sein Blut wird also
unmittelbar der Leber zugeführt, so dass der Gedanke wenigstens nahe liegt, dass
zunächst eine Beeinflussung dieses Organs durch das Pankreas statt habe.
Im übrigen bedarf es einer Rechtfertigung, wenn wir das Pankreas an dieser
Stelle behandeln und es nicht unter die Organe mit innerer und äusserer Sekretion
versetzen. Es ist nämlich nicht das ganze Pankreas, welches der »inneren Sekretion«
dient, sondern es sind nur die sogenannten Langerhans’schen Inseln, in das eigent¬
liche Drüsengewebe eingesprengte Inseln vom typischen Bau der Blutgefässdrüsen. Der
schlüssige Beweis hierfür ergiebt sich erstens aus der Thatsache, dass nach Unter¬
bindung des Pankreasausführungsganges der ganze secernierende Theil des Organs zu
Grunde geht, diese Inseln aber vollständig intakt bleiben (Schultze), zweitens aus
der schon früher gemachten Beobachtung, dass nach derselben Operation ein Diabetes
nicht eintritt (Pawlow u. a.). Dann sind aber eben nur noch die Langerhans’schen
Inseln vorhanden.
Therapeutisch sind Pankreaspräparate natürlich verwandt worden, ein Einfluss
auf die Zuckerausscheidung ist dabei nach dem fast übereinstimmenden Urtheil der
Autoren nicht erzielt worden. Die möglichen Gründe für ein solches Versagen der
Organtherapie haben wir in dem Abschnitt über die Nebennieren genügsam erörtert.
Wir kommen jetzt zu zwei Organen, die wir als modifizierte Blutgefäss*
drfisen bezeichnen möchten, nämlich Hypophysis und Thyroidea. Das histologische
Bild verändert sich nämlich hier durch die Bildung von Follikeln. Die Epithelien
liegen nicht mehr in geschlossenen Reihen oder Gruppen zusammen, sondern sie
bilden Bläschen mit einem Hohlraum in der Mitte, so dass hier in der That von
') Dazu kommen noch ebensoviel Läppchen adenoiden Gewebes: Thymusläppchen der
Schilddrüsen.
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74 M. Le wandowaky
einer Drüsenähnlichkeit gesprochen werden kann und der Ausdruck »Drüse ohne
Ausführungsgang« nahe gelegt wird.
Die Hypophyse zwar besteht nicht in der ganzen Masse ihres drüsigen Theils
— von dem sogenannten nervösen, vielmehr bindegewebigen, ist hier natürlich über¬
haupt nicht die Rede — aus Follikeln. Wir haben Drüsen jugendlicher und auch
erwachsener Thiere in Serienschnitte zerlegt, ohne einen einzigen Follikel zu finden.
Die Hauptmasse der Drüse besteht beim Thier ganz regelmässig aus einem Gewebe,
das durch Reihen von Epithelien an oft enorm weiten Kapillaren charakterisiert, sich
z. B. von dem der Nebenniere in der Anordnung nicht unterscheidet. Auch beim
Menschen wird die höchste Entwicklung der Follikel erst im Alter erreicht, so dass
die Vermuthung gerechtfertigt ist, welche auch durch hier nicht näher zu erörternde
Details des histologischen Bildes gestützt wird, dass die Follikelbildung in der
Hypophyse ein Zeichen der abnehmenden Funktion ist. Auch die Kolloidbildung in
den Follikeln kann also nicht wesentlich sein. Entschieden bestreiten müssen wir
die Angabe von Pisenti und Viola, dass das Kolloid, sei es aus den Zellen oder
Follikeln, in die Blutgefässe des Organs gelangt. Es handelt sich hier zweifellos
um eine Täuschung durch postmortale Hyalinbildung aus dem Blute selbst
Die Physiologie ist der Aufgabe gegenüber, die Funktion der Hypophyse zu
bestimmen, ohnmächtig geblieben, denn eine Funktion wird das Organ wohl schliess¬
lich besitzen, wenn auch klinische Beobachtung über Zerstörung des Organs durch
Geschwülste, z. B. der Dura, und die Experimente von Friedmann und Maas
gezeigt haben, dass dieselbe beim erwachsenen Thier für das Leben nicht noth-
wendig ist.
v. Cyon suchte die Aufgabe der Hypophysis in einer Beeinflussung des Cirku-
lationsapparates; insbesondere sollte die Erregbarkeit des Herzvaguscentrums von der
Integrität der Hypophyse abhängig sein. Wir brauchen uns mit dieser Theorie nicht
zu beschäftigen, da die Cyon’schen Experimente von Biedl und Reiner bestritten
und widerlegt worden sind.
Bei der Anwendung von Hypöphysissubstanz ist nur eins bemerkens-
werth, das ist die Wirkung auf den Stoffwechsel. Sie äussert sich in derselben
Richtung, wie die der Schilddrüsenpräparate, d. h. in einer Vermehrung der Stick¬
stoffausscheidung, bezw. des Eiweisszerfalls, und besonders noch in einer Steigerung
der Phosphorsäureausscheidung (A. Schiff). Wir können nach eigenen Thierversuchen
bestätigen, dass die Wirkung der Fütterung mit Hypophysispräparaten auf die Er¬
nährung eine sehr ausgesprochene ist. Es schien uns sogar, dass die Wirkung von
Hypophysistabletten (Bourroughs, Wellcome & Co.) in gleicher Menge die der Thyroidea-
tabletten derselben Fabrik überträfe. Es wäre wohl möglich — eine Vermuthung, die
oft ausgesprochen ist —, dass die Hypophysis die Schilddrüse in ihrer Funktion unter¬
stützt und eventuell ersetzen kann. Die anatomischen Veränderungen, welche in der
Hypophyse nach Exstirpation der Schilddrüse auftreten (Rogowitsch u. a.), genügen
zur Begründung dieser Theorie noch nicht. Dagegen wäre es interessant zu erfahren,
ob nicht beim Myxödem durch Ilypophysispräparate Erfolge erzielt werden könnten,
wir halten das sogar für sehr möglich.
Nun hat man eine Erkrankung der Hypophyse in ursächliche Beziehung zu
der Entstehung der Akromegalie gebracht. Es finden sich bei dieser Krankheit
Geschwülste der Hypophyse, welche von Ben da als im wesentlichen hyperplastische
charakterisiert worden sind. Da die Zerstörung der Hypophyse, wie bemerkt, keine
Folgen nach sich zieht, so erschien es nicht ganz ausgeschlossen, dass hier vielleicht
eine gesteigerte Funktion des Organs vorliege. Referent hat, einem solchen Gedanken¬
gang folgend, Versuche angestellt in der Richtung, ob sich durch Fütterung mit
Hypophysensubstanz Veränderungen des Knochensystems erzielen Hessen. 1 ) Bei er¬
wachsenen Thieren war das nicht der Fall, bei wachsenden Thieren zeigte sich zwei¬
mal zwar ein Einfluss, aber gerade in entgegengesetztem Sinne. Es trat nämlich
i) Diese Experimente mit Hilfe eines Stipendiums der Gräfin Bose-Stiftung in der speziell-
physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin ausgeführt, sind wegen ihres
negativen Resultats nicht ausführlich publiziert worden.
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Die Grundlagen der Organotherapie. 75
eine Rachitis ein, das eine Mal höchsten Grades, zu einer Hemmung des Wachs¬
thums und des Körpergewichts um fast ein Drittel führend, gemessen an dem Ver¬
halten eines aus dem gleichen Wurfe stammenden Kontrollthieres, das vollständig
gesund blieb. Diese Experimente würden also nur zur Theorie der Rachitis heran¬
gezogen werden können und bilden eine Bestätigung der Anschauung, dass eine solche
durch eine grosse Reihe toxischer Einflüsse hervorgerufen werden kann. Durch
Fütterung massiger Mengen von Thyroideapräparaten Hess sich übrigens nur eine vor¬
übergehende Hemmung der Gewichtszunahme erzielen.
Wir halten die Möglichkeit aufrecht, dass die Vergrösserung der Hypophyse
bei Akromegalie eine den übrigen Wucherungserscheinungen koordinierte, nicht super¬
ordinierte ist
Bei Akromegalie hat man weder mit Hypophysispräparaten noch mit sonst
etwas zu nützen Vermocht.
Nunmehr zur Schilddrüse. Die Schilddrüse ist histologisch charakterisiert
durch ihre Follikel, wenn auch sowohl zwischen den Follikeln, wie besonders an
der Peripherie des Organs (Wölfler) sich solide Zellstränge und Zellgruppen finden.
Aber auch die Follikelepithelien geben ihre intimen Beziehungen zu den Kapillaren
nicht auf, wie jeder weiss, der einmal im injizierten Präparat den Kranz von Kapillaren
um die Follikel gesehen hat. Auch die Lymphgefässe zeigen in der Schilddrüse be¬
sonders bei manchen Thierarten (Katze) und jugendlichen Individuen eine mächtige
Entwicklung. Wie breite Kanäle sieht man sie oft das Parenchym durchschneiden.
Weit verbreitet ist die Meinung, das Kolloid stelle das Sekret der Schilddrüse
dar, welches die Funktion des Organs auf den Organismus vermittele. Es würde in
die Follikel abgeschieden, gelange aus den Follikeln in die Lymphräume und so in
die Cirkulation. Der Bedeutung des Kolloids hat der Ref. eine eingehende Unter¬
suchung gewidmet 1 )- Kolloid ist ein physikalischer Begriff, anders in keiner Weise,
weder chemisch noch histologisch bezw. färberisch zu definieren, charakterisiert nur
durch seine homogene Beschaffenheit und erhebliches Lichtbrechungsvermögen. Das
Kolloid wird nicht als solches in den Follikelhohlraum secerniert, sondern entsteht
dort erst durch Eindickung des eigentlichen wässrigen und nur wenig eiweissreichen
Sekretes. Einen ähnlichen Standpunkt hat schon Virchow vertreten. Das fertige
Kolloid kann nicht aus dem Follikel heraus, dagegen ist es möglich, aber histologisch
nicht zu entscheiden, dass die wässrige eiweissarme Vorstufe des Kolloids einen Weg
zwischen den Epithelien hindurch findet; immerhin wäre das ein merkwürdiger
Umweg. Es ist uns wahrscheinlich, dass, wenn in der That von der Schilddrüse
Stoffe in den Kreislauf abgegeben werden, sie auch direkt in das Blut — bezw.
Lymphgefässsystem — übergehen. Ob das Kolloid, das sich zweifellos nicht zu selten
in den Lymphgefässen der Schilddrüse findet, chemisch mit dem Follikelkolloid
identisch ist, ist nicht zu entscheiden. Man kann aber ganze Reihen von Drüsen
untersuchen, ohne eine Spur von Kolloid in den Lymphgefässen zu finden. Grade
bei Katzen, die rettungslos nach Schilddrüsenexstirpation zu Grunde gehen, haben
wir es nie in den Lymphräumen gesehen. Der Uebergang von Kolloid, einer nur
durch physikalische Eigenschaften zu charakterisierenden Substanz, kann also nicht
für die Funktion des Organs wesentlich sein; vielleicht und bis zu einem ge¬
wissen Grade wahrscheinlich ist das aber eine Vorstufe des Kolloids,
welche darum histologisch nicht zu fassen ist, weil sie sich in schwacher wässriger
Lösung ebenso wenig wie andere Eiweisskörper im Blut und der Lymphe mikroskopisch
differenzieren lässt. Die Follikelbildung der Schilddrüse jedenfalls scheint nur eine
phylogenetische Reminiscenz an eine wirkliche Drüsenzeit zu sein, jetzt nur geeignet,
die Funktion der Schilddrüse als echter Blutgefässdrüse zu verschleiern.
Kann die Histologie die Frage nach der Funktion bezw. der inneren Sekretion
der Schilddrüse nicht entscheiden, so tobt auch im Lager der Physiologie der Kampf,
der unter der Flagge »hie innere Sekretion, hie Entgiftung« geführt wird.
Zunächst unabhängig von dieser Fragestellung ist die Lehre von den thatsäch-
!) Noch nicht publiziert (ausgeffihrt in «Irr mikroskopisch-biologischen Abtheilung des physio¬
logischen Institutes zu Berlin).
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7fi M. Lewandowsky
liehen Folgen der Schilddrüsenexstirpation beim Menschen und beim Thier. Man
hat hier die Frage der »Lebenswichtigkeit« in den Vordergrund geschoben, nach unserer
Ansicht mit Unrecht; denn sie muss verschwinden angesichts der Thatsache, dass der
Mensch und eine grosse Reihe von Thierarten nach Entfernung oder pathologischer
Zerstörung der Schilddrüse unter schweren Symptomen regelmässig erkrankt. Wenn
irgendwo, so ist es in der Lehre von der Schilddrüse die Erfahrung am
Menschen, am Krankenbett gewesen, welche auch die physiologische
Krkenntniss geleitet und bestimmt hat. Wer sich hier allein auf Erfahrungen
am Thier stützen wollte, würde die experimentelle Physiologie der allgemeinen Medicin
als Spezialwissenschaft gegenüberstellen müssen. Es ist z. B. ein heftiger Streit
zwischen Horsley und Munk darüber geführt worden, ob der Affe nach Exstirpation
der Schilddrüse Myxödem bekommt oder nicht; wir sind der Meinung, dass die
Resultate der englischen Autoren an einer grösseren Reihe von Thieren nicht ange-
zweifelt werden dürfen, obwohl bei dem einen nach Deutschland geschickten Thier
die Schwellung durch einen schlechten Zahn bedingt war. Aber selbst wenn der
Affe nach Schilddrüsenexstirpation kein Myxödem bekommen sollte, so möchten wir
einen bekannten drastischen Ausspruch Kussmaul’s gegenüber einem Theoretiker,
der die abführende Wirkung des Ricinusöls auf Grund von Thierversuchen leugnete,
variieren: Es ist gleichgültig, ob der Affe Myxödem bekommt, der Mensch thuts.
Es ist im Rahmen des dem Ref. zugemessenen Raumes nicht möglich, auf das
vielgestaltige Bild des Myxödems, der Kachexia und Tetania thyreopriva einzugehen;
das musste aber betont werden, dass Erfahrungen am Thier niemals exakte und in
grosser Zahl gemachte Beobachtungen am Menschen widerlegen können.
Thatsächlich ist übrigens die Differenz garnicht so gross und wird überbrückt
durch die Verschiedenheit der Symptome nach der verschiedenen Thier-
species. Horsley fasst die diesbezüglichen Ergebnisse dahin zusammen, dass Vögel
und Nager keine Kachexie bekommen, Wiederkäuer und Einhufer eine langsame,
der Mensch und der Affe einer mässigen aber sicheren Kachexie verfallen und Fleisch¬
fresser immer zu Grunde gehen. Nun wissen wir einerseits, dass auch Nager nach
Schilddrüsenexstirpation zu Grunde gehen können, andrerseits von Fleischfressern
wenigstens Hunde die Operation überleben können; es ist allgemein bekannt, dass
H. Munk auf diese letztere Feststellung hin die Lehre von der inneren Sekretion
der Schilddrüse überhaupt leugnete, alle nach der Exstirpation auftretende Erschei¬
nungen vielmehr auf Nervenverletzung bezog. Diese letztere Auffassung hat H. Munk
nicht aufrecht erhalten und sich auf die isolierte Position der »Lebenswichtigkeitc
zurückgezogen. Der Behauptung dieser Position gegenüber kann v. Eiseisberg
jedoch, soweit wir sehen können, den Ausgang des Kampfes nicht mehr ändern, der
dahin entschieden ist, dass die Schilddrüse ein für das Leben wichtiges Organ ist,
das Wort »lebenswichtig« im Sinne H. Munk’s müsste durch »lebensnothwendig«
ersetzt werden.
Zu den individuellen Bedingungen, welche Hunde vor den letalen Folgen
der Schilddrüsenexstirpation bewahren können, gehört das Alter. Auch beim Menschen
findet man ja oft in höherem Alter die Schilddrüse in weitem Umfange verkalkt und
ersichtlich nur in ganz geringem Maasse noch funktionierend.
Eine fernere individuelle Schonung des Versuchsthieres ermöglicht die Milch¬
nahrung, wie das bereits unter H. Munk’s Leitung Breisacher festgestellt und
Blum bestätigt hat. Nur findet der letztere die Extraktivstoffe des Fleisches un¬
schuldig; er hat durch konsequente Milchernährung fast 50 °/ 0 der Versuchshunde
durchbringen können, während ihm das bei Fleischnahrung nur in 4 % möglich war.
Er stellt weiter fest, dass die wenigen Hunde, welche Fleischnahrung vertrugen, auch
Milchnahrung tolerierten, dass aber die Immunität gegen Milchnahrung noch nicht
gegen Fleischnahrung immun macht.
Hier haben wir nun die Immunität, also auch die Vergiftung und Entgif¬
tung. Blum ist heute der Hauptvertreter der strengen Entgiftungstheorie für die
Schilddrüse. Er ist nicht ihr Erfinder, wie er selbst zugiebt, aber er behauptet,
sie bewiesen zu haben, und zwar so sicher, dass er z. B. von auszumerzenden »Ueber-
bleibseln der Lehre von der inneren Sekretion«, von »Phantasien« u. s. w. spricht.
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Die Grandlagen der Organotherapie. 77
Die Schilddrüse soll Gifte besonders für das Centralnervensystem abfangen, fesseln
und so unschädlich machen. Einem ruhigen und logischen Urtheil kann es nicht
entgehen, dass Blum einen Beweis gegen die innere Sekretion in keiner Weise er¬
bracht hat
Was zunächst die Veränderung im Centralnervensystem angeht, so sehen wir
ja unmittelbar an dem Symptom der Tetanie, dass das Nervensystem eine schwere
Störung erfahren hat. Woher diese Störung kommt, ob durch den Ausfall einer noth-
wendigen Substanz oder durch eine wirkliche Vergiftung ist ebensowenig aus dem
anatomischen wie aus dem physiologischen Befund zu schliessen. Für das That-
sächliche aber ist der physiologische Beweis dem anatomischen weit vorzuziehen;
denn — ganz abgesehen davon, dass Veränderungen des Centralnervensystems wieder-
holentlich vor Blum beschrieben waren — so ist doch wohl allmählich die Zeit vor¬
über, wo man aus den durch das NissEsche Verfahren ermittelten Zellveränderungen
bei Thieren, die einer schweren Krankheit erliegen, überhaupt irgend welche Schlüsse
zog. Dieser Beweis war sicherlich nicht »lang entbehrt«.
Dagegen sind die berichteten Resultate Blum’s über die Resultate der Milch¬
ernährung sicherlich bemerkenswerth. Wenn nun aber Blum daraufhin schon von
Immunisierung spricht, so grenzt das fast an reine Hypothese. Es könnte ja ein
anderes Organ (Hypophyse) im Stande sein, allmählich die Schilddrüse zu ersetzen.
Das Protokoll eines Versuches mit dem Serum dieser »immunen« Thiere reicht doch
wohl nicht aus, um eine Schutzkraft desselben zu beweisen. Blum muss wohl be-
weisendere Versuche unveröffentlicht gelassen haben.
Die Versuche von Breisacher, insbesondere in der erweiterten Form von Blum,
beweisen, dass es Stoffe giebt, welche beim der Schilddrüsen beraubten Thiere eine
ihnen normalerweise nicht zukommende Giftigkeit erlangen. Ob das darum der Fall
ist, weil ein Sekret der Schilddrüse fehlt, welches die Widerstandsfähigkeit des
Körpers bezw. des Nervensystems erhöht, oder ob etwaige Gifte durch die Schild¬
drüse oder ihre Produkte unschädlich gemacht, d. h. angegriffen werden, das ist, so¬
weit wir sehen, durch diese Versuche nicht entschieden. Man mag es aber mit Blum
für wahrscheinlich halten, dass eine wirkliche Entgiftung stattfindet, so wird man
doch seine weitere Behauptung, dass diese Entgiftung in der Drüse selbst statt¬
findet, in keiner Weise für begründet halten können. Blum hebt gerade das immer
mit der grössten Bestimmtheit hervor, dass die Schilddrüse kein Sekret liefere, auch
keins, das eine entgiftende Funktion habe. Vielmehr solle die Schilddrüse selbst
die giftigen Substanzen aus dem Kreislauf aufgreifen und fesseln.
Und die Beweise? Zunächst sei es Blum zugegeben, dass die Histologie die
Frage nicht entscheidet, aber doch weder nach der einen noch nach der anderen
Seite. Das Hauptargument Blum’s ist die Wirkungslosigkeit der Schilddrüsen¬
therapie. Wir werden darauf gleich zurückkommen. Auch wenn wir sie ihm zu¬
geben wollen, wäre damit für die Funktion des Organs garnichts bewiesen, wie wir
das in den früheren Abschnitten dieses Referates genügend betont haben. Dass end¬
lich das Thyreotoxalbumin Blum’s im Reagensglas entgiftet werden kann, beweist
doch für die Vorgänge im lebenden Organ garnichts. Alle Organsäfte sind giftig;
muss denn durchaus das Schilddrüseneiweiss entgiftet werden? Vielleicht bildet es
gerade, in kleinen Mengen ausgeschieden, den wirksamen Bestandtheil der Drüse in
dem einen oder anderen Sinne. Wir wollen das garnicht behaupten, aber es muss
dagegen Einspruch erhoben werden, dass Blum eben einfach voraussetzt, dass es im
Körper ebenso gehen muss, wie im Reagensglase, indem er gleich fortfährt: »In
welchem Umfange diese Unschädlichmachung von Giftstoff durch die Jodierung sich
vollzieht, ist schwer zu sagen«. Ob sie sich überhaupt in einem nur irgendwie
nennenswerthen Umfange vollzieht, das ist die Frage.
Mit ebensogrosser Bestimmtheit, wie Blum die seine, bringt v. Cyon seine
Theorie der Schilddrüsenwirkung vor; sie bringt ein postuliertes Sekret der Schild¬
drüse in einen Zusammenhang mit der Funktion der Kreislauforgane, d. h. des
Herzens und der Gefasse. Er stützt sich dabei ausschliesslich auf die Ergebnisse
intravenöser Injektion von Thyrojodin und konstruiert einen Gegensatz in der Wir¬
kung dieser organischen und der anorganischen Jodalkaliverbindungen. Die Ergeb-
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M. Lewandowaky
7g
nisse Cyon’s mögen allgemein pharmakodynamisch sehr interessant sein, für die
physiologische Funktion der Schilddrüse beweisen sie nichts. Es geht eben nicht
an, aus den Folgen der Injektion von Organsäften irgendwelche Schlüsse zu ziehen,
wenn nicht die Ausfallserscheinungen nach Entfernung des Organs damit in Parallele
stehen. Diese letztere behandelt v. Cyon aber nur ganz nebenbei, und mindestens
kann man sagen, dass auch nach Ausfall der Schilddrüse die Erscheinungeu von
Seiten des Cirkulationsapparates im Hintergründe stehen. Bei seinen Injektions¬
versuchen benutzt nun aber v. Cyon so enorme Mengen von Jodothyrin, dass hier
von einer Beziehung zum physiologischen Geschehen nicht mehr die Rede sein kann.
Es ist ein entschiedenes Verdienst von Blum, darauf hingewiesen zu haben, dass
die Rolle des Jods in der Schilddrüse sehr überschätzt worden ist In
der Schilddrüse saugender Thiere findet sich gewöhnlich kein Jod, und doch hat
J. R. Ewald noch vor der Entdeckung des Jods in der Schilddrüse gezeigt, dass
auch solche Thiere der Exstirpation der Schilddrüse erliegen, dieselbe also bei ihnen
die gleiche Bedeutung besitzt, wie bei ausgewachsenen. Blum hat nicht die Spur
von Jod im Blut oder in der Lymphe nachweisen können, und jede Theorie,
welche sich auf die Ausscheidung erheblicher Mengen einer jodhaltigen
Substanz stützt, ist damit von vornherein widerlegt
Die vorstehende Auseinandersetzung wird vielleicht dem Leser dieses Referats
übermässig lang erschienen sein, aber sie betrifft eben die Grundlagen der ganzen
Lehre und die wissenschaftlichen Gesichtspunkte, nach denen die hier gewonnenen
Thatsachen beurtheilt werden müssen.
Ziehen wir das Facit, so halten wir einerseits nach dem histo¬
logischen Befunde eine innere Sekretion der Schilddrüse nicht für un¬
wahrscheinlich; möglich ist, dass die Funktion eines Sekretes in der
Entgiftung irgend welcher Stoffe bestände: unbewiesen ist die Behaup¬
tung, dass die Schilddrüse Gifte aus dem Kreisläufe aufnähme.
Von der Schilddrüsentherapie sagt Buschan (Eulenburg’s Realencyklo-
pädie, Artikel Organsafttherapie), dass selten in therapeutischen Dingen eine so
grosse Uebereinstimmung herrsche, wie gerade hier. In der That bildet die Schild¬
drüsentherapie beim Myxödem der Erwachsenen, wie auch bei dem infantilen Myx¬
ödem den Eckstein der ganzen Organotherapie. Wer jemals einen solchen Erfolg
gesehen hat, wird an der Wirksamkeit und an der spezifischen Wirksamkeit der
Schilddrüsentherapie nicht mehr zweifeln. Ein ganz anderer Mensch wird durch
diese Therapie geschaffen, und es giebt vielleicht keinen anderen therapeutischen
Erfolg, der auch dem Laien so klar demonstrieren könnte, dass auch die viel¬
geschmähte innere Mediein noch etwas erreichen kann.
Schon die grobe Beobachtung eines solchen Erfolges ist exakt genug,
um die Möglichkeit und die Thatsache einer spezifischen Ersatztherapie
zu beweisen.
Aber auch der zahlenmässige Beweis für die Möglichkeit einer spezifischen
Ersatztherapie ist zuerst für die Schilddrüse, und zwar durch Messung des Gaswechsels
erbracht worden. Magnus-Levy hat bei myxödematösen Kranken eine so enorme
Steigerung des Gaswechsels durch Schilddrüsenfütterung erzielt, wie sie bei Gesunden
auch nicht im entferntesten zu beobachten war. Ja Andersson und Bergman
haben den Einfluss von Schilddrüsenfütterung auf den Gaswechsel des Gesunden
überhaupt geleugnet.
Wir haben nicht nöthig, das Bild der spezifischen Therapie bei Myxödem noch
weiter zu zeichnen. Sie ist eben schon in das allgemeine ärztliche Bewusstsein
übergegangen. Daran kann auch die Erfolglosigkeit der Schilddrüsen¬
therapie bei der Tetanie der Thiere nach Schilddrüsenexstirpation
nichts ändern. Es ist beim Menschen eben gewöhnlich ein anderes mehr chro¬
nisches Krankheitsbild, das sich nach Ausschaltung der Schilddrüsenfunktion ent¬
wickelt. Vielleicht wäre auch die seltene operative Tetanie des Menschen nicht
durch Schilddrüsentabletten zu heilen, und vielleicht wären mehr chronische Er¬
krankungen geeigneter Thierspecies doch günstig zu beeinflussen.
Ist über die spezifische Wirksamkeit der Schilddrüsentherapie kein Zweifel, so
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Die Grundlagen der Organotherapie. 79
ist auch kein anderes Mittel der Organotherapie so vielfach zu allgemeinen the¬
rapeutischen Zwecken benutzt worden. Besonders populär ist ja die Behandlung
der Fettsucht mit Schilddrüsentabletten geworden, aber es dürfte keine Krankheit
und kein Krandheitssymptom geben, das man nicht so zu heilen versucht hätte. Die
gewissenhafte, allerdings unkritische Aufzählung möge man bei Buschan in Eulen-
burg’s Realencyklopädie nachlesen. Dass die Thyroideapräparate auch auf den
gesunden bezw. nicht spezifisch schilddrüsenkranken Organismus einen mächtigen
Einfluss haben, insbesondere den Eiweisszerfall im Körper vermehren, ist ja bekannt.
Die Wirkung im ganzen gleicht einer leichten Vergiftung, und so ist denn auch die
Darreichung von Schilddrüsensubstanz auch in kleinen Dosen nur mit Vorsicht zu
üben. Die Erklärung der verschiedenen nicht spezifischen Erfolge der Schild¬
drüsentherapie hat man wohl mit Recht in dieser »Aufrüttelung des Stoff¬
wechsels« gesucht.
Welche chemische Substanz die wirksame der Schilddrüse ist, ist zweifel¬
haft. Immer wieder tauchen hier neue Arbeiten und Behauptungen auf. Ins¬
besondere ist es fraglich, in welcher Beziehung das Jod zu diesem wirksamen Stoff
steht. Die meisten der durch Schilddrüsenfütterung zu erzielenden Wirkungen kann
man wohl auch durch das Jodothyrin oder andere jodhaltige Präparate erreichen.
Wir wiesen aber schon darauf hin, dass die Rolle des Jods hier wohl überhaupt
überschätzt würde.
Wir kommen nunmehr zu der Gruppe derjenigen Organe, welche sowohl
eine innere als eine äussere Sekretion besitzen. Der Typus dieser Gruppe ist die
Leber. Einem stillschweigenden Uebereinkommen gemäss wird die Leber beim Kapitel
der eigentlichen inneren Sekretion nicht berücksichtigt, obwohl sie das wichtigste Organ
in der ganzen Reihe ist, und wir über ihre Funktion am genauesten unterrichtet
sind, auch genau wissen, dass sie nach verschiedenen Richtungen sowohl die Funktion
der inneren Sekretion, wie die der Entgiftung besitzt. Vielleicht liegt das daran,
dass wir über die Leber zu genau unterrichtet sind, und man dem Gebiete der
inneren Sekretion gern einen mysteriösen Anstrich erhalten will. Das Kapitel wäre
zu umfangreich, als dass wir hier nicht gern dem erwähnten stillschweigenden Ueber¬
einkommen folgen wollten. Dass man therapeutisch mit Darreichung von Leber¬
substanz viele Versuche gemacht hat, ist selbstverständlich. Dass man keine Resultate
erzielt hat, liegt wohl daran, dass gerade bei der Leber die Funktion der lebenden
Zelle von entscheidender Bedeutung ist.
Als zweites Organ dieser Gruppe erwähnen wir hier die Niere. Der Referent
hat schon an anderer Stelle auch auf Grund eigener Versuche jede innere Sekretion
der Niere bestritten (Zeitschrift für klinische Medicin Bd. 37. Heft 5/6). Nicht einer
der seit Brown-Sdqua rd zu Gunsten der inneren Sekretion der Niere vorgebrachten
Gründe ist stichhaltig, alle Thatsachen erklären sich durchaus durch die äussere
Sekretion, welche die Autoren manchmal geradezu zu vergessen scheinen. Die
angeblichen Erfolge mit Nierenextrakt und Nierenvenenblut bei entnierten Thieren
schwinden schon bei genauerer Betrachtung der fraglichen Arbeiten, so dass eine
ausführliche Widerlegung, wie sie neuerdings von Chatin und Guinard geliefert
worden ist — den Verfassern war das Resultat ihrer Untersuchung allerdings sehr
überraschend —, kaum nöthig erscheinen möchte. Auch die Erfolge der Nieren¬
darreichung bei Nierenkrankheiten müssen sieh bei näherem Zusehen auch dem wenig
skeptischen Beurtheiler als Autosuggestion der Autoren erweisen. Dass die Niere
ausser der Aufgabe der Harnproduktion noch andere chemische Funktionen hat,
ist ja seit langem bekannt — wir erinnern nur an die Paarung, z. B. des Glykokolls
und der Benzoesäure zur Hippursäure —, aber das hat mit der inneren Sekretion
nichts zu thun.
Auch von den Speicheldrüsen hat man eine innere Sekretion behauptet; weil
man nach ihrer Exstirpation Glykosurie hatte auftreten sehen. Man hatte darin eine
Analogie mit dem Pankreas sehen wollen. Schon Minkowski hat diese Glykosurie
als durch den Akt der Operation selbst bedingt angesehen, und in der That fällt ja
auch die Analogie mit dem Pankreas fort, da wir weiter oben sahen, dass die
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80 M. Lewandowsky
eigentliche Bauchspeicheldrüse mit dem Diabetes nichts zu thun hat, vielmehr die
Langerhans’schen Inseln die Träger der inneren Sekretion sind.
Wir kommen nunmehr zu dem vielumstrittenen Kapitel der Geschlechtsdrüsen.
Was den anatomischen Ort solcher Funktion betrifft, so ist es uns nicht ganz sicher,
ob er mit dem der »äusseren Sekretion«: sich deckt. Es müssten inbesondere die
sogenannten interstitiellen Zellen des Hodens hier in Betracht gezogen werden,
die durch ihren Gehalt an einer fettähnlichen Substanz eine auffällige Aehnlichkeit mit
den Bindenzellen der Nebenniere aufweisen.
Die Entfernung der Geschlechtsorgane hat ja schwere Veränderungen im Körper
zur Folge. Ob diese Veränderungen nun alle dem Ausfall einer »inneren Sekretion«
oder einer »Entgiftung« zuzuschreiben sind, ist allerdings nicht zu entscheiden.
Thatsachen wie die, dass bei weiblichen Cerviden die Kastration zu einer Geweih¬
bildung Veranlassung giebt (Rörig), spotten vorläufig jeder Erklärung.
Ganz regelmässig treten deutliche Folgen der Kastration auf bei jugendlichen
Individuen, sie bestehen zunächst in dem Verlust der sogenannten sekundären Ge¬
schlechtscharaktere, der ja beim Manne am deutlichsten hervortritt. Ob sich der
Körperbau des männlichen Individuums dem ausgesprochen weiblichen oder einem
indifferenten nach der Kastration nähert, mag hier unerörtert bleiben. Jedenfalls
ist ein Einfluss unverkennbar. Ausser dem Haarwuchs, der männlichen Stimme, bei
Thieren der Kamm- und Geweihbildung u. a. gehört zu den sekundären Geschlechts¬
charakteren auch die Entwickelung der accessorischen Geschlechtsdrüsen, insbesondere
der Frostata.
Die Folgen der Kastration für das jugendliche noch nicht geschlechtsreife Weib
sind natürlich weniger genau bekannt, man ist hier auf die Fälle von Aplasie der
Genitalien oder von Oophoritis nach Infektionskrankheiten angewiesen. Auch hier
zeigte sich das Fehlen der Entwickelung der sekundären Geschlechtscharaktere. Dazu
kommt noch eine auch bei Thieren häufig beobachtete Neigung zum Fettansatz.
Dass die sekundären Geschlechtscharaktere in der That durch die
innere, jedenfalls nicht die äussere Sekretion der Genitalien bestimmt
werden, zeigt die Beobachtung Hanau’s, dass zur Erhaltung der sekundären Ge¬
schlechtscharaktere bei Hähnen die Zurücklassung kleiner Reste von Hodensubstanz
genügt, dass dagegen Kamm und Bartlappen prompt erblassen, wenn durch Rekastration
auch der Rest der Geschlechtsdrüsen weggenommen wird. In derselben Richtung
deutet die Bemerkung Pflüger’s, dass die Schlächter im Stande sind, schon an
dem Geruch des Fleisches festzustellen, ob bei der Kastration auch geringe Theile
des Hodens zurückgeblieben waren.
An therapeutischen oder experimentellen Erfahrungen über die Dar¬
reichung von Geschlechtsdrüsen bei jugendlichen, noch nicht geschlechtsreifen Indi¬
viduen, insbesondere über den Einfluss auf die sekundären Gescblechtscharaktere bei
kastrierten Thieren scheint es vollständig zu mangeln.
Ob beim Erwachsenen die Folgen der Kastration durch die Darreichung von
Geschlechtsdrüsensubstanz ausgeglichen werden können, würde zunächst davon ab-
hängen, ob die Kastration beim Erwachsenen überhaupt Folgen im Sinne des Ausfalls
einer inneren Sekretion hat. Für den Mann sind solche Folgen erst neuerdings von
Rieger wieder vollständig bestritten worden. Er beobachtete einen gesunden Bauern¬
burschen, dem durch einen merkwürdigen Unfall beide Hoden abgequetscht waren,
ohne dass der Penis dabei verletzt worden war, und der diesen Unfall mit so grosser
Fassung trug, dass ihm eine Unfallrente nur deswegen zugebilligt werden konnte,
weil er in die Unmöglichkeit versetzt war zu heirathen und so seine Lebenshaltung
zu einer günstigeren zu gestalten. Rieger verweist ferner auf die drei berühmten
Kastraten der Weltgeschichte: Narses, Origenes, Ab41ard. Nun das waren eben
Uebermenschen. Allerdings aber spricht viel dafür, dass die Gemüthsstörungen nach
Kastration rein psychisch, nicht somatisch bedingt sind, also auch durch somatische
Behandlung nicht beeinflusst werden könnten.
Die rein somatischen Störungen andererseits nach Kastration des erwachsenen
Thieres sind sicherlich sehr gering, wenn überhaupt vorhanden. Es ist ja bekannt,
dass im Rennbetriebe Wallache eine ausgedehnte Verwendung, besonders über Minder-
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I >ii‘ Grundlagen der Organotherapie.
81
nisse finden und sich ihren früheren Geschlechtsgenossen vollständig ebenbürtig zeigen.
Dass Wallache nicht öfter sogenannte grosse Zuchtrennen gewinnen, liegt nur daran,
dass die meisten solcher Rennen nur für Hengste und Stuten offen sind.
Kastrationen an weiblichen Thieren, an Kühen, sind früher in Frankreich ge¬
macht worden, um die Milch zu verbessern. Weitere Folgen hat man nicht davon
gesehen.
Die Heilung der Osteomalacie durch Entfernung der gesunden Ovarien (Fehling)
hat eine Erklärung noch nicht gefunden.
Die Folgen der Kastration beim erwachsenen Weibe hat der Gynäkologe heut
häufig Gelegenheit zu beobachten. Um die schwankenden, schlecht zu definierenden
Störungen des Allgemeinzustandes so Operierter hat man natürlich auch die Organo¬
therapie herangezogen, und die Folge der Kastration durch Fütterung mit Ovarial-
substanz auszugleichen versucht (Mainzer, Mond u. a.). Die Erfolge sind unsicher,
wie die Erscheinungen der Kastration selbst. Wohl etwas ungünstiger noch sind die
Resultate der Ovarialfütterung im Klimakterium, und jedenfalls scheint es wohl
besser, diese beiden Zustände: physiologisches Klimakterium und Kastration im
geschlechtstüchtigen Alter scharf auseinander zu halten.
Zur Deutung des nach Kastration häufig auftretenden, erheblichen Fettansatzes
haben Loewy und Richter Gaswechselversuche an kastrierten Thieren angestellt.
Sie fanden, dass der Gaswechsel, der Verbrauch an Sauerstoff pro Kilo Körpergewicht
nach Kastration sinkt, weiter aber — und das ist für unser Thema besonders wichtig —
dass diese Verminderung des Gaswechsels durch Fütterung mit Ovarialsubstanz und
nur durch solche wieder aufgehoben werden kann. Die Möglichkeit einer spe¬
zifischen Ersatztherapic auch auf dem Gebiete der Geschlechtsdrüsen
erscheint also in der That begründet.
Aber diese spezifische Therapie im strengen Sinne des Wortes tritt zurück
hinter der allgemeinen Therapie, welche man mit dem Safte der Geschlechts¬
drüsen geübt hat, und so kommen wir dann zum Schluss auf den historischen Anfang
der ganzen Lehre, zu der Brown-Sequard’schen Hodensafttherapie. Ursprünglich
wohl von dem Gedanken eingegeben, durch die Altersverminderung der Geschlechts¬
funktion, wenn auch mittelbar hervorgerufene Störungen zu beeinflussen, artete sie
noch unter Brown-Söqnard’s Händen selbst zu einer Alienveitstherapie aus, die
bei keiner Krankheit im Stich Hess. Gegen Phthise, gegen Carcinom, gegen Tabes
u. s. w. u. s. w. war der Hodensaft ein unfehlbares Heilmittel. So etwas musste
natürlich abschreckend wirken. Auch wer die berühmte Krankheitsgeschichte
Brown-Sequard’s selber liest, kann kaum im Zweifel sein, dass es sich um
einen hochgradigen Neurastheniker handelt, der unter dem Einfluss einer mächtigen
Autosuggestion geheilt wurde. Diese Autosuggestion war unserer Meinung nach
nicht das Bewusstsein, Hodensaft im Leibe zu haben, sondern die felsenfeste
Ueberzeugung, ein Allheilmittel, eine Art Stein der Weisen gefunden zu haben.
Diese Ueberzeugung wird niemand nach ihm mehr haben, und darum werden auch
alle Erfolge hinter diesem ersten Zurückbleiben.
Ob man andererseits Recht daran tliut, die Brown-Sequard’sche Therapie
nun ganz zu ignorieren, mag zweifelhaft sein; immerhin sind eine nicht unerhebliche
Anzahl von auffallenden Erfolgen damit erzielt worden. Vielleicht mag es zuin grossen
Theil auch hier Suggestionswirkung sein, aber warum sollte man nicht auch hier, wie
so oft anderswo, von einer solchen Gebrauch machen. Wir glauben auch nicht, dass
diese Suggestion durch Einspritzen von Wasser unter der Vorspiegelung, es wäre
1 lodensaft, ersetzt werden kann. Denn auf das Wasser setzt der Arzt auch nicht
die Spur von Hoffnung, die Wirkung der mystischen Hodensaftinjektion erwartet er
aber selbst bei allem Unglauben doch mit Spannung, und dieser Unterschied im
Verhalten des Arztes wird den in solchen Dingen immer feinfühligen Kranken,
sei es nach der einen oder anderen Seite, intiuenzieren.
Im übrigen hat nun auch die exakte Forschung ergeben, dass den Hodensaft¬
injektionen doch vielleicht auch objektive Wirkungen zukommen. Wenigstens wüssten
wir nichts gegen die Versuche von Zoth und l'regl einzuwenden, welche durch
ergographische und durch Hantelversuche gezeigt haben, dass die Kräftigung des
Zeitsclir. i. diUt. u physik. Therapie ild. V. lieft 1
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<"*- Kleinere Mittheilungen.
Körpers bezw. der Muskeln durch Uebung, mit Hülfe von Injektionen von Hodensaft
befördert werden kann.
Ob das Spermin der »wirksame« Stoff des Hodenextraktes ist, wissen wir nicht.
Die Spermintherapie hat dieselben Wege eingeschlagen, wie früher die Hodensaft¬
therapie.
Es ist uns nicht bekannt, dass die wissenschaftlichen Gesichtspunkte, welche
jedem Arzte bei der Ausübung der Organotherapie gegenwärtig sein müssen, in der
Weise schon zusammenfassend dargestellt waren, wie wir es hier versucht haben.
In einem Lehrbuch finden wir sie nicht. Wären diese Grundlagen verbreiteter, man
würde nicht Extrakte vom Herzmuskel, vom Corpus ciliare, von der Nasenschleim¬
haut anwenden, man würde nicht Gehirnkrankheiten durch Fütterung mit »Cerebrin«
behandeln und sich dadurch auf eine Stufe mit den Chinesen stellen, welche z. B. den
Fortgang der Geburt durch Fütterung mit Placentarsubstanz zu beschleunigen glauben.
Wenn wir eingestehen mussten, dass die Erfolge, auch der rationellen spezifischen
Methoden, noch recht zweifelhaft sind, so kann diese Erkenntniss nur segens¬
reich sein, indem sie auch bei den Krankheiten der Organe mit innerer Sekretion
die allgemeinen physikalisch-diätetischen Heilmethoden in den Vorder¬
grund rückt.
Kleinere Mittheilungen.
I.
Die Pyreufipiibftder« Eine Skizze von Pr. B. Laquer, Wiesbaden.
Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt.
Dem Thurme geschworen gefällt mir die Welt'
Ihr glücklichen Augen, wa§ je Ihr geseh*n.
Es sey, wie es wolle, es war doch so schön!
Lynkous, Faust II. Th.
Die Mehrzahl der Theilnehmer an dem XIII. internationalen medicinischen Kongress hatte
wohl das Bedürfnis, die starken Eindrücke der Weltausstellung in Stille und Ruhe, wie sie Alpen
oder Meeresküste darboten, zu verarbeiten; uns, die wir den Reiz des Reisens in der Fortbewegung,
in der k ine matographischen Aufeinanderfolge von Landschaften und Stiidtcn erblicken, lockte die
terra incognita des französischen Midi, den Deutsche — Kranke und Gesunde — so selten zu be¬
suchen pflegen. — Ein Xachtschnellzug führte am 2. August des vorigen Jahres nach Bordeaux, um
Nachmittag ging es in einstündiger Fahrt nach Arcachon weiter, welches sich mit Roy an, etwas
nördlicher an der Mündung der Gironde gelegen, in den Rekord theilt, das besuchteste Seebad des
atlantischen Ozeans zu sein; 100 000 baden nach Baedeker allsommerlich am Strande von Arcachon,
der im Gegensatz zu dem kleinkieseligen, harten Strande von Dieppe sehr weichen und fast dureh-
siebbaren Sand führt; Arcachon ist aber auch eine besonders von Engländern viel besuchte Winter¬
station; der vorbeipassierendc Golfstrom, die Lage der Stadt an der Meerenge, welche ein 13000 ha
umfassendes, zu ungeheueren Austern banken benütztes Bassin vom Ozean trennt, ein mit Kiefer¬
nadeln bewaldeter, hügeliger Hintergrund schaffen natürlichen Schutz vor den Stürmen und
Winden, die im biscayischen Meerbusen so sehr gefürchtet sind. — Das Thermometer sinkt im
Januar und Februar selten unter 0«; Schnee, dauernde Niederschläge sind selten; die Luft natürlich
Sommer und Winter feucht und rein; die sogenannte Winterstadt mit ihren Villen, Garten, Terrassen,
wohlgepflegten Strassen liegt anmuthig; eine gewisse Einfachheit der Landschaft, der Einrichtungen,
der Mangel des raffinierten Luxus eines Ostende, den man — nebenbei gesagt — auch in Trouville
nicht gerade ungern vermisst, gewahren dem nah ehedürftigen Kranken mancherlei nicht zu unter¬
schätzende Vortheile.
Von Arcachon ging es in dreistündiger Eisenbahnfahrt durch die südfranzösische Haide les
Landes; dort, wo die Weinberge aufhörten, fingen die Pinienkulturen an; zwischen derGaronne
und dem Adour, an dessen Ausfluss ins Meer Bayonne liegt, erstrecken sieh diese Oedflachen 200 km
lang; sie gehören geologisch zu den Pyrenäen, denn es ist Alluvialhoden, der dem Gebirge ent¬
stammt; von wilden Wasscrfliitlien durchfurcht trugen einst die Abhänge daueVnd Kies und Santi
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Kleinere Mittheilungen. 8»i
zu Thal, und diese Landbildung dauert noch heutigen Tages fort. — Niedrige Sanddiinen trennen
und schützen les Landes von dem Meere, sie werden durch die Pinien verstärkt; der Anbau der
letzteren ist um so lohnender, als aus ihnen Harz gewonnen wird, der einen wichtigen Ausfuhr¬
gegenstand bildet.
Die Bewohner, in weit zerstreuten Gehöften lebend, bedienen sich zur rascheren Fortbewegung
2 ui hoher Stelzen, auf denen sie bis 10 km die Stunde zurücklegen.
»Die vom Hederich rothschimmcrnde llaidepraeht, den gelben Ginster mit breiten Blättern
dazwischen, das Ganze ein bunter Teppich« schildert Bismarck in den schönen Briefen, die
ungekürzt Weihnachten erschienen; diese an den Norden erinnernde Landschaft, nur ins Weiche
idealisiert, schärfte einst sein Heimweh; in 8t. Vincent hatten wir den ersten Eindruck der Pyrenäen
und auch wir empfanden ihn heimatlich als den eines riesigen Taunus, nur kühner und zackiger
in den Umrissen; ja das Iiheingauergebirge senkt sich bei Schloss Johannisberg in fast derselben
schroffen Linie zum Rheine herab, wie die westliche Kette der Pyrenäen, la Khurnc genannt, bei
Biarritz zum Meere. — Abends langten wir in Biarritz an, dem Ziele langjähriger Sehnsucht. Und
wirklich! Es stellt landschaftlich mit das Schönste dar, was auch verwöhnte Augen sehen können;
eine Mischung von Sorrent und Ocean; die amphitheatralische Lage, der Zauber südlicher Vegetation,
die malerische, steile Meeresküste, besonders la cöte des basques, die dem Auge und dem Ohr
gleich herrliche Brandung an Klippen, die zum Greifen weit an die Digue heranroichcn und zwischen
denen man bei Ebbe stundenlang sich ergeht, der ohne Aufdringlichkeit gebotene Komfort, die
arbeitsfreudige, liebenswürdige, trotz Badeindustrie noch nicht vertrottelte Bevölkerung, ihre uralte*
baskische Rasse, ihre Herkunft vom ältesten Volke Europas, den Iberern, ihre Sprache, deren
Räthsel zu lösen schon Wilhelm v. Humboldt sich abmühte, dazu die Nähe Spaniens und endlich
die international zusammengesetzte Badegescllschaft — alles dies bot ein Mosaik von Eindrücken.
Stimmungen, Lebensfreudigkeit, das unsere hohen Erwartungen noch um ein Bedeutendes übertraf.
In Paris war vor der Sommerhitze von Biarritz gewarnt worden; der damals in der ersten
Hälfte des August in Gcsammtcuropa sich vollziehende Wettersturz liess uns von Hitze nichts
merken. Die, wie oben erwähnt, am Golf von Biscaya sehr heftigen Winde mildem die heissen Tage;
andrerseits ermöglicht die südliche Lage von Biarritz, die etwa dem Breitengrad von Florenz
und Pisa entspricht, zusammen mit dem hohen Salzgehalt der Luft und besonders des Wassers, der
die Haut reizt und erwärmt, dass man bei der Lufttemperatur von 16 — 22° C noch bis in den
November hinein in offenem Meere, wie Kork schwimmend, badet, und damit, wie dies ja auch
Bismarck beschreibt, die allerangenchmstcn Reaktionen auf die Allgemciugcfühlc eizielt.
Biarritz ist auch Winterstation, w f cnn auch nur für kräftige, w iderstandsfähige Naturen, etwa
wie sie der alte Gladstone besass, der hier oftmals überwinterte. Dass abgesehen von dieser
temporären Indikation von Biarritz als Herbstseebad die sonstigen bekannten Einwirkungen eines
sehr kräftigen Meerbades in Frage kommen, bedarf w r ohl nicht der weiteren Erörterung. Der Ruf
grosser Theuerung ist unberechtigt; das vorzüglich geführte Hotel Victoria der Madame Fourneau
hat Preise, wie etwa Schweizer Alpenhötels, mit Ermässigung gerade im Winter.
Biarritz ist eine Schöpfung der Kaiserin Eugenie; ihr einstiges Schloss ist jetzt — sic transit
gioria mundi — das Hotel du Palais, in w elchem noch die Zimmer gezeigt werden, die Bismarck
als Gast des Kaiserpaares bewohnte.
Prachtvolle Alleen verbinden Biarritz mit Bayonne; beide bilden fast ein zusammenhängendes
(wem einwesen; Bayonne selbst ist eine Baskenstadt mit spanischem Gepräge in w-undersehöncr Lage
an der Barre des Adour; sie w ar im Mittolalter berühmt durch Waffenfabrikation, daher der Name
Bayonnctt, und natürlich Gegenstand der Eifersucht zw isehen Spanien uud Frankreich; ihre Citadelle
trägt die stolze Inschrift am Thore: Nunquam polluta! Ein schöner Ausflug führt nach dem Basken¬
dorf StJeandeLuz, übrigens auch einem kleinen Seebad; charakteristisch sind die niedrigen Stein¬
häuser mit Quadern an den Ecken, Baikonen statt Fenstern und einem inneren Hofe.
Es ist wohl hier der Platz, über die Basken etwas zu sagen: sic sind das älteste Volk Europas,
«las vor den Ariern, vor den Kelten Spanien als Zweig des iberischen Stammes bewohnte und in
diesen Winkel sich zurückzog; etwa 1 600 000 Köpfe zählend, davon 120 000 in Frankreich. Sich
selbst nennen sie Esoualdunac (gens adroits); die spanische Bezeichnung Vasccmgados ging in das
französische Gascons über. Ihre Sprache hat mit keiner der lebenden und todten europäischen
Sprachen auch nur die geringste Verwandtschaft; sie ist reich an Vokalen, an Flexionen; so lautet:
ich bitte dich; otoiz ten hut, d. h. im Bitten habe ich dich; ich komme zu dir: et hortzen nitzank;
als ich den Fluss Bidassoa, der Spanien von Frankreich trennt, mit dem Nachen übersetzte, boten
sich natürlich mehrere Fährleute an; ich fragte, was auf baskisch Konkurrenz heisst; das lautete:
i mbirrida.
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84 Kleinere Mittheilungen.
Der frühere-mexikanische Gesandte in Berlin hiess Iturbidc, das ist ein baskischer Familien¬
name und bedeutet »Quellweg«; Larrainendi, ein Spanier, der eine Baskengrammatik im vorigen
.Jahrhundert schrieb, betitelte sie: El impossibile vincido, d. h. die besiegte Unmöglichkeit.
8 Dialekte, 25 Mundarten existieren; die Litteratur der Basken ist eine arme. Ihr Aussehen —
breites Gesicht, starke Nase, spitzes Kinn, glattrasiert — ihre Tracht — die Boina, die Baskenmütze,
kurze Jacke und Gürtel — unterscheiden sic von dem Südfranzosen. Ihre Ochsengespanne haben
noch injfast homerischer Art ganze Scheiben statt der Räder ohne Speichen; die Thiere tragen
zwischen den Stirnen Farnkraut; die Basken, als ein edles Volk der Thierqualerei abhold, lenken,
indem sie mit dem Stocke bald rechts, bald links leise den Rücken berühren.
Freiheitsdrang und Stolz beherrschen sie; Humboldt erzählt, dass Basken nur in Basken-
regimentem, befehligt von einheimischen Offizieren, dienen und nie im Auslande verwendet werden;
sie sind die Haupttheilnchmer an den Karlistenaufständen; doch sind ihre Sonderrechte, genannt
fors oder fueros (lat. fomm) in letzter Zeit, weil zu oft beschworen, eingeschränkt worden, was
Tausende zur Auswanderung nach Mexico und Südamerika veranlasste.
Im übrigen sind sie fleissig in der Kultur des Bodens und in der Industrie; das baskische
Spanien, z. B. die Provinz Guizpozcoa, in die man von Frankreich zuerst einfährt, macht, aller¬
dings begünstigt durch sonst fehlende Bewässerung seitens der Pyrenäenflüsse und der feuchten
Meerwinde, sowie durch den Reichthum des Bodens an Erzen einen wohlhabenden und gesegneten
Eindruck.
Auch unter den Basken giebt cs Parias, die sogenannten Cagots, Canes gothürum, vielleicht
Mischlinge, meist blond, theilweise auch körperlich infolge der Inzucht durch Kropf entstellt; in der
Kirche und auf den Kirchhöfen hatten sie besondere Plätze, im Dorfe besondere Brunnen; um sieh
von einer Anklage auf Mord zu rechtfertigen, genügten einst sechs gewöhnliche baskische Zeugen,
hingegen waren 30 Cagots nöthig; sie mussten die Galgen bauen, an denen die Uebelthäter ge¬
henkt wurden; erst das Jahr 1789 befreite sie aus diesem Elend.
Ein weiterer höchst lohnender Ausflug führt natürlich von Biarritz über die eine halbe Eisen¬
bahnstunde entfernte Grenze nach Spanien hinein; von dem Grenzfluss Bidassoa war schon oben
die Rede; der erste Ort Spaniens ist befestigt, heisst Fuentarabbia und bietet ein malerisches Bild
dos alten, heroischen, verkommenen Spaniens.
Eine enge, steile Gasse führt direkt vom Fluss hinauf, »12 Fuss breit, jedes Fenster mit
Balkon und Vorhang, jeder Balkon mit schwarzen Augen und Mantillc, mit Schönheit und Schmutz;
auf dem Markte 'Frömmler und Pfeifer, hunderte von Weibern, unter sich Fandango tanzend, wäli
rend die Männer rauchend und drapiert zusahen« (Worte Bismarck’s). ln der Nähe fand 1836 eine
Karlistcnschlacht statt, in der August v. Goeben, später als preussischer General Moltke und
Blumcnthal kongenial, schwer verwundet und gefangen gesetzt wurde 1 ).
Von Fuentarabbia geht es über Iran nach S. Sebastian« Ich will es hier ganz kurz erwähnen.
Landschaftlich wird es trotz seiner »Concha« und seiner »Kulissenschönheit« von Biarritz übertroffen;
durch den Mangel an grossen Hotels, an Komfort und Sauberkeit, durch die zu 99 % reinspanische
Sprache, Bevölkerung und Badegäste kommt es für uns Deutsche kaum in Betracht; das Stier¬
gefecht, das wir dort erlebten, ist und bleibt »unc Sensation forte«; die Zuschauer sind interessanter
als die Toros selbst; Hellmuth v. Moltke, nicht minder als Bismarck ein klassischer Scbilderer,
hat alles, was darüber zu sagen ist, in seinem »Wanderbuch« berichtet
Von Bayonne ging es dann landeinwärts in kaum zweistündiger Fahrt nach Pan; als wir —
mein Reisekamerad und ich —- von dem in einer Thalschlucht liegenden Bahnhof in Serpentinen,
an Palmen und Kakteen vorbei, zu der Terrasse emporstiegen, auf der die grossen Hotels liegen,
und von der man die berühmte Aussicht auf die schneebedeckte Pyrenäenkette geniesst, da sagte
ich zu meinem Begleiter: »das ist Wiesbadener Augustluft«; die Lage von Pau ist auch nicht un¬
ähnlich der unserer Weltkurstadt: in einem breiten Kessel, geschützt nach Norden, Osten und Nortl-
osten, umgeben von hohen Bergen, die nur fünf- oder sechsmal höher als der Taunus, gegen¬
über das edlen, süssen Wein tragende Rebengelände von Junnu;on, wie bei uns der Neroberg, die
Höhe gleich der unsrigen 200 m, der Winter allerdings milder: 13° im Oktober, im Dezember 6»»,
im Januar und Februar 5 Ü , im März 9", nur 15 Tage im Winter unter 0<>; selten Schnee, relativ
hohe Feuchtigkeit, viel Regen!
Im ganzen also eine kalmierende Winterstation, besonders geeignet für erethische Phthisiker,
auch wohl solche, die zur Hämoptoe neigen, für alte, geschwächte Leute, chronische Nephritis, Herz-
neurosen; etwa 5—0000 Kurgäste, viel Belgier, Russen, Engländer. Die Beköstigung iz. B. im Hotel
'i s. dessen »Vier Jahre in Spanien«. Hannover 18-12.
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Kleinere Mittheilungen.
85
Gassion? ist vortrefflich; Wintergarten sind mit den Hotels verbunden; ein neues Palais d’hiver,
ihnlich wie das Casino municipal von Nizza gebaut, hat einen prächtigen Palmengarten. Die Aus¬
sicht der Terasse von Pau erwähnte ich schon oben. Hippolyte Taine schildert sie in seiner
i Voyage aux Pyrönees« mit Begeisterung; für uns war sie leider verschleiert.
Von Pau fuhren wir, am Dorfe Gan vorbei, dem Zielpunkt der Winterpromenaden der Kranken,
in das zerklüftete und romantische Thal von Ossau hinein, nach Laruns, und von da nach Eaux
rhaudes, das, 080m hoch, nur auf Büchsenschussweite von Eaux bonnes getrennt, in einer sehr
engen Schlucht liegt; das gut eingerichtete Badeetablissement führt die Thermen dieses südfranzösi¬
schen »Warmbrunn«, welche — lucus a non lucendo — die kältesten der Pyrenäeubäder sind; die
Source Mainvielle, zugleich an S-Gehalt die ärmste, hat nur 11«, die wärmste, ie Clot, 30°. Die an¬
dauernd bewegte Luft, im Gegensatz zur konstanteren von »Gutbrunnen«, wirkt appetitanregend,
bringt Schlaf; die Schwefelquellen werden zur Badekur benützt, während die Eaux bonnes haupt¬
sächlich getrunken werden; Xeuralgieen, Rheumatismus bilden in Eaux chaudes die Hauptindikation;
Tuberkulöse in ihren Anfangsstadien werden häufig nach den Eaux bonnes geschickt; die Saison
beider Kurorte ist sehr kurz, von Mitte Juni bis Mitte September; an Vergnügungen ist kein Ueber-
fluss; im Gegensatz zu dem unten noch näher zu charakterisierenden Luchon macht alles einen
einfachen, idyllischen Eindruck, etwa wie in Schlangenbad oder Soden.
Auf der Rückkehr bot sich in Laruns die kulturhistorisch interessante Gelegenheit einer
Pvrenaenkinnes mit Prozession, ländlichen Reigentänzen in farbigen Trachten nach höchst eigentüm¬
licher Musik auf drei uralten Instrumenten, darunter eine Art Panflöte und ein längliches Tambourin.
das mit einem Stab geschlagen wurde, mit Wettspielen, baskischen Ballspielen.
Von Pau nach Picrrefitte, der Station für Cauterets, St. Sauveur, Bareges ist es nur eine kurze
Fahrt; die bekannteren Pyrenäenbäder zweigen sich von der Eisenbahnstrecke Pau—Toulouse immer
nach Süden ins Gebirge hinein ab. Die Verbindung Picrrefitte — Cauterets wird seit zwei Jahren
durch eine elektrische Zahnradbahn hergestcllt, die in ihrer Steigung, Bau und Fühlung durch wild¬
romantische Schluchten, an hohen Bergen klebend, an die Visp—Zermatter Bahn erinnert; auch die
I*age von Cauterets (1000 m) selbst, das man nach anderthalbstündigcr Fahrt erreicht, ist ähnlich der
von Zermatt; nur fehlt natürlich die grandiose Zinke des Matterhorns und, entsprechend der süd¬
lichen Lage, ist die Schnee- und Gletschergrenze um hunderte von Metern höher.
Der Atta Troll Heinrich Heines — welch* letzterer des Ocfteren Linderung in den Pyrcnäcn-
bädem suchte — beginnt mit «len Worten:
Rings umringt von dunklen Bergen.
Die sich trotzig übergipfeln,
Fnd von wilden Wasserstürzen
Eingelullet wie ein Traum bi Id
Liegt im Thal das elegante
Cauterets.
Cauterets ist nächst Baröges (1232) das höchstgelegene Pyrenäenbad und wird ausser von
Baröges nur noch von Luchon an Schwefelreichthum seiner Quellen übertroffen. 22 Quellen von
IO' — 55« liefern innerhalb 24 Stunden P /2 Millionen Liter Thermalwasser, die getrunken und zu
Bädern benützt werden; an der Luft werden sie nicht weiss (blanchimcnt); sie zersetzen sich also
nicht wie die Quellen von Bartges, Luchon, Bigorre, und können deshalb auch unverdünnt und ohne
Mischung mit Milch, Molke und Syrup getrunken werden.
Die berühmteste, reichlichste Quelle Cauterets, w eil sie 14 Wannen 12 Stunden lang speist und
wohl auch am stärksten wirkt, ist la Raillftre, die f)00 m höher per Drahtseilbahn erreichbar liegt,
und besonders bei grossem Erethismus indiziert ist; die Lehre von den Krasen und Konstitutionen,
die alte Humoralpathologie, die ja durch die genialen Funde von Bordet und Ehrlich eine neue
und vor allem exaktere Perspektive erhielten, spielt in den französischen Bädern bei Aerzten und
Patienten eine weit grössere, manche Unruhe des Kranken besänftigende, manche ärztliche Anord¬
nung umhüllende, Rolle als bei uns; man kann sie in letzterer Beziehung mit der »Lebenskraft*
vergleichen, die ja auch nach Kant's Ausspruch eine bequeme Lagerstätte ist, »wo die Vernunft
zur Ruhe gebracht wird auf dem Polster dunkler Qualitäten«.
Auf der Railliöre ist so reichlicher Zufluss, dass hier sogar kranke Pferde aus den südlichen
Staatsgestüten Frankreichs zur Kur hergeschickt werden.
In Cauterets selbst besuchten wir unter Führung des jungen und liebenswürdigen Dr. MeiHot
«las grossartige fitablissement thermal; die technischen Einrichtungen sind mustergiltig, von einer
Präzision und Sauberkeit, wie man sie nicht erwartet, variabel und individualisierbar in jeder llin-
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Kleinere Mittheilungen.
sieht; es kommen zur Anwendung: Inhalation, Pulverisation, Humage (heisser Dampf), Gar¬
garismen, Douchcn für alle Orgificia, Schwefeldampfbäder, sowohl lokale als auch allgemeine in den
mannshohen Gailcrien, die als Stollen aus den Felsen heraus die heissen Quellen führen; ferner
Familienbäder, Schwimmbassins, alles in weiten, luftigen, Oberlicht in Fülle empfangenden Räumen;
das Personal offenbar recht geschult in 25jähriger Tradition; die Einrichtungen halten mit denen
von Baden-Baden, Karlsbad, Wiesbaden jede Konkurrenz aus; die Aachener konnten mancherlei
dort lernen.
20 000 Kurgäste besuchen in den wenigen Monaten Juli, August, September Cauterets; seine
Hauptindikationen bilden: Die chronischen Katarrhe der Schleimhäute, les maladies herpötiques,
worunter die Franzosen die Granulationen von Pharynx, Larynx, der Portio vaginalis, die nässenden
Exantheme verstehen, ferner die chronische Arthritis und natürlich auch die Lues (la petite vörole
— la vörolc sind die Pocken —); sie wird mit Zuhülfenahme des Quecksilbers und des Jods wie
bei uns behandelt.
Das Klima von Cauterets wird als rein und alpin geschildert; wir empfanden im Gegensatz
zu der dicken und weichen Luft von Pau und zu der von Luchon das frische »MailüfterU von
Cauterets als sehr angenehm, wenngleich die Kälte am Morgen und nach Sonnenuntergang zur Vor¬
sicht bei grosser Empfindlichkeit mahnt; Badeschriftsteller wie Lippert (s. u.) betonen auch, dass
früh morgens feuchte Nebel an den Bergen hängen; aber auch, dass die Kranken hiervon selten
irgendwie angegriffen werden.
Aus dem weltlichen Treiben von Cauterets mit seinen Lustbarkeiten und seinem Firniss lockte es
uns hinaus auf die Höhen; von der Halbere erreicht man auf bequemen Wegen die »spanische Brücke«,
die wildeste und schönste Stelle des Thaies; letzteres gabelt sich hier, nach rechts kommt man über
den Col de Marcadau in zwei Stunden an die spanische Grenze und dann auf Saumpfaden — breite,
gepflegte Pässe und Strassen für Wagen oder auch nur für Reiter giebt es in der ganzen 200 km
langen Strecke der Pyrenäen nicht — nach Penticosa, einem spanischen Pyrenäenbade, links und
östlich nach dem Lac de Gaube, wohin wir wollten — auch dieser Weg schattig und im Tannen¬
walde führend — nach l 1 . Stunden der See selbst, ein Königssee im Kleinen, von steilen Felsen
umrahmt, übrigens forellenreich. In der Ferne Pie und Glacier du Vigncmale, dem wir zustrebten:
der Gletscher lange nicht so mächtig wie der Rhone- oder der Rosegg-Gletscher und auch nicht wie
diese beiden hinunterreichend zu menschlichen Behausungen. — Eine steinige Einöde, grau in grau,
eröffnet sich nun; Felsblöcke von grossem Umfange bedecken sie, hie und da Alpenpflanzen, die ja
11 ans Meyer noch 0000 m hoch am Kilimandscharo fand, dagegen ist sie nicht belebt von Menschen
oder Thieren; in den Pyrenäen giebt es Bären, lsards, d. h. fuchsige kleine Gemsen, Adler, Geier.
Es wurde Abend, ehe wir den Gletscher erreichten, der leicht zu überschreiten war und kaum .Spalten
aufwies, und Nacht, ehe wir in eine aus Wellblech gebaute Schutzhütte »le refuge de Sallct« gelangten.
Der Versuch, anderen Morgens früh den Pic de Vigncmale (3300 m), den höchsten Berg
der französischen Pyrenäen, zu besteigen — die spanischen erheben sich in der Maladetta-Gruppe
zum 100 m höheren Pic Nethou — misslang wegen starken Nebels, der keinerlei Aussicht versprach.
Wir stiegen in sechsstündigem Marsche durch riesige Felsschluchten und lvesselthäler hinab: gras¬
bewachsene Almen und Sennhütten mit Rindern und Ziegen fehlen; das Oede, Unbelebte, das Wilde
ist charakteristisch für die Hochpyrenäen; wir erreichten Gavarnic und von da in 1 .> Stunde den be¬
rühmten Cirque de Gavarnic (löOOm), einen Thalkessel, ähnlich der Wengernalp, umgeben von Gletschern
und W asserfällen. Zwischen den Gletschern hohe Berge, kahl und zackig geformt, wie die Aiguilles
in der Mont-Blanc-Kette; die stärkste der etwa 30 Kaskaden — die meisten versiegen im Hoch¬
sommer — stürzt in zwei Absätzen von einer Höhe von 422 ni, also nur 25 m niedriger als die über¬
haupt höchste Europas, die des Daegerfoes in Norwegen. Auf dem Rückwege von Gavarnic berührten
wir das Chaos oder die Peyradc, einen 1 2 Stunde lang sich erstreckenden Bergsturz; oben ist
die Wunde noch sichtbar, die der Sturz in die Berglehne gerissen — eine zusammengesunkene
Schöpfung. Bald erreichten wir Salut Sauveur, noch ein Schwefelbad; am Anfang steht die
alterthümliche Templerkirche, halb Festung mit einer krennclierten Mauer umgeben. Saint Sauveur
selbst liegt 700 m hoch auf einer breiten Thalterrasse, ans Gebirge angelehnt; der Hauptquelle
Hontalade werden kalmicrende Eigenschaften zugeschrieben; zwischen 22 0 und 34 o warm erzeugt sie
auf der Haut eine besänftigende, salbenweiche Empfindung und beruhigt so die Nervenendigungen.
Bei Erkrankungen von Blase, Prostata, Uterus, »denen der Tonus fehlt«, wird Saint Sauveur
gerühmt. i/ 2 Meile davon, nur 500 m höher, liegt Baregcs, das Sibirien Frankreichs, nur 800 m
unter der Grenze der Vegetation. Die Quellen schmecken so ekelerregend und wirken so stark,
dass sie nur mit grossen Unterbrechungen und verdünnt mit Milch u. s. w. getrunken werden können
Alte Schusswunden, Unfallsknuike, inveterierte Lues, sonstige Knochenleiden, schwere Neuralgien
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Kleinere Mittheilungen. 87
und Dermatosen bilden das Anwendungsgebiet von Baröges. Ein grosses Militärhospital von
600 Betten dient den betreffenden Kranken. Baröges kam durch einen illustren Patienten, den Sohn
Ludwigs des XIV., der im Jahre 1675 mit Madame de Maintenon zusammen die Kur gebrauchte,
in Ruf; die bekannte Baregine, als wirksamer »Badeschleira« geschätzt, ist nichts anderes als ein
Produkt der Zersetzung von Beggiatoen (Schwefelbakterien). Der grossartige, schattenspendende
Pont d’Espagne, errichtet 1859 von Napoleon III., beschliesst das Thal mit seinen herrlichen Alleen.
Ein Besuch von Lourdcs in der Zeit der Pölörinage nationale, welche 20—30 000 Pilger an der
Wundergrotte zusammenführt — ein Bericht steht a. a. 0. 1 ) — unterbrach unsere Pyrenäentour.
Luchon war das nächste Ziel; Strabo erwähnt es schon als aquae lixonienses; der grosse Caesar
Augustus soll hier Heilung gesucht haben; römische Funde und Inschriften beweisen jedenfalls
die Werthschätzung dieser Therme im Alterthum. Uns enttäuschte es trotz seiner 49 Quellen, die
von 16° — 66° warm sind, und trotzdem wir gerade zu einem Corso und einem Gartenfest mit
Feuerwerk kamen; sehr schöne Gärten, Baumanlagen — Allöes d’fitigny, nach dem Marquis d’Etignv,
dem Wohlthäter und Hauptförderer der Stadt, genannt — ein dem Cauterets’schen ähnlich organi¬
siertes grosses Etablissement thermal, wohlgepflegte Spazierwege sind bemerkenswerth; als ich den
uns führenden Inspektor nach dem Unterschied der Quellen von Cauterets und Luchon fragte, ant¬
wortete er, theils missverständlich, theils diplomatisch: »Ah, Monsieur, Cauterets travaille aussi tres
bien«; dabei kam mir wenigstens die internationalität des typischen und mir verhassten badeärzt¬
lichen Ausdrucks »Arbeiten« zum Bewusstsein.
In Wirklichkeit sind die Indikationen von Luchon denen von Cauterets ähnlich, nur dass hier
auch organische und zentrale Lähmungen in Behandlung kommen, denen wohl die hohe und dünne
Luft von Cauterets nicht Zusagen dürfte. Die Ausflüge von Luchon nach .dem Port de Venasque mit
dem Blick auf die Maladetta, die spanischen Pyrenäen und den Pic de Nethou, 3404 m, die über¬
haupt höchste Erhebung des Gebirges, sind berühmt; das Klima von Luchon ist weich, dabei variabel;
um die Mittagsstunden sind oft sehr hohe Temperaturen vorhanden. 36 000 Kurgäste besuchen
alljährlich Luchon, das an Vergnüglichkeit und Luxus, aber auch an theuren Preisen nichts zu
wünschen übrig lässt. Das Klima ist etwa wie das von Homburg. Bagneres de Bigorrc hätte
unserer karg werdenden Zeit zu viel zugemuthet; nach Schilderungen liegt cs 550 m hoch
in »koketter« Lage an den Quellen des Adour gleich Luchon altrömischen Ursprungs, die Häuser
mit Marmor verziert wegen der Nähe von Marmorbrüchen; der Eisengehalt der Quellen lässt sie für
Blutarme und Rekonvaleszenten geeignet erscheinen; in technischen Einrichtungen und Komfort
steht Bigorrc hinter Luchon zurück. Die östlichen in Spanien liegenden Pyrenäenbäder, wie Amelie
les Bains, sind ja in der Deutschen medicinischen Wochenschrift 1900 von Fürl)ringer, einem
der wenigen deutschen Aerzte, welche diese interessanten Gegenden persönlich aufsuchten, trefflich
geschildert worden.
Wir machten noch kuize Station in Toulouse, Carcassonc, Nimes, Arles, und eine längere in
Marseille — wo wir pflichtgemäss nicht nur la Bouillabaisse, eine Art Fischsuppe verspeisten, sondern
auch im Mittelländischen Meere an der herrlichen Coraiche badeten — ferner in Avignon, Lyon
und kehrten über Besan^on, Beifort auf der anmuthigen Linie, die zwischen Jura und Franchecomte
hindurehführt, zu den Penaten heim, nachdem wir das schöne Frankcnland bis auf die 20 Kilometer¬
strecke: Strassburg—Metz in vollem Umkreis umfahren hatten.
Die Pyrenäenbäder werden nicht nur der Entfernung halber nur selten für unsere Kranken
in Betracht kommen; abgesehen, dass wir von den Schwefelquellen bei Katarrhen, bei beginnender
Tuberkulose wohl kaum so ausgedehnten Gebrauch machen wie unsere Nachbarn, und dass wir bei
Neuralgien Kochsalz- oder C0 2 - haltige Thermen bevorzugen, ist man ja auch von der NothWendig¬
keit, neben der Hg-Behandlung der Lues noch Schwefelbäder anzuwenden, zurückgekommen; warme
Bäder, insbesondere Schwitzbäder, »thun es auch«.
In den Pyrenäenbädern werden nur an internationale Verkehrssitten gewöhnte und fremd¬
artige Verhältnisse nicht zu »tragisch« nehmende Kranke, also etwa Mitglieder der Diplomatie, der
Hochfinanz sich wohl fühlen.
Die deutsche Litteratur über diese Bäder ist spärlich: Das Buch von Lazari, Dessau 1852, stellt
einen »Schiffskatalog« dar; besser sind die Darstellungen in Flechsig's Badelexikon, in Eulen bürg >
Realencyklopädie von Reumont-Beissel und in dem 68. Jahrgang der Berliner klinischen Wochen¬
schrift von H. Lippert; der XIII. internationale Kongress verehrte seinen Theilnehmem ein schönes
Werk: »Les Station» liydro-minerales, climatöriques et maritimes de la France«.
Unter dem Namen »Voyages d’ötudes medicales (Eaux minerales, stations maritimes et
M Deutsche medicinische Wochenschrift 1901.
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88 Kleinere Mittheilungen.
<*limaterielles, Sanatoriums de France)« und unter der Patronage von Männern wie Brouardel,
Lannclongue, Landouzy, Fournier etc. werden studierende Aerztc — nur solche sind zu-
gelassen, auch ausländische — in Form S t an gen’ scher Gesellschaftsreisen in die Thermen und
klimatischen Kurorte Frankreichs geführt, dort von sachkundiger Seite über Einrichtungen und
Indikationen und gelegentlich an Kranken über Heilerfolge unterrichtet; etwa innerhalb 14 Tagen
werden so die oben von uns geschilderten Orte bereist Der Preis ist massig; der Zweck, durch An¬
schauung die oft so lückenhaften balneologischen Kenntnisse der Aerztc zu fördern, ein lobens- und
nachahmenswerther. Gerade in einer Zeit, in der die Fortbildung der praktischen Aerzte, die Unter¬
weisung der Studierenden in physikalisch-diätetischen Methoden so sehr betont und auch seitens
der Untcrrichtsverwaltung gewünscht werden, möge dieses Itinerarium medico-pädagogicum nicht ohne
praktische Folgen bleiben.
Wahrhaft klassische Landschaftsschildeningen der Pyrenäen mit interessanten geschichtlichen,
naturbeschreibenden und auch balneologischen Mittheilungen hat in den Januar-, Februar- und Mirz-
lleften der »Deutschen Rundschau« 1001 Eduard Strassburger, der Bonner Botaniker, veröffentlicht.
II.
Ein neues Ziinmerfahrrad. Von Privatdozent Dr. Paul Jacob, Berlin.
Unter den neueren Sportsaiten hat wohl kaum eine während der letzten Jahre so viel Be¬
achtung seitens der Aerzte gefunden, als die Cyklistik; erfreut sich doch das Fahrrad dank dem
enormen Aufschwung der Industrie der grössten Beliebtheit sowohl in seiner Eigenschaft als schnelles
Beförderungsmittel, als auch zum Zwecke des Sports. Wie es mit allem Neuen zu gehen pflegt,
so sind auch in der Cyklistik bald allerhand Uebertrcibilligen und Auswüchse zu verzeichnen ge¬
wesen, welche vielfach ein Einschreiten seitens des Arztes nothwendig gemacht haben. Ucber alle
diese Punkte ist während der letzten Jahre viel geschrieben worden, und es erübrigt sich, an dieser
Stelle hierauf ^näher einzugeheu.
In zweiter Linie ist nun aber auch die Cyklistik direkt zu therapeutischen Zwecken verwendet
worden. Es ist besonders das Verdienst von Siegfried in Nauheim, sowohl durch die Konstruktion
geeigneter Räder, als auch durch ein eingehendes Studium der von Kranken auf dem Rade aus¬
zuführenden Bewegungen eine besondere Art der Gymnastik, die sogenannte ('yklotherapie be¬
gründet zu haben.
Auch die Prinzipien dieser Art der Heilgymnastik wollen wir hier nicht näher erörtern, da
bereits in der nächsten Nummer dieser Zeitschrift eine ausführliche und erschöpfende Publikation
von Siegfried über die Cyklotherapie erfolgen wird. Hier wollen wir nur kur/, ein neues Ziinmer¬
fahrrad schildern, welches seit mehreren Monaten auf der 1. medieinischen Universitätsklinik zu
Berlin in Gebrauch ist.
So vorzüglich die »Siegfried'schon Zi mm erfahrräder in ihrer Konstruktion und therapeutischen
Verwendung sind, so lassen sic sich in mehrstöckigen Krankenhäusern doch nur schwer benutzen;
denn die Gänge zwischen und in den einzelnen Sälen sind meist zu schmal, als dass in diesen die
Kranken Ucbungen mit den Siegfricd’schen Rädern ausführen könnten, auch würde dies für
die anderen Patienten zu störend sein. Ferner ist es für viele Kranke, bei welchen mit Vor-
tlieil die Cyklotherapie angewendet werden kann, ganz unmöglich, besonders im Winter, $ieh mehrere
Treppen herab in den Garten zu begeben, um dort das Rad benutzen zu können. Aus alF diesen
Gründen haben wir ein besonderes Zimmerfahrrad konstruiert, welches in den Krankensälen ohne»
Schwierigkeit aufgestellt werden kann.
Auch Zimmerfahrräder sind in den letzten Jahren bereits vielfach konstruiert worden; dieselben
können unter einer ganzen Reihe von Indikationen mit Vortheil verwendet werden; aber sie ver¬
einigen meist nicht alle diejenigen Momente in sich, welche für ein grösseres Krankenmaterial er¬
forderlich sind.
Das Zimmerfahrrad, welches nach unseren Angaben von der Firma Ernst Lentz in Berlin
gebaut worden ist, sucht nun nach Möglichkeit allen Ansprüchen gerecht zu werden, welche man
in therapeutischer Hinsicht an einen solchen Apparat stellen muss. Es kann von Personen der
verschiedensten Körpergrössen benutzt werden, indem sowohl die Lenkstange, als auch der Sattel
leicht verstellbar sind. Auch die Rückenlehne, die unseres Erachtens nach für alle diejenigen Kranken
nothwendig ist, welche längere Zeit auf dem Rade Uebungen auszuführen haben und naturgemäss nach
einer gewissen Zeit ausruhen müssen, ist nach allen Richtungen hin leicht verstellbar. Das Gerippt*
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Kleinere Mittheilungen. 89
des Rades ist ungefähr in der Weise angefertigt, wie bei den Damenfahrrädern, vor allein um die
Benutzung des Rades auch weiblichen Kranken zu ermöglichen, und zweitens, um den Aufstieg
für diejenigen Patienten zu erleichtern, welche infolge einer Lähmung oder anderer Affektionen
nur unvollkommene Bewegungen auszuführen im Stande sind. Ferner ist an dem Rade ein Kilometer¬
zeiger angebracht, welcher in einfachster Weise funktioniert und in der Weise geaicht ist, dass eine
bestimmte Anzahl von Umdrehungen des Rades je einem Kilometer entspricht. Durch diese Ein¬
richtung ist es einmal dem Patienten möglich, die von dem Ärzte gegebenen Anordnungen: in einer
bestimmten Anzahl von Minuten eine bestimmte Reihe von Umdrehungen zu vollführen, zu befolgen;
andrerseits hat der Arzt hierdurch die besto Kontrolle über den übenden Patienten. Eine weitere
Einrichtung, welche an dem Rade getroffen wurde, ist die Einschaltung von Widerstanden, welche
entweder der Patient selbst vom Sattel aus, oder der die Aufsicht führende Arzt bezw. Wärter mit
Leichtigkeit regulieren kann. Man braucht zu «liesein Zwecke nur eine bestimmte Anzahl von Um¬
drehungen mit der kleinen, an der Innenseite der Lenkstange befindlichen Scheibe auszuführen.
Da die Cyklotherapic vor allem auch unter dem Gesichtspunkte der bahnenden Uebungs-
therapie, d.h. also bei mehr oder minder gelähmten Patienten, bezw. solchen, deren Muskeln der
unteren Extremitäten funktionsunfähig geworden sind, angewendet werden muss, so sind noch zwei
Einrichtungen an dem Rade getroffen: 1. besondere Holzsandalen, welche auf den Pedalen des
Rades befestigt werden können (auf der Abbildung unter dem Rade liegend); in diese wird der
gelähmte Fuss des Patienten eingeschnallt, so dass bei der Umdrehung des Rades der Fuss vom
Pedal nicht abgleiten kann. 2. befindet sich hinten am .Rade ein mit dem Schwungrad in Ver¬
bindung stehendes kleines Rad, welches entweder durch Hand- oder Motorbetrieb in Bewegung
gesetzt werden kann, sodass es möglich ist, entweder die auf den Holzsandalen befestigten Beine
des Patienten eine Reihe von Trctbewegungen ausführen zu lassen, ohne dass der Patient selbst
aktiv hierbei etwas zu leisten hat, oder ihn bei den einzelnen Umdrehungen mehr oder minder zu
unterstützen.
Die Erfahrungen, welche wir mit dieser Alt der Cyklotherapic auf der I. niedicinisclieu Klinik
gewonnen haben, sollen in einer späteren Nummer dieser Zeitschrift veröffentlicht werden.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
Berichte über Kongresse und Vereine.
Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Baineologischen Gesellschaft
zu Berlin. 7.—12. Mftrz 1901.
Erstattet von — n.
Franz Müller (Berlin), Ueber die Beeinflussung der blutbildenden Funktion des Knochen¬
marks durch therapeutische Massnahmen.
Aus seinen Untersuchungen glaubt Vortragender in erster Linie folgern zu dürfen, dass die
seit Jahrhunderten bekannte, viel gepriesene und dann wieder angezweifelte Wirkung des an¬
organischen Eisens auf die Blutwirkung theoretisch hinreichend begründet ist Zweitens glaubt er
in dem Aderlass ein prompt wirkendes Mittel zu erkennen, um die blutbildende Funktion des Markes
anzuregen. Zugleich bemerkt aber Müller, dass er al6 Theoretiker allein auf Grund von Thierexperimenten
nicht erlauben kann, einer gesteigerten Verwendung des Aderlasses in der menschlichen Therapie
das Wort zu reden. Das erscheint auch aus dem Grunde nicht berechtigt, weil ja der Aderlass
stets zunacht einen Verlust an den ohnedies oft schon spärlich vorhandenen rotlien Blutkörperchen
setzt und die Frage offen bleibt, ob in dem betreffenden Falle sein formativer Reiz den Verlust in
der That überkompensieren wird. Dagegen liegt die Idee nahe, durch vorübergehenden Sauer¬
stoffmangel in passender Dosierung ohne Blutentziehung die blutbildende Thätigkeit ' des
Marks zu wecken. Es käme da in Betracht: die Einathmung stickstoffreicher Gasgemische,
wie sie Treutler bei seinen Stickstoffinhalationen verwendet hat, ferner der Aufenthalt im Hoch¬
gebirge öder im pneumatischen Kabinet bei Luftverdünnung und endlich die sehr leicht zu
dosierende und bei saebgemässer Anwendung absolut ungefährliche Verwendung kohlenoxydhaltiger
Gasgemische. Das letzte Wort behält natürlich der Praktiker. Ferner wird auf Grund der Ex¬
perimente mit dyspnoisch gemachten Tbieren verständlich, dass sich bei Schädigungen der Cirkulation
und der Athmung beim Erwachsenen rothes Mark in den langen Röhrenknochen vorfindet, und
man darf sich diese Einwirkung wohl als einen Regulationsmechanismus derart vorstellcn, dass
beim mangelnden Sauerstoffgehalt der Alveolenluft (Emphysem) resp. des cirkuliereuden Blutes
(Herzkrankheiten), abgesehen von anderen regulatorischen Einrichtungen, infolge der Beeinflussung
des Knochenmarks mehr Hämoglobin führendes Material in die Cirkulation kommt und daher in der
Zeiteinheit mehr Hämoglobin führende Zellen die Lungen passieren, wodurch die Aufnahme von
Sauerstoff also befördert wird. Redner glaubt weiterhin annchmen zu können, dass seine bisherigen
Resultate den Schlüssel enthalten für die räthselhafte, so viel diskutierte und therapeutisch so
wichtige Einwirkung des Höhenklimas auf die Blutbildung. Wie Miesch er es vorausahnend
ausgesprochen hat, liegt wahrscheinlich in dem Widersprach zwischen der überfeinen Reaktion der
blutbildenden Apparate und den erst auf viel grösseren Höhen eintretenden erheblichen dyspnoischen
Störungen der edlen Organe, d. h. der Centren des verlängerten Markes der eigentliche Schlüssel
für das Verständnis der Heilwirkung des Höhenklimas.
Winternitz (Wien), Theoretische mid praktische Mittheilungen über Hydro- und Photo¬
therapie.
Redner wendet sich zunächst gegen die Stimmen, welche bei der Anwendung von kühlen
und kalten Bädern Schonung und Vorsicht zu empfehlen sich gedrungen fühlen. Als ob nicht für
die Dosierung des thermischen und mechanischen Reizes bestimmte Gesetze und Anzeigen fest¬
gestellt seien! Ja Winternitz versichert, dass seine Erfolge noch wesentlich bessere geworden
sind, seitdem ihm die meist theoretisch konstruierten Vorsichtsmaassregeln nicht mehr imponieren.
So seien Herzkollaps, Gefässkollaps keine Kontraindikationen einer sachkundigen und zielbewussten
Anwendung selbst kältesten Wassers. In Bezug auf die Verwendung des kalten Wassers bei fieber-
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Berichte über Kongresse und Vereine. 91
haften Zuständen glaubt^Winternitz, dass durch eine vernünftige Wasserkur nicht nur sympto¬
matisch günstig auf die verschiedensten Fieberprozesse eingewirkt werde, sondern dass durch die¬
selbe auch die natürlichen Schutz- und Wehrkräfte des Organismus gestärkt und selbst wachgerufen
werden konnten. Auch über die Altersgrenze, bei der noch Wasserkuren erlaubt sind, herrscht
vielfach Meinungsverschiedenheit Winternitz kennt kein Alter, das eine vernünftige Wasserkur
kontraindizieren würde, wenn sie sonst als therapeutisches Mittel ihre Anzeige findet Er hat
Kindern von drei und vier Monaten mit dem promptesten Erfolge ein in ganz kaltes Wasser ge¬
tauchtes Sacktuch als Wickel um den Leib gelegt und auch den 80jährigen Greis einer Theil-
w aschung oder einem partiellen oder allgemeinen Regenbade ausgesetzt. Auch der atheromatöse
Prozess und selbst organisch begründete Cirkulationsstorungen gestatten nicht nur, sondern erheischen
oft sogar eine solche Kur. Die Vorsicht und Schonung muss in der Wahl der richtigen Temperatur
und der richtigen Dauer des entsprechenden mechanischen Reizes liegen.
Redner wendet sich dann zu einer Erörterung der chemischen Beschaffenheit der zu den
Kuren verwendeten Substanzen. Er erwähnt einen Apparat zu C0 2 -Douchen, den »Ombrophor«,
den er im Vereine mit Professor Gärtner erfunden hat und konstruieren liess. Die Wirkung der
r0> von der Haut aus erleichtert die Anwendung niedriger Wassertemperaturen und erlaubt sie
selbst bei sehr verwöhnten Individuen. Als eine wahre Bereicherung unserer Therapie bezeichnet
Winternitz die Alkoholumschläge, die bei beginnenden, aber auch bei schon fortgeschritteneren
Entzündungsprozessen von günstigstem Einflüsse seien. So haben sich diese Umschläge in sechs
Fallen von Herpes zoster, die im letzten Halbjahr in Winternitz’ Behandlung kamen, in geradezu
überraschender Weise bewährt. Winternitz tränkt ein aus 6 — 8 Schichten bestehendes hydro¬
philes Gazestück, welches die betreffende Körperstelle in jeder Richtung überragt, mit möglichst
absolutem rektifiziertem Alkohol, soviel als der Stoff, ohne zu triefen, aufnimmt, legt die Gaze auf
die erkrankte Partie, darüber Guttaperchapapier, dann eine Watteschicht und befestigt schliesslich
mit Kalikot oder Gazebinden; der Verband bleibt 24 Stunden liegen.
Zum Schluss berichtet Winternitz über seine Erfahrungen mit der Lichttherapie. Er habe
den Nachweis geliefert, dass es nicht einfache thermische Wirkungen sind, die vom Sonnen- oder
elektrischen Lichte beobachtet werden. Die Abhaltung der chemischen Strahlen, z. B. durch einen
durchscheinenden rothen Stoff, genügt, um die hohe Temperatur im Elcktrothenn erträglich zu
machen. Daraufhin hat Winternitz bei Anwendung von Sonnenbädern die der Sonne ausgesetzten
Körpcrtheile oder den ganzen Körper mit einem rothen Stoffe bedeckt. Mit dieser Modifikation
hat er A'erminderung chronischer Hauthyperäinieen, Anämisicrung hyperämischer Hautpartieen,
Besseruug und Heilung von Ekzemen erzielt, auf diesem Wege hat er chronisch rheumatische
Affektionen in den Gelenken, an den Händen und an den Füssen sehr günstig beeinflusst.
Lindemaun (Berlin), Ueber Lichttherapie.
Dreierlei Wirkung ist bei der Behandlung mit Glüh- und Bogenlichtkästen, sowie mit Be¬
strahl ungsapparaten zu unterscheiden, und zwar 1. die den Körper beeinflussende Wirkung der
Wärme, welche speziell als strahlende Wärme einen besonderen taktilen Hautreiz auszuüben scheint,
2. die spezifische Lichtwirkung, wie Redner die bakterieide nennen möchte, und 3. eine suggestive
Wirkung, wie sie besonders der Phototherapie eigen ist und der wir uns auch sonst oft, zumal bei
nervösen Leiden, mit Vortheil bedienen. Lin de mann resümiert seine Ausführungen wie folgt:
Die Glüh- und Bogenlichtbäder bewirken eine Anregung der Cirkulation des Stoffwechsels, besonders
der Schweisssekretion, und zwar wirken die Glühlichtbäder mehr erregend, als die Bogenlichtbäder.
Die Bäder erweisen sich heilkräftig vor allem bei Blutarmuth, chronischem Gelenkrheumatismus,
Gicht, Ischias; sic eignen sich auch zur Unterstützung von Entfettungskuren und können schliess¬
lich prophylaktisch anstatt der Dampfbäder angewandt werden, deren unerwünschte Nebenwirkungen
Kopfkongestionen etc.) ihnen nicht anhaften. Die Bestrahlungsapparate, in denen Bogenlicht von
15—30 Ampere Stärke auf die Haut reflektiert wird, wirken als intensiver Hautreiz durch Konzentration
der strahlenden Wärme auf die Haut (aktive Hauthyperämie) sowie korrosiv. Und dann haben sie
eine unmittelbar bakterientötende Wirkung, welche sich therapeutisch mit Erfolg verwerthen lässt
zur Heilung von schlaffen, atonischen Geschwüren, Aknepusteln, Furunkeln etc. Intensiver
haktericid wirkt, zumal bei Lupus, das Finsenlicht, bei welchem ein Bogenlicht von 40 80 Ampere
Stärke zur Verwendung kommt.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
Hruuo Schttrraayer (Hannover), Feber die Bakteiienflora von Nährpräparaten.
Vortr. suchte auf experimentellem Wege die Frage zu lösen, wie es mit dein Baktericngehalt,
d. li. mit der Hohlheit des neuen vegetabilischen Ei Weisspräparates, des Hobo rata, stehe. Den
Maassstab sollten diejenigen Präparate abgeben, von denen behauptet wird, sie seien keimfrei. So
wurde zunächst das Tropon und das Plasmon untersucht, und die hier sich ergebenden geradezu
erstaunlichen Resultate, die alles Andere, nur keine Keimfreiheit erkennen Hessen, machten es
nothwendig, die Frage der sogenannten Keimfreiheit an einem noch grösseren Material zu kontrollieren.
Feiner war festzustellen, was für eine Bedeutung der Bakteriengehalt eines jeden Präparats in
Bezug auf den Werth oder Unwerth des betreffenden Erzeugnisses habe. Wenn man sich ein
Urtheil über die Reinheit eines Präparats bilden will, so muss man sich zunächst vergegenwärtigen,
welchem Rohmaterial dasselbe entstammt und dann, ob das betreffende Herstellungsverfahren
genügt, um alle schon im Rohmaterial enthaltenen oder hincingelangteu Keime unschädlich zu
machen. Auf Grund dieses Ursprungs hat man zwei Gruppen von Eiweissnährmitteln, solche, die
aus thierischem Rohmaterial, und solche, die aus vegetabilischem gewonnen werden, zu unterscheiden.
Von der ersteren Gruppe unterzieht Vortragender einer Betrachtung die Abkömmlinge der Milch,
Sanatogen und Plasmon, und die aus Fleisch bezw. thicrischcn Geweben hcrgcstellten Präparate
Soso n und Tropon; von der zweiten Gruppe die M eil in* sehe Kind er nähr ung, das Flüggc’sche
Kastanienmehl und das Roborat. Aus den umfangreichen bezüglichen bakteriologischen
Untersuchungen des Vortragenden sei hier die Thatsache konstatiert, dass unter anderem auch im
Plasmon und Tropon Bakterien Vorkommen, welche in feuchten Medien, so auch im Magen und
Darm Zersetzungen hervorrufen, die dem Organismuss gefährlich werden können. Anders verhält
es sich mit den aus Mehlen gezüchteten Spaltpilzformen; sie haben solche Eigenschaften nicht, und
im Roborat kommen sogar Keime vor, die in ganz auffälliger Weise die Darmfäulniss herabsetzen.
Ferner stellt Vortragender bezüglich des Plasmons und Tropons fest, dass die Technik der
Herstellung in keiner Weise genügt, die vorhandenen Keime abzutöten. Was aber das Ausgangs-
matcrial betrifft, so erscheint dasselbe unter solchen Umständen geradezu gefährlich. Tropon
entstammt zu -/ M dem Fleischmehl, das aus dem Auslande, und zwar aus Südamerika kommt, so
dass man absolut keine Garantie hat, dass hier ein auch nur cinigcrmaassen Vertrauen erweckendes
Rohmaterial vorliegt. Besonders schwer fällt hier der Umstand ins Gewicht, das beim Rinde neben
«len verbreiteten Fonnen der Tuberkulose auch die cmbolische Muskeltuberkulose Vorkommen
kann. Noch bedenklicher liegen die Umstände in Bezug auf das Plasmon, das viel zweckmässiger
mit seinem früheren Namen »Sicbold’s Milch ei weis sc bezeichnet werden müsste. Die Unter¬
suchungen der letzten Jahre weisen darauf hin, eine wie grosse Infektiosität der Milch zukommen
kann. Und nun, während man einerseits den Genuss ungekochter Milch verbietet und Apparate
zu ihrer Sterilisierung für die Kindernährung konstruiert, giebt man andererseits den gesunden wie
kranken Kindern ohne Bedenken ein Nährmittel, das einen grossen Theil von dem, was man in
der Milch abzutöten sich bemüht, ungeschwächt enthält. Vortragender lässt sich darüber an der
Hand verschiedener bakteriologischer Untersuchungen näher aus und gelangt zu dem Schlüsse, dass
man dem Plasmon kein Veitrauen entgegenbringen darf, denn die Verunreinigung mit pathogenen
Keimen gangbarer Art sei erwiesen, darunter mit den gefährlichsten unter denselben, Tuberkel¬
bacillen. Anders liege die Sache beim Roborat, das aus Weizen und anderen Mehlen gewonnen
werde. Schon die Herkunft des Materials verbürgt die Abwesenheit pathogener Keime; die Bei¬
mengung von Saprophyten ist eine minimale. Andererseits kommen in vegetabilischen Produkten
geradezu Spaltpilze vor, die einer durch anderweitige Herkunft erzeugten Gährung und Zersetzung
entgegenwirken. Schon lange weiss man, dass z. B. die Gährung im Darme, vor allem bei Kindern»
durch reine Amylacceudiät gehoben wird, und man richtete sich nach dem Rathc von Esc he rieh
bei der Behandlung der Enteritis danach. Was nun die physiologische Wirkung; des Roborats im
Dann betrifft, so sind es nach den Untersuchungen des Vortragenden nicht die dem Ainyluni
zügcschriebenen Wirkungen, sondern vielmehr die der pflauzlichen Proteine überhaupt, denen jene
Wirkung zukommt; sie lässt sich vemuithlieh aber zuriiekführen auf die Anwesenheit von Keimen,
die direkt gährungswidrig wirken.
Siegfried (Nauheim), Ueber Vibrationsmassage, insbesondere bei Herzkrankheiten.
Aus den Beobachtungnn des Vortragenden ergeben sich für die therapeutische Anwendung
der Vibrationsmethode folgende Gesichtspunkte:
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Berichte über Kongresse? und Vereine. 9»)
1. Die Vibration des Herzens ist stets nur mit grosser Voreicht in milder Form und in be-
M-hränktem Maasse auszuüben.
2. ln manchen Füllen von Tachykardie, Myokarditis, Dilatation haben wir in der Vibration
des Herzens ein brauchbares und für den Patienten subjektiv angenehmes therapeutisches Mittel,
um die Herzthätigkeit zu regulieren und um die von Palpitationen und Dyspnoe herrührenden Be*
srhwerden zu lindern.
:k Die Wirkung ist keine dauernde, vielmehr eine schnell vorübergehende.
4. Die Vibration ist kontraindiziert bei hochgradiger Arteriosklerose, bei Aneurysma, bei
Neigung zu Apoplexie, überhaupt in allen Fällen, in denen eine plötzliche Erhöhung des Blutdrucks
vermieden werden muss.
Das Hauptfeld für die Anwendung der Vibrationsmassagc liegt nicht auf dem Gebiete der
Herzkrankheiten; hier kann sie nur erprobte Behandlungsmethoden, wie die balneologische, in
manchen Fällen unterstützen
llnr winke] (Nauheim), Herzleiden nud Ernährung.
Andauernde überreiche Zufuhr von Nahrungsmaterial bedingt, namentlich bei mangelhafter
Organ» und Muskelthätigkeit, eine abnorme Blutfülle, die für die Cirkulationsorgane nicht gleich¬
gültig ist: denn der Grad der Arbeit des Herzens hängt von der zu befördernden Blutmenge und
von dem Widerstande im Gefässsystem ab. Die peripheren Widerstände liegen aber nur zum Theil
in der Bahn, im Kaliber und in der Beschaffenheit der Gefässc. Ein Faktor, den man bei der
Beurtheilung dieser Verhältnisse bisher so gut wie ausser Acht gelassen hat, ist die physikalische
Beschaffenheit des Blutes als Flüssigkeit. Weder für die Strömungsgeschwindigkeit, noch für die
zur Fortbewegung der Blutsäule erforderliche Herzarbeit ist es gleichgültig, ob das Blut dünn- und
damit leichtflüssig oder ob es dick- und damit schwei-flüssig ist.
Demgemäss verdient in erster Linie die Nahrungsmenge — wegen ihres Einflusses auf das
Volumen des Blutes — volle Beachtung. Jedes Uebermaass ist den Herzkranken, auch im Stadium
der Kompensation, zu verbieten; es steigert die Herzaktion und nutzt die Herzkraft unnöthig ab,
zudem begünstigen plethorische Zustände den Fettansatz. Dagegen stellt die konsequent und
richtig durchgeführte Keduktion nicht nur der flüssigen, sondern auch der festen Speisen ein äusserst
wirksames Mittel dar, um dem ermüdeten Herzen Erholung zu schaffen; denn der Kreislauf wird
entlastet, und die inneren Reibungswideretande in der Gefässbahn werden mit abnehmender Zähig¬
keit der Blutflüssigkeit geringer. Die Entziehungsdiät ist mit Uni-echt durch die roborierende Alt
der Behandlung immer mehr verdrängt worden; die letztere läuft nicht eben selten auf Ueber-
emährung hinaus, die eine Schonung des Herzens unmöglich macht. Wenn mau dagegen, wie bei
Fettsucht oder Inkompensation, weit unter das Kostmaass heruntergeht, so erfährt das Herz oft nicht
unerhebliche Kräftigung. Damit soll keineswegs die Unterernährung als Regel für alle Herzkranke
aufgestellt werden. Entscheidend sind der Ernährungszustand und die Assimilationsfähigkeit des
Individuums. Empfehlenswerth dürfte die Unterernährung sein, wenn es gilt, den überhohen Blut¬
druck dauernd herabzusetzen, so bei beginnender Arteriosklerose, bei Aortenaneurysma und bei
den Herzstörungen mancher Neurastheniker. Nicht minder wichtig als das Quantum ist die
qualitative Beschaffenheit der Nahrung. Die Herzkrankheiten, namentlich die auf arteriosklerotischer
Basis, nehmen in letzter Zeit in erschreckender Weise zu. Ursache dieser Erscheinung ist die ein¬
seitige und übertriebene Ernährung mit Fleisch. Bei vorwiegender Fleischkost finden sich alle die
Schädlichkeiten, welche für die Entstehung der Arteriosklerose geltend gemacht werden, in idealster
Konkurrenz zusammen. Die Toxine, Ptomaine und andere Produkte der Eiweissfäulniss im Dann
reizen die kleinen Gefässe zu spastischen Kontraktionen und schaffen das »Embryonalstadiuui der
Arteriosklerose«. Im Alkoholmissbrauch sieht Burwinkel nicht die prima causa für die Ent¬
stehung der Arteriosklerose.
Die diätetische Therapie hat schon beim Gesunden und weit mehr noch beim Herzkranken
zu verhüten, dass das Blut zu stoffreich und zu dickflüssig wird. Demgemäss erscheint eine mehr
oder minder strenge Vegetarierkost geboten; beim Vegetarianer halten sich Puls und Blutdruck
niedrig. Nicht selten erblickt man hierin das Heil des Kranken; zu diesem Ziele führt die Sorge
für eine richtige Blutmischung, die eine leichtere Fortbewegung der Blutwelle ermöglicht. Die
Indikation für die vegetarische Lebensweise, die bei hochgradiger Erregung deä Herzens und beim
Basedow empfohlen ist, will Burwinkel ausgedehnt wissen auf die Anfangsstadieu der Arterio-
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sklerose, auf arthritisehe Herzleiden und auf die kardialen Störungen, die sich mit den klimak¬
terischen Jahren bei Frauen einzustellen pflegen. Die Vogetabilien bedürfen aber einer besonderen
Auswahl, weil viele von ihnen kalkhaltig sind. Bei der Auswahl von Fleisch lasse man möglichst
alle an Extraktivstoffen und PtomaTnen reiche Sorten meiden. Bezüglich der Genussmittel ist
strengste Individualisierung am Platze. Thee, Kaffee, Alkohol, Tabak werden ohne weiteres aus-
zuschliessen sein, wenn nach dem Genuss Palpitationen oder andere unangenehme Zustande auftreten.
rrankenhäuser (Berlin), Ueber elektrochemische Therapie.
Unter gewöhnlichen Verhältnissen ist die Haut für wässerige Salzlösungen so gut wie
undurchgängig. Wenn Inan aber die mit einer Salzlösung befeuchteten Elektroden einer galvanischen
Batterie auf die Haut aufsetzt und dann den Strom hindurchgehen lässt, dringen die Bestandteile
des Salzes durch die Haut ein, und zwar auf bestimmte Strommengen ganz bestimmte Quantitäten
des Salzes. Der Vorgang spielt sich aber nicht derart ab, dass an beiden Elektroden das Salz als
Ganzes in die Haut eindringt. Vielmehr dringt an der Anode die metallische Komponente, an der
Kathode die Säure-Komponente des Salzes ein. Die eingewanderten Bestandteile treten ihrerseits
im Körper mit den ergänzenden Bestandteilen der Salze des Körpers in Verbindung. Dieses
Gesetz hat für alle elektrisch leitenden Salze, Säuren und Laugen Giltigkeit. Mit gleichen Strom¬
mengen wandern chemische äquivalente Mengen dieser Substanzen in den Körper ein. Demgemäss
kann man vermittelst der Elektroden und der galvanischen Kette eine grosse Menge wirksamer Sub¬
stanzen auf die Haut und selbst auf das Körperinnere ein wirken lassen. Von den Stoffen, welche
man in der erwähnten Weise auf die Haut zu therapeutischen Zwecken einwirken lassen kann,
kommen für die Anode hauptsächlich die Säuren, die Salze der Leicht- und Schwennetalle und die
Salze der Alkaloide in Betracht; ihre Wirkung entspricht im grossen Ganzen der Wirkung der
entsprechenden Chloride, da sie sich im Körper vorwiegend mit Chlor verbinden. Für die Kathode
kommen vorzugsweise die Laugen und die Metall Verbindungen der Säuren in Frage; ihre Wirkung
entspricht der der entsprechenden Natriumverbindungen, da sie sich im Körper vorwiegend mit
Natrium verbinden. Die Einwirkungen, welche sich auf der Haut erzielen lassen, fasst Fra nk enhäuse r
in folgenden Sätzen zusammen.
1. Man kann Hautpartiecn, die man zerstören will, verflüssigen. Hierzu eignen sich vor
allem dünne Lösungen der Mineralsäuren. Man kann z. B. mit einer Saizsäurelösung von f»° von
der Anode aus schon in wenigen Minuten eine kräftige Aetzwirkung erzeugen.
2. Man kann Hautpartieen ohne Trennung der Kontinuität zur Nekrose bringen. Hierzu eignen
sich vor allein die Salze mancher Schw’crmetallc. Entsprechend der Eintrittsstelle des Stromes
bildet sich eine Mumifizierung der Haut, die sich erst abstösst, wenn die darunter liegenden Partieen
definitiv geheilt sind.
3. Man kann Hautreize von beliebiger Intensität erzeugen. Hierzu eignen sich fast alb-
genannten Substanzen; je nach der angewandten Substanz, Strommenge und Grösse der Elek-
trode kann man den Reiz vielfach variieren.
4. Man kann spezifisch medikamentös wirkende Stoffe der Haut oinvcrlcihon, z. 1». Salizyl¬
säure, Jod, Chinin.
5. Man kann die Haut anästhetisch machen, z. B. mit Kokain
Zur Ausführung der Prozeduren bedarf man keiner anderen Instrumente, als der gew öhnlichen
galvanischen Batterie und der gewöhnlichen Elektroden. Die Elektroden müssen frei von jeder
Verunreinigung sein, weil diese in unkontrollicrbarer Weise in die Wirkung eingreifen würde
Die Wirkung ist in ihrer Qualität abhängig von dem angewandten Stoffe, in ihrer Ausdehnung
von der Form der Elektrode, in ihrer Intensität von der Intensität und Dauer des Stromes. Die
Konzentration der angewandten Lösung hat nur insofern Bedeutung, als bei sehr verdünnten
Lösungen zufällige Verunreinigungen mehr zur Geltung kommen. Im allgemeinen wird man daher
sehr reine, aber nicht sehr starke Lösungen verwenden. Von Wichtigkeit ist die Grösse der
Elektrode. Je grösser bei einer gegebenen Strommonge die Elektrode ist, desto geringer ist die
Intensität der Wirkung auf die Haut. Die Form der Elektrode passt man beliebig der Form der
Hautpartie an, die man beeinflussen will. Die Wirkung beschränkt sich scharf auf die Eintrittsstelle
des Stromes. Ausser einfachen Lösungen eines Salzes kann man auch eine Mischung verschiedener
Salzlösungen venvonden; damit würde man natürlich grössere Variation in der Wirkung
erzielen können.
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115
Zuhludowski (Berlin), Die neue Massageanstalt der Universität Berlin.
Der Aufforderung des Vorstandes der baineologischen Gesellschaft folgend, berichtet Redner
Tiber die Ende vorigen Jahres ins Leben getretene neue Universitätsanstalt, welche einem der
liauptzweige der physikalischen Therapie, der Massage, gewidmet ist. Den Bericht leitet er mit
der Bemerkung ein, dass er dem Begiffe Massage eine weitgehende Bedeutung beilege, dass er
darunter einen Komplex von Handgriffen verstehe, welche systematisch am menschlichen Körpor zu
Heilzwecken angewendet werden. Diese Handgriffe gehen in den meisten Fällen Hand in Hand
mit Bewegungsübungen, zu denen sich der Kranke je nach dem Stadium der Krankheit aktiv oder
passiv verhält. Den Handgriffen und Bewegungen folgen oft Lageveränderungen des ganzen Kör¬
pers oder einzelner Particen desselben. Dann geht Redner nach einigen Worten über seine eigene
Thätigkeit, die er im Verlaufe der letzten zwei Dezennien entfaltet hat, und nach einer kurzen
Febersicht über die historische Entwickelung des von ihm vertretenen Spezialfaches der Heilkunde
auf das eigentliche Thema über.
Es war im März vorigen Jahres, als bei Gelegenheit der Berathung des Etats des Kultus¬
ministeriums im preussischen Herrenhause die dringende Nothwendigkeit der Errichtung einer staat¬
lichen Lehrstätte für Massage betont und um schleunige Abhülfe in dieser Beziehung gebeten wurde,
worauf der Vertreter der Staatsregierung, Herr Ministerialdirektor Althoff, über ad hoc gefühlte
lUnterhandlungen berichtete und die bevorstehende Errichtung einer staatlichen Massageanstalt an¬
kündigte. Wegen baulicher Maassnahmen konnte die Massageanstalt der königlichen Universität
ihre Thätigkeit erst im Dezember vorigen Jahres beginnen.
Folgendes sind die Aufgaben der Anstalt:
1. Durch Ausbildung in der Massage sowohl von Studierenden höherer* Semester als auch von
schon approbierten Aerzten soll diese Heilmethode als Theil der allgemeinen und speziellen Therapie
zum Gemeingut der Aerzte gemacht werden.
2. Es sollen wissenschaftliche Beobachtungen auf dem Gebiete der Massage gemacht werdeu.
3. Durch praktische Ausbildung eines durch Intelligenz, Geschicklichkeit und moralische
< Qualifikation besonders geeigneten Wartepersonals in der Massage, als einem wichtigen Agens der
Krankenpflege, soll den Aerzten eine nicht zu unterschätzende Unterstützung geschaffen werden.
4. Es soll Kranken, welche einer systematischen Massagekur bedürftig sind, die Möglichkeit
geboten werden, eine solche von fachmännischer Hand zu haben.
Als Mittel zur Erfüllung der Aufgaben der Anstalt dienen folgende Maassnahmen:
I. Es werden in der Massageanstalt drei Massagekurse periodisch abgehalten, nämlich a) für
Studierende der Medicin ein semestraler Kursus; b) für Aerzte zwei Lehrkurse und zwar: 1. syste¬
matische Kurse von vierwöchentlicher Dauer, 2. praktische Uebungskurse in der Massage im Am¬
bulatorium der Massageanstalt für diejenigen, welche den systematischen Kursus schon absolviert
haben, ebenfalls von vierwöchentlicher Dauer. — Die Theilung der Kurse für Studierende und
Aerzte ist mit Rücksicht auf die allgemeinen Bedürfnisse der einen und der anderen erfolgt; sonst
läge kein Grand vor, eine solche Theilung in allen Fällen durchzuführen. Um den Studierenden
den Besuch der Massageanstalt zu erleichtern, wurden die Unterrichtsstunden auf eine Nachmittags¬
zeit verlegt, zu welcher sie mit viel frequentierten Kollegien am wenigsten kollidieren; es wurden
wöchentlich zwei Stunden genommen. Da jeder Hörer seine Theilnahme an den Vorgängen im
Auditorium nicht bloss auf das Hören und Zusehen beschränken kann, vielmehr seine Aufmerksam¬
keit durch die ständig an ihn herantretendc Noth wendigkeit der Wiederholung der demonstrierten
Uebungen wachgehalten wird, so bieten diese Lehrstunden eine erwünschte Abwechselung zu den
Stunden, in welchen die Hörer sich verhältnissmassig passiv zu verhalten haben. — Den Bedürf¬
nissen der Aerzte wird dadurch Rechnung getragen, dass die Kurse sich auf verhältnissmässig kurze
Zeit beschränken; sie bilden einen Cyklus von 16 Vorlesungen von je 1 V 2 stündiger Dauer. Als
geeignetste Zeit haben sich sowohl für Aerzte, welche sich des Studiums halber in Berlin aufhalten,
als auch für Sanitätsoffiziere der Garnison von Berlin und dessen nächster Umgebung die Morgen¬
stunden von 8 — 91/2 Uhr ergeben. Diese Hörer konnten dabei auch ihren anderen Obliegenheiten
am besten nachkommen. Sowohl bei dem semestralen als auch bei dem systematischen Monats¬
kursus wird eine möglichst erspriessliche Zeitausnutzung dadurch erstrebt, dass das Hauptgewicht
auf die Erlernung der Technik, die nicht durch Selbststudien erlangt werden kann, gelegt wird.
Es besteht die strikte Regel, dass nur nach dem Beherrschen der Einzelmanipulation zu den kom¬
binierten Manipulationen, eventuell zur Mitbehandlung von Kranken geschritten wird. Zu diesem
Zwecke werden die einzelnen Manipulationen (wie einerseits die stossenden Manipulationen: inter¬
mittierende Drückungen, Klopfungen, Klatschungen. Hackungen, Erschütterungen, Zupfungen.
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Sohüttclungen, andrerseits die reibenden Manipulationen, wie: Reibungen, Knetungen, Muskel¬
rollungen, Hobeln, Druckungen, Streichungen) an gesunden Individuen, rcsp. an gesunden Körper-
partieen ausgeübt. Es werden für diese Uebungen in den ersten Unterrichtsstunden solche Personen
verwendet, welche sich gegen Entgelt dazu hergeben. Die kombinierten Manipulationen (wie*
streichende Knetungen, die gleichzeitig ausgeffdirten Manipulationen aus verschiedenen Gruppen, die
Einschaltung von Bewegungen der aktiven, passiven und Widerstandsbewegungen in die eigent¬
lichen Massagemanipulationen) werden nach kurzer Ucbung am Gesunden in gewissem Sinne als
Organmassage in typischen Krankheitsfällen an Kranken ausgeführt Bei der Organmassagc werden
auch gleichzeitig die Indikationen für die verschiedenen Manipulationen festgestellt Solche typi¬
schen Fälle sind z. B. an der unteren Extremität: Ischias, Fussverstauchung, entzündlicher Plattfus*,
Kniescheiben- und Schenkelhalsbruch, residuale llemiplegicen, Gonitis; an der oberen Extremität:
Itadiusbruch, Dnicklähmungen, Schreiber- und Klavierspielerkrampf, Residuen nach Phlegmonen;
am Urogenitalapparat: Enuresis nocturna, llamblasenlähmung, männliche Impotenz, Spermatorrhoc:
am Abdomen: Diarrhoe, Obstipationen, sowohl die spastische als auch die atonische Form; am
Thorax: Schwäehczuständo des Herzens, bronchiales Asthma; am Halse: Basedowsche Krank¬
heit; am Kopfe: Migräne; am Gesicht: Anforderungen der Kosmetik; am Rücken: Hexenschuss,
durch Muskelschwäche bedingte Rückgratsvcrkriimmungen u. s.w. Es wird darauf geachtet , dass
die einzelnen Behandlungen (Massagesitzungen) der für die Massage typischen Fälle von jedem ein¬
zelnen Hörer lege artis durchgenommen werden. Dies geschieht um so leichter, als die genannten
typischen Fälle gewöhnlich in genügender Zahl unter den Hiilfesuchenden der Anstalt vorhanden
sind. Solche Behandlungen unter den Augen des Leiters der Kurse durch Hörer, welche in der
Ausführung der einzelnen Manipulationen schon durch die vorhergegangenen Uebungen am »Modell*
eine gewisse Sicherheit erworben haben, pflegen ganz glatt zu verlaufen. Während aber die typi¬
schen Behandlungen einzeln vorge nommen werden — d. li. es wird nur je ein bezüglicher Kranker
allein im Auditorium behandelt —, wird in den letzten Stunden des Kurses die gleichzeitige Be¬
handlung von mehreren Kranken durch so viele Hörer, wie der Raum gestattet, eingeleitet. Der
besseren Uebersicht halber wurde es nothwendig, die Hörerzahl für einen Kursus einer gewissen
Einschränkung zu unterwerfen, was bei monatlich stattfindenden Kursen keine besonderen Un¬
bequemlichkeiten verursacht, desgleichen bei semcstralcn Kursen durch Vcrthcilung in Gruppen.
Auf diese Art erhalten die Hörer auch die Möglichkeit, die Verschiedenheit der Anwendung der
bestimmten Manipulationen in den einzelnen Stadien des Krankheitsprozesses kennen zu lernen; sie
lernen aber auch, sich zu helfen bei beschrankten Raum Verhältnissen; gleiche Behandlungen werden
in verschiedenen Stellungen sowohl des Kranken als auch des Arztes ausgefühlt.
II. Hand in Hand mit der Zunahme des Krankeninatenals wie auch der Zahl dor in der
Technik der Massage ausgcbildcten Hörer hat die Zunahme der Zahl der Famuli- und Volontär¬
ärzte cinhcrzugehcn, um dann auch Aufgaben wissenschaftlicher Forschung nachkommon zu können,
soweit es bei einem nicht stationären, sondern ausschliesslich poliklinischen Material möglich ist
III. Die Ausbildung von Wartepersonal erfolgte in der Weise, dass die betreffenden Personen
zum Aufenthalt im Auditorium während der Kurse zugelassen wurden, ebenso waren sie während
der poliklinischen Stunden anwesend. Während der Kurse leisteten sie Wärterdienste; doch wurden
sie auch zur Behandlung bei allgemeinen Ernährungsstörungen, chronischen Arthritiden, bei wenig
beschränkter Beweglichkeit u. dergl. zugezogen, und zwar — zur Vermeidung eines Kollidicrcns
ihrer Thätigkeit mit derjenigen der au den Kursen thcilnehmenden Aerzte und Studierenden — in
Stunden ausserhalb der Kurse. Wegen des rein praktischen und mehr schabloncnmässigcn Charakters
ihrer Ausbilduug wurde ihr Aufenthalt in der Anstalt für längere Zeit nöthig.
IV. Ganz besonders kommt der Anstalt die Verschiedenartigkeit des zur Behandlung kommenden
Krankenmaterials der Poliklinik der Massagcanstalt zu gute. Letzteres rekrutiert sich aus Kranken
und zwar: 1. zugewiesenen, a) aus verschiedenen klinischen Instituten durch Ueber weisungskarten,
welche meist die Diagnose und manchmal anamnestischc Daten enthalten, zuweilen auch, behufs
weiterer Beobachtung die Weisung für den Kranken, sich in dein betreffenden Institut, ;in welches
er sich zuerst gewandt hatte, nach einer gewissen Zeit wieder vorzustellen; b) von praktischen
Aerzten, meist durch Briefe, enthaltend den Wunsch einer Rückuusscrung bezüglich Diagnose und
Prognose; 2. aus eigenem Antriebe Gekommenen, welche entweder von selbst den Entschluss
fassten, es mit der Massage zu probieren, oder denen ärztlicherseits eine Massagekur empfohlen
wurde, ohne dass sie dabei auf die Massageanstalt hingewiesen waren. (Schluss folgt.)
Iicrliß. Druck von \\\ ruixcnsloin.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1901/1902. BandY. Heft 2.
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. r. Leyden und Prof. Dr. A. Goldscheider.
Verlag von Georg Thleme in Leipzig.
INHALT.
Original-Arbeiten. Seite
I. Bemerkungen zur therapeutischen Verwerthung der Muskelthätigkeit. Von Prof. Dr.
X. Zuntz in Berlin.99
II. lieber Heissluftapparate und Heissluftbehandlung. Aus der medicinischen Universitäts-
Poliklinik in Königsberg i. Pr. Von Prof. Dr. Julius Schreiber. Mit 6 Abbildungen 104
III. Die Kostordnung auf der inneren Abtheilung des evangelischen Diakonissenhauses in
Freiburg i. Br. Von Oberarzt Prof. Dr. A.Schöle.11G
IV. Ueber die Verwendung Blinder in der Massage. Von Dr. E. Eggebrecht in Leipzig . 119
V. Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. Von Dr. M. Siegfried in
Bad Nauheim. I. Theil. Mit 11 Abbildungen.1J1
Referat© über Bücher und Aufsätze.
A. Goldscheider und P. Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie.145
A. Schoenstaedt, Ueber vegetarische Ernährung und ihre Zulässigkeit in geschlossenen
Anstalten und bei Menschen, welche sich in einem Zwangsverhältniss befinden . . I4f>
J. v. Kössa, Die Wirkung des Phlorizins auf die Nieren.147
W. Caspari, Ein Beitrag zur Beurtheilung von Milchpräparaten.147
Keller, Ueber Nahrungspausen bei der Säuglingsernährung.147
Feer, Neuere Fortschritte und Bestrebungen in der Säuglingsernährung.148
Bend ix, Beiträge zur Ernährungsphysiologie des Säuglings.149
Ochsn er, Ueber Verwendung ausschliesslicher Rektalernährung in akuten Appcndicitisfällen 149
Sommerfeld, Ueber die Milchkontrolle im Kaiser und Kaiserin Friedrich-Krankenhause in
Berlin.150
Charles Townscnd, Bemerkungen zur Ernährung der Kinder mit spezieller Beziehung der
Behandlungsweise der Milch im Hause.150
Rosenbach, Zur Pflege und Prophylaxe bei Herzkranken.151
Goldschmidt, Weitere Beiträge zum nervösen Asthma.152
William Henry Porter, Gout and Rheumation, their aetiology and dietetic treatment . . 152
Robert Saundby, An adress on the modern treatment of Diabetes mellitus.153
Forel, La question des asiles pour alcoolisös incurables.153
William Ewart, Eis oder Wanne in der lokalen Anwendung?.155
J. Jefimow, Zur Entstehung des Skorbuts.155
Robert Langendorff, Ueber das Luftbad.150
A. Winckler, Ueber Gasbäder und Gasinhalationen aus Schwefel wässern.158
Koeppe, Die physikalisch-chemische Analyse des Liebensteiner Stahlwasscrs.158
Rudolf Hatschek, Eine einfache Methode für Kohlensäureapplikationen.159
Zeitschr. f. cll&t» u. pbysik. Therapie Bd. V. Heft 2. ~
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Seit*#
98
Inhalt.
II. S. Frenkel, Die Behandlung der tabischen Ataxie mit Hülfe der Uebung. Kompen¬
satorische Uebungstherapie, ihre Grundlagen und Technik.159
S. Kornfeld, üeber den Einfluss physischer und psychischer Arbeit auf den Blutdruck . . 161
Langowoy, Ueber den Einfluss der Körperlage auf die Frequenz der Herzkontraktionen . 163
Lasu rs ki, Ueber den Einfluss der Muskelbewegung auf die Blutzirkulation in der Schädelhöhle 163
J. Dogel, Der Einfluss der Musik und die Wirkung der Farben des Spektrums auf das
Nervensystem des Menschen und der Thiere.. 164
A. Akopenko, Zur Chromotherapie der Geisteskrankheiten. Die Wirkung der farbigen
Lichtstrahlen auf die Schnelligkeit des Ablaufs der psychischen Prozesse .... 164
L. Sternbo, Ueber die schmerzberuhigende Wirkung der Itöntgenstrahlen.166
E. Do um er und L. Ran^on, Traitement de la diarrhöe chez les tuberculeux par la faradi-
sation abdominale.I6G
A. Scherbakow, Die Mineralschlammbadeorte des europäischen Russland.166
Blätter für Volksgesundheitspflege 1901.168
Kleinere Mittheilungen.
I. Ueber die Wirkung des Seeklimas auf den Stoffwechsel. Von Dr. Joh. Ide, Inselarzt
und Arzt des christlichen Seehospizes auf Amrum.169
II. Ein Fall von Serratuslähmung durch lokale Hitze gebessert Von Oberstabsarzt Dr. Heer-
raann in Posen.174
Berichte über Kongresse und Vereine,
I. Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft zu Berlin.
7.—12. März 1901. Erstattet von — n. (Fortsetzung).175
Pariser, Das praktische Problem der internen Behandlung der Gallensteinkrankheit 175
Munter, Die Hydrotherapie der Gicht.176
Putzer, Praktische Erfahrungen über die hydriatische Behandlung bei Masern und
Scharlach.177
Kothe, Zur physikalisch-diätetischen, insbesondere hydriatischen Behandlung der
Neurosen.178
Brügelmann, Ueber Asthma, sein Wesen und sein Behandlung.180
Schenk, Die physikalische Therapie der Lungentuberkulose mittels Stauungs-
hyperäraie.180
Eulenburg, Ueber Anwendung hochgespannter Wechselströme zu therapeutischen
Zwecken.181
Müller de la Fuente, Die nervöse Schlaflosigkeit und ihre Behandlung. . . . 182
II. Diätetisches und Physikalisches vom 19. Kongress für innere Medicin zu Berlin. Von
Privatdocent Dr. H. Strauss in Berlin.183
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Original - Arbeiten,
i.
Bemerkungen zur therapeutischen Yerwerthung der Muskelthätigkeit.
Von
Professor Dr. N. Zuntz
in Berlin.
Die Bedeutung der Muskeln als Angriffspunkte therapeutischen Wirkens spiegelt
sich in der Beachtung, welche ihnen schon in den ersten Heften dieser Zeitschrift
zu Theil ward; ich brauche nur an die Abhandlungen der Herren Gad, v. Leyden
und Goldscheider, v. Reyher, Tschlenoff, Richter zu erinnern.
Der letztere bespricht die Bedeutung der Muskelthätigkeit für die Entfettung;
von diesem Gesichtspunkte bedarf die Einwirkung der Arbeit auf den Stoffwechsel
noch einer eingehenderen Beleuchtung, und namentlich einer mehr quantitativen Ab¬
wägung, als ihr bisher von Seiten der Praktiker zu Theil geworden ist. Nicht
minder unentbehrlich ist die Kenntniss der Einwirkung der Muskelthätigkeit auf den
Stoffwechsel, wenn es gilt, die Disposition zur Fettleibigkeit und zur Magerkeit
zu verstehen und rationell zu bekämpfen.
Die Bestrebungen, die sogenannte Fettsucht, die krankhafte Disposition zum
Fettansatz bei gewissen Individuen und in manchen Familien auf eine abnorme
Trägheit des Stoffwechsels, eine erhebliche Herabsetzung der physiologischen Oxy¬
dationsprozesse zurückzuführen, haben bisher durch Messungen des Respirations¬
prozesses keine Stütze gefunden. Nur eine Form von Fettsucht, die durch Kastration,
vielleicht auch im Anschluss daran die durch die Menopause bedingte, ist durch die
Untersuchungen von Loewy und Richter auf Minderung des Stoffumsatzes des
ruhenden Individuums zurückgeführt worden. In diesem Falle zeigte das exakte
Experiment, dass aus den Geschlechtsdrüsen in den allgemeinen Kreislauf gelangende
spezifische Stoffe den Umsatz im Körper des ruhenden Thieres erhöhen. Eine ähn¬
liche Wirkung kennen wir von Seiten der Schilddrüse. Trotz dieser feststehenden
Thatsachen, welche die Möglichkeit einer abnormen Trägheit des Stoffwechsels aus
inneren Ursachen darthun, ist es bisher weder Magnus - Levy, der die Frage
systematisch untersucht hat, noch den anderen Forschern, welche dem Gaswechsel
fettsüchtiger und normaler ruhender Menschen ihre Aufmerksamkeit zugewendet
haben, gelungen, bei Fettsüchtigen eine subnormale Oxydation im ruhenden Körper
nachzuweisen.
Der Stoffwechsel geht in erster Annäherung der Körperoberfläche proportional,
ist demgemäss bei schweren Individuen zwar absolut grösser als bei leichten, aber,
bezogen auf die Körpergewichtseinheit, kleiner. Die als inaktives Reservematerial
anzusehenden Fettmassen erhöhen den Stoffwechsel des ruhenden Individuums nur
in geringem Maasse. Den Verbrauch für die Lokomotion und andere Bewegungen
steigern sie ebensogut wie die Last der Kleider und zu tragendes Gepäck. Zu
diesen Momenten kommt der Einfluss des Lebensalters auf die Grösse des Ruhe-
7*
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Stoffwechsels. Tigerstedt und Sonden, einwandsfreier aber Magnus-Levy und
Falk haben dargethan, dass der Umsatz der Gewebe des ruhenden Körpers unter
gleichen Verhältnissen mit dem Lebensalter abnimmt, allerdings nach vollendetem
Wachsthum durch mehrere Jahrzehnte konstant bleibt.
Bei normal genährten Menschen mittlerer Grösse von 55 —70 kg Gewicht be¬
trägt der Energieverbrauch in absoluter Ruhe 23—29 Kalorieen pro Kilogramm und
24 Stunden, also 1500—1700 Kalorieen für den ganzen Menschen; bei der fett¬
leibigsten der von Magnus-Levy untersuchten Personen, welche 133 kg wog, war der
Verbrauch pro Kilogramm zwar nur 14,3 Kalorieen, der ganze Körper brauchte aber
1912 Kalorieen, also mehr als magere Personen von normalem Gewicht, so dass auf die
Gewichtseinheit aktiver Körpersubstanz kaum ein Minderverbrauch anzunehmen ist.
Der hier angegebene Minimalverbrauch ruhender, nüchterner Menschen, der
auch im Schlaf keine weitere Minderung erfährt, wird nun durch jede Thätigkeit
der quergestreiften oder glatten Muskulatur wie auch der Drüsen erhöht. Diese
Erhöhung beträgt schon durch die Verdauungsarbeit, je nach Menge und Beschaffen¬
heit der Nahrung, 10 — 20«/« des Ruhewerthes im nüchternen Zustande. Hierzu
kommen die beim Stehen, Umhergehen und den kleinen Verrichtungen des täglichen
Lebens ausgeführten Muskelleistungen, welche, individuell sehr verschieden,
um 20—75% des Ruhewerthes den Verbrauch steigern. Die grossen Differenzen,
welche dieser Posten des täglichen Verbrauches aufweist, sind in erster Linie durch
Temperament und individuellen Bewegungstrieb zu erklären, sie bedingen im
wesentlichen die grossen Unterschiede des Stoffverbrauchs verschiedener
Menschen, welche faktisch bestehen. Bei Gelegenheit der mit Schumburg
ausgeführten Studien zur Physiologie des Marsches und jüngst wieder bei mehreren in
meinem Laboratorium ausgeführten Stoffwechselversuchen konnte ich mich überzeugen,
welchen enormen individuellen Schwankungen gerade dieser Posten des Stoffverbrauchs
unterliegt. Rechnen wir den Stoffbedarf eines 70 kg wiegenden Menschen ein¬
schliesslich der Verdauungsarbeit zu 1700 Kalorieen, so beträgt der Zuwachs für die
eben genannten Bewegungen zwischen 400 und 1500 Kalorieen. Dieser grosse Spiel¬
raum erklärt vollkommen, warum bei derselben Kost der eine Mensch abmagern, der
andere fett werden kann. Bei derselben Kost, welche dem lebhaften, 1500 Kalorieen
für diesen Posten verbrauchenden Menschen gerade genügt, wird der phlegmatische
mit 400 Kalorieen Bewegungsumsatz täglich 130 g Fettgewebe (1 g = 8,6 Kalorieen)
ansetzen. Das entspricht einer Mast von 3,9 kg in einem Monat, von 47 kg in einem
Jahre. Ziehen wir nun noch ferner die grossen individuellen Schwankungen des
Appetits in Betracht, bedenken wir, dass die Anpassung des Appetits an das Nahrungs-
bedürfniss immer nur eine unvollkommene ist, so werden uns die Erscheinungen der
Fettsucht so wenig wie die der Abmagerung Anlass geben, nach noch unbekannten
Ursachen ihres Zustandekommens zu suchen.
In den eben besprochenen individuellen Unterschieden des Bewegungstriebes
und den damit zusammenhängenden regelmässigen Beanspruchungen der Muskulatur
liegt vielleicht der Schlüssel zu dem viel diskutierten Zusammenhang zwischen Fett¬
leibigkeit und Diabetes. Wir wissen, dass die Muskelthätigkeit durch den gesteigerten
Kohlehydratverbrauch bei leichtem Diabetes den Zucker aus dem Harne schwinden
lässt; es ist daher wahrscheinlich, dass die Gefahr einer ungenügenden Verarbeitung
des Zuckers und damit seines Uebertritts in den Harn um so grösser ist, je träger
das Individuum in Bezug auf Muskelleistungen ist. Eben diese Trägheit, welche
zur Glykosurie disponiert, ist aber auch die Ursache des wachsenden Fettansatzes.
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101
Bemerkungen zur therapeutischen Verwerthung <lcr Muskclthätigkcit.
Der beherrschende Einfluss der Muskelthätigkeit auf den Stoffwechsel giebt
uns nun andrerseits die Möglichkeit, denselben durch passend dosierte Muskelarbeit
beliebig zu steigern. Von diesem Mittel macht ja die ärztliche Praxis den aus¬
giebigsten Gebrauch. Sie verordnet Spaziergänge, Rudern, Radfahren, Hantelübungen,
Arbeit am Ergostaten zum Zwecke der Entfettung. Der Ergostat ist ein Ausdruck
des Bedürfnisses, bei diesen Verordnungen quantitativ zu verfahren, ln der That
erscheint eine prompte und sichere Erreichung des Zweckes nur denkbar, wenn der
Stoflfverbrauch ebenso quantitativ geregelt wird, wie dies für die Nahrungszufuhr
jedem exakten Therapeuten selbstverständlich erscheint. — Wir brauchen aber zu
dieser Dosierung der Arbeit keineswegs uns auf den langweiligen Drehapparat zu
beschränken.
Der Verbrauch beim Gehen, beim Bergaufsteigen, beim Radfahren ist durch
exakte Messungen festgestellt. Er ist bei der Horizontalbewegung proportional der
Weglänge und dem zu bewegenden Gewicht; er wächst ferner für gleiche Weglänge
mit der Geschwindigkeit. Eine Stunde Spazierengehen ist demnach eine ganz vage
Verordnung; der eine wird dabei dreimal so viel Stoff verbrauchen, als der andere.
Im allgemeinen wird es ausreichen, die täglich zurückzulegende Strecke vor-
z uschreiben.
Gleichzeitige Bestimmung der Geschwindigkeit, also des in der Stunde zurück¬
zulegenden Weges, macht die Berechnung der Arbeitsleistung genauer, doch wird
solche Genauigkeit, soweit nur Beherrschung des Stoffwechsels in Frage steht, selten
nöthig sein. Von entscheidender Bedeutung ist aber die Geschwindigkeit, wenn auch
der Einfluss auf Herz und Athmung in Betracht kommt, wie es meist der Fall sein
dürfte. Wo das Herz schonungsbedürftig ist, wird mau eine entsprechend aus¬
probierte nicht zu überschreitende Geschwindigkeit vorschreiben und dabei bedenken
müssen, dass dieselbe noch weiter herabzusetzen ist, sobald Gegenwind oder schlechte
Beschaffenheit des Weges die Arbeit erhöhen.
Zur Abschätzung des Verbrauchs bei einigen Muskelleistungen können folgende Zahlen dienen,
welche im wesentlichen in meinem Laboratorium ausgeführten Untersuchungen entnommen sind.
Die mechanische Arbeitseinheit, 1 mkg, erfordert unter günstigen Arbeitsbedingungen etwa
7,5 cal. — Ein Mensch, der mit den Kleidern 80 kg wiegt, würde also, wenn er auf bequemer Strasse
100 m hoch steigt, ausser dem Verbrauch, welchen der zurückgelegte Weg, falls er eben wäre, er¬
fordern würde, noch 80 X 100 X 7,5 cal = 60 Kalorieeni) an chemischer Energie brauchen.
Der Gang auf horizontaler Strasse erfordert, je nachdem das Individuum mehr oder weniger
geschickt marschiert*), 500 — 600 cal pro Kilogramm und 1000 m. Ein Mensch von 80 kg Gewicht
wurde also für 1000 m bei 75 m Minutengeschwindigkeit etwa 80 X 550 = 44 Kaloricen brauchen
oder in jeder Minute 3,.1 Kalorieen, das ist etwa das Zwcieinhalbfache des Verbrauchs in absoluter
Ruhe. Wenn die Strasse 10 °/o Steigung hat, ist die Gesammtsteigcrung des Verbrauchs für 1000 m
Weg 44 + 60 = 104 Kalorieen, oder ''' = 7,8 Kalorieen pro Minute, 468 Kaloricen pro
lUUU
Stunde; dies ist etwa die Grenze dessen, was ein kräftiger Menscli längere Zeit leisten kann.
Mit wachsender Geschwindigkeit wächst der Verbrauch beim Gehen zwischen 60 und 100 in
um 2,4 cal auf 1000 m Weg pro Meter Geschwindigkeitszuwaehs; über 100 m in noch stärkerem
Verhältnisse.
Beim Radfahren beträgt nach Leo Zuntz für einen 70 kg wiegenden Menschen der stünd¬
liche Mehrverbrauch gegenüber absoluter Ruhe:
1) 1 Kalorie =• 1000 eal ist die Wärmemenge, welche die Temperatur von 1 kg Wasser um
1 0 C erhöht.
2 ) Jedes mechanische Hinderniss, jede Schmerzhaftigkeit im Bereich der Muskeln, Sehnen,
Gelenke, andrerseits leichte Koordinationsstörungen (beginnende Tabes) erhöhen den Stoffverbrauch
beim Gehen sehr erheblich.
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102 N. Zuntz
bei 9 km Weg in der Stunde.183 Kalorieen,
» 15 * » » » » 313 »
»22» »»» » 571 »
» 9 » » und 3<>/o Steigung.316 »
» 15 » » » Gegenwind von 10 m Sekundengeschwindigkeit 601 »
Beim Raddrehen (am Ergostatenj kann man den Verbrauch für 1 mkg Arbeit zu 10 cal ver¬
anschlagen.
Vorstehende Daten werden genügen, um bei den gewöhnlichsten Arbeitsleistungen den Stoff¬
verbrauch zu berechnen, indem man die aufgewendete Kalorieenzahl durch Division durch 9,5 auf
ihr Aequivalent an Fett, durch 4,1 auf ihr Aequivalent an Stärke, bezw. Eiweiss umrechnet
Die Untersuchungen von Schumburg und mir haben uns zum Theil in Be¬
stätigung älterer aber experimentell nicht so scharf begründeter Auffassungen einige
bequeme Anhaltspunkte zur Ermittelung der zulässigen Grenze der Beanspruchung
des Herzens ergeben. Die Pulsfrequenz muss nach der Anstrengung in etwa zehn
Minuten wieder zur Norm zurückkehren, die gesteigerte Athemfrequenz mag etwas
länger anhalten, doch fanden wir, dass eine Verdoppelung der Athemfrequenz wäh¬
rend der Arbeit schon eine Ueberanstrengung, bezw. beginnende Insufficienz des
Herzens anzeigt (1. c. S. 122).
Ein weiteres brauchbares Kriterium bietet die Vitalkapazität, sie ist nach einer
bekömmlichen Anstrengung unverändert oder etwas erhöht, nur nach erschöpfenden
Anstrengungen herabgesetzt. Dasselbe gilt von der Schnelligkeit der Reaktion auf
sensible Reize, von der Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses, welche wir durch die
Anzahl vorgesprochener Zahlen, welche fehlerlos wiederholt werden konnten, prüften,
von der Leistungsfähigkeit der bei der ermüdenden Arbeit nicht direkt betheiligten
Muskeln, die wir mit Hülfe von Mosso’s Ergograph studierten (1. c. S. 140). Für
den Kliniker besonders beachtenswerth dürfte die Verbreiterung der Herz- und Leber¬
dämpfung sein, welche wir nach anstrengenden Märschen mit Gepäck in den meisten
Fällen beobachteten, und welche, wie auch die Versuche anderer mehrfach gezeigt
haben, bei den verschiedensten Formen schwerer Anstrengung (Radfahren, Skidlauf)
leicht zu Stande kommt. Besonders bei älteren Personen mit geschwächtem Herzen
und sklerotischen Arterien dürfte es wichtig sein, auf diese Symptome zu achten
und die Muskelleistungen derart zu dosieren, dass sie nicht zu Stande kommen.
Wir haben übrigens die Vergrösserungen von Herz und Leber stets in wenigen Stunden
zurückgehen sehen, ohne dass subjektiv oder objektiv üble Folgen bemerkbar waren.
Bekannt ist die länger andauernde von erheblichen subjektiven Beschwerden be¬
gleitete Dilatation des Herzens nach überanstrengenden Bergtouren bei wenig Geübten.
Im Harn treten, wie vielfach dargethan, nach übermässigen Anstrengungen
Eiweiss und Cylinder auf. Minimale, nur in dem mit besonderen Kautelen ein¬
gedämpften Harn nachweisbare Mengen von Eiweiss fanden wir fast regelmässig bei
gesunden jungen Männern, doch war die Reaktion nach den anstrengenden Märschen
meist nicht verstärkt, oft sogar herabgesetzt. — Das Auftreten solcher Eiweiss-
mengen, welche mit der gewöhnlichen Kochprobe nachweisbar sind und von Fibrin-
cylindern im Harn, wie sie Albu nach forciertem Radfahren, Henschen nach über¬
mässigen Anstrengungen, besonders wenig geübter Menschen, beim Schneeschuhlauf
beobachtet haben, muss wohl unbedingt als Zeichen gesundheitsschädlicher An¬
strengung angesehen werden. Bemerkenswerth ist in der Hinsicht die mir von einem
erfahrenen Arzte mitgetheilte Beobachtung, dass nach überstandener und anscheinend
ausgeheilter Nephritis bei Kindern zuweilen jahrelang jede etwas grössere Muskel-
thätigkeit Albuminurie hervorruft und deshalb gemieden werden muss.
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Bemerkungen zur therapeutischen Verwerthung der Muskelthätigkeit. 103
Bedeutungsvoll für die Beurtheilung der Wirkung strammen Marschierens dürfte
noch die Thatsache sein, dass dasselbe reichliche Entleerung eines auffallend niedrig
gestellten Harnes auch dann hervorruft, wenn durch starkes Schwitzen der Körper
an Wasser verarmt. Es wirken also Nieren und Schweissdrüsen zusammen, um eine
erhebliche Herabsetzung des Wasserstandes im Körper nach Märschen zu Stande zu
bringen. Die Konzentration des Blutes ist, obwohl die Wasseraufnahme nach Willkür
erfolgte, meist noch am anderen Tage gesteigert.
Mit Recht wird bei allen Entfettungskuren besonderer Werth darauf gelegt,
dass der Körper nicht gleichzeitig an Eiweiss verarme und dass sich nicht infolge
der zur Entfettung eingeleiteten chronischen Inanition Herzschwäche einstelle.
Beiden Gefahren zugleich wird am wirksamsten gesteuert, wenn man die Ent¬
fettung nicht durch Beschränkung der Nahrungszufuhr, sondern durch Steigerung des
Konsums, durch systematische Vermehrung der Muskelarbeit herbeiführt.
Oertel hat wohl am präzisesten gezeigt, wie man auf diesem Wege durch
ganz systematische langsame Steigerung der Anforderungen selbst ein hochgradig
geschwächtes Herz zu grösseren Leistungen erziehen kann; leichter wird es natürlich
noch sein, der Erlahmung des Organs infolge knapper Nahrungszufuhr vorzubeugen.
Was den Ei weissbestand anbelangt, so ist ja die nächste Folge jeder gesteigerten
Arbeit bei unveränderter Eiweisszufuhr ein Verlust an Eiweiss (Kellner, Argu-
tinsky, Pflüger); bei längerer Andauer und regelmässiger Wiederholung der Arbeit
macht sich aber die durch dieselbe gesetzte Tendenz zur Muskelhypertrophie derart
geltend, dass an Stelle des Verlustes ein Ansatz von Eiweiss unter gleichzeitigem
Konsum des Körperfettes tritt (Caspari, Bornstein). Ich konnte mit Schum¬
burg feststellen, dass fünf junge, kräftige Männer, deren Kost ganz dem Behagen
überlassen war, nach 28 Märschen mit militärischem Gepäck 1,5—3,5 kg an Gewicht
verloren hatten, dass aber dabei die Muskulatur an Masse gewonnen hatte,
wie nicht nur aus der Untersuchung der Extremitäten, sondern auch aus dem ge¬
steigerten Stoffverbrauch des ruhenden Körpers unzweifelhaft hervorging. Hier war
also eine erhebliche Entfettung des Körpers bei gleichzeitigem Eiweissansatz zu
Stande gekommen. Das gleiche erzielte Caspari bei einem sehr fetten Hunde, den
er ohne entsprechende Nahrungszulage oder doch mit ungenügender Zulage arbeiten
Hess. Hier erwies sich für die Ersparniss von Eiweiss der Kunstgriff besonders
förderlich, dass er vor der Arbeit eine reichliche Menge Kohlehydrate und Fette
verabreichte und den eiweissreichen Theil der Kost (Fleisch) nach beendeter Arbeit
fütterte. Der Ueberlegung, dass unter diesen Umständen die während der Arbeit
zirkulierenden N-freien Nährstoffe vorwiegend verbraucht, die Eiweisskörper gespart
würden, entsprach das Ergebniss der Versuche. Auch die Versuche von Bornstein,
welcher allerdings nicht auf Entfettung, sondern auf einseitige Erhöhung des Eiweiss¬
standes, möglichst ohne gleichzeitigen Fettansatz, hinarbeitete, zeigen, wie man durch
zweckmässig dosierte Arbeit den Eiweissreichthum des Körpers und damit nach mancher
Hinsicht sicher auch seine Leistungsfähigkeit und seine Resistenz gegen schädliche Ein¬
flüsse heben kann. Bornstein hat gezeigt, dass Zufügung von leicht assimilierbarem
Eiweiss (er benutzte das auch durch andere Versuche als besonders förderlich für den
Ansatz erwiesene Plasmon) zur Kost diesen Ansatz von Eiweiss wesentlich fördert.
Ich hoffe, dass von den vorstehend mitgetheilten Ergebnissen physiologischer
Versuche manches sich als brauchbar für den Therapeuten erweisen wird.
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104
Julius Schreiber
II.
Ueber Heissluftapparate und Heissluftbehandlung').
Aus der medicinischen Universitäts-Poliklinik in Königsberg i. Pr.
Von
Professor Dr. Julius Schreiber.
Unter dem Einflüsse der Bier’schen Lehre*) von der kongestiven Hyperämie,
mehr noch unter dem Einflüsse der bestechenden Heilerfolge, welche mit dem
Tallerman’sehen Apparate sozusagen unter den Augen der Beobachter 1 2 3 ) erzielt
werden konnten, ist die seit jeher gebrauchte, allmählich aber mehr und mehr in
Vergessenheit gerathene »Heissluftbehandlung« dem ärztlichen Interesse wieder
wesentlich näher gerückt worden. In den Veröffentlichungen, welche sich auf diese
Behandlungsmethode beziehen, begegnet man übereinstimmend zwei bemerkens-
werthen Behauptungen: der einen, dass es mit bezw. in den gebräuchlichen, meist
einfachen Apparaten leicht gelinge, Lufttemperaturen von 120, 130, 150® zu er¬
zeugen; der anderen, dass so heisse Luft an grösseren Gliedabschnitten des Körpers
stundenlang ertragen und oft mit Nutzen angewendet werde. Die hier im wesent¬
lichen in Betracht kommenden Apparate sind die Bier’schen Kästen 4 * ), der Taller-
man’sehe 4 ), vielleicht auch noch der neuerdings von Frey in Baden-Baden kon¬
struierte, elektrisch betriebene Apparat 6 ). Vor allen die Bier’schen Kästen; sowohl
weil sie anscheinend (Bier) die kostspieligen, kaum noch »transportabel« zu nennen¬
den Tal ler man’sehen Apparate zu ersetzen vermögen, als besonders auch weil sie,
in Deutschland wenigstens, ungleich bekannter geworden sind; allerdings nicht unter
Bi er’s Namen, sondern, nach Modifikationen und Verbesserungen des Hamburger
Chirurgen Prof. F. Krause 7 ), als Krause'sehe Heissluftapparate.
Dieselben bestehen bekanntlich aus einem zwischen schlechten Wärmeleitern,
Wollstoff und Asbestpappe, steckenden Drahtgerüst, in welche seitlich oder hinten
ein nach dem Prinzip des Quincke’schen Schwitzbrettes trichterförmig beginnendes
eisernes Rohr (R in Fig. 7) die überhitzte Luft einführt; vor die Einströmungsöffnung
ist eine mit Asbest belegte Eisenplatte (As) gestellt, um den direkten Anprall der
1 ) Nach einem am 14. Januar im Verein für wissenschaftliche Heilkunde liierselbst gehaltenen
Vortrage.
2 ) Bier, in Festschrift für F. v. Es mar eh. Kiel und Leipzig 189:5.
*) cfr. Verhandlungen des Kongresses für innere Medicin 1897. S. 84 und besonders 189*.
S. 562. Demonstration.
4 ) 1. c. und Münchener medicin. Wochenschr. 1809. S. 1599 u. f.
b ) cfr. Mendelsohn, Ueber Ileissluftbehandlung etc. Zeitschrift für diätetische und physika¬
lische Therapie 1898. Bd. 1 und Therapeutische Verwendung hoher Temperaturen. Verhandlungen
des Kongresses für innere Medicin 1898. — Ott, Der chronische Gelenkrheumatismus, ibid. 1897.
- S. Salaghi, Ueber die neuen Methoden für die örtliche Anwendung der Wärme. Zeitschrift für
diätetische und physikalische Therapie 1899. Bd. 3.
6 ) Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. No. 5.
7 ) F. K rause, Die örtliche Anwendung überhitzter Luft. Münchener medicin. Wochenschr. 1898
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lieber Hcissluftapparatc und Ileissluftbehandlung. 105
heissen Luft auf das eingelegte Glied zu verhindern. Eine zweite, etwas engere in
der Decke steckende Messingröhre dient als Abzugsrohr (Ab); nahe dem letzteren
befindet sich ein 200 theiliges Thermometer (T), welches die im Apparate herrschende
Temperatur der Luft anzeigen soll. Letztere lässt sich darnach leicht auf 150 und
200 0 C erwärmen; die Apparate sind verschieden gebaut, je nach ihrer Bestimmung
zur Behandlung von Hand, Fuss, Knie, Schulter u. s. w.
»Wir beginnen«, sagt Krause, »mit verhältnissmässig niederen Temperatur¬
graden, um erst die Empfindlichkeit der betreffenden Kranken zu prüfen, d. h. im
allgemeinen mit 70—80°, steigen aber sehr bald, wenn diese Grade vertragen werden,
auf 100, 120, ja bis 185, bis 144®. Einzelne Kranke vertragen nicht mehr als 80°,
die meisten über 100°, viele 120®, einzelne bis 144«, nota bene täglch ein- bis zwei¬
mal eine Stunde. Auch Prof. Bier verwendet in seinen Kästen heisse Luft von
eventuell 150«, nachdem er zu Beginn seiner bekannten Untersuchungen nur 70—100®
allerdings damals für 8—10 Stunden täglich hatte einwirken lassen.
Gleichfalls bis zu 150® wie im Tallerman, wird bei Frey die Temperatur
gesteigert, doch bei Frey nur, um sie über eng umschriebene Hautstellen streichen
zu lassen; nach Art der in Aix les Bains gebräuchlichen Massage unter der heissen
Thermaldouche, als Mittel »zur Massage unter der heissen Luftdouche«.
In diesen und ähnlichen, beiläufig auch elektrisch zu erwärmenden Apparaten
soll es also, thermometrisch nachgewiesenermaassen, ohne weiteres gelingen, die
mehr minder gut ventilierte Innenluft gleichmässig so hoch zu erhitzen bezw. die
Strömung, Strahlung oder Führung der heissen Luft beliebig abzulenken und sie
auf den eingehängten Gliedabschnitt zu dirigieren. Es gelänge weiter, wie gesagt,
jene hoch erhitzte Luft stundenlang hintereinander therapeutisch auszunutzen. Zur
Erklärung wie zum Verständniss besonders dieser letzteren Thatsache meinen die
Autoren an diese und jene, scheinbar bezügliche physikalische oder physiologische
Lehre erinnern zu dürfen, wie z. B., dass die Wärmekapazität der Luft um 25 mal
geringer sei als die des Wassers; 25 mal mehr Wärmeeinheiten beanspruche als
Wasser, um mit ihm gleich erwärmt zu werden; daher 25 mal mehr Wärmemengen
von unserem Körper in sich aufzunehmen im Stande sei als (bis Wasser (Roth). 1 )
Oder: »bekanntlich« sei der menschlische Organismus mit Schutzvorrichtungen
gegenüber krassen Temperatureinflüssen ausgestattet; mit jener bewunderungswerthen
Anpassungsfähigkeit, die es ihm gestattet, sich für die Kälte des Nordens wie für
die sengende Gluth der Tropen dauernd einzurichten; mit Schutzwehren an der
Haut, die es ermöglichen, vorübergehend die Hand in geschmolzenes Blei zu tauchen
und »innerhalb eines Backofens sich einer Temperatur auszusetzen, welche den Siede¬
punkt des Wassers bedeutend übersteigt«. Und »bekanntlich« ist letzteres von einem
französischen Chirurgen, von Clado sogar ins Praktische zu übertragen mit Erfolg
versucht worden, indem er mit einer dünnen Watteschicht bedeckte, tuberkulös er¬
krankte Gliedabschnitte für ein bis zwei Stunden täglich in einen aus heissen Ziegeln
erbauten Backofen brachte, dessen Innentemperatur 180® C betrug -).
Darnach hätte es allerdings den Anschein, als ob die Toleranz gegen heisse
Luft an der menschlichen Hautdecke eine den Mittheilungen entsprechende, enorm
hohe sei. Indess vermag ich die herangezogenen Beispiele nicht als ausreichend er¬
klärlich, vollends nicht als beweiskräftige anzusehen; nicht anders die Methode
der Temperaturbestimmung für die therapeutisch verwandte heisse Luft sammt den
i) Dr. M. Roth, lieber Heissluftbeliandlung. Wiener med. Wochenschr. 1900.
*) cfr. Bier, 1. c.
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106 Julias Schreiber
Folgerungen, welche man aus diesen Bestimmungen meinte ableiten zu dürfen. Mit
welchem Rechte, mögen die nachfolgend mitzutheilenden Prüfungen und Erörte¬
rungen zeigen.
Zu diesem Zwecke denke man sich, wie in Fig. 7, in den für den Fuss be¬
stimmten Krause’schen Heissluftapparat den Fuss eines Mannes eingehängt, um mit
•JO 0 heisser Luft behandelt zu werden. Ausser Thermometer T sind aber vor Beginn
der Prozedur in das Innere des Apparates noch fünf andere, kleine Maximalthermo¬
meter eingehängt worden; bei a = zwischen hinterer Wand und grosser Zehe; bei
b = zwischen Astbestschirm As und plantapedis; bei c = nahe dem Fussgelenke; bei
d = unterhalb der Hacke; bei e = über dem untern Dritttheil des Unterschenkels.
Nach einer Stunde wird die gemäss T auf 90° getriebene Ueberhitzung unter¬
brochen.
Alsdann zeigen die Innenthermometer a, b, c, d, e Temperaturgrade an, wie sie
den betreffenden Buchstaben im
Schema beigefügt sind 1 ).
Berücksichtigen wir einst¬
weilen b, c, d, e, so erwies sich bei
90» Temperaturanzeige des Appa¬
ratthermometers T die Innentempe¬
ratur bei b auf 63», bei c auf
58°, bei d auf 39«, bei e auf 48°
erwärmt. Das Ergebniss würde
also lauten, die Temperatur im
Innern des Apparates weicht in¬
tensiv wie extensiv in überraschen¬
der Weise ab von den Anzeigen
des Apparatthermometers, oder:
die Schweissverdunstung des ein¬
geschlossenen Gliedabschnittes ist eine enorme und örtlich so wechselnde, dass durch
sie eine Abkühlung nicht nur unmittelbar der Haut, sondern centimeterweit darüber
hinaus der umgebenden Luftschichten herbeigeführt wird; eine Abkühlung, welche
nahe derFusssohle und dem Gelenke ca. 33, nahe der Hacke und dem Unterschenkel
über 50°/o der zugeführten Wärme betragen würde; an der Hacke, auch wohl
schon an der Rückentläche des Unterschenkels einen Grad erreicht’hätte, welcher
die Wirkung eines heissen Luftbades kaum noch erwarten Hesse. Keine Frage, so
können die Dinge unmöglich Zusammenhängen. Und dennoch erscheint es’erforderlich
zu beweisen, dass die präsumtive Verdunstung es nicht ist, welche jene eigentüm¬
liche Temperaturvertheilung verursachte.
Dieser Beweis, wenn es desselben also bedarf, ist anscheinend sehr leicht zu
erbringen: wiederholt man nämlich dieselbe Temperaturmessung mit abgeschlossener
Manschette M, jedoch ohne den Fuss einzuhängen, hat man demnach das abkühlungs¬
verdächtige Organ ausgeschaltet, so bekommt man, wie aus Fig. 8 2 ) ersichtlich, prin¬
zipiell genau dasselbe Resultat. Indessen, es lässt sich nicht leugnen, die Tempe-
Bei Nachversuchen darf man nicht genau dieselben Zahlen erwarten; je nach Gross© und
Stellung des Fusses sowie der Thermo m et er kommen geringe Abweichungen vor; die obigen Zahlen
>ind die Durchschnittszahlen von drei Versuchen.
2 ) Fig. 8 enthält gleichfalls die Durchschnittswerthe von drei Versuchen; nach */ 4 Stunden
bis 1 Stunde dauernder Ueberhitzung.
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Ueber Heissluftapparate und Heissluftbehandlung. 107
raturen im allgemeinen sind jetzt relativ höhere als zuvor. Scheinbar besteht dem¬
nach ein gewisser, über die Körperhaut hinausragender, abkühlender Einfluss des
eingehängten Gliedabschnittes. Aber nur scheinbar, wie folgender Versuch ergiebt:
anstatt des lebendigen Fusses wird (cfr. Fig. 9) ein Gipsabguss desselben eingehängt
und wie zuvor der Apparat in Thätigkeit gesetzt. Ersichtlich ändern sich alsdann
Fig. 8. Fig. 9.
die Temperaturen im Sinne des durch Fig. 7 dargestellten Versuches. Und um dem
Einwande zu begegnen, dass der tote Gipsfuss, weil er kühl ist, die umgebende
Temperatur könne abgekühlt haben, wird derselbe (cfr. Fig. 10.) vor Beginn der
Prüfung über Körpertemperatur erwärmt. Wie Fig. 10 zeigt, erhalten wir so aber¬
mals im wesentlichen dasselbe Resultat; obschon im Verlaufe von einer Stunde der
Gipsfuss übermässig heiss geworden und
höchstwahrscheinlich, wie bei b, die
umgebenden Luftschichten durch Strah¬
lung beeinflussen konnte.
Sonach halte ich es für ausge¬
schlossen, dass die in Fig.7 eingetragenen
Temperaturen durch Abkühlung seitens
des eingehängten Gliedabschnittes zu
Stande gekommen seien.
Steigert man weiterhin die ein¬
strömende Lufthitze, ohne den Fuss
einzuhängen, auf 150°, 160° dem Ap¬
paratthermometer T nach, so ändert
dies an dem vorigen Ergebnisse prin¬
zipiell nichts. Zwar erhebt sich als¬
dann die Temperatur im Innenraum, aber in verschiedenen Schichten desselben bleibt
sie gegen T um 50 bis 60 bis 70° zurück.
Aehnliches in dem für die Hand bestimmten, an sich viel kleineren Apparate;
von der Decke bis zum Boden in Abständen von 1 — 1,5 cm gemessen, findet man
91«, 86«, 72«, 62®, während der Apparatthermometer T auf eine Ueberhitzung des
Innenraums von 195« hinweist. Ja, schon die Richtung der Quecksilberkugel eines
■) i/s Stunde.
Fig. 10.
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108
Julius Schreiber
horizontal eingelegten, kaum 8 cm langen Maximalthermometers nach vorn oder
hinten zu kann 10° betragen.
So wenig gleichen sich die Wärmeströme in diesen Apparaten aus und so über¬
raschend weit differieren ihre Temperaturen von denen des aus der Decke heraus¬
ragenden Apparatthermometers, welcher für das Vorgehen des Arztes bestimmend
sein soll und für die Beurtheilung der Methode bisher, wie anzunehmen, bestimmend
gewesen ist.
Die Ursache für die hier angeführten, recht bemerkenswerthen Temperatur¬
verhältnisse liegt meines Erachtens in erster Reihe und hauptsächlich in den be¬
kannten Gesetzen der Wärmeverbreitung, hier der Wärmefortführung, der zufolge
die Luft mit Zunahme ihrer Wärme sich ausdehnt und den oberen Raumschichten
zustrebt; demnächst in dem Einfluss des vor die Einströmungsöffnung gestellten
Asbestschirmes As Fig. 7 bis 10, welcher das unmittelbare Aufprallen der heissen
Luft auf die Haut des eingehängten Gliedabschnittes verhindern soll; derselbe hemmt
nämlich den anfänglich geradeaus ge¬
richteten Wärmestrom und zwingt ihn
seitlich und aufwärts auszuweichen. Es
lässt sich das leicht demonstrieren:
hängt man, wie in Fig. 11 rings um
die Einströmungsöffnung für die heisse
Luft vier Maximalthermomcter a, b,
c, d auf und erwärmt den an der Man¬
schette abgeschlossenen Apparat bis
auf 100° das eine Mal, wie in A, ohne
vorgestellten Astbestschirm, das andere
Mal, wie in B, mit demselben, so kann
man die abgeleukte Richtung des Heiss¬
luftstromes aus den in die Figuren A
A Q und B eingetragenen Thermoilfeteran-
zeigen direkt ablesen; im Falle B steigen
ersichtlich die Temperaturen der seitlich vom Schirm gelegenen, in höherem Grade
noch die der aufwärtigen Luftschichten; in seiner nächsten Umgebung wachsen
letztere sogar über den vom Apparatthermometer T erreichten Hitzegrad erheblich
hinaus.
Und wie dieser Schirm auf den eintretenden Heissluftstrom an und in der
Umgebung der hinteren Wand, ähnlich wirkt jeder im Innenraum des Apparates be-
flndliche tote oder lebende Körper, wirkt spezieller der zur Behandlung darin befind¬
liche Gliedabschnitt auf die übrige Wärmeströmung, indem derselbe je nach Form
und Grösse die Ausbreitung des Wärmestromes nacli den rückwärts gelegenen Körper-
partieen und Luftschichten mehr minder vollkommen aufhält.
A priori sollte man meinen, dass auch das Abzugsrohr Ab geeignet sein müsse,
die Ungleichheit der Wärmeausbreitung zu vermehren, indem es den Wärmestrom
dcckenwärts aspiriert. Es ist dies jedoch, wie die in Fig. 1‘2 eintragenen Zahlen x
bei offener, y bei verschlossener Abzugsöffnung ergeben, durchaus nicht der Fall;
das Wärmeverhältniss der einzelnen Luftschichten und ihre Differenzen gegen T bleiben
in beiden Fällen die gleichen.
Dahingegen ist der Einfluss des Abzugsrohrs ein sehr grosser auf die Intensität,
die Erzeugung höherer Wärmegrade und ihre Beständigkeit: verschliesst man nämlich
Fig. 11.
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Ueber Heissluftapparate und Heissluftbehandlung. 109
die für Ab in der Decke befindliche Oeffnung luftdicht, so nimmt die Wärmeentwicke¬
lung im Innern der Apparate rapide ab, derartig, dass sie kaum noch als Heissluft¬
apparate anzusehen wären; nur langsam gelingt es alsdann den Fussaparat auf 70
bis 80°, den für die Hand auf 50—60° zu erwärmen, gegen 150 — 200° bei freiem
Abzugsrohr. Es nützt nichts, dass man die untergestellte Spiritusflamme vergrössert,
oder sie der unteren Oeffnung R des zu¬
führenden Schornsteins nähert. Im Gegen-
theil: mit letzterem — davon kann man sich
an dem Handapparat besonders leicht über¬
zeugen — beginnt die Flamme unruhiger zu
brennen, zu flackern, sich abzuplatten, zu
verlöschen; zugleich wird das Spiritüs-
gefäss der Lampe heiss bis zum Zerspringen.
Es beruht der geschilderte Vorgang
offenbar auf der Expansion der in den
Apparaten auf 50 — 80° erhitzten Luft,
welche die nachrückenden wärmeren Luft¬
schichten zwingt, durch das zuführende
Rohr R abzuströmen.
Dieser Vorgang entwickelt sich im
ganzen langsam und mit der Zeit, im Hand¬
apparat oft schon nach 20—25 Minuten, führt er sogar trotz anhaltend grosser Flamme
zu einer mehr minder starken Abkühlung der Innentemperatur. In der nachstehenden
Tabelle findet sich dieses gegensätzliche Verhältniss zwischen offenem und geschlossenem
Abzugsrohr zahlenmässig ausgedrückt.
Fig. 12.
T" 70
y = bei geschlossenem Abzugsrohr
Abzugsrohr geschlossen
Zeit der
Thermometer-
ablesung
Thermometerkugel
befindet sich von
der Decke entfernt
cm
n Celsius
11.30
5
02
11.40
8
40
11.50
10
41
12.-
13
38
12.20
13
37
12.25
13
, 37
12.28 |
10
37
12.35
5
55
Abzugsrohr offen
* Therraometerkugel
Zeit der | im Innern des Appa-
Thermometer- rates von der Decke
o Celsius
ablesung
entfernt
cm
10.55
5
61
11.06
8
;>3
11 11
10
45
11.14
! 13
30
11.IS
' 15
35
11.22
13
! 42
l 1.25
10
! 46,5
11.30
5
00
Abzugsrohr geöffnet.
1240 5 150
12.4.1 15 72
Abzugsrohr geschlossen
1 1.3.1 5 38
14.42 15 30
Der voranstehende Tabelleninhalt bedarf zwar keiner weiteren Erörterung; aber
darauf möchte ich dennoch kurz hinweisen, dass nach ihm in eigenartiger Beleuch¬
tung die Wirkung derjenigen Bestrebungen hervortreten, welche mit Oeffnen und
Verschlüssen von Schiebern und Ventilen an Decke und Boden die Innentemperatur
ihrer Apparate zu »regulieren« versuchen. In dieser Beziehung ist besonders der
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rapide Umschlag im Auge zu behalten, mit welchem die unter Verschluss von Ab
im Verlaufe von einer Stunde um 7® abgekühlte Innentemperatur nach Eröffnung
des Abzugsrohrs in kaum fünf Minuten von 55° auf 150«, d. h. um fast 100° em-
porschiesst.
Es würde zu weit führen, noch tiefer in das Detail meiner Untersuchungen
einzutreten oder deren Bedeutung für die in Betracht kommenden Apparate (event.
auch für den Tallerman’sehen) ausführlicher zu entwickeln.
Das Mitgetheilte reicht aus, erkennen zu lassen, dass und warum die Tempera¬
turen im Innern der Apparate so ungleichmässig verbreitet sind, und dass der
Apparatthermometer, welcher mit seiner Quecksilberkugel in den Deckenwärmestrom
eintaucht, der Regel nach erheblich höhere Temperaturgrade anzeigen muss als in
den mittleren und niederen Schichten, wo die zur Behandlung eingehängten Körper-
theile vorwiegend lagern. Mit anderen Worten: der in der Decke steckende Apparat¬
thermometer ist kein Indikator für die im Innern herrschende bezw. therapeutisch
verwendete Wärmeintensität und also: insoweit die Behauptung von der
Toleranz gegen Temperaturen von 100 und 150« auf solchen Ab¬
lesungen am Apparatthermometer beruht, kann ich dieselbe als
bewiesen einstweilen nicht gelten lassen; nicht die hohe Toleranz an
sich, noch auch ihre individuellen Schwankungen.
Denn da der Apparatthermometer als Deckenluftscbichtenmesser allemal relativ
höhere Werthe anzeigt, so kann die anscheinend und angeblich bei 100 und 150°
stattgehabte und gut ertragene Behandlung in Wirklichkeit bei viel niederen Graden
z. B. bei 60 oder 70« vorgenommen, die Toleranz wesentlich überschätzt worden sein.
Und umgekehrt: Aus Fig. 7 bis 10 und besonders deutlich aus Fig. 11 bis 12 ist
ersichtlich, dass einzelne Luftschichten im Innern des Apparates z. B. in der Nähe
von a noch heisser sein können als diejenigen, bis zu welcher die Quecksilberkugel
des Apparatthermometers der Regel nach hinabreicht; würde nun ein Theil der zur
Behandlung eingehängten Extremität von dieser heisseren Luftschicht (nicht von
der Quecksilberkugel, wie manche fürchten) getroffen, die empfundene Hitze als un¬
erträglich bezeichnet werden, so würde dem Apparatthermometer nach geurtheilt
werden, 90 bis 100 0 habe der Kranke nicht ertragen, während er in Wirklichkeit
99, 104 bezw. 124® nicht ertrug.
Ebenso hinsichtlich der beobachteten Erfolge und Misserfolge: bei 100® nach
T erreichte Erfolge könnten auf Wirkungen von 70 und 60«, bei 100 und 150® be¬
obachtete Misserfolge auf in Wirklichkeit viel zu niedrigen 38—48 ® Ueberhitzungen (?)
der erkrankten Gliedpartieen beruhen.
Wie oft oder wie weit derlei für die in der Litteratur berichteten Fälle in
Betracht zu ziehen sind, entzieht sich meiner Beurtheilung selbstverständlich ganz und
gar; jedoch bin ich davon entfernt, hiermit etwa die vielseitig gerühmten Heilerfolge
als solche irgendwie anzweifeln zu wollen.
Wohl aber meine ich auf Grund der vorangestellten Untersuchungen feststellen
zu dürfen, dass einstweilen es noch an Beweisen fehle, sowohl für
die vorausgesetzte Leistungsfähigkeit der Apparate als für die Be¬
hauptung, die Beschaffenheit der menschlichen Körperbedeckung
gestatte im allgemeinen in grösserer Ausdehnung und für die Dauer
von Stunden die Einwirkung so hoher Ueberhitzung als sie instru-
mentell angestrebt und therapeutisch vermeintlich versucht wor¬
den ist.
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Ueber Heiesluftapparate und fteisslaftbehandlung.
111
Dieser Schlussfolgerung scheinen indessen, wie ich zugeben muss, einige An¬
gaben in der Litteratur zu widersprechen. Dieselben beziehen sich indessen nicht
sowohl auf die von mir nachgewieseneüngleichmässigkeit der Wärme¬
verbreitung im Innern der Apparate als vielmehr auf die therapeutisch zur
Wirksamkeit gelangte Hitzehöhe und bezw. die Toleranz. Hierauf muss ich daher
noch etwas näher eingehen.
Wir wissen jetzt, dass und wieviel von der jeweiligen Stellung des Apparat¬
thermometers für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage abhängt. Es wäre
daher werthvoll gewesen, genauere Angaben zu besitzen, welche hätten erkennen
lassen, bis zu welcher Tiefe die Thermometer in praxi eingelassen wurden. Aus ge¬
legentlichen Mittheilungen über Gradablesungen, den veröffentlichten Abbildungen,
dem Fehlen eines Hinweises auf etwa besonders lang ausgezogene oder eigens kon¬
struierte Thermometer konnte man meines Erachtens nur erschliessen, und habe ich
angenommen, dass es die Regel bildete, die den Apparaten im Handel beigegebenen
200gradigen Thermometer (Krause) etwa 5 —6 cm durch die Decke zu führen.
Salaghi giebt indessen an, dass bei dem Tallerman’schen Apparate das Thermo¬
meter »bis zur genügenden Tiefe eingelassen« werde, hierbei also möglicherweise
eine Messung derjenigen Luftschichten erfolgt sei und zu erfolgen pflege, in welchen
die zur Behandlung eingelagerten Körpertheile eben sich befinden.
Diese Annahme ist jedoch, näher betrachtet, unwahrscheinlich. Denn nach der
von Salaghi seiner Arbeit beigefügten Zeichnung befindet sich der Apparatthermo¬
meter am Tallerman in der Decke nahe der hinteren Wand und nahe dem als
Luftabzug dienenden Ventile, an einer Stelle, wo, wenigstens nach den voranstehenden
Untersuchungen zu schliessen, selbst in mittlerer Luftschicht die Quecksilberkugel
höher sich erwärmen kann, als die weiter rückwärts gelegene Extremität.
Dann aber besonders in Berücksichtigung der folgenden Beobachtung M. Mendel-
sohn’s, welche derselbe freilich in anderem Sinne meinte verwerthen zu dürfen. Um
nämlich den »Ausgleich der kolossalen Temperaturdifferenz zwischen Körperoberfläche
und umgebender Luft an der Hautoberfläche« im Tallerman’schen Apparate zu
beweisen, liess er ein Thermometer mit der Quecksilberkugel zwischen den Fingern
darin halten, und er fand so bei einer vermeintlichen Apparat-Innentemperatur von
120° und selbst von 140° nach Stunden »nur unbedeutende Steigerungen, deren
höchste 38,7, wobei noch die unmittelbare Einwirkung der sehr heissen Luft auf die
frei im Innern des Apparates befindliche Quecksilbersäule in Anrechnung gebracht
werden muss«.
Der Ausführung Mendel sohn’s mussich in mehrerem widersprechen: erstens
darin, dass »die heisse Luft auf die frei im Innern des Apparates befindliche Queck-
silbersäule« einwirkte, noch einzuwirken vermöge. Hält man ein Thermometer
über eine Spiritusflamme derart, dass die Quecksilberkugel zwischen den Fingern
vor der unmittelbaren Berührung der Flamme geschützt ist, so kann der übrige
Theil des Thermometerglases glühend erhitzt werden, ohne dass die Quecksilber¬
säule auch nur um 0,1 sich erhebt; eher reisst so ein Stückchen des Quecksilber¬
fadens ab und zerspringt in der Röhre, als dass die Säule als ganzes steigt. Zweitens
darin, dass mit der zwischen den Fingern gehaltenen Quecksilberkugel der Temperatur¬
ausgleich oder die Temperatur an »der Hautoberfläche« gemessen werde; denn die
so gehaltene Quecksilberkugel bleibt aus Gründen, die ich zuvor gelegentlich der
Schirmwirkung auseinandergesetzt habe, dem direkten Einflüsse der heissen Luft
nahezu vollkommen entzogen. Demgemäss habe ich schon unter gröberer Messweise,
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112
nämlich in einer rasch gebildeten Hautfalte, in welche ich nach 5 bis 15minutiger
Applikation von schwach bewegter 130 und 95 gradiger Luft ein gewöhnliches Fieber¬
thermometer für einige Minuten einsteckte, an der Rücken- bezw. Halshautoberfläche
wiederholt 40,5 und bezw. 41 ® gefunden.
Endlich auch darin: der frei aus den Fingern herausragende Theil des Thermo¬
meters in einer Luft von 140° wird früher oder später, sicher im Verlaufe von
Stunden die Temperatur der umgebenden Luft annehmen müssen und dies rückwärts
bis zur Berührungsstelle der Fingerkuppen mit dem Thermometer. Kurz gesagt, das
frei herausragende Thermometerglas muss nach einiger Zeit auch 140° heiss werden.
Mag nun die Körperhaut gegen heisse Luft, vorübergehend sogar gegen geschmolzenes
Blei sich zu schützen wissen, gegen 140° heissesGlas in stundenlanger Berührung
ist sie nicht geschützt und normalerweise nicht unempfindlich. Mendelsohn’s Kranke
hätten sich daher an den Berührungspunkten der Fingerkuppen mindestens schmerz¬
haft berührt fühlen müssen, falls in seinen Beobachtungsfällen die umgebende Luft
wirklich 140®, ja falls sie auch nur erheblich weniger betragen haben würde. Ich
gehe demnach wohl kaum fehl, wenn ich einerseits auch bezüglich des Taller-
man die volle Uebereinstimmung seiner Innentemperatur mit den An¬
zeigen des Apparatthermometers einstweilen bezweifele') und andrer¬
seits der von Salaghi angemerkten Thermometerstellung jedenfalls keine sonder¬
liche Bedeutung beimesse.
Von grösserer Bedeutung scheint dagegen die Angabe Clado’s zu sein, dass
er zwischen Haut und bedeckender Watteschicht 110®*) gemessen habe und von
Frey, dass die dem Gummischlauch seines Apparates entströmende Luft, mit welcher
die Haut umkreist werde, annähernd die Höhe des Apparatthermometers, gegebenen¬
falls also 150» betrage. Indessen ist aus den Referaten der Untersuchungen von
Verneuill und Clado nicht ersichtlich, ob jene 110® von allen Kranken oder nur
von einzelnen, ob sie stundenlang oder nur vorübergehend ertragen wurden. Ueber-
dies war Clado’s Ofen nur aus erwärmten Ziegeln aufgerichtet, »wie von den
Kindern mit Dominosteinen erbaut« und mit Weissblech bedeckt, welches ihn vor
Abkühlung schützen sollte. Ob diese Vorrichtung ausgereicht haben mag, die Innen¬
temperatur des Ofens stundenlang auf gleicher Höhe zu erhalten?
Und endlich die Angabe Frey’s; sie kann vollends hier nicht sonderlich ins
Gewicht fallen, da Frey die heisse Luft allemal nur für 5—10 Minuten und nur
in 10 cm Entfernung von der Haut appliziert, wodurch aller Wahrscheinlichkeit nach
dieselbe noch eine nicht unerhebliche Abkühlung erfährt.
So dürfte denn die Frage nach der Toleranz des menschlichen Körpers gegen
stundenlang einwirkende, 100 — 150® heisse Luft nur gegen die kurze Angabe
Clado’s als eine einstweilen noch offene zu bezeichnen sein.
Hiermit will ich nicht gesagt haben, dass ich dieselbe für ausgeschlossen halte.
Uebung und Gewohnheit, gewisse günstige physikalische und physiologische Be¬
dingungen, bestimmte Körperstellen mögen jene Toleranz erweisbar machen. Dass
') Offenbar mit Recht, wie aus der in No. (5 der Berliner klinischen Wochenschrift 1001 er¬
schienenen Abhandlung i>Der Tnllerman’schc Apparat« von Dr. F. Neumann bereits hervorgeht.
Indessen wären solche Messungen im Tallerman nach der Art der von mir mitgethcilten zu wieder¬
holen und je nach den Ventilstellungen zu variiren. Anmerkung während der Korrektur.
*) nach Bier cfr. 1. c. In dem französischen Referate, das mir zugänglich gewesen: Revue
de Chirurgie 1801. S. 804 (aus Congres pour l’etude de la tuhcrculosc IWI. Kef. L. II. Petiti finde
ich keine darauf bezügliche Angabe.
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Ueber Heissluftapparate und Heissluftbebandlung. 113
sie bereits erwiesen wäre, in der Allgemeinheit erwiesen wäre, in welcher sie den
Litteraturberichten nach erscheint, dies ist es, was ich auf Grund meiner voranstehend
mitgetheilten Untersuchungen glaubte in Zweifel ziehen zu dürfen und zu sollen.
Es liegt nicht in meiner Absicht, meine persönlichen Erfahrungen über die
fragliche Toleranz hier eingehender zu besprechen. Nur die Bemerkung möchte ich
mir gestatten, dass ich eine gewisse Vorsicht bei den Heilversuchen mit so hohen
Lufttemperaturen durchaus am Platze halte. Denn ich habe z. B. bei einem er¬
wachsenen Manne, welcher bereits 14 Tage mit örtlich beschränkter heisser Luft
behandelt wurde und hohe Hitzegrade zu »ertragen« schien, nach 120—130° an
der hinteren Thoraxwand wiederholt Brandblasen, bei einem 18jährigen Mädchen
nach 95 ° an der Halshaut eine tiefergreifende Kombustion sich entwickeln sehen ’).
Und überdies: wozu die Applikation so extrem heisser Luft? Es mag nicht
ohne Interesse sein, diese Frage hier noch kurz zu diskutieren; denn die Vorstellungen,
welche der Anwendung überhitzter Luft zu Grunde liegen, divergieren in viel¬
leicht prinzipiellen Punkten. So wollte Clado dieselbe ohne weiteres in die
Tiefe der erkrankten Glieder führen! Bier mit ihrer Hilfe lokale kongestive
Hyperämie, Büchner örtlich lebhafteren Blutwechsel erzeugen, um die im Blute
kreisenden proteolytischen Enzyme mit ihren bakteriziden, gewebsschmelzenden, resor¬
bierenden Kräften um den Krankheitsheerd zu sammeln und hier zweckmässigst aus¬
zunutzen; andere, um Schweissausbruch, Hyperhidrosis hervorzurufen, welche »mit
der gesteigerten Hauttemperatur und mit der reichlichen Blutdurchströmung des
Hautorgans parallel« gehe u. s. w.
Hyperhidrosis oder, bezw. und Hyperämie wären demnach in Kürze die Ziele
für die lokale Heissluftbehandlung; wobei in Absicht auf Hyperhidrosis als vermeint¬
liche Folge länger dauernder Hyperämie die höheren Ueberhitzungsgrade in An¬
wendung zu bringen wären, da die Hyperämie zweifellos mit den höheren Uebcr-
hitzungen zunimmt.
Ich will nicht entscheiden, ob diese beiden Ziele therapeutisch von gleichem
Werthe seien, oder nicht; wohl aber möchte ich darauf hinzuweisen mir erlauben,
dass ein solcher Entscheid vielleicht nicht fruchtlos sich erweisen würde; ich halte
es wenigstens nicht für ausgeschlossen, dass man dahin gelangen könnte, für manche
Fälle der Behandlung die Hyperämie, für andere die Hyperhidrosis geeigneter zu er¬
kennen u. s. w.
Deshalb erscheint es mir nicht überflüssig festzuslellen, dass Hyperämie und
Hyperhidrosis weder allgemein noch speziell gegenüber der lokalen IJeberhitzung in
dem Abhängigkeitsverhältnisse von Ursache und Wirkung zu einander sich befinden,
in welchem sie von manchen offenbar gehalten werden.
Hyperhidrosis und Hyperämie sind vielmehr beide in ganz gleicher Weise ab¬
hängig von dem Reize, den die heisse Luft in dem einen Falle auf die Schweiss-
drüsennervenapparate, in dem anderen auf die Vasodilatatoren direkt ausübt. Aller¬
dings steht fest, dass Hyperämie die Hidrosis zu befördern vermag; aber sie ist
nicht der Hidrosis conditio sine qua non.
Demgemäss beobachtet man auch hier oft reichlichen, anhaltenden Schwciss
längst vor jeder sichtbaren stärkeren Hyperämie. Und tritt letztere hinzu, so wächst
i) Die Hautoberfläche mass in diesen beiden Fällen 40 ,r>o und bezw. 41,0»; gemessen in
einer nach Sistieren der lleissluftapplikation rasch gebildeten llautfalte; vergl. oben.
ZeiUchr. f. diät. u. phyaik. Therapie Bd. V. Heft 2. g
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die Schweisssekretion zunächst, kann sie wenigstens zunächst noch zunehmen: gra-
datim geschieht dies jedenfalls nicht. Im Gegentheil findet man oft genug mit
wachsender Hyperämie Verminderung des sichtbaren Schweissergusses, mit hoch¬
gradiger Hyperämie nicht selten vollständiges Verschwinden desselben.
Die Haut ist alsdann roth, glänzend, aber trocken und glatt, wie poliert
Unterbricht man die Einwirkung der heissen Luft für kurze Zeit und öfter, so be¬
fördert dies gelegentlich die Sekretion auch dann, wenn stärkere Hyperämie bereits
vorhanden gewesen ist.
Die Schweisssekretion wird im allgemeinen schon durch geringere Hitzegrade
(45—50°) angeregt, durch 60—70 0 vermehrt; darüber hinaus nimmt sie oft ab, bei
80 und 90 ° verschwindet sie nicht selten oder tritt gar nicht hervor, und dann eben
fühlt sich die Haut glatt und trocken an.
Offenbar folgen hier die Schweissdrüsennerven in ihren Innervationsäusserungen
dem von der Hydriatrie 1 ) längst acceptierten und in praxi berücksichtigten physio¬
logischen Gesetze von den Nervenerregungen im allgemeinen, das sich bekanntlich
je nach Reizgrösse und Dauer als Erregung, Uebererregung, Ermüdung, Lähmung
und bezw. Erholung derselben manifestiert.
Dies allein, wenn meine Beobachtung richtig ist, würde genügen, von extremen
Ueberhitzungen Abstand nehmen zu lassen, jedenfalls wenn es gälte, Schweiss¬
ausbruch zu erzeugen und zu unterhalten.
Ueberdies ist meines Wissens der Beweis noch nicht erbracht, dass die mit
wachsender Hyperämie einhergehende Trockenheit der Haut der Ausdruck von Ver¬
dunstung reichlicher ergossenen Schweisses sei, nicht einmal der, dass so auch
nur eben so kräftig geschwitzt werde als bei mittleren Hitzegraden und geringerer
Hyperämie.
Ueberhaupt: wie will man entscheiden, ob die vielseitig beobachtete Trocken¬
heit der Haut im gegebenen Falle raschere Verdunstung reichlichen Schweisses,
oder die Folge noch zu geringer Erregung der Schweissdrüsennerven, zu geringer
Dosierung des Reizmittels, ausgesprochener Reaktionsunfähigkeit des entsprechenden
Nervenapparates bedeute?
Wie dem nun sei, sicher ist, dass das therapeutische Optimum für die sicht¬
bar e Schweisssekretion im allgemeinen bei den mittleren Graden trockener Ueber-
hitzung gelegen ist, und dass dieses Stadium sichtbaren Schwitzens unter allen
Umständen als das Stadium verhältnissmässig guten Schwitzens angesehen werden
darf, nämlich als dasjenige Stadium, in welchem die Haut durch den reichlichen
Schweissvorrath vor Verbrühung besser geschützt wird, und welches von den Kranken
als das Wohligere, Angenehmere der Kur ausnahmslos bezeichnet wird.
Für die lokale Schweisserregung scheint demnach kein Interesse vorzuliegen,
die Leistungsfähigkeit der Heissluftapparate zu 150® und darüber zu steigern, noch
auch eine Veranlassung, solche Temperaturen therapeutisch zu versuchen.
Und in Bezug auf lokale Hyperämie?
Wie bereits bemerkt, erfolgt dieselbe dem Anscheine nach oft später als die
Schweisssekretion. Die die Gefässerweiterung bedingenden Vorgänge, »Erschlaffung
und Ausdehnung der Haut .. ., verminderte Spannung und Nachlassen des Druckes
auf die Hautgefässe«, direkter wohl die Vasodilatatoren, bedürfen offenbar einer
>) Vergl. Wint ernitz’ Hydrotherapie im Handbuch der allgemeinen Therapie von Zieinssen
1881. Bd. 2. Theil a.
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Ueber Heissluftapparate und Heissluftbehandlung. 115
längeren Einwirkung des in Rede stehenden Irritamentes oder einer stärkeren Do¬
sierung desselben.
Auch dadurch unterscheiden sich Schweisssekretion und Gefässerweiterung, dass
letztere mit zunehmender Ueberhitzung sichtbar stetig sich vermehrt. Je höher die
umgebende Lufttemperatur, um so tiefer und um so nachhaltiger erscheint die Rö-
thung, wächst sie gradatim als aktive, kongestive Hyperämie bis zu jenen maxi¬
malen Dosen, mit welchen die Gefahren der Verbrühung unmittelbar verknüpft sind.
Lässt sich demnach die Hyperämie sichtbar so ad maximum hinaufführen, so
dürfte es sich dennoch nicht empfehlen, sie praktisch erreichen zu wollen, selbst,
wenn ihre Indikation begründeter, sehr viel bestimmter festgestellt wäre, als dies
einstweilen noch der Fall ist; deshalb nicht, weil eben zu ihrer Erzeugung Luft¬
temperaturen erforderlich sind, unter deren Einfluss der Schweissvorrath zurück¬
tritt, die Haut demnach auf ihr Strahlungs- und schlechtes Leitungsvermögen als auf
Reserven angewiesen bliebe, welche auf die Dauer vielleicht nicht genügend gegen
den ungeschwächten Anprall der brennenden Hitze Stand halten würden.
Endlich auch deshalb nicht, weil es zwar mit diesem oder mit jenem Apparate
erreichbar sein möchte, den Heissluftstrom wie die konsekutive Hyperämie auf einen
bestimmten Körperabschnitt einigermaassen vollkommen zu lokalisieren, niemals aber
die mit der Ueberhitzung verbundenen, auf Fortleitung oder auf Reflex beruhenden
Fernwirkungen gänzlich auszuschliessen.
Die lokal applizierte überhitzte Luft wirkt, wie verwandte hydriatische Pro¬
zeduren, über die Applikationsstelle weiter hinaus; so bricht am Rumpf, am Kopfe,
selbst am ganzen Körper reichlicher Schweiss aus, während z. B. nur die Hand, der
Fass der Heissluftwirkung ausgesetzt sind, oder es treten Herzklopfen, Unruhe, Syn¬
kope hinzu.
Mag derlei keineswegs immer besonders schädlich sein; hie und da erschwert
es die Fortsetzung der Behandlung oder kompliziert dieselbe in unerwünschtem
firade. Und also: auch in Absicht auf Hyperämie wird es sich vielleicht zweck-
massiger erweisen, von extremen Ueberhitzungen in praxi Abstand zu nehmen.
Die in der vorliegenden Abhandlung mitgetheilten Beobachtungen, Prüfungen
l'ntersuchungen sind, soweit sie die mechanisch - physikalische Seite derselben be¬
treffen, in und mit den Krause’schen Heissluftapparaten von mir angestellt und
ansgeführt worden. Bei etwaigen Nachprüfungen wolle man nicht darauf rechnen,
absolut übereinstimmende Zahlen zu erhalten, denn schon in ein und derselben Hand
führen anscheinend übereinstimmende Beobachtungsbedingungen zu geringen Ab¬
weichungen; umsomehr zwischen verschiedenen Beobachtern.
Die untersuchten Heissluftapparate sind keine Präzisionsapparate, zumal nicht
der für den Fuss bestimmte. Bei Nachprüfungen über den Einfluss des Abzugsrohrs
ist dies besonders im Auge zu behalten. Der Deckelspalt an diesem Apparate ist zwar
verdeckt, aber nicht vollständig verschlossen; er lässt mannigfache Ritzen frei, welche
als Abzugsrohre wirken können, wenn für ihre Verstopfung nicht ganz besonders
gesorgt worden ist. Auch sonst können hierdurch Luftströmungen entstellen, welche
die Temperaturvertheilung im Innern des Apparates in eigener Art beeinflussen;
ich habe es für übrig gehalten, besondere Belege dafür zu erbringen.
Die Resultate meiner Beobachtungen und Messungen an Kranken, soweit sie
bemerkbar hervorgetreten, sind unter Anwendung verschiedener Heissluftapparate ge¬
wonnen worden, vorwiegend unter Anwendung eines von mir selbst, nach dem Prin¬
ts“'
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A. Schule
zipe des Quincke’schen Schwitzbrettes konstruierten Apparates, dessen Beschreibung
und Veröffentlichung beabsichtigt ist.
Durch die vorliegenden Mittheilungen soll der praktische Werth der lokali¬
sierten Heissluftbehandlung keineswegs in Zweifel gezogen werden. Im Gegentheil:
in jahrelanger Anwendung dieser Behandlungsmethode') bin ich je länger, je mehr
von ihrem Nutzen überzeugt worden; zwar nicht in dem Umfange der vielfach be¬
richteten »überraschenden« oder »glänzenden« Heilerfolge, wohl aber mit der Er¬
kenntnis, dass das Anwendungsgebiet der Heissluftbehandlung die gewöhnlich ihr
gesteckten Grenzen nicht unerheblich überragt.
Umsomehr schien es mir angebracht, Prüfungen anzustellen, und, wie ich hoffe,
Nachprüfungen anzuregen, die der Entwickelung der Methode von Nutzen sein möchten.
In diesem Sinne mag auch der kurze Hinweis noch gestattet sein, dass es
meines Erachtens zur Zeit nicht sowohl darauf ankomme, Apparate zu konstruieren,
welche, scheinbar oder wirklich, maximale Ueberhitzungen gestatten und solche an¬
zuwenden, als vielmehr zu grösserer Gleichmässigkeit ihrer lokalen Verbreitung und
Wirkung, sowie zu festeren Grenzen ihrer Dosierung für die von mir getrennten, in
praxi vielleicht wirklich zu trennenden Indikationen ad hyperaemiam vel ad hyperi-
drosin, zur Erkenntniss des Optimum, nicht des Maximum in dem einen wie in dem
anderen der hier abgehandelten Punkte zu gelangen.
ii r.
Die Kostordnung auf der inneren Abtheilung des evangelischen
Diakonissenhauses in Freiburg i. Br.
Vou
Oberarzt Prof. Dr. A. Schule.
Bei der Eröffnung des Diakonissenhauses vor zwei Jahren haben wir vorgezogen,
uns nicht an ein bestehendes Kostregulativ anderer Krankenanstalten zu binden,
sondern es wurde der Speisezettel in allgemeinen Normen den Gepflogenheiten der
hiesigen Bevölkerungsklasse entsprechend festgestellt; im übrigen warteten wir, indem
wir annahmen, dass sich durch die Praxis des täglichen Betriebes eine gewisse defini¬
tive Norm mit der Zeit feststellen lassen würde.
Wir haben dieses nicht schematische, mehr individualisierende Verhalten nicht
zu bereuen gehabt. Unsere Resultate bezüglich der Ernährung der Kranken sind im
allgemeinen vorzügliche, wie die Ergebnisse der wöchentlich einmal vorgenommenen
Wägungen zeigen (Zunahme von 2—3 Pfund pro Woche ist keine Seltenheit).
Im folgenden möchte ich nun in Kürze die auf der inneren Abtheilung ein¬
gebürgerte, theilweise von mir angegebene Kostordnung mittheilen:
i) J. Schreiber, Berliner klinische Wochenschrift ltsöö. No. U7. Vortragsreferat.
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Kostordnung auf der inneren Abtheilung des evang. Diahonissenhauses in Freiburg. 117
In der I. Kost (Tag der Aufnahme, fiebernde oder unklare Fälle) erhält der
Kranke ca. 460 ccm Suppe 1 ), 1250 ccm Magermilch = rund 960 Kalorieen.
II. Kost (Uebergangsdiät).
1250 g Magermilch, 260 g Milchreisbrei (Abends),
460 g Suppe, 140 g Weissbrod,
120 g gebratenes Kalbfleisch,
rund 2030 Kalorieen.
III. Kost (gewöhnliche Durchschnittskost).
250 g Milchkakao,
400 g Brodj
500 g Milch,
460 g Suppe,
290 g Fleisch (gebraten),
560 g Gemüse,
etwa 2770 Kalorieen.
Ferner haben wir die sogenannte »leichte« Kost für Rekonvalescente, Magen¬
darmkranke etc. eingeführt.
In derselben erhält der Patient III. Klasse:
460 g Suppe,
750 g Milch,
325 g Brod,
100 g gebratenes Fleisch,
rund 2500 resp.
170 g Gemüse,
260 g Milchbrei (Abends),
500 g Milch, eventuell
20 g Butter,
2700 Kalorieen.
Das Menu für die »leichte« Kost darf sich nur aus folgenden Speisen zusammen¬
setzen (dieses Verzeichniss hängt in der Hausküche):
Kalbsbraten,
Mittags:
Fleisch:
‘Geflügel,
* Beefsteak,
' Roastbeef,
* Fisch,
* Zunge,
* Lümmel,
* Brieschen,
Geschabtes Fleisch
Suppenfleisch,
Hirnhachee,
(angebraten).
Schnitzel (unpanniert), Kalbfleisch (eingemacht),
Kartoffelbrei,
Gemüse:
Nudeln,
Spinat,
Reisgemüse,
Maccaroni,
* Spargel.
Reisbrei,
Reis-, Gries-,Tapiokaauf lauf,
Dessert (nur für I. und II. Klasse).
* Apfelkompott,
'Karlsbader Creme,
'Omelette mit Eiweiss,
’ Aprikosen,
* Spanische,
'Omelette souftee,
'Eierpudding,
* Suppennudelauflauf,
’ Griespudding,
'Biskuit.
i) Sämmtliche oben vermerkten Zahlenangaben beziehen sich
auf Messungen, resp. Wägungen
der Gesammttagesmenge,
welche unter unserer Kontrolle mehrfach von der Oberschwestor vor-
genommen wurden. Die Zahlen geben das Mittel aus verschiedenen Wägungen an.
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118 A. Schule, Kostnrdnung auf der inneren Abtheil, des» cvang. Diakonissenhanse? in Frcihurp.
Abendessen:
'Kalbfleisch (kalt), | 'Schnitzel (unpanniert),
' Roher oder gekochter Schinken, | Reis-, Gries-, Tapiokabrei,
Rühreier.
Die mit ' versehenen Speisen werden nur an Patienten I. und II. Klasse ab¬
gegeben.
Dies ist unsere Kostordnung, welche sich in den zwei Jahren des Betriebes, wie
oben bemerkt, rechtj gut bewährt hat.
Für besondere Fälle treten weitere Modifikationen ein. So bekommen z. B.
Typhuskranke neben der Milch noch täglich Rahm und vier Eier, sodass wir ihnen
durchschnittlich 1600 Kalorieen pro Tag beibringen können.
Für die Zeit nach der Entfieberung halten wir uns ziemlich schematisch an
die auch in verschiedenen Kliniken (z. B. in der Erb’sehen Klinik zu Heidelberg)
beobachtete Regel, die ersten sechs Tage nach Schwinden des Fiebers nur flüssige
Diät weiter zu geben.
Am 7. fieberlosen Tag bekommt der Kranke 2 Zwieback,
» 8. » » » » ■» 4 Zwieback,
» 10. » » d » » zuerst Milchbrei,
»12. » » » » » Kalbshirn,
»14. » » » » » Kalbfleisch.
An diesem Tage darf der Patient zum ersten Mal aufstehen, zuerst nur
Stunde, dann täglich »/ 2 Stunde mehr.
Zur Erleichterung der Speisevertheilung hängt in jeder Theekilche ein »schwarzes
Brett«, auf welchem der Assistent die Diätzettel anzuschlagen hat, wie sie für be¬
stimmte Patienten, z. B. Magen- und Darmkranke festgesetzt werden; diese Diät¬
verordnungen kommen dann später in die Krankengeschichten.
Zur Abmessung der Kostmenge dient den Schwestern im allgemeinen das Augen-
maass, welches meist genügt, da immer dieselben Menageschüsseln (von bekanntem
Inhalt) zur Verwendung kommen.
Zur Abmessung. der Butterportionen habe ich kleine rechteckige Rahmen mit
senkrechtem Griff anfertigen lassen, mit welchen man bestimmte Stücke aus dem
Butterlaib herausschneiden kann, ähnlich wie es beim Teig für Gebäck geschieht.
Ein solcher rechteckiger Würfel wiegt 10 g.
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E. Eggebrecht, Ueber die Verwendung Blinder in der Massage. 110
IV.
Ueber die Verwendung Blinder in der Massage.
Von
Dr. E. Eggebrecht
in Leipzig.
Die Bestrebungen der Blindenerziehung und -fürsorge, wie sie sich in «len
letzten Jahrzehnten herausgebildet haben, zielen immermehr darauf hin, den Blinden
eine wirtschaftlich unabhängige Lebensstellung zu verschaffen. Diesen national¬
ökonomischen Grundzug tragen die Bestrebungen jetzt fast überall, während die rein
humanitären Rücksichten an Gewicht eingebüsst haben. Wenn nun auch infolge der
Durchführung dieses Prinzips die materielle Lage der Blinden sich gebessert hat
und mancherlei erreicht worden ist, so bleibt doch noch sehr viel zu thun übrig.
Man ist deshalb beständig auf eine Erweiterung des Wirkungskreises bedacht, der
den Blinden nach ihren geistigen und körperlichen Fähigkeiten zugänglich ist. Wird
der wirtschaftliche Werth der Blinden erhöht, ihnen möglichste Unabhängigkeit
nach aussen verschafft, so wird ihnen mit diesen beiden Erfolgen auch das Gefühl
von Nützlichkeit und Arbeitsbefriedigung verliehen. Ganz besonders erwähnenswert
ist auch die Thatsache, dass die Blinden durch Ausbildung zu Arbeitern an den
Segnungen der gesetzlichen Arbeiterversicherung theilnehmen.
Ohne auf die Blindenschulbestrebungen, die Unterrichtsfächer oder gar die
Unterrichtsmethode hier einzugehen, seien nur kurz die bisher oflfenstehenden Erwerbs¬
zweige erwähnt. Es sind das Berufe, die — und zwar ohne bedeutende Hülfe der
Sehenden — in dem Maasse für Blinde durchführbar sind, dass sie ohne oder mit
geringem öffentlichen oder privaten Zuschuss ein ausreichendes Einkommen gewähren.
Von diesen, ihren exceptionellen Lebensbedingungen angepassten Thätigkeiten seien
folgende erwähnt. Von den Handwerken verdient an erster Stelle genannt zu werden,
weil am intensivsten betrieben: die Korbmacherei und verwandte Zweige, als Stuhl-
und Strohflechterei und ähnliche Stroharbeiten. Ferner Bürsten- und Pinselherstellung,
Seilerei mit ihren Nebenarbeiten (Herstellung von Gurten, Hängematten, Netzen, Kokos¬
matten, Matratzen, Polstermöbeln), Teppichknüpferei; auch die Schusterei und die
Kistenbauerei müssen genannt werden. Von anderen Handarbeiten seien hier besonders
die für weibliche Blinde bestimmten erwähnt, wie: Häkeln, Stricken, Maschinennähen.
Die nicht seltene musikalische Veranlagung drängt vielfach zur Ausbildung
von Musikanten, Orgelspielern, Musiklehrern, Klavierstimmern.
Eine geringere Anzahl sucht sich ihren Lebenserwerb in den Druckereien für
Hochdruckschriften; wieder andere finden leidlich lohnende Beschäftigung als Sprach¬
lehrer oder im Unterricht anderer Schulfächer.
Im grossen ganzen sind dies alles wenig lohnende Erwerbszweige, deshalb, weil
einerseits die Konkurrenz der Sehenden an sich, andererseits der Wettbewerb der
Maschine der Rentabilität grossen Eintrag thun. Auch der Wechsel in den Geschäfts¬
verhältnissen und -bedürfnissen innerhalb der genannten Beschäftigungen macht zeit-
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1 -0 E. Eggebrecht
weilig einige der mühsam erlernten Thätigkeiten weniger lukrativ 1 ). Man muss end¬
lich auch zugeben, dass die Zahl dieser Arbeitsgebiete nicht gross ist, besonders,
wenn man die grosse Anzahl der Blinden auf der ganzen Welt, sowohl in civilisierten,
als besonders auch in den uncivilisierten Ländern zum Maassstabe nimmt.
Nach den neuesten statistischen Erhebungen wurden 1876 von Georg Meyer
unter 208381478 untersuchten Menschen 180537 Blinde gezählt, das wäre also von
100000 = 87 Blinde ^.
In Deutschland werden nach, dem Stand der Volkszählung von 1805
ca. 36000 Blinde angenommen 9 ). Also 67 Blinde auf 100000 Einwohner.
In Preussen waren nach Kugler 4 ) und Corradi 6 )
1871 von 100000 Einwohnern 93 blind,
1880 » » i 82 »
1895 » d » 67—65 »
Darnach ergäbe sich in Preussen eine Abnahme der Gesammtziffer von 22978
auf 21 442.
Bei 31649182 Staatsangehörigen wäre also auf 1 Blinden 1520 Sehende zu
zählen.
Was diese Zählergebnisse ganz besonders erfreulich und aussichtsvoll macht,
ist das Sinken der Zahl der blinden Kinder unter 10 Jahren von 1222 im Jahre
1871 auf 828 im Jahre 1895 (= 66%).
In Leipzig würden auf Grund der günstigsten oben genannten Ziffer von 67
auf 100000 Einwohnern (allgemeiner Durchschnitt) etwa 300 Blinde bei einer Be¬
völkerung von 450000 anzunehmen sein.
Bei meinen Bemühungen, alle diese Blinden namentlich und persönlich kennen
zu lernen, ist es mir bislang nur gelungen, 190 hier in Leipzig aufzufinden 6 ). Die
Bearbeitung dieser Statistik nebst den Augenuntersuchungen ist im Werke.
i'i Ausser diesen dem Durcbschnittsblinden zugänglichen und möglichen Beschäftigungen
hüben sich einzelne, besonders veranlagte Blinde, in zuweilen staunenswerter Weise hervorragende
Stellungen in der Menschheit erworben. Doch soll hierauf nicht weiter eingegangen werden.
-) cf. Greef, Kongressbericht der Blindenlehrer 1898. S. '>0.
3 ) Silex, Handbuch der Krankenversorgung. Berlin 1898. Bd. 1. S. 17.
0 Kugler, Kongressberichtc 1898. S. 17.
Ä ) Corradi, Cohn’s Handbuch der Hygiene des Auges.
6 ) Deutschland steht bezüglich seiner Blindenziffer nicht an erster, aber auch weitaus nicht
an letzter Stelle. Einer Zusammenstellung nach Corradi (1. c.) folgend, waren 1886 auf 100 000
Menschen zu zählen:
in Holland .... 44 Blinde in Deutschland . . 85 Blinde in Spanien . . . .148 Blinde
« Italien.7"> » » England .... 88 » » Europäisches Russ¬
in Schweiz .... 76 » » Oesterreich ... 94 » land .... 210 »
n Dänemark ... 79 » » Vereinigte Staaten 97 " » Finland .... 211 »
ii Preussen . . . . 8.‘( » » Ungarn .... 128 » » Portugal . . . .219 »
« Frankreich ... 84 » » Norwegen . . . 136 » » Irland. 340 »
ln einigen Ländern, wo allerdings eine genaue statistische Erhebung fehlt, sind die Er¬
blindungen noch weit zahlreicher, wenn man Rcisebeschreibungen einzelner Blindenmissionslehrer
folgt; so in China nach Pastor Borchers-Hildeshcim, infolge schlechter Ernährung, vieler Er¬
krankungen, grellen Sonnenscheins, Vernachlässigung der Kinder. (Aussetzen und vielfaeher Aus-
stossung weiblicher Blinder, die dann dem Betteln, den Sklavenhändlerinnen und der Prostitution
anheim fallen.)
In Palästina soll wohl >/« der Bevölkerung blind sein — ein gewaltiges Heer Unglücklicher.
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121
lieber die Verwendung Blinder in der Massage.
Man wird zugeben müssen, dass dies enorme Zahlen sind, die eine Unsumme
unerfüllten Strebens, getäuschter Hoffnungen, menschlichen Elends in sich schliessen;
Sie beweisen aber auch die NothWendigkeit einer geordneten Blindenerziehung und
fürsorge.
Zur Erweiterung der Blindenarbeit entschloss ich mich vor 1 ’/« Jahren auch
die Massage heranzuziehen, und glaubte einer neuen Idee gegenüber zu stehen. Es
zeigte sich aber beim weiteren Studium der einschlägigen Verhältnisse, das ich
durch briefliche und litterarische Mittheilungen nur ganz allmählich vertiefen konnte,
dass Versuche mit Blindenmassage bereits an manchen Orten gemacht seien, nicht
nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern und Erdtheilen, und dass diese Be¬
strebungen viel älter seien, als ich anfänglich angenommen hatte.
Eine eingehende Geschichte der Blindenfürsorge zu geben, ist hier nicht der
Ort, und die spezielle Entwickelungsgeschichte der Blindenmassage muss ich auf
folgende kurze Notizen beschränken; sie entstammen zum grossen Theil einem mit
zahlreichen ausländischen Blindeninstitutsdirektoren gepflogenem Briefwechsel.
Es ist Japan, welches in der Geschichte der Blindenmassage die führende
Rolle gespielt hat.
Nach brieflichen Nachrichten (Professor Majet-Berlin) und aus gedruckten
Berichten (Direktor Konishi von der Kaiserlichen Blindenanstalt in Tokio 1 )) ge¬
messen Blinde in Japan seit mehreren hundert Jahren von den Kaisern eine besondere
Unterstützung. Nicht nur ist ihnen erlaubt, auf Wuchern und bei Zinsennahme über
den sonst gesetzlichen Zinsfuss hinauszugehen, sondern auch die Massage als Monopol
zu betreiben. Aus den Schilderungen des ausgezeichneten Kenners japanischer Ver¬
hältnisse, Professor Majet-Berlin, des Blindendirektors Konishi-Tokio und anderer
geht hervor, dass die blinden Masseure eine Art Gilde (= Ama) bilden. Es giebt
wohl keinen einzigen sehenden Masseur (Majet). »Massage und Akupunktur werden
fast ausschliesslich für Blinde betrachtet« (Konishi). In allen Städten, grösseren
Dörfern und namentlich in den Badeorten hört man den ganzen Tag das eintönige
kurze Pfeifen dieser Blinden, die mit einem langen Stab ihren Weg tastend auf der
Strasse finden und häufig den Ruf: Amasan, amasan (der Herr Kneter) ausstossen.
Dabei fügen sie hinzu, dass sie den ganzen Körper für so und so viele Pfennige
kneten. Neben der Billigkeit sichert ihnen die Sitte das Monopol, denn nicht nur
die meisten Wohlhabenden lassen sich nach dem Bade massieren — und der Japaner
badet täglich —, sondern auch der gemeine Mann lässt sich nach Anstrengungen
kneten, z. B. die Jinrikisha — Kuli —, die Ringer u. s. w., um sofort wieder zu
neuen Anstrengungen und Leistungen befähigt zu sein. Bezahlung geschieht sofort
nach der Arbeit, der Europäer bezahlt für die Stunde 10—20 Sen = 22—45 Pf.,
der Japaner viel weniger. Mr. Edmond Naumann schildert ähnlich die Massagever¬
hältnisse in Japan (nach einer Notiz A. l’aulys in »Le Valentin Haüy, revue uni¬
verselle des questions relatives aux aveugles«, Oktober 1896) und fügt liebenswürdig
hinzu: »Dank dem Talente dieser Leute sind die Damen Tokios behend, gesund
und graziös«.
Die Masseure werden in der Strasse von den Kunden angerufen und in die
Häuser geholt; sie treiben selbstständige Praxis oder sie haben öffentliche Stellungen
in den Universitätskliniken und grossen Hospitälern (K o n i s h i). Obgleich sie
i) Kongreasbericht der Blindenlehrer 1*98. S. % J3.
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122 E. Eggebrecht
nur gering von Einzelnen bezahlt werden, haben sie aber oftmals soviel zu thun, dass
sie sich doch auskömmlichen Unterhalt verschaffen, da ihre Beschäftigung durchaus
volksthümlich ist. Ist doch in Japan das Wort »Masseur« gleichbedeutend mit Blinder
(Soustowski). Diesen japanischen Blinden wird die Erfindung des bekannten
Massageapparates, einer in einer Holzkapsel beweglichen Holzkugel zugeschrieben 1 ).
Wie mir scheint, sind durch die günstigen japanischen Erfahrungen, die Ver¬
suche anderer Länder, Blinde in der Massage zu verwenden, angeregt worden und
zwar in fast allen Kulturstaaten der alten und neuen Welt. Aber wenn man wohl
auch der Frage der Blindenmassage näher getreten ist, so wurden stets und aller¬
orten nur ganz vereinzelte Versuche gemacht, sie einzubürgern. Offenbar hat dies
an der bislang nicht immer genügenden Werthschätzung der Massage selbst gelegen.
Auch mag die mangelnde Einsicht in die Bildungsfähigkeit der Blinden mitgewirkt
haben; oder endlich, die geringe Betheiligung der Aerzte an Blindenerziehungs¬
und -beschäftigungswesen überhaupt hat diese ungünstige Folge gezeitigt. Fast
überall ist die Ausbildung nur das Werk einzelner Aerzte. Die Aufnahme der
Massage als Unterrichtsfach in den Anstalten dürfte garnicht, oder nur ganz ver¬
einzelt anzutreffen sein.
Nur in Russland ist die Blindenmassage Gegenstand des Anstaltsunterrichts,
wie A. v. Goustowsky, Lehrer der Massage in Petersburg, auf dem letzten Fariser
Kongress mittheilt*): »En Europe, jusqu’ä präsent, il n’y a qu’une ecole de ce genre,
oii le massage, que j’ai particulierement en vue ici, est enseigne aux aveugles. Cette
äcole existe en Russie, ä Saint Petersbourg.
Die Schüler lernen Anatomie, Physiologie und Massagetechnik zu gleicher Zeit.
Die weiteren Einzelheiten des Unterrichts werde ich unten gelegentlich meiner Er¬
fahrungen anführen.
Der genannte Massagelehrer hält die Idee der Verwendung Blinder für durch¬
aus lebensfähig, er nennt sie eine »utilite inconstestable de Tintroduction du massage
dans le cercle des occupations des aveugles«.
Auch Dr. v. Nädler, Direktor der Alexander-Marien-Blindenanstalt für Kinder
zu Petersburg, mit dem ich über diesen Gegenstand korrespondierte, hat die ersten
Versuche mit Blinden in dieser Beschäftigung gemacht. Er war über das Stadium
des Versuchs in der dortigen Anstalt noch nicht herausgekommen und glaubt, zwei
Schuljahre für die Ausbildungszeit annehmen zu müssen. Aus Vorsicht lässt er die
Probeschüler nebenher ein Handwerk erlernen, damit sie für den Nothfall noch eine
einträglichere Beschäftigung haben. Dr. v. Nädler theilt auch mit, dass es in
Petersburg einen Masseur giebt, der als Student der Medicin erblindete und dann
in Japan die Massage in zwei Jahren erlernte. Er ist in einem Krankenhaus als
Masseur angestellt und ist der Lehrer der obengenannten Knaben (v. Nädler, brief¬
liche Nachricht*)).
') cfr. Art Aina in Mell Encyklopaedie. Handbuch des Blindenwesens.
-') »Congrüs international pour l’amelioration du sort des aveugles« in Paris 1.August
1900. Kongressbericht S. 242.
*) In Russland hat man überhaupt m den letzten Jahren durch v. Grot ganz beträchtliche
Fortschritte in praktischen Augenheilbcstrebungen und der Fürsorge Augenkranker gemacht Neben
vielen Blindenanstalten giebt es dort auch die Einrichtung von »fliegenden augenärztlichen Kolonnen«,
die im Jahre 1897 in 33 Kolonnen f>4 000 Menschen in einem Jahre behandelt und 16029 Augen¬
operationen ausgeführt haben. Seit 1893, dem ersten Jahre ihrer Thätigkeit, bis 1898 haben im
ganzen 106 Kolonnen des_Maria Vereins 168 . r >2f) Augenkranke behandelt und 48 552 Operationen aus¬
geführt (v. Nädler, Kongressbericht der Blindenlehrer 1898. S. 197.)
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lieber die Verwendung Blinder in der Massage. 1*23
Auch Amerika scheint in der Verbreitung der Blindenmassage noch keine er¬
heblichen Fortschritte gemacht zu haben. Wie Mr. Allen von »the Pennsylvania
institution for the instruction of the blind«, Overbrook Pa., mir mittheilt, sind wohl
einzelne Blinde in dieser Kunst unterrichtet, als Unterrichtsgegenstand ist die Massage
in Anstalten aber nicht eingeführt.
Von den beiden Aerzten, welche sich besonders mit dieser Frage beschäftigt
haben, zwei Doktoren Ben nett in Buffalo und Philadelphia, wird die Massage sehr
empfohlen als Thätigkeit für die Blinden, welche sich dafür eignen. Seit zwei Jahren
ist in Philadelphia ein blinder Masseur thätig, nachdem er zuerst Besenbinder war
und dann im Thiladelph. orthopedic hospital in drei Monaten mit Erfolg ausgebildet
worden ist. Ferner hat eine Dame, Miss Colby, die allerdings nicht völlig blind
ist, privatim mit einigen anderen Frauen in Boston Massage und schwedische Gym¬
nastik gelernt, ist Direktorin einer training school geworden und giebt neben einer
anderen blinden Lehrerin in den genannten Fächern Unterricht.
Für die verbreitete Ansicht, dass es in Amerika viele blinde Masseure giebt
(Moldenhawer, Blindenlehrerkongressbericht 1898), habe ich einen Beweis nicht
erhalten können.
In England trug vornehmlich Armitage zur Verbreitung der Blindenmassage
bei. Nach A. Pauly 1 ) liegt die grosse Schwierigkeit, die dem Unternehmen ent¬
gegentritt, darin, dass die Blindenmassage noch nicht in die Landessitte übergegangen
ist, ein in England verständlicher Grund für den mangelnden Erfolg. Die Fähig¬
keiten für die Ausbildung der Blinden giebt auch Campbell voll zu, sieht gleich¬
falls die Hauptschwierigkeit in den entgegenstehenden Landesgewohnheiten und
meint, dass die Blinden deshalb zu viel Mühe haben werden, sich den Lebensunter¬
halt zu verdienen. Trotzdem ist schon eine ganze Anzahl blinder Masseure thätig;
so haben nach Pauly 1 ) mehrere junge Engländerinnen, die am »Normal College«
ausgebildet waren, doch Erfolg gehabt. Einzelne dieser Frauen haben ausser vielen
Klienten auch ganz excellente Zeugnisse erhalten. Ferner hat in London eine
Amerikanerin, Greighton Hall, ein Massageinstitut gegründet. Sie giebt als
mittlere Unterrichtsdauer für Blinde sechs Wochen an — eine etwas amerikanische
Kürze der Ausbildung —, ist aber mit ihrem Resultat zufrieden. Ihre Schülerinnen
wurden von gut situierten Damen protegiert und mit Beschäftigung versorgt. Einige
Schülerinnen sind renommierte Masseusen geworden, eine hat einen Jahresverdienst
von 1250 Francs.
Dr. Hetscher Kittle in London hat drei völlig erblindete Frauen und einen
fast erblindeten Mann in Massage unterrichtet. Endlich theilt mir aus »North Shields
in England« Dr. v. Niederhäuser mit, dass in dieser Gegend eine Blinde als
Masseuse thätig ist (Northern counties blind society).
Auch in Edinburgh giebt es mehrere blinde Masseusen. Die Art, wie sie zu
den Kranken gerufen werden, entspricht dem, wie ich es für Leipzig geplant habe
Sie werden zu den Kranken von der Institutsverwaltung (dem Royal blind asylum
and school) geschickt, an die sich das Publikum zu diesem Behuf wendet. 2 )
Aus diesen sicher noch zu vermehrenden Nachrichten geht hervor, dass die
Blindenmassage in England jedenfalls schon einige Verbreitung gefunden hat.
1) Le Valentin Haüy 1896. No. 10. S. 130 ff.
2 ) Mell, Encyklopädie für Blinden wesen. S. 182.
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124 E. Eggebrecht
In Frankreich hat man meines Wissens noch keinen praktischen Versuch mit
Blindenmassage gemacht, wenn auch, wie Mr. Pauly schreibt, l’association Valentin
Haüy Studie depuis longtemps cette question, suit ses manifestations, observe ses
developpements. J )
In Schweden, dem Lande der Massage, sollen nach Pauly beträchtliche Fort¬
schritte in der Verwendung blinder Masseure gemacht sein. Meine brieflichen Nach¬
richten lauten dagegen insofern ungünstig, als von Professor Nycander (Göteborg),
der selbst sechs Jahre lang Blinde und Halbblinde unterrichtet hat, abgerathen wird,
und zwar deswegen, weil die Blinden nicht konkurrenzfähig mit den Sehenden seien;
sie könnten wegen fehlender Massagebücher in Blindenschrift theoretisch nicht so
gut ausgebildet werden, wie Sehende. Diesen Einwand habe ich durch Herstellung
eines Lehrbuches für Anatomie, Physiologie und Massage in Blindenhochdruckschrift
hinfällig gemacht. Ich werde weiter unten auf diesen Punkt zurückkommen.
Dänemark. Dr. Moldenhawer von dem Königlichen Blindeninstitut in
Kopenhagen schreibt mir, dass er sich infolge des sehr befriedigenden Versuches mit
einem Blinden, den der Quarantänearzt Clod Hausen im vergangenen Jahre unter¬
richtet hat, entschlossen habe, weitere Versuche zu unternehmen. Zur Zeit (20. Fe¬
bruar 1900) befanden sich zwei blinde Damen und ein junger Mann in Ausbildung.
(Ein anderer starb leider in der Zeit seines Studiums.) Der unentgeltlich gewährte
Unterricht wird sehr ernst getrieben, wie aus folgender Anordnung hervorgeht:
1. Drei Stunden täglich bei weiblichen Assistenten Dr. Clod Hausen’s,
nämlich zwei Stunden in Anatomie und eine Stunde in Massage und
schwedischer Heilgymnastik;
2. dreimal wöchentlich Repetition beim Leiter der Anstalt;
drei Stunden wöchentlich Physiologie, Vortrag ohne Examination;
4. tägliche Besuche eines Hospitals (der Leiter hat die Massage am Garnison¬
hospital unter sich).
Die Dauer des Unterrichts ist zehn Monate (für Sehende acht Monate). Die
Hülfsmittel sind: a) Hartelius, Anatomie in Punktschrift (dänische Kurzschrift, nur
die lateinischen Bemerkungen ohne Verkürzungen), 18 Bände; b) Knochen (auch ab¬
norme), und c) Modelle (keine Zeichnungen).
Aus Oesterreich liegen schon etwas ältere Erfahrungen vor, deren Mittheilung
ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Kofränyi verdanke. Neben ihm hat sich
Dr. Pawlik dort um die Verbreitung der Massage verdient gemacht.
In Brünn (Mähren) ist seit 1894 eine von Dr. Kofränyi sorgfältig ausgebildete
Masseuse thätig. Sie ist vier Monate lang theoretisch und praktisch in normaler
und pathologischer Anatomie und in Massage unterrichtet worden und ist auch am
Krankenbett thätig gewesen. Nach bestandener Prüfung fand sie an einem Institut
Anstellung. Dies Institut bezahlte die Kosten ihrer Etablierung, der Annoncen,
Empfehlungen u. s.w.
Diese Blinde, die nebenbei eine tüchtige Handarbeiterin ist, hat ein Jahres¬
einkommen von 400 Mark trotz der Kleinheit Brünns mit seinen 15000 Einwohnern.
Dr. Kofränyi, wie auch Dr. Pawlik-) geben der Befähigung der Blinden zur
i) I.c Valentin Haiiy 1800. S. 120.
’*) Blindenfreund, Zeitschrift für Verbesserung u. s w. IsOO. 10. Jahrgang. S. 59.
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125
Ueber die Verwendung Blinder in der Massage.
Ausübung der Massage ein glänzendes Zeugniss, wie überhaupt ihrer Bildungs- und
Erwerbsfähigkeit.
In Wien (Mell, briefliche Nachricht 1900) ging die Behörde vor vier Jahren
an den Unterricht Blinder deshalb nicht heran, weil Gersuny sich dagegen aus¬
sprach. Man meinte besonders, dass Kranke, an und für sich leicht reizbar, den
Anblick Blinder unangenehm empfänden, — wie mir scheint, kein thatsächlicher
oder ausreichender Gegengrund.
Auch in Deutschland fehlt es nicht an Versuchen.
In Braunschweig 1 ) wurden zwei Blinde ausgebildet in ähnlicher Weise wie
an anderen Orten. Die beiden Schüler dienten sich bei den Massageübungen gegen¬
seitig als Objekt. Einer fand nach einem Examen in einer öffentlichen Heilanstalt
Anstellung und hat sich gut bewährt.
In Berlin fand (nach Kuli, ebenda) ein in Massage ausgebildeter junger Mann
in einer »Heilanstalt für Knochenbrüche« Anstellung. Da er nur 1 Mark für den
Tag bekommt und von 9—4 Uhr angestrengt zu thun hat, fühlt er sich infolgedessen
»keineswegs besonders wohl«. Die Honorierung ist so gering, weil starke Konkurrenz
vorhanden ist und der Blinde mit dem Vorurtheil des Publikums zu kämpfen hat,
besonders mit dem der höheren Schichten.
In Kiel (Ferchen, ebenda), wurde 1895 oder 1896 ein blindes Mädchen aus¬
gebildet, doch ist es sehr schwierig, ihr immer Kundschaft zuzuführen. Der ge¬
nannte Kieler Blindenlehrer meint: »Im ganzen ist es wohl nicht die Ansicht der
Versammlung (der Blindenlehrer*)), dass die Massage so weit gediehen ist, dass
wir sie überall empfehlen können. Es kommt das immer auf den besonderen Fall
an«. — Dagegen muss geltend gemacht werden, dass die Massage wohl weit genug
gediehen ist, aber das Vorurtheil der Bevölkerung erscheint noch zu gross, wie
wir gesehen haben.
Aus Nürnberg 3 ) liegen günstige Nachrichten über die Ausbildungsfähigkeit
zweier blinder junger Männer zur Massage vor. Allerdings fanden auch in dieser
Stadt (von 150 000 Einwohnern) beide so geringe und unzureichende Beschäftigung,
dass man sie nebenher Korbmacherarbeiten treiben Hess. Später wurden die beiden
ihrem Berufe entrückt, der eine starb, und der andere wurde durch eine glückliche
Operation wieder so weit sehend, dass er die Massage aufgab und — Dachdecker
wurde.
In Leipzig sind vor etlichen Jahren einige Blinde privatim unterrichtet worden.
In Dresden gedenkt man die Massage zu einem Erwerbszweig der Blinden
zu machen und zwar von Seiten des Königlichen Blindeninstituts (nach brieflichen
Berichten des Direktors Vermeil).
So sehen wir an vielen Orten den Beginn einer Bewegung, die allerdings bisher
noch nicht weit gediehen ist. Im allgemeinen kann man aus dem Mitgetheilten wohl
die Ansicht gewinnen, dass die Blinden sich für diesen Zweig ärztlicher Thätigkeit
bildungsfähig gezeigt haben und dass es ihnen an manchen Orten auch wirklich ge¬
glückt ist, einen lohnenden Erwerb zu finden.
i'i G. Fischer, Blindcnlchrcrkongressberieht 1S98. S. 333. ßlindenfreund ls'.m. 10. Jahr¬
gang. S. 29.
-j Kongressbericht 1898.
•<) Schleussuer, ebenda, ft
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126
E. Eggebrecht
Als ich in Leipzig vor 1 i/ a Jahren an die Verwirklichung meines Planes, Blinde
in der Massage zu unterrichten, ging, war ich mit allen diesen geschilderten Ver¬
hältnissen nicht bekannt und musste bei dem Unterricht selbstgewählte Wege gehen.
Ich wurde bei meinem Unternehmen auf die vcrständnissvollste und anerkennungs-
wertheste Weise von dem hiesigen Verein zur Beschaffung von Hochdruckschriften
und von Arbeitsgelegenheit für Blinde unterstützt.
Die Aufgabe, die ich mir stellte, war die Erziehung Blinder zu vollkommenen
Masseuren und Masseusen. Sie sollten theoretisch und praktisch in der Lehre des
Baues und der Funktionen des Körpers genügend unterrichtet sein; dabei sich in
der Massagetechnik völlig sicher fühlen. Ich wollte nicht Masseure erziehen, die
selbstständig, ohne ärztliche Aufsicht massieren sollten, nach Art vieler kurpfusche¬
rischer Masseure, sondern unter jeweiliger Anleitung und Anweisung der Aerzte. So
sollten sie vollkommene, wenn auch blinde Werkzeuge in der Hand der Aerzte in
diesem wichtigen Zweige ärztlicher Thätigkeit sein. Sie müssen dabei ihren Lebens¬
unterhalt finden können, nicht im Appell an das Mitleid, sondern kraft ihrer Tüchtigkeit.
Die Kostenfrage kam für die Blinden selbst nicht in Betracht, da der oben
genannte Verein für die Auslagen an Unterrichtsmaterial auf kam.
Es war durch örtliche Verhältnisse bedingt, dass von dem Unterricht in der
hiesigen Blindenanstalt abgesehen werden musste, wenn ich auch ohne weiteres zu¬
gebe, dass sich für ihn wichtige Vortheile geltend machen Hessen. Man kann darauf
aufmerksam machen, dass die Zöglinge in der Anstalt sich täglich üben und so schneller
die Technik erlernen. »Das Können des Einzelnen wird in einer Anstalt schnell zum
Können Vieler« (Majet). Auch wäre zu bedenken, dass der Erfolg einer Anstalt
schneller Nachahmung an anderen Anstalten findet, als wenn er in privaten Kreisen
erzielt wird.
Bei der Umfrage in der hiesigen Blindenanstalt meldeten sich 24 Blinde zum
Unterricht, 6 Frauen und 18 Männer. Eine fertige Ausbildung wurde bei 13 erreicht,
und zwar bei 4 Frauen und 9 Männern.
Bei der Auswahl der sich meldenden Blinden wurde nach folgenden Gesichts¬
punkten verfahren: die Schüler, alle über Mitte der zwanziger Jahre, zum Theil ver-
heirathet, sollten nicht kränklich oder durch nervöse oder andere Störungen behindert
sein (Tabes, Tumor, Schwäche, Lähmung). — Das Aeussere durfte nicht abstossend
wirken, entstellende Augen Veränderungen wurden durch eine dunkle Brille verdeckt.
Erwünscht sind gefällige Umgangsformen, kräftige Hand, weiche Finger und feines
Tastgefühl. Wir haben den blinden Masseuren abgerathen von einer Neben thätigkeit,
welche die Feinheit der Hand schädigen könnte, vielleicht auch das Interesse am
Unterricht vermindert hätte. Wir machten immer wieder auf die Reinhaltung der
Hände aufmerksam, im Interesse der Blinden und der zu massierenden Kranken. Eis
wurde auch den Blinden zur Pflicht gemacht, sich von ihren sehenden Familienange¬
hörigen u. s. w. bezüglich der Reinlichkeit der Nägel und der ganzen Hand kontrol¬
lieren zu lassen. — Mangel an Energie Hess einige vorzeitig ihren Unterricht been¬
digen; andererseits muss aber auch der besondere Vorzug der Blinden betont werden:
die durch ihre Leiden vergrösserte Geduld. — Den Schülern gehörte ein noch nicht
völlig erblindeter Mann an. Ich möchte hier als zweckmässig betonen, gerade diese
in der Sehkraft Gefährdeten und der Blindheit Entgegengehenden zu unterrichten.
Vielfach sind sie noch im Genuss von Krankengeldern, Unfallrenten und anderen
Unterstützungsmitteln, die so lange ausreichen, bis die Massage wieder Erwerb schafft.
Dem Ziele des Unterrichts wurde die Methode angepasst. Zunächst suchte ich
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Ueber die Verwendung Blinder in der Massage. 127
den Schülern in gründlicher Weise anatomisch-physiologische Kenntnisse beizubringen,
was um so nothwendiger war, als mir die anatomische Methode der Massage als die
zweckmässigste erscheint.
Als Unterrichtsbuch wurde ein schon vorhandenes Lehrbuch für Heilgehülfen
und Masseure von Granier (Berlin 1900, 2. Auflage, bei Schoetz, im Aufträge des
dortigen Polizeipräsidiums verfasst und uns liebenswürdiger Weise zur Verfügung
gestellt) in Blindenhochdruckschrift übertragen, so weit es sich für unsere Zwecke
eignete und im übrigen von mir verändert und ergänzt 1 ).
Da der Anschauungsunterricht durch das Auge nun unmöglich war, die Anatomie
aber doch die Aufnahme der Formen der Körpertheile in das Vorstellungsgebiet un¬
bedingt verlangt, so musste der Tastsinn die Pforte für den Geist der Blinden abgeben.
Ich ging in der Weise vor, dass ich erst Knochenlehre mit meinen blinden
Schülern am Skelett trieb, die gewonnenen Kenntnisse am lebenden Modell, einem
der Schüler, nachprüfen und dann feststellen liess, wie weit die gelernte Form fühlbar
blieb, welches die Knochenfunktion war u. s. w.
Hatten hier Worte und das Skelett ausgereicht, so wurde die Unterweisung in
der Muskellehre an den bekannten Gipsmodellen des Herrn Steger-Leipzig, Gips-
formators des anatomischen Instituts der Universität, vorgenommen. Jeder einzelne
Muskel, so weit er bei der Massage in Betracht kommt, wurde beschrieben, dem
tastenden Finger demonstriert, vom Blinden nachgetastet und dann am lebenden
Körper in Form und Funktion geprüft und festgestellt.
Auch die anderen Theile des Körpers wurden ähnlich an Gipsmodellen und
lebenden Körpern studiert. Der Blutkreislauf, mit dem Bau des Herzens, wurde au
einem auf Pappe geklebten Kreislaufmodell gelehrt, an dem das Herz und seine
Theile durch Pappe, die Schlagadern durch Sammet- und die Blutadern durch ge¬
webte Bortestreifen dem Tastsinn unterscheidbar dargestellt waren. Ueberall waren
die Bezeichnungen in Blindenschrift beigefügt.
Auch in der Lehre von den Gelenken, den Nerven und andern Theilen wurden
die Blinden in ähnlicher Weise unterrichtet. Dabei bin ich mit viel einfacheren
Mitteln ausgekommen, als wie ich sie bei Goustowski nach Beendigung meines
Unterrichts angegeben fand. In seinem oben genannten Pariser Vortrag hält er für
nothwendig: (S. 243) a) une preparation de squelette particulier muni des chiffres
en braille; b) des preparations anatomiques en glyc6rine et d’autres conservttes dans
de l’esprit de vin; c) des mannequins avec les memes points en braille; d) pour
l’exercice, dans la technique du massage pratique, un homme en caoutschouc. Das ist
wohl viel zu kompliziert und muss durch weniger umständliche Mittel ersetzbar sein.
Mit grossem Interesse und vielem Eifer nahmen die Blinden den Lehrstoff auf;
in mehreren Monaten wurde eine ernste Arbeit geleistet. Endlich waren wir so weit,
dass die Kenntnisse vom Bau und den Funktionen des Körpers genügend bekannt
waren, um die »anatomische« Massage selbst vorzunehmen. Hier musste wieder jeder
Handgriff und zwar jedem einzelnen Blinden gezeigt werden, am besten am eignen
Körper. Auch empfahl es sich, die Handgriffe gleich wieder an andern Blinden vor¬
nehmen zu lassen; vielfach liess ich mich auch selbst massieren.
Es wurde auch nicht vergessen, die Lehre von den aktiven und passiven Bewe¬
gungen im Anschluss an die Massageapplikation zu. lehren.
i) Diese Ucbertragung ist hergestellt durch den Leipziger Verein zur Besorgung von Hoeli-
dnirkschriften u. s. w. Sie ist im Handel zu haben bei Georg Wigand, Leipzig. Ks soll später
noch ein Atlas der Anatomie und der Massagehandgrilfe in HochdruckbUdem erscheinen.
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E. Eggebrecht
Schon beim Unterricht zeigte sich, dass der ausserordentlich verfeinerte Tast¬
sinn der Blinden vollkommen den Ausfall des Auges ersetzte. Diese Verfeinerung
der Tastempfindlichkeit wird vornehmlich durch das Lesen der Punktschrift den
Blinden anerzogen und bewährt sich in einer grossen Zahl der Blindenarbeiten. Sie
erleichtert ihnen, die mannigfachen Abweichungen vom Normalen, die krankhaften
Ablagerungen und dergleichen mehr zu fühlen.
Nachdem noch viele Uebungsstunden die anatomischen Kenntnisse vertieft und
die Massagetechnik verfeinert hatten, wurde nach etwa 75 Unterrichtsstunden die
Vorbildung geschlossen.
Zur weiteren Ausbildung schien mir nunmehr nothwendig, dass die blinden
Masseure und Masseusen an Kranken ihre Studien fortsetzten. Es gelang, eine Anzahl
der Leiter hiesiger Universitätspolikliniken und Privatkliniken dafür zu interessieren,
unter deren Aufsicht die Blinden massieren durften. Sie gingen täglich zu be¬
stimmten Stunden in die Anstalten und massierten dort chirurgische, neurologische
und gynäkologische Kranke in grosser Anzahl. Sie sind so bisher etwa vier Monate
thätig gewesen und haben sich durch ihre Leistungen vollauf die Zufriedenheit der
Aerzte und Kranken erworben.
Was die Einwirkung der Massage auf die Schüler selbst betrifft, so wurde sie
sehr gerühmt. Die Blinden vertrugen nicht nur die vermehrte Thätigkeit gut, sondern
sie besserten sich in ihrem körperlichen und seelischen Befinden ausserordentlich.
Die berufliche Pflichterfüllung that ihnen, welche so lange in wenig befriedigender
Beschäftigung gestanden hatten, vortrefflich; die Blässe des Gesichts, die Kälte der
Extremitäten, die nervösen Klagen und die trüben Stimmungen verschwanden.
Sehr viel schwieriger gestaltete sich die Lösung der Frage, wie die nun ausge¬
bildeten Masseure ihrer Thätigkeit nachgehen und wie sie Arbeit, und zwar dauernde,
finden, kurz, wie sie am leichtesten mit den sehenden Berufsgenossen konkurrieren könnten.
Das Sichmassierenlassen Gesunder ist ja bei uns nicht Volkssitte, vielmehr ge¬
schieht die Massage fast ausschliesslich zu Heilzwecken. Wir werden also fast nur
mit der Massage Kranker zu rechnen haben.
Wie bei allen Beschäftigungen der Blinden, so hat sich auch für die Massage
als zweckmässig gezeigt, sie in bestimmten Oertlichkeiten, Polikliniken, Krankenhäusern
u. s. w. ausüben zu lassen. Dabei wird erstens am besten die bei der Massagethätig-
keit selbst nicht störende Eigenart des körperlichen Mangels der Blinden aufgehoben,
indem diese nicht zu den Kranken in unbekannte Wohnungen und Häuser zu gehen
brauchen, sondern jene zu diesen kommen und die Blinden in einem ihnen bald
bekannten Raume arbeiten können. Zweitens aber wird die Massage zur nicht ge¬
ringen Erhöhung des Erfolges und zur erheblichen Erweiterung ihrer Anwendbarkeit
direkt unter den Augen des Arztes ausgeübt. Die Forderung ständiger Kontrolle
der Masseure gilt ebenso für Blinde wie für Sehende. Sie ist von mir bei der Er¬
ziehung der blinden Masseure immer streng betont worden. Jeder, der über Masseure
und Massage Erfahrungen gemacht hat, kennt die Nachtheile und die Gefahren des
unkontrollierten Massierens, die Selbstanpreisungen und Ueberhebungen, die gewissen¬
lose Beeinflussung der Kranken von Seiten einzelner Masseure.
Die Blinden in einer Grossstadt können aber auch recht wohl Kranke in deren
Wohnungen aufsuchen; es ist erstaunlich, wie eine Anzahl Blinder sich führerlos in
dem Getriebe einer grossen Stadt zurechtfindet, Strecken mit der elektrischen Bahn
zurücklegt, dann wieder zu Fuss geht und auf mannigfache Weise einen trefflichen
Ortssinn bekundet und ungewöhnliche Sicherheit erlangt.
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lieber die Verwendung Blinder in der Massage. 129
Trotzdem muss eine gewisse Gefährdung besonders weiblicher Blinder durch
skrupellose Menschen zugegeben werden. Auch der Vorwurf, dass blinde Masseusen
ihren Beruf etwa zum Deckmantel der Prostitution machen können, verlangt Berück¬
sichtigung. Durch eine feste Anstellung für ein bestimmtes Institut kann auch
diesen in Jer Eigenart der Blinden begründeten und nicht begründeten Einwürfen
begegnet werden.
Da nun der grösste Theil der Besucher der Poliklinik Angehörige der Orts¬
krankenkassen sind, so liegt es am nächsten, durch diese Art Kassen die feste An¬
stellung blinder Masseure zu erreichen und zwar am zweckmässigsten des einzelnen
Blinden für ein bestimmtes Institut. Auch Unfall- und Berufsgenossenschaftskranken¬
kassen und andere Verbände, auch medico - mechanische Anstalten könnten blinde
Masseure verwenden. Leider ist mir diese Form der Anstellung in Leipzig zunächst
nicht geglückt.
Weiterhin bieten Badeanstalten grösserer Städte, die Badeorte selbst und ähn¬
liche Einrichtungen Felder für die Thätigkeit der blinden Masseure. 1 )
Ist es unmöglich, fixierte Stellungen zu erhalten, so bleibt nur übrig, die
Blinden privatim die Thätigkeit ausüben zu lassen; dadurch wird allerdings
mancherlei komplizierter.
Um Bestellungen an Blinde gelangen zu lassen, andrerseits dem Publikum die
Adressen dieser Masseure zu verschaffen, empfiehlt es sich, ein bestimmtes Bureau,
eine Centrale, etwa in der Blindenanstalt, einzurichten, das telephonische und andere
Verbindungen hat; an dies gehen alle Bestellungen, und erst von dort aus gelangen
sie an die Blinden. So findet durch einen Beamten eine gewisse Kontrolle der Be¬
steller und der Bestellungen statt. Der Anstaltsverband ist ein gewisser Schutz für
die Blinden, besonders der weiblichen. Um für die Sache selbst Propaganda zu
machen, bedarf es Zeitungsannoncen, die von dem Bureau aus redigiert und in be¬
stimmten Zeiträumen wiederholt werden. 2 ) Die Kosten für die Mühewaltung kann
theilweise die Blindenanstalt, theilweise ein Verein oder der Blinde selbst tragen.
Das genannte Bureau kann gleichfalls die Bezahlung für die Massage einziehen. Für
eine derartige Centralisation der blinden Masseure sprieht noch vielerlei, jedenfalls
ist sie der Hebung des ganzen Masseurstandes förderlich. Auch könnte ein Zu¬
sammenschluss der Blinden in einem Verein nur zweckdienlich sein, der die ge¬
nannten Mühewaltungen auf sich nimmt, Führer stellt u. s.w.
Da die Ausbildung von Vereinswegen erfolgt und ferner die Thätigkeit für die
Massage nicht viel Kosten verursacht, so können die Preise billig gestellt werden.
Ausser den Ausgaben, die durch eine gewisse Sorgsamkeit der Kleidung und der
Achtsamkeit peinlicher Reinhaltung erstehen, macht die Massage nicht viel Kosten.
Jedenfalls ist es nothwendig, zunächst billige Preise anzusetzen, die aber das
Existenzminimum gewähren sollen. Später kann die Massage wohl einträglicher
’) Vortheilhaft ist es auch, die Thätigkeit der Bündenmasseure den Gemeindeschwestern und
den Personen, die den Krankenpflegerdienst für die Aermsten besorgen, zur Verfügung zu stellen.
Meist sind die Pflegerinnen so mit Arbeit überlastet, dass die nicht selten erforderliche Massage
unterbleiben muss. Hier könnte die städtische Verwaltung mit Anstellung Blinder viel Gutes thun,
da diese Arbeit für die Aermsten der Armen geleistet wird.
2 ) Private Annoncen sollten unterlassen werden; es geschieht durch einen Verein oder eine
öffentliche Einrichtung viel zweckmässiger: auf die versteckten Anpreisungen, die unter der Flagge
der Massageannonce segeln, ist vielerorts aufmerksam gemacht.
Zeitsrbr. f. diät u. physik. Therapie Bd. V. Heft 2 . y
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130 E. Eggobrecht, Uebcr die Verwendung Blinder in der Massage.
werden 2 ). Die starke Konkurrenz der Sehenden darf allerdings nicht als Hinderniss
gelten. In manchem Zweig der Blindenthätigkeit war sie zu fürchten, und in welchen ist
sie nicht doch mit genügendem Erfolg bekämpft worden ? Meiner Meinung nach wäre
es wünschenswerth, die Massage als Unterrichtsfach in den Lehrplan der Blinden¬
anstalten einzuführen. So mancher gute Masseur könnte während der fünf- und
mehrjährigen Unterrichtszeit herangebildet werden. Für die Auswahl derer, die sich
der Massage zuwenden wollen und für die Unterrichtsmethode selbst, glaube ich
genügende Anhaltspunkte angeführt zu haben.
Es liegt kein Grund vor, die Blinden von der Massageerlernung und -ausübung
auszuschliessen. Wir sind vielmehr der Meinung, dass sie erfolgreich mit Sehenden
konkurrieren können und infolge der Ausbildung ihres Tastvermögens sogar ganz be¬
sonders für eine Handreichung geeignet sind, bei der es weniger auf die Augen als auf
das Tastgefühl ankommt. Kurz, dass der Gedanke der Verwendung Blinder in der
Massage sehr wohl lebensfähig ist, und dass mit der Massage ein beachtenswerther,
neuer Erwerbszweig für Blinde vorliegt. »Das Durchdringen ist nur eine Sache der
Zeit« (Pawlick).
Eine wirklich lohnende und befriedigende Thätigkeit den blinden Masseuren
zu verschaffen, das ist eine soziale Aufgabe und Pflicht, die von uns Aerzten ge-
than werden muss; nicht aus Mitleid für Unglückliche, sondern in richtiger Werth¬
schätzung ihrer vollkommenen Leistungen.
Die Vorurtheile des Publikums können nur wir bekämpfen. Wir dürfen mit
vollem Recht betonen, dass der verfeinerte Tastsinn blinder, in der Anatomie aus¬
gebildeter Masseure mehr als genug die Augen, gerade in der Massage, ersetzen
kann und dass Blinde in dieser Thätigkeit nicht hinter Sehenden zurückstehen.
Uebrigens wurde in der That vielfach ausgesprochen, besonders von überdecenten
Damen, dass die Blindheit der Masseure eher als ein Vorzug beim Massieren
empfunden wird. Man vergegenwärtige sich die Worte eines Mannes, der der
ßlindenerziehung und der Blindenfürsorge seine Lebensarbeit widmet:
»Wo man die Arbeit des Sehenden ganz kritiklos für gut nimmt und kleine
Mängel als unwesentlich betrachtet, oder nicht einmal bemerkt, da untersucht mau
mit Argusaugen die Arbeit der Blinden und meint oft, wenn man einen Mangel
entdeckt, dieser rühre von der Blindheit des Arbeiters her. Dies scharfe Kritisieren
ist natürlich zum grössten Schaden für den Blinden, indem cs ihn häufig ungerechter
Weise in die zweite Reihe stellt, wo er mit vollem Rechte Gleichstellung mit tüch¬
tigen, sehenden Arbeitern beanspruchen könnte 2 ).«
') Ein blinder Masseur hat in Leipzig gute Kundschaft, die ihn zum grössten Theil in seiner
Wohnung aufsucht. Es macht sich dann ein besonderes Massagezinimer mit seinen Einrichtungen
nöthig, auch erwachsen allerlei andere Kosten, doch ist auch diese Form der MassageausGbung iin
gegebenen Fall zu versuchen.
2 ) cfr. Moldcnha wer, Kongressbericht 1808 S. 29.
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M. Siegfried, Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie.
131
V.
Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie.
Von
Dr. M. Siegfried
in Bad Nauheim.
Im Moabiter städtischen Krankenhause wurde mir durch das dankenswerthe
Entgegenkommen der Herren Professoren Goldscheider und Renvers im Winter
1898/5)9 Gelegenheit geboten, eine Reihe von Erkrankungen des Rückenmarks,
der Nerven und des Herzens der Einwirkung der Dreiradgymnastik auf den von
mir zu diesem Zwecke umgebauten Maschinen zu unterwerfen.
Einer kurzen Mittheilung darüber auf dem 20. baineologischen Kongress *) lasse
ich jetzt die ausführlichere Mittheilung der dabei gemachten Beobachtungen folgen.
Ausgesucht und dem Verfahren unterworfen wurden hauptsächlich solche Fälle,
bei denen die Gehfähigkeit ganz oder zum grössten Theile aufgehoben war.
Dass in solchen Fällen durch den methodischen Gebrauch des Dreirades be-
merkenswerthe Erfolge erzielt werden können, und unter welchen Bedingungen diese
eintreten, habe ich früher») in Fällen von peripherer Ursache der Gehunfähigkeit,
wo starre Ankylosen mit konsekutiver Muskelatrophie den Gebrauch der unteren
Extremitäten verhinderten, gezeigt. ^
Es war nun von Interesse, die Folgen der Einwirkung der Radgymnastik bei
centralen Erkrankungen zu beobachten, zumal gerade die Gyklistik anerkannter-
maassen die centralen Impulse in Anspruch nimmt und verbessernd auf die Nerven¬
leitung einwirkt.
Ebenso musste a priori angenommen werden, dass die wiederbelebende Kraft,
welche die oftmalige Wiederholung gleicher Bewegungen auf abgestumpfte Nerven¬
bahnen ausübt, um so deutlicher in Erscheinung treten werde, als diese Bewegungen
auf dem Rade viel längere Zeit hindurch fortgesetzt werden können, ohne eine
Ermüdung herbeizuführen, als dies beim Gebrauch stationärer Apparate möglich ist.
Es liegt dies an der Eigenart der Fortbewegung des fast ohne Reibung dahin¬
gleitenden Rades, dessen Beharrungsvermögen nach einmal erfolgtem Antrieb ein so
grosses ist, dass es nur minimaler Unterstützung seitens des Uebenden bedarf, um
die Bewegung aufrecht zu erhalten.
Dass sich die Bewegungen der Extremitäten in streng rhythmischer Folge,
dabei aber zugleich in äusserst weicher, schonender Weise abwickeln, und dass die
ganze Radgymnastik nur unter dem Einfluss der Freiluftathmung und der dauernden
Einwirkung der bewegten») Luft auf die Hautoberfläche vorgenommen werden kann,
J) Veröffentlichungen der Hufeland’scbcn Gesellschaft 1899. S.60—52.
») Heilerfolge durch Radfahrgymnastik. Deutsche medicinische Wochenschrift 1897. No. 27.
») Der Einfluss dauernd bewegter Luft ist von demjenigen ruhender Luft durchaus ver¬
schieden, wie Sir H. Weber treffend bei der Besprechung des therapeutischen Werthes der See¬
reisen hervorhebt (diese Zeitschrift Bd. 2. Heft 1).
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M. SiCtäfHvd
sind weitere hygienisch wichtige Eigenarten der OvkktgyninffStik, welche z\i thera¬
peutische« Versuchen anffordertgn.
■Selbstverständlich bedarf das Dreirad, wenn es aus.einem Sportswerkxeug ein
gymnastischer Apparat für geh unfähige, bülflose, oft fremder Pflege und Wartung
bedürftige Patienten werden soll, einiger dttrchgreifehdön Äetitlerungen im Ban des
Sitzes und der Pedale.
Kitte attsftihrliclißrt» Beschreibung und Begründung dieser Veränderungen werde
ich, um den ihiimien dieses Berichtes, si.ieht..jt« • öhmebreste»* an anderer Stelle
bringen« Sie sind folgende:
T . beguerae, gepolsterte , .ghV federnde unter Beibehaltung der
oothwofidigetj Reitsattelform;
‘2. c;i. 50 cm hohe, gepolsterte Bückeniebue mit konkav gehöhlter -und ia
verschiedenen N'eignngswiakelh : verstellbarer Aalehnungsrtäehe;
3. Leibriemenznm Auschöfü^
f'g ' h?u des Rumpfes auf d©nt Sitzer :
i'cr^clll^rk^l
der Ped&Ie Von 2 cm bis iS cm
.Äiirhetj^p^r^Eig. lB)y
7. C e irt i w« t e r e i n t h ei lu n g tut
ailbii veirstejlbaren Theilen des Ha¬
des f Betikkiasgeaschaft, Sattebtütüo,
Pedatkufheln, Rückenstützröhr, t
Dprcir die fTiuwattdlnng des Sitzes und durch füg^ Bfefestignngsv«trrichtuiigeii
dir Rumpf und Küsse wird dein »n Bettlage oder an die■ ha'Hdiegende Stellung ii»
Rollstuhl gewohnten Kranke« neben der zum Bedürfuiss gewordene« Bequemlichkeit
das Gefühl der Sicherheit vor einem'Ilerahgieit mi gegeben;}
Bei Kikraiiktitigen, welche mit völliger Ari;isihesäe verbunden, sind, wird das
Vortwndeii.sciü soldtet: fticherheitsvomriittin^u zur Nothwendigkeif.
Die Ve^steifharkeit der Pedale bietet lidgetide Vortfaile:
1. die K:;k<i< s ioneit der Gelenke können io beliebiger Weise ahgestnit
werden, indem durch Verschieben der Pedale iti der geschlitzte!» Tretkurbel kleinere
iimi grossere Kreise — 4 cm bis öo cm Durchmesser — beschrieben werden;
2. die llebetkraft der als wirkenden Tretkurbel kann durch
Veriä 0 g®rt iu k hder Verkiirzitiie des Hebet* Verstärkt resp. geschwächt werden, sodass
eine beliebige.Dosierung der Arbeitsleistung rnnfiglieht. ist;
■i die Podolstellnng der rechte» Kurbel, d. b. also öfe Ausgiebigkeit der
l'.xkur.'ionen rlm Gelenke des "rechten Beines mul. die Grosse' seiner Arheitsieistviag,
ist.unabhängig von- derjenigen. des link en.
Srliiitzkiirlvoi n itiit ('eiititnetereinthrll'u'ng.
Kuiv.cstG uii*{ längste
Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. 133
Der Grad der Beuge- bezw. Streckhaltung der Beine kann ferner ausser durch
die erwähnte Verlängerung oder Verkürzung der Pedale auch durch Höher- oder
Niedrigerstellen des Sitzes beliebig geändert werden, so dass sich aus der Kom¬
bination beider Veränderungen eine so grosse Anzahl von Variationen der ein¬
zelnen Gelenkstellungen ergiebt, wie sie von anderen Apparaten auch nicht an¬
nähernd erreicht werden. Es ist dadurch ermöglicht, jedem Patienten, falls er über¬
haupt noch eine sitzende Stellung einnehmen kann, eine solche Ausgangsstellung
durch Verschiebung des Sitzes und der Pedale zu geben, dass die Anfangsbewegungen
schmerzlos sind und keinerlei Reizung verursachen.
Das weitere ergiebt sich an der Hand der einzelnen Fälle, zu deren Darstellung
ich jetzt übergehe.
Den Beginn möge die Schilderung des Verlaufes der cyklogymnastischen Be¬
handlung eines Falles von Myelitis machen.
Aus der Krankengeschichte der Patientin, welche sich seit 2 Vs Jahren im
Krankenhause befand, entnehme ich kurz folgendes:
E. B., 28 Jahre, Näherin, war am 26. Mai 1896 zur Aufnahme gelangt mit Paraplegie,
Blasen- und Mastdarmlähmung. Es wurde die Diagnose auf Kompressionsmyelitis in der
liegend des neunten Rückenwirbels gestellt, Streckverband und Dauerkatheter appliziert.
Im Laufe des Jahres 1897 wurden wegen des Verdachtes auf Lues mehrere Schmierkuren
durchgeführt, nach denen ein beträchtlicher Rückgang sämmtlicher Symptome eintrat, so
dass nach 1V* jähriger Dauer der Streckverband entfernt werden konnte. Ein grosser Ab-
scess am Sternum, ein als Ausdruck trophischer Störungen der Haut trotz Anwendung aller
Prävcntivmaassregeln entstandener handtellcrgrosser Decubitus am os sacrum, eine Venen¬
thrombose am linken Bein und eine wahrscheinlich gonorrhoische Gelenkentzündung am
linken Ellenbogen waren Ende 1897 zur Heilung gelangt.
Seit September 1897 war Patientin zuerst im Gehstuhl, dann mit Hülfe von zwei
Wärterinnen stundenweise ausser Bett, um Gehversuche zu machen.
Die Schuhsohlen hatten an der Spitze eiserne Kappen erhalten, da beim Gehen die
in massiger Spitzfussstellung stehenden Füsse nicht gehoben, sondern auf dem Ballen
schlürfend an einander vorbeigeschoben wurden. Die Funktion der Blase war soweit
wiederhergcstellt, dass der Drin gehalten werden konnte, wenn ca. ein- bis anderthalb¬
stündlich eine willkürliche Entleerung erfolgte. Die Mastdarmlähmung war geschwunden.
Bei den Gehversuchen traten heftige Schmerzen unter der Fusssohle, namentlich rechts auf.
In diesem Zustande, welcher seit Oktober und November keine wesentliche
Aenderung gezeigt hatte, befand sich die Patientin, als am 1. Dezember 1898 die
Dreiradbehandlung eingeleitet wurde.
Von den Muskeln der unteren Extremitäten zeigten der Quadriceps cruris
beiderseits massige, der Ileopsoas links starke Atrophie und Funktions¬
schwäche, während der rechte Ileopsoas fast gänzlich ausgeschaltet war.
Die Muskeln der Fusssohle waren so stark geschwunden, dass sich die
diagonal vom äusseren Fussrande nach dem Capit. oss. metat. I verlaufende Sehne
des M. peron. long. unter der dünnen Haut dem Auge bemerkbar machte und bei
passiver Dorsalflexion'des Fusses als scharfkantige Leiste hervorsprang, wobei in¬
folge der Anspannung der verkürzten Peroneussehne ein heftiger Schmerz an ihrer
Insertionsstelle am Capit. oss. metat. I verspürt wurde. Es war derselbe Schmerz,
welcher den Gehübungen in dem Momente hinderlich war, wenn der Fuss des Stand¬
beines vom Boden abgewickelt werden sollte. Gleichzeitig trat bei diesem Versuche
ziemlich beträchtlicher Fussklonus auf.
Nach genauer Verpassung der Grössenverhältnisse des Sitzes zu den in halber
Länge fixierten Pedalen wurde die Patientin zunächst auf den Sattel gehoben, dort
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M. Siegfried
testgesrhnallt und die Fitste auf deii scblittschuhartigen Vorrichtungen ..so 'fixiert,
dass bei jeder Kuvbelutötlrehnng durch Einwirkung der auf der .Abbildung (Fig. 14)
sic hlbareri, vom Ifetfa! «a# der Hinterachse-und durch ein unter ihr befindliches
'Die Fortbewegung wurde zunächst
passiv, aber schon nach wenigen Tagen
■aktiv beweiksteIJigt.
Am ik Dezember bewegte sielt die
l’atiöhtiii bereits eine halbe Stunde, am
-0. Dezember uh täglich eine ganze
Stunde selbstständig auf dein Bade.
A nv J! 0. Januar 1 Sylt war die Spitz-
fusskuntraktuisteiluflg der Kusse soweit
korrigiert, ibm Fatientiti njit ganzer
Sohle, auf treten konnte. .
Die therapeutische j^j^Äussupg
dos gelähmten Ueopsöus, welcher bei
der gewfihnluben Ausübung der L'y~
fcfteük, wie ich früher ij muhgewiesen
halte, nicht in Thätigkoit tritt, wurde
dadurch erreicht,, dass durch die Fixie¬
rung der ‘Küsse auf den Pedalen die
Möglichkeit gegeben war, die Fort hewe-
guhgdes Bades (Kig. lf>) statt, wie sonst,
durch Herabdrücketi des jm vonlereo/.KbeDabsirhBrtt hochstehenden (aj, jetzt durch
Krep»mei»*n des im hinteren Kreisabschnitt in Tiefstand f b) befind liehen Pedale*
zu bewerkstellige«.
• Während hei der erst mm■Leistung die Strecker des Beines iu Tbätigkejt treten.
Wird die letztere durch den Beuger des
Tig/dv- i t/iecschenkels. gegen das Decken — den
11 eu|»so äs -r ««.geführt.
. 1 " -"i— Charakteristisch für .diese hierbei nö~
jj \ ibige. ; Irittnspruchmshinc des bis dahin nn-
j f k.i- . . thötrgen Vteopsoas war die naive Verwunde-
\ V rung der Patientin, bei der Bewegemg der
\ \ ’’ ,Heine nicht in fliesen, sondern >jni Leibe-i
\ eine ziehende Kmpfimtuag zu haben, die sie
^ganz richtig an die Insertionshasis und den
Verlauf dos mächtigen Muskels verlegte.
Die durch diese Delvuüg i/ewlrkfe Kräftigung des Ileppsbas machte sich bei
den tiehfibungeti durch fijjfrerij*nnifenergischeres Heben der Kniee, durch leich-
wtßir itergäufgelien ut<d Tpejjvpöhsteigert beiöerkbur.
Der anfangs auitreteude Fussk 1 onus- vprschwahÄ; in der vierten Woche der
Behandlung, ln »lern psy clnschea' Vgrh/dteit der Patientin zeigte sich eine bedeutende
. Myvhtts.
Kttinpf und Küsse gdeHwic. Drlmmitr dci Ai’ltilfcs-
SY-hnc Uuif-U itftulincciKt»israuh. Temperatur - g'*lt.
■}f j'feut.siJii; locüfoütizcbv .Wi^iji'ksDjriif ifjlftt; 5»
nw»5>|
bewegliches Scharnier laufenden Hebel
fig 14.
eine minimale Dehnung der ver-
M kürzten Achillessehne stattfand.
SB
Die DreiradgyniDastik im Dienste der Bewegungstherapie. 135
Veränderung. Während sie im Laufe der langwierigen Erkrankung stark deprimiert
gewesen war, und im Verlaufe melancholischer Verstimmung bereits zweimal ein
conamen suicidii gemacht hatte, trat bei den sichtbaren Fortschritten in der eigenen
Leistungsfähigkeit und unter dem Einfluss der täglich, auch bei gelindem Frostwetter
in freier Luft betriebenen 1— 1 >/, ständigen Bewegung auf dem Dreirad eine hoffnungs¬
freudige Stimmung, der feste Glaube an eine Heilungsmöglichkeit ein, ein Gemüths-
zustand, welcher auch wieder suggestiv auf das körperliche Befinden eine positiv
günstige Rückwirkung äusserte.
Der psychisch belebende Einfluss, dessen Auftreten auch bei Gesunden untrenn¬
bar mit der Ausübung der Cyklistik verbunden ist, machte sich hier umsomehr be¬
merkbar, als die hilfsbedürftige Unbeholfenheit der schnell zur Ermüdung führenden
Gehversuche zu der Selbstständigkeit, der Ausdauer auf dem Rade und der Leichtig¬
keit seiner Fortbewegung einen selten scharfen Kontrast lieferte. Eine einfache Be¬
rechnung ergiebt, dass bei der mässigen Durchschnittsleistung von 25 Pedalumdrehungen
in der Minute ä 4 Meter Wegstrecke 4x25 = 100 Meter in der Minute, also in
60 Minuten 6 Kilometer zurückgelegt wurden, wobei 1500 Streckungen und Beu¬
gungen beider Beine, also im ganzen 3000 Muskelkontraktionen und Gelenkbewegungen
zur Auslösung kamen.
Die Möglichkeit eine so grosse Anzahl von Bewegungen ohne Ermüdung aus¬
zuführen, erklärt sich zumTheil aus dem Umstande, dass durch die feste Verbindung
beider Tretkurbeln beim Herabdrücken des einen Pedales eine automatische Hebung
des auf der anderen Seite befindlichen eintritt, so dass der darauf befindliche Fuss
nicht aktiv, sondern passiv gehoben wird. Das betreffende Bein erhält daher einen
mechanischen Auftrieb, welcher ein Analogon zu demjenigen bildet, welcher in
den von Leyden-Goldscheider eingeführten kinetischen Bädern 1 ) durch das Wasser
bedingt wird und durch diese Entlastung des Kranken von seiner Körperschwere die
Ausführungen von Bewegungen im Bade erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht.
Als die Radbehandlung nach dreimonatlicher Dauer aus äusseren Gründen be¬
endet werden musste, war Patientin imstande, an zwei Stöcken zu stehen und zu
gehen, sowie die Uebungstreppe herauf und herabzugehen, wobei das Geländer nur
noch mit einer Hand als Stütze benutzt zu werden brauchte 2 ).
Hatte die Anwendung der Radgymnastik in diesem Falle durch Wiederbelebung
erloschen gewesener Bahnen als bahnende Uebungstherapie 3 ) gewirkt, so war
der Versuch angezeigt, zu sehen, welche Wirkung sie bei Koordinationsstörungen
im Sinne der kompensatorischen Uebungstherapie, bei welcher bekanntlich das kom¬
pensatorische Eintreten neuer Bahnen für leitungsundurchgängige erstrebt wird,
entfalten würde. — Einen Tabiker mit hochgradiger Ataxie und erloschener Sensi¬
bilität auf ein Dreirad üblichen Modells zu setzen, ist ein schwieriges Unternehmen
und ein gefährliches Wagniss. Wenn Unglücksfälle durch Fall vom Rade oder durch
Frakturen der von den Pedalen fortwährend abirrenden Füsse und Unterschenkel mit
Sicherheit ausgeschlossen werden sollen, bedarf es anfänglich einer vollständigen
Fesselung des Patienten, sowohl auf dem Sattel mittels des Leibriemens, wie auf
den Pedalen. Ersteres ist nothwendig, weil nicht nur ein Abgleiten von dem dem
1) Diese Zeitschrift Bd. 1. Heft 1.
2 ) Ein unbeabsichtigter Erfolg bestand darin, dass die Patientin, als sie von der bevor¬
stehenden Nothwendigkeit, die Kur abzubrechen, hörte, von neuem ein conamen suicidii machte, weil
sie das Eintreten einer Rückkehr zu dem früheren Zustande fürchtete.
9 ) Funke, Diese Zeitschrift Bd. 2. Heft 3. Jacob, Diese Zeitschrift Bd. 2. Heft 1.
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136 M. Siegfried
Patienten nicht fühlbaren Sattel zu befürchten ist, sondern weil auch durch die
stürmischen ataktischen Bewegungen der Füsse, welche durch die Fesselung an den
Pedalen gleichsam zu festen Punkten geworden sind, der Rumpf, falls nicht sehr
schweres Körpergewicht vorliegt, aus dem Sattel geschleudert werden kann.
Die gleichfalls nothwendige Fesselung der Füsse ist jedoch nur für die ersten
Wochen angezeigt. Denn wenn auch die hierdurch selbst bei höchstem Grade der
Ataxie sofort gegebene Möglichkeit der Fortbewegung dem Patienten zumeist
sehr imponiert, so kann der weiterblickende Arzt sich nicht verhehlen, dass der
eigentliche Kurzweck, die Anspannung der Intention, die Verbesserung der
Leitung, die Ausschleifung neuer Nervenbahnen verfehlt ist, wenn der Patient nicht
angelernt wird, den Pedalen auch ohne Fesselung zu folgen. Es werden daher
nach wenigen Tagen die eisernen Fesselschuhe durch einen einfachen Querriemen
ersetzt, welcher steigbügelartig das Pedal überspannt. Die Geduld des Lehrers
und die Ausdauer des Schülers wird zwar auf eine sehr harte Probe gestellt, denn
es kann Vorkommen, dass wochenlang jeder einzelne Pedaltritt korrigiert werden
muss. Allein bei dieser Art der Methode gelangt der Patient allmählich zur Selbst¬
ständigkeit in der Fortbewegung, während die dauernde Anlegung der eisernen
Schuhe denselben Nachtheil hat, den überhaupt der Gebrauch von Hülsenschienen
in vielen Fällen nach sich zieht: der Patient ist wehr- und hilflos, oft hilfloser, als
vor der Anlegung, sobald er seine Schiene aus irgend einem Grunde entbehren muss.
Durch die anhaltende Wiederholung der Aufgabe, dem in sagittaler Ebene ver¬
laufenden Kreise der Pedale zu folgen, ohne ein ataktisches Abirren der Füsse zu
dulden, verliert der Tabiker allmählich einen Theil der Ataxie, aber natürlich zu¬
nächst nur für die Uebertragung derjenigen Willensimpulse, welche für diese eine
Bewegung in Thätigkeit treten. Jedoch auch der Besserung des Geh Vermögens,
welche den Tabiker in der Mehrzahl der Fälle am meisten interessiert, kommt die
senkrechte Kreisbewegung insoweit zu gute, als in ihr einige Elemente des
Ganges enthalten sind. Das ist der Fall, wenn im hinteren Kreisabschnitt der Fuss
durch die emporsteigende Kurbel passiv gehoben wird, den höchsten Punkt des
Kreises überschreitet und nun nach vorne unten dem Pedale folgen will. Diese
Phase entspricht dem Moment, in welchem beim Gehen das beim Standbein nach
physikalischen Gesetzen fast 1 ) ohne Muskelhilfe vorbeischwingende Hangbein die
gleichfalls nach vorne unten gerichtete Intention zum richtigen Aufsetzen des Fusses
auf dem Erdboden zur Geltung bringen soll. Wie beim Gehen hierbei der Unter¬
schenkel des Ataktikers nach oben geschleudert wird, so entfernt sich bei der Rad¬
gymnastik der Fuss ruckweise und schleudernd nach oben aussen von dem
seinen Kreis ruhig weiter beschreibenden Pedale. Gelingt es dem Tabiker, die
fehlerhafte Bewegung zu korrigieren, so hat er ein Moment für die Gehübungen
gewonnen. Ich betrachte demnach die Radübung in Bezug auf die Beinbewegung
als Vorübung für den mittels der Leyden - Jacob’schen Apparate vorzuneh¬
menden eigentlichen Gehunterricht. Die Radübung hat die Annehmlichkeit, dass
sie die Beine vom Körpergewicht entlastet, sodass die Intentionsbewegungen länger
ohne Gefahr der Ermüdung fortgesetzt werden können, und zweitens die anfangs
erwähnte Eigenschaft, rhythmisch wiederzukehren, während gleichzeitig die
kreisenden Pedale mit der Gleichmässigkeit eines Uhrwerks ihre Bahn durch-
i) Nicht ganz, wie Duchenne den Gebr. Weber gegenüber mit Recht hervorhebt Phy¬
siologie der Bewegungen S. 295. Cassel, Berlin 1885. V erlag Theod. Fischer.
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Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. 137
laufen und jede stossweise Muskelkontraktion unmöglich machen bezw. deren
Wirkung aufheben.
Dadurch, dass der Rhythmus der Bewegungen unabhängig vom Willen des
Patienten stattfindet, indem unweigerlich sich das eine Pedal senkt, wenn das andere
steigt, wird der Patient für die schwierigere Stufe vorbereitet, beim Durchschreiten
des Laufrahmens im Takte zu gehen, d. h. statt der Eindrücke des Gesichtsinnes die¬
jenigen des Gehörsinnes zu verwerthen. Der Hauptwerth ist dabei darauf zu legen,
dass der Uebende eine rhythmisch wiederkehrende Schallempfinpung in sein Ge-
dächtniss aufnimmt, die Taktthcile mitzählt und auf den Haupttakttheil den Fuss
aufsetzt, während die übrigen Phasen des Schrittes (das Ab wickeln und Anheben)
gleichmässig auf die Nebentakttheile — die »schlechten« in der Musik — ver¬
theilt werden.
Ich habe auf einen mir mündlich gemachten Vorschlag des Herrn Prof. Gold¬
scheider dazu den Maelzel’schen Metronom benutzt und gefunden, dass die
Patienten den S U Takt im Tempo von Marke 69 (= Larghetto) am erfolgreichsten be¬
nutzten, während die Vertheilung des Schrittes auf */* schwerer fällt. Von dem Prin-
zipe Gräupner’s, der wohl zuerst auf die Benutzung akustischer Reize aufmerksam
gemacht hat, unterscheidet sich diese Anwendungsform dadurch, dass beiGräupner
die Schallempfindung erst nach Vollendung der Schrittbewegung eintritt, indem
erst durch das Auftreten der Fusssohle ein elektrischer Schluss herbeigeführt wird,
der das akustische Signal auslöst. Eine Regulierung der Schrittbewegung, eine
gleichmässige Vertheilung der einzelnen Phasen auf einen sich stets gleichbleibendes
Zeitintervall, kann hierbei nicht erreicht werden.
Eine Schwierigkeit bei der Benutzung des Metronoms liegt nur darin, dass von
seinen durch Pendelschwingungen hervorgebrachten Schlägen keiner einen besonderen
Accent trägt, sondern dass sie sämmtlich von gleicher Stärke sind, sodass wohl
der Takt, aber nicht der Rhythmus angegeben wird. Dadurch aber, dass der
Patient genöthigt ist, sich von drei oder vier Schallempfindungen., welche sich
akustisch in nichts von einander unterscheiden, einen durch lautes Mitzählen seihst
mit einem besonderen Accent zu versehen, um aus dem Takt den Rhythmus zu
bilden, überträgt sich die beim Sprechen der Zahl »Eins!« stattfindende stärkere
Accentuierung unwillkürlich auf diejenige Gangphase, welche bei »Eins!« ausgeführt
werden soll, sodass diese Phase leicht ataktischer ausfällt, wie die auf die ohne
Accent gesprochenen Zahlen »Zwei« und »Drei«.
Zweckmässiger daher ist es, die Gehübungen nach den Klängen einer Melodie
vornehmen zu lassen. Bei der Auswahl dieser Melodie ist auf eine physiologische
Wirkung der Gehörempfindungen Rücksicht zu nehmen, die ich bei der Besprechung
der Zweckwidrigkeit der üblichen Radsignale, welche Schrecksignale sind, aus¬
führlicher besprochen habe *). Wie ich dort ausführte, überträgt sich die Beschaffen¬
heit der Töne eines Signals und die Art, in welcher diese hervorgebracht werden,
auf das Nervensystem des Hörers und versetzt diesen in die entsprechende
Stimmung. So bewirken schrill und plötzlich gegebene Signale oder Kommandos
auch ruckhafte und plötzliche Bewegungen, während lang gedehnte, gezogene Töne
dieselbe Eigenschaft auf die Bewegungen des Hörers übertragen. So wird der
Tabiker nach den Klängen eines schneidigen Militärmarsches ataktischer gehen, als
überhaupt ohne Musik, und andererseits werden getragene Volksmelodien seine
i) Wie ist Radfahren gesund? S. 53 u. f.
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138 M. Siegfried
schnellende Bewegungen abrunden und ihm die kompensatorische Erlernung weicher
Exkursionen der Gelenke erleichtern.
Eine zweite Wirkung der Dreiradgymnastik auf den Tabiker ist die schmerz¬
stillende. Goldscheider hat in einem Vortrag »lieber physikalische Therapie« 1 2 )
auf die schmerzstillende Eigenschaft der Bewegung aufmerksam gemacht und einen
Fall erwähnt, in welchem ein Tabiker bei Auftreten der lancinierenden Schmerzen
letztere verlor, wenn er rechtzeitig sein Dreirad bestieg. Ich habe dieselbe Be¬
obachtung mehrfach gemacht und zwar bei Krisen im Bereiche des Darms und der
Extremitäten, wobei ein mit gleichzeitigem Handbetrieb*) versehenes Dreirad bei
Schmerzanfällen im Bereiche des plexus brachialis besonders gute Dienste leistete.
Drittens kommt die Allgemeinwirkung der Radgymnastik auf den Kräfte¬
zustand des durch Stuben- und Rollstuhlaufenthalt oft körperlich und geistig herunter¬
gekommenen Patienten in Betracht, die psychische Aufrichtung, die Belebung des
Stoffwechsels, kurz die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der einzelnen Zelle gegen
die mit der Tendenz des Progressiven versehene und für medikamentöse Behandlung
unzugängliche Krankheit.
Als viertes förderndes Moment ist der Umstand zu betrachten, dass die Uebungen
auf dem Dreirad eine ganze Reihe von Vorübungen zur Voraussetzung haben, welche
der Patient beim jedesmaligen Auf- und Absteigen absolvieren muss, und dass ihrer
Ausführung eine Reihe koordinierter Bewegungen nöthig sind, deren Ausführung
gerade dem Tabiker besondere Schwierigkeiten bieten.
Hierher gehört zunächst das Hinauftreten auf einen 15—20 cm hohen Holz¬
tritt, welcher den Körper auf die ungefähre Höhe der Kurbelachse zu bringen be¬
stimmt ist.
Wie schwierig es für einen Ataktiker ist, dies in annähernd normaler Weise
auszufühien, geht schon aus dem Umstande hervor, dass Goldscheider unter die
Apparate der kompensatorischen Uebungstherapie einen Holztritt besonders auf¬
genommen hat.
Da bei geradeaus stehendem Vorderrade die Griffe der stark zurückgebauten
Lenkstange ein Herantreten an den Rahmen zwischen die Hinterräder, wie es zum
Aufsitzen nöthig ist, verhindern, so muss das Vorderrad bis zum rechten Winkel
scharf nach aussen gedreht werden.
Hierdurch wird es dem Patienten ermöglicht, beide Griffe der Lenkstange
als Stütze zu benutzen und gleichzeitig durch Anziehen der Bremse ein Aus¬
weichen des Rades zu verhindern.
Ist dem Patienten nach einer Reihe vergeblicher Versuche die Erfüllung dieser
Aufgaben gelungen, so muss er, da er sich dem Rade, um nicht an dem vorspringenden
Hinterrade zu Fall zu kommen, von vorne genähert hat, jetzt eine fast vollständige
Kehrtwendung auf dem Holztritte ausführen, um sich mit seiner Front in der Fahrt¬
richtung zu befinden. Diese Drehung muss fast auf der Stelle und mit beinahe
geschlossenen Füssen stattfinden: eine der für den ataktischen Tabiker schwierigsten
Uebungen, da er nur breitbeinig zu gehen und zu stehen gewohnt ist.
Dass zur Vervollständigung des Aufsitzens der Patient dann das eine Bein über
den Rahmen wegführen muss, wobei ihm die Aufgabe gestellt wird, nicht an den
1) Verein für innere Medicin. Sitzung vom 18. Dezember 1899.
2) Vergl. Fig. 28 und 29 im folgenden Hefte 3 der Zeitschrift.
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Die tVeir.^l^vwinii^Ök ftu iDiwisite l^i^yegnn^tliera^iA
Rahmcjj :iufzufi.t«Rsert, erinöcrt ihn an die gleiche Aufgabe bei den l'-übungen au
dem• JaraiVseben Rahme'« «ml *ler Goldseheltter'^chea Leiter.
So wiederholt der fahiker, ehe er 2«m SU* litt Srttte.l kömmt, eine Ifeiiie
von Momenten der kompensatorischen. Uebiingtitberaide, jedoch .mit foigoadero
L T nter>rhi®de: , - ' ' , ' . ‘
Während an den Apparaten die jedesmaligen Bewegungen in gleicher Weise
wiederholt werden, bis nach moet Ruhepause ein neuer Apparat an die Reibe kommt,
vollfuhrt, fe Patient beim Aufsitzen nuf.das Dreirad vom tun massigen Heran¬
gehen ho das Rad bis zum Sit?, ini
Sattel in kontinwidieher Reihen- J'ig ><;.
folge die Dehlingen des Imofrabmons,
des Hoktrittes, der Spirale and der •: gf.\_ •
Ausserdem ist, ihm in di<>oin
Dalle die Ausführung dieser einzelnen
.. •. , . .. .. . . ■ " . :. .... . --
lebungen nicht wie am Apparate
iüteü3
.Vnfstiug iU)i»e die nUsr.
Die K^rperlüfit liibt ani i\cu Annen wnil di.w tiükoii
i&ift Tempt» I
M Zur Mechanik und Physiologie doc CylvUaßk Deutedie luHidms.ehe W/tchonsdinfi 1 BOii«
AL Siegfried
Die Fig, HI zeigt bereits den Moment, wo unter Mithilfe der gesammten Arm-
muskulatur durch St reck uug de? linken Knie? da* Körpergewicht auf die Hinter-
ntiiadise gehoben ist, welches mui von beiden Amen und dem linken Deine getragen
werden muss, bi* der rechte Fass nachgezogen, • ebenfalls auf die Hinterradndop
und von dort vorsichtig auf das rechte .Pedal gesetzt wird- Von dieser Stellung ans
kann sitih sofort auf den Sattel niederlassen, öder es kann dies geschehen,
nachdem auch der linke Fass die Hir.terradiiehse verlassen «ad das linke Pedal be¬
treten hat tFig. J7).
Letztere Stellung kann auch zwischen dbe «iuzeloen Fortl»ewegnngsabschöitte.n
am stehenden Dudc zur f ebung der einzelnen Muskeln und vor allem zur Hebung
der allgemeinen Beweglichkeit
Fi<j it. und dev Herrschaft über die Go-
•~r.. . sumrathaHung des Körpers vom
Sitze' ans durch Aufeteheu eingenom-
m llade wird meiner Ansicht nach nicht
genügend gewürdigt, obwohl sie mit
v £ 'jk. der Gymnastik auf dem Bade, welche
•• 5w£ gewöhnlich allein der hygienischen
•. Den rthei lung unterzogen wird, un-
ifc trennbar verbunden ist und auch
— <v>- Gtstjc? - .'■. beim Gesunden zu einer wesent-
nicht belastet, «ihne spezifische tiifeklioifj
erkrankte März 1^87: ag hoehgradiger
AtMte: der Ürii» kannte nur.1h sitzender
Stellung .mjrt in Absätzen enlteeri nerdem
dift ©efllkmion war schwjwjg, der I»rang
fehlte völlig. • •
Nack ciiror ioi);Frtlh|jihr’:kj$ÖTvar^uotnineitieü jÖüVtckur in itejlik.auscH, welche ohne
Finwirkiirm auf. die bescliriclrtsKeii %iiipteiM vbljßi», kam Patient Ende Atigmst 1ÖS7 nach Bs.l
Sjutbebfl, Es besufud hochgradige Ataxie*. Och- und St eh Unfähigkeit. Patient brach soJforf.
ui den huieen xtisatunu'b. wenn «r z. !3, 'beim Ankleiden picht dauernd unutraUlttt Wiird«\
Pftteltovrcfiexe.. Uodehredexe fehlen •völlig. Pufiiliensfariv bei hochgradiger Myopie.
s.imi, Uim-./.-Mi* rechts« ItWniberg stark vorhamlotL Von Seiten des Herzens bestätig die von
%. t.e 'iiiMi Hin! f*ni«tlel betonte Erhöhung der P<i!stiei|u?nz, die anfangs nie'.unter 100 in
•1* r Minute? Iietrng, Setiisibiiit&t der ganw» imtcfm Körperhälfte sehr stark herabgesetzt.
Am I -September I.H417erster Verstirb auf dom Kordrririufe. Patient wird' aus
dern UolMuhi ;«if den Ssttd gelmheii. Dumpf ««Mi FftSSe werden fgstgesclmalli (Fig. 1SV
Patient fühlt weder pm So t fei. nm-ti tim Pedale« auch die Böckenldbae,. Die Ataxie
ist -o gross* daji die Fü**y €<•}>. öfters plötzlich ;uis den Diemen befreien und nach
beftlgB: Seiten fnr-.-eMit.'Oii. Prn- i i-imngcu werden in langsamstem Tempo unter
seimrfiM Dcobmdituuc >eden> des <iefdrhtssiutH* und starker Anstrengung der Intention
;iu: gefüllt-?.
.A ufstieg v mh ] KiÄifen lU»^x *Ue Elin terra rl
Stellen ui <k*if Tvtlaleji vor <h'tn Nivi!r*r*itxina otU-r
Autatdieti vorn Said'i. S i M ytfäfiftji
Du* Droirai^ryiJioustik im Dienste- efr'r Kt vr^tmgtitjtüriipm
Nach 14. Tages Fortlässeo. der- Rumpf- und Fusshandagen. l>le Filsse irren
noch fast bei jeder PediUümd'rdhang ab. jedoch gelingt es- dom Patienten bereits, die
Pedale während der Ej^feöwtegttag ’ - __ . ' . 1 .
wieder zu Fangen, ohne anhalte» zu vu ’ 18
müssen. Die Korperhaltuag ist wwb
stark vornübergebeugt. am die Be«i> . /,
guög 'der Ffts.se ununterbrochen mit den 9H
Augen verfolgen zu könne«. fl|
Patient behauptet nach circa drei* .jyflrasp’V
wöchiger täglicher (Jebung ein gewisse- m.
DrtickgefäbHB den Sohlen und ober-
halb der Kniee zu verspüren, wenn das '.f^.^vSS-
Daher l'etergang zur .Steilung ■ .. /. 4 ,
•elfte Strecke ton civ 5p m föhtetfb*
■zirröckziijeg'ßn.'. &.':•{ vT^K'j-l-
Da der fünften Woche l’ebött^fehi
Im F r e ie n. Scheinbarer ftücjkschntt,
bedingt durch die kleinen ßrsctMUteruiv-
gen des Rades infolge der Fueben*-
beiten der VVege, dyreii tTtti killrenden
Attssencindriteke und die Nothwetidig-
küit, der Lenkung, wedelte In meinet
Fehuugshalle schliessdifilv fast antoma-
ti&cb erfolgte, einen theil der Awftnerk-
aamkeit züwenden zu miissein
Nach circa acht Tagen Status der
Figur 19. Patient erwirbt ein Dreirad
und ist nicht mehr zu bewegen,
den Rollstuhl zu benutzen. Seine Frau begleitet ihn theijs ku pfe;, tlieiis anf
dem Zweirad und hilft durch Schiebe» etwaige WegsohwIorigkiAom überwinden:
Am 24. November 1Ö97 schreibt Patient: >pjo Radfahren .filie. ich •Seidig und
Fj.Äw;
Nach h f *ti 1 swwt*l i ige f Pelmng im ireioiv
M. Sicgfriwl
habe s* noch keinen Tag ausgesetzt, zumal ich- mich auf dem Rade ara wöhlsten
föhlt* . im Hause gehe Jeh jetzt mit einem Stocke, herum; ab und -fu auch noch
- • andere l ! utewtützmtg ßebraucheod . . .;
_ _ * l * * ,~-~ T •* "nr tUMtl m. ..... ....>
macht Pati^Jt ; hjiijf seinem Dreirade.
Durch Koujbihaiion aller Faktoren hat.
es Ratu^t in diesem Jahre (ItiÜUi zu
einem getiten ;GehY£rroögen gebracht,
wie die. letzte Abbildung anschaulich
iiau ht {i ig.uti. — Voll Seiten der IMaso »ud des Mastd.nrms hnstehen seit ca. I 1 /* .fahren
keilte fle^werdßji ntehiv Der früher fehlende Srubldrgßg h#t sich wieder eingestellt,
P ilr unddit* Entbernng lies Urins kann anch im
............
Souiimir K*00. Iru LaMfraht^n wir
tili« l> >'. -Jin ui).
Sutuimur ifiÖO.
Die r>roiriJ<I^ r ytnna^tik
Dtejiste itvr ß t* w i’#u n p4 < u*rap u*
Fremitus
St l>id t'rt'iradtoannastik iiB Idciwtc der 8aveguiigfith<srn()io.
mögen auf Al>$ä.tg.eit bei rechtwinkliger Stellung der Fussgelenke.
Am 22. l'ezcT'Aboi 1x98, iß der fünften Wet he, konnte der Patient an der Hand
eines- ihn Fithrcntien 20 Schritte- ohne «rosse- Kirnüdgag gehe.ft.
Am 2.^ Febt mir TSOii konnte ein Pedalkreis
von 14 cm Radios gegen 7 rau im Aufang bei
einer >'i.edrtgerstelinng des Sattels um 7 an he-
? ' ihv Velninge» wurden in der ganzen Zeit
# ''OK Kode November IS;)! bis Mitte Mörz 1898
T mit. wenigen Ausnahme» im Freien, auagefilhrt
ohne das» .Patient sich dabei ei ad Erkiil-
hätte. Im warmeal'ijöterzeug.
bewegt* sich Patient auch-bei — ~|AE in troeke-
' - . ,. c . tü'-fj F}'isv<vefter mit Behagen auf der Asphalt*
Strasse des Krankenlmnses. .Eine leichte In-
'. v "\ • • di'coatioü So.l auf einige Tage, in denen er
^ Frostes an das Zimmer gebunden
i*k I« haket« zeigten sichtbare Fortschritte, das Kürper-
geeicht war am 15« März 18!)Ü auf 7!,5 kg
Steligm^n »ad» der B^bandto» « eU f*> ,V bei A * tm * (lör 0Ö#|B^tiSchen
Bcliandiufäg) gestiegen.
Audi dieser Patient verzichtete nur sehr ungern auf die Fortsetzung der Be-
iKiinljung, obwohl die Schmerzen bei den, einzelnen Selmentlelinr.ngon und f.eieok-
ömlHÜsieruu^e« zinveijcm nicht mibedenteml wmen. ' .Schluss foigu
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Referate über Bücher und Aufsätze.
145
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Goldscheider und P. Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie. Thcil 1 . Band 1 .
Leipzig 1901. Verlag von Georg Thicmc.
In der Vorrede des v. Leyden zum 70. Geburtstage gewidmeten Werkes sagen die Heraus¬
geber, dass ihre Absicht sei, mit diesem Handbuch einen Boden mit Grundmauern und Pfeilern fin¬
den wissenschaftlichen Ausbau der physikalischen Heilmethoden zu schaffen, der, wie wir alle wissen,
dieser modernen Disziplin so dringend Noth thut Die Forderung der kritischen Sichtung des vor¬
liegenden, häufig sehr subjektiv gefärbten Materials einerseits, die Warnung andrerseits vor un¬
berechtigter Unterschätzung klinischer Beobachtungen sind daher das Leitmotiv des Buches, für
dessen Emst und Gründlichkeit die Namen der Mitarbeiter bürgen, welche Goldscheider und
Jacob gefunden haben.
Besonders werthvoll erscheint dem Referenten der Umstand, dass augenscheinlich den einzelnen
Bearbeitern eine möglichst grosse Freiheit gelassen ist, ihre persönliche Auffassung zu Worte
kommen zu lassen; dass also in diesem Gebiet, in dem thatsächlich viele sich widersprechenden
Meinungen einander entgegenstehen, keine schablonenmässige Einheitlichkeit erstrebt ist, sondern
eine Betrachtung und Beleuchtung von verschiedenen Standpunkten ermöglicht ist. Es wird dadurch
das Werk ein Ausdruck der heute in der Wissenschaft und praktischen Medicin thatsächlich vor¬
handenen Strömungen; das sichert ihm seinen Werth weit über den eines gewöhnlichen Sammel¬
werkes hinaus und rechtfertigt auch vollkommen die Wiederholungen und die Widersprüche, die
sich in einzelnen Abtheilungen finden.
Der vorliegende erste Band enthält die wissenschaftliche Begründung und die Darstellung
der Technik folgender Zweige der physikalischen Heilmethoden: 1. der Klimatotherapie; 2. der
llöhenlufttherapie; 3. der Pneumatotherapie; 4. der Inhalationstherapie; 5. Balneotherapie; 6. Tha¬
lassotherapie; 7. Hydrotherapie und 8. Thermotherapie.
Den einzelnen Kapiteln sind historische Einleitungen vorausgeschickt, und zwar für Kapitel
1—5 von Pagel, für Kapitel 6-8 von Marcuse. Dieselben sind zweifellos sehr lesenswerth, die
von Pagel bearbeiteten zeichnen sich durch gute Litteraturangaben aus, für eine Neuauflage des
Handbuches wäre es wünschens werth, dass auch Marcuse die Belegstellen seiner sonst sehr inter¬
essanten Ausführungen genauer angäbe, denn gerade für eine historische Darstellung erscheint das
wichtig. Den theoretischen Theil der Klimatotherapie hat Rubner bearbeitet. Referent bedauert
sehr, dass er im Rahmen einer kurzen Besprechung auf diese gründliche und glänzende Behand¬
lung des Themas. nicht ausführlich eingehen kann. Es verbietet jedoch die Reichhaltigkeit des
Stoffes ein kurzes Referat durchaus. Das Kapitel will gelesen und studiert sein. Hervorgehoben
sei nur, dass ein guter Theil des grossen Beobachtungsmaterials aus Rubner’s eigenen Arbeiten
stammt Eine treffliche Quelle praktischer klinischer Belehrung bietet der nächste Abschnitt
«Aerztliche Erfahrungen über Klima etc.« von Nothnagel, wie sie eben nur ein hervor¬
ragender Kliniker geben kann. Wenn Nothnagel auch betont, dass kein einzelner seine persön¬
lichen Wahrnehmungen zur alleinigen Unterlage des Urtheils machen dürfe, so liegt doch der be¬
sondere Werth des Kapitels darin, dass es aus einer ausgebreiteten persönlichen Erfahrung heraus
geschrieben ist; und diese äussert sich in vielen kleinen werthvollen Hinweisen (z. B., dass man
einen Phthisiker mit Neigung zu Durchfällen nicht nach Madeira schicken darf).
Die Physiologie der Höhenlufttherapie ist von A. Löwy trefflich bearbeitet. Löwy
kommt zu dem Schlüsse, dass das Höhenklima anregend auf die Thätigkeit der verschiedensten
Organsysteme unseres Körpers wirke und dass das Moment der Uebung, welches damit gegeben sei,
zu gesteigerter Leistungsfähigkeit, zur Kräftigung führe. Weiter folgt ein Kapitel »Aerztliehe
Erfahrungen über Höhenlufttherapie« von EiehhorsJ. Es ist selbstverständlich, dass der
Züricher Kliniker und gesuchte Consiliarius der Schweizer Kurorte über die reichhaltigsten persön¬
lichen Erfahrungen in diesem Gebiete verfügt. Seine kritische Darstellung berücksichtigt Indikationen
und Kontraindikationen auf das genaueste; so wird z. B. mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass
Zoitschr. f. <li*t. u. phjsik. Therapie Bd. V. lieft 2.
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14ö
Referate über Bücher und Aufsätze.
Kranke mit Zirkulationsstörungen nicht in ein Höhenklima passen. Besonders dankenswerth sind
ferner Angaben über wissenswerthe Einzelheiten, z. B. über Schul Verhältnisse. Man findet in diesem
Abschnitt jedenfalls einen zuverlässigen Berather für alle in Betracht kommenden Fragen.
Die Physiologie der Pneumatotherapie ist von R. du Bois-Reymond bearbeitet und
giebt die wichtigen Fakten klar und übersichtlich. Der praktische Theil hat v. Liebig zum Ver¬
fasser, der bekanntlich in erster Linie Verdienste um die Entwickelung dieser Disziplin hat. Unter
dem Stichwort »aktive und passive Methoden« werden nicht nur die einzelnen Vorrichtungen be¬
schrieben und abgebildet sondern auch eine Menge klinischer Beobachtungen beigebracht. Die
Inhalationstherapie ist von Lazarus ausführlich und genau dargestellt. Der Abschnitt ist mit
vielen guten Abbildungen versehen und zeichnet sich durch eine ruhige Sachlichkeit aus.
Im Kapitel Balneotherapie hat v.Liebermeister die thermischen Wirkungen der Bäder
beschrieben. Die berühmten Untersuchungen des Autors sind der Darstellung zu Grunde gelegt,
und daran ist das sonst experimenteil gewonnene Material angegiiedert Die neueren Untersuchungen
sind dabei allerdings verhältnissmässig wenig berücksichtigt. Die Eintheilung der Bäder in
physikalischer und chemischer Hinsicht hatGlax bearbeitet, der durch sein treffliches Lehr¬
buch der Balneologie für dieses Kapitel besonders geeignet und vorbereitet erschien.
Die physiologische Begründung der Thalassotherapie hat A. Hiller gegeben, der
gleichfalls durch frühere Arbeiten auf diesem Gebiet sich ausgezeichnet hat. Es sind alle wissens-
werthen Dinge über die Wirkungen der Seeluft, des Seewassers und des Lichtes an der See über¬
sichtlich zusammengestcllt. Die Technik und Anwendung der Seebäder, sowie ein Kapitel
über Seereisen ist von Hermann Weber geschrieben. Man hat bei diesem Abschnitt wieder
Gelegenheit, die reiche praktische Erfahrung des Autors in diesen Fragen zu bewundern. Sehr
dankenswerth ist auch das kurze Kapitel über Seesanatorien von Hiller.
Beim Abschnitt Hydrotherapie hat W. Winternitz das erste Kapitel, Einleitung und
physiologische Grundlagen der Hydrotherapie geschrieben. Es ist hier nicht der Ort, den mannig¬
fachen Bedenken gegenüber den bekannten Winternitz'schen Auffassungen Ausdruck zu geben;
ich verzichte umsomehr darauf, als Goldscheider in dem letzten Kapitel des Handbuchs die
Winternitz’schen Ansichten ausführlich kritisch beleuchtet hat. Nur gegen eine direkte Unrichtig¬
keit, die Winternitz mir unterlegt, möchte ich mich verwahren. Winternitz schreibt: »ich
muss daran festhalten trotz des Widerspruchs von Matth es, dass Gefässerweiterung unter Wärme
und Kälte ganz verschiedene Vorgänge sinda. Ich habe dem nie widersprochen, im Gegentheil es
ausdrücklich als ein besonderes Verdienst von Winternitz bezeichnet, diesen Unterschied hervor¬
gehoben zu haben. Meine Einwände richteten sich nur gegen die, wie sie Goldscheider be¬
zeichnet, paradoxen Win ternitz’schen Lehren vom Tonus der Gefässe.
Die Darstellung der hydriatischen Technik von Strasser ist mit zahlreichen guten
Abbildungen versehen und klar und übersichtlich geschrieben.
Dasselbe Lob kann man der Beschreibung der Technik und Anwendung der Thermo-
therapie von Fricdländer spenden. Die Physiologie desselben Kapitels hat in Goldscheider
einen kritischen und genauen Darsteller gefunden. Es gehört dieser Abschnitt zu den besten des Buches.
Alles in Allem wird man sagen können, dass dieser erste Band des Handbuches die Er¬
wartungen, mit denen man an seine Lektüre geht, nicht enttäuscht und dass er in vieler Beziehung
als eine hervorragende Leistung bezeichnet werden kann. M. Matth es (Jena).
A. Schoenstaedt, Ueber vegetarische Ernährung und ihre Zulässigkeit in geschlossenen
Anstalten und bei Menschen, welche sich in einem Zwangsverhältniss befinden.
Verfasser betrachtet allein diejenigen als richtige Vegetarianer, welche lediglich von Cerealien,
Obst, Gemüse und Wasser leben und sich aller Nahrungsmittel, die von Thieren stammen, auch
wenn sie ohne Schlachtung zu gewinnen sind, wie Eier, Milch, Käse, Butter, Honig völlig enthalten,
und zieht nur diese Art der vegetarischen Ernährung in den Kreis seiner interessanten Betrachtungen.
Zunächst sucht Verfasser nachzuweisen, dass selbst die ältesten Volker von gemischter Kost lebten,
und stützt sich dabei auf das Urtheil von Virchow und Graves. Von den Völkern der Jetztzeit
werden die Japaner von den Vegetarianern als Anhänger ihrer Richtung angeführt, aber ganz mit
Unrecht, wie aus den Arbeiten von Rintaro Mori, von J. Nakahama und E. Tieger hervor¬
gehen soll. Aus seinen eigenen Erfahrungen theilt Verfasser mit, dass die Neger in Guyana, Haiti
und Curacao, die auf einer kulturell sehr niedrigen Stufe stehen, stets animalische Nahrung zu der
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Referate über Bücher und Aufsätze. 14?
pflanzlichen Kost nehmen, obwohl gerade dort der Boden an Früchten alles bietet. — Nachdem
noch verschiedene Ein wände von seiten der Vegetarianer, wie z. B. das Fleisch sei schädlich, bilde
ein grosseg Reizmittel etc., widerlegt worden sind, kommt Verfasser darauf zu sprechen, ob es mög¬
lich und für die Gesundheit zuträglich ist, vegetarisch zu leben. Während der erste Punkt zugegeben
wird, wird der zweite mit Recht entschieden in Abrede gestellt, indem Verfasser darauf hinweist,
dass die Anforderung, die man bei rein pflanzlicher Ernährung an Magen und Darm stellen müsste,
nicht zu erfüllen wären. Das Volumen der Nahrung wäre ein so grosses, dass der Verdauungsactus
darunter leiden müsste, und überdies wäre auch die Ausnutzbarkeit der Vegetabilien hinsichtlich
ihres Eiweisses eine ausserordentlich schlechte im Vergleich zur Resorption des animalischen Eiweisses.
Zwei weitere Uebelstände wären noch der Mangel an Fett und vor allen Dingen die Einförmigkeit
der Speisen. — In dem zweiten Theil seiner Ausführungen bespricht Verfasser hintereinander die
Ernährungs Verhältnisse in den Findelhäusem und Krippenanstalten (cröches), in den Waisenhäusern,
in den Armen- und Siechenhäusem, in den Gefängnissen, in den Krankenanstalten, Irrenanstalten,
Genesungsheimen etc., ferner den Unterhalt des Militärs im Kriege und im Frieden, der Bemannung
und Passagiere auf dem Schiff, der Emtearbeiter auf Gütern und der Arbeiter einer Fabrik. Am
eingehendsten beschäftigt er sich mit der Verpflegung der Gefangenen und weist nach, dass eine
vegetarische Kost im Gcfängniss oder im Zuchthaus niemals im Stande ist, einen Menschen vollkommen
erwerbsfähig zu erhalten. Er behauptet im Gegentheil, dass man an solchen Leuten, wollte man
sie vegetarisch ernähren, langsam die Strafe des Verhungerns vollziehen würde. Viel weniger noch
könnte man solche Leute vegetarisch verpflegen, die sich beständig grossen körperlicher Anstren¬
gungen unterziehen müssten. — Aus seinen ebenso ausführlichen wie interessanten Betrachtungen
zieht Verfasser folgende Schlüsse:
1. Die von den Vegetariern aufgestellten Behauptungen, dass die vegetarianische Ernährungs¬
weise die dem Menschen zukommende natürliche sei, sind unhaltbar;
2 . Mit der vegetarischen Ernährung sind • schwere Gefahren für den Gesammtorganismus
verbunden;
3. vom sanitätspolizeilichen Standpunkt ist die vegetarische Ernährung unzulässig in ge¬
schlossenen Anstalten und bei Leuten, die sich in einem Zwangsverhältniss befinden.
Jul. Wohlgemuth (Berlin).
J. v.Kössa, Die Wirkung des Phlorizins anf die Nieren. Zeitschrift für Biologie Bd. 40. Heft 3 .
Kössa zeigt in Versuchen an Kaninchen, dass Phlorizinverabreichuug, gleichgültig ob per os
oder subkutan, regelmässig zu Auftreten von Eiweiss und Cylindem im Harn und zu parenchyma¬
tösen Veränderungen der Nieren führt, und zwar noch ehe die Glykosurie zu Stande kommt.
D. Gerhardt (Strassburg ).
W. (aspari, Ein Beitrag zur Beurtheilung von Milchpräparaten, Berliner klinische Wochen¬
schrift 1900. No. 34.
Verfasser wendet sich gegen die Ausführungen von Weissenfeld und v. Aufrecht,
welche vor dem Plasmon wegen seines Bakterienreichthuins warnen. Es kommt nicht auf den
Keimgehalt im allgemeinen, sondern auf den Gehalt an pathogenen Bakterien an. In einer Reihe
von Versuchen an Kaninchen und Meerschweinchen, welchen Plasmonaufschwemmungen in die
Bauchhöhle gebracht wurden, erkrankte keines von den Thieren an Tuberkulose, so dass also
hinsichtlich der Tuberkelbacillen keine Bedenken selbst gegen den Genuss rohen Plasmons sich ergeben.
F. Voit (München).
Keller, Ueber Nahrungspausen bei der Säuglingsernährmig, (Aus der Universitätskinderklinik
zu Breslau.) Centralblatt für innere Medicin 1900. No. 16.
Czerny fand, dass der Magen eines gesunden Brustkindes in 1 1 / 2 — 2 Stunden nach der Nah¬
rungsaufnahme entleert wird und P /4 Stunden nach derselben freie Salzsäure enthält, während bei
Flaschenkindern mindestens 3 Stunden zur Entleerung des Magens und 2 Stunden bis zum Auftreten
freier HCl erforderlich sind, bei kranken Säuglingen infolge Beeinträchtigung der motorischen und
sekretorischen Funktion selbst nach 4 —*5 Stunden noch Nahrungsreste im Magen sich finden, freie
HCl fehlt. Gestützt auf diese Beobachtungen verlangt er als Minimum der Nahrungspausen für
Brustkinder 3, bei Kuhmilchernährung mindestens 4 Stunden, und es erhalten auch auf der Breslauer
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148 Referate über Bücher und Aufsätze.
Kinderklinik .alle Säuglinge, gesunde wie kranke, statt der in Laienkreisen beliebten und auch von
vielen Pädiatern empfohlenen, zweistündlichen Mahlzeiten nur solche in 4—5 stündlichen Intervallen,
nie mehr als fünf Mahlzeiten während 24 Stunden, ln der Praxis hat sich dieses Regime insofern
bewährt, als die Emährungserfolge dabei viel günstigere als bei kurzen Nahrungspausen waren und
vielfach die Einschränkung der Mahlzeiten allein genügte, um eine bestehende Magendarmaffektion
zum Verschwinden zu bringen.
Um für diese klinischen Erfahrungen auch eine theoretische Grundlage zu gewinnen, suchte
Keller die Frage, wie die Verdauung und Ausnützung der Milch beim kranken Säugling geändert
wird, wenn man zwei Stunden nach dem Trinken in den noch vollen und der freien HCl entbeh¬
renden Magen neue Nahrung zuführt, durch einige Stoffwechsel versuche an kranken Kindern zu lösen,
indem er in der Nahrung, im Ham und Koth die zur Charakteristik des Eiweissstoffwechsels wich¬
tigsten Faktoren N und P 2 0.-, bestimmte. Eine Fortsetzung des Versuches an denselben Kindern,
der Art, dass er später dieselbe Nahrung in gleicher Menge in vierstündlichen Intervallen verab¬
reichte, war unmöglich, da unter dem Einfluss der zweistündlichen Ernährung die Symptome seitens
des Magendarmtraktus, sowie das Verhalten des Körpergewichts eine Verschlimmerung der Ernäh¬
rungsstörungen anzeigten, und es mussten deshalb die Resultate der an anderen gleichaltrigen, kranken
Kindern bei vierstündlicher Nahrungszufuhr angestelltcn Versuche zum Vergleich herangezogen
werden. Hierbei zeigte sich, dass die Resorption und Retention von Stickstoff und Phosphor, also
die Ausnützung der Eiweisskörper, durch längere oder kürzere Dauer der Nahrungspausen nicht
beeinflusst wird, es ist also, wie Verfasser selbst resümiert, aus diesen Untersuchungen die Frage,
wie oft ein Säugling Nahrung erhalten soll, nicht zu entscheiden und die Schädlichkeit einer zwei¬
stündlichen Ernährung jedenfalls in anderer Richtung zu suchen. Hirschei (Berlin).
Feer, Neuere Fortschritte und Bestrebungen in der Säitglingsernährntig. Korrespondenzblatt
für Schweizer Aerzte 1900. No. 10.
Der in der Baseler raedicinischen Gesellschaft (Dezember 1899) gehaltene Vortrag giebt einen
Ueberblick über den heutigen Stand der Lehre von der künstlichen Säuglingscraährung und der
Diätetik bei akuten und chronischen Verdauungsstörungen.
Verfasser beginnt mit der Besprechung der durch neuere Analysen festgestellten Differenzen
in der Zusammensetzung von Frauen- und Kuhmilch. Erstere ist reicher an Laktalbumin, welches
nach Schlossmann 35% des Gesammteiweiss gegen 9% Albumin in der Kuhmilch beträgt, au
Opalisin (Wrob.lewsky), Milchzucker, an den organischen Phosphorverbindungen Lecithin
(Stoklasa) und Nukleom(S)igfried); letztere enthält grössere Mengen Kasein, dessen chemische
Verschiedenheit von demjenigen der Frauenmilch sich zugleich in seiner grobflockigen Gerinnuug
und Schwerlöslichkeit äussert, mehr Salze und anorganische Phosphorverbindungen. Aus der Er¬
kenntnis dieser wesentlichen Unterschiede zwischen Thier- und Muttermilch und aus dem Bestreben,
dieselben nach Möglichkeit auszugleichen, erklären sich die schon lange übliche Verdünnung der
Milch durch Wasser oder Schleim und der Zusatz von Milchzucker, sowie die zahlreichen, in der
modernen Molkereitechnik auftauchenden, mehr oder weniger erfolgreichen Milchverbesserungs¬
versuche, die in erster Reihe die Verminderung oder chemische Umwandlung des als schwerverdau¬
lich geltenden Kaseins bei Erhaltung des sonstigen Nährstoffgehalts bezwecken sollen; als die be¬
kanntesten und beliebtesten Fabrikate, welche hier auf verschiedenen Wegen das gleiche Ziel zu
erreichen suchen, zählt Verfasser Biedert’s Rahmgemenge, Gärtner's Fettmilch, Voltmer’s pepto-
nisierte Milchkonserve. Backhaus 7 humanisierte Milch, Rieth 7 s Albumosesäuglingsmilch, Pfund’s
Eiweissrahmgemenge auf.
Eine zweite Schwierigkeit bei der künstlichen Säuglingsernährung bietet die bakterielle Ver¬
unreinigung der Thiermilch. Glaubte man früher, die in der Kuhmilch enthaltenen Keime durch
längeres, auf 35 — 40 Minuten ausgedehntes Sterilisieren im Soxhletapparat sicher vernichten zu
können, so ist man neuerdings von diesem Verfahren wieder mehr zurückgekommen, als es sich
zeigte, dass dabei zwar die gewöhnlichen pathogenen Keime zerstört, die Flügge’schen gift¬
bereitenden, proteolytischen Bakterien jedoch nicht abgetödtet werden und dass die Milch selbst
durch die Sterilisation schwerwiegende chemische Veränderungen (Spaltung des Albumin, Zer¬
setzung des Lecithins und der diastatischen Fermente, Verminderung der Löslichkeit der Kalksalze
und des KaseTnphosphors, Karamelierung des Milchzuckers, starke Aufrahmung des Fettes) erleidet,
Veränderungen, denen man hartnäckige Obstipation, schwere Anämie und das Auftreten Möller-
Barlo w'scher Krankheit bei den lange Zeit und ausschliesslich mit künstlichen Nährpräparaten auf-
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Referate über Bücher und Aufsätze. 149
gezogenen, meist wohlhabenden Familien entstammenden Flaschenkindern zugeschrieben hat. Es
ist jetzt üblich, grösseren Werth auf möglichst reine Gewinnung, sofortige Kühlung der Milch und
Vermeidung der Kontaktinfektion beim Aufbewahren derselben zu legen und sich mit Pasteurisation
oder kurzer, nur 10 Minuten dauernder Sterilisation zu begnügen.
Wichtig ist auch ein zweckmässiges, diätetisches Regime hinsichtlich der dem Säugling ver¬
abreichten Flüssigkeitsquanten und der zwischen den Einzelmahlzeiten zu beobachtenden Intervalle.
l T m die durch Pfaundler’s Untersuchungen über die Kapazität des Säuglingsmagens konstatierte
Gefahr der Magcnüberdehnung zu vermeiden, empfehlen sich sechs bis sieben, höchstens acht Mahl¬
zeiten in den ersten Lebenswochen, sechs bis fünf in den späteren Monaten, sowie Einhalten einer
sechs- bis zehnstündlichen, nächtlichen Nahrungspause; aus demselben Grunde kam man auch von
den früher beliebten, starken Milchverdünnungen und der dadurch bedingten, übermässigen Flüssig¬
keitszufuhr neuerdings ab und ging zur Darreichung konzentrierter, weniger voluminöser Milch-
gemische über, einzelne Autoren empfehlen sogar unverdünnte Kuhmilch fast von Geburt an. Feer
giebt meist vom zweiten Monat an */ 3 Milch und Vs ca - 7— 10% Milchzuckerwasser, eventuell mit
Rahmzusatz.
Bei akuten Magendarmaffektionen ist absolute Nahrungsabstinenz für 1—2 Tage und aus¬
schliessliche Verabreichung von abgekochtem Wasser oder dünnem Thee mit allmählichem Ueber-
gang zu Schleim und minimalen Milchportionen angezeigt, bei chronischen Verdauungsstörungen und
Atrophie leisten die künstlichen Milchsurrogatc oft schätzenswerthe Dienste. Getreide- oder Kinder¬
mehlabkochungen können jüngeren Säuglingen als Hungerkost bei gewissen, mit stark schleim¬
haltigen Entleerungen einhergehenden Enteritiden, älteren Kindern vom sechsten bis achten Monat
an auch sonst als Milchzusatz in kleinen Mengen verordnet werden; unter den zahlreichen industriellen
Erzeugnissen der Neuzeit hält Verfasser neben den Fabrikaten von Nestlö, Kufekc, Muffler die
Theinhardt’sche Kindernahrung, das (theure) Mellin’sFood und die Keller-Liebig’sehe Malz¬
suppe für besonders beachtenswert!). Hirschel (Berlin).
Bendix, Beiträge zur Ernährnugsphysiologie des Säuglings. Münchener medicinische Wochen¬
schrift 1900. No. 30.
Bendix liefert einen Beitrag zu der noch strittigen Frage nach dem Einfluss, welchen Men¬
struation und Gravidität auf die Milchabsonderung ausüben. An einem Material von 140 Frauen
und ihren Kindern konrte er feststellen, dass ein hoher Prozentsatz der stillenden Mütter (60%)
trotz der Laktation die Periode bekommt, dass jedoch der Eintritt und die regelmässige Wieder¬
kehr derselben im allgemeinen keinen Grund zur Entwöhnung des Kindes abgeben, da quantitative
Milchveränderungen durch die Menstruation nur sehr selten, qualitative allein für das Fett (0,5 bis
2,5 °/o» in steigendem Sinne nachzüweisen sind und da Befinden und Verdauung des Säuglings, von
leichten und vorübergehenden Darmstörungen während der Tage der Menses abgesehen, kaum un¬
günstig beeinflusst werden. Ammenwechsel oder Absetzen des Kindes kommen nur dann in Frage,
wenn das Kind im Gewicht stehen bleibt oder die abgewogene Milchmenge ein Versiegen der Brust
anzeigt, ein Ereigniss, das sich zuweilen innerhalb weniger Tage nach dem Auftreten der ersten
Periode vollzieht. Was die Laktation bei erneuter Gravidität betrifft, so kann Verfasser über einen
Fall aus seiner Praxis berichten, in welchem die Milchsekretion einer stillenden jungen Mutter mit
dem Eintreten einer neuen Schwangerschaft erheblich nachliess und sofort nach vorzeitiger Unter¬
brechung derselben durch einen Abort wieder anstieg, indess ist er weit entfernt, auf Grund dieser
Beobachtung die von einigen Autoren urgieite Forderung zu unterschreiben, dass bei einer neuen
Gravidität sofort das Nähren zu verbieten sei; es gebe gewiss eine wenn auch kleine Anzahl von
Frauen, die dank ihrer kräftigen Konstitution ohne Schaden für sich selbst oder für den Säugling
noch weiter stillen können, und es sei in jedem Falle das Absetzen des Kindes von der gelieferten
Milchmenge, dem Gedeihen des Kindes und dem Kräftezustand der Mutter abhängig zu machen.
Hirse hei (Berlin).
Oehsner, Ueber Verwendung ausschliesslicher Rektalernährung in akuten Appendicitisfällen.
Berliner klin. Wochenschrift 1900. No. 30.
Verfasser hat mit der von Rost aus dem Augustahospital empfohlenen, in der Uebcrechrift
angedeuteten Methode, die er schon seit vielen Jahren anwendet, ausserordentlich gute Erfolge.
Kr crkläit dieselben derart, dass sich das Netz sogleich über den Wurmfortsatz schlingt, so¬
bald letzterer auf irgend welche Weise erkrankt, d. h. in Gefahr ist, nekrotisch zu werden. Erhält
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Referat© über Bücher und Aufsätze.
nun der Kranke absolut keine Nahrung per os, so schmiegt sich der Dünndarm an das Netz an,
und im schlimmsten Falle entwickelt sich ein umschriebener Abscess, welcher ohne Gefahr geöffnet
werden kann. Daneben bezweckt aber diese Art der Behandlung absolute Ruhe für die entzündeten
Theile. Werden auch nur kleine Mengen flüssiger Nahrung per os verabreicht, so entstehen Gase,
welche die entzündeten Theile reizen. Je früher die Behandlung in der angegebenen Weise beginnt,
um so milder gestaltet sich der Anfall.
Verfasser wendet die «ausschliessliche Rektalernährung in Gaben von 150 ccm drei- bis sechn-
stündlich an. Er verwendet gewöhnlich 30 ccm eines der in Amerika beliebten Nährpaparatc in
physiologischer Salzlösung verdünnt. Morgens und Abends wird ein Klysma von 500 ccm Salz¬
lösung verabreicht. Ist Brechreiz vorhanden, so reicht gewöhnlich eine Magenausspülung hin, ihn
zu beseitigen.
Seit Verfasser diese Methode in jedem Falle an wendet, genesen die Fälle, welche früh in
Behandlung kommen, fast alle. Aber selbst vorgeschrittene Falle, die früher mit oder ohne opera¬
tive Behandlung regelmässig an diffuser Peritonitis zu Grunde gingen, zeigen jetzt eine wesentlich
bessere Prognose. P. F. Richter (Berlin).
Sommerfeld, Ueber die Milehkontrolle im Kaiser und Kaiserin Friedrich-Krankenhaus© in
Berlin. Zeitschrift für Krankenpflege 1900. Februar.
Der Verfasser giebt einen Bericht über die Art der Milchkontrolle, wie sie im Kaiser Friedrich-
Krankenhause statthat, und wie sie zugleich als Muster für Anstalten überhaupt dienen kann. Die
dauernd ausgeübte Kontrolle der rohen Milch erstreckt sich auf die Bestimmung der Temperatur,
des spezifischen Gewichts, der chemischen Zusammensetzung, des Schmutzgehaltes und auf die bak¬
teriologische Prüfung. Die Temperatur der Milch darf 10° C nicht übersteigen; das spezifische Ge¬
wicht der Vollmilch soll sich zwischen 1029 und 1032, das der entrahmten Milch zwischen 1032 und
1038 halten. Die Acidität wird durch Vergleichung einer frischen Miichprobe mit einer eine Stunde
lang im Brutschrank bei 37<>C aufbewahrten Probe festgestellt; zeigen sich zwischen den beiden
Bestimmungen Differenzen, so ist die Milch zu beanstanden. Die chemische Analyse umfasst die
Bestimmung der Trockensubstanz, des Fettes, Eiweiss, Zuckers und der mineralischen Salze. Die
Bestimmung des Milchschmutzes geschieht in einem vom Verfasser konstruierten Apparat, der aus
einem grossen sich nach unten verjüngendem Gefäss besteht, das in ein angeschliffenes, kleines An-
satzgefäss endigt und kurz über dem Ansatz eine seitliche Ausflussrohre mit Hahn trägt. Das Gefäss
wird mit einem abgemessenen Quantum Milch gefüllt und bleibt ca. zwei Stunden stehen, innerhalb
welcher sich der Milchschmutz in dem kleinen Gefäss absetzt und hier bestimmt werden kann. Die
bakteriologische Prüfung der Milch erstreckt sich im allgemeinen nur auf die allgemeine Feststellung
des Keimgehaltes; die Bestimmung der einzelnen Arten geschieht nur in besonderen Fällen, zum
Beispiel bei der Milch neueingestellter Thiere, auf Veranlassung der Molkerei bei verdächtigem Ver¬
halten der Kühe u. s. w. Freyhan (Berlin).
Charles Townsend, Bemerkungen zur Ernährung der Kinder mit spezieller Beziehung der
Behandlungsweise der Milch im Hause. Boston medical and surgical joumal Bd. 140. No. 12.
Der Verfasser spricht die Hoffnung aus, dass cs einstmals gelingen dürfte, eine Kuh zu
schaffen, deren Milch der Muttermilch gleicht; vorläufig sei es aber noch bei der grossen Ver¬
schiedenheit der Milch nöthig, diese zu ändern, um ihr eine Aehnlichkeit zu geben. Diese Modifikation
kann in Laboratorien und zu Hause geschehen. Das erstere ist kostspielig und nicht immer durch¬
führbar; das letztere, nämlich die Herstellung im Hause, wird nicht gerne von Aerzten gebilligt,
da sich mannigfaltige Schwierigkeiten ergeben. Man verlässt sich daher meistens auf Milch¬
laboratorien oder empfiehlt Patentuahrungen. Viele von den Kindern kommen durch diese Patent¬
mittel vom Regen in die Traufe; andere vertragen sie, allein ein besseres Verständnis für die
häusliche Behandlungsw'eise der Milch würde alles dies überflüssig machen. Dieses Verfahren ist
selbst dann am Platze, wenn ein Laboratorium in der Nähe ist, da nicht jede Mischung für jedes
Kind von Brauchbarkeit ist Wenn l. die Milch frisch, 2. von Kühen kommt, «an denen festgestellt
wurde, dass sie nicht tuberkulös sind und 3. die Abwesenheit irgend welcher Gefahr von Ver¬
unreinigung durch andere ansteckende Krankheiten nach gewiesen wurde, ist es besser, diese Milch
nicht künstlich durch Sterilisation oder Pasteurisation zu ändern.
Was die Zubereitung der Milch im Hause anbelangt, so ist es von Wichtigkeit, dass der
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Referate über Bücher und Aufsätze.
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Arzt die Quantität von Fett, Zucker und Eiweiss kennt, die er verordnet. Es ist bekannt, dass
um Kuhmilch zu modifizieren, welche mehr Eiweiss und weniger Zucker als Muttermilch enthält»
dieselbe mit Wasser zu vermischen und natürlicher Milchzucker hinzuzufügen sei. Im Anfänge ist
die Quantität in beiden Milchsorten nahezu gleich, daher ist es evident, dass auch der Mischung
mehr Fett in der Form von Obers (Sahne) nothwendig ist. Wenn das obere Viertel von einer
Flasche oder Kanne Milch genommen wird, welche 6—8 Stunden gestanden hat, so wird diese
obere Milch ungefähr 10° 0 Fett enthalten. Der Prozentsatz von Albumin in dieser oberen Milch
ist derselbe wie in der ganzen Milch, d. i. 4% und man wird sehen, dass die Beziehung zwischen
dem Fett und den Albumen dieselbe ist, wie bei der Muttermilch, nämlich das Fett lD/ 2 mal so
gross ist: 10 :4 oder 4 : 1,60.
Man kann die obere Milch erhalten, indem man die unteren drei Theile wegnimmt oder noch
besser, indem man das obere Viertel abschöpft, und der Verfasser hat gefunden, dass der Schmetten
(Sahne) bei beiden Methoden die gleiche Quantität zeigte. Diese Wahrnehmung wurde auch durch
eine Analyse bestätigt. Durch weitere sorgfältige Untersuchungen mit der oberen Milch, die von
60 Kühen herrührte und gemischt wurde, ist das Resultat erzielt worden, dass die Einwendungen
gegen die Zubereitung der Milch im Hause, weil die Herstellung keine exakt gleichmässige ist,
nicht berechtigt sind.
Indem das Gewicht der verschiedenen Substanzen erläutert wird, kommt er zu folgender
Formel für die häusliche Anwendung u. z.: Fett 4, Zucker 6,6, Eiweiss 1,6.
Es giebt dies ein bestimmtes Verhältnis zwischen dem Fett und dem Eiweiss, nämlich das
erstere ist 2"i mal so gross, als das letztere.
Soll das Eiweiss vermehrt werden, ohne das Fett zu vermehren, so füge man die Milch, von
welcher das Obere weggenommen wurde, hinzu. Dies wird oft bei kleinen Kindern gethan, bei
denen der Eiweissstoff vermehrt werden soll, ohne den Fettgehalt zu vergrossern. Man bringt dies
auch hervor, indem man mehr von der oberen Milch abgiesst, so dass im Verhältniss weniger Fett
ist, während 4» 0 Eiweiss bleibt. Eine Mischung mit der Hälfte dieser oberen Milch und halb
Wasser würde ergeben: Fett 3,60, Eiweiss 2, während zwei Drittel dieser oberen Milch und ein
Drittel Wasser geben: Fett 4,80 und Eiweiss 3,66. Die Hinzufügung von Zucker kann nach Be¬
lieben erfolgen. Durch die Hinzufügung von dem Eiklar von einem oder zwei Eiern kann die
Milch noch nahrhafter gemacht werden. Emanuel Hirsch (Karlsbad).
Rosenbach, Zur Pflege und Prophylaxe bei Herzkranken. Zeitschrift für Krankenpflege
1900. Ko. 2.
ln der vorliegenden Arbeit entwickelt der Verfasser die leitenden Grundsätze, nach denen
eine rationelle Krankenpflege bei Herzkranken zu geschehen hat. Wir müssen vor allem danach
streben, den fehlerhaften Betrieb des Herzens zu regulieren, d. h. die Leistung den Lebensbedingungen
und Anforderungen anzupassen, und deshalb ist die richtige Wahl der Nahrung, Kleidung, Wohnung
und Arbeitsform das Haupterforderniss der Therapie. Bei ausgeprägten Herzkrankheiten sind alle
körperlichen Anstrengungen ebenso wie Aufregungen zu vermeiden, während für leichtere Formen
gewisse Berufsarten, die nicht gerade mit dem Heben schwerer Lasten oder dem Zwange zu dauern¬
der Muskelthätigkeit verbunden sind, sehr wohl in Frage kommen. Die Frage, ob Herzkranke
heirathen dürfen, bejaht der Verfasser im allgemeinen und widerräth die Ehe nur da, wo ausge¬
sprochene Formen des Herzleidens oder bereits Kompensationsstörungen vorhanden sind. Was die
Kleidung anlangt, so muss vor allem darauf gesehen werden, dass die Kleidung keine Last ist, dass
ferner die Athmungsthätigkeit, von der ein wesentlicher Theil der Kompensation abhängt, nicht
erschwert und endlich dass der Zirkulation, der Muskol- und Hautthätigkeit freier Spielraum
gewährt wird. Bezüglich der Wohnung ist darauf zu achten, dass dieselbe nicht zu hoch gelegen
sei, da Treppensteigen die Anforderungen an die Herzthätigkcit enorm steigert, ferner dass sie nicht
zu kühl und zu feucht, andrerseits aber auch nicht zu trocken sei.
Feber die Ernährung von Herzkranken ist cs kaum möglich, allgemein gütige Regeln auf¬
zustellen, da der psychische Zustand der Kranken oft eine rationelle Regulierung der Diät ausser¬
ordentlich erschwert. Zu verhindern ist nur die Ueberlastung des Magens mit schweren und un¬
verdaulichen Speisen und die übermässige Nahrungsaufnahme; noch wichtiger als das Verbot über¬
mässiger Nahrungszufuhr ist das Verbot von reichlicher Flüssigkeitszufuhr, da von dem zweckmässigen
Gebrauch des Wassers die wichtigsten Prozesse der Körperökonomie abhängen.
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152 Referate über Bücher und Aufsätze.
Was Badekuren anlangt, so sieht Rosenbach ihren Hauptvortheil darin, dass die Kranken
längere Zeit den Anstrengungen ihres Berufes und sonstigen Schädlichkeiten entzogen werden,
während er ihnen eine spezifische Wirksamkeit nicht zuschreibt. Frevhan (Berlin).
Goldschmidt, Weitere Beiträge zum nervösen Asthma. München 1900.
Der Verfasser unterscheidet vier Formen von Asthma, das Asthma epileptiforme, bronchiale,
chronicum und permanens. Unter dem Asthma epileptiforme versteht er ein Asthma, welches mit
gar keinen oder sehr geringen katarrhalischen Symptomen einhergeht. Die Anfalle können dabei
ganz kurz sein, können sich aber auch zu mehrstündiger Dauer steigern; ausserhalb der Anfälle
besteht vollkommenes Wohlbefinden. Das Asthma bronchiale unterscheidet sich von dem erst¬
genannten nur durch das starke Auftreten katarrhalischer Begleiterscheinungen. Letztere stehen
hier oft so sehr im Vordergründe, dass die Patienten bei jeder Gelegenheit Nasen-, Augen- und
Bronchialkatarrhe auch in asthmafreien Zeiten aufweisen. Als Asthma chronicum bezeichnet er die¬
jenige Form, bei der die Patienten den asthmatischen Zustand durch Monate hindurch haben; auf
die asthmatischen Perioden folgen auch hier Perioden von Asthraafreiheit, die ebenfalls monatelang
dauern können, wenn auch in demselben die katarrhalischen Beschwerden niemals vollkommen
schwinden. Mit Asthma permanens endlich bezeichnet er jenen permanenten Zustand von Athem-
noth, der nur dann erlischt, wenn ein allgemeines Emphysem die anatomische Grundlage der Lungen
vollkommen geändert hat
In der Therapie weicht Goldschmidt im ganzen nicht von den allgemein üblichen Maass¬
nahmen ab. Da wo die Anfälle mit starker Sekretion endigen, sind Mittel am Platz, die die Schleim¬
absonderung befördern Da wo die Sekretion nur eine untergeordnete Rolle spielt, soll inan mit
dem Gebrauch von Narkoticis und Hypnoticis nicht zu sparsam sein; von gutem Einfluss sind auch
feuchtwarme Einpackungen des Rumpfes. Bei schwierigen und langwierigen Anfällen hält es der
Verfasser für gerechtfertigt, den Versuch zu machen, den Anfall durch eine Erhöhung der Körper¬
temperatur zu coupiercn; diesem Zwecke dienen die trockene Heisskammer, das Dampfbad und das
hoch temperierte Wasser. Frevhan (Berlin).
William Henry Porter, Gout and Rheamation, their aetiology and dietetic treatmeut.
New York med. joum 1900. 24. März.
Der hauptsächlich prädisponierende Faktor für die Entstehung von Rheumatismus und Gicht
ist mangelhafte Oxydation der mit der Nahrung eingeführten oxydierbaren Substanzen. Diese »Sub¬
oxydation« kann durch zu reichliche Nahrungsaufnahme oder durch mangelhafte Ernährung und
daraus resultierende Anämie hervorgerufen werden. Ein hoher Gehalt des Urins an Harnsäure ist
immer ein Zeichen von Suboxydation. Verfasser steht auf dem Standpunkt, dass die Existenz von
Harnsäure und harnsauren Salzen im Blute bisher nicht mit Sicherheit bewiesen ist und nimmt an,
dass, wenn harnsaure Salze in den Geweben gefunden werden, diese im Zeltprotoplasma selbst auf
Grund abnormer chemischer Vorgänge gebildet worden sind. Auf diese Weise ist es zu erklären,
wenn nach Exstirpation der Nieren noch weiterhin Harnsäure gebildet wird. Unter nonnalen Ver¬
hältnissen findet die Bildung der Harnsäure in den Nierenzellen statt und dient dazu, den Stickstoff
aus dem Organismus zu entfernen. Jede Verminderung der Oxydationsvorgänge führt zu einer Zu¬
nahme der Hamsäurebildung. Diese Suboxydation kann bedingt sein durch Störungen im Bereich
des Nervensystems, des Verdauungstraktus, der Girkulations- oder Athmungsorgane. Sobald die
Nierenzellen vorübergehend aufhören Harnsäure zu bilden, werden die Proteid Substanzen in den
Gewebszellen zu Harnsäure unter unmittelbarer Produktion von harnsauren Salzen oxydiert Be¬
sonders häufig findet dieser Vorgang im Metatarsophalanglalgelenk der grossen Zehe statt. Es bildet
sich auf diese Weise in den Geweben ein Depositum, das reifcend wirkt und eine lokale Entzündung
hervorruft. So erklärt sich die Entstehung des Gichtanfalles. Für die Aetiologie und Pathogenese
des Rheumatismus spielt ebenfalls die Suboxydation die wichtigste Rolle. Mikroorganismen kommen
ätiologisch nur insoweit in Betracht, als sie durch ihre Anwesenheit im Digestionstraktus störend
auf die Verdauungsvorgänge wirken und dadurch toxische Produkte erzeugen, die geeignet sind,
die Oxydationen im Organismus zu beeinträchtigen.
Für die Prophylaxe und Behandlung der durch Suboxydation hervorgerufenen Krankheits¬
zustände ist die Diät von der grössten Bedeutung. Es muss vor allem die Menge der eingeführten
Nahrung in richtigem Yerhältniss stehen zu der Oxydationsfähigkeit des Organismus; event. muss
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Referate über Bücher und Aufsätze.
vor allem die Fleischkost eingeschränkt werden. Bei der Auswahl der vegetabilischen Nahrungs¬
mittel ist alles zu vermeiden, was zu abnormen Zersetzungen im Darmkanal führen kann. Obst ist,
wie überhaupt alle zuckerhaltigen Nahrungsstoffe, prinzipiell zu verbieten.
Friedlaendor (Wiesbaden).
Robert Saundby, An adress on tlie modern treatment of dlabetes mellitus. The Lanect
1900. 19. Mai.
In seinen interessanten Vortragen giebt Saundby zunächst eine Darstellung unserer Kennt¬
nisse von der Theorie und Pathogenese des Diabetes in seinen verschiedenen Formen (Diabetes auf
nervöser Grundlage, hepatischer, pankreatischer Diabetes), um dann zu einer ausführlichen Besprechung
der diätetischen Therapie überzugehen. Saundby definiert den Diabetes klinisch als mehr oder
weniger persistente Glykosurie, zu der früher oder später Durst, Polyurie und allgemeine Ernährungs¬
störungen treten. Es giebt unzweifelhaft Fälle von transitorischer Glykosurie, die nicht als Diabetes
zu bezeichnen sind, andrerseits kann der Diabetes längere Zeit nur unter dem Bilde einer vorüber¬
gehenden Glykosurie ohne sonstige Symptome auftreten, bis plötzlich die Krankheit eine maligne
Form annimmt Wir dürfen aber nicht ohne weiteres jeden Fall von Glykosurie als Diabetes be¬
zeichnen, sondern müssen den Patienten längere Zeit beobachten, ehe wir diese Diagnose mit Sicher¬
heit stellen können.
Für die Behandlung des Diabetes ist es zunächst von grosser Wichtigkeit, die Menge der
Zuckerausscheidung innerhalb 24 Stunden festzustellen und dann zu ermitteln, wie viel Kohlehydrate
in der Nahrung der Patient zu assimilieren im Stande ist Die Diät muss derartig reguliert werden,
dass eine der täglichen Zuckerausscheidung entsprechende Menge von Kalorieen dem physiologischen
Nahrungsquantum hinzugefügt wird. Nachdem eine Woche lang eine Diät durchgeführt ist, die
nicht mehr als 30 g Kohlehydrate pro Tag enthält, wird wiederum der Urin von 24 Stunden ge¬
sammelt und sein Gehalt an Zucker und Harnstoff festgestellt Wenn dann der Urin frei von
Zucker ist, so hat der Patient nicht nur die in der Nahrung enthaltenen 30 g Zucker assimiliert,
sondern ausserdem eine Quantität, die der doppelten Menge des ausgeschiedenen Harnstoffs ent¬
spricht Wenn die Harnstoffmenge also auch 30g beträgt, so hat der Patient 90g Zucker assimi¬
liert Ist der Urin nicht zuckerfrei, so muss man die ausgeschiedene Zuckermenge von der durch
die Nahrung zugeführten, aus Kohlehydraten und Albuminaten stammenden Quantität abziehen, um
die wirklich assimilierte Zuckermenge zu erhalten. Es empfiehlt sich, diese Diät beizubehalten, bis
der Zucker vollständig aus dem Urin geschwunden ist. Allerdings muss das Körpergewicht dabei
sorgfältig kontrolliert und bei Gewichtsabnahme die Ernährung entsprechend geändert werden. Ist
der Urin zuckerfrei, so sind kleine Mengen Kohlehydrate, besonders Milch, in mässigen Quantitäten
gestattet. An Stelle von Zucker ist Lävulose oder noch besser Saccharin zu empfehlen. Verfasser
wendet sich gegen die vielfach verbreitete Meinung, dass geröstetes Brot (Toast) unschädlich für
Diabetiker sei; es ist reicher an Kohlehydraten als das entsprechende Quantum gewöhnliches Brot.
Dagegen werden Kartoffeln bezüglich ihrer Schädlichkeit überschätzt. Von alkoholischen Getränken
bevorzugt Verfasser den »Scotch whisky«, der gewöhnlich keinen Zucker enthält, oder »Harvey’s
sugar-free pale-ale«. Von Zeit zu Zeit empfiehlt es sich, ein vollkommenes »Kohlehydratfasten«
zu verordnen, besonders wenn der Zuckergehalt des Urins Neigung zum Steigen zeigt. Bei jüngeren
Individuen ist darauf Rücksicht zu nehmen, dass sie ein grösseres Zuckerbedürfniss haben und dem
entsprechend mehr Kohlehydrate erhalten müssen. Zum Schluss der instruktiven Abhandlung giebt
Verfasser eine Tabelle der in mässigen Quantitäten erlaubten Nahrungsmittel nebst ihrem Prozent¬
gebalt an Kohlehydraten. Friedlaender (Wiesbaden).
Forel, La question des agiles pour alcoolises iucurables. Revue medicale de la suisse romande
1899. No. 8.
Nach einer kulturhistorisch sehr interessanten Einleitung über die frühere Auffassung vom
Wesen des Alkoholismus und über die dem Gebiete der Moralphilosophie entnommenen Heilmittel
giebt Forel eine Kategorisierung der verschiedenen Alten unheilbarer Alkoholisten. Er unter¬
scheidet vor allem diejenigen, deren Gehirn weniger widerstandsfähiger war als andere Organe und
bei denen die alkoholische Intoxikation ein Stadium cerebraler Atrophie mit Schwächung der Willens¬
kraft, des Gedächtnisses, der Gefühle und selbst der Intelligenz erzeugt hatte. Ausser Stande,
irgend einen Entschluss zu fassen, trinken sie, sobald sie frei sind, und brechen jedes Gelöbniss,
das sie eingegangen sind. Einmal atrophiert, regenerieren sich die nervösen Elemente des Hirnes
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Referate über Büeher und Aufsätze.
nicht mehr. Hieraus erklärt sieh auch die Thatsache, dass das Durchschnittsgewicht des Gehirns
solcher Alkoholisten merklich herabgesetzt ist. Eine zweite Kategorie umfasst die unheilbaren
Fonnen alkoholischen Wahnsinns. Während man die erste Kategorie mit dem Namen einfacher
alkoholischer Dementia ersten Grades bezeichnen kann, da sie noch eine gewisse Verbindung der
Ideen und Handlungen erlaubt, handelt es sich hier um wohlaccentuierte Psychosen, um chronische
Delirien mit Verfolgungsideen, Ilallucinationen etc., die sich festsetzen und definitiv zu einem System
ordnen (chronisch-alkoholische Paranoia). Diese Falle haben für die vorliegende Betrachtung kein
besonderes Interesse, da sie in die Irrenanstalten gehören. Eine dritte Kategorie bilden die Epilep¬
tiker, welche trinken. Forel meint hier nicht die reine alkoholische Epilepsie, die durch Abstinenz
heilbar ist, sondern die besonders zu klassifizierenden Epileptiker, die sich durch ihren gewaltthätigcn,
aufbrausenden Charakter und durch ihre geschwächte Intelligenz auszeichnen; sie werden sehr oft
durch ihre Trunksucht gefährlich und sind äusserst selten heilbar. Es folgen Nummer vier die ver¬
schiedenen Formen der perversen Sexual kranken, die alle mehr oder minder psychopatiseh sind, in
extremer Form oft zum Alkoholismus neigen, und bei denen ohne Ausnahme der Alkohol die Aus¬
übung des widernatürlichen Geschlechts- oder perversen Aktes ausserordentlich begünstigt. Diese
unglücklichen Individuen suchen natürlich ihre Qual in Alkohol zu ertränken, denn wenn es ihnen
schon schwer fällt, ihre perversen Triebe im nüchternen Zustande zurückzu halten, so wird dies un¬
möglich, wenn sie trunken oder nur angesäuselt sind. Der Alkohol wirkt hier in zweifacher Hin¬
sicht: zuerst reizt er direkt den genetischen, perversen Trieb an, dann lähmt er die Ueberlegung
und den Moralsinn! Gelegentliche Heilungen oder Besserungen dieser Individuen bilden eine Aus¬
nahme, die Regel ist Unheilbarkeit und sie bilden eine ständige Gefahr für die Gesellschaft. Das
Gros der Armee der unheilbaren Alkoholiker bilden jedoch die hereditär Belasteten, die sogenannten
konstitutionellen Psychopathen und unter ihnen vorzugsweise diejenigen, die mit einein kongenitalen
Defekt ihres Moralsinnes (moralischer Idiotismus, ethischer Defekt) behaftet sind. Der Laie ist ge¬
neigt, die geistige Schwäche und ihren höheren Grad, den Idiotismus, für eine rein geistige Krank¬
heit anzuseheu. Das ist ein grosser Irrthum. Die kongenitale unzureichende Beschaffenheit des
Gehirns äussert sich ebenso oft in Defekten der Empfindung, des Willens und der Moralsphäre wie
in denen der Intelligenz. Im allgemeinen sind diese Defekte mit einander vergesellschaftet und kom¬
biniert, und bald hat das eine, bald das andere das Uebergewicht. Bei den moralischen Idioten
herrscht die völlige Trübung der Moralsphärc vor. Es ist klar, dass in einem solchen Falle eine
sehr starke Kompensation von Seiten der Intelligenz oder des Willens nothwendig ist, um die ein¬
mal angenommene Gewohnheit, zu trinken, wieder abzustreifen; allein derartige Individuen empfinden
weder Schande noch Gewissensbisse über ihre Handlungen, da sie nicht aufnahmefähig für der¬
artige Gefühle sind, die sie niemals besessen oder verstanden haben, und von denen sie sprechen
hören wie ein Blinder von den Farben. Und man begreift, dass der moralische Idiot leicht zum
Trinker werden muss und dass er, sobald er es ist, sehr gefährlich werden und noch viel weniger
wie ein anderer im Stande ist, in der Begehung sinnlicher Akte sich Zwang aufzuerlegen. Mehr
oder weniger fallen alle Formen der hereditären Psychopathien dem Alkoholismus anheim und ge¬
stalten ihre Heilung zu einer sehr schwierigen. Die eine von ihnen die Dipsomanie, besteht in
einer periodischen Neigung zu trinken und führt unfehlbar zum Alkoholismus, wenn das Individuum
nicht zur totalen Abstinenz gelangen kann Doch ist dieses letztere sehr selten. Lehrreiche Bei¬
spiele für alles dieses liefern die Statistiken des Asvles von Ellikon. 18% waren unter 68 in Ellikon
aufgenommenen Alkoholisten nur 30, deren Krankheit nicht durch psychische Anoiualieen kompliziert
war, 1897 unter 73 nur 44 etc. Unter den Alkoholikern der Irrenanstalten ist das Vcrhältniss von
Psychopathen und von konstitutionellen und chronischen Irren, also unheilbaren, noch grösser und
macht die Mehrzahl der Fälle aus. Im Gegensatz hierzu ist es geringer bei den Alkoholisten, welche
direkt übernommen und gepflegt werden von den freien Abstinenzvereinigungen.
Blickt man weiterhin auf die Gefängnisse und Korrektionsanstalten, so findet man unter den
Rubriken von Gelegenheits- oder Gewohnheitsverbrechern (Attentate gegen die Sittlichkeit etc.\ von
Prostituierten. Vagabunden, Bettlern, Verschwendern etc., eine Legion von chronischen Alkoholikern
aller Art, die man sehr oft völlig verkehrt behandelt. Forel scheidet nun von den verschieden¬
artigen Kategorieen der Alkoholiker, die je nach dem Grade und der Intensität der Erkrankung
Trinkerasylen oder Irrenanstalten überwiesen werden müssen, eine bestimmte Gruppe, die der ent¬
arteten und unheibaren Alkoholiker, gefährlichen Verbrecher oder Bösewichte aus, die in keine der
erwähnten Anstalten hineinpassen, sondern für die zum Schutze der Gesellschaft wie zur richtigen
Behandlung ihrer selbst eigene Asyle errichtet werden müssen. In diesen Asylen, die natürlich vor
allem das Prinzip der totalen Abstinenz durchzuführen haben, sollen diese psychopatiseh minder-
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Referate über Bücher and Aufsätze.
wcrthigen Individuen zur Arbeit und Ordnung angehalten und auf diesem Wege einer eventuellen
relativen Heilung, die viel aussichtsvoller ist wie auf jedem anderen Wege, entgegengeführt werden.
Forel befürwortet, wenn nöthig, eine Administration, Internierung solcher Kranken und giebt eine
detaillierte Beschreibung der Anlage, äusseren und inneren Einrichtung derartiger Asyle für un¬
heilbare Alkoholiker. J. Marcuse (Mannheim).
William Ewart, Eis oder Wärme in der lokalen Anwendung? The Laneet 1891). 8. April.
Der Verfasser bespricht die beiden einander entgegengesetzten Anwendungsmittel: Wärme
und Kälte bei schmerzhaften Erscheinungen von Rheumatismus Articulorum, Arthritis und anderen
Affektionen. Er selbst hat die Erfahrung gemacht, dass die Anwendung von Eis insbesondere von
Eisniassage in zahlreichen Fällen ein günstiges Resultat dann ergab, in denen alle Versuche, Wärme-
mittel anzuwenden, nicht nur fehlschlugen, sondern eher noch die Schmerzen vergrösserten. Die
Eismassage besteht in einem sanften Reiben der ausgesetzten Oberfläche mit einem glatten Stückchen
Eis und ist der von Esmarch empfohlenen Methode von fortgesetzter Anwendung von Eisbeuteln
vorzuziehen. Er kam auf diese Anwendungsweise bei einem Falle von akuter schmerzhafter rheuma¬
tischer Arthritis der Hüfte, bei welcher alle Medicinen, ferner Wärme und Ileissluftbäder nutzlos
waren und bei welcher die schliessliche Anwendung von heissen Sandbeuteln eher reizte, als die
Schmerzen verminderte. Hierauf führt er drei Fälle an, in welchen mit der Anwendung von Wärme
gar nichts, dagegen mit der sehliesslichen Anwendung von Eismassage sehr günstige Erfolge erzielt
wurden und zwar war die Wirkung eine sofortige. Er ist auch der Meinung, dass auch eine Ver¬
minderung der Schmerzen bei akutem Rheumatismus zu erzielen wäre, ebenso bei Neuralgie. Seit¬
dem Verfasser diesen Bericht lieferte, hatte er eine weitere Erfahrung für die günstige Anwendung
der Eismassage gemacht, nämlich bei den starken pleuritischen Schmerzen, welche man gewöhnlich
bei der akuten Pneumonie der Basis antrifft. Der Erfolg war ein vollständiger; allein in einem
Falle nicht dauernd, woraus er zu dem Schlüsse gelangt, dass die Häufigkeit der Anwendung nach
jedem einzelnen Falle beurtheilt werden muss. Emanuel Hirsch (Karlsbad).
J. Jefimow, Zur Entstehung des Skorbuts« Petersburger Dissertation.
Die Behandlung einer Krankheit kann nur dann mit Aussicht auf Erfolg unternommen und
die Prophylaxe zielbewusst durchgeführt werden, wenn die Ursache der Affektion uns bekannt und
die Pathogenese derselben klargestellt ist. Beides ist beim Skorbut noch nicht der Fall. Weder
kennen wir genau die ätiologischen Verhältnisse, noch sind die entscheidenden Momente in der
Entstehnngsweise dieser Krankheit genügend erforscht. Nur über einige prädisponierende Faktoren
sind wir mehr oder weniger unterrichtet, unter denen Anomalieen der Ernährungsweise, Mängel
der Nahrungsmittel selbst und ungünstige hygienische Verhältnisse die wichtigste Rolle spielen.
Das sehr häufige Auftreten des Skorbuts in endemischer und epidemischer Ausbreitung (wie z. B.
im Jahre 1898 in den von Missernte und Hungersnoth heiragesuchten südöstlichen Gouvernements
Russlands), die mehrfach behauptete Möglichkeit einer Uebertragung der Erkrankung durch Kontagion,
die nahe Verwandtschaft des Skorbuts mit dem multiformen exsudativen Erythem, welche von den
meisten Dermatologen zu den akuten Infektionskrankheiten zugerechnet wird, die Beziehung zu
dem akuten Gelenkrheumatismus mit einer manchmal auftretenden allgemeinen hämorrhagischen
Diathese, das fast regelmässige Erscheinen von Blutungen bei den septischen Erkrankungen: alle
diese Umstände drängen zu der Annahme, dass der Skorbut durch die Invasion von pathogenen
3Iikroben veranlasst werde, eine Infektionskrankheit sei. Jedoch alles Suchen der Anhänger der
Infektionstheorie des Skorbuts nach dem spezifischen organisierten Krankheitserreger ist bisher völlig
vergeblich gewesen. Auch die weissc Ziege, welche in den Korridoren und Gängen der chirurgischen
Universitätsklinik zu Dorpat zum Gaudium der Studenten und zum Aerger der Patienten prätentiös
umherspazierte und an welcher von Prof. Wilhelm Koch Impfversuche mit Skorbutbakterien
vorgenommen wurden, hat die sehr zahlreichen Gegner der Infektionstheorie nicht zu überzeugen
vermocht. Koch hält noch heute dagegen an der infektiösen Entstehung des Skorbuts und an der
Ansteckungsfähigkeit desselben fest (s. Wratsch 1899. No. 26).
Ein neues Licht auf die intimeren Beziehungen zwischen den hämorrhagischen Diathesen,
speziell dem Skorbut, und den septischen Erkrankungen werfen die Untersuchungen Jefimow’s.
Seine Arbeit zerfallt in zwei Thcile. Im ersten Abschnitt theilt der Autor die Resultate seiner
Nachforschungen nach den spezifischen Mikroben des Skorbuts mit. Diese Nachforschungen ergaben
nichts Positives: irgend eine beständige Bakterienart, die in jedem Falle hätte angetroffen werden
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können, wurde von ihm nicht aufgefunden. Bei 5 von 23 von ihm in dieser Richtung untersuchten
Skorbutkranken konnten im Blute und in den Organen verschiedenartige Pilze, sowohl saprophv-
tische als auch pathogene, nachgewiesen werden. Von vier Fällen, an denen die Methode von
Afanassiew zur Gewinnung von Infektionserregern angewandt wurde, fanden sich in drei ver¬
schiedene Kokken, in einem Falle — nichts. Der zweite Theil der Arbeit enthält die Versuche
des Verfassers an Thieren (Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten und Mäusen), welchen er Faulniss-
stoffe entweder in den Magen oder in die Respirationswege einführte. Diese Versuche ergaben,
dass eine fortgesetzte Einverleibung von Fäulnissprodukten in den Magen wie auch ein andauerndes
Verweilen der Thiere in einer fäulnissgeschwängerten Atmosphäre eine chronische putride Intoxikation
hervorruft; die dabei sich einstellenden pathologisch-anatomischen Veränderungen und einige Er¬
scheinungen intra vitam zeigen im allgemeinen ein Bild, das dem des Skorbuts ausserordentlich
ähnlich ist. So fand er an den Versuchsthieren Blutungen in die Haut, Hämorrhagieen in das
Unterhautzellgewcbe und in die Muskeln, Ekchymosen an den Schleim- und serösen Häuten, manch¬
mal auch in den parenchymatösen Organen, dann auch subperiostale Blutergüsse. Die inneren
Organe waren stets pathologisch verändert, die rothen Blutkörperchen hatten immer eine unregel¬
mässige Form, der Magensaft enthielt bei der Sektion keine Salzsäure. Ausgesprochene Ver¬
änderungen am Zahnfleisch konnte Verfasser bei seinen Experimenten nicht erzielen.
Nach Jefimow’s Meinung werden alle diese Krankheitserscheinungen durch die bei der
Fäulniss sich bildenden chemischen Zersetzungsprodukte bedingt, und auf Grund all dieser Ergeb¬
nisse neigt er zu der Ansicht, dass der Skorbut als eine chronische putride Intoxikation aufzufassen
sei, welche durch die Verdauungs- oder Athmungsorgane vermittelt werde. In fünf Fällen gelang
es dem Autor, aus dem Blut und aus den Organen der Versuchsthiere verschiedene Bakterien zu
züchten, welche anderen Thieren ins Blut gespritzt, bei diesen ebenfalls Hämorrhagieen hervor¬
riefen; denselben Effekt hatten aber auch die abgetöteten Kulturen dieser Mikroben, wenn sie ins
Blut injiziert wurden. Daraus glaubt Jefimow schliessen zu können, dass die Bakterien, die in
einem an putrider Intoxikation leidenden Körper geweilt haben, auch wenn sie selbst nicht Fäulniss-
erreger sind, anscheinend die Fähigkeit erwerben einen putriden (septischen) Giftstoff zu produzieren,
der, anderen Thieren ins Blut gebracht, Hämorrhagieen in verschiedenen Organen hervorruft.
Hierdurch erklärt auch Verfasser den Umstand, warum einige Forscher, welche die hetorogensten
Mikroben von Skorbutkranken gezüchtet hatten, bei der Inokulation der vermeintlichen Krankheits¬
erreger an den Versuchsthieren wirklich Blutungen in verschiedenen Organen beobachteten.
A. Dworetzky (Riga).
Robert L angeiidorff, lieber das Luftbad. Wiener niedieinisehe Wochenschrift 1900. No. 1,2,
Verfasser hat als Leiter eines Sanatoriums in über 200 Fällen das Luftbad angewandt und
berichtet in einer ausführlichen Arbeit über die Ergebnisse dieser physikalischen Behandlungs¬
methode. Während das kalte Vollbad, die gebräuchlichste hydriatische Prozedur, die dem Luftbad
am nächsten steht, eine kombinierte Reizwirkung auf die Körperoberfläche ausübt —- zu dem
thermischen Reiz kommt noch der mechanische Effekt hinzu, der durch den Wasserdruck auf den
Körper wirkt —, ist der Reiz, der beim Luftbad ein wirkt, ein rein thermischer und infolge Weg¬
falles einer jeden mechanischen Einwirkung ein viel milderer, als der durch Wasser applizierte.
Bei der weiteren Vergleichung der Einwirkung des Wassers und der Luft auf den Organismus
wird sich als wesentlich unterscheidend das verschiedene Wänneleitungsvermögen beider Medien
ergeben, das beim Wasser bedeutend grösser ist als bei der Luft. Bei gleicher Temperatur beider
Medien wird demzufolge das Wasser mehr wärmeentziehend wirken als die Luft. Diese geringe
Wärmeentziehung im Luftbade wird uns gestatten einen intensiveren thermischen Reiz in An¬
wendung zu bringen oder den gleichen thermischen Reiz längere Zeit hindurch zu applizieren, als
wenn man dies vermittelst des Wassers thut. Die im Luftbad dem Körper entzogene Wärme wird,
da die Körpertemperatur sich annähernd konstant verhält, wieder ersetzt durch eine Steigerung der
Stoffwechsel Vorgänge. Da man nun das Luftbad auf Stunden ausdehnen kann, so wird die an und
für sich wohl mässige Wärmeentziehung bei längerer Dauer einen bedeutenden Grad erreichen.
Der langsam und allmählich erfolgende Wärmeverlust aber ermöglicht es, dass das Bestreben des
Organismus, diesen Verlust wieder zu decken, erfüllt werden kann, da die Wärmebildung zufolge
der langsam erfolgenden Wärmeentziehung mit dieser Schritt zu halten vermag. Es wird also
die Stoffwechselsteigerung, ausgedehnt auf die ganze Dauer des Luftbades, in ihrer Summe eine
bedeutende sein, wie mau sie durch eine, in ihrer Zeit kurz begrenzte Wasseranwendung nicht
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erreichen kann, da bei letzterer sowohl die durch den direkten Kältereiz hervorgerufene, auf ge¬
steigerte Muskelaktion zurückzuführende primäre Stoffwechselbeschleunigung, als auch die im Ver¬
laufe der Reaktion sich einstellende sekundäre Stoffwechselbeschleunigung von begrenzter Dauer
ist. Das Luftbad übt also mithin eine intensive stoffwechselanregende Wirkung aus, zu der dann
weiterhin noch eine die respiratorische, sc- und exkretorische Funktion der Haut beeinflussende
kommt Verfasser resümiert seine physiologischen Argumentationen über das Luftbad dahin, dass
dasselbe eine Methode darstellt, vermittelst welcher man einen grossen thermisrhen Reiz unter
minimaler mechanischer Erregung und bei verhältnissmässig geringer Wärmeentziehung applizieren,
die Stoffwechsel Vorgänge intensiv steigern und die so wichtige Hautthätigkeit mächtig fördern kann.
Auf der Basis dieser besonderen Wirkungsweise des Luftbades ergeben sich die allgemeinen
Indikationen für seine Anwendung, nämlich jene Erkrankungsformen, die einerseits zufolge
ihrer Natur ein anregendes, tonisierendes Verfahren erheischen, die aber andrerseits zufolge der sic
begleitenden gesteigerten Nervenerregbarkeit eine jede stärkere mechanische Erregung verbieten oder
zufolge der mit ihnen verbundenen schlechten Reaktionsverhältnisse eine jede grössere Wärme¬
entziehung schlecht vertragen. In die erste Kategorie dieser Erkrankungsformen gehören die hoch¬
gradig neurasthenischen, in die zweite die anämisch-chlorotischen Zustände. Bei den so häufig vor¬
kommenden Erschöpfungsneurasthenieen, denen gegenüber die hydrotherapeutischen Prozeduren ver¬
sagen, w’erden unter rationeller Luftbehandlung vorzügliche Erfolge erreicht, ebenso wie bei den
anämisch-chlorotischen Zuständen, bei deren Behandlung es nach Winternitz »als allgemeines
Prinzip gilt, dass der thermische und mechanische Nervenreiz ein zur Reizempfänglichkeit nicht zu
mächtiger und doch genügend intensiver, und dass die absolute Grösse der Wärmeentziehung eine
verhältnissmässig geringe sei«. Diese Bedingungen erfüllt keine hydriatische Prozedur in dem
Maasse wie das Luftbad Dasselbe gilt bei der Behandlung sekundärer Anämicen, mögen sie nach
fieberhaften Krankheiten zurückgeblieben sein oder im Verlauf einer chronischen Erkrankung als
Folge der herabgesetzten Ernährung sich entwickelt habet), überhaupt aller Fälle, die zufolge ihrer
Konstitution und ihres Ernährungszustandes ein mildes tonisierendes Verfahren erheischen. Ferner
wird das Luftbad überall dort indiziert sein, wo man direkt die Stoffwechsel Vorgänge zu steigern
beabsichtigt, also vornehmlich bei allen jenen Affektionen, als deren kausales Moment die Forschungen
der letzten Jahre eine Retardierung des Stoffwechsels, eine Herabsetzung der intraorganen Oxydation
ergeben haben. Die verbreitetsten dieser Affektionen bilden die gichtischen und chronisch-rheuma¬
tischen Zustände; auch bei ihnen ergiebt die Anwendung des Luftbades vorzügliche Resultate.
Man erhält aber durch das Luftbad zugleich noch eine weitere Forderung, nämlich die der Ab¬
härtung des Körpers, der ja bei Gichtikem und Rheumatikern gegen Temperatureinflüsse besonders
empfindlich ist Auch in Fällen von Erkrankungen der Haut, soweit sie namentlich mit Störungen
ihrer Cirkulation, weiterhin mit Störungen ihrer se- und exkretorischen Funktion einhergehen, so
z. B. bei chronischem universellem Ekzem, Furunkulose etc. lassen sich ausserordentlich günstige
Erfolge erzielen. Kontraindiziert ist die Anwendung von Luftbädern bei hochgradigen Schwäche¬
zuständen, bei vorgeschrittenen Fällen von Insufficienz des Herzmuskels — kompensierte Klappen¬
fehler und atheromatöse Prozesse hingegen bilden keine Kontraindikation —, unangebracht bei
allen Fieberzuständen, bei denen hydrotherapeutische Maassnahmen rascher zum Ziele führen.
Was endlich die An wendungs weise des Luftbades betrifft, so muss die Luft in demselben
möglichst ideal beschaffen, d. h. reich an Sauerstoff, frei von grösseren Beimengungen von Kohlen¬
säure, frei von pathogenen Mikroorganismen und eines gewissen Ozongehaltes nicht entbehrend
sein. Man wird also Luftbäder weder in geschlossenen Wohnräumen, noch in der Nähe grosser
Städte, sondern fern von den Centren, auf dem freien Lande, in staubfreier, waldreicher Luft zur
Anwendung bringen. Die Luft darf fernerhin ein gewisses Temperaturmaximum nicht übersteigen,
beruht ja das wirksame Prinzip des Luftbades auf der durch dasselbe vermittelten Kälteeinwirkung.
Man beginnt damit in der milderen Jahreszeit in den ersten Morgen- resp. Vormittagsstunden.
Fasst man die positiven Erfordernisse zusammen, die die Eigenschaft einer Oertlichkeit für eine
Luftbadstation bestimmen, so sind dies folgende: mittlere Lage in .einer Höhe von 400—500 Meter
in rauch- und staubfreier Gegend, geschützt vor stärkeren Windströmungen, frei von reichlicheren
Niederschlägen, das Luftbadterrain selbst wird mit schützenden Pallisaden, Zäunen oder Scgcltuch-
wänden umgeben. Innerhalb dieses Raumes befindet sich eine Ankleidungshütte, der Boden des
Platzes ist mit einem niedrigen Rasen bedeckt, an der Aussenseite im Schatten befindet sich ein
Thermometer. Bei schwächlichen, anämischen Individuen beginnt man die Kur bei einer Minimal-
teinperatur von 14 —16° R, bei kräftigen, gut genährten von 11 —12° R; im allgemeinen werden die
Morgenstunden von 5—9 Uhr gewählt, doch ist dies von Jahreszeit und Witterung abhängig. Die
Dauer des ersten Luftbades beträgt bei schwächeren Patienten 10—20 Minuten, allmählich wird
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sie gesteigert, bis sie nach 10—12 Tagen eine Stunde betägt Von da an wird, indem auch
weiterhin die Dauer des Luftbades allmählich verlängert wird, seine Temperatur herabgesetzt und
zwar jeden fünften bis achten Tag um 1 ®, was dadurch erzielt wird, dass man die Patienten ent¬
sprechend früher ins Luftbad gehen lässt. Minimaltemperatur bei schwächlichen Individuen im
allgemeinen 120 , bei kräftigen 8 «, Maximaldauer bei ersteren 2 , bei letzteren 3, höchstens 4 Stunden.
Etwa entstehendes Kältegefühl oder Frösteln wird durch trockene Abreibungen bekämpft. Während
der Dauer desselben werden Muskelbewegungen ausgeführt — Freiübungen, Spiele etc. —; des¬
gleichen muss nach Beendigung für eine vollständige Wiedererwärmung Sorge getragen werden.
J. Marcuse (Mannheim).
A. Win ekler, lieber Gasbäder und Gasinhalationeil aus Schwefel wässern. Archiv für
Balneotherapie und Hydrotherapie 1900. Bd. 2 . Heft 5.
Nach kurzer historischer Uebersicht der Versuche, die aus natürlichen Schwefel wässern ent¬
weichenden Gase medicinisch zu verwerthen, berichtet Verfasser über das Resultat der chemischen
Gasanalyse der aus dem natürlichen Neundorfer Schwefelwasser gewonnenen Inhalationsluft durch
den Chemiker York Schwartz in Hannover. Dieser fand ausser Schwefelwasserstoff in winziger
Menge ein bedeutendes Quantum von unterschwefliger Säure (H 2 S 2 O 3 ), ungefähr 2 g pro Kubik¬
meter Inhalationsluft. Die weitere »Zersetzung der unterschwefligen Säure spielt sich in höchst
komplizierter Weise ab und liefert andere Schwefel Verbindungen oder Zwischenprodukte, die infolge
der Zufuhr immer neuer Schwefelwasserraengen gleichzeitig nebeneinander in der Inhalatoriumsluft
vorhanden sein müssen.« Der Gehalt einer Schwefelquelle an Schwefel Wasserstoff ist insofern
von Bedeutung, als man beurtheilcn kann, in welchem Grade sie dazu geeignet ist, Gasinhalatorien
und Gasbäder zu alimentieren. Nenndorf nimmt in dieser Beziehung eine der ersten Stellen ein.
Vielfach hat inan versucht, die aus gasreichen Schwefelquellen spontan aufsteigenden Gase unmittel¬
bar an den Quellen selbst zu inhalieren, ohne irgend welche Vorrichtung. »Die Einrichtung ist
primitiv, aber nichtsdestoweniger wirksam.« An manchen Kurorten hat man warme und kalte
Schwefelinhalatorien nebeneinander eingerichtet, jedoch kommt man neuerdings von den warmen
wieder zurück, da Katarrhe besonders bei Phthisikern dadurch ungünstig beeinflusst wurden. Ver¬
fasser geht dann über zu der baineotechnischen Einrichtung einer Schwefelgas¬
inhalations- und Badeanstalt, und zwar an dem Beispiel des Nenndorf er Gasbadehauses, das
als eine Musteranstalt gelten darf. Die physiologischen Wirkungen bestehen vor allem in
Vertiefung der Athemzüge und Abnahme der Pulsfrequenz um 10—15 Schläge, ferner in vermehrter
flüssiger Absonderung der Nase und Luftröhre, manchmal auch in einem metallischen Geschmack
im Munde. Später stellt sich vermehrtes Wännegefühl der ganzen Haut, schliesslich Müdigkeit, Be¬
nommenheit des Kopfes, Schwindel, Schlaf, Betäubung ein. Vor allem ist also die »sedicrende«
Wirkung zu bemerken im Gegensatz zu denen des Schwefelwasserstoffs, die sich ganz anders dar¬
stellen. Bezüglich der therapeutischen Wirkungen hebt Verfasser mit einer gewissen Traurigkeit
hervor, wie wenig dieselben in Deutschland anerkannt werden im Gegensatz zu Frankreich. Dieselben
zeigen sich in hervorragendem Maasse bei den meisten Erkrankungen der Respirationsorgane, bei
einigen Ohrenleiden, bei den juckenden Hautkrankheiten und bei Sensibilitätsneurosen. An erste
Stelle unter den Indikationen stellt Verfasser das Asthma, sodann die Dyspnoe der Emphysematiker
und der Phthisiker. Ferner sind als Indikationen zu nennen: chronische Nasenkatarrhe aller Art, be¬
sonders bei Skrophulose und Gicht, bei chronischer Laryngitis, bei Mittelohrkatarrh. Das Zustande¬
kommen der Heilwirkungen erklärt sich Verfasser durch die eventuell anästhesierende Eigen¬
schaft der Gase, ferner durch die baktericide Fähigkeit der unterschwelligen Säure in statu nascendi.
Die Art der Ordination ist einfach: 15—40 Minuten lang wird ein Gasbad von ca. 20 « R ge¬
nommen; die Dauer einer Inhalationssitzung beträgt 15—60 Minuten. Kontraindikationen bilden
vorgeschrittene Lungentuberkulose, Neigung zu aktiven Blutungen, schwere Kreislaufstörungen,
entzündliche Augenaffektionen und jedes Fieber. Dctermann (St. Blasien).
Koeppe, Die physikalisch - chemische Analyse des Liebensteiner Stahlwassers. Archiv für
Balneotherapie und Hydrotherapie 1900. Bd. 2 . Heft 4.
Verfasser hat an der Quelle selbst und unter kontrollierender chemischer Analyse desselben
Wassers durch Dr. Beyer (Wetzlar) die physikalisch - chemische Untersuchung des Liebensteiner
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Stahl wassere gemacht Nach Mittheilung der Untersuch ungsrcsultate äussert sich Verfasser folgender-
maassen über dieselben: Aus dieser physikalisch - chemischen Analyse, d. i der Kombination der
Gefrierpunkts- und Leistungsfäh igkcitsbcstimmungcn erfahren wir über die molekulare Zusammen¬
setzung des Licbensteincr Stahlwasscrs folgendes:
1 . Ein Liter Liebensteiner Stahlwasser enthält insgesammt 0,10648 Molen;
2 . Die freie Kohlensäure allein bedingt eine Gefrierpunktsdepression von 0,102° 0, daraus
berechnet sich der Gehalt des Mineralwassers auf 0,0f>f>135 Molen C0 2 oder
2,426 g C0 2 ;
:k Die freie Kohlensäure ist in Form neutraler Moleküle im Wasser vorhanden;
4. Die 0,0f» 135 übrigen Molen sind nicht alle in Jonenform, sondern zum Theil in
neutraler Form in dem Eisenwasser;
ö. Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass das Eisen sich i n Form neutraler
Moleküle in dem Wasser sich befindet;
6 . In Form von Jonen sind höchstens 0,04 Molen anzunehmen.
Der Vergleich der physikalisch - chemischen Analyse mit der chemischen ergiebt in Bezug auf den
Kohlensauregehalt des frischen Wassers eine ziemlich genaue Uebereinstimmung; auch die Untersuchung
des abgekochten resp. abgestandenen Wassere ergab befriedigende Uebereinstimmung. Jedoch fand
der Verfasser aus der Gefrierpunktserniedrigung des Liebensteiner Stahlwassers einen höheren Ge¬
halt von Molen, als ihn die chemische Analyse ergab. In dem Stahlwasser sind noch Stoffe vor¬
handen, welche durch die chemische Analyse nicht bestimmt wurden und welche wahrscheinlich
organischer Natur sind. Es beweist also dies Resultat, dass die physikalisch - chemische Analyse
nicht nur eine nothwendige Ergänzung ist, sondern auch eine scharfe Kontrolle der chemischen
Analyse, ferner ist es geeignet, zu beweisen, dass ein künstliches Mineralwasser nicht identisch mit
dem natürlichen sein kann; sodann macht es auf die Möglichkeit aufmerksam, dass gerade diese
unbekannten Stoffe die therapeutische Wirksamkeit der Quelle bedingen, endlich macht es wahr¬
scheinlich, dass in der Liebensteiner Quelle das Eisen theilweise in organischer Verbindung vor¬
handen ist Determann (St. Blasien).
Rndolf Hatschek, Eine einfache Methode filr Kohlensäureapplikationen. Wiener klinische
Rundschau 1900. No. 4.
Während zur Herstellung von künstlichen kohlensäurehaltigen Bädern die verschiedensten
Methoden angegeben sind, empfiehlt Hatschek stau dessen die einfach herzustellenden Kohlen¬
säureabreibungen, die in der Weise gemacht werden, dass man den Patienten zuerst mit einem
60 g des Salzes enthaltenden Brei von Natron bicarbonieum rasch einreibt und dann sofort ihn mit
neuem in einer P/ 4 % Salzsäure- oder einer 2V* u ,o Weiusäurelösung getauchten Tuche umschlingt.
Es kommt dann sofort zu einer starken Kohlensäureentwicklung unmittelbar auf der Haut und, da
der Brei auch in die Poren eindringt, in der Haut. Die Wirkung der Kohlensäure äussert sich
vor allem in einer Gefässerschlaffung, die (nach anfänglicher Vasokonstriktion) viel rascher eintritt
als bei mechanischem und thermischem Reiz; daher ist die Kohlensäureapplikation namentlich
in den Fallen am Platze, wo eine »Gymnastik« d. h. prompte Reaktion der Vasodilatatoren der Haut
schwer zu erzielen ist und wo man die sonst dazu nöthigen starken mechanischen oder thermischen
Reize vermeiden möchte, also bei schwächlichen anämischen Individuen.
Laqueur (Berlin).
H. 8. Frenkel, Die Behandlung der tabischen Ataxie mit Hülfe der Uebnng. Kompensatorische
Uebungstherapie, ihre Grundlagen und Technik« Leipzig 1900. Verlag von F. C. W. Vogel.
Der Schweizer Arzt Dr. Frenkel, welchem das Verdienst zukommt, als erster die kompen¬
satorische Uebungstherapie zu einem wirklich rationellen therapeutischen System ausgebaut zu haben
hat in der vorliegenden Monographie alle die Erfahrungen niedergclegt, welche er während der
10 Jahre, in welchen er sich fortgesetzt mit dieser physikalischen Behandlungsmethode beschäftigt
hat, bei einer grossen Anzahl von Kranken sowohl in seinem Kurhause Freihof in Heiden als auch
in der Salpötriere sammeln konnte. Er hat sich in diesem Werke nicht allein darauf beschränkt, nur die
praktischen Gesichtspunkte der Uebungstherapie zu erörtern, sondern er hat zunächst einen theoretischen
Theil vorausgeschickt. In demselben erörtert er kurz die Geschichte der Uebungstherapie. er bespricht
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Referate über Bücher und Aufsätze.
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dann die Formen der tabischen Ataxie und setzt das Wesen der Koordination auseinander. Drei
Faktoren produzieren seiner Ansicht nach die Koordination der Bewegungen: 1. die Art der Muskel-
gruppen, 2. die dynamometrisch messbare Kontraktionsgrosse, und 3. die Schnelligkeit der Winkel¬
bewegungen, welche letztere von der Schnelligkeit des Ablaufs der Kontraktion abhängt In einem
grösseren Kapitel bespricht Frenkel dann, in welcher Weise die genannten Faktoren ineinander-
wirken, um die Koordination der Bewegungen herbeizuführen. Im Anschluss an diese Erörterungen
versucht er eine Definition der tabischen Ataxie zu geben; er lehnt sich hierbei vielfach an die
Hering’sehen Versuche und Theorieen, weistim allgemeinen die sogenannte motorische Theorie der
Ataxie zurück und acceptiert vielmehr die von Leyden-Goldscheid er’sehe Theorie der sen¬
sorischen Ataxie.
In einem umfangreichen Kapitel beschäftigt sich der Autor mit der Untersuchung der Sensi¬
bilität und kommt dabei'zu dem Resultat, dass »die Behauptung, Ataxie der Tabiker komme ohne
jede Sensibilitätsstörung vor, nur auf dem Boden fehlerhafter Untersuchungen erwachsen sein kann«.
Auch der Prüfung der Ataxie widmet er einen grösseren Abschnitt, desgleichen dem wichtigen
Symptome der Hypotonie der Muskulatur bei Tabikern. Wie schon früher, betont er auch in diesem
Kapitel, dass die Hypotonie an sich nichts mit den Sensibilitätsstörungen der Tabiker zu thun hat,
sondern dass das charakteristische Merkmal dieses Phänomens in der Verminderung oder dem Wegfall
von Hemmungen für gewisse Bewegungen besteht Durch eine grosse Reihe von Illustrationen
schildert er das Bestehen der Hypotonie für die verschiedensten Gelenke der Tabiker. Praktisch
wichtig ist dies Symptom vor allem deshalb, weil es die schon seit langer Zeit bekannten zum
Theil schweren fehlerhaften Körperstellungen des Tabikers herbeiführt.
ln dem ausführlicheren zweiten, speziellen Theil seines Werkes bespricht Frenkel dann zu¬
nächst die Uebungen als solche, sowie besonders als Kompensationsmittel der Koordinationsstörungen
und setzt, wieder unter Beifügung zahlreicher Illustrationen, die Mechanik der Körperbewegungen der
Tabiker im Gegensatz zu der der Gesunden auseinander. Nachdem er dann die Vorbedingungen uud
eine Reihe allgemeiner Punkte besprochen hat, geht er auf die spezielle Schilderung der Uebungen über.
Bezüglich der Uebungen der unteren Extremitäten unterscheidet er vierKategorieen: 1. solche, welche
im Liegen» d. h. ohne Intervention, Schwere und Balancierung des Oberkörpers vorgenommen werden,
2. solche, welche ira Sitzen, 3. solche, welche im Stehen mit Balancierung des Oberkörpers aus¬
geführt werden, 4. solche, welche zur Lokomotion des ganzen Körpers im Raume ausgeführt werden.
Von diesen Uebungen zählt der Autor dem Leser eine grosse Reihe auf und erläutert sie theils
durch Bemerkungen, theils durch Illustrationen. Die Uebungen im Liegen zieht er denen in sitzen¬
der Stellung vor und verwirft im allgemeinen sämmtliche Apparate für die Durchführung der
Uebungstherapie bei der Behandlung der Tabiker.
So werthvoll die Anweisungen, welche Frenkel bezüglich der Durchführung der Uebungs¬
therapie giebt, auch sind, so kann andrerseits dem Autor der Vorwurf nicht erspart werden,
dass er in der Kritik der von anderen Autoren, namentlich von Gold sc hei der, v. Leyden
und dem Referenten für die Uebungstherapie angegebenen Vorrichtungen und Apparate das
Maass der üblichen Kritik entschieden überschreitet, ein Punkt, auf den wir hier bei der
objektiven Besprechung, welcher wir uns in dem Referate befleissigen, nicht näher eingehen
können; es soll dies an anderer Stelle geschehen. Nur. eine prinzipielle Bemerkung sei dem
Referenten bezüglich der Frenkel*sehen Methode gestattet; diese betrifft die Einübung der Geh¬
bewegungen. Frenkel legt auf die Unterstützung seitens der Arme bei der Einübung der Geh¬
bewegungen gar keinen Werth. Nur für die Fälle schwerster Ataxie hat er einen besonderen
Gürtel angegeben, welcher um den Rumpf des Tabikers gelegt und von zwei Wärtern gefasst
werden muss, damit der Kranke nicht hinstürzt: Unseres Erachtens nach ist diese Methode viel
umständlicher und kommt den natürlichen Verhältnissen viel weniger nahe, als wenn der Kranke
in passenden Gchstühlen, Barren, eventuell auf Stöcke sich selbst stützt. Auch in den Fällen von
nur massiger Ataxie, in denen es für die Patienten ganz unmöglich ist, ohne Unterstützung seitens
der Arme zu gehen oder Gehübungen in richtiger Körperstellung vorzunehmen, legen wir auf die
richtige Verwerthung dieses so wichtigen Momentes einen ganz besonderen Werth. Es ist aus den
Schilderungen Frenkel’s nicht recht ersichtlich, in welcher Weise er die Fälle massiger Ataxie,
welche hauptsächlich die Behandlung des Arztes aufsuchen, die von ihm angegebenen zum Theil
schwierigen Uebungen: wie Gang mit gebeugten Knieen, Zick-Zack-Gehen, Gehen auf der schmalen
Linie, Gehen auf dem Bodenkreuz etc. ohne jede Unterstützung der Arme ausführen lässt. Die
gemeinsamen Uebungen, welche Frenkel empfiehlt, werden wir an anderer Stelle als ungeeignet
kritisieren.
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Referate Über Bücher und Aufsätze.
161
In dem letzten Abschnitt seiner Monographie bespricht Frenkel die Behandlung der Ataxie
der oberen Extremitäten, die der Ataxie des Rumpfes und die der Hypotonie.
Alles in allem stellt die Monographie eine gute Anleitung zur UebungsbehandJung für die
Aerzte dar, welche die von Frenkel für seine Art der Uebungstherapie eingeführten Prinzipien
kennen lernen wollen. Zu bedauern ist nur, dass Frenkel — entgegen dem Vorwurf, den er
anderen Autoren macht — selbst keine Krankengeschichten zur Illustration der von ihm geschil-
derten Uebungen in dem Werke veröffentlicht hat. Paul Jacob (Berlin).
S. Kornfeld, Ueber den Einfluss physischer und psychischer Arbeit auf den Blutdruck.
Wiener medicinische Blätter 1899. No. 30, 31, 32.
Kornfeld schickt die Kautelen voraus, unter denen er mit dem Base huschen Sphygmo¬
manometer arbeitete; er nahm die Messungen so vor, dass er den Radialpuls möglichst peripher am
Capitulum radii aufsuchte und mit dem Finger einen derartigen Druck ausübte, dass er nur die
an die Fingerkuppe vom Vorderarme her anstossende Welle deutlich vernahm, unter dem Finger
selbst jedoch keinen Puls verspürte. Damit war eine Täuschung durch den vom Daumenballen her
rückläufig verlaufenden Puls ausgeschlossen. Dann setzte er unmittelbar vor den komprimierenden
Finger die Pelotte des Sphygmomanometers auf, und ging nach erfolgter Kompression so weit mit
dem Drucke auf die Arterie herab, dass er den Puls genau ebenso voll und ebenso gross wie vor
dem Aufsetzen der Pelotte fühlen konnte. Damit vennied er die Täuschung, der Bestimmung der
Blutdruckhöhe etwa lediglich die Gipfel der Pulskurven zu Grunde zu legen, um so statt des mitt¬
leren Druckes die dem Schlüsse jeder Kammersystole entsprechenden Maxima des arteriellen Blut¬
druckes zu messen. Kontrollvcrsuche mit dem Basch'sehen Manometersphygmographen, bei dom die
Pulskurven um so deutlicher erscheinen, je mehr die Belastung der auf der Arterie aufgesetzten
Pelotte dem thatsächlich bestehenden Blutdrucke entspricht, ergaben, dass die von Kornfeld auf
angegebene Weise gefundenen Druckwerthe dem bestehenden Blutdrucke ziemlich genau entsprechen,
ebenso übereinstimmend waren die gefundenen Werthe mit denen nach der Methode von Gärtner
zur Kontrolle aufgenommenen.
Bei jeder Arbeit wurde während derselben, sowie sogleich nach deren Beendigung ein zu¬
meist beträchtliches Ansteigen des Blutdruckes gefunden, dem in der Regel nach kurzer Zeit ein
Absinken folgte, was in vielen Fällen unter den Anfangsdruck herabging. Beispielsweise war bei
einem 19 Jahre alten kräftigen Manne der Blutdruck 100 mm, nach fünfmaligem Erheben des Ober¬
armes ging er auf 110 mm; wenn er ein Gewicht von 2 1 / 2 kg ©twa eine halbe Minute in die Höhe
stemmte, stieg der Druck auf 130 mm und bei der Wiederholung nach einer kurzen Pause, in der
der Druck auf 110 mm zurückging, stieg er sogar auf 138 mm. Bei einem anderen Manne wurde
der Blutdruck durch Lastheben von 110 mm auf 190 und 195 mm gesteigert. Drei Minuten Ruhe
genügten, um den Druck zur Anfangshöhe zurückzubringen. Pulsfrequenz stieg dabei von 78 auf
84 und 90. Die Versuche, durch stärkere Arbeitsleistung den Blutdruck eventuell noch höher zu
steigern, scheiterten an dem damit verbundenen Schweissausbruche, ein Moment, das bedeutend
blutdruckerniedrigend wirkt und weiteres Ansteigen nicht aufkommen lässt. Analog wirken Thränen-
sekretion und Lachen blutdruckerniedrigend. Für das Zustandekommen von Blutdrucksteigerung
durch Muskelarbeit scheint die Reizung der sensibeln Muskelfasern, die offenbar mit der Energie
der geleisteten Muskelarbeit parallel geht, eine grosse Rolle mitzuspielen
Es werden nun noch eine Anzahl Fälle mitgetheilt, in denen die Arbeit auf die verschiedenste
Art, durch Steigen, Handarbeit, Uebung im medico-mechanischen Institute geleistet wurde. Bei allen
stieg der Druck erst schnell, dann in langsamerem Tempo an, und hielt sich dann, so lange die
Arbeit dauerte, etwa auf derselben Höhe Nach Beendigung der Arbeit erfolgt der Abfall rasch
und kann schon nach zwei Minuten die Anfangshöhe erreicht haben. Keineswegs ist bei verschiedenen
Personen die Drucksteigerung dem Maasse der geleisteten Arbeit parallel, selbst bei demselben
Individuum ist bei gleich grosser mechanischer Arbeitsleistung die Drucksteigerung unter ver¬
schiedenen Bedingungen verschieden, im allgemeinen ist der Druckanstieg bei Arbeitsleistung um
so höher, je grösser der Ausgangsdruck war. Die Höhe des Anstieges selbst kann als Maass der
subjektiven Anstrengung gelten. Geringes Absinken des Blutdruckes nach der Arbeitsleistung bis
unter den Anfangsdruck fasst Kornfeld als den Ausdruck des Gefühles der Befriedigung auf, die
nach vollbrachter Arbeit cintritt Ist das Absinken weit tiefer als der Anfangsdruck, so handelt es
sich meist um einen von vornherein gesteigerten Anfangsdruck, der nach erfolgter Arbeit sich wieder
Zeitschr. f. diÄt. u. physik. Therapie Bd. V. Heft 2.
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162 Referate über Bücher und Aufsätze.
der Norm nähert; die Beobachtungen beziehen sich auf Fälle, in denen vor der Arbeit ein psychischer
Erregungszustand, ein Affekt mit Blutdruckvermehrung bestand, und in denen, nachdem rhythmische
Bewegungen ausgeführt waren, der Blutdruck zur Norm zurückging. Die Wirkung des Trionals,
nach dessen Gebrauch Blutdruckverrainderung eintritt, setzt Kornfeld theilweise auf diese Blut-
druckverminderung, die dadurch bedingt wird, dass Bewusstseinsinhalte, welche einen Affekt unter¬
halten, und dadurch den Blutdruck gesteigert halten, gewissermaassen latent werden und damit
Ursachen für Erhöhung des Blutdruckes verschwinden. Vielleicht lässt sich so auch die günstige
Wirkung von mechanischer und psychischer Arbeit bei Angstzuständen erklären, wo Blutdruck¬
verminderung mit Besserung der Zustände fast gleichbedeutend ist.
Aehnlich wie Muskelarbeit wirken in dieser Hinsicht auch Einflüsse auf sensible Nerven. Die
Herz’sche Erschütterungsmaschine bedingt bei Personen, die, unter einem krankhaft psychischen
Affekte stehend, vorher schon hohen Blutdruck hatten, Steigerung des Blutdruckes, der kurze Zeit
nach Eintritt der Ruhe unter den Anfangsdruck absinkt und meist Besserung des Befindens im Ge¬
folge hat Bei Gesunden bleibt nach Anwendung der Rückenerschütterungsmaschine der Druck ent¬
weder unverändert, oder er sinkt ab. Passive Muskelbewegung wirkt ähnlich wie aktive in Bezug
auf Ansteigen während der Bewegung und Absinkpn nach derselben. (Nur zu bedauern ist, dass
Kornfeld gerade, um die Wirkung der passiven Muskel bewegung zu studieren, sich des passiven
Athmungsapparates nach Dr. Herz bediente, und so seine Blutdruckbeobachtungen nicht ganz ein¬
wandsfrei allein auf passive Muskelarbeit zurückgeführt werden können. Referent) Wird Muskel¬
arbeit an Apparaten bis zur Ermüdung fortgesetzt, so ist der Druckabfall wesentlich verlangsamt;
auch nach häuslichen Arbeiten fiel der Druck sehr langsam ab; Reizzustände sensibler Nerven,
Muskelschmerz und dergleichen mehr können an diesem langsamen Zurückkehren zu normalen Druck¬
verhältnissen wohl die Ursache sein.
Als Uebergang von der physischen Arbeit auf die psychische, berichtet Kornfeld über Be¬
obachtungen, die bei verhältnissmässig geringer Muskelarbeit grössere Aufmerksamkeit beanspruchen.
Z. B. stieg bei einem jungen Manne, der eine Minute lang ruhig geht, der Blutdruck von 140 mm
auf 145 mm, dagegen stieg der Blutdruck bei demselben, wenn er eine Minute lang so ging, dass
er bei jedem Schritte genau die Ferse des einen Fusses vor die Spitze des anderen setzte, auf
158 mm. Versuche an den Herz'schen Selbsthemmungsapparaten, die ein Läutewerk in Bewegung
setzen, wenn die Bewegung nicht genau in Stärke und Geschwindigkeit nach Vorschrift ausgeführt
wird, zeigen, dass bei deren Benutzung der Blutdruck weit höher steigt, als wir bei Uebungen von
derselben Stärke, aber mit Ausschluss angestrengter Aufmerksamkeit, zu sehen gewohnt sind.
Um den Einfluss der psychischen Thätigkeit auf den Blutdruck zu bestimmen, benutzte Korn¬
feld zuerst den Vorgang des aufmerksamen Horchens und fand Drucksteigerungen von 110 auf
150 mm, von* denen die mit dem Horchen verbundene Muskelanstrengung unmöglich die Ursache sein
kann. Bei einem auf einem Ohr Schwerhörigen fand er, dass, wenn er mit dem schlechten Ohr auf¬
merksam horchte, der Blutdruck von 120 auf 165 mm anstieg, während beim Horchen mit dem
besseren Ohr, das weniger Konzentration der Aufmerksamkeit verlangt, der Blutdruck nur auf
150 mm anstieg. — Bei einem erwachenden Knaben war der Blutdruck 75 mm, als Geräusche aus
dem Nebenzimmer die Aufmerksamkeit des Knaben in Anspruch nahmen, stieg der Druck auf
90 mm. Ohne dass eine Körperbewegung ausgeführt wurde, muss diese Drucksteigung nur auf die
dem Sinnesreize zugewendete Aufmerksamkeit bezogen werden. Wie durch Aufhorchen der Druck
mehr gesteigert werden kann als durch einfaches Zuhören, geht aus dem Experimente hervor,
dass beim Vorlesen mit leiser Stimme bei Zuhörenden der Druck von 135 mm auf 190 mm stieg,
während bei lauter Stimme der Druck nur von 135 auf 160 mm anstieg Dieselben Drucksteigerungen
fand man bei Beschäftigung mit mathematischen Formeln und dergleichen. Für die Grosse der
Drucksteigerung ist der Anfangsdruck in erster Linie maassgebend; während eine bestimmte geistige
Funktion bei normalem Anfangsdruck eine bestimmte Drucksteigung bedingt, ist diese Drucksteigung
wesentlich grösser, wenn durch Affekt der Anfangsdruck schon erhöht war. Im allgemeinen ist
die Grösse der Drucksteigung der geleisteten psychischen Arbeit proportional, kann aber infolge
von Uebung verkleinert werden, weil eben, wenn wir öfter dieselbe psychische Arbeit leisten, die¬
selbe später weniger Anstrengung verlangt als zu Anfang.
Wie durch mechanische Arbeit ein summierender Einfluss auf den Blutdruck ausgeübt w r erden
kann, so kann man auch durch fortgesetzt geistige Arbeit den Blutdruck noch weiter steigern; ja
die beiden blutdrucksteigende Momente, körperliche und geistige Arbeit, addieren sich, wie folgende
Beobachtung zeigt: Bei einem Manne stieg durch Lesen der Blutdruck von 150 mm auf 170 mm.
dann durch Heben einer Last auf 200 mm, durch unmittelbar anschliessendes Rechnen auf 214 mm
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Referate über Bücher und Aufsätze.
163
und weitere Fortsetzung des Rechnens bis 230 mm. — Nach Aufhören der geistigen Arbeit sinkt
der Blutdruck, besonders wenn er hoch gestiegen war, oder wenn er zu Beginn durch Affekt zu
hoch stand, oft unter den Anfangswerth. Um das der Steigerung folgende Absinken zu erklären,
muss man wohl an HemraungsVorrichtungen denken, die unter gewissen Bedingungen dem Reiz¬
zustande der Va 80 striktoren entgegentreten. Durch das Verhalten des Blutdruckes wird die Ansicht
bestärkt, dass begonnene oder in Ausführung begriffene Arbeit einerseits und vollendete Arbeit
andrerseits physiologisch gleichwerthig sind mit den Gefühlen der Spannung, Erwartung, des
Strebens, der Unlust überhaupt einerseits und deren Lösung, Befriedigung, Beruhigung, überhaupt
der Lust andrerseits. Wir werden den Blutdruck als den jeweiligen Ausdruck der augenblicklichen
Geaammtverfassung des ganzen Organismus auffassen dürfen, wie sie aus den gleichzeitigen Zuständen
aller Einzelorgane resultiert A. Frey (Baden-Baden).
Langowoy, Ueber den Einfluss der Körperlage auf die Frequenz der Herzkontraktionen.
Deutsches Archiv für klinische Medicin Bd. 68. Heft 3 und 4.
In der vorliegenden Arbeit behandelt der Verfasser den Einfluss der Körperlage auf die Frequenz
der Herzkontraktionen und fasst seine Ergebnisse folgendermaassen zusammen: Beim gesunden
Menschen beobachtet man stets beim Uebergang aus der horizontalen in die vertikale Lage eine Zu¬
nahme der Pulsfrequenz. Diese Zunahme resultiert einmal aus dem Einfluss derjenigen Muskelkontrak¬
tionen, die für die Erhaltung des Körpers in vertikaler Lage nothwendig sind, ferner aus dem Sinken
des intrakardialen und arteriellen Druckes, der auf die Herzganglien einwirkt, und endlich aus dem
Sinken des intrakaniellen Druckes, der eine Verminderung der Erregbarkeit der Hemmungscentren
in der Medulla oblongata veranlasst. Die besonders stark ausgesprochene Differenz der Pulsfrequenz,
die man bei Rekonvalescenten beobachtet, wird durch stärkere Schwankungen des arteriellen
Druckes hervorgerufen, welche wahrscheinlich von einer Abnahme des Tonus und der Kontraktilität
der kleinen Gefässe abhängen. An Kranken mit anatomischen Veränderungen des Herzens und der
Gefässapparate vollziehen sich die Schwankungen der Pulsfrequenz bei Veränderung der Körperlage
so lange nach den allgemeinen Gesetzen, bis die Herzganglien ihre normale Erregbarkeit einbüssen.
Es geschieht dies in der Regel dann, wenn sich Kompensationsstörungen einstellen; nur in äusserst
seltenen Fällen büssen die Herzganglien ihre Erregbarkeit noch vor dem Auftreten von Kompen-
sadonsstörungen ein, und ebenso selten kommt es vor, dass trotz gestörter Kompensation die Er¬
regbarkeit der Hcrzganglien eine normale bleibt. Im letzteren Fall ist das Fehlen einer Veränderung
in der Pulsfrequenz ein signum boni, im erstgenannten Fall aber ein signum mall ominis, das auf
das bald hereinbrechende Stadium der gestörten Kompensation hin weist. Frey h an (Berlin).
LasurRki, Ueber den Einfluss der Muskelbewegung auf die Blntzirkulation in der Schädel-
höhle. Hospitalzeitung von Botkin 1900. No. 29, 30.
Die Frage über die Wirkung der Muskelthätigkeit auf das Herz und die Blutbewegung über¬
haupt ist zur Zeit ziemlich eingehend erforscht; über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Hira-
gefässe besitzen wir dagegen nur recht mangelhafte und sich widersprechende Angaben. So kon¬
statierte Thurn starke Blutkongestionen zum Kopfe bei Soldaten nach grossen Märschen, Mosso
beobachtete dagegen bei Brieftauben, die einen Weg von 300 — 500 km gemacht hatten, eine auf¬
fällige Hirnanämie. Zur Lösung dieser unsicheren Ergebnisse unternahm Verfasser im Laboratorium
des Professors Bechterew Versuche an 30 Hunden. Es wurde die Blutzirkulation im Gehirn nach
folgenden vier Methoden untersucht und zwar sowohl im vollkommenen Ruhezustände des Versuchs¬
objektes, als auch während des Laufens (letzteres dauerte 2 — 12 Minuten) und nach demselben.
Dieser Turnus wurde jedesmal öfters wiederholt. Lasurski bediente sich:
1. der Methode von Hürthle, wobei nach Unterbindung aller Zweige der Aorta carotis bis
auf die Interna ihr zentrales und ihr peripherisches Ende mit Manometern verbunden werden, ersteres
zeigt den Druck im Aortensystem, letzteres im Wi 11 isi 9 sehen Bogen, d. h. in den Himgefässen.
Aus der Druckdifferenz beider und ihrem Verhältnisse zu einander wird über die Schnelligkeit der
Blutzirkulation und den Zustand der Hirngcfässe geurtlieilt Lasurski fand nun, dass der Druck
im Aortensystem sofort nach Beginn des Laufens steigt, nach einer Minute das Maximum erreicht,
auf dem er auch bis zum Aufhören des Laufversuches stehen bleibt, um dann allmählich zur Norm
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164 Referate über Bücher und Aufsätze.
wiederzukehren. Der Blutdruck im Willisi’sehen Kreise steigt auch für gewöhnlich; zu Beginn
des Laufens sinkt er jedoch häufig, und erst allmählich erreicht seine Kurve die frühere Höhe und
überschreitet selbst dieselbe. Der Vergleich der Differenzunterschiede lässt auf Beschleunigung der
Blutbewegung im Gehirn schliessen und auf Verminderung des Widerstandes in den Hirngefässen
Da sich ferner herausgestellt hat, dass der Blutdruck in den Himvenen ebenfalls zugenommen hat,
so ist man genöthigt, aus obigen Ergebnissen auf Erweiterung der Himgefässe zu schliessen;
2 . der Gärtner-Wagner’schen Methode, beruhend auf Blutdruckmessung in Arteria femoralis
und der Vena jugularis ext des Hundes, oder deren Kombination mit dem Hürthle’schen Ver¬
fahren. Beide steigen dabei beträchtlich;
3. der Bestimmung des intrakraniellen Druckes, wobei nur die Menge der Flüssigkeit im Ge¬
hirn, o^ne Kenntniss von ihrer Natur festgestellt werden kann;
4. das Donder'sche Verfahren, wobei man bekanntlich unmittelbar die Gefässe der Hirnrinde
durch die mit Glas bedeckte Trepanationsöffnung beobachten kann. Bei den Laufversuchen war
nun zu sehen, dass sich die Oberfläche der Hirnrinde deutlich röthete und die Gefässe manchmal
voller wurden.
Als Ergebniss aller Versuche stellt Verfasser fest, dass willkürliche Muskelarbeit in
der grossen Mehrzahl der Fälle von Erweiterung der Himgefässe und Blutandrang
zum Gehirn begleitet sind, was besonders zu Beginn des Bewegungsversuches, weniger bei
Schluss desselben zu konstatieren ist.
Was die Frage betrifft, wodurch obengenannte W echselbeziehung bedingt ist, so haben dies¬
bezügliche Versuche Lasurski’s dargethan, dass die gefundenen Veränderungen weder durch Ein¬
wirkung der bei Muskelarbeit entstandenen chemischen Produkte auf das Gefässzentrum, noch als
Folge der Athmungsbeschleunigung und Vertiefung entstehen konnten. Letzteres ergiebt sich aus
den Versuchen mit künstlicher Athmung mit oder ohne Durchschneidung des Nervus vagus.
Die Frage dagegen, ob und inwieweit die verstärkte Herzthätigkeit, der erhöhte Blutdruck
und die von den Muskeln ausgehenden zentripetalen Impulse auf die Himgefässerweiterung hin¬
wirken können, möchte Verfasser auf Grund seiner Versuche als noch nicht völlig entschieden auf¬
fassen. Im hohen Grade wahrscheinlich scheint ihm diese Rückwirkung jedoch zu sein. Ferner
kommt die aktive Thätigkeit des Gehirns, besonders der psychomotorischen Sphäre, in Betracht, da
dasselbe als bei willkürlicher Muskelarbeit mitthätiges Organ mit Blut reichlicher versehen wird.
Verfasser wies experimentell nach, dass zwischen der Einwirkung willkürlicher Muskelbewegung
und der durch elektrischen Reiz entstandenen Kontraktionen ein auf die Blutzirkulation im Gehirn
zu beobachtender Unterschied stets wahrzunehmen sei. Simon (Wiesbaden).
.T. Dogel, Der Einfluss der Musik und die Wirkung der Farben des Spektrums auf das
Nervensystem des Menschen nud der Thiere. Neurologitschesky Westnik 1899. Bd.6. Heftl.
A. Akopenko, Zur Chromotherapie der Geisteskrankheiten. Die Wirkung der farbigen
Lichtstrahlen auf die Schnelligkeit des Ablaufs der psychischen Prozesse. Wratsch 1899.
No. 35 und 36.
Professor J. Dogel beschäftigt sich schon seit langem mit der Frage von der Einwirkung
der Musik einerseits und des Lichtes von verschiedener Farbe andrerseits auf den menschlichen
und thierischen Organismus, und in letzter Zeit stellte er eine Reihe von Versuchen an-über die
Veränderungen der Blutzirkulation beim Menschen und bei Thieren unter dem Einflüsse der Musik.
Zu seinen Experimenten dienten ihm Personen von verschiedenem Alter und von verschiedener
Nationalität; die den Untersuchungen unterworfenen Thiere waren Kaninchen, Meerschweinchen,
Katzen und Hunde. Aus seinen Versuchen gelangte Autor zu der Ueberzeugung, dass die Musik
einen unzweifelhaften Einfluss auf die Blutzirkulation und die Athmung ausübt, wobei dieser Ein¬
fluss einerseits durch die Wirkung der musikalischen Töne auf die peripheren Endigungen des Hör¬
nerven, andrerseits durch die Wirkung der Komposition auf das Grosshirn bedingt wird. Die unter
dem Einfluss der Musik beobachteten Veränderungen der Herzthätigkeit, der Blutvertheilung iin
Organismus und des Athmungsrhytmus gestatten den Schluss, dass durch die Musik das Rücken¬
mark und die Medulla, und zwar die Zentren der Blutzirkulation und der Athmung, auf gewisse
Weise in ihren Funktionen altericrt werden. Die höheren Empfindungen dagegen, die sich beim
Menschen beim Anhören von Musik einstellen, lassen voraussetzen, dass auch das Gebiet des Gross-
hiras nicht ausserhalb ihrer Einflusssphäre bleibt. Nach des Verfassers Ansicht wirken die Musik
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Referate Über Bücher und Aufsätze. 165
im Sinne von verschiedenen Kombinationen der Töne, die Höhe des Tones, seine Stärke und sein
Timbre zweifellos auf dem Wege des Nervensystems auf die Blutzirkulation, die Athmung, die
Muskelkontraktionen, die Se- und Exkretion, wobei ihre Wirkung auf den Menschen im Zusammen¬
hang steht mit dessen Nationalität, Kulturstufe und Individualität. Professor Dogol ist fest über¬
zeugt, dass die Musik ein mächtiges Heilmittel darstellt, welches der gebildete Arzt mit Vortheil
bei der Behandlung einiger Nervenkrankheiten mit an wenden kann.
Eine andere Reihe von Versuchen, die von Professor Doge 1 in Gemeinschaft mit Dr.S. J egoro w
angestellt wurden, verfolgte den Zweck festzustellen, ob wirklich unter der Einwirkung der ver¬
schiedenen Farben des Spektrums auf dem Wege des Nervus opticus irgendwelche Veränderungen
im thierischen Organismus eintreten. Diese Experimente wurden hauptsächlich an Thieren (an
Insektenlarven, Fröschen, Vögeln, Kaninchen, Hunden und Katzen), aber auch an Menschen vor¬
genommen, wobei bestimmt wurden: a) die Veränderungen in der Pupillen weite; b) die Schwankungen
des Lumens der Retinagefässe; c) die Alterationen des Sehpigments und d) die allgemeine Blut¬
zirkulation, d. h. Blutdruck und Herzschlag. Die Resultate dieser Untersuchungen ergaben folgendes:
1 . Beim Uebergange von einer Farbe zur anderen erweitern sich die Pupillen im Anfang, später
aber verengern sie sich wieder, wobei der Grad der Verengerung verschieden ist in verschiedenen
Farben des Spektrums: bei rother, blauer und violetter Beleuchtung sind die Pupillen weiter als bei
gelber, orangefarbener und vorzüglich bei grüner; ausserdem ist die Weite der Pupille unvergleich¬
lich bedeutender bei den noch sichtbaren Randfarben des Spektrums als bei den sich in der Mitte
des Spektrums befindlichen Farben. 2. Die Blutgefässe des Augenhintergrundes ändern ihr Lumen
unter dem Einflüsse der verschiedenen Farben des Spektrums in verschiedener Weise: bei rothem
und blauem Licht erscheinen sie breiter als bei grünem; bei violetter Beleuchtung ist das Ophthal-
moskopieren und hiermit die Bestimmung des Retinagefässlumens erschwert. 3. Das Sehpigment
des im Laufe von 24—48 Stunden der Einwirkung des rothen Lichtes ausgesetzten Frosches wird
schneller modifiziert als dasjenige von Fröschen, die im Dunkeln gehalten wurden, und langsamer
verändert, als dasjenige von Fröschen, die im Tageslicht geweilt haben. 4. Eine Veränderung in
der Blutzirkulation beim Menschen und beim Hunde wurde besonders ausgeprägt beobachtet unter
der Einwirkung der Reizung des Auges durch grünes Licht
Auf Grund dieser Ergebnisse giebt Verfasser zu, dass die verschiedenen Farben des Spektrums
bei ihrer Einwirkung auf das Sehorgan des Menschen und der Thiere gewisse Veränderungen in
den Funktionen des Grosshims und im Blutumlauf hervorrufen und dass die Bestrebungen, die
Spektralfarben zu Heilzwecken auszunutzen (Chromotherapie), wohl verdienen, fortgesetzt zu werden.
In einer anderen Hinsicht, und zwar in ihrer Einwirkung auf die Dauer des Ablaufs der
psychischen Prozesse, untersuchte die farbigen Strahlen A. Akopenko im psychologischen
Laboratorium des Professors W. v. Bechterew in St. Petersburg. Die Schnelligkeit des Eintritts
der Reaktion wurde ausschliesslich für Gehörsreize festgestellt, wobei Akopenko zu seinen
psychometrischen Beobachtungen sich des Hipp’schen Chronotops und des Wundt’schen Fall¬
apparates bediente. Es wurde bestimmt die Schnelligkeit der einfachen Reaktion, der Reaktion
bei Wahlakten, bei Zahlenberechnungen und bei Associationsvorgängen. Alle möglichen Vorsichts¬
maassregeln wurden getroffen, um Fehlerquellen mit Erfolg auszuschHessen. Die umsichtig und
sorgfältig angestellten Experimente des Autors gestatten die Behauptung, dass die farbige Be¬
leuchtung des Raumes unstreitig und unbedingt auf die Schnelligkeit des Ablaufs der psychischen
Prozesse einwirkt, und dass dabei die verschiedenen Strahlen eine verschiedenartige Wirkung aus¬
üben, je nach ihrer Lage im Spektrum. Je mehr man sich den Wärmestrahlen des Spektrums
nähert, desto belebender und beschleunigender wirken die Farben. Auch die Stimmung unterliegt
ihrer Einwirkung, die zu untersuchende Person fühlt sich belebt, munter, aufgeweckt, empfindet
das Bedürfniss sich zu bewegen, zu handeln. Somatische Erscheinungen bleiben ebenfalls nicht
ausserhalb ihrer Einwirkungssphäre: so z. B. verschwand manchmal von derVersuchsperson empfundener
Kopfschmerz zum Schluss der Sitzung. Diese Angaben beziehen sich hauptsächlich also auf das
rothe Licht
Das gelbe Licht nimmt eine mittlere Stellung ein. Es wirkt in merklicher Weise weder auf
die Schnelligkeit der psychischen Reaktionen noch auf das Temperament ein und gleicht in dieser
Hinsicht dem Tageslicht.
Darauf folgt im Spektrum die grüne Farbe und hier fängt schon die zweite Hälfte des
Spektrums an, die Hälfte, die sich an die chemisch wirksamen Strahlen nähert. Bereits hier be¬
ginnt sich deutlich die hemmende, niederdrückende Wirkung dieser Strahlen bemerkbar zu machen,
deshalb wird auch das Verweilen in grün beleuchtetem Medium, obgleich die grüne Farbe anfäng-
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166 Referate über Bücher und Aufsätze.
lieh so angenehm für das Auge ist, späterhin unangenehm drückend. Unter dem Einfluss des
gleichmässigen, beruhigenden, grünen Lichtes werden die psychischen Prozesse verlangsamt; es tritt
geistige Ruhe ein, die Bewegungen werden gehemmt, die Aufregung legt sich.
Diese niederdrückende Wirkung wächst in der Richtung zum violetten Licht und erreicht in
letzterem ihren Höhepunkt. Die violette Farbe des umgebenden Mediums ist von ausserordentlich
starkem Einfluss sowohl auf den Ablauf der psychischen Prozesse wie auf das subjektive Befinden.
Ersterer wird verlangsamt, letzteres erleidet eine entschiedene Umstimmung. Die Gcinüthsverfassung
wird melancholisch, träumerisch; nach längerer Zeit stellen sich heftige Kopfschmerzen ein. Die
Vorgänge in der Psyche werden gehemmt und bedeutend verzögert, während die somatischen Er¬
scheinungen fast unerträglich werden.
Diese Eigenschaften der farbigen Strahlen und die Eigentümlichkeiten in der Wirkungs¬
weise der einzelnen Abschnitte des Spektrums können natürlich auch in der Therapie, besonders
in derjenigen der Geisteskrankheiten, mit Vorsicht und ohne Uebertreibung ausgenutzt werden, und
Akopenko berichtet am Schluss seiner Arbeit, dass er zu der praktischen Verwendung der von
ihm gefundenen Resultate in der psychiatrischen Abtheilung des Kiew’schcn Militärhospitals schreiten
wird, worüber er seinerzeit zu berichten verspricht A. Dworetzky (Riga).
L. Stembo, Ueber die schmerzbernhlgende Wirkung der Röntgenstrahlen. Therapie der
Gegenwart 1900. Heft 6 .
Dem Verfasser ist es wiederholt bei Anwendung der Röntgenstrahlen begegnet, dass die
Patienten, ohne darüber befragt zu sein, eine schmerzstillende Wirkung der Röntgensitzung angaben.
Dies veranla88tc ihn, systematische Versuche bei Neuralgieen anzustellen, indem er die schmerz¬
haften Partieen in einen Abstand von 20—50 cm (je nach der Empfindlichkeit) vdn der Anti¬
kathodenfläche brachte und etwa 3—10 Minuten bestrahlen Hess. Gewöhnlich genügten 3 Sitzungen,
die einen um den andern Tag ausgeführt wurden, um die Schmerzen zu beseitigen. Bisweilen
waren bis zu 10 Sitzungen nothwendig.
Von 28 Neuralgiefällen wurden 21 geheilt, 4 gebessert; nur 3 zeigten keinen Erfolg.
Dass bei diesen ausgezeichneten Erfolgen die Suggestion eine wesentliche Rolle spiele, hält
Verfasser deswegen für ausgeschlossen, weil bei Verwendung der Anodenstrahlen an Stelle der
X-Strahlen die schmerzstillende Wirkung jedesmal ausblieb. Er führt die Wirkung auf eine Reizung
der sensiblen Hautnerven durch die elektrische Ladung der umgebenden Luft zurück. Diese
Reizung führt auf dem Wege der Ableitung eine Funktionshemmung der tiefer gelegenen Nerven-
stämme und damit eine Beruhigung der neuralgischen Schmerzen herbei. Mann (Breslau).
E. Donmer und L.Ran^on, Traitement de la diarrhde chez les tubercnleux par la faradi-
sation abdominale. Le bulletin mödical 1900. No. 48.
Die Verfasser wollen mit Faradisation des Bauches bei den Diarrhoeen Tuberkulöser sehr
gute Erfolge erzielt haben. Sie benutzen dazu den Induktionsstrom der primären Spirale und
applizieren ihn labil vermittelst gut durchfeuchteter Elektroden auf die ganze Oberfläche des Abdomens
mit besonderer Berücksichtigung der Gegend des Kolons. Der Strom wird so stark genommen,
dass ausgiebige Kontraktionen der Bauchmuskeln auftreten. Zwei bis drei Sitzungen täglich von
je vier bis fünf Minuten Dauer. Die Besserung beginnt oft schon am ersten Tage und ist am vierten
oder fünften Tage meist vollkommen.
Eine beigefügte kurze Krankengeschichte giebt ein Beispiel dieser glänzenden Erfolge.
Mann (Breslau).
A.Scherbakowr, Die Mineralscblammbadeorte des europäischen Russland. XII. internationaler
medicinischer Kongress. Moskau 1897.
Der Verfasser giebt nach einer kurzen Einleitung, in welcher er die Bedeutung der minera¬
lischen Schlammbadekuren und das denselben in den letzten Jahren in Russland allgemein zugewen¬
dete Interesse hervorhebt, eine Uebersicht der Kurorte; dann schildert er den Ursprung des Schlam¬
mes, seine Zusammensetzung, sowie die therapeutischen Applikationen und Indikationen.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
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Der geographischen Lage nach können die Kurorte Russlands in vier Zonen eingetheilt werden.
Die erste, im Süden gelegene Zone, umfasst die vorwiegend schwefelhaltigen Schlammbade¬
orte des Kaukasus, welche ihrer Entfernung vom Zentrum und mangelhafter Organisation wegen
noch wenig bekannt sind: Saliany (vulkanischer Schlamm), Karakeitakh, Petrowsk (am Kaspischen
Meer), Guillar u. a. — Die zweite Zone, die wichtigste, das eigentliche Zentrum dieser Kuren
beginnt im SO. an den Ufern des Schwarzen und Asowsehen Meeres. Der Schlamm entstammt
hauptsächlich dem Salzsee. Einzelne Stationen haben bereits einen bedeutenden Ruf, besitzen
komfortabel eingerichtete Etablissements und werden stark frequentiert, z. B. Odessa, der grösste
Hafen des südlichen Russland, am Schwarzen Meer. Der Schlamm entstammt aus drei Salzseen
(limans): a) Hadji-Bey, b) Kouyalnik, c) Klein-Liebenthal. Auch Seebäder. Staatliche und Privat¬
anstalten. 15000 Kurgäste. Saki in der Krim, mehr als 800 Kurgäste in der Saison (mit den ver¬
schiedensten schweren Affektionen). Sebastopol in der Krim (Militärhafen), Balaclava (Oataplasmen),
Kertsch, zwischen dem Schwarzen und Asowsehen Meer (Privatanstalt von Dr. Philimowitsch),
lletzk, Gouv. Orenbourg (bedeutende Salzgruben), Slaviansk, Tambukan im N. des Kaukasus
(Thermen von Piatigorsk), letztere besitzen verschiedene Quellen: Essentouki (alkalische), Gelesno-
wodsk (Eisenquelle), Piatigorsk (Schwefelquelle).
Die dritte Zone befindet sich in Mittelrussland und unterscheidet sich von der ersten durch
niedrige Temperatur der Bäder (kalte Bäder). Der Schlamm ist schwefelhaltig. Sie enthält
folgende bemerkenswerthe Stationen: Lipctzk (eisenhaltiges Wasser), Staraia-Russa, Sergniewsk,
Kemmern (Livland) und in Russisch-Poleri: Busko, Solec, Nulentshow (eisenhaltiges Wasser) u. a.
Viel Mineralbäder gebraucht. Die vierte Zone am Baltischen Meer, welche den Schlamm haupt¬
sächlich aus dem genannten Meer bezieht, umfasst drei Stationen: Arensbourg (Livland), Hapsal
(Estland), Pernau (Livland). Die letzten Stationen und die südlichen an den Salzseen, in denen
hauptsächlich die Schlammkur angewendet wird, sind auch als Seebäder und klimatische Kurorte
zu nennen.
Nach vorstehender Uebersicht der sämmtlichen Kurorte geht der Verfasser zu der Beschrei¬
bung des eigentlichen Heilfaktors, d. h. des Schlammes. Wie gesagt, entstammt der Schlamm
in Russland hauptsächlich dem Salzsee (liman), Art im westlichen Europa wenig bekannt. Er stellt
eine weiche plastische schwarze Masse dar, von bitterem salzigen Geschmack, stark alkalischer
Reaktion, riecht nach H 2 S und NH 3 , nimmt begierig Sauerstoff der Luft auf. Spezifisches Gewicht
durchschnittlich 1,5. Nach Professor Verigo besteht er hauptsächlich aus einer mineralischen Basis:
Quarz, Thonerde und Muschelresten, verbunden durch den colloiden Hydrat des Schwefelwasserstoffs.
Er besteht also aus unorganischen und organischen - pflanzlichen Substanzen, sowie thicrischen Indi¬
viduen. Die Bildung kommt zu stände unter Abschlüssen des Sauerstoffs der Luft und unter Ein¬
fluss der Mikroben resp. des Ferments derselben, welches hauptsächlich dazu beiträgt, dass der
Schlamm von verschiedenen Orten, trotz verschiedener chemischer Zusammensetzung, ein ähnliches
Aussehen, Konsistenz und physische Eigenschaften besitzt. Der Schlamm von Odessa und Saki
enthält: Produkte der Eiweisshydratation, Ammoniak u. a, Fettsäuren und Salze derselben und Al¬
kalien, Schwefelwasserstoff und Jod. Ausser dem Salzseeschlamm giebt es noch andere Arten:
Meeres8chlamm (Balaclava), Schwefelhaltiger Schlamm (manche Orte des Kaukasus gleichen
Pystien Ungarn; Kemmern und Sergniewsk haben Aehnlichkeit mit St. Amand und Dux-Frankreich).
Torfschlamm 115,3 Fe 2 0 3 pro mille: Lipctzk - Franzensbad, Cicchocinek, besitzt irritative Eigen¬
schaften und wirkt desinficierend. Vulkanischer Schlamm: Kertsch, Taman und östlicher Theil
des Kaukasus.
Was die Applikationsmethoden anbetrifft, so sind dieselben sehr verschieden, von den pri¬
mitivsten (Friktionen) bis zu den vollendetsten. Beachtenswerth sind die Arten der Anwendung in
Saki (Krim) und Odessa. In Saki, der eigentlichen »Wiege« dieser Kuren in Russland, werden
Naturbäder, d h. Bäder im Freien verabreicht. Es wird folgendermaassen verfahren: Patient wird
auf eine ovale mit Schlamm bedeckte Plattform gelegt. Es wird für ein Bad ca. 196—262 kg frischen
Schlammes genommen, welcher an der Sonne eine ziemlich hohe Temperatur, in der oberen Schicht
38—42° R, erlangt. Der ganze Körper wird bedeckt ausser der cervicalen Gegend. Brust und Bauch¬
gegend weniger dicht belegt. Auf Stirn und Scheitel eine Süsswasserkompresse. Bei ungünstigem
Wetter werden die Naturbäder durch verdünnte Bäder (in der Anstalt selbst, 98,5—131 kg Schlamm)
bis zu einer gewissen Temperatur (31 — 34°) ersetzt. Dauer der Bäder 20 Minuten, Zahl 12, täglich
ein Bad, nach zwei Tagen 24 Stunden Pause. Nach der Schlammbäderkur Salzbäder (6 -7) mit
allmähliger Abnahme der Temperatur (31—26°) zwei Mal täglich, morgens und abends. Ausser
ganzen (kompletten) Bädern werden lokale (Cataplasmen) und Halbbäder verabreicht. Nach
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168 Referate über Bücher und Aufsätze.
dieser Methode wird auch in anderen Stationen der Krim (Moinak, Sebastopol), Manitch, Iletzk und
Kirgissteppen verfahren.
In Odessa werden fast nur verdünnte Bäder verschiedener Konzentration gebraucht: flüssige
08 kg, mittlere 147 kg und dichte 255 —294 kg, mittels Dampfes erhitzt, Temperatur 28 — 33°.
Aehnliche Bäder wie in Odessa werden in Iletzk und Tinaki bei Astrachan verabfolgt Flüssige
Bäder verschiedener Temperatur: Piatigorsk und Slawiansk (28—33«), Stolipino (29—300). Verdünnte
Bäder verschiedener Temperatur, Cataplasmen und Halbbäder werden auch in den Stationen der
dritten und vierten Zone verabreicht, wie z. B. in Solec (30—35«), Staraia-Russa (28—320), Ilapsal
(28o, jetzt 32«) u . a.
Die Wirkung der Schlammbäder hängt von der Konzentration und hauptsächlich der Tempe¬
ratur derselben ab und geschieht a) durch Wärme: Reiz auf die Haut und die peripherischen Nerven,
b) auf chemischem Wege: Absorption der flüchtigen Stoffe H 2 S, NH 2 , c) auf mechanischem Wege:
Druck und Reiben (pression et frottement), eine Art Massage, d) Elektricität: bei den Naturbädern,
e) direkte Wirkung des Lichtes (Sonnenstrahlen). Der physiologische Effekt der Schlammbäder
mit hoher Temperatur besteht in folgendem: Steigerung der Körpertemperatur (3,5o), Frequenz des
Pulses (82), gesteigerte Respiration (34), Abnahme des Körpergewichts (5 — 6,9 kg) und der Muskel¬
kraft. Erhöhung des Blutdruckes im Anfang mit allmähliger Abnahme; verminderte Sensibilität der
Haut (bei Naturbädern) und gesteigerte (bei verdünnten flüssigen Bädern), ähnlich verhält sich die
Schmerzempfindung; lokale Steigerung der Alkalescenz des Blutes und Acnderung der Zahl der
Leukocyten (das Blut nähert sich in seiner Zusammensetzung dem normalen). Schädliche Wirkung
auf die Nieren (Albumen).
Die Schlammbäder werden in vielen und verschiedenen Krankheiten mit Erfolg angewendet,
wobei man mit den geographischen Verhältnissen der einzelnen Kurorte resp. dem Klima rechhcn
muss. Im Süden Russlands werden Bäder mit hoher Temperatur appliziert: 1. bei rheuma¬
tischen Affektionen: Muskelrheumatismus, subakute und chronische Gelcnkaffektionen, 2. bei ver¬
schiedenen chronischen Erkrankungen der Gelenke (bursa und ligamenta), der Epiphysen, des
Periosts und der Knochen (tuberkulöse Prozesse), 3. Arthritis deformans, 4. Gicht (Arthritis),
5 . Skrophulose, 6. Syphilis, 7. Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane und vielen anderen.
Die wichtigsten Kontraindikationen sind: a) akute febrile und Entzündungsprozesse, b) schwere
Lungenerkrankungen, c) Nephritiden (parenchymatöse und interstitielle), d) maligne Tumoren,
c) frische Fälle von Syphilis, f) Fibrome des Uterus, g) Menstruation und Schwangerschaft (6 Monat),
h) Cachexie. Bäder mit mässiger Temperatur werden in Hapsal mit gutem Erfolge bei
rheumatischen Affektionen, allgemeiner Skrophulose, Rachitis und Anämie angewandt.
Im Hinblick auf die ganze Arbeit schliesst der Verfasser den Wunsch an, dass sein Versuch,
einen Einblick in die therapeutischen Verhältnisse der angeführten Bäder gegeben zu haben, dahin
führen werde, dass durch häufiges Erproben in den geeigneten Krankheitsfällen die ärztliche Wissen¬
schaft bereichert und dem Kranken selbst auf diese Weise Heilung verschafft werden könnte.
E. Rogowin (Petersburg).
Blätter für Volksgesundheitspflege 190L Heft 6—13.
In regelmässiger Aufeinanderfolge sind während der letzten Monate die weiteren Hefte der
Blätter für Volksgesundheitspflege erschienen. Ebenso wie die ersten fünf, enthalten auch die fol¬
genden Hefte eine Reihe kleiner, aber präziser Aufsätze aus den Gebieten der allgemeinen Hygiene
und zum Theil aus dem der Diätetik. Aus dem 6. Hefte nennen wir den Schluss des Aufsatzes
von Professor Eris mann (Zürich) über »Der Alkohol und die Jugend«. Der verdiente Autor legt
hier seine Ansichten darüber nieder, wie man bereits im Kindesalter dem Abusus spirituerum Vor¬
beugen kann.
Aus dem gleichen Hefte ist die Schilderung »temperierbarer Schnelldouchen von Koop« zu
erwähnen.
Das 7. Heft enthält den Schluss des Aufsatzes von Kürz »Ueber einfache Kost« Der Autor
giebt hier eine übersichtliche Zusammensetzung der wichtigsten Nahrungsmittel aus dem Thier- und
Pflanzenreich und einen rationellen Wochen-Speisezettel, wie er für eine einfache, aber nicht dürftige
Familie passt. Mit gewissen Modifikationen eignet sich der im allgemeinen für die süddeutsche
Küche berechnete Speisezettel auch für die norddeutsche.
In dem gleichen Hefte findet sich ein dankenswerther Aufsatz von einem I^ehrer Gramste
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Kleinere Mittheilungen. 169
über »Die Wichtigkeit der zweckmässigen Reinigung in unseren Schulen und die nothwcndige
Ventilation«.
Schliesslich erwähnen wir noch aus dem gleichen Hefte den Aufsatz von dem bekannten
ehemaligen Kliniker Geh.-Rath Mosler aus Greifswald, der eindringlichst darauf hinweist, dass aus
hygienischen Gründen alles Fleisch zurückgewiesen werden müsste, welches unbedeckt in offenen
Gefässen über die Strasse gebracht wird und dadurch allerhand schädlichen Einflüssen ausgesetzt ist.
Die folgenden vier Hefte enthalten zwar sehr beachtenswerthe Aufsätze, aber nicht solche
aus dem Gebiete der diätetischen und physikalischen Heilmethoden; das 12. Heft einen Artikel von
Dr. Beerwald »Ueber den Werth der Fastenzeit« und einen von Dr. Conrat über »DerTabak als
Genussmittel«, ln diesem letzteren kurzen Aufsatze giebt der Autor eine übersichtliche Zusammen¬
stellung über den Nikotingehalt des Tabaks in den verschiedenen Cigarrenarten. Er verwirft das
Schlucken des Rauches, das Ausstossen desselben durch die Nase und auch das Kauen der Tabaks¬
blätter, sowie das Schnupfen. Als unterste Altersgrenze, das Rauchen zu gestatten, stellt er das
15., wenn möglich, das 18. Lebensjahr hin.
Aus dem 13. Heft ist der Aufsatz von Geh.-Rath Wald eye r besonders hervorzuheben »Ueber
einige Schutzvorrichtungen des menschlichen Körpers gegen äussere schädliche Einflüsse«. In der
bewundemswerthen Art, schwielige racdicinische Probleme allgemein verständlich darzustcllen,
schildert der Autor hier die drei verschiedenen Arten der Schutzmittel des Organismus gegen
äussere Einflüsse; 1. durch die Haut, 2. durch die Schleimhäute, und 3. durch die farblosen Blut¬
körperchen. Paul Jacob (Berlin).
Kleinere Mittheilungen.
1 .
Ueber die Wirkung des Seeklimas auf den Stoffwechsel. Von Dr. Joh. Ide, Inselarzt und
Arzt des christlichen Scehospizes auf Amrum.
Ueber die Wirkung des Seeklimas auf den Stoffwechsel ist ausser den Arbeiten Beneke’s
fast nichts geschrieben, und sind auch noch die in diesen Arbeiten, die bis auf das Jahr 1855 zurück¬
gehen, niedergelegten Untersuchungen und Beobachtungen zum Theil in Vergessenheit gerathen oder
wenigstens nicht in dem Grade Allgemeingut geworden, wie es wünschenswerth gewesen wäre. Es
möge deshalb gestattet sein, auf Grund der verschiedenen bezüglichen Mittheilungen Beneke’s,
unter Beurtheilung derselben nach eigenen Erfahrungen und unter Berücksichtigung unserer der¬
zeitigen Kenntniss von der Wirkung der das Seeklima bedingenden Faktoren im Nachfolgenden
einen kurzen Ueberblick über den jetzigen Stand unseres Wissens von der Wirkung des Seeklimas
auf den Stoffwechsel zu geben.
Am deutlichsten tritt uns der Einfluss des Seeklimas auf den Stoffwechsel in der unter dem¬
selben sich einstellenden Gewichtsveränderung entgegen. Bei sonst normalen Individuen zeigt sich
dieselbe in Form einer Gewichtszunahme, welche in der Regel schon in den ersten Tagen einsetzt,
in mehr oder weniger gleichmässiger Weise bis zum Ende der Kurzeit anhält und sich auch nach
Verlassen des Seeaufenthaltes noch weiter geltend macht. So betrug z. B. die Gewichtszunahme bei
Benekei) in den ernten Tagen seines Aufenthaltes auf Wangerooge täglich durchschnittlich 59,5 g,
hielt sich trotz des angreifenden Einflusses von offenen Seebädern auch in der nächsten Zeit auf
ungefähr gleicher Höhe und ging erst in den letzten Tagen des auf einen Monat bemessenen Kur¬
aufenthaltes auf täglich 15 g zurück. Während der ganzen Kurzeit betrug dieselbe bei 61 kg
Anfangsgewicht 1 kg 821 g und erfuhr nach der Rückkehr aufs Festland noch eine weitere
Steigerung um nahezu 1 kg. Diese von Beneke an sich selbst beobachtete Höhe der Gewichts¬
zunahme von 11/ 2 —2 1/2 kg dürfte nach unseren Erfahrungen auch sonst für normale Individuen
die durchschnittliche sein. Hand in Hand mit der Gewichtszunahme pflegt eine Steigerung des
allgemeinen Wohlbefindens zu gehen, das sich besonders in einem frischeren Aussehen, in einer
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170 Kleinere Mittheilungen.
Zunahme des Appetits und in einer grösseren Ruhe und Widerstandsfähigkeit des Nervensystems
äuBsert.
Entgegen diesem für kräftige Personen im allgemeinen gültigen Verhalten pflegt eine anfäng¬
liche Gewichtsabnahme nach Beneke 2 ) bei Skrophulösen oder bei Personen mit wässriger Konstitu¬
tion einzutreten. Dieselbe beträgt in der Regel 1—1 Va kg, und es dauert oft vier Wochen, bis
das Anfangsgewicht wieder erreicht ist. Von da an nimmt jedoch das Gewicht ebenfalls gleich-
massig zu, und zeigt sich auch in der Nachkur eine weitere Gewichtszunahme. Trotz der anfänglichen
Gewichtsabnahme hebt sich jedoch auch bei diesen Individuen das Allgemeinbefinden und der
Appetit von vornherein und zeigt sich die grössere Gesundung des Gesammtorganismus bei ihnen
häufig darin, dass skrophulöse Drüsen- oder tuberkulöse Knochengeschwüre unter dem Einfluss des
Seeklimas bald zur Heilung gelangen, nachdem dieselben auf dem Festlande oft allen Behandlungs¬
methoden getrotzt haben*).
Von weiterem unverkennbarem Einfluss auf den Stoffwechsel und das Körpergewicht ist die
Reizbarkeit des Nervensystems. Ueberreizungen desselben, wie sie durch zu langen Aufenthalt im
Freien oder am Strande oder durch Anstrengungen irgend welcher Art im Anfang des Seeaufent¬
haltes besonders leicht auftreten, pflegen allemal von Nachlassen des allgemeinen Wohlbefindens,
von Schlaf- und Appetitlosigkeit und damit auch von einem Rückgang des Körpergewichts begleitet
zu sein, und selbst das Auftreten von Fieber ist in solchen Fällen nichts seltenes. Mit hochgradig
nervösen Personen mit schon an sich zu niedrigem Körpergewicht wird daher der Badearzt, zumal
in einer kalten Saison oder in der rauheren Jahreszeit, oft seine Noth haben. Gelingt es ihm jedoch,
durch möglichste Fernhaltung der erregenden Faktoren des Seeklimas dieselben über die erste Kurzeit
hinüber zu bringen, so wird sich doch entweder noch an der See oder wenigstens in der Nachkur
ein Gewinn an Körpergewicht einstellen und pflegen derartige Patienten dem Badearzte zu Weih¬
nachten oder Neujahr zu schreiben, dass die Kur ihnen doch gut bekommen und sie mehrere Pfunde
an Gewicht zugenoramen hätten.
Besondere Berücksichtigung verdient wegen der mit der Stoffwechselerhöhung einhergende
Appetitzunahme ferner der Zustand der Verdauungsorgane, da bei Schwäche dieselben den an &\er
gestellten Anforderungen nicht gewachsen sind und daher die Stoffaufnahme mit dem Verbrauch
nicht Schritt halten kann. Ausgebildete organische Leiden der Verdauungsorgane sollen daher auf
alle Fälle von der See fern gehalten werden. In leichteren Fällen und zumal, wenn dieselben auf
nervöser Basis erwachsen sind, gelingt es jedoch häufig durch Regulierung der Diät und vorsichtiges
Verhalten, derartige Individuen allgemein zu kräftigen und damit auch das lokale Leiden günstig
zu beeinflussen. Besondere acht zu geben ist in solchen und den vorerwähnten Fällen nervöser
Natur, dass die Betreffenden nicht durch klimatische Einflüsse erschöpft, sondern möglichst frisch
zu den Mahlzeiten kommen. Von sehr günstigem Einfluss hat sich mir für diesen Zweck immer
längere — einstündige — Bettruhe vor den Hauptmahlzeiten erwiesen, und ist, wenn diese Maass-
nahme nicht genügt, um die nöthige Frische herbeizuführen, zur momentanen Erzeugung derselben,
eventuell von Alkoholicis in geeigneter Form und Dosis Gebrauch zu machen.
Was nun die genaueren Stoffwechselvorgänge betrifft, die zu den eben genannten Erschei¬
nungen führen, so geben uns darüber einerseits die bezüglich der Wirksamkeit der in dem Seeklima
zur Geltung kommenden Faktoren anderweitig gemachten Erfahrungen einen Anhalt, andrerseits
liegt darüber eine Reihe s. Z. von Beneke angestellter sehr werthvoller Untersuchungen vor. Be¬
treffs des Lungenstoffwechsels sind wir mangels spezieller Versuche nur auf den enteren der eben
genannten beiden Wege angewiesen, und sind die dafür in Betracht kommenden Faktoren zunächst
in den an der See in aussergowöhnlicher Weise zur Wirkung kommenden physikalischen Reizen zu
suchen. Es sind dies der Kältereiz, der mechanische Reiz des Windes und der starke Lichtreiz; es
ist von jedem dieser Reize festgcstellt (Gildemeister, Röhrig, FubinD)), dass er eine Ver¬
mehrung der C0 2 -Abgabe zur Folge hat und zwar handelt es sich hierbei um eine Vermehrung der
C0 2 -Abgabe sowohl durch Respiration als Perspiration.
Eine weitere Ursache der vermehrten C0 2 -Abgabe haben w ir in der an der See erleichterten
O-Aufnahme zu suchen, wie sie erstens durch den erhöhten O-Gehalt der Seeluft*), zweitens durch
die grössere Dichtigkeit derselben und drittens durch die erleichterte Perspiration«) daselbst bedingt
ist. Dass die O-Aufnahme seitens des Organismus von dem Sauerstoffgchalt der Atmosphäre nicht
unabhängig ist, sondern dass schon von normalen Individuen, noch mehr aber bei einem abnormen
Saueretoffbedürfniss des Organismus aus einer sauerstoffreicheren Luft sehr wohl eine grössere O-Menge
aufgenommen werden kann, das hat neuerdings wieder Michaelis?) durch seine klinischen Versuche
in überzeugender Weise dargethan. An der See wird aber schon durch die vorher genannten Faktoren,
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Kleinere Mittheilungen. 171
die Kälte-, mechanischen und Lichtreize der respiratorische Gaswechsel und damit auch das Sauer-
stoffbedurfniss des Organismus abnorm erhöht, und wird letzteres daher bei Erleichterung der 0-Auf¬
nahme an der Sec schneller befriedigt werden können als auf dem Fcstlande. I>a aber nach Ludwig
und anderen Autoren Sauerstoffeinathmung die Kohlensäurespannung in den Geweben erhöht, d. h.
direkt chemisch C0 2 -austreibend wirkt, so wird damit auch die Kohlensäureausscheidung beschleunigt
werden.
Was die Beeinflussung der Stickstoffausscheidung durch das Seeklima anbetrifft, so sind wir
in der glücklichen Lage, darüber exakte Untersuchungen von Beneke 1 ) zu besitzen. Derselbe fand,
dass bei einer nach dem momentanen Bedürfnisse aufgenommenen Kost in seinem 24 ständigen Ham
enthalten waren:
in Oldenburg im Juli 1854 : Harnstoff 24,4; Harnsäure 0,41
» Wangerooge ohne Bad: » 27,5; » 0,21
* » mit Bad: » 28,3; » 0,31.
Uns interessiert zunächst nur der Unterschied der Ausscheidung im Festland- und Seeklima;
es ist in letzterem also der Harnstoff um 3,1 g = 12% vermehrt, die Harnsäure um 0,1 g = 50° 0
vermindert. Während nun die Zunahme des Harnstoffes auch den sonstigen Erfahrungen bezüglich der
Wirkung von Stoffwechselanregungsmitteln vollständig entspricht, steht die Abnahme der Harnsäure
damit in direktem Wiederspruch. Vergleichen wir nämlich damit z. B. die unter dem Einfluss der
Wasserbehandlung eintretenden Veränderungen der Stickstoffausscheidung, wie sie u. a. neuerdings
von A. Strass er*) untersucht wurden, so ergaben dieselben, dass unter der Einwirkung von mecha¬
nischen und Kältereizen (kalte Abreibung, Regen, Douche, Halbbad) sowohl die Harnstoff- wie die
Hamsäureausscheidung eine Zunahme erfuhren (ereterc um durchschnittlich 21 %, letztere um 19—20%).
Wie ist nun dieser Unterschied zu erklären? Betrachten wir wiederum die oben genannten Faktoren,
deren Einfluss auf den respiratorischen Stoffumsatz wir eben kennen gelernt haben, so zeigen uns
die erwähnten Versuche von Strasser, dass der thermische und mechanische Reiz diesen Unter¬
schied nicht hervorgerufen haben können. Vom Lichtreiz wissen wir durch Graf fenberger»), dass
der N-Umsatz überhaupt nicht wesentlich dadurch beeinflusst wird. Es bleibt nur noch die erleich¬
terte 0-Aufnahme übrig, und scheint es nach sonstigen Erfahrungen in der That, als ob wir in ihr
die Ursache der Verminderung der Harnsäureausscheidung zu suchen haben. Abgesehen von dem
bekannten Einfluss des Ozon auf die weitere Harnsäurezersetzung in Harnstoff, Alloxan und Allantoin
spricht dafür die Erfahrung von Bartels 1 * 1 ), dass bei fieberhaften und chronischen Krankheiten nur
dann eine Vermehrung der Harnsäure auftritt, wenn dieselben mit Störungen des Atmungsprozesses
verbunden sind, ferner die starke Zunahme der Harnsäure, wie sie infolge von mangelnder O-Auf-
nahme bei Kohlenoxydvergiftung von demselben Autor beobachtet wurde und endlich der direkte
Versuch von Eckart^), welcher durch Sauerstoffinhalationen in Fällen von akuter Gicht rasches
Abnehmen, ja fast gänzliches Verschwinden der Harnsäure bewirken konnte.
Eine andere Ursache für die Verminderung der Harnsäureausscheidung an der See dürfte gegen¬
über der Vermehrung derselben unter Wasserbehandlung auch noch darin zu suchen sein? dass im
Seeklima die Einwirkung der betreffenden Faktoren eine weniger intensive und gleichmässig über
grössere Zeiträume vertheilt ist, sodass für die einzelne Zelle eine im Verhältniss zur jeweiligen
Reizgrösse höhere O-Menge zur Verfügung steht, und dadurch ein höheres Oxydationsprodukt erzielt
werden kann. Hierfür spricht auch der Umstand, dass nach Beneke 1 ) auch im Seeklima durch offene
Bäder die Hamsäureausscheidung vermehrt wird und zwar in der Art, dass unmittelbar nach dem
am Morgen genommenen Seebade die Hamsäureausscheidung um die Hälfte mehr gesteigert ist als
in den darauf folgenden Nachmittag- und Nachtstunden.
Ausser den Ergebnissen der Stickstoffausscheidung ist für die Wirkung des Seeklimas auf
den Stoffwechsel noch der Einfluss des Seeklimas auf die Phosphorsäureausscheidung von besonderem
Interesse, da dieselbe ebenfalls entgegen den sonstigen Erfahrungen bei Stoffwechselerhöhungcn
herabgesetzt ist. Während nämlich A. Strasser (1. c.) in seinen oben erwähnten beiden Versuchen
eine Vermehrung der Phosphorsäure um 23,8 resp. 310 0 fand, ergeben die Untersuchungen Benekc’s 1 )
in Oldenburg 2,893 g und in Wangerooge 2,379 P 2 0 5 in der 24 ständigen Urinmenge, also eine Ver¬
minderung derselben um täglich 0,5 g= 18%. Zur Erklärung dieser auffallenden Erscheinung wird
von Beneke auf die bekannte Thatsacbe hingewiesen, dass wir eine Vermehrung der Phosphoreäure-
ausscheidung überall da finden, wo, wie bei chronischen Krankheiten, eine unzureichende Oxydation
in den Geweben voriiegt; es kommt diese Wirkung nach Beneke 1 *) dadurch zu Stande, dass die
Ausscheidung der Erdphosphate abhängig ist von der Quantität der im Organismus zeitweilig vor¬
handenen organischen Säuren, welche den phosphorsauren Kalk aus den Geweben auslösen und seine
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172
Kleinere Mittheilungen.
Ausscheidung in Form von oxalsaurem, milchsaurem oder phosphorsaurem Kalk bewirken, welche
selbst aber in ihrem Verbleiben als solcher im Organismus abhängig sind von dem Grade der jeweilig
in den Geweben stattfindenden Oxydation. Wir hätten also wiederum in der erleichterten 0-Auf¬
nahme, wie sie aus den schon oben angeführten Gründen die Seeluft gestattet, die Ursache für die
Verminderung der Phosphorsäureausscheidung zu suchen, und würde dementsprechend die bei See¬
bädern vonBeneke gefundene Vermehrung der Phosphorsäurc — um 10°/ 0 im Vergleich zur bade¬
freien Zeit — in gleicher Weise wie das bezügliche Verhalten der Harnsäure durch die relativ zu
geringe verfügbare O-Mcngc zu erklären sein.
Wie sehr es bei der Seeklimawirkung auf dies schon mehrfach hcrangezogene Verhältnis der
verfügbaren O-Menge zur Grosse der auf den Organismus direkt oder durch Vermittlung des Nerven¬
systems ein wirkender physikalischer Reize ankommt, zeigen besonders zwei Versuche von Beneke 1 ;,
von denen der eine im Zustand einer durch Bäder erzeugten allgemeinen Abspannung, der andere
zwei Tage später nach Aussetzen des Bades und Rückkehr der früheren Frische angestellt wurde.
Im ersten Fall ergab die Analyse
26,4 Harnstoff, 0,305 Harnsäure, 2,832 Phosphorsäure,
im anderen 28,49 j> 0,281 » 2,685 »
im erstcren Falle also trotz Verminderung der Gesammtstickstoffausscheidung Vermehrung der Harn¬
säure und Phosphorsäure, im letzteren trotz Zunahme des Gesammtstickstoffes Verminderung der
Harnsäure und Phosphorsäure. Derartige Retardationen des Stoffwechsels können aber nach
Bcnekew) ebenso wie durch Seebäder durch körperliche Ueberanstrcngungen oder klimatische
Ueberreizungen hervorgerufen werden. Dabei kommt es nicht sowohl auf die Höhe der Reize
sondern auf die dabei als Zeichen des relativen Sauerstoffmangels sich einstellende Erschöpfung
und nervöse Depression an, und wurde von Beneke 1 ) nach einem anstrengenden dreistündigen
Spaziergange, der aber keine Erschöpfung erzeugte, mit der ausnahmsweise hohen Stickstoffausschei-
dung die Harnsäure zwar etwas vermehrt, die Phosphorsäure jedoch so gering gefunden wie an
keinem andern Tage des Seeaufenthaltes.
In einer seiner letzten Arbeiten spricht Beneke 2 ) die Meinung aus, dass dem hohen Ozon¬
gehalt der Seeluft eine Hauptbedeutung für die Wirkung derselben beizulegen sei. So lange jedoch
auf Grand der bisherigen physiologischen Anschauungen die Ansicht herrschte, dass die Sauerstoff-
hohe der Atmosphäre für die Aufnahme desselben nicht in Betracht komme, konnte diese Meinung
nicht recht Fuss fassen. Jetzt aber, wo besonders durch die Versuche von Michaelis?) die Mög¬
lichkeit einer höheren O-Aufnahmc zweifellos erwiesen, ist mit diesem Ozongehalt der Seeluft ent¬
schieden zu rechnen, und giebt die höhere 0-Aufnahme, wie sie hierdurch und durch die andern
erwähnten Einflüsse an der See ermöglicht wird, sowohl für manche andere bisher unerklärliche
Wirkung des Seeklimas, worüber an anderem Ort gesprochen werden soll, als auch besonders für
die von der aller andern physikalischen Stoffwechselanregungsmittel abweichenden Wirkung desselben
auf den Stoffwechsel eine hinreichende Erklärung.
Dieser Einfluss auf die im Organismus stattfindenden Oxydationen findet nun auch mit dem
Verlassen des Seeklimas noch nicht seinen Abschluss, sondern besteht merkwürdigerweise auch auf
dem Festlande noch längere Zeit fort. Vergleichen wir nämlich die Harnanalyse
vor dem Bade: 24,43 Harnstoff, 0,418 Harnsäure, 2,893 Phosphorsäure
und nach dem Bade: 24,634 » 0,193 * 1,990 »
so ergiebt sich, dass zwar der Harnstoff mit dem Aufhören der klimatischen Reize zu der Höhe
der Zeit vor dem Bade zurückgekehrt ist, dass aber die Harnsäure und Phosphorsäure noch eine
weitere Abnahme erfahren haben. Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir die Ursache dieser
erhöhten Oxydation einmal darin suchen, dass infolge der inzwischen an der See stattgefundenen
Oxydation von unvollkommen oxydierten abgelagerten Stoffwechselprodukten, welche früher immer
einen Theil des verfügbaren Sauerstoffes für sich in Anspruch nahmen, dem Organismus nunmehr
eine im Verhältnis zur Reizgrössc höhere 0-Menge als früher zur Verfügung steht Weiter aber
wird während des Seeaufenthaltes überhaupt eine Einstellung des Organismus auf grössere Leistungen
und besonders auf eine höhere 0-Aufnahme stattgefunden haben, und bietet uns für letztere Annahme
die unter dem Einfluss des Secklimas beobachtete Vermehrung der rothen Blutkörperchen (Malassez,
Marestang) eine handgreifliche Unterlage.
Es erübrigt noch der übrigen von Beneke bei seinen Harnanalysen gemachten Befunde kurz
Erwähnung zu thun. So ging die Schwefelsäure- und Chlorausscheidung im allgemeinen der Auf¬
nahme derselben mit der Nahrung parallel. Auffallend war jedoch die starke Vermehrung und die
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Kleinere Mittheilungen. 173
stets saure Reaktion des Urins unter dem Einfluss des Seeklimas, zwei Erscheinungen, welche nach
Rückkehr aufs Festland sofort wieder zur Norm zurückkehrten. Während die Vermehrung des Urins
schon von Beneke auf die an der See verringerte Verdunstung zurückgeführt wird, ist für die
Bedeutung der Harnreaktion eine hinreichende Erklärung auch wohl zur Zeit noch nicht möglich.
Betrachten wir nun auf der Grundlage obiger Ausführungen die anfangs erwähnten sichtbaren
Veränderungen, wie sie durch das Seeklima hervorgerufen werden, so findet die bei normalen Indi¬
viduen von vornherein eintretende Gewichtszunahme ihre Ursache zunächst in dem vermehrten
Umsatz von Kohlehydraten und Stickstoff und in der entsprechenden Mehraufnahme derselben, wie
sie sich durch den erhöhten Appetit kenntlich macht. Dass bei einer unter derartigen Reizen, wie
sie das Seeklima bietet, bedingten Erhöhung der Stickstoffaufnahme und Ausscheidung auch ein
erhöhter Stoffansatz stattfindet, zeigen uns einmal die Versuche, wo, wie z. B. in den erwähnten
von Strasser*), neben dem Harnstickstoff auch der Kothstfckstoff bestimmt wurde und so ein
Vergleich zwischen der aufgenommenen und ausgeschiedenen Stickstoff menge möglich war, weiter
aber auch die Versuche über die Beeinflussung des zeitlichen Ablaufes der Stickstoffausscheidung,
wie sie unter anderm von Gmelin 14 ) angesteilt sind und worin gezeigt wird, dass unter Temperatur¬
reizen trotz der von anderer Seite erwiesenen Vermehrung des Harnstickstoffs eine Verlangsamung
in der Ausscheidung desselben eintritt.
Von weiterer Bedeutung für die Gewichtsverhältnisse an der See ist nach Beneke^) die
Phosphorsäureausscheidung, da nach den in seiner Pathologie des Stoffwechsels aufgestellten Grund¬
sätzen die phosphorsauren Salze und besonders der phosphorsaure Kalk ein absolut nothwendiges
Requisit für jegliche Gewebsbildung und für die Erhaltung des Körpergewichtes sind, ihr Verlust
allemal mit Abnahme, ihr Gewinn allemal mit Zunahme des Körpergewichts verbunden ist. Bei
Beneke’s Versuchen wurden nun unter dem Einfluss des Seeklimas täglich 0,5 g Phosphorsäure
weniger als gewöhnlich ausgeschieden, und musste der tägliche Gewinn sogar ein noch grösserer
sein, da mit der erhöhten Nahrungsaufnahme auch die Aufnahme phosphorsäurehaltigen Materials
vermehrt war. ln der Nachkur betrug sogar der tägliche Gewinn gegenüber der Zeit vor dem
Bade 0,9 g; es steht das oben erwähnte Verhalten des Körpergewichtes in der Nachkur dazu in
entsprechendem Verhältniss.
Besonders vermehrt ist bekanntlich die Ausscheidung des phosphorsauren Kalkes bei skrophu-
lösen Individuen (bis zu 2—4 g täglich). Da nun, wie oben ausgeführt, die Ausscheidung des
phosphorsauren Kalkes abhängig ist von dem Grade der im Organismus stattfindenden Oxydation,
letzterer aber auch für die Bildung von mangelhaften Stoffwechselprodukten, besonders von Fett,
verantwortlich zu machen ist, so erklärt sich die anfängliche Gewichtsabnahme an der See trotz
zunehmender Frische bei Skrophulösen und ähnlichen Konstitutionen aus der Entfernung dieser
mangelhaften Stoffwechselprodukte durch erhöhte Oxydation ohne weiteres.
Was das erwähnte Gewichtsverhalten bei nervösen Personen anbetrifft, so haben wir oben
bereits gesehen, dass Ueberreizungen, wie sie durch Seebäder oder klimatische Einflüsse hervor-
gerufen werden, mit einer Verminderung der Oxydation in den Geweben und dementsprechend mit
Vermehrung der Harnsäure und Phosphorsäure im Harn beantwortet werden. Bei nervösen Personen
werden aber bei der schnelleren Reaktionsfähgkeit und Erschöpfbarkeit Ueberreizungen leichter Vor¬
kommen, und mit der Zunahme der Phosphorsäure im Harn das Körpergewicht sinken müssen.
Dementsprechend habe ich auch oben bereits auf die die nervöse Ueberreizung regelmässig begleitende
Appetitlosigkeit hingewiesen und der Nothwendigkeit einer Regulierung der klimatischen Reize
und der Ruhe für nervöse Kurgäste Erwähnung gethan.
Ich schliesse mit den Worten Beneke’s: »Wir haben, das ist keine Frage, kein zweites
Agens, welches wie die Seeluft so unvermerkt und doch so intensiv beschleunigend
auf den Stoffwechsel einwirkt; und darin besteht eben ihr Vorzug, dass sie anstren¬
gende körperliche Bewegung nicht nur nicht erfordert, sondern sogar dann am wohl-
thätigsten und kräftigsten wirkt, wenn eine gewisse Ruhe im gesammten Verhalten
beobachtet wird, eine Ruhe, die bei anderen ähnliche Heilzwecke verfolgenden
Kuren so selten zu ermöglichen und doch für eine Hebung des Ernährungsprozesses
und insonderheit der Kraft des Nervensystems so nothwendig ist. In dieser Weise
zeichnet sich ihre Wirkung u. a. vor der der sogenannten Wasserkuren, der Fuss-
reisen u. s. w. aus«. Die Ursache aber dieser Auszeichnung liegt nach unseren obigen Ausführungen
in der erhöhten O-Aufnahme an der See, deren Möglichkeit und Bedeutung durch die Versuche von
Michaelis neuerdings wieder in das rechte Licht gestellt ist.
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Kleinere Mittheiiungen.
Litteratur.
i) F. W. Beneke, Ueber die Wirkungen des Nordseebades. Göttingen 1856.
«) F. W. Beneke, Die erste Ueberwinterung Kranker auf Norderney. Norden 1886.
з ) C. A. Ewald, Die Kinderheilstätten an den deutschen Seeküsten und ihre prophylaktischen
und kurativen Erfolge. Berl. klin. Wochenschr. 1899. No. 37.
*) Fubini und Ronchi, Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere von
Moleschott. Bd. 12. S. 1881, citiert nach F. Schoenenberger, Der Einfluss des Lichtes auf den
thieiischen Organismus. Inaug.-Diss. 1898.
6) Vergl. Ozonuntersuchungen von F. W. Beneke ad. 1 und Lindemann, Das Seekliina.
Leipzig 1893.
«) Vergl. Hi 11 er, Die Wirkungsweise der Seebäder. Berlin 1890. S. 44.
7) M. Michaelis, Ueber Sauerstofftherapie. Diese Zeitschrift Bd. 4. Heft 2.
8 ) Alois Strasser, Das Verhalten des Stoffwechsels bei hydriatischer Therapie. Wien
und Leipzig 1895.
**) Archiv für die gesammte Physiologie 1892. Bd. 53. S. 238, cit. nach Schoenenberger I. c.
10 ) F. W. Beneke, Grundlinien der Pathologie des Stoffwechsels. Berlin 1874. S. 146 und
151 nach Bartels, Ueber Harnsäureausscheidung in Krankheiten. Deutsch. Arch. für klin. Medicin
1866. Bd. 1.
n ) Ibidem S. 157 nach Eckart, Die akute Gicht und ihre Behandlung. München 1864.
и) Ibidem S, 356.
ß) F. W. Beneke, Zum Verständniss der Wirkungen der Seeluft und des Seebades. Schriften
der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten Naturwissenschaften zu Marburg. Cassel 1873.
u ) Gmelin, Beeinflussung des zeitlichen Ablaufes der Stickstoffausscheidung im Harn nach
einer Mahlzeit. Blätter für klinische Hydrotherapie 1898.
II.
Ein Fall von Serratuslähuaung durch lokale Hitze gebessert. Von Oberstabsarzt Dr. Heer-
mann in Posen*.
Es handelt sich um einen Patienten, welcher durch Aufheben einer schweren Last eine völlige
Lähmung des rechten Serratus mit Druckempfindlichkeit und spontaner Schmerzhaftigkeit des Plexus
brachialis davongetragen hatte. Nachdem mehrere Monate der Zustand unverändert geblieben, appli¬
zierte ich auf das Schulterblatt bis zum Halsansatze täglich Vs ~ 3 /4 Stunden lang eine Wärmespirale
aus Bleirohr, durch welche heisses Wasser geleitet wurde. Zunächst, und zwar sogleich, hörten die
Schmerzen während der Erhitzung auf, um nachher wiederzukehren, nach einigen Tagen schwanden
sie aber ganz, und nach 14 Tagen konnte der Ann bis zur Senkrechten gehoben werden.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
175
Berichte über Kongresse und Vereine.
i.
Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Baineologischen Gesellschaft
zu Berlin. 7.—12. März 1901.
Erstattet von —n.
(Fortsetzung.)
Pariser, Pas praktische Problem der internen Behandlung der Gallensteinkrankheit.
Redner erörtert, nach welchen Gesichtspunkten die innere Behandlung der Cholehthiasis zu
leiten ist — der Cholelithiasis, nicht des einzelnen Kolikanfalls — in denjenigen Fällen, bei welchen
die interne Behandlung in Betracht kommt
Das herrschende theoretische Problem der Behandlung betrachtet die Cholelithiasis als eine
Fremdkörperkrankheit; demgemäss besteht die Therapie in der Entfernung der Steine. Dazu giebt
es zwei Möglichkeiten, die Operation, die hier nicht in Betracht kommt, und die innere Abtreibung.
Nun ist ja sicherlich die Entfernung aller Gallensteine — und nur die Entfernung aller Steine
kann von dauerndem Werth sein — vor allem anderen geeignet, eine wirkliche Ausheilung der
krankhaften Prozesse oder wenigstens einen Zustand praktischer Heilung, den der Beschwerdelosig-
keit, herbeizuführen. Aber in der Praxis ist die Austreibung aller Gallensteine so gut wie immer
ein Ding der Unmöglichkeit oder mit Gefahren verknüpft, die diesen Weg als eine Austreibung
des Teufels durch Beelzebub und die operative Entfernung als den weit minder gefährlichen erscheinen
lassen. Die Gründe dafür sind die grosse Anzahl der Steine, die häufigen Wand Veränderungen der
Gallenblase und die daraus resultierende Schwächung ihrer motorischen Potenz, die Widerstände,
welche von den Steinen auf ihrer Wanderung zu überwinden und für Steine über Erbsengrösse unüber¬
windlich sind. Daher muss das ganze Streben der internen Therapie darauf gerichtet sein, die
Cholelithiasis latent zu erhalten und, wo sie aus dieser Latenz hervorgetreten, in die Latenz zurück¬
zuführen.
Wir wissen, dass bei einer Häufung von Koliken eine Steigerung der entzündlichen Vorgänge
im Gallengangsystem, ein Aufgepropftsein akuter Entzündung auf die chronische, statthat. Das
beste Mittel, diese akute Inflammation und die Neigung zu Steinwanderungen zu beseitigen, ist
Ruhe. Pariser lässt solche Patienten eine Ruhekur von mehreren Wochen durchmachen. In schwe¬
reren Fällen müssen die Patienten die ersten 8—10—14 Tage im Bett zubringen. Bei Nachlassen
oder Verschwundensein der akuten Beschwerden tritt, wie bei leichteren Fällen von Anfang an, an
die Sudle der Bettruhe Liegen anf weichen bequemen Fauteuils in leichter, nicht beengender Kleidung,
wenn es die Jahreszeit und die äusseren Umstände gestatten, auf weichen bequemen Liegesesseln
im Freien. Auf das Innehalten einer mindestens achttägigen andauernden absoluten Ruhe bei Beginn
der Behandlung nach frischen Anfällen legt Pariser prinzipiellen Werth. Für ihn ist überhaupt
bei dem Bestreben, länger dauernde Latenz anzubahnen oder wiederherzustellen, die Ruhe so sehr
das wirksamste Agens, das Eigentlichste der Therapie, dass er dieses Moment ganz in den Vorder¬
grund stellt; alles andere ist nur Beiwerk, sehr angenehmes, unterstützendes, wichtiges, aber eben
nur Beiwerk. Zu diesen werthvollen Unterstützungsmitteln gehören warme Kataplasmen, Trinkkuren,
Diät und einige andere Maassnahmen (leichte, nicht beengende Kleidung, Bauchbinden für korpulente
Patienten, Vermeidung körperlicher Anstrengung). Zu Kataplasmen auf die Lebergegend eignen sich
Thermophore, auch mit Fango war Pariser (in drei schweren Fällen) sehr zufrieden. Für Trink¬
kuren kommen die warmen Natronwässer, insbesondere die warmen glaubersalzhaltigenNatronwässer in
Betracht, deren vornehmster Repräsentant Karlsbad ist. Die Wässer wirken katarrheilend, also Latenz
herbeiführend. Aber auch andere als die genannten Quellengruppen zeitigen — wenn richtig ver¬
wandt — dieselben günstigen Erfolge; wenigstens war Pariser mit dem Homburger Elisabethbrunnen
(warm genommen) ausserordentlich zufrieden. Auch Herrmann und Naunyn kaprizieren sich nicht
auf die reinen Natron- und Glaubersalz wässer; letzterer geht sogar so w'eit zu behaupten, dass auch
reines heisses Wasser, kurgemäss genommen, gute Dienste leistet. Die Naunyn’sehe »Karlsbader
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176
Berichte über Kongresse und Vereine.
Kur« ist im Grunde auch eine Ruhekur. — Die Diät sei leicht, nicht zu gewürzt, aber nicht mit
besonderen Vexationen der Entbehrung verbunden. Insbesondere empfehle man den Patienten, sich
nicht durch massige Mahlzeiten zu überladen; durch eine stärkere Aktion von Magen und Duodenum
und deren reflektorischen Einfluss auf die Gallengangperistaltik könnten Steinwanderungen aus¬
gelöst werden.
Munter, Die Hydrotherapie der Gicht.
Da die der Gicht zu Grunde liegenden pathologisch-physiologischen Vorgänge noch nicht er¬
forscht sind, sind wir für die Therapie auf die klinischen Erscheinungen angewiesen. Als haupt¬
sächlichste Richtschnur für die Behandlung gilt die nachweisbare pathologische Veränderung der
Harnsäure, und wenn sie auch nicht die alleinige materia peccans ist, so werden wir sie doch am
meisten zu berücksichtigen haben, und zwar als Maass für den Nachweis der Sdckstoffstörung. Die
Ursache dieser Storung kann eine äussere und eine innere sein. Die äussere Ursache ist die derart
stark vermehrte Zufuhr an stickstoffhaltigem Nährmaterial, dass der Organismus es nicht verarbeiten
kann. Die innere Ursache ist bedingt durch eine Anomalie der Konstitution oder Disposition, bei
welcher die Zelle überhaupt die Anlage einer geringen Oxydationsfähigkeit besitzt Demgemäss
unterscheiden wir zwei Formen der Gicht, die tonische Gicht, die durch überreiche Zufuhr von
Nährmaterial entsteht, und die atonische Gicht, bei welcher durch pathologische Veränderungen
der Sauerstoffüberträger selbst die physiologische Zufuhr nicht verarbeitet werden kann und so die
intermediären krankmachenden Produkte erzeugt werden. Die Aufgabe der Therapie ist es, die
Bildung der Harnsäure und der sonstigen intermediären Stickstoffsubstanzen zu verhindern, ihren
Zerfall zu erleichtern, d. h. die innere Oxydation zu erhöhen, und, damit verbunden, ihre Löslichkeit
im Blut und in den Gewebssäften zu bewirken und ihre Eliminierung zu veranlassen. Die Haupt¬
aufgabe des Postulats, die Bildung der Harnsäure und sonstiger Stickstoffsubstanzen zu verhindern,
fällt der Diät zu. Uns interessiert hier aber mehr die Verwerthung der Hydrotherapie, und es ent¬
stehen die Fragen: Wie sind wir durch die Hydrotherapie überhaupt im stände, den Stoffwechsel
zu erhöhen? Wie gelingt es uns mit Hülfe der Hydrotherapie im speziellen den N-Stoffwechsel zu
vergrÖ8sem?
Nach den Untersuchungen von Pflüger, Voit steht fest, dass der Kältereiz ohne Erniedrigung
der Eigentemperatur den Stoffwechsel erhöht, dass der Wärmereiz ohne Erhöhung der Eigen¬
temperatur den Stoffwechsel herabsetzt, dass aber durch Kälte der Stoffwechsel herabgesetzt und
durch Wärme erhöht wird, wenn dabei die Eigentemperatur sinkt oder steigt. Diese Gesetze sind
die Richtschnur für unsere hydrotherapeutischen Maassnahmen. Doch müssen wir bei Anwendung
des Kältereizes darauf Rücksicht nehmen, dass die durch die Kälte entzogene Wärmemenge eine
nachträgliche reaktive Erhöhung der Wärmeproduktion verursacht, da ja der Organismus bestrebt
ist, seine Eigentemperatur wieder zu erreichen, durch welche eine Erhöhung der Eigenwärme ein-
tritt und dadurch bedingt, eine Erhöhung des Stoffzerfalls.
Bei der atonischen Gicht, bei der wir schonend, ohne Gewichtsverlust eine erhöhte Oxydation
Und damit bessere Verarbeitung des Gesamratmaterials erzielen wollen, werden wir von kurzen,
kalten Kältereizen behufs Anregung der funktionellen Leistung, ohne Erhöhung der Eigenwärme,
und mit dem Bestreben, dem Körper nicht zu viel Wärme zu entziehen, Gebrauch machen. Um
den Kältereiz ohne Wärmeverlust verwerthen zu können, werden wir vor dem Kältereiz eine Wärme¬
zufuhr stattfinden lassen. Hier sind angezeigt: Packungen von »/ 4 —i Stunde Dauer mit nachfolgenden
je nach dem individuellen Falle indicierten Nachprozeduren, Brause, Begiessung, Abreibung, ferner
laue bis warme Bäder von 34—38°C mit nachfolgenden Kältercizen, ferner Heissluft-, Dampf¬
kasten-, elektrische Lichtbäder von nicht zu hoher Temperatur und nicht zu langer Dauer
(höchstens 10—12 Minuten) mit nachfolgenden Kältercizen. Diese Prozeduren dürfen aber nicht zu
starke Schweisssekretion verursachen; das forcierte Schwitzen ist bei der Gicht kontraindiziert.
Dann sind die Sandbäder zu empfehlen, und zwar mit Lokalisation der affiziorten Theile.
Aehnlich werden wir die harnsaure Diathese zu beeinflussen suchen, eine Stoffwechsel¬
anomalie, die wir, gleichgültig, aus welcher Ursache sic entstanden ist, als eine Vorstufe der Gicht
betrachten müssen Die Behandlung wird sich nach der Form richten, also, wenn ein Mangel der
funktionellen Leistung vorliegt, nach der der atonischen Gichtform, während sie in den Fällen über¬
reicher Zufuhr von Nährmaterial sich mehr der Behandlungsart der tonischen Gicht nähern wird.
Für die Hydrotherapie der tonischen Gichtform kommen jene Methoden in Betracht, welche
nicht bloss eine Erhöhung der intracellulären Oxydation behufs besserer Ausnutzung des Nähr¬
materials und günstiger Assimilation im Organismus, sondern auch grösseren Zerfall, eine Gesammt-
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Berichte über Kongresse und Vereine
177
erhöhung, reichlicheren Verbrauch und günstigere Ausscheidung der intermediären N-haltigen Stoffe
erzielen, also Methoden, welche diese Zwischenstufen zur Endmetamorphose, zum Harnstoff, bringen,
der als ein natürliches Diuretikum die Eliminierung bedeutend erleichtert. Hier giebt es zwei Wege:
Entweder wir wenden intensive Kältercize an, die dem Körper soviel Wärme entziehen, dass die
nachfolgende (reaktive Wärmeproduktion eine Erhöhung der Eigenwärme und damit einen grösseren
Zerfall bedingt — eine Methode, die nur bei robusten, noch nicht sehr vorgeschrittenen Gichtikern
anwendbar ist —, oder aber, und dieser Weg wird in der Regel einzuschlagen sein, wir bringen
durch Wärmezufuhr und Wärmestauung eine Erhöhung der Eigenwärme zu Stande und bedingen
dadurch den Zerfall sowohl desN-losen als auch des N-haltigen Stoffwechsels, gemessen an derO-Auf-
nahme und der CO 2 - und N-Ausscheidung. Dazu eignen sich: das Dampfkastenbad, das russische
Dampfbad, die warme, nasse Einpackung, das warme Vollbad mit oder ohne Nachpackung, die
kalte Einpackung von längerer Dauer und das protahierte, allmählich gesteigerte heisse Wasser¬
oder Soolbad. Bei allen diesen Prozeduren ist der Wärmeausgleich durch das geringe Schwitzen
infolge des feuchten Umgebungsmediums beschränkt und die Wärmeabgabe behindert, und so sehen
wir hier die Eigenwärme steigen, Rektaltemperaturen bis über 39°. Baineotherapeutisch würden
sich hier alle Bäder mit der Intention der Wärmezufuhr und der behinderten Wärmeabgabe an-
schliessen, also das heisse Soolbad, das indifferente Thermalbad in seinen höheren Temperaturen,
das Moor-, Schlamm-, Fango-, Schwefel- und Fichtennadelbad. Diesen Maassnahmen nahestehend
sind das Sandbad und die warme, trockene Packung. Bei diesen ist die Schweisssekretion
grösser, aber mit der Beschränkung der einen Komponente des Wärmeausgleichs, der Schwoiss-
verdunstung, da der Schweiss vom Sand oder trockenen Leintuch aufgesogen wird. Die Eigen¬
wärme steigt daher nicht so hoch, wie bei jenen Bädern des behinderten Schwitzcns, immerhin
finden wir auch hierbei Rektaltemperaturen bis 39«. Reine Schwitzprozeduren als Ausscheidung
mit kaum nennenswerther Temperatursteigerung bis 38« sind Ileissluft-, elektrische Licht- und
Sonnenbäder. Bei älteren Personen, bei denen ja meist auch arteriosklerotische Prozesse bestehen,
hat sich am vortheilhaftesten erwiesen die allmählich gesteigerte Wärmezufuhr in Form allmählich
gesteigerter Wasser- oder Soolbäder von 35—40°Cund 15—40 Minuten Dauer, welche abwechselnd
mit Sandbädern verabreicht werden.
Nun bringen alle wärmestauenden Prozeduren eine gewisse Erschlaffung des Gefässsystems
mit sich, deshalb ist eine Verbindung mit kühleren Prozeduren als Tonikum nothwendig. Je nach
der individuellen Indikation werden wir von einer milden, kühleren Theilwaschung, von einem all¬
mählich abgekühlten Halbbade von 30—32° C, von Brausen, Abreibungen etc. Gebrauch machen.
Durch aktive Bewegung, oder, was wohl meist bei Gichtikern, wenigstens Anfangs, den Vorzug
verdient, durch nachfolgendes Ruhen und Wärme, ist eine Reaktion zu erzielen.
Die Allgemeinbehandlung wird durch lokale Maassnahmen nicht unwesentlich unterstützt.
Auch hier zieht Munter die feuchte der trockenen Wärme vor, weil durch die Behinderung der
Wärmeabgabe, die dadurch bedingte Wärmesteigerung und die damit verbundene tiefgehende
Hyperämie ad locum eine leichtere Lösung und bessere Aufsaugung der Exsudate erreicht wird.
Zu empfehlende Maassnahmen sind lokale Dampfbäder, lokale Sandbäder, erregende Umschläge von
längerer Dauer (von fünf bis sechs Stunden) mit Wärmezufuhr. Auch diesen Prozeduren hat stets
eine tonisierendc, kühlere Applikation zu folgen, aber mit der Sorge für Reaktion; nur so wird das
erschlaffte Gcfässsystem und nicht minder das Herz gekräftigt
Schliesslich ist noch ein besonderer Gesichtspunkt für die Behandlung der Gicht zu erwähnen.
Da wir die Gicht als eine Störung des N-Stoffwechscls auffassen, erscheint es unzweckmässig, nach
Beseitigung der akuten Erscheinungen die Behandlung auf einzelne mehrwöchentlichc Kuren zu be¬
schränken. Vielmehr ist es vorteilhaft, die geschilderten Maassnahmen während des ganzen Jahres
in richtigen Intervallen, z. B. zwei- bis dreimal wöchentlich, gebrauchen zu lassen, weil dadurch
einer Kulmination des Krankheitsprozesses, der akuten Attacke, vorgebeugt wird.
Putzer, Praktische Erfahrungen über die hydriatische Behandlung bei Masern und Scharlach.
Nicht nur die antipyretische Wirkung ist es, die heutzutage von der hydriatischen Behandlung
fieberhafter Erkrankungen im allgemeinen erwartet wird und die mit der medikamentösen Behand¬
lung wetteifert, sondern die im wesentlichen weit wichtigere prophylaktische Bedeutung derselben
verdient immer wieder hervorgehoben und ihr hygienischer Werth am Krankenbett ganz besonders
berücksichtigt zu werden. Speziell bei Masern und Scharlach vermögen wir vermittelst der hydria¬
tischen Behandlung den Verlauf zu mildern, ernste Hirnerscheinungen, wie Krämpfe, Bewusstlosig¬
keit oder Delirien, oder gefahrdrohende Herzschwäche, komplizierende Kapillarbronchitis und Pneu¬
monie bei den Masern oder schwere Symptome seitens des Nervensystems und exorbitant gesteigerte
Zeit«ehr. £ diät. u. physik. Therapie Bd. V. Heft 2. 12
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178 Berichte über Kongresse nnd Vereine.
Temperaturen mit hoher Pulsfrequenz bei Scharlachficber günstig zu beeinflussen und den letalen
Ausgang nicht selten zu verhüten.
Wird nun auch die Nothwendigkeit der Einleitung hydropathischer Prozeduren allseitig an¬
erkannt, so gehen die Ansichten über die Einzelheiten sehr auseinander. Putzer hat die gewöhn¬
liche Temperatursteigerung nur selten Veranlassung zur Anwendung von Bädern gegeben. Meist
genügten hydropathische Einwirkungen oder Abwaschungen von Zimmertemperatur (18© C), um
höhere Fieberschwankungen zu beseitigen. Dieselben wurden drei- bis viermal täglich oder auch
häufiger (alle zwei Stunden) gemacht und nicht nur sehr gut vertragen, sondern sogar von den
Patienten (gegen das lästige Hautbrennen) direkt verlangt. Sie wurden aber erst immer dann an¬
gewandt, wenn das Stadium eruptionis vorüber und das Exanthem voll und deutlich zur Entwicke¬
lung gekommen war. Bei Neigung zu Krampfanfällen bewährten sich kurzdauernde Halbbädcr von
27° C und 4—5 Minuten langer Dauer mit kühleren, ganz kurzen Uebcrgiessungen (18°C und
2 — 3 Sekunden Dauer) des Nackens und Hinterkopfes. Bei akuter Laryngitis mit Pseudocroup
konnte die expektorationsbefördernde Wirkung hydropathischer Brust- und Halsein Wickelungen mit
Dampfkompressen konstatiert werden. Bei schweren Stenoscerscheinungen erwiesen sich von bestem
Erfolge (meist vor Anwendung von Brechmitteln) heisse Bäder (40 — 42<> C) von kurzer Dauer
(5—10 Sekunden), während deren der Kopf der kleinen Patienten mit kalten Kompressen bedeckt
wurde. Traten nach dem Verschwinden des Exanthems Anfälle von schwerer Kapillarbronchitis
und katarrhalischer Pneumonie auf, so behandelte Putzer die Patienten mit kurzdauernden (15 Mi¬
nuten) heissen Einpackungen des Thorax, zu denen er Wasser von 40—42° C mit Zusatz von Senf¬
mehl verwendete, oder warme Bäder von 32o C und kurzdauernde Begiessungen des Nackens und
der Brust mit kaltem Wasser von 14° C, oder er liess mit Hilfe einer Handdruckspritze einige
Sekunden lang einen kräftigen, kühlen Wasserstrahl (14° C) speziell gegen die Nackengegend im
warmen Bade applizieren. In malignen Fällen von Scharlach, wo es in erster Linie gilt, der Kollaps-
gefahr zu begegnen, hat Putzer kühle Begiessungen des Nackens oder sogenannte Eiskataplasmen
angeordnet, die man folgenderraaassen herstellt: Auf einem Stück Leinewand von 00—90 cm Grosse
wird in der Mitte in einer Ausdehnung von 25 — 30 cm eine 2 —4 cm starke Schicht gepulverten
Leimkuchens ausgestreut Diese wird mit einer gleich hohen Schicht Eisstückchen belegt und auf
diese wieder etwa fingerdick Leinsamenpulver aufgetragen. Das Ganze wird wie ein warmes
Kataplasma zusammengcfaltet und als Kopfkissen unter das Genick gelegt Das Eiskataplasma hält
sich lange, da das Eis erst im Laufe mehrerer Stunden schmilzt, wobei der Leimkuchen das ent¬
stehende Wasser aufsaugt, sodass das Bett trocken bleibt. Die Kühlung thut den Patienten ungemein
wohl, sie liegen lange Zeit still, ohne den Kopf zu erheben, was von grossem Vortheil ist, weil die
intensiven Kopfschmerzen bei jeder Bewegung gesteigert werden Das Kataplasma braucht nur
vier- bis fünfmal binnen 24 Stunden erneuert zu werden. Doch verschmäht Putzer auch andere
Stimulantien, wie Wein, Kampfer, Aether nicht, ehe er die hydriatischen Prozeduren anwendet.
Die Anwendung hydriatischer Prozeduren im Verlaufe der Masern und des Scharlach bietet
also erhebliche Vortheile und prophylaktischen Nutzen. Auf diese Weise kann nicht allein die
Gefahr der Mortalität herabgesetzt, sondern auch das Auftreten schwerer Komplikationen und Folgo-
krankheiten wie z. B. der Tuberkulose im Anschluss an Masern erschwert oder vermieden werden.
Ferner sprechen Putz er's Erfahrungen dafür, dass durch möglichst frühzeitige individualisierende
hvdriatische Behandlung oft geradezu ein abortiver Verlauf der erwähnten Erkrankungen erzielt
und der Charakter schwererer Fälle oder ganzer Epidemieen nicht unerheblich gemildert wird.
Kothe, Zur physikalisch-diätetischen, insbesondere hydriatischen Behandlung der Neuroseu.
An der Hand der neuesten anatomischen und physiologischen Forschungen entwirft Kothe
ein Bild von'dem Wesen der funktionellen Nervenkrankheiten. Es handelt sich dabei um moleku¬
lare Störungen in den Ncrvenzentralorganen. Die meist durch Generationen hindurchgehenden
reberreizungen der verschiedensten Art führen entsprechend dem Gesetz der Summation kleinster
Wirkungen schliesslich zu einem solchen Missverhältnis zwischen Assimilation und Dissimilation,
dass daraus jene dauernden, erblich übertragbaren Störungen der Molckulannechanik der Nervcmnasse
resultieren, welche in dem bekannten Bilde der sogenannten funktionellen Neurosen zum Ausdruck
kommen. Aus diesen theoretischen Erörterungen zieht Kothe zwei praktische Nutzanwendungen
für die Therapie der Neurosen, und zwar 1. die Regulierung derReizc und 2 die Regulierung
der ZirkulationsVerhältnisse in den Ncrvenzentralorganen, insbesondere ira Gehirn.
Was wir Individualisieren nennen, läuft streng genommen auf eine Regulierung der durch
unsere Lebensweise, Beschäftigung etc. gegebenen Reize hinaus. Bis zu einem gewissen Grade sind
uns die Reize geradezu Lebensbedürfnis; es gäbe kein Wachsthuui, keine Gesundheit, wenn nicht
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Berichte Über Kongresse und Vereine. 179
eine gewisse Summe von Reizen, die sogenannten normalen Lebensreize, durch die Haut und Sinnes¬
organe, durch die Schleimhäute, die Muskeln, die drüsigen Organe und selbst durch das Blut unserem
Körper, d. h. den Nervenzentralorganen fortwährend zuflössen. Bei den Neurosen handelt es sich
in der Hauptsache um ein Zuviel in quantitativer, wie in qualitativer Hinsicht, um ein Zuviel, das
schon durch Generationen hindurch fortgewirkt hat, um eine Summation kleinster Wirkungen von
Geschlecht zu Geschlecht, die schliesslich zu dauernden molekulären Störungen geführt haben.
Regulierung der Reize bedeutet hier daher unter allen Umständen eine Milderung der Reize, eine
Ruhe, und zwar von längerer Dauer wie gewöhnlich. Der Summation kleinster Wirkungen bei
Entstehung der Neurosen müssen wir gewissemaassen eine solche Summation kleinster Wirkungen
in unseren Heilwirkungen entgegenstellen, d. h unter strenger Rücksichtnahme auf die schon in
den gewöhnlichen Lebensbedingungen und in unseren sonstigen Verordnungen liegenden Erregungen
müssen speziell auch unsere hydriatischen Reize, selbstverständlich stets mit einer entsprechenden
guten, d. h. blanden und ausreichenden Ernährung verbunden, in Intensität und Folge so vorsichtig
dosiert sein, dass sie den Nervenzellen gerade die zu ihrer Erhaltung und Kräftigung genügende Reiz¬
menge zuführen und dadurch auch die Höhe der Neuronschwelle steigern, aber jede Ueberreizung
und Abnutzung ausschliessen. Insbesondere warnt Kothe vor dem sportsmässigen Zuviel und Zustark,
wie man es in nicht von Aerzten geleiteten Instituten ganz gewöhnlich zu beobachten Gelegenheit hat.
In Bezug auf die Regulierung der Zirkulationsverhältnisse im Gehirn erwähnt Ko the zunächst
die Ansicht Goldscheider's über die Wirkung hydriatischer Prozeduren. Goldscheider sieht
das wesentliche dieser Wirkung in der direkten Ausstrahlung der Temperatur und der mechanischen
Reize auf motorische, trophische u. s. w. Nervenbahnen, in den dadurch gegebenen Bahnungs- und
Hemmungswirkungen, er glaubt, dass die Bedeutung der Hyperämie und Anämie als Ursachen krank¬
hafter Zustände von der Hydrotherapie stark überschätzt wird; andrerseits aber betrachtet er die
Hydrotherapie, da sie ausser der Reizung noch andere werthvolle Wirkungen hat, z. B. die auf die
Blutvertheilung, Reinigung, Abhärtung und Ausscheidung, doch als eine der wichtigsten Heil¬
potenzen, über welche die Medicin verfügt. Kothe hält die Goldscheider’sche Theorie für eine
werthvolle Bereicherung unseres therapeutischen Denkens, kann aber nicht umhin, gerade hier auf die
Verwom’schen Experimente aufmerksam zu machen, welche die Bedeutung der frischen Blutwelle
als Movens der Zersetzungsprodukte und als Restituens der lebendigen Substanz, d. h. die Bedeutung
der Regulierung der Zirkulation in den Nervenzentralorganen unzweideutig beweisen. Ucberdies
ist erfahrungsmässig erwiesen, dass wir durch unsere hydriatischen Prozeduren, wie durch kein au-
deres Mittel alle nervösen Funktionen in wohlthuendster Weise zu beeinflussen iin stände sind und
dass diese Beeinflussung mit sichergestellten Veränderungen in der Blutfülle des Gehirns einhergeht.
Daraus ergiebt sich ohne weiteres die Wichtigkeit einer sorgfältigen Regulierung der Zirkulations¬
verhältnisse im Gehirn für die Behandlung der Neurosen. Freilich darf man nicht erwarten, bei so
eminent chronischen, erblich übertragbaren Zuständen, wie die Neurosen es sind, mit an sich so
kurz dauernden Maassnahmen, wie den hydriatischen, welche sich oft nur über Wochen erstrecken,
gleich einen wirklich heilenden Einfluss ausüben, den pathologischen Moiekularzustand bald in einen
normalen verwandeln zu können. Dazu bedarf cs häufig jahrelanger Bemühungen. Jedenfalls unter¬
liegt es für Kothe kaum einem Zweifel, dass man durch ein Mittel, welches die Blut- und Lymph-
bewegungen in den Nervenzentralorganen in so hervorragender Weise beeinflusst, wie die Hydro¬
therapie, bei richtiger Dosierung und genügend langer Dauer der Kur und bei Erfüllung aller sonst er¬
forderlichen Bedingungen schliesslich direkt heilend auf die Neurosen ein wirken kann, wenn man auch
oft genug die nächste Generation resp. eine KeimplasmaVerbesserung wird zu Hilfe nehmen müssen.
Die hydriatischen Maassnahmen muss man scheiden in solche, welche in einer einmaligen
speziellen Kur zur Anwendung gelangen, und in solche, welche dauernd den Lebensgewohnheiten
ein verleibt werden müssen. Zur Vornahme einer ernsteren Kur ist die Aufgabe der gewohnten
Verhältnisse, die Befreiung von allen beruflichen Sorgen und gesellschaftlichen Verpflichtungen eine
unerlässliche Vorbedingung. Und da die Ab Wartung der Reaktion nach den einzelnen Prozeduren
und der ganzen Kur für das Gelingen derselben von ausschlaggebender Bedeutung ist, so ist, nament¬
lich wo es sich um so ernsthafte Zustände handelt, der Anstaltsbchandlung vor jeder anderen der
Vorzug zu geben. Das spezielle Verfahren gestaltet sich ziemlich einfach. Von dem Satz aus¬
gehend, dass die Hydrotherapie nur ein Glied, allerdings ein sehr werthvolles, wenn nicht das
werthvollste, in der Kette dor Heilpotenzen gegen die Neurosen ist, und in Berücksichtigung der
Nothwendigkeit einer strengen Regulierung der Reize ordiniert Kothe nie mehr wie eine grossere
hydriatische Prozedur für den Tag. Ueberhaupt bevorzugt er die allgemeinen Einwirkungen —
ohne darum die wirklich nützlichen und notliwendigen örtlichen zu vernachlässigen , weil er der
Ueberzeugnng ist, dass er damit nicht nur eine allgemeine, sondern schliesslich auch eine direkte
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Berichte über Kongresse und Vereine.
Kräftigung der nervösen Konstitution zu erzielen vermag. Eine planvolle Wasserkur möchte er bei
der Hysterie ebenso wenig entbehren wie bei der Neurasthenie. Bei der Epilepsie tritt die Hydro¬
therapie gegen andere Einwirkungen vielleicht etwas zurück; doch darf sie in einem vollkommenen
Heilplan auch hier nicht fehlen.
Brügelmann, Ueber Asthma, sein Wesen und seine Behandlung.
So verschiedenartig auch die Ursachen oder veranlassenden Momente sind, welche für das
Entstehen des Asthma verantwortlich gemacht werden müssen, allen asthmatischen Vorkommnissen
gemeinsam ist eine Alteration des Respirationszentrums, ohne sie kommt kein Asthma zu stände.
Ob die Reizung des Respirationszentruras, welche von allen jenen ursächlichen oder veranlassenden
Momenten bedingt wird, auf traumatischem, reflektorischem oder thermischem Wege zu stände
kommt, ist gleichgültig — der Vorgang ist der nämliche. Danach ergiebt sich die wissenschaft¬
liche Eintheilung des Asthma in drei Gruppen:
1 . Das traumatische Asthma, hervorgebracht durch Reizung des Respirationszentrums ver¬
mittelst eines Trauma des Cerebrum oder der Medulla oder eines psychischen Affektes (psychische
asthmatische Angstneurose).
2 . Das reflektorische Asthma; bei diesem erfolgt die Reizung des Respirationszentrums durch
eine Erregung der in den Schleimhäuten verschiedenster Gegenden eingebetteten astmogenen
Punkte oder durch ihre reflektorische Reizung vom Zentralorgan selbst aus (Neurasthenie).
3. Das toxische Asthma, bei dem die Reizung des Respirationszentrums eine Folge toxischer
Einwirkung des Blutes ist.
Die Therapie ist eine ausserordentlich vielseitige. Das erste therapeutische Postulat, ohne
dessen Erfüllung kein volles Resultat erzielt wird, ist, dass, abgesehen von den sehr selten zur Be¬
obachtung kommenden reinen Anfangsstadien, die manchmal sogar ambulatorisch behandelt werden
können, die Lokaltherapie mit der Allgemeinbehandlung Hand in Hand geht. Im übrigen inter¬
essiert hier nur noch, was Redner über den Werth klimatischer Kuren sagt Man spricht schon
lange von immunen Klimaten, und namentlich Reichenhall liebt es, für sich eine Immunität bei
Asthma in Anspruch zu nehmen. Brügelmann hat früher eine solche Immunität für möglich ge¬
halten. Jetzt ist er anderer Ansicht; er hat sich überzeugt und betont es ausdrücklich, dass die
Lehre von der Immunität bei Asthma ein wissenschaftlicher Irrthum ist. Das einem Orte eigen¬
tümliche Luftgemenge regt die asthmogenen Punkte des einen Asthmatikers an, die des anderen
nicht, wie der eine Asthmatiker ohne Wirkung Dinge essen oder riechen kann, welche bei dem
anderen sofort Asthma erzeugen. Selbst das anscheinend immunste Klima hält nicht vor; vielmehr
gewöhnt sich der Asthmatiker früher oder später an das Klima und bekommt dann auch dort seine
Anfälle. Und dann ist der Nutzen einer Kur an einem anscheinend immunen Ort fast stets ein
imaginärer, da die Patienten, wenn sie nach Hause zurückgekehrt sind, sofort wieder heimgesucht zu
werden pflegen. Bei dem lmmunitätsglauben spielt die Autosuggestion der Kranken, die an einem
Orte zu weilen wähnen, an dem sie gegen ihre Anfälle gefeit seien, eine grosse Rolle Im allgemeinen
passt ein feuchtwarmes Klima mit ruhiger Luft, das allen Bronchialaffektionen am meisten zusagt
Schenk, Die physikalische Therapie der Lungentuberkulose mittels Staunugshyperämie.
Die Erfahrung lehrt, dass wir cs bei der Tuberkulose der Lungen betreffs der Disposition
in erster Linie mit anämischen Individuen zu thun haben, bei welchen speziell eine Anämie in den
Lungen besteht, so dass bei ihrer mangelhaften Ernährung der Tuberkelbacillus einen günstigen
Nährboden findet. Die Therapie strebt an, die Thätigkeit des Herzens zu steigern, die Lungen-
gcfässc insbesondere in den Spitzen zu erweitern und noch direkt durch mechanische Einwirkung
den Blutdruck in den Lungenspitzen zu erhöhen.
Das erste Moment, auf das Schenk Gewicht legt, ist die Lagerung des Kranken. Wie in
den Lungenheilstätten verwendet er die Liegekur; nur lässt er den Patienten nicht auf einem
horizontalen Liegestuhl ruhen, sondern er hebt diesen am Fussende derart, dass die Füsse hoch und
Rumpf und Kopf tiefer zu liegen kommen. Je schräger der Patient liegen, je tiefer sein Kopfende
zum Fussende gestellt werden kann, um so schneller wird der Heilungsprozess verlaufen. Stellen
sich bei dem Verfahren Kopfschmerzen ein, so genügt die Applikation einer Kühlklappe, wie sie
Winternitz verwendet. Bei trockener Witterung lässt Schenk die Kranken den ganzen Tag über
im Freien liegen. Bei Regen oder Niederschlag von Nebel zieht er es vor, die Kraukcu im ge¬
heizten, mit trockener Luft erfüllten Zimmer zu belassen.
Bevor der Patient die Liegekur beginnt, wird ihm eine mit Wasser oder noch besser mit
Alkohol befeuchtete Kreuzbinde angelegt und über diese eine aus gewundenen Gummisehläuchen
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hergestellte Jacke gezogen, die den Brustkorb und die Lungenspitzen vollständig bedeckt und deren
freie Schlauchenden die Zuführung und den Abfluss temperierten Wassers gestatten. Ueber diese
Gummijacke wird die trockene Kreuzbinde, die Flanellbinde angelegt. So adjustiert, legt sich der
Patient auf den Liegestuhl, und nun lässt man Wasser von ca. 45° C durch die Jacke zirkulieren,
einer Temperatur, die, je nachdem es der Patient verträgt, erhöht werden kann. Die Bekleidung
des übrigen Körpers sei so leicht als möglich.
So liegen die Patienten vormittags und nachmittags mehrere Stunden unter konstanter An¬
wendung der Wärracprozedur; dabei können zweckmässig Füsse, Hände und Bauch alle fünf
Minnten durch den Badewärter mit einem in kaltes Wasser getauchten Schwamm rasch überwischt
werden. Während der Mahlzeiten erheben sich die Kranken von ihren Ruhestätten und machen
sich ein wenig Bewegung. Die übrige Zeit hindurch wird die Liegekur ohne die Wärmeapplikation
durchgeführt. Um die Herzthätigkeit, welche bei Phthisikern infolge des häufig relativ kleinen
Herzens nicht genügend kräftig ist, zu stärken, kann man über der Herzgegencf in die beschriebene
Schlauchjacke einen kleinen Herzschlauch einfügen, durch welchen man kaltes Wasser zirkulieren
lässt Diese Kombinatiou wird namentlich bei Phthisikern mit schwachem Herzen angezeigt sein.
Bei Patienten, welche die Kur einige Zeit gebraucht haben, ergiebt nämlich die Auskultation ein
systolisches Geräusch an der Herzspitze, sowie die Accentuierung des zweiten Pulmonaltones, und
diese künstlich geschaffene relative lnsufficienz wird von einem schwachen Herzen natürlich schlechter
vertragen, als von einem kräftigen. Ein weiteres wichtiges Moment, welches dieser Behandlungsart
zukommt, ist die Wirkung auf die Expektoration; es ist geradezu überraschend, wie die Expekto¬
ration erleichtert wird. Die Wirkung äussert sich zumeist frühmorgens, wenn die Kranken während
der Nacht schräg gelagert werden.
Zeigt sich ein — wenn auch nur geringer — Fortschritt im Heilungsprozessc, so dass man
nicht jeden Moment eine Blutung zu befürchten hat, dann kann man daran gehen, die Funktion
der Haut zu beeinflussen. Zu diesem Zwecke beginnt Schenk nach dem Vorgänge von Winter¬
nitz mit ThoilWaschungen einzeluer Partieen, welche nach und nach auf die ganze Hautoberfläche
ausgedehnt werden. Hat sich Patient an die Theilwaschungen gewöhnt, was Monate dauern kann,
so bekommt er Abreibungen. Theilwaschungen wie Abreibungen werden mit kaltem Wasser kurz
und rasch ausgeführt Bei genügender Widerstandsfähigkeit können schliesslich auch kurze, kalte
Tauchbäder angewandt werden. Diese kalten hydriatischen Prozeduren werden anfangs einmal
täglich, des Morgens, später zweimal täglich, früh und abends, vorgenommeu. Die Liegekur mit
der Wärmeapplikation erfährt dadurch natürlich keine Störung. Befürchtungen, dass durch das Ver¬
fahren Blutungen entstehen oder gefördert werden könnten, sind unnütz. Grosse Bedeutung kommt
natürlich der Ernährung zu, welche Schenk in der Weise durchführt, wie sie in Anstalten üblich ist.
Kranke, welche nicht in der Lage sind, eine Heilstätte aufzusuchen, wird man die Kur, so¬
weit es geht, zu Haus gebrauchen lassen. Vor allem hat man Schräglagerung im Bette anzustreben.
Bei trockener Luft sollen die Fenster den ganzen Tag, bei nicht zu grosser Kälte auch während
der Nacht geöffnet sein. Früh und abends soll die Kreuzbinde angelegt werden Ueber derselben
kann zur Milderung etwaiger Schmerzen sowie zur Erzielung von Stauung ein Leibwärmer als Er¬
satz der Gumraijacke getragen werden. Die Liegekur wird zweckmässig im Freien, etwa in einem
Garten, wenn das nicht geht, im Zimmer durchgeführt. Dazu kommen die kalten Waschungen,
welche früh und abends recht kurz gemacht werden. Auch lassen sich sehr gut Nackengüsse ver¬
wenden. Den hydriatischen Prozeduren lässt man kräftige, trockene Abreibungen des ganzem
Körpere folgen. Im übrigen muss die Ernährung entsprechend gestaltet und sorgfältig überwacht,
auch müssen die erforderlichen hygienischen Maassnahmen getroffen werden.
Knlenbnrg, Ueber Anwendung hochgespannter Wechselströme za therapeutischen Zwecken«
Die Verwendung von Strömen überaus hoher Spannung (Millionenvoltströmc) mit einer gleich¬
falls ins Ungeheure gehenden Häufung der Unterbrechungen ist auch in der Technik eine Errungen¬
schaft jüngster Zeit und besonders durch Tesla für elektrische Beleuchtungszwccke zu hoher Ver¬
vollkommnung gebracht worden. Nach der physiologischen und therapeutischen Seite hin hat sich
zuerst der französische Physiologe d'Arsonval mit derartigen Strömen eingehender beschäftigt und
ihre Wirkungen festgestellt, weshalb die Benutzung hochgespannter Wechselströme zu Heilzwecken
als Arsonvalisation bezeichnet zu werden verdient. d’Arsonval machte dabei die merkwürdige
Beobachtung, dass solche Ströme von einer gewissen Häufung der Unterbrechungen ab (bei un¬
gefähr 10000 Stromwechseln und darüber in der Sekunde) auf den Organismus höherer Thiere und
des Menschen anscheinend eindruckslos bleiben, weil wahrscheinlich die Nerven nur auf innerhalb
gewisser Grenzen liegende Schwinguugszahlcn elektrischer Erregungen eingestellt sind uud — nach
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Berichte über Kongresse und Vereine.
182
Analogie der Licht- und Schallempfindungen — nur auf diese spezifisch reagieren. Thatsächlich
aber äussern diese Ströme sehr eigenartige und mannigfaltige Wirkungen auf das Nervensystem,
auf den Blutdruck, die Oxydation und den Stoffwechsel und — nach d'Arsonval und seinen
Schülern — auch bakterientötende Wirkungen, was ihrer therapeutischen Verwerthung bei chronischen
Stoffwechelerkrankungen und bei Infektionskrankheiten zur Grundlage dienen soll.
Eulenburg, der sich seit etwa 1 1/2 Jahren mit dem Studium der hochgespannten Wechsel¬
ströme und ihrer therapeutischen Verwerthung beschäftigt, benutzt ein für diesen Zweck von der
Berliner Firma W. A. Hirschmann hergestelltes Instrumentarium, das er vorfuhrt und in seinen
einzelnen Theilen näher erläutert. Das Armamentarium besteht im wesentlichen aus einem schrank¬
artigen Tableau, dem Apparatenschrank, und dem sogenannten grossen Solenoid von der Form
eines aufrecht stehenden Käfigs. Als Stromquelle dient ein grosser Ruhmkorff’scher Funken¬
induktor, wie er auch für Zwecke der Röntgenuntersuchung gebraucht wird, mit Akkumulator¬
batterie, Kondensatoren und selbsttätigem Quecksilberunterbrecher nach Hirschmann. Die vom
Induktor kommenden Hochspannungsströine gehen durch eine regulierbare Funkenstrecke (dem
Hcrtz’schen Oscillator nachgebildet), durch ein als Transformator dienendes Solenoid und ver¬
schiedene Neben Vorrichtungen hindurch und werden entweder von dem Transformator direkt oder von
einem neben demselben eingeschalteten zweiten Solenoid auf den Körper übergeleitet, oder endlich
es werden die ausstrahlenden elektrischen Energiewdlen von den Drahtwindungen des grossen
Solenoids auf den darin eingcschlossenen Körper durch Induktion, ohne direkte Berührung, überfragen.
Es kommen hierdurch sehr vielfache Modifikationen der Wirkungsweise und der thera¬
peutischen Verwendung zu stände. Abgesehen von den noch zweifelhaften Ergebnissen bei In¬
fektionskrankheiten (Tuberkulose) und bei chronischen Stoffweehselanomaliecn ^Gicht, Fettsucht,
Zuckerkrankheit), wobei die Erfolge von französischen Autoren besonders auf die nachgewiesenc
oxydationssteigernde Wirkung zurückgeführt werden, scheint diese neue Methode der Verwerthung
elektrischer Energie zu Heilzwecken u. a. bei gewissen Hautaffektionen, sowie ferner bei einer Reihe
schmerzhafter Lokalaffektionen des Nervensystems, der Muskeln und Gelenke (Neuralgieen, schmerz¬
hafte Muskel- und Gelenkrheumatismen u. s. w.) Vertrauen zu verdienen, worüber Eulenburg auf
Grund der bisherigen praktischen Erfahrungen Näheres mittheilt Im grossen und ganzen als recht
günstig erweist sich der Einfluss der Daligemeinen Arsonvalisation« (im grossen Solenoid) bei Zu¬
ständen von nervöser Aufgeregtheit und Schlaflosigkeit, hier lässt sich in vielen Fällen eine direkt
beruhigende, ermüdende, schlafmachende Wirkung wahrnehmen. Der krankhafte Juckreiz und das
Trockenheitsgefühl der Schleimhäute bei Diabetikern wurden in auffälliger Weise gemildert. Auch
das mit Palpitationen verbundene nervöse Herzklopfen wurde in der Mehrzahl der Fälle sehr günstig
beeinflusst. In zahlreichen Fällen wurde eine Steigerung der Wärmebildung und Röthung der Haut,
auch eine Erhöhung der Sehweissabsonderung in beträchtlichem Grade beobachtet. Wahrscheinlich
sind die unbestreitbaren therapeutischen Effekte der Arsonvalisation auch auf die in Betracht
kommende hautreizende Wirkung wesentlich mit zu beziehen.
Müller de laFueute, llie nervöse Schlaflosigkeit und ihre Behandlung.
Bei der nervösen Schlaflosigkeit spielt die psychische Behandlung eine nicht zu unter¬
schätzende Rolle. Klimatische Kuren gemessen von Alters her einen berechtigten Ruf. Früher
schickte man die Patieuten in ein Hochgebirgsklima. Die Erfahrung hat aber gelehrt, dass Heilung
oder Besserung dort ebenso ausbleiben, wie sie in niederem oder mittlerem Höhenklima oder an
der See eintreten kann. Nicht das Klima an sich ist ausschlaggebend, sondern der Klimawechsel.
Wünschenswerth ist freilich eine mittlere relative Feuchtigkeit der Luft, sowie eine massige abend¬
liche Abkühlung der Temperatur. Auch die Lage des Kurortes spielt eine Rolle; dem Einen ist
freie Lage, die weiten Ausblick gestattet, ein Bedürfniss, ein Anderer fühlt sich in hügeligem,
waldreichem Terrain ruhiger und wohler. Auch hinsichtlich der balneotherapeutischen Behandlung
wird man nicht einem Mineralwasser vor dem anderen den Vorzug geben dürfen; die Mineral¬
wässer werden alle günstige und auch weniger günstige Wirkungen haben. Immerhin wird man
die Kranken in Bäder schicken, an denen infolge des vorherrschenden Krankenmaterials die Aerzte
ausgedehntere Erfahrungen in der Behandlung Nervenkranker zu sammeln Gelegenheit hatten, also
in die Stahlbäder und Akrothermen. Dabei verdient unter allen Umständen Berücksichtigung das
Leben am Kurorte Luxusbäder sind ungeeignet; andrerseits aber soll sich der Kranke der
Geselligkeit nicht gänzlich fern halten, ein anregender Vorkehr ist sogar wünschenswerth. Sehr
wichtig ist die Regelung der Diät. Die letzte Mahlzeit soll wenigstens zwei Stunden vor dem
Schlafengehen eingenommen werden. Das Nachtessen bestehe aus wenigen, leicht verdaulichen
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Berichte über Kongresse und Vereine. 183
Speisen; der Genuss von Kaffee und Theo des Abends ist am besten ganz zu verbieten; dagegen
mag Alkohol, wenn erforderlich, in mässigen Mengen gestattet sein, am besten eignet sich Pilsener
oder Kulmbacher Bier. Auch die Verdauung verdient Beachtung, wie überhaupt die ganze Lebens¬
weise geregelt werden muss; hier empfiehlt sich reichliche Bewegnng im Freien, am besten in Ver¬
bindung mit einem Sport (Radfahren, Tennisspicl etc.). Der Schlaf am Tage ist ganz zu verbieten
oder auf das äusserste zu beschranken. Die abendliche Lektüre darf weder zu anstrengend, noch
aufregend sein. Das Schlafzimmer sei kühl; wenn die Konstitution des Patienten und die Jahres¬
zeit es gestatten, lasse man bei offenem Fenster schlafen. Das härtere Rosshaarkissen verdient vor
dem weichen Federkissen den Vorzug.
Erzielt man mit diesen allgemeinen Vorschriften nicht Heilung oder Besserung, dann müssen
noch die speziellen Heilmittel herangezogen werden. Hier kommt vor allem die Hydrotherapie in
Betracht Das einfachste Verfahren ist das Anlegen dos sogenannten Neptungürtels, eines Priess-
nitz'sehen Umschlages, der vom Prozessus ensiformis bis zur Symphyse reicht. Auch feuchte Ein¬
packungen beider Füsse und Unterschenkel bis zum Knie thun häufig gute Dienste. Sonst helfen
gewöhnlich kurze kalte Uebergiessungen des ganzen Körpers vor dem Schlafengehen oder ein
kurzes warmes Bad mit nachfolgender kühler Uebcrgicssung u. s. w. Jedenfalls wird es nur wenig
Falle geben, in denen die eine oder die andere Art hydriatischer Behandlung in Verbindung mit
den allgemeinen Vorschriften im Stiche Hesse. — Bezüglich der medikamentösen Behandlung warnt
Redner, mit der Verordnung von Hypnoticis vorzeitig vorzugehen. Als ultimum refugium bleibt
uns die Suggestion in der Hypnose. (Schluss folgt.)
H.
Diätetisches and Physikalisches vom 19.Kongress für innere Medicin zu Berlin.
Von Privatdozent Dr H. St raus s in Berlin.
Wer nach rein äusseren Momenten urtheilt, könnte vielleicht vom diesjährigen Kongress sagen,
dass er mehr der Diagnostik als der Therapie gewidmet war. Denn cs galt nicht nur die schwung¬
volle Begrüssungsredc des Präsidenten Senator den Fortschritten der Diagnostik, sondern es hatte
auch die Ausstellung diesmal ganz im Gegensatz zu früher, wo sic meist mit pharmazeutischen
Präparaten überschwemmt zu sein pflegte, einen rein diagnostischen Charakter angenommen. Aber
trotzdem waren die Rechte der Therapie auf dem Kongresse voll und ganz gewahrt, was nicht nur
in dem Schluss der Senator’schen Rede zum Ausdruck kam, welche die Diagnostik als Grund¬
lage der Therapie feierte, sondern auch in den Verhandlungen dos ganzen ersten Tages. Aller¬
dings bewegte sich das klare, inhaltsreiche Referat von Gottlieb-Heidelberg »Uober die Hcrz-
nnd Vasomotorenmittel« und das demselben Thema geltende, an originellen Auffassungen
reiche und auf streng klinischer Betrachtungsweise aufgobaute zweite Referat von Sahli- Bern,
ebenso wie die Diskussion auf diesem Gebiet fast durchweg auf pharmakotherapeutischem Boden-
Das lichtvolle Referat von v. Leyden über die Myelitis trug mehr klinisch-ätiologischen als thera¬
peutischen Charakter, und das demselben Gegenstand gewidmete Referat Redlich ; s-Wien war mehr
pathologisch-anatomisch gehalten. Aber dennoch war die physikalische Therapie, wenn man
so sagen darf, behördlich auf dem Kongress vertreten; denn es hatte Bi er-Greifswald von dem
Geschäftskomitee des Kongresses den Auftrag erhalten, über die Anwendung künstlich er¬
zeugter Hyperämieen zu Heilzwecken zu sprechen. Bier entledigte sich dieses Auftrages
in einer ebenso knappen als formvollendeten Weise, indem er ausführto, dass die Stauungshyperämic
bakterientötende oder bakterienabschwächende Wirkung besitzt, dass sie Bindegewebswucherung
und Vernarbung anregt, dass sie bei chronischen Gelenkprozessen zur Auflösung der Exsudate bei¬
trägt und dass sie schliesslich eine schmerzlindernde Wirkung äussert. Der aktiven Hyperämie
schrieb Bier eine auflösende, schmerzstillende, resorbierende Wirkung zu, dagegen hielt er die
Bakterientötung der aktiven Hyperämie noch für zweifelhaft. Bier demonstrierte im Anschluss an
seinen Vortrag das Verfahren, um dessen Ausbildung er sich so grosse Verdienste erworben hat.
Sonst wurde die physikalische Therapie auf dem Kongress noch gelegentlich der Herzdebatte ge¬
streift Schott-Nauheim berichtete über den Einfluss balneo- und mechanotherapeutischer
Maassnahmen auf die verschiedenen Herzerkrankungen und ihren Einfluss auf den (mit dem
Gärtner'schen Tonometer gemessenen) Blutdruck, und Heinz-Erlangen berichtete über Unter¬
suchungen, die er über die Tiefenwirkung von Wärme und Kälte anThieren mit thermo-elektri-
schen Nadeln angestellt hat. Diese ergaben, dass eine Tiefenwirkung äusserlich applizierter Wärmc-
und Kältereize sich in der That in der Pleura von Kaninchen und Hunden deutlich nachweisen lässt.
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184 Berichte über Kongresse und Vereine.
Etwas zahlreicher, wenn auch nicht sehr umfangreich, waren die Mittheilungen, welche vom
Standpunkte der diätetischen Therapie aus interessieren. Volhard-Giessen berichtete über
Fettspaltung im menschlichen Magen. Seine Mittheilungen decken sich mit dem Inhalt einer
früheren in der Münchener medicinischen Wochenschrift und einer soeben in der Zeitschrift für
klinische Medicin erschienenen Arbeit, so dass bezüglich des Inhalts auf die betreffenden Zeitschriften
verwiesen werden kann. Strasburger-Bonn sprach über intestinale Gährungsdyspcpsie,
für deren Erkennung die Sehmidt-Strasburgcr’schc Gährungsprobe der Fäccs eine Bedeutung
besitzen soll. Da bezüglich Einzelheiten auf eine soeben im deutschen Archiv für klinische Medicin
erschienene Arbeit des Autors verwiesen werden kann, so soll hier nur gesagt werden, dass die
Ausführungen von Strasburger und die Diskussion, die sich daran schloss, den praktisch klinisch¬
diagnostischen Werth der Gährungsprobe nicht so hoch erscheinen Hessen, als ihn Schmidt und
Strasburger früher eingeschätzt hatten. Die Anschauungen von Ewald und Rosenbeiin
über den praktischen Werth der Methode deckten sich ungefähr mit dem, was auch Referent früher
in den Arbeiten von Basch und Philippson über den Werth der »Gährungsprobe« hatte ausführen
lassen. Einem in den letzten Jahren besonders eifrig diskutierten Gebiet, nämlich der Frage der
Kohlehydrat Verdauung bei Hyperaciden galt der Vortrag von J. Mül ler-Würzburg: »Ueber den
Umfang der Stärkeverdauung im Munde und Magen des Menschen«. Müller führte aus,
dass die Stärkeverdauung im Munde sowie in den ersten Minuten der Magenverdauung eine recht
erhebliche sei, so dass die durch eine eventuelle Hyperacidität verursachte Beeinträchtigung der
Amylolysic meist nicht allzu schwer ins Gewicht falle. Immerhin bestehen gewisse Unterschiede,
die vom Sekretionsgrad abhängen, wie dies Referent auch schon vor Jahren nacligewiesen hat,
Ellingcr und Seelig - Königsberg berichteten über den Einfluss von künstlich erzeugten oder
spontan auftretenden Nierenstörungen bei Hunden, die durch Pankreasexstirpation glyko-
surisch geworden waren. Die Autoren fanden, dass entsprechend dem Eintritt und der Starke
der Nephritis eine Abnahme der Glykosurie und eine Steigerung der Hyperglykämie auftritt, und
rathen deshalb bei ncphritischcn Diabetikern, bei welchen die Zuckerausscheidung gering wird, das
Diätregime mit Rücksicht auf eine eventuelle starke Hyperglykämie strenger zu gestalten, als cs
dem Urinbefund entspricht Dieser Standpunkt wurde indessen von Naunyn mit Nachdruck be¬
kämpft, indem Naunyn darauf hin wies, dass man gerade bei den ncphritischcn und meist gleich¬
zeitig kachektischen Diabetikern mit der Diät nicht zu rigoros vorgehen soll. Der Frage des
Zuckerstoff Wechsels waren auch die Vorträge von Paul May er-Karlsbad, Bial-Kissingen sowie
von Wohlgemuth und Neuberg-Berlin gewidmet. Paul Mayer sprach über den Verbrauch
des Zuckers im Organismus und führte, ähnlich wie jüngst im Verein für innere Medicin zu
Berlin, aus, dass die Glykuronsäurcausscheidung im Urin als Indikator einer verminderten Zucker¬
oxydation unter Umständen eine praktisch - diagnostische Bedeutung gewinnen könne. B i a l
sprach sich dahin aus, dass die Form der Ernährung, sowie die Darreichung von Kohlehydraten
keinen Einfluss auf die Pentoscnausscheidung besitze; Wohlgemuth und Neuberg berichteten
über Untersuchungen, welche zwar vorerst kein praktisches, aber dennoch vom allgemeinen bio¬
logischen Standpunkte aus ein hohes, theoretisches Interesse besitzen, denn die Autoren konnten
die grosse Bedeutung der stercochemischen Konfiguration für vitale Vorgänge im Organismus nach-
weisen. Sie zeigten, dass die optisch inaktive Arabinose im Körper in die optisch aktiven Kom¬
ponenten zerlegt wird und dass die d-Arabinose kein Glykogen bildet. Mehr theoretisches als
praktisches Interesse besassen gleichfalls die Vorträge von Münzer-Prag: »Zur Lehre von der
Febris hcpatica intermittens«, nebst Bemerkungen über Harnstoffbildungen, und von Wiener-Prag
über »Ilarnsäuresynthese«. Zu erwähnen ist noch der Vortrag von Rosenfeld-Breslau, welcher
in Fortsetzung früherer Untersuchungen über die Fettbildung im Organismus den Nachweis er¬
bringen konnte, dass in der Leber ein gewisser Antagonismus zwischen Glykogen und Fett besteht.
Falls sich die interessanten Forschungen von Rosenfcld in vollem Umfange bestätigen, so ent¬
springen aus ihnen nicht nur eine Reihe werthvoller theoretischer Gesichtspunkte, sondern auch
brauchbare Konsequenzen für die praktische Therapie. Wenn auch die der physikalisch-diätetischen
Therapie zugehörigen Vorträge diesmal an Menge nicht sehr zahlreich waren, so kann man trotz¬
dem sagen, dass auch der 19. Kongress nicht ohne Förderung für dieses Gebiet verlaufen ist. Die
Ausstellung, um deren Gelingen sich vor allem Prof. Mendelsohn grosse Verdienste erworben
hatte, konnte entsprechend ihrem rein diagnostischen Charakter der physikalischen und diätetischen
Therapie nichts Besonderes bieten, dagegen gewählte sie nach allgemein übereinstimmendem Urtheil
nach diagnostischer Richtung hin vielfache Anregung.
Berlin, Druck von VV. Büxen>tciu
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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1901/1902. BandY. Heft 3.
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t. Leyden und Prof. Dr. A. Goldscheider.
Verlag von Georg Thleme in Leipzig.
INHALT.
Original-Arbeiten. Seite
1. Ueber Sitophobie intestinalen Ursprungs. Von Dr. Max Einhorn, Professor an der
New-Yorker Post-Graduate Medical School.187
II. Untersuchungen und Beobachtungen über den Einfluss der abdominellen Massage auf
Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls sowie auf die Peristaltik. Aus der III. medi-
cinischen Klinik der Königlichen Charitß zu Berlin (Direktor Geh.-Rath Professor
Dr. Senator). Von Dr. Erik Ekgren aus Stockholm.101
III. Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. Aus der mcdi-
cinischen Abtheilung des städtischen * Krankenhauses zu Frankfurt a. M. (Direktor
Professor v. Noorden). Von Dr. H. Salomon, I. Assistenzarzt.205
IV. Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. Von Dr. M. Siegfried in
Bad Nauheim. 2. Theil. Mit 11 Abbildungen (Schluss).220
V. Beschreibung einer auch bei wechselndem Wasserdruck sicher funktionierender Douchc-
vorrichtung. Von Sanitätsrath Dr. Pelizaeus, Sanatorium Suderode am Harz. Mit
1 Abbildung.227
VI. Untersuchungen über Diabetikerbrode. Von Dr. W. Camercr jun. in Stuttgart . . . 229
VII. Das hydrotherapeutische Institut an der Universität Berlin. Von Dr. Julian Marcuse
in Mannheim. Mit 3 Abbildungen. 232
Kritische Umschau.
Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie in Russland Von Dr.
A. Dworetzky in Riga.235
Referate über Bücher und Aufsätze.
Biedert, Die diätetische Behandlung der Verdauungsstörungen der Kinder.251
Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie.251
Kolisch, Lehrbuch der diätetischen Therapie chronischer Krankheiten für Aerzte und
Studierende.253
Kisch, Die ärztliche Ueberwachung der Entfettungskuren.254
Bonifaß, Du coupage du lait chez les enfants du premicr age.254
Vaquez, Ueber die Ernährung bei Abdominaltyphus.254
Marcuse, Zur Frage der alkoholfreien Ersatzgetränke.255
Schaefer, Die Kost des Gesunden und Kranken.25G
Loebel, Zur Purpurabehandlung mit Trink- und Badekuren.250
Heftler, Traitement balnße möcanique, ä domicile, des affections chroniques du coeur . . 256
Zeitschr. f. diät u. physik. Therapie Bd. V. Heft 8.
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Inhalt.
186
Seite
Snegireff, Einige Worte über Lcbmbäder.257
Co ff in, Results of hot air treatment in rheumatism and gout.258
Schroeder, The benefits of balneotherapy in the treatment of chronic rheumatism and gout 258
Müller, Was verspricht die methodische Anwendung des Lichts für die Dermatotherapie? . 258
Davidsohn, Zur therapeutischen Verwendung der feuchten Wärme. Temperierbare Kata-
plasmen.258
Gebhardt, Die mikrophotographische Aufnahme gefärbter Präparate.259
Douglass, A study of the application of the galvano-cautery in the nose.260
Loewy und Cohn, Ueber die Wirkung der Teslastrome auf den Stoffwechsel.260
Cohn, Therapeutische Versuche mit Wechselströmen hoher Frequenz und Spannung (Tesla¬
strömen) .260
Danegger, Experimentelle Untersuchungen des Lignosulfit mit Rücksicht auf seine Verwend¬
barkeit in der Behandlung der Tuberkulose.261
David, Grundriss der orthopädischen Chirurgie.261
Stadelmann, Beiträge zur Uebungstherapie.261
Windscheid, Pathologie und Therapie der Erkrankungen des peripherischen Nervensystems 262
Rosenbach, Bemerkungen über psychische Therapie mit besonderer Berücksichtigung der
Herzkrankheiten.262
Trüper und Ufer, Die Kinderfehler.263
Düms, Handbuch der Militärkrankheiten. HI. Band: Die Krankheiten der Sinnesorgane und
des Nervensystems, einschliesslich der Militärpsychosen.263
Joseph, Die Prophylaxe bei Haut- und Geschlechtskrankheiten.263
Kleinere Mittheilung-en.
Ueber eine einfache Methode der therapeutischen Verwendung des elektrischen Lichtes. Von
Dr. Leop. Laquer in Frankfurt a. M. Mit 1 Abbildung.264
Berichte über Kongresse und Vereine.
1. VIII. internationaler Kongress gegen den Alkoholismus zu Wien vom 9.—14. April 1901.
Von Dr. Julian Marcusc in Mannheim.265
II. Physikalisches von der Versammlung süddeutscher Laryngologen zu Heidelberg am
27. Mai 1901. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.269
III. Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft zu Berlin.
7.—12. März 1901. Erstattet von — n. (Schluss).271
Determann, Das Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für Kranke . 271
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Original - Arbeiten
I.
Ueber Sitophobie intestinalen Ursprungs')*
Von
Dr. Max Einhorn,
Professor an der New-Yorker Post-Graduate Medical School.
Sitophobie = »Furcht vor Nahrung« ist ein Zustand, der lange Zeit hindurch
anhalten kann und, wenn nicht erfolgreich behandelt, das Leben gefährdet. Es ist
deswegen ganz natürlich, dass dieser Gegenstand die volle Aufmerksamkeit des
Arztes erheischt.
Als ich zuerst den Ausdruck Sitophobie gebrauchte, war ich mir nicht bewusst,
dass Guislain 2 ) bereits dasselbe Wort angewandt hat, um die Verweigerung von
Nahrung, welche so oft in Fällen von Melancholie und Geisteskrankheiten angetroffen
wird, zu bezeichnen. Für diesen Zustand jedoch dürfte das von Sollier 3 ) ein¬
geführte Wort »Sitieirgie« = Nahrungsverweigerung zutreffender sein; denn bei
Geistesstörungen essen die Patienten nicht, nicht weil sie sich vor Nahrung fürchten,
sondern infolge verschiedener Ursachen: entweder befinden sie sich in einem
Depressionszustande, wo sie nichts thun wollen und infolgedessen auch nicht essen,
oder sie haben Selbstmordgedanken oder eventuell Illusionen, dass die Nahrung
vergiftet sei u. s. w. Es dürfte mir daher gestattet sein, den Ausdruck Sitophobie
nur für diejenigen Zustände zu reservieren, in welchen eine bestimmte Furcht vor
der Nahrungsaufnahme infolge eventuell eintretender übler Nachwirkungen besteht.
Sitophobie in diesem Sinne hat nichts mit Gehirnstörungen zu thun und findet sich
bei vollkommen geistesgesunden Menschen.
In meinem Artikel »Die Diät der Dyspeptiker« 4 ) habe ich bereits auf die
Wichtigkeit der Sitophobie und ihre Behandlung hingewiesen. Während jedoch in
dem obigen Artikel von der Sitophobie gesprochen wird, welche bei Magenkrank¬
heiten, die vornehmlich mit Schmerzen einhergehen, angetroffen wird, habe ich letzt¬
hin Gelegenheit gehabt, denselben Zustand bei Personen zu beobachten, welche
keinerlei Magensymptome hatten, und bei denen die Furcht vor Nahrung infolge
von Darmstörungen existierte. Ich werde mir erlauben, in dieser Arbeit über Sito¬
phobie intestinalen Ursprungs zu sprechen.
Ein vorzügliches Beispiel der Wichtigkeit dieses Zustandes giebt folgender Fall
ab, den ich hiermit berichte:
1) Nach einem in der New-Yorker Academy of Medicine am 16. Mai 1901 gehaltenen Vorträge.
2 ) Guislain, Eulenburg's Kcalencyklopädic der Medicin 1887. Bd. 12. S. 096.
:< ) Sollier, Revue de medecine 1891. August.
9 Max Einhorn, Archiv für Verdauungskrankheiten 1898. Bd. 6. S. *129
16 *
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Max Einhorn
188
William H., 28 Jahre alt, Buchhalter, ist bis vor 2 l U Jahren immer gesund gewesen.
Damals fing er an, an Verstopfung zu leiden, die sich allmählich verschlimmerte und zu¬
weilen mit Diarrhoe abwechselte. Ab und zu fand sich Schleim im Stuhlgang. Der Appetit
war gut, jedoch litt Patient zuweilen an Kopfweh und Schlafstörungen. Patient konsultierte
mich zuerst im März 1900 und bekam damals Magnesia usta und Ferratin sowie Olivenöl¬
einläufe. Hierauf ging es ihm eine Zeit lang besser. Er ging aufs Land, wo sich sein
Zustand jedoch wieder verschlechterte. Als er im August nach der Stadt zurückkam, er¬
hielt er Podophyliinpillen, die ihm jedoch keine Erleichterung verschafften. Er ging dann
zu einem anderen Arzt, der ihm Medicin und Wassereinläufe verschrieb.
Da er auch hiervon keinen Erfolg hatte, wandte sich Patient wieder den Podophyllin¬
pillen und täglichen Klystieren zu und verharrte bei dieser Behandlung von September 1900
bis März 1901. Oft hatte er in 7—10 Tagen keinen Stuhlgang. Während dieser ganzen
Zeit nahm Patient viel weniger Nahrung zu sich, als er im stände gewesen wäre zu be¬
wältigen, da er sich vor »Darmverschlingungc fürchtete. Er nahm dann stetig an Gewicht
ab und kam von 138 auf 101 V 2 Pfund herunter. Er wurde ausserordentlich nervös, reiz¬
bar und hypochondrisch. Letzthin fühlte er sich so schwach, dass er seinen Beruf auf¬
geben musste. Im März 1901 kam Patient wieder zu mir, er sah sehr schlecht aus und
war kaum im stände zu gehen. Ausgezogen, sah er beinahe wie ein Skelett aus, fast wie
ein Röntgenbild, da jeder Knochen sichtbar war.
Bei der Untersuchung ergab sich, ausser dieser extremen Abmagerung, eine ausge¬
sprochene Anämie. Die Brustorgane wiesen nichts abnormes auf, während die Bauchhöhle
beinahe muldenförmig eingesunken erschien und einen »scheinbaren Tumore erkennen liess,
der oberhalb des Nabels links von der Wirbelsäule gelegen war. Druckempfindlichkeit
war nirgends vorhanden. Der Urin enthielt weder Zucker noch Eiweiss. Kniereflex war
vorhanden.
Die Diagnose wurde auf Abmagerung infolge Inanition ohne organische Erkrankung
gestellt, und Patient demgemäss behandelt. Er wurde angewiesen 6 mal täglich zu essen;
abends wurde ihm ein Klystier von 500 ccm warmen Olivenöl und innerlich Magnesia usta
und Ferratin verschrieben. Er wurde angewiesen gute, einfache Nahrung, viel Frucht,
Brot und wenigstens V 4 Pfund Butter täglich zu sich zu nehmen. Sein Zustand besserte
sich sofort; er hatte täglich Stuhlgang, und wiegt jetzt, kaum einen Monat später, I 28 V 2 Pfund,
was eine Zunahme von beinahe ein Pfund pro Tag bedeutet. Patient erfreut sich jetzt
blühender Gesundheit, hat rothe Backen, fühlt sich kräftig und kann ohne Anstrengung
lange Spaziergänge unternehmen.
Einen anderen Fall, ziemlich analog dem eben beschriebenen, möchte ich gleich¬
falls erwähnen:
Joseph W., 23 Jahre alt, Schneider, leidet seit zwei Jahren an||Verdauungsbesckwerden
(Vollsein nach dem Essen) und Verstopfung. Vor etwa sechs Monaten konsultierte er mich
und klagte hauptsächlich über starke Verstopfung. Das ordinierte Medikament (Tinct. rhei.)
schien den Zustand nicht viel beeinflusst zu haben. Der Appetit war nicht besonders gut,
und die Verstopfung wurde immer hartnäckiger. Patient hatte Angst viel zu essen, da er
glaubte, je mehr er ässe, desto mehr würde er verstopft sein, und desto eher würde er
ein Abführmittel brauchen müssen. Er ass damals alles, jedoch in sehr kleinen Quantitäten;
auch war er gezwungen, schon morgens früh nüchtern, und auch sonst noch 2 —3mal
täglich, ein Glas Schnaps zu sich zu nehmen, um arbeitsfähig zu sein. Er kam immer
mehr herunter und hat in letzter Zeit 16 Pfund abgenommen. Er wiegt jetzt 110 Pfund.
Die Untersuchung ergiebt: Patient sieht mager und blass aus. An den Brustorganen
sowie am Abdomen lässt sich nichts abnormes konstatieren. Zunge ist nicht belegt. Urin
enthält kein Eiweiss und kein Zucker. Kniereflexe sind vorhanden. — Die Diagnose auf
habituelle Konstipation mit Sitophobie wurde gestellt, und der Patient dementsprechend
behandelt.
In den zwei eben skizzierten Fällen entwickelte sich die Sitophobie als Folge
hartnäckiger Verstopfung. Die Patienten fürchteten sich den Darmtrakt mit viel
Nahrung zu behelligen, da derselbe scheinbar nicht einmal mit geringen Mengen der
feinsten Nahrungssubstanzen fertig werden konnte. Ich habe jedoch Fälle beobachtet,
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Ueber Sitophobic intestinalen Ursprungs. 189
in denen chronische Diarrhoe zur Entstehung der Sitophobie Anlass gab. Von den
vielen Fällen dieser Art, die ich gesehen habe, will ich nur einen berichten:
Frau N. 0., ungefähr 33 Jahre alt, klagt seit den letzten 4 — 5 Jahren über viel
Tympanie und Diarrhoe. Sie hat täglich 4—6 Ausleerungen und eine oder zwei in der
Nacht (um 3—6 Uhr morgens). Der Stuhlgang ist entweder wässerig oder breiig und ent¬
hält stets bedeutende Mengen von Schleim. Vor dem Stuhlgang findet immer viel Kollern
in den Därmen mit Abgang von Winden und geringen kolikartigen Schmerzen statt. Ihr
Appetit ist gut, und sie empfindet nach den Mahlzeiten keine Beschwerden. Patientin ist
jedoch in ihrer Diät sehr vorsichtig, lebt hauptsächlich von Bouillon, geschabtem Fleisch
und Toast, in kleinen Quantitäten genommen. Sie fürchtet ihren Zustand zu verschlimmern,
wenn sie mehr geniessen sollte. Patientin hat stetig abgenommen, im ganzen 40 Pfund
während der letzten zwei Jahre. Sie fühlt sich schwach, klagt über Schwindel, Trockenheit
im Mund, Schlaflosigkeit, und ist nicht im stände, ihren häuslichen Pflichten nachzukommen.
Die physikalische Untersuchung ergiebt das Vorhandensein von Enteroptose. Der
Mageninhalt weist nichts abnormes auf. Die Fäces enthalten Schleim und eine ziemliche
Menge unverdauter Nahrungsreste.
Die Diagnose wurde auf Enteroptose und chronische Enteritis gestellt. Patientin
wurde auf eine liberale Diät gesetzt; es wurde ihr erlaubt alles zu essen mit Ausnahme
von Salaten, Früchten und groben Gemüsen. Zwischen den Mahlzeiten sollte sie Brot und
Butter und Kumyss geniessen. Ausser dieser Diät erhielt sie Tannigen (0,6 t. i. d.).
Unter dieser Behandlung besserte sich der Zustand der Patientin stetig; sie nahm an
Gewicht zu, und ihr Darmleiden besserte sich bedeutend, obgleich es nicht ganz verschwand.
Bemerkungen.
In den eben skizzierten Beobachtungen war die Sitophobie ausgesprochen und
hatte ihren Ursprung in dem Glauben, dass die Darmstörungen sich durch die Auf¬
nahme erheblicher Nahrungsmengen verschlimmern möchten. Fälle der Art sind
gar nicht selten. Sitophobie massigen Grades kann man fast tagtäglich in den ver¬
schiedensten Darmerkrankungen beobachten.
Nachdem wir die Thatsache hervorgehoben haben, dass Sitophobie in Darm¬
affektionen angetroffen wird, erscheint es zweckmässig, die Gefahren dieses Zustandes
und zugleich seine Behandlung zu erörtern.
Während Zustände, die mit Diarrhoe einhergehen, durch Fernhalten von Nah¬
rung sich für eine kurze Zeit bessern mögen, verhält sich die Sache ganz anders in
den Fällen von der so häufig vorkommenden habituellen Verstopfung. Letztere wird
um so schlimmer, je weniger Nahrung eingenommen wird. Wird die Verstopfung
hochgradiger, so fürchtet sich Patient noch mehr, sogar die kleinen Mengen von
Nahrung zu geniessen, welche er bisher noch zu bewältigen pflegte. Auf diese Weise
bildet sich ein Circulus vitiosus aus: Verstopfung, Sitophobie verursachend, welch
letztere wieder ersteren Zustand verschlimmert.
Aber selbst in Fällen von Diarrhoe — wo die Sitophobie die Ursache von
dem Genuss ungenügender Nahrungsmengen ist — tritt, nach einiger Zeit schein¬
barer Besserung, ein Rückfall ein. Die mangelnde Ernährung unterminiert schliess¬
lich die Konstitution des Patienten; die natürlichen Hülfsmittel, welche im Organismus
für die Bekämpfung von Krankheiten zur Verfügung stehen, werden geschwächt und
viele nervöse Symptome treten in den Vordergrund. So kommt es, dass die Diarrhoe
bald wieder so schlimm ist, wie sie je war.
Sitophobie, gleichviel wodurch bedingt, muss, wenn sich selbst überlassen, das
Leben gefährden. Eine Person, welche stetig eine ungenügende Nahrungsmenge zu
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190 Max Einhorn, lieber Sitophobio intestinalen Ursprungs.
sich nimmt, geht langsam, aber sicher —, falls keine Aenderung in der Lebensweise
stattfindet — dem Hungertode entgegen.
Es erscheint kaum nöthig, auf die Symptome näher einzugehen, welche im Zu¬
stande der Unterernährung auftreten. Ihre Zahl ist eine Schaar: allgemeine Anämie
und speziell Anämie des Gehirns, Schwindelgefühl, Trockenheit im Munde, grosse
Ermüdung, Schlaflosigkeit u. s.w. Gelegentlich habe ich Albuminurie angetroffen,
welch letztere schnell auf Hebung der Ernährung verschwand.
Ein anderer wichtiger Punkt bei der Sitophobie ist, dass der Patient zuweilen
die Gewohnheit erwirbt, ^ehr geringe Quantitäten von Nahrung zu sich zu nehmen.
Der Zustand, welcher ursprünglich die Sitophobie hervorgerufen hatte, mag bereits
beseitigt worden sein, wonach die Sitophobie als solche gar nicht mehr existiert,
die Angewohnheit jedoch, sehr wenig zu essen, bleibt bestehen. Letztere vermag
dieselben Gefahren für das Leben zu bringen, wie die ursprüngliche Sitophobie.
Behandlung.
Patient muss veranlasst werden, ausreichende Mengen von Nahrung zu sich zu
nehmen, gleichviel, welche Ursache der Sitophobie zu Grunde liegt, und gleichviel
wie dies bewerkstelligt wird. Zuweilen genügt einfaches Zureden. In schweren
Fällen von Unterernährung ist es manchmal nicht möglich, eine ausreichende Er¬
nährung auf einmal zu instruieren; dann muss dies langsam veranstaltet werden,
indem man Patienten schrittweise an grössere Nahrungsmengen gewöhnt. In
manchen Fällen wird man sich bei der Ausführung dieses Behandlungsplans ver¬
schiedener Medikamente bedienen, so der Brompräparate bei Gegenwart schwerer
nervöser Symptome, oder des Kodeins bei Zuständen, die mit viel Schmerzen ein¬
hergehen.
Eine genügende Ernährung bildet das Fundament, auf welches das Gebäude
der Gesundheit errichtet werden muss. Fehlt das Fundament, so wird das Gebäude
— gleichviel was für eine Behandlung eingeschlagen wird — früher oder später Zu¬
sammenstürzen. Ist dagegen eine sichere Grundlage durch eine genügende Er¬
nährung einmal vorhanden, so ist es oft leicht, auf derselben weiterbauend, voll¬
kommene Genesung zu bewerkstelligen. Denn die üblichen therapeutischen Maass¬
nahmen werden dann in der Beseitigung des Krankheitsprozesses von Erfolg ge¬
krönt sein.
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Erik Ekgren, Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck Herztliätigkeit u. Puls. 1 Dl
II.
Untersuchungen und Beobachtungen über den Einfluss
der abdominellen Massage auf Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls
sowie auf die Peristaltik.
Aus der III. medicinischen Klinik der Königlichen Charit6 zu Berlin.
(Direktor: Gch.-Rath Prof. Dr. Senator.)
Von
Dr. Erik Ekgren
aus Stockholm.
Die Massage wird gerade in der letzten Zeit in Deutschland mehr gewürdigt
als früher, und die Aerzte halten sie nicht mehr für eine minderwerthige Be¬
schäftigung, sondern haben ihre praktische Ausübung schon theilweise persönlich
übernommen. Für das höhere Ansehen, das sie jetzt geniesst, ist gewiss auch von
Bedeutung, dass die Wirkung der Massage jetzt mehr physiologisch untersucht und
begründet wird. Die Empirie mag noch so berechtigt, ja für die praktische Medicin
nothwendig sein, die gründlich prüfende wissenschaftliche Untersuchung der auf dem
empirischen Wege gewonnenen Resultate ist aber absolut nothwendig. Speziell dürfte
es von grosser Wichtigkeit sein ein therapeutisches Mittel wie die Massage, das
einerseits von seinen Anhängern mit Begeisterung und Ueberschätzung gelobt, anderer¬
seits aber von den Gegnern mit Zweifel und Achselzucken betrachtet wird, streng
wissenschaftlich zu untersuchen, damit man die Gesetze der in diesem Falle in
Funktion tretenden Naturkräfte kennen lernt, und erfährt, was und wie viel man
von der Massage halten soll; ferner auch, damit man die Indikationen und Kontra¬
indikationen der Massage genau kennen lernt.
Von den verschiedenen Zweigen der heilgymnastischen manuellen Behandlung
wird der abdominellen Massage mit Recht ein besonderes Interesse zugewandt.
Autoritäten auf dem Gebiete der Massage, wie Mezger, Kellgren, Thure-Brandt,
Reibmayr, Bum, Hartelius, Wideu. s. w., applizieren die abdominelle Massage
bei den verschiedensten Affektionen, einmal, um, z. B. bei chronischer Obstipation,
eine lokale Wirkung auszuüben, sodann aber auch, um, z. B. bei Vitium cordis,
Angina pectoris etc., wie Stapfer sagt, »decongestionant« zu wirken; schliess¬
lich auch, weil wir empirisch wissen, dass — wie z. B. die gynäkologische Massage
es bewiesen hat — bei der abdominellen Massage noch dunkle, bisher nicht wissen¬
schaftlich genügend erklärte Vorgänge mit in Betracht kommen. Der sogenannte
Klopfversuch von Golz ist uns schon aus der Physiologie bekannt. Von diesem
Versuche ausgehend haben Stapfer und Romano eine Reihe von Experimenten an¬
gestellt und ihre Erfahrungen in dem Werke »Traite de kinesitherapie gynecologique.
4. Theil. Paris 1897« niedergelegt. Es sind das Untersuchungen über:
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102
Erik Ektfren
1. den »dynamogenetischen Reflex«;
2. »les 6tats syncopaux«; und endlich
3. eine »Critique des m6moires de Goltz sur les effets du tapotement
abdominal«.
In einer kleinen Arbeit: »Zur manuellen Therapie in der Gynäkologie« habe
ich mir schon zu erwähnen erlaubt, dass der Hauptschluss, den man ausStapfer’s
Publikation ziehen kann, der zu sein scheint, dass bei heftigem mechanischen
Reiz des Abdomens eine direkte Wirkung auf die lokalen Gefässe und eine
Reflexwirkung auf das Herz entsteht, die aber bei sanfter Massage ausfällt;
ferner dass der Grad der Reizbarkeit sowohl bei Menschen wie bei Thieren
individuellen Schwankungen unterworfen ist. Die Versuche von Stapfer und
Romano sind jedenfalls hochinteressant, denn sie beweisen direkt und indirekt, dass
die abdominelle Massage einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Herz¬
aktion und, was man schon empirisch wusste, auf die Gesammtzirkulation aus¬
übt. Dass durch die abdominelle Massage, theils rein mechanisch, theils auf reflek¬
torischem Wege durch den Vagus, eine abdominelle'Blutüberfüllung entstehen kann,
und dass die lokale Hyperämie eine artefizielle mehr oder weniger komplette Ent¬
lastung der peripherischen Gefässe, der zentralen Organe — namentlich des Herzens —
und somit auch eine Veränderung in dem Gefässtonus hervorzurufen im stände ist,
das haben u. a. schon Goltz, Bum und Reibmayr, sowie in jüngster Zeit auch
Gau ton und Dolega beobachtet und zum Theil wissenschaftlich bewiesen.
Von speziellem Interesse ist die Einwirkung der Massage auf den Gefäss¬
tonus. Dass Muskelarbeit eo ipso einen Einfluss auf den Gefässtonus hat, wissen
wir schon längst, doch gehen die Anschauungen über die spezielle Art dieses Ein¬
flusses etwas auseinander. Während Traube und Oertel ausnahmslos eine Blut¬
drucksteigerung konstatierten, haben Experimente von Sommerbrodt und Zander
im Gegentheil eine Herabsetzung des Gefässtonus nach Muskelarbeit ergeben, des¬
gleichen auch Untersuchungen von Hasebroek. A. Wide hebt die Herabsetzung
der Pulszahl durch einzelne gymnastische und Massagebewegungen hervor, und speziell
hat Astiey Levin durch 10jährige Beobachtungen konstatiert, dass die abdominelle
Massage auf eine überreizte Herzthätigkeit verlangsamend wirken kann. Studien,
die Colombo in jüngster Zeit (Roma 1890) gemacht hat, sind sehr lehrreich und
weisen darauf hin, dass der Zustand des Tonus der Gefässe der Unterleibsorgane
die Hauptrolle spielt in den Blutdrucksverhältnissen des ganzen Gefässsystems und
dass gegen die dadurch bedingten Schwankungen, die Schwankungen, welche durch
Aenderungen im Tonus der Extremitätengefässe bedingt sind, verschwinden. Nach
der Ansicht Colombo’s ist der Tonus im Gesammtgefässsystem stets bedingt durch
den Fiillungszustand, d. h. durch die Enge oder Weite der Unterleibsgefüsse.
Am Menschen wurden Blutdruckmessungen zuerst von Vierordt (1855) aus¬
geführt. Zu erwähnen sind hier die Methoden von Marey, Hürthle, v. Basch,
Riva-Rocci u. a. Marey hat den Druck in den Gefässen des Vorderarmes auf
88 mm Hg festgestellt und Hürthle auf 100 mm Hg.
Bei seinen Experimenten hat sich Colombo der verbesserten Apparate von
Mosso und von v. Basch bedient. Er bestimmte den wechselnden Anstieg und
das Sinken des Tonus während 24 Stunden bei einem 25 Jahre alten Individuum,
bei welchem der Einfluss der Nahrungsaufnahme vollständig ausgeschaltet war.
Seine Beobachtungen ergeben als Maximaltonus 100 mm — um Val2 Uhr vor-
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Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, Ilcrzthätigkeit und Puls. 133
mittags — und als Minimum 65 mm — von 11—12 Uhr nachts. Sonst waren ganz
unmotivierte Schwankungen zu beobachten. Die Pulsfrequenz ging den Tonus-
werthen nicht parallel, sondern gleichzeitig mit dem Maximaltonus von 100 finden
wir eine Pulsfrequenz von nur 45, und gleichzeitig mit dem Minimaltonus eine Puls¬
frequenz von 80 resp. 77.
Ob diese Experimente von Colombo als beim hungernden Individuum an¬
gestellt — also unter physiologisch ganz anormalen Verhältnissen — maassgebend
sind, möchte ich dahingestellt lassen. Interessant sind sie jedenfalls.
Die Untersuchungen, die im letzten halben Jahr in der Geh.-Rath Senator-
schen Klinik auf Anregung des Herrn Oberarztes Dr. Strauss von mir vorgenommen
worden sind, haben sich zunächst auf den Einfluss der abdominellen Massage
auf Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls sowie auf die Peristaltik bezogen.
Hier sei sofort nachdrücklich betont, dass die Massage des Abdomens nur von einem
mit der Massage vertrauten Arzt ausgeführt werden sollte. Um das zu verstehen,
brauchen wir nur an die Kontraindikationen der Bauchmassage zu denken, wie
z. B. an tuberkulöse oder typhöse Ulcerationen, peritonitische Adhäsionen, akute
Perityphlitis und Gastroenteritis, Ulcus ventriculi (Hämatemesis!), Phthisis pulmonum
(Hämoptoe!), maligne Tumoren etc. Grosse Vorsicht empfiehlt Strauss auch bei
der Gastroptose. Nur der Arzt kann diese Kontraindikationen richtig würdigen und
— was besonders wichtig ist — oft erst im Verlauf der Behandlung diese Kontra¬
indikationen entdecken.
In fast allen Fällen wurde nach der schwedischen, von Thure Brandt scn.
näher präzisierten, Methode und zwar von mir selbst nur manuell massiert. Auch
die Vibrationen wurden mit der Hand ausgeführt. Die vorgenommenen Manipulationen
waren folgende. Ich will sie deshalb ausführlich schildern, weil ich meine Befunde
zunächst nur in Bezug auf die von mir befolgte Methodik vertreten möchte.
Der Patient 1 ) liegt in Rückenlage, die unteren Extremitäten im Kniegelenk ziemlich
stark flektiert und etwas nach aussen rotiert, auf einem festen Massagesofa. Die Stellung
wird als »krummhalbliegend < bezeichnet, d. h. Kopf und Thorax ruhen etwas höher als
das Abdomen, wodurch bei flektierten Extremitäten eine krumme Linie entsteht, und die
Bauchdecken erschlaffen. Die das Abdomen bedeckenden Kleider sind so viel wie nöthig
zurückgeschoben. Der Patient wird vorher aufgefordert Urin zu lassen, damit die Blase
entleert ist. Der Arzt sitzt an der linken Seite des Patienten, die Oberschenkel gespreizt,
damit er möglichst nahe an den Patienten herankommt. Zu demselben Zweck lässt man
auch den Patienten sich auf dem Sofa möglichst nahe am Arzt hinlegen. Es wird mit der
Colonmassage angefangen und zwar in der Fossa iliaca sinistra, worauf man besonders
aufmerksam machen muss! Links haben wir nämlich die Flexura sigmoidea coli, die dein
Rectum am nächsten liegt, die immer von dem Darminhalt passiert werden muss und sich
auch häuüg auf dem Os ileum als mit Scybala gefüllt palpieren lässt — also an der Flexura
muss erst Platz geschaffen werden. Die im Carpalgelenk extendierten Hände werden in
Pronationsstellung aufeinander gelegt, die Finger, unter kleinen Zirkelbewegungen die Bauch¬
decken zurückschiebend, in die Fossa iliaca vorsichtig gesenkt, ‘und es wird eine zuerst
nach unten medial gerichtete Effleurage appliziert. Die Hände schreiten, von den Bauch¬
decken aber nicht weggenommen, an das Colon descendens etwas höher hinauf, und unter
feinen Zirkelbewegungen, aber beim Abwärtsgehen mit etwas mehr Kraft, wird wieder zur
Flexura sigmoidea zurückgekehrt. Man schreitet, das Colon descendens und transversum
in der Weise durchknetend, immer höher hinauf, kehrt aber stets zur Flexura wieder zurück.
Zuletzt werden das Colon ascendens und das Coecnm massiert, wobei dann natürlich die
') Meine Untersuchungen sind nur an Männern angestellt.
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194 Erik Ekgrcn
Hauptwirkung auf die Richtung von unten bis oben gelegt wird. Endlich macht man, von
der Coecalgegend ausgehend, das ganze Colon entlang eine oder zwei ununterbrochene
Streichungen.
Der Patient wird nun aufgefordert die Kniee zu senken, liegt also mit extendierten
unteren Extremitäten. (Die oberen Extremitäten bleiben während der ganzen Prozedur
an den resp. Körperseiten, der Medianlinie parallel, ruhend, damit nicht, durch etwaige
andere Lagerung derselben, die Bauchdecken gespannt werden.) Der Arzt behält seine
Stellung. Die pronierten, im Carpalgelenk extendierten Hände ruhen in der Höhe des Um-
bilicus, zwischen der Spina ant. sup. sinistra und dem Rippenbogen, aufeinander, die rechte
unten (oder, wenn die Distanz zwischen Rippenbogen und Spina gross genug ist, neben¬
einander). Jetzt erfolgt eine Querleibmassage (»Walkung«) (oder ein Durchschneiden
des Abdomens), durch welche man speziell auf das Jejunum-Ileum einwirken will. Man
schiebt mit der Vola manus und dem Carpus das Darmpacket vorsichtig und langsam nach
rechts herüber, macht mit den Händen eine wiegenartige Bewegung, so dass im Carpus
eine Flexion entsteht, und bringt dann mit den etwas hyperextendierten Fingern und den
Metacarpo - Phalangealgelenken die Dünndarmmasse wieder nach links zurück. Dieselbe
Manipulation wird etwa 6 — 8 mal wiederholt, in langsamen Tempo, federnd zart, aber
doch präzis.
Es erfolgen nun drei oder vier ziemlich kräftige, tief in das Abdomen dringende
Vibrationen, die mit den die Umbilicalgegend flach aufgelegten, grade gehaltenen Händen
ausgeführt, gegen die Wirbelsäule, also senkrecht gegen das Abdomen, appliziert werden.
Sie sollen speziell kalmierend und reflektorisch auf das Herz wirken. Bei Obstipatio
chronica oder acuta fügt man sogenannte >Plexus-solaris-Vibrationen« hinzu. Der
Arzt stellt sich an die Seite des Patienten hin, das Gesicht und die Ventralseite des Kör¬
pers gegen den Patienten wendend, schiebt sein linkes Knie zwischen die flektierten, hoch¬
gezogenen Schenkel des Patienten herein, bleibt aber mit dem rechten Fusse auf dem Boden
ruhend. Jetzt neigt er sich etwas über den Patienten, senkt die mit den Volarflächen
nebeneinander gehaltenen, leicht flektierten Hände, die Finger nach unten, in das Epigas-
trium, etwa in die Mitte zwischen Proc. xiphoides und Nabel, herein und macht in die
Tiefe, gegen die Wirbelsäule zu, aber in bogenförmiger Richtung nach oben, drei von kleinen
Pausen unterbrochene, je etwa fünf Sekunden dauernde, leichte Vibrationen. Digiti III
und IV sollen etwas flektiert sein, damit die Fingerkuppen in einer Ebene liegen und einen
möglichst gleichmässigen Druck ausüben. Wenn die Digiti II—V etwas stärker flektiert werden,
sind die Vibrationen auch bei Patienten mit leicht auslösbaren Reflexen applizierbar.
In zwei Fällen, wo ein ziemlich starker Panniculus vorhanden war, und keine Kontra¬
indikationen Vorlagen, sind auch nach Schweninger kräftigere, schüttelnde Bewegungen
mit den flach aufgelegten, extendierten Händen von lateral nach der Medianlinie zu versucht
worden, ebenso Tapotement ä l’air comprim6, um eine Correflexwirkung hervorzurufen.
Ich kann indessen nicht sagen, dass diese Manipulationen einen stärkeren Ausschlag, weder
was die Pulsfrequenz noch was den Tonus anlangt, gegeben haben.
Die Blutdruckmessungen wurden sämmtlich mit dem von Professor Gärtner in
Wien konstruierten Tonometer ausgeführt. Der Apparat ist einfach und funktioniert,
wenn man auf denselben etwas eingetibt ist, befriedigend. Die Messungen sind fast aus¬
schliesslich am Zeigefinger der linken Hand, der in Herzhöhe gehalten wurde, vorgenommen.
Die Untersuchungen wurden stets vormittags in der Zeit von V 2 H zu 12 Va Uhr
und unter allen Kautelen vorgenommen. Oftmals wurde der Befund durch mehrere Mes¬
sungen hintereinander kontrolliert. Ferner habe ich mich stets bemüht, die Patienten erst
dann zu untersuchen, als sie sich völlig ruhig verhielten und sich keinerlei Anstrengungen
körperlicher oder psychischer Art ausgesetzt hatten, welche die Pulsfrequenz oder den Blut¬
druck eventuell hätten in die Höhe bringen können. Beim Tonometrieren befanden sich
die Patienten in sitzender Stellung vor dem Untersucher. Nachdem Puls- und Tonusbefund
notiert waren, haben sie sich auf das Massagesofa hingelegt. Jede Behandlung hat 10 bis
12 Minuten gedauert, und nach derselben wurden die Patienten veranlasst die sitzende Stel¬
lung möglichst ruhig wieder einzunehmen. Dann wurden Puls und Tonus wieder kontrol¬
liert. Das Herz wurde beim Liegen des Patienten vor und nach der Behandlung aus¬
kultiert.
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195
Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls.
Ehe wir zu einer kurzen Besprechung der einzelnen Fälle übergehen, wollen
wir bemerken, dass dadurch, dass die Kontraindikationen der abdominellen Massage
so viele sind, die in einem halben Jahr gesammelten Fälle numerisch nicht so
zahlreich geworden sind, wie man es hätte wünschen können. Die beobachteten
Fälle sind aber Wochen und Monate hindurch untersucht worden. Was speziell
die Tonometerbestimmungen anlangt, so haben wir gleichzeitig andre vergleichende
Untersuchungen an über 150 Kranken und Gesunden mit ca. 800—900 verschiedenen
Messungen angestellt, so dass wir nicht nur genügende Sicherheit in der Methodik
erlangten, sondern auch durch das gewonnene Vergleichsmaterial in der Lago waren,
das nöthige Maass von Kritik an unsere Befunde anzulegen.
Herrn Geheimrath Senator und Herrn Oberarzt Strauss, meinen hochverehrten
Lehrern, bin ich für ihr gütiges Interesse und für die Ueberlassung des reichhaltigen
Materials zu bestem Dank verpflichtet!
Fall I. N., 55 Jahre alt, Töpfer. Diagnose: Pylorusstenose, Atonia vcntriculi.
Obstipatio chronica (in 14 Tagen 3 Stöhle). Appetitlosigkeit, Erbrechen, Schlaflosig¬
keit. Schmerzgefühl im Epigastrium und in der linken Mammillarlinie in Nabelhöhe.
Abdominelle Massage (Colon- und Querleibmassage, Vibrationen) vom 29. Oktober
bis 17. November. Stuhl am dritten Tage, so jeden zweiten Tag, endlich täglich.
Speziell leichte Effleurage der Scbmerzstellen. Patient gab an, er hätte das Gefühl, als ob
die Stellen direkt während der Massage heilten.
Blutdruck
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 80 mm):
2 mal unbeeinflusst,
9 » gefallen
(6 mal um 10 mm Hg.)
(3 > » 5 j> > )
1 > gestiegen (mit 6 mm).
Pulsfrequenz
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 72):
8 mal unbeeinflusst,
7 :> verlangsamt
(um 4—12 Schläge)
1 » beschleunigt
(um 16 Schläge)
2 :> nicht kontrolliert.
Patient wird am 17. November gebessert entlassen. Stuhl fast täglich, manch¬
mal 2 mal. Appetit und Schlaf gut. Kein Erbrechen, keine nennenswerthen Schmerzen.
Motilität des Magens etwas gebessert. Gewichtszunahme in 14 Tagen 3 Pfund.
Fall II. J., 34 Jahre alt, Schmied. Diagnose: Neurosis traumatica.
Cor normal, Kopfschmerzen (»dumpfes Gefühl«), Gedächtnissschwäche. Sprache verlangsamt,
aber gut. Vegetative Funktionen normal.
Abdominelle Massage (Colon- und Querlcibmassage, ziemlich kräftige Vibrationen,
auch Massage nach Schweninger) vom 14.—29. November.
Blutdruck
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 105 mm):
l mal unbeeinflusst,
1 » gestiegen
(um 5 mm Hg.)
9 ;> gefallen
(1 mal um 30 mm Hg.)
(1 » » 25 » )
(2 » » 20 » » i
(2 » 2> 15 » » )
(2 > »10 * * )
(1 > » 5 » » )
Pulsfrequ enz
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 96):
2 mal unbeeinflusst,
11 » verlangsamt
(1 mal um 32 Schläge)
(2 » » 24 » )
(2 » » 20 » )
(4 » » 12 I )
(2 > > 4 » )
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106 Erik Ekgren
Patient wird am 10. Dezember gebessert entlasset!. Allgemeinbefinden gut. Stuhl
1—2 mal täglich. Kopfschmerzen bestehen noch.
Fall III. B., 30 Jahre alt, Drechsler. Diagnose: Dilatatio cordis traumatica.
Am 12. Mai 1900 Trauma gegen die Hcrzgegeüd; später allmählich auftretende Athemnoth,
Herzklopfen, Husten und Mattigkeit. Aufgenommen am 21. Juli 1900. Corbefund: Spitzen-
stoss zwei Fingerbreit ausserhalb der Mammillarlinie im V. I. R., hebend. Grenzen: Oben
III R., rechts rechter Sternalrand. Töne rein. Puls klein, weich, oft unregelmässig.
Die Herzdämpfung ist sehr variabel, in der Ruhe kleiner als nach Anstrengung, wie
Treppensteigen etc. Zeitweise besteht Hepar auctum.
Abdominelle Massage (Colon- und Querleibmassage, Vibrationen) vom 27. Oktober
bis 8. Dezember.
Blutdruck
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 75 mm):
7 mal unbeeinflusst,
12 » gefallen
(1 mal um 20 mm Ilg.)
(1 » » 15 » » )
(5 » > 10 » » )
(5 » » 5 » » )
9 > gestiegen
(1 mal um 20 mm Hg.)
(2 » » 15 » » )
(3 » » 10 » » )
(3 » » 5 » » )
Pulsfrequenz
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 100):
18 mal unbeeinflusst,
8 » verlangsamt
(1 mal um 20 Schläge)
(2 » »12 > )
(3 » » 8 > )
(2 » » 4 » )
9 » beschleunigt
(1 mal um 20 Schläge)
(2 » »12 » )
(6 » » 4 » )
Cormassage und leichte periphere passive Bewegungen werden zeitweise nach der
abdominellen Massage separat gegeben. Patient fühlt sich nach jeder Behandlung sub¬
jektiv erleichtert. Objektiv keine wesentliche Besserung, nur ist der Puls voller
und regelmässiger und der Tonus, der anfangs 50 — 60 betrug, ist zu etwa 80
gestiegen.
Fall IV. K., 21. Jahre alt, Musiker. Diagnose: Stenosis valvulae mitralis.
Vor 2 V 2 Jahren plötzlich Athemnoth. Aerztliche Behandlung. Nach zwei Monaten Abschied
vom Militär wegen Athembeschwerden. Im März 1900 Haemoptoc (?) nach Solovortrag.
Potus mässig. Infectio negatur. Jetzige Klagen: Beim Gehen Athemnoth und heftige
Brustschmerzen links. Kein Fieber. Stuhl regelmässig. Corbefund: Grenzen normal.
Spitzenstoss hebend. Töne rein. II. Pulmonalton klappend. Im III. Intercost. Raum ab¬
norme Pulsation bei Inspektion und Palpation bemerkbar. Delirium cordis, Pulsus irregularis.
Abdominelle Massage (subtilste Behandlung) vom 5. November bis 5. Dezember
8 mal.
Blutdruck
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 80 mm):
1 mal unbeeinflusst,
3 » gefallen
(2 mal um 20 mm Hg.)
(1 » » 15 » » )
Pulsfrequenz
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 100):
3 mal unbeeinflusst,
1 » verlangsamt
(um 20 Schläge)
Nach der abdominellen Massage lokale Cormassage separat. Die Herzaktion nach
jeder Behandlung objektiv und subjektiv ruhiger, regelmässiger.
Fall V. R., 30 Jahre alt, Arbeiter. Diagnose: Cerebellare Ataxie. Früher zwei¬
mal Malariafieber, sonst stets gesund. Krank seit einem Jahre. Stauungserscheinungen.
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Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls. 197
Romberg’sches Phänomen stark positiv. Ataktischer Gang; leichte Sprachstörungen (»nä¬
selnde Sprache«), Keine Stauungspapille, keine Opticusatrophie. Obstipatio (Stuhl nur
jeden 3.—4. Tag), Schwindelgefühl, Cyanose des Gesichts.
Abdominelle Massage (Colon- und Querleibmassage, Vibrationen; zweimal Tapo¬
tement des Abdomens) vom 30. November 1900 bis 21. Januar 1901. Stuhl erfolgt
nach der ersten Behandlung, später fast täglich 1—2 mal.
Blutdruck
direkt nach der Behandlung
(durchschnitt. 110 mm):
1 mal unbeeinflusst,
26 » gefallen
(2 mal um 35 mm Hg.)
(3
»
»
30 >
» )
(5
>
»
25 >
» )
(3
»
»
20 »
» )
(2
»
»
15 »
» )
(9
»
»
10 »
» )
(2
»
»
5 >
» )
Pulsfrequenz
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 76):
3 mal unbeeinflusst,
32 » verlangsamt
(2 mal um 32 Schläge)
(1 > >20 > )
(5 » »16 » )
(5 » » 12 » )
(13» » 8 » )
(6 » » 4 » ' )
Patient wird am 8. Februar gebessert auf Wunsch entlassen. Stuhl täglich.
Fall VI. B., 36 Jahre alt, Feuerwehrmann. Diagnose: Neurosis cordis. Krank
seit acht Jahren. Jetzt bestehen angebliche Schmerzen in der Herzgegend, die sich beim
Liegen und besonders in der Nacht steigern. Druck auf und zwischen den betreffenden
Rippen etwas schmerzhaft. Corgrenzen normal, Töne rein. Pulmones ohne besonderen
Befund. Appetit gut, Schlaf durch Schmerzen gestört. Stuhl ziemlich regelmässig.
Abdominelle Massage (leichte Colon- und Querleibmassage, Vibrationen üt la maiu
plate; lokale Massage der Herzgegend separat: Tapotement, Effleurage, Vibrationen) vom
8. Februar bis 16. Februar. Gegen die Schlaflosigkeit wurden hypnotische Streichungen
von der Stirn bis zu den Füssen herunter (unter geschlossenen Augen des Patienten) mit
gutem Erfolg versucht.
Blutdruck
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 120 mm):
1 mal unbeeinflusst,
1 » gestiegen (5 mm),
5 » gefallen
(2 mal um 20 mm Hg.)
(1 » » 16 » » )
(2 » » 10 » » )
Pulsfrequenz
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 76):
1 mal unbeeinflusst,
6 » verlangsamt
(1 mal um 20 Schläge)
(1 » »16 » )
(2 » » 12 » )
(1 » » 8 » )
(1 » » 4 » )
Patient wird am 17. Februar gebessert entlassen. Schmerzen haben etwas abgenommen.
Schlaf besser. Stuhl regelmässig.
Fall VII. S., 30 Jahre alt, Klempner. Diagnose: Pleuritis sicca. Obstipatio
chronica. (Pleuritis fast geheilt). Schmerzen im Epigastrium und in der Gallenblasen¬
gegend.
Abdominelle Massage (Colon- und Querleibmassage, auch nach Sehweninger;
Vibrationen, Zirkeleffleurage der Schmerzstellen) vom 3.—19. Januar.
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198
Erik Efcgren
Blutdruck
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 120 mm):
7 mal gefallen
(1 mal um 30 mm Hg.)
(2 »
20 »
» )
(1 »
) 5 »
» )
(2 »
10 >
» )
(1 >
»
5 »
» )
Pulsfrequenz
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 88):
2 mal unbeeinflusst,
8 » verlangsamt
(1 mal um 20 Schläge)
(1 » »12 » )
(4 > » 8 » )
(2 » » 4 » )
Patient wird am 20. Januar gebessert entlassen. Schmerzen bestehen nicht mehr.
Stuhl ziemlich regelmässig.
Fall VHI. M., 28 Jahre alt, Drechsler. Diagnose: Neurasthenie. Obstipatio.
Es besteht Kardialgie und »Geffihl von Völle c im Leibe. Blähungen gehen schwer ab.
Leichte Irregularität des Pulses.
Abdominelle Massage (Colon- und Querleibmassage, Vibrationen, Tapotement a
Tair comprim6) vom 9.—22. Februar.
Stuhl nach der ersten Behandlung.
Blutdruck
1 Pulsfrequenz
direkt nach der Behandlung
direkt nach der Behandlung
durchschnittl. 100 mm):
| (durchschnittl. 76):
2 mal unbeeinflusst,
9 mal verlangsamt
7 » gefallen
(1 mal um 24 Schläge)
(1 mal um 20 mm Hg.)
fl» » 20 » )
(2 » » 10 » » )
(1 » » 16 » )
(4 » » 5 » » )
(2 i » 12 » )
(2 » »8 » )
(2 » » 4 » )
Patient wird am 22. Februar geheilt entlassen. Es bestehen keine Schmerzen. Stuhl¬
gang regelmässig.
Fall IX. D., 30 Jahre alt, Reisender. Diagnose: Ischias. Neurasthenie. Heftige
linksseitige Ischiadicusscbmerzen, die sich bei jeder Bewegung der Extremität steigern.
Abdominelle Massage vom 12.— 20. Februar.
Blutdruck
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 120 mm):
4 mal unbeeinflusst,
4 » gefallen
(3 mal um 20 mm Ilg.)
(1 » » 10 » » )
Pulsfrequenz
direkt nach der Behandlung
(durchschnittl. 80):
1 mal unbeeinflusst,
6 » verlangsamt
(1 mal um 52 Schläge 1 )
(1 » » 8 » )
(4 » » 4 » )
Ischiasbehandlung wird täglich, nach der abdominellen Massage, separat gemacht
(Nervenvibrationen, Tapotement, Widerstandsbewegungen). Die Schmerzen lassen nach jeder
Vibration nach und die Bewegung der betreffenden Extremität wird freier, Patient ist aber
etwas aufgeregt und hat nicht Geduld die Behandlung fortzusetzen. Am 2. März nach der
hydro-therapeutischen Abtheilung entlassen.
i) Psychische Momente bedingten die hohe Pulsfrequenz vor der Behandlung.
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Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls. 190
Fall X. W., 18 Jahre alt, Schüler. Diagnose: Gastroptose. Akute Gastritis.
Habitus paralyticus. Patient ist in der Rekonvalescenz, es bestehen aber leichte Schmerzen
im Epigastrium und links vom Nabel. Hartnäckige Obstipation I
Abdominelle Massage (subtilste Colonmassage, leichteste Effleurage und zarte
Vibrationen) vom 22. Februar bis . . . Stuhl nach der dritten Behandlung und
später täglich 1—2 mal. Schmerzen verschwunden.
Blutdruck
direkt nach der Behandlung
(durchschnittL 100 mm):
12 mal gefallen
(1 mal um 25 mm Hg.)
(3 » » 20 » > )
(2 » » 15 » » )
(4 » » 10 » » )
(2 » » 5 » » )
Die Behandlung wird noch fortgesetzt!
Fall XI. G., 23 Jahre alt, Barbier. Diagnose: Myodegeneratio cordis in-
cipiens. Patient war früher stets gesund. Hat bei der Marine gedient und sich l 1 /« Jahre
in Kiaotschau an den Erdarbeiten betheiligt; Herzklopfen, Athembeschwerden und Schmerzen
in der Milzgegend sind allmählich aufgetreten. Corbefund: Obere und linke Grenze normal,
rechte Grenze nach Anstrengung zwei Finger breit nach aussen vom rechten Sternai¬
ran de, in der Ruhe etwa in der Medianlinie. Töne rein. Puls von massiger Spannung,
weich, regelmässig.
Abdominelle Massage (subtilste Colon- und Querleibmassage, Vibrationen) Cor-
gegendmassage separat, vom 2. März bis . . .
x Blutdruck
direkt nach der Behandlung
(durchschnittL 120 mm):
6 mal gefallen
(1 mal um 40 mm Hg.)
(1 y> » 30 » * )
(2 > » 25 » » )
(1 » » 20 > » )
(1 » > 6 » > )
Patient wird noch täglich behandelt!
Wenn wir diese 11 Fälle etwas näher betrachten, so ergiebt sich als Resultat
der abdominellen Massage ein deutlicher Einfluss auf den Gefässtonus, die
Pulsfrequenz und die Peristaltik. Was den Einfluss auf die Herzthätigkeit
anlangt, so ist bei fast sämmtlichen manuell behandelten Patienten die Herzaktion
durch die Massage des Abdomens entweder verlangsamt oder regelmässiger
und kräftiger geworden. Die Fälle III, IV und XI sind in der Beziehung besonders
interessant, da es sich hier um organische Herzmuskelerkrankungen handelte. Im
Fall III hatten wir einen Patienten vor uns, dessen Herz so labil war, dass das
Organ auf fast jede Körperbewegung oder Gemüthsaffektion reagierte. Die Dämpfungs¬
grenzen, die bei Körperbewegungen nach aussen rückten, und die, wie die Sektion ergab,
kolossale Dilatation des Cor, welche von Herrn Oberarzt Dr. Strauss in der Gesell-
Pulsfrequenz
direkt nach der Behandlung
(durchschnittL 76 mm):
6 mal verlangsamt
(1 mal um 20 Schläge)
(1 » »12 » )
(3 » » 8 » )
(1 » » 4 » )
Pulsfrequenz
direkt nach der Behandlung
(durchschnittL 96):
12 mal verlangsamt
(1 mal
um
32 Schlage)
(2 >
>
20 »
)
(1 »
»
16 >
)
(1 »
i
14 >
)
(3 >
y>
12 »
)
(4 »
»
8 »
)
200 Erik Ekgren
Schaft der Charitdärzte am 22. November 1900 und am 10. Januar 1901 demonstriert
wurde, verbot es von vornherein grosse Gewalt anzuwenden. Sowohl die Colon-
und Querleibmassage als die Vibrationen mussten mit leichtester Hand ausgeführt
werden. Dieselbe Regel galt auch für den Fall IV. Fall XI ist noch immer in
Behandlung.
Die durch die Bauchmassage hervorgerufene Verlangsamung der Puls¬
frequenz scheint, wie unsere Fälle in Uebereinstimmung mit einer bereits vor¬
handenen Erfahrung gezeigt haben, ziemlich konstant zu sein. Speziell stimmen meine
Untersuchungen völlig mit denjenigen von Stapfer, A. Wide, A. Levin, Dolega
und Colombo überein. Um das Verhalten des Pulses nicht nur durch die Palpation
anschaulich zu machen, wurden auch bei mehreren Patienten vor und nach der
Behandlung Sphygmogramme aufgenommen. Die Kurven zeigen erstens, dass die
Elevationen (des aufsteigenden Schenkels) niedriger und die Distanz von Elevation
zu Elevation grösser wurden, zweitens schien es auch, dass die Rückstosselevation
nicht so deutlich markiert wurde.
Im Falle V wurden verschiedene Mal und unter allen Kautelen ganze Serien
von Sphygmogrammen, unmittelbar vor der Behandlung, während der Colon¬
massage, während der Querleibsmassage und während der Vibrationen
sowie endlich eine Minute nach beendigter Behandlung, aufgenommen. Diese
Sphygmogramme zeigen deutliche Aenderungen in der Pulsform.
Der Einfluss der Bauchmassage auf die Peristaltik dürfte wohl, wie auch
speziell von L. Landau hervorgehoben ist, von den meisten Autoren schon an¬
erkannt sein. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die manuelle Behandlung
der chronischen Obstipation die rationellste ist. Remedia pharmacologica und Klys-
mata, so nöthig und unentbehrlich sie auch in akuten Fällen sein mögen, schwächen
bekanntlich den Darm, anstatt ihn zu kräftigen. Häufig ist aber gerade die Schwäche
der Muskulatur, die Atonie des Darms die Ursache der Obstipation, und gerqfie in
solchen Fällen ist die manuelle Therapie am Platze. Sehr interessant ist zu be¬
obachten, wie die subjektiven, lokalen Schmerzen manchmal während der Behandlung
nachlassen um später allmählich fast ganz aufzuhören. Man darf wohl vermuthen,
dass die Schmerzen, die durch Verwachsungen, Residuen von alten circumscripten
Entzündungen der Serosa des Darms hervorgerufen werden dürften, häufig gerade
durch successive eintretende Zerreissungen oder Lockerung dieser Adhäsionen zum
Verschwinden gebracht werden.
Auf den Gefässtonus hat die abdominelle Massage, wie aus der Kasuistik
zu sehen ist, meist eine herabsetzende Wirkung. Die Bauchmassage ist also
unter diejenigen Eingriffe auf den Körper einzureihen, die ein Sinken
des Gefässtonus hervorzurufen im stände sind.
Ich bin mir hierbei aber wohl bewusst, dass gerade die Beurtheilung dieser
Frage besondere Schwierigkeiten besitzt, und dass gerade die Deutung der tono-
metrischen Befunde besondere Vorsicht erfordert, denn Veränderungen des Blut¬
druckes können durch die verschiedensten Momente bedingt werden. Nur um zu
zeigen, wie zahlreich diese sind, gebe ich hier eine kurze Uebersicht über die Ur¬
sachen, welche Veränderungen des Blutdruckes bedingen können.
Nach Angaben in der Litteratur und nach meinen eigenen Beobachtungen,
findet man im allgemeinen einen niedrigen Tonus bei:
1. Schwerkranken und Moribunden (ante Exitura, eigene Beobachtungen).
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Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, Herzthätigkcit und Puls. 201
2. In der Rekonvalescenz (Weiss, Hensen, Kapsamer, eigene Be¬
obachtungen).
3. Zwei Stunden nach Nahrungsaufnahme (eigene Beobachtungen, Weiss,
Colombo; nach Jellinek und Sommerfeld einen hohen Tonus!).
4. Bei kolossal starker universeller Schweisssekretion.
5. Nach der Punktion pleuritischer Exsudate (Hensen, Kapsamer).
6. Nach der Punktion von Ascites (Kapsamer sicher, Hensen unbestimmt).
7. Nach Blutungen, auch bei der Menstruation.
8. Nach Nebennierenextrakt in kleinen Dosen (Moore und Purinto).
9. In der Narkose (Kapsamer). .
10. Bei Ischiadicuszerren in der Narkose (Kapsamer), aber bei Schweiss¬
sekretion !
11. Bei Urämie (bei schwacher Actio cordis. Weiss. Doch habe ich bei einem
Patienten im urämischen Stadium 200 mm Hg. gefunden. Sonst einmal 80 mm).
12. Bei Anämie, Kachexie, Schlaf, akute Debilitas cordis (Schtlle und
W ei ss).
13. Nach ermüdender Muskelararbeit (Weiss), aber dann unter Schweiss¬
ausbruch!
14. Bei Pneumonie nach der Krisis (nach eigenen Beobachtungen, 80 mm Hg.).
Im Stadium der Hepatisation habe ich 145 mm beobachtet.
Ein hoher Tonus ist dagegen beobachtet bei:
1. Arteriosklerose (auch bei incipiens, ehe die A. rigid sind! Eigene Be¬
obachtungen).
2. Nephritis (eigene Beobachtungen).
3. Bei maximaler Dyspnoe (Hensen. Auch bei Athemanhalten).
4. Neurasthenie und Hysterie (Kapsamer, H. Strauss, eigene Be¬
obachtungen).
5. Nach starker Arbeit ohne Schweissausbruch (Weiss, nach Schule nicht!
eigene Beobachtungen).
6. Nach psychischer Alteration (Kapsamer, eigene Beobachtungen).
7. Nach Alkoholgenuss (Schule, Weiss).
8. Bei Saturnismus (Weiss, Hensen, eigene Beobachtungen).
9. Bei Abusus nicotianae (Weiss, eigene Beobachtungen).
10. Nach Eclampsie (275 mm Hg., Wiesner).
11. Unmittelbar bis V* Stunde nach Nahrungsaufnahme (nach Ilensen,
Schule unsicher; eigene Beobachtungen, siehe unten!).
12. Nach Nebennierenextrakt in grossen Dosen (eigene Beobachtungen).
13. Phthisiker haben höheren Tonus als zu erwarten wäre, wahrscheinlich
infolge der Dyspnoe (Weiss, eigene Beobachtungen).
14. Nach Kampherinjektionen (Weiss).
15. Nach Digitalis (Schule. Ich habe einmal einen Ansteig von 100 bis
240 mm Hg. beobachtet).
16. Nach Magenausheberungen.
17. Nach Anlegen des Esmarch’schen Schlauches am Femur.
18. Bei Operationen (Kapsamer).
19. Bei Aorteninsufficienz (A. Fränkel).
Zeitschr. f. di&t. u. phjäik. Thorapie lid. V. Hoft 8. ]4
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202 Erik Ekgren
20. Bei Apoplexia sanguinea mit Hemiplegie hohe, aber schnell schwankende
Werthe (Hensen, eigene Beobachtungen).
In der Senator’schen Klinik haben wir mit dem Gärtner’schen Tonometer
für Gesunde Durchschnittswerthe von 90 — 100 mm Hg. gefunden und als normal
angesehen. Das sind etwas niedrige Werthe, was aber am Apparat liegen kann.
Andere Autoren haben etwas höhere Durchschnittswerthe beobachtet.
So fand: Hensen (mit Riva-Rocci’s Apparat): 100 — 160 mm Hg. Bei
Männern 105—158, medio 137. Bei Frauen 105 — 160, medio 132. Aber bei Rekon-
valescenten 75!
Kapsamer (Gärtner’s Tonometer): 100—130 mm Hg. mit untere Lebens¬
grenze am 60.
v. Basch (v. Basch’s Apparat): 100—130 mm Hg.
Federn (v. Basch’s Apparat): 80—90—100 mm Hg.
Weiss (Gärtner’s Tonometer): 90—120mm Hg. bei Männern, 80—100mm Hg.
bei Frauen.
Schüle (Gärtner’s Tonometer): 80—130 mm Hg.
Tigerstedt giebt die Fehlergrenzen des v. Basch'schen Instrumentes an, sie
dürften 32—78 mm Hg. betragen (Weiss).
Bei dem Gärtner’schen Tonometer dürften nach meiner Erfahrung für den
Geübten die Fehlergrenzen 10 mm Hg. kaum übersteigen.
Eine Relation zwischen Puls und Tonus besteht nach den Angaben sämmt-
licher Autoren, speziell nach den Untersuchungen Tigersted t’s, und auch nach
meinen Beobachtungen nicht. Immerhin scheint sich bei der abdominellen Massage
als Regel zu zeigen, dass Pulsfrequenz und Gefässtonus annähernd parallel gehen.
Mit wenigen Ausnahmen war ein Sinken des Blutdruckes auch mit einem Sinken
der Pulsfrequenz vergesellschaftet.
Vom Einfluss der Nahrungsaufnahme auf den Tonus sagt Colombo: »Stets
hat Nahrungsaufnahme die Blutdruckwerthe vermindert. Die Verminderung über¬
steigt im allgemeinen 20 mm Hg. nicht. Die Gegenwart von Nahrung in den Ver¬
dauungsorganen verursacht eine Erweiterung des ganzen Gefässbezirkes der Unter¬
leibsorgane, soweit sie zum Gebiete der Pfortader gehören. Die Erweiterung bewirkt
eine reichlichere Blutdurchströmung dieser Organe, was eine Druckverminderung in
den der Messung zugängigen Arterien zu Folge hat; diese Blutdruckverminderung
beginnt etwa Va Stunde nach der Nahrungsaufnahme, hat ihr Maximum nach etwa
2—2Va Stunden erreicht und dauert im ganzen etwa 4 Stunden lang. Thierexperi¬
mente scheinen dafür zu sprechen, dass an dieser Druckverminderung die Resorption
der Peptone einen gewissen Ahtheil hat.«
Da auch mich in diesem Zusammenhang der Einfluss der Nahrungsaufnahme
auf den Blutdruck besonders interessierte, so habe ich an mehreren Patienten nach
dem zweiten Frühstück halbstündlich Messungen gemacht und bin auch zu dem¬
selben Resultat gekommen wie Colombo und Weiss. Nur scheint es früheren
Untersuchern entgangen zu sein, dass unmittelbar nach der Aufnahme von
Nahrung ein Anstieg des Blutdruckes stattfindet. Das Sinken tritt erst nach
1—2 Stunden ein und habe ich 10—20—40 mm Hg. niedrigere Zahlen bekommen,
als die primären betrugen. Das Sinken dauerte höchstens 2 1 /* — 3 Stunden, was
allerdings auf der Menge der aufgenommenen Nahrung beruhen kann. Eine halbe,
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
203
Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls.
oder in Ausnahmefällen eine Stunde nach dem Essen findet man sehr häufig Werthe,
die mit 10— 20 — 25 mm Hg. den primären übersteigen. Hierauf erlaube ich mir
deshalb besonders aufmerksam zu machen, weil dies praktisch von Wichtigkeit sein
kann. Findet man nämlich beim Messen abnorm hohe Werthe, ohne dass sonst eine
genügende Aetiologie für dieselben vorhanden ist, so dürfte es rathsam sein den
Patienten zu befragen, wann er zuletzt Nahrung zu sich nahm. Da es nicht aus¬
geschlossen ist, dass jene hohen Werthe unmittelbar nach Nahrungsaufnahme in ge¬
wisser Beziehung zum Kauakt stehen können, so habe ich mehrere Versuche nach
dieser Richtung hin angestellt Die Patienten bekamen etwa drei Stunden nach dem
Essen Gummistücke zu kauen. Das Resultat war in zwei Fällen folgendes:
Primär.110 mm Hg Primär.90 mm Hg
Nach 3 Minuten ... 125 > » Nach 2 Minuten ... 95 » »
»5 » ... 125 > » »5 » ... 100 » »
»8 > ... 130 » » »15 » Pause 115 » »
»8 » Pause 100 » »
Es scheint also der Kauakt (und sekundär eventuell die eintretende Sekretion
der Magendrüsen) eine gewisse Rolle mitzuspielen.
In Zusammenhang hiermit habe ich noch an mehreren Patienten Untersuchungen
vorgenommen, um die Wirkung der Bauchpresse auf den Tonus zu studieren.
Diese haben in sämmtlichen Fällen, mit Ausnahme von drei, in welchen der Tonus
unbeeinflusst blieb, ergeben, dass die Aktion der Bauchpresse eine Steigerung des
Blutdruckes um 10—20 mm Hg, ja in einem Falle sogar um 35 mm Hg hervorrufen
kann. Diese Thatsache hat deshalb u. a. ein gewisses Interesse, da sie eine Er¬
klärung dafür giebt, warum bei Arteriosklerotischen, die an und für sich konstant
einen hohen Blutdruck haben, eine* Apoplexia hämorrhagica gerade beim Pressen zum
Stuhlgang so leicht zu Stande kommen kann.
Das Resultat meiner Untersuchungen über den Einfluss der abdominellen
Massage wäre also folgendes:
Es hat sich bestätigt — was bereits andere Autoren hervorgehoben haben —,
dass die Bauchmassage auf die Herzthätigkeit beruhigend und verlangsamend und
bis zu einem gewissen Grade regulierend wirkt. In Fällen von Herzaffektionen,
mit oder ohne direkt diagnostizierbare Kompensationsstörungen kann die abdominelle
Massage, wenn nicht subtil ausgeführt, ein zweischneidiges Schwert sein. Das sub¬
jektive Befinden der Patienten kann durch wochenlang fortgesetzte Massage ver¬
bessert werden. Auf die primäre Ursache des Leidens kann jedoch nur sympto¬
matisch und indirekt eingewirkt werden, indem durch die Behandlung der Herz¬
muskel zeitweise entlastet wird. Dass bei schweren Muskelveränderungen kein
definitiver Heilerfolg eintreten kann, zeigt sich deutlich auch darin, dass zwei der
an Herzmuskelerkrankungen leidenden Patienten einige Monate später gestorben sind.
Ausser einer Verlangsamung der Pulsfrequenz wird aber auch noch ein
Sinken des Gefässtonus erzeugt. Auf letzteren erlaube ich mir hier besonders
aufmerksam zu machen. Der Einfluss auf den Tonus kommt wohl durch die Er¬
zeugung einer starken abdominellen Gefässfüllung zu Stande. Ausserdem kann die
abdominelle Massage vermuthlich noch auf reflektorischem Wege, vielleicht durch
den Vagus, eine Bradykardie und eine Vasodilatation hervorrufen.
14 *
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
204 Erik Ekgren, Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, HerzthStigkeit u. Puls.
Litteratur:
A. Reibmayr, Die Massage. Leipzig und Wien 1893.
A. Bum, Handbuch der Massage und Heilgymnastik. Wien und Leipzig 1896.
F. Goltz, Ueber den Einfluss des Zentralnervensystems auf die Blutbewegung. Virchow’s
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A. Wide, Medicinsk Gymnastik. Stockholm 1896.
T. J. Harteiius, Sjukgymnastik. Stockholm 1892.
H. S tapfer, »Traitö de kinßsithßrapie gynßcologique.« PrGfacc de A. Pinard. Paris 1897.
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H. Strauss, Einige praktisch wichtige Fragen aus dem Kapitel der Gastroptosen. Berliner
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Derselbe, Massage. Liebreich'» Encyklopädie. Bd. 3.
De rsel be, Ueber Blutdruckmessungen im Dienste der Diagnostik traumatischer Ncurasthenicen
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Federn, Münchener medicinische Wochenschrift 1896. No. 51.
Thure Brandt sen., Gymnastiken. Stockholm 1884.
Derselbe, Behandlung weiblicher Geschlechtskrankheiten. Berlin 1893.
Kapsamer, Berliner klinische Wochenschrift 1900. Bd. 1. Verh. der Berliner medieinischen
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E. Ekgren, Zur manuellen Therapie in der Gynäkologie. Inauguraldissertation. Berlin 1900.
Schüle, Berliner klinische Wochenschrift 1900. No. 33.
G. Gärtner, Ueber einen neuen Blutdruckmesser. Wien 1899.
Derselbe, Ueber das Tonometer. Münchener medicinische Wochenschrift 1900. No. .V».
Moore und Purinton, Ueber den Einfluss minimaler Mengen von Nebennierenextrakt auf
den arteriellen Blutdruck. Pflüger's Archiv 1900. Bd. 81.
H. Hensen, Beiträge zur Physiologie und Pathologie des Blutdruckes. Archiv für klinische
Mediein 1900. No. 67.
H. Weiss, Münchener medicinische Wochenschrift 1900. Januar. No. 3 u. 4
Dolega, Deutsches Archiv für klinische Mediein Bd. G4.
Cauton, Fortschritte der Mediein 1900. Bd. 18. No. 9.
8. Jellinek, Zeitschrift für klinische Mediein 1900. Bd. 39.
F. Grebner und R. Grunbaum, Fortschritte der Mediein 1900. Bd. 18.
F. Zachrisson, Upsala Läkareforcnings Förhandlingar Bd. 6. Upsala 1900.
L. Sommerfeld, Blutdruckmessungen mit dem Gärtner’schen Tonometer. Therapeutische
Monatshefte 1901.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
H. Saloraon, Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. 205
III.
Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder.
Aus der medicinischeo Abtheilung des städtischen Krankenhauses zu Frankfurt a. M.
(Direktor: Prof. v. Noordon.)
Von
Dr. H. Salomon, I. Assistenzarzt.
Durch die Arbeit des letzten Jahrzehntes sind unsere Kenntnisse über die Ver¬
brennungsvorgänge im Körper in vieler Beziehung gründlicher geworden. Wie man
gelernt hat, in der Pathologie mit dem Begriffe einer Stoffwechselsteigerung oder
-Verlangsamung sparsamer umzugehen, so ist auch eine Reihe medikamentöser Agentien
ihres Renommees, auf den Umfang der Stoffwechselvorgänge einzuwirken, entkleidet
worden. Die einzigen Mittel, denen wir jenen Einfluss zuschreiben können, sind die
jüngsten Erzeugnisse der Organotherapie, das Thyrojodin und (unter Umständen)
das Oophorin.
Eher als durch Medikamente werden die Oxydationen im Körper beeinflusst
durch die Maassnahmen physikalischer Therapie.
Die Arbeiten auf diesem Gebiete bewegten sich bis vor kurzem, von kalori¬
metrischen Feststellungen abgesehen, fast alle in einer Richtung: es galt der Er¬
forschung des Stickstoffumsatzes sowohl im Heisswasserbade wie im Dampfbade.
(Ueber die Stickstoffausscheidung im Heissluftbade habe ich Angaben nicht gefunden.)
Die früheren Mittheilungen von Bartels 1 * * ), Naunyn a ), Schleich 8 ) über die
Steigerung der Stickstoffausscheidung durch heisse Bäder sind in neuester Zeit durch
sorgfältige Versuche von Formanek 4 ) und Topp®) entgegen Angaben von Koch«),
Simanowski 1 * 7 ) und anderen bestätigt worden.
Ueber Steigerung der Stickstoffausscheidung nach Moor- und Fangobädern hat
Bornstein 8 ) berichtet.
In einer kürzlich erschienenen Arbeit über die Wirkung heisser Bäder hat nun
i) Pathologische Untersuchungen. Grcifswalder mcdicinischc Beiträge 1864. Bd. 3.
Beiträge zur Fieberlehre. Du Bois Archiv 1870.
8 ) Ueber das Verhalten der Harnstoffproduktion bei künstlicher Steigerung der Körper¬
temperatur. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie 1875.
4 ) Ueber den Einfluss heisser Bäder auf die Stickstoff- und Harnsäureausscheidung beim
Menschen. Sitzungsbericht der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften. Wien 1802. Bd. 101.
®) Ueber den Einfluss heisser Bäder auf den menschlichen Organismus. Inauguraldissertation.
Halle a-S. 1893. Therapeutische Monatshefte 1894.
«) Ueber die Ausscheidung des Harnstoffs unter Einfluss künstlich erhöhter Temperatur.
Zeitschrift für Biologie 1883. No. 19.
7) Untersuchungen über den thierischen Stoffwechsel unter dem Einfluss einer künstlich er¬
höhten Temperatur. Zeitschrift für Biologie 1885. Bd. 21.
s) Ueber den Einfluss von Moor und Fango auf den Stoffwechsel. Verhandlungen des
Berliner Baineologenkongresses 1899, ref. Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie
1899/1900. Bd. 3.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
H. Salomon
206
H. Winternitz J ) sich des zuverlässigen Maassstabes bedient, der für den Stoff¬
umsatz im Organismus gegeben ist durch dessen Sauerstoffverbrauch. Er fand, dass
Bäder von 39 — 41 »C bei einer Dauer von 23 — 45 Minuten eine sehr erhebliche
Steigerung des Sauerstoffbedürfnisses und der Kohlensäurebildung bewirken, eine
Steigerung, die unter sieben Versuchen nur einmal sich auf 39 % beschränkte, sonst
zwischen 64 und 110 °/ 0 des gewöhnlichen Verbrauchs betrug und sich auch nach
Abzug des auf die vermehrte Athmungsarbeit (s. unten) entfallenden Antheils noch auf
30—75% belief. Es war ferner noch 48—75 Minuten nach dem Bade eine deutliche
Steigerung der Verbrennungsprozesse wahrzunehmen, in maximo 28% nach 75 Minuten.
Einen ähnlich mächtigen Einfluss, wie er hier für die heissen Bäder von
Winternitz nachgewiesen, wollten die Franzosen, insbesondere d’Arsonval i) 2 3 ), unter
der Einwirkung der sogenannten Teslaströme (Wechselströme hoher Frequenz und
Spannung) beobachtet haben. Es ist aber die Unrichtigkeit jener Angaben, an
welche sich bereits grosse therapeutische Hoffnungen geknüpft hatten, unlängst durch
A. Loewy«) und T. Cohn überzeugend nachgewiesen worden.
Mangels weiterer exakter Angaben über die Wirkung unserer gebräuchlichen
Hülfsmittel physikalischer Therapie auf den Stoffwechsel schien es der Mühe werth,
bei zwei Personen, die zu therapeutischen Zwecken Licht- und Schwitzbäder empfingen,
während derselben die Grösse des Gaswechsels zu bestimmen, um so eher als über
die Wirkung der elektrischen Lichtbäder im allgemeinen noch wenig bekannt ist.
Die Versuchspersonen waren die 22 jährige L. (Anämie, Oedema pedum, letzteres
zur Versuchszeit bereits geschwunden) und die 27 jährige F. (Nephritis chron., doch
bei gutem Allgemeinbefinden). Beide waren durch sehr häufige zu anderen Zwecken
vorgenommene Bestimmungen ihres Gaswechsels an die Versuchstechnik gewöhnt.
Letztere war die des Zuntz-Geppert’schen Respirationsapparates 4 ).
Mit Ausnahme des Heissluftbadversuchs 1 wurden die Untersuchungen min¬
destens 12 Stunden nach der letzten Mahlzeit der Versuchspersonen vorgenommen.
Zur Applikation der Schwitzbetten wurden sowohl das bekannte, übrigens weit
praktischere Quincke’sche Schwitzbett mit seitlichem Schornstein als auch das so¬
genannte Schwitzbad System Phönix benutzt, bei dem ein langer bis auf die Erde
reichender Schornstein am Fussende des Bettes (nach Herausnahme des Fussbrettes)
in den Heizraum führt.
Es erschien zweckmässig, die Zeitdauer, während welcher die Athmungsluft
zwecks Analyse abgesaugt wurde, relativ kurz zu wählen, um trotz intensivsten
Schwitzens und trotz der Behinderung der Kontrolle infolge der undurchsichtigen
Wände der applizierten Schwitzbetten resp. Lichtbäder die Garantie völliger Muskelruhe
zu haben. Uebrigens stimmten die »Nüchternwerthe« der Personen bei kürzerer Ver¬
suchsdauer völlig mit den mir genugsam bekannten bei längerer Versuchsdauer überein.
lieber die Schwitzbettversuche gewähren die folgenden Tabellen einen Ueber-
blick. Alle Zahlenangaben sind auf 0°, 760 mm Druck und Trockenheit reduziert.
Die Zeitangabe für die Dauer des Athmungsversuches schliesst die 5—10 Minuten
dauernde »Vorathmung« am Apparat nicht mit ein.
i) Klinisches Jahrbuch 1889. Bd 7.
-) Societ6 de biol. 24. Februar und 25. April 1891. Archive» d’electrol. med. S. 213. —
Annales d’ßlectrobiol. Bd. 1. Heft 1.
3) Berliner klinische Wochenschrift 1900. No. 34.
4) Zuntz und Geppert, Pfjlüger’s Archiv Bd. 42. S. 196 sowie Magnus-Levy, Pflüger’»
Archiv Bd. 55. S. 1.
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
lieber die Wirkung der Hcissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. -07
Datum
! Name
Zeit
Atlicm-
frequenz
Temperat.
(Mund)
Bemerkungen
1). August
L.
11 Uhr 1
17
3‘>,45
Athemversuch. 1 Stunde vor demselben war
1900
bis 11 Uhr 12
ein Ei und ein Brödchen genosson worden
12 Uhr 52
bis 1 Uhr 2
23
30,78
Athemversuch im Schwitzbett Phönix
1 Uhr 50
i 18
36,6
Zeit
Athem-
volumen
in ccm
Zunahme
in ccm
U
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R.-Qu.
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Bemerkungen
11 Uhr 1
bis 11 Uhr 12
12 Uhr 52
bis 1 Uhr 2
62058
64022
196,1
= 8%
3,977
3,999
3,485
3,215
246,8
256
9,2
(-1,2)
6,72
3,07
210,2
205,8
0,870
0,803
Vorversuch
Hauptversuch
Schwitzbadversuch 1 (Schwitzbad Phönix) Dauer der Applikation 57 Minuten.
Datum
Name
Zeit
Temperat
recto
Athen) -
frequenz
Puls
Bemerkungen
2. Oktober
F.
7 Uhr 30
37,6
18
78
1900
8 Uhr 30
—
—
—
Applikation des Schwitzbades Phönix
9 Uhr 20
—
—
—
Erste Schweisstropfen im Gesicht
10 Uhr 24
38,1
19
130
Athemversuch im Schwitzbett
bis 10 Uhr 34
11 Uhr 52
37,6
17
—
Athemversuch ca. 1 Stunde 8 Minuten
1
bis 12 Uhr 2
i
1
nach Beendigung des Schwitzbettes
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10 Uhr 24
60196
3,944
-
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213,2
267,4
24,2
11,3
| 175,8
t
0,740
bis 10 Uhr 34
i
1
1
11 Uhr 52
i 56741
--
3,819
: 2,885
2 Ui,7
—
—
j —
; 163,7
0,755
bis 12 Uhr 2
i
1-
1
;
Bemerkungen
Kein Vorversuch, der
Werth ist der Durch¬
schnitt aus 18 früheren
Bestimmungen
Haupt versuch
Nach versuch
Sch witzbad versuch 2 (Schwitzbad Phönix).
Dauer der Applikation 2 Stunden 4 Minuten. Dauer des Schwitzens 1 Stunde 14 Minuten.
i) Die eingeklammerten und mit dem Vorzeichen — versehenen Zahlen bedeuten in diesen
Tabellen den auf die vermehrte Athmungsarbeit entfallenden Thcil der Sauerstoffzunahme in ccm.
Er ist von der Gesammtzunahme abzuziehen.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
208
H. Salomon
Datum
Name
Zeit
Temperat.
recto
Athem-
frequenz
Puls
Bern erkungen
4. Oktober
F.
7 Uhr 43
36,8
19
76
Athem versuch
1900
bis 7 Uhr 53
8 Uhr 20
—
i —
—
Applikation des Schwitzbettes Quincke
9 Uhr 20
—
—
—
Erste Schweisstropfen im Gesicht
i
10 Uhr 46
Ibis 10 Uhr 55
38,2
18
130
Athemversuch im Schwitzbett
j 12 Uhr 34
36,6
19
104
Athem versuch ca. 1 Stunde 34 Minuten
bis 12 Uhr 43
nach Beendigung des Schwitzbettes
Zeit
Athem-
volumen
in ccm
Zunahme
.
m ccm
1 £
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1 Ö °
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pro Min.
Zunahme
in ccm
Zunahme
in o/ 0
Zunahme
ino/ 0 nach
Korrekt
2 |
8: a _
R.-Qu.
Bemerkungen
i
7 Uhr 43
bis 7 Uhr 53
56312
—
4,032
3,065
227,0
—
—
—
172,6
0,760
Vorversuch
10 Uhr 46
bis 10 Uhr 55
63524
721,2
= 12,8%
3,78
2,605
240,1
18,1
(—6,0)
5,77
3,1
165,5
0,689
Hauptversuch
12 Uhr 34
bis 12 Uhr 43
| 59234
—
3,733
2,836
1
221,1
—
167,9
0,759
Nachversuch
Schwitzbadversuch 3 (Schwitzbad Quincke).
Dauer der Applikation ca. 2 Stunden 40 Minuten. Dauer des Schwitzen» ca. 1 Stunde 40 Minuten.
Datum
Zeit
Temperat.
recto
i
Athem-
frequenz
Puls
Bemerkungen
21. Septemh.
L.
7 Uhr 6
37,05
t
18
86
Athemversuch .
1900
bis 7 Uhr 17
I
7 Uhr 40
—
—
—
Applikation des Schwitzbettes Phönix
9 Uhr 10
—
—
—
Erste Schweisstropfen im Gesicht
|
10 Uhr 19
bis 10 Uhr 29
38,15
i
19 i
124 |
Athemversuch im Schwitzbett
i
12 Uhr 10
37,5
16
84
Athemversuch 1 Stunde 41 Minuten
1
i
bis 12 Uhr 20
nach Beendigung des Schwitzbettes
7 Uhr 6 4971 —
bis 7 Uhr 17
10 Uhr 19 58587 1 887,7
bis 10 Uhr 29 ‘=17,8%
1-2 Uhr 10 | 44465
bis 12 Uhr 20^ J
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4,114
3,52
204,5
—
.
175,0
0,855
| 4,018
, 3,28
j 235,1
30,6
114,9
11,3
192,2
0,817
1
(—7,4)
|
4,936
3,265
1
J 195,5
—
,
145,2
0,742
Bemerkungen
Vorversuch
Hauptversuch
Nachversuch
Schwitzbadversuch 4 (Schwitzbad Phönix).
Dauer der Applikation 2 Stunden 49 Minuten. Dauer des Schwitzens 1 Stunde 19 Minuten.
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Original frorn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. 209
I
Datum t
Name
Zeit
Temperat.
recto
Athem-
frequenz
Puls
Bern erkungon
4. Januar
L.
6 Uhr 49
37,2
18
88
Athemversuch
1901
bis 7 Uhr 1
7 Uhr 50
—
—
—
Applikation des Schwitzbades Quincke
10 Uhr 45
bis 10 Uhr 56
38,0
19
112
Athemversuch im Schwitzbett
11 Uhr 50
37,6
17
106
Athemversuch 1 Stunde 55 Minuten
bis 12 Uhr 1
nach Beendigung des Schwitzbcttcs
Zeit
Athem-
volumen
in ccm
Zunahme
in ccm
c
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R.-Qu.
Bemerkungen
6 Uhr 49
bis 7 Uhr 1
50748
—
4,545
3,66
230,7
-
—
185,7
0,805
Vorversuch
10 Uhr 45
7566
2431,2
4,204
8,09
315,5
84,8
86,7G
27,9
281,9
0,785
Hauptversuch
bis 10 Uhr 56
=47,9%
(-20,4)
11 Uhr 50
bis 12 Uhr 1
52648
—
4,578
3,63
241,0
191,1
!
0,798
Nach versuch
Schwitzbad versuch 5 (Schwitzbad Quincke). Dauer der Applikation 2 Stunden 55 Miuuten.
Datum |
Name
Zeit
Temperat.
recto
Athem-
frequenz
Bemerkungen
17. Sep-
L.
7 Uhr 22
36,9
16
Athemversuch
tember 1900
bis 7 Uhr 33
7 Uhr 61
—
—
Applikation des Schwitzbettes Phönix
i
9 Uhr 40
—
| —
Erster Schweiss im Gesicht
10 Uhr 45
bis 10 Uhr 54
38,15
! 22
Athemversuch im Schwitzbett
12 Uhr 17
37,15
21
Athemversuch 1 Stundo 23 Miunten nach
bis 12 Uhr 28
Beendigung des Schwitzbades
Zeit
Athem-
volumen
in ccm
Zunahme
in ccm
U
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R.-Qu.
Bemerkungen
7 Uhr 22
bis 7 Uhr 33
48383
—
4,351
3,58
210,5
—
173,2
0,822
Vorversuch
10 Uhr 45
59066
1068,3
4,147
3,345
244,9
34,4
16,84
12,1
197,6
0,806
Hauptversuch
bis 10 Uhr 54
= 22%
( «,»)
12 Uhr 17
51745
—
4,231
3,305
218,9
—
—
. —
171,0
0,781
Nach versuch
bis 12 Uhr 28 :
1
Schwitzbadversuch 6 (Schwitzbad Phönix).
Dauer der Applikatiou 3 Stunden 1 Minute. Dauer des Schwitzens 1 Stunde 20 Minuten.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
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ÖÄM«r .(]<?!' Ai*i)Hkation 4 Stc.ttilei» 1# fdihnteu. ibutcr 5 J>I .Miaute».
Ans fU»n- Tabellen geht hervor, (lass eine Situ ."er» arg rtf^ Sanetstoftverhrauchs
liüii der Ktifa)i5ös;itirBahg^1.>e in »Ulgi Versne-he« siittgehabt sfljvaijifeeiü von
3.7—H<i,7 v/fl-. I>tH''Diirdis» i hHitt Jui.- ''allen sieben Versuchen betrüg 1 iß „
Da* Aiheihvolnmeü. wuchs in .ler Rer.ci um euuue ilumim bis IüOO mu. tl. h.,
4 a- die Yersttehsjiersojum■ ,Athomvi>luhiina zwi-wlma 4—b Ufern Am hallen i'ileeten,
|H cm ]<> —'>(i"ii.ir un ^bwiteheli versuch 5 unter hcsoiiileren t’njrtÄodeD (*. u.)
um •57.!.» v.i JA entfallt mm ein gewisser Arithiul des Mohrverbniuchs an AauerMott
auf dies!' veiiiielirle Athrmmusarbeit. Unter tkumUmm des vor. Ziuitz aus zahl¬
reichen V cts uelmu herechmden Mittelwert))* von 8.4 «*eüi SauerstoB' auf je ein Di» er
io- 'der Minute mJir Aeathmetc-i- l.oft Yemmic-m sielt die von der Atliihüny -los-
uelrtsic-rr Werth.e f»li* den RaiiersRdihiehiveriiniurli etwas ua<l -sehwanken '/wisdu?fl
8 -iM,hetregeu nw Mittel 18,ä% mir. die Rubrik der'. .•Uhmiiß-gstaheJIen mit
der Ui-horsehrift: Zunaimm- in *% «ach »vmrvkNoiu.
i>ie Itnittfrcvjuenz nahm etwas zu, doch meist 'nur wenig*
Dm resjiirAUtrisehe Dmiiiniii sank in alh'u Varr.in-'hi-n etwas al». Ks tna« das
zum 1 hoiI «Mit der Mehraussdtekluög vor. Hi, durrh die Haut heruliea. da das
AVtrssci d>> :>chw"et>.'cs Mch mit lü>blernaiuc l.ela.lot
Co gli
Ucbcr die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. -11
Eine deutliche Nachwirkung des Schwitzbettes auf den Sauerstoffverbrauch
konnte bei ca. 1—2 Stunden später erfolgender Untersuchung nicht festgestellt werden.
Wenn der Verbrauchswerth überhaupt grösser war als in dem Vorversuch, so handelt
es sich nur um wenige innerhalb physiologischer Schwankungen liegende ccm.
ln dem Versuche 5 geht die Zunahme des 0-Verbrauchs und die Steigerung
des Athemvolums erheblich über das sonst beobachtete Maass heraus. Indessen stand
damals die Person unter ThyrojodinWirkung und hatte einen gegen sonst erhöhten
Nüchternwerth, sie befand sich also möglicherweise in einer Periode gesteigerter
Erregbarkeit des Gaswechsels. Der Versuch hatte keineswegs besonders lange ge¬
dauert, auch die Körpertemperatur nicht besonders stark erhöht.
Versuch 7 zeichnete sich vor den anderen durch erheblich längere Dauer aus,
wie sie für die gewöhnlichen therapeutischen Zwecke nicht in Betracht kommen
dürfte. Die Dauer der anderen Versuche entsprach der Praxis.
Die sonst beobachteten Wirkungen der Schwitzbetten stimmen mit genügend
bekannten Tbatsachen überein.
Die Körpertemperatur, abgesehen von Versuch 1 im Rektum gemessen, stieg
um V» — 1V* 0 C, meist auf 38 — 38,3° an, in dem länger dauernden Versuch 7 um
2,3 °C (auf 39,5°).
Die Pulsfrequenz ging von der Normalzahl meist auf 112 — 120 in die Höhe.
Der Gewichtsverlust wurde nur in Versuch 7 bestimmt und betrug daselbst
2,200 kg. Er beträgt sonst im Schwitzbad gewöhnlicher Dauer meist 600—1000 g.
Der Beginn des Schwitzens ist in meinen Tabellen vom Erscheinen dicker
Schweisstropfen im Gesichte an gerechnet, um einen möglichst einheitlichen Maass¬
stab zu haben.
Lichtbadversuche.
Die Lichtbadversuche wurden grösstentheils mit einem von der Elektrizitäts¬
gesellschaft Sanitas in Berlin gelieferten transportablen elektrischen Lichtbade vor¬
genommen. Ein mulden- resp. kuppelförmiger Bügel von der Form, wie man ihn
sonst anwendet, um Kranke gegen den Druck der Bettdecke zu schützen, trägt acht
Glühlampen. Das ganze ist mit einem an der Innenseite asphaltierten, aussen
schwarzem Bezüge überkleidet. Länge : Breite : Tiefe = 74 : 59 : 44 cm.
Ein auf die Haut aufgelegtes Thermometer stieg während einstündiger Be¬
nutzung auf 66 ° C.
Versuch 7 wurde unter Anwendung eines sehr intensiv wirkenden, von
Sanitätsrath Thilenius-Soden konstruierten und freundlichst zur Verfügung ge¬
stellten transportablen Lichtbads vorgenommen. Das letztere besteht aus einem
Gerüste von leichtem Holze, das ebenfalls mulden- resp. kuppelförmig gewölbt ist,
aber sehr viel grössere Dimensionen hat als das Lichtbad »Sanitas« (Länge: Breite:
Tiefe = 105 : 75 : 65 cm). An den Längsstangen des Holzgerüstes sind fünf Reihen
von 16kerzigen Glühlampen, im ganzen 30 Lampen angebracht. Das ganze hat einen
abnehmbaren Ueberzug von Packleinewand.
Die Vereinigung so vieler Glühlampen auf relativ kleinem Raume, die Grösse
der bestrahlten Körperfläche, die Leichtigkeit und Handlichkeit des ganzen und nicht
zuletzt die grosse Billigkeit 1 ) sind die bedeutenden Vorzüge dieses transportablen
Lichtbads.
Die Versuchsergebnisse gehen aus den nun folgenden Tabellen hervor.
') Erhältlich bei Installateur Zengler-Sodcn. Preis incl. Glühlampen ca. 47 Mk.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Gewicht
Dalum
Bemerkungen
L. ] wferöO
HVlIfiräci
• j II Uhr biö
! ii ijiit s
10. Xuve?ntn*T!
lim ■
Applikation des Lichtbades.
Firste SeliAv eins tropfen tm Gesicht
iVthemversmh im Lichtbad
R.-Qu ; Bemerkunger*
.. ; Durch^hmtfr
auK W früheren
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Üöber die Wirkung der Hei^uftbäder und dor cdßktrfeelj^n Lichtbilder. 213
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Applikation des üehlbaiUv
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Heber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. 215
Datum
Name
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Zeit
Temp.
1
Puls
• 5
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Bemerkungen
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7. Februar
F.
7 Uhr 33
37,0
88
8 50,100
Athemversuch
1900
!
bis 7 Uhr 49
! 9 Uhr 13
| 9 Uhr 20
9 Uhr 40
Applikation des Lichtbades von
Dr. Thilenius (Soden)
Erste Schweisstropfen im Gesicht
Unerträgliche Wirkung der Strahlung
Erloschenlassen der Lampen bis 9 Uhr
45. Schutz der Haut durch Leintuch
9 Uhr 55
bis 10 Uhr 6
10 Uhr 10
10 Uhr 15
39,3
I 10 Uhr 35 —
J bis 10 Uhr 481
I 10 Uhr 57 I 37,6
11
Athemversuch im Lichtbad
144
112
49,400
Beendigung des Lichtbades
Athemversuch 25 Minuten nach Be¬
endigung des Lichtbades
Zeit
Athem¬
volumen
in ccm
Zunahme I
in ccm 1
C
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O-Verbr.
in ccm
pro Min.
Zunahme
in ccm
Zunahme
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R.-Qu.
1
Bemerkungen
i
7 Uhr 33
bis 7 Uhr 49
4150,3
—
5,016
3,8&5
208,2
j
1 ~
101,2
0,774
Vorversuch
9 Uhr 55
bis 10 Uhr 6
6950,2
2799,9
= 67,4^
4,462
3,185
307.6
99,4
(-23,5)
47,7
36,4
221,4
i
0,719
Hauptversuch
10 Uhr 35
bis 10 Uhr 48
4329,5
l
—
4,998
3,595
1
' 216,4
_
:
—
155,0
i
0,719
Nach versuch
Lichtbadversuch 7. (Lichtbad nach Thilenius.)
Dauer der Applikations 57 Minuten. Dauer des Schwitzens 50 Minuten.
Die Zunahme des Sauerstoffverbrauchs schwankt in diesen Versuchen von 12
bis 47,7%, beträgt im Mittel aus sechs Versuchen 27,5%. Es ist aber auffällig,
dass in den Lichtbädern der beschriebenen Art das Athemvolumen sehr viel erheb¬
licher anwächst als unter dem Einfluss der Heissluftbäder. Es wuchs in meinen
Versuchen die Athemgrösse fast immer um einen Werth von mehr als 30% der
früheren Grösse und erreichte Höhen bis 90,5% des vorherigen Werthes.
Wenn man nun wieder unter Benutzung des Zuntz’schen Faktors den Einfluss
der erhöhten Athmungsthätigkeit von den Sauerstoffzahlen abzieht, so ist die Er¬
höhung des Sauerstoffverbrauchs kaum erheblicher als in den Heissluftbädern. Sie
beträgt im Durchschnitt aus sechs Versuchen 15,9% (13,5 % beim Schwitzbett).
Im Lichtbadversuch 7 ist es freilich unter Anwendung des Thilenius’schen
Lichtbades gelungen, eine Steigerung des 0-Verbrauchs um 36,7 % auch nach Abzug
des Athmungsantheils zu erzielen. Es war in diesem Versuche die ganze den Licht¬
strahlen ansgesetzte Vorderfläche des Körpers vom Halse bis zu den Knieen äusserst
intensiv feuerroth und weiss (cfr. unten) marmoriert, und es ist wohl zweifellos, dass
der stärkere Ausschlag des Sauerstoffwerthes einer vermehrten Oxydationsthätigkeit
in den oberflächlicheren Partiecn der Körpergewebe zu danken ist. Es war aber die
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210
H. Salomon
Wirkung der Strahlung so unangenehm, dass die Glühlampen zeitweilig abgedreht,
der ganze Versuch bereits nach 57 Minuten beendet werden musste. Berechnet
man den Gesammtverbrauch an Sauerstoff während des Versuches, indem man den
Minutenmehrverbrauch von 75,9 ccm (99,4—23,5 ccm) mit der Minutenzahl 57 multi¬
pliziert, was natürlich nur bedingt zulässig ist, weil der Minutenwerth auf der Höhe
der Wirkung bestimmt wurde, so kommt man auf einen Gesammtmehrverbrauch von
nur 4,326 Liter 0, eine Zahl, die hinter derjenigen anderer Versuche, z. B. Versuch 6,
dessen Gesammtmehrverbrauch sich auf 7,0271 Liter 0 belaufen würde, erheblich
zurückbleibt. Es ist also wohl möglich, durch eine sehr dichte Anordnung von
Glühlampen eine nicht unerhebliche Steigerung des 0-Verbrauchs auf dem Wege
intensivster Bestrahlung vorübergehend zu erzielen, indessen kommt das bei der
praktischen Anwendung der Lichtbäder nicht in Betracht, insbesondere nicht bei der
jetzt meist verbreiteten Form des transportablen elektrischen Lichtbades, dem Licht¬
bad Sanitas, erst recht nicht bei den später zu besprechenden Kastenlichtbädern.
Wenn auch nicht so erheblich als bei dem Thilenius’schen Lichtbade ist auch
bei dem Lichtbade Sanitas der intensive Einfluss der Strahlung auf die Haut sehr
deutlich. Die Versuchspersonen mussten sich anfangs erst an das »Brennen« der
Haut gewöhnen, sie sahen schon nach ein6tündiger Applikation des Lichtbads an
Bauch und Oberschenkeln intensiv marmoriert aus, indem die stärker bestrahlten
Hautpartieen mit krebsrother Farbe gegen die weniger stark beeinflussten Partieen
abstachen. Wahrscheinlich wird auch die auffällige Vertiefung der Athmung reflek¬
torisch von der Haut aus angeregt.
Der subjektiv unangenehmen Strahlungswirkung lässt sich natürlich durch Be¬
deckung der Haut Vorbeugen, doch geschah das in meinen Versuchen absichtlich
nicht, um bei der Beurtheilung des Einflusses auf den Stoffwechsel von möglichst
maximalen Wirkungen auszugehen.
Eine Nachwirkung der Lichtbäder in Bezug auf den 0-Verbrauch ist ebenso¬
wenig vorhanden wie bei den Heissluftbädern. Besonders instruktiv in dieser Be¬
ziehung ist Versuch 7.
Es hängt wohl mit der erheblichen Vermehrung der Athemgrösse zusammen,
dass im Lichtbade der respiratorische Quotient nicht die eindeutige Tendenz znm
Absinken zeigt wie im Schwitzbette, vielmehr in der Mehrzahl der Versuche anstieg.
Bei letzterem Verhalten mag das nach Analogie der Schwitzbettversuche zu er¬
wartende Absinken durch eine erleichterte Lungenabdunstung der C0 2 überkompen¬
siert worden sein.
Die Athemfrequcnz verhielt sich durchaus ähnlich wie in den Schwitzbädern,
die bedeutende Vermehrung des Athemvolums wurde im wesentlichen durch eine
Vertiefung der einzelnen Athemzüge geleistet.
Die Körpertemperatur stieg in den Versuchen um 1—2,7 ® C an. Das Maximum
war 39,8 °C rektal und wurde bei zweistündiger Applikation des Lichtbades erreicht.
Die Pulsfrequenz erhöhte sich von der Norm auf ca. 120—132.
Der Gewichtsverlust schwankte von 400—1900 g.
Es sei hier noch erwähnt, dass, wie die Durchsicht der Tabellen lehrt, die Versuchsperson I,.
zur Zeit der Lichtbadversuche mehrfach einen auffällig hohen respiratorischen Quotienten, um 0,9
herum, hatte. Dass sic vor den Versuchen etwa Nahrung genommen hatte, war völlig ausge¬
schlossen. Die Richtigkeit der Analysen wurde sowohl durch genaue Uebercinstimmung der Doppel¬
analysen als durch exakt stimmende Kontrollanalysen von Luft garantiert Zur Erklärung mag
cinestheils der in der Abendkost des Krankenhauses herrschende Reichthum an Kohlehydraten,
andemtheils die in die Zeit der Versuche fallende Rekonvalcsceuz der Versuchsperson (Gewichts-
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Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. 217
Zunahme im ganzen um 20 Pfund) herangezogen werden. Wenigstens hat Magnus-Levyi) der¬
artig grosse Nfichternwerthe des respiratorischen Quotienten an Rekonvalescenten ebenfalls be¬
obachtet, sie kommen aber auch sonst hin und wieder vor, offenbar infolge Vorwiegens der Kohle¬
hydratverbrennung im Nüchternzustand, ohne dass eine sichere Erklärung dafür zu geben ist
Von der Wirkung des transportablen elektrischen Lichtbades weicht nun die¬
jenige des Gltthlichtsitzbades oder Lichtkastenbades in manchen Punkten etwas ab.
Jene Apparate sind bekanntlich polyödrische Holzkästen, deren Wände eine Aus¬
kleidung von Spiegelglasscheiben und mehrere Reihen von Glühlampen (in dem mir
zur Verfügung stehenden im ganzen 40 Lampen) tragen. Der Patient sitzt in dem
Kasten auf einem Stuhle, ein Theil des Halses und der Kopf ragen durch einen
Ausschnitt in der Decke des Kastens hervor.
Bei der Geräumigkeit der Sitzkastenbäder ist die Entfernung der Glühlampen
von der Haut eine grössere als bei den transportablen Lichtbädern. Die Spicgel-
glasauskleidung ermöglicht eine sehr gleichmässige Vertheilung von Licht- und
Wärmestrahlen durch den ganzen Raum. Es fällt daher auch bei völlig nacktem
Körper die unangenehme Reizwirkung der Strahlung fort.
Es wird ferner die Wärme fast der ganzen Oberfläche des Körpers und von
allen Seiten gleichmässig zugeführt, der Abschluss des Lichtbades ist, wenn der
Ausschnitt für den Hals zugedeckt ist, ein sehr luftdichter. Es tritt daher die
Schweissabsonderung sehr rasch, oft schon nach 5—10 Minuten, bei einer Temperatur
der Innenluft von 38—40 °C ein. Bald rinnt der Schweiss in Strömen, länger wie
30—35 Minuten wird ein derartiges Lichtbad nicht leicht ertragen. Zahlenmässigen
Aufschluss über die Wirkung geben die folgenden Tabellen:
Name j
Zeit |
j
Temp.
rectal.
Puls
i
Gewicht
in kg
Temp. der
Innenluft
1
I
Bern erkungen
Elise F.
5 Uhr 40
37,7
88 '
50,70«)
—
Nephritis chron.
5 Uhr 45
! _
—
Applikation des Lichtbades
5 Uhr 53
—
1
38
Lebhafter Schweiss am Körper
j
5 Uhr 57
—
Schweisstropfen im Gesicht
« Uhr 15
—
—
—
—
Lichtbad wird nicht länger ertragen
0 Uhr 20
6 Uhr 43
7 Uhr 24
38,4
128
. — I
— 1
i
50,200
i
80
90
Beendigung desselben
Kastenlichtbad versuch l. Halsausschnitt zugestopft.
Name
f
Zeit Temp.
Puls
1 Gewicht Bemerkungen
Anna W.
i
11 Uhr 30 37,4
HO
68,400
Neurasthenie
11 Uhr 35 1 —
—
| Applikation des Lichtbades
12 Uhr 5 -
—
• Nicht länger erträglich! Beendigung
I
12 Uhr 10 | 39,0
148
| 68,000
Kastenlichtbadversuch 2. Halsausschnitt zugestopft.
') Untersuchung zur Schilddrüsenfrage. Zeitschrift für klinische Medicin Bd. 33. S. C.
Zeitscbr. t diikt. u. physik. Therapie H<1. V. Heft ;j
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218
H. Salomon
1
i
Temp.
Name
Zeit
Temp.
Puls
Gewicht j
der
Bemerkungen
i
Innenluft
Anna K.
10 Uhr 40 1
37,3
88
; 54,400
_
Skrophulose
10 Uhr 42 ,
—
1 •-
i
Applikation
10 Uhr 57
—
—
| “
1 46
Erster Schweiss
i
11 Uhr 11
—
120
—
01
Reichlicher Schweiss
11 Uhr 13
—
132
—
I Lichtbad nicht länger erträglich
1
i
Beendigung
11 Uhr 18 1
38,3
—
| 54,000
—
i
!
Kastenlichtbadversuch 3.
Halsausschnitt zugestopft
Name
1
Zeit
l| .1
j Temp. 1 Puls Gewicht
Bemerkungen
Martha F. !
9 Uhr 10
37,0
80 i
59,8
Bronchitis 1
9 Uhr 15
i
— 1
—
Applikation
|
9 Uhr 25
100
Schweiss
9 Uhr 35
,
124
Kann das Bad nicht länger ertragen
1
Beendigung.
j
9 Uhr 40
37,0
59,0
KastonJichtbadvcrsuch 4. Halsausschnitt offen gelassen.
Bestimmungen des Gaswechsels im Lichtbade konnten äusserer Schwierigkeiten
halber nicht angestellt werden. Da indessen bei Anwendung der transportablen
Lichtbäder ein irgend erheblicher Mehrausschlag an Sauerstoffverbrauch gegenüber
dem in einfachen Schwitzbetten nicht zu erzielen war, obwohl zweifellos die starke
Strahlung den Umsatz in den oberflächlicheren Körperpartieen anregen wird, so ist
im Lichtkastenbad, bei dem jener Reiz fast wegfällt, ceteris paribus erst recht kein
besonderer Mehrverbrauch an Sauerstoff zu erwarten. • Der grossen Anzahl der
Lampen steht die Nothwendigkeit beschränkter Zeitdauer der Applikation gegenüber.
Ueberblicken wir nun nochmals die Wirkung der Heissluft- und der elektrischen
Lichtbäder auf den Gaswechsel, so fällt auf, wie verhältnissmässig gering jene Be¬
einflussung ist gegenüber der mächtigen Einwirkung auf Körpertemperatur, Körper¬
gewicht und Allgemeinbefinden. Es geht die Vermehrung des Sauerstoffverbrauchs
nur selten erheblich über die von Kraus*) beim Fieber ermittelten Steigerungen
hinaus, welche die obere Grenze von 20°/ o nicht übersteigen. Jedenfalls reichen
die Oxydationssteigerungen im Heissluft- und Lichtbade nicht entfernt heran an die
von Winternitz im heissen Bade gefundenen, welche nach Abzug des auf die
Athemgrösse entfallenden Antheils noch 30—75 °/ 0 betragen.
In Praxi erscheinen die elektrischen Lichtbäder als reinliche, schnell wirkende
Schwitzbäder. Sie haben gegenüber den altbewährten Schwitzbetten den Nachtheil
der Theuerkeit und der Abhängigkeit vom Vorhandensein elektrischer Leitung. Eine
*) lieber (len respiratorischen Gasaustausch im Fieber. Zeitschrift für klinische Medicin 1891.
Bd. 18.
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Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. 219
spezifische Wirkung erheblicheren Grades auf den Stoffwechsel ist nicht nachweisbar,
der mit ihrer Erfindung gemachte Fortschritt ist ein technischer, kein prinzipieller.
Der Platz der Schwitz- und Lichtbäder ist vor allem da in der Therapie, wo
man Flüssigkeitsentlastung resp. Ausscheidung giftiger Substanzen und Anregung
des Blut- und Säftestroms erzielen will.
Zweifellos wird ja im Schwitz- und Lichtbad ein Plus an Wärme nicht bloss
zugeführt, sondern auch gebildet, es genügt aber bei dem. Mangel einer Nachwirkung
jener Prozeduren die Steigerung des Stoffwechsels nicht, um von ihr den Erfolg zu
erhoffen, wie er für manche Konstitutionsanomalien, z. B. die Fettsucht von den ver¬
schiedensten Seiten 1 ) behauptet worden ist. Aus theoretischen Gründen muss man
da zu demselben Standpunkt gelangen, wie es aus rein praktischen Erfahrungen
heraus von Kalinczuk 2 ) bei seinem Referate über die Wirkung der elektrischen
Lichtbäder vertreten worden ist.
Ein Gramm Fett braucht zu seiner Verbrennung 2,01119 Liter Sauerstoff (für
Schweinefett nach den von Magnus-Levy») angenommenen Werthen berechnet).
Nimmt man nun selbst an, in einem der wirksamsten Lichtbäder meiner Tabelle,
dem Versuche 6, habe der Sauerstoffverbrauch während der ganzen Dauer dieselbe
Höhe gehabt wie zur Zeit der Bestimmung des Gaswechsels auf der Höhe der
Lichtbadwirkung, so würde das für die Dauer des Lichtbades von 144 Minuten
144 mal dem Minutenwerthe von 48,8 ccm (54,8 ccm — 6 ccm) = 7,0271 Liter Sauer¬
stoff ausmachen. Dieselben würden, auch ganz auf Oxydation von Fett verwandt,
nur ca. 3Vag Fett entsprechen.
'] Vergl. z. B. A. Frey, Die Schwitzbäder in physiologischer und therapeutischer Beziehung.
Volkmann’s Sammlung klinischer Vorträge 1889 und Kabierske, Zum VcrstäDdniss der Schwitz¬
bäder und ihrer Anwendung bei der Fettleibigkeit. Breslau 1898.
*) Kalinczuk, Zur kurativen Anwendung des elektrischen Lichtbades. Prager mcdicinische
Wochenschrift 1898. No. 22.
*) Ueber die Grösse des respiratorischen (insWechsels unter dem Einfluss der Nahrungs¬
aufnahme. Pfl&ger’s Archiv Bd. 55.
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15*
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220
M. Siegfried
IV.
Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie.
Von
Dr. M. Siegfried
in Bad Nauheim.
(Schluss.)
Hat nach Vorherigem das Dreirad sich brauchbar erwiesen zur Ergänzung der
Apparate der bahnenden sowohl wie der kompensatorischen Uebungstherapie,
so gilt dasselbe, wie die nachfolgenden Beobachtungen lehren werden, von seiner
Verwendung als Widerstandsgymnastik bei der Behandlung von Herzkrank¬
heiten.
Es ist das unbestreitbare und grosse Verdienst des verstorbenen August.
Schott und seines Bruders Theodor Schott, den Nachweis geliefert zu haben,
dass vorsichtig eingeleitete Muskelkontraktionen in analoger Weise entlastend auf
das Herz wirken können, wie es das kohlensäurehaltige Soolbad thut, da der
arbeitende Muskel stärker durchblutet wird und im Plethysmographen eine deut¬
liche Volumenzunahme zeigt. Es handelt sich natürlich nur um Uebungen leichtester
Art, welche selbst von solchen Herzkranken noch mit subjektivem Beilagen aus¬
geführt werden können, denen einfaches Gehen auf ebener Erde bereits Dyspnoe und
Herzklopfen verursacht.
Wenn die Bewegungen unter Setzung eines Widerstandes ausgeführt werden,
woher sie ihren Namen als Widerstandsgymnastik tragen, so soll die Stärke
dieses Widerstandes so minimal bemessen werden, dass seine Ueberwindung dem
Herzkranken keinerlei Mühe macht. Der ratient soll nach Absolvierung der Uebung
nicht das Gefühl der Ermüdung sondern dasjenige einer subjektiven Erleichte¬
rung haben.
Das Kriterium, ob die Widerstandsttbung richtig ausgeführt ist oder nicht, bleibt
stets die Art der Beeinflussung der Herzthätigkeit und der Athmung. Beide
müssen bei richtiger Dosierung der Gymnastik eine Verlangsamung, die Thätig-
keit des Herzens gleichzeitig eine Kräftigung, die der Athmung eine Vertiefung
erfahren.
Während Theodor Schott lediglich den Widerstand, welchen ein Gymnast
dem Kranken entgegensetzt, also den manuellen Widerstand, für therapeutisch ver-
werthbar erklärt und die Verwendung von Apparaten wegen angeblich mangeln¬
der Dosierbarkeit 1 ) verwirft, schliesse ich mich auf Grund vierjähriger Be¬
obachtungen der t'eberzeugung derjenigen-) an, welche erklären, dass der Wider-
H Verhandlungen des Kongresses für innere Medicin 1808. S. .‘VI4. 1800. S. 00.
-) Tselilenoff, Die mechanische Heilgymnastik. Diese Zeitschrift Bd :V Heft 4. — Herz,
Neue Prinzipien und Apparate der Widerstandstherapie Wiener lued. Presse 1808. No. 41. —
Ucbel u a.
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. "221
stand eines Apparates, sobald er durch Gewichte oder Hebel gegeben wird, an
Dosierbarkeit dem manuellen Widerstand bedeutend überlegen ist.
Eine ausführliche Begründung dieser Behauptung bei der Verwendung einer
Reihe von Apparaten verschiedenster Konstruktion werde ich an anderer Stelle
bringen, hier muss ich mich auf die kurze Darstellung der Beobachtungen beschränken,
welche an zwei Herzkranken des Moabiter städtischen Krankenhauses gemacht sind,
die längere Zeit der Widerstandsgymnastik auf dem Kurdreirade unterworfen
gewesen sind.
Da die Arbeitsleistung des Antriebes eines mit 150 kg beschwerten Dreirades
auf glatter ebener Fläche und bei Ausschluss von Gegenwind nach meinen Ver¬
suchen nur 0,3—0,5 kg beträgt ’), ihre Dosierung nach obigem genau erfolgen kann
und da die rhythmischen Bewegungen der Beinmuskulatur eine Ableitung des
Blutstromes in die unteren Extremitäten verursacht, so müssen, wenn diese Be¬
trachtungen richtig sind, Herzkranke, denen das gewöhnliche ebene Gehen wegen
Dyspnoe, Cyanose, Schwäche oder dergl. unmöglich ist, die Versetzung auf das
zunächst passiv bewegte Dreirad als eine subjektive Erleichterung empfinden und
im Laufe der Behandlung eine objektiv nachweisbare Besserung der Symptome und
eine erhöhte Leistungsfähigkeit erkennen lassen.
Zur Beobachtung der Einwirkung des Verfahrens habe ich Tabellen angefertigt,
welche enthalten:
1. Die jeweilige Länge der Tretkurbeln. Hierdurch wird bei passiver
Bewegung die Ausgiebigkeit der Beinbewegungen, bei aktiver das Maass der Hebel¬
kraft bestimmt, welches der Patient zur Niederdriickung des Pedals entfalten muss
2. Die Zahl der Pedalumdrehungen (P.-U.) in der Minute, d. h. die
Schnelligkeit der Bewegung.
3. Die Zahl der Minuten, während derer die Bewegung ohne Unterbrechung
ausgeführt wird, d. h. die Dauer der einzelnen Gymnastik.
4. Die Zahl der Pulsschläge t , , . , T t l , , ...
5. Die Zahl der AthemzOge I vor unä " ach Jedem Uebungsabschmtle.
(>. Die Länge der Ruhepause zwischen den einzelnen Uebungsabschnitten.
7. Lufttemperatur, Witterung, Zeit, Ort, Art der Gymnastik (ob aktiv, passiv,
ob Fussbetrieb, ob Fuss- und Handbetrieb, Füsse frei, gefesselt etc.).
Da die Uebungen ohne Ausnahme nur auf ebener cementierter Bahn mit Aus¬
schluss von Gegenwind stattfanden, konnte der durch Reibung und Luftwiderstand
gegebene äussere Widerstand als eine Konstante betrachtet werden.
Die Ausfüllung der einzelnen Rubriken der Tabelle ermöglicht daher eine un-
gemein genaue Dosierung der Arbeitsleistung und eine untrügliche Kontrolle
ihrer Einwirkung.
In den allermeisten Fällen zeigt sich, wenn alle Vorbereitungen mit der nöthigen
Ruhe und Langsamkeit getroffen sind, der Patient auf das Rad gehoben worden ist
oder zum Aufstieg einen Holztritt von geeigneter Form und Höhe benutzt hat, die
auffallende Erscheinung, dass bei frequentem Puls und Dyspnoe die Frequenz der
Herzthätigkeit und der Athmung während der Bewegungsübung abnimmt, dass
demnach die Einwirkung der Radgymnastik auf das kranke Herz dieselbe, wie
die der speziellen Widerstandsgymnastik dagegen eine derjenigen entgegen-
i) Zur Mechanik und Physiologie der Cvklistik. Deutsche medicin. Wochenschrift No.
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222
M. Siegfried
gesetzte ist, welche die sportliche Ausübung der Cyklistik auf die Thätigkeit des
gesunden Herzens zur Folge hat. 1 )
Die Verminderung der Pulszahl in der Minute ist gleichzeitig mit einer gün¬
stigen Beeinflussung der Pulswelle und des Rhythmus der Schlagfolge verbunden,
wie aus den unten folgenden Sphygmo-Chronogrammen, die mit dem zuverlässigen
Jaquet’schen Apparat unter allen Kautelen unmittelbar vor und nach der Uebung
aufgenommen sind, deutlich hervorgeht. Die Zahl, um welche die Frequenz des
Herzschlages vermindert wird, schwankt innerhalb ziemlich weiter Grenzen, zwischen
einigen wenigen bis zu 16, 20 Schlägen in der Minute. Die Pulswelle wird höher,
der ansteigende Schenkel steiler, es kommt meistens zu einer allmählich immer
deutlicher werdenden Ausprägung der Rückstosselevation.
Die Respiration zeigt in allen Fällen eine Verlangsamung und Vertiefung,
woran sich hauptsächlich die Inspiration betheiligt. Bei fehlender Athmungspause
erscheint sie im Laufe der Behandlung.
Der Kranke, welcher mir im Moabiter städtischen Krankenhause übergeben
wurde, lag auf der Station des Herrn Professor Renvers, welcher vor Beginn der
cyklogymnastischen Behandlung noch einmal die Herzgrenzen feststellte. Es handelte
sich um ein Cor debilissimum mit hochgradigster Dilatation, dessen Be¬
sitzer bei dem Versuche, im Saale umherzugehen, nach ca. 5 Schritt wegen Dyspnoe
und Cyanose, bei welcher sich nicht nur die Lippen, sondern das ganze Gesicht
dunkelblau verfärbte, stehen bleiben und sich setzen musste.
Die Vorgeschichte war kurz folgende: P. Sch., Bureauvorsteher, 41 Jahre, hat vor
3 Jahren Gelenkrheumatismus gehabt, seitdem öfter an Herzklopfen gelitten. Am 10. Sep¬
tember 1898 ging Patient nach Beendigung seines Dienstes, ohne sich krank zu fohlen, vom
Bureau ca. V* Stunde nach seiner Wohnung und wurde beim Ersteigen der Treppe plötz¬
lich von Athemnoth, allgemeinem Schweissausbruch, Herzklopfen und Schwindel befallen.
Er sinkt zusammen, wird in seine Wohnung-hinauf getragen, wobei sein Gesicht tiefblau
gewesen sein soll, und ist seitdem gehunfähig.
Am 19. Oktober 1898 Aufnahme in das Krankenhaus, wo er sich jetzt 5 Wochen
ohne Aenderung im Zustand befindet. Das Herz ist am 26. November 1898 nach rechts und
links ad maximum dilatiert, die Herzdämpfung überschreitet den rechten Sternalrand nach
rechts um 5—6 cm, nach links die MM-Linie um 3 cm, der Spitzenstoss ist weder sichtbar
noch ftthlbar. Puls 130 im Sitzen, steigt beim Aufstehen auf 144, Welle klein, niedrig, kaum
fühlbar, Spannung äusserst gering. Respiration im Sitzen 30 in der Minute, oberflächlich,
beim Aufstehen 40—42. Beim Gehen nach 5—6 Schritt dunkelblaue Färbung des ganzen
Gesichts, hervorquellende Augen, strangartiges Anschwellen der Hals- und Gesichtsvenen.
Fig. 24.
II . < » i T ■ » » I , I > ■ I » 1 , 1 « ? ■ » , V » » V I I f ■ I » 1 , I ; r V I t I I V v ttt i t t v i t l » » . t » . » i
' v> '/X/ v NA N /WW\/x/sjX/V v 'J\/sJ\/^
Sch., 20. November 1898, Vormittag 11 Uhr, vor der ersten Uebung. Puls 100, Rcsp. :>s,
!) Beschleunigung der Puls- und Athmungsfrequenz ist, wenn psychische Erregung, welche
den ersten Versuch in der gänzlich ungewohnten Situation oft .begleitet, ausgeschlossen werden
kann, als Kontraindikition der Uebungsbehandlung anzusehen.
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Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. 223
Fig. 25.
Sch. 26. November 1898, Vormittags UVaUhr, unmittelbar nach der ersten Ucbung, passiv
(fünf Minuten, 14 P. U. in der Minute) Puls 120, Resp. 22.
Nachdem das für gleichzeitigen Hand- und Fussbetrieb eingerichtete Dreirad *) an
das Bett des Patienten gebracht und letzterer vorsichtig auf dem Sattel plaziert war,
wurde, nachdem die durch diese Prozedur hervorgerufene Beschleunigung des Pulses
sich wieder ausgeglichen hatte, die erste Bewegung passiv durch Schieben des Drei¬
rades vorgenommen und zwar zunächst zwei Minuten, dann nach einer Pause von
fünf Minuten wiederum eine Bewegung von drei Minuten Dauer. Da in der Mi¬
nute 14 P. U. gemacht wurden, und jede P. U. einer Strecke von 4Vs m entspricht,
so hatte Patient in den fünf Minuten mit 70 P. U. 350 m im Freien zurückgelegt.
Während dieser Zeit hatte sich die Athmung von 38 auf 22 Athemzüge ermässigt,
Cyanose war nicht vorhanden. Patient äusserte subjektives Wohlbefinden, die nach
Beendigung der Uebung aufgenommene Pulskurve zeigte eine Verminderung der
Pulsfrequenz von 10 Schlägen. — Bei täglicher Zugabe einiger Minuten zeigte die
täglich geführte Tabelle am 5. Dezember 1898, also nach 10 Tagen:
Kurbel-
lftnge
P.U.
i.d.Min
Dauer
Puls
Resp.
Pause
Bemerkungen
14
20
8'
120
1
18
1 5'
Puls vor der Uebung 124
1
Resp. vor der Uebung 20
14
20
i
! 10' 1
i I
104
1 W
i
1 ~~
Bewegung aktiv.
Patient hatte also sein Körpergewicht 18 Minuten lang selbstständig fortbewegt,
eine Strecke von 1 Va km zurückgelegt, und dabei 18 x 20 P. U. also je 360 Arm-
und Beinbewegungen, im ganzen 1440 Bewegungen der vier Extremitäten ausgeführt,
wobei der Puls um 16 Schläge, die Athmung um zwei Züge in der Minute zurück¬
gegangen war.
22. Dezember 1898. Patient ist im stände, das Rad von hinten aus selbst
zu besteigen, wozu der eine Fuss auf die 40 cm über dem Boden liegende Hinter¬
radachse gesetzt und das Körpergewicht auf die letztere gehoben werden muss.
Gehversuche, indem das Rad nicht mehr in den Krankensaal gebracht wird, sondern
Patient zu dem im Freien stehenden Rade geht, auch im Freien wieder absitzt, und
den Rückweg zum Krankensaal zu Fuss zurücklegt.
24. Dezember 1898. Sphygmogramm nach IV 2 stündiger aktiver Uebung, mehr¬
maligem Ab- und Wiederaufsitzen, langsamem Gehen zum Rade und zu einer Bank,
50—80 Schritt: Puls 104, Resp. 12. Lufttemperatur — 2» R.
1 ) Dessen sinnreicher Mechanismus von dem Erfinder, Ingenieur Vonhausen in Wiesbaden
ursprünglich für das Zweirad bestimmt war.
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K lH-WJiitjci la'.t? Vcn’i '<!i s -'i
■v fVbinar 180 !*. Nach l'.'a .Stunden aktiver tyktogymrMttfik -nwä 'KSt » Oi*vn • HW? VH,
Roi*p, (ft,' neradümptan^ um mehitw <‘cnHmcwr verkleinert. Bpi «iärkttren Bem-gungen
Abbruch der BelmntHUBg.
Doch Cyanose;.
Myokarditis,
Smu‘kuug der Arme. iJureh Scufei-u der
’^iVfU/•'••■ .Lenluuiujpi:.
Myokarditis?,:
Bfetfglifljf der Anne auf »lern Fürst und Hand
‘H».it.U“prägtßP, als bei vxceasiven i>T tnt.it ionli«,fi*1 t*fu wie «ißt «rtdgp, i/irt die
tiüjfjtiv’C Küivsiikuitg der (Yktogyumassik in f-’.'üK'b zu Tage, wo e> sich mn'Efkraakuntr
*)*'.•' Hor/ftiuhkei.8 tjaudeji und cbe Therajue d>«: Aufgabe hat eine bessere Ki-ftährmiy
d<*s> ilcrziniiskel- dureb RegnUemtig der Arheitd.-Dnink ubd vermehrte:■•O-.ZuTnltp
des Herzens )ii:rbei/.«fiihmi. Hei einem au! der. Abfliidltuig des Herrn Prof, t»»> 1 «l-
seheider ilegeadi;» Falte vonMvykaf&l.Hs nv> khdrtei», frequentem, Äu^eHwi fast
MufOthUmrota Puls, tnaniite sich die er.d'e lehmie sofort im der Tiilskurve-deutlich
WiMdite sieh die erde t «duiNt r
sie-Mbar* indem die Pulsfrequenz von U*0 auf !»2. die der Atbmung vba 22 aiif 17
f.bröekgidC'.i Die Hebungen auf dein Hand- imd 1 u~- i>etriehs<!t eirati (Fie. 2R und 2‘H
Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. 225
wurden sehr bald auf die Dauer einer Stunde pro die ausgedehnt. Patient stellte
sich dazu vom 21. November 1898 bis 13. Februar 1899 mit grosser Pünktlichkeit
selbst bei Schneefall ein. Eine nach vierwöchiger Behandlung aufgenommene Tabelle
erzielte:
1? &>
■8 5
33 *
P.U.
i.d.Min.
Dauer
Puls
Resp.
Pause
Bemerkungen
a) 16
24
30'
84
18
10'
Puls i vor der j 90
b) 16
24
30'
80
16
Resp. 1 Uebung l 20
Es war demnach eine Verlangsamung des Pulses um 10 Schläge, eine solche
der Athmung um vier Athemzüge in der Minute erzielt worden. Patient hat in
2x30 Minuten 6Va km zurückgelegt. Die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit des
Herzens veranschaulichen folgende Pulskurven:
Fig. 30.
11) November 1898. Vor Beginn der Behandlung. Puls 100, Resp. 22.
Fig. 31.
19. November 1898. Unmittelbar nach der ersten Uebung, Dauer 5 Minuten.
Temperatur -f-f>oR, Puls 82, Resp. 17.
Fig. 32.
8. Dezember 181)8. Nach 1 ., ständiger Cvklogyinnastik. Puls 80, Kesp. 16.
Fig. 33.
14. Januar 1899. Nach 1 Stunde Cyklogymnastik. Puls 78, Resp. 12.
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*226 M. Siegfried, Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie.
Fig. 34.
13 Februar 1899. Nach 1 Stunde Cyklogymnastik, Puls 74, Resp. 10.
Patient wird am 14. Februar 1899 geheilt entlassen.
In den Sommern der beiden letzten Jahre habe ich in Nauheim eine grössere
Reihe von Herzkranken nach obigen Grundsätzen in einer zu diesem Zwecke erbauten
offenen Halle behandelt und dabei die Erfahrung gemacht, dass die Kombination
der gymnastischen Behandlung mit dem gleichzeitigen Gebrauch der Nau¬
heim er Bäder bei strenger Individualisierung in der Auswahl, genauer Dosierung
und dauernder ärztlicher Ueberwachung noch günstigere Resultate erzielt als
die obigen, welche durch die cyklogymnastische Methode allein gewonnen sind.
Ebenso gilt von der Anwendung der Cyklogymnastik bei Koordinationsstörungen .
und Leitungshemmungen, dass sie die besten Erfolge zeitigt, wenn sie im Ver¬
ein mit den übrigen gymnastischen und physikalischen Heilmethoden
appliziert wird, also speziell wenn sie im Anschluss an den Apparatengebrauch
der bahnenden und der kompensatorischen Uebungstherapie zur Verwendung gelangt.
Wenn ich für die Anwendung der Cyklogymnastik den Namen »Cyklotherapie« 1 )
vorgeschlagen habe, so geschah dies, um für die umständliche Bezeichnung einer
neuen Methode einen prägnanten Ausdruck zu haben, nicht aber in der Meinung, durch
die Verwendung der Cyklogymnastik eine neue »Therapie« zu begründen.
Es handelt sich bei der Cyklotherapie um eine in manchen Fällen zweck¬
mässige Modifikation und Ergänzung der Bewegungstherapie und der Widerstands¬
gymnastik, um die Applikation eines physikalischen Heilfaktors, der neben alten
auch einige neue Momente bietet, und dessen Gebrauch infolgedessen gerne und
mit Ausdauer betrieben wird.
Andrerseits bedarf es, um Enttäuschungen zu entgehen, einer unablässigen Beob¬
achtung und Ueberwachung des Patienten seitens des Arztes. Dies gilt vor allem
bei der Verwendung der Cyklotherapie als Widerstandsgymnastik bei Herzkrank¬
heiten, wo als unumstössliches Gesetz gelten muss, dass der Patient nur unter den
Augen des Arztes üben und niemals eigenmächtig Aenderungen in der vorge-
schriebenen Dauer und Art der Uebungen vornehmen darf.
Die Behandlung ist daher für den Arzt mühsam und zeitraubend, sodass sie
meiner Erfahrung nach nur dann mit befriedigendem Erfolge ausgeübt werden kann,
wenn der betreffende Arzt seine Hauptthätigkeit diesem Zweige der physikalischen
Therapie zu widmen Zeit, Neigung und Gelegenheit hat.
0 »Ueber Cyklotherapie«*. Vortrag im Verein für innere Medicin 181)8. 4. April.
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Pelizaeus, Beschreibung einer sicher funktionierender Douchevorrichtung. 227
V.
Beschreibung einer auch bei wechselndem Wasserdruck sicher
funktionierender Douchevorrichtung.
Von
Sanitätsrath Dr. Pelizaeus,
Sanatorium Suderode am Harz.
Der Artikel 1 in Heft 5 1900/1901 dieser Zeitschrift mit der Beschreibung eines
neuen und zuverlässigen Mischventils von Prof. Dr. Rieder in München veranlasste
mich, die Einrichtung der Douchevorrichtung, wie ich sie seit mehreren Jahren in
meiner Heilanstalt benutze, der Oeffentlichkeit zu übergeben.
Zweifellos funktioniert das von Rieder angegebene Mischventil, solange der
Druck in der Kalt- und Warmwasserleitung konstant bleibt, ohne jeden Tadel. Aber
die Forderung, dass der Druck in den beiden Leitungen gleich bleibt, ist während
der Zeit, in der in verschiedenen Räumen einer Badeanstalt gebadet wird, nicht zu
erfüllen. Dieser Druck hängt ab von dem Druck, mit dem das Wasser die Röhren
durchläuft, also von der Höhe der Wasserreservoire, von'.der Weite der Röhren und
von der Anzahl der Hähne, aus denen Wasser entnommen wird.
Ist der Druck gering, die Rohrweiten ebenfalls, so können, wenn im Verlauf
einer Leitung soviel Hähne geöffnet sind, dass der Durchschnitt dieser den Durch¬
schnitt des Hauptrohres übersteigt, die einzelnen Hähne das Wasser nur mit geringem
Druck und in geringer Menge von sich geben. Ja es kann Vorkommen, dass die am
weitesten von dem Beginn der Leitung entlegenen Hähne überhaupt kein Wasser
geben. Vermindert, aber nicht aufgehoben wird dieser Uebelstand durch weite Zu¬
leitungsrohre und starken Druck. Nach meinen Erfahrungen hängt die Unzufriedenheit
mit der Funktion der verschiedenen Mischhähne nicht von der Konstruktion der
Mischhähne, sondern von dem durch die genannten Umstände verursachten Wechsel
im Zufluss warmen und kalten Wassers zusammen.
Nimmt man z.B. an, man hat bei einer Temperatur des warmen Wassers von
60°, des kalten von 10° den Mischhahn auf 30° eingestellt, der Durchschnitt des
Zuleitungsrohres beträgt etwa 4—5 cm — die gebräuchlichste Rohrstärke bei mittleren
Badeanlagen — und es werden nun plötzlich 2 oder 3 Hähne von je 2—2'/a cm
Weite in der Warmwasserleitung geöffnet, so wird der Zufluss von warmem Wasser
ein so geringer werden, dass aus der warmen Brause plötzlich eine kalte wird. Noch
unangenehmer ist es natürlich, wenn das kalte Wasser ausbleibt und der Badende
mit heissem Wasser überschüttet wird. Die grösste Aufmerksamkeit des Badedieners
und die bestkonstruierten Mischvorrichtungen sind gegen derartige Vorkommnisse
machtlos. Besonders in kleineren Betrieben, bei Einrichtung derart, dass die Warm-
und Kaltwasserbehälter sich auf den Bodenräumen des Badehauses befinden, also in
einer Höhe von 8—9 m bei einem Hause von 2, von 11—12 m bei einem Hause von
3 Stockwerken, werden Douchen, wenn sie an die allgemeinen Rohrleitungen ange-
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'2'28 Pclizacus, Beschreibung einer sicher funktionierenden Douchcvorrichtung.
schlossen sind, kaum brauchbar sein, während bei Leitungen, die einen Druck von
3—3 >/ 2 Atmosphäre haben, d. h. 30—35 m Fallhöhe, derart eingerichtete Douchen
noch einigermaassen gut funktionieren können. Anders natürlich, wenn jede Douche
ihre eigenen Leitungsrohre vom Warm- und Kaltwasserreservoir hat.
Noch unangenehmer ist die Sache, wenn, wie das auch oft der Fall ist, die
Kaltwasserleitung einen hohen, die Warmwasserleitung einen niedrigen Druck hat.
Dann ist auch mit den besten Mischhähnen eine genaueste Temperierung des Wassers
unmöglich. Ich habe nun folgende Einrichtung getroffen, die aus der beigegebenen
Skizze leicht ersichtlich 1 ).
Die ganze Douchevorrichtung ist nujr an die Kaltwasserlcitung K angeschlossen,
von derselben führt das eine Rohr, welches mit. K bezeichnet ist, direkt zum Misch¬
hahn, die weitere Fortsetzung der Kaltwasserleitung geht zu einem ca. ‘200 1 fassenden
Cylinder und kann durch einen Hahn von diesem Cylinder abgesperrt werden. Dieser
Cylinder wird durch eine Zuleitung bei W mit warmem Wasser gefüllt, während der
Hahn K geschlossen ist. Durch das geöffnete Mischventil entweicht die Luft aus dem
Behälter W.
Wird jetzt der Hahn K geöffnet, der Hahn TT geschlossen, so ist der Douche-
apparat zum Gebrauch fertig. Das kalte Wasser durch den Hahn IT in den Cylinder 11'
entweichend drängt das warme Wasser durch die Leitung W nach dem Mischhahn
und zwar unter genau demselben Druck wie das kalte Wasser. Ist der Mischhahn
einmal auf eine bestimmte Temperatur eingestellt, so bleibt dieselbe die gleiche,
einerlei ob in der Kaltwasserleitung irgendwo Hähne geöffnet oder geschlossen. Der
Mischhahu ist ein einfacher Dreiwegehahn, der aber bei exakter Ausführung und
nicht zu hohem Druck allen Anforderungen genügt. Es kann bei geringem Druck
0 Die Finna Moosdorf & Hochhäusler’s Sanitätswerke, Berlin S. 0., hat die Anfertigung
des Apparats übernommen und ist zu näherer Auskunft jederzeit bereit.
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W. Camerer, Untersuchungen über Diabetikerbrode. 229
der Leitung und bei kleinem Rohrdurchmesser wohl Vorkommen, dass die Stärke
des Douchestrahles oder der Brause infolge Oeffnens einer der Hähne schwankt, und
niemals die Temperatur des ausfliessenden Wassers. Diese hängt einzig und allein
von der Stellung des Mischhahns ab. Durch den Hahn E wird das kalte Wasser
wieder entfernt
VI.
Untersuchungen über Diabetikerbrode.
Von
Dr. W. Camerer jun.
in Stuttgart.
In Band 1, Seite 69 dieser Zeitschrift sind von Kraus jun. eine grössere Anzahl
von Analysen zur Chemie der Diabetesküche veröffentlicht worden; unter denselben
finden sich auch solche von Diabetikerbroden und Mehlen. Es zeigte sich, dass ein
grosser Theil der für den Gebrauch der Zuckerkranken angepriesenen Brode nicht
oder nur unbedeutend weniger Kohlehydrate enthielt, als gewöhnliches Schwarzbrod,
und Kraus mahnt daher mit Recht zur Vorsicht bei der Auswahl derartiger Präparate.
Den Analysen von Kraus kann ich einige weitere beifügen, welche ich in letzter
Zeit Gelegenheit gehabt habe im Löflund’schen Fabriklaboratorium in Stuttgart aus-
zufübren. Im Gegensatz zu Kraus habe ich die Kohlehydrate nicht direkt, sondern
aus der Differenz bestimmt. Es wurde die Trockensubstanz durch Behandlung der
gepulverten Substanz im Vakuumtrockenschrank bei 98°, Aetherextrakt nach Soxhlet.,
Eiweiss durch Multiplikation des Kjeldahlstickstoffs mit 6,25 bestimmt, und Aschen¬
analysen ausgeführt. Wenn auch die direkte Kohlehydratbestimmung natürlich ge¬
nauere Resultate giebt, so ist doch der Unterschied gegen die Differenzbestimmung
nur sehr gering, kommt also für unsere praktischen Zwecke kaum in Betracht. Zu¬
gleich erfahrt man durch die letztere auch den Gehalt der Präparate an Eiweiss,
Fett und Asche.
Es fanden sich in 100 g
1
i
1
Wasser !
Eiweiss
1
Fett
-1
Asche
Rest =
Kohlehydrate
Helles Alearonatbrod Stuttgart . .
35,1
12,5
0,5
1,0
50,3
Dunkles Alearonatbrod Stuttgart . .
26,0
6,3
0,4 |
1,6
63,7
Plasmonbrod Stuttgart.
37,5
14,2
0,2
2,5
45,6
Rade mann’s Diabetikerschwarzbrod
37,7
ir>,a
2,9
2,6
41,5
Rademann’s Diabetikerweissbrod .
34,5
20,2
2,9
2,8
36,6
Gericke’s Porterbrod (schwarz) . . (
34,2
17,5
0,1
1,5
46,7
Gericke’s Zwieback.
5,3
21.0
12,4
2,9
1 58,4
Dresdner Aleuronatbrod.
36,4
10, 5 i
0,4
2.0
44,7
Alearonatbrod (schwarz). .
35,2
15.1 |
0,3
1,5
47,9
Privatdiabetikerbrod.
41,5
1 11,9 i
1 i
7,2
i
1 1,3
38,1
Es erfüllt demnach keines der analysierten Gebäcke auch nur annähernd die
Bedingungen, welche mau an ein zweckmässiges Diabetikerbrod stellen muss, indem
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230 W. Camerer
ihr Kohlehydratgehalt, abgesehen von dem weissen Diabetikerbrod Rademann und
dem Privatdiabetikerbrod nicht unter 40% heruntergeht, und sich also nicht wesent¬
lich von dem des Grahambrods oder Pumpernickels mit etwa 45% unterscheidet.
Der grosse Unterschied dieser Zahlen gegenüber den Anpreisungen und Angaben der
Produzenten lässt sich vielleicht z. T. dadurch erklären, dass einige der Brode, welche
von auswärts bezogen wurden, wie die von Rademann aus Frankfurt, oder die von
Ger icke aus Potsdam, während der Zusendung wasserärmer und dadurch relativ
reicher an Kohlehydraten wurden, da sie nur in Pappekartons verpackt waren. Die
Stuttgarter Brode wurden natürlich in ganz frischem Zustand analysiert.
Ueber den Wasserverlust von Gebäcken beim Aufbewahren ist wenig bekannt.
In König’s Handbuch der menschlichen Nahrungs- und Genussmittel Band 2, Seite 615
finden sich folgende Angaben:
Gewicht
des
: frischen
Brodes
Wasserverlust in
1 Tag | 3 Tagen j
o/o des Brodgewichts nach
7 Tagen | 15 Tagen 1 30 Tagen
Roggenbrod . .
43,44
0,02
0,30
2,10
5,58
9,78
Weizenbrod. . .
79,00
7,71
8,86
14,05
17.84
18,48
Nach 80 tägigem Aufbewahren hatten beide Brode gleich viel, nämlich 21%
ihres Gewichts vorloren. Bei einem 3,76 kg schweren Brod fand Boussignault in
6 Tagen nur einen Verlust von 1,86%. Ich selbst habe einige diesbezügliche
Beobachtungen angestellt; es wurden untersucht 1. Weissbrödchen (Weck); 2. Schwarz-
brodlaib, runde Form, beide im ganzen; 3. Schwarzbrodlaib, runde Form, in der
Mitte auseinander geschnitten; 4. Schwarzbrodlaib, längliche Form, im ganzen;
5. Plasmonbrod, runde Form, im ganzen; 6. Plasmonbrod, runde Form, in der Mitte
auseinandergeschnitten. Die Brode wurden in einem Raume mit einer konstanten
Temperatur von 13—14° offen aufbewahrt und regelmässig alle 12 Stunden gewogen;
die folgenden Zahlen sind meist Mittelwerthe von unter sich gut stimmenden Doppel¬
beobachtungen. Die Resultate waren wie folgt:
S 5
•ej
Wasserverlust in
Prozenten des Brodgewichts nach
2 »
xi
$ w
12
24
36
48
60
72
84
96
108
120
6
7 i 8
10
15
0 £
_e_
Stunde]
n
Tage
n
1. Weissbrödchen .
50
2,9
7,o
11,0
11,1
13,2
15,3
17,2
17,3
19,2
21,2
21,2
21,2 1 22,7
22,7
23,2
2. Sehwarzbrod im
ganzen . . .
5 02
2,0
2,8
4,0
5,4
6,0
6,8
7,4
9,0
9,3
9,4
10,6
11,9 13,3
15,7
17,1
3. Sehwarzbrod in
der Mitte durch¬
l i
1
i
geschnitten . .
256
3,7
5,71
8,3
9,4
11,2
13,0
13,8
14,7
15,9
16,5
19,7
20,0 21,0
23,9
127,6
4. Sehwarzbrod im
1
1
ganzen . . .
363
1
1,4
o o
3,0
3,9
4,1
5,5
0,3
7,2
7,7
8,2
9,6
10,7 11,8
14,1
17,4
5. Plasmonbrod im
1
i
1 1
ganzen . . .
! 211
1,4
2,81
4,2 1
5,2
6,2
9,0
10,0
110,4
11,0!
11,4
12,8
14,7 116,1
1
18,5
21,8
6. Plasmonbrod in
i
1
|
1
der Mitte durch -
1
!
1 1
l
1
i
1
geschnitten . .
168
4,5
0,3
8,9
10,4
12,5,
116,1 '
17,0
18,8
19,4
20,0
21,8
23,0 25,1
27,5
29,3
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Untersuchungen über Diabetikerbrode. 231
Nehmen wir an, es enthalte in frischem Zustand Weissbrödchen 60 %, Schwarz-
brod 50% und Plasmonbrod 46% Kohlehydrate, so ergiebt sich durch das Aufbewahren
folgende Veränderung in der Zusammensetzung:
12
100 g Brod enthalten Kohlehydrate nach
24 1 3G | 48 | 60 ! 72 4 j
5
Stunden
Tagen
Weissbrödchen.
<>1,8
64,5
67,4
1 CO
1
69,2
70,8
! 72,5 1
76,1
Schwarzbrod durchgeschnitten
61,9
63,0
54,5
55,2 1
56,4
57,5 |
CO
ao
ir.
59,9
Plasmonbrod durchgeschnitten
48,2
49, 1
50,5
61,4 |
52,6
54,8
56,6
57,5
Plasmonbrod im ganzen . . .
46,6 |
47,3
48,0
48,5 J
49,0
50,5
51,3
51,9
Es steigt also der relative Kohlehydratgehalt der Gebäcke durch mehrtägiges
Aufbewahren nicht unbeträchtlich an. Auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes
hat man aber bei keinem der Brode weniger als 30 %, bei der Mehrzahl sogar über
40% Kohlehydrate in frischem Zustand zu berechnen. Durch Aufbewahren der
Gebäcke in Blechkapseln Hesse sich allerdings der Wasserverlust leicht vermeiden,
doch leidet hierbei der Wohlgeschmack ganz erheblich.
Wie die Untersuchungen von Kraus wieder bestätigen, giebt es wohl sogen.
Diabetikerbrode mit weniger als 10% Kohlehydratgehalt, doch unterscheiden sich
derartige Präparate in Geschmack, Aussehen, Verdaulichkeit u. s. w. sehr wesentlich
von Brod und können den Wunsch des Zuckerkranken nach letzterem nicht befrie¬
digen, werden auch nach kurzer Zeit zurückgewiesen. Ein grosser Theil der oben
erwähnten kohlehydratreichen Diabetikerbrode steht im Wohlgeschmack hinter gewöhn¬
lichem Brod zurück, ist dagegen bedeutend theurer als letzteres. Diabetikerzwiebacke,
Kakes u. s. w. sind infolge ihrer Zubereitung alle sehr wasserarm und entsprechend
reich an Kohlehydraten, weshalb ihre Anwendung nicht zu empfehlen ist. Will man
sich überhaupt eines Brodpräparates bedienen, so lässt sich dies am besten und
billigsten zu Hause darstellen, indem Schwarzbrodteig vielfach unter Wasserzusatz
ausgeknetet und Fett und Hefe, event. auch Aleuronat, Tropon oder Plasmon zugesetzt
wird. Bei Verwendung von 1 kg Mehl darf die Ausbeute an fertigem Gebäck, falls
nicht eine grössere Menge eines Eiweisspräparates zugesetzt ist, nicht mehr als 250 g
betragen. Man erhält dann Präparate von etwa 25 % Kohlehydratgelialt, die freilich
auch nicht viel Aehnlichkeit mit Brod haben, doch frisch bereitet von manchen gerne
genommen werden.
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232
Julian Marcuse
VII.
Das hydrotherapeutische Institut an der Universität Berlin.
Von
Dr. Julian Harcuse
in Mannheim.
Die Bedeutung der Hydrotherapie für die Medicin beginnt mit ihrer physio¬
logischen Begründung durch Winternitz und mit dem Augenblick, wo der vorher
rohen empirischen Kunst eine exakte wissenschaftliche Grundlage gegeben worden
ist. Die Anwendungsweise und klinische Verwerthung dieses mächtigsten aller physi¬
kalischen Heilfaktoren liegt nunmehr in einer Jahrzehnte langen Erfahrung und Er¬
forschung vor uns und fordert geradezu mit elementarer Gewalt die Einfügung des¬
selben in die moderne Therapie. Hatten die physikalischen Methoden sich längst
eine Existenzberechtigung in den weitesten Kreisen des Volkes geschaffen, so war
es für Deutschland das grosse Verdienst v. Leyden’s, ihnen auch in der Wissen¬
schaft ein volles Bürgerrecht verliehen zu haben, und seiner Initiative verdanken
wir die praktische Einführung der Hydrotherapie in das Arbeitsfeld und den Lehr¬
plan der Klinik. Hier allein kann diese Disziplin exakt geprüft, gelenkt und ge¬
fördert werden, von hier aus allein soll sie in die Kreise der praktischen Aerzte
getragen und zum wissenschaftlichen Allgemeingut werden. Die unumstössliche Vor¬
bedingung hierfür ist die Errichtung von klinisch-hydrotherapeutischen Instituten,
die Ertheilung von Lehraufträgen für dieses Gebiet und die allmähliche Einbeziehung
in die Prüfungsfächer.
Der preussische Staat hat sich das dankenswerthe Verdienst erworben, auf
diesem Wege bahnbrechend vorangeschritten zu'sein und mit der Kreirung eines
hydrotherapeutischen Instituts an der Universität Berlin den Weg vorgezeichnet zu
haben. Allerdings hat bereits München seit Jahresfrist in seinem Krankenhause
links der Isar ein ähnliches Unternehmen geschaffen, allein dasselbe ist von der
Stadt begründet und fundiert worden und, wenn auch glänzend in seinen Ein¬
richtungen ausgestattet, kommt es doch dem Zwecke, den das Berliner Institut hat,
nicht nahe. Denn beschränkt nur auf die Insassen des dortigen Krankenhauses
ohne jede ambulante Poliklinik, ohne jede stationäre Klinik kann es seine reichen
und geradezu ideal vollkommenen Hilfsmittel nur einem geringen Kreis von Patienten
zuwenden. Ganz anders bei der Berliner Neugründung, wo der Staat die Anstalt
auf die breiteste Basis gestellt, sie der weitesten Oeffentlichkeit zugänglich gemacht
und damit ihr den Charakter einer Klinik im vollen Sinne des Wortes verliehen hat.
Eine mehrwöchentliche Thätigkeit in diesem Institut, die mir in liebenswürdigster
Weise Herr Geh. Medicinalrath Prof. Dr. Brieger ermöglichte, gestattet mir, ein
Bild davon auch weiteren Kreisen zu entwerfen.
Die Berliner hydrotherapeutische Anstalt gliedert sich in eine Poliklinik, an
der Luisenstrasse gelegen, und in eine Klinik in einem der Pavillons gegenüber dem
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Das hydrotlimpentfecbe Institut an der Univereitgt Berlin
1 aß. .Völlig' ft'hlt bisher
ein Saal föir VopIe.stjBgft» jjöil ftir #1)
klinischen I‘ß<em«'bt. . f*ie Klinik,. in
den» oben erkühnte« t'ayilbvn tutferg^-
bracht, »htfass t 14 Bette» ,7 füt* ji| iinny v
tiiui % für Frauen. Iber Xc-uhn», der die
etsätnraim Ibdeeinrit-htiingeri eW;. eül-
iifilt-, vor der Poliklinik eirtigo. Minute»,
von der Klinik seltoii »iclit mibettltnit-
Hdt entfernt ist was elteo6sll.s als MMs-
<tan«l /.u bczoidtne» ist, hat ein hüb-
.seii^s VV^trafjÖ»JttJer, eiöenkJß|ii»>JI Xehbn-
raum fiir Litensilitjtt, AMirtete. und einen
sehr stattlichen. lichter/ Baum für dB*
livdrotherajjeritisi'liec Prozeduren. . (ledtts. vom .Eingang finden wir ein abgetbeilteh
ösuftdr}« mit liuhelrtgorn für ParkuiKieii, Massage um) ähnlichem und auf der anderen
Seite vier kleine Kabinen warst Aus- und Ankleiden. Ks folgen m ffer rechten Wand ei»
Katheder für Bourben, der »Ile gangbaren Formen eut'bAlt: Kalte und warme liegeu-
brause, Fächer-, Strahl-, Schot¬
tische-. ■JkHHpfdouelie. siimmfinth 1 >g ' |j|
Bitte Sitz- und Kapellenbrause £
b.bmie,» sich an der seitlichen
Wand. Au derselben ist im
Boden ei» kleiner FUichenramn
eiugehissen für Wassertreten, §f.,v jÄL
weebseBiVurtne Fitssbiider,; sowie
und et» rdektrisrhcr Glü'hlii'ht-
therapeutische Mobiliar.' Bor .Boden, des ganzen Pavillons ist. mnemterf, mir
den hotkige» '^ßriö^ff* • hgt
Heizung, elektrische BeltUrbtutig. Venti]4Ür;n'ei.nrirhf.iiivgeö um! durch fast dir ca1|I
Wand fläche einnehmende Fenster eine ausserordentlich grosse- lariHtincbe Fs fehlen
bisher poch 'kohlensaare, hrdroelekttische IkUler, sowie rsaud- uüd Sormenbiider. . Wie
besonders diese letztere» iö praktischer ut»l scliunstor Form Eiriztiifgen sind, dafür
EeüWtor, C diät. o.
liöüchekatlicder
jy&yfcik. Tli^röple B4. V. ftfrtV fr
-
234 Juliati Marciisfr PsUf liydrolheHUreufistche Institut an dev Utfi^crslüli Berlin.
giebt das Institut in Mönchen ein an vollgültigen Beweis:; 'Kitt gksgewölider Raum
im obersten.; Stock wert: des siortigaii Krankenhauses, dar bei. zu stärker Erhitzung
durcii Kaltwasserberresehsng ubgekühlt.- 'werde« käi>», dient diesem Zwecke, Auch
das Saadhad' - in yMüneheft käöii' als mmstergiUig- bezdebaet, werden. Die Anf-
«peirheruag des Sandes geschieh* in' grosse» eisernen Käste», die innen mit. Xrlolitit-
ptauen ausgek leidet sind. fff dem einen Behälter wird der Sand mittels, kupferner
Heizschlange«,ia deite»leichter
lim/tmufla*. W B"f»
zu YcdlMttef«
eine-aufRöBcu lAtiffcmdeßiclieri-
holzhadewariBe.
An der Spitze des Berliner
Instituts steht, wie schon «he«
erwähnt i, Geh. Medioiualrath
Prof. De. Briegei, ihm zur
Seite eio Oberarzt und zwei
D&S ret’sonäl, das bei der starken
Preffueffz noch .sehr dürftig ist, .besteht aus eutetn ftadowärter and einer Wärterin,
Die 'Poliklinik ist bisher viermal in der Woche geöffnet, an zwei Tage« filr Männer,
«u de« anderen für Krauen- Die Krcquenz des Instituts hat. am evidentesten <ije
gehiotemche XetliWeudieferft der Errichtung bewiesen: Vom 21. Januar, dein Er*
öffniiogf.iage, bis 1. Mär* haben 71, vorn 1.- 31-Mürz bereits 5Ö5, im Motiat. April
'Jf \’i ihiticntcii die 1‘oliklinik aufgesucht, iflsgesainjnt also bisher innerhalb knapp
3 1 i Munat^n 71S? Batfönten. Tm Ji&dep&vUloH wurde» in diesem Zeitraum über
Wo Kranke behandelt, : Prozeduren. wurden abgegeben iusgesamint 1852. Auf der
Klinische» Itaiion waren iti Behandlung 48 Patienten und zwar 30 Männer und
18 Kranen. Die Mehrzahl derer,.'welche die Anstalt autsm-hten, kamen' aus -eigenstem
Am rieb, fJieiftvoise jjfifcltdm sie Zeit und 'Geld vorher Kurpfuschern 'geopfert- 'hatten r
Mt ‘l'heil wurde von .praktischen Amte« »ud Kiiiüken ffb.erwie.seti.
$<• kam.« man mit freudiger tteiiuetituuni für die nißdenu; Ktttwickkag der
.Medici«; für die volle Anerkennung der .physikaiisrh-dhiteuschen Heilmethoden die
Begründung dieses Institutes begnissm, und wir wollen hotten, dass e? unter ge*
«.imioteiii iind vervollkommnetem Ausbau die :Stufe erreichen .wird, die ihm zur«
Vui/rii der Krankt« wie nicht minder 'dmWissenschaft.»ff ihrem Kampfe gegen die
lviiciüii-rl,,.; ei ggbührt t
Daiiipf kastenbad mul Gtühbchlbad
Go gle
A. Dworetzky, Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 235
Kritische Umschau.
Die Entwickelung: und der gegenwärtige Stand der Lieht'
therapie ln Russland.
Von
Dr. A. Dworetzky
in Riga.
Nirgends in den westeuropäischen Staaten hat die Lichttherapie in verhältniss-
mässig kurzer Frist so erhebliche Fortschritte zu verzeichnen gehabt, wie gerade in
Russland. In keinem andern Lande sind auf staatliche und private Mittel so viele
Lichtheilanstalten und therapeutische Kabinette gegründet worden, wo nicht nur die
Heilkraft der Lichtstrahlen bei den verschiedensten Affektionen empirisch erprobt
und festgestellt, sondern wo auch der Versuch gemacht wird, die Grundlagen der
Phototherapie und das Wesen ihrer Wirkungen auf experimentellem Wege wissen¬
schaftlich zu erforschen. Zuerst in Russland wurde an die Anwendung des Licht¬
heilverfahrens bei Erkrankungen des Nervensystems geschritten und ein nicht un¬
bedeutender Erfolg damit erzielt Eine kurze Uebersicht über die in Russland bereits
existierenden Lichtheilanstalten wird den derzeitigen hohen Stand der Phototherapie
bei uns am besten illustrieren.
Der Flottenarzt, Ehren-Leibchirurg Sr. Maj. des Kaisers, Dr. D. A. Murinow
hatte im Jahre 1897 Gelegenheit, die überaus günstige Wirkung des elektrischen
Bogenlichtes auf den Verlauf des akuten Gelenkrheumatismus an sich selbst zu kon¬
statieren, und seit der Zeit widmete er sich dem Studium dieser neuen Heilmethode.
Im selben Jahre 1897 richtete er im Marmorpalais zu Petersburg ein Kabinett zu
therapeutischer Ausnutzung der elektrischen Lichtstrahlen ein, welches mit den
neuesten und vollkommensten Apparaten und Vorrichtungen versehen ist. Die meisten
Versuche und Beobachtungen an Kranken werden mit dem Lichte eines Voltabogens
von 20—25 Amperes und 50—60 Volt angestellt, wobei das Licht von einem parabo¬
lischen Spiegel reflektiert und die Wärmestrahlen manchmal ausgeschlossen werden.
Seit dem Jahre 1895 bemerkte Dr. N. Ewald, Arzt an der Struve’schen
Lokomotiv- und Waggonfabrik in Kolomna bei Moskau, dass seit Einführung des
Zusammenschweissens von Eisen mit Hülfe des elektrischen Stromes nach der Methode
von Benardos die Erkrankungen der Arbeiter an Rheumatismus, Neuralgieen,
Migräne und anderen Leiden nervösen Ursprungs sichtlich abgenommen haben.
Daraufhin richtete Ewald in dem Fabrikshospital ein besonderes Kabinett zur Be¬
handlung von Kranken mit elektrischem Licht, und zwar unter Benutzung des Voltu¬
schen Bogens als Lichtquelle, ein. Dr. W. J. Koslowsky machte sich mit der Art
der Behandlung und mit den nöthigen technischen Einrichtungen bei Ewald bekannt
und eröffnete hierauf im Jahre 1897 in Petersburg eine elektrische Heilanstalt, wo
zu Heilzwecken ein Voltabogen mit einem konstanten Strom von 250—300 Amperes
bei 50—60 Volt zur Anwendung kommt.
Am 11. Februar 1900 wurde dem Kaiserlichen Institut für Experimental-
medicin zu Petersburg eine phototherapeutische Abtheilung angegliedert, welche von
Dr. A. Lang geleitet wird. Die Thätigkeit dieser phototherapeutischen Abtheilung
erstreckt sich nicht nur auf die Anwendung der Finsen’schen Methode zur Lupus¬
behandlung, sondern es sollen hier auch verschiedene und umfassende photophysio¬
logische Untersuchungen vorgenommen werden. — Ein zweites Finseninstitut für
io«
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
236
A. Dworetzky
Lupusbehandlung ist in demselben Jahre (1900) an der Akademischen chirurgischen
Klinik des Professor N. A. Weljaminow in Petersburg errichtet worden. Die Mittel
dazu hat die Kaiserinwittwe Maria Feodorowna gespendet. Dr. K. Serapin hat
auf Veranlassung der Kaiserin bei Finsen selbst dessen Methode studiert, und eine
dänische Dame ist als Oberin des russischen Institutes angestellt worden, dessen
Leitung Serapin übernommen hat. An diesem phototherapeutischen Kabinette
befindet sich ein Laboratorium für bakteriologische Arbeiten und für exakte physi¬
kalische Untersuchungen; in einem besonderen Zimmer ist eine Lampe zur Vornahme
von spektralanalytischen Bestimmungen untergebracht, während die pathologisch¬
anatomischen Fragen von Dr. Korowin bearbeitet werden. In den Kreis der Licht¬
behandlung werden nicht nur Fälle von reinem Lupus vulgaris, sondern auch Lupus
erythematodes, Hautepitheliome, Cancroide u. s. w. gezogen. — Ferner hat Professor
0. Petersen, welcher das Lys-Institut in Kopenhagen persönlich besucht hat, eine
Station für Lichtheilverfahren in dem Kaiserlichen Klinischen Institut für Aerzte der
Grossfürstin Helena Pawlowna zu Petersburg eröffnet und einige zweckmässige
Verbesserungen an dem Finsen’schen Apparat angebracht.
In der Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten der Militär-medicinischen
Akademie in Petersburg befinden sich vervollkommnete Vorrichtungen zur Behand¬
lung mancher Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems mit Hülfe
von Lichtstrahlen. Ebenso werden dort unter der Leitung von Professor W. v. Bech¬
terew exakte Studien und Untersuchungen über die Einwirkung der verschiedenen
Farben des Spektrums auf Geisteskrankheiten vorgenommen. — Die therapeutischen
Eigenschaften der farbigen Strahlen und die Eigenthümlichkeiten in der Wirkungs¬
weise der einzelnen Abschnitte des Spektrums auf die psychischen Prozesse werden
auch von Dr. A. Akopenko zur Zeit in der psychiatrischen Abtheilung des Militär-
hospitales zu Kiew bei der Behandlung von Geisteskrankheiten (Chromotherapie)
ausgenutzt.
Die Chromotherapie hat ferner in einer zweiten Klinik Petersburgs eine
Stätte gefunden, nämlich in der Klinik für Infektionskrankheiten des Professor
N. Tschistowicz, wo Versuche über die Behandlung der in der Residenz nie aus¬
sterbenden Variola vera mit rothem Licht nach Finsens Vorschlag in ausgedehntem
Maasse angestellt werden. Zu diesem Zweck sind die Krankensäle für die Pocken¬
leidenden mit rothem Stoff drapiert und tapeziert, in die Fenster sind rote Scheiben
eingefügt, die elektrischen Lampen sind mit rothen Schirmen versehen u. s. w.
In dem Lazareth des Leib-Garde-Regimentes zu Pferde in Petersburg stellt
der auf dem Gebiete der Phototherapie unermüdlich thätige Militärarzt Dr. A. Minin
seine Beobachtungen über die Heilkraft des elektrischen Glühlichtes an, während
seit einiger Zeit auf der Baltischen Schiffswerft in der Nähe der Hauptstadt sich
eine vortrefflich eingerichtete Lichtheilanstalt unter der Leitung des Dr. Pussep
befindet.
Was die übrigen Städte Russlands betrifft, so ist noch zu erwähnen, dass in
Moskau Dr. G. Ciechansky ein Privatinstitut für Phototherapie errichtet hat, welches
seit dem Jahre 1898 funktioniert, und dass im Herbst 1900 an der Dermatologischen
Klinik des Professor A. Gay in Kasan, unter der Leitung seines Assistenten Dr. Burgs¬
dorf, der früher nach Kopenhagen abkommandiert worden war, ein Kabinett für
die Finsen’sche Lupusbehandlung mit konzentrierten chemischen Lichtstrahlen er¬
öffnet worden ist, wozu abermals die Kaiserinwittwe die nöthigen Mittel gespendet hat.
Die lange Reihe der eben aufgezählten Lichtheilanstalten und phototherapeu¬
tischen Kabinette bezeugt, dass die Lichttherapie sich als vollwerthiger Zweig der
physikalischen Heilmethoden in Russland das Bürgerrecht erworben und liebevolle
Pflege gefunden hat, dass die Saat auf empfänglichen Boden gefallen ist und reiche
Früchte zu zeitigen verspricht. An der Spitze jedes der oben genannten Institute
stehen tüchtige Aerzte und ernste Forscher, welche ihre mannigfachen und vielseitigen
Beobachtungen wissenschaftlich zu durchdringen und zu begründen bestrebt sind.
In der russischen medicinischen Presse ist in den letzten Jahren eine ganze Reihe
von Mittheilungen über Erfahrungen mit der Anwendung der Lichtheilmethode bei
den verschiedensten und mannigfaltigsten Erkrankungen erschienen, über welche ich
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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie.
237
in den folgenden Zeilen zu berichten mir gestatten werde. Diese Mittheilungen
tragen in der überwiegenden Mehrzahl einen rein empirischen, kasuistischen Charakter,
manchen von ihnen ist sogar der Stempel der Zufälligkeit deutlich aufgedrückt,
einige sind jedoch im stände, uns der Erfassung des Wesens der Lichtwirkung auf
die Gewebe und Organe und auf pathologische Substrate näher zu bringen.
Eine kurze historische Uebersicht über die bis zum Jahre 1899 veröffentlichten
Arbeiten russischer Autoren über die physiologischen, desinfizierenden und thera¬
peutischen Eigenschaften des Sonnen- und elektrischen Lichtes wird zum Beweise
dienen, dass Russland nicht zu allerletzt in das Studium dieses mächtigen Faktors
eingetreten ist. Bereits vor 22 Jahren — im Jahre 1879 — untersuchte der rus¬
sische Pathologe N. Usskow 1 ) den Einfluss von verschiedenfarbigen Lichtstrahlen
auf das Protoplasma des thierischen Organismus und konstatierte eine verschieden¬
artig abgestufte Reizbarkeit des Protoplasmas unter der Einwirkung von wechselnden
Lichtintensitäten und eine ausgesprochene Reaktion des Zellleibes gegenüber dem
schnellen Wechsel von einzelnen Farbenempfindungen.
Im nächsten Jahre — 1880 — beschrieb A. Kondratjew 2 ) in seiner sehr inter¬
essanten, die gesammte Litteratur der Frage enthaltenden Dissertation, seine Versuche
über den Verlauf der künstlich hervorgerufenen septischen Infektion bei Thieren unter
verschiedenfarbiger Beleuchtung, wobei er fand, dass der günstigste Verlauf des sep¬
tischen Prozesses bei rein weissem und auch bei violettem Licht sich bemerkbar macht,
während die Dunkelheit, das rothe und grüne Licht auf das kranke Thier in aller
Hinsicht viel ungünstiger einwirken; in diesen Experimenten ist schon ein Hinweis
auf die bakteriziden und heilenden Eigenschaften der von Finsen benutzten
chemischen Lichtstrahlen enthalten.
Im Jahre 1882 veröffentlichte J. Godnew») seine ausgedehnten Untersuchungen
über den Einfluss des Sonnenlichtes auf die verschiedensten Funktionen
des Thierkörpers. So bemerkte er, dass auf den dem Lichte ausgesetzten Fleisch¬
stücken sich Würmer viel eher entwickelten als auf dem im Dunkeln aufbewahrten
Fleisch. Thiere, welchen das Tageslicht zugänglich war, übertrafen an Körpergewicht
diejenigen, welche in der Dunkelheit aufwuchsen. Bei seinen Experimenten an Katzen
wurden in der Dunkelheit 88 g Urin im Laufe von 24 Stunden ausgeschieden, in der
Helligkeit dagegen 144 g, Harnstoff im Dunkeln 3,6 g, im Hellen 4,6 g, Chloride 1,0 im
Dunkeln und 1,4 im Lichte. Die Versuche an zwei erwachsenen Personen ergaben,
dass die von ihnen in der Dunkelheit entleerte Harnmenge sich zu der im Tages¬
licht ausgeschiedenen wie 100:120 verhielt, und die Quantitäten des Harnstoffs und
der Chloride wie 100:119. Die Zahl der Herzschläge und der Athemzüge zeigte
bei längerer Beobachtung ein nicht bedeutendes Plus während der Beleuchtung.
Regenerations- und Vernarbungsprozesse in den Geweben verliefen nach Godnew
im Lichte viel rascher und stets vollkommener als bei den im Dunkeln gehaltenen
V ersuchsexemplaren.
Einen weiteren Beitrag zur Kenntniss der Wirkung der verschiedenen
farbigen Lichtstrahlen auf die Entwickelung und das Wachsthum der
Säugethiere lieferte in seiner Dissertation im Jahre 1883 E. GorbazewiczQ. Die
helleren Strahlen des Spektrums waren auch die wirksamsten; als weniger wirksam
erwiesen sich die dunkleren Abschnitte des Spektrums. Indem das Licht eine Be¬
schleunigung der Stoffwechselvorgänge hervorruft, veranlasst es das Thier, Nahrung
in grösserer Menge zu sich zu nehmen; bei Abwesenheit von Nährmaterialien dagegen,
also im Hungerzustande, verbrennt der im Körper aufgespeicherte Vorrath schneller,
das hungernde Thier geht also im Lichte rascher zu Grunde.
J. Daitsch»), welcher den Gasaustausch bei Hunden ebenfalls unter dem
Einflüsse des weissen Lichtes und seiner verschiedenfarbigen Strahlen im
Jahre 1891 studierte, kam zu folgenden Schlüssen: die blau-violette Beleuchtung be¬
günstigt am meisten die Oxydationsprozesse im Organismus; das rein weisse Licht
steht in seiner Wirkung dem blau-violetten nahe, während das rothe Licht fast der
Dunkelheit gleichkomrat. Zu denselben Schlussfolgerungen gelangte im Jahre 1894 auch
B. Kogan 9 ). Sie lauten folgendermaassen: 1. Das rothe Licht schwächt sowohl die
Assimilations- wie die Desassimilationsprozesse ab; 2. das grüne Licht steht in Bezug
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238 A. Dworetzky
auf den Stickstoffansatz wie auf die qualitative Metamorphose niedriger als das
weisse, die Destruktionsvorgänge sind beim grünen Licht energischer; 3. das gelbe
und violette Licht ergeben eine maximale Anspannung aller Lebensvorgänge, wobei
unter der Einwirkung des violetten Lichtes eine vollkommenere Metamorphose vor¬
herrscht; 4. die Dunkelheit bedingt eine Herabsetzung des Stickstoffaustausches im
Körper und nebenbei eine Verminderung der täglichen Harnmenge.
Mit der Frage nach der Einwirkung des Lichtes auf die Bakterien be¬
schäftigten sich in Russland ausser Kondratjew noch Geissler, Kotliar und Chmie-
lewsky. Th. Geissler*) stellte im Jahre 1891 durch seine sehr lehrreichen Unter¬
suchungen fest, dass die Typhusbacillen von allen Lichtstrahlen mit Ausnahme der
rothen, und zwar im Sinne einer Wachsthumshemmung, beeinflusst werden, wobei die
Wirkung um so stärker ist, je grösser der Brechungswinkel oder je kürzer die Wellen¬
länge der betreffenden Strahlenart ist, glaubt aber, dass kein wesentlicher Unterschied
zwischen der Wirkung der Wärme-, der Licht- und der chemischen Strahlen bestehe
und dass das Licht nicht nur auf die Mikroorganismen, sondern auch auf den Nähr¬
boden, in welchem die Kultur sich befindet, durch Ozonisierung und Oxydation des¬
selben seinen Einfluss ausübe. E. Kotliar*) bestätigte die wachsthumshemmende
und bei genügender Exposition auch bakterizide Wirkung des Sonnenlichtes. Seine
Versuche mit pigmentproduzierenden Mikroorganismen zeigten, dass während in den
verdunkelten Reagensgläschen die Färbung eine sehr ausgesprochene war und sich
schnell entwickelte, sie in den weissen Gläschen kaum bemerkbar war, sich um
mehr als zwei Tage verspätete und bisweilen überhaupt nicht zum Vorschein kam.
Von den verschiedenen Lichtstrahlen erwiesen sich die rothen manchmal sogar als
für das Wachsthum der Bakterien günstig.
Den Einfluss des elektrischen Lichtes auf Mikroorganismen, und zwar
auf die pyogenen Mikroben, hat Chmielewsky») zum Gegenstände seiner Studien
gemacht, welcher zu diesem Zweck das Licht eines Voltabogens von ungefähr 1000
bis 1200 Normalkerzen benutzte. Auch hier zeigte sich die bakterientödtende Wir¬
kung des Lichtes, wobei sich der Staphylokokkus pyogenes aureus am widerstands¬
fähigsten erwies. Auch die Pigmenterzeugung der Eitererreger wurde durch die Be¬
lichtung verzögert. Ihre Virulenz sank ebenfalls. In den Reagensgläschen, welche mit
Hülfe von Thermoisolatoren den Wärmestrahlen allein ausgesetzt waren, ging das
Wachsthum merkwürdigerweise oft schlechter vor sich als in denjenigen, welche von
kaltem Licht bestrahlt wurden.
Die Ehre, das elektrische Licht zum ersten Male in Russland zu rein thera¬
peutischen Zwecken angewendet, sowie die Priorität, die Lichtbehandlung von Nerven¬
krankheiten, speziell von Neuralgieen, überhaupt begründet zu haben, gebührt dem
russischen Arzte St. v. Stein 10 ), welcher durch einen Zufall auf die schmerzstillende
Wirkung des Glühlichtes aufmerksam gemacht wurde. Als er bei einer an eitriger
Highmoritis Leidenden für einige Sekunden ein elektrisches Glühlämpchen in den
Mund einführte, um die Oberkieferhöhle zu durchleuchten, so bemerkte er zu seiner
Verwunderung bei der Patientin ein Verschwinden der schmerzhaften zusammen¬
ziehenden Sensationen im Halse und am Gaumen. In den darauf folgenden Sitzungen
verschwanden infolge der Belichtung auch die schmerzhaften Empfindungen in den
Gesichtsknochen. Von dieser Beobachtung ausgehend überzeugte sich v. Stein von
der unzweifelhaften schmerzstillenden Wirkung des elektrischen Lichtes auch an
anderen Kranken, welche an Lumbago, akutem Rheumatismus, lnterkostalneuralgieen,
Entzündung der Gelenksynovialis, ischiadischen Schmerzen und an Larynxtuberkulose
litten. Er benutzte zur lokalen Elektrophototherapie Glühlampen, wobei das elek¬
trische Licht mit Hülfe eines Reflektors auf den kranken Körpertheil gerichtet wurde.
2V* Jahre nach v. Stein’s Mittheilung, in welcher dieser noch nicht zu ent¬
scheiden vermochte, welcher Abschnitt des Spektrums eigentlich der wirksame sei,
ob die Wärme- oder die Lichtstrahlen den Erfolg bedingen oder ob die Gesammt-
heit aller Theile des Spektrums hier eine Rolle spiele, erschien eine Arbeit über
Lichttherapie von G. Gatschkowsky 11 ) aus Rvbinsk, in welcher die kurzen Kranken¬
geschichten von 27 Patienten angeführt werden, bei denen das elektrische Licht ein
Verschwinden der Schmerzen infolge von Lumbago, Cephalalgie, Odontalgie, Gelenk-
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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 239
und Muskelrheumatismus bereits nach einigen Sitzungen bewirkt hatte. Er bediente
sich eines Glühlämpchens von 3—5 Volt und hielt diese Spannung für vollständig
genügend.
Ueber die therapeutischen Versuche mit dem intensiven Licht des Voltabogens
von N. Ewald 12 ) und W. Koslowsky 13 ) wurde in dieser Zeitschrift (1899. Bd. 2.
Heft 3. S. 238) von anderer Seite bereits ausführlich referiert, so dass ich zu dem
Berichte über die neuesten Veröffentlichungen auf dem Gebiete der Lichttherapie in
Russland übergehen kann.
Einer der glühendsten Anhänger des Lichtheilverfahrens und einer der eifrigsten
und vielseitigsten Phototherapeuten ist der russische Militärarzt A. W. Minin. In
einer kurzen vorläufigen Mittheilung 17 ) vom Jahre 1899 berührt er die Behandlung
der örtlichen chirurgischen Tuberkulose mit Hülfe des Lichtes. Als Licht¬
quelle benutzte er anfangs eine Glühlampe von 10 Normalkerzen mit einem Reflektor,
welcher in einer solchen Entfernung vom Kranken gehalten wurde, dass die Wärme¬
empfindung nur eine schwache war; die Bestrahlung wurde jeden zweiten Tag im
Laufe von 10 Minuten vorgenommen. Bei dem einen seiner Kranken handelte es
sich um eine alte tuberkulöse Peripleuritis; nach Resektion eines kariösen Rippen¬
stückes bildete sich in der Narbe eine Ulceration mit missfarbigen, matschen Gra¬
nulationen, begleitet von sehr starken Nachtschweissen, hohem Fieber und allgemeiner
Schwäche. Nach sechs Belichtungen wurde folgendes konstatiert: Verminderung, dann
Verschwinden der Nachtschweisse, Absinken der Temperatur bis zur Norm, Bildung
von festen rothen Granulationen und konsekutive Vernarbung. Der zweite Kranke
litt ebenfalls seit langem an tuberkulösen Ulcerationen an der rechten Brustseite mit
reichlicher Eiterabsonderung, bedeutender entzündlicher Infiltration der Nachbarschaft,
begleitet von Nachtschweissen und Fieber. Auch bei diesem Patienten erfolgte be¬
reits nach drei Bestrahlungen eine Vernarbung des einen Geschwüres und hierauf die
Ausheilung der übrigen Ulcerationen, dann sank im weiteren Verlaufe der Behand¬
lung das Fieber, und die Nachtschweisse hörten ganz auf. Auf Grund dieser und
ähnlicher Beobachtungen empfiehlt Minin sehr warm die Lichtbehandlung der lokalen
Tuberkulose.
Ich will gleich hier noch die Bemerkung hinzufügen, dass gelegentlich einer
Diskussion in der Gesellschaft der Kinderärzte zu Moskau am 7. März 1901 G. Cie-
chansky< 6 ) mitgetheilt hat, dass er in einem Falle von tuberkulöser Gonitis bei
einem Kinde die Behandlung mit Sonnenlicht angewandt habe. Das kranke Knie
war in seinem Umfange vergrössert, seine Kontouren waren verwischt. Im Verlaufe
von vier Monaten wurden 90 Sonnenlichtbestrahlungen vorgenommen. Das Resultat
war ein gutes: der Umfang des affizierten Kniees verkleinerte sich (von 25 cm bis
auf 23®/« cm), die Schmerzen verschwanden, die Beweglichkeit wurde wieder her¬
gestellt.
Ueber die Arbeit von A. Gribojedow 18 ), die Behandlung von Neuralgieen mit
intensivem elektrischem Licht betreffend, habe ich in dieser Zeitschrift (1900. Bd. 3.
Heft 7. S. 632) bereits berichtet.
In einem weiteren Aufsatze beschreibt A. Minin 19 ) die Erfolge, die er mit der
elektrischen Lichtbehandlung bei einer ganzen Reihe innerer und äusserer Erkran¬
kungen erzielt hat. Dieses Mal standen ihm zwei Glühlampen von je 50 Normal¬
kerzen zur Verfügung, welche von zehn Akkumulatoren gespeist wurden und mit
einem für beide gemeinsamen Reflektor versehen waren. Auch hier machte Minin
die Erfahrung, dass Schmerzen unter der Einwirkung des Lichtes sehr schnell be¬
hoben werden, was für die Betheiligten überaus effektvoll ist. Deswegen bekommen
bei der Schwindsucht und bei allerlei Pleuritiden die Kranken schon nach drei bis
vier Minuten langer Belichtung die Möglichkeit, aus voller Brust beschwerdelos
zu athmen. Bei exsudativen Entzündungen des Brustfells bewirkt das Licht eine
sehr schnelle und einschneidende Wendung zum Bessern in dem Sinne, dass nach
der ersten, zehn Minuten langen Sitzung mit einem Male eine reichliche Resorption
des Exsudates vor sich geht, welches in den folgenden Sitzungen schon bedeutend
langsamer aufgesogen wird. Eine ebenso rasche Resorption des Exsudates wird auch
bei dem akuten Gelenkrheumatismus beobachtet. Minin hatte auch die Gelegenheit,
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240
als erster einen Fall von Skorbut, der in Russland infolge der so häufigen Miss¬
ernten und Hungerjahre recht oft angetroffen wird, durch die Lichtbehandlung zur
Ausheilung zu bringen, was ihn in der Auffassung von der infektiösen Natur des
Skorbuts bestärkt. Ebenso gebührt ihm die Priorität, auch die chronische Lepra
tuberosa durch die Phototherapie sehr günstig beeinflusst zu haben. Mitgetheilt
werden von Min in genauer folgende Krankengeschichten: fünf Fälle von exsudativer
und trockener Pleuritis (in sämmtlichen Heilung), ein Fall von chronischer tuber¬
kulöser exsudativer Peritonitis (bedeutende Besserung), ein Fall von Ostitis tuber-
culosa metacarpi III sinistri (Heilung), mehrere Fälle von Lumbago, Neuralgieen und
Neuritiden (in sämmtlichen Heilung), ein Fall von Gelenkrheumatismus (Heilung),
ein Fall von Entzündung der Bursa mucosa patellaris (Heilung), ein Fall von akuter
seröser Entzündung des Kniegelenks (Heilung), ein Fall von akuter traumatischer
Gonitis (Heilung), zwei Fälle von Skorbut (Heilung), ein Fall von beginnender Tabes
dorsalis (Besserung) und ein Fall von tuberöser Lepra (beträchtliche Besserung).
In der Sitzung der Gesellschaft Russischer Aerzte zu Petersburg vom 28. Oktober
1890 hielt Professor 0. Petersen 21 ) einen Vortrag über die Finsen’sche Lupus¬
behandlung und stellte zwei eigene Kranke vor, ein Mädchen von 4 1 /* und eine
Frau von 63 Jahren, an denen er die Finsen’sche Methode zuerst in Anwendung zu
ziehen begonnen hatte. Jede Sitzung dauert bei ihm eine Stunde; das Licht wird von
einem Apparate mit einem Wechselstrom von 50 Amperes geliefert. Um eine über¬
mässige Erwärmung der Luft um die Lichtquelle herum zu verhindern, hat Professor
Petersen auf den Rath eines Elektrotechnikers die Bogenlampe mit einem Cylinder
aus Asbestpapier umgeben. Diese Verbesserung war von Erfolg begleitet; man kann
sich in der Nähe der Lampe auf halten, ohne Hitze zu empfinden, und das Thermo¬
meter zeigt in einer Entfernung von 20 cm vom Asbestcylinder nicht mehr als 20® R.
Ausserdem dient der Asbestcylinder auch als guter Ventilator: die zwischen der Lampe
und dem Cylinder erwärmte Luft bewirkt einen starken Zug nach oben.
In der auf den Vortrag Petersens folgenden Diskussion machten sich einige
Stimmen geltend, welche die Wirkung des konzentrierten Lichtes in Form der auf die
affizierte Stelle gerichteten chemischen Lichtstrahlen zu leugnen sich anschickten
und die kategorischen Urteile der Aerzte über den angeblich zweifellosen Nutzen
der Finsen’sehen Lupustherapie für verfrüht zu erklären geneigt waren. Die Op¬
ponenten legten grosses Gewicht auf die Bedeutung, welche für den Effekt der Be¬
handlung die zum Zweck der Entfärbung der befallenen Haut und der Abhaltung
der Wärmestrahlen durch das Andrücken der Glasplatte künstlich hervorgerufene
Blutleere der Gewebe, sowie der nach Entfernung der Glasplatte eintretende Blut¬
zufluss in die Gefässe und die venöse Stauung haben könnten. Man wies darauf
hin, dass wiederholt hervorgerufene Blutleere und Anämisierüng der von der Tuber¬
kulose befallenen Organe einen Zerfall des Granulationsgewebes bewirke, dann dessen
Resorption und schliesslich sogar die Bildung von Narbengewebe herbeiführe, während
die physikalischen und chemischen Veränderungen des Körpers unter dem Einflüsse
des Lichtes noch gänzlich unerforscht seien.
In der Sitzung derselben Gesellschaft Russischer Aerzte vom 11. November 1899
berichtete K. Stein 22 ) über seinen erfolgreichen Versuch eine von einem subkutanen
und subperiostalen Bluterguss begleitete schwere Kontusion der linkeu Tibia bei
einem Kadetten mit Hülfe des elektrischen Lichtes zu behandeln. Sämmtliche anti¬
phlogistische und resorptionsbefördernde Mittel, sowie die Massage und medikamen¬
töse Einreibungen waren im Laufe von zwei Wochen völlig resultatlos geblieben,
und zuletzt war tiefe Fluktuation nachzuweisen. Da entschloss sich Stein anstatt
zur chirurgischen zur Lichttherapie. Eine von einem Trockenelement gespeiste flache
Glühlampe wurde zwei mal täglich, morgens und abends, an die kranke Partie an¬
gelegt und im Laufe von 10 Minuten an ihr hin und her geführt. Nach drei Tagen
war die schmerzhafte Geschwulst verschwunden, und nach weiteren drei Tagen trat
vollkommene Heilung ein.
In einem dritten Aufsatze lenkt A. Minin 2 *) die Aufmerksamkeit auf seine
interessanten Versuche zur Behandlung der venerischen Krankheiten mittels
der Lichtbestrahlung. Auch hier bediente sich Minin eines Glühlämpchens von
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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. "241
50 Normalkerzen. Der Kranke wurde in eine solche Entfernung von der Lichtquelle
mit dem Reflektor gebracht, dass die Wärmeempiindung nur eine geringe war. Die
Lichtbehandlung wurde alle 2—3 Tage im Laufe von 10—15 Minuten angewendet. In
einem Falle von Ulcus molle erfolgte die Heilung nach sieben Sitzungen. In zwei
Fällen von akuter Gonorrhoe wurde die Lichttherapie in der Weise vorgenommen,
dass die Gegend vom Anus bis zur Harnröhrenöffnung und manchmal auch die Rück¬
seite des Penis von der Wurzel bis zur Glans beleuchtet wurde; es wurden auch
Injektionen mit einer warmen Va — 1 °/o igen Borsäurelösung gemacht. In beiden
Fällen erfolgte glatte Heilung, ebenso wie in einem Fall von doppelseitiger Epidi-
dymitis unbekannter Aetiologie. Ich kann die Bemerkung nicht unterdrücken, dass
die beiden Tripperfälle für die Heilkraft des Lichtes bei der Gonorrhoe natürlich
nichts beweisen.
Wie schon oben erwähnt, erprobte im Jahre 1897 D. Murinow zuerst an sich
selbst die Bedeutung des Lichtes des Voltabogens für die Behandlung des
akuten Gelenkrheumatismus. Jetzt zieht er in der Medicinischen Beilage zum
Marine - Archiv*») das Facit aus seinen 2V2jährigen Beobachtungen an zahlreichen
Kranken. Die Temperatur des Bogenlichtes (von 20 Amperes), welches von einem
parabolischen Spiegel reflektiert wird, hängt von der Entfernung ab: je kleiner diese
ist, desto höher ist die Lufttemperatur. Sowohl das abgekühlte, also auch das die
Wärmestrahlen mit enthaltende Bogenlicht wirkt nicht nur auf die oberflächlichen
Schichten der Körperdecke (Haut und subkutanes Zellgewebe), sondern dringt auch
in die tieferen Gewebsschichten ein, denn das Lichtbündel des Voltabogens geht durch
das lebende Gewebe hindurch und zersetzt das Bromsilber auf der unter die Haut ge¬
brachten und noch tiefer eingeführten photographischen Platte, wobei diese Wirkung
auf die Bromgelatine nicht den blau-violetten Strahlen des Spektrums allein eigen-
thümlich ist, sondern auch dessen übrigen Abschnitten zukommt. Zu therapeutischen
Zwecken muss womöglich das ganze Lichtbündel herangezogen werden, die Wärme¬
strahlen nicht ausgenommen. Das Licht des Voltabogens ruft auf der bestrahlten
Hautpartie eine Hyperämie hervor, welche um so ausgesprochener ist, je näher die
Lichtquelle sich befindet, je stärker sie ist und je mehr der Senkrechten sich die
Strahlen nähern. Ausser der Hyperämie bewirkt das Lichtbündel eine lokale Trans-
spiration, welche bei länger andauernder Lichteinwirkung sich zu einem allgemeinen
Schweissausbruch steigern kann. Auf welchen Hautbezirk das Licht des Voltabogens
in abgekühltem oder nicht abgekühltem Zustande auch gerichtet wäre, stets be¬
obachtet man eine Veränderung der Pulswelle. Von weiteren Allgemeinerscheinungen
ist hervorzuheben, dass einige Stunden nach der örtlichen Belichtung bei der Mehr¬
zahl der Kranken ein Gefühl der Ermüdung und Neigung zum Schlaf zu bemerken
ist, während bei manchen Personen dagegen verschiedene Stufen von Aufregung Vor¬
kommen. Der lokale Effekt besteht darin, dass am ehesten und am merkbarsten
eine Verminderung oder ein vollständiges Verschwinden der Schmerzempfindungen
eintritt, wobei bei länger fortgesetzter Lichtbehandlung die Schmerzen für immer
gänzlich behoben werden. Ferner werden unter dem Einfluss der Bestrahlung mit
elektrischem Licht die serösen Exsudate in den Gelenken bei rheumatischen Affektionen
und die serösen Exsudate bei Pleuritis, sowie die Gewebsauftreibungen (Tophi) bei
podagrischen Exacerbationen recht schnell resorbiert, obwohl Recidive manchmal
nicht zu vermeiden sind. Bei akuten rheumatischen Erkrankungen wirkt die Licht¬
therapie anscheinend auch temperaturherabsetzend. Für die Affektionen, die sich
auf rheumatischem Boden entwickeln, sowie für die Behandlung einiger Hautkrank¬
heiten genügt das Licht eines Voltabogens von 20—25 Amperes und 50—GO Volt. —
Murinow warnt vor der falschen Ansicht, als wirke das elektrische Licht nur auf
die Hautdecken allein, oder als sei es absolut unschädlich; obgleich die Photo¬
therapie eine grosse, bedeutungsvolle Zukunft vor sich habe, so dürfe sie doch bei
dem gegenwärtigen niedrigen Stande unserer Kenntnisse von dem Wesen ihrer
physiologischen Wirkungsweise nur mit grosser ^Umsicht angewandt werden.
J. Makawejew 2 «) benutzte zu seinen therapeutischen Versuchen in der Privat¬
praxis eine Glühlampe von 50 Normalkerzen und 100 Volt Spannung mit einem
parabolischen Reflektor; die Dauer der einzelnen Sitzungen schwankte zwischen
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242 A. Dworctzkv
5 Minuten und einer halben Stunde, meistenteils betrugen sie 10 — 15 Minuten,
wobei die Augen des Patienten vor dem grellen Licht geschützt wurden. In einem
Falle von sehr lange bestehendem Lupus erfolgte durch die Bestrahlung mit der
Glühlampe allein, ohne Anwendung von Anämisierung der Haut, vollkommene Heilung,
was eine wesentliche Vereinfachung der Finsen’schen Methode bedeutet. Ebenso
heilten drei Fälle von rheumatischen Affektionen verschiedener Gelenke, zwei Fälle
von hartnäckigen hysterischen Neuralgieen auf allgemein neuropathischer Basis, ein
Fall von schweren Nervenschmerzen infolge von Carcinom und ein Fall von trauma¬
tischer Entzündung des Hodens und Nebenhodens.
In seinem vierten Artikel bespricht A. Minin 27 ) die Erfolge, welche er mit
einer Kombination der Lichttherapie und der leichten Massage oder der
Effleurage nach dem Vorgänge von K. Stein (s. o.) bei Kontusionen und Sugil-
lationen erzielt hat. Er bediente sich hierbei einer Glühlampe von 16 Normalkerzen
aus mattem Glase zum leichten Massieren von Suflfusionen, von akut rheumatisch oder
gonorrhoisch entzündeten Gelenken, von Tortikollis und Neuralgieen. Es werden von
ihm angeführt ein Fall von Kontusion mit einem grossen Blutextravasat, drei Fälle
von traumatischen Muskeleinreissungen, ein Fall von traumatischer Entzündung der
Bursa mucosa olecrani und ein Fall von äusserst schmerzhafter gonorrhoischer Ar¬
thritis. In allen Fällen trat schnelle Genesung ein.
D. Kessler 2 *) übt die Lichtbehandlung seit dem August 1899 aus und ver¬
fügt über eine ganze Menge von damit geheilten Krankheitsfällen, sowie über einige
Kontrollversuche. Er unterscheidet folgende Arten der Lichtanwendung: 1. die reine
Elektrophototherapie, bei welcher die Wärmestrahlen mit Hülfe physikalischer Vor¬
richtungen oder chemischer Agentien ausgeschlossen werden, 2. die elektrische Photo-
thermotherapie, bei welcher sowohl die Licht- als auch die Wärmestrahlen zur
Wirkung gelangen, und 3. die elektrische photothermische Massage, bei welcher mit
der brennenden Glühlampe die kranken oder schmerzhaften Stellen leicht massiert
werden. Er selbst berichtet einstweilen über seine Erfahrungen mit der zweiten
Art, mit der elektrischen Photothermotheraple. Je nach der Grösse des zu
behandelnden krankhaften Körpergebietes verwendet Kessler auch Glühlampen von
verschiedener Leuchtkraft (16 —100 Normalkerzen) und Reflektoren ebenfalls von
verschiedenen Durchmessern (10—30 cm). Das Auftreten von circumskripter Tran¬
spiration an der bestrahlten Stelle oder der örtliche Schweissausbruch an der Haut
dient ihm zum sicheren Beweise für die voll eingetretene Wirkung der Belichtung und
zugleich auch als Fingerzeig, dass die Sitzung beschlossen werden muss. Die
Sitzungen werden in subakuten Fällen täglich einmal vorgenommen, bis endgültige
Besserung eingetreten ist; hat der Schmerz, besonders in akuten Fällen, die Neigung
sich leicht zu erneuern, so finden die Sitzungen auch zweimal täglich statt. Nach
diesen Prinzipien hat Kessler die Behandlung durchgeführt und die Resultate genau
verfolgt bei 137 Kranken, unter welchen sich befanden 36 Fälle von Kontusion,
29 Fälle von Subluxation und Distorsion, 31 Fälle von Gelenk- und Muskel¬
rheumatismus, 9 Fälle von Hautkrankheiten und 32 Fälle von Neuralgie. Auf Grund
dieser Beobachtungen und seiner neun Kontrollversuche kommt Kessler zu folgenden
Schlüssen: 1. Im Vergleich mit anderen Heilmethoden verlangt die elektrische Photo-
thermotherapie (in geeigneten Fällen) weniger Zeit bis zur Heilung. 2. Der Schmerz
wird zweifellos und in äusserst kurzer Frist verringert und kann sogar mit einem
Male bereits nach der ersten Sitzung verschwinden, wenn der betreffende Fall ein
akuter war. 3. Sugillationen und Blutextravasate werden sehr rasch resorbiert;
niemals giebt es blaue Flecke, wenn die Behandlung gleich nach dem Trauma in
Angriff genommen wird. 4. Gelenkexsudate weichen im allgemeinen der Licht¬
behandlung schneller als der gewöhnlichen Therapie; in manchen Fällen wirkt die
Photothermotherapie auffallend rasch, wie z. B. bei den akuten rheumatischen Ent¬
zündungen und Kontusionen der Gelenke, bald nach der Verletzung. Hier ist die
Photothermotherapie hors concours! 5. Die Funktionen der affizierten Organe kehren
sowohl durch die Eliminierung des Schmerzes wie auch infolge der Resorption der
Exsudate und Extravasate schnell und andauernd zur Norm zurück. 6. Hautaus¬
schläge und verschiedene andere Hautleiden, wie das Ekzem, verlaufen infolge der
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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 243
Einwirkung des Lichtes auf die Gefässe und Nerven der Haut bei Anwendung der
Photothermotherapie besser und rascher als bei jeder anderen Behandlungsmethode.
In dem Sanatorium für Lungenkranke zu Halila in Finnland begannen der
dirigierende Arzt J. Gabrilowicz und Dr. L. Finkeistein 29 ) seit dem Sommer
1899 das elektrische Licht in Form des Voltabogens bei denjenigen Tuberkulösen
anzuwenden, welche ausser ihrer Grundkrankheit noch an Rheumatismus oder an
pleuritischen Schmerzen litten. Bei der Bestrahlung mit dem Bogenlicht wurden
die Wärmestrahlen nicht ausgeschaltet. Die Stromstärke betrug 10 oder 20 Amperes.
Die Kranken befanden sich in einer Entfernung von 1 3 Meter von dem Reflektor,
wo die Lufttemperatur 25—40 °C nicht überstieg. Die Gesammtanzahl der mit dem
elektrischen Licht behandelten Kranken war 50. Von diesen litten an akutem
Gelenkrheumatismus zwei (völlige Heilung), an akutem Muskelrheumatismus sieben
(völlige Heilung), an akutem Rheumatismus der Muskeln und Gelenke einer (völlige
Heilung), an Exacerbationen von chronischem Rheumatismus vier (bedeutende Besserung,
lange anhaltende Schmerzlosigkeit), an Interkostalneuralgie einer (Besserung, Ver¬
minderung der Schmerzattacken), an syphilitischen Schmerzen in den Extremitäten
einer (ebenfalls auffallende Besserung, Nachlassen der Schmerzen), an rechtsseitiger
Ischias einer (beträchtliche Erleichterung), an tuberkulöser Periostitis der Rippen
zwei (sehr gutes subjektives Resultat, objektiv wenig Veränderung), an Exacer¬
bationen einer chronischen tuberkulösen Pleuritis sicca und an akuter tuberkulöser
trockener Pleuritis 31 (als Endresultat in elf Fällen andauernde Schmerzlosigkeit
und Verschwinden der Reibegeräusche, in den übrigen Schwinden der Schmerzen,
aber Fortbestehen des Reibens). Das für alle Sitzungen und bei allen Patienten
gemeinsame Charakteristikum der Lichtwirkung war die beträchtliche Linderung und
in den meisten Fällen sogar das vollständige Nachlassen der schmerzhaften Em¬
pfindungen, manchmal bereits nach einer Sitzung für immer, meist aber für eine
geraume Zeit, gewöhnlich bis zum Abend desselben Tages, wenn die Belichtung am
Morgen vorgenommen worden war. Am häufigsten traten die schmerzhaften Sensationen
nach jeder folgenden Sitzung in immer geringerer Stärke auf, und die schmerzlosen
Intervalle wurden immer grösser. Die Nebenwirkungen der Lichttherapie waren
unbedeutend. Die beiden Autoren gelangen zu dem Schluss, dass das elektrische
Licht als ein sehr nützliches und angenehmes Hülfsmittel bei der symptomatischen
Behandlung der tuberkulösen Kranken dienen kann.
In der Sitzung der Gesellschaft der Kinderärzte zu Petersburg vom 29. März
1900 stellte D. Sokolow* 0 ) ein vierjähriges Mädchen vor, welches nach Masern
an schwerer Noma erkrankt war. Die Behandlung durch Sokolow bestand in der
Anwendung einer rothen elektrischen Glühlichtlampe von 25 Normalkerzen, in einer
Entfernung von 15 cm von dem Geschwür, anfangs täglich V« Stunde lang, dann
1—2 Stunden lang 2 —3 mal täglich. In der Zwischenzeit wurde die Wunde mit
Borsäure bestreut und mit Watte und rothem Flanell verbunden. Nach 7—8 Sitzungen
verschwand der Gestank. Die nekrotischen, übelriechenden Gewebspartieen wurden
schnell abgestossen, das Geschwür fing in merklicher Weise sich mit gesunden
Granulationen zu bedecken und von den Rändern her zu verheilen an. Die nekro-
tisierten Sequester des Unterkiefers wurden theils von selbst nach aussen befördert,
theils mit der Knochenzange entfernt. Der Defekt verkleinerte sich im Laufe von
zwei Monaten in dem Maasse, dass er jetzt nur noch etwa einen Gänsefederkiel
passieren lässt. Das Mädchen nahm während der Lichtbehandlung um 2 >/* Pfund
an Körpergewicht zu. — Sokolow erklärt die heilsame Wirkung des rothen Lichtes
auf den Verlauf der Noma dadurch, dass dasselbe die chemischen Strahlen des
Spektrums eliminiert, welch letztere auf den hungernden Organismus (nach Godnew)
besonders ungünstig einwirken. In diesem Falle handelte es sich eben um eine
ungenügende Ernährung der Zellen und Gewebsbestandtheile der Haut, der Wangen¬
muskulatur und des Unterkieferknochens, auf welche das rothe Licht belebend ein¬
wirkte. Das Verschwinden des üblen Geruches kann durch die Bildung irgend eines
desinfizierenden Gases in der Wunde unter dem Einflüsse der rothen Lichtstrahlen
erklärt werden. Anzunehmen ist eine gemeinschaftliche Wirkung der rothen Licht-
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244 A. Dworetzkv
und der Wärmestrahlen, denn die Temperatur auf der Geschwürsoberfläche betrug
während der Belichtung sehr oft bis 35 0 C.
Auf experimentellem Wege suchten an das Erforschen der lokalen und all¬
gemeinen Wirkungen der verschiedenen Lichtarten und der farbigen Lichtstrahlen
einige russische Autoren heranzutreten.
T r i w u s 31 ) studierte in den verschieden gefärbten Kabinetts der Peters¬
burger Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten unter der Leitung von Professor
W. v. Bechterew den Einfluss der farbigen Beleuchtung auf den Puls ge¬
sunder Personen. Als Messapparat diente hauptsächlich der Plethysmograph von
Mosso. Der Aufenthalt in dem speziellen farbigen Raum der Klinik dauerte gewöhnlich
etwa zwei Stunden. Die Plethysmogramme wurden zu Beginn und am Schluss eines
jeden Versuches aufgenommen. Was die Ergebnisse betrifft, so ist hervorzuheben, dass
in der Mehrzahl der Fälle die farbige Beleuchtung eine Depression des Pulses hervor¬
rief: eine Verlangsamung der Pulsfrequenz und eine Verkleinerung der Pulswellen¬
amplitude. Am allermeisten deprimiert die violette Farbe und am wenigsten die
rothe; die übrigen Farben verhalten sich wie ihre Reihenfolge im Spektrum mit
Ausnahme der gelben, welche sich als indifferent erwies, wahrscheinlich deshalb,
weil die gelben Scheiben fast alle übrigen Lichtstrahlen durchlassen. Triwus spricht
die Voraussetzung aus, dass, da jeder farbige Lichtstrahl für sich nur einen Theil
der Energie des gesammten weissen Lichtstrojnes bildet, welcher für den physio¬
logischen Nerventonus nothwendig ist, man die farbige Beleuchtung als eigenthümlichen,
wenn man sich so ausdrücken darf, Lichthunger ansehen müsse, welcher ein gewisses
Minus in dem Chemismus des Thierkörpers hervorrufe, d. h. dass die Wirkung irgend
einer Farbe sich durch die Abwesenheit aller übrigen Spektralfarben erklären lasse.
Diese Ansicht stiess auf den entschiedenen Widerspruch der übrigen Anwesenden,
welche für eine spezifische Energie und Wirkungsweise einer jeden Farbenart plaidierten.
Die wichtigen und interessanten Versuche von J. Solucha 32 ) über die Durch¬
gängigkeit der Hautdecken für das Bogenlicht sind in dieser Zeitschrift (1900/01. Bd. 4.
Heft 8. S (>9G) bereits von anderer Seite beschrieben worden.
Die Einwirkung des intensiven Lichtes des Voltabogens auf die Haut
studierte durch Versuche an sich selbst auch Prof. A. Maklakow 33 ). Die Lichtwirkung
auf die Haut kann nach ihm eine akute und eine chronische sein. Bei der akuten Licht¬
einwirkung, besonders unter Ausschluss der Wärmestrahlen, zeigt sich der Effekt nicht
sofort. Erst nach Verlauf eines gewissen Zeitintervalles, welches als die Latenzperiode
der Lichtwirkung bezeichnet werden kann und je nach der Stärke der Lichtintensität
von verschieden langer Dauer ist, treten die Symptome des sogenannten Erythema
photochemicum auf. Maklakow versuchte die Dauer der Latenzperiode für intensives
Bogenlicht zu bestimmen. Der Effekt einer Bestrahlung, welche nur 15 Sekunden
andauerte, trat erst nach 10 Stunden zum Vorschein. Eine der Lichteinwirkung im
Laufe von einer Minute unterworfene Hautstelle zeigte nach V 2 Stunde eine deutliche
umschriebene Hyperästhesie, während eine Röthung sich erst nach 2 3 / 4 Stunden be¬
merkbar machte. Hautbezirke, die dem Lichte 3 1 /« Minuten ausgesetzt waren, rötheten
sich nach 11 Minuten. Nach Verlauf von 3 Minuten wiesen das Erythem solche
Ilautpartieen auf, welche 5 3 / 4 Minuten lang bestrahlt wurden. Hatten sich die akuten
Erscheinungen gelegt, so blieben Epidermisabschuppung und Pigmentation nach.
Maklakow’s Ansicht nach ist die Wirkung des Bogenlichtes auf die Haut keine
thermische, sondern eine chemische, welche dem Effekt der Insolation sehr ähnlich
ist. Das gelbe und das rothe Licht, welches keine chemischen Strahlen enthält,
wirkt auch auf die Haut nicht. Weniger intensive Lichtquellen bringen auf der
Haut keine akute Wirkung hervor, führen aber bei länger andauernder Bestrahlung
eine Pigmentation der Haut herbei. Auch die Schleimhäute bleiben nicht vom Lichte
verschont. Bei der Bestrahlung durch das Licht eines sehr hellen Voltabogens
fangen die Versuchspersonen zu niesen und zu husten an. Bei sehr intensiver Be¬
leuchtung und bei langer Exposition treten nekrotische Prozesse auf: die Haut
gangränesciert infolge der chemischen Lichtwirkung. Die Tastempfindlichkeit der
Haut wird unter dem Einflüsse des Lichtes feiner und in der Dunkelheit abgestumpft
(nach W. Weliky).
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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 245
A. Glebowsky«) war der erste, welcher die Wirkungsweise des Lichtes
auf das kranke Gewebe und speziell auf das lupöse Granulom studierte.
Seine eingehenden und fortlaufenden mikroskopischen Untersuchungen stellen den
ersten Versuch dar, die durch die Lichtbehandlung nach Finsen in dem lupösen
Granulationsgewebe hervorgerufenen Veränderungen stufenweise zu verfolgen und das
Wesen der Phototherapie, insbesondere der des Lupus vulgaris, sich klar zu machen. I«
der Sitzung der Petersburger Medico-Chirurgischen Gesellschaft vom 12. Oktober 1900
stellte er vorerst einen Kranken vor, welcher an Gesichtslupus gelitten hatte, dessen
Behandlung im August desselben Jahres zu Ende geführt worden war. Einstweilen
kann der Patient als vollkommen geheilt betrachtet werden. An drei anderen Kranken,
bei denen die Behandlung noch nicht abgeschlossen war, demonstrierte Glebowsky
die verschiedenen Stufen der Besserung der Affektion unter der Einwirkung der Licht¬
behandlung nach Finsen und die verschiedenen Grade der örtlichen Entzündung,
welche durch die unmittelbare Lichteinwirkung auf die Gewebe hervorgerufen wird.
Weiter führte Glebowsky eine ganze Reihe von mikroskopischen Präparaten vor,
welche die Veränderungen im lupösen Granulom unter dem Einflüsse der Finsen-
schen Phototherapie illustrieren. Die Präparate, die nach der ersten Lichtanwendung
dem bestrahlten Gebiet entnommen sind, zur Zeit der am meisten ausgesprochenen
lokalen Reaktion, bieten das gewöhnliche mikroskopische Bild des Lupus mitsammt
allen Anzeichen der Entzündung dar. Nach dem Verschwinden der Entzündungs¬
erscheinungen entdeckt das Mikroskop eine gewisse Hyperplasie der Gefässendothelien
und eine vermehrte Bildung von Lufträumen (Vermehrung der Vacuolisation) in den
Riesenzellen des Granulomes. — In den Präparaten, welche nach 3 — 4 Sitzungen
angefertigt sind, sind viele mehr oder weniger in die Länge gezogene Spindelzellen
zu sehen; besonders bedeutend ist die Anhäufung von solchen Spindelzellen in den
oberen Schichten des Kutis; in den tieferen Hautschichten dagegen sind noch
Knötchen mit stark vaeuolisierten Riesenzellen nachzuweisen. Die Menge der Blut¬
gefässe ist anscheinend vergrössert. — Nach sechsmaliger Lichtapplikation sind die
typischen Granulationsgeschwülstchen mitsammt den Riesenzellen bereits verschwunden;
zahlreiche Gefässknäuel sind inselförmig unter dem jungen neugebildeten Binde¬
gewebe mit einer geringen Anzahl von Rundzellen vertheilt; das Gefässendothel ist
aufgetrieben und füllt oft das ganze Lumen aus (Gefässverstopfung). Zum Schlüsse
bemerkte Glebowsky, dass die zarten, dünnen Narben, die bei der Behandlung
des Lupus nach Finsen erzielt werden, wahrscheinlich auf das Ueberwiegen der
Regenerationserscheinungen im Bindegewebe und in den Gefässen über den regressiven
Vorgängen und auf das Erhaltenbleiben des Grundgewebes zurückzuführen sind.
Wir kehren wieder zu den empirischen Beobachtungen zurück. J. Solucha 3 ')
behandelte fünf Fälle von ausgebreitetem, veraltetem und hartnäckigem Tic con-
vulsif mit dem Lichte eines Voltabogens von 12 Amperes und 50—60 Volt.
Die Sitzungen dauerten eine halbe Stunde lang und wurden dreimal wöchentlich vor¬
genommen. In zwei Fällen trat eine ganz heträchtliche Besserung ein, während in
den drei übrigen Fällen die Behandlung keine günstigen Resultate erzielte, welchen
Umstand Solucha durch die ungenügende Anzahl der Sitzungen zu erklären geneigt
ist. Jedenfalls ist die Lichtbehandlung des hartnäckigen Tic convulsif eine neue be¬
deutende Errungenschaft der Phototherapie.
Prof. G. Turner 30 ) theilt mit, dass auch in seiner neubegründeten kleinen
Klinik beim Lehrstuhl für Desmurgie und Mechanurgie an der Kaiserlichen Militär¬
medicinischen Akademie zu Petersburg die Phototherapie eine Heimstätte gefunden
hat. Er benutzt in seiner Klinik zu therapeutischen Zwecken das Licht einer starken
Glühlampe von 50—100 Normalkerzen mit einem Reflektor. Seine wenig zahlreichen
Beobachtungen über die Lichtbehandlung von tuberkulösen Affektionen der Gelenke
und der kleinen Knochen (Spina ventosa) unter Kontrolle von Röntgenaufnahmen
ergaben ihm sehr aussichtsvollc Resultate. Ausgezeichnete Erfolge erzielte er auch
bei den Kontusionen der Weichtheile und Gelenke, bei Neuralgieen und Rheumatismen.
In den Fällen von rheumatischer Erkrankung hat Prof. Turner durch die gleich¬
zeitige Anwendung von Licht und gewöhnlicher manueller Massage schnelle und
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246 A. Dworetzky
positive Heilergebnisse erreicht, wie sie von anderen Knrmethoden nicht aufgewiesen
werden.
J. Eiger 37 ) hat sich mit den physiologischen und therapeutischen Eigen¬
schaften der elektrischen Lichtbäder beschäftigt. Nach den eigenen Beobach¬
tungen und Erfahrungen des Autors besteht die physiologische Wirkung des elektri¬
schen Lichtbades aus folgenden Momenten: a) es besitzt eine stark schweisserregende
Wirkung, wobei bis zu 35—40° C nur eine mässige Transspiration erscheint, bei etwas
höherer Temperatur dagegen ein mächtiger Schweissausbruch; b) es setzt das Körper¬
gewicht herab, wobei das Sinken des Gewichtes wegen des gesteigerten Appetits meist
kein anhaltendes ist; c) es beschleunigt und erhöht die Stoffwechselvorgänge im
Körper; d) der Puls wird bei 45—50° C um 15—20 Schläge in der Minute frequenter,
während die Athmungsfrequenz unbeeinflusst bleibt; e) das Lichtbad wirkt schmerz¬
lindernd und f) die Körpertemperatur steigt um ein geringes, etwa um 1 ° C. — Neben¬
erscheinungen werden selten beobachtet. Die weissen Glühlampen hat Eiger mit Vor¬
theil durch blaue ersetzt. Von seinen vier Fällen von Fettsucht zeigten drei Patienten,
die während der Behandlung mit elektrischen Lichtbädern ihre Diät absolut nicht
einschränkten, keine Veränderung des Körpergewichtes; die vierte Kranke jedoch, die
nebenbei auch ihre Diät nach den allgemeinen Grundsätzen geregelt hatte, wies nach
Verlauf von 2>/2 Monaten und nach 50 Lichtbädern eine Gewichtsabnahme von
25 Pfund auf. In einem Fall von Diabetes mellitus gelang es, die Zuckermenge im
Urin von 4 °/ 0 auf 1 Va°/o herabzusetzen. In einem Falle von chronischer exsudativer
Pleuritis mit gleichzeitiger Dämpfung über der rechten Lungenspitze verschwand das
Exsudat unter dem Einfluss der elektrischen Lichtbäder und der Atemgymnastik
fast ganz. In einem Falle von chronischer Nephritis vergingen die Oedeme völlig,
aber die Ei weissmenge im Harn wurde nicht geringer. Von den elf Fällen von chro¬
nischem Gelenkrheumatismus wurde in neun vollkommene Schmerzlosigkeit erzielt, in
zwei Erleichterung. Von zehn Fällen verschiedener Neuralgieen wurde in fünf gänz¬
liche Heilung bewirkt, in vier trat Besserung ein und in einem Falle war die Be¬
handlung resultatlos.
In einem fünften Artikel zählt A. Minin 33 ) eine ganze Reihe von meist chirur¬
gischen Affektionen auf, die von dem elektrischen Licht in Form einer mit einem
Reflektor versehenen blauen Glühlichtlampe von 16 Normalkerzen Stärke und 100 Volt
Spannung mit dem besten Erfolge beeinflusst wurden. Fürs erste hebt er hervor,
dass das blaue Licht bei den chronischen Ekzemen des Gesichtes, und zwar insbe¬
sondere bei den Ekzemen nervösen Ursprungs, vollauf angewendet zu werden verdient.
Die glänzendste therapeutische Wirkung entfaltete sein Verfahren bei Blutextravasaten
infolge von Kontusionen, wo die resorptionsbefördernden und schmerzstillenden Eigen¬
schaften des Lichtes sich ganz besonders bewährten. Bei der Behandlung von Ex-
koriationen erwies sich, dass die blauen elektrischen Strahlen eine schnelle Verengerung
der Blutgefässe hervorrufen, indem sie entweder auf die vasomotorischen Nerven oder
auf die glatte Muskulatur der Gefässwand einwirken. Wenigstens werden granulierende
Oberflächen bei der Bestrahlung mit der blauen Lampe in recht kurzer Frist blass;
die Schmerzen werden gelindert und die Heilung lässt nicht lange auf sich warten.
Auf Grund von einigen eigenen Beobachtungen ist Minin zu der Anschauung ge¬
langt, dass das elektrische Licht durch die vordere Bauchwand hindurch leicht und
sehr schnell zu den Därmen und in den Magen einzudringen vermag. In zwei Fällen
wurde durch die Belichtung der Magengrube hartnäckiges Erbrechen gestillt und die
Uebelkeit beseitigt., in einem anderen Falle verschwand lange anhaltender und quä¬
lender Singultus. Infolgedessen empfiehlt Minin die Bestrahlung des Epigastriums
gegen das unstillbare Erbrechen der Schwangeren. Ebenso erfolgreich ist die Photo¬
therapie bei Blutergüssen in die Gelenke. Bei entzündlichen Infiltrationen und
Schwellungen nach Operationen oder bei infektiösen Prozessen ist nach Minin’s
Ansicht das blaue Licht unersetzlich. Es erweist sich als äusserst wirkungsvoll bei
Geschwüren, Wunden, bei einigen unliebsamen Folgezuständen (Eiterungen u. dergl.)
nach operativen Maassnahmen, überhaupt bei allen möglichen Blutergüssen und Infil¬
traten. In einem Falle von heftiger Hyperästhesie der letzten Fingerphalangen nach
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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 247
Verwundung und Bruch des Oberarmes und bei einem Kranken mit eitriger Peri-
chondritis der linken Schildknorpelplatte war die schmerzstillende Wirkung des blauen
Lichtes ausserordentlich. Auf Ablagerungen von harnsauren Salzen (sogar in den
Venenwänden, wie in dem Falle Minin’s) zeigte es wiederum seinen resorptions¬
befördernden Einfluss. Alle diese Beobachtungen werden von dem Verfasser durch
zahlreiche Krankengeschichten in interessanter Weise illustriert.
Aus der Klinik für Infektionskrankheiten des Prof. Tschistowicz in Peters¬
burg theilt G. Oleinikow 3 ») die ersten Erfahrungen über die Behandlung der
Pocken mit rothem Licht nach Finsen mit. Sämmtliche Kranke ertrugen den
Aufenthalt im rothen Zimmer sehr schwer und baten dringend in einen hellen Raum
übergeführt zu werden, indem sie es sogar vorzogen, pockennarbig zu bleiben. Bei Schwer¬
kranken traten nach der Unterbringung in dem rothen Zimmer Delirien mit schreck¬
haften Hallucinationen auf. Bei einem Patienten verschwanden die Delirien sofort,
Sds er in einen hellen Raum gebracht wurde. Eine Krankenwärterin weigerte sich
entschieden, die Pflege der Patienten im rothen Zimmer fortzusetzen. Die Behandlung
im ganzen durchzuführen gelang es nur mit Mühe in neun Fällen mit ausgebreitetem
und reichlichem Exanthem, von welchen zwei gestorben sind. Von den sieben Genesenen
gingen in einem Falle die Bläschen schnell in Krusten über, welche rasch und ohne
Spuren zu hinterlassen abgestossen wurden, wobei die zweite Temperatursteigerung
(das Suppurationsfieber) völlig fehlte. In den übrigen sechs Fällen war das Eiterungs¬
fieber mehr oder weniger stark ausgeprägt, wobei auch der Pockenprozess Narben
liinterliess; aber nur in einem einzigen Falle war eine deutliche Eiterung in den
Eruptionen zu konstatieren. Das Jucken fehlte in sämmtlichen Fällen.
A. Uspcnsky 4 ") liefert einen kleinen Beitrag zur Kasuistik der Thototherapie,
indem er drei Fälle von erfolgreicher Anwendung der Lichtbehandlung anführte. Er
bediente sich dabei eines Glühlämpchens, wie es gewöhnlich zur häuslichen Be¬
leuchtung benutzt wird, von 16 Normalkerzen aus mattem Glase; das Lämpchen wurde
langsam im Verlaufe von 5—10 Minuten an denjenigen Stellen hin- und hergeführt,
wo der Effekt erwünscht war; die Methode war also eine recht einfache. Vor allem
erprobte Uspensky die Behandlung an sich selbst gegen Brustschmerzen nach Influenza.
1 Vs Stunden nach der ersten Sitzung vergingen die Stiche in der rechten Brustseite
völlig und für immer; in der linken Seite, wo diese Methode nicht zur Anwendung
gekommen war, verschwanden die Schmerzen erst am fünften Tage. In einem Falle
von Ischias wurde vollständige Heilung nach 12 Belichtungen erzielt. In einem Falle
von heftigen Schmerzen in der Lebergegend wichen nach einer 10 Minuten langen
Sitzung die quälenden Empfindungen gänzlich; am nächsten Tage traten die Schmerzen
von neuem auf, wenn auch in geringerem Grade. Hier wurde jedoch die Behandlung
mit dem Glühlicht nicht weiter fortgesetzt.
In der Sitzung der Petersburger Medico-Chirurgischen Gesellschaft vom 15. März
1901 machte A. Lang«) über zwei Fälle von Lupus der Nasenschleimhaut
Mittheilung, bei welchen in dem phototherapeutischen Kabinett an dem Institut für
Experimentalmedicin die Lichtbehandlung nach Finsen mit Erfolg angewendet
worden war. Zur Anämisierung des zu bestrahlenden Schleimhautbezirkes liess
sich Lang einen kleinen Kompressionsapparat aus Bergkrystall von 14 mm Durch¬
messer anfertigen. Beim ersten Kranken vernarbte die lupöse Exulceration und die
Perforation des häutigen Theiles der Nasenscheidewand nach dreimonatlicher Be¬
handlung vollkommen; die Genesung ist bis jetzt eine anhaltende geblieben. Beim
zweiten Patienten mit einem lupösen Geschwür auf dem knorpeligen Abschnitt des
Nasenseptums und mit Zerstörung des häutigen Theiles der Scheidewand wurden
bisher 29 Sitzungen vorgenommen; die unteren zwei Drittel der Ulceration sind be¬
reits völlig vernarbt, und der obere Abschnitt des Geschwüres hat sich mit Granu¬
lationen bedeckt. Die Behandlung wird hier wahrscheinlich in kurzer Zeit zum
Abschluss gelangen.
Auch die Augenheilkunde hat in Russland von der Lichttherapie Nutzen gezogen,
und es sei mir gestattet, hier die diesbezüglichen Beobachtungen in Kürze anzuführen.
Privatdozent E. Nesnamow«) in Charkow beschreibt die glänzenden Resultate,
welche er mit der Anwendung der chemischen (blau-violetten) Strahlen des
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248 A. Dworetzky
Sonnenlichtes bei Eiterungsprozessen in der Hornhaut erzielt hat und welche
ihn zu der Schlussfolgerung berechtigen, dass die regelrecht durchgeführte Behandlung
mittels der chemisch wirksamen Lichtstrahlen sich zweifellos den ersten Platz in der
Therapie der mikrobiellen Erkrankungen der Cornea erringen wird. Nesnamow be¬
nutzte zu ophthalmologischen Zwecken einen Sammellinsenapparat, welcher demFinsen-
schen ähnlich konstruiert ist. Voraufgehend wurde die heilsame Wirkung der chemischen
Lichtstrahlen an Kaninchenaugen geprüft, welche durch Injektionen von Staphylo¬
kokkus pyogenes aureus in das Gewebe der Hornhaut infiziert wurden. Es zeigte
sich nun, dass die Geschwüre, die der Wirkung der chemischen Lichtstrahlen aus¬
gesetzt wurden, schnell verheilten und nur unbedeutende Trübungen der Cornea
hinterliessen, während auf dem ohne Behandlung gebliebenen Auge eine Nekrose
der Hornhaut mit Vorfall der Iris und Eiteransammlung in der vorderen Kammer
sich ausbildete. Nachdem sich der Autor auf diese Weise von dem hemmenden
Einfluss der Lichtstrahlen auf die Lebensthätigkeit der pyogenen Bakterien in dem
Corneagewebe überzeugt hatte, schritt er an die Anwendung desselben Verfahrens
bei Menschen, wobei die Dauer der Sitzung 2—3—5 Minuten und noch mehr betrug
und die Sitzungen alltäglich wiederholt wurden — natürlich falls der Himmel nur
wolkenlos war. Wie bereits erwähnt, waren die Resultate einer solchen Behandlungs¬
methode in fünf Fällen von schweren Hornhautgeschwüren geradezu glänzend. Was die
möglichen schädlichen Folgen der Lichtanwendung für die Linse, die Netzhaut und
die Chorioidea betrifft, so ist Nesnamow der Ansicht, dass in allen denjenigen
Fällen, wo die Wirkung der chemischen Strahlen auf einen streng umgrenzten Bezirk
des Augapfels konzentriert werden kann, sie ohne jede Befürchtung auch angewendet
werden können.
In der Sitzung der Petersburger Ophthalmologischen Gesellschaft vom 1. März
1901 berichtete N. Tichomirow 45 ) über einen Fall von Retinalhämorrhagie, welche
nacli einem Trauma an zwei Stellen der Netzhaut sich ausgebildet und 1 Vs Monate nach
der Verletzung noch nicht die geringste Neigung zur Resorption gezeigt hatte. Ticho-
mirow leitete hier die Behandlung mit den chemischen Lichtstrahlen,ein. Er be¬
nutzte zu diesem Behufe eine blaue Glühlichtlampe von lß Normalkerzen, und um
das starke Hitzegefühl im Auge bei der direkten Belichtung, worüber die Patientin
anfänglich klagte, zu beseitigen, brachte er zwischen das geöffnete Auge und das
Gliihlämpchen eine blaue Glasplatte, wodurch die Lichtstrahlen eine violette Färbung
annahmen und das Hitzegefühl von nun an ausblieb Die Sitzungen dauerten 10 bis
15 Minuten lang und fanden in Zwischenräumen von 2—3 Tagen statt. ZurZeit der
Demonstration war die Genesung eine fast vollkommene.
Aus allen diesen nach ihrer chronologischen Reihenfolge bunt aneinander ge¬
reihten Beobachtungen und Untersuchungen, rein empirischen Erfahrungen und wissen¬
schaftlich fundierten Versuchen, konstatierten Thatsachen und hoffnungsvollen Aus¬
blicken russischer Forscher und praktischer Aerzte ist deutlich zu ersehen, welch’
einen mächtigen Aufschwung in ganz kurzer Frist die Lichttherapie bei uns in Russ¬
land genommen, wie sie in allen möglichen Formen und Anwendungsarten sich das
Bürgerrecht erworben und eine erstaunliche Verbreitung gefunden hat. Manche Arbeit
ist vielleicht bei der Durchsicht der recht umfangreichen Litteratur wider meinen
Willen von mir übersehen worden, manche werthvolle Untersuchung ist meiner Auf¬
merksamkeit entgangen, sodass mein Bericht möglicherweise nicht vollständig ist;
aber auf Grund des von mir Mitgetheilten kann ich wohl behaupten, dass auf dem
Gebiete der l’hototherapic Russland sehr vorgeschritten ist.
Litteratur.
i) N. Usskow, Der Einfluss von farbigem Lieht auf das Protoplasma des Thierkörpers.
Ccntralblatt für ilie luedieinisehen Wissenschaften 1870. No. 25.
A. Kondratjew, Einige Versuche über den Verlauf der künstlichen septischen Infektion
bei Thieren unter verschiedenfarbiger Beleuchtung. Petersburger Dissertation 1880 .
'■') J. (lodnew, Zur Lehre von dein Einfluss des Sonnenlichtes auf die Thiere. Kasansche
Dissertation 1882.
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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie.
249
4 ) E. Gorbacewicz, Ueber den Einfluss der verschiedenen farbigen Lichtstrahlen auf die
Entwicklung und das Wachsthum der Säugethiere. Petersburger Dissertation 1883.
5 ) J. Daitsch, Ueber den Einfluss des weissen Lichtes und der verschiedenfarbigen Strahlen
auf den Gasaustausch bei Warmblütern. Petersburger Dissertation 1891.
«) B/Kogan, Ueber den Einfluss des weissen (elektrischen) Lichtes undjder verschieden¬
farbigen Strahlen auf die Stickstoffmetamorphose bei Thieren. Petersburger Dissertation 1894.
7 ) Th. Geisel er, Zur Frage über die Wirkung des Lichtes auf Bakterien. Wratsch'1891. No. 36.
8 ) E. Kotliar, Zur Frage nach der Einwirkung des Sonnenlichtes'auf (die Bakterien. Wratsch
1892. No. 39 und 40.
9 ) Chmielewsky, Ueber die Wirkung des Sonnen- und elektrischen Lichtes auf die pyogenen
Mikroben. Petersburger Dissertation 1893.
10 ) St. v. Stein, Das elektrische Licht als mögliches Heilmittel. Medizinskoje Obosrenie 1890.
Bd. 33. S. 1156.
11 ) G. Gatschkowsky, Ueber Phototherapie. Russkaja Medizina 1892.
12 ) N. Ewald, Die elektrische Lichtbehandlung des Rheumatismus, der Neuralgiecn u. s. w.
Petersburg 1897.
w ) W. Koslowsky, Vorläufige Mittheilung über die Anwendungsweise des Voltabogens zu
therapeutischen Zwecken. Wratsch 1897. No. 14. S. 404. — Ueber die Anwendung des Voltabogens
zu Heilzwecken. Wratsch 1898. No. 20. S. 585.
14 ) G. Ciechansky, Ueber die physiologische Wirkung des Lichtes und seiner farbigen
Strahlen auf den thierischen Organismus Medizinskoje Obosrenie 1899. No. 3. S. 582. — Ueber
die therapeutische Bedeutung des Lichtes. Medizinskoje Obosrenie 1899. No. 3. S. 593.
ir> ) G. Ciechansky, Zur Frage von der Behandlung des Lupus vulgaris mit dem Lichte des
Voltaschen Bogens (Finsen 7 sehe Methode). Sitzung der Moskauschen Venerologischen und Dermato¬
logischen Gesellschaft vom 22. Januar 1899. Wratsch 1899. No. 6. S. 173.
M ) A. Lang, Die Lichttherapie des Lupus nach der Methode von N. Finscn. Medicinische
Beilage zum Marinearchiv 1899. No. 3 (März).
17 ) A. Min in, Zur Lichtbehandlung der Tuberkulose Wratsch 1899. No. 22. S. 632.
**) A. Gribojedow, Die Behandlung von Neuralgieen mit elektrischem Licht. Wissenschaft¬
liche Sitzung der Vereinigung der Aerzte der Petersburger Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten
vom 25. Februar 1899. Wratsch 1899. No. 22. S 651. — Ueber die Anwendung des elektrischen
Lichtes zu therapeutischen Zwecken im allgemeinen und bei Neuralgieen im besonderen. Obosrenie
Psychiatrii etc. 1900. No. 3 und 4.
1») A. Minin, Beiträge zur elektrischen Lichtbehandlung. Wratsch 1899. No. 38. S. 1104.
2°) N. Weljaminow, Ueber die Lichtbehandlung des Lupus vulgaris nach Professor Finsen.
Sitzung der Petersburger Medico-Chirurgischen Gesellschaft vom 28. Oktober 1899. Wratsch 1899.
No. 45. S. 1340.
21) 0. Petersen, Die Behandlung des Lupus nach der Methode des Professor Finsen. Sitzung
der Gesellschaft Russischer Aerzte vom 28. Oktober 1899. Wratsch 1899. No. 46. S. 1371 und
No. 47. S. 1377.
22 ) K. Stein, Ein Versuch zur Anwendung des elektrischen Lichtes bei einer traumatischen
Verletzung. Sitzung der Gesellschaft Russischer Aerzte vom 11. November 1899. Wratsch 1899.
No. 47. S. 1403.
23) A. Minin, Die letzte Anwendung der Lichttherapie. Wratsch 1899. No. 47. S. 1383.
24) K. Serapin, Zur Lichtbehandlung des Lupus nach Finsen. Sitzung der Petersburger
Medico-Chirurgischen Gesellschaft vom 18. November 1899. Wratsch 1899. No. 49. S. 1468.
25) D. Murinow, Einige Beobachtungen über das Licht des Voltabogens. Medicinische Bei¬
lage zum Marinearchiv 1900. No. 1 (Januar).
2ß) J. Makawejew, Zur Lichttherapie. Wratsch 1900. No. 8. S. 229.
27) A. Minin, Zur Lichttherapie. Wratsch 1900. No. 11. S. 329
2») D. Kessler, Ueber Elektrophototherapie. Wratsch 1900. No. 14. S. 417.
29) j. Gabrilowicz und L. Finkeistein, Ueber Elektrophototherapie. Wratsch 1900. No. 11
und 15.
30) D. Sokolow, Ein durch rothes Licht geheilter Fall von Noma. Sitzung der Gesellschaft
der Kinderärzte zu Petersburg vom 29. März 1900. Wratsch 1900. No. 19. S. 599.
Zeitschr. f. diät u. physik. Therapie Bd. V. Heft 3. jy
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250 A. Dworetzky, Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie.
31) Triwus, Ueber den Einfluss der farbigen Beleuchtung auf den Puls. Wissenschaftliche
Sitzung der Vereinigung der Aerzte der Petersburger Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten
vom 27. Jannar 1900. Wratsch 1900. No. 27. S. 837.
32) J. Solucha, Ueber die Durchgängigkeit der Hautdecken für das Bogenlicht Wissen¬
schaftliche Sitzung der Vereinigung der Aerzte der Petersburger Klinik für Nerven- und Geistes¬
krankheiten vom 24. Februar 1900. Wratsch 1900. No. 28. S. 864 und Obosrenie Psychiatrii etc. 1900.
No. 7 (Juli).
33) A. Maklakow, Ueber die Wirkung des Bogenlichtes auf die Haut Citiert nach Cie-
chansky (14).
J w) A. Glebowsky, Die Veränderungen in dem Infektionsgranulom des Lupus unter der
Lichtbehandlung nach Finsen. Sitzung der Petersburger Medico-Chirurgischen Gesellschaft vom
12. Oktober 1900. Wratsch 1900. No. 43. S. 1319.
35) J. Solucha, Die Bogenlichtbehandlung des Tic convulsif. Wissenschaftliche Sitzung der
Vereinigung der Aerzte der Petersburger Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten vom 27. April
1900. Wratsch 1900. No. 32. S. 981.
3ß) G. Turner, Aus Anlass der Gründung einer Klinik beim Lehrstuhl für Desmurgie und
Meehanurgie an der Kaiserlichen Militär-Medicinischen Akademie. Wratsch 1900. No. 36. S. 1073.
37) J. Eiger, Ueber die Behandlung mit elektrischem Licht Sitzung der Petersburger Medi-
ciuischen Gesellschaft vom 12. Mai 1900. Wratsch 1900. No. 41. S. 1253.
3*) A. Min in, Die Lichtbehandlung in der Chirurgie. Wratsch 1900. No. 47. S. 1430.
33) G. 01 ei ni ko w, Ueber die Behandlung der Variola mit rotem Licht Jeshenedelnik 1900. No 38.
4<>) A. Uspensky, Zur Kasuistik der Lichttherapic. Russky Medizinsky Westnik 1900. No. 19.
41 ) G. Ciecha^nsky, Der gegenwärtige Stand der Frage von der baktericiden Eigenschaft
des Lichtes. Medizinskoje Obosrenie 1901. No. 3. S. 458.
^2) Pussep, Die Phototherapie in Paris, Hamburg und Berlin. Wissenschaftliche Sitzung der
Vereinigung der Aerzte der Petersburger Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten vom 26. Oktober
1900. Wratsch 1901. No. 8. S. 250 und Obosrenie Psychiatrii etc. 1901. No. 4 (April).
^3) A. Lang, Ueber die Lichtbehandlung auf Schleimhäuten. Sitzung der Petersburger Medieo-
Chirurgischen Gesellschaft vom 15. März 1901. Wratsch 1901. No. 14. S 462.
44 ) E. Nesnamow, Die Anwendung der chemischen Sonnenstrahlen bei Eiterungen der Horn¬
haut. Westnik Ophthalmologii 1901. Januar und Februar.
45) N. Tichomirow, Ein Fall von Resorption einer Retinalhämorrhagie unter dem Einflüsse
der blau-violetten Lichtstrahlen. Sitzung der Petersburger Ophthalmologischen Gesellschaft vom
l .März 1901. Wratsch 1901. No. 11. S. 346.
4«) G. Ciechansky, Mittheilung in der Sitzung der Gesellschaft der Kinderärzte zu Moskau
vom 7. März 1901. Wratsch 1901. No. 16. S. 516.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
251
Referate über Bücher und Aufsätze.
Biedert, Die diätetische Behandlung der Verdauungsstörungen der Kinder« Zweite Auflage.
Stuttgart 1901.
Die zweite Auflage des bekannten Buches ist um eine Reihe interessanter Beobachtungen
bereichert und enthält in einem neu hinzugekommenen V. Abschnitt schätzenswerthe Mittheilungen
über die diätetische Behandlung älterer Kinder.
im L Abschnitt wird kurz die Verdauung der Muttermilch und der Kuhmilch und ihre Unter¬
schiede besprochen, die Reaktion der Stühle und ihre Bedeutung für die Erkennung von Verdauungs¬
störungen eingehend erörtert. Es folgen Winke für die chemisch-mikroskopische Untersuchung der
Stühle und einige Worte über die Darmbakterien.
Der II. Abschnitt enthält die Entstehung und die Arten der Verdauungsstörungen der Kinder.
Den Löwenantheil an der Entstehung der Verdauungsstörungen hat die Nahrung selbst, und
namentlich ist es die Schwerverdaulichkeit des KuhmilchkaseTns und der dadurch entstehende »schäd¬
liche Nahrungsrest«, die dabei eine Rolle spielen.
Der schädliche Nahrungsrest giebt den Boden für bakterielle Versetzungen ab und ist so die
erste Ursache zur Entstehung von Verdauungsstörungen. Einzelnen Fällen liegen besondere patho¬
gene Bakterien zu Grunde z. B. Steptokokkenenteritis von Escherisch etc.
Dann werden kurz die Komplikationen, Bronchitis, Pneumonie, Nephritis etc. besprochen.
Der III. Abschnitt beschäftigt sich mit der Nahrung des kranken Kindes.
Es werden die Gesammtzufuhr und die einzelnen Nahrangsstoffe besprochen. Näheres im Ori¬
ginal. Der Verfasser empfiehlt ein Regime, wie es durch seine verschiedenen Arten von Rahrn-
ge m enge repräsentiert wird, am meisten.
Der IV. umfangreichste Abschnitt schildert das praktische Vorgehen beim kranken Kinde.
An einer grossen Zahl von Beispielen, die geschickt ausgewählt sind, lernt der Leser die An¬
sichten des Verfassers und sein Vorgehen bei den einzelnen Arten von Verdauungsstörungen kennen.
Es wird hier sehr deutlich gezeigt, wie sehr die Diätetik des kranken Säuglings individualisierend
sein muss und sich nicht alles in eine Schablone bringen lässt. Der Verfasser bespricht dabei aus¬
führlich nur seine Methoden, andere z. B. die Liebig-Keller’sche Mälzsuppe u. a. werden etwas
kurz abgethan.
Auf Einzelheiten kann bei der Fülle des Materials natürlich nicht eingegangen werden.
Der V.* Abschnitt endlich beschäftigt sich mit der Diätetik der Diarrhöe und Obstipation
älterer Kinder, sowie mit Vorschriften für die Ernährung anämischer Kinder etc.
Das Studium des Buches ist jedem, der sich für die wichtige und schwierige Diätetik des
Säuglingsalters interessiert, dringend zu empfehlen. Salge (Berlin).
A. Goldscheider und P. Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie, Theil 1. Band 2.
Leipzig 1901. Verlag von Georg Thieme.
Die Anordnung und Eintheilung des Stoffes ist in diesem zweiten Bande des gross an¬
gelegten Handbuches konform der im ersten gewählten. Nach einer historischen Einleitung für
jedes Kapitel werden die physiologischen Grundlagen erörtert, es folgt ein der Technik gewidmeter
Abschnitt, und endlich sind die Beziehungen der einzelnen Disziplinen zu anderen physikalischen
Methoden und allgemein ärztlichen Erfahrungen über dieselben klinisch dargestellt
Das Buch beginnt mit dem Kapitel »Massage«, welchem 141 Seiten und 64 gute Abbildungen
gewidmet sind. Die historische Einleitung und die physiologische Begründung sind von A. Bum
gegeben und zeichnen sich sowohl durch Sachlichkeit als durch genaue und ausführliche Litteratur-
angaben aus. Die Technik der Massage hat Zabludowski eingehend beschrieben. Es werden
nicht nur die einzelnen Prozeduren geschildert, sondern namentlich in dem Abschnitt »allgemeine
Grundsätze der Massagetechnik« eineReihe aus reicher Erfahrung geschöpfte, praktische Hin-
17*
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252
Referate über Bücher und Aufsätze.
weise gegeben, die den Massage übenden Aerzten sehr willkommen sein werden. Das gleiche gilt
von den Bemerkungen über ärztliche Erfahrungen, die v. Key her zum Verfasser haben. Wenn auch
naturgemäss beide Autoren vielfach dieselben Dinge erörtern, so empfindet das der Leser keines¬
wegs als eine unnöthige Wiederholung, ira Gegentbeil es ist interessant und lehrreich die theils
sich deckende, hier und da sich auch widersprechende Anschauung zweier Männer von so reicher
Erfahrung auf ihren Spezialgebieten kennen zu lernen.
Sehr gründlich ist der nächste Theil des Buches, die Gymnastik auf 163 Seiten abgehandelt
Die historische Einleitung hat Pagel zum Verfasser. Sie besitzt dieselben Vorzüge, die Referent
bereits in der Besprechung des ersten Bandes den dort von Pagel bearbeiteten Kapiteln nach¬
rühmen konnte. Sie berücksichtigt die Litteratur gut und hebt alles wichtige ohne breite Aus¬
führlichkeit hervor. Der von Prof. Zuntz bearbeitete physiologische Abschnitt zeigt, dass der
Verfasser selbst mit Vorliebe gerade dieses Gebiet wissenschaftlich bearbeitet hat, und giebt über
die Wirkung der Muskelthätigkcit auf die Funktionen des Körpers einen ausge¬
zeichneten Ceberblick. Das Turnen, die Turnspiele und den Sport hat Leo Zuntz beschrieben.
Es sind die einzelnen Arten des Turnens in ihrer Zweckmässigkeit geschildert, die Einwürfe, die
man namentlich dem deutschen Turnen gemacht hat, kritisch beleuchtet. Von den Arten des Sports
ist namentlich das Radfahren, über das wir vom Verfasser bekanntlich eine schöne grundlegende
Arbeit besitzen, ausführlich erörtert, unverdient kurz ist der Reitsport dagegen besprochen. Die
schwedische Heilgymnastik ist von E. Zander dargestellt und durch viele Abbildungen
illustriert. Die Uebungstherapie FrenkeFs hat Jacob besprochen, der sich im Verein mit
Goldscheider um ihre wissenschaftliche Begründung anerkannte Verdienste erworben hat Seine
zusammenfassende Darstellung ist lehrreich und lesenswert!); die Technik der einzelnen Manipulationen
durch Abbildungen gut illustriert. Ausführlich hat dann R. Funke die deutsche Gymnastik und
die Apparatgymnastik mit Ausschluss der schwedischen besprochen, hier finden die Herz’schen
Apparate, die von Hoffa angegebenen Vorrichtungen, die von Knoke und Dressier vertriebenen
einfachen Apparate ihre Berücksichtigung. Unbestreitbar zeigt das ganze Kapitel »Gymnastik« zahl¬
reiche Wiederholungen, aber auch von ihm gilt das über Massage gesagte: die Wiederholungen
stören verhältnissmässig wenig und werden durch den Vorzug, dass das Gebiet von den ver¬
schiedensten Seiten beleuchtet wird, aufgewogen.
Das nächste Kapitel, die mechanische Orthopädie, hat Vulpius bearbeitet Die ver¬
schiedenen Maassnahmen zur Bekämpfung von Deformitäten, die Stützapparate u. s. w\ sind klar und
anschaulich beschrieben, für eine kritische und eingehendere Besprechung dieses Abschnittes be¬
dauert Referent zu wenig Fachmann zu sein.
Mit grossem Interresse dagegen hat Referent das 12. Kapitel, die Elektrotherapie, ge¬
lesen, deren historische Einleitung wieder Pagel geschrieben und deren physiologische Begrün¬
dung und Technik L. Mann zum Verfasser hat, während der Abschnitt ärztliche Erfahrungen von
M. Bernhardt bearbeitet wurde. Die Elektrotherapie hat vor den anderen physikalischen Disciplinen
zweifellos den Vorzug, dass am eifrigsten an ihrer theoretischen Begründung sowohl, als an ihrer
praktischen Ausnutzung gearbeitet w f orden ist, dass sie ferner, besonders in den Kliniken zu einer
Zeit gepflegt w f urde, als die übrigen physikalischen Methoden verhältnissmässig w r enig oder gar
nicht klinisch berücksichtigt wurden. Wenn sie jetzt diesen letzteren gegenüber vielfach ein wrenig
in den Hintergrund getreten war und namentlich auf Grund der bekannten Möbius’sehen An¬
sichten unterschätzt wurde, so ist man zweifellos doch darin zu weit gegangen. Eis ist deswegen
sehr zu begrüssen, dass auch in diesem Buche Mann nicht gar zu pessimistischen Anschauungen
Ausdruck gegeben hat, sein theoretischer Theil ist kritikvoll gehalten, aber doch entschieden im
positiven Sinne geschrieben. Die Gegenüberstellung der rein physikalischen bezw. physikalisch-
rheinischen Zustandsänderungen und der physiologischen Reiz- und Hemmungswirkungen ist sehr
glücklich gewählt.
Die Technik ist klar und mit Hilfe guter Abbildungen dargelegt, anzuerkennen sind die Ab¬
schnitte über die modernen Verfahren (Gleichstrom, Sinusoidalstrom, Umulatorischer Strom, drei¬
phasiger Wechselstroni, endlich Teslastrom und Jodkostroui).
Auch Bernhardt bekennt sich in seinem sehr lesenswerthen Abschnitte als ein positiv vom
Nutzen der elektrischen Verfahren überzeugter Arzt, seine speziellen klinischen Hinweise enthalten
manches Werth volle, das von grosser Erfahrung zeugt.
Den Schluss des Bandes endlich bildet die Lichttherapie, zu derMarcuse die historische
Einleitung gegeben und die im übrigen Rieder bearbeitet hat. Rieder hat als Vorstand des
glänzend eingerichteten Münchener Instituts für physikalische Heilmethoden ganz besonders Gelegen-
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Referate über Bücher und Aufsätze. 253
heit gehabt, sich ein eigenes Uithcil über die Lichttherapie zu bilden, und dieser Umstand kommt
seiner Darstellung sehr zu gut. Nach einem kurzen Ueberblick über die Lichtwirkungen auf
Pflanzen und Thierc, wird unter dem Stichwort »Therapeutisches« eine sehr vollständige Be¬
schreibung sowohl der Luft- und Sonnenbäder, als der elektrischen Lichtbäder in ihren vielfachen
Kombinationen gegeben. Anhangsweise ist die therapeutische Verwendbarkeit der Röntgenstrahlen,
der Bequerelstrahlen und das Hochspannungsfunkenlicht geschildert. Die Ri cd er* sehen Aus¬
führungen sind kritikvoll und mit guter Litteraturverwcrthung geschrieben, sie geben ein treffliches
Bild dieser modernsten Therapie.
Alles in allem kann man sagen, dass der zweite Band nicht hinter dem ersten zurückstcht
und dass er wie dieser eine werthvolle Bereicherung unser Fachliteratur darstellt
M. Matthes (Jena).
R. Kolisch, Lehrbuch der diätetischen Therapie chronischer Krankheiten für Aerzte und
Studierende. Bd. 2. Spezieller Theil. Leipzig und Wien 1900.
Der zweite Theil des in Band 4 Heft 3 von uns referierten ersten Theils des KoMBch*sehen
Buches ist nunmehr erschienen. Er umfasst die diätetische Behandlung der Magen-, Darm-, Leber-,
Pankreas- und Nierenkrankheiten sowie der Fettsucht, des Diabetes, der Gicht und der Anämieen.
Wir müssen bei dem zweiten, 333 Seiten umfassenden, Theil des Buches das wiederholen, was wir
schon bei der Besprechung des ersten Theils hervorgehoben haben. Es ist kein erschöpfendes
Nachschlagewerk, sondern eine mehr im Vortragscharakter gehaltene Darstellung der Materie.
Dies bringt es mit sich, dass das Buch — was ihm indessen nur zum Vortheil gereicht — an
vielen Stellen einen durchaus subjektiven Charakter trägt und dass der Autor an Stellen, wo es
ihm beliebt, Exkursionen in das Gebiet der Pharmakotherapie, Balneotherapie, sowie in dasjenige
der allgemeinen und speziellen Pathologie unternehmen kann. Die individuelle Prägung, welche
das Buch hat, fordert an manchen Punkten zur Diskussion heraus, was ohne weiteres natürlich ist,
wenn man bedenkt, dass die Therapie und speziell die Emährungstherapie vor allem eine Kunst
ist; und die Kunst hat im Gegensatz zur Wissenschaft ein Recht darauf, subjektiv zu sein. Unter
diesem Gesichtspunkt ist es erfreulich, dass der Autor bei aller Berücksichtigung dessen, was
die Wissenschaft auf dem Gebiete der Ernährungstherapie produziert hat, in Diätfragen doch der
Empirie das letzte Wort lässt, wie er überhaupt in dem ganzen Buche wesentlich als Praktiker
redet, der sich, wie Referent cs als selbstverständlich findet, dabei stets auf wissenschaftlichem Boden
bewegt. Von den Punkten, welche dem Referenten bei der Lektüre des Buches auffielen, sollen
hier nur einige Erwähnung finden. Es scheint dem Referenten bei der Behandlung der motorischen
Insufficienz des Magens die Bedeutung einer zeitweiligen totalen Inaktivierung des Magens nicht
genügend scharf betont, auch die auf Seite 34 empfohlene Einschränkung der Fettzufuhr bei der
motorischen Insufficienz erscheint nach neueren Arbeiten nicht ausreichend begründet. Dagegen muss
Referent den maassvollen Auslassungen des Autors über die Indikation und die praktische Durchführung
der Trockendiät voll beistimmen. Sehr klar, wenn auch ziemlich resigniert, ist das, was der Autor
über die diätetische Behandlung der Cholelithiasis sagt. Wichtig scheint dem Referenten, dass der
Autor hier die von Frerichs und in neuerer Zeit von Naunyn und Kehr betonte Bedeutung der
häufigen Mahlzeiten (auch Nachtmahlzeiten) dem Leser vor Augen geführt hat. Ein besonders
lesenswerthes, weil zum Theil von der landläufigen Darstellung abweichend gehaltenes, Kapitel er¬
scheint dem Referenten dasjenige über die Behandlung des Diabetes, in welchem vor allem die
Ausführungen des Autors über vegeterianische Diät sowie über Milchkuren bei Diabetes inter¬
essieren. Bei der Besprechung der Gicht tritt der Autor, trotzdem er gegen His-Freudwciler
u. a. den Satz verficht, dass die Harnsäure nicht die Materia peccans bei der Gicht sei, für eine
Einschränkung des Fleischgenusses ein. Die diätetischen Rathschläge des Verfassers sind nicht
schablonenhaft gehalten, was die Lektüre dieses Buches besonders angenehm macht. Referent
kann wohl sagen, dass das Buch dem Leser, ganz abgesehen von seinem Thatsacheninhalt, eine
Menge von Anregungen giebt. Auch derjenige, welcher nicht mit allem einverstanden ist, was der
Autor sagt, wird sich freuen, das Buch gelesen zu haben; denn er findet eine Reihe von Fragen
in einer eigenartigen, nicht alltäglichen, Beleuchtung abgehandelt und derjenige, welcher sich erst
über bestimmte Fragen der Diätetik informieren will, findet in ihm eine angenehme, ihn auf die
Kernpunkte der Fragen hinweisende Anleitung. Deshalb kann Referent die Lektüre des Buches nur
warm empfehlen. II. Strauss (Berlin).
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254
Referate über Bücher und Aufsätze.
Kisch, Die ärztliche Ueberwachung der Entfettungskuren. Berlin, klin. Wochenschr. 1900 No. 30.
Der Verfasser vertritt den gewiss zu billigenden Standpunkt, dass bei Entfettungskuren sowohl
hinsichtlich der nothwendigen Reduktion der Nahrung, als auch bezüglich der Grosse und Art der
körperlichen Bewegung genaue ärztliche Vorschriften nothwendig sind.
Als Maassstab für die Grösse der Bewegung beim Gehen empfiehlt Verfasser die Benutzung
des Pedometers, eines uhrartigen Apparates, der, in der Tasche getragen, die Zahl der vor¬
genommenen Schritte bezeichnet.
Vor allen Dingen muss der Arzt eine stete, sorgfältige Kontrolle über die Muskelkraft des
Individuums und speziell über die Kraft des Herzmuskels üben. Dynamometer und Sphygmo-
graph sind darum wichtige Instrumente bei jeder Entfettungskur. Zeigt das erstere während des
Gebrauches einer entfettenden Methode eine Herabminderung der Muskelkraft an, so ist dies ein
höchst wichtiges Zeichen, dass nicht nur das überflüssige Fett, sondern auch das Muskelfleisch an¬
gegriffen wird. Ebenso hat man in den Pulskurvcn wcrthvolle Anhaltspunkte: Vergrösserung der
Rückstosswelle, die Umgestaltung des normalen sphygmographischen Bildes in das eines unter-
dikroten oder dikroten Pulses weisen auf zunehmende Herzschwäche hin und sind ein Warnungs¬
signal, die Kraft des Herzmuskels nicht noch mehr herabzusetzen.
Leicht in der Praxis durchführbar und nicht ohne Wichtigkeit bei Entfettungskuren sind
Differenzbestimmungen über Flüssigkeitsaufnahme und Harnabscheidung. Im nor¬
malen Zustande soll die aufgenommene Flüssigkeit bis auf etwa 20—30<V 0 im Harn wieder aus¬
geschieden werden; dagegen steigt diese Differenz bei Kreislaufstörungen bis auf 50°/ 0 . Genaue
Stoffwechselbestimmungen bei Entfettungskuren wären natürlich das Ideal und würden über den
wichtigsten Punkt, die eventuelle Gefährdung des Eiweissbestandes, den besten Aufschluss geben,
sind aber natürlich in der Praxis nur selten ausführbar.
Die ärztliche Ueberwachung der Entfettungskuren soll aber, wie Verfasser zum Schluss sehr richtig
hervorhebt, nicht nur der physischen Individualität des Patienten Rechnung tragen, sondern
der wirkliche Therapeut wird sich bemühen, auch auf die Psyche der zu grossen körperlichen wie
geistigen Anstrengungen oft unfähig gewordenen Fettleibigen einzuwirken und sie in dieser Be¬
ziehung durch systematische Uebung erziehlich zu behandeln. P. F. Richter (Berlin).
Bonifas, Du conpage du lait chez les enfants du premier äge. Lc progres nndical 1000.
24. Februar.
Verfasser empfiehlt reine oder ganz schwach verdünnte (drei bis vier Thcile Milch zu einem
Theil Wasser) Kuhmilch als Säuglingsnahrung möglichst schon von den ersten Lebenswochen an;
er behauptet, dass bei diesem Emährungsmodus die Kinder vorzüglich gedeihen und von Magen-
darmaffektionen meist verschont bleiben, während diejenigen Säuglinge, welche mit zur Hälfte und
mehr verdünnter und dadurch in ihrem Gehalt an Nährbestandtheilen beeinträchtigter Milch aufge-*
zogen werden, blass, mager und schwächlich bleiben und in der Regel an dyspeptischen Störungen
erkranken. Seine Vorliebe für die reine Milch geht sogar so weit, dass er auch bei schweren
Gastroenteritiden, welche er in erster Reihe auf vorausgegangene Ernährung mit mehr oder weniger
verdünnten Kuhmilch wassergemengen zurückführt, die sonst übliche 24stündige Thee- oder Schlei in-
suppendiät perhorresziert und sofort zu stark konzentrierter und bald auch zu völlig unvermischter
Kuhmilch übergeht. Einige vom Verfasser mitgetheilte Krankengeschichten sollen den prompten,
kurativen Erfolg dieser Maassnahme darthun. Eine genauere Angabe über die verabreichten Tages¬
quanten enthält die Arbeit nicht, doch scheinen dieselben recht beträchtliche zu sein, da z. B. von
einem fünf Monate alten Kinde berichtet wird, welches bei Ernährung mit Milch und Wasser aa
einen schweren, chronischen Magendarmkatarrh aequirierte, sich von demselben bei Vollmilch in
relativ kurzer Zeit erholte und dann bei täglicher Darreichung von P/.^l reiner Milch (!) sich prächtig
entwickelt haben soll. Bonifas bemerkt selbst, dass er sich zu den seither anerkannten, für die
künstliche Säuglingsernährung geltenden Regeln in schroffen Gegensatz stellt und dürfte wohl auch
mit seinen Vorschlägen vielfach auf Widerspruch stossen. Hirschel (Berlin).
Vaqnez, lieber die Ernährung bei Abdominaltyphus. La presse mödicale 1900. No. 12.
Verfasser stellt und beantwortet in seinem Aufsatz folgende drei Fragen:
1. Gewähren die gegenwärtigen P>nährungsmethoden den mit Abdominaltyphus behafteten
Kiiinken zweckentsprechende und genügende Ernährung?
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Referate über Bücher und Aufsätze. 255
2. Wäre es mit Gefahr verbunden, wenn man die Nahrung, die man gegenwärtig Typhus
kranken gewöhnlich verabreicht, quantitativ vermehrte und qualitativ in derselben mehr Abwechse¬
lung gestattete?
3. Welcher Ernährungsmodus der Typhuskranken würde mehr Vortheile bieten?
Bezüglich der ersten Frage gelangt Verfasser zu der Ansicht, dass sich die gegenwärtig so
beliebte Milchdiät zwar an und für sich bei Typhus empfehle, dass aber die übliche Ration von
2 1 täglich keineswegs ausreiche, um den Typhuskranken mit gesteigertem Stoffwechsel vor Kon-
sumption zu bewahren, dass also die gegenwärtig übliche Ernährungsweise der Typhuskranken
durchaus eine unzureichende ist. Andrerseits führt Verfasser den Beweis, dass eine quantitative
Vermehrung der Nahrung für die Typhuskranken nicht nur mit keiner Gefahr, sondern im Gegen-
thcil mit Nutzen verbunden sein würde.
Von diesem Standpunkte ausgehend, dachte man in erster Linie an eine Vermehrung der den
Typhuskranken zu verabreichenden Milch quantität. Leider begegnete man in diesem Falle einer
ernsten Schwierigkeit, da die Milch bekanntlich schwer verdaut wird, wenn sie in zu grossen
Quantitäten, z.B. 3—4 1 täglich, genommen wird. Man hat infolgedessen, namentlich in Russland,
verschiedentlich versucht, unter Beibehaltung der Milchdiät im allgemeinen durch Verabreichung von
Ei Weisssubstanzen die Typhuskranken reichlicher zu ernähren. Auch Verfasser hat eine Reihe von
Typhuskranken in dieser Weise zu ernähren versucht, indem er neben der Milch, welche allerdings
die Grundlage der Ernährung bildete, andere Nahrungsmittel» hauptsächlich Ei Weisssubstanzen, ver¬
abreichte. Die Patienten bekamen alle zwei Stunden eine Tasse Milch, welche jedoch um 8 Uhr
früh, um 12 Uhr mittags und um 6 Uhr nachmittags durch verschieden zusammengesetzte Mahlzeiten
ersetzt wurde. Um 8 Uhr früh bekamen die Kranken eine grosse Tasse Thee oder Kaffee mit Milch
oder einen Teller Hafer- bezw. Reisschleim. Um 12 Uhr mittags bekamen die Patienten folgende
Mahlzeit: Milchsuppe mit Eigelb und einem ganzen oder halben Kaffeelöffel voll Somatose und
etwas Fleischbrühe. Um 6 Uhr bekamen die Patienten eine gleiche Mahlzeit wie mittags, jedoch
mit dem Unterschiede, dass statt der Milchsuppe Bouillon mit Eigelb gegeben wurde. Nachts be¬
kamen die Patienten einen halben oder ganzen Kaffeelöffel voll Somatose in Milch Nach und nach
steigerte Verfasser während der Fieberperiode die Nahrungsmenge bis auf drei Eigelbe, 1—2 Kaffee¬
löffel voll Somatose, zwei Weingläser Fleischbrühe und einen Teller Mehlsuppe. Sobald die Temperatur
zu sinken begann, wurde die Fleischbrühe durch frisch geschabtes Fleisch ersetzt Diese Diät wurde
bis zur vollständigen Entfieberung beibehalten, worauf allmählich zur kräftigeren Kost übergegangen
wurde. So bekamen die Patienten vom zweiten oder dritten Tage nach der Entfieberung an leichte
Cremes, verschiedene Suppen, etwas Kartoffeln oder Reis in Milch. In der Rekonvalcscenz wurde
allmählich zur normalen Kost übergegangen.
Bei dieser Ernährung hat Verfasser gute Resultate erzielt und nie irgend welche Komplikationen
erlebt Der Zustand der Kranken besserte sich mit der Einleitung der geschilderten Ernährung, der
Verlust an Körpergewicht war gering, das Stadium der Rekonvalescenz kurz, so dass die Patienten
bald ihre Kräfte wiedererlangten. — n.
Julian Maren86, Zur Frage der alkoholfreien Ersatzgetränke. Berliner klinische Wochen¬
schrift 1900. No. 19.
In No. 48 derselben Zeitschrift hatten Felix Hirschfeld und Jacob Meyer die alkohol¬
freien Ersatzgetränke einer kritischen Untersuchung auf Grund von eigenen Analysen unterzogen
und waren dabei zu einem im grossen und ganzen absprechenden Resultat gelangt Hirschfeld
weist besonders auf zwei sich an den dauernden Genuss derselben knüpfende nachtheilige Folgen
hin, einmal auf die durch die stete Zuckeraufnahme eventuell herbeigeführte Ueberernährung und
ferner auf das auf der Basis dieser Zuckeraufnahme mögliche Zustandekommen einer Glykosurie.
Beide Bedenken werden gestützt durch eine merkwürdig indifferente Auffassung von der Bedeutung
der modernen Alkoholfrage. Die grundlegenden Forschungen der Neuzeit, deren übereinstimmendes
Resultat es ist, dass der Alkohol keine ei weisssparende Kraft besitzt (Miura, Rose mann etc.),
wie die Erkenntniss von den pathologischen Folgen des gewohnheitsmässigen Genusses alkoholischer
Getränke, haben zu dem Bestreben geführt, Getränke zu finden, die einen Ersatz für den Alkohol
bilden. Die Bedeutung dieser Ersatzgetränke liegt zunächst auf therapeutischem und diätetischem
Gebiet in all’ den Fällen, in denen die Einnahme von Alkohol kontraindiziert ist. Hier war vor¬
nehmlich der therapeutische Standpunkt geltend, weniger ein Nährpräparat als ein dem Trink-
bedfirfniss des Menschen entsprechendes harmloses Getränk einzuführen. An eine dauernde Ueber-
emährung ist in der Therapie kaum zu denken, zumal diese Säfte, auch wenn sie 10% Nährstoff-
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256 Referate über Bücher und Aufsätze.
Iösungen darstellen sollten, kaum je unverdünnt in übermässigen Quantitäten genommen werden.
In der überaus grössten Mehrzahl der zur Behandlung kommenden Fälle wird es sich eher um eine
Unter- wie Uebercrnährang handeln und im äussersten Falle dürfte es nicht schwer sein, ausglcichend
auf den Kohlehydratstoffwechsel cinzuwirken. Auch die Bedenken hinsichtlich der Glykosurie sind
nicht zu theilen; abgesehen davon, dass die Frage hinsichtlich eventueller Schädlichkeiten einer
Glykosurie e saccharo durchaus nicht geklärt ist (cfr. Naunyn und v. Noorden), müssten ca. 2 1
dieser zehnprozentigen Zuckerlösung eingeführt werden, um die Assimilationsgrenze für die in vor¬
liegendem Fall in Betracht kommenden Zuckerarten zu erreichen. Die Einführung einer solchen
Quantität ist Jabcr, da wir die alkoholfreien Weine verdünnen können, ohne Geschmack und Wirkung
erheblich zu ändern, höchst unwahrscheinlich. Die seit Jahren gewonnenen praktischen Erfahrungen,
vornehmlich in Abstinenzsanatorien, bestätigen vollauf die gegen die Hirsch fei duschen Aus¬
führungen gemachten Einwände.
Die alkoholfreien Getränke finden in der Praxis ihre vornehmlichc Anwendung bei leichten
und schweren nervösen Zuständen, zur Bekämpfung des Durstgefühls bei fieberhaften Erkrankungen,
bei Erkrankungen des Magens, der Nieren, Blase etc. etc., kurzum, überall da, wo die Einnahme von
Alkohol kontraindiziert ist. Wegen des ausserordentlich angenehmen und naturreinen Geschmackes
werden sic sehr gern genommon, vor . allem auch von Kindern, wirken anfangs auf den Darm leicht
laxierend, steigern die Diurese; irgend welche nachtheiligen Begleit- oder Folgeerscheinungen sind
bisher von keiner Seite beobachtet worden. J. Marcuse (Mannheim).
Karl Schaefer, Die Kost des Gesunden und Krauken. Medicinische Bibliothek für praktische
Aerzte. No. 40 und 50.
Das kleine Büchelchen ist 99 Seiten stark und enthält ohne das übliche Aufgebot modem-
hvgienischer Gelehrsamkeit namentlich die zur Verhütung von Indigestionen bekannten Vorschriften.
Ein besonders breiter Raum ist der Ernährung und den Dyspepsieen der Säuglinge und Kinder
gewidmet.
Ich glaube, dass das kompendiöse Werkchen von Vielen gerne gelesen werden wird.
Buttersack (Berlin).
A. Loebel, Zur Purpurabehaudluug mit Trink- und Badekuren. Archiv für Balneologie und
Hydrotherapie. Bd. 2. Heft 7.
Verfasser schildert einen Fall von Purpura rhcumatica, der an sich leicht verlaufend, unter
dem Einfluss von Moorbädern zur Heilung kam, und erörtert im Anschluss daran eingehend die
verschiedenen Theorieen, die über die Entstehung der Purpura aufgestellt worden sind. Er kann
sich keiner derselben anschliessen, er sagt mit Kaposi, dass es vollständig unklar bleibe, welche
Momente vom Gefässzentrum aus die Innervation der peripheren Gefässe derart altcrieren, dass deren
Wandungen für den Blick so urplötzlich und doch vorübergehend permeabel werden Gerade diese
Unklarheit, meint der Verfasser, sei für den Baineotherapeuten von Interesse, »denn die aufgeworfenen
Fragen finden allesammt in seiner Rüstkammer die ausgiebigsten Angriffsmittel«. Das dürfte von
manchem bezweifelt werden. Im allgemeinen lässt sich wohl auch sagen, dass für den Badearzt
resp. für dessen Patienten eine gewisse Klarheit über das Wesen einer Krankheit doch vorzuzichen ist.
In therapeutischer Beziehung empfiehlt Verfasser Wasseranwendungen (kurze Halbbäder 16
bis 18« R, Wechsel warmes Regenbad 18—24 o R), Moorbäder, kohlensaure Mineralbäder und Eisen
innerlich in Form von Eisenwässern.
Die Schrift dürfte schon allein wegen der darin in reichem Maasse zitierten Littcratur von
Interesse sein. Eine wesentliche Einbussc erleidet sie allerdings dadurch, dass der Verfasser sich
einer etwas verschnörkelten, mit Fremdwörtern überreich beladenen Ausdrucksweise bedient, die
im Verein mit ungewöhnlich langen Sätzen (bis zu 20 Zeilen) dem Leser das Verständniss wesentlich
erschwert. F. Lots (Friedrichroda).
Heftler, Traitement balnee mdcauique, ä domicile, des affectlons chroniques du eoeur.
Referat von J. J. Le bulletin mödical 1900. No. 19.
Heftler hat sich längere Zeit in Nauheim aufgehalten und die dort geübte Bäder- und
mechanische Behandlung der chronischen Herzkrankheiten studiert. Diese Methode ist in Frank¬
reich bisher weniger angewandt worden, lleftler's Ausführungen gipfeln darin, dass die Be-
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257
Referate über Burlier und Aufsatze.
handlung in der Heiniath des Kranken ausgeübt werden kann und dort denselben Erfolg hat, was
auch von den Nauheimer Aerzten zugegeben wird.
Die wirksamsten Bestandteile der Nauheimer Wässer sind Chlornatrium (2—3 %) und Chlor-
kalcium (D/* — 2 l / 2 0 /Vb namentlich zeichnen sie sich aber durch ihren hohen Gehalt an Kohlensäure
aus. Sic werden in Nauheim als einfache Soolbäder und als kohlensaurc Gasbäder verabfolgt Um
ein schwaches, künstliches Soolbad darzustellen, setzt man auf 300 1 Wasser 3 kg Seesalz und 300 g
Chlorkalk zu. Je nachdem man die Menge beider oder des einen Salzes verdoppelt oder verdrei¬
facht und schliesslich noch Kohlensäure hinzufügt, kann man die Bäder beliebig modifizieren. Das
Nauheimer Bad ist im allgemeinen auch nur eine Salzlösung, da das Wasser nicht so in die Bade¬
wanne gelangt, wie es aus der Quelle kommt, sondern ein grosser Theil längere Zeit in zwei grossen
Bassins der freien Luft ausgesetzt ist und somit fast alle Kohlensäure verliert.
Heftler beschreibt nun genau die Wirkungen, welche die Bäder auf das Herz und den ganzen
Organismus haben. Diese sind hinlänglich bekannt, um hier noch einmal wiederholt zu werden.
Er geht dann auf die Technik der häuslichen Bäderbehandlung ein. Man beginnt mit einem
schwachen Bad, d. h. mit einer einprozentigen Chlornatrium- und 0,lprozentigen Chlorkalklösung.
Die Temperatur beträgt 33—35 °. Das Bad dauert fünf bis zehn Minuten, je nach der Schwere des
Falles. Es ist übrigens immer besser, mit fünf Minuten anzufangen und dann allmählich auf zehn
zu steigen. Wenn das Bad gut vertragen wird, giebt man die beiden nächsten Tage ein Bad von
gleicher Stärke. Am vierten Tage setzt man aus und lässt den Kranken vollständig ruhen. Dies
ist unbedingt nothwendig, da die Bäder ermüden und dem Herzen eine gewisse Arbeit zumuthen.
ln der darauffolgenden Serie von drei Bädern macht man sie starker und lässt dann wiederum einen
Tag ruhen. In der dritten Serie verlängert man jeden Tag das Bad eine Minute und in der vierten
Serie setzt man täglich die Temperatur einen halben Grad herab; jedoch ist zu bemerken, dass
Rheumatiker und Anämische niedrige Temperaturen nicht gut vertragen.
Man kann bis zu 3 o/ 0 Chlornatrium und 0,3 o/ 0 Chlorkalk zufügen und das Bad mit einer
Temperatur von 27° 20 Minuten dauern lassen. 25 Bäder genügen im allgemeinen für eine Kur
Nach dem Bade wird der Körper kräftig frottiert und der Kranke ruht cino Stunde. Man darf nicht
zu schnell mit der Verstärkung der Bäder und der Herabsetzung der Temperatur Vorgehen, wei
sonst das Herz ermüdet und überanstrengt wird.
Als zweiter Faktor der Behandlung kommt die Widerstandsgymnastik hinzu. Heftler hält
sie für weniger wichtig und glaubt sogar, sie ganz entbehren zu können. Sie besteht in aktiven
Bewegungen des Kranken, welchen ein Gymnast, im Nothfalle ein intelligenter Diener, mit seinen
Händen einen Widerstand entgegensetzt. Die Bewegung soll langsam, gleichinässig, nicht ruckweise
erfolgen, und die Muskeln müssen sich hierbei energisch kontrahieren. Nach jeder Bewegung folgt
eine Ruhepause von einer halben Minute. Man beginnt die Uebungen mit den Armen, lässt darauf
die Beine folgen und schliesslich den Rumpf. Es werden Beuge-, Streck-, Rollbewegungen u. s. w.
gemacht. Die Sitzung dauert 20 — 30 Minuten mit Einschluss der Ruhepausen und findet, wenn
irgend möglich, täglich statt Die physiologische und therapeutische Wirkung der Muskelübungen
ist dieselbe wie die der Bäder. Sie bezwecken vornehmlich eine Erweiterung der intramuskulären
Gefässe.
Schliesslich erwähnt Heftler noch, dass es nicht richtig ist, wenn behauptet wird, dass für
die balneo- gymnastische Behandlung dieselben Indikationen wie für die Darreichung von Digitalis
bestehen. Bei verschiedenen Kranken, welche Digitalis ohne Erfolg genommen hatten, hat er von
der Bäderbehandlung günstige Wirkungen gesehen. In anderen Fällen hat Digitalis erst gewirkt,
nachdem der Kranke einige Bäder genommen hatte.
Indikationen für die Behandlung mit Bädern und Gymnastik sind nach Heftler akute und
chronische Herzdilatation, funktionelle Insufficienz des Herzmuskels mit und ohne Klappenfehler,
Myokarditis nach Infektionskrankheiten (Influenza, Typhus u. s.w ), Fettherz und Angina pectoris.
Kontraindiziert ist die Behandlung beim Aortenaneurysma, bei Arteriosklerose und vorgeschrittener
Myokarditis. L i n o w (Dresden).
Snegireff, Einige Worte über Lehmbäder. Wratsch 1900. No. 31.
Im Anschluss an die Publikation von Pokrowski theilt Snegireff mit, dass er bereits seit
vier Jahren mit bestem Erfolge Lehmbäder, und zwar hauptsächlich lokale Fuss- und Arrabäder
anwendet Lehm wird mit heissem Wasser bis zur Sahnenkonsistenz verarbeitet. In das mit dem¬
selben gefüllte Gefäss steckt Patient die Extremität und hält sie darin etwa 20—30 Minuten lang.
Die Temperatur soll möglichst hoch sein. Im Anschluss daran wird ein Watteverband angelegt.
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258 Referate über Bücher und Aufsätze.
Verfasser wandte dieses Verfahren bei Ischiaskranken, chronischem Gelenkrheumatismus, Gelenk¬
tripper, Sehnenscheidenentzündung u. s.w. an. Die Schmerzen, Schwellung verschwanden, die
normale Funktion wurde hergestellt.
Da das Verfahren ebenso einfach wie billig ist, so kann es nur empfohlen werden.
Simon (Wiesbaden).
Lewis A. Coffin, Results of hot air treatmeut in rheumatism and gout. New-York med.
joum. 1000. 10. März.
In Amerika wird für die Heissluftbehandlung hauptsächlich der Apparat von Betz verwendet,
der dem Quinckc’sehen sehr «ähnlich ist. Verfasser berichtet über einige Fälle von rheumatischer
Arthritis, die er mit sehr gutem Erfolg mit heisser Luft und Schlammumschlägen behandelte. Be¬
sonders bei rheumatischen Kniegelenksaffektionen wurde durch diese mehrere Wochen fortgesetzte
Behandlung eine wesentliche Verminderung der Schwellung und Besserung der Gehfähigkeit erzielt
Friedlaender (Wiesbaden).
Henry lLSchroeder, The benefltg of balneotherapy in the treatmeut of chronic rheumatism
and gout. New-York med. joum. 1900. 24. Februar.
Bei chronisch rheumatischen Affektionen mit mehr oder weniger ausgeprägten anatomischen
Veränderungen der Gelenke sind Mineralbäder von hoher Temperatur und stärkerem Salzgehalt,
besondere in Verbindung mit Massage und Douchen die wirksamste Art der Behandlung. Bei
der Gicht sind die Bäder von nicht so wesentlicher Bedeutung als die Regulierung der Lebensweise
und Diät, wie sie in Badeorten stattzufinden pflegt. Bewährt haben sich bei der Gicht besonders
heisse Schwefelbäder. Friedlaender (Wiesbaden).
G. J. Mülle r, Was verspricht die methodische Anwendung des Lichts für die Dermatotherapie l
Allgemeine medicinischc Zentralzeitung 1900. No. 2.
Der Verfasser tritt warm für die Behandlung der Hautkrankheiten, besondere des Lupus,
durch Bestrahlung mit elektrischem Bogenlicht nach der bekannten Finsen’schen Methode ein.
Die Finsen’schen Apparate sind deshalb bei Behandlung jener Affektionen von besonderer Wirk¬
samkeit, weil sie, im Gegensatz zu den «Lichtbädern« nach anderen Systemen, die Warmestrahlen,
welche die Licht Wirkung nur beeinträchtigen, fast vollständig ausschalten, sodass hauptsächlich nur
die chemisch wirksamen Lichtstrahlen (vor allen Dingen die blauen, violetten und ultravioletten)
ihren heilenden Einfluss auf die Gewebe entfalten können. Diese Heilungen finden ihre w f issen-
schaftliche Erklärung und Begründung durch zahlreiche Experimente, die einerseits die bakterizide,
andrerseits die entzündungserregende Wirkung der Lichtstrahlen dargethan haben. Während aber
Finsen u. a. den bakteriziden Eigenschaften des Lichtes die Hauptwirksamkeit jener Behandlungs¬
methode zuschreiben, hält Verfasser die bakterizide Wirkung des Lichtes bei der Lupusbehandlung
für sehr zweifelhaft, einerseits wegen des spärlichen Bacillenbefundes bei Lupus, ferner, w r eil er
eine direkte Antisepsis im lebenden Gewebe für sehr problematisch hält; er bezeichnet vielmehr als
den wichtigsten Faktor bei der Heilung die entzündliche Reaktion und die damit verbundene
lokale Hyperleukoeytose, die ja unzweifelhaft für die Heilung derartiger Affektionen eine grosse
Bedeutung hat. Deshalb verspricht die Lichtbehandlung auch Erfolge bei nicht parasitären Haut¬
krankheiten. Verfasser empfiehlt diese Behandlung für alle chronischen hartnäckigen Dermatosen
( Lupus, Tuberculosis verrucosa, Serophuloderraa, Lupus erythematosus, Favus u. a. m ). Sie hat vor
den anderen Behandlungsmethoden auch den Vorzug der Schmerzlosigkeit, der Vermeidung von
entstellender Narbeubildung und der Unschädlichkeit für den Gesammtorganismus.
Laqueur (Berlin).
Hugo Davidsohn, Zur therapeutischen Verwendung der feuchten Wärme. TempeHörbare
Kataplasmen. Berliner klin. Wochenschrift 1900. No. 5.
Ausgehend von der Anschauung, dass die lokale Applikation der feuchten Wärme, trotz¬
dem die Haut dabei bei weitem nicht die hohen Temperaturen vertragt als bei Anwendung der
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Referate über Bücher und Aufsätze. 259
trockenen Wärme, dennoch von grosser therapeutischer Bedeutung, und dass besonders die Anwen¬
dung von Kataplasmen ein wichtiges therapeutisches Hilfsmittel ist, da diese viel mehr eine
Erwärmung der tiefer gelegenen Körperschichten bewirken sollen als z. B. die Priessnitz’sehen Um¬
schläge, hat sich Davidsohn bemüht, die Mängel, die bislang den Kataplasmen in den verschiedenen
Formen anhafteten, nach Möglichkeit zu beseitigen. Diese Mängel, die für die Anwendung der
trockenen Wärme durch die bekannten Lin dem ann’schen Elektrothcrmkompressen grösstentheils
beseitigt sind, sind einmal das Fehlen der Regulierbarkeit der Temperaturen des Kataplasmas und
dann die dadurch bedingte zu starke Hautreizung zu Beginn der Applikation, da dann das Kata-
plasma schon die höchste Temperatur hat, um später immer mehr abzukühlen. Um nun eine all¬
mähliche Steigerung der Temperatur, die dann einen viel höheren für die Haut erträglichen Grad
erreichen kann als bei Kataplasmen in der alten Form, zu erzielen und so die Wirksamkeit des
Kataplasmas zu erhöhen, hat Davidsohn einen besonderen Apparat konstruiert, den er »Schlauch¬
kissen« nennt. Dasselbe hat vor dem schon vor längerer Zeit beschriebenen'Quinckeuchen Kata-
plasmenwärmer den Vorzug der Biegsamkeit, sodass es sich den verschiedenen Körperformen an¬
passen kann; es besteht aus einer Läge von Gummiröhren, die einem Gummituch aufgenäht sind
und auf das kataplasmierende Material, z. B. Fango, aufgelegt werden. Werden diese Röhren nun
mit heissem Wasser gefüllt, und wird von Zeit zu Zeit heisses Wasser von neuem in dieselben
eingelassen, so kann die Temperatur der Kataplasmen nach Belieben reguliert werden. Die Schlauch¬
kissen sind von verschiedener Grösse; Davidsohn hat auch eine »Schlauchmatratze« in derselben
Weise konstruiert; dieselbe wird unter den Körper des Patienten gelegt und kann so auch als
Schwitzbettunterlagc dienen In ihr befindet sich für jede der Extremitäten ein besonderes Rohren¬
system, sodass beliebig einzelne Körpertheile von der Erwärmung ausgeschlossen werden können.
Als Maass für die Wärme des Schlauchkissens kann die Temperatur des abfliessenden Wassers
gelten. Laqueur (Berlin).
W. Gebhardt, Die mikrophotographische Aufnahme gefärbter Präparate. München 1899.
An der Hand von praktischen Erfahrungen in der Mikrophotographie gefärbter Gewebs-
schnitte einerseits, andrerseits von spektrophotometrischen Untersuchungen über die gebräuchlichen
Farbstofflösungen, über Lichtfilter und gefärbte Präparate liefert Gebhardt gleichzeitig mit einer
wissenschaftlichen Arbeit einen wohl begründeten Wegweiser auf diesem schwierigen Gebiete der
Photographie. Aus der an thatsächliehern Material reichen Abhandlung lässt sich einiges Neue
bezw. selten Betonte besonders hervorheben.
Ohne Bezugnahme auf die Litteratur, namentlich der Feststellungen bestimmter Verbindungen
zwischen Farbstoffen und Gewebebestandtheilen, wird die oft übersehene Thatsache angeführt, dass
bei vielen Färbungen eine »vom Präparat festgehaltene Farbe eine von der gelösten Substanz ganz
abweichende chemische Verbindung oder auch nur einen anderen physiologischen Zustand mit gänz¬
lich verschiedenen optischen Eigenschaften darstellt, welche demgemäss auch ein ganz abweichendes
Absorptionsspektrum ergiebt«.
Mit diesem Leitfaden werden die beachtenswerthen Resultate des Verfassers mikrospektro-
graphischen Vergleichs von gefärbten Präparaten mit etwa 40 verschiedenen Farbstofflösungen mit-
getheilt, die einerseits zur Färbung von Gewebe, andrerseits zur Herstellung von geeigneten Liclit-
filtem in der Mikrophotograpie dienen. Es wurde dabei das von Grebe aufgestellte Gesetz in
reichem Maasse bestätigt: »wenn sich in einer Substanz, welche ein Absorptionsspektrum giebt,
die Molekülgruppen vergrösssem, so rückt die Absorption gegen das rothe Ende des Spektrums
vor«. Bei einer Reihe von theils reifenden und in Schwebefällung befindlichen, theils erfrierenden
Farbstofflösungen, wie auch selbst in gefärbten Präparaten, wurde eine solche Absorptionsverschiebung,
mitunter sowohl eine Abnahme am kurzwelligen wie eine Zunahme am langwelligen Ende des ver¬
dunkelten Spcktralbereichs konstatiert. Die bekannte Thatsache, dass ausgezeichnete Mikrophoto-
graphieen allein mit einer Petroleumlampe und einem Kupferchromatfilter ohne alle Spektralunter¬
suchungen erzielt werden können, wird dadurch erklärt, dass andere als gelbe Lichtfilter bei Auf¬
nahmen der üblichen Gewebsfärbungen nicht nothwendig sind; doch sind die gesammten vor¬
kommenden Aufgaben nur durch Kenntniss der Spektralwerthe der betheiligten Farben, seien sie
nur durch em Handspektroskop bestimmt, befriedigend zu erledigen. Die verschiedenen mikro¬
photographischen Aufgaben, welche gefärbte Präparate zur Zeit bieten, werden besprochen und
Winke für ihre bestmögliche Lösung gegeben. Doppel-, hellblaue und ganz besonders Methylgrün¬
färbungen sind im allgemeinen am wenigsten geeignet zur photographischen Wiedergabe.
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260 Referate über Bücher und Aufsätze.
Eine übersichtliche Tabelle der spektrographischen Versuchsresultatc wird dem Text beigegeben.
In derselben scheint der Absorptionsbercich des (gesättigten?) Eiscnoxalatcntwicklere, als Lichtfilter
angeführt, am langwelligen Ende etwas knapp bemessen.
Bezüglich dem »'Mangel eines geeigneten, rein grünen Filters« wird der Landolt’schc nicht
erwähnt. Das benutzte Mikrospektrophotometcr scheint das Engelm an n’ sehe gewesen zu Bein.
Cowl (Berlin).
ß. Douglas*, A study of the npplication of the galrano - cautery in tlie nose. New-York
ined. journ. 1900. 12. Mai.
Verfasser vergleicht an der Hand eines grossen Materials die Resultate der Galvanokaustik
mit denen der einfach operativen Methoden bei verschiedenen Nasenaffektionen. Durch eine Reihe
von mikroskopischen Abbildungen werden die Veränderungen illustriert, die durch die beiden
Methoden im gesunden und kranken Gewebe geschaffen werden. Verfasser hat festgestellt, dass
bei der Galvanokaustik über die direkt mit dem Galvanokauter behandelten Partieen hinaus das
Gewebe in gewisser Ausdehnung zerstört resp. in seiner Struktur verändert wird, während das
Messer die Umgebung der Operationsstellc intakt lässt. Dagegen wirkt die Galvanokaustik gründ¬
licher zerstörend als das Messer Mit Ausnahme der Blutung können alle Folgen eines chirurgischen
Eingriffs auch nach der Galvanokaustik eintreten, insbesondere bilden die durch sie geschaffenen
Wunden einen günstigen Nährboden für Bakterienansiedlung. Bei unvorsichtiger Anwendung
können als Folge atrophische Zustände eintreten, die schlimmer sind als die ursprüngliche Krank¬
heit. Die lineare Anwendung der Galvanokaustik ist nur in den Fällen empfehlenswerth, wo es
auf eine Zerstörung der Oberfläche in grösserer Ausdehnung ankommt, sonst ist die punktförmige
Galvanokaustik mit Schonung der oberflächlichen Gewebe vorzuziehen. Im allgemeinen ist überhaupt,
besonders au gewissen Stellen der Nase, die Galvanokaustik die gefährlichere und schwerer zu kon¬
trollierende Methode, die leicht Komplikationen hervorruft; sie sollte nur in ausgesuchten Fällen und
von erfahrener Hand angewandt werden, während das Messer und die Scheerc in der Hand des An¬
fängers viel weniger Schaden anrichten können. Die Galvanokaustik ist hauptsächlich an den weicheren
Geweben anzuwenden, dagegen am Knorpel, Periost und Knochen möglichst zu vermeiden. Sie
ist für Rundzellcnneubildungen geeigneter als für Bindcgewebsneubildungen und überall dort in¬
diziert, wo es sich um kongestive Zustände handelt. Für Polypen ist die Galvanokaustik nicht
zu empfehlen, ebensowenig bei Nasenblutungen, wenn dieselben nicht durch ganz oberflächliche
Ulcerationcn bedingt sind. Die besten Resultate liefert die Galvanokaustik bei adenoiden Wuche¬
rungen, hypertrophischen Mandeln, Vergrösserung der Follikel an der Zungenbasis, follikulärer
Pharyngitis und Infiltrationen der Kchlkopfschleimhaut, doch muss hier immer die Gefahr des nach¬
folgenden Oedems in Betracht gezogen werden. Fricdlaender (Wiesbaden).
A. Loewy und Toby Cohn, Ueber die Wirkung der Teslaströme auf den Sto ff Wechsel •
Berliner klinische Wochenschrift 1900. No. 34.
Die Verfasser konnten keine Einwirkung der Tcslaströme auf den Stoffwechsel (O-Verbrauch)
feststellen. Die abweichenden Angaben d’ArsonvaUs führen sie auf die Gegenwart irgend
welcher accessorischer Reize zurück. F. Voit (München).
Toby Cohn, Therapeutische Versuche mit Wechselströmen hoher Frequenz nnd Spannung
(Teslaströmen). Berliner klinische Wochenschrift 1900. No. 34.
Die Versuche erstrecken sich auf 70 Personen mit Stoffwechsel-, Gelenk- und Hautkrank¬
heiten, Intoxikationen und Infektionen, mit Krankheiten des Zentralnervensystems und mit funk¬
tionellen Erkrankungen des Nervensystems. Eine objektiv nachweisbare Veränderung durch die
Teslaisation konnte in keinem Falle konstatiert werden, wie auch eine Einwirkung auf den Blut¬
druck vollständig fehlt. Subjektive Besserungen fanden in einer gewissen Reihe von Fällen statt,
namentlich*schien der Schlaf sieh zu bessern, was Cohn als rein subjektive Wirkung anzusehen
geneigt ist. F. Voit (München).
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Referate über Bücher und Aufsätze. 261
Danegger, Experimentelle Untersuchungen des Lignosnlfit mit Rücksicht anf seine Ver¬
wendbarkeit in der Behandlung der Tuberkulose. Deutsches Archiv für klinische Medicin
Bd. 68. Heft 3 und 4.
Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht, die unleugbar günstigen Wirkungen der
Lignosuifitinhalationen genau zu analysieren und der Wirkungsweise des Mittels auf den Grund zu
geben. Seine Untersuchungen entkleiden nun zwar das Lignosulfit seines Ranges als eines Spezifikums
gegen Tuberkulose, reservieren ihm aber trotzdem seiner die Athmung anregenden sowie die Ex¬
pektoration befördernden Eigenschaften wegen einen hervorragenden Platz in der Rüstkammer der
Phthiseotherapeuten.
Er weist nach, dass weder der Tuberkelbacillus noch die sporenfreien Bakterien der tuber¬
kulös-septischen Mischinfektionen durch die therapeutischen Dosen von 2—5 mg Lignosulfit ab-
getödtet werden, wenn auch die schwachvirulenten Kokken in den Luftwegen eine Abschwächung
erfahren. Dagegen verursacht das Mittel eine Verflüssigung der Sputa und eine Durchfeuchtung der
Luftwege infolge vermehrter Trachcal- und Bronchialsekretion, ferner eine chemische Veränderung
der Sputa durch Auflösung des Mucins und Koagulierung der Albuminsubstanzen, wodurch eine
leichtere Fortbewegung innerhalb des Bronchialbaums und eine verminderte Anstrengung beim
Husten erfolgt. Des weiteren übt der durch das Lignosulfit hervorgerufene Reiz eine expektorations¬
befördernde Wirkung auf die Schleimhaut des Larynx und der Trachea sowohl wie auch auf die
Bronchialmuskulatur aus. Endlich werden durch die Vertiefung der Athmung die in schlecht be¬
weglichen Lungentheilen stagnierenden Massen mobil. Die toxische Wirkung des Lignosulfits be¬
ruht auf den in den Respirationsorganen gesetzten Schädigungen, insonderheit einer Verätzung des
Epithels der Schleimhäute, Schädigung der Gefässwände und infolgedessen Blut- und Serumaustritt
aus derselben, Verlegung grösserer Bezirke des Lungenkreislaufs und Störung der Athmung durch
Hypersekretion. Die beiden letzten Punkte sind als die Ursache des Lungenödems zu betrachten.
Freyhan (Berlin).
M. David, Grundriss der orthopädischen Chirurgie. Berlin 11)00.
Das Buch will nicht etwa mit dem Hoffa’schen Werk konkurrieren, sondern namentlich dem
Praktiker ein Rathgeber sein.
Durch seine Kürze wie durch die Uebersichtlichkeit seiner Stoffanordnung entspricht es gewiss
seinem Zweck Da Verfasser Schüler von J. Wolff und Anhänger der Transformationslehre ist,
so steht das Buch natürlich unter dem Zeichen der sogenannten »funktionellen Orthopädie«.
Die Ausstattung ist, abgesehen von einem Theil der Abbildungen, eine gute und zweck¬
mässige, letzteres namentlich hinsichtlich der verschiedenen Druckarten. Vulpius (Heidelberg).
Heinrich Stadel manu, Beiträge zur Uebungstherapie. Wiener medicinische Presse 1900.
No. 27.
Der Beitrag umfasst zwei Fälle. In dem ersten handelt es sich um ein sechsjähriges Kind,
bei dem theils Lähmungserscheinungen, theils ataktische Bewegungen den Symptomcnkomplex
ausmachten. Die Behandlung bestand zunächst in Massage und dann in der Anwendung der
Frenkel’schen Uebungstherapie an entsprechend gewählten Apparaten. Nach sechswöchiger Be¬
handlung wurde aus äusseren Gründen mit den Ucbungen ausgesetzt und nur massiert. 14 Tage
darauf begannen wieder die Uebungcn, welchen immer weitere folgten; cs wurden passive Geh¬
bewegungen erst im Stehen vorgenommen und dann während des Fortbewegcns des Kindes durch
eine Wärterin. Nach dreimonatiger Behandlung war der Zustand des Kindes so weit gebessert, dass
man fast von Heilung sprechen konnte; namentlich waren die Erscheinungen der Ataxie so gut wie
völlig beseitigt. — Indem Verfasser in diesem Erfolg einen Beweis für die Nützlichkeit der Uebungs-
tlterapic bei ataktischen Bewegungen erblickt, empfiehlt er, darauf zu achten, dass bei bereits ein¬
getretenen Müdigkeitserscheinungen keine Ucbungen gemacht werden, und dass die Apparate je
nach dem einzelnen Falle angefertigt werden.
Im zweiten Falle handelte es sich um einen 15jährigen Schüler mit erworbener Be¬
wegungsstörung. Der Knabe erkrankte an Chorea unter Fieber, Gelenkschmerzen, Gelenk¬
anschwellungen und Endokarditis. Wegen der sehr starken choreatischen Bewegungen der linken
Körperhälfte machte der Knabe beim Verfasser eine Uebungskur durch und war in drei Wochen
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262 Referate über Büchor und Aufsätze.
von seinen choreatischen Bewegungen völlig befreit. Allerdings wurde die Kur unterstützt durch
eine mehrmalig wiederholte Suggestionsbehandlung, sowie Regelung der Ernährung; es lässt sich
also in diesem Falle nicht mit Bestimmtheit behaupten, dass die Uebungstherapie allein in dieser
kurzen Zeit Heilung gebracht hat, bezw. fragt es sich, welcher Theil der Heilung auf Rechnung
der Suggestion zu setzen ist.
Alles in allem glaubt Verfasser, dass die Uebungstherapie einen grossen Platz in der Be¬
handlung von Nervenkrankheiten einnehmen werde, und zwar in den Fällen, in denen es sich darum
handelt, durch organische Veränderungen bedingte Koordinationsstörungen günstig zu beeinflussen
oder auch funktionelle Bewegungsstörungen zu beseitigen. — n.
F. Windscheid, Pathologie nnd Therapie der Erkrankungen des peripherischen Nerven-
Systems. Medicinische Bibliothek für praktische Aerzte. No. 157—161. Leipzig.
Das kleine Büchlein verfolgt den Zweck denjenigen Arzt, der sich nicht speziell mit Neurologie
beschäftigt, der also umfangreichere L ehrbücher nicht zur Hand nehmen will, eine kurze den Be¬
dürfnissen der Praxis angepasste Orientierung über die Lehre von den peripheren Nervenkrankheiten
zu geben. Diese Aufgabe ist von dem litterarisch wohlbekannten Verfasser in geschickter Weise
gelöst worden. Der Praktiker findet auf kurzem Raum zusammengedrängt alles nothwendige, was
er über Aetiologie, Diagnose und Therapie der Neuralgieen sowie der peripheren Lähmungen und
Krämpfe zu wissen braucht. Die physikalischen Heilmethoden finden überall gebührende Berück¬
sichtigung. Zahlreiche Abbildungen erleichtern das Verständniss der Darstellung.
Mann (Breslau).
O. Rosenbach, Bemerknngen über psychische Therapie mit besonderer Berücksichtigung
der Herzkrankheiten. Die Therapie der Gegenwart 1900. No. 4.
Verfasser erörtert die Bedeutung der psychischen Therapie besonders für die Herzkrankheiten.
Eine grosse Erfahrung und genaue klinische Beobachtung ermöglichen es ihm, die Wichtigkeit dieser
Behandlung eingehend zu schildern und zu begründen. Der eigene Standpunkt, den der Verfasser
in vielen therapeutischen Dingen einnimmt, kommt auch hier klar zum Ausdruck. Die Arbeit ent¬
hält viele eigenartige Gedanken und Anregungen, zu deren Würdigung die Lektüre des Originals
nothwendig und sehr empfehlenswerth ist.
Die psychische Therapie, mit der naturgemäss andere Maassnahmen verknüpft sein können,
hat drei Kategorieen: 1. die eigentliche Hypnose, 2. die rein verbale Suggestion ohne Hypnose,
resp. »die einfache Kommandotherapie«, 3. die erziehliche Methode. — Mit der Hypnose erreicht
man nicht mehr und nichts besseres als mit den anderen Formen. Verfasser legt auf die erziehliche
Form der Beeinflussung ein besonderes Gewicht, weil sic sich an das volle Verständniss des Patienten
wendet und ihn nicht zum blinden Werkzeug, sondern zum oft umsichtigen Mithelfer des Arztes
macht, welcher ihm über alle krankhaften Vorgänge Aufklärung und gerade dadurch Hilfe zu
schaffen sucht. — Den Einfluss der Seele auf den Körper kennzeichnet der Verfasser in folgendem
Satze: Der bewusste Wille kann überhaupt nur bei gesundem Körper, wo das besondere organische
Gleichgewicht in grösster Vollkommenheit gegeben ist, das in der Organisation liegende Maximum
von Kraft und Spannung auslösen, resp. es für koordinierte Bewegungen, für die Abwehr äusserer
Impulse oder für die Unterdrückung von inneren Erregungen, u.a. der Schmerzempfindung, ver-
werthen.
Von der psychischen Therapie kann man nicht bei organischen Krankheiten, sondern nur bei
solchen Störungen resp. Aeusserungen eines Krankheitsprozesses Erfolg erwarten, wo die abnormen
Erscheinungen primär von abnormen Vorstellungen ausgehen oder solche sekundär herbeigeführf
haben, selbstverständlich wenn die Kranken einer psychischen Einwirkung überhaupt zugänglich
sind. Bei der Behandlung muss der Kranke aktiv mitwirken, man soll ihm seine Beschwerden er¬
klären auf naturgemässc Weise und ihn allmählich zu der Ucbcrzeugung bringen, dass die von ihm
empfundenen Störungen nur das Produkt krankhafter Vorstellungen sind, die mit der zunehmenden
Einsicht des Kranken fast immer zurücktreten und verschwinden. Bei Kranken mit geringerer
Intelligenz oder solchen, die der suggestiven Behandlung widerstreben, ist die psychische Behandlung
unter einer anderen Form, der medikamentösen, mechanischen oder elektrischen u. s. w. Behandlung
einzuführen, zu der der Patient ein besonderes Vertrauen hat. Zuweilen kommt die Anstaltsbehand¬
lung in Frage. Von grösster Wichtigkeit ist es, den Kranken zur Aufnahme seiner Berufsthätigkeit
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Referate über Bücher und Aufsätze. 263
wieder zu veranlassen. Dies gilt besonders für die Behandlung der nervösen Form der Stenokardie,
der Angina pectoris, des nervösen Asthmas. Voraussetzung ist die richtige Diagnose, da bei der
organischen Angina pectoris unbedingte Ruhe und Schonung noth wendig ist. Wesentliche Erfolge
von der suggestiven und psychischen Therapie können wir nur in den Fällen rein nervöser oder
durch mangelhafte (Bewegungs-) Reize bedingter Störungen, namentlich aber bei den durch Angst¬
gefühle bedingten Erregungs- und Depressionszuständen erwarten. Strenge Individualisierung ist
nothwendig. Man muss vor allem den Zustand der Leistungsunfähigkeit aus zu grosser Empfindlich¬
keit oder aus Mangel an Willenskraft streng scheiden von dem der organischen Insufficienz, die
einen Defekt in der wesentlichen Leistung anzeigt. Nur bei der ersten Kategorie, bei der Schwäche
in der Sphäre der psychischen Leistung, nicht bei der vegetativen Funktion, ist die Psycho¬
therapie von Nutzen. W. Zinn (Berlin).
J. Trüper und Ufer, Die Kinderfehler. Zeitschrift für Kinderforschung mit besonderer Berück¬
sichtigung der pädagogischen Pathologie 1901. Heft 1.
Das von den Herren J. Trüper, Ufer, J. L A. Koch und Zimmer vertretene Gebiet hat
eigentlich mit der physikalischen und diätetischen Therapie direkt wenig Berührung; es wäre denn,
dass letztere auch die Diätetik der Seele in ihren Bereich ziehen wollte. Aber jeder Arzt, der er¬
kannt hat, wie der Mensch von heute nichts ist als das Resultat von allen seinen früheren Erleb¬
nissen, wird wenigstens ahnen, von welcher Bedeutung die Jugendeindrücke im späteren Leben
werden können, und derartigen Bestrebungen sympathisch gegenüberstehen.
Das vorliegende Heftchen bringt zwei anspruchslose Aufsätze über Kinderspiel und
K inderspielsachen von Ufer und über das Blindsein von G. Fischer, die gewiss von allen
Müttern mit Interesse gelesen werden. Buttersack (Berlin).
Fr. A. DA ms, Handbuch der Militärkrankheiten. III. Baud: Die Krankheiten der Sinnes¬
organe und des Nervensystems, einschliesslich der Militärpsychosen. Leipzig 1900.
Mit dem vorliegenden Bande ist ein eigenartiges Unternehmen zum Abschluss gekommen.
Während die militärärztliche Thätigkeit bisher nur als eine abgewandelte Form des allgemeinen
medicinischen Wissens erschien, tritt uns hier eine in sich abgerundete militärärztliche Wissenschaft
entgegen. Band 1 enthält die äusseren, Band II die inneren Krankheiten, und es muss in unserer
spezialistisch getheilten Zeit geradezu als eine That erscheinen, dass ein einzelner es unternahm,
allein das Werk zu verfassen; nur für die Kapitel Ohren und Augen hat er sich in Ostmann-
Marburg und A. Roth-Hamburg Mitarbeiter herangezogen. Das umfassende Wissen des Verfassers
macht sich in jedem Kapitel geltend und behütet ihn in wohlthuender Weise vor zu hoher Be-
werthung von Kleinigkeiten. Dass auch die Therapie, soweit sie bei den vorliegenden Krankheiten
in Betracht kommt, nach Maassgabe der modernen, auch in dieser Zeitschrift vertretenen Gesichts¬
punkte abgehandelt wird, bedarf kaum besonderer Erwähnung. Buttersack (Berlin).
Joseph, Die Prophylaxe bei Haut- nnd Geschlechtskrankheiten. München 1900.
Bei der enormen Verbreitung der Geschlechtskrankheiten und der eminenten Gefahr, welche
allen Bevölkerungskreisen daraus droht, ist es ein durchaus dankenswerthes Unternehmen, dass der
Verfasser sich bestrebt hat, eine Uebersicht über die diesen Gegenstand betreffende Prophylaxe
zu geben. Da die Quellen, die der Entstehung der Geschlechtskrankheiten Vorschub leisten, klarer
zu Tage liegen, als bei fast allen anderen Krankheiten, so sind schon seit Jahrhunderten von seiten
der Aerzte aller Nationen die weitgehendsten prophylaktischen Vorschläge gemacht worden, ohne
dass es gelungen ist, den in dieser Beziehung herrschenden Indifferentismus der Behörden zu
brechen. Freilich wird man zugeben müssen, dass gerade hier Theorie und Praxis in einem ge¬
wissen Widerspruch stehen und dass die am grünen Tisch entworfenen und theoretisch aus¬
geklügelten Vorschriften oft auf unüberwindliche Schwierigkeiten in der Praxis stossen. Aber
gerade das kann als ein besonderer Vorzug des Josepbuchen Buches gerühmt werden, dass es
sich von aller Uebertreibung frei hält und nur das wirklich Mögliche und das Nothwendigste
fordert Wenn es auch nicht zu hoffen steht, dass den von dem Verfasser vorgeschlagenen An¬
regungen ohne weiteres Folge gegeben wird, so wird doch das Buch an seinem Theile daran mit-
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264 Kleinere Mittheilungen.
wirken, die unumgänglich nothwendige Prophylaxe der Geschlechtskrankheiten in die richtigen
Bahnen zu leiten. Steter Tropfen höhlt den Steinl
Gegenüber den Geschlechtskrankheiten tritt die Prophylaxe der Hautkrankheiten weit zurück,
weil wir über die Aetiologie der meisten Dermatosen noch ganz im Unklaren sind. Diejenigen,
welche vom ätiologischen Gesichtspunkt genügend erforscht sind, finden eine ausführliche Be*
sprechung. Freyhan (Berlin).
Kleinere Mittheilungen.
Ueber eine einfache Methode der therapeutischen Verwendung des elektrischen Lichtes. Von
Dr. Lcop. La quer in Frankfurt a. M.
Auf Grund langjähriger neurologischer und elektrotherapeutischer Erfahrungen und im An¬
schluss an Goldscheidor’s Lehre von den Reizen bemühte ich mich, die kombinierten ther-
Fig. 39.
mischen und — wenn auch schwachen — elektri¬
schen Reize (»Heliotherapie«), welche die Licht¬
bäder bieten, zur lokalen Behandlung (»Theil-
bestrahlung«) von Nervenkrankheiten in loco morbi
vel doloris zu verwenden. Während ich die
sch weisstreibende Wirkung der bisher gebräuch¬
lichen grossen, geschlossenen Lichtkästen auf die Be¬
handlung von Stoffwechselkrankheiten beschränkt
wissen mochte, verwende ich in meiner Sprech¬
stunde für meine nervcnärztliche Klientel einen
offenen Lichtkasten (»Heliodor«), den das
Elektrotechnische Institut (G. m. b. H.) zu
Frankfurt a. M. nach meinen Angaben herge-
stellt hat.
Es handelt sich, wie die Abbildung zeigt,
um einen kleinen vom offenen Glühlichtkasten,
der an einem metallenen Stativ von 1420 m Höhe
und wageiechten Griff nach allen Richtungen hin
verschieblich und drehbar ist und sechs sechsehn-
kerzige Glühlampen enthält
In der beigegebenen Zeichnung steht der
Lichtkasten wagerecht; der Innenraum desselben
mit seinen stark vernickelten und darum spiegeln¬
den, Licht und Wärme reflektierenden Wänden
sowie die seitliche Leitungsschnur mit Stechkontakt
für jede Lichtleitung sind sichtbar.
Mit Hülfe dieses Apparates wende ich das
elektrische Licht zu Heilzwecken etwa seit drei
Monaten in der Sprechstunde an, indem sich die
Kranken vor den Apparat setzen, und zwar ge¬
wöhnlich so, dass die den Kasten abschliessenden
sechs Querbalken 13 — *20 cm von der völlig un¬
bedeckten, oder nur mit hellem Hemd oder Unter¬
kleid, oder auch mit weissera Tuch verhüllten
Körpcrstclle entfernt sind.
Nach 10 — 15 Minuten steigt die an der
Hautoberfläche selber mit einem eng anüegenden
Thermometer gemessene Temperatur um 10 bis
15° C. Es tritt eine ausgebreitete Hautröthe mit
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Berichte über Kongresse und Vereine. 265
leichter Schweissbildung ein, soweit die Wärmestrahlen ihre Wirkung entfaltet haben. So können
bald der Rücken, bald die Brust, bald Magen- und Unterleibsgegend, die obere oder untere Extre¬
mität, jede für sich allein oder auch verschiedene Körperregionen hintereinander von Licht- und
Wärmestrahlen getroffen, diese Reize bis zu einem gewissen Grade vollkommen lokalisiert werden.
Von den Glühlampen lassen sich je zwei zusammen aus- und einschalten, sodass auch einzelne Ge*
sichtspartieen, Hinterhaupt etc., z. B. bei Hemikranie, Gesichtsneuralgieen der Behandlung unter¬
worfen werden können. Der Preis des Apparates beträgt 120 Mark. Matte oder farbige Glühlampen
dienen zur Abschwächung des Licht- und Wärmereizes bei empfindlichen Individuen oder bei Be¬
handlung des Kopfes.
Die Wirkungen sind so besser zu kontrollieren, als wenn der Patient in geschlossenem Kasten
sitzt: die Intensität des Lichtes und der Wärme ist genau abzustufen durch die Entfernung und
Annäherung der Lichtquelle und durch Lampenschaltung; die erzielten Temperaturgrade sind durch
einen an die Hautstelle fest angelegten Thermometer wenigstens ungefähr zu bestimmen.
Die Anwendung von solchen örtlichen elektrischen Licht- und Wärmereizen übt nach meinen
Erfahrungen in bisher 18 Fällen auf die unbedeckte oder leicht mit weissem Unterzeug verhüllte
Oberhaut, wenn die Temperatur 40—45°C nicht überschreitet, eine beruhigende Wirkung auf
Neuralgieen und auf sonstige sensible und motorische Reizerscheinungen aus und
wirkt anregend bei einzelnen Formen von funktionellen Nervenstörungen. Die ge¬
schilderten Lichtkästen sollen, gleich den Elektroden für Galvanisation, den einzelnen in Betracht
kommenden Körperregionen: Wirbelsäule und Extremitäten, parallel gestellt werden: die Anwendung,
die auöh von sensitiven Patienten gut vertragen und als wohlthuende Wärmewirkungen empfunden
werden, geschieht drei- bis viermal wöchentlich und soll für jede einzelne Körperstelle die Dauer
von 10—15 Minuten nicht übersteigen.
Berichte über Kongresse und Vereine.
i.
Yin. internationaler Kongress gegen den Alkoholismus zu Wien
vom 9.—14. April 1901.
Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.
Die Bedeutung, die der Alkoholismus sowohl als Zustand des Individuums wie als gesell¬
schaftliche Erscheinung gefunden hat, äussert sich auf wissenschaftlichem Gebiet in einer eingehenden
Erforschung der Alkoholwirkung und der Rolle, welche die alkoholischen Getränke im Haushalt des
Organismus spielen. Sie hat zugleich bei den Kulturvölkern Europas zu einer gegen die Spirituosen
gerichteten Bewegung geführt, die auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens den Kampf gegen
den Alkoholismus aufnahm. Im letzten Jahrzehnt hat diese Bewegung, die entsprechend der un¬
geheuren Zunahme des Alkoholismus und der durch ihn gesetzten Schädlichkeiten mehr und mehr
erstarkt ist, ihren Sammelpunkt in einem alljährlich stattfindenden internationalen Kongress ge¬
funden, der nach seiner denkwürdigen Tagung gelegentlich der Pariser Ausstellung nunmehr in
diesem Jahre die Stadt Wien sich erkoren hatte. Die ungeheuer zahlreiche Betheiligung fast aller
Staaten Europas bewies das intensive Interesse, das dieser Kulturfrage — der Eindämmung eines
erschreck enden sozialen Phänomens — entgegen gebracht wird, der lebhafte Austausch der Meinungen
und Gedanken aber zugleich die Schwierigkeit dieses Kampfes, bei dem es nicht nur auf Zerstörung
von Vorurtheilen, Aufklärung von wissenschaftlichen Intbümern und ähnlichem ankommt, sondern
bei dem vor allem die heterogensten Elemente, die verschiedenartigsten Weltanschauungen unter
einer gemeinsamen Fahne vereinigt werden müssen. Die Schwierigkeit gerade dieses Momentes
hat der diesjährige Kongress mehr als genügend illustriert und dadurch leider sein Prestige wenigstens
vor der breiten Oeffentlichkeit stark beeinträchtigt. Die ernste wissenschaftliche Arbeit dagegen,
Zeitechr. t dULt u. physik. Therapie Bd. V. Heft a 13
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266 Berichte über Kongresse und Vereine.
die fernab von dem Geplänkel wissensloser Fanatiker lag, hat auf der Wiener Versammlung manch*
werthvollen Beitrag zur Lösung dieses KUlturproblems erbracht, und speziell auf medidnischem
Gebiete waren es eine grosse Reihe von Vorträgen, die neben einer Fülle von Material auch
mancherlei Ausblicke in neu erschlossene Gebiete der Alkoholfrage darboten. Den Reigen der¬
selben eröffnete Wlassak (Wien) mit der Skizzierung des Einflusses, den der Alkohol auf
die Ilirnfunktionen ausübt. Experimentelle Untersuchungen haben nämlich folgendes ergeben:
Die Fähigkeit zu addieren sinkt in merkbarerWeise schon nach kleinen Alkoholgaben, die 0/2 1 Bier
entsprechen. Ein rapider Abfall der in einer gemessenen Zeit addierten Zahlen tritt bei grösseren,
2—3 1 Bier entsprechenden Mengen ein. Der schädigende Einfluss dieser Alkoholmengen lässt sich
durch 24 Stunden und oft auch länger noch nachweisen. Ganz dasselbe lässt sich für die Arbeit
des Auswendiglernens, sowie für die Fähigkeit, VorstellungsVerbindungen zu bilden, nachweisen.
Bei dieser letzteren Thätigkeit ergiebt sich auch eine Schädigung der Qualität der Leistungen, in¬
dem die minderwerthigen Vorstellungsverbindungen, die nach der Aehnlichkeit des Klanges gebildet
werden, gegenüber den nach sachlichen Zusammenhängen sich ergebenden an Zahl zunehmen. Be¬
sonders deutlich sind die Störungen der Auffassungs- und Merkfähigkeit einfacher Sinneseindrücke,
wie Zahlen, Buchstaben und Silben, die dem Auge nur eine kurze, messbare Zeit dargeboten werden.
Schon bei Alkoholdosen von 30 g (3/ 4 1 Bier) sind die Leistungen herabgesetzt, indem die fehler¬
haften Lesungen und die Auslassungen sowohl beim Lesen, wie beim Reproduzieren gesteigert sind.
Von vielleicht noch grösserer praktischer Bedeutung sind die Versuche über die Wirkung
täglich regelmässig genossener Alkohol dosen. Hier zeigt es sich, dass die Schädigungen der
einzelnen Tage sich zu summieren vermögen, und dass diese Schädigung bei Aussetzen des Alkohols
mehrere Tage hindurch nachweisbar ist. Hieraus ergiebt sich, wie Kräpelin mit Recht bemerkt,
eine wissenschaftliche Definition des »Trinkers«, welche weit über die des täglichen Lebens hinaus¬
geht. Trinker ist jeder, bei dem eine Dauerwirkung des Alkohols nachzuweisen ist, bei
dem also die Nachwirkung einer Alkoholgabe noch nicht verschwunden ist, wenn die nächste ein¬
setzt. Ihre volle Wichtigkeit erlangen diese Ergebnisse vor allem dann, wenn man sie mit der
Thatsache zusammenhält, dass alle Versuchspersonen während der Arbeit keine Empfindung von
der Herabsetzung ihrer Leistungsfähigkeit hatten, sondern im Gegentheil leicht und gut zu arbeiten
glaubten. In diesem die thatsächlichen Verhältnisse verfälschenden Gefühl liegt die eigentliche und
grösste Gefahr der Alkoholwirkung.
Eine mehr summarische Uebersicht über die physiologischen und die pathologisch¬
anatomischen Wirkungen des Alkohols gaben Meyer (Marburg) und Weichsclbaum (Wien).
Während letzterer die bekannten, unter dem Einflüsse des Alkohols entstehenden anatomischen Ver¬
änderungen des Magens, des Herzens, der Gefässe, der Leber, der Nieren und des Gehirnes schilderte,
gab Meyer ein Bild von der Wirkung des Alkohols auf die Thätigkeit unserer Organe. Der be¬
kannte Satz, dass die Intensität jeder Giftwirkung bedingt ist von der Menge des zugeführten Giftes,
und dass unterhalb einer gewissen Grenze jede merkliche Wirkung ausbleibt, gilt auch vom Alkohol.
In wirksamen Mengen genossen verursacht der Alkohol eine zunächst leichte, bei grossen Gaben bis
zur völligen Lähmung fortschreitende Betäubung der Hirnfunktionen und der Reflexe, schliesslich
auch des Athmungszentrums im verlängerten Marke. Er bewirkt eine Abschwächung der Muskel¬
kraft, aber im Anfänge eine Erleichterung ihrer Ausnützung; das gleiche gilt von seinem Einflüsse
auf die Ilerzthätigkeit. Die Körperwärme wird durch Alkohol nicht gesteigert, sondern unter
Umständen herabgesetzt; das Wärmegefühl wird durch ihn erhöht. Durch seine Verbrennung im
Organismus kann der Alkohol Fett und Kohlehydrate sparen, Eiweiss wahrscheinlich nicht; als
Nahrungsstoff darf er indess schon wiegen seiner sonst giftigen Eigenschaften keinesfalls betrachtet
werden. Die Verdauungsthätigkeit wird durch Alkohol direkt nicht befördert, sondern eher ver¬
zögert; indirekt kann sie durch Erregung des Appetits mittels alkoholischer Getränke gelegentlich
gefördeit werden, ln den Händen des Arztes kann der Alkohol segensreich wirken, als Genuss-
mittel ist er, streng genommen, entbehrlich und in der konzentrierten Form des Branntweins ohne
Zweifel gefährlich. In sehr geistvoller Weise behandelte der Wiener Psychiater Wagner v. Jauregg
dio Giftwirkung des Alkohols bei einigen nervösen und psychischen Erkrankungen.
Beim akuten Alkoholisraus findet wahrscheinlich eine direkte Einwirkung des Alkohols auf die nervösen
Bestandteile des Zentralnervensystems statt. In einer Anzahl von Erscheinungen des chronischen
Alkoholismus haben wir aber nicht eine direkte Giftwirkung des Alkohols zu sehen, da diese Er¬
scheinungen, darunter auch das Delirium alcoholicum, besonders in der Alkoholabstinenz zur Geltung
kommen. Wir müssen daher annehmen, dass unter dem Einflüsse des Alkohols beim fortgesetzten Miss¬
brauche im Körper ein Gift entsteht, dem gegenüber sich der Alkohol teilweise wie ein Gegengift ver-
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267
hält. Dieses seiner chemischen Beschaffenheit nach unbekannte Gift zeigt in seiner Wirkung auf den
Organismus eine gewisse Aehnlichkeit mit bakteriellen Giften, wie aus seinem Einflüsse auf die
Körpertemperatur, die Niere und den Blutbefund hervorgeht In Bezug auf die Verbrennungs¬
energie, insofern sie aus dem Vermögen des Organismus, Traubenzucker zu verarbeiten, erschlossen
werden kann, zeigt dieses Gift eine analoge Wirkung, wie der Alkohol selbst, nämlich eine herab¬
setzende, während die Trinker, wenigstens die zur Geistesstörung disponierten, von Haus aus eine
hohe Verbrennungsenergie haben, was möglicherweise die Bedeutung eines Veranlagungszeichens
haben kann.
Auch bei zwei anderen sich häufig kombinierenden Erkrankungen des Nervensystems, der
Polyneuritis alcoholica und der Korsakoff'schen Psychose, die in ihren ungeheilten Formen das
darstellt, was als Dementia alcoholica beschrieben wird, haben wir nicht eine ausschliessliche
Wirkung des Alkohols zu sehen, sondern es ist zu deren Zustandekommen immer noch eine zweite
Vergiftung, nämlich eine Autointoxikation, vom Darme aus nothwendig.
Waren diese Ausführungen durch die in ihnen enthaltenen geistvollen Hypothesen besonders
fesselnd, so erzielten die nun von Kassowitz folgenden denselben Effekt, wenngleich sic einem
ganz anderen Gebiet, nämlich dem der rein praktischen Wirksamkeit des Arztes angehörten. Er sprach
nämlich über Alkoholismus im Kindesalter. Bei Kindern sind schwere funktionelle Störungen
Delirium tremens, alkoholische Manie, Epilepsie) und nachweisbare Organveränderungen (Leber¬
schwellung, Wassersucht) infolge von länger fortgesetztem Alkoholgenuss beobachtet worden. Diese
Erkrankungen sind nicht nur nach Branntwein und nach excessiv grossen Dosen anderer alkoho¬
lischer Getränke entstanden, sondern auch häufig bei blossem Genüsse von Bier oder Wein in
mässigen Quantitäten oder bei so geringen Gaben von Kognak, wie sie von vielen nicht nur als
erlaubt und unschädlich, sondern sogar als heilsam angesehen werden. Aus diesen Erfahrungen
muss man auf eine besonders grosse Empfindlichkeit des kindlichen Nervensystems und des kind¬
lichen Organismus überhaupt gegen die giftige Wirkung des Alkohols schliessen. Durch die physio¬
logische Forschung ist die früher allgemein verbreitete Annahme, dass der Alkohol nährende und
den Schwund des Körpers verhütende Fähigkeiten besitzt, vollkommen widerlegt, weil sich gezeigt
hat, dass die Stickstoffausscheidung (als Maassstab für die Zerstörung von Körpereiweiss) durch
Alkohol nicht vermindert, sondern im Gegentheile gesteigert wird. Mit diesem Forschungsergebnisse
stimmt es überein, dass man bei Kindern als Folge von protrahiertem Alkoholgenuss Zurückbleiben
im Wachsthum und in der Entwicklung beobachtet hat Auch der Ruf des Alkohols als verdauungs¬
beförderndes Mittel ist nicht berechtigt, weil Verdauungsversuche an Menschen und Thieren stets
nur eine störende Wirkung desselben erkennen Hessen. Die scheinbar widersprechende subjektive
Empfindung beruht auf einem Betäuben der Unlustempfindungen, nicht aber auf einer wirklichen
Beförderung der Verdauung. In vielen Fällen von Appetitstörung bei Kindern Hess sich die ge-
wohnheitsmässige Einnahme alkoholischer Getränke als einzige Ursache nachweisen, nach deren
Beseitigung die normale Esslust wiedergekehrt ist
Als fieberbekämpfendes Mittel ist der Alkohol unbrauchbar, weil selbst bei sehr grossen
Gaben, die von Kindern nicht ohne auffällig üble Folge genommen werden könnten, nur eine gering¬
fügige Herabsetzung der Temperatur erzielt werden kann.
Vielfache Versuche haben gelehrt, dass die dem Alkohol nachgerühmte stimulierende Wirkung
entweder gamicht zum Vorschein kommt oder sehr rasch vorübergeht, dass sich aber in jedem
Falle ein lähmungsartiger Depressionszustand der Muskel- und Nervenapparate geltend macht Die
Anwendung des Alkohols zur Bekämpfung oder gar zur Verhütung der Herzschwäche bei fieber¬
haften Krankheiten des Kindesalters hat daher keine wissenschaftliche Berechtigung. Die innerliche
Anwendung des Alkohols als Antiseptikum, das heisst als bakterientödtendes Mittel bei akuten
Infektionskrankheiten des Kindesalters, ist nicht rationell, weil Thierversuche gelehrt haben, dass
die Empfindlichkeit für die Infektion durch die Verabreichung von Alkohol nicht nur nicht herab¬
gesetzt, sondern entschieden gesteigert wird und überdies eine bakterienschädigende Wirkung des
Alkohols im lebenden Organismus schon aus dem Grunde nicht verständlich wäre, weil der Alkohol
im Körper in der kürzesten Zeit verbrannt wird. Zahlreiche Experimente haben ferner bewiesen,
dass die dem Alkohol vielfach zugeschriebene Anregung und Beförderung der geistigen Thätigkeit
in der Wirklichkeit nicht existiert, weil auch hier ein kurz vorübergehendes Excitationsstadium
regelmässig von einer selbst tagelang andauernden Beeinträchtigung der psychischen Fähigkeiten
gefolgt ist. Auch bei Schulkindern wurde die schwächende Wirkung auf die Lernfähigkeit selbst
nach mässigen Alkoholgaben direkt nachgewieseu. Da nach alledem, so resümiert Kassowitz,
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268 Berichte über Kongresse und Vereine.
den zweifellos vorhandenen schädigenden Wirkungen selbst mässiger Alkoholdosen auf die körper¬
lichen und geistigen Funktionen des Kindes keinerlei sicher bewiesene Vortheile gegenüberstehen,
so ist die Verabreichung alkoholischer Getränke an gesunde oder kranke Kinder unter allen Um¬
ständen zu widerrathen.
Eine Reihe mehr biologischer Themata eröffnete Gruber (Wien) mit seinem Vortrag über den
Einfluss des Alkohols auf den Verlauf der lnfektionskrankeiten. Grosse Gaben Alkohol
schwächen nach den übereinstimmenden Versuchsergebnissen zahlreicher Autoren in hohem Maasse
die Widerstandsfähigkeit des thierischen Körpers gegen die Infektionserreger, so dass unter ihrem
Einfluss die Infektionen leichter zu stände kommen, rascher und schwerer verlaufen als bei normalen
Thieren. Kleine Gaben Alkoholdosen (0,5 —1,5 absoluter Alkohol pro Kilo Thier und pro Tag),
wie sie auf ärztliche Verordnung von Infektionskranken häufig genommen werden, äussern nach
Laitinen und nach noch nicht publizierten Versuchen von KÖgler aus dem Wiener hygienischen
Institut ebenso in den meisten Fällen eine ungünstige Wirkung auf das Zustandekommen und den
Verlauf der Infektionen, wenngleich in viel geringerem Maasse. In keinem einzigen Falle konnte
nachgewiesen werden, dass kleine Alkoholgaben das Zustandekommen der Infektion hindern oder
den Verlauf der Krankheit mildem oder abkürzen. Diese Erfahrungen gewähren also der Ver¬
wendung des Alkohols bei der Behandlung infektiöser Erkrankungen des Menschen keine Stütze,
wenn man auch gerade bei einem Nervenmittel mit Schlüssen vom Thier auf den Menschen äusserst
vorsichtig sein muss. Dagegen hat sich bei den Versuchen Kögler’s der Alkohol als ein aas¬
gezeichnetes Mittel erwiesen, um bei Thieren drohenden Kollaps zu verhindern, beziehungsweise den
schon begonnenen Kollaps wieder zu beseitigen und so die Thiere mindestens für viele Stunden und
Tage über den Tod der Kontrollthiere hinaus am Leben zu erhalten. Diese Versuche stehen also mit
der ärztlichen Erfahrung in vollem Einklänge. Uebcr die Beziehungen zwischen Alkohol ismus
und Erblichkeit verbreitete sich der Grazer Psychiater Anton. Zwischen Tranksucht der Eltern
einerseits und Nervenkrankheit und Degeneration der Nachkommenschaft andrerseits bestehen aus¬
giebige und häufig konstatierte Beziehungen. Trunksucht der Eltern und Entartung der Nach¬
kommen können beide mitunter als Folgen einer Ursache aufgefasst werden, nämlich als Folgen
einer im vomhinein gegebenen erblichen Nervenkrankheit. Auch im letzteren Falle ist es höchst
wahrscheinlich, dass durch die stete Alkoholvergiftung eine bestehende Krankheitsanlage zur
evidenten Krankheit entwickelt wird und dass dadurch die erbliche Krankheitsübertragung auf die
Nachkommen sich schwerer gestaltet Die mittelbare Schädigung, welche Noth und Elend, damit
einhergehend mangelhafte Hygiene der Mutter und des Kindes herbeiführen, ist dabei entschieden
zu veranschlagen, doch ist dieser Faktor nicht allein ausschlaggebend. Chronische Vergiftung des
väterlichen oder mütterlichen Organismus mit Alkohol ist an und für sich im stände, eine krankhafte
Entartung und gestörte Entwicklung des kindlichen Organismus hervorzurufen.
Alkohol und progressive Paralyse war ein weiteres Thema, über das Boissier (Paris)
sprach. Die Häufigkeit der progressiven Paralyse hält nach ihm völlig gleichen Schritt mit dem
Alkohol verbrauch in den Ländern Mitteleuropas. Lange Zeit meinte man, der Alkoholismus sei
eine unmittelbare individuelle und für sich allein hinreichende Entstehungsursache der progressiven
Paralyse. Heute ist erwiesen, dass dies nicht zutreffend und dass die einzige unmittelbare Entstehungs¬
ursache der progressiven Paralyse die Syphilis ist. Bei mehr als 1000 Paralytikern hat Boissier die
Richtigkeit dieser Behauptung kontrollieren können. Aber er hat beobachtet, dass sich die meisten
dieser Paralytiker die Lues, welche Ursache ihrer Krankheit wurde, aus Anlass eines unmässigen
Alkoholgenusses zugezogen haben, nach welchem ihre Urtheilskraft geschwächt war, oder welcher
Instinkte, die in ihnen sonst nicht vorherrschten, entfesselt hatte. Andrerseits bemerkte er, dass
unter den Kranken, welche bereits von dem spezifischen Uebel ergriffen waren, eben dieselben,
welche alkoholische Getränke zu sich nahmen, auch der progressiven Paralyse verfielen. Der Alkohol
ist also nur eine mittelbare, aber sehr wirksame Entstehungsursache jener schrecklichen Krankheit,
und wenn die beiden statistischen Zahlenreihen parallel laufen, so ist das nicht ein Zufall, sondern
die Folge einer logischen Verkettung der Erscheinungen. Dieses sehr problematische Gebiet des
Alkoholismus als unmittelbares Moment einer luetischen Infektion nahm auch Forel zum Gegenstände
einer längeren Erörterung, in der er, sich auf eine »Strassburger Statistik stützend, nachzuweisen
suchte, dass der Alkoholgenuss durch Lähmung der Besonnenheit bei Erregung der Triebe den
Menschen zn sexuellen Excesscn führt. Nun im grossen und ganzen ist wohl ein solcher Spielraum
hierbei zwischen Ursache und Wirkung, dass als wesentliches Moment für das Zustandekommen
der Infektion der Alkohol kaum anzusehen ist.
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Belichte über Kongresse und Vereine. 269
Die viel interessantere Frage der Recidive der Alkoholiker besprach Legrain (Ville-
Evrard). Unter 1000 Fällen von Alkoholismus. die er in den letzten vier Jahren im Asyle zu Grand-
Evrard behandelt hat, waren 20—25% Recidive. Die meisten betrafen solche Alkoliker, die keine
passende Behandlung durchgemacht hatten. Er verlangt daher, dass gesetzlich die Internierung von
Gewohnheitstrinkern in Asylen vorgesehen, dass ferner Gesellschaften gegründet werden sollen, die
es sich zur Aufgabe machen, den Trinker sozial und familiär zu stützen und zu heben.
Bleuler (Zürich) spann den Faden fort, indem er Trinkerheilstätten und Irrenanstalten
behandelte. Die eigentlichen Trinkerheilstätten können zur Zeit nur offene Anstalten sein. Sie ge¬
statten unter Umständen einen gesetzlichen Zwang zum Aufenthalte, vertragen sich aber nicht mit
dem physikalischen Zwange geschlossener Thüren Der Irrenanstalten kann man in absehbarer Zeit
in der Behandlung der Trinkei nicht entbehren. Hierher gehören alle Fälle mit eigentlicher alko¬
holischer Psychose, dann die pathologischen Charaktere aller Art, welche aus irgend einem Grunde
unter genauer Bewachung sein müssen, schliesslich, solange sie renitent sind, die Einsichtslosen,
welche in einer TrinkerheilBtätte nicht bleiben wollen. Es ist deshalb moralische Pflicht der Irren¬
anstalten, sich so einzurichten, dass die nothwendige Abstinenzsuggestion auch auf ihren Abtheilungen
herrscht. Ferner müssen die Irrenärzte dahin wirken, dass der einfache Alkoholismus den Psychosen
gleichgestellt wird, insofern als er genügenden Grund zu einer Zwangsinternierung abgiebt. Viele
Fälle gehören zuerst in die geschlossene (Inen-)Anstalt, nachher, wenn sie sich etwas gebessert
haben, in die Trinkerheilstätte. Es ist Pflicht der Irrenanstalt, diese Fälle auszuwählen und so weit
als möglich direkt in die Heilstätte zu schicken.
Noch eine grosse Reihe andrer, die soziale und kriminalistische Seite des Alkoholismus
berührender Fragen wurden auf dem Wiener Kongress erörtert, und aus der Uebcrfülle der Verhand¬
lungen schälte sich manche wcrthvolle Anregung, manches auf langjähriger Beobachtung und exakter
Erforschung beruhende Ergebniss heraus. Von besonderem Interesse waren die Mittheilungen über
die praktische Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs in der französischen Armee, deren Leitung damit
ein glänzendes Beispiel einsichtsvollen Vorgehens gegeben hat. Seit zwei Jahren sind diese Maass-
nabmen laut den offiziellen Berichten in grossem Umfange vorgenommen worden und haben bereits
vorzügliche Erfolge zu verzeichnen. Die einen sind restriktiv, indem sie den Eigenthümem von
Kantinen den Ausschank von Branntwein und ähnlichen Getränken zu bestimmten Stunden des
Tages verbieten, die anderen entfalten ein ausnahmsloses Verbot des Alkoholausschankes innerhalb
der Kantinen. Hand in Hand damit gehen Unterrichsstunden, in denen die Soldaten belehrt und
vor den Gefahren des Alkoholismus gewarnt werden.
So kann auch der diesjährige Kongress auf eine reiche Arbeitsleistung zurückblicken und
das Bewusstsein in sich tragen, der kulturellen Idee, der er dient, ein weiteres Stück Wegs er¬
obert zu haben.
II.
Physikalisches von der Versammlung süddeutscher Laryngologen zu Heidelberg
am 27. Mai 1901.
Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.
Die diesjährige Versammlung der süddeutschen Laryngologen wies in ihrer Tagesordnung
nicht viel Themata auf, die als selbstständige Vorträge zu betrachten sind, die grösste Breite der
Verhandlungen nahmen kasuistische Mittheilungen, Demonstrationen und ähnliches mehr ein. Die
drei grösseren Referate jedoch, die Killian (Freiburg), Müller (Heidelberg) und Robinson
(Baden-Baden) hielten, haben so mannigfache Berührungspunkte gerade mit den physikalischen
Disziplinen, dass sie auch an dieser Stelle in kurzen Umrissen skizziert zu werden verdienen.
Die Hysterie in ihrer Beziehung zum Kehlkopf war das Thema, das Killian in einem
lichtvollen Referate behandelte. Man hat bis vor nicht langer Zeit den Ausdruck hysterischer Störungen,
wie sie sich imjBild des Kehlkopfspiegels darstellen, auch als ursächliches Moment des Zustande¬
kommens dieser herangezogen und so die Transversuslähmung bei der typischen hysterischen
Aphonia spastica, die Medianstellung der Stimmritze bei dem inspiratorischen Stimmritzenkrampf
als Ursache des hysterischen Symptomenkomplexes angesehen. Allein die Beobachtungen an der¬
artigen Patienten sprechen entschieden gegen diese Annahme, sie weisen vielmehr auf zentrale
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270 Berichte über Kongresse und Vereine.
Ursachen, nicht auf periphere hin. Fasst man alles zusammen, so handelt es sich um Störungen
der Bewegungsformen, um willkürliche Störungen. Bei der Hysterischen ist krankhaft, dass sie
unter einem gewissen Triebe handelt, krankhaft ist nicht die Stellung der Stimmbänder, sondern
ihre Manier, so zu sprechen. Alles spricht mithin für psychische Störungen, und am meisten wird
der davon überzeugt, der es sich zur Gewohnheit gemacht hat, hysterische Störungen dieser Art
psychisch zu behandeln. Neurologische Untersuchungen haben erwiesen, dass es sich bei hysterischen
Individuen nicht um eine Lähmung eines einzelnen Muskels oder Nerven handelt, sondern um Muskel¬
gruppen, die bestimmten Bewegungsformen dienen. Im vorliegenden Falle handelt es sich also um
Bewegungsformen der Stimme. Krampf formen sind Uebertreibungen der Hysterie, auf sie ist auch
der inspiratorische Stimmritzenkrampf zurückzuführen. Es wird sich also auch bei allen hysterischen
Kehlkopferkrankungen um krankhafte Vorstellungen handeln, deren letzte Ursache in der Psyche liegt.
Vom klinisch-pathologischen in das rein physiologische Gebiet führte der Vortrag von Müller
überdasnatürlicheSingenundSprechen. Die Doppeleigenschaft des Autore als früherem Sänger
und jetzigem Laryngologen machte ihn auch zweifach kompetent in der Beurtheilung dieser bald
mehr vom länger, bald wieder mehr vom Arzte zu interpretierenden Frage. Die Stimmerzeugung
kommt bekanntlich dadurch zu stände, dass der aus den Lungen und der Luftröhre, als dem Wind-
rohre, aufsteigende Exspirationsstrom durch die zur Phonation geschlossenen Stimmbänder auf¬
gehalten wird und dadurch eine Spannung erhält, welche zuletzt grösser wird, als die Summe der
die Stimmbänder jedesmal schliessenden und spannenden Kräfte; hierdurch werden die Stimmbänder
zum Ausweichen nach oben gezwungen, so dass ein Theil der Exspirationsluft nunmehr entweicht,
die Spannung im Windrohr sich wieder vermindert und die Stimmbänder vermöge ihrer Elastizität
zurückschnellon, womit das Spiel von neuem beginnt. Dieser periodisch sich wiederholende Vorgang
ist es, welcher den gesanglich wie sprachlich im Ansatzrohre weiter zu verwerthenden Klang der
menschlichen Stimme erzeugt. Von der Weite der Schwingungen der Stimmbänder im Verein mit
der Stärke des Anblascstromcs hängt zum grössten Theil die Stärke der Stimme und von der An¬
zahl der Schwingungen in der Zeiteinheit die Tonhöhe ab. Bei diesem natürlichen Vorgang muss
man sich nun in acht nehmen, dass man den subtilen Mechanismus der Tonerzeugung nicht durch
künstliches und willkürliches Eingreifen stört oder ungünstig beeinflusst, denn ein natürliches
Sprechen und Singen hat selbstverständlich eine natürliche Tonerzeugung zur Voraussetzung.
Wäre man nun im stände, nach einer normalen Art zu sprechen, so wäre das natürliche Sprechen
sehr einfach; allein man kann auf alle möglichen Arten sprechen, und da besonders in der Jugend
sehr wenig auf das normale, natürliche Sprechen, sowohl nach Richtung der Lautbildung wie der
Stimmgebung hin, geachtet wird, so eignen wir uns vermittelst unserer Ohren die diesbezüglichen
Fehler unserer Umgebung an.
Zwischen der natürlichen Sprach- und Singstimme ist ein prinzipieller Unterschied nicht vor¬
handen. Hier wie dort muss man sich die Herrschaft über die Sprachwerkzeuge erwerben, damit
dieselben natürlich arbeiten können, hier wie dort muss man Ohr und Gefühl für die richtige Ton¬
gebung bekommen. Das Singen ist gewissemaassen ein gedehntes Sprechen, an bestimmte musika¬
lische Töne oder Intervalle gebunden — der Mechanismus ist bei beiden der gleiche. So sind auch
hier die gleichen Fehler wie beim Sprechen vorhanden, sie alle lenken von selbst auf die natürliche
Art der Tongebung hin, für die die Laute m und a und die Art und Weise, wie sic erzeugt
werden, die Grundlage bedeuten.
Möglichste Tongebung auf oral-nasaler Basis, möglichste Beherrschung und Uebung der
Sprachwerkzeuge, so dass diese ihre Funktion gewissermaassen ohne eigenes Zuthun ausüben,
möglichste Beibehaltung dieser Tongebung bei jeder Vokalisadon, jeder Konsonantenbildung, das
sind die Mittel des natürlichen Sprechens und Singen».
Robinson endlich sprach über moderne Inhalationstherapie und ihre Erfolge.
Nach einer Einleitung über die wichtigsten Inhalationsmethoden des Alterthums bis auf die heutige
Zeit wird der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts entbrannten für den Werth der Inhalations¬
therapie so wichtigen Streitfrage gedacht »Wie w eit dringen staubförmige feste, zu feinem Wasser-
nebel zerstäubte.flüssige, und endlich gasförmige Medikamente durch Einathmung in den mensch¬
lichen Respirationstraktus ein ?« Durch sinnreiche Experimente einerseits und die durch Erfindung des
Mikroskopes und die Fortschritte der ('hemie unterstützten Forschungen der pathologischen Anatomie
andrerseits, wurde diese Fragt* dahin gelöst, dass derartige medikamentöse Stoffe thatsächlich bis
in die feinsten Bronchial Verzweigungen, unter günstigen Umständen sogar bis in die Alveolen der
Lunge einzudringen vermögen. Die modernen Inhalationsmethoden lassen sich in zwei Hauptgruppen
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Belichte über Kongresse und Vereine. 271
scheiden, in Inhalationen an Apparaten und in solche im freien Raum. Von Apparaten kommen
in Betracht die von Schnitzler, Lewin, Heyer und Jahr angegebenen. Die Vorzüge derselben
beruhen auf feinster Verkeilung des Inhalationsstromes, auf der Möglichkeit, die Temperatur desselben
auf einen gewünschten Grad zu regulieren und konstant zu erhalten, sowie Medikamente in be¬
stimmter Form zu verabfolgen. Inhalationen im freien Raum: nach Wassmuth, Badener Haupt¬
stollenquelle (kochsalzhaltige Therme von 500 C) mit Zusatz von 15 g ol. pini auf 100 1 Quelle zu
feinstem Wassernebel zerstäubt, und nach Hartmann mit flüssigen Substanzen des Lignosulfits
imprägnierte Luft
Indiziert ist die Inhalationstherapie an Apparaten speziell bei chronischen Erkrankungen der
oberen Luftwege: Pharyngitis sicca, Pharyngitis chronica hypertrophicans, alle Formen der chro¬
nischen Laryngitiden, speziell der Laryngitis sicca. Lokale Behandlung ist neben den Inhalationen
meistentheils nicht zu entbehren, doch ist die Beschleunigung des Heilungsverlaufes durch die In¬
halationen unverkennbar. Zur Nachbehandlung galvanokaustischer oder anderer chirurgischer Ein¬
griffe ist die Inhalationstherapie besonders berufen.
Zu Inhalationen an Apparaten kommen entweder nur Mineralwässer (Ems, Baden-Baden,
Selters etc.) allein oder mit Zusatz adstringierender oder flüchtig - aromatischer Medikamente zur
Anwendung. Erkrankungen der Bronchien vermögen durch Inhalation an den Warmapparaten
ebenfalls günstig beeinflusst zu werden, doch kommen hier die Inhalationen im freien Raum mehr
in Betracht. Bei trockenen Bronchitiden mit zähem Sekret und qufilendem Husten ist der Wass-
muthsaal, bei solchen mit reichlicher, speziell fötider Absonderung der Lignosulfitsaal indiziert.
So hat sich durch die technische Vervollkommnung der Inhalationsapparate diese Therapie
einen berechtigten Platz in der Behandlung der Erkrankungen des menschlichen Respirationstraktus
erworben. Bei Erkrankungen der oberen Luftwege, soweit sic der Hand des Spezialarztes zugänglich
sind, vermögen die Inhalationen die Lokalbehandlung nicht entbehrlich zu machen, doch beschleunigen
sie die Heilung wesentlich. Für Erkrankungen der Trachea und der Bronchien ist die Inhalations¬
therapie souverän, speziell wenn sie in geeigneter Weise mit der Pneumatothorapio kombiniert wird.
III.
Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft
zu Berlin. 7.—12. März 1901.
Erstattet von —n.
(Schluss.)
Determann, Bas Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für Kranke.
Behufs Prüfung der Frage, welche klimatologischen Bedingungen die Gebirge, sowohl die
höheren Gebirge, als auch diejenigen von 1000—1600 m Gipfelhöhe darbieten, hat Determann eine
Reihe von meteorologisch genau beobachteten Stationen der Alpen, des Schwarzwaldes, des
Riesengebirges, Thüringerwafdes und des Harzes geprüft und mit einander verglichen. Die Unter¬
suchungen erstrecken sich auf den Zeitraum von 1886—1895, also auf 10 Jahre.
Auf die Prüfung der Abnahme des Luftdrucks hat Determann verzichtet, weil diese kliina-
tologische Erscheinung regelmässig der Höhe entsprechend sich ändert und von lokalen Bedingungen
wenig abhängig ist. Dagegen ist von wesentlichem Einfluss auf das Klima eines Ortes die Sonnen¬
strahlung. Deren Zunahme hängt ab von der mit der Höhe abnehmenden Luftdichtigkeit, der
grösseren Reinheit der Atmosphäre und somit ihrer Durchlässigkait für die Sonnenstrahlen.
Dazu kommt eine grössere Trockenheit und Abnahme des Wasserdampfdruckes, welche bei zu¬
nehmender Höhe nicht gleichen Schritt hält mit der des Luftdruckes, diese vielmehr bedeutend
überschreitet. Eine weitere konstante Erscheinung der Erhebung über das Meeresniveau die in¬
dessen der Erwärmung durch Insolation entgegenwirkt) ist die Abnahme der Temperatur mit
zunehmender Höhe. Was die mittleren Temperaturen, die mittleren Maxima und Minima an den
einzelnen Stationen verschiedenen Charakters in den verschiedenen Gebirgen aulangt, so hat sich
gezeigt, dass neben der absoluten Höhe ganz besonders die lokalen Bedingungen des Beobachtungs¬
ortes, je nachdem derselbe auf einem Gipfel, einem Hang, auf der Hochebene, im Hochthal, im Thal
oder in der Ebene gelegen ist, eine grosse Rolle spielen. In Rücksicht auf die lokalen Bedingungen
geben aber die Tagesmittel der Temperatur bei weitem nicht so viel Aufschluss, wie die täglichen
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Berichte über Kongresse und Vereine.
Schwankungen der Temperatur, zwischen dem täglichen Temperaturmaximum und Minimum
(aperiodische Amplitude). In unseren Breiten zeigt im allgemeinen der Winter geringere tägliche
Schwankungen der Temperatur, als der Sommer; überhaupt wächst die Grosse der Temperatur¬
schwankung mit zunehmender Tageslänge. Von nicht unerheblichem Einfluss auf Befinden und
Gesundheit sind sodann die Schwankungen der mittleren Temperatur von einem Tag zum andern,
die interdiurnen Temperaturschwankungen. Diese haben in den maritim gelegenen Plätzen
die geringste Ausdehnung, während sie mit zunehmender Kontinentalität und mit zunehmender
Höhe wachsen. Im Winter sind sie grösser als im Sommer. Bei Gebirgen kommt nicht nur die
Seehöhe in Betracht, sondern vor allem die Massenhaftigkeit des Gebirges.
Diese Gesetze bezüglich der Temperatur im Gebirge werden sehr modifiziert durch die so¬
genannte Temperaturumkehr, d. h. die relative Abkühlung gewisser Thäler gegenüber den
Höhen. Es kommt nämlich besonders im Winter und zu Zeiten von Windstille und hohem Baro¬
meterstände häufig vor und dauert längere Zeit hindurch an, dass in Thälern, welche keinen guten
Luftabfluss haben, die kalte Luft, welche von den Höhen herabsinkt, sich ansammelt. Diese Er¬
scheinung bietet einen Hinweis in Bezug auf die Auswahl des Platzes für Winterkurorte; dieselben
sind meistens an Bergesabhängen oder in Thälern mit günstigem Luftabfluss zu finden. Die
Erscheinung der Temperaturumkehr wird am deutlichsten sein auf Hochebenen mit dazwischen
liegenden Thälern oder in grösseren massiven Gebirgen mit umliegender Niederung, in welcher die
Luft sich stauen kann, weniger deutlich über kleineren Gebirgen von geringerer Flächenausdehnung.
Eine grosse Rolle spielt dabei noch die Luftbewegung, welche bei diesen kleineren Gebirgen be¬
sonders im Winter durchschnittlich bedeutend lebhafter zu sein scheint, als über Gebirgen mit
grosser Flächenausdehnung. Oft sind für lange Zeit hindurch im Winter die Gebirge ganz wesent¬
lich wärmer als die Thäler der Niederung. Empfindung und Wirkung der Temperatur hängen aber
von einigen anderen Bedingungen ab, und zwar kommen hier in Frage der Feuchtigkeitsgehalt der
Luft, die Bewölkung, die Nebelbildung, Niederschläge (Schneetage), Winde (Fern- und Lokalwinde,
der Föhn). Von nicht zu unterschätzendem Einfluss auf die klimatischen Faktoren ist die Dichtig¬
keit der Vcgetationsdeckc. Man nimmt allgemein an, dass ausgedehnte Bewaldungen eines Gebirges
auf das Quantum der Niederschläge fördernd einwirken. Doch wird der Hauptwerth der Wälder
in Bezug auf die Niederschläge wohl darin bestehen, dass das Wasser nicht so schnell abfliessen
kann, dass es vielmehr festgehalten und nur allmählich abgegeben wird. Für die Winterkurorte in
den Mittelgebirgen, in denen hier und da die Schneedecke schmilzt, ist auch eine günstige Boden-
bcschaffenhcit von Wichtigkeit; ein festes Gestein, wie Porphyr, Granit oder Gneis lässt das Wasser
schnell abfliessen und schafft bald trockenen Boden.
Bei der Beurtheilung eines Höhenortes spricht demnach nicht nur die absolute Höhe mit;
vielmehr gehören dazu die Gesammtausdchnung des Gebirges, die Längs- und Massenausdehnung,
die Art der Abhänge nach den verschiedenen Himmelsrichtungen, der Höhenunterschied der Ge¬
birge gegenüber den umliegenden Ebenen und die Form der Gebirge in Bezug auf steile Abfälle,
mehr flachere Abdachungen etc. Als Anforderungen, die wir an ein Höhenwinterklima stellen
müssen, das nicht nur für Gesunde, sondern auch für Leidende brauchbar sein soll, bezeichnet
Determann folgende: Absolut reine und staubfreie, auch von Nebel pnd Dunst freie, durchsichtige
Luft, günstige Exposition zur Sonne (Südwestabhang), windgeschützte Lage in einem nicht zu engen
Thal, in dem sich keine kalte Luft ansammelt, günstige Formation der Berge, sodass die Winde
abgchalten werden und die Besonnungsdauer nicht zu sehr eingeschränkt wird, keine starke Be¬
wölkung, nicht zu häufige und besonders nicht zu langdauernde Niederschläge, seltenes Vorkommen
von Regen im eigentlichen Winter (Dezember, Januar, Februar) und lange Dauer einer Schneedecke,
auf diese Art Ermöglichung eines ganz ausgedehnten Luftgenusses im Freien, sowohl in Form von
Liegekuren, als auch in Form von Bewegung im Freien. Für letztere müssen, besonders für die
sportliche Betätigung, genügende Einrichtungen geschaffen sein (Schneeschuhlauf, Schlitteln, Schlit-
schuhlauf, Bahnen der Wege etc.). Die Wohnungen müssen behaglich, gut heizbar und hygienisch
tadellos sein, Süd- oder Südwestlage der Zimmer erforderlich.
Es folgt eine Darlegung der Indikationen und Kontraindikationen für die Verwendung des
Höhenklimas im Winter, aber nur insoweit Detcrmann's Ansichten von den in den einschlägigen
Lehrbüchern erörterten ab weichen. Determann skizziert dann kurz die Art des Lebens in den
Höhenkurorten des Winters und schliesst mit einer Beschreibung derjenigen Höhenkurorte, die, so¬
weit sein Ertheil reicht, ein günstiges Klima im Winter haben.
Berlin, Druck von W. BUxenatein.
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ZEITSCHRIFT
für
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1901/1902. BandY. Heft 4.
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. v. Leyden und Prof. Dr. A. Goldseheider.
Verlag von Georg Thieme in Leipzig.
INHALT.
Original -Arbeiten. seit©
I. Ueber den arteriellen Blutdruck der Phthisiker. Aus der inneren Abtheilung des
städtischen Krankenhauses am Urban zu Berlin. (Direktor: Prof. Dr. A. Frankel.)
Von Dr. Max John aus Budapest ..275
II. Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder und deren
physiologische Wirkung. Von Dr. Richard Heller in Salzburg. Mit22Abbildungen 279
III. Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. Von Dr. M. Löwen¬
sohn aus Wercholensk- (Russland).302
Kritische Umschau.
Künstliche Präparate für die Ernährung des Säuglings. Von Dr. Salge, Assistent der Kinder¬
klinik (Charitd).314
Referate über Bücher und Aufsätze.
Jacob und Pannwitz, Entstehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose.317
Ruhemann, Aetiologie und Prophylaxe der Lungentuberkulose.319
Riffel, Weitere pathogenetische Studien über Schwindsucht und Krebs und einige andere
Krankheiten.320
Boas, Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten.321
Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen.321
Liebe, Der Stand der Volksheilstättenbewegung im In- und Auslande 322
Hansemann, Einige Zellprobleme und ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Begründung
der Organtherapie.322
Jan sch, Der Zucker in seiner Bedeutung für die Volksemährung . ..323
Marcuse, Kritische Uebersicht über die diätetischen Nährpräparate der Neuzeit.323
Schlesinger, Lehrkurse für Bereitung der Krankenkost.324
Rupp, On the dietetics of the convalescent stage of fevers.324
Paulesco,La medication thyroidenne dans le traitement des troubles throphiques des extreinites 325
Strebei, Gewebsökonomie und Osmose.325
Monrad, Om Anveldelsen af raa Maelk ved Atrofi og kronisk Mave-Tarmkatar hos spaede Böm 320
Charrin et Guillemonat, Influence des modifications experimentales de Porganisine sur la
consommation de la glycose. 320
Gockel, Ueber Erfolge mit »Pankreon«. # .320
Wegeie, Bemerkungen zu dem Artikel: »Ueber Erfolge mit Pankreon«.320
Marboux, Les indications du rögime lacte dans le traitement des albuniinuries.327
Rosenfeld, Untersuchungen über Kohlehydrate.327
Papst, Zur Kenntniss der Wirkung des schwarzen und weissen Fleisches bei chronischer
Nierenerkrankung.328
Vidal, Ueber den Einfluss verschiedener Ernährungszustände von Thieren auf die Umwandlung
subkutan eingespritzten Mcthämoglobins.328
Riegel, Ueber die Anwendung schmerzstillender Mittel bei Magenkrankheiten.329
Zeitschr. f. diÄt u. physik. Therapie. Bd. V. Heft 4. pj
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Inhalt.
274
Seite
Ilagenberg, Ucber dieAcetonvermehruDg beim Menschen nach Zuführung niedriger Fettsäuren 330
Berger, Ueber den Einfluss reiner Milchdiät bei Diabetes melitus.33u
Sachs, Die Kohlenoxyd Vergiftung in ihrer klinischen, hygienischen und gerichtsärztlichen
Bedeutung.330
Wohlgemuth, Beiträge zur Zuckerabspaltung aus Eiweiss.330
Moss6, Erdäpfel als Nahrung bei Diabetes melitus.3.*»0
Koppe, Gefrierpunktserniedrigung und elektrische Leitfähigkeit natürlicher Mineralwässer . .330
Moritz, Ucber den klinischen Werth von Gefrierpunktsbestimmungen.331
Townsend, Home modification of milk ..332
Rotch, Milk; its production, its care, its use.332
Wood and Merrill, A report of investigations on the digestibility and nutrive value of bread 333
Wein schenk er, Ueber Nährpräparate, im besondem über das Fleisch- und Kasei'nmehl . 333
Golubew, Der Kumys und seine Verwendung.334
Moreigne, Action des purgatifs sur la nutrition.335
Matthaei, Die Schädlichkeit massigen Alkoholgcnusses.335
Obesersky, Ueber die Salzsäuresekretion bei Zufuhr von Eigelb in den Magen .... 333
v. Drigalski, Zur Wirkung der Lichtwärmestrahlen.336
B o r i 8 s o w, Ueber den Einfluss des Lichtes und der Dunkelheit auf die Zusammensetsung des Blutes 337
Derselbe, Zur Lehre von derWirkung des Lichtes und der Dunkelheit auf den thierischen Organismus 337
Tschdanow, Behandlung der Hämorrhoiden und Fissuren des Anus mit d’Arson vaPschen
Strömen. 338
Klapp, Ueber die Behandlung von Gelenkergüssen mit heisser Luft.338
Strebei, Meine Erfahrungen mit der Lichttherapie. .330
Kattenbracker, Tragbare Lichtbäder. 340
Uli mann, Die Behandlung von Geschwürsformen mit trockener Ileissluft.341
H ildebrandt, Sandtherapie.'.* . . 342
Teuscher, Heisse Sandbäder.342
Schott, Die Heilfaktoren Bad Nauheims.342
Heidenhain, Ucber den Nutzen des Schwitzens..343
Schenk, Die Hydrotherapie des Darmtraktus mittels Enteroklyse.343
Durig und Lode, Ergebnisse einiger Respirationsversuche bei wiederholten kalten Bädern 344
Martin, Formulaire d'hydrothörapie et de balnöotherapie.345
Lcwaschow, Die gegenwärtigen experimentellen Ergebnisse zur Frage über den Einfluss
der Luft auf den menschlichen Organismus . . .345
Taylor, A sumraer paster - of - Paris jacket for Pott’s disease.345
Jacobson, Zur Behandlung von Bronchialerkrankungen durch Lagerung.346
Braun, Ueber Vibrationsmassage der oberen Luftwege mit spezieller Berücksichtigung der
Vibration der Nase bei Stirnhöhlenkatarrh und der Tuba bei Schwerhörigkeit . . 347
Corner, The technique of lumbar puncture .347
Page, Typhoid fever.347
Younge, Desinfektion der von Phthisikern bewohnten Räume.34S
Vossius, Ein Beitrag zur Lehre von der Aetiologie, Pathologie und Therapie der Diphtheritis
conjunctivae.348
Ziegelroth, Die physikalisch - diätetische Therapie der Syphilis.‘448
Handbuch der Heil-, Pflege- und Kuranstalten (Privatanstalten).350
Blätter für Volksgesundheitspflege. Heft 14—20 . 350
Kleinere Mittheilungren.
1. Ein neuer (Halbmond-)Stromunterbrecher für Radiographie und Ströme von hoher Spannung.
Von Dr. Ch. Colombo, Professor der meuicinischen Fakultät, Direktor des kine-
sitherapeutischcn Institutes zu Rom und Ch. Thonvcust, Elektrotechniker am
kinesitherapeutischen Institut zu Rom. Mit 5 Abbildungen.■ . 351
II. Erwiderung an Herrn Sanitätsrath Dr. Pelizaeus (Sanatorium Suderode am Harz). Von
Professor H. Rieder in München.355
Berichte über Kongresse und Vereine.
Der Tuberkulosekongress in London. Von Dr. J. Meyer. Volontärarzt der II. medieinischen
Universitätsklinik (Berlin).355
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Original - Arbeiten
l.
Ueber den arteriellen Blutdruck der Phthisiker.
Aus der inneren Abtheilung des städtischen Krankenhauses am Urban zu Berlin.
(Direktor: Prof. Dr. A. Frankel).
Von
Dr. Max John
aus Budapest.
Durch Professor Gärtncr’s Tonometer gelangten wir in den Besitz eines Appa¬
rates, welcher uns ermöglichte, den arteriellen Blutdruck des Menschen mit grösserer
Genauigkeit wie bisher zu bestimmen. Dieses Tonometers bediente ich mich bei
meinen Blutdruckmessungen, die sich auf Lungentuberkulose, Bronchialkatarrh und
Lungenemphysem bezogen.
Die Blutdruckverhältnisse der Lungentuberkulose prüften eingehends Potain,
Merfan, Cazes, Papillon; die im Jahre 1899 unter dem Titel »Le coeur chez
les tuberculeux« erschienene interessante Arbeit Regnault’s, in welcher die dies¬
bezüglichen Ergebnisse obenerwähnter Autoren znsammengefasst sind, bildete den
Ausgangspunkt meiner Beobachtungen.
Regnault kommt nach seinen Untersuchungen sowie nach denen anderer franzö¬
sischer Autoren zu folgenden Schlüssen:
1. Es ist schon im Beginne der Lungentuberkulose, als Frühsymptom (pheno-
mene pr6coce) eine Abnahme des arteriellen Blutdruckes vorhanden und zwar schon
in dem Stadium, wo die Diagnose bakteriologisch noch nicht erwiesen ist.
2. Bei dem unter dem Bilde der Chlorose verlaufenden larvierten Phthisen
dient die Blutdruckabnahme als ziemlich verlässliches Zeichen einer bereits vor¬
handenen und bald manifest werdenden Phthise (Papillon).
3. Die grösste Blutdruckabnahme findet man bei den ulcerösen Phthisen.
4. Die fibrösen, chronisch indurativen Heilungstendenz zeigenden Formen der
Lungentuberkulose ergeben den normalen naheliegende Werthe.
Die Abnahme des Blutdruckes wäre nach dem Gesagten ein konstantes Symptom
der Tuberkulose und käme früher als Fieber, Bacillen und Kachexie.
Von französischer Seite wird ohne Benennung des gebrauchten Sphygmomano¬
meters als Normaldruck 170—180mm Hg angegeben, welcher in schweren Fällen
kavernöser Phthisen bis auf 90 mm Hg heruntergesunken ist. Dieser Normalwerth
überschreitet jedoch alle bisher von anderen Untersuchern gegebenen Zahlen, die
nach Gärtner (Gärtner’scher Tonometer). 100 mm Hg
nach Kapsamer (Gärtner’scher Tonometer). 100—130 » >>
nach Zader und Christeller (Basch’s Sphygmomanometer) . 100—130 » »
nach Gumprechts (Riva-Rocci) .. 100—140 » »
nach Faivre (mit Manometer an der menschlichen Arterie gemessen) 115—120 » »
Druck entsprachen.
Nach unseren Messungen beträgt der Blutdruck in den Fingerarterien durch¬
schnittlich 90—120 mm Hg.
io*
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
27C»
Max John
Meine Untersuchungen beziehen sich auf ca. 1*20 Fälle von Lungentuberkulose,
bei welchen ich während der zeitweise vorgenommenen Messungen, Besserung oder
Verschlechterung des Allgemeinbefindens, eine Zu- oder Abnahme des Körpergewichts
genau in Betracht zog.
Ich kam zu folgenden Schlüssen: In 35 Fällen inzipienter Tuberkulose ergab
sich ein Blutdruck von 90—100 mm Hg, das ist der normale Blutdruck, eine Abnahme
desselben konnte ich nicht finden. Die untersuchten Patienten waren alle fieberlos,
einige zwar chloro-anämisch, doch von ziemlich gutem Ernährungszustände, nicht
bettlägerig, lieferten jedoch theilweise positiven bacillären Befund, theilweise
Symptome, die auf ein Vorhandensein einer tuberkulösen Affektion der Lungen mit
Deutlichkeit hinwiesen: in 1*2 Fällen fand man Tuberkelbacillen, in den übrigen ging
Bluthusten voraus, oder es waren an den Lungenspitzen geringe Perkussionsverände¬
rungen wahrnehmbar, verbunden mit Auskultationserscheinungen, wie abgeschwächtes,
saccadiertes, verschärftes Athmen, Giemen, Pfeiffen, Rasselgeräusch etc., nebst
Nachtschweissen, als Zeichen rapider Defervescenz nach kurzen nächtlichen Temperatur¬
erhöhungen, die bei Phthisikern häufig Vorkommen.
Wie es nun möglich ist, dass meine Resultate, das Initialstadium betreffend,
denen Regnault’s so widersprechen, ist wohl dem Umstande zuzuschreiben, dass
es eben individuell ist, was man als incipiente Phthise betrachtet. Nach unseren
Begriffen ist die Abnahme des Blutdruckes in den Anfangsstadien der Lungenphthise
nicht vorhanden, ihr Auftreten weist vielmehr auf ein bereits vorgeschrittenes Stadium
hin, welches allerdings wenig hör- und perkutierbares bieten kann.
In bereits vorgeschrittenen Fällen fand ich den Blutdruck wie Regnault durch¬
wegs und konstant sehr niedrig, ganz unabhängig davon, ob Fieber vorhanden war
oder nicht, ob die Phthise nach dieser oder jener Methode behandelt wurde. Die
Werthe fand ich zwischen 55—80 mm Hg, fast der Hälfte des Normalen entsprechend.
Bei den zeitweilig vorgenommenen Messungen verhielten sich diese Zahlen ziemlich
entsprechend der Kraftab- und -Zunahme des Patienten. Sie nahmen ab mit dem
Kräfteverfall des Kranken, nahmen zu bei Kraft- und Gewichtzunahme, welch letzterer
Umstand, wenn der Druck bereits auf 70 mm Hg gesunken war, kaum je erfolgte.
In zwei Fällen sank der Blutdruck einige Tage ante exitum bis auf 40 resp.
35 mm Hg herab.
Eine Ausnahme hiervon boten jedoch alle selbst progressen Fälle, die von gleich¬
zeitiger entzündlicher Erkrankung der Nieren begleitet waren. Es ist ausserordentlich
interessant, dass die Nephritiden ihre vielfach erwiesene blutdruckerhöhende Eigen¬
schaft, deren Ursachen nur vermuthet und vielfach gedeutet sind, selbst unter solchen
Umständen noch bewahren, wo andere schädigende Momente den Blutdruck ad
minimum herunterdrücken.
Phthisiker mit Nephritis, bei welchen der Blutdruck den normalen bis zum
Eintritte des Exitus ausnahmslos beträchtlich überstieg, ergaben im Durchschnitte
1*20—ltiOmmHg. Der tiefste Blutdruck war in einem dieser Fälle 115, was im
Vergleiche mit den gewöhnlichen Zahlen dieses Stadiums, d. h. 55—80 mm Hg, als
eminent hoch zu erachten ist.
Fälle mit gleichzeitiger Aortcninsufficienz oder mit hochgradiger Arteriosklerose
befanden sich leider nicht unter meinem Beobachtungsmateriale.
Bei einer dritten Gruppe von Phthisikern, die Regnault als chronisch fibröse
bezeichnet, die von chronischen Pleuritiden, Brustfell Verwachsungen event. vikariie¬
rendem Emphysem begleitet sind, d. h. Kranke, die der Tuberkelhacilleninvasion
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Uebcr den arteriellen Blutdruck der Phthisiker. 277
grösseren Widerstand leisteten, bei denen es zu Erweichungen überhaupt nicht kam,
die zeitweilig schwach fiebernd, meistens fieberlos mit subjektivem Wohlbefinden,
zunehmendem Appetit, Konstanz, selbst Zunahme des Körpergewichtes quo ad sana-
tionem einen ermunternden Eindruck lieferten, ergaben sich den normalen naheliegende
Zahlen von 90—125 mm Hg.
Bei zweifellos nicht tuberkulösen Bronchialkatarrhen, beim Emphysem bekam
ich Zahlen von 100—140 mm Hg.
Ich vereinigte die Messungen des Blutdruckes mit denen des spezifischen Blut¬
plasmas und Serumgewichtes. Ich fand, dass bei den Phthisikern das Gewicht des
Blutplasmas sich dem Blutdrucke ziemlich analog verhielt, es war normal (1058)
bei normalem Blutdruck, es zeigte eine leichte Verminderung 1040—1055 im zweiten
und dritten Stadium, schliesslich 1057—1058 im ersten Stadium und bei den chronisch
fibrösen Fällen. Das Blutserum zeigte nichts abnormes.
Ich will nicht behaupten, dass zwischen Abnahme des Blutdruckes und des
spezifischen Gewichts nur irgend welcher Kausalkonnex obwalte, es ist eben das
theilweise gemeinsame ätiologische Moment, welches der gemeinschaftlichen Druck-
und Gewichtsabnahme zu Grunde liegt.
Beim Emphysem ist das Blut schwer, 1058—1065, es besteht eine Bluteindickung,
welche sich auch in der erhöhten molekulären Konzentration des Blutes und infolge
dessen Erniedrigung des Gefrierpunktes kundgiebt.
Aus meinen Untersuchungen glaube ich schliessen zu dürfen:
1. Im Anfangsstadium der Lungentuberkulose ist der Blutdruck und das spe¬
zifische Gewicht des Blutes normal.
2. Abnahme des . Blutdruckes, verbunden mit einer Verringerung des Blutge¬
wichtes deuten eben schon auf eine gewisse Ueberhandnahme des tuberkulösen
Prozesses hin, selbst wenn sich dieser durch auskultatorische und perkussorische
Erscheinungen nur in geringem Maasse kundgeben würde.
3. Zunahme des gesunkenen Blutdruckes, welche, wenn der Druck bereits auf
70 mm Hg gesunken ist, sehr selten vorkommt, bedeutet, die Fälle mit Nephritis
ausgenommen, Verbesserung, konstante viel häufiger beobachtete Abnahme des Blut¬
druckes hingegen Verschlimmerung und Fortschreiten des tuberkulösen Prozesses.
4. Beim Emphysem ist der Blutdruck, das spezifische Gewicht etwas erhöht.
Das Initialstadium ausgenommen stimme ich daher mit Regnault vollkommen
überein; nach meiner Ansicht werden die vergleichenden Messungen des Blutdruckes
bei Phthisikern zwar nicht diagnostisch, eher prognostisch verwerthbar sein, und ich
halte sie neben den bisher üblichen Untersuchungsmethoden als ein ganz rationelles
leicht ausführbares Hilfsuntersuchungsmittel zur Beurtheilung des jeweiligen Status
event. Verschlechterung. Die Abnahme des Blutdruckes ist infolge des gleich zu er¬
örternden ätiologischen Momentes stets von ungünstig prognostischer Tragweite.
Um nun zu den Ursachen der Blutdruckabnahme überzugehen, sind dafür mehrere
den Blutdruck bestimmende Faktoren verantwortlich zu machen.
Der Blutdruck hängt nach Landois im allgemeinen ab:
1. von der Grösse der Herzarbeit ;
2. vom Zustande der Gefässe;
3. von der Qualität, Quantität des Blutes.
Ein wichtiger den Blutdruck bedingender Faktor, der periphere Widerstand
der Gefässe leidet nach Bouchard, wie dies auch Regnault betont, bei der Tuber¬
kulose in erster Reihe Veränderungen; das Toxin der Tuberkelbacillen hat eine auf
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UNIVERS1TY OF MICHIGAN
278 Max John, Feber den arteriellen Blutdruck der Phthisiker.
thierexperimentellem Wege durch Arloing, ßodes, Courmont u. a. erwiesene
exquisit vasodilatatorische Wirkung, welche geeignet ist, den Blutdruck bei Thieren
bereits in Minuten herabzusetzen; beim Menschen scheinen jedoch das oder die Toxine
erst bei längerem Bestehen, bei grösserer Konzentration eine allgemeine Blutdruck-
abnahme zu bedingen, deshalb vermissen wir sie im Initialstadium, deshalb bei den
chronisch verlaufenden Heilungstendenz zeigenden Prozessen, wo eben das Toxin noch
oder bereits qualitativ oder quantitativ ungenügend ist, um in dieser Richtung erfolg¬
reich wirken zu können.
Indirekt wirkt in zweiter Reihe blutdruckerniedrigend die qualitative und quanti¬
tative Veränderung des Blutes, bedingt durch die Eiweissarmuth desselben, durch
die Abnahme des Hämoglobins und der Zahl der rothen Blutkörperchen, ja selbst der
absoluten Blutmenge (rotain), Umstände, die sich auch in der Abnahme des Blut¬
gewichtes kundgeben; dies verdünnte Blut bietet dem Herzen, dem Motor des Blut¬
druckes, selbstverständlich ungünstigere Ernährungsverhältnisse, es wird atrophisch;
die Atrophie wird nach Potain noch dadurch befördert, dass das Herz resp. die
Ventrikel, nachdem sie kleinere Blutmengen zu befördern haben, infolge Adaption
an Kapazität abnehmen und infolgedessen eine Art Inaktivitätsatrophie erleiden;
wie dem auch sei, die Leistungsfähigkeit des Herzens sinkt allmählig, die geringere
Blutmenge wird mit geringerer Kraft in das Gefässsystem geworfen.
Ob Viskositätsveränderungen an der felutdruckabnahme betheiligt sind, will ich
dahingestellt lassen.
Die vasodilatatorische Wirkung des Tuberkulins, die Atrophie des Herzens, die
Abnahme der ßlutmcnge sind die Hauptursachen der besprochenen Blutdruckabnahme,
ihr Zustandekommen erfordert jedoch ein längeres ungestörtes Einwirken der schädi¬
genden Momente, und eben deshalb ist ihr Auftreten von prognostischer Tragweite.
Ich will schliesslich noch auf eine Fehlerquelle, nicht des Gärtner’schen Tono¬
meters, sondern der unrichtigen Anwendung desselben hinweisen, auf welche in der
Gebrauchsanweisung nicht aufmerksam gemacht wird und dessen Nichtinbetrachtnahme
zu falschen Resultaten führen kann. Sie ist durch folgendes Verfahren zu umgehen:
Nachdem man an einem Finger den Druck gemessen hat, lässt man die Hg-Säule
mit Hilfe des Kompressionsapparates so lange sinken, bis der pneumatische Ring in
der Weise abziehbar ist, dass sich das obere Niveau der Hg-Säule nicht mehr ver¬
schiebt; die Zahl, die man am Manometer nun ablesen kann, war eben dazu noth-
wendig, um den Ring soweit zu spannen, dass er mit dem Finger überhaupt in Be¬
rührung kommt, kann daher nicht ä Conto des Blutdruckes gerechnet werden und
muss von dem gefundenen Erstwerthe einfach abgezogen werden. Z. B.: Der Druck
war an einem dünnen Finger gemessen 16 mm Hg, der Ring ist nach angegebener
Weise bei 6 mm Hg abziehbar, also ist der Druck 16—6—10 mm Hg. Nur auf diese
Weise wird man an allen zehn P'ingern denselben Druck bekommen. Wenn der
Ring dem Finger genau anpasst, ist dieses Vorgehen selbstverständlich unnöthig, denn
der Ring wird bei 0 mm Hg abziehbar sein.
Ich erfülle noch eine angenehme Pflicht, indem ich Herrn Professor A. Fränkel,
Direktor der inneren Abtheilung des städtischen Krankenhauses am Urban, für die
Anregung zu dieser Arbeit sowie für die freundliche Ueberlassung des Kranken¬
materials meinen verbindlichsten Dank ausspreche.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Richard Heller, Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder. -79
II.
Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-
Eisenbäder und deren physiologische Wirkung.
Von
Dr. Richard Heller
in Salzburg.
Wie lange schon die Verwendung des Torfmoores zu Heilzwecken beim Volke
in Gebrauch war, lässt sich kaum konstatieren. Sicher ist, dass bereits am Beginne
des vorigen Jahrhunderts die heilkräftige Wirkung der Moorbäder allgemein bekannt
war und dass im Jahre 1828 auf Anregung des Stadtphysikus Dr. Oberlechner,
nachdem vorher durch berufene Männer, wie des K. K. Kreisarzt Dr. Susan, K. K.
Direktor Fischer sowie der Professoren Dr. Knorz, Dr. Holzschuh, Dr. Hornung,
I)r. Aberle und Dr. Zink, die wichtigsten Beobachtungen über die Wirkung »der
PHanzenlaugen- und Moorschlammbäder« festgestellt, im ehemaligen Gasthof zu
Mittermoos eine Badeanstalt errichtet wurde, die im Jahre 1850 nach damaligen
Anforderungen umgebaut und komfortabel eingerichtet, sich in eine Kuranstalt ver¬
wandelte. Der Bau wurde 1855 vollendet und erhielt den Namen »Marienbad« 1 ).
Dass die neue Anstalt die Erwartungen, die man daran knüpfte nicht getäuscht
hat, sondern sich in stetem Aufschwünge befand, geht aus einer Publikation des
Arztes Anton Fiebiger hervor, die er im Jahre 1858, nach 18jähriger Beobachtung,
in Salzburg erscheinen liess und der die wichtigsten historischen Daten dieser Zeilen
entnommen sind.
* Es ist interessant wie scharfsinnig der Autor die Vorzüge des Klimas, sowie
die Vorbedingungen einer »guten Kur« herausfindet und wie er meines Wissens der
erste ist, der Salzburg, neben den Vorzügen, welche die Moorbäder bieten, als Kurort
für Erkrankungen der Respirationsorganc vorschlägt. »Von höchstem Werthe ist aber
die Beobachtung, dass in diesem schönen Thale die tuberkulösen Lungenleiden nicht
Vorkommen, und fremde Kranke bei ihrem längeren Aufenthalte Erleichterung und
Besserung finden, daher man dieses schöne Thal mit seiner Kuranstalt nicht ohne
Grund das neue Juvavia (Helfenburg) nennt, wo schon tausende von Kranken und
Leidenden Heil und Rettung fanden.« Ich habe zu einer Zeit, wo mir die Arbeit
Fiebiger’s noch nicht bekannt war, auf diese günstigen Verhältnisse hingewiesen
und freute mich, dass meine Ansicht nicht alleinstehend ist*).
Bei dem grossen Zuspruche, dessen sich die Moorbäder erfreuten, ist es wohl
nicht zu verwundern, dass neue Badeanstalten entstanden, die bis heute noch bestehen.
• ) Anton Fiebiger, Die Torfmoorbad- und Molkenkuranstalt Marienbad in Leopoldskron
bei Salzburg. Salzburg 1858.
*) Richard Heller, Besprechung des klimatischen Wcrthcs von Salzburg. Wiener medi-
einische Wochenschrift 1808. No. 44.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
280 Richard Heller
So das Moorbad in Schallmoos, Kreuzbrühl, und in den letzten Jahren die Kalt¬
wasserheilanstalt, Moorbäder und Inhalatorien im Hotel de l’Europe in Salzburg.
Je nach der laufenden »Mode des Publikums« war der Zuspruch ein starker
oder schwacher, immerhin aber bewahrten sich die Moorbäder ein berechtigtes An¬
sehen. Es ist ja klar, dass die Wirkung der Moorbäder vielfach überschätzt und
übertrieben wird, dass ferner gerade der Umstand, dass man fast nichts über die
physiologischen Erscheinungen, die solche Bäder hervorrufen, wusste; der Grund war,
dass man ihnen spezielle mystische Heilkräfte zuschrieb, und dass schliesslich alles,
was Moorbad heisst, sei es Mineralmoor oder Pflanzenmoor in einen therapeutischen
Topf geworfen wurde. Leider sind die exakten wissenschaftlichen Studien über
dieses Thema so rare, dass wir gestehen müssen, wir kennen heute wohl die
Wirkungen, die Moorbäder hervorzubringen im stände sind, aus langen empirischen
Erfahrungen — wie sie aber zustande kommen, bedarf wohl noch einer ganz be¬
deutenden Klärung, die bei der Schwierigkeit der aufzustellenden Experimente und
besonders bei der eigentlich so differenten Zusammensetzung und Konsistenz der
Bäder vielleicht noch lange auf sich warten lässt.
Aus der grossen Zahl der Publikationen, welche die widersprechendsten An¬
gaben enthalten und die gerade dazu verfertigt worden zu sein scheinen, um die
ohnehin dunklen Begriffe noch mehr zu verwirren, leuchten zwei dankenswertbe
Arbeiten hervor, deren Verfasser Dr. Gustav Loimann 1 ) in seiner kritischen Studie
»Ueber Moor- und Mineralmoorbäder« es verstanden hat mit wirklich kritischem
wissenschaftlichem Geist die Spreu vom Weizen zu sondern, und Dr. Stifler’s
Arbeit »Ueber physiologische differente Bäderwirkung«.
Jeder der sich mit dem Gegenstand befasst hat, muss diese Arbeit mit Freude
begrüssen, umsomehr als sie dem leeren Wortschwall auch in Werken, die sich
wissenschaftlich nennen, zu Leibe geht.
Es soll nicht meine Aufgabe sein, nochmals und vielleicht kaum so trefflich
dieses Thema zu behandeln, ich möchte nur präzisieren, was für Moorbäder wir in
Salzburg haben und was für Heilerfolge nach dem Stande des heutigen Wissens von
ihnen zu erwarten sind.
Entstehung des Torfes.
In den verflossenen Jahrhunderten betrachtete man den Torf als eine mine¬
ralische Substanz, die durch Zusatz von Pech und Oelen ihre Brennbarkeit erhäJt.
Mit dem Aufschwünge der Chemie und Mikroskopie im Beginne des vorigen Jahr¬
hunderts gelangte man bald zu der Thatsache, dass Torf ein rein vegetabiles Gebilde
sei. Wir können den Torf als eine Substanz definieren, die durch Zersetzung von
Vegetabilien entsteht, wenn dieselben unter ganz bestimmten Verhältnissen statt¬
findet. Für die Bildung des Torfes ist in erster Linie ein wasserundurchlässiger Unter¬
grund (Lehm), eine Bodentemperatur von 6—8° C, sowie eine stagnierende, nicht zu
tiefe Wasserschicht nöthig. Was speziell die Bodentemperatur anlangt, so machten
E. Fugger und Dr. A. Petter-) eine Reihe von interessanten Untersuchungen. Im
Jahre 1879 hatten sich in Leopoldskronmoos durch das Anzünden einer Pfeife eines
Torfstechers die Moorgase mit einem explosionsähnlichen Knall entzündet und
J) G. Loimann, Kritische Studie über Moor- und Mineralmoorbäder, Stifler, Ueber physio¬
logische differente Bäderwirkung. 3 Vorträge. Berlin 1805—1900.
-) E. Fugger, Mittheilungen der Salzburger Landeskunde 1879 und E. Fugger und A. Fetter
ebenda 1880.
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 281
brannten durch drei Stunden mit einer riesigen Flamme. Der Besitzer des Hammer-
grutes fing das Gas in einem Fasse auf, leitete es in eine Laterne und Hess es noch
bis 1883 gegen Eintrittsgeld brennen.
Die Analyse, die Professor Fugger damals anstellte, ergab:
Wasserdampf.
. 1,29
Kohlensäure.
. 1,85
Sumpfgas.
. 46,79
Schwere Kohlenwasserstoffe .
. 3,77
Stickstoff und Sauerstoff . .
. 45,57
Wasserstoff.
. 0,37
100,00 Raumtheile.
Es schien nun interessant, Daten über die Temperatur des Torfbodens zu er¬
halten, und man bohrte zu diesem Zwecke fünf Löcher in die Tiefe, von denen die
einzelnen verschieden tief und in verschiedener Richtung zur Horizontalen angelegt
waren. Die Ergebnisse dieser ein Jahr umfassenden Untersuchungen zeigt folgende
Tabelle.
Bohr-
Tiefe
Tempo-
Zahl der
Maximum Minimum
Differenz
loch
in
ratur
Beobach-
in o C
in « C
No.
Metern
Mittel
tungen
1
1,50
8,83
55
13,5
5,3
8,2
2
2,75
8,78
55
10,7
6,0
4,1
3
1,86
9,99
51 |
13,5
7,1
6,4
4
2,79
9,59
1 51
12,5
8,2
4,3
5
1,71
j 9,09
i 50 |
1 1
11,6
7,2
4,4
Aus diesen Beobachtungen geht mit Bestimmtheit hervor, dass die Temperatur
im Torfboden in unbedeutenden Tiefen ziemlich viel höher und konstanter ist als
die Lufttemperatur, die Differenzen von 44,5—25,0° C ergab.
Das zweite Postulat, undurchlässiger Untergrund und stagnierende, nicht zu
tiefe Wässer, ist ebenfalls dadurch, dass es sich um ehemaligen Seeboden handelt,
gegeben. Die sich in diesen Gewässern ansammelnden Kryptogamen, sowie ver¬
schiedene Arten von Wasseralgen sinken nach ihrem Absterben zu Boden und bilden
die erste Lage. Zugleich mit diesen finden sich schon Potamogeton (Laichkraut),
Seehalde, Alisima (Froschlöffel) und Hottoniaarten (Wasserfeder), die sich bei ihrer
Zersetzung in eine schleimige Masse verwandeln und so den Boden zur eigentlichen
Torfbildung abgeben.
Auf dieser Unterlage siedeln sich nun die eigentlichen Torfbildner, Sphagnum
und Hypnum (Wassermoosarten) an, die untereinander verwachsen ein Gewebe bilden,
das sich gleichzeitig in die Höhe entwickelt.
Auf diesem verfilzten Untergrund wachsen nun weiter verschiedene Arten von
Rietgräsern und Binsen, welche den Rasen der Torfschicht bilden. Darauf Erika-
arten. Mit den letzteren zugleich Birken, die mit anderen Gewächsen der Torf¬
landschaft das charakteristische Aussehen verleihen.
Aber die Ansammlung auch ungeheuerer Mengen dieser Pflanzensorten würde
nicht genügen einen Torfmoor zu schaffen, wenn nicht andere maassgebende Faktoren
hinzutreten.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
-82 Richard Heller
Zu diesen zählen in erster Linie klimatische Verhältnisse. Starke Winde,
durch welche Gewässer in Wellenbewegung versetzt werden, zu grosse Hitze u. a.
verhindern die Torfbildung, da zu derselben die Zersetzung der Pflanzenreste mit
möglichstem Ausschluss von Sauerstoff nöthig ist, wodurch sich der Prozess nur
sehr langsam vollziehen kann.
Dass der Torf infolge seines Gehaltes an Humussäure und der darin vorkommenden
Gerbstoffe die Eigenschaft besitzt, thierische Körper vor Verwesung zu schützen,
ist allbekannt, und ich möchte nur auf die vielfachen Funde von erhaltenen mensch¬
lichen und thierischen Körpern, die Jahrhunderte lang in solchen Mooren lagen
hinweisen. Wie schon oben angedeutet, unterscheiden sich die einzelnen Schichten
eines Torflagers wesentlich von einander. Schon der äussere Anblick der Schichten
ist ein verschiedener, und können wir im grossen ganzen nach dem Grade der Zer¬
setzung drei Hauptschichten unterscheiden 1 ).
1. Amorpher Torf (Speck oder Pech).
Schichten von dunkelbrauner bis schwarzer Farbe, die meist mit Humuskohle
stark durchsetzt sind. Getrocknet zerfällt er mit muscheligem Bruch, bei welchem
die Pflanzentheile, aus denen er gebildet ist, schwer erkennbar sind.
2. F a s e r t o r f.
Derselbe bildet ein lockeres holzartiges Gewebe, das die Pflanzentheile, aus
denen er gebildet ist, leicht erkennen lässt. Diese Torfsorte ist meist hellbraun
gefärbt und bildet die höheren Schichten.
3. B a g g e r t o r f.
Derselbe bildet die tiefste Schichte, ist durch besonderen (Ganz und Schwere
ausgezeichnet. Wegen seiner schlammigen, oft flüssigen Form wird derselbe meist
geschöpft.
Es ist selbstverständlich, dass es zwischen diesen Hauptgruppen eine unzählige
Menge von Uebergangsformen giebt, die ihrerseits durch Beimengung erdiger Sub¬
stanzen noch weiter modifiziert werden können. Diese letzteren entstammen theils
den Aschenbestandtheilen verkohlter Pflanzen, theils können sie durch Ueber-
schwemmungen zufällig hineingerathen sein. Wie die Verkohlung geht auch die
Neubildung der oben erwähnten Pflanzen täglich vor sich, was auch daraus ersicht¬
lich, dass bei gegebenen physikalischen Verhältnissen sich Torfmoor stetig erneuert.
Dieser Torfnachwuchs kann so mächtig sein, dass man pro Jahr an manchen Orten
bis zu 0,5 m Neutorf nachweisen kann.
Chemische Zusammensetzung, physikalische Eigenschaften.
An chemischen Bestandtheilcn, die man gewöhnlich in der Torfasche findet,
wären zu nennen 2 ):
M Felix Fahrner, I'eberTorf. Vortrag in der Königl. Landwirtlisehaftl. Akademie Hohen¬
heim 1SW.
'-) D. A. Wiegmann, Umstellung, Bildung und Wesen des Torfes. Braunschweig l.slT-
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. ‘283
1. Kieselerde, und zwar entweder als mechanisch beigemengter Quartzsand
oder als Rückstand kieselhaltiger Pflanzen in variierender Menge von 1—30 °/ 0 .
2. Kalk. In der Asche theils als kohlensaurer (20 —45°/ 0 ) oder schwefelsaurer
Kalk (0—8°/o) enthalten.
3. Magnesium 1—15®/ 0 -
4. Thonerde. Diese scheint kein wesentlicher Bestandteil der Torfasche zu
sein, sondern wird meist mechanisch aus dem Untergrund dem Torfe beigemengt.
0,2-5 o/ 0 .
5. Eisenoxyd, dessen Anwesenheit sich sogleich durch die rothe Farbe des
Torfes verräth, 30 °/ 0 .
6. Phosphorsäure 2,5®/ 0 .
7. Kalium-Natrium 2%.
An organischen Bestandteilen
Humussäure
Wachs
Harz
Erdharz
Humuskohle.
in wechselnder Menge.
Das spezifische Gewicht des Fasertorfes beträgt 0,213—0,263, das des amorphen
0.639—1,039.
Aus zahlreichen Untersuchungen fand man, dass die im Torf enthaltene reine
Torfsubstanz aus 60o/„ C, 2% H und 38°/ 0 chemisch gebundenen H 2 0 besteht. I)a
aber auch vielfach die sogenannten Moorwässer, das sind Quellen, die Torflager
durebströmen und verschiedene chemische Substanzen enthalten, zu Heilzwecken
verwendet werden, so lasse ich einige Analysen derselben folgen, deren älteste die
Dr. Rudolf Spängler’s aus den 50er Jahren des vorigen Jahrhundertes ist.
Das Moorwasser des Reservoirs der Kuranstalt »Marienbad«, das auch eine
Quelle aus festem Untergrund aufnimmt, enthält (unter verschiedenen Temperatur-
und Witterungsverhältnissen geschöpft) im Mittel in 10000 Gewichtstheilen
im Frühjahr im Herbst
Ilumussubstanzen (Humussäure) 1,087 2,142
fixe mineralische Bestandtheile 3,226 4,213
Das spezifische Gewicht schwankt zwischen 1,00034 und 1,00057 bei vier zu
verschiedenen Zeiten genommenen Proben.
Das Moorbadwasser des Marienbades ergab im Mai 1857 in 10 000 Gewichts¬
theilen 3,914 Gewichtstheile fixen Rückstand bestehend aus:
0,288 schwefelsaures Kali,
0,284 Chlornatrium.
0,220 kohlensaures Natron,
2,117 kohlensaure Kalkerde,
0,623 kohlensaure Bittererde,
0,280 phosphorsaure Thonerde und Eisenoxyd,
0,102 Kieselerde
3,914
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
284 Richard Heller
Es ist zu bemerken, dass die CO* der Kalkerdc und Bittererde sowie des
Natrons im Moorwasser selbst theilweise durch Humussäure ersetzt ist.
Das Wasser entwickelt verschiedene Mengen von C0 2 und hier und da geringe
Mengen von H 2 S, was ganz natürlich ist, wenn man sich vor Augen hält, dass bei
mangelndem 0 sich der Wasserstoff der Pflanzen mit einem Theile des Kohlenstoffes
verbindet, während er bei Ueberfluss von Sauerstoff sich mit diesem vereinigt.
Diese Art der Zersetzung heisst Fäulniss und hat einige Aehnlichkeit mit den
Veränderungen, die Holz bei unvollständiger Verbrennung (Verkohlung, trockene
Destillation) erleidet.
Die Pflanzenfaser wird verwandelt
bei Verkohlung in bei Fäulniss in
a) Leuchtgas, a) Sumpfgas,
b) Kohlensäure, b) Kohlensäure,
c) theilweise verkohlte Substanzen c) theilweise verfaulte Substanzen
(Theer, Kokes etc.). (Schlamm, Torf).
Weitere Analysen des Torfwassers von Marienbad stammen von D. Spängler
aus dem Jahre 1857 und des Torfwassers von Thor bei Saalfelden von Professor
E. Fugger aus dem Jahre 1875, welche ich beide der Vollständigkeit halber
folgen lasse:
I II
Spezifisches Gewicht . . .
1,00045
1,000258
Rückstand in 10000 Theilen
5,334
1,38538
In 100 Theilen Rückstand sind enthalten:
Kaliumkarbonat ....
—
4,27
Kaliumsulfat.
. 5,51
2,35
Natriumkarbonat ....
. 4,21
—
Natriumchlorid.
. 5,43
2,71
Calciumkarbonat ....
. 40,51
12,19
Magnesiumkarbonat . . .
. 11,02
17,49
Aluminium-Eisenphosphat .
. 5,36
—
Aluminiumoxyd . .
—
1,54
Eisenoxyd .
—
30,09
Kieselerde.
. 1,95
4,92
Organische Substanzen . .
. 25,10
24,43
99,99
99,99
Freie Kohlensäure in Marienbad in wechselnder Menge, in Saalfelden sehr
wenig; beide Wässer entwickeln zeitweise Schwefelwasserstoff.
Die chemische Analyse der Moorerde, welche ich heuer einsandte, und die im
Laboratorium des allgemeinen österreichischen Apothekervereins in Wien gemacht
wurde, lautet:
Die Moorerde giebt an Wasser nur geringe Stoffmengen ab. Der wässerige
Auszug reagiert schwach sauer und enthält grössere Spuren von Salzsäure und
Schwefelsäure, die an Calcium gebunden sind. Alkalien kommen nur in geringen
Mengen vor.
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Studio über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 285
10 g der Moorerde hinterlassen 1,1 g Asche. Die qualitative Analyse des
Aschenrückstandes nach entsprechendem Aufschluss ergab: Vorhanden: Eisen,
Aluminium, Kalk, Spuren von Alkalien, Kieselsäure.
Um mir einigermaassen einen Aufschluss über das Wärmeleitungsvermögen des
gewöhnlichen Torfes zu erhalten, stellte ich folgenden Versuch an: 250g Moorerde
wurden mit Wasser zu einem Brei verrührt, ein ebenso grosses Gefäss mit reinem
Wasser gefüllt und beide auf das Wasserbad gesetzt.
Versuch I. Temperatur des Wasserbades 77 0 C, Temperatur des Wassers und
des Moorbreies 7 0 C, spezifisches Gewicht des Moores 1,07006.
Zeit in Minuten
Moor
Wasser
Zeit in Minuten
Moor
Wasser
0
7«
7»
15
16»
63®
5
11,5«
42®
20
23,5®
74»
10
12,5»
53,5«
23
31»
77»
Versuch II. Temperatur des Wasserbades 94 ®. Temperatur
des Wassers und
Moorbreies 7®, spezifisches Gewicht des Moores 1,07006.
Zeit in Minuten
Moor
Wasser
Zeit in Minuten
Moor
VV asser
0
7 «
7»
30
73«
92°
5
22®
70®
35
81 «
92 g
10
80®
85»
40
86®
94°
15
45®
88,5«
45
90®
94 o
20
52«
89,5®
50
94»
94°
25
63®
91«
Beide Gefässe wurden dann vom Wasserbad weggehoben und bei gewönlicher
Zimmertemperatur, 15«, auskühlen gelassen.
Zeit in Minuten
Moor
Wasser
1 Zeit in Minuten
Moor
Wassei
55
86,5®
CO
4^
; 100
49®
30«
GO
80®
75 0
105
46«
25»
65
74«
69®
110
44®
20®
70
69»
63®
115
41o
15»
75
65®
55 ®
j 120
39 »
15«
80
63®
48»
! 125
37«
15"
85
61«
45»
1 130
34»
15»
90
58»
40®
135
30"
15«
95
53«
34®
140
28"
15«
Aus diesen Tabellen ist ohne weiteres ersichtlich, dass der Moorbrei die Wärme
im Vergleich zum Wasser langsam annimmt, sich aber entsprechend langsam abkühlt.
Moorwasser und Moorbreibäder.
Moorwasserbäder werden mit 26—28°R, also in der Temperatur der ge¬
wöhnlichen warmen Bäder genommen. Die Zeit des Badens schwankt zwischen
V-r—V« Stunde. Will man die Wirkung erhöhen, so kann ipan eine Prozedur nach
Art der Halbbäder, also Reiben der Arme und Beine im Wasser verordnen.
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'28(i Richard Heller
Moorschlammbäder. Die Moorerde wird mit heissem Wasser oder Moor¬
wasser übergossen und gut durchgeknetet, so dass ein Brei von dickflüssiger Kon¬
sistenz entsteht. Im allgemeinen werden die Moorschlammbäder wärmer genommen
(29 — 32° R). Es werden auch höhere Temperaturen leichter vertragen, da das
Wärmeleitungsvermögen ein geringeres und sie nicht so heiss empfunden werden
als Mineral- oder einfache Wasserbäder.
Zur partiellen Applikation verwendet man Hand- oder Fussbäder oder Säcke,
in welche der heisse Moorbrei gefüllt wird.
Ebenso wie mit Fango Einpackungen finden solche mit Moorbrei seit langem
Verwendung. Bei Vollbädern werden kalte Umschläge auf den Kopf gegeben, um
das unangenehme Kongestionsgefühl hintanzuhalten.
Indikationen der Moorbäder.
Dass die Moorbäder auf Hysterie, Neurasthenie sowie auf verschiedene Neuralgieen,
so besonders auf Ischias einen eminent günstigen Einfluss haben, wird allgemein
bestätigt, und nach dem Stande unseres heutigen Wissens ist ja dies aucli erklärlich,
da durch die gleichmässige Wärme ein Gefühl der Nervenberuhigung eintritt, anderer¬
seits durch den mächtigen Hautreiz, den die Bäder ausüben, der Stoffwechsel an¬
geregt wird. Die Zunahme des Appetites allein bewirkt mitunter in auffallend
kurzer Zeit eine Besserung des Allgemeinbefindens sowie auch gänzliche Heilung.
Ebenso ist der Einfluss der Bäder meist ein erstaunenswerth günstiger bei Formen
von diversen Lähmungen, seien sie nun nach akuten Infektionskrankheiten aufgetreten
oder durch funktionelle Störungen bedingt. — Ebenfalls verständlich durch den
mächtigen Hautreiz sowie durch die starke Anregung des Stoffwechsels. Der günstige
Einfluss auf Exsudate rheumatischen als auch traumatischen Ursprunges, sowie auf
solche des Zellgewebes und der serösen Säcke ist so allgemein anerkannt, dass im
Volke Moorbäder und Moorumschläge zu diesem Zwecke auch ohne ärztliche Ver¬
ordnung seit jeher gebraucht werden.
Dies wären im allgemeinen die Indikationen zu Moorbädern, und es wären nur
kurz noch diejenigen Erkrankungen zu nennen, bei welchen Moorbäder — ich spreche
immer von den einfachen Torfmoorbädern — theils mit Erfolg, theils ohne, je nach
der physiologischen Ursache, angewendet werden.
Hierzu gehören in erster Linie alle dysmenorrhoischen Beschwerden sowie
Katarrhe des weiblichen Geschlechtstraktus. Dass parametrale Exsudate günstig be¬
einflusst werden können, geht bereits aus dem oben Gesagten hervor.
Da es aber keinem Zweifel unterliegen kann, dass die einfachen Moorbäder
weit hinter der Wirkung der echten Mineralmoorbäder Zurückbleiben, ein Umstand,
der durch den fast gänzlichen Mangel der mineralisch wirksamen Bestandtheile er¬
klärlich ist, so lag es nahe, den gewönlichen Moor, dort wo er in unerschöpflichen
Massen zu tage liegt, zu einem Mineralmoor umzuwandeln, wodurch einestheils seine
therapeutische Wirksamkeit erhöht wird, andererseits es auch minder Bemittelten
möglich gemacht wird, Moorbäder zu Hause und nicht in den für das" Gros der
Menschheit zu kostspieligen Kurplätzen zu gebrauchen.
Meine Anregung veranlasste Herrn Dr. W. Sedlitzky sich mit dem Gegen¬
stände zu beschäftigen, und verdanke ich cs den in seiner Fabrik angestellten Ver-
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UNIVERSfTY OF MICHIGAN
Studie über <lie natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 287
suchen, dass wir heute über einen Moor verfügen, der den natürlichen Mineralmooren
nur wenig nachsteht.
Ich gelange somit zur Besprechung der neuen Moorart,, die nach mir als
Moor • Eisen - Badetabl etten
bezeichnet wurden.
Die Bäder nenne ich zum Unterschied von den natürlichen Mineralmoorbädern
Moor -Eisenbäder.
Die Herstellung erfolgt in der Weise, dass möglichst homogener Moor durch
eigene Maschinen mit den wirksamen Bestandtheilen innig gemengt und dann in
Tabletten gepresst wird. Eine dieser Tabletten wiegt 5 kg, und erfordert ein Voll¬
bad zwei Stück. Diese so fertiggestellte Moorart wurde zur Analyse an das chemische
Laboratorium des allgemeinen österreichischen Apothekervereins in Wien eingesandt.
Ich habe bei den natürlichen Moorbädern die physiologische Wirkung nicht
besprochen, da ich die Versuche mit dem neuen Moor anstellen wollte, wozu mir
Herr Dr. Ludwig, Assistent der Landesgebäranstalt in Salzburg, mit Bewilligung
seines Chefs Prof. Dr. R. Lumpe, das gynäkologische Krankenmaterial in bereit¬
williger Weise zur Verfügung stellte, wofür ich den Herren hier meinen wärmsten
Dank ausspreche.
Die Analyse des Moores lautet wie folgt:
Wassergehalt.(17,30 °/ 0 (.bei 100° bestimmt)
Aschengehalt.11,19 °/ 0 (Glührückstand)
Wasserlösliche Bestandtheile bei 100° getrocknet 10,85%
Der wasserlösliche Extrakt besteht aus: Eisen, Calcium, Magnesium, Aluminium,
Natrium, Ammon, Schwefelsäure, Salzsäure, Kohlensäure, organische Extraktivstoffe;
phosphorige und arsenige Säure konnte (auch in Spuren) nicht nachgewiesen werden.
Die quantitative Bestimmung des wässerigen getrockneten Auszuges ergab:
Eisenoxydul (Fe 0). .
18,56
°/o
Eisenoxyd (Fe 2 0 3 ) . .
1,88
%
Calciumoxyd (CaO) .
2,56
%
Natriumoxyd (Na 2 0) .
20,38
%
Ammoniak (NH 3 ) . .
0,22
%
Salzsäure (HCl) . .
21,80
°/u
Schwefelsäure (S0 3 ) .
29,21
°/o
Daraus lässt sich berechnen:
| Kohlensäure |
j Magnesiumoxyd > Spuren
Aluminiumoxyd I
Organische Extraktivstoffe,
j Ivrystallwasser (bei 100° nicht
abgebbar).
39,18%
4,70%
34,90 %
4,33%
6 , 22 %
0,85 o/o
Schwefelsaures Eisenoxydul (FcS0 4 ) .
Schwefelsaures Eisenoxyd (Fe 2 [SO, | :1 )
Chlornatrium (Na CI).
Schwefelsaures Natrium (Na 2 S0 4 ) . .
Schwefelsaurcs Calcium (CaS0 4 ) . .
Schwefelsaures Ammonium ([NH 3 ] 2 S0 4 )
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Richard Heller
288
ferner:
Krystallwasser (bei 100« nicht flüchtig)
Aluminiumsulfat
Aluminiurakarbonat
Magnesiumsulfat
Magnesiumkarbonat
Vergleichsweise möge die von Prof. Ludwig ausgeführtc Analyse von Mattoni's
Moorsalz folgen.
Die Analyse unseres Moores hatte Herr Direktor C. Glücksmann die Güte
auszuführen.
Mattoni’s M o o r s a 1 z.
In lOOGewichtstheilen
Schwefelsaures Eisenoxydul (FeSO,) . . . 53,G4
Schwefelsaures Eisenoxyd (Fe 2 S 4 0, 2 ) . . 0,93
Schwefelsaures Calcium (CaS0 4 ) .... 0,58
Schwefelsaures Magnesium (Mg SO.,) . . . 0,f>3
Schwefelsaures Natrium (Na,jS0 4 ). . . . 1,19
Schwefelsaures Ammonium ([NH 4 ] 2 S0 4 ) . 0,57
Organische Substanzen (nicht flüchtig) . . 0,65
Krystallwasser (H 2 0). 40.85
Schwefelsaures Aluminium (Al 2 S.iO i2 ),
Schwefelsaures Kalium (K 2 S0 4 ),
Spuren Phosphorsäureanhydrid (P 2 0.-,),
Arsenigsäureanhydrid (As 2 O s ),
flüchtige organische Substanzen,
unlöslicher Rückstand.
Aus diesen beiden Analysen ergiebt sich vergleichsweise, dass unser Moor nicht
allein die physikalischen Eigenschaften des Moorbades (Dickflüssigkeit, schlechtes
Wärmeleitungsvermögen etc.) besitzt, sondern auch chemisch den natürlichen Mineral¬
mooren sehr nahe kommt.
Nach diesen Resultaten war es mir zunächst darum zu thun, festzustellen, in¬
wiefern sich der neue Moor physikalisch vom Wasser unterscheidet, und ferner, was
für physiologische Veränderungen ein derartiges Moorbad von mittlerer Konsistenz
in dem menschlichen Organismus hervorbringt. Ich lasse deshalb die Versuche und
deren Ergebnisse folgen.
Versuch.
Zwei Kübel (aus Blech), 30 cm hoch und 24 cm im Durchmesser haltend, der
eine mit Moorbrei, der andere mit Wasser gefüllt, werden auf 54 "C erwärmt, so
dass drei geprüfte Thermometer, die an der Oberfläche, in der Mitte und am Boden
der Gefässe befestigt sind, 54"0 zeigen. Anfänglich von 5 zu 5 Minuten, später in
Intervallen von 30 Minuten werden die Temperaturen abgelesen. Die Abkühlung
erfolgte bei einer Zimmertemperatur von 15" R, wie aus nachstehender Tabelle zu
ersehen ist:
| in Spuren
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Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 289
Moorbreitemperatur
W asaertemperatur
Minuten
Ober¬
Mitte
Boden
Mittel
| Ober¬
Mitte
Boden
Mittel
fläche
____
fläche
0
54
54
54
54
1 54
54
54
54
5
54
54
54
54
53
54
54
53,6
10
54
55
53
54
; 52
54
54
53,3
r>
53,5
55
52
53,5
52
53
53
52,6
20
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55
52
53
1 51,5
53
53
52,5
25
52
55
51
52,6
51
52,5
52
51,8
30
52
55
50
52,3
50,5
52,5
52
51,06
35
1 51,5
54,5
49,5
51,83
50
52
51
51
40
1 51
54
49
51,3
49,5
52
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50,6
45
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—
—
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51
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50
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1 47,5
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54
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48,6
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48
47
47,16
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47
53
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47,83
1 46
47.5
47
46,86
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47
53
43
47,6
45,5
47,5
46,5
46,5
95
47
53
43
47,6
45
47
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46
100
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. 47,3 1
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38 1
47
35
40
36
38
37
37
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45
34
38,3
35
37
36
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33,5
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34
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330 :
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32
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34,5
33
33
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42
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1 M 1
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32,5
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32
39
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33,3
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30
30,3
450 i
3i
38
29
32,0
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2.0
29
29
480
30
37
28
31,0 j
27
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31
27
28
28
27,6
540
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35
28
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26,5
28
27
27,16
570
28 !
34
27
20,6
26 i
27
27
26,6
600 j 27
33,5
27
20,10
25 j
27
26
26
Die Beobachtungen wurden durch 10 Stunden angestellt; es ergab sich dabei,
dass in der Mitte des Gefiisses mit Moorbrei das Thermometer 33,5 0 zeigte, während
das im Wasser auf 27° gesunken war, daraus resultiert eine Differenz von 6,5° zu
Gunsten des Moores. Da die Abkühlung am Boden und der Oberfläche sich in ver¬
schiedener Weise vollzog, so berechnete ich aus den drei Abmessungen das Mittel,
bei welcher Berechnung ebenfalls 3,16° zu Gunsten des Moorbreis resultieren.
Zeitschr. f. diät. u. physik. TherapU» Bd. V. Heft 4.
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'290 Richard Heller
Bemerkenswertli ist ferner, dass das Moor innerhalb der gewöhnlichen Badezeit,
also bis 45 Minuten, in der Mitte noch keine Temperaturabnahme zeigt, während
die Wassertemperatur bereits um 2° R gesunken ist.
Anwendungsart.
a) Zu Vollbädern. Die vorgeschriebene Menge der Moor-Eisenbadtabletten
(gewöhnlich 1—3 Stück) werden am Boden der Wanne gelegt und zuerst mit wenig
heissem Wasser übergossen. Dadurch werden dieselben erweicht und zerfallen leicht.
Ist dies eingetreten, so wird das Moor mit den Händen gut durchgeknetet, hierauf lässt
man heisses und kaltes Wasser zufliessen und rührt beständig mit einem hölzernen
Spatel um, wodurch ein dünner Brei entsteht, dies wird solange fortgesetzt bis die
gewünschte Temperatur und Wassermenge erreicht ist.
b) Zu Theilbädern nimmt man gewöhnlich ’/a Tablette und verfährt auf
dieselbe Art.
c) Zu Umschlägen wird in einem kleinen Gefäss die nöthige Menge der
Tabletten mit heissem Wasser zu einem Brei angerührt, derselbe dann in ein grob¬
maschiges Gewebe (Organtin oder Tüll etc.) eingeschlagen und auf die betreffende
Körperstelle aufgelegt, darüber lege man Kautschukpapier oder Billrothbattist.
Dicker Moorbrei kann nach Art der Fangopackungen angewendet werden. Diese
Moorbadetabletten sind nur in Badewannen mit einer Ablaufsöffnung von mindestens
10 cm Durchmesser anzuwenden, da sich engere Ablaufsöffnungen leicht verstopfen.
Ist eine solche Wanne nicht vorhanden, so muss das Badewasser ausgeschöpft oder
die Wanne mit einem eigens hierzu passenden Stoffe ausgelegt werden, so dass das
Moor in demselben zurückbleibt und nach dem Bade mit dem Badetuch heraus¬
gehoben werden kann, während das Wasser abläuft. Natürlich muss bei dieser Art
sehr darauf gesehen werden, dass das Moor nicht zwischen Badetuch und Wanne
kommt, da sonst die Prozedur umsonst ist.
Physiologische Wirkungen.
Kurze Zeit nachdem der Patient in das Bad gestiegen, zeigt sich eine intensive
Röthung der Haut, die um so auffallender ist, als sie mit der Wasserlinie abschliesst.
Lässt man den Patienten sich etwas erheben, so sieht man scharf abgrenzend die
Höhe des Wasser- resp. Moorbadstandes. Bei einer Patientin war die Röthung so
intensiv, dass sie geradezu einen auffallenden Anblick darbot, wenn sie sich erhob.
Bis zur Hälfte der Brust intensiv roth, die obere Partie weiss.
Die Haut fühlt sich turgescent und glatt an. Bei längerem Verweilen im
Moorbad fühlen sich die Hände wie fettig an. Alle Patienten äussern, dass das
Gefühl im Bade ein sehr angenehmes ist, was ich aus eigener Erfahrung nur be¬
stätigen kann.
Temperaturen von 32—34 0 R werden ohne unangenehmes Gefühl der Hitze ver¬
tragen. Eine Patientin nahm — in der Absicht das Bad recht wirksam zu gestalten —
ein Bad von 36° R!, also eine Temperatur, die in gewöhnlichem Wasser unmöglich
ertragen werden kann. Ich habe alle Bäder von 29 0 aufwärts gegeben und nie eine
Klage über die Temperatur gehört. Giebt man das Bad mit 26—28°, so wird es
viel kühler empfunden als ein entsprechendes Wasser- oder Mineralbad.
Nach einigem Verweilen im Bade tritt meist ein leichter Schweissausbruch an
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Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 291
der Stirn und im Gesicht auf, ohne dass eine irgendwie beunruhigende kongestive
Röthung des Kopfes zu beobachten wäre.
Nach dem Bade stellt sich ein Gefühl angenehmer Ermüdung ein, und die meisten
Patienten schwitzen in ruhiger Bettlage leicht nach.
Die Haut bleibt noch geraume Zeit (20—35 Minuten) nachher turgescent und
fühlt sich warm an.
Der Puls.
Um die Veränderungen, die am Pulse und der Herzthätigkeit wahrzunehmen
sind, zu studieren, wurden Pulszählungen vor, im und einige Zeit nach dem Bade
gemacht und ausserdem die Pulskurven mit einem Sphygmographen von Richard¬
sohn abgenommen 1 ).
Die Zählungen ergaben:
Vor dem
Bade
| Im Bade
1
20 Minuten
nach dem
Bade
Bade¬
temperatur
in o R
05
83
83
32
83
90
a~»
29
80
92
80
30
83
100
82
32
83
90
75
31
83
L iio
84
34
80
I 107
81
32
70
107
80
33
83
IOC
80
32
72
ISO 1
90
3G
80
lir* ;
88
33
77
97
80
30
70
SO
GG
30
80
90 1
80
30
Aus dieser Tabelle zeigt sich, dass die Pulsfrequenz im Bade ganz er¬
heblich zunimmt. Diese Zunahme beträgt im Mittel 21 Schläge und überdauert
das Bad nur verhältnissmässig kurze Zeit, nach 20 Minuten ist die Frequenz
meist zur Norm herabgesunken, wenn auch der Puls in seinen übrigen Quali¬
täten noch ganz bedeutende Veränderungen aufweist.
Ich habe oftmals die Patienten befragt, ob sie im Bade eine Veränderung ihrer
Herzthätigkeit fühlen, ob sie etwa das Gefühl von Herzklopfen oder Pulsieren wahr¬
nehmen würden, habe aber immer eine verneinende Antwort erhalten. Um keine
falschen Daten zu erhalten, die vielleicht dadurch entstehen könnten, dass die
Patienten beim ersten Bad, durch das Ungewohnte des Aussehens desselben, also
durch psychische Emotion bedingt, eine Frequenzänderung des Pulses zeigen könnten,
nahm ich die Zählungen erst nach dem ersten oder zweiten Bade ab.
Aus der Tabelle ist aber weiter noch ersichtlich, dass die Frequenzänderung
>) Alle diese Untersuchungen setzen ein vollkommenes Beherrschen der Untersuchungstechnik
voraus, einer Technik, mit der ich seit meiner und meiner Kollegen Dr. Mager und Dr. 11
v. Schrötter’s Arbeit über Luftdruckerkrankungen (2 Bände. A. Hohler in Wien 1900) durch
Jahre vertraut bin.
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292 Richard Heller
eine um so bedeutendere, je höher die Temperatur des Bades, also je kräftiger der
Hautreiz, der dadurch gesetzt wird, ist.
Die Pulsfrequenz nimmt somit im Moorbad immer zu und ist diese
Zunahme bedeutender, wenn höhere Badetemperaturen angewendet
werden.
Nach dem Bade fällt sie unabhängig von der Zunahme im Bade
innerhalb 20 — 35 Minuten zur Norm zurück.
Pulsbild.
Wie schon oben erwähnt, sind die Veränderungen, die das Pulsbild erleidet,
ganz in die Augen springende. Die folgenden Kurven wurden gleichzeitig mit den
Pulszählungen geschrieben, einige Male nahm ich auch nach 15 Minuten Badezeit
Kurven ab, um zu sehen, wie sich die charakteristischen Veränderungen entwickeln.
Bad 34°.
Fig. 40.
Betrachtet man die Kurven, so ist wohl die auffälligste Veränderung die, dass
die Amplitude der Pulswelle in jedem Falle im Bade bedeutend zunimmt. Diese
Zunahme der Wellenhöhe kann sich noch nach dem Bade steigern, so dass ich
in mehreren Fällen die grössten Amplituden erst einige Zeit nach dem Bade
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Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. *203
fand, zu einer Zeit, wo bereits die Frequenz zur normalen Pulsschlagzahl zurück¬
gekehrt war. Bei der Patientin A betrug die normale Höhe der Pulswelle 1 bis
1,5 Theilstriche. Nach 10 Minuten Badezeit steigt sie bereits auf 2 — 2,5; nach
15 Minuten auf 5 und darüber; 20 Minuten nach dem Bade ist noch eine Wellenhöhe
von 3—4 Theilstrichen vorhanden.
Fig. 44.
Vor dem Bade. Pat. B.
Im Bade. Pat. B.
Nach dem Bade. Pat. B.
Viel auffallender sind diese Verhältnisse bei Patientin B, die bedeutend jünger
und bereits normaler Weise eine höhere Amplitude zeigte.
Sie betrug normal 3—4 Theilstriche und stieg nach 20 Minuten Badezeit (Moor¬
temperatur 36° R) auf 11! und darüber. Da diese Patientin einen ganz besonders
gleichmässigen kräftigen Puls (83 Schläge) zeigte und auch das Pulsbild im normalen
Zustand fast das gleiche war, so nahm ich täglich Kurven auf, die ich zur näheren
Beleuchtung des Gesagten mit Angabe der Badetemperaturen folgen lasse. Ebenfalls
auffallend sind die starken respiratorischen Schwankungen, welche in den meisten
im Bade aufgenommenen Pulsbildern zum Ausdruck kommen. In der Kurve 54
z. B. wurden 25 Respirationen gezählt und fallen durchschnittlich 4 Pulse auf eine
respiratorische Schwankung, was auch in dem Pulsbilde deutlich ersichtlich ist, die
Pulszählung ergab 100 Schläge pro Minute.
Vor dem Bade. Pat. B.
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296 Richard Heller
Wir haben gehört, dass die Frequenz schon kurze Zeit nach dem Bade zur
Norm zurückkehrt und würde zu erwarten sein, dass auch das Pulsbild seine normale
Gestalt wieder annimmt. Dies ist meist nicht der Fall, sondern die Amplitude bleibt
noch längere Zeit hoch, wenn auch die Frequenz bereits herabgesunken, ja es kann
sogar Vorkommen, dass sie noch höher als im Bade selbst (Fig. 51).
Die dikrote Welle im absteigenden Schenkel tritt bereits im Bade deutlicher
hervor, eine Erscheinung, die sich nach dem Bade noch steigert, und scheint dieselbe
in den meisten Fällen der prädikroten näher gerückt.
Eine wesentliche Aenderung der Ascensionslinie kann man nicht bemerken.
Bei genauer Betrachtung scheint sie vielleicht sowohl im als nach dem Bade etwas
steiler als normal.
Man kann also sagen, dass die Herzkontraktionen bei normaler
Kontraktionszahl nach dem Bade bedeutend kräftiger sind als ge¬
wöhnlich.
Im Bade tritt zu dieser Erscheinung noch eine grössere Frequenz hinzu.
Dieser Zustand hält 45—50 Minuten nach dem Bade an.
Wie ferner aus dem Pulsbilde ersichtlich, zeigt der Puls trotz seiner bedeutenden
Raschheit und Höhe der Pulswellen ein Zeichen eines gespannnten Pulses. Er fühlt
sich voll und kräftig an.
Blutkörperchenzählungen nnd Bestimmungen des Uämoglobingehaltes.
Da es bei einem so mächtigen Hautreiz nicht ausgeschlossen war, dass auch
das Blut in seiner Vertheilung sowie in seiner Zusammensetzung in den peripheren
Gefässen eine Veränderung erleide, so machte ich sowohl Blutzählungen als Hämo¬
globinbestimmungen vor und nach dem Bade.
Die Zählungen wurden so vorgenommen, dass ein Stich in die Fingerbeere ge¬
macht wurde und der von selbst austretende Tropfen für die Untersuchung verwendet
wurde. Zur Zählung bediente ich mich einer Zählkammer und eines Melangeurs
nach Thoma, von Zeiss.
Die Hämoglobinbestimmungen wurden mit dem Fleischel’schen Apparat von
Reichert gemacht. Sie ergaben:
Zählungen von verschiedenen Patienten.
Zahl der rothen Blutkörperchen 1
Hämoglobingehalt
! Bade-
i temperatur
vor
nach
1 vor |
nach
1 in o H
3500 000
4 045 000
92
100
32
3 425 000
3 695 000
92
' 100
30
4 350 000
4 985 000
94
105
34
3 800 000
4 200 000
i 100
112
32
3 390 000
4165 000
95
110
' 33
3 650 000
4 025 000 i
92
100
33
3 620 000
4 005 000
1 100
110
36
3 675 000
4 265 000
100
110
34
4 030 000
4 825 000
95
105
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Original from
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Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 21*7
Patientin B.
II
Zahl der rothen Blut¬
1 __ .
.. . . 1
Badc-
Tag
körperchen
1 Hamoglobingekalt [
" i
^ temperatur
vor
| nach
vor
! nach 1
in " R.
1 }
3 405 ooo
3 095 OOO
92
1 100
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3500 ooo
| 4 045 OOO
1 02
1 100
'! 32
3 'i
3650 000
4025000
l 02
HX)
i 33
4
4 350 OOO
4 985 OOO
04
105
34
5
3 020 OOO
4 005<M)O
100
110
! 30
Es ergab sich hierbei die interessante Thatsache, dass sowohl der Ilämoglobin-
^elialt ein höherer, als auch die Zahl der Blutkörperchen eine vermehrte ist. Diese
Thatsache ähnelt den Resultaten der Untersuchungen von Kronecker und Marti,
die in ihrer Arbeit 1 ) über die Wirkung des Hautreizes und der Belichtung auf die
Bildung der rothen Blutkörperchen fanden, dass schwache Hautreize die Bildung der
rothen Blutkörperchen beeinflusse, ebensowie intensive dauernde Bestrahlung.
Ob thatsächlich eine Vermehrung der rothen Blutkörperchen stattfindet, oder
oh nur eine Aenderung der Blutmischung in den peripheren Gefässen, die ihrerseits
durch den Reiz, den die Bäder setzen, bewirkt wird, möchte ich nicht entscheiden.
Es scheint jedoch, dass eher eine Aenderung der Blutmischung anzunehmen ist, da
ich immer am folgenden Tage die Zahl der rothen vermindert fand, gegenüber den
Zählungen nach dem Bade.
Die Zunahme des Hämoglobingehaltcs ist beiläufig im Vcrhültniss zur grösseren
Menge der rothen Blutkörperchen, und ich liess sowohl Hämoglobinbestimmungen
sowie Zählungen von anderen für Kontrolle vornehmen, um Irrthümern möglichst zu
begegnen.
Man kann also folgendes sagen:
Die Zahl der rothen Blutkörperchen ist in den peripheren Gefässen
nach dem Bade eine vermehrte und scheint diese Vermehrung um so bedeutender,
je höher die Badetemperatur. Ebenso ist der Hämoglobingehalt der Zunahme
der rothen entsprechend ein grösserer.
Diese Vermehrung der rothen Blutkörperchen und Zunahme des
Hämoglobingehaltes ist keine dauernde, sondern sinkt in 24 Stunden wieder
zum Normalen herab.
Bei fortgesetzten Bädern, wie die Zählungen bei der Patientin B zeigen, scheint
eine absolute Zunahme beider Faktoren vorhanden zu sein.
Gleichzeitig mit den Zählungen machte ich Blutpräparate, um etwaige Aende-
rungen beobachten zu können. Es wurden wieder Präparate vor dem Bade und
20 Minuten darnach angefertigt, die Färbung mit Eosinhämatoxilin und Triacid ab¬
wechselnd gemacht.
Ich habe trotz sehr genauer und wiederholter Durchsicht keine Veränderung
') H. Kroncckcr und A. Marti, Wie wirken die chemischen Hautreize und Belichtung auf
die Bildung der rothen Blutkörperchen. Wiesbaden 1807.
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298 Richard Heller
in dem Verhältniss der Zahl der rothen zu den weissen oder in Form und Kern¬
gestaltung finden können.
Jedenfalls ist eine Hyperleukocytose nicht zu beobachten.
Ich betone dies, da nach den Untersuchungen einiger Autoren bei Kaltwasser¬
prozeduren oder besser gesagt nach denselben, eine Hyperleukocytose Vorkommen
soll, die bei den Moorbädern nicht zu finden war.
Respiration.
Die Respiration im Bade ist durchwegs beschleunigt, und ich fand bei meinen
Zählungen, dass ebenso wie die Aenderung des Pulsbildes das Bad lang überdauert,
auch die Respiration noch bis zu 30—40 Minuten nach dem Bade beschleunigt ist.
Irgendwelche besondere Charakteristica konnte ich nicht feststellen, da die Athmung
trotz der Beschleunigung nicht den Typus geändert hat.
Die folgenden Zahlen werden die Verhältnisse deutlicher beleuchten.
Respirationszahl.
Vor dem
Bade
20 Min.
im Bado
20 Min.
nach dem
Bade
Badetem¬
peratur
in o R
Vor dem
Bade
20 Min.
im Bade
20 Min.
nach dem
Bade
Badetem¬
peratur
in o R
18
25
22
30
19
22
20
31
16
19
20
32
17
25
17
36
16
19
20
31
19
22
22
33
n>
20
22
30
19
20
24 |
30
18
25
22
34
20
20
20 1
30
19
25
22
32
19
22
20 !
30
19
1 21 |
22
32
22
23
24
33
19
20
! 20
32
20
20
22
33
16
! 20
19
33
20
22
20
33
Die Respirationszahl nimmt im Bade zu; diese Zunahme überdauert
das Bad eine geraume Zeit. In vielen Fällen konnte nach dem Bade eine
weitere Zunahme der Respirationszahl konstatiert werden.
Die Zunahme der Athmungsfrequenz ist im Verhältniss zur Zunahme
der Pulsfrequenz von der Temperatur des Bades abhängig. Höhere
Temperaturen erzeugen bedeutendere Zunahmen.
Körper tempera tu r.
Die Messungen der Körpertemperatur wurden mit einem Maximalthermometer
und zwar in der Mundhöhle unter der Zunge vorgenommen, da sie sonst im Bade
nicht einwandsfrei ausführbar gewesen wären.
Wie bei allen Untersuchungen stellte ich Messungen vor, im und 20 Minuten
nach dem Bade an. Sie ergaben:
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Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 200
Vor dem
Bado 0 C
Im Bade
! o C
20 Minuten
nach dem
Bade o C
Bade¬
temperatur
in o R
36 4
34,2
36,8
30
36,5
38,2
36,8
31
36,6
39,1
37,2
34
36,5
39,0
37,0
33
36,7
38,8
37,0
31
36,5
38,8
37,1
33
36,7
39,2
37,1
36
36,1
37,0
36,8
30
36,0
37,0
36,5
30
36,4
37,8
37,2
30
36,8
38,3
37,2
33
36,0
38,5
37,0
33
36,5
37,9
36,8
33
Aus diesen Messungen zeigt sich die höchst bemerkenswerthe Thatsache, dass
die Körpertemperatur im Bade bedeutend gesteigert wird, eine
Steigerung, die nur eine vorübergehende ist und die von den Patienten nicht un¬
angenehm empfunden wird.
Halten wir die Pulsfrequenz, die Respirationszahl und die Höhe der Körper¬
temperatur zusammen, so müssen wir sagen, dass sich die Patienten vorübergehend
während des Bades in einem fieberähnlichen Zustand befinden, der aber das Bad
ad maximum 45 Minuten überdauert. Die Körpertemperatur nimmt im Bade absolut
zu und zwar ebenfalls im Yerhältniss zur Badetemperatur. — Wer je derartige
Untersuchungen gemacht hat, der weiss, wie schwierig es oft wird, alle diese Faktoren
gleichzeitig zu berücksichtigen, und es lag aus äusseren Gründen nicht in meiner
Möglichkeit Stoffwechseluntersuchungen anzustellen, ich musste mich auf die Messung
der Harnquantitäten allein beschränken, die mir nur einen beiläufigen Anhaltspunkt
geben sollten, wie sich die Diurese verhält.
Ich maass bei einer Patientin die Harnquantität zwei Tage vor Beginn
der Bäder, dann erst liess ich mit den Bädern anfangen und nahm 24 stündige
Messungen vor.
Urinmenge in 24 Stunden.
1. Tag
Kein Bad
1600
4. Tag
2. Bad
1800
2. »
» »
1700
5. »
3. »
1900
3. »
1 . *
1000
0 . »
4. »
1900
Zusammenfassung der Veränderungen.
1. Die Pulsfrequenz nimmt im Bade zu; diese Zunahme ist ab¬
hängig von der Höhe der Badetemperatur. Nach dem Bade fä 1.1t sie
unabhängig von der erreichten Höhe innerhalb 20 — 35 Minuten zur
normalen Zahl.
2. Die Herzkontraktionen sind im Bade bei erhöhter Frequenz
bedeutend kräftiger, diese erhöhte Herzthätigkeit kommt durch die
vergrösserte Amplitude des Pulsbildes zum Ausdruck und bleibt
auch dann noch bestehen, wenn die Frequenz bereits herab¬
gesunken ist.
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300 Richard Heller
3. Die Zahl der rothen Blutkörperchen sowie der Hämoglobin-
Rehalt ist in den peripheren Gcfässen nach dem Bade vermehrt. Beide
Erscheinungen sind keine dauernden, sondern scheinen innerhalb
24 Stunden sich zurückzubilden.
4. Bei fortgesetzten Bädern scheint eine absolute Zunahme
beider Faktoren einzutreten.
5. In den gefärbten Blutpräparaten konnte keine Hyperleuko-
cytose nachgewiesen werden.
6. Die Respirationszahl nimmt im Bade zu und überdauert das
Bad eine geraume Zeit. Sie kann ihr Maximum erst nach dem Bade
erreichen und ist im Verhältniss der Pulsfrequenz von der Höhe der
Badetemperatur abhängig.
7. Die Körpertemperatur ist im Bade eine bedeutend gesteigerte,
sinkt aber nach dem Bade in kurzer Zeit; sie ist ebenfalls von der
Höhe der Badetemperatur abhängig.
8. Die täglichen Harnmengen erleiden während der Bäder an¬
scheinend eine Vermehrung.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass durch diese Bäder eine eminente
Anregung und Hebung des Stoffwechsels erzielt wird, und es werden uns viele
Wirkungen der Bäder verständlich, wenn wir uns vor Augen halten, was bei so
einem Bade im Organismus vorgeht. Dass durch die Steigerung der Herzthätigkeit,
der Athmung etc. der Stoffwechsel mächtig angeregt und in gewisser Beziehung
modifiziert wird, zeigen ja auch die übrigen vitalen Funktionen. Der Appetit wird
besser, der Schlaf tiefer und ruhiger etc. Es erklären auch diese Vorgänge gewisse
therapeutische Erfolge, die wir bei den Bädern sehen und auf die ich noch zurück¬
kommen werde.
Dass beispielsweise Exsudate viel rascher durch diese mächtige Anregung des
Stoffwechsels zum Schwinden gebracht werden, ist einleuchtend, ebenso wie nervöse
Zustände mit der Hebung der Ernährung und der Herzthätigkeit besser werden und
der moralische Effekt mitunter ein ganz ausgezeichneter ist.
Merkwürdig ist die Thatsache, dass rheumatische, sowie Schmerzen, die durch
arthritische Prozesse bedingt sind, im Bade schwinden und Schmerzen, die durch
parametrale Exsudate bedingt sind, nach wenigen Bädern sich bessern oder völlig
aussetzen.
Ich habe die Bäder bei ganz differenten Erkrankungen versucht und möchte
nur kurz noch die Indikationen sowie die Art, wie ich die Bäder bei den einzelnen
Gruppen der Erkrankungen angewendet habe, streifen.
* Indikationen.
1. Bei Erkrankungen des Nervensystems, also Neurasthenie, Hysterie
sowie bei Erkrankungen des Rückenmarks wende ich protahierte Bäder (bis
zu 1 Stunde) von Temperaturen von 27—2!)°R an. Nach dem Bade lasse ich eine
Abspülung mit 25° Wasser folgen. Zu kalte Uebergicssungen oder Douchen ver¬
ursachen meist einen nervösen Alterationszustand. Nach dem Bade lasse ich die
Patienten mindestens 30 Minuten ruhen, wobei sich meist ein ruhiger erquickender
Schlaf und leichte Transpiration einstellt.
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Studio über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 301
Sehr häufig kann man nach verhältnissmässig kurzer Zeit eine Besserung des
Allgemeinzustandes und auch meist eine Besserung der subjektiven Beschwerden
beobachten.
2. Bei Neuralgieen, Lähmungen nach Infektionskrankheiten lasse ich die
Bäder wärmer (30—32 °R) und kürzer (20—30 Minuten) nehmen und danach eine
kurze 15-20° Ueberspülung folgen. Ich habe oft beobachtet, dass ischiatische
Schmerzen sich schon nach dem zweiten Bade bedeutend besserten und nach 10 bis
12 Bädern schwanden.
Auch hier lasse ich die Patienten nach dem Bade ruhen, und es versicherten
mir die meisten, dass diese völlig schmerzfreie Zeit geradezu »himmlisch« sei. Wie
bei der Hydrotherapie im allgemeinen, werden sich auch hier nur gewisse thera¬
peutische Anhaltspunkte geben lassen, und jeder, der sich mit Hydrotherapie be¬
schäftigt hat, wird mir zugestehen müssen, dass die Beurtheilung jedes einzelnen
Falles eine ganz spezielle sein muss, und dass man bei verschiedenen Individuen,
je nach der körperlichen Beschaffenheit ganz verschiedene Wirkungen mit ein und
derselben Prozedur erzielen kann. Es wird dem Arzte Vorbehalten sein den Grad,
die Dauer und die Art der Anwendung vorzuschreiben, und ich bin fest überzeugt,
dass unzweckmässige Bäder einen direkten Schaden stiften können. Man wird sich
genau vor Augen halten müssen, wie die Herzbeschaffenheit, wie die Respirations¬
organe im gegebenen Falle sind und ob es angezeigt, den Zirkulations- und Respirations¬
organen solche mächtige Alterationen zumuthen zu dürfen.
Bei gesundem Herzen und Lunge wird man wohl kaum üble Zufälle erleben,
wenn auch der eine oder andere Patient die Bäder nicht verträgt.
3. Bei chronischen Entzündungsprozessen und Exsudaten wende ich
Bäder von 30—34"R an und lasse je nach der Art entweder die Patienten darnach
ruhen oder Bewegung machen. So hoch temperierte Bäder wird man höchstens bis
zu 20 Minuten geben und die Abspülurig nur wenige Grade niedriger. Bei Para-
und Perimetritiden sowie typhlitischen und perityphlitischen Prozessen wird Ruhe
nach dem Bade geboten sein, während ich bei arthritischen und rheumatischen
Exsudaten Bewegung machen lasse. Ich habe immer gefunden, dass die Beweg¬
lichkeit affizierter Gelenke günstig beeinflusst wird, ebenso wie die Schmerzhaftig¬
keit bald nachlässt. Objektiv ist meist auch ein Rückgang der Exsudate nachzu¬
weisen.
In diese Klasse der Erkrankungen würden also alle Formen des chronischen
(nicht akuten!) Rheumatismus, alle traumatischen Exsudate und jene der serösen
Säcke sowie solche, die nach Venen- oder Lymphgefässentzündungen gesetzt werden,
zu rechnen sein.
4. Sexualerkrankungen der Frauen. Dysmenorrhoische Beschwerden,
die durch Anämie oder Chlorose bedingt sind, chronische Metritiden, Endometritiden,
ebenso wie chronisch entzündliche Prozesse der Ovarien und Tuben wären für diese
Art der Behandlung geeignet und bessern sich sichtlich. Es mag ja wiederum in
vielen Fällen die Besserung des Allgemeinbefindens sein, die so günstig einwirkt,
sicher aber ist diese Wirkung vorhanden. Nach der Neuheit des Verfahrens muss
ich es einer späteren Zeit überlassen, noch ausführlich über die Wirkung bei den
einzelnen Krankheitsgruppen zu referieren und kann mich nur auf das beschränken,
was ich oben angeführt. Inwiefern die Bäder bei konstitutionellen Erkrankungen
oder als unterstützende Nachkuren nach Malaria, Dysenterie etc. anzuwenden sind,
muss erst die Erfahrung lehren.
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302
M. Löwensohn
Kontraindikationen.
A. Erkrankungen des Gefässsystems. Arteriosklerose, Viticn, Myokarditis.
B. Erkrankungen der Lungen. Tuberkulose mit Neigung zu Hämoptoe.
C. Menses, Gravidität, Blutungen verschiedener Ursache.
Wenn ich mit dieser kleinen Arbeit versucht habe objektiv festzustellen, »was
eigentlich bei Moorbädern im Organismus vorgeht«, so möchte ich auch damit den
Anlass gegeben haben, dass man sich mit der Frage ernstlich beschäftigt und dass
endlich die vagen und sehr phantasiereichen Schilderungen aus mitunter sehr an¬
spruchsvollen Werken schwinden. Es war bisher sehr häufig eine rein rethorischc
Arbeit, die bei der Beurtheilung der Bäder zu stände kam, und würde nicht Winter¬
nitz als erster den Anlass zu wissenschaftlichen Arbeiten gegeben haben, so würden
wir uns noch im Reiche der Phrasen befinden.
Wie alles wird auch dieses Thema seine Bearbeiter finden, und wir werden
endlich dorthin gelangen, wohin wir kommen sollen, nämlich zur klaren Kritik über
den therapeutischen Werth unserer Heilmittel.
III.
Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose.
Von
Dr. M. Löwensohn
aus Wercholensk (Russland).
Die Veranlassung zu dieser Arbeit war der Wunsch, die allgemeine Aufmerk¬
samkeit von neuem auf ein Mittel zu lenken, welches in Westeuropa wenig bekannt
ist, mit welchem man aber unter Umständen bei der Behandlung gewisser Krank¬
heiten, insbesondere bei der Lungentuberkulose, recht gute Resultate erzielen kann.
Gerade jetzt, da man in den letzten Jahren mit der Ernährungstherapie bei der
Behandlung verschiedener Krankheiten so viele ausgezeichnete Resultate erzielt hat,
schien es mir angezeigt zu sein, die Kumystherapie, welche ihre Wirkung aucli zum
Theil der reichlichen Ernährung des Kranken verdanken dürfte, zum Gegenstände
einer speziellen Abhandlung zu machen.
Ob jedoch die Kumysbehandlung bloss durch reichliche Ernährung des Kranken
ersetzt werden kann, dürfte dahingestellt bleiben. Es scheint, als ob die Zusammen¬
setzung des Kumys und das Verhältniss seiner Nährstoffe zu einander von beson¬
derem Werthe sind, dass hierbei aber noch andere, zum Theil noch wenig bekannte
therapeutische Momente hinzukommen, die in den Gegenden, wo der Kumys leicht
zu erhalten ist, diesen zu einem hervorragenden Kräftigungsmittel für herunter¬
gekommene Kranke und zu einem der besten Heilmittel der Lungentuberkulose
gemacht haben.
Was die Geschichte der Kumystherapio anbelangt, so kann man mit Sicher¬
heit behaupten, dass der aus Stutenmilch zubereitete Kumys schon längst vor unserer
Aera im Orient bekannt war. Iferodot bereits erwähnt denselben in seiner Arbeit
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I)cr Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. 303
über die Skythen. Der französische Mönch Rubriquis und nach ihm der Venetianer
Marcus Paulus haben dieses Getränk auf ihren Missionsreisen nach Russland im
13. Jahrhundert ebenfalls kennen gelernt: beide rühmen seine berauschende Kraft,
die ihn dem Weine ähnlich macht. Dr. Strahlenberg giebt in seinem 1730 er¬
schienenen Werke »Beschreibung des russischen Reiches« die Art der Kumysbereitung
an, welche damals üblich war, und welche im grossen und ganzen derjenigen gleicht,
die auch jetzt bei den Kirgisen, Kalmücken und Tartaren im Gebrauche ist. Noch
genauer wurde die Methode der Kumysbereitung von Dr. Iwan Lepechin in seinem
im Jahre 1768/69 veröffentlichten Buche: »Tagebuch der Reise durch verschiedene
Provinzen des russischen Reiches« beschrieben.
Die Bedeutung des Kumys als Heil- und Nährmittel wurde im 18. Jahrhundert
auch von einigen westeuropäischen Aerzten ziemlich hoch geschätzt. Der englische
Arzt John Greve hat den Kumys zuerst bei der Lungentuberkulose angewendet.
Näher wurde der Kumys erst im Jahre 1805 von Haeberlein, einem nach Russland
eingewanderten deutschen Arzte, studiert. In seiner Arbeit wies er schon darauf
hin, dass eine erfolgreiche Behandlung durch Kumys weniger in Städten, als in
Dörfern, oder überhaupt spärlich bevölkerten gesunden Gegenden stattfinden kann:
»Maximam Utilitatem a potu Kumys habebunt illi, qui eo extra urbem utuntur, in
rure, loco amoens et salubri, remoti a negotiis, curis, aerumnis desideriis, allisque
animi perturbationibus.«
Die erste Kumysanstalt wurde erst im Jahre 1858 von Dr. Postnikoff, un¬
gefähr 15 Kilometer von der Stadt Samara entfernt, eingerichtet. Später wurde
eine ganze Anzahl ähnlicher Anstalten gegründet. Diese Institute befinden sich
meistentheils in den Provinzen Samara, Ohrenburg und Ufa.
Als der deutsche Arzt Dr. Neftel im Jahre 1860 in der Provinz Ohrenburg
unter den Kirgisen keinen Kranken mit Skrophulose und Tuberkulose gefunden
hatte, obschon er nach Fällen dieser Art mit grossem Eifer suchte, lenkte er die
Aufmerksamkeit der westeuropäischen Aerzte auf diese Thatsache und empfahl den
Kumys zur Behandlung der Lungentuberkulose. Indessen haben die späteren Unter¬
suchungen gelehrt, dass die Tuberkulose, wenn auch vereinzelt, auch bei den Kir¬
gisen vorkommt. Im Jahre 1865 hat Dr. Polubensky seine Arbeit über den Kumys
veröffentlicht. Auf Grund seiner Beobachtungen an 140 Phthisikern äusserte er sich
dahin, dass der Kumys in jenen Fällen von Tuberkulose am günstigsten wirke, wo
die begleitenden Symptome, wie Husten, Abmagerung, allgemeine Schwäche mehr
in den Vordergrund treten, als das nach dem objektiven Befunde zu erwarten wäre.
Nach der Arbeit von Polubensky wurde das Interesse an dem Kumys in Russland
immer grösser. Auch in Westeuropa lernte man den Kumys bereiten; so wurden
in Wien und Paris Versuche mit Kumys angestellt. Dr. Fl ei sch mann hat dabei
mehrere günstige Resultate der Kumystherapie in der »Wiener med. Presse« im
Jahre 1873 veröffentlicht. Aber der Kumys fand in Westeuropa keine so grosse
Verbreitung, als es nach seinem therapeutischen Werthe zu erwarten gewesen wäre.
Die Gründe dafür sind wohl darin zu suchen, dass in Westeuropa nur wenige so
grosse Weideplätze vorhanden sind, wie sie zum Weiden der Stuten nothwendig
sind; ausserdem gehören auch trockenes Klima und reine Luft zu einer erfolg¬
reichen Behandlung durch Kumys, schon deswegen, weil das trockene, heisse Klima
der Steppen in höherem Grade die Hauttranspiration befördert und damit die Auf¬
nahme des Kumys in so grossen Dosen erleichtert, wie diese zu therapeutischen
Zwecken nothwendig erscheinen.
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304
M. Lftwcnsohn
Die Zubereitung des Kumys geschieht folgendermaassen: Der Kumys ist
ein Getränk, welches aus Stutenmilch (manchmal auch aus anderen Milcharten) zu¬
bereitet wird. Die frischgemolkene und abgekühlte Stutenmilch wird auf eine be¬
sondere Weise cingesäuert und fortwährend einige Zeit hindurch in einem Kessel um¬
gerührt, bis sie einen eigenthümlichen Geruch und Geschmack bekommt. Reichliche
Entwicklung der C0 2 zeigt sich durch das Ausscheiden kleiner Bläschen dieses Gases
auf der Oberfläche der Flüssigkeit an, was sich durch ein besonderes, der Krepitation
sehr ähnliches Geräusch zu erkennen giebt. Zum Einsäuern der Milch wird entweder
alter Kumys genommen, oder es wird zu diesem Zwecke ein besonderer Sauerteig
zubereitet. Wenn schon fertiger Kumys vorhanden ist, dann wird derselbe gewöhn¬
lich zum Einsäuern benutzt; dabei wird bald der schwache, bald der starke Kumys,
je nach dem Ermessen des betreffenden Meisters, vorgezogen. Je schwächer der
zum Einsäuern verwendete Kumys ist, desto weniger Milch muss zugegossen und
desto mehr Zeit muss die Flüssigkeit umgerührt werden. Sehr schwacher Kumys
taugt zum Einsäuern nicht. Wenn kein Kumys vorhanden ist, dann wird zum Ein¬
säuern der Milch ein besonderer Sauerteig zubereitet; die Kirgisen und Tartaren
stellen einen solchen einfach aus Honig und Mehl her. In den gut ausgestatteten
Kumysheilanstalten wird der Sauerteig gewöhnlich folgendermaassen zubereitet.
Man nimmt ein Pfund Hirse (Reis), giesst ein wenig Wasser hinzu, und kocht so¬
lange, bis das ganze Breikonsistenz annimmt. In einem anderen Kessel kocht man
ungefähr 5 Liter Milch, welche später bis 35° C abgekühlt und in einen hölzernen
Kessel, zusammen mit dem aus der Hirse (Reis) mit Wasser und etwas Honig ge¬
kochten Brei hineingegossen wird. Die Oeffnung des Kessels wird mit einem Lein¬
wandlappen bedeckt, und alles bleibt stehen bei der Temperatur 30° R 1—2 Tage,
solange bis auf der Oberfläche der Flüssigkeit kleine Bläschen erscheinen und die
Flüssigkeit einen weinsauren Geschmack bekommt. Dann ist der Sauerteig fertig.
Es giebt aber noch verschiedene andere Methoden für die Zubereitung des Sauerteigs.
Um die Gährung zu beschleunigen, fügt man 1—2 Esslöffel Hefe hinzu.
Bei der Kumysbereitung giesst man zu dem in dem Kessel gährenden Sauerteig
ganz allmählich jede 10 Minuten frische Milch hinzu und rührt die Flüssigkeit inner¬
halb 12 Stunden um. Bei dem Umrühren derselben soll ihre Temperatur 27° It
nicht übersteigen. Nach 12stündiger Gährung ist der Kumys schon fertig, und zwar
der schwache, welcher noch wenig Alkohol und Milchsäure enthält. Je länger die
Milch gegohren hat, desto stärkeren Kumys bekommt man, d. h. desto grösser wird
sein Gehalt an Alkohol und Milchsäure.
Die chemische Zusammensetzung des Kumys zeigt nach der Analyse,
welche Stange im Jahre 1882 ausgeführt hat, folgende Zahlen:
Auf
6 Stunden
18 Stunden
24 Stunden
30 Stunden
120 Stunden
1000 ccm
Gährung
Gährung
Gährung
Gährung 1 )
Gährung 1 )
Freie C0 2 . .
1,52
3,91
3,82
6,94
11,53
Gebundene CO >
2,32
2,15
2,26
1,73
1,41
Alkohol . .
18,56
18,53
22,33
27,50
31,70
Milchsäure . .
| 6,06
5,64
5,59
0,40
6,44
Zucker . . .
18, S8
16,40
6,82
—
Eiweiss . . .
22,53 |
22,8 1
23,73
21.00 1
16,00
Fett ....
, 18,93 |
20,4
20,00
10,00
19,00
Salze . . . .
4,5
3,2 j
4,00 1
3,00
4,10
') Hermetische Verkorkung des Kumys.
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Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. 305
Der Kumys ist kein ausgegohrenes, sondern ein in der Gährung begriffenes,
sich stets veränderndes Getränk, welches während der Gährung fortwährend seine
Bestandteile wechselt. Biel hat nämlich zuerst darauf hingewiesen, dass der Kumys
in verschiedenen Altersstadien abweichende quantitative und qualitative Zusammen¬
setzung zeigt, und zwar nimmt mit dem Alter des Kumys sein Gehalt an Kohlen¬
säure, Alkohol und Milchsäure zu, dagegen nimmt sein Gehalt an Zucker ab; sein
Fettgehalt bleibt unverändert. Was den Eiweissgehalt betrifft, so erfährt er während
der Kumysgährung ziemlich komplizierte Veränderungen, wie das die untenstehende
von Biel angegebene Tabelle zeigt:
In 100 Theilen Kumys
aus derselben Milch nach
1
1 tägiger
Gährung
2 tägiger
Gährung
3 tägiger
Gährung
Kasein.j
0,9575
0,8590
0,7715
Albumin. j
tO
00
00
©
0,3880
0,3900
Acidalbumin.
0,1175 1
0,1225 |
! 0,1400
Hemialbumose . . . . |
0,4595 |
0,4220
i 0,4180
Pepton.i
0,0670 |
0,1130
, 0,1510
Diese Tabelle zeigt uns, dass:
1. die absolute Kaseinmenge während der Gährung abnimmt;
2. die Menge des Acidalbumins zunimmt;
3. die Menge des Peptons mit dem Alter des Kumys zunimmt.
Wie die Untersuchungen von Alexander Dochmann über die Veränderungen
der Eiweisssubstanzen in der gährenden Milch beweisen, geht bei der Gährung der
Milch auch der Prozess der Peptonisation des Kaseins und Albumins vor sich, welche
immer mehr und mehr in Parapeptone und Peptone umgewandelt werden. Um diesen
Prozess ziffernmässig darzulegen, soll hier eine der Beobachtungsreihen von Alexander
Dochmann angeführt werden. In der Stutenmilch fand dieser Autor auf 1000 Theile
24,80 Theile Kasein und Albumin und 0,28 Theile Peptone. In derselben Milch
worden nach 12 stündiger gewöhnlicher »Kumysgährung« in 1000 Theilen gefunden:
Kasein . . . 14,06 Albumin. . . 3,02
Parapepton . . 4,88 Peptone . . . 1,04.
Nach 40 stündiger Gährung wurden in demselben Kumys gefunden:
Kasein . . . 12,88 I Albumin. . . 2,03
Parapepton . . 8,40 \ Peptone . . . 2,48.
Nach 70 stündiger Gährung fand man in demselben Kumys:
Kasein . . . 9,64 Albumin. . . 1,20
Parapepton . . 6,88 j Peptone . . . 4,84.
Die gleiche Peptonisation, aber in weit geringerem Grade, wurde von Doch¬
mann in dem gährenden Kuhmilchkumys gefunden. Eine genügende Erklärung dieser
Thatsache kann man heutzutage noch nicht geben; ebenso ist es schwer, zu ent¬
scheiden, ob die Peptonisation unter dem Einflüsse eines bestimmten spezifischen
Fermentes vor sich geht, oder ohne ein solches und nur durch die Gegenwart saurer
Reaktion des Kumys und unter einigen anderen günstigen Bedingungen. Durch die
Zeitschr. t diät. u. phyaik. Therapie Bd. V. Heft 4. o l
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306 M. Löwcnsohn
Existenz des Fermentes in der Milch selbst könnte man das ständige Vorkommen von
Substanzen der Peptonreihe in derselben erklären. In jüngster Zeit hat Prof. G o lu bof f,
welcher viel über Kumys gearbeitet hat, nur dann die Peptonisation gefunden, wenn
er in der Stutenmilch gleichzeitig Bacterium acidi lactici und Saccharomyces züch¬
tete. Wenn er aber in der sterilisierten Stutenmilch diese Mikroorganismen, jedes
für sich, züchtete, konnte er keine Peptonisierung nachweisen. Als praktische Kon¬
sequenz des eben Gesagten wird die Beschleunigung dieses sozusagen natürlichen
Prozesses der Peptonisation mit Hülfe künstlicher Maassnahmen sein. Natürlich
bilden sich im Kumys unter normalen Verhältnissen um so mehr Peptone, je länger
er der Gährung unterworfen wird, d. h. je mehr Alkohol und Milchsäure sich in
ihm bilden; aber in einzelnen Fällen ist starker Kumys, d. h. solcher, der viel Al¬
kohol und Milchsäure enthält, kontraindiziert, und die Kranken müssen sich auf
schwachen Kumys beschränken, in welchem das Kasein sich erst in den Anfangs¬
stadien der Peptonisation befindet. In diesen Fällen würde künstlich peptonisierter
Kumys ausserordentlich am Platze sein: bei geringem Gehalt an Alkohol würde er
eine bedeutende Quantität Peptone enthalten.
Auf Grundlage dieser theoretischen Voraussetzungen hat Dochmann einige
Experimente gemacht, um folgende Fragen zu lösen:
1. Wird durch Zusatz von Pepsin unter Bedingungen, bei welchen die Kumys-
gährung zu stände kommt, die Peptonisation beschleunigt? und
2. werden durch dieses Verfahren die Eigenschaften des Kumys, besonders der
Geschmack alteriert?
Zu diesem Zwecke verfuhr Dochmann folgendermaassen: Ein Theil der behufs
Gährung eingesäuerten Stutenmilch wurde von der übrigen Masse gesondert, und
diesem wurde Pepsin hinzugefügt, welches vorher mit Aether gereinigt war.
Darauf wurde dieser pepsinisierte Kumys unter den gewöhnlichen Bedingungen der
Gährung überlassen. Nach einem Zeitraum von 14 Stunden konnte man sich davon
überzeugen, dass der pepsinisierte Kumys sich in keiner Weise in Bezug auf Ge¬
schmack von gewöhnlichem Kumys unterschied, dass er aber ceteris paribus eine
grössere Quantität Peptone enthielt. Die Beobachtungen von Rasumowsky in der
Kumysanstalt von Tschembulatow haben die theoretischen Annahmen dieses Autors
bezüglich der Brauchbarkeit des pepsinisierten Kumys bestätigt.
Man unterscheidet drei verschiedene Stärken des Kumys: 1. Eintägigen
oder schwachen, 2. zwei- bis dreitägigen oder mittelstarken, das eigentliche Material für
die Kumyskur, und 3. fünf- bis siebentägigen oder starken Kumys. Letzterer bewirkt
gewöhnlich Leibesverstopfung, während frische Stutenmilch und eintägiger Kumys
gewöhnlich flüssige Stuhlgänge erzeugen. Ein Kumys, welcher längere Zeit in warmer
Temperatur aufbewahrt wird, wird stark sauer und erregt Widerwillen gegen fer¬
neren Gebrauch desselben. Sehr alter Kumys kann sogar Erbrechen und Durchfall
erzeugen.
Der Kumys schmeckt süss-säuerlich, an Mandeln erinnernd, und stellt in der
Steppe, im heissen Sommer, ein recht angenehmes Getränk dar. Die meisten Kranken
gewöhnen sich sehr schnell an den Genuss von Kumys und ziehen ihn bald jedem
anderen Getränk vor. Manche von ihnen trinken sehr gerne den mittelstarken und
starken Kumys, während der schwache Kumys und die ungegohrene Stutenmilch eher
bei ihnen Widerwillen erzeugen, welcher sich sogar bis zum Erbrechen steigern kann.
Idiosynkrasie gegen den Kumys, d. h. absolutes Nichtvertragen des Kumys kommt
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Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose 307
ungemein selten vor, und braucht deswegen bei der Verordnung dieses Mittels zu¬
nächst gar nicht in Betracht gezogen werden.
Der Genuss geringerer Quantitäten des Kumys dient zur Anregung des Appetits;
in grösseren Quantitäten auf einmal genommen, erzeugt der mittelstarke Kumys das
Gefühl von Fülle im Magen, aber er überladet nicht und beschwert nicht den Magen;
er giebt im Gcgentheil nur das Gefühl behaglicher Wärme im Magen, und einige
Zeit nach dem Genuss auch im ganzen Körper. Nur der schwache Kumys, besonders
wenn er ohne Lust getrunken wird, verursacht das Gefühl von Schwere in der Magen¬
gegend und starke Hervortreibung des Leibes.
Kalter Kumys (12—15° R) in der Menge von Va Flasche auf einmal genommen,
geht bald in den Darm über, regt die Peristaltik an, was sich in gurgelndem Ge¬
räusch bemerkbar macht, und disponiert zum Durchfall. Diese Erscheinungen treten
aber nicht auf, wenn der Kumys in kleineren Dosen (auf einmal nur V 2 1-Glas),
und bei etwas höherer Temperatur des Getränkes (IG —20° R) genommen wird.
Auf die Quantität des Kumys, welche man zu gemessen im stände ist, hat grossen
Einfluss die Temperatur der Luft und ihr Gehalt an Wasserdämpfen, und schliess¬
lich noch die Gewöhnung an den Kumys. Es braucht nicht besonders betont zu
werden, dass je heisser die Temperatur und je trockner die Luft ist, desto leichter
und in desto grösseren Dosen der Kumys, entsprechend dem dann verursachten
grösseren Durste, getrunken werden kann.
Was die Gewöhnung an den Kumys anlangt, so muss man da die aus der Phy¬
siologie bekannte Thatsache wieder konstatieren, dass der Organismus allmählich
an die Aufnahme grosser Quantitäten von Flüssigkeiten gewöhnt werden kann. Man
begegnet nämlich nicht ganz selten kranken und gesunden Menschen, welche bis
20 Flaschen Kumys und mehr pro die geniessen können. Die Durchschnittsmenge,
welche gewöhnlich verordnet wird, übertiifft nicht 5—6—7 Champagnerflaschen für
einen Tag (ungefähr 3 Liter).
Die wichtigste Eigenschaft des Kumys als Nahrungsmittel ist seine leichte Ver¬
daulichkeit, wie das von allen Autoren übereinstimmend hervorgehoben wird. Ilaeber-
lein hat darüber folgendes geschrieben: »Potus Kumys, cui praeter materiam ani¬
malem gelatinosam et serosam multum inest saccharum et aer fixus, habendus est
pro remedio roboranti et nutrienti egregio. Pro mixtione sua et cum humoribus
nostris similitudine facile resorbetur et fere totum in sanguinem transit, vasaque
brevi bonis humoribus implet.« Haeberlein führt dann auch weiter aus, dass der
Kumys dieser seiner leichten Verdaulichkeit wegen, in sehr grosser Menge von ge¬
sunden, ebenso wie von kranken Menschen getrunken werden kann. Dabei braucht
die ausgeschiedenc Urinmenge sich nicht zu vermehren, weil das ganze Wasser in
der heissen Sommerzeit von der Haut und Lunge ausgeschieden wird. Den wissen¬
schaftlichen Beweis für die Leichtverdaulichkeit des Kumys haben zuerst Seeland
und Polubensky geliefert, indem sie die festen Bestandtheile des Urins bei der
Kumyskur bestimmt haben. Es hat sich dabei herausgestcllt, dass bei der Kumys¬
kur der Stoffwechsel bedeutend verstärkt wird. Die späteren Untersuchungen von
Biel, Dscheglinsky, Baikow, Kostjurin u. a. haben die Resultate der früheren
Autoren bestätigt.
Bisher wurde hier von der Wirkung des Kumys auf den menschlichen Körper
im allgemeinen gesprochen. Im folgenden soll diese Wirkung zu erklären versucht
werden, wie sie mit der chemischen Zusammensetzung des Kumys zusammenhängt.
Zur Erläuterung dieser Frage haben sehr viel die Arbeiten von Professor Goluboff
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308 M. Löwensohn
beigetragen. Wir folgen im grossen und ganzen seinen Ausführungen. Darnach
enthält der Kumys freie und gebundene Kohlensäure, und hat gerade deren Anwesen¬
heit eine grosse Bedeutung bei der Beurtheilung der Frage der Leichtverdaulichkeit
des Kumys. Man nimmt gewöhnlich an. dass die Flüssigkeiten, welche Kohlensäure
enthalten, eine günstige Wirkung auf den Magen ausüben; es wurde schon längst
bemerkt, dass einige Getränke und Mineralwassersorten viel besser mit Kohlensäure
als ohne dieselbe vertragen werden. Aus den Versuchen des Professor Pawloff
(»Vorlesungen über die Arbeit der Verdauungsdrüsen«) geht hervor, dass die Kohlen¬
säure die Fähigkeit besitzt, stärkere Absonderung des Saftes der Bauchspeicheldrüse
anzuregen. Die Versuche des Professor Bokai (Archiv für experimentelle Pathologie
und Pharmakologie XXIII) haben ergeben, dass die in den Darm eingeführte Kohlen¬
säure die Peristaltik anregt. Wenn wir uns also an die angeführten Thatsachen er¬
innern und uns vergegenwärtigen, dass der Kumys ziemlich grosse Mengen Kohlen¬
säure enthält, so werden wir dieser letzteren einen guten Theil seiner Leichtverdau¬
lichkeit zu6chreiben.
Der mittelstarke Kumys enthält ungefähr 0,6% Milchsäure. Wenn wir als eine
durchschnittliche Tagesmenge 3 Liter Kumys annehmen, dann bekommen wir die täg¬
liche Aufnahme von 18,0 Milchsäure. Die Milchsäure hat insofern eine Bedeutung,
als sie dem Kumys einen angenehmen sauren Geschmack verleiht. Man schreibt
auch dem Milchsäuregehalt einen guten Einfluss des Kumys auf Dyspepsie und Ka¬
tarrhe des Magendarmkanals zu. Wir wissen auch aus der Physiologie, dass die
Milchsäure eine gewisse Rolle bei der Magen Verdauung spielt. Die Untersuchungen
von Brieger, betreffend die Magenverdauung von Phthisikern, haben ausserdem ge¬
zeigt, dass sogar bei absoluter Abwesenheit der Salzsäure, das Eiweiss nur in den¬
jenigen Fällen verdaut wird, wo man grosse Mengen von Milchsäure in dem Magen¬
inhalt gefunden hat. Ein neues Licht auf die Bedeutung der Milchsäure haben die
Arbeiten des Professor Pawloff geworfen. Sie haben gezeigt, dass die Milchsäure,
ebenso wie die Kohlensäure, die Fähigkeit besitzt, die Funktion der Bauchspeichel¬
drüse anzuregen und auf diesem Wege eine ungenügende oder ahgeschwächte Funktion
des kranken Magens zu ersetzen.
Der Kumys enthält 1,5 —2,5% Alkohol. Die meisten Physiologen stimmen
darin überein, dass Alkohol in geringer Menge und in schwacher Konzentration die
Absonderung der Magen- und Darmsäfte vergrössert.
Der Kumys ist nicht nur ein Nahrungsmittel, sondern er besitzt
auch die Eigenschaften »alterierenderc Wirkung auf den menschlichen
Organismus. Postnikoff hat im Jahre 1865 den Kumys als »remedium alterans«
benannt. Dieser Ausdruck ist bei uns vielleicht nicht mehr ganz gebräuchlich, weil
man diese und ähnliche Ausdrücke zu vermeiden suchte, seitdem sich die positive
Richtung in der Medicin mehr und mehr Bahn gebrochen hat; und doch erscheint
mir die Bezeichnung »alterierende Wirkung« für eine Reihe von Eigenschaften des
Kumys, die durch Beobachtungen vieler Autoren, unter anderen durch die Arbeiten
von Goluboff, genauer studiert wurden, die geeignetste zu sein. Hier ist. nicht die
geeignete Stelle, auf die Frage der alterierenden Behandlung näher einzugehen, und
wir verweisen deshalb auf das von Liebermeister in seinem Buche der »speciellen
Pathologie und Therapie« Gesagte.
Hier sei nur die von Goluboff gegebene Erklärung für die Entstehungsursache
der Konstitutionsanomalieen und über den Einfluss der alterierenden Behandlung auf
die Veränderung der Konstitution angeführt. »Bei normalem Zustande der den Or-
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Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. 309
ganismus zusammensetzenden zelligen Elemente«, führt Gobuloff aus, »bei ihrer
guten Entwicklung und regelmässigen Funktion macht der Organismus den Eindruck
dessen, was man im allgemeinen als Gesundheit bezeichnet«.
»Zwischen den zelligen Elementen des Organismus und den Körpersäften (Lymphe,
Blutplasma) bestehen im allgemeinen dieselben Beziehungen wie zwischen den orga¬
nischen Fermenten und den von ihnen zersetzten Stoffen. Die Wirkung und die
Eigenschaften der organischen Fermente können durch verschiedene Umstände in
hohem Masse beeinflusst werden. Ebenso werden auch die Eigenschaften der zelligen
Elemente des Organismus von mannigfachen Ursachen beeinflusst. Diese veränderten
anormalen Eigenschaften können auch vererbt werden. Abnorme Eigenschaften oder
pathologische Funktionen der zelligen Elemente des Körpers können z. B. unter dem
Einflüsse des Nervensystems entstehen.«
»Andererseits aber werden auch die Eigenschaften resp. Funktionen der zelligen
Elemente entsprechend der abnormen Beschaffenheit der Körpersäfte sich verändern,
so z. B. wenn sie toxische Substanzen, welche auf die Zellen schädlich ein wirken,
enthalten. Mag nun dem sein, wie ihm wolle, wenn diese abnormen Eigenschaften
dauernd bestehen bleiben, wenn die zelligen Elemente sich daran gewöhnt haben,
abnorm (unregelmässig) zu funktionieren, dann kommt eine funktionelle Ernährungs¬
störung zu Tage. Die Aufgabe der alterierenden Behandlungsmethode wird demnach
darauf hinauskommen, die abnorme Funktion der zelligen Elemente zu verändern,
die mangelhafte Funktion derselben zu verbessern. Zu diesem Zwecke muss man
das entstandene fehlerhafte Gleichgewicht zwischen den Geweben und Säften zu be¬
einflussen suchen.«
Im allgemeinen kann man behaupten, dass die Erhöhung des Stoffwechsels als
Eigenschaft aller der Behandlungsmethoden betrachtet werden kann, welche man
schon längst als alterierende bezeichnet (Stoffwechselkuren). Wenn man für das
Kriterium der alterierenden Wirkung die Erhöhung des Stoffwechsels nimmt, dann
sind wir nach den Untersuchungen von Biel, Stange, Goluboff, Dochmann etc.
gezwungen, den Kumys als ein »alterans« anzusehen.
Worauf die alterierende Wirkung bei der Kumysbehandlung beruht, ob und
inwiefern dabei reichliche Schweissabsonderung während der heissen Sommerzeit oder
reichliche Flüssigkeitsaufnahme, ebenso wie reichliche Aufnahme der eiweissreichen
Nahrung in Betracht kommt, oder ob diese alterierende Wirkung auf Zusammenwirken
dieser drei Agentien beruht, bleibt heutzutage noch unentschieden. Das letzte ist
aber viel wahrscheinlicher, da jedem der drei Agentien die Fähigkeit, den Stoffwechsel
im Organismus anzuregen, zugeschrieben wird.
Wir wollen hier nur auf eine allgemein bekannte Thatsache hinweisen, auf die
manchmal geradezu kolossale Zunahme des Körpergewichts durch eine Kumyskur.
Die Zunahme von 20-25—30 Pfund in 1V* —2 Monaten ist keine Seltenheit. Solche
günstigen Resultate in so verhältnissmässig kurzer Zeit sind mit kaum irgend einer
anderen Methode der reichlichen Ernährung zu erreichen. Viele Autoren sprechen
von der sogenannten »Nachwirkung«, welche bei der Kumystherapie beobachtet wird.
Der Gesundheitszustand des Kranken nach beendeter Kur pflegt sich noch dauernd
weiter zu bessern; die betreffende Person nimmt in vielen Fällen auch nach be¬
endigter Kur noch an Gewicht zu; ihre Kräfte und ihr Allgemeinbefinden heben sich.
Besonders wird diese Nachwirkung bei den Magen- und Darmleidenden häufig be¬
obachtet. Man kann sich das vielleicht so vorstellen, dass die kranke Schleimhaut
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310 M. Löwensohn
des Darmkanals unter dem Einfluss der Kumystherapie sich so gut erholt hat, dass
sie später besser den an sie gestellten Anforderungen zu entsprechen vermag.
Was d^n Einfluss des Kumys auf den Zirkulationsapparat und auf
das Blut betrifft, so werden wir uns da möglichst kurz fassen, weil die Ansichten
darüber noch getheilt sind. Nach der Kumysaufnahme wird der Puls frequenter,
der Blutdruck steigt je nach der Quantität des genossenen Kumys. Die Pulsfrequenz,
ebenso wie der Blutdruck kehren am Morgen des nächsten Tages zur Norm wieder
zurück. Ausser der vorübergehenden Blutdruckssteigerung, welche unmittelbar nach
der Kumysaufnahme beobachtet wird, hat man noch eine dauernde Blutdrucksteige¬
rung als Resultat der erfolgreichen Behandlung gesehen. Am häufigsten wird dies
bei heruntergekommenen Kranken mit schwacher Herzthätigkeit, bei Anämie, Chlo¬
rose etc. beobachtet. In diesen Fällen kann sich der Blutdruck um 10—20—30 mm
steigern.
Was die Veränderungen der Blutbestandtheile anlangt, so sind es Goluboff
und Ljachowezky, welche sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Bei den Unter¬
suchungen Goluboff’s, welche nach der Ehrlich’schen Methode gemacht wurden,
haben sich folgende Resultate herausgestellt:
1. Die Zahl der eosinophilen Zellen bleibt unverändert.
2. Die Zahl der neutrophilen Zellen wird bei dem Kumysgebrauch grösser.
3. Die absolute Zahl der Leukocyten vermehrt sich bedeutend.
4. Ebenso vermehrt sich die Zahl der grossen rothen Blutkörperchen — Ma-
krocyten, es entsteht sozusagen Makrocytose.
Seine Untersuchungen hat Goluboff am Blute ganz gesunder Menschen ge¬
macht. Ljachowezky dagegen hat seine Untersuchungen am Blute von Phthisikern
gemacht und hat folgende Resultate erhalten:
1. Die Zahl der Leukocyten wird gewöhnlich in dem Sinne verändert, dass sie
zur Norm zurückgebracht wird, und nur in den Fällen, wo der krankhafte Prozess
progredient fortschreitet, findet man massige Hyperleukocytose. Letzteres ist be¬
sonders der Fall im dritten Stadium der Tuberkulose.
2. Das Verhältniss der verschiedenen Formen der weissen Blutkörperchen zu
einander verändert sich in der Weise, dass sie dem normalen Verhalten derselben
näher kommt. Nur in wenigen Fällen des Spitzenkatarrhs bei Besserung des All¬
gemeinbefindens, aber bei bleibenden lokalen Veränderungen, blieb das anormale
Verhältniss bestehen.
Diese Veränderungen im Blute wurden vom Autor schon 17 — 10 Tage nach
dem Beginne der Kur konstatiert.
Besonderer Besprechung verdienen noch die bakteriologischen Eigen¬
schaften des Kumys. Jeder Kumystropfen enthält eine grosse Menge von Mikro¬
organismen in der Form von kurzen und langen Stäbchen, ausserdem auch Pilze der
Akoholgährung, Saccharomyces. Wie die Untersuchungen Stange’s und Goluboffs
gezeigt haben, sind diese Stäbchen nichts anderes, als verschiedene vegetative Formen
von Bacterium acidi lactici. Wenn man dieses Bacterium auf verschiedenen zucker¬
haltigen Nährböden züchtet, dann kann man alle diese Uebcrgangsformen beobachten.
Ausser diesen zwei Formen kommen gelegentlich auch andere Mikroorganismen vor,
z. B.: Sarcina alba, Bacterium subtilis, Clostridium butyricum, Oidium lactis etc.,
aber sie sind nicht für den Kumys charakteristisch. Von anäroben Bakterien konnte
Goluboff in dem Kumys keine finden.
Die Bedeutung des Bacterium acidi lactici und Saccharomyces bei der Kumys-
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Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. 31 1
gährung ist ganz klar; das erste erzeugt die Milchsäuregährung, das letzte Alkohol-
gährung. Welche Bedeutung diese Mikroorganismen bei der Peptonisation des Ei-
weisses haben, ist heutzutage noch nicht mit Sicherheit zu entscheiden.
Was die Indikationen zu der Kumysbehandlung anbetrifft, so sind es im
allgemeinen Abmagerung und Kräfteverfall: bei Dyspepsie, bei chronischen Katarrhen
des Digestionsapparates, bei funktionellen Nervenleiden und bei Lungentuberkulose,
besonders in nicht zu weit vorgeschrittenen Fällen von Tuberkulose. Uebcr die An¬
wendung bei diesem letzteren Leiden wollen wir nun besonders berichten.
Der Kumys giebt keine Kontraindikation zur Verordnung von Kreosotpräparaten
ab. Am besten sind es die torpiden Fälle von Lungenphthise, ohne Fieber oder
mit geringen Fiebersteigerungen, für welche die Kumysbehandlung zu empfehlen ist.
Die Fälle von Tuberkulose mit ausgesprochenem hektischen Fieber oder mit Lungen¬
blutungen werden von einigen Autoren (Karrik, Stange) als keine Kontraindikation
zu der Kumyskur betrachtet; wenn man aber die Eigenschaft des Kumys, Blutdruck¬
steigerung hervorzurufen, in Betracht zieht, dann muss man wenigstens bei der Ver¬
ordnung desselben den Kranken, welche zu Lungenblutungen disponiert sind, dieses
Mittel nur in kleinen, darum häufiger dargereichten Dosen verordnen, um keine Blut¬
drucksteigerung hervorzurufen (Stange). Besonders vorsichtig muss man sein bei der
Verordnung des Kumys an diejenigen Phthisiker, welche ausserdem an Endarteriitis
leiden. Dabei hat Stange noch feststellen können, dass das Blutspucken immer
unmittelbar nach dem Sinken des Barometers zum Vorschein kam. Deswegen sind
die Fälle von Lungenblutungen unter seinen Kranken immer gehäuft vorgekommen;
und man kann demnach den Blutungen meist Vorbeugen, indem man zu der Zeit
des niedrigen Standes des Barometers diesen Kranken keinen Kumys verordnet und
bei neuer Verordnung desselben nur kleine und häufige Dosen bestimmt.
Was die für die Kumyskuren geeignetste Jahreszeit anbetrifft, so ist es am
besten, wenn man dazu die Monate Mai, Juni, Juli und August bestimmt, welche
als heisse Sommermonate am meisten dazu geeignet sind, die Aufnahme des Kumys
in möglichst grosser Menge zu erleichtern. Es ist sehr schwer, bestimmte Regeln
für die Art und Weise der Kumysbehandlung aufzustellen; und wenn man überhaupt
in der Therapie immer mit besonderen Eigenschaften jedes einzelnen Falles rechnen
muss, so gilt das noch in höherem Maasse als sonst von der Kumystherapie. Im
allgemeinen kann man sagen: je mehr Kumys der Kranke zu sich nimmt, je länger
die Kumyskur dauert, desto mehr kann man auf radikale Heilung hoffen.
Wir sagten schon, dass man bei der Kumyskur nicht schablonenmässig verfahren
darf, sondern individualisieren muss. Wir werden jedoch an dieser Stelle eine Ver¬
ordnung als Beispiel einer Kumyskur anführen, welche nach Goluboff die besten
Resultate verspricht.
Der Kranke muss möglichst früh, z. B. 10 Uhr abends, zu Bette gehen, um sich
gut auszuruhen und um möglichst früh, z. B. 7 Uhr morgens, aufzustehen. Den Kumys
muss man am besten zwischen 8 Uhr morgens bis (> Uhr abends trinken; später darf der
Kumys nicht getrunken werden, weil sonst der Schlaf gestört werden kann. Die
Diät wird im übrigen nach allgemeinen Regeln kräftig und gesund verordnet.
Dass die Lungentuberkulose durch die Kumysbehandlung nicht bloss wesentlich
gebessert, sondern auch in verhältnissmässig kurzer Zeit völlig geheilt werden kann,
das beweisen zum Beispiel die Fälle, über welche Dr. Karrik und I)r. Stange be¬
richtet haben.
Was den Einfluss des Kumys auf die einzelnen Symptome der Krank-
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UMIVERSITY OF MICHIGAN a
312 M. Löwensohn
heit anhelangt, so geht mit der Besserung des Allgemeinbefindens die Temperatur
herunter, der Husten und die Nachtschweisse schwinden.
Dochmann sagt sogar, dass man bei dem Kumysgebrauch in den meisten
Fällen das Morphium ganz entbehren kann. Der Verminderung des Hustens geht
die Besserung der anderen Krankheitserscheinungen nicht parallel, sondern der Husten
vermindert sich schon von den ersten Tagen der Behandlung an. Die Ursache davon
ist nach Stange darin zu suchen, dass bei der reichlichen Kumysaufnahme das
ganze, den Organismus zusammensetzende Gewebe und auch das Nervengewebe gut
durchfeuchtet und deswegen weniger erregbar wird, und dass zweitens die Expek¬
toration bedeutend erleichtert wird, weil der schleimig zähe Auswurf dünnflüssig und
auf diese Weise leichter aus den Lungen herausbefördert werden kann.
Was den Einfluss des Kumys* auf den Bluthusten anbelangt, so sind die Mei¬
nungen der Autoren in dieser Frage getheilt. Die einen sagen, dass der Kumys
keinen Einfluss auf den Bluthusten besitzt, die anderen (Karrik) dagegen behaupten,
dass die früher sich oft wiederholenden Lungcnblutungen sehr bald nach dem Be¬
ginn der Kumyskur verschwinden, um nicht mehr aufzutreten. Einige Gelehrte be¬
haupten wiederum, worauf schon von uns hingewiesen wurde, dass der Kumys selbst
Lungenblutungen hervorrufen kann. Zur Unterstützung ihrer Meinung verweisen die
letzteren auf die Eigenschaft des Kumys, Blutdrucksteigerungen hervorzurufen. Die
Ansicht von Dochmann versöhnt die entgegengesetzten Meinungen. Dochmann
meint nämlich, dass der Kumys den aktiven Bluthusten, welcher von der Zerreissung
der kleinen Gefässe wegen der Ueberfüllung des kleinen Kreislaufs oder von der
Errosion der Gefässwandungen abhängt, verstärken, und umgekehrt, den passiven
Bluthusten, welcher von der Stauung im kleinen Kreislauf abhängt, zum Stillstand
bringen kann, weil der Kumys als ein Mittel bekannt ist, welches die Herzthätigkeit
anregt und auf diese Weise der Stauung in dem kleinen Kreislauf und der Blutung
Vorbeugen kann. Im allgemeinen gilt es als Regel, dass man die Kumyskur bei
Hämoptoe mit Vorsicht auwendet. Von 114 Phthisikern, welche während der Kumys¬
kur unter der Behandlung Stange’s standen, wurde der Bluthusten bei 31 Kranken,
d. h. in ungefähr 27 % aller Fälle beobachtet.
Dabei sind auch solche Fälle mitgerechnet, wo das Blut nur in sehr geringer
Menge vorhanden war, z. B. in Form von Blutfäden oder Blutflecken im Auswurf.
Stange hat die Hämoptoe in der weitaus grösseren Mehrzahl der Fälle nur beim
Beginn der Kumyskur beobachtet; er meint, dass der Einfluss des Kumys auf die
Hämoptoe in Zusammenhang mit der guten Ernährung des ganzen Organismus stehe.
Die Gefässwandungen, welche das Ernährungsmaterial in grosser Menge bekommen
und gut genährt werden, leisten dem Blutdrucke grösseren Widerstand und können
nicht leicht zerrissen werden. Das erklärt uns vielleicht, warum die Hämoptoe
meistens im Beginne der Kumyskur vorkommt, d. h. dann, wenn der Ernährungs¬
zustand sich noch nicht gebessert hat.
Zum Schlüsse dieser Arbeit sollen noch die Kumysheilanstalten und die
Bedingungen für die Kumystherapie in Russland kurz besprochen werden.
Wer sich für diese Frage, die wir hier nicht vollständig erschöpfend behandeln
können, besonders interessiert, dem sei das Buch von Dr. Michailoff: »Umriss der
gegenwärtigen Bedingungen für die Kumystherapie im Osten Russlands« empfohlen.
Der Kumys wird heutzutage fast in jeder grossen russischen Stadt Ost-Russ¬
lands zubereitet; aber seine Qualität ist, mit wenigen Ausnahmen, in den Städten
sehr gering, weil hier meistens die Bedingungen fehlen, welche für die Zubereitung
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Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. 313
eines guten Kumys erforderlich sind, wie z. B. eine genügende Anzahl junger Stuten,
die nicht tuberkulös sein und auch nicht zu der Arbeit verwendet werden dürfen;
das Vorhandensein guter Weideplätze in der Nähe der Stadt u. s. w. Deswegen ist
es viel besser, den Kranken zu empfehlen, sich für die Kumyskur in die Steppen
zu begeben, umsomehr, als die Steppe mit ihrer reinen, trockenen Luft, mit ihrer
sengenden Sommersonne, mit ihrer üppigen Vegetation schon an und für sich günstig
auf den kranken Organismus einwirkt. Für diejenigen Kranken, welche keiner be¬
ständigen ärztlichen Hülfe bedürfen, ist es zu empfehlen, sich in die kirgisischen
Dörfer in den Provinzen Samara, Ufa, Orenburg u. a. zu begeben, wo sie zu mässigem
Preise guten Kumys haben können.
Obgleich die Kirgisen auf sehr niedriger Stufe der kulturellen Entwicklung
stehen, braucht man doch ihnen gegenüber nicht misstrauisch zu sein, da sie ein
ruhiges, arbeitsames und nüchternes Volk sind. Besonders bemerkenswerth ist es,
dass die Kirgisen, diese halbwilden Nomaden, gegen die unter ihnen lebenden Kranken
weiblichen Geschlechts besonders ehrerbietig und zuvorkommend sind. Dr. Michai-
loff betont dies in seinem Werke nachdrück liehst.
Es ist selbstverständlich, dass man sich in der Wohnung eines Kirgisen nicht
mit der Bequemlichkeit einrichten kann, wie in einer civilisierten europäischen Stadt;
aber die nothwendige gesunde und gut gelüftete Wohnung kann man auch in den
kirgisischen Dörfern finden, und zwar eignet sich zum Aufenthalte entweder ein
gewöhnliches Nomadenzelt oder eine Bauernstube, ähnlich den Stuben russischer
Bauern.
Allerdings wird mit Recht darauf hingewiesen, dass in diesen Dörfern ärztliche
Hülfe sehr schwierig zu haben ist, so dass man im Nothfalle einen Arzt aus den
benachbarten russischen Dörfern herbeirufen muss.
Von den Kumysheilanstalten, welche jetzt in Russland eingerichtet sind, erfreuen
sich eines besonders guten Rufes die Kumysheilanstalt von Dr. Karrik in der Nähe
von Orenburg und die von Dr. Schdanow, welche in der Nähe von der Station
Schafranowo an der Samara-Slatoust Eisenbahnlinie liegt; erstere ist nur bemittelten,
letztere auch weniger bemittelten Patienten zugänglich. Ausserdem giebt es noch
in Russland eine ganze Reihe von ähnlichen Anstalten, aber die Preise sind überall
ziemlich hoch, und das verschliesst selbstverständlich den breiten Massen der Bevöl¬
kerung did Thüren dieser Anstalten.
In den letzten Jahren bricht sich in Russland die Ansicht mehr Bahn, welche
Professor Lewaschoff auf dem VII. Pirogow’schen Kongress geäussert hat: »Die
Kumystherapie sollte heutzutage als wirksamstes Heilmittel im Kampfe gegen Tuber¬
kulose betrachtet werden.« In ärztlichen Kreisen werden immer wieder von neuem
die Stimmen laut, dass es an der Zeit sei, die Aufmerksamkeit mehr auf dies kost¬
bare Heilmittel zu wenden und die Kumysheilanstalten in grösserem Maassstabe
einzurichten, um den Kumys zu verbilligen und damit auch den wenig Bemittelten
zugänglich zu machen.
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314
Salge
Kritische Umschau.
Künstliche Präparate für die Ernährung 1 des Säuglings.
Von
Dr. Salge,
Assistent der Kinderklinik (Charite).
Die grosse Bedeutung, welche die künstliche Ernährung des Säuglings gewonnen
hat, hat eine Industrie ins Leben gerufen, die eine unübersehbare Menge von Nähr¬
präparaten für den Säugling auf (len Markt bringt. Diese Präparate lassen sich im
wesentlichen in zwei Gruppen theilen, 1. solche, die für sich allein eine vollständige
Nahrung oder doch wenigstens einen wesentlichen Bestandtheil derselben sein sollen,
2. Präparate, die als Zusätze zur Nahrung, diese für den Säugling geeigneter machen
oder für sich allein bei Verdauungsstörungen zu einer Ruhediät dienen sollen.
Der leitende Gedanke bei der Herstellung der zu Gruppe I gehörigen Präparate
(wenigstens bei dem grössten Theil derselben) ist der möglichst gute Ausgleich der
zwischen der Zusammensetzung von Frauen- und Kuhmilch bestehenden Unterschiede;
das Ziel ist eine Nahrung, welche die einzelnen Nährstoffe in demselben Verhältniss
wie die Frauenmilch enthält und in der die Qualität der Nährstoffe, besonders des
Eiweisses, möglichst der Frauenmilch ähnlich ist.
Das Eiweiss (Kasein) der Kuhmilch, das in seiner Menge und Art nach weit
verbreiteter Ansicht schädlich sein soll und für alles mögliche verantwortlich ge¬
macht wird, wird herabgesetzt, durch eine Art Vorverdauung für den Säugling zu¬
gänglicher gemacht oder durch fremdartige leichter verdauliche Eiweissstoffe ersetzt.
Das Fett wird möglichst auf seiner mittleren Höhe von 3 °/ 0 erhalten oder noch
erhöht. Zucker wird annähernd in demselben Verhältniss gehalten wie in der
Frauenmilch.
Das älteste dieser Präparate ist das Biedert’sche künstliche Rahmgemenge,
das wegen der grösseren Bequemlichkeit an die Stelle des natürlichen gesetzt wurde.
Obgleich streng genommen nicht hierher gehörig, mag das natürliche Rahm¬
gemenge kurz erläutert werden, weil es die Herstellung derartiger Präparate gut
veranschaulicht.
1 1 / 2 —2 Liter Vollmilch lässt man zwei Stunden lang kühl stehen und schöpft
den Rahm, etwa 150 ccm, ab. Mischt man Vs Liter dieses Rahms mit ‘Vs Liter
Wasser -f- 18 g Milchzucker, so erhält man die Nahrung I für Neugeborene. Durch
Zusatz von Vio, Vs, 1 U , Vs Liter Milch werden weitere Stufen gewonnen.
Anstatt den Rahm selbst herzustellen, kann man die Rahmkonserve (künst¬
liches Rahmgemenge), fabriziert von Dr. Sauer, vormals Pizzala in Zwingenberg
und von Drenckhan in Stendorf bei Kasseedorf in Holstein, benutzen.
1 Löffel Konserve mit 13 Löffel Wasser und 2 Löffel Milch geben Mischung I,
Zusatz von 3 Löffel Milch Mischung II u. s. w. Es werden so 14 Stufen hergestellt.
Fabrikmässig wird das Rahmgemenge trinkfertig in fünf Stufen, entsprechend
dem natürlichen Rahmgemenge, hergestellt von W. Schneider in Mainz und
Th. Timpe in Magdeburg.
Der Biedert’schcn Rahmkonserve nachgebildet ist Löfflund’s Rahmkonserve,
die einen Theil der Kohlehydrate als Maltose enthält. Die Anwendung geschieht
so, dass V'i Liter Kuhmilch, 2 /a Liter Wasser, 50 g Rahmkonserve, 30—35 g Milch¬
zucker gemischt werden. Das Ganze wird aufgekocht oder im Soxhlet. sterilisiert.
Zu beziehen durch Löfflund in Stuttgart.
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Künstliche Präparate für die Ernährung des Säuglings.
315
Ein ähnliches, trinkfertig in den Handel kommendes Präparat ist die Gärtner¬
sehe Ecttmilch, die mit der Ccntrifuge aus zur Hälfte mit Wasser verdünnter Voll¬
milch bereitet wird. Das fertige Präparat enthält im Mittel 1,5% Eiweiss, 3% Fett,
(5—7% Zucker.
Vegetabilisches Fett findet in der Lahmann’schen vegetabilischen Milch
Verwendung. Die Art der Bereitung ist ähnlich der des Biedert'sehen Rahmgemenges;
an Stelle des Rahms tritt eine Pflanzenfettkonserve aus Nüssen, Mandeln etc.
Ein Schritt weiter in der »Verbesserung« der Milch ist bei den folgenden
Präparaten geschehen durch Vorverdauung des Eiweisses oder durch Ersatz des schwer¬
verdaulichen durch ein leichtverdauliches Eiweiss.
Die Backhaus-Milch wird so hergestellt, dass Magermilch, in der das Eiweiss
durch Trypsin vorverdaut ist, mit Wasser und Rahm versetzt wird. Das fertige
Präparat enthält Kasein 0,6%, Albumin 1%, Fett 3%, Milchzucker 6—7%. Ein
ganz ähnliches Präparat ist die Voltmer’sclie Muttermilch.
Einen Zusatz von fremdartigem Eiweiss enthält die Rieth'sehe Albumosen-
milch.- Hier ist das Kasein ersetzt durch eine aus dem Hiihnereiweiss hergestellte
Albumose. Zusatz von Rahm und Zucker.
Auch die in neuerer Zeit fabrikmässig hergestellten Eiweisspräparate haben
vielfach Verwendung gefunden. Erwähnt sei die Hartmann’sch'e Somatoseniilch
und eine mit Zusatz von Somatose hergestellte Rahmkonserve, die von Sauer in
Zwingenberg unter dem Namen Somatose Ramogen in den Handel gebracht wird.
Die Ilempel-Lehmann’sche Milch wird bereitet durch Verdünnung der
Kuhmilch bis zu einem Kaseingehalt von 0,75%. Zusatz von Ilühnereiweiss und
eines Eidotters, von Rahm und Zucker.
Das Ei hat ferner Verwendung gefunden in dem Hessc-rfund’schen Eipulver,
das mit verdünntem Rahm geliefert und diesem zugesetzt wird (1 Pulver auf 50 ccm
Rahm).
Es war zu erwarten, dass die vielen Manipulationen und Umänderungen, die
an der Kuhmilch vorgenommen wurden, schliesslich dahin führten, die Nahrung über¬
haupt künstlich zusammen zu setzen. Ein Präparat dieser Art ist die Rosc'sche
Muttermilch; sie ist aus Milcheiweiss, Butterfett, Zucker, Salzen und Wasser zu¬
sammengesetzt und ähnelt in den quantitativen Verhältnissen der Frauenmilch.
An Milchkonserven, die kondensiert in Büchsen zum Verkauf kommen, sei die
weitverbreitete sogenannte Schweizermilch erwähnt, ein sehr zuckerreiches Präparat,
und die Milchkonserve, die neuerdings von der Löfflund’schen Fabrik in den
Handel gebracht wird und ohne Zusatz von Zucker präpariert ist.
Fertige Nährpräparate in trockener Form herzusteilen ist verschiedentlich ver¬
sucht worden und hat in der bedeutend besseren Haltbarkeit derartiger Konserven
seine Berechtigung.
Ein gutes Präparat dieser Art ist z. B. Allenburg’s Milchnahrung. Es
kommen zwei Sorten in den Handel (eine dritte Sorte wird später noch zu erwähnen
sein), die sich dadurch von einander unterscheiden, dass No. 2 etwas fettärmer ist
als No. 1 und mehr Kohlehydrate enthält als No. 1. Ausserdem ist bei No. 2 ein
grösserer Theil der Kohlehydrate als Maltose vorhanden als bei No. 1.
Damit mag die Reihe der eigentlichen Milchsurrogate beendet sein.
Als Uebergang zur Gruppe II ist ein Präparat zu nennen, das für sich allein
keine Säuglingsnahrung ist, aber zur Bereitung der Liebig-Keller’schen Malzsuppe
verwendet wird. Der dazu nothwendige alkalische Malzextrakt wird mit dem richtigen
Zusatz von Kalicarbonicum unter dem Namen Malzsuppenextrakt von Löfflund,
von Scheering u. a. in den Handel gebracht. Es existieren dafür auch verschiedene
trockene Malzpräparatc.
Wo die Herstellung der Liebig’sehen Suppe zu schwierig erscheint, kann das
als Allenburg’s Nahrung No. 3 bekannte Präparat (Maltcd Food) angewendet werden.
Es giebt mit Milch, Wasser und Zucker nach Vorschrift zubereitet eine Nahrung, die
der Liebig-Keller’schen Malzsuppe sehr nahe steht
In Gruppe II seien zunächst fermentative Zusätze zur Milch, die eine bessere
Verdaulichkeit des Eiweisses erzielen sollen, genannt.
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316 Salgc, Künstliche Präparate für die Ernährung des Säuglings.
Solche Zusätze sind z. B. Timpc’s Milchpulver (Pankreatin und Zucker), das
in Mengen von V 4 Theelöft'el zu 100 ccm Milch zugesetzt wird, und das Pegnin des
Dr. v. Düngern, das von den Höchster Farbwerken in den Handel gebracht wird.
Letzteres Präparat will die grobflockige Gerinnung des Kuhmilchk&se'ins dadurch un¬
schädlich machen, dass die Labgerinnung schon vorher in der Flasche besorgt wird
und die entstandenen groben Gerinnsel mechanisch zerkleinert werden. 1
Die Kindermehle, die nun zu besprechen sind, werden in ausserordentlich
grosser Zahl auf den Markt gebracht. Soweit diese Präparate als alleinige Nahrung
des Säuglings dienen sollen, sind sie unbedingt zu verwerfen; denn sie bestehen
beinahe nur aus Kohlehydraten (der sogenannte Milchzusatz bei einigen Mehlen ist
praktisch ohne jede Bedeutung), und die mit ihnen bereiteten Abkochungen, ge¬
wöhnlich 5<>/o, haben einen so geringen Kalorieengehalt, dass zur Deckung des
Energiebedarfs eines 5000 g schweren Säuglings 2,5 1 nothwendig wären. Sie werden
vielfach in milchhaltige und reine Mehle geschieden. Zu ersteren gehören z. I». die
Präparate von Nestle, Bademann, Muffler, Theinhardt, Opel’s Nährzwieback,
Löfflund’s Milchzwiebak u.s.w. Zu den reinen Kindermehlen gehören u. a. Kufecke’s
Mehl, Mellin’s Food etc.
Die Reihe dieser Präparate ist mit den genannten durchaus nicht erschöpft, sie
genügen aber vollkommen als Beispiele.
• Es wurde oben schon gesagt, dass der Milchzusatz ohne jede praktische Be¬
deutung ist und ohne Fehler vernachlässigt werden darf.
Eine Bedeutung haben diese Präparate als Ruhediät bei Darmkrankheiten, als
Zusatz zur Milch an Stelle von gewöhnlichem Mehl. So kann z.B. in den von Heubner
angegebenen Mischungen vortheilhaft eines dieser Kindermehle angewendet werden:
unbedingt nothwendig sind diese Kindermehle aber nicht, es geht auch mit ge¬
wöhnlichem Mehl, sofern dieses nur an sich von guter Qualität und Reinheit ist
Man darf wohl sagen, dass die Nährmittelindustrie die Aufgabe, einen Ersatz
für Muttermilch und eine allgemein gültige künstliche Ernährung zu schaffen, bisher
nicht gelöst hat; andrerseits ist anzuerkennen, dass diese Präparate in vielen Fällen
der künstlichen Ernährung gute Dienste leisten können, namentlich da, wo nach dem
Ueberstelien von Magendarmkrankheiten die Rückkehr zur Kuhmilch erschwert ist;
wo die Kinder mit Kuhmilch nicht vorwärts kommen wollen, da ist oft die An¬
wendung dieser Präparate von Nutzen. Bestimmungen für den einzelnen Fall müssen
für jedes Mal gesondert getroffen werden, allgemeine Regeln lassen sich darüber nicht
aufstellen. Bemerkt darf vielleicht werden, dass die fettreichen Präparate, z.B. Gärtner¬
oder Backhausmilch, oft recht gute Resultate bei Frühgeburten geben und da zu
empfehlen sind, wo eine Amme nicht zur Verfügung steht.
Bei Atrophie und chronischen Verdauungsstörungen ist im allgemeinen eine
kohlehydratreiche Nahrung, z. B. Liebigsuppe, vorzuziehen.
Als Dauernahrung für den Säugling sind alle diese Surrogate nicht geeignet.
Wir haben es in ihnen stets mit Konserven zu thun, die aller Eigenschaften
einer frischen Nahrung entbehren. Die Erfahrung hat gelehrt, dass schwere Er¬
nährungsstörungen, wie die Barlow’sche Krankheit, häufiger geworden sind seit
weiterer Ausbreitung dieser Konservennahrung.
So geeignet also diese Präparate im einzelnen Falle zeitweilig sein mögen, im
allgemeinen haben die Kuhmilch und die aus ihr hergestellten Verdünnungen noch
nichts von ihrer Bedeutung für die künstliche Ernährung des Säuglings eingebüsst.
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Referate über Bücher und Aufsatze.
Referate über Bücher und Aufsätze.
Pani Jacob und Gotthold Panuwitz, Entstehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose.
Bd. I. Leipzig 1901. Verlag von Georg Thieme.
»Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts«, wir folgen den Worten der Verfasser, »und
wohl auch die folgenden haben in medicinischer Hinsicht hauptsächlich zwei Aufgaben zu erfüllen,
die Erforschung der Entstehung und der Bekämpfung der grossen Volkskrankheiten«. Im Mittel¬
punkt weitgehendsten Interesses sowohl in medicinischer wie in soziologischer Hinsicht steht die
Volkskrankheit xar die Tuberkulose; und seit der denkwürdigen Tagung des ersten
Kongresses zur Bekämpfung derselben im Jahre 1899 ist das Bestreben, ihre Wurzeln zu erforschen
und Maassregeln gegen ihre Ausbreitung zu finden, ein Allgemeingut der ganzen kulturellen Welt
geworden. In diesem Beginnen ist die wissenschaftliche Forschung unbedingte Voraussetzung und
wenn irgendwo, so hat sich hier die exakte, systematische Arbeit als die Grundlage jedweder Er-
kenntniss erwiesen.
Die Probleme der Entstehung der Tuberkulose beherrschen das medicinische Denken seit
Jahrhunderten; hin und her wogte und wogt theilweise noch der Streit der Meinungen. Hier
haben die Verfasser des vorliegenden verdienstvollen Werkes eingesetzt und mit Hilfe einer in den
deutschen Lungenheilstätten angesteilten Sammelforschung ein Material zu Tage gefördert, das in
seinem Umfange, seiner Verarbeitung und seinen Ergebnissen ein bedeutsames Stück Wegs in der
Erforschung der Tuberkulose als Volkskrankheit vorstellt. In den Bereich der Statistik wurden
fast alle deutschen Lungenheilstätten, sowie ausserdem säramtliche in den letzten vier Dezennien
an Tuberkulose verstorbenen Angehörigen der Lebens Versicherungsgesellschaften »Victoria« sowie
der »Preussischen Lebensversicherungsgesellschaft« gezogen, ein Material, das sich insgesammt auf
3907 Personen erstreckt. Die Fragebogen wurden an die Insassen der Lungenheilstätten direkt
geschickt, und die Ausfüllung derselben erfolgte, allerdings unter Mitwirkung der Anstaltsärztc,
durch die Kranken selbst. Die der Sammelforschung zu gründe liegenden Fragen erstreckten sich
vor allem auf etwa vorhandene hereditäre Belastung von seiten der Eltern wie der Geschwister,
auf die Art der Ernährung in den ersten Lebensjahren (ob Mutter-, Kuhmilch oder Surrogate), auf
die Lebensverhältnisse in der Kindheit, auf etwaiges Zusammenleben mit Lungenkranken, auf Be¬
ginn und Verlauf der späteren Erkrankung sowie auf weitere persönliche Verhältnisse. Dem Frage¬
bogen war eine genaue Information über die zu beantwortenden Fragen beigegeben, die die präzise
Ausfüllung bedeutend erleichterte. Und das Resultat war ein überraschend günstiges: die Be¬
antwortung der Fragen erfolgte ebenso bereitwillig wie eingehend Dieses Material von mehreren
tausend Fällen bildet unleugbar eine vorzügliche Unterlage für die weitere Frage der Entstehung
und daran anschliessend auch der Bekämpfung der Tuberkulose; sucht sie doch in denkbar schärfster
Form die Bedingungen zu ergründen, unter denen es dem in den menschlichen Organismus ein¬
gedrungenen Tuberkelbacillus überhaupt möglich ist, die spezifischen krankhaften Gewebsverände¬
rungen, die eigentliche Krankheit zu erzeugen.
Der uns vorliegende erste Band des gross angelegten Werkes, dem die Verlagshandlung Georg
Thieme, wie gewohnt, eine vorzügliche Ausstattung mit auf den Weg gegeben hat, umfasst also
die Aetiologie der Tuberkulose, die Verwerthung des Fragebogenmaterials wie
weiterhin die methodische Bearbeitung der einzelnen Entstehungsursachen der
Lungentuberkulose; der zweite im Herbst zur Erscheinung gelangende Band soll die auf der
ätiologischen Kcnntniss beruhenden Abwehrmaassregeln einer ausführlichen Betrachtung unterziehen.
Während die Spezialtabeflen, geordnet nach den einzelnen Lungenheilstätten, die Beantwortung
der verschiedenen Fragen wiedergeben, enthält eine sich daran anschliessende Generaltabelle
diejenigen Momente, welche für alle Fragen der Entstehung der Lungentuberkulose in Betracht
kommen. Ausserdem wurden noch Uebersichtstabellen angelegt, in denen für jeden ein¬
zelnen Kranken die verschiedenen Faktoren zusammengestellt wurden, welche auf Grund seiner im
Fragebogen gegebenen Antworten ätiologisch berücksichtigt werden mussten. In ausserordentlich
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318 Referate über Bücher und Aufsatze.
übersichtlicher Anordnung ist dieses enorme Material zusammcngestellt worden und zeugt von dein
grossen Fleissc wie nicht minder von dem emsigen Stieben der Verfasser, Licht in diese so un¬
gemein wichtigen und zum Theil noch unaufgeklärten Gebiete zu werfen.
ln den den Tabellen folgenden Kapiteln finden die Ergebnisse der Statistik ihre wissen¬
schaftliche Verwcrthung Das erste derselben »Heredität und Disposition in ihren Be¬
ziehungen zur Tuberkulose« bringt nach eingehender Erörterung der Frage der gcruiinativeu
Vererbung und der kongenitalen Uebertragung der Disposition und nach Würdigung der bisher aul
diesem Gebiete aufgestcllten Theorien und experimentellen Forschungen als Resultat der Sammel¬
forschung die Thatsache, dass unter den 3295 sicher Tuberkulösen nur in einer verschwindend
kleinen Anzahl von Fällen eine direkte hereditäre Belastung zu konstatieren war, sowie ferner dass
in 172 Fällen, bei denen durch anamnestische Ermittelungen die Frage des Vorkommens von
Tuberkulose bei den Eltern bejaht worden war, überhaupt niemals ein Zusammenleben der Patienten
mit ihren Eltern zur Zeit der Tuberkulose derselben stattgefunden hat Von hervorragender Be¬
deutung ist es dabei, dass in der überwiegenden Anzahl derjenigen Fälle, in welchen die Zeugung
von tuberkulösen Eltern, bezw. das Zusammenleben mit denselben in der Kindheit stattfand, gleich¬
zeitig der Faktor des Aufwachsens der betreffenden Patienten in mangelhaften, bezw. ganz un¬
hygienischen sozialen Verhältnissen konstatiert und dass fernerhin gerade in der [Mehrzahl dieser
Fälle das Auftreten tuberkulöser bezw. skrophulös-tuberkulöser Erkrankungen in der Kindheit
ausserordentlich häufig festgestellt werden konnten. Zu ganz ähnlichen Resultaten kam man bei
den Ermittelungen aus den Akten der oben erwähnten Lebensversichcrungsanstalten. Die Be¬
ziehungen zwischen Skrophulose und Lungentuberkulose finden in einem weiteren
Kapitel eine vorzügliche Darstellung; auch hier werden die einschlägigen, bisher erschienenen
Arbeiten besprochen und im Anschluss daran auf Grund der eigenen Statistik geprüft, in wie weit
die hieraus gewonnenen Zahlen mit den Ergebnissen anderer Autoren übereinstimmen, nach welcheu
Richtungen hin sie davon ab weichen, und zu welchen neuen Anschauungen sie hinsichtlich der
Actiologie der Lungentuberkulose Anlass geben. Das Resultat der Angaben der für die vorliegende
Frage in Betracht kommenden 673 Kranken ist folgendes: Für die Aetiologie der Tuberkulose kommt
von allen Momenten bei tveitem am häufigsten die Abstammung von, bezw. das Zusammenleben mit
Tubcikulösen in der Kindheit in Betracht, nämlich insgesammt in 367 Fällen, bei welchen ihren An¬
gaben gemäss skrophulose bezw. tuberkulöse Affektionen in der Kindheit bestanden haben. Als
zweitwichtigen Faktor muss das Aufwachsen in mangelhaften hygienischen Verhältnissen betrachtet
worden, diese Angabe w’urde im ganzen von 163 Patienten gemacht. Als drittes Moment kommt
dann schliesslich noch die Art der Ernährung in den ersten Kinderjahren in Betracht, ein Moment,
dessen Bedeutung in dem Kapitel »Milch und Tuberkulose« ausführlich behandelt wird und das
gerade im gegebenen Momente — hervorgerufen durch die jüngsten Auslassungen Koch’s auf dem
Kongress in London — erhöhte Bedeutung gewinnt. Die Entstehung und Uebertragung der
Lungentuberkulose in geschlossenen Räumen, die Beziehungen zwischen Ehe und
Schwangerschaft, zwischen Trauma, zwischen anderen Krankheiten und der Lungen¬
tuberkulose sind Gegenstand einer Reihe weiterer, in sich geschlossener Kapitel und finden in
exakter, klarer Form eine ebenso eingehende Zusammenstellung wie Werthschätzung hinsichtlich des
statistischen Materiales, auf dessen Einzelheiten an dieser Stelle kaum eingegangen werden kann
Dagegen sollen die Schlusssätze, welche die Verfasser auf Grund früherer Erfahrungen wie an der
Hand der aus ihrer Sammelforschung gewonnenen Ergebnisse aufgestcllt haben und die wohl voll
und ganz dem heutigen Standpunkt unserer Kenntnisse entsprechen, hier wiedergegeben werden;
bilden sie doch die Quintessenz der verdienstvollen Untersuchungen; dieselben lauten:
1. In nur sehr seltenen Fällen besteht die Lehre der strengen Kontagionistcn zu Recht, dass
der Tuberkelbacillus allein ohne irgend welche mitwirkenden Einflüsse die Krankheit be¬
dinge. Zu seiner Ansiedlung und Entwicklung gehört vielmehr eine bestimmte Be¬
schaffenheit des menschlichen Köqmrs, bezw. der Lungen (Empfänglichkeit, Anlage, Dis¬
position).
* *
*
2. Es besteht eine ererbte oder in dcrjKindheit erworbene allgemeine Schwäche des Körpers.
Bleibt eine derartige Minderwcrtliigkeit des Organismus bestehen, so genügt schon diese
für die Ansiedlung und Entwicklung des Tuberkelbacillus.
3. Aus der ererbten oder in der Kindheit erworbenen allgemeinen Schwäche entwickelt sich
vielfach das Krankheitsbild der »allgemeinen Skrophulose«. Diese bildet einen besonders
fruchtbaren Boden für den Tnberkelbacillus.
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Referate über Bücher und Aufsätze. 319
4. Auf dem Boden der ererbten oder erworbenen allgemeinen Schwäche bezw. allgemeinen
Skrophulosc entwickelt sich durch Einwanderung von Tuberkelbacillen in die Lyniphdrüscn
die »tuberkulöse Skrophulose«. Die in den Drüsen abgelagerten Tuberkclbacillen verbleiben
daselbst mehr oder weniger lange Zeit in lebensfähigem Zustande und vermögen eventuell
später die Lungentuberkulose hervorzurufen.
* *
*
5. Zur Entstehung der Lungentuberkulose im späteren Alter auf Grund einer seit der Kind¬
heit bestehenden Disposition bedarf cs meist jedoch noch besonderer Bedingungen, welche
die von aussen cindringcnden Tuberkel bacillen befähigen, die krankhaften Veränderungen
zu erzeugen. Diese Bedingungen sind entweder allgemeiner Natur (mangelhafte hygienische
Lebens Verhältnisse, schwächende Krankheiten, Alkoholismus etc.) oder örtlicher Alt
(Schädigung der Lunge durch Berufsthätigkeit, Traumata, Krankheiten der Athmungs-
organc etc.).
G. Unter den gleichen Bedingungen allgemeiner Natur oder örtlicher Art können in den
Lymphdrüsen abgelagerte Tuberkelbacillen mobilisiert werden und in die Lungen gelangen,
um nunmehr Lungentuberkulose hervorzurufen (»Infektion von innen her«),
* *
*
7. Zur Entstehung der Lungentuberkulose beim Erwachsenen bedarf es aber keineswegs
immer einer von der Kindheit her bestehenden Disposition. Es geben vielmehr sehr
häufig auch im späteren Alter allgemein oder örtlich schwächende Einflüsse dem Tuberkel¬
bacillus die Möglichkeit zu seiner Ansiedlung und Entwicklung.
Nach Vorlicgen dieses mustergültigen ersten Bandes des Tuberkulose werk es kann dem Er¬
scheinen des zweiten Bandes mit berechtigten Erwartungen entgegengesehen werden.
_ J. Marcusc (Mannheim).
J. Ruhemaun, Aetiologie und Prophylaxe der Lungentuberkulose. Jena 1900. Verlag von
Gustav Fischer.
Der Autor, welcher sich durch seine jahrelange litterarische Beschäftigung mit den Erkältungs¬
krankheiten bereits einen hervorragenden Namen verschafft hat, schildert in dieser Monographie
den Einfluss, welchen die Influenza auf die Entstehung und die Verschlimmerung der Lungentuber¬
kulose ausübt. Es ist zwar bereits mehrfach in dem vergangenen Jahrzehnt, namentlich in den
Sanitätsberichten der deutschen Armee und in den Statistiken einzelner Krankenhäuser, darauf hin¬
gewiesen worden, dass die Influenza den Verlauf der Lungenschwindsucht mehr oder weniger be¬
schleunigt. Immerhin ist es das Verdienst von Ruhemann, diesen wichtigen Gegenstand mono¬
graphisch zum ersten Male bearbeitet zu haben. Durch graphische Darstellung von Kurven und An¬
führung eigener Fälle versucht er den Nachweis dafür zu erbringen, dass die akuten Atfektioncn der
Athmungsorgane und die Tuberkuloseerkrankungen eine auffallende Ucbcreinstiminung bezüglich der
Morbilitätsquanten aufweisen; diese Uebcreinstimmung geht sogar soweit, dass sie auch innerhalb der
einzelnen Abschnitte eines Jahres zu konstatieren ist. Was die von Ruhe mann aus seiner eigenen
Praxis angeführten Fälle betrifft, so können wir uns bezüglich deren Beurtheilung nicht immer dem
Autor völlig anschliesscn. Die meisten dieser Fälle können unserer Ansicht nach nur unter dem Ge¬
sichtspunkte betrachtet werden, dass bereits mehr oder minder lange Zeit vor Beginn der Influenza
Tuberkclbacillen in dem Organismus der betreffenden Patienten vorhanden waren und dass die
Influenza bei ihnen die bis dahin latente Tuberkulose zu einer manifesten gestaltete. — Auch in
seinen Schlussfolgerungen geht der Autor unseres Erachtens zu weit, indem er meint, dass »die
Influenza von all denjenigen Momenten, welche die Tuberkulose bedingen, das weitaus häufigste
und wichtigste ist, und dass die Disposition zur Entstehung der Tuberkulose auf der Anwesenheit
der Tuberkelbacillen beruht, während die Entstehung selbst, vornehmlich durch die akute Ein¬
wirkung der Influenzaerreger geschieht«. Mit diesen Leitsätzen vernachlässigt Ruhemann alle die
Faktoren, welche im Alltagsleben so ausserordentlich häufig zur Entstehung der Lungentuberkulose
Anlass geben: schlechte soziale Verhältnisse, Berufsschädlichkeiten, Schwangerschaft, Trauma u.s.w.
Aber darin kann man ihm beipflichten, dass die Influenza in vielen Fällen einen entscheidenden
Einfluss auf den weiteren Verlauf der Lungenschwindsucht ausübt und dass daher einerseits die¬
jenigen Tuberkulösen, welche von der Influenza befallen werden, in der allersorgfältigsten Weise be¬
handelt, andrerseits Menschen, welche an Influenza erkranken und nicht tuberkulös sind, in strengster
Weise vor der Infektionsgefahr behütet werden müssen.
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320 Referate über Bücher und Aufsätze.
In einem besonderen, interessanten Abschnitt bespricht Ruhemann dann noch den Einfluss,
welchen das Sonnenlicht auf die Entstehung und das Fortschreiten der Lungentuberkulose aus¬
übt. In dem letzten Abschnitt über die Prophylaxe der Tuberkulose giebt der Autor eine
kurze Uebersicht über die meist bereits von anderen Autoren vorgeschlagenen Maassnahmen.
Paul Jacob (Berlin).
A. Riffel, Weitere pathogenetische Stadien Uber Schwindsucht nnd Krebs nnd einige andere
Krankheiten. Nach eigener Methodik angestellt Frankfurt a.M. 1901. Verlag von Johannes Alt.
Immer kleiner ist während der letzten Jahre das Lager der Autoren geworden, nach deren
Meinung die Tuberkelbacillen die Phthisis pulmonum im Organismus hervorrufen können, ohne dass
noch besondere Bedingungen hierfür vorhanden sind. Um so werthvoller sind daher die Unter¬
suchungen derjenigen, welche die Fragen zu entscheiden suchen, ob und welche Momente es den
Tuberkelbacillen ermöglichen, sich im Körper anzusiedeln und bestimmte pathologische Veränderungen
zu erzeugen.
Bereits im Jahre 1892 hat Riffel »Mittheilungen über die Erblichkeit und die Infektiosität
der Schwindsucht« erscheinen lassen. Dieselben betrafen die statistischen Erhebungen, welche er
bei den Mitgliedern sämmtlicher Familien eines Ortes von jetzt 1200 Einwohnern innerhalb eines
Zeitraumes von 200 Jahren anstellen konnte. In der hier vorliegenden Monographie hat er diese
Arbeit weiter ausgedehnt und berichtet über die Ergebnisse neuer Untersuchungen von 46 Familien,
welche in vier untereinander sehr verschiedenen Orten lebten. Diese Erhebungen erstreckten sieh
nicht nur auf das Auftreten der Schwindsucht, sondern auch auf das des Krebses und einer Reihe
anderer Krankheiten. Für jede Familie legte Riffel eine Stammbaumtafel in Diagrammfonn an.
Mit der von ihm angegebenen Anleitung zum Verständniss dieser Stamm bäum tafeln ist cs dem
Leser nicht schwer, einen Ueberblick über die Krankheiten zu gewinnen, welche in den einzelnen
40 Familien vorgekommen sind.
So sehr man nun auch den immensen Fleiss anerkennen muss, welchen Riffel bei seinen
statistischen Erhebungen verwendet hat, und so werthvoll das hier zusammengebrachte Material
ist. so werden die Schlussfolgerungen, welche er daraus zieht, mit Recht wohl dem lebhaftesten
Widerspruch begegnen. Schon die statistischen Erhebungen, welche in seiner ersten Monographie
aus dem Jahre 1892 niedergelegt sind, wurden von Kirchner u. a. gerade im entgegengesetzten
Sinne gedeutet als von dem Autor selbst Was nun aber die Vorstellungen über die Entstehung der
Lungenschwindsucht anbelangt, welche Riffel in dieser Monographie wiedergiebt, so widersprechen
diese allen heutigen wissenschaftlichen Erfahrungen. Man braucht keineswegs ein Anhänger der
Lehre der Kontagionisten zu sein und wird sich doch nicht zu dem Anspruch bekennen können
den Riffel im Kapitel »Prophylaxe der Schwindsucht« aufstellt: »Vielleicht ist es ein Glück, dass
wir den Tuberkelbacillus nicht aus der Welt schaffen können; denn die Natur hat nichts geschaffen
das nicht auch ein Gutes hat. So hat sicherlich auch der Tuberkelbacillus sein Gutes; er gehört
jedenfalls in die Welt; sonst wäre er nicht da; und wer weiss was geschehen würde, wenn die
Rolle, die ihm die Natur im grossen Welttheater zugetheilt hat, durch seine Ausrottung wegfällt.«
— Diese Leitsätze sind charakteristisch genug für die Auffassung des Autors vom Wesen der
Tuberkulose. Man hat seit Jahren, wie bereits erwähnt, fast durehgehends die Anschauung fallen
lassen, dass der Tuberkel bacillus allein imstande ist, die Tuberkulose hervorzurufen, ohne dass ihm
durch besondere Bedingungen der Boden hierfür im Organismus geebnet ist; aber als völlig irrig
muss man die Theorie Riffel’» bezeichnen, dass der Tuberkelbacillus nur dann seine Wirksamkeit
im menschlichen Körper entfalten kann, wenn das Gewebe bereits vorher zerstört oder zerfallen ist
Den Begriff der latenten Tuberkulose verwirft der Autor völlig und bezeichnet ihn als Ver¬
legenheitstheorie, ohne alle diejenigen Arbeiten zu berücksichtigen, in welchen namentlich die
Pathologen in Tausenden von Fällen bei der Sektion von Menschen, die während ihres Lebens nie¬
mals Zeichen einer Tuberkulose dargeboten hatten, mit Sicherheit tuberkulöse Veränderungen in den
Organen, d. h. eine latente Tuberkulose auf weisen konnten. Nur in denjenigen Anschauungen können
wir dem Autor einigermaassen beipflichten, welche er über die angeborene bezw. erworbene Dis¬
position zur Acquisition von Krankheiten hat. Aber aufs Energischste muss die Ansicht Riffel’»
bekämpft werden, dass die mit dem Auswurf von Tuberkulösen in die Umgebung zerstreuten
Tuberkelbacillen für tyre Mitmenschen unschädlich und dass die Bemühungen zur Beseitigung des
Auswurfs, welche man gerade in den letzten Jahren mit so grossem Erfolg durchgeführt hat, als
völlig zwecklos anzusehen sind. So müssen wir die Betrachtung über den Ilaupttheil dieses Werkes
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Referate über Bücher und Aufsätze.
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mit einem gewissen Bedauern darüber schliessen, dass diese Arbeit, in welcher ein so gewissenhaft
geordnetes Material niedergelegt ist, sich in ihren Schlussfolgerungen so weit von der Heerstrasse
der heute als allgemein richtig angesehenen Anschauungen entfernt.
Aus dem übrigen Theil der Arbeit mag noch hervorgehoben werden, dass die meisten Krebs¬
falle, welche Riffel in den 40 Familien verzeichnen konnte, meist nur bei solchen Personen vor¬
kamen, in deren Familien häufig Schwindsucht aufgetreten war. Aehnliches galt vom Puerperalfieber.
— Den Schluss der Arbeit bildet eine Polemik gegen Com et, auf die wir hier nicht näher ein-
gehen wollen. Paul Jacob (Berlin).
J. Boas, Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten. II. Theil. 4. Auflage. Leipzig 1001.
Verlag von Georg Thieme.
Während der erste Theil der Boas’schen Monographie über die Diagnostik und Therapie
der Magenkrankheiten bereits vor vier Jahren in vierter Auflage erschienen ist, giebt der Autor
die des zweiten Theiles erst jetzt heraus. Dieselbe ist in einzelnen Abschnitten zu einer völligen
Neubearbeitung geworden. Eine ganze Reihe von Kapiteln ist hinzugekommen, so über Pyloro-
spasmus, Sarkome, Syphilis, Tuberkulose des Magens, Achylia gastrica, Nausea nervosa. Andere
Abschnitte haben besonders durch die Mittheilung einer grossen Reihe neuerer Erfahrungen, über
welche der Autor verfügt, eine erhebliche Vervollständigung erfahren. Wenngleich Boas in dem
Werke die neuere Litteratur vielfach berücksichtigt, so stützt er sich doch hauptsächlich auf die in
der eigenen Praxis gewonnenen Anschauungen und Resultate, so dass das Buch vielfach einen
subjektiven Charakter trägt. Es gewinnt hierdurch aber an Originalität und gewährt andrerseits
dem Leser die Möglichkeit, selbst Stellung zu den noch strittigen Fragen zu nehmen. (R.)
Zeitschrift Tür Tuberkulose und Heilstfittenwesen. Bd. 2. Heft 1, 2, 3.
Seit der letzten Besprechung der Hefte der Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen
ist der erste Band dieses beraerkenswerthen Archivs zum Abschluss gelangt. Die Herausgeber und
Redakteure haben mit diesem ersten Jahrgange den Beweis dafür geliefert, dass sie mit der Be¬
gründung der Zeitschrift einem hervorragenden Bedürfnis aller Kreise, welche sich mit der Tuber¬
kulose — sei es in wissenschaftlicher, sei es in praktischer Hinsicht — beschäftigen, gerecht ge¬
worden sind.
Auch die bisher erschienenen drei ersten Hefte des neuen Jahrgangs reihen sich würdig dem
ersten Bande an. Von den hierin enthaltenen Aufsätzen seien nur die kurz besprochen, welche sich
an die Ziele unserer Zeitschrift anlehnen. In dem ersten Hefte des zweiten Bandes giebt Bielefeld
einen ausführlichen Bericht über die grossartigen Einrichtungen, w elche in Frankreich seit nunmehr
über zehn Jahren für tuberkulöse Kinder vorhanden sind. Wir entnehmen diesem Aufsatze, dass
die Oeuvre d'Ormesson ira Jahre 1888 mit einem Kapital von 20 000 Francs für 12 Patienten be¬
gonnen wurde; jetzt, nach 12 Jahren, hat sich hieraus ein Unternehmen mit einer Jahreseinnahme
und -Ausgabe von 350 000 Francs entwickelt, und es waren bis Ende 1890 im ganzen 13 342 un¬
bemittelte tuberkulöse Kinder mit 418 000 Pflegetagen in den betreffenden Anstalten untergebracht.
Die Heilungen schwanken zwischen 30 — 50%. Nicht zum wenigsten sind sie dem Umstande zu
danken, dass die Kinder aus dem Sanatorium nicht in die schlechten, unhygienischen Verhältnisse
ihrer Elternhäuser zurückkehren, sondern noch jahrelang durch Arbeiten im Garten und Landbau,
d. h. ständig in freier Luft und unter geeigneter Kontrolle beschäftigt werden. Es ist dies eine
Etappe im Kampfe gegen die Tuberkulose, welche, wie Bourcart auf dem Berliner Tuberkulose¬
kongress und Bielefeld an dieser Stelle ausspricht, bisher leider noch völlig bei uns in Deutsch¬
land fehlt und die unseres Erachtens nach nicht nur für die aus den Heilstätten entlassenen Kinder,
sondern desgleichen für die Erwachsenen dringend eine energische Nachahmung verdient.
In dem gleichen Hefte findet sich ein Aufsatz von Mount Bleycr, der durch Bestrahlung
der Lungen mit Lampen von 5000 — 25 000 Kerzen Stärke bei 40 Phthisikern angeblich Heilung,
bei 20 anderen Besserung erzielt haben will. Diese überaus günstigen Resultate stehen allerdings
im Widerspruch mit den Ergebnissen derjenigen Beobachtungen, welche von verschiedenen deutschen
Autoren bezüglich der Heilung der Lungentuberkulose durch die Lichttherapie mitgetheilt worden sind.
Aus dem zweiten Hefte wollen wir einen Uebersichtsbericht von Schröder über neuere
Medikamente und Nährmittel bei der Behandlung der Tuberkulose erwähnen. Nach Schröder’s
Ausführungen ist das Fersan bei Lungenschwindsüchtigen nicht sehr bekömmlich, da die Kranken,
ZeiUichr. f. diüt. u. phyaik. Therapie Üd. V. Heft 4. ^2
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32*2 Referate über Bücher und Aufsätze.
nachdem sie das Mittel einige Zeit genommen haben, über dyspeptisehe Beschwerden klagen. Das
Roborin ruft weder Nachtheile noch Vortheile für den Appetit und die Magendarmfunktion hervor:
ein Theil desselben erscheint aber klumpig im Kothe wieder. Ueber das Roborat theilt Schröder
keine eigenen Erfahrungen mit.
Aus dem dritten Hefte ist der Aufsatz von Freudenthal (in New-York) hervorzuheben
Dieser unterzieht hauptsächlich die sogenannten Liegekuren einer strengen Kritik und stellt die
Forderung auf, dass eine ganze Reihe von Phthisikern — und zwar auch die der besseren Klassen
— mit einer Arbeitskur, ähnlich wie dies schon längere Zeit in Nervenkliniken üblich ist, behandelt
werden sollen. Die Ausführung dieses Planes für Amerika stellt er sich in der Weise vor, dass
die zehntausende Morgen von Ackerland, welche im Südwesten der Vereinigten Staaten noch brach
liegen, durch Lungenkranke urbar gemacht und dass landwirthschaftliche Betriebe daselbst ein¬
gerichtet würden.
Schliesslich erwähnen wir aus dem gleichen Hefte noch die Arbeit von Duhoureau: *>A
propos de la zomoth6rapie«. Dieser Autor empfiehlt den Lungenkranken neben den anderen Be¬
handlungsmethoden noch täglich den Saft von 150—300 g rohen Fleisches zu verabfolgen und stützt
sich dabei anf die Empfehlungen, welche in dieser Hinsicht seit mehreren Jahren sowohl von
französischen wie englischen Autoren gegeben worden sind. Paul Jacob (Berlin.)
G. Liebe, Der Stand der Volksheilstfittenbewegung im In- und Anslande. V. Bericht. 1900 .
Liebe giebt eine kurze, mit Angabe der bezüglichen Littcratur versehene Darstellung der
Einrichtung, der Leitung, des ganzen Betriebes und der Erfolge sämmtlicher Volksheilstätten des
in- und Auslandes, soweit ihm die betreffenden Daten auf sein Ersuchen von den verschiedenen
Verwaltungen, bezw. Direktoren zur Verfügung gestellt wurden. Er zählt von deutschen Anstalten
49 thcils für sich, theils in Verbindung mit anderen Anstalten bestehende auf; weitere 16 waren
anfangs des Jahres 1900 im Bau, für fernere 28 waren entweder behördlicherseits die Mittel be¬
willigt oder ihr Zustandekommen durch Verraachtnisse, kostenlose Hergabc von Grundstücken u.s. w.
gesichert.
Der zweite Theil des Berichtes enthält entsprechende Mittheilungen über Amerika, Australien,
Belgien, Dänemark, Frankreich, Grossbiitannien, Holland, Italien, Norwegen, Oesterreich, Polen
(Posen), Portugal, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz, Spanien und Ungarn und lässt erkennen,
dass der vom deutschen Zentralkomitee so wirksam vertretene Gedanke der Begründung von
Heilstätten für Tuberkulöse auch ausserhalb Deutschlands die gebührende Anerkennung und Förde¬
rung von seiten der Behörden und Privaten gefunden hat. Viktor Lippert (Wiesbaden.
D. Hansemann, Einige Zellprobleme und ihre Bedentuug für die wissenschaftliche Be¬
gründung der Organtherapie. Berliner klin. Wochenschrift 1900. No. 4. (Vortrag gehalten
in Aachen am 21. September 1900).
In dem recht lesensworthen Vortrage werden von höheren biologischen Gesichtspunkten aus
die Fortschritte besprochen, welche die Organtheiapie im verflossenen Jahrhundert gemacht hat.
Die Organtherapie baut sich auf dem »Altruismus« und der »Spezifität der Zellen« auf; sie erstrebt
die von einer Zellart spezifisch gelieferte Substanz dem Körper einzuverleiben, wenn diese Substanz
durch irgend welche Einflüsse dem Organismus verloren ging. Die »altruistische« Thatigkeit einer
Zell gruppe soll also auf diesem Wege ersetzt werden. Die einverleibte Substanz kann nur dort
wirksam sein, wo es sich um den Ausfall eines Organes mit »positiver« Funktion, mit einer innern,
für den Körper wichtigen Sekretion handelt; wo dies nicht der Fall ist, ruht die Anwendung organ¬
therapeutischer Präparate nicht auf gesicherten wissenschaftlichen Grundlagen, sondern ist rohe
Empirie. Ebenso ist es sinnlos, eine Organtherapie dort einzuleitcn, wo einOigan mehr von spezi¬
fischen Produkten in den Kreislauf bringt, als für den Körper nothwendig ist, wo also die innere
Sekretion in exeessiver Weise vor sich geht. Daher muss die Thyreoideabehandlung bei Morbus
Basedowii, die Behandlung mit Hypophysis bei Akromegalie erfolglos bleiben.
Wenn die Erfolge der Organtherapie mitunter wesentlich hinter den theoretischen Er¬
wartungen Zurückbleiben, so liegt das zum theil an der Anwcndungsweise. Die Organpräparate
stammen voiiThicrcn, umles ist nicht ganz wahrscheinlich, dass z. B. die Schilddrüsen verschiedener
Thierarteu alle chemisch dieselbe Substanz secernieren; es müsste ei-st noch experimentell festgestellt
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Referate über Bücher and Aufsätze. 323
werden, welche Organe bei einzelnen Thieren denen des Menschen am ähnlichsten funktionieren.
Dazu kommt noch, dass die Organe bei ihrer chemischen Verarbeitung zu therapeutischen Zwecken
eingreifenden Manipulationen unterliegen, und dass sie, meistens per os appliziert, auch durch den
Verdauungsvorgang wesentlich alteriert werden. Die genaue chemische Durchforschung und Rein¬
darstellung der in den Organen wirksamen Substanzen ist das Postulat der Zukunft, soll die Organ¬
therapie ein lebensfähiger Zweig der modernen Medicin bleiben. P. F. Richter (Berlin).
Theodor Jäusch, Der Zucker in seiner Bedeutung für die Yolksernährnng. Berlin 1900.
Eine populär - wissenschaftliche Broschüre, in welcher die Vorzüge des Zuckers für die Er¬
nährung des Menschen auseinandergesetzt werden. Es wird speziell die Bedeutung des Zuckers als
Kraftquelle hervorgehoben und der Kampf gegen eine Reihe von Vorurtheilen gegen den Zucker¬
genuss durchgeführt. Auch ein Kapitel »Heilwirkungen des Zuckers« ist vorhanden, doch ist dieses
in der Allgemeinheit, mit der die Schlüsse gezogen sind, derart, dass man bald merkt, dass die
Broschüre mehr für die grosse Masse als für Aerzte bestimmt ist. Trotzdem ist das Büchlein auch
für den Arzt lesenswerth. H. Strauss (Berlin).
Julian Marcus e, Kritische Uebersicht über die diätetischen Nährpräparate der Neuzeit.
Therapeutische Monatshefte 1900. Mai.
Die wissenschaftliche Basis, die in den letzten Jahrzehnten die Diätetik genommen und die
sie zu einer selbstständigen therapeutischen Methode emporgehoben hat, so dass sie in Verbindung mit
den physikalischen Heilfaktoren einen integrierenden Bestandtheil der modernen Therapie bildet, hat
die fundamentale Bedeutung der Ernährung des kranken Individuums von neuem zum Ausdruck
gebracht. Davon theilweise beeinflusst hat jene Hochfluth der Darstellung diätetischer Nährpräparate
begonnen, die ein klares Bild vom Wesen und Werth einzelner Präparate am Krankenbett völlig
verwischt hat und eine strenge Kritik auf Grund der wissenschaftlichen Indikation für die An¬
wendung der diätetischen Präparate nothwendig macht. Wie die Vcrwerthung eines jeden Nah¬
rungsmittels, so wird auch die eines Nährpräparates per se durch zwei Faktoren bedingt, einmal
durch die Verdaulichkeit desselben und zweitens durch die Verwendbarkeit des Verdauten im Or¬
ganismus. Diesen beiden Anforderungen, die als Resultate der physiologischen Ernährungslehre zu
betrachten sind, schienen in erster Reihe die Ei weisskörper und von diesen wiederum die aus
animalischem Eiweiss gewonnenen Substanzen zu genügen. Eins der ältesten und bekanntesten
dieser ist das Liebig’sche Fleischextrakt, dessen Werth jedoch nicht auf dem Gehalt an Eiweiss-
substanz, der äusserst gering ist (20,ö), sondern an Extraktivstoffen (38,29) und Mineralbestandtheilcn
(22,74) beruht, sodass es als Ersatzmittel von Eiweissnahrung in der Krankendiät unzureichend, da¬
gegen als appetitanregendes und das Nervensystem günstig beeinflussendes Präparat anwendbar ist.
Eine weitere Gruppe der wegen ihres animalischen Eiweissgehaltes empfohlenen Präparate bilden
die Fleischsäfte (Valentine 1 » meat juice) etc., deren Eiweissgehalt jedoch zu ihren hohen Preisen
durchweg in einem ungeheuren Missverhältnis» steht. Bovril und Toril haben einen so geringen
Eiweissgehalt, dass sie als Ei weissnahrung garnicht in Betracht kommen können, und nur das in
jüngster Zeit eingeführte Puro verdient hinsichtlich seines Eiweissgehaltes (31,01) wie seines Preises
Beachtung. Neben den Fleischextrakten und Fleischsäftcn stehen dis Peptonpräparate, wie Koch’s,
Kemmerich’», Licbig’s Pepton, die jedoch mit geringen Ausnahmen infolge Erkenntniss der
Rolle der Peptone bei der Ernährung verlassen worden sind. Die Reihe der aus Fleisch bereiteten
Eiweisspräparate schliesst eine pulverförmige Albumose, die Somatose. Sie stellt bekanntlich eine
vollkommen lösliche Substanz mit 12—13% Stickstoff dar, hauptsächlich aus Albumosen (öl,3) mit
etwas Pepton (2,2) bestehend. Sie versprach im Beginn ihrer Einführung viele besondere Wirkungen,
die sie jedoch nicht erfüllt hat. Man suchte daher Ei weisspräparate zu bilden, welche dem genuinen
Eiweiss noch näher stehen, und stellte zwei neue, das Eukasin und die N utrose, dar, welche Kasein,
also ein phosphorhaltiges Albumin enthalten. Sie haben einen sehr hohen Eiweissgehalt i8ö—90%),
werden gut vertragen und resorbiert. Zu dieser Kategorie gehören ferner die San ose, das Sanatogen,
das Eulaktol und das Plasmon, über welch letzteres sich auf Grund von Stoffwechselversuchen
eine Reihe von Autoren sehr günstig ausgesprochen haben. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint
es erwiesen, dass die Kaseinpräparate gegenüber allen anderen Nährpräparaten in der diätetischen
Therapie vorzuziehen sind. In jüngster Zeit an das Tageslicht getretene Präparate sind dasGlobon,
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324 Referate über Bücher und Aufsätze.
dieMietose und der Nährstoff Hey den, bei welch letzterem Eigelb eine vortheilhafte Verwendung
gefunden hat. Das vegetabilische Eiweiss hat eine bedeutend geringere Verarbeitung zu diätetischen
Nährmitteln gefunden, bekannt sind eigentlich nur unter ihnen die Mutase, das Aleuronat und
schliesslich das halb animalisch, halb vegetabilisch hergestellte Tropon. Abgesehen von dem mehr
oder minder grosseren Nährwerth aller dieser künstlichen Präparate ist zu beachten, dass eine über¬
wiegende Eiweissnahrung für den Körper überhaupt nicht nothwendig ist, dass für die Ernährung
eines Kranken 50—00 g Eiweiss als ausreichend erachtet werden können, wenn man die Zufuhr von
Kohlehydraten und Fett in genügender Weise gestaltet.
Neben den Ei weissstoffen hat man auch Kohlehydrate und Fette künstlich dargestellt: Als
erstere nennen wir die Knorr’schen, Hohenlohe’schen und Hartenstein’schen Präparate, das
Thein har d’sche Hygiama, die zahlreichen Kindermehle. Sie enthalten beachtenswerthe Ei weiss¬
mengen, ihre Ausnutzung ist eine vorzügliche. In diese Kategorie zählen ferner Malzextrakte, Honig.
Haferkakao etc. Als Fettpräparat für diätetische Zwecke ist wohl nur das Lipanin bekannt, das
jedoch durch alle unsere gewöhnlichen Fette und Oele, wie sie auf den Tisch kommen, ersetzbar
ist! So schrumpft die Zahl der haufenweise angepriesenen Nährpäparate auf ein Minimum wirklich
brauchbarer zusammen und würde noch mehr Einschränkungen erfahren, hätte man nicht in der
Praxis mit mancherlei Momenten zu kämpfen, welche die Anwendung künstlicher Nährmittel gegen¬
über den natürlichen im Interesse der Kranken als psychisch nützlich erscheinen lassen.
J. Marcuse (Mannheim}.
Hermann Schlesinger, Lehrkurse für Bereitung der Krankenkost* Therapeutische Monats¬
hefte 1900. August.
Der Verfasser hatte bei Gelegenheit der Ausstellung für Krankenpflege zu Frankfurt a. M.
vom 8.—18. März 1900 das Arrangement einer Küche übernommen, die bestimmt war, die Kranken¬
kost für die verschiedenen Formen der Krankenernährung vorzuführen. Er ertheilte vorher vierzig
jungen Damen einen Lehrkurs, der an sieben Tagen jedesmal zwei Stunden in Anspruch nahm.
Während der Ausstellung selbst wurde täglich, bisweilen einmal, bisweilen zweimal, zwei Stunden
von den in Gruppen eingetheilten Damen die Krankenkost in ihren verschiedenen Formen bereitet.
Der Erfolg war ein durchaus gelungener und befriedigender. Der Verfasser wünscht, dass solche
Lehrkurse zu einer ständigen Einrichtung werden. Vor allen Dingen ist dabei zu betonen, dass
nur der Arzt die Kurse crtheilt. Selbstverständlich muss er das Gebiet der wissenschaftlichen
Diätetik beherrschen und auch in die Geheimnisse der praktischen Kochkunst eingeweiht sein. Die
Kochkurse für Aerzte sind daher ein begrüssenswerthes Unternehmen. Der Kurs selbst zerfällt in
einen theoretischen und praktischen Theil; dieser soll jenem stets unmittelbar folgen. Behandelt
werden u. a. folgende Themata: Ziel, Zweck und Wirkung der Krankenernährung, sowie die Mittel,
deren sie sich bedient, die einzelnen Nährstoffe und ihre Bedeutung, allgemeine Betrachtung über
die Nahrungsmittel, die Genussmittel und ihre Bedeutung für Gesunde und für Kranke, der Begriff
der Verdaulichkeit, Erläuterung der Verdauungsprozesse, Besprechung der Nährpräparate und der
Grundsätze, nach denen ihre Fabrikation erfolgt. Die wichtigsten Krankenspeisen, die man aus
Milch, Fleisch, Eiern, Vegetabilien etc. bereitet, wurden genau besprochen, ebenso die Getränke.
Daran knüpften sich Erörterungen über den Nährwerth, Alkoholika, Pflege der Zähne und des
Mundes u. a. m. Unbedingt nothwendig ist es, genaue Rezepte zu diktieren. Vorzugsweise wurde
das Material gewählt, das überall beim Metzger, Krämer und Bäcker bezogen werden kann, in
zw eiter Linie erst die Nährpräparate, für die doch stets gedruckte Gebrauchsanweisungen existieren.
Die Handhabung des S o x h 1 e t apparates w urde demonstriert und eingeübt. Stets kommt es darauf
an, das Verständniss für die diätetischen Vorschriften zu erschlicssen; diese selbst sind, wie die
medikamentösen Verordnungen Sache des Arztes, wahrend es dem Laien einfach obliegt, sie strikte
zu befolgen. Furch he im er (Würzburg).
Adolph Rupp, öu the dietetics of tlie eouvalescent stage of fevers. New'-York meJ. joum.
1900. 20. Mai.
Die Aufgabe der Behandlung in der postfebrilen Periode ist es, den Schaden, den der
Organismus durch das Fieber erlitten hat, wieder auszugleichen. Dazu ist neben tonisierenden
Medikamenten besonders eine rationelle Ernährung geeignet, die möglichst reich an Nährmaterial
und doch leicht verdaulich sein soll. Bäder. Massage und Elektrizität können je nach Lage des
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Referate über Bücher und Aufsätze. 3*25
Falles in der Rekonvalescenz werthvolle Dienste leisten. Gymnastik und aktive Uebungen sind
besonders für die späteren Stadien zu empfehlen. Alkohol und sexuelle Excesse können die Rekon¬
valescenz erheblich beeinträchtigen. Friedlaendcr (Wiesbaden).
Paulesco, La medication thyroidenne dans le traitement des troubles trophiques des extrdmites.
Journal de medecine interne 1900. No. 13.
Dem Aufsatz liegen einige Fälle zu Grunde, in denen trophische Störungen an den Extremi¬
täten bestanden, die unter dem Einfluss der mödication thyroidenne schnell zur Heilung gelangt
sind. Der erste Fall betrifft einen 68 jährigen Mann, der Ende Februar 1900 an sehr heftigen, an¬
fallsweise (alle 3 — 4 Stunden) auftretenden, 1 / 2 — 1 Stunde andauernden Schmerzen in dem vierten
und fünften Zeh des rechten Fusses zu leiden begann. Anfang März beobachtete Patient, dass der
kleine Zeh schwarz geworden war. Bei der Aufnahme ins Krankenhaus am 12. März wurde der
kleine Zeh des rechten Fusses ganz schwarz und kalt befunden, seine innere Fläche zeigte einen
oberflächlichen Schorf. Dieser ist von einer violetten Zone umgeben, die den vierten Zeh, den
ausseren Rand und die Sohle des Fusses in einer Ausdehnung von etwa 5 qcm einnimmt. Die
violette Partie zeigt eine ausserordentlich intensive Hyperästhesie; am kleinen Zeh ist die Sensibilität
noch erhalten. Am Abend des 12. März erhält Patient 1 g Jodothyrin (Bayer) und 1 g Antipyrin
und wegen Schmerzhaftigkeit 0,02 Morphin subkutan. Die folgende Nacht verläuft ohne Schmerz¬
anfälle, deren früher jede Nacht zwei bis drei aufgetreten waren. 13. März. Feuchte Ein Wicklung
des Fusses wird nicht vertragen. Patient erhält 2 g Jodothyrin und 3 g Antipyrin, 0,01 Morphin
subkutan. 14. März. Seit gestern keine Anfälle mehr. 3 g Jodothyrin, 3 g Antipyrin, kein Morphin.
15. März. Der kleine Zeh immer noch schwarz, die violette Partie kleiner, die Hyperästhesie be¬
trächtlich geringer und weniger ausgebreitet, an Stelle des Schorfes eine kleine oberflächliche
Ulceration. 16. März. Die schwarze Farbe des kleinen Zehen hat einer rothen Platz gemacht; die
Hyperästhesie wesentlich geringer. 4 g Jodothyrin. 17. März. Der kleine Zeh ist noch ein wenig
rdther, als die Haut der Umgebung; die Ulceration ist vernarbt, die Hyperästhesie verschwunden.
4 g Jodothyrin. Am 18. März ist der Zustand normal, die krankhaften Erscheinungen sind gänz¬
lich geschwunden. Nichts desto weniger erhält Patient bis zum 21. März täglich 4 g Jodothyrin,
dann nimmt er täglich 0,5 g weniger. (Die Tagesdosis von 4 g Jodothyrin wurde gut vertragen.)
Am 29. März wird Patient geheilt entlassen; aber schon am 5. April kehrt er mit einem Rezidiv
zurück. Unter gleicher Behandlung erfolgt definitive Heilung. Prophylaktisch nimmt Patient noch
längere Zeit hindurch täglich 0,25 g Jodothyrin. — Die anderen vier Fälle betrafen ähnliche
Störungen an Nase, Bein, Nägeln; auch hier unter Jodothyringebrauch Heilung.
Die fünf Fälle zeigen trophische Störungen verschiedener Art; gemeinsam ist ihnen eine
lokale Störung der Innervation, eine funktionelle Insufficienz des Nervenapparats, der die Zirkulation
und Ernährung der betroffenen Theile beherrscht. Diese Störungen sind unter dem Einfluss des
Jodothyrin geheilt, aber nicht die Folge einer Affektion der glandula thyroidea; es bestand kein
Symptom, dass auf die funktionelle Insufficienz der Drüse hindeutete. Unbegreiflich erscheint die
Wirkungsweise des Jodothyrin in den beregten Fällen, wenn man die herrschende Theorie als
richtig anerkennt, nach der die Schilddrüse eine Substanz abscheidet, die gewisse im Organismus
entstehende Gifte neutralisiert. Dagegen sieht Paulesco in ihnen eine Bestätigung der von ihm
aufgestellten These, dass das Sekretionsprodukt der Schilddrüse zur Erhaltung und Funktion des
Nervensystems nöthig ist. — n.
II. Streb el, Gewebsökonomie und Osmose. Separatabdruck aus der deutschenMedieinalzeitung 1900.
Wer den Titel und den ersten Theil dieser Arbeit liest, ist über den Schluss einigermaassen
erstaunt, denn dieser klingt in eine Empfehlung des Fleischsaftes »Puro* aus. Die Empfehlung
dieses, wie Referent selbst auch bestätigen kann, sehr brauchbaren Präparates hätte ebenso wirk¬
sam mit den vom Verfasser beigebrachten fünf Krankengeschichten durchgeführt werden können
wie mit der Vorausschickung einer grossen physikalisch - chemischen Einleitung. Referent betont
dies besonders aus dem Grunde, weil ihm die physikalisch - chemische Erörterung physiologischer
Probleme heute noch an vielen Punkten verfrüht erscheint. Denn die hochinteressanten physikalisch¬
chemischen Vorgänge, die wir bei einfachen Lösungen in den ausserhalb des Körpers vorgenom¬
menen Experimenten beobachten, können im Körper, wo die Säfte zusammengesetzt sind und in
ihrer Zusammensetzung durch Zufuhr und Abfuhr bis zu einem gewissen Grade verändert werden
können, möglicherweise und in manchem Falle sogar wahrscheinlich erweise anders verlaufen als
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3*26 Referate über Bücher und Aufsätze.
im Experiment. Deshalb soll man vorerst auch nur ganz grobe Fragen aus dem Gebiete der
Physiologie und Pathologie nach physikalisch - chemischen Gesichtspunkten untersuchen und be-
urtheilen. Für den Nachweis der Brauchbarkeit eines Nährpräparats sind physikalisch-chemische
Auslassungen, so interessant sie — wie im vorliegenden Falle — auch sein mögen, vorerst nur
selten und nur unter ganz besonderen Bedingungen geeignet, das Vertrauen zu einem bestimmten
Nährpräparat thatsächlich weiter zu fordern. H. Strauss (Berlin).
S. Monrad, Om Anrendelsen af raa Maelk ved Atrofl og kronisk Mare-Tarmkatar hos spaede
Born. Ilospitalstidende 1901. No. 6 und 7.
Die Vorzüge der sogenannten Milchsterilisation haben viele dazu verleitet derselben ausser
der Keimtötung noch Leistungen zuzuschreiben, deren sie nicht fähig ist. Nach Monrad ist bisher
kein zwingender Beweis für die oft aufgcstelltc Behauptung geliefert, dass sterilisierte Milch einen
grösseren Nahrungswerth für den Säugling besitze als rohe Milch. Ob die bekannte Veränderung
des Koagulationsmodus des Kaseins unbedingt von Vortheil ist, sei nicht sicher gestellt. Es werden
vom Verfasser fünf Krankengeschichten mitgethcilt, in denen die Darreichung roher Milch ganz
überraschende Resultate erzielt hat. Es handelt sich um zum Theil hochgradig atrophische Kinder
mit sehr hartnäckigen Dyspepsien. Weder sterilisierte noch gekochte Milch noch sonstige Er-
nährungs- und medikamentöse Behandlungsversuchc hatten Erfolg. Dahingegen trat nach Dar¬
reichung von roher Milch ein völliger Umschwung ein. Das Erbrechen stand, der Stuhl wurde
gut, das Gewicht nahm rasch zu, das atrophische Aussehen verlor sich. Einmal, wo durch Zufall
einige Tage hindurch wieder sterilisierte Milch gegeben wurde, trat der alte Zustand von neuem
hervor, und verschwand erst wieder nach abermaligem Ersatz jener durch rohe Milch.
Verfasser citiert analoge Erfahrungen, die Jensen mit jungen Kälbern gemacht hat. Monrad
will keineswegs die Vortheile der sterilisierten Milch, welche nach wie vor in erster Linie zur
Verwendung gelangen wird, missen, er empfiehlt jedoch eine unter allen Kautelen gewonnene rohe
Milch zum Versuch in solchen Fällen wie den seinen, zumal da, wo die gastrischen Symptome im
Vordergrund stehen und wo andere Ernährungsarten fehlschlagen. Die Darreichung geschieht ge¬
wöhnlich in den auch sonst üblichen Mischungsverhältnissen, zuweilen sind kleine häufiger wieder¬
holte Dosen ungemischter roher Milch mit Nachtrinken der Verdümiungsflüssigkeit vorzuziehen.
Böttcher (Wiesbaden).
Charrin et Gnillemonat, Iitfluence des modifleations experimentales de Porganisme snr
la consommation de la glycose. Progrös medical 1900. No. 29.
Die Verfasser konnten feststellen, dass Kaninchen, denen mehrere Monate hindurch Lösungen
von Mineralsalzen (Natriumsulfat, Natriumphosphat, Chlornatrium) injizirt wurden, eine Verstärkung
der hauptsächlichsten Stoffwechselprozessc zeigten und dass sich eine Veränderung derselben erkennen
liess, wenn man ihnen dieselbe Zeit hindurch äquivalente Mengen einer Säurelösung zugeführt hatte
(Oxalsäure, Milchsäure, (Zitronensäure).
Sie untersuchten weiter, wie sich dieser Einfluss auf die Zuckerassimilationen äussert und
konnten feststellen, dass die Zuckerausscheidung bei den mit Säure vorbehandelten Thieren reichlicher
und länger dauernd war, als bei den Thieren, welche Mineralsalze erhalten hatten. Sie schlossen
daraus, dass die Letzteren den Zucker besser verwerthen, als die Erstcren und glauben durch ihre
Experimente den Schlüssel zur Erklärung von gewissen Vorgängen gegeben zu haben, welche die
alte Medicin mit dem Namen der Säuredyskrasie bezeichnet. II. Strauss (Berlin).
Gockel, Ueber Erfolge mit »Pankreon«. Centralblatt für Stoffwechsel- und Verdauungskrank¬
heiten No. 11.
C. Wegele, Bemerkungen zu dem Artikel: »Ueber Erfolge mit Pankreon«. Ibid. No. 14.
Gockel berichtet über Versuche, die er mit einem neuen Pankreaspräparat ».Pankreon« an¬
gestellt hat. Dieses von der rheinischen Fabrik »Rhcnania« hergestellte Präparat stellt ein graues,
geruchloses Pulver dar, welches auf der Zunge einen angenehmen Geschmack hinterlässt und welches
im Experiment 5 Stunden der zerstörenden Wirkung des Magensaftes Stand hielt. Es entwickelt
in vitro eine sehr stark proteolytische, amylolytische und fettspaltende Kraft, welche diejenige
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Referate über Bücher und Aufsätze. 327
anderer Pankreaspräparate weit übertreffen soll. Bei Fällen von Achylia gastrica mit und ohne
Diarrhöe sah Verfasser sehr günstige Erfolge auf die subjektiven Beschwerden der Patienten sowie
auf die Diarrhöe, desgleichen bei einigen Fällen von Magencarcinom, sowie bei Diarrhöeen ver¬
schiedenen Ursprungs. Unter 34 Fällen, bei welchen eine Indikation vorlag, war nur sechsmal ein
Misserfolg zu konstatiren. Verfasser gab dreimal täglich 0,3 - 0,5 g bei vorhandener Magensalzsäure
1 4 — l U Stunde vor dem Essen mit 100 ccm Wasser, bei HCl-Mangel während und nach dem Essen.
Bei Kindern war die Dosis mehrmals täglich 0,1 g. Verfasser empfiehlt das Präparat bei den ver¬
schiedenen Verdauungs- und Stoffwcchselstörungen, in welchen es darauf ankoramt, entweder pep-
tisehes Ferment zuzuführen, oder die Resorption der Nahrung anzuregen, für welche nach Abel-
mann und Minkowski die Pankreasfunktion von Bedeutung ist. Speziell sieht Verfasser auch
eine Indikation zur Pancreondarreichung nach fieberhaften Krankheiten, bei Milzaffektionen, bei
Steatorrhöe u. s. w. Auch für Nährklysmen will Verfasser das Pankreon versucht wissen, da^
Zetiner bei Leberthranklystiren mit gleichzeitiger Pankreatinbeimengung eine Fettresorption bis
75 0 o erzielt haben will. Diese letztere Mahnung kann Referent nur kräftig unterstützen, da er
bereits früher die Ilinzufügung von Zymin oder Trypsin zu Nährklysmen empfahl (Ueber subkutane
Ernährung. Zeitschr. für prakt. Aerzte 1898. No. 14), weil schon von Leube eine Erhöhung der
Fettresorption im Rektum durch Zusatz von Pankreassubstanz beobachtet hatte.
Audi Wegele empfiehlt das Pankreon als Zusatz zu Nährklysmen, die er früher mit Alcarnosc
ausführte, jetzt aber wieder mit Eiern unter Zusatz von 0,5 g Pankreon verabfolgt. Wegele
betont, dass das Pankreon bei den Nährklysmen besonders die lokale Reizwirkung vermindere und
dass die Stühle hierbei die Merkmale besserer Verdauung zeigen. Bei Achylia gastrica sah
Wegele gleichfalls Besserung der Magenbeschwerden und der Stuhlverhältnisse unter dem inneren
Gebrauch von Pankreon und glaubt, dass das Mittel bei Dünndarmkatarrhen, Icterus catarrhalis,
Magen-Darmatrophie u. s. w. eine weitere Beachtung verdient. H. Strauss (Berlin).
Marbonx, Les indications du rdgime lactc dang le traitement des Albuminurie». Lyon
medical 1900. No. 6.
Die Arbeit des Verfassers giebt eine Uebcrsicht über die verschiedenen Formen der
Albuminurie, ohne dabei viele neue Gesichtspunkte zu entwickeln. Verfasser unterscheidet vor
allem solche Fonncn der Albuminurie, bei welchen eine dauernde anatomische Veränderung an
der Niere vorhanden ist und solche, bei welchen nur von einer funktionellen Albuminurie die
Rede ist. Zu letzterer Gruppe rechnet er »nervöse, gastrohcpatische, prägouttöse, lithiatische«
Formen, sowie solche, welche an das Wachsthum oder an eine mangelhafte Menstruation gebunden
sind. Bei letzteren »Formen empfiehlt er ein »traitement pathogenique«, das vorwiegend auf eine
hygienisch-diätetische Behandlung hinausläuft. Bei den anderen Formen ist das »traitement patho-
genique-c nicht so wichtig, als das Ziel, die reinigende Funktion der Niere in Gang zu bringen und
hierfür ist besonders wichtig die »alimentäre Hygiene«. Die erste Stelle hat hier die Milch, die
gleichzeitig Medikament und Nahrungsmittel ist. Sie erfüllt zahlreiche und wichtige Indikationen,
ohne dass man sie indessen als ein Spezifikum anschen kann. Mit Recht weist Verfasser darauf
hin, dass man in jedem Fall in der Verwendung der Milch gewisse Rücksichten auch auf die übrigen
Körperfunktionen des Patienten nehmen müsse, und dass häufiger das Milchregime als ein ge¬
mischtes Regime, wie als exklusive Milchdiät Verwendung finden sollte. Auch auf eine aus¬
reichende Ernährung des Patienten und auf eine Vermeidung oder Verhütung von Reizungen
ihres Digestionsapparates solle man besonders achten. H. Strauss (Berlin).
G. Rosenfeld, Untersuchungen über Kohlehydrate. Centralblatt für innere Medicin 1900. No. 7.
Verfasser stellte vergleichende Untersuchungen über die Toleranz des Hundes gegenüber Dex¬
trose, Mannose und Galaktose an und konstatirte zunächst, dass die Leichtigkeit, mit der die drei
Zuckerarten im Urin erscheinen, derart ist, dass zuerst die Galaktose, dann die Mannose und dann
die Dextrose im Urin erscheint. Die zu diesen Zuckerarten gehörigen Alkohole: Dulcit, Mannit und
Sorbit verhielten sich derart, dass Dulcit am leichtesten und Sorbit am schwersten im Urin erschien,
in der Mitte stand Mannit Bei den Dulcitversuchen ergab sich sogar einmal das seltsame Erscheinen
von Harnsteinen aus Kohlehydraten; so reich war die Menge der im Urin erscheinenden
Substanz. Die Alkohole zeigen also hinsichtlich ihrer Assimilationsfähigkeit Aehnliches wie die
Zuckerarten, zu welchen sie gehören.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
Mit Mannit am Menschen angestellte Versuche ergaben Folgendes: beim Gesunden erschienen
nach Darreichung von 20 g Mannit in Wasser 3 g = 15 °/ 0 im Urin als Mannit Beim Diabetiker
verhielt sich je nach der besonderen Art des Falles der Mannit verschieden, und zwar glaubt
Roscnfeld, dass er sich »was freilich durch umfangreichere Versuche nachgeprüft werden musste«,
beim Diabetiker wie Dextrose verhält. »Ist der Kranke im stände, die dem Mannit gleiche Mengt?
zu verarbeiten, so thut er es mit Mannit ebenso wie mit Dextrose. Liegt die verabreichte Menge
Mannit jenseits seiner absoluten Toleranzgrenzo, so wird sie wie Dextrose ausgeschieden«. Zu be¬
achten ist bei der Darreichung des Mannits, dass ein Theil im Darme vergohren werden oder in
unzersetztem Zustand im Kothe ausgeschieden werden kann, sowie ferner, dass Diarrhoeen und
Appetitstorungen bei seinem Gebrauch auftreten können. Wegen seines fremdartigen Geschmackes
wird er von Manchem zumckgewiesen, »er hat also gar keine Vorzüge vor Dextrose«.
Im Anschluss an diese Versuche berichtet Rosenfeld noch über vergleichende Unter¬
suchungen, die er mit Pentacetylgalaktose und gewöhnlicher Galaktose am Hunde angestellt hat.
Hierbei zeigte sich die reine Galaktose etwas mehr geneigt, in den Harn überzugehen, als das
pentacctylierte Präparat, ohne dass letzteres jedoch zur Glykogenbildung besonders beitrug; denn
die Leber eines Hundes, bei welchem nach der Darreichung von 32,5 g Pentacetylgalaktose eine
Glykogenbestimmung vorgenommen wurde, ergab nur Spuren von Glykogen. Rosen fei d enthält sich
jeden bestimmten Urtheils über das Zustandekommen dieser Erscheinungen und äussert nur die
Vermuthung, dass das Pentacetylgalaktoscmolekül »irgendwo in ganz besonderer Art zerbrochen wird«.
H. Strauss (Berlin).
A. Pabst, Zur Kenntnis» der Wirkung des schwarzen und weissen Fleisches bei chronischer
Nierenerkrankung* Berliner klinische Wochenschrift 1900. Nr. 25.
Verfasser hat auf der Fürbringer’schen Abtheilung des Krankenhauses am Friedrichshain die
in der letzten Zeit mehrfach diskutierte, im Titel genannte Frage an zwei schweren Fällen von chronisch
parenchymatöser Nephritis in der Weise studiert, dass er Menge und spezifisches Gewicht, den Eiiveis-
und Cylindergehalt des Urins, sowie das Allgemeinbefinden seiner zwei Versuchspersonen bei ab¬
wechselnder Darreichung von weissem und schwarzem Fleische studierte. Er ging dabei so vor,
dass er acht Tage lang täglich 1/2 Pfund Hühner- und Taubenfleisch, auf der anderen Seite Rind-,
Hammel- und Hasenfleisch verabreichte und zwischen die verschiedenen Fleischgerichtsperioden je
eine achttägige Milchperiode einschob. Die vom Verfasser angestellten Untersuchungen ergaben keine
beträchtlichen Unterschiede zwischen den mit verschiedenen Fleischarten durchgeführten Ernährungs-
perioden. Die Menge des produzierten Urins war während der Ernährung mit schwarzem Fleisch
meist eine geringere; hinsichtlich des Eiweissgehalts, der mit dem Esbach’schen Albuminimeter
gemessen wurde, ergaben sich keine wesentlichen Differenzen. Das Allgemeinbefinden zeigte auch
keine Aenderung, die zu der einen oder anderen Ernährungsart eine bestimmte Beziehung gezeigt
hätte. Verfasser ist mit seinem Urtheil in der ganzen Frage sehr vorsichtig, was auch bei einer
Versuchsserie, die sich nur über zwei Fälle erstreckt, vollkommen gerechtfertigt ist.
H. Strauss (Berlin).
Arnold Vidal, Ueber den Einfluss verschiedener Ernährungszustände von Thieren auf die
Umwandlung subkutan eingespritzten Methämoglobins* Deutsches Archiv für klinische
Medicin Bd. 65.
Verfasser studierte unter der Leitung von v. Starck (Kiel) das Verhalten von subkutan ein¬
gespritztem Pferdeblutniethämoglobin in der Weise, dass er Meerschweinchen Methämoglobinlösung
unter die Haut spritzte. Bei diesen Versuchen zeigte sich, dass das irisch bereitete Methämoglobin
schneller resorbiert wurde, als das alte. Verschiedentlich tritt ein wesentlicher Einfluss des Er¬
nährungszustandes der Tliiere zu Tage Bei gewöhnlicher Kost sah man die erste deutliche
Eisenreaktion nach 96 Stunden. Es ist anzunehmen, dass man mitunter die Anfänge schon etwas
früher finden kann, da bei dem einen Thier nach der angegebenen Zeit die Eisenreaktion schon
ziemlich stark war, doch ist eine solche nach 43 Stunden, wie v. Starck sie fand, unter normalen
Verhältnissen als eine Ausnahme zu betrachten. Bei reiner Fleischkost fand sich eine beschleunigte
Resorption; bei Verwendung des alten Methämoglobins war zwar nach 48 Stunden noch nichts
resorbiert, bei dem frischen dagegen nach 48 Stunden etwas, und nach 72 Stunden bedeutende Mengen.
Die Resorption wurde auch durch Milchkost beschleunigt, wenigstens bei Verwendung der
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Referate über Bücher und Aufsätze.
frischen Losung. Verfasser fand nach 48 Stunden Anfänge, nach 72 Stunden eine ziemlich erheb¬
liche Umwandlung. Am auffallendsten und interessantesten war der Einfluss der Blutentziehungen.
Hier fand sich schon nach 48 Stunden eine sehr lebhafte Umwandlung, sodass man die Anfänge
wohl auf viel früher annehmen kann. Die vermehrte Resorption ist daraus zu erklären, dass bei
einer ßlutentziehung eiue bedeutende Verminderung des Gesammteisengehaltes des Körpers eintritt^
wie bekanntlich auch mässige Blutentziehungen auf die Gewebe einen Reiz zur Neubildung aus¬
üben, was vielleicht auch zur Resorption des Eisens beiträgt
Man kann die verstärkte Umwandlung bei Fleisch- und Milcbkost entweder auf den ver¬
schlechterten Ernährungszustand im allgemeinen oder auf die verminderte Eisenzufuhr in der
Nahrung beziehen. Verfasser schliesst dies aus dem Umstand, dass bei Milchkost, wo die Eisen¬
zufuhr geringer ist, als bei Fleischkost, scheinbar eine schnellere Resorption stattgefunden hat.
In Bezug auf die Organe fand sich in der Milz keine deutliche Vermehrung des Eisengehalts.
Verfasser zieht den Schluss, dass der Ernährungszustand der Thiere einen wesentlichen Einfluss auf die
Umwandlung des eingespritzten Methämoglobins in Eisenalbuminat an Ort und Stelle hat. Namentlich
anämische Zustände befördern dieselbe sehr, was für therapeutische Zwecke wichtig sein dürfte.
Weitere Versuche, namentlich auch am Menschen, wären deshalb sehr wünschenswerth.
H. Strauss (Berlin).
Riegel, Ueber die Anwendung schmerzstillender Mittel bei Magenkrankheiten« Zeitschrift
für praktische Aerzte 1900. No. 17.
Riegel gebührt das grosse Verdienst, in systematischen Versuchen an Hunden mit Pawlow-
schen Fisteln als Erster in Deutschland eine Reihe von Fragen studiert zu haben, die gerade wegen
ihrer praktisch-therapeutischen Bedeutung von vorn herein eines besonderen Interesses sicher sind.
Es ist ihm durch die geniale Versuchsanordnung, wie sie durch Pawlow inauguriert ist, gelungen,
nach verschiedenen Richtungen hin klärend zu wirken, so auch hinsichtlich der Frage der Ein¬
wirkung des Atropins und des Morphiums auf die verschiedenen Funktionen des Magens.
Diese beiden Arzneimittel, welche pharmakologisch sich nach verschiedenen Richtungen hin ver¬
schieden, ja geradezu antagonistisch verhalten, sind von jeher in der Therapie von Magenkrankheiten
vielfach verwandt worden, und zwar ohne dass bisher ganz scharf umgrenzte Gesichtspunkte Vor¬
lagen, auf Grund deren man sich veranlasst gesehen hätte, das eine oder andere Mittel an einer
bestimmten Stelle zu bevorzugen. In den hier besprochenen Versuchen weist jetzt Riegel nach,
dass beide Mittel, das Morphium und die Belladonna, zwar gewisse schmerzstillende Wirkungen
gemein haben, dagegen auf die Saftsekretion einen durchaus entgegengesetzten Einfluss
äussern. Das Morphium, dem man früher auf Grund verschiedener Untersuchungen nachgesagt
hatte, dass es die Saftsekretion herabsetzt, zeigt nach Riegel eine geradezu entgegengesetzte,
erregende Wirkung, während das Atropin die Saftsekretion hemmt. Das ist für die Zwecke der
praktischen Therapie höchst bedeutungsvoll, denn das Morphium darf nach diesen Untersuchungen
nicht bei solchen Fällen von Kardialgie angewandt werden, die auf dem Boden der Hyperacidität
oder Hypersekretion erwachsen sind. Hier sind die Beliadonnapräparate, speziell das Atropin, am
Platze. Diese Thatsache konnte Riegel auch durch die praktischen Erfahrungen am Kranken¬
bette bestätigen, insofern er durch Atropin in subkutaner Injektion, die Riegel der Verabreichung
per os vorzieht, in Fällen von Kardialgie auf dem Boden der Hyperacidität eklatante Erfolge
beobachtet hat, die sich in einem Nachlassen der Schmerzen i/ 4 bis längstens 1/2 Stunde nach der
Injektion äusserten, »obschon mit Sicherheit anzunehmen war, dass ein sehr reichlicher stark
säurehaltiger Inhalt sich noch im Magen befand«. Die günstige Aeusserung des Atropins bei
solchen Zuständen führt Riegel zum Thcil auf eine andere Eigenschaft des Atropins zurück, die
darin besteht, dass das Atropin den krampfhaften Kontraktionen der Pylorusmuskulatur ein Ende
bereitet, eine Eigenschaft, die dem Morphium nach RiegePs Versuchen an Hunden nicht zukommen
soll, da Riegel an den Morphium versuchen an Hunden im Gegensatz zu den Atropin versuchen
oft die Beobachtung machen konnte, dass der in die Fistelöffnung eingeführte Katheter auf der
Höhe der Wirkung mit Gewalt aus der Fistelöffnung herausgepresst wurde. Riegel empfiehlt
deshalb das Atropin, speziell in subkutaner Anwendung, als souveränes Mittel gegen die Schmerz¬
zustände, die man bei Hyperacidität und Hypersekretion zu beobachten Gelegenheit hat, und warnt
vor seiner Anwendung bei Fällen von herabgesetzter Saftsekretion, sowie bei Fällen von motorischer
Schwäche des Magens. Fortgesetzte (5—7 Tage dauernde) Versuche mit grossen Dosen (pro Tag
bis 21/ 2 mg) zeigten, dass nach dem Aussetzen des Mittels in einzelnen Fällen die Herabsetzung der
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330 Referate über Bücher und Aufsätze.
Magensaftsekretion noch andauerte, in anderen Fällen aber wieder den früheren Sekretion»werthen
Platz machte Die mitgctheilten Versuche von Riegel besitzen einen hohen praktischen Werth,
insofern sic klar den Weg zeichnen, den wir bei der Auswahl der einzelnen Sedativa bei den ver¬
schiedenen Magenkrankheiten zu nehmen haben. H. Strauss (Berlin)
J. Hagenberg, lieber die Acetonvermehrung beim Menschen nach Znfiihrnng niedriger
Fettsäuren, Centralblatt für Stoffwechsel- und Verdauungskrankheiten I. No. 2.
Aus den Versuchen geht hervor, dass die Acetonausscheidung im Ham nach Fettfütterung
beim normalen menschlichen Organismus von der jeweiligen Menge der in den Fetten vorhandenen
niederen Fettsäuren abhängig ist. F. Voit (München).
A. Berger, Ueber den Einfluss reiner Milchdiät bei Diabetes melitus. Wiener klinische
Rundschau 1000. No. 31.
In zwei Fällen der leichten Form der Diabetes verschwand bei reiner Milchdiät der Zucker aus
dem Ham, so dass in solchen Fällen ein Versuch mit reiner Milchdiät gerechtfertigt erscheint. Bei
mehreren Fällen der schweren Form aber trat bei Milchkost starke Zuckerausscheidung sowohl hei
jungen, als auch bei älteren Individuen auf. F. Voit (Mönchen).
W. Sachs, Die Kohlenoxyd Vergiftung in ihrer klinischen, hygienischen und geriehtsärztlichen
Bedeutung. Braunschweig 1900.
Eine vorzügliche Zusammenstellung unserer Kenntnisse und der Littcratur über die Kohlen-
oxvdvergiftung, die in jeder Hinsicht erschöpfend ist. Die Lektüre des Buches kann aufs Wärmste
empfohlen werden. F. Voit (München).
J. Wohl gernuth, Beiträge zur Zuekerabspaltung aus Eiweigg. Berlinor klinische Wochen¬
schrift 1900 No. 34.
Verfasser konnte aus Pflanzeneiweiss (Eiweiss aus Gramineen), und aus Milchalbumin eine
Hexose, aus dom Nueleoprotcid der Leber eine Pcntose abspalten, dagegen gelang es ihm nicht
aus Kasein, Vittelin und Gelatine einen Zucker zu gewinnen. F. Voit (München).
Mosse, Erdäpfel als Nahrung hei Diabetes melitus. Klinisch-thcrap. Wochenschr. 1900. No.U>.
Verfasser beschäftigt sich bereits seit längerer Zeit mit der Frage, ob und in welchem Maasse
Diabetikern Kartoffeln zu gestatten seien. Aus seinen früheren Untersuchungen geht hervor, dass
manche Diabetiker mit ausgesprochenen charakteristischen Symptomen 14 Tage bis einen Monat hin¬
durch täglich 1500 g Erdäpfel an Stelle von Brot zu sich nehmen können und von diesem Ersatz
nur Vortheil haben. Mosse hat damals den Satz ausgesprochen, dass in gewissen Fällen von
Diabetes mittlerer Intensität ebenso wie beim arthritischen Diabetes die Erdäpfel nicht mir ge¬
stattet, sondern als Ersatz für Brot lur mehr oder weniger lange Zeit als vorteilhaft empfohlen
werden können. Er hat seither seine Untersuchungen fortgesetzt. Von ganz besonderem Interesse
sind zwei Fälle. Der eine zeigt, dass der Ersatz des Brotes durch Kartoffeln sowohl die Zucker¬
ausscheidung durch den Harn, als auch den Allgemeinzustand beim mageren Diabetes mit rapidem
Verlaufe (Pankreasdiabetes) günstig beeinflussen kann. Im zweiten Falle wurde nach längerem
Ersätze des Brotes durch 1200 — 1500 g Kartoffeln täglicli bei einem arthritischen Diabetiker ein
ausgezeichnetes Resultat erzielt. — n.
II. Köppe, Gefrierpunktsererniedrigiing und elektrische Leitfähigkeit natürlicher Mineral¬
wässer. Therapeutische Monatshefte 1900. Juni.
Der um die Uebertragung physikalisch - chemischer Betrachtungen und Untersuchungen auf
mcdicinische Probleme verdiente Autor bringt in dieser Arbeit eine Reihe von physikalisch-
chemischen Mineralwasseranalysen und bespricht in dieser Arbeit die Kautelen, welche für solche
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Referate über Bücher und Aufsätze.
331
Untersuchungen und für die Ableitung von Schlüssen aus ihnen nöthig sind. Unter Bezugnahme
auf eine unter Leitung des Referenten ausgeführte Arbeit von v. Kostkcwicz zeigt Koppe, dass
das Untcrsuchungsergebniss durch das Entweichen von C0 2 bald mehr, bald weniger beeinflusst
werden kann. Diese auch von v. Kostkcwicz betonte Fehlerquelle kann man nach Koppe durch
Kühlhalten der Flasche und der Gefrierrohre, ferner durch vorsichtiges Oeffnen der Flasche, sowie
vorsichtiges Umgiessen verhüten. Durch mehrfaches Gefrierenlassen kann man die freie C0 2 ver¬
drängen und so ihre Menge ermitteln. Bei einer Berechnung der Jonen aus dem Grade der Gefrier¬
punkterniedrigung und einem Vergleich der gewonnenen Zahl mit der aus der chemischen Analyse
ermittelten Jonenzahl zeigte sich, dass letztere in einigen daraufhin untersuchten Wassern stark hinter
der wirklichen, durch die Gefrierpunktserniedrigung gewonnenen, Zahl zurückblieb. Das beweist,
dass in den betreffenden Wässern ein Theil der Salze in die einzelnen Jonen zerfallen war. Koppe
verlangt, dass die Gefrierpunktserniedrigung von Mineralwässern an Ort und Stelle unter den
obengenannten, ein Entweichen der C0 2 verhindernden Kautelen vorgenommen werden soll und
hofft, dass solche Untersuchungen theoretisch und praktisch weitere Aufschlüsse über die Art
des Einflusses bestimmter Mineralwässer auf den Organismus zeitigen werden. Wenn Koppe
den nicht unter diesen Kautelen ausgeführten Untersuchungen nur einen bedingten Werth für
die Erforschung dieser Fragen beimisst, so kann sich Referent, trotzdem er das Köppe'sche
Postulat theoretisch voll und ganz anerkennt, soweit die praktische Ausführung dieses Postu¬
lats in Betracht kommt, doch einige Bemerkungen nicht versagen. Wer in einem Kurorte die
Patienten an der Quelle mit dem mehr oder weniger gefüllten Glase in der Hand in vertrauens¬
voller Erwartung ihre Morgenpromenade machen sieht, wird sich des Gedankens nicht erwehren
können, dass in den Magen der betreffenden Patienten nicht immer ein Wasser gelangt, welches
der molekularen Konzentration des frisch von der Quelle entnommenen Wassers stets völlig gleicht;
von denjenigen Patienten ganz zu schweigen, welche zu Hause ihre Mineral Wasserkur vornehmen.
In gar manchem Glas ist ein ganzes Thcil C0 2 verpufft, bis es geleert wird, und doch »wirkt« das
Wasser. Aus diesem Grunde glaubt Referent, dass man gerade hinsichtlich der Frage der Ein¬
wirkung bestimmter Mineralwässer auf den Organismus auch diejenigen Mineralwasserbestimmungen
nicht gar so gering bemessen darf, bei deren Ausführung ein Theil der C0 2 abgedunstet ist,
namentlich, wenn man die speziell bearbeiteten Fragen von der An- oder Abwesenheit geringerer
Mengen von C0 2 nicht wesentlich berührt. H. Strauss (Berlin)
0. Moritz, Ueher den klinischen Werth von Gefrierpunktsbestimmungen. St. Petersburger
medicinische Wochenschrift 1900. No. 22 und 23.
Die Gefrierpunktsbestimmungen an thierischen Flüssigkeiten, namentlich an Blut und Harn,
sind bekanntlich durch Koranyi in die Klinik eingeführt worden. Durch seine Untersuchungen
ist Moritz zu der Ansicht gelangt, dass die Bestimmungen des Gefrierpunkts thatsächlich klinisch
oft von grossem Werthe sind. Sie gestatten uns, die Nierenfunktion genauer bestimmen zu können,
als dies durch den Essbach und die mikroskopische Untersuchung allein möglich ist. Namentlich
bei längerem Verlauf der Krankheit kann man, zuweilen bei gleichbleibendem Eiweissgehalt, durch
allmähliches Sinken oder Steigen des Gefrierpunktes die Tendenz der Krankheit erkennen. Neben
dem Gefrierpunkte muss aber das Urinquantum, das spezifische Gewicht, der Eiweissgehalt und
eventuell der Chlomatriumgehalt mit zur Beurtheilung herangezogen werden, ohne dass sich für
diese verschiedenen Faktoren jedoch bisher noch sichere Verhältnisszahlen aufstellen Hessen.
Den Blutgefrierpunkt hat Moritz wegen der Schwierigkeiten des Verfahrens, besonders
wegen der bedeutenden erforderlichen Blutmenge nur in wenigen Fällen bestimmen können; die
Resultate waren mit denen der bisherigen Publikationen übereinstimmend. Der Gefrierpunkt des
normalen Blutes ist, wie bekannt, —0,56°. In einigen Fällen fand der Verfasser eine beträchtliche
x\bweichung von diesem Normalwerth, so z. B. bei einem Fall von Nephritis acuta und Urämie
— 0,655, von Nephritis haemorrhagica und Urämie —0,81, Nephritis chronica interstitialis und
Apoplexie — 0,64 etc. Besonders bemerkenswerth ist die starke molekuläre Retention im zweiten
Falle, einersehr schweren hämorrhagischen Nephritis, die am Tage nach dem Aderlass letal endigte.
Der Gefrierpunkt des Harnes gesunder Menschen unter normalen Lebensbedingungen schwankt
nach Koranyi zwischen 1,4 und 2,3 unter dem Gefrierpunkt des destillierten Wassers. Moritz
hat versucht, durch Bestimmung des Harngefrierpunktes bei 50 verschiedenen Krankheitsfällen sich
ein Urtheil über den klinischen Werth dieser Methode zu bilden. Aus seinen Tabellen ergiebt sich
bei den Nierenerkrankungen fast durchgehends eine Gefrierpunktserniedrigung. Ob eine interstitielle
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332 Referate über Bücher und Aufsätze.
oder eine parenchymatöse Nierenentzündung vorliegt, kann man, seiner Ansicht nach, jedoch nicht
aus den Gefrierresultaten erkennen. Um mit Sicherheit die Beziehungen zwischen Gefrierpunkt und
Nierenerkrankung festzustellen, hat der Verfasser auch in zwölf ad exitum gekommenen Fallen die
Nierenstruktur mikroskopisch untersucht. Das Resultat der mikroskopischen Untersuchung war
stets mit dem Gefrierpunkt im Einklang (z. B. normaler Gefrierpunkt trotz des Eiweissgehaltes bei
geringer Epithelveränderung). A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch).
Charles W. Townsend, Home modiflcation of milk. Boston medical and surgical journal
1900. 11. October.
Für eine rationelle Säuglingsernährung ist es von prinzipieller Bedeutung, die prozentuale
Zusammensetzung der Milch genau zu kennen und dieselbe willkürlich ändern zu können. Es sind
zu diesem Zweck in Amerika zahlreiche Milchlaboratorien eingerichtet, die jedoch äusserer Um¬
stände halber zu wenig benutzt werden und auch nicht allen dem jeweiligen Falle angepassten Be¬
dürfnissen Rechnung tragen können. Der Verfasser plaidiert daher für eine zweckmässige im Hause
selbst vorzunehmende Verarbeitung der Milch. Diese hat gegenüber der Zubereitung in den
Laboratorien schon den Vorzug, dass die Milch weder sterilisiert noch pasteurisiert zu werden braucht,
welche Prozeduren den Geschmack der Milch beeinträchtigen und sie für den kindlichen Organismus
häufig weniger zuträglich machen, die aber in den öffentlichen Anstalten vorgenommen werden
müssen, um jeder Gefahr der Ucbertragung von Krankheitskeimen vorzubeugen. — Der Verfasser
hat eine Methode ausgearbeitet, welche es ermöglicht in einfachster Weise die Zusammensetzung
der Milch zu berechnen und den Gehalt an einem der drei Komponenten — Fett, Zucker, Eiweiss —
willkürlich zu erhöhen oder zu verringern.
Auf Grund zahlreicher Untersuchungen und Berechnungen ergab sich nämlich folgendes
Gesetz: Jede Unze von 10% Creme in einer Mischung von 20 Unzen repräsentiert 50% Fett, 20%
Eiweiss und 20% vom Zucker; und der Zusatz eines Esslöffels Milchzuckers zu dieser Mischung
erhöht den Prozentsatz an Zucker um zwei. — Wenn man z. B. 3 Unzen abgerahmte Milch, 16 Unzen
Wasser und 2 Esslöffel Milchzucker verordnet, so enthält diese Mischung 1,5% Fett, 4,6% Zucker
und 60% Eiweiss.
Der Verfasser bespricht eine Reihe von Fällen, in denen er die Milch in verschiedenster, dem
jeweiligen Bedürfniss angepasster Zusammensetzung verwendete und sehr gute Resultate erzielt hat.
Paul Maver (Berlin-Karlsbad).
T. M. Rotch, Milk; its production, its care, its use. Bostoi medical and surgical journal
1900. 19. Juli.
Während wir schon in den Schriften der alten Egypter zahlreiche Aufzeichnungen finden
über die Gewinnuug der Milch, und mit der fortschreitenden Kultur die Milch in der Ernährung
eine immer grössere Rolle spielt, hat es lange gewährt, bis sich die Erkcnntniss Bahn gebrochen
hat, dass durch einen unrationellen und unhygienischen Gewinnungsmodus die Milch zu einer Quelle
zahlreicher Krankheiten werden kann. Der Autor erörtert ausführlich, dass die verschiedensten
pathogenen Keime in der Milch einen ausgezeichneten Nährboden finden und leicht auf den mensch¬
lichen Organismus übertragen werden können, so dass viele namentlich im Kindesalter beobachtete
Erkrankungen durch den Genuss schlechter Milch hervorgerufen werden.
Durchdrungen von der hohen Bedeutung der Milch als Nahrungsmittel, welches besonders in
der Säuglings- und in der Krankenernährung geradezu unersetzlich ist, hat Rotch die Einrichtungen
verschiedener Farmen und Meiereien in den Vereinigten Staaten studiert, um sich von den Mängeln
derselben durch den Augenschein zu überzeugen. Der Autor macht eine Reihe sehr beherzigens-
werther Vorschläge zur Herstellung einer reinen, die Gesundheit nicht gefährdenden Milch. Er stellt
die Forderung auf, dass in der Nähe einer jeden Stadt auf einem gesunden Terrain grosse Meiereien
zu errichten sind, welche unter Leitung von Männern stehen müssen, die mit den wichtigsten
hygienischen Gesetzen und Maassregeln vollkommen vertraut sind. Das Melken der Kühe muss
unter Beobachtung peinlichster Reinlichkeit erfolgen und nur von solchen Personen ausgeübt werden,
die in keine Berührung mit dem Schmutz der Stallungen kommen und bei dem Melkgeschäft eine
ausschliesslich für diesen Zweck bestimmte, leicht zu desinfizierende Kleidung tragen sollen. Das
ganze Personal dieser Farmen muss unter strengster ärztlicher Kontrolle stehen.
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Referate über Bücher und Aufsätze. 333
Die grösste Aufmerksamkeit ist der Behandlung der Kühe zuzuwenden, welche in nach
hygienischen Grundsätzen gebauten Stallungen untergebracht werden müssen, gutes Futter und be¬
sonders gutes Wasser erhalten sollen. Der Verfasser hofft, dass durch solche Einrichtungen eine
Milch hergestellt werden wird, die zwar einen höheren Kostenpreis haben mag, aber dafür die
Gewähr giebt, dass durch ihren Genuss keine Krankheitserreger übertragen werden.
Paul Mayer (Berlin-Karlsbad).
Ohas. D. Wood and S. H. Merrill, A report of investigations on the digestibility and
uatrire value of bread«
In dem Department of Agriculturc zu Washington werden seit Jahren Studien über den
Xährwerth und die Verdaulichkeit von Nahrungsmitteln, sowie über die allgemeine Ernährung der
verschiedenen Volksklassen angestellt. Diese Untersuchungen, welche in regelmässigen Intervallen
von der Regierung veröffentlicht werden, sind zweifellos geeignet, das Interesse für diese in medi-
einischer wie in sozialer Beziehung gleichbedeutenden Fragen auch in nicht ärztliche Kreise zu
tragen und ein tieferes Verständniss für dieselben zu erwecken. Von diesem Gesichtspunkt aus
sind alle derartigen Unternehmen gewiss mit Freuden zu begrüssen, selbst wenn die wissenschaft¬
lichen Resultate mit dem Aufwand an Arbeit und Zeit oft in keinem Verhältnis zu stehen scheinen.
Die vorliegende Abhandlung berichtet von Versuchen über die Verdaulichkeit und den Nähr¬
werth des Brotes. Es wurden die verschiedensten Brotsorten geprüft und ihre Ausnützung durch
zahlreiche mit grosser Exaktheit durchgeführte Analysen des Harns und der Fäces festgestellt
Ganz besonders wurde der Einfluss der übrigen Nahrungsbestandtheile auf die Assimilation des
Brotes berücksichtigt. Hierbei sind die Verfasser allerdings zum Theil in etwas allzu schematischer
Weise verfahren. Was soll es beispielsweise für einen Zweck haben, mehrere Individuen tagelang
ausschliesslich mit Brot zu ernähren, um so die Resorption desselben zu prüfen! Es hat sich dabei
herausgestellt, dass das Brot, wenn es nur einen bestimmten Bruchtheil der Nahrung ausmacht,
besser ausgenützt wird, als wenn es die alleinige Ernährung bildet und daher in ganz kolossalen
Quantitäten — bis 1633 g in den Versuchen der Verfasser — genossen wird. Um diese Wahrheit
zu entdecken, bedurfte es wohl kaum der Nothwendigkeit, die Versuchspersonen auf Wasser und
Brot zu setzen.
Im übrigen stimmen die gewonnenen Resultate völlig mit den Thatsachen überein, welche
in jedem diesbezüglichen Lehrbuch niedergelegt sind, und bringen in keiner Hinsicht etwas Neues.
Paul Mayer (Berlin-Karlsbad).
0. Wcinsclienker, Ueber Nährpräparate, im besondern Uber das Fleisch- und Kaseinmehl.
Therapevtitschesky Westnik 1000. No. 18.
Der Verfasser empfiehlt zwei von ihm selbst erfundene und im St. Petersburger Laboratorium
für Nährmittel von ihm dargestellte Nährpräparate, das Fleischmehl und das Kaseinmehl. Das Fleisch-
mehl wird von Weinschenker auf die Weise gewonnen, dass er das Fleisch schichtweise und bei
niedriger Temperatur trocknen lässt, wodurch ein Präparat von einem äusserst geringen Gehalte an
Feuchtigkeit erzielt wird. Das noch nicht zu Ende getrocknete Präparat wird durch ein System
von Sieben durchgelassen; dadurch gelingt es, dasselbe von den sehnigen elastischen Fasern und
Theilehen des Fleisches zu befreien und sogar die Spuren von Fett daraus zu entfernen, wodurch
das Produkt leicht verdaulich und assimilierbar wird. Ausserdem hat das Trocknenlassen bei
niedriger Temperatur auch die Bedeutung, dass das Präparat alle Eigenschaften des frischen Fleisches
bewahrt. In allen denjenigen Fällen, in welchen in anregender Weise auf das neuromuskuläre
System, auf die Hebung des Appetites und auf die Verdauung eingewirkt werden soll, ist das
Fleischmehl wegen seines Gehaltes an Extraktivstoffen besonders indiziert, während bei leicht erreg¬
baren Individuen, bei Nephritikem, bei Urolithiasis das Kaseinmehl vorgezogen zu werden verdient.
Dieses letztere wird aus dem Kasein nach Abtragung Her Sahne gewonnen. Der frische Käsestoff
wird unter hohem Drucke ausgepresst, durch ein Sieb durchgerieben, bei niedriger Temperatur ge¬
trocknet und durch wiederholtes Vermahlen in ein feines Pulver verwandelt. Das Trocknenlassen
hei niedriger Temperatur ist ein unbedingtes Erforderniss für die Güte des Präparates. Seine In¬
dikationen sind natürlich unbegrenzt.
Zugleich mit vielen anderen praktischen Aerzten bin ich der unbedingten Ansicht, dass
sämmtliche fabrikmässig hergestellten künstlichen Nährpräparate zum mindesten
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334 Referate über Bücher und Aufsätze.
überflüssig sind. Ein allgemeines, sie besonders auszeichnendes Charakteristikum kann ihnen
allen zugesprochen werden, nämlich dass sie die Krankenernährung ganz erheblich vertheuern,
während ihr wirklicher Nutzen für die diätetische Therapie ein sehr problematischer ist. Es ist ab¬
solut zweifellos, dass sämmtliche zu unserer täglichen Nahrung dienenden Speisen in
der Küche selbst mit verhältnissmässig geringen Mitteln, oft schon von der geschickten Haus¬
frau allein, durch einfache Manipulationen in leicht verdauliche, bekömmliche, schmack¬
hafte und den einzelnen Krankheitsfällen angepasste Nahrungsstoffe verwandelt
werden können. Wozu also die Gewalt? A. Dworetzkv (Riga-Schreyenbusch).
N. Golubew, Der Kumys und seine Verwendung. Moskau 1899.
Die umfangreiche Arbeit des Prof. Golubew über das russische Nationalheilmittel und
diätetische Getränk zerfällt in fünf Kapitel. Ira ersten Kapitel geht die Rede von der Wirkung
des Kumys auf den Magendarmkanal, in dem zweiten von der Einwirkung des Kumys auf den
Stoffwechsel und die Ernährung, im dritten bespricht er den Einfluss des Kumys auf die Blut¬
zirkulation und die Blutzusammensetzung, das vierte Kapitel handelt speziell von der Kumyskur,
das fünfte endlich ist der Frage nach den die Kumysgährung hervorrufenden Mikroorganismen
gewidmet.
Seine Wirkung auf die Digestionsorgane verdankt der Kumys in hohem Maasse der bei der
Gährung sich entwickelnden Kohlensäure, welche in ihm in recht bedeutender Menge, theils in
freiem, theils in gebundenem oder gelöstem Zustande, enthalten ist. Unter dem Einfluss der Kohlen¬
säure kommt eine Hyperämie der Schleimhaut des Magendarmkanals zu stände, es wird die Absonde¬
rung des Pankreassaftes vermehrt und die Fäulniss in dem lntestinaltraktus vermindert; die Ein¬
wirkung der Kohlensäure auf den motorischen Apparat der Digestionsorgane zeigt sich in der
Beschleunigung des Uebertrittes des Mageninhaltes in den Darm und in der Verstärkung der Darm¬
peristaltik. Der Appetit wird dabei in auffallender Weise angeregt. Die abführende Wirkung des
Kumys hängt in bedeutendem Grade von seinem grossen Gehalte an Milchzucker ab.
Viel interessanter und in praktischer Hinsicht wichtiger ist die Einwirkung des Kumys auf
den Stoffwechsel und auf die Ernährung des Organismus. Die darauf hin angestellten Unter¬
suchungen ergaben, dass der Kumys eine beträchtliche Steigerung des Stoffwechsels hervorruft, was
sich unter anderem durch die auffallende Vermehrung der Harnstoffausseheidung (von 27,77 auf
40,79) und die verminderte Quantität der ausgeschiedenen Harnsäure (von 0,673 auf 0,311) doku¬
mentiert. Das Verhältniss der ausgeschiedenen Harnsäure zum Harnstoff erfährt ebenfalls eine ein¬
schneidende Veränderung: betrug dieses Verhältniss vor Beginn der Kumyskur 1 :36,5, so erreicht
es während der Kur nicht selten 1 : 108,4. Der Umschwung in dem Ernährungszustände manifestiert
sich durch das rasche und sehr beträchtliche Ansteigen de9 Körpergewichtes. Diese Zunahme des
Gewichtes wird ausschliesslich durch den Gebrauch des Kumys, nicht aber etwa durch den Auf¬
enthalt in der Steppe bedingt und findet ihre Erklärung in der durch das gewöhnlich reichliche
Trinken des Kumys gewissermaassen vor sich gehenden Mastkur (alimentation forcöe); denn mit
diesem Getränk wird eine grosse Menge leichtverdaulicher Eiweisse, zugleich auch Fett und Zucker
in sich aufgenonimen. Auch nach Beendigung der eigentlichen Trinkkur fährt der Ernährungs¬
zustand fortwährend sich zu bessern fort: das ist die sogenannte Nachwirkung des Kumys.
Unter der Einwirkung der Kumystrinkkur wird der Puls frequenter, der Tonus der Arterien -
wandung wird geringer, die Gefässe erweitern sich, und zugleich steigt der Druck in den Arterien.
Es entwickelt sich eine Hydrämie, ja sogar bei den dazu veranlagten Personen eine echte Plethora.
Die Grundindikation für die Verordnung einer Kumyskur bilden kachektische Zustände mit
beeinträchtigter Ernährung. Von Krankheiten, welche die Kumystrinkkur indizieren, muss an die
erste Stelle die Schwindsucht gestellt werden, namentlich die sogenannten torpiden Formen der
Phthise, welche gänzlich fieberlos oder mit nur sehr schwach ausgesprochenem Fieber verlaufen.
Eine Kontraindikation gegen die Kumysbehandlung bilden die Hämoptoe und die Neigung zu der¬
selben, Tuberkulose des Darmes und vorgeschrittene tuberkulöse Affektion des Larvnx.
Günstig beinflusst vom Kumys werden auch sekundäre Anämien mit Kachexie, Skorbut und
verschiedene Magendarmaffektionen. Zur Behandlung des Diabetes melitus muss ein alter, kräftiger
Kumys verwendet weiden, d. h. ein solcher, in welchem der gesummte Milchzucker zur Vergährung
gekommen ist. A. Dworetzkv (Riga-Sehreyenbusch).
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Referate über Bücher and Aufsätze. 335
Henri Mor eigne, Actiou des Purgatifs snr la nntrition. Archives de medecine experimentale
d’anatomic pathologique 1900. Juli.
Der Verfasser hat den Einfluss der Aloe auf den GesammtstoffWechsel geprüft nach Dar¬
reichung einer bestimmten Menge pro die und nachdem der zu Prüfende in das Stickstoffgleich¬
gewicht gebracht worden war. Die Ergebnisse der Untersuchungen waren folgende:
Die Abführmittel erzeugen eine Vermehrung des Gesammtstoff Wechsels hinsichtlich des Ab¬
baues, des Zellstoffwechscls und hinsichtlich der Vermehrung der Oxydationsvorgange. Dem¬
entsprechend finden sich im Urin vermehrt eine ganze Reihe von Stoffwechselprodukten: Gesammt-
stickstoff, Harnstoff, Schwefel, feste Bestandteile überhaupt, organische Bestandteile, Phosphor¬
saure u. s. w.
Hingegen erfahren die anorganischen Bestandteile meist eine relative Verminderung. Sie
werden in vermehrter Menge im Stuhlgang ausgeschieden.
Die Harnsäure ist noch besonders vermehrt; die gefundenen Ziffern sind relativ höher als
diejenigen der gesammten organischen Substanzen.
Während die Mineralstoffe im allgemeinen vermindert sind, ist die Phosphorsäre nicht nur
relativ, sondern absolut vermehrt.
Die Acidität des Harns ist erhöht Da aber die Diurese vermindert ist, die Harnsäure und die
sauren Phosphate vermehrt sind, so ist die Steigerung der Acidität genügend erklärt
Diese experimentellen Untersuchungen führen zu weiteren Schlussfolgerungen hinsichtlich der
Bedeutung der Abführmittel, welche der Verfasser sich vorbehält. Leider hat der Verfasser die
ausserordentlich reichhaltige Litteratur auf diesem Gebiete mit keinem Worte erwähnt, in der die
Mehrzahl seiner Untersuchungsergebnisse längst niedergelegt sind. II. Ros in (Berlin).
Matthaei, Die Schädlichkeit mässigen Alkoholgenasses. Leipzig 1900.
Ein Vortrag, den Verfasser über obiges Thema gehalten hat, ist die Veranlassung zu der
kleinen Broschüre, die den Zweck hat, den Schaden auch kleiner Alkoholgaben zu beweisen. Die
Broschüre ist für Laien bestimmt und wendet sich, in populärer und geschickter Form abgefasst,
an diese, die Ergebnisse physiologischer, hygienischer und sozialer Forschungen berücksichtigend
und vor Augen führend. Schreiben wir es dem zu gute, dass manche Hypothesen der Gegner des
Alkohols in jeder Form als unbestrittene Thatsachon hingestellt und damit eigentlich der streng
wissenschaftliche Boden in den Folgerungen wenigstens verlassen wird. Ich denke hierbei an die
Behauptung des Autors, dass selbst verschwindend geringe Mengen Alkohols, die in der Milch
stillender Frauen sich zeigen, Säuglinge deutlich schädigen — Rose mann konnte bekanntlich auf
Grund seiner Versuche das Gegcntheil beweisen — t dass kleine Gaben Alkohol die Verdauung des
Magens verlangsamen etc. etc Matthaei berücksichtigt auch viel zu wenig in seinen Ausführungen
den Wein, dessen schädliche Wirkungen, wenigstens in der Form, in der er in vielen Theilen Deutsch¬
lands wie auch andrer Länder als leichter Tisch- resp Landwein genossen wird, gegenüber denen
des Bieres und Schnapses erheblich zurücktreten und gelangt dadurch zu Schlüssen, die in ihrer
Verallgemeinerung nicht zutreffen. Ebenso basiert seine Verwerfung des Alkohols als Medikament
au! theil weise unrichtigen Voraussetzungen, als Ex eit ans und Analeptikum werden wir ihn so leicht,
wie Verfasser es meint, nicht entbehren können. Matthaei, der bekanntlich das Sportathmen als
hygienische Maassnahme eingeführt und sich dadurch verdient gemacht hat, glaubt durch dieses
»hygienische Allheilmittel«, wie er es nennt, die Alkoholsucht im Sinne der Abstinenz günstig be¬
einflussen zu können: So warme Berücksichtigung dieser Sport auch verdient, wir fürchten, als
Waffe gegen den Alkohol wird er sich kaum brauchbar erweisen. Anerkennung aber unter allen
Umständen — sind wir auch mit manchem nicht einverstanden — verdient das warme und iiberzeugungs-
tieiie Eintreten des Verfassers für eine Sache, die in der That, wie wir schon wiederholt Gelegen¬
heit hatten zu bemerken, eingehendste Berücksichtigung seitens der ärztlichen Kreise erheischt.
J. Marcuse (Mannheim).
M. Obesersky, Ueber die Salzsänresckretion bei Zufuhr von Eigelb in den Magen. Medizina
1899. No. 47 und 48.
Durch die rühmlichst bekannten Arbeiten des St. Petersburger Physiologen Prof. J. Pawlo w
und seiner zahlreichen Schüler über die Physiologie der Verdauung ist zur Evidenz erwiesen worden,
dass die Qualität und Quantität des abgesonderten Magensaftes und der Verdauungssekrete in voll-
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336 Referate über Bacher und Aufsfitze.
kommener Abhängigkeit von der Menge und der Beschaffenheit der in den Magen eingeführten
Nahrung sich befindet. Unter anderem fand einer der Schüler Pawlow’s, Dr. J. Ssoborow, dass
das Gelbe des Hühnereies eine hervorragende sekretionserregende Wirkung auf die Magendrusen
besitzt und dass in Bezug auf die Menge des Magensaftes, der sich bei der Fütterung von Hunden
mit Eigelb aus dem isolierten Magen ergiesst, man dasselbe dreist an die Spitze aller Nahrungs¬
sorten stellen kann, die in dem Laboratorium Prof. Pawlow’s darauf hin untersucht worden sind.
Dieser interessante Befund wurde von Obesersky in der inneren Klinik des Prof. Wassiliew zu
Dorpat (Jurjew) an Kranken einer Kontrolle unterworfen, wobei er vollständig bestätigt werden
konnte. An vier Patienten (je zwei mit Magencarcinom und Gastritis mucosa) und an einem Ge¬
sunden wurden theils nach einem gewöhnlichen Ewald’sehen Probefrühstück, theils nach der Ein¬
verleibung von Eigelb (meist von drei Eiern) 14 Untersuchungen des ausgeheberten Mageninhalts
vorgenommen, auf Grund deren der Verfasser zu folgenden Schlüssen kommt: Das Gelbe des
Hühnereies besitzt in deEThat eine starke Wirkung auf die salzsäureabsondemden Drüsen der
Magenschleimhaut. Dabei regt nicht nur das Eigelb selbst in hohem Maasse den Magen zu sekre¬
torischer Thätigkeit an, sondern die öftere Zufuhr desselben versetzt die salzsäureabsondemden
Drüsen des Magens in einen aktiven Zustand infolge der Zusichnahmc auch einer anderen Speise.
Bei denjenigen Krankheiten, wo eine vermehrte Salzsfiuresckretion erstrebt wird, kann daher das
Eigelb als diätetischer Faktor von grossem Nutzen sein.
Infolge der mächtigen sekretionserregenden Eigenschaft des Eigelbs wird jetzt in der
Wassiliew’schen Klinik die Probe damit zur differentiellen Diagnostik des beginnenden Magen¬
krebses und der atrophischen Gastritis benutzt. Die Diagnose des letzteren Leidens wird nur dann
als feststehend betrachtet, wenn die Probe mit dem Eigelb ein negatives Resultat zu Tage fördert.
A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch).
v. Drigalski, Zur Wirkung der Lichtwfirmestrahlen. Centralblatt für Bakteriologie, Parasiten¬
kunde und Infektionskrankheiten. 1. Abtheilung. Bd. 27.
Unter Lichtwärmestrahlen sind die chemisch nicht wirksamen Strahlen des elektrischen
Glühlichtes zu verstehen, wie sie bei den vielfach gebräuchlichen Glühlichtbädern zur Verwendung
kommen. Diese Strahlen sind hauptsächlich Wärmcstrahlen, sie entbehren namentlich auch der
spezifischen bakteriziden Lichtwirkung, eine Ansicht, die v. Drigalski mit Winternitz, Strebei
(vergl. Referat in dieser Zeitschrift) und anderen theilt. v. Drigalski hat nun durch Versuche,
die er im Berliner Institut für Infektionskrankheiten anstellte, die Behauptung Kattenbracker’s
widerlegt, dass auch diesen Glühlichtstrahlen speziell bakterizide Eigenschaften zukämen und
dass mit pathogenen Keimen geimpfte Thiere, die in einem Glühlichtkasten gebracht wurden, am
Leben geblieben, während ebenso behandelte, dem Lichte aber nicht ausgesetzte Kontrollthiere zu
Grunde gegangen seien, v. Drigalski fand vielmehr, dass mit Milzbrandkultur geimpfte Mäuse,
die er der Bestrahlung einer Glühlampe unterwarf, in viel kürzerer Zeit zu Grunde gingen als
die ebenfalls geimpften aber nicht bestrahlten Kontrollthiere. Er stellte ferner fest, dass sogar un-
geimpfte Thiere, die er in einem Gefäss auf frischer Streu der Bestrahlung unterwarf, innerhalb
kurzer Zeit einer Infektion mit den aus dieser Streu stammenden, sonst für Mäuse nicht
pathogenen Bakterien erlagen, und dass ferner für Kontrollthiere nicht totbringende Infektions-
arten (Setzen der Thiere auf milzbrandhaltige Streu, Bestreichen einer arrodierten Hautstelle mit
Milzbrandkultur) bei den bestrahlten Thieren regelmässig den Tod zur Folge hatten. Verfasser
kommt aus seinen Versuchen zu dem praktisch wichtigen Schluss, dass einmal die Lichtwärme¬
st rah len durch die infolge der starken Perspiration hervorgerufene Erschöpfung die Wider¬
standsfähigkeit des Körpers gegen akute infektiöse Prozesse vermindern, und dass
andrerseits diese intensive Wirkung eine Eigenthümlichkeit der vom Lichte ausgehenden Warn um¬
strahlen ist. Denn Kontrollthiere, die er in dem Brutschränke der gleichen Temperatur aussetzte,
als die durch die Glühlichtstrahlen erwärmten Thiere zu ertragen hatten, zeigten nicht die ver¬
minderte Widerstandsfähigkeit der den hellen Wärmcstrahlen ausgesetzten Thiere. Infolge dieser
Eigenthümlichkeit der Licht wärmcstrahlen glaubt v. Drigalski auch nicht, ihre therapeutische
Verwendung von dem Begriffe der Lichttherapie trennen zu dürfen. A. Laqueur (Berlin).
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Referate über Bücher und Aufsätze. 337
P* Borissow, Ueber den Einfluss des Lichtes und der Dunkelheit auf die Zusammensetzung:
des Blutes. Jeshenedclnik 1900. No. 12.
Derselbe, Zur Lehre Ton der Wirkung des Lichtes und der Dunkelheit auf den thierischen
Organismus. Wratsch 1900. No. 46.
Nach Anführung einer Reihe von Litteraturangaben, welche den Beweis dafür erbringen,
dass ausser der Netzhaut auch andere Zellen thierischer Organismen — wenigstens einiger von
ihnen — vom Lichte erregt werden, und nach Erwähnung der Untersuchungsergebnisse, welche
den Einfluss des Lichtes auf den Stoffwechsel bei höheren Thieren klar legen, lenkt Borissow die
Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass alle bisher angestellten Nachforschungen die Frage ganz
unberührt gelassen haben, warum eigentlich Menschen, und im besondern Kinder, welche unter
ungünstigen Belichtungsverhältnissen leben, gewöhnlich blass und schwächlich sind. Auf Grund
der Untersuchungen über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel hätte man eher erwarten
sollen, dass die bei "schlechter Beleuchtung lebenden Personen über einen besseren Ernährungs¬
zustand verfügen werden, aber nicht umgekehrt, da ja der Stoffwechsel in der Dunkelheit langsamer
vor sich geht. Im Jahre 1897 erschien eine Arbeit von Kroneckor und Marti, welche gefunden
zu haben meinten, dass die Anzahl der rothen Blutkörperchen in der Dunkelheit sinke und im
Lichte steige. Die Versuche aber, die von Borissow speziell zur Entscheidung dieser Frage an¬
gestellt wurden, zeigten die Fehlerhaftigkeit der Schlussfolgerungen der eben genannten Autoren.
Verfasser benutzte nämlich zu seinen Versuchen zwei Paar junge Hunde aus demselben Wurfe und
von gleicher Farbe. Das eine Paar wurde in einem hellen, das andere in einem dunkeln Zimmer
gehalten. Die Fütterung der Thiere war eine absolut gleiche. Die Dauer de9 Versuches betrug
einen Monat. Die Hunde im hellen Zimmer nun frassen ihr Futter stets vollständig auf, während
bei den Hunden im dunkeln Raume immer vom Futter nachblieb (im ganzen 819 g Brei). Die
Hunde, die im hellen Zimmer sich aufhielten, blieben zuerst an Gewicht zurück, überholten darauf
die auderen und wogen am Ende des Versuches 220 g mehr. Was die Blutuntersuchungen betrifft,
die in dieser Zeit dreimal ausgeführt wurden, so ergaben sie, dass das Licht und die Dunkelheit
einen Einfluss weder auf die Zahl der rothen, noch auf die Zahl der weissen Blutkörperchen, noch
auf die Hämoglobinbildung auszuüben vermögen. Während das Gewicht der belichteten Hunde
um das dreifache stieg, so wurde doch die Hämoglobinmengc relativ geringer; jedenfalls war die
Bildung der geformten Elemente des Blutes eine energischere als die des Hämoglobins.
Bei dem eben beschriebenen Versuche beobachtete also Borissow die interessante That-
sache, dass die in der Dunkelheit gehaltenen Hunde im Vergleich mit den im Lichte lebenden
Thieren einen geringen Appetit hatten und ihr Futter nicht gänzlich auffrassen, sodass am Schluss
der Beobachtung die im hellen Zimmer gehaltenen Thiere an Gewicht mehr zugenommen hatten
als die Hunde im dunkeln Raume, obgleich der Stoffwechsel bei den ersteren schneller vor sich
ging. Folglich kam er zu dem Schluss, dass wenn auch das Licht einerseits einen schnellen Zerfall
der Gewebe bedingt, es andrerseits so den Appetit der Thiere steigert, dass dadurch die Ernährung
gehoben wird. Um sich zu überzeugen, dass die von ihm wahrgenommene Thatsache keine zufällige
Erscheinung ist, stellte Verfasser noch die folgenden Experimente an. Er nahm sechs Kaninchen,
welche paarweise annähernd von dem gleichen Gewichte waren, hielt sie eine Woche lang unter
denselben Bedingungen und bestimmte die Körpergewichtszunahme eines jeden von ihnen im Laufe
dieser Woche. Darauf setzte er von den Kaninchen drei Exemplare, welche in dieser Zeit am
meisten an Gewicht zugenommen hatten, in einen dunkeln Käfig; die übrigen drei dagegen, welche
weniger an Gewicht zugenommen hatten und folglich über eine geringere Fähigkeit zur Aufspeiche¬
rung verfügten, sperrte er in einen eben solchen Käfig ein, aber in einen offenen, hellen. Futter
und Trank bekamen sowohl diese als auch jene im Ucberfluss. Indem der Verfasser im Laufe eines
Monats die Gewichtsschwankungen der Thiere verfolgte, fand er, dass die im Dunkeln lebenden
Kaninchen in der ersten Woche, ebenso wie auch früher vor dem Versuche, mehr an Gewicht Zu¬
nahmen als die im hellen Käfige, dass sie aber nachher im Verlauf der übrigen drei Wochen an
Gewicht bereits bedeutend weniger Zunahmen als die im hellen Käfig befindlichen. In der Dunkel¬
heit betrug die Gewichtszunahme im Mittel 157 g und in der Helligkeit 252 g. Auf diese Weise
ergab sich, ungeachtet dessen, dass in den dunkeln Raum diejenigen Kaninchen gesetzt worden
waren, welche die grösste Tendenz zur Aufspeicherung gezeigt hatten, dennoch am Schlüsse des
Versuches, dass dieselben weniger angesetzt hatten; folglich war während ihres Aufenthaltes im
Dunkeln diese Fähigkeit zum Aufspeichem von Vorrathen und zum Ansatz abgeschwächt worden.
Um diese Erscheinung dem Verständnis» näher zu bringen, machte der Verfasser eine Parallele,
Zt'ilM-hr. f. diät. u. physik. Therapie Bd. V. Heft 4. o;»
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338
Referate über Bücher uud Aufsätze.
und zwar wies er auf die Ernährung des arbeitenden und des ruhenden Muskels hin. Wie während
der Arbeit, so geht auch in der Ruhe der Zerfall und der Abbau im Muskel ununterbrochen vor
sich, aber im tbätigen Zustande verläuft bekanntlich unter dem Einflüsse der normalen Reize der
Zerfall in stärkerem Maasse. Ist die Ernährung in beiden Fällen eine genügende, so wird als das
Resultat der muskulären Thätigkeit ein Anwachsen der Muskelsubstanz sich ergeben, und in der
Ruhe eine Verringerung derselben. Eine ähnliche Erscheinung beobachten wir in den Versuchen
mit der Belichtung. Das Licht ruft einen gesteigerten Zerfall der lebenden Substanz hervor; andrer¬
seits aber werden die Nahrungsstoffe unter dem Einflüsse des Lichtes in erhöhtem Maasse Ina
Körper zurückgehalten. Folglich muss man das Licht als normalen Reiz betrachten, ohne welchen
das Leben zwar möglich ist, aber durchaus nicht regelmässig sich abspielt.
Gleichzeitig mit den Beobachtungen am Körpergewichte der Kaninchen verfolgte Borissow
auch die Blutzusammensetzung bei den Versuchstieren, wobei er sich nochmals von den Irrthümern
und Trugschlüssen Kroneekers und Martis überzeugen konnte.
A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch).
Tschdanow, Behandlung der Hämorrhoiden und Fissnren de9 Anus mit d’ArsonvaPseheu
Strömen. Botkin’sehe Hospitalzeitung 1900. No. 3o.
Die Versuche von d’Arsonval, Charrin u.a. haben gezeigt, dass Ströme von hoher Spannung
und grosser Frequenz frappante physiologische Einwirkung ausüben. Während gewöhnliche Wechsel¬
ströme von gleicher Energie für den Körper unbedingt gefährlich sind, beeinflussen dieselben sensible
und motorische Bahnen gar nicht; auf die vasomotorischen Nerven dagegen wirken sie äusserst
energisch: Die Haut wird bei längerem Elektrisieren roth und bedekt sich mit Schweiss, der Blut¬
druck sinkt beim Menschen anfänglich, um dann zu steigen, die Gefässe des Kaninchenohres er¬
weitern sich selbst nach Durchschneidung des Nervus sympathicus u. s.w.
Ferner wurde der direkte Einfluss genannter Ströme auf das Protoplasma (Bakterien und
Hefe) nachgewiesen, sowie auf deren Toxine. Ihre Wirkung auf den Stoffwechsel hat man mit
Erfolg zur Behandlung der Fettsucht, Zuckerruhr, Gicht und anderer Krankheiten herangezogen.
Verfasser wandte dieselben in der Therapie der Hämorrhoiden und Fissuren des Anus an, nachdem
bereits Do um er aus Lille vor zwei Jahren das Verfahren bei Fissuren warm empfahl. Die Zahl
seiner Kranken betrug 85, davon waren 34 auch mit Fissuren behaftet
Tschdanow wandte monopolares, bipolares Elektrisieren mit und ohne Resonator an, wobei
er letzteres Verfahren als das wirksamste empfiehlt, da er dabei statt 30 nur 15 Sitzungen brauchte,
wobei er sich der primären Stromstärke von 5—6 Ampöre bediente. Die Patienten empfanden an
der Applikationsstelle Hitzegefühl, nur selten Brennen. Von den Hämorrhoidalsymptomen ver¬
schwanden zuerst die Schmerzen, dann die Spannung der inneren und äusseren Knoten. Der
Sphinkterkrampf und die Obstipation hielten länger an; die Blutungen hörten nach ganz un¬
bestimmter Zeit auf, zuweilen nach der ersten Sitzung, gewöhnlich nach circa zehn. Die Be¬
handlung soll so lange dauern, bis die Knoten völlig zusammengefallen sind und alle Beschwerden
nachgelassen haben. Besonders lange dauert die Kur bei erblicher Belastung, Alkoholismus, Leber¬
schwellung, Herzerweiterung, Emphysem, also bei Zuständen, wo die Venenstauung besonders stark
ist. Unangenehme Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet; im Gegentheil fühlten sich die Patienten
frisch und munter, bekamen Appetit und guten Schlaf, Kopfschmerzen nahmen ab. Die Fissuren
vernarbten in allen Fällen vollkommen. Verfasser empfiehlt Sitzungen von fünf Minuten, einen um
den anderen Tag, da häufigeres und längeres Elektrisieren Kopfschmerzen und lokale Reizerschei¬
nungen verursacht Verfasser nimmt an, dass das Verfahren sehr häufig operative Eingriffe er¬
setzen kann. Simon (Wiesbaden).
Klapp, Ueber die Behandlung von Geleukergüssen mit heisser Luft. Münchener medicinische
Wochenschrift 1900. No 23.
Klapp berichtet über die günstigen therapeutischen Erfahrungen, die er mit der lokalen Heiss¬
luftbehandlung von traumatischen wie rheumatischen Gelenkergüssen, ferner von Oedemen bei
Frakturen, von Wundgranulationen. dann auch besonders von Beingeschwüren und von Ischias an
der Bier'schon chirurgischen Klinik zu Greifswald zu machen Gelegenheit hatte. Er bediente sich
des Bi ersehen lleissluftkastens und setzte darin das zu behandelnde Glied 1— 2 Stunden lang täg¬
lich einer Hitze von 120—140° C aus. Bei längerer Dauer der Prozedur oder bei Anwendung höherer
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Referate über Bücher und Aufsätze. 339
Hitzegrade als der genannten beobachtete Klapp öfters das Auftreten von Oedemen nach einem
solchen Heissluftbade, während sonst bei Beobachtung der obigen Angaben über Dauer und Tem¬
peraturhöhe diese Behandlung mit trockener heisser Luft, wie bekannt, ohne Nachtheil vom Pa¬
tienten vertragen wird. Auffallend ist besonders die rasche Abnahme der Gelenkergüsse in den
ersten Tagen dieser Behandlung. Dann tritt öfters eine Zeit lang ein scheinbarer Stillstand in
dem Rückgänge der Erscheinungen ein, den man aber vermeiden kann, wenn man einzelne Ruhetage
einschiebt, an denen kein Heissluftbad gegeben wird, um den durch die enorme anfängliche Resorp¬
tion überlasteten abführenden Lymphbahnen Zeit zu lassen, sich ihres Inhaltes zu entledigen.
Klapp empfiehlt die Heissluftbehandlung für die meisten Arten von Gelenkergüssen mit
Ausnahme der tuberkulösen, da, wie schon Bier angab, tuberkulöse Gelenkentzündungen
durch aktive Hyperämie, um die es sich hier handelt, direkt ungünstig beeinflusst werden.
Durch diese Hyperämie, die sich bis in die tief gelegenen Gewebe erstreckt, ist nach Klapp
ausschliesslich die resorptionsbefördernde Wirkung der Ueissluftbehandlung zu erklären. Er verwirft
alle anderen Erklärungen dieser Wirkung, u. a. auch die der Resorptionsbeförderung durch die
Sch Weissproduktion, womit er wohl etwas zu weit geht. Um nun die Beeinflussung der Resorp¬
tionsfähigkeit seröser Häute durch die Heissluftbehandlung experimentell zn studieren, hat
Klapp folgende interessante Versuche angestellt: Er injizierte eine bestimmte Menge physiologischer
Kochsalzlösung in die Bauchhöhle von Kaninchen, steckte darauf das Thier mit seinem Bauchtheile
20 Minuten lang in einen Heizkasten von 120« Innentemperatur, und fand dann, wenn er nach einer
Stunde die Bauchhöhle eroffuete, dass in dieser Zeit 2—3 mal mehr Flüssigkeit resorbiert war, als
in derselben Zeit bei einem Kontrollthier, dem die gleiche Menge der Lösung injiziert war, das aber
dann nicht mit heisser Luft behandelt worden war. Klapp konstatierte gelegentlich dieser Ver¬
suche ebenso wieWegner, der vor ihm schon ähnliche Versuche gemacht hatte, dass die Resorp¬
tionsintensität um so grösser ist, je stärker die betreffende seröse Haut gespannt ist.
Damit erklärt sich auch die erwähnte klinische Beobachtung, dass in den ersten Tagen der lokalen
Heissluftbehandlung von Gelenkergüssen, solange die Spannung der Gelenkmembran noch eine starke
ist, die Abschwellung des Gelenkes rascher vor sich geht als später, wo jene Membran schon ent¬
spannt ist.
Durch Injektion von Stoffen von hohem diosmotischem Aequivalent (konzentrierter Zucker-
losung) in die Bauchhöhle von Kaninchen, deren Bauchtheil er dann 20 Minuten lang einer Tem¬
peratur von 120« aussetzte, prüfte Klapp auch die Beeinflussung der Transsudation seröser
Häute durch die Heissluftbehandlung. Er fand nun, wenn er die so behandelten Tiere nach einer
Stunde tötete, in der Bauchhöhle derselben weniger transsudierte seröse Flüssigkeit als bei Kon-
trollthieren; dieser Befund ist entweder durch Hemmung der Transsudation durch jene Hitzegrade
oder durch Beförderung der Resorption durch dieselbe zu erklären. Erst durch sehr hohe Tempe¬
raturen (bis zu 180«) gelang es, auch eine etwas stärkere Transsudation hervorzurufen. Dieselbe ist
also jedenfalls durch hohe Temperaturen schwerer zu erzielen als die Resorption. Der Steige¬
rung der Transsudation durch sehr hohe Temperaturen entspricht die oben erwähnte klinische
Beobachtung des Auftretens von Oedemen bei Anwendung so hoher Hitzegrade.
A. Laqueur (Berlin).
H. Strebei, Meine Erfahrungen mR der Lichttherapie. Deutsche medicinische Wochenschrift
1900. Ko. 27 u. 28.
Diese Mittheilung, die vom Anfang bis zum Ende das aufrichtige Bestreben des Verfassers
erkennen lässt, ganz unparteiisch zu urtheilen und auch alle vorschnellen theoretischen Schlüsse zu
vermeiden, bildet schon aus diesem Grunde einen willkommenen Beitrag zu der so aktuellen Frage
der Lichttherapie. Bei der Behandlung einer Reihe von Erkrankungen, über die der Verfasser be¬
richtet, handelt es sich nicht um reine Lichtwirkung, sondern um eine kombinierte Wirkung von
Licht und Wärme (es wurden meist Glühlichtbäder, zuweilen auch Bogenlichtbäder angewandt).
Welcher von beiden jener Faktoren bei der Behandlung der inneren Krankheiten eine grössere
Rolle spielt, das lässt Strebei dahingestellt; sicher ist aber, dass die Lichtwärmewirkung vor allen
anderen Methoden zur künstlichen Schweisserzeugung den grossen Vortheil hat, dass dabei das
Herz fast gar nicht irritiert wird.
Was nun die einzelnen Krankheiten betrifft, die Strebei mit Lichtbädern behandelt hat, so
sind bei den rheumatischen Affektionen (akuter und chronischer Gelenkrheumatismus), ferner bei
gichtischer Gelenkerkrankung keine bedeutenden Erfolge erzielt worden, und bei der Behandlung
dieser und ähnlicher Krankheiten wird wohl die Anwendung der Wärme allein, namentlich in Form
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Referate über Bücher und Aufsatze.
der heissen Luft, die Oberhand behalten. Ebensowenig sind die Erfolge bei Behandlung der
Nephritis mit Lichtbädern hervorstechend, wenn auch diese, ohne das Herz zu alterieren, ergiebigen
Schweissausbruch zu erzeugen im stände sind. Infolge dieser Eigenschaft der Licht wärmestrahlen
wird deren Anwendung bei Herzkrankheite n sehr empfohlen, bei denen Verfasser in einer Reihe
von Fällen sehr gute Erfolge erzielt hat, namentlich auch in Fällen von Arteriosklerose und von
Fettherz; leider giebt hier der Verfasser nicht an, wie hoch die Temperatur des Lichtbades bei dieser
Behandlung war; ebenso empfiehlt sich die Behandlung mit Lichtwärmestrahlen bei der Fettleibigkeit
selbst, eben wegen dieses Vorzuges der Vermeidung der unangenehmen Nebenwirkungen auf das
Zirkulationssystem, dann auch bei der Chlorose; bei dieser Krankheit erzielte Verfasser durch Bogen¬
lichtbäder sehr gute Erfolge. Ferner berichtet er über einen durch Lichtw'ärmcbehandlung geheilten
Fall von Diabetes. Er erklärt diese Heilung durch eine sowohl durch die Licht- als auch durch
die Wärmewirkung hervorgerufene Steigerung der Hautthätigkeit und der Oxydationen im Körper,
welche sich bei einzelnen Personen auch durch eine leichte Temperaturerhöhung nach einem längeren
Glühliehtbade kund that. Von sonstigen Krankheiten, die Strebei mit Erfolg mit Lichtwärme¬
strahlen behandelte, seien noch Katarrhe der Bronchien genannt; bei Neuralgien wurden nur
dann gute Erfolge erzielt, w r enn die Wärmewirkung übenvog, also im Glühlichtbade.
Um reine Lichtwrirkung unter Ausschaltung aller Wärmestrahlen (durch eine mit Kupfer¬
vitriollösung gefüllte Hohlglaslinse) handelt es sich dagegen bei der Behandlung verschiedener
Hautkrankheiten, über die Strebei berichtet; er benutzte dabei als Lichtquelle entweder ein ßogen-
licht oder auch das Sonnenlicht, das er noch für wirksamer hält. Bei Ulcus molle, hei manchen
Wunden, bei Ulcus cruris, bei Akne etc. hat der Verfasser durch jenes Verfahren sehr gute
Erfolge erzielt; auch er hebt die bekannte Eigenschaft der Lichtstrahlen, Ulcerationen ganz ohne
Narbenbildung oder doch nur mit geringer narbiger Schrumpfung zu heilen, besonders herv or. Be¬
treffs der Erfolge der Lichttherapic bei Syphilis äussert sich Strebei noch sehr reserviert.
Beachtensw'orth sind seine Bemerkungen über die Lupusbehandlung mit Licht. Er hat im
Gegensätze zu der Fi ns en’sehen Methode, die ja bekanntlich nicht nur jede Wännewirkung aus¬
schaltet, sondern ausserdem die zu behandelnde Partie der Haut noch besonders durch Kompression
anämisch macht, den Lupus mit Licht und Wärme behandelt, da er, wohl mit Recht, annimmt,
dass eine gleichzeitige Hyperämie der Haut, wie sie durch die Wärmewirkung und Weglassung
der Kompression ermöglicht wird, den Heilungsprozess noch weiter zu fördern im stände ist.
Laqueur (Berlin).
Katt en bracher, Tragbare Lichtbäder« Archiv für Lichttherapie 1900/1901. Heft 1.
Verfasser berichtet über eine wesentliche Vereinfachung der Anwendung der Lichtbäder, die
bisher durch die nicht unerheblichen Kosten der Anlage wie die Nothwendigkeit der Anstalts-
bohandlung doch nur in beschränktem Maasse in der Therapie Verwendung finden konnten. Es
handelt sich um die Konstruktion tragbarer elektrischer Glühlichtbäder, die bequem zu transportieren
und an jede elektrische Leitung oder an eine mitzuführende transportable Batterie angeschlossen
werden können. In einem mit Tragbügel versehenen muldenförmigen Gehäuse sind acht Glüh¬
lampen angebracht, vor welchen sich Schutzbügel befinden. Die Mulden, die ihrer Form nach für
Kumpf und Extremitäten hergestellt sind, w erden einfach über den betreffenden Körportheil gestellt,
so dass eine unmittelbare Einwirkung des elektrischen Lichtes auf den Körper stattfindet. Der
Apparat ist im Innern mit we iss ein Ledertuch überzogen, von der Anschauung ausgehend, dass
weisso Flächen die Lichtstrahlen am besten reflektieren, am wenigsten Wärmostrahlen absorbieren
und die im elektrischen Glühlicht vorhandenen reizenden Strahlen zum grossen Th eil eliminieren. Die
anerkannten Vorzüge der elektrischen Lichtbäder vor allen Tonnen lokaler und allgemeiner Wänue-
applikation äusseni sich auch in diesen vereinfachten, zum praktischen Gebrauch ausserordentlich
handlichen Apparaten. Was zunächst die Temperaturentwicklung in den tragbaren Lichtbädern
anbetrifft, so zeigte im Rumpfbade das Thermometer nach 5 Minuten 52° C und stieg bis auf 79°
nach 2ö Minuten, während das Arm- oder Beinbad 5G,Ö*> nach 5 und 87,f>° nach 20 Minuten auf¬
wies. Es lässt sich also in ihnen sehr schnell eine ausserordentlich ausgiebige Schweisssekretion
erzielen, schneller sogar wie in den gewöhnlichen Glühliehtkastenbädem infolge des geringeren
Kauminhaltes. Diese Theilbäder eignen sich auch vortrefflich überall da, wo man bisher Liegelicht-
bädor anwandte, so bei Affektionen der Hüfte, des Schulterblattes etc., als Schwitzbäder im Hause,
bei der Fangobehandlung, in der Uhirurgio, um den Körper Ihm' länger dauernden Operationen ge¬
nügend warm zu halten, und ähnlichem. Von grosser Bedeutung ist es, dass die tragbaren Licht¬
bäder, die neben der intensiven Hitze eine nicht zu unterschätzende Lichtintensität zur Wirkung
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kommen lassen, mit dem Körper nicht in Berührung kommen und lediglich in Form der strahlenden
Warme wirken, ein Umstand, der ansser hygienischen Vorzügen besonders bei schmerzhaften Körper¬
stellen stark ins Gewicht fällt J. Marcuse (Mannheim).
K. Ullmanfi, Die Behandlung yon Geschwürsformen mit trockener Heissluft. Wiener
medicinische Wochenschrift 1900. No. 32.
Die Forschungen von Büchner und Bier, besonders des letzteren Methode, entzündliche
Prozesse aller Art durch künstliche Hyperamisierung der betreffenden Hautgebiete zur Rückbildung
zu bringen, haben Verfasser zu seinen Versuchen angeregt und veranlasst. Bier hat bekanntlich
nicht nur die aktive Hyperamisierung der Haut, bezw. des Geschwürsgrundes mittels lokaler Wärme-
applikation, sondern auch die künstlich herbeigeführte aktive venöse Hyperämie, sowie die passive
venöse und Stauungshyperämie in Anwendung gezogen und zwar bei gewissen Affektionen jede für
sich, bei anderen Affektionen die verschiedenen Arten derselben in passender Abwechselung und
Kombination. Unter dieser kalorischen Hyperamisierung wurden sehr günstige Erfolge bei
rheumatisch - gichtischen Exsudationen, sowie bei chronischen Ulcerationsprozessen, vornehmlich
varikösen Unterschenkelgeschwüren, erzielt. Um die unangenehmen Nebenwirkungen, welchen der
Organismus durch diese forcierte Wärmezufuhr ausgesetzt ist, wie brennenden Schmerz, Blasen¬
bildung bleibende Hautröthe etc. auszuschliessen, hat Reitler als wärmezuführendes Medium
möglichst trockene Heissluft gewählt, ein Verfahren, welches nicht nur angenehmer und un¬
schädlicher, sondern auch wirksamer zu sein scheint, da mit der Zunahme der Temperatur auch die
beabsichtigte Hyperämie gesteigert werden kann. Er erzielt die Trocknung des Luftraumes von den
kontinuierlich ausgeschwitzten Wassermengen durch Einfügen von feinpulverisiertem Chlorkalcium
in den Apparat. Uli mann hat nun zur Behandlung von Geschwürsformen am männlichen und
weiblichen Genitale folgenden Apparat konstruieren lassen: Ein ringsum das Genitale durch ent¬
sprechende Krümmung möglichst genau anschliessendes korbartiges Geflecht, innen aus mit Asbest
bekleidetem Draht, aussen aus gefüttertem Wollstoff bestehend, ruht auf den Oberschenkeln des
sitzenden Patienten. An der distalen Gegenöffnung ist ein viereckiger Kamin eingesetzt, in welchen
das Heizrohr mündet. Die Luft wird durch genau regulierbare Spiritus- oder Gaslampen in einem
dreieckigen Vorraum erwärmt und steigt von hier durch ein System theils fixer, theils gegliederter
und dadurch etwas nachgiebiger Blechröhren zum Apparat hinauf Innerhalb des Korbes befinden
sich in zwei symmetrisch angebrachten seitlichen Ausladungen die mit Chlorkalcium gefüllten Tassen,
während die Temperatur des Binnenraumes durch ein entsprechend tief eingesetztes Thermometer
verfolgt werden kann. Hiermit lassen sich Temperaturen von 50—180o C erzielen. Für die meisten
am Genitale selbst oder nahe daran liegenden Infiltrationen genügt dieser Apparat. Handelt es sich
aber um Affektionen, die weiter abseits auf der Bauch-, Gesäss-, Oberschenkelhaut sitzen, dann wird
dieser Apparat durch einen viereckigen Trockenluftkasten mit einem oberen Ausschnitt für den
Rumpf und zwei unteren Ausschnitten für die Oberschenkel ersetzt. Das Hauptkontingent der von
Ullmann behandelten Fälle bildeten venerische, meist multiple Geschwüre, auch solche von be¬
trächtlicher Ausdehnung und bereits längerer Dauer Die Reparation derselben in reine Wunden
erfolgte bei 19 Fällen regelmässig in wenigen, ja mitunter schon nach einer einzigen, durchschnittlich
aber in vier bis fünf Sitzungen. Bei Sitz derselben innerhalb des Präputialsackes wurde mit dem
physikalischen Verfahren das chirurgische — Freilegung und Abtragung des Präputiums mit Naht
— kombiniert und innerhalb weniger Tage nicht nur eine Heilung der Geschwüre, sondern auch
der Phimose erzielt.
Nicht minder gute Resultate ergaben syphilitische Initialaffekte per se resp. in Kombination mit
dem venerischen Schankerprozess, von denen im ganzen 28 Fälle behandelt wurden. Reinigung und
Ueberhäutung traten rasch ein, selbst in Erweichung begriffene Lymphdrüsenentzündungen wurden
theilweise günstig beeinflusst Geradezu eklatant wirkte die fortgesetzte Heissluftbehandlung auf
die Resorption nicht nur von umfangreichen und harten Primärsklerosen, sondern auch auf die
Rückbildung inveterierter, spätsyphilitischer Infiltrate und Geschwüre (Haut- und Knochengummata).
Zwei langbestehende Fälle von Sarkocele syphilitica, ebenso wie hartnäckige seröse Ergüsse der
Scheidenhaut des Hodens im Verlaufe gonorrhoischer Epidymitis, sowie die betreffenden Infiltrations¬
zustände des Nebenhodens selbst wurden rasch resorbiert. Den weitaus bedeutendsten Erfolg dieser
Behandlung sah Ullmann bei phagedänisch - atonisehen Geschwürsprozessen sowohl syphilitischer
wie nichtsyphilitischer Natur. Ueber die Resultate bei Fällen hartnäckiger kalloser Ulcera, ins¬
besondere bei varikösen Unterschenkelgeschwüren, sollen spätere Berichte Aufschluss geben.
J. Marcuse (Mannheim).
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Referate über Bücher und Aufsätze.
Paul Hildebrandt, Sandtherapie. Technik, physiologische Wirkung, Indikationen. Inaug.-
Diss. Berlin 1900.
Paul Teuscher, Heisse Sandbäder. Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. No. 31.
Der erste Theil der Hildebrandt’schen Abhandlung enthält eine eingehende Darstellung des
Sandbades, sowohl was seine geschichtliche Entwickelung und seine Anwendung in verschiedenen
Ländern und zu verschiedenen Zeiten betrifft, als auch bezüglich der Herrichtung, seiues Verlaufes,
seiner Dosierung etc. in fünf verschiedenen Anstalten (Dr. Flemming-Dresden, Gebeinirath Dr.
Sturm -Koestritz, Charite-Berlin, Dr. v. Hoesslin-Neu-Wittelsbach und in einem nicht genannten
hochmodern eingerichteten Sanatorium in Berlinj.
Der zweite Theil handelt von der physiologischen Wirkung und der aus dieser resultierenden
Indikationsstellung des heissen Sandbades. Die erstere setzt sich aus der Einwirkung thermischer
und mechanischer Reize zusammen. Der Verfasser sucht nun aus der Zusammenstellung der Aeusse-
rungen verschiedener Autoren (Goldseheider, Rubner, Rossbach, Weiland, Matthes u. a. ,
betreffend die Beeinflussung des Organismus durch thermische und mechanische Reize, und unter
Berücksichtigung der speziellen physikalischen Eigenschaften des Sandes die Aufstellung von vier
llauptindikationen für heisse Sandbäder herzuleiten:
1. Chronischer Rheumatismus; 2. Exsudate jedweden Ursprungs; 3 Ischias; 4. Nephritis.
Die letztere Indikation, schon von Fl emming herrührend, bedarf noch, wie ja auch Verfasser her¬
vorhebt, einer genauen Abgrenzung.
Als eine Ergänzung zu der Hildebrandt’schen Darstellung der Sandbaderci in den fünf
genannten Anstalten dient gewissermaassen die Beschreibung derjenigen in Oberlosehwitz, welche
P. Teuscher in einem Artikel in der Deutschen medicinischen Wochenschrift (1900. No. 31 1 , be¬
titelt »Heisse Sandbäder«, giebt. Dieselbe ist nach dem Muster der Koestritzer Anstalt ein¬
gerichtet, nur etwas praktischer und, da die Anlage nur einen Theil des Gesaramtbetriebes des
Teuscher'schen Sanatoriums darstellt, einfacher. Die noch etwas primitive und zu sehr zeitraubende
Einrichtung Sturm*s zur Temperierung des Sandes (jedesmalige manuelle Mischung des kalten und
wannen Sandes für jedes einzelne Bad) ist einem Apparat gewichen, welcher eine gleichmässige
Erwärmung des Sandes und zugleich eine möglichst genaue Dosierung der Wärmegrade gewährleistet.
Der Verlauf des Bades ist bis auf gewisse Modifikationen der bekannte. Die Vorzüge des
heissen Sandbades gegenüber dem Heissluft- und Dampfbade: Fehlen der lästigen Beklemmungs¬
erscheinungen, Trockenheit der Haut während des Schweissausbruches, ganz ausserordentlich
energische und gleichmässige Entziehung der Flüssigkeit, minimale Steigerung der Herzthätig-
keit und der Athemfrequenz. Verwendung sehr hoher Temperaturen ohne Ueberhitzung des Körpers
sind nicht zu unterschätzen.
Die Unschädlichkeit, ja Nützlichkeit der genannten hohen Temperaturen (50—55 ft ) erklärt
Teuscher folgcndermaassen: Das heisse Wasser lockert die Haut auf und durchdringt sie, der heisse
Sand legt sich nur an die Haut an und entzieht ihr sogar die Feuchtigkeit. Ferner besitzt die Haut
gegen die grosse Hitze des Sandes während des Bades gewissermaassen eine Schutzhülle, bestehend
aus Perspirationskohlensäure und Feuchtigkeit, den Bläschen des Kohlensäurebades vergleichbar.
Die Indikationen des heissen Sandbades ergeben sich aus der Eigenschaft desselben.
Entzündungsprodukte aufzusaugen und den Stoffwechsel energisch anzuregen; in der Therapie der
Ischias nimmt dasselbe, besonders in der Form des Sandtheilbades (Sandsäcke) schon seit alters
einen wichtigen Platz ein.
Bezüglich der Frage der Wiederanwendung des schon einmal gebrauchten Sandes hält Ver¬
fasser aus naheliegenden Gründen eine jedesmalige Erneuerung des Sandes, wenn irgend angängig,
für wünschenswert!!. Viktor Lippert (Wiesbaden).
Th. Schott, Die Heilfaktoren Bad Nauheims. Wiesbaden 1900.
Anlässlich der Einweihung des neuen Thermalsprudels in Nauheim unterwirft Schott in
knappen und klaren Zügen die dortigen Ileilfaktoren einer eingehenden Analyse und setzt die¬
jenigen Momente in scharfes Licht, denen dieses Bad seine staunenswerth rasche Entwickelung
verdankt. Es ist nicht nur die Mannigfaltigkeit der Mineralquellen, welche hier mitspielt, sondern
vor allem die günstige Zusammensetzung derselben, die es ermöglicht, sie den verschiedensten
Heilzwecken dienstbar zu machen. So ist es zu verstehen, dass Nauheim einerseits ein sehr weites
Indikationsgebiet umfasst, andrerseits abtu* sieh zu einem ganz speziellen Kurort für eine Krank¬
heitsgruppe ausgestaltet hat, die früher der Therapie fast unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet
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Referate über Bücher und Aufsätze.
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hat, nämlich für die chronischen Herzaffektionen. Im einzelnen wird die Wirksamkeit der Trink-
und Badequellen beleuchtet und gezeigt, dass die neue Quelle in demselben Sinne wirkt wie die
beiden anderen Sprudel. Abgesehen von dem grossen Wasserreichthum der neuerbohrten Quelle,
die für einen Tagesbedarf von 2500 Bädern ausreicht, bietet auch die Mittelstellung dieses Sprudels
den grossen Vortheil, dass sich durch seine Mischung mit den beiden anderen Badequellen werth¬
volle Uebergänge schaffen lassen. Freyhan (Berlin).
A. Heidenhain, Ueber den Nutzen des Schwitzen».
Der Verfasser skizziert die theils allgemein übliche, theils nach seinen eigenen Erfahrungen
modifizierte methodische Anwendung der künstlichen Vermehrung der Schweisssekretion zu thera¬
peutischen Zwecken. Die Bildung des Schweisses, für welche verstärkter Blutandrang zu den Haut-
gefässen Vorbedingung ist, wird hervorgerufen infolge zentraler (psychische Erregung, Steigerung
der Eigenwärme, vermehrte Kohlensäurebildung) und peripherischer Reizung (chemische Mittel,
strahlende Warme, direkte Applikation von Wärme).
Die in Betracht kommenden Mittel sondert Verfasser in 1. Hausmittel, 2. hydro¬
therapeutische, 3. chemische Mittel.
Als Hausmittel bezeichnet er heisse Fussbäder, eventuell in Verbindung mit heissen Ge¬
tränken, sowie die Verwendung dampfender Kartoffeln im Schwitzbett.
Von hy drotherapeutischen Mitteln erwähnt Verfasser heisse Bäder (30—32°, 10 -15 Minuten
Dauer) mit nachfolgender Ein Wickelung (1 — 1 »/ 2 Std.); an zweiter Stelle stehen die russischen und
römischen Bäder und in der Mitte zwischen beiden die Dampfkastenbäder, besonders als Ersatz
jener in Haushaltungen etc.
Für alle Fälle, in denen heisse Schwitzbäder kontraindiziert sind (Herzfehler, Lungenleiden,
Eintritt von Herzpalpitationen und Schwindel im Verlaufe des Bades), eignet sich die Anwendung
chemischer Mittel (Salicylsäure, Salipyrin, Antipyrin, Phenacetin, Pilocarpin).
Die für diese Behandlung geeigneten pathologischen Zustände sind 1. die Folgezustände von
Erkältungen und 2. gewisse abnorme Verhältnisse des Stoffumsatzes
Beweisend für den direkten Zusammenhang zwischen der Heilung dieser Zustände und dem
Ausbruche profuser Schweisssekretion erscheinen dem Verfasser seine bezüglichen Erfahrungen bei
der harnsauren Diathese. Dass die Wirkung des heissen Bades und der nachfolgenden Einwicke¬
lung hierbei nicht auf rein mechanischen bezw. thermischen Einflüssen beruht, sondern von der
damit verbundenen vermehrten Schweissbildung direkt abhängt, ersieht Verfasser daraus, dass die
auf medikamentösem Wege ohne Anwendung von Bädern erzeugte (10 g Natr. salicyl. während
einer Nacht) kolossale Schw r eissabsondening einen Podagraanfall zum Schwinden brachte.
Da die Herabsetzung der Herzthätigkeit (wie sic durch derartig grosse Dosen des salicvl-
sauren Natrons bedingt wird) den Eintritt eines Podagraanfalles eher begünstigt und die durch
profusen Schweissausbruch eintretende Blutverdickung die Ausscheidung harnsaurer Salze fördert,
kommt Verfasser zu dem Schlüsse, dass die Resorption derselben durch den in seinen
Druck verbal tnissen und seiner Zusammensetzung veränderten Lymphstrom be¬
wirkt wird.
Einer Heilung durch vermehrte Schweissproduktion besonders zugänglich fand Verfasser
Krampfzustände, beginnende Meningitis, Lähmung infolge Meningitis, Nephritiden, Laryngitis acuta,
Stauungszuständc und Hautleiden. Viktor Lippert (Wiesbaden).
Arthur Schenk, Die Hydrotherapie des Darmtraktus mittelst Enteroklyse. Archiv der
Balneotherapie und Hydrotherapie 1900. Bd. 2. Heft 6.
Schenk benützt zum Zwecke der Enteroklyse einen nach seinen eigenen Angaben kon¬
struierten Apparat. Dieser ist nach Art eines gewöhnlichen Irrigators angeordnet, sein Ansatzstück
stellt jedoch ein T-förmiges Rohr dar, dessen einer Schenkel sich nach Art eines Rektalspekulums
in den After schieben lässt, während der andere in den (2 m langen) Irrigatorschlauch übergeht,
der dritte Schenkel dient als Abflussrohr. Um den Wasserzu- und -ablauf konstant erhalten zu
können, lässt sich durch den Katheter hindurch ein dünnes Kautschuckrohr bis zu einer Höhe von
etwa 20 cm in das Darminnere schieben, durch welches der Wasserzufluss direkt geschieht. Zur
Erzeugung einer Art Massage der im Darm stehenden Wassersäule kann an dem Irrigatorschlauch
ein Gummiballon angefügt werden, w r elchen man abwechselnd zusammen presst und loslässt.
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Referate über Bücher und Aufsatze.
Die strittige Frage, wie hoch man im Darrarohr mit der Flüssigkeit gelangen kann, bezw.
ob die Bauhin'sche Klappe überhaupt und inwieweit sie Widerstand leistet, beantwortet Schenk
auf grund eines Versuches an einem leicht narkotisierten und laparotomierten Hunde dahin, dass
in Fällen eines per rectum ausgeübten Ueberdruckes eine fast momentane Ocffnung der Klappe zu
stände kommt und gleichzeitig antiperistaltische Bewegungen entstehen, welche dann einen Theil
des Dickdarminhaltes förmlich zurückpumpen. Die Antiperistaltik war bei heissem und kaltem
Wasser energischer als bei lauwarmem. Durch die geringfügige, in den Dünndarm gelangende
Menge Flüssigkeit vermag man thermische oder mechanische Wirkungen direkt auf denselben nicht
auszulösen. Indirekt ist dies infolge der günstigen Lagerung des Dick- und Dünndarmes zu ein¬
ander auf dem Wege der Fortleitung denkbar.
Die Entcroklyse stellt ein wirksames Agens zur Regulierung der Körpertemperatur, der Blut¬
veitheilung, der Blutbereitung, zur Regelung von Innervationsstörungen und ähnl. dar.
Schenk unterscheidet folgende Arten von Darmbädem:
1. Darmvollbad (3—4 Liter in raschem, mächtigem Strahle, ohne dünnes Zuflussrohr).
2. Fliessendes Darmhochbad (wie 1., nur mit Einlage des dünnen Zuflussrohres).
3. Fliessendes Niederbad (wie 2 , nur mit geringerer Menge Flüssigkeit, nämlich i/ 2 Liter).
4. Schottische Douche des Darmtraktus.
5. Darm halbbad (Klysma in Verbindung mit der oben erwähnten Massage der Wassersäule
im Darm mittels eines eingefügten Guinmiballons).
Die Wirkung der Enteroklyse ist ausser einer reinigenden (Asepsis des Darmes) eine
antipyretische, sedative, hypnotische, antidiarrhoische, Obstipationswidrige, diu-
retische, je nach Anwendung, Dosierung und Ausführung; zwecks Orientierung über bezügliche
Details empfehle ich die Lektüre des Originals: eine nähere Darlegung derselben würde hier zu
weit führen.
Erwähnen möchte ich nur noch, dass Verfasser zwölf Fälle von Hämorrhoiden mittels des
fliessenden Niederbades (8—10°) mit gutem Erfolge behandelt hat (analog der Einführung von Eis¬
stückchen nach Winternitz), und ferner, dass Verfasser durch Darreichung von Nährklysticrcn,
ebenfalls in Form des langsam fliessenden Niederbades, eine weitaus vollständigere Peptonisiening
der Nahrung (Milch, Ei) erzielt zu haben glaubt. Viktor Lippert (Wiesbaden).
A. Durig und A. Lode, Ergebnisse einiger Respirationsrersuehe bei wiederholten kalten
Bädern« Aus dem hygienischen Institut der Universität Insbruck.
Durch die Arbeiten von Nasaroff und Rosenthal ist es bekannt geworden, dass warm¬
blütige Thierc sich an künstliche Abkühlung und Erwärmung, wenn dieselbe nicht zu hochgradig
ist, gewöhnen, d. h. sich akklimatisieren. Während nun Roscnthal der Ansicht ist, dass diese
Akklimatisation hauptsächlich durch die Regulierung der Wärmeabgabe zu stände kommt, ist
Nasaroff zu dem Resultat gekommen, dass eine gesteigerte Verbrennung, wenigstens bei der
Kältewirkung, von Bedeutung ist, während er auf die Verminderung des Wärmcverlustes nur ge¬
ringes Gewicht legt.
Dieser Widerstreit der Meinungen ist übrigens schon alt und bis in die neueste Zeit hin zu
beobachten. Eine Klärung der Frage ist von prinzipieller Bedeutung für Stoffwechsel und Hydro¬
therapie.
Es haben deshalb die Verfasser sich die Aufgabe gestellt, den alten Weg der Bestimmung
der gasförmigen Ausscheidungsprodukte zu gehen, nachdem Temperaturbestimmungen und solche
von Kalorieen, wie sie zeigen, sich als unzuverlässig erwiesen haben.
An der Hand zahlreicher Versuche, die im Original einzusehen sind, kommen sie zu nach¬
stehenden Schlussfolgerungen:
1. Gut genährte Hunde zeigen bei wiederholten kalten Bädern gesetzmässig die Fähigkeit
einer Anpassung an den Wärmeverlust im Sinne Nasaroff’s.
2. Schwächliche, schlecht genährte Thiere können dies nicht thun
3. Die Kohlensäuremengen der Ausathmung steigen bis auf das Vierfache der Norm und sind
direkt abhängig von den Abwehrbewegungen.
4. Die gefundenen Kohlensäurewerthe lassen aber keine Beziehungen zu den Erscheinungen
der Gewöhnung erkennen: eine gesetzmässige Beziehung zwischen Vermehrung der Kohlensäure¬
menge und der Gewöhnung an die Abkühlung ist nicht feststellbar.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
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5. Die Ausführung energischer Muskelbewegung kann in ihrem Effekt nielit als ein Hilfsmittel
zur Unterstützung der in Frage stehenden RegulationsVorrichtung angesehen werden.
Ferner ergab sich
C>. ein gewisser Zusammenhang zwischen Badetemperatur und Kohlensäuremengen, so dass
diese mit zunehmender Wärme des Bade wassere fallen. (Naheliegende Erklärung: Erhöhtes Zittern
bei stärkerer Abkühlung).
7. Die Menge der eingeathmeten Luft steigt im kalten Bado bis auf das Fünffache der
»•trockenen« Versuche, sie fehlt nur bei den Thieren, die sich nicht anpassen.
Die Ursache aller dieser AnpassungsVorgänge wird schliesslich von den Verfassern in einer
verminderten Wärmeabgabe gefunden, nicht in einer vermehrten Produktion.
H. Rosin (Berlin).
0. Martin, Formnlaire d’hydrotheraple et de balndotherapie. Paris 1900.
Die vorliegende Schrift enthält eine Aufzählung der wichtigsten hydriatischcn Kuren und
ihrer Technik für diejenigen Aerztc, welche zwar die Indikationen kennen, aber mit der Materie
nicht so genügend vertraut sind, um die Kuren unter eigener Leitung praktisch durchführen zu
können. In diesem Sinne dürfte sich das übersichtliche, kurz gefasste und doch genügend aus¬
führliche Büchlein bestens bewähren. H. Rosin (Berlin).
W.Lewaschow, Die gegenwärtigen experimentellen Ergebnisse zur Frage Uber den Einfluss
der Lnft anf den menschlichen Organismus. Shurnal Russkawo obschestwa ochranenia
narodnawo sdrawia 1899. Heft 1.
Der Autor hat behufs experimenteller Eruierung der Einwirkung der Luft auf den mensch¬
lichen Körper seine Versuche mit Hilfe des grossen Pettenkofer 9 sehen Respirationsapparates fin¬
den Menschen angestellt und auf folgende Bedingungen bei der Vereuchsanordnung geachtet: ge¬
wöhnliche Bekleidung, mässige Ernährung und körperliche Ruhe der Versuchsperson und eine der¬
artig normierte Bewegung der Luft in der Kammer des Appaiates, wie sic unter gewöhnlichen
Verhältnissen in unseren Wohnungen beobachtet wird. Aus seinen Experimenten nun glaubt Ver¬
fasser folgende Schlüsse ziehen zu können.
Vor allen Dingen muss, seiner Ansicht nach, unbedingt zugegeben werden, dass der Prozess
der Wasserabgabe des lebenden Organismus durch die Haut und die Lungen in der That nicht
physikalischen, sondern kompliziert physiologischen Charaktere ist; der Organismus besitzt die
Fähigkeit, aktiv die Wasserabgabe durch Haut und Lungen in das umgebende Medium zu ver¬
stärken oder zu verringern, indem er sich dabei bemüht, unter allen Umstanden die Beständigkeit
seiner Temperatur zu bewahren. Dabei besteht die Rolle der relativen Feuchtigkeit der Luft,
welche den Organismus umgiebt, im gegebenen Falle darin, dass sie die Wasserabgabe des Körpere
in das umgebende Medium in Form von Dampf entweder erleichtern oder im Gegentheil stark
unterdrücken kann, oder mit anderen Worten: sie kann die Arbeit der regulatorischen Vorrichtungen
des Organismus, welche die Tendenz haben, ihm seine normale Temperatur zu erhalten, erleichtern
oder stark hemmen. Der Einfluss eines und desselben Grades von relativer Luftfeuchtigkeit auf
den Organismus ist auch in unseren Wohnungen in hohem Maasse abhängig von verschiedenen
gleichzeitig auf den Körper einwirkenden Faktoren, welche die Wärmeproduktion und die Wärme¬
regulation ändern, wie z. B. die Temperatur der Luft, die körperliche Arbeit, die Kleidung und
die Nahrung. Deshalb ist es augenscheinlich unmöglich, irgend eine allgemeine Norm für die
relative Feuchtigkeit der Luft in Wohnungen und Arbeitsräumen aufzustellen, ln der Mehrzahl
der Falle können wir auch deswegen mehr Nutzen bringen durch die Normierung der gleichzeitig
einwirkenden Faktoren, wie Arbeit, Kleidung u. s. w. Ueberhaupt müssen wir uns häufiger um
eine Verminderung, als um eine Vermehrung des Feuchtigkeitsgehaltes der Luft bemühen.
A. Dworetzky (Riga-Schrcyenbusch).
R. Tunstall Taylor, A suiumer plaster-of-Paris jacket for Potts’ disease. New-York
med. journ. 1900. 26. Mai.
Verfasser empfiehlt für die Behandlung der Pott’sehen Krankheit einen aus Heftpflaster¬
streifen hergestellten Verband, der den Bauch zum grössten Theile freilässt und, besonders in der
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Referate «her Bücher und Aufsätze.
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heissen Zeit, die Kinder weniger belästigt. Die Stützpunkte für dieses Jaquet sind vom das
Sternum und die spinae iliacae, hinten die Kyphose, über die der Verband nur wenig nach oben
hinauszugehen braucht. Friedlaender (Wiesbaden).
0. Jacobsou, Zur Behandlung von Bronchialerkrankungen durch Lagerung. Berliner klin.
Wochenschrift 1900. No. 41.
Als erste Indikation bei Behandlung aller bronchitischen Prozesse gilt die Entfernung des
von den Bronchien abgesonderten pathologischen Sekrets, was man bisher gewohnt war, mittels
chemischer Reizmittel — den sogenannten Expektorantien — zu versuchen. Die Behandlung be¬
sonders der bronchitischen Prozesse auf diesem Wege war eine nach den mannigfachsten Richtungen
hin unbefriedigende. Dem gegenüber bedeutete die von Quincke 1898 gegebene Anregung (deren
Priorität übrigens dem Alterthum angehört. Ref.), das Bronchialsekret auf mechanischem, nicht
operativem Wege zu entfernen, einen bedeutsamen Fortschritt. Quincke geht bekanntlich bei
seinem Verfahren von dem Gesichtspunkt aus, die Entleerung der Eitermassen aus den Bronchien
ihrer eigenen Schwere zu überlassen, d. h. diese an Stelle der zu Grunde gegangenen, respektive
atonischen Muskulatur der Bronchien zu setzen. Zu diesem Zweck verlegt er den tiefsten Punkt
des Bronchial bäum es nach seinem Stamm der Trachea, und erreicht das durch Flachlagerung des
Patienten und gleichzeitige Erhöhung des Fussendes des Bettes. Das Hauptfeld für die An¬
wendung des Verfahrens bilden bronchiektatische Prozesse, der mechanische Effekt setzt sich ans
einer Reihe von Faktoren zusammen. Nächst der Wirkung der Schwerkraft und dem geänderten
alveolären exspiratorischen Druck, die jedoch beide nur eine untergeordnete Rolle spielen, ist von
wesentlichster Bedeutnug der Umstand, dass wir durch das Verfahren in der Lage sind, die Expek¬
toration nicht nur zu erleichtern, sondern auch zu regeln. Während gewöhnlich der Bronchiektatikcr
immer nur eine der zahlreichen Bronchiektasen entleerte, wird durch die Tieflagerung eine Ent¬
leerung des gesammten Sputums auf einmal bewirkt und damit die Möglichkeit geschafft, die
Schleimhaut wieder reizempfänglich zu machen und dem Fortschreiten des Prozesses vorzubeugen.
Bei schon bestehender fötider Bronchitis giebt die Lagerung ein Mittel in die Hand, den Kranken
jedesmal innerhalb verhältnissmässig kurzer Zeit von seinem Tagesauswurf zu befreien. Verfasser
exemplifiziert dies auf einen höchst instinktiven Fall von Bronchiektasie und fötider Bronchitis, bei
dem unter den Q u i n ck e ’ sehen Lagerungen derAuswurf, der bisher nur in kleinen Mengen wieder¬
holt entleert wurde, nunmehr innerhalb je 30—45 Minuten Lagerung morgens und abends in seiner
gesammten Tagesmenge expektoriert werden konnte. Nach mehrmonatlicher Behandlung damit
konnte der Patient entlassen werden, während bei einem Falle von Lungenabscess das Verfahren
völlig wirkungslos blieb. Jacobson schlicsst daraus, dass das Quincke’sehe Verfahren seine
Wirkung nur bei chronischen bronchitischen Prozessen entfalten kann, bei denen die Bronchial¬
schleimhaut mehr oder weniger ihre Reflexerregbarkeit, die glatte Muskulatur der kleineren
Bronchien ihren Tonus verloren hat. In diesen Fällen übernimmt dasselbe die Beförderung do
angesammelten Sekrets an eine Stelle, von der aus noch Hustenreflex ausgelöst werden kann. Bei
akuten Prozessen dagegen, w'o die Schleimhaut sogar überregbar ist und schon kleine frisch ab¬
gesonderte Sekretmengen genügen, um Hustenreiz hervorzurufen, hat die Lagerung keine Bedeutung
ist sogar kontraindiziert, da der andauernde Reizhusten bei Tieflagerung des Kopfes quälender ist,
und das Ausspeien des Sekrets in dieser Stellung immerhin Schwierigkeiten macht.
Die Indikation für die Anwendung des Verfahrens wird also zu beschränken sein auf Bronchi-
ektasien, vornehmlich cylindrischcr Form, sowie auf fötide Bronchitiden, während im allgemeinen
Lungenabscesse, in die Lungen durchgebrochene Empyeme etc. für das Verfahren sich nicht eignen.
Was die Technik desselben anbetrifft, so wurden die Patienten im allgemeinen morgens und abends
je eine Stunde nach Quincke gelagert. Es wurde regelmässig mit einfacher Flachlagerung be¬
gonnen, erst allmählich wurde die Erhöhung des Bettfussendcs hinzugefügt.
Verfasser resümiert: Die Bedeutung der Hochlagerung der Füsse und Tieflagerung des Kopfes
bei Behandlung der Bronchitis liegt hauptsächlich darin, dass durch die Schwerkraft das Bronchial-
sekret von Stellen reizunempfindlicher, torpider Schleimhaut an Stellen reizempfindlicher geschafft
wird und so zur Expektoration gelangt. Es wird dadurch einerseits eine Stauung und Zersetzung
des Sekrets verhindert, andrerseits aber auch eine gleichzeitige Entleerung der Gesanmittagesiiienge
erzielt. Das Verfahren findet seine vorzügliche Indikation hei chronischen Bronchoblennorrhocn
infolge diffuser, kleinerer, cylindrischcr Bronchiektasien, kann auch bei einer Zahl von chronischen
Lungenabscess<»n und sackförmigen Bronchiektasien von guter Wirkung sein. Kontraindizieit ist
es bei allem akuten Bronchialerkrankungen und bei singulären grossen Abseesshöhlen.
J. Marcuse (Mannheim;.
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Referate über Bücher und Aufsätze. *°>I7
M. Brunn, Ueber Yibrationsmaggage der oberen Luftwege mit spezieller Berücksichtigung
der Vibration der Nase bei Stirnhöhlenkatarrh und der Tnba bei Schwerhörigkeit. Klinisch-
therap. Wochenschr. 1900. No. 45.
Die Vibrationsmassage setzt sich aus der Effleurage und der Vibration zusammen. Die
Effleurage besteht in Streichungen der Schleimhaut mit der den anatomischen Verhältnissen ent¬
sprechend gebogenen armierten Kupfersonde mit oder ohne Druck. Die Vibration wird durch
tonische Kontraktionen der Vorderarm-, Oberarm- und Schultermuskulatur bei gebeugtem Ellen¬
bogengelenke erzeugt und durch die Hand, Finger und Sonde, als (Bieder einer Kette, auf den zu
behandelnden Fall übertragen. Es genügt, die Scheimhaut an einem beliebigen Punkte mit der
Sonde zu berühren, um von ihm aus die gleichmässigen, wellenförmigen Erschütterungen auf ent¬
ferntere Partieen fortzupflanzen. Intensiver werden Erschütterungen der Schleimhaut in toto erzielt,
wenn man streichend erschüttert Das Zahnfleisch, die Zunge, die Schleimhaut der Lippen, der
Wangen, des Mundbodens, des harten und weichen Gaumens, des Nasenrachenraumes, des Rachens,
des Oesophagus, des Kehlkopfes, des oberen Theiles der Luftröhre und der unteren und mittleren
Partieen der Nase sind Streichungen sÄhgänglich. Die Tube und die obersten Theile der Nase jedoch
können nur durch Erschütterung behandelt werden. Die Behandlung beginnt mit der Gewöhnung
des Kranken an die Sondenberührung; die Schleimhaut wird rasch hinter einander berührt, bis die
Empfindlichkeit herabgesetzt ist Der Heilzweck erfordert sodann in jeder Sitzung eine stete
Steigerung der Vibrationsmassage von 3—12 Minuten.
In den letzten fünf Jahren hat Braun das geschilderte Verfahren bei den verschiedenen
Formen der Kopf- und Gesichtsschmerzen, sowie bei Schwerhörigkeit angewandt. Was die ersteren
betrifft, so genügte in der Regel dieses Verfahren, um den Anfall sofort zu mildern oder auch
zu sistieren, wenn es sich um eine Reflexneurose handelte. In 65 Fällen von charakteristischer
typischer Migräne blieb die Vibration der Nasenschleim haut wirkungslos. Mit den entsprechend
armierten Sonden versuchte nun Braun die obersten Partieen der Nase und speziell den mittleren
Gang zu beeinflussen. Dabei konnte er konstatieren, dass in 30 % dieser Erkrankungen der Anfall
gerade so wie bei der Reflexneurose theils gemildert, theils sistiert wurde.
Bei Schwerhörigkeit vibriert Braun gegenwärtig mit dem von einem Wattebäuschchen ent¬
sprechend umspannten Sondenkopf nur den Tubeneingang, weil sich die Vibration der tieferen
Partien der Tube als schädlich erwiesen hat. Die äussere Behandlung besteht in Erschütterung der
gesammten Fläche des Felsenbeins und des Antitragus zugleich mit beiden Händen. Wie aus zwei
mitgetheilten Fällen ersichtlich, verspricht dieses Verfahren unter Umständen Erfolg. - n.
Lewis A. Corner, The techuique of lorabar puncture. New-York med. journ. 1900. 12. Mai.
Verfasser giebt eine Uebersicht über die seit Quin eke’s erster Publikation über die Lumbal ¬
punktion von den verschiedenen Autoren mitgetheilten Rathschläge zur Methodik der Operation.
Bei der Wahl der Einstichsstellc müssen folgende Momente hauptsächlich berücksichtigt werden:
1 die Nadel muss leicht zu dem Subarachnoidealraum Vordringen können; 2. Verletzung von nervösen
Elementen muss vermieden werden; 3. die erhaltene Flüssigkeit muss möglichst reich an Sediment
sein. Wenn die Lumbarpunktion für diagnostische Zwecke gemacht wird, ist der Lumbo-Sakral-
Zwischenraum die beste Stelle; im übrigen darf im allgemeinen nicht über den dritten Lumbar-
wirbel hinaus nach oben gegangen werden. Bei Kindern ist die Operation in sitzender Stellung
vorzunehmen, was sich bei Erwachsenen meist von selbst verbietet; die Wirbelsäule ist möglichst
ventral zu flektieren Allgemeine Narkose ist überflüssig, lokale Anästhesie vollkommen aus¬
reichend, dagegen ist vollkommenste Asepsis absolut nothwendig. Der Einstich muss einige Milli¬
meter seitlich von der Medianlinie erfolgen und dann die Nadel nach oben und innen geführt werden.
Die Flüssigkeit lässt man am besten direkt aus der Nadel fliessen, jedenfalls muss ihre Entleerung
möglichst langsam erfolgen, um ein zu schnelles Sinken des Druckes zn vermeiden. Unangenehme
Zufälle pflegen nur dann einzutreten, wenn die < Vrebrospinalfliissigkeit zu schnell oder in zu
grosser Quantität entleert wird. Friedlaender (Wiesbaden).
P ha ries E. Page, Typhoid fever. New-York med. journ. 1900. 3. März.
Verfasser tritt lebhaft für die hydrotherapeutische Behandlung des Typhus ein. Die Wasser¬
behandlung soll angewendet werden, um den Organismus zu stimulieren und im Kampf gegen die
Infektion zu kräftigen, aber nicht um die Temperatur herabzusetzen. Die feuchte Einpackung ist
neben kühlen Bädern, Schwammbädern und kühlen Abreibungenjlio geeignetste Form der hydro-
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Referate über Bücher und Aufsatze.
therapeutischen Behandlung. Bezüglich der Ernährung im Typhus steht Verfasser im Gegensatz zu
der jetzt herrschenden Anschauung auf dem Standpunkt möglichster Abstinenz von jeder Nahrung
mit Ausnahme von Wasser in reichlichen Mengen. Wesentliche Dienste haben dem Verfasser bei
der Behandlung des Typhus kalte Wasserklystiere geleistet. Verfasser beklagt es lebhaft, dass auf
den Universitäten die nichtmedikamentösen Methoden der Behandlung immer noch zu wenig Be¬
achtung finden. Friedlaender (Wiesbaden).
F. S. Yoiiuge (Therapist 1000. lf). Januar) empfiehlt zur Desinfektion der von Phthisikern
bewohnten Räume neben ausgiebiger Ventilation folgende Mischung reichlich zu sprayen:
R Guaiacol . . . .
10 Thcile
Eucalyptol
8
Karbolsäure . . .
G
»
Menthol . . . .
4
T>
Thymol . . . .
2
T>
Nelkenöl . . . .
1
»
Alkohol (90%) . .
. 170
Misce et dissolve.
Friedlaender (Wiesbaden).
Vo sgius, Ein Beitrag zur Lehre von der Aetiologie, Pathologie und Therapie der Diphtheritis
conjunctivae. München 1901.
Verfasser vertritt folgenden Standpunkt : Einen prinzipiellen Unterschied zwischen der Diphthe¬
ritis conjunctivae, deren Symptomenbild uns Al brecht v. Graefe schon mustergildg beschrieben
hat, und einer Conjunctivitis crouposa sive membranacea giebt es nicht auf Grund klinischer Be¬
obachtung und bakteriologischer Prüfung. Die oberflächliche Form der Diphtherie der Conjunctiva
ist sogar häufiger als die nekrotische, verläuft milder, steht aber an Infektiosität der anderen nicht
nach, wie Verfasser, Schirmer undUhthoff gezeigt haben. In den oberflächlichen Membranen sind
virulente Diphtheriebacillen gefunden worden; daher ist die bakteriologische Prüfung einschliesslich
des Thierexperimentes ein zur Diagnose wichtiges Hifsmittel, besonders mit Rücksicht auf die Ein¬
leitung der prophylaktischen Maassnahmen und der Aufstellung des Heilplanes. Der Werth des
bakteriellen Nachweises gewinnt noch dadurch, dass sogar Bindehautentzündungen ohne Membranen,
katarrhalische Formen, durch Diphtheriebacillen verursacht werden können. Die Mannigfaltigkeit
des Krankheitsbildes scheint nur ein Widerspiel der wechselnden Virulenz der Bakterien zu sein,
wahrscheinlich kommen aber noch individuelle Disposition und andere Momente in Betracht
Das Heilserum verfahren hat bei Diphtherie der Bindehaut gute Erfolge, besonders in dem
Stadium der Membranbildung und tiefen Exsudation.
Mischinfektionen kommen häufig vor, wichtiger erscheint aber, dass das klinische Bild der
Bindehautdiphtherie durch Streptokokken erzeugt werden kann, wie zuerst Uhthoff bei einem
Scharlachkinde unzweifelhaft nach wies; der diphtherische Prozess wurde sogar von dem Heilserum
günstig beeinflusst. Verfasser berichtet alsdann über 14 Fälle mit Conjunctivitis diphtherica respek¬
tive membranacea aus seiner Klinik, von denen fünf nur Streptokokken aufwiesen; von den neun
mit Heilserum behandelten Fällen zeigte der Krankheitsprozess viermal günstigen Verlauf, und zwar
bei den drei Kranken, welche Diphtheriebacillen nachweisbar hatten, und bei einem Kranken mit
reiner Streptokokkeninfektion. Da wir also in dem Heilserum ein den diphtherischen Prozess der
Conjunctiva günstig beeinflussendes Mittel haben, das um so prompter wirkt, je frühzeitiger es zur
Anwendung kommt, so ist die Diagnose durch die bakteriologische Untersuchung sicher zu stellen
und zwar möglichst schnell, um der Ausbreitung der Krankheit vorzubeugen; eine auf Grund des
klinischen Bildes sofort eingeleitete Serumtherapie ist für den Patienten mit irgend welchen Gefahren
nicht verbunden. Nicolai (Berlin)
Xiegelroth, Die physikalisch-diätetische Therapie der SyphiUg.
Demjenigen, welcher sich mit der Geschichte der Syphilistherapie beschäftigt hat, ist es be¬
kannt, dass es Zeiten gab, in denen ein unverkennbarer Quecksilbermiss brauch getrieben worden
ist, welcher thatsäehlich geeignet war, den unbestreitbaren Werth des Mittels zu diskreditieren und
die unheilvollen Wirkungen der Merkurialintoxikation zu demonstrieren.
Man könnte dem Verfasser beipflichten, wenn er diese Schäden der damaligen Behandlungs¬
weise von dem Standpunkte des in dieser Beziehung heutzutage ganz anders denkenden Arztes
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Referate über Bücher und Aufsatze.
340
«aus beschriebe, um uns auf diesem Gebiete darzuthun, wie es gerade auch ein Zeichen des Fort¬
schrittes unserer Wissenschaft in neuerer Zeit ist, dass inan unter Beiseitelassung aller jener schäd¬
lichen Uebertreibungen die Quecksilbertherapie der Lucs in einer für den Patienten wirklich segens¬
reichen Weise festzustellen vermochte. Anstatt dessen bemüht sich Verfasser, hauptsächlich auf
den genannten Missständen vergangener Zeiten fussend, und unter Zuhilfenahme der verschiedensten
Ansichten, Aussprüche und Zitate mehr oder minder anfechtbarer Autoren, unter stellenweise zu¬
mindest einseitiger Auslegung verschiedenster Arbeiten über Syphilis, bezw.^Quecksilbervergiftung
und seiner eigenen Erfahrungen, zu beweisen, dass die heute allerseits mit bestem Erfolge geübte,
durch tausendfältige Erfahrung gefestigte Therapie der Lucs eine irrthümliche, bezw. unrichtige sei.
Es ist mir selbstverständlich ganz unmöglich, mich innerhalb des knapp bemessenen Rahmens
eines Referates auf die Besprechung oder Widerlegung der vom Verfasser herangezogenen Punkte
(•inzulassen; nur einzelnes möchte ich anführen, welches geeignet ist, klar darzuthun, dass ausser
der Heranziehung längst verlassener Prinzipien auch noch manches andere in der Ziegelroth'schen
Beweisführung anfechtbar ist
Zunächst übersieht Ziegel rot h vollständig, dass bei dem Verlaufe der Lues, genau wie bei dem
einer jeden andern Infektionskrankheit, die stärkere oder schwächere Konstitution des betroffenen
Individuums maassgebend ist; er lässt ferner ganz ausser Acht, dass vieles, was im Laufe der Jahr¬
zehnte von den Gegnern des Quecksilbers diesem zur Last gelegt wurde, in dem Wesen der Krank¬
heit selbst begründet ist und sich aus dieser allein erklären lässt.
Dann müsste doch ausdrücklich betont werden, dass als eine Hauptursache der Misserfolge
der Umstand zu betrachten ist, dass eine sehr lange Zeit hindurch zwischen Gonorrhoe und Lues
ein in keiner Hinsicht bewiesener Konnex angenommen und deshalb womöglich jeder Tripper mit
Quecksilber behandelt wurde. Anstatt dieso Fälle, soweit überhaupt angängig, möglichst strenge
auszuscheiden, benutzt Verfasser gerade sie, um zu zeigen, was für zerstörende Folgen (Tripper-
scuchei eine Quecksilberkur haben kann. Er vergisst hierbei ganz und gar, dass er nicht die Schäd¬
lichkeit der Quecksilberkur an sich bei irgend einer Krankheit (z. B. Tripper), sondern der Queck¬
silberkur bei Syphilis beweisen will. Dass Quecksilberkuren, besonders wenn sie, wie in den
angezogenen Tripperfällen, in maasslos übertnebener Weise angewendet werden, bei vielen Leiden
nichtluetischen Charakters unangenehme Erscheinungen zeitigen, ist möglich.
Der zw'eite Theil der Ziegelroth sehen Schrift enthält nun detaillierte Angaben über die
physikalisch-diätetische Therapie der Lues, wie dieselbe aus den Verfahren bezw. den Veröffent¬
lichungen v'on Priessnitz, Schroth, Piegler, Lahmann und Ziegelroth sich ergiebt. Die
Wasserkur gilt als Reagens auf die Syphilis, das eingekapselte Gift wird durch sie gewisser-
maassen gelöst und ausgeschieden (Neuausbruch der Symptome nach vier- bis sechswöchiger Wasser¬
kur). Man unterscheidet nicht zwischen hartem und weichem Schanker, sondern zwischen solchem
mit chronischem und akutem Verlauf; da der letztere, wie jede akut verlaufende Krankheit, eine
lebhafte rasche Ausscheidung des Giftes bewirkt, besteht die Therapie in der Anregung der
Fülle mit chronischem Verlauf (harter Schanker) zu akutem Verlauf (Anwendung feuchter Packungen,
Sitzbäder). Die allgemeine Behandlung deckt sich mit derjenigen der anderen Infektionskrankheiten
: Packungen, Vollbäder, Fieberdiät, Klystiere etc.). Ausserdem wird empfohlen: Aktiv es Schwitzen
(Arbeit im Freien), Förderung des Ausbruches der Roseola durch verschiedene hydriatische Pro¬
zeduren, da dieselbe eine Art Naturheilung darstelle; relative Hungerkur (um die Organe dos
Körpere zu entlasten); relative Trockendiät tum durch Verringerung des Flüssigkeitsgehaltes
die Fermentation zu behindern); Luftbad, Luftlichtbad, Sonnenbad.
Gegen die syphilitischen Mund- und Rachenerkrankungen empfiehlt Ziegel roth 0,GÖf>°/n
Sublimatlösung zwecks Erzeugung einer heilsamen lokalen Hyperämie; für besser hält er Mund¬
bäder, lokale Douehen.
Ira Anhang sucht Ziegelroth dann noch die Therapie der Gonorrhoe nach rein physikalisch-
diätetischen Gesichtspunkten darzulegen und bespricht noch kurz die Prophylaxe der venerischen
Erkrankungen überhaupt
Eine solche Behandlung der Lucs wurde schon im Anfänge des 10. Jahrhunderts in Portugal
geübt, zeitigte aber relativ die meisten Todesfälle und die meisten Verstümmelungen infolge einer
derartigen Vernachlässigung des Leidens (Bericht des englischen Generalarztes llcnrv Robertson.
1817). Trotzdem verbreitete sich dieselbe über England, Frankreich und Deutschland, w urde jedoch
sehr bald wieder gänzlich verlassen. Diese und ähnliche Erfahrungen liefern doch den Beweis für
die Unzulänglichkeit der arzneilosen bezw. der rein physikalisch-diätetischen Therapie der Lucs.
Viktor Lippert (Wiesbaden).
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350 Referate über Bücher und Aufsätze.
Ein »Handbuch der Heil-, Pflege und Kuranstalten (Privat*Anstalten)«, ärztlich redigiert
von Dr. H. Neumann, prakt. Arzt, Berlin, wird von der Firma Max Leuchter in Berlin verschickt.
In dem Büchelchen sind die Institute nach folgender Eintheiluug aufgeführt: A. Allgemeine Heil¬
anstalten, B. Spezial - Heilanstalten: 1. diätetische, 2. für Orthopädie, Heilgymnastik und Massage,
3. für Hautkranke, 4. für Lungenkranke, 5. für Gemüths- und Geisteskranke, 6. für Entziehungs¬
kuren, 7. für körperlich und geistig zurückgebliebene Kinder.
Das Buch wird bei der zunehmenden Bedeutung Und Beliebtheit der Anstaltsbehandlung für
viele Aerzte ein brauchbares Hilfsmittel sein. (R.)
Blätter fllr Yolksgesundheitspflege. 1 . Jahrgang. Heft 14—20.
Auch die letzten sieben Hefte dieser gemeinverständlichen Zeitschrift des deutschen Vereins
für Volkshygiene enthalten zum Theil aus der Feder erster Autoritäten werthvolle Aufsätze über
die Diätetik und die mit ihr verwandten Heilbestrebungen. Einer wie grossen Werth Schätzung sich
die Krankenpflege jetzt bei den Klinikern erfreut, geht aus dem Aufsatze des Berliner Pädiaters
Heubner hervor, der einen eigenen Artikel über die Pflege kranker Kinder im Heft 15 ver¬
öffentlicht. Mit Recht bezeichnet er auf Grund seiner Darlegungen die Pflege kranker Kinder als
eine Kunst und ermahnt daher die Mütter, jede Gelegenheit zu benutzen, sich in dieser Kunst aus¬
zubilden. Aus dem Aufsatz von Heinzheimer (in dem gleichen Hefte) über »Gesundhelts-
mässige Ernährung« mag die warme Empfehlung hervorgehoben werden, welche der Autor
dem Genuss der bei uns noch immer nicht in genügender Weise als Volksnahrung verwandten
Fische giebt, ferner der Hinweis auf die Wichtigkeit eines reichlichen ersten Frühstücks, sowie die
scharfe Verurtheilung, welche er dem Alkohol gegenüber ausspricht.
In den Heften 16 und 17 ist die Fortsetzung und der Schluss der in früheren Heften er¬
schienenen Aufsätze von Kürz über »Einfache Kost« enthalten. Hier giebt der Autor eine Cebcr-
sicht darüber, wie die einzelnen Hauptgruppen der Nahrung im Organismus ausgenutzt werden und
wie viel unbrauchbare bezw. nicht benutzte Stoffe sie enthalten. Damit die für die gesammte
Volksgesundheit so ausserordentlich wichtigen Prinzipien der Nahrungshygiene immer mehr und
mehr in die Allgemeinheit dringen, spricht sich Kürz mit grösster Wärme dafür ans, dass obliga¬
torische Kochkurse für die aus der Volksschule entlassenen Mädchen eingerichtet werden.
Im 18. Heft beschäftigt sich der Berliner Pathologe Prof. Israel mit den Schädlichkeiten,
welche der Alkohol auf den Organismus des Menschen ausübt. Besonders weist er darauf hin, dass
es nicht nur die sogenannten Säufer sind, bei welchen der Alkohol schwere pathologische Ver¬
änderungen im Gefässapparat, im Magendarmkanal u. s w. hervorruft, sondern dass diese Schädi¬
gungen auch bei sehr vielen Menschen eintreten, welche verhältnissmässig geringe Quantitäten
Alkohols fortgesetzt zu sich nehmen.
Ein kurzer zusammenfassender Artikel Marcuse's, welcher in der dem Autor eigenen fasslichen
Weise geschrieben ist. handelt über Badeorte und Badekuren. Beherzigenswerth ist der Vor¬
schlag des Autors, dass der in die Bäder reisende Kranke sich daselbst stets vor Beginn und
während seiner Kur sachverständigen Rath einholen soll.
Das 19. Heft enthält einen Aufsatz von Hauser (Karlsruhe) »Ueber die hygienischen
Aufgaben der Frau«. Dieselben gipfeln nach seiner Anschauung in drei verschiedenen Punkten:
1. in der individuellen Hygiene der Frau, 2. der Hygiene der Familie, 3. der Hygiene der Oeffent-
liehkeit und des Staates.
In dem 20. Hefte ist gleichsam als Fortsetzung des Aufsatzes aus dem 18. Hefte ein Artikel
von Marcuse über »Baden und Schwimmen in ihrer gesundheitlichen Bedeutung« ent¬
halten. Mit Recht hebt der Autor hier besonders die ausserordentlich grossen Vorzüge hervor,
welche das Schwimmen sowohl infolge seines thermischen wie gymnastischen Einflusses auf den
Organismus ausübt. Er empfiehlt diese hervorragend gesunde Uebung, deren Kcnntniss bisher in
allen Schichten der Bevölkerung noch bei weitem nicht genügend verbreitet ist, besonders auch für
die weibliche Jugend. Paul Jacob (Berlin).
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Kleinere Mittheilungen.
351
Kleinere Mittheilungen.
I.
Ein neuer (Hfdbmond-)Stromnnterbrecher für Radiographie und Ströme von hoher Spannung.
Von Dr. Ch. Colombo. Professor der medieinischen Fakultät, Direktor des kinesitherapeutischen
Institutes zu Rom und Ch. Thouveust, Elektrotechniker am kinesitherapeutischen Institut
zu Rom.
Der Stromunterbrecher bedeutet für die Radiographie dasselbe, wie die Linse für die Photo¬
graphie, und man kann ohne Selbsttäuschung behaupten, dass die mehr oder weniger günstigen
radiographischen Resultate in erster Linie von diesem Apparate abhängig sind.
Bevor wir jedoch auf die Beschreibung des neuen Stromunterbrechers, welcher den Gegen¬
stand vorliegender Besprechung bilden soll, näher eingehen, dürfte es zweckdienlich sein, kurz die
Grundprinzipien zu schildern, auf denen die Wirkung des Apparates beruht, der vor einem halben
Jahrhundert von Ruhmkorff erfunden und sich bis auf unsere Tage in seiner ursprünglichen Form
erhalten hat.
Die Ruhm korff* sehe Spule oder der Funkeninduktor stellt einen Transformator dar, welcher
besonders im Vergleich mit den für Verthcilung von Wechselströmen benutzten industriellen Trans¬
formatoren relativ geringe Leistungsfähigkeit aufweist. Jedoch sind trotz dieser Minderleistung seine
Wirkungen durch die Sekundärspirale in Gestalt des Funkens ebenso gewaltige als überraschende;
denn was man mit einer Batterie von 1000 Elementen nicht zu erzielen vermag, leistet man mit
einem Induktionsapparat von der Grösse einer Faust!
Eine Erklärung für die hierbei in Betracht kommenden physikalischen Erscheinungen mögen
die folgenden Zeilen geben:
Führt man in das Innere einer Spule, welche mit isoliertem Kupferdraht umwunden ist, dessen
Enden an einen Galvanometer angeschlossen sind, einen magnetisch gemachten Eisenstab ein und
zieht ihn plötzlich wieder heraus, so erzeugt (induziert) man in der Drahtspirale einen Strom: der
Galvanometer zeigt diesen durch intensiven Nadelausschlag an. Falls die Einführung des Eisen¬
stabes ausserordentlich schnell stattfindet, entsteht ebenfalls ein Strom, jedoch in entgegengesetzter
Richtung (Gegenstrom). W T enn man nun, anstatt einen magnetisch gemachten Stahlstab einzufübren,
einen Elektromagneten einschiebt, so braucht man, um den Induktionsstrom zu erzeugen, den Eisen¬
kern nicht schnell zu entfernen, sondern nur den Strom zu unterbrechen. Man wird hierdurch einen
viel stärkeren Nadelausschlag des Galvanometers erzielen.
Jedesmal wird nun, sobald man durch Stromschluss den Elektomagneten wirksam werden
lässt, ein sogenannter Induktionsstrom erzeugt, welcher dann bei Stromunterbrechung einem zweiten,
entgegengesetzten und viel kräftigeren Platz macht. Um kräftige Wirkungen zu erzielen, ist es
nothwendig, dass die äussere Spule, in welcher der Sekundärstrom entsteht, eine möglichst grosse
Drahtlänge aufweist; die Dicke des Drahtes ist von geringer Bedeutung. Je länger der Draht,
desto grösser die Funkenschlagweite.
In das Innere dieser Spule haben wir eine zweite eingeführt in Gestalt des Elektromagneten,
dessen Drahtlänge eine viel kürzere und dessen Drahtdicke entsprechend der Stromquelle eine
grössere ist.
Nehmen wir z. B. die Verhältnisse des Funkeninduktors des kinesitherapeutischen Instituts
zu Rom an, bei welchem der von uns hier zu beschreibende Stromunterbrecher seine Verwendung
findet. Der Draht der Sekundärspirale hat eine Länge von 500 km, während sein Durchmesser
nur 0,25 mm betragt; dagegen besitzt der Draht der primären Rolle bei einer Länge von 5 m einen
Durchmesser von 2,5 mm. Diese Induktionsmaschine erzeugt Funken von 1,4 m Länge. Von der
Geschwindigkeit des Stromschlusses und der Stromunterbrechung hängt die Stärke des Sekundär¬
stromes ab. Selbstverständlich wurden die früher mit Handbetrieb bewegten Stromunterbrecher
durch mechanisch - automatische ersetzt, welche wir schnell Revue passieren lassen wollen, um
dann auf die Beschreibung unseres Stromunterbrechers näher einzugehen.
Allgemein bekannt ist der klassische Stromunterbrecher, wie er an allen kleinen Induktions¬
apparaten angebracht ist. Ein kleiner Hammer au einer federnden Spange befestigt, wird bei Strom-
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352 Kleinere Mittheilungen.
Schluss durch den Elektromagneten angezogen, bewirkt hierdurch aber au der Kontaktfeder eine
Unterbrechung des Stromes. Infolgedessen erlischt der Magnetismus der Eisenkerne des Elektro-
magnets, die Feder schnellt wieder zurück, stellt den Stromschluss wieder her, worauf sich das
nämliche Spiel unter raschen Schwingungen der Feder wiederholt; ein kontinuierliches Schwirren,
Zittern (Tremblement) des Ankers tritt ein, nach welcher Erscheinung auch der ganze Apparat seinen
Namen »Trembleur* erhalten hat. Er ist nur für schwächere Ströme verwendbar; denn der kleine
Unterbrechungsfunke ist ausserordentlich heiss und brennt sehr schnell die Kontaktflächen durch,
sofern nur im geringsten der Induktionsstrom proportional die Stärke des Battericstromes übersteigt
Man wendet daher für praktische Zwecke Stromunterbrecher an, welche unabhängig von der
Induktionsspirale, entweder durch ein Uhrwerk oder einen Motor, meist mit elektrischem Antrieb,
in Bewegung gesetzt werden.
Der allgemein verbreitetste dieser Apparate ist der »Stäbchenstromunterbreeher«. Ein Metall¬
stäbchen, in vertikaler Auf- und Abwärtsbewegung befindlich, taucht in einen Quecksilbemapf ein
und verlässt ihn wieder, auf diese Weise Stromschluss und Strom Unterbrechung bewirkend. Die
Aufeinanderfolge der Stromunterbrechungen lässt sich genau durch den mehr oder minder schnell
gestellten Gang des Motors regulieren.
Dies System hat indess mehrere Nachtheile. Die Wechselbewegung bringt durch die ständige
Erschütterung den Apparat bald in Unordnung und verhindert die Möglichkeit, ihm eine grosse
Geschwindigkeit zu geben. Auch der Kontakt taugt nichts, selbst wenn man das Stäbchen mit
einer Platinspitze armiert; das destillierte Wasser, welches über das Quecksilber geschichtet ist, um
den Unterbrechungsfunken zu löschen, bewirkt einen fettartigen Beschlag an dem Stäbchen. Unter
diesen Bedingungen ist sowohl der Kontakt als auch besonders die Unterbrechung erschwert; denn
bevor das Stäbchen den Strom unterbricht, schwächt es ihn ab, indem es beim Verlassen des Qucck-
silbcrlagers immer weniger Berührungsfläche bietet und so bis zur völligen Stromunterbrechung
den Strom widerstand erhöht. Für eine gute Unterbrechung muss die Unterbrechungsstelle sauber
und blank sein; ein Beispiel wird dies schneller und besser zu erklären vermögen als alle Be¬
schreibungen.
Hält man einen Hahn, an welchem ein langes vertikales Rohr angebracht ist, fest in der
Hand, während durch dasselbe mit grösstmöglichster Geschwindigkeit Wasser strömt, und schließt
plötzlich den Hahn, so empfindet man einen Druck des Wassers (einen »Stoss des Widders« mit dem
Terminus technicus); schliesst man dagegen langsam, so spürt man nichts. Der Stäbchenstromunter¬
brecher gleicht hierin einem Wasserhahn, der sich um so langsamer schliesst, je schneller er schneller
geht, ein Umstand, der paradox erscheinen mag, indess verständlich wird, wenn man nur hinzufügt,
dass diese Wirkung sich an Erscheinungen anschliesst, welche ihren Grund in dem obengenannten
»fettartigen Beschlag« des Stäbchens und dem hierdurch wieder bedingten Anwachsen des elektrischen
Widerstandes finden.
Mit anderen Worten, um etwas verständlicher, wenngleich weniger wissenschaftlich korrekt
zu reden, bei den Stäbchenstromuntcrbrechem hat der Strom wegen der grossen Geschwindigkeit
keine Zeit sich zu entfalten.
Wie wir in den folgenden Zeilen klarlegen werden, lässt sich durch unseren Stromunterbrecher
ein augenblicklicher Stromschluss, ein unmittelbarer Uebergang von Vollstrom auf Nullstärke be¬
wirken, ohne die Zwischenphasen, wie sic der Stäbchenstromunterbrecher bedingt, mit in Kauf
nehmen zu müssen.
An dieser Stelle möge noch im Voraus bemerkt sein, dass in der elektrotechnischen Sprache
»Oeffnen des Stromes« das nämliche bedeutet, was der Hydrauliker mit »Schluss« bezeichnet; man
kann dies graphisch in folgender Weise darstellen:
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Klcinoro Mittheilungen. 353
Dieser Fehler, dieser »Oeffnungs- und Schlussschwanz«, wie wir ihn nennen wollen, und seine
schädliche Nebenwirkung wachsen mit der Geschwindigkeit der Bewegung und bewirken eine
derartige Abschwächung des Stromes, dass bei grossen Geschwindigkeiten der Stäbchenstromunter¬
brecher nicht mehr liefert; denn seine zweckmässige Kurve ist folgende:
j Fig. 63.
Stromergebniss mit Stäbchenstromunterbrecher
(geringe Geschwindigkeit).
Stromergebniss mit Stäbchenstromunterbrecher
(grosse Geschwindigkeit). v
Mit dem Apparat, den wir nunmehr beschreiben wollen, sind die erzielten Wirkungen, nament¬
lich die Flächenwirkungen, viermal so stark, als die bei gleicher Geschwindigkeit vom Stäbchen¬
stromunterbrecher gelieferten, wie die folgende Kurve es graphisch darstellt:
Fig. 05.
Stromergebniss mit unserem Halbmondstromunterbrecher
(grosse Geschwindigkeit).
Alle Stromunterbrecher, mit Ausnahme des Spottiswoodc'sehen und der vorzüglichen
Turbine der Allgemeinen Elektrizität»-Gesellschaft in Berlin, haben, soweit unsere Erfahrungen
reichen, diesen Fehler.
Uebrigens ist es betreffs dieses letzteren Apparates merkwürdig, konstatieren zu können, dass
sicherlich der Turbinenstromunterbrecher durch die Ingenieure oben genannter Gesellschaft erfunden
worden ist und dass dieselben sicher keine Ahnung von der Präexistenz dieses Apparates hatten,
wie ja auch die meisten Elektrotechniker den Turbinenstromunterbrecher als eine ganz neue Er¬
findung und spezielle Eigenheit der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft begrüsst haben, während
derselbe bereits vom guten alten Gordon, einem heutzutage viel zu früh vergessenen Manne be¬
schrieben worden ist.
Es wäre zu zeitraubend, sich bei der Beschreibung aller bisher bekannten Stromunterbrecher
aufzuhalten; der Zweck dieser Zeilen ist lediglich die Beschreibung unseres Stromunterbrechers,
welcher unserer Ansicht nach viel vollkommener ist, als der Turbinenstromunterbrecher, eine viel
einfachere Konstruktion aufweist und einen weit geringeren Anschaffungspreis besitzt.
Beschreibung unseres Halbmondstromunterbrechers. Auf der Axe eines Hohl-
eylinders von ungefähr einem Liter Inhalt ist eine Holzscheibe angebracht, welche durch einen
Motor in Bewegung gesetzt wird. Auf dieser Holzscheibe ist eine halbmondförmige Mctallplatte
aus Stahl angebracht.
Den Apparat zeigt in schematischer Wiedergabe Fig. G6.
Diese halbmondförmige Metallscheibe bildet ein Ganzes mit der Holzscheibe und demgemäss
auch mit der metallenen Trommel; der Theil, welcher den Strom zuführt, ist aufs sorgfältigste
isoliert und wird als »Besen« bezeichnet.
ZeiUchr. f. difct. u. ptaysik. Therapie Bd. V. Heft 4. o.|
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354 Kleinere Mittheilungen.
Sobald nun der Besen den Halbmond berührt, ist der Strom geschlossen; trifft dagegen der
Besen die leere Scheibe, so ist der Strom unterbrochen.
Die gebräuchlichste Kontaktform ist die des Halbmondes; während der ersten halben Um¬
drehung besteht Stromschluss, während der zweiten halben Stromunterbrechung; die Zahl der Unter¬
brechungen ist hiernach direkt proportional der Zahl der Touren.
Die kleinen Elektromotoren arbeiten durchschnittlich mit einer regulierbaren Geschwindigkeit
von 500 — 3000 Touren per Minute ; man könnte also auch 500—3000 Unterbrechungen per Minute
erzielen.
Wünscht man die Frequenz der Unterbrechungen noch zu erhöhen, so könnte man statt der
Halbthcilung auf der Holzscheibe vier Sektoren, zwei volle (Metall) und zwei leere anbringen, man
würde hierdurch 1000 — 6000 Unterbrechungen er¬
zielen. Theilt man die Scheibe in acht Sektoren,
so käme man auf 12000 Unterbrechungen und bei
noch weiteren Theilungen zu schliesslich inkommen¬
surablen Zahlen.
Je schneller die Unterbrechungen aufeinander-
folgen, um so kürzer sind die Zeiträume, innerhalb
deren der Eisenkern magnetisch gemacht wird; es
treten dann aber die Erscheinungen der »Hysteresis«.
einer gewissen Verzögerung in der Magnetisierung
und Entmagnetisierung ein. Die Magnetisierung
tritt nämlich nicht unmittelbar beim Einschiessen
des Stromes ein und verschwindet auch nicht un¬
mittelbar bei seinem Aufhören; in gleicher Weise
wie ein Mühlrad nicht sofort sich in Bewegung
setzt, sobald Wasser darauf stürzt und ebenfalls
nicht sofort stille steht, wenn die treibende Wasser¬
kraft zu fliessen aufhört; beides ein Ausdruck des
Trägheitsgesetzes. Die Hysteresis stellt sich als die
magnetische Trägheit dar.
Da nun also Erscheinungen von Hysteresis
eintreten, kommen wir zu dem Schluss: je schneller
die Gangart, je geringer die Magnetisierung und
demzufolge auch die Stärke des Sekundärstromes. Grosse Magnetisierungsgeschwindigkeiten lassen
sich daher nicht durch den Stromunterbrecher erzielen, welcher eine viel begrenztere Wirkungs¬
fähigkeit besitzt, als man annehmen möchte; um gute Resultate zu erzielen, muss der Stromunter¬
brecher um so langsamer arbeiten, je grösser die Induktionsspule ist.
Wir reden hier von den Geschwindigkeiten der Aufeinanderfolge von Magnetisierung und
Entmagnetisierung, nicht etwa von den d’Arsonval’schen Strömen, welche man auch »Ströme mit
hoher Spannung« nennt, obgleich es richtiger wäre, sie als »Ströme von kurzer Zeitdauer« zu be¬
zeichnen.
Die d’Arsonval’schcn Ströme lassen sich übrigens bei einer massigen, nicht zu schnellen
Gangart des Stromunterbrechers und durch die Schwingungen der Kondensatorentladungen darstellen.
Die richtige Gangart des Stromunterbrechers liefert einen langen, kräftigen Funken, während
ein zu sehr beschleunigter Gang den Funken erstickt und nur eine unsichtbare Ausströmung bewirkt
Der Apparat arbeitet unter Petrolcumbespülung, welches ihm durch zwei Glasröhren im Fall
der Uebcrhitzung zufliesst; er läuft daher ohne Gefahr stundenlang ununterbrochen.
Dieser Stromunterbrecher eignet sich zu Allem, was man überhaupt von der Stromunter¬
brechung fordern kann, er gestattet auch eine langandauernde Magnetisierung und eine kurze
Unterbrechungsdaucr; und zwar in der Weise, dass man statt des Halbmondes eine Metallplatte von
r 4 und einen Lcerrauin von 1 t konstruiert, wodurch man bei einer Umdrehung eine Magnetisicrungs-
dauer von Ui nur eine Stroinunterbrechungsdauer von l 4 Zeiteinheit erzielt.
Mittels dieses Apparates kann man eine mathematisch genaue »Zeitkurve« aufstellen.
Der Zweck der vorliegenden Zeilen war nur die Beschreibung unseres Stromunterbrechers;
wir behalten uns für einen nächsten Artikel eine Besprechung über die mit diesem Apparate er¬
zielten Resultate bei Radiographie und Strömen mit hoher Spannung vor.
Fig. G6.
b) Strombesen.
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Berichte über Kongresse und Vereine. 355
II.
Erwiderung an Herrn Sanitätsrath Dr. Pelizaens (Sanatorium Suderode am Harz). Von
Prof. H. Rieder, München.
Die im 3. Heft des 5. Bandes dieser Zeitschrift auf Seite 227 ausgesprochene Vermuthung
(eine exakte Prüfung wurde offenbar nicht vorgenommen), als funktioniere das von mir unlängst
beschriebene und empfohlene Mischventil nur bei konstant bleibendem Druck in der Kalt- und
Warm Wasserleitung, muss ich als irrig bezeichnen. Ein gut konstruierter und zuverlässiger Misch¬
hahn — und dieses Prädikat verdient das Kjölbye’sche Mischventil im Gegensatz zu vielen anderen,
landläufigen Erzeugnissen — muss auch trotz häufigen und stärkeren Wechsels im Zufluss kalten
und warmen Wassers aus der Hauptleitung prompt und sicher funktionieren. Bei richtiger An¬
ordnung der Zuleitungen und richtiger Bemessung der Rohrquerschnitte im Verhältniss zu dem vor¬
handenen Druck tritt übrigens wohl überhaupt äusserst selten eine störende Temperaturschwankung
beim Betriebe ein.
Vor der Empfehlung des in der Abtheilung für physikalische Therapie im Krankenhause
München l./l. eingeführten und seit 1H* Jahren funktionierenden Mischventils wurde dasselbe einer
eingehenden kritischen Prüfung nebst einem Vergleiche mit anderen derartigen Fabrikaten unter¬
zogen, wobei, wie früher erwähnt, die unbestreitbare Güte desselben sich erwies. Selbst in dem
besonders ungünstigen Falle, dass die Kalt Wasserleitung unter einem hohen, die Warmwasserleitung
unter einem niedrigen Drucke steht, entspricht die Temperatur des dem Ansatzstücke der Douche
entströmenden Wassers stets den gewünschten Anforderungen.
Die ungenügende Leistung der bisher gebräuchlichen Mischhähne veranlasste uns eben, die
Konstruktion eines neuen, besser funktionierenden ins Auge zu fassen.
Mit der Anordnung eines einfachen Drei weghahncs, der (nebenbei bemerkt) bei Hoch¬
druckanlagen wegen der hierbei auftretenden Rückschläge unzulässig ist, kann übrigens die be¬
anstandete Mangelhaftigkeit von Doucheapparaten durchaus nicht behoben werden, da metallisch
abschliessende Hähne nach kürzerer oder längerer Zeit, d. h. je nach der Beschaffenheit des
Wassers, reparaturbedürftig werden.
Die im Sanatorium Suderode am Harz eingeführte Douchevorrichtung wird gewiss auch
den ärztlicher Ansprüchen im grossen nnd ganzen genügen, aber für grössere Anstalten ist sie
ungeeignet und zudem ist ihre Verwendung nicht ökonomisch; denn zur Verabreichung einer oder
mehrerer Douchen ist*jedesmal die vorherige Füllung eines 200 Liter fassenden Zylinders mit warmem
Wasser nöthig. Auch ist es wahrscheinlich, dass durch das Nachfliessen des kalten Wassers in den
Wann Wasserbehälter das warme Wasser in letzterem währeud des Gebrauches der Douche abgekühlt
wird und ein, wenn auch langsames Fallen der einzustellenden Temperatur erfolgt.
Als Beweis für die Brauchbarkeit des Kjölbye’schon Mischventils sei schliesslich noch er¬
wähnt, dass die renomierte Firma Butzke & Cie. in Berlin das Patent für den kleinen Apparat
schon kurz nach dessen Einführung käuflich erworben und in Vertrieb genommen hat.
Berichte über Kongresse und Vereine.
Der Tuberkulosekongress in London 1 ).
Von Dr. J. Meyer, Volontärarzt der H. medicinischen Universitätsklinik (Berlin).
Für den vom 22.-26. Juli 1901 in London tagenden Tuberkulosekongress war als Haupt-
thema »the Prevention of Tuberculosis«, die Vorbeugung der Tuberkulose gestellt. Dem¬
gemäss war zu erwarten, dass die Vorträge, welche dortselbst gehalten wurden, vielfach die Ziele
der Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie berühren mussten. Im wesentlichen
handelt es sich in dem nachfolgenden Bericht um die Diskussion der Frage über den Einfluss
des Klimas auf die Tuberkulose und um die Heilstättenfrage. Dagegen soll die Frage
l ) Ein eingehendes Referat über die Frage der Ucbertragbarkeit der Rindertuberkulose auf
den Menschen wird in der nächsten Nummer der Zeitschrift erscheinen. Redaktion.
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35 G Berichte über Kongresse und Vereine.
der Ucbertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen in einem späteren Artikel er¬
örtert werden.
Obwohl alle auf die Heilstättenfrage bezüglichen Vortrage erst weiter unten wiedergegeben
werden sollen, erscheint es zweckmässig, die Stellung Robert Koch’s zu obiger Frage vorweg¬
zunehmen, um irgend welchen Missverständnissen vorzubeugen, die aus einer falschen Wiedergabe
der Kock'sehen Worte entstehen könnten. Sowohl in seinem ersten Vortrage, welcher infolge der
Aufstellung des Satzes: »Rindertuberkulose ist nicht identisch mit Mensckcntuber-
kulosc«, eine hohe Bedeutung gewonnen und dem gesammten Kongresse gewissermaassen das
Gepräge gegeben hat, wie bei Gelegenheit der Tuberkulindebatto hat Koch sich über die Heil¬
stätten und ihre Bedeutung geäussert.
Im ersten Vortrage nennt Koch als die Hauptmittel im Kampfe gegen die Tuberkulose als
Volkskrankheit »1. die Wohnungshygiene, 2. Tuberkuloschospitäler, 3. Anzeigepflicht, 4. Desinfektion,
5. Verbreitung der Kenntniss des Wesens der Krankheit«. Sodann wendet er sich der Frage der
Heilstätten zu:
»Da die Thatsache, dass frühzeitig behandelte Tuberkulöse heilbar seien, feststeht, so ist es
natürlich, soviel als möglich solche Kranken in Heilstätten zu behandeln, besonders zu dem Zwecke,
dass auf diese Weise die Infektionsgefahr für die Mitmenschen verringert wird. Es fragt sich nur.
ob die Zahl der in Heilstätten geheilten Personen gross genug ist, um in dem oben genannten Sinne
einen günstigen Einfluss auszuübon.« Geheilt nennt Koch solche Personen, welche keine Tuberkel-
bacillen mehr auswerfen; und unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, sind laut Geschäftsbericht des
deutschen Hcilstättenkomitös 1001 nur 4000 Patienten als geheilt aus den Heilstätten entlassen worden.
Demgegenüber stehen aber nach dem Berichte des Reichsgesundheitsamtes jährlich 226 000 Personen,
die an vorgerückter Schwindsucht leiden. Das Verhältnis der in Sanatorien geheilten Personen zu
den übrigen Schwindsüchtigen ist daher ein derartiges, dass irgend welcher Einfluss im Sinne der
öffentlichen Gesundheitspflege nicht in Frage kommt. »Aber bitte bilden Sie Sich nicht ein,
dass ich durch diese meine Berechnung mich der Heilstättenbewegung irgendwie
entgegenstellen will. Ich möchte nur vor einer neuerdings in gewissen Kreisen auf¬
getretenen Ueberschätzung der Bedeutung der Heilstätten warnen; man ist in jenen
Kreisen anscheinend der Meinung, dass allein die Heilstattenbewegung zum Siege in dem Kampfe
gegen die Tuberkulose führen kann.« Koch empfiehlt sodann eindringlich das Studium und die
Nachahmung der Ncw-Yorker Verhältnisse bezüglich der Verbesserung der Wohnungshygienei).
Was den Vorwurf Koch’s betrifft, man sei zu einseitig und überschätze den Werth der
Heilstättenbewegung, so ist daran zu erinnern, dass gerade seitens des Heiltättenkomites die
Gründung von Heilstätten nur als »erste praktische Maassregel« im Kampfe gegen die Tuber¬
kulose als Volkskrankheit aufgefasst und durchgeführt wurde, und dass gerade von dieser Stelle
aus, wie ein Blick in den Geschäftsbericht zeigt, in vielseitigster Weise: durch Anregungen aller
Art, Lancierung von Artikeln in die Presse, Vertheilung der Knopf'schen Broschüre, Förderung
wohnungshygienischer Maassnahmen etc. etc. die Bekämpfung der Tuberkulose ausgeführt wird.
In seinem zweiten Vortrage »Ueber den Werth des Tuberkulins in diagnostischer
und therapeutischer Beziehung« stellt Koch bezüglich der Behandlung mit Tuberkulin fest,
dass dieselbe gute Resultate bei beginnenden, nicht vorgeschrittenen, nicht komplizierten
und nicht eine Temperatur über 37° zeigenden Fällen von Lungentuberkulose
bietet, und fügt im Anschlüsse daran hinzu, dass zu dieser Tuberkulintherapie die Heilstättcn-
behandlung nicht nur in keinem Gegensätze stehe, sondern dass gerade infolge ihrer hygienischen
Einrichtungen die Heilstätten sich zur Durchführung und Unterstützung der Tuberkulinkur hervor¬
ragend eignen.
Koch hat also zwar die Bedeutung der Heilstätten beschränkt, sich denselben jedoch keines¬
wegs entgegengestelit.
Im Anschlüsse an diese Mittheilung über Koch's Stellungnahme zur Heilstättenfrage seien
die Vorträge und die Diskussion, welche über »Klimatologie« in London stattfanden, mitgctheilt.
Erster Referent C. Theodore Williams (Brompton): Die Klassifikation der Klimata
und die Vergleichung der in denselben erzielten Resultate.
Welchen Einfluss hat das Klima auf die Behandlung der Tuberkulose, und inwieweit kann
J) Siehe diesbezüglich: J. Meyer, Die Bekämpfung der Tuberkulose in New-York. Das rothe
Kreuz 1900. No. 22; 1901. No. 9.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
357
man bestimmte Falle als für die verschiedenen Klimata. geeignet erklären? Man hat stets geglaubt,
dass eine Veränderung des Aufenthaltes den Verlauf der Tuberkulose günstig beeinflusse, und in
diesem Sinne hat man Patienten von der Stadt aufs Land, vom Festland auf die Sec, vom Thal
in die Berge geschickt In früheren Zeiten war die Verordnung längerer Seereisen sehr üblich, und
man hat dabei recht gute Erfolge erzielt Die Anordnung solcher Fahrten ist in letzter Zeit trotz
der besseren hygienischen Einrichtungen, des höheren Komforts und der grösseren Sicherheit auf
Schiffen dennoch zurückgegangen; denn es hat sich gezeigt, dass auch in anderer Weise sich Heilung
der Tuberkulose erzielen lasse.
Bei jeglicher Kur scheint die Hauptsache zu sein: die volle Ausnutzung der frischen
Luft, unterstützt durch hygienisch geregelte Lebensführung.
Aber nicht jedes Klima ist zur Durchführung einer solchen Kur geeignet, besonders nicht
die Tropen, in welchen speziell der Appetit verringert, die Muskel- und Nervencncrgic herabgesetzt
wird. Kälte oder Wärme sind von geringerer Bedeutung, die Hauptsache ist trockene und an¬
regende Luft, reichlicher Sonnenschein, die Möglichkeit, sich viel im Freien zu be¬
wegen und die Muskel- und Nervencncrgic zu heben.
Klassifikation der Klimata:
1. Seeklima,
2. trockenes warmes Klima (thcils auf der See, theils auf dem Lande),
3. Gebirgsklima.
Beispiele:
ad 1 Britische Südküste; Madeira, Teneriffa, Westindien; Seefahrten,
ad 2. Wüste; Mittelländisches Meer.
ad 3. Jedes Hochgebirge; charakterisiert durch Herabsetzung des barometrischen Druckes.
1. Secklima: Die Stationen der englischen Südküsto haben unter dem Einflüsse des Golf¬
stroms ein gemässigtes Klima, die Luft ist mild und gleichmässig; der dort häufig vorhandene
frische Wind reinigt die Luft, ohne die Kranken, die sich in geeigneter Weise schützen können,
irgendwie zu schädigen. An diesen Orten können sich die Kranken das ganze Jahr über aufhalten,
am besten siedeln sie sich daselbst an.
Das Klima von Madeira und ähnlicher Plätze ist im allgemeinen weniger zu empfehlen,
eignet sich jedoch bei gegen Kälte besonders empfindlichen Personen und scheint bei Fällen von
chronischer Kehlkopftuberkulose von Nutzen zu sein.
Seefahrten sind in solchen Fällen nützlich, in denen
1. einer grossen Hämorrhagie nur ein verhältnissmässig kleiner erkrankter Lnngcn-
abschnitt entspricht;
2. in denen die Lungenerkrankung mit Drüsen- oder Gelenkaffcktionen kombiniert ist;
3. in denen bei einseitiger, nicht progredienter Phthise Kavernensymptome bestehen.
Bei Unternehmung einer Seefahrt zu Heilzwecken soll man sehen
1. auf gute und reichliche Ernährung;
2. auf ausreichende Kabinen Ventilation; am besten sind Deckkabinen;
3. das Schiff soll besonders die gemässigten Zonen, so wenig als möglich die Tropen
aufsuchen.
Allen diesen Bedingungen entspricht man am besten auf Reisen nach Brasilien, Westindien
und Australien auf ^bestimmten, näher angegebenen Kursen.*
2. Trockenes, warmes Klima. In der ägyptischen Wüste erfahren Fälle von vor¬
gerückter Schwindsucht eine unleugbare, bedeutende Besserung, die katarrhalischen Erscheinungen,
die häufigen quälenden Hustenanfälle, der reichliche Auswurf lassen nach; eine Heilung scheint
jedoch in diesem Klima nicht vorzukommen.
Die Luft an den Mittelmeerküsten (Riviera, Algier, Tanger) ist einerseits kühler, erfrischen¬
der als in der Wüste, andrerseits klarer, sonniger, wärmer als an der britischen Südküste. Leider
ist, trotzdem hier alle diese Heilfaktoren vorhanden sind, nur wenig Gelegenheit zur Durchführung
einer methodischen Heilstättenbehandlung geboten.
3. Gebirgsklima. Dasselbe wirkt besonders durch die Reinheit der Luft und ihre be¬
kannten physiologischen Eigenschaften.
Eine Statistik von 385 im Höhenklima behandelten Fällen ergiebt
a)-betreffend das Allgemeinbefinden: völlige Heilung in 45%, starke Besserung in 20%,
Besserung in 14% der Fälle; insgesammt also Besserung in 87% der Fälle; 1% blieb stationär,
bei 12% wurde Verschlimmerung konstatiert.
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358 Berichte über Kongresse und Vereine.
b) betreffend den Lu ngenbefund: Heilung in 45%. Besserung und Heilung in 7l>% der
Fälle; 5o/o blieben stationär, 12% zeigten ein Fortschreiten des Prozesses.
Besondere Indikationen für die Höhenkur sind: 1. reichliche Hämorrhagieen, 2. deutliche
Ausprägung der hereditären Disposition, ohne dass ein zu grosser Theil der Lungen befallen ist
oder dass Fieber besteht.
Kontra indiziert ist die Ilöhcnkur: bei akuter, bei katarrhalischer Tuberkulose, hei sehr
nervösen Patienten, bei indurierenden Prozessen und in den Fällen, in denen die Athmungsobcr-
fläehc der Lungen stark reduziert ist.
Bei einer Vergleichung der Resultate in den verschiedenen Klimata zeigt cs sich, dass der
bei weitem grösste Prozentsatz von Heilungen durch Höhenkuren erzielt wird.
Schluss: Ohne die hohe Bedeutung der Sanatorienbehandlung zurückzusetzen, muss man
die Einwirkung des Klimas als eine grosse Unterstützung der bygienisch-medicinischen Behandlung-
weise auffassen.
Zweiter Referent Burney Yco (London): Die Klassifizierung der Krankheitsfälle.
Bei der Behandlung der Lungentuberkulose sind folgende Aufgaben zu erfüllen:
1. die katarrhalischen Zustände der Luftwege zu heilen;
2. den Tonus des Nerven- und des Gefässsystems zu stärken;
3. die digestiven Funktionen zu heben und somit den Ernährungszustand zu bessern;
4. in jeder Weise die Psyche des Kranken günstig zu beeinflussen;
5. durch Asepsis die Thätigkeit der Bakterien zu hemmen.
Lassen sich diese Ziele in jedem Klima bei Freiluftkur erreichen? Nein; einmal sind manche
Klimata, wo dumpfige feuchte Luft herrscht, von vornherein ungünstig; zweitens ist für jeden ein¬
zelnen Krankheitsfall eine individuelle Behandlung und das für ihn günstige Klima auszusuchen.
Fälle von beginnender Lungentuberkulose können allerdings bei richtiger Behandlung
in jedem Klima ausheilen; so hat Referent selbst in der ungesunden Londoner Luft deutliche Aus¬
heilungen beobachtet; es sind eben in diesem Stadium die hygienischen Maassregeln von entschei¬
dender Bedeutung.
Seefahrten sind nur kräftigen Personen zu gestatten, welche eine besondere Vorliebe für
die Sec haben. Denn diese Reisen haben auch ihre Schattenseiten: Bei schlechtem Wetter sind die
Patienten auf den Aufenthalt in den mehr oder minder schlecht ventilierten Kabinen angewiesen,
und bei ungünstigem Einfluss der Seefahrt lässt sich dieselbe selten sofort abbrechen.
Für vorgeschrittene Fälle ist es ebenfalls nicht sclnver, einen passenden Ort zu finden:
empfindliche und mit katarrhalischen Affektionen des Kehlkopfes behaftete Patienten schickt man am
besten nach Madeira, Malaga und ähnlichen Orten. Man liebte früher den Aufenthalt in Stationen
mit sehr gleichtnässiger Tagestemperatur; neuerdings hat man eingesehen, dass Schwankungen in
derselben einen anregenden, erfrischenden Einfluss besitzen; nur müssen diese Tagesschwankungen
der Temperatur regelmässig wiederkehren, Unregelmässigkeiten in der Wiederkehr dieser Temperatur¬
kurven sind für die Kranken ausserordentlich gefährlich.
Schwer ist die Auswahl des Kurortes nur für die mässig vorgeschrittenen Fälle. Im
allgemeinen schickt man solche Kranke mit Erfolg in die Gebirgsortc. Patienten mit rheumatischer
Konstitution sind am besten an der Riviera, in der Wüste, in Nord-Egypten aufgehoben; Magen¬
beschwerden und starke Kachexie werden in mildem Seeklima günstig beeinflusst.
Kontraindiziert ist der Aufenthalt in Höhenkurorten bei laryngealen und intestinalen
Störungen, bei sehr nervösen und kälteempfindlichen Patienten und bei Phthisikern, deren Lungen¬
tuberkulose noch durch ein starkes Emphysem kompliziert ist.
Das englische Klima ist zwar nicht das denkbar günstigste für die Behandlung von Lungen¬
kranken, aber etwaige Nachtheile desselben werden durch die methodische Behandlung in den Sa¬
natorien kompensiert. Denn:
»Care without climate is better then climatc without care!
Man kann für die Behandlung die Fälle in folgender Weise gruppieren:
1. Für beginnende Fälle hat man eine grosse Auswahl von Kurorten.
2. Fortschreitende, febrile Zustände erfordern Bettruhe in einem luftigen, dem Sonnen¬
schein zugänglichen Raume.
3. Für vorgeschrittene Fälle ist das Leben im eigenen Hause (home life) oder wann es
Seeklima zu empfehlen.
4. Katarrhalische Zustände werden günstig in Madeira und ähnlichen Orten beeinflusst
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Berichte über Kongresse und Vereine. 359
5. Bei rheumatisch-gichtischer Konstitution leistet der Aufenthalt in trockenem Becklima
oder in der Wüste gute Dienste.
6. Für Skrophulöse, welche an Katarrhen leiden, eignet sich frisches Seeklima, für
solche ohne Katarrhe milde Seelult.
Aus der diesen beiden Vortragen folgenden Diskussion sei folgendes hervorgehoben:
Lannclougue (Paris): Seine Versuche an Meerschweinchen zeigen, dass der Verlauf der
Tuberkulose weniger durch das Klima als durch besondere Eigentümlichkeiten des betreffenden
Individuums bestimmt werden; bringt man obige Thierc unter Verhältnisse, welche denjenigen in
Sanatorien möglichst ähneln, so sind die Chancen zum Fortleben der Thiere günstiger als ohne eine
solche Kur.
Hermann Weber (London): Die geregelte Behandlung in Sanatorien ist von so hoher Be¬
deutung, dass man Missstände der klimatischen Verhältnisse, wie z. B. in manchen englischen Plätzen,
mit in Kauf nehmen muss.
Denison (Colorado): Je hoher der Kurort gelegen und je verdünnter dort die Luft ist,
desto grösser ist das Bedürfniss nach frischer Luft. Auf Höhen muss daher die Freiluftbehandlung
intensiv durchgeführt w r erden.
Huggard (Davos): Bei der Auswahl des Kurortes für den Kranken ist das Klima zu berück¬
sichtigen. In Sanatorien sollen die Zimmer der Kranken nach der Entlassung derselben desinfi¬
ziert werden.
Blitz (London): Die Behandlung der Kranken soll sich möglichst den physiologischen Funk¬
tionen anpassen.
Gram (Kopenhagen): Das Klima ikt von minderer Bedeutung; in Egypten erkranken die
unter unhygienischen Verhältnissen lebenden Eingeborenen an Tuberkulose; die unter ärztlicher Be¬
handlung befindlichen europäischen Tuberkulösen werden daselbst dagegen geheilt.
Rüdi (Arosa): Bei beginnenden Fällen von Lungentuberkulose ist oft die erkrankte Seite
die am besten entwickelte. In solchen Zuständen wirkt die verdünnte Höhenluft sehr günstig.
Am rein (Arosa): Unter der Behandlung in Arosa zeigt sich eine deutliche Besserung in der
Blutbeschaffenheit.
Quarrier (Glasgow) hat Kinder von Schwindsüchtigen in eine nicht durch besonders gün¬
stiges Klima ausgezeichnete Farm geschickt und hat auch dort bei Anwendung der üblichen Kur
gute Erfolge erzielt.
Hobhousc (London): Nicht der Krankheitszustand, sondern die Individualität der einzelnen
Person bestimmt die Auswahl des Klimas.
Crosby Walsh beschreibt das Klima von Tasmania (Australien).
Exchaquet (Leysin) bespricht die Fälle, in denen Höhenkur kontraindiziert ist.
Eine zweite grosse Frage, welche auf dem Kongresse abgehandelt wurde, betraf die Heil¬
stätten. Von den diesbezüglichen Vorträgen seien folgende erwähnt:
Dr. Clifford-Allbut (Cambridge). Obwohl die Heilanstaltsbehandlung zuerst in England
eingeführt worden ist, gebührt Deutschland das Verdienst, dieselbe den ärmeren Klassen zugänglich
gemacht zu haben. Da eine der wesentlichsten Vorzüge der Heilstättenbehandlung darin besteht,
(lass das Leben der Patienten nach hygienischen Prinzipien genau eingetheilt und dauernd ärztlich
überwacht wird, so ist auch für Reichere, welche sich im eigenen Hause gut pflegen könnten,
immerhin die Behandlung in einem Sanatorium vorzuziehen.
Die Heilstätten geben Gelegenheit, noch manche offene Frage in Bezug auf die Symptome
der Tuberkulose zu lösen; nur muss die wissenschaftliche Arbeit der Heilstätten organisiert werden,
so dass gewisse Schlüsse gezogen werden können. Solche zu behandelnden Fragen sind z. B.:
Blutuntersuchung, Serumagglutination, Virulenz der Bacillen.
Folgende Fragen regt Referent an:
1. Kann eine Mischinfektion aus der Fieberkurve erkannt werden?
2. Welches ist der Unterschied zwischen der wirtschaftlichen und der wissenschaftlichen
Heilung; und in welcher Zeit kann bei frühen Fällen die wirtschaftliche Heilung
herbeigeführt werden?
3. Wie lange soll man in joactive cases« die Patienten im Bett halten, in der Hoffnung
sic zu heilen? (Soll man z. B. in Volksheilstätten Kranke behandeln, die schon Monate
hindurch bettlägerig gewesen sind?)
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Berichte über Kongresse und Vereine.
4. Welche Schlüsse in Bezug auf Status und auf Prognose erlaubt die Betrachtung der
physikalischen Symptome allein?
5. Soll man Patienten, die an multipler Tuberkulose leiden, in Volksheilstatten aufnehmen?
6. In welcher Beziehung ist Massage von Nutzen?
7. In welcher Beziehung ist Hydrotherapie von Nutzen?
8. Ist Lungengymnastik bei progredienter Phthise anwendbar?
9. Darf das geistige Leben unter der körperlichen Erholung Schaden nehmen?
10. Kann nicht die erzieherische Wirkung der Heilstätten mehr in den Vordergrund gestellt
werden ?
Dr. Kingston-Fowler (London). Ueber die Bedeutung der Sanatorien auch für die be¬
mittelten Stande spricht sich Redner in demselben Sinne wie Clifford-Allbut aus. Die Noth-
wendigkeit und die gute Prognose der frühen Behandlung geht klar aus den Ergebnissen der
Sektionen hervor: Während man autoptisch bei frühen Fällen häufig Heilung sieht, wird eine solche
bei vorgeschrittener Erkrankung nur selten konstatiert
Die Kranken müssen nicht stets aufs Land geschickt werden, — man kann in städtischen
Krankenhäusern bei Freiluftbehandlung auch Erfolge erzielen.
Dr. Philip (Edinburg). Jeder Fall erfordert eine individuelle Behandlung. Puls und Temperatur
sind maassgebend für die Anwendung von Liegekur und Bewegungen. Auf die Diät soll grosses
Gewicht gelegt werden, dagegen ist Mastkur zu vermeiden. Für Hautpflege, besonders für kalte
Bäder, ist zu sorgen. Man soll die Kranken in ihrer Heimathsluft behandeln.
v. Schrötter (Wien). In Heilstätten soll nicht nur das physikalisch-diätetische Regime durcli-
geführt, es soll jede wirklich nützliche Methode damit verbunden werden. Es wäre zweckmässig,
dass Koch ganz genaue Vorschriften bezüglich der Tuberkulinbehandlung angebe
und dass dieselben in den Heilstätten exakt nachgeprüft würden. Nur so wird man zu Resultaten
gelangen und sich verständigen können.
Dvorak (Prag). Tuberkulöse sollen in Hospitälern auf besondere Säle oder Pavillons gelegt
werden.
Jane Walker. Schwierigkeiten bei längerer Heilstättenbch&ndlung bereitet der durch körper¬
liche und geistige Trägheit hervorgerufene Zustand der Patienten.
Professor Janeway (New-Vork). Es fehlt in Amerika noch eine genügende Anzahl von
Volksheilstätten. Den Aerzten muss die Frühdiagnose geläufiger werden.
Sir Hermann Weber macht darauf aufmerksam, dass Uebergangsanstalten, welche zwischen
der Behandlung im Sanatorium und der gewöhnlichen Lebensweise eingeschaltet würden, von be¬
sonderem Nutzen seien.
Dr. Knopf. Das Sanatorium soll in der Heimathsgegend des Patienten gelegen sein. Der
Staat hat für die Errichtung von Sanatorien zu sorgen.
Dr. Snow (Bournenwuth). Wohlhabende, welche zu Hause die Kur durchführen wollen, sollen
zuerst für einen Monat in ein Sanatorium gehen, um sich dort an die Methode zu gewöhnen.
Dr. Rosenthal (Kopenhagen). Bei der grossen Zahl von Tuberkulösen ist es unmöglich,
alle in Spezialanstalten zu behandeln; dieselben sind auch in Hospitäler aufzunehmen.
Dr. Burton-Fanning (Norwich) theilt die von ihm bei der Anstaltsbchandlung erzielten
Resultate mit.
Wolf Becher (Berlin). Nicht alle Schwindsüchtigen können in Heilstätten aufgenommen werden.
Als Nothbehclf und besonders für Rekonvaleszenten sind »Erholungsstätten* zu empfehlen.
ßrainc-Hartnell (Stroud). Es kommt nicht darauf an, ob nach Hebungen die Temperatur
der Kranken erhöht ist, sondern darauf, wie lange eine solche Temperaturerhöhung anhält.
Parsons (Dublin) bezweifelt den Nutzen der Sanatorien für die Armen.
Sir Hermann Weber regt die Gründung von Kinderheilstätten an der Seeküste
an, nicht nur zum Zwecke, die nachgenannten Krankheiten dort zu heilen, sondern, um einer
späteren Tuberkulose vorzubeugen.
Indikationen für die Aufnahme Lungenschwindsüchtiger in solche Anstalten geben: All¬
gemeine Schwäche; verzögerte Rekonvalescenz, besonders nach akuten Krankheiten: Anämie,
Khachitis; skrophulöse Drüsenschwellungen, tuberkulöse Knochen- und Gelcnkerkrankungen;
adenoide Hals- und Nasenaffektionen; skrophulöse Augen- und Hautkrankheiten.
Als Beispiel in dieser Beziehung ist die französische Bewegung zu nennen.
Ilerlin, Druck von W. Büxenstein.
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Original frorri
UNIVERSITY OF MICHIGAN
ZEITSCHRIFT
für
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1901/1902. Band V. Heft 5.
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. r. Leyden und Prof. Dr. A. Goldscheider.
Verlag von Georg Thleme in Leipzig.
INHALT.
Original - Arbeiten. seit©
I. Zur Behandlung des nervösen Hustens mittelst bahnender und hemmender Uehungstherapie.
Aus der I. deutschen medicinischen Klinik des Hofrath Prof. Pfibram in Prag.
Von M. U. Dr. Rudolf Funke, em. erster Assistent der Klinik.363
II. Die Thermometrie am Krankenbette. Historische Aufzeichnungen von Dr. C. E. Daniels,
Amsterdam. Mit 4 Abbildungen.388
UI. Tuberkulose und Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. Von Dr.
E. Achert in Bad Nauheim.404
Referate über Bücher und Aufsätze.
Gevaerts, Diete saus phosphore.413
(Dimault, Traitement de la tubereulose par la viande crue et par les injections intra¬
tracheales d’orthoforme.413
Jaquet, Zur Frage der sogenannten Verlangsamung des Stoffwechsels bei Fettsucht ... 413
Gregor, Ueber die Verwendung des Leims in der Säuglingsernährung.-414
Keller, Malzsuppe in der Praxis.415
Förster, Alkohol und Kinderheilkunde.415
Menzer, Ein Stoffwechselversucli über die Ausnutzung des Fersans durch den menschlichen
Organismus.415
Bend ix und Finkeistein, Ein Apparat für Stoff wechseluntcrsuehungen am Säugling . . 416
Vetlesen, Om extrabuccal og specielt rektal emaering.416
Strebei, Die Fettleibigkeit und ihre Behandlung.416
Kassowitz, Wirkt Alkohol nährend oder toxisch?.419
Heichcl, Inwieweit ist die diätetische Behandlung der Nephritis begründet? . . . 421
Jaquet, Recherches sur Paction physiologique du climat d’altitude .... . . . . 4*21
ßabajew, Die Baineoelektrotherapie der Herzkrankheiten.422
Stange, Ueber die Behandlung der Typhuskranken mit kalten Bädern.423
Kosin, Ueber einige poliklinisch häufige Krankheitsformen und ihre hydriatische Behandlung 424
Edel, Ueber den Einfluss des künstlichen Schwitzens auf die Magensaftsekretion .... 425
Kretin, Kinesiterapia. Tratamiento mecänico de la coqueluche.425
Heitzmann, Ueber die manuelle Behandlung der Frauenkrankheiten.425
Loveland, Rheumatic gout.426
Gcrbsmann, Die Massage bei der Enuresis nocturna.426
El sehnig, Die Massage in der Augenheilkunde.427
Möhlau, Die rationelle Behandlung der chronischen Gonorrhoe durch Massage.428
Paravicini, Selbstmassage und Gymnastik im lauen Bade.428
Lovett, The mechanies of latual curvature of the spinc.429
Engel, Zur Behandlung der Pocken mit rothem Lieht nebst einigen Bemerkungen über for-
ziertc Vaccination.129
Zritschr. f. diilt. u. physik. Therapie. IUI. V. Ilofi r>.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
302
Inhalt.
Seiu*
Leredde, La photothörapie et ses applications ä la thörapeutique des affections cutanees . 429
Görl, Zur Lichtbehandlung mit ultravioletten Strahlen.429
Stapleton, A criticism on the light treatment of lupus..429
Morris und Dore, Remarks on Finsen’s light treatment of lupus and rodent ulcer . . . 4*29
Sequiera, A preliminary communication on the treatment of rodent ulcer by the x rays . 429
Frankenhäuscr, Die Elektrochemie als medicinische Wissenschaft.421
König, Neuere Forschungen über die Beziehungen zwischen Elektrizität und Materie ... 431
Bern heim, Behandlung von Aneurysmen mit Elektrolyse durch eingeführten Draht . . . 432
Sträter, Welche Rolle spielen die Röhren bei der therapeutischen Anwendung der Röntgen¬
strahlen ?.433
Eulenburg, Ueber einige physiologische und therapeutische Wirkungen der Anwendung
hochgespannter Wechselströme (Arsonvalisation).433
Guimbail, La thörapeutique par les agents physiques .434
Hellmer, Heliotherapie. 43 T»
Du Pasquier und Löri, Injcctions intra- et extra-durales de cocaine ä dose minime dans
le traitement de la sciatique.4.%
Königshöfer, Die Prophylaxe in der Augenheilkunde. 437
Martius, Allgemeine Prophylaxe.438
Schneider, Die Bakterienfurcht.439
Dresdner, Aerztliche Verordnungsweise für Krankenkassen und Privatpraxis nebst Rezept¬
sammlung .439
Zabludowski, Ueber Schreiber- und Pianistenkrampf. 440
Kleinere Mittheilungren.
Bericht über die Verwendung des Eiweissnährmittels »Roborat« in der Praxis. Von
Dr. Hermann Schlesinger in Frankfurt a. M.441
Berichte über Kongresse und Vereine.
I. Zur Frage der Beziehungen zwischen Menschen- und Rindortuberkulosc. Referat auf
Grund der Verhandlungen des britischen Tuberkulosekongresses (1901. 2L\—20 . Juli»
zusammengestellt von Dr. Julian Marcuse (Mannheim).444
II. 14. internationaler Kongress zu Madrid 1902 . 448
Jährlich erscheinen 8 Hefte (ä 5^2 Bogen) in regelmässigen 6 wöchentlichen Zwischen¬
räumen zum Preise von 12 Mark p. a.
Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen.
Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen.
Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern
von Original-Arbeiten gratis geliefert.
Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler-
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Courbiörestrasse 9a oder an
Herrn Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten.
Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung einges&ndt werden.
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Original - Arbeiten
I.
Zur Behandlung des nervösen Hustens mittelst bahnender
und hemmender Uebungstherapie.
Aus der I. deutschen medicinischen Klinik des Hofrath Prof. Pfibram in Prag.
Von
H. U. Dr. Rudolf Funke,
ein. erster Assistent der Klinik.
Unter jenen nervösen Symptomen, welche durch lange Dauer und in vielen
Füllen durch die Schwierigkeit, dieses lästige Symptom zu beseitigen, ohne eine
ernste Störung des körperlichen Wohlbefindens herbeizuführen, den Charakter eines
bedeutungsvollen Leidens annehmen, steht der »nervöse Husten« obenan. Lasegue 1 ),
welcher als Erster den von Sydenham bereits früher scharf präzisierten hysterischen
Husten ausführlich beschrieb und über zehn theils selbst, theils von anderen Autoren
beobachtete Fälle berichtete, kam zu folgenden Schlüssen: »La toux hyst^rique est
une affection de longue duree, inattaquable jusqu’a präsent, presque sans exception,
par les remedes, que nous empruntons ä la matiöre mfalicale; curable le plus
souvent par le changement de lieu; susceptible de gu6rir spontanement; sans gravitf;
reelle et qui n’entraine ä sa suite aucun des accidents, qu’ä d6faut d’exp^rience
directe le raisonnement donnerait ä craindre.«
Aus der grossen Zahl der Heilmittel, welche seit der genaueren Kenntniss dieses
Zustandes zumeist vergeblich angewendet wurden, ergiebt sich zur Genüge die grosse
Schwierigkeit, welche der Beseitigung desselben mitunter gegenübersteht, die ja wohl
am besten dadurch illustriert wird, dass ausschliesslich wegen nervösen Hustens
mehrfach schwere Operationen ausgeführt wurden, die sogar den Tod der unglück¬
lichen Kranken zur Folge hatten. Wenngleich dieser letztere Standpunkt gegenwärtig
glücklicherweise als überwunden betrachtet werden kann, so ergiebt andererseits die
tägliche Erfahrung einer Klinik, dass speziell der im praktischen Leben stehende
Arzt diesem Zustande vielfach machtlos gegenübersteht.
Es soll deshalb an der Hand einer Anzahl selbst beobachteter und erfolgreich
behandelter Fälle jene einfache auf Uebungstherapie beruhende Methodik erörtert
werden, welche sich auch hierbei nicht nur als eine symptomatische, sondern als
eine ätiologische erwiesen hat. Die »bahnende und hemmende Uebungs¬
therapie c — ein Ausdruck, welchen der Autor 2 ) vor mehreren Jahren anlässlich der
Beschreibung der Behandlung der Abasie-Astasie an dieser Stelle gebraucht hat und
der seither mehrfach, z. B. von Jacob, Siegfried in Anwendung gezogen wurde —
hat sich erfahrengsgemäss bei der Behandlung verschiedenartigster Krampfformen als
M Lasegue, De la toux hysterique. Archives generales de medicine 18f>4. Mai. 8. 513—ß:il.
- , ) K. Funke, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie ItstW. Bd. 2. lieft:’».
2 .")*
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Original fro-m
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Rudolf Funke
364
vortheilhaft und zuverlässig erwiesen, wenngleich die Verwendung der Uebungs-
therapie, worauf übrigens unter anderen auch Oppenheim hingewiesen hat, gerade
bei diesen Erkrankungen noch viel zu wenig Anwendung gefunden hat. Bei der
Bekämpfung des nervösen Hustens stellt sich die bahnende und hemmende Uebungs-
therapie zumeist als Athemgymnastik dar, welche durch mehrfache, thatsächlich
dem Ermessen des jeweilig behandelnden Arztes angepasste Handgriffe unterstützt
wird, von welch’ letzteren viele nur der Ablenkung der Aufmerksamkeit des Pa¬
tienten dienen.
Bevor an der Hand der behandelten Fälle zur Besprechung der Therapie über¬
gegangen werden soll, mögen einige kurze Bemerkungen über das Wesen des nervösen
Hustens vorausgeschickt werden.
Als nervöser Husten wird nach M. Schmidt 1 ) jener verstanden, welcher nicht
durch physikalisch erkennbare Veränderungen in den Respirationsorganen verursacht
wird. Die Ursache verlegt Gottstein*) in eine gesteigerte Reflexerregbarkeit oder
eine andere Erkrankung des Zentralnervensystems, unter denen die Hysterie obenan
steht. Das Zustandekommen des nervösen Hustens erfolgt der Meinung Schröt-
ter’s 3 ) zufolge entweder durch reflektorische Reizung von der Peripherie her, sei es
auf den normalen Bahnen des Nervus laryngeus oder auf anormalen Bahnen, oder
durch eine erhöhte Erregbarkeit des zentralen Nervensystems. Vom nervösen Husten
den hysterischen Husten als eine ganz besondere Art abzutrennen, wie dies allerdings
ziemlich vereinzelt Tob old 1 ) that, liegt keinerlei Grund vor, und gerade vom Stand¬
punkte einer möglichst einheitlichen Therapie erscheint bei voller Würdigung der
Wichtigkeit und Bedeutung der ursächlichen Momente für das therapeutische Handeln,
eine einheitliche symptomatische Auffassung vortheilhaft. Von diesem Gesichts¬
punkte wird auch entgegen dem Vorschläge von Jurasz A ) der »nervöse Kehlkopf-
husten« nicht als eine besondere Spezies abgetrennt, als welchen derselbe jenen be¬
zeichnet wissen will, der infolge gewisser nervöser Kehlkopfstörungen eine akustische
Eigentümlichkeit gewinnt, die sich durch einen »tiefen, hohlen, manchmal metal¬
lischen, bellenden oder heulenden Klang« auszeichnet und dem Crouphusten sehr
ähnlich ist.
Gleich an dieser Stelle sei auf die Wichtigkeit der richtigen Diagnosen-
stcllung hingewiesen, sollen Misserfolge und Enttäuschungen vermieden werden.
Ohne auf die Symptomatologie des nervösen Hustens hier näher eingehen zu
wollen, sei hervorgehoben, dass derselbe bekanntlich vorwaltend durch den negativen
Befund an den Respirationsorganen, das Fehlen jeglichen Auswurfes, die Art der
Entstehung, die Klangfarbe des Hustens, angeblich auch durch das Sistieren desselben
im Schlafe, sowie eventuell durch die Kombination mit anderen nervösen Symptomen
charakterisiert ist, wenngleich derselbe in der Mehrzahl der Fälle monosymptomatisch
zur Beobachtung gelangt. Der Charakter des Hustens kann ein verschiedener sein,
indem er entweder anfallsweise als Hustenkrampf oder als kontinuierlicher
rhythmischer Husten in Erscheinung tritt. Genau abgegrenzt werden muss der
nervöse Husten zunächst gegenüber jenen ähnlich klingenden Formen, welche auf
katarrhalischer Basis beruhen und thatsächlich mit Auswurf einhergehen, der seitens
r ) Moritz Schmidt, Die Krankheiten der oberen Luftwege. Berlin 1804.
-) Gottstein, Die Krankheiten des Kehlkopfes. 1891k
•'b Schrottet*, Vorlesungen über die Krankheiten des Kehlkopfes. 189‘J.
') Tobold. Laryngoskopie und Kehlkopfkrankheiten. 1874.
fl ) Jurasz, Die Krankheiten der oberen Luftwege. 1801.
Original fro-m
UNIVERSITf OF MICHIGAN
Zur Behandlung dos nervösen Hustens. 365
des Patienten entweder nicht beachtet oder zum mindesten nicht aus dem Munde
herausbefördert wird. Eine Verwechslung kann weiterhin durch Keuchhusten in
seinem Beginne gegeben werden. Wenngleich besonders im letzteren Falle durch
eine entsprechende Athemgymnastik auch eine günstige Beeinflussung des Zustandes
erfolgen kann, so ist mit Rücksicht auf das zu Grunde liegende Leiden ein ähnlich
rascher Erfolg wie beim nervösen Husten natürlich geradezu ausgeschlossen.
Eine Differenzierung des Hustens, welche vom Standpunkte der Therapie noth-
wendig erscheint, ist die, ob es sich um einen von irgend einer Körperstelle aus¬
gelösten Reflexhusten oder um einen zentralen Husten handelt.
In allen Fällen von Reflexhusten, gleichviel von welcher Körperstelle derselbe
ausgelöst wird, ist eine gesteigerte Erregbarkeit des Nervensystems vorhanden, die
durch verschiedene pathologische Zustände, durch mangelhafte Ernährung, Erschöpfung
und vor allem durch Hysterie und Neurasthenie bedingt sein kann. Ausserdem muss
sich hierzu gleichzeitig eine gesteigerte Erregbarkeit des Hustenzentrums bezw. der
Hustenreflexbahnen gesellen ’). Die Regionen, von denen der Reflexhusten, abgesehen
von den oberen Luftwegen, ausgelöst werden kann, sind bekanntermaassen die mannig¬
faltigsten, so z. B. die Sinnesorgane, die äussere Haut, die Leber, Gallenblase und
Milz, die Magen- und Darmschleimhaut, die Blase und die Genitalien.
Von welch geringer Intensität jedoch die peripheren Reize sein können, beweist
ein von Ebstein*) beschriebener Fall, wo bei einer hysterischen Dame die leiseste
Berührung des Körpers, jedes Geräusch, das Klappern der Messer und Gabeln beim
Essen, ja die in der Ferne hörbaren Schritte des von einem Spaziergange heim¬
kehrenden Vaters genügten, um die denkbar heftigsten Hustenanfälle auszulösen.
Handelt es sich um einen zentralen Husten, so giebt hierfür stets eine vor¬
handene Neurose die Ursache ab. Ein zentraler Husten als Herderscheinung, bedingt
durch eine organische Hirnerkrankung, ist bisher noch nicht mit Sicherheit nach¬
gewiesen. Als ursächliche Momente kommen zunächst vorausgegangene tiefe seelische
Erschütterungen oder Aufregungen in Betracht, deren Nachweis für die Diagnosen¬
stellung von grosser Bedeutung ist.
Bei dieser Gelegenheit sei noch ganz ausdrücklich auf den speziell bei Tabes
auftretenden Husten hingewiesen, von welchem später noch die Rede sein soll.
Hierbei handelt es sich um neuritische Prozesse; überdies kann der hierdurch hervor¬
gerufene Husten durch eine gleichzeitig vorhandene Neurose wesentlich verstärkt
werden.
Die Entscheidung, ob es sich um einen Reflexhusten oder um einen
zentral ausgelösten Husten handelt, ist nicht immer eine leichte, und
doch muss vor Einleitung der Therapie diese Frage völlig geklärt sein.
»Man muss suchen«, sagt M. Schmidt, und zwar zunächst mit der genauen
Untersuchung der Luftwege beginnen und alle Möglichkeiten ins Auge fassen.
Ein Beispiel, wie schwierig es ist, die Entscheidung zu treffen, beweist folgender
l all, der in seinem späteren Stadium zur Beobachtung kam.
M Nur bei dem durch direkte Bcthciligung des Vagusstammes oder seiner Acste verursachten
nervösen Husten ist eine besondere ncurasthenische Disposition nicht erforderlich. Hierbei sei be¬
merkt, dass beim Fehlen derselben stets darauf zu achten ist, ob nicht einer jener Fälle vorlicgt,
wo es sich um periphere Neuritiden handelt, welche entweder idiopathisch oder von den benach¬
barten Organen aus, durch Lymphdriisen, Aortenaneurysma oder maligue Tumoren» bedingt sind.
2 ) Ebstein, Ueber den Husten. Leipzig 1876.
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366
Rudolf Funke
Beobachtung I. Bei einer über 60 Jahre alten Dame hatte sich, ohne dass jemals
Zeichen einer höhergradigen Nervosität vorausgegangen wären, ein heftiger, auch nachts
nicht cessierender Husten ohne bekannte Ursache eingestellt. Alles schien darauf hinzu¬
deuten, dass der Husten ein reflektorisch ausgelöster sei, und erfahrene Laryngologen be¬
mühten sich ganz vergebens, die zunächst im Kehlkopfe vermuthcte Ursache zu ergründen.
Ausser einer mittelgradigen Röthung der Kehlkopfschleimhaut, wie eine solche ja auch bei
nervösem Husten zur Beobachtung gelangt, konnte im Larynx absolut nichts eruiert werden,
trotzdem die Patientin jederzeit behauptete, dass der Sitz des Reizes im Kehlkopfe gelegen
sein müsse. Alle dagegen angewendeten Mittel, Inhalationen, lokale und interne Mittel, er¬
wiesen sich als gänzlich unwirksam, infolge dessen erst recht auf einen nicht zu beein¬
flussenden nervösen Husten geschlossen wurde. Nachdem die Patientien schliesslich die
Hoffnung gänzlich aufgegeben hatte, von diesem Husten jemals noch befreit zu werden,
verspürte sie einmal plötzlich nach einem heftigen Hustenreize, dass sich an einer angeblich
unterhalb der Stimmbänder gelegenen Stelle, welche stets Sitz des Reizes war, etwas ge¬
ändert habe, das ihr grosse Erleichterung brachte; mit dem nächsten Hustenstosse hustete
sie eine gequollene Htilsenfrucht aus, womit der kontinuierliche Hustenreiz wesentlich ge¬
bessert war. Wenngleich der Husten seinen quälenden Charakter verloren hatte, sistierte
derselbe doch keineswegs. Wegen dieses, wenn auch in weit milderer Form fort¬
bestehenden Hustenkrampfes hatte ich Gelegenheit die Patientin zu sehen, die, trotzdem
etwa V 4 Jahr seit dem Aushusten des Fremdkörpers vergangen war, doch noch eine deutliche
Röthung der Larynxschleimhaut und eine sehr starke Hyperästhesie derselben darbot. Der
vom Lande behufs Untersuchung zugereisten Patientin, bei der eine längere Beobachtung
unmöglich war, wurde nebst systematischen Athemübungen wegen der katarrhalischen Er¬
scheinungen eine Kur in Reichenhall angerathen. Noch vor Antritt derselben berichtete
Patientin über eine wesentliche Besserung.
Beobachtung II. Ein anderer Fall, welcher eine 28jährige Dame betrifft, beleuchtet
gleichfalls die Schwierigkeiten, welche sich der Diagnose des reflektorischen oder zentralen
Hustens entgegenstellen.
Die betreffende Patientin, eine kräftige Frau mit vollkommen gesunden inneren Organen
war nach tiberstandener Influenza durch längere Zeit mit Kehlkopf- und Nasenkatarrhen
behaftet. Diese Erkrankung datierte etwa drei Jahre zurück. Zu Weihnachten des Jahre-
1900 begann ein sehr heftiger, anfallsweise auftretender Husten, der einem Keuchhusten
ähnelte und in ungeschwächter Intensität bis Mitte Juni 1901 anhielt. Ausgelöst wurden
diese Anfälle durch Sprechen und Lachen und traten zumeist bei Tage auf; nächtliche
Anfälle von gleicher Heftigkeit wurden aber auch berichtet.
Die lokale Untersuchung ergab im Kehlkopfe keinerlei charakteristische Veränderungen,
während in der Nase rechterseits eine diffuse katarrhalische Schwellung der Nasenschleim¬
haut und links eine cirkumscripte Anschwellung des hinteren unteren Muschelendes nach¬
gewiesen werden konnte. Bei der Untersuchung mit der Sonde zeigte es sich, dass mit
dem Emporheben des hinteren Endes sofort die Athmung leichter wurde. Hierbei trat der
Husten nicht konstant auf, so dass auch seitens eines erfahrenen Rhinologen nicht ent¬
schieden werden konnte, ob der Husten von hier aus reflektorisch ausgelöst werde.
Die neurologische Untersuchung ergab hochgradig gesteigerte nervöse Erregbarkeit,
ebenso berichtete nachher die sehr intelligente Patientin über »hypnotische Anfälle«, welche
sie des öfteren bekommt, während deren wohl das Bewusstsein völlig klar bleibt, die freie
Motilität jedoch gänzlich aufgehoben erscheint. Hierdurch war die schon ohnehin zweifel¬
hafte Diagnose des reflektorischen Hustens noch unwahrscheinlicher geworden und konnte
wohl mit ziemlicher Sicherheit gänzlich fallen gelassen werden, als es möglich wurde, einen
Blick in das Seelenleben dieser jungen Frau zu thun. Verheirathet mit einem älteren Herrn,
welcher dem vor der Verehelichung im 17. Lebensjahre stehenden Mädchen das Versprechen
abgenommen hatte, nie Kindersegen zu erwünschen, war die Frau durch seelische Er¬
regungen und durch Coitus interruptus, durch welchen sie sich erniedrigt fühlte, allmählich
in einen solchen nervösen Zustand gerathen. Nachdem die Patientin alF dieses berichtet,
fügte sie weiter hinzu, dass die heftigsten Ilustenkrämpfe nach dem Coitus, mitunter auch
schon vorher auftreten. Hierbei erwähnte Patientin, dass diese Anfälle von solcher Inten¬
sität seien, dass ein Unterdrücken derselben einfach unmöglich erscheine.
Original fro-m
UNIVERSITf OF MICHIGAN
Zur Behandlung des nervösen Hustens. 307
Dieses Beispiel möge beleuchten, wie wichtig es ist, in jedem Falle, der ver¬
möge der subjektiven Klagen, sowie auch des objektiven Befundes als reflektorisch
ausgelöster Husten aufzufassen wäre, dem psychischen Momente nachzugehen, welches
allein zur klaren und richtigen Auffassung führen kann, lieber die Behandlung
dieses Falles wird später noch kurz berichtet werden, hier sei nur hinzugefügt, dass
derselbe auch in der Hinsicht lehrreich war, weil er die Möglichkeit bot, die Wirkung
eines chirurgischen Eingriffes in der Nase und einer gleichzeitig durchgeführten
psychotherapeutischen Beeinflussung nebst entsprechender Atemgymnastik zu erproben.
Bevor zur Besprechung der behandelten Fälle übergegangen wird, mögen die
bereits erwähnten zuerst von Feröol beschriebenen Crises laryngees oder bronchiques
bei Tabes noch Erwähnung finden, da dieselben, sobald sie in Form plötzlicher
Mustenanfälle mit Dyspnoe und Laryngospasmus auftreten, zur Verwechslung mit
nervösem Husten Veranlassung geben können zu einer Zeit, wo die eigentliche
Diagnose vielleicht noch nicht feststeht, wenngleich die Intensität dieser Anfälle den
rein nervösen Charakter von vorneherein sehr unwahrscheinlich macht. Die bisher
hierbei bekannten anatomischen Befunde stellen sich als Degeneration der sogenannten
aufsteigenden Trigeminuswurzel, der Glossopharyngeuswurzel, der peripherischen
Nervenfasern des Vagus, bezw. des Recurrens vagi dar. Diese Veränderungen, gleich¬
wie die schon vorerwähnten Neuritiden, die durch Lymphdrüsen, Anburysmen, Tu¬
moren etc. im Thoraxraume verursacht werden, bieten eine hinreichende Erklärung
für das Zustandekommen des Krampfhustens dar. Wenn dieselben somit auch auf
diese Weise verursacht werden, so können sie doch sicherlich eine Verstärkung und
Verschlimmerung durch eine mit der Tabes kombinierte Neurose erfahren. Hierfür
spricht auch die Beobachtung Oppenheim’s, die darin bestand, dass es durch
Druck auf eine neben dem Kehlkopfe in der Höhe des Ringknorpels gelegene Stelle,
welche sich zuweilen auch durch Schmerzhaftigkeit auszeichnet, gelingt, Anfälle
hervorzurufen, v. Leyden bemerkt, dass auch bei gesunden, namentlich aber bei
nervösen, empfindlichen Personen der Druck auf diese Stelle unangenehm empfunden
wird, gleichwie auch Schluckbewegungen zuweilen von dieser Stelle her ausgelöst
werden können. Es scheinen somit einige reflektorische Beziehungen zum Larynx
und Pharynx zu bestehen. In gleicher Weise können nach Charcot durch die Be¬
rührung der Schleimhaut und andere die Schleimhaut treffende Reize ebenfalls Kehl¬
kopfkrisen ausgelöst werden.
Ich habe bei einer grösseren Anzahl von Menschen, theils bei Gesunden,
theils bei Kranken die Wirkung des Druckes auf diese Stelle geprüft; bei einer
Minderzahl fehlte jegliche Wirkung, und zwar war dies der Fall bei sehr kräftigen,
robusten Menschen und bei Hysterischen, bei denen auch der Pharynxreflex erloschen
war. Bei der Mehrzahl der daraufhin Untersuchten traten ziemlich prompt Schluck¬
bewegungen ein, die mit kurzem Hüsteln vergesellschaftet waren. Nur bei einer
kleinen Minderzahl und dies bei auch sonst nervös sehr leicht erregbaren Personen
war stärkerer Husten und Schlucken die Folge, was aber in gleicher Weise durch
Berührung der Rachenschleimhaut mit der Sonde ausgelöst werden konnte.
Bemerkt sei das Ergebnis dieser Prüfung bei zwei Tabikern, die beide im
Initialstadium sich befanden.
Beobachtung III. Der eine Fall, ein 33jähriger Beamter, bot von den subjektiven
Symptomen bloss Parästhesien und lancinierende Schmerzen dar, nebst bereits früher vor¬
handenen, nunmehr gesteigerten neurasthenischen Beschwerden. Druck auf die obbczeich-
nete Stelle am Kehlkopf löste einen Hustenanfall von geringer Intensität, aber hochgradiger,
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
368
Rudolf Funke
mit Cyanose verbundener Dyspnoe aus mit frequenten Athmungen, die von keuchenden In¬
spirationen unterbrochen waren. Der Anfall währte etwa zwei Minuten. Zur Beruhigung
des Patienten, welcher durch dieses Symptom ganz konsterniert war, wurde die betreffende
Stelle sofort möglichst stark faradisiert und regelmässige Athemübungcn angeschlossen, wo¬
durch es gelang, dieses Symptom auch für die Zukunft völlig zu koupieren. Die Pharynx¬
schleimhaut war auch in diesem Falle sehr stark überempfindlich.
Beobachtung IV. Der zweite Fall betrifft einen 42jährigen, bereits vorher sehr
nervösen Privatdiener, der neben den typischen Tabessymptomen Hemiatrophie der Zunge
zeigte nebst Anorexie tabdtique mit besonderer Abneigung gegen Fleisch, dessen Geruch
allein schon Uebelbefinden des Patienten herbeiführte. Ausserdem traten sehr heftige
gastralgische Anfälle mit krampfartigen Schmerzen in der Magengegend auf, zunäch-t
jedoch ohne Erbrechen. Druck auf die oft erwähnte Stelle am Kehlkopfe erzeugte einen
kurzdauernden Hustenanfall, der aber sofort von einem sehr heftigen Erbrechen gefolgt
war. Dasselbe trat nachher bei jeder, auch der geringfügigsten Veranlassung auf und be¬
wirkte infolge seiner Intensität eine rapide Abmagerung des Patienten In besonders
intensiver Weise stellte sich nachher während der Krisen Erbrechen mit sehr heftigem
Tenesmus ein. Da gerade das Symptom des Erbrechens durch eine äussere Veranlassung
ausgelöst worden war, wurde der Versuch gemacht, desselben durch die sonst bei nervösem
Erbrechen geübten Manipulationen Herr zu werden. Besonders systematische tiefe Atliein-
übungen mit gleichzeitigem intensiven Drucke auf die Bauchaorta führten zur Behebung
dieses Symptomes, welches auch bei den darauffolgenden gastrischen Krisen nicht oder nur
in viel geringerem Grade auftrat.
Diese gelegentlichen Beobachtungen verdienen insofern Aufmerksamkeit, als
sie die in den letzten Jahren vielfach bestätigte Thatsache bekräftigen, dass es mög¬
lich ist, auch Krampferscheinungen, die offenbar durch anatomische Prozesse hervor¬
gerufen werden, durch einen besonders starken, gegentheiligen Willensimpuls, durch
Einschleifen der noch vorhandenen Hemmungsbahnen zu beheben. In jenen Fällen,
wo es sich bloss um anatomische Veränderungen als Ursache handelt, wird aus¬
schliesslich diese Auffassung möglich sein, während beim gleichzeitigen Vorhanden¬
sein einer Neurose an eine kombinierte Wirkung zu denken ist. Bei Kombination
von Tabes mit neurasthenischen Zuständen kann letzteren hinsichtlich der Krampf¬
anfälle sowohl ein den Krampf auslösender, wie auch ein den ausgelösten Krampf
steigernder Einfluss zugeschrieben werden.
Bekanntlich erblickten Charcot und Krishaber die Ursache des Krampfes
in Hyperästhesie der Kehlkopfschleimhaut, welche sowohl durch die Tabes allein be¬
dingt sein kann, als auch auf Rechnung der die Tabes begleitenden Neurose gesetzt
werden kann, im zweiten Falle wäre somit letztere als auslösendes Moment zu
betrachten, indem die vorhandene Hyperästhesie entweder auf dem Wege der durch
neuritische Prozesse irritableren Reflexbahnen, oder durch krankhafte Ausschaltung
der reflexhemmenden Fasern zur Entstehung des Krampfes Veranlassung giebt.
Ebenso wie hinsichtlich der auslösenden Wirkung kommt eine die Tabes be¬
gleitende Neurose auch hinsichtlich der Intensität der einmal ausgelösten Anfälle in
Betracht, indem selbst stetig sich vermindernde Reize den Krampfanfall bezüglich
der Dauer, wie auch hinsichtlich der Intensität der einzelnen Anfalle im Sinne der
Steigerung beeinflussen.
Von diesen Gesichtspunkten aus wird es sich empfehlen, sowohl die reflex¬
vermittelnden, als auch die rcflcxhcnuncndcn Fasern bei den tabetischen Larynx-
krisen durch eine bahnende und hemmende Uebungstherapie in Form der auch sonst
bei nervösem Husten geübten Maassnahmen zu beeinflussen, ebenso wie Frenkcl') die
M II. S. Frenkcl, Die Behandlung der tabischcn Ataxie mit Hilfe der Uebillig. Leipzig l'JUO.
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Zur Behandlung des nervösen Hustens
Vornahme systematischer Athem-, Sprech- und Singübungen anräth, um motorische
Störungen der Kehlkopfmuskulatur zu beheben, wenngleich bei der Unklarheit der
Symptomatologie der tabetischen Kehlkopfstörungen eine nähere Präzision der
Therapie vorläufig noch nicht möglich ist.
Es möge nun die Beschreibung der Fälle von nervösem Husten folgen, deren
Darstellung mitunter, grösserer Deutlichkeit wegen, etwas breiter gehalten werden
musste.
Zunächst folgen die Fälle, wo der Husten als reflektorischer anzusehen ist,
denen sich dann die Formen des zentralen Hustens anschliessen.
Beobachtung V. Ein 31 jähriger Mann, ursprünglich Berufsoffizier, welcher nach
seinem Ausscheiden aus dem aktiven Heere sehr intensiven Studien oblag, hierbei aber die
freien Stunden des Tages zu ebenso intensivem Amüsement benützte und Exzesse in venerc
ct baccho häufte, bot das typische Bild eines sexuellen Neurasthenikers mit hochgradigst
gesteigerter nervöser Erregbarkeit dar. Von solchen Erscheinungen sei das Auftreten von
Diarrhöe erwähnt, sobald beim Liegen im Bette die Ftisse für kürzere Zeit von der Bett¬
decke entblösst wurden und ein wenig auskühlten. Durch entsprechende Vorrichtungen am
Bette, welche es dem sehr unruhig schlafenden Patienten fast unmöglich machten, die Füsse
zu lüften, und durch bestimmte verbalsuggestive Beeinflussung bei entsprechender Allgemein¬
behandlung gelang es, dieses quälenden Symptomes Herr zu werden. Nachdem dasselbe
behoben war, trat nach einigen ernsten Zwischenfällen im Leben dieses der Kategorie der
beati possidentes ungehörigen Mannes, welche demselben, wenn auch nur vorübergehend,
die Nothwendigkeit ernster Arbeit auferlegten, eine neuerliche Steigerung der nervösen
Irritabilität auf, die sich zunächst in Schlaflosigkeit äusserte. Plötzlich stellte sich ein
neues Symptom ein; sowie nämlich beim Zähneputzen einige Tropfen des Spülwassers die
Brusthaut benetzten, trat ein dem Krouphusten ähnlicher heftiger Hustenanfall auf, welcher
sich zu solcher Intensität steigerte, dass er eine Stunde und länger anhielt. Erst allmäh¬
lich legte sich der Krampfhusten, der trotz seiner Intensität das Allgemeinbefinden dieses
Patienten nicht im geringsten beeinträchtigte.
Die Untersuchung des Rachens, der Nase und des Kehlkopfes ergab im anfallsfreien
Stadium normale Verhältnisse, nur nach dem Anfalle erschien der Larynx byperämisch.
Nachdem dieser Zustand mehrere Tage gedauert und sich ganz regelmässig wieder¬
holt hatte, wurde zunächst zur innerlichen Darreichung von Brompräparaten geschritten,
doch weder diese noch sonstige Maassnahmen vermochten dem Krampfanfalle zu steuern.
Im weiteren Verlaufe wurden mehrfache Versuche unternommen, die auslösende Stelle, die
Brusthaut, unempfindlicher zu gestalten, was zunächst durch vorherige kalte Waschungen
angestrebt wurde, natürlich ohne nachheriges Abtrocknen; allein alle Versuche führten nicht
einmal zu einer merklichen Besserung. Der Patient, welcher kein sehnlicheres Bestreben
hatte, als von diesen lästigen, allmorgendlich auftretenden Anfällen befreit zu werden,
suchte durch die Erlaubniss, beim Zähneputzen einen wasserundurchlässigen Stoff über die
Brusthaut binden zu dürfen, von dieser Plage, analog den oben erwähnten Darmerscheinungen,
mühelos befreit zu werden, welchem Anstichen ärztlicherseits ein strenges Veto entgegen¬
gesetzt wurde, um zu verhindern, dass diese bequeme Art der Befreiung bezw.Verhütung
lästiger nervöser Zustände zur Quelle stets sich erneuernder und sich vervielfältigender
Beschwerden werde. Auch der weitere Vorschlag des Patienten, sich die Zähne erst nach
vollendetem Ankleiden zu reinigen, wurde aus dem gleichen Grunde a limine abgewiesen.
Dies erschien um so gebotener, als sich die Nothwendigkeit ergab, nicht bloss symptomatisch,
sondern, soweit es möglich war, ätiologisch diesen Krampf husten zu beeinflussen, da schliess¬
lich nicht mehr das thatsächliche Benetzen der Brust mit Spülflüssigkeit die Anfälle aus¬
löste, sondern, wie von der Umgebung versichert wurde, einzig und allein die Manipulation
des Zähneputzens, selbst wenn zunächst jede mechanische Reizung der Pharynxschleimhaut
durch Berührung mit dem Zahnbtirstchen und jede Benetzung der Brusthaut vermieden
wurde. Dabei wurde zufolge Angabe der Frau des Patienten der Anfall durch heftiges
Pressen eingeleitet.
Nach mehrfachen anderweitigen und gänzlich fruchtlosen Versuchen wurde schliesslich
zu systematischen Athemübungen tlie Zuflucht genommen, welche der Patient im Momente
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Rudolf Funke
des Einsetzens des Anfalles trotz des interkurrenten Husteus vorzunehmen den Auftrag hatte.
Zum nicht geringen Staunen wurde jedoch gemeldet und seitens der Umgebung des Kranken
bestätigt, dass durch den Versuch des Einathmens trotz ernsten Vorsatzes des Patienten
selbst und trotz energischen Auftrages seitens der Frau, welche hierüber vorher orientiert
worden war, keine Besserung erzielt wurde, sondern dass sogar der Hustenanfall sich steigerte.
Diese unerwartete und direkt befremdliche Thatsache fand ihre Erklärung in der
selbst bei ruhiger Respiration krampfhaft erfolgenden ungenügenden Schltisselbeinathmung,
welche bei dem Versuche, den Krampfanfall zu imitieren und hierbei tief Athcni zu
schöpfen, sich zu krampfhafter Kontraktion der respiratorischen Auxiliarmuskeln steigerte.
Bei diesem Versuche fiel es auf, wie der Patient in der besten Absicht, dem Aufträge des
Arztes zu entsprechen, den Hustenanfall treffend imitierte und sich, so zu sagen, immer
stärker in den Anfall hineinhustete, wodurch der Beweis mit Wahrscheinlichkeit erbracht
worden war, dass es im Gegensätze zu früher nunmehr nicht einer reflektorischen Aus¬
lösung des Hustens, sondern weit eher einer autosuggestiven Auslösung bedürfe.
Nach Konstatierung des völlig unrichtigen Athmungstypus wurden behufs Ausschaltung
der störenden Schltisselbeinathmung entsprechende Uebungen des sogenannten vollen Athmens,
besonders der Exspiration vorgenommen, d. h. Uebungen der Brust- und Zwerchfellsathmung,
und der Patient angewiesen, in dieser Art beim Eintreten des Krampfes vorzugehen; über¬
dies wurde, theils zur Ablenkung der Aufmerksamkeit und zur Vermeidung störender
Muskelspannungen, theils in Berücksichtigung des guteu Erfolges des Naegeli’schen 1 ) Hand¬
griffes bei Keuchhusten und Krampfhusten, extreme Oeffnung des Mundes kombiniert mit
dem von Naegeli allerdings nicht vorgeschriebenen Hervorstrecken der Zunge angerathen,
wobei eine zweite Person den Unterkiefer nach unten und vorne zog. Der Erfolg war ein
überraschend guter, und schon nach einigen wenigen Tagen sistierten die Hustenanfälle
vollständig.
Um die Heilung zu befestigen, wurden auch nachher noch die Athemübungen in dieser
Art zwischen den einzelnen Phasen des Zähnereinigens fortgesetzt, was jedoch zu einem
ganz unerwarteten und unliebsamen Zwischenfall führte. Offenbar wurde durch das Herab¬
ziehen des Unterkiefers bei vorgestreckter Zunge ein zu starker Reiz gesetzt, und nach nun¬
mehriger Behebung des nervösen Hustenanfalles kam es während der Athemübungen zu
Erbrechen.
Höchst bestürzt berichtete der Patient, dass auch dieses Mittel zu einem gegenteiligen
Erfolge geführt habe. In diesem für Patient wie Arzt gleich kritischen Momente wurde
neuerdings die Vorzüglichkeit und absolut sichere Wirkung der Athemübungen autoritativ
betont und dieselben nur in der Modifikation angerathen, dass nunmehr im Gegensätze zu
früher, zur Vermeidung jedes Brechreizes, systematische Athemübungen bei fest geschlossenem
Munde verordnet wurden. Damit gelang es, auch diese accidentelle Erscheinung zu be¬
heben , und der Patient erschien nach kurzer Zeit von diesen lästigen Anfällen befreit.
Späteren schriftlichen Mittheilungen zufolge blieb der Patient auch fernerhin von ähnlichen
Zuständen verschont, nachdem derselbe sich überdies einer entsprechenden diätetischen Be¬
handlung bei gleichzeitiger Durchführung einer massigen Kaltwasserkur unterzogen hatte.
Handelte es sich im eben ausgeführten Falle um einen von der Haut ausgelösten
reflektorischen Hustenkrampf, so möge nunmehr eine Gruppe von Fällen zur Be¬
sprechung gelangen, bei denen die Ursache des Hustens in vorausgegangenen Er¬
krankungen und Anstrengungen des Stimmorganes selbst gelegen war, wovon übrigens
auch Beobachtung I ein Beispiel ist.
0. Rosenbach*) hat auf den Einfluss hingewiesen, welchen ein akuter Larynx-,
Pharynx-, oder Trachealkatarrh auf die Entstehung des nervösen Hustens hat, indem
er annimmt, dass nach dem Verschwinden der ursprünglich als Reiz oder reizver¬
stärkendes Moment wirkenden Schleimhautaffektion ein Zustand gesteigerter Reflex-
i) Otto Naegeli, Nervenleiden und Nervenschmerzen, ihre Behandlung und Heilung durch
Handgriffe. Jena 1899.
-) 0. Rosen buch, Uebcr nervösen Husten. Berliner klinische Wochenschrift 1 SST. No. 43.
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Zur Behandlung de» nervösen Hustens.
erregbarkeit zurückgeblieben sei, welcher den Mechanismus der Hustenbewegungen
schon bei verhältnissmässig geringen, bei unternormalen Reizen in Funktion treten lässt.
Wir haben uns von der Richtigkeit dieser Beobachtung mehrfach zu überzeugen
Gelegenheit gehabt und möchten ergänzend hinzufügen, dass hierzu besonders jene
Berufskategorien disponiert erscheinen, welche berufsmässigen Anstrengungen des
Stimmorganes ausgesetzt sind. Unter diesen scheinen es wieder solche zu sein,
welche ihrem Stimmorgan nicht die individuell nothwendige Schonung angedeihen
lassen können, wie z. B. die Choristen des Theaters, die naturgemäss die gemein¬
schaftlichen Gesangsübungen so lange fortsetzen müssen, bis die Gesammtleistung
des Chores eine entsprechende ist. Hierzu kommt noch als weiterer Umstand der,
dass die zumeist sehr nervösen jugendlichen Sängerinnen körperlich minder gut ent¬
wickelt und ernährt und vielfach anämisch sind, worunter die stimmliche Leistungs¬
fähigkeit naturgemäss sehr leidet.
Die Nothwendigkeit, bei den Mitgliedern der hiesigen Oper im einzelnen
P’alle zu entscheiden, ob die Möglichkeit zu singen vorliegt, ergab diesbezüglich ein
ziemlich reichhaltiges Beobachtungsmaterial. Das Vorkommen von Erkältungen bei
Bühnensängern gehört bekanntlich zu den häutigsten, alltäglichen Erscheinungen, da
jede Bühne zugig ist. Grosse Schwierigkeiten kann es unter diesen Umständen be¬
reiten zu entscheiden, welcher Art ein Krampfhusten angehört. Gewöhnlich wird
von den auf ihr Stimmorgan weniger Bedacht nehmenden Chorsängern (Beobachtungs¬
gruppe VI) ein leichter Katarrh der oberen Luftwege übersehen und weiter fort¬
gesungen, bis dieselben schliesslich nach einiger Zeit mit der Klage erscheinen, nur
mit Anstrengung singen zu können; die Stimme spreche wohl ganz gut an und klinge
in den verschiedenen Registern auch gut, nur bereite das Singen subjektive Schwierig¬
keit; die laryngoskopische Untersuchung ergab da in der Regel sehr wenig Positives.
Der Kehlkopf erscheint hinsichtlich seiner Motilität vollkommen normal, höchstens
nach dem Singen mässig hyperämisch, auch in den übrigen Abschnitten der oberen
Respirationswege mit Ausnahme leichter chronisch - katarrhalischer Veränderungen
normal. Mehrere Ruhetage genügen in der Regel, um das Gefühl der Anstrengung
beim Singen verschwinden zu lassen. Auffallend war es dagegen, speziell zur Zeit
häufig auftretender infektiöser Katarrhe, dass ein Theil gerade dieser Patienten
einige Zeit nachher über heftige Hustenkrämpfe klagte, welche theils die Form
kontinuierlicher, theils anfallsweise auftretender hatten. Anfänglich gestaltete sich
die Diagnose dieses Hustens und die Beantwortung der Frage, inwieweit, die Möglich¬
keit zu singen vorliege, besonders mit Rücksicht darauf, ob denn nicht der ganze
Symptomenkomplex artifiziell sei, sehr schwierig, die weitere Beobachtung und Er¬
fahrung lehrte aber ganz unzweifelhaft, dass abgesehen von der ganz verschwindenden
Minderzahl Simulation auszuschliessen sei und dass es sich thatsächlich um nervösen
Hustenkrampf handle. In jenen wenigen Fällen, wo Simulation vorlag, trat der
Hustenanfall regelmässig im Wartezimmer und zu Beginn der ärztlichen Untersuchung
auf, er war mit starkem willkürlichem Pressen und hierdurch hervorgerufener t'yanose
des Gesichtes verbunden und war sofort belieben, als ärztlicherseits bestimmt be¬
hauptet wurde, dass gerade diese Art des Hustens ein untrügliches Zeichen von
Simulation sei. Mit dem schliesslichen Geständnisse dieser Thatsache war die Heilung
dieses Hustens naturgemäss herbeigeführt.
Bei nichtsimuliertcm Husten dagegen fiel es auf, dass in diesem Stadium von
der Schleimhaut des Rachens bei leisester Berührung oder schon beim Niederdrücken
des Zungenrückens mit dem Spatel Hustenanfälle auszulösen waren. Hierbei wieder-
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Rudolf Funke
holte sich bei der anfallsweise auftretenden Form das früher schon beschriebene
Vorkommen, dass Jm Momente des Einsetzens des Hustenkrampfes ein starkes Pressen
erfolgte, welches den Anfall immer intensiver gestaltete, während bei der kontinuier¬
lichen Hustenform" die Athmung eine seichte und keineswegs anstrengende war, wo¬
bei es den Anschein hatte, dass bei den Hustenstössen vorvvaltend eine leichte
Kontraktion der Bauchmuskeln in Frage kommt. Die Behandlung bestand, ab¬
gesehen von entsprechender Ruhe der Stimmorgane in später noch zu erörternden
systematischen Athem- und Phonationsübungen, nachdem in einigen Fällen behufs
Behebung der Hyperästhesie vorher die Schleimhaut des Pharynx ein- oder zweimal
mit Jodtinktur gepinselt worden war. Der Erfolg war ein ganz prompter und an¬
haltender, indem sowohl das Gefühl des anstrengenden Singens, als auch das Auf¬
treten der Krampfhustenanfälle dadurch behoben wurde.
Diese bei mehreren Berufskollegen des Chors auftretende Krampfhustenform
legt den Gedanken nahe, ob es sich in einzelnen Fällen nicht um eine Krampfform
handelte, welche auf dem Wege der unbewussten Nachahmung zu stände kam, um¬
somehr als dieselbe auch nachher bei Choristinnen auftrat, bei denen katarrhalische
Erkrankungen des Larynx nicht vorausgegangen waren.
Sowie sich Beziehungen dieser Krampfformen zu den vorausgegangenen katarrha¬
lischen Erkrankungen der oberen Luftwege ergeben, stellt auch eine gänzlich ab¬
gelaufene Pertussis noch immer eine Prädisposition zur Auslösung von nervösen
Krampfhustenanfällen dar, welche wohl in ihrer Erscheinungsform grosse Aehnlich-
keit mit Keuchhustenanfällen bieten, aber sicherlich nicht als ein Rezidiv desselben
aufzufassen sind. Diesbezüglich sei auf folgenden Fall verwiesen:
Beobachtung VII. Ein neunjähriger Knabe aus einer sehr nervösen Familie mit Fällen
ausgesprochener schwerer Hysterie hatte schon früher zum nicht geringen Schrecken der
sehr besorgten Eltern Anfälle von schwerem hysterischen Erbrechen dargeboten, das mit¬
unter ohne Allgemeinerscheinungen, des öfteren aber auch — und dies besonders beim
Aufträge, Speisen zu gemessen, welche dem wählerischen Knaben nicht konvenierten —
mit schweren Allgeineinerschcinungen, wie Schweissausbruch, Blässe des Gesichtes, faden¬
förmigem Pulse einhergingen. Diese Anfälle Hessen sich anfänglich durch ärztliche Inter¬
vention, und später durch Maassnahmen seitens der hierüber instruierten Eltern prompt
beseitigen.
Nachdem dieser Knabe einen schweren Keuchhusten durchgemacht hatte, stellte sich
wiederum bei der oben erwähnten Gelegenheit ein heftiges Erbrechen ein, das wohl seitens
der Eltern behoben wurde, doch kurze Zeit nachher von einem äusserst heftigen Husten¬
krampfe mit neuerlichem Erbrechen gefolgt war, sodass die Eltern mit Sicherheit an ein
Rezidiv des Keuchhustens glaubten. Solche Anfälle wiederholten sich mehrfach am Tage,
und der Zufall fügte es, dass gerade im Momente eines solchen Anfalles, dem sich der
kleine Patient willen- und widerstandslos überliess, der Arzt ins Zimmer trat. Unter dem
Einflüsse dieser für den Knaben unliebsamen Uebcrraschung sistierte für einen Moment der
Anfall gänzlich, setzte aber nach kurzer Pause wieder ein. Bei dem vorausgegangenen
Keuchhusten war der Knabe sofort beim Gefühle des Herannahens des Anfalles angehaltcn
worden, bei tiefer, regelmässiger Inspiration den Naege 1 i’sehen Handgriff selbst in An¬
wendung zu bringen, bis derselbe von seiner Umgebung vorgenommen werden konnte, und
hatte hierdurch die Anfälle wesentlich erleichtert und abgekürzt. Im Momente des Wieder¬
einsetzens des Krampfes erfolgte vom eintretenden Arzte in kategorischer Weise der wohl-
bekannte Befehl, dessen Wirkung eine geradezu glänzende war, indem der Anfall mit einem
Male koupiert wurde. Unter ärztlicher Anleitung wurde der Na ege IT sehe Handgriff mit
systematischen Athemübungen bis zum Uebcrdrusse des kleinen Patienten fortgesetzt und
hierbei stets bestimmt erklärt, dass die Anfälle nun nicht mehr auftreten werden und nicht
mehr auftreten dürfen. Nach längerer Zeit wurde zunächst während der Athemübungen
der NaegelEsche Handgriff weggelasscn und dieselben bei freiwillig geöffnetem Munde vor-
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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 373
genommen, schliesslich Athemübungen bei geschlossenem Munde und ausschliesslicher Nasen-
athmung bewerkstelligt, worauf die Athemzüge noch in verschiedenem Tempo, regelmässig
und unregelmässig geübt wurden. Schliesslich wurden den Eltern Verhaltungsmaassregeln
beim eventuellen Wiedereinsetzen des Krampfes ertheilt und die sichere Wiederkunft des
Arztes zu einer nicht näher bestimmten Stunde in Aussicht gestellt. Im Verlaufe des
Nachmittages stellten sich wohl Ansätze zu Anfällen ein, doch genügte der Hinweis, sofort
den Arzt holen zu lassen, um dieser Anfälle sogleich Herr zu werden. Damit war diese
neuerliche Phase behoben, welche mit Rücksicht auf die Intensität des Beginnes wohl ge¬
waltige Dimensionen hätte annehmen können.
Zur Unterstützung wurde noch innerlich Brom dargereicht und wie in allen Fällen
auch hier die roborierende Behandlung in erhöhtem Maasse fortgesetzt, umsomehr als sich,
wenn auch nur spärliche Zeichen eines leichten Lungenspitzenkatarrhs einstellten, der um¬
so bedeutungsvoller erschien, als der Knabe a matre hereditär belastet war.
Beobachtung VIII. Ein weiterer Fall von Reflexhusten bei einem 17 jährigen schwachen,
anämischen Mädchen, welcher sowohl in Form von Hustenanfällen, sowie als kontinuier¬
licher, auch im Schlafe nicht sistierender »bellender« Husten auftrat, ist der folgende:
Seit mehreren Monaten bestand bei dem betreffenden Mädchen ein ziemlich plötzlich
aufgetretener Husten, welcher tagsüber in Form kurzer Hustenstösse einsetzte und auch
im Schlafe nicht gänzlich sistierte. Abgesehen davon, dass es dem Mädchen unaugenehm
war, in Gesellschaft infolge des kontinuierlichen Hustens die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken,
hatte sie sonst hierdurch keinerlei Beschwerden und fühlte sich vollkommen wohl. Gelegent¬
lich und, wie es sich durch eigene Beobachtung herausstellte, unter anderem zur Zeit der
Menses nahm der Husten den Charakter von Krampfanfällen an, wobei dann eine nicht
unbeträchtliche Menge zähen, glasigen Sekretes ausgehustet wurde. Eine weitere Beobach¬
tung ging dahin, dass dieser Husten einmal für längere Zeit nach einer Radfahrtour von
selbst aufgehört hatte, wodurch in den Augen der Patientin und ihrer Angehörigen natur-
gemäss das Radfahren und zwar Radfahren bei entsprechender Terrainsteigung den Werth
einer hierfür therapeutischen Maassnahme erfuhr; es stellte sich jedoch in der Folgezeit
heraus, dass dieser erwartete Erfolg bei darauf gerichteter Aufmerksamkeit, allerdings beim
Fahren in der Ebene, nicht mehr auftrat. Es scheint daraus hervorzugehen, dass die tiefen
Inspirationen beim Berganfahren diesen Erfolg erzielt haben, während die seichteren
Athmungen beim Fahren in der Ebene eine derartige Wirkung nicht zu erzielen vermochten.
Zur Beseitigung dieses Hustens waren die mannigfachsten Mittel und Medikamente
erfolglos in Anwendung gebracht worden. Als die Patientin sich in unsere Behandlung
begab, wurden naturgemäss die oberen Luftwege einer genauen Untersuchung unterzogen
und hierbei zunächst die Anwesenheit mehrerer Mandelsteine in der rechten Tonsille kon¬
statiert, während der übrige Befund negativ ausfiel.
Das laryngoskopische Bild zeigte in jeder Hinsicht normales Verhalten. Während
des Hustens ergaben sich Verhältnisse, wie ich sie in ähnlicher Weise bei nachheriger
Litteraturdurchsicht bei Jurasz verzeichnet fand.
Jurasz beschreibt als für den »nervösen Kehlkopfhusten« pathognomonische
Motilitätsanomalie folgendes Verhalten der Stimmbänder. Wie beim normalen Husten
gehen die Stimmbänder krampfhaft aneinander, um sich entsprechend den einzelnen
Hustenstössen zu öffnen oder dauernd ein wenig zu klafl’en. Im Gegensätze zum ge¬
wöhnlichen Husten, hei welchem die Stimmbänder gewöhnlich gespannt bleiben, seien
sie beim nervösen Kehlkopfhusten ganz schlaff und werden durch die ruckweise vorbei¬
getriebene Exspirationsluft in grobe Schwingungen versetzt, die den tiefen hohlen
Klang erzeugen. Es handle sich also demgemäss um eine Kontraktion der Ex¬
spirationsmuskeln und der Glottisschliesser bei gleichzeitiger Erschlaffung der Stimm¬
bandspanner. In unserem Falle bestand insofern eine Modifikation, als im Momente
des Anfalles die Stimmbänder krampfhaft aneinander gingen und gleichzeitig auch
ein krampfhaftes Aneinanderlegen der falschen Stimmbänder erfolgte. Bei den ein¬
zelnen Hustenstössen nun blieben die falschen Stimmbänder zunächst einander soweit
genähert, dass der Anblick der wahren Stimmbänder behindert war, und erst bei den
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374 Rudolf Funke
folgenden ruckweisen Hustenstössen gingen die falschen Stimmbänder auseinander,
während die wahren Stimmbänder unter den falschen nunmehr sichtbar hervortraten.
Jurasz ist der Meinung, dass der tiefe hohle Klang auf die Weise zu stände komme,
dass durch die ruckweise vorgetriebene Exspirationsluft die Stimmbänder in grobe
Schwingungen versetzt werden, während in unserem Falle neben diesem vielleicht
auch vorhandenen Momente wohl vor allem das in Frage kommt, dass die Luft
zwischen den genäherten falschen Stimmbändern hindurchtreten muss, worauf u. a.
auch M. Schmidt in ähnlichen Fällen aufmerksam gemacht hat.
Rosenbach beobachtete beim nervösen Husten bei den Patienten eine ganz
spezielle, nicht leicht nachzuahmende Fixation des Thorax in Exspirationsstellung
oder in einer dieser ähnlichen Position, während durch ganz kurze Stösse mit dem
oberen Theile der Bauchmuskeln der Exspirationsstrom erzeugt werde, woraus sich
auch die geringe Kompression des Brustinhaltes erkläre. Eine ganz ähnliche Position
nahm auch diese Patientin ein, wobei die frühere Beobachtung der vorwaltenden
tonischen Mitbetheiligung der an der Clavicula und am Schultergürtel sich inse¬
rierenden Auxiliarmuskulatur bei ungenügender Erweiterung der unteren Thorax-
partieen und gleichzeitiger Fixation des Kehlkopfes von neuem bestätigt werden
konnte. Auch bei willkürlich hervorgerufenem Husten wurde dieselbe Stellung ein¬
genommen. .
Nach Entfernung der Speichelsteine hatte bei oberwähnter Patientin der Husten
fast gänzlich nachgelassen, und die Umgebung berichtete, dass nunmehr auch der nächt¬
liche, sehr störende Husten aufgehört habe. Nichtsdestoweniger wurden noch nach
dem Aufhören des Hustens systematische Athemübungen vorgenommen, besonders um
den auch für gewöhnlich obwaltenden falschen Athmungstypus zu korrigieren.
Hier sei auch noch auf ein diagnostisch, wie therapeutisch wichtiges Moment
hingewiesen. Rosenbach erwähnt, dass bei mit nervösem Husten behafteten
Patienten das Athmen über der Fossa supraspinata beträchtlich abgeschwächt sei,
mitunter den vesikulären Charakter ganz verloren habe und unbestimmt oder hauchend
erscheine, ja oft durch reichliches klangloses, kleinblasiges oder knisterndes Rasseln
verdeckt sei. Rosenbach bezieht dies darauf, dass durch die häufigen starken
Exspirationsstösse ein leichterer Grad von Atelektasenbildung oder Kollaps der
einzelnen wegen ihrer geringeren Ausdehnungsfähigkeit hierzu disponierten Lungen¬
spitzen bewirkt werde, wodurch die oben erwähnte Veränderung des Athemgeräusches
hervorgerufen werde. Diese Möglichkeit der Erklärung soll keineswegs in Zweifel
gezogen werden, umsomehr als die anhaltend krampfhafte Innervation der Auxiliar¬
muskulatur sowohl bei der In- als Exspiration eine entsprechende Durchlüftung der
Lungenspitzen wesentlich erschwert. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass —
wovon noch später die Rede sein wird — gerade bei allen Fällen von nervösem
Husten dem Zustande der Lungenspitzen ganz besondere Beachtung geschenkt werden
müsse, da der Krampf husten in vielen Fällen der Vorläufer einer Lungenerkrankung
sei. Auch bei dieser Patientin hatte sich später und zwar nach etwa '/« Jahre ein
deutlicher Lungenspitzenkatarrh, wenn auch ohne Temperatursteigerung etabliert.
Nachdem in der vorher erwähnten Weise die Mandelpfröpfe entfernt, und die
Athemübungen vorgenommen worden waren, sollte der Ausgangspunkt des Reflex¬
hustens zum Gegenstände der Behandlung werden. Hierbei stellte es sich heraus,
dass beim einfachen Berühren der betreffenden Stelle mit einer Sonde oder bei An¬
wendung eines Häckchens behufs gründlicher Entfernung etwa noch vorhandener
Beste von Mandelpfröpfchen sofort der Krampfhusten wieder in heftiger Weise auf-
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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 375
trat Durch vorausgehende Athemiibungen gelang es die Intensität der Anfälle wesent¬
lich zu mildern und unter strenger Durchführung dieser systematischen Uebungen
konnten schliesslich die empfindlichen Stellen berührt und sogar mit Lapis geätzt
werden, ohne dass der Hustenanfall wieder aufgetreten wäre.
Nachdem die Patientin mehrere Monate seither vom Husten verschont geblieben
war, trat derselbe neuerdings auf und wiederum hatte sich an der betreffenden Stelle
ein Mandelstein gebildet. Wenngleich die lokale Behandlung mit grösster Wahr¬
scheinlichkeit wieder sofortige Behebung dieses lästigen Symptomes in Aussicht stellte,
so sollte doch zunächst der Versuch gemacht werden, auch ohne gänzliche Entfernung
der lokalen Ursache durch systematische Athemübungen die Reflexerregbarkeit herab¬
zusetzen. Um einen suggestiven Einfluss zur Unterstützung heranzuziehen, wurde
nur ein ganz kleines Mandelsteinchen entfernt, der Rest jedoch darinnen belassen
und mit den Athemübungen intensiv begonnen. Dabei ergab es sich, dass trotz Fort¬
bestehens des lokalen Reizes durch Einschleifen der Hemmungsbahnen die hierdurch
ausgelöste Reflexerscheinung zum Verschwinden gebracht werden konnte. Erst nachher
wurden die restlichen Theile der Mandelsteine entfernt, ohne dass neuerdings der
Hustenkrampf auftrat, der sich schliesslich auch dann nicht mehr einstellte, als nach
einiger Zeit wiederum Mandelsteine vorhanden waren.
Die indessen noch immer vorhandene erhöhte Erregbarkeit des Hustenzentrums
trat wiederum später zu Tage, als nach längerer Zeit ein diffuser Bronchialkatarrh
mit den deutlichen Anzeichen eines Lungenspitzenkatarrhes sich einstellte. Der Husten,
welcher zuerst in Charakter und Intensität jenem bei Bronchialkatarrh völlig ent¬
sprach, nahm später den bellenden Ton an, welcher dem früher beobachteten auf¬
fallend ähnelte. Auch neuerlich gelang es, den nunmehr ebenfalls nächtlicherweise
im Schlafe fortbestehenden Husten durch die bekannten und vorwaltend inspira¬
torischen Athemübungen zu beheben und den Husten auf den katarrhalischen zu
beschränken.
Nach mehrmonatlicher Dauer und einer sehr erfolgreich durchgeführten Mast¬
kur waren auch die Zeichen des Lungenspitzenkatharrhes geschwunden, und die
Patientin erschien von diesen lästigen Symptomen gänzlich befreit.
Die Auslösung des nervösen Hustens vom Genitale aus gehört, wie bereits bei
Beobachtung II flüchtig erwähnt wurde, gleichfalls zu den bekannten Thatsachen.
Bei der Beurtheilung dieser Fälle ist jedoch mit der grössten Vorsicht vorzugehen,
und nur jene Fälle sind als sicher reflektorisch vom Genitale ausgelöste zu be¬
trachten, bei denen, wie z. B. in zwei von Profanter 1 ) geschilderten Fällen, durch
direkte Genitaluntersuchung der Husten jedesmal ausgelöst wird.
Gegen derartige Auffassungen, dass selbst ein psychisches Trauma bei Frauen
vielfach erst auf dem Umwege des Genitalapparates durch Auslösung einer Reflex¬
neurose schädigend wirke, muss entschieden Stellung genommen werden. Solche
unerwiesene Annahmen, welche den Sitz der Erkrankung ohne hinreichenden Grund
in die Genitalien verlegten, haben zu mancherlei unnützen Operationen geführt, deren
günstiger Erfolg auf einen rein suggestiven Einfluss zurückzuführen war, denen aber
vielfache Misserfolge oder schwere Schädigungen der Kranken gegenüberstehen.
Als Beispiel sei hier auf einen Fall verwiesen, wo ein 2(1 jähriges hysterisches
Mädchen wegen eines fast vier Jahre bestehenden nervösen Hiistelns, wodurch auch
die Sprache erschwert und beeinträchtigt wurde, zuerst von Hack in der Nase und
\) Paul Profanter, lieber Tussis uterina. Wien
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im Halse behandelt, hierauf von Hegar erfolglos laparotomiert worden war und
schliesslich durch einfache psychische Behandlung mit Respirationsübungen geheilt
wurde. Ein ernstes Memento ist ferner die Erfahrung Engelmann’s über einen
angeblichen Reflexhusten bei einem Mädchen, dessen Ausgangspunkte in die Ovarien
verlegt wurde, weshalb man zur Entfernung der Ovarien schritt. Einige Tage nach
der Operation erfolgte der Tod der Patientin; die Sektion ergab völlig normalen
Befund der Brustorgane.
Wird demnach vielfach fälschlich der Ausgangspunkt des Hustens in das Genitale
verlegt, so ist andererseits ebenso erwiesen, dass zur Zeit der Menstruation bereit«
bestehende nervöse Hustenanfälle an Intensität zunehmen (Beobachtung VIII), gleich¬
wie der nervöse Husten ausschliesslich zur Zeit der Menstruation einsetzen kann.
Den spärlichen Beobachtungen über nervösen Husten zur Zeit der Menstruation
(Müller) können wir aus eigener Erfahrung einen selbstbeobachteten Fall anfügen.
Die geringe Zahl diesbezüglicher Beobachtungen könnte den Gedanken nahe legen,
dass diese ,Fälle zu den grössten Seltenheiten gehören. Zum Theil mag sich die
geringe Zahl der Beobachtungen dadurch erklären, dass der nur einige Tage an¬
haltende charakterische Husten selbst von den hiervon Befallenen nicht berück¬
sichtigt wird. Der von uns beobachtete Fall betraf eine 37jährige Hysterika, welche
in buntem Wechsel alle hysterischen Stückchen spielte. Besonders zur Zeit der
Menses war die Erregbarkeit eine hochgradig gesteigerte, gegen welche die Patientin
mit der ihr zu Gebote stehenden Energie anzukämpfen suchte. Allgemeine Krämpfe.
Erbrechen, vasomotorische Störungen, flüchtige Oedeme waren die konstanten Begleit¬
erscheinungen, welche durch mehr als ein Jahr zur ständigen Kontrolle der Patientin
während der Menses geführt hatten. In diesem bunten Wechsel war auch mehrmals
nervöser Husten aufgetreten, der zu Beginn der Menstruation einsetzte und mit dem
Nachlassen der menstruellen Blutung sistierte. Der flüchtige Charakter dieser Kr-
scheinung hatte eine therapeutische Beeinflussung nicht nothwendig gemacht.
Aehnlich wie die Menstruation giebt auch die Gravidität die Ursache für
nervösen Husten ab. Ob es sich im ersteren Falle bloss um eine Folge der zu
dieser Zeit gesteigerten Erregbarkeit oder um einen von der IJterusmucosa aus¬
gelösten Beflexhusten handelt., möge dahin gestellt bleiben. Dass ein solcher von da
aus wirklich ausgelöst. werden könne, scheinen die Fälle von Nonat und Martincau
zu bestätigen. Ebenso mag es dahin gestellt bleiben, welche Faktoren bei der
Gravidität hustenauslösend wirken, ob die passive Ueberdehnung des Uterus über
das aktive Wachsthum, ob gezerrte minimale perimetritische Adhäsionen oder die
Veränderungen der Utcrusmucosa.
Beobachtung IX. Die eine Patientin bekam die Hustenanfälle gegen Abend, und die¬
selben dauerten als kontinuierlicher, beiläulig alle 1—2 Minuten sich wiederholender Husten
etwa zwei Stunden. Der Hustcnanfall trat nur auf, wenn die betreffende Frau zu Hause
verweilte und blieb aus, wenn sie sich zu dieser Zeit im Freien bewegte. Atheinübuugen
behoben diesen Husten nach mehreren Tagen; derselbe stellte sich auch dann nicht mehr
ein, als die betreffende Frau entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit zur kritischen Zeit allein
zu TIause verweilte. Mehrfach setzte im weiteren Verlaufe der sonst gänzlich normalen
Gravidität der Husten noch ein, wurde aber stets auf diese Weise im Anfänge unterdrückt.
Hervorgehoben sei die weitere Thatsache, dass der Angabe des Mannes zufolge der Husten*
anfall stets beim Coitus, schliesslich beim blossen Versuche einsetzte, weshalb naturgemäß
davon Abstand genommen wurde.
Weit intensiver und schwieriger zu beheben war der Hustenanfall bei der zweiten
Patientin. Die Gravidität war besonders in der ersten Hälfte mit häutigem Erbrechen und
grossem körperlichen Unbehagen verbunden, sonst war dieselbe normal. Da setzte ohne
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Zur Behandlung des nervösen Hustens.
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direkte veranlassende Ursache ein heftiger Hustenreiz ein, sowie sich die betreffende Frau
abends zu Bette legte. t)a selbstverständlich an einen vom Genitale, wahrscheinlich durch
eine im Liegen bedingte Lageveränderung des Uterus, ausgehenden reflektorischen Husten
gedacht wurde, versuchte man zunächst durch geringe Lageveränderungen, wie z. B. rechte,
linke Seitenlage, Rückenlage, den Husten zu beeinflussen, welcher Versuch erfolglos blieb.
Aufsitzen im Bette hatte eine Verminderung des Hustenreizes zur Folge, doch sistierte der
Husten nicht und sowie sich die Frau wieder niederlegte, begann derselbe, einerlei ob der
Kopf hoch oder tief lag, wieder von neuem. Die einzelnen Hustenstösse, welche den
Charakter eines heiseren, nicht zu lauten Crouphustens hatten, wiederholten sich rasch
nach einander und hielten auch dann unverändert an, als die Frau einzuschlafen begann.
Erst im tiefen Schlafe sistierten dieselben. Besonders hervorgehoben sei es, dass sonst
beim Liegen tagsüber Hustenreiz sich nicht einstellte. Dieser Zustand dauerte einige
Tage, als plötzlich der Hustenanfall eine solche Verschlimmerung erfuhr, dass derselbe trotz
versuchter Durchführung der ärztlicherseits empfohlenen Athemübungen nicht zu beheben
war. Da diese spontan durchgeführten Athemübungen nicht zum Ziele führten, wurden
dieselben nunmehr unter ärztlicher Leitung vorgenommen, wobei die Patientin den Auftrag
erhielt, tief zu inspirieren, den hierbei auftretenden Hustenreiz zu unterdrücken und bei
jeder Exspiration im Takte 1, 2 zu zählen, um durch die Eintönigkeit des Zählens günstige
Bedingungen für das Einschlafen zu schaffen. Letzteres wurde hierdurch wohl erreicht, da
die sehr ermüdete Patientin in leisen Schlummer verfiel und hierbei automatisch und schliess¬
lich nicht in richtiger Reihenfolge weiter zählte, allein die Hustenstösse persistierten auch
im Halbschlummer nicht und hielten auch ‘dann an, als man die Patientin versuchsweise
in tieferen Schlaf kommen liess. Zur Durchführung neuerlicher Athemübungen wurde
Patientin bei jedesmaligem Einschlummern geweckt. Dass die bereits sehr ermüdete Patientin
über diese Behandlungsmethode recht ungehalten war und vor allem Ruhe verlangte, war
wohl eine leicht begreifliche Folge. Allem diesem jedoch durfte seitens des Arztes keine
Beachtung geschenkt werden. Nach mehreren Stunden systematischer Athemübungen war
zunächst insofern ein Erfolg zu sehen, als die einzelnen Hustenstösse seltener erfolgten und
bald nach dem Eintreten leisen Schlummers sistierten. Auch jetzt wurden die Uebungen
in ganz gleicher Weise konsequent fortgesetzt, bis endlich in den Morgenstunden der Husten
gänzlich behoben war. Damit erschien auch die Patientin genesen, und im weiteren Ver¬
folge der Gravidität traten nie mehr ähnliche Anfälle in Erscheinung.
Beobachtung XI (bloss referiert). Nicht ganz belanglos und vielleicht sogar in einem
ätiologischen Zusammenhänge damit stehend dürfte die Thatsache sein, dass einige Jahre
vorher bei einer Freundin der Patientin ähnliche nächtliche Hustenanfälle eingesetzt
hatten, wobei dieselbe ihrer Freundin hilfreich zur Seite gestanden war. Bei dieser damals
im Beginne der zwanziger Jahre stehenden Dame waren heftige Gemtithsaufregungen voraus¬
gegangen, und allnächtlich begann nach mehreren Stunden des Schlafes ein ganz ähnlicher,
mit rhythmischen Hustenstössen verbundener Krampf husten, welcher der gelieferten Be¬
schreibung zufolge den Charakter des hohlen Hustens Schwindsüchtiger an sich trug. Diese
nächtlicherweise auftretenden Anfälle wiederholten sich mehrere Nächte hintereinander,
sistierten dann einige Zeit und stellten sich wiederum periodisch ein. Ob diesbezüglich
ein Konnex mit der Menstruation bestand, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Die
Patientin selbst war auf ein Mittel verfallen, welches der von uns durchgeftihrten Uebungs-
therapie sehr ähnlich war; dasselbe bestand darin, dass sie nach dem Aufsitzen im Bette,
in welcher Position sie weiterhin verharrte, zumeist gedörrte Pflaumen langsam und rhyth¬
misch kaute. Gedörrtes Obst eignete sich nach Angabe der Patientin hierzu am besten.
Die Kaubewegungen erfolgten in der Weise, dass die Patientin rhythmisch langsam den
Mund weit öffnete und dann ebenso rhythmisch Kaubewegungen folgen liess. Auf diese
Weise gelang es, den einzelnen Anfall jeweilig zum Verschwinden zu bringen, doch traten
später mehrfach solche Hustenperioden wieder auf, sobald sich neuerliche psychische Auf¬
regungen ergeben hatten. Schliesslich verh eirathete sich das zarte, etwas anämische Fräulein
und war nach dreijähriger Ehe glückliche Mutter von vier kräftigen Kindern, darunter einem
Zwillingspärchen, ohne dass sich ein ähnlicher Hustenanfall jemals wieder eingestellt hätte.
Dieser letzterer Fall ist im Gegensätze zu den früheren, welche bezüglich ihrer
Entstehung zum mindesten theilweise als reflektorisch bedingte aufzufassen sind, ein
Zeitechr. t diät u. physik. Therapie Bd. V. Heft 5. 26
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ausschliesslich durch psychische Einflüsse hervorgerufener, also ein durch eine zentrale
Erregung bedingter. Dass auch bei dem reflektorisch bedingten nervösen Husten
das psychische Verhalten auf die Intensität und die Dauer von grossem Einflüsse
ist, haben wir gleichfalls mehrfach an den vorerwähnten Fällen gesehen. Aufregungen
steigern alle solche Anfälle, ebenso wie interkurrente Vorgänge im Organismus,
welche zu gesteigerter Erregbarkeit führen, wie z. B. das Eintreten der Menses, in
gleicher Weise sich bemerkbar machen. Es ist deshalb auch Aufgabe der Therapie
diesem Momente Rechnung zu tragen und beruhigend und willensstärkend auf die
Patienten einzuwirken.
In gewisser Hinsicht leichter, hinsichtlich dauernder Erfolge jedoch schwerer
zu beeinflussen ist der auf ausschliesslich psychischem Wege ausgelöste nervöse
Husten. War dort mit der Behebung des Symptomes des Hustens zum grossen
Theile bereits die Heilung erfolgt, so gilt es in den letztgenannten Fällen weit mehr,
die aus dem ruhigen Gleichgewichte gebrachte Psyche wieder in normale Bahnen zu
lenken und durch Schulung des Gedankenablaufes, des Willens sowie durch ent¬
sprechende körperliche Kräftigung die abnorme Impressionabilität zu beseitigen und
den bewussten Willen wieder in den Vordergrund zu stellen.
Die übrigen von uns beobachteten Fülle zentral ausgelösten, kontinuierlichen Hustens
waren entweder durch Schreck oder heftige Gemüthserschütterungen bedingt und betrafen
im ersteren Falle Kinder im Alter zwischen 10 und 14 Jahren. (Beobachtungsgruppe XII.)
Die Ursache war zumeist eine geringfügige, wie z. B. Anbellen des Kindes durch einen
Hund, Erschrecken durch Mitschüler, welche sich versteckt hatten und plötzlich aus ihrem
Verstecke hervorsprangen. In einem Falle war es angeblich darauf zurückzuführen, dass
ein des Schwimmens unkundiges Kind bei kühler Witterung ins Wasser stürzte und sich
eine mit heftigem katarrhalischem Husten verbundene Erkältung zuzog, nach deren Ablauf
der Husten fortbestehen blieb. Auch länger dauernde Gemüthsaufregungen, z. B. Furcht
vor Strafe wegen eines voraussichtlich schlechten Schulzeugnisses waren bei einem Kinde
ursächlich beschuldigt worden. Nebst Hustenanfällen bei Kindern sahen wir solche bei
erwachsenen Mädchen, z. B. infolge von Liebesgram (Beobachtungsgruppe XIII) und zwar
bei zwei Freundinnen, die im Beginne der 20 er Jahre standen, und welche beide von diesem
Uebel heimgesucht worden waren. Dieselben erkrankten fast gleichzeitig unter vollkommen
gleichen Symptomen. Als die erste auf der Klinik Heilung gefunden hatte, erschien die
zweite mit ihrer Freundin, wobei die zuerst geheilte Patientin neuerlich in so heftige Auf¬
regung gerieth, dass der Husten wieder von neuem einsetzte und erst nach intensiven Heil¬
versuchen beseitigt werden konnte.
Schrötter will diese Erkrankung, welche sehr häufig bei Kindern im Alter
von 8 —14 Jahren auftritt, von den durch Hysterie bedingten Formen abtrennen und
hat speziell jene Fälle, die mit Zuckungen in anderen Muskelgebieten (Runzeln der
Stirne, Schütteln des Kopfes und dergl.) einhergehen, als Chorea laryngis bezeichnet
Der Begriff der Chorea laryngis hat vielfache Erweiterung erfahren, indem
jeder nervöse Husten des Pubcrtätsalters auch zur Chorea laryngis gerechnet wurde,
falls derselbe mit Zuckungen in anderen Muskelgruppen verbunden war. M. Schmidt
wendet sich gegen diese Auffassung und weist darauf hin, dass unmöglich z. B. jene
Fälle von nervösem Husten bei jugendlichen Individuen hierher gerechnet werden
können, welche etwa durch Fremdkörper im Ohre bedingt sind, auch wenn dieselben
mit sonstigen Zuckungen verbunden sind, und will diesen Namen für jene Fälle Vorbe¬
halten wissen, bei denen sich analog mehreren, gleichfalls von Schrötter undNicot
beschriebenen Fällen im Verlaufe des nervösen Hustens choreatische Erscheinungen
in den anderen Muskelgebieten des Körpers eingestellt hatten.
Auch bei den von uns beobachteten Fällen von nervösem Husten bei Kindern
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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 379
(Beobachtungsgruppe XII) war derselbe mitunter mit verschiedenen Zuckungen ver¬
gesellschaftet. Der echten Chorea solche Fälle zuzurechnen, konnten wir uns nicht
entschliessen, umsomehr als diese Kinder allerdings nur zum Theile deutliche Zeichen
von Hysterie darboten. Mit Gottstein möchten wir aber auch jene ohne direkte
Stigmata der Hysterie einhergehenden Fälle derselben zurechnen. Gottstein
hat ferner mit Recht darauf hingewiesen, dass diese Zuckungen deshalb nicht als
choreatische s. str. aufzufassen sind, weil das Charakteristische der Chorea in den
anormalen Mitbewegungen bei der beabsichtigten Ausführung willkürlicher koordina-
torischer Aktionen bestehe. Für diese Anschauung führt Gottstein noch die gerade
bei diesen Fällen so ausserordentlich günstige Beeinflussung durch psychische Be¬
handlung und Willensausbildung an; wenngleich wir von der Vorzüglichkeit dieser
Methoden gerade bei Hysterie überzeugt sind, wie aus unseren Ausführungen zur
Genüge ersichtlich ist, möchten wir diesem Umstande allerdings nicht den Werth
eines differentialdiagnostischen Momentes beimessen, da auch unsere eigenen Erfah¬
rungen uns eine gleich gute Wirkung bei der emotionellen Form der echten Chorea
erbracht haben.
Nachdem wir im vorhergehenden über die von uns beobachteten und behandelten
Fälle zum Theile möglichst ausführlich berichtet haben, mögen im folgenden all¬
gemeine Gesichtspunkte erörtert werden, von denen aus bei der Behandlung des
nervösen Hustens vorzugehen ist.
Bezüglich der medikamentösen Behandlung bat bekanntlich bereits Lasögue
die Nutzlosigkeit der bekannten Medikamente hervorgehoben, ebenso wie Ryhle 1 )
bemerkt, dass dieser Husten nur selten durch Medikamente gebessert wurde.
Allgemein gewarnt wird vor der Anwendung von Narcoticis, welche unter
anderen Gottstein für unwirksam hält, während Schmidt mit Recht darauf hin¬
weist, dass man damit seinen Zweck nicht nur nicht erreicht, sondern rasch zu
Dosen fortschreiten muss, welche dem Organismus direkt schädlich sind. Bei den
mit Zuckungen verbundenen Fällen will Gottstein von Arsenpräparaten Nutzen ge¬
sehen haben, während Schmidt in einem kalten Aufgusse der zerschnittenen Valeriana-
wurzel oder im Chininum valerianicum zweckdienliche Heilmittel erblickt. Schrötter
empfiehlt grosse Chinindosen. Ein unterstützendes Mittel sind zweifelsohne bei
Patienten mit stark erhöhter Reflexerregbarkeit die Brompräparate, wie auch robo-
rierende Mittel und solche, welche die Blutbildung befördern, bei anämischen und
körperlich reduzierten Patienten zu empfehlen sind.
Für kalte Begiessungen des Kopfes und Rückens im lauen Bade plaidiert
Schrötter, während Linkenheld von der Anwendung der unvermutheten kalten
Douche ebenfalls Nutzen sah. Wie kalte unvermuthete Douchen wurde auch mehr¬
fach die unvermuthete Anwendung starker faradischer Ströme auf den Rücken mittels
elektrischen Pinsels gerühmt. Diese Kraftmittel mögen wohl gelegentlich zum Ziele
geführt haben. Eine derartige Schrecktherapie indessen bei Patienten mit empfind¬
lichem Nervensysteme systematisch zu inaugurieren, fällt doch immerhin in das
Gebiet der medicina crudelis, und nur zu leicht kann hierbei eine anderweitige ernste
Schädigung erfolgen.
Empfehlenswerth sind alle jene Maassnahmen, welche die Widerstandsfähigkeit
erhöhen, mag es sich um strammere Erziehung, um Hydrotherapie, Heilgymnastik
oder entsprechende Elektrisation handeln. Dass speziell bei Kindern Unthätigkeit
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vermieden werden muss und dass insbesondere bei jenen, welche wegen dieses Zu¬
standes dem Schulunterrichte fern bleiben müssen, eine entsprechende Beschättigungs-
behandlung Platz zu greifen hat, erscheint als ein selbstverständliches Gebot
Hinsichtlich der operativen Behandlung wird sogleich unser Standpunkt er¬
örtert werden.
Bei Einleitung der Behandlung ist vor allem die Klarstellung der Aetiologie
von Wichtigkeit, in welcher Hinsicht zunächst die Frage des reflektorischen oder
des zentral ausgelösten Hustens entschieden werden muss.
Die Eruierung der den Hustenreflex auslösenden Stelle wird entweder vom
Patienten selbst durch sein Empfinden erleichtert, oder sie muss durch gründliche
Untersuchung seitens des Arztes erfolgen. Ist dieselbe genau ermittelt, so kann der
Versuch gemacht werden, dieselbe entweder durch Anästhesierung mittels Kokains
oder durch leichte, oberflächliche Aetzungen empfindungslos zu machen. Fremdkörper
erfordern naturgemäss sofortige Entfernung, vorhandene örtliche Leiden sofortige
Behandlung. Operative Eingriffe ohne sichere Kenntniss der Reflex auslösenden
Ursache erscheinen unstatthaft, besonders, wenn dieselben eine bleibende Schädigung
nach sich ziehen könnten. Vereinzelte Erfahrungen, wie z. B. jene von Hack, wo
nach einer einzigen Alauneinblasung bei einem alten Manne ein bereits seit mehreren
Jahren bestehender Husten plötzlich behoben wurde, berechtigen sicherlich zu keinerlei
chirurgischer Polypragmasie, zumal ja in einem solchen Falle hierdurch wahrschein¬
lich ein suggestiver Heilerfolg erzielt wurde. M. Schmidt glaubt bei sehr hart¬
näckigen Fällen auch ohne auffällige Hyperästhesie, die Nasenätzung vornehmen zu
sollen. Wir möchten dies jedenfalls nur als ultimum refugium erst nach dem Fehl¬
schlagen aller anderen therapeutischen Maassnahmen betrachten.
Obwohl es möglich ist, durch solche Eingriffe selbst lang bestandenen Husten
gänzlich zu beheben, erscheint es doch selbst in diesen Fällen behufs Sicherung der
Heilung noch wünschenswerth, die von v. Leyden, Rosenbach u. a. empfohlene
psychische und Uebungsbehandlung damit zu verknüpfen. Dabei erhebt sich die
Frage, wie die zeitliche Aufeinanderfolge von Operations- und Uebungsbehandlung
sich gestalten soll. Handelt es sich um einmalige operative Eingriffe, wie z. B. beim
Entfernen eines Fremdkörpers, so ist dieselbe sofort nachher zu beginnen. Dort,
wo jedoch, wie z. B. bei Nasenoperationen oder bei Massage des Unterleibes eine
längere Behandlungsdauer erforderlich ist, oder wo es sich um einen öfter wieder¬
kehrenden Grund, wie z. B. Mandelsteine handelt, soll mit der bahnenden und
hemmenden Athmungsgymnastik möglichst bald begonnen werden. Bei der unter
Beobachtung II verzeichneten Patientin hatten wir, allerdings bei keinem Falle von
reinem Reflexhusten, bei gleichzeitig durchgeführter operativer Nasenbehandlung
Gelegenheit zu sehen, dass der Husten durch die Uebungstherapie intensiver und
rascher beeinflusst wurde als durch die lokale Behandlung der Nase. Die Beobach¬
tung VIII ist hierfür ein weiterer Beleg, indem beim späteren Einsetzen des Reizes
(Speichelstein) durch die Uebungstherapie der Hustenreiz behoben wurde, trotzdem
die primäre Ursache vorhanden war.
Liegt ein Fall von zentral ausgelöstem Husten vor, so ist es die Aufgabe des
behandelnden Arztes unter strenger Individualisierung allen jenen Momenten Be¬
achtung zu schenken, welche hinsichtlich des seelischen Zustandes und der Willens¬
beschaffenheit des Patienten nothwendig erscheinen.
Nach Fixierung der Diagnose erscheint es zunächst nothwendig, sich über den
Lungenbefund sehr genau zu orientieren. Die Beobachtung Gottstein’s geht dahin,
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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 381
dass ein krampfhafter, stundenlang dauernder, mehrfach im Tage sich wiederholender,
oder wie Treupel meint, nur des Morgens auftretender Husten mit allen charakte¬
ristischen Eigenthümlichkeiten des nervösen Hustens im ersten Stadium der
Phthise sich einstelle, zu einer Zeit, wo durch die physikalische Untersuchung des
Thorax noch kein weiterer Anhaltspunkt für diesen Zustand gegeben ist.
Wir verfügen unter Hinweis auf Beobachtung VIII noch über zwei selbst be¬
obachtete Fälle, welche Frauen anfangs der vierziger Jahre betreffen:
Beobachtung XV. Bei der einen Patientin bestanden die Hustenanfälle nur früh¬
morgens, und zwar erwachte dieselbe regelmässig zwischen 4 und 5 Uhr früh infolge eines
sehr starken Hustenreizes, welcher sich bis zum heftigsten Hustenanfall steigerte. Auch
wir waren mit Rücksicht auf mehrfache nervöse Erscheinungen der sicheren Meinung, dass
cs sich um einen ausschliesslich nervösen Husten handle, und wurden darin bestärkt, als
sich dieser Zustand durch systematische Athemübungen und dadurch besserte, dass der
Patientin nach dem Erwachen gleichzeitig mit den sofort beginnenden Athemzügen warmes
Emser Wasser gereicht wurde. Auffallend und mit den sonstigen Beobachtungen nicht ganz
harmonierend war die häufige Wiederkehr der Hustenanfälle, nachdem dieselben meist
einige Wochen ausgesetzt hatten. Nach überstandener Influenza traten dieselben jedoch
viel intensiver auf, abendliche Temperatursteigerungen gesellten sich hinzu, und über den
Lungenspitzen entwickelten sich deutliche Zeichen der Infiltration.
Beobachtung XVI. Die zweite Patientin war eine sehr korpulente Dame, bei welcher
Hustenanfälle morgens, aber auch tagsüber auftraten. Nach fast einjähriger Dauer der
Beobachtung, während deren der Husten gleichfalls mehrfach wiederkehrte, bot die noch
jetzt in Behandlung stehende Frau alle Symptome einer beginnenden Lungenspitzen¬
infiltration dar.
Der Untersuchung der Lunge ist demnach bei nervösem Husten und zumeist
bei den mit Krampf husten verbundenen Anfällen die grösste Aufmerksamkeit zu¬
zuwenden, und in zweifelhaften Fällen ist eine diesbezügliche Behandlung einzuleiten,
die in diesem Stadium wohl nur eine vorbeugend diätetische sein kann, auf welche
überdies in allen Fällen von nervösem Husten das grösste Gewicht zu legen ist.
In diagnostischer Beziehung sei hervorgehoben, dass mehrmalige Rezidive,
welche bei zentral ausgelöstem Husten ohne bestimmte Ursache wiederkehren, den
Gedanken einer beginnenden Lungenaffektion nahclegen.
Dass der Zustand der Lungenspitzen deshalb besondere Beachtung verdient, ist
eine naturgemässe Forderung. Bei Beobachtung VIII wurde auf diesbezügliche Be¬
obachtungen Rosenbach’s und auf seine Erklärungen des abgeschwächten Athmens
und der Rasselgeräusche hingewiesen. Am erspriesslichsten wäre es wohl, wie sonst
immer, jede auskultatorische Aenderung des Athmungsgeräusches auf eine beginnende
Lungenaffektion zu beziehen.
Nebst dem Lungenbefunde ist der Respiration besondere Beachtung zu
schenken. Bei den von uns beobachteten Fällen boten einzelne sowohl hinsichtlich
der Frequenz und des Rhythmus, sowie hinsichtlich des Athmungstypus beim
Athmen und Husten normale Verhältnisse dar. Bei einigen Fällen von anfallsweise
auftretendem Krampfhusten bestanden Unregelmässigkeiten im Rhythmus und der
Tiefe der Respiration analog den bei Hysterie bekannten.
Auffälliger als die Abweichungen hinsichtlich des Rhythmus waren jene be¬
züglich des Athmungstypus. Es kommen nebst entsprechenden Uebergängen
vorwaltend zwei Kategorieen derartiger Störungen in Betracht:
Die erste sahen wir sowohl bei Kindern, wie bei Erwachsenen, ein Verhalten,
welches, wie schon erwähnt, Rosenbach bereits beschrieben hat. Der Thorax be¬
findet sich in einer Art Exspirationsstellung, aus welcher derselbe auch bei den ein-
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382 iiudolf Funke
zelnen Hustenstössen nicht herauskommt, da beim Hustenstosse vorwaltend die
oberen Bauchmuskeln in Verwendung kommen. Dabei befinden sich die Auxiliar-
muskeln im Zustande leichter Kontraktion und erschlaffen nie so vollkommen, wie
es bei der normalen Athmung der Fall sein soll. Die Thoraxexkursionen sind nach
allen Dimensionen hin sehr geringe, was auch in der Schwäche des Exspirations¬
stromes sowohl beim Athmen als auch Husten seinen Ausdruck findet.
Bei der zweiten Kategorie, welche zumeist beim reflektorisch ausgelösten Husten,
und zwar beim reflektorisch vom Kehlkopfe ausgelösten Husten zur Beobachtung ge¬
langt, handelt es sich vorwaltend um forcierte Schliisselbeinathmung mit krampf¬
hafter inspiratorischer Anspannung der äusseren, den Kehlkopf fixierenden Muskeln.
Das Athmungsvolumen ist naturgemäss auch hierbei ein sehr geringes, der Ex¬
spirationsstrom gleichfalls von verminderter Stärke. Während beim erstgenannten
Typus die Hustenstosse bei massig angespannter Auxiliarmuskulatnr erfolgen, vor¬
waltend durch Kontraktion der Bauchmuskulatur, konnten wir im zweiten Falle mit¬
unter das fast gerade entgegengesetzte Verhalten beobachten, indem bei kontinuierlich
mässig kontrahierter Bauchmuskulatur vorwaltend durch Thätigkeit der an der Klavikula
sich inserierenden Muskulatur die Exkursionen des Brustkorbes erfolgten.
Auf die in dem einen Falle fast kontinuierlich ein wenig kontrahierte, im
anderen Falle rhythmisch intensiv arbeitende Halsmuskulatur bei ungenügender In¬
anspruchnahme der eigentlichen Athmungsmuskulatur möchten wir auch die von
Rosenbach erwähnte Thatsache beziehen, dass das inspiratorische Athmen in der
Fossa supraspinata beträchtlich abgeschwächt erscheint, indem es unter diesen Ver¬
hältnissen naturgemäss nur zu einer sehr ungenügenden Betheiligung der Lungen¬
spitzen an der Athmung kommt, welche sich infolge der Spannung der über ihnen
befindlichen Muskulatur nicht frei entfalten können. In dieser ungenügenden Be¬
theiligung der Lungenspitzen an der Athmung mag vielleicht auch die Ursache für
die gleichzeitigen Spitzenaffektionen gelegen sein.
Der forcierten Schlüsselbeinathmung, bezw. der ununterbrochenen Anspannung
der Hals- und Kehlkopfmuskulatur kommt vielleicht auch noch als reizauslösendes
Moment eine Bedeutung zu. Bekanntlich führt diese Art der Respiration bei Sängern
zu rascher Ermüdung und zu mehrfach einsetzendem Hustenreiz. Hiervon kann sich
jeder selbst überzeugen, der die Halsmuskulatur in der früher bezeichneten Weise
angespannt hält. Nach einiger Zeit tritt ein leichtes Fremdkörpergefühl im Halse
auf, welches zumal bei bestehendem leichten Katarrh direkt in einen Hustenreiz
übergeht. Diesem Umstande mag es wahrscheinlich in einer Anzahl von Fällen zu¬
zuschreiben sein, dass die verordneten Athemübungen erfolglos bleiben bloss des¬
wegen, weil hierbei die unrichtige Muskelinnervation fortbesteht.
Bei einigen der beobachteten Fälle war die Betheiligung der Halsmuskulatur
und speziell des Platysma myoides eine so beträchtliche, dass es daselbst zu ryth¬
mischen Zuckungen kam, weshalb es in einem solchen Falle geradezu berechtigt
wäre, von einer Chorea rhythmica laryngis mit spezieller Betheiligung des Platysma
myoides zu sprechen.
Die Grundbedingung für eine dauernde Heilung besteht nun darin, diese
falsche Athmung möglichst rasch zu beheben. Interessant ist es, wie leicht
dies mitunter in allerkürzester Zeit gelingt, trotzdem die betreffenden Patienten diese
Art zu athmen seit langer Zeit ausschliesslich in Verwendung gezogen haben. Das
Wichtigste ist es hierbei, dem Patienten die Art der Störung zum Bewusstsein
zu bringen und ihm mit sinnfälligen Mitteln klar zu machen, wie er eigentlich
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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 383
richtig athmen müsse. Wie so oft, begegnen wir auch hier der noch vielfach nicht
genügend gewürdigten Thatsache, dass es sich speziell bei nervösen Erkrankungs¬
formen als Hauptbedingung darstellt, dem Kranken die Art der Störung zum Be¬
wusstsein zu bringen, und dass damit vielfach der Weg zur Heilung ganz spontan
angebahnt ist.
Der Weg, den wir hierbei einschlagen, gleicht einer vielfach von Gesangslehrern
geübten Methode, welche ihre Schüler anweisen, durch Auflegen der Hände auf die
Brust und den Kehlkopf des Lehrers ohne lange theoretische Erläuterungen die
richtigen Athmungsbewegungen und die richtige Resonanz des Tones auch durch die
Tastempfindung kennen zu lernen.
Ueber drei Thatsachen muss der Patient in jedem Falle orientiert werden:
1. über die zu geringen seitlichen Exkursionen des Thorax und die unrichtige bezw.
ungenügende Betheiligung der Bauchmuskulatur; 2. über die unrichtige und schäd¬
liche Mitbetheiligung der Halsmuskulatur, zumeist verbunden mit Schulterhebung,
und 3. über die ungenügende Stärke des Expirationsstromes.
Ist ein grosser Spiegel zur Hand, in welchem der Patient seinen ganzen Ober¬
körper übersehen kann, so ist es sehr erfolgreich, demselben die Störungen direkt
zu demonstrieren unter gleichzeitigem Auflegen der Hände des Kranken auf die seit¬
lichen Thoraxpartieen des tief und langsam athmenden Arztes. Bei sehr starker Mit¬
betheiligung der Halsmuskulatur an der Athmung nehmen die Patienten ferner eine
etwas nach vorne übergeneigte Haltung des Kopfes ein, weshalb eine stramme mili¬
tärische Haltung als richtige Ausgangstellung für solche Athemgymnastik zu be¬
trachten ist. Nun wird dem Patienten zum Bewusstsein gebracht, wie schwach sein
Exspirationsstrom sowohl beim Athmen, als auch beim Husten ist. Dies geschieht
auf sehr einfache Weise dadurch, dass der Patient seine zweckmässiger Weise etwas
angefeuchteten Finger vor seinen Mund hält, sowohl während er athmet, als während
er hustet. Vergleichsweise wird derselbe angehalten, das Gleiche zu thun, während
der Arzt exspiriert und hustet. Der Unterschied für den Patienten ist meist ein
so sinnfälliger, dass er nach mehreren diesbezüglichen Versuchen darüber orientiert
ist, in welchem Sinne er seine Athmung zu ändern hat. Beim nunmehrigen Beginne
der Athemübungen hat der Arzt darauf zu achten, dass die Athmung ganz genau
über Kommando erfolgt, welches so eingerichtet wird, dass von der seichten und
langsamen Athmung allmählich zu tieferen und rascheren Inspirationen übergegangen
wird. Dabei ist es weiterhin zur Unterstützung mitunter empfehlenswerth, die
Kranken nicht tonlos exspirieren zu lassen, sondern dem Exspirium ein »ch«, »ha«
oder »cha« unterzulegen.
Diese Athemübungen führen mehr oder weniger rasch zu dem angestrebten
Ziele. Unsere diesbezüglichen Erfahrungen gehen dahin, dass es Patienten giebt,
welche den Unterschied sofort erfassen und schon nach wenigen Athemzügen völlig
richtig athmen und sofort berichten, dass sie die Erleichterung und Annehmlichkeit
des richtigen Athmens sehr wohlthuend empfinden. Die Freude des Arztes wird
jedoch im weiteren Verlaufe sehr bald herabgestimmt, denn gerade diese Kategorie
ist es, welche durch mehrmaligen Rückfall in den alten Fehler dem Arzte am meisten
zu schaffen giebt. Trotz der leichten Auffassung gelingt es sehr schwer, den Pa¬
tienten die richtige Art zu athmen dauernd beizubringen, indem die in ihrer Auf¬
fassung etwas leichtfertigen Kranken bei jedesmaliger Vornahme der Athemübungen
dem Arzte ein: »Ich weiss es schon« entgegensetzen und es keineswegs zur angenehm¬
sten Seite der ärztlichen Thätigkcit gehört, einem Kranken klarzumachen, dass er
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384 Rudolf Funke
das, was er weiss, auch wirklich konsequent zur Anwendung bringen müsse. Gerade
bei dieser Kategorie von Kranken ist es nothwendig, die Athemübungen bis zum
Ueberdrusse des Patienten fortzusetzen und noch länger dauernde und intensivere
in Aussicht zu stellen, falls der erzielte Erfolg nicht ein dauernder sein sollte.
So leicht es einerseits gelingen kann, wie durch eine Offenbarung den Athmungs-
typus mit einem Schlage im Sinne der Norm zu ändern, so ist es andrerseits oft
mit den grössten Schwierigkeiten verbunden. Trotz des besten Willens und gehörigen
Verständnisses innervieren die Kranken immer wieder die unrichtigen Muskeln und
es zeigen sich die drolligsten Bilder von Unbeholfenheit bei den ernsthaften Ver¬
suchen dieser Patienten, richtig zu athmen. Obzwar es keinem Zweifeil unterliegt,
dass es ausschliesslich auf diesem Wege gelingen muss, die richtige Athmung herbei¬
zuführen, erscheint es doch mitunter geboten, den Kranken diese Aufgabe zu erleich¬
tern, umsomehr als es gerade bei dieser Behandlung darauf ankommt, den Athmungs-
typus rasch zu ändern. Ausgezeichnete Dienste leistet in einem solchen Falle die
graphische Verzeichnung der Athmung, welche besser als alle anderen Methoden
dem Kranken sein unzweckmässiges und unrichtiges Athmen veranschaulicht. Wir
haben uns vielfach dieser Uebungsart bedient, ohne zu wissen, dass Gad dieselbe
vorher bereits in ganz ähnlicher Weise zu therapeutischen Zwecken erfolgreich in
Verwendung gezogen hatte. Hierbei empfiehlt es sich, den Athmungssack, welcher
die Respirationen durch Luftübertragung einer mässig empfindlichen Marey’schen
Schreibtrommel übermittelt, möglichst tief in der Magengrube anzubringen, um gerade
die Exkursionen der unteren Thoraxpartieen, auf welche es vorwaltend ankommt,
registrieren und dem Kranken demonstrieren zu können. Die Einstellung des Re¬
gistrierapparates muss eine solche sein, das es gelingt möglichst hohe Athemkurven
zu erhalten. Der Kranke wird nun angehalten, Athemübungen vorzunehmen, während
er die von ihm gezeichneten Kurven betrachtet und muss, um die gewünschte Höhe
der Kurven zu erreichen, tief inspirieren, wodurch er die eigentlichen Athmungs-
muskeln in Thätigkeit zu setzen gezwungen ist. Sowie der Patient in seinen alten
Fehler verfällt, wird dies wiederum vom Apparate verzeichnet, und die stetige und
feine Kontrolle verhindert einen Rückfall in den falschen früheren Respirationstypus.
Bei diesen Athemübungen kommt es ferner darauf an, dass vorwaltend die
Inspiration ziemlich energisch erfolge, während die Exspiration hauptsächlich durcli
Erschlaffung der vorher innervierten Muskeln mehr weniger passiv vor sich gehen
soll. Dies erscheint deshalb geboten, weil bei den Exspirationsstössen des Hustens
in einzelnen der von uns beobachteten Fälle die Muskulatur, und besonders beim
Schlüsselbeinathmungstypus die Schlüsselbein- und Schultermuskulatur stark inner-
viert wurde, hauptsächlich aber deshalb, weil auch beim gewöhnlichen Athmen dieser
Patienten im Exspirium die Halsmuskulatur angespannt wird. Die Spannung besteht
mitunter auch beim einfachen Sprechen oder beim Singen fort, in welchem Falle
die Stimme einen gequetschten Charakter annimmt.
Zweckdienlich ist es, nach diesen elementaren Athemübungen zu Uebungen mit
Einschaltung von Athempausen überzugehen und die Frequenz der Athmung zu
variieren.
Diese Athemübungen sind die Vorbedingung zur eigentlichen Athem-
gymnastik, welche auf die Beseitigung des Hustens hinzielt. Mitunter
freilich gelingt es ohne weitere Maassnahmen, nur durch diese Respirationsübungen
den Husten zu beheben.
Die Beseitigung des Hustens erfolgt auf die Weise, dass der hemmende Einfluss
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Zur Behandlung des nervösen Hustens.
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des Willens ausgelöst wild. Je länger ein solcher nervöser Husten dauert, desto
machtloser ist der Kranke dagegen oder richtiger für desto machtloser hält sich der
Patient, destoweniger Energie bringt er auf, um sie dem unwiderstehlichen Husten¬
reize entgegen zu setzen. Es gilt deshalb auch bezüglich des in Rede stehenden
nervösen Hustens, wie bezüglich aller auf ähnliche Weise entstehender nervösen
Symptome überhaupt, dieselben womöglich sofort nach ihrem Entstehen zu beheben,
denn mit der längeren Dauer ihres Bestandes schleifen sich die Bahnen, welche
hierfür in Betracht kommen, immer mehr ein, während die Bahnen des hemmenden
Willens mit der Dauer ihrer Ausschaltung immer schwerer wegsam werden.
Der hemmende Einfluss des Willens wird gerade beim nervösen Husten sowohl
vom Arzte, wie auch vom richtig empfindenden Laien mehrfach angestrebt und der
Patient aufgefordert »den Husten zu unterdrücken«. Das Resultat ist in den meisten
Fällen ein durchaus negatives. Beim Versuche, den Husten zurückzuhalten, presst
zumeist der Patient stark, wiederum unter Anspannung der Halsmuskulatur und for-
zierter Exspirationsstellung, wodurch erfahrungsgemäss der Hustenreiz noch eine
weitere Steigerung erfährt. Misslingt dieser Versuch, von welchem der Arzt die
feste Ueberzeugung hat, dass er gelingen könne, da das subjektive Moment des
Willenseinflusses interferiert, so wird der Patient noch intensiver und energischer
aufgefordert, dem Verlangen des Arztes nachzukommen. Der Erfolg bleibt diesmal
bei noch grösserer Anstrengung des Patienten in gesteigertem Maasse aus, und bald
entwickelt sich auf diesem Wege ein Antagonismus zwischen Patienten und Arzt, da
ersterer sich missverstanden fühlt und infolge des Ausbleibens des Erfolges an der
Richtigkeit der ärztlichen Verordnung zweifelt, während der Arzt wiederum den
guten Willen und das ernste Streben des Patienten in Frage stellt. Und doch
haben eigentlich beide recht: Der Kranke, welcher behauptet, den Husten auf diese
Weise nicht unterdrücken zu können und der Arzt, welcher überzeugt ist, dass der
Kranke durch Willensanspannung den Husten unterdrücken könne. Der Misserfolg
ist jedoch eigentlich Schuld des Arztes, welcher dem Patienten nicht den Weg vor¬
schreibt, auf dem das angestrebte Ziel zu erreichen ist.
Es ist anzustreben, die Behebung des Hustens in einer, womöglich gleich in
der ersten Sitzung zu beheben. Das wird nur bei sehr leicht suggestiblen Patienten
möglich sein und wird in vielen Fällen durch die Unmöglichkeit, den Zustand so¬
fort richtig aufzufassen, verhindert. Auch in dieser Hinsicht eignen sich voraus¬
gehende Athemübungen, welche es ermöglichen, dass der Arzt den Patienten mit
allen seinen Eigenthümlichkeiten kennen lernen kann. Ist der Arzt völlig orientiert
und seiner Sache gewiss, dann eröffnet er dem Kranken, dass in der unmittelbar
anzuschliessenden Sitzung der Husten verschwinden müsse und sofort wird damit
begonnen. Eingeleitet durch Athemübungen und den Auftrag, absolut nicht zu husten,
ergiebt sich mitunter ein harter Kampf, der nicht früher beendet werden darf, bevor
nicht das Ziel erreicht ist. Ein einmaliges Misslingen macht den betreffenden Arzt
zur weiteren Behandlung wenig geeignet, es sei denn, dass er rechtzeitig, ohne dass
es der Kranke merkt, einzulenken versteht, um gleich am nächsten Tage energievoll
•das Begonnene zu vollenden. Dabei ist es bei Patienten, denen infolge vielfacher
vorausgegangener Misserfolge der Aerzte, wovon die meisten unserer Patienten viel
zu erzählen wussten, oder bei den völlig gleichgiltigen nothwendig, zu erklären, dass
die Heilsitzung nicht eher seitens des Arztes beendet werden wird, bevor nicht der
versprochene Erfolg erzielt ist, wodurch dem Kranken der Ernst der Situation vor
Augen geführt wird. Wir fügen auch in jedem Falle noch die weitere Behauptung
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386 Rudolf Fuuke
und Mahnung hinzu, dass auf die Raschheit des Kurerfolges vor allem der ehrliche,
feste Wille des Patienten von grösstem Einfluss ist und dass ein Erfolg nur bei
nicht genügend gutem Willen des Kranken zweifelhaft wäre, in welchem Falle der
Arzt sofort alle Heilversuche abbrechen und den Kranken weiterhin sich selbst über¬
lassen würde.
Für den nervösen Husten hatte Gottstein ganz ähnliche Uebungen angerathen,
wie wir solche gleichfalls seit langer Zeit in Anwendung zogen, eine Methode, welche
sich bei der natürlichen Auffassung des Hustens ganz von selbst ergiebt. Wie tJott-
stein betont, ist es nothwendig, tief Athem zu holen und den Athem anhalten zu
lassen und dies besonders in jenem Momente, in welchem der Hustenreiz einsetzt.
Da sich der Kranke dem Hustenreize willenlos unterordnet und beim leisesten Husten¬
reize reagiert, bedarf es hierbei entsprechender psychischer Beeinflussung in energischer
Weise, und am besten gelingt dies auch in dem Falle, wenn der Arzt, vor dem Patienten
sitzend, zählt und in jenem Tempo hörbar tief athmet, welches im jeweiligen Falle
nothwendig erscheint. Wie schon früher in dieser Zeitschrift bei Besprechung der
Behandlung der Abasie und Astasie unsererseits hervorgehoben wurde, wird die Durch¬
führung der Uebungen dadurch wesentlich erleichtert, wenn der Patient aufgefordert
wird, während der Athemübungen die Augen des Arztes fest zu fixieren, auf welche
Weise es bei ungetheilter Hingabe und konzentrierter Aufmerksamkeit seitens des
Arztes weit eher gelingt, den Kranken zu beeinflussen und dem Willen des Arztes
unterzuordnen.
Den tiefen Respirationen und dem Verharren in Inspirationsstellung kommt be¬
züglich des Hustens ein gewaltiger hemmender Einfluss zu, der vielleicht auch auf
dem Wege der sensiblen Vagusfasern der Lunge vermittelt wird. Unterstützt wird
dieser hemmende Einfluss vielfach durch leichte sensible Reize von der Mundschleim¬
haut aus, von denen man gelegentlich in Form verschiedenartiger Anfeuchtungsmittel
mit einem bestimmten Geschmacke, z. B. mit Menthol, unterstützend Gebrauch
machen kann.
Nicht in allen Fällen gelingt es damit, mit einem Schlage den Husten zu be¬
heben. Offenbar ist in diesen Fällen die Reizschwelle der reflexvermittelnden Bahnen
eine so niedrige, dass der geringste Reiz zur Auslösung des Hustenreflexes Ver¬
anlassung giebt. Um die reflexhemmenden Bahnen in einem solchen Falle möglichst
wegsam zu machen, empfehlen sich neben kräftiger Willensbeeinflussung vor allem
streng rhythmische Bewegungen, wie solche ja in den Athembewegungen von
selbst gegeben sind. Um dies zu ermöglichen, müssen die Athembewegungen zuerst
streng auf gleichmässiges Kommando des Arztes erfolgen, und erst später wird es
möglich und zur Befestigung des erzielten Erfolges sogar nothwendig sein, zu nicht
streng rhythmischen, über Kommando erfolgenden arhythmischen Uebungen über¬
zugehen.
Als Bewegungen solcher Art kommen ferner z. B. vor allem mit dem Athmcn
synchrones Oeffnen und Schliessen des Mundes mit oder ohne gleichzeitigem Hervor¬
strecken der Zunge in Betracht. Nicht uninteressant ist es, wie in Beobachtung XI
die betreffende Patientin selbst instinktmässig auf dieses wirksame Mittel verfallen ist.
Unbedingt nothwendig sind solche Mitbewegungen bei den als Chorea laryngis
verzeichneten Fällen. Wohl ist es nothwendig und wichtig, die Patienten auf¬
zufordern, die Bewegungen durch einen festen Willensentschluss zu unterdrücken,
was auch in einer Anzahl von Fällen gewiss genügen wird. In einer Zahl von Fällen
wird man jedoch damit sein Auslangen nicht finden, einestheils weil der schwache
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Zur Behandluug dos nervösen Hustens. 387
und mangelhaft geschulte Willensimpuls ungenügend ist, anderestheils deshalb, weil
bei Beseitigung der Bewegungen in einer Muskelgruppe durch die Willenskraft die¬
selben in anderen Gruppen auftreten. Hier giebt es kein besseres Mittel, als bei
gleichzeitigen Athembewegungen über Kommando verschiedene Muskelgruppen ab¬
wechselnd und unvermittelt in Thätigkeit zu setzen.
Bei Krampfformen, welche sich auf verschiedene Muskelgruppen erstrecken,
wirkt bekanntlich die gewaltsame Lösung des Krampfes in einem wenn auch kleinen
Muskelgebiete hemmend auf die Krämpfe in anderen Muskelgebieten und bringt die¬
selben rasch zum Verschwinden. Ob dabei der damit verbundene sensible Reiz auch
eine hemmende Wirkung entfaltet, oder ob der Hemmungseinfluss nur durch motorische
Bahnen vermittelt wird, mag dahingestellt bleiben.
Eine ganz gleiche Erfahrung kann man auch beim nervösen Krampfhusten unter
Mitbetheiligung der Hals- und Schultermuskulatur machen, indem man während des
Husteuanfalles analog dem Naegeli’schen Handgriffe den Unterkiefer rasch und
kräftig nach unten und vorne zieht. Wie mit einem Schlage kann Hustenkrampf
und Krampf der übrigen Muskulatur behoben sein. Naegeli erblickt die Wirkung
dieses Verfahrens darin, dass hierdurch mechanisch die Spannung der Halsmuskulatur
gelöst und durch das gleichzeitige Heben von Kehlkopf und Zungenbein, wie dies das
Lüften des Unterkiefers bewirkt, der Kehldeckel geöffnet und die Stimmbänder ent¬
spannt werden.
Auf diese Weise ist es uns in allen Fällen, unter denen sich auch sehr hart¬
näckige und schwer zu beeinflussende befanden, gelungen, den nervösen Husten zu
beseitigen. An Konsequenz und Ernst darf es hierbei naturgemäss nicht fehlen.
Ist der nervöse Husten beseitigt, so bedarf der betreffende Patient noch längere
Zeit der führenden Hand und der Kontrolle des Arztes, um jegliches Rezidiv, jeg¬
liches Sichgehenlassen im Keime zu ersticken. Ebenso wichtig ißt es, durch ent¬
sprechende diätetische Maassnahmen oder Bäderbehandlung den Ernährungs¬
zustand möglichst zu heben. Zu diesem Zwecke ist eine angemessene Luft¬
veränderung gleichfalls oft sehr empfehlenswerth, besonders dort, wo z.B., wie
bei Beobachtung II, die unmittelbare Heimkehr wieder jene Verhältnisse bedingen
würde, welche sich als Ursache der Erkrankung darstellten. Reize und Reizmittel
jeder Art müssen ferngehalten werden, gleichwie Verdauungsstörungen mit Obstipation,
Flatulenz und gleichzeitiger Indikanurie vermieden werden müssen, ebenso wie speziell
bei Kindern auch nach dem Sistieren des Hustens der Anwesenheit von Helminthen
Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. v
Die bahnende und hemmende Uebungstherapie, welche die angemessene Psycho¬
therapie in sich schliesst, giebt die Mittel an die Hand, den nervösen Husten zu be¬
seitigen. Gegenüber den anderen Behandlungsmethoden mit ihren oft unberechen¬
baren Folgen stellt sie sich in der Hand des individualisierenden Arztes als eine
werthvolle erziehliche Heilmethode dar, welche bei richtiger Anwendung den Arzt
sicherlich nicht im Stiche lassen wird.
Zum Schlüsse meiner Darlegungen fühle ich mich gedrängt, meinem hoch¬
verehrten Lehrer, Herrn Hofrath Professor Pribram, für die freundliche Unter¬
stützung und die Ueberlassung mehrerer Fälle meinen ergebensten Dank abzustatten.
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388
C. E. Daniels
TT.
Die Thermometrie am Krankenbette.
Historische Aufzeichnungen
von
Dr. C. E. Daniels,
Amsterdam.
Borsq’on voit tant de resultats obtenus par le
seul secours d’un peu de mercure enferme dans un
tube de verre, et qu’on sor.g'e qu’un morceau de fer
suspendu sur un pivot a fait ddcouvrir le nouveau
moude, on congoit que rieu de ce qui peut agrandir
et perfectionner les sens de Thomme, ne doit 8tre
pris en legöre consideration. BioL
Schon fünf Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung haben die Aerzte, wie sich
aus den Schriften des Hippokrates ergiebt, der Wärme des Körpers besondere Auf¬
merksamkeit gewidmet. Sie sahen in ihr nicht nur die unzertrennliche Gefährtin des
Lebens, sondern auch die Verkünderin der Gesundheit, und schrieben jede Störung
in dieser dem Wechsel der Körperwärme zu.
Und als man nun beobachtet hatte, dass es eine Abweichung vom normalen
Zustande giebt, die stets verbunden ist mit bedeutender Erhöhung der Körperwärme,
so lag es auf der Hand, dass man derselben den Namen mper/ig oder -öpi^tg (von
-op d. h. Feuer), oder febris (von fervere, d. h. brennen), das deutsche Fieber, gab.
Schon sehr früh bildete das Fieber den Gegenstand der ausgedehntesten Unter¬
suchungen, denn es erregte Aufmerksamkeit, dass der Kranke sich um so unbehag¬
licher fühlt, je mehr die Wärme in ihm zunimmt, sodass man diese allmählich als
einen Maassstab für die Krankheit zu betrachten anting, nach welchem man den
grösseren oder geringeren Ernst des Zustandes zu beurtheilen vermöge. Denn wie¬
wohl man die Heftigkeit des Fiebers zur Zeit des Hippokrates auch schon nach
dem Pulse bestimmte 1 ), so wurde doch die Wärme des Patienten dabei gebührend
in Betracht gezogen und durch die Betastung geschätzt. Allein schon vor ungefähr
1900 Jahren wurden Stimmen laut, welche entschieden davor warnten, dass man
dieser Wärme einen allzu grossen Werth beilege, nach deren Quelle und Sitz ja die
Aerzte und Physiologen aller Zeiten von Hippokrates bis in die Mitte des 19. Jahr¬
hunderts mit dem grössten Eifer geforscht haben.
Cornelius Celsus (?—80 n. Chr.) u. a. bezweifelte, ob das Fieber wirklich stets
verbunden sei mit einer bedeutenden Erhöhung der Körperwärme. »Es giebt noch
einen anderen Umstand«, sagte er, »auf den wir rechnen, die Körperwärme, aber
die kann sehr täuschen. Sie entsteht ja auch durch Sommerhitze, durch die Arbeit,
>) »Interim tarnen ex pluribus Hippocratis locis patet, quod et pulsus exploraverit in aegris
et ex pulsu de febris inagnitudinc judicaverit« sagt unser Landsmann G. van Swieten in seinen
Commcntaria in II. Boerhaave, Aphorisraos (Taurini 1747), Tom. II pars prima S. 15 und 10, und
er bekräftigt dies dann durch verschiedene Citate aus dem Coacae Praenotiones. Ich erwähne dieses
hier, weil schon wiederholentlich, selbst noch in unseren Tagen, darüber Zweifel geäussert worden
sind und zwar nach meiner Meinung ganz unbegründete.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
389
Die Thermometrie am Krankenbette.
den Schlaf, die Furcht, die Sorgen« '). Und da er zur Erkennung des Fiebers auch
dem Pulse allein nicht traute, »weil dieser oft langsamer oder schneller wird durch
das Alter, das Geschlecht und die Natur des Körpers, und auch durch die Sonne,
durch Anstrengung und Furcht, durch Zorn und verschiedene Gemüthsbewegungen«,
kommt er zu dem Resultate, dass man bei jenen beiden Erkennungsmitteln auf die¬
selben Schwierigkeiten stösst. Deshalb sagt er auch, dass Anwesenheit zu grosser
Wärme bei dem Kranken allein nicht genüge, um Fieber zu konstatieren; hierzu
müssen noch viele andere Zeichen von gestörten Funktionen daneben wahrgenommen
werden können 2 ).
Auf Grund jenes von Celsus konstatierten Einflusses der Gemüthsbewegungen
auf die Pulsfrequenz giebt er allen Aerzten einen Rath. Diese goldene Lehre um¬
fasst ein ganzes Kapitel ärztlicher Verhaltungsregeln und ist sicherlich noch ebenso
wahr, als da sie ausgesprochen wurde; sie hat in den achtzehn Jahrhunderten nichts
von ihrem Werthe verloren. Deshalb wünsche ich ihr hier ein Plätzchen einzuräumen
zu Nutz und Frommen aller, die sie lesen werden, und mit dem Wunsche, dass die
jüngeren, und vielleicht auch älteren Kollegen sich ihrer täglich erinnern mögen.
Sie lautet im Originale also: »Adeo ut, cum primum medicus venit, sollicitudo
aegri dubitantis, quomodo illi se habere videatur, eas (venas) moveat. Ob quam
causam periti medici est, non protinus ut venit apprehendere manu brachium, sed
primum residere hilari vultu, percunctarique quemadmodum se habeat, et si quis
ejus metus est, eum probabili sermone lenire, tum deinde ejus carpo manum ad-
movere. Quas antem venas conspectus medici movet, quam facile mille res turbant!«
In der Uebersetzung also: Sodass, wenn der Arzt eintritt, die Ungewissheit des
Kranken, welchen Eindruck er auf den Arzt machen werde, den Puls in Bewegung
bringt, beschleunigt. Weshalb ein kluger Arzt verpflichtet ist, nicht sofort nach
seiner Ankunft die Hand nach dem Pulse auszustrecken, sondern mit heiterer Miene
sitzen zu bleiben und zu fra en, wie sich der Kranke befinde, und wenn dieser viel¬
leicht etwas ängstlich ist, ihn durch freundlichen Zuspruch zu beruhigen und erst
dann die Hand zu erfassen. Denn wie leicht kann ja der durch den Anblick des
Arztes beschleunigte Pulsschlag grosse Verwirrung erzeugen! — Bekanntlich geben
die Franzosen dieser Pulsfrequenz den eigenthümlichen Namen »pouls du mödecin«.
Claudius Galenus (128—198 n. Chr.), dessen Lehren mehr als 12 Jahrhunderte
als Gesetzbuch für medicinisches Denken galten, sah dagegen in der erhöhten Körper¬
wärme das bedeutsamste Kennzeichen, ja das Wesen des Fiebers. Das Fieber ist,
sagte er, die Umsetzung der angeborenen Wärme in eine mehr brennende Hitze,
welche dadurch entsteht, dass die inwendig zurückgehaltene Wärme verhindert wird,
herauszutreten.
Der Sitz der Wärme ist nach seiner Meinung im Herzen; von da .aus verbreitet
der Puls die Wärme durch den ganzen Körper. Darum giebt der Puls den Wärme¬
grad an*).
Die Beobachtung dieser Fieberwärme geschah, auch zu Galenus Zeit, nur da¬
durch, dass man die Hände auf die Brust des Kranken legte; besonders wollte man
dadurch die Art der Wärme kennen lernen. »Ist sie brennend«, sagt er, »so wird
man sehen, dass es Fieber ist, selbst bevor man noch den Puls gefühlt hat« <)• Aus-
J) van S’wieten, L c., S. 14.
2 ) van Swieten, 1. c., S. 13 u. 14.
3 ) P. Lorain, Etudes de medocine cliniquc I. S. 58— CI.
Galeni, Synopsis librorum suorum de pulsibus Bd. 9. Kap. 41. S. 475.
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UMIVERSITY OF MICHIGAN
390
C. E. Daniels
Fig. 67.
drücklich wurde dabei jedoch vorgeschrieben, dass die Hände des Beobachters nicht
zu kalt sein durften.
Das von Celsus geäusserte Bedenken gegen die erhöhte Wärme als Kenn¬
zeichen des Fiebers wird von Galenus nicht verneint, wohl aber beschränkt durch
die Definition; »wenn die Wärme so ausserordentlich zu¬
genommen hat, dass sie den Menschen belästigt und ihn
an seiner Thätigkeit behindert, so ist Fieber vorhanden.
Wir sprechen jedoch nicht von Fieber, wenn die vermehrte
Wärme, so hoch sie auch gestiegen sei, keinen Nachtheil
verursacht ')•
Eine fast gleichlautende Auffassung wird später auch
von dem berühmten arabischen Arzte Avicenna (980 bis
1037) in seinem Kanon ausgesprochen; »nur die Fieber¬
wärme Ubt einen schädlichen Einfluss auf die natürlichen
Funktionen aus«, sagt er.
Der erste, welcher sich mit Wärmemessung am
Krankenbette beschäftigt hat, ist Sanctori us-Sancto-
rius (1561 — 1636), Professor der Medicin zu Padua, Ver¬
fasser des berühmten Buches: De Statica Medicina. Ihm
gebührt der Name des Erfinders der klinischen Thermo-
metrie. Er, der alles wägen und messen wollte und sich
nur mit in Zahlen ausdrückbaren Resultaten begnügte,
konnte sich mit der bisher befolgten Methode, Puls und
Wärme mit der Hand zu fühlen, nicht befreunden. Er
wollte ein Instrument haben, das mit strenger Objektivität
angäbe, wie schnell das Herz klopft, und wieviel Wärme
sich dabei entwickelt. Für ersteren Zweck erfand er, ohne
Zweifel unter dem Einflüsse von Gallilei’s Pendel¬
versuchen, ein Sphvgmometer oder Pulsilogium. Es ist
eine bleierne Kugel, welche an einem in der Hand ge¬
haltenen Faden hängt, der unter dem Einflüsse der Blut¬
bewegung an einer in Grade eingetheilten Skala Schwin¬
gungen macht. Hiermit maass er die Schnelligkeit des
Pulses in gesunden Tagen; »darnach können wir in Tagen
der Krankheit beobachten, wie gross die Verringerung
des natürlichen Zustandes ist, was bei der Erkennung,
Prognose und Behandlung einer Krankheit von höchster
Bedeutung ist«.
Behufs Bestimmung der Körperwärme verfertigte ei
| ein anderes Instrument, das er auf folgende Weise be-
l schreibt: Es ist ein Glasgefäss, womit wir bequem alle
'Stunden die kalte oder warme Temperatur messen und
mit vollkommener Genauigkeit wahrnehmen können, wie¬
viel,;die Temperatur von der vorher gemessenen natürlichen Wärme abweicht (Fig. 67).
Dieses Gefäss ist von Hero zu einem anderen Zwecke empfohlen; wir haben es
jedoch abgeändert, um die Wärme aller Körpertheile kennen zu lernen und um den
!) van Swictcn, 1. t\, S. 15.
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Die Therraometrie am Krankenbette.
391
Wärmegrad der Fieberkranken zu unterscheiden, was auf zwei Weisen stattlinden
kann. Erstens, wenn die Kranken das kugelförmige Ende des Instrumentes mit der
Hand umfassen; und zweitens wenn sie dieses Ende vor den offenen Mund halten
und darauf hauchen. In beiden Fällen geschieht dieses während einer gewissen,
mit dem Pulsilogium gemessenen
Zeit, z. B. in zehn oder mehr 68 -
Pulsschlägen, um den nächsten
Tag sehen zu können, ob das
Wasser in derselben Zeit wieder
ebenso hoch steigt, wenn der
Kranke abermals dasselbe thut;
daraus können wir schliessen, ob
sich der Kranke in einem besse¬
ren oder in einem schlechteren
Zustande befindet, sowie die
Unterschiede erkennen, welche
so klein sind, dass die Aerzte
sie ohne Instrumente nicht wahr¬
nehmen können, was denn zur
Folge hat, dass sie in der Er¬
kennung, der Vorherbestimmung
und der Behandlung gewöhnlich nur blindlings darauf los gehen (»inde in cognitione,
praedictione et curatione hallucinantur«) 1 ).
Aber, fährt Sanctorius fort, in dem Buche über die Instrumente werden
wir noch verschiedene Abbildungen von Glasinstrumenten geben, die demselben
Zwecke dienen. Diese werden dann in dem Index instrumentorum angeführt als
>Instrumenta quibus dimetimur caliditatis febrilis gradus«, so dass die Meinung des
Verfassers keinen Zweifel übrig lässt. Für den Gebrauch der zwei wichtigsten In¬
strumente giebt er folgende Anweisung: Der Patient nimmt den kugel¬
förmigen oberen Theil (Fig. 68) während einer bestimmten Anzahl von
Pulsschlägen in den Mund. Dadurch wird das Wasser in dem Instrumente,
je nachdem die Wärme des Herzens grösser ist, mehr und mehr sinken,
und den höchsten Unterschied im Wärmegrade »ultimas graduum caloris
differentias« angeben. Und wenn wir dies nun täglich wiederholen, werden
wir erkennen, ob die Wärme des Herzens zu- oder abnimmt; und dieses
ist von sehr grossem Interesse, besonders bei der Behandlung von Fieber¬
kranken.
Das zweite Instrument unterscheidet sich von dem hier beschriebenen
sowohl in seiner Form wie in der Weise des Gebrauches. Zunächst ist
die Glasröhre hier gerade, hat eine eingetheilte Skala daneben, und am
oberen Ende entweder die Form einer halben Kugel (Fig. 69), oder die
einer eingedrückten Kugel (Fig. 70). Das Instrument mit der Halbkugel hat den
Zweck, mit der flachen Seite in der Herzgegend oder an irgend einem anderen
Körpertheile angelegt zu werden; dasjenige mit der eingedrückten Kugel muss mit
der hohlen Seite vor den Mund gehalten werden, und dann muss einmal kräftig
Fig. 09.
i) Sanctorii-Sanetorii, C'omraentaria in primain fen primi libri Canonis A v i c e n n ae
(Vonetiis MDCLX). S. 31, 32.
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C. E. Daniels
392
darein gehaucht werden (»semel et vehementer expirando ore aperto in partem supe-
riorem vitri quae concava est«), wodurch das Wasser mehr oder weniger steigen
wird . . . Auch durch dieses Instrument können wir die Körperwärme und nament¬
lich die Fieberwärme von einem Tage zum anderen, und selbst von einem Paroxys-
mus zum anderen, mit einander vergleichen, wodurch wir
mit Sicherheit die Zu- oder Abnahme der Fieberhitze und
die Anzahl Grade derselben kennen lernen.
' Zu richtigem Verständniss der von Sanctorius mit-
getheilten Einzelheiten sei hier erwähnt, dass die von ihm
benutzten Thermometer sämmtlich Luftthermometer waren.
Die Kugel wird durch die Hände, irgend einen anderen
Körpertheil oder die ausgeathmetc Luft des Kranken erwärmt
und die darin befindliche Luft also ausgedehnt; gleich darauf
wird die mit der Kugel verbundene Glasröhre in ein mit
kaltem Wasser gefülltes Gefäss gesteckt. Bei der Verkühlung
der Kugel steigt dann das Wasser in die Glasröhre, und die
Höhe der Wassersäule ist dabei der Maassstab für die
grössere oder geringere Wärme, die in der Kugel entstand
und vom Kranken stammte.
Aus Vorstehendem ergiebt sich meines Erachtens mit
vollkommener Deutlichkeit, dass in der That Sanctorius als der Vater der Thermo-
metrie am Krankenbette betrachtet werden muss.
Mit Befremden liest man denn auch, was Wunderlich von ihm sagt 1 ),
nämlich, dass er »der Erste war, welcher ein thermometrisches Instrument, das er
überdcm selbst erfunden und konstruiert habe, zur Bestimmung der Eigenwärme des
Menschen verwendete«, und dass es Erwähnung verdiene, »dass Sanctorius die
zwei Hauptkriterien für die Aenderungen im Gesammtzustande des Organismus,
Wärmemessung und Wägung, in ihrer Wichtigkeit erfasst hat«.
Ich meine, dass Sanctorius wohl auf ein Wort warmer Anerkennung Anspruch
hat; denn er sprach die Ansicht aus, dass man die Schwere, die Intensität einer
Krankheit, namentlich bei Fieberkranken, kennen muss, wenn man sie mit Erfolg
bekämpfen will, und wendete Mittel an, um diesen Zweck zu erreichen. Er sagt
es ja: Lange Zeit schon haben wir erwogen, auf welche Weise und wodurch die
Schwere der Krankheit endlich einmal erkannt werden könnte 2 ).
Sanctorius hat in der That darnach gestrebt, sowohl die Diagnose als auch
die Prognose fieberhafter Krankheiten von dem wechselnden, unzuverlässigen Boden
der menschlichen Schätzung hinüber zu bringen auf den festen unwandelbaren Grund
des von Naturgesetzen gelenkten und für Nerveneinflüsse unzugänglichen Instrumentes,
von dessen Unfehlbarkeit er überzeugt war. »Ideo quod alii medici conjectura de
Fig. 70.
') C. A. Wunderlich, Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten. Leipzig 1860. S. 62-
-) Sanctorius, 1. c., S. 28. In diesem merkwürdigen Buche, dessen erste Auflage im Jahre
1020 zu Wien erschien, behandelt er u. a. die Frage: Inwieweit die Medicin aus Vermuthungen be¬
stehe oder darauf beruhe, »Qua ratione ars mcdica sit conjccturalis?«. Er giebt darauf zur Antwort,
dass sie dies thuc in Bezug der Schwere der Krankheiten und bezüglich der Heilmittel und beruft
sich dabei auf Galenus’ Worte: Um das richtige Heilmittel anwenden zu können, muss man nicht
nur die Art der Krankheit kennen, sondern auch ihre Schwere; und zu dieser Kenntniss gelangt
man, wenn man die Grösse der Abweichung vom natürlichen Zustande misst, was bis jetzt nur
nach Muthmaassungcn geschieht.
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Die Thermometrie am Krankenbette.
393
motu pulsuum percipiunt, nos merito pulsilogii cognitionem infallibilem consequi
valemus« sagt er (S. 310). Sanctorius hat dieMedicin mit den Naturwissenschaften
in Berührung gebracht, sie auf das Gebiet der exakten Wahrnehmung geführt. Er
hegte Ansichten, die erst Jahrhunderte später zu ihrem Rechte kommen sollten und
hat dadurch gezeigt, dass er seinen Zeitgenossen nur etwa 250 Jahre voraus war 1 2 ).
So geschah es denn auch, dass mehr als hundert Jahre verstrichen, ehe sich
wieder jemand mit der thermometrischen Untersuchung von Kranken beschäftigte.
Zwar hatte Alfonso Borelli (1608—1679), Professor zu Messina und zu Pisa, ein
Thermometer in die Brusthöhle eines lebenden Hirsches gesteckt, um die Wärme
des Herzens zu bestimmen, und war dabei zu der Ueberzeugung gelangt, dass nicht
das Herz der Hauptsitz der thierischen Wärme ist; doch dieses physiologische Experi¬
ment ist kein Faktum, das als zur klinischen Thermometrie gehörend betrachtet
werden kann. Mit Unrecht ruft demnach Lorain aus: »La premiere application du
thermometre ä la m^decine et ä la Physiologie fut donc faite par Borelli, et cette
unique expßrience suffit pour ruiner une tMorie vieille de vingt siecles«*).
Es wären vielleicht von Borelli, dem Stifter der iatro-mathematischen Schule,
auf dem Gebiete der Thermometrie noch andere Mittheilungen und Beobachtungen
zu uns gelangt, wenn nicht sein Unterricht in der Mathematik und später die Pest
seine ganze Zeit in Anspruch genommen hätten. Und für die völlige Vernachlässi¬
gung, das gänzliche Ignorieren der thermometrischen Krankenuntersuchung seitens
anderer Aerzte, lässt sich vielleicht eine Erklärung finden in den Lehren zweier
Männer, welche nach einander auf medicinischem Gebiete damals den Ton angaben,
es waren J. B. van Helmont und Frans de le Boe Sylvius. Weder in der
Febrium doctrina inaudita des ersteren, noch in des letzteren chemiatrischen An¬
sichten vom Fieber war dem Thermometer ein Platz angewiesen. Sie bedürften des¬
selben nicht, weil die erhöhte Körperwärme ihnen zu sehr Nebensache war.
Ganz anders unser grosser Landsmann Herman Boerhaave (1668—1738); von
ihm sagt G. C. B.Suringar 3 ), dass er, »was die Grundlehren seiner Heilwissenschaft
betrifft, zu den'Vertretern der iatro-mathematischen Theorie gehörte«; er hegte also
vom Wesen des Fiebers eine Meinung, welche entschieden zur Anwendung des
Thermometers hinneigte.
So sagt er in seinem 563. Aphorismus: »In omni febre a causis internis orta
horripilatio, pulsus velox, calor, vario febris tempore vario gradu, adsunt«. Und
dass er diesem verschiedenen Wärmegrade beim Fieber einen bedeutenden Einfluss
1) Id dem Biographischen Lexikon der hervorragenden Aerzto aller Zeiten und Völker hat
L. J. Pagel in seinem Lebensabriss des Sanctorius die Worte niedergeschrieben: »Auch soll,
nach Nclli, Sanctorius bereits eine Art von Thermometer gekannt haben, das in der Schrift:
Commentaria in artem medicinalem Galeni (sic!) (Venedig 1612, fol.) beschrieben ist«. Wenn
Pagel, anstatt sich auf Nelli zu verlassen, selbst die Werke des Sanctorius zur Hand genommen
hätte, so würde er in dem Kommentar auf Avicenna die wichtigen Mittheilungen gefunden haben,
die uns den gelehrten Sanctorius erst recht kennen lehren. Dann würde er bemerkt haben, dass
die Heilwissenscbaft nicht nur bezüglich der Kenntniss der perspiratio insensibilis, sondern auch
hauptsächlich in Bezug auf die Thermometrie bei Kranken dem Sanctorius grossen Dank schuldet,
wovon man sich bis jetzt noch keine genügende Vorstellung gemacht hat.
2 ) Lorain, a. a. 0., S. 101.
s) G. C. B. Suringar, Het theoretisch geneeskundig onderwijs van Boerhaave, enz. in
Nedcrl. Tijdschrift voor Geneeskunde. Jaarg. 1866.
Zftitachr. f. diät u. physik. Thorapio Bd. V. Hoft .1. oy
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C. E Danif'l»
394
zuschreibt, geht schon daraus hervor, dass er dem »Calor febrilis« nicht weniger als
26 Aphorismen widmet, von denen der erste, der 673., lautet: Die äussere Fieber¬
wärme erkennt man mittels des Thermoskops, die innere durch das Gefühl des
Kranken und durch dieRöthe des Urins (»Calor febrilis thermoscopio externus; sensu
aegri et rubore urinae internus cognoscitur«).
Weil nun aber in keinem der folgenden Aphorismen vom Thermoskop die Rede
ist, und es mir auch nicht gelang, in Boerhaave’s übrigen Schriften irgend etwas
Näheres über den Gebrauch oder die Vortheile jenes Wärmemessers zu finden, so
erhob sich in mir die Frage, ob man wohl mit Recht unserem grossen Landsmanne
das Verdienst zuerkennt, zuerst die klinische Thermometrie angewendet zu haben?
Und dennoch bemerkte ich, dass hierüber die vollkommenste Uebereinstimmung
der Ideen herrsche.
Haeser 1 ) sagt nämlich: »Hierdurch entsteht Steigerung der Temperatur, zu
deren Bestimmung bereits Boerhaave das Thermometer benutzte«. Wunderlich 2 )
schreibt: »Aber erst hundert Jahre nach ihm (Sanctorius) wurde die Wärmemessung
wieder aufgegriffen, nachdem die Instrumente für dieselbe sich wesentlich vervoll¬
kommnet hatten. Es war der grosse Boerhaave, welchem dieses Verdienst zu¬
kommt«. Liebermeister s ) erzählt: »Nachdem unter anderen bereits Boerhaave
und sein Kommentator van Swieten Temperaturbestimmungen bei Kranken gemacht
hatten, wurden u. s. w.«. Da Costa Alvarenga 4 ) sagt: »Boerhaave, der die alte
Lehre vom Fieber bekämpfte, glaubte u. s. w. Aber er hat sich doch des Thermo¬
meters zur Bestimmung der Wärme in Krankheiten bedient. Im Aphorismus 673
sagt der ausgezeichnete Leidener Professor, die äussere Wärme werde durch das
Thermometer erkannt u. s. w.«.
Indessen lässt er darauf folgen: »Aber weder Boerhaave, noch seine Schüler
haben uns klare Resultate ihrer Beobachtungen übertragen, woher es scheint, dass
sie die ganze Wichtigkeit der klinischen Thermometrie nicht gekannt haben«.
Aus dieser Mittheilung geht deutlich hervor, dass Alvarenga, sowie die
anderen angeführten Schriftsteller, ihr Urtheil sich ausschliesslich nach dem Inhalte
des 673. Aphorismus bildeten, und dass ihnen keine näheren Umstände von Boer¬
haave’s thermometrischer Thätigkeit bekannt gewesen zu sein scheinen.
Ausserdem erregte es meine Aufmerksamkeit, dass Lorain 5 ) sich schon etwas
weniger apodiktisch ausdrückte, als er sein Kapitel über Boerhaave mit den Worten
begann: »Boerhaave a connu l’usage clinique du thermometre«;dassG.C.B. Suringar
in seiner bereits angeführten klassischen Abhandlung über Boerhaave’s klinische
Vorlesungen mit keinem einzigen Worte davon spricht, trotzdem er dessen Pvretologie
sehr ausführlich behandelt; und dass Max Salomon, der im Biographischen
Lexikon der hervorragenden Aerzte den Lebensabriss von Boerhaave verfasste, bei
Besprechung der Verdienste desselben als klinischen Lehrers, sich auf folgende
Worte beschränkt: »Sodann muss es ihm hoch angerechnet werden, dass er die
Unterweisung der Studierenden am Krankenbette, soweit es die spärlichen Universitäts-
M Ilaescr, Lehrbuch der Geschichte der Medicin. 3. ßoarb. Bd. 2. S. 5ü7.
-) Wunderlich, a. a. 0 , S. 32.
3) C. Liebcriueister, Handbuch der Pathologie und Therapie des Fiebers. Leipzig 187a. S. 29.
i) P. F. Da Costa Al varenga, Gnindziigc der allgemeinen klinischen Thermometrie u.s. w.
Aus dem Portugiesischen übersetzt. Stuttgart- 1873. S. 7. u. 8.
5) Lorain, a. a. 0., S. 137.
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Die Thermometrie am Krankenbette. 395
mittel gestatteten, erweiterte und vervollkommnete«, und dass er dabei mit keinem
einzigen Worte der Einführung des Thermometers am Krankenbette erwähnt.
Da es mir jedoch scheinen will, dass jener 673. Aphorismus, auf welchen sich
alle berufen, die in Boerhaave den Vater der klinischen Thermometrie feiern, keinen
geuügenden Grund dazu darbietet, weil er nichts anderes enthält, als dass die äussere
Fieberhitze mittels des Thermoskop erkannt wird, dass man sie mittels des Thermo-
skops erkennen kann — eine Erklärung, die schon Sanctorius ungefähr in den¬
selben Worten abgegeben hat —, so beschloss ich, über diese Frage eine gründlichere
Untersuchung anzustellen.
Es war mir, wie gesagt, nicht gelungen, in Boerhaave’s eigenen Schriften
hierüber etwas genaueres zu finden; deshalb verfolgte ich den naheliegenden Ge¬
danken, in den Schriften seiner Schüler zu suchen und zwar besonders in den
Kommentaren zu seinen Aphorismen. Der erste, welcher sich an diese gewiss nicht
leichte Aufgabe wagte, ist ein anonym gebliebener Schriftsteller, der im Jahre 1728
unter dem Titel: Praxis medica, sive Commentarium in aphorismos H. Boerhaave
de cognoscendis et curandis morbis, zu Padua eine Erläuterung zu den Aphorismen
herausgab, wovon 1731 und 1738 in London ein zweiter und ein dritter Druck, und
endlich 1745 zu Utrecht ein vierter Druck erschien.
Darin lesen wir im § 673 folgendes: »Die Wärmeerscheinung ist so häufig in
Fiebern, dass die hervorragendsten Aerzte behauptet haben, die Wärme mache das
Wesen des Fiebers aus. Was die Wärme ist, wissen wir nicht; nur das ist sicher,
dass sie in Thermoskopen die Luft ausdehnt. Falls die Fieberwärme in den äusseren
Theilen, welche der Arzt betasten kann, ihren Sitz hat, so ist sie leicht nachzuweisen«.
»Durch das Thermoskop. Denn meines Wissens giebt es ein unfehlbares
Mittel, zu erfahren, ob mehr Wärme vorhanden ist als in einem gesunden Menschen.
Zu diesem Zwecke nimmt man ein Thermoskop in die fest geschlossene Hand und
behält es einige Zeit darin, oder, falls dies nicht genügt, steckt man es in den Mund
und behält es einige Zeit darin, jedoch ohne durch den Mund zu athmen; so kann
die Wärme ganz genau verzeichnet werden.«
Aus diesem Paragraphen ergiebt sich nur, dass Boerhaave mit dem Inhalte
des oben erwähnten Buches von Sanctorius bekannt war und dessen Ansichten
theilte.
Der anonyme Verfasser fügt jedoch noch etwas hinzu, das unsere Aufmerksam¬
keit verdient. In seiner Vorrede sagt er, dass ums Jahr 1714 verschiedene Zuhörer
Boerhaave’s das von ihm in seinen Kollegien diktierte mit der grössten Sorgfalt auf¬
geschrieben und danach die Niederschriften mit einander verglichen haben; als Er-
gebniss dieser Vergleichung entstand auf diese Weise ein vollständiger Bericht von
seinen Vorträgen. Weil die Aphorismen ohne diese Erklärung schwer verständlich
sind (»licet hic libellus sine his explicationibus sit valde obscurus«), so wird dieser
Bericht von ihm veröffentlicht. Wir dürfen also annehmen, dass dasjenige, was er
mittheilt, in der That von Boerhaave gesagt worden ist; deshalb wollen wir einen
Augenblick dabei verweilen. Der Anonymus fährt nämlich fort: »Wenn also ein
Arzt mit. einem derartigen Instrumente im Anfänge eines Wechselfiebers (Tertian¬
fiebers) die Wärme messen will, so muss er es anwenden zu derjenigen Zeit, wo der
Kranke grössere Hitze hat, und dann wird er das Maass haben; wenn aber die Wärme
eine innere ist, so muss dies aus dem Gefühle des Kranken erkannt werden; denn
je grösser die Wärme inwendig ist, desto grösser ist die Kälte in den äusseren
Theilen.«
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396 C. E. Daniels
Aus dieser Stelle ist also deutlich zu ersehen, dass Boerhaave die Anwendung
des Thermoskops in der Zeit der Kälte für unnütz erachtet und verwirft, weil in
dieser Periode die Wärme damit nicht gemessen werden kann, nach seiner
Meinung.
Denn so sagt er im 623. Aphorismus: »Hieraus zeigt sich, was die Fieberkälte
bedeutet, was sie vorhersagt, und warum das Fieber um so gefährlicher ist, je
heftiger die Kälte im Anfang des Fiebers auftritt«; und im 698. Aphorismus: »Aus
dieser ganzen Lehre vom Fieber kann man schliessen, dass ein Fieber im aller¬
höchsten Hitzegrade pestbringend (tödtlich) ist.«
Boerhaave sah also Gefahren für das Leben, sowohl in einem bedeutenden
Sinken, wie in einer starken Steigung der natürlichen Wärme im Fieber. (In peste
incipiente frigus summum, progressa calor maximus. Aphorismus 623.) Die Kälte
aber, im Anfang des akuten Fiebers, wird verursacht durch die geringere Reibung
der Flüssigkeiten untereinander und in den Gefässen, durch eine verlangsamte kreis¬
förmige Bewegung (Aphorismus 621), während gerade (Aphorismus 100) die erhöhte
Wärme eine Folge der vermehrten Bewegung und der erhöhten Reibung des Blutes
und der Bluttheilchen untereinander ist.
Nach Boerhaave’s Fieberlehre konnte also in der Periode der Kälte keine
erhöhte Wärme bestehen, da nach seiner Meinung eines das andere ausschliesst.
Diese Ansicht zu widerlegen war seinem Schüler de Haen Vorbehalten.
Der zweite konsultierte Kommentator ist der später so berühmt gewordene
Gerard van Swieten (1700—1772), welcher erst nach dem Tode seines Lehrers
sein grosses Werk über dessen Aphorismen herausgab.
Bei Besprechung des 563. Aphorismus (s. S. 393) sagt er u. a.: »Aber die Fieber¬
hitze wird gleichfalls durch Vergleichung mit der Wärme des gesunden Menschen
gemessen, und durch das Tastgefühl oder durch das Thermometer (was viel sicherer
ist) entdeckt«.
Seine Betrachtungen über den 673. Aphorismus lauten im allgemeinen wie folgt:
In diesem Paragraphen wird nun besprochen, auf welche Weise die Anwesenheit des
Fiebers erkannt werden kann. Denn die Wärme wird sowohl in der äusseren Ober¬
fläche des Körpers wahrgenommen, als sie während des Lebens in den inneren Höhlen
des Körpers vorhanden ist; unter übrigens gleichen Verhältnissen ist sie von innen
stets grösser, weil die Wärme der äusseren Theile durch die uns umringende Lufl,
welche kälter ist als unser Körper, stark herabgesetzt wird. Durch äussere Be¬
tastung lässt sich die äussere Wärme von Fieberkranken indessen wohl wahrnehmen;
aber ihre verschiedene Intensität ist nicht so leicht zu unterscheiden, weil die
Empfindung der Wärme bei uns durch mancherlei Ursachen verschieden sein kann.
So wird z. B., wenn unsere Hände kalt sind, die Hand eines Kranken uns warm
scheinen, während die Hand uns kaum lau Vorkommen wird, wenn wir unsere Hände
durch Reiben oder auf andere Weise stark erwärmt haben. Die zuverlässigste Wärme-
bcstimmung geschieht deshalb mit Thermoskopen, die nach ihrem ersten Erfinder
Fahrenheit’sche genannt werden, und jetzt sehr hübsch zu haben und bequem bei
sich zu tragen sind; diejenigen, welche statt anderer Flüssigkeiten Quecksilber ent¬
halten, sind die weitaus genauesten. Mit einem solchen Thermometer wird erst die
Wärme eines gesunden Menschen gemessen, und meistens ist diese auf einer daran
befestigten Skala angezeigt (dies ist also der uns bekannte rothe Strich bei 37 0 C).
Wenn hierauf ein Fieberkranker dasselbe Thermometer während einiger Minuten in
der Hand hält, oder die Kugel in den Mund nimmt, oder wenn diese ihm auf die
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Die Thermomctrie am Krankenbette. 397
Brust oder in die Achselhöhle gelegt wird, so wird man ans der verschiedenen Höhe
des steigenden Quecksilbers ersehen, um wieviel die Fieberwärme die natürliche,
gesunde Wärme übertrifft.
Auf diese Weise lernt man aber offenbar nur die Wärme der äusseren Körper¬
oberfläche oder der Mundhöhle kennen, welche Theile der freien Luft ausgesetzt sind
und also stets eine geringere Wärme zeigen werden als die inneren Theile. Dazu
kommt noch, dass bisweilen in gewissen Krankheiten die äusseren Körpertheile
wenigerWärme aufweisen, während jedoch die inneren Theile verbrannt werden, wie
Hippokrates im brennenden Fieber beobachtet hat. Das Vorhandensein einer
solchen Wärme wissen wir aber durch das Gefühl der Kranken, welche in diesen
verhängnissvollen Krankheiten gewöhnlich über unerträgliche Hitze klagen. *)
Aus Vorstehendem sehen wir mit völliger Gewissheit, dass van Swieten den
Gebrauch des Thermometers am Krankenbette gekannt und vermutlich dieses In¬
strument auch angewendet hat. Nichts aber zeigt uns, wo und wann er es gesehen
oder benutzt hat; es bleibt wenigstens ungewiss, ob er es in Leiden auf der Klinik
Boerhaave’s 2 ) gesehen hat, weil er in dem ganzen Kommentar dessen Namen nicht
nennt, wie er dies z. B. bei Besprechung des folgenden Aphorismus thut, wo wir
lesen: »Dum celeberrimus horum Aphorismorum Auctor coram auditoribus suis de
igne in publicis praelectionibus chemicis diceret, consideravit ignem tanquam rem etc.«
Es lässt sich ja wohl nicht bezweifeln, dass eine solche Neuheit, wie die Be¬
stimmung der Temperatur bei Fieberkranken, auf alle, die es in jenen Tagen
empfehlen hörten und ausftthren sahen, einen tiefen Eindruck gemacht haben muss.
Der Lehrer, als er seinen Schülern die Mittheilung machte, wird ja sicherlich über
die Wichtigheit der, bis jetzt nur von Sanctorius anempfohlenen, Untersuchungs¬
methode sich ausführlich verbreitet haben.
So kam es denn, dass ich, nachdem ich die beiden Kommentare gelesen hatte,
noch keineswegs von der Richtigkeit der allgemein angenommenen Meinung über¬
zeugt war, und deshalb meine Untersuchung fortsetzte.
Zum Ausgangspunkte wählte ich die Praelectiones academicae von Boerhaave,
die nicht von ihm selbst veröffentlicht worden sind, sondern 1742, mit Noten ver¬
sehen von seinem berühmten Schüler Albrecht v. Haller, zuerst durch den Druck
bekannt gemacht wurden ®). Im zweiten Theile fand ich ein Kapitel: Arteriae vis et
actio in Humores, und darin einen Paragraphen, den 220., wo wir in voce calor lesen:
»Er (sie) entsteht im menschlichen Körper durch die Dicke des Blutes (welche von
der Anzahl rother Blutkörperchen abhängt) in Verbindung mit der Reibung und der
Schnelligkeit der Bewegung. Zum Messen dieser Wärme dient das von Fahrenheit,
1) van Swieten, a.a.O.Tom. 2. § (573.
2 ) van Swieten promovierte 1725, im Alter von 25 Jahren, in der Medicin und widmete
sich dann gänzlich dem Studium seines Faches. Er erlangte denn auch 1736, zwei Jahre vor Boer-
haave’s Tode, die Lizenz als Privatdozent Vorlesungen zu halten über die Institutiones medicac,
während im Jahre 1741 der erste Theil seiner Kommcntaria erschien. Konnte er sich nun auch
rühmen, beinahe 20 Jahre lang den Unterricht Boerhaave’s genossen zu haben, so ist doch die
Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass die Mittheilungen über die klinische Thermometrie ursprüng¬
lich von ihm selbst stammen, namentlich, wenn man erwägt, dass Boerhaave infolge seiner lang¬
wierigen Krankheit in seinen letzten Lebensjahren gewiss weniger guten Unterricht gab als früher.
Der geniale Schüler könnte sehr leicht dem grossen Meister in seinen alten Tagen nach der Krone
gestrebt haben.
•>) H. Boerhaave, Praelectiones academicae, Edidit et notas addidit Albertus Haller,
Amstelaedami 1742. Tom. 2. S. 293.
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einem Amsterdamer Mechaniker, verfertigte Thermoskop. [Sie sind kurz, in 11*2 Grade
eingetheilt, von denen der letzte den Siedepunkt angiebt, von einer Glasröhre um¬
schlossen. Oft hat unser Lehrer uns ermahnt, wir sollten doch ja mit
diesem kleinen Instrumente das Fieber untersuchen. Aber das Ungewohnte
dieses Experiments verursachte denen, die nicht damit bekannt waren, grossen
Schrecken.]«
»Das Thermoskop wird erst beobachtet an einem nicht zu warmen Orte und
zwar wird der Grad aufgezeichnet, bei welchem die gefärbte Flüssigkeit stehen bleibt
Hierauf wird es in den Mund eines gesunden Menschen gesteckt, der während des
Versuchs nur durch die Nase athmet, damit nicht die Kälte der äusseren Luft das
Resultat verderben kann. Nachdem es aus dem Munde genommen ist, wird es so¬
fort abgelesen, und dann weiss man, wieviel Grad das menschliche Blut wärmer ist
als die atmosphärische Luft« J ).
Aus vorstehenden Zeilen ersehen wir, wie man sieht, aufs Bestimmteste, dass
in der That unserem Boerbaave das Lob gebührt, bei seinen klinischen Kollegien
zuerst den Gebrauch des Thermometers eingeführt und seinen Schülern empfohlen zu
haben. Nach dieser unzweideutigen Erklärung seines Schülers v. Haller ist hier¬
über jeder Zweifel ausgeschlossen.
Kein geringeres Verdienst bezüglich der klinischen Thermometrie erwarb sich
ein anderer Niederländer, weil er sich zuerst auf systematische Weise des Thermo¬
meters am Krankenbette bediente und die Thermometrie in dem Sinne auffasste wie
wir es thun.
Diese Ehre gebührt Antonie de Haen (1704—1776), einem Arzte im Haag,
der ebenfalls ein Schüler Boerhaave’s war; er wurde von van Swieten nach Wien
berufen und ward dort der Stifter des klinischen Unterrichts an der Universität
»Zu seinen Verdiensten gehört«, sagt Haeser in einer kurzen Lebensbeschrei¬
bung im Biographischen Lexikon, »die allerdings schon früher von anderen, z. B.
Boerhaave, empfohlene diagnostische Verwerthung des Thermometers.«
Will man sich aber eine richtige Vorstellung machen voh de Haen’s Ver¬
diensten hinsichtlich der Thermometrie am Krankenbette, so lese man sein berühmtes
Buch: Ratio medendi in nosocomio practico etc. Diesem habe ich denn auch folgende
Mittheilungen entnommen:
Zunächst zeigte sich deutlich, dass de Haen vollkommen vertraut war mit der
Technik der Thermometrie, wie wir diese jetzt verstehen.
Er gebrauchte bei seinen Patienten Thermometer von verschiedenen Fabrikanten,
und um sicher zu gehen, verglich er sie zur Prüfung ihrer Richtigkeit mit einem
Musterthermometer (»exploravi ad magnum universale thermometrum, quod subtilis
artifex Pr ins magno cum labore ipse adornaverat«) 2 ). de Haen regulierte also
seine Thermometer zum klinischen Gebrauche.
i) Calor, oritur voro in corpore humano a densitate sanguinis (inde fit, ut globulorum ra¬
hm rum copia aucta, calor sanguinis augeatur in animalibus), conjuncta cum adfritu et velocitate
motus. Mensurain ejus praebet thcrmoscopiuin Fahrcnhcidii (sic), inechanici Amstelacdamensis
industna fabricatum. (Brevia sunt, gradubus notata 112, qui citra ebullitioncm terminantur, inclusa
vasculo vitreo. Saepe monuit praeceptor ut ea machinula febres exploraremus. Sed
insolentia experimenti male terret non adsuetos.) Id primo observatur loco mediocriter calido, et
notatur gradus in quo liquidum tinctum substitit. Tum vero ori sani hominis inseritur, qui, dom
experimentum capit, aeretn per solas narcs ducit, ne frigus exterai aeris eventum turbet. Exemtum
subito observatur et habetur gradus caloris, quo sanguis humanus superat aerem atmosphaericum.
'-) A. de Haen, Katio medendi in nosocomio practico. Parisiis 1782. Tom. I. S. 198 und 199.
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Die Thcrmometric am Krankenbette. 399
Nach Anlegung des Thermometers Hess er dieses eine geraume Zeit liegen,
damit es nach einmaligem Gebrauche seine Wärme ablegen könne, bevor es wieder
gebraucht würde (»et ne quandoque thermometrum a thermometro tantillum differret,
unicum modo adhibitum est, ea lege, ut post singulam adplicationem calorem de-
poneret, antequam denuo adplicaretur«) J ). de Haen schlug also sein Thermometer
ab, würden wir sagen können.
Er machte viele Experimente, um die Zeit zu bestimmen, während welcher das
Thermometer liegen bleiben muss, um die richtige Zeit anzugeben. Zwar sagen uns
Boerhaave u. a. (so lesen wir auf S. 196 und 198 in Caput X, De supputando
calore corporis humani) wie warm der Mensch oder irgend ein anderer Gegenstand
ist, aber wie lange Zeit sie das Thermometer angelegt haben, fügen sie nicht hinzu.
Und dass dieses zu allernächst untersucht werden muss, bevor irgend etwas mit
vollkommener Gewissheit darüber sich konstatieren lässt, beweisen die folgenden
Beobachtungen, die ich an mir selbst und einer grossen Anzahl andrer gesunder
Menschen und darnach an einer grossen Anzahl Kranker gemacht habe. Aber nicht
einmal oder zehnmal, nein, sehr viele Male sind diese Versuche wiederholt worden
und haben stets dasselbe Resultat ergeben.
Und nachdem er die Vorzüge seiner verschiedenen Thermometer hervorgehoben
hat, sagt er, er müsse nach den angestellten Versuchen zu der Schlussfolgerung
kommen, dass die Temperatur noch nie mit der erforderlichen Genauigkeit bestimmt
worden sei (>ex datis experimentis id debui concludere, quod defectu adplicationis
tempus determinandi, neque sanorum, neque aegrorum calor rite fuerit determinatus«).
Als Endergebniss seiner Untersuchungen erklärte er dann, dass das Thermo¬
meter, um den richtigen Wärmegrad angeben zu können, eine Stunde still liegen
müsse.
»Ut ex omnibus hisce haec fit certa conclusio, qui gradum caloris in dato
homine juste determinare gestit, eum horae integrae spatio thermometron adplicare
debere« J ). Er hatte nämlich beobachtet, dass ein Thermometer, welches jede halbe
Viertelstunde abgelesen wurde, bei einem gesunden Menschen in der ersten halben
Viertelstunde eine gewisse Höhe erreicht, um dann im Laufe der ganzen Stunde bis¬
weilen noch vier bis sechs Grade zu steigen.
Indessen fügt er hinzu, dass die Steigung nicht immer stattfindet, sondern nur
in einzelnen Fällen, und dass sie nicht während der ersten Viertelstunde wahr-
i) de Haen, a. a. 0.Tom. 2. S. 180.
-) de Haen, a.a. 0. Tom. 2. S. 176. Nach Mittheiluug dieses Ausspruches lässt Lieber-
meister (1.c. S 3ö) folgen: »einige Jahre später dagegen gab er an, das Thermometer erreiche
schon in einer Viertelstunde seinen höchsten Stand« (Tom 7. S. 212 der Ratio medendi). Und was
steht nun auf S. 212 der pars septima? »Constitit quoque, experimentis infinities repetitis, mediu-m
horae quadrantem sufficere, ad hominis explorandum cum thermometro calorem, additis ad
notatum tune gradum gradibus binisc. C’cst ainsi qu’on öcrit l’histoire! Dass der Tübinger
Professor wohl noch mehr solcher Ungenauigkeiten auf seinem Gewissen hat, ersieht man auch aus
demjenigen, was er einige Seiten früher (S. 29) über de Haen mittheilt: »Während aber noch
de Haen und ebenso seine Vorgänger und Zeitgenossen weit davon entfernt waren, das Thermo¬
meter für die Zwecke der ärztlichen Praxis zu benutzen, sondern dasselbe nur in vereinzelten Fällen
hauptsächlich zur Konstatierung theoretisch wichtiger Thatsachen an wendeten, wurde es u. s. w.«.
Und doch hatte er vorher bezeugen müssen: »von de Haen (wurden) die ersten methodologischen
Untersuchungen ausgeführt, welche den Grund legten für die Thermometrie am Krankenbette und
welche die Fieberlehre mit einigen Fundamenthalthatsachcn bereicherten«. Ist da nicht die Frage
erlaubt, ob Liebermeister überhaupt jemals de Haen’s Ratio medendi in der Hand gehabt
haben mag?
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genommen wird. Und darauf lässt er folgen, ohne Zweifel mit Rücksicht auf die
Privatpraxis, dass ein Arzt, falls er wegen anderweitiger Beschäftigungen seine Zeit
braucht (»si medicus aliunde occupatior suo tempore eget«), selten irren wird, wenn
er nach Anlegung des Thermometers während einer Viertelstunde einen oder zwei
Grade zu der beobachteten Temperatur hinzuzählt 1 ), de Haen bestimmte also die
Dauer einer thermometrischen Beobachtung, wenn er auch dabei nicht zu dem näm¬
lichen Resultate gelangte wie wir.
Um die Richtigkeit seiner Temperaturbeobachtungen zu prüfen, machte er
ferner Tabellen*) der von ihm bestimmten Temperatur bei Säuglingen, bei Kindern
von 5—10 Jahren und bei alten Leuten im »Bürgerkrankenhaus«, das zugleich Waisen¬
haus, Greisenstift und Armenhaus war und 1400 Pfleglinge beherbergte. In diesen
Tabellen giebt er von jedem Individuum das Alter, die Dauer der Anwendung (7,5
und 15 Minuten) und die Temperatur in Graden Fahrenheit.
Ueber das mittlere Lebensalter Angaben zu machen hielt er für unnöthig, weil
eine unzählige Menge Beobachtungen ihn gelehrt hatten, dass die Temperatur dann
stets schwankte zwischen 95 und 98 o F. Gleichwohl meint er hierzu bemerken zu
müssen, dass er gesunde Menschen angetroifen habe, welche nicht 95 oder 96, son¬
dern 97 oder 98, ja bisweilen sogar 99 0 angaben und dass man also bei einem
Menschen mit natürlicher höherer Temperatur nicht ausschliesslich nach dem Thermo¬
meterstande auf Fieber schliessen darf.
Er sagt ferner, dass all diese Beobachtungen gemacht wurden an Menschen, die
im Bett lagen und rund um das Thermometer gut bedeckt waren und zwar wurde
dieses unter der Achsel angelegt. Zwei oder dreimal täglich liess er laut ver¬
schiedener Krankengeschichten») die Temperatur aufzeichnen, de Haen gebrauchte
also Temperaturlisten wie wir.
Ueberdies möge hier erwähnt sein, dass de Haen sich das Verdienst erworben
hat, dass er zuerst die Erhöhung*der Temperatur in der Periode der Kälte bei
Febris intermittens beobachtete. So erzählt er selbst von einem Knaben im Kranken¬
hause, der sehr über allgemeinen Frost klagte, obgleich kein einziger Körpertheil,
ausser der Nasenspitze, sich kalt anfühlte. Das Thermometer war 101 0 F, d. i. 4,5
bis 6 0 über der normalen Temperatur. Als der Frost auf hörte und die Wärme an¬
fing, blieb der Thermometerstand der nämliche, in der Fieberhitze aber zeigte er
104 ° F. Und von einem anderen sagt er, das unter der Achsel angelegte Thermo¬
meter sei gestiegen, während der Kranke gerade ein heftiges Kältegefühl über den
ganzen Thorax angab 1 ).
Aus Vorstehendem scheint mir zur Genüge hervorzugehen, wie trefflich de Haen
die Thermomctric am Krankenbette angewendet hat. Wenn wir auch über die Dauer
der Anwendung andrer Meinung sind als er, so stimmt doch seine Gebrauchsweise
sehr überein mit dem Verfahren der heutigen Aerzte. Nicht mit Unrecht ruft darum
Lorain auch am Ende seines ausführlichen Kapitels über de Haen begeistert aus:
»Quo manque-t-il ä de Haen? Les courbes!«
Bedenkt man nun, welch grossen Einfluss de Haen durch Stiftung der ersten
1) de Haen, a. a. 0. Tora. 2. S. 170. — Tom* 3. S. 383.
2 ) de Haen, a. a. 0. Tom. 2. S. 180 u. ff.
•'*) de Haen, a. a. 0. Tom. 7. S. 39 und 40.
«) de Haen,,a. a. 0. Tom. 1. S. 201 und 205.
Original from
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Die Thermometrie am Krankenbette. 401
Klinik und Poliklinik zu Wien 1 ) auf die Entwicklung der medicinischen Wissen¬
schaft im allgemeinen ausgeiibt hat, so muss man sich in der That wundern, dass
mit seinem Tode auch die klinische Thermometrie ins Grab sank und darin nicht
weniger als 75 Jahre verblieb*).
Zwar wurde von dem Edinburger Arzte James Currie (1756—1805), der
seine Typhuskranken schon mit kalten Begiessungen behandelte, regelmässig die
Temperatur unter der Zunge mit dem Thermometer festgestellt 3 ), allein er blieb
ohne Nachfolger. Und doch hatte Currie so ausdrücklich gesagt, »dass eine sorg¬
fältige Beobachtung der thierischen Wärme und der sie beeinflussenden Funktionen,
wenn auch besonders nöthig in Fieberkrankheiten, doch auch von grosser Wichtig¬
keit sei in allen anderen Krankheiten« 4 ). Seine Landsleute aber legten seinen Worten
nicht viel Werth bei und anderwärts machte man sich selbst darüber lustig. So er¬
zählt uns Wunderlich, dass z. B. Hegewisch, der Currie’s Medical reports im
Jahre 1801 im Deutschen herausgab, nach eigener Aussage diese Stelle beinahe
weggelassen, jedoch nur mitgetheilt habe als einen merkwürdigen Beweis von dem
traurigen Zustande der Heilkunde in England in jenen Tagen*). Im Jahre 1821
wurde in Deutschland abermals die Aufmerksamkeit auf Currie’s bedeutsames Buch
gelenkt und zwar von Hufeland. In einem Preisausschreiben forderte er zur Be-
urtheilung der von Currie empfohlenen äusserlichen Behandlung des Fiebers mit
kaltem Wasser auf, indem er die Bestimmung hinzufügte, dass der Gebrauch des
Thermometers vor und nach der Anwendung des Wassers dabei gefördert werde.
Trotzdem aber, dass zwei recht tüchtige Arbeiten eingingen, welche in Hufeland’s
Journal (1822) auch veröffentlicht wurden, verhielt sich die medicinische Welt doch
vollkommen gleichgültig dieser Neuheit gegenüber.
In den Jahren 1835—1840 begannen jedoch in Frankreich Bouillaud und
Piorry, sich mit der Thermometrie zu beschäftigen. Letzterer suchte selbst die An¬
wendung des Thermometers in der Privatpraxis zu befördern, indem er bekannt
machte, dass er ein kleines Thermometer in einer Metallhülse im Sthetoskop bei sich
trage und also jederzeit zur Hand habe. Leider aber verlangte er bei Feststellung
der Temperatur, bei der Beobachtung so vieler Vorsichtsmaassregeln, dass jeder¬
mann von einem Versuche abgeschreckt wurde. Durch diese Umständlichkeit seines
Verfahrens sind auch seine eigenen Wahrnehmungen so unzuverlässig ausgefallen,
dass sie nur’ zum Lachen reizen können.
*) cfr. Th. Puschmann, Die Mcdicin in Wien während der letzten 100 Jahre. Wien 1884.
S. 18 und 19.
*) Alvarcnga a. a. 0. S. 9 sagt: »Dies sei vermuthlich eine Folge davon, dass de Haen aus
seinen äusserst genauen Beobachtungen keine Folgerungen zog und daher nicht gezeigt hat, welche
grosse Bedeutung die Thermometrie für die Diagnose und die Prognose der Krankheiten hat«.
*) Es ist merkwürdig, welche wichtigen und doch schon sehr bald vergessenen Verbesserungen
Currie an dem Thermometer angebracht hat. Um den Arzt bei der Beobachtung und Aufzeich¬
nung nicht beständig mit der vom Kranken ausgcathuieten Luft in Berührung zu bringen, hatte er
die Thermometerröhre rechteckig machen lassen und wurde der vertikale Theil, worin die Skala
war, am Rücken angelegt und so der Stand davon abgelescn. Ausserdem gebrauchte er Thermo¬
meter mit einem »Index von Sixt«, das ist ein eisernes Stäbchen, das auf der Quecksilbersäule
ruht und durch nmgebogene Spitzen stehen bleibt, wenn diese sinkt; er hatte also eigentlich ein
Maximal thermomcter (s. Dechambre, Dictionnaire cncyclopaedique des Sciences inödicales, in voce
thermomötrie mCdicale. S. 198).
<) James Currie, Medical reports on the effect of water cold and warm as a remedy in
fever and other diseases. Liverpool 1797. S. 621.
*) Wunderlich, a. a. 0. S. 36.
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Gavarret verkündigte um diese nämliche Zeit als eine Neuigkeit die Erhöhung
der Temperatur während des Stadium frigoris bei Wechselfiebern, und jedermann
nahm diese Mittheilung als etwas Neues auf, da niemand wusste, dass unser de Haen
diese Thatsache schon 70 Jahre früher beobachtet und beschrieben hatte.
Und wenn in dieser Zeit anderwärts das Thermometer zur Hand genommen
wurde, so geschah dies fast immer nur zum Zwecke physiologischer Untersuchungen,
zur Bekämpfung oder zur Unterstützung von Lavoisier’s Wärmelehre, nie aber zu
klinischen Zwecken.
Doch muss man eigentlich den Zeitraum der Wiedergeburt und der Entwick¬
lung der Thermometrie vom Jahre 1835 an datieren, und, um ganz richtig zu gehen,
mit Alvarenga denselben in eine französische Periode (1835—1850) und in eine
deutsche Periode (1850—1870) eintheilen, wenn auch die Untersuchungen aus diesem
ersten Zeitabschnitte den klinischen Gebrauch des Thermometers nicht gerade be¬
deutend erweitert haben. In der zweiten Periode dagegen und namentlich in der
letzten Hälfte derselben, zwischen 1860 und 1870, sehen wir die klinische Thermo¬
metrie sich erstaunlich schnell entwickeln, ja fast sehen wir sie die heutige Höhe
erreichen. Zunächst verdanken wir dieses dem Berliner Privatdozenten L. Traube,
welcher durch Veröffentlichung seiner trefflichen Abhandlung: »Ueber Krisen und
kritische Tage« (1851—1854) die Aerzte mit genauen Temperaturangaben (zweimal
täglich »in der Remissions- und in der Exacerbationszeit« genommen) erfreute,
sowie auch mit den vor seiner Zeit noch unbekannten Temperaturkurven, welche er
erdachte, um seine Ideen über die Krisis und die Lysis einem jeden deutlich zu
machen J ).
Neben Traubejsteht Wunderlich, der nach seiner eigenen Aussage durch
dessen mündliche Mittheilung veranlasst wurde, im Oktober 1851 zuerst Temperatur¬
bestimmungen in seiner Klinik einzuführen. Und nachdem er durch eine sehr sorg¬
fältige Anwendung derselben auf eine grosse Anzahl Patienten ihren Werth genügend
hatte kennen lernen, erschienen hinter einander von seiner Hand einige gründliche
Studien, worin er die Thermometrie mit Wärme empfahl. Zu den merkwürdigsten
dieser Abhandlungen zähle ich die »Vorlegung einiger Elementarthatsachen aus der
praktischen Krankenthermometrie und Anleitung zur Anwendung der Wärmemessung
in der Privatpraxis«, *) weil sie einen hübschen Blick in die früheste Entwickelungs¬
phase der heutigen Thermometrie gewährt. Darin vertheidigt erst Wunderlich
27 Sätze über den pathognostischen Werth der Temperatur eines Kranken; dann wider¬
legt er »die hauptsächlichsten Einwürfe gegen die Ausführlichkeit der ‘Thermometrie
in der Privatpraxis«. Diese sind:
1. »Es soll, sagt man, zu schwierig und zu kostspielig sein, solche Instrumente
zu erwerben, mit denen derartige »feine« Untersuchungen ausgeführt werden können.«
1 ) Dass man vor 1850 in Berlin nicht an klinische Thermometrie dachte, beweist folgende
Thatsache: In der ersten dreimonatlichen Lieferung der Annalen dos Charitökrankenhauses. die
laut der Vorrede mit ausserordentlicher Sorgfalt redigiert wurde und im Februar 1850 erschien,
findet sich ein ausführlicher Artikel von demselben Traube, über die Behandlung des Typhus ab¬
dominalis und der Pneumonie in Schönlein’s Klinik. In den hierbei mitgetheilten Kranken¬
geschichten finden sich beständig die Ausdrücke: »Temperatur stark erhöht«, oder: »Temperatur
fortwährend erhöht«, ohne mehr, neben genauen Zifferangaben von Pulsschlägen und Athmung-
Wunderlich erwähnt denn auch den 18. Juni 1850, an welchem Tage Traube seine ersten
systematischen Temperaturbeobachtungen machte, als einen Gedenktag, den die Aerzte nie ver-
gesssen dürfen.
*) Archiv der Heilkunde, redigiert von Wagner. Leipzig 1860. 1. Jahrgang. S. 385.
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Die Thermometrie am Krankenbette. 403
2. »Es soll zu mühselig sein, auf den Gängen der Privatpraxis den Thermo¬
meter mit herumzutragen.«
3. »Dem vielbeschäftigten Praktiker soll es an Zeit fehlen, solche umständlichen
Untersuchungen vorzunehmen.«
4. »Man fürchtet Schwierigkeiten von Seite der Kranken«, wie man früher den¬
selben Einwurf der Perkussion und Auskultation gemacht hat.
5. »Es könne leicht dahin kommen, dass ein wärmemessender Arzt die Berück¬
sichtigung anderer gleichfalls werthvoller Zeichen vernachlässigen werde.«
6. »Von geübten Praktikern kann der Einwurf gemacht werden, dass sie des
Thermometers nicht bedürfen, da ihre Hände eine so feine Empfindlichkeit erworben
haben, dass sie zur Schätzung der Wärme jedes Instrument ersetzen.«
Solchen Einwendungen entgegenzutreten hielt der gediegene Gelehrte, welcher
damals schon fast zehn Jahre mit grosser Vorliebe dem Studium der klinischen
Thermometrie oblag, noch für nöthig im Jahre 1860!
Nachdem er mehrere wichtige Abhandlungen über den Nutzen der Thermometrie
bei Typhus und bei Pneumonie veröffentlicht hatte, gab er im Jahre 1868 sein
grösseres Werk: »Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten« heraus, welches,
wie Winter 1 ) mit Hecht bemerkt, Wunderlich’s Namen für alle Zeiten in der Ge¬
schichte der Medicin auf einen ehrenvollen Platz erhebt. Als ob er sich wegen
seiner Anmaassung, dass er den Berufsgenossen aufs Angelegentlichste den Nutzen
der Thermometrie am Krankenbette darzuthun suche, entschuldigen darf, führt er
in seinem Vorwort nicht weniger als 18 Gründe an, um dieses zu erklären, indem
er die klassische Definition hinzufügt:
»So ist also die Krankenthermometrie eine objektive physikalische
Untersuchungsmethode, welche Zeichen von physikalischer Exaktheit,
messbare, in Zahlen ausdrückbare Zeichen liefert; welche empfindlich genug
ist, den Veränderungen im Organismus auf jedem Schritte zu folgen, und welche
ein von den Gesammtvorgängen im Organismus abhängiges Phänomen für
die ärztlichen Schlüsse zur Verfügung zu stellen vermag.« 2 )
Ohne Zweifel darf somit auf Grund des bisher Gesagten Carl August
Wunderlich (1815—1877) als der Mann bezeichnet werden, der mehr als jeder
Andere für die Einführung der klinischen Thermometrie gethan hat, und zwar nicht
bloss in seinem Vaterlande, sondern über die ganze Welt.
1) Biographisches Lexikon (1er hervorragenden Aerzte, in voce Wunderlich
2 ) Wunderlich, a. a. 0. S. 50.
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404
E. Achert
XII.
Tuberkulose und Herzkrankheiten unter therapeutischen
Gesichtspunkten.
Von
Dr. E. Achert
in Bad Nauheim.
Die engen Beziehungen in der Physiologie des Zirkulations- und Respirations¬
prozesses legen uns die Frage nahe, ob nicht pathologische Zustände des einen
Organs irgend einen Einfluss auf solche des koordinierten auszuüben vermögen; und
in der That liegt die Zeit noch nicht allzuweit hinter uns, in der Rokitansky die
Lehre von der Ausschliessung der Lungentuberkulose durch gewisse organische Herz¬
klappenfehler unangefochten aussprechen durfte.
Als ich im vergangenen Winter in der I. medicinischen Universitätsklinik des
Herrn Geheimrath v. Leyden auf der Abtheilung des Oberarztes an der Königl. Charite,
Herrn Privatdozent Dr. Paul Jacob mich mit der physikalischen Diagnostik und
Therapie der Herzkrankheiten befasste, wurde ich durch Fälle, die eine Komplikation
von Tuberkulose der Lungen mit Herzklappenfehlern aufwiesen, auf vorliegendes
Thema aufmerksam.
Wie jede andere Organgruppe, so ist auch das zentrale, wie periphere Gefäss-
system der Infektion durch Tuberkulose ausgesetzt, und die Betrachtung derartiger
pathologischer Manifestationen an den einzelnen Theilen des Herzens liegt uns zu¬
nächst ob.
Der Natur der Sache nach wird die Diagnose wohl immer nur eine anatomische
sein, die auf Grund einer Obduktion gewonnen wird.
Aus der statistisch zusammengestellten Litteratur geht hervor, dass es folgende
Formen der Herztuberkulose giebt:
I. Extrapericardiale, auf Pericard und Myocard fortgesetzte Tuberkulose.
II. Perimyocardiale, wo einfach tuberkulisierende oder auch, miliartuberkel-
haltige, verkäsende Pericardialexsudatmassen diffus oder in Knotenform
auf das Myocard übergehen.
III. Rein myocardiale.
IV. Rein endocardiale.
Hier schliesst sich an die Tuberkulose der Gefässe:
I. Der Arterien.
II. Der Venen.
Die Tuberkulose des Pericards äussert sich durch Eruption von einzelnen
Tuberkelknötchen auf den serösen Blättern mit oder ohne begleitende Entzündung.
Dabei kann die tuberkulöse Pericarditis als primäre Affektion dastehen, ohne dass
sich anderweitige Herde auffinden Hessen, oder sie kann im Verlauf der Phthisis
pulmonum erscheinen; im letzteren Fall sind es besonders die bereits tuberkulös
infizierten Lymphdrüsen, welche die Bronchi begleiten und das Mediastinum ausfüllen,
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Tuberkulose und Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. 405
von welchen aus per contiguitatem eine Arrosion und ein Durchbruch in den Herz¬
beutel hinein erfolgt.
Die Tuberkulose des Myocards ist bis jetzt selten beobachtet worden. Sie
stellt sich dar als:
1. Umschriebene, gross-und kleinknotige; die Knoten von miliarer bis Walnuss¬
grösse, erstere gewöhnlich Miliartuberkeln analog; letztere können Konglomerat¬
tuberkeln sein oder auch nur einer die kugelige Geschwulstform innehaltenden zeilig¬
tuberkulösen Proliferation ihre Entstehung verdanken.
2. Diffuse Tuberkulose, dadurch charakterisiert, dass sie in massiger Aus¬
bildung die Herzmuskulatur einnimmt und endlich das Epithel und Endocard in
eine homogene, käsige Masse verwandelt. Hier stellt sich vorzugsweise zentrale
Erweichung ein, wodurch in einem Falle etwa ein tuberkulöses Geschwür in einem
Herzatrium entstehen kann.
3. Chronische Myocarditis mit Tuberkulose.
Stoicesco und Babes berichten über einen Fall von tuberkulöser, lokalisierter
Myocarditis, in deren Verlauf sich eine akute Myocarditis entwickelte. Ganz plötzlich-
mitten in der Nacht kam dieselbe zum Ausbruch mit heftigen Schmerzen; dieser
Beginn der Krankheit ist selten, für gewöhnlich beginnt die Myocarditis schleichend
und mit wenig deutlichen Symptomen, oder aber die Myocarditis bricht aus im
Verlauf einer akuten fieberhaften Erkrankung. Dann wird man in den meisten
Fällen erst bei der Sektion die Myocarditis entdecken. In diesem Falle machte die
plötzliche Schwäche und Frequenz der Herzaktion aufmerksam. Der erste Herzton
war verschwunden, sodass eine wahre Embryocardie konstatiert werden konnte.
Diese Embryocardie, das Verschwinden des ersten Herztones, die Arythmie und der
intermittierende Puls sagten das Ende "voraus, und die stattgehabte Sektion bestätigte
die akute Myocarditis.
Nach anderen Berichten tritt am häufigsten die Tuberkulose des Herzfleisches
in Form disseminierter Tuberkeleruption bei allgemeiner hämatogener Miliartuber¬
kulose auf, doch sind die Knötchen meistens nur spärlich zu finden. Grössere käsige
und käsig-fibröse Knoten sind selten. Ihre Entstehung ist meist auf hämatogene
Infektion zurückzuführen, doch kann es auch Vorkommen, dass von der Nachbarschaft,
insbesondere von tuberkulösen Bronchialdrüsen aus, wie bereits oben erwähnt, das
Pcricard und mithin auch das Myocard infiziert wird. Neben den tuberkulösen
Granulationswucherungen können sich auch fibröse Indurationen des Myocards ent¬
wickeln. Ein anschauliches Bild vom Uebergreifen tuberkulöser Prozesse von der
Herzserosa auf das Muskelgewebe zeigt folgender Fall (Deutsche Klinik 1850. 15.):
35 jährige Frau. Tod unter Chloroform. In den Lungen keine Spur von Tuberkeln.
Herz scheinbar vergrössert, fettreich; Herzbeutel im ganzen Umfang mit dem Herzen
verwachsen; nach allen Theilen des Herzens hin, schon äusserlich sicht- und fühlbar,
eine grosse Menge von Tuberkeln von Erbsen- bis Haselnussgrösse. Beim Durch¬
bruch zeigten sich diese Tuberkeln zwischen Pericardium und Muskelsubstanz sitzend,
letztere verdrängend. Sie lagen in grösseren oder kleineren Reihen, wie Knollen,
nesterweise über alle Flächen des Herzens und Herzbeutels verbreitet; sie bildeten
theils eine käsige, bröckelige Masse, theils waren sie eitrig zerflossen. Die Muskulatur
des Herzens war weich und leicht zerreissbar; Herzhöhlen und Gefässe in keiner
Weise verändert; daher auch erklärlich, warum im Leben keine Erscheinungen eines
Herzleidens sich zeigten
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40fi E. Achert
Erhöhtes Interesse bietet dieser Fall als Paradigma primärer Affektion des Herzens
mit Tuberkulose in seiner Seltenheit.
Den Nachweis von Tuberkelbacillen auf dem Endocard verdanken wir vor
allem den histologischen Untersuchungen von v. Leyden, Kundradt u. a. Sie sind
zufällige Befunde an der Leiche und haben keine klinische Bedeutung. Sie pflegen
sekundärer Natur zu sein und treten auf im Verlaufe der Lungenphthise. Man kann
folgende Formen unterscheiden:
1. Anwesenheit der Bacillen selbst (Tuberkulose des Endocards) in granu¬
löser Form, käsiger und nodulärer Form (Tripier);
2. Wirkungen der Toxine der Bacillen in generalisierter und lokaler Sklerose
des Endocards;
3. Mischinfektion durch Strepto-, Staphylokokken, Bacterium coli commune,
Pneumokokken.
Am Endocard und an den Klappen des Herzens setzen sich die Tuberkelbacillen
selten fest, mit Ausnahme bei akuter Miliartuberkulose (Weigert).
Tripier sah bei tuberkulöser Endocarditis der Mitralklappen eines Phthisikers
typische Tuberkel im Klappengewebe, während Londe und Petit durch Verimpfung
von Auflagerungen der Mitralsegel, Courmont durch die Auflagerungen einer akuten
Endocarditis, beide Fälle Phthisiker betreffend, Tuberkulose hervorriefen.
Die Beobachtungen von Endocarditis tuberculosa sind, alles in allem genommmen,
im wahren Sinne des Wortes nach Etienne äusserst selten. Teissier, der aufs Ge¬
naueste die Herzen aller in der Klinik vonPotain befindlichen Tuberkulösen unter¬
suchte, hat nicht ein einziges Beispiel für tuberkulöse Endocarditis gefunden, nie¬
mals hat er die Anwesenheit des Koch'sehen Bacillus nachweisen können, weder
durch Ueberimpfung, noch histologisch. Unter den 28 bekannt gewordenen Be¬
obachtungen von Tuberkulose des Myocards hat sich keine einzige spezifische
Affektion des Endocards gefunden. Selbst in den Statistiken von Willig über 845
Fälle, von Reissner über 152 Sektionsbefunde an Kindern ist am Endocard absolut
nichts gefunden worden. Die Fälle von Endocarditis tuberculosa sind also äusserst
selten, und selbst unter denen, die veröffentlicht worden sind, muss man noch Unter¬
schiede machen. Bei dem einen ist nur die Anwesenheit von tuberkulösen Granu¬
lationen angegeben, sodass es sich auch um fibrinöse Depots irgend einer anders ge¬
arteten Endocarditis vegetans handeln kann. In anderen Fällen, so in denen von
Lancereaux, ist die Anwesenheit von kleinen geformten Massen angegeben, die
wahrscheinlich tuberkulöser Natur seien. Es sind nur einige wenige Beobachtungen
veröffentlicht worden, in denen man mit Recht die Endocarditis dem Koch’schen
Bacillus zuschreiben kann. Durch einen ganz einzigartigen Zufall hat Etienne
hintereinander fünf Fälle von Endocarditis bei Tuberkulösen zu sehen bekommen,
und zwei von diesen kann man mit Recht als Endocarditis tuberculosa bezeichnen.
Durch diese gut beobachteten Fälle ist es nunmehr ganz sichergestellt, dass es neben
Endocarditis, die durch gewöhnliche Mikroben hervorgerufen ist, auch eine wirkliche
tuberkulöse Endocarditis giebt, die durch Koch’sche Bacillen hervorgerufen ist. Die
Koch’schen Bacillen sind daher im stände, sowohl das spezifisch - tuberkulöse Pro¬
dukt, den Tuberkel, zu liefern, als auch eine Endocarditis hervorzurufen, die sich
durch nichts ausser durch ihren Ursprung von irgend einer anderen durch Strepto-,
Staphylo-, Pneumokokken etc. hervorgerufenen Endocarditis unterscheidet. Die En¬
docarditis tritt meist erst in den letzten Stadien der Tuberkulose auf, und die dann
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Tuberkulose und Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. 407
schon sehr weit vorgeschrittene Kachexie und starke Dyspnoe verschleiern sehr häutig
ihr Bild.
Der experimentelle Nachweis, dass Tuberkelbacillen mit Schaffung eines Locus
minoris resistentiae eine Endocarditis erzeugen können, ist Michaelis und Blum
gelungen. Nach Durchstossen der Klappen und gleichzeitiger Injektion von Tuberkel¬
bacillen beim Kaninchen wurde eine typische Endocarditis verrucosa hervorgerufen
und in den Auflagerungen als die Erreger der Endocarditis Tuberkelbacillen und
zwar in nicht unbeträchtlicher Menge nachgewiesen. In den Schnitten des einen
Falles zeigte sich in der Mitte der Auflagerungen ein typischer circumskripter Tu¬
berkel, in dem sich wieder Tuberkelbacillen konstatieren liessen. Andere Bakterien
wurden in den Auflagerungen in keinem Fall gefunden. Es ist also der Tuberkel¬
bacillus thatsächlich und allein für sich im stände, eine Endocarditis verrucosa zu
erzeugen.
Schliesslich wurden in Herzthromben noch Tuberkelbacillen aufgefunden von
Weichselbaum, Birch-Hirschfeld u. a.
Eine genauere Kenntniss der Gefässtuberkulose verdanken wir vorzüglich den
Studien von Ponfick, Weigert, Orth und Mügge. Die Tuberkelbildung findet theils
an den Venen, besonders Lungenvenen (Weigert), theils an den Arterien statt. Die
Infektion hat zur Voraussetzung, dass irgendwo in dem an das Gefässsystem angren¬
zenden Gewebe ein tuberkulöser Herd sitzt und Bacillen durch die Gefässwand bis
in die Intima wuchern und einen Tuberkel bilden. Gewöhnlich tritt eine vollkom¬
mene Obliteration, besonders der kleinen Gefässe, ein. Bleibt diese aus, so lösen
sich bei eintretendem Zerfall einzelne Trümmer los und werden durch das Blut
weiter verschleppt. Sie setzen sich an irgend einer Stelle des Kreislaufsystems, ent¬
weder im Herzen oder im nächstlagernden Kapillarnetz fest und regen eine Tuberkel¬
bildung an. Meistens scheint es sich übrigens nicht um Loslösung eines einzelnen
Bacillus, sondern einer Anzahl von Bacillenkonglomeraten zu handeln, die durch Be¬
wegung im Blute fein vertheilt, ganze Kapillargebiete invadieren und zu ausgedehnter
Miliartuberkulose führen.
In einem Falle Kamen’s war eine Aortenruptur dadurch veranlasst worden,
dass von einer käsigen Mediastinaldrüse aus, die der hinteren Gefässwand adhärierte,
der Prozess auf die Intima übergegriffen und die Wand arrordiert hatte.
Während diese eben gemachten Ausführungen nur pathologisch - anatomisches
Interesse haben, so kommen .wir jetzt zum klinisch wichtigeren Theil der Frage.
Rokitansky lehrte, dass alle Herzkrankheiten, welche eine Stauung im venösen
Lungenkreislauf bedingen, wie dies besonders die Mitralfehler thun, weniger die der
Aortenklappen — Lungentuberkulose ausschlössen. Auch Aneurysmen, pathologishe
Veränderungen am Skelett und die Gravidität, die alle Zirkulationsveränderungen
setzen, bieten denselben ungünstigen Boden für eine Etablierung der Tuberkulose.
Lange Zeit ist dieses Axiom der Wiener Schule allerorts festgehalten worden, und
erst verhältnissmässig spät ist es durch Erbringung von Gegenbeweisen ins Wanken
gerathen. Frommolt konnte bei seiner Untersuchung über das gleichzeitige Vorkommen
von Herzklappenfehlern und Lungenschwindsucht, unter 7870 innerhalb 25 Jahren
im Dresdener Stadtkrankenhause Verstorbenen und Obduzierten 277 Fälle (3,5 %)
ausgesprochener Herzklappenfehler konstatieren. Unter diesen 277 Klappenfehlern
waren 22, — deren Sektionsbefund ausführlich mitgetheilt wird —, d. h. also fast
genau 8 %, mit gleichzeitiger Lungenschwindsucht vergesellschaftet.
Das gleichzeitige Vorkommen von Herzklappenfehlern und Lungenschwind-
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408 E. Achert
sucht ist keineswegs ein so seltenes als bisher von vielen Seiten angenommen
wurde. Erkrankungen des linken arteriellen Ostiums kommen zwar etwas häufiger
mit Lungenschwindsucht kompliziert vor, als solche des linken venösen Ostiums,
doch ist der Unterschied nur unbedeutend. Erkrankungen mehrerer Ostien zu
gleicher Zeit scheinen niemals oder doch nur äusserst selten mit Lungenschwindsucht
vereinigt vorzukommen. Eine Ausnahme macht nur die auch mit anderen Herzfehlern
komplizierte Pulmonalstenose.
Peter bekämpft ebenfalls die Lehre vom Antagonismus zwischen Klappenfehlern
und Schwindsucht; er stützt sich nicht auf statistisches Material, sondern auf theo¬
retische Gründe; nach ihm kann man Lungentuberkulose bei Individuen mit Klappen¬
stenosen und Insufficienzen dann beobachten, wenn letztere Affektion noch nicht den
Grad ihrer Entwiekelung erreicht hat, in welchem sich eine passive Kongestion an
der Lungenbasis manifestiert; die Immunität der Lungenspitzen gegen Tuberkulose
bei begleitenden Herzfehlern ist durchaus keine absolute, sie ist abhängig von der
Periode, in welcher sich die Herzkrankheit befindet, von der Natur der letzteren und
dem Allgemeinzustand des Organismus.
Nach Fraentzel besteht keine gegenseitige Ausschliessung in Bezug auf das
Vorkommen von Lungenschwindsucht und Herzklappenfehlern.
Letztere gesellen sich vielmehr nicht selten zur Lungenschwindsucht; aber um¬
gekehrt kommt diese fast nie selbst bei schwerer hereditärer Anlage zur Entwicke¬
lung, wenn Herzklappenfehler bereits vorhanden sind. Offenbar verhindert hier die
abnorme Durchfeuchtung des Lungengewebes mit Blutserum das Entstehen von käsigen
Metamorphosen; deshalb seien auch Ausnahmen von dieser Regel viel seltener bei
Affektionen der linken Atrioventrikularklappe. Diesen Anschauungen entspricht es
auch, dass ein anderer, sehr seltener und meist nur angeboren vorkommender Klappen¬
fehler, die Stenose des Ostium pulmonale arteriale, erfahrungsmässig. fast stets durch
käsige Pneumonie und nachfolgende Lungenschwindsucht zum Tode führt.
Die von Zeit zu Zeit hervortretenden Meinungsverschiedenheiten über die
Rokitansky’sche Anschauung, dass durch Herzfehler, Lungenaffektionen (Emphysem)
und Anomalien der Thoraxform, welche eine dauernd vermehrte Venosität des Blutes
hervorrufen, Immunität gegen Lungentuberkulose bedingt werde, veranlasste auch
Kidd 27 Fälle von Lungenphthise mit gleichzeitig bestehenden Herzklappenaffektionen
zusammenzustellen. Sie waren einem Material von 500 obduzierten Phthisen ent¬
nommen. Nur in 11 Fällen war die Klappenaffektion wahrscheinlich älter als die
Tuberkulose, in den übrigen 16 Fällen war die letztere die primäre Affektion. Fünf
Fälle von Aortenaneurysmen waren mit sekundärer Phthise kompliziert. Gestützt auf
eine Anzahl ausführlich geschilderter• Fälle führt Kidd den Nachweis, dass fast
immer der Verlauf der mit Klappenfehler sich verbindenden Tuberkulose ein be¬
sonders chronischer gewesen sei. In Verbindung mit der Thatsache, dass auch die
Kombination von Lungenemphysem mit Tuberkulose eine sehr seltene sei, bieten
seine Beobachtungen gewiss eine Stütze für die Rokitansky'sehen Anschauungen.
Auch v. Leyden erklärt die Komplikation von Herzerkrankungen mit chronischer
Lungentuberkulose für nicht selten und für bedeutungsvoll im Verlaufe derselben.
Bei allen Versuchen, die Rokitansky'sehe Lehre umzustossen, tritt die ent¬
schiedene Seltenheit der Fälle, wo zu einem alten vitium cordis eine frische tuber¬
kulöse Erkrankung der Lunge hinzutritt, zur Genüge hervor, dass diese Ansicht der
Wiener Schule einen wahren Kern enthält. Nicht das vitium valvulare, sondern die
Störung der Zirkulation in den Lungen stellt den Kausalnexus her, sei es nun, dass
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Tuberkulose und Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. 409
die letzte Ursache in Kohlensäureüberladung des Blutes oder aber in der serösen
Durchfeuchtung des Lungengewebes zu suchen ist.
Die Hyperämie in den Lungen, auch alle anderen Zustände, die den¬
selben Effekt haben, schaffen einen gewissen Schutz vor Tuberkulose,
so auch Kyphose, Emphysem.
Da die reinen Infektionisten einen immer kleiner werdenden Kreis bilden und
diejenigen, die von - der Disposition auch ein gut Tlieil der Erklärung erhoffen, sich
in ihrer Zahl mehren, so kann auch die physikalisch-mechanische Erklärung, warum
gerade die apikalen Theile der Lungen die primäre Infektionsstelle bilden, wohl
herangezogen werden.
Da die Spitzen, ausserhalb des langgestreckten Thorax liegend, keinen so
intensiven Antheil an der Athmungsbewegung nehmen können, so ist ihre Lüftung
auch keine so ausgiebige, und die Zirkulation in denselben dürfte eine weniger gute
sein; alles Umstände, welche wohl verstehen lassen, warum unter so gegebenen Ver¬
hältnissen die Ansiedelung und das Hängenbleiben der eingeathmeten Bakterien so
ungestört bleiben können.
Deshalb ist auch die Kleinheit des Herzens der Phthisiker, die Brehmer
besonders betonte, nicht ohne Bedeutung. Selbst der sonst gesunde Körper muss
ungenügend ernährt werden, wenn ihm mit jeder Kontraktion des zu kleinen Herzens
nicht die normale, sondern eine geringere Menge Blut eingeführt wird. Ganz be¬
sonders aber muss die Ernährung der Lunge herabgesetzt sein, wenn diese voluminöser
ist, also auch reichlicher mit Blut versorgt werden sollte, als ein normal grosses Organ.
Bei primärer Kleinheit des Herzens ist die Lunge in derselben Lage wie bei
der Stenose der Pulmonalarterie, jenem Zustand, der anerkannt häufig, ja fast
regelmässig mit Tuberkulose kombiniert ist.
Die Kleinheit des Herzens ist nicht der Ausdruck der Atrophie, sondern stellt
eine wahre Hypoplasie dar, die ein Hauptmoment für die Disposition abgiebt.
Beneke machte Messungen der Volumina des Herzens an phthisischen Leichen;
aus seinen Messungen ergab sich, dass die Phthisiker im Durchschnitt ein kleineres
Herz haben, als es dem gesunden Körper zukommt. Immerhin kommen auch Fälle
vor, wo Phthisiker ein normalgrosses Herz haben. Gegen die naheliegende Ein¬
wendung, dass die Kleinheit des Herzens eine Folge der allgemeinen Abmagerung
sei, bemerkt Beneke, dass bei manchen Phthisikern trotz der Magerkeit das Herz
gross befunden werde, ferner dass das Herz oft schon bei initialen Fällen der Phthise
zu klein sei, so auch, dass mitunter so hochgradig abgemagerte Leichen von carci-
nomatösen und anderen Kranken doch kein so kleines Herz zeigen, als die meisten
Phthisiker; somit schliesst Beneke, dass die Herzkleinheit, Herzhypoplasie nicht
Herzatrophie sei und als einer der wichtigsten Faktoren in der Entwickelung der
Phthise zu betrachten sei. Weniger häufig, aber immer noch in einer ansehnlichen
Zahl fand Beneke auch die Körperarterien verhältnissmässig eng. Die Enge kam
oft mit Hypoplasie des Herzens, manchmal unabhängig von dieser, vor, manchmal
zeigten sämmtliche gemessenen Arterien ein enges Lumen, während in anderen Fällen
einzelne von normaler Weite waren.
Es ko'incidieren mithin mehrere Faktoren, um die Blutzirkulation in den Spitzen
zu hemmen. Von Hause aus ist schon der Blutdruck in der der Tuberkulose vor¬
waltend ausgesetzten Lungenspitze ein verhältnissmässig niedriger, oft ist er schon
wegen allgemeiner Blutarmuth und geringer Triebkraft des Herzens gering, örtlicli
kommt der Druck des parenchymatösen und alveolaren Infiltrates auf die durch-
Zeitschr. £ diiit. u. physik. Therapie Bd. V. Heft o. ^6
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E. Aeliert
ziehenden Gefässe hinzu, das übrige leistet die Perivasculitis und Tuberkelgranulation
der Gefässvviinde, welche durch Schwellung letzterer und direktes Hineinragen der
Tuberkel in die Gefässlumina mächtig mitwirken, um das Erkrankungsgebiet voll¬
kommen anämisch zu machen.
Bei der Trostlosigkeit der spezifischen Serumtherapie ist die Behandlung und
Heilung der Tuberkulose nach wie vor auf physikalische Faktoren angewiesen. Den
Grundsätzen treu, die der geniale Entdecker der modernen und erfolgreichen Be¬
handlung der Tuberkulose, Brehmer, zuerst angegeben hat, ist auch unser neuer
Vorschlag nur als eine erweiterte Möglichkeit und als eine gern aufzunehmende Ab¬
wechselung zu betrachten. Die anatomische Hypoplasie und die daraus resultierende
pathologische Schwäche des Herzens ist der vornehmste Gegenstand der Therapie
der Phthise auch heute noch! Die Verlangsamung der Blutzirkulation und die
dadurch andauernde verlangsamte Ernährung muss auch eine Ernährungsstörung
vorzugsweise in den Lungen und Lungenepithelien hervorrufen und die Widerstands¬
fähigkeit der Gewebe nothgedrungen brechen. Die Ernährungsstörung ist dann der
Ausgangspunkt für die Gelegenheit einer Ansiedelung von Bakterien.
Ferner giebt uns die klimatologische Analyse des Höhenklimas eine mächtige
Stütze für die zu machenden Vorschläge. Die Eigenthümlichkeit des Höhenklimas
besteht wesentlich in der Verminderung des Luftdrucks, durchweiche eine Steigerung
der Herzthätigkeit und der Pulsfrequenz und als Folge dieser eine Steigerung de-
Stoffwechsels und der Eigenwärme bedingt wird; ferner haben die Gebirgsbewohner,
auch deshalb, weil sie gezwungen sind, zu »klettern«, ein kräftiges, zuweilen sogar
ein etwas hypertrophisches Herz. Hypertrophie schliesst aber bekanntlich die Lungen¬
schwindsucht fast aus.
Ein vorzügliches Kurmittel nun zur Kräftigung des Herzmuskels, zur Ver¬
langsamung der Herzaktion, zur Herbeiführung einer Steigerung des Blutdrucks, der
im stände ist, die ernährende Blutwelle in die entlegenen Spitzen hinaufzutragen,
ist das kohlensäurereichc Soolbad, das mit seiner natürlichen thermotherapeutisehen
Wirkung dazu noch die Hebung der Konstitution, die Anregung des Stoffwechsels
und die Beförderung der Ernährung gewährleistet.
Die Natur hilft sich durch Vermehrung der Pulsfrequenz und der Herz¬
kontraktionen und bringt schliesslich so eine Volumzunahme des Herzens und die
Bildung einer kräftigen Herzmuskulatur zu stände.
Ziehen wir nun als eine Nutzanwendung aus diesem von der Natur gewährten
Schutze den Schluss, dass Menschen mit phthisischer Anlage oder mit sehr entwickelter
Phthise geheilt werden können, wenn sie unter diejenigen Verhältnisse gebracht
werden, die eine Steigerung der Herzthätigkeit und des Stoffwechsels bewirken, d. h.
neben Berücksichtigung der Diät. Der Genuss fettreicher Nahrung, Milch, eventuell
auch gewisse Quantitäten Alkohol sind zu empfehlen, und die Uebung der Muskeln
des Körpers durch gymnastische Aktion. Dabei ist jede Ermüdung zu vermeiden, die
in entgegengesetztem Sinne wirkt und Lungenkranken ebenso wie Herzkranken
geradezu gefährlich werden kann.
Wenn wir nun aus der Kleinheit des Herzens und der daraus resultierenden
ungenügenden Blutzufuhr in die Lungen ein wesentliches Moment für die Entstehung
der Phthise ableiten können, so wird unsere Therapie auch nur dann eine kausale
sein, wenn wir zur Hebung der Herzthätigkeit beitragen.
Ein Hauptgegenstand der Herzbehandlung bei Phthise ist die Beseitigung der
Palpitationcn. Nicht durch den plötzlichen Abfall der Pulszahl können wir auf eine
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Tuberkulose and Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. 411
Kräftigung des Herzens schliessen, sondern aus der allmählich sinkenden Pulsfrequenz
ist der Schluss auf die Besserung des Herzzustandes erlaubt. Bei einer durch die
Diät geregelten Verbesserung der Blutbeschaffenheit, die mit der Hebung des All¬
gemeinzustandes einhergeht, wird das Herz ruhiger und kräftiger, der Puls lang¬
samer. Die chronische Schwindsucht ist im ersten Stadium immer heilbar. Denn
es ist klar, dass es Mittel geben muss, um das kleine, schwache Herz zu kräftigen,
zu stärken, zu einer besseren Entwickelung zu bringen und so das Missverhältniss
zwischen Herz und Lungen zu vermindern, resp. zu beseitigen, d. h. also die Lungen¬
schwindsucht zu mildern resp. zu heilen.
Wenn wir ferner nach dem oben Gesagten nicht in der Lage sein werden, den
tuberkulösen Prozessen am Zirkulationsapparat, da diese ja als terminale Erscheinungen
aufzutreten pflegen, Einhalt zu gebieten durch Anwendung von Mitteln aus der Offizin,
noch durch physikalische Heilfaktoren, so können wir doch andrerseits die Hoffnung
nicht ganz aufgeben, durch geeignete baineotherapeutische Prozeduren, die verknüpft
sein mögen mit hydriatischer Kunsthilfe, durch ein seiner Konstitution nach noch
brauchbares Herz die Lungen mit einer arteriellen Hyperämie zu begünstigen, die
geeignet ist, krankhafte Vorgänge im Gewebe zur Ausheilung zu führen.
Vertrauend auf Rokitansky’s Lehre, der vor mehr denn 50 Jahren folgenden
verheissungsvollen Ausspruch that: »Sämmtliche Cyanosen oder vielmehr jede zur
Herstellung von Cyanose ihrer Art und ihrem Grade nach geeignete Herz-, Gefäss-
und Lungenkrankheit verträgt sich nicht mit Tuberkulose, die Cyanose leistet eine
ganz exquisite Immunität dagegen«, schreiten wir zur Therapie.
»Liegekuren« und »Freiluftkuren« sind das Feldgeschrei der Sanatorien und
Lungenheilstätten.
Erstere Kuren nicht mehr allein in horizontaler Lage, sondern zielbewusst auf
dem planum inclinatum mit erhobenem Rumpfende und mit tiefstehendem Thorax,
um dem Blute Gelegenheit zu geben aus seinen weiten Bahnen und aus seinen gross-
kalibrigen Gefässen des Bauches und der unteren Extremitäten die Lungengefässe,
arteriell wie venös, zu überschwemmen.
Soviel über die mit Erfolg gekrönte physikalische Therapie der Lungentuber¬
kulose.
Ueber die pneumatischen Kuren, über Inhalationen, über Ernährungstherapie
und die vielen anderen Naturheilmittel, die stets und immer wieder mit Nachdruck
empfohlen werden, wage ich hier nicht zu beginnen, da ihr Werth zum Theil be¬
kannt genug ist, und weil sie auch als alte therapeutische Unternehmungen gelten
können.
Nur der Balneotherapie der Lungentuberkulose möchte ich noch das Wort reden
und zwar dem Gebrauche der kohlensäurereichen Stahlsoolthermen, denen nach
Glax die Zukunft gehört.
Litteratur:
Birch-Hirsehfcld, lieber Tuberkulose in llerzthromben. Deutsche medicinischc Wochen¬
schrift 1892. S. 267.
Chiari, Ueber Herzthrombentuberkulose. Wiener medicin. Presse 1894. No. 94. Deutsche
Medidnal-Zeitung 1895. S. 811.
Claessen, Ueber tuberkulöse, käsig-schwielige Mediastino-Pericarditis und Tuberkulose des
Horzfleisches. Deutsche medicinischc Wochenschrift 1S92. S. 191.
(.'ourmont, Cobage inocule avee le produit d’unc cndocardite. Lyon medical 1894. No. 21.
2S*
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
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zu Berlin 1886. S. 420. Baumgartners Jahrbuch 1886.
IIerxeimer, Ein weiterer Fall von cirkumskripter Miliartuberkulose in der offenen Lungen¬
arterie. Virchow’s Archiv 1887. Bd. 107. S. 180.
H. Hirschsprung, Grosser Herztuberkel bei eineip Kinde. Jahrb. für Kinderheilkunde
1882. Bd. 18. S. 2&3.
Kamön, Aortenruptur auf tuberkulöser Grundlage. Ziegleris Beiträge 1895. Bd. 17. S.410.
Kotlar, Ueber Herzthrombentuberkulose. Prag. nred. Wochenschr. 1894. No. 7 u. 8.
Kundradt, Ueber das Vorkommen von Endocarditis bact. ulceros. bei Carcinom und Tuber¬
kulose. Wiener med. Bl. 1885. No. 8.
Londe et Petite, Endocardite vöggtante tuberkuleuse. Archiv generale de medecine 1*94.
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Centralbatt für innere Medicin 1895. No. 7.
v. Leyden, Ueber die Affektion des Herzens mit Tuberkulose. Deutsche medicinisclu*
Wochenschrift 1896.
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Nasse, Beiträge zur Kenntniss der Arterientuberkulose. Virehow’s Archiv 1886. Bd. 4.
Pollak, Ueber Tuberkulose des Herzmuskels. Zeitschr. für klin. Medicin 1892. Bd. 21.
Recklinghausen, Herztuberkulose. Virchow’s Archiv Bd. 16.
Tripicr, L’endocardite tuberculeuse. Archiv de möd. exper. 1890.
Weigert, Ueber Venentuberkel und ihre Beziehungcu zur tuberkulösen Blutinfektion. Vircliuw's
Archiv 1882. Bd. 88.
C. Flügge, Nachruf an Dr. Hermann Brehmer.
Brehmer, Mittheilungen aus Dr. Brchmcr’s Heilanstalt für Lungenkranke in Görberedorf.
Derselbe. Die Immunität der Gebirgsbewohner.
Derselbe, Die chronische Lungenschwindsucht.
Derselbe, Die Therapie der chronischen Lungenschwindsucht 1889.
Derselbe, Die Aetiologie der chronischen Lungenschwindsucht vom Standpunkte der klinischen
Erfahrung 1885.
Paul Croner, Die Bedeutung der Lungenschwindsucht für die Lebensversieherungsgesell-
schaften.
Turban-Rumpf, Die Anstaltsbehandlung im Hochgebirge 1899.
Rokitansky, Lehrbuch der pathologischen Anatomie 1858
Louis, Rechcrches sur la phthisie.
Biondi, Endocarditis bei Tuberkulose. Centralblatt für pathol. Anatomie 1890 Bd. 6.
Blum er, Tubcrkulosis of the Aorta. Aineric. jounial of the medical seien. 1899.
Frommolt, Ueber das gleichzeitige Vorkommen von Herzklappenfehlem und Lungen¬
schwindsucht. Archiv für Heilk. 1,875. Bd. 12.
Käst, Zur Pathogenese der tuberkulösen Pericarditis Berliner klin. Wochenschrift I>*■'*♦
Bd. 93. Centr. für med. Wissensch. 1884. Bd. 22. 8. 862.
v. Zenker, Ueber Tuberkulose in Ilerzthromben. Deutsche medicinische Wochenschrift
1892. Bd. 12.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
413
Referate über Bücher und Aufsätze.
J. Gevaerts, Diete »ans phosphore. La cellule Bd. 18. Heft 1. S. 7.
Die vorliegende Arbeit ist von hervorragender Bedeutung für die Bcurthcilung des Phosphor¬
stoff Wechsels. Verfasser wollte die Frage entscheiden, wieviel Phosphor der Organismus ausseheidet
wenn ihm alle übrigen Nahrungsstoffe eben ausser Phosphor in genügender Menge dargeboten
werden, d. h. unter Bedingungen, dass kein Zerfall von Körpermaterial eintritt. Schon bei den Vor-
vereuchen stellte es sich heraus, dass die für gewöhnlich als phosphorfrei angesehenen Nahrungs¬
mittel, wie Fette, Starke u. s. w., Phosphor in solchen Mengen enthalten, dass sie für die Versuche
vollständig unbrauchbar waren. Allein der gewöhnliche Zucker und von stickstoffhaltigem Material das
Edestin erwiesen sich als phosphorfrei. Leider wird das Edestin von den Vcrsuchsthicren nur wenige
Tage toleriert. Trotzdem zeigten die Versuche, welche an weissen Ratten ausgeführt wurden, dass
bei einer phosphorfreien Ernährung mit Kohlehydraten und Eiweissstoffen, welche einen Zerfall von
Korpermaterial verhüten, schon in wenigen Tagen die Ausscheidung der Phosphate auf den zehnten
Theil der gewöhnlichen Menge vermindert wird. Das Verhältnis» von N:P= 10:1 sinkt auf 100:1
und weniger. Neun Zehntel des ausgeschiedenen Phosphors entstammen der Nahrung und passieren
nur den Organismus. Es ist klar, dass, wenn dies richtig ist, eine grosse Reihe von Arbeiten über
die Beeinflussung der Phosphorausscheidung durch Muskelarbeit, durch geistige Arbeit u. s. w. voll¬
ständig werthlos sind.
Für die Praxis ergiebt sich aus den Analysen des Verfassers, dass es unmöglich ist, Be¬
dingungen zu realisieren, welche bei sonst genügender Ernährung einen Phosphomiangcl im
Organismus hervorrufen könnten. So lange der Körper überhaupt ernährt wird, bekommt
er auch genug Phosphor, gewöhnlich zehnmal so viel, als er braucht. Jede besondere
Phosphortherapie, abgesehen natürlich von eventuellen pharmakodynamischen Wirkungen, ist daher
im höchsten Grade überflüssig. M. Lewandowsky (Berlin).
(varnault, Traitement de la tuberculose par 1a viande crue et par les injections intra¬
tracheales d’orthoforme. Bulletin genöral de therapeutique 1901. Heft 7.
Garnault heilte mehrere Fälle von Lungenschwindsucht, die bereits mit Kehlkopfkatarrh,
ohne Geschwürsbildung, kompliziert waren, durch tägliche Gaben von 000 g rohen Fleisches und
von Fleischsaft aus 1 kg rohem Fleische. Den Kehlkopf behandelte er speziell noch mit intra¬
trachealen Injektionen von 0 ccm folgender Emulsion:
H* Huile d'olive.100,0
Menthol. :i,0
Chloralhydrate de cocaine . . 0,5
Orthoform. ‘2,5. Schilling (Leipzig).
Jaquet, Zur Frage der sogenannteu Verlangsamung des Stoffwechsels bei Fettsucht. Korrespon¬
denzblatt für Schweizer Aerzte 1901. No. 5.
Im allgemeinen erklärt man den Fettansatz bei Fettleibigen durch Vielesserei und Vieltrinken
oder geringe Muskelarbeit, resp. durch die Kombination beider Ursachen, durch Uebernähning und
verminderte Arbeitsleistung. Offen bleibt indessen immer noch die Frage, ob nicht konstitutionelle
Anlage dabei eine Rolle spielt.
Schon Cohnheim nahm eine Herabsetzung der Energie der oxydativen Vorgänge in den
Gewebszellen an; Bouchard schloss sich dieser Ansicht an.
Als das Interesse für die Stoffwechselkrankheiten stieg, befasste man sieh experimentell mit
dieser Frage. Die Analyse von Stuhl und Urin und das Maass des Sauerstoffverbrauches und der
Kohlensäureausscheidung dienten als Anhaltspunkte für die neu aufgestellte Lehre, v. Noorden
fand niedrigen Sauerstoff verbrauch bei Fettsüchtigen, doch berechnete er 1 kg Fett gleich 1 kg
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Referate über Bücher und Aufsätze.
Fleisch oder Drüsensubstanz, obschon bekanntlich der Gaswechsel des Fettgewebes gering ist; zieht
man eben das Fettgewicht ab, so erhält man normale Respirationswerthe.
Jaquet machte neue Stoffwechsel versuche an drei Fettleibigen und kam zu folgendem Schlüsse:
Die Nahrungsaufnahme hat einen geringeren Energieverbrauch zur Folge als dies bei den
normalen Menschen gewöhnlich der Fall ist. Der Fettleibige verrichtet somit die mit der Ver¬
dauung und Assimilation der Nahrungsmittel verbundenen Funktionen ökonomischer als der normale
Mensch. Dagegen fehlt eine Herabsetzung der Intensität der Verbrennungsvorgänge im nüchternen
Zustande und bei der Muskelarbeit; die Intensität kommt ihr im mindesten gleich, wenn sie infolge
von Komplikationen jene nicht erheblich überschreitet. Schilling (Leipzig).
Gregor, Ueber die Verwendung des Leims in der Sänglingsernfthrnng. (Aus der Universitäts¬
kinderklinik zu Breslau.) Centralblatt für innere Medicin 1901. No. 3.
Lcimhaltige Substanzen spielen in der Ernährung des späteren Lebensalters eine hervorragende
Rolle, sind jedoch für die Säuglingsernährung in grösserem Umfange noch nicht herangezogen worden.
Den Grund hierfür sieht Verfasser darin, dass zwar am Erwachsenen die dem Leim zukonnnende
eiweisssparende Wirkung durch wiederholte Stoffwechsel versuche erwiesen ist, dass aber analoge
Untersuchungen für den Säugling bisher völlig fehlten. Er suchte deshalb zu eruieren, wie weit der
Leim vom Säugling assimiliert wird, ob er für N-haltige Substanzen der sonst gebräuchlichen Kinder¬
nahrung, z. B. des Kuhmilchkaseins, zeitweilig einzutreten vermag, ob er ohne Schädigung des kind¬
lichen Organismus, ohne Irritation des Magendarmtraktus und ungünstige Beeinflussung des Stoff¬
wechsels dargereicht werden kann. Liessen sich diese Fragen mit ja beantworten, so wäre in dein
Leim ein bedeutsamer Faktor für die Säuglingsernährung gewonnen; denn gerade für die Behandlung
akuter Verdauungsstörungen des frühesten Alters, wo wir sehr oft die Eiweisszufuhr für kurze Zeit
ganz zu unterbrechen respektive erheblich einzuschränken gezwungen sind, wäre es zur Venneidang
des bei der unzureichenden Ernährung der Kinder sonst unausbleiblichen Gewichtsverlustes von
Wichtigkeit, einen Nahrungsstoff zu besitzen, welcher den starken Eiweissverbrauch des kranken
Säuglings einschränken würde und in dieser kritischen Zeit noch neben Wasser und Salzen ohne
Schaden gegeben werden könnte.
Gregor’» Versuche erstreckten sich auf zwölf jüngere und ältere, theils akut oder chronisch
magendarmkrankc, theils eine geregelte Darmthätigkeit aufweisende Patienten der Breslauer Kinder¬
klinik, welche in drei- bis vierstündlichen Pausen zweiprozentige Gelatinelösungen (mit einem Zusatz
von 0,03 Saccharin pro 200 ccm) oder Mischungen von gleichen Theilen Knochcnleimbrühe und Hafer¬
schleim ausschliesslich oder neben Milch als Nahrung erhielten. Es gelang durch dieses diätetische
Regime, die betreffenden Kinder nicht nur auf Körpergewicht zu erhalten, sondern bei einzelnen
auch eine geringe Gewichtszunahme zu erzielen. Der durch das Verhalten des Körpergewichts ge¬
stützten Annahme, dass der Leim im Organismus verbrannt wird und Eiweiss vor Zerfall schätzen
kann, entsprach auch das Resultat eines mit Leimhaferschleimgemisch an einem chronisch uiagcn-
dannkranken Säugling angcstellten N-StoffwechselVersuchs; während bei derartigen Patienten sonst
häufig vermehrte N H a - Ausscheidung im Ham zu konstatieren ist, als Zeichen einer Schädigung
des Oxydationsvermögens des kranken kindlichen Organismus gegenüber der angewandten Er¬
nährung, sprach hier die relativ niedrige NH 3 -Ausfuhr dafür, dass ein bedeutender Theil dr^
Nahrungsbedarfs des Kindes während jener Periode durch Verbrennung des Leims gedeckt und er
theilw'eise zum Ersatz des Eiweisskonsums herangezogen wurde. Indess erzeugten mit wenigen
Ausnahmen bei den meisten Versuchskindern, und zwar speziell bei jüngeren, eben erst von akuten
Magendarmaffektionen genesenen Säuglingen, die reinen Gelatinelösungen und die Leimhaferschleiin¬
mischungen schon nach kurzer Zeit heftige Diarrhöen, bei denen unter starkem Pressen mit blutigen
Streifen gemengter Schleim und wässeriges, gelbgrünliches Sekret spritzend oder tropfenweise ent¬
leert wurden und die erst nach Aussetzen der Nahrung und Anwendung von Darmirrigationen
sistierten, bei Wiederaufnahme der Ernährung ohne Leim sich nicht wiederholten. Zuweilen traten
gleichzeitig hohe Fiebersteigerungen (bis 41,4° in einem Falle) auf, ohne dass das Gesammtbefinden
der Kinder wahrnehmbar alteriert worden wäre.
Verfasser resümiert die Ergebnisse seiner Beobachtungen dahin, dass der Leim w r ic für den Er¬
wachsenen, auch für den Säugling ein leicht resorbierbarer und assimilierbarer Nahrungsstoff ist, dass
er die Eigenschaft besitzt, selbst beim kranken Kinde Nahrungseiw eiss zum Körperansatz disponibel
zu machen, dass jedoch schon kleine Leimmengen für den kindlichen Darm nicht indifferent sind,
sondern nach kurzer Zeit schwöre Durchfälle hervorrufen, selbst wenn sie unter Verhältnissen, die
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Referate über Bücher und Aufsätze. 415
sonst einer geregelten Dannfunktion sehr günstig sind, z. B. bei gleichzeitiger Ernährung mit Frauen¬
milch, zur Anwendung gelangen. Wahrscheinlich wird infolge der Leimzufuhr, sei es durch den
Leim selbst oder durchJdieJProdukte des intennediären Stoffwechsels, ein Entzündungsprozess im
Darmtraktus bedingt, und es verliert durch diesen Uebelstand die Frage der eiweisssparenden
Funktion des Leims und damit auch seiner Vorwerthbark eit für die Praxis an aktuellem Interesse.
Hirschel (Berlin).
Keller, Malzsuppe in der Praxis. Therapie der Gegenwart 1901. Februar.
Die Malzsuppe, die von Breslau aus in die Säuglingsernährung eingeführt worden ist, wird
am besten so bereitet, dass auf 1 Liter Suppe 50 g Weizenmehl, 100 g Loefflund’sches Malz-
suppcnextrakt, 1/3 Liter Kuhmilch und 2/3 Liter Wasser genommen werden. Die Malzsuppe ist eine
Nahrung für kranke Säuglinge und wird zweckmässig erst nach Ablauf der ersten drei Lebens¬
monate gereicht. Ihre Hauptindikation hat sie in solchen Fällen von chronischen Ernährungs¬
störungen, bei ^ denen eine Atrophie im Entstehen begriffen ist oder bereits mehr oder weniger
lange Zeit besteht. Von künstlich genährten Säuglingen eignen sich alle diejenigen für eine Malz¬
suppenbehandlung, die bei kohlehydratarmer Kost nicht recht vorwärts kommen, sei es, dass als
Folge von Ueberemährung mit Kuhmilch chronische Ernährungsstörungen in ihren Anfangsstadien
vorliegen, oder sei es, dass sich bei fettreicher Nahrung Verdauungsstörungen eingestellt haben.
Kontraindiziert ist die Malzsuppe einmal da, wo ein Kind längere Zeit hindurch ausschliesslich oder
fast ausschliesslich mit Mehl- oder Schleimsuppen gefüttert worden ist, ferner beim Bestehen akuter
heftiger Magen dann ersch ei nungen. Im allgemeinen reicht der Nährwerth eines Liters Malzsuppe
aus, um den Nahrungsbedarf eines Säuglings von 5 kg Körpergewicht zu decken. Die durchschnitt¬
liche Behandlungsdauer variiert zwischen ein und drei Monaten; es empfiehlt sich bei Beginn der
Malzsuppenperiode sich auf eine Minimalzufuhr von ein bis zwei Mahlzeiten zu beschränken und
erst nach und nach ihre Zahl bis auf fünf zu steigern. Vor dem Beginn der Ernährung mit Malz¬
suppe muss der Magendarmkanal durch Darreichung von Wasser- resp. Theediät leer gestellt werden.
Die Entwöhnung von Malzsuppe geschieht am besten durch Ersatz mit kohlehydratreicher Kost
Der Verfasser lässt zur Milch eine dünnflüssige Mehlsuppe aus Gersten-, Weizen-, Hafermehl oder
Mondamin zusetzen, bei jüngeren Kindern auch vielfach aus Gerste, Hafer oder Reis hergestcllte
»Schleimsuppe. Stehen die Kinder bereits im zweiten Halbjahr, so wird beim Beginn des Absetzens
zunächst eine Mahlzeit Malzsuppe durch Gries- oder Reisbrei oder Gemüse ersetzt, und erst nach
und nach folgen die weiteren Mahlzeiten Mehlsuppe. Frcyhan (Berlin).
Förster, Alkohol und Kinderheilkunde. Therapeutische Monatshefte 1901. März.
Verfasser rügt die in nichtärztlichen Kreisen weit verbreitete Unsitte, Kindern, selbst Säug¬
lingen, Alkohol in manchmal erschreckend hohen Dosen als Genussmittcl und »zur Kräftigung« dar¬
zureichen, und weist nachdrücklich auf die schweren Schädigungen hin, welche der Genuss von
Spirituosen für die körperliche, moralische und intellektuelle Entwickelung der Kinder im Gefolge
hat; seine vom Standpunkt des Pädiaters aufgestellte Forderung, für das gesunde Kind bei der Er¬
nährung an absoluter Enthaltung vom Alkohol streng festzuhalten, für das kranke Kind seine An¬
wendung durchweg der ärztlichen Entscheidung anheimzustellen und ihn rein als Medikament zu
betrachten, verdient auch beim Laienpublikum allgemeine Beachtung. Hirschei (Berlin).
Menzer, Ein Stoffwechselyersuch über die Ansnntzang des Fersans durch den menschlichen
Organismus. Therapie der Gegenwart 1901. Februar.
Der von dem Verfasser angestellte Stoffwcchselvcrsuch lehrt, dass das Fersan in einer Tages¬
menge von 40 g mindestens ebenso gut ausgenützt und vertragen wird wie das Eiweiss des Fleisches
und der Milch, sodass cs die Bezeichnung eines Nährpräparates durchaus verdient Vor anderen
Nährpräparaten, wie zum Beispiel dem Plasmon, welches nach Kornauth das Fersan in der Aus¬
nützbarkeit übertreffen soll, hat es — soweit der vorliegende Fall ein Urtheil erlaubt — den Vor¬
zug voraus, dass es gleichzeitig die Blutbildung sehr günstig beeinflusst. Die Anwendung des
Fereans glaubt Menzer demgemäss in solchen Krankheitsfällen empfehlen zu sollen, in denen gleich¬
zeitig eine Besserung der Ernährungsverhältnisse und der Blutbildung in Frage kommt.
Freyhan (Berlin).
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Referate über Büchet* und Aufsätze.
Bendix und Finkeistein, Ein Apparat für Stoffwechselnntersuchungen am S&ngling. Aus
der Universitäts-Kinderklinik in der Königlichen Charitö in Berlin.) Deutsche mcdicinische
Wochenschrift 1900. No. 42.
Die Verfasser haben einen durch die Finna Ernst Lentz, Berlin (Birkenstrasse 18) zu be¬
ziehenden, recht zweckmässigen Apparat für Stoffwechseluntersuchungen konstruiert, welcher es er¬
möglicht, Urin und Fäces des Säuglings getrennt und ohne Verlust aufzufangen und bei welchem,
da eine Lageverschiebung des Kindes und des Rezipienten ausgeschlossen ist, die bei den bisher
gebräuchlichen, dem gleichen Zwecke dienenden Vorrichtungen erforderliche, mühsame und kost¬
spielige, dauernde Ueberwachung fortfällt; sic beschreiben denselben folgen denn aassen: Im Bett
ist ein starkes Leintuch ausgespannt, das etwa von der Mitte ab sich in zwei massig divergierende
Fusstheile spaltet, welche durch Emporschlagen und Feststecken zweier innerer Zipfel zu düten-
förmigen Röhren für die Beine umgestaltet werden. Auf das Leintuch ist mit den Knöpfen nach
vom eine wollene Hemdhose so aufgenäht, dass die Naht etwa in der dem Angulus scapulae ent¬
sprechenden Höhe in der Mittellinie beginnt und, vom Kreuz ab sich gabelnd, bis zur Kniekehle
zieht und dass der Analausschnitt der Hose mit dem Spalt des Tuches genau korrespondiert. Wird
das Versuchskind in diese Hose hincingesteckt - - bei grösseren Kindern können die Aennel an¬
gezogen werden, bei kleineren genügt ein fester Taillenschluss —, so bleiben Oberkörper und Arme
vollkommen, die Beine ziemlich frei beweglich, ohne dass, da stets das Tuch der Hose folgt, ein
Verrutschen eintreten könnte; ein etwa mögliches Herabrutschen des Gesässes und dadurch be¬
dingtes Einschneiden der Hosenränder in die Glutäalfalten lässt sich leicht vermeiden, wenn der
Rückentheil des Leintuches bis zum Kreuz durch untergelegte Kissen gestützt wird und der Ober¬
körper des Kindes immer horizontal liegt. An dem hosenträgerartigen Leibgürtel, der straff nach
unten zu ziehen und mit möglichst vielen Knöpfen versehen isjt, wird mit je zwei vorderen und
hinteren Gummistreifen der Urinrezipient ziemlich stramm befestigt, ein Gummiansatzstück mit
Polsterring und eine in dasselbe hineinpassende, in ein langes Rohr auslaufende Glasampullc; die
letztere nimmt Scrotum und Penis auf, das Rohr mündet direkt in die Vorlage, sodass der Harn
nur über Glas läuft. Zum Auffangen der Fäces dient eine untcrgestellte Schale, auf deren Fussende
bei sehr diarrhoischen Stühlen eine ziemlich hohe ßlechplatte als Schirm aufgeklemmt werden kann.
Hirschei (Berlin).
H. J. Vetlesen, Om extrabuccal og speciclt rektal ernaering. Norsk Magazin for Laege-
videnskaben 1900. No. 12.
Nach einer kurzen Ucbcrsicht über die Prinzipieen der rektalen Ernährung theilt Verfasser
eine Reihe von eigenen Erfahrungen mit. Bei einer schweren diphtheritischen Lähmung der Schling-
und Athmungsmuskeln, wo auch die Sondenernährung sich als undurchführbar erwies, gelang es
durch Nährklysticre die Patientin so lange über Wasser zu halten, bis die Lähmung zu schwinden
begann. Seit sechs Jahren hat Vetlesen in den meisten Fällen von Ulcus ventriculi die Rektal¬
ernährung mit gutem Erfolg herangezogen und glaubt dadurch dem Kräfteverfall, den die Unter¬
ernährung der Kur sonst leicht bedingt, wirksam vorgebeugt zu haben. Atn ausführlichsten be¬
richtet Verfasser über einen Fall von Oesophaguscarcinom mit Divertikelbildung. Die 00 jährige
Patientin, die die Operation verweigerte, konnte durch ausschliessliche Anwendung von Nähr-
klystieren und subkutane Zufuhr von Oleum olivar. -- täglich zwei Spritzen ä 10 g — drei Monate
am Leben erhalten werden. Die Klystiere bestanden der Regel nach aus 200, höchstens 2M) g
Milch, 1-2 Eigelb, 1 Esslöffel Portwein, eine Messerspitze Kochsalz und 10 Tropfen Opiumtinctur.
Vetlesen empfiehlt dringend dem Wasserbedürfniss des Organismus gleichzeitig durch rektale
Zufuhr grösserer Mengen von Kochsalzlösung Rechnung zu tragen, wie das Rost, Lindow und
v. Me ring mit Recht betont hätten. Böttcher (Wiesbaden).
H. Strebei, Die Fettleibigkeit und ihre Behandlung* Deutsche Medicinal-Zeitung 1901. No. 6,
7 und 8.
Der weitaus grösste Theil der Arbeit, ja man könnte sagen, fast die ganze Arbeit, beschäftigt
sich mit der Behandlung der Fettleibigkeit, während der Aetiologie, Symptomatologie etc. nur einige
Zeilen gewidmet sind.
Die Grundidee der Behandlung der Fettleibigkeit entspringt der Entstehungsgeschichte dieser
Affektion und besteht darin, diiss dafür Sorge getragen werden muss, dass die Nahrungszufuhr nicht
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Referate über Bücher und Aufsätze. 417
im Üebermaass erfolgt, dass die zugeführte Nahrung an sich wenig Fett enthält, dass auch die Ein¬
führung der Fettbildner in Eiweissfleischfonn nicht in übertriebener Menge erfolgt, wie auch, dass
die Kohlehydrate (Mehl, Stärke, Zucker) und die leimgebenden Stoffe nur in geringen Mengen ge¬
nossen werden. Zugleich ist darauf zu sehen, dass der zur Verbrennung des Fettes nothwendige
Sauerstoff in genügender Menge durch passende Maassnahraen zugeführt werde, dass durch In¬
anspruchnahme beabsichtigter erhöhter Verbrennung und Stoffwechselanregung das Fett direkt an¬
gegriffen wird. Zugleich mit der erhöhten Fettverbrennung erfolgt Entlastung von ungenügend ver¬
brannten Produkten eines trägen Stoffwechsels, welche als Gifte die Trägheit des Stoffwechsels und
die Herabstimmung der psychischen und nervösen Thätigkeit bedingen. Schliesslich ist auch auf
die Beförderung der Blutbildung und Hebung der Herzkraft genügend Rücksicht zu nehmen und auf
Beseitigung von organischen Missständen, wie Katarrhen, Unterleibsstauungen u. s.w., welche zu un¬
genügender Bewegung, unpassender Speiseauswahl Anlass geben. Man hätte also ungefähr folgende
Gesichtspunkte zu beachten:
1. Mittel zur Einschmelzung des Fettes, und zwar durch Regelung der Diät ln
erster Linie käme hier eine massige Eiweisskost ohne Fettzugabe bei geringer Zufuhr von Kohle¬
hydraten in Betracht. Wird Fleisch in massigen Quantitäten zugeführt, so kann sich aus demselben
das Fett nicht gut oder gar nicht abspalten; wenn zugleich auch die Menge der Kohlehydrate gering
ist, so kann sich eventuell das aus dem Eiweiss des Fleisches abgespaltene Fett nicht fest im
Körper anlagem, weil es eben aus Nothwendigkeit verbrannt wird. Fettnahrung muss unter allen
Umständen auch in geringen Mengen vermieden werden; doch darf Leimstoff eingeführt werden,
weil er kein Fett bildet, aber das Eiweiss doch schont. Auf diesem Prinzip beruht die bekannte
Bantingkur, d. h. diejenige, die der Arzt Harwey dem Engländer Banting verordnet hat. Die
strenge Durchführung der Bautingkur hat zwar grossen Erfolg, aber sie darf absolut nicht lange
angewendet werden, weil sie sehr gefährlich werden kann. Die fast ausschliessliche Fleischkost
stellt an Magen und Darm sehr grosse Anforderungen, deshalb entstehen leicht Magen- und Dann¬
katarrhe. Ferner produziert die reine Fleischkost mehr Harnsäure und fördert so die Ausbildung
von Gicht und Nierengries. Schliesslich kann sogar das Entstehen von Lungentuberkulose sehr be¬
fördert werden, ebenso das Entstehen von nervös - psychischen Stöningen. Als Surrogat für die
Bantingkur kann unter Umständen die sogenannte Vegetarianerdiät cintreten. Ein vegetarischer
Speisezettel ist z. B. folgender: Frühstück: Schrotmehlsuppe oder Hafergrütze oder Kakao oder Milch,
Schrotbrot mit Obst oder mit Butter, Honig, Obstmus. Mittagessen: Suppe mit Einlage von Nudeln,
Makaroni, Hülsenfrüchten; Gemüse in irgend welcher Form, Spargel, Kartoffeln, Reis; Mehlspeise,
Obst und Brot. Abendessen: Brot mit Obst, Suppe, Käse, Butter, Eier. Als Getränk nur Wasser
mit Fruchtsaft, Milch.
Ebstein hat die Bantingkur dahin modifiziert, dass er die Nahrung an sich wenig erlaubt,
darin das Eiweiss reduziert, aber Fett in ziemlicher Menge gestattet (relativ!) neben wenig Kohle¬
hydraten. Unter diesem Regime erfolgt die Fctteinschmelzung nur ganz langsam in grösserem Zeit¬
räume, so dass unangenehme Erscheinungen vermieden werden, und schliesslich ist der von Ebstein
angegebene Speisezettel so bemessen, dass er zeitlebens ohne viel Entbehrung durchgeführt werden
kann. Allerdings hat die Ebstein’sche Kur den Nachtheil, dass sie wegen der grossen Menge von
Fett oft dyspeptische Magen dann Störungen verursacht. Auch ist die Wirkung ungemein langsam und
wird meist von den Patienten nicht abgewartet. Die von Tarnier vorgeschlagenc Hungerkur be¬
steht in ausschliesslicher Milchdiät, an die der Patient in drei Tagen unter allmählicher Reduzierung
der gewohnten Kost und Steigerung des Quantums der zu nehmenden süssen abgerahmten Milch
gewöhnt wird.
Auf der Thatsache, dass der durch Mangel an Blutfarbstoff schwache Blutkörper vieler Fett¬
leibiger meist mit relativer und absoluter Verwässerung des Blutes einhergeht, welche das Herz und
das Gefasssystem mehr als nöthig belasten, beruht die von Daucel und Gerte 1 vorgeschlagene
Wasserentziehungskur. Durch diese soll'das Herz entlastet und arbeitsfähiger gemacht werden.
Oie Wasserentziehungskur eignet sich nur für weit vorgeschrittene Zirkulationsstörungen. Nachtheile
des Verfahrens sind: Beeinträchtigung des Verdauungschemismus, Ueberladung der Gewebe mit
stickstoffhaltigen Endprodukten, Schwächung des ganzen Nervensystems.
Auf demselben Prinzip beruht die Sch roth 'sehe Trockenkur, die eigentlich auch nur Wasser¬
en tziehungsdiät von mehr heroischem Typus ist. Die Kur ist des grossen Durstes wegen qualvoll
fär den Patienten und durchaus nicht gefahrlos Sie hat sich infolgedessen, sowie auch aus dem
^rund, dass sie nur in Anstaltsbehandlung durchführbar ist, nicht lange erhalten und ist heute voll¬
ständig verlassen
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418 Referate über Bücher und Aufsätze.
2. Mittel zur Einschmelzung des Fettes durch Schwitzen. Es kommt hier das
Dampfbad, kombiniert mit Heissluft, zur Verwendung. Das Verfahren hat sehr günstige Erfolge auf¬
zuweisen, zugleich aber den Nachtheil, dass häufig Bekleramungserscheinungen von Seiten des
Herzens und der LuDgen auftreten, Ohnmachtsanwandlungen, Schwäche, Erbrechen, besonders in
Fällen, wo Herz und Gefässe nicht mehr intakt sind. Verfasser hat das Dampfheissluftbad infolge¬
dessen ganz aufgegeben und verwendet die modernen Lichtschwitzbäder, die eine ausgiebige,
leichte, reinliche, bequem kontrollierbare Schweisserzeugung ermöglichen, ohne merkliche Irritation
der Lungen und des Herzens der Patienten. Eine ganz milde Erzeugung des Schweisses ist die
durch nasse Wickelung, trockene Einreibungen in Verbindung mit einem sch weisstreibenden Mittel.
Grog etc. Dieses Verfahren ist aber für Menschen, welche nur schwer Schweiss produzieren, fast
werthlos.
3. Mittel zur Einschmelzung des Fettes durch Säfteverluste und Erhöhung der
Fettoxydation. In erster Linie kommen hier drastisch wirkende Abführmittel in Betracht. Diese
Methode hat aber ihre bedenklichen Seiten, weil die abgeführten Säfte durchaus nicht harmloses
Wasser darstcllcn, sondern noch wichtige Nährbestandthcilc aus Blut- und Darmsaftcn enthalten.
Heber den Werth der Brunnenkuren als Einschmelzungsmittel gehen die Ansichten auseinander. Für
seine Person neigt Verfasser mehr einer Anschauung zu, welche die Erhöhung der Gcwebsosmose
durch Einführung von Salzen bestimmter Konzentration als oxydationsvergrössemden Faktor an-
niramt. Bezüglich der Wahl des Badeortes lehnt sich Verfasser an Kisch an. Auch mit Medikamenten
sucht man Fetteinschmelzung zu erzielen. Hier kommen hauptsächlich die Jodpräparate, speziell
Jodkalium in Frage. Die Jodpräparate verhindern durch das aus ihnen innerhalb der Gewebe frei-
werdende Jod die Neubildung der Gewebe, beschleunigen deren Zerfall und Verflüssigung. Sie be¬
dingen zugleich eine Vermehrung und Beschleunigung der Wasserdiffusion durch den Gehalt an Al¬
kali und später cino Steigerung der Lymphdrüsenthätigkeit. Leider hat der längere Jodgebrauch
seine grossen Gefahren (Jodismus). Auf dem Gehalt an Jod scheint auch die Wirkung der modernen
Schilddrüsenfütterung zu beruhen. Doch hat sich gezeigt, dass die Thvreoidbehandlung das Ge¬
wünschte nicht absolut sicher leistet und dass sie unangenehme, ja gefährliche Zustande veranlassen
kann. Die Absicht, durch längere Darreichung von Essig auf Entfettung hinzuzielen, grenzt an Ver¬
brechen und Selbstmord.
4. Mittel zur Erhöhung der Sauerstoffzufuhr zwecks Fettreduktion und zur
II erzrestauration. Vermehrte Sauerstoffzufuhr in das Blut wird einerseits durch diätetische Maass¬
nahmen, andrerseits durch Erhöhung der körperlichen Bewegung erzielt. Nach wissenschaftlichen
Anschauungen hängt dies aber von der Menge des vorhandenen Zirkulationseiweisses ab, mit dessen
Menge der Sauerstoffbedarf parallel geht: ein fetter Organismus wird durch Bewegung, d. h. durch
Muskelanstrengung wenig mehr Sauerstoff aufnehmen können; erst wenn die Entfettung weiter vor¬
geschritten und das Zirkulationseiweiss reichlicher geworden ist, wird die Kapazität für und die
Aufnahme von Sauerstoff grösser. Durch eine regelrechte Gymnastik wird sich ebenfalls eine
ganz bemessene Bewegung und Muskelanstrengung erzielen lassen, welche mit entsprechender Fett¬
verbrennung einhergeht. Individualisierung und Vorsicht sind aber hier am Platze, ganz besonders
muss auf den Zustand des Herzens Rücksicht genommen werden. Auch die passive Gymnastik
mit Hülfe der Zanderapparate hat bei systematischer Anwendung gute Wirkungen aufzuweisen.
Vorzügliche Resultate ergiebt eine ausgiebige Massage der ganzen Körperoberfläche, jedoch nur
dann, wenn die Massage lange Zeit fortgesetzt wird. Zur Erhöhung der Sauerstoffzufuhr dient
auch eine rationelle Lungengymnastik. Verfasser lässt seine Patienten täglich drei- bis fünfmal mit
hochgehobenen Armen in freier Luft am offenen Fenster durch eine Zigarrenspitze zwei- bis zehn¬
mal tief, langsam und vollständig aus- und einathmen, jedoch ohne zu forcieren, da diese Hebung
sehr anstrengend ist. Als einen sehr wichtigen Faktor bei der Reduktion starker Fettleibigkeit be¬
zeichnet Verfasser die regelrechte Elektromassage, die in verschiedener Richtung günstig wirkt:
sie ersetzt bei starken Fettleibigen zum Theil die gerade hier schon vermisste freiwillige Muskel-
thätigkeit, sie führt zu erhöhter Oxydation im Muskel, und sie giebt dem ganzen Nervensystem eine
Anregung, welche besonders bei schneller Entfettung ein willkommener Faktor ist, da dadurch
manchem unangenehmen Symptom entgegengearbeitet wird. Besonders wichtig ist die Elckti»
massage für herzkranke Fettsüchtige, weil hier auf den Muskel eingewirkt werden kann, ohne be¬
sondere Belastung des Heizens. Mit energischer Elektromassage hat Verfasser neben der Licht*
schwitzmethode und Diät seine besten Erfolge bei Entfettungskuren erzielt
Als ausgezeichnetes Unterstützungsmittel zur Erhaltung und Hebung der Herzaktion bei
Entfettungskuren betrachtet Verfasser die prophylaktische Kampferöleinspritzung, die je nach
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Referate über Bücher und Aufsätze.
den Umständen täglich vorgenommen werden kann. Als paralysierendes Mittel bei eingreifenden
Kuren verwendet Verfasser auch Kola, speziell die französische Marke Asti er, nicht als ständig
einzunehmendes Medikament, sondern nur bei eintretenden leichten Symptomen nach energischen Kuren
und an den ein- bis zweimal wöchentlich einzuhaltenden Trocken tagen.
5. Mittel zur Fetteinschmelzung durch Erhöhung des gesaramten Sto ffwechsels.
Hier kommen vor allem physikalische Mittel in Betracht, und zwar zunächst diejenigen, die durch
Anregung des Stoffwechsels der Haut eine bedeutende Steigerung des allgemeinen Stoffwechsels
hervorrufen können. Als mächtigster Faktor kommt hier die Licht Wirkung in Betracht, als Licht¬
quelle die Sonne, bezw. das konzentrierte elektrische Bogenlicht oder das Drummond’schc Kalk¬
licht Die Belichtung muss stundenlang dauern. Passend wird die Wirkung des Lichtes unterstützt
durch den Einfluss der Luft im sogenannten Lichtluftbad, wobei sich der Patient längere oder
kürzere Zeit der Wirkung der bewegten oder unbewegten Luft aussetzt, vollständig nackt, ruhend
oder mit gymnastischen Hebungen, Sport etc. beschäftigt Der Gedanke, durch Erzeugung einer
energischen Hautdurchblutung den Stoffwechsel zu erhöhen und die Hautthätigkeit anzuregen, wird
auch durch starkes Frottieren der Haut mit der Hand, einem rauhen Tuch, einer Bürste etc. ver¬
wirklicht. In neuerer Zeit werden mit Recht Abreibungen mit Kochsalzwasser empfohlen, wobei
der Patient, wenn er sehr blutarm ist, sich zweckmässig mit den Füssen in ein Gcfäss mit warmem
Wasser stellt. Mit Vorliebe macht Verfasser auch von der Wärmcentziehung durch das prolongierte
kalte Bad Gebrauch. Während des kalten Bades kann sehr zweckmässig ein kräftiger faradischcr
Strom durch den Körper geleitet werden, wodurch Haut und Muskeln in ausgiebige Reizung kommen.
Als besondere Spezialität benutzt er die Anwendung eines monopolären Hochspannungsstromes auf
besondere Art. Als hautreizende Bäder, welche bei Entfettungskuren hilfreich mitwirken können,
gelten auch die Moorsoolsäuerlinge, Stahlbäder, Jodbäder, welche passend mit den Trinkkuren in
Bädern selbst verbunden werden.
6. Anregung der Blutbildung. In erster Linie kommt hier die Eisenmedikation in Be¬
tracht. Allerdings bezweifelt Verfasser, ob man mit einfacher innerer Darreichung eines anorganischen
Eisen- oder Blutpräparates zum Ziele kommen wird, weil vermöge der beim Fettleibigen in mehr
oder weniger hohem Grade ausgesprochenen Erkrankung des Blutgewebes nach irgend welcher
Richtung keine lebhafte Reaktion auf die durch die Nahrung oder im Medikament gelieferten Blut¬
eisensalze erfolgt und in vielen Fällen auch die Resorptionsfähigkeit der Magenschleimhaut eine un¬
genügende ist. Deshalb empfiehlt Verfasser, ein eisenhaltiges Mittel in winzigen Dosen durch Ein¬
spritzung unter die Haut in die Blutlymphbahnen zu bringen, bezw. durch die Verwendung der
kataphorischen Kraft des elektrischen Stromes im Moorbad oder Stahlbad elektrolytische Zersetzung
und Transport minimaler Mengen von Eisen durch die Haut hindurch im Zweizellenbad anzustreben.
Im Sinne einer vermehrten Hämoglobinregeneration wirkt auch die Lichtbehandlung im Lichtsonnen¬
luftbad. Der Gedanke aber, durch Aderlass die Hämoglobinneubildung und die Regeneration des
Blutkörpers anzuregen, ist für Fettleibige verwerflich.
7. Anregung der Darmthätigkeit und Behebung der Untcrleibsstauungen. Als
wichtiges Hülfsmittel steht hier zunächst das kalte Sitzbad zu Gebote, dann die Wechseldouche, bei
der abwechselnd warmes und kaltes Wasser unter starkem Druck (cirka zwei Atmosphären!) in der
Richtung der Darm Windungen über den Bauch hingeführt wird, eventuell unter Einschaltung des
faradisehen Stromes. Selbstverständlich müssen diese Manipulationen mit sorgfältiger individueller
Auswahl und Stärke ausgeführt werden. Von vorzüglicher Wirkung sind methodische Darm¬
ausspülungen, besonders wenn grosse Wassermengen verwendet werden. Der Patient muss natürlich
vorher schon Entleerung gehabt haben und jetzt den selbstständigen Austritt des Wassers zu ver¬
hindern suchen. Auch mit diesem Verfahren brachte Verfasser die Elektromassage in Verbindung
Schliesslich werden zur Behebung der Obstipation abführende Medikamente angewendet Verfasser
bevorzugt seinerseits die öftere Darreichung von Pulv. Liqu. comp., abwechselnd mit Rhabarber-
und Warmwassereinläufen. n
Kaggowitz, Wirkt Alkohol nährend oder toxisch? Deutsche medicinische Wochenschrift 1000,
No. 32/34.
Nach einer ausführlichen Darstellung der früheren Anschauungen von dem Nährwerth des
Alkohols, wie sie sich bei Liebig, Mayer, Voit und anderen finden, bespricht Kassowitz die
Untersuchungen der letzten Jahre, die von Miura, Schöneseiffen, Rose mann etc. angestellt
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Referate über Bücher und Aufsätze.
die alte Lehre über den Haufen geworfen und den Beweis erbracht haben, dass der Alkohol keine
ei weisssparende Wirkung zu erzielen im stände ist. Trotz alledem vermisst Kassowitz mit Recht
die nothwendige Klarheit in der Beurthcilung der Frage, denn während auf der einen Beite anerkannt
wird, dass der Alkohol giftig wirkt und dass er lebendes Protaplasma zerstört, dass er kein eigent¬
licher Nahrungsstoff ist, wird doch wiederum auf Grund der Untersuchungen von Zuntz und Gep-
pert zugegeben, dass der Alkohol mit seinem vollen Kalorieenwcrthc Fett erspart. So werden
demselben Körper doch wieder gleichzeitig die Eigenschaften eines Nahrungsstoffes und eines
Giftes zuerkannt und hieraus ergeben sich Widersprüche, die die gesammte Auffassung erschweren
müssen. Dazu kommt noch ein weiteres Moment: Wir wissen bestimmt, dass Fett in hohem
Maasse die Fähigkeit besitzt, den Schwund des Körpereiweisses zu verhindern, und zwar nicht
allein, wenn es als Nahrung verabreicht wird, sondern auch wenn es als Reserve im Körper ab¬
gelagert ist. Wenn nun ein Stoff wirklich die Fähigkeit besitzt, fettsparend zu wirken, dann muss
er unbedingt auch im stände sein Körpereiweiss zu schützen, weil das durch seinen Einfluss ersparte
Fett im Körper verbleibt und daher, wie jedes andere Reservefett, seine eiweissschützende Fähig¬
keit zur Geltung bringen müsste. Nach Rosemann trifft dies aber für den Alkohol nicht zu, und
er behauptet, dass, so lange man Alkohol giebt, so lange es weder direkt noch indirekt zu einer
Eiweissersparung kommt. Erst wenn man den Alkohol fortlässt, wird das unter der Alkoholwirkung
ersparte Fett zerfallen und dann auch eiweisssparend wirken, dann werden die Eiweissverluste
geringer ausfallen, als sie gewesen wären, wenn das Fett nicht vorhanden wäre. Dieser weitere
Widerspruch zwischen der angeblichen fettsparenden Eigenschaft des Alkohols und seiner totalen
Unfähigkeit, das Körpereiweiss zu schützen, ist nach Kassowitz ebenso wie die vorhergehenden
keineswegs in den Thatsachen selbst gelegen, sondern nur in der jetzt üblichen theoretischen Aus¬
legung derselben, so dass man, wenn man die Erfahrungen von einem anderen Gesichtspunkte aus
ins Auge fasst, auch zu anderen Ergebnissen gelangt. Um vor allem die Frage zu entscheiden, oh
ein und derselbe Körper gleichzeitig als Gift und als Nahrungsstoff wirksam sein kann, darf man
unsere Nahrungsstoffe nicht allein unter dem Gesichtspunkte des Kalorieenwerthes, sondern vor
allem unter dem des Bauwerthes, d. h. seiner Fähigkeit, sich am Aufbau des Körpers zu betheiligen,
betrachten. Diese »metabolische« Auffassung, welche alle Nahrungsstoffe ohne Ausnahme, also
auch die stickstofffreien Theile der thierisehen Nahrung, immer zunächst zum Aufbau der kom¬
pliziert gebauten chemischen Einheiten des Protaplasmas verwenden und die Oxydationen erst beim
Zerfall dieser labilen Moleküle vor sich gehen lässt, erklärt allein die Stoffzersetzung im Organismus
wie den Mechanismus derselben. Die metabolische Auffassung ist es, der der blosse Nachweis,
dass eine Substanz in vivo verbrennt, noch nicht genügt, ihn als nährend für den Organismus zu
bezeichnen, woran man um so weniger zu denken hat, wenn, wie es beim Alkohol der Fall ist,
dieser Stoff als chemischer Reiz auf das Protaplasma einwirkt und bei seiner Verbrennung zugleich
auch eine Zersetzung und Zerstörung von lebendem Protaplasma herbeiführt Damit fällt aber
auch die Theorie von den fettsparenden Eigenschaften des Alkohols, die einzig und allein auf der
Thatsache basierte, dass bei der Verbrennung von Alkohol im lebenden Körper der Verbrauch von
Bauerstoff und die Produktion von Kohlensäure nicht in dem Maasse steigt, als dieser Verbrennung
entsprechen würde. Da nämlich der Alkohol sicher protaplasmazerstörend wirkt, und da andrerseits
die vitalen Verbrennungsprozesse auf das engste mit der Lebensthätigkeit des Protaplasmas ver¬
knüpft sind, so versteht es sich eigentlich von selbst, dass ein verminderter Protaplasmabestand
zugleich auch einen geringeren funktionellen Protaplasmazerfall und daher auch eine verminderte
Oxydation der Zerfallsprodukte zur Folge haben muss. Mithin sind die Thatsachen, von denen man
die sich einander widersprechenden Annahmen der Rolle des Alkohols im Organismus abgeleitet
hat, nämlich die fehlende Verminderung des Eiweisszerfalles und die thatsächlich beobachtete Ver¬
minderung des Fettverbrauches, nichts anderes als die nothwendigen Konsequenzen der giftigen
und protaplasmazerstörenden Thätigkeit dieses Stoffes. Und deshalb ist der Alkohol für den thie-
rischen und menschlichen Organismus nicht Nahrungsstoff und Gift zugleich, sondern ein Gift
schlechtweg, welches, wie alle anderen Gifte, in grossen Dosen tötlich, lähmend und krank machend
wirkt, während kleine Dosen nur eine reizende Wirkung entfalten. Damit fällt seine Verwendung
als Nahrungs- oder als Schutz- und Sparmittel bei fiebernden otler an einer komsumierenden Krank¬
heit leidenden Patienten, es fällt weiterhin auch die reizende und antipyretische Wirkung des Al¬
kohols, die ja an und für sich in vielen Fällen entbehrlich, wo indiziert, durch weniger deletäre
Mittel lierbeigefiihrt werden kann. So wendet Kassowitz seit mehr als zehn Jahren keinen Al¬
kohol mehr am Krankenbette an, sondern als Spannittel bei Fiebernden ausschliesslich wirkliche
Nahrungsmittel, neben Milch insbesondere den Zucker in Form von Fruchtsäften, Kompots, ge-
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Referate über Bücher und Aufsatze. 421
zuckerten) Thee u. s. w., als Stimulans neben hydriatischen Prozeduren fast ausschliesslich den
Kampfer, der dem Alkohol wegen der Promptheit und Augenfälligkeit seiner Wirkung und beson¬
ders wegen des Fehlens unerwünschter Nebenerscheinungen unbedingt vorzuziehen ist.
J. Marcuse (Mannheim).
0. Reichel, Inwieweit ist die diätetische Behandlnng der Nephritis begründet? Centralblatt
für die gesammte Therapie 1901. Heft 1.
Verfasser führt aus, dass sowohl in der Pathogenese, wie in der klinischen Symptomatologie
des Morbus Brightii noch vieles dunkel ist, insbesondere aber, dass die gegenwärtigen diagnostischen
Behelfe für die Abgrenzung der Nephritis von den pathologischen Albuminurien häufig im Stiche
lassen, und dass ein Gradmesser für die Intensität der Erkrankung, für Verschlimmerung oder
Besserung derselben derzeit noch fehlt. Von diesen Betrachtungen ausgehend, sowie auch von der
Annahme, dass bei dem Mangel jedweder sicheren positiven Basis therapeutische und diätetische
Maassnahmen nur auf empirischer Grundlage berechtigt sein werden, präzisiert Verfasser seine An¬
sicht dahin, dass die gegenwärtige diätetische Behandlung der Nephritis auf einem grossen
prinzipiellen Fehler beruht. Es finde sich nämlich in allen diesbezüglichen Mittheilungen kaum
etwas von Empirie, sondern es werde auf schwankender Basis von den Stoff Wechsel theoretikem
immer weiter gebaut. Selbst Kolisch, sonst ein nüchterner Kritiker, spricht in seinem jüngst
erschienenen Lehrbuch der diätetischen Therapie die Befürchtung aus, dass die Stoffwechselzwischen¬
produkte des Eiweisszerfalles dem Nephritiker schaden können, da sich unter diesen eine Reihe von
Nierengiften befinden, wie die Amidosäurcn, das Keratinin, die Alloxurbasen Verfasser will nun
durchaus nicht in Abrede stellen, dass diese Substanzen wirklich Niorcngiftc sind; er betont aber,
dass der empirische Nachweis fehle, dass diese Nierengifte einem Nephritiker wirklich schaden und
dass man in Berücksichtigung der Thatsache der Behandlung von Herzschwäche mit Herzgiften auch
anzunehmen berechtigt wäre, dass ein Nierengift bei einer Nephritis günstig einwirke. Jedenfalls
sei das Fleisch mit Rücksicht auf seinen Keratingehalt und die NukleTne so lange nicht als Schäd¬
lichkeit für den Nephritiker anzusehen, bis es empirisch als solche festgestellt wird, und das sei bis
jetzt noch nicht geschehen: es habe sich noch niemand bei der Beobachtung eines Nephritikers
wirklich davon überzeugen können, dass demselben Fleisch auch in grösseren Quantitäten schädlich
sei, oder dass er auf weisses, schwarzes Fleisch oder Wild verschieden reagiere. Reiche Ts
Meinung geht nun dahin, dass ein Nephritiker gut genährt werden und das essen soll, was er gut
verträgt, d.h. was dem betreffenden Kranken je nach der Schwere seiner Erkrankung angemessen ist.
Bezüglich der bei der Therapie der Nephritis üblichen Schwitzbäder bemerkt Verfasser, dass
er von denselben nie einen wirklichen Erfolg gesehen habe, mögen sie theoretisch noch so be¬
gründet sein. - n.
Jaquet, Recherche» snr Paction physiologique du climat d’altitade. La semaine medicale
1900. No. 40.
Jaquet und Suter haben schon früher in einer Arbeit den Nachweis erbracht, dass die
nach einem Aufenthalte im Höhenklima beobachteten Veränderungen in der Zusammensetzung des
Blutes nicht auf einer ungleichmässigcn Veitheilung der Blutelemente in den verschiedenen Theilen
des Gefässsystems beruhen, sondern die Folge einer Neubildung der rothen Blutkörperchen und des
Hämoglobins sind. Die Ursachen dieser Reaktion des Organismus sucht Jaquet in der vorliegenden
Arbeit fcstzustellen. Er unterzog die einzelnen Faktoren des Höhenklimas (Temperatur, Besonnung,
Verminderung des Luftdruckes, Trockenheit der Luft) bezüglich ihres Einflusses auf die Zusammen¬
setzung des Blutes in systematischer Weise, jeden für sich, einer genauen Untersuchung und fand,
dass die Vermehrung der Zahl der rothen Blutkörperchen und des Gehaltes an Hämoglobin allein
durch den niedrigen Luftdruck bewirkt werde.
Die Art der Versuchsanordnung war folgende: Die Versuchsthiere wurden eine bestimmte
Zeit hindurch der Einwirkung eines der genannten Faktoren ausgesetzt, danach wurde die Gesammt-
ffienge des Hämoglobins in methodischer Weise gewonnen und bestimmt. Daneben liefen genaue
Zahlungen der rothen Blutkörperchen vor und nach dem Versuche.
1. Die Temperatur der umgebenden Luft ist ohne Einfluss auf die Zusammen¬
setzung des Blutes. (In zwei Zimmern, deren eines eine Temperatur von 2 -5° C, deren anderes
eine solche von 13—16° C aufwies, waren je sechs Kaninchen unter sonst gleichen Lebensbedingungen
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422 Referate über Bücher und Aufsätze.
untergebracht. Nach sechs Wochen wurden sie getötet und untersucht; es ergaben sich die gleichen
Zahlen für beide Reihen in Bezug auf Anzahl der Blutkörperchen und Menge des Hämoglobins.)
2. Die Verminderung des atmosphärischen Druckes um 100mm der Quecksilber¬
säule genügt schon an sich, die bezüglichen Veränderungen hervorzurufen, und zwar
die Totalmenge des Hämoglobins um 20% zu vermehren. (Die Versuche erstreckten sich
auf vier Reihen zu je drei Thieren bei einer Dauer von je vier Wochen; zwei Reihen bei gewöhn¬
lichem, zwei bei um 100 mm vermindertem Drucke, entsprechend demjenigen von Davos; dieThiere
befanden sich in einem hermetisch verschliessbaren, gut ventilierten, hellen Käfig.)
3. Trockenheit der Luft spielt bei der Wirkung des Höhenklimas keine
wesentliche Rolle. (Die Luft der Kiste war mit Feuchtigkeit gesättigt, welche jedoch die
Wirkung der Verminderung des Druckes nicht behinderte.)
4. Der Einfluss des Lichtes auf die Zusammensetzung des Blutes ist nach den
Forschungen anderer Autoren (Marti, Schoenenberger, C. Meyer) eine geringfügige.
Zur Klarstellung der Frage, aus welchem Material (Nahrung, Einschmelzung von Zellen-
eleraenten des Körpers) die Neubildung der Blutelemente erfolgt, unternahm Jaquet noch Selbst-
versuche an sich und Staehelin. (Station: Mont Chasserol im Jura, 1600 m; drei Perioden:
7 Tage in Basel, 13 Tage im Gebirge, 7 Tage in Basel.)
Genaue Analysen der Nahrung und der Ausscheidungen (Urin, Fäces) ergaben: Sinken des
Stickstoffgehaltes des Urins während des Gebirgsaufenthaltes, ein unmittelbar darauf folgendes
Ansteigen desselben in derEbene. Während der ersten Periode war eine Retention des Stick¬
stoffes nicht zu konstatieren, in der zweiten Periode fand eine Retention von 2,592 g täglich im
Mittel statt, in der dritten retinierte der Organismus nicht nur keinen Stickstoff, sondern schied noch
von der resorbierten Menge ausser durch den Urin einen Theil durch die Haut aus. Der zwischen
den Veränderungen in der Zusammensetzung des Blutes und dem Stickstoffaustausche im Organismus
bestehende Parallelismus erhellt aus diesem Verhalten deutlich.
Auffallend und mit den bezüglichen Ergebnissen aller anderen Autoren nicht übereinstimmend
ist Jaquet’s Befund, nach welchem derartige Veränderungen bereits bei einem um nur 100 mm
unter die Norm verminderten Drucke statthaben sollen, während eine Verminderung bis zu 450 mm
bis jetzt in diesem Sinne als indifferent angesehen wurde. Viktor Lippert (Wiesbaden).
A. Babajew, Die Balneoelektrotlierapie der Herzkrankheiten. Wojenno-medizinsky Shumal
1900. No. 3 und 4.
Auf Grund der Erfahrungen, welche Babajew auf dem Wege der Untersuchung der Ein¬
wirkung von hydroelektrischen Bädern auf gesunde Individuen gemacht hatte oder auf Kranke, die
jedoch keine auffälligen Veränderungen des Herzmuskels organischer Natur auf wiesen und die auch
durch keinerlei tiefgreifenden pathologischen Prozesse und Affektionen des Organismus erschöpft
waren, konnte der Autor bereits vor einer Reihe von Jahren in seiner Dissertation seine Ansichten
über das Verhalten des Zirkulationsapparates den elektrischen Bädern gegenüber formulieren. Nach
Babajew bietet der Einfluss der faradischen und galvanischen dipolaren Bäder mit bedeutender
Reizung der Hautdecken auf das Herz und die Gefässe viel Aehnlichkcit dar mit der Wirkung der
kalten Douchen und der kalten Bäder. Die dipolaren galvanischen und faradischen Bäder mit mir
unbedeutender Reizung der Körperperipherie und auch speziell das Anodenbad weisen viel Analogieen
mit den Thermalbädern auf, welche Gase, Salze und Moor enthalten. Der allgemeine Ionisierende
Einfluss der hydroelektrischen Bäder auf das Herz und das Gefässsystem kann ausser durch die
direkte Einwirkung auf die Hautvasomotoren auch durch die Wirkung schwacher galvanischer
Stromschlcifen auf die vasomotorischen Centren im Rückenmark und sogar im Gehirn erklärt werden,
ganz abgesehen von der reflektorischen Erregung dieser Centren auf dem Wege der Reizung der
Körperperipherie überhaupt. Im allgemeinen wirken nach des Verfassers Beobachtungen die hydro¬
elektrischen Bäder analog den verschiedenen Formen der differenten gewöhnlichen Bäder, aber mit
dem vortheil haften Unterschiede, dass bei den ersteren die Möglichkeit vorhanden ist, mit Hilfe
von Rheostaten die Reizung der Hautdecke leicht und schnell zu dosieren und sie mit dem Zustande
des Herzens und der Empfindlichkeit des betreffenden Patienten auf die genaueste Weise in Ein¬
klang zu bringen.
Nachdem Babajew bereits in Charkow bei einem Falle von kombiniertem Herzfehler die
hydroelektrischen Bäder angewandt und ein recht gutes Resultat erzielt hatte, setzte er seit dein
Jahre 1887 seine Beobachtungen an Herzkranken in Abastuman (Kaukasus) fort. Die Gesammtzahl
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Referate über Bücher und Aufsätze. 423
der Kranken, über welche er bisher verfügt, beträgt 36; von ihnen trat in neun Fällen völlige Ge¬
nesung ein, und die übrigen besserten sich in bedeutendem Grade: die Ermüdung und die Blut¬
überfüllung des Herzens wurden auf lange Zeit hinaus beseitigt, die Arbeit der Lungen wurde er¬
leichtert und das Allgemeinbefinden der Kranken in merkwürdiger Weise gebessert Die Möglichkeit
einer vollkommenen Genesung giebt der Verfasser überhaupt nur bei kräftigen Individuen zu mit
rheumatischer Endokarditis blos exsudativen Charakters und verhältnissmässig frischen Ursprungs;
dort, wo sich aber bereits narbige Retraktionen und feste Verwachsungen der Klappen ausgebildet
haben, kann von einer Heilung allerdings nicht die Rede sein.
Die Erfolge, welche Babajew bei der Behandlung von Herzkranken in Abastuman erzielt
hat, schreibt er durchaus nicht den dortigen Thermen allein und den hydroelektrischen Bädern zu;
keine geringfügige Rolle räumt er demjenigen Regime und der Ernähnmgsweise ein, welche die
Kranken befolgten, und nicht ganz ohne Einfluss blieb auch das örtliche wundervolle Klima. Ge¬
wöhnlich pflegt man Herzkranke nicht auf solche Höhen zu senden, welche sich um mehr als 600
Meter über dem Meeresspiegel erheben. Obgleich die Höhenlage Abastumans um das Doppelte die
angegebene Grösse übertrifft, so kann sie doch nicht als absolute Kontraindikation gegen die Be¬
handlung von Kranken mit organischen Herzfehlern in diesem Kurorte dienen. Ungeachtet dessen,
dass in der That der Herzkranke nach seiner Ankunft in Abastuman anfänglich eine Beschleunigung
des Pulses und der Athmung aufweist, so kehren doch bereits nach zwei bis drei Wochen sowohl
die Ilerzthätigkeit als auch die Respirationsfrequenz zur Norm zurück.
A. Dworetzky (Riga-Schrcyenbusch).
W. Stange, Ueber die Behandlung der Typhuskranken mit kalten Bädern. Wratsch VMM).
No. 41.
Ausgehend von dem Standpunkte, dass der Typhuskrankc infolge seiner Appetitlosigkeit und
der schlechten Assimilation der zugeführten Nahrung jede Wärmeentziehung auf Kosten seiner
eigenen Körpergewebe zu decken genöthigt ist, erweist sich Prof. Stange als prinzipieller Gegner
der antipyretischen Methode der Typhusbehandlung und der kalten Bäder im besonderen. Das
kalte Bad von 10— 18°R erreicht, abgesehen von den äusserst unangenehmen Empfindungen, welche
es dem Kranken verursacht, überhaupt nicht seinen Zweck, denn das kurzdauernde Sinken der
Temperatur in der Achselhöhle wird sehr oft von einem Fallen der Temperatur im Mastdarm nicht
begleitet; im Gegentheil, das Blut strömt nach den inneren Organen zurück, die Temperatur im
Rektum steigt nicht selten während des Bades, weil die Wärmeregulierung und Wärmeabgabe in¬
folge der ungeheuren Kontraktion der Hautgefässe und der schlechten Wärmeleitungsfähigkeit des
Unterhautfettgewebes an der Peripherie nicht vor sich gehen kann, und nach kurzer Zeit erreicht
die Körpertemperatur ihre frühere Höhe. Auf Grund der statistischen Angaben der verschiedensten
Autoren, angefangen von James Currie bis auf Jürgensen, Liebermeister und Eichhorst,
stellt Stange seinen ersten Grundsatz auf, der folgendcrmaassen lautet: die Mortalitätsziffer
beim Abdominaltyphus hängt von der Schwere der Epidemie ab; der Einfluss der
antipyretischen Behandlungsmethode mit Hilfe von kalten Bädern auf den Pro¬
zentsatz der Todesfälle ist zum mindesten nicht bewiesen.
Zweckentsprechender sind schon nach des Verfassers Ansicht die Zicrasscn’sehen Bäder
von 25—20° R, weil sie eine echt antipyretische Wirkung haben und in ihnen die Körpertemperatur
sowohl in der Achselhöhle als auch im Mastdann um etwa 2° sinkt. Für die allerbeste Methode
der Fieberherabsetzung hält Stange jedoch das Halbbad, dessen Temperatur um 5—10°
niedriger als die Körpertemperatur ist; in einem solchen Halbbade wird der Kranke die
ganze Zeit über frottiert und mit dem Badewasser übergossen, damit die Hautgefässe erweitert
bleiben und beständige Hautröthc hervorgorufen wird; die Dauer des Hallbbades beträgt etwa 15
bis 30 Minuten.
Aber auch damit ist Stange nicht zufrieden, sondern stellt den weiteren Grundsatz auf, dass
die WärmeVerluste beim Typhuskranken nach Möglichkeit verringert werden
müssen, denn infolge der geringen Nahrungsaufnahme und der mangelhaften Assimilation werden
diese Verluste durch die Verbrennung des Fettes und der Körpereiwcisse gedeckt; deswegen müssen
die antipyretischen Mittel und die abkühlenden Bäder überhaupt fallen gelassen werden.
Indem also der Autor aus der Behandlung des Unterleibstyphus jedes antifebrile Element
ausschliesst, stellt er als die Hauptaufgabe für die Tvphusbehandlung die Aufrechterhaltung einer
kräftigen Herzlhätigkeit hin, welche am sichersten durch eine rationelle Ernährung des Kranken
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Referate über Bücher und Aufsätze.
und eine Verringerung seiner Wärmeverluste erreicht wird. Die abkühlenden Bäder reserviert er
nur für Fälle mit extrem hoher Temperatur, während die übrigen Kranken sämmtlich mit blos in¬
differenten Bädern behandelt werden, und zwar bekommen sie morgens und abends je ein Bad von
28° R, in welchem der Patient 15—20 Minuten verweilt; nach dem Bade wird er in ein warmes
Laken eingehüllt und in eine Decke gewickelt. Die nach einer solchen Prozedur auftretende
Schweisssekretion verhindert ein übermässiges Ansteigen der Körpertemperatur und befreit den
Organismus von einigen giftigen Stoffwechselprodukten und Toxinen; der Blutzufluss zur Hant
führt zu einer Verminderung des Zuflusses und der Stauung in den inneren Organen, während der
aktive Zustand und die regelmässige Ernährung der Haut das Auftreten von Dekubitus verhütet.
Zu demselben Zweck empfiehlt Stange auch Priessnitz'sche Kompressen auf den Leib, Wärm¬
flaschen an die Extremitäten und nicht allzu lange dauernde (wegen der möglichen Wärmeveriuste
Applikation eines Eisbeutels auf den Kopf.
Stange lässt ausser Acht, dass die Kaltwasserbehandlung des Typhus abdominalis sowie aller
übrigen, mit Steigerung der Körpertemperatur einhergehenden akuten Infektionskrankheiten durch¬
aus nicht hauptsächlich die Herabsetzung der Eigenwärme zum Ziele hat; die Tonisierung des Herz¬
muskels, die Vertiefung der Athmung, die Kräftigung des Nervensystems und die Aufhellung des
Sensoriums, die Erregung des Appetites und das Hervorrufen eines festen Schlafes: das sind die
vorzüglichsten Aufgaben, welche die Behandlung mit kühlen Bädern zu erfüllen hat. Ob diese
wichtigen Aufgaben durch die indifferenten Bäder mit ebenso gutem Erfolge gelöst werden können,
ist sehr zweifelhaft. Darin muss man aber dem Autor vollständig Recht geben, dass alle medika¬
mentösen fieberwidrigen Mittel nicht nur unnütz, sondern direkt schädlich sind. Dass die Mortalitäts¬
ziffer des Abdominaltyphus bei den einzelnen Autoren einzig und allein von der Schwere der be¬
treffenden Epidemie abhängig sei, kann dem Verfasser nicht ohne weiteres zugestanden werden.
Dagegen spricht der Unterschied im Prozentsatz der Todesfälle an dem Unterleibstyphus vor und
nach Einführung der Kaltwasserbehandlung, sowie die Differenz in der Mortalitätsziffer während
einer und derselben Epidemie in einem und demselben Krankenhause, wenn die kalten Bäder an
dem einen Theil der Patienten angewandt werden und an dem anderen nicht. Wahr ist es, dass
in der Privatpraxis manchmal aus äusseren Gründen eine strenge und systematische Kaltwasserkur
nicht durchgeführt werden kann; dann werden die Bäder sehr zweckmässig durch nasse Einwickc-
lungen mit den günstigsten Resultaten ersetzt. A. Dworetzky (Riga-Schrcyenbusch).
Rosin, Leber einige poliklinisch häufige Krankheitsformen und ihre hydriatische Behandlung.
Zeitschrift für klinische Mcdicin Bd. 41. Heft 1—4.
In der zur Feier des 25 jährigen Professorenjubiläums von Senator erschienenen Festschrift
macht Rosin den interessanten Versuch, an der Hand einiger sehr illustrierender Beispiele die Eigen-
thümlichkeiten der Poliklinik, durch welche dieselbe sich von der Klinik unterscheidet, zu demon¬
strieren. Als erstes Beispiel sind die poliklinisch überaus häufigen Myalgien gewählt, die der Ver¬
fasser in drei Gruppen theilt, in direkte Muskeltraumen, in Uebcranstrengungssehmerzen gesunder
Muskeln und in Ermüdungsschmerzen abnorm schwacher Muskeln. Als die geeignetste Behandlung
der Myalgien empfiehlt Rosin die Hydrotherapie und zwar in folgender Stufenleiter: zunächst
einfache hydropathische Umschläge, dann die wirksameren heissen Umschläge, weiterhin Sool- und
Schwitzbäder.
Des weiteren kommt eine rudimentäre Form von Gelenkrheumatismus zur Besprechung, welche
die kleinen Hand- und Fussgelenke betrifft und vielfache unangenehme Parenthesien für die Patienten
mit sich bringt. Auch hier ist die Hydrotherapie in Form heisser lokaler Sand- oder heisser allge¬
meiner Vollbäder das souveräne Heilmittel.
Als drittes Beispiel wird eine .eigenthumliche Kombination von Digestions- und Zirkulations¬
störungen erwähnt; es besteht ein andauerndes Druck- und Spannungsgefühl in der Magengegend
und auffallend reichliches Aufstossen neben Herzklopfen und Zusammenschnüren im Halse, ohne
dass die objektive Untersuchung greifbare Veränderungen nachweisen kann. Mit Umschlägen und
verschiedenartigen Bädern lassen sich hier sehr gute Heilwirkungen eizielen.
Endlich werden kurz noch die Chlorose und die Pulsatio epigastiica abgehandelt: bei der
ersteren Affektion hat er von heissen Bädern, bei ber letzteren von kalten Bädern viel Nutzen
gesehen. Freyhan (Berlin).
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Referate über Bücher und Aufsätze. 425
Edel, Ueber den Einflnss des künstlichen Schwitzens* anf die Magensaftsekretion. Zeitschrift
für klin. Medicin Bd. 42. Heft 1 u. 2.
Auf Grund von zahlreichen Versuchen hat Siinon behauptet, dass durch künstliches Schwitzen
— sei es mittels Schwitzbädern oder mittels Pilocarpininjektionen - ein Einfluss auf die Magen¬
sekretion ausgeübt werde. Und zwar komme es anfänglich zu einer kurzdauernden Sekretions¬
steigerung, der sehr bald eine Reaktion im entgegengesetzten Sinne naclifolge. Dieses Stadium
der verminderten Sekretion dauere einige Stunden bis einige Tage.
Der Verfasser ist in eine Nachprüfung dieser Versuche eingetreten und ist dabei zu wesent¬
lich anderen Resultaten als Simon gelangt. Er hat nämlich keine irgendwie konstante oder auch
nur häufigere Herabsetzung der Acidität einen oder einige Tage nach Schwitzbädern beobachtet.
Seine Versuche haben den Vorzug, dass sie an Patienten angestellt sind, die sich vor und nach dem
Schwitzen unter durchaus gleichen Bedingungen befanden, während Simon seine Versuche an poli¬
klinischen Patienten vornahm. Ferner sind nur Patienten mit normalen Verdauungsorganen ver¬
wandt worden, während es sich bei Simon’s Versuchen um Magenkranke handelte. Endlich
scheinen diejenigen Versuche bei Simon nicht einwandsfrei zu sein, in welchen das Probefrühstück
vor und nach dem Schwitzen zu verschiedenen Tageszeiten gereicht wurde. Es geht dies darum
nicht an, weil noch nicht festgestellt ist, ob die gleiche Probemahlzeit, zu verschiedenen Tages¬
zeiten gereicht, stets vollkommen gleiche Werthe erzielt. Freyhan (Berlin].
Fretin, Kinesiterapia. Tratamiento mecänico de la coqneluche. Semana medica (Buenos Aires)
1901. Bd. 8. No. 3.
Die Unzulänglichkeit der pharmaceutischen Heilmittel bei Keuchhusten brachte den Ver¬
fasser auf den Gedanken, die mechanische Behandlung zu versuchen. Er hat gelegentlich einer
Epidemie neun Fälle (je vier Fälle über und unter drei Jahren, einen Fall von 47 Jahren) auf diese
Weise behandelt und rühmt ihr eine rapide Wirksamkeit nach. Im Durchschnitt war das Leiden
in einer Woche geheilt, bei der 47jährigen Kranken, die sehr schwer an den Anfällen zu leiden
hatte, war bereits nach sechs Tagen Heilung eingetreten. Das Verfahren besteht in folgendem:
1. Vollständige Massage der Ccrvikalregion, die sich auf den Pneumogastricus, die Kehlkopf¬
nerven und die Sympathicusstränge erstreckt. Mittels der Methode von Arvid Ke lg ree n wird
die Ccrvikalregion, die Basis der Zunge und die Trachea bearbeitet.
2. Darauf werden mittels des Vibrators von Carl sohn wenigstens fünf Minuten lang ener¬
gische Erschütterungen der gleichen Region ausgeführt.
3. Weiter schliessen sich eine Reihe Respirationsbewegungen, bald passiver, bald aktiver
Natur, bald mit, bald ohne Widerstand an, sowie eine Anzahl Bewegungen des Nackens. Den
Schluss bilden eine Reihe manueller Erschütterungen und Tapotements des Rückens.
Diese Behandlung wird jeden Tag einmal, im Nothfalle auch zweimal vorgenommen. Ihre
besten Erfolge dürfte sie haben, wenn die konvulsiven Anfälle ihre Hohe erreicht haben, d. h. un¬
gefähr in der vierten Woche nach Beginn des Leidens. Busch an (Stettin).
J. Heit /.manu, Ueber die manuelle Beliaudluug der Frauenkrankheiten. Centralblatt für die
gesammte Therapie 1900. No. 7.
Eines der wichtigsten Hilfsmittel in der gynäkologischen Therapie ist die Massage. Vor kaum
zwei Dezennien haben die ersten Versuche damit begonnen, und in kurzer Zeit war das Verfahren
in allen seinen Anwendungsw r eisen auf eine hohe Stufe der Vervollkommnung gebracht. Die von
dem Verfasser für diese Behandlung vorgeschlagene Bezeichnung »Gynäkomassagc« hat keinen
Anklang gefunden. Infolge wahlloser Ausübung gerieth die Massage in Misskredit und Vergessen¬
heit, ebenso durch den Irrthum, als wäre diese Methode ganz und gar die Erfindung eines Laien
— Thure Brandt. Auch allerlei unnützes Beiwerk und die allzu weite Indikationsstellung haben
der Massage mehr geschadet als genützt. Im allgemeinen kann als Indikation für die gynäko¬
logische Massage jedwede chronische Entzündung au den inneren weiblichen Genitalorganen und
deren Nachbarschaft, die entweder mit Exsudaten und Massenzunahme oder, im Gegentheil, mit
Schrumpfung und Adhäsionsbildung verläuft, aufgestellt werden. Ebenso geben die auf solche Art
entstandenen Lageveränderungen mit den damit verbundenen Beschwerden eine Hauptanzeige für
diese Behandlungsmethode ab. Auch die weiteren Folgczustiiiidc der Genitalaffektionen kommen
in Betracht, so die Enteroptose, zumal die Wanderniere, Adhäsionen und Exsudatreste nach ab-
Zeitscbr. f. diät. u. phyaik. Therapie Bd. V. Heft 5. •><)
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426 Referat© über Bücher und Aufsätze.
gelaufener Paraproktitis, Peri- und Paratyphlitis, Erschlaffung der Blase und des Mastdaruies. Un¬
erlässlich ist eine feine und genaue Diagnose. Gegenanzeigen sind Eiter, Krebs und Extrauterin¬
schwangerschaft, ferner Allgenieinerkrankungen, wie Tuberkulose, Diabetes, Albuminurie, Herzfehler,
Erregung des Nervensystems; Vaginismus ist unter Umstanden sehr geeignet für manuelle Be¬
handlung. Lokaltherapie, Irrigationen, Bäder, Kataplasmcn, Aetzungen, Tamponade, Anwendung
von Pessaren ist zuweilen dringend nöthig. Die Wirkung lässt sich am besten als »Wieder¬
herstellung der Vitalität, des Tonus der Gewebe« kennzeichnen, d. h. es wird eine künstliche Hyper¬
ämie, eine Kongestion erzeugt und dadurch für eine bessere Ernährung und Funktion des Organs
gesorgt. Die gymnastischen Uebungen, für die Brandt einen grossen Apparat an Heilgymnastik
auf wandte, lassen sich durch diätetische Anordnungen, Spaziergänge, kalte Abreibungen, Ein¬
packungen über Nacht etc. umgehen. Werth voll sind die aktiven und passiven Widerstands¬
bewegungen, sowie systematische Kontraktionsbewegungen, z. B. des Sphincter ani, vaginae. Die
Massage selbst kann auf jedem Bett oder Sopha vorgenommen werden. Vor jeder Sitzung hat eine
exakte bimanuelle Untersuchung die geringsten Anomalien festzustellen. Auf die Schmerzempfindung
der Kranken ist die vollste Aufmerksamkeit zu richten. Der wichtigste Handgriff ist die »Zirkel¬
reibung«, eine andere Bewegung ist das »Streichen« oder »Malen«, die »Dehnung« und die »direkte
Trennung«. Näheres ist im Original zu finden. Die Massage kann unter Umständen täglich vor-
genommen werden, bei Empfindlichkeit mit ein- und mehrtägigen Unterbrechungen. Die erste Auf¬
gabe der Behandlung ist die Wiederherstellung der freien Zirkulation. Die von Brandt ersonnene
systematische Gymnastik ist zu kompliziert und zeitraubend. Nebenerscheinungen, wie Blutungen.
Lageveränderungen u. s. w. erfordern ausser der Massagebehandlung noch die anderen gebräuch¬
lichen Hilfsmittel, Sitzbäder, warme Irrigationen, Tampons, Thermophore, die Belastungstherapie etc.
Bei Mädchen oder bei Frauen, bei denen sich ein öfters angewandtes manuelles Eingreifen von
selbst verbietet, kann man durch gymnastische Uebungen des Rumpfes und der Schenkel mit so¬
genannten Widerstandsbewegungen dysmcnorrhoische Beschwerden zum Schwinden bringen Der
Verfasser bespricht sehr eingehend die einzelnen Indikationen für die manuelle Behandlung bei den
verschiedenen Organerkrankungen und kommt zu dem Schlüsse, dass die Massage eine sehr er¬
wünschte und brauchbare Ergänzung der gynäkologischen Therapie darstellt. Ein Allheilmittel ist
sic nicht, aber in Verbindung mit anderen älteren bewährten Methoden wird man sie mit gutem
Erfolg anwenden. Forchheimer (Würzburg).
TL C. Loveland, Rheumatic gout. New-York med. journ. 1900. 3. März.
Die klinische Bezeichnung »rheumatische Gicht«, wie sic immer noch von der Mehrzahl der
englischen und amerikanischen Aerztc gebraucht wird, und wie man sie von englischen Patienten
immer wieder zu hören bekommt, sollte endlich einmal abgeschafft werden, da sie aus verschiedenen
Gründen geeignet ist, die diagnostischen Begriffe zu verwirren. Wir verdanken gerade dem Um¬
stand einen wesentlichen Fortschritt, dass wrir uns bemühen, Gicht und Rheumatismus als zwei
durchaus verschiedene Krankheitsbilder prinzipiell von einander zu trennen, ln dem vorliegenden
Aufsatz werden unter dem Titel »Rheumatic gout« die klinischen Erscheinungen der Arthritis
deformans besprochen und durch Photographieen und Röntgenbilder illustriert. Die Behandlung der
Arthritis deformans, wie sie von dem Verfasser empfohlen wird, besteht in erster Reihe in einer
Regulierung der Ernährung. Die Diät soll geeignet sein, die häufig vorhandene Hyperacidität zu
bekämpfen. Grüne Gemüse sind neben mässigem Fleischgenuss zu bevorzugen, zuckerhaltige Nahrung
und Reizmittel aller Art zu verbieten. Für die spezielle Behandlung kommen neben möglichst
reichlicher Bewegung in frischer Luft hauptsächlich Massage und schwedische Gymnastik, Elektrizität,
Schwitzprozeduren und kühle Bäder in Betracht Heisse Bäder sind nur mit Vorsicht anzuwenden,
da sie den allgemeinen Kräftezustand leicht beeinträchtigen; am besten eignen sich noch türkische
(römisch-irische) Bäder, wenn die Patienten sich nur kurze Zeit in dem heissen Raum aufhalten.
Von Medikamenten kommen Salicyl und Jodpräparate in Betracht, besonders das Natr. salicyl.
in kleinen Dosen, für längere Zeit fortgesetzt. Friedlaender (Wiesbaden).
J. Gerbsmnnn, Die Massage bei der Enuresis nocturna« Jeshenedelnik 1900. No. 29.
Als der Verfasser einst ein Kind zu untersuchen hatte, das an Enuresis nocturna litt, drückte
er etwa zwei Minuten lang mit dem Zeigefinger durch das Rektum hindurch auf die Gegend des
Blusenhalses. Am nächstfolgenden läge erklärte die Mutter des Kindes, dass das Bettnässen in
der vergangenen Nacht beim Knaben ausgeblieben sei. Darauf bin wurde die Massage an dern-
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Referat© über Bücher und Aufsätze. 427
selben Orte noch einmal wiederholt, nnd als Resultat ergab sich, dass das Kind von seinem
Leiden befreit wurde. Der Autor machte sich diese zufällige Erfahrung zu Nutze, wandte dieselbe
Heilmethode auch in anderen ähnlichen Fällen an und erzielte stets nur positive Resultate, wobei
einige Patienten mehr als 11/ 2 Jahre lang sich unter der Beobachtung befanden.
Die Massage wird auf folgende Weise vorgenommen: der Kranke wird in die Kniecllenbogen-
lage (ä la vache) gebracht, der Zeigefinger in das Rectum eingeführt, und mit der Fingerbeere
führt man in der Richtung des Blasenhalses Bewegungen aus, zuerst in querer, dann in Längs¬
richtung, anfangs zarte, dann allmählich immer energischer werdende Friktionen, welche zwei
Minuten lang dauern. Hieran werden Stossbewegungen mit dem Zeigefinger gegen den Blasenhals
noch im Laufe einer halben Minute angcschlossen. Solcher Sitzungen sind höchstens fünf bis sechs
erforderlich.
Die Wirkung der Massage auf die Enuresis nocturna beruht nach der Ansicht des Autors auf
der Beseitigung des von ihm angenommenen Defektes in der Koordination der Funktionen der
innervierenden Elemente des Blasensphinkters. A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch).
Eisehnig, Die Massage in der Augenheilkunde. Wiener medicinische Presse 1901. No. 18
und 19.
Mit der Einführung und Ausbildung der Mechanotherapie erwarb sich auch die Massage als
wissenschaftliches Heilverfahren ihr Bürgerrecht; von dem Pflegepersonal längst in meist wenig
zweckentsprechender Weise geübt, gilt jetzt die Massage dem Arzte, welcher ihre Ucbung, Aus¬
führung und Anwendung nach wissenschaftlichen Grundsätzen regelt, als ein nicht zu unterschätzendes
Heilverfahren.
In der Augenheilkunde ist die Massage schon seit langer Zeit geübt worden, wenn man auch
von dem therapeutischen Werth derselben nicht gerade überzeugt war; die Vertheilung der in den
Bindehautsack eingebrachten Salbe, die Einreibung der Salbe in die erkrankten Theile wurde schon
früher in der Weise gemacht, wie es auch jetzt noch geschieht, indem der auf die geschlossenen
Uder aufgelegte Daumen schnell oscillicrende oder cirkuläre Bewegungen ausführt.
El sehnig sucht in seinem Aufsatz der Massage in dem therapeutischen Schatz des Augen¬
arztes eine beachtenswerthe Stelle anzuweisen, vor allem giebt er die Indikationen zur Anwendung
der Massage bei den einzelnen Krankheitsformen an.
Die ausgedehnteste Anwendung erfährt die Massage in der Trachombehandlung: er giebt vier
Krankengeschichten wieder; in allen Fällen, die mit Reizerscheinungen, Narbenbildung, Papillar-
liypertrophie, pannösen Auflagerungen der Hornhaut einhergehen, bei denen die Behandlung mit
I<apis, Kupfer, Eis, Ausrollung u. s.w. keinen Erfolg hatte, konnte er durch die Massage Heilung
erzielen, Rückgang der Entzündung, der Homhautkomplikationen, der subjektiven Beschwerden,
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Der Werth, welchen die Massage in der Trachorabehandlung
hat, wird wohl von keinem Augenärzte bestritten werden, dagegen scheint mir die medikamentöse
Behandlung sowohl wie die operative in einer nicht geringen Anzahl von Fällen ihre volle Be¬
rechtigung zu haben. Bekommt man Trachom zur Behandlung, so berücksichtige man streng das
Stadium der Krankheit, die Ausdehnung derselben, den Beruf der Patienten; die Entscheidung über
das einzuschlagende Verfahren ist dann von Fall zu Fall zu treffen. Bei tler ungeheuren Anzahl
von Behandlungsmethoden wird die Wahl der besten schwer zu entscheiden sein, jedenfalls ist vor
einer schematischen Behandlung zu warnen.
Auf die Technik der Massage legt Elschnig grossen Werth, die falsche Anwendung liefert
nicht selten die ungünstigen Resultate; kräftiger Druck auf die erkrankte Schleimhaut, ohne die¬
selbe zu verletzen, ist ein Haupterforderniss. Das Verfahren ist schmerzhaft, wie Elschnig selbst
zugiebt, empfindliche Patienten werden sich kaum demselben wochenlang unterziehen. Meines Er¬
achtens erfordert gerade die Massage der oberen Uebergangsfalte, in welcher besonders häufig der
Sitz der Erkrankung liegt, ihre eingehende Technik, bei empfindlichen Patienten gelang es mir oft,
auch ohne Ektropionieren mit dem Glasstab, auf welchen das Lid aufgclagcrt wird, auszukommen.
Neben der Massage ist die diätetische Behandlung nicht zu vergessen, Ausspülungen mit Sublimat¬
lösungen, Anwendung von Adstringentien u. s.w. Mit gutem Erfolge habe ich eine Verbindung von
mechanischer und medikamentöser Behandlung, die Armierung des Glasstabes mit Sublimatsalbe,
zur Anwendung kommen sehen. Verfasser legt nach meiner Ansicht der Massage gar zu viel Werth
bei. wenn er sagt, dass sic allein, nicht die dabei eventuell verwendeten Medikamente, den Erfolg
bedingen. Wir wollen den günstigen Einfluss auf die Blut- und Lymphzirkulation, auf die Resorption
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4*28 Referate über Bücher und Aufsätze.
der zelligen Infiltrate bei der Massage nicht verkennen, aber auch den Werth erprobter anderer Be¬
handlungsmethoden nicht unterschätzen. Kuhnt, welchen Verfasser als einen Kenner und Freund
der Mechanotherapie nennt, sagt am Schluss seiner Arbeit »Ueber die Therapie der Coniunctivitis
granulosa« bezüglich der Leistungsfähigkeit der Behandlungsmethoden, »dass fast eine jede derselben,
an ihrer Stelle genügend lange und konsequent angewandt, eine Heilung erzielen kann«.
Bei vielen anderen Bindehaut- und Hornhauterkrankungen, auch bei Lidekzem, bei Stellungs¬
anomalien der Lider beeinflusst die Massage den Heilungsprozess günstig, bei der Blennorrhoe des
Thränensackcs möchte ich derselben keine wesentliche Beeinflussung des meist sehr langsam fort¬
schreitenden Heilverlaufes zusehreiben. Nach dem Kapselschnitt bewirkt die Massage unbedingt eine
Beschleunigung der Linsentrübung, dagegen ist bei Glaukom, Iritis, Zirkulationsstörungen der Netz¬
haut, Sehnervenentzündung das mechanische Verfahren mit Vorsicht anzuwenden, grosse Erfolge sind
meines Wissens nur sehr selten erzielt worden. Nicolai (Berlin).
F. G. Möhlau, Die rationelle Behandlung der chronischen Gonorrhoe dnreh Massage.
Therapeutische Monatshefte 1900. August
In 120 Fällen hat Verfasser ein Verfahren angewandt, das in jeder Hinsicht günstige Erfolge
geliefert hat. Alle Patienten waren bereits vorher nach den verschiedensten Methoden behandelt
worden. In einzelnen Fällen bestand das Leiden jahrelang. Zur Ausspülung der Harnröhre bedient
sich Möhlau nur des sterilisierten Wassers, da medikamentöse Lösungen die in die Tiefe ein¬
gedrungenen Gonokokken doch nicht erreichen, eventuell aber die Entzündung der Schleimhaut
steigern. Verfasser sucht bei seinem Verfahren die Urethra zwischen Daumen und zwei Fingern
soweit als möglich nach der Prostata hin zu fassen, und zieht dann die Finger mit möglichst
starkem Druck nach dem Orificium zu. Diese Prozedur wird zwei- bis viermal gemacht Dann
wird Blase und Urethra mit 1—2 Liter gekochten lauwarmen Wassers irrigiert; zuletzt wird eine
Stahlsonde mittlerer Starke eingeführt, die erste Manipulation wiederum gemacht und abermals mit
sterilisiertem Wasser irrigiert. Massage der Prostata ist stets vorgenommen worden. In den ersten
2—3 Tagen steigert sich die Entzündung, nach drei Wochen sind jedoch mikroskopisch keine Ent-
zündungsprodukte mehr nachzuweisen. Forchheimer (Würzburg).
Paravicini, Selbstniassage und Gymnastik im lanen Bade. Nach einem Vortrage in der Herbst¬
sitzung der Aerztcgesellschaft des Bezirks Affoltem. Correspondenzblatt für Schweizer Aerztc
1901. No. 2.
Verfasser empfiehlt, der morgens früh im Bette in Rückenlage ausgeführten Selbstmassage
mit der Sahli : sehen Massierkugel die Selbstmassage im lauwarmen Bade von 32 n C anzuschliesseii.
5 —10 Minuten genügen, wenn etwas Kraft entfaltet wird. Die Dicke und Spannung der Bauch¬
decken ist leicht zu überwinden, und vor dem Zuviel wird man durch die auffallende Schmerzhaftig¬
keit gewarnt. Dass eine ganz direkte Einwirkung auf die Peristaltik ausser allem Zweifel steht,
erhellt schon daraus, dass es gar nicht schwer ist, einzelne Flatus durch den Anus zu drücken, die
in Form von Luftblasen durch das Wasser steigen. Beim weiblichen Geschlecht wirkt diese Selbst-
niassage im lauen Bade nicht selten regulierend auf die Blutdruck Verhältnisse im ganzen Abdomen
und auf die Menstruation. Zur Ausführung von Muskelübungen im W r asscr soll die Wanne mög¬
lichst gut gefüllt sein, sodass man bis zu den Schultern untertauchen kann. Sodann streckt und
beugt man von unten bis oben sämmtliche Gelenke langsam und kräftig, wobei Extension, Flexion,
Pronation und Supination der Reihe nach und systematisch zum Ausdruck kommen. Dann reibt
und knetet man einen Arm mit dem anderen und beide Beine mit beiden Händen. Diese Wasser¬
gymnastik und Massage kann mit Nutzen als begleitende Prozedur einer sogenannten Terrainkur
gebraucht werden. In neuerer Zeit hat Verfasser bei den sogenannten Abhärtungskuren meistens
auch eine Selbstmassage im Wasser ausführen lassen. Abhärtungskuren macht man heute nur mit
langsamem und methodischem Ileruntcrgehen in der Wassertemperatur, eventuell auch verbunden
mit der trockenen Körperbürste, die vor dem Baden bezw. Waschungen appliziert wird. Die Börste
ist zur Selbstbehandlung mit einem Stiel versehen, damit man auch den ganzen Rücken erreicht.
Nach und nach, und zwar etwa im Verlaufe von 3 — 5 Minuten, wird der ganze Körperüberzu£
taputiert, d. h. gelinde geklopft und sofort abgebürstet. Die darauf folgende Wasserprozedur ist
fast in jeder Temperatur angenehm, weil eben die llaut resp ihre Kapillaren blutreich sind. Diese
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Referate über Bücher und Aufsätze. 429
Abhärtunffskuren werden in 3 — 4 Wochen absolviert; dem Patienten wird aber empfohlen, auch
nachher die Körperbürstc mit oder ohne nachfolgende Wasserverwendung noch längere Zeit hin¬
durch zu gebrauchen. —n.
Lovett, The mechanics of latnal curvature of the spine. Boston ined. and surgical journal
1900. 14. Juni.
Extension und Flexion der Wirbelsäule sind in reiner Form möglich, Seitwärtsbiegung und
Rotation dagegen sind stets kombiniert. Diese kombinierte Bewegung, die das Bild der habituellen
Skoliose giebt, studierte Lovett am anatomischen Präparat und fand, dass seitliche Bewegung bei
flektierter Wirbelsäule ‘eine Rotation der Wirbelkörper nach der konvexen Seite erzeugt, bei ex¬
tendierter Wirbelsäule in entgegengesetzter Richtung.
Die Gelenkfortsätze hemmen bei gestreckter Wirbelsäule die letztere Drehung, welche am
Lebenden als kontralatuale Torsion beschrieben worden ist.
Das Eintreten der Rotation bei seitlicher Biegung studierte Lovett auch an Personen mit
besonders gut beweglicher Wirbelsäule und fand hier die gleichen Vorgänge wie am Präparat. Auch
sah er bei versuchter Rotation unweigerlich zugleich seitliche Biegung eintreten.
Die Rotation setzt er in Parallele mit den bekannten Vorgängen am elastischen Stab.
Aus seinen Beobachtungen zieht Lovett den Schluss, dass die habituelle Skoliose bei ge¬
beugter Wirbelsäule entstehen müsse, also wesentlich durch langes Sitzen bedingt werde. Für die
Therapie ergiebt sich die prophylaktische Forderung aufrechten Sitzens und Gymnastik bei exten-
dierter resp. hyperextendierter Wirbelsäule. Vulpius (Heidelberg).
Engel, Znr Behandlung der Pocken mit rothem Licht nebst einigen Bemerkungen über
forzierte Vaccination. Therapie der Gegenwart 1901. Mai.
Leredde, La photothdrapie et ses applications k la therapeutiqne des affections entandes.
Bulletin genöral de thdrapeutique 1901. Bd. 141. 30. Jan.
Görl, Zar Lichtbehandlung mit ultravioletten Strahlen. Münchener medicinische Wochenschrift
1901. No. 19.
Staple ton, A criticism on the light treatment of lupus. Dublin journal of medical sciencc
1901. März.
Morris und Dore, Remark» on Finsen’s light treatment of lupus and rodent nlcer.
British medical journal 1901. 9. Fcb.
Sequiera, A preliminary communication on the treatment of rodent nlcer by the x rays.
Ebenda.
Bei der heutigen Seltenheit der Blattern entgeht den meisten Menschen in Kulturstaaten die
Erinnerung an die Schrecken der Zeit vor der Einführung der Immunisation. Es kommt auch die
Minderzahl der Aerzte in die Lage, den direkten Beweis des Schutzes zu erhalten, doch obgleich
selten, wird er mitunter durch die Macht der Verhältnisse desto überzeugender gewonnen.
Auch ein Gegner der Vaccination kann z. B. schwer Stand halten, wenn nacheinander er beim
Anblick mehrerer Fälle von Blattern immer das noch nicht geimpfte Kind im Hause erkrankt findet.
In Ländern dagegen, wo die Vaccination mangelt, wie in Egypten und allen britischen Be¬
sitzungen, ist ein Feld geblieben, wo die klinische Forschung einer recht typischen Krankheit noch
gründliche Beiträge zur Pathologie und Therapie zu sammeln vermag.
Eine durch Massenvaccination zum Stillstand gebrachte Pockenepidemie in und um CaTro hat
Engel benutzt, um die Finsen’sche Rothlichtbehaudlung der Blattern zu prüfen. Es wurden infolge
des schnellen Nachlassens der Epidemie im ganzen nur 25, aber sämmtlich ausgesucht schwere Fälle
in einem eigens eingerichteten Pavillon nach Finsen behandelt; hiervon starben vier bezw. fünf,
in einen zweiten Pavillon kamen alle anderen Fälle von Blattern, die eine zwar fast gleiche Mortalität
zeigten, doch wie der Verfasser hervorhebt, waren es zu kleine Zahlen, um einen werthvollen Ver¬
gleich zu gestatten.
Aus der klinischen Beobachtung licss sich mit Bestimmtheit schliessen, dass eine hemmende,
mildernde Wirkung des rothen Lichtes auf den Ausbruch des Exanthems nicht zu bemerken war, ab¬
gesehen von der Purpura und Variola haemorrhagica, die überhaupt nicht zu Gesicht kamen. Be-
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430 Referate' über Bücher und Aufsätze.
treffs der Wirkung auf das bereits erschienene Exanthem dagegen liegt die Frage anders und ist
mit Ausnahme der Efflorescenzen auf den Schleimhäuten eine solche in Wirklichkeit unverkennbar.
Wie auch von früheren Beobachtern konstatiert, wird bei frischer Eruption die Pustelbildung
gehemmt, in leichteren Fällen verhindert und in schwereren der Verlauf wesentlich gemildert und
verkürzt. Es entstehen selbst bei Variola confluens keine anhaltende und tiefergehende Ver¬
schwärungen und keine tiefen, strahligen Substanzverluste. Fenier waren in allen vier maass¬
gebenden Todesfällen eine schwere Affektion des Rachens, der oberen Luftwege und der Bronchien,
sowie hohes Fieber vorhanden. Im ganzen, je mehr die Schleimhäute angegriffen wurden, desto
weniger übte die Rothliehtbchandlung einen merkbaren Einfluss auf den Verlauf der Blattern aus.
Das sekundäre Fieber, welches auch von den verschiedenen Schleimhautentzündungen mehr oder
weniger herrührt, ist und bleibt ein gefahrvolles Element.
Durch forzierte Vaccination, also an mehreren Stellen zugleich, wurde kein über den von einer
einfachen Impfung etwa zu erwartender Schutz gewährt.
Den eigenen therapeutischen Resultaten vorangestellt, giebt Leredde ein ausführliches Resumc
der Flnsen’ sehen Veröffentlichungen, welche (s. Bd. 4. Heft 5 dieser Zeitschrift) von uns schon be¬
sprochen worden sind. In den 12 angegebenen eigenen Fällen von Lupus vulgaris wurden im ganzen
ermunternde Erfolge erzielt, obwohl, wie hervorgehoben wird, die verflossene Zeit zu kurz und die
Behandlung bei der Mehrzahl der Patienten nicht weit genug gediehen war, um sie statistisch ver-
wertben zu können. In einem Fall waren vor der Finsen’schen Behandlung etwa 70 Kauterisationen
der erkrankten Partieen ohne Erfolg vorgenommen worden. Bei drei von den übrigen gebesserten
Fällen hatten 25—70 »seanccs de haute fr6<|uence«, also eine vorhergehende Behandlung mit
d’Arsonval-Teslaströinen, keine Veränderung hervorgerufen. Bemerkenswerth ist die Thatsache,
dass, wo keine Reaktion der behandelten Theile nach der Bestrahlung eintrat, auch keine Besserung
erzielt wurde, namentlich in den Fällen, wo infolge harter Konsistenz oder Unregelmässigkeit der
Oberfläche der erkrankten Partieen das Blut bei der Behandlung nicht verdrängt werden konnte. In
einzelnen Fällen von Akne vulgaris, Rhinophyma und Sykosis liess sich eine Besserung erzielen.
Der Mittheilung hinzugefügt ist eine Beschreibung der Finsen’sehen Apparate nebst Ab¬
bildungen. Etwas befremdend wirkt es dabei, Bergkrystall und Flintglas ausdrücklich synonym
erwähnt zu finden.
Durch die Behauptung Lenard's, dass die kurzwelligsten Strahlen durch Wasser
wie durch 2 cm Luft völlig absorbiert werden, veranlasst, schlug Görl zu therapeutischem Zweck
den von Lenard angegebenen Weg, kurzwellige Strahlen in reichlichem Maasse zu erzeugen, ein,
nämlich vermittelst Induktionsströmen und einer Funkenstrecke, die einem Kondensator parallel ge¬
schaltet wird. (Feddersen-IIertz-Teslaanordnung. Referent.) Er benutzte hierbei eine Kapsel,
innerhalb welcher der Funkenstrom einen gewundenen Gang über eine Reihe von Metallkugeln
einnimmt. Zwischen Funkenstrecke und Haut kommt eine Druck- und Schutzplattc aus Bergkrystall.
Als Stromerzeuger dient ein Induktor von 55 cm Funkenlänge. Mit diesem Apparat hat der Ver¬
fasser in zwei Fällen von Gesichtslupus mit je einem Ulcus von Zehnpfennigstück- bis Zwei¬
markstückgrösse nach 20 Bestrahlungen, die alle 2—8 Tage während 5—15 Minuten erfolgten, eine
reberhäutung erzielt. Den therapeutischen Versuchen gingen einige Bestrahlungen der normalen
Haut voran, die innerhalb einer halben Stunde erröthete und zw ar etwas dunkel mit geringem Jucken.
Die Hyperämie der Haut liess hierbei nicht bald nach, sondern steigerte sich während zweier
Tage mit geringer Schwellung und Schmerzhaftigkeit. Nachher dauerte die Exfoliation des Epidermis
eine bis zwei Wochen mit Zurücklassung einer Pigraentation.
Bezüglich der Auffassung der therapeutischen Wirkung ist der Satz auffallend: »Finsen hat
bei seinen Untersuchungen gefunden, dass die Lichtstrahlen um so stärkere chemische Wirkung be¬
sitzen (entzündungserregend sind) und um so rascher Bakterien abzutödten im stände sind, je
kurzwelliger sie sind«, was in dieser Breite und Tiefe man w ohl kaum behaupten kann.
Staplcton, der auch die besonderen bakterieiden Eigenschaften kurzwelligen Lichtes ohne
w eiteres annimmt und sich damit theoretisch-therapeutisch begnügt, giebt weniger eine Kritik der
Lichtbehandlung, als vielmehr einen Bericht über seine Beobachtungen in den wenigen Städten
Grossbritaniens, wo diese Therapie schon ausgeiibt wird. Er fand, dass Erfolg hauptsächlich hei
leichten, bezw. oberflächlichen Erkrankungen erzielt w urde, dagegen in einer Reihe von Fällen nach
täglicher Behandlung bis zu einer Dauer von sechs Monaten keine bedeutenden Besserungen eintraten,
doch giebt er zu, dass in zw ei Fällen das »kosmctic rosult« nicht gering w'ar. Etw’as merkwürdig
klingt die Angabe, dass das Kühlwasser (Leitungswasser) des Lichtkondensators die'rothen Licht¬
strahlen absorbiert.
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Referate über Bücher und Aufsätze. 431
Morris und Dore sind bemüht, eine systematische Darstellung der Finsen'schen
Therapie zu geben, die sic mit einigen Phototypieen illustrieren. Abgebildet ist ein Fall von
ausgedehntem Gesichtslupus und ein Fall von Ulcus rodens, die beide geheilt wurden. Wie auch
Leredde finden sie den Lupus erythematosus der Finsen'schen Behandlung weniger zugänglich
als Lupus vulgaris. Wenig aussichtsvoll sind auch die Fälle, wo viel Narbengewebe vorhanden ist.
ln dem behandelten Fall von Ulcus rodens fand eine Entzündung mit Erweichung und Glattwerden
der harten Ränder statt, worauf Granulation und Heilung erfolgte.
Sequiera entschloss sich zur Behandlung des Ulcus rodens mit Rontgenstrahlen, nachdem
in einem Fall wegen der Schmerzhaftigkeit des zur Blutverdrängung nothigen Druckes bei der
Lichtbehandlung diese ausgeschlossen erschien.
Von zwölf Fällen im ganzen sind vier geheilt und noch unter Beobachtung, acht gebessert
und noch in Behandlung.
In dem erstgenannten Fall, wo ein Auge und ein Theil der Nase verschwunden waren und
die Oberkieferhöhle offen lag, hörte das weitere Ulcerieren nach 18 tägiger Bestrahlung auf und fing
alsbald die Ausheilung an, die aber noch nicht vollständig ist. Cowl (Berlin).
Franklenhäuser, Die Elektrochemie als medicinische Wissenschaft« 2. Theil. Zeitschrift für
Elektrotherapie und ärztliche Elektrotechnik 1900. Heft 3.
Frankenhäuser fügt seinen auf S. 344ff. in dieser Zeitschrift referierten Arbeiten einen
weiteren Beitrag hinzu, in welchem er die gegenwärtig herrschenden theoretischen Anschauungen
über das Wesen des einen Elektrolyten passierenden elektrischen Stromes bespricht.
Während die Theorie von Grothus annahm, dass in der interpolaren Strecke eines feuchten
Leiters eine Zersetzung der gelösten Substanzen in elektropositive und elektronegative Bestandteile
bewirkt werde, von denen die einen nach der Kathode, die anderen nach der Anode wandern, so
stellt sich die neuere, jetzt allgemein herrschende Theorie, deren Begründung wir besonders Clausius
und Arrhe;nius verdanken, folgendes vor: ln jeder leitenden Lösung ist ein grosser Theil der
Moleküle in Jonen gespalten, und zwar geschieht diese Spaltung, die man als »Dissociation« be¬
zeichnet, durch den Lösungsvorgang selbst, nicht durch den elektrischen Strom. Die Wanderung
der Jonen nach den beiden Polenden stellt nun das Wesen der elektrischen Bewegung im Elektro¬
lyten dar. Die Jonen hat man sich vorzustellen als materielle Elementarteilchen, die mit Elektrizität
i teils mit positiver, teils mit negativer) geladen sind. In einer Jodkaliumlösung z. B. sind neben
Jodkaliummolekülen freie Jodionen mit negativer elektrischer Ladung und gleichviel freie Kalium¬
ionen mit positiver elektrischer Ladung in grosser Anzahl vorhanden. Diese zeigen aber durchaus
nicht die chemischen Eigenschaften des Jodes und Kaliums. Sie treten erst dann an den Tag,
wenn die Jonen ihre elektrische Ladung abgeben, und das geschieht ausschliesslich an den Elek¬
troden. An der Anode zeigt sich dann infolge von Jodentwicklung braune, bei Stärkezusatz violette
Färbung. An der Kathode reagiert das Kalium mit dem Wasser und bildet Kalilauge und freien
Wasserstoff.
Der wichtigste Punkt der gegenwärtigen Anschauung ist also der, dass in allen Lösungen
ein erheblicher Theil der Bestandteile sich im Zustand der Dissociation befindet. Von der Grösse
dieses Anteils’ hängt die Leitfähigkeit des betreffenden Elektrolyten ab.
Verfasser betont, wie wichtig das Verständniss dieser theoretischen Anschauungen für den
Mediciner ist und exemplifiziert besonders auf Schatzkij, in dessen experimenteller Arbeit (Zeit¬
schrift für Elektrotherapie etc. 1900. No. 1/2) er eine mangelnde Berücksichtigung dieser An¬
schauungen findet.
Die Experimente Schatzkij's laufen auf den Nachweis einer »interpolaren Elektrolyse«, also
eines elektrolytischen Vorganges in der zwischen den Polen gelegenen Strecke hinaus. Solche
elektrolytische Vorgänge im Innern des Körpers werden von Schatzkij als das Wesen der elektro-
therapeutischen Einwirkungen angesehen. Im einzelnen eignen sich diese Experimente Sch atzkij's
und die abweichende Ausdeutung derselben, die Frankenhäuser giebt, nicht zum Referat
Mann (Breslau).
W. König, Neuere Forschungen über die Beziehungen zwischen Elektrizität und Materie.
Deutsche Medicinalzeitung 1900. No. 64.
Verfasser bespricht in einem vor der balneologischen Gesellschaft zu Frankfurt a. M. gehaltenen
Vortrage in der Hauptsache die modernen Anschauungen über die Vorgänge im Elektrolyten, die
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43‘2 Referate über Bücher und Aufsätze.
im vorigen Referat angedeutet wurden. Er verbreitet sich ferner über neuere Untersuchungen,
welche zeigen, dass auch die Gase unter gewissen Umständen leitfähig werden können. Im all¬
gemeinen isolieren die Gase. Aber verschiedene Einflüsse, zu denen u. a. die Durchstrahlung mit
Röntgenstrahlen gehört, können auch die Luft oder andere Gase leitfähig machen. Es scheint nach
den neueren Untersuchungen, dass auch diese Leitfähigkeit der Gase auf einen theilweisen Zerfall
in Jonen beruht, jedoch steht die Frage, ob diese Jonen der Gase von der gleichen Art sind, wie
die Jonen der Elektrolyte, noch zur Diskussion.
Eine praktische Bedeutung für die Medicin resp. Hygiene scheinen diese Anschauungen da¬
durch gewinnen zu wollen, dass nach den Untersuchungen von Elster und Gei bei das elektrische
Verhalten der Atmosphäre sich mit Leichtigkeit auf Grund der Jonentheorie, d. h. aus der Annahme
des Vorhandenseins positiv und negativ geladener Jonen in unserer Atmosphäre herleiten lässt
Zum Schluss warnt König dieMediciner vor einer oberflächlichen Ueberschätzung derJonen-
theorie, eine Warnung, die bei dem heut vielfach hervortretenden Bestreben, naturwissenschaftliche
Theorieen ohne weiteres auf therapeutisches Gebiet zu übertragen, recht beherzigenswerth erscheint:
»Dem oberflächlichen Beobachter erscheint es vielleicht genügend, sich vorzustellen, dass wir
in den Salzlösungen Anhäufungen oder Suspensionen von elektrisch geladenen Körpern haben, und
er meint wohl am Ende, dass diese elektrischen Ladungen, z. B. bei den Bädern, zur unmittelbaren
Wirkung komme.
Freilich sind die Jonen elektrisch geladene Körper. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass
wir mit ihnen nicht wie mit einer geladenen Metallkugel auf einem Glasfuss hantieren können
Positive und negative Jonen sind immer in gleichen Mengen vorhanden, und es bedarf komplizierter
physikalisch-chemischer Prozesse, um sie einzeln zur Wirkung zu bringen und ihre elektrischen
Ladungen zu gewinnen. Nur ein eindringendes Studium wird richtige und dann vielleicht auch
weittragende Folgerungen aus den neueren Anschauungen auch auf dem Gebiete der auf den
Organismus angewandten Physik und Chemie zu ziehen vermögen«. Mann (Breslau).
Albert Bernheim, Behandlung von Aneurysmen mit Elektrolyse dnreh eingeftihrteu Draht.
Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. No. 34.
Eine »Heilung« eines Aneurysma kann nur durch Obliteration des Sackes bewerkstelligt
werden und zwar durch die Bildung von Thromben, die einer Organisierung fähig sind und sieh
zusammenziehen; alle Methoden der Behandlung der Aneurysmen gehen darauf hinaus, eine Oe¬
rinnung herbeizuführen, die sich später organisiert. Die idealste Methode wäre ohne Zweifel »die
Einverleibung einer harmlosen Substanz in den Sack, die vermöge der ihr inne wohnenden che¬
mischen Kraft die organisierbare Gerinnung herbeiführen könnte. Acupunktur, die man versuchte,
um durch die eingoführte Nadel als Fremdkörper eine langsame Entzündung der Intima zu ver¬
anlassen, die eine Thrombenbildung anbahnen könnte, sowie die Galvanopunktur hatten keine be¬
sonderen Erfolge aufzuweisen. Dagegen scheint nach den bisherigen Erfahrungen die kombinierte
Anwendung direkter Panführung eines aseptischen Drahtes und der Elektrizität mehr Erfolg hin¬
sichtlich der Bildung eines derben Gerinnsels, das durch Anwachsen eine rasche Obliteration des
Sackes herbeiführt, zu versprechen. Zu den bisher bekannten, nach dieser Methode behandelten
14 Fällen ist Verfasser in der Lage einen fünfzehnten hinzuzufügen, der schon deshalb einzig dasteht,
weil die Operation innerhalb weniger Monate dreimal vorgenommen wurde. Dem Patienten, der
ein ausgesprochenes Aortenaneurysma hatte, wurde dasselbe mit einer feinen Subkutannadel, die
von Gold und vollständig mit porzellanartiger Masse isoliert war, angestochen. 2,7 cm feiner Gold-
drall t wurde eingeführt, er war federnd und behielt seine spiralige Form. Die Anode war der aktive
Pol, die Kathode wurde auf dem Rücken aufgesetzt; dann wurde der Strom geschlossen und iin
ganzem eine Stunde hindurchgeleitet und zwar von io Milliamperes bis 80 allmählich gesteigert und
am Ende von 10 Minuten auf öo Milliamperes reduziert. Die Operation wurde gut ertragen: Nach¬
behandlung bestand in modifizierter Tufnell’sclier Diät, Darreichung von Jodkalium 0,6- 0.7ö drei¬
mal täglich zwei Tropfen Tct. Aconiti, um die Pulsspannung, die sehr hoch war, zu vermindern.
Die zweite Operation fand 2 1 * Monate später statt; der Strom wurde 1 Stunde 17 Minuten durch -
geleitet, steigend von 10 Milliamperes zu 100 in 22i .> Minuten. Die einige Zeit darauf folgende
Untersuchung ergab vollständige Abwesenheit einer Pulsation, eine entschiedene Konsolidierung des
Aneurysma; dies letztere wurde völlig bestätigt durch eine an drei Stellen vorgenommene Probe-
punktion. Mit einer dritten Operation endete die Behandlung, Patient wurde nach einer Gesainmt-
beliandlungsdauer von acht Monaten als völlig arbeitsfähig entlassen.
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Referate über Bücher und Aufsätze. 433
Tn Bezug auf den Erfolg der Operationen lassen sich die bisher behandelten Fälle in drei
Klassen eintheilen: 1. Erleichterung, wenn der Tod in den ersten drei Monaten nach der Operation
eintrat. 2. Besserung, wenn Patient noch nach drei Monaten lebte. 3. Heilung, wenn der Operierte
noch nach Ablauf eines Jahres lebte. Erleichterung trat in sechs Fällen ein, Besserung in fünf, Heilung
in vier Da die Operation fast immer als »ultimum refugium« anzusehen ist, sind die Resultate
durchaus ermuthigend, zumal wenn man bedenkt, dass solche hochgradigen Aneurysmafälle gewöhn¬
lich sehr rasch durch Ruptur dem Leben ein Ende machen. J. Marcuse (Mannheim).
Str&ter, Welche Rolle spielen die Rühren hei der therapeutischen Anwendung der Röntgen-
strahlen? Deutsche medicinisehe Wochenschrift 1900. No. 34.
Die Verwendung der Röntgenstrahlen zu therapeutischen Zwecken hat eine Reihe einander
widersprechender Resultate gezeitigt, deren Erklärung bisher mangelhaft war. Wenn auch die
Stromstärke, Zeitdauer der Belichtung, Entfernung zwischen Objekt und Röhre, sowie die Zahl der
Unterbrechungen eine gewisse Rolle spielen, so liegt doch der Verschiedenheit der Wirkung noch
ein anderer gewichtiger Faktor zu Grunde, und dies ist die Beschaffenheit der Röhren selbst. Die
Röntgenstrahlen entfalten dort ihre Wirksamkeit, wo sie absorbiert werden; nun sind aber die von
dem Antikathodenspiegel jeder Röhre ausgehenden Strahlen nicht einheitlicher Natur, sondern es
gehen von ihm sowohl Strahlen aus, welche schon in der Haut, in den Muskeln oder in den Knochen
absorbiert werden, als auch Strahlen, welche ungehindert alle diese Theilc passieren. Die Röhren,
deren Strahlen vorwiegend von der Haut oder dem Muskelgewebe absorbiert werden, werden weich,
die Röhren, deren Strahlen grösstentheils Haut und Muskeln durchdringen und selbst im Knochen
nur theilweise Widerstand finden, hart genannt. Wie verschieden aber die Wirkungen der von
verschiedenen Röhren ausgehenden Strahlen sind, wurde im Anschluss an dahingehende Wahr¬
nehmungen gelegentlich der Behandlung eines Falles von Lupus vulgaris durch Versuche festgestellt.
Es wurden die beiden Oberarme eines Gesunden, der eine mit einer harten, der andere mit einer
weichen Röhre unter sonst gleichen Umständen bestrahlt. Die mit der weichen Röhre bestrahlte
Partie zeigte nach viermaliger, je zehn Minuten langer Sitzung Röthung, während an der mit einer
harten Röhre bestrahlten Partie keine Veränderungen wahrzunehmen waren. Noch charakteristischer
war das Resultat bei einer Psoriasis vulgaris der Streckseiten der Oberextremitäten und der Unter¬
schenkel. Bestrahlt wurden in einer Sitzung je fünf Minuten lang der rechte Arm und der linke
Unterschenkel mit einer weichen, der linke Arm und der rechte Unterschenkel mit einer harten
Röhre. Während auf den mit einer weichen Röhre bestrahlten psoriatischen Efflorescenzen nach
dreimaliger Sitzung die Schuppung nachliess und nach im ganzen fünfmaliger Bestrahlung eine voll¬
ständige Heilung erzielt worden ist, war bei den mit einer harten Röhre bestrahlten Partieen eine
Veränderung nicht zu sehen. Nach Beendigung der Behandlung, die vier Monate dauerte, konnten
die mit der weichen Röhre bestrahlten Partieen als geheilt bezeichnet werden, während die mit der
harten Röhre bestrahlten Flächen nach wie vor keinerlei Veränderung zeigten.
Aus diesen Ergebnissen sind für die therapeutische Verwendung der Röntgenstrahlen folgende
Schlüsse zu ziehen: Ausser der Beschaffenheit des Induktors, der Stromstärke, der Dauer der Be¬
strahlung, der Zahl der Unterbrechungen und dem Abstande des bestrahlten Objekts von der Röhre
spielt die Beschaffenheit der Röhre selbst, beziehungsweise ihr Härtegrad eine sehr wichtige Rolle»
um einigermnassen sichere und schnelle Heilerfolge zu erzielen. Alle in der Epidermis liegenden
pathologischen Prozesse werden am günstigsten und schnellsten beeinflusst durch weiche Röhren;
Tieferwirkungen dagegen wird man durch weniger weiche Röhren am schnellsten erzielen; ganz
harte Röhren sind für die Bestrahlung am uuzweckinässigsten. J. Marcuse (Mannheim).
Eulenburg, Ueber einige physiologische und therapeutische Wirkungen der Anwendung
hochgespannter Wechselströme (Arsonvalisation). Therapie der Gegenwart 1900. Heft 12.
Verfasser schildert zunächst kurz das Verfahren der Arsonvalisation und das von ihm ver¬
wendete Instrumentarium (zur Orientierung vergl. diese Zeitschrift Bd. 3. S. 596).
Was die physiologischen Wirkungen der Arsonvalisation betrifft, so hat Verfasser in 13 Ver¬
suchen eine Blutdrucksteigerung vermittelst des Base loschen Sphygmomanometers nach weisen können.
Die Steigerung trat jedesmal sofort ein, nachdem die Stromzuleitung zum Solenoid begann, und war
rocht beträchtlich (meist 5—8 cm). Sie blieb auch nach Beendigung des Versuches bestehen und
sank erst in durchschnittlich 30 Minuten auf das Anfangsniveau.
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434 Referate über Bücher und Aufsätze.
Dagegen ergaben Thierversucbe mit Einführung einer Manometerkanülc in die Carotis kein
verwerthbares positives Ergcbniss, und ebensowenig Hess sich die von d’Arsonval beschriebene
Erweiterung der Gefässe am Kaninchenohr im Solenoid nach weisen.
Bezüglich der Respiration fand Verfasser eine Zunahme der Athemfrequenz und Athemtiefc
an chloralisierten Kaninchen. Versuche an trachektomierten Thieren ergaben zunächst eine erheb¬
liche Vermehrung des verarbeiteten Luftvolumens, später aber bei abgeänderter Methode wider¬
sprechende Resultate.
Schliesslich erwähnt Verfasser von physiologischen Wirkungen noch einen Einfluss auf die
Hautsensibilität. Die lokale Bestrahlung ergab bei fast sämmtlichen Versuchspersonen eine be¬
deutende Herabsetzung des Kältegefühles, sowie in geringem Grade auch des Berahrangs- und
Schmerzgefühles.
Die mitgetheilten Versuche des Verfassers haben unsere Kenntnisse von der physiologischen
Wirkung der Arsonvalisation noch durchaus nicht geklärt. Ausser den zuletzt erwähnten, von nie¬
mandem bestrittenen Wirkungen auf die Hautsensibilität scheint noch alles unsicher. Die positiven
Ergebnisse der Blutdnickmessung stehen im Gegensatz zu den völlig negativen Resultaten von
T. Cohn. Dieser Autor, der mit dem Gärtner’schen Tonometer arbeitete, fand in 20 Versuchen
keine wesentliche Veränderung des Blutdruckes, wenn accidentelle Momente (OzonWirkung, Einfluss
des Geräusches der überspringenden Funken etc.) ausgeschaltet wurden. Ob alle derartigen Eiu-
flüsse bei den Eulenburg’schen Versuchen vermieden worden sind, geht aus den Mittheilungen
nicht mit Sicherheit hervor. Dass die Thierversuche im Gegensatz zu denen am Menschen kein
verwerthbares positives Resultat ergaben, lässt in dieser Hinsicht einige Bedenken aufkomraen.
Dasselbe gilt von den Athmungsversuchen, die ebenfalls im Gegensatz zu den Ergebnissen
von Loewy und Cohn stehen. Aber abgesehen von diesem Gegensatz zu anderen Untersuchen!,
ergaben auch die Eulen bürg’sehen Versuche unter sich Widersprüche, sobald mit abgeänderter
Methode gearbeitet wurde.
Es muss also eine Fortsetzung der Versuche und ausführlichere Publikation, die Verfasser in
Aussicht stellt, abgewartet werden.
Was nun die therapeutischen Resultate des Verfassers betrifft, so beobachtete er sehr gute
Wirkungen bei lokaler Applikation. Zunächst erwies sich dieselbe als ein sehr wirksames Mittel
gegen den Juckreiz bei verschiedenen Hautaffektionen. Ferner ergaben sich schmerzstillende Wirkungen
bei Neuralgicen, Myalgieen, Arthralgieen etc. Besonders soll die Wirkung in drei unter vier Fällen
von Ischias sehr eklatant gewesen sein.
Von Allgemeinwirkungen kann Verfasser nicht viel berichten. Bei Neurasthenikern und
Hysterikern hat er keine besonders günstigen Resultate gesehen; er glaubt aber, dass sich die»
noch ändern kann, wenn das Verfahren erst bekannter geworden ist und damit die unheimlichen,
angsterweckenden Eindrücke, die der Apparat auf nervöse Personen ausübt, in Wegfall kommen.
Ueber die Wirkung bei Stoffwechselanomalieen hat der Verfasser keine eigene Erfahrung,
hält aber die Möglichkeit derselben in Anbetracht der physiologischen Ergebnisse sehr wohl für
gegeben, wenn er auch glaubt, dass die französischen Autoren in diesem Punkte, ebenso wie be¬
züglich der bakteriziden Einwirkung der Arsonvalisation, zu sanguinisch gewesen sind. Dass übrigen»
auch von französischer Seite die diesbezügliche Angaben (auf dem Elektrotherapeutenkongress i stark
bestritten worden sind, erwähnt er nicht.
Von positiven therapeutischen Erfolgen kann Verfasser also nur eine symptomatische Beein¬
flussung von Hautjucken und von gewissen schmerzhaften Affektionen (die übrigens auch durch die
älteren Elektrisationsmethodcn oft sehr gut beeinflusst wurden) konstatieren. Dieses Resultat scheint
bei der Umständlichkeit des aufgewendeten Apparates als ein immerhin recht geringes!
Mann (Breslau!.
Guimbail, La therapeutique par les agents physiques* Paris 1900.
Der Name Guimbail ist den Lesern dieser Zeitschrift schon aus mehreren Besprechungen
bekannt. Zuletzt sind die Eigenheiten dieses Autors in einem Referat von Buttersack (Bd. 4.
S. 69(5) treffend gekennzeichnet worden. Mir liegt heute ein umfangreiches, fast 600 Seiten um¬
fassendes Buch des genannten Autors vor, welches zunächst eine Beschreibung eines Theiles der
physikalischen Heilmethoden (Elektrotherapie, Hydrotherapie, Frigotherapie und Lichttherapie:, dar¬
auf einen allgemeinen physiologisch - therapeutischen Theil und schliesslich einen Abschnitt über
spezielle physikalische Therapie* enthält.
Referent hat zuerst geschwankt, ob cs sich empfehle, die Leser in ausführlicherer Weise mit
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Referate über Bücher und Aufsätze.
4 :«
dem Inhalte dieses Buches bekannt zu machen, hat es aber schliesslich für zweckmässig befunden,
davon Abstand zu nehmen. Was das Buch enthält, ist nicht im geringsten dazu angethan, uns in
unseren therapeutischen Kenntnissen vorwärts zu bringen, kann vielmehr einzig und allein dazu
dienen, denjenigen, die gewohnt sind, allen Bestrebungen der Therapie mit Spott entgegenzutreten,
ein ausgiebiges und leicht verwerthbares Material in die Hand zu geben.
Guimbail hat sich viel mit theoretischer — physikalischer und physiologischer — Lektüre
beschäftigt und operiert mit diesen mehr oder minder gründlich verarbeiteten Kenntnissen in
einer eleganten, bisweilen sogar geistreichen Weise, die aber wohl nur auf den sehr Unerfahrenen
den Eindruck echter Wissenschaftlichkeit machen kann. Die Fähigkeit, therapeutische Dinge zu
beobachten und zu kritisieren, geht ihm gänzlich ab, oder er will sie aus irgend welchen Gründen
nicht an wenden.
Die therapeutische Wirksamkeit der physikalischen Agenden und ihre unendliche Ueberlegen-
lieit über die Pharmakotherapie, deren Ende er bereits gekommen sieht, glaubt Guimbail durch
einige Gemeinplätze, die sich bis zum Ueberdrusa in den verschiedensten Variationen in dem Buche
wiederholen, ausser allen Zweifel stellen zu können: Die nervösen Vorgänge sind identisch mit
elektrischen: infolgedessen können sich die elektrischen und ebenso die anderen physikalischen Reize
direkt in Nervenenergie umsetzen und auf diese Weise die Lebens Vorgänge anregen, die gesunkene
Lebenskraft heben u. s. w.
Für den Unbefangenen würde aus dem Vordersatz eigentlich nur folgen, dass die physikalischen
Heize irgend welche physiologischen Einwirkungen auf den Organismus ausüben müssen, was auch
von niemandem bestritten wird. Es würde aber zunächst fraglich bleiben und durch Experimente
und praktische Erfahrung festzustellen sein, ob und inwieweit diese Einwirkungen in Krankheits¬
fällen in einem für den Organismus günstigen, also therapeutischen Sinne sich geltend machen;
für Guimbail aber ist dies selbstverständlich: sämmtliche physikalische Methoden wirken stets im
heilenden Sinne und führen die glänzendsten Erfolge bei den verschiedensten Krankheiten herbei.
Als Beispiel für die Mannigfaltigkeit der Wirkungen seien hier nur die Krankheiten auf-
ffefuhrt, die nach Guimbail durch das hydroelektrische Bad mit sinusoidalom Strom geheilt, resp.
in hervorragender Weise gebessert werden. Es sind dies: Anästhesieen, Hypästhesieen und Hyper-
ästhesieen, Pruritus, Neuralgieen, alle Stoffwechselstörungen, Chlorose, Anämie, Menstruations-
anomalieen, Prostatahypertrophie, Chorea, Hysterie, Nervosität, Kinderlähmungen, infektiöse Läh-
mungen, Incontinentia urinae, Rhachitis und ganz besonders alle Arten von Hautkrankheiten, Muskel-
atrophieen, Muskelschwäche, myelitische Paraplegicen, Kontrakturen, Magendilatation, Obstipation,
Yaricen, Hämorrhoiden etc.
Ganz dieselben erstaunlichen Erfolge, deren Aufzählung an die Anpreisungen mancher Bäder-
und Sanatorienverwaltungen lebhaft erinnert, werden auch durch die anderen physikalischen Heil¬
methoden erzielt, wie den Lesern bereits aus dem eingangs erwähnten Referat von Buttersack
bekannt ist
Irgend welche klinischen Belege hierfür zu bringen oder gar seine Erfolge statistisch darzu¬
stellen und kritisch zu sichten, hält Guimbail natürlich nicht für nöthig. Die Schwierigkeit,
warum denn dieselben Agentien in ganz verschiedenen Krankheitsfällen, in denen oft die entgegen¬
gesetzten Indikationen zu erfüllen sind, wirksam sein sollen, weiss er mit einem Hinweis auf die
Gesetze der Interferenz zu lösen: ebenso wie eine schwingende Membrane durch denselben Stoss
einmal in ihrer Bewegung verstärkt, ein andermal aber aufgehalten werden kann, je nachdem sie
in der einen oder der anderen Phase ihrer Bewegung getroffen wird, ebenso kann derselbe physi¬
kalische Reiz einmal anregend, das andere Mal beruhigend auf das Nervensystem ein wirken.
Mit derartigen Vergleichen und allerhand hypothetischen Spielereien ist ein grosser Theil des
Buches ausgefüllt; nirgends ist auch nur ein halbwegs ernstlicher Versuch gemacht, durch exakte
Beobachtung festzustellen, inwieweit sich diese mehr oder weniger geistreichen Betrachtungen in
der therapeutischen Praxis bewähren, und auf solcher Basis bestimmte Indikationen für die einzelnen
Methoden aufzustellen.
Weiteres aus dem Buche mitzutheilen, dürfte sich nicht verlohnen. W T ir glauben, dass die
Mehrzahl der Aerzte jetzt doch schon zu gründlich zu einer wissenschaftlichen therapeutischen Be¬
trachtungsweise erzogen ist, um an einer derartigen Seheinwissenschaft Gefallen zu finden. Wer
nach den gegebenen Andeutungen aber dennoch Lust empfindet, dem Autor näher zu treten, möge
sich in das Studium des Originals vertiefen. Mann (Breslau).
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Referate über Bücher und Aufsätze.
E. Hellmer, Heliotherapie. Centralblatt für die gesammte Therapie 1901. Heft 1.
In technischer Beziehung lassen sich zwei Formen der Heliotherapie unterscheiden: 1. da*
ambulatorische Sonnenbad und 2. das Sonnenliegebad. Bei der ersteren setzt sich der
Patient unbekleidet im Freien im Herumgehen den Sonnenstrahlen aus, bei der zweiten ruht di*r
ebenfalls nackte Patient auf dem Boden oder auf einem dünnen Lager. Vor Beginn des Sonnen¬
liegebades werden Kopf und Nacken des Patienten kalt abgewaschen, auf den Kopf kommt eine in
kaltes Wasser getauchte Haube, die von Zeit zu Zeit frisch befeuchtet wird, um der Rückstauuni:
des Blutes zum Kopfe vorzubeugen. Der Patient liegt am besten mit seiner Längsachse in der
Richtung von Osten nach Westen und wendet sich alle drei Minuten bald nach rechts und link*,
bald auf den Rücken und auf den Bauch. Die Augen sind entsprechend zu schützen. Die Dauer
der Prozedur variiert von 15 — 45 Minuten, nach der Prozedur bekommt der Patient eine kalte
Applikation, eine kalte Abreibung, ein Halbbad etc., worauf er eine Zeit lang Bewegungen macht.
Indikationen: Kurze Sonnenbäder empfehlen sich bei allgemeiner Atonie, Anämie,
Chlorose und depressiven Neurosen; längere bei träger und gestörter Zirkulation, bei Sloffweehscl-
erkrankungen, bei Dyskrasien, bei Gelenk- und Muskelrheumatismus, bei Neuralgieen, rückständigen
Entzündungsprodukten, bei Intoxikationen und endlich bei einer grossen Reihe von chronischen
Dermatonosen mit derben, torpiden Infiltraten. Kontraindikationen sind alle akut fieberhaften
Erkrankungen, hochgradige Schwäche, alle Konsumptionskrankheiten und pseudoplastischen Prozesse,
schwere Formen von Atheromatose, anatomische Erkrankungen des Zentralnervensystems und Neigung
zu Blutungen. Bei längerer Dauer der Sonnenbäder muss der Zustand des Herzens sorgfältig berück¬
sichtigt und eventuell der Herzschlauch appliziert werden. — n.
Du Pasquier und Leri, Injections Intra et extra-dnrales de cocaine ä dose minime daas
le traitement de la sciatiqne. (Valeur comparöe des deux methodes Resultats immediats et
tardifs.) Bulletin gönöral de thörapeudque 1901. Bd. 15. Heft 8.
Die Methode der Duralinfusion, welche sich bei uns in Deutschland, w r o sie begründet wurde,
bisher nur wenig eingebürgert hat und namentlich auf den inneren Kliniken nur ausnahmsweise
angewendet wird, hat eine um so grössere Verbreitung in Frankreich gefunden. Es erscheint kaum
eine Nummer einer der grösseren französischen Zeitschriften in diesem Jahre, in welchen nicht
mindestens entweder eine Originalarbeit oder eine Mittheilung aus einer französischen Gesellschaft
über die Anwendung der Duralinfusion veröffentlicht wird. Meist handelt es sich allerdings aus¬
schliesslich um die subarachnoideale Infusion der Kokainlösungen. Der Erfinder dieser Methode,
Bier in Greifswald, hat wohl kaum geahnt, als er vor wenigen Jahren die ersten Mittheilungen
hierüber veröffentlichte, dass sich diese Methode so schnell Eingang in die chirurgischen Kliniken
Frankreichs verschaffen würde. Dieser schnellen Aufnahme der Methode in das Armamentarimu
der Anästhesierungsmethoden ist es wohl zu danken, dass eine ganze Reihe von unangenehmen
Folgezuständen, ja sogar von Todesfällen, dadurch verschuldet wurde. Gerade in Frankreich haben
wir während der letzten Jahrzehnte häufig das Schauspiel zu erleben gehabt, dass eine neue
Methode zunächst mit grösster Begeisterung von zahlreichen Aerzten aufgenommen, dass dann fast
einstimmig über günstige, ja bisweilen ans Wunderbare grenzende Erfolge berichtet wurde und
dass schon nach wenigen Monaten ein bitteres Stadium der Ernüchterung folgte, in welchem man
nun fast ebenso cinmüthig die vorher so viel gepriesene Methode verdammte. In dieses dritte
Stadium scheinen die französischen Autoren jetzt mit der Duralinfusion gelangt zu sein. Bier hat
niemals seine Methode der Kokaininfusion in den Subarachnoidealraum zu einer derartig allgemeinen
unbegrenzten Anwendung empfohlen, wie dies von den Franzosen geschehen ist. Diese dagegen
haben sowohl in den chirurgischen wie in den geburtshilflichen, gynäkologischen, als auch in den
inneren Kliniken überall von der Methode Gebrauch gemacht, bisweilen — wir müssen es frei-
miithig gestehen — ohne jede Kritik. Referent hat bereits bei verschiedenen Gelegenheiten
energisch dagegen Einspruch erhoben, dass die Methode der Duralinfusion, welche er für die innen
Klinik ausgcbildet hat, bevor noch die erste Publikation von Bier über die KokaTninfusion er¬
schien, so allgemeine Anwendung finden sollte; und er hat streng die Indikationen fixiert, bei
welchen die Duralinfusion Nutzen schaffen kann. Die Franzosen haben sich dagegen nicht ge¬
scheut, bei allerhand Formen nervöser Schmerzen, namentlich bei Neuralgieen der unteren Extremi¬
täten, die Kokaininfusion anzuwenden. Mancherlei üble Folgen sind statt der beabsichtigten Heil¬
wirkung hierdurch eingetreten; diesem Umstand ist es wohl zuzuschreiben, dass man jetzt in
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Referate über Bücher und Aufsätze. 437
Frankreich beginnt, statt der Methode der subarachnoidealen Infusion des Kokains die epidurale
anzuwenden. Sie besteht darin, dass man nicht in den Subarachnoi deal raum das Kokain einspritzt,
sondern die Nadel in die hintere fibröse Wand des Canalis sacralis einsticht, in der Hoffnung,
dadurch die Flüssigkeit nur an die Wurzeln gelangen zu lassen. Wir selbst haben diese Methode
bisher nicht angewandt und können sie daher auf Grund eigener Erfahrungen nicht kritisieren. Wir
meinen aber, dass ein Urtheil darüber, an welcher Stelle die Spitze der Nadel sich befindet, wenn
man auf die neue Art und Weise die Einspritzung ausführt, sich überhaupt nicht gewinnen lässt.
Auch halten wir eine direkte Verletzung der Wurzeln bei der Ausführung der epiduralen Methode
keineswegs für ausgeschlossen. — Mit Reserve müssen w ir demnach die günstigen Mittheilungen
betrachten, welche ausser in der vorliegenden Arbeit auch bereits von einigen anderen französischen
Autoren über die Erfolge, die sie mit Einspritzung von KokaTnlösungen in den Epiduralraum bei
schweren Formen der Ischias erzielt haben, veröffentlicht worden sind. Pasquier und Leri wollen
hiermit erheblich bessere Resultate als mit der Duralinfusion des Kokains erzielt haben.
Paul Jacob (Berlin).
Königshöfer, Die Prophylaxe in der Augenheilkunde« Nobiling-Jankau’s Handbuch der
Prophylaxe. München 1901.
Mit dem Fortschritt der Kultur mehren sich unzweifelhaft auch die gesundheitlichen Gefahren
für den Menschen, es wird daher jederzeit eine vornehme Aufgabe unserer Wissenschaft sein, den
Menschen in allen Lagen des Lebens gegen diese Gefahren zu schützen. Wir betreten damit ein
unabsehbares Gebiet, die Lehre von der Prophylaxe der Krankheiten; Verfasser, welcher für die
Augenheilkunde die Prophylaxe auszuarbeiten übernahm, war sich der schweren Aufgabe bewusst,
den sich bietenden Stoff systematisch einzutheilen, ohne in dem Ganzen ein Geringes zu vergessen
und gleichzeitig dem Ganzen die Uebersichtlichkeit zu bewahren. Es ist ihm gelungen, die Pro¬
phylaxe aus dem Rahmen der allgemeinen Hygiene herauszunehmen sowie dieselbe gegen andere
Gebiete, vor allem gegen die Therapie abzugrenzen, an nicht wenigen Stellen scheint sich allerdings
die Prophylaxe mit der Therapie zu decken.
Die Einteilung der Prophylaxe in 1. eine allgemeine, 2. eine spezielle, 3. eine der ver¬
schiedenen Lebensalter hat leider, wie der Verfasser selbst zugiebt, den Mangel, dass sie zu Wieder¬
holungen führt; um diese zu vermeiden, wird sehr häufig auf vorhergehende oder noch folgende
Abschnitte verwiesen. Da bei diesen Hinweisen meist die Angabe der Seite fehlt, so ist die
Lektüre das Buches nicht gerade bequem zu nennen.
Bei der allgemeinen Prophylaxe werden die äusseren Schädlichkeiten zuerst besprochen, unter
diesen ausführlicher die physikalischen; bei der ausgebreiteten Verwendung der Elektrizität auf dem
Gebiete des öffentlichen Verkehrswesens, der Industrie, vor allem als leuchtende Kraft ist den
Schädigungen des Auges durch Blendung eine eingehendere Betrachtung gewidmet. Die von innen
kommenden Schädlichkeiten betreffen Heredität, Konsanguinität, ferner physiologische Zustände, wie
Menstruation, Gravidität, vor allem aber die Gefahren, welche eine unzweckraässige Lebensweise
mit sich bringt; auf die Entstehung von Augenkrankheiten sind Kleidung, Hautpflege, Wohnung,
Ernährung, mangelhafte Körperbewegung, geistige Ueberanstrengung nicht ohne Einfluss.
Es folgen die funktionellen Schädlichkeiten; dieses Kapitel, welches eingehend erörtert wird,
beantwortet die für die Verhütung der Kurzsichtigkeit bei unserer Jugend wichtigen Fragen: Welche
Schulbank verschafft einen rationellen Sitz; welche Anfordeningen sind an natürliche und künst¬
liche Beleuchtung zu stellen? Der Verfasser schliesst sich im wesentlichen an die grundlegenden
Arbeiten über die Hygiene des Auges von Fick, Cohn und an Esmarch an, zum Schlüsse wird
Tiber die Grösse des Arbeitsgegenstandes, über die Arbeitszeit, über zweckmässige Verkeilung von
Fern- und Naharbeit das Wissenswerthe in Kürze mitgetheilt.
Den grössten Theil des Buches nimmt die spezielle Prophylaxe ein: Unter den organischen
Augenerkrankungen verdienen die infektiösen Bindehautentzündungen besonders hervorgehoben zu
werden. Die Prophylaxe besteht im allgemeinen darin, das Taschentüscher und Waschgeräthe des
Kranken nicht von Gesunden benützt werden; dass letztere auch prophylaktisch schon Adstringenden
anwenden, halte ich für des Guten zu viel, desgleichen die strenge Isolierung der Kranken. Bei
der gonorrhoischen Bindehautentzündung möchte ich allenfalls, wenn nur ein Auge erkrankt ist,
den Höllensteineinträuflungen am anderen Auge das Wort reden, einen dauernden Schutzverband
mit dem Verfasser für unnöthig erachten. Dass man bei der Therapie der blcnnorrhoea neonatorum
vielfach die 1<> 0 und 2%igen Lösungen wegen starker Reizung der Bindehaut verlassen hat, möchte
ich hier nicht unerwähnt lassen. Bezüglich des Trachom’s glaube ich, dass in den durchseuchten
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438 Referate über Bücher und Aufsätze.
Gegenden nur das energische Eingreifen seitens der staatlichen Organe, die Thätigkeit der beamteten
Aerzte, das Mitwirken der Schulbehörden, die Errichtung hinreichender Krankenhäuser neben sach-
gemässer Volksbelehrung und -erziehung in hygienischen Fragen Hilfe schaffen können. — Die
Prophylaxe der skrophulösen Augenkrankheiten, die in den Grossstädten das tägliche Brot der
Polikliniken bilden, wird sehr kurz behandelt; erwägt man, wie die spätere Erwerbsfähigkeit gerade
durch die Folgen dieser Krankheiten leidet, so kann man der Lehre von deren Verhütung nicht
genügend Werth beimessen. Ergänzend möchte ich nur hervorheben, dass man die Maassregeln in
Form einer gedruckten Anweisung zur Pflege und Haltung skrophulöser Kinder den Eltern mit¬
gegeben hat, ferner dass zur Behandlung und Verhütung der Skrophulose Ferienkolonieen und Kinder¬
heime auf dem Lande, an der See errichtet worden sind. Die Prophylaxe der sympathischen Er¬
krankung wird vom Verfasser mit Schärfe formuliert, mit vollem Recht, denn hier hängt es vom
rechtmässigen und rechtzeitigen Eingreifen ab, den Kranken vor dem tragischen Geschick einer
völligen Erblindung zu bewahren.
Bei den Funktionsstörungen werden die Ursachen der Myopie eingehend besprochen, bei der
Prophylaxe derselben wird die Auswahl einer richtigen Brille für besonders wichtig erachtet; die
Akkomodationsstörungen und diejenigen in der Funktion der Augenmuskeln werden hinsichdich
der verhütenden Maassnahmen klar und kurz behandelt.
Die Prophylaxe der bei Allgemeinerkrankungen auftretenden Augenkrankheiten und Funktions¬
störungen ist an sich gering zu veranschlagen, da man die Entstehung meist nicht verhüten, der
Entwicklung und dem Fortschreiten allerdings eher entgegentreten kann. Meines Erachtens ist eine
wichtige “Grundbedingung für die Verhütung die Diagnose des Allgemeinleidens, eine kritische
Ueberwachung seines Verlaufes, eine planmässige energische Therapie, im übrigen fällt die Pro¬
phylaxe des Augenleidens mit derjenigen des Allgemeinleidens zusammen. Tritt eine Augen¬
erkrankung auf, so ist andrerseits zunächst auf Grund einer eingehenden Allgemcinuntersuchung
zu entscheiden, ob nicht ein Allgemeinleiden zu Grunde liegt, dessen sorgfältige Behandlung für
die entstehende Augenkrankheit die Prophylaxe bedeutet; so haben Gefässpulsatione» der Netz¬
haut, Netzhautveränderungen, Sehnervenentzündungen, Sehnervenatrophieen u. s. w. nicht selten zur
Diagnose eines verborgenen, schleichend sich entwickelnden Allgemeinleidens geführt und zur so¬
fortigen Einleitung einer rationellen Therapie Veranlassung gegeben.
Bei der Gewerbeprophylaxe werden die Berufsarten, für welche vornehmlich Gefahren dir
Augenerkrankungen bestehen, des näheren erwähnt, so z. B. sind Schriftsetzer, Goldarbeiter, Uhr¬
macher u. s. w., Bergleute, Elektrotechniker, Feuerarbeiter gefährdet, Arbeiter, die mit Giften, Blei
Phosphor, Anilinfarben, Tabak u. s. w. hantieren, ferner Weber, Landarbeiter dergleichen. Neben
den Schutzvorrichtungen hebt Verfasser hier die Belehrung als prophylaktisches Hifsmittel hervor,
ein Mittel, das ich nach allen Richtungen als wichtig hinstellen möchte; nicht eine Art Reklame,
welche die Gemüther ängstigt und ihre Präparate, Arzneien, Apparate u. s. w. unentbehrlich hin¬
stellt, sondern eine verständige, zweckmässige Belehrung durch Wort und Schrift kann viel Gutes*
wirken.
Die Operationsprophylaxe, von welcher Verfasser eine sehr eingehende Schilderung giebt,
enthält nichts neues; da alle Augenärzte, wohlvertraut mit chirurgischer Aseptik und Antiseptik,
nach den leitenden Grundsätzen verfahren, glaube ich, dass auch ihre Resultate hinter denen des
Verfassers nicht zurückstehen werden.
Zuletzt wird in fortlaufender, übersichtlicher Form eine Zusammenstellung gegeben, welche
Gefahren von Geburt an dem Auge in den verschiedenen Lebensaltern drohen; dieser kurze Uel»er¬
blick beschliesst das lehrreiche Büchlein, das seine Aufgabe, aus dem Gebiet der Hygiene und
Gesundheitspflege des Auges die Prophylaxe in der Augenheilkunde herauszuheben und für sich
zu behandeln, trefflich erfüllt. Nicolai (Berlin!.
M a rtius, Allgemeine Prophylaxe. Xobiling-Jankau’s Handbuch der Prophylaxe. München 1000-
Die Ausführungen des Verfassers erstreben den Nachweis, dass neben der anerkannten all
gemeinen und speziellen Hygiene auch eine allgemeine und spezielle Prophylaxe wissenschaftlich
möglich und praktisch nothwendig ist Er versteht unter der Prophylaxe die Summe aller aus¬
schliesslich ärztlicher Erkenntnisse und Maassnahmen zum Zweck der Krankheitsverhütung. Bei
den allgemeinen Maassnahmen handelt es sich um Bekämpfung der für alle Individuen der Gattung
gleichmässig schädlichen und krankheiteizeugenden Potenzen, bei den individuellen um die Be¬
kämpfung der für den jeweiligen Einzelfall schädlichen Noxen. Beide Richtungen ergänzen sich
und fliessen ohne bestimmte Grenzen in einander über. Je genereller die Maassnahmen sind, desto
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Referate über Bücher und Aufsätze. 439
mehr handelt es sich um hygienische Aufgaben allgemeinster Art, an denen nicht nur der Arzt,
sondern auch der Techniker, der Gesetzgeber, kurz die gebildete und maassgebende Menschheit
betheiligt ist. Die spezifische Aufgabe des Arztes dagegen wächst, je mehr es sich um die Er¬
kennung und Bekämpfung des individuellen Krankhcitsfaktors, der Krankheitsanlage handelt. Da
der letztere Faktor bei der Krankheitsentstehung eine viel grossere Rolle spielt, als vielfach ange¬
nommen wird, so ist gegenwärtig die Gefahr nicht gross, dass etwa der Arzt zu Gunsten des Ge¬
sundheitstechnikers abdanken muss. Im Gegcntheil; die ärztliche Individualprophylaxe gehört zu
den wichtigsten klinischen Aufgaben der Zukunft Freyhan (Berlin).
J. C. Schneider, Die Bakterienfurcht. Beiträge zur Frage über die Entstehung der Infektions¬
krankheiten für Aerzte und Laien. Leipzig 1901.
Das müssen seltsame Menschen sein, für die dieses Büchlein geschrieben ist, und dass der
Verfasser Dr. med. und wirklich approbierter Arzt sei, erschien ihm offenbar selber besonderer Be¬
tonung bedürftig.
Das Inhaltsverzeichniss giebt an: historische Notizen; Beschreibung der Arten der Bakterien
und Parasiten; die einzelnen Infektionskrankheiten und ihre Ursachen; Resume. Der Geist des
Buches charakterisiert sich am besten mit diesem Schlusssatz: »Die grösste Dummheit des neun¬
zehnten Jahrhunderts ist der Aberglaube gewesen, dass es spezifische, streng von einander ge¬
schiedene Bakterien gäbe, w r elche die ausschliesslichen primären Erreger vieler Krankheiten seien,
und dass diese Bakterien mit allen möglichen Mitteln zu bekämpfen sind.« Dass Verfasser die
Entdeckungen und Ideen der Bakteriologen zweiten Ranges ablehnt, kann man billigen. Dass er
aber mit der ganzen Bakteriologie tabula rasa macht, nicht einmal den Milzbrand- und Tuberkel¬
bacillus gelten lasst, das erscheint doch etwas kühn. Der Tuberkclbacillus ist ihm »bernsteinsaures
Tuberkulin, umgeben von einer Hülle von palmitinsaurem Salz« (S. 93) und des Milzbrands entledigt
er sich noch einfacher durch Ueberweisung in das Gebiet der Veterinärmediein (S. 96).
Sätze wie: »So wie die Sache heute liegt und wie sie vielerlei Forschungen von Spezial-
gelehrten und Aerzten ergeben haben, hat der Koch’sche Tuberkelbacillus überhaupt gar keine Be¬
deutung, nicht einmal mehr diagnostische« dürften auch bei der neuesten Wendung der Dinge wenig
Beifall finden. Sind einem Leser dieser Zeitschrift vielleicht zufällig derartige »Spezialgclehrte«
bekannt ?
Nach Schneiders Ansicht, die er sich aber wohl hütet, präzis auszuführen, sind nicht Mikro¬
organismen, sondern Gährungcn und Fermentationen unbestimmter Art die Ursachen der Krankheiten.
Ueber mcdicinischc Dinge mag jeder nach Maassgabe seiner Kenntnisse und seiner Intelligenz
denken, was er mag, wenn auch nicht gerade nöthig erscheint, dass das alles iu Dnickerschwärze
umgesetzt und von Referenten gelesen werden muss. Dass aber der approbierte Arzt Dr. med.
Schneider (S. 36) den Satz aufstellt, dass »die Laienpraktiker, welche frei von anerzogenen falschen
Heilbegriffen sind und nur auf ihren eigenen gesunden Menschenverstand sich verlassen müssen,
dank des letzteren thatsächlich etwas zu stände bringen«, wo die Aerzte in den Kliniken u. s. w.
keine Resultate erzielen, beweist einerseits, dass er sich über die faktische Leistungsfähigkeit jeg¬
licher Therapie nicht im klaren ist, und andrerseits, dass ihn das Leben offenbar recht weit von
der Liebe zu der Wissenschaft, auf die er eingeschworen, abgetrieben hat.
Buttersack (Berlin).
Ludwig Dresdner, Aerztlielie Verordnnugsweise für Krankenkassen und Privatpraxis
nebst Rezeptsammlung. München 1900.
Zwei Jahre sind es her, dass Dresdner die Münchener Aerzte mit einem Angebinde be¬
schenkte, das ihnen bei dem Kampf um die freie Arztwahl gut zu statten kam, das war seine
Pharmacopoea oeconomica, das unentbehrlichste Requisit jedes Kassenarztes. Die allgemeine Ein¬
führung in Aerztekreise, die dem Büchlein zu Theil wurde, die Empfehlung desselben seitens der
staatlichen Behörden war die beste Anerkennung seines Werthes. War es doch längst ein tief¬
gefühltes Bedürfnis geworden, einen Führer durch die vielverschlungenen Pfade der Pharmakopoe
zu besitzen, und hatte es doch Dresdner mit ausserordentlichem Geschick verstanden, ohne Be¬
einträchtigung der Ordinationen und ihres substanziellen Inhalts den Weg der Erepamiss und Ver¬
billigung zu zeigen. Mit einmüthigem Wohlwollen wurde das Büchlein von den bayerischen
Kollegen aufgenommen, und aus dem Büchlein ist nunmehr ein stattliches Buch geworden, das mit
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440 Referate über Bücher und Aufsätze.
einer Seitenzahl von 527 heute uns in bedeutend erweiterter Form vorliegt. Hatte die erste Arbeit
Dresdners den Zweck, den Aerzten ein Wegweiser zur Verringerung der Arzneikosten bei den
Krankenkassen zu sein, so ist sie in der neuen Form mit Beibehaltung dieses ursprünglichen
Prinzipes zu einem Führer durch die gesammte praktische Thätigkeit geworden, der in der An¬
ordnung des Stoffs, der inneren Verarbeitung und klaren Auseinandersetzung zu den besten Hand¬
büchern des praktischen Arztes gerechnet werden kann. Eine kurze Skizzierung des Inhalts de*
Dresdner'sehen Buches dürfte seine Vielseitigkeit am ehesten illustrieren: Nach ausführlicher
»Schilderung der gebräuchlichsten Arzneiformen unter besonderer Berücksichtigung ihrer Yerwerth-
barkeit vom ökonomischen Standpunkt aus folgt in knappen, scharfen Umrissen eine häusliche
Hydrotherapie, die zu den besten Kapiteln des Buches gehört, ferner Auszüge aus den Arznei¬
verordnungen der einzelnen Staaten, so dass jeder Arzt sich über die an seinem Wohnsitz
herrschenden Arzneipreise informieren kann.
Der spezielle Theil des Buches beginnt mit einem Verzeichniss der für die gesammte ärztliche
Praxis geeigneten Medikamente, wobei der allgemeinen Darstellung ihrer Wirkungsweise auch die
Arzneitaxpreise beigefügt sind, dann folgen in eingehender und kritischer Schilderung die Nähr¬
präparate, die medikamentösen Bäder etc., und im zweiten Theile die spezielle Therapie der einzelnen
Krankheiten in alphabethischer Reihenfolge. So ist das Buch nicht nur ein Nachschlagebuch für
eine ökonomische Verschreibsweise, sondern in viel höherem Maasse ein Manuale der Arznei-
verordnungslehre sowie der speziellen Therapie, und in seiner Kombination mit den obigen Gesichts¬
punkten ein ebenso praktisches wie belehrendes Buch. Wir können daher allen Kollegen, auch
denen, die keine Kassenpraxis treiben, dasselbe aufs wärmste empfehlen.
J. Marcuse (Mannheim).
Zabludowski, Ueber Schreiber- und Pianisten krampf. Sammlung klin. Vorträge. Leipzig l 4 .*n.
Verfasser erweitert sein Thema, indem er nicht nur den eigentlichen Schreiber- und Pianisten¬
krampf (sonst ganz gesunder Individuen) behandelt, sondern überhaupt über die Krankheiten der
Schreiber und Klavierspieler (bei auch sonst Erkrankten), soweit dieselben Schreib- und Spiel¬
schwierigkeiten verursachen, sich verbreitet.
Zabludowski unterscheidet für die Schreiberkrankheit vier Formen:
1. Ascendierende Formen durch Erkrankung von Muskeln oder Nerven der oberen Extre¬
mität, meist durch schlechte Schreibmethode.
2. Descendierende Können als Theilerscheinung von Gehirn- und Kückenmarkserkrankung
.‘5. Zentrale Neurosen, Hysterie etc.
4. Mischforrnen von Neurosen mit anderen Fonnen.
Die Behandlung der peripheren Formen besteht mit günstigem Erfolge oft schon darin, dass
man die ganzen Schreibgewohnheiten des Betreffenden verändert, den Sitz am Schreibtisch wechselt,
den Stuhl dazu schief gegen den Tisch stellt oder den Patienten ganz seitlich zum Tisch setzt, so-
dass der stützende Unterarm in der Längsrichtung des Tisches, an dessen Längskante liegt etc
Auch vierkantige Federhalter statt zylindrischer sind von Vortheil. Bei anderen Formen ist es
zweckmässig, die schreibende Hand nicht, wie gewöhnlich, auf die Volarfläche, sondern auf die
Dorsalfläche der Finger sich stützen zu lassen. Alle diese Veränderungen schalten Druck- und
Schmerzpunkte, von denen die Schreibschwierigkeit herrührt, aus. Bei Tremor- und Krampfformen
ist es nützlich, grosse, bogenförmig geschwungene Initialbuchstaben zur Uebung schreiben zu lassen:
dabei hat die Hand keinen unbeweglichen Stützpunkt, und es kommt nicht so leicht zur Auslosung
des Krampfes. Bei anderen Patienten lässt Zabludowski während des Schreibens der Buchstaben,
an gewissen Stellen derselben, Ruhepausen machen.
Bei schwereren Fällen von Zuckungen lässt Zabludowski einen kleinen Apparat gebrauchen,
nämlich eine Art Anker, auf den oben der Federhalter angeleimt ist. Man kann also in den Anker
fest hineinfassen, und die Finger haben nichts mit dem dünnen Federhalter zu thun.
Bei choreaartigen Bewegungsstörungen ist zunächst eine allgemein-gymnastische Uchungs-
therapie am Platz.
Zur Unterstützung aller Maassnahmen aber ist eine vorher oder nachher geübte Massage von
grösstem Vortheil, da, wie Zabludowski sehr treffend bemerkt, dieselbe schon als vortreffliches
Suggestionsmittel sehr Nützliches leistet.
Bei den »Schreibstörungen der zweiten Form, der zentralen Nervenleiden, verzichtet man :uii
besten auf Tinteschreiben, sondern sucht unter Befolgung der oben angeführten Methoden ein mög¬
lichst gutes Bleistiftsehreiben zu erzielen.
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Kleinere Mittheilungen. 441
Bei der dritten Form, den zentralen Neurosen, geht gewöhnlich die allgemeine Aufregung,
nervöses Zittern, Schweissausbruch etc. von besonders empfindlichen Druckpunkten am Arm etc.
aus, und es handelt sich dann darum, diese pathologischen Reflexe von der Peripherie aus durch
eine gänzlich veränderte Schreibracthodik zu vermeiden. Dazu ist oft erfolgreich, dass man die
schreibende Hand in eine Supinationsstellung bringt. Zabludowski hat auch, um alle Druckpunkte
des Annes ganz auszuschalten, einen Apparat konstruiert, in dem der Arm völlig darinhängt, ohne
auf der Tischkante aufzuliegen. Nachherige Massage der schmerzhaften Druckpunkte ist von
grossem Nutzen. Bei sonst noch anderswo lokalisierter Neurose, z. B. sexueller, ist entsprechende
Behandlung nützlich.
Bei den Mischformen IV, der zentralen Neurosen mit anderen Formen, sind diätetische und hydro-
pathisclie Prözeduren nicht zu versäumen
Bezüglich der Klavierspielerkrankheiten stellt Zabludowski fest, dass zumeist ein Ueber¬
spielen der Finger durch zu breite Tasten für nicht genügend grosse Hände stattfindet. Es handelt
sich zumeist um traumatische Entzündungen; neuritischc Schmerzen, die sich bis zum Rücken oder
der Brust, öfter mit Ueberspringung mancher Gelenke ausbreiten, sind häufig. Zabludowski räth
zum Gebrauch von Jugendklaviaturen mit schmaleren Tasten, die er hat konstruieren lassen, und
zum allmählichen Uebergang später zu den gewöhnlichen Klaviaturen.
Es ist natürlich unmöglich, in einem Referat, dem sehr grossen Detailmaterial des Autors
völlig gerecht zu werden; wir haben uns begnügen müssen, die Hauptpunkte seiner reichhaltigen
Erfahrung zu zeichnen. M. Bial (Kissingcn).
Kleinere Mittheilungen.
Bericht über die Verwendung des Eiweissnährmittels »Hoborat« in der Praxis. Von
Dr. Hermann Schlesinger in Frankfurt a. M.
In neuerer Zeit wurde von verschiedenen Seiten über ein aus dem Getreidekorn gewonnenes
Ei weissnäh rmittel berichtet, welches unter dem Namen »Roborat« in den Handel gebracht wird.
Laves 1 ), welcher sich mit dem Studium des Präparats genauer beschäftigt und dicserhalb Stoff¬
wechselversuche mit demselben angestellt hatte, fasst die erhaltenen Resultate in folgenden Sätzen
zusammen:
»1. Roborat ist ein staubfeines, fast weisses Pulver, das, mit kalter oder lauwarmer Flüssig¬
keit vorsichtig angerührt oder angeschüttelt, gleichmässig darin vertheilt bleibt.
2. Roborat ist fast geschmacklos; der etwas brodartige Beigeschmack ist in Milchkakao,
schleimigen Suppen, Brei und Pfannkuchen, sowie Gebacken und Chokolade nicht merklich, auch
nicht in Wein.
3. Roborat wird gut vertragen und leicht und fast vollständig verdaut, selbst von
Kranken, die keine freie Salzsäure im Magen haben.
4. Roborat verursacht keine nennenswerthe Vermehrung der Darmfaulniss, wie es bei Tropon
von mir beobachtet ist. Säure- und Ammoniakgehalt des Harns werden vermehrt, Harnsäure,
Kreatinin, Phosphorsäure vermindert.
5. Roborat ist ein natives Eiweiss, welches Körpersubstanz zu bilden vermag.
Der Gehalt an Reineiweiss ist im Roborat ungefähr so gross wie im Tropon, etwas höher
als im Aleuronat, erheblich höher als im Plasmon.
6. Roborat enthält reichlich Lecithin und Glycerinpliosphorsäure, die das Nervensystem sein-
günstig beeinflussen sollen und zur Bildung von Nervensubstanz erforderlich sind.
7. Roborat ist unbeschränkt lange haltbar.
Roborat ist, was Aussehen, Feinheitsgrad, Geschmack, Bekömmlichkeit und Verdaulichkeit
an betrifft, ferner infolge seines Lecithingehaltes den anderen erwähnten Nährmitteln entschieden
vorzuziehen«.
r ) Ueber das Eiweissnährmittel »Roborat« und sein Verhalten im Organismus, verglichen mit
ähnlichen Präparaten. Aus dem physiologisch - chemischen Laboratorium des Krankenhauses 1,
Hannover. Münchener medicinische Wochenschrift 1000. No. 30.
fcoitschr. f. diüt. a. physik. Therapie» Bd. V. Heft 5.
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.
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442 Kleinere Mitteilungen.
Zu einem ähnlichen Ergebniss gelangten Loewy und Pickardt 1 ). Nach ihren Analysen
ist das Roborat folgendermaassen zusammengesetzt:
Eiweiss Wasser ätherlösl. Stoffe Asche Rest
83% 11,9 o/o 2,91% 1,25% ca. 1,8%.
(entsprechend 13,27% N)
Der Gesamiutphosphor — organischer und anorganischer — betrug 0,05 %* 2 ), der auf Lecithin' 1 ,
zu beziehende organische Phosphor wurde im Aetherextrakt auf 0,02% bestimmt Der eben ge-
nannte Rest erwies sich als zum Thcil aus Amylum bestehend, Zucker — 0. Aus den Stoffwechsel-
versuchen der genannten Autoren ergab sich, dass die Ausnutzung des Roborats eine hervorragend
gute ist, sie berechnete sich zu 95,43%, das ist annähernd der gleiche Werth, w ie er dem Fleische
zukommt. Ausserdem w T urde festgestellt, dass das Präparat für animalisches Eiw eiss eintreten kann,
»es ersetzt dasselbe, wenn es in äquivalenten Mengen gereicht wird«. In Uebereinstimmung damit
steht die Bestimmung des Wärmewerthes (von Frcntzel ausgeführt), w'onach 1 g trockenen Roborats
5,755 Kalorieen liefert, also genau soviel wie das reine Muskeleiweiss (1 g = 5,754 Kalorieen nach
Stohmann). Endlich w r urde wie von Laves eine herabsetzende Wirkung auf die Ilamsaurc-
ausscheidung beobachtet.
Ueber die künstliche Verdauung des Roborats berichtet Berju^). Er zog zum Vergleiche
das Plasmon, Tropon und Blutfibrin heran. Wenn er nach der gewöhnlichen Methode soviel von
jedem Präparate, dass die abgewogene Menge 1 g Eiweiss entsprach, im Thermostaten bei 38 bis
38,5“ C der künstlichen Verdauung unterwarf, so zeigte sich, dass nach Ablauf von zwei Tagen
von dem Eiweiss verdaut worden waren:
Tropon . . . 89,08%, Roborat . . . 97,92%,
Plasmon . . . 93,69 %, Blutfibrin . . 99,81 °/o-
Ganz anders hingegen waren die Resultate, sobald er die gleichen Mengen der genannten
Präparate mit derselben Pepsinlösung, welche aber nur %%HC1 enthielt, in einem grossen Wasser¬
bade bei der konstanten Temperatur von 38 — 38,5“ C in Bechergläscm ansetzte und sie in der
ersten Stunde alle 5, später alle 10 Minuten tüchtig durchrührtc. Jetzt fanden Sich auf Grund der
Stickstoffbestimmungen des unverdauten Restes der untersuchten Substanzen folgende Prozent¬
sätze an verdautem Eiweiss:
Tropon
Plasmon
Roborat
Blutfibrin
nach
1
Stunden
8,12%
07,00%
99,17 o/o
90,86%
»
2
»
22, 93%
75,00%
99,57 o/ 0
95,52° o
)>
3
»
29,95%
84,06%
—
99,31° o
>>
4
40,08° o
91,02» „
—
—
5
51,61"/o
92,47» o
—
—
»
6
»
55,80°/,)
92,37%
99,62%
—
Das Roborat bietet demnach die weitaus besten Chancen für die Magen Verdauung, und diese
Thatsache steht im vollen Einklang mit den günstigen Ergebnissen der Stoffw echselvei suche am
Lebenden, insbesondere mit denjenigen, w elche sich auf die Ausnutzung im Dannkanal beziehen.
Schürmayer 5 ) hat das Roborat vom bakteriologischen Standpunkt aus untersucht und ge-
1 1 Lieber die Bedeutung reinen Pflanzeneiw r eisses für die Ernährung Aus dem thier-
physiologischen Laboratorium der landwirtschaftlichen Hochschule in Beilin. Deutsche medieinisehc
Wochenschrift 1900. No. 51.
*) 1. c.
*) Entsprechend einem Gesammtgehalte des Präparats an Lecithin von 0,6%. (»Die Nähr¬
präparate und ihre Littcratur im Jahre 1900« von Dr Max Pickardt im Centralblatt für Stoff¬
wechsel- und Verdauungskrankheiten 1901. Januar. — »Ueber Roborat* von Dr. Heinrich
Zöllner in der Phannac. Zeitung 1901. No. 50.)
q Ueber eine Aenderung der Methode der künstlichen Verdauung eiweisshaltiger Nahrungs¬
mittel Aus dem agronomiseh-pedolngischen Institut der König!, landwirtschaftlichen Hochschule
zu Berlin. Deutsche Medizinal-Zeitung 1901. No. 48.
• v ) Ueber die Bakterienflora von Nährpräparaten. Vortrag, gehalten in der 22. öffentlichen
Versammlung der Balncologisehcn Gesellschaft zu Berlin im März 1901. Deutsche Medizinal-Zeitung
1901. No. 36.
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Kleinere Mittheilungen.
443
fundcn, dass dasselbe nur eine minimale Beimengung von Saprophyten hat bei völliger Abwesenheit
pathogener Keime. Ausserdem kommen nach Schurmayer im Roborat geradezu Spaltpilze vor,
die einer durch Spaltpilze anderweitiger Herkunft erzeugten Gährung und Zersetzung entgegen¬
wirken. ln dieser Hinsicht verhält sich Roborat wie andere rein pflanzliche Nährmittel, während
thicrische, wie das Plasmon und das zum Theil animalische Tropon, eine Unmenge von Keimen
aufweisen.
Durch diese hier kurz skizzierten physiologischen Eigenschaften des Roborats ist ohne weiteres
der Fingerzeig für dessen Anwendung in der Praxis gegeben. Es wird, worauf auch die ge¬
nannten Autoren schon hinwiesen und was speziell Pickardti) bei einer grösseren Anzahl von
Patienten erprobte, überall da indiziert sein, wo es gilt, in kompendiöser Form den Eiweissgehalt
der Nahrung durch ein leicht verdauliches und dabei bekömmliches Präparat zu erhöhen. Ich
selbst habe vom Roborat in 42 Fällen Gebrauch gemacht und namentlich meine Aufmerksamkeit
auf dessen Wirkung bei anämischen Zuständen, mit und ohne Hyperaesthesia ventriculi, sowie bei
akuten Darmkatarrhen, insbesondere den Diarrhöen der Säuglinge, gerichtet.
Vor allen Dingen muss ich hervorheben, dass die Bekömmlichkeit durchweg eine tadel¬
lose war, von Erwachsenen wie von Kindern wurde das Präparat stets gern und ohne Wider¬
stand genommen, zum Theil in grösseren Tagesmengen 4—0 Wochen hindurch. Ich liess cs —
der Gebrauchsanweisung gemäss — der Milch, dem Kakao, der Chokolade, ferner allen möglichen
Arten von Suppen sowie Gemüsen zusetzen, ausserdem eignet es sich vortrefflich als Zusatz zu
Puddings (Wein-, Citronencreme-, Stärkepudding u. dergl.). Ebenso fanden die Roboratgebäcke
(F. W. Gumpert, Berlin C\, Königstrasse 22 -24', nämlich Zwieback und Brot, den Beifall meiner
Patienten 2 ).
Bei anämischen Kranken (IG Fälle) liess ich Erwachsene Wochen lang täglich 3—4 Esslöffel
Roborat (= ca. 40—50 g), Kinder, je nach dem Alter, 3-4 halbe Esslöffel bezw. Theelöffel ver¬
abreichen. Nahezu sämmtlichc Kranke zeigten nach einigen Wochen mehr oder minder erhebliche
Gewichtszunahme, fast alle sahen blühend aus und gaben an, dass der Appetit sich wesentlich ge¬
hoben habe. Ich führe hier einige besonders charakteristische Fälle an:
Frau M., 31 Jahre. Sehr blasse, anämische Person von Mittelgrösse. Von mir schon seit
Jahren an Anämie behandelt, hat vor ca. 3/ 4 Jahren abortiert, dabei schwerer Blutverlust. Ordinat.:
Liquor. Ferr. album. 3 X tägl. 1 Theelöffel voll, später Pilul. Blaudii. Von Anfang April bis Mitte
Mai täglich 3 Esslöffel Roborat in Milch, Suppen etc. Erholt sich zusehends, Gewichtszunahme l kg.
F. M., 8i/ 2 Jahre. Sohn der Frau M. Zarter, sehr blasser Knabe, schlechter Ernährungs¬
zustand. Ordinat.: Liquor. Ferr. album. 3 X tägl. 1 > Theelöffel voll, täglich drei halbe Esslöffel
Roborat Der bisher appetitlose Knabe zeigte schon nach 8 Tagen erhebliche Esslust. Gewichts¬
zunahme von 21 auf 26 kg. (Anfang April bis Mitte Mai.)
Frau Schutzmann S., 32 Jahre. Sehr magere, blasse Person, Körpergewicht 47,5 kg. Ist vor
1 Vs Jahren syphilitisch infiziert gewesen, mehrfach mit Ung. einer, (lnunktionskur) behandelt.
Ordinat.: Liquor. Ferr. album., später Pilul. Blaudii. 3 Esslöffel voll Roborat täglich. Wesentliche
P»esserung, nimmt in vier Wochen, trotzdem sie ihre Haushaltung zu besorgen hat (Mann und zwei
Kinder, das jüngste 2 Jahre alt), um l kg zu. Geht zur Erholung aufs Land.
Bei an Darmkatarrhen leidenden Kranken habe ich das Roborat in 10 Fällen verordnet, und
zwar behandelte ich ausnahmslos auf rein diätetischem Wege, d. h. unter Ausschluss irgend
welcher Medikation. Erwachsene wie Säuglinge vertrugen das Präparat ausgezeichnet, die Darm¬
reizung verschwand schon nach wenigen Tagen Erwachsene liess ich pro die 1- 2 Esslöffel voll
in Reis- oder Gerstenschleim verrührt reichen, irgend eine andere Nahrung oder Getränk, ausser
dünnen Thee, wurde nicht gewährt.
Ganz besonders erfreulich war der Erfolg bei Säuglingen. Ich lasse hier zunächst eine
Krankengeschichte folgen:
A. J., 3 Wochen alt. Normal entwickeltes Kind, wird mit Gärtner’s Fettmilch ernährt.
4. Mai 1901. Seit zwei Tagen Durchfall. Dünner, rein flüssiger, grünlich aussehender Stuhl, alle
paar Stunden Leib aufgetrieben. Ordinat.: Aussetzen der Milch, Reisschleim, jeden Tag frisch
gekocht, zu jedem Fläschchen Zusatz von 1 gestrichenen Theelöffel voll Roborat, 2 1 2 stündlich
1 Fläschchen zu verabreichen. — Nach zwei Pagen ist der Stuhlgang vollkommen normal geworden.
1) 1. c.
2) Ueber diese Gebäcke hat sich auch Ebstein
2. Theil. S. 711) sehr anerkennend ausgesprochen.
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(Handbuch der praktischen Mcdicin Bd. 3.
30*
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444 Berichte über Kongresse und Vereine.
das Kind erhält wieder seine frühere Nahrung. Nach weiteren acht Tagen erzählt die Mutter, das
Kind hahe noch einmal Durchfall gehabt, derselbe sei jedoch durch abermalige Anwendung des
»stopfenden Pulvers« sofort gestillt.
Anfang Juni wurde ich wieder zu dem Kinde gerufen. Dasselbe ist mager und für sein
Alter schlecht entwickelt. Die Mutter giebt an, dass es die Gärtner’sche Kindermilch schlecht
verträgt, darnach bricht und nur wenig Nahrung zu sich nehme. Ich lasse jetzt Kunnilch verab¬
reichen, die im Verhältnis von 1 :1 mit dünnem Gerstenschleim verdünnt wird, dem entsprechende
Mengen von Milchzucker nebst soviel Roborat zugesetzt wird, dass auf ein Fläschchen (= ca. 150 ecru
1/2 Thceloffel voll davon kommt. Das Kind verträgt diese neue Nahrung vorzüglich, hat jetzt
Appetit und gedeiht zusehends.
Die günstige Wirkung des Roborats bei akuten Darrareizungen der Säuglinge verdient jeden¬
falls vollste Beachtung. Sobald man bei derartigen Zuständen sich genothigt sieht, die Milch auf
einige Tage auszpsetzen und an deren Stelle Getreidemehlsuppen zu reichen, so findet bekanntlich
eine Unterernährung statt. An dieser Thatsache ändert freilich auch der Zusatz von Roborat nichts,
aber es ist immerhin nicht bedeutungslos, dass täglich 10—15 g eines leicht verdaulichen Eiweiss-
korpers zugeführt werden, wodurch der höchst geringe Nährwerth der Suppen eine nicht unwesent¬
liche Aufbesserung erfährt. Dass das Roborat auch vom erkrankten Verdauungskanal des Säug¬
lings gut vertragen wird, kann weiter nicht wunder nehmen, da ja auch andere pflanzliche Eiweiss¬
stoffe sich ebenso verhalten; nicht zum mindesten dürfte die geringe Beimengung von Spaltpilzen
hierbei in Betracht zu ziehen sein.
Besonders hervorheben möchte ich noch die Anwendung des Roborats als Zusatz zur
Säuglingsmilch. Ich verfüge allerdings bisher nur über drei Fälle, bei denen sich diese Art der
Ernährung vortrefflich bewährte. Da das Roborat, welches aus Alcuronkömem hcrgestellt wird,
hauptsächlich aus Eiweisskörpem besteht, welche den Albumosen und Proteosen sehr nahe ver¬
wandt sind, so stehen meine Resultate in voller Uebereinstimmung mit den günstigen Erfahrungen,
welche man mit Albumosemilch machte. So wird z. B. von der Göttinger Klinik 1 ) aus empfohlen,
die Albumose unmittelbar als Pulver der Milchmischung zuzusetzen. Unter allen Umständen er¬
scheinen also weitere Versuche nach dieser Richtung hin durchaus angezeigt.
Nach meinen Erfahrungen ist das Roborat ein Eiweissnähnnittel, welches offenbar zu weiteren
ausgiebigen Versuchen in der Praxis auffordert. Da auch sein Preis ein billiger ist (1 kg kostet
5,40 Mk., 0,5 kg 2,70 Mk.), so werden sich dem besondere Schwierigkeiten nicht entgegenstellen.
Berichte über Kongresse und Vereine.
1.
Zur Frage der Beziehungen zwischen Menschen- und Rindertuberkulose. Referat auf Grund
der Verhandlungen des britischen Tuberkulosekongresses (1001. 22.—26. Juli) zusammengestellt
von Dr. Julian Marcuse (Mannheim).
Als Robert Koch im Jahre 1882 den Nachweis lieferte, dass er den Erreger der mensch¬
lichen Tuberkulose entdeckt hatte und bei dieser Gelegenheit mittheilte, dass er den nämlichen
Erreger nach seiner Form, Grösse und Pathogenität für kleine Versuchstiere zu urtheilen, auch in
den tuberkulösen Produkten der Thierc festgestellt habe, da war die allgemeine Anschauung, dass
nunmehr der Streit über das Verhältnis« der »Perlsucht« des Rindes zur Tuberkulose desMenschen
im Sinne der Einheit der beiden Krankheiten entschieden sei. Diese Anschauung fand ihren Aus¬
druck in einer Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, die, auf dem Boden der KocIrischen
Beweisführung stehend, seine Angaben wiederholten, in einer mehr oder minder peinlichen Gesetz¬
gebung der verschiedenen Staaten zur Vernichtung resp. Unschädlichmachung perlsüchtigen Rind-
ij Schreiber, Ucber die Behandlung der akuten Magen- und Dannkatarrhe der Säuglinge.
Aerztliehc Praxis 1808. No. 21.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
viehes und schliesslich in einer elementaren Volksüberzeugung von der Gefahr des Genusses der¬
artigen Fleisches bezw. der Milch solcher infizierter Thiere.
Der erste internationale Kongress zur Bekämpfung der Tuberkulose stellte sich voll und
ganz auf den bisherigen Standpunkt Koch’s, und das damalige Referat Virchow’s gipfelte bei
der Besprechung der Milchinfektion in dem Satze: »Radikale Hilfe würde nur gefunden werden
können, wenn man alle solche Thiere tötete«. Die neuesten Publikationen, ich erinnere nur an
das, an anderer Stelle besprochene Werk aus jüngster Zeit »Entstehung und Bekämpfung der
Lungentuberkulose« von Paul Jacob und Gotthold Pannwitz, stellten sich ebenfalls mit Recht
auf den allgemein bisher angenommenen Standpunkt von der Identität des Menschen- und Thier-
bacillus der Tuberkulose, von der wechselseitigen Uebertragbarkeit desselben und der dadurch
herbeigeführten Erzeugung derselben Krankheit. Dieser scheinbar allgemein gültige Standpunkt
ist von Koch auf dem letzten Tuberkulosekongress, welcher in den Tagen vom 22.-26. Juli in
London tagte, man kann wohl sagen zur Ueberraschung der gesammten Welt verlassen worden.
Es ist ja richtig, dass der Entdecker des Tuberkelbacillus sich in seiner grundlegenden Arbeit über
die Aetiologie der Tuberkulose mit grosser Vorsicht darüber ausgesprochen hat, wie sich die
Tuberkelbacillen der Thiere zu denen der Menschen verhalten. Er bezeichnete es als möglich, dass
später vielleicht Unterschiede zwischen den Bacillen der menschlichen und der thierischen Tuber¬
kulose ermittelt würden, vertrat aber nichtsdestoweniger die Ansicht, dass die thierische Tuber¬
kulose auf den Menschen übertragen werden könne und dass diese Gefahr, so klein oder so gross
sie auch sei, vermieden werden müsse. Seine jüngsten Mittheilungen auf dem Londoner Kongress
sind das Resultat von Versuchen, die er darüber anstellte, ob tuberkulöses Material von Menschen
die Hausthiere zu infizieren vermöge. Die Versuche, so äusserte er sich, hätten ergeben, dass
junge Rinder durch die Bacillen der menschlichen Tuberkulose nicht infiziert wurden, gleichgiltig
oh Sputum oder Reinkulturen verwendet wurden.
Neunzehn Stück junges Rindvieh, bei welchem durch vorherige Tuberkulininjektion die
völlige Gesundheit nachgewiesen worden war, wurden mit menschlichen Tuberkelbacillen infiziert,
welche theils aus Reinkulturen stammten, theils im Auswurf von Schwindsüchtigen suspendiert
waren. Die Infektion geschah entweder in der Weise, dass man den Thieren Sputum zu fressen
gab oder dass man theils subkutan, theils intraperitoneal, theils in die Jugularvene Bacillenmaterial
einspritzte. Keines dieser Thiere erkrankte, und bei der nach 6—8 Monaten gemachten Sektion
zeigte es sich, dass die Thiere keine Spur von tuberkulöser Veränderung innerer Organe hatten,
nur an den Einstichstellen fanden sich einige, kleine Tuberkel bacillen enthaltende Eiterherde, wie
man dies auch beobachtet, wenn man abgetötete Kulturen injiziert. Ganz anders dagegen ist das
Ergebniss gewesen, wenn Tuberkelbacillen aus der Lunge eines Rindes benutzt wurden. Die
Thiere erkrankten nach einer Inkubationszeit von etwa einer Woche ausnahmslos an den schwersten
tuberkulösen Veränderungen der inneren Organe und starben theils nach 1 1 — 2 Monaten, theils
wurden sie schwerkrank nach 3 Monaten getötet Bei der Obduktion fanden sich starke tuberkulöse
Infiltrationen an der Infektionsstelle und den benachbarten Lymphdrüsen und weit vorgeschrittene
tuberkulöse Veränderungen der inneren Organe, hauptsächlich der Lunge und der Milz. Durch die
Injektion in die Bauchhöhle wurden auch die für Perlsucht charakteristischen tuberkulösen Wuche¬
rungen auf dem Netz und Bauchfell erzeugt.
Ein fast ebenso scharfer Unterschied zwischen der Tuberkulose des Menschen und des Rindes
zeigte sich bei einem Fütterungsversuche an Schweinen. Sechs junge Schweine wurden drei Monate
lang täglich mit bacillenhaltigem Sputum, sechs andere mit Perlsuchtbacillen gefüttert. Die ersteren
blieben gesund und wuchsen kräftig heran, die mit Perlsuchtlymphe dagegen w urden bald kränklich
und blieben im Wachsthum zurück, und die Hälfte davon starb. Nach 3 V 2 Monaten wurden die über¬
lebenden Schweine sämmtlich getötet. Bei den mit Sputum gefütterten Schweinen fand sich keine
Spur von Tuberkulose, mit Ausnahme vereinzelter kleiner Knötchen in den Halsdrüsen und in einem
Falle weniger grauer Knötchen in der Lunge. Die Thiere dagegen, w r elche Perlsuchtbacillen ge¬
fressen hatten, zeigten wiederum ausnahmslos schwere tuberkulöse Erkrankungen, besonders
tuberkulöse Infiltration der stark vergrösserten Ilalslymphdrüsen und der Mesenterialdrüsen; regel¬
mässig fand sich auch ausgebreitete Tuberkulose der Lungen und der Milz. Auch bei Eseln,
Schafen, Ziegen, denen die beiden Arten von Tuberkelbacillen in die Blutbahn injiziert wurden, trat
der Unterschied zwischen menschlicher und Rindertuberkulose in ebenso scharfer Weise hervor.
Die Schlüsse, die nun Koch aus seinen zusammen mit Schütz angestellten Untersuchungen zieht,
sind folgende: Die menschliche Tuberkulose ist von der des Rindes verschieden und lässt sich auf
das Rind nicht übertragen. Die umgekehrte, w r eit wichtigere Frage, ob die Rindertuberkulose auf
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44fi Berichte über Kongresse und Vereine
den Menschen übertragbar sei, müsse erst noch entschieden werden. Hier lassen sich naturgemäß
keine Experimente in vivo machen, man muss daher versuchen, der Lösung dieser Frage mittelbar
näher zu kommen. Die in Gressstädten genossene Milch und Butter enthält, wie jetzt feststeht,
grosse Mengen von Tuberkelbacillcn, es müsse daher nach Aufnahme dieser Nährmittel ein grosser
Theil der Menschen an primärer Darm tuberkulöse erkranken. Diese Krankheit ist aber, wie zahl¬
reiche Statistiken beweisen, ausserordentlich selten, und man kann daher sich leicht vorstellen, das?
die ab und zu auftretenden Fälle von Darmtuberkulose durch den menschlichen Tuberkelbacillus
hervorgerufen werden, welcher auf irgend eine Weise in den Mund und von dort mit dem Speichel
vermischt in den Darm gelangt ist. So kommt Koch zu folgendem Ilesumö: »Wenn die wichtige
Frage, ob der Mensch überhaupt empfänglich für Perlsucht ist, auch noch nicht vollkommen ent¬
schieden ist und sich sobald nicht entscheiden lassen wird, so kann man doch jetzt schon
sagen, dass, wenn eine derartige Empfänglichkeit bestehen sollte, die Infektion von Menschen nur
sehr selten vorkommt. Ich möchte daher die Bedeutung der Infektion mit Milch, Butter und Fleisch
tuberkulösen Viehes nicht für grösser erachten, als diejenige der Vererbung der Krankheit, und ich
halte es nicht für räthlich, gegen die Rindertuberkulose irgend welche Maassregeln zu ergreifen.«
Diese Koch’schen Mitteilungen haben begreiflicher Weise die allgemeinste Ueberraschung
hervorgerufen, nicht nur auf dem Kongress selbst, sondern wie natürlich in der gesaminten Welt;
bedeuten sie doch das Aufgeben einer Meinung, die nahezu drei Jahrzehnte alle unsere Maass¬
nahmen hygienischer, sanitärer wie volkswirtschaftlicher Art beherrscht hat und die, man kann es
ruhig sagen, geradezu zu einem Gemeingut der Menschheit geworden ist. Dem gegenüber sind
Zweifel, selbst unter Annahme der autoritären Stellung Robert Koch’s, berechtigt, und sie fanden
ihren Ausdruck in einer Reihe von Meinungsäusserungen der Kongressteilnehmer. Bevor wir die¬
selben jedoch referierend mittheilen, mögen einige mit Koch übereinstimmende und vor seinen
jüngsten Auslassungen bereits publizierte Untersuchungen an dieser Stelle mitgeteilt sein, die
Ostertag in einem sehr interessanten Aufsatzi) zusammengestellt hat.
Pütz hat bereits auf der Naturforscherversammlung im Jahre 1882 darüber berichtet, dass
er drei Kälbern tuberkulöses Material mit dem Futter beibrachte, in die Unterhaut und in die Bauchhöhle
verimpfte, ohne dass die Versuchstiere tuberkulös wurden. Er folgerte hieraus, dass eine Uebertragung
der Tuberkulose des Menschen auf das Rind im gewöhnlichen Verkehr äusserst selten oder gamicht
vorkomme, und dass ferner die umgekehrte Infektion, die des Menschen, durch Perlsuchtvirus noch
keineswegs erwiesen sei. Beiläufig bemerkt, ist Schütz, der mit Koch gemeinsam die jüngsten
Untersuchungen anstellte, damals diesen Ausführungen entgegengetreten, indem er erklärte, dass die
Identität des Tuberkel- und des Perlsuchtvirus mit Sicherheit nachgewiesen sei. Schütz hat diese
Versuche später bei zwei Kälbern wiederholt und hierbei einem der Thiere auch eine Tuberkelbacillen¬
reinkultur in die Lunge gespritzt, ohne wesentlich andereVersuchsergebnissc zu erhalten, wie bei seinen
ersten Ucbertragungsversuchen. Ferner hat Theobald Smith sehr eingehende Untersuchungen
über das Verhältnis der Menschentuberkulose zur Hausthiertuberkulose angestellt. Smith arbeitete
mit sieben Kulturen von Menschen, sechs Kulturen von Rindern und je einer vom Schwein, von der
Katze, vom Pferd und einer aus einem zweifelhaften Falle. Er stellte verschiedene Unterscheidungs¬
merkmale zwischen dem Erreger der menschlichen und der Rindertuberkulose fest. Er fand, das?
die Tuberkelbacillen des Rindes viel w eniger als diejenigen des Menschen durch Modifikationen des
Nährbodens beeinflusst werden, und dass die Rindertuberkulosckulturen viel virulenter sind als die
aus menschlichem Sputum stammenden und, im Gegensatz zu letzteren, nicht nur Meerschweinchen,
sondern auch Kaninchen töteten Auch Smith ist es nicht gelungen, durch Verimpfung mensch¬
licher Tuberkelbacillen Kälber tuberkulös zu machen. Weiterhin hat Frothingham sowohl Sputum
als auch Reinkulturen menschlicher Tuberkelbacillen auf Kälber subkutan, intratracheal und intra¬
peritoneal verimpft. Eines der mit Sputum geimpften Kälber liess einige Tuberkel bacillen in der
Leber erkennen, ein zweites zeigte nur Veränderungen an der Impfstelle, während bei einem dritten
keinerlei Läsionen nachzuweisen waren. Die in die Luftröhre und in die Bauchhöhle mit Rein¬
kulturen geimpften Kälber wurden nicht sicher tuberkulös, und Frothingham schloss aus seinen
Versuchen, dass Kälber für die Infektion mit menschlichen Tuberkel bacillen nicht sicher empfänglich
seien. Endlich hat Gaiser auf Veranlassung Baum gart ens ein Kalb mit menschlichen Tuberkel
bacillen geimpft, ohne dass es ihm glückte, »Perlsucht« zu erzeugen. Aus alledem ist ersichtlich,
dass es an Versuchen im Sinne der neuesten Koch’sehen Ergebnisse nicht gefehlt hat, dass man
i) Ostertag, Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen zur Hausthiertuber¬
kulose. Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene 1901. Heft 12.
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Berichte über Kongresse und Vereine. 447
jedoch bisher nie zu abschliessenden Resultaten gelangte, die sich zu den weittragenden Schlüssen,
wie sie auf dem Londoner Kongress gezogen wurden, verdichtet hätten. Robert Koch war es Vor¬
behalten, auf Grund des Ausfalls seiner Versuche über die Uebertragbarkeit der Menschentuberkulose
auf das Rindvieh den Rückschluss auf die Uebertragbarkeit der Thiertuberkulose auf den Menschen
zu machen und die Maassnahmen, welche Wissenschaft wie Praxis gegen die Verschleppung von
Tuberkelbacillen-mittels der Milch und des Fleisches tuberkulöser Thiere bisher als geboten erachtet
haben, mehr oder minder für irrelevant zu erklären. Demgegenüber hat sich der Londoner Kongress
auf den bisher wohl von allen Aerzten getheiltcn Standpunkt gestellt, indem er in seiner Resolution
folgendes sagte: «Nach der Ansicht dieses Kongresses und im Lichte der in seinen Sitzungen statt¬
gefundenen Verhandlungen sollen die sanitären Behörden weiter alle ihnen zustehende Macht dazu
anwenden und keine Anstrengungen unterlassen, um die Verbreitung der Tuberkulose durch Fleisch
und Milch zu verhindern«. Ausserdem wurden die Regierungen »angesichts der Zweifel, welche be¬
züglich der Identität der menschlichen Tuberkulose mit der des Rindes ausgesprochen sind«, zur
Vornahme staatlicher Untersuchungen aufgefordert. Im Zusammenhang damit bewegteu sich auch
die Ausführungen der verschiedenen Redner, — so sehr man Koch’s Forschungen und seinen
Untersuchungen Anerkennung bezeugte, — in einer ausserordentlich vorsichtigen Stellungnahme; sie
gipfelte allgemein darin, dass man vorläufig der Theorie, dass der Tuberkelbacillus des Rindes sich
auf den Menschen nicht übertragen lässt, auf Grund der bisherigen Versuche und Erfahrungen mit
aller Energie widersprechen, und dass die bisher zur Vermeidung der Uebertragung der Rinder¬
tuberkulose auf den Menschen allerwärts getroffenen Maassregcln mit vollem Nachdruck und im
ganzen Umfange aufrecht erhalten werden müssen. Dies der Tenor der Ausführungen von Earl
Spencer, von Brown, Nocard, Hamilton, Crookshand, Woodhead und anderen. Am ein¬
gehendsten beschäftigte sich mit der Frage Mc Fadyean, indem er unter Rekapitulation der Koch¬
sehen Ausführungen folgendes dagegen hielt: Wahrscheinlich haben die Tuberkelbacillen des Menschen
eine geringere Virulenz als die des Rindes und werden daher letzteres nicht leicht infizieren können.
Nun ist aber der Tuberkelbacillus des Rindviehes nicht nur für das Rind, sondern auch für eine
grosse Reihe anderer vierfüssiger Säugethiere, wie Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde, Hunde etc.
virulent; und da die Erfahrung lehrt, dass, wenn der Bacillus eines Thieres nicht nur für dieses
Thier, sondern auch für eine grosse Reihe anderer Thiere virulent ist, derselbe auch bei Menschen
die betreffende Krankheit hervorruft, so ist es sehr wahrscheinlich, dass der Bacillus der Rinder¬
tuberkulose auch bei Menschen krankheitserregend wirkt. Sodann ist es absolut noch nicht sicher
festgestellt, dass der Bacillus der Rindertuberkulose einen anderen Virulenzgrad besitzt als derjenige
der Menschen: denn einmal ist es leicht möglich, dass der Rinderbacillus beim Passieren des mensch¬
lichen Körpers an Virulenz verliert, und zweitens besteht schon zwischen den Bacillen einer einzigen
Art eine grosse Differenz in Bezug auf ihre Virulenz.
Was nun die Frage der primären Darm tuberkulöse anbetrifft, so weicht die englische Statistik
von der seitens Koch zitierten — dieser hatte angeführt, dass unter dem grossen Obduktionsmaterial
des Charitökrankenhauses in fünf Jahren nur zehn Fälle von primärer Darmtuberkulose vorgekommen
seien, und dass sowohl Baginsky wie Biedert nur verschwindend wenige Fälle von Darrn-
tnberkulose bei Kindern ohne gleichzeitige Erkrankung der Lunge und Bronchialdrüsen gesehen
hätten — erheblich ab. Dr. Still vermochte an dem Sektionsmaterial eines Londoner Kinder¬
hospitals 29,1 o/ 0 der Fälle von Kindertuberkulose auf primäre Darm tuberkulöse zurückzuführen,
I>r. Shevann in Edinburgh 28,1 °/ 0 . Die beiden Statistiken umfassen 547 Fälle, die Diagnosen sind
sicher gestellt Nach diesen Zahlen ist in England primäre Darmtuberkulose bei Kindern nicht nur
nicht selten, sondern geradezu häufig. Zweitens lässt sich sehr oft bei der latenten Entwicklung
und dem schleichenden Verlauf der Krankheit die primäre Infektionsstelle nicht mehr feststellen, und
drittens ist man allmählich gewöhnt, alle Fälle der bei Kindern so häufigen Tabes mesenterica auf
den Genuss von bacillenhaltiger Milch zurückzuführen. Mc Fad yean machte ferner darauf auf¬
merksam, dass durch die von Koch und Schütz bei Schweinen angestellten Versuche die Ueber-
tragungsmöglichkcit der menschlichen Tuberkulose auf das Schwein dargethan sei. Denn bei den
mit Sputum tuberkulöser Menschen gefütterten Schweinen entwickelten sich »vereinzelte kleine
Knötchen in den Lymphdrüsen des Halses« und in einem Falle »etliche graue Knötchen« in den
Lungen. Mithin würde für die Tuberkulose des Schweines schon nach den von Koch und Schütz
angestellten Uebertragungsversuchen das Verhältnis heute noch ebenso liegen, wie es Koch in
seiner grundlegenden Arbeit präzisiert hat, indem er sagte: Mag nun die Gefahr, welche aus dem
Uenuss von perlsüchtigcm Fleisch und Milch resultiert, noch so gross oder noch so klein sein, vor¬
handen ist sie und muss deswegen vermieden werden. Zusammenfassend äussert sich Mc Fadyean
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448
Bericht© über Kongresse und Vereine.
folgendermaassen: Die Grösse der Gefahr kann nicht dadurch festgestellt werden, dass man etwa
konstatiert, wieviel Menschen auf dem eben genannten Wege jährlich infiziert werden, oder wieviel
Prozent der Menschen, welche überhaupt an Tuberkulose erkranken, durch den Genuss von Material
pcrlsüchtigen Viehes erkrankt sind. Aber gleichzeitig ist die Thatsache der grossen Gefahr de?
Genusses solchen Materiales über allen Zweifel erhaben, da gegenwärtig noch Milch ein Vehikel ist.
durch welches Tuberkelbacillen in den menschlichen Körper eingeführt werden.
Zu diesen Argumenten brachten einige Redner weiteres Material, so vor allem Ravenei. der
von mehreren Fällen von Hauttuberkulose bei Thierärzten berichten konnte. Die Veränderungen
waren hierbei die gleichen, wie sie bei den pathologischen Anatomen infolge Umgangs mit
tuberkulösem Material von Menschen auftreten. Ravenei hat selbst seit mehreren Jahren Ex¬
perimente mit thierischen und menschlichen Tuberkelbacillen angestellt und dabei folgendes gefunden:
Die Bacillen beider Quellen waren in ihrer Kultur gut gerathen, aber von einander sehr verschieden.
Der thierischc Bacillus war für alle Versuchsthiere mit Ausnahme des Schweines virulenter als der
menschliche. Er hatte stärkere pathogene Kraft für den Menschen, speziell in jüngeren Lebensjahren
Hinsichtlich des letzteren Umstandes konnte er fünf Fälle von Tuberkulose beim Menschen konstatieren,
die direkt von Thieren herstammten, ln ähnlichem Sinne äusserten sich noch Nocard — dieser
erwähnt eine Angabe, nach welcher in einem armen Theile Frankreichs (Bauce) die Bauern während
des Winters in den Kuhställcn wohnen und infolgedessen die Verbreitung der Tuberkulose bei den
Rindern und den Menschen parallel gehe —, ferner Bang, Sims Woodhead u. a. Besondere Be¬
achtung verdienen die Ausführungen des greisen Lister, der sein Urtheii über Kocli’s Angaben
dahin zusammenfasst: »Koch hat gezeigt, dass menschliche Tuberkulose sehr selten, wenn über¬
haupt auf Rinder zu übertragen ist. Aber für den umgekehrten Satz, der unvergleichlich grössere
Wichtigkeit besitzt, dass nämlich Rindertuberkulose nicht auf den Menschen übertragbar ist, besteht,
ich wage es zu sagen, kein zwingender Beweis. Wäre es richtig, so w r äre dies ja eine ungeheure
Vereinfachung der Vorsichtsmaassregeln, aber sehr betrübend wäre es, wenn die jetzt bestehenden
Maassnahmen aufgehoben und die Annahme unrichtig wäre. Weitere Nachforschungen sind ausser¬
ordentlich wichtig, und sie allein werden die Lösung bringen.« Sein Vorschlag, einen Ausschuss
ins Leben zu rufeu, der sich mit der Prüfung der von Koch angeregten Fragen beschäftigen soll,
hat eine rasche Erledigung gefunden: Vor wenigen Tagen konnten die Zeitungen mittheilen, dass
ein Staatsausschuss in England gebildet wurde, der folgende Fragen zu untersuchen hat: 1. ob
die Tuberkulose bei Menschen und Thieren ein und dieselbe ist; 2. ob Thiere und Menschen
wechselweise damit angesteckt werden können; 3. unter welchen Bedingungen, wenn überhaupt,
die Uebertragung der Krankheit von Thieren auf den Menschen stattfindet und welche Umstände
für eine solche Uebertragung günstig oder ungünstig sind.
Damit wird ein endgültiges Wort über diese die ganze Welt bewegende Frage erst in der
Zukunft gesprochen werden, und wir müssen uns bis dahin bescheiden, die Argumente von Pro¬
fessor Koch wohl als ausserordentlich interessante und als neue Darlegungen, nicht aber als
zwingende Beweismomente anzusehen.
II.
14. internationaler Kongress zu Madrid 1902.
Seitens der Leitung des 14. internationalen Kongresses, welcher unter dem Patronat Seiner
Majestät Königs Alfons XIII und der Königin Mutter-Regentin in den Tagen vom 23- bis 30. April
in Madrid tagen wird, gelangt bereits jetzt ein kurzes Programm zur Versendung. Wir entnehmen
demselben, dass der Kongress in P> verschiedene Sektionen zerfallen wird; dieselben werden un¬
gefähr die gleichen Gebiete umfassen, wie diejenigen, welche auf dem 13. Kongresse zu Paris ab¬
gehandelt wurden. — Der Mitgliedsbeitrag beträgt 30 Pesetas; die die Mitglieder begleitenden Damen
w erden auf Eisenbahnen u. s. w die gleichen Preisermüssigungen haben, wie die Mitglieder selbst,
und dürfen aiulen Festen und Ueremonieen während des Kongresses theilnehmen; ihre Beitritts karte wird
12 Pesetas kosten. Nähere Mittheilungen über die Veranstaltungen des Kongresses u. s. w\ werden
demnächst erfolgen, und es wird voraussichtlich sich anfangs des nächsten Jahres ein deutsches
Komitee bilden, welches in ähnlicher Weise wie für die Kongresse in Paris, Rom u. s. w. fun¬
gieren wird. K.
H«*rliu. Di'Ut k vmi \V Hiixrii-frin.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1901/1902. BandY. Heft 6.
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldseheider und Priv.-Doe. Dr. P. Jacob.
Vertag von Georg Thleme in Leipzig.
INHALT.
I. Original-Arbeiten.
I. Ueber die Lichtbehandlung von Hautaffektionen nach der Finsen’schcn Methode. Von
Professor Dr. E. Lesser in Berlin. Mit 2 Abbildungen.451
II. Ueber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung unter
physiologischen und pathologischen Verhältnissen. Aus dem pathologisch-chemischen
Laboratorium der K. K. Krankenanstalt »Rudolfs-Stiftung« in Wien (Vorstand:
Dr. Ernst Freund.) Von Dr. Leopold Läufer, Sekunaararzt.458
III. Vereinfachtes Gerath für manuelle Heilgymnastik. Von Dr. S. Salaghi, Professor der
physikalischen Therapie an der Konigl. Universität Bologna. Mit 5 Abbildungen . 471
IV. Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose.
Von Professor Dr. Ostertag in Berlin..476
IL Kritische Umschau.
I. Die neuesten Resultate der Sehnentransplantationen bei peripherischen Lähmungen. Von
Rudolf Noehte, Unterarzt.490
H. Diätetisches aus Russland. Zusammenfassender Bericht von Dr. A. Dworetz ky in
Riga-Schreyenbusch.495
HL Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (ErnShrungstherapie).
Schlesinger, Die Bereitung der Krankenkost ..504
St rau ss, Untersuchungen über die Resorption und den Stoffwechsel bei Apepsia gastrica
mit besonderer Berücksichtigung der pcrniciösen Anämie.. 504
Schreiber, Ueber die Verwendung frischen Kaseins in der Ernährung.505
Herzen, Einfluss einiger Nahrungsmittel auf die Menge und den Pepsingehalt des Magensaftes 505
Freund und Freund, Beiträge zum Stoffwechsel im Hungerzustande.506
v. Bunge, Der wachsende Zuckerkonsum und seine Gefahren.506
Voit, Die Grösse des Eiweisszerfalls im Hunger.. 507
Blnmenthal und Wohlgemuth, Ueber Glykogenbildung aus Eiweiss. 507
Roos, Zur Verwendung von Pflanzeneiweiss als Nährmittel.507
Spiegler, Ueber den Stoffwechsel bei Wasserentziehung ..508
Kaufmann, Stoffwechselbeobachtung bei einem mit Nebennierensubstanz behandelten Fall
von Morbus Adisonii.508
Knöpfeimacher, Die Nahrungsmengen im Säuglingsalter.. 508
Josiäs und Roux, Essai sur le traitement de la tubcrculose pulmonaire chez les enfantspar
le sörum musculaire, suivant le procödö de M. M. Charles Richet et Hericourt 509
Kisch, Entfettungskuren.510
Fränkel, Die Verwendung des Alkohols in der Behandlung der Infektionskrankheiten . . 510
Hevillet, Ueber Erfahrungen bezüglich der Uebertragung der Tuberkulose auf Kinder durch
den Genuss tuberkelbacillenhaltiger Milch.511
Pot&pow-Pracaitis, Influence de quelques principes alimentaires sur la söcrötion du suc
« ue et sa richesse en pepsine.511
th, M.D., The relation of scurvey to recent methods of artificial feedings . 512
Zeiteohr. t diät u. ph/aik. Therapie Bd. V. Heft 6. 31
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Original fro-rn
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450
Inhalt
B. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Wolpert, Di© Ventilation ..
Tarabrin, Zur Behandlung der Geschwüre mit strahlender Wirme.
Alapy, Balneotherapeutiscne Behandlung der tuberkulösen Gelenks- und Knochenkrankheiten
bei Kindern...
Sarason, Ueber Wasserkuren im Rahmen der wissenschaftlichen Heilkunde.
Hecht. Die Heissluftbehandlung bei chronischen Mittelohreiterungen.
Stil*
513
513
514
514J
51 ')
C. Gymnastik und Massage, Liegekuren.
Erlenmever, Ueber die Bedeutung der Arbeit bei der Behandlung von Nervenkranken in
Nervenheilanstalten.515
Naumann, Ueber die Luftliegekur bei der Behandlung der chronischen Lungentuberkulose 516
Cautru, Massage abdominal.516
Dagron, Massothdrapie.. .. ...517
D. Orthopädie nnd Apparatotherapie.
Thiersch, Ueber Korsett und Reformkleidung.518
Friedlinder, Beitrag zur mechanischen Behandlung der Lungentuberkulose.519
E. Elektrotherapie.
Cleaves, Arthritis deformans and the benefits of electrica! treatment.519
Kienböck, Ueber die Einwirkung des Röntgenlichtes auf die Haut.520
Schatzky, Die Grundlagen der therapeutischen Wirkung der Franklinisation.521
Frankenhiuser, Die praktische Verwerthung der elektrochemischen Erscheinungen für die
Balneotherapie.•.522
Minine, Ueber ein vereinfachtes Verfahren der Lupusbehandlung durch die Phototherapie . 523
F. Verschiedenes.
Shukowsky, Die englische Krankheit und ihre Unabhängigkeit von der relativen Luft¬
feuchtigkeit .523
Hagen-Torn, Die englische Krankheit, ihre Symptome, ihr endemischer Charakter und ihre
Abhängigkeit von der relativen Feuchtigkeit der Luft.*23
Spassokukotzky, Die Kapillardrainage bei. Hydrops anasarca kardialen Ursprungs . . . 524
Schwarz, Ueber die mechanische Behandlung der Hydropsien kardialen Ursprungs ... 524
Maslennikow, Die mechanische Behandlung allgemeiner Oedeme.524
D ehio, Ein Apparat zur mechanischen Behandlung des Hydrops anasarca und Untersuchungen
über die chemische Zusammensetzung der Oedemflüssigkeit ..524
Einhorn, Mendelsohn und Rosen, Die Prophylaxe in der inneren Medicin.526
Sorgo, Zur Diagnose der Aneurysmen der Aorta und der Arteria anonyma und über die
Behandlung derselben mit subkutanen Gelatineinjektionen.526
Sellentin, Zeitgemässe Aufklärungen über einige Grundfragen wissenschaftlicher Heilkunde 527
Jaboulay, Einspritzungen von Chininlösungen in den Canalis sacralis.527
Epidurale Kokaininfusionen. 528
E w a r t und D i c k i n s o n, Ueber die Behandlung des chronischen Hydrocephalus durch
Behla, Die Karcinomlitteratur...628
Fürst, Ueber den Tod durch giftige Gase. 528
Zeitschrift des Deutschen Vereins für Volkshygiene Heft 23—26 . 529
Börner 1 s Reichs-Medicinal-Kalender 1902 .. 529
IV. Kleinere Mittheilungen.
I. Bemerkungen zu Dr. M. Einhorn’s Artikel: Ueber Sitophobie intestinalen Ursprungs.
Von Dr. R. v. H o e s s 1 i n, dirigierendem Arzt der Kuranstalt Neuwittelsbach in München 529
H. Mittheilung aus der Klinik , der Aerzte L. Bucholtz und A. Grasmück in Saratoff.
. Von Dr. L. Bucholtz . ..530
V. Berichte Uber Kongresse und Vereine.
I. Bericht über die zweite Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder.
Von Dr. Theodor Mayer in Berlin.531
II. Aus französischen Gesellschaften ..535
III. Ueber den 14. Internationalen Kongress zu Madrid 1903 . 530
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Original - Arbeiten,
I.
Ueber die Lichtbehandlung von Hautaffektionen nach der .
Finsen’schen Methode.
Von
Professor Dr. E. Lesser
in Berlin.
Es ist ein grosses und unbestreitbares Verdienst von Niels R. Finsen, die
Lichtbehandlung von [Hautaffektionen durch jahrelange, konsequent fortgeführte
Versuche auf eine jetzt bereits völlig gesicherte Basis gestellt und diese Basis durch
eine grosse Reihe experimenteller Untersuchungen wissenschaftlich begründet zu
haben. Nur derjenige, welcher sich selbst mit dieser Behandlungsmethode beschäf¬
tigt, vermag zu beurtheilen, welche zähe Energie, welches Ueberzeugtsein von der
Richtigkeit der zunächst rein theoretisch gefundenen Voraussetzungen für das Ein¬
treten des Erfolges dazu gehört, um die Versuche wirklich bis zum Resultate durch-
znfQhren. Denn gerade bei der in allererster Linie in Betracht kommenden Er¬
krankung, dem Lupus, dauert es geraume Zeit, ehe von dem günstigen Einfluss der
Behandlung überhaupt etwas zu sehen ist. Und da ausserdem noch in der ersten
Zeit grosse technische Schwierigkeiten zu überwinden waren, da sicher auch im
Anfang die Bereitwilligkeit der Kranken, sich ohne weiteres dem scheinbar keine
Hilfe bringenden unbequemen Verfahren immer noch länger zu unterwerfen, nur
durch standhafte Energie seitens des Arztes erreicht werden konnte, so bedurfte es
wirklich einer gewissen Entdeckerbegeisterung, um in der kurzen Zeit die Methode
so weit zu bringen, wie es durch Finsen geschehen ist. Die zähe Beharrlichkeit
des Nordländers — Finsen ist gebürtig von den Färöer und ist Student von Reyk¬
javik — ist gewiss nicht ohne Bedeutung hierbei gewesen.
Wie bekannt, ist Finsen von den Erfahrungen über die irritierende Wirkung
des Lichtes, die man bei einigen Krankheiten, besonders bei' den Pocken, gemacht
hatte, ausgegangen. Basierend auf dem schon im Mittelalter und auch jetzt in einigen
Ländern, so in Rumänien, Tonkin, Japan geübten Verfahren, Pockenkranke in rothe
Decken einzuhüllen oder in Zimmern, die mit rothen Teppichen verhängt sind, unter¬
zubringen, schloss er Pockenkranke in Räume ein, in welche das Tageslicht nur
durch rothe Vorhänge oder Scheiben eindringen konnte. Der Erfolg war ein ganz
eklatanter. Wenn die Kranken nur hinreichend früh dem gewöhnlichen Tages¬
licht entzogen waren, verlief nicht nur die örtliche Affektion, sondern auch die
Allgemeinerkrankung in wesentlich milderer Weise als sonst. Die Pustelbildung und
das Suppurationsfieber blieben aus, die Pockenefflorescenzen heilten selbst in Fällen
31*
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E. Lesser
452
mit aasgebreitetem Exanthem fast ohne Narbenbildung ab. Finsen schloss hieraus,
dass im andern Falle die hier' abgehaltenen Theile des Lichtes, also im wesentlichen
die blauen, violetten und ultravioletten Strahlen, kurz die chemisch wirkenden
Strahlen des Lichtes eine entzündungserregende oder entzündungssteigernde, eine
gewebsschädigende Wirkung auf die Pockenefflorescenzen ansübten, die den lokal
und allgemein schwereren Verlauf in den nicht in dieser Weise geschützten Fällen
verursachen. Diese Anschauung fand ihre weitere Bestätigung in den bei einigen
Hauterkranknngen gemachten Beobachtungen, so bei Xeroderma pigmentosum,
Hydroa vacciniformis u. a.
Hieran schloss sich nun der Gedanke, umgekehrt diese schädlichen, entzündungs¬
erregenden Wirkungen des Lichtes, der chemisch wirksamen Theile des Spektrums,
in therapeutischer Absicht zur Heilung von Hautaffektionen zu benutzen. Freilich
kamen dazu noch die Erfahrungen, die schon früher über die pilz- und bakterien¬
tötende Wirkung des Lichtes gemacht waren und die von Finsen und seinen Schülern
in mustergiltiger Weise fortgesetzt worden sind. Diese Untersuchungen haben er¬
geben, dass das Licht, und zwar hauptsächlich die blauen, violetten und ultravioletten
Strahlen eine Bakterienkultur zu töten vermögen. Darüber, dass wirklich die Licht¬
strahlen und nicht etwa die Wärmestrahlen diesen Einfluss ausübten, konnte kein
Zweifel bestehen, da die Versuchsanordnung in der Weise getroffen war, dass die
Wärmewirkung vollständig ausgeschlossen wurde. Diese bakterientötende Wirkung
erwies sich als eine so prompte und exakte, dass dieselbe im Finsen’schen Institut
regelmässig als Kontrolle angewendet wird, um festzustellen, ob die zur Licht¬
behandlung dienenden Apparate richtig funktionieren.
Auf diesem Wege kam Finsen nun dazu, in erster Linie die Behandlungs¬
versuche mit dem Lupus, einer sicher durch Bakterien hervorgerufenen Hautaffektion
zu beginnen. Freilich, es war noch eine grosse Schwierigkeit zu überwinden. Selbst
in denjenigen Fällen, in denen die lupöse Infiltration verhältnissmässig oberflächlich
ist, erstreckt sie sich natürlich doch immer bis in eine gewisse Tiefe, und es war
fraglich, ob die hier in Betracht kommenden Theile des Spektrums so weit einzu¬
dringen vermögen. Es war von vornherein klar, dass das Blut ein grosses Hinderniss
hierfür sein muss, denn es wirkt natürlich genau so, wie die rothe Scheibe in der
Dunkelkammer des Photographen — es lässt die chemisch wirksamen Strahlen nicht
passieren. So ergab sich die Nothwendigkeit, die zu behandelnden Theile durch
Kompression möglichst blutleer zu machen.
Mit wenigen Worten möchte ich noch vor der speziellen Beschreibung der Be¬
handlungsmethode auf eine allgemeine Frage von erheblicher Wichtigkeit eingehen,
nämlich die Frage, welche Eigenschaften des Lichtes es denn eigentlich sind, die
den günstigen Erfolg herbeiführen. Es kommen zwei Eigenschaften in Betracht:
die gewebsschädigende und dadurch entzündungserregende Wirkung, und
zweitens die bakterientötende Wirkung des Lichtes. Im Grunde genommen
handelt es sich hier ja freilich nicht um verschiedene Wirkungen, sondern um eine
und dieselbe Eigenschaft; denn es ist doch offenbar ganz genau derselbe Vorgang,
wenn gewisse Lichtstrahlen eine Zelle des menschlichen Körpers in ihren vitalen
Eigenschaften schädigen und schliesslich zum Absterben bringen oder wenn sie eine
Bakterienkultur abtöten, in welcher schliesslich jeder einzelne Mikroorganismus doch
auch nichts anderes als eine lebende Zelle ist. Aber freilich für die Erklärung
der heilenden Wirkung bei Lupus wird es doch von Wichtigkeit und jedenfalls von
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Ueber die Lichtbehandlung von Hautaffektionen nach der Finsen’scben Methode. 453
Interesse sein, unterscheiden zu können, ob die Heilung durch Vernichtung der
lupösen Zellinfiltrate als solcher oder im wesentlichen durch die Tötung der Tuberkel¬
bacillen zu stände kommt. Während Finsen ursprünglich das Hauptgewicht auf
die bakteriziden Eigenschaften der chemisch wirksamen Strahlen legte, neigt sich
die Meinung jetzt mehr und mehr dazu, die gewebsschädigende, entzündungserregende
Wirkung in den Vordergrund zu stellen.
Die günstige Einwirkung auf die lupösen Infiltrate ist ja auch auf diese Weise
gut zu erklären. Ein Nocens, welches auf die erkrankte Haut wirkt, wird am
schnellsten diejenigen Zellen oder Gewebe so weit schädigen, dass sie dem Unter¬
gänge anheimfallen, welche am wenigsten widerstandsfähig sind, und es ist klar,
dass dies für die lupöse Infiltration zutrifft. Auf dieser Grundlage beruhen ja
schliesslich alle Methoden der Lupushandlung durch lokale Zerstörung, sei es durch
die Glühhitze, die Skarifikation oder die Anwendung der verschiedenen Aetzmittel.
Die Güte des Erfolges bei der einzelnen Methode hängt eben davon ab, in wieweit
es möglich ist, die Schädlichkeit des angewendeten Mittels so abzustufen, dass das¬
selbe die kranken Partieen so vollständig wie möglich zerstört, während die ge¬
sunden Partieen keine dauernde Schädigung erleiden, sondern von dem anfänglich
zwar bestehenden Entzündungszustand sich wieder erholen. Je mehr eine Lupus¬
behandlung sich diesem Ideal — völlige Zerstörung des Kranken bei völligem
Erhaltenbleiben des Gesunden — nähert, desto bessere Resultate wird sie geben
sowohl bezüglich der Heilung wie bezüglich des kosmetischen Effektes.
Dass nun die Fi ns en’sche Behandlungsmethode in dieser Hinsicht allen andern
lokalzerstörenden Methoden überlegen ist, darüber kann schon jetzt kein Zweifel
mehr bestehen. Mit keiner Methode wird ein so gutes kosmetisches Resultat erreicht,
und wenn auch über die Dauer der Heilung ein abschliessendes Urtheil noch nicht
möglichst, so kann doch schon jetzt gesagt werden, dass es unter allen Umständen
günstiger ausfallen wird als bei den andern lokalzerstörenden Methoden. Ich möchte,
um Missverständnissen vorzubeugen, hier ausdrücklich einschalten, dass ich natürlich
die Exstirpation des Lupus hier nicht in Vergleich ziehe, da diese, wenn sie unter
geeigneten Umständen und in geeigneter Weise gemacht wird, zur definitiven Heilung
führt. Aber freilich, je grösser die lupöse Infiltration ist, desto unsicherer wird
schliesslich die Aussicht auf definitive .Heilung auch bei dieser Methode, ganz ab¬
gesehen davon, dass der kosmetische Effekt in diesen Fällen gewöhnlich viel zu
wünschen übrig lässt.
Aber es fragt sich, ob .nicht doch die bakterientötende Eigenschaft des Lichtes
auch eine Rolle spielt. Es ist selbstverständlich, dass man die an Kulturen ge¬
machten Erfahrungen nicht ohne weiteres auf die im Organismus befindlichen Bakterien
übertragen kann; aber nach allerdings noch nicht abgeschlossenen Versuchen, die
Herr Nagelschmidt an dem hiesigen Universitätsinstitut für Lichtbehandlung gemacht
hat, scheint das Licht doch auch auf die im Gewebe befindlichen Tuberkelbacillen
eine vernichtende Wirkung auszuüben, und schliesslich ist es ja garnicht unmöglich,
dass die schädigende Einwirkungen des Lichtes sowohl auf die pathologischen Zellen
wie auf die Tuberkelbacillen zusammen wirken, um zu dem günstigen Resultat zu
führen.
Ich gehe nun über zur Schilderung der Technik. Als Lichtquelle ist von
Finsen das Sonnenlicht und das elektrische Bogenlicht benutzt worden; aber in
der Regel wird man sich aus naheliegenden Gründen an das künstliche Licht, an
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E. Lesaer
JW in
Thätigfct'it
l.Jiisöu am etitgmgeugesetzten Ende des -'Rohres, konvergent gemacht weiden. Zwischen
den beiden Linsen am distalen 'Ende- des .'Itojires ist eine ca. 30 cm lange Schicht
von destilliertem Wasser eingeschaltet, weiche zur.Absorption der Wäftne dient und
Die Linsen müssen
vhn einem Mantel stets zirkulierenden Wass&s'"umgeben igt
samt lieh von Bergkrj stall sein',, da Glaslinsen den grössten Tbeil der chemhscheu
'Strählen absorbieren würden. Die zu bestrahlende■'Hsutpartie wird in den Fokus
re-sj*. etwas vor denselben gebracht. Aber es. sind noch zwei wichtige Erfordernisse
zu erfüllen: einmal sind die trotz der 'kühlendenSchicht immer noch ziemlich reich¬
lich vorhandenen Wämestrahleo möglichst zu absorbieren, und zweitens ist die zu be-
>traidende Partiö «liiglichst blutleer zu machen, damit die Wirkung des Uchtes bi*
Uehrr AU) LiehtbelujisdlHag Vr,p Hantaffekdotien nach der Fiusen'sehen Methode .45®
in eine gewiäse Tiefe dringt.. Beides wird durch die Dnickäpparate (Kompr^öfiea'j
emichl: iö ejti MetallgestcH gefasste BergkrystaEplatfeij oder -ÖgseH, zwischen
denen daöarmi kaltes-Wasser zirkuliert,. Es ist uothwendjg, konvexe,, pinne und
konkave Korapressorien zu haben, je nach der Beschaffenheit der ?,« bestrahlenden
Hautpartie. Besonders da, wo die Haut dem Knochen dicht »ul'Hegt, an der Stirn,
dem Schädel, dem Jochbein, ist die Anwendung von konkaven Druckgläseru libtbig,
da durch konvexe Druckgläser an diesen Stellen ein zu starker Druck ausgeübt
werden Wörde, ‘ \ ' ’ ' '
Die Behandlung wird hdn in der folgenden Weise yergenoramen: Der Kranke
wird auf ein Ruhebett gelagert und die zu bestrahlende Partie der Haut — meist
handelt es sich ja um einen Theil des Gesichtes —^ tlidls durch Schieben des Ruhe-
\ «*i»eliicftrnc Komprosstfiwi; ;i konkav, Vt. |>l;sn C ' kj'mVev.-'
hettes und durch Hebe»' flder Senken des Kopfenden desselben, t Heils '/durch Aus¬
ziehen oder Verkürzen des. Konzentrators in den Fokus gebraeni. l.'iu hierbei "die
Haut vor jeder Erhitzung zu äghühiöt», ytfrd ' die Austritts^jiäd mit einer siebartig
durchlöcherten MetallkBgsel bedeckt, die nur einen geringen Theil des Lichtes. durch¬
treten lässt, der aber doch hinreichend ist mit die Einstellung xn'ermöglichen. Darin
wird die DrucbHüse aufgesetzt Und nun die durchlöcherte. Kapsel entfernt. Von
grosser Wichtigkeit ist, dass kein zu starke»". Druck' ausgeübt wird > und floss
ferner das Licht nicht auf Theile füllt, welche nicht, mit der kühlenden Linse in.
Berührung sind. In beide» Fallen kann es'zu Gangrän kommen. Die Kompression
muss durch die Hand .msgefibt werden und ist ein speziell geschulte? Wärterinnen-
personal hierzu erforderlich. Die Versuche, die Kompressotien durch Verbände zu
fixieren, haben sich als ünzweckmässig erwiesen. Die Wärterinnen und ebenso die
Aerzte müssen mit ganz dunklen Schutzbrillen versehen sein. Die sorgfältigste
456
E. Lesser
Desinfektion aller mit den Kranken in Berührung kommenden Gegenstände ist
natürlich selbstverständlich. Das Auge des Patienten, wenn eine demselben nahe¬
liegende Partie bestrahlt wird, wird durch einen passenden Verband mit Watte, die
mit Borlösung getränkt ist, und mit einem Stückchen dicken, gelben Papiers ge¬
schützt. Subjektiv darf der Patient kein starkes Brennen empfinden; sowie das der
Fall ist, ist es ein Zeichen, dass etwas nicht in Ordnung ist, dass z. B. Licht neben
die Druckstelle fällt. Oft ist es nöthig, die Umgebung der Druckstelle mit kleinen
in Borlösung getränkten Wattebäuschchen vor den seitlichen Lichtstrahlen zu
schützen. Die Zeit der Belichtung währt im allgemeinen eine Stunde, bei be¬
sonders empfindlichen Patienten ist es gerathen, die Sitzung nur auf eine halbe
Stunde auszudehnen.
Unmittelbar nach der Belichtung ist an der betreffenden Stelle ausser einer
lividen Verfärbung und einer ganz leichten Schwellung nichts zu bemerken; erst
nach einigen, selbst erst nach 10—12 Stunden zeigt sich die Reaktion in Form einer
bis zehnpfennigstücksgrossen Blase. Gewöhnlich ist die Epidermis in der Umgebung
der Druckstelle blasig emporgehoben, so dass die Blase einen ringförmigen Charakter
hat. In den nächsten Tagen bildet sich auf der stark hyperämischen Stelle eine
Kruste, und nach Verlauf von 1—U/s Wochen ist die entzündliche Reaktion ab¬
geklungen. Die Grösse der jedesmal belichteten Stellen entspricht einem Kreise von
1—U/s cm Durchmesser.
Es ist leicht verständlich, dass je nach der Mächtigkeit des lupösen Infiltrates
eine verschieden grosse Zahl von Belichtungen derselben Stelle zur Heilung nöthig
ist. Es ist daher ganz unmöglich, im allgemeinen zu sagen, wie häufig jede einzelne
Stelle bestrahlt werden muss, um zur Ausheilung zu gelangen; sicher kann aber ge¬
sagt werden, dass selbst in den am günstigsten gelegenen Fällen eine mehrfache
Bestrahlung derselben Stelle nöthig ist, um die Heilung herbeizuführen.
Hieraus ergiebt sich, dass zur Heilung eines einigermaassen ausgedehnten Lupus
eine grosse Zahl von Bestrahlungen und dementsprechend eine lange Zeit erforder¬
lich ist, und so dauert die Behandlung eines ausgedehnten Gesichtslupus nach Finsen-
scher Methode ein und zwei Jahre. Keine andere Methode giebt aber so unbedeutende
Narben wie die Lichtbehandlung, weil eben offenbar bei keiner anderen Methode
das gesunde Gewebe so verschont wird, wie bei dieser. Mit nicht so grosser Sicher¬
heit kann man sich im Augenblick über die Vollständigkeit der Heilung, über das
Ausbleiben von Recidiven aussprechen. Aber auch da sind die Aussichten günstig;
es sind jedenfalls schon eine grosse Anzahl von Fällen durch mehrere Jahre ohne
Recidive geblieben.
Aber ein grosser Fehler haftet der Methode, so wie sie jetzt ist, an; sie ist
ausserordentlich umständlich, langwierig und kostspielig. Die Verbesserungen, welche
ja nicht ausbleiben konnten, sind durch die von Finsen’s Assistenten Bang kon¬
struierte Lampe, wie es scheint, schon in so erheblicher Weise geschaffen worden,
dass damit die Methode einen viel ausgedehnteren Wirkungskreis finden wird.
Der Lupus vulgaris ist diejenige Krankheit, welche bisher fast ausschliesslich
nach dieser Methode behandelt ist, aber es ist nicht zweifelhaft, dass auch noch
andere Affektionen in Betracht kommen. Ein günstiger Einfluss ist bereits konstatiert
bei Teleangiectasieen, bei Cancroid, mit weniger Sicherheit bei Lupus erythematodes,
bei Keloid und bei Alopecia areata.
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Ueber die Lichtbehandlung von Hautaffektionen nach der Finsen’schen Methode. 457
Ich gebe zum Schluss eine Uebersicht über die Fälle, welche in dem mit der
Universitätspoliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten zu Berlin in Verbindung
stehenden Institut für Lichtbehandlung nach der Finsen’schen Methode behandelt
worden sind. Das Institut, welches Anfangs Mai dieses Jahres eröffnet ist, wurde
bis Mitte Oktober von 74 Patienten aufgesucht, unter denen sich 52 Lupuskranke
befanden. In Behandlung stehen augenblicklich 33 Patienten, und zwar ausschliess¬
lich Lupuskranke. Als vorläufig geheilt — und natürlich zur weiteren Beobachtung
auf etwaige Recidive — konnten bereits 5 Fälle von Lupus vulgaris und 1 Fall von
Lupus erythematodes entlassen werden. Gebessert wurden 1 Fall von Teleangiectasie,
2 Fälle von Acne rosacea, 1 Lupus erythematodes, 1 Oancroid, 1 Alopecia areata,
1 Keloid.
Bei 24 Patienten wurde theils aus äusseren Gründen, theils weil die Krankheit
nicht geeignet war, die Behandlung nicht eingeleitet. Vier Patienten wurden mit
diffuser Beleuchtung ohne Konzentrator behandelt. Unter den Lupuskranken be¬
fanden sich, wie dies ja natürlich ist, eine Anzahl sehr schwerer Fälle mit aus¬
gedehnten, ja zum Theil entsetzlichen Verstümmelungen des Gesichtes. Auch wenn
die Zeit selbstredend noch zu kurz ist, um bei diesen Unglücklichen eine Heilung
von der bisherigen Behandlung zu erwarten, so lassen sich doch überall Fortschritte
konstatieren, die bei den länger behandelten Kranken ganz erheblich sind und welche
die in Kopenhagen gemachten Erfahrungen vollauf bestätigen, dass der kosmetische
Erfolg bei keiner Behandlungsmethode so gut ist wie bei dieser.
Dass durch die Finsen’sche Methode ein ausserordentlich grosser Fortschritt
der Lupusbehandlung herbeigeführt ist, das ist nicht zu bezweifeln; aber weiterhin
muss betont werden, dass durch diese Methode der physikalischen Therapie ein
völlig neuer Weg eröffnet ist, der voraussichtlich noch zu vielen weiteren Fort¬
schritten führen wird.
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458
Leopold Läufer
II.
Ueber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-baltiger
Nahrung unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen.
Aus dem pathologisch-chemischen Laboratorium der K. K. Krankenanstalt >Rudolfs-
Stiftung« in Wien.
(Vorstand: Dr. Ernst Freund.)
Von
Dr. Leopold Läufer, Sekundararzt.
Ein grosser Theil der bisherigen Untersuchungen Uber die physiologische und
pathologische Chemie des Darminhalts ist theoretischer Art; dieselben bezwecken,
die Grösse des Koth-N unter normalen Verhältnissen und bei verschiedener Er¬
nährung festzustellen und zu erklären. Schon die Voit'sehe Schule hat festgestellt,
dass die Fäces nicht ausschliesslich unverdaute Reste der Nahrung enthalten, da
der Hungerkoth des Hundes N enthalte.
Rieder konnte in seiner Arbeit: >Bestimmung des im Kothe befindlichen,
nicht von der Nahrung herrührenden N« (Zeitschrift für Biologie Bd. 20. S. 378)
feststellen, dass bei Zufuhr von absolut N-freier Nahrung die absolute N-Aus-
scheidung im Kothe gegenüber der Grösse des Hungerkoth-N sich vermehre und
mit der Grösse der zugeführten N-freien Nahrungsmenge ebenso steige, wie nach
Aufnahme von beträchtlichen Mengen Fleisch.
Durch eine Reihe weiterer Untersuchungen wurde konstatiert, dass sich an der
Zusammensetzung des Kothes betheiligen (s. Schmidt-Strassburger, Die Fäces
des Menschen. S. 1):
1. Nahrungsreste und zwar: unverdauliche, aber aus irgend einem Grunde nicht
resorbierte Bestandtheile der Nahrung (Nahrungsreste im engeren Sinne);
2. Reste der in den Verdauungsschlauch ergossenen Sekrete, die den N-Gehalt
der Fäces bei eiweissfreier Diät erklären (s. H. Rieder);
3. Produkte der Zersetzungsvorgänge innerhalb des Darmkanals (einschliesslich
der sie bedingenden Mikroorganismen);
4. geformte J undj ungeformte Produkte der Darmwand (ausser den sub 2 auf¬
geführten Sekreten);
5. zufällige Bestandtheile.
In einer grossen Anzahl anderer Untersuchungen, gelegentlich der Durch¬
führung der typischen Stoffwechselbilanzuntersuchungen, wurde lediglich die Grösse
des N der Fäces berücksichtigt; auf Grund derselben ist es zu einem allgemeinen
Grundsatz geworden, die Verdauung als gut anzusehen, wenn der absolute N-Werth
der Fäces gering ist. Denn in diesem Falle ist bei Uebersetzung der Gleichung:
Nahrungs-N = Harn-N |-j- Koth-N in Zahlen nur ein kleiner Bruchtheil des ein¬
geführten N als unresorbiert zu subtrahieren.
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Ueber den Einfluss der Dannbakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung. 459
Man bat aber übersehen, dass es nicht bloss darauf ankommt, zu wissen, wieviel
N resorbiert wurde, sondern in welcher Form und Zusammensetzung; denn es
kann für die Ernährung nicht gleichgiltig sein, ob der resorbierte N vom Darme in
einer dem Eiweiss sehr nahestehenden Form zur Resorption gelangt oder in einer
weit zerschlagenen; es ist ferner von ganz verschiedener Bedeutung, ob der N der
Fäces, soweit er aus der eingeführten Nahrung stammt, in einer dem Eiweiss mehr
weniger gleichartigen Form vorhanden ist, oder ob er bereits soweit abgebaut ist,
dass zum Zellaufbau eine umfassendere Synthese nothwendig wäre.
Für den im Dünndarm resorbierten Theil des N ist unter normalen Verhält¬
nissen eine starke Zerschlagung nicht annehmbar; denn Mac Fadyean, Nencki und
Sieber wiesen in der Arbeit: »Ueber die chemischen Vorgänge im menschlichen
Dünndärme« (Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie Bd. 28.
S. 311 f.) nach, dass die Gärungsprozesse im Dünndarme sich fast ausschliesslich
auf die Kohlehydrate beschränken und die Eiweissstoffe nur wenig berühren. Indol,
Leucin, Tyrosin und Phenole Hessen sich in dem aus einer Dünndarmiistel ab-
fliessenden Darminhalte nicht nach weisen. Damit ist die Frage nicht erledigt, ob auch
in pathologischen Fällen, bei schwerer Allgemeinerkrankung des Organismus mit
starker Unterernährung, die biologische Thätigkeit der Dünndarmbakterien die
Eiweissgruppe verschont.
Es wäre möglich, dass unter besonderen Bedingungen seitens der Dünndarm¬
bakterien ein beträchtlicher Theil des eingeführten Eiweisses zu weiten Abbau¬
produkten zerschlagen würde; bei Resorption eines solchen minderwerthigen Nähr¬
materials müsste es zu einer Unterernährung des Organismus, vielleicht zum Zerfalle
des Körpereiweisses und zur Kachexie kommen, ohne dass die N-Bilanz dies auf¬
klären könnte. Die für die Dickdarmverdauung charakteristische Eiweisszertrümmerung
wäre in der That, falls sie sich im Dünndarme abspielen würde, ein direkt patho¬
logisches Symptom.
Eine Aufklärung über die Betheiligung der Darmbakterien an dem Stoffwechsel
hat die physiologische und pathologische Chemie bisher noch nicht gebracht. Auch
die neueren Arbeiten der Schmidt’schen Schule betreffen nur einen Theil des Problems.
Schmidt ist bei seinen Versuchen, die Leistungsfähigkeit des Darmes gegen¬
über Eiweisssubstanzen zu kontrollieren, von der Annahme ausgegangen, dass bei
einer bestimmten Normalkost, mit einem nach Menge und Form auch für Magen¬
darmkranke leicht zu bewältigenden Eiweissantheil, der Umfang und die Leichtigkeit,
mit welchen bei künstlicher Nachverdauung der Fäces Eiweissreste aus der Nahrung
in Lösung gehen, als Prüfstein der Darmfunktionen betrachtet werden können.
Die angewandte Methode verzichtet auf genauere quantitative Bestimmungen;
jedenfalls resultiert aus den Arbeiten die klinisch wichtige Thatsache, dass nach der
Schmidt’schen Probediät aus den Fäces magendarmgesunder Individuen nur geringe
Mengen von Albumosen in Lösung gehen, während bei Dünndarmkatarrhen eine
grössere Menge sich lösen lasse.
Dagegen ist eine Anregung zur Klarstellung dieser Frage durch Anstellung von
Gärangsversuchen mit Darminhalt seitens Freund gegeben worden, der über dies¬
bezügliche Versuche schon gelegentlich der Naturforscherversammlung in Wien 1892
Mittheilung machte 1 ); aus den Versuchen ging hervor, dass in Fällen von.Tuber-
i) s. Tagbl. der Naturforschcrvcrsaimnlung 1802. 373-
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460
Leopold Läufer
kulose, ohne direkte pathologisch-anatomische Betheilignng des Darmes, quantitativ
und qualitativ verschiedene Verarbeitung des Darminhalts gegenüber der Norm
eintrete.
Um den Einfluss der Darmbakterien auf die Ernährung zu studieren, ist es in
der That nothwendig, nicht so sehr den Darminhalt als vielmehr mit ihm verimpfte
Nährböden zu untersuchen.
Stuhluntersuchungen reichen nicht hin, da der grösste Theil der Nahrung im
Darme resorbiert wird; auch vollzieht sich im Dickdarme schon normalerweise eine
weitgehende Zerschlagung des Eiweisses.
Auch die direkte Untersuchung des Dünndarminhalts bietet nicht genügende
Gewähr für die vollkommene Erkenntniss, da der resorbierte Theil fehlt; es ist
daher geboten, nach Verimpfung von Dünndarminhalt auf Nährböden die Veränderungen
dieser Nährböden zu studieren.
Gegen diese Form des Studiums lassen sich Einwände erheben:
Vor allem lässt sich die Vergärung im Kolben nicht der normalen Dann¬
verdauung gleichsetzen; denn sie vollzieht sich ohne Darmperistaltik, bei unzuläng¬
lichem Gehalt an tryptischem Ferment, ohne das für die biologische Thätigkcit der
Darmbakterien gewiss bedeutungsvolle alkalisierende Element, die Galle, und unter
anderen physikalischen Verhältnissen. Es werden daher wohl auch die Resultate bei
Vergärung von Nährmaterial mit Darminhalt mit denen der physiologischen Darm-
verdauung differieren; in der That zeigte das verimpfte Pepton in der Regel
alkalische Reaktion, einen manchmal intensiven fäkalen Geruch oder das Aroma
gewisser, bei der Eiweisszersetzung entstehender höheren Fettsäuren, während der
Dünndarminhalt gewöhnlich geruchlos ist und neutral oder schwach sauer reagiert.
Die angestellten Impfversuche haben aber auch nicht den Zweck, normale Verhält¬
nisse vollkommen nachzuahmen; sie sollen uns darüber Aufklärung bringen, welche
Veränderungen eintreten, wenn Darmbakterien in ausgedehnterem Maasse auf Nähr¬
material einwirken.
Ist die Darmverdauung die Resultierende mehrerer Komponenten, so muss es
von höchstem wissenschaftlichem Werthe sein, die Kraftgrösse der Komponente
»Bakterienwirkung« dadurch zu erfahren, dass man sie uneingeschränkt zur möglichst
vollen Wirksamkeit gelangen lässt. Die dabei sich ergebenden Veränderungen ent¬
sprechen zweifellos nicht denen, die bei der normalen Thätigkeit der Darmschleim¬
haut zustande kommen. Den Gärungsversuchen im Kolben ähnliche oder identische
Verhältnisse können sich aber im Darmlumen dann einstellen, wenn aus nervösen
Einflüssen oder durch Unterernährung, bei Stauung des Dünndarminhalts infolge
eines obturierenden Hindernisses oder bei Darmparalyse die Darmsaftsekretion un¬
genügend wird und die Bakterienthätigkeit überwuchert
Allerdings lässt sich der Einwand erheben, dass in verschiedenen Fällen die
Menge der in der gleichen Quantität Darminhalt übertragenen Bakterien kolossal
differiere, weshalb die Kraftgrösse Bakterienwirkung wegen der wechselnden Zahl
der Bakterien einen^variablen Werth darstellen würde.
In der That scheinen aber Unterschiede der Bakterienflora in Bezug auf die
Quantität weniger für die mehr oder minder weite Zerschlagung ins Gewicht zu
fallen <als solche bezüglich der Qualität — denn nicht nur, dass, wie im folgenden
ersichtlich, der Darminhalt eines und desselben Patienten, zu verschiedenen Zeiten
entnommen, immer annähernd gleiche Resultate ergab, liess sich konstatieren, dass
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Ucber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung. 461
bei Einwirkung gleichen Darminhalts auf gleiche Nährböden eine wesentliche
Aenderung der Werthe nicht resultiere, ob man die Gärung 24 oder 48 Stunden
andauern liess; und doch ist unzweifelhaft nach 48 Stunden die Zahl der Bakterien
viel grösser als nach 24 Stunden.
Da die durchgeführten Untersuchungen im wesentlichen auf wiederholte N-Be-
stimmungen hinauslaufen, muss endlich der Einwand berührt werden, dass die ver¬
schieden grosse Beimengung von Nahrungs-N in dem den Nährböden zugefügten
Darminhalte die Untersuchungsresultate trüben könnte. Wie wir uns wiederholt
überzeugen konnten, ist aber der gesammte N-Gehalt dieser zum Impfen verwendeten
Darminhaltsmaterie so gering, dass er kaum in Betracht kommt.
Da alle Einwände den leitenden Grundgedanken der Arbeit, durch Impfung
mit Darminhalt die Bakterienwirkungen zu erkennen, nicht abweisen konnten, ergab
sich folgender Untersuchungsplan: einerseits an Dünndarm- und Dickdarminhalt in
normalen und pathologischen Fällen fraktionierte N- Bestimmungen auszuführen mit
der Tendenz, Vergleichs werthe zu erhalten, andrerseits zu versuchen, durch direkte
Impfung und Einwirkung von Dünndarm- (oder ausnahmsweise) Dickdarminhalt auf
Peptonlösungen festzustellen, ob die fraktionierte N-Bestimmung des verdauten
Materials in gleicher Weise für gewisse Erkrankungen charakteristische Differenzen
nachweisen lasse.
Methodik.
Nach unseren derzeitigen Kenntnissen ist die Forderung, die dem grossen
Eiweissmoleküle noch nahestehenden Abbauprodukte von den weiteren Zerschlagungs¬
resten zu trennen, so einfach sie erscheint, schwer durchführbar.
Als Reagens, das den Stuhl-N oder den N des verdauten Peptons in eine dem
Eiweiss noch nahestehende Gruppe und in die entfernteren Abbauprodukte desselben
trennen sollte, wurde anfangs absoluter Alkohol verwendet.
In der Hauptsache sind wohl die alkohollöslichen N-Spaltungskörper soweit
vom eigentlichen Eiweiss abstehend, dass sie füglich nicht als dem Eiweiss gleich¬
wertige Ersatzmittel betrachtet werden können. Angaben darüber, ob das im
absoluten Alkohol lösliche Pepton den Albumosen in Bezug auf seinen Nährwerth
gleichzustellen sei, fehlen.
Die vom theoretischen Standtpunkte sehr empfehlenswerthe Trennung des
N-haltigen Materials durch Alkohol erwies sich aber aus technischen Gründen als
nnzweckmässig. Wegen der Schwierigkeit, in verlässlicher Weise mit absolutem
Alkohol zu arbeiten, da ein wechselnder Wassergehalt der zu extrahierenden Substanzen
unvermeidlich war, und sich zur Partie des alkohollöslichen N, auch bei Vorhanden¬
sein kleiner Mengen H a O, in Wasser löslicher, in absolutem Alkohol vielleicht un¬
löslicher N addieren mochte, ferner wegen des Umstandes, dass syrupöse Massen
mit Alkohol schwer extrahierbar sind, endlich wegen der unkontrollierbaren N -Ver¬
luste beim Abdampfen wurde die Alkoholmethode aufgegeben.
Die in der Folge durchgehends geübte Methode beruht auf einer Kombination
von Fällungsmitteln durch die aufeinander folgende Verwendung von Gerbsäure und
Phosphorwolframsäure.
Es wurden an dem bearbeiteten Materiale mindestens drei Doppelbestimmungen
von N nach dem Kjeldahlverfahren ausgeführt:
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462
Leopold Laiifer
1. Des Gesammt-N;
2. wurde ein Theil (gewöhnlich 50 ccm) der zu untersuchenden Flüssigkeit bei
schwach essigsaurer Reaktion mit 10°/ o iger wässerigen N-freien Gerbsäure versetzt,
solange noch ein deutlicher Niederschlag erfolgte; hierauf wurde 12—24 Stunden
oder länger absitzen gelassen und geprüft, ob noch ein Niederschlag erfolge. War
dies nicht der Fall, so wurde durch ein doppeltes Filter filtriert und mit ganz
verdünnter Gerbsäure nachgewaschen, bis die Menge des Filtrates gleich 150cm
war. Der N-Gehalt des Filtrates wurde nach Kjeldahl bestimmt.
3. Ein aliquoter Theil des Gerbsäurefiltrates wurde (zur N-Fraktionierung)
mit 10% HCl und 10% N-freier Phosphorwolframsäure ausgefüllt; ergab nach 12
bis 24 ständigem Stehen Zusatz von Phosphorwolframsäure keinen charakteristischen,
amorphen Niederschlag mehr, sondern trat erst nach einer Zeit eine pulverförmige
Trübung auf, so wurde durch ein doppeltes gehärtetes Filter filtriert; die Menge der
zuzusetzenden Phosphorwolframsäure musste in jedem einzelnen Falle zur Vermeidung
eines Ueberschusses variiert werden. Der Phosphorwolframsäureniederschlag wurde
mit verdünnter HCl nachgewaschen, bis das Filtrat mit BaCI» keine Trübung mehr ergab.
Die N-Menge des Phosphorwolframfiltrates entsprach dem dritten N-theilfaktor.
Beim Kjeldahlisieren des Phosphorwolframfiltrates wurde mit einem Ueberschusse von
H s SO« unter Zusatz von Talk und übermangansaurem Kali, gearbeitet, wobei ein zn
starkes Stossen sowie der sonst entstehende, am Glase haftende Niederschlag ver¬
mieden werden konnte.
ln einigen Fällen wurde ausserdem im Phosphorwolframfiltrate der abgespaltene
NH 3 bestimmt, indem das Filtrat, mit Mg usta alkalisch gemacht, überdestilliert
wurde (N-Werth des Amid-N).
Das Verfahren der Feststellung von drei N-Werthen: Gesammt-N, Gerbsäure-
filtrat-N und Phosphorwolframsäurefiltrat-N war das ausschliesslich übliche bei der
Verarbeitung des verdauten Peptons, das vorwiegend geübte bei den Fäcesunter*
suchungen. Bei Untersuchung der Fäces war das Material möglichst quantitativ in
ein Messgefäss zu bringen und darin mit Wasser auf ein bestimmtes Volumen zu
verdünnen; durch Zerdrücken und inniges Verreiben liess sichern fast gleichmässiger
Brei herstellen. Dabei wird die Zeitersparniss gegenüber der Mühe des Trocknens
nach Vergleichsbestimmungen, die im Laboratorium ausgeführt wurden, nicht durch
mindere Genauigkeit der N-Werthe aufgehoben.
In einigen Fällen wurde ausserdem ein aliquoter Theil dieses Stuhlbreies zehn¬
fach verdünnt, deutlich essigsauer gemacht und filtriert; der N-Werth des klaren
Filtrates giebt einen Einblick in den Gehalt des Stuhles an zeitigen Elementen,
Nukleoalbumin und Mucin; ein anderer aliquoter Theil wurde bei essigsaurer
Reaktion mit 10% Bleizucker ausgefällt, der N-Gehalt des Filtrates berechnet, wo¬
bei ausser Eiweiss und Nukleoalbumin auch ein minimaler Theil der •Albumosen
sowie Urobilin vom Gesammt-N in Wegfall kommen.
Zu Impfzwecken kam als Menge der zu verdauenden Flüssigkeit 100—250 ccm
in Verwendung, die bei Bruttemperatur 24—48 Stunden unter Luftabschluss durch
eine deckende Schicht von 01. paraffin. liquid, der Einwirkung von 5 — 10 ccm
Darminhalt ausgesetzt waren.
Die Kulturflüssigkeit — in der Mehrzahl der Fälle wurde 5 % wässerige Lösuuf
von Wittepepton mit Zusatz von 1% Na CI verwendet — wurde sterilisiert; auf
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Ueber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung. 463
eine sterile Entnahme des Materials war kein Werth zu legen, da bei der Art des
Abschlusses nur die anäroben Dannbakterien zur Entwicklung kommen konnten.
In einigen Fällen wurde auch gekochte Milch sowie 2 °/ 0 ige wässerige Stärke¬
lösung geimpft.
Als Impfmaterial kam ausschliesslich einwandsfrei gewonnener Dttnndarminhalt
zur Verarbeitung; das Material wurde, wo thunlich, aus Dünndarmfisteln von Lebenden
geschöpft Bei der Seltenheit derartiger Fälle verwendeten wir aber auch Dünn-
darminhalt von Leichen, die kurz nach dem Tode obduziert worden waren und,
wenigstens makroskopisch, keine Zeichen von Fäulniss boten.
Fälle, in denen durch Eiterung der Umgebung eine Vermischung der Darm-
bakterienflora mit einer biologisch differenten Art zu befürchten war, blieben aus¬
geschlossen.
Es erübrigt, die Valenz der N-Theilwerthe zu erörtern. Die als Fällungs¬
mittel gebrauchten Reagentien, Gerbsäure und Phosphorwolframsäure, wurden mit
Rücksicht auf die Arbeiten von E. Schulze, sowie von Hausmann, Pfaundler
und Lang in Anwendung gezogen. Die Gerbsäure fällt bekanntlich in schwach
essigsaurer Reaktion ausser Eiweisskörper, Albumosen und Pepton, auch Alkaloide.
Die Beobachtung von Sebelien, dass die Gerbsäure im Ueberschusse den Gerbsäure¬
peptonniederschlag vollkommen lösen könne, traf bei unseren Versuchen, da Zusatz
von erheblichem Ueberschuss vermieden wurde, nicht zu.
Zum Nachweis des Peptons im Niederschlage kamen zwei Methoden in Ver¬
wendung: a) Eiweiss, Albumosen und Pepton werden durch Ausziehen des Gerb¬
säureniederschlages mit Vio Lauge bei Zusatz von Chlorbaryum in Lösung gebracht;
mit 10 °/o igem Eisenchlorid und Lauge fallen daraus bei neutraler Reaktion Eiweiss
und Albumosen aus (Paul Müller) und lassen sich abfiltrieren. Giebt das resul¬
tierende Filtrat nach Aussalzung mit Zinksulfat neuerdings filtriert noch Biuret-
reaktion und Fällung mit Phosphorwolframsäure, so erscheint Pepton nachgewiesen,
b) Der mit Chlorbaryum und Vio Lauge in Lösung gebrachte Niederschlag wird mit
10o/o Bleiessig ausgefällt (Fällung von Eiweiss und Albumosen); das Bleiessigfiltrat,
durch Ammonsulfat von Blei befreit, zeigt bei positiver Biuretreaktion und Fällbarkeit
durch Phosphorwolframsäure Peptongehalt an.
Die Fällbarkeit durch Gerbsäure wird von E. Schulze direkt als charak¬
teristisch für Pepton angesehen.
Dass die Phosphorwolframsäure als Fällungsmittel für Peptone der Gerbsäure
den Rang abgewann, ist wohl darauf zurückzuführen, dass in den untersuchten
Flüssigkeiten mit Phosphorwolframsäure N-reichere Niederschläge resultierten als
mit Gerbsäure, ohne dass das Plus immer als Pepton qualifiziert worden wäre.
Jedenfalls reisst die Phosphorwolframsäure, wie dies zuerst Drechsel konstatiert
hat (s. Gamgee S. 266), die basischen N-Spaltungskörper und Ammoniak nieder,
sodass die nach Ausfällung mit Gerbsäure durch Phosphorwolframsäure fällbaren
Substanzen sich als die weiteren Zerschlagungsprodukte des grossen Eiweissmole-
küles repräsentieren.
Gegen die Möglichkeit, dass hei der Gerbsäurefällung kleinere Mengen wirk¬
lichen Peptons entgehen könnten, sprechen Untersuchungen des Phosphorwolfram¬
säureniederschlages nach der Fällung durch Gerbsäure; der zu untersuchende Nieder¬
schlag wurde einige Male mit Barythydrat zersetzt und mit dem resultierenden
Filtrate sowohl die Biuretreaktion als die Reaktion nach Millon und Molisch aus-
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464
Leopold Läufer
geführt. Der positive Ausfall der Biuretreaktion konnte auf Urobilin zu beziehen sein,
zumal dieser Körper deutlich nachweisbar war; andrerseits musste der negative Ausfall
nach Molisch und Millon die nach der Gerbsäurefällung im Phosphorwolfram-
säureniederschlage enthaltene N - Gruppe nur als kleines Bruchstück des grossen
Eiweissmoleküls charakterisieren. Die mit Phosphorwolframsäure gefällten N-Spal-
tungskörper können wir, im Anschlüsse an die Untersuchungen von Hausmann,
Lang und Pfaundler unter den Begriff der Diamino-N-Gruppe, die mit Phosphor¬
wolframsäure nicht fällbare Fraktion als Monoamino - N - Gruppe zusammenfassen.
Unter den durch Phosphorwolframsäure fällbaren Substanzen sind nachgewiesen
(s. Hausmann): die Diaminokapronsäure (Lysin), die Guanidinamidovaleriansäure
(Arginin) und das Histidin; zu den für uns in Betracht kommenden, mit Phosphor¬
wolframsäure fällbaren Körpern gehören ferner Ammoniak und Urobilin. Zu den
durch Phosphorwolframsäure nicht fällbaren Verbindungen sind zu rechnen: die die
grosse Menge der Eiweisskörper darstellenden Monoaminosäuren: das Leucin, Tyrosin,
die Asparaginsäure, Glutaminsäure u. a. — endlich die Derivate der Aminosäuren:
Taurin und Cystin.
Im Filtrate nach der Fällung mit Phosphorwolframsäure liess sich in der That
wiederholt Leucin nachweisen. (Zu diesem Zwecke wurde ein Theil des Filtrates,
durch Chlorbaryum von der Phosphorwolframsäure befreit, eingeengt, mit schwach
ammoniakalischem 95°/ 0 igen Alkohol zweimal ausgezogen und dann langsam ab¬
dunsten gelassen.)
Ueber die Verwendbarkeit der Phosphorwolframsäure bei quantitativen Be¬
stimmungen der Spaltungsprodukte des Eiweisses hat Fr. Kutscher ein ziemlich
ablehnendes Urtheil ausgesprochen. Er hebt hervor, dass beim Fällen der Diamino-
säuren der Zusatz eines Überschusses von Phosphorwolframsäure zu vermeiden sei.
Suche man aus konzentrierten Eiweisslösungen die Diaminosäuren auszufällen, so
trete zunächst ein amorpher, körniger Niederschlag auf; derZeitraum, nach welchem
der Niederschlag entstehe, verlängere sich aber immer mehr, der Niederschlag selbst
werde krystallinisch und bestehe nicht aus den Verbindungen der Diaminosäuren,
ja es könne durch überreichlichen Zusatz von Phosphorwolframsäure ein Lösen des
ursprünglichen Niederschlages erzielt werden. Ebenso könne das Auswaschen mit
überreichlicher Phosphorwolframsäure einen Theil des Niederschlages zur Auf¬
lösung bringen.
Bei der von uns geübten Vorsicht in der Anwendung der Phosphorwolfram-
säure als Fällungsmittel und bei der höchst behutsam und successive ausgeführten
Reinigung des Phosphorwolframsäureniederschlages konnten so unliebsame Erschei¬
nungen, wie Auflösung des Niederschlages, nicht beobachtet werden, auch Hessen
die bei wiederholten Untersuchungen ganz auffallend übereinstimmenden Werthe die
Methode als durchaus nicht unverlässlich und fehlerhaft erscheinen.
Die folgenden Tabellen sollen einen Ueberblick über die gefundenen Resultate
gewähren:
Tabelle I giebt eine Zusammenstellung der Kothuntersuchungen.
Tabelle II orientiert über die Resultate bei den Impfversuchen.
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Ucber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung. 465
Tabelle I.
Untersuchungen von Dünndarm- und Dickdarminbalt.
Material
Ges.-N für
100 ccm
Gerbsäure¬
nitrat
N in % für
Ges.-N = 100
Phosphor¬
wolframsäure¬
filtrat
N in % für
Ges.-N = 100
L
Besondere qualitative Befunde
A. Dünndarm¬
inhalt
einer Peritonitis
0,1925
• i
44,9
i
!
B. Typh.abdom.
0,827
79
59
Skatol deutlich, Indol nicht nachweisbar
(Reaktion s. Gamgee, S. 442,443), 29%
vom Gesammt-N alkohollöslich. —
Acidität der alkohollöslichen Partie
für 100 ccm Stuhl = 102,6 N 10 HCl.
C. Enteritis
0,887
26,Ö
3 j
Im Stuhle Gallenfarbstoff und Blutfarb¬
stoff nachweisbar.
D. Typh. abdom.
0,243
26,9
19,12 i
!
Im Stuhle Indol +» Skatol -f, mit dem
Phosphorwolframniederschlage ist po¬
sitive Biuretreaktion, Millon und Mo-
lisch zu erzielen.
E. Typh.abdom.
1,18
62,7
40,0 j
F. Anaem. pem.
0,6845
61,2
26,9
G. Dünndarm-
Fistel Stuhl
nach Menthol¬
einnahme
0,0805
!
60
1
1
!
34
i
Das Filtrat des essigsauer gemachten
10 fach verdünnten Stuhles beträgt
83% des Gesammt-N.
Der neutrale Dünndarminhalt giebt die
Kochprobe stärker als die Probe auf
Nucleoalbumen (Verdünnung mit
Essigsäure), der zwei Stunden nach
Milchgenuss entleerte Danninhalt
40 ccm enthält Spur Indol; die Feh-
ling’sche Lösung wird reduziert, Fahl¬
berg nicht, also Zucker -f vorhanden.
Das Filtrat nach Neutralisierung mit
Eisenchlorid und Lauge giebt kaum
eine Biuretreaktion, dagegendeutlicho
Nessler’sche Reaktion, keinen Nieder¬
schlag mit JHgK und Gerbsäure,
dagegen kristallinischen Niederschlag
mit Phosphorwolframsäure.
H. Cat. int.
0*3808
, 15,4
i
keine wesent¬
liche Trübung
mit Phosphor¬
wolframsäure
i 1
Der Stuhl enthält reichlich Schleim; im
Sediment Muskelfasern, Pflanzenreste.
Das Filtrat nach der Essigsäurefällung:
34% vom Ges.-N betragend.
Filtrat nach derBleizuckerfällung: 29,4%
vom Ges.-N betragend.
1. Urticaria
0,344
21,3
i
i
i
, 16,0
1
|
1
Das Stuhldialysat enthält Pepton.
Mit den einzelnen Fraktionen ist eine
Giftwirkung nicht zu erzielen.
Filtrat nach der Essigsäurefällung:
50,3% vom Ges.-N betragend.
Filtrat nach derBleizuckerfällung: 48,2 %
vom Ges.-N betragend.
K. Gastrointchr.
Atrophia
mucosae int
0,1548
54
1
! 30,5
j
L. Anaemiapost
ule. ventr. ehr.
0,023
34,8
20,2
Zflltachr. fc di*t. u. phyBlk. Therapie Bd. V. Heft 6.
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32
Original frorn
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466
Leopold Läufer
Tabelle II.
Untersuchungen über mit Darminhalt verimpfte Nährboden.
Impfmaterial j Nährboden
1 . —
2. Dünndarminh.
einer Darm-
Wandhemie
3. 5 ccm Dünn¬
darminhalt einer
frisch obduziert
Haemarrh. cer.
4. Dünndarminh
einer Peritonitis;
5. Dünndarminh
einer frisch obd.
Encephalom.
6. Dünndarm- u.
Dickdarminhalt
Tub. ileocoecalis
7. Dünndarminh.
aus einer Fistel
b. Enterostenosei
8. Ileumfistel n.
Append. purul.
Gewöhnl. Diät^
Ileumfistelinh. |
nach Einnahme!
von 5 Menthol-]
kaps. ä 0,03 l
0. Dünndarminh.
von frisch obduz.
Ca mammao
10. Dünndarm- j
inh Leiche: Tub.
pulm. et perit. i
florid. j
11. Tub. perit.
Dünndarminhalt
18 h post m.
12. Dünndarm¬
inh. Ca ves.
3 ^ post m. 1
13. ad Tab. I E
10 ccm
Typhus faeces 1
5 % Losung v.
Witte-Pepton
5 % Peptonlös.
4- l°/ooThym.
u. 2%NaFl.
5 % Pepton¬
lösung
59 0 Pepton¬
lösung
«8 U ©
• i22
ö
g.S.‘ “
■i l = i
•Ssl Sö~|
21
a) 24
b) 48 !
5% Pepton- ! 24 I
lösung i
0,735
0,7
0,71
56 32
37,G
a) 36,9 i a) 23,9
davon
8.89Amid-N
b) 21,8
32,1
;b) 46,5
63,4
Qualitative Befunde
iKlar und absolut geruchlos.
Im verimpften Material: Indol nach*
welsbar. Im Gerbsäureniederschiair«
kein Pepton. Filtrat nach Phosphor*
wolframfällung giebt Biuret und
Nesaler 4 , Mil Ion —; in demselben
Leucin nachweisbar.
Das verimpfte Pepton giebt schwache
Skatol reaktioa.
5° 0 Pepton¬
lösung
5? 0 Pepton¬
lösung
gek. Milch
gek. Milch -f
io/oo Thymol
5% Pepton- ,
lösung j
2 % Stärkelös
a) sine b) cum
i°/oo Thymol
i
5 % Pepton¬
lösung
5? 0 Pepton¬
lösung i
5 ( J, Pepton¬
lösung
5° 0 Pepton-
lösung
5 % Pepton-
lösung
24
48
24
24
24
24
0,77
0,71
0,714
0,679
0,714
0,539
0,798
| Gesammt-
: Zuckergehalt n.
Kochen m. dem
4.Theil
I 10®/# H*S04
für 100 0,25 g
0,777
0,847
63
63,1
74,8
77.5
83.5
jO,427N
62,7
78
44,24
49,6
47,97
56,1
' 42,46
0,289 N
18
50,9
82,9 47,3
80,9 I 45,8
24 0,756
24 0,819
i
i
— 0,003
08,3
74,8
05
31
50,9
43
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Der mit Dickdarminb. verimpfte
Kolben sehr Übelriechend. Indol -K
Skatol -f-, Tryptophanreaktion +. Der
mit DUnndarminhalt verimpfte
Kolben Indol eben deutlich. Skatol-.
Tryptophan— weniger übelriechend.
Der Phosphorwolframniederschl. des
Dickdarmpeptons giebt schwächere
Biuretreakt., als der des Dünndarm*
peptons. Im DUnndarmantheile Oxy-
säuren vorhanden.
Im verimpften Pepton: Indol 4, Phe*
nole 4- (9 Im Gerbsäureniederschi,
kein Pepton, Albumosen nachweisbar.
Der Phosphorwolframniederschlag
giebt Btoret 4-, Molisch —, Millon —.
a) Zuckergehalt nach der Yerimpf un £
— «,15 g
bl Zuckergehalt nach der Verimpraßg
- 0,16 g
Original frum
UNIVERSETY 0F MICHIGAN
Ueber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung. 467
Die für die Tabelle I in Betracht kommenden Fälle sind:
A. Bei einer vom Genitale ausgehenden Perit. purul. wurde an der Abtheilung des
Primär. Docent Dr. Frank sub operatione Dünndarminhalt aufgefangen; zwei Stunden
später wurde mit der chemischen Bearbeitung des Materials begonnen.
B. Die Fäces (300 ccm, schwach sauer, von erbsenpüreeartiger Konsistenz) stammen
von dem Patienten K., der mit Typhus abdom. auf der I. medicinischen Abtheilung der
Rudolfsstiftung lag. Die Krankengeschichte konstatiert deutlich sichtbare Roseolen, positive
Diazoreaktion, Vidal +.
C. Die Fäces eines Falles von Enteritis; Obduktionsdiagnose: Enteritis chronica intestini
crassi et ilei infimi; Tbc. glandularum lymphaticarum retroperitonealium. Tbc. apicis
utriusqne.
D. Die Fäces eines Patienten (Sz.) mit Typhus abdom. (im Urin positive Diazo¬
reaktion) aus der dritten Krankheitswoche. Menge 850 ccm, Reaktion stark alkalisch.
Obduktionsdiagnose: Deotyphus in sanatione, Catarrhus intest, ten. follic. acutus; Throm-
bosis venae cayae infer.; embolia arteriae pulm. utriusque. Tumor lieuis.
E. Klinisch sichergestellter Typhus abdom. (Vidal positiv, Diazoreaktion positiv,
deutliche Roseolen). Die Diät der Typhusfftlle war: acht Milch (ä 0,2 1), zwei Kraft¬
suppen, zwei Eier.
F. 700 ccm alkalisch reagierenden Stuhles von einem Falle von Anämia perniciosa;
Diät: drei Milch, zwei Kraftsuppen, zwei Semmeln, Obst (Patient Z. A. II. mediciuische
Abtheilung).
G. Dünndarminhalt der 32 jährigen Patientin M. W. der I. chirurgischen Klinik. Die
Anamnese hebt hervor: überstandenen Lungenkatarrh, vor Jahren eine Nierenentzündung.
Die Patientin hat auf der Klinik in Behandlung gestanden, nachdem auf dem Wege des
Durchbruchs am unteren Ende des Ileum vor der Ileocöcalklappe eine Darmfistel ent¬
standen war, deren Aetiologie nicht ganz aufgeklärt ist. Der Darminhalt, der kon¬
tinuierlich durchsickerte, begann schon 2 — 3 Stunden nach der Mahlzeit den Darm zu
verlassen; es wurde gewöhnlich der im Anschlüsse an das Mittagmahl sich einstellende
Erguss von Darminhalt in der Zeit zwischen 3 und 5 Uhr nachmittags gesammelt, und
zwar wurde der Darminhalt untersucht
1. nach gewöhnlicher Diät: zwei Milch, zwei Semmeln, zwei Portionen Schinken,
ein halbes Brathuhn, eine Mehlspeise; dabei einmal zwei Stunden nach blossem
Milchgenuss;
2. nach Einhaltung absoluter Milchdiät.
3f. bei gewöhnlicher gemischter Diät unter Beigabe von fünf Mentholkapseln ä 0,03 g.
Die Obduktionsdiagnose dieses Falles lautet: eiterige Peritonitis nach Resektion eines
Ileumstückes wegen Darmfistel. Enteroanastomose zwischen Ileum und Colon ascendens, Ver¬
schluss des abführenden Schenkels der Fistel; vielfache Verwachsungen der Därme unter¬
einander und mit der Bauchwand, schwielige Verwachsungen in der Umgebung der Adnexe.
Totale Anwachsung des Peritoneum, obsolete Tuberkulose der Lungen. In den Adnexen
linkerseits eine faustgrosse, seröse Cyste, rechterseits die Tube erweitert, seröse Flüssig¬
keit enthaltend.
H. Die Fäces eines schweren Darmkatarrhes.
I. Eine Urticaria (Abtheilung Prof. Mraczek).
K. Fäces eines Patienten, der, auf der II. medicinischen Abtheilung der Rudolfstiftung
aufgenommen, Erscheinungeu wie bei einer Arsenvergiftung bot. Die Obduktion ergab:
Gastroenteritis chronica cum atrophia mucosae intestini tennis et crassi. Enteritis acuta
follicularis. Nephritis chronica.
L. Stuhl eines Patienten, der auf Grund eines ulc. ventr. rot. chron. die Erscheinungen
hochgradigster Anäme darbot.
Tabelle II berichtet
1. über die Werthe der N-Fraktionen von 5 °/ 0 Peptonlösung ohne Beimpfung.
2. Versuch: Verimpfung von 200 ccm Peptonlösung mit 10 ccm Darminhalt einer
Patientin, bei der infolge Perforation eines verschluckten spitzen Htihnerknochens eine
Littrö’sche Darmwandhernie entstanden war.
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408 Leopold Läufer
8. 280 ccm Pepton verimpft mit 5 ccm Düundariniuhalt einer einige Stunden post
mort. obduzierten Leiche; Diagnose: Hämorrhag. hemisphaer. dextr., Endarteritis deformans.
Pneum. lobularis. Degen, renum.
4. Verimpfung von Pepton mit 10 ccm Dünndarminhalt des Falles Tabelle I A.
5. Peptonlösung verimpft mit 10 ccm Dünndarminhalt einer 4 Stunden post mort
obduzierten Encephalomalia cerebri (21. Dezember 1900).
6. Peptonlösung verimpft mit Dünndarm- und Dickdarminhalt eines Falles von Tuber
kulose der Ileocöcalgegend, in dem wegen Stenose eine Enteroanastomose gemacht wurde.
(Abtheilung Prim. Schnitzler, Franz Josefs-Spital).
7. Verimpfung von schwach alkalisch reagierendem Dünnndarminhalt aus einer Darm¬
fistel auf Pepton; Diagnose: Tumor (ob Ca. oder Tbc. ist unbekannt) flexurae coli dextr.
Enterostenosis.
8. Verimpfung von 5 % Peptonlösung, Milch und 2 % Stfirkelösung mit Dünndann-
inhalt des Falles G Tabelle II.
9. Peptonlösung -f- Dünndarminhalt einer frisch obduzierten Leiche mit Ca. mammae
(f 4. April 1901).
10. Peptonlösung -f- Dünndarminhalt einer frisch obduzierten Tuberculosis pulmonum
et peritonei florida (f 6. April 1901).
11. Peptonlösung 4- Dünndarminhalt eines Falles von Tbc. perit. (Leichenmaterial).
12. Peptonlösung -j- Dünndarminhalt eines Falles von Ca. vesicae (frisches Leichen¬
material).
13. Peptonlösung verimpft mit dem Stuhle des Falles E (Typhus abdom.) Tabelle I.
Wir konnten als Grundlage bei der Beurtheilung der durch die Bakterien be¬
wirkten Zersetzungsgrössen nicht die Zusammensetzung der reinen, unverdauten
Wittepeptonlösung annehmen, weil es sich bei Versuchen gezeigt hat, dass reine
Wittepeptonlösung nach Zusatz sterilen Darmsaftes einen weiteren Abbau ihrer
chemischen Konstitution erkennen liess.
Von diesem Gesichtspunkte ausgehend waren nicht die Werthgrössen der
N-Fraktionen einer reinen, unverdauten Peptonlösung als Abscisse zu betrachten,
sondern jene unter Tabelle II, No. 2 angeführten: entsprechend der Zersetzung unseres
Nährmaterials nach Einwirkung von Dünndarminhalt eines normalen Individuums
bei Verhinderung der Bakterien Wirkung. Sind 26,6% der 5% Peptonlösung gerb¬
säurefällbar, 21% durch Phosphorwolframsäure nicht fällbar, so würde sich, bei
normaler Dünndarmverdauung ohne Bakterien, für die Gerbsäurefällung im Werthe
von 56% ein Plus von 30%, für die mit Phosphorwolframsäure nicht fällbaren
Extraktivsubstanzen ein Plus von 11 % ergeben.
Es kann als damit widersprechend nicht angeführt werden, dass im Falle
Tabelle II, No. 4 sich eine Zusammensetzung finde, wobei die durch Gerbsäure fäll¬
bare N-Fraktion unter der angenommenen Abscisse bleibe; die Thatsache, dass in
diesem Falle nicht die normale Zersetzung stattgefunden hat, und auch die tryp-
tische Verdauung quantitativ unternormal war, führt uns vielmehr zur Annahme,
dass die schädigende Wirkung des Darmbakterienstoffwechsels sich nicht bloss im
weiten Abbau von Eiweisskörpern äussert, sondern auch in schädlichem Einflüsse
auf die Wirksamkeit der proteolytischen Fermente.
Unter der Annahme des normalen Grenzwerthes = 56% wären in den sozu¬
sagen normalen Fällen 3 und 5 als Zersetzungsordinaten nur 4% und 7% auf¬
zutragen; es stimmt dies mit den erwähnten Befunden Neucki’s, dass die Zersetzungs¬
prozesse im Dünndarme die Eiweissstoffe nur wenig berühren, überein.
In den wegen bestehender Kachexie untersuchten Fällen 9-12 erheben sich
die Relationswerthe — 26 % über die Abscisse; dabei ist der Fall II, da der Darm¬
inhalt erst 18 Stunden p. m. verwendet wurde, strenge genommen, auszuschalten.
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lieber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-haitiger Nahrung. 469
Der Fall 8 kann trotz seiner hohen Werthe nicht als Kachexie hingestellt werden;
denn die betreffende Patientin war im Körpergleichgewichte und befand sich subjektiv
sehr gut. Jedenfalls bewirkte die Bakterienflora ihres Darmes eine ganz auffallend
hohe Zersetzung der N-Gruppe; vielleicht bedingt durch Invasion von Bakterien aus
den vielfachen, durch die Obduktion nachgewiesenen Entzündungsherden in den
Parametrien und im Peritonealgebiete. Keinesfalls kann das Individuum (s. Ob¬
duktionsdiagnose) als physiologisch normal betrachtet werden.
Bezüglich des Falles 7 glauben wir, da eine Verschlimmerung im Befinden
bisher, s / 4 Jahre nach Anlegung des anus praeternat., nicht eingetreten sein soll,
annehmen zu dürfen, dass es sich um eine Enterostenose handelte, bei der, zur
Untersuchungszeit, Kachexie nicht bestand.
In Bezug auf die Frage, inwieweit die gefundenen Werthe überhaupt als den
wirklichen im Darmrohr stattfindenden chemischen Prozessen entsprechend aufgefasst
werden können, wurden Fäces und Dünndarminhalt in gleicher Weise direkt unter¬
sucht (s. Tabelle I). Die gefundenen Resultate zeigen vor allem jene Irregularität,
die ihre Begründung in der Natur des Untersuchungsmaterials findet; denn wie das
Nährmaterial selbst in diesem Falle unkontrollierbar ist, so ist auch die Menge
dessen, was an gelösten Stoffen schon resorbiert ist, unkontrollierbar.
Es gestatten aber dennoch die diesbezüglichen Resultate eine Einsicht darin,
wie hoch unter manchen Verhältnissen die Zersetzung gehen kann, und es ist be¬
sonders werthvoll, darauf hinzuweisen, dass in einzelnen Fällen der Gerbsäurefiltrat¬
faktor ebenso hoch ist, wie bei den Impfversuchen (s. Tabelle I, Fall B), ja dass in
einem Falle sich bei der Impfung und bei der direkten Untersuchung fast ganz
gleiche Resultate ergaben (s. Tabelle I, E und Tabelle II, 13). Es bilden daher
diese Untersuchungen eine Stütze für die Richtigkeit der Impfversuche.
Die Impfversuche und die daran sich anschliessenden Untersuchungen gestatten
uns zwar nicht, schon wegen ihrer geringen Anzahl und dann wegen der fraglichen
Qualität einzelner Fälle, ein abschliessendes Urtheil darüber, in welchen Grenzen
der normale und in welchen ein pathologischer Abbau der Darmbakterien stattfindet.
Mehrere Thatsachen scheinen aber dennoch hervorgehoben werden zu dürfen:
1. vollzieht sich der Abbau* N-haltiger Materialien bei Impfung von Pepton¬
lösungen mit Darminhalt bei einem und demselben Individuum mit geringer
Schwankungsbreite gleichartig. Verlängerung der Einwirkungsdauer von 24 bis
48 Stunden bewirkte nur unwesentliche Steigerung der Abbauprodukte (s. Tabelle II,
Fall 7, 8, 4). Der Abbau N-haltigen Materials im Darmkanal geschieht selbst
normaler Weise soweit, dass ca. 30 »/ 0 der eingeführten Albumosen durch Gerbsäure
nicht mehr fällbar werden. Dieser Abbauwerth kann in pathologischen Fällen Er¬
höhung und Verminderung zeigen;
2. die Thatsache, dass die höchsten Ziffern sich bei Fällen von Kachexie finden,
während die gutartigen Fälle geringere Zahlen aufweisen, scheint die Annahme zu
bestätigen, dass die verschiedene Wirksamkeit von Darmbakterien in einzelnen Krank¬
heiten von wesentlichem Einfluss für die Verwerthung unserer Nährmaterialien sowie
für unsere Ernährung überhaupt ist;
3. resultiert die Thatsache, dass durch Bakterienwirkung eine Verschieden¬
artigkeit in der Verwendung des Nährmaterials im Darme herbeigeführt werden
kann, welche nicht nur darin besteht, weiter als normal, sondern auch darin, ge¬
ringer als normal zu zerschlagen (s. Tabelle II, 4).
Weit entfernt, die angeführten Thatsachen als abschliessendes und erwiesenes
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470 Leop. Läufer, Uüber den Einfluss der Darm Bakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung
Resultat der Untersuchungen zu betrachten, wollen wir sie nur als ersten sachlichen
Beweis dafür hinstellen, von welcher Wichtigkeit die Untersuchung der Verdauung
nach dieser Hinsicht ist. Es werden unzweifelhaft solche Untersuchungen, wenn sie
nicht nur nach so groben Gruppierungen durchgeführt werden, sondern in viel
weiterer Nuancierung der einzelnen Produkte unter Anwendung anderer Nährböden,
vielleicht mit besonderer Berücksichtigung der biologischen Eigenschaften der Zer¬
schlagungsprodukte, eine bessere Erkenntniss der Pathologie vieler Erkrankungen
gewinnen lassen.
Zum Schlüsse sei es mir gestattet, an dieser Stelle, Herrn Vorstand Dr. Ernst
Freund, von dem die Anregung zu dieser Arbeit ausgegangen, meinen tiefgefühlten
Dank auszusprechen; auch fühle ich mich verpflichtet, den Herren Prof. Dr. Hochenegg,
Primär. Dozenten Dr. Frank und Dr. Schnitzler, sowie den Herren Assistenten
Dr. Sternberg und Dr. v. Karajan für die wiederholte freundliche Beistellung von
Untersuchungsmaterial bestens zu danken.
Zusammenstellung der bei der Verfassung der Arbeit
berücksichtigten Litteratur.
Demant Bernhard, Ueber die Wirkungen des menschlichen Darmsaftes Virchow’s Archiv
für pathologische Anatomie Bd. 75. S. 419.
Garn gee, Die physiologische Chemie der Verdauung. 1897.
W. Hausmann, Ueber die Vertheilung des Stickstoffs im Eiweissmolekül. 1. Mittheilung.
Zeitschr. für phys. Chemie Bd. 27. S. 95. II. Mittheilung. Zcitschr. für phys. Chemie Bd. 29. S. 136.
Fr. Kutscher, Ueber die Verwendung der Phosphorwolframsaurc bei quantitativen Bestim¬
mungen der Spaltungsprodukte des Eiweisses. Zeitschr. für phys. Chemie Bd. 31. S. 215.
L. Kersbergcr, Ueber die sogenannte Frühgarung der Fäccs und ihre diagnostische Be¬
deutung für die Funktionspsüfung des Darmes. Archiv für klinische Medicin Bd. CG. S. 431.
S. Lang, Ueber die N-Ausscheidung nach Leberexstirpation. Zeitschr. für phys. Chemie
Bd. 31. Heft 3 und 4.
Paul Müller, Zur Trennung der Albumoscn von den Peptonen. Zeitschr. für phys. Chemie
Bd. 24. S. 48.
Mac Fadyean, Nencki, Sieber, Ueber die chemischen Vorgänge im menschlichen Dünn¬
därme. Archiv für exper. Pathol. und Pharmakol. Bd. 28. S. 311.
v. Noorden, Pathologie des menschlichen Stoffwechsels. 1893.
Pfaundler, Ueber ein einfaches Verfahren zur Bestimmung des Amidosäuren-N im Harne.
Zeitschr. für phys. Chemie Bd. 30. S. 75.
W. Praussnitz, Die chemische Zusammensetzung des Kothes bei verschiedenartiger Er¬
nährung. Zeitschr. für Biologie Bd. 35. S. 335.
Rieder siehe Jahrbuch für Thierchemie Bd. 14. S. 432.
Schmidt, Experimentelle und klinische Untersuchungen über Funktionsprüfung des Darmes.
I. Ueber Fäcesgärungen. Deutsches Archiv für klin. Medicin 1898. Bd. 61. II. Ueber die Ver¬
dauungsprobe der Fäces. Deutsches Archiv für klin. Medicin 1899. Bd. 65. Heft 3 und 4.
Derselbe, Beobachtungen über die Zusammensetzung des Fistelkothes einer Patientin mit
anus praetemat am untersten Ende des Ileum. Archiv f. Verdauungskrankh. Bd. 4. Heft 2. S. 137.
E. Schulze, Ueber die beim Umsätze der Proteinstoffe in den Keimpflanzen einiger Koniferen¬
arten entstehenden N-Verbindungen. Zeitschr. für phys. Chemie Bd. 22.
Derselbe, Ueber das Arginin. Zeitschr. für phys. Chemie Bd. 11. S. 43.
0. Simon und Th. Zerner, Untersuchungen über die digestiven Fähigkeiten des Dünndarm¬
saftes. Archiv für Verdauungskrankheiten 1901.
J. Sebelen, Ueber Peptone und ähnliche Substanzen (nach Maly’s Jahresber. XX. S. 21).
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$ tfahtfhi, V* rriiifachU-s Gt»ri»th für manuelle HeiJ^ynmustik
Vereinfachtes Geräfch für manuelle Heilgymnastik,
Dr.Sa! agil i
der Königl. CfiVwitiSit Belogri
Professor der physikalischen Therapie
Seit einiger. Jahre» befasse ich ni'ielr damit, die physikalischen Heilmethode«
mir. (ieriitheft »»izustaWeu, dm ebenso gut fflr deu L nt erricht als für die ärztliche
Praxis passen und zugieich einfacher «ad Fi „ r ,
billiger iiad, als die hei Spezialisten gegen- . ■, ' . ' -
wie die übrigen Zweige tles f^ysik;dicclu-n
Heilverfahrens
eines einiaeheren Ma~
terials bedürftig fst
Was. Itter '/.ö.ttScbfet; wünKbftUswerth.
erschien f -war eine einfache Vorrichtung,
die vvc« raögBidi Schna für sjx’l) allein cs
vermocht hätte, mehreren jciter Be<li»-
,Bunge» zu. genügen, zu deren Erfüllung
das manuelle System über eine ziemlich
reiche Auswahl von Geräthen verfügt: hohe
Bänke von verschiedener Grösse, niedrige
Bank, Stöhle ohne Lehne — auch diese
von verschiedener'Grösse — u. s. t.. uud
die überdies noch möglichst billig gewesen
oui «Jäs geWühfilirhe Budget. des
wäre
Arztes nicht übermässig zu belasten.. Diesen
Anforderungen eatspriclit, soviel ichglanhe
das Modelt das in Fig.‘?.-l abgehildet ist,
Die weser.tlkhen
seihen sind nun folgende: EiA kleiner auf
einem ITcdzpodiuw feststehender Stuhl.
Der ui« die eigene Ave drehbare Site kann
höher oder tiefer gesellt und in beliebiger
döhe festg^sidiräuht werden. Jde Basis
Kenea, U erifth inr tit.iio 11 v'llr IIeilgy mnantik
iKbviüdk.!flvt : er} ; V für ■attaend auazufüLiOTide
Uiiiapfbßwc-gmigofi bei FwthaUung der rmtmm
■ry,]rk&; , kAtmintäten.
•) 3- ^älaghL fiHÜrlzzo ,alU> sttjHid dÄlla Tempi» fisieä.
a Rditore Fnincftaco Vallardi. : Milano fsÖ8. rr-
AiilfekÄ^äf^j^ _
^Slntzclektrnlidy tör (iiektn^heApplikatioiiefriüi Ildls UWü Oesiejit. Zeitschrift fite diät tirrf plivsik.
» Wapie B,]. JY üöou |!W.U), Hefe :,.
=; -Mein den Ahbildiuigen diirgwt eilten Tei-snne.« simt säumt tiieh Btudeinen uud ärudeurutaen
lUeburtshUfe).
472 S. Salagto
tragt vorn einen erhöhten* v<w der Mitte aus nach beiden Seiten bin, krummlinig wr*
iaufoatfoa.'Quersiab. Derselbe dient .zur Festhaltaag der Füsse, damit diese beim
Aüsföhvoß der üebusgen night äafgehabcß werden. Die Schenkel können mittels
eitjöP Bremens fixiert werden
Pig.14 zeigt dieselbe Sitebank; nur ist hier eüs absetzbares T förmiges Stück
littter dem Site befindliches MetallrpUr
dessen Zefltndsfab iii
iunzugefügt
eiHgeseiiobftw wird ? während zwei an beiden Enden angebrachte gepolsterte PeUdtsti
Sich gegen die liineTidabhen der fMee stemmen und dieselben dadurch »«setoaodef*
. \/ Imlten. Die Vomehtnng kann mehr r.»ife
weniger weit nach.hinten gegen <l«rSiti
Ausgangsstetiung; daher die Länge des
zür Festüftitun,
der Fasse a ngebraehteo
Querstabes, der, wie bereits erwähnt, vom
Zentrum aus einen weiten Bogen nach
beide« Seiten hin beschreibt und sielt zu
jedem -beliebigen Urad von Austnuanderliältung der Beine eignet (der Apparat trwde
deshalb K or ui u k i n e t .:• r benannt). Solche in der Uegel : sehr weif blutige ,Pc-
wegiuigeu des Bnmpfes, hei ilenett der Schwerpunkt des Körpers sogar ausserlmU'
des Sitzes verlegt wird, wie dies z> B, bei •Rumpfkmse«, 'Strecken, vor- oder seitib'h-
tieUgerf der Fall ist. erfordern eine tnecbnmsche BeUiilfe; denn hie* ist es nicht nnr
unerlässlich., dem Körper eine bequeme Stütze zu gebefh sondern es müssen awi
die -unteren Extremitäten' gehörig fixiert werden, .damit die -Operationen mit der ge*
.wünschten iteuelmässigkeil aüsget'fibrt werden können und der Patient nicht die
unangetfebnie Empfindling hat, hei den. t'etningea feerabzafallen.
Für alle übrigen in liegender oder, baltdiegender oder aufrechter Stellung au>-
zUführeiideii t|ebu«£gnistFes; durchaus nicht, nöthig, über spezielle Geräthe zu «*-
1.' usscJ l*»i - v : erät L . -.unters liorgericWrt, ffit die
reitende Stellung ;j
Oerath für roamiDlIr
fügen, es vollkoffiGHio hitireidtt,. $u.r. Stütze des Kränken rische, FaiUefiite, Betten
und sonstige ganH gewöhnliche M&bel edier 6eg$nl4fede hemit/en»
Mit Rücksicht darauf dürfte es wohl gestattet seit» st«: behaufireflj ^tfc .tfifc neue
Geräth sich für jene Fälle gut bewährt, wo eine'mt&i'haajecb© AaehhRfe HOtbweadb? ist
Es mögen hier nun noch einige fiemerkungefi Platz finden,, ms deiieft Ffticht
zu . ersehen sein wir»!, wie die neue Vorrichtung im Vergleiche zu den bisher ver-
wendeten ihrem Zwecke vollkommen entspricht.
Die reitende Stellung ist hier durch- das abnehmbare. T förmige Stück ermög¬
licht, durch das die unteren Extremitäten genöthigt werdöu in gespreizter Stellung
zw bleiben. Eine solche Vemcbtüng, die vorn am Sitze angebracht wird, , ist eine
Art von gymnastischem Reitpferd in .seiner einfachsten Darstellung Dasselbe ist
hier nämlich auf eine zwischen beide Kniefe eirr
gefügte gerade Unie reduziert, was eben hife
reicht, um die betreffende Körpersteiittttg, ihrer
Detiaitiop geosäss, zit erzielen.
Die an de« Enden des t juerstabes ange-
brachten Efelottea znm AnStenimeit beider Kniee
können hoher öder tiefer gestellfc nrid dadurch
der Höhe. dieser■letzteren genttü aagepasst wer¬
den. Ferner sind dieselben in der Weise ver¬
stellbar, dass man ihren Äbstäiid von einander
je wach dem ^^Üßpchten Grad von Auseinander¬
haltung der Schepkel und nach der Statur der
betreffenden Person verringern oder vermehren
kann, wodurch ein genaues Gradieiungsmittel
gegeben ist, während hei der heheii Bank die
Grösse der Abweichung der beiden Schenkel von
einander sich einzig «ad dllejn fiach der Breite
der Bank resp. nach der Zahl der viirtinudeßen
Bänke riebten m'ushp^'ijbche^Ätiifunge.n fehle«.
Aus&erdeiB sind dnv Beides «aotfoa rii^ht; . . .. , - v ^ it ,
. , . tremitaten Ihm der mu/mua Srpilun^
zu einander .UrtmüfeL-SOödtl » ang’pnotnmyjttc Ku’htix»^ ■ ntfeh W i d p .
so dass die sieb daran stemmende«; Gb*edrm»a»sen
in den Stand gesetzt werden, ohne die .geringste Anstrengung ihre; gerade Hicfttnng zu
behalten. Es. ist dies ein Vortbeit, der heim natürlichen Pferde und dessen gym¬
nastischen Xachahmungen, den hohen Bänken, VertdW wird, da bei dem efst^ren dip
Flähmeu, hei den letzteren aber die zur ApstfeHttäifög dienenden Brnttköntfen die
Richtung der Schenkel unter emem weite« Winkel durchkreuze« und dadurch eine
minder beqöeth« .■Stellung bedhjgen, Dieser Unterschied tritt nun rocht deutlich hervor,-
sobald man die von den untere« Ectremitiite« bei yorüegendenv Geräth nngenomtnene.
Dichtung (Fig, 74) mit der bei einer heben. 'Bank gegebenen (Fig. 7ö) vergleicht..
Schliesslich gewährt das beliebig veränderliche Niveau des Bitzes die Möglich¬
keit, die Höhe dieses, letzteren der Statur der betreffenden Individuen — .Erwachsene«
oder Kinder — im richtigen Yerlmlttiiss zur Beinlänge. derselben arizupasseit. Diese
Geaauigkdt wird hingegen bei den. hoben Bänken vermisst; dieselben weisen vielmehr
äusserst geringe AivettnaHterschiede auf. indem diese letztere« kunpisSebllch von der
Zahl der eben vorlmniißinHi Bänke abhängig -sind, vvodiitxdiDtdßh ziemlich grobe
GraduAtioa bedingt wird. . . ■ f'■v. - 1 VD’ D‘' '
Uolir Bank Von 44|ß wntcren Ex¬
tremitäten lioi der reüenden £reiIün<j.
angpnomrnijno iiidhtuiig \nuch WitlPD.
®Pi
Einen Beweis davon liefern uöh die Fach iehrb lieber seilet, w» man nicht seit«»
im de«darin vfo koirtmeödea '.Figuren gezwungene öder doch - wenigstens aicht t-efe
korrekte- KiirpdnsteHungen au selten bekommt, die Beine «scheine®. — mit Kficksuitf.
aut- den ihnett von ihMtStmgbÖjfefe gelassenen &|>ielr8u?ii — fjfjg. 7dl entweder m
Böig oder zu kurz. ( : nd ge»;tex hat man düch fur solche «w Derritinstratioflsmodellen
bestimmte Stelfimge» die am meistea studierten und am besten geluagenejt Probte
misgewühU.
W ‘möglich durch Emporbeboiig des Sitzes bis Jrti
einem sehr -hüben. Niveau*. Ohife denselben hierbei testauschrauben, eine pussln-
'■ (Fig. 77 1 bezw. aktive Rotation des unteren Tbeiiec
des Kumpfes (Beckendrehcn) in ahn lieber Weise
H wre bei den Maschinen E 7 und C 8 der Zander-
s eheit Sammlung zu be werkstcd iigen. Durch ein«!
geschobene».. Sinti fixiert der Gynwast de« oberen
•' Thdl des'l7unt}.‘fes» währeud der untere Theil als*
auf dit! ^(4s ^lebeb^ms^, auf den er («it
AtisgöführtenTebriDgen (Hebung des Thorax >t- - f-t
Tj treten ■ und er«?u-
Soleh ein didaktisches
lat-seipetf
iüif (Be in sitzender StcHüßg auszuftthrenden■ sk»
BifiiÄ .M- k Weiten Kuttipfbesvegutmen beschränke- m
,i Cr rcitruiii-D Stellung pmeh «teil wilrdfe nun also meinem Dafürhalten töten
Wlde.i — im Vergleich tn den amlereti in <7cbr.oi.ii
stellenden'GeriUlien — folgc-iule Vorthdle bi««i,
Eine in Bezögt »ttfdak Niveau des Sitzes genaueise, Bst Korpergröss» des Patjetete»
««gepasste DjwUiatinn. freie Wahl zwischen sitzender und reitender Stellung — et-t» ?«
i.‘t bei der «sechiuuschc« (Zau.der, HgezV letztere hingegen bei der manuellen HBI
gymjmstik die bevorzugte. Es i-t. dies ein nicht zu uritersciiät/emler Vortheil, indem
datliiTCh dli; Miigluiiikoit gegeben ist, das (lerätfi in hetjnemerer Weise für beide Be-
M'liioi'bf*u versterUi.'U.
- Das G-r.iili hätte aber in. Betreff der reitenden Stellung' noch weitere spezielle
VorzMtm. iuSoforu öiihiHch-, als eitle genauer« KeguBumug des Abstandes beider Knies
von einander grnodgiS.di! wird; den Knien» selbst bietet es überdies eine passend'-re
sieinnittiU'he. -wodurch den 'Extremitäten gestartet wird, eine korrekte und ruhte*
Haltung zu. bßludion,
Veruev wate durrli einen soicheü ziemlich einfach konstruierten und eine nicht
.allssuvTo-se Ausgabe erfordernden Apparat. .1;,- ingesBchu- Ziel erreicht, indem der»
stdS.lt» >!*hun für sich nlfeju teUeti Anfofdening'efi der nmnaeLtßß Heilgyniaastiir genügt,
einem linderen Ihiterrichtsfach gehörenden orth«-
p.'ul < ".vJieti -A i» plifea tionen.
Veroi nfarj>t«f C*erarb ftir lminnelki IMIfry(njnasrfk
Icli bin schliesslich der Meinung, dass das in Rede stehende Modell sich im
die Praxis ebenso nützlich erweiset» wurde wie für den;-Unterricht.
in diesem
Falle. Wörde es das einzige nüthige und für die gewüliolkTien IJnbtiugen der manuellen
HeiSgymmistit ausreichende öeriilh darstellen. Die nämlichen Sparsamkeitsgründe,
die seine Anwendung io der Schule befürwortet habeu, dürfte« auch bezüglich seines
fiel)rauch«? in der Ärztlichen Praxis ins Gewicht fallen, Und insbesondere-hei- dem
■heutzutage .sieh rBanffostierendeji Streben
mich weitem. VerbretUtüg .lei yhys'ikali- V..\ r ‘
Dadoivh ist ein einziger Apparat von reduziertem Typus entstanden, -der, nachdem
ihre eine beschränkte, genau bestimmte Funktion angewiesen ist, dio<lh* mit gro^res
Regelmässigkeit und l'rücisiöj» besorgt als die anderen bisher io ilebrooeh slefiemliSii
Der Apparat. Würde in der am 3. Mai lltOl sfc.ttgebähten .Sitzung der inodici-
nischen 'Gesellschaft2u : 'Bologna, sowie in der im 'September, desselben Jahres zu Vareso
iLombardei) abaehaltßiien Versammlung italienischer Aerzle demonstriere. die Her-
Stellung desselben hat die Firma Rosset, Schwatz & Coy m Wiesbaden - übernommen.
») Durch die bedeutende Dicke «Iw Schraubt. Würniif der Site »IrChbar Ist, werde» ■«•rlirtiliuhc
SettimikuügeB Selbst dann verlmivl wenn di-oclln.' svlir iiucligesu-llt wt. tiu *. Vanüc-
Figur veranschaulicht.
Ostertag
476
IV.
Ko eh's Mitteilungen über die Beziehungen der Menschen-
zur Hausthiertuberkulose.
Von
Professor Dr. Oster tag
in Berlin 1 ).
Als Robert Koch im Jahre 1882 den Nachweis lieferte, dass er den Erreger
der menschlichen Tuberkulose entdeckt hatte, und bei dieser Gelegenheit mittheilte,
dass er den nämlichen Erreger, nach seiner Form, Grösse, Färbbarkeit und Patho¬
genität für kleine Versuchstiere zu urtheilen, auch in den tuberkulösen Produkten
der Thiere festgestellt habe, da wurde geglaubt, dass nunmehr der Streit über das
Verhältniss der »Perlsucht« des Rindes zur Tuberkulose des Menschen im Sinne
der Einheit der beiden Krankheiten entschieden sei. Dieser Streit hatte eine mehr
als akademische Bedeutung. Denn es handelte sich um die praktisch sehr wichtige
Frage, ob es verantwortet werden könne, das Fleisch der perlsüchtigen Rinder als
menschliches Nahrungsmittel in den Verkehr zu geben. Bekanntlich ist in Deutsch¬
land schon im 9. Jahrhundert bei den Franken durch Kirchengesetze der Genuss des
Fleisches von Rindern verboten worden, welche mit »Perlsucht« behaftet waren.
Das Verbot ging auch in die Fleischbeschauverordnungen über, welche im 14., 15.
und 16. Jahrhundert von den süddeutschen Städten erlassen wurden. Motive für
das Verbot sind aus den Verordnungen nicht ersichtlich. Erst im 18. Jahrhundert
wurde das Verbot damit begründet, dass die »Perlsucht« oder die »Franzosenkrank¬
heit« des Rindes mit der Syphilis des Menschen identisch sei. Gegen Ende des
18. Jahrhunderts erlitt diese Lehre einen Stoss durch die Beobachtung, dass das
Fleisch perlsüchtiger Rinder vielfach heimlich ohne jeglichen Nachtheil genossen
wurde. Diese Beobachtung wirkte so überzeugend, dass das Berliner Collegium
sanitatis im Jahre 1783 das Fleisch der fraglichen Rinder amtlich für genusstauglich
erklärt hat. Hiergegen traten später Spinola und Haubner, vor allem aber
Ger lach auf, welcher gestützt auf Fütterungsversuche erklärte, dass die Rinderperl¬
sucht nichts anderes sei als eine Form der Tuberkulose. Gerlach verlangte infolge¬
dessen eine Ueberwachung des Verkehrs mit dem Fleische perlsüchtiger oder tuber¬
kulöser Thiere und den gänzlichen Ausschluss desselben bei bestimmten Formen der
Krankheit. Dem Streite, welcher sich an die Forderung Gerl ach’s anschloss,
machte die Entdeckung Koch’s ein Ende.
Die Auffindung und Züchtung des Tuberkelbacillus wird mit Fug als eine der
i) Um den Lesern unserer Zeitschrift Gelegenheit zu geben, die Ansichten eines der hervor¬
ragendsten Veterinäre Deutschlands über die von Koch auf dem Londoner Tuberkulosekongress
gemachten Ausführungen zu erfahren, veröffentlichen wir hier mit ausdrücklicher Zustimmung des
Autors dessen Aufsatz, den er in der Septembernummer der unsem Lesern kaum zugänglichen
»Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene« publiziert hat. Red.
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Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulosc. 477
grössten, wenn nicht als die grösste medicinische That des vergangenen Jahrhunderts
bezeichnet. Die Koch’sche Entdeckung schuf erst den Begriff der Tuberkulose,
dessen Abgrenznng der pathologischen Anatomie nicht möglich gewesen war. So
hatte Virchow die Perlknoten des Rindes nicht für Tuberkulose, sondern für
sarkomähnliche Bildungen nach dem pathologisch-anatomischen Bilde gehalten. Die
Koch’sche Entdeckung war ferner die Grundlage zur Entwicklung derjenigen Maass¬
regeln, welche zur Bekämpfung der Tuberkulose zu ergreifen sind.
Koch hat sich in seiner grundlegenden Arbeit über die Aetiologie der Tuber¬
kulose mit grosser Vorsicht darüber ausgesprochen, wie sich die Tuberkelbacillen
der Thiere zu denen des Menschen verhalten. Er bezeichnete es als möglich, dass
später vielleicht Unterschiede zwischen den Bacillen der menschlichen und der
thierischen Tuberkulose ermittelt würden. Gleichwohl vertrat er die Ansicht, dass
die thierische Tuberkulose auf den Menschen übertragen werden könne und dass
diese Gefahr, so klein oder so gross sie auch sei, vermieden werden müsse.
Dieser Standpunkt ist von Koch auf dem letzten Tuberkulosekongress, welcher
in den Tagen vom 22.-26. Juli in London tagte, verlassen worden.
Koch berichtete, dass er in Gemeinschaft mit Schütz Versuche darüber an¬
gestellt habe, ob tuberkulöses Material vom Menschen die Hausthiere zu infizieren
vermöge. Die Versuche 1 ) hätten ergeben, dass junge Rinder durch die Bacillen der
menschlichen Tuberkulose nicht infiziert wurden, gleichgiltig, ob Sputum oder Rein¬
kulturen verwendet wurden. Mehreren Thieren sind die Tuberkelbacillen oder das
Sputum unter die Haut, anderen in die Bauchhöhle, wieder anderen in die grosse
Halsvene gespritzt worden. Sechs Thiere wurden sieben bis acht Monate lang fast
täglich mit bacillenhaltigem Sputum gefüttert. Vier Thiere inhalierten wiederholt
grosse Mengen von Bacillen. Alle diese Rinder, im ganzen 19, zeigten keine Krank¬
heitserscheinungen. Sie nahmen an Gewicht bedeutend zu. Sechs bis acht Monate
nach Beginn der Versuche wurden sie getötet, und in ihren inneren Organen fand
sich keine Spur von Tuberkulose. Hur an den Injektionsstellen hatten sich kleine
Eiterherde gebildet, in denen wenige Tuberkelbacillen nachgewiesen werden konnten,
der gleiche Befund, den man erhält, wenn man ansteckungsfähigen Thieren abgetötete
Tuberkelbacillen unter die Haut bringt. Ganz anders dagegen sei das Ergebniss ge¬
wesen, wenn Tuberkelbacillen aus der Lunge eines Rindes benutzt wurden. Die
Thiere erkrankten nach einer Inkubationszeit von einer Woche ausnahmslos an den
schwersten tuberkulösen Veränderungen der inneren Organe und starben theils nach
l 1 /*—2 Monaten, theils wurden sie schwerkrank nach 3 Monaten getötet. Bei der
Obduktion fanden sich starke tuberkulöse Infiltrationen an der Infektionsstelle und
den benachbarten Lymphdrüsen und weit vorgeschrittene tuberkulöse Veränderungen
der inneren Organe, hauptsächlich der Lunge und der Milz. Durch die Injektion
in die Bauchhöhle wurden auch die für Perlsucht charakteristischen tuberkulösen
Wucherungen auf dem Netz und Bauchfell erzeugt. Ein fast ebenso scharfer Unter¬
schied zwischen der Tuberkulose des Menschen und des Rindes zeigte sich bei einem
Fütterungsversuch an Schweinen. Sechs junge Schweine wurden drei Monate lang
täglich mit bacillenhaltigem Sputum, sechs andere mit Perlsuchtbacillen gefüttert.
Die ersteren blieben gesund und wuchsen kräftig heran, die mit Perlsuchtlunge ge¬
fütterten dagegen wurden bald kränklich und blieben im Wachsthum zurück, und
die Hälfte davon starb. Nach 3Va Monaten wurden die überlebenden Schweine
i) Deutsche medicinische Wochenschrift T.K31. No. 3:5.
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Original fro-m
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478 Ostertag
sämmtlich getötet Bei den mit Sputum gefütterten Schweinen fand sich keine Spor
von Tuberkulose, mit Ausnahme vereinzelter kleiner Knötchen in den Halsdrüsen
und in einem Falle weniger grauer Knötchen in der Lunge. Die Thiere dagegen,
welche Perlsuchtbacillen gefressen hatten, zeigten wiederum ausnahmslos schwere
tuberkulöse Erkrankungen, besonders tuberkulöse Infiltration der stark vergrösserten
Halslymphdrüsen und der Mesenterialdrüsen, und regelmässig fand sich auch aus¬
gebreitete Tuberkulose der Lungen und der Milz. Auch bei Eseln, Schafen und
Ziegen, denen die beiden Arten von Tuberkelbacillen in die Blutbahn injiziert wurden,
trat der Unterschied zwischer menschlicher und Rindertuberkulose in ebenso scharfer
Weise hervor.
Koch folgerte aus seinen Versuchen, dass die menschliche Tuberkulose von
der des Rindes verschieden sei und auf das Rind nicht übertragen werden könne.
Die umgekehrte, weit wichtigere Frage, ob die Rindertuberkulose
auf den Menschen übertragbar sei, müsse erst noch entschieden werden.
Koch hat aber seine persönliche Meinung dahin ausgesprochen, dass er die Ueber-
tragung, wenn sie überhaupt möglich sei, in Anbetracht der Seltenheit der primären
Darmtuberkulose beim Menschen, namentlich bei den Kindern auch für sehr selten
halte. Koch sagte wörtlich:
»Wenn die wichtige Frage, ob der Mensch überhaupt empfänglich
für Perlsucht ist, auch noch nicht vollkommen entschieden ist und sich
sobald nicht entscheiden lassen wird, so kann man doch jetzt schon sagen,
dass, wenn eine derartige Empfänglichkeit bestehen sollte, die Infektion
von Menschen nur sehr selten vorkommt. Den Umfang der Infektion durch
Milch, Butter und Fleisch von perlsüchtigen Thieren möchte ich kaum höher schätzen
als denjenigen durch Vererbung, und ich halte es deswegen für nicht geboten,
irgend welche Maassnahmen dagegen zu ergreifen.«
Sämmtliche Berichte über den Verlauf des Londoner Kongresses betonen die
Ueberraschung, welche die Worte Koch’s bei den Kongresstheilnehmern hervor¬
gerufen haben, und dass dieser Theil des Koch’schen Vortrages als das Ereigniss
des Kongresses den weiteren Verlauf desselben vollkommen beherrscht habe. Die
Ueberraschung über die Koch’schen Ausführungen wurde, wie eine Durchsicht der
ärztlichen und thierärztlichen Fachschriften, der landwirtschaftlichen, milchwirth-
schaftlichen und Fleischerzeitungen sowie der Tagespresse zeigt, eine allgemeine, und
kaum jemals dürfte in der Welt soviel über Tuberkulose disputiert worden sein,
wie an den Tagen nach dem Vortrage Koch’s in London.
Wenn wir von der nicht sachverständigen Presse, welcher wohl die früheren
Versuche über die Uebertragung der Menschentuberknlose auf das Rind unbekannt
geblieben waren, absehen, so dürften bei den Vertretern der Medicin'und Thier-
medicin weniger die tatsächlichen Mitteilungen Koch’s als seine Folgerungen die
allgemeine Ueberraschung erzeugt haben. Es ist die Frage aufgeworfen worden, wie
es möglich war, dass der für die Praxis so ausserordentlich wichtige Punkt des Ver¬
hältnisses zwischen der Menschen- und Haustiertuberkulose erst jetzt, fast 20 Jahre
nach der Entdeckung des Tuberkelbacillus, einer experimentellen Prüfung unter¬
worfen wurde. Diese Frage erledigt sich durch den Hinweis, dass solche Unter¬
suchungen sofort nach der Entdeckung des Tuberkelbacillus und im Laufe der
90 er Jahre ausgeführt worden sind und dass einige Untersucher dasselbe Ergebnis?
hinsichtlich der Uebertragung der Menschentuberkulose auf Thiere erzielt hatten wie
Koch und Schütz.
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Koch’s Mittheilangen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 479
Der verstorbene Pütz hat auf der Naturforscher Versammlung im Jahre 1882
darüber berichtet 1 ), dass er drei Kälbern tuberkulöses Material mit dem Futter
beibrachte, in die Unterhaut und in die Bauchhöhle verimpfte, ohne dass die
Versuchsthiere tuberkulös wurden. Fütz folgerte hieraus, dass eine Uebertragung
der Tuberkulose des Menschen auf das Rind im gewöhnlichen Verkehr äusserst selten
oder garnicht vorkomme und dass ferner die umgekehrte Infektion, die des Menschen
durch das Perlsuchtvirus, noch keineswegs erwiesen sei 2 ). Pütz hat diese Versuche
später bei zwei Kälbern wiederholt und hierbei einem der Thiere auch eine Tuberkel¬
bacillenreinkultur in die Lunge gespritzt, ohne »wesentlich andere Versuchsergebnisse«
zu erhalten, wie bei seinen ersten Uebertragungsversuchen 8 ).
Sehr eingehende Untersuchungen sind ferner von Theobald Smith 1 ), dem
Entdecker der Aetiologie des Texasfiebers, über das Verhältniss der Menschentuber¬
kulose zur Hausthiertuberkulose angestellt worden. Smith arbeitete mit sieben
Kulturen von Menschen, sechs Kulturen von Rindern und je einer vom Schwein,
von der Katze, vom Pferd und einer aus einem zweifelhaften Falle. Smith stellte
verschiedene Unterscheidungsmerkmale zwischen dem Erreger der menschlichen und
der Rindertuberkulose fest. Er fand, dass die Tuberkelbacillen des Rindes
viel weniger als diejenigen des Menschen durch Modifikationen des
Nährbodens beeinflusst werden und dass die Rindertuberkulosekulturen
viel virulenter sind als die aus menschlichem Sputum stammenden und,
im Gegensatz zu letzteren, nicht nur Meerschweinchen, sondern auch Kaninchen
töteten. Auch Smith ist es nicht gelungen, durch Verimpfung menschlicher Tuberkel¬
bacillen Kälber tuberkulös zu machen.
F rothingham 5 ) hat sowohl Sputum als auch Reinkulturen menschlicher Tuberkel¬
bacillen auf Kälber subkutan, intratracheal und intraperitoneal verimpft. Eines der
mit Sputum geimpften Kälber Hess einige Tuberkel in der Leber erkennen, ein zweites
zeigte nur Veränderungen an der Impfstelle, während bei einem dritten keinerlei
Läsionen nachzuweisen waren. Die in die Luftröhre und in die Bauchhöhle mit
Reinkulturen geimpften Kälber wurden nicht sicher tuberkulös, und Frothingham
schloss aus seinen Versuchen, dass Kälber für die Infektion mit menschlichen Tuberkel¬
bacillen nicht sicher empfänglich seien.
Dinwiddie«) hat festgestellt, dass tuberkulöses Material vom Rind sich für
Rinder, Schafe, Ziegen und Kaninchen als virulenter erweist als tuberkulöses Material
vom Menschen, während bei der Infektion von Pferden, Schweinen, Katzen und
Hunden ein solcher Unterschied nicht hervortrete. Dinwiddie glaubte daher in
Uebereinstimmung mit Theobald Smith, dass man die Gefahr der Ansteckung des
Menschen durch die von tuberkulösen Rindern stammenden Nahrungsmittel über¬
trieben habe.
!) Tageblatt der Naturforecherversammlung S. 219.
2 ) Diesen Ausführungen ist damals Schütz entgegengetreten, welcher erklärte, dass die
Identität des Tuberkel- und des Perlsuchtvirus mit Sicherheit nachgewiesen sei.
3) Münchener medicin.' Wochenschr. 1893. No. 15.
4) Journal of experimental medicine 1898. No. 4/5. Vergl. das Ref. im 2. Heft des 11. Jahr¬
gangs der Zeitschr. für Fleisch- und Milchhygiene.
3) Zeitschr. für Thiermcdicin. Neue Folge. Bd. 1. Heft 5.
«) Arkansas Agricultural Experiment Station. Bulletin No. 57.
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Ostertag
480
Endlich hat Gaiser 1 ) auf Veranlassung Baumgarten’s ein Kalb mit mensch¬
lichen Tuberkelbacillen geimpft, ohne dass es ihm glückte, »Perlsucht« zu erzeugen.
Alle diese Versuche waren bekannt, niemand aber ausser den amerikanischen
Milchwirthen») legte denselben die Bedeutung bei, dass, wenn die menschliche
Tuberkulose nicht oder nur sehr schwer auf das Rind überimpf bar sei, nun auch
gefolgert werden könne, dass die Rindertuberkulose garnicht oder nur sehr schwer
auf den Menschen übertragbar sei. Man sah in den Ergebnissen der Versuche mit
Smith und Dinwiddie nur einen Beweis dafür, dass die übertriebene Furcht vor
einer Ansteckung des Menschen durch Fleisch und Milch tuberkulöser Rinder un¬
begründet sei und dass die Forderungen jener über das Ziel hinausschossen, welche
wegen der Möglichkeit des gelegentlichen Vorkommens eines Tuberkelbacillus die
völlige Beschlagnahme des Fleisches sämmtlicher tuberkulöser Thiere (I. Pariser
Tuberkulosekongress) und den Ausschluss der Milch sämmtlicher tuberkulöser
Rinder, welche auf Tuberkulin reagierten, verlangt hatten. Man erblickte also in
den angezogenen Untersuchungen eine weitere Stütze für die jetzt allgemein getheilte
Ansicht, dass das Fleisch und die Milch tuberkulöser Thiere nur bei jenen Formen
der Tuberkulose dem Verkehr zu entziehen sei, bei welchen Tuberkelbacillen im
Fleische und in der Milch thatsächlich Vorkommen.
Die überragende Autorität Koch's hat den von ihm mit Schütz angestellten
Versuchen eine andere Beachtung verschafft. Ich persönlich, und, wie ich glaube,
alle aufrichtigen Verehrer des Begründers der Bakteriologie bedauern es aber, dass
Koch den thatsächlichen Mittheilungen über den Ausfall der Versuche seine Meinung
über die Zulässigkeit eines Rückschlusses auf die Uebertragbarkeit der Thier¬
tuberkulose auf den Menschen beigefügt und Maassnahmen gegen die Uebertragung
von Tuberkelbacillen durch die Milch und das Fleisch tuberkulöser Thiere als nicht
geboten bezeichnet hat.
In den Kreisen der medicinisch Gebildeten, für welche der Vortrag Koch’s
bestimmt war, wird die Meinungsäusserung keine Verwirrung anrichten, da Koch
selbst die Frage der Empfänglichkeit des Menschen für die Rindertuberkulose aus¬
drücklich für noch nicht entschieden erklärt hat und jeder Arzt und Thierarzt weiss,
dass in hygienischen Dingen im Zweifelsfalle das Ungünstigere anzunehmen ist. Die
Tagespresse hat aber dafür gesorgt, dass die Ausführungen Koch’s die weiteste Ver¬
breitung fanden und auch in die Kreise der Laien getragen wurden. Und dieses
hat schon die schwerste Verwirrung angerichtet, trotzdem Männer wie Lister J ),
Brouardel, Nocard, Bang, MacFadyean, SimsWoodhead die Annahme einer
Ungefährlichkeit der Hausthiertuberkulose als unschlüssig bezeichneten und der
Londoner Kongress den Schlusssatz aufstellte, dass vorläufig an den bestehenden
Bestimmungen über den Verkehr mit Fleisch und Milch tuberkulöser Thiere nichts
geändert werden dürfe. Die Resolution lautete:
»Nach der Ansicht dieses Kongresses und im Lichte der in seinen
i) Arbeiten auf dem Gebiete der pathologischen Anatomie und Bakteriologie aus dem Patbolog.
Institut zu Tübingen. Bd. 2. Heft 3.
*) Vergl. Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene 11. Jahrg. 2. Heft
*) Lister fasste in einer Zuschrift an das Brit med. Joum. sein Urtbeil über Koch’s Aus¬
führungen dahin zusammen: »Koch hat gezeigt, dass menschliche Tuberkulose sehr selten, wenn
überhaupt auf Rinder zu übertragen ist. Aber für den umgekehrten Satz, der unvergleichlich
grössere Wichtigkeit besitzt, dass nämlich Rindertuberkulose auch auf den Menschen
übertragbar ist, besteht, ich wage es zu sagen, kein zwingender Beweis.«
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Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 481
Sitzungen stattgefundenen Verhandlungen sollen die sanitären Behörden
weiter alle ihnen zustehende Macht dazu anwenden und keine An¬
strengungen unterlassen, um die Verbreitung der Tuberkulose durch
Fleisch und Milch zu verhindern.«
Ausserdem wurden die Regierungen »angesichts der Zweifel, welche bezüglich
der Identität der menschlichen Tuberkulose mit der des Rindes ausgesprochen worden
sind«, zur Vornahme staatlicher Untersuchungen aufgefordert.
Unter diesen Umständen ist es befremdlich, dass ein sonst sehr kritisch ge¬
leitetes Blatt, die Molkereizeitung Berlin mit Bezug auf die Entgegnungen von
MacFaydean, Nocard, Crookshank, Crichton-Brown, Ravenei, Malcolme u.a.
sagte 1 ), die Einseitigkeit der gegen Koch vorgebrachten Gründe werde man der be¬
greiflich grossen Verblüffung der Kongressteilnehmer zu gute halten können. Die
Molkereizeitung hat damit den von ihr vertretenen Interessen einen schlechten Dienst
erwiesen, wenn sie auch gleichzeitig den Milchwirthen räth, trotz der neuen Forschungs¬
ergebnisse den hygienischen Forderungen bei der Aufzucht und Haltung der Kühe
im eigenen Interesse strengstens durchzuführen. Jeder mit den Verhältnissen Ver¬
traute weiss, dass nur wenige Landwirthe hygienische Forderungen im eigenen
Interesse durchführen, dass ein äusserer Zwang, wie die Furcht vor behördlichem
Einschreiten, der einzige allgemein wirksame Faktor ist.
Die Thierärzte aus den Provinzen berichten, der Vortrag Koch’s habe bei den
weniger einsichtigen Bauern hinsichtlich des Eifers einer Tuberkulosetilgung ver¬
nichtend gewirkt. Sehr viele Bauern dächten jetzt gar nicht mehr daran, gegen die
Tuberkulose Maassregeln zu ergreifen, weil nach den Darlegungen Koch’s der Staat
nicht mehr mit Zwangsmaassregeln drohen könne. Die Thierärzte geben der Be¬
fürchtung Ausdruck, Koch habe den mehr und mehr hervortretenden Willen der
Landwirthe, die Tuberkulose der Hausthiere zu bekämpfen, ohne ausreichenden
Grund, lediglich durch Geltendmachung seiner Ueberzeugung zerstört und dieser
ganzen Angelegenheit einen — für die Landwirthschaft — unberechenbaren
Schaden zugefügt 4 ). Man müsste derartigen Berichten zweifelnd gegenüberstehen, wenn
nicht eine sehr angesehene landwirtschaftliche Körperschaft bereits eine offizielle
Bestätigung der in den privaten Briefen enthaltenen Mittheilungen gebracht hätte 3 ).
!) 1901. No. 31.
2 ) Dieser Meinung hat auch der erfahrene Direktor der Thierärztlichen Hochschule zu Mönchen,
Professor Dr. Albrecht, in seiner Wochenschrift für Thierheilkunde und Viehzucht (1901. No. 32)
Ausdruck gegeben, indem er bedauerte, dass «durch die Mittheilung Koch’s die Frage in einem
so unreifen Stadium der weiten Oeffentlichkeit unterbreitet worden ist, wo sie nicht verfehlt hat
und weiterhin nicht verfehlen wird, Verwirrung zu stiften und ohne hinreichenden Grund der so
mühsam in Gang gebrachten Bekämpfung der Tuberkulosegefahr an einem hygienisch und wirt¬
schaftlich gleichwichtigen Punkt — in der Nahrungsmittclfrage — neue Hindernisse zu bereiten.«
3) Nach der Milchzeitung (1901. No. 32) verhandelte der von der Landwirths chafts-
kamraer in Hannover eingesetzte Ausschuss für Rindviehzucht und Molk ereiwesen
in seiner Sitzung vom 26. Juli dieses Jahres über die Frage der Tuberkulosetilgung. Der Referent
betonte in seinen Ausführungen, dass sich eine jährlich zu wiederholende Untersuchung sämmtlicher
Rindviehbestände auf Eutertuberkulose und klinische Tuberkulose am meisten empfehle. Diese
Thiere seien sofort zu entfernen mit Ersatz des Weithes durch den Staat. Ferner sei die Tuberkulose
unter das Seuchengesetz zu stellen. Der Ausschuss hielt es indessen angesichts der
neuesten Ergebnisse der Forschungen der Wissenschaft nicht für angezeigt, gegen¬
wärtig mit bestimmten Vorschlägen an den Vorstand der Landwirthschaftskammer
heranzutreten!
Zeitschr. f. diät 11. physik. Therapie. IM. V. Hoft fl.
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482 Ostertag
Die Verantwortung für die Nachtheile, welche beim Menschen dadurch ent¬
stehen können, dass die bisher zur Verhütung einer Tuberkuloseübertragung an¬
gewandten privaten Maassnahmen, wie das Kochen der Milch, vielleicht ausser Acht
gelassen werden, ist Sache des Arztes. Thatsächlich konnte man nach dem Bekannt¬
werden des Koch’sehen Vortrages häufig die Frage hören, ob jetzt das Kochen der
Milch noch einen Sinn habe. Wenn man bedenkt, welcher Anstrengungen es be¬
durfte, um die Hausfrauen ganz allgemein zum Erhitzen der Kindermilch zu be¬
stimmen, so wäre es vom medicinischen Standpunkt aus zu beklagen, wenn dies
Ergebniss der jahrelangen Bemühungen jetzt vernichtet würde, um später vielleicht
wieder mühsam erreicht zu werden. Das Kochen der Milch ist aus vielen Gründen
nothwendig (Maul- und Klauenseuche, Typhus, Sommerdiarrhöen u. s.w.); für die
Hausfrau war aber die Verhütung der Tuberkulose das wesentliche Motiv, weil ihr
die Tuberkulose ein geläufiger Begriff und die Schrecken dieser Erkrankung bekannt
waren. Ja, und zu was kann es führen, wenn ein Schlächter den Satz Koch’s,
er halte es für nicht geboten, gegen die von perlsüchtigem Vieh stammenden Nahrungs¬
mittel Vorsichtsmaassregeln zu ergreifen, so auffasst, nunmehr könnten auch die
mit Tuberkulose behafteten Lungen, Lebern, Milzen, Nieren, Därme, Gekröse,
Fleischpartieen ohne weiteres in den Verkehr gebracht werden? Leider giebt es
Schlächter, die jetzt schon, trotz der auf das Inverkehrbringen gesundheitsschädlichen
Fleisches gesetzten Freiheitsstrafen, die Neigung besitzen, tuberkulöse Organe und
Fleischpartieen nach Entfernung der oberflächlich gelegenen Herde als solche zu ver-
äussern oder in die schweigsame Wurst zu verarbeiten *). Selbst in den Köpfen der
Laien fl eischbeschauer hat Koch’s Vortrag pertubierend gewirkt. In dem Proto¬
koll über den 13. Landesverbandstag sächsischer Trichinen- und Fleischbeschauer ist
von einem Wortführer der Fleischbeschauer versteckt angedeutet worden, nach dem
Vortrage Koch’s brauchten sich die Fleischbeschauer nicht mehr an die behörd¬
lichen Vorschriften zu binden, sondern könnten mit dem Fleische tuberkulöser Thiere
anfangen, was sie wollten 1 2 ).
Wenn sich der Satz Koch’s, er halte es nicht für geboten, irgend welche Maass¬
nahmen gegen die Infektion des Menschen durch die Milch und das Fleisch tuber¬
kulöser Thiere zu ergreifen, auf völlig abgeschlossene und einwandfreie Unter¬
suchungen stützen könnte, hätten wir Thierärzte uns damit zu bescheiden und die
zur Verhütung der Uebertragung der Hausthiertuberkulose auf den Menschen er¬
lassenen Maassnahmen darauf zu prüfen, ob und inwieweit sie unter den veränderten
Verhältnissen noch nothwendig oder zweckmässig seien. Es möge dabei gleich hier
ausgesprochen werden, dass, wenn die Nichtübertragbarkeit der Thiertuberkulose auf
den Menschen Thatsache wäre, die Thätigkeit der Fleischbeschau etwas erleichtert
würde, weil die Kochung suspekten Fleisches wegfallen und der einfachere Freibank-
1) Wenn keine Maassnahmen gegen das Fleisch tuberkulöser Thiere ergriffen wären, würden
die mit Tuberkulose behafteten Organe und Fleischpartieen, und zwar nicht nur die geringgradig
veränderten, in den Verkehr gebracht werden, wie jeder mit der Ausübung der Fleischbeschau be¬
traute Thierarzt weiss. Denn der Streit um die Freigabe tuberkulöser Organe ist in den Schlacht¬
höfen ein täglicher.
2 ) Es wurde in Form der rhetorischen Frage darauf hingewiesen, was daraus entstehen solle,
wenn die Laienfleischbeschauer in Zukunft etwas weltkluger wären, sich dio Entdeckung
Koch’s zu nutze machten und bei der Untersuchung tuberkulöser Thiere selbstständig verführen,
ohne einen wissenschaftlichen Flcischbcschauer zuzuziehen, weil nach Koch die Tuberkulose der
Rinder für den Menschen unschädlich sei.
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Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 483
verkauf ausreichen würde. Auch das veterinärpolizeiliche Vorgehen gegen die
Tuberkulose des Rindes würde erleichtert werden, weil die Hemmnisse, welche die
Tuberkulosetilgung durch übertriebene Forderungen (Maassnahmen gegen sämmtliche,
auch klinisch nicht verdächtige Thiere!) erwuchsen, in Wegfall kämen. Der that-
sächliche Beweis für die Nichtübertragbarkeit der Thiertuherkulose ist aber, wie
Koch selbst hervorgehoben hat, nicht erbracht. Und deshalb muss, bis dieser
Beweis geliefert werden kann, in der Behandlung des Fleisches und der
Milch tuberkulöser Thiere alles beim Alten bleiben. Der Beweis m.E.
ist erst dann als geliefert anzusehen, wenn einige Dutzend Menschen ohne Erfolg
mit grossen und kleinen Mengen tuberkulösen Materiales und Tuberkelbacillenrein¬
kulturen vom Rind, Schwein, Schaf und von der Ziege ohne Erfolg geimpft worden
sind. Wenn die vom Kaiserlichen Gesundheitsamt zur weiteren Prüfung des Ver¬
hältnisses der Thier- zur Menschentuberkulose in Aussicht genommenen Untersuchungen
voll zu Gunsten der präsumtiven Annahme Koch’s ausfielen, würden sich Männer
genug finden, welche dazu bereit sind, im Interesse der Wissenschaft als Versuchs¬
objekte zu dienen 1 )- Als die Frage der Zulässigkeit des Verkaufs rohen finnigen
Rindfleisches nach mehrwöchiger Aufbewahrung im Kühlhause zu entscheiden
war, erklärten Thierärzte und Studirende der Thierheilkunde sofort ihre Bereit¬
willigkeit, sich mit den Finnen infiziren zu lassen, welche nach den vorausgegangenen
Laboratoriumsversuchen als abgestorben betrachtet werden mussten. Zwischen einer
abgestorbenen Finne und einem unwirksamen Tuberkelbacillus ist aber kein Unter¬
schied. Ich glaube nicht, dass sich heute eine Behörde dazu entschliessen würde,
die Unschädlichkeit des Fleisches und der Milch tuberkulöser Thiere zu proklamieren,
ehe die Unschädlichkeit thatsächlich und ohne jeden Einwand erwiesen ist. Solches
konnte das Collegium sanitatis vor 100 Jahren thun 2 ), als die Fürsorge für die
Volksgesundheit mit der Einsicht in das Wesen der Krankheiten noch in den Windeln
lag. Unsere heutige präventive Hygiene verlangt andere Grundlagen für administrative
Maassregeln, wenn es sich um den Schutz der menschlichen Gesundheit handelt.
Bei dieser Sachlage sei es verstattet, zu erörtern, welche Schlüsse die von
Koch und Schütz und von den übrigen Autoren früher angestellten Versuche
zu ziehen erlauben, und welches Ergebniss von den weiteren Versuchen nach dem
gesammten Untersuchungs- und Erfahrungsmaterial wahrscheinlich zu erwarten ist.
Aus den über den Londoner Kongress mir vorliegenden Berichten der ver¬
schiedenen medicinischen Zeitschriften geht hervor, dass Koch’s Rückschluss auf die
wahrscheinliche Nichtübertragbarkeit der Thiertuberkulose seitens der Kongressmit¬
glieder keine Unterstützung, sondern nur Gegner gefunden hat. Auch die Hochfluth
der an den Koch'sehen Vortrag in der Tagespresse und in wissenschaftlichen Zeitungen
sich anknüpfenden Erörterungen lässt dasselbe Verhältniss erkennen.
Die jetzige Seltenheit der Fütterungstuberkulose bei den Berliner Kindern bildet
keinen Maassstab für die Beurtheilung der Bedeutung der Kuhmilch für die Ent¬
stehung der Fütterungstuberkulose Vielleicht ändern sich die Verhältnisse in den
nächsten Jahren. Man prüfe die Frage jetzt schon in solchen Landestheilen, in welchen
Kuhmilch auch den Kindern noch roh verabreicht wird, weil die Eltern aus Vor¬
liebe für den thatsächlichen Wohlgeschmack der Rohmilch gekochte Milch zur
!) Das Angebot des Franzosen Ci am au 1t ist noch verfrüht.
-) s. 8. 47(>.
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484 Ostertag
Ernährung für ungeeignet halten. Wie man sagt, soll dies in Holstein der Fall
sein. Ferner hat Virchow in der Berliner medicinischen Gesellschaft 1 ) seine Be¬
friedigung darüber ausgesprochen, dass seine alte Ansicht, Perlsucht sei keine
Tuberkulose, durch die Koch’schen Untersuchungen bestätigt worden sei. Auch
diese Bezugnahme ist verfehlt. Denn Perlsucht ist Tuberkulose, wie die Experimente
von Koch und Schütz und des bereits genannten Gaiser*) gezeigt haben.
Gaiser impfte ein Kalb mit Tuberkelbacillen aus Perlknoten und erzeugte hierdurch
eine typische generalisierte Miliartuberkulose. Im übrigen erhoben sich, soweit
ich es zu übersehen vermag, alle Stimmen gegen den Rückschluss von
Koch, dass die Thiertuberkulose auf den Menschen wohl nicht über¬
tragbar sei.
Koch führte zur Begründung seines Schlusses die Seltenheit der Darmtuber¬
kulose beim Menschen an, trotzdem in der Milch und Butter grosser Städte sehr
oft und in nicht unbeträchtlicher Menge die Bacillen der Perlsucht in lebendem
Zustande enthalten seien. Die meisten Bewohner grosser Städte führten unfreiwillig
das Experiment aus, welches man absichtlich nicht machen dürfe. Wenn die Bacillen
der Perlsucht im stände wären, Menschen zu infizieren, so müssten unter den Be¬
wohnern grösserer Städte, insbesondere den Kindern, sehr viele Fälle von Tuberkulose
Vorkommen, welche durch den Genuss von Nahrungsmitteln mit Tuberkelbacillen
erzeugt wären. Solche Fälle primärer Darmtuberkulose seien aber sehr selten.
Koch selbst hat unter den vielen Tuberkulosefällen, welche er nach dem Tode
untersucht hat, nur zwei Fälle piimärer Darmtuberkulose gesehen. Unter dem
grossen Sektionsmaterial der Berliner Charitö kamen in 5 Jahren 10 Fälle primärer
Darmtuberkulose vor 8 ). Unter 933 Tuberkulosefällen bei Kindern im Kaiser und
Kaiserin Friedrich-Hospital fand Baginsky keinen Fall von Darmtuberkulose ohne
gleichzeitige Erkrankung der Lungen und Bronchialdrüsen *). Unter 3104 Sektionen
von tuberkulösen Kindern beobachtete Biedert nur 16 Fälle primärer Darmtuber¬
kulose. Koch sagte, er könnte noch viele statistische Angaben der gleichen Art
zitieren, welche alle zweifelsohne zeigten, dass primäre Darmtuberkulose, besonders
unter Kindern, eine verhältnissmässig seltene Krankheit ist, und von den wenigen
angeführten Fällen sei es keineswegs ausgemacht, dass sie durch Infektion mit
thierischer Tuberkulose erzeugt waren. Sie könnten ebenso gut durch die weit ver¬
breiteten Bacillen menschlicher Tuberkulose verursacht sein, welche auf dem einen
oder anderen Weg in den Darm gelangten, so z. B. durch Verschlucken des Mund-
J) Deutsche Medicinal-Zeitung 1901. No. 61.
ü) A. a. 0.
8 ) Nach den Beobachtungen beim Schweine kann auf das Vorkommen der primären Darm-
tuberkulose nicht das entscheidende Gewicht gelegt werden. Entscheidend dürfte vielmehr das
Vorkommen primärer Tuberkulose in don Lymphdrüsen des Verdauungsapparates
(Kehlgangsdrüsen, Halsdrüsen und Gekrösdrüsen) sein. Unter den Tausenden mit Fütterungs¬
tuberkulose behafteten Schweinen, welche ich auf dem Berliner Scblachthofe selbst untersucht
habe, fand ich niemals Tuberkulose der Darmschleimhaut, dagegen Btets Tuberkulose
der Kehlgangs, Hals- und Gekrösdrüsen.
*) Bei den Schweinen sind trotz unzweifelhafter Fütterungstuberkulose ge¬
wöhnlich neben den Gekrösdrüsen gleichzeitig die Lungen und Bronchialdrüsen
erkrankt, wie dies auch die Fütterungsversuche von Koch und Schütz gezeigt haben. Hier¬
nach würde die Statistik von Baginsky nicht gegen das Vorkommen von Füttcrungstuberkulose
beweisend sein.
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Koch’s Mittheilungen Ober die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 485
Speichels. Koch hat sich zur Aufgabe gesetzt, die Fälle primärer Darmtuberkulose
darauf zu prüfen, ob sie durch thierische Tuberkulose bedingt seien. Bei der Selten¬
heit der fraglichen Krankheit sei aber die Zahl der Fälle, die er untersuchen konnte,
nur klein gewesen. Das bisherige Ergebniss dieser Untersuchungen spreche aber
nicht für die Annahme, dass thierische Tuberkulose beim Menschen vorkomme 1 * ).
Das Ergebniss der zuletzt von Koch genannten Untersuchungen wird für die
Beurtheilung der ganzen Frage von einer anderen, viel grösseren Bedeutung sein,
als diejenigen, welche mit Sputum und aus Sputum gezüchteten Tuberkelbacillen
des Menschen angestellt worden sind. Denn die primäre Lungentuberkulose, die
gewöhnliche Schwindsucht des Menschen, welche zur Produktion von Sputum führt,
ist, wenn man die gesammte Litteratur hierauf prüft, nur in einem Falle auf Ueber-
tragung vom Rinde zurückgeführt worden*). Indessen ist bei der Würdigung der
Resultate, welche durch Verimpfung von Material aus Fällen von menschlicher
Fütterungstuberkulose erzielt werden, ein Punkt zu beachten, auf den Bollinger 3 )
hingewiesen hat. Bollinger erinnerte an das Beispiel der Menschenblattern, welche
beim Rinde nur die gutartigen Kuhpocken erzeugen und durch die Passage durch
das Rind so abgeschwächt werden, dass sie beim Menschen keine Blatternkrankheit,
sondern nur die harmlosen, immunisierenden Impfpocken hervorrufen. In gleicher
Weise sei eine Abschwächung der Rindertuberkelbacillen im Menschenkörper und
umgekehrt denkbar, eine Anschauung, die auch Mac Fadyean auf dem Londoner
Kongress vertrat und von Baumgarten schon vor Jahren ausgesprochen wurde 1 ).
Ferner lehren Versuche von Pütz und namentlich solche von Baum garten, dass
die Vergesellschaftung der Tuberkelbacillen mit anderen, z. B. eitererregenden Bak¬
terien einen ganz anderen Effekt haben kann, als die alleinige Einverleibung der
Tuberkelbacillen. Pütz«) injizierte einem Pferde und einem Schweine subkutan
Eiter aus tuberkulösen Abscessen und fand bei der Sektion der Versuchsthiere
unter dem serösen Ueberzug der Lungen und in geringerer Zahl auch
tiefer im Lungengewebe sowie im Parenchym der Leber miliare Knötchen.
Baumgarten®) bemerkt in einer Fussnote zu einer Arbeit von Ramond und
Rav an t >über die Einwirkung verschiedener Bakterien auf die Entwickelung der
Tuberkelbacillen«, er habe festgestellt, dass die kombinierte Einwirkung der
Tuberkelbacillen mit pyogenen Kokken die schwersten Grade rasch
fortschreitender Tuberkulose erzeuge, die man überhaupt zu sehen
bekomme.
Was ferner das von Koch angeführte statistische Material über das Vorkommen
von primärer Darmtuberkulose beim Menschen anbetrifft, so stimmen die an anderen
i) Kitt giebt an, dass er durch Verimpfung des Saftes einer skrophul&sen Lymph-
drüse eines Kindes bei einem Kalbe Tuberkulose hervorgerufen habe.
*) Nocard erwähnt eine Angabe, nach welcher in einem armen Theile Frankreichs (Bauce)
die Bauern während des Winters in den Kuhställen wohnen und in Folge dessen die Verbreitung
der Tuberkulose bei den Rindern und den Menschen parallel gehe.
3 ) Zitiert nach der Wochenschrift für Thierheilkunde und Viehzucht 1901. No. 32.
*) Nach Galtiers Experimenten (Journ.de möd. vft. 1898. Oktober) scheint die Wirksamkeit
der tuberkulösen Virus infolge des Durchgangs durch den Organismus des Schafes in gewissem
Grade verringert zu werden.
*) Deutsche medicinische Wochenschrift 1882. No. 22.
«) XV. Jahresbericht.
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48(5 Ostertag
Orten gemachten Beobachtungen mit den in Berlin gesammelten nicht überein. Der
pathologische Anatom Bollinger 1 ) z. B. sagte:
»Die Tuberkulose der vielfach mit Kuhmilch ernährten Kinder, namentlich in den ärmeren
Volksklassen, kommt in Wirklichkeit viel häufiger vor, als gewöhnlich angenommen wird, da
dieselbe sehr häufig in den schwer zugänglichen Lymphdrusen im Brustkorb und in der Bauch¬
höhle sich lokalisiert Prof. Heller in Kiel hat festgestellt, dass in fast der Hälfte aller
Fälle von Tuberkulose der Kinder sich Tuberkulose der Gekrösdrüsen nachweisen
liess*), also jener Abschnitte des Lymphapparates, die von Keimen, welche vom Darm aus in
den Körper eindringen, in erster Linie passiert werden müssen, wobei der Darm selbst in der
Regel nicht erkrankt ist. Prof. Heller schliesst daraus, dass die Milch tuberkulöser
Kühe bei der Kindertuberkulose die Hauptrolle spiele, ln der pädiatrischen Poliklinik
zu München (Prof. Seitz) wurde statistisch uachgewiesen, dass bei 68 o / 0 der behandelten
tuberkulösen Kinder die Eltern frei von Tuberkulose waren und auch in ihrer Jugend¬
zeit niemals verdächtige Symptome geboten hatten. Solche Kinder müssen die Tuberkulose
anderweitig — durch Verkehr mit tuberkulösen Patienten oder durch intestinale In¬
fektion (Fütterungstuberkulose) — acquiriert haben.« S. 457.
Mac Fadvean führte gegenüber der Berliner Statistik die Resultate zweier
statistischer Arbeiten aus den beiden grössten englischen Kinderspitälern an:
Dr. Still vermochte an dem Sektionsmaterial eines Londoner Kinderhospitals 29,1 °,o der
Fälle von Kindertuberkulose auf primäre Darmtuberkulose zurückzuführen, Dr. She-
nann in Edinburgh 28,1 °/ 0 . Die beiden Statistiken umfassen 547 Fälle, die Diagnosen sind sicher
gestellt. Nach diesen Zahlen ist primäre Darmtuberkulose bei Kindern nicht nur nicht
selten, sondern geradezu häufig.
Mac Fadyean machte auch, wie ich meine, mit Recht darauf aufmerksam,
dass durch die von Koch und Schütz bei Schweinen angestellten
Versuche die Uebertragungsmöglichkeit der menschlichen Tuber¬
kulose auf das Schwein dargethan sei. Denn bei den mit Sputum tuber¬
kulöser Menschen gefütterten Schweinen entwickelten sich »vereinzelte kleine
Knötchen in den Lymphdrüsen des Halses« und in einem Falle »etliche graue
Knötchen« in den Lungen. Mithin würde für die Tuberkulose des Schweines
schon nach den von Koch und Schütz angestellten Uebertragungsversuchen das
Verhältniss heute noch ebenso liegen, wie es Koch in seiner grundlegenden Arbeit
präzisiert hat, wenn er sagte:
Mag nun die Gefahr, welche aus dem Genuss von pcrlsüchtigem Fleisch und MUch resultiert,
noch so gross oder noch so klein sein, vorhanden ist sie und muss deswegen vermieden werden.
Mac Fadyean wies ferner daraufhin, es sei schon vom rein bakteriologischen
Standpunkt aus höchst unwahrscheinlich, dass die Rindertuberkulosebacillen
für den Menschen nicht infektiös seien, da sie im Gegensatz zu den Tuberkelbacillen
des Menschen eine universelle Virulenz für Schweine, Schafe, Ziegen,
Pferde, Hunde, Kaninchen und Meerschweinchen besitzen. Die Erfahrung
lehrte, dass ein Bacillus, welcher nicht nur für eine Thierspezies, sondern für eine
ganze Reihe von Thierarten infektiös sei, auch beim Menschen die betreffende Krank¬
heit hervorrufe.
Nach der Gesammtlage der Sache ist anzunehmen, dass die weiteren Versuche
über das Verhältniss der Menschentuberkulose zur Hausthiertuberkulose ein ähnliches
Resultat ergeben werden, wie es nunmehr für die Beziehungen zwischen Geflügel-
i) A. a. 0.
-) Dies würde mit der Angabe auf S. 48:’. gut fibereinstiuimen.
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Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 487
und Säugethiertuberkulose feststeht 1 ). Für diesen Ausgang der Versuche, den auch
Al brecht 2 ) und Johne 3 ) als wahrscheinlich bezeichnen, sprechen:
1. Die positiven Uebertragungsversuche, welche Bollinger,
Kitt, Frotingham und nach Johne auch Chaveau und Crookshank mit
menschlichem Tuberkulosenmaterial bei Kälbern angestellt haben.
2. Die Angabe Baumgartens 4 ), er habe festgestellt dass skrophulöse
Drüsen vom Menschen in gewissen Fällen beim Kaninchen eine töd¬
liche Tuberkulose erzeugen können, sich also ebenso verhalten wie
tuberkulöses Material vom Rinde.
Die Uebertragbarkeit der Hausthiertuberkulose auf den
Menschen, die nach den Argumenten von Bollinger und Mac Fadyean mit der
Frage der Uebertragung der Menschentuberkulose, namentlich der Lungentuberkulose
des Menschen auf die Hausthiere nur einen bedingten Zusammenhang zu haben
braucht, halte ich für erwiesen.
1. durch den Fall des Thierarztes Moses, welcher nach einer Gelenkver¬
letzung, die er sich bei der Sektion einer tuberkulösen Kuh zuzog, an
Tuberkulose tödlich erkrankte,
2. durch den von Priester aus der Kieler chirurgischen Klinik mitgetheilten
Fall, in welchem ein Mann tätowierte Hautstellen zur Beseitigung der
Tätowierungen stichelte und in die gestichelten Hautstellen Milch einrieb.
Der Mann acquirierte nach den Angaben Priester’s Hauttuberkulose im
Bereiche der mit Milch behandelten Stellen,
3. durch die von Ravenei mitgetheilten Fälle von Hauttuberkulose bei drei
Thierärzten 5 ).
Bei der Wichtigkeit dieser Fälle, deren Zusammenhang mit der Infektionsquelle
in ganz anderer Weise verfolgt werden kann als bei den spät sich manifestirenden
Fällen von Fütterungsinfektion, wäre eine genaue Prüfung durch eine staatliche
Kommission dringend erwünscht. Koch wendet gegen die Beweiskraft des Falles
Moses ein, dass Moses schon vor der Obduktion des fraglichen Rindes tuberkulös
gewesen sein könne oder gewesen sei. Hierüber würden wohl durch amtliche Nach-
*) Die Frage der Beziehungen der Gcflügeltubcrkulosc zur Säugethiertuberku-
losc hat entwicklungsgeschichtlich drei Phasen durchgemacht:
I. Phase: Annahme der Identität.
II. Phase: Absolute Leugnung der Identität auf Grund wenig zahlreicher
V ersuche.
UI. Phase: Vermittelnder Standpunkt auf Grund zahlreicher Versuche, dahin gehend,
dass die Geflügeltubcrkulose in einem Thcil derFälle auf Säugethiere übertragbar
ist (Cadiot, Gilbert und Roger, Palamidessi u.a.). Nocard (Annalcs de l’Institut Pasteur
1898. S. 561) fand sogar im Sputum eines schwindsüchtigen Menschen Bacillen der Ge¬
flügeltuberkulose. Dies Sputum erwies sich bei Meerschweinchen als nur wenig infektiös,
in sehr hohem Grade virulent dagegen für Kaninchen. Reinkulturen aus den Kaninchen verhielten
sich wie Kulturen der Geflügeltubcrkulose und erzeugten bei Hühnern prompt Organtuberkulose.
*) Wochenschrift für Thierheilkunde und Viehzucht 1901. No. 32.
3 ) Rundschau auf dem Gebiete der Fleischbeschau, des Schlacht- und Viehhofwesens 2. Jahr¬
gang. No. 16.
4 ) XV. Jahresbericht. S. 459.
•"’) Vet Journal 1900. No. 10. Ref. in der Zcitschr. f. Fleisch- u.Milchhygieno 11. Jahrg. Heft 7. Die
Fälle von Hauttuberknlose sind um so wichtiger, als Ilauttuberkulose nur sehr schwer künstlich er¬
zeugt werden kann; Chaveau ist es nicht gelungen, Kälber durch oberflächliche Scarifikation und
nachfolgendes Einrciben von tuberkulösem Material zu infizieren. Desgleichen hatte Bollinger bei
der kutanen Infektion von Meerschweinchen nur negative Ergebnisse.
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488 Osti*rtag
forschungen genaue Anhaltspunkte zu erlangen sein. Der Beschreiber des Falles,
Pfeiffer-Weimar, hebt hervor, dass bei Moses erst Jahre nach der Verletzung
des Daumens, und zwar im Anschluss an einen akuten Katarrh Lungenerscheinungen
hervorgetreten seien, und dass Moses aus einer gesunden Familie stammte. Gegen
die Fälle von Ravenei kann eingewendet werden, dass es sich hierbei um ganz
milde Infektionen gehandelt habe. Die Veränderungen waren aber in den von
Ravenel beschriebenen Fällen die gleichen, wie sie bei den pathologischen Anatomen
infolge des Umgangs mit tuberkulösem Material vom Menschen auftreten. Ausserdem
sollen Schlachthofthierärzte und andere Schlachthofbedienstete auch an schweren
Formen kutaner Tuberkulose erkrankt sein 1 ). Die richtige Stelle zur Prüfung
solcher Fälle ist die Kommission, welche von Seiten des Kaiserlichen Gesundheits¬
amtes zur weiteren Prüfung der Beziehungen zwischen Hausthier- und Menschen¬
tuberkulose eingesetzt worden ist.
Aus den Kreisen der praktischen Thierärzte ist die Befürchtung laut geworden,
die Fleischbeschau und die praktische Milchhygiene würden in ihren Grundlagen
erschüttert werden, wenn es sich einwandfrei ergeben würde, dass die Hausthier¬
tuberkulose auf den Menschen nicht übertragbar sei. Derartige Befürchtungen
zeugen von einer Verkennung der thatsächlichen Verhältnisse. In der Fleischbeschau
hat die Tuberkulosefrage schon längst aufgehört, die wichtigste Frage zu sein, seit¬
dem auf Grund der verdienstlichen Feststellungen von Bollinger, Nocard, Bang,
Galtier, Perroncito u. a. ein rationelles, schonendes Verfahren mit dem Fleische
tuberkulöser Thiere möglich geworden ist. Das Fleisch tuberkulöser Thiere, welches
nach den jetzt im Königreich Preussen geltenden Bestimmungen (Posener Deklaration
zu dem Ministerialerlass vom 26. März 1892) beanstandet wird, würde auch zu
beanstanden sein, wenn erwiesen würde, dass die Hausthiertuberkulose auf den
Menschen nicht übertragbar ist. Oder glaubt Jemand im Ernste, dass man je die
tuberkulösen. Eingeweide und die mit Tuberkulose der Knochen, Gelenke und der
Muskulatur behafteten P’leischtheile in den Verkehr geben dürfe? Mit nichten!
Hiergegen würde § 10 des Nahrungsmittelgesetzes sorgen. An dem heutigen Ver-
■) Nach Ravenel ist auch ein Fall von Uebertragung der Rindertuberkulose auf den Menschen
von Tscherning in Kopenhagen beschrieben worden.
Ferner leidet privaten Mittheilungen zu Folge ein Schlachthofsinspcktor in der Rhein¬
provinz seit Jahren an einer schweren Form der Hauttuberkulose.
Des Weiteren soll ein Bediensteter des Berliner Schlachthofes, welcher früher
das Wegschaffen der wegen Tuberkulose beanstandeten Thiere zu besorgen hatte,
seit acht Jahren an Hauttuberkulose leiden.
Auch Johne (a. a. 0.) ist von einem derartigen Fall Mittheilung gemacht worden. Ein
Thierarzt hatte sich mit Rinderttuberkulosc in den Finger geimpft, worauf sich
eine Tuberkulose der Achseldr&sen entwickelte. Durch operative Entfernung der
letzteren wurde eine Woiterverbreitung der Tuberkulose verhütet.
Des Weiteren geht durch die Tageszeitungen eine Angabe von Kleba, wonach einer
seiner Diener an akuter Miliartuberkulose zu Grunde gegangen sei, nachdem der¬
selbe Milch von einer hochgradig tuberkulösen, zu Versuchszwecken gekauften
Kuh getrunken hatte. Ferner sei Klebs ein Sohn, der einzige, der mit Kuhmilch er¬
nährt wurde, tuberkulös geworden und im zweiten Lebensjahre an Gehirn tuberku¬
löse gestorben.
Postolk a macht mit Bezug auf solche Vorkommnisse in dem »Oesterreich, thicräntl-
Zentralblatt« (1901. No. 22) den beachtenswerthen Vorschlag, es sollen alle Fälle von augen¬
scheinlicher oder vermutheter Tuberkuloseübertragung von Thiercn auf den
Menschen genau verzeichnet werden.
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Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 4SI)
fahren kann nm so weniger etwas geändert werden, als bereits der angeführte
Ministerialerlass, betr. das Verfahren mit dem Fleische tuberkulöser Thiere, davon
ausgeht, dass die Uebertragung der Tuberkulose auf den Menschen nicht erwiesen
sei. Der Erlass besagt:
Da nun in Wirklichkeit eine pcrlsüchtige Erkrankung der Muskeln äusserst selten vorkommt,
da ferner an der Berliner thierärztlichen Hochschule und an mehreren preussischen Universitäten
in grossem Maassstabe fortgesetzte Versuche, durch Fütterung von Muskclfleisch von pcrlsüchtigen
Thieren Tuberkulose bei anderen Thieren zu erzeugen, im wesentlichen ein negatives Ergebniss
gehabt haben (Gutachten der wissenschaftlichen Deputation für das Medicinalwescn vom 1. Dezem¬
ber 1886, Eulcnberg’s Viortcljahrcsschrift für gerichtliche Medicin und öffentliches Sanitätswosen
Bd. 47. S. 307 ff.), somit eine Uebertragbarkeit der Tuberkulose durch den Genuss
selbst mit Perlknoten behafteten Fleisches nicht erwiesen ist, so kann das Fleisch von
gut genährten Thieren, auch wenn eine der unter Ziffer 1 und 2 bezcichneten Erkrankungen vor¬
liegt, in der Regel nicht als minderwerthig erachtet werden u. s. w.
Ferner wird ganz vergessen, dass die Fleischbeschau nicht der Tuberkulose
wegen eingerichtet ist, sondern in erster Linie zur Verhütung der Fleisch- und
Wurstvergiftungen, der Uebertragung des Rot?es, Milzbrandes, der Tollwuth, der
Trichinen, der Finnen, der Echinokokken u. s. w. Was die Milchhygiene angeht, so
würde die Milch einer eutertuberkulösen Kuh nicht in den Verkehr gegeben werden
dürfen, auch wenn die Tuberkelbacillen des Rindes für den Menschen völlig unschäd¬
lich wären; denn derartige Milch wäre, wenn nicht ein gesundheitsschädliches, so
jedenfalls ein >verdorbenes« Nahrungsmittel im Sinne des § 10 des Nahrungsmittel¬
gesetzes. Die Milchhygiene befasst sich aber nicht nur mit der Prophylaxe der
Tuberkulose, sondern ausserdem noch wesentlich mit der Prophylaxe der Aphthen¬
seuche, der sog. Milchepidemieen, der nach Genuss der Milch mastitis- und allgemein¬
kranker, ferner irrationell gefütterter Kühe auftretenden Erkrankungen, sowie der
durch unsaubere Viehhaltung und Milchgewinnung bedingten Schädlichkeiten der
Milch für Kinder. Wenn die Nichtübertragbarkeit der Hausthiertuberkulose auf den
Menschen erwiesen wäre, würde dies die einzige Folge haben, dass die Thätigkeit
der Fleischbeschau bei der Behandlung des Fleisches tuberkulöser Thiere und die
Aufgaben der Veterinärpolizei bei der Bekämpfung der Hausthiertuberkulose in der
bereits angegebenen Richtung erleichtert würden.
Vorläufig sind Erwägungen dieser Art aber mindestens noch sehr verfrüht,
wenn sie je überhaupt, woran ich aus den angeführten Gründen zweifeln zu müssen
glaube, praktische Bedeutung erlangen. Die endgültige Entscheidung werden die
Untersuchungen bringen, welche im Inland und Ausland über die Beziehungen
zwischen der Hausthier- und Menschentuberkulose in grossem Maassstabe angestellt
werden. Diese Untersuchungen veranlasst zu haben, muss als das Verdienst von
Robert Koch anerkannt werden. Hoffentlich bringen die Untersuchungen eine
endgültige Entscheidung über die so wichtige Frage.
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400
Rudolf Nochte
♦
Kritische Umschau.
i.
Die neuesten Resultate der Sehnentransplantationen bei
peripherischen Lähmungen.
Von
Rudolf Noehte, Unterarzt.
Auf Veranlassung von Herrn Prof. Dr. Goldscheider stelle ich in folgendem
die Ergebnisse der Sehnenüberpflanzung, dieser so aussichtsvollen, aber wie es scheint
immer noch nicht genügend in die Praxis eingedrungenen Operation zusammen.
Nicoladoni machte im Jahre 1881 den ersten Versuch, einen pes calcaneus
paralyticus durch Sehnenüberpflanzung zu heilen. Nach seinem Vorbilde operierte
v. Hacker 1881 einen ähnlichen Fall. 1892 transplantierte Parrish, 1894 Ghillini
in Fällen von pes valgus paralyticus mit gutem Erfolg.
Weitere Verbreitung fand das Verfahren der Sehnentransplantation aber erst,
nachdem Drobnik, unabhängig von seinen Vorgängern, im Jahre 1896 eine grössere
Anzahl von glücklich operierten Lähmungen veröffentlicht hatte. Ferner waren es
F. Francke, Winkelmann, Vulpius, die warm für das neue Verfahren eintraten
und seiner Anwendung weitere Kreise erschlossen.
Die Sehnenüberpflanzung verfolgt den Zweck, die ausgefallene Funktion eines
Muskels dadurch zu ersetzen, dass die Kraft eines gesunden Muskels auf den ge¬
lähmten übertragen wird. Es sind verschiedene Methoden, die zum Ziele führen.
Einmal kann der gesunde Muskel ganz oder zum Theil auf die gelähmte Sehne ge¬
näht werden. Dies Verfahren nennt Vulpius die »absteigende« Ueberpflanzung
und zieht sie der folgenden Methode vor, weil dabei die Verwachsung leichter erfolge.
»Aufsteigendes« Verfahren heisst Vulpius das, bei dem die gelähmte Sehne ganz
oder zum Theil aufgenäht wird auf eine gesunde Nachbarsehne. Eine Kombination
der beiden genannten Methoden wird vom gleichen Autor als »beiderseitige« Ueber¬
pflanzung bezeichnet; von andern sind vielfach andere Namen vorgeschlagen worden.
Was den Werth der einzelnen Verfahren angeht, so lehren die Erfolge, die sich
im allgemeinen nicht von einander unterscheiden, dass je nach Lage der Dinge, bald
die eine, bald die andere angewendet zu werden verdient.
Nicht empfehlenswerth ist es aber, einen ganzen Muskel zu überpflanzen, denn
selbst bei ganz geringwerthiger Arbeitsleistung kann der vollkommene Funktions¬
ausfall recht unangenehm schädigen, wie das z. B. beim Extens. haluc. long. zutrifft,
bei dessen Fehlen die Zehe gebeugt ist und beim Anziehen von Strumpf und Stiefel
sehr lästige Beschwerden verursacht.
Röchet erreichte die Kraftübertragung durch einfache Fixation der gelähmten
an eine gesunde Nachbarsehne.
Lange führte in jüngster Zeit die periostale Sehnenüberpflanzung ein; es wird
ein gesunder Muskel ganz oder zum Theil von seinem Ansatz losgelöst und an
andrer Stelle am Periost angenäht. Der neue Ansatzpunkt muss natürlich je nach
der Aufgabe, die der Kraftspender leisten soll, in jedem Fall individuell gewählt
werden. Veranlassung zu dieser Neuerung hatten verschiedene Fälle gegeben, in
denen das zunächst günstige Resultat sich nach und nach verschlechterte durch
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Die neuesten Resultate der Sehnentransplantationen bei peripherischen Lähmungen. 491
Dehnung der atrophischen Sehne infolge der Spannung, der sie ausgesetzt war. Ein
solches Vorkommniss wird natürlich durch periostale Ueberpflanzung ausgeschlossen;
zugleich bietet die Methode aber noch andere Vortheile. Zunächst wird bei Funk¬
tionsausfall einer Muskelgruppe ein Muskel zum Ersatz genügen, und es wird nur
von den Dispositionen des Operateurs abhängen, dass der Ersatz ein vollkommener
werde; während sonst vielfache Ueberpflanzungen nothwendig sind, für die oftmals
die nöthige Kraft nicht verfügbar ist, und bei denen zuweilen die erzielten Bewe¬
gungen fehlerhaft sind, weil die Zugrichtung der neuen Sehne in einem falschen
Sinne wirkt, ein Ereigniss, das durch richtige Berechnung bei der periostalen Ueber¬
pflanzung auszuschliessen ist.
Die Indikation zur Operation ist mit der Zeit sehr erweitert worden. Den
grössten Raum nehmen Lähmungen ein, die sich an Poliomyelitis anterior anschliessen,
ferner sind es schlaffe Lähmungen andrer Ursachen, wie z. B. Bleilähmung, Lähmung
infolge von Neuritis, Diphtherie, Nervenverletzungen.
In diesen Fällen aber ist eine Operation erst dann zu rathen, wenn durch die
bekannten Mittel eine Besserung nicht zu erreichen ist, wenn die Zeit verstrichen
ist, in der sonst ein spontaner Rückgang erwartet werden kann, oder wenn sich eine
stetig zunehmende Verschlimmerung bemerkbar macht.
Auch bei Lähmungen aller den Fuss bewegenden Muskeln kann die Ueber¬
pflanzung mit gutem Erfolg angewendet werden, da durch sie der Fuss in richtiger
Stellung fixiert wird mit dem grossen Vorzug vor der Arthrodese, dass die federnden
Sehnen eine gewisse Elastizität des Ganges wahren.
Ferner wurde die Operation bei den verschiedenen Formen der spastischen
Lähmungen erfolgreich angewendet, wie z. B. bei angeborener Starre oder bei Läh¬
mungen infolge von Encephalitis oder von einer apoplektischen Hemiplegie.
Angeborene Fussdeformitäten, traumatische oder aus andern Gründen entstan¬
dene Sehnendefekte, sowie Dystrophia muscularis waren in anderen Fällen Ver¬
anlassung zur Sehnenüberpflanzung.
Bevor nun zur Operation geschritten wird, muss nach dem Muskelbefund ein
genauer Operationsplan aufgestellt werden. Es kommt genau darauf an die Muskel¬
erregbarkeit festzustellen, sowohl durch objektive Beobachtung als durch Prüfung
mit dem elektrischen Strom. Die Erfahrung hat nämlich gelehrt, dass nur die
Arbeitsleistung der wirklich vollkommen gelähmten Muskeln ersetzt werden muss,
dass sich aber die infolge von Unthätigkeit schwachen in kurzer Zeit wieder erholen,
wenn ihnen ein Arbeitsfeld zugewiesen ist.
Bei der Operation selbst kann dann noch eine Revision des Befundes vor¬
genommen werden, da ein rothes Aussehen des Muskelfleisches das Zeichen ist für
einen gesunden, rosa Farbe für einen geschwächten, gelb für einen gelähmten Muskel.
Die meisten Autoren rathen daher zu möglichst langen, nicht nur die Sehnen, sondern
auch das Muskelfleisch freilegenden Schnitten. Gocht aber meint, die Voruntersuchung
hätte ihn noch nie getäuscht und begnügt sich mit kleinen Schnitten.
Zur Technik sei dann noch weiter bemerkt, dass zunächst die Deformität besei¬
tigt werden muss, was meist mit der Ueberpflanzung in einer Sitzung geschehen kann.
Bei der Abspaltung eines Muskeltheiles ist sein Fleisch stumpf zu trennen und
darauf zu achten, dass der zugehörige Nerv nicht verletzt wird.
Die Sehnen sind, wenn irgend möglich, geradlinig zu ihrem neuen Ansatzpunkt
zu führen, weil sich sonst mit der Aktion der Bogen abflacht und der Erfolg ver-
schlechert wird. Die Sehnen sollen ferner gespannt sein, da ein gespannter Muskel
grössere Arbeit zu verrichten vermag als ein schlaffer. Oftmals sind Sehnenverlän¬
gerungen oder -Verkürzungen vorzunehmen, die erheblich zur Erreichung eines guten
Resultates beitragen können. Es muss z. B. die Sehne, die über die Konvexität
einer Deformität lief, verkürzt werden, da sie nach Beseitigung der falschen Stellung
zu lang ist um ihre Funktion genügend auszuüben. Verkürzung kann auch zur
Stellungsverbesserung vorgenommen werden, so z. B. bei der Radialislähmung die
Verkürzung des Extens. carp. radial. An den kontrahierten Muskeln sind Verlänge¬
rungen oft erforderlich.
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492
Rudolf Noehte
Die vereinigenden Sehnennähte sollen fest sein, da sie einen grossen Zug aus¬
zuhalten haben; sie müssen von Fascie und Haut bedeckt sein, da sonst ihre Ver¬
wachsung und die Bildung von Sehnenscheiden schwer eintritt.
Nach der Operation soll das Gelenk 4 —6 Wochen ruhig stehen; dann wird
vorsichtig mit Massage, Bädern, Elektrisieren, aktiven Bewegungen begonnen und die
Kur solange fortgesetzt, bis das Resultat ein gutes geworden ist. Oft ist der Erfolg
auch gleich nach der Verbandsabnahme vorzüglich, in anderen Fällen müssen in der
ersten Zeit noch zum Gehen Apparate gebraucht werden, bis die Besserung soweit
fortgeschritten, dass keine Stütze mehr nothwendig ist.
Eine richtige und ausdauernde Nachbehandlung ist aber meist erforderlich, da¬
mit der Enderfolg ein günstiger werde.
Da ich mir eine ausführliche Darstellung der Erfolge im einzelnen Falle für
eine spätere Inaugural-Dissertation Vorbehalten möchte, werde ich mich jetzt auf
eine gedrängte Uebersicht über die mir in der Litteratur bekannt ge¬
wordenen Fälle beschränken. 77 Operationen wurden vorgenommen wegen pes
equinus und pes equino-varus, nur einmal war ohne Erfolg operiert worden (der
Fall wurde von Ludwig in seiner Inaugural-Dissertation zu Breslau 1898 ver¬
öffentlicht). Sonst war das Resultat in der Regel so, dass der Fuss die richtige
Stellung zeigte, gut abgewickelt, extendiert und flektiert werden konnte.
Berichtet sind die Fälle von:
Gocht, Zeitschr. f. orthopäd. Chirurgie
Band 7.11 Fälle
Gibney, Ref. Berliner klin. Wochen¬
schrift 1899 . 1 n
Lange, Münch, med. Wochenschr. 1900 4 »
Ludwig, Inaug.-Dissertation. Breslau
1898 4 »
Vegas und Aguilas, Ref. Centralbl.
für Chirurgie 1901.3 »
Drobnik, Deutsche Zeitschr. für Chi¬
rurgie 1896 . 12 »
Franke, Mittheil, aus d. Grenzgebieten 1 n
do. Archiv für klin. Chirurgie . 1 »
Brunner u. Schulthcss, Corresp. f.
Schweizer Aerzte 1898 .... ln
Tschudi, Corresp. f. Schweiz. Aerzte
1898 1 lalle
Winkler, Inaugural-Dissertation . . 1 *
Winkel mann, Deutsche Zeitschrift f.
Chirurgie 1894 1 »
Röchet, Ref. Jahresber. f. Chir. 1897 1 »
Eve, Ref. Jahresber. f. Chirurgie 1897 3 *
Milliken, Medical Record. New-York
1896 5 »
Lipburger, Centralbl.f.Chirurgie 1896 I >•
Winkler, Zeitschr. für prakt Aerzte 1 *
Vulpius, v. Volkmannsche Vorträge,
No. 197.iS »
Vulpius,Münch.med.Wochenschr. 1897 3 *
Kunik, Münch, med. Wochenschr. 1901 7 »
Wegen kongenitaler Fussdeformitäten, bei denen die Muskeln ein ganz ähn¬
liches Verhalten darboten, wie bei Lähmung infolge von Poliomyelitis anterior wurde
in 6 Fällen mit Erfolg operiert.
Vulpius, Münchner medinisehe Wochenschrift 1899 5 Fälle
Kunik, do. do. do. 1901 1 n
Ein Fall von Dystrophia muscularis mit folgendem pes equino-varus paralyticus
wurde von Vulpius mit gutem Erfolg operiert.
Wegen spastischer Zustände mit folgendem pes equinus wurde in 15 Fällen
mit gutem Erfolg operiert. Dadurch dass von dem zu sehr innervierten Muskel ein
Theil abgespalten und auf einen andern zu wenig innervierten Nachbar überpflanzt
wird, kommt ein richtiger Ausgleich zu stände, so dass die Spasmen schwinden und
die Bewegungen frei werden.
Eulenburg, Deutsche medicinische
Wochenschrift 1899 . 1 Fälle
Franke, Mittheilungen a. d. Grenzgeb. 1 »
Wallerstein, Münch, med. Wochen¬
schrift 1899 . 1 »
| Kunik, Münch, med. Wochenschr. 1901 2 Fälle
Vegas u. Aguilas, Ref. Centralbl. für
Chirurgie 1901.1 »
Vulpius, Münch, med. Wochenschr. 1899 2 *
Gocht, Zeitschr. f. orthop. Chir. Bd. 7 1 »
26 Fälle von pes valgus paralyticus wurden mit befriedigendem oder gutem
Erfolg operiert. Der Fuss steht im Durchschnitt richtig, wird gut aufgesetzt und
abgewickelt
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Die neuesten Resultate der Sehnentransplantationen bei peripherischen Lähmungen. 493
Drobnik, Zeitschr. f. klin. Chir. 1896 2 Fälle
Gocht, Zeitschr. f. orthop. Chir. Bd. 7 2»
Ludwig, Inaugural-Dissertation . . . 2 »
Hoffa, Berlin, med. Wochenschr. 1899 1 »
Dörf fl er, Münch. med.Wochenschr. 1900 1 »
Goldwaith, Boston, med. Journal 1896 1 »
Millik en, Record medical. New-York
1896 . 7 »
Ghillini, Ref. Centralbl f. Chirurg. 1895 1 Fälle
Phocas, do. do. ao. 1 *>
Parrish, dd. do. do. 1 »
Eve, Ref. Jahresber. für Chirurgie 1897 1 »
Bardenheuer, Naturforscher-u. Aerzte-
versammlung 1900 . 1 »
Vulpius, v. Volkmannsche Vorträge,
No. 197.5 »
15 Sehnenüberpflanzungen wegen pes calcaneus paralyticus waren mit Ausnahme
des von Nicoladoni operierten Falles, bei dem sich infolge von Nahtlösung der
alte Zustand wiederherstellte, von befriedigendem Resultat. Einmal war eine Nach¬
operation erforderlich. Der Fuss steht in der Regel richtig, wird mit der Sohle
aufgesetzt, gut flektiert.
Nicoladoni, Archiv für klinische Mc-
dicin 1882 . 1 Fälle
v. Hacker, Wiener med. Presse 1886 1 »
Mai dl, do. do. do. 3 »
Drobnik, Deatsche Zeitschrift für Chi¬
rurgie 1896 . 1 »
Lange, Münch. med.Wochenschr. 1900 1 »
Ludwig, Inaugural-Dissertation ... 3 Fälle
Winkler, do. do. . . . 2 »
Joachimsthal, Ref. Centralblatt für
Chirurgie 1899 . 2 »
Goldwaitn, Boston, med. Journal 1896 3 »
Tubby, Ref. Fortschr. der Medicin 1900 1 »
Kunik, Münch, med. Wochenschr. 1901 1 »
Vulpius bespricht in der Münch, med. Wochenschrift von 1899 kurz 35 Fälle
von Fussdeformitäten, die von ihm mit Sehnenüberpflanzung behandelt wurden. Der
Erfolg ist nie ausgeblieben, wenn er auch oftmals erst allmählich eintrat. Im all¬
gemeinen war das Sprunggelenk in Mittelstellung beweglich, der Gang zeigte ge¬
nügende Sehnenabwicklung und war einigermassen elastisch, das Umkippen ist ver¬
schwunden.
Wegen Quadricepslähmung wurden 11 Fälle behandelt. In 6 Fällen wurde der
Sartorius auf den Quadriceps gepflanzt, in 4 Fällen wurde dadurch Besserung erreicht,
in 2 Fällen blieb der Erfolg aus. Lange versuchte zweimal den Semitendinosus und
Biceps um den Oberschenkel herumzuführen und an der Quadricepssehne anzunähen,
doch blieb der Erfolg beidemale aus, weil die Quadricepssehne zu atrophisch war.
In 3 Fällen hatte er glänzende Erfolge dadurch, dass er die beiden genannten Muskeln
nach vorn führte und durch eine künstliche aus dicken verschlungenen Seidenfäden
gebildete Sehne an der Tuberosit. Tibiae annähte. Das Bein kann gestreckt erhalten
und gehoben werden, der Gang ist gut.
Millik en, Medical Record. New-York | Lange, Münch. med.Wochenschr. 1900 5 Fälle
1896 . 2 Fälle Vulpius, do. do. 1899 2 »
Gocht, Zeitschr. f. orthop. Chir. Bd. 7 1 » | Kunik, do. do. 1901 1 »
Von 21 Radialislähmungen, die zur Operation kamen, hatte nur eine einen Miss¬
erfolg, der bedingt war durch die Ungeduld des Patienten selbst; durch Nahtlösung
tritt der alte Zustand wieder ein. Sonst waren die Erfolge die denkbar günstigsten.
Die vorher arbeitsunfähige Hand ist wieder erwerbsfähig. Franke beschäftigte sich
zuerst eingehend mit dieser Sehnenüberpflanzung und hat eine typische Operation
dafür angegeben. Da bei der Lähmung der Strecker nach alter Erfahrung auch die
Beuger von Hand und Fingern ihre Arbeit nicht leisten können, bei mechanischer
Extension aber wohl dazu geeignet sind, so soll eine mechanische Fixation in Streck¬
steilung durch Verkürzung eines der Extensoren carpi die Hauptaufgabe sein, ferner
kann die Kraft der Handbeuger, die doch nicht mehr gebraucht werden kann, auf
die Extensoren der Finger übertragen werden.
Franke, Mittheil, aus den Grenzgebieten
Band 3.2 Fälle
Drobnik, Deutsche Zeitschrift für Chi¬
rurgie 1896 1 »
Gocht, Zeitschr. für orthop. Chir. Bd. 74 p
L udwig, Inaugural-Dissertation ... 1 »
Müller, Centralbl. für Chirurgie 1900 . 1 »
Keiler, do. do. 1899 . 1 »
Röchet, Ref. Schmidt. Jahrb. No. 25 . 4 Fälle
Brunner, Corresp. f. Schweizer Aerzte
1898 . 1 »
eien, Zeitschr. für orthopäd. Chir.
and 7.1 »
v. Biste, Centralbl. für Chirurgie 1901 1 »
Kunik, Münch, med. Wochenschr. 1901 1 »
Vulpius, do. do. 1899 3 »
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494 Rudolf Noehte, Die neuesten Resultate der Sehnentransplantadonen.
In 8 Fällen gaben Sehnendefekte Anlass zur Sehnenüberpflanzung. Es handelt
sich in der Regel nur darum, dass der periphere Stumpf an einen gesunden Nachbar
befestigt wird. Erfolg stets gut.
Winkler, Zeitschr. für praktische Aerzte
1897 . 1 Fall
Franke, Mitthcil. aus den Grenzgebieten
Band 3.1»
Bernhardt, Corresp. f. Schweizer Aerzte
1899 . 1 »
Cahon, Deutsche medicinischc Wochen¬
schrift 1899 .1 Fall
Krynski, Centralbl. für Chirurgie 1895 1 >
Kirsch, Monatschr. für Unfalls. 1897 1 >
Duplay, Ref. do. do. do. . 1 »
Maillefert, do. do. do. . 1 >
2 Tricepslähmungen wurden so behandelt, dass in einem Falle der Triceps
aufsteigend an den Deltoideus genäht wurde, im andern Falle wurde der Deltoid
absteigend auf den Triceps genäht. Beide mit gutem Erfolg, der Vorderarm kann
gestreckt werden.
Milliken, Medical Record. New-York 1896 .... 1 Fall
Gocht, Zeitschrift für orthopädische Chirurgie, Band 7 1 »
Im Jahresbericht für Chirurgie 1888 wird kurz berichtet über 27 von Bradford
mit Sehnenüberpflanzung behandelte Fälle, 25 mal war der Erfolg günstig. Tilanus
führte 7 mal die Sehnenüberpflanzung aus, 4 mal mit sehr gutem, 2 mal mit geringem,
lmal ohne Erfolg.
Ferner berichtet Vulpius in der Münchner medicinischen Wochenschrift 1899
kurz über 80 Transplantationen. Nur einmal war der Erfolg ungenügend, bei der
schon erwähnten Radialislähmung. 4 mal waren zur Verbesserung der Resultate
Nachoperationen erforderlich. Besserung wurde fast ausnahmslos, Gutes und Ge¬
nügendes in den meisten Fällen, das denkbar Mögliche in vielen Fällen erreicht.
Betrachten wir nun noch einmal die Resultate im allgemeinen, so schwindet
durch die Operation die Kühle und bläuliche Verfärbung der gelähmt gewesenen
Extremität. Die Patienten geben meist an, dass neues Leben in das tote Glied
gekommen sei und sind sehr zufrieden. Die Stellung ist korrigiert, die Funktion
stellt sich wieder ein. Von den etwa 300 in der Litteratur berichteten Fällen sind
nur 10 ohne Erfolg operiert. Der Grund des Misserfolges liegt oft an Nahtlösung,
zuweilen an der noch nicht vollkommenen Technik, was besonders in den wegen
Quadricepslähmung behandelten, Fällen deutlich ist; so dass also für die Zukunft
noch günstigere Resultate zu erhoffen sind und einem jeden praktischen Arzt die
Pflicht erwachsen muss, seinem gelähmten Patienten dringend zur Operation zu
rathen. Wenn Franke gesagt hat, es giebt keine Radialislähmung mehr, so kann
der Satz jetzt erweitert werden dahin, dass es keine Extremitätenlähmung mehr giebt,
die nicht durch Sehnenüberpflanzung bedeutend gebessert werden kann.
Nur an Hüft- und Schultermuskeln ist bisher keine Ueberpflanzung gemacht
worden, so dass Resektion für die Schulter und Apparatbehandlung für die Hüfte
noch den Zustand erträglich machen muss, bis auch hier die neue Methode ihren
Siegeszug beginnt.
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495
A. Dworetzky, Diätetisches aus Russland.
II.
Diätetisches aus Russland.
Zusammeufassendcr Bericht
von
Dr. A. Dworetzky
in Riga-Schreyenbusch.
Seit dem Beginn des verflossenen 19. Jahrhunderts ist der Leberthran zu einem
unserer bekanntesten und gebräuchlichsten Arzneimittel geworden. Dabei hat die
Frage, durch welchen Umstand eigentlich die pharmakotherapeutische Wirksamkeit
des Leberthrans bedingt wird, eine verschiedene Beantwortung erhalten. Während
die einen eine grosse Bedeutung bald den in ihm enthaltenen anorganischen Bestand-
theilen, bald den freien Fettsäuren, bald gewissen im Oleum jecoris Aselli vor¬
handenen Alkaloiden und organischen Basen zuschreiben, betrachten es die anderen
blos als gut verdauliches Nährfett und legen seiner chemischen Zusammensetzung
keinen besonderen Werth bei. Die Hauptrolle bei der physiologischen Wirkung des
Leberthrans fällt immerhin seiner leichten Emulgierbarkeit und Resorbierbarkeit zu,
und infolge dieser werthvollen Eigenschaften ist er allerdings ein vortreffliches Nähr¬
fett bei kachektischen Zuständen. Ungeachtet der wichtigen Bedeutung des Fettes
für die Ernährung überhaupt ist es bekanntlich dennoch nicht im stände, allein das
Leben des Organismus zu erhalten. Bei ausschliesslicher Fettnahrung geht das Ver¬
suchsthier an Eiweissmangel zu Grunde. Wenn wir also eine gemischte Kost dar¬
reichen, so müssen wir unentwegt den Umstand im Auge behalten, dass die Assimilation
des einen Nährstoffes nicht auf Kosten des anderen vor sich gehe. Die Peptonisation
der Eiweisse findet im Magen statt; zu diesem Zweck ist es erforderlich, dass die
Nahrung der intensiven Einwirkung des Magensaftes unterliege. Folglich ist es un¬
erlässlich nothwendig, bei der Wahl dieses oder jenes Nährfettes das Augenmerk
darauf zu richten, in welchem Grade das betreffende Fett seinen Einfluss auf die
Absonderung des Magensaftes ausübt. Da vergleichende experimentelle Untersuchungen
in dieser Hinsicht nicht existierten, so stellte W. Wirschillo 1 ) unter der Leitung
des Pädiaters Professors W. Tschernoff in Kiew eine Reihe von Beobachtungen an
dem Leberthran an, um über die Einwirkung des Oleum jecoris Aselli auf
die Sekretion des Magensaftes zur Klarheit zu gelangen.
Seine Versuche nahm W. Wirschillo an den stationären Kranken der Kinder¬
abtheilung des Kiewschen städtischen Alexanderkrankenhauses vor. Bei sämmtlichen
Kindern boten die Magen- und Darmfunktionen keinerlei Störungen dar, und die
Körpertemperatur war bei allen eine normale. Während der Beobachtungszeit blieben
die Versuchsobjekte bei ihrem früheren Regime. Jede Beobachtung zerfiel in zwei
Perioden. In der ersten Periode bekam die Versuchsperson ein Probefrühstück (200
bis 400 g Milch), welchem sich (1V 2 und 2 1 / 2 Stunden später) eine Untersuchung des
Mageninhaltes anschloss; in der zweiten Periode bekam sie einen Dessertlöffel (8 g)
Oleum jecoris Aselli und ein gleiches Probefrühstük wie während der ersten Versuchs¬
periode, nach welchem dieselben Untersuchungen des Mageninhaltes stattfanden. Der
ausgeheberte Mageninhalt wurde filtriert und im Filtrate wurden bestimmt: 1. die
Gesammtacidität, 2. der Gehalt an Salzsäure (an freier und gebundener), und 3. die
verdauende Kraft des Magensaftes. Die Gesammtacidität wurde durch Titrierung mit
V 10 Normalnatronlauge bestimmt; als Indikator für den Abschluss der Reaktion
diente eine einprozentige alkoholische Lösung von Phenolphtale'in. Zur Bestimmung
der Salzsäuremenge im Mageninhalt benutzte Wirschillo die Methode von Töpfer,
und zur Feststellung der verdauenden Kraft des Magensaftes die Methode von Mett.
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Nach der verdauenden Kraft konnte der Autor über den jeweiligen Gehalt an Fer¬
ment urtheilen, indem er sich dabei der Formel von Schütz und Borissow be¬
diente.
Die Anzahl sämmtlicher Beobachtungen Wirschillo’s beträgt 15, ans welchen
er folgende Schlussfolgerungen abzuleiten in der Lage ist: 1. Der Leberthran ver¬
ringert die Menge der Salzsäure und des Pepsins im Magensafte, wobei im Anfänge
mehr die Pepsinsekretion leidet, während im weiteren Verlaufe des Verdauungsaktes
die Verminderung der Salzsäure und des Pepsins eine mehr oder weniger gleich-
massige wird. 2. Am ausgesprochensten ist die hemmende Wirkung des Leberthranes
auf die Magensaftsekretion im Beginne der Absonderung, während späterhin dieser
Einfluss zwar noch fortdauert, aber in bereits geringerer Stärke sich dokumentiert
3. Die sekretorische Thätigkeit der Magendrüsen wird unter der Einwirkung des
Leberthranes zwar schwächer, dauert aber dafür eine um so längere Zeit fort.
Angesichts dieser Ergebnisse seiner Untersuchungen sieht der Autor keinen
Grund ein, die heilsamen Eigenschaften des Leberthranes besonders hoch zu schätzen
und ihm den Vorzug vor anderen Nährfetten einzuräumen. Ja, noch mehr: eingedenk
aller seiner Nachteile kann die Befürchtung Platz greifen, dass derjenige Nutzen,
welchen der Kranke von dem Leberthran als Nährfett erhält, nicht von dem Schaden
aufgewogen werden dürfte, welcher aus der ungenügenden Verdauung des Eiweisses
resultiert. Infolgedessen besteht die nächste Aufgabe fernerer Untersuchungen darin,
irgend ein anderes Nährfett ausfindig zu machen, welches, mit allen Vorzügen des
Fettes ausgestattet, die Mängel des Leberthranes nicht anfweist.
Als besten Ersatz für das Oleum jecoris Aselli empfiehlt nun W. Wirschillo
auf Grund weiterer eigener Beobachtungen 2 ) die Rahmbutter. Diese Beobachtungen
wurden an demselben Orte, an demselben Versuchsmaterial und unter genau den¬
selben Bedingungen angestellt, wie die Untersuchungen über den Leberthran, und
beschäftigten sich mit dem Einfluss der Rahmbutter auf die Absonderung des Magen¬
saftes und die Verdauung der Eiweisskörper. Aus seinen zehn Beobachtungen zieht
der Autor folgende Schlüsse: 1. Die Rahmbutter verringert die Menge der Salzsäure
und des Pepsins im Magensafte. 2. Die hemmende Wirkung der Rahmbutter auf die
Magensaftsekretion ist im Beginne der Absonderung schwächer ausgesprochen als im
weiteren Verlauf des Verdauungsaktes. 3. Die Peptonisation der Eiweissstoffe geht
unter der Einwirkung der Rahmbutter stärker vor sich, als ohne sie. 4. Die sekre¬
torische Thätigkeit der Magendrüsen wird unter dem Einfluss der Rahmbutter in
ihrer Produktivität schwächer, dauert aber nicht länger fort als ohne diesen Einfluss.
— Angesichts dieser Thatsachen glaubt sich Wirschillo zu der Behauptung be¬
rechtigt, dass der Butter infolge ihrer hohen Bedeutung als Nahrungsmittel, ihres
angenehmen Geschmackes und ihrer leichten Verdaulichkeit ein hervorragender Platz
in der Diätetik der Kranken eingeräumt werden müsse.
Mit derselben Frage nach der Einwirkung der verschiedenen Sorten
von Fettnahrung auf die Thätigkeit der Magendrüsen beschäftigte sich
auch J. Wirschubsky 3 ). In der Sitzung der Gesellschaft Russischer Aerzte
zu St. Petersburg vom 13. April 1900 hielt er darüber einen Vortrag, wobei
er eine ganze Reihe von Experimenten anführte, welche von ihm über den
Einfluss des Fettes auf die Menge, Beschaffenheit und Eigenschaften des Magen¬
saftes angestellt wurden. Die experimentellen Untersuchungen fanden an zwei
Hunden statt, an welchen die Operation der Magenausschaltung nach der Methode
von Heidenhain-Pawlow vorgenommen worden war; ausserdem hatte noch
einer von diesen Hunden eine Magenfistel. Wirschubsky nahm zu seinen Ver¬
suchen entweder direkt fertig in der Natur vorkommende Fettnahrung, wie z. B.
Gänsefleisch, Schweinefleisch, Eigelb, oder bereitete sie sich künstlich, indem er
z. B. zum Pferdefleisch Fett hinzufügte. Referent konnte nicht nur die bereits früher
bekannte Thatsache bestätigen, dass das Fett die Absonderung des Magensaftes zu
hemmen vermag, sondern fand noch, dass im Verlaufe der Magensaftsekretion bei
Fettdiät zwei Perioden existieren , von denen die erste Periode durch die Nieder-
drilckung der Sekretion charakterisiert ist, während die zweite eine Vermehrung der
Absonderung aufweist, im allgemeinen jedoch die Verdauung bedeutend verzögert
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Diätetisches aus Russland.
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wird. Die zweite Periode mit ihrer Verstärkung der Magensaftsekretion hängt nach
der Ansicht des Referenten von einem seitens des Darmes auf die Mageridrüsen aus¬
strahlenden Reflexvorgang ab (s. u.). Je dünnflüssiger die Nahrung ist und je
schneller sie in den Darm Übertritt, desto rascher macht sich auch die zweite
Periode geltend. Bei fetter und dabei stärkehaltiger Nahrung hält sich die Saft¬
sekretion die ganze Zeit über in recht niedrigen Grenzen, wobei die anfänglich ge¬
hemmte Pepsinproduktion in den letzten Stunden der Saftabsonderung vollständig
ansbleibt. Auf Grund seiner Experimente ist Referent der Anschauung, dass bei
übermässiger Magensaftsekretion die passendste Nahrung Fett mit
gleichzeitigem Gehalt an Stärke sei.
Wird durch eine derartige diätetische Maassregel der Säuregrad des
Mageninhaltes herabgesetzt, so geht auch der Speisebrei schneller in den
Darm über als gewöhnlich. Auf diese Thatsache wies A. Serdjukow*) hin,
welcher in dem physiologischen Laboratorium des Professors J. Pawlow in Peters¬
burg Versuche an elf Hunden anstellte, von denen einige Thiere Pankreas- und
Duodenumfisteln hatten, alle aber chronische Magenfisteln aufwiesen. Aus seinen
experimentellen Untersuchungen zieht Serdjukow folgende Schlüsse: 1. Der Ueber-
tritt des Speisebreies aus dem Magen in den Darm wird am wesentlichsten durch
die Reaktion des Mageninhaltes bestimmt. Alkalische Speisemassen gehen am
raschesten über, langsamer neutrale und am langsamsten saure Massen. Dieser
Unterschied, welcher bereits an Hunden mit einer Magcnfistel allein beobachtet
wird, tritt ungleich schärfer hervor bei Thieren mit einer beständigen Pankreasfistel.
*2. Die Reizung der Duodenalschleimhaut durch die Säure des übertretenden Magen¬
inhaltes führt zu einer Schliessung des Pylorus 3. Andere lokal reizende Stoffe
führen eine solche Schliessung des Pylorus nicht herbei, solange sie nicht einen
derartigen Konzentrationsgrad erreichen, welcher einen pathologischen Zustand der
Duodenalschleimhaut bedingt. 4. Der von Seiten der Darmschleimhaut auf den
Ausgangssphinkter des Magens ausstrahlende Reflex spielt eine wesentliche Rolle
bei dem Uebergang der Magenverdauung in die Darmverdauung.
Des näheren führt der Autor die Ergebnisse seiner Versuche folgendermaassen
aus: Im Magen verdaut das Pepsin die Eiweissstoffe bei saurer Reaktion; im Darme
dagegen setzt diese Thätigkeit das Pankreasferment fort, und zwar am besten bei
alkalischer Reaktion, schlechter bei neutraler und ganz ungenügend bei schwach
saurer Reaktion. Nun tritt eine Portion des Speisebreies, welcher von der Säure
des Magensaftes her eine stark saure Reaktion besitzt, durch den geöffneten Pylorus
in den Darm über;* sofort ergiessen sich auf diese Portion in reichlichen Mengen die
Galle und der pankreatische Saft. Erstere beseitigt das Pepsin, das hier als Fer¬
ment bereits unnütz ist, und verstärkt gleichzeitig in bedeutendem Maasse die fer¬
mentative Thätigkeit des pankreatischen Saftes; dieser letztere wieder neutralisiert
durch seine Alkalesccnz, welche völlig gleich ist dem Aciditätsgrade des Magensaftes,
den Speisebrei, um einen für die erfolgreiche Arbeit seiner Fermente günstigen
Boden zu schaffen. Wäre aber dabei der Pylorus die ganze Zeit über offen, so
würde von dem sauren Speisebrei zu viel in den Darm übertreten, das Sekret des
Pankreas würde nicht ausreichen, um zur rechten Zeit die Säure zn neutralisieren,
und zuletzt würde die Verdauungsthätigkeit in Unordnung gerathen. Hier tritt nun
der Reflex auf den Pylorus von Seiten des Zwölffingerdarmes ein. Die Säure des
Magensaftes, welcher zugleich mit dem Speisebrei in das Duodenum gelangt, übt
einen Reiz auf die Duodenalschleimhaut aus und ruft durch einen motorischen Reflex
eine Schliessung des Pylorus hervor; dieser bleibt nun so lange geschlossen, bis die
Säure völlig neutralisiert ist. Ist die Neutralisation der Säure bereits vor sich ge¬
gangen, so hört auch die Reflexwirkung auf den Pförtner auf; der rylorussphinkter
erschlafft und lässt aus dem Magen in den Darm eine neue Portion des Inhaltes
durchtreten.
Andere wichtige Momente, welche den Uebergang der Speisen aus dein Magen
in den Darm und ihre Weiterwanderung durch den Darmtraktus begünstigen und
beschleunigen, fand Kondakow'-) in rationell ausgeführten Körper¬
bewegungen. Für die regelrechte Verdauung im Magen ist körperliche Ruhe er-
Zoitschr. f. diät. u. physik. Therapie Bil. V. lieft <’>. 34
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forderlich. Dagegen wird der Uebertritt des Speisebreies aus dem Magen in den Darm
erleichtert, wenn die betreffende Person auf der rechten Seite liegt; man darf sich aber
auf die rechte Seite nicht sogleich nach dem Essen legen, da in diesem Falle die
flüssigen Massen eher in den Darm übertreten könnten, als die festen Bestandteile,
was nach der Ansicht des Verfassers auf den Verdauungsvorgang ungünstig einzuwirken
vermöge. Der Uebertritt der Speisen aus dem Magen in den Dünndarm wird bedeutend
erleichtert, wenn das Querkolon frei ist; zur Entleerung des Colon transversum räth
der Autor, sich auf das Bett mit dem Gesichte nach unten zu legen und sich einige
Male von rechts nach links umzudrehen; unter dem Einflüsse dieser Körperbewegungen
tritt die Speisemasse dem Gesetze der Schwere nach in den absteigenden Theil des
Dickdarmes über. Die Fortbewegung der Speisemassen durch den Dünndarm wird
durch die Bewegungen der unteren Extremitäten begünstigt; deshalb ist es am besten,
die Zeit, während welcher der Speisebrei sich im Jejunum und Ileum befindet, nach
Möglichkeit in Bewegung zuzubringen, theils in der freien Luft, theils im Wohnzimmer.
Für die Fortbewegung der Speisemassen im Dickdarm sind von grosser Wichtigkeit
solche Körperbewegungen, welche zum Hinabgleiten der Speisen auf einer schiefen
Ebene führen. So empfiehlt der Verfasser z. B. folgende Methode zur Ueberführung
der Speisen und ebenso von Fremdkörpern aus dem Coecum in die weiteren Ab¬
schnitte des Dickdarmes: die betreffende Person legt sich aufs Bett, bringt die Knie¬
gelenke in forzierte Beugung, nähert die Füsse an das Gesäss und hebt das Becken
möglichst hoch; sodann kreuzt sie die Beine in der Weise, dass der linke Unter¬
schenkel nach unten, der rechte nach oben kommt, und legt sich auf den linken
Schenkel. Das Emporheben des Rumpfes wird mehrere Male wiederholt, worauf sich
die betreffende Person auf die linke Seite dreht. Die fernere Fortbewegung der
Speisen im Kolon geht infolge der anatomischen Bedingungen leichter in ruhiger,
horizontaler Körperlage vor sich, während zum Uebertritt der Speisen in das Rektum
solche Körperbewegungen erforderlich sind, bei welchen man sich tief bücken muss,
damit der Schultergürtel tiefer als der Beckengürtel zu stehen komme. Diese tiefen
Bückungen sind auch dazu geeignet, die Muskeln der Bauchpresse zu stärken.
Kondakow betont die Nothwendigkeit rationeller und zweckmässiger Körper¬
bewegungen für den regelrechten Ablauf der Funktionen der Speisewege und hält
diese Bewegungen für die beste prophylaktische Maassregel gegen Erkrankungen des
Magens und des Darmes.
Von der therapeutischen Verwendung des natürlichen thierischen Magensaftes
ist in dieser Zeitschrift (1900. Bd. 4. Heft 3. S. 220) bereits die Rede gewesen,
wobei P. Mayer seine Verwunderung darüber aussprach, dass die Anregung Pro¬
fessor J. Pawlow’s in Russland merkwürdiger Weise keinen Beifall gefunden zu
haben scheine; jedenfalls lägen keine Publikationen über diesen Gegenstand vor.
Auch Professor J. Pawlow selbst drückte gelegentlich sein Bedauern darüber aus,
dass die Verwendung des Magensaftes vom Hunde als therapeutisches Mittel, welches
die gründlichste Prüfung verdiene, bei uns in Russland sich anscheinend nicht ein¬
bürgern wolle, während doch zahlreiche Versuche ihn von dem zweifellosen Nutzen
dieses Präparates überzeugt hätten. Professor S. Lukjanow ist ebenfalls der
Meinung, dass der Magensaft von Hunden, welche nach der Methode von Pawlow
der »Scheinfütterung« unterworfen werden, mit der Zeit eine weite Verwendung zu
therapeutischen Zwecken finden werde. Im vorigen Jahre ist nun eine Arbeit von
A. Finkeistein 6 ) erschienen, welche der Behandlung einiger Krankheiten mit
natürlichem thierischem Magensaft gewidmet ist. Die Vorzüge dieses neuen
Präparates vor der üblichen Pepsinsalzsäuremedikation bestehen nach Finkeistein im
Folgenden: 1. Die käuflichen Pepsinsorten halten den Vergleich mit dem natürlichen
reinen Magensafte nicht aus; die technischen Methoden ihrer fabrikmässigen Her¬
stellung sind noch roh und unvollkommen, die Verunreinigung des Pepsins durch
Beimengung von fremdartigen Bestandtheilen ist eine häufige Erscheinung. 2. Der
Magensaft, welcher bei der »Scheinfütterung« gewonnen wird, ist nach Aussehen und
Geschmack angenehm, unbedingt rein und ändert lange Zeit hindurch nicht seine
Zusammensetzung. Die verdauende Kraft des natürlichen Magensaftes ist bei weitem
grösser als die der käuflichen Pepsinpräparate. Ja, diese letzteren schädigen sogar,
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Diätetisches aus Russland. 49!)
nach den Beobachtungen des Verfassers, meistenteils die Verdaunngsthätigkeit des
noch vorhandenen Magensaftes beim Menschen. 3. Den Gehalt an Salzsäure und an
Pepsin in dem durch die »Scheinfütterung« gewonnenen Magensaft des Hundes ver¬
mögen wir willkürlich zu modifizieren, indem wir dem Thiere diese oder jene Speise
darbieten; denn die Magendrüsen liefern für den betreffenden Nahrungsstoff ein
Sekret von genau abgemessener Quantität und von bestimmter Qualität. Auf diese
Weise sind wir im stände, je nach der Zusammensetzung des Magensaftes bei dem
zu behandelnden Kranken den gerade in dem betreffenden Falle erforderlichen
natürlichen Magensaft des Hundes mit einem grösseren oder geringeren Gehalt an
Salzsäure und mit einer bedeutenderen oder kleineren Menge von Pepsin zu ver¬
ordnen. Die Abhängigkeit der Sekretmenge und der chemischen Zusammensetzung
des Magensaftes von bestimmten Quantitäten und von der Qualität der Nahrung
wurde im physiologischen Laboratorium des Professors J. Pawlow streng wissen¬
schaftlich nachgewiesen und festgestellt. So ist der Magensaft bei Darreichung von
Brot besonders reich an Ferment; bei Fleischnahrung zeichnet er sich durch eine
beträchtliche Acidität aus; bei Milchdiät enthält er wenig Ferment, während er in
Bezug auf den Salzsäuregehalt eine mittlere Stellung zwischen dem »Brot-« und dem
»Fleischmagensaft« einnimmt. Der »Brotmagensaft« ist konzentrierter als der bei
Fleischkost, bei welcher ein reichlicheres Sekret abgesondert wird, als bei Brot¬
darreichung. Die Menge der zu sich genommenen Nahrung wirkt ebenfalls auf die
Absonderung ein. Dabei ist noch im Auge zu behalten, dass im Beginne der Ver¬
dauung die Sekretion stärker vor sich geht, während die Verdauungsfähigkeit des
Magensaftes zum Schlüsse sinkt.
Finkelstein’s klinisches Material umfasst folgende 22 Fälle: 8 Fälle von
Magenkatarrh, 2 von Magenkrebs, 9 von Abdominaltyphus, 1 von Diabetes mellitus
und je 1 Fall von Gallensteinen mit Magenkatarrh. Die Ergebnisse der Behandlung
gestalteten sich folgendermaassen: Bei Magenkarcinom erwies sich der Hundemagen¬
saft als ein unbedingt nutzbringendes Mittel. Das Erbrechen verminderte sich sowohl
in Bezug auf seine Quantität wie auch hinsichtlich seiner Häufigkeit. Die Schmerzen
nach der Nahrungsaufnahme wurden bedeutend schwächer und waren öfters über¬
haupt gar nicht mehr vorhanden. Der Appetit wurde wesentlich besser, besonders
bei Verordnung des natürlichen Magensaftes in fraktionierten Dosen, mehrere Stunden
vor dem Essen. Das Aufstossen und das Sodbrennen wurden geringer. Die Resorption
der Nahrung besserte sich merklich, und infolgedessen nahm auch das Körpergewicht
der Kranken zu. Während also bei dem Carcinoma ventriculi der natürliche
thierische Magensaft ein sehr gutes symptomatisches Mittel darstellt, spielt er bei
dem Magen katarrh die Rolle eines echten Heilmittels. Der Appetit wurde in allen
acht Fällen von Magenkatarrh ein intensiverer. Der üble Geschmack im Munde
während und nach dem Essen verschwand in kurzer Frist. Das Aufstossen nach der
Nahrungsaufnahme und bei nüchternem Magen verging durch die Darreichung des
Magensaftes während des Essens und während der Verdauung, d. h. im Laufe der
ersten drei Stunden nach der Mahlzeit. Auf diese Weise wurden die Gährungs- und
Fnulnissprozesse in den stagnierenden, mangelhaft verdauten Speiseresten bedeutend
hintangehalten. Mit der Verbesserung des Verdauungschemismus verlor sich auch
allmählich das Sodbrennen. Das Gefühl der Schwere und Völle im Epigastrium
wich rasch der Wirkung auch kleiner Mengen Magensaft. Gegen die Schmerzen
musste länger angekämpft werden, aber das Endresultat war auch in dieser Hinsicht
ein durchaus befriedigendes. Ebenso günstig wurde das Erbrechen und die motorische
Schwäche des Magens beeinflusst. Am deutlichsten traten die Ergebnisse bei (lei-
genauen Untersuchung des Magensekretes der Kranken hervor: sowohl seine Ab¬
sonderung als auch der Chemismus der Magenverdauung änderten sich in aus¬
gesprochenster Weise zum Besseren. Das Körpergewicht der Patienten mit Magen¬
katarrh stieg, die Atonie des Darmkanales wich, und die verschiedenen nervösen
Störungen machten einem subjektiven Wohlbefinden Platz. Ueberhaupt ist der
Magensaft des Hundes beim Magenkatarrh ein mächtiges therapeutisches Mittel. In
zwei Fällen von Catarrhus ventriculi mit Anämie kompliziert, bewährte sich dasselbe
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Präparat auf das Glänzendste auch gegen die Blutarmuth, was durch den objektiven
Blutbefund vor und nach der Behandlung zur Evidenz nachgewiesen wurde.
Um die Wirkung des natürlichen thierischen Magensaftes auch auf
die darniederliegende Thätigkeit der Magendrüsen bei fieberhaft er¬
höhter Temperatur zu prüfen, unterzog Finkeistein dieses Mittel einem Ver¬
suche beim Typhus abdominalis. Von den neun Typhuskranken wurde mit der An¬
wendung des neuen Präparates in sieben Fällen unstreitig ein vortreffliches Resultat
erzielt, in einem Falle war das Ergebnis zweifelhaft, und in einem war das Resultat
ein negatives. Der Einfluss des Magensaftes dokumentierte sich durch das Vor¬
handensein eines guten Appetites auch bei 39° C; Abführung erfolgte ohne Einläufe
von selbst, der Meteorismus nahm sichtlich ab, die Intoxikationserscheinungen des
Nervensystems verringerten sich ebenfalls, der ganze Krankheitsverlauf wurde an¬
scheinend kürzer. — Von irgend welchem Urtheil über den Werth des natürlichen
Magensaftes beim Diabetes mellitus sieht der Verfasser einstweilen ab. Im allgemeinen
bestätigen die klinischen Beobachtungen Finkelstein’s die theoretische Voraus¬
setzung von der Zweckmässigkeit des natürlichen thierischen Magensaftes und lassen
deutlich erkennen, dass er ein mächtiges therapeutisches Agens darstellt.
Die Russen nennen das Kind beim richtigen Namen und bezeichnen das hier
in Rede stehende Produkt als »Hundemagensaft«. Ich glaube, dass so manchem
Kranken bei dieser Benennung eher der Appetit vergehen als sich davon steigern
kann. Die Franzosen haben daher für das Präparat die elegantere und appetitlichere
Bezeichnung »Gast6rine« erfunden, und unter dieser Flagge wird wohl das neue
heilsame Präparat in die Welt hinaussegeln. Ich möchte deshalb hier ausdrücklich
betonen, dass das Verdienst, den Arzneischatz mit diesem wirksamen therapeutischen
Mittel bereichert zu haben, den Russen gebührt und zwar vor allem Professor
Pawlow, dem genialen Erfinder der kombinierten Doppeloperation und der »Schein¬
fütterung« zur Gewinnung des reinen Produktes. Den Russen hauptsächlich wird
auch einst mit Recht die Ehre zugeschrieben werden müssen, in der Ernährung der
Fiebernden, besonders der Typhuskranken, eine neue fruchtbringende Aera veranlasst
zu haben. Ich hatte bereits Gelegenheit, auf den Seiten dieser Zeitschrift (1899.
Bd. 3. Heft 3. S. 253 und li’OO. Bd. 4. Heft 2. S. 182) von der bedeutungsvollen
Wandlung in der Ernährung der Typhösen in Russland zu sprechen. Trotz zahl¬
reicher und gründlicher vollkommen beweiskräftiger und von einer reichen Erfahrung
diktierter Arbeiten fast ausschliesslich russischer Autoren befinden sich noch immer
diejenigen Aerzte in der Mehrzahl, welche ihre Fieberkranken nur auf flüssiger Diät
halten, sie mit Bouillon, Milch, Haferschleim und dergleichen füttern, d. h. im Grunde
genommen eigentlich hungern lassen. Dies ist meines Wissens ganz besonders in
Deutschland, Frankreich und in der Schweiz der Fall.
Ein derartiges Verhalten wird dadurch erklärt, 1. dass bei Fiebernden und ins¬
besondere bei Typhuskranken die Absonderung des Magensaftes und überhaupt die
Verdauungsthätigkeit, der Speisewege in bedeutendem Maasse herabgesetzt sei; 2. dass
bei den Typhösen die Darreichung von fester Nahrung eine Darmperforation hervor-
rufen könne, und 3. dass das Verabreichen von fester gemischter Kost eine Re-
krudescenz des Fiebers veranlasse. Unparteiische klinische Beobachtung und vor-
urtheilslose theoretische Ueberlegung haben jedoch diese Thesen in hohem Grade
erschüttert. Einerseits wurde nachgewiesen, dass die Verdauungsthätigkeit des
Magens beim Fieber in blos geringfügiger Weise abgeschwächt wird und leicht zur
Norm gebracht werden kann. Andrerseits geht beim Fieber die Assimilation der
Eiweissstoffe, nach den Versuchen von Baftalowsky, Sassetzky, Hösslin u. a.,
durchaus nicht schlechter vor sich, als bei Gesunden; die Resorption der Fette fand,
nach den Beobachtungen Professor Tschernow’s, bei Kindern sogar in grösserem
Umfange statt, als bei Gesunden. Die Gefahr einer Perforation ist meist nicht
gross, da der beim Abdominaltyphus affizierte Abschnitt des Darmkanals sich in der
Nähe des Dickdarms befindet, wohin die Speisemasse bereits in Form eines dünnen
Breies gelangt: bei Darreichung einer geeigneten Kost ist die Gefahr einer Perforation
fast gar nicht vorhanden. Wenn endlich die Temperatur eines Typhuskranken nach
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forcierter Ernährung auch manchmal um unbedeutende Werthe steigt, so wird dafür
sein Allgemeinzustand ein unvergleichlich besserer.
M. Ladyshensky 7 ) beschreibt nun fünf Fälle von Typhus abdominalis,
welche von ihm bei forzierter Ernährung durchgebracht wurden. Die
Patienten bekamen die ganze Zeit der Krankheit über ausser Thee und Milch noch
Weissbrot, Butter, Eier, Hühnerfleisch, Kotelettes, und in den späteren Stadien der Krank¬
heit auch Fische, Kartoffeln, Beetensuppe und dergleichen. Ungeachtet dessen, dass
die Temperatur zeitweise ziemlich hohe Zahlen erreichte, so bot doch der Allgemein¬
zustand der Kranken keineswegs dasjenige schwere Bild dar, welches man im Ver¬
laufe des Abdominaltyphus so häufig zu sehen bekommt: die Patienten bewahrten
ein munteres Aussehen, konnten sich im Bette aufrichten, zur Erfüllung ihrer
natürlichen Bedürfnisse auch allein aufstchen und fingen im Durchschnitt zu Beginn
der vierten Woche umherzugehen an, wobei sie nach Eintritt der Genesung nicht
jenes abgezehrte Aussehen aufwiesen, durch welches sich gewöhnlich die Typhus-
rekonvalescenten auszeichnen. In keinem der beschriebenen Fälle war irgend welche
Komplikation von Seiten des Darmes zu bemerken. Der Autor stimmt mit Buschujew
darin überein, dass viele Krankheitserscheinungen, welche der Wirkung des Typhus¬
toxines zugeschrieben zu werden pflegen, in Wirklichkeit blos die Folgen des
Hungcrns darstellen. Einige pathologisch-anatomische Veränderungen in den Muskeln,
und in den parenchymatösen Organen werden nach der Ansicht des Verfassers ebenso¬
gut beim Abdominaltyphus wie im Hungerzustandc angetroffen. Ladyshensky ist
ebenso wie Buschujew der Meinung, dass, wer cs auch nur ein Mal versucht hat,
seine Patienten reichlich zu ernähren, es dieses nie bereuen und auch nie diejenigen
schweren Formen des Typhus zu sehen bekommen wird, welche bei der ungenügenden
Ernährung so häufig zu beobachten sind.
Etwas weniger dreist ging bei seinen Patienten E. Tiemen 8 ) vor. Er reichte
gemischte feste Kost an 32 Typhuskranke; von diesen bekamen eine derartige
Nahrung 14 Typhöse bereits einige Tage nach ihrem Eintritt in das Krankenhaus,
18 Patienten dagegen ungefähr in der dritten Krankheitswoche bei beginnender
Bcssernng des Allgemeinzustandes und bei tieferen morgendlichen Remissionen der
Temperaturkurve. Vor allen Dingen ist zu bemerken, dass alle Patienten genesen
sind. Ja, noch mehr, die Kranken litten nicht nur keineswegs unter einem solchen
Ernährungsregime, sondern gewannen eher dadurch. So klagten die Patienten
nur äusserst selten über irgend welche Schmerzen im Leibe. Die Entleerungen
wurden formierter, das Abdomen war stets weich und frei von Meteorismus, und in
einem Falle verschwand ein hartnäckiger und heftiger Durchfall, der allen üblichen
antidiarrhoischen Mitteln auf keine Weise weichen wollte, sofort nach dem Ersatz
der bisher verabreichten Milch durch feste Kost. Geringfügige Darmblutungen traten
in zwei Fällen auf und standen in beiden Fällen auf einige kleine Dosen Opium¬
tinktur. Einer von diesen Patienten machte in der Folge ein Typhusrezidiv durch.
Auf den Gang der Temperatur übte die Darreichung von fester Speise ebenfalls keine
irgendwie merkliche Wirkung aus, in vielen Fällen ging sie dabei sogar rascher zur
Norm über. Komplikationen von Seiten der Ohren oder der Parotis wurden kein
einziges Mal beobachtet. Auf den Allgemcinzustand der Kranken hatte die Ernährung
mit gemischter fester Kost einen überaus günstigen, wohlthuenden Einfluss: der Status
typhosus wurde allmählich geringer, das subjektive Befinden besserte sich, besonders
wenn die Typhuspatienten bereits von den ersten Tagen ihres Aufenthaltes in dem
Krankenhause an ordentlich und genügend ernährt zu werden begannen. In solchen
Fällen war niemals eine derartig starke Abmagerung zu sehen, wie bei der ge¬
wöhnlichen spärlichen Ernährung. Viele Patienten beeilten sich schon mit dem Auf¬
stehen vom Bett, als die Temperatur erst zur Norm zurückzukehren anfing, und
drängten bald darauf, entlassen zu werden. Solche aufmunternde Resultate ver¬
anlassen natürlich den Verfasser, weitere Versuche und Beobachtungen über die
forcierte oder jedenfalls ausreichende Ernährung der Typhuskranken mit einer nahr¬
haften und gemischten Kost für durchaus wünsclienswerth zu erachten, freilich unter
der Bedingung strenger Anpassung an die individuellen Eigentümlichkeiten eines
jeden Kranken im Besonderen.
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Unter den immer mehr und mehr sich entwickelnden diätetischen Behandlungs¬
methoden verschiedener Krankheiten nimmt eine der hervorragendsten Stellen die
Weintraubenkur ein. Die Anwendung der Weintrauben in Form der frischen Beeren
ist jedoch mit einigen Mängeln und Unbequemlichkeiten verknüpft, weshalb man in
neuester Zeit sich bemüht, die Beeren durch den aus ihnen gewonnenen Weintrauben¬
saft zu ersetzen. Soll der Weintraubensaft als therapeutisches Mittel Verwendung
finden können, so muss er folgenden Anforderungen entsprechen: er muss aus den
allerbesten Sorten vollkommen reifer, zu kurgemässem Gebrauch geeigneter Trauben
gewonnen werden, er muss vollständig durchsichtig, d. h. von allen festen Theilchen
frei sein, er muss eine unbegrenzt lange Zeit gut haltbar sein, und endlich dürfen
in ihm keine fremdartigen Beimengungen Vorkommen. Allen diesen Bedingungen
genügt in vortrefflichster Weise ein Traubensaftpräparat, welches von dem Handels¬
hause Eynem in Moskau im Jahre 1897 in den Handel gebracht wurde. Eine von
diesem Handelshause in Simferopol errichtete spezielle Fabrik liefert ausser einer
Reihe von Traubensaftsorten, welche für die Tafel bestimmt sind und ein völlig
natürliches, nahrhaftes, alkoholfreies Getränk darstellen, das im Kampfe mit der
Trunksucht geeignet ist, die spirituösen Getränke zu verdrängen, auch einen tadel¬
losen Saft, welcher aus den zum kurgemässen Gebrauch bestimmten Weintrauben
sehr sorgfältig bereitet wird. Das Wesen der Zubereitung eines solchen Weintrauben¬
saftes besteht darin, dass der eben aus den Beeren in einer besonderen Presse aus¬
gedrückte Saft sogleich auf direktem Wege in einen Sterilisationsapparat hinüber¬
geleitet wird, wo seine Pasteurisation bei G5—70 0 C vorgenommen wird. Angefangen
von diesem Zeitpunkte bis zu seiner endgültigen Füllung in Flaschen kommt der
Saft nicht mehr in Berührung mit der Luft; denn seine Fortleitung aus dem Des¬
infektionsapparate und das Filtrieren des Saftes findet in Röhren und Pumpwerken
statt, welche vorher durch Dampf sterilisiert worden sind. Der danach in die
Flaschen gefüllte filtrierte Saft wird auf dem Wasserbade erwärmt und hierauf im
Laufe von zwei bis drei Wochen einer Beobachtung unterworfen. Zum Verkauf ge¬
langen nur diejenigen Flaschen, in denen während dieser zwei bis drei Wochen der
Saft absolut klar bleibt; alle die Flaschen aber, in die auf irgendwelche Weise Luft
hineingelangt ist und in denen sich eine Trübung gebildet hat, welche von dem Auf¬
treten biologischer Vorgänge in ihrem Inhalte zeugt, werden vom Vertriebe aus¬
geschlossen. Der auf diesem Wege gewonnene Weintraubensaft stellt eine vollkommen
durchsichtige Flüssigkeit dar von hellgelber Farbe, von angenehmem Geruch und
sein- gutem Geschmack. Ein wesentlicher Unterschied in der chemischen Zu¬
sammensetzung zwischen dem auf gewöhnlichem Wege gewonnenen Traubensaft und
dem pasteurisierten existiert nicht.
Beobachtungen über die Wirkung dieses Traubensaftes, welche circa 2 >/* Monate
in Anspruch nahmen, stellte M. Muradow 9 ) an sich selbst an, nachdem er sich vorher
in Stickstoffgleichgewicht gebracht hatte. Der pasteurisierte Weintraubensaft wurde
in einer Quantität von 300—1250ccm täglich in den Magen eingeführt. Muradow's
Schlussfolgerungen lauten folgendermaassen: 1. Durch die rationelle Hinzufügung
des pasteurisierten Weintraubensaftes zu einer in Bezug auf ihre Quantität und
Qualität genügenden gemischten Kost ist man im stände, den Verbrauch des
Organismus an Stickstoff herabzusetzen. 2. Die stickstoffsparende Eigenschaft des
pasteurisierten Traubensaftes wird bedingt durch seinen Gehalt an Traubenzucker
und hängt in quantitativer Beziehung nicht nur von der Grösse der einzelnen Dosen
ab, sondern auch von der Menge und Beschaffenheit der dem betreffenden Organismus
zugeführten stickstoffhaltigen Nahrungsstoffe. 3. Je reicher die Nahrung an leicht
assimilierbaren N-haltigen Stoffen ist, desto leichter und intensiver tritt die N-sparende
Wirkung des pasteurisierten Traubensaftes zu Tage. 4. Der pasteurisierte Wein¬
traubensaft übt einen deutlichen Einfluss auf die im Darme vor sich gehenden Fäulniss-
vorgänge aus, und zwar in dem Sinne, dass er in mittleren Gaben (300 — 800 ccm
täglich) zweifellos die Fäulnissprozesse herabsetzt. Grössere Dosen dagegen können
entweder ganz ohne Einfluss auf die Stärke der Darmfäulniss bleiben, oder, indem
sie die Assimilation der stickstoffhaltigen Nahrungsstoft'e schädigen, vermögen sie
indirekt sogar eine Vermehrung der Menge der Aetherschwefelsäuren im Harne zu
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Diätetisches aus Russland.
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bewirken. 5. Mehr oder weniger anhaltender Gebrauch des pasteurisierten Wein¬
traubensaftes führt bei gleichzeitiger Zufuhr einer genügenden Kostmenge überhaupt
zu einem Ansteigen des Körpergewichtes. (>. Das Steigen des Körpergewichtes kann
durch Stickstoffansatz allein bedingt sein, oder aber, bei mässiger körperlicher Arbeit
der Versuchsperson, auch durch Ablagerung von Fettgewebe. 7. Bei täglicher Zufuhr
von pasteurisiertem Traubensaft in einer Menge von 300—750ccm wird die Assimilation
der stickstoffhaltigen Nahrungsstoffe erhöht, während bei Darreichung von grösseren
Quantitäten (1000 —1250 ccm täglich) die Assimilation allerdings etwas schlechter
wird, immerhin jedoch noch besser ist als bei derselben Kost, aber ohne den
pasteurisierten Traubensaft.
Litteratur.
0 W. Wirschillo, Der Einfluss des Leberthranes auf die Sekretion des Magensaftes. Vor¬
läufige Mittheilung. Wratsch 1899. No. 3. S. 61.
2 ) W. Wirschillo, Der Einfluss der Rahmbutter auf die Sekretion des Magensaftes. Vor¬
läufige Mittheilung. Wratsch 1900. No. 14. S. 423.
3) J. Wirschubsky, Ueber die Thätigkeit der Magendrüsen bei verschiedenen Arten von
Fettnahrung. Sitzung der Gesellschaft russischer Aerzte in St. Petersburg vom 13. April 1900. Wratsch
1900. No. 26. S. 811.
4 ) A. Serdjukow, Eine der wesentlichsten Bedingungen für den Uebcrtritt der Speisen aus
dem Magen in den Darm. St. Petersburger Dissertation 1899.
6 ) Kondakow, Ueber die Körperbewegungen, welche die Fortbewegung der Speisen und
Fremdkörper im Magen und Darm begünstigen. Broschüre. Moskau 1900.
6 ) A. Finkelstein, Die Behandlung mit natürlichem Magensaft. Vorläufige Mittheilung.
Wratsch 1900. No. 32. S. 963.
7) M. Ladyshensky, Zur Frage von der forzierten Ernährung der Typhuskrankeu.
Jeshenedelnik 1900. No. 23.
«) E. Tiemen, Rechenschaftsbericht über die Typhuskranken der Typhusabtheilung des
Stadtkrankenhauses zu Nikolajew für das Jahr 1898. Materialien zur Frage von der Ernährung der
Typhuskranken. Wratsch 1900. No. 48. S. 1453.
9 ) M. Muradow, Die Zusammensetzung des pasteurisierten Weintraubensaftes und die
Wirkung verschiedener Dosen davon auf den allgemeinen Stickstoff Umsatz, auf das Körpergewicht
und die Darmfäulniss beim gesunden Menschen und bei gemischter Kost. Dorpater Dissertation 1900.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Hermann Schlesinger, Die Bereitnng der Krankenkost. Lehrgang in zehn Abenden. lt*>2
Verlag von Johannes Alt.
Seitdem die Diätetik bezw. die Ernährangsthcrapie von Jahr zu Jahr grössere Beachtung bei
den Aerzten gefunden hat, stellt sich immer mehr und mehr das Bcdürfniss dafür heraus, dass ein¬
mal die Aerzte selbst sich mit der praktischen Richtung dieser Disziplin beschäftigen und dass andrer¬
seits sowohl die gebildeten, wie die niederen Volkskreisc mit den Prinzipien der rationellen Er¬
nährung vertraut gemacht werden. Diese Bestrebungen haben ihren Ausdruck in den verschiedenen
Kursen gefunden, welche von gemcinnützigcnVereinen, z.B. vom Deutschen Verein fürVolkshygieuc u a.,
in regelmässigen Cyklen veranstaltet worden sind.
In einigen grösseren Universitätsstädten haben während der letzten Jahre diätetische Kurse
auch für Aerzte stattgefunden, in welchen diese über die wichtigsten einschlägigen Fragen von be¬
rufener Seite unterrichtet wurden. Dieser Unterricht ist aber noch immer nicht allgemein genug
geworden. Es ist daher dankbar zu begrüssen, wenn Männer, welche sich seit vielen Jahren mit
den praktischen Fragen der Emährungsthcrapie beschäftigen, ihre Kenntnisse dem weiteren Publikum
mittheilen und in verständlicher, übersichtlicher Weise Kurse darüber abhalten. Den Gang eines
solchen Kursus stellt das vorliegende Büchlein dar.
Schlesinger hat im Anschluss an die Ausstellung für Krankenpflege zu Frank¬
furt a. M. einen Kursus von zehn Abenden für ca. 40 Damen der gebildeten Stände
abgehalten, in welchen die Betreffenden sowohl theoretisch wie praktisch überalle
wichtigen und nothwendigen Punkte der Krankenernährung unterrichtet wurden.
Die praktischen Unterweisungen wurden in der Küche des Vaterländischen Frauenvereins gegebeu;
sie bestanden darin, dass die Schülerinnen die verschiedensten Speisen auf Grund bestimmter Koch¬
rezepte horsteilen mussten.
Es ist zu wünschen, dass derartige Kurse auch gerade für die unbemittelten Frauen ein¬
gerichtet werden; denn iu den niederen Volkskreiscn besteht zum Thcil noch eine unglaubliche
llnkennüiiss darüber, welche Speisen am nahrhaftesten sind. Mit derselben kleinen Summe Geldes,
mit welcher die Arbeiterfrau ein oft nur wenig kalorienreiches Mittagsmahl bereitet, könnte sie
für ihre Familie Speisen von einem weit höheren Nährwerth herstcllen. Referent möchte liier die
Anregungen wiederholen, welche er kürzlich an anderer Stelle gegeben hat, dass in denjenigen
Erholungsstätten, Lungenheilstätten u. s. w., in welchen sich minder kranke Frauen und Mädeheu
befinden, diese unter Aufsicht des Arztes und der Oberschwester theoretisch und praktisch mit den
Fragen der Ernährung vertraut gemacht werden. Während des zwei- oder dreimonatlichen Auf¬
enthalts, welcher für diese Patientinnen gewöhnlich bis zu ihrer Wiederherstellung erforderlich ist.
wäre cs wohl möglich, ihnen einen nach allen Richtungen hin befriedigenden Unterricht in der
Diätetik zu örtlichen; und so hätten sic von diesem Aufenthalt nicht nur Vortheile für ihre eigene
Gesundheit erlangt, sondern sie würden, wenn sic zu ihrer Familie zurückkehren, auch für diese
weit besser sorgen können, als sie dies vordem zu thun im stände waren.
Paul Jacob (Berlin).
Strangs, Untersuchungen über die Resorption nnd den Stoffwechsel bei Apepsia gastrica
mit besonderer Berücksichtigung der pernieiösen Anämie. Zeitschrift für klinische Medicin
Bd. 41. Heft 1—4.
Die einzelnen Fälle von kompletter Sekretionsinsufficichz des Magens verhalten sich hinsicht¬
lich ihrer Rückwirkung auf die gesummte Körpcrökonomic ganz verschieden. Bei den meisten
Fällen wird der Ernährungszustand gar nicht tangiert, bei anderen zeigen sich die Erscheinungen
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Referate aber Bücher und Aufsätze.
505
eines progressiven Gewebsschwundes, und eine dritte Gruppe endlich geht mit den typischen Er¬
scheinungen der peraiciosen Anämie einher. Der Grund dieser Verschiedenheit liegt einerseits in
der Verschiedenheit der die Apepsia gastrica bedingenden Ursachen, andrerseits in dem nicht
immer gleichmässigen Eintreten des Darmes für den Defekt in den peptischen Leistungen des
Magens. Bei den Fällen, die mit einer peraiciosen Anämie cinhcrgchen, hat man in Störungen des
Stoffwechsels den Grund für diese Eigenart supponieit, ohne bislang diese Hypothese durch exakte
Untersuchungen zu stützen.
ln diese bestehende Lücke tritt der Verfasser ein *ind vertheidigt an der Hand eines reichen
Thatsachenmaterials den Satz, dass wir zurZoit keinen hinreichenden positiven Anhalts¬
punkt haben, der uns gestattet, die Auffassung von der Erzeugung einer pernieiösen
Anämie durch Darmatrophie über das Niveau einer Hypothese zu erheben. Im ein¬
zelnen lehren die Untersuchungen, dass bei Apepsia gastrica die Ausnutzung des Stickstoffs und
des Fettes nicht wesentlich herabgesetzt ist, wenn nicht komplizierende Diarrhöen im Spiele sind.
Die mit den Schmidt'sehen Methoden ausgeführtc Untersuchung der Ausnutzung Hess nichts Auf¬
fallendes erkennen; die Resorption von Methylenblau ging im Darm in normalerWcise von statten.
Der Stoffwechsel Hess keine Erscheinungen von krankhaftem Eiweisszerfall erkennen. Die Wertho
für Harnsäure wurden in den Fällen, in welchen pemieiöse Anämie vorlag, erhöht, in den übrigen
normal gefunden; der prozentuale Antheil der Harnsäure am Gesammt-N war in den Fällen
schwerster Anämie etwas erhöht. Die Weithe für NH 3 hielten sich in normalen Grenzen. Der
Phosphorsäurc- und NaCl-Stoffwechsel Hess nichts Auffallendes erkennen; ein Ansatz von P 2 O 5
und von NaCl fand nicht statt. Die Menge der Aetherschwefeisäuren war zwar* meist nahe an
der oberen Grenze des Normalen, aber nicht krankhaft erhöht. In einem Falle fehlte Phenol völlig,
die Menge der flüchtigen Fettsäuren war nicht erhöht; dagegen zeigte die Menge der aromatischen
Oxysäuren -f- Hippursäuren in einem Falle von pernieiöser Anämie an zwei Tagen eine Erhöhung.
Ptomnine waren in zwei Fällen von Apepsia gastrica und pernieiöser Anämie nicht nachweisbar; die
Harngiftigkeit war in einem darauf untersuchten Falle auffallend gering. Der Urobilingchalt war
meist erhöht. Freyhan (Berlin).
E. Schreiber, Ueber die Verwendung des frischen Kaseins in der Ernährung. Centralblatt
für Stoffwechsel- und Verdauungskrankheiten 1901. No. 5.
Verfasser macht den bcachtenswerthcn Vorschlag, das frisch gefällte Kasein der Mager¬
milch für die Krankenernährung, sowie auch für die Volkscrnährung dienstbar zu
machen, da wir in ihm ein ausserordentlich billiges, wohlschmeckendes und lcichtvcrdauliches Eiweiss-
präparat vor uns haben. In Breien aus Rcismehl, in Suppen oder mit Mehl (ein Theil Kasein zu zwei
Theilen Mehl verbacken) zu Brot gebacken stellt das frisch gefällte Kasein ein wohlschmeckendes
Eiweisspräparat dar, das nach den mit KascTnpräparatcn angcstclltcn Stoffwechsclvcrsuchen auch gut
ausgenutzt werden muss. Wenn das Kasein mit Suppen aufgekocht oder mit Mehl zu Brot ver¬
backen wird, so werden durch die Hitze auch noch eventuell dem Kasein beigemengte Tubcrkcl-
bacillen abgetötet. Beim frisch gefällten Material kann der Gehalt an Tuberkelbacillen dadurch be¬
trächtlich reduziert werden, dass man die Milch nur von solchen Kühen nimmt, welche auf die
Tuberkulinprobe nicht reagiert haben, oder dadurch, dass man das KaseTn von sterilisieiter Milch
ausfällt — Der Vorschlag des Verfassers hat nicht blos medicinisches, sondern auch volkswirt¬
schaftliches Interesse, weil die Verwendung des Kaseins zur Aufbesserung des Eiweissgehaltes der
Volksnahrung auch der Landwirtschaft dadurch zu gute kommt, indem sie eine bessere Verwertung
der Magermilch ermöglicht. II. Strauss (Berlin).
Herzen, Einfluss einiger Nahrungsmittel auf die Menge und den Pepsiugehalt des Magen¬
saftes. Therapeutische Monatshefte 1901. Heft 5.
Zur Untersuchung obiger Frage bedient sich Verfasser der Pawlow’sehen Methode. Diese
besteht darin, dass durch eine Schleimhautscheidewand ein Theil des Magens völlig abgesondert
wird. Demzufolge ist der hier produzierte Magensaft völlig frei von Beimengungen durch Nahrung
und kann, durch eine Fistel entleert, zu Versuchen verwendet werden.
Herzen geht von Experimenten aus, die Schiff und Pawlow anstelltcn Ersterer fand
eine Reihe von Stoffen, welche die Pcpsinbildung im Magen bedeutend erhöhten, während letzterer
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506
Referate über Bücher und Aufsätze.
zeigte, dass die meisten dieser Stoffe zugleich starke Safttreiber wären. In der Annahme,'dass dies
Zusammentreffen ein zufälliges wäre, suchte Verfasser Stoffe zu finden, die entweder nur safttreibend
oder nur pcpsinbildcnd wirkten. Bei Versuchen mit Dextrin und Licbig’schcm Flcischextrakt cr-
giebt sich, dass, in grossen Dosen verabfolgt, beide sowohl Saft wie Pepsin bilden. Dagegen er*
zeugt Dextrin in kleineren Dosen hauptsächlich Pepsinbildung, während Licbi g ’scher Extrakt be¬
sonders die Saftproduktion anregt Reine Saft- oder reine Pepsinbildncr sind indessen beide nicht.
Weiter berichtet Verfasser über Versuche, die von Radzikowki und Mark-Schnorf an-
gestcllt wurden. Ersterer fand im Alkohol einen reinen Saftbilduer, der, ohne Pepsinabsondenmg
anzuregen, sogar vom Darm aus wirksam blieb. — Schnorf untersuchte zwei Kohlehydrate,
dsa Inulin und das Leberglykogen, die pepsinbildend wirkten, ohne die Absonderung vom Magen¬
saft anzuregen.
Die Untersuchung weiterer Stoffe in dieser Richtung steht noch aus; doch ist mit obigem
schon heute die Möglichkeit gegeben, durch Verabfolgung dieser Substanzen die Menge und Zu¬
sammensetzung des Magensaftes dem jeweiligen Bedürfniss entsprechend zu beeinflussen.
Lichtenstein (Berlin).
E. Freund und 0» Freund, Beiträge zum Stoffwechsel im Hungerzustaude. Wiener kliu
Rundschau 1901. No. 5—6.
Die Arbeit enthält die Resultate eines im Jahre 1896 an dem Hungerkünstler Sueci
21 Tage lang durchgeführten Hungerversuchs.
Hier können nur einige der interessantesten Befunde wiedergegeben werden.
Der Gesammt-N sank am zweiten Hungertago auf Vs des ursprünglichen Werthes, von da
an schrittweise weiter bis zu der auffallend kleinen Zahl 2,8 g am 21. Hungertage. In ähnlicher
Weise fiel die Menge des Harnstoffs vom zweiten Tage an ziemlich gleichmässig bis auf 3,2:
während aber das Verhältniss des Harnstoff-N zum Gesammt-N anfänglich 85—89% betrug, fiel
er bis zu 56 und 54% an den beiden letzten Tagen ab. Die übrigen bekannten N-haitigen Harn-
bestandtheile zeigten keine entsprechende relative Vermehrung, Ammoniak und Hippursäure wurden
ständig in annähernd gleichbleibcnder Menge, Harnsäure und Xanthinbasen sowie Kreatinin zwar
relativ etwas vermehrt ausgeschieden, doch reichte dieser Werth längst nicht, um die relativ hohe
Gesammt-N-Ausscheidung zu erklären; es ist wahrscheinlich, dass die OxyproteTnsäure hier in Frage
kommt, die Methoden zu ihrer Bestimmung reichen aber noch nicht aus.
Auffällig war, dass die neutralen Phosphate sich (relativ zum Gesammt-N) mehr gesteigert
erwiesen als die sauren, und ebenso zeigte sich die Acidität nur anfangs, die Alkalinität des Harns
dauernd (relativ) gesteigert; die landläufige Meinung von der ansäuemden Wirkung des Hungere
bestätigte sich hier also nicht.
Wie in früheren Hungerversuchen wurde eine relative Vermehrung des neutralen Schwefels
gefunden; die Aetherschwefelsäuren nahmen nicht zu.
Aceton und Acetessigsäure (auf Oxybuttersäure konnte nicht untersucht werden) wurde vom
dritten, Zucker vom achten, Urobilin schon vom ersten Tage an beobachtet.
D. Gerhardt (Strassburg).
G. v. Bunge, Her wachsende Zuekerkonsum und seine Gefahren. Zeitschrift für Biologie
Bd. 4L Heft 2.
v. Bunge hält es im Prinzip für unrichtig, die von der Natur uns gebotenen Nahrungs¬
gemenge durch chemisch reine Stoffe ersetzen zu wollen, weil wir gamicht wissen, ob nicht allerlei
Stoffe, welche den natürlichen, nicht aber den chemisch reinen Nahrungsmitteln in geringen Mengen
beigemengt sind, von wesentlicher Bedeutung für die Ernährung sind (so z. B. das Fluor). Wenn
wir die kohlchydratlichen Vegetabilien durch chemisch reinen Zucker ersetzen, führen wir dem
Körper jedenfalls zu wenig Eisen und Kalk zu. Fleisch und Brot enthalten weniger Kalk, als der
Mensch täglich braucht; erst durch Zulage von Kartoffeln und Früchten wird das nöthige Kalk¬
quantum erreicht
Verfasser glaubt, dass speziell beim Kinde Genuss von reinem Zucker statt vegetabilischer
Nahrungsmittel zur Verarmung des Körpers an Eisen und Kalk führt; er vermuthet, dass sich die
Anämie, vielleicht auch die Zahnkaries der Kinder hieraus erkläre.
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Referate über Bücher und Aufsätze. 507
Weiter sucht er zu zeigen, dass auch der erwachsene Organismus zum ständigen Aufbau der
Verbrauchsstoffe wohl dieselben Mengen von Rohmaterial nöthig hat wie der wachsende, dass also
auch für ihn Ernährung mit Zucker ähnliche Folgen haben könne. D. Gerhardt (Strassburg).
Erwiu Volt, Die Grösse des Ei Weisszerfalls im Hunger. Zeitschrift für Biologie Bd. 41. Heft 2.
Um die Grösse des Eiweisszcrfalls im Hunger zu ermitteln, stellt Voit eine grosse Reihe
von Bestimmungen aus der Litteratur zusammen, die sich auf Versuche an den verschiedensten
Thierarten beziehen. Eine Vergleichung derselben lehrt, dass die N-Ausscheidung, auf die Gewichts,
einheit der Thiere bezogen, in grossen Breiten schwankt (allerdings im allgemeinen mit der Grösse
der Thiere zunimmt), dass sich aber, wenigstens für das gutgenäbrtc ruhende Thier, annähernd
übereinstimmende Beziehungen des Eiweisszerfalls zum Gesammtcncrgievcrbrauch ergeben; es werden
nämlich 10—16% der produzierten Kalorieenmenge durch Eiweissverbrennung geliefert. Auch bei
schlechtgenährten Thieren mit von Haus aus geringem Eiweissbestand scheint in ähnlicher Weise
die N-Abgabe von dem Gesammtenergieverbrauch bedingt zu werden.
Leistet das Hungerthier körperliche Arbeit, dann sinkt naturgemäss die Stickstoffausscheidung
iin Verhältniss zum Gesammtkalorieenwerth.
Ein weiteres die Grösse des Eiweisszerfalls beeinflussendes Moment findet der Verfasser iii
dem Fettreichthum des Thieres: ebenso wie sich beim mageren Hungerthier durch Fettzufuhr die
Stickstoffausscheidung bis um ca. 12% hcrabdrücken lässt, so schützt auch ein reichlicher Fett-
vorrath das Eiweiss theilweise vor der Verbrennung. Dieses Moment dürfte die immerhin recht
deutlichen Unterschiede der relativen Eiweisscinschmelzung bei den einzelnen Hungerthieren bedingen.
D. Gerhardt (Strassburg).
F. Blumenthal und J. Wolilgemuth, Ueber Glykogenbildnug ans Eiweiss. Berliner klin.
Wochenschrift 1901. No. 15.
Die in der letzten Zeit viel ventilierte Frage, ob die Kohlehydratbildung aus Eiweiss dadurch
zu stände kommt, dass der im Eiweissmolekül enthaltene Kohlehydratkomplex einfach abgespalten
werde, oder dadurch, dass aus Ei weisszerfallprodukten (etwa Leucin) synthetisch die Kohlehydrate
gebildet werden, suchten die Verfasser auf die Weise zu lösen, dass sie die Glykogcnbildung nach reiner
Eiweissfütterung studierten. Sie verwandten in einer Reihe von Versuchen ein solches Eiweiss-
präparat, das reichliche Kohlehydratgruppen enthält (Eicralbumin), in der anderen ein solches, in
dem sich auf keine Weise derartige Gruppen nachweisen lassen, nämlich ein »Glutona genanntes
Leimpräparat.
Die Versuche wurden an Fröschen ausgeführt, von denen je 10-15 zu einem Experiment
dienten; jedesmal diente die gleiche Menge zur Bestimmung des Glykogengehalts zu Beginn der
Fütterung, eine dritte ebenso grosse Menge, die nur mit Wasser oder Salzlösung gefüttert wurde,
zu Kontrollbestimmung des Glykogen Verbrauchs während der Versuchszeit.
Die Resultate mehrerer Versuchsreihen ergaben übereinstimmend, dass das kohlehydratfreic
Gluton (ebenso wie das früher von Schöndorff untersuchte Kasein) ohne Einfluss auf die Glykogen¬
bildung ist, dass durch Eieralbumin der Glykogengehalt der Thiere dagegen beträchtlich steigt.
Die Verfasser berechnen zudem, dass der durch Eiweiss erzielte Zuwachs an Glykogen fast
genau der im Ei weisskörper enthaltenen Kohlehydratmenge entspricht Sie glauben somit, dass die
Glykogenbildung aus Eiweiss lediglich durch Abspaltung präformierter Kohlehydratgruppen, nicht
durch Synthese aus Leucin (Kasein wie Leim sind sehr reich an Leucin) stattfinde.
D. Gerhardt (Strassburg).
E. Roos, Zur Verwendbarkeit von Pflanzenei weiss als Nährmittel. Deutsche medicinische
Wochenschrift 1901. No. 16.
Roos’ Versuche sind mit einem »Plantosec genannten Präparat angestellt, das durch Hitze-
coagulation aus dem wässerigen Auszug von Rapspresskuchen gewonnen wurde.
Ein exakt durchgeführter Ausnutzungsversuch zeigte, d iss sich bei einer Kostordnung, welche
bei ausreichender Kalorieenmenge (1970) etwa i/ 3 der zugeführten Eiweissmenge (6,76 von 16,59 N)
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508 Referate über Bücher und Aufsätze.
in Form von Fleisch, den Rest in Form «von Eiern, Milch, Zwieback enthielt, das gesummte Fleisch
durch die entsprechende Menge Plantose ersetzen liess; die Stickstoffresorption, die vorher 93,5" „
betragen hatte, stieg sogar in der Plantoseperiode auf 94,15 o/ 0 an, die N-Retcntion im Körper, die
vorher täglich 1,8 g betragen hatte, wuchs auf täglich 2,4.
Weitere Versuche erwiesen, dass das pulvcrfönnigc Präparat auch von fiebernden Kranken
gern genommen wird (am besten in Kakao eingerührt), und dass cs in einigen Fällen gelang, durch
Plantosezulage zur vorherigen Kost das Körpergewicht, das bis dahin konstant war, zu steigern.
D. Gerhardt (Strassburg)
A. Spieglet-, lieber den Stoffwechsel bei Wasserontziehnug. Zeitschr. für Biologie Bd. 4L lieft J
Die Versuche sind thcils an Menschen, theils an Runden durchgeführt. Sic ergaben, das#
kurzdauernde (eintägige) Wasserentziehung eine Abnahme der N-Ausscheidung zur Folge hat, welcher
zumeist eine Vermehrung nach Beendigung des Versuches folgt; länger#dauernde Wasserkarenz
hat anfangs auch Abnahme, später aber Steigerung der N-Abgabc zur Folge.
Verfasser erklärt die anfängliche N-Retention in beiden Fällen als vorgetäuscht durch ver¬
langsamte Resorption im Darm, die Vermehrung des Harnstickstoffs nach Beendigung der kurz¬
dauernden Wasserkarenz durch Resorption der im Dann angehäuften Nahrung. Längerdauerndc
Wasserentziehung hat erhöhten Ei weisszerfall zur Folge; die über mehrere Tage sich erstreckende
scheinbare Verminderung ist wieder durch Verlangsamung der Resorption zu erklären.
Beim wachsenden Organismus genügt schon recht mässige Beschränkung der Wasscrzufnhr,
um erhebliches Zurückbleiben des Wachsthums zu bewirken. D. Gerhardt (Strassbürg’.
Martin Kaufmann, Stoffwechselbeobnclitnng bei einem mit Nebennierensubstanz behandelten
Fall von Morbus Adisouii. Ceutralbl. für Stoffwechsel- u. Verdauungskrankheiten 1901. No 7.
Verfasser hat auf der von v. Noordcn’sehen Abtheilung des städtischen Krankenhauses zn
Frankfurt a. M. einen 25 Tage umfassenden Stoffwcchsclvcrsuch mit Nebennierentabletten (Rhachitol-
tablctten) bei einem Falle von Morbus Adisonii angestellt und konnte hierbei in Uebereinstimmung
mit Senator konstatieren, dass die Nobcnniercntablcttcn keinen Einfluss auf den Eiwciss-
zerfall besitzen. Denn während in derVorpcriodc seines Versuches pro Tag 0,42g N und in der
ersten Rhachitolperiodc 1,23 gN abgegeben wurden, kamen in der zweiten Rhachitolperiode 0,42 g.
in der dritten 0,51 g und in der Nachperiode 0,74 gN täglich zum Ansatz. Dabei stieg das Körper¬
gewicht von 49,18 kg auf 50,7 kg. — Interessant ist, dass Verfasser ebenso wie Senator iu der
Rhachitolperiode eine leichte Verschlechterung der N-Ausnutzung im Darm beobachten konnte, ein
Punkt, der noch weiterer Aufklärung bedarf. Die Ausscheidung der Phosphorsäure gab in dein
Falle des Verfassers zu keiner Bemerkung Veranlassung. Der Patient, an welchem die Unter¬
suchung vorgenommen wurde, zeigte unter dem Einfluss der Behandlung eine Besserung seines
Allgemeinzustandes und eine Verminderung der Pigmentierung. »Besonders auffallend war, dass
die Pigmentflecken am Munde theils ganz verschwunden, theils sehr verkleinert waren«. Indessen
theilte Patient trotzdem das Loos der meisten Addisonkranken, die bisher mit Ncbennicrentabletten
behandelt worden sind; denn er starb circa vier Monate später. Die Autopsie zeigte eine voll¬
ständige Verkäsung der Nebennieren; alle übrigen Organe waren gesund.
II. Strauss (Berlin).
Knöpfelmacher, Die Nahrungsmengen im Siiuglingsalter. Wiener med. Presse 1901. No. 17.
Die Frage, welche Milchquanten für das Gedeihen des Säuglings bei natürlicher and künst¬
licher Ernährung erforderlich sind, ist noch nicht definitiv gelöst. Für Brustkinder hat Feer (Jahrb
für Kinderheilkunde 1896. Bd. 42) vor einiger Zeit Lactationskurvcn aufgcstcllt, die aus direkten
Bestimmungen der getrunkenen Milchmengen gewonnen sind; danach beträgt die tägliche Nahrungs¬
aufnahme eines gesunden Frauenmilchkindes im Mittel 291 g in der ersten Woche, 687 g in der
815 in der 9., 902 in der 17., 990 in der 25.; und cs entfallen bei 6 — 7 Mahlzeiten pro die in den
ersten vier Wochen, bei sechsmaligem Anlegen in späterer Zeit auf die Einzcimahlzcit in der ersten
Woche 42, in der 5. 115, iu der 9. 135, in der 17. 150, in der 25 165 g. Im einzelnen werden
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Referate über Bücher und Aufsätze. 509
weitgehende Abweichungen von diesen Durchschnittswerthen nach unten und, besonders nach längeren
Nahrungspausen, auch nach oben beobachtet. Wenn 2 —^monatliche Kinder Milchportionen von
200—250 g und mehr an der Brust trinken und ohne Magenüberdehnung gut vertragen, so erklärt
sich dies dadurch, dass schon während des Trinkaktes ein Theil der Milch in den Dann weiter be¬
fördert wird.
Knöpfeimacher hält die von Feer berechneten r jetzt vielfach als Standardzahlen betrach¬
teten Werte für viel zu hoch. Er beruft sich auf den bekannten, von Heubner und Rubncr an
einem neunwöchentlichen Brustkinde angestellten Energicbilanzvcrsuch, bei welchem statt der nach
Feer erforderlichen 815 g nur G08 g Milch pro die verabreicht wurden und bei welchem, obwohl
infolge rasch einsetzender Diarrhöen 10% Stickstoff durch den Koth in Verlust geriethen, doch noch
N-Retention und ein geringer Eiweissansatz erzielt wurden; daraus folgert er, dass unter normalen
Verhältnissen ein zweimonatliches Frauenmilchkind mit ca. 600 ccm Nahrung gut aus¬
komm en kann und dass die zur Zeit geltenden Zahlen einer Revision und wahrscheinlich auch einer
Redaktion bedürfen. Um die Minimalzahlen zu ermitteln, die ein Brustkind zur Erhaltung des Stoff-
wechsclgleichgewichts und zum physiologischen Wachsthumsansatz braucht, wären derartige Energie-
bilanzversuche, wie sie seit Pcttenkofer und Voit für das Thier und den erwachsenen Menschen
vorliegen, auch für das Säuglingsalter in grösserem Umfange vorzunehmen. Regelmässige Körper¬
gewichtszunahmen bieten noch keine Garantie dafür, dass die Nahrungszufuhr eine rationelle ist, da
die Folgen einer durch Ueberfütterung bedingten Magendilatation oft erst nach Wochen und Monaten
guten Gedeihens sich einstellen.
Flaschenkinder sind bezüglich der Nahrungsmengen in doppelter Hinsicht schlechter gestellt
als Brustkinder; einmal müssen bei ihnen längere Nahrungspausen gewählt, die täglichen Mahlzeiten
auf 6 und später auf 5 reduziert werden, da bei künstlicher Ernährung der Magen nicht schon wie
beim Brustkinde U/ 2 —2 Stunden, sondern frühestens 3 Stunden nach dem Trinken leer zu sein pflegt;
zweitens sind die einzelnen Flüssigkeitsvolumina, wenn man als Maassstab für dieselben die Ka¬
pazität des Säuglingsmagens in den verschiedenen Altersperioden gelten lässt, geringer zu bemessen.
Nach Pfaundler’s systematischen Untersuchungen beträgt das Fassungsvermögen des Magens 90 ccm
am Ende des ersten Monats, 100 nach dem 2., 110 nach dem 3., 125 nach dem 4., 160 nach dem
6. Monat, ist also für die vier ersten Lebensmonatc deutlich kleiner als die von Feer für die Einzel¬
mahlzeiten angesetzten Mittelwerthe. Von Wichtigkeit bei der künstlichen Ernährung ist es ferner,
dem Kinde eine qualitativ geeignete Milch darzubieten, ihm möglichst ebenso viel latente Energie
in den Nahrungsstoffen beizubringen, als das Brustkind erhält. Das neuerdings aufgetauchte Be¬
streben, jenen Kalorieenvorrath in Form von Eiwcisskörpcm, etwa durch Darreichung unverdünnter
Milch, zuzuführen, hält Knöpfelmacher für verfehlt, da nach Berechnungen von Camerer von
der im Kuhmilcheiweiss enthaltenen Energie der grösste Theil (80%) wieder für die Verdauungs¬
arbeit desselben verbraucht und als Wärme abgegeben, durch das Plus an Eiweiss auch der Magcn-
darmkanal des Säuglings in ganz überflüssiger Weise in Anspruch genommen wird. Verfasser giebt
denjenigen Methoden den Vorzug, welche nicht bloss die absolute Grösse der latenten Energie in
der Nahrung, sondern auch das Verhältniss der N-haltigen zu den N-freien Nahrungsstoffen berück¬
sichtigen und unter Vermeidung übergrosser Eiweissracngen die Zufuhr von Fett und Kohlehydraten
in der Flüssigkeitseinheit grösser zu gestalten suchen. Auf diesem auch schon von Eschcrich
bei seiner volumetrischen Ernährungsmethode befolgten Prinzip basieren das Bicdcrt’sche Rahm-
gemengc und viele nach dem Typus desselben neuerdings im Grossbetrieb hcrgcstellte, als Kindcr-
milch in den Handel gelangende Molkereiprodukte. Hirschei (Berlin).
Josiäs und Roux, Essai sur le traitement de la tuberculose pulmonaire chez les enfauts par
le serum musculaire, suivant le procede de M. M. Charles Richet et Hcriconrt.
Bulletin gönöral de thörapeutique 1901. Heft 7.
Die Verfasser, angeregt durch die Erfolge, welche Richct und Hericourt durch die Dar¬
reichung grösserer Mengen rohen Fleisches bei Lungentuberkulosen erzielten, wandten bei phthisischcn
Kindern den ausgepressten Fleischsaft (serum musculaire) an und berichten über günstige Resultate.
Die minimale Dosis für die Kinder mit einem Körpergewicht von 20—25 kg war 500 g täglich. Die
Behandlung wurde lange Zeit, sogar bis 7 Monate in einzelnen Fällen, fortgesetzt.
Schilling (Leipzig).
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510 Referate über Bücher und Aufsätze.
E. H. Kisch, Entfettungskuren. Berlin 1901. H. Th. Hoffmann.
Der auf dem Gebiete der Pathologie und Therapie der Fettsucht lange und wohl bekannte
Verfasser giebt in dieser Monographie in leicht fasslicher Form eine Uebcrsicht über den derzeitigen
Stand unserer Anschauungen über Entfettungskuren. Seine langjährige reiche Erfahrung auf diesem
Gebiete befähigt ihn, besonders in dieser Frage ein Urtheil abzugeben, das ganz abgesehen von
dieser Eigenschaft schon deshalb Beachtung verdient, weil die Ausführungen des Autors durchaus
maassvolle, auf wissenschaftlich geläuterter Empirio aufgebaut und von einer allseitigen Betrachtung
der Materie abgeleitet sind. Recht wohlthuend wirkt die stete Betonung des Werthes eines indivi¬
dualisierenden Vorgehens und die Warnung vor schablonenmässigein Handeln und vor Parforee-
kuren. Auch die stets wiederkehrende Trennung der Fettsuchtsformen in eine plethorisehe und
eine anämische Form dient entschieden sehr gut den Forderungen der praktischen Therapie. Wh*
cs natürlich ist, legt Kisch den Schwerpunkt seiner Darstellung auf die Diätbehandlung, die er
nach allen Seiten hin ausführlich erörtert; aber auch die Angriffspunkte der physikalischen Be¬
handlung, wie Herabsetzung der Schlafzeit, Dosierung der Körperbewegung, die thermo-, hydro-
und balneotherapcutisclie Behandlung, sowi^ auch die medikamentöse und psychotherapeutische Be¬
handlung werden eingehend erörtert. Ueber die organtherapeutische Behandlung fallt der Autor ein
sehr absprechendes Urtheil, und bezüglich der übrigen Behandlungsmethoden hält er sich von schema¬
tischen Vorschriften fern. Die Monographie besitzt ihren Werth vor allem darin, dass man in dci
Schilderung mehr oder weniger bekannter Behandlungsmethoden stets den Maassstab und das Urtheil
eines auf dem Gebiete der Entfettungskuren ausserordentlich erfahrenen und vor allem nach klinischen
Gesichtspunkten abwägenden Autore vorfindet. Das Buch kann ausserdem noch wegen der leicht¬
verständlichen und glatten Schreibweise bestens empfohlen werden. H. Strauss (Berlin).
C. Frftukel, Die Verwendung des Alkohols in der Behandlung der Infektionskrankheiten.
Die Therapie der Gegenwart 1901. Heft 1.
Den zahlreichen Arbeiten der letzten Jahre, durch die dem Alkohol »aus seinem Ruhmes¬
kranze seither ein Blatt nach dem anderen geraubt worden«, schliessen sich die Untersuchungen an.
dieC. Fränkel durch Dr. Laitinen hat anstcllen lassen, und die in ausführlicher Weise in der Zeit¬
schrift für Hygiene, Bd. 34, veröffentlicht sind. Zur Entscheidung der Frage, ob die Empfänglichkeit
des thierischen Körpers- für pathogene Mikroorganismen durch Alkohol, ebenso wie es für andere
Gifte bekannt ist, erhöht wird, wurden Thiere mit Milzbrand, Tuberkelbacillen, Diphterietoxin infiziert,
und das Schicksal alkoholisierter Thiere im Vergleich mit dem von unbehandelten Thiercn beobachtet.
Der Alkohol wurde als 25% wässerige Lösung per os verabreicht, und zwar in Dosen, wie sie ent¬
sprechend unter Umstanden auch beim Menschen zur Verwendung kommen. Um den Verlauf und
die Einwirkung der akuten und ebenso der chronischen Vergiftung zu studieren, wurde der Alkohol
entweder in einer bezw. einigen wenigen starken Gaben, oder aber in kleineren, über längere Zeit,
Wochen und Monate hin fortgesetzten und allmählich steigenden Dosen einverleibt Dabei ergab
sich zunächst in auffallender Weise die wechselnde individuelle Empfindlichkeit gegenüber dem
Alkohol, indem einige Thiere auf seine Einführung mit starker Trunkenheit, dauernder Betäubung
und langwierigem Gewichtsverlust reagierten, während andere der nämlichen Art, von gleicher
Grösse und Schwere, von demselben Alter, Geschlecht und Ernährungszustand, nicht selten sogar
Angehörige eines Wurfes nahezu völlig unberührt blieben und sich sofort wieder von dem Eingriff
erholten. Ein zweites und viel wichtigeres Ergebniss war die durch den Alkohol bedingte Ncr-
minderung der natürlichen Resistenz gegen die Wirkung der Infektionsstoffe, die ausnahmslos hei
alkoholempfiudlichen und unempfindlichen Thicren, bei jeder Art der Darreichung, bei akuten un«l
chronischen Infektionen und Intoxikationen zu konstatieren war. Wenn nun auch Frankel durch¬
aus die Meinung vertritt, dass eine unmittelbare Uebertragung des Ergebnisses des Thierversuchs
auf den Menschen durchaus nicht einwandsfrei ist, namentlich bei einem Gifte wie dem Alkohol,
dessen sämmtliche Wirkungen den einzelnen Arten und Individuen gegenüber wesentliche Unter¬
schiede zeigen, so glaubt er doch, dass in diesem Falle »die Stimme des Thierversuchs nicht un-
gehört bleiben dürfe«, zumal die klinische Beobachtung gerade beim Alkohol mit beträchtlichen
Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Er zieht daher aus den mitgetheilten Versuchen den Schluss
»dass die Benutzung des Alkohols bei der Behandlung infektiöser Erkrankungen auch des Menschen
mindestens nicht unbedenklich erscheint«. Plaut (Frankfurt a. M.).
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Referate über Bücher und Aufsätze.
511
Reyillet, Ueber Erfahrungen bezüglich der Uebertrngung der Tuberkulose auf Kinder durch
den Genuss tuberkelbacillenhaltiger Milch. Lyon medical No. 42.
Dieser Aufsatz steht in krassem Widerspruch zu den von Robert Koch in London vor¬
getragenen Mittheilungen. Revillet hat während eines Zeitraums von sechs Jahren in einem
Departement Frankreichs praktiziert, in welchem die Tuberkulose der Erwachsenen ausserordentlich
selten, dagegen die des Rindviehs, besonders der Kühe recht häufig ist Ausserdem ist aber da¬
selbst, im Gegensatz zu dem seltenen Auftreten der Phthisis pulmonum bei Erwachsenen, die Tuber¬
kulose bei Kindern in zahlreichen Fällen zu konstatieren. Während seiner sechsjährigen Praxis
hat Revillet nicht weniger als 12 Fälle von tuberkulöser Meningitis, 6 Fälle von tuberkulöser
Peritonitis, einige Fälle von Knochen- und Gelenktuberkulose, sowie zahlreiche Fälle von Skrophu-
lose bei Kindern beobachtet Die Erkrankungen kamen fast ausschliesslich auf einsamen Gehöften
und isolierten Bauernhäusern bei den Kindern vor. Da in diesen Häusern die Erwachsenen sämrat-
Jieh gesund waren und eine Uebertragung der Tuberkulose auf die Kinder durch Einschleppung
von aussen her als ausgeschlossen gelten kann, so spricht Revillet die Vermuthung aus. dass,
wenigstens in der grössten Anzahl dieser Fälle, die Tuberkulose bei den Kindern durch den Genuss
der tuberkelbacillenhaltigen Milch entstanden sei. In dem betreffenden Departement ist die Be¬
völkerung noch völlig im Unklaren über die Art und Weise, wie die Milch abgekocht werden muss:
die Kinder bekommen dieselbe meist in rohem Zustande, ohne Rücksicht darauf, ob die Milch von
einer gesunden, allgemein oder eutertuberkulösen Kuh stammt.
Revillet sieht sich also auf Grund seiner eingehenden Beobachtungen veranlasst, dieselben
Schlusssätze auszusprechen, welche im Gegensatz zu Koch die meisten Kliniker und Hygieniker
bisher noch vertreten: dass man vorläufig verpflichtet ist, die schärfsten Vorsichtsmaassregeln zur
Verhütung der Uebertragung der Tuberkulose durch den Genuss tuberkelbacillenhaltiger Nahrung
zu treffen.
Im Anschluss hieran möchten wir kurz erwähnen, dass in England eine königliche Kommission
von fünf Professoren ernannt worden ist, welche einen ausführlichen Bericht über die folgenden
drei Punkte erstatten sollen:
1. Ist die Tuberkulose der Menschen und Thicrc identisch?
2. Ist die Uebertragung der Tuberkulose von Thier auf Mensch und umgekehrt, möglich?
3. Unter welchen Bedingungen geschieht die Uebertragung der Tuberkulose von Thieren auf
Menschen, welche Umstände begünstigen die Uebertragung, wolcho sind ihr hinderlich?
Paul Jacob (Berlin).
Potapow-Pracaitis, Iuflueuce de quelques principe» alimentaires sur la secretion du sttc
gastrique et sa richesse en pepsine. Revue mödicale de laSuissc romandp 1901. No. 2 u. 3.
• Als Ausgangspunkt dienten der Verfasserin bei ihren Versuchen die Arbeiten von Schiff
und von Pawlow. Schiff hat bekanntlich angegeben, dass nach erfolgter Verdauung einer reich¬
lichen Mahlzeit der Magensaft kein oder wenig Pepsin enthält, apeptisch ist, und dass der Magen
dann für mehrere Stunden unfähig ist, einen peptischen Saft zu liefern; dass weiter der Magensaft
wieder pcptisch wird, wenn gewisse Substanzen, die er peptogene nennt, resorbiert werden. Solche
Substanzen sind nach ihm: Dextrin, Fleischbouillon, rohes Fleisch, Brot, Käse, Peptone u. a., während
koaguliertes Eiweiss, ausgekochtes Fleisch, Olivenöl, Wasser, Rohrzucker, Glykosc, Kochsalz u. a.
unwirksam sind. Vom Zucker hatte Blondlot s. Zt. gefunden, dass er, per os gegeben, die
Sekretion anregte, während er dies nicht that, wenn er durch eine Fistel in den Magen direkt ein¬
geführt wurde; Blondlot führte diese Wirkung, wohl mit Recht, auf einen Reflex von dem
Geschmacksorgan aus zurück.
Da die Schiff’schen peptogenen Substanzen ihre Wirksamkeit auch dann entfalteten, wenn
sie per rektum oder subkutan oder intravenös gegeben wurden, so folgte daraus, dass sie vom
Blute aus wirkten; und Schiff nahm ursprünglich an, dass sie auf diesem Wege der Magenschleim¬
haut die Materialien zur Pepsinbildung lieferten. Als durch Heiden hain das Propepsin entdeckt
war, modifizierte Herzen diese Schiff'sche Ansicht dahin, dass die peptogenen Substanzen die
Umwandlung des unlöslichen Propepsin in das lösliche Pepsin begünstigten.
Die Pawlow’schen Untersuchungen hatten sich vornehmlich auf die Wirksamkeit des
psychischen, also cerebro-stomacalen, durch Vaguserregung zu stände kommenden Reflex erstreckt,
ferner auf die Quantität des Magensaftes unter dem Einfluss verschiedener Nahrungsmittel. Im
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512 Referate über Bücher und Aufsätze.
allgemeinen sind die von ihm sogenannten succagogen Mittel dieselben, wie die Schi fUschen
peptogenen; ausserdem aber nennt er noch Liebig’s Fleisch ex trakt, Wasser (bis 500 g) und Milch.
Die succagoge Wirkung kommt nur durch direkte (chemische) Reizung der Schleimhaut zu stände,
wahrscheinlich auf dem Wege des Sympathikus, da Durchschneidung der Vagi ohne Einfluss war;
bei Einführung per rectum etc. waren die betreffenden Mittel nicht succagog.
Potapow hat nun durch exakte, einwandsfreie, im physiologischen Laboratorium za
Lausanne angestcllte Versuchsreihen die Schiff’schcn und Pawlow’schen Ergebnisse bestätigt
und mit einander vereinigt. Es ist thatsächlich peptogene und succagoge Wirkung der Nahrungs¬
mittel auscinanderzuhaltcn; meistens aber sind, wie schon gesagt, beide Eigenschaften in demselben
Mittel vereinigt So wirkt das von Pawlow nicht berücksichtigte Dextrin auch succagog, aber
nur in höher Dosis; das von Schiff nicht untersuchte Fleischextrakt wirkt auch peptogen,
aber ebenfalls nur in hoher Dosis. Die succagoge Wirkung verschwindet, wenn die Sub¬
stanzen per rektum gegeben werden, während die peptogene Wirkung bleibt; die letztere kommt
mithin durch Vermittlung des Blutes, die erstere durch Vermittlung des Nervensystems zu stände.
Es bleibt indess unklar, was als Ursache dieser Wirkungen anzusehen ist, da eine Beziehung
zwischen der Verdaulichkeit der Nahrungsmittel und der Menge resp. dem Pepsingehalt des ab¬
gesonderten Magensaftes, die von Pawlow angenommen wird, nach den Untersuchungen der Ver¬
fasserin nicht existiert.
Die diätetische Therapie der Störungen der sekretorischen Magenfunktion wird aus den Er¬
gebnissen der Verfasserin Nutzen ziehen können
Die ganze Arbeit ist in einem lebendigen, anziehenden Stile geschrieben. Besonders werth¬
voll ist die detaillierte Schilderung der Methodik für den, der ähnliche Untersuchungen anstellt.
Gotthelf Marcuse (Breslau).
J. P« Crozier Griffith, M.D., The relatiou of scurvey to recent methods of artificial
feedings. The Ncw-York medical journal 1901. 23. Februar.
Vor zwei Jahren veröffentlichte The amcrican pediatric society eine eingehende Untersuchung
der Möller’schen Krankheit (Scorbutus infantum, akute Rachitis etc.), wie sie in Amerika verkommt.
Verfasser war damals Mitglied dieser Kommission und bedauert, dass das Komitee sich so un¬
bestimmt über die Aetiologie der Krankheit äusserte. Auf Grund der damals gesammelten Falle
und von 16 Fällen aus seiner eigenen Erfahrung gründend, kommt Verfasser jetzt zu etwas ge¬
naueren, aber doch nicht absolut sicheren Resultaten.
Nach seiner Meinung besteht kein Zweifel darüber, dass »the proprictary infant foods« eine
grosse Rolle in der Aetiologie des Scorbutus infantum spielen In 379 Fällen, gesammelt von der
Kommission, waren 214 ganz oder theilweise mit »Proprictary foods< genährt. Griffith glaubt
dass die Stärke, welche fast alle Nährpräparate in ziemlich grossen Prozenten enthalten, ein
wichtiger ätiologischer Faktor des Scorbutus ist und räth, bei der Behandlung der Krankheit auf
diese Verbindung aufmerksam zu sein.
Langer Gebrauch von sterilisierter oder kondensierter Milch ist auch als häufige Ursache der
Krankheit zu nennen. In 68 Fällen war sterilisierte Milch die einzige Nahrung, also in 19° * unter 379.
Unter den gesammelten Fällen erkrankten aber auch zehn Säuglinge, die nur Muttermilch be¬
kamen, an Scorbutus. Hieraus scheint sich zu ergeben, dass die Schuld an den unrichtigen Pro¬
portionen der Bestandtheile der Muttermilch liegt. Verfasser glaubt, dass der Eiwcissgchalt der
Muttermilch in diesen Fällen zu niedrig war.
Zwei Drittel der Fälle von Griffith wurden mit »Proprietär}' foods« genährt und verstärken
die allgemeine Annahme, dass künstliche Nährpräparate die häufigste Ursache des Scorbutus sind.
Am Schluss sagt Griffith: »Ich möchte nach eingehendem Studium der Krankheit behaupten,
dass, obwohl manche Art der Ernährung besonders geeignet ist, Scorbutus zu verursachen, das
individuelle Element doch sehr maassgebend ist. Es ist ganz besonders der Fall bei dieser Krank-
heit, dass »what is ohne baby’s mcat is another baby’s poisont.
Aus dem vorher Gesagten ist leicht zu erkennen, dass mehrere Faktoren eine ätiologische
Beziehung zum Scorbutus haben: Künstliche Nährpräparate -— sterilisierte Milch — kondensierte
Milch — unrichtige Proportionen der Bestandtheile der Milch — selbst Muttermilch -- In¬
dividualität der Kleinen — u.s.w. Ob die sterilisierte Milch verdient, eine so wichtige Stelle als
Ursache des Scorbutus infantum einzunehmen, bezweifelt Referent. Holt (Ncw-York) z.B. hat
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Referate über Büchor und Aufsätze. 513
unter 1000 Kindern, die ausschliesslich mit sterilisierter Milch genährt wurden, nicht einen einzigen
Fall der Krankheit beobachtet.
Referent glaubt, dass die Hauptbezichung zwischen Scorbutus und sterilisierter Milch in der
Sterilisation von schlechter Milch und nicht in der Sterilisation von Milch, die geeignet für die
richtige Ernährung von Kindern ist, liegt. Wciss (Berlin).
B. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Adolf und Heinrich Wolpert, Die Ventilation. (Band III von: Theorie und Praxis der Ven¬
tilation und Heizung. 4. Aufl.). Berlin 1901.
In der Theorie wird kaum einer zu leugnen wagen, dass unser Organismus auf jede Ver¬
änderung in unserer Umgebung reagiere. Aber bei der Betrachtung der anscheinend pathologischen
Reaktionen, die wir Krankheiten zu nennen pflegen, worden gewohnheitsgemäss nur einzelne Mo¬
mente bewerthet, z. B. chronische Alkoholzufuhr, Lues, Blei, Abkühlungen u. s. w., während andere
Faktoren in dem uns umgebenden Milieu mehr oder weniger ignoriert werden. Dahin gehören etwa
die impondcrablen Kräfte des Lichtes, der Wärme, der Luftelektrizität; die kosmisch-tellurischen
Einflüsse, von denen Prochaska gewiss mit Recht sagt: »Wenn die Attraktion (der Sonne und
des Mondes) so mächtig ist, dass sie solche Lasten des Wassers heben und schwellen machen kann
(Ebbe und Fluth), so muss man glauben, dass sie auf die übrigen Körper nicht ganz unwirksam sein
müsse«, und schliesslich auch die enorme Menge der psychischen Vorgänge.
In einem merkwürdigen Gegensatz zu dieser Unterbcwerthung — wenn dieser Ausdruck ge¬
stattet ist — steht die Masse von Kenntnissen, welche die Techniker und Hygieniker über die Ver¬
hältnisse der Luft zusammengetragen haben; leben wir doch eigentlich mehr von ihr, als von den
Kombustibilien, in deren Kalorieenbercchnung als der Emährungstherapie letztem Schluss noch immer
Manche schwelgen. Es ist eine glückliche Idee, dass die beiden Brüder Wolpert, Techniker und
Hygieniker, die Hygiene der Luft gemeinsam bearbeiteten.
Im ersten Abschnitt werden die chemischen, im zweiten die physikalischen und bakteriolo¬
gischen Luftanalysen besprochen, dann folgen allgemeine Erörterungen über die Ventilation, z. B.
Luftverunreinigung durch den Lebensprozess, durch die Beleuchtung, Giftigkeit der Haut- und
Lungenausscheidungen, Porosität der Wände und dcrgl.
Die Berechnungen von Luftgeschwindigkeiten bei Ventilationscinrichtungen, die anthrakome-
trischen Vcntilationsformeln und die Vorrichtungen für Lüftung durch Temperaturdifferenz und Wind
sind zunächst mehr für den Techniker von Interesse, bieten jedoch, ebenso wie das Kapitel über
Wind und Anemometer, auch für den Arzt als Physiologen viel des Wisscnswerthen.
Wer aber nicht die Müsse hat, das ganze Werk durchzustudieren, der wird gewiss wenigstens
den Totalcindruck gewinnen, dass uns in unventiliertcr Luft viele Schädlichkeiten umgeben, deren
Bedeutung vielleicht weniger in die Sinne fällt, als Alkohol und Nicotin, welche mit diesen aber
hinsichtlich der krankmachenden Wirkung ohne Zweifel konkurrieren können.
Buttersack (Berlin).
Tarabrln, Zar Behandlung der GeschwUrc mit strahlender Wärme« Wratsch 1901. No. 20.
’ Tarabrin wandte auf der Hautabtheilung des Taganrog’schen Krankenhauses an 18 Patienten
strahlende Wärme, erzeugt durch den bis ans rothe Glühen erhitzten Pacquelin*sehen Brennapparat,
mit glänzendem therapeutischen Effekt an. Sein Kranken material betrifft 11 Fälle von Ulcus molle,
4 mit Bubonen, 2 Ulcera inveterata, 1 Fall von schwieligem Geschwür. Verfasser bedient sich eines
dicken Ansatzstückes, das er dem Geschwüre zuerst auf 5—6 cm nähert, um dann die Entfernung
auf 3—2 cm zu reduzieren, bis ein leichtes, gut zu ertragendes Brenngefühl eintritt; dann rückt man
wieder bis auf 4—5 cm weg. Die Sitzung dürfte 2—5 Minuten betragen. Je brandiger das Geschwür,
desto weniger empfindlich ist es, man nähere dann den Pacquelin bis auf 2 cm; erst nach der zweiten
oder dritten Sitzung, wenn sich das Geschwür gereinigt hat, empfindet der Patient dabei Schmerz,
sodass man weiter fortrücken muss.
Vor der Sitzung soll das Geschwür gesäubert und getrocknet werden, nach derselben schütte
man irgend ein indifferentes Pulver darauf und schütze es durch Watte und einen Verband.
ZeUschr. t düt u. physik. Therapie Bd. V. Hoft 6. 05
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Referate über Bücher und Aufsätze.
Die Vernarbung und Heilung trat in auffallend kurzer Zeit ein, wie cs Verfasser bei keiner
Behandlung sonst je beobachtet hatte, und zwar beim einfachen weichen Schanker nach 2 bis
6 Sitzungen, bei Bubonen nach 9 bis 15, bei inveterierten Geschwüren nach 11 und IG Sitzungen,
und bei einem bereits 14 Monate bestandenem schwieligem Geschwüre nach 19 Sitzungen. Keinerlei
Nebenerscheinungen unangenehmer Art wurden bemerkt. Tarabrin führt den Erfolg des Ver¬
fahrens auf die durch dasselbe verursachte sehr intensive aktive Hyperämie zurück. Das äussere
Aussehen der Geschwüre ändere sich ungemein rasch. Es drängt sich die Frage auf, ob auch auf
andere Weise durch Glüh-, Bogenlampen etc. erzeugte strahlende Wärme ähnlich zu wirken vermag.
Simon (Wiesbaden).
Heinrich Alapy, Baineotherapeutische Behandlung der tuberkulösen Gelenks- und Knochen¬
krankheiten bei Kindern« Orvosok lapja 1901. No. 20.
Uebcr die guten Erfolge der balncotherapeutischen Behandlung bei tuberkulösen Gelenks- und
Knochenerkrankungen von Kindern berichtend, kommt Verfasser zu der Schlussfolgerung, dass die
Behandlung der tuberkulösen Gelenks- und Knochenaffektionen weder der Balneologe noch der
Chirurg ausschliesslich für sein Bereich reklamieren darf; denn die besten Resultate sind bei diesen
Krankheiten zu erreichen, wenn die beiden nicht einander gegenüber, sondern nebeneinander und
einander ergänzend den Kampf gegen die grosse Geissei der Menschheit, gegen die Tuberkulose,
aufnehmen. Das Baden der erkrankten Gelenke wendete er bei seinen Fällen, von der vierten bis
fünften Woche der Nachbehandlung angefangen, ganz regelmässig an und führt die günstige
Wirkung der Bäder einerseits auf dio allgemein tonisierende Wirkung derselben, andrerseits auf
jene lokale Wirkung zurück, welche die warmen Bäder theils durch dio exakte Entfernung der
Sekrete, theils durch energische Wucherung der hyperämischcn Wunden zu stände bringt, und zwar
ohne die geringsten Schmerzen dabei zu verursachen. J. Honig (Budapest).
Sarason, Ueber Wasserkuren im Rahmen der wissenschaftlichen Heilkunde. Zweite Auflage
Berlin und Leipzig 1901.
Mit der vorliegenden Schrift, die sich sowohl an die Acrzte, wie an das gebildete Laien¬
publikum wendet, beabsichtigt der Verfasser, den Zweck und das Wesen der Hydrotherapie ein¬
gehend darzulegcn, und namentlich die vollständige Adoption der Wasserbehandlung von Seiten
der wissenschaftlichen Medicin dringend zu befürworten Diese eingehendere Berücksichtigung der
Hydrotherapie ist aus zweierlei Gründen eine absolute Nothwendigkeit: einmal können dadurch die
therapeutischen Leistungen auch auf dem Gebiete der inneren Krankheiten auf ein höheres Niveau
als bisher gebracht werden, und zweitens bietet sich damit das beste Mittel zur Bekämpfung der
Kurpfuscherei. Denn den Kurpfuschern wird sicherlich mehr und mehr der Boden zu ihrem
unheilvollen Wirken entzogen werden, wenn das Publikum sieht, dass die Aerzte unter der Losung
»praktisches Heilen um jeden Preis« auch vor so mühevollen und zeitraubenden Methoden, wie sic
gerade durch eine sachgemässe Anwendung der Hydrotherapie oft erfordert werden, nicht zuruek-
schrccken. Freilich ist dazu eine peinlich genaue Kenntniss und Ausführung der hydro¬
therapeutischen Methoden unbedingtes Erforderniss; denn sonst werden hier oft Misserfolge erzielt,
die dann mit Unrecht der ganzen Methode in die Schuhe geschoben werden, während sic in Wirk¬
lichkeit nur durch deren unrichtige Anwendung verschuldet sind. Bei genauer Beachtung der
Vorschriften, wie sie sich theils aus der hydrotherapeutischen Systematik, theils aus den individuellen
Verhältnissen eines jeden einzelnen Patienten ergeben, wird man auch finden, dass sich die Hydro¬
therapie in viel mehr Fällen wird anwenden lassen, als man bisher vielfach noch annimmt.
Nachdem der Verfasser in Anbetracht dessen, dass er sich auch an den gebildeten Laien
wendet, den vielfach verbreiteten Irrthum, dass unter Hydrotherapie nur Kaltwasserheil verfahren
zu verstehen ist, widerlegt und sich auch dagegen verwahrt hat, jene therapeutische Methode als aus¬
schliessliches Allheilmittel bei allen Krankheiten zu betrachten, geht er dazu über, auf Grund der
Winternitz'sehen Forschungsergebnisse die physiologische Wirkung des Wasserheilverfahrens aus¬
einanderzusetzen. Eine Erläuterung der praktischen Anwendung des Verfahrens giebt er dann
an der Hand der sich dazu am meisten eignenden Krankheitsgruppen, der akuten Infektions¬
krankheiten einerseits und der konstitutionellen Krankheiten andrerseits. Von den letzteren
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Referate über Bücher und Aufsätze.
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werden die Fettsucht und die Chlorose in ihrer Behandlungsweise eingehend geschildert; es
wird hervorgehoben, dass die Hydrotherapie das am besten wirkende und dabei am wenigsten
schwächende Entfettungsmittel bildet, und dass gute, oft erstaunliche Erfolge sich oft in Fällen
von Chlorose mit kurzen, kalten Wasserapplikationen erzielen lassen, denen man, um
jeden Wärmeverlust des Körpers zu vermeiden, zweckmässig eine vorherige Anwärmung im Heiss¬
luftbad oder Lichtbad vorangehen lässt. Auf diese oder ähnliche Weise wird man auch die schwäch¬
lichsten und empfindlichsten Personen, wie Verfasser mit Recht bemerkt, meistens an das kalte
Wasser gewöhnen können. Daneben sind auch Schwitz Prozeduren bei manchen Blutarmen
von sehr guter Wirkung. Die bei diesen Kranken durch hydrotherapeutische Maassnahmen erreichte
Gewichtszunahme lässt sich oft auch bei derartig behandelten Tuberkulösen, und zwar auch
noch in den vorgeschrittenen Stadien, erzielen. Vielleicht hätte der Verfasser noch darauf hinweisen
können, dass sich auch sonstige Symptome der Tuberkulose oft in der erfolgreichsten Weise durch
rationelle hydrotherapeutische Maassnahmen bekämpfen lassen.
Die Schrift Sarason’s ist in anregendem, flotten, aber nirgends in aggressivem Ton ge¬
schrieben, und von einem stellenweise wohl etwas übertriebenen, im allgemeinen aber nicht unbe¬
rechtigten Enthusiasmus durchweht. Sie ist ein populärwissenschaftliches Werkchen im besten
Sinne des Wortes, denn sie vermeidet es ausdrücklich, irgendwo Anleitung zum Selbstkurieren zu
geben. Aber auch der sich für die physikalischen Heilmethoden interessierende Arzt wird aus der
kleinen Schrift viel Anregung schöpfen können, deren Lektüre daher nur aufs Wärmste empfohlen
werden kann. A. Laqueur (Berlin).
Hecht, Die Heissluftbehandlung bei chronischen Mittelohreiterungcu. Münchener mcdicinische
Wochenschr. 1901. No. 24.
Nach Hecht ist die Methode der Heissluftbehandlung bei Mittelohrciterungcn noch sehr
jung, nur zwei Arbeiten sind darüber bisher veröffentlicht worden. Die erste von Andrews,
welcher zuerst darauf aufmerksam machte, die zweite von Hessler, der sie als nutzlos verwarf.
Schon früher hat man die Paukenhöhle nach dem Ausspritzen durch Lufteinblasungen vom Gehör-
gang oder von der Tube aus möglichst ausgetrocknet; diese Behandlungsart ist von Andrews
dahin modifiziert worden, dass er »erwärmte« Luft ins Ohr cinblies, um den Bakterien einen mög¬
lichst trockenen und damit ungünstigeren Nährboden zu bereiten.
Hessler bekämpfte die Methode, weil er eine baktericide Wirkung von der für das Ohr er¬
träglichen Wärmegraden nicht anerkennt, während er die Wirkung vielmehr in der durch die Heiss¬
luftbehandlung hervorgerufenen aktiven Hyperämie der Gewebe sicht. Hecht selbst hat mit ver¬
schiedenen Apparaten, deren Vervollkommnung er noch für erwünscht hält, erfolgreiche Versuche
mit der Heissluftbehandlung bei chronischen Mittelohreiteningen gemacht und erklärt die Wirkung
dieser Therapie damit, dass
1. die wiederholten Ausspülungen die Oberfläche der Schleimhaut maccricren und dadurch
dem Hcilungsprozesse entgegenwirken und ferner maceriertes Gewebe ein günstiger Nährboden für
Bakterien sei, Uebelstände, welche die Heissluftbehandlung beseitige;
2. durch die heisse Luft eine aktive Hyperämie, eine kräftigere Durchströmung des Gewebes
mit Blut hervorgerufen werde, deren heilender Einfluss allgemein anerkannt sei.
Haike (Berlin).
C. Gymnastik und Massage, Liegekuren.
A. Erlenmeyer, Ueber die Bedeutung der Arbeit bei der Behandlung von Nervenkranken
In Nervenheilanstalten. Berliner klinische Wochenschrift 1901. No. 6.
Während der Verfasser der Arbeit als therapeutischem Faktor bei der Behandlung der Geistes¬
kranken der verschiedensten Art grosse Bedeutung beimisst, verlangt er grössere Vorsicht bei der
Beurthcilung dieser Frage bei den Nervenkranken sensu strictiori, also bei dem sogenannten »funk¬
tionellen« Neurosen. Vor allen Dingen muss zu diesem Zwecke die Neurasthenie von der
Nervosität scharf unterschieden werden; bei Neurasthenikern im engeren Sinne, d. h. bei
Personen, die an einer pathologisch gesteigerten Müdigkeit und Schlaffheit nach irgend einer kleinen
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Referate über Bücher und Aufsatze.
Beschäftigung leiden, will Erlenmeyer die Arbeit ganz ausgeschlossen wissen; hier ist Rahe
und Schonung die einzig richtige Therapie. Nur in den Fällen kann eine richtig ausgewählte Thätig-
keit auch bei Neurasthenikern günstig wirken, wo daneben auch psychopathologische Er¬
scheinungen bestehen, wie das namentlich oft bei der »Unfall-Neurasthenie« der Fall ist.
Bei der Nervosität dagegen, bei der es sich hauptsächlich um eine übergrosse Reizbarkeit
handelt und wo bei an sich manchmal erhaltener Leistungsfähigkeit die Erregungszustände das
Krankheitsbild beherrschen, ist neben der anfänglichen körperlichen und geistigen Ruhe eine später¬
hin eingeleitete Behandlung mit Arbeit (natürlich nur mit körperlich-mechanischer) bei richtiger An¬
wendung von ganz vorzüglicher Wirkung. Vor allem ist hier das Radfahren ein ausgezeichnetes
Heilmittel.
Für die anderen hier in Betracht kommenden Nervenkrankheiten (Hysterie, Epilepsie.
Chorea, Tetanie, Paralysis agitans etc.) lassen sich keino so allgemein gültigen Regeln be¬
züglich der Arbcitsbchandlung aufstellen; dieselbe hat, wo sic anzuwenden ist, auf den Verlauf der
eigentlichen Krankheit hier nur wenig Einfluss, aber sic ist von grossem Werthc bei Bekämpfung
von psychopatologischen Komplikationen dieser Neurosen. Bei Rückenmarkskrank¬
heiten kommt die Arbeit nur in den zur Gymnastik und kompensatorischen Uebungstherapio ge¬
eigneten Zuständen in Betracht, bei Gehirnkrankheiten ist sie ganz zu verbieten.
A. Laqueur (Berlin).
Naumann, Ueber die Luftliegekur bei der Behandlung der chronischen Lungentuberkulose.
Verfasser wendet sich gegen die heute geübte Anwendung der Luftruhekur bei nicht
fiebernden, wohlgenährten, kräftigen Lungenkranken, während er dieselbe für Fälle mit erhöhter
Temperatur, für zum Gehen zu schwache und für unterernährte Patienten auch weiterhin an¬
gewendet sehen möchte. Für die erstero Kategorie soll die Ruhekur nur als Erholungspause hic
und da eintreten, wie schliesslich ein durch einen Spaziergang ermüdeter Gesunder auch etwas
ruht Die durch die Flachliegekur bei solchen Kranken beabsichtigte Wirkung (Beeinflussung der
Spitzen durch venöse Stauung) beruht nur auf Hypothesen und ist daher von zweifelhaftem Werthe,
zumal der Organismus dadurch in seinen Funktionen (Appetit, Verdauung, Schlaf etc.) gestört wird.
Verfasser verweist auf die grossen Erfolge, welche Brehmer ohne Ruhekur erzielte, und
empfiehlt, das Augenmerk lieber auf eine zweckmässigcrc Anwendung der beiden wichtigen Heil¬
faktoren, Uebung und Schonung, zu richten. Viktor Lippert (Wiesbaden).
F. Cautru, Massage abdominal. Scs indications dans les dyspepsies gastro-intestinalcs. Journal
des practiciens 1901. No. 20.
Die Bauchmassage reguliert vor allem durch ihre Wirkung auf die allgemeine Zirkulation den
Stoffwechsel. Von den zahlreichen Fällen, in denen sie darum mit Vortheil angewendet werden
kann, bespricht Cautru nur die Anwendung bei den Affektionen der Digestionsorgane. Er setzt
zunächst die Technik der Bauchmassage und ihre physiologische Wirkung auseinander und leitet
daraus ihre Indikationen bei den Dyspepsien ab.
Die Bauchmassage umfasst: L die Totalmassagc des Bauches; 2. die Massage der Därme;
3. die Massage des Magens.
Selbst bei den Affektionen, die auf Magen oder Dickdarm begrenzt sind, beginnt man zweck¬
mässig mit der Totalmassage: der Magen ist wegen seiner verborgenen Lago nur durch Vermittlung
der Masse der Bauchorgane zu erreichen; Affektionen des Magens sind fast immer von Darmstörungen
begleitet, endlich wirkt die Totalmassage kräftigend auf die oft schwache Bauchmuskulatur und an¬
regend auf die abdominale Zirkulation, die nervösen Plexus, die Sekretion der Leber und des Pankreas.
Je nach dem Effekt, den man erzielen will, kann dio Totalmassagc oberflächlich oder tief, kalmierond
oder excitierend ausgeübt werden. Im wesentlichen wird die Wirkung bestimmt durch die Wahl unter
den verschiedenen Anwendungsformen der Massage (Effleurage, Hachures, Tapotements, Vibration» etc.)
und der Intensität, mit der man die einzelne anwendet. Man kann so jo nach seinem Belieben be¬
stehende Schmerzen verringern, Spasmen lösen u. s.w., oder, wie auch an Versuchen kontrolliert wurde,
die Sekretion der drüsigen Bauchorgane (Magen, Leber, Pankreas, Darm, Nieren) anregen, die Vor¬
wärtsbewegung des Magen- und Danninhalts durch Auslösung von peristaltischcn und antiperistaltischen
Kontraktionen der Magen- und Darmmuskulatur befördern, eventuell auch durch Wirkung auf die
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Bauchmuskulatur u. s. w. und die Bauchzirkulation respektive die allgemeine Zirkulation verschieden
beeinflussen. Die Dauer einer Totalmassage des Bauches darf bei schwachen Personen nicht länger
als 5—6 Minuten, bei kräftigen 15—20 Minuten betragen.
Die Massage des Darms hat nichts besonderes, nur insofern, als bei der Massage des Dick¬
darms zunächst eine Massage des S-Romanum vorzunehmen ist, um dessen Inhalt nach dem Rektum
zu evaeuieren.
Die Massage des Magens wird oberflächlich kalmierend ohne jede Kontraindikation bei allen
schmerzhaften Sensationen, Spasmen des Pylorus u. s.w. angewendet werden können, excitierend bei
gastro-intestinaler Atonie, Hypopepsie; sie ist kontraindiziert bei Ulcus, Cancer und in den Fällen,
wo die Entleerung des Magens zu schnell erfolgt oder die Sekretion der Drüsen gesteigert ist. Die
tiefe Massage des Magens reguliert die Zirkulation in seinen Wandungen und damit die Sekretion
seiner Drüsen. Grosse atonischo Magendilatationen gehen zurück durch regelmässigcre Entleerung des
Mageninhalts und Kräftigung seiner Muskulatur. Diese evaeuiorende Wirkung der tiefen Magen¬
massage hat man experimentell bei Anwendung der Oel- oder der Salolprobc kontrollieren können.
Bevor man bei gastrischen Dyspepsien massiert, muss eine bestimmte chemische Diagnose
eventuell auf Grund der Analyse des Magensaftes gestellt werden. Die Massage ist indiziert bei
der Hypochlorhydrie und in gewissen Fällen von Apepsie (Apepsie tabagique, Apepsie nerveuse nur
in Verbindung mit absoluter Ruhe und unter ständiger Kontrolle des leicht wechselnden Chemismus,
Apepsie par atrophic glandulaire nur in den Fällen, wo die Drüsenatrophie sich an eine Gastritis,
nicht an Cancer und dergleichen anschloss). In Fällen von Hypcrchlorhydrie kann bei schmerzhaften
Sensationen eine oberflächliche kalmierende Massage angewendet werden. Eine tiefe Massago ist
absolut kontraindiziert bei der Hyperchlorhydrie der Nervösen, dagegen indiziert bei der Hyper-
chlorhydrie der Plethorischen u. s. w., bei denen darnach ein Sinken des Gehalts an freier Salzsäure
und eine starke Diurese eintritt.
Von intestinalen Dyspepsien giebt die Massage gute Erfolgo bei Obstipation, chronischen
Diarrhöen, Enteritis muco-membranacea, Typhlitis chronica stercoralis. Die Appendicitis dagegen
ist eine absolute Kontraindikation der Massage.
Die Bauchmassage wird so stets bei einer Menge gastro-intestinaler Zustände grosse Dienste
leisten, vorausgesetzt, dass sie sachverständig und unter Beobachtung aller weiteren in Frage
kommenden Heilfaktoren angewendet wird. Lemke (Dresden).
M. Dagron, Hassothdrapie. Le Bulletin medical 1901. No. 48.
Davon ausgehend, dass die Massago im besonderen bei der Behandlung von Frakturen und
allen Affektionen des motorischen Apparats werthvolle Dienste leistet, bezeichnet es Dagron als
nothw'endig, dass die Massago durch den Arzt selbst ausgeübt wird. Jeder Arzt könne leicht ein
guter Masseur werden, und nur der Arzt, der die Gewebe und Organe des Körpers in ihren
normalen und pathologischen Zuständen kenne, könne mit den verschiedenen Anwendungsformen
der Massage in der je nach dem Einzelfallc, dem Alter des Kranken, der Periode der Krankheit u.s.w.
wechselnden und dafür zweckmässig zu erachtenden Weise variieren.
Dagron geht dann auf die allgemeinen Grundzüge der Technik der Massage ein. Die
Massage solle cinwirkcn auf die Gewebe und Organe des Körpers und ihre Funktionen. Ein
krankes Organ müsse je nach den Symptomen, die cs darbietet, massiert werden. Die Körperhaut
diene dabei nur dazu, die Wirkung auf die von ihr umschlossenen Organe, Gelasse, Nerven,
Muskeln u.s.w. zu übertragen. Man fette sie, um sio schlüpfrig zu machen, mit Vaseline oder der¬
gleichen ein. Die Massage erfordere eine intakto Haut; bei Hautdefekten und dergleichen müsse
man die betreffenden Stellen umgehen oder ihre Heilung abwarten. Das Auftreten einer Akne
oder eines Furunkels müsse man durch peinliche Sauberkeit zu vermeiden suchen. In dem
massierten Körperthcil befördere die Massage den Blutkreislauf, die Aufsaugung von Blutergüssen,
Oedemen, Exsudaten, die Kräftigung der Muskulatur, die Bildung von Knochen seitens des Periosts u.s.w.
Der Körper sei so zu lagern, dass der zu massierende Körperthcil im Zustande völliger Er¬
schlaffung und gut zugängig sei. Bei der Massage müsse der Arzt möglichst glcichmässig arbeiten,
am ein Spannen seitens des Patienten zu vermeiden.
Die einzelne Sitzung setze sich zusammen aus der eigentlichen Massage, den passiven und
aktiven Bewegungen der benachbarten Gelenke und den Uebungcn der betreffenden Muskeln.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
Unter diesen Formen kämen für den Einzelfall nur die für ihn zweckmässigen in Frage, die dem¬
gemäss ausgewählt werden müssen. Ebenso hänge die Dauer und die Zahl der Sitzungen von den
Besonderheiten des Einzelfalles ab. Die Sitzungen müssten täglich, in geeigneten Fällen zweimal
täglich stattfinden; die Dauer der Einzelsitzung solle nicht mehr als höchstens eine halbe Stunde,
die Dauer aller Sitzungen nicht mehr als 40 — 60 Tage betragen. Auch an die Massage trete bei
chronisch Kranken allmählich Gewöhnung ein; es sei darum zweckmässiger, dann die Kur ab¬
zubrechen und später wieder aufzunehmen. Die letzten Sitzungen fänden in Zwischenräumen von
2 — 3 Tagen statt Nach jeder Sitzung müsse der Arzt die von dem massierten Körperteil ein¬
zunehmende Stellung bestimmen und eventuell den Körpertheil in ihr fixieren. Zweckmässig als
eigentliche Massage sei nur die Efflcuragc. Uackungen, Klopfungen und dergleichen seien zu ver¬
werfen; sic wirkten nie auf die ganze Ausdehnung eines Gewebes und seien nur Quetschungen ver¬
schiedener Intensität. Die Efflcuragc müsse stets von der Peripherie zum Zentrum hin gemacht
werden und ihrer Intensität nach im Laufe jeder Sitzung und der ganzen Behandlung sich all¬
mählich so steigern, dass man schliesslich einen Druck, der zuerst schmerzhaft w r ar, ausüben könne,
ohne noch Schmerzen zu erregen. Die Effleurage müsse mit der Hand gemacht werden.
Wo man auch immer die Massage anwende — und man wende sie fast im ganzen Gebiete
der Pathologie, bei äusseren und inneren Krankheiten an —, immer seien die oben angegebenen
Grundzüge dieselben und immer müssten sie sich nur der Eigenart der verschiedenen Organe an-
passen. Lemke (Dresden).
D. Orthopädie und Apparatotherapie.
Justus Thiergeh, Ueber Korsett uud Reformkleidung« Münchener medicinischc Wochen¬
schrift 1900. No. 32.
In der ganzen grossen Korsettlitteratur, wie sie sich seit 100 und mehr Jahren gesammelt
hat, findet sich nicht eine einzige Abhandlung, die genauere Angaben über die Grösse des Korsett-
druckes enthält. Der Verfasser suchte durch mühevolle Versuche, die am Krankenmaterial der
Leipziger dermatologischen Station ausgeführt wurden, diese Lücke auszufüllen. Aus zahlreichen
Einzelmessungen, die mittels eines eigens konstruierten Dynamometers gefunden wurden, ergiebt sieh:
für die flache Athmung: ein Druck von
über der Taille.1,45 kg
über dem unteren Brustkorb . . 1,5 »
über dem oberen Brustkorb ... 1,6 »
für die tiefe Athmung:
über der Taille.2,1 kg
über dem unteren Brustkorb . . 3,1 »
über dem oberen Brustkorb ... 4,1 d
Während also für die flache Athmung der Druck an allen drei Messflächen sich nahezu gleich
bleibt, wächst er bei der tiefen Athmung sehr erheblich infolge des zunehmenden Wideretandcs
des Brustkorbes. Rechnet man dem Taillcndruck von 1—2 kg im Durchschnitt noch die Belastung
hinzu, die durch Binden der Unterkleider oberhalb des Korsetts und durch das Kleid selbst aus¬
geübt wird und die mit etwa V 2 kg zu bewerthen ist, so beträgt der durch die moderne Kleidung
auf die Taille ausgeübte Druck gegen 2 kg. Nach oben und unten nimmt der Druck in ver¬
schiedenem Grade ab, um an gewissen exponierten Punkten über dem unteren Theil des Brustkorbs
bedeutend anzusteigen. Dieser mittlere Druck von 2 kg wird durch den vielfach höheren Druck
der Bauchpresse (bei weiblichen Personen etwa 13 kg, bei jungen kräftigen Männern gegen 15 kg)
kompensiert und überwunden. Irrthümlich wäre es aber, hieraus auf die Harmlosigkeit des Korsetts
überhaupt zu schliessen. Ein Drittel und die Hälfte des Tages ruht die Bauchpresse, und dann ist
der Korsettdruck unbehindert thätig. Diese Zeit genügt vollständig, um allmählich die Rinne und
Furche in der Taillenlinie hervorzurufen, die wir bei keiner Frau vermissen, welche mehrere Jahre ein
Korsett getragen bat. So bilden sich die schädlichen Wirkungen des Korsetts aus: Schwächung der
Rückenmuskulatur, mangelhafte Ventilation der gedrückten Hautpartie, mangelhafte Zirkulation w
der Haut sowie in den Organen des Pfortaderkreislauf cs, Kompression des Thorax, Verdrängung
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Referate über Bücher and Aufsätze.
des Dünndarms nach unten unter Hervorwölbung des Bauches, infolge davon die verschiedensten
Verdauungsstörungen, Veränderung der Form von Leber und Magen. Die neuere Bewegung für
Reformkleidung hat richtig erkannt, dass eine Entlastung der Taille stattfinden muss und dass dies
zur Hauptsache durch Verminderung des Gewichtes der Unterkleidung anzustreben ist. Ein Streit
besteht eigentlich nur noch darüber, ob man das übrig bleibende Gewicht gleichmässig auf Hüfte
und Oberkörper oder auf Oberkörper bezw. Schultern allein vertheilen soll. In England und
Amerika bevorzugt man die sogenannte »Kombination«, d. h. ein Kleidungsstück, dass die Unter¬
kleidung vollständig ersetzen soll und Hemd und Hose in einem Stück vereinigt. In Deutschland
neigt man mehr zu Reformkorsetts, die nach Leibchenform aus weichem nachgiebigem Stoff ge¬
fertigt, der Körperform angepasst, ohne Schnürvorrichtung und ohne Stäbe vom und hinten sind.
Sic haben breite Tragbänder über den Schultern und reichen höher hinauf als die Korsetts. Seit¬
liche Knöpfe in der Taillenlinie tragen den Unterrock oder den sogenannten getheilten Rock, die
Rockhose der Radfahrerinnen.
Die Reform ist nicht bei der Generation der Mütter, die noch unter dom Zwang der Mode
und der Gewohnheit stehen, in Angriff zu nehmen, sondern bei der heranwachsenden Jugend.
Forchheimer (Würzburg).
J. Friedländer, Beitrag zur mechanischen Behandlung der Lungentuberkulose. Therapie
der Gegenwart 1901. Februar.
Der Verfasser sucht den Nachweis zu führen, dass die von Erni in die Phthisiotherapie ein¬
geführte Klopf kur nicht ohne weiteres verworfen zu werden verdient. Die Klopf kur besteht in
einem Klopfen der Thoraxwände mittels eines silbernen Klopfmessers, das mit losem Handgelenk
gehandhabt wird und in rythraischen Intervallen auf die Körperfläche herabfällt; die Dauer der ein¬
zelnen Sitzungen beträgt 10 bis 15 Minuten. Die Wirkung dieses Klopfens ist eine doppelte; ein¬
mal wird ein suggestiver Einfluss auf das Allgemeinbefinden ausgeübt; der Appetit steigert sich
und die Stimmung hebt sich. Sodann aber wird eine lokale Reaktion des Lungengewebes in
vielen Fällen beobachtet, welcher der Reaktion auf Tuberkulin sehr ähnelt und bei fortgesetztem
Klopfen wieder verschwindet. Der Verfasser steht nun nicht auf dem Standpunkte, dass er eine
Heilung der Tuberkulose auf grund dieses Vorganges für wahrscheinlich hält; wohl aber glaubt er,
dass die Klopfkur geeignet ist, die stagnierenden Zustände der Tuberkulösen aufzurütteln und eine
Besserung in die Wege zu leiten. Er setzt diese Behandlungsmethode etwa auf eine Stufe mit
einer rationellen Wasserbehandlung; letztere hat vielleicht einen grösseren Anwendungskreis, während
die erstere den Vorzug einer intensiven Wirkung hat. Freyhan (Berlin).
£. Elektrotherapie.
Margaret A. Cleaves, Arthritis deformans and thebenefits of electrical trentment. New-
York medical jouraal 1900.
Verfasserin berichtet über einige Fälle von Arthritis deformans, die durch Behandlung mittels
Elektrizität ausserordentlich günstig beeinflusst wurden. In dem einen Falle handelte es sich um
eine Patientin, die seit fünf Jahren an Rheumatismus litt und schwere deformierende Ver¬
änderungen ihrer Gelenke aufwies. Nach 23 Sitzungen innerhalb drei Monaten — zur Anwendung
gelangte Influenzelektrizität — trat eine bedeutende Besserung ein, die sich in Schmerzlindcrung,
zunehmender Kraft, Beweglichkeit etc. äusserte. Nach weiteren 18 Sitzungen konnten schon be¬
trächtliche Entfernungen zurückgelegt, leichtere Arbeiten schmerzlos verrichtet werden, die Ankylose
der Fingergelenke schwand. In einem zweiten Falle handclto cs sich um Verdickungen der
Phalangcalgelcnke der Finger und der Zehen, die ebenfalls seit Jahren bestanden. Behandelt wurde
dieser Fall mit einem konstanten Strombad und zwar mit sieben Sitzungen innerhalb 33 Tagen. Schon
nach der ersten Sitzung zeigte sich Besserung, die Schmerzen Hessen nach, Beweglichkeit und Appetit
wurden besser, von Sitzung zu Sitzung schritt die Besserung der lokalen Beschwerden wie des
Allgemeinbefindens fort. In beiden Fällen wurden keine Arzneien verabreicht.
Es ist von Interesse, dass bei der Behandlung dieser Fälle keine lokale Anwendung der
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Referate über Bücher und Aufsätze.
Elektrizität vorgenommen, sondern in beiden Fällen eine elektrische Behandlung des gesammten
Organismus eingeschlagen wurde, mit der Tendenz, solche Veränderungen der Ernährung hervor¬
zurufen, dass dadurch die lokalen Deformationsprozesse, die subjektiven Beschwerden günstig be¬
einflusst würden. J. Marcuse (Mannheim).
Robert Kienböck, Ueber die Einwirkung des Röntgenlichtes auf die Haut. Wiener klin.
Wochenschrift 1900. No. 50.
Es bestand seit längerer Zeit unter den Autoren, die sich mit Röntgentherapie befassten, die
Streitfrage, ob die Wirkung der Röntgenbestrahlung auf die IIaut, die sich in der bekannten Itöntgen-
dermatitis äussert, durch die X-Strahlen selbst hervorgerufen werde oder ob sic nur, wie andere
behaupteten, eine Folge der bei Erzeugung der Röntgcnstrahlcn vor sich gehenden elektrischen
Entladung sei. Kienböck entscheidet nun diese Frage in seiner sehr ausführlichen Publikation
zu Gunsten der erstcren Theorie. Es sind nämlich die Verschiedenheiten in den Angaben der
Autoren über Zeit und Art des Eintritts der Hautveränderungen bei den Bestrahlungen resp. Durch¬
leuchtungen mit X-Strahlen darauf zurückzuführen, dass die Qualität der angewandten Röntgen¬
röhren eine verschiedene war; Kienböck fand, dass die bisher gebräuchlichen Röhren mit
nicht regulierbarem Vacuum bei fortgesetztem Gebrauch immer »härter« wurden, d. h. einen
immer höheren Luftverdünnungsgrad erreichten. Wird nun eine solche Rohre sehr »hart«, so kann
sie von dem elektrischen Strom bei bestimmter Spannung nur noch zum Theil oder bei allzu grosser
»Härtea gar nicht mehr durchdrungen werden; der Ausgleich der Elektrizität erfolgt dann zum grossen
Theil resp. ausschliesslich durch elektrische Entladungen ausserhalb der Röhren, und die Folge ist,
dass eine solche Röhre nur noch spärliche bezw. gar keine Röntgenstrahlen mehr aussendet. Kien¬
böck konnte nun bei längerer Anwendung einer solchen nicht regulierbaren Röhre, die sich in der
beschriebenen Weise verhielt, bei einer Reihe von Patienten, die wegen verschiedener Ilautleidcn
behandelt wurden, weder das Eintreten einer Röntgendermatitis noch eine wesentliche Besserung
des Hautleidens beobachten. Dieses Bild änderte sich nun mit einem Schlage, als der Verfasser
statt der alten eine neue, ihren Vacuumgohalt automatisch regulierende Röhre iu Gebrauch
nahm, die also die Eigenschaft, wirkliche Röntgenstrahlen auszusenden, auch bei längerem Gebrauch
beibchiclt. Bei allen Patienten traten nunmehr nach etwa zwei Wochen starke Hautentzündungen
auf, zugleich begann aber auch sich der gewollte therapeutische Effekt (Heilung der Lupus¬
knötchen, Haarausfall bei Sykosis. abnormem Haarwuchs und dergl.) einzustellen. Das beweist, dass
sowohl die Röntgendermatitis als auch die therapeutische Wirkung der Röntgen¬
bestrahlung auf Wirkung der X-Strahlen selbst beruht*. Durch eine Reihe von ver¬
gleichenden Versuchen, die Kienböck mit den »zu hatten« und den selbstregulierbaren »mittel-
weichen« (diese sind die wirksamsten) Röhren anstellte, hat er diese Theorie bestätigt
Ein weiterer Beweis für obige Theorie und gegen die Hypothese von der Wirksamkeit der
elektrischen Entladung bei Röntgenbestrahlung ist auch die Thatsache, dass die Haut Verände¬
rungen um so stärker sind, jo näher die bestrahlte Hautstelle dem Focus in der Antikathode,
von dem allein ja die X-Strahlen ausgehen, liegt, während ja die elektrische Entladung von allen
Stellen der Röhren aus wirken müsste, ferner auch darin, dass Substanzen, welche die elektrische
Entladung vollständig abhielten (wie Kautschuk), die Haut vor einer Röntgendermatitis nicht zu
schützen vermochten.
Aus der Anwendung der sehr wirksamen, selbstregulierbaren, mittelweichen Röhren, die
Kienböck auf Grund des obigen zu therapeutischen Maassnahmen empfiehlt, ergaben sich für die
therapeutische Praxis folgende Schlüsse: Man gebe zunächst 3—5 Sitzungen an auf einander-
folgcnden Tagen von je 10—15 Minuten Dauer; die Röhre wird dabei in etwa 20 cm Entfernung
von der Haut angebracht; vor einem Näherrücken der Röhre sowie von einer längeren Dauer der
einzelnen Sitzungen ist dringend zu warnen. Die Stärke des angewandten Primärstromes soll 3 bis
G Ampöres betragen, die Zahl der Unterbrechungen desselben in der Sekunde 15—20.
Nach einer solchen Serie von Sitzungen warte man nun 2—3 Wochen, es tritt dann mit Be¬
stimmtheit die Reaktion der Haut ein, die sich in Haarausfall, leichter Injektion, Schwellung und
Braunfärbung äussert. Erst nach dem Ablauf dieser Veränderungen beginne man wieder, w'cnn nöthig.
eine neue Serie und wiederhole solche Serien je nach Bediirfniss. Zu erwähnen ist hierbei, dass in
Bezug auf die Reaktion, entgegen den bisherigen Anschauungen, bei Anwendung der Röntgen¬
bestrahlung in der beschriebenen Form die Unterschiede der individuellen Disposition nur
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sehr gering sind; dagegen besteht natürlich verschiedene örtliche Disposition der verschiedenen
Körpertheilc.
Die Anwendung der höchst wirksamen selbstregulicrbaren Rohren zur Durchleuchtung zu
diagnostischen Zwecken gebietet ebenfalls besondere Verhaltungs- und Schutzmaassrcgeln sowohl
für den Patienten als auch für den untersuchenden Arzt, deren Einzelheiten neben den vielen hoch¬
interessanten Details über Art der Röntgendermatitis, kumulierende Wirkung der X-Strahlen etc.
im Original nachzulesen sind. A. Laqucur (Berlin).
S. Schatzky, Die Grundlagen der therapeutischen Wirkung der Franklinisation. Zeitschrift
für Elektrotherapie und ärztliche Elektrotechnik 1901. Heft 1.
Die hauptsächlichste Ursache, warum der Franklinisation in neuerer Zeit ein ganz besonderer
Skeptizismus von Seiten der Acrzto ent gegen gebracht wird, sicht Verfasser in der von Faraday
festgcstellten Thatsachc, dass die statische Elektrizität sich nur an der Oberfläche der elektrisierten
Körper ansammelt. Daraus schloss man mit Recht, dass dio Ladung eines menschlichen Körpers
mit statischer Elektrizität in ruhendem Zustande die inneren Eigenschaften des Körpers nicht be¬
einflussen könne. Auch ein sogenannter »elektrostatischer Druck« auf die Haut findet nicht statt;
die elektrische Spannung kann vielmehr nur die umgebende Atmosphäre beeinflussen, in welcher,
da ihre Dichtigkeit bedeutend geringer ist, als die des thierischen Körpers, sich die Elektrizität
nach Möglichkeit auszubreiten sucht.
Es ist also zuzugeben, dass Ladung des Körpers mit Elektrizität im ruhenden Zustande
keinen Einfluss auf den Organismus ausüben kann; ganz anders verhält cs sich aber, wenn die
Elcktrizitätsmassc in Bewegung gesetzt wird, wenn sie von einem Körper auf den anderen über¬
geht. In diesem Falle wird im Organismus eiuc Arbeit hervorgerufen; denn nach Maxwcll’s De¬
finition ist dio Arbeit eine »Ucbertragung der Energie von einem System in ein anderes«. Da nun,
wie sich leicht zeigen lässt, alle in der Therapie angewandten Arten der Franklinisation gerade in
einem Ucborgang der elektrischen Energie des Organismus in einen anderen Leiter bestehen, so
wird dadurch eine Arbeit im Organismus geleistet, welche sich nothwendiger Weise in demselben
durch gewisse Veränderungen manifestieren muss.
Schatzky sucht nun den einzelnen therapeutischen Prozeduren der Franklinisation experi¬
mentell näher zu treten und beschäftigt sich zunächst mit dem Franklin’schen Funken. Er stellt
ein Gefäss mit Jodkaliumstärkekleister auf einen Isolicrschcmcl, verbindet es mit dem negativen
Pol der statischen Maschine und zieht mit der Knopfelektrode Funken aus dieser Mischung. Es
zeigt sich sofort an den Punkten, die mit dem Funken in Kontakt geriethen, Blaufärbung, also die
Reaktion des freien Jods auf Stärkemehl.
Durch verschiedene Variationen des Experimentes, die hier nicht geschildert werden können,
zeigt Schatzky, dass der Funke die Elektrolyse nicht nur an den Applikationsstcllcn, sondern
auch im Innern des Elektrolyten erzeugt, dass also die Elcktrizitätsmengen, welche bei der Funken¬
entladung neutralisiert werden, nicht blos an der Oberfläche abgleitcn, sondern auch theilweise in
die tieferen Partien des Körpere eindringen.
Verfasser zeigt ferner dadurch, dass er dio Jodkaliumstärkcmasso mit besseren respektivo
schlechteren Leitern umgiebt, dass für den Durchgang und die Verthcilung der elektrostatischen
Massen in den Leitern dieselben Gesetze gelten, welche für den konstanten Strom festgestellt sind,
dass nämlich dio besseren Leiter beim Passieren der Elektrizität bevorzugt werden.
Als Resultat seiner experimentellen Untersuchungen sicht Schatzky als fcstgcstellt an, dass
die Franklinisation elektrochemische Vorgänge im Innern des Körpers anregt, und
dass sie also auf diese Weise den Prozess des allgemeinen Stoffwechsels zu beschleunigen, andrer¬
seits auch pathologische Ansammlungen aus dem Organismus zu eliminieren im stände ist.
Dio Funkenbehandlung speziell hat nun ausser den allgemeinen Einwirkungen noch lokale
Wirkungen. Dieselben äussem sich in einer Muskelkontraktion, wenn der Funke einen Muskel
resp. einen motorischen Nerven getroffen hat, und ferner in einer Erblassung und darauffolgenden
Röthung der Haut. Diese Erscheinungen sind als eine Reizwirkung auf die motorischen resp. vaso¬
motorischen Nerven aufzufassen, die theils mechanisch bedingt sein kann (durch die mechanische
Arbeit beim Entladungsprozess), hauptsächlich aber sicher als ein elektrochemischer Vorgang auf¬
zufassen ist Man hat nämlich anzunehmen, dass dem Reizvorgange molekulare elektrochemische
Prozesse im Nerven zu Grunde liegen, welche durch den Franklin'schen Strom nach obigen
Experimenten ebenso angeregt werden, wie durch den konstanten und induzierten.
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Was nun die anderen gebräuchlichen Franklinisationsmethoden anbetrifft, den statischen Wind
und das ötatische Luftbad, so weist Verfasser von ereterem durch anlaoge Versuche mit Jodkalium-
stärkclösung nach, dass er ebenfalls elektrolytische Prozesse hervorruft Der elektrische Wind stellt
nur einen zerstreuten, in Milliarden Parzellen aufgelösten Funken dar und besitzt dieselben Eigen¬
schaften wie dieser. Er wirkt daher ebenfalls therapeutisch durch Beschleunigung des allgemeinen
und lokalen Stoffwechsels, durch elektrolytische Entwickelung von freiem Sauerstoff und Entfernung
von pathologischen Ansammlungen.
Ganz dieselben Eigenschaften entwickelt auch das elektrische Luftbad, nur in bedeutend ab-
gcschwäcbtem Maasse. Da die den Körper umgebende Luft infolge der Wasserdünstc etc. stets ein
gewisses Leitungsvermögen besitzt, so findet ein beständiges Abströmen elektrischer Massen statt.
Es findet daher, ganz wie bei den anderen Prozeduren, eine Passage von Elektrizität durch den
Körper statt, wodurch elektrolytische Prozesse angeregt werden.
Nach seinen Experimenten ist Schatzky also der Ueberzeugung, dass bei allen Franklini¬
sationsmethoden die Vergrösserung und Beschleunigung des Stoffwechsels durch elektrochemische
Vorgänge die Grundlage der therapeutischen Wirksamkeit bildet, und spricht zum Schluss die Ueber¬
zeugung aus, dass Niemand die Deduktionen seiner Arbeit anfechten wird.
Trotz dieser Ueberzeugung des Verfassers möchte Referent doch eine kritische Bemerkung
wagen. Die experimentellen Resultate Schatzky’s sind zweifellos bedeutsam und einwandsfrei.
Sie führen den interessanten Nachweis, dass die Franklinisation ebenso wie andere Elektrisations-
arten im menschlichen Körper elektrochemische Vorgänge anregt. Damit ist aber noch nicht be¬
wiesen, dass dieser Einfluss auf den Chemismus des Körpers auch einen therapeutischen Ein¬
fluss darstcllt. Schatzky begeht hier den logischen Fehler, dem man in der therapeutischen
Littcratur so häufig begegnet: jedes Agens, welches nachweislich irgend einen physikalischen oder
physiologischen Effekt im Organismus hervorruft, soll — so schliesst man — darum ohne weiteres
auch ein therapeutisches Agens vorstcllcn! Dieser Schluss ist aber gewiss nicht berechtigt!
Was z. B. den hier in Betracht kommenden Stoffwechsel anbetrifft, so wissen wir, dass derselbe in
seiner Grösse ausserordentlich starken Schwankungen unter den verschiedensten Einflüssen aus-
gesetzt ist. Zuntz erwähnt z. B. in einem lehrreichen Aufsatz (S. 99 ff. dieser Zeitschrift), dass schon
die beim Stehen, Umhergehen und den kleinen Verrichtungen des täglichen Lebens ausgeführten
Muskelleistungen den Stoffverbrauch in individuell verschiedener Weise um 20—75 % des Ruhe-
worthes steigen.
Von den Frau kl in’sehen Prozeduren nun hat Schatzky allerdings nachgewiesen, dass sie
chemische Umsetzungen im Körper bewirken; welche Grösse dieselben aber erreichen, darüber er¬
fahren wir nichts. Nehmen wir an, der Stoffumsatz würde durch eine Franklin’sche Sitzung viel¬
leicht in demselben Maasse gesteigert, wie durch einmaliges Umhergehen im Zimmer, könnten wir
diesem Einfluss der Behandlung dann noch einen therapeutischen Werth zusprechen?
So verdienstlich also auch der von Schatzky erbrachte Nachweis der elektrochemischen
Einwirkung der Franklinisation ist, so müssen wir doch erst präzise Angaben über die Grösse
dieses Faktors verlangen, ehe wir die therapeutische Wirksamkeit der Franklinisation auf denselben
basieren dürfen. Mann (Breslau).
Frankenhäuser, Die praktische Verwerthung der elektrochemischen Erscheinungen für die
Balneotherapie. Deutsche Medicinal-Zeitung 1900. No. 60.
Frankenhäuser führt in einem vor der baineologischen Gesellschaft zu Frankfurt a 0. ge¬
haltenen Vorträge die grundlegenden Erscheinungen der Elektrochemie vor, welche er bereits in
früheren Arbeiten besprochen hat (vgl. Referat in dieser Zeitschrift. Bd. 4. S. 344f.). Er erimmert
daran, dass in jedem feuchten Leiter die gelösten Bestandteile (Salze, Säuren und Laugen) zum
Theil in zwei Komponenten, die sogenannten Jonen, zerfallen, von denen die eine, das Anion, mit
negativer, die andere, das Kation, mit positiver elektrischer Ladung versehen ist.
Wird eine Lösung von einem galvanischen Strom durchflossen, so wandern dio Anionen
(Säureradikale, Hydroxyl) nach der Anode, die Kationen (Metalle, Wasserstoff) nach der Kathode.
Es wandern also z. B. in einer Kochsalzlösung die Natriumjonen nach der Kathode, die Chlorjomn
nach der Anode. An den Elektroden angekommen, geben sie ihre elektrische Ladung ab und er¬
halten dadurch die Eigenschaften freien Natriums resp. freien Chlors.
Wenn nun der galvanische Strom nicht nur eine Salzlösung, sondern ausserdem noch einen
anderen Leiter, z. B. den menschlichen Körper passiert, so findet infolge der Jonen Wanderung an
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Referate über Bücher und Aufsätze.
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den Grenzen der beiden Leiter ein ganz gcsetzmässiger Austausch von Bestandteilen statt, und
inan kann auf diese Weise verschiedene Stoffe in den Körper cinführcn. Die Menge der ein¬
geführten Stoffe lässt sich aus der Starke uud Dauer des Stromes genau berechnen. Viele Stoffe,
z. B. die Schwermctallc, wirken bei ihrer elektrochemischen Einführung stark ätzend auf die Haut,
sie führen Mumifizierung oder Verschorfung derselben herbei. Andere lassen sich aber ohne
chemischo Wirkung auf die Haut in erheblichen Mengen in den Körper einführen, z. B. Natrium,
Kalium etc. von der Anode, Chlor, Jod, Brom von der Kathode her.
Verfasser geht nun nach Demonstration dieser grundlegenden Versuche auf die natürlichen
Mineralwässer über. Die Mineralwässer stellen stets Losungsgemische sehr vieler leitender
Substanzen dar. Es lässt sich durch einfache Versuche zeigen, dass in solchen Mischungen alle
leitenden Bestandteile an dem Transport der Elektrizität theilnehmen und dass dementsprechend
auch die Einwirkung solcher Mischungen auf die Haut spezifisch für die chemische Zusammen¬
setzung der betreffenden Lösung ist.
Frankenhäuser hält es nun für möglich, dass aus den elektrochemischen Vorgängen die
Wirksamkeit der Mineralbäder sich wird herleiten lassen. Es lässt sich feststcllen, dass im Bade
sich elektrische Ströme zwischen dem Badewssser und dem Körper des Badenden entwickeln, deren
Stärke von der chemischen Zusammensetzung und Leitfähigkeit des verwendeten Wassere abhängt.
Wir kennen zwar die Strommengen nicht, die dabei zur Entwickelung kommen. Wir können nur
Stromschleifen messen und wissen, dass diese sehr schwach sind.
Immerhin aber hält es Frankenhäuser nicht für ausgeschlossen, dass aus dem durch
diese Ströme ausgelösten elektrochemischen Vorgängen eine spezifische Wirkung der gewöhnlichen
Mineralwasserbäder sich wird erklären lassen. Mann (Breslau).
Mini ne, lieber ein vereinfachtes Verfahren der Lupusbeliandlnng durch die Phototherapie.
Semaine m6d. 1901. No 38.
Dies Verfahren besteht darin, an Stelle des komplizierten Finsen’schcn Apparates eine
50 Kerzen starke Lampe, welche mit einer blauen Glocke und mit einem Reflektor versehen ist,
anzuwenden. Die Lampe wird in einer Entfernung von ungefähr 70 cm vor den Patienten in
der Weise gestellt, dass ihre Strahlen rechtwinklig auf die zu bestrahlende Fläche fallen. Die Be¬
strahlung soll täglich zehn bis fünfzehn Minuten lang stattfinden.
Min ine will mit diesem Verfahren innerhalb eines Monats die vollständige Heilung eines
schweren Lupus der linken Backe, welcher bereits auf die Mundschleimhäute übergegangen war,
erzielt haben; auch in anderen Fällen sollon seine Resultate vorzüglich gewesen sein
Paul Jacob (Berlin).
F. Verschiedenes.
W. Shukow sky, Die englische Krankheit nnd ihre Unabhängigkeit von der relativen Luft«
feuchtlgkelt. Medizinskoje Obosrenie 1899. No. 2.
0. Hagen-Torn, Die englische Krankheit, ihre Symptome, ihr endemischer Clmrakter nnd
ihre Abhängigkeit von der relativen Feuchtigkeit der Luft. Wratsch 1899. No. 43.
Shukowsky stellte in den verschiedensten Gegenden Russlands Beobachtungen und
Recherchen über die Häufigkeit der Rachitis an und fand im Norden des russischen Reiches, in
einigen Kreisen des Gouvernements Petersburg, bei der Landbevölkerung G0% Rachitis; und zwar
waren von den Säuglingen GO<>/ 0 und von den älteren Kindern 49°/ 0 von der englischen Krankheit
befallen. Weiter nach dem Süden hin, also in Wcstrussland, in den Gouvernements Grodno, Wilna
und Ssuwalki, betrug der Prozentsatz der rachitischen Kinder 48°/ 0 . Noch südlicher, im Gouvernement
Wolynien, litten an der englischen Krankheit 37,3 o/ 0 der Säuglinge und älteren Kinder, während
ganz im Süden, in derKrym und im Gouvernement Taurien, das Verhältnis der rachitischen Kinder
blos 14,5°/ 0 war. Die Beobachtungen Shukowsky’s in derKrym an den dort geborenen Kindern
und an den zugereisten zeigten ihm zur Evidenz den überaus heilsamen Einfluss des südlichen
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524 Referate über Bücher und Aufsätze.
Klimas: frühzeitiges Schwinden der Spuren der englischen Krankheit, rasches Verschwinden der
Iaryngospastischen Aniälle und der Kraniotabcs, fast völliges Fehlen der schweren rachitischen Er¬
scheinungen, frühes Eintreten des physiologischen Verhältnisses zwischen den Maassen des Thorax,
des Kopfes und der Körpcriängo, Fehlen von Karies der Zähne und rasches Verschwinden der
rachitischen Symptome von dem Momente ab, wo das Kind das Zimmer zu verlassen beginnt, so
dass man die ausgesprochene Rachitis nur an ganz jungen Kindern beobachten kann.
Shukowsky suchte nun festzustellen, ob der relative Feuchtigkeitsgehalt der Luft in der
That bei der Entwickelung der Rachitis eine Rolle spiele, und konnte auf grund einer ganzen Beihe
von Untersuchungen und Beobachtungen den Schluss ziehen, dass zwischen dieser Krankheit
und der relativen Luftfeuchtigkeit kein ätiologisches Vcrhältniss bestehe. Wohl
aber spielen nach des Autors Ansicht klimatische Einflüsse eine Rolle: die durch¬
schnittliche Jahrestemperatur der Luft, die Zahl der hellen sonnigen Tage, die Windrichtung u.s.w., indem
der länger dauernde Aufenthalt der Kinder ausserhalb des Zimmers von diesen Faktoren abhängig ist
Einer ganz entgegengesetzten Ansicht ist 0. Hagon-To rn. Seiner Meinung nach gehurt die
Rachitis weder zu den Infektionskrankheiten, noch steht sic in irgend welcher Beziehung zur
Quantität oder Qualität der Nahrung. Die bei dei englischen Krankheit zu konstatierende Er¬
nährungsstörung sei als ein Folgezustand der Krankheit, nicht aber als die Ursache derselben zu be¬
trachten. Eine grosse ätiologische Bedeutung komme dem relativen Feuchtigkeitsgehalte der Luft
zu; wenigstens für Russland decke sich die Ansteigung der Krankheitsverbreitung mit dem zu¬
nehmenden Feuchtigkeitsgehalt der Luft nach dem Nordwesten hin. Hagcn-Torn kommt zu dem
Schlüsse, dass in den Gegenden, in welchen die relative Jahresfeuchtigkeit 800/ o übersteigt, die
Rachitis einen gewöhnlichen, fast physiologischen Zustand darstcllt; bei 80 bis 70% der mittleren
relativen Luftfeuchtigkeit kommt die Rachitis nur bei besonders ungünstigen Wohnungsverhältnissen
und bei mangelhafter Pflege der Kinder vor; bei einer Verhältnisszahl der Luftfeuchtigkeit unter
70% entwickelt sich die Rachitis äusserst selten. A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch).
S. Spassokukotzky, Die Kapillardrainage bei Hydrops anasarca kardialen Ursprungs«
Wratsch 1899. No. 38.
8. Schwarz, Ueber die mechanische Behandlung der Hydropsien kardialen Ursprung*.
Wratsch 1900. No. 20.
J. Maslennikow, Die mechanische Behandlung allgemeiner Oedeme. Jeshcnedelnik 1900. Mai.
K. Dehio, Ein Apparat zur mechanischen Behandlung des Hydrops anasarca und Unter¬
suchungen über die chemische Zusammensetzung der Oedemflüssigkeit. St Petersburger
medicinische Wochenschrift 1900. No. 51.
Zur mechanischen oder chirurgischen Behandlung des Hydrops anasarca oder des Oedems des
Unterhautzellgewebcs benutzt Spassokukotzky Glasröhrchen, denen er eine besondere Form ge¬
geben hat. An den Ausflusstheil mit möglichst weitem Lumen schliesst sich ein leicht gebogeoer
enger Hals an, während das Ende der Kanüle, welches in den Hautschnitt eingelegt wird, eine
ampullenförmige Erweiterung und Ausbuchtung darstellt Nachdem dio Füsse des Kranken mit
Seife, Alkohol und einer desinfizierenden Flüssigkeit gewaschen sind, macht man mit einem spitzen
Messer je einen Einstich in die äussere und innere Seite der beiden Unterschenkel, etwa 3—4
Finger breit oberhalb der Knöchel; in dio Oeffnungen werden dio Glaskanülen mit dem erweiterten
Ende eingeführt und eiu wenig aufwärts unter die Haut geschoben. Die Ausbuchtung an dem
einen Ende schützt einerseits die Kanüle vor dem Hcrausfallen und lässt andrerseits nicht die Oedem¬
flüssigkeit an ihr vorbeifliessen. Da das Glasröhrchcn glatt und unbedingt sauber ist, so reizt cs
die Wunde keineswegs. Auf das freie Ende des Röhrchens wird ein dünner Gummischlauch ge¬
zogen, xvährend der Kranke eine sitzende Stellung einnimmt. In vier Fällen von Oedemen kardialen
Ursprungs erzielte Spassokukotzky sehr aufmunternde, zum Theil unerwartete Resultate. Nach
seiner Meinung ist die Kapillardrainage ein zweifelllos sehr wirksames Mittel für die Beseitigung
eines so schw eren Svinptomes bei den Herzkrankheiten, wie cs die Oedeme sind, und verdient des¬
halb doit angewendet zu werden, wo die medikamentöse Therapie bereits erschöpft ist, obgleich
sie nicht als ein radikales Mittel angesehen w erden kann. Bei verhältnissmässig unbedeutendem
Anasarka ist die Kapillardrainage weder indiziert noch wirksam.
Sclnvarz behandelte sechs Fälle von Hautödem bei Herzfehlern mechanisch, und zwar vier-
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Referate über Bücher und Aufsätze. 52o
mal mit Skarifikationen und aufsaugenden Verbänden, wobei das Resultat ein gutes war, und zwei¬
mal mit subkutaner Schlauchdrainage nach Fürbringer, wobei der Erfolg ein minder befriedigender
war. In der Moskauer Gesellschaft für innere Mcdicin (Sitzung vom 29. März 1900) stellte Schwarz
folgende Gesichtspunkte für den in Rede stehenden Gegenstand auf. Wenn Ruhelage und mittlere
Gaben von Digitalis keine günstige Wirkung im Sinne der Vermehrung der Urinsekretion und Ver¬
minderung der Schwellungen mehr auf weisen, so muss an die mechanische Entfernung der letzteren
geschritten werden, nach Eliminierung etwaiger Flüssigkeitsansammlungen in den Körperhöhlen.
Bei der Beobachtung der nothwendigen Vorsichtsmnassrcgeln der aseptischen und antiseptischen
Wundbehandlung drohen die Maassnahmen zur mechanischen Entfernung der Oedeme weder mit
Erysipel noch mit Gangrän. Von den verschiedenen in Vorschlag gebrachten Methoden sind am
einfachsten die tiefen Skarifikationen, aber sie erfordern eine aufmerksame Pflege und viel Verband¬
material ; ebenso sind im allgemeinen einfach und gefahrlos gut polierte und sich nicht oxydierende
Kapillarröhrchen, wenn man sie nicht allzu lange liegen lässt; die allerschlechtesten von ihnen sind
die Glaskanülen nach Spassokukotzky, während die subkutane Gumraischlauchdrainagc nach
Fürbringer, falls sie sich nur als wirksam erweisen sollte, eine sehr einfache und äusserst bequeme
Methode darstellen würde. In anbetracht der grossen Vorzüge der unmittelbaren Entfernung der
Hautödeme und in Hinsicht auf die geringfügige Gefahr der Infektion oder des plötzlichen Todes
bei derselben verdient die mechanische Behandlung des Hydrops anasarca weite Verbreitung und
allgemeine Anwendung, besonders dort, wo die Maassregeln der Sauberkeit und der Asepsis durch¬
geführt werden können. Dagegen muss die Ansicht, als ob sie blos ein ultimum refugium wäre,
fallen gelassen werden, denn bei einer solchen Anschauung riskieren wir uns nur dann an sie zu
wenden, wenn auch diese Methode nicht mehr imstande ist, dem im fruchtlosen Kampfe erschöpften
Herzen Hilfe zu leisten.
J.MasIennikow lobt sehr die Kapillardrainage nach Spassokukotzkybei der mechanischen
Behandlung der allgemeinen Oedeme. Er verwendete sio in drei Fällen von chronischer Nephritis,
in einem Fall von Emphysem und einmal zu diagnostischen Zwecken. Die von Spassokukotzky
empfohlenen Kanülen ersetzte Maslennikow durch Glasdrains mit mehreren Seitenöffnungen, da
diese bereits fertig zu haben sind und mehr Flüssigkeit durchzulassen vermögen. Nach des Ver¬
fassers Ansicht liegt keine absolute Nothwendigkeit vor, den Kranken unbedingt in wagcrechter
Stellung zu halten, da die Flüssigkeit, wenn auch in geringerer Menge, dennoch gut ausfliesst, falls
der Kopf des Kranken erhoben und die Füsse im Bett selbst niedriger gelagert sind. Die Kapillar¬
drainage ist nach des Autors Meinung die beste von allen Methoden der mechanischen Behandlung
der Hautwassersucht Der von dem Drain als Fremdkörper ausgeübte Reiz ist geringfügig; die
kleine Wunde, in welche das aseptische Glasrohr eingeführt wird, kann durch 1—2 Nähte oberhalb
desselben geschlossen werden, so dass die Flüssigkeit nur durch die Kanüle ihren Weg nimmt. Die
Kapillardrainage wirkt geradezu einschneidend auf die Herzthätigkeit: indem sie die Gefässe von
dem übermässigen Druck seitens der ödematösen Flüssigkeit befreit, verschafft sic eben dadurch
dem erlahmten Herzen die Möglichkeit, von neuem regelmässig zu arbeiten. Als die beste Behand¬
lung der Wassersucht betrachtet Maslennikow das kombinierte Vorgehen: die Kapillardrainagc
zusammen mit den Herzmitteln.
Prof. K. Dehio ist durch seine Erfahrungen allmählich zu der Uebcrzcugung gelangt, dass,
wenn man die Oedemflüssigkeit bei Hautwassersucht wirklich in ergiebigem Maasse ableiten will,
es nichts anderes übrig bleibt, als nicht zu kleine Hautschnitte uuter aseptischen Kautelen anzulegen,
wenn es nur gelingt, sic vor dem Luftzutritt und somit vor der Wundinfektion zu bewahren. Zu
diesem Zweck ersann Dehio einen einfachen Apparat, welcher im wesentlichen aus einer elastischen
Gummibinde von etwa 10 cm Breite und 120 cm Länge besteht. Gute drei Viertel der Binde sind
der Länge nach in zwei gleich breite Streifen zerspalten, welche als Bindentouren zur späteren Be¬
festigung des Ganzen dienen. Etwa in der Mitte des nicht zcrspaltenen Bindenstückes befindet sich
eine runde Ocffnung von 8 cm Durchmesser, und in diese Ocffnung ist ein gleichfalls aus Gummi
hcrgestelltes, trichterförmiges Receptakulum eingefügt oder eingeschraolzen, so dass es mit der Binde
ein einziges Stück bildet. Da, wo dieser Trichter sich befindet, ist die Gummibindo kreisförmig
verbreitert, so dass die Bindentouren bei der Anlegung des Apparates sich breit über dieselbe hin¬
legen können, ohne den Trichter zu komprimieren. Der Trichter selbst läuft an seiner Spitze in
om Gummirohr aus, welches dazu bestimmt ist, die in ihm sich ansammclnde Flüssigkeit in ein
darunter gestelltes Gcfäss abzuleiten. Diese Trichterbinde, wie Dehio die kleine Vorrichtung
der Kürze halber nennt, hat nun die Bestimmung, die zur Entfernung der Oedemflüssigkeit ange-
tegten Hautschnitte so zu bedecken, dass die letzteren vor jedem Luftzutritt geschützt sind und
die hydropische Flüssigkeit dennoch ungehindert durch den Trichter ablaufen kann.
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• r )2G Referate über Bücher und Aufsätze.
Dehio’s Verfahren ist nun folgendes. Der zur Entleerung der hydropischen Flüssigkeit aus¬
gewählte Körportheil (meistens hat er den einen oder beide Unterschenkel benutzt) wird zunächst,
wenn nöthig, rasiert, mit Seife und Wasser und sodann mit Alkohol und Sublimat sorgfältig ge¬
reinigt; in die so desinfizierte Haut werden dann unter aseptischen Kautelen zwei parallele Ein¬
schnitte von je 2—3 cm Länge und so tief gemacht, dass sie die ganze Kutis durchsetzen; das
Unterhautbindegewebe braucht nicht tief durchschnitten zu werden. Die Schnitte liegen etwa 2 cm
von einander entfernt. Nun wird die Trichterbinde quer zur Längsachse des Gliedes angelegt, so
zwar, dass der Trichter über die Schnitte zu stehen kommt. Die Bindenstreifen werden sodann in
zirkulären Touren zu beiden Seiten des Trichters über den Anfangstheil der Binde hinweggeführt,
so dass nunmehr der Trichter mit Hilfe der ihm anhaftenden Binde luft- und wasserdicht der Um¬
gebung der Schnittflächen anliegt Dabei ist es aber von grosser Wichtigkeit, dass die Trichter-
bindc nicht zu stramm angelegt und dass der Kranke richtig gelagert wird.
Nach der eben beschriebenen Methode hat Prof Dehio in der Dorpater Hospitalklinik neun
Fälle von Nephritis und sechs Fälle von Herzfehler und allgemeiner venöser Stauung behandelt
Was den therapeutischen Effekt der Behandlung betrifft, so ist auch Prof. Dehio der Ansicht,
dass wir in der mechanischen Beseitigung des Hydrops anasarca ein sehr mächtiges, natürlich meist
nur palliatives Mittel zur Behandlung der Hautwassersucht besitzen. Jedoch glaubt er, dass die
Erfolge der mechanischen Behandlung der Hautwassersucht sich bessern werden, wenn wir uns
dazu entschliessen, dieselbe frühzeitiger und nicht nur in solchen Fällen anzuwenden, wo wir den
Kranken eigentlich schon verloren gegeben haben und es uns nur um eine Erleichterung der letzten
Lebenszeit zu thun ist. A. D woretz ky (Riga-Schreyenbusch).
Einhorn, Meudelsohn und Rosen, Die Prophylaxe in der inneren Medicin. Nobiling-
Jankau’s Handbuch der Prophylaxe. Abt. X. München 1901.
Gegenüber der Prophylaxe bei anderen Krankheitsgruppen nimmt die Prophylaxe bei inneren
Krankeiten eine gewisse Sonderstellung ein. Denn während in der Chirurgie und den verwandten
Fächern die äusseren schädigenden Einflüsse die Hauptrolle spielen, kommt bei der internen Medicin
mehr die Persönlichkeit mit ihrer ganzen Organisation, ihren erworbenen und ererbten Eigenschaften
und ihrer darauf beruhenden Widerstandskraft gegenüber schädlichen Einflüssen in Betracht Es
handelt sich also bei der Prophylaxe der internen Krankheiten nicht in erster Reihe um das Fern-
halten resp. Ausgleichen äusserer Schädlichkeiten, sondern ganz besonders um die möglichste Be¬
seitigung der auf einer fehlerhaften Konstitution beruhenden Disposition zu Krankheiten.
In diesem Sinne ist von den drei Bearbeitern die Prophylaxe der internen Krankheiten be¬
handelt worden. Sic haben sich den Stoff so getheilt, dass Einhorn die Prophylaxe der Ver¬
dauungskrankheiten übernommen hat, Mendclsohn die Prophylaxe der Herzkrankheiten,
während die der Blut-, Infektions- und Lungenkrankheiten Rosen zugefallen ist Wenn
auch bei der im grossen und ganzen stiefmütterlichen Behandlung, welche der Prophylaxe in den gang¬
baren Lehrbüchern bislang zu theil geworden ist, die monographische Bearbeitung des Gegenstandes
naturgemäss mit nicht unbedeutenden Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, so muss doch den Verfassern
nachgerühmt werden, dass sie ihrer Aufgabe gerecht geworden sind und dem Leser ein anschauliches
Gesammtbild der Prophylaxe in der internen Medicin vor Augen führen. Besonders hervorzuheben
sind die aus Mendelsohn's Feder herrührenden Kapitel, denen auch bei knapper Form eine
plastische Darstcllungskraft innewohnt Mendelsohn giebt — wohl zum ersten Mal — dem Ge¬
danken Raum, dass die Schaffung von besonderen Heilanstalten, die für Lungenkranke zu so grosser
Bedeutung gelangt sind, auch für Herzkranke ins Auge gefasst werden müssen, da es nur dort
möglich sein dürfte, die Summe aller therapeutisch nothwendigen Maassnahmen längere Zeit hin¬
durch in ihrer vollen Kombination auf den Organismus wirken zu lassen. Freyhan (Berlin)
Sorgo, Zur Diagnose der Atteurysmen der Aorta und der Arteria anonywa und über die
Behandlung derselben mit subkutanen Gelatineinjektionen. Zeitschrift für klin. Medicin
Bd. 42. Heft 1 u. 2.
In einer Zusammenstellung der bislang mit Gelatineinjektionen behandelten Aortenaneurysmen
kommt der Verfasser zu dem Resultat, dass unter 18 Fällen von sackförmigen Aneurysma 13 mal
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Referate über Bücher und Aufsätze. 5 fc 27
Gerinnung erzielt worden ist, während dieselbe in 16 Fällen von diffuser Dilatation ausnahmslos
ausgeblieben ist. Obwohl es somit keinem Zweifel unterliegt, dass in der überwiegenden Mehrzahl
der Fälle von sackförmigem Aneurysma während der Gelatinebehandlung eine Gerinnung eintrat,
so lässt sich doch die Thrombosierung des Sackes nicht mit Sicherheit auf die Gelatineinjektionen
oder wenigstens nicht allein auf sie zurückführen. Denn einmal kann der Effekt möglicher Weise
durch das gleichzeitig mit angewandte diätetische Regime und die ruhige Körperlage bedingt worden
sein; ferner kann es sich oft um ein zufälliges Zusammentreffen gehandelt haben; und endlich fehlt
uns bis heute noch jeder experimentelle Beweis für die koagulierende Wirkung subkutaner Gelatinc-
injektionen. Dasselbe gilt von der hämostatischen Wirkung der Gelatine bei Blutungen der ver¬
schiedensten Provenienz. Uebrigens sind die Injektionen bei strenger Asepsis auch dann ungefähr¬
lich, wenn hohe Konzentrationen verwandt werden. Nicrenaffektionen sind keine Kontraindikationen
für die innere Verabreichung der Gelatine, während dies für subkutane Injektionen noch nicht
feststeht.
Anhangsweise fügt der Verfasser noch einige Bemerkungen über die Diagnose der Aorten¬
aneurysmen und der Aneurysmen der Arteria innominata an. Besonderes diagnostisches Gewicht legt er
bei Aortenaneurysmen auf das Vorhandensein eines zweiten lauten Tones an einer beschränkten Stelle
des Aneurysmas; dieser Ton ist nicht von den Aortenklappen fortgcleitet, sondern entsteht im
Aneurysma selbst, sodass er ein sicheres Zeichen für Aneurysma darstcllt. Dio Diagnose eines
Aneurysmas der Arteria anonyma erscheint ihm sichergestellt bei der Gegenwart eines diastolischen
Geräusches mit dem Maximum der Intensität nach aufwärts vom zweiten Interkostalraum und beim
Vorhandensein von pulsus ccler ausschliesslich im Gefässbezirk der Anonyma.
Frcyhan (Berlin).
Fr. Sellentin, Zeitgemässe Aufklärungen über einige Grundfragen wissenschaftlicher Heil¬
kunde. Erinnerungen aus dem 19. und Mahnwortc an das 20. Jahrhundert. Heidelberg 1901.
Verfasser geht mit wahrem Feuereifer für Hahnemann ins Zeug und wird gewiss in jedem
Leser den Eindruck hinterlassen, dass dieser Mann in Wahrheit eine ganze andere Erscheinung ge¬
wesen ist, als wir heute gemeinhin anzunehmen pflegen.
Interessanter aber und aktueller ist dabei die Art, wie er mit der heutigen Medicin ins Ge¬
richt geht. Mögen seine Angriffe auch vielleicht nicht immer richtig geleitet sein, so ruft er doch
sicherlich in Vielen das wissenschaftliche Gewissen wach und die Erkenntniss, dass vielerorts heute
ein Doktrinarismus und Schematismus herrscht, ganz so wie in den früheren Zeiten, die wir darob
belächeln. Er schreckt vor keiner Autorität zurück, und wenn er — wio das zumeist der Fall zu
sein pflegt — mit seinen kritischen Bestrebungen nur bei Wenigen ein Echo findet, mag er sich
mit Rodcrich a lastro trösten, der schon 1614 schrieb: »scio quam sit difficile, ab irabutis
semel opinionibus homines divcllcrc.« Buttersack (Berlin).
An Stelle der subarachnoidealcn Kokaininfusion hat Jaboulay (Lyon med. 1901. 4. August)
welcher sich vielfach mit der Frage der Duralinfusion in den letzten Jahren beschäftigte, Chinin¬
lösungen in den Canalis sacralis cingcspritzt. Er benutzte hierzu 1 / 2 prozoutige Lösungen, von
denen er 0,025 — 0,05 ccm infundierte. Nach den Chinininfusionen tritt eine Analgesie der unteren
Extremitäten und der Bcckeuorgane auf, welche zwar nicht so ausgedehnt, aber von längerer Dauer
ist, als die nach KokaTninfusionen beobachtote. Die Temperaturerhöhung, der Kopfschmerz und das
Erbrechen kommt aber auch nach den Chinininfusionen fast stets zu stände. Jaboulay glaubt,
dass diese Symptome durch eine vorübergehende Meningitis spinalis hervorgerufen werden (w ährend
Referent in Analogie zu den von ihm angestellten Experimenten diese Erscheinungen auf eine
chemische Reizung der Substanz des Centralnervensystems selbst zurückführt).
Als Indikation für die Anwendung der subarachnoidealen Chinininfusion betrachtet Jaboulay
heftige Schmerzen in den unteren Extremitäten infolge von Krebs der Wirbelsäule oder des Rektums,
schwere Erscheinungen von Ischias, heftige Schmerzen infolge von purulenter Cystitis u s. w., während
er das Verfahren, lediglich zum Zwecke der chirurgischen Analgesie, nicht angewendet wissen will
(eine Ansicht, welche Referent bezüglich der Duralinfusionen des Kokains zur Erzielung einer Analgesie
für Operationen des Ocfteren gleichfalls vertreten hat). Paul Jacob (Berlin).
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Referate über Bücher und Aufsätze.
528
Die epiduralen Kokamiufusionen über deren Anwendung bereits in der letzten Nummer
dieser Zeitschrift ein Referat erstattet wurde, sind, wie Albarran und Cathelin in der Julisitzung
der SociStö de biologie mitgetheilt haben, von diesen Autoren zur Behandlung der Incontinentia
urinae an gewendet worden.
In den vier von ihnen berichteten Fällen (ein Fall von Blasentuberkulosc, ein Fall von
Paraplegie mit Cystitis, zwei Fälle von Sphinktcrenschwäche bei alten Frauen) haben angeblich in
dem ersten Fall eine, im zweiten zwei, im dritten vier Injektionen innerhalb von dreizehn Tagen,
im vierten Falle fünf Injektionen innerhalb von achtzehn Tagen genügt, um entweder eine dauernde
oder wenigstens eine für längere Zeit anhaltende Beseitigung der Inkontinenz, d. h. Rückkehr des
Sphinkterschlusses, zu erzielen. Paul Jacob (Berlin).
Ewart und Dickinson, lieber die Behandlung des chronischen Hydrocephalus durch
Punktion und Einführung sterilisierter Luft in die Yentrikel. Semaino möd. 1901. No. &>.
Die Autoren gingon von der Beobachtung aus, dass die einfache Punktion bei dem Hydro-
cephalus sehr häufig nicht genügt, um eine vollständige Entleerung der in den Ventrikeln ent¬
haltenen Flüssigkeit herbeizuführen und deren Wiederersatz zu verhindern. Mit Hülfe eines be¬
sonderen mit Kanülen versehenen Apparates haben sie infolgedessen in solchen Fällen zunächst die
Flüssigkeit durch die eine Kanüle ablaufen lassen, und an Stelle derselben nach und nach sterili¬
sierte Luft durch die andere Kanülo in die Ventrikel eingeführt. Diese Operation soll ausser¬
ordentlich langsam in einem Zeitraum von 7—42 Stuuden ausgeführt werden. Ewart und
Dickinson haben damit in einem Falle (durch nur einmalige Vornahme der Operation) ein voll¬
ständiges Verseil winden sämmtlicher Krankhcitserschcinungcn bewirken können. In einem anderen
Falle trat eine unmittelbare Besserung im Anschluss an dio Operation auf; diese musste dann aber
innerhalb der nächsten sechs Monate noch sieben Mal wiederholt werden.
Paul Jacob (Berlin).
Robert Behla, Die Karcinomlitteratur. Eine Zusammenstellung der in- und ausländischen
Krebsseliriften bis 1900. Berlin 1901.
In diesem dem Komitee für Krebsforschung in Berlin gewidmeten Buche hat der Verfasser
sich die Aufgabe gestellt, eine vollständige Zusammenstellung der gesammten Litteratur über den
Krebs zu geben Das Buch ist sehr zweckmässig so angeordnet, dass der erste Thcil ein nach den
Autorennamen alphabetisch geordnetes Verzeichniss der Krebsschriften bringt, während der zweite
Theil ein umfassendes Sachregister und damit den Schlüssel zur Benützung des ersten giebt. Stich¬
proben haben dem Referenten ergeben, dass das Verzeichniss neben einzelnen irrthümliehen Angaben
auch bedeutende Lücken aufweist. Gleichwohl ist die Fülle des dargebotenen Stoffes so gross (es
sind etwa SöOO Arbeiten angeführt), dass das Buch für Jeden, der sich näher mit dem Krebs be¬
schäftigt, ein unentbehrliches Hülfsmittel sein wird. F. Kirstein (Berlin).
Moritz Fürst, lieber den Tod durch giftige Gase. Berlin und Leipzig 1901.
Eine fleissigc und übersichtliche Zusammenstellung unseres jetzigen Wissens auf diesem Gebiete'.
Fürst fasst das Thema vom Standpunkte des Gerichtsarztes und des Hygienikers an. In erstcrcr
Beziehung bespricht er besonders die pathologische Anatomie, in letzterer die Gelegenheiten, die
im täglichen Leben, speziell im Gewerbebetriebe zu den fraglichen Vergiftungen gegeben werden.
Das grösste Interesse und demzufolge den grössten Raum (über die Hälfte der Arbeit) nimmt
naturgemäss die Besprechung der Kohlcnoxydgasgruppc: Kohlenoxyd und Kohlendioxyd, in An¬
spruch. Weiterhin wird mehr oder weniger ausführlich besprochen: die Vergiftung mit Schwefel¬
wasserstoff, Stickoxydul, Arsenwasserstoff, Phosphorwasserstoff, Blausäure, Ammoniak, (hier,
schweflige und salpetrige Säure. Gotthelf Marcusc (Breslau).
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Kleinere Mittheilungen.
529
Die Hefte 23—26 der gemeinverständlichen Zeitschrift des Deutschen Yereins für Yolks-
hygiene enthalten, wie die früheren Hefte, wiederum eine Reihe von Aufsätzen, in welchen das
Laienpublikum über wichtige Fragen der Hygiene in sachgemässer Weise aufgeklärt wird. Unter
diesen Aufsätzen sind bemerkenswerth der von Hasterlik »Ueber die Konservierung unserer
Nahrungsmittel im Grossen und im Haushalt«, ferner der Aufsatz von Weyl »Ueber das Rad¬
fahren«, sowie der von Hoppe »Ueber die Gefahren des Biergenusses«, schliesslich der Aufsatz
von Mendelsohn »Ueber den Schutz vor Herzerkrankungen«. Paul Jacob (Berlin).
Paul Börner’s Reichs-Medicinal-Kalender 1902« Theil 1. Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
Mit gewohnter Pünktlichkeit ist der neue Jahrgang des Reichs-Medicinal-Kalenders erschienen,
welcher sich nicht wesentlich von seinen Vorgängern unterscheidet Die allseitig beliebten kurzen
Originalaufsätze des Beiheftes, welche den Aerzten eine klare, erschöpfende Uebersicht über die
wichtigsten Fragen der Therapie geben, sind um einen Aufsatz vermehrt worden, welcher der
Feder des bekannten Baineotherapeuten, Professor Glax, entstammt Glax giebt in diesem Auf¬
sätze eine Uebersicht über die Heil-, Pflege- und Kuranstalten. Wir würden es für wünschenswerth
erachten, dass in den folgenden Jahrgängen eine Aufstellung aller bisher in Deutschland bestehenden
Yolkslungenheilstätten, sowie der Seehospize für Kinder mit aufgenommen werden würden, da die
praktischen Aerzte vielfach Gelegenheit nehmen müssen, gerade in diese Anstalten ihre Patienten
zu schicken und da häufig noch eine Unkenntniss der zahlreichen, jetzt in Deutschland gegründeten
Lungenheilstätten besteht In dem Hauptbande des ersten Theiles hat die Bearbeitung des
Kapitels »Alphabetisches Verzeichniss und Charakteristik der wichtigsten Bade- und Kurorte«
Professor Glax an Stelle von Dr. Beetz übernommen. Glax hat dies Kapitel insofern erweitert,
als er noch die Indikationen der betreffenden Kurorte beigefügt hat. Paul Jacob (Berlin)
Kleinere Mittheilungen.
I.
Bemerkungen zu Dr. M. Einhorn*» Artikel: Ueber Sitophobie intestinalen Ursprungs. Von
Dr. R. v. Ho esslin, dirigierendem Arzt der Kuranstalt Neuwittelsbach in München.
Herr Professor Einhorn hat unter obigem Titel im dritten Heft des fünften Bandes dieser
Zeitschrift auf einen Zustand hingewiesen, dem er den Namen Sitophobie gegeben hat. Nach der
Anführung einiger Krankengeschichten und dem Hinweis auf Gefahren, welche dieser Krankheits¬
zustand mit sich bringt, bespricht er die Behandlung der Krankheit.
Ich würde den Aufsatz von Einhorn unerwidert lassen, wenn ich es nicht für nöthig hielte,
darauf aufmerksam zu machen, wie wenig fruchtbar es ist, ein einzelnes, wenn auch noch so
charakteristisches Symptom herauszugreifen und cs als eigenen Krankheitszustand zu beschreiben.
Der von Einhorn Sitophobie genannte Zustand ist allerdings mit der Nahrungsverweigerung nicht
identisch; es handelt sich aber auch nur um ein vielen psychischen Krankheitsformcn gemeinschaft¬
liches Symptom, welches nicht nur jedem Psychiater und Neurologen, sondern auch jedem be¬
schäftigten Arzt als solches bekannt ist. Diese Kranken vermindern ihre Nahrungsaufnahme auch
nur auf Grund falscher, krankhafter Vorstellungen; sie essen nicht in normaler Weise, weil sie
glauben, dass sie bei reichlicher Nahrungsaufnahme sich schaden, dass sie die aufgenommene
Nahrung nicht wieder entleeren, oder dass sie durch normale Nahrungszufuhr irgend welche andere
Magen- oder Darmstörungen hervorrufen. Aber es sind durchaus nicht immer Affektionen des
Intestinaltractus, welche diese Kranken befürchten. Ebenso oft beschuldigen sie die Nahrungs¬
aufnahme einer anderen angeblichen Schädigung ihres Organismus. So z. B. sind die Fälle sehr
häufig, in welchen die Kranken die Nahrung auf ein Minimum oinsehranken, weil sie glauben, dass
Zbitsciir. f. diiti. u. physik. Therapie Ud. V. lieft 6. .
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530 Kleinere Mitthcilungcn.
sie bei normaler Nahrungsaufnahme zu stark werden. Ich habe eine Reihe von Kranken behandelt,
welche in der Angst, zu fett zu werden, Jahre hindurch eine starke Unterernährung durchgeführt
haben, und, schon vorher nicht fett, zum Skelett abgemagert waren, ohne deswegen ihre Nahrungs¬
aufnahme zu steigern. Die unberechtigte Abneigung vieler Menschen vor bestimmten Nahrungsmitteln,
z. B. vor Fleisch, gehört ebenfalls hierher. Auch die Idee, dass durch die Nahrungsaufnahme der
Schlaf verschlechtert wird, hält manche Kranke von der normalen Ernährung ab; wieder andere
schranken ihre Nahrungsaufnahme ein. weil sie glauben, ihre geistige Leistungsfähigkeit werde durch
vieles Essen gestört.
Manchmal liegen auch echte Zwangsvorstellungen der Abneigung, zu essen, zu Grunde; die
Kranken erkennen, dass ihre Vorstellungen krankhaft sind, können sie aber trotzdem nicht über¬
winden, und wenn sie sich zum Essen zwingen, so werden sie von heftigen Angstanfällen befallen.
Die Mehrzahl dieser Kranken sind Hypochonder; auch bei Hysterie, bei Neurasthenie, bei
Kranken mit Zwangsvorstellungen, sowie überhaupt bei Psychopathen findet sich das von Einhorn
beschriebene Symptom der Angst vor dem Essen. Die Prognose richtet sich natürlich nach der
Grundkrankheit und ist auch bei rationeller Behandlung durchaus nicht immer günstig. Bei sehr
vielen dieser Kranken gelingt es zwar, den Ernährungszustand sehr zu heben; eine Zunahme von
30—50 Pfund im Verlauf von 1/4 oder V 2 Jahre ist gar keine Seltenheit; hat aber nicht gleichzeitig
die krankhafte Vorstellung aufgehört, so pflegt der Kranke in die alten Gewohnheiten zurück¬
zufallen, sowie er dem ärztlichen Einfluss entzogen ist. Die Behandlung hat sich daher neben der
Hebung der Ernährung hauptsächlich mit der psychischen Beeinflussung der Kranken zu befassen
und variiert sehr nach der Grundkrankheit; nur wenn es gelingt, die Vorstellung der Kranken, dass
die Nahrungsaufnahme ihm schadet, zu beseitigen, darf man den Kranken als genesen betrachten.
Ebenso wie die Sitophobie, könnte man andere Phobieen als selbstständige Krankheitsbilder be¬
schreiben und ist dies ja auch vielfach geschehen; so gehört die von Bechterew jüngst be¬
schriebene Dysphagia psychica hierher. Ein für den Träger qualvolles Symptom bei manchen
Kranken ist die Scheu vor der Luft, das als Aerophobie bezeichnet werden könnte; es giebt Kranke,
die Monate und sogar Jahre lang sich kaum aus dem Zimmer wagen, weil sie immer Angst vor
Erkältung haben; und auch im Zimmer sind sie in unzählige Tücher und Decken gewickelt, selbst
bei hohen Aussentemperaturcn darf nicht gelüftet werden; bringt man sie unter strenge ärztliche
Aufsicht, wie dies in einer Anstalt möglich ist, so können sie dort leben, wie andere Menschen und
erkälten sich nicht, trotz des Aufenthalts im Freien und trotz regelmässiger Lüftung des Zimmers.
Hat aber die krankhafte Angst schon lange gedauert, so fällt der Kranke wieder in die alte Ge¬
wohnheit, sich luftdicht abzuschliessen, sowie er sich selbst überlassen ist Auch diese Kranken
sind entweder Hypochonder, Hysterische oder Psychopathen. Solche Phobieen Hessen sich in be¬
liebiger Menge aufstellen. So giebt es Kranke, die eine krankhafte Angst vor dem Baden haben,
andere scheuen sich vor dem sexuellen Verkehr, weil sie krankhafte Vorstellungen über den Einfluß
desselben auf ihre Gesundheit haben. Es ist richtig, dass manchmal eine derartige Phobie so im
Vordergrund steht, dass sie das einzige Krankheitssyraptom zu sein scheint; bei längerer Beobachtung
aber erkennen wir stets, dass es sich doch nur um die Theilerscheinung einer allgemeinen Neurose
oder Psychose handelt, und daher sollen wir auch solche Phobieen nicht als selbstständige Zustande
klassifizieren.
Bei geistig vöUig vormalen Menschen sind, was ich Einhorn gegenüber betonen möchte,
derartige Phobieen nicht möglich; denn der Ausdruck der Phobie setzt ja schon das Bestehen einer
krankhaften Angst, einer auf falschen Vorstellungen fussenden Furcht voraus. Ist die Furcht nicht
krankhaft, sondern berechtigt, fürchtet sich z. B. ein an akutem Darmkararrh Erkrankter, Sauerkraut
oder Pflaumenkompot zu essen, oder vermeidet ein Mensch, der auf den Genuss von Erdbeeren oder
Krebsen regelmässig Urtikaria bekommt, diese Gerichte, dann handelt es sich um keine sogenannte
Phobie, sondern um eine sehr vernünftige Denkungsweise. Ist aber die Furcht krankhaft, dann liegt
auch eine Veränderung der Psyche vor.
Die Sitophobie ist daher, wie alle Phobieen, cerebralen Ursprungs.
II.
Mittheilung ans der Klinik der Aerzte L. Bueholtz nnd A. Grasmttck in Saratoff. Von
Dr. L. Bueholtz.
In Bezug auf die Tabes dorsalis haben wir ebenso wie andere in den deutschen Wolga-
kolonieen der Wiesenseite praktizierende Kollegen die interessante Thatsache feststellen können,
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Kleinere Mittheilungon 531
dass diese Krankheit zu den grossen Seltenheiten gehört. Ganz anders verhält es sich in den Ost¬
seeprovinzen , meiner eigentlichen Heimath. Bekanntlich halten viele Aerzte noch immer an dem
Zusammenhang zwischen Tabes und Syphilis fest. Besteht diese Anschauung zu recht, dann ist
unsere Beobachtung, dass unter den deutschen Kolonisten die Lues kolossal verbreitet ist, Tabes
dagegen fast niemals vorkommt, durchaus befremdend. Zwecks Bekämpfung der Syphilis erachtete
es das rothe Kreuz für nothwendig, in den Jahren 1895 und 1896 eine Kolonne von Aerzten in die
betreffenden Provinzen zu entsenden. Sehr drastisch drückte sich mir gegenüber ein viele Jahre
daselbst thätiger Landschaftsfeldscheerer aus: j>Um die Syphilis auszurotten, müssten von Nikolajewsk
(der benachbarten Kreisstadt) täglich zwei mit Hg und Jod beladene Kameele unterwegs sein«. Im
allgemeinen kann behauptet werden, dass bis vor einigen Jahren die Syphilitischen in den ge-
sammten Gegenden entweder gamicht oder nur ungenügend (intern) mit Hg behandelt wurden.
Aber obwohl ich selbst Hunderte von Luetischen im Laufe von sieben Jahren behandelte, sind mir
nur vier Tabiker, davon kein einziger Bettlägeriger, zu Gesicht gekommen. Bemerkenswerth ist
ferner, dass bei einigen unserer Studiengenossen, welche in unseren Provinzen leben, während ihrer
Studienzeit vor ca. 10 Jahren die Tabes zum Ausbruch kam und sich seither die Symptome nicht
verschlimmert haben. Die Ursache hierfür dürften jedenfalls klimatische Verhältnisse sein. Wir
haben ein sehr trockenes Klima, warmes Frühjahr und Herbst, sehr heissen Sommer und kalten
Winter. Die Uebergänge vom Winter zur warmen Jahreszeit und umgekehrt erfolgen in kürzester
Zeit, zuweilen in einigen Tagen. Ein Frühjahr mit langdauemder Schneeschmelze, ein Herbst mit
dem ewigen Regen wie in den Ostseeprovinzen Russlands, ist uns unbekannt. Interessant wäre
bei der Frage nach der Ursache der Tabes festzustellen, inwieweit physische Ueberanstrengungen
körperlich geschwächter Individuen, zu denen ja auch der Syphilitische (durch die Krankheit an
sich, wie durch die Hg-Kuren) zu rechnen ist, unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen, id est
namentlich feuchter Kälte eine Rolle spielen. Nicht unwichtig in dieser Beziehung ist die
Aeusserung des Kollegen A. Katterfeld aus Irmlau in Kurland, dass jeder fünfte oder sechste
seiner Patienten, welche sich aus der seefahrenden Strandbevölkerung zusammensetzen, Tabiker sei
Jedenfalls würde ich jedem Tabiker, sofern es nur die Verhältnisse gestatten, den Rath geben, in
ein trocken-warmes südliches Klima dauernd übcrzusiedeln und, sofern er arbeitsfähig ist, sich da¬
selbst einen Erwerbszweig zu suchen.
Berichte über Kongresse und Vereine.
i.
Bericht Ober die zweite Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft
für Yolksbäder.
Von Dr. Theodor Mayer in Berlin.
Die zweite Hauptv ersammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder tagte am 25. Oktober
im Sitzungssaale des Kaiserlichen Gesundheitsamtes. Sie wurde eröffnet durch eine Ansprache des
Vorsitzenden, Professors Dr. 0. Lassar, der auf das wachsende Gedeihen und den stetig sich
mehrenden Wirkungs- und Bethätigungskreis der Gesellschaft hinwies, welcher leider gerade im
verflossenen Jahre durch das Ableben einer Anzahl hervorragender Mitglieder, so des ehemaligen
Reichskanzlers Fürsten v. Hohenlohe, des Ministers v. Miquel, des Geheimraths Spinola u. a.
ein betrübender Verlust erwachsen ist.
Nach Ergänzungwahl des Vorstandes, Darlegung des Geschäftsberichts über das Jahr 1901
und Erledigung interner Angelegenheiten folgte eine Reihe wissenschaftlicher Vortrage, deren Inhalt
in Folgendem in Kürze wiedergegeben sei.
36 *
Original fro-m
UNIVERSITf OF MICHIGAN
Berichte über Kongresse und Vereine.
Der Vortrag 1 des ersten Redners» Herrn Dr. Po eich au-CharlOttenburg, hatte das Badewesen
der Vergangenheit zum Gegenstand. Die Sitte und Gewohnheit des Badens, welche hei den
ältesten Völkern — Egyptem, Indern und Juden, aber auch noch bei den Griechen — in engen
Beziehungen zum Rcligionskult standen, genoss bei den Zeitgenossen eines Leonidas und
Perikies eines hohen Ansehens. Mit den Gymnasien und Palästren der griechischen Kolonieen
gelangte auch griechisches Badewesen nach Italien, und die Bevölkerung des werdenden Roms
machte aus dem Bad eines der wesentlichsten Lebensbedürfnisse. In keinem wohlhabenden Hause
durfte die Badeeinrichtung fehlen, und schon zur Zeit des zweiten punischen Krieges gab es zu
Rom öffentliche Badeanstalten. Mit der zunehmenden Wohlfahrt des Volkes mehrte sich auch das
Verlangen nach luxuriöser und kostspieliger Einrichtung der früher einfach gehaltenen Badeanstalten;
so entstanden die zur Zeit der Kaiser errichteten herrlichen Thermen, welche, mit fürstlicher Pracht
ausgestattet und doch jedem Bürger fast ohne Entgelt zugänglich, noch heute durch die Grösse
und Schönheit ihrer Ruinen (Thermen des Diocletian und Caracalla) von der hohen Kultur
Roms Zeugniss ablegen. Die Ausbreitung des Badewesens im kaiserlichen Rom wird durch die
Existenz von lf> solcher Thermen neben 856 Volksbädern, denen nur etwas über 80 Badeanstalten
des modernen Berlin gegenüberzustellen sind, aufs treffendste illustriert. Durch die Eroberungs-
züge der römischen Legionen, welche die ihnen gewohnten Bäder auch in den besetzten Gebieten
einrichteten, wurden Warmbäder zuerst auch in germanischen Landen eingeführt, welche vorher nur
das Bad in freier Natur gekannt hatten.
Zuerst nur bei Wohlhabenden, in Klöstern und Herrensitzen gebräuchlich, gelangte das Warm¬
bad als Stärkungs- und Reinigungsmittel zunächst in den Dienst der Krankenpflege, dann durch
die Vermittelung öffentlicher »Badestubena in den Gebrauch und die Gewohnheit weiterer Kreise.
Aus milden Stiftungen wurden »»Freibäder« eingerichtet, man gab »Badegeld« an Stelle des heutigen
Trinkgelds, und die Badegewohnheit, der männiglich wenigstens einmal in der Woche huldigte,
verbreitete sich derart, dass mittlere Städte, wie Ulm, um das 14. Jahrhundert über eine Zahl von
157 privaten neben 11 unentgeltlichen Badeanstalten verfügen konnten, denen sich allmählich noch
Einrichtungen für Schwitz- und Dampfbäder hinzugesellten. Indessen wurde der Gebrauch
namentlich der letztgenannten Badeform im Laufe der Zeit ein übertriebener, und, da beide Ge¬
schlechter vielfach zusammen badeten, auch sittenloser. Geistlichkeit und Behörden erliessen Ver¬
ordnungen gegen die Badestuben, die Furcht vor der damals grassierenden Pest hielt die Aengst-
lichen zurück, und als der 30jährige Krieg Deutschlands Wohlstand vernichtet hatte, zwang die
immer drückendere Armuth viele Gemeinden zur Beseitigung der ohnehin schon fast leeren Stadtbäder.
So gerieth Deutschlands Badewesen in eine Periode des Verfalls, welche das 18. Jahrhundert
überdauerte und erst zu Anfang des 10. Jahrhunderts, zurZeit der Freiheitskriege, in neue und auf-
steigende Bahnen einzulenken begann.
Der folgende Vortragende, Herr Stadtbaurath Sch ul tze-Bonn, sprach über Stand und Ent¬
wickelung des Badewesens in der Rheinprovinz.
Obwohl gerade das Rheinland noch heute in zahlreichen architektonischen Ueberresten der
römischen Kulturepochc die unverkennbaren Spuren einer einst hochentwickelten Pflege des ßadc-
wesens zur Schau trägt, waren im Laufe des Mittelalters und in den folgenden Jahrhunderten auch
dort ebenso wie in anderen Theilen Deutschlands das Badewesen und die mit seiner Fördenmg
in Zusammenhang stehenden Einrichtungen in Verfall gerathen.
Eine Neubelebung der in diesem Sinne wirkenden Bewegung datiert erst aus dem Beginn
des eben vergangenen Jahrhunderts, aus derZeit nach den Freiheitskriegen; sie ist auf Jahn’s An¬
regung und Beispiel im Verein mit der Thätigkeit Ernst Moritz Arndt’s und des Generals
v. Pfuel zurückzuführen.
Die zunächst ins Leben gerufenen Einrichtungen stützten sich auf die Gelegenheit, die der
mächtige Rheinstrom selbst bot; sie waren zuerst primitivster Art: einige Schwimmbalken, die an
einer ruhigen Stelle des Flusses den Badeplatz begrenzten, und neben welchen ein verankertes
Floss die notliwendigen Auskleideschuppen und -zellen beherbergte.
Später traten kompliziertere Vorrichtungen an die Stelle der einfachen: grössere Komplexe
von Flössen, dann auf eisernen Pontons montierte »Badeschiffe« mit herabsenkbaren Badebassins,
Douehen-, Kasten- und Warmbadceinrichtungen, die theilweise noch heute in Betrieb sind <1ie
Stadt Bonn allein besitzt vier solcher »Badeschiffe«) und sich einer hohen Frequenz (etwa 180
Besucher allein in den Bonner Anstalten) zu erfreuen haben.
Die seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in England in Gebrauch gekommenen
Warmbäder mit Schwimmhallen haben im Rheinland erst seit Anfang der achtziger Jahre Eingang
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Berichte über Kongresse und Vereine. 533
gefunden. Den Beginn machte 1881 Aachen mit der für die Summe von 200 000 Mark errichteten
Schwimmanstalt am Kaiserplatz, welche eine mit 72 Auskleidezellen versehene Schwimmhalle von
bescheidenen Abmessungen neben den Einrichtungen für 12 Wannenbäder enthält.
Es folgte 1882 Essen mit einer auf städtische Kosten erbauten bereits wesentlich grösseren
Anstalt, dann Bannen mit einem Bau, welcher zum ersten Male in der Rheinprovinz zwei für beide
Geschlechter gesonderte Schwimmbecken enthält.
1885 beginnt in Köln der Bau des Hohenstaufenbades, welches mit 3 Schwimmbassins,
60 Wannen-, elegant installierten Dampf- und Heissluftbädern, ferner mit den Einrichtungen für
medicinische Bäder der verschiedensten Art versehen, noch heute den Typus einer modernen gross¬
städtischen Badeanstalt versinnlicht. Köln ist zugleich die erste Stadt, welche durch Einfügung
eines Volksbassins auch der minder bemittelten Klasse Gelegenheit zu billiger Erfrischung und
Reinigung ihres Körpers giebt, eine Gelegenheit, welche bald in ausgiebigster Weise von jener be¬
nutzt wird.
Neben der Fertigstellung kleinerer Schwimmbäder zu Ronsdorf und Lennep bringt das Jahr
1887 die Eröffnung der grossen Badeanstalt der Stadt Elberfeld, welche sich von den schon be¬
stehenden Anstalten durch die völlig durchgeführte Unterkellerung und Freianlage der Rohr¬
leitungen, dann durch die nachträglich eingebaute mustergültige Dampfkastenbadanlage unter¬
scheidet. Diese sonst nur sehr nothdürftig in Holz hergestellten Bäder sind in Elberfeld in Form
gemauerter, kachelverkleideter Sitznischen errichtet, welche, im Innern mit bequemem Drehstuhl
ausgerüstet, dem Badenden die Möglichkeit geben, durch einfachen Ventilzug Dampf oder Heissluft
einzulassen.
In dieselbe Zeit fällt die Errichtung des Stadtbades zu Krefeld, einer Anstalt, die an Grösse
und Zweckmässigkeit der Anlage ihren Vorgängerinnen nicht nachsteht und jetzt zu den besuchtesten
der Rheinprovinz (Frequenz 1900 : 342 489 Personen) gerechnet wird, der städtischen Badeanstalt zu
Düsseldorf (1888), welche gleichfalls in wenigen Jahren eine hohe Besuchsziffer (Frequenz 1899:
321485 Personen) erreichte, und des Kaiserbades zu M.-Gladbach (1889), welches 1900 allein
17 760 Douchebäder an Volksschüler abgegeben hat.
Dieser von 1881—1889 währenden Bauperiode grossstädtischer Bäder folgt nun eine gewisse
Pause, während welcher mittlere und kleinere Städte der Rheinprovinz, so Remscheid, Neuss, Ober¬
hausen, Langenberg, ferner Eschweiler, Odenkirchen und Rheydt bestrebt sind, dem gegebenen
Beispiele ihrerseits zu folgen. Vom Ende des vergangenen Jahrzehnts aber datiert neuerdings ein
Wettstreit der grossen rheinischen Gemeinwesen in der Errichtung umfangreicher und monumentaler
Bäder, und es ist charakteristisch für diese Neuanlagen, — zu welchen das Stadtbad zu Duisburg
die noch im Werden begriffene Badeanstalt zu Düsseldorf, die Vergrösserungsbauten der Städte
Barmen und Krefeld, endlich die in Köln, Bonn und Elberfeld theils genehmigten, theils im Bau
begriffenen grossen Stadtbäder gehören —, dass sie von vornherein als Volksbadeanstalten im
weiten Sinne des Wortes gedacht und angelegt sind, als Anstalten, in‘welchen den breiten Schichten
der Bevölkerung für geringes Entgelt, oder, wie in M.-Gladbach, sogar auf Stadtkosten die Möglich¬
keit ausreichender Reinlichkeitspflege geboten werden soll.
Dass bei Anlage dieser Institute gerade derjenigen Einricbtungsform, welche am ausgiebigsten
dem Postulate, grosso Besuchermengen rasch und ohne sehr bedeutende Kosten befriedigen zu
können, den seinerzeit auf Anregung Prof. Dr. Lassar’s in Aufnahme gelangten Brausebädern
in gebührender Weise Rechnung getragen wurde, war bei der zu erwartenden Frequenz selbst¬
verständlich. Und in der That haben Bäder dieser Art, welche seit dem Beginn der neunziger
Jahre theils im Konnex mit Schwimm- und Wannenanstalten, theils als selbstständige Volksbrause¬
bäder — so beispielsweise in Köln, Aachen, Düren, Krefeld, Duisburgexistieren, auch im Rhein¬
lande sehr bald sich die Gunst der Bevölkerung erworben, so dass sie namentlich in den Industrie¬
bezirken als Fabrikbäder eine segensreiche, im besten Sinne des Wortes hygienische Wirkung ent¬
faltet haben und in immer steigendem Maasse noch zu entfalten berufen sind.
Während so die Kultureentren und grossen Gemeinwesen des Rheines sich der ihnen zu¬
kommenden hohen ethischen Aufgaben wohl bewusst gewesen sind, bleibt in den Landwirthschafts-
und Weingegenden der Rheinprovinz noch viel zu thun übrig. So sind die Regierungsbezirke
Trier, Koblenz, ferner ein Theil des Aachener Bezirks von der Gewohnheit des Volkbadens noch
ebensowenig ergriffen, wie die zur Zeit in dieser Hinsicht rückständigen Gegenden Deutschlands.
Dass, dank der Propaganda der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder, auch hierin bald Wandel ein-
treten möge, ist der Wunsch des Redners.
Der Vorsitzende giebt hierauf bekannt, dass die »Deutsche Gesellschaft für öffentliche
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534
Belichte über Kongresse und Vereine.
Gesundheitspflege« sich gleichfalls der Bäderfrage in dankenswerter Weise angenommen und in
ihren Verhandlungen die Aufstellung folgender Leitsätze beschlossen hat:
Zur Hebung des Badewesens — als eines der wichtigsten Faktoren praktischer Gesundheits¬
pflege — erachtet die Deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege eine unablässige Ver¬
mehrung und Verbesserung der hierzu erforderlichen Einrichtungen für dringend geboten.
In allen Mietshäusern und anderen Neubauten sauber zu haltende Hausbäder einzurichten,
jeden Wohnort mit zahlreichen, insbesondere kleineren und für den Verkehr bequem gelegenen
Badeanstalten zu versehen, durch Errichtung gemeinnütziger Vereine und Erwerbsgcscllschaften,
durch Schaffung kommunaler Bäder in kleineren und grösseren Städten, sowie überall auf dem
Lande, und durch tunlichste Begünstigung auch der Privatbadeanstalten das Bedürfnis körper¬
licher Reinlichkeitspflege in der Bevölkerung zu wecken und demselben gerecht zu werden — dies
sind gegenüber dem notorischen Mangel an Badegelegenheiten die geeigneten Mittel, welche zur
Aenderung des jetzigen, in hohem Grade reformbedürftigen Zustandes beitragen können.
Geh. Medicinalrat Herr Dr. Bockendahl-Kiel teilt mit, dass daselbst sich ein Bauverein
konstituiert hat, der in den von ihm hergestellten Arbeiterhäusem Hausbrausebäder (für je
ein Doppelhaus ein im Keller belegenes Brausebad) einrichtete, dieselben auf Gesellschaftskosten
im stände hält und mit Wasser versorgen lässt.
Ein Vorschlag des Herrn Rechtsanwalt Dr. Holb ein-Apolda geht dahin, die Verlags-
handlungen von Reisebüchern (Meyer, Grieben, Bädeker) durch Zirkular aufzufordern, bei den einzelnen
aufgeführten Orten das Vorhandensein einer öffentlichen oder privaten Badegelegenheit durch be¬
sonderen Vermerk zu rubrizieren.
Der nun folgende Redner, Herr Oberbürgermeister am En de-Dresden, bespricht in längerer
Ausführung das Schulbrausebad und seine Bedeutung für die Zukunft. Redner betont,
dass weite Schichten der Bevölkerung nicht für das Baden herangebildct, dass sie erst dazu zu
erziehen seien. Der beste Weg, dies zu erreichen, liege darin, die Jugend zu gewinnen, liege in
der Bethätigung einer körperlichen Reinhaltung der Schulkinder. Derselbe sei seit 1888 durch die
Errichtung von Schulbädern beschritten worden, welche bereits in einer stattlichen Anzahl von
Gemeinden Deutschlands, Oesterreichs, der Schweiz und Dänemarks existieren und fast ausnahmslos
zur allseitigen Befriedigung funktionierten. Die geeignetste Badcform für dieselben ist nach den
bisherigen Erfahrungen das Lassar’sche Brausebad, welches sowohl in hygienischer als ökonomischer
Hinsicht sich am besten bewährt; hierbei empfiehlt sich für Knabenschulen die Anlage gemeinsamer,
für Mädchenschulen eine solche getrennter Brause- und Auskleideräume. Vom hygienischen, nicht
aber vom wirtschaftlichen Standpunkt aus, kommt bei Neuanlagen allenfalls noch das von
A. Osländer-Köln cingeführte »Bademuldensystem«, eine Kombination von Douche und Bad in
einem cementierten flachen muldenartigen Behälter in Betracht.
Das Schulbad hat bisher nur erfreuliche Folgen gezeitigt: es fördert den Gesundheitszustand
der Schuljugend, wirkt erziehlich auch auf die Angehörigen, welche durch dasselbe veranlasst
werden, den Kindern saubere Wäsche und Unterkleidung mitzugeben, und ist durch die stufenweise
sich immer mehr steigernde Reinlichkeit der Kinder von erheblicher prophylaktischer Bedeutung.
Bäder in der Schule selbst sind — schon aus Moralitätsgründen der etwa zu ermöglichenden
Mitbenutzung schon bestehender — Volksbadeanlagen seitens der Schuljugend stets vorzuziehen.
Auch die früher erhobenen Bedenken, als sei durch Schulbäder eine Beeinträchtigung des Unter¬
richts zu gewärtigen, sind durch die Erfahrungen der Praxis in ausreichendem Maasse widerlegt
worden. Redner erblickt somit in den Schulbädern eine Wohlfahrtseinrichtung, deren praktische
Bedeutung sich von Jahr zu Jahr steigert, und deren voller ethischer Werth namentlich den folgen¬
den Generationen klar und ganz zum Bewusstsein kommen wird. Herr Medicinalrath Dr. Klein,
Kreisarzt in Charlottenburg bemerkt zu dem Vortrage, dass auch von ihm das Schulbad als eine
der segensreichsten Einrichtungen moderner Hygiene aufgefasst werde. Insbesondere komme seine
sanierende und vorbeugende Wirkung dann in Betracht, wenn wie so oft, bei kleinen Rekonvales¬
zenten oder den Geschwistern ansteckend erkrankter Schulkinder die noth wendigsten Vorsichts- und
Reinlichkeitsmaassregcln — dank der Gleichgültigkeit oder Nachlässigkeit der Eltern — aufs gröbste
vernachlässigt würden. Herr Rektor Dank-Berlin bedauert, dass bisher betreffs der eventuellen
zwangsweisen Benutzung der Schulbäder in manchen Fällen zwischen Behörden und Lehrern
noch nicht das nöthige Einverständnis geherrscht habe. Herr Medicinalrath Dr. Klein erwidert,
dass auch hierin kraft der Bestimmungen des neuen Kreisarztgesetzes durch die Vermittelung des
Kreisarztes die wünschenswerthe Abhilfe ermöglicht werden könne. Herr Baurath Herzberg
Berlin erörtert zum Schluss zwei Fragen technischer und statistischer Bedeutung. Bei fast allen
Volksbadeanstaltsprojekten wird die Frage nach Wasserbeschaffung als gelöst betrachtet,
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Berichte über Kongresse und Vereine. 535
wenn im Erläuterungsbericht vermerkt ist: Anschluss an die städtische Wasserleitung. Gerade
hierin kann aber der Grund für eine eventuell später mangelnde finanzielle Prosperität der Anlage
gegeben sein. Redner weist nach, dass die Wasserentnahme aus den städtischen Leitungen, welche
den Kubikmeter nicht unter etwa 15 Pfennigen abgeben können, für die Verhältnisse des Volks¬
bades im ganzen zu theuer sei und empfiehlt Anlage eigener Bohrbrunnen, welche die Entnahme
zu etwa 4—5 Pfennig pro Kubikmeter ermöglichen. Als Hebemaschinen seien nicht Pumpen sondern
Pulsometer zu verwenden, weil bei diesen die ganze Wärme des zum Heben verwendeten Dampfes
in das Wasser gelange; die Eisenhaltigkeit des Grundwassers bilde bei den heute bestehenden
vorzüglichen und billigen Enteisenungsverfahren kein Hinderniss, nur ein gewisser Härtegrad des
Wassers — etwa 14 — dürfe bei solchen Brunnenanlagen nicht überschritten werden.
Des ferneren wünscht Herzberg bei der Aufstellung von Frequenzberechnungen von Bade¬
anstalten nicht das bisher übliche System, sondern eine, wie er sie nennt, Individualstatistik acceptiert
zu sehen. Herzberg weist an einem Beispiel nach, dass die einfache Frequenzberechnung nur un¬
genaue Aufschlüsse über die wirkliche Benutzung vorhandener Badeanstalten seitens der Be¬
völkerung giebt, und dass vielmehr zur Erlangung wirklich nutzbringender Resultate der eventuelle
Nachweis, wieviel einzelne Individuen in einer Stadt und wie oft diese baden, von einschneidender
Wichtigkeit sein würde. Diese »Individualstatistik« wird sich insbesondere dann am rechten Platze
zeigen, wenn ermittelt werden soll, welche Art von Bädern bei einer neu anzulegenden Anstalt
aus öffentlichen Mitteln am richtigsten zu beschaffen sind.
Mit einem Schlusswort des Vorsitzenden endet die zahlreich besuchte Versammlung.
II.
Aus französischen Gesellschaften.
In der Oktober-Sitzung der Academie de Mödecine berichtete Josias über seine Versuche,
tctanisch gemachte Ziegen durch die von Baccelli angegebene Methode zu heilen.
Er spritzte ihnen zu diesem Zwecke zunächst die tätliche Dosis des Toxins ein und späterhin, sobald
sich die ersten Symptome des Starrkrampfes zeigten, eine einmalige Dosis von 2 ccm einer 2%igen
Karbolsäurelösung. Sämmtliche Thiere starben innerhalb von 4 — 5 Tagen und zeigten keineswegs
eine geringere Intensität der Erscheinungen als das nicht behandelte Thier. Auch diejenigen Thiere
einer zweiten Versuchsreihe, welche mit kleineren Dosen von Karbolsäure behandelt wurden, konnten
nicht vom Tode gerettet werden. Auf Grund dieser seiner experimentellen Erfahrungen spricht
Jos ias der Ba ccelli ; schen Methode jeden Einfluss auf die Entwicklung und Heilung des Tetanus ab.
In noch zwei anderen französischen Gesellschaften wurde kürzlich über die Behandlung des
Tetanus berichtet, und zwar über die Erfolge, welche durch die von Roux und Bore 11 zuerst an¬
gegebene Methode in fünf Fällen erzielt wurden. Letoux theilte in der Sitzung der Societö
scientifiquc et mödicale de TOuest drei Fälle mit, bei welchen verhältnissmässig grosse Dosen von
Tetanusantitoxin intracerebral eingeführt wurden: In dem ersten Falle 20 ccm in zwei Injektionen,
im zweiten 34 ccm in drei Injektionen, im dritten 48 ccm in vier Injektionen.
Ausserdem berichtete Barette in einer Sitzung der Sociötö de mödecine de Caen über zwei
Fälle, welche gleichfalls durch die intracerebrale Tetanusantitoxininjektion gerettet wurden. Das
Inkubationsstadium dieser Fälle dauerte 6—15 Tage. Bei vier dieser Patienten hatten die sub¬
kutanen Injektionen des Tetanusantitoxins, welche in Dosen von 40—125 ccm angewendet wurden,
keinen Erfolg.
Amat, welcher über diese fünf Fälle in der Juli-Nummer des Bulletin gönöral de Thöra-
peutique berichtete, hebt den Werth der intracerebralen Behandlung des Tetanus hervor, im Gegen¬
satz zu einem Berichte, welchen kürzlich Löper und Oppenheim erstattet haben. Diese stellten
59 derartig behandelte Fälle zusammen; unter ihnen figurierten nur 16 Heilungen und 43 Todes¬
fälle, also eine Mortalität von 75%. Amat betont in seiner Arbeit noch besonders, dass die
Chancen der Heilung des Tetanus durch die Antitoxinbehandlung sich nur dann günstig gestalten
können, wenn dieselbe beim Ausbruch der ersten Symptome stattfindet (eine Ansicht, welche auch
Referent bezüglich der von ihm vorgeschlagenen Duralinfusion des Tetanusantitoxins mehrfach ein¬
dringlich vertreten hat).
♦
In der Oktober-Sitzung der Academie des Sciences berichtete Mil© de Leslie über inter¬
essante Versuche, welche sie bei männlichen Mäusen mit der Einspritzung spermo-
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Berichte über Kongresse und Vereine.
toxischen Serums von Meerschweinchen angestellt hat Nach einer einzigen derartigen
Injektion verloren die Mäuse innerhalb von 16—20 Tagen die Zeugungsfähigkeit, obgleich die
Sekretion des Spermas und die Kopulation vollständig normal blieben. Wurde ihnen im Laufe dieser
Zeit eine zweite Injektion des gleichen Serums gemacht, so wurde die Periode der Sterilität auf
einen gleichen Zeitraum verlängert Wenn man dagegen einem Meerschweinchen das Sperma von
sterilen Thieren injizierte, so konnte man in dem Serum dieser Meerschweinchen keine spermo-
toxische Substanz finden.
Die Autorin erklärt diese Erscheinungen durch die Beziehungen der Osmose der einzelnen
Spermaarten untereinander und rekuriert auch auf die Vorgänge der Chemotaxis.
* *
*
Ueber die Behandlung der hämorrhagischen Pleuritiden mit subkutanen In¬
jektionen von Gelatinelösungen berichtete R. Bernhard zu Paris. Dieser will bei mehreren
Soldaten, welche an hämorrhagischer Pleuritis litten, durch eine subkutane Injektion von 200ccm
Gelatinelösung den Effekt erzielt haben, dass das vorher hämorrhagische pleuritische Exsudat rein
serös und die Transsudation geringer wurde.
* *
*
ln der Oktober-Sitzung der Sociötö Mödicale des Hopitaux theilte Gauch er den Bericht eines
Arztes aus Bukarest, Schachmann, mit, welcher bei einem Fall von syphilitischer Myelitis
die Behandlung mittels Duralinfusion einer Benzoe-Quecksilberlösung angewendet
hatte. Der betreffende Patient sowie zwei andere Fälle, deren detaillierte Krankengeschichten in
der Sitzung nicht mitgetheilt wurden, waren durch die vorher eingeleiteten üblichen antisyphilitischen
Methoden nicht gebessert worden, während durch die täglich wiederholten Duralinfusionen von 1 ccm
eines Quecksilber-Benzoepräparats in einer 1 obigen Lösung eine erhebliche Besserung erzielt worden
sein soll. Irgend welche schwerere Uebelstände traten nach den Infusionen nicht auf. (Die Versuche er¬
innern also an die Bemühungen, welche Referent mit der Duralinfusion von Jodlösungen bei syphili¬
tischen Patienten bereits vor mehreren Jahren unternommen hat.
In der dem Gau eher* sehen Vortrag folgenden Diskussion warnte Ballet vor allem davor,
diese neue Methode der Quecksilbcrbehandlung bereits zu verallgemeinern und sie speziell bei den
Tabikern anzuwenden. Auch Widal drückte ähnliche Bedenken in der Diskussion aus.
Paul Jacob (Berlin).
III.
lieber den U. Internationalen Kongress za Madrid 1903
gellt der Redaktion der Zeitschrift ein ausführlicheres Programm mit der Bitte um Veröffentlichung
zu. Aus den 21 verschiedenen Artikeln dieses Programms entnehmen wir zur Vervollständigung
der kurzen Notiz, welche bereits im Bd. V, Heft 5 der Zeitschrift gebracht wurde, folgende Einzel¬
heiten: Der Mitgliederbeitrag kann entweder dem Ortskomitö der betreffenden Länder bis zum
20. März 1903 eingezahlt, oder direkt nach Madrid geschickt werden und zwar unter Beifügung
einer Visitenkarte. Sämmtliche Mitglieder des Kongresses erhalten eine Generalübersicht über die
Arbeiten des Kongresses sowie ein Exemplar der Verhandlungen derjenigen Sektionen, für welche
sie sich als Mitglieder eingeschrieben haben. Die Abhandlungen der übrigen Sektionen werden den
Mitgliedern zum Selbstkostenpreise ausgehändigt. Mitglieder, welche in mehreren Sektionen Vor¬
träge halten, erhalten die Verhandlungen dieser Sektionen. Die Vorträge sollen die Zeit von
15 Minuten nicht überschreiten, die Diskussionen nicht die Zeit von 5 Minuten. Das Schlusswort
der Redner darf sich auf 10 Minuten erstrecken. Ein Rösumö der Vorträge muss von dem be¬
treffenden Vortragenden bis zum 1. Januar 1903 an das Kongressbureau eingereicht werden; es
wird vor Beginn der Verhandlungen an die Kongressisten vertheilt werden. Die Anzahl der all¬
gemeinen Sitzungen ist bis jetzt noch nicht bestimmt; jedenfalls werden eine allgemeine Eröffnungs-,
eine allgemeine Schlusssitzung, und mindestens zwei allgemeinen Sitzungen stattfinden.
Die offiziellen Kongresssprachen sind: spanisch, französisch, englisch und deutsch. R-
Üer1in, Drtu-k von W. Hiixcnstein.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1901/1902. BandV. Heft 7.
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacob.
Verlag von Georg Thieme in Leipzig.
INHALT.
I. Original-Arbeiten. Seite
I. Die öffentliche Krankenküche (Berlin, Brüderstr. 10), ihre Bedeutung und Einrichtung.
Von Frau A. vom Rath. Mit 2 Abbildungen.539
II. Eine therapeutische Handlampe mit gekühlten Eiscnelektroden. Von Dr. Soph us Bang,
Laboratoriums Vorstand in »Finsens medicinske Lysinstitut«, Kopenhagen. Mit
1 Abbildung.546
III. Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur und deren physikalische Behandlung.
Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-Rath Prof.
Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus, Volontär-Assistent der Klinik . . . 550
IV. Eine einfache Vorrichtung zur Verhütung der Flexionspronationskontraktur des Annes.
Aus der inneren Abtheilung des städtischen Krankenhauses Moabit (Prof. Dr. Gold-
scheider). Von Dr. W. Alexander, Assistenzarzt. Mit 3 Abbildungen . . . 567
V. Der Kefir (Ferment und Heilgetränk aus Kuhmilch). Geschichte, Bereitung, Zusammen¬
setzung des Getränks, Morphologie des Ferments und dessen Erkrankungen; physio¬
logische und therapeutische Bedeutung des Getränks. Von Professor Dr. W. Pod-
wyssozki in Odessa. Uebersetzt aus dem Russischen von Dr. Rechtshammer 570
II. Referate über Bücher und Aufb&tze.
A. Verschiedenes.
Arloing, Inoculabilitö de la tuberculose humaine aux herbivores.596
Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie.597
v. Mering, Lehrbuch der inneren Medicin.. . . . . 598
Börncr’s Reichs-Medicinal-Kalender 1902 . 600
Pollatschek, Die therapeutischen Leistungen des Jahres 1900, ein Jahrbuch für praktische
Aerzte...601
B. Diätetisches (Ernährungstherapie).
v. Düngern, Eine praktische Methode, um Kuhmilch leichter verdaulich zu machen ... 601
Bälint, Ueber die diätetische Behandlung der Epilepsie ..601
Berju, Ueber eine Aenderung der Methode der künstlichen Verdauung eiweisshaltiger Nahrungs¬
mittel .602
Pfaundler, Ueber Stoffwechselstorungen an magendarmkranken Säuglingen.602
Hirsch fei d, Die Behandlung der leichten Formen von Glykosurie . ..603
Biedert, Ueber Ernährung und Ernährungsstörungen, Gastrektasie und Colitis.604
Tittel, Die Verwendbarkeit des Siebold’schen Milcheiweisses (Plasmon) in der Säuglings¬
nahrung . 605
Lange, Beitrag zur Frage der Fleischkonseivierung mittels Borsäure-, Borax- und schwefel-
sauren Natronzusätzen. Mit einem Anhang, Milchkonservierung betreffend . . . 605
Dixon, The composition and action of orchitic extract.606
Zeifcschr. I diät u. physik. Therapie Bd. V. Heft 7 . 37
Digitized by
Go gle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
538 Inhalt.
ۥ Hydro-, Balneo- and Klimatotkerapie.
Falloise, Influence de la respiration d’une atmosphöre suroxygönöe sur l’absorption d’oxygcnc 6o7
Bern ab ei, L’assortimento extrapolmonare dci gas e la emfisiterapia.607
Engelmann, Dreissig Jahre Badepraxis.60S
Neumann, Der Tallerman’sche Apparat.606
Zimmermann, Ueber Erfahrungen mit dem Tallerman’schen Apparat. 608
D. Gymnastik and Massage, Liegekuren.
Batseh, Massage bei Lymphangitis.606
Reymond, Quelques rösultats de la thörapeutique par les machinos de Zander, ä 1’iustitut
mödico-möcanique de Genöve.609
E. Elektrotherapie.
Sloan, Three and a half years* experience of faradisadon of the head, on scientific principles
in the treatment of chronic insomnia and associated neuroses, comprising a series
of fourty-six cases.610
Riviöre, Action of currents of high frequency upon tuberculosis.610
Rodari, Ueber ein neues elektrisches Heilverfahren (Eugen Konrad Müller’» Permea-
elektrotherapie).. ... 611
IV. Kleinere Mittheilungren.
1. Die Verwendung von Gemüse- und Fleischkonserven in den Armeen der Grossmächtc 612
H. Eine neue Sandbadeinrichtung. Mit 2 Abbildungen.616
V. Berichte über Kongresse und Vereine.
I. .Jahresversammlung des deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke am
29.—30. Oktober 1901 zu Breslau. Von Dr.Waldschmidt in Charlotten bürg-Westend 616
II. Ueber die Bedeutung des Leims als Nährmittel und ein neues Nährpräparat »Gluton«.
Autoreferat und einige Bemerkungen über Diätetika. Von Dr. H. Brat in Rummels¬
burg .•.02*2
III. Ueber die erste ärztliche Studienreise in die deutschen Nordseebäder. Von Privatdozent
Dr. H. Strauss in Berlin.624
Jährlich erscheinen 8 Hefte (ä 5 Va Bogen) in regelmässigen 6 wöchentlichen Zwischen¬
räumen zum Preise von 12 Mark p. a.
Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage bonorirt; die grössere
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen.
Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen.
Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern
von Original-Arbeiten gratis geliefert.
Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler
Strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Courbiörestrasse 9a oder an
Herrn Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten.
Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besondere# Blättern (nicht
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung einges&ndt werden.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Original - Arbeiten,
I.
Die öffentliche Krankenküche
(Berlin, Brüderstr. 10),
ihre Bedeutung und Einrichtung.
Von
Frau A. vom Rath.
Nachdem das erste Betriebsjahr der in Berlin begründeten öffentlichen Kranken¬
küche nunmehr verflossen ist, dürfte ein Rückblick auf ihre Entstehung und ihre
Entwickelung von allgemeinem Interesse sein.
Die Ueberzeugung, dass zur Wiederherstellung der Gesundheit unter allen ärzt¬
lichen Mitteln und Verordnungen eine sachgemässe Ernährung an erster Stelle stehe,
ist durch die Belehrungen und Vorträge der hervorragendsten Aerzte eine allgemein
verbreitete geworden. Der Gedanke, es sei nun auch Vorsorge zu treffen, um die Be¬
schaffung dieses Allheilmittels nicht nur den wohlhabenden, sondern auch vor allem den
bedürftigen Kranken zu ermöglichen, lag daher gewiss sehr nahe; aber um solche
Gedanken zur Ausführung heranreifen zu lassen, bedarf es meistens eines äusseren
Anstosses. Der Schreiberin dieser Zeilen wurde ein solcher Anstoss zutheil in Ge¬
stalt einer kurzen schweren Krankheit, aus der sie sich nicht erholen konnte; sie
fühlte selbst wie nur die unermüdliche Sorgfalt, welche der Arzt ihren ersten Ess¬
versuchen sowohl hinsichtlich der Qualität wie der Quantität der Speisen widmete, sie
nach und nach dem Leben wiedergab; sie machte aber auch die Erfahrung, dass es
selbst in einem grösseren Haushalte schwierig ist, gerade die einfachsten Speisen
sich so zu schaffen, wie sie dem kranken Menschen zuträglich sind. Die quälende
Frage, wie können sich kleine Haushalte, arme Familien oder gar einzelstehende
Menschen im Erkrankungsfalle zuträgliche Nahrung verschaffen? verliess sie nicht
mehr — und die ersten Schritte nach ihrer Genesung galten der Verwirklichung ihres
Planes.
Die Grundzüge waren während der Rekonvalescenz in allgemeinen Umrissen
festgelegt. Als Grundkapital zur Bestreitung der Einrichtungskosten und der Lokal-
miethe für die ersten fünf Jahre stand ein Geschenk von 30000 M. zur Verfügung.
Es galt nun, durch Heranziehung einer grösseren Anzahl einflussreicher arbeits¬
freudiger Damen aus den verschiedensten Kreisen ein thatkräftiges Komit& zu bilden.
Mit wie lebhaftem Interesse der Gedanke überall aufgenommen wurde, zeigte die
rasche Konstituierung dieses Komitßs, welches jetzt als Vorstand des Vereins
besteht
Als erster wichtigster Gegenstand der Berathung lag die Frage vor, ob der Verein
die Speisen an Unbemittelte unentgeltlich liefern solle. Wollte man diese
Frage bejahen, so war einestheils eine besondere ausgedehnte Organisation erforder¬
lich, um Ermittelungen über Bedürftigkeit und Würdigkeit der Empfänger einzu-
37*
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
540
A. vom Rath
ziehen; andererseits würde dadurch auch die Wirksamkeit der Küche wegen der
erforderlichen grossen Geldmittel von vornherein auf einen kleinen Kreis beschränkt
worden sein.
Man beschloss daher, grundsätzlich nur gegen Zahlung Speisen zu verabfolgen
und sich mit anderen wohlthätigen Vereinen in Verbindung zu setzen, um durch
deren Vermittelung den bedürftigen Erkrankten gesunde Nahrung zukommen zu lassen.
Dieses System hat sich sehr gut bewährt Verschiedene Vereine geben ihren Schutz¬
befohlenen Anweisungen auf die Küche, und viele Menschenfreunde schenken häufig
eine mehr oder minder grosse Anzahl Speisemarken, namentlich an den Verein
» Hauspflege <, welcher fortwährend Kranke in bitterster Armuth zu verpflegen
hat. Auch die Direktion der Berliner Armenverwaltung hat bereits begonnen, die
Küche ihren Zwecken dienstbar zu machen; sie hat einen Erlass an die Medicinal-
bezirke ertheilt, in welchem den Armenärzten empfohlen wird, an Stelle der seither
verordneten diätetischen Heil- und Nährmittel in geeigneten Fällen für arme Kranke
eine Portion Krankenkost aus unserer Küche zu verordnen. Infolge dieser Anregung
erhalten bereits eine grosse Anzahl armer Kranken Anweisungen auf Essenportionen zu
50 Pf. oder zu 25 Pf., je nach den Fällen, für 3, 8 oder 14 Tagen.
Ferner haben einzelne grosse Polikliniken Berlins ihr Interesse unserem Unter¬
nehmen zugewandt; so hat vor allem die unter Leitung des Oberarztes Dr. Paul
Jacob stehende I. medicinische Universitätspoliklinik des Geheimraths v. Leyden be¬
reits kurze Zeit nach Begründung unserer Krankenküche Speisemarken von uns be¬
zogen und vertheilt diese — und zwar unter ausdrücklicher Genehmigung der König¬
lichen Charitädirektion — unentgeltlich an unbemittelte Patienten.
Ein grosser Theil unserer Kundschaft besteht aus solchen bedürftigen Kranken¬
oder Genesenden, welche von Privatpersonen Speiseanweisungen geschenkt erhalten.
Zweckmässiger und wirksamer lässt sich wohl kaum der Wohlthätigkeitssinn be-
thätigen, als dadurch, dass man dem durch Krankheit geschwächten Familienvater
oder der eben genesenden Hausfrau durch Zuweisung einer leicht verdaulichen, doch
kräftigen Kost wieder zu Kräften verhilft und sie wieder arbeitsfähig macht. Beispiels¬
weise nimmt Frau Mathilde Wesendonck am 18. eines jeden Monats, als am Datum
des Sterbetages Kaiser Friedrichs, 100 Speisemarken ä 50 Pfg., die sie theils durch
Wohlthätigkeitsvereine, theils direkt an bedürftige Kranke vertheilt So steht die
Küche, obwohl sie selbst nur gegen Zahlung Nahrung liefert, doch zum grossen Theil
im direkten Dienst der Bedürftigen. Uebrigens ist auch für besonders dringende Fälle
eine Armenkasse zur Verfügung, aus welcher ausnahmsweise ohne sonstige Ver¬
mittelung Speisemarken verabreicht werden.
Die grosse Schwierigkeit, ein geeignetes Lokal zu finden, wurde durch das
liebenswürdige Entgegenkommen des Propstes von St. Petri, Freiherrn von der
Goltz, überwunden, welcher uns die rarterreräume der Propstei, Brüderstrasse 10,
zu einem billigen Miethspreis zur Verfügung stellte. Ein besser gelegenes und in
jeder Hinsicht angenehmeres Lokal hätten wir uns nicht erdenken können, und so
wurde sofort zum Umbau der Räume und zur Einrichtung der ersten Küche ge¬
schritten.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Pie ßfftfQtlitthe Kr^nkenkilche.
Einrichtung unserer Kranken k fiche.
i. Ein grosses Vorzimmer, in nelchen* sich ein verglaster Abschlag für
Kasse, Ruchhaltcrei uqtlExpedit'ivn >V‘t Speisezettel befindet; daneben ist Raum für
IjllKtWSUiWMMIW
zwei Tische vorhanden, an welchen etwa Uekouvaleszeuteu: Magen leidende,
Zuckerkruake ii.>w. speisen können.
>>42 A. vom Rath
2. Die eigentliche Küche; es befinden sich darin ein grosser Senking-
scher Sparherd, ein Warmwasserbadkochapparat mit vier Suppenkesseln aus Rein¬
nickel (zwei zu je 100 und zwei zu je 501); die sich entwickelnden Dämpfe werden
durch die Feuerung geleitet und verzehrt. Hierdurch und durch eine hydraulische
Ventilation herrscht in der Küche stets gute Luft.
3. Vorrathszimmer mit grossem Eisschrank, in welchem das Fleisch hängend
aufbewahrt wird.
4. Zwei Zimmer für die Wirthschafterin und Köchin.
Das Personal besteht aus:
einer Wirthschafterin, die zugleich mit kocht;
zwei Köchinnen;
einer Kassirerin, die auch die Buchhaltung und Korrespondenz besorgt;
drei Burschen, welche die Speisen in drei Dreiradwagen und einem Motor¬
wagen in die Wohnungen der Kranken bringen und die Reinigung der
Küche besorgen.
* *
-*
Das schwierige Problem, die Speisen warm in die Wohnungen der
Kranken zu liefern, haben wir durch Thermophorgefässe zu lösen gesucht
Dieselben haben sich hinsichtlich der Erhaltung der Wärme gut bewährt, aber in
der Handhabung viele Schwierigkeiten verursacht
Da die Schmelzung der Gefässe durch kochendes Wasser bei starkem Betriebe
in der Küche viele Arbeit und Unannehmlichkeit bereitet, hatten wir den Versuch
gemacht, die Schmelzung auf trockenem Wege in einem Gasschranke vorzunehmen;
es zeigte sich aber, dass die Gefässe dieses nicht vertragen, indem sie vielfach
platzten. Wir haben uns daher entschliessen müssen, den Gasschrank zu beseitigen
und trotz der damit verknüpften Unannehmlichkeiten kochendes Wasser zu benutzen.
Zahlreiche Versuche, die wir gemacht haben, die Speisen in isolierten Menagen u.s.w.
zu versenden, haben keine befriedigenden Erfolge gehabt, so dass wir trotz der Kost¬
spieligkeit beim Thermophor verbleiben wollen. Die verzinnten Thermophore haben
im Gebrauch bald ein wenig appetitliches Aussehen erhalten trotz peinlichster Rein¬
haltung; wir haben deshalb begonnen, dieselben durch emaillierte Gefässe zu ersetzen.
Bei der Aufstellung der Speisekarte für den täglichen regelmässigen Betrieb
der Küche war das erste Erforderniss, dass dieselbe eine Auswahl von Speisen
biete, welche es gestattet, für die Hauptkategorieen der vorkommenden Krankheits¬
formen geeignete Mahlzeiten daraus zusammenzustellen. Bei dieser Ueberlegung
hatten wir uns des eingehendsten Rathes unserer grossen Kliniker zu erfreuen, unter
denen sich ganz besonders Herr Geheimrath v. Leyden unserer Sache mit dem
wärmsten Interesse annahm. Seine theoretisch wie praktisch werthvollen Rathschläge
sind uns in den verschiedensten Richtungen vom grössten Nutzen gewesen.
Wir glauben, dass die Aerzte aus unserer Speisekarte ohne Mühe ihren ver¬
schiedenartigen Kranken eine zuträgliche Nahrung werden aussuchen können.
Die Speisen, welche die Küche verabfolgt, ergeben sich aus der hier folgenden
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543
Die öffentliche Krankenkfichc.
Betriebsordnung der Krankenküche.
Die Küche liefert:
I. Mittagessen 1 ) bestehend aus:
ca. Va Liter Bouillon mit einem Stück Huhn als Einlage . M. —,25
oder ca. 1 Liter Haferschleimsuppe mit Ei.» —,25
oder ca. V 2 Liter Suppe mit Fleisch und Gemüse oder Kartoffeln
als Einlage.» — ,25
oder ca. V a Liter Suppe mit Reis und ein Stück Huhn als Einlage » — ,25
II. Mittagessen») in einem Napf, bestehend aus:
ca. 1 Liter Suppe mit Fleisch und Gemüse oder Kartoffeln
als Einlage.» —,50
oder ca. 1 Liter Suppe mit Reis und einem Stück Huhn als Einlage » —,50
III. Mittagessen») in zwei Näpfen, bestehend aus:
1. Fleischsuppe, klar oder gebunden oder Schleimsuppe, nach Wahl i ^
2. Fleisch und Gemüse oder Kartoffelbrei oder Kompott, nach Wahl > :
IV. Mittagessen») in drei Näpfen, bestehend aus:
1. Hühner- oder Fleischsuppe, klar oder gebunden, oder Schleim¬
suppe, nach Wahl.. . . .
2. Fleisch gebraten oder gekocht, mit Gemüse oder Kartoffelbrei,
nach Wahl.
3. Leichte süsse Speise und Kompott.
V. Mittagessen») in vier Näpfen, bestehend aus:
1. Hühner- oder Fleischsuppe, klar oder gebunden, oder Schleim¬
suppe, nach Wahl.
2. Fleisch, Geflügel, Kalbsbries oder Wild, gekocht oder gebraten,
nach Wahl.
3. Gemüse und Kartoffelbrei.
4. Leichte süsse Speisen und Kompott.
VI. Einzelne Portionen und zwar bei Abholung in eigenem Geschirr:
Fleisch oder Geflügel.»
Suppe.»
Gemüse.»
Süsse Speise.»
Kompott.»
Für Zusendung in die Wohnung wird 10 Pfg. Bringerlohn berechnet.
VII. Erquickungen für Kranke:
Fleischgelee das grosse Glas inclusive Glas.»
» » kleine » » ».»
Hühnergelee » grosse » » ».»
» » kleine » » ».»
1,25
o
“i
--,80
-,40
-,40
-,40
— ,40
1,25
-,70
1,25
—,70
Nur bei Abholung in eigenem Geschiir.
*) In Thermophorgefässen frei in die Wohnung gebracht; für Speisen, welche in eigenem
Geschirr in der Küche abgeholt werden, werden 10 Pfg. (bei mehreren Näpfen 5 Pfg. pro Napf)
zurückvergütet.
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
A. vom Mein.
Weingdee *i«.s grosse Glas inklusive Gla>
•Fruchtgeteö »grosse ? * ...... .>• -,ßü
» i kleine v * >„ .. . • ,4.
Für Gläser, welche n»K Deckel iu gutem Zustande -zurückgoliefert werden,
werden 25 Pfg. für das grosse und JO i’fg. für das kleine Glas vergütet.
Transport der Speisen.
Unsere- Kranke.nkliehe sollte rdeiit nur den tunbiilufcotisuhen Kranken,
sondern namentlich auch deo bettlägerigen Patienten diene»., Es musst«» daher
Uinrichtuiu'eiy getroffen werde»', um du: bpei*«» von der Ventrale ans direkt in .in;
Wohnungen der. Krank»» zu schaffe». Wir .stifiksen hierbei zunächst-awf gra»«;
Schwierigkeiteo. Der Ptau. durch eingii grosseren mit Ptenjpö bespannten Wage»-die
Sjveisen in die Wohnungen zu. trausgortim». musste, aafgegeb«» werden, weildb*
• Äbliof@räugtter'Käi»fe»ttden'Hä«särt
Fi s- jedesmal ziemlich viel Zeit erfordert,
und deshalb «in Wagen in der be¬
schränkten Zeit von wenigen Stünden,
welche uns zu Gebote stellen, rer
hältnlssmässig, wenig leisten kann.
Wir gingen daher dazu über, drei;
Dre i ra tl w4g an aBzuhcbaflen,wetclie
zugleich in verschiedenen Riditetigcn
n mitetfehgeo ÜM auf diese Wgbe ein
ziemlich grosses SStadtterraiH .teb
sorgen können, ln dieser 11 msStfc
musste eine Entfenm«gsrnwe fist-
gesetzt werdfln , welche auf eine»
Umkreis v o?t zwei Kilometern «nt
die Küche herum bestimmt wurde.
Dieser schon einen grossen ThoiP der Slidi^. ^eir. ftväitib ein
noch grösserer The-it blieb dadurch ausgeschlossen. Wir. «.mpfamte» cs daher oft
schmerzlich, «ine grosse -Alenge ' von Tlestellungen wegen der zu weite» Entfernung
ahlehneff zu milKseuv UesliaiH hifid. .seit einiger Zeit Einrichtungen getroffen Wörden,
um diesem Uebelstande oinigennäas.-en abzuh'elfen- Durch Vemiitelung der Fmn
Otariiti.rgermefeter Kirsch«er sirnl in de« euflegteheren Gegenden der Stadt Hi ?o-
geuanntß A bbolestellen in Privatwohnutigcm eißgerichtet worden, wohin wir »ut
Bostellungeu das Esse» schicken, wfiMibs da an von dort durch
Kranktui bezw. deren Angoftörrge' »bgehclt acird, - 'G
Um diese Hielten mit Speisen zu versorgen, ist ein kleines Automobil ;iuu<:?-
schäfft worden, welches .sehr stduiell fährt und trotz der weiten Eutfora wagen das
Essen rechtzeitig dorthin bringt.
mm
flf *1 -■>?
.-Vi.de chronisch Erkrankte und Genesende, welche nicht an das Zimmer -c
fesselt, -st »d, bedürfen -einer besonders kräftige» und leichte-» 'Nahrung, : Für Milch«
haben wir in dem Vorzimmer uiiserer Kütho dk- Eitinchtung getroffen, dass, sö weis
545
Die öffentliche Krankenk&che-
es der Raum zulässt, Tische und Stühle aufgestellt werden, an welchen sie ihre
Mahlzeiten einnehmen können. Es ist eine Freude zu sehen, wie manche unter
ihnen durch die gesunde Ernährung in kurzer Zeit ein ganz anderes blühendes Aus¬
sehen gewinnen.
Da das Personal der Küche gerade in den Mittagsstunden besonders stark in
Anspruch genommen ist, hat sich eine ganze Anzahl junger Damen bereitgefunden,
in den Stunden von 11—2 Uhr uns Hülfe zu leisten. Sie übernehmen abwechselnd
an den verschiedenen Tagen den Dienst, und es ist ein herzerfreuender Anblick, zu
sehen, mit welchem Eifer sie die Kranken, die dort essen, bedienen, oder den Armen,
welche ihre Essportion abholen, das ärmliche Geschirr erwärmen, ihnen das Essen
überreichen und es sorgfältig in die mitgebrachten Körbe verpacken.
Wir halten uns verpflichtet, aus Rücksicht auf das allgemeine Interesse, welches
unser Unternehmen gewonnen hat, auch dessen finanzielle Seite zu besprechen.
Es ist selbstverständlich, dass erhebliche Zuschüsse erforderlich sind. Man ist noch
zu wenig daran gewöhnt, den Unterschied zwischen dem billigen schweren Essen,
welches die Armenküchen liefern, und den Anforderungen, welche an ein Kranken¬
essen gestellt werden müssen, zu berücksichtigen. Es mussten daher die billigsten
Preise auf 50 Pf. für eine grosse Portion Essen und auf 25 Pf. für eine kleine Portion
gesetzt werden. Dass für diese Preise aber das Essen, welches nur vom besten Material,
gutem, zartem Fleisch, ausschliesslich reiner Butter u.s. w. bereitet wird, nicht hergestellt
und in die Wohnungen gesandt werden kam, liegt auf der Hand. Wir haben daher
bis jetzt mit einem monatlichen Defizit von ca. 1000 M. gearbeitet. Glücklicherweise
zeigt sich die allgemeinen Sympathie, deren sich unser Institut erfreut, auch darin,
dass uns ohne besondere Anstrengungen aus freien Stücken zahlreiche Beiträge zu-
fliessen, die schon jetzt den Bedarf für das kommende Jahr voraussichtlich decken
werden.
Die Benutzung der Küche hat sich ganz allmälig entwickelt; es sind im ersten
Jahre 36 000 Portionen Essen verabreicht worden.
Wie sehr unsere neue Wohlfahrtseinrichtung einem allgemein gefühlten Be-
dürfniss entgegengekommen ist, ergiebt sich aus den zahlreichen Besuchen aller
Gesellschaftskreise, welche aus Berlin und von auswärts gekommen sind, um unsere
»Küche« in Augenschein zu nehmen — mehr noch aus den vielen Anfragen aus
anderen Städten des In- und Auslandes über die Art der Einrichtung und des Be¬
triebes unseres Unternehmens.
Allerwärts beabsichtigt man, öffentliche Krankenküchen nach dem Vorbilde der
unseligen einzurichten; soviel mir bekannt wurde, sind solche bereits in Cassel,
Posen, Wien, Manchester u. s. w. ins Leben gerufen worden.
Möge der Austausch der Erfahrungen dazu beitragen, die Schwierigkeiten zu
überwinden, gegen welche jede neue Einrichtung bei ihrer praktischen Durchführung
anzukämpfen hat.
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54«
Sophus Bang
11 .
Eine therapeutische Handlampe mit gekühlten Eisenelektroden.
Von
*■ Dr. Sophus Bang,
Laboratoriums Vorstand in «Finsens medicinske Lysinsdtut«, Kopenhagen.
Die neueren Konstruktionen der Finsen'sehen Sammelapparate für elektrisches
Licht bezeichnen einen so gewaltigen Fortschritt im Vergleich mit seinen ersten
Apparaten, dass man glauben konnte, dem Ideal sehr nahe gekommen zu sein.
Finsen selbst sucht doch immer noch seine Apparate weiter zu verbessern,
und im Laufe des letzten Jahres haben wir in verschiedenen Ländern eine ganze
Reihe von Versuchen in dieser Richtung erlebt. So hat in Deutschland Strebei
versucht, den grossen Reichthum an ultravioletten Strahlen des Induktionsfunken¬
lichtes therapeutisch auszunutzen. In. Frankreich haben Lortet und Genoud ver¬
sucht, die Verwendung von Konzentrationsapparaten dadurch zu umgehen, dass sie
den Lichtbogen in einem Abstande von nur wenigen Centimetern von der Haut des
Patienten anbringen, was sie dadurch möglich machen, dass sie einen wasserdurch-
strömten Schirm zwischen den Elektroden und der Haut anbringen. Foveau
de Courmelles verwendet ein ähnliches Prinzip unter Einschliessung der Elektroden
in einen mit Hohlspiegel versehenen Hohlraum. Strohbinder, Moberg, Smith
haben jeder auf seine Weise versucht, das elektrische Kohlenlicht therapeutisch zu ver¬
wenden.
Auf Finsen’s Lichtinstitut sind im letzten Jahre folgende Versuche in ähn¬
licher Richtung ausgeführt: Herr Kjeldsen hat, von Aron’s und Hewitt’s Queck¬
silberlampe ausgehend, eine Lampe konstruiert, worin er Quecksilber als positiven,
Kohle als negativen Pol verwendet; hierdurch bekommt man ein Licht von sehr
grosser bakterientötender Kraft; aber zu einem praktisch verwendbaren Resultat
haben die Versuche bisher nicht geführt. — Weiter hat Dr. Reyn, erster Assistenz¬
arzt der Klinik des Lichtinstituts, die Aenderung der Finsen’schen Konzentrations¬
apparate unternommen, dass er die wärmeabsorbierende .Wasserschicht unmittelbar
hinter der dem Lichtbogen nächsten Linse angebracht hat, während diese Wasser¬
schicht in Finsen’s Apparaten am unteren Ende des Sammelapparates sich be¬
findet. Durch die Reyn’sche Modifikation wird unter anderem erreicht, dass die
theuren Quarzlinsen, die unmittelbar der Hitze des Lichtbogens ausgesetzt waren,
dem Zerspringen nicht so ausgesetzt sind.
Einen Versuch die Qualität des Lichtes selbst zu ändern, habe ich auf folgende
Weise gemacht. Dass die Metalle, deren Spektrum sehr reich an ultravioletten
Strahlen ist, wie z. B. Eisen und Aluminium, als Elektroden verwendet, ein thera¬
peutisch wirksames Licht geben können, ist schon mehrmals ausgesprochen worden,
z. B. von Strebei. Eine praktische Verwendung davon hat Ewald schon 1895
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Eino therapeutische Handlampc mit gekühlten Eisencloktroden. ’>47
gemacht, indem er, als Arzt bei den Struve’schen Eisenwerken in Kolumna
(Gouvernement Moskau), die vermeintliche Beobachtung machte, dass die Arbeiter,
welche mit dem Zusammenschweissen von Eisen mittels elektrischem Strom be¬
schäftigt waren, von Rheumatismus und anderen Krankheiten verschont wurden
(s. diese Zeitschrift 1899. Bd. 2. S. 238). Er versuchte diese Beobachtung thera¬
peutisch auf die Weise zu verwenden, dass er eine Bogenlampe konstruierte, worin
ein Block von Gusseisen als positiver Pol diente, während der negative Pol aus
einem Kohlenstab gebildet war. Unter Anwendung von sehr starken Strömen,
2—300 Amperes, wurde hierdurch ein Licht von ausserordentlichem Reichthum an
chemisch wirksamen Strahlen geschaffen; die Behandlung geschah in der Weise, dass
die Patienten sich wenige Minuten in einem Abstande von I V» Meter vom Lichte
aufhielten, wodurch ein ziemlich starkes Lichterythem hervorgerufen wurde. Später
hat Kosloffsky in St. Petersburg dieselbe Methode verwendet. — Auch Strebei
hat die Verwendung von Metallelektroden versucht.
Die Verwendung von Metallen als Starkstromelektroden litt doch bisher an dem
Uebelstand, dass die Metalle dabei abschmelzen und sehr unruhig unter Funken-
sprflhen verbrennen, wodurch das Licht inkonstant, die Regulierung schwierig, der
Verbrauch an Metall gross und die Entwickelung von Oxygen und Metalldämpfen
lästig wird. Indem ich zufällig mit einem Röntgenrohr mit Wasserkühlung der
Antikatode experimentierte, kam mir die Idee, dasselbe Prinzip, die Wasserkühlung,
auch für gewöhnliche Starkstromelektroden zu verwenden. Ich machte den einfachen
Versuch, dass ich zwei wasserdurchströmte Eisenröhren mit je einem elektrischen
Pol verband und einen Lichtbogen zwischen den Röhren bildete. Dieser Lichtbogen
brannte ruhig, mit erstaunlich wenig Wärmeentwicklung, so dass ich das Rohr mit
dem Finger berühren konnte in einer Entfernung von 1—2 mm vom Lichtbogen. Da
wo der Lichtbogen vom Eisen ausgeht, sieht man einen etwa steknadelkopfgrossen,
glühenden Punkt; eine eigentliche »Kraterbildung« findet nicht statt. Das Eisen
wird langsam verzehrt, doch nicht durch Abschmelzen, sondern durch eine ver-
hältnissmässig schwache Oxydation. Bei einigen Metallen, z. B. Silber, ist dieser
Verlust an Elektrodenmaterial so gering, dass er erst nach Stunden einen merklichen
Betrag erreicht.
Bei Durchmusterung der diesbezüglichen Litteratur stellte es sich heraus, dass
eine wassergekühlte Elektrode schon früher benutzt gewesen ist, indem W. Siemens
im Jahre 1879 sich die Kühlung der negativen Elektrode patentieren liess. Eine
solche Elektrode verwendete er theils in einem elektrischen Schmelzofen, theils in
einer Bogenlampe; hier fand die Abkühlung aber in ganz besonderer Absicht statt.
Damals existierte noch keine tadellos selbstregulierende Bogenlampe; um dieses
Problem zu lösen, verwendete Siemens eine besondere Reguliervorrichtung, die es
nothwendig machte, dass die .Spitze der negativen Elektrode nicht nach und nach
kürzer wurde; um dieses zu erreichen bildete er den negativen Pol aus einer
kupfernen, mit Gold überzogenen Kappe, die durch Wasser gekühlt wurde. Die
positive Elektrode bestand wie gewöhnlich aus Kohle, so dass er also nicht die
Absicht gehabt hat, ein Licht von neuen Eigenschaften zu erzeugen. Hätte er ein¬
mal den Strom der Lampe 'gewechselt, also die gekühlte Elektrode zur positiven
gemacht, würde er wahrscheinlich beobachtet haben, wie die Kraterbildung der
positiven Elektrode sich auf diese Weise zu einem Minimum herabdrücken lässt,
wodurch auch die Wärmeausstrahlung bedeutend geringer wird. — In der Deutschen
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548
Sophus Bang
medicinischen Wochenschrift vom 31. Oktober 1901 macht Strebei auf den Gedanken
der Kühlung von Metallelektroden zur Ermöglichung einer Verwendung des Volta-
b’ogens Anspruch. Er hat nämlich zur Herstellung des Induktionsfunkenlichtes eine
Wasserkühlung der Elektroden verwendet, und hat in einem bei der Redaktion der
Münchener medicinischen Wochenschrift 19. Juni 1901 hinterlegten Schreiben er¬
wähnt, dass sich auch der einfache Starkstrom so gut wie der Funkenstrom ver¬
wenden lässt.
Die praktische Ausnutzung wassergekühlter Metallelektroden habe ich dnrch
eine kleine Handlampe, die ich auf dem Kongress in Hamburg am 26. September 1901
demonstriert habe, versucht. Ich gebe hier eine schematische Skizze dieser Lampe,
in der Form, worin sie vorläufig ausgeführt wird. FF
sind die Elektrodenhalter, die die auswechselbaren, fingerhot¬
förmigen Eisenelektroden EE tragen. Durch die Röhre G
wird die innere Fläche der Elektroden fortwährend mit
kaltem Wasser bespült Die Elektrodenbalter werden von
zwei Federn, KK, getragen, welche in einem Rohr A BCD
befestigt sind. Dieses Rohr dient als Griff. Die Gummi¬
schläuche G für die Zu- und Abfuhr des Wassers, sowie die
elektrischen Leitungsdrähte H verlaufen im Innern dieses
Rohres; die Wasserleitungen verlassen dasselbe bei C und D,
die Leitungsdrähte bei /. Um die Lampe anzuzünden, nähert
man, durch einen Druck auf den Knopf A, die Elektroden
bis zur Berührung und lässt dann den Knopf sofort wieder
los. Das Auslöschen der Lampe geschieht am bequemsten
dadurch, dass man den Bogen wie ein gewöhnliches Licht
ausbläst. Durch die Schraube B lässt sich der Abstand
zwischen den Elektroden ändern, wodurch die Spannung
sich genügend konstant erhalten lässt. Wenn die Lampe
mit 8 Ampere und 40 Volt brennt, dauert eine Eisenelek¬
trode durchschnittlich 4 — 6 Stunden. — Die Lampe ist
mit einem Finsen'sehen Quarzdruckapparat versehen; der
selbe ist so auf dem Rohr A BCD angebracht, dass er sehr
leicht auswechselbar ist, sowohl behufs Reinigung, wie um
Druckapparate von verschiedener Form und Grösse verwen¬
den zu können. Die Schläuche des Druckapparates verlaufen
wie diejenigen der Elektroden im Inneren des als Griff
dienenden Rohres. Beim Gebrauch des Apparates muss
man darauf achten, dass sich manchmal, wenn die Kühlung
nicht genügend intensiv ist, kleine Tropfen aus geschmolzenem
Eisen an den Elektroden bilden können. Diese Tropfen
müssen mit einem Holzstäbchen entfernt werden, da sie sonst herunterfallen und
den Druckapparat beschädigen können oder dem Patienten Schmerzen verursachen.
Das mit dieser Lampe — und nur von dieser Ausführungsform ist im folgendeu
die Rede — hervorgebraohte Licht hat folgende Eigentümlichkeiten: Die Wärme¬
ausstrahlung ist verhältnissmässig sehr gering; auch die Produktion von sichtbaren
Strahlen ist nicht besonders gross; dagegen ist die Menge der ultravioletten Strahlen
sehr bedeutend. Deshalb ist die hautreizende Wirkung ungewöhnlich gross. Bei
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Eine therapeutische Handlampe mit gekühlten Eisenelektroden. 549
der oben beschriebenen Form der Lampe wird die Haut in einem Abstande von
2 cm vom Lichtbogen angebracht; in diesem Abstande bekommt man, bei 8 Ampere
und 40 Volt, schon in Vs Minute eine starke Röthe der bestrahlten Partie, und
in 3—5 Minuten bekommt man gewöhnlich (d. h. wenn die Haut nicht zu dick ist)
die Bildung einer Blase. Diese Reaktion charakterisiert sich als Lichtreaktion
dadurch, dass die Röthe erst nach 5-8 Stunden zum Vorschein kommt, und dass
sie von Pigmentbildung gefolgt wird.
Dass diese hautreizende Wirkung hauptsächlich von ultravioletten Strahlen
herrührt, lässt sich durch einen einfachen Versuch nachweisen; bedeckt man nämlich
die zu bestrahlende Hautpartie mit einer z. B. 2 mm dicken Glasplatte, so bleibt
die Wirkung fast aus, oder kommt jedenfalls erst nach sehr langer Bestrahlung zum
Vorschein. Hierin liegt die Stärke sowohl wie die Schwäche derjenigen Lichtquellen,
die hauptsächlich ultraviolettes Licht produzieren. Je stärker irgend ein Medium
ein bestimmtes Licht absorbiert, umso stärker ist ceteris paribus die chemische
Wirkung des Lichtes auf dasselbe. Weil das Licht der Eisenelektroden schon von
den ganz oberflächlichen Schichten der Haut absorbiert wird, entfaltet es hier eine
sehr energische Wirkung. Aber eine nothwendige Konsequenz hiervon ist die, dass
dieses Licht nur wenig in die Tiefe dringen kann.
Der therapeutische Effekt der Eisenelektroden, also auch die vortheilhafteste
Dauer der Sitzungen, lässt sich deshalb schwierig Voraussagen. Wo eine intensive
aber oberflächliche Wirkung indiziert ist, scheint die beschriebene Lampe das ge¬
eignete Licht zu produzieren. Wo eine Tiefenwirkung erwünscht ist, sind dagegen
die weniger brechbaren Strahlen indiziert, sowie sie von den Finsenapparaten
produziert werden. Aber bestimmt anzugeben, in welchen Hautkrankheiten die eine
oder die andere Art von Strahlen anzuwenden ist, das muss weiteren Unter
suchungen Vorbehalten sein.
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550
Paul Lazarus
XII.
Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur und deren
physikalische Behandlung.
Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden).
Von
Dr. Faul Lazarus,
Volontär-Assistent der Klinik.
I. Theoretischer Theil.
Bevor wir an die Behandlung der hemiplegischen Kontraktur gehen, müssen
wir über ihr Wesen und ihre Entstehung orientiert sein.
Man unterscheidet Früh- und Spätkontrakturen; erstere (Contractura
praecox) setzt unmittelbar nach dem apoplektischen Insult ein und wird als Reiz¬
erscheinung seitens der Hirnrinde gedeutet. Gewöhnlich verschwindet sie spontan;
nur selten geht sie in die zweite Form, die hemiplegische Dauerkontraktur,
über. Diese schleicht sich in der Regel erst einige (zwei bis vier) Wochen nach dem
apoplektischen Insult allmählich in die gelähmten Glieder ein. Ueber ihre Entstehung
wurden zahlreiche Theorien aufgestellt.
Nach C. Hitzig 1 ) sind die posthemiplegischen Kontrakturen als gesteigerte
Mitbewegungen aufzufassen; diese seien die Folge der durch die Hirnläsion hervor¬
gerufenen, abnormen Vertheilung der Innervationsimpulse.
Bouchard 4 ) hält die Hemikontraktur für den Folgezustand einer sekundären
Degeneration der Pyramidenbahn, welcher Auffassung auch Charcot beipflichtete.
Durch die Zersetzungsprodukte der degenerierten Pyramidenfasern kommt es zu
einer Irritation der Vorderhornzellen, welcher Reiz die Kontraktion der zugehörigen
Muskeln bewirkt.
Nach Grasset 3 ) befindet sich in der Brücke ein automatisch regulatorisches
Cent rum; bei Erkrankung der cerebralen Pyramidenbahn oberhalb desselben tritt
nur Lähmung, aber keine Kontraktur ein. Erst bei Degeneration der spinalen
Pyramidenbahn unterhalb dieses Brückencentrums geht dessen regulatorischer Einfluss
verloren. Es können dann nur durch die indirekte ponto-cerebello- spinale Bahn
erregende Impulse zu den hemiplegischen Gliedern gelangen, welche zur Ent¬
stehung der Kontrakturen führen.
Nach van Gehuchten’s bedeutsamen Untersuchungen 4 ) steht der Muskeltonus
normaler Weise unter einem doppelten, im antagonistischen Sinne wirkenden, nervösen
1) Ueber die Auffassung einiger Anomalien der Muskelinnervation. Archiv für Psychiatrie
und Nervenkrankheiten 1872. Bd. 3.
2) Des dögenörations secondaires de la modle öpiniöre. Archiv gönör. de mödicine 1866.
Les contractures et la position spinale du faisceau pyramidal. Revue neurol. 1698.
*) A propos de la contracture posth£mipl€gique. Revue de neurol. 1898.
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Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc.
551
Einfluss: auf der direkten cortico-spinalen (Pyramiden-)Bahn verlaufen die hemmenden,
auf der indirekten cortico-ponto-cerebello-spinalen Bahn die erregenden Einflüsse.
Beide Bahnen verlaufen jedoch in der inneren Kapsel nahe beieinander und werden
daher in der Regel bei der Kapselhämorrhagie gleichzeitig betroffen, was eine
schlaffe Lähmung ohne Spasmen zur Folge hat. Erst sekundär entwickelt sich die
Kontraktur durch Muskelretraktion.
Im Gegensätze zu Charcot hält v. Monakow die stabile Spätkontraktur für
eine Folge der Ausschaltung der Pyramidenbahn, jedoch nifht für eine durch die
Degeneration der letzteren bedingte Reizerscheinung der Vorderhornzellen,
v. Monakow hat nämlich an anatomischen Präparaten nachgewiesen, dass die
Kontrakturen auch bei völliger Resorption sowohl einer als auch beider Pyramiden¬
bahnen fortbestehen. Um den Mechanismus der Spätkontraktur zu verstehen, muss
man sich nach ihm vergegenwärtigen, welch’ gewaltige Gleichgewichtsstörung im
ganzen nervösen Haushalt eintritt, wenn die für die Leitung der Willensimpulse so
wichtige Pyramidenbahn aus dem ganzen architektonischen Komplex einfach aus¬
geschaltet wird. Sowohl von der Peripherie als auch von den höher liegenden Hirn-
centren (Willensphäre) strömen dem Grosshirn auch weiterhin sensible Erregungs¬
wellen zu, welche jedoch wegen der Unterbrechung der Pyramidenbahn nicht in ge¬
ordnete Bewegungen übertragen werden können. Der ganze, reflektorisch angeregte,
centrifugal gerichtete Erregungsstrom wird sich daher auf die niederen Bewegungs-
centren (Haube, Brücke, verlängertes Mark) ergiessen und sie nebst dem Vorderhorn
der gegenüberliegenden Seite in übermässiger Weise belasten. Die genannten sub¬
kortikalen nervösen Apparate sind aber beim Menschen weder für individualisierte
Bewegungen eingerichtet, noch können sie, losgelöst von dem Einflüsse der Pyramiden¬
bahn, auch nur halbwegs geordnete Bewegungen ausführen. Dadurch entsteht ein
allgemeiner, auf alle motorischen Elemente der genannten subkortikalen Centren in
ungeordneter Weise sich vertheilender Reizzustand, welcher bis in die Vorderhömer
ausstrahlt und zur Kontraktion der zugehörigen Muskeln führt (v. Monakow, Gehirn¬
pathologie 1897).
Die genannten verschiedenen Theorien haben sämmtlich einen wunden Punkt
gemeinsam; sie berücksichtigen nicht die dissociierte Muskellähmung, d. h. die
verschiedene Betheiligung der einzelnen Muskelkomplexe an der Lähmung. Für den
Facialis z. B. ist der Unterschied im Verhalten des oberen oder unteren Astgebietes
bei den cerebralen Hemiplegien schon lange bekannt; auch bei der posthemiplegischen
Accessoriuslähmung ist gewöhnlich der Cucullaris befallen, der Kopfnicker frei.
An der Extremitätenmuskulatur bestehen ähnliche Verhältnisse. Gerdy ist es
bereits aufgefallen, dass diejenigen Muskeln, welche gleichzeitig bewegt zu werden
pflegen, auch zugleich der Kontraktur unterliegen. Wern icke hat des näheren
darauf hingewiesen (Berl. klin. Wochenschrift 1889), dass sich in so gut wie allen
Fällen von Hemiplegie die totale Lähmung des Beins zu einem grossen Theil zurück-
bildet und sich nur auf ganz bestimmte Muskelgruppen lokalisiert. Diese »Prädi-
lektionsmuskeln«, welche bei der Hemiplegie dauernd paralytisch oder paretisch
bleiben, sind die Beuger des Unterschenkels und die Dorsalflexoren des
Fusses; dagegen werden diejenigen Muskeln, welche beim Stehen und Gehen vor¬
wiegend in Aktion treten, wieder funktionsfähig. Es sind dies die Strecker des Hüft-
nnd Kniegelenkes und die Plantarflexoren des Fusses. Die genannten Muskelgruppen
werden in der Regel doppelseitig innerviert, weil das Stehen ein Zusammenwirken
beider Hemisphären erfordert. In ähnlicher Weise, wie die Muskeln des oberen
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552
Paal Lazarus
Facialisastes in 4 der Regel synergisch in Aktion treten und dementsprechend von
jeder Hemisphäre aus die Muskeln beider Seiten innerviert werden können, dürften
die Innervationsverhältnisse auch an der unteren Extremität liegen. Am Hunde
wurde die doppelseitige centrale Innervation der Hinterbeine experimentell von
Lewaschew 1 * 3 ) nachgewiesen. Er durchschnitt die linke Rückenmaikshälfte in der
Höhe des zwölften Brustwirbels und reizte links das kortikale Centrum der hinteren
Extremität; darauf erfolgte eine Zuckung des rechten und bei der Stromsteigerung
auch des linken Hinterbeines.
Im Einklänge mit diesem gelungenen Versuche steht auch die Thatsache, dass
ein einseitiger Hemisphärenherd einen beiderseitigen Innervationsdefekt zur Folge
haben kann; anatomisch wurden gleichfalls bei Hemiplegien auch Pyramiden-
degenerationen der gesunden Seite nachgewiesen. Klinisch fand Pitres*) bei vierzig
cerebralen Hemiplegien ausnahmslos auch eine Abnahme der Kraft am »gesundem
Bein um 50 %. Darnach wären die sogenannten Hemiplegien sensu strictu Paraplegien
mit vorwiegend gekreuzter Lähmung. Diejenigen Muskeln des Beines, welche synchron
und synergisch arbeiten (Stehmuskeln), werden von beiden Hemisphären versorgt;
bei einseitigem Hemisphärenherd restituieren sich die Streckmuskeln, während die
Beugemuskeln paretisch bleiben. In ähnlicher Weise ist auch die stets nur gering¬
gradige Parese der doppelseitig innervierten Phonations- und Respirationsmuskeln,
des Diaphragmas und der Bauchpresse zu erklären.
Am Arm ist jedoch die Sachlage anders; je selbstständiger ein Muskel¬
mechanismus wird, desto mehr wird seine centrale Innervation ausschliesslich in
eine Hemisphäre lokalisiert. Mann»), der verdienstvolle Schüler Wernicke’s, hat
nun durch eingehende Untersuchungen über die Vertheilung der Kontrakturen
an der oberen Extremität nachzuweisen versucht, dass bei der Hemiplegie nicht
einzelne Muskeln, sondern ganze Muskelmechanismen, d. h. funktionell zusammen¬
gehörige, eine physiologische Bewegungseinheit darstellende Muskelkomplexe gelähmt
werden, während andere intakt bleiben. Kontrakturiert sind nach seiner Anschauung
nur die nicht gelähmten Muskeln, während die gelähmten eine normale oder
sogar gesteigerte passive Beweglichkeit haben.
Die Hauptstützen seiner Theorie lassen sich in folgende Sätze zusammenfassen:
In der Hirnrinde sind die synergischen Bewegungsmechanismen bereits präfomiert
Die centrale Stätte eines solchen präformierten Mechanismus enthält nicht nur das
Erregungscentrum für die zugehörigen Muskeln, sondern auch das Hemmungscentrum
für deren Antagonisten. Die erregenden (bewegenden) Fasern für eine Muskelgruppe
fallen nun mit den hemmenden (erschlaffenden) für ihre Antagonisten zusammen. In
der von den genannten Rindencentren ausgehenden Pyramidenbahn verlaufen somit
zwei Fasersysteme: 1. Die Hemmungsfasern für die Strecker mit den Er¬
regungsfasern für die Beuger, und 2. die Hemmungsfasern für die Beuger
mit den Erregungsfasern für die Strecker. Bei der Hemiplegie sind nun
nach Mann’s Auffassung gewisse Muskeln gelähmt infolge des Ausfalls ihrer Er¬
regungsfasern und zugleich ihre Antagonisten in Kontraktur, weil gleichzeitig mit
den erregenden Fasern jener die Hemmungsfasern dieser unterbrochen sind. Für die
Antagonisten sind somit die erregenden Fasern erhalten und die hemmenden weg-
i) Ueber die Leitung der Erregung von den GrosshirnhemisphSren zu den Extremitäten.
Pflüger’s Archiv für die gesammte Physiologie. Bd.36.
*) Note sur l'Otat des forces chez les hfmiptegiques. Archiv de neurol. 1882.
3) Ueber das Wesen und die Entstehung der hemiplegischen Kontraktur. Berlin 1898 bei Karger.
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553
Uebcr die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc.
gefallen, während für die Agonisten gerade umgekehrt die motorischen Fasern er¬
loschen und die erschlaffenden vorhanden sind. Das Resultat ist daher Hypertonie
gleich Kontraktur der nicht gelähmten Antagonisten und Atonie der Agonisten.
Zum Zustandekommen der Hypertonie ist nach Mann die Intaktheit der willkürlichen
Bewegungsbahn = Pyramidenbahn uothwendig. Die motorische Zelle des Rücken¬
marks ist nach Mann nur dann im stände, den Reflextonus zu übermittelnwenn
sie durch den ihr zugehörigen Pyramidenbahnantheil in ungestörter Weise mit den
motorischen Rindencentren verbunden ist.
Diese von Mann aufgestellte, so geistvolle Hypothese, welche der bereits
von Delpech aufgestellten antagonistischen Theorie ähnelt, wird jedoch durch
eine kritische, anatomische und klinische Untersuchung erschüttert. Von vorn¬
herein erscheint es wenig wahrscheinlich, dass bei einer über Facialis,
Hypoglossus, Accessorius, Arm und Bein ausgebreiteten Lähmung in der
Regel nur bestimmte Fasersysteme gelähmt, bestimmte erhalten werden,
zumal beide nahe bei einander in der inneren Kapsel verlaufen. Für die
obere Extremität müssten darnach die motorischen Fasern der Beuger erhalten, die der
Strecker gelähmt sein, während die erschlaffenden sich gerade umgekehrt verhalten.
An der unteren Extremität wären wieder nur die Beugefasern gelähmt, die Streck¬
fasern erhalten. Das Komplizierte und Gezwungene dieser Anschauung tritt noch
deutlicher hervor, wenn man sich die anatomischen Befunde vor Augen hält.
Mann nimmt eine partielle Intaktheit der Pyramidenbahn bei der Hemiplegie
an. Thatsächlich kommt es aber nur bei dem Ausfälle der Pyramidenbahn zur
Kontrakturbildung; mit der Ausdehnung der zerstörten Region im Verlaufe der
Pyramidenbahn wächst die Lähmung und synchron die Kontraktur. Nach Mann’s
Ansicht sollte ja gerade bei geringer Parese der Beuger die Kontraktur am stärksten
sein; es verhält sich gewöhnlich gerade umgekehrt. So konnte Monakow Kontrakturen
Lei vollständiger Resorption einer oder beider Pyramidenbahnen nachweisen. Ich
glaube daher zu der Behauptung berechtigt zu sein, dass gerade die Leitungs¬
unterbrechung der Pyramidenbahn mit einer Aufhebung der von der Rinde
aus regulierten Hemmungen vergesellschaftet ist; sie führt zu einer Hyper¬
tonie der Agonisten und der Antagonisten.
Der normale Muskeltonus stellt einen reflektorischen Vorgang dar. Er ist ab¬
hängig von der gleichzeitigen Integrität des spinalen und des spinocebralen Reflexbogens.
Bei Unterbrechung des ersteren (Tabes dorsalis) kommt er zur Abnahme des Muskel-
«tonus; Hypotonie geht in der Regel mit Fehlen der Sehnenreflexe einher. Bei
Unterbrechung des spinocerebralen und Intaktheit des spinalen Reflexbogens kommt
es zum Ausfälle der cerebralen Hemmungsimpulse. Hypertonie und Steigerung
der Sehnenreflexe sind der klinische Ausdruck des Wegfalles derjenigen
motorischen Impulse, welche normaler Weise von der Hirnrinde auf der cerebralen
Pyramidenbahn bis zu den intakten Vorderhornzellen verlaufen.
Thatsächlich verhalten sich im Einklänge mit dieser Anschauung sämmtliche
paretischen Muskeln, sowohl die Agonisten als auch die Antagonisten gleich; ihre
mechanische und elektrische Erregbarkeit, desgleichen die Sehnenreflexe sind ge¬
steigert. Im Gegensätze zu Mann behaupte ich somit, dass die Parese mit
Hypertonie einhergeht; beide sind das Resultat der Leitungsstörung in der
Pyramidenbahn. Die Ursache der dissociierten Lähmung liegt nicht in dem
Wegfalle der erschlaffenden Impulse für die Agonisten und dem kontrahierenden für
die Antagonisten, sondern in der dissociierten Muskelanordnung. Die Einzel-
Zoitschr. f. diät. u. pliysik. Tlu*rapio. I3d. V. lieft 7. ;*£
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554 Paul Lazarus
muskeln gruppieren sich je nach den Hauptbewegungsfunktionen in einzelne Systeme,
z. B. Arabeuger und Arastrecker, Oeffner und Schliesser der Hand etc. Jene Muskel¬
komplexe, welche schon unter normalen Verhältnissen ein funktionelles Uebergewicht
besitzen, sind auch an motorischer Kraft und Masse ihren Antagonisten überlegen.
Die Armbeuger sind kräftiger und voluminöser als die Armstrecker, desgleichen die
Handschliesser stärker als die Handöffner. Setzen wir z. B. die motorische Kraft
eines Muskels von der Faserzahl 100 gleich 100 Krafteinheiten, so beträgt sie bei
einem aus 300 Fasern bestehenden Muskel dreimal so viel. Hand in Hand mit der
Steigerung der Muskelkraft geht auch eine Erhöhung des Muskeltonus einher; bereits
unter normalen Verhältnissen wird der Arm in der Regel leicht gebeugt und die
Finger werden leicht flektiert gehalten.
Ist nun infolge einer Zerstörung der cerebralen Pyramidenbahn eine Parese und
Hypertonie eingetreten, so verhalten sich beide proportional den physiologischen Ver¬
hältnissen. Sinkt die motorische Kraft auf Vs der ursprünglichen Stärke, so würde
das Verhältniss zwischen Agonisten und Antagonisten in dem oben genannten Falle
sich wie 100:33 verhalten. Da es jedoch gleichzeitig zu einer Steigerung des Reflex¬
tonus kommt, so werden die stärkeren Agonisten ein Plus an Tonus, die schwächeren
Antagonisten ein relatives Tonusdefizit haben. Beide haben einen gesteigerten Tonus,
aber ihr relatives Verhältniss beträgt 3:1.
Die Kontraktur wird sich daher in jenen Muskelgruppen ausbilden, welche das
relative Uebergewicht an Kraft und Tonus haben. Jene Muskelgruppen, welche
einander funktionell das Gleichgewicht halten, z. B. die Ulnar- und Radialflexoren
der Hand, werden daher auch im hypertonischen Zustande einander äquivalent sein;
ausgenommen bei kompletter Paralyse, wo die Hand der Schwere nach ulnarwärts
sinken kann. Je vollständiger die Parese, desto stärker die Kontraktur.
Bei totaler Zerstörung der inneren Kapsel erfolgte komplette Paralyse des kontra¬
lateralen Armes, und es entwickelt sich der höchste Grad hemiplegischer Kontraktur.
Auch bei dieser ist der Arm im Ellenbogengelenke nur rechtwinklig geb'eugt; wären
nach Mann’s Anschauung die Strecker erschlafft und gelähmt, die Beuger ungehemmt
und innerviert, so müsste eine spitzwinkelige Kontraktur resultieren. Die Hypertonie
der Strecker verhindert jedoch eine weitere Zunahme der Beugekontraktur.
Aber auch die kontrakturierten Muskeln zeigen keine Spur aktiver Beweglich¬
keit; gelingt es, nach Ueberwindung des mächtigen Tonus die Hand zu öffnen, so fällt
sie wie eine elastische Feder sofort in die Schliessstellung zurück. Der Kranke ist hei
grössterWillensanspannung nicht im stände, diese Bewegung aufzuhalten. Bei partieller
oder ungleichmässiger Destruktion der cerebralen Pyramidenbahn werden sich natürlich
Abweichungen von dieser Regel ergeben. Bei mittleren Graden von Parese gelingt es
theils durch gymnastische Bewegungen, theils im warmen Bade oder durch Näherung
der Ansatzpunkte der kontrakturierten Muskeln, vorübergehend deren Hypertonie¬
plus zu lösen; in diesem Zustande gelingt es den Patienten aktiv die Antagonisten
zu strecken. Am raschesten wird durch Schüttelung des Handgelenkes die Beuge¬
kontraktur der Finger behoben; während der nächsten Phase gelingt es nun dem
Patienten die Finger zu strecken, bald gewinnt jedoch die Hypertonie der Beuger das
Uebergewicht und die Finger fallen wieder rein passiv in die Schliessstellung zurück.
Auch bei der Beugung des vorher gestreckten Armes erfolgt seitens des Triceps ein
gewisser Widerstand; ein Beweis, dass auch die Strecker hypertonisch sind.
Aus diesen Versuchen geht ferner der hemmende Einfluss der Hypertonie
hervor. Dieselbe ist das H aupthinderniss für die willkürliche Bewegung.
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555
Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc.
Gelänge es, dieselbe zu beseitigen, so bliebe blos die Muskelparese zurück, welche
eine, wenn auch verminderte Aktionsfähigkeit der erkrankten Muskelkomplexe er¬
möglichen würde. Die erste Aufgabe bei der Behandlung der^Hemiplegiker
ist somit die Verhütung der Kontraktur. Bei den leichten Formen der
Hemiplegie übernimmt die Natur diese Aufgabe; die Leitungsunterbrechung in der
inneren Kapsel wird wieder ausgeglichen und die Verbindung zwischen Hirnrinde
und Vorderhörnern wieder hergestellt, so dass nur eine ganz geringe Parese restiert.
Bei den mittleren Graden der Hemiplegie muss unsere Aufgabe darin bestehen,
der Hypertonie der kräftigeren Muskeln entgegenzuarbeiten und ihre
Antagonisten zu kräftigen. Bevor man an die Lösung dieser Aufgabe geht,
muss man über die gewöhnliche Vertheilung der Kontrakturen orientiert sein. An
der oberen Extremität nimmt die Parese und Kontraktur distalwärts zu. Es stehen
einander folgende Mukclkomplexe als Agonisten und Antagonisten gegenüber (i. C.
= bei der gewöhnlichen Hemiplegie meist in Kontraktur).
Im Schultergelenke:
I. Abduktion des Oberarmes: Adduktion des Oberarmes (i. C.):
Deltoides (Nerv, axillaris)
Scrratus anticus major (X. thoracic, long.)
Supraspinatus (X. Buprascapul.).
II. Elevation nach vorne:
Deltoides (vordere Partie)
Coracobrachialis (N. musculo-cutan.)
Biceps (N. musculo-cutan.)
Serratus anticus major
Pectoralis major.
III. Rotation nach innen (i. CV):
Subscapularis (X. subscapul.)
Pectoralis major
Teres major.
Pectoralis major (Nerv, thorac. anter.)
Latissimus dorsi (X. subscapul.)
Infraspinatus (N. suprascapul.)
Teres major (N. subscapul.)
Subscapularis Triceps.
Elevation nach rückwärts:
Deltoides (rückwärtige Partie)
Teres major.
Rotation nach aussen:
Infraspinatus (N. suprascapul.)
Teres minor
Supraspinatus (N. suprascapul.).
Im Ellbogengelenke:
I. Streckung des Vorderarmes:
Triceps (N. radialis)
Anconaeus (N. radialis).
Beugung des Vorderarmes (i. C.):
Biceps (N. musculo-cutan.)
Brachialis (N. musculo-cutan.)
Brachioradialis (N. radialis).
Pronator teres (beugt und proniert)
Extensor carpi radialis longus.
II. Supination:
Supinator brevis (X. radialis)
Biceps (halbe Supination).
Im
I. Streckung:
Extensor carpi radialis longus et
(X. radialis)
Extensor carpi ulnaris (N. radialis)
Extensor digitor. communis.
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Pronation (i. C.):
Pronator teres (N. medianus)
Pronator quadratus (N. medianus)
Brachioradialis (Mittelstellung zwischen
Pro- und Supination)
Flexor carpi radialis (N. medianus).
II andgelenke:
Beugung (i. C.):
brevis M. palmaris longus (N. medianus)
M. flexor carpi radialis (X. medianus)
M. flexor carpi ulnaris (X. ulnaris).
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Ulnarflexion:
556
II. Radialflexion:
Extensores carpi radialis (X. radialis)
Flexor carpi radialis (N. medianus).
Bewegungen
I. Strecker:
Extensor digitor. communis (N. radialis)
Extensor digiti quinti proprius (N. radialis)
Extensor indicis proprius (N. radialis).
II. Abduktion:
Interossei dorsales (X. ulnaris)
Lumbricales.
Bewegungen
I. Streckung:
Extensor pollicis longus (X. radialis).
Extensor pollicis brevis (N. radialis).
II. Abduktion:
Extensor pollicis brevis (X. radialis).
Abductor pollicis brevis (X. medianus).
Extensor carpi ulnaris (N. radialis
Flexor carpi ulnaris (X. ulnaris).
der Finger:
Beuger (i. C.):
Flexor digitorum sublimis (beugt die 2. Pha¬
lanx des 2.-5 Fingers (N. medianus)
Flexor digitorum profundus (beugt die
3. Phalanx des 2.-5. Fingers; X. ulnaris
und X. medianus)
Interossei volares et dorsales (X. ulnariv
beugen die erste Phalanx und strecken
die 2. und 3. Phalanx; desgleichen die
Lumbricales (N. medianus und ulnaris.
Ad duktion:
Interossei volares (X. ulnaris).
des Daumens:
Beugung (i. C.):
Flexor pollicis longus (N. medianus)
Flexor pollicis brevis (X. ulnaris et uied.
A d d u k t i o n (i. C.):
Adductor pollicis (N. ulnaris).
Opposition:
Abductor pollicis longus (X. radialis)
Abductor pollicis brevis (X. medianus.
Opponens pollicis (N. medianus).
Bewegungen des fünften Fingers (s. auch Bewegungen der Finger).
I. Streckung:
Extensor digiti V proprius (X. radialis).
II. Abduktion:
Abductor digiti V (X. ulnaris).
Beugung (i. C.):
Flexor digit. sublim, et profundus
Flexor digiti V brevis (X. ulnaris'.
Adduktion:
Interosseus volaris.
Opposition:
Opponens digiti V (X. ulnaris).
An der unteren Extremität verhalten
folgendermaassen:
Bewegungen im
I. Streckung:
Glutaeus maximus (N. glut. inf.)
ßiceps femoris (caput longum: X. tibial;
caput breve: N. peronaeus com.)
Seraitendinosus (X. tibialis)
Semünembranosus (X. tibialis).
sich die Agonisten zu den Antagonisten
Hüftgelenke:
Beugung:
Ileopsoas (rarai muscul. plex. lumbal.' 1
Iiiacus (rami muscul. X. femoral.
Tensor fasciae latae (N. glutaeus sup.i
Sartorius (X. femoralis)
Pcctineus (X. femoralis)
lteetus femoris (X. femoralis).
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II. Abduktion:
lieber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc.
Glutaeus medius (mittlere Portion) (N. glut.
aup.)
Glutaeus minim. (X. glut. sup.).
III. Aussenrotation:
Piriformis (rami muscul. plex. ischiadici)
Gemellus super et inf. (N. tibial.)
Obturator, int. et ext. (N. tibialis bezw.
X. obturator.)
Quadratus femoris (X. tibialis)
Ileopsoas
Iliacus
Pectineus
Adductores.
557
Adduction (i. C.):
Pectineus (N. femoralis)
Gracilis (N. obturator.)
Adductor magnus, longus, brevis et ini-
nimus (N. obturator.)
Quadratus femoris.
Innenrotation:
Tensor fasciae latae
Glutaeus medius (vordere Portion).
Bewegungen im Kniegelenke:
I. Streckung (i. C.):
Quadriccps femoris (N. femor.).
II. Auswärtsrollung:
Biceps.
Beugung:
Sartorius (gleichz. Beuger d. Oberschenkels)
Semitendinosus t ,
0 . , gleichz. Strecker des
Semimembranosus > ” _, , , .
I Oberschenkels
Biceps )
Gracilis (gleichz. Adductord. Oberschenkels)
Popliteus (N. tibialis).
Einwärtsrollung:
Sartorius
Gracilis
Semitendinosus
Semimembranosus
Popliteus.
Bewegungen im
I. Dorsalflexion:
Tibialis anterior (N. pcron. prof.)
Extensor digit longus (X. peron. prof.)
Peronaeus tertius (N. peron. prof.)
Extensor hallucis longus (X. peron. prof.).
II. Abduktion:
Peronaeus brevis (X. peron. superf.)
III. Pronation:
Extensor digit. long.
Peronaeus longus, brevis et tertius.
Sp runggelenke:
Plantarflexion (i. C.):
Triceps surae (gastrocnemius et soleusi
(X. tibialis)
Plantaris (X. tibialis)
Peronaeus longus (N. per. superf.)
Flexor digitor. long.
Flexor hallucis long.
Tibialis poster.
A dduktion:
Tibialis posterior (X. tibialis).
Su pination:
Tibialis anterior et posterior
Flexor digitor. long. (X. tibialis)
Flexor hallucis long. (N. tibialis)
Extensor hallucis long. (X. peron. prof.).
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Paul Lazarus
Bewegungen
I. Streckung:
Extensor digitorum longus
Extensor digitorum brcvis (N. pcron prof)
Extensor hallucis longus
Extensor hallucis brevis (N. pcron. prof ).
II. Abduktion:
Interossci dorsales
Abductor hallucis (X. plant, nied.).
Abductor digiti V (X. plant. later.).
der Zehen:
Beugung:
Flexor digitor. longus
Flexor digitor. brevis (X. plant, med. zirLt
die 2. Phalanx der 2.—5. Zehe plantar-
wärts)
Flexor hallucis longus
Flexor hallucis brevis (X. plantares)
Flexor digiti quinti (X. plant, later.)
Interossei dorsales et plantares l.umbri-
cales (beugen die Grundphalanx und
strecken die Endphalanx) innerviert v.
N. plant later, und med.
Quadratus plantae (zieht die 3. Phalanx der
2.-5. Zehe plantarwärts) (X plant later..
A dduktion:
Interossei plantares
Adductor hallucis (N. plant, later.)
Lumbricales.
Aus dieser Zusammenstellung geht das ungleichmässige Verhältniss zwischen
den Agonisten und den Antagonisten hervor. An der unteren Extremität, welche
nach den obigen Ausführungen mit beiden Hemisphären verknüpft ist, erreicht die
Kontraktur niemals jene extremen Grade, wie am fast ausschliesslich einseitig inuer-
vierten Arm.
Selbst die einfachsten Bewegungen sind die Resultanten aus einer Anzahl von
Muskelkomponenten. In der Hirnrinde befinden sich demgemäss nicht die Centren für
die Einzelmuskeln und Einzelneren, sondern für die funktionell aneinandergeketteten
Muskelkomplexe. Ein Nervenstamm versorgt ja oft in ihrer Funktion ganz ver¬
schiedene Muskeln; ein Muskel kann desgleichen durch Kontraktion seiner ver¬
schiedenen Abschnitte verschiedene Wirkungen entfalten. Jene Muskelmechanismen.
welche bereits unter normalen Verhältnissen dujrcli die Synergie
kräftigerer Muskelkomponentcn zu stände kommen, werden naturgemäß
auch im paretischen Zustande ein gewisses Plus an Kraft und Hypertonie
gegenüber ihren schwächeren Antagonisten besitzen. Umgekehrt wird das relative
Kraft- und Tonusdefizit der Antagonisten ihren Agonisten ein funktionelles l'eber-
gewicht verschaffen, welches zunächst als Kontraktion zum Ausdrucke kommt.
Die temporäre Kontraktion geht allmählich in die stationäre Kontraktur über,
welche im Laufe der Zeit zur Retraktion der verkürzten Muskeln führt. Die gesetz-
mässige Anordnung der hemiplegischen Kontraktur korrespondiert daher mit dem
physiologischen Uebergewichte gewisser agonistischer Bewegungs¬
funktionen über ihre antagonistischen. Die »ungleichmässigez Vertheilmm
von Parese und Hypertonie hängt somit mit der physiologischen Inäqualität der
einzelnen Muskelkomplexe zusammen.
II. Therapeutischer Theil.
Der Behandlung der Kontraktur muss eine detaillierte Untersuchung des
Muskelsystems vorangehen; man muss sich darüber klar sein, welche Muskeln
paralytisch, welche parctisch und welche erhalten sind. Die erhaltenen worden
zu kompensatorischen Hebungen herangezogen, die paretischen gestärkt
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lieber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc. 559
und die paralytischen eventuell durch die Wirkung von Apparaten
(elastische Züge) substituiert.
In erster Linie muss aber der Entstehung der Kontrakturen entgegengearbeitet
werden, denn diese sind als das Haupthinderniss der aktiven Bewegungsfähigkeit
anzusehen. Die Kontraktur beraubt einen nur paretischen Muskel voll¬
kommen jeder Aktionsfähigkeit, während er bei annähernd normalem Tonus
noch funktionieren könnte.
Durch präventive Uebungen ist die Verhütung der Kontrakturen möglich. Das
Hauptpostulat ist ein möglichst früher Beginn der Behandlung. Die
Wiederkehr des Sensoriums gilt als Zeitpunkt für das Einsetzen der Therapie. Die¬
selbe besteht in der ersten Zeit nur im passiven Positionswechsel der ge¬
lähmten Extremitäten. In methodischer Weise, mit Zartheit und Vorsicht,
werden die letzteren von Stunde zu Stunde abwechselnd gelagert. Kein Gelenk,
keine Muskelgruppe wird übersprungen. In erster Linie werden jene Positionen
berücksichtigt, welche den typischen, hemiplegischen Kontrakturen antagonieren:
Uebungen der Antagonisten. Die Schulter wird gehoben, da meist die Senker
des Schulterblattes (Pectoralis, major et minor, Latiss. dorsi) in Kontraktur ge-
rathen. Der Oberarm wird im Schultergelenke abduciert, nach aussen rotiert,
nach vorn und rückwärts eleviert. Das Ellenbogengelenk wird gestreckt und
supiniert. Hand- und Fingergelenke werden gestreckt, der Daumen wird
extendiert und abduciert. Jedes Fingergelenk wird einzeln vorgenommen.
An der unteren Extremität wird der Oberschenkel im Hüftgelenke ge¬
beugt, nach aussen rotiert und abduciert. Das Kniegelenk wird gebeugt, das Fuss-
gelenk dorsalflektiert und proniert. Der Fuss speziell, welcher infolge der Schwere
zur Plantarflexion tendiert, soll in der Dorsalflexion durch ein Sandpolster fixiert
werden. In der Schwere liegt bekanntlich ein unterstützendes Moment für die Ent¬
wickelung der Flexionskontraktur.
Diese Bewegungen werden allmählich und zart bis zu den äussersten Grenzen
der normalen Exkursionsfähigkeit ausgedehnt; ein brüskes Vorgehen verstärkt die
Kontraktion oder löst sie erst aus. Die Bewegungen werden entweder in einem
Gelenke allein oder gleichzeitig in alleu Gelenken der Extremität vorgenommen,
z. B. Abduktion des vollständig im Ellbogen-, Hand- und Fingergelenken gestreckten
Armes; Flexion im Hüft-, Knie- und Sprunggelenke. In den genannten Positionen
können die Gliedmaassen durch Polster oder Sandkissen fixiert werden, eventuell
können Arm und Hand auf ein Tischchen oder über Nacht in Hyperextension auf eine
dorsalwärts gebogene Volarschiene gelagert werden.
Für die weitere Behandlung lassen sich nun folgende allgemeine Sätze geben,
welche nicht als Schema zu gelten haben, sondern von Fall zu Fall individualisiert
werden''müssen. Es ist klar, dass ein Fall, bei dem das Sensorium vollständig frei
ist und die Lähmungserscheinungen bereits in der ersten Woche zurückgehen, zu
einem kühneren Vorgehen ermuthigt, als ein Casus gravis, der mit langdauernder
Bewusstlosigkeit, vollständiger Paralyse oder Fieber einhergeht.
Für mittelschwere Hemiparesen beginnen wir, falls keine Kontraindikation vor¬
liegt, nach Ablauf der ersten Woche der »antagonistischen Positionswechsel«
mit Massage und passiven Bewegungen. Die Massage wird an Muskeln und
Gelenken in Form leichter Effleurage, Petrissage und des Tapotements, an den
Nervenstämmen in Form der Friktion und Vibration zur Anwendung gebracht. Die
passiven Bewegungen müssen mit grosser Zartheit und systematisch ausgeftthrt
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560 Paul Lazarus
werden, am besten zweimal täglich während 10—15 Minuten; sie werde in sämmt-
lichen Gelenken isoliert und gemeinsam (z. B. Armkreisen, Beinkreisen) vorgenommen
mit besonderer Berücksichtigung der Antagonisten. Die passive Gymnastik ist hei
der Behandlung der Hemiplegie viel höher zu stellen als die Massage; durch sie
wird der Kontraktur und der Inaktivitätsatrophie energischer entgegengearbeitet,
sowie die Lymph- und Blutzirkulation gefördert.
Allmählich geht man nun in den nächstcnWochen, falls Jeeine Komplikation bestellt,
zu aktiven Uebungen über. An erster Stelle sind Erschlaffungsübungen vor¬
zunehmen. Bubnoff und Heidenhain’) haben die Existenz von Hemmungsapparaten
innerhalb der motorischen Hirncentren experimentell nachgewiesen. Die durch starke
Rindenreizung erzielte Kontraktion eines Extremitätenmuskels konnten sie durch
schwache Reizung derselben Rindenstelle aufheben. E. Hering und Sherringtono
konstatierten am Affengehirn, dass die Kontraktion eines Muskels mit Erschlaffung
seines Antagonisten einhergeht. Durch schwache Reizung einer bestimmten Rindenstelle
wurde z. B. eine Erschlaffung des Biceps hervorgebracht; auf Verstärkung des Iteizes
an der gleichen Stelle erfolgte Kontraktion des Triceps und Erschlaffung des Biceps.
In ähnlicher Weise Hess sich eine Kontraktion des Biceps und Erschlaffung des
Triceps von einer 1 cm entfernt liegenden Stelle erzielen.
Aus diesen gelungenen Experimenten kann man auch für das Menschengehirn
den Schluss ziehen, dass schwache Rindenreizung zur Erschlaffung, starke zur
Kontraktion führt. Diese Rindenerregung übernimmt beim Menschen der Wille; falls
die motorische Willensbahn (Pyramidenbahn) noch nicht vollständig zerstört ist. so
können die Willensimpulse zu den paretischen Muskelgruppen gelangen. Paul Jacob
hat mit Recht in seiner neuesten Arbeit (Uebungstherapie, Handbuch der physikalischen
Therapie von Goldscheider und Jacob 1901. Theil 1. Bd. 2) auf die grosse Be¬
deutung des Willens bei der bahnenden Uebungstherapie hingewiesen. I)cr Wille
versetzt die motorischen centralen Neurone in Erregung, welche bei leitungsfähiger
Pyramidenbahn in lebendige Bewegung übertragen wird. Auf die Reaktivierung
der Willensimpulse und ihre Uebertragung in die zentrifugale Leitungs¬
bahn muss daher ein grosses Gewicht gelegt werden. Fasst man nach den
obigen Ausführungen die Kontraktur als Hypertonie der Muskulatur auf, so mus>
man ihr durch Uebungen im Sinne der Atonie (atonische Gymnastik) ent¬
gegenarbeiten. Zu diesem Zwecke fordert man den Kranken auf, den Arm oder
das Bein zu erschlaffen, sie weich, schlottern oder einschlafen zu lassen. Auf diese
Weise kann es manchen Kranken besonders in Ruhelage mit geschlossenen Augen
gelingen, sogar die bereits ausgebildete Kontraktur vorübergehend aktiv zu lösen.
Diese Erschlaffungsübungen, welche, nach den Thierexperimenten zu schliessen,
schwachen Rindenerregungen entsprechen, verdienen namentlich bei der prophylak¬
tischen Behandlung der Kontrakturen genaue Berücksichtigung.
Von grosser Bedeutung bei der Verhütung der Kontrakturen sind die auto¬
passiven Bewegungen; darunter sind jene passiven Bewegungen der gelähmten
Seite zu verstehen, welche der Kranke mit Zuhülfenahme der gesunden Extremitäten
vollführt, im Gegensätze zu den von einer zweiten Person geleiteten hetero-
>) Ueber Erregung»- und Hcnunungsvorgäuge innerhalb der motorischen Hirncentren. Archiv
für die gesummte Physiologie Bd. i’O.
-i Ueber Hemmung der Kontraktion willkürlicher Muskeln bei elektrischer Heizung derHrnss-
himrinde. Archiv für die gesammto Physiologie 1S'.»7. Bd. (iS.
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Uober die Theorie der hciuipk-gischcn Kontraktur ete.
r»i;i
passiven Bewegungen. Die aktive, gesunde Seite übernimmt somit die
Führung der gelähmten.
Zu diesem Behufe lasse man vorerst die Hände mit gespreizten Fingern in-
einanderfalten und hierauf überstrecken; durch diese Hebung gelingt es dem
Patienten, die Handgelenke und sämmtliche Fingergelenke zu hyperextendieren.
Auf diese Haltung folgt nun die Erhebung der Arme bei gestreckten Ellbogen und
verschränkten Händen. Pendelartig werden die Arme im Halbkreise von der Unter¬
lage über das Haupt geführt und jenseits desselben gesenkt. Diese Pendel¬
bewegungen, bei denen der gesunde Arm die Führung des kranken übernimmt,
werden nicht blos in sagittaler, sondern auch in frontaler und schräger Richtung
ausgeführt. In analoger Weise folgen nun Uebungen mit gebeugten Ellenbogen,
wobei die ineinandergefalteten Hände abwechselnd an verschiedenen Stellen des
Körpers, von der Symphysengegend bis zum Nacken, dirigiert werden. Unter Berück¬
sichtigung der im gewöhnlichen Leben gebräuchlichen Handgriffe (Hantierungen)
führt die gesunde Hand die gelähmte an die einzelnen Regionen des Rumpfes und
Hauptes (an Mund, Nase, Ohren, Stirn, Hinterhaupt etc.). Diese praktischen Uebungen
stellen bereits Resultate komplizierter, nervöser und muskulärer Mechanismen dar.
Ferner dehnt man derartige Uebungen auch auf die untere Extremi tät aus;
der Kranke schiebt das gesunde unter das gelähmte Bein und versucht nun, letzteres
zu heben. Man kann auch durch einfache Bindentouren um die Fussrücken und die
Mitten der Ober- und Unterschenkel das kranke an das gesunde Bein fixieren,
welches nun bei Bewegungen im Hilft-, Knie- und Sprunggelenke die andere
Extremität mitnimmt.
Durch diese einfachen Uebungen reaktiviert der Kranke am besten die
Innervation und Mobilität der gelähmten Extremitäteu. Allmählich ge¬
winnt nun die untere Extremität einen Theil ihrer Mobilität wieder, so dass man
mit ihr auch rein aktive Bewegungen vornehmen lassen kann.
In erster Linie sind natürlich Gehbewegungen im Liegen zu üben. Man lässt
den Kranken taktmässig das Bein erheben und senken oder in vier Takten das Bein
erheben, im Kniegelenk frei abbiegen und strecken und wieder senken. Ebenso wird
das Sprunggelenk aktiv geübt (Tretbewegungen). Die Kranken lernen auf diese Weise
rasch das »Gehen im Bette«. In der fünften Woche kann man nun einen mittel-
schweren Fall einer Hemiplegie, wenn seitens des Cercbrum oder der inneren Organe
keine Kontraindikation vorliegt, aus der Rückenlage in die sitzende und aus einer Seiten¬
lage in die andere bringen lassen. Um diese Zeit ist ein eventueller Bluterguss, falls es
sich um eine Apoplexie handelt, gewöhnlich durch die reaktive, periphere Entzündung
bereits abgekapselt. Falls es sich um eine Thrombose handelt, könnte man noch
früher die Herstellung des kollateralen Kreislaufes durch eine passende Kopflagerung
befördern. Da man aber nur selten die Differentialdiagnose mit apodiktischer
Sicherheit stellen kann, wird man gut thun, hei einer schweren Hemiplegie den
Kopf nicht vor Ablauf von vier Wochen erheblicheren Lageveränderungen zu unter¬
ziehen. Falls der Kranke das Aufsitzen im Bette verträgt, so wird er weiterhin an¬
gewiesen, mit den über den Bettrand hinaushängenden Unterschenkeln abwechselnd
Gehbewegungen auszuführen. Dieses »Gehen im Sitzen« wird weiterhin auch
ausserhalb des Bettes geübt, indem der Kranke mit Vorsicht in einen Stuhl gesetzt
wird, mit der Weisung, mehrmals täglich — kurz und oft — zu üben. Allmählich
geht man auf dieser »Uebungsleiter: eine Stufe weiter und lässt den Kranken in
aufrechter Haltung methodische Steh- und Gehübungen vornehmen. Zu letzterem
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56- Paul Lazarus
Zwecke wurde mit grossem Vortheile der nach den Angaben v. Leyden’s und
Jacob’s konstruierte Gehstuhl benutzt. Der Patient stützt sich mit einem oder
beiden Armen auf dessen Holme, wodurch die Beine von der Last des Oberkörpers
theilweise befreit werden und nun ihre Evulutionen ausführen können.
Allmählich geht man nun zu Freiübungen über. Der Arzt tritt hinter den
Kranken und unterschiebt seine Arme unter dessen Achseln; beide schreiten nun
gleichzeitig aus, wobei der Arzt mit seinen Fussspitzen die Gehbewegungen des
Kranken dirigiert. Der letztere lernt nun weiterhin das Gehen bei eingehängtem
Arme oder an der Hand des Arztes; allmählich vermag er nur mit Stockstütze und
schliesslich ganz selbstständig zu gehen. Auch vorsichtige Uebungen auf dem von
Jacob konstruierten und von mir modifizierten stationären Fahrrade bahnen in
trefflicher Weise die Restitution normaler Gchbewegungen an.
Auch am Arme kann man die aktiven Uebungen mit passiver Unterstützung
kombinieren. Man fordert z. B. den Kranken auf, den Arm zu beugen; während der
Kranke seinen Willen auf die paretischen Muskeln konzentriert, unterstützt man
letztere durch leichte Hebung des Unterarmes.
Es ist zweckmässig, diese Uebungen am Morgen vorzunehmen, weil sich
die Kontrakturen im Schlafe grösstenteils lösen und die Glieder nach dem Erwachen
noch geschmeidig sind.
Auf die Behandlung der Inaktivitätsatrophie und der Lähmungen, desgleichen
auf die von v. Leyden und seinen Schülern Goldscheider und Jacob inaugurierte
bahnende Uebungstherapie komme ich in einem demnächst erscheinenden Aufsätze
zurück.
Die Prophylaxe der Kontraktur ist auch deshalb von so grosser Wichtigkeit,
weil die Parese mitunter vergehen kann und die Kontraktur bestehen
bleibt. Die im Gefolge der letzteren sich einstellenden konsekutiven Veränderungen
(Retraktion) können zur Fixierung der Extremität in der kontrakturierten Stellung
und zu intensiven Schmerzempfindungen bei jedem Bewegungsversuche führen, wo¬
durch eine Lähmung vorgetäuscht wird.
Ein derartiger Fall von best eilen der Kontraktur und I inmobilisation trotz
grösstentheils ausgeglichener Parese sei in fragmentarischer Kürze geschildert:
Julius T., Bademeister, 49 Jahre alt, No. 1663/1901, aufgenommen am 15. Juni 1901.
Vor 7’/a Wochen bemerkte er morgens nach dem Erwachen, dass er seinen linken Arm
und sein linkes Bein nicht bewegen könne. Status praesens: Kräftiger Manu, Blick leer;
Patient ist zeitlich desorientiert, giebt oft verkehrte Antworten, klagt über diffuse Kopf¬
schmerzen. Cor: Spitzenstoss in der vorderen Axillarlinie; systolisches Geräusch über der
Aorta; die zweiten Töne sind an allen Ostien relativ verstärkt und rein. Puls: regel¬
mässig, weich, 96 in der Minute. Puls an der linken Radialis und Brachialis schwächer
als rechts; an den Carotiden und Fcmorales beiderseits gleich. Linke Pupille weiter als
die rechte, Reaktion prompt, Parese des linken Mundfacialis und Hypoglossus, Uvula
weicht nach links ab. Der linke Arm in Kontrakturstellung: der Oberarm an den Rumpf
adduziert, das Ellbogengelenk fast rechtwinklig gebeugt; die Finger frei beweglich. Bereits
geringe Bewegungsexkursionen, selbst das Umwenden des Unterarmes zum Pulsfühlen
äusserst schmerzhaft. Aktive Bewegungen werden überhaupt nicht ausgeführt. Beim
Gehen’wird das linke Bein etwas nachgeschleppt und cirkumduziert. Die motorische Kraft
des linken Armes und Beines beträchtlich herabgesetzt. Die Sehnen- und Muskelretlexe
sind links gesteigert.
24. Juni. Beginn der gymnastischen Uebungen; auto- und heteropassive Bewegungeu in
allen Gelenken, Massage und Faradisation der Muskeln, Uebungen am J acoh’schen Zitnroerrail.
27. Juni. Extensionsübungen der Gelenke, tlicils manuell, theils an Apparaten
(schwebende Ringe, Schweninger's Zugapparat).
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Uebcr die Theorie der hemiplegisclien Kontraktur etc. 5ß3
3. Juli. Patient kann den Arm im Schultergelenk bis zur Horizontalen erheben.
6. Juli. Bewegungsexkursion im Schultergelenke im Umkreise von 120 0 möglich.
10. Juli. Freie aktive Beweglichkeit des Armes und Beines, geheilt entlassen.
Als zwei weitere werthvolle Mittel zur Bekämpfung der Kontrakturen erwiesen
sich die warmen Bäder und die Elektrotherapie.
In dem warmen Bade lösen sich beginnende und junge Kontrakturen oft
wie mit einem Zauberschlage; die ersten Spuren der wiederkehrenden Beweglichkeit
kommen dabei zum Vorschein. Wir begannen bereits in der dritten Woche post
apoplexiam mit lokalen, täglichen Bädern (Armbadewanne), bis dahin be¬
schränkten wir uns auf tägliche Waschungen der gelähmten Körperhälfte mit
spirituösen Flüssigkeiten oder lauwarmem (20 0 R) Wasser; allgemeine Bäder soll
man nicht vor Ablauf von sechs Wochen post apoplexiam geben. Die Temperatur
des Wassers betrage 27® R; zweckmässig ist der Zusatz von Salz im Verhältniss
2 : 100. v. Leyden und Gold scheid er haben auf die grosse Bedeutung der
»Kinetotherapie« bei der Behandlung von Lähmungen hingewiesen. Durch den
Auftrieb des Wassers werden die gelähmten Gliedmaassen ihrer Schwere entlastet.
Das Eigengewicht der letzteren kann durch Erhöhung des spezifischen Gewichtes
des Wassers (durch Zusatz von Salz oder Soole) auf Null reduziert werden. Diese
Aequilibrierung verbunden mit der Lösung der Hypertonie bahnen nun der aktiven
Motilität den Weg; der erste Funke der wiederkehrenden Bewegungsfähigkeit leuchtet
im Bade auf. Zweckmässig werden daher systematisch sowohl passiv als auch aktiv
alle Muskeln und sämmtliche Gelenke in allen Exkursionen bewegt, besonders im
der Kontraktur entgegengesetzten Sinne (Wassergymnastik). Die Badedauer be¬
trage 1') Minuten.
In elektrotherapcutischer Beziehung verwendeten wir sowohl den gal¬
vanischen als auch den faradischen und den kombinierten Strom. Mit der
Elektrisation der gelähmten Glieder beginnt man frühestens in der zweiten Woche
nach dem Insulte, wenn die Allgemeinerscheinungen bereits völlig geschwunden sind.
Die hypertonischen Muskeln wurden sedativ behandelt; zu diesem Behufe
kommt der konstante Strom in Gebrauch. Der kontrahierte Muskel wurde sowohl
der stabilen als auch der labilen Anodenbehandlung unterworfen, während die Kathode
auf die antagonistische Muskelgruppe gesetzt wurde. Als Anodenelektrode benutzen
wir entweder eine runde, Hache Scheibe von 2—4 cm Durchmesser oder eine Walze.
Der kontrahierte Muskel wurde entweder an verschiedenen Stellen während einer bis
zwei Minuten unverrückt berührt oder in langsamen Tempo der ganzen Länge und
Quere nach bestrichen. Den Strom lässt man allmählich bis höchstens zwei Milli¬
ampere ansteigen und ebenso ausklingen.
Die Antagonisten unterzieht man natürlich einer erregenden
Methode. Zu diesem Zwecke verwendeten wir die Kathode als differenten Pol
und zwar gleichfalls stabil und labil, mit Berücksichtigung der erregbarsten Muskel¬
punkte. Man kann die Stromstärke bis zu sechs Milliampere steigern und die Reiz¬
wirkung durch häufiges Unterbrechen oder Wenden des Stromes verstärken. Mit
Vorliebe verwendeten wir aber zur Reizung der Antagonisten den Induktions¬
strom. Die indifferente Elektrode setzt man auf die Wirbelsäule oderauf das centrale
Muskelende und bestreicht mit der differenten, gut durchfeuchteten Platten- oder
Walzenelektrode den Muskel seiner ganzen Länge und Quere nach. Man verstärkt
den Strom bis zum Eintreten deutlicher Muskelkontraktionen und öffnet und schliesst
ihn bei dieser Stärke abwechselnd vermittelst der Unterbrecherelektrode.
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5(54
Paul Lazarus
Zur Erhöhung der Reizwirkung verwendeten wir mit Yortheil den kom¬
biniert galvano-faradischen Strom. Zu diesem Behufe verbindet man mittob
einer Leitungsschnur eine Polklemme des konstanten mit einer des Induktions¬
apparates, während die Elektroden an die beiden Testierenden Pole geschaltet
werden. Beide Stromarten treten nun in den Körper; der faradische, nachdem
er die galvanische Batterie und der konstante, nachdem er die Induktionsrolle
passiert hat. Für die Anwendung des galvano-faradischen Stromes ist insbesondere
de Watteville eingetreten. Die Wirkungen des faradischen Stromes werden
nach ihm durch die synchrone Kathodengalvanisation bedeutend erhöht, da sich
jene Stellen, welche faradisch gereizt werden, bereits in einem Zustande erhöhter
Erregbarkeit oder im Katelektrotonus befinden. Ausserdem soll das Eintreten der
Ermüdung oder Erschöpfung im Gefolge energischer Faradisation durch die muskel¬
erfrischende Wirkung des galvanischen Stromes verhindert werden. Die Kombination
beider Stromesarten soll ferner den anregenden Einfluss des intermittierenden, fara¬
dischen Stromes mit der »interstitiellen Elektrolyse« durch den gleichmässig fliessen¬
den galvanischen Strom verbinden. Man verwendet den kombinierten Strom in ähn¬
licher Weise wie den Einzelstrom. Die Unterbrechungselektrode (Kathode) wird auf
die Muskelreizpunkte gesetzt, der Strom allmählich bis zum Eintreten mässig kräftiger
Muskelzuckungen verstärkt und rythmisch geöffnet und geschlossen. Die Stärke des
galvanischen Stromes übersteige nicht drei Milliampere.
Auch die Kombination von Elektrizität und Massage kann mit Vortheil ver¬
wendet werden. Man bestreicht zu diesem Zwecke unter mässigem Drucke die
Muskulatur mit der walzenförmigen Elektrode; auch kann der Arzt seine eigene,
gut befeuchtete Hand zur Elektromassage benützen, wenn er die eine Elektrode
(Kathode) an der Vorderfläche seines Unterarmes fixiert oder in die andere Hand
nimmt, während die zweite Elektrode auf das Sternum des Patienten gesetzt wird.
Letzteres Verfahren hat noch den Vortheil, dass der Arzt durch sein Gefühl die
Stromstärke ermessen und demgemäss regulieren kann.
Einer besonderen Berücksichtigung bedarf die Hand; alle Einzelmuskeln
des Vorderarmes, ebenso die Interrossei und Lumbricales, sowie sämmtliche Daumen¬
muskeln müssen einer exakten elektrischen Behandlung unterzogen werden. Die Be¬
handlung vom Nerven aus empfiehlt sich nicht in jenen Fällen, bei denen der gleiche
Nerv Muskeln versorgt, die in ihrer Wirkung antagonieren. Hingegen soll auch vom
motorischen Nerven aus die Muskulatur erregt werden, wenn sich sein Wirkungs¬
gebiet auf synergischc Muskelgruppen erstreckt. Selbstverständlich werden auch
hierbei in erster Reihe die die Antagonisten versorgenden Ncrvenstämme sanunt ihren
Ausbreitungen bevorzugt. (Vergleiche die Zusammenstellung über die Bewegnngs-
funktionen). Die Technik ist die gleiche, wie sie oben für die direkte Muskel-
elektrisation beschrieben wurde. Die elektrische Behandlung kann täglich in der
Dauer von 10 — 15 Minuten vorgenommen werden.
Durch die methodische Anwendung der genannten Verfahren gelingt cs meist,
der Ausbildung der Kontrakturen vorzubeugen oder ihre extremen Grade, sowie die
bei älteren Kontrakturen nicht selten eintretende Schmerzhaftigkeit zu verhindern.
Weniger aussichtsvoll als die Prophylaxe ist die Behandlung der bereits
ausgebildeten Kontraktur. Auch hierbei kann man Massage, aktive und
passive Gymnastik, Ilydrogymnastik und elektrische Prozeduren kom¬
binieren, um dem verkürzten Muskel seine normale Länge, und ihm sowie dom
Antagonisten die Kontraktilität wiederzugeben.
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565
Ucbcr die Theorie der hemiplegischcn Kontraktur etc.
Ein selten versagendes Mittel zur vorübergehenden Resolution junger Kontrak¬
turen ist die Schüttelgymnastik. Der Arzt ergreift das distale Ende des Unter¬
arms und führt nun möglichst rasch schüttelnde Bewegungen im Handgelenke aus.
Durch diese rasch aufeinander folgenden Extensionen und Flexionen wird die Hyper¬
tonie in wenigen Sekunden behoben, die Finger werden schlaff und können aktiv
gestreckt und gebeugt werden. Leider verfällt die Hand in kurzer Zeit wieder in
die alte Kontrakturstellung. Auch durch Schwingübungen oder durch zarte
Bewegungen im Sinne der Kontraktur kann eine temporäre Erschlaffung
erreicht werden.
Bei älteren Kontrakturen kommt es infolge der permanenten Näherung der
Muskelinsertionen und der langdauernden Inaktivität zu Strukturveränderungen der
Muskulatur. Die Muskelatrophie bei Hemiplegikern ist ein regelmässiger Befund.
Marinesco erklärt dieselbe als Folgezustand einer Erkrankung des vasomotorischen
Centrums in der motorischen Region der Hirnrinde (cerebrale Muskelatrophie) oder
ihrer Ausläufer in der Pyramidenbahn. Meiner Ansicht nach ist sie grösstentheils
eine Folge der Inaktivität; nur in den seltensten Fällen konnte bei der hemiple-
gischen Muskelatrophie eine Degeneration der Vorderhornzellen oder der peripheren
Nerven nachgewiesen werden; nie erreicht die posthemiplegische Atrophie jenen
Grad wie die poliomyelitische.
Durch die genannten atrophischen Veränderungen, welche alle Muskeln be¬
treffen, kann eine Parese zur Paralyse werden. Dazu gesellen sich sklerosierende
Prozesse, besonders in den kontrakturierten Muskeln. Auf die Kontraktur folgt die
Retraktion der Muskeln und Sehnen. Die verkürzten Muskeln werden infolge der
Atrophie der Muskelfibrillen und der interstitiellen Bindegewebsproliferation sehnen¬
artig straff. Je älter die Kontraktur, desto vorgeschrittener sind die genannten Ver¬
änderungen und desto mehr schwindet die Möglichkeit ihrer Heilung. In den vor¬
gerückten Stadien kommt es ferner zur sekundären Schrumpfung der Aponeurosen;
auch die Arterien, Venen und Nerven machen die Verkürzung mit. Weiterhin
kann es infolge der langdauernden Immobilisation der Gelenke zu Veränderungen
dieser selbst kommen (Arthropathia hemiplegica). Die Kontraktur wird immer
starrer; die zartesten Lösungsversuche können von grossen Schmerzen begleitet
sein. In der Hand kann es infolge maximaler Verkürzung der Beuger und Retraktion
der Palmaraponeurose bis zum Einkrallen der Finger in die Hohlhand kommen.
In erster Linie kommen bei der Behandlung der residuären Kontraktur täg¬
liche protahierte lauwarme lokale Bäder oder 2—3mal wöchentlich Vollbäder (28° R)
in Betracht, falls seitens der inneren Organe keine Kontraindikation vorliegt. Im
Bade werden nun die Muskeln und Gelenke allmählich gedehnt, passiv bewegt und
massiert. Mit dieser Wassergymnastik kann man sedativ-elektrische Prozeduren
(s. S. 563), fernerhin zarte Extensionen der verkürzten Muskeln entweder mittels der
Ileftpflastergewichtsmethode oder mittels des elastischen Zuges kombinieren. Sehr
zweckmässig sind auch extendierendc Apparate, welche nach dem Prinzipe der Schraube
ohne Ende gebaut sind. Letztere ermöglichen ein ganz schrittweises Vorgehen und
sind deshalb bei schmerzhaften Kontrakturen allen anderen Methoden vorzuziehen. Mit
der Lösung der Kontrakturen schwindet auch die Schmerzhaftigkeit. Scheitern auch
diese Maassnahmen‘infolge der starken Verkürzung gewisser Muskelgruppen, so wäre
deren Redression in der Narkose vorzunchmen, falls der Organzustand des Patienten
letztere nicht verbietet.
In den extremsten Fällen käme schliesslich ein operativer Versuch in Frage:
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Paul Lazarus, Ucbcr die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc.
die M uskel- bezw. Sehnentransplantation. Ich selbst hatte noch nicht Ge¬
legenheit diese Operation bei einem Hemiplegiker zu erproben, aber von theore¬
tischen Erwägungen und den günstigen operativen Resultaten bei anderen anta¬
gonistischen Kontrakturen ausgehend (z. ß. Tendinoplastik bei spastisch paralytischem
Klumpfuss), ist in schweren Fällen ein derartiger Eingriff indiziert und von ver¬
schiedenen Chirurgen mehrfach während der letzten Jahre mit Erfolg ausgeführt
worden. Bei ungleichmässiger Vertheilung der Parese könnte ausserdem der minder
paretische Muskel, welcher für den Kranken infolge der Kontraktur ohnehin verloren
ist, zur Kräftigung des stärker paretischen herangezogen werden.
Technisch am einfachsten lässt sich dieser operative Versuch an den Sehnen
des Zeigefingers erproben. Der Gang der Operation gestaltet sich folgendermaassen:
Unter lokaler Anästhesie werden die Beugesehnen des Zeigefingers in der ganzen Aus¬
dehnung von der Endphalange bis zur Mittelhand freigelegt. Hierauf folgen mediane
Spaltung der Flexorensehnen, Durchtrennung der einen Sehnenhälfte centralwärts, der
anderen distalwärts und Vernähung der Sehnenstümpfe. Nach diesem meist üblichen
plastischen Verfahren kann die Sehne um die Halbierungsstrecke verlängert werden.
Sind die Muskeln noch nicht total paralytisch, so kann man statt der Sehnenplastik
eine Sehnentransplantation ausführen: Durchtrennung der Beuge- und Strecksehnen,
kreuzweise Vernähung der Sehnenstümpfe. Die Implantation der retrahierten Flexoren¬
sehne in die Extensorensehne würde dann im Sinne der Streckung des Zeigefingers
wirken, während die Verbindung des centralen Strecksehnenstumpfes mit dem peri¬
pheren Flexorenstumpfe im Sinne der Beugung thätig wäre. Die Streckung würde
also durch dieses Verfahren gefördert, die Beugekontraktur aufgehoben werden. Der
Effekt einer derartigen Operation ist für den praktischen Werth dieser Idee maassgebeml.
Wenn jedoch die myopathischen Veränderungen bereits soweit vorgeschritten
sind, dass die Muskeln fast nur mehr fibröse Stränge ohne Spur von Kontraktilität
darstellen, dann bietet natürlich eine Verlängerung der verkürzten Sehnen keine
Aussicht auf Wiederherstellung der Funktion.
Aber auch bei residuären, irreparablen Kontrakturen werden sich
passive Bewegungen als nützlich erweisen. Bekanntlich sind die Extremitäten
auf der gelähmten Seite cyanotisch, kühl und oft leicht ödematös. Die Erscheinungen
sind als Ausdruck der Cirkulationsstörung aufzufassen, welche zum Theile auf vaso¬
motorische Störungen, zum Theile auf den Ausfall der Bewegung zurückzuführen ist.
Von der Bedeutung der letzteren für die Fortbewegung des Lvmph- und Blutstromes
konnte ich mich bei einem Patienten mit chronischer Nephritis und Anasarka über¬
zeugen, der eine Woche vor seinem Ende eine rechtseitige Hemiplegie erlitt. In
wenigen Tagen war das Oedem an der ganzen gelähmten Körperhälfte um das Drei¬
fache stärker als auf der anderen Seite.
Die passive Gymnastik im Vereine mit der Massage befördert in der Tliat die
Lymph- und Blutcirkulation, sie erleichtert den Rückfluss des venösen Blutes und
hebt auf diese Weise auch den Gesammtstoffwechsel. Die gymnastischen
Uebungen bei Hemiplegikern bewirkten jedoch nicht blos eine somatische
Kräftigung, sondern auch ein psychisches Aufleben; eine Wohlthat für die
Kranken, welche infolge ihrer Halblähmung oft desolaten Stimmungen verfallen. Um
so dringender tritt dabei an den Arzt die ethische Aufgabe heran, »die Unbarmherzig¬
keit der Wirklichkeit mit dem Schleier der Hoffnung zu umhüllen« (v. Leyden).
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W. Alexander, Vorrichtung zur Verhütung der Flexionspronaticnskontraktur des Armes. 567
IV.
Eine einfache Vorrichtung zur Verhütung der Flexionspronations¬
kontraktur des Armes.
Aus der inneren Abtheilung des städtischen Krankenhauses Moabit
(Professor Dr. Goldscheider).
Von
Dr. W. Alexander, Assistenzarzt.
So selbstverständlich es ist, mit den Verhütungsmaassregeln der gefürchteten
Kontraktur möglichst frühzeitig nach Eintritt der Lähmung zu beginnen, so wenig
zweckentsprechend scheinen mir die bisher in diesem Sinne angewandten Methoden
zu sein. Ohne mich über die Theorieen der Entstehung der Kontraktur, die in
der vorhergehenden Arbeit von Lazarus in anschaulicher Weise erörtert sind, zu
verbreiten, will ich in aller Kürze eine einfache Vorrichtung beschreiben, die, wie
ich glaube, dem praktischen Bedürfniss gerecht wird, auf welchem theoretischen
Standpunkt der einzelne Arzt auch jedesmal stehen mag.
Es ist ja natürlich, dass die übrigen Verhütungsmethoden der Kontraktur:
Massage, Bäder, passive Uebungen, Faradisation etc. selbst von dem besten Apparate
nicht verdrängt werden können, da sie ganz andere Indikationen erfüllen, als.
dieser. Sie sollen die Elastizität des Muskels erhalten, die Zirkulation befördern,
Gelenkergüsse, Muskelatrophieen und Dekubitus verhindern, alles Forderungen, die
durch einen Apparat nicht zu erfüllen sind. Erst da, wo ihr Mangel anfängt,
nämlich an der zeitlichen Beschränkung ihrer Anwendungsmöglichkeit, kann ein
Apparat einsetzen, indem er die durch sie gewonnenen Erfolge sichert und dafür
sorgt, dass in der Zeit der Ruhe nicht den Bestrebungen obiger Maassnahmen ent¬
gegengewirkt wird. Was bisher in dieser Richtung, d. h. in der Sorge für zweck¬
entsprechende Einstellung des gelähmten Armes in den Zeiten zwischen den übrigen
prophylaktischen Maassnahmen und besonders des Nachts versucht wurde, ist wohl
schon von manchem Arzt als mangelhaft empfunden worden. Das Anbandagieren des
Armes auf eine Armschiene sichert zwar gegen die Beugebestrebungen der Finger, ver¬
hindert aber, wenn die Schiene nur bis zum Ellenbogengelenk reicht, in keiner Weise
Flexion und Pronation des Unterarmes, geschweige denn die Adduktion und Einwärts¬
rotation im Schultergelenk, die auch von einer Schiene, die den Oberarm mit inbegriffe,
nicht verhütet werden würde. Zudem ist das Anwickeln des Armes eine umständliche
Prozedur; sie wochenlang oftmals täglich — sechs- bis achtmal muss man wohl
verlangen — auszuführen, dazu gehört, abgesehen von einer grossen Ausdauer, ein
Zeitaufwand, wie er wenigstens in Krankenhäusern für den Einzelnen nicht erübrigt
werden kann. Wir halfen uns bisher damit, dass wir den Daumen der in Supination
liegenden Hand mit einem Bindenzügel an dem Bettrand festbanden, überzeugten
uns aber bald von der Unzulänglichkeit des Verfahrens, da bei jedem kleinsten
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Uewieht potentidie Kneraie »ettiOrjiei’t-.
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5. da-; sie sorgt ftiri Ivxteiisiim der (•'iueer, Supination des l »iter.irn.v-
Kxtejo^ios itti ä-ilK’Ulmaengeleiik, .Abduktion und Au.s\vnAmrnt.d*r.j» im
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3 . üitifredie Vlei-hteliimg.
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die An swärtsrotatinü des Oberarmes. Die .'Abdaktroa im Srhuttercelcofc-.
wird dadnreli erhalten. dass der dazwischen stehende Kasten eine Annäherung, des
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indem man über die Fudplialaiigen von einer dritten^.'.K'jiW*iin'er. (6jl ein Band
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diii auch zugleich gegen das oft lästige Kältegefühl in der gelähmte« • ISxtremifiu
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des IsaumetibalieriS verläuft.
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570
W. Podwyssozki
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Der Kefir
(Ferment und Heilgetränk aus Kuhmilch).
Geschichte, Bereitung, Zusammensetzung des Getränks, Morphologie des Ferments
und dessen Erkrankungen; physiologische und therapeutische Bedeutung des Getränks.
Von
Professor Dr. W. Podwyssozki
in Odessa.
Uebersctzt aus dem Russischen von Dr. Rechtshammer.
Erstes Kapitel.
Allgemeine Begriffe Ober das Ketirferment und Geschichte des Kefirs.
Seit langem schon sind bei uns in Russland Versuche gemacht worden, aus der
allen zugänglichen und überall zu habenden Kuhmilch ein gährendes Getränk her¬
zustellen, das dem Stutenkumys, dessen Ruhm als Heil- und Nährstoff durch die
Reihe von Jahrhunderten gesichert schien, gleichkäme. Es sind zu nennen: der
Kumys aus Kuhmilch von Dr. Polubenski (als Ferment zur Vergährung der mit
Wasser verdünnten und mit Milchzucker versetzten Kuhmilch diente der Stutenkumysi.
der Kumys aus Kuhmilch von Chojnowski (als Ferment diente einfach die Bier¬
hefe), der Kumys aus Kuhmilch von Dochmann (als Ferment diente starker Stuten¬
kumys, respektive der mit Aether behandelte trockene Kumysgährstoff). An ähn¬
lichen Getränken gab es keinen Mangel auch in Verbesserungen, wo man, angereirt
durch eine Mittheilung von Stahlberg in der Pariser Academie de moderne im
Jahre 18(57, sich ebenfalls daran machte, allerlei Sorten gährender Kuhmilch her¬
zustellen und dieselbe bei der forzierten Ernährung von Kranken und Gesunden an¬
zuwenden.
Allen denjenigen, die eine derartige Milch respektive künstlichen Kumys aus
Kuhmilch in Anwendung zogen, war es bekannt, dass solche Milch bedeutend leichter
assimiliert wird, als nichtvergohrene Milch, dass ein Kranker ohne Mühe mehrere
Flaschen derselben zu trinken im stände ist, während sein Magen auch eine einzige
Flasche gewöhnlicher Milch nicht vertrug.
Der unangenehme Beigeschmack, den nicht selten die Milch durch Beimengung
von Bierhefe oder von Stutenkumys erlangte, stand indessen einer grösseren Ver¬
breitung des künstlichen Kumys aus Kuhmilch im Wege, und wurde der letztere bald
einfach durch gasierte Milch verdrängt 1 ). Der Gedanke, die Milch mit Kohlen-
') lieber den Nutzen von gasierter Milch im Vergleich zu gewöhnlicher Milch mit Bezug auf
Assimilation, sowie auf Beeinflussung des Stick Stoffumsatzes und der Bakterienmenge in den Fäkal¬
massen ist in letzter Zeit eine Reihe gründlicher Arbeiten russischer Autoren erschienen. 'Siehe:
Kabakow, Heber den Stiekstoffumsatz der Gesunden beim Gebrauch von gasierter Milch und von
gewöhnlicher Milch. Dissertation. St. Petersburg 1895. — E. Bennert, Einfluss von gasierter und
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Der Kefir.
571
säure zu sättigen, gehört Professors. Botkin, der anfangs eine Zeit lang Anhänger
des künstlichen Kumys vou Chojnowski gewesen ist, dann aber allmählich, aus den
oben angeführten Gründen, demselben untreu wurde.
Es ist offenbar, dass das Bedürfniss, über ein dem Stutenkumys ähnliches Ge¬
tränk aus Kuhmilch zu verfügen, bestanden hatte und von Aerzten sowohl als von
Nichtärzten empfunden wurde. Diesem Bedürfniss war jedoch nicht Genüge zu
leisten, indem es an einem Ferment mangelte, das in der Kuhmilch eine der in
der Stutenmilch ähnlichen Gährung verursachte. Kein Wunder daher, dass, nachdem
man erfahren hatte, dass im Kaukasus die Bergwerksbewohner, welche die nördlichen
Abhänge des Elborus und des Kasbek bewohnen, ein Ferment besitzen, dessen sie
seit undenklichen Zeiten zur Vergährung ihrer Ziegen-, Schafs- und Kuhmilch sich
bedienen und nachdem der bekannte Arzt in Jalta, Dmitriew, im Jahre 1882 über
vorzügliche Resultate, die von ihm bei einer ganzen Reihe von Lungenkranken und
anderen Kranken unter dem Einfluss der Anwendung von auf solche Weise ver-
gohrener Milch erzielt wurden, berichtet hatte, dieses Ferment allmählich über
Russland seinen Weg fand und schliesslich in zivilisierteren Zentren sich einbürgerte.
Dieses Ferment ist eben der Kefir.
Das Kefirferment in seinem natürlichen Zustand, in dem Zustande, in welchem
es im Kaukasus benutzt wird und von dort aus nach Russland und 'nach West¬
europa gebracht wurde, besteht aus gesonderten Klümpchen kugelförmiger,
respektive ovaler Gestalt, die zum Theil Käseklürapchen oder auch Blumenkohl¬
köpfen im kleinen ähnlich sind. Diese Klümpchen heissen »Milchpilze«, auch
»Kefirkörner« oder »Kefirsamen«. Ihre Grösse im aufgeweichten Zustand ist
verschieden: von einem Senfkorn bis zu einem Umfang von 4—5 cm im Durch¬
messer. Im trockenen Zustande ist die Farbe reiner, gut gewaschener Körner gelb;
die kleinen gleichen sehr in Farbe und Gestalt den Hirsekörnchen; beim Drücken
lassen sie sich in kleinere Körnchen zerreiben. Beim Aufweichen in Wasser wird
letzteres etwas verfärbt und erhält einen schwachen Stich ins Gelbliche, während
die Körner selbst weisser werden und aufquellen, dennoch aber einen leicht gelb¬
lichen Farbenton beibehalten; ihr Volumen vergrössert sich um zwei, drei Mal und
mehr, sie werden elastisch und lassen sich unschwer zerreissen. Die grösseren
Körner haben das Aussehen von Drusen, bestehend aus gesonderten kleineren Körnchen,
die auf einander angehäuft sind.
In Milch verbracht, nehmen die Kefirkörner an Umfang zu, wachsen, und wenn
man die Milch umschüttelt, zerfallen die grösseren Körner in mehrere kleinere Theile,
die ihrerseits wieder bedeutend anwachsen können. Die Milch erscheint demnach
gewissermassen als Nährboden, in welchem das KefirfermentJ zujleben und zu
wachsen vermag, gleichwie die Erde den Nährboden zum Gedeihen eines beliebigen
unserer Pflanzensamen abgiebt. Durch das Leben und das Wachsthum der Kefir¬
körner in der Milch wird die eigenthümliche Gährung der letzteren verursacht. In
der Milch sinken die Körner anfangs zu Boden, darauf, nach einer Viertel- bis halben
Stunde, beginnen sie allmählich gegen die Oberfläche hin aufzusteigen, was durch
das Anhaften von Kohlensäurebläschen bedingt wird, und verbleiben hier viele Stunden
von gewöhnlicher Milch auf die Darmgährungen des Gesunden. Dissertation. St. Petersburg 1895.
— W. Rosenblatt, Ueber die Schwankungen in der Zahl der Mikroorganismen in den Fäkal¬
massen von Gesunden beim Gebrauch von gasiertcr und von gewöhnlicher Milch. Dissertation 1896.
— A. Sokolow, Die bessere Verdaulichkeit der gasierten Milch. Sechster Jahresbericht der
Moskauer hygienischen Station 1809
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572 W. Podwyssozki.
lang. An der Milchoberfläche angelangt, umkleiden sich die Kefirkörner allmählich
mit einer auf sie niederfallenden Schicht von Kasein, legen sich direkt aneinander
und bilden auf der Milch eine höckerige, unebene Kruste, die beim Schütteln des
Gefässes zerfällt. Hierbei lösen sich die Kohlensäurebläschen sowie die Kasein-
partikelchen von der Oberfläche der Körner ab, die Kohlensäure vermengt sich mit
der Luft, und das Kasein vertheilt sich in der Flüssigkeit in Form von kleinsten
Klümpchen oder sinkt auf den Boden des Gefässes. Desgleichen sinken auch beim
Umschütteln des Gefässes die Kefirkörner zu Boden, nachdem sie von den anhaftenden
Kohlensäurebläschen befreit worden sind, jedoch immerhin von einer Kaseinschicht
umgeben bleiben. An die Oberfläche der Milch gelangen nicht alle Körner gleichzeitig.
Von dem Gährungsprozess in der Milch mit Bildung von Kohlensäuregas kann
man sich in höchst überzeugender Weise durch das Gehör vergewissern. Schon nach
Ablauf von 20—30 Minuten nach dem Zersetzen fertiger Körner mit Milch beginnen
in dem an einem warmen Orte auf bewahrten Gefässe schwache knisternde Geräusche,
bedingt durch das Platzen kleiner, feuchter Bläschen, hörbar zu werden; diese Ge¬
räusche erinnern vielfach an die schleimigen Rasselgeräusche, welche die Athmung
bei manchen Erkrankungen der Bronchien und der Lungen begleiten. Diese Ge¬
räusche entstehen in der Milch durch das Platzen der den Kefirkörnern anhaftenden
Bläschen der Kohlensäure, welche aus dem bei der Gährung zerfallenden Milchzucker
sich bildet.
Die Anwesenheit der Kefirkörner in der Milch ruft in letzterer eine eigenthüm-
liche Gährung hervor, und die Milch geht in ein besonderes, säuerlich und in
höchstem Grade angenehm schmeckendes Getränk über, das die Bergbewohner des
nördlichen Kaukasus (Ossetinen, Karatschaja u. a.) »Ghyppe«, »Kjepj«, »Khapirt
benennen, während es die Kabardiner und die russische Bevölkerung des Kaukasus
als »Kefir«, »Kyfir«, »Kiafirc, »Kafir«, »Kifyr« und dergleichen bezeichnen').
Im allgemeinen erinnert das Getränk an den Stutenkumys, schmeckt jedoch viel
besser und — was die Hauptsache — entbehrt des spezifischen für Viele un¬
angenehmen Geruchs und Geschmacks des Stutenkumys.
Es ist zu vermuthen, dass die Bereitung von Kefir aus Ziegen-, Schafs- und
Kuhmilch durch die Bergbewohner des nördlichen Kaukasus und die Bereitung von
Kumys aus Stutenmilch durch die Steppenbewohner des südöstlichen Russlands
(Kalmyken, Nogajer u. a.) von altersher durch die gleichen klimatischen und wirth-
schaftlichen Bedingungen eingeleitet wurde. Beide Getränke gelten bei den Ein¬
geborenen als im höchsten Grade nahrhafte und selbst heilbringende Mittel bei ver¬
schiedenen erschöpfenden Krankheiten; beide Getränke besitzen das Anrecht auf den
Namen volksthümlicher Milchspeisen des gesammten Südostens der Steppen- und
Gebirgsbezirke Russlands, und ist wahrscheinlich ihr Ursprung auf undenkliche Zeiten
zurückzuführen. Wenigstens mit Bezug auf den Stutenkumys sind manche geschicht¬
lichen (Herodot) und archäologischen Angaben vorhanden, wonach den Skythen
die Bereitung desselben schon mehrere Jahrhunderte vor unserer Aera bekannt war.
Der Kumys als volkstümliches Getränk wurde zuerst von den nomadisierenden
Stämmen in den Steppen des südöstlichen Russlands und des mittleren Asiens be¬
reitet , der Kefir hauptsächlich von den Bergbewohnern, welche die nördlichen Ab¬
hänge der kaukasischen Gebirgskette bewohnen.
') Zweifellos ist die Wurzel all dieser Benennungen dieselbe, nämlich Kef, das in) türkischen
und arabischen Idiom die Empfindung des Angenehmen, des V ergnügens bedeutet.
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573
Der Kefir.
Die Besonderheiten von Boden, Klima, Flora und Fauna dieses Territoriums,
im Zusammenhang mit manchen Bedingungen des täglichen Lebens und der geschicht¬
lichen Verhältnisse, brachten in der Bevölkerung die Neigung zu nomadisierender
Lebensweise hervor und machten die Viehzucht zur Hauptbeschäftigung des Volkes.
Beinahe als einzige Nahrung dient die Milch, und zwar nicht die süsse Milch, sondern
eine in verschiedenen Graden von Säuerung begriffene Milch.
Von dem ersten Grade der Säuerung, Dschuurt, der unseren Molken entspricht
und wenig Milchsäure enthält, geht die einheimische Bevölkerung zum Airan über,
welcher neben einer grossen Menge Milchsäure noch Kohlensäure und zuweilen Essig¬
säure enthält und schliesslich zum Kepy, das ist zum Kefir, welcher mit Hülfe der
Körner und bei den Bergbewohnern als unerträglich saures Getränk hergestellt wird.
Dschuurt wird stets in eisernen oder irdenen Töpfen bereitet, Airan in hölzernen
Kübeln oder in Schläuchen von Leder, Kepy stets in den letzteren.
Die Gefässe und die Schläuche werden fast nie gewaschen und äusserst un¬
sauber gehalten, sodass in denselben beinahe immer viel Essig- und Buttersäure sich
bildet. Wie ich mich persönlich während meines zweimonatlichen Aufenthaltes in
der Gebirgsgegend der Karatschayer überzeugt hatte, klagt nahezu jeder Eingeborene
über Sodbrennen und besitzt eine weissbelegte Zunge; er beginnt und beschliesst
seinen Tag mit Airan, wer reicher ist — mit Kepy. Weder Kartoffeln, noch Ge¬
müse, noch Brot nimmt er zu sich, bloss hartgebackene Fladen aus ungesäuertem
Gerstenteig und einem festen Brei aus gekochtem Mais; die einzige Fleischnahrung
ist Hammelfleisch, es repräsentiert aber einen Luxusartikel.
Auf welche Weise die Kefirkörner aus den in der Luft schwebenden Keimen
der Mikroorganismen, welche die Körner zusammensetzen, ursprünglich entstanden
sind, ist unbekannt. Offenbar war dies Sache des Zufalls, dass einst am Boden eines
Schlauches mit Airan sich die ersten Körnchen gebildet hatten, auf die man auf¬
merksam wurde und deren man sich dann zur Bereitung eines besseren und schmack¬
hafteren Getränks bediente; diesem Getränk, sowie den Körnern, respektive dem
Ferment gab man den Namen Kepy oder Kefir. Von den Eingeborenen wird aller¬
dings die Herkunft der Kefirkörner in den Mantel des Wunderbaren gehüllt. Bei
den Bergbewohnern gilt das Kefirferment als heilig, und verknüpfen sie dessen Ur¬
sprung mit einer religiösen Legende. Den Kefir empfing man nach ihrer Meinung
zuerst von Mahomet, und daher sind bei den Bergbewohnern die Kefirkörner unter
dem Namen »Hirsekörner des Propheten« bekannt. Die Bezeichnung als »Hirse¬
körner« ist gewiss glücklich genug, indem im getrockneten Zustande die kleinen ge¬
sunden Kefirkörner thatsächlich an Hirsekörner, sowohl durch ihre Form, als ins¬
besondere durch ihre eigenthümliche gelbe Farbe sehr erinnern.
Ueber die Herkunft der Hirsekörner des Propheten existiert bei dem Bergstamm
der Karatschajer (an den Ursprüngen des Unban und am Fusse des Eibaus) eine
ganze Legende, die ich in ihrem Wortlaut wiedergebe, indem ich sie dem Aufsatz
von Schablowski 1 ) entnehme. Das ist diese Legende:
»Als im goldenen Zeitalter der erhabene Allah persönlich mit einigen aus¬
erwählten Muselmännern sich unterhielt, sandte er als Zeichen seines Wohlwollens
dem biederen und redlichen Karatschajerstammc eine Nahrung, die er Kepy benannte,
als Beleg dafür, dass die Karatschaja nie des Hungertodes sterben würden. Dies
i) Diese Legende wurde Schablowski von Nowik, Besitzer der Kumy »Heilanstalt in
Batalpaschinsk in der Provinz Kuban, initgetheilt.
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574
W. Podwyssozki
geschah wie folgt: Ein Karatschaier, ein alter, hinfälliger Mann, der nicht bloss alle
seine Altersgenossen, sondern selbst deren Enkel und Urenkel überlebt hatte, ein
unermüdlicher Verfolger der Giauren, unterhielt sich einst persönlich mit dem er¬
habenen Allah, der dem Greise das erwähnte Kepy einhändigte und ihn belehrte,
wie das Getränk zu bereiten wäre«.
Neben solchen Legenden mit religiöser Unterlage sind bei den Eingeborenen
u. a. auch noch folgende Erzählungen über die Herkunft der Körner im Umlauf. So
wird erzählt, dass man die Körner vor undenklichen Zeiten zuerst auf einem Getränk
in bedeutender Bergeshöhe, an der Grenze des ewigen Schnees, gefunden habe.
Andere behaupten, dass die ersten Körner in einem ungenügend ausgebesserten
Schlauche, in welchem Milch zum Auf bewahren eingegossen war, entstanden seien.
Diese Ansicht des Volkes scheint mir so ziemlich der Wahrheit nahe zu stehen.
Etwas Positives und Bestimmtes ist jedoch über den ersten Ursprung der Körner
nicht bekannt.
Wie dem auch sei, immerhin wird bei den Bergbewohnern die Vorstellung von
der übernatürlichen Herkunft der Kefirkörner durch die aufmunternde und kräftigende
Wirkung gestützt, die der Kefir nicht nur auf den Gesunden, sondern auch auf den
Kranken ausübt. Dieses Getränk macht im Sommer beinahe die einzige Nahrung
vieler Gebirgsstämme aus. Die von den Eingeborenen schon seit langem entdeckte
ernährende und heilbringende Kraft des Kefirs bei Blutarmuth und Schwindsucht
war die Ursache, dass die Kunde vom Kefir über die Grenzen des Verbrauches im
Volke hinausging. Trotz sorgfältiger Verheimlichung durch die Bergbewohner der
Methode zur Bereitung des Kefirs und insbesondere der Körner selbst ist der Ruf
über dieses Getränk aus den Dörfern in die Städte des Kaukasus gedrungen, darauf
an das südliche Krimufer und in viele Städte Russlands. Wie die ersten Partieen
der Kefirkörner von den Bergbewohnern in die Hände der europäischen Bevölkerum:
des Kaukasus gerathen sind, ist unbekannt. Es lässt sich nur die Vermuthung aus¬
sprechen, dass List und Betrug bei der Sache nicht gefehlt haben dürften, indem
unter den Bergbewohnern der Glaube herrscht, dass die geheimnissvolle Kraft der
Körner verschwinden wird, wenn man auch nur ein Korn freiwillig an einen Giaur
abgiebt. Jetzt befindet es sich in den Händen des Giaur, der begriffen hat, was für
ein kostbarer Schatz von ihm erworben ist, und der ihn schnell unter seinen Mit¬
brüdern verbreitet.
Die erste Nachricht über den Kefir stammt aus dem Jahre 1866, als Dschogin
der kaukasischen medicinischen Gesellschaft Kefirkörner cinsandte mit der Mittheilung,
dass die Bergbewohner mit Hülfe dieser Körner ein besonders nahrhaftes und heil¬
sames Getränk aus Milch hcrstellen. Ein Jahr darauf theilte Ssipowitsch der¬
selben Gesellschaft mit, dass bei einigen Gebirgsstämmen des nördlichen Kaukasus
ein besonderes Getränk existiert — der Kefir, und gab die erste ausführliche Re-
schreibung der Körner sowohl als der Eigenschaften des Getränks.
Zehn Jahre lang geschah des Kefirs keine Erwähnung, und erst 1877 erscheint
eine zweite, ziemlich eingehende Abhandlung über den Kefir, die von Schablowski.
Der Autor beschreibt ausführlich den makroskopischen und den mikroskopischen l»au
der Körner, bespricht die Methode der Bereitung des Getränks, macht einige An¬
gaben über die qualitative chemische Zusammensetzung der Körner selbst, sowie des
fertigen Getränks. Die Wahrheit fordert die Bemerkung heraus, dass Schablowski
als Erster, wenn auch unvollständig, doch im allgemeinen ziemlich richtig den
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Der Kefir.
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mikroskopischen Bau der Körner bestimmt hat. Kr erklärt direkt, dass einen noth-
wendigen Bestandteil des Kefir eliptische Zellen und Bakterien ausmachen.
Im Jahre 1881 erscheint die erste wissenschaftliche botanische Beschreibung
der Hirsekörner des Propheten. Der Autor dieser Untersuchung, E. Kern, führte
seine Arbeit im Laboratorium von Professor Goroschankin in Moskau aus und be¬
stimmte des Näheren die Morphologie des Kefirkorns. Kern fand im Kefirferment,
das ist in den Kefirkörnern, nur zwei Mikroben: Hefezellen und besondere stäbchen¬
förmige Bakterien, die er Dispora caucasica benannte. Die Besonderheit dieser
Bakterien besteht nach der Ansicht von Kern darin, dass die Kefirbakterien stets
zwei Sporen bilden, während im allgemeinen die stäbchenförmigen Bakterien nach
der Ansicht von Kern bloss je eine Spore in jeder Zelle enthalten. Wie wir sehen
werden, haben sich Kern’s Untersuchungen nicht bestätigt.
Die grosse Masse des Kornes wird von jener Bakterie gebildet, und zwar in
dem Zustande der kolonialen Lebensform, die man in der Bakteriologie als Zoogloea
bezeichnet. Stellenweise lagern in dieser Masse Gruppen von Hefezellen. Das
Wachsthum der Körner in der Milch wird durch die Vermehrung ihrer beiden
morphologischen Elemente bedingt. Die Bakterien vermehren sich durch Theilung
und Sporenbildung, die Hefezellen durch Sprossung. Um die Bestandtheile des
Kornes mikroskopisch zu studieren, züchtete Kern Partikelchen des Fermentes in
verschiedenen Nährflüssigkeiten und bestimmte manche von seinen Lebensbedingungen.
Es zeigte sich, dass das Kefirferment sich durch die Fähigkeit anszeichnet, in be¬
deutendem Grade ungünstigen Lebensbedingungen Widerstand zu leisten. Diese
Fähigkeit ist in viel höherem Maasse den Bakterien als den Hefezellen eigenthüm-
lich. Die Sporen der Bakterien bewahren die Fähigkeit zu keimen, selbst nach
zweimonatlichem Verbleib der Körner in konzentrierter Pikrinsäure und in drei¬
prozentiger Chromsäure.
Der Arbeit von Kern folgte nun in Russland und in letzter Zeit auch in West¬
europa eine enorme Litteratur über den Kefir, die das Studium der Biologie dieses
Fermentes, sowie die Frage über die therapeutische Bedeutung'des mit Hülfe des
letzteren erhältlichen Getränkes aus Milch zum Gegenstände hatte (Piassezki,
Bogomoloff, Dmitriew, Organovitsch, Podwyssozki, Schtschastny, Gore-
leitschenko, Ssorokin, Tschernowa-Popowa, Koslowski, Ssadowen, Gc-
orgiewski, Struve, Krannhals, Stern, Daschewski, Mandowski, Bil,
W yszinski, Zborowski, Nencki, Bourquelot, Stange, Lepine, Freuden¬
reich, Bogolubow, Alexejew, Koste-Dinitch, Saillet, Getsel, Ucke,
Brainin, Olschanetski, Theodoroff, Hammarsten, Gebhardt, Lipski,
Monti, Kvasnicki, Michelew, Weiss, Beyerinck, Essaulow, Gutowsky,
Kozyn, Krakauer, Mrazck, Deroide, Salieres, Gallion und Carrion u. a.).
Ohne an dieser Stelle den Inhalt der einzelnen Arbeiten zu berühren, da es nicht in
die Aufgabe vorliegender Abhandlung hineingehört, will ich die hervorragendsten
Untersuchungen über den Kefir vermerken, die mit am meisten die Anwendung des
letzteren bei der Behandlung verschiedener Krankheiten förderten und das Wesen
der Struktur, sowie der Besonderheiten des Kefirfermentes und des Chemismus der
Kefirgährung klarlegtcn.
Anlangend die therapeutische Bedeutung des Kefirs, so kann man nicht umhin,
in erster Linie das Buch von Dmitriew zu erwähnen, das bis 1899 bereits
sieben Auflagen erlebt hatte und neben meiner Schrift am meisten zur Verbreitung
der Kenntnisse über den Kefir in Russland und in Westeuropa beitrug. Dmitriew
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576 W. Podwyssozki
gebührt das unstreitige Recht, als Erster genannt zu sein, der faktische Beweise zu
Gunsten der wirklich nützlichen Wirkung des Kefirs hei Krankheiten der Lungen
und des Magendarmkanals geliefert hat. Seine Ergebnisse mit dem Kefir bei der
Behandlung von Lungenkranken in Jalta waren so glänzend, dass er die Aufmerk¬
samkeit der Aerzte auf die mächtige diätetische Bedeutung dieses Getränks hin¬
lenkte und auf Grund persönlicher Beobachtungen in seiner Thätigkeit als praktischer
Arzt noch im Jahre 1882 die Reihe von Krankheiten bestimmte, bei welchen die
Anwendung des Kefirs nützlich ist.
Zur Verbreitung der Kenntnisse über den Kefir in Westeuropa hat neben der
ins Deutsche übersetzten Schrift von Dmitriew und der meinigen besonders eine
Abhandlung von Krannhals beigetragen, die im Jahre 1884 in einer der ver¬
breitetsten deutschen klinischen Zeitschriften erschienen ist.
Dank der Abhandlung von Stange in der Ziemssen’schen Allgemeinen Therapie
fand die Frage über den Kumys und den Kefir Aufnahme in den Handbüchern und
wurde auf diese Weise Gemeingut aller Medicinstudierender.
Durch die chemischen Untersuchungen von Ssadoven, Bil, Hammersten.
Alexeef, Kozyn u. a. ist das Wesen der mit Bezug auf die Ernährung nützlichen
Veränderungen, welche die Eiweissstoffe der Milch bei der Kefirbildung erleiden,
aufgeklärt worden.
Die Morphologie und der Bau des Kefirpilzes sind von Ssorokin, von mir.
Hüppe, Stern, Stange, Beyerinck, Essaulow, Freudenreich u. a. studiert
worden. Ssorokin machte noch im Jahre 1882 interessante Angaben über den Bau
und die Entwickelungsgeschichte des Kefirferments. Nach vergleichender mikro¬
skopischer Untersuchung der Fermente des Stutenkumys und des Kefir fand der
Autor, dass in allen Fällen bei der Milchgährung Hefezellen und Bakterien zugegen
sind, nur in verschiedenen quantitativen Verhältnissen. Ausserdem findetjSsorokin,
dass das Kefirferment, nach seinem mikroskopischen Bau, grosse Aehnlichkeit mit
dem Laich besitzt, einer gailartigen Masse, die in Zuckerfabriken auf dem aus der
Rübe ausgepressten zuckerhaltigen Safte sich bildet. Die Möglichkeit künstlich eine
Bildung von Laich hervorzurufen, von Prof. Cienkowski bewiesen, bringt den
Autor auf den Gedanken, dass man auch die Hirsekörner des Propheten, d. i- die
Kefirkörner, wird erzeugen können.
Stange entdeckte zuerst, im Jahre 1886, dass im Kefirkorne stetes noch
ein dritter Bestandtheil sich befindet — eine kleine kurze Bakterie, die
sogen. Milchsäurebakterie, der eine wichtige Rolle bei der Kefirgährung zukommt
Einer besonders ausführlichen Untersuchung wurde die Morphologie des’Ketir-
fermentes durch Essaulow in Russland und durch Freudenreich in Deutschland
unterworfen.
Zweites Kapitel.
Die Methoden zur Bereitung des Kefirs und die Erkrankungen
des Kcflrferments.
Eine der Hauptursachen für die schnelle Verbreitung des Kefirs im Publikum
und eine Hauptgewähr für seine ausgedehnte Anwendung ist die Billigkeit des Kefir*
und die Leichtigkeit, mit der man ihn im Hause herzustellen vermag. Die Methoden
der Kefirbereitung bei uns, in den Städten, sind ziemlich verschiedenartig un( ^
differieren bedeutend von der Urmethode, an welcher die Bergbewohner festhalton.
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Der Kefir.
5 77
Wie aber alle diese Methoden sein mögen, bedarf man gegenwärtig, um das Getränk
zu erzeugen, unbedingt der Kefirkörner oder eines mit Hilfe der letzteren aus Milch
hergestcllten Kefirgährungsstoffes.
Bevor ich auf die Beschreibung der Methoden eingehe, die zur Bereitung des
Getränkes dienen, halte ich es für nothwendig die Aenderungen der Milch bei ihrer
Umwandlung in Kefir und die allgemeinen Bedingungen anzugeben, denen ein Ein¬
fluss bei der Kefirproduktion zukommt.
Die Schnelligkeit der Umwandlung von Milch in fertigen Kefir hängt ab: von
der Häufigkeit des Umschüttelns der gährenden Mischung, von der Menge der Körner
resp. Gährungsstoffes im Vergleich zur Menge der Milch, von der Temperatur, bei
welcher die Herstellung sich vollzieht, sowie von der Grösse der einzelnen Körner
und der Stärke des Gährungsstoffes. Je mehr Gährungsstoff resp. Körner man in
Gebrauch genommen hat, je kleiner die Körner sind, je höher die Temperatur ist
(freilich bis zu einer gewissen Grenze) und je häufiger das Gefäss mit der gähren¬
den Milch umgeschüttelt wird, desto schneller verwandelt sich letztere in das fertige
Getränk. Schüttelt man jede halbe Stunde um und bewahrt bei einer Temperatur
von 14—16° auf, so verwandelt sich bereits nach 2—4 Stunden die ganze Milch in
eine säuerliche, Kohlensäure enthaltende, etwas schaumige, mild und angenehm
schmeckende Flüssigkeit. Nimmt man auf die gleiche Menge Körner drei Glas
Milch, lässt die Gährung bei 10—12° stattfinden, schüttelt alle 2—3 Stunden um,
so vollzieht sich eine ähnliche Umwandlung der Milch im Laufe von 15—18 Stunden.
Bei niedrigerer Temperatur (6— 8 °) und wenn man das Gefäss gar nicht umschüttelt,
kommt die Umwandlung der Milch entweder gar nicht zu stände oder geht sehr
langsam vor sich, zuweilen zwei Tage und mehr in Anspruch nehmend.
Bei richtiger Herstellungsweise sind die successiven Aenderungen der Milch
unter dem Einfluss des Kefirferments im allgemeinen die folgenden: die Milch be¬
kommt allmählich einen säuerlichen Geschmack, ohne zunächst in ihrer Konsistenz
sich zu verändern; nur bei einem gewissen Grad von Acidität wird sie allmählich
dickflüssiger, bedeckt sich mit Schaum und wandelt sich in eine Emulsion um mit
sehr zarten, kleinsten Gerinnseln von ausgefallenem Kasein. Wenn man mehrere
Stunden lang das Gefäss mit der Milch nicht umgeschüttelt hat, so theilt sich die
gährende Mischung in zwei Schichten: die untere Schicht besteht aus klarem Serum,
die obere aus einem lockeren weissen Kaseingerinnsel mit den in seinen oberfläch¬
lichen Partien eingeketteten Kefirkörnern; man braucht nur das Gefäss mehrmals
umzuschütteln, und das ganze Gerinnsel verschwindet, die Körner fallen zu Boden,
und es entsteht wieder eine dickflüssige, rahmähnliche Mischung. Bei weiterer
Gährung wird dieselbe allmählich dünnflüssiger, mehr sauer und reicher an Kohlen¬
säure; offenbar ist ein bedeutender Theil des kleinsten Kaseingerinnsels in Lösung
übergegangen. Wenn schliesslich die Gährung noch weiter fortdauert, so entsteht
eine trübe wässerige Flüssigkeit, die bei längerem Stehen unverändert bleibt und
sich nicht mehr in zwei Schichten theilt. Vollzieht sich die Gährung der Milch hei
niedrigerer Temperatur (12—14°), so bekommt man ein weniger saueres Getränk,
mit grösserem Gehalt an Kohlensäure und Alkohol; umgekehrt, bei höherer Tempe¬
ratur (16—18°) verwandelt sich die Milch in eine äusserst sauere Flüssigkeit, in
der viel weniger Kohlensäure sowohl als Alkohol enthalten ist. Wir sehen also,
dass bei verschiedener Dauer der Gährung sich aus Milch Kefir bildet von grösserer
oder geringerer Acidität und Stärke.
Nach dieser Erörterung der allgemeinen Veränderungen, welche die Milch in
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W. Podwyssozki
Gegenwart des Kefirfermentes erleidet, gehe icli nun zur Beschreibung der Methoden
über, die zur Bereitung des Getränks bei den Bergbewohnern sowohl als insbesondere
bei uns angewendet werden. Der Hauptunterschied in den beiderseitigen Methoden
besteht darin, dass die Bergbewohner als Gefäss Schläuche von Leder benutzen,
während bei uns Glaskaraffen oder -Flaschen üblich sind, die eine Zeit lang offen
gehalten und erst nachträglich geschlossen werden. Die Bergbewohner verschliessen
vornhinein die Schlauchöffnung; beim Abgiessen eines Antheiles der Flüssigkeit
nehmen sie darauf Rücksicht, durch folgenden Handgriff, welcher einen Hahn ersetzt,
die angesammelte Kohlensäure in ihrer Gesammtheit nicht zu verlieren: während
die Ocffnung noch geschlossen ist, neigen sie gegen letztere hin den ganzen Schlauch,
grenzen durch Zuziehen und Abbinden mit einer Schnur blos die Partie desselben
ab, welche sic im gegebenen Fall zu entleeren Vorhaben, und machen erst dann die
Oeffnung frei. Die hinter der zugezogenen Stelle verbliebene Partie des Schlauches
enthält mit Kohlensäure gesättigten Kefir. Den Kefir der Bergbewohner kann man
Schlauchkefir oder, nach dem Orte seiner Verbreitung, Dorfkefir nennen, während
man unseren Kefir Flaschen- oder Stadtkefir heissen mag.
Den Schlauchkefir bereiten die Bergbewohner in der Weise, dass sie frische
Kuh- resp. Ziegenmilch in den Schlauch eingiessen, darauf die Fermentkörner hinein-
thun, die Oeffnung des Schlauches zubinden und den letzteren am kühlen Ort auf¬
bewahren, sodass die Temperatur 16—18° nicht übersteigt. Ganz im Beginn des
Frühjahrs oder im Spätherbst, wenn es draussen ziemlich kühl ist, pflegt man den
Schlauch in die Sonne zu legen, irgendwo im Hofe dicht am Wohngebäude, und
besteht bei den Bergbewohnern gewissermaassen als Sitte, dass die Passanten den
Schlauch mit dem Fusse anstossen; besonders gern thun dies die Kinder, die mit
dem Schlauche spielen, ihn auf den Boden rollen und dergleichen. Durch all das
wird ein Umschütteln der gährenden Milch bewirkt. In den Wintermonaten bewahrt
man den Schlauch im Wohnraume auf und wird er einfach aufgeschüttelt, im Sommer
legt man ihn in den Schatten, an einem kühlen Ort, bedeckt ihn von oben noch
mit Widdcrfellen und dergleichen und schüttelt ebenfalls auf. Schon nach Ablauf
einiger Stunden, zuweilen eines Tages oder zweier Tage, betrachten die Bergbewohner
ihr Getränk als fertig; vor dem Gebrauch selbst schütteln sie den Schlauch gut um
und giessen erst darauf den Kefir in der oben angegebenen Art^zum Trinken in
flache Schalen. In den Schlauch wird jedesmal frische Milch zugegossen. Der Kefir
der Bergbewohner ist von äusserst sauerem Geschmack und unserem Kefir bei weitem
nicht ähnlich.
Das ist die ursprüngliche und, man kann sagen, die rudimentäre Methode der
Kefirbereitung, eine Methode, die sehr unvollkommen erscheint und ein bei weitem
nicht so angenehmes Getränk liefert, wie wir es bei der Bereitung in Glasgefässen
zu bekommen gewohnt sind. Ein Schlauch von Leder lässt sich schwer gehörig
sauber halten und, obwohl die Bergbewohner denselben bisweilen einer gewissen
Reinigung unterwerfen, bekommt man dennoch, infolge von Sauerwerden, mitunter
auch infolge von Fäulniss des in die Falten des Schlauches eingedrungenen Kaseins,
übermässig sauere, unangenehm riechende Portionen des Getränks. Aus dem Grunde
ziehen bereits viele von den einheimischen Bewohnern des nördlichen Kaukasus, der
südlichen Partie der Provinz Kuban und des Gouvernement Stawropol den Schläuchen
Thonkrüge mit engem Halse vor; andere, insbesondere die civilisierten Einwohner
der kaukasischen Städte, sind dazu übergegangen, die vergohrene Milch in Flaschen
zu verkorken und erst dann in Gebrauch zu nehmen. So wurde allmählich die
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Der Kefir.
57!)
Methode der Bereitung des Flaschenkefirs ausgearbeitet und vervollkommnet. Jede
Stadt besitzt gegenwärtig ihren Initiator, der die anderen mit der Ketirbereitung
vertraut gemacht hat.
Alle Modifikationen in der Bereitung des Flaschenkefirs sind auf folgendes
zuriiekzuführen:
A. Bereitung jeder Portion des Getränks mit Hilfe des festen
Kefirferments, d. i. der Kefirkörner.
I*. Bereitung mit Hilfe des flüssigen Kefirgährungsstoffes resp.
des schon fertigen Getränks.
C. Bereitung des Getränks mit Hilfe künstlich hergestcllter Kefir¬
plätzchen und -pulver.
A. Bereitung des Flaschenkefirs mit Hilfe des natürlichen Kefir¬
ferments in festem Zustande.
Hat man die Körner trocken genommen ’), so sind dieselben zuerst in lau¬
warmes Wasser einzulegen und darin 5 — 6 Stunden zu belassen, bis sie bedeutend
aufgequollen sind, dann in ein Glas mit Milch einzutragen und die Milch etwa
4 —5 mal zu wechseln, wobei die Körner in jeder Portion Milch 3 — 4 Stunden zu
verbleiben haben. Allmählich beginnen die Körner in den frischen Portionen Milch
an die Oberfläche der letzteren emporzusteigen, werden weiss, elastisch und sind
nun als genügend vorbereitet zu betrachten.
Auf je zwei Glas Milch ist ein voller Esslöffel der Art vorbereiteter Körner
zu geben resp. auf eine beliebige Menge fertiger Pilze die nach Volumen dreifache
Menge Milch (am besten abgekochte) aufzugiessen, die Herstellung in einem Gefäss
von Glas oder einem innen emaillierten Gefäss bei einer Temperatur von 14—16°
vorzunehmen, die Oeffnung der Karaftine oder des Gefässes mit einem Wattepropf
oder mit vierfach znsammengelegter Watte zu verschliessen (um das Eindringen von
Bakterien aus der Luft zu vermeiden), die Karaftine alle Stunde oder alle zwei
Stunden umzuschütteln. Die Karaftine ist im Dunkeln aufzubewahren' oder von
aussen mit schwarzem Papier zu bekleben. Nach Ablauf von 8—12 Stunden ist
aus der Karaftine, die vorher umgeschüttelt wird, die ganze Milch in eine reine
Flasche durch ein Stück reiner Gaze oder ein mit abgekochtem Wasser gewaschenes
Sieb durchzuseihen und die Flasche mit einem neuen, nicht in Gebrauch gewesenen
Kork gut zu verschliessen; nachdem man den Kork festgebunden hat, ist die Flasche
bei derselben Temperatur, besser jedoch bei einer etwas niedrigeren, aufzubewahren
und unbedingt alle 2—3 Stunden, die Nacht freilich ausgenommen, umzuschütteln
— nicht stark, um Bildung von Butter zu vermeiden. Solcher Kefir, der einen Tag
in der Flasche gestanden hat, eintägiger Kefir, wird noch wenig Kohlensäure
und Alkohol enthalten; der zweitägige Kefir wird schon sehr gut sein, schaumig
Gegenwärtig kann man beinahe in jeder Apotheke resp in jeder Kefiranstalt Kefirkörner
bekommen. Früher, Anfang der 80 er Jahre, als eben die Nachrichten über den Kefir auftauchten,
war das Ferment mit Mühe erhältlich. Ich erinnere mich einer Zeit, wo die Körner nahezu wie
Gold aufgewogen wurden Für ein Glas gequollener Körner verlangten die Besitzer f>0, 75 und
selbst 100 Rubel; trotz eines so hohen Preises gab es stets mehr Käufer als Verkäufer. In sehr
kurzer Frist wandelte sieh die Lage der Parteien in ihr Gegcntheil um: es gab mehr Verkäufer
als Käufer -- und die Preise sind daher gefallen. Der Schleier des Geheimnissvollen ist entfernt,
dem Monopol ist die Konkurrenz gefolgt.
Die Preisennässigung, die allerorts sieh eingestellt hat, ist dadurch bedingt, dass die Körner
hei guter Pflege rasch wachsen.
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W. Podwvssozki
und stark, der Konsistenz nach dem Rahm ähnlich; der dreitägige wird noch
stärker sein, aber schon dünnflüssiger u. s. w. Will man das fertige Getränk längere
Zeit aufbewahren, so thut man am besten, wenn man ein- bis zweitägigen Kefir in
den Eisschrank stellt und die Flasche täglich wenigstens je einmal umschüttelt ln
der Weise kann man den Kefir eine ganze Woche lang aufbewahren. — Die auf
dem Sieb nachgebliebenen Körner, vermengt mit kleinen Kaseingerinnseln, sind
mehrmals mit Wasser abzuwaschen, bis keine Kase'inpartikelchen mehr zu sehen, in
dieselbe mit Wasser ausgespülte Karaffine hineinzuwerfen und von neuem mit der¬
selben Menge Milch zu versetzen, worauf dann weiter, wie oben angegeben, ver¬
fahren wird. Alle 5 — 6 Tage ist die Karaffine völlig rein auszuwaschen. Wie er¬
sichtlich, wird bei dieser Methode der gesammte Gährungsstoff in das Getränk nm-
gewandelt, wobei die in der Karaffine bei Gegenwart von Luft begonnene Gährung
in der verkorkten Flasche nun schon ohne Luftzutritt weitergeht.
Die beschriebene Methode ist sehr einfach, und kann man mit Hilfe derselben
Kefir bereiten, wenn man auch eine sehr geringe Menge von Körnern besitzt. Ich
halte es für nöthig an dieser Stelle zu bemerken, dass, wenn man auf die nämliche
Quantität Körner zweimal soviel Milch nimmt, also vier Glas Milch, die letztere
zweimal so lange auf den Körnern belassen darf, also 14 — 16 Stunden und selbst
einen ganzen Tag. Umgekehrt, wenn man mehr Körner nimmt, muss die Milch auf
denselben ^weniger lange belassen werden. So genügt z. B. bei zwei Esslöffeln
Körner auf zwei Glas Milch das Stehenlassen im Laufe von fünf Stunden u. s. v.
Geht die Herstellung bei 10—12°C vor sich, so ist das Belassen der Körner in der
Milch (im Verhältniss von ein Esslöffel auf zwei Glas) mindestens 24 Stunden lang
nothwendig. Kurz, durch ein verschiedenes Verhältniss zwischen Quantität der
Körner und Quantität der Milch wird eine Anzahl Modifikationen derselben Methode
bedingt; berücksichtigt man noch die Variationen in der Temperatur, die eine
kolossale Rolle für die Schnelligkeit der Herstellung des Getränkes spielt, und die
Grösse der einzelnen Körner, so wird es verständlich, dass jeder scheinbar ver¬
schieden zu Werke schreiten kann, dass aber, im Grunde genommen, alle nach der¬
selben Methode verfahren. Sind die Körner klein, so geht die Herstellung schneller
vor sich. Alle diese Verhältnisse lassen sich durch folgendes Gesetz ausdrücken:
Die Schnelligkeit bei der Herstellung des Kefir ist der Menge des Fer¬
mentes und der Höhe der Temperatur (bis zu einer gewissen Grenze
und zwar nicht über 20 — 22" C) direkt proportional und der Grösse der
einzelnen Körner umgekehrt proportional.
Der Ucbergang von der Methode A zu der Methode B bildet die Modifikation,
dass im Falle der grösseren Körnermenge im Vergleich zur Milchmenge die auf den
Körnern belassene Milch, d. i. der Gährungsstoff, nicht für sich in die Flasche ab¬
gegossen wird, sondern zur Hälfte mit frischer Milch gemengt resp. in irgend einem
anderen Verhältniss. Die auf den Körnern belassen gewesene Milch repräsentiert
den Gährungsstoff, und es ist begreiflich, dass je stärker derselbe, je weniger davon
in die Flasche abzufüllen’ist. Mitunter, bei sehr grosser Körnermenge, hoher Temi ,e "
ratur sowie längerem Stehenbleiben der Milch über den Körnern, bekommt man
einen so* starken Gährungsstoff, dass 4 — 5 Esslöffel davon in eine I r lasche frischer
Milch gebracht ausreichen, um binnen zweier Tage einen sehr guten zweitägig eD
F'laschenkefir zu erhalten. Gewöhnlich pflegt man aber den Gährungstoff mit der
vier- oder sechsfachen Menge frischer Milch zu verdünnen, man setzt also auf ein
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
581
Der Kefir.
nicht ganz volles Glas Gährungsstoff drei bis vier nicht ganz volle Glas Milch in
die Flasche hinzu.
Diese Methode, zuerst von Dmitriew vorgeschlagen, ist sehr bequem und er¬
hält man mit Hilfe derselben den besten Kefir. Der Vorzug der Methode besteht
darin, dass bei der anfänglichen Gährung der Milch im offenen Gefäss ein bedeuten¬
der Theil des Milchzuckers durch die Bakterien gespalten wird und in Milchsäure
übergeht, dass also, wenn man diese Portion Milch, wie sie da ist, ohne Zusatz von
frischer, noch nicht gegohrener Milch, in der Flasche verkorkt, für die'Hefepilze
wenig Zucker nachbleibt und die Alkoholvergährung des Zuckers, die von Kohlen-
säureabscheidung begleitet ist, sehr geringfügig sich gestaltet, der Kefir daher sauer
wird, jedoch wenig moussierend. Dass aber, wenn man den Gährungsstoff, d. i. die
anfänglich in Gährung gerathene Milch, vor dem Verkorken der Flasche die viel¬
fache Menge frischer Milch hinzusetzt, die Hefepilze in dem Zucker der letzteren
neuen Nährboden zugeführt erhalten, sich zu vermehren beginnen und ein Ferment
abscheiden, das den Zucker unter Bildung von Kohlensäure spaltet.
B. Bereitung des Flaschenkefirs mit Hilfe des flüssigen Kefir-
gährungsstoffes resp. des schon fertigen Getränks.
Bei dieser Methode ist der Umstand von grosser Wichtigkeit, dass jeder, der
auch gar keine Körner besitzt, Kefir zu bereiten vermag. Die Methode erweist sich
demnach als die billigste und die am leichtesten anwendbare. Ihr Wesen besteht
in folgendem:
Man bereite selbst mit Hilfe von Körnern eine Flasche zwei- oder dreitägigen
Kefir oder — wenn keine Körner da sind — man schaffe sich eine Flasche des
fertigen Getränkes an, trinke sie aus unter Zurücklassung etwa des vierten Theiles
der Flüssigkeit in derselben, fülle mit frischer Milch auf, lasse die Flasche einige
Stunden lang offen stehen, verkorke sie und bewahre sie bei einer Temperatur von 14
bis 1G° atff, wobei wie bei der Methode A umgeschüttelt wird. Im Sommer muss
man die Flasche im Keller aufbewahren. Binnen 2 — 3 Tagen wird ein sehr guter
Kefir erhalten. Beim Verbrauch des auf diese Weise hergestellten Getränks lasse
man wiederum in der Flasche die nämliche Quantität Flüssigkeit zurück, fülle wie
vorher mit frischer Milch auf u. s. f. Dieselbe Flasche kann mehrere Monate lang
benutzt werden — aus dem einfachen Grunde, weil alle Mikroorganismen des Kefir
sich beständig vermehren. Muss man gleichzeitig mehrere Flaschen Kefir herstellen,
so ist es am besten, eine Flasche des schon fertigen Getränks auf die betreffende
Anzahl reiner leerer Flaschen zu vertheilen, dieselben mit frischer; Milch aufzufüllen
und nun wie oben angegeben zu verfahren. — Begreiflicherweise kommt den Be¬
dingungen, welche die Schnelligkeit der Herstellung bei der Methode A beeinflussen,
die gleiche Bedeutung auch bei dieser Methode zu. So z. B., wenn man in der
Flasche die Hälfte des fertigen Getränks zurücklässt, dass bei unserer Methode die
Ilolle des Gährungsstoffes spielt, die Flasche mit frischer Milch auffüllt, verkorkt
und häufig umschüttelt, so wird schon binnen 20 — 24 Stunden ein ausgezeichneter
Kefir erhalten. Im Gegentheil, wenn man in eine Flasche frischer Milch drei oder
vier Esslöffel des fertigen Getränks hineinhringt, so liefert die Flasche einen guten
Kefir nur nach Ablauf von mehreren Tagen. Wenn man zu einer Flasche frischer
Milch drei Esslöffel fertigen Kefir hinzusetzt, die Flasche verkorkt und im Keller
oder im Eisschrank bei einer Temperatur von 8—10« aufbewahrt, dabei wenigstens
täglich einmal umschüttelt, so wird das Getränk nicht vor 7—8 Tagen fertig. Kurz,
kombiniert man verschiedentlich die Menge des (Jührungsstoffes und die Temperatur
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582 W. Podwyssozki
einerseits, die Menge der frischen Milch andererseits, so ist in beliebiger Zeit guter
Kefir erhältlich. Damit alle Aufgänge des Getränkes stets gelingen, ist mindesten?
nach jedem fünften bis sechsten Turnus derselben Flasche letztere gut auszuwaschen
und von den ihren Wänden anhaftenden Kase'inschichten zu reinigen, nachdem vor¬
her der in ihr für den nächsten Turnus belassene Gährungsstoff in ein Glas abge¬
gossen wurde. Darauf thue man den Gährungsstoff in die reine Flasche und fahre
mit der Herstellung fort.
C. Bereitung des Getränks mit Hilfe künstlich hergestellter Kefir¬
plätzchen und -pulver.
In letzter Zeit haben in Deutschland, in der Schweiz und in Frankreich, wo die
Anwendung des Kefir weite Verbreitung gefunden, mehrere Unternehmer, um das
Herstellen des Getränkes im Hause dem einzelnen bequemer zu gestalten, besondere
Kefirplätzchen und -pulver ersonnen, die beim Hineinbringen in eine Flasche Milch
binnen 2—3 Tagen das fertige Getränk liefern sollen. Hierher gehören z. B. die
Kefirplätzchen von Henberger (in Merlingen in der Schweiz), die Kefirpulver
(Pulvo-Kefir) von Salmon in Paris, die Pulver von Lehmann in Berlin u. s. w.
Alle diese Präparate bestehen aus fein zerkleinerten trockenen Kefirkörnern gemischt
mit Milchzucker. Man pflegt auf eine Flasche Milch ein Plätzchen resp. ein
Pulver zu nehmen. Ich kenne viele Fälle, wo Personen mit Hilfe dieser
Präparate das Getränk sich selbst zubereiten und vollkommen von ihrem Kefir be¬
friedigt sind. Solch eine Anschauungsweise vermag ich aber nicht zu theilen, indem
ein auf diese Art zubereiteter Kefir entweder wenig Kohlensäuregas enthält und daher
garnicht schäumt oder mehr saueren Geschmack besitzt als der entsprechende au?
Körnern hergestellte zweitägige Kefir. Anders kann es auch nicht sein. Die trockenen
Körner liefern ja mit der ersten Portion Milch noch keinen richtigen Kefir; man
hat sie aufzufrischen, aufzuweichen, durch mehrere Portionen Milch passieren zu
lassen, und nur nach einer solch vorbereitenden Arbeit rufen sie in der Milch die
charakteristische Gährung hervor, welche die Milch in das bekannte Getränk um¬
wandelt. Ist man eingedenk der noch von Kern festgestellten ausserordentlichen
Resistenz der Bakterien, welche in der Zusammensetzung des Kefirkorns eingehen,
und der Vergänglichkeit der Hefezelle, welche sich am Aufbau des Kornes betheiligen.
so wird es begreiflich, dass das Auffrischen der trockenen Kefirkörner zuerst im
lauwarmen Wasser und darauf in mehreren Portionen Milch hauptsächlich auf Be¬
lebung und Wachsthumsbeförderung der relativ vereinzelten Hefezellen hinzielt, die
beim Austrocknen noch nicht zu Grunde gegangen und in der Tiefe des Korne?
nachgeblieben sind. Wenn wir das Getränk herstellen, indem wir trockenes Ketir-
pulver in je eine Flasche Milch hineinbringen, verfahren wir eigentlich so, als ob
wir das Getränk aus jener ersten Portion Milch, in der wir zunächst die trockenen
Körner aufweichen um sie zu beleben, bereiten wollten. Die Milch wird natürlich
sauer, besonders in dem Falle, wenn man die Flasche mit der das Kefirpulver ent¬
haltenden Milch bei einer Temperatur von 20 — 24<> aufbewahrt, wie in der jedem
Pulver beigegebenen Vorschrift empfohlen ist. Und obgleich es in derselben Vor¬
schrift heisst, dass »le Kefir doit etre mousseux et piquant«, pflegt das Getränk eben
sehr wenig moussierend zu sein. In der Vorschrift wird nun schon empfohlen, der
Milch einen Löffel gepulverten Zucker hinzuzusetzen, um den Kefir mehr moussierend
zu machen. Offenbar überwiegt die Milchsäuregährung um ein bedeutendes die
Alkoholgährung und wird der grössere Theil des Milchzuckers zur Bildung von
Milchsäure aufgebraucht; die noch allzu lebensschwachen Hefezellen kommen nicht
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Der Kefir.
583
dazu, den Zucker auszunutzen und denselben in Kohlensäure und Alkohol zu spalten,
sodass eben ein Zusatz von Zucker der Sache förderlich erscheint.
Bessere Resultate erhielt ich mit Hilfe von Kefirpulver, wenn ich die erste
Portion des auf diesem Wege bereiteten Getränks als Gährungsstoff benutzte, wenn
ich also die auf 2 / 3 geleerte Flasche mit frischer Milch auffüllte, verkochte und etwa
zwei Tage lang am warmen Ort stehen liess. Jede neuaufgefüllte Flasche lieferte
schon besseren Kefir. Mit anderen Worten, die Bereitung kommt auf die oben be¬
schriebene Herstellungsmethode mit Hilfe des fertigen Kefirgährungsstoffes hinaus.
In diesem Falle aber geht die Bedeutung der Kefirpulver verloren und statt letztere
anzuschaffen (eine Schachtel mit 10 Pulvern des Pulvo-Kefir von Salmon kostet
3 Francs), ist es demnach weit mehr vorzuziehen, eine Flasche guten Kefirs
zu kaufen, dieselbe auf die nöthige Anzahl Flaschen mit Milch zu ver¬
theilen und sich selbst das Getränk nach den oben gemachten Angaben
herzustellen.
Welches auch die Kunstgriffe sein mögen, um die Bereitung des Kefir zu er¬
leichtern, so ist es doch im allgemeinen nicht zu bestreiten, dass, nach den Aufgängen
des Getränks, als die beste Methode die Grundmethode erscheint — Bereitung mit
Hilfe von Körnern, wobei der Gährungsstoff mit frischer Milch verdünnt wird. Es
verläuft hierbei, ohne alle Zusätze von Zucker zu der Milch, die Milchsäure- so¬
wohl als die Alkoholgährung ganz gleichmässig, und man bekommt ein ausgezeichnetes
Getränk, von dem diejenigen keinen Begriff haben, die mit Hilfe von allerlei Pulvern
zu Werke gehen.
Gut bereiteter zweitägiger Kefir muss beim Oeffnen der Flasche eine kohlen¬
säurehaltige, moussierende, schäumende Flüssigkeit repräsentieren von Rahmkonsistenz,
einem angenehmen, säuerlichen, schwach prickelnden Geschmack und einem Geruch
nach frischer sauerer Sahne resp. Buttermilch; er muss ganz gleichartig sein, ohne
deutlich mit der Zunge erkennbare Gerinnsel. Wird die Flasche längere Zeit nicht
umgeschüttelt oder vollzieht sich die Fertigstellung in der Nähe eines Ofens bei
einer Temperatur, die höher ist als 20—22»C, so bekommt man in dem Getränk
Gerinnsel, die mit der Zunge erkennbar sind, was schon beim Kefir einen Fehler
ausmacht. Dreitägiger Kefir ist nicht mehr so dickflüssig wie zweitägiger, etwas
mehr sauer, enthält noch mehr Kohlensäure, und muss man daher beim Oeffnen der
Flasche vorsichtig sein, um weder die Kleider noch die umgebenden Gegenstände zu
beschmutzen 0- Viertägiger und fünftägiger Kefir ist noch mehr sauer, viel dünn¬
flüssiger als dreitägiger und erinnert etwas seinem Geschmacke nach an Stutenkumys.
Ueberhaupt, nach der Stärke des Getränkes, abhängig von der Zeit seines
Verbleibes in der P'lasche, theilt man den typischen Kefir, gleich dem Kumys, in
schwachen (ein- bis zweitägigen), mittleren (zwei- bis dreitägigen) und starken
(drei- oder viertägigen) ein. Da es aber bei den Schwankungen in der Quantität
der Körner resp. des Gährungsstoffes sowie bei den Verschiedenheiten der Tempe¬
ratur Vorkommen kann, dass manch dreitägiger Kefir weniger Kohlensäure enthält
und überhaupt schwächer ist als vorschriftsmässig zubereiteter eintägiger Kefir, so
braucht man irgend ein konstantes und leicht zu merkendes Kriterium, um die
>) Im allgemeinen hat man sich zum Oeffnen des Kefirs eines besonderen Korkziehers mit
Hahn zu bedienen, noch besser eines besonderen ltührchens mit Hahn, durch welches ein spitzer
und nach dem Durchbohren des Korkes ausziehbarer Troicart hindurchgeht. Dieses Instrument ist
unter detu Namen Kumyshahn bekannt und wird in den Instrumentenläden verkauft
Original from
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\V. Podwyssozki
Stärke, Konzentration und Tauglichkeit des Kefirs unabhängig von den verschiedenen
wechselnden Bedingungen bestimmen zu können. Als derartiges Kriterium dürfte
das Aussehen des Schaumes in der Flasche nach dem Umschütteln der letzteren
benutzt werden. Wenn nämlich nach dem Umschütteln der Flasche der sich bildende
Schaum schnell wieder verschwindet, so ist das Getränk noch schwach und nicht
fertig, wenn aber der Schaum aus grossen Blasen besteht, mehrere Minuten lang nicht
vergeht, die Flaschen wände bedeckt und überzieht, so ist das ein ziemlich sicheres
Zeichen, dass wir guten Kefir vor uns haben, ungefähr entsprechend dem zwei- oder
dreitägigen der oben beschriebenen Bereitungsmethode A. Ich will auch noch darauf
hinweisen, dass in der verkorkten und im Laufe von zwei oder drei Stunden nicht
umgeschüttelten Flasche sich sehr scharf eine Trennung der ganzen Flüssigkeit in
zwei Schichten — eine untere, das Kaseingerinnsel, und eine obere, die Serumschicht
— bemerkbar macht, was ebenfalls, in Gemeinschaft mit der bereits erwähnten Er¬
scheinung, ein Zeichen abgiebt, dass der Kefir gut ist und vollkommen fertig.
Ueber die Eigenschaften der Milch, die erforderlich und wünschenswert!!
sind, damit guter und möglichst heilsamer Kefir sich herstellen lasse, erachte ich
folgendes zu bemerken für nothwendig:
1. Man braucht nicht frische Milch zu nehmen. Es ist im Gegentheil viel
besser eine Milch zu benutzen, die mehrere Stunden lang an der Luft bei Zimmer¬
temperatur, noch besser bei einer Temperatur von 35 bis 40° C gestanden hat.
Theoretisch gedacht wäre es hierbei noch besser, in die Milch vorher eine Prise
Soda — bis zur schwach alkalischen Reaktion der Milch — hineinzuthun und
letztere ordentlich umzuschütteln. Als Grundlage einer derartigen Erwägung dürften
die Beobachtungen und Analysen von Dr. Schmidt zu gelten haben, welcher fand,
dass beim Stehen roher Kuhmilch während 8—9 Stunden bei einer Temperatur von
40° sowie beim Alkalisieren der Milch mit Soda bis zur Alkalinitätsstufe der Frauen¬
milch eine Aenderung in dem prozentualen Verhältniss der Eiweisskörper vor sich
geht. Es wird nämlich die Menge des Albumin und insbesondere des Kasein ge¬
ringer, die Menge der Hemialbumose aber, der Zwischenstufe zwischen den gewöhn¬
lichen Eiweisskörpern und den Peptonen, grösser. In der nachfolgenden Tabelle ist
das veränderte Verhältniss zwischen den Eiweisskörpern der frischen Milch, der an
der Luft gestandenen und der alkalisierten in Prozenten ausgedrückt.
Kasein
Albumin
Hemialbumose
Rohe Kuhmilch.
Rohe Kuhmilch, die 8 Stunden lang bei
89,1
7,7
3,2
einer Temperatur von 40° C gestanden
Rohe Kuhmilch, alkalisiert und eben so
84,0
7,2
8,0
lange stehen gelassen.
79,2
7,1
13,7
Die Mengenzunahme der Hemialbumose auf Kosten
des Kasein
in der stehen
gelassenen und in der alkalischen Milch verleiht der Kuhmilch eine bessere Assimilier¬
barkeit, und erhöht deren diätetische Bedeutung.
Bei theoretischer Erwägung hätte man also zu denken, dass Kefir, der aus
Milch bereitet wird, die mehrere Stunden bei einer Temperatur von 40° gestanden
hat und schwach alkalisiert war, viel leichter assimilierbar sein würde und heilsamer
für die Kranken. Dies dürfte sich jedoch in Praxis kaum bewahrheiten, indem beim
Stehen der Milch an einem warmen Ort die Verunreinigung derselben durch Luft¬
bakterien . die nachträglich das Kefirferment in seiner Thätigkeit hemmen könnten.
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Der Kefir.
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schon zu vermeiden wäre. Der nützliche Effekt des Stehenlassens der Milch ist
durch ein anderes Mittel zu erreichen unter Vermeidung der überflüssigen Ver¬
unreinigung derselben.
2. Dieses Mittel ist das Bereiten des Kefir nicht aus roher, sondern aus
gekochter Milch. Bekanntlich verursacht das Kochen der Kuhmilch solche Ver¬
änderungen in der letzteren, die mit Bezug auf einige Reagentien dieselbe der
Frauenmilch ähnlich gestalten. Gekochte Milch wird spontan nicht so schnell sauer
wie rohe Milch und gerinnt beim Versetzen mit Säuren in schleimigen, zarten
Flocken, nicht in groben, festen Klumpen wie rohe Milch, sie gerinnt mit Lab¬
ferment viel schwerer im Vergleich zur rohen Milch, das Gerinnsel ist lockerer
und geht schliesslich aus gekochter Milch viel leichter in Lösung über. Alle diese
Thatsachen, die noch von Biedert, Salkowski, Schreiner u. a. konstatiert
wurden, sind in ihrem Wesen unerklärt geblieben bis zu der Arbeit von Dr. Schmidt,
welcher zeigte, dass das Kochen eine Zunahme der Hemialbumose in der Milch auf
Kosten des Kasein und des Albumin der Milch hervorruft. In einer Milch, welche
10 Minuten lang gekocht wird, verschwindet das gesammte Albumin, und nimmt dem¬
entsprechend die Menge der Hemialbumose zu. Folgendes ist die Analyse einer
Milch, die von Schmidt ausgeführt worden ist. Das Mengenverhältniss der Eiweiss¬
körper ist. in Prozenten ausgedrückt.
Kasein
Albumin
Hemialbumose
Rohe Kuhmilch ....
85,7
7,3
6,0
10 Minuten lang gekochte
76,6
0,8
22,6
60 Minuten lang gekochte
75,3
—
24,7
Diese Zahlen erklären zur Genüge das Wesen der Veränderungen der Milch
unter dem Einfluss des Kochens und die schon längst von den Klinikern verzeichnete
Thatsache, dass gekochte Milch viel besser verdaulich ist als rohe. Es ist also
voller Grund vorhanden den Kefir aus Milch herzustcllen, die vorher 10 bis 15
Minuten lang gekocht wurde; denn erstens arbeitet das Kochen der peptonisierenden
Thätigkeit des Kefirferments mit Bezug auf die Eiweisskörper der Milch vor, eine
Thätigkeit, die, nach Analogie mit der Kumysgährung, auch beim Werden des Kefir
stattfinden muss, und zweitens sterilisiert das Kochen die Milch, tötet alle aus der
Luft hineingelangten Bakterien ab und gestattet dadurch nur die Gährung hervor¬
zurufen, die wir mittels der Mikroorganismen, welche im Kefirkorn enthalten sind,
anzuregen wünschen. Offenbar muss demnach ein Kefir aus gekochter Milch
in diätetischer Beziehung das beste, am leichtesten assimilierbare und
nahrhafteste Getränk aus Kuhmilch repräsentieren. Schliesslich ist Kefir
aus gekochter Milch viel schmackhafter und milder als Kefir aus roher Milch.
3. Man kann den Kefir entweder aus Vollmilch bereiten oder aus abgerahmter
Milch. Der erste heisst fetter Kefir, der zweite magerer Kefir. Der fette Kefir
ist mehr dickflüssig; man hat ihn bei einer niedrigeren Temperatur zu bereiten
(nicht über 14 °C) als den mageren, um die im fetten Kefir bei einer höheren Tempe¬
ratur leicht auftretende Buttersäuregährung zu vermeiden. In der Kinderpraxis und für
Kranke, die an Magen- resp. Darmkatarrhen leiden, wäre der magere Kefir vorzuziehen.
4 Für diätetische Zwecke ist es in manchen Fällen nützlich, bei der Herstellung
des Kefir die Vollmilch mit Wasser zu verdünnen. Es genügt vor dem Verkorken
der Flasche in dieselbe ein halbes Glas gekochten Wassers hineinzuthun. Eine
solche Verdünnung nähert die Kuhmilch etwas der Frauenmilch, die weniger kon-
Zoitschr. f. «liät. u. physik. Tlicrapin 11<1. V. 11 Mt. 7 ^()
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586 W. Podwyasozki
zentriert ist und bedeutend weniger Kasein enthält im Vergleich zu der Kuhmilch.
Uebrigens bildet das Verdünnen eine Nothwendigkeit nur bei Anwendung des Kefir
bei Kindern in den ersten Lebensjahren.
Am Schlüsse dieses Kapitels erachte ich es für nöthig, noch einige Worte zu
sagen über die Pflege der Kefirkörner, über die Erkrankungen des Kefirfermentes und
über verschiedene Zusätze zum Getränk, um gewisse therapeutische Effekte zu erzielen.
Wie wir bereits wissen, wachsen die Kefirkörner in der Milch, die ihnen ah
Nährboden dient. Das Wachsthum erfolgt energisch im Frühjahr und im Sommer,
sehr träge im Winter und im Herbst. Je öfter die Milch gewechselt und je mehr
Milch genommen wird (freilich in gewissen Grenzen), um so besser wachsen die
Körner. Wenn z. B. die Milch alle acht Stunden gewechselt wird und das Verhältnis.-
der Körner zu der Milch einen Esslöffel auf zwei Glas ausmacht, so verdoppelt sich
die Menge der Körner im Sommer binnen ein bis zwei Wochen. Um die Körner
besser gedeihen zu lassen, dieselben vor Erkrankung zu schützen, sowie ein schnelles
Fertigwerden des Getränkes zu begünstigen, ist es nie zu gestatten, dass das einzelne
Korn über Walnussgrösse anwachse (in gequollenem Zustande natürlich). Wenn das
Umschütteln der Karaffine mit dem Gährungsstoff nicht genügen sollte, um das Zer¬
fallen grösserer Körner in kleinere zu bewirken, so hat man dieselben von Zeit zu
Zeit mit den Fingern zu zerreissen. Um das Wachsthum der Körner zu verstärken,
erwies sich als sehr nützlich, von Zeit zu Zeit, alle vierzehn Tage zum Beispiel,
dieselben in der Milch zu belassen, ohne letztere im Laufe von zwei bis drei Tagen
zu wechseln. Nachdem die Körner in der sauer gewordenen Milch gelegen haben,
werden sie elastischer, fester, und fangen an, in der nun öfter gewechselten Milch
sehr energisch zu wachsen.
Um die im Gebrauch gewesenen Kefirköraer zu trocknen, hat man die¬
selben, nach dem Entfernen aus der Milch, sorgfältig mit Wasser abzuspülen, bis
das Spülwasser völlig rein abläuft, darauf das Wasser abzugiessen, die Körner auf
ein reines Tuch oder auf Fliesspapier auszubreiten und am besten zum Trocknen
in die Sonne zu stellen. Beim Austrocknen erhalten die Körner einen Pilz¬
geruch, gewinnen eine hellgelbe Farbe, werden hart und besitzen in völlig
trockenem Zustande schon garnichts mehr von ihrem früheren Geruch. In solcher
Form lassen sie sich sehr lange auf bewahren, selbst mehrere Jahre, ohne dass sie
ihre charakteristischen Eigenschaften einbüssen. Allerdings geht die Mehrzahl der
Hefezellen, die an der Oberfläche der Körner sich befanden, beim Austrocknen
zu Grunde. Die getrockneten Körner sind unbedingt an einem trockenen Ort auf¬
zubewahren. Das Austrocknen in der Sonne empfehle ich zu dem Zweck, dass nach
Möglichkeit der Entwickelung von Schimmel (Penicilium glaucum und Oidium lactis)
vorgebeugt werde, die während des Trocknens der Körner Platz greift. Der Schimmel
ist leicht an der Oberfläche der trockenen Körner in Gestalt von weissen Flecken
zu bemerken. Wenn das Austrocknen der Körner langsam vor sich geht, oder wenn
man die Körner an einem feuchten, dunklen Ort trocknen lässt, so entwickelt sich
an ihrer Oberfläche eine Menge Schimmel, und die Körner verbreiten einen widrigen
Geruch nach Schimmel. Im Gegentheil ist bei schnellem Austrocknen in der Sonne
die Entwickelung von Schimmel eine minimale.
Bei all ihrer Resistenz gegen jegliche äussere Einflüsse sind dennoch die Kefir¬
körner, wenn sie im Gebrauch, also in der Milch sich befinden, mitunter Erkrankungen
ausgesetzt. Eine schon vielfach beobachtete und zweifellos konstatierte Erkrankung
des Kefirfermentes ist die Verschleimung der Körner. So kommt es vor, dass in
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Der Kefir.
587
der Masse der gesunden, elastischen Körner einzelne der letzteren sich mit Schleim
bedecken, vollständig weich werden, sich unschwer mit den Fingern zerdrücken lassen.
Diese Erscheinung beobachtet man besonders häufig in den Fällen, wo die Kefir¬
bereitung unsauber, nachlässig durchgeführt wird, in die Karaffine mit dem Fermente
aus der Luft Bakterien hineingelangen, die eine Verschleimung der Milch hervorrufen,
wie es gegenwärtig für viele Arten beschrieben ist (Schmidt-Mühlheim, Löffler,
Adametz, Guilleblau u. a.) Die Untersuchung ergiebt, dass jedes Theilstück eines
solchen Kornes aus einer Blase besteht, die mit zähem Schleim oder wässeriger
Flüssigkeit gefüllt ist. Es ist mir bei Bergbewohnern der Provinz Terek, die den Kefir¬
handel betreiben, vorgekommen, enorme, handgrosse Körner zu sehen, die durchwegs
degeneriert erschienen, sich ganz weich anfühlten, mit Blasen, eine schleimige, zähe
Masse enthaltend, durchsetzt waren. Infolge der Nachfrage von Seiten der Gross¬
händler des Ortes, zumeist Apothekern, welche die erste Handelsstation für die
Weiterbeförderung der Kefirkörner bilden, bemühen sich die Bergbewohner aus allen
Kräften um eine möglichst schnelle Züchtung der Körner, und betrachten die stark
ausgewachsenen Exemplare als die besten. Derselben Ansicht sind auch die Gross¬
händler: in dem Dorfe Naltschik im Kaukasus, wohin an jedem Markttage die Berg¬
bewohner aus ihren Gehöften Körner mitbringen, fand ich bei den Grosshändlern
Dutzende von Pfunden trockener Körner, welche als durchweg erkrankt sich erwiesen.
Die kleinen Körner waren noch erhalten, die grossen jedoch, die den Ruhm der Berg¬
bewohner bildeten, gänzlich untauglich.
Die Schleimkrankheit ist zweifellos ansteckend, denn es braucht in der Karaffine
mit dem Fermente ein derartiges krankes Korn vorhanden zu sein, damit nach
einigen Tagen schon eine sehr grosse Anzahl kranker Körner sich erweise. Dmi-
triew hat diese Erkrankung bei der in der heissen Jahreszeit erfolgenden Her¬
stellung des Getränks beobachtet, auch beim Gebrauch von getrockneten Körnern,
die an einem zu warmen Ort aufbewahrt waren. Bei der mikroskopischen Unter¬
suchung eines derart gänzlich verschleimten Kornes fand ich fast gar keine Hefezellen;
die ganze Masse repräsentierte einen faserigen Schleim, besät mit langen Faden-
baktcrien, und dazwischen noch vielfach Kugelbakterien, die im normalen Kefirkorn
nicht Vorkommen. Wenn das Korn bereits in toto in eine derartige schleimige,
wässerige Masse umgewandelt ist, so erscheint es als das Beste, was man empfehlen
kann, das Korn fortzuwerfen. Viel vortheilhafter ist es, diese total schleimige Meta¬
morphose nicht aufkommen zu lassen; zu dem Zwecke hat man beim Abspülen der
Körner diejenigen herauszusuchen, die etwa allzu weich sind, in denen eineVerschleimung
von einzelnen Theilstücken bemerkbar ist, kurz, solche, in welchen Symptome der
Krankheit bereits in Erscheinung getreten sind. Nachdem man derartige Körner ab¬
geschieden hat, muss man sie in Wasser, dem etwas Soda zugesetzt ist, abwaschen,
darauf etwa zwei Stunden lang in einer vier- bis fünfprozentigen Lösung von Cremor
tartari, repektive Citronensäure, oder noch besser in einer zweiprozentigen Salicyl-
säurelösung liegen lassen, dann wieder in Wasser abwaschen und zum Trocknen in
die Sonne stellen. Das Auströcknen heilt die Körner vollständig. Wenn in der
Gesammtmasse der Körner viele erkrankte Exemplare vorhanden sind, bekommt man
einen unangenehm schmeckenden Kefir, mitunter aber tritt die Kefirgährung gar nicht
auf. Das beste Schutzmittel gegen die Erkrankung des Kefirfermentes ist Reinlich¬
keit bei der Herstellung des Gährungsstotfes. Mindestens alle drei bis vier Tage
ist die Karaffine, in welcher die Herstellung vorgenommen wird, ganz rein aus¬
zuwaschen, auch darf man niemals die einzelnen Körner zu stark anwachsen lassen.
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588 YV. Podwyaso/.ki
Die Pflege der Kefirkörner hat sich durch möglichst absolute Reinlichkeit aus-
zuzeichnen.
Eine andere Erkrankung der Kefirpilze und der Kefirgährung besteht in dem
Sauerwerden der Pilze und dem Hinzukommen der Buttersiiuregährung zu der
eigentlichen Milchsäuregähruug. Derart erkrankte Pilze verbreiten einen durch¬
dringenden Geruch, zum Theil nach ranziger Butter und bedecken sich, wenn
sie in Milch hineingebracht sind, bereits nach einer Viertel- bis halben Stunde
mit grossen Kase'ingerinnseln. Die Milch gerinnt viel zu schnell, und das Kasein
fällt nicht in Gestalt kleinster Gerinnsel aus, sondern in Form relativ grober
Klumpen. Letztere können bei der weiteren Gährung in verkorkten Flaschen sich
wieder auf lösen und zerfallen, aber das Getränk gewinnt einen viel zu sauren Ge¬
schmack und den durchdringenden Geruch nach verdorbener Butter, dabei entwickelt
sich fast gar kein Kohlensäuregas, und die in ein Glas gegossene Flüssigkeit bildet
keinen Schaum. Schon der Geruch eines solchen Kefirs zeigt an, dass wir es mit
einer hinzugetretenen Buttersäuregährung zu thun haben, und die mikroskopische
Untersuchung eines Tropfens der Flüssigkeit lehrt, dass die Hefezellen gänzlich
fehlen und dass zahlreiche grosse Bakterien, mit Anschwellungen an den Enden, die
in einem gesunden Kefir nicht Vorkommen dürfen, anwesend sind. Viele von diesen
Bakterien repräsentieren zweifellos Buttersäurebakterien.
Die in Rede stehende Erkrankung ist am häufigsten die Folge von zwei
Momenten: Erstens der Anwendung von allzu fetter Vollmilch, insbesondere, falls
dieselbe nicht aufgekocht war und vorher längere Zeit offen an der Luft gestanden
hatte, zudem in nicht genügend gut ausgekochten Töpfen; zweitens der Aufbewahrung
des Kefirs in verkorkten Flaschen an einem viel zu warmen Orte, also bei einer
Temperatur über 20 °. Alle Bakterien, welche Buttersäuregährung hervorrufen (und
solcher Bakterien giebt es mehrere Arten), wachsen besonders üppig bei höheren
Temperaturen, als die, welche zum Gedeihen der Mikroorganismen des Kefirfermentes
notliwendig ist, und ausserdem wachsen diese Bakterien mit Vorliebe ohne Sauerstoff¬
zutritt. Wenn daher bei ungenügend reinllicher Zubereitung des Kefirs die Milch
mit Buttersäurebakterien infiziert wird: aus der Luft oder von dem unsauberen
Milchgeräth (nichtausgekochte Töpfe und Kübel, in welchen die Milch vorher auf¬
bewahrt stand) oder von den unsauberen Schürzen der mit der Kefirbereitung be¬
schäftigten Personen, so beginnen diese Bakterien in hermetisch verschlossenen
Flaschen, die an einem viel zu warmen Orte gehalten werden, energisch sich zu
vermehren und liefern das oben beschriebene verdorbene, untaugliche Getränk.
Leider kommt diese Erkrankung des Kefirs ziemlich häufig vor, und benutzen
Viele, welche die Eigenschaften des guten Kefirs nicht kennen, ein derart sauer ge¬
wordenes, unangenehmes Getränk, was vielfach das Auftreten von Magenkatarrh zur
Folge hat. Indessen repräsentiert gesunder, gut zubereiteter Kefir ein sehr schmack¬
haftes, erfrischendes Getränk, das von Jedermann ausgezeichnet vertragen wird, ohne
Verdauungsstörungen hervorzurufen.
Um die therapeutische Rolle des Kefirs in manchen Fällen von Anämie, wo
die Kranken reine Eisenpräparate nicht vertragen, zu vergrössern, hatte ich noch im
Jahre 1883 vorgeschlagen, in die Flasche mit Kefir vor dem Verkorken eine gewisse
Menge Ferrum lacticum hinzuzufügen. Andere Eisenpräparate braucht man nicht
hinzuzufügen, indem sie alle, selbst reines Eisen (Ferrum hydrogenio reductum), in
den kleinen Dosen unter Einwirkung der freien Milchsäure des Kefirs, in ein und
dasselbe Präparat umgewandclt werden — in milchsaures Eisen. Damit der Kefir
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Der Kefir. 580
den unangenehmen Eisengeschmack nicht gewinne und das gesammte Eisen ins Blut
übergehe, muss man in die Flasche sehr kleine Dosen hineinbringen: 0,06—0,12, am
besten in Pulverform mit 0,6 Milchzucker. Manche anämische Kranke, die auf meinen
Rath hin zwei bis drei Flaschen eines solchen eisenhaltigen Kefirs, zumal noch
aus gekochter Milch, täglich gebrauchten, besserten sich zusehends schon im Laufe
von zwei Wochen. Man darf üherhaupt mit voller Sicherheit Voraussagen, dass in
dem eisenhaltigen Kefir aus gekochter Milch die Therapie ein äusserst billiges und
wirksames Eisenpräparat erhält, um die verzweifeltesten Anämiker zu stärken und
dieselben in ihrer Ernährung zu heben.
Abgesehen vom Eisen hat man es versucht, dem Kefir Pepsin zuzusetzen, um
die Peptonisierung der Eiweisskörper des Kefirs zu erleichtern, was mitunter noth-
wendig sein kann bei Personen, die an Dyspepsie leiden. Schliesslich empfiehlt man
(Langer), dem Kefir verschiedene arzneiliche Stoffe zuzusetzen, wie z.B. Arsen,
Kreosotal, Guajacol u. a. Auf diese Weise erhält man Pepsin-, Arsen-, Guajacol-
kefir u. s.w.
Drittes Kapitel.
Chemismus der Keflrgahrnng.
Die physikalisch-chemischen Veränderungen, welche durch das Kefirferment in
der Kuhmilch erzeugt werden, sind im Grunde genommen mehr oder minder den¬
jenigen ähnlich, die in der Stutenmilch unter dem Einfluss des sogenannten Kumys¬
ferments sich vollziehen. Da und dort gehen unter dem Einfluss von Mikroorganismen,
Hefezellen und Bakterien, zwei Prozesse vor sich: erstens, eine Spaltung des Milch¬
zuckers resp. der Laktose unter Bildung von Kohlensäure, Aetylalkohol und Milch¬
säure, und zweitens, eine besondere Umwandlung der Ei weisskörper der Milch,
welche in dem Ausfallen des Kasein, Peptonisierung und Auflösung eines gewissen
Antheiles der Ei weisskörper besteht.
Der Milchzucker (Laktose), der mit dem gewöhnlichen Rohrzucker (Sacharose),
dem Zucker, welcher als Nahrungsmittel gebraucht wird, identisch ist, vermag an
sich keine Alkoholgährung zu geben, nimmt aber unter dem Einfluss des von den
Hefezellen ausgeschiedenen Ferments Wasser auf und geht als Anhydrid der Glykose
in letztere über, d. h. in Traubenzucker, welcher nun für sich schon leicht der Zer¬
legung anheimfällt. Der Prozess vollzieht sich nach folgender Formel: CuH 22 O n
(Laktose) + H» 0 (Wasser) = 2 C 8 Hu 0 6 (Glykose).
Ein Theil der Glykose zerfällt unter dem Einfluss der von den Hefezellen aus¬
geschiedenen Fermente in Alkohol und Kohlensäure: ('«HuO ö = 2C 2 H 6 0 (Alkohol)
4- 2 C0 2 (Kohlensäure).
Damit aus dem anderen Theile der Glykose sich Milchsäure bilde, ist schon die
Einwirkung, von Bakterien nothwendig. Hierbei spaltet sich die Glykose in eine
doppelte Anzahl Moleküle Milchsäure: C«Hu0 6 = 2C 3 H 6 O s .
Abgesehen davon, spaltet sich am häufigsten der Milchzucker unter dem Ein¬
fluss von Bakterien unmittelbar, ohne vorangehende Umwandlung in Traubenzucker,
jedoch immerhin unter Aufnahme eines Molekül Wasser, in die entsprechende Anzahl
von Milchsäuretheilchen. In solchem Falle geschieht eine Spaltung des Milch¬
zuckers in die vierfache Anzahl von Milchsäuretheilchen nach der Formel: CuH 22 On
+ H 2 0 = 4C S H 6 0 3 .
Die Milchsäuregährung des Zuckers geht stets der Alkoholgährung voraus, und
fällt der Milchzucker im allgemeinen leichter der Milchsäuregährung als der Alkohol-
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590 W. Podwyssozki
gährung anheim, besonders unter dem Einfluss einer höheren Temperatur und des
freien Sauerstoffzutritts. Diese Thatsache hat man bei der Kefirbereitung stets im
Auge zu behalten, denn sehr häufig ergiebt die Kefirgährung, wenn bei
viel zu hoher Temperatur sich abspielend, ein äusserst saueres resp.
fast gar nicht moussierendes Getränk. 1 )
Bei der krankhaften Kefirgährung, wenn die Milch oder die Pilze mit Butter¬
säurebakterien oder anderen Bakterien verunreinigt sind, kann im Kefir Butter¬
säure und Essigsäure sich einfinden, des Ferneren aber auch verschiedene Produkte
fauliger Zersetzung der Eiweisskörper. Ein solches Getränk ist zum Gebrauch un¬
tauglich. Das ist schon kein Kefir mehr.
In welchem Maasse überhaupt der Milchzucker langsamer in Alkoholgährung
als in Milchsäuregährung übergeht, das sieht man besonders anschaulich, wenn
man die Kumysgährung verfolgt. So fand Karrik, dass auf Zusatz von Hefe zu
Stutenmilch die Alkoholgährung erst nach fünf Stunden in Erscheinung tritt, dass
aber auf Zusatz gemischten Kefirgährungsstoffes bei derselben Temperatur sich fast
sofort eine gewisse Menge Milchsäure bildet. Wenn solch zögerndes Eintreten der
Alkoholgährung bei der Kumysbereitung unter dem Einfluss des Kumysferments,
stattfindet, so gilt dasselbe nicht mit Bezug auf die Alkoholgährung des Milchzuckers
unter dem Einfluss des Kefirferments. Hier beginnt die Alkoholgährung schon
binnen 15—20 Minuten nach Einlegen gequollener Kefirkörner in die Kuhmilch, wie
aus der begleitenden Kohlensäurebildung zu entnehmen ist. Die Körner steigen
nämlich an die Oberfläche der Milch, und prasselnd werden Kohlensäurebläschen aus¬
geschieden. Demnach verzögert sich hier die Alkoholgährung relativ sehr wenig
gegenüber der Milchsäuregährung. Versetzt man aber die Milch mit trockenen oder
ungenügend gequollenen Körnern, so erhält man das Gegentheil: die Alkoholgährung
tritt mitunter gar nicht ein, während die Milchsäuregährung in voller Kraft sich
entwickelt und einfaches Sauerwerden der Milch zur Folge hat Beim Steigen der
Aussentemperatur bis 25—30° C findet zudem eine verstärkte Milchsäuregährung
statt, so dass nur ein sehr unbedeutender Theil des Zuckers in Kohlensäure und
Alkohol sich spaltet.
Je niedriger die Temperatur (freilich bis zu einer gewissen Grenze), um so gleich-
miissiger gehen die Alkohol- und die Milchsäuregährung neben einander einher, um
so mehr wird der Kefir Alkohol und Kohlensäure enthalten, der Geschmack des
Getränks angenehmer, weicher und die Kaseingerinnsel kleiner sein. Im Gegentheil.
wenn die Milchgährung bei relativ hohen Temperaturen (20—30 0 C) sich vollzieht,
so bekommt man einen äusserst saueren, scharfen, weniger angenehmen Kefir mit
groben Kaseingerinseln, der zuweilen Magenschmerzen hervorruft. Ein solches Getränk
muss bedeutende Mengen Buttersäure enthalten, indem schon seit den klassischen
I’asteur’schen Untersuchungen bekannt ist, dass bei einer Temperatur von über
22" 0 in der Milch in Gegenwart von Bakterien sehr leicht Buttersäuregährung ent-
') Neben dem Entstehen von Milchsäure, Alkohol und Kohlensäure geht in der Milch ans
dem Zucker unter dem Einfluss der Lebeusthüiigkeit und der Vermehrung der Hefe noch eine
Bildung geringster Mengen solcher Nebenprodukte einher, wie B£mstcinsäure, Glycerin etc., denen
keine spezielle Bedeutung bei der Kefirbereitung zukommt. Etwas grössere Mengen dieser Stoffe
ergeben sich in dem Falle, wenn die Menge der Kefirkömer viel zu gross war im Verhältnis 111
der Milch und wenn die Gährung bei höherer Temperatur (38—40®C) sich vollzog. Wahrscheinlich
geschieht hierbei dasselbe, was bei der Alkoholgährung stattfindet, wenn man letztere bei hoher
Temperatur vor sich gehen lässt: die Gährung wird nämlich von dem Entstehen einer grossen
Menge Glveerin und Bernsteinsäure begleitet.
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591
Der Kefir.
steht mit Umwandlung eines Theiles der Milchsäure in Buttersäure. 1 ) Die beste
Temperatur für die Herstellung eines guten Kefir ist demnach 15—17«C. Die Berg¬
bewohner des Kaukasus suchen ihre Schläuche und Gefässe mit der gährenden Milch
bei möglichst niedriger Temperatur zu erhalten, was ihnen im Sommer freilich
nicht zu gelingen pflegt
Einen besonders wichtigen Einfluss auf das Entstehen und den Gehalt von
Alkohol und Milchsäure im Kefir übt auch das Umschütteln des Gefässes mit der
gährenden Milch aus. Die Steppenbewohner, welche sich den Kumys bereiten,
sehen in dem Umschütteln eine der Hauptbedingungen für die Gährung der Stuten¬
milch; noch im Jahre 1784 wurde der Werth dieser Bedingung voll und ganz ge¬
würdigt von dem Schotten Greave, dem die Ehre gebührt, die wichtige diätetische
und therapeutische Bedeutung des Kumys entdeckt zu haben. Beim Herstellen des
Kefir ist das Umschütteln aber noch mehr nothwendig als beim Herstellen des
Kumys und zwar aus dem Grunde, weil als Hefe für die Kefirgährung zumeist keine
Flüssigkeit, die sich gleichmässig mit der Milch vermengen könnte, sondern ein
fester Körper dient — die Körner, welche mit sehr geringen Antheilen der Milch
in Berührung kommen. Beim Herstellen des Kefir durch Zusatz flüssigen Gährungs-
stoffes zu der Milch (Methode B) ist das Umschütteln ebenfalls nöthig, jedoch schon
zu anderen Zwecken. Durch das Umschütteln erreicht man zunächst eine gleich-
massige Berührung der verschiedenen Milchantheile mit dem Ferment und eines
möglichst grossen Theiles der Milch mit der Luft, somit einen gleichmässigen Ablauf
der Alkohol- und der Milchsäuregährung, welcher verhindert, dass in einzelnen
Schichten der Milch grössere Mengen von Milchsäure sich ansammeln mit all den un¬
erwünschten Folgen eines solchen Ansammelns, namentlich dem schnellen Gerinnen des
Kasein in grossen Klumpen. Späterhin, nachdem das Kasein dank der saueren Reaktion
der Milch bereits geronnen ist, erscheint das Umschütteln nicht minder wichtig, in¬
dem es ein Zusammenballen des Kasein in feste, grosse Gerinnsel verhindert und
dagegen die gesammte Flüssigkeit in eine äusserst feine Emulsion verwandelt. Das
Umschütteln ist demnach theilweise ein Hinderniss für die übermässige Bildung von
Milchsäure und dabei der Alkoholgährung nicht nur keineswegs schädlich, sondern
geradezu förderlich; zudem wird das geronnene Kasein in einem sehr zerkleinerten,
für die Assimilation passenden Zustand übergeführt.
Um mit dem Studium der Alkoholgährung bei der Kefirbereitung abzuschliessen,
erübrigt noch zu untersuchen, welchen Einfluss in dieser Beziehung der Zutritt der
Luft zu der Milch ausüben mag.
Die moderne Anschauungsweise, die hauptsächlich auf den Arbeiten von
liasmus und von Hansen über die Alkoholgährung basiert ist, unterscheidet
sich etwas von derjenigen, die noch von Pasteur begründet wurde. Pasteur
meinte, dass Gährung Leben ohne Luftzutritt wäre, heutzutage ist jedoch festgestellt,
dass die Alkoholgährung normal und ergiebigst. vor sich zu gehen vermag, wenn die
Hefezellen vorher mit einer genügenden Quantität Sauerstoff sich versehen und unter
i) Den eigentlichen Prozess (1er Buttersäuregährung pflegt man chemisch so auszudr&ckcn:
2 C 3 H 0 O 3 = c 4 h*o 2 -f 2 CO* + 4 H. Abgesehen hiervon kann auch ein anderer Fall von Butter-
Milchsäure Buttersäure
säurebildung durch Gährwirkung cintreten und zwar schon selbstständig aus Milchzucker, wobei
nebenher Milchsäure, Kohlensäure und Wasserstoff entsteht nach folgender chemischer Gleichung:
C 12 H. ä 0h + H 2 O — 2 Cji Hfl0 ; * -f C 4 H*0 2 2 CO -1- 4H. Es ist sehr wahrscheinlich, dass, wenn
Milchzucker Milchsäure Huttersäuro
man Kefir bei höherer Temperatur herstellt, ein gewisser Teil des Milchzuckers auch eine derartige
Spaltung erleidet
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f)!)2 W. Podwyssozki
dem Einfluss des letzteren in genügender Menge sich vermehrt haben. Es ist daher
das Gefäss mit dem Gährungsstoff eine Zeit lang, die ersten 6—8 Stunden, für den
Zutritt des Sauerstoffes der Luft offen zu halten, darauf erst die gährende Flüssigkeit
in eine hermetisch verschliessbare Flasche ahzugiessen und hier bei einer Temperatur
von 16—18° C auf einen bis zwei Tage — je nach Bedarf — stehen zu lassen. Das
offene Aufbewahren der Milch in den ersten Stunden ist nothwendig, damit die
Hefezellen in genügender Anzahl sich vermehren; dann erst beginnen die letzteren
im verschlossenen Gefäss die eigentliche Gährung zu bewirken, also dasjenige
chemische Ferment zu produzieren, das, wie vor kurzem Büchner gezeigt hat, aus
den Hefezellen beim Zerdrücken derselben gewonnen werden kann.
Was die Veränderungen anbelangt, welche die Eiweisskörper der Milch beim
Entstehen von Kefir erleiden, so sind es offenbar dieselben, welche die Eiweiskörper
der Stutenmilch unter dem Einfluss der Kumysgährung erfahren. Zum Theil unter
dem Einfluss der Milchsäure, zum grösseren Theil jedoch unter dem Einfluss eines be¬
sonderen koagulierenden Ferments, ausgeschieden von den Bakterien, fällt das Kasein
aus. 1 ) Das ausgefallene Kasein geht successive in einem löslichen Zustand über,
wobei ein gewisser Theil desselben peptonisiert wird.
Ueber die angegebenen Modifizierungen der Eiweisskörper der Milch bei der
Kefirgährung kann man sich theilweise eine Vorstellung bilden schon nach den sicht¬
baren physikalischen Aenderungen, welche mit der Milch vorgehen. Von den
zweifellos in der Milch existierenden zwei Vertretern der Eiweisskörper — das
Kasein und das in geringer Menge vorhandene Serumeiweiss oder Albumin — er¬
fährt das erstere, das Kasein, merkliche Veränderungen. Dasselbe befindet sich in
der Milch entweder in gelöstem Zustande oder in gequollenem, in Gestalt von
gelatinösen Massen, oder endlich, möglicher Weise, in Gestalt feinster Häutchen um
die Fettkügelchenkörner. Die Frage ist trotz der umfangreichen Litteratur definitiv
noch nicht entschieden; jedenfalls befindet sich in der normalen Milch das Kasein
nicht in einem geronnenen Zustand, ist mit dem Serum innig verbunden und am
wahrscheinlichsten in der Flüssigkeit gelöst. Bei der Kefirgährung findet all¬
mähliche Koagulierung des Kasein statt, jedoch nicht in Gestalt grosser, fester
Klumpen, sondern in Gestalt lockerer, äusserst kleiner, schleimiger, zarter Flocken,
die beim Umschütteln eine sehr feine Emulsion liefern. Solche Behauptung wider¬
spricht anscheinend der Wirklichkeit, indem in einem verkorkten Gefäss mit Kefir,
das etwa 10 Stunden lang gestanden hat, beinahe sämmtliches Kasein zu einem
einzigen Klumpen zusammengeballt ist, der von dem klaren Serum sich abtrennt
i) Das Ausfallen resp. Koagulieren des Kasein kann überhaupt unter dem Einfluss von zwei
Momenten zu stände kommen: erstens, unter dem Einfluss des Zugegenseins von Säure und
zweitens, unabhängig von der saueren Reaktion, unter dem Einfluss eines besonderen Ferments,
des sogenannten Labferments, das hauptsächlich in der Magenschleimhaut sich befindet, aber auch
von vielen pflanzlichen Zellen, den höheren sowohl als den niederen Pflanzen, abgeschieden wird.
Eine solche Wirkung auf Milch, infolge der Gegenwart eines koagulierenden Ferments, hat z. B.
der Saft des Feigenbaumes, haben die Blätter des Alpengesträuchcs Pingnicula vulgaris, der Saft
von Carica papaia, der Saft von Artischockenblumen, die Samen von Datura stramonium, Ricinus
communis, besonders zur Zeit der Keimung, und viele anderen Pflanzen. Schliesslich zeigte
Duclaux, dass viele Bakterien ebenfalls ein koagulierendes Ferment ausscheidcn. Unter dem
Elinfluss dieses Ferments gerinnt die Milch, ohne ihre neutrale Reaktion cinzubüssen, und die Her¬
stellung vieler Käsesoiten geschieht namentlich unter Zuhilfenahme von Labferment. Unter 10 bis
18" C wirkt das Ferment auf die Milch nicht mehr ein. Das Maximum der Wirkung findet statt
zwischen 30 und 35" C.
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Der Kefir.
593
und an der Oberfläche des letzteren schwimmend sich befindet. Die Sache ist aber
die, dass man blos mehrmals die Flasche um ihre Längsachse herumzudrehen
braucht, damit der ganze Kaseinklumpen schon aufzugehen beginne, sich mit dem
Serum vermenge und eine sehr gute Emulsion bilde, ohne mit der Zunge wahrnehm¬
bare Gerinnsel und Klümpchen. Der ursprüngliche gemeinschaftliche Klumpen be¬
steht also aus locker aneinander gefügten, sehr kleinen, sogar mikroskopischen
Kasc'ingerinnseln. Eine derartige Koagulierung, das Kasein in feinen Gerinnseln,
findet nur in dem Falle statt, wenn die Bildung der Milchsäure langsam sich voll¬
zieht, was eben bei Wärmegraden nicht über Zimmertemperatur geschehen kann.
Geht aber die Milchsäuregährung sehr energisch vor sich und bildet sich mit einem
Male viel Milchsäure — was bei höherer Temperatur vorkommt (20—25 0 und höher,
bis 40 0 C.), — so fällt das Kasein schon in Gestalt fester Klumpen aus, die theilweise
selbst nach stärkstem Umschütteln der Flasche bestehen bleiben, und man erhält
schliesslich ein saueres Getränk mit wahrnehmbaren Gerinnseln und Klümpchen
von Kasein.
Die ferneren Umwandlungen des Kasein bestehen darin, dass ein Theil des¬
selben im Serum gelöst wird. Dies ersieht man schon aus dem Unterschied, welcher
zwischen eintägigem und zweitägigem oder noch älterem Kefir nachweisbar ist. Der
im Beginn dickflüssige, rahmähuliche Kefir wird mit jedem'Tage stets dünnflüssiger,
schliesslich wässerig, serumähnlich. Offenbar ist ein bedeutender Theil des emulgiert
gewesenen Kaseins in Lösung übergangen, wobei wahrscheinlich ein gewisser Theil
peptonisiert wurde resp. sich in Hemialbumose verwandelte — ein Zwischenstadium
zwischen Eiweiss und Pepton.
Die Lösung des Kaseins und die wahrscheinliche Peptonisierung desselben in
der Milch ist von dem verdauenden Ferment abhängig, das von den Kefirbakterien
und auch wohl von den Hefezellen ausgeschieden wird.
Die Lösung des Kaseins unter dem Einfluss der Kefirbakterien bietet nichts
Spezifisches dar, was den Mikroben des Kefirferments eigenthümlich wäre. Alle
Milchbakterien, welche koagulierende Fermente ausscheiden, liefern auch ein Ferment,
welches Kasein auflöst und von Duclaux als »Kasease« bezeichnet wurde. Dieses
Ferment, im Reiche der Mikroben weit verbreitet, wirkt bei relativ niedrigeren
Temperaturen als das koagulierende Ferment, namentlich sogar bei einer Temperatur
von 4—5° C 1 )-
Kasease resp. Kasein auflösendes Ferment scheiden nicht blos viele Bakterien
aus, sondern auch Schimmelpilze und Hefen. Diese Thatsache, die in letzter Zeit von
einer ganzen Reihe von Forschern (Poelil, Boulanger, Hahn, Wehmer, Will,
Beyerinck, Lindner) mit Bezug auf Kulturen von Schimmelpilzen und von Bier¬
hefen festgestellt worden ist, giebt uns Grund zu der Behauptung, dass bei dem
Auflösen des Kaseins im 2—3tägigen Kefir eine gewisse Rolle auch den Hefezellen
des Kefirferments zukommt.
Gleichzeitig mit dem Auflösen des Kaseins bewirkt die Kasease auch Peptoni-
i) Das glänzendste Beispiel der losenden Wirkung dieses Ferments wird durch den Reifungs¬
prozess der Käsesortc „Brie“ dargeboten. In dem Maasse als das von den Bakterien der Käse¬
rinde ausgeschiedene Ferment in die Tiefe cindringt, verflüssigt sich das Kasein immer mehr und
mehr in der Richtung von der Peripherie nach dem Centrum hin. Vollkommen gereifter Brie ist
solcher, in welchem das Kasein in seiner ganzen Masse der Verflüssigung anheimgefallen ist.
Von den Bakterien, die in kolossaler Menge Kasease bilden und in Milch und Milchprodukten
leben können, ist die von Duclaux beschriebene Thyrotrix tennis und die ihr sehr ähnliche Fleu-
bakterie (Bacillus subtilis) besondere beachtenswerth.
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W. Podwyssozki
504
sierung eines Theiles des letzteren, wie man auf Grund der Analysen von ver¬
schiedenen Kefirsorten zu schliessen vermag; je älter ein Kefir, um so mehr enthält
er Pepton und verschiedene Uebergangsformen zwischen nichtdialysierendem und
dialysierendem Eiweiss. Es lässt sich das lösende Prinzip des Ferments von dem
peptonisierenden nicht abtrennen, indem offenbar die beiden Prozesse sich gleich¬
zeitig abspielen.
Dem Prozess der Lösung des Kaseins und der Peptonisierung desselben kann
unter dem Einfluss der Kasease (wie es in letzter Zeit Duclaux gezeigt hat) die
nun beginnende weitere Zersetzung des Eiweiss nachfolgen, bei welchen so un¬
erwünschte Produkte wie Leucin und Tyrosin, die bei der Fäulniss des Eiweiss zu
entstehen pflegen, gebildet werden. Daher betrachten auch manche Chemiker nicht
ohne Grund schon die Peptonisierung der Eiweisskörper als Beginn der Fäulniss.
die blos noch nicht von der Entwicklung stinkenden Gase begleitet ist.
Lassen wir die schwer zu entscheidende prinzipielle Frage bei Seite, wo die
Gährung auf hört und wo die Fäulniss anfängt, so müssen wir jedenfalls anerkennen,
dass die Lösung und die Peptonisierung des Kaseins einen wünschenswerthen und
den Zwecken der Ernährung äusserst nützlichen Prozess darbietet. Indessen weiter
als die Eiweisskörper zu peptonisieren, darf die Wirkung der Mikroben und ihrer
Fermente nicht gedeihen, wenn nicht sonst der Kefir bereits Zersetzungsprodukte
der Eiweisskörper, die schädlich und sogar giftig sind, enthalten soll. Ist man
dessen eingedenk, dass die Kasease unter Zimmertemperatur und selbst bei einer
Temperatur von 5° C wirksam bleibt, so wird es begreiflich, dass die lösende
Wirkung dieses Ferments, welche die Grenze des Nichtgewünschten so leicht über¬
schreitet, beim längerem Aufbewahren des Kefirs in Flaschen, wenn auch an kühlen
Orten, eintreten kann. Da man nicht weiss, wann die unerwünschten Veränderungen
im Kefir beginnen mögen, dürfte es demnach vernünftiger sein, einen zu alten Kefir
gar nicht zu gebrauchen, falls derselbe auch im Keller aufbewahrt lag. Einen Kefir
zu gebrauchen, der älter ist als 5 Tage, rathe ich unter keinen Umständen. Wieder¬
holt habe ich mich davon überzeugt, dass nach Gebrauch eines alten, 6—7 tägigen
Kefirs, der im Keller aufbewahrt lag und noch gar keinen unangenehmen Geruch
von sich gab, Magenschmerzen auftreten. Offenbar sind in einem solchen Kefir
bereits für den Organismus schädliche Zersetzungsprodukte der Eiweisskörper ent¬
halten. Zu diesen Produkten kommt sicherlich noch Buttersäure hinzu, entstanden
dank der speziellen Buttersäuregährung, die so sich in hermetisch verkorkten
Flaschen, also bei Fehlen des freien Sauerstoffs der Luft, sich entwickelt.
Weil immer noch die Herstellung des Kefirs, wie überhaupt vieler anderer
gährender Getränke, mehr auf empirischen Thatsachen beruht, denn auf genau unter¬
suchten und genau regulierbaren biologisch-chemischen Grundlagen, so ist es nicht zu
verwundern, dass eine bestimmte chemische Zusammensetzung des Kefirs nicht
existiert. Man darf blos von einer qualitativen konstanten Zusammensetzung des
normalen Kefirs reden. Die quantitative Zusammensetzung schwankt aber bedeutend
und ist abhängig von sehr vielen Bedingungen, worunter die Gährungsdauer und
die Temperatur, bei welcher die Gährung sicli vollzieht, sowie die Eigenschaften
der Milch — abgerahmte Milch oder Vollmilch — die Hauptrolle spielen.
Die erste quantitative Analyse des Kefirs wurde auf Ersuchen von
Dr. Dmitriew durch den Pharmaceuten Tuschinski im Jahre 1S87 ausgeführt.
Darauf haben Nencki und Bakosski, Weinberg, Weber, Ssadowen u. a.
ihre Analysen publiziert. Die detailliertesten Analysen, in welchen bereits auf die
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I>nr typfir
peptonisierien Eiweisskürper Rücksicht genommen ist, .sind von Ri!, Hjimuva.rfton,
S ouaerat, Malerlio, Ssil wanow und insbesondere ia letzter Zeit von Ko >. v »
gemacht worden.
ln der folgenden Tabelle sind die Resultate einiger von diesen Analyse]» |p
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kenn daher der Meinung vmt !m Ko/, m mir solistu heiptiiehien. dass vehlocbf
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anderen :fiiun v n df<ni Kranken' eher Rrluulen als Nutzen zu bringen vermag.
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Referate über Büclier und Aufsätze.
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Verschiedenes.
S. Arloing, Inoculabilitö de la tuberculose humaine aux herbivores. Lyon
med. 1901. 1. Dezember.
Seitdem Robert Koch auf dem Londoner Tuberkulosekongress die Beziehungen
zwischen der menschlichen Tuberkulose und der Perlsucht des Rindviehes abgeleugnet
und alle Maassnahmen, welche bisher gegen die Uebertragung der Tuberkulose vom
Rindvieh auf den Menschen speziell durch tuberkelhacillenhaltige Nahrung getroffen
worden sind, als überflüssig bezeichnet hat, ist ein so lebhafter Streit allerorten
wegen dieser Frage entbrannt, wie er wohl in medicinischer Hinsicht während der
letzten Jahrzehnte kaum je stattgefunden hat. Auf der einen Seite treten diejenigen
Autoren jetzt von neuem hervor, welche bereits früher, wie jetzt Koch, ähnliche
Behauptungen aufgestellt hatten; andrerseits mehren sich die Stimmen der Forscher,
welche entweder an dem Zusammenhänge der menschlichen und thierischen
Tuberkulose festhalten, oder wenigstens umfassendere Experimente, als Koch sie
bisher angestellt hat, verlangen, bevor der Genuss einer Tuberkelbacillen enthaltenden
Milch als völlig unschädlich für den Menschen bezeichnet werden kann. Einer der
Hauptvertreter der letzteren Ansicht, Ostertag, welcher sich während der letzten
Jahre in ausserordentlich eingehender Weise mit der Tuberkulosefrage beschäftigt
hat, veröffentlichte in der letzten Nummer dieser Zeitschrift einen längeren Aufsatz,
in welchem er den Vortrag Koch's kritisch beleuchtete. Heute möchten wir eine
Mittheilung hier wiedergeben, welche ein französischer Forscher, Arloing, der gleich¬
falls auf dem Gebiete der experimentellen Tuberkuloseforschung zu den hervor¬
ragendsten Gelehrten gehört, in der Dezembernummer des Lyon medical auf Grund
eines Vortrages, den er in der Novembersitzung der Societd nationale de medccinc de
Lyon hielt, veröffentlicht hat.
Bereits früher w r ar es Arloing gelungen, bei sieben Ziegen und bei drei Eseln,
welchen er vom Menschen stammende Tuberkelbacillen in die Vena jugularis injiziert
hatte, mit Sicherheit Tuberkulose hervorzurufen. Diese Experimente nahm er un¬
mittelbar, nachdem Koch seinen Vortrag gehalten hatte, von neuem und in grösserem
Maassstabe auf. Eine Kartoffelkultur von Tuberkelbacillen vom Menschen wurde ver¬
rieben und sorgfältig in sterilisierter Bouillon im Verhältnis von 1 : 12 emulgiert.
Die Emulsion wurde dann durch zwei Lagen von feinem Leinenstoff durchgesiebt.
Mit dieser Emulsion impfte Arloing folgende Thiere:
1. ein Kalb und eine Färse von 18 Monaten, welche nicht auf Tuberkulin
reagiert hatten (2 ccm in die Vena jugularis);
2. zwei Hammel (2ccm dito);
:>. eine junge Ziege (1 ccm dito);
4. zwei Kaninchen (V 2 ccm in die Ohrvene);
f>. zwei Kaninchen (Va ccm intraperitoneal);
<). zwei Meerschweinchen ('/ 4 ccm subkutan in den Oberschenkel).
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Referate über Bücher und Aufsätze.
Bei all diesen Thieren war mehr oder minder lange Zeit nach der
Injektion ein deutlicher Effekt derselben zu konstatieren. Bei allen stieg
zunächst die Temperatur an und blieb erhöht bei dem Kalb, den Hammeln und der
Ziege. Nach einer Reihe von Tagen fingen das Kalb und die Färse zu husten an
und zwar mehrmals am Tage anfallsweise, besonders bei Bewegungen. Alle Thiere
magerten ab oder blieben in ihrer Entwickelung stehen.
Fünf Wochen nach der Impfung reagierten das Kalb und namentlich die Färse
lebhaft auf Tuberkulin. Kurze Zeit darauf infizierte sich das Kalb im Stall mit
Räude und starb an der Infektion. Innerhalb von zwei Monaten nach der Infektion
gingen die Hammel, die Ziege und die in die Ohrvene geimpften Kaninchen zu
Grunde, nachdem sie vorher deutlich abgemagert waren, Athembeschleunigungen und
eine starke Prostration gezeigt hatten. Die interperitoneal geimpften Kaninchen und
die Meerschweinchen wurden getödtet; die Färse lebt zur Zeit noch, hustet aber
stark und zeigt die deutlichen Zeichen der tuberkulösen Infektion.
Was nun die pathologischen Präparate der gestorbenen bezw. getöteten
Thiere anbelangt, so waren die bei den Meerschweinchen und Kaninchen gefundenen
Läsionen typisch. Bei dem Kalb waren die tuberkulösen Veränderungen ausschliesslich
im Thorax nachweisbar. Die Oberfläche der Lungen war mit subpleuralen tuber¬
kulösen Granulationen übersät; letztere waren aber auch deutlich in grösserer
Menge im Lungenparenchym zu konstatieren und erreichten die Grösse eines Steck¬
nadelkopfes. Die Bronchial- und ösophagedlen Lymphdrüsen waren erheblich ge¬
schwollen.
Vollständig identische tuberkulöse Veränderungen fanden sich im Thoraxraum
der Hammel; dagegen waren dieselben in der Lunge der Ziege weniger markant,
aber nach der Härtung der Lungen noch deutlich sichtbar.
Von den frisch herausgenommenen Präparaten impfte Arloing kleine Stücke
unter die Haut von Meerschweinchen und erzeugte bei diesen wieder typische Tuber¬
kulose. In den gehärteten Präparaten der Lungen der verschiedenen sub 1 — <> ge¬
nannten Thiere waren die Tuberkelbacillen durch das Färbeverfahren mit Sicherheit
nachweisbar.
Ueber die charakteristischen mikroskopischen Veränderungen in den Organen
der Thiere, welche durch die Impfung mit von Menschen stammenden Tuberkel¬
bacillen tuberkulös erkrankten bezw. starben, sowie über weitere, noch umfassendere
Experimente, behält sich Arloing nähere Mittheilungen vor.
Wir halten aber die publizierten Ergebnisse für bedeutungsvoll genug, um sie
bereits jetzt zu veröffentlichen. Paul Jacob (Berlin).
U old scheid er und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie. Theil 2. Bd. 1. Leipzig
1902 Verlag von Georg Thieme.
Der zweite Theil des grossangelegtcn Werkes bringt die physikalische Therapie der einzelnen
Erkrankungen, also die spezielle physikalische Therapie. Es ist in dem ersten Bande eine erstaun¬
liche Fülle von praktisch klinischer Erfahrung nicdergelegt. Dabei ist die Gefahr, dass die Darstellung
einen unvollständigen Eindruck erweckt, sehr geschickt vermieden worden, obwohl diese Gefahr
naturgemäss allen Schilderungen anhaftet, die nicht die gesainmtc Therapie, sondern nur einen Theil
derselben geben wollen. Allerdings ist der Begriff der physikalischen Methoden auch recht weit
gezogen, die Thoracocentese zum Beispiel, die Intubation und anderes mehr kann man wenigstens
wohl mit demselben Rechte zu den operativen, als zu den physikalischen Methoden rechnen. Als
besonders rühmlich möchte Referent hervorheben, dass im allgemeinen die Autoren sich einer ge¬
sunden Kritik befleissigen, die gerade dieser jungen Disziplion so bitter nöthig ist.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
Ira einzelnen sind die Abschnitte an folgende Autoren vertheilt: Kopp hat die Haut¬
krankheiten behandelt. Dieser Abschnitt ist sehr vollständig und dabei nicht zu breit. Die
Anwendung der Balneotherapie, der Thalassotherapie, der Hydrotherapie, der Thermotherapie, der
Massage, der Gymnastik, der Elektrotherapie und der Lichtbehandlung im Gebiete der Dermatologie
wird der Reihe nach besprochen und auf die einzelnen Hautkrankheiten exemplifiziert
In ausführlicher Weise hat Friedländer die physikalischen Methoden in der Therapie de?
Muskelrheumatismus besprochen, ferner die bei den Erkrankungen der Gelenke inklusive der
Gicht anwendbaren Maassnahmen. Es nimmt in seiner Darstellung die Therapie der chronischen
Gelenkerkrankungen, die er in die subakuten und chronischen Formen der akuten Arthritiden und die
Arthritis deformans eintheilt, den breitesten Raum ein und ist recht lesenswerth.
Das gleiche gilt für die Therapie der Rückgrats Verkrümmungen, die Hoff a zum Ver¬
fasser hat. Dieser Abschnitt ist mit zahlreichen guten Illustrationen versehen.
Die Infektionskrankheiten haben Kohts und Rumpf bearbeitet Der eretere hat
Scharlach, Masern, Diphtherie, Rumpf dagegen Typhus, Erysipel, Cholera, Malaria, Syphilis und
Sepsis übernommen. Dass die Serumbehandlung als physikalische Methode reklamiert wird, ist
vielleicht etwas auffällig, aber durch das Streben nach Vollständigkeit erklärbar. Rumpf hat die
Badebchandhing bei Typhus ziemlich knapp, aber sehr anschaulich geschildert; eine Erwähnung der
kühlen kohlensaurcn Bäder bei Kranken, die zum Kollaps neigen, wäre vielleicht am Platze gewesen.
Bemerkenswerth ist die durch eine Krankengeschichte belegte Empfehlung der subkutanen Kochsalz¬
infusion bei schwerem Typhus. Interessant ist namentlich die Besprechung der Cholera, da der Autor
auf diesem Gebiete ausserordentlich grosse Erfahrungen besitzt; so beurtheilt er die Behandlung mit
kaltem Wasser, wie sie von hydrotherapeutischer Seite wiederholt vorgcschlagen ist, recht kritisch
Die physikalischen Methoden in der Therapie der Stoffwechselerkrankungen haben
Eich hörst (Morbus Bascdowii), Wein trau d (Diabetes melitus, Fettsucht), Lazarus (Anämie,
Chlorose und Skrophulose) geschildert. Dieser Abschnitt gehört zu den besten des Buches. Den
llauptantheil hat, wie es ja in der Natur des Themas liegt, Weintraud, und dessen ausführliche
Darstellung möchte Referent wegen ihrer ruhigen Sachlichkeit als besonders gelungen hervorheben.
Vergessen ist allein die physikalische Therapie des Diabetes insipidus.
Die Therapie der Nasen-, Rachen- und Kehlkopferkrankungen hat in Friedrich
(Kiel) einen trefflichen Bearbeiter gefunden.
Sehr dankenswerth ist auch das Kapitel über die physikalische Therapie beim Stottern und
Stammeln von Gutzmann, welches reich illustriert ist.
Die Pneumonie ist von A. Fraenkel übernommen, der die lokalen Anwendungen von
Kälte, Hautreizen, Massage, die hydrotherapeutische Behandlung, die subkutanen Infusionen, den
Aderlass, die Sauerstoffinhalation genau und kritisch beschrieben hat, und die Anwendung derselben
bei der akuten Pneumonie, beim Lungenödem, bei der Bronchopneumonie, sowie endlich die Nach¬
behandlung der Pnoumonien bringt. Auch dieses Kapitel zeigt überall den erfahrenen und kritischen
klinischen Beobachter.
Die Erkrankungen der Bronchien, Emphysem und Asthma sind von Egger bearbeitet;
sehr genau und anschaulich ist darin namentlich die Atmungsgymnastik geschildert
Die Pleuritis hat wiederum A. Fraenkel dargcstcilt, und besonders die Thoracocentese.
wie schon bemerkt, ausführlich beschrieben. Daneben haben aber auch die physikalischen Methoden
im engeren Sinne: die Hydrotherapie, die Behandlung mit komprimierter Luft u. s.w. eine genaue
und erschöpfende Darstellung gefunden.
Den Schluss des Bandes bildet eine mehr allgemein gehaltene Besprechung der physikalischen
Therapie der Lungentuberkulose von Renvers.
Der 478 Seiten starke Band schlicsst sich somit würdig den früheren Bänden des Handbuchs
an. Auch die Litteraturnachweise sind ziemlich zahlreich und genau. Die buch händlerische Aus¬
stattung ist eine vorzügliche. M. Matth es (Jena).
v. Meriug, Lehrbuch der inneren Medicin. Jena 1901. Gustav Fischer.
Das Gebiet der inneren Medicin ist während der letzten Jahrzehnte dank dem Ausbau der
diagnostischen und therapeutischen Methoden so ausserordentlich angewachsen, dass es einem ein¬
zelnen unmöglich i&t, sämintliclic Disziplinen vollkommen zu beherrschen. Dieser Gedanke hat auch
den Herausgeber des gross angelegten Lehrbuchs der inneren Medicin geleitet, als er sich der
Mitarbeiterschaft einer Reihe hervorragender Autoren sicherte, um die verschiedenen Kapitel der
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Referate über Bücher und Aufsätze. 599
inneren Krankheiten monographisch bearbeiten zu lassen. Es ist so ein umfangreiches Werk von
nahezu 1100 Seiten entstanden, in welchem den Studenten und den praktischen Aerzten in möglichst
gedrängter Kurze alles Wissenswerthe dargeboten wird.
Das Werk zerfällt in 20 verschiedene Kapitel, welche naturgemäss dank der Eigenart ihrer Be¬
arbeiter und dank der Verschiedenheit des Stoffes, nicht alle gleichmäasig und gleich bedeutend sind.
Gemäss dem Programm unserer Zeitschrift können wir hier nicht auf eine ausführliche Besprechung
des Gcsammtwerkes eingehen, sondern müssen uns nur mit wenigen Andeutungen begnügen.
Die modernsten Anschauungen finden sich wohl im ersten, ausführlichen Abschnitt »Die
akuten Infektionskrankheiten«, welchen Romberg bearbeitet hat. Nach einer allgemeinen
Einleitung schildert Rom borg die verschiedenen Infektionskrankheiten unter Beifügung von Ab¬
bildungen der einzelnen Infektionserreger, der typischen Kurven u. s. w. Im Kapitel »Typbus« fällt
es auf, dass Romberg die modernere Richtung der diätetischen Behandlung des Typhus, »schon
verhältnissmässig frühzeitig eine nicht mehr ausschliesslich flüssige Diät zu verabreichen«, nicht
berücksichtigt Im Kapitel »Influenza« wäre vielleicht das häufige Auftreten der Lungentuberkulose
im Anschluss an die Influenza, besonders an die Influenzapneumonie erwähnenswerth gewesen.
Im Kapitel »Sepsis« vermissen wir die Behandlung dieser Krankheit durch ausgiebige Kochsalz¬
infusionen (eventuell in Verbindung mit Venaesektion). Den Standpunkt, septische Patienten nie¬
mals mit hydrotherapeutischen Prozeduren zu behandeln, können wir nicht tbeilen. — Im Kapitel
»Mumps« vernachlässigt Romberg die Entdeckungen von Bein und Michaelis, indem er
den Erreger des Mumps als unbekannt hinstellt, lra Kapitel »Tetanus« wäre der Tetanus facialis
wohl mehr der Erwähnung werth gewesen als der Tetanus rheumaticus, welcher nach neueren An¬
schauungen als Krankheit sui generis überhaupt fallen gelassen werden muss. Bei der Therapie des
Tetanus hätte auch die Wasser- bezw. hydrotherapeutische Behandlung, auf welche namentlich Rose
mit Recht einen so grossen Werth legt, besprochen werden müssen.
Das Kapitel »Krankheiten der Athmungsorgane« ist in ausgezeichneter Weise von
Friedrich Müller bearbeitet worden; vielleicht wäre es zweckmässig gewesen, in dem Abschnitte
»Lungentuberkulose« etwas näher auf die Cornet’sehe und Flügge’sche Theorie sowie auf die
Fragen der kongenitalen und erworbenen Disposition näher einzugehen. Ganz vermissen wir in
diesem Kapitel die Besprechung der Hydrotherapie, die sich gerade bei der Behandlung der Lungen¬
tuberkulose, namentlich in den Sanatorien, mit Recht einer sehr grossen Werthschätzung erfreut,
sowie die Besprechung der gymnastischen Prozeduren, welche sowohl bei der Phthisis pulmonum
als besonders in der Nachbehandlung der Pleuritis fast allerorten angewendet werden.
Der Verfasser des Kapitels »Krankheiten der Kreislauforgane« ist Krehl. In dem
therapeutischen Abschnitt dieses Kapitels werden die Derivate der Digitalis sowie das Koffein
nicht erwähnt. Vielleicht wäre es auch angezeigt gewesen, etwas näher auf die Punktion des
lläuthydrops, die permanente Drainage und die Skarifikation einzugehen. Bei der Behandlung der
Aneurysmen wird die moderne Therapie der Gelatinebehandlung, die Akupunktur, sowie die
Pclottenbehandlung nicht berücksichtigt
Gerhardt in Strassburg bearbeitete das Kapitel »Krankheiten des Magens, des Rachens
und der Speiseröhre« ausserordentlich übersichtlich; desgleichen der Herausgeber des Werkes
— Frhr. v. Me ring — den Abschnitt »Krankheiten des Magens«. In ausgiebigster Weise
berücksichtigt letzterer darin die Diätotherapic und führt eine Reihe eigener Diätvorschriften, die
sich ihm selbst seit Jahren bewährt haben, an
Das umfangreiche Kapitel »Krankheiten des Darmes« wurde von Matth es vorzüglich
abgehandelt, desgleichen das Kapitel »Die Erkrankungen des Peritoneuina. Aus demselben
ist besonders der Abschnitt über die Behandlung der Perityphlitis hervorzuheben.
Minkowski ist der Verfasser der beiden Kapitel »Krankheiten der Leber und Galle
sowie der Bauchspeicheldrüse«.
Die beiden folgenden Kapitel »Krankheiten der Harnorgane« von R. Stern (Breslau)
und »Krankheiten der peripheren Nerven des Rückenmarks und des Gehirns« von
Moritz (München) gehören zu den hervorragendsten des Werkes; namentlich das letztere stellt
eigentlich eine Monographie für sich dar; es umfasst nahezu 250 Seiten und ist durch vorzügliche
Abbildungen, von denen namentlich die klinischen Bilder, welche meist eigener Beobachtung ent¬
stammen und sehr typisch sind, vorzüglich illustriert. Im allgemeinen lässt sich vielleicht sagen,
dass die Therapie in diesem Abschnitt etwas zu kurz behandelt worden ist Es leitete den Autor
wohl der Gedanke, dass das Lehrbuch hauptsächlich für Studenten und praktische Aerztc ge¬
schrieben ist und die Therapie der Erkrankungen des Fentralnervcnsystems meist in das Gebiet
der Spezialärzte geholt.
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ßOO Referate über Bücher und Aufsätze.
Auch in dem folgenden Kapitel »Allgemeine Neurosen« von Friedrich Kraus (Graz)
finden sich viele und gute Illustrationen.
Das folgende Kapitel »Krankheiten der Bewegungsorgane«, vonVierordt bearbeitet,
enthält eine Reihe von Abschnitten, die nicht eigentlich unter diese Rubrik fallen, so vor allem
der Abschnitt Skrophulose. Die Deformitäten, wie sio sich bei der Arthritis allmählich einstellen.
sind durch gute Abbildungen illustriert; leider fehlen solche zur Veranschaulichung der therapeu¬
tischen Prozeduren.
Illustrationen vermissen wir auch ganz in dem Kapitel »Blutkrankheiten« von G. Klem-
perer. Es wäre mindestens ebenso erforderlich gewesen, die pathologischen Veränderungen der
Blutkörperchen wiederzugeben, wie in den anderen Kapiteln die Abbildungen der Harncylinder
und der verschiedenen Bakterien. Auch die Blutzählapparate sowie die Apparate zur Bestimmung
des Hämoglobingehalts hätten entweder in diesem, oder in dem letzten, von Gumprecht be¬
arbeiteten Kapitel beschrieben bezw. abgebildet werden müssen. Im übrigen haben wir aus dein
Kapitel »Blutkrankheiten« noch zu erwähnen, dass Klemperer die häufig bei der pernieiösen Anämie
beobachteten Rückenmarkskomplikationen nicht besprochen hat. Im Abschnitt Behandlung der
Chlorose finden die heissen Bäder, welche sich auf Grund der Vorträge von Senator und Itosin
jetzt schon vielfach in die Praxis eingeführt haben, keinerlei Erwähnung.
Das Kapitel »Krankheiten des Stoffwechsels« ist von v. Mering behandelt worden:
auch ans diesem Kapitel können wir, wie aus dem Kapitel: »Krankheiten des Magens«, rühmend
die übersichtlichen Diätvorschriften hervorheben, welche v. Mering hauptsächlich für die Behandlung
des Diabetes angegeben hat Die Tabellen 1 und 2 (Tabelle 1: »Erlaubte Nahrungsmittel«.
Tabelle 2: »Im beschränkten Maasse erlaubte Speisen) könnten durch eine dritte Tabelle: »Ver¬
botene Speisen«, eine geeignete Vervollständigung erfahren.
Aus dem Kapitel »Behandlung der Fettsucht und Fettleibigkeit« ist der v. Mering-
sche Standpunkt hervorzuheben, dass er die Flüssigkeitsentziehung bei diesen Krankheitsformen
nicht für zweckmässig hält; überhaupt verwirft er im allgemeinen die zu strengen Entfettungskuren.
Das Kapitel: »Die klinisch wichtigsten Vergiftungen« wurde von VV. His bearbeitet,
das letzte Kapitel: »Therapeutische Technik« von Gumprecht. Dieser Abschnitt ist unseres
Erachtens zu kurz gekommen. Eine grosse Reihe von Methoden, die zur therapeutischen Technik
gehören und welche jeder Student und Arzt kennen muss, finden hier überhaupt keine Erwähnung,
so die Vorrichtungen für die Inhalation (Sauerstoffinhalation), die Methoden der Rektalernährung,
die Serumbehandlung, das Armamentarium und die Methoden der Elektrotherapie u. s. w. Auch
ein kurzer Abschnitt über die Krankenpflege hätte in dieses umfassende Lehrbuch der inneren
Medicin mitaufgenommen werden müssen. Desgleichen sind die in dem Kapitel erwähnten Methoden
zum Theil nur sehr kurz abgehandelt worden; so fehlt die Beschreibung der Pleurapunktion nach
Potain, ferner die Methode der subkutanen Ernährung durch Infusion etc. Vielleicht wird dieses
Kapitel in der zweiten Auflage des Werkes eine ausgiebigere Bearbeitung erfahren.
Jedenfalls stellt aber das vorliegende Werk, im Ganzen genommen, ein ausgezeichnetes Lehr¬
buch der inneren Medicin dar; seine Anschaffung wird den Studenten und praktischen Aerzteu um
so eher erleichtert, als trotz der reichen und vorzüglichen Illustrierung des Werkes mit Abbildungen
und Kurven ein sehr bescheidener Preis seitens der rührigen Verlagsbuchhandlung festgesetzt wurde.
Paul Jacob (Berlin .
Paul Böruer’s Reiehs-Medicinal-Kaleuder 1902. II. Theil. Ilerausgegeben von Dr. Julius
Schwalbe. Verlag von Georg Thieme in Leipzig.
Trotz der besonderen Schwierigkeiten, welche sich der Redaktion diesmal boten, um das
Personalvcrzeichniss der deutschen Zivil- und Militärärzte fertig zu stellen — es mussten in diesem
Jahre die eben erst veröffentlichten Ergebnisse der letzten Volkszählung und die durch das Kreis¬
arztgesetz geschaffenen grossen Umwälzungen berücksichtigt werden —, ist cs dem rührigen Heraus¬
geber, Dr. Schwalbe, doch gelungen, den zweiten Band des Reichs-Medicinal-Kalendors rechtzeitig
fertig“zu stellen. Er hat überdies noch eine neue und wichtige Angabe dem diesjährigen Pen>onal-
verzeichniss hinzugefügt, indem er die Gemeinden, in denen sich ein- oder mehrere Krankenhäuser
befinden, durch ein »K« hervorhob. Ferner ist noch hinzugekommen ein Abschnitt von Geheim
rath Ilapmund: Entscheidungen der ärztlichen Ehrengerichtshöfe, sowie ein weiterer kurzer Ab¬
schnitt über das ärztliche Fortbildungswesen, welches sich bei uns in Preussen innerhalb des ver¬
flossenen Jahres ausserordentlich entwickelt hat. Paul Jacob (Berlini.
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Referate über Bücher and Aufsätze.
601
Arnold Pollatschek, Die therapeutischen Leistungen des Jahres 1900, ein Jahrbach für
praktische Aerzte. Wiesbaden.
Der vorliegende 12. Jahrgang des von Pollatschek bearbeiteten Jahrbuchs zeigt dieselben
Vorzüge wie seine Vorgänger und behandelt auf 338 Seiten die im Jahre 1900 erschienene thera¬
peutische Littcratur unter kritischer Sichtung des Gebotenen. — Verfasser berücksichtigt alle Seiten
der Therapie und auch oine Reihe von theoretischen Arbeiten, welche zur Therapie eine direkte
Beziehung haben. Ein dreifaches Register, das nach verschiedenen Gesichtspunkten angelegt ist,
erleichtert den Gebrauch des Jahrbuchs. Zahlreiche zusammenfassende Artikel, von denen hier nur
diejenigen über Aerotherapie, Beschäftigungstherapie, Ernährungstherapie und Diätetik, Balneo-
Hvdro- und Klimatotherapie genannt werden sollen, erhöhen die Handlichkeit des Buches.
H. Strauss (Berlin).
B. Diätetisches (Ernährungstherapie).
v. Dnngeru, Eine praktische Methode, nm Kuhmilch leichter verdaulich zu machen.
Münchener mcdicinische Wochenschrift 1900. No. 48.
Dio klumpenfönnige, für dio Verdaulichkeit der Milch nachtheilige Gerinnung des Kuhmilch¬
kaseins lässt sich nach Versuchen des Verfassers in einfachster Weise dadurch vermeiden, dass man
dio vorher abgekochte Kuhmilch vor dem Gebrauch wie gewöhnlich auf Körpertemperatur erwärmt,
durch Labferment zur Gerinnung bringt und dann das Gerinnsel durch Schütteln oder Quirlen fein
zcrthcilt, sodass nur noch ganz feine Flocken, wie sie in der Frauenmilch bei Labgerinnung sich
bilden, suspendiert bleiben. So behandelte Milch wird durch die mit 4%o HCl ausgezogenen Fer¬
mente des Kälber-, Ziegen- und Menschenmagens mindestens ebenso rasch wie Muttermilch verdaut,
wählend das Kasein gewöhnlicher Thiermilch durch Magensaft in groben, kompakten Klumpen
ausgefällt wird und der Verdauung länger Widerstand leistet; in Aussehen und Geschmack unter¬
scheidet sic sich nur wenig von der gewöhnlichen Kuhmilch, sie wird von den Kindern gern ge¬
trunken und gut vertragen und kann, wie einige Beobachtungen Dr. v. Stale wski's am Freiburger
Kinderhospital ergaben, schon Säuglingen in den orsten Lebenswochen wenig oder garnicht ver¬
dünnt verabreicht werden. Ebenso wie für den Säugling ist die erwähnte Vorbehandlung der
Milch mit Lab auch für die Krankenernährung von Werth, speziell bei Magenlciden und Infektiors-
krankheiten, bei denen die Thätigkeit der Verdauungsdrüsen beeinträchtigt ist und deshalb gewöhn¬
liche Kuhmilch nicht vertragen wird. Die Höchster Farbwerke beabsichtigen eine als Zusatz zur
Milch geeignete Verbindung von Lab und Milchzucker fabrikmässig herzustcllcn und das Präparat
unter dem Namen »Pegnin« in den Handel zu bringen. Hirschel (Berlin).
Bäliut, Ueber die diätetische Behandlung der Epilepsie. Berliner klinische Wochenschrift
1901. No. 23.
Ueber die von Toulouse und Rieh et angegebene Behandlung der Epilepsie mittels Chlor¬
entziehung ist bereits im 4. Bande unserer Zeitschrift wiederholt berichtet worden. Bä 1 int hat
die Methode in Budapest an 28 Kranken (9 mit frischer und 19 mit inveterierter Epilepsie) nach¬
geprüft. Da Fleischspeisen, auch ohne dass sic gesalzen werden, an und für sich Kochsalz ent¬
halten, andrerseits es nach Annahme der französischen Autoren erstrebenswert!! wäre, den Kranken nur
2 g Kochsalz täglich zu gestatten, verabreichte Bälint den Kranken eine Tagesdiät, die sich folgcndor-
maassen zusammensetzte: 1—1 1/2 1 Milch, 40—50 g Butter, 3 Eier (ungesalzen), 300 —400 g Brot und
Obst; in dem Brot war bei der Zubereitung das Kochsalz durch Bromnatrium ersetzt. Der Kranke
erhielt demnach nicht viel mehr als 2 g Kochsalz und ausserdem 3 g Bromsalz. Dieses Regime
wurde ca. 40 Tago durchgeführt ln einem Theil der Fälle stieg in den ersten Tagen die Zahl der
Anfälle etwas an, später nahm sie bei allen ab, die Anfälle wurden schwächer, bis sie schliesslich
in 80% der Fälle gänzlich ausblieben. Hand in Hand damit besserte sich aucli der geistige und
der allgemeine körperliche Zustand der Kranken. Jedenfalls muss die Behandlung einige Monate
fortgesetzt und eventuell von Zeit zu Zeit wiederholt werden.
Zeitsohr. t diÄt u. physik. Therapie Bd. V. Hoft 7.
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602
Referate über Bücher und Aufsätze.
Bezüglich der Erklärung dieser günstigen Wirkung schliesst sich Bälint der Ansicht von
Toulouse und Rieh et an, welche bekanntlich dahin geht, dass das Brom im Organismus an
Stelle des Chlors tritt, das Chlor aus seinen Verbindungen verdrängt, daher der Organismus bei
Chlorentziehung in der Nahrung empfindlicher auf Brom reagiert. Dieselbe Diät ohne Bromverab¬
reichung beeinflusste die Anfälle niemals; und wenn zu der angegebenen Diät neben der gewohnten
Bromdosis täglich noch 6 g Chlornatrium gegeben wurden, zeigten sich die Anfälle alsbald wieder.
Einen Schaden sah auch Bälint bei diesei Behandlungsweise selbst nach monatelanger Anwendung
nicht. Gotthelf Marcuse (Breslau).
Berju, Ueber eine Aenderung der Methode der künstlichen Verdauung eiweisshaltiger
Nahrungsmittel« Deutsche Medicinalzeitung 1901. No. 48.
Berju änderte die übliche Methode der künstlichen Verdauung in der Weise ab, dass er
mehrere Proben der zu untersuchenden Substanzen mit vorgewärmter salzsaurer Pepsinlösung
( 1 / 2 % HCl) in Beehergläsem auf einem Wasserbade bei konstanter Temperatur von 38—38,5 0 der
Digestion unterwarf. Jede Stunde wurde eine Probe dem Wasserbade entnommen, die Losung
mittels eines Nutschentrichters abfiltriert, und in dem unverdauten, ausgewaschenen Rückstand der
Stickstoff nach Kjeldahl bestimmt. Gegenüber der Digestion im Thermostaten hat dies Verfahren
den Vortheil, dass das nothwendige öftere Umrühren der Verdauungsflüssigkeit vorgenommen
werden kann, ohne dass der Apparat sich abkühlt; ausserdem gewinnt man auf die angegebene
Art auch eineu Einblick in die Dauer der Verdauung. Berju prüfte in dieser Weise vier Eiweiss¬
körper, nämlich Tropon, Plasmon, Roborat und Blutfibrin. Die grösste Verdaulichkeit zeigte das
Roborat, dann kam Blutfibrin und Plasmon, am wenigsten ausgiebig und am langsamsten wurde
Tropon verdaut Gotthelf Marcuse (Breslau).
Pfaundler, Ueber Stoffwechselstörnngen an magendarmkranken Säuglingen. Wiener klinische
Wochenschrift 1900. No. 36.
Czerny und Keller fanden im Harn chronisch magendarmkranker Säuglinge die Aus¬
scheidung von Ammoniak auf Kosten anderer N-haltiger Bestandtheile sehr beträchtlich gesteigert,
der NII ;r Index, welcher beim Erwachsenen 4—5%, beim Neugeborenen nach Sjöqvist 7,8—9,6°o
beträgt, war in den von ihnen untersuchten Fällen oft auf 20—50% des Gesammt-N erhöht; sie
sahen hierin den Ausdruck einer Störung des intermediären Stoffwechsels, einer patboiogisch ver¬
mehrten Acidität der Körpersäfte und gelangten zu der Annahme, dass die infolge chronischer
Verdauungskrankheiten auftretende Atrophie und Kachexie der Säuglinge auf eine Säureintoxikation
zurückzuführen wäre. In längeren, für ein knappes Referat nicht geeigneten Ausführungen erklärt
Pfaundler diese Hypothese für unerwiesen, da manche zu ihren Gunsten von den genannten
Autoren beigebrachten Argumente nicht stichhaltig seien und andrerseits gewisse Thatsachen für
eine mit derselben nicht vereinbare Auffassung sprechen. Die als Stütze einer Säureintoxikations¬
theorie vor allem zu fordernden Kriterien, der Nachweis bestimmter, abnormer Säuren und Säure¬
produkte (Fett- und Oxyfettsäuren, Acetessigsäure, Aceton) im Harn, sowie jener der verminderten
Alkalescenz und Kohlensäuerung des Blutes seien bisher noch nicht erbracht
Eigene Untersuchungen des Verfassers ergaben, dass bei Säuglingen des ersten Lebensjahres
die NH 3 -Ausscheidung im Urin allerdings meist eine sehr bedeutende (14—17% des Gcsammt-N)
ist, dass jedoch nahezu die gleichen Zahlen für magendarmkranke und magendarmgesunde Kinder
gelten und dass etwaige Steigerungen der NH 3 -Ausfuhr bei ersteren nicht durch die Gastro¬
enteritiden an sich, sondern erst dann erfolgen, wenn dieselben bereits die Funktionen der Athmung,
des Kreislaufs und des Stoffwechsels in höherem Maasse und dauernd zu schädigen begonnen haben;
jenseit des sechsten Lebensmonats sinkt der NH 3 -Koefficient mit 6,28% fast auf die für den Er¬
wachsenen berechneten Mittelwcrthe. Der NH 3 -Koefficient schwankt in den frühesten Altersklassen
je nach der wechselnden Ernährung und dem wechselnden Allgemeinzustand der Kinder in relativ
engen Grenzen (meist nur zwischen 10 — 20%), er zeigt bei demselben Individuum und derselben
Ernährung, in Zeiträumen von wenigen Tagen untersucht, nur sehr geringe Differenzen und wird
unabhängig vom Gesundheitszustände der Kinder in einem gewissen, beschränkten Maas» durch
Erhöhung des Fettgehalts in der Flaschennahrung resp. der aus derselben resorbierten Fettmengen
gesteigert.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
603
Die reichliche NH 3 -Ausscheidung im Säuglingsalter ist nach Pfaundler theilweise durch
eine physiologische Hyperacidität der Körpersäfte, die wahrscheinlich mit dem hohen Fettgehalt der
Nahrung zusammenhängt, zum grosseren Theil aber durch die in diesem Lebensalter noch mangel¬
hafte Entwickelung der fermentativen Oxydationskraft des Lebergewebes bedingt. Letztere wurde
an Leichenorganen experimentell geprüft — es wurde eine grössere Zahl von Lebern aus Leichen
magendarmgesunder und -kranker Säuglinge verschiedener Altersperioden in der Weise verarbeitet,
dass Verfasser das wässrige Extrakt des fein vertheilten Organbreies auf überschüssige Mengen
säurefreien Salicylaldehyds einwirken liess und die nach gewisser Zeit von verschiedenen, ab¬
gewogenen Lebermengen gebildete Salicylsäure quantitativ bestimmte —; es zeigte sich hierbei,
dass die oxydative Energie des Lebergewebes mit zunehmendem Lebensalter rasch ansteigt und
dass sie bei schwereren anatomischen Erkrankungen des Leberparenchyms deutlich (bis auf ein
Drittel) herabgesetzt ist. Aus der Beobachtung, dass in den letztgenannten Fällen die Harnanalyse
intra vitam einen erhöhten NH 3 -Koefficienten ergeben hatte, lässt sich ein Anhaltspunkt für die
Vermuthung gewinnen, dass parenchymatöse Läsjonen der Leber und dadurch bedingte Schädigungen
ihrer intravitalen oxydativen Funktion die N-Vertbeilung im Säuglingsharn beeinflussen und mit
vermehrter NH 3 -Ausscheidung einhergehen.
Schliesslich hat Verfasser noch die Basenkapazität des Harns, den Harnstoffgehalt (U) und den
N einer im Säuglingsurin sich findenden Gruppe N-haltiger Körper bestimmt, zu denen Oxyprotcin-
säure, Amidosäuren der Fettreihe etc. gehören und die er unter dem Namen »Amidosäurenfraktion«
zusammenfasst; er macht darüber folgende Angaben:
Die Basenkapazität (ausgedrückt in ccm N/10 Lauge und bezogen auf eine Harnmenge, die
100 mg Gesammt-N enthält) beträgt im ersten Lebenshalbjahr im Mittel 37,08 <%, nach vorangegabgener
Austreibung des NH 3 47,98% (Kapazität für fixe Basen), sinkt im zweiten Lebenshalbjahr auf etwa
ein Drittel des angegebenen Werth es und zeigt für magendarmgesunde und -kranke Kinder keine
wesentlichen Differenzen.
4 * ■+
Der U-Gchalt (ausgedrückt in U-N) ist im ersten Lebenshalbjahr gleich im Mittel 51,050/
des Gesammt-N, bei den magendarmgesunden Säuglingen rund 55,94%; bei den magendarmkranken
46,74o/ 0 ; vom sechsten Monat ab beträgt er 76,53%.
Der N der Amidosäurenfraktion ist im Durchschnitt 12,01% des Gesammt-N, also beträchtlich
höher als beim Erwachsenen.
+
Der Gehalt des Harns an U steht zum Gehalt an NH 3 und an Körpern der Amidosäuren-
gruppe in annähernd alternierendem Verhältniss. Hirschei (Berlin).
Felix Hirschfeld, Die Behandlung der leichten Formen von Glykosurie. Therapie der
Gegenwart 1901. Heft 5.
Hirschfeld befürwortet eine aufmerksame Beachtung und sorgfältige Behandlung der leichten
Formen von Glykosurie, denen gewöhnlich von Suiten der Patienten keine grosse Bedeutung
beigemessen wird. Dem Arzt räth Hirsch fei d in diesen Fällen, dem Patienten gegenüber nicht
von Zuckerkrankheit, sondern nur von einer »leichten Stoffwechsel Störung* zu reden, obwohl er
theoretisch durchaus den Standpunkt vertritt, »dass bestimmte Grenzen zwischen Diabetes und ali¬
mentärer Glykosurie wenigstens nach dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens nicht zu ziehen
sind.« Die Glycosüria ex amylo auf Diabetes, dagegen die Glycosuria ex saceharo auf alimentäre
Glykosurie zu beziehen geht nicht an, weil auch Gesunde unter gewissen Umständen nach reich¬
lichem Stärkegenuss Zucker ausscheidcn, während andrerseits Diabetiker mitunter grosse Menge
Stärke vertragen, nach Zuckergenuss dagegen rasch Zucker ausscheidcn. Grösse und Dauer der
Zuckerausscheidung können ebenfalls keinen zuverlässigen Maassstab zur Trennung der beiden
Affektionen bieten, ebensowenig kann die Gutartigkeit und das leichte Verschwinden der alimen¬
tären Glykosurie in diesem Sinne verwerthet werden, da auch bei dem ausgesprochenen Diabetiker
häufig eine Besserung zu beobachten ist. Die bekannten Diabetcssymptomo, wie vermehrter Hunger
und Durst und Polyurie können auch nicht als absolut pathognomonisch gelten, da sie sehr häufig
bei der echten Zuckerkrankheit fehlen, während sic andrerseits in Fällen vorhanden sind, die eine
sehr leichte Glykosurie zeigen. Das Fehlen einer scharfen Grenze zwischen Diabetes und alimen¬
tärer Glykosurie indiziert naturgemäss eine möglichst frühzeitige Behandlung, zumal man ja in diesen
leichten Fällen mit relativ geringen Diätbeschränkungen auskommt. Meist handelt es sich um Pa-
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Referate über Bücher und Aufsätze.
tienten, deren Kost sich durch reichlichen Zuckergehalt, leichtere Verdaulichkeit und allzu hohen
Nährwerth auszeichnet, und bei denen daher neben der Glykosurie noch eine gewisse Adipositas
und Neigung zu Obstipation besteht. Für diese Patienten empfiehlt Hirschfeld Beseitigung des
gewohnheitsgeinässen Verbrauchs von Zucker und Süssigkciton bei eventuellem Ersatz durch
Saccharin oder Krystallose und weiterhin die Verabreichung einer schlackenreichen Diät durch Zu¬
fuhr von grünem Gemüse, Rüben und kleienreichen Brotarten. Rohes Obst will Hirschfeld mit
Rücksicht auf die günstige Beeinflussung der Peristaltik nicht missen. Die Fleischzufuhr soll nicht
gesteigert werden, Fett ist in jeder Form erlaubt, doch legt Hirschfeld hier wie überhaupt bei
der Abmessung der Gesammtmenge der Kost Werth darauf, dass keine Gewichtszunahme erfolgt
und räth daher, das Körpergewicht etwa allmonatlich mit der Waage zu prüfen. Bier, auch Pilsener,
ist selbstverständlich einzuschränken, namentlich aus Rücksicht auf den Kohlehydratgehalt desselben.
Neben diesen diätetischen Maassnahmen kommt in diesen Fällen einer gesteigerten Muskelthäögkeit,
wie sie sich durch längeres Spazierengehen, Radfahren, Bergsteigen, Rudern, Turnen und Zimmer¬
gymnastik erzielen lässt, eine ganz hervorragende Bedeutung zu; doch ist hier bei älteren Personen,
deren Gefässsystem Zeichen von Arteriossklcrose auf weist, Voreicht durchaus geboten. Zur Ent¬
lastung von geistiger Ueberanstrengung befürwortet Hirschfeld besonders längere Ferienreisen,
die dann zweckmässig zu Gebirgswanderungen benutzt werden. Zu einer Badekur empfiehlt sich
für ältere Personen, bei denen Leberschwellung oder Stauung im Pfortadereystem wahrscheinlich
ist, Carlsbad oder Neuenahr, während für fettleibige Personen oder solche, die an starker Verstopfung
leiden, Kissingen, Homburg, Marienbad und Tarasp geeigneter erscheinen. Eine Wasserbehandlung
empfiehlt Hirsch fei d namentlich bei jüngeren Personen', wenn nervöse Beschwerden vorhanden
sind. Zur Prüfung der Toleranz, die anfangs alle Monate, später in grösseren Zwischenräumen vor¬
zunehmen ist, räth Hirschfeld, den 4—5 Stunden nach dem reichlich kohlehydrathaltigen ersten
Frühstück ausgeschiedenen Urin zu untersuchen. Plaut (Frankfurt a. M ).
Fr. Biedert, Heber Ernährung und Ernährungsstörungen, Gastrektasie und Colitis. Therapie
der Gegenwart 1901. Heft 1.
»Man soll vom Standpunkt der Gesundheit dem Menschen so viel und nicht mehr Nahrung
Zufuhren, als er verträgt und für Erledigung aller seiner Funktionen, des Wachsthums, der Erhaltung,
der Arbeit nöthig hat«. Dieser Satz »von niederschmetternder Selbstvciständlichkcit« ist der Aus¬
gangspunkt von Biedert' s Darlegungen. Der schädliche Nahrungsrest, mag er nun seine Entstehung
einer die Bedürfnisse übersteigenden Zufuhr verdanken oder der Schwäche der Verdauungsorgane,
für die schon ein normales Kostmaass ein Zuviel bedeutet, ist die Ursache zahlreicher Verdauungs¬
störungen bei Erwachsenen und Kindern. Die Beseitigung desselben, die Entfernung stagnierender
Massen aus Magen und Colon durch gründliche Spülungen ist daher die wesentliche und oft sehr
dankbare Aufgabe der Therapie. Eine gewisse Ausnahme von der Schädlichkeit des Zuviel machen
nur — und das ist wieder ein Beweis für die von Biedert immer wieder betonten wesentlichen
Unterschiede zwischen Mutter- und Kuhmilch — viele Brustkinder, die den Ueberechuss häufig an¬
standslos wieder hergeben — »Speikinder, Gedeihkinder«. Künstlich aufgezogene Kinder dagegen,
die viel brechen, werden über kurz oder lang krank und mager. In solchen Fällen hat Biedert
mehrfach eine motorische Insufficienz konstatieren können, indem der Magen noch 3—4 Stunden
nach dem letzten Trinken üble Reste von Kuhmilchgerinnseln enthielt Tägliche Spülungen zeigten
sich hier ganz besonders erfolgreich, indem schon nach wenigen Tagen die Gastrektasie beseitigt
war. Bei der motorischen Insufficienz der Erwachsenen hingegen kommen die Erfolge dieser
evakuierenden Therapie mehr in einer Besserung der durch die Magenaffektion bedingten Darm¬
störungen als in einer Hebung der Magenfunktion selbst zum Ausdruck. Bezüglich der vid-
umstrittenen Frage nach derZeit der Spülung vertritt Biedert den Standpunkt, dass es am zweck-
massigsten ist, durch eine Abends um und nach 10 Uhr vorgenommene Reinwaschung dem Organ
neun Stunden Ruhe zu verschaffen, wodurch Zustände wie Hyperaciditat und motorische Erschlaffung
hervorragend günstig beeinflusst werden. Mindestens ebenso gute Erfolge wie von den Magen¬
spülungen hat Biedert ferner in Fällen von Colitis bei Kindern und Erwachsenen von ausgiebigen
Darmspülungen gesehen, die reichliche Kothmasscn und zahlreiche Schleimmengen zu Tage förderten.
Es können nämlich trotz spontaner und artefizieller Diarrhöen konsistente Kothmassen im Colon
liegen bleiben, die bisweilen zu akuter fieberhafter Darmautointoxikation führen oder in anderen
mehr chronischen Fällen durch Schmerzen in der oberen Bauchgegend ein Magenleiden Vortäuschen,
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Referate über Bücher und Aufsätze.
605
bis die Beachtung der Druckempfindlichkeit des Colon, insbesondere des absteigenden Theils und
der Flexur, sowie das Ergebniss der Spülungen zur richtigen Diagnose führen. Den evakuierenden
Spülungen schliesst Biedert noch solche mit adstringierenden Flüssigkeiten, wie Tannin-, essigsaure
Thonerde-, Ichthyollösungen an, wobei dann die grossen Schleimmengen in besonders auffälligen
festgeronnenen oder langen haut- und bandartigen Fetzen, wie sie bei Colitis membranacea spontan
entleert werden, zu Tage treten. Was nun die Prophylaxe aller dieser Zustände, die schädlichen
Nahrungsresten ihre Entstehung verdanken, betrifft, so hätte dieselbe, besonders in der Kinder¬
praxis, zur ersten Voraussetzung die Normierung des Kostmaasses. Eine solche lässt sich aber im
einzelnen Fall, wie aus Biedert’s Darstellung hervorgeht, nur durch die klinische Beobachtung er¬
möglichen, während die vergleichende Betrachtung einer grösseren Zahl von Kranken und ganz be¬
sonders von Gesunden viel zu grosse Schwankungen nach oben und unten aufweist, als dass sich
daraus brauchbare Durchschnittszahlen gewinnen Hessen. Plaut (Frankfurt a. M ).
Tittel, Die Verwendbarkeit des Siebold’sehen Hilcheiweisses (Plasmon) in der Säuglings¬
nahrung* Therapeutische Monatshefte 1901. März.
Tittel hat bei 40 Patienten der Frühwald’schen Wiener Kinderpoliklinik Plasmon
systematisch als Zusatz zur Kuhmilchnahrung verabreicht und fasst die an seinem Beobachtungs¬
material gesammelten Erfahrungen folgendermaassen zusammen: Man gebe das Mittel nur bei
Unterernährung der Kinder, im allgemeinen lieber bei Säuglingen in späteren Wochen und Monaten
und nur in für das Alter passenden kleinen Gaben (drei Kaffeelöffel täglich, für ältere sechs- bis
zehnmonatliche Säuglinge bei sehr guter Verdauung bis zu einer Messerspitze voll pro Mahlzeit); bei
Unruhe und eintretender Verstopfung ist es auszusetzen, respektive die Dosis zu verringern, da die
nachfolgende Diarrhöe bereits ein Zeichen, dass zuviel gegeben wurde, und ein Symptom der auf
Eliminierung dieses Zuviel hinzielenden Selbsthülfe des Darmes ist. Den Plasmonlösungcn empfiehlt
Verfasser eine geringe Quantität Kochsalz, etwa 0,5—1 o/ 0 , zuzufügen; durch diesen Zusatz wird eine
viel feinflockigere Ausfällung und leichtere Verdauung des Kaseins erzielt und die Resorption der
Kalksalze begünstigt — ein Vortheil, der wegen der Möglichkeit einer Einwirkung auf rachitische
Knochen Veränderungen besondere Beachtung verdient Eine anderweitige Verwendung des Präparats
bestand in der Darreichung an stillende Frauen, denen es als Zusatz zu Milch oder Suppe oder mit
Butter auf Brot gestrichen gegeben wurde; es Hess sich (ähnlich, wie es von anderer Seite für die
Somatose nachgewiesen ist) bei mangelhafter Milchsekretion eine günstige Wirkung konstatieren.
Hirschei (Berlin).
Ludwig Lange, Beitrag zur Frage der Fleischkonservirnng mittels Borsäure-, Borax- und
Schwefelsäuren Natronzusätzen* Mit eiuem Anhang, Milchkonservirnng betreffend*
Archiv für Hygiene Bd. 40. Heft 2.
Bei der Beurtheilung von Konservirungsraitteln hat man in erster Reihe die Frage zu beant¬
worten, ob das Mittel an sich der Gesundheit nachtheilige Eigenschaften besitzt, in zweiter Reihe,
ob und in welchem Umfange man mit dem Mittel den gewollten Zweck erreicht. Was die erste
Frage anlangt, so sind bezüglich der in Betracht kommenden Mittel die Ansichten noch gethcilt,
und es ist daher in dem Reichsgesetz vom 30. Juni 1900 betr. die Schlachtvieh- und Fleisch¬
beschau von einer namentlichen Anführung deijenigen Stoffe, die bei der Konservirung des Fleisches
nicht verwendet werden dürfen, Abstand genommen worden. Lange untersuchte im Rubner’schcn
Laboratorium, inwieweit durch die Einwirkung der drei oben genannten Präparate ein Schutz
gegen Fäulniss gegeben, und speziell, ob nicht eine bereits eingetretene Zersetzung durch die Er¬
haltung der rothen Farbe verdeckt werde.
Um die letztere Frage beantworten zu können, untersuchte er zunächst die Einwirkung auf
Blut; dann auch auf Hackfleisch und auf Fleischstücke, und kam dabei zu folgenden Resultaten:
Weder durch Borsäure, noch durch Borax, noch durch Natriumsulfit wird in Konzentrationen von
V* bis 40/0 (in praxi kommen Konzentrationen bis ca. 1 o/ 0 zur Verwendung), eine Behinderung der
Keim Vermehrung, geschweige denn Sterilisirung erreicht Was die Konservirung der Farbo anlangt,
so verhält sich hier am günstigsten Blut, das mit 2% Borsäure versetzt ist, und ähnlich das mit
20o Borax versehene Blut, trotzdem, wie gesagt, eine Behinderung des Keimwachsthums
nicht statthat Zusatz von Natriumsulfit in Konzentrationen von 2, 3 und 4° 0 verleiht dem
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606 Referate über Bücher und Aufsätze.
Hackfleisch das Aussehen und den Geruch des frischen Fleisches, aber nur während der Dauer
von höchstens zwei Tagen; nachher tritt unter sichtbarer Gegenwart von Mikroorganismen ausser¬
ordentlich intensive Zersetzung ein. Was sonst das Verhalten des Geruches anlangt, so wurde im
allgemeinen von keinem der drei Mittel das Auftreten des Fäulnissgeruches verhindert; nur im
Blute wurde durch Borsäure und Borax von Konzentrationen von 1 *>/ 0 an das Auftreten stinkender
Gase hintangehalten.
Schliesslich macht Lange noch interessante Angaben über das Verhalten der Milchgerinnung
nach Zusatz der drei Präparate. Borsäure verzögert etwas die Spontangerinnung, ein Sistiren der¬
selben tritt erst bei höheren Konzentrationen (von 2 < 7 0 an) auf. Die Labgerinnung dagegen wird
beschleunigt und sistirt erst bei Zusatz von 4<V 0 Borsäure. Borax verzögert etwas die Labgerinnung,
während durch Zusatz von Natriumsulfit weder die Spontan-, noch die Labgerinnung wesentlich
beeinflusst wird.
Nach den Lange’schen Untersuchungen müssen Borsäure, Borax und Natriumsulfit als un¬
geeignete Konservirungsmittel für Fleisch und Milch betrachtet werden. Denn abgesehen
von den event. Schädigungen, die diese Chemikalien an sich dem Organismus zufügen, erreicht man
auch den gewollten Zweck nicht mit ihnen, indem sie in den gewöhnlichen Konzentrationen die
Zersetzung nicht nur in keiner Weise verhindern, sondern theilweisc die schon eingetretene Zer¬
setzung durch Erhaltung des Aussehens und Geruches der frischen Nahrungsstoffe verdecken können.
Gotthelf Marcuse (Breslau).
Walter E. Dixon, M. D., The composition and action of orchitic extract.
Nach einem kursorischen historischen Ueberblick und anknüpfend an Brown-Sßquard’s
Theorie über die innere Sekretion der Hoden und ihren Einfluss auf den Stoffwechsel, untersucht
Dixon die chemische Zusammensetzung des Hodenextraktes, aus welchem er dann die wirksamen
Substanzen zu isolieren versuchte. Die Differenzen in den Anschauungen der Forscher, welche
Brown - Söquard’s Versuche wiederholten, erklärten sich zum Theil aus der verschiedenen An¬
wendungsweise, in dem z. B. die einen subkutan, andere wieder per ob Hodenextrakt verabfolgten,
das theils aus frischen, theils aus getrockneten Organen gewonnen war. Brown-Söquard ver¬
langte ausdrücklich frischen Extrakt aus frischen Drüsen subkutan injiziert.
Hodenextrakt habe alkalische Reaktion und enthalte einen grossen Prozentsatz Proteide,
hauptsächlich NukleoprotcTdc. — Dies gilt doch wohl für alle zellenreichen Organe. — Mittels
C2H4O2 könne das Nukleoproteid aus dem Testisextrakt gefällt und wieder in einer Lösung von
Na. 2 CO ; j gelöst und somit speziell bestimmt werden. Diese chemische Behandlung sei jedoch nicht
gloichgiltig für die Pharmakodynamik der Substanz. Andere Extraktivstoffe seien Spcrmin, Lecithin,
Cholesterin; Chloride, Sulphate, Phosphate an Natrium und Kalium gebunden.
Spermin sei eine organische Base, in fast allen Geweben vorhanden und im Organismus ge¬
wöhnlich an Phosphorsäure gebunden, — gemeint sind wohl die »Spermakrystalle«. Charcot und
v. Leyden haben zuerst diese Verbindung beschrieben, ersterer im leukämischen Blute, v. Leyden
im Asthmasputum.
PoehTs Anschauungen über Spermin werden von Dixon nicht getheilt. Spermin sei iur
Gruppe der Leukomaine gehörig, welche, in die Zirkulation eingeführt, alle ähnliche Wirkungen
hätten. Ferner riefen wässerige gekochte und dann filtrierte Hodenextrakte, ebenso alkoholische
und Spermin, Thieren injiziert, die nämlichen Phänomene hervor: Verminderungen des Blutdruckes
und Herzverlangsamung auf kurze Zeit, und zwar durch Reizung des peripheren Vagusgebietes.
Vorherige Atropininjektion könne die Wirkung aufheben. Andere Folgen der Injektion seien ver¬
mehrte Peristaltik, überhaupt ein Reiz auf die glatten Muskeln, und Vasodilatation. — Das vorher
erwähnte Nukleoproteid, isoliert geprüft, variiere in seiner Wirkungsweise je nach der Applikation.
Per os erleide cs eine Dekomposition, und eine organische Phosphor enthaltende Säure werde frei.
Diese letztere verbinde sich von neuem mit einem Proteid und werde so resorbiert. Die Folge
sei eine Ilyperleukocvtosis und vermehrte Ausfuhr von P2O5 im Urin und eine entsprechende der
Alloxurkörper. Subkutan injiziert sei die Resorption eine raschere, von Darmzersetzuug unabhängige.
Die nächste Folge sei eine längere Hypcrleukocytosis, eine Thatsacbe, welche Chabrier und
andere ebenfalls nach Injektionen von Brow'n-Söquard’s Fluidum beobachtet hatten. Nach Dixon
liegt dies lediglich am Nukleoproteid, Spermin und andere Hodenextraktivstoffe bewirkten das
Gegentheil einer Hypoleukocytosis oder seien in dieser Hinsicht indifferent. Hauptsächlich »eien
es die polynucleären Leukocyten, w r elche eine Verminderung an Anzahl erlitten. Die Wirkung be-
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Referate über Bücher und Aufsätze.
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ruhe zum Theil auf veränderter Vertheilung: Eine Hyperleukocytosis bestehe dabei in inneren
Organen in den Kapillaren der Lunge, Leber etc. Die Struktur der Leukocyten orleide auch eine
Veränderung, die Kontouren seien wenig ausgeprägt, die Kerne seien grösser und nehmen das
Methylenblau nicht mehr so intensiv an. Der Einfluss auf die im Urin auftretenden Stoffe ist direkt
entgegengesetzt der eben erwähnten bei der Darreichung per os. Das Herz und die Gefässe er¬
fahren ebenfalls eine Einwirkung. Der Herzschlag wird verlangsamt und schwächer und der Blut¬
druck fällt. Die peripheren Gefässe werden durch den Reiz auf die Vasomotoren dilatiert.
Extrakte des Nebenhodens und der Samenblase seien in ihrer Wirkung sehr ähnlich dem
Hodenextrakte, jedoch sei die erreichte Vasodilatation eine so viel grössere, dass man neben der
grösseren Menge von Extraktivstoffen doch noch einen anderen aktiven Proteidkörper dafür ver¬
antwortlich machen müsse.
Die starke Einwirkung des Hodenextrakts auf Stoffwechsel, Gefässgebiet etc. müsse zu
weiteren Forschungen veranlassen. A. H. Weis (Berlin).
C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
A. Falloise, lnfluenee de la respiration d’une atmosph&re suroxyg£n£e sur l’absorption
d’oxyg&ne. Arch. de biolog. Bd. 17. Heft 4. S. 713.
Während von einigen Physiologen ein Erfolg der Sauerstofftherapie immer wieder als ganz
unmöglich hingestellt wird, ist die vorliegende Arbeit geeignet, den praktischen Erfolgen auch eine
experimentelle Stütze zu geben. Schon Rosenthal hat behauptet, dass die Athmung sauerstoff-
reicher Luftgemische zu einer Mehrabsorption von Sauerstoff führe. Verfasser hat sich die Aufgabe
gestellt, zu bestimmen, wie weit der Verlauf einer Asphyxie durch die vorangeschickto Athmung
sauerstoffreicher Gemische (von 80°/ 0 ) beeinflusst wird. Als Maass für das Fortschreiten der Asphyxie
bestimmt er den Eintritt von Krämpfen und den Beginn der präterminalen Athempausc. Er fand,
dass, wenn die Asphyxie (durch Athmung reinen Wasserstoffs) nach Athmung der sauerstoffreichen
Atmosphäre eingeleitet wird, die Einheit der bezcichneten Symptome im Mittel um je 45 Sekunden
bei einem mittelgrossen Kaninchen verschoben wird. Das Maximum dieser Resistenz Vermehrung ist
bereits nach einer Minute der Sauerstoffathmung erreicht. Die Mehrabsorption des Sauerstoffs beim
Uebergang in eine wasserstoffreiche Atmosphäre (von 80 %) aus der gewöhnlichen atmosphärischen
Luft beträgt 10—30 ccm für ein mittelgrosses Kaninchen. Diese Menge kann nach der Meinung des
Verfassers in den Körperflüssigkeiten entsprechend der vermehrten Spannung physikalisch absorbiert
sein. Sie wird bei Ueberführung des Thieres in die atmosphärische Luft ebenso schnell wieder ab¬
gegeben, als sie aufgenommen wurde. M. Lewandowsky (Berlin).
C. Bernabei, Passortimento extrapolmonare dei gas e la emflsiterapia. Atti del Congrcsso
di medicina interna. Rom 1900.
Um eine therapeutische Anwendung der Gase auf anderem Wege als dein der Einaihmung,
nämlich durch Einblasen in die Venen, Dann, unter die Haut etc., vorzubercitcn, stellt Bernabci
eine Reihe von Versuchen an Thieren an. Zuerst konstatiert er bei Kaninchen die Menge 0, CO*,
H, N, welche tötlich wirkt bei Einblasung in die Venen und findet, dass sie beträgt V 74 rcs P- 1
resp. 1/32 resp. Vas der Menge, welche bei der Einathmung den Tod herbeiführt.
Entsprechend werden die Zahlen fcstgestellt für Einblasung in die Pleura-Peritonealhöhle etc.
Diese sind natürlich höher. Die grösste Toleranz gegen diese Eingriffe zeigt die Darmhöhlc.
Weiter wurde der Einfluss dieser Insufflationen auf Hämoglobingehalt und Zahl der rothen
Blutkörperchen untersucht. Dabei findet Bernabei, dass bei subkutaner 0-Darreichung, sowohl
Hämoglobingehalt wie Blutkörperchenmenge steigt, peritoneale oder intestinale 0 - Applikation die
letztere herabdrückt.
Bei subkutaner C0 2 -Anwendung steigt Hämoglobingehalt wio Blutkörperchenmenge; bei in¬
testinaler steigt beträchtlich die Zahl der Erythrocythen, Hämoglobingchalt bleibt unverändert.
Daraus schliesst der Autor, dass der Sauerstoff die Aufgabe hat, Hämoglobinbildung, die C0 2
dagegen die Produktion der rothen Blutkörperchen anzuregen; dass ferner in Fällen von Anämie
es sich um den Mangel dieser Reize durch die Gase handle I
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608 Referate über Bücher und Aufsätze.
Bezüglich des H wie N werden ähnliche Versuche angestellt.
Unter 0-Applikation steige ferner Ausscheidung des Harnstoffs, C0 2 wirke diuretisch; H-In-
sufflation vermehre Karbonat- und Phosphatausscheidung, N-Anwendung vermindere die Ausfuhr
aller Stoffe durch den Urin. M. Bial (Kissingen).
Engel mann, Dreissig Jahre Badepraxis. Mittheilungen aus Bad Kreuznach. Kreuznach 1901.
In dem vorliegenden Werkchen zieht der Verfasser das Facit aus seiner mehr als 30jährigen
Thätigkeit in Bad Kreuznach, ln den ersten Kapiteln werden die Kurmittel des Bades sowie die
Theorie ihrer Wirkung abgehandelt, sodann wird die Anwendungsweise der Quellen genau be¬
sprochen. Der Haupttheil des Buches ist der Auseinandersetzung der Indikationen gewidmet, welche
für den Gebrauch der Quellen maassgebend sind. Ganz besonders sind es die Skrophulose, Rachitis,
hereditäre Syphilis, chronische Gelenkaffektionen und chronische Katarrhe der Luftwege und serösen
Häute, bei denen die Hoilfaktoren des Bades wirksam sind; allerdings muss man bei allen diesen
Affektionen nicht schematisch, sondern streng individualisierend Vorgehen. Jede der genannten
Krankheiten wird für sich durchgegangen und der Kurplan in grossen Zügen entworfen. Eine be¬
sondere Berücksichtigung haben die Krankheiten der weiblichen Genitalorgane gefunden, bei welchen
die Kreuznacher Heilpotenzen hervorragend indiziert sind. Der Verfasser setzt in einem lichtvollen
Exposö auseinander, worin die Vorzüge der Kreuznacher Behandlung gerade hier bestehen.
Freyhan (Berlin).
Fr. Neumann, Der Tallerman’scbe Apparat.
0. Zimmermann, Ueber Erfahrungen mit dem Tallerman’schen Apparat. Berliner klinische
Wochenschrift 1901. No. 6.
Die vielfachen Berichte über die günstigen therapeutischen Erfolge der lokalen Heissluft-
bäder finden in diesen beiden, von verschiedenen Seiten stammenden Publikationen eine weitere
Bestätigung. Neumann behandelte mit jener Methode eine grosse Reihe von Patienten im Landes-
bade in Baden-Baden, und zwar bediente er sich des bekannten, auch in dieser Zeitschrift (von
Mendelssohn, Bd. 1. Heft 1) beschriebenen Tallerman’schen Apparates. Auch er hebt hervor,
wie die energischen Einwirkungen auf den Organismus, die mit dieser Behandlungsart mit Luft¬
temperaturen bis zu 1500 C und darüber verbunden sind, weder auf den lokalen Krankheitsherd noch
auf den ganzen Körper irgend w elchen nachtheiligen Einfluss haben. Neben den guten Erfolgen,
die Neumann bei Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus und der Ischias za
verzeichnen hatte, sind besonders hervorzuheben die zum Theil geradezu überraschenden Heilresultate,
die er bei der Behandlung von theil weise schon jahrelang bestehender schwerer Arthritis defor-
raans erzielte, auch in scheinbar ganz hoffnungslosen Fällen. Neu ist ferner auch die günstige
Wirkung der Heissluftbehandlung, die Neumann bei einem schweren Falle von Sklerodermie
beobachtete, ferner bei einer an Myxoedem leidenden Patientin.
Nicht ganz so enthusiastisch, aber ebenfalls sehr günstig äussert sich Zimmermann über die
Erfahrungen, die er mit dem Tallerman’schcn Apparat auf der inneren Abtheilung des Augusta-
Hospitals zu Berlin machte. Während er bei Arthritis deformans zwar in einzelnen Fällen Bes¬
serung, aber keine Heilung beobachten konnte, hebt er, ebenso wie dies Referent (diese Zeitschrift
Bd. 4. Heft 7) schon gethan hat, besonders die günstige Einwirkung der lokalen Heissluftbäder bei
hartnäckigem akutem Gelenkrheumatismus resp. bei Residuen desselben hervor. Die
Erfolge bei Ischias waren nicht in allen Fällen gleichmässig. A. Laqueur (Berlin).
D. Gymnastik und Massage, Liegekuren.
Batscli, Massage bei Lymphangitis.
Verfasser hat die Massage nicht nur bei beginnender Phlegmone, sondern auch bei Lymphan-
gitis und Lymphadenitis im Anfangsstadium sehr oft angewandt und berichtet über diese von ihm
vertretene und bei vielen Kranken angewandte Methode, die er auch an sich selbst erprobt hat
Gelegentlich einer Mastdarmfisteloperation stach Verfasser sich mit dem Messer in den Finger. In dem-
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G09
Referate über Bücher und Aufsätze.
selben Moment spritzte ein starker Arterienast, und eine grosse Menge Koth kam von oben herab.
Nach Unterbindung der Arterie und Reinigung des Daumens wusch Operateur seine kleine Stichwunde
energisch mit Sublimat aus. Da die Wunde jedoch lange mit dem Kothe in Kontakt gewesen war, reichte
die Desinfection nicht aus; am Nachmittage traten Schmerzen und Klopfen in der linken Zeigefinger¬
spitze auf, liessen aber nachts infolge Sublimatumschlages nach. Am anderen Tage musste Ver¬
fasser eine gerichtliche, fünf Stunden dauernde Sektion an einer stark verwesten Leiche ausführen.
Die Stichwunde war durch Kollodium geschützt. Tags darauf trat wieder Klopfen und Spannen
im Zeigefinger auf, woran sich am nächsten Tage stechende Schmerzen in der Rückseite des Hand¬
gelenks schlossen. An der Streckseitc des Zeigefingers wurde ein gerötheter Lymphstrang sichtbar.
Bald darauf empfand Verfasser den ersten Schmerz in den Kubitaldrüsen, worauf im Laufe einer
halben Stunde am Unterarm vier geröthete Lymphstrange und bis zur Mitte des Oberarmes ein
Lymphstrang sichtbar wurden. Es erfolgte eine energische Incision, worauf die Wunde mit dem
Galvanokauter ausgebrannt wurde. Die Temperatur war 38,5. Darauf Hess Verfasser sich sofort
30 Minuten energisch mit grauer Salbe massieren. Die Massago war anfangs schmerzhaft. Nach
30 Minuten fühlte Verfasser fast gar keine Beschwerden mehr. Nachmittags trat wieder Spannung
im Ober- und Unterarm ein, und Verfasser legte den Arm in die Binde. Abends Temperatur 38,9,
Schwellung des Handgelenks und der Kubitaldrüsen, der Arm war in toto geschwollen, zeigte ein
Netz entzündeter Lymphsträngc, Achseldrüsen waren geschwollen und schmerzhaft. Verfasser
licss sich nunmehr eine Stunde lang massieren, auch in der Achselhöhle und oberhalb und unterhalb
des Schlüsselbeins, wonach grosse Erleichterung im Arm eintrat. Tags darauf Temperatur 38,1,
etwas Anschwellung, morgens halbstündige Massage, mittags wiederum halbstündige und abends
einstündige Massage. Dann war die Temperatur normal. Darauf wurde drei Wochen lang die
Massage anfangs zweimal, dann einmal am Tage eine halbe Stunde fortgesetzt. Kubitaldrüsen und
Lymphstrange des Oberarmes kehrten zuletzt zur Norm zurück.
Verfasser hält es nicht für blinden Zufall eines ersten Versuches, dass seine Maassnahmen
glückten, sondern ist der Ueberzougung, dass dieselben glücken mussten. Er will in Zukunft auf
Grundlage seiner Erwägungen die Massage in frischen Fällen von Lymphangitis und Lymphadenitis
sowie Phlegmone im Anfangsstadium anwenden und empfehlen.
Da Verfasser ausser der Massage cino energische Desinfektion mit Sublimat, nachts einen
Sublimatumschlag angewandt, und eine energische Incision vorgenommen, die Wunde mit dem
Galvanokauter ausgebrannt, den Arm zeitweise in die Binde getragen hat, da die Temperatur nur
38,5—38,9 betrug und am Tage nach der chirurgischen Behandlung auf 38,1 fiel und dann zur Norm
zurückkehrte, so hat unzweifelhaft diese alte und bewährte Behandlungsmethode den Verlauf der
Entzündung auch in diesem Falle in günstiger Weise beeinflusst. Von der Massage können wir
dieses nicht ohne grösscro Kasuistik zugeben, und aus obiger Krankengeschichte vermögen f wir nur
zu konstatiren, dass die Massage in diesem Falle nicht geschadet hat und den Heilungsprozess
nicht verzögert zu haben scheint, uns aber keineswegs veranlassen kann, die Massageindikation auf
septische lokale Erkrankungen zu erweitern. Reyher (Dresden).
C. Reymoud, Quelques resultats de la thdrapeutique par les machiues de Zander 9 a
Pinstitnt mddice-mecauiqne de Geneve« Rev. med. de la Suisse romandc 1901. No. 3.
Reymond giebt in der Arbeit eine Statistik seiner Anstalt aus zwei Jahren. Meistens sind
die Resultate günstig. Die mannigfaltigsten Krankheiten werden behandelt und geheilt oder ge¬
bessert: Dyspepsien verschiedenen Ursprungs; Magenerweiterung; chronischer Darmkatarrh, der
schon 13 Jahre anscheinend unverändert besteht, wird »leicht« geheilt; chronische Obstipation;
Herz- und Gefässkrankheiten; Krankheiten der Athmungsorgane; Spitzenkatarrh wird »vollständig
geheilt«; Neurasthenie, Neuralgien; menstruelle Störungen; Obesitas; Skoliose. Angaben über In¬
dikationsstellung, Art der Uebungen, Dosierung, über die Ergebnisse der objektiven Untersuchung,
durch welche die Annahme der Heilung gerechtfertigt wurde, werden nicht oder nur unvollständig
gemacht. Die einzigen übersichtlichen, zahlcnmässigen Angaben finden sich bei Besprechung des
sogenannten Asthma infantile, der Obesitas und der Skoliose.
Ein wissenschaftlicher Werth ist derartigen Zusammenstellungen kaum beizumessen. Wir
müssen unbedingt verlangen, dass die Ergebnisse der Heilgymnastik nicht anders besprochen
werden, wie die übrigen therapeutischen Methoden; es muss ein genauer Status, Besprechung der
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610 Referate über Bücher und Aufsätze.
Indikationen, Begründung der Wahl der therapeutischen Methode, genaue Anführung der Resultate
der objektiven Untersuchung während und nach der Behandlung geboten werden: non multa, Bed
multum. Mit der blossen Angabe: »Guörison facilement obtenue«, oder: »Guörison compl&te« ist
uns nicht gedient Gotthelf Marcuse (Breslau).
E. Elektrotherapie.
Samuel Sloan, Three and a half years’ experience of faradisation of the head, on scientific
princlples in the treatment of chronic insommia and associated neuroses, comprisiof a
series of fourty-six cases. The Glasgow medical joumal 1901. Bd. 56. No. 2.
Nach den Mittheilungen des Verfassers bildet die Faradisation des Kopfes ein vorzügliches
Mittel zur Bekämpfung nervöser Schlaflosigkeit. Er hat während der letzten 3 V 2 Jahre 46 Fllle,
die in einer Tabelle aufgeführt sind, auf diese Weise behandelt. Nur vier Fälle zeigten keinen
Erfolg, einer eine vorübergehende Verschlechterung der Kopfbeschwerden, alle übrigen wurden gam
wesentlich gebessert oder völlig geheilt.
Bezüglich der Methode ist zu erwähnen, dass Verfasser die Anwendung einer sekundären
Spirale von sehr grosser Windungszahl (8000— 9000) für durchaus nothwendig hält, Spiralen mit
geringer Windungszahl wirken nicht beruhigend, sondern aufregend. Der Unterbrecher muss so
schnell wie möglich arbeiten, die Stromstärke wird vermittelst eines Rheostnten langsam gesteigert
und am Ende der Sitzung wieder ausgeschlichen und mit einem Faradiraeter gemessen. Gewöhnlich
wird V 3 —1 M.-A., selten 1V 2 M.-A. angewendet. Die Elektroden (15 resp. 10 Quadratzoll) müssen
gut durchfeuchtet und an der Stirn und im Nacken sicher befestigt sein. Dauer der Sitzung 10 bis
20 Minuten. Gewöhnlich genügten einige wenige Sitzungen, selten wurde die Zahl derselben auf 20
und darüber gesteigert.
Bei jeder Sitzung macht sich unmittelbar ein Gefühl von Schläfrigkeit geltend, welches die
Patienten oft ganz spontan angaben. Als weitere Folge hinterlässt die Faradisation dann eine ge¬
hobene Stimmung und das Gefühl gesteigerter Leistungsfähigkeit. Abends stellt sich ein ruhiger
Schlaf ein, aus dem der Patient morgens in vollem Wohlbefinden erwacht Die günstige Wirkung
steigert sich oft ganz rasch zur völligen und dauernden Heilung.
Verfasser stellt sich vor, dass diese günstige Wirkung auf dem Wege einer physikalisch-
chemisclicn Beeinflussung der Ganglienzellen vor sich geht Mann (Breslau).
Ri viere, Action of currents of high frequency upon tuberculosis. The journal of phvsical
thcrapeutic8 1901. Bd. 2. No. 3.
Verfasser thciltmit, dass er in Uebcreinstimmung mitDoumer und Oudin sehr gute Erfolge
bei der Behandlung der Lungentuberkulose mit dem Hochfrequenzstrom erzielt hat Das Befinden
der Patienten besserte sich von Tag zu Tag, und in manchen Fällen schwand der pathologische
physikalische Lungenbefund vollständig. Allerdings Hess er die Patienten gleichzeitig die ^klassische«
Tuberkulosebehandlung durchmachen und Hess die Arsonvalsitzungen mit der Applikation von
Röntgenstrahlen und Inhalation von Ozon abwechseln. — Verfasser führt dann besonders einige
Fälle von lokaler Tuberkulose an, bei denen die Arsonvalisation (meist in Form von Bestrahlung
vermittels des Oudin’schen Resonators) ausgezeichnete Erfolge ergeben haben soll. Es handelte sidi
um tuberkulöse Hautulcerationen, Gelcnkerkrankungen und Drüsenschwellungen mit Fistelbildung.
Der Erfolg der Behandlung soll jedesmal evident gewesen sein. Besonders in dem Falle mit fötider,
eitriger Absonderung nahm von den ersten Sitzungen an das Sekret sofort einen anderen Charakter
an, es wurde einfach serös, die Geschwürsfläche bedeckte sich mit Granulationen und kam rasch
zur Heilung. Auch in sechs Fällen von fissura und fistula ani sah er dieselbe Wirksamkeit, wie sic
von Oudin angegeben worden ist Er benutzte hier entweder eine mit dem Resonator verbundene
Sonde, welche in den Fistelgang eingeführt wurde, oder die sogenannte Kondensatorelektrode
(konische, mit Metall ausgefüllte Glaselektrode).
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Referate über Bücher und Aufsätze. 611
Verfasser ist nach seinen Beobachtungen überzeugt, dass der ArsonvaFscbe Strom einmal
direkt bakterizid wirkt, und dass er ausserdem kräftigend auf die Lebensvorgänge im Organismus
einwirkt, so dass letzterer befähigt wird den Kampf mit den Bakterien mit Erfolg aufzunehmen.
Mann (Breslau).
P. Rodarl, Ueber ein neues elektrisches Heilverfahren (Engen Konrad Müller’s Perrnea-
elektrotherapie). Berliner klinische Wochenschrift 1901. No. 23—24.
Verfasser berichtet über ein neues Heilverfahren, dessen Prinzip von dem Ingenieur Müller
stammt, und welches seit drei Jahren in der kantonalen Krankenanstalt in Aarau, und seit andert¬
halb Jahren in einem eigens dazu gegründeten Institut »Salusa in Zürich praktisch erprobt wird.
Bei dem neuen Verfahren, dessen technische Seite von Müller ausführlich mitgetheilt werden
soll, handelt es sich um eine durch Aufwendung und Transformation grosserer Mengen elektrischer
Energie (jeder Apparat konsumiert 8—20 Kilowatt) erzeugte elektrische Strahlung, respektive um
eine in Wellenform ausstrahlende Elektrizität von äusserst intensiver Durchdringlichkeit. Es handelt
sich also, wie bei der Arsonvalisation, um eine Fernwirkung der Elektrizität, aber mit dem Unter¬
schiede, dass die Ausstrahlung nicht, wie bei dieser, durch eine hohe Spannung bei geringer Strom¬
stärke, sondern umgekehrt durch eine grosse Strommenge bei minimaler Spannung erzeugt wird.
Die physiologische Wirksamkeit seiner Apparate machte sich Müller und seinen Gehülfen
schon bei den ersten Versuchen in »eigenthümlichen physiologischen Einwirkungen auf bestimmte
Empfindungsnerven« (ohne jeden Kontakt mit dem Apparat) bemerklich. Ferner wurde bei einem
Gehülfen zufällig ein Verschwinden von neuralgischen Schmerzen bemerkt
Systematische Versuche ergaben nun Folgendes: Die »Permeaelektrotherapiet übt zunächst
einen Einfluss auf die chemische Zusammensetzung des Blutes aus. Mit Blut gefüllte Reagensgläser
zeigten nach Müller’scher Bestrahlung eino anderthalb- bis zweieinhalbmal so grosse Serumschicht,
wie dio Kontrollproben. Auch durch eine — hier nicht wiederzugebende — elektrochemische Me¬
thode liess sich die Veränderung in der chemischen Beschaffenheit des Blutes demonstrieren.
Bezüglich der Wirkung auf das Nervensystem ergab sich zunächst am Froschpräparat, dass
irritative Wirkungen auf die motorischen Nerven bei der Mül 1er*sehen Bestrahlung vollkommen
fehlen. Darin verhält sie sich also analog der Arsonvalisation.
Auch die Wirkung auf die Vasomotoren soll sie mit ihr gemeinsam haben, und zwar wirkt
sie im sedativen Sinne auf Vasomotoren, die sieh im Zustande der Reizung befinden. Dies ergab
sich aus der günstigen Einwirkung auf angioncurotische Oedeme, für deren Entstehung man eine
Reizung der Vasodilatatoren verantwortlich machen muss.
Die grösste Wirksamkeit soll aber dio Permeatherapie auf die sensiblen Nerven und zwar
ebenfalls als sedatives Mittel besitzen. Unter 57 Fällen von Neuralgie waren 22 Heilungen und
18 Besserungen zu verzeichnen. Ferner soll neurasihcnischö Schlaflosigkeit (in 50°/ 0 ) sehr günstig
beeinflusst worden sein, woraus hervorgeht, dass das Verfahren auch auf das zentrale, funktionell
irritierte Nervensystem sedativ einwirkt. Auch bei hypcrasthetischen Zuständen innerer Organe er¬
gaben sich gute Erfolge. Schliesslich wurden auch bei Tabes dorsalis die Schmerzen und die Ataxie
gebessert. Die Indikation der Behandlung erstreckt sich also auf alle auf einer Irritation beruhenden
Erkrankungen des sensiblen und vasomotorischen Nervensystems.
Dio Behandlungsdauer schwankte zwischen einer bis fünf Wochen, bei einer täglichen Ex¬
position von 15—25 Minuten.
Tabellarische Zusammenstellungen der erreichten Erfolge, sowie einige Krankengeschichten
sind der Arbeit beigefügt. Weiteren Mittheilungen über den Gegenstand ist jedenfalls mit Interesse
entgegenzusehen. Mann (Breslau).
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612
Kleinere Mittheilungen.
Kleinere Mittheilungen.
I.
Die Verwendung von Gemüse- nnd Fleischkonserven in den Armeen
der Grossmächte.
Id der »Revue de l’intendance militaire« (Bd. 14. Lieferung 1) finden wir aus der Feder
des Oberapothekers I. Kl. Ball and eine mit zahlreichen chemischen Analysen versehene Arbeit über
obiges Thema; nachfolgende Zeilen geben einen Auszug jenes Aufsatzes.
I. Frankreich.
a) Gemüsekonserven.
Julienne, die einzige Gemüsekonserve, welche zur Zeit für die Truppen in Algier an¬
genommen ist, besteht aus einer Mischung verschiedener Gemüse (Kohl, Möhren, Kartoffeln, grüne
Erbsen, Rüben). Die frischen Gemüse sind in dünne Streifen geschnitten, nach Möglichkeit gedörrt,
und dann unter einen Druck gesetzt, welcher 1000 kg dieser Konserve auf das Volumen von
1 cbm komprimiert
Die so präparierte Julicnnckonservc wird in verlötheten Büchsen verpackt; ihr Feuchtigkeits¬
gehalt beträgt 13—14%.
Ihr Nährwcrth ist allerdings ein beschränkter, indess bietet sie den im äussersten Süden von
Algier stationierten Truppen eine willkommene Abwechselung in ihrem Menu; denn durch Auf¬
kochen gewinnt sie mehr oder woniger die Form und Geschmack des frischen Gemüses. Die Einzel¬
portion fasst 30 g.
Die Proviantvcrwaltung hält in gleicher Weise auch Grüne Erbsenkonserven vorräthig
als ständige Menagebeigabe für Truppen mancher Standquartiere in Algier und Tunis; eine ver-
löthete Blechkapsel von ca. 1 kg Gewicht enthält mindestens G00 g grüne Erbsen; sie unterscheiden
sich nicht von frisch gepflückten Erbsen.
b) Erbssuppekonserven.
Dies Präparat besteht aus 60% -Erbsmehl. 30% Fett und einem entsprechenden Zusatz von
Pfeffer und Salz. Die Erbsen sind zuvor in strömendem Dampf gekocht, geschält und vor dem
Zermahlen gedörrt, einmal um den bitteren Geschmack, welchen die Schalen der Hülsenfrüchte dem
Präparate mitzutheilen pflegen, zu vermeiden, andererseits um die Haltbarkeit des Produktes zu
erhöhen. Die Büchsen sind verlölhet oder gefalzt und durch den Dampfsterilisationsapparat bei
115° gegangen, und zwar sechs Portionen zu je 40 g. Das Präparat bildet eine feste, gelbliche,
homogene, pastenartige Substanz.
c) Erbstwurstsuppekonserven.
Diese Konserven, auf welche man bereits verzichtet zu haben scheint, die jedoch noch von
den Proviantämtern geführt werden, sind in verlötheten Eisenblcchbüchsen verpackt, zu je 2 Stück
Erbswurst mit Fett im Gewicht von 250 g für 10 Suppen, also 25 g pro Portion. Erat unmittelbar
vor Bereitung der Suppe entfernt man die Papiereinwickelung der Konserve. Die Analyse ergiebt.
dass die Erbswurstkonserven mehr Wasser als die Erbstsuppenkonserven und demgemäss auch
weniger Nährstoffe enthalten.
d) Suppenkonserven genannt »Potage national«.
Die Xationalsuppe soll nach den offiziellen Vorschriften bestehen aus:
Junges Ochsenfleisch (Muskelfleisch).30%
Gemüsemehl (Erbsen, Linsen etc.) in Dampf gekocht . . 40%
Frisches Gemüse (Möhren, Rüben, Lauch etc).7%
Fett nebst verschiedenen Gewürzen.23%.
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Kleinere Mittheilungen.
613
Das Präparat darf nach Passieren des Dampfsterilisadonsapparates nicht mehr als 20% Feuch¬
tigkeitsgehalt besitzen. Jede Büchse enthält, wie die Erb wurstkonserven 20 Suppenportionen zu je
25 g. Das Präparat, dessen spezielle Darstellung Geschäftsgeheimniss des Fabrikanten ist, bildet
eine homogene, feste, chokoladenfarbigc Masse. Die Einzelportion von 25 g hat folgende chemische
Analyse:
Wasser.4,70
Stickstolf.4,97
Fett.0,14
„ Kohlehydrate und Extraktivstoffe . 7,70
Cellulose.0,36
Asche.1,10
25,00
e) Gomüsebreikonserven.
Diese Konserve, welche erst vor kurzer Zeit in der Armee eingeführt wurde, setzt sich aus¬
schliesslich aus nachstehenden Bestandteilen bester Qualität und heimischen Ursprungs zusammen:
Mehl enthülster Erbsen . . . 55,0 kg
Fett Ia Qualität.7,0 i>
Schweinefleisch.40,0 »
Salz.5,0 »
Pfeffer.0,4 »
Zwiebel.0,0 »
Die 113 kg 400 g sind eingekocht auf 100 kg mit einem Höchstgehalt von 13% Wasser.
Die Konserve ist in Blechbüchsen verschlossen, nachdem sie 1V 2 Stunde im Dampfstcrilisations-
apparate einer Hitze von 112‘> ausgesetzt war.
Jede Büchse enthält 5 Portionen zu 40 g, zusammen 200 g; man genicsst sie entweder als
Brei oder auch verdünnt als Suppe, ltn ersten Fall löst man den Inhalt der Büchse in % 1 Wasser
auf und lässt die Mischung 5 Minuten auf kochen; im anderen Fall kocht man dasselbe Quantum
Konserve mit 21 Wasser auf und giesst cs über Brotstücke. Diese neue Konserve bietet bei
gleichem Gewicht fast denselben Nährwcrth wie die Xationalsuppc; mir bildet sie nicht wie jene
eine homogene Masse; das Fleisch bleibt einzeln zurück.
f) Fleischkonservcn.
Die Rindfleischkonserven, soweit sic Verwendung in der Armee finden sollen, müssen bei
zweckmässiger Kochbehandlung den vollständigen Inhalt des verwendeten Fleisches bergen und
somit sämmtliche wirksamen Fleischbestandthcile enthalten mit Ausnahme der Knochen und Sehnen, .
des Fettklumpen, des Suppenschaumes und des bei der Fabrikation verdampften Wassers.
Das Fleisch wird 12—18 Stunden nach der Schlachtung von Knochen, Fett und Sehnen be¬
freit und in Stücke von höchstens 500 g zerschnitten. Die Fleischstücko werden in Wasser ge¬
kocht (blanchiert), abgetropft und unmittelbar in Büchsen verpackt; die beim Kochen gewonnene
Fleischbrühe wird, nachdem man sie noch genügend eingedampft und das Fett abgeschöpft hat, um
die in die Büchsen bereits eingeschichteten Fleischstücke gegossen. Die so gefüllten, Büchsen
werden geschlossen und im Wasserbad von 80° auf Undurchlässigkeit geprüft. Dann werden sie
nach einer zweistündigen Sterilisation bei 120° nochmals auf Luftdichte untersucht. Jedenfalls darf
zwischen Schluss der Büchsen und ihrer Sterilisation nicht mehr als eine Zeit von vier Stunden
verstreichen.
Das Nettogewicht einer solchen Konservenbüchse beträgt im Durchschnitt 800 g Fleisch und
200 g Fleischbrühe und Fett; letzteres darf nicht mehr als 60 g ausmachen. Die Fleischbrühe soll
im Minimum 12% trockene Extraktivstoffe und 1,30% mineralische Substanzen (Asche) ergeben.
Jede Büchse tragt auf dem Deckel eine gestanzte Aufschrift, welche die Art der Konserven,
Ort der Fabrikation und Namen des Fabrikanten, ferner das Nettogewicht der Büchse, endlich
Monat und Jahr der Fabrikation angiebt. Ein Kilogramm Konserven bildet vier Kriegsportionen zu
je 250 g.
Der gut gehackte und gemischte Inhalt einer Buchse zu 250 g hat ungefähr folgende Zu¬
sammensetzung:
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614 Kleinere Mittheilungen.
Wasser ......
. . 152,50
Stickstoff.
. . 72,95
Fett.
. . 20,38
Extraktivstoffe . . .
. . 0,87
Asche.
. . 3,30
250,00
Die Portion Riudfleischkouservc zu 250 g entspricht ungefähr 365 g frischen, von Knochen
befreiten Fleisches*).
g) Eingcsalzencs Schweinefleisch.
Das für den Gebrauch in der Armee eingesalzene Fleisch entstammt französischen Sch weinen.
Im Kriegsfälle kann die Portion frisches Fleisch zu 500 g ersetzt werden durch eine Portion ein-
gepökelten Speck zu 300 g, welcher ungefähr 280 g von Knochen befreitem Schweinefleisch entspricht.
II. Deutschland.
a) Suppenkonserven.
Die in der deutschen Armee gebräuchlichen Suppenkonserven bilden eine Mischung von
Bohnen-, Linsen- und Erbsenmehl unter Zusatz von Fett und Salz. Sie stellen ein ziemlich gleich-
mässiges Präparat dar, ähnlich der Bohnensuppo der französischen Armee, nur mit dem Unterschiede
eines Ucberschusses an stickstoffhaltigen Substanzen, welcher seinen Grund in einem Zusatze von
Fleischextrakt hat. Auch scheint cs an Cellulose reicher zu sein, vielleicht auf einer weniger sorg¬
fältigen Reinigung des Leguminosenmehlcs beruhend gegenüber den französischen Präparaten.
Diese Konserven sind in Rollenform von 6,5 cm Durchmesser und 12 cm Höhe gegossen und zu¬
erst in Staniol, dann in Pergamentpapier verpackt. Jede solcher Rolle enthält drei nebeneinander
gelegte runde Kuchen zu je 150 g, jeder eine Kriegsportion darstellend. Auch sind kleine Rollen,
nur eine Kriegsportion bildend, im Gebrauch. Eine Portion zu 150 g giebt mit einem Liter heissen
Wassers eine dicke Suppe, welche dunkler und stärker gewürzt ist als die von französischen Suppen¬
konserven
b) Fleischkonserven.
Die Verpackung erfolgt in verlötheten cylindriscben Blechbüchsen, 4,5 cm hoch, 9 cm im
Durchmesser. Jede Büchse, eine Portion bildend, enthält 240 g Konserven, und zwar ungefähr
190 g gekochtes Ocbsenfloisch und 50 g Fleischbrühe und Fett Die Fleischbrühe ist flüssig, sic
enthält 91% Wasser und 9% trockene Extraktivstoffe, ln anderen Büchsen derselben Grösse ist
die Fleischbrühe durch gehacktes, sehr gewürztes Fleisch ersetzt
III. England.
Die englische Armee verwendet die verschiedensten Konserven: Gemüse- und Ochsenfleisch-
konserven, geräucherten Speck, Fleischextrakt, kondensierte Suppen etc.
Die gedörrten Gemüsekonserven (Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln, grüne Bohnen etc.l scheinen
in derselben Weise wie die Juliennesuppe präpariert zu werden. Die Ochsenfleischkouserven, be¬
kannt unter den Namen: roast bcef, boiled beef, comcd beef, chipped beef, unterscheiden sich
nur durch ihren relativen Feuchtigkeitsgehalt, besitzen aber in völlig trockenem Zustande den
gleichen Nährwerth; das boiled beef ist der entsprechenden französichen Konserve sehr ähnlich.
Die Räucherspeckkonserven in Würfelstückeu haben den grossen Vorzug nicht mehr als
14,5% Wassergehalt aufzuweisen.
Die Fleischextrakte sind nicht gleichmässig eingedampft, ihr Nährgehalt ist daher ein sehr
verschiedener. Der Prozentgehalt an Wasser schwankt zwischen 16 und 73%.
Die Biskuits, welche mit Fett und Fleischpulver imprägniert sind, differieren ebenfalls so¬
wohl in Gestalt als auch in Zusammensetzung. Die Suppenkonserven sowohl wie die vorgenannten
Präparate sind in ihrer Zusammensetzung sehr schwankend. Die mikroskopische Untersuchung
ergiebt die verschiedenartigste Zusammensetzung (Flcischpulvcr, Kartoffeln, Erbsen, Bohnen,
Reis). Die Haltbarkeit ist eine ziemlich beschränkte, da bald Ranzig werden eintritt. Diese so her¬
gestellten Suppen sind wenig schmackhaft, sie werden vom englischen Soldaten nicht gern genossen.
i) Bezüglich der Kriegsportion frischen Fleisches zu 500 g resp. von Knochen befreiten
Fleisches zu 400 g sieht man, dass der Unterschied (400 zu 365 g) reichlich durch die Suppen¬
konserven ausgeglichen wird, welche ebenso wie die Fleischkonserven an die Truppen vertheilt
werden, sobald Mangel an frischem Fleisch eintritt.
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Kleinere Mittheilungen.
615
IV. Oesterreich - Ungarn.
Die Einbrennauppe ist in viereckigen Paketen von je 10 Portionen zu 36 g verpackt.
Die Präparate sind nur mit einem einfachen Blatte Pergamentpapier bedeckt, eine gegen atmo¬
sphärische Einflüsse durchaus unzulängliche Emballage Die anderen Suppenkonserven (Bohnen,
Erbsen, Linsen, Gemüse etc.) sind ebenfalls in Paketen, jedoch nur 4 Portionen zu 100 g zusammen¬
gestellt. Ihre Zusammensetzung ist ziemlich glcichmässig: 10—15% Wasser und 14 —19% stick¬
stickstoffhaltige Bestandteile.
Die Ochsenfleischkonserven gelangen in kleinen gefalzten Blechbüchsen von 8 cm Höhe und
7,5 cm Durchmesser zur Verwendung. Ihre Zusammensetzung ist eine ziemlich konstante und gleicht
den französichen Konserven derselben Art.
Auch existiert in Büchsen von demselben Umfange ein sehr gewürztes Fleiscbhachöo, welches,
solange das Präparat frisch ist, sehr schmackhaft ist, auf die Dauer aber diesen Vorzug bald ein-
büsst Es enthält weniger Wasser als die Ochsenfleischkonserven (46 gegen 66%) und repräsentiert
folglich bei gleichem Gewicht mehr Nährwert.
Y. Belgien.
a) Suppen- und Fleischbrühkonserven.
Die Suppenkonserven stellen runde Kuchen dar von 4 cm Durchmesser, 50 g schwer. Jeder
solcher Kuchen liegt, umhüllt von eifern Staniolblatt und Paräffinpapicr in einem kleinen Aluminium-
behälter mit beweglichem Deckel; ausserdem enthält die Büchse in gleicher Verpackung eino Portion
Zucker (25 g) und eine Portion Kaffee (20 g). Alle diese Präparate gelangen in gepresster Form
zur Verpackung.
Die Suppenkonserven bestehen aus Hülsenfrüchten und Fett unter Zusatz von Fleischextrakt
und Gewürz (Pfeffer, Lauch); sie sind etwafc stickstoffhaltiger und cellulosereicher als die französischen
Konserven ähnlichen Genres, jedoch weniger stark gesalzen.
Die Fleischbrühkonserven, in ovalen, */ 3 l haltenden gelöteten Blechbüchsen bilden zu 350 g
eine Einzelportion. Sie haben die Konsistenz flüssigen Sirups, sehen dunkelbraun aus und erinnern
im Geruch und Geschmack an Fleischbrühe und verschiedene Gewürze (Lorbeer, Zwiebel, Pfeffer),
welche beim Einfüllen in die Büchsen als Rückstand blieben. Das Maass des Salzzusatzes ist ent¬
schieden überschritten. Diese Konserven dürfen nur auf eine relativ kurze Zeit dargestellt werden,
da die Blechbüchsen ausserordentlich schnell unter dem Einflüsse des Salz* und Flcischsäuregehaltes
leiden. Sie enthalten nur 10% Nährstoffe, d. h. 35 g auf 1 / 3 1, ein entschiedenes Missverhältniss.
b) Ochsenfleisch- und Fleischbrotkonserven.
Die .Ochsenfleischkonserven sind in der gleichen Weise wie die vorgenannten Konserven
verpackt und lassen sich mittels eines beigelegten Schlüssels am Büchsenrande durch Aufrelssen
öffnen; sie enthalten 300 g Fleisch und Fleischbrühe als Einzelportion. Die Darstellungsweise
scheint dieselbe wie in Frankreich zu sein.
Das Fleischbrot ist in cylindrischen, verlötheten Blechbüchsen zu 1200 g und zwar in acht
Portionen zu je 1500 g verpackt. Es besteht aus einem Ochsen- und Schweinefleischhacböe mit
Brotkrume und Gewürzen (Zwiebel, Pfeffer etc.) stark vermischt. Das belgische Fleischbrod enthält
nur 30% Nährstoff.
VI« Vereinigte Staaten«
In der Armee der Vereinigten Staaten gelangen dieselben Konserven zur Verwendung wie
in der englischen.
VII. Italien.
Fleischkonserven.
Die Verpackung erfolgt in schwarzen, cylindrischen Blechbüchsen von 6 cm Höhe und 7 cm
Durchmesser. Eine volle Büchse liefert ca. 230 g Ochsenfleisch und Fleischbrühe im Sinne , der ge¬
wöhnlichen Konserven. Die Zusammensetzung des Präparates unterscheidet sich nur durch einen
bei der Herstellung stattfindenden starken Zusatz von Salz gegenüber den französischen Konserven.
VIII. Russland«
Man hat in schmale Stücke geschnittenes gedörrtes Fleisch eingeführt; es scheint sich gut
zu halten und wird trocken oder in Wasser auf gekocht genossen.
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Kleinere Mttiheiluugeü.
Eine neue Satidbarlernrichluug.
Der mi^lUihfeir Punkt beim Sandhai] istdfo ^fei^i:uiä8^ge Erwarmung tu-
käaiulicli ein &ht ^l^ii^r WSrnieleit^r ist J Rer größerem Bedarf an wu Jirfter t?ta-
&t&iden mehrere zu gleicher Zeit verabreicht werden mTDsom wml mau ferner» finale^ der bekannte*«
Einnchtüilgr in »len Mobd>cde:n!.sudte?e die Wannen fahrbar citniehren müssen, mu »te um Üe^enr«nr
.au füllen Man höf öirih 'd&4 ^vth^i t Jede Wjissid'baüc^eilo, cventteil suglefch für Siudbad-
vcräbrefehuii^ Ityfmtztm au kennen. Wird doch gewöhnlich und» dem Sand ha il ein vrartm^s Wä&v :
bad gennmiucn. Auen die Piilluug dea lk^etvu»r» wird, statt itdi ilor Hand, hei grosseren Anb-eu
vorthoilhfift auf maftchmell^
Eine solche’. grdssorfö .'genügende ^andbadanlagn «nt - spezieller Winrkhtniig *n
gleichmfu&tfjgef Erwrinnaug iii* Sandes hat die Firma Bo Hu A Loppow, Bamtmvg uach Anga-hen von
Dt\ Särrasou i Berlin:• konstruiert
Das rK'ue Systeh} hMdön VorthdJ, dpAs es vom Vorhandensein einer Dampfmeugvin^tcile
unabhängig Ls* ttm’l die Krümmung des Sandes durch Leuchtgas oder Spirits bewirkt wird. ^Bei den;
Figuren 84 find fr» sind Dn*hrenner zu sehen.)
Die VorriHtfimg -fetöht zur llniipDaehi* aus einer, den kalter« Sand mifnehmeniten drehbaren
' f .prbbh'iiel, $öKm 'Mftbtorbkci.t die ihm durch ffajD ^intii.sbrfriöüt , i: zi^cftibree IVlrtne auf den
Inhalt iibeitnigt Da. sich der Sand wahrend dtu Khvaanühg; uh Zuvtaiidc der Bewegung todtndtt
nnd;b.ot^3htH[m4 .«l^cli^nHiiddrgcih^^Kt wird, *b. ist t^ino ydMteMDQlof.iv gteicl^nassige Erwäwaibhg
gesuuvmten Bihalts gQwährlemteb IMtPl enipccathr des* Bhfidfs ist jedefSyü vrm pinfni
PbertöOtfHU tu ahpMes£n * • „ W. ' • ‘ '
Die Tn-ruurei ist auf eine Welle iestgekuilt und di einen» stabilen fb'StolL siche Figur 84. bdfr
aufWamlk<mdoh‘, Figur ^/gelagert ‘ A ; .;. Ay': f : *
Es iH einleuchtend, das,-, um «Jeu angeltu-bieu Zweck .ut erreiche», nur eine grunz ÄÄÄ?
Tourenzahl der TYomwtd erlVderifrh ist
per Antrieb evbdgt entweder durch die Hand;....Figur * 4 . oder .maschinell, ßgur Kt. ln hc.M. t
Falten Wird die Dmrouz.dd durch ein n^iie-rvorgejegi: io en^pvwhendefr Dreu 2 ci» gehalten, wudubh
sielt der Kniifiiufwantl bedeutend icrb^tert lim maschinellem Antriebe frt eine lese und fooo
Uieincusetieilm vOrgcschom >Mo ,$ti jeder Zern ein Ein- und Aussthatten dt** AppariUe* i-niiAgli^fe
Pur grossere Anlagen und die Vorrichtung »n der Tiegel' in doppelter Abführung gfliefet;
und mit einem UJei‘h»niaoln n ^;iudtV,>derv\ < »k Akurrui'ki'erajjivaiai? verbundfp./welche» durch dw»
gleichen EleUov>n»or*,r. tf.fr die ibuntten der b.-tumele. bvw irkt, in Ike egung gb^tjet Tiiti I uod
dt «} leifld«*': Trnil^jVörf und Wcoimel des gele/.«a-. fn',‘U Samten erujuglfelik
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C>18
Berichte über Kongresse und Vereine.
Berichte über Kongresse und Vereine.
I.
Der deutsche Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke
hielt seine diesmalige Jahresversammlung am 29.—30. Oktober zu Breslau ab. Nach der üblichen
Vorstandssitzung, welche in mehreren Stunden die Interna des Vereins, welcher sich mit seinen
13 000 Mitgliedern über ganz Deutschland erstreckt und den Norden mit dem Süden zur gemein¬
schaftlichen Arbeit wider den Alkoholmissbrauch verbindet, beratschlagte, fand zunächst in der
Aula der Universität die zweite Konferenz der Vorstände der Trinkerheilanstalten des deutschen
Sprachgebietes statt. Die ausserordentlich gut besuchte Versammlung nahm nach den Bcgrüssungs-
worten des Vorsitzenden, Pastor Dr. Martius, das Referat über die Aufnahmemodalitätcn bei
Trunksüchtigen in Trinkerheilanstalten von Dr. mcd. Waldschmidt entgegen. Derselbe erläuterte
den von ihm für die Heilstätte »Waldfriedcnoc entworfenen, nachstehenden Fragebogen, indem er
darauf hinwie9, dass dreierlei durch denselben festzustellen sei: Abgesehen von den gewöhnlichen
Personalien solle die Ursache der Trunksucht (hereditäre Belastung nicht nur hinsichtlich der Trunk¬
sucht, sondern auch bezüglich etwaiger Geistes- und Nervenkrankheiten in der Familie; sodann
prädisponierende Momente in Form früherer Erkrankungen oder erlittener Verletzungen, sowie
psychopathische Veranlagung, Charaktereigenthümlichkeiten, Geistesstörung, Moralitätsdefekte, be¬
sonders in Bezug auf Wahrheits- und Elternliebe neben den Lebensgewohnheiten, der Erziehung,
den ökonomischen, Familien- und Wohnungsverhältnissen des Individuums) in erster Linie Beachtung
finden. Zweitens ist die Art der Trunksucht festzustellen und zu ergründen, seit wann ein Ge¬
brauch und im Anschluss daran der Missbrauch geistiger Getränke stattgefunden hat; ob regel¬
mässig oder in bestimmten Intervallen getrunken (und dadurch ein Gcwohnhcits- oder Perioilen-
trinker erzeugt) worden ist; ferner in welcher Qualität und welcher Quantität der Alkohol dem
Körper zugeführt wurde. — Nachdem diese anamnestischen Daten erhoben, wird es sich durch die
eingehende Untersuchung in psychischer wie in körperlicher Hinsicht darum handeln, den Status
aufzunehmen und somit die Folgen der Trunksucht aufzuzeichnen, wobei gleichzeitig die
schädigenden Einflüsse des Alkohols auf das Erwerbs- und Familienleben, sowie auf die Nach¬
kommenschaft eruiert werden mögen. Auf diese Weise wird man zur sicheren Diagnose kommen
und feststellen können, ob es sich um einen chronischen Alkoholismus mit irgend welchen
Komplikationen, ob cs sich um einfache Trunksucht, um eine Dipsomanie, eine Alkoholepilepsie
oder dergleichen handelt, um daraufhin die therapeutischen Maassnahmen zu treffen. Man wird aber
auch dadurch nach der wissenschaftlichen Seite den Charakter der alkoholischen Erkrankungen aus¬
zubeuten und damit ein Gebiet zu erforschen vermögen, welches bisher noch sehr im Argen liegt,
und immer dringender das allgemeine, wie vor allem das ärztliiehe Interesse herausfordert.
Im Anschluss hieran hatte derselbe Referent darüber zu berichten, was wir von unseren
Patienten durch die Hausordnung fordern. Die Hausordnung der Trinkerhcilstätten hat nach An¬
sicht des Referenten analog der in den Irrenanstalten auf eine gehörige Disziplin Bedacht zu nehmen,
dabei aber als obersten Grundsatz aufzustcllen: unbedingte Enthaltsamkeit von allen
geistigen Getränken (Bier, Wein, Branntwein oder dergleichen) in und ausser dem Hause
seitens aller Anstaltsinsassen, mag es sich um Kranke oder Angestellte handeln. Es soll in
fernerem grundsätzlich von jedem Patienten eine Bethätigung verlangt werden, die vornehmlich in
grober Muskelarbeit (gärtnerischer und landwirtschaftlicher Beschäftigung) ihren Ausdruck findou
mag, um als Bewegungstherapie belebend und fördernd auf Körper und Geist zu wirken.
Bei der nachfolgenden Diskussion wurde eingehend der Werth der sogenannten alkoholfreien
Getränke für Alkoholisten besprochen und als wünschenswert erachtet, dieselben aus den Trinker¬
heilanstalten möglichst zu verbannen, um so den Trinkgcwolmheiten des Einzelnen zu steuern.
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Berichte über Kongresse und Vereine. 619
Fragebogen der Trinkerheilstätte »Waldfrieden«.
Name:
Wohnort:
Alter:
Beruf:
Entmündigung:
Durch wen ist die Aufnahme veranlasst ?
Verpflichtung für wie lange?
Aufnahme:
Aufenthaltsdauer:
a) Ursachen der Trnnksncht.
Erbliche Belastung (Trunksucht, Geistes- und Nervenstörungen, Epilepsie, Selbstmord, Charaktcr-
eigenthümlichkeiten, Gewohnheitsverbrecher):
a) Grosseltern 1. väterlicherseits:
2. mütterlicherseits:
b) Vater:
c) Mutter:
d) Geschwister der Eltern:
e) Geschwister des Kranken:
Körperliche und geistige Veranlagung:
Körperliche und geistige Erkrankung:
Familien- und Wohnungsverhältnissc:
Beruf, Bitte, Gewohnheit, Beispiel, Erziehung:
b) Art der Trunksucht.
Seit wann wurde getrunken?
Was wurde getrunken? (Art und Menge:)
Wie wurde getrunken? (regelmässig, periodisch:)
c) Folgen der Trnnksncht.
In geistiger Beziehung:
In körperlicher Beziehung:
ln Bezug auf das Familien -, das Erwerbsleben:
Diagnose und etwaige Komplikationen (einfache Trunksucht, chronischer Alkoholismus, Dipsomanie,
Delirium [wie oft?], Geistesstörung, Epilepsie, Neigung zu Selbstmord, zu Gewalttätigkeiten,
zu Verbrechen, Lüge, Diebstahl): .
Vererbung auf die Nachkommen:
Bemerkungen: War der Kranke schon einmal in dieser oder einer anderen Trinkerheilanstalt?
(eventuell wann, wie oft, in welcher?)
War er schon Mitglied eines Abstinenz Vereins? (welches, was hat seinen Austritt, nach
welcher Zeit veranlasst?)
Wodurch wurde er rückfällig?
Die beiden folgenden Referate, von dem Hausvater der Berner Anstalt schriftlich, von dem
Hausvater von Klein-Drenzig mündlich erstattet, behandelten die sehr wichtige Frage der Beschäfti¬
gung der Kranken im Winter und im Sommer. Es gehört zu den schwierigsten und Haupt¬
aufgaben eines Trinkeranstaltsleitcrs, alle Patienten vermöge ihren Leistungen und Fähigkeiten stets
und mit Interesse an der Arbeit zu erhalten. Im Sommer ist dies noch leichter wie im Winter, und
man hat besonders in Schweizer Anstalten allerlei Betriebe, wie Schlosserei, Buchbinderei, ja Buch¬
druckerei, Mineralwasserfabrikation etc. einzurichten gesucht und auch sogar mit Samariterkursen be¬
gonnen. Wenn auch in dor Debatte sich eine Stimme gegen die Verpflichtung zur Arbeit erhob,
42 *
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Geburtsort:
Religion:
Civilstand:
Bestrafung:
Entlassung:
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<V20 feerichte über Kongresse und Vereint.
so war man sich doch allgemein darin einig, dass die Beschäftigung der Trunksüchtigen innerhall»
der Heilstätte ein wichtiges Moment der Behandlung bilde und von allen Insassen verlangt werden
müsse.
Pastor Go e bei - Bienowitz sprach sodann über die Mittel, den Trinker möglichst lange in
einer Tinkerheilanstalt zu halten; er glaubte durch die demselben entgegengebrachte Liebe die er¬
forderliche Macht zu besitzen. Demgegenüber gab Wald Schmidt seinem Zweifel Ausdruck, dass
cs möglich sei, allein auf diese Weise die Trinkerbehandlung als Allgemeingut zu verbreiten; es
müsse vielmehr darauf hingearbeitet werden, dass wir nicht nur vom guten Willen des Alkoholistcn,
von seinen Launen und Stimmungen puncto Aufnahme und Entlassung abhängig seien, sondern es
müsse für gesetzliche Maassnabmen gesorgt werden, die den Alkoholkranken auch gegen seinen
Willen zwangsweise einer Heilbehandlung zugänglich machen, beziehungsweise ihn darin zurück¬
halten lassen, wenn ihm die Einsicht hierzu fehle.
Pastor Kruse-Lintorf theiltc in einem weiteren Vortrage mit, welches Interesse die Landes-
Versicherungsanstalten an der Trinkerbehandlung haben, und welche von ihnen sich materiell
durch Ueberlassung von Darlehnen zu niedrigem Zinssätze, beziehungsweise durch Ueberweisung von
Trunksüchtigen an den diesbezüglichen Bestrebungen betheiligt hätten. Referent drückte durch
eine einstimmig angenommene Resolution den Wunsch aus, dass die Unterstützung nach dieser
Richtung seitens der Landes Versicherungsanstalten sich immer lebhafter gestalten möge.
Stadtrath Martius-Breslau verbreitete sich in seinem Referate: Ist im Sinne des bürger¬
lichen Gesetzbuches zur Entmündigung derTrinker die ärztliche Feststellung einer
Erkrankung von Alkoholismus erforderlich oder nicht? des Eingehendsten über die Laster¬
haftigkeit der Trunksüchtigen, indem er die Trunksucht wie die Ehrsucht, Eifersucht, Herrschsucht
etc. etc. als keinen »im medicinischen Sinne« krankhaften Zustand anzusehen vermöge, wenn auch der
Behaftete der moralisch enWiderstandsfähigkeit entbehre, die ihn gelegentlich zu Handlungen treibe,
die Vernunft und Gewissen ihm verbieten sollten. Referent ging so weit, zu behaupten, dass nicht nur
die Kommentare zum bürgerlichen Gesetzbuch, sondern das bürgerliche Gesetzbuch selbst von einem
krankhaften Zustand beim Trunksüchtigen, als nicht im medicinischen Sinne gemeint, spreche; er
benutzte zu seiner Beweisführung den § 681 der Civilprozessordnung, nach welchem der Ent¬
mündigungsbeschluss auszusetzen ist, wenn »Aussicht besteht, dass der zu Entmündigende sich
bessern werde«, indem er meinte, dass das »Sichbessernwerden«, dem allgemeinen Sprachgebrauche
gemäss »moralisch« gedacht sei, nicht aber im medicinischen Sinne ausgelegt werden könne. Hiernach
kommt Referent zu dem Schluss, dass die Trunksucht nicht in jedem Falle eine Krankheitsei, uml
deshalb die Frage betreffs der ärztlichen Mitwirkung bei der Entmündigung im obigen Sinne verneint
werden müsse. — Hierauf wurde von medicinischer Seite durch Neisser-Leubus und Waldschmidt
erwidert, dass auch diesseits der Wunsch bestehe, auf denkbarst schnellstem Wege die Unterbringung
eines Trunksüchtigen in einer Trinkerheilanstalt herbeizuführen, dass man aber unmöglich von einem
krankhaften Zustande, also von einer Krankheit im medicinischen und nichtmedicinischen Sinne
ernsthaft sprechen könne. Als trunksüchtig kann man doch unmöglich einmal einen Alkohol kranken
ein anderes Mal einen Alkohol gesunden bezeichnen, und so wurde von dieser Seite entschieden
bestritten, dass da, wo gesetzlich von einem »krankhaften Zustande« die Rede, etwas anderes als ein
pathologischer Zustand gemeint sei.
Den Schluss der Konferenz bildete ein Referat von Smith - Niendorf über die Behandlung
von Trunksüchtigen vor, während und nach einer Anstaltsbehandlung, indem er die
allgemein anerkannten Grundzüge der Alkoholistenbehandlung zum Ausdruck brachte und nach¬
drücklich den Anschluss an abstinente Vereine oder Familien für Anstaltsentlassene empfahl.
In der abendlichen öffentlichen Versammlung, welche vom schlesischen Provinzial verband
arrangiert war, wurde die starke Entwickelung der Mässigkeitsbestrebungen in Schlesien
betont und von dem Pfarrer Kapitza ein packendes Bild aus dem Leben seiner Tbätigkeit ge¬
geben. Der Vorsitzende des Provinzialverbandes, Freiherr v. Diergardt, theilte mit, dass ein von
41 Professoren der Breslauer Universität Unterzeichneter Aufruf an die Studentenschaft, der die Mässig¬
keitsbestrebungen zur Beachtung empfohlen werden, erlassen sei und sprach dann über Wirthshaus-
reform, indem er auf die Verhältnisse im Auslande hinwies und eine Reform durch Genossenschafts¬
betrieb befürwortete. Die sehr anregende Versammlung erfreute sich des besten Besuchs; das zur
Verfügung stehende Auditorium maximuni der Universität erwies sich als fast zu klein.
Am folgenden Vormittage fand nun die Hauptversammlung des Vereins statt; nach den
Begriissungsworten des Vorsitzenden, Oberbürgermeisters Struckmann, der die Aufgaben des
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Berichte über Kongresse und Vereine. 621
Vereins kurz dahin charakterisierte, dass gegenüber den Abstinenzbestrebungen der Missbrauch
geistiger Getränke bekämpft werden solle, dass aber Mässigkeits- und Enthaltsamkeitsvereine mit
und für, nicht wider einander im Kampfe gegen den Alkoholismus treu zur Seite stehen müssten,
wurde den Bestrebungen des Vereins seitens der staatlichen und Kommunalbehörden (es sei er¬
wähnt, dass sowohl das Kultusministerium als auch das Handelsministerium offiziell vertreten war)
die Sympathien ausgedrückt.
Das Hauptvortragsthema bildete »Massigkeit und Wehrkraft«, welches seitens des Pastor
Dr. Martins vom geschichtlichen, durch Freiherrn v. Diergardt vom militärischen und seitens
des Stabsarztes a. D. Dr. Gerwin vom medicinischen Standpunkte behandelt wurde. Pastor
Dr. Martius führte aus, dass durch den Alkoholmissbrauch die Gesundheit der Truppen geschädigt,
ihre Marschtüchtigkeit verringert, Ehr- und Pflichtgefühl hcrabgemindert werde. Die grössten Heer¬
führer seien nüchterne Leute gewesen. Die Kriege des Mittelalters seien ohne Alkohol geführt;
erst im 16. Jahrhundert sei Alkoholgenuss bei den Truppen eingeführt und zur Napoleonischen Zeit
allgemein verbreitet. Wenn früher bei den Nahgefechten vielleicht der Anreiz durch den Alkohol
noch zu rechtfertigen gewesen sei, so müsse or heute bei anderer Kampfweise unbedingt als ver¬
werflich bezeichnet werden. König Wilhelm I. habe bereits im Jahre 1862, einem Erlasse gemäss,
die Branntweinlieferung an die Armee eingestellt
Frhr. v.Diergardt erging sich eingehend über den Alkoholmissbrauch und über die Trinksitten
in Armee und Marine; von den Kriegsministerien in Berlin und Dresden war ihm auf seine Anfrage
mitgetheilt, dass in den Kantinen grössere Mengen Alkohol überhaupt nicht verabreicht würden,
dass man auf Märschen und im Manöver keinen Branntwein dulde; aus den Kantinen in Metz und
Strassburg sei derselbe vollständig verbannt. Referent gab ferner an, dass auf manchen Schiffen
der Kaiserlichen Marine ebenso auf den Schiffswerften Branntwein verboten sei, und schloss
seinen durch viele Erlebnisse als Seeoffizier reich ausgestatteten Vortrag mit dem Hinweis auf die
Liebesmahle, auf das Trinken auf gemeinschaftliche Kosten seitens der Offiziere und auf den damit
verbundenen Trinkzwang, der vielen zum Unheil gereiche.
Dr. Gerwin war am Erscheinen verhindert, sein Referat wurde infolge dessen auszugsweise
mitgetheilt; es gipfelte in der Empfehlung der Enthaltsamkeit für die Truppen, die dadurch ausdauern¬
der und gesunder würden. Der Einwurf, dass dank der Unmässigkeit von Jahr zu Jahr ein immer
grösserer Prozentsatz ausgemustert werden müsse, und sich ein Zurückgehen des Körpermaasses
zeige, wurde in der Debatte von einem Stabsarzt der Breslauer Garnison, Dr. Willger, bestritten.
Dagegen ward von dieser Seite hefvorgehoben, dass besonders bei den Einjährigen, auch bei den
Reservisten und Landwehrleutcn die schädigende Wirkung des Alkoholmissbrauchs sich unliebsam
bemerkbar macht.
Die Versammlung drückte darauf in einer Resolution der deutschen Heeres- und Marine Ver¬
waltung für die bisherigen Maassnahmen zur Einschränkung des Alkoholgenusses den Dank aus
und bat im Interesse der deutschen Wehrkraft diese Bestrebungen auch ferner, in Berücksichtigung
des überhand nehmenden Biergenusses unterstützen zu wollen.
Landesbankrath Dr.Osius besprach sodann die Aufgaben der Bezirksvereine, die nach
festem Programm, seinen Ausführungen in den Mässigkeitsblättein gemäss, arbeiten und durch ihren
eigenen Ausbau den Hauptverein fördern müssten. Referent betonte noch besonders die Mitarbeit der
akademischen Jugend und ihrer Lehrer im Kampfe gegen den Alkoholmissbrauch, indem er vor
Zersplitterung der Kräfte warnte.
Zum Schluss der reichhaltigen Tagesordnung berichtete Generaldirektor Df. Stephan über die
Mässigkeitsarbeit in Obcrschlesien; er verwies auf die neue Polizeiverordnung, die den Brannt¬
weinverkauf von 10 Uhr abends bis 8 Uhr morgens verbiete, und auf die bekannte Verordnung der
Eisenbahn Verwaltung mit gleichem Verbot in den Wartesälen 111. und IV. Klasse. Referent forderte
eine strengere Durchführung der Sonntagsruhe in Bezug auf das Schankgewerbe, er will das Bier
aus den Kantinen verbannt wissen, um Kwas dafür einzuführen, und wünscht dringend das Borg¬
system beim Alkoholverkauf abgeschafft zu sehen.
Damit war die Reihe der Vorträge erschöpft, und es blieb nur noch übrig, den Ort der
nächsten Jahresversammlung festzusetzen, wozu Stuttgart vorgeschlagen und gewählt wurde.
Waldschmidt (Charlottenburg-Westend).
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fi22 Berichte über Kongresse und Vereine.
II.
Ueber die Bedeutung des Leims als Nährmittel und ein neues
Nährpräparat »Gluton«.
Autoreferati) und einige Bemerkungen über Diätetika.
Von Dr. H. Brat in Rummclsburg.
Da die Natur die Kohlehydrate und Fette in konzentrierter Form bietet, hat man sich haupt¬
sächlich bemüht, konzentrierte Eiweissnährmittel herzustellen. Die Unzahl dieser Präparate hat
die Bedeutung des Leims, welcher schon vor mehr als einem Jahrhundert als konzentriertes Nähr¬
mittel Beachtung gefunden hat, in den Hintergrund gedrängt. Freilich bestehen Schwierigkeiten,
grössere Mengen Gelatine den Kranken zu verabfolgen, da die Zubereitung der Gelees zeitraubend
ist, und das Hinzufügen von Gelatine zu Suppen dieselben bei nicht genügend hoher Temperatur
zu einer ungeniessbaren Gallerte umwandelt.
Glu ton, eine Gelatose, welche ich darstellte, hat die Eigenschaft, selbst in konzentrierten
Lösungen nicht mehr zu gelatinieren. Das Präparat lässt sich mit Fruchtsäften in Wasser resp.
Sclterswasser bei gleichzeitigem Zucker- resp Saccharinzusatz verabfolgen; aber auch zu Suppen
etc. kann Gluton bei Innehaltung der Vorschriften resp. bestimmter Quantitätsverhältnisse zugesetzt
werden, ohne wesentlich den Geschmack zu verändern.
In angestellten Stoffwechselversuchen wurde die Fragestellung berücksichtigt, ob Gluton in
einer Mischung von Nahrungsmitteln, wie dieselbe bei der Ernährung des gesunden und kranken
Menschen möglich sei, dasselbe leiste, wie die Eiweisspräparate, welche gegenwärtig Anwendung
finden, oder ob dem Gluton in diätetischer Beziehung Vortheile zukommen; aus der Beantwortung
dieser Frage musste auch gleichzeitig hervorgehen, ob die Gelatose Gluton der Gelatine gleich-
werthig ist, deren Bedeutung für den Stickstoffhaushalt im Organismus im wesentlichen feststeht
Es ist bekannt, dass der Nährwerth der Albumosen resp. Peptone im Vergleich mit demjenigen
ihrer Ausgangsmaterialien zum Theil sicher mit Recht bestritten wird. Der Beweis, dass
irgend ein Nährpräparat vollständig das Eiweiss der natürlichen Nahrung des
Menschen ersetzen kann, ist nirgends geliefert; erhebliche Mengen natürliches Nahrungs-
eiweiss sind in allen ähnlichen Versuchen neben den Nährpräparaten gegeben worden.
Wenn ich in meinen Versuchen ca. 50 0/ 0 des gesammten Nahrungseiweisses durch Gluton
ersetzte, entsprach ich ungefähr den Mittelwcrthen von Versuchen mit den verschiedensten Nähr¬
präparaten, obwohl darüber, dass der Leim sogar etwa 8ö°'o des Nahrungseiweisses unter Um¬
ständen ersetzen kann, nach den Versuchen J. Munks kein Zweifel bestehen kann. Indem ich
bezüglich Einzelheiten der Versuche auf die in der Deutschen medicinischen Wochenschrift dem¬
nächst erscheinenden Abhandlung hinweise, will ich hier erstens eine bei dieser Gelegenheit ge¬
fundene Thatsaehe von allgemeiner Bedeutung erwähnen. Voit hatte durch Vergleichs verbuche
mit Leim festgestellt, dass das täglich zerfallende Organeiweiss auf ca. IC g zu veranschlagen sei;
ich konnte, allerdings bei einer Rekonvaleseentin während einer viertägigen Glutonperiode im
Durchschnitt keinen zahlenmässig sich markierenden Organeiweisszerfall konstatieren. Der Schluss,
dass dieser unter Umständen wesentlich niedriger sein kann, als von Voit angenommen wurde,
scheint jedenfalls gerechtfertigt. Diese Thatsaehe bildet ein Gegenstück zu der in den letzten J ah reu
geltenden Auffassung, dass das Eiweissminimum auf etwa 1/3 der von Voit aufgestellten Grösse
zu veranschlagen sei.
Zweitens theile ich hier die aus den Versuchen sich ergebenden Schlussfolgerungen uiit:
Gluton, welches den höchsten N - Gehalt aller modernen Nährpäparate entsprechend seiner
Darstellung aus Gelatine und seinem sehr niedrigen Aschengehalt besitzt, leistet in einer Mischung
von Nahrungsmitteln, bei einer Verabreichung von Dosen, wie sie die Grenzen der Ersatzmöglich¬
keit des Nahrungseiweisses bei der Ernährung des gesunden und kranken Menschen durch ein
Nährpräparat nur gestatten, dasselbe bezüglich des N-Haushalts wie die Ei weisspräparate. — Die
Darmfäulniss wird in nicht anderer Weise beeinflusst als durch Eiweisspräparate, — die Hamsäurc-
mengen im Urin, zu deren Bildung natürlich nur der ausgenutzte Bruchthcil des Nährpräparates
beitragen kann, und deren Verhältniss zum Gesammtstickstoff im Urin demnach nur als Vergleichs¬
werth angesehen werden darf, werden in einer Glutonperiode geringer als in einigen zum Vergleich
vorgenommenen Versuchen mit anderen Präparaten (Plasmon, Somatose); die eiweisssparcmle
Wirkung des Gluton trat besonders hervor in zwei Versuchen, in welchen ausser dem Ersatz von
! ) Vortrag gehalten im Verein für innere Medicin am 4. November 1901.
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Berichte Über Kongresse und Vereine. 623
ca. 50° o des natürlichen Nahrungseiweisses noch ein Theil der Kohlehydrate entsprechend ihrem
kalorimetrischen Aequivalent durch Gluton ersetzt wurde. Fast sämmtliches verabreichtes natür¬
liches Nah rungsei weiss kam im Gegensatz zur Vor- und Nachperiode zum Ansatz; die Verdaulichkeit
des Glutons ist eine gute; die Ausnutzung ist sehr vollkommen. Der Ausfall der Versuche bewies, dass
die Gelatose Gluton dasselbe leistet wie die Gelatine — aber es war möglich, Gluton in Dosen zu geben,
wie man dieselben wohl kaum jemals bei der Verabreichung von Gelatine erreicht hat (110 g pro die).
Bestimmte Indikationen für die Anwendung von Gluton bilden nach obigem: erstens fieber¬
hafte Zustände, zweitens vielleicht harnsaure Diathese und Krankheiten, in welchen die Herab¬
setzung der Kohlehydratzufuhr erforderlich ist event bei gleichzeitiger Verminderung des Eiweiss-
quantums, wenn auch der Eiweissbestand des Organismus möglichst gewahrt bleiben soll, d. h. bei
der Fettsucht und bei Diabetes. Ob zur Stütze der Anwendung von Gluton bei Diabetes ausser
der Thatsache, die aus meinen Versuchen resultierte, dass der Ersatz von Kohlehydraten durch
Gluton für den Bestand des Organismus vorteilhaft ist, die neusten Forschungsergebnisse über
die Bildung von Kohlehydraten aus Eiweisskörpern herangezogen werden können, muss bei der
noch nicht geklärten Sachlage im Zweifel bleiben. Die Anwendung bei Blutungen, bedarf einer
eingehenden Prüfung. Zum Schluss möchte ich betonen, dass die Möglichkeit, Gluton in kalter,
flüssiger Form in grossen Quantitäten zu verabreichen (Limonadenform) in diätetischer Beziehung
ein Fortschritt ist, da sich kein anderes Präparat hierzu eignet. Dem Produkt ist natürlich als
Volksnah rungsmittel keine nennenswerthe Bedeutung zuzusprechen, aber als Diätetikum wird es
eine vorhandene Lücke ausfüllen.
Die Diskussion erstreckte sich zunächst auf die theoretische Seite meiner Ausführungen,
dann die Anwendung des Glutons in praktischer Beziehung, auf welche ich in meinem Vorträge
nur insoweit Bezug nahm, als ich auf die Limonadenform hinwies. Diese erfreute sich nach dem
vorliegenden Diskussionsbericht der Anerkennung von Ewald, Blumenthal, Albu und auch in
gewissem Grade von Fürbringer, welch’ letzterer betonte, dass es nicht jedes Kranken Sache
sei, an einem Tage zwei Flaschen Limonade während längerer Zeit zu geniessen. Andrerseits be¬
merkte Ewald und Fürbringer, dass die Hinzufügung von Gluton zu warmen Suppen nicht
rathsam erscheine, da sich dann ein Leimgeruch und Leimgeschmack*) bemerkbar mache: die
Kranken hätten diese Suppen refüsiert; nach Albu ist das auch von einem Theil seiner Kranken
geschehen, aber ein anderer Theil derselben hat das Gluton wochenlang in Suppen genommen
ohne dasselbe überhaupt herauszuschmecken. Solche Verschiedenheiten hangen von individuellen
Eigcnthümlichkeiten ab. Im Schlusswort betonte ich, dass dieser Punkt mit der Zubereitung zu¬
sammenhängt; ein Diätetikum darf etwas Sorgfalt und Mühe in der Zubereitung beanspruchen. Da
sieh dieses selbst beim besten Willen nicht immer in Krankenhäusern erreichen lässt, empfiehlt sich
für dieselben in der That die von Fürbringcr empfohlene Form in Oblaten. Die Forderung
Fürbringcr’s, dass Nährmittel, wie Kartoffeln, Butter, Brot schmecken sollen, ist für Volks-
nahrungsmittcl gerechtfertigt; aber für Diätetika darf diese Forderung erst an zweite Stelle treten
Es giebt sehr wirksame Arzneimittel, welche nicht angenehm schmecken. Es darf Diätetika geben,
welche mehr oder minder Mühe bei der Zubereitung beanspruchen.
Der Werth eines Diätetikums hängt nicht allein vom Geschmack ab, sondern
von der Fähigkeit des betreffenden Nährmittels, krankhaften Funktionen des Ver-
dauungstraktus gerecht zu werden, oder den Stoffumsatz nach irgend einer ge¬
wünschten Seite zu beeinflussen. Diese* beiden Punkte veranlassen ja den Arzt eine be¬
stimmte Diät vorzuschreiben, deren einzelne Gerichte mitunter sehr viel Mühe bei der Zubereitung
verlangen.
Diese Gesichtspunkte sind für die Einführung des Gluton maassgebend gewesen.
Die theoretischen Ausführungen fanden eine Ergänzung durch die Warnung Klempcrcr’s
Gelatinepräparate bei Oxalurie zu verabreichen, obwohl diese Warnung für Gluton in Anbetracht
seines geringen Gehaltes an sauren phosphorsauren Salzen vielleicht nicht gerechtfertigt ist. Des
Weiteren gingen auf die theoretischen Punkte vor allen Dingen Senator ein, welcher sich in ein¬
dringlicher Weise auf Grund einer dreissigjübrigen Erfahrung für eine umfangreichere Anwendung
der Gelatine event in Form des Gluton aussprach, sowie Blumenthal, welcher hervorhob, dass
der Widerspruch der Anschauungen über die Zuckerbildung aus Eiweisskörpern zu der Annahme
einer synthetischen Bildung des Zuckers aus Ei weiss im Organismus drängte.
0 Ich erfahre von der Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation, dass durch Vervollkommnung des
Verfahrens bei der Darstellung von Gluton sieh ein besseres Produkt erzielen lassen wird. Dieses
wird in den Handel kommen
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624
Berichte Tiber Kongresse und Vereine.
III.
Ueber die erste ärztliche Studienreise in die deutschen Nordseebäder
sprach jüngst (am 2. Dezember 1901) im Verein für innere Medicin zu Berlin P. Meissner, der sich
um die Durchführung dieser Reise besondere Verdienste erworben hat Ein kurzes Referat über
die mit Demonstrationen versehenen Mittheilungen von Meissner und die sich hieran anschliessenden
Bemerkungen von Liebreich erscheint uns an dieser Stelle am Platze, einerseits deshalb, weil
die betreffenden.’Ausführungen ein weitergehendes Interesse verdienen, andrerseits aus dem Grunde,
weil bei Besprechung der französischen ärztlichen Bäderreisen gerade in dieser Zeitschrift seiner
Zeit (Bd, 4. Heft 6. S. 519) vom Referenten selbst auch für Deutschland speziell organisierte
Studienreisen für Studierende und Aerzte empfohlen worden sind. Wie bekannt ist, wurde auf An¬
regung von Gilbert (Baden-Baden) unter dem Präsidium von v. Leyden und Liebreich in
diesem Jahre zum ersten Mal eine der französischen Institution ähnliche Bäderrcise unternommen
an welcher mehr als 350 deutsche Aerzte theilgenommen haben. Da die ärztlichen Studienreisen
in deutsche Bäder im Anschluss an die Naturforschcrversaramlung geplant sind, so brachte es die
diesjährige Tagung der Naturforsch er Versammlung in Hamburg mit sich, dass als Ziel der Reise die
deutschen Nordseebäder gewählt wurden. Da v. Leyden diesmal durch Unwohlsein an der Leitung
der Reise verhindert war, deren Aufgabe darin besteht , durch Vorträge und Demonstrationen den
Theilnehmem alle Kur- und Heilmittel der besuchten Badeorte vor Augen zu führen, so übernahm
Liebreich die Führung der Reise, die über Helgoland, Sylt-Westerland, Amrum, Föhr
und Wyk nach Cuxhaven und Norderney ging. Von dem auf dieser Reise Gesehenen und Er¬
lebten entwarf Meissner ein anschauliches Bild, indem er die natürliche Lage, die Badeeinrichtungen
die VerpflegungsverhäJtnisse und die hygienischen Vorkehrungen der betreffenden Kurorte zum Theil
unter Demonstration von Bildern erläuterte. Aus den Darlegungen ist vor allem das Lob bemerkend
werth, das sowohl Meissner als auch Liebreich den Badevorhältnisson auf Sylt spendeten, dessen
Wellenschlag von demjenigen in Biarritz kaum übertroffen wird. Sylt soll sich dazu noch durch
eine gute Kanalisation, gute Wasserversorgung und Beleuchtung — sowie auch durch ein Rieselfeld
— auszeichnen. Der Salzgehalt des Meeres soll in Sylt besonders hoch sein; der Golfstrom hält das
Meerwasser warm, und die Nordwestwinde massigen die Extreme des Klimas. Amrum gleicht
sehr Sylt-Westerland, doch soll bei Wittdün ein sehr gemässigter Wellenschlag sein, an den sich
Kinder und Sch wache leicht gewöhnen können, ln Föhr und Wyk soll keine Brandung mehr vor¬
handen sein, hier bestehen ein Hospiz für Kinder und eine Anstalt für Terrainkuren. Die Strömung
ist doit gering, und das Wasser hat eine relativ warme Temperatur. Helgoland ist wegen seiner
relativ ungünstigen Bade Verhältnisse (es ist von der Insel zur D üne stets eine unter Umständen
recht unangenehme Boots-, beziehungsweise Segelfahrt nöthig) für Schwächliche und Kranke weniger
als Badeort wie als Luftkurort geeignet, allerdings können schwächliche Personen auf der Insel selbst
mit Seewasser zubereitete warme Bassinbäder geniessen. die einen gewissen Ersatz für die auf der Dune
zu nehmenden Seebäder, gewähren. Das an der Elbmündung gelegene Cuxhaven ist ein »Seebad
zur Hälfte«. Das schon seit 1800 als Badeort existierende Norderney, das einzige königliche See¬
bad, soll mustergültige Einrichtunge n, einen ausgezeichneten Strand mit kräftiger Brandung und gute
Einrichtungen für Warmbäder, Orthopädie und Inhalationen besitzen. Auch die Kanalisation und Be¬
leuchtung soll gut sein , ebenso ist lür Unteihaltung (Pferderennen ete.) gut gesorgt. Dies betont
auch Liebreich, der allerdings für Norderney eine Erweiterung der Kurmittel (Kurhaus, Dampf¬
bäder etc.) und eine weitergehende Fürsorge der Regierung (bessere Eisen bahn Verhältnisse etc.
wünscht, sonst aber auf unsere Nordseebäder, namentlich wegen ihrer vortrefflichen Lage, ein be¬
geistertes Loblied singt. Liebreich weist darauf hin, dass in keinem Lande die Küstenkurorte
grosse Fortschritte aufweisen, wie gerade die deutschen Nordseebäder, die nicht blos Vergnügungs¬
bäder, sondern direkte Kurorte geworden seien. Liebreich betont ferner, dass sich die Wirkung der
Seeluft bei günstigem Winde oft meilenweit in das Land hinein erstrecke; denn cs werden die Bestand-
theile des Seewassers, wie das Kochsalz und die Jodverbindungen, welch letztere ja in neuerer Zeit
für die Stoffwechsel Vorgänge mehr beachtet werden als früher, durch den Wind ins Land getragen
Beide Redner sprachen sich über das Gelingen und den Erfolg der diesjährigen Bäderreise äusserst
zufrieden aus. H. Strauss (Berlin .
Ucrliu, Druck von W. IJuxcm>tcm.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1901/1902. BandV. Heft 8.
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. v. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacob.
Verlag von Georg Thierae in Leipzig.
INHALT.
I. Original -Arbeiten. seito
I. Die russischen Hungerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen. Von Professor
Dr. F. Erismann in Zürich..627
II. Der Kefir (Ferment und Heilgctränk aus Kuhmilch). Geschichte, Bereitung, Zusammen¬
setzung des Getränks, Morphologie des Ferments und dessen Erkrankungen; physio¬
logische und therapeutische Bedeutung des Getränks. Von Professor Dr. W. Pod-
wyssozki in Odessa. Ucbcrsetzt aus dem Russischen von Dr. Rechtshammer.
(Schluss).. . 643
III. Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlornatrium - Schwefel - Thermen von Baden
(Schweiz). Vortrag gehalten an der zweiten Jahresversammlung der schweizerischen
balneologischcn Gesellschaft in Baden am 13. Oktober 1901. Von Dr. PaulRoethlis-
berger in Baden.658
IV. Ucbcr die Ersetzung gelähmter Muskclfunktionen durch elastische Züge, speziell bei der
hemiplegischen Beinlähmung. Aus der I. raedicinisclicn Universitätsklinik zu Berlin
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus, Volontär-
Assistent der Klinik. Mit 5 Abbildungen.669
V. Ucbcr die Theorie der hemiplegischen Kontraktur und deren physikalische Behandlung.
Bemerkungen zu dem Aufsatze von P. Lazarus auf S. 550ff. dieser Zeitschrift
Von Dr. Ludwig Mann, Privatdocent in Breslau.676
II. Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Rubner, Der Energiowcrth der Kost des Menschen.C8I
Rubner, Beiträge zur Ernährung im Knabenalter mit besonderer Berücksichtigung der
Fettsucht.681
Strauss, Grundsätze der Diätbehandlung Magenkranker.682
Stadelmann, Ueber Entfettungskuren.683
Starck, Die Divertikel der Speiseröhre.683
Soxhlet, Ueber die künstliche Ernährung des Säuglings.684
Dwight Chapin, M. D., A simple and accurate method of substituts infant feeding . . . 683
Box, M. D., The therapeutic valuc of suprarenal preparations in Addison disease .... 686
Fried mann, Die Pflege und Ernährung des Säuglings.680
Albu, Zur Bewerthung der vegetarischen Diät . ’.686
Albu, Der Stoffwechsel bei vegetarischer Kost.687
Zuntz, Sind kalorisch äquivalente Mengen von Kohlehydraten und Fett für Mast und Ent¬
fettung gleich werthig?.687
Brühl-Hjelt-Aschan, Die Pflanzen-Alkaloide.687
ZeiUohr. f. diät. u. physik. Thorapio Bd. V. Horts. » >
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Inhalt.
626
Sfite
B. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Emmert, Ueber die antiphlogistische Fern Wirkung der Kälte.<188
Kisskalt, Die Erkältung als krankheitsdisponierendes Moment.688
Lemoine, Ueber kalte Irrigationen ins Rektum beim Typhus.689
Makarow, Ueber die Behandlung des Typhus abdominalis durch Injektionen von Kochsalz¬
lösungen .689
Jaquet, De Tinfluence du climat d’altitude sur les echanges respiratoires.690
v. Torday, Die Skrophulose und die Sool- und Seebäder.690
Steiner, Beitrag zur Kenntniss der Einwirkung von Dampfbädern auf die Gesichtshaut . . 691
C. Gymnastik und Massage, Liegekuren.
Braun, Ueber Vibrationsmassage der oberen Luftwege.691
Vulpius, Der heutige Stand der Skoliosenbehandlung.692
Piering, Ueber Massage bei Frauenkrankheiten.69:3
Jendrassik, Klinische Beiträge zum Studium der normalen und pathologischen Gangarten 694
Sugär, Ueber die systematischen Hörübungen und deren therapeutischen Werth bei Taub¬
stummen und Tauben. 695
Grün bäum und Amson, Ueber die Beziehungen der Muskelarbeit zur Pulsfrequenz . . . 695
Dieselben, Der Einfluss der Bewegungen auf die Pulsfrequenz.695
Pandy, Neuritis multiplex und Ataxie.696
Godin, Du röle de Fanthropomötrie en öducation physique.696
D. Elektrotherapie.
Frey, Die Heilwirkungen des Franklin’schen Stromes..*.697
Donath, Meniöre’scher Syraptoraenkomplcx geheilt mittels galvanischen Stromes . . . 697
Baedeker, Die Arsonvalisation.698
E. Verschiedenes.
Strauss., Die chronischen Nierenentzündungen in ihrer Einwirkung auf die Blutflüssigkeit
und deren Behandlung nach eigenen Untersuchungen an Blutserum und an Transsudaten 699
Biernacki, Die moderne Heilwissenschaft, Wesen und Grenzen des ärztlichen Wissens . . 700
Borntrager, Das Buch vom Impfen..701
IV. Kleinere Mittheilungren.
I. Der Cyklostat, eine Modifikation des J acob’sehen stationären Fahrrades. Aus der
1. mcdicinischcn Universitätsklinik zu Berlin ^Direktor Geh. Med.-Rath Professor
Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus. Mit 1 Abbildung.701
II. Zur mechanischen Therapie der Fettleibigkeit. Von Dr. F. Sylvan in Berlin . ... 704
V. Berichte über Kongresse und Vereine.
1. V. Congrös international de Physiologie. Turin. 17.—21. September 1901. (Arch. ital.
de biologie. Bd. 36) 707
Orsowa, Ueber Linkshändigkeit.707
Grützner, Ueber Bewegungen des Mageninhaltes.708
Prevost und Battell, Influence de Talimentation sur le rötablisseracnt des fonctions
du coeur.708
Gley, Rösumö des preuves des relations qui existent entre la glande thyroide et
les glandes parathyroides.7o$
Roh mann und Nagaro, Ueber die Resorption von Mono- und Disacchariden im
Dannkanal.708
de Schrötter, Coinmunication d’expöriences physiologiques faites pendant un
voyage en ballon h 7500 m.'.708
de Lee und Hcrrold, The action of aleohol on musclc.708
Walther, Zur Kenntniss der Einwirkung des Darmsaftes auf Pankreassaft . . . 709
Spineau, Sur la gastro-acidimötrie.709
Barbera, Alimentazione sottocutanea ed eliminatione della bilc.709
Boruttau, Zur Frage der Fettbildung im Thierkörper.709
II. Londoner Brief.709
III. Die balneologischen Kurse in Baden-Baden im Oktober 1901.711
IV. 20. Kongress für innere Medicin zu Wiesbaden.712
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UNIVERSITf OF MICHIGAN
Original - Arbeiten,
I.
Die russischen Hungerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen.
Von
Professor Dr. F. Erismann
in ZOrich.
Es giebt auch unter gewöhnlichen Verhältnissen überall gewisse Bevölkerungs¬
gruppen, die mit beständiger Unterernährung zu kämpfen haben, und die man als
chronische Hungerleider betrachten muss, weil die wirthschaftliche Lage, in der
sie sich befinden, ihnen eine zweckmässige, ihren Bedürfnissen quantitativ und
qualitativ entsprechende Ernährung nicht gestattet. Und wenn man wirklich die
Volksgesundheit heben will, so muss man sich sagen, dass neben der Wohnungs¬
frage die Ernährungsfrage einen der wesentlichsten Angriffspunkte für
thatkräftiges Handeln, für weitgehende Maassregeln bietet.
Dies ist umsomehr der Fall, wenn infolge »höherer Gewalt« — wiederholter
Missernten, Ueberschwcmmungen und dergleichen — in ganzen Landestheilen die
Bezugsquellen für die gewohnten Lebensmittel versiegt sind und der Hungerzustand
zu einer Massenerscheinung wird, die ihre rauhe Hand auf die gesammte Be¬
völkerung legt. Unter solchen Verhältnissen ist es, wenn nicht schnelle und hin¬
reichende Hülfe von aussen kommt, verständlich, dass der Mensch nach dem nächsten
greift, womit er, wie ihn Instinkt oder Erfahrung lehren, bis zu einem gewissen
Grade sein Hungergefühl beschwichtigen kann. Es ist auch nicht wunderbar, wenn
hierbei die Wahl der Gegenstände und die Zubereitung der Speisen nicht immer
rationell sind, oder wenn Dinge als Nahrungsmittel benutzt werden, die mit solchen
nur eine höchst entfernte Aehnlichkeit haben und von denen man sich unter ge¬
wöhnlichen Umständen mit Widerwillen oder Ekel abwenden würde. Bei Massen¬
hunger tritt also zum absoluten Mangel an Lebensmitteln noch die Er¬
nährung mit unpassenden Produkten als weiteres schädigendes Moment hinzu;
und es ist unstreitig, dass viele schwere Gesundheitsstörungen, welche in Zeiten von
Ilungersnoth beobachtet werden, nicht sowohl dem absoluten Nahrungsmangel an
und für sich und der dadurch bedingten Unterernährung zuzuschreiben sind, sondern
auf Rechnung einer unzweckmässigen Ernährung mit Dingen kommen, die wohl das
Hungergefühl momentan beseitigen können, hierbei aber dem Organismus in dieser
oder jener Weise Schaden bringen. Wenn trotzdem derartige Produkte Verwendung
finden, so geschieht dies theilweise aus wirklicher Noth, weil im gegebenen Momente
besseres nicht zu haben ist, theilweise aber auch infolge von mangelhafter Kenntniss
der Einwirkung solcher Nahrungsmittel auf den menschlichen Organismus. Vielfach
wird auch von dritter Seite, von Leuten, die es gut mit den Hungernden meinen
und ihnen helfen wollen, das eine oder andere Surrogat aus dem Grunde empfohlen,
weil man seinen Nährwert überschätzt.
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4a*
Original fro-m
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628
F. Erisinann
Es finden sich in der uns zugänglichen Litteratur wenig Angaben darüber, zu
welchen Surrogaten die Bevölkerung hungernder Landestheile an verschiedenen Orten
und zu verschiedenen Zeiten ihre Zuflucht genommen hat. Die Irländer scheinen
sich während der grossen Hungersnöthe, die dieses unglückliche Land im Laufe der
letzten Jahrhunderte heimgesucht haben, hauptsächlich mit gekochten Rüben, die sie
mit etwas Hafermehl bestreuten, nothdiirftig ernährt zu haben; dazu kamen: Kohl,
verschiedene Unkrautarten und Meergras. Wie die Autoren mittheilen, denen wir
Nachrichten über die irischen Hungerzustände verdanken, pries man die Küsten¬
bewohner glücklich, weil sie immer Meergras haben konnten, das sie mit Weizen¬
mehl zubereiteten. — Wie Virchow 1 ) erzählt, ist in den schrecklichen Jahren 1770
bis 1772 die hungernde Bevölkerung in den Rheinlanden und in Westfalen, um das
armselige Leben zu erhalten, auf »viehische und naturwidrige Speisen«, wie Gras.
Disteln, Kleienbrei, geröstete Haferspreu, Wicken etc. verfallen. An verschiedenen
Orten Deutschlands griff man noch im Anfänge des 18. Jahrhunderts bei allgemeiner
Hungersnoth zu einem fetten Mergel, aus dem Brote gebacken wurden; und im
Jahre 1720 soll die vor Hunger in Verzweiflung gerathene Bevölkerung des Fürsten¬
thums Anhalt-Zerbst einen ganzen Berg, der aus feinem, weissem Mergel bestand,
aufgegessen haben. — In Flandern war im Jahre 1846 wegen gänzlichem Verlust
der Kartoffelernte die Noth so gross, dass an vielen Orten die Einwohner nur noch
Schalen von weissen Rüben, Löwenzahn, Kohlblätter, Mohrrüben, verdorbene Kartoffeln
und dergleichen zur Nahrung auftreiben konnten, ja manche Familien nicht einmal
im stände waren, sich jeden Tag einen derartigen Genuss zu verschaffen. Auch in
Oberschlesien blieb den Armen in demselben Jahre nichts mehr, als kranke und
faule Kartoffeln, Quecken, grüner Klee und kaum geniessbare Früchte.
Die russischen Bauern benutzten in Hungerszeiten, soweit die Angaben reichen,
und zwar bis zurück ins 11. Jahrhundert, als Brotsurrogate in erster Linie die Samen
verschiedener Unkrautarteu (Chenopodium, Atriplex, Polygonum, Rumex etc.),
ausserdem Fichtenrinde, Lindenblätter, Moos, Eicheln, Wurzeln, Stroh.
Getreidehülsen, Heu und dergleichen; auch Pressrückstände von der Hanf-
ölbereitung wurden benutzt. Aber es gab in Russland Hungerzeiten, wo das zur
Verzweiflung getriebene Volk auch vor Menschenfleisch nicht zurückschreckte,
wo die Mütter die Leichen ihrer vor Hunger verstorbenen Kinder verzehrten und
umgekekehrt, wo man Schlafende umbrachte, um sie zu essen, wo Menschenfleisch
in Kuchen gebacken auf dem Markte verkauft wurde.
Allerdings kommen derartige entsetzliche Dinge in zivilisierten Ländern gegen¬
wärtig nicht mehr vor. Die heutigen Kulturzustände mit ihren ausgedehnten Ver¬
kehrsmitteln, mit ihren wachsenden altruistischen Bestrebungen etc. haben das grau¬
sige Gespenst des Massenhungers, wenigstens insoweit dasselbe als Folgezustand von
Missernten erscheint, zu einer relativ seltenen und vielerorts gänzlich unbekannten
Erscheinung gemacht; allein die Verhältnisse liegen doch nicht überall so günstig,
und es giebt auf der Oberfläche des Erdballes noch Gebiete — und zwar sehr aus¬
gedehnte —, in denen die Folgen chronischer Missernten thatsächlich sehr unheilvoll
werden und die Bevölkerung gezwungen ist, zu Lebensmittelsurrogaten ihre Zuflucht
zu nehmen, weil die zu Gebote stehende Quantität der gewohnten Nahrungsmittel
lange nicht ausreicht, das vorhandene Bedürfniss zu decken.
Es ist nun nicht unsere Aufgabe, hier diejenigen Mittel und Wege zu be¬
sprechen, durch welche einer drohenden Hungersnoth vorgebeugt, oder durch welche
') lieber den Hungertyphus und einige verwandte Krankheitsforuien. 18(58.
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Die russischen Hungerbrotc und ihre Ausnutzung durch den Menschen. 620
die Folgen eines schon eingetretenen Nahrungsmangels abgeschwächt werden können.
Aber es scheint mir eine Aufgabe unserer Wissenschaft zu sein, den wirklichen
Werth derjenigen Surrogate, die bei solchen Gelegenheiten Verwendung finden,
chemisch und physiologisch festzustellen und sodann Regierungen und Volk darüber
aufzuklären. Von diesem Standpunkte aus wurden seiner Zeit im hygienischen
Institut in Moskau unter meiner Leitung die Untersuchungen aufgenommen, deren
wesentliche Resultate ich in Kürze hier mittheilen will.
Wie bekannt, hatten wir in Russland, im Jahre 1891, wegen grosser Trocken¬
heit eine theilweise Missernte, von der vorzugsweise die östliche Reichshälftc, aber
zum Teil auch Zentralrussland und Sibirien in mehr oder weniger hohem Grade be¬
troffen wurden und die einen grossen Mangel an Roggenmehl, respektive an Brot,
des wichtigsten Nahrungsmittels der Bevölkerung, zur Folge hatte. Von der Re¬
gierung, welche allerdings anfangs das Vorhandensein eines Hungerzustandes nicht
zugeben wollte, wurde schliesslich, unter dem Drucke der öffentlichen Meinung,
einiges gethan, um den hungernden Landestheilen Hülfe zu bringen; aber geradezu
bewunderungswürdig war die Energie, welche die russische Intelligenz entwickelte,
um das Loos der Unglücklichen durch eine möglichst gut organisierte Privat-
wohlthätigkeit mit oder ohne Unterstützung durch die Organe der landwirtschaft¬
lichen Selbstverwaltung (Zemstwo) zu erleichtern. Hunderte von gutsituierten Per¬
sönlichkeiten jeglichen Ranges und Standes verliessen ihre gewohnte Beschäftigung,
um sich dieser Thätigkeit hinzugeben; viele kamen von weit her in die vom Hunger
befallenen Kreise, um dort mit grosser Selbstaufopferung dem Werke der Menschen¬
liebe obzuliegen; und bald bedeckten sich ganze Bezirke mit Suppenanstalten,Volks¬
küchen und Bäckereien, in welchen die Armen unentgeltlich Nahrung, finden und
wenigstens den brennendsten Hunger stillen konnten.
Aber die Noth war zu gross, das von der Missernte betroffene Gebiet zu aus¬
gedehnt, die verfügbaren materiellen und Verkehrsmittel zu beschränkt, als dass
überall die Hülfe rechtzeitig und in einer dem wirklichen Bedürfnisse entsprechenden
Ausdehnung hätte geleistet werden können. So kam es denn, dass vielerorts die
Hungernden theilweise oder ganz (wenigstens zu Zeiten) auf sich selbst angewiesen
waren. Und da sie zu wenig Mehl besassen, um sich in gewohnterWeise mit mehr
oder weniger reinem Brot zu ernähren, so waren sie genöthigt, zu Brotsurrogaten
ihre Zuflucht zu nehmen.
Um eine Idee zu bekommen, wovon und wie die Bevölkerung der vom Miss¬
wachs betroffenen Landestheile sich nähre, und in der Hoffnung, das zu erhaltende
Material wissenschaftlich verwerthen zu können, ersuchte ich durch einen Zeitungs¬
aufruf alle diejenigen, welche in der Lage waren, sogenannte Hungerbrote oder die
Materialien, aus welchen dieselben bereitet werden, zu bekommen, mir in der Her¬
stellung einer derartigen Sammlung behiilflich zu sein. Ich bat unter anderem um
Uebersendung ganzer Brote mit genauer Angabe ihrer Bestandteile und der relativen
Mengen, in welchen die einzelnen Ingredienzien Verwendung gefunden hätten. Ich
wollte nämlich die Gelegenheit benutzen, um nicht nur chemische Untersuchungen
der Surrogate ausführen zu lassen, sondern auch Ausnutzungsversuche an
Menschen anzustellen. Dies schien mir deshalb von besonderer Bedeutung zu sein,
weil gerade zu jener Zeit von verschiedenen Seiten zahlreiche Brotsurrogate nur
allein mit Hinweis auf ihren chemischen Bestand empfohlen wurden, ganz ohne
Rücksicht auf ihre Verdauungsfähigkeit im menschlichen Magen- und Darmkanale.
Leider entsprachen nicht alle Sendungen, die ich erhielt, meinen Wünschen, und von
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630 F. Erisraann
vielen Seiten bekam ich sozusagen nur »Mttsterchen«, kleinere Stücke von so¬
genannten Hungerbroten, ohne speziellere Angaben über ihre Zusammensetzung.
Immerhin waren wir schliesslich in der Lage, nicht nur eine originelle Sammlung
anzulegen, die sich gegenwärtig noch im Museum des hygienischen Institutes der
Universität Moskau befindet, sondern auch einige der gebräuchlichsten Hungerbrote
und einige der von verschiedenen Seiten vorgeschlagenen Brotsurrogate der ge¬
wünschten Prüfung zu unterwerfen.
Die Fachlitteratur enthält nicht viele Angaben über die chemische Zusammen¬
setzung von sogenannten Hungerbroten. Die ersten Untersuchungen dieser Art
stammen wohl von Bibra und Dietrich 1 ) her und betreffen einige schwedische
Brotsurrogate (»Nothbrote«): 1. das Holzbrot (Roggenmehl mit V 3 Eichenrinde);
2. das Strohbrot (Mehl, Stroh und Getreidehülsen); 3. das Sauerampferbrot
(Mehl, Sauerampfersamen und Gras); 4. das Knochenbrot (Hafer- und Knochen¬
mehl). Charakteristisch für die drei ersten, mit Zuhülfenahmc vegetabilischer
Surrogate hergestellten Brote ist der geringe Gehalt an Eiweissstoffen (5,0—5,8°/ 0 in
der wasserhaltigen Substanz; der Wassergehalt betrug 6,8 —10,1 °/ 0 ) in Verbindung
mit einer enormen Menge von Pflanzenfaser (17,3—23,4 %) und ziemlich viel Aschen-
bestandtheilen (6,7—8,8 %); das Knochenbrot dagegen zeichnet sich durch die Gegen¬
wart einer überaus grossen Quantität von Mineralsubstanzen bei einer zwar an und
für sich bedeutenden, aber in Vergleich zu den übrigen Surrogaten geringen Menge
von Holzfaser aus.
Die ersten Untersuchungen russischer Brotsurrogate rühren von Beck und
Solomanoff 2 ) her. Sie wurden im Jahre 1867 ausgeführt und bestanden theils aus
Roggenkleie und verschiedenen Grassorten, theils aus Roggenmehl mit bedeutendem
Zusatz von Hafer- und Gerstenkleie. Aus den siebziger Jahren, d. h. aus der Zeit
des grossen Nothzustandes im Gouvernement Samara, stammen Untersuchungen von
Hungerbroten, die durch Dobroslawin und Skworzoff 3 ) ausgeführt wurden.
Diese Brote enthielten in der Trockensubstanz 12,6 — 39,7% stickstoffhaltige
Substanz, 2,3—7,3 % Fett, 20—62% Stärkemehl, Zucker etc., 9,2—30,7 % Pflanzen¬
faser und 6,0—17,2% Aschenbestandtheile. Auffallend ist bei einigen Surrogaten
der hohe Eiweissgehalt, bei fast allen der Reichthum au Holzfaser und an Aschen-
bestandtheilen, der auf die Gegenwart grosser Mengen von Kleie, vermuthlich auch
von Getreidehülsen und Stroh hindeutet.
Aus den Hungerjahren 1891 — 1892 stammt eine grössere Reihe chemischer,
theilweise auch mikroskopischer Untersuchungen von Brotsurrogaten und eigentlichen
Nothbroten, die im landschaftlichen Laboratorium in Perm (Rouma), im hygienischen
Laboratorium der Universität Kasan (Stephanowsky), im hygienischen Laboratorium
der medicinischen Militärakademie in Petersburg (Soul men eff) und im hygienischen
Institut der Moskauer Universität vorgenommen wurden. — Rouma 4 ) untersuchte
vorzugsweise Brot aus Chenopodiumsamen mit »rothem Gras« oder mit Kartoffel- und
Roggenmehl (% Chenopodiumsamen und je % Kartoffel- und Roggenmehl). Charak¬
teristisch für diese Brote war der ungemein grosse Gehalt an Pflanzenfaser (25,1
bis 32,1%) und an Aschenbestandtheilen (8,1 — 20,2%). — Stephanowsky 5 ) ver-
i) Bibra, Die Getreidearten und das Brot 1860.
*) Archiv für gerichtliche Medicin und öffentliche Gesundheitspflege (russ.) 1870. Heft 4.
3) Ibidem 1874. Heft 2.
■*) Revue d’bygiöne Bd. 15. S. 214.
5 ) Beiträge zum Studium der Eigenschaften der llungerbrotc (russ.). Inaug.-Diss. Kasan 1893.
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Die rassischen Hungerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen. 631
fügte über folgende Brotsurrogate: 1. Brot aus 45°/ 0 Roggenmehl und 55°/o Kartoffel¬
schlempe; 2. Brot aus 50% Roggenmehl und 50% Kartoffelmehl; 3. Reines Eichel¬
brot; 4. Reines Hirsebrot; 5. Brot aus Dinkel (Triticum spelta); 6. Brot aus
Chenopodiumsamen mit verschiedenen Quantitäten von Roggenmehl oder von Mehl
anderer Getreidesamen; 7. Brot aus Eicheln und Mehl verschiedener Getreidearten;
8. Brot aus Samen von Polygonum convolvulus (windendem Knöterich) mit Mehl ver¬
schiedener Getreidearten; 9. Brot aus Kartoffelmehl mit Mehl verschiedener Getreide¬
arten. Der Gehalt an Eiweissstoffen (in der Trockensubstanz) schwankte zwischen
8,2% (Eichelbrot) und 19,8% (Dinkelbrot); der Fettgehalt — zwischen 1,1% (Brot
aus Roggenmehl und Kartoffelschlempe) und 5% (Hirsebrot); Stärkemehl und
Zucker fanden sich von 45 % (Chenopodiumbrot) bis zu 80,2 % (Brot aus Kartoffel-
und Getreidemehl); Holzfaser wurde gefunden von 4,8—20,8 % (Chenopodiumbrot);
Aschenbestandtheile — von 3,3—12,9 % (Polygonumbrot). Also auch hier wieder
neben ziemlich bedeutenden Mengen von stickstoffhaltigen Substanzen und Fett ein
grosser Reichthum an Holzfaser und Aschenbestandtheilen, der demjenigen im gewöhn¬
lichen Roggenbrot um das Zwei- bis Fünffache übertrifft.
Bevor ich die von uns in Moskau untersuchten Brotsurrogate erwähne, will ich
kurz über die Zusammensetzung einiger Stoffe sprechen, die in vielen dieser Surrogate
zur Verwendung kommen. Die Analysen wurden theilweise in Kasan und St. Peters¬
burg (Kapoustin, Stephanowsky, Soulmeneff 1 )), theilweise von meinen Schü¬
lern in Moskau (Kotzin, Blauberg, Orloff) ausgeführt. — Eine grosse Rolle als
Surrogate der Getreidekörner spielen überall die Samen verschiedener Chenopodiacecn,
ganz besonders diejenigen des gemeinen weissen Gänsefusses (Chenopodium
album), die auch zu Zeiten, wo man von einem eigentlichen Hunger nicht spricht,
von der ärmeren Landbevölkerung Russlands vielfach dem Roggenmehle beigemischt
werden. Diese Samen haben die Form einer dicken, doppelt konvexen Linse; sie
besitzen eine im reifen Zustande schwarze, etwas rauhe und schwachglänzende
Samenhülle, die beim Zermahlen der Samen in spitzige Stückchen zerfällt, von denen
viele so fein sind, dass sie auch durch das feinste Sieb hindurchgehen, vom Mehle
nicht getrennt werden können und deshalb dem Brot eine schwarzbraune, torfartige
Färbung verleihen. Das Stärkemehl, das sie enthalten, ist dagegen blendend weiss.
Ihr Durchmesser beträgt 1—1,5 mm. Die chemische Analyse ergiebt in der Trocken¬
substanz: 15,4—16,8% Eiweissstoffe, 6 — 8,1% Fett, 47,4 — 50% Stärkemehl etc.,
18,4—21,4 % Holzfaser und 4,6—7,0 % Aschenbestandtheile. Diese Samen sind also
nicht arm an Nahrungsstoffen, sondern können in Bezug auf Ei weiss- und Fettgehalt
mit allen Getreidesamen konkurrieren; allerdings enthalten sie andrerseits relativ
wenig Stärkemehl und so bedeutende Mengen von Pflanzenfaser und Mineral¬
substanzen, wie sie in keiner Getreideart enthalten sind.
Eine andere Samenart, die von jeher, und auch im Hungerjahre 1891—1892
wieder, eine grosse Rolle in der Zubereitung der Nothbrote spielte, sind die Samen
des windenden Knöterichs (Polygonum convulvulus). Dieselben sind grösser als
die Chenopodiumsamen, dreikantig; die Samenhülle ist braunschwarz, nicht glänzend,
mit starken Kutikularwarzen besetzt; beim Zermahlen der Samen wird sie nicht
immer von denselben abgetrennt, so dass das Mehl dunkel wird und auch das mit
Zusatz dieses Mehles gebackene Brot eine unangenehme schwarzbraune Farbe erhält.
}) Chenopodium album, sein chemischer Bestand und die Ausnutzung seiner Eiweissstoffe
(russ.). Inaug.-Diss. Petersburg 1893.
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632 F. Erismann
Die chemische Zusammensetzung ist folgende: stickstoffhaltige Stoffe 13,3%, Fett
3,9%, Stärkemehl etc. 50,3 °/ 0 , Holzfaser 18,4 °/ 0 , Mineralsubstanzen 5,1 °/ 0 . Der
Bestand ist also demjenigen der Chenopodiumsamen sehr ähnlich. Beide Saraenarten
mussten vom rein chemischen Standpunkte aus betrachtet, als nicht zu ver¬
achtende Nahrungsmittel bezeichnet werden.
Zwei Surrogate, die zur Bereitung von Hungerbroten verwendet wurden, deren
Ausnutzung durch den Menschen wir zu prüfen Gelegenheit hatten, sind: 1. die
Presskuchen, die man bei der Oelbereitung aus Sonnenblumensamen erhält, und
2. die ebenfalls gepressten Runkelrübenrückstände der Zuckerfabriken. — Die
Sonnenblumenpresskuchen bilden eine gelbbraune, feste, unangenehm riechende
Masse, die aus den zerquetschten Samenhüllen mit zurückgebliebenen stickstoff¬
haltigen Substanzen und Fett bestehen. Die Untersuchung ergab (in der Trocken¬
substanz) 38 °/ 0 stickstoffhaltige Substanz, 13,5% Fett, 12,1% Pflanzenfaser und
11,8% Aschenbestandtheilc. — Die Pressrückstände aus Runkelrüben bestehen
aus langen, schmalen Schnitzeln von regelmässiger Form. Die chemische Unter¬
suchung ergab einen Wassergehalt von 90,79%, und in der Trockensubstanz: 11%
stickstoffhaltige Stoffe, 64,8 % Zucker, Extraktivstoffe etc., 20,5 % Pflanzenfaser und
3,7 % Aschenbestandtheile.
Da auch die Eicheln in gewissen Theilen Russlands als Surrogat für Roggen¬
mehl verwendet werden und wir aus diesem Grunde auch Eichelbrot in den Kreis
unserer Ausnutzungsversuche einbezogen, so will ich hier die Zusammensetzung ge¬
trockneter Eicheln nach Stephano wsky anfügen. Er fand in der Trockensubstanz:
stickstoffhaltige Stoffe 5,0%, Fett 4,7%, Stärkemehl etc. 75,0%, Pflanzenfaser
13,3%, Aschenbestandtheile 2,0%.
Die Kartoffelschlempe, wie sie beim Branntweinbrennen aus Kartoffeln ge¬
wonnen wird, wurde 1891—1892 von verschiedenen Seiten als Zusatz beim Brot¬
backen empfohlen, und kamen bei uns einige derartige Brote zur Untersuchung.
Dieselbe enthält 91 — 96% Wasser, und in der Trockensubstanz: Eiweissstoffe 0,8
bis 1,9%, Fett 0,1—0,23%, stickstofffreie (Extraktiv-) Stoffe 1,1—4,9%, Holzfaser
0,5 —1,4% und Aschenbestandtheile 0,6%. Hier ist also, schon vom chemischen
Standpunkte aus, der Nährwerth ein sehr geringer.
Eine Baumrinde (von einer Ulraenart), die in einer Menge von etwa 20,0%
dem Roggenmehle zum Brotbacken beigemengt wird, untersuchte Stephanowsky.
Er fand: Stickstoffhaltige Substanz 3,8%, Fett- und Harzsubstanzen 3,7%, stick¬
stofffreie (Extraktiv-) Stoffe 42,2%, Holzfaser 39,4%, Aschenbestandtheile 10,9 °/o-
Also, wie von vorneherein zu erwarten war, ein ungemeiner Gehalt an Holzfaser.
Einige uns zugegangene Mehlgemische, wie sie zum Backen von Nothbroten
Verwendung fanden, wurden erst neulich von Dr. Maurizio 1 ), Assistent an der land-
wirthschaftlichen Versuchsstation in Zürich, untersucht. Mehl No. 1 stellt eine ganz
grobe, dunkle Kleie dar, die 5,495 % Asche enthält. Durch Sieben wurde festgestellt,
dass es 75,2 % Bestandtheile enthält, welche durch ein Millimetersieb nicht hin¬
durchgehen. Mit der Lupe und mikroskopisch wurden gefunden: etwa 30%
Roggenkleie nebst etwas Roggenmehl, bis 15,0% grobzerquetschte Haferkörner und
-mehl, 15 — 20% Kornradeschale und -mehl, sowie 30 — 35 % sonstige Unkräuter
und Spreu. Es Hessen sich erkennen: Schalen von Buchweizen und Hanf, schwarzer
Senf (Brassica nigra), Raps (Brassica napus), Ackerspörgel (Spergula arvensis),
!) Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs- und Gcnussmittcl etc. 1001. 15. November.
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Die russischen Iiungerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen. <>33
Spelzen von Hafer und von unbestimmbaren Gräsern. — Mehl No. 2 ist ebenfalls
ziemlich grob, stark kleiehaltig, mit 13,7 % Asche; es besitzt 14% Bestandteile,
die auf einem Millimetersieb Zurückbleiben. Das Mehl besteht aus etwa 30—40%
Weizenmehl und -kleie; das übrige sind Holzstückchen und Unkräuter, die sich nur
theilweise bestimmen lassen; zu erkennen waren: Polygonum convolvulus und Cheno-
podium album.
Auch einige Bjotstückchen, die wir als »Miisterchen« mit ungefährer An¬
gabe der Hauptbestandteile erhalten haben, wurden von Dr. Maurizio untersucht.
Eine dieser Proben ist nach der Bezeichnung einem Brote aus Thon und Mehl
entnommen. Dieselbe besitzt eine gelblich-weisse Farbe und sieht einem Stücke
eingetrockneten Töpferthones sehr ähnlich. Sie enthält 64% Asche, in der sich
neben Thonerde, Kalk und Kieselsäure ziemlich viel Eisen befindet. Ausserdem
wurden einige ganze und halbe Haferkörner, sowie etwas Hafermehl und Roggen¬
kleie gefunden. — Auch einige Brotproben »aus Wurzeln einer Schilfsortc«, die wir
aus dem Gouvernement Tobolsk erhalten hatten, kamen zur Untersuchung. Sie
haben grossentheils das Aeussere eines Bierfilzes und bestehen aus Rhizomen und
Stengelstücken einer unbestimmbaren Grasart, theilweise mit wenig grobem Getreide¬
mehl und erdigen Bestandtheilen, die als ein unvollständig wirkender Kitt dienen.
Die Brotsurrogate, die in den Jahren 1891—1892 von meinen Schülern im
hygienischen Institute der Moskauer Universität untersucht wurden, lassen sich in
zwei grosse Gruppen theilen, und zwar: 1. in solche, die von Privatpersonen-
und wohlthätigen Gesellschaften vorgeschlagen und zubereitet wurden, in der Ab¬
sicht, das mangelnde Roggenmehl theilweise durch andere Nahrungsstoffe zu er¬
setzen und somit ein billigeres, aber immerhin gutes und nahrhaftes Brot zu er¬
halten, und 2. in solche, wie sie von der hungernden Bevölkerung selbst, mit Zu-
hülfenahme minderwertiger Surrogate, gebacken wurden (eigentliche Hungerbrote).
Ich werde im folgenden nur diejenigen dieser Brotsurrogate genauer besprechen,
welche von uns zu Ausnutzungsversuchen verwendet wurden. Zur allgemeinen
Charakteristik derselben will ich der Beschreibung dieser Versuche nur einige Be¬
merkungen über die Löslichkeit der Aschenbestandtheile, den Säuregrad und das
Porenvolumen der uns zur Verfügung gestellten Brote voranschicken.
Die Löslichkeit der Aschenbestandtheile in Wasser ist bei den meisten
von uns untersuchten Brotsurrogaten, im Vergleich mit dem gewöhnlichen Schwarz¬
brot (36%) eine geringe. Eine Ausnahme bilden nur diejenigen Brote, welche
grössere Mengen (55—67 %) gutes Roggenmehl enthalten. Dieses niedrige Lüs-
lichkeitsverhältniss der Asche bei der Mehrzahl der Surrogatbrote zeigt, dass wir es
hier im allgemeinen mit grobem, schlecht gereinigtem Material zu thun haben, und
dass auch da, wo grössere Mengen von Getreidemehl zur Verwendung kamen, das¬
selbe in Bezug auf seine mechanische Reinigung vielfach minderwerthig war.
Der Säuregehalt (1 Säuregrad = 1 ccm verbrauchter Normalalkalilösung)
mancher von uns untersuchter Brotsurrogate überstieg nicht denjenigen des gewöhn¬
lichen russischen Roggenbrotes, dessen billigere Sorten einen Säuregrad voü 20—22 0
besitzen. Bedeutend mehr Säure enthalten nur die Chenopodiumbrote (25 — 26°),
die mit Zugabe von Runkelrübenrückständen und Kartoflelsyrup hergestellten Brote
(25°) und namentlich ein mit Gerstenschleim bereitetes Brot (31,6*).
Die Bestimmung des Porenvolumens der Surrogate schien uns nicht ohne
Bedeutung zu sein, weil, wie schon Mcnicanti und Prausnitz 1 ) angedcutet haben,
i) Zeitschrift für Biologie 1894. Bd. 30.
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in gewissem Maasse die Verdaulichkeit eines Brotes von seiner physikalischen
Beschaffenheit, also auch von dem Volumen (allerdings in vielleicht noch höherem
Grade von der Grösse) seiner Poren abhängig ist. Für gewöhnliches russisches
Roggenbrot hatte Samgin 1 ) ein Porenvolum von 20,4—44,8° erhalten, für Brote
aus besser gesiebtem Roggenmehl ein solches von 52—63%, für Weizenbrot
68,5—76%. Blauberg-') erhielt für gewöhnliches Moskauer Schwarzbrot Werthe,
die zwischen 20,3 und 44,4% schwankten (im Mittel 35,7%). Lehmann») in
Würzburg erhielt für Roggenschrotbrot 28,5 — 49,2%, für feineres Roggenmehlbrot
dagegen 55,7—70,7 %; für feineres Weizenbrot ergab sich ein Porenvolumen von
73—83%. Offenbar hat Lehmann recht, wenn er behauptet, dass der Zer¬
mahlungsgrad des Getreidekornes von bestimmendetn Einflüsse auf die
Porosität des Brotes sei, und dass Weizenbrote im allgemeinen ein grösseres
Porenvolumen besitzen, als Roggenbrote. Doch dürfte hieran weder eine spezifische
Eigenschaft des Weizens, noch die Zubereitung mit Hefe in erster Linie schuld sein,
sondern wesentlich nur die Feinheit, d. h. die physikalische Beschaffenheit des
Mehles. Dagegen ist wohl anzunehmen, dass die Grösse der einzelnen Poren
durch die Zubereitungsart des Brotes mitbedingt wird.
Das Porenvolumen unserer Brotsurrogate erwies sich im allgemeinen als ein
ziemlich niedriges und schliesst sich an die Werthe an, die für aus grobem Roggen¬
mehl zubereitetes Brot von den Autoren gefunden wurden. Sehr klein zeigte sich
das Porenvolumen in denjenigen Broten, für welche Kartoffelmehl (20,0%) und
Presskuchen von Sonnenblumen (14 %) zur Verwendung gekommen waren. Am
grössten (48 %) war das Porenvolumen in dem mit Gerstenschlempe zubereiteten
Brote; hier mögen Kohlensäure und Alkohol dazu mitgewirkt haben, das Brot porös
zu machen.
Die Ausnutzungsversuche mit Brotsurrogaten, die im Jahre 1892 im
hygienischen Institut der Universität in Moskau angestellt wurden, hatte einer
meiner Schüler, ein russischer Militärarzt, N. Popoff, übernommen — ein Mann,
der in derartigen Arbeiten geübt war; denn er hatte schon früher eine grosse Unter¬
suchungsreihe über die Ausnutzung verschiedener Brotsorten und einiger Nahrungs¬
gemische mit Brot durch den Menschen ausgeführt 4 ), eine Arbeit, die der aus¬
ländischen Fachlitteratur leider bis auf den heutigen Tag unbekannt geblieben ist.
Es muss Popoff überlassen bleiben, eingehend über den Gang seiner Arbeit mit
den Brotsurrogaten zu berichten; wir beschränken uns hier auf ein kurzes Referat
über die Hauptresultate.
Die Aufgabe dieser Versuche bestand darin, zu eruieren, inwieweit die
Trockensubstanz, und speziell die stickstoffhaltigen Bestandtheile und
die Mineralsubstanzcn der verschiedenen Surrogate, im Vergleiche mit
den entsprechenden Bestandtheilen des gewöhnlichen Roggen- oder
Weizenbrotes, vom Menschen ausgenutzt werden. Ausserdem musste fest¬
gestellt werden, ob bei ausschliesslicher Ernährung mit diesem oder jenem
Surrogate der menschliche Organismus im Stickstoffgleichgewicht
*) Sanitäre Untersuchung verschiedener Brotsorten in Moskau (russ.). Inauguraldissert. 1891.
2 ) Erster Jahresbericht des analytischen Laboratoriums der Stadt Moskau 1892.
3 ) Archiv für Hygiene 1894. Bd. 21.
4 ) Gesammelte Arbeiten des hygienischen Instituts der Universität Moskau 1891. Bd. 4.
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Die russischen Hungerbrotc und ihre Ausnutzung durch den Menschen. 635
bleibe, oder inwieweit dasselbe nach der einen oder anderen Richtung
alteriert werde.
Ueber die Versuchsanordnung und die Technik der Untersuchungen will ich
hier keine Worte verlieren. Es versteht sich von selbst, dass alle von der Wissen¬
schaft vorgeschriebenen Kautelen streng beobachtet wurden. Als Versuchspersonen
dienten zwei an grobe Nahrung gewöhnte, junge Soldaten aus dem Bauernstände,
deren persönliche Zuverlässigkeit noch dadurch potenziert wurde, dass sie im Hause
des Experimentators untergebracht waren und unter fortwährender Beobachtung
standen. Das Schema des Versuches war folgendes: Einige Tage gemischte Nahrung
— zum letzten Male um 10 Uhr morgens am ersten Versuchstage; sodann hungern
bis 7 Uhr abends, wo je 2 1 Milch gegeben wurden; am folgenden Tage um 10 Uhr
vormittags Beginn der Versuchsdiät, die in allen Versuchen drei Tage dauerte (weiter
durften wir im Interesse der Gesundheit unserer Versuchspersonen nicht gehen); am
Schluss des Versuches dieselbe Reihenfolge wie im Anfang, nur in umgekehrter Richtung.
Im ganzen wurden 32 Versuche ausgeführt, d. h. mit jedem Mann 16 Versuche,
von denen je einer auf schwarzes und weisses Brot, die übrigen 14 auf die Brot¬
surrogate entfallen. Die letzteren lassen sich, ihrer Natur und Bedeutung nach, in
drei grosse Gruppen eintheilen:
Erste Gruppe. Produkte, die an und für sich sehr nahrhaft sind und unter
gewissen Verhältnissen, auch abgesehen von Misswachs und Hungersnoth, zur Brot¬
bereitung benutzt werden. Im Jahre 1891—181)2 war, um denVerbrauch von Roggen¬
mehl einzuschränken, vielfach empfohlen worden, diese Produkte in gewissen Ver¬
hältnissen mit Roggenmehl zu vermischen. Hierher gehören: Erbsenmehl, Buch¬
weizenmehl und Maismehl. Aus diesen Mehlsorten, zur Hälfte mit Roggenmehl
gemischt, wurden auf unsere Anordnung Brote in Moskau speziell zum Behufe der
Untersuchung gebacken. Dieselben unterschieden sich schon äusserlich wesentlich
vom reinen Roggenbrot: sie waren flacher, kompakter und besassen weder die
Elastizität, noch das eigenthümliche, angenehme Aroma des Roggenbrotes. Der aus¬
schliessliche und andauernde Genuss derselben war den Leuten nicht besonders an¬
genehm; sie fühlten sich nach den Mahlzeiten satt, assen aber schon am dritten
Tage nicht ohne Selbstüberwindung.
Die zweite Gruppe umfasst Kombinationen von Roggenmehl mit Produkten,
die zwar (mit Ausnahme der Gerste) zur Brotbereitung nicht verwendet werden,
jedoch grösstentheils werthvolle Nahrungsmittel sind. Hierher gehören: Brote mit
Hafermehl, Hirsemehl, Gerstenmehl, Kartoffelmehl, sodann Brote mit Zu¬
satz von Runkelrübenrückständen und von Presskuchen aus Sonnenblumen¬
samen. Die Brote mit Hafer- und mit Gerstenmehl waren auf unsere Veranlassung
zubereitet worden und zwar das erstere aus zwei Dritteln Hafermehl und einem
Drittel Roggenmehl, das letztere aus gleichen Theilen Roggen- und Gerstenmehl.
Die übrigen Surrogate wurden uns von denjenigen Personen zugesandt, von welchen
sie empfohlen und in die Praxis eingeführt worden waren. Das Hirsebrot war
bereitet aus 67% Roggen-, 11% Weizen- und 22% Hirsemehl; es hatte eine
dicke Kruste, tiefe Spalten, enthielt zahlreiche Hüllen von Hirsesamen und Stücke
von Aehren; es knirschte zwischen den Zähnen und hatte einen faden, etwas
säuerlichen Geschmack; enthielt in der Trockensubstanz: 16,4% stickstoffhaltige
Substanzen, 1,3% Fett, 3,7 % Holzfaser und 2,8% Asche. — Die Brotsurrogate
mit Runkelrübenrückständen waren uns in verschiedenen Proben zugesandt,
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von denen zwei zu den Ausnutzungsversuchen verwendet wurden: No. 1 war zu¬
bereitet aus 75 % Roggenmehl mit Zusatz von 25 °/ 0 Runkelrüben; No. 2 aus
25<>/o Weizenmehl, ebensoviel Maismehl, 31% Kartoffelschlempe und 19% Runkel¬
rüben. Beide Proben unterscheiden sich nach Aussehen und Geschmack wesent¬
lich von reinem Getreidebrot; Krume graubraun, wenig elastisch, von geringer
Porosität. Der Gehalt an stickstoffhaltigen Substanzen schwankt in den verschiedenen
Proben zwischen 15,3 und 18,9 %, der Fettgehalt zwischen 0,3 und 1%, der Ge¬
halt an Rohfaser beträgt im Mittel gegen 3 %, derjenige an Aschenbestandtheilen
2—3%. — Das Sonnenblumenpresskuchenbrot lag uns ebenfalls in zwei
Proben vor. No. 1 war zubereitet aus 10 % Roggenmehl und 90 o/ 0 Press¬
rückständen; No. 2 aus gleichen Theilen Roggenmehl und Pressrückständen. Zu den
Ausnutzungsversuchen wurde nur No 2 verwendet; dasselbe enthielt in der Trocken¬
substanz 18,1 % stickstoffhaltiger Substanzen, 5,4 % Fett, 61,2% stickstofffreie und
Extraktivstoffe, 8,3 % Holzfaser und 4,9 % Asche. Das Brot bildet eine graubraune
Masse ohne eigentliche Brotkonsistenz. Die Rinde ist fest, löst sich ringsum leicht
von der Krume ab, die letztere ist bröckelig; Geruch und Geschmack sind un¬
angenehm, beim Kauen hat man das Gefühl, als ob nur Stroh und Sand auf der
Zunge wären, ein richtiges Kauen ist unmöglich; beim Trocknen entwickelt das Brot
den widrigen Geruch ranzigen Fettes. — Das Kartoffelbrot war zubereitet aus 30%
Roggenmehl und 70% gekochter Kartoffeln; es war flach, dunkelbraun; die Rinde
theilweise von der Krume abstehend; die letztere bildet eine dichte, schwere Masse,
ohne Elastizität, wenig porös; Geschmack fade, kein Aroma.
Die Versuchspersonen assen alle diese Brote, das Gerstenbrot nicht aus¬
geschlossen, schon am dritten Versuchstage mit Widerwillen. Am unangenehmsten
war ihnen das seines grossen Eiweiss- und Fettgehaltes wegen besonders empfohlene
Brot mit Presskuchen von Sonnenblumensamen, das für Leute, welche an den Ge¬
schmack des darin enthaltenen Oeles nicht gewöhnt sind, geradezu ekelerregend ist
und auch unseren Versuchspersonen sehr zuwider war. Der Genuss dieses Brotes
rief überdies Schmerzen in der Magengegend und saures Aufstossen hervor.
Dritte Gruppe. Eigentliche Hungerbrote, zu denen man übrigens füglich
auch das Sonnenblumensamenbrot rechnen könnte. Dieselben enthalten meist nur
eine geringe Quantität (25—30 %) grobes Roggenmehl oder Roggenkleie und bestehen
im übrigen aus Substanzen, die vom Menschen unter gewöhnlichen Verhältnissen
nicht zur Nahrung benutzt werden: Stroh, Eicheln, Schilf, Samen von verschiedenen
Gräsern und Unkräutern, namentlich von Chenopodium album und Polygonum con-
volvulus. Bei unseren Ausnutzungsversuchen kamen zur Verwendung: Eichelbrot
(75% Roggen- und 25% Eichelmehl), Strohbrot (50% Roggenmehl und 50 "0
feingemahlene Strohhäcksel), Polygonumbrot (25% Roggenmehl und 75% Mehl
aus Polygonumsamen) und Chenopodiumbrot (25% Roggenmehl und 75% Mehl
aus Chenopodiumsamen). Von den übrigen Hungerbroten hatten wir keine zu Aus¬
nutzungsversuchen hinreichende Quantität zur Verfügung. Die chemische Zusammen¬
setzung dieser Brote ist weiter oben erwähnt.
Am besten sieht von diesen eigentlichen Hungerbroten das mit Eichelmehl
zubereitete Brot aus; doch ist dasselbe sehr unangenehm bitter und wurde von
unseren Versuchspersonen nur ungern und sogar mit Widerwillen gegessen; die
Leute wurden in den drei Tagen dieser Eicheldiät schwach, apathisch und sahen
nach Ablauf des Versuches schlecht aus. — Kein schlimmes Aeussere hat auf den
ersten Blick auch das mit Stroh mehl zubereitete Brot; es ist gelbbraun, leicht
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Di-- ruBsiwhfljt HwigüHwat« und ihre Ausnutzung dtiirh den Mansrhen.. 63?
brüchig, (rochen mul l'.at: einen. bitterlich - sänerliclieu Geschmack; sodanii fällt es
durch sein unhmteuteisdes Gewicht auf, und bei genauerem Nachsehen bann man
•schnu mit blossem Auge die ■ kleinen, glänzenden, .scharfen Strohpartikelchen auf
der ..Schnittfläche erkennen. Im Munde verursacht dieses Rro.t eia kratzendes Ge¬
füllt - und kann nur unter' Zuhilfenahme einer Flüssigkeit verschluckt; werden. I>ie
Versuchspersonen, us.se.fi dasselbe ijtiejisf uogera und mir in geringer Quantität; sie
klagten während der Strohbiefdiät übel* Rchöierxsa in der Magengegend und im
1'nterleibB überhaupt und wurden xuseliewls schwächer;. — Sehr schlecht und ge¬
radezu-afetossend sehen .die Brote aus , die aus Uoggettbteh! und Uoggeokleic mit
Zwaftz grösserer htaäötitäleH von Mehl aus Chen diu td- oder Po l y g o na tu samen
zuhereiU-l werden- Sie haben die 'Form eines hm-kdigfin. Kuchens, 4tgi von aussen
und auf dem ibiirhstTi&itfe. schwarz (wegen des Gehaltes an ■Säj»«ßlifüinn» : werden
•bald hart wk-Stein, eriynern eher arTvrC als au Brot, und halmn einen sehr wider¬
lichen, bitteren Gesduaittifc. irie Vursuchspersonen, asseu von diesen RrotsmTogäfcii
wenig had mit nicht zo verkeimendem Abscheu
Jn der folgenden Tabelle sind nun die Scliiüssresdlfatc der • Versuche,- • wie
l'op o’if sie Yvjoilent licht luiQ zimatuiybugc-toilt. Sie zeigt m erster Bi nie, wie viel
lieh ersehet; wir daraus die !>iffere«-z zwischen Stick&toffcinnahme- und
Ausgabe, und die rvjfteruuz hmKörpergewicht der Versuch*personen vor
und nach den einzelnen Versuchen. Die,untersuchten SuiTogate sind der Ai«s-
riutebarkeit ihres Stickstoffes eßtspreclmod, and zwar irt ahnchniemier Itoihenfolge,
Tu die Tabelle eingestellt. ' ■ . . . . •;.
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Wir sehen in erster Linie, dass die durchschnittlich in einem Tag ge¬
nossenen Quantitäten der einzelnen Brotsurrogate sehr verschieden
waren, was ganz unzweifelhaft mit dem von ihrem Geschmack und ihren übrigen
Eigenschaften hervorgerufenen subjektiven Empfinden der Versuchspersonen zusammen¬
hängt. Einige Surrogate, wie Hafer-, Hirse- und Erbsenbrot, nahmen die Leute in
eben so grossen oder noch grösseren Mengen zu sich wie Schwarz- und Weissbrot
(710 resp. 671 g). In den Versuchen Rubner’s waren im Tag 760 g Schwarzbrot
aufgenommen worden, in früheren Versuchen Popoff’s, im Durchschnitt per Tag,
730 g. Je weniger den Versuchspersonen die Brote schmeckten, desto geringer wird
die Quantität, welche sie davon genossen. In auffallender Weise verschmähten sie
das Maisbrot, das ihnen, schon seines teigartigen Aussehens wegen, fremder, ungewohnter
vorkam als Hirse- oder Haferbrot; Südslaven hätten sich diesem Brote gegenüber
anders verhalten. Die eigentlichen Hungerbrote wurden in sehr geringen Quantitäten
genossen; die Versuchspersonen konnten sich nicht zu grösseren Mengen zwingen.
Was nun zunächst die Ausnutzung der Trockensubstanz der Brotsurrogate
anbelangt, so ist dieselbe bis zu No. 13 herunter eine günstige zu nennen. Wenn
man drei Nummern, die ja auch in anderer Beziehung minderwerthig sind — das
Sonnenblumensamenbrot, das Zuckerrübenbrot No. 1 und das Eichelbrot —, aus¬
nimmt, so bewegt sich die Ausnutzung der Trockensubstanz im allgemeinen zwischen
84 und 87,5 o/o und beträgt im Mittel 86%. Dies entspricht genau dem für ge¬
wöhnliches Roggenbrot erhaltenen Werthe; in einem Versuche Rubner’s 1 2 ) betrug
der Verlust an Trockensubstanz im Koth bei Schwarzbrot 15%; Solnzeff*) fand
für russisches Schwarzbrot 14,6%, Tschakaleff 3 ) 13%; diese Zahlen würden
also einer Ausnutzung von 85—87 % entsprechen. — Rasch sinkt dann die Aus¬
nutzung der Trockensubstanz, sowie wir zu den eigentlichen Hungerbroten kommen
(No. 13—16); nur beim Eichelbrot ist sie noch relativ günstig (78,29%), bei den
übrigen Hungerbroten schwankt sie nur zwischen 46% und 53% und erreicht ihr
Minimum beim Brote aus Polygonum convolvulus. Dass bei Weizenbrot der Verlust
an Trockensubstanz ein geringer sein werde, war zu erwarten; er betrug in den
Versuchen Popoff’s durchschnittlich 7,4%; Rubner hatte im Mittel nur 4,5%
Verlust erhalten.
In der Ausnutzung der stickstoffhaltigen Substanzen zeigt sich bis und
mit No. 13 eine allmälige Abnahme. Die Werthe bewegen sich hier zuerst zwischen
denjenigen für Weizenbrot und gewöhnlichem Roggenbrot (No. 2—8), um hernach
etwas unter die für das letztere gewonnene Zahl herabzusinken (No. 10—13). Die
Ausnutzung des Stickstoffs in den eigentlichen Hungerbroten (mit Aus¬
nahme des Eichelbrotes) ist sehr gering, sie beträgt weniger als 50% und erreicht
ihr Minimum (41,55%) beim Chenopodiumbrot. — Die relativ geringe Ausnutzung
der Eiweissstoffe des gewöhnlichen Roggenbrotes ist längst bekannt: Rubner erhielt
einen Verlust an Stickstoff im Koth von 32%, Dementjeff 4 ) 31,5%, Solnzeff
31,2%; Popoff hatte in mehreren früheren Versuchen allerdings etwas günstigere
Resultate erhalten (Verlust von 26,9%), bei anderen Versuchspersonen ergab sich
auch ihm ein Durchschnittsverlust von 29%. Wird das Roggenbrot aus feinerem
1) Zeitschrift für Biologie Bd. 15. S. 115—202.
2 ) Arbeiten einer vom russischen Kriegsministerium zur Beurteilung von Konserven im Jahre
1887 ernannten Kommission S. 121-227.
3 ) Arbeiten etc. S. 33—120.
*) Russische Zeitschrift »Gesundheit« 1877. No. 55 und 50.
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Die russischen Hungerbrote nnd ihre Ausnutzung durch den Menschen.
639
Mehle gebacken, so nähert sich die Verwerthung der Eiweissstoffe derjenigen, wie
man sie bei Weissbrot erhält; Popoff fand hierbei einen Stickstoffverlust im Kothe
von 18,10%, was einer Ausnutzung von 81,90% entspricht, während er beim Weizen¬
brot eine Verwerthung des Stickstoffs von 82,44% konstatierte. Es scheint schon
nach früheren Arbeiten Rubners 1 ) keinem Zweifel zu unterliegen, und E. Rom¬
berg 2 ) hat es durch seine Versuche über den Nährwerth verschiedener Mehlsorten
neuerdings bestätigt, dass die Gegenwart von Kleie, ob sie nun grob oder
fein gemahlen sei, die Ausnutzbarkeit des Brotes im menschlichen Ver-
dauungskanale wesentlich beeinträchtigt, und dass gerade aus diesem Grunde
die Verwerthung der Bestandteile des Roggenbrotes eine relativ geringe ist. Es
darf uns deshalb nicht wundern, wenn die Eiweissstoflfe unserer Brotsurrogate, die
ja, wie wir weiter oben gesehen haben, sämmtlich reich an Pflanzenfaser sind —
auch wenn wir vor der Hand von den eigentlichen Hungerbroten absehen —, im
ganzen schlecht ausgenutzt werden; es ist ja überall viel grobes, eine grosse Menge
von Kleie und Samenhülsen enthaltendes Mehl zur Verwendung gekommen. Dass
die Ausnutzung der Nahrungsstolfe in den eigentlichen Hungerbroten eine ganz
schlechte ist, versteht sich von diesem Gesichtspunkte aus von selbst; denn das Mehl,
ans dem z. B. Chenopodium- und Polygonumbrote zubereitet werden, enthält sehr
grosse Mengen von Samenhüllen und ist, wie wir wissen, entsprechend reich an
Pflanzenfaser; dass dieses letztere auch bei dem Strohbrote der Fall ist, braucht
nicht einmal besonders erwähnt zu werden.
Die Ausnutzung der Aschenbestandtheile der Brotsurrogate weist, wenn man
von den eigentlichen Hungerbroten absieht, keine bedeutenden Differenzen auf. Sie
schwankt in den Versuchen Popoff’s zwischen 56% (Buchweizenbrot) und 69,8%
(Kartoffelbrot) und scheint von denjenigen Eigenschaften der Brote, welche sonst die
grössere oder geringere Verwerthung der einzelnen Bestandteile bedingen, bis zu
einem gewissen Grade unabhängig zu sein. Jedenfalls scheint die Ausnutzung der
Salze von dem Gehalte der Brote an Pflanzenfaser und Mincralbestandtheilen (Kleie
u. s. w.) nicht in der Weise bestimmt zu werden, wie die Ausnutzung der Eiweiss¬
stoffe. Immerhin wird beim Weizenbrot auch die Asche besser verwertet (73,86 %)
als bei den an Samenhüllen reichen Brotsurrogaten (im Durchschnitt 61,3%), und
am geringsten ist die Ausnutzung der Asche bei den in jeder Beziehung
minderwerthigen eigentlichen Hungerbroten, wo sie auf 40% und darunter
herabsinkt. Ob man nun, wie Romberg es thut, sagen kann, dass der Aschengehalt
eines Mehles (also auch eines Brotes) das Kriterium seiner Güte sei, möchte ich
nicht direkt bestreiten, aber nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, möchte
ich den Gehalt an Pflanzenfaser als Hauptkriterium hinstellen. Mit ihm
steigt und sinkt im allgemeinen der Verwertungsgrad der Nahrungsstoffe des Brotes
im menschlichen Verdauungskanale. Nun gehen ja allerdings die Quantitäten von
Asche und Pflanzenfaser in Mehl und Brot meist Hand in Hand, so dass Romberg,
der, wie wir aus seiner Arbeit ersehen, die Pflanzenfaser nicht bestimmt hat, wohl
zur Ansicht kommen konnte, man könne die Güte eines Mehles direkt nach seinem
Aschengehalte beurtheilen. Physiologisch genommen ist es ja natürlich nicht die
Asche, sondern die unverdauliche Holzfaser, welche die Einwirkung der Ver¬
dauungssäfte auf die Bestandtheile des Brotes beeinträchtigt.
1) Zeitschritt für Biologie 1883. Bd. 19. S. 45 ff.
2 ) Archiv für Hygiene 1897. Bd. 28. S. 244—290.
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640 F. Erismann
Die Frage, ob der menschliche Organismus bei ausschliesslicher Er¬
nährung durch irgend eines der von Popoff untersuchten Brodsurrogate
bestehen könne, muss im Hinblick auf die vorletzte Rubrik der obigen Tabelle
ohne weiteres verneint werden. Ueberall hat der Organismus der Versuchspersonen
Einbusse an stickstoffhaltiger Substanz erlitten. Der tägliche Verlust an
Stickstoff schwankt zwischen 0,63 g (Erbsenbrot) und 6,94 g (Chenopodiumbrot); am
höchsten ist er überhaupt bei den eigentlichen Hungerbroten. Bei der Beurtheilung
dieser Thatsache ist nun aber zu bedenken, dass überhaupt bei ausschliesslicher Brot¬
nahrung der Mensch unter gewöhnlichen Umständen nicht im Stickstoffgleichgewichte
bleiben kann. Schon Rubner 1 ) hatte gefunden, dass bei ausschliesslicher Ernährung
mit Weissbrot der Körper der Versuchsperson in einem Falle täglich 5,55 g, in einem
anderen Falle 2 g, und in einem Versuche mit Schwarzbrot 2,35 g Stickstoff ein-
büsste. Sodann hatte Popoff 2 ) konstatiert, dass bei ausschliesslicher Ernährung mit
Schwarzbrot, im Mittel aus mehreren Versuchen, vom Körper der Versuchsperson
täglich 3 g Stickstoff zu Verlust gingen. Auch durch Zugabe von Kohl oder Kar¬
toffeln konnte der Stickstoffverlust vom Körper nicht aufgehalten werden; und erst
wenn ausser Schwarzbrot noch Erbsen, Buchweizengrütze oder Fleisch
genossen wurden, gelang es, einen Ansatz von Stickstoff im Körper zu
erzielen, der allerdings bei Zugabe von Erbsen oder Buchweizen nur unbedeutend
war und einen höheren Werth (5,5—8,6 g im Tag) nur dann erreichte, als zum
Schwarzbrot noch Fleisch gegeben wurde.
Wenn aber schon gutes Brot, für sich allein, und auch da wo eine Beschränkung
der Zufuhr ausgeschlossen ist, den Menschen nicht ernähren, nicht auf seinem ur¬
sprünglichen Bestände erhalten kann, so darf man sich nicht wundern, wenn auch
Brotsurrogate, wie sie uns Vorgelegen haben, dies nicht zu thun im stände sind, und
wenn namentlich die eigentlichen Hungerbrote, da wo sie das ausschliessliche oder
vorwiegende Nahrungsmittel darstellen, zu bedeutenden Verlusten von stickstoff¬
haltiger Substanz vom Körper Veranlassungen geben. Leute, die in ihrer Ernährung
auf derartige Brotsurrogate angewiesen sind, befinden sich also in einem chroni¬
schen Hunger zustande. Schon bei dreitägigen Versuchen mit solchen Broten
traten bei den Versuchspersonen die Anzeichen bedeutender Schwäche ein, Schwindel,
Ohrensausen, Blässe der Haut und der Schleimhäute, leichtes doch merkliches Sinken
der Körpertemperatur, Verminderung der Zahl der Herzschläge, Abnahme des Körper¬
gewichtes, Unlust zur Arbeit. Diese Erscheinungen, die zweifellos am stärksten
waren beim Genuss der Brote aus Chenopodiummehl, schienen uns sogar auf die
Gegenwart eines toxisch wirkenden Stoffes in diesen Samen hinzudeuten. Und in
der That verendeten von sechs weissen Ratten, die mit Chenopodiumbrot gefüttert
wurden, fünf schon im Laufe der ersten Tage; die Sektion wies übereinstimmend
die Erscheinungen einer akuten Gastroenteritis nach. — Aber auch das von gewissen
Seiten sehr empfohlene »Strohbrot« hat, ausser seinem mangelhaften Nährwerth,
direkt schädliche Eigenschaften, indem die spitzigen Ecken der kleinen Stroh¬
partikel, bei ihrem Durchgang durch den menschlichen Magen und Darmkanal, die
Schleimhaut dieser Organe reizen und bei längerem Gebrauche derartigen Brotes
entzündliche Zustände hervorrufen können.
Wir kommen also, was die eigentlichen Hungerbrote anbetrifft, zu dem
i) Zeitschrift für Biologie 1879. Bd. 15. S. 150 ff.
‘) Gesammelte Arbeiten aus dem hygienischen Institut der Universität Moskau 1891. Bd. 4.
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Die russischen Hungerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen.
641
Schlüsse, dass dieselben, schon ihrer widerwärtigen Eigenschaften als
Genussmittel wegen, sehr ungünstig zu beurtheilen sind, dass sie sodann
als Nahrungsmittel einen äusserst geringen Werth besitzen, weil sie vom
menschlichen Verdauungsapparat schlecht ausgenutzt werden, und dass viele der¬
selben durch toxische oder mechanische Wirkung direkt die Gesundheit
der Konsumenten schädigen können.
Derartige Surrogate des Brotes dürfen also auch bei grossem und äusserstem
Mangel an Roggen- oder Weizenmehl nicht benutzt werden, und es ist ein Gebot
der öffentlichen Gesundheitspflege, dass dieselben aus der Liste der Nahrungsmittel
auch bei Nothzuständen vollkommen gestrichen werden. Staat und Gesellschaft
dürfen es nicht zugeben, dass die Bevölkerung gezwungen wird, zu
solchen Mitteln zu greifen, um ihren Hunger zu stillen, und es ist die
Pflicht der Wissenschaft, hierauf aufmerksam zu machen. Vom praktischen Stand¬
punkt aus haben diese Andeutungen für das westliche Europa allerdings wenig
Werth, doch dürften sie theoretisch auch da nicht ganz ohne Interesse sein, wo seit
längerer Zeit keine Hungerzustände in grösserem Maassstabe vorgekommen sind.
Nachdem wir auf diese Weise die eigentlichen Hungerbrote (s. oben die dritte
Gruppe) vom physiologisch-diätetischen Standpunkte aus vollkommen und unter allen
Umständen verworfen haben, bleibt uns noch die Frage zu beantworten übrig, ob
nicht das eine oder andere der übrigen Brotsurrogate in den Augen des
wissenschaftlichen Forschers Gnade finden könnte, d. h. ob es nicht
zweckmässig wäre, durch Zugabe verschiedener, an und für sich nicht
zu verwerfender Substanzen zum Roggen- oder Weizenmehl den Konsum
der durch den Misswachs betroffenen Getreidesorte einzuschränken.
Diese Frage ist um so mehr berechtigt, als, wie wir oben gesehen haben, die Aus¬
nutzung einiger dieser Surrogatbrote im menschlichen Darmkanale eine sehr günstige
ist; namentlich gilt dies von denjenigen Surrogaten, die mit Hülfe von Erbsen-, Buch¬
weizen-, Mais-, Hafer- und Hirsemehl zubereitet sind. Auf den ersten Blick scheint
es also in der That zweckmässig zu sein, beim Mangel an Roggenmehl einen Theil
desselben im Brote durch eine der eben genannten Mehlsorten zu ersetzen.
In dieser Beziehung muss ich nun ganz bestimmt darauf hin weisen, dass alle
diese Brotsurrogate, wie nahrhaft sie auch sein mögen, als Genussmittel
hinter dem gewöhnlichen Roggenbrote sehr weit zurückstehen. Sie haben
gerade diejenigen Eigenschaften nur in einem geringen Grade, welche uns das Roggen¬
brot (oder auch das Weizenbrot) so angenehm machen, und uns gestatten, dasselbe
Tag für Tag mit ein und demselben Wohlbehagen und Appetit auch in grösseren
Quantitäten zu gemessen. Der Mangel an diesen Eigenschaften, in Verbindung mit
irgend einem spezifischen Beigeschmack, dessen man als Konsument bald überdrüssig
wird, macht uns die Brotsurrogate, auch wenn sie uns anfangs wohlschmeckend er¬
scheinen, bei länger dauerndem Gebrauche so unangenehm, dass wir dem Genüsse
derselben einen relativen Hungerzustand vorziehen.
Ausserdem haben frühere, von Popoff ausgeführte Versuche mit Bestimmtheit
ergeben, dass ein und dieselben Produkte vom Menschen besser ausgenutzt
werden, wenn man sie als eigens zubereitete Speise für sich geniesst,
als wenn sie zusammengebacken mit Roggen-oder Weizenmehl als Brot¬
surrogat konsumiert werden: Wenn man z. B. aus fünf Theilen Kartoffelmehl und
zwei Theilen Roggenmehl Brot bäckt, so bleiben beim Genüsse des letzteren 32,7 %
Stickstoff unausgenutzt; wenn man jedoch dieselben Produkte in derselben Proportion
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642 F. Erismann, Die rassischen Hnngerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen.
getrennt geniesst, d. h. in Form von reinem Roggenbrot einerseits und einer Kartoffel¬
speise andererseits, so beträgt die Menge des unausgenutzten Stickstoffs nur 26,3 °/ 0 .
Dasselbe ist der Fall mit der Kombination von Erbsen- oder Buchweizenmehl
mit Roggenmehl: Beim Genüsse eines Brotsurrogates aus gleichen Theilen Erbsen¬
mehl und Roggenmehl bleiben über 20% des Stickstoffs unausgenutzt; Versuche mit
Brotsurrogaten aus gleichen Theilen Buchweizenmehl und Roggenmehl ergaben über
23% unausgenutzten Stickstoff. Wurden dagegen dieselben Produkte in der Form
von reinem Roggenbrot einerseits und gekochten Erbsen oder einer Buchweizengrütze
andererseits genossen, so sank die Menge des unausgenutzten Stickstoffs auf 16,9 °/ 0
resp. 19,4 %.
Wir gelangen also zu dem Schlüsse, dass es ökonomischer und für den
Konsumenten angenehmer ist, auch bei Misswachs von Roggen oder
Weizen, das Roggen-resp. Weizenbrot in seiner reinen Form, ohne fremde
Beimischungen — und wären es auch gute Nahrungsstoffe — zu geniessen Hnd
das mangelnde Brot dann durch irgend eine andere Speise — Erbsen,
Buchweizen, Gerste, Hafer, Mais, Hirse etc. — zu ersetzen, als das Roggen¬
oder Weizenmehl mit anderen Mehlsorten zu mischen und aus diesen
Mischungen Brotsurrogate zu backen.
Dieses, auf wissenschaftlich-experimentellem Wege gewonnene Resultat stimmt
auch vollkommen mit der Erfahrung, die während der Hungerzeit 1891/92 allerorts
gemacht wurde, überein: Die Suppenanstalten und Volksküchen, die im Winter
1891/92 an zahlreichen Stellen des Hungergebietes in grosser Menge eingerichtet
wurden und um deren Verbreitung sich der berühmte Dichter, Graf Leo Tolstoj,
so grosse Verdienste erworben hat, waren f wie die alltägliche Beobachtung zeigte,
den Unglücklichen von weit grösserem Nutzen als die Anstrengungen, die namentlich
im Anfänge der Hungerperiode gemacht wurden, um verschiedene Brotsurrogate zu
erdenken und hierdurch den Mangel an reinem Roggenbrot zu ersetzen.
Unsere Schlussfolgerungen lauten also:
1. Diejenigen Brotsurrogate, zu welchen die Bevölkerung zu Hunger¬
zeiten von sich aus ihre Zuflucht nimmt, taugen nichts, weil sie einen
äusserst widerwärtigen Geschmack besitzen, vom Menschen schlecht
ausgenutzt und theils durch mechanische Reizung der Darmschleimhaut,
theils durch die Gegenwart toxisch wirkender Substanzen dem Kon¬
sumenten schädlich werden.
2. Die übrigen Brotsurrogate, die bei Missernten von verschiedenen
Seiten vorgeschlagen worden, sind, trotz theilweiser guter Ausnutzung;
nicht zu billigen, weil es aus den oben angeführten Gründen vortheil-
hafter ist, das Brot in reiner Form zu verabreichen und die fehlende
Quantität desselben durch andere, womöglich warme Speisen zu ersetzen.
3. Die Brotsurrogate sind also durch möglichst hinreichende Beschaffung von
Roggen- oder Weizenmehl einerseits und durch Einrichtung von Suppenanstalten und
Volksküchen andererseits vollkommen zu verdrängen.
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W. Podwyssozki, Der Kefir.
643
II.
Der Kefir
(Ferment und Heilgetränk aus Kuhmilch).
Geschichte, Bereitung, Zusammensetzung des Getränks, Morphologie des Ferments
und dessen Erkrankungen; physiologische und therapeutische Bedeutung des Getränks.
Von
Professor Dr. W. Podwyssozki
in Odessa.
Uebersetzt aus dem Russischen von Dr. Rechtshammer.
(Schluss.)
Viertes Kapitel.
Bau des Keflrferments.
Die ersten bestimmten botanischen Angaben über den Bau und die Morpho¬
logie der Kefirkörner wurden von Kern noch im Jahre 1882 gemacht. Dieser
Forscher zeigte, dass jedes beliebige Theilchen der Kefirkörner aus zwei morpho¬
logisch verschiedenen Elementen besteht: einer unendlichen Anzahl ziemlich
grosser Bakterien und den zwischen die letzteren, freilich schon in bedeutend
geringerer Menge, eingesprengten Hefezellen. Die innige Beziehung im Kefir¬
ferment der beiden Vertreter von zwei verschiedenen Mikrobenarten bot Kern Ver¬
anlassung, hier ein Beispiel der so häufig in der Natur vorkommenden Symbiose von
Hefezellen und Bakterien zu erblicken. Wie erinnerlich, hat Kern die von ihm
unter dem Mikroskop gesehenen Bakterien als besondere Art beschrieben, die an
jedem ihrer Enden je eine Spore bildet und daher von ihm als Dispora caucasica
benannt worden ist. Die Hefezellen des Kefirkornes bestimmte Kern als die in der
Natur verbreitetste Hefenart, die die Alkoholgährung des Zuckers hervorruft, nämlich
als Sacharomyces cerevisiae Meyen.
Die erste Frage, die natürlicher Weise bei dem Studium des Baues der Kefir¬
körner sich aufdrängt, ist folgende: ob die Gesammtmasse des Kornes resp. des
Klümpchens die Form einer solchen Symbiose darbietet? Die sorgfältige mikro¬
skopische Untersuchung führt zu einem negativen Resultat. Lässt man nämlich ein
isoliertes grösseres Korn gut in Wasser oder in Milch aufquellen und zerzupft das¬
selbe vorsichtig mit Hilfe einer kleinen Pincette, so ergiebt es sich, dass das Klümpchen
resp. das Korn in Wirklichkeit kein sphärischer Körper ist, sondern einen gelappten,
oblongen, unregelmässig verzweigten, sehr elastischen Körper repräsentiert, der sich
einfach sphärisch zusammengelegt hat. Nur je an einer Fläche jedes Lappens be¬
finden sich Ausstülpungen, pilzartigen oder polypenförmigen Auswüchsen ähnlich.
Indem diese Auswüchse nur eine Fläche des ganzen Körpers und seiner einzelnen
Zweige bedecken, bewirken sie, in Folge mechanischer Ursachen, ein Zusammen¬
drehen und Zusammenrollen jedes Antheiles der Art, dass alle Stellen mit glatten
Oberflächen stets verborgen und nach Innen gerichtet bleiben, während alle mit
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644 W. Podwyssozki
Auswüchsen besetzten Stellen nach Aussen gekehrt sind. Es erweist sich also,
dass auf eine Grundmasse sehr kleine, körnige, kohlförmige Auswüchse ge¬
pflanzt sind, die mit einer centralen faserigen Grundsubstanz in Verbindung stehen.
Diese Grundsubstanz besitzt selbst für das unbewaffnete Auge eine faserige Struktur
und erscheint sehr elastisch, ausdehnungsfähig. Kurz, in jedem Klümpchen des
Kefirferments unterscheidet man mikroskopisch zwei Theile: einen faserigen, stets
verborgenen, nach Innen gerollten, und einen körnigen-peripheren, nach Aussen
gekehrten. Beide Theile haben einen verschiedenen mikroskopischen Bau. Man
sieht nämlich die Symbiose der Hefezellen mit den Bakterien vorzugs¬
weise an den peripheren Partieen, in dem Gebiete der körnigen Auswüchse,
während die innere, verzweigte und faserige Partie jedes Klümpchen sowie jedes
der Füsschen, auf welchen die körnigen Auswüchse sitzen, hauptsächlich aus Bak¬
terien allein bestehen, die durch ihre gegenseitige innige Beziehung gleichsam eine
Art Filz repräsentieren. In den peripheren Partieen des Klümpchens, dort, wo
auch Hefezellen zugegen sind, prävalieren mehr oder weniger freiliegende Bakterien,
während in den inneren Partieen koloriale Bakterienfäden, die im allgemeinen das
Aussehen eines Filzes besitzen.
Gehen wir zum Studium der weiteren Details des mikroskopischen Baues der
Kefirkörner über, so sehen wir indessen, dass, abgesehen von der relativ grossen
eigentlichen Kefirbakterie, auf welche Kern hingewiesen hat, und abgesehen von
den Hefezellen, das Kefirferment noch ein drittes Mikrobion enthält, viel kleiner in
seinen Dimensionen, nämlich das Bakterium der Milchsäuregährung. Auf
die konstante Gegenwart dieses sehr kleinen Bakteriums im Kefir wurde zuerst
Stange aufmerksam, und nach ihm beschrieben alle andern Kefirforscher das
Mikrobion.
Das Kefirkorn, das durch mehrere Portionen Milch gegangen ist und bereits
zur Herstellung mehrerer Portionen eines guten Getränks gedient, sich, so zu
sagen, um die Milch akklimatisiert hat, und daher das Muster eines gesunden,
»normalen« Ferments darbietet, besteht nun thatsächlich aus den drei oben auf¬
gezählten verschiedenen Mikroben: der grossen, eigentlichen Bakterie des Kefir,
der äusserst kleinen Milchsäurebakterie und den Hefezellen. Die Gegenwart und
die Symbiose lediglich dieser drei Vertreter der niederen mikroskopischen Organismen
charakterisiert das »normale Kefirferment«. Nur eine derartige morphologische
Zusammensetzung kann man als Typus des normalen Ferments anerkennen, mit
dessen Hilfe ein gutes Getränk sich herstellen lässt.
Von der Gegenwart im Kefirkorne lediglich der drei genannten Mikroben ver¬
mag man sich nur unter der Bedingung zu überzeugen, dass man zum Untersuchen
die Körner direkt der Milch entnimmt, folglich, so zu sagen, eben in Arbeit ge¬
wesene, aufgeweichte Körner, die schon vielmals zur Herstellung eines guten Getränks
gedient haben und dem Austrocknen nicht unterworfen waren.
Etwas ganz anderes erhält man, wenn man zur Untersuchung ausgetrocknete
Körner benutzt, die an der Luft herumlagen, längere Zeit nicht in Arbeit waren
und blos direkt vor der Untersuchung in Wasser oder in Milch aufgeweicht werden.
In solchen Körnern, die vom ursprünglichen Typus des »normalen Ferments«
abgewichen sind, lassen sich, abgesehen von den oben angegebenen drei Mikroben¬
arten, auch noch andere nachweisen, nämlich kugelförmige Bakterien sowie Zellen
und ganze Fäden von Schimmelpilzen, speziell Didium lactis und selbst Penicilliutn
glaucum.
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645
Der Kefir.
Es ist nun nicht zu verwundern, dass z. B. Freudenreich im Jahre 1897
und nach ihm Hallion im Jahre 1900, abgesehen von der grossen stäbchenförmigen
Kefirbakterie, der kleinen Milchsäurebakterie und des Hefepilzes, im Kefirkorn noch
kugelförmige Kettenbakterien beschreiben. Offenbar hatten es diese Autoren nicht
mit dem normalen, typischen Korne zu thun. Von Streptococcen und Staphy-
lococcen, also von kugelförmigen Bakterien, enthält das gesunde, nor¬
male Korn gar keine Spur. Befindet sich das Korn aber an der Luft, trocknet
es aus, so wird es mit Luftbakterien verunreinigt, die nachher, in den ersten Milch¬
portionen, an dem aufzuweichenden Korne haften bleiben und sich vermehren; nur
allmählich, in den weiteren Portionen der gährenden Milch, wird die normale Pilz¬
physiognomie des Ferments wieder hergestellt. Letzteres erfährt gleichsam eine
Purificierung durch diese Reihe von Abimpfungen, und zwar gehen die fremden
Mikroben, die nicht in jene Kombination der drei bekannten Mikroben hinein¬
gehören, durch welche das typische Kefirferment charakterisiert wird, mit jeder
neuen Passage durch eine neue Portion Milch allmählich zu Grunde.
Dieses Faktum steht bekanntlich in vollem Einklänge mit den allgemeinen
Thatsachen der Mikrobiologie, wonach nur ein bestimmter Nährboden, an welchen
das betreffende Mikrobion sich angepasst hat, dem letzteren normales Wachsthum
und Erhaltung seiner morphologischen sowie funktionellen Individualität zu sichern
vermag. Die Milch ist der Nährboden, an welchen, um darin zu wachsen, das
komplizierte, aus drei mit einander gewöhnten Mikroben bestehende Kefirferment
sich angepasst hat. Seine Individualität kann eben unangetastet bewahrt bleiben
lediglich bei der Bedingung, dass es in diesem Nährboden gezüchtet wird. Wenn
wir das Ferment aus der Milch herausnehmen, dem Austrocknen unterwerfen, und
darauf, je nach Bedarf, von Neuem in Wasser oder in Milch aufweichen, so sind
wir allemal in der Lage, die Individualität unseres Ferments zu verletzen sowie
zeitweilig dessen Zusammensetzung zu verändern, bis allmählich in der Reihe
frischer Portionen gährender Milch Restituierung eintritt.
Dieses Verhältniss betone ich ganz besonders, um bei allen, welche sich mit
der Kefirbereitung abgeben, die Ansicht zu festigen, dass das ausgetrocknete
und namentlich längere Zeit im trockenen Zustande gelegene Kefir¬
korn nicht das normale Kefirferment repräsentiert und dass eine ge¬
wisse Zeit sowie eine Reihe von Passagen durch frische Portionen
Milch nothwendig ist, um das Ferment in seinen Normalzustand zurück¬
zubringen.
Die Gährung von Milch, in welcher ein aufgeweichtes Kefirkorn sich befindet,
geschieht dadurch, dass von der Oberfläche des Kornes stets von der gemeinsamen
unbeweglichen Masse freie sich vermehrende Bakterien und Hefezellen sich loslösen.
Es ist demnach nicht zu verwundern, dass die gährende Milch und das Kefirgetränk
überhaupt beständig eine grössere oder geringere Menge Hefezellen und insbesondere
Bakterien enthält.
In dem schwachen eintägigen Kefir giebt es noch sehr wenig Hefezellen, und
von Bakterien prävalieren die grossen, eigentlichen Kefirbakterien. Mit zunehmendem
Alter wird der Kefir bekanntlich mehr sauer und das Mikroskop zeigt eine immer
zunehmende Menge der kleinen Milchsäurebakterie. Hefezellen sieht man fast gar
nicht. Die Kase'inniederschläge, die sich an den Gefässwänden ansammeln, enthalten
enorme Bakterienmengen und uur sehr wenig Hefezellen.
Gehen wir im speziellen zur Biologie der Kefirbakterie über, so ist zu be-
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646
W. Podwysaozki
merken, dass mit Bezug auf letztere die gegenwärtige Anschauungsweise bedeutend
differiert von derjenigen Kern’s, der sie zuerst beschrieben hat. Im Anschluss an
Kern wurde die Kefirbakterie (von ihm unrichtig Dispora causica benannt) von den
nachfolgenden Untersuchern als selbstständige Art anerkannt: Bacillus kefir
(Ssorokin u. a.) resp. Bacillus caucasicus (Freudenreich, Blanchard u. a.)
Es erweist sich indessen, dass diese Bakterie nichts anderes als die gewöhnliche
Heubakterie — Bacillus subtilis — repräsentiert. Diese Ansicht, noch im Jahre
1888 von Prof. Tichomirow in seinem Lehrbuch der Pharmakognosie ausgesprochen,
wird nachher von Mac6 in seinem Lehrbuche der Bakteriologie vertreten und beson¬
ders ausführlich von Dr. Essaulow in seiner Dissertation im Jahre 1895 entwickelt
Allerdings besitzt die Kefirbakterie viele Eigenschaften, welche für die Heu¬
bakterie charakteristisch sind (Form, Beweglichkeit, Wachsthum auf Nährböden),
man dürfte jedoch kaum beide als zu derselben Art zugehörig anerkennen. Nach
unseren Beobachtungen erscheint die Kefirbakterie etwas dicker und weniger be¬
weglich als die Heubakterie. Im Uebrigen hat schon Essaulow selbst aus manchen
Kefirpilzen, abgesehen von der Heubakterie, eine Bakterie isoliert, welche gewisse
Eigenschaften darbietet, abweichend von den Eigenschaften der Heubakterie. Es
ist demnach sehr wahrscheinlich, dass ursprünglich, beim Entstehen des Kefir¬
ferments bei den Bergbewohnern in entfernten Zeiten, die auf den Feldern, Weiden
und im Heu so verbreitete Heubakterie, nachdem sie in Milch gerathen war, sich
dazu angepasst hat in diesem Nährboden zu leben und sich in eine besondere
Varietät um wandelte, in die Bakterie, die wir nun gegenwärtig im Kefirkorn finden
und als Bacillus kefir oder Bacillus caucasicus bezeichnen. Vielleicht geschieht eine
derartige Umwandlung auch jetzt beständig in der Natur und vermag experimentell
in den Laboratorien nachgeahmt zu werden; die Bakterie des fertigen Ferments er¬
achten wir jedoch als besondere Varietät der Heubakterie und halten es für nöthig,
auf Grund des charakteristischen Gährungsprozesses, welchen jene Bakterie in Ge¬
meinschaft mit anderen an sie gewöhnten Mikroben hervorruft, ihr den besonderen
Namen — Bacillus kefir — zu belassen, ohne hierbei in Abrede zu stellen, dass
sie eine Varietät der Heubakterie repräsentiert
Anlangend die Hefezellen, welche sich in der Grundmasse des Kefirferments
befinden, so schlägt Beyerinck vor, obwohl dieselben den Hefezellen der Bierhefe
gleichen, sie als besondere Varietät — Sacharomyces kefir — zu betrachten. Eine
wesentliche Bedeutung kommt dieser Frage nicht zu, und jedenfalls, entsprechend
der Funktion und dem Werth der Hefezellen bei der Bereitung des Getränks,
nähern sich die letzteren am meisten der Bierhefe — Sacharomyces cerevisiae
Meyen. Wenn infolge längeren Austrocknens der Kefirkörner der grössere Theil der
Hefezellen in denselben zu Grunde gegangen ist, so lässt sich durch Zusatz von ein
wenig Bierhefe in die Flasche mit Kefir vor deren Verkorken ein an Gas reiches
Getränk erzielen, mithin die zu Grunde gegangene Hefe durch Bierhefe ersetzen.
Bei der Milchgährung in Gegenwart der Kefirkörner steigen bekanntlich nicht
alle Körner an die Oberfläche der Milch, sondern es bleiben manche, stets die Minder¬
zahl, am Boden des Gefässes liegen und bedecken sich mit schleimigen Kasein¬
massen. Im Kaukasus giebt es ganze Mengen von Körnern, von denen kein einziges
an die Oberfläche der Milch aufsteigt, und trotzdem wird letztere durch dieselben in
vorzüglichen Kefir umgewandelt mit bedeutendem Gehalt an Kohlensäure, die nur
das Produkt der Alkoholgährung sein kann. Auch bei uns bereiten sich viele Per¬
sonen, welche aus dem Kaukasus gerade solche Körner empfangen haben, einen sehr
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Der Kefir.
647
guten Kefir. Als ich mich davon überzeugte, erweckte diese Sorte von Körnern
mein Interesse, und unterwarf ich dieselben der mikroskopischen Untersuchung. Es
zeigte sich, dass sie aus denselben morphologischen Elementen bestehen wie die
aufsteigenden Körner, also aus Hefezellen und Bakterien, dass das einzige, wodurch
sie sich von den aufsteigenden Körnern unterscheiden, das Fehlen einer Anordnung
der Bakterienfäden in Gestalt eines Filzgewebes ist; ein Leptothrixstadium der
Bakterien mangelt hier beinahe gänzlich. Diese mikroskopische Struktur erklärt
auch die Empfindung, welche derartige Körner zwischen den Fingern geben: sie
lassen sich leicht in Stücke zerzupfen, erscheinen weniger elastisch und können nicht
gedehnt werden gleich den aufsteigenden Körnern. Man hat einen gewissen Grund,
sie als besondere Uebergangsvarietät der Kefirkörner zu betrachten; als kranke
Körner sind sie nicht anzusprechen, indem unter dem Einfluss ihrer Gegenwart in
der Milch guter Kefir erhalten wird. Ihrem Umfange nach sind diese Körner stets
relativ kleiner als die aufsteigenden, wachsen zu grösserem Umfange nicht an,
wachsen überhaupt sehr langsam.
Anlangend die Frage über die Entstehung des Kefirferments, so lässt sich
in dieser Beziehung nur eine Reihe von Hypothesen aufstellen. Sehr wahrscheinlich,
dass ursprünglich das Kefirferment aus den in der Luft schwebenden Keimen der
Bakterien und Hefezellen entstanden ist, dass aber der Urtypus des Kefirferments,
des Kornes resp. des Klümpchens, die Form und den Bau des gegenwärtigen Kornes
gar nicht besass. Wahrscheinlich auch, dass die Käseklümpchen am Boden des
Schlauches, welche an dessen Wänden haften, den ersten Herd repräsentierten, wo
die Symbiose zwischen Heubakterie, der späteren Kefirbakterie, und Milchsäure¬
bakterie sich herausbildete.
Die ganze Differenz zwischen dem Käseklümpchen, in welchem die Kefirbakterien
sich aufhalten konnten, und zwischen der gegenwärtigen Form des Kefirferments,
also Kefirkorn oder Kefirklümpchen, besteht darin, dass in dem ersteren die Bakterien
einfach zerstreut unter die Kase'inkörnchen zu liegen kommen, welche sie nun an
einer Stelle Zusammenhalten, dass aber in dem letzteren die Bakterien in einer
gewissen Organisation verharren: im Leptothrixstadium und im sogenannten Zoogloea-
stadium, vielleicht auch in einer mehr vollkommenen Kolonieenform, welche die
Fähigkeit besitzt, in einem flüssigen Medium sich nicht zu zerbröckeln und nicht
zu zerfallen wie ein Käseklümpchen, sondern weiter anzuwachsen und die einmal
angenommene Organisation zu bewahren. Das Kefirbakterien enthaltende Käse¬
klümpchen zerfällt allmählich beim Umschütteln der Milch, und gleichzeitig lösen
sich von einander auch die Bakterien, welche ohne jegliche koloniale Organisation
zwischen den Kase'inkörnchen sich eingenistet hatten, so dass ein derartiges Klümpchen
die entsprechende Gährung nur in einer Portion Milch hervorzurufen vermag. Wenn
aber in demselben Käseklümpchen die Bakterien in einer bestimmten Organisation
vertreten wären, mit der der letzteren innewohnenden Eigenschaft ihre Anordnung
zu bewahren und mit der Befähigung für die einzelnen Glieder der gesammten
Kolonie sich zu vermehren, so würde ein solches Klümpchen durch den Lebens¬
prozess der einzelnen Bakterien nicht nur in einer Portion Milch Gährung hervor-
rufen, sondern in einer endlosen Reihe von Portionen; noch mehr, mit jeder neuen
Portion, das heisst mit der Erneuerung des Nährbodens, müssten die in dem Klümpchen
in bestimmter Anordnung befindlichen Bakterien sich vermehren und die junge
Generation selbst in die Form organisierten kolonialen Lebens eintreten, die von
den Vorfahren als zweckmässigste zur Erhaltung der ganzen Art erworben wurde.
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648 W. Podwyssozki
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So ist es wahrscheinlich vor undenklichen Zeiten auch mit den Bakterien der
Kefirgährung gewesen, die ganz im Anfänge in Käseklümpchen bei passenden Tempe¬
raturbedingungen sich vermehrten; derartige Käseklümpchen repräsentierten gleich¬
sam eine Kefirhefe, in welcher die Bakterien allmählich unter gewissen Bedingungen
in Form einer Kolonie sich anordneten. Mit jeder Erneuerung der Nährflüssigkeit,
d. i. der Milch, bröckelten sie ab, und es zerfielen in solchen Käseklümpchen nur die
Partieen, wo keine organisierten Bakterienkolonieen vorhanden waren, die übrigen
Theile aber behielten ihre Form bei und vergrösserten sich sogar, d. h. sie wuchsen.
Diesen Kolonieen konnten ganz zufällig Hefezellen sich anschliessen. Die von den
entferntesten Vorfahren der gegenwärtigen Bergbewohner des Kaukasus einmal be¬
merkte Fähigkeit gewisser Käseklumpen in der Milch eine ihrem Resultate nach
angenehme Gährung hervorzurufen veranlasste sie, nunmehr beständig gerade solche
Klumpen in die Milch zu bringen. Und nur infolge der gleichen Lebens- und Er¬
nährungsbedingungen, infolge der Anpassung an dasselbe Medium und durch jahr¬
hundertlange Kultivierung derselben Bakterienart konnte allmählich die einmal ent¬
standene organisierte koloniale Lebensform der Bakterien in Gestalt von Zoogloea
und Leptothrix und die vielleicht zufällig entstandene Symbiose derselben mit den
Hefezellen sich festigen. In solcher Weise hat sich schliesslich das gegenwärtige
Kefirkorn herangebildet, in welchem die ganze Masse aus unbeweglichen Bakterien
besteht, die in eine bestimmte feste Organisation zusammengefügt sind und die nur
beim Aufweichen des Kornes beweglich werden und zwar blos an der Oberfläche
des letzteren. Es wird nicht zu verwundern sein, wenn es jemandem gelingt, künst¬
lich im Laboratorium die Kefirkörner zu erzeugen durch glückliche Kombination
von Hefezellen mit Reinkulturen der Kefir- und Milchsäurebakterie.
Fünftes Kapitel.
Physiologische und therapeutische Bedeutung des Kefirs.
Die physiologische und die therapeutische Bedeutung des Kefirs hängt ab so¬
wohl von denjenigen Veränderungen, welche die Bestandtheile der Milch unter dem
Einfluss der Gährung erlitten haben als auch von der Zusammensetzung der Kuh¬
milch selbst. Die Veränderungen der Milch haben wir bereits in den vorhergehen¬
den Kapiteln kennen gelernt, und es erübrigt uns hier in erster Linie auf einige
Besonderheiten in der Zusammensetzung der Kuhmilch im Vergleich zur Frauenmilch
sowie zur Stutenmilch, aus welcher der Kumys bereitet wird, hinzuweisen. Aus
dieser Zusammenstellung dürfte sich schon ein gewisser Schluss ziehen lassen über
den relativen Werth des Kefirs und des Kumys.
Bis zur letzten Zeit scheint in der Wissenschaft, auf Grund einer ganzen Reihe
von Untersuchungen, vollkommen fest die These begründet gewesen zu sein, dass
zwischen Kuhmilch und Frauenmilch ein enormer Unterschied bestehe, nicht in dem
Maasse quantitativ als qualitativ, dass freilich nach dem quantitativen Gehalt der Be¬
standtheile die Frauenmilch mehr der Kuhmilch ähnlich sei, dass aber nach den qualita¬
tiven Besonderheiten der Eiweisskörper am meisten der Frauenmilch die Stuten¬
milch sich nähere. Nach der bekannten Arbeit von J. F. Simon, welcher um das
Jahr 1838 den Unterschied beim Ausfällen des Kasein durch Säuren in derFrauen-
und in der Kuhmilch bemerkt hatte, ist eine Reihe von Untersuchungen erschienen,
deren Autoren (Kehrer, Biedert, Langaardt) nach und nach zu dem Schlüsse
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Der Kefir.
649
gelangt sind, dass das Kasein der Frauenmilch eine andere chemische Struktur be¬
sitzt als das Kasein der Kuhmilch und dass das Ausfällen des Kasein unter dem
Einfluss einer bestimmten Konzentration der Säuren in der Kuhmilch und das Nicht¬
ausfällen desselben in der Frauenmilch nicht durch grösseren Gehalt an festen
Bestandtheilen in der Kuhmilch im Vergleich zur Frauenmilch erklärt werden dürfe,
sondern auf eine Differenz in der chemischen Struktur beider Kaseinarten zurück¬
zuführen sei.
Indessen schon im Jahre 1878, darauf im Jahre 1879, erscheinen kurze Mit¬
theilungen und im Jahre 1882 eine ausführlichere Abhandlung von G. Struve, in
welcher Thatsachen geliefert werden, die die hergebrachte Ansicht auf den Unter¬
schied zwischen Kuhmilch und Frauenmilch widerlegen. Struve findet, entgegen
Biedert, Langaardt u. a., dass das Kasein der Frauenmilch und der Kuhmilch
gleichartig ist und dass die Differenz zwischen beiden Milchsorten hauptsächlich in
der Menge der Eiweisskörper besteht. Gleichzeitig mit der zuletzt genannten Arbeit
von Struve ist eine Dissertation von Iwan Schmidt erschienen, in welcher der
Autor durch eine ganze Reihe von genauen vergleichenden analytischen Daten das
Fehlen einer qualitativen Differenz zwischen den Eiweisskörpern der Frauenmilch und
der Kuhmilch zu beweisen sucht, und den Unterschied im Verhalten der Frauenmilch
und der Kuhmilch gegen Reagentien auf einen verschiedenen prozentualen Gehalt
an Eiweisskörpern in beiden Milchsorten und auf ein verschiedenes prozentuales
Verhältniss zwischen den Eiweisskörpern in der Gesammtsumme der letzteren zurück¬
führt. Zum Zwecke der Anschaulichkeit entlehne ich I. Schmidt die Mittelzahlen
in Prozenten aus den Analysen von Kuh- und von Frauenmilch:
Kasein
Albumin
Hemialbumoso
Kuhmilch . . .
87,3
8,2
4,5
Frauenmilch . .
45,7
24,2
30,1
Aus der angeführten Tabelle ersieht man, dass in der Kuhmilch im Vergleich
zur Frauenmilch beinahe zwei Mal mehr Kasein, drei Mal weniger Albumin und
sieben Mal weniger Hemialbumose enthalten ist, dass aber die Formen der Eiweiss¬
körper in beiden Michsorten dieselben sind. Die Leichtigkeit des Ausfällens des
Kaseins durch Säuren und das Aufallen des letzteren in Gestalt von mehr oder
minder festen Gerinnseln hängt ab von dem quantitativen Verhältniss in der Milch
zwischen Kasein und den übrigen Eiweisskörpern. Je weniger in der Milch Kasein
vorhanden ist im Vergleich zu den übrigen Eiweisskörpern, um so weniger voll¬
kommen ist das Ausfällen, der Niederschlag feiner, schleimiger, in verschiedenen
Reagentien leichter löslich — und umgekehrt. Dadurch lässt sich eben der Unter¬
schied erklären, welchen die Autoren seit lange in dem Verhalten von Kuh- und
Frauenmilch gegen Säuren entdeckt hatten und auf eine chemische Differenz in der
Zusammensetzung des Kaseins zurückführten. Simon, der diesen Unterschied be¬
merkte und dessen wahre Ursache nicht kannte, erklärte denselben einfach durch
die verschiedene Konzentration der Frauen- und der Kuhmilch. Gegenwärtig haben
nun Struve und Schmidt der Simon'sehen Erklärung eine faktische Stütze ver¬
liehen. Es lässt sich in der That durch bestimmtes Verdünnen der Kuhmilch mit Wasser
und Anreichern der in derselben enthaltenen Menge von Hemialbumose und von Albumin
die Kuhmilch beinahe ganz ähnlich der Frauenmilch im Verhalten gegen Reagentien
gestalten. Man braucht sich nur (aus dem zweiten Kapitel) des enormen Anwachsens
der Hemialbumose in gekochter Kuhmilch zu erinnern, um sich davon zu überzeugen,
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650
dass die Kuhmilch durch Verdünnen mit Wasser und Kochen sich bedeutend im
Gehalt an Eiweisskörper der Frauenmilch nähern lässt. Man muss folglich die
frühere Ansicht aufgeben, dass die Kuhmilch beträchtlich von der Frauenmilch
differiert; im Gegentheil ist der quantitativen Zusammensetzung nach die erstere der
letzteren ähnlich. Allerdings, nach den Analysen von Wroblevski, enthält die
Frauenmilch weniger Nucleine als die Kuhmilch; dieser Unterschied ist jedoch so
unwesentlich, dass man ihn vernachlässigen darf.
Indem heutzutage in allen Arten von Milch das Vorhandensein der nämlichen
Eiweisskörper bewiesen ist, muss man annehmen, dass nicht die Stutenmilch, sondern
die mit Wasser verdünnte und gekochte Kuhmilch für den Menschen
die beste Milch nach der Frauenmilch repräsentiert. In der That unter¬
scheidet sich die Stutenmilch in quantitativer Beziehung sehr auffallend von der
Frauenmilch. Folgendes ist der Gehalt in Prozenten der Frauen-, der Kuh- und der
Stutenmilch an Eiweisskörpern und an Zucker:
Frauenmilch
Kuhmilch
Stutenmilch
Eiweisskörper 2,8
5,4
1,6
Zucker 4,8
4,0
8,0
Ausserdem führe ich die Mittelzahlen
des Gehalts
dieser drei Milcharten an
stickstoffhaltigen Bestandtheilen, an Fett und an Milchzucker an — Zahlen, die auf
Grund zahlreicher Analysen verschiedener
Chemiker gewonnen sind.
In hundert
Theilen Milch ist enthalten:
In Frauenmilch
In Kuhmilch
In Stutenmilch
Stickstoffhaltige Bestandtheile und
feuerbeständige Salze ....
2,2
4,3
2,1
Fett.
2,9
3,8
1,4
Milchzucker.
6,4
4,5
5,7
Aus dieser Tabelle ersieht man, dass die Stutenmilch an allen Bestandtheilen
ärmer ist als die Frauenmilch, dass aber die Kuhmilch nur im Gehalt an Zucker
ärmer ist als die Frauenmilch, während die Menge des Fettes und der Eiweisskörper
in der Kuhmilch grösser ist als in der Frauenmilch. Man braucht also nur die
Kuhmilch mit V 2 oder V s Wasser zu verdünnen, aufzukochen und eine kleine Menge
Zucker hinzuzusetzen, um dieser Milch beinahe die gleiche Verdaulichkeit und
Nahrhaftigkeit mit der Frauenmilch zu verleihen. Es liegt kein Grund vor, die
Stutenmilch höher als verdünnte und gekochte Kuhmilch im Sinne der Verdaulichkeit
und Nahrhaftigkeit zu stellen, es steht im Gegentheil die gekochte Kuhmilch der
Nahrhaftigkeit nach höher als die Stutenmilch, ist der letzteren der Verdaulichkeit
nach gleich und nähert sich in diätetischer Beziehung mehr der Frauenmilch als die
Stutenmilch.
Es ist demnach offenbar, dass der aus gekochter Kuhmilch mit Hilfe des be¬
sprochenen Ferments zubereitete Kumys aus Kuhmilch oder Kefir in diätetischer Be¬
ziehung dem Stutenkumys nicht nachsteht. Zieht man aber alle möglichen
wirthschaftlichen Bedingungen in Betracht, die Billigkeit der Kuh¬
milch im Vergleich zur S tutenmilch, die Zugänglichkeit des Kefirs, die
Einfachheit seiner Herstellung u. dergl., so wird man selbstverständ¬
lich den Kefir vorziehen, der dreimal soviel Nährmaterial, d.h. Eiweiss
enthält als der Kumys. Wenn man den Kefir aus vorher verdünnter und ge¬
kochter Milch bereitet, so schwindet auch der Vorzug, welchen der Stutenkumys
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Der Kefir.
651
neben den Kefir mit Bezug auf Kinder besitzt sowie auf Kranke, die an geschwächter
Thätigkeit der Verdauungsorgane leiden und unfähig sind mit einem Male die grosse
Eiweissmenge, welche in unverdünnter Kuhmilch sich befindet, zu assimilieren.
Kurz, in diätetischer Beziehung kann der Kefir als Surrogat des Stuten¬
kumys bezeichnet werden, während er in sozialer und wirtschaft¬
licher Beziehung dem letzteren voransteht.
Die physiologische Wirkung des Kefirs ist im allgemeinen dieselbe wie
die des Kumys. Sie wird durch die Bestandtheile der beiden Getränke bedingt und
ist von der Stärke der letzteren abhängig. Der Kefir enthält alle'Bestandtheile der
frischen Kuhmilch und ausserdem Milchsäure, Kohlensäure und Alkohol sowie
Peptone. Die Menge dieser neuen Bestandtheile ist sehr verschieden — je nach¬
dem, ob schwacher, mittlerer oder starker Kefir genommen wird. Wir wollen hier
betrachten, was für eine Wirkung auf den Organismus des Menschen die Milchsäure,
die Kohlensäure und der Alkohol ausüben können.
Die Milchsäure, welche im Kefir aus Milchzucker entsteht, spielt eine
sehr wichtige Rolle bei der Magenverdauung. Die Acidität des Magensaftes hängt
von der Salzsäure ab, welcher die Hauptrolle bei der Verdauung der Ei weisskörper
gehört; nach der Salzsäure aber nimmt in der Reihe aller organischen Säuren die
Milchsäure bei der Magenverdauung die erste Stelle ein. So sieht man aus den ersten
Versuchen vonLangaard t, dass die Milchsäure, selbst in verdünntem Zustande (1:20),
Frauen- und Stutenkase'in vollkommen löst. Es ist gut bekannt, welch’ grosse Menge
Eiweisskörper der Organismuss zu assimilieren vermag, wenn man mit der Nahrung
Milchsäure einführt. Die wichtigste Rolle spielt aber die Milchsäure im Kefir dadurch,
dass sie das Kasein in Gestalt kleiner schleimiger Flocken niederschlägt; es befreit
auf diese Weise die Anwesenheit der Milchsäure im Kefir den Magensaft von einem
Theile seiner Arbeit mit Bezug auf die Assimilation der Milch, d. h. von dem
Ausfällen des Kaseins, welches im Magen geschieht, sobald die Milch in den
letzteren hineingelangt. Es ist sogar für die Zwecke des Organismus viel
wünschenswerther und vortheilhafter, dass das Kasein der Milch unter dem Einfluss
der Milchsäure gerinne und nicht unter dem Einfluss des Labferments, wie es im
Magen vorzugehen pflegt. Der durch seine Arbeiten über das Blut bekannte
A. SchmidtDorpat hat auf den enormen Unterschied in der Assimilierbarkeit
von durch Lab, also durch das Magenferment, koaguliertem Kasein und von unter
dem Einfluss der Milchsäure koaguliertem Kasein hingewiesen. Das Kasein ersterer
Art bildet grosse, elastische Klumpen, die schwer löslich sind, während das Kasein
der zweiten Art in Gestalt zarter, schleimiger, sehr kleiner Flocken, die sehr leicht
in kohlensaueren Alkalien etc. sich lösen, auftritt. Nur auf Grund dieser Versuche
von Schmidt kann man begreifen, warum Milch, die frisch genossen und folg¬
lich durch das Labferment koaguliert wird, viel schwerer verdaulich ist als Milch,
die vorher an der Luft unter dem Einfluss der Milchsäure geronnen ist. Im Kefir
führen wir dem Magen Kasein zu, welches gerade unter dem Einfluss der Milch¬
säure gefällt ist, ausserdem aber ist im Kefir ein Theil des Kaseins unter dem Einfluss
der nämlichen Milchsäure bereits in Lösung übergegangen. Begreiflicher Weise enthält
ein Kefir um so mehr Milchsäure je stärker er ist. In zweitägigem Kefir kann
schon bis 0,9 % Milchsäure und darüber enthalten sein.
Durch die Milchsäure des Kefirs wird die harntreibende Wirkung des letzteren
bedingt. Im Blute befindet sich die Milchsäure in Form von milchsauren Salzen
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652 W. Podwyssozki
und im Harn scheiden sich diese in Form von kohlensauren Kali- und Natron¬
salzen aus.
Schliesslich wirkt die Milchsäure, wie durch eine Reihe neuerer Unter¬
suchungen klargestellt ist, verderblich auf viele Bakterien ein. Und man muss an¬
nehmen, dass bei reichlichem Gebrauch von Kefir ein bedeutender Theil der Milch¬
säure aus dem Magen in den Dünndarm gelangt und hierzu der Vernichtung vieler
Bakterien des Darmkanals beiträgt.
Die Gegenwart viel zu grosser Quantitäten Milchsäure im Magen ist schädlich,
besonders bei Kindern, indem ein Ueberschuss der letzteren die Alkalien und den
Kalk aus den phosphorsaueren Verbindungen wegnimmt und dadurch zum vorzeitigen
Freiwerden der Phosphorsäure führt sowie zum Auftreten von Durchfällen und
Rachitismus. Man hat sich demnach bei der Kefirbereitung an die oben angegebenen
Regeln zu halten, um eine übermässige Entwicklung von Milchsäure zu vermeiden.
Die im Kefir enthaltene Kohlensäure ruft im Munde ein angenehmes Gefühl
von Prickeln hervor und im Magen ein gleichfalls angenehmes Gefühl von Wärme.
Indem die Kohlensäure in gewissem Grade anästhesierende Eigenschaften besitzt,
vermag sie, mit dem Kefir eingeführt, in manchen Krankheitsfällen die erhöhte
Reizbarkeit der Magenschleimheit herabzusetzen. Dabei wird, indem die Kohlen¬
säure durch schwache Reizung die Nervenendigungen in der Magenschleimhaut er¬
regt, die Erregbarkeit der Magenmuskulatur gesteigert, die Sekretion des Magensaftes
verstärkt und nach dem Uebergang der Kohlensäure in den Dünndarm die Peri¬
staltik des letzteren beschleunigt.*)
Die geringen Alkoholmengen, die im Kefir enthalten sind, erscheinen voll¬
kommen unschädlich und üben im Gegentheil einen günstigen Einfluss auf das ge-
sammte Blutgefäss- und Nervensystem aus. In dem Maasse als grosse Alkoholdosen
schädlich und deprimierend auf das Herz und die anderen Organe einwirken, in
demselben Maasse günstig beeinflussen die ersten Wege und die entfernteren Organe
solch’ unbedeutende Alkoholdosen, wie sie im Kefir enthalten sind. Wie noch aus
den alten Versuchen von CI. Bernard an Hunden bekannt ist, wird unter dem
Einfluss kleiner Alkoholmengen die Magenschleimhaut geröthet, scheidet mehr Saft
ab, und es beginnen die Magen- und Darmwände energischer sich zu kontrahieren. In
das Blut aufgenommen, wirkt der Alkohol in kleinen Dosen erregend auf das Herz
und auf das gesammte Nervensystem im allgemeinen ein. Der Puls wird etwas be¬
schleunigt, die Kapillaren der Haut erweitern sich, die Thätigkeit der Muskeln und
die psychische Thätigkeit werden bedeutend gehoben. Alle Untersucher der physio¬
logischen Wirkung des Stutenkumys indizieren einstimmig den kleinen in dem letzteren
enthaltenen Alkoholdosen gerade einen erregenden Einfluss auf das gesammte
Nerven- und Blutgefässsystem.
Erwähnen wir neben alldem noch des feinen emulsiven Zustandes, in welchem
das Kasein mit dem Kefir in den Magen eingeführt wird, und erwähnen wir des
Gehaltes an Peptonen im Kefir, der bedeutenden Menge von Hemialbumose, Wasser,
so erscheint es vollkommen begreiflich, dass der Kefir die Ernährung bessern,
eine Erhöhung des Körpergewichts herbeiführen und die gesammte
Lebensenergie des Organismus steigern muss.
Man darf schliesslich bei der Beurtheilung der therapeutischen Bedeutung des
Nach den Daten von A. Ssokolow (1899, Berichte der Moskauer Hygienischen Station)
zu urtheilen ist gasierte Milch leichter verdaulich als gewöhnliche Milch. Sehr möglich daher, dass
die Gegenwart von CO Ä im Kefir die Assimilation desselben befördert.
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653
Der Kefir.
Kefirs das Wasser nicht vergessen, welches bei der Behandlung mit Kefir in grossen
Mengen eingeführt wird und den Speisebrei dünnflüssiger macht, darauf, ins Blut
aufgenommen, die Gewebe gleichsam auswäscht und einer schnelleren Ausscheidung
aus dem Organismus der allermöglichsten Auswurfsprodukte beiträgt. Dank der
Milchsäure bekommt man hierbei noch eine harntreibende Wirkutig.
Aus der kurzen Uebersicht der physiologischen Wirkung des Kefirs lässt sich
der Schluss ziehen, dass dieses Getränk als vorzügliches Nährmittel sich
erweist und dass seine therapeutische Rolle auf seinem hohen Nähr¬
werth begründet ist. Es liegt aber gar kein Grund vor, den Kumys und den
Kefir als spezifische Heilgetränke zu bezeichnen resp. in denselben eine spezifische
Arznei gegen die eine oder die andere Krankheit zu erblicken.
Die therapeutische Bedeutung des Kefirs folgt direkt aus seiner physio¬
logischen Wirkung. Schon a priori sind wir berechtigt, eine günstige Wirkung des
Kefirs zu erwarten: bei allen allgemeinen Ernährungsstörungen, bei Anämie nach
akuten erschöpfenden Krankheiten und allgemeinen Konstitutionsanomalien, bei
katarrhalischen Erkrankungen des Magen- und Darmkanals und bei allen inneren
und äusseren Leiden, verknüpft mit bedeutenden Einbussen von Seiten des Organismus
.und mit übermässig erhöhten Oxydationsprozessen in den Geweben, kurz, der Kefir
ist in allen den Fällen angezeigt, welche bisher eine rationelle Indikation zur An¬
wendung des Kumys abgaben, d. h. in allen Fällen, welche eine Mästung der
Kranken erheischen.
Es sind bisher schon sehr viele Beobachtungen über die therapeutische
Wirkung des Kefirs gemacht worden. Von den in Russland publizierten Fällen einer
ausgezeichneten Wirkung des Kefirs bei der Behandlung verschiedener Kranker
wollen wir die Beobachtungen von Dmitriew, Goreleitschenko, Georgiewski,
Koslowski, Lipski, Alexejew und Mischelew erwähnen. In der Praxis eines
jeden Arztes giebt es ja auch eine Reihe von Fällen, wo die Anwendung des Kefirs
bei der Behandlung von aller Art erschöpften Kranken, tuberkulösen, anämischen,
oder von solchen, die an Stauungen in der Pfortader, an chronischen Magen- und
Darmkrankheiten leiden, glänzende Resultate lieferte. In allen Fällen hob der Kefir
die Ernährung, erleichterte die Blutbildung, beförderte die Aufsaugung entzündlicher
Produkte, erleichterte die Lösung des Auswurfes, wirkte in einigen Fällen harn-
und schweisstreibend, trug sichtlich der Heilung chronischer Magenkatarrhe bei und
erhöhte das Körpergewicht.
In Westeuropa sind die Indikationen zur Anwendung des Kefirs noch weiter
als bei uns. Eingeführt durch die bekannten Kliniker Lepine, Monti, Wyss,
Dujardin-Beaumetz, Huguenin und besonders Hayem, findet der Kefir breite
Anwendung in vielen westeuropäischen Kliniken bei folgenden Erkrankungen der
Verdauungswege: bei dem runden Magengeschwür, bei der Magenerweiterung, bei
chronischen Magen- und Darmkatarrhen, sogar von Durchfällen begleitet, und über¬
haupt in allen Fällen, wo bei dem Kranken sichtlich das Symptom von Dyspepsie
oder Indigestion hervortritt. Im Hospital Saint-Antoine in Paris zeigte mir Prof.
Hayem im vorigen Jahre mehrere Kranke mit rundem Magengeschwür, welche in
die Klinik in verzweifeltem Zustande aufgenommen wurden und unter dem Einflüsse
allmählich wachsender Kefirdosen sich deutlich besserten. Selbst bei Magenkrebs
(jedoch ohne Striktur des Pylorus) verordnet man den Kefir mit grossem Vortheil
(Hayem, Lipski).
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W. Podwysaozki
654
Schliesslich sind Fälle vorzüglicher Wirkung des Kefirs beschrieben worden bei
Bright’scher Krankheit (Krakauer), bei Gicht, chronischem Rheumatismus, Gallen¬
steinen (Dmitriew, Georgiewski, Krakauer, Olschanetski, Mandowski), bei
Chlorose und bei verschiedenen Arten von Anämie (0. Wyss, Eichhorst).
Erscheint die Milch bei diesen krankhaften Zuständen als eines der besten
Heilmittel dank den derselben innewohnenden harntreibenden und gleichzeitig näh¬
renden und kräftigenden Eigenschaften, so ist es vollkommen begreiflich, dass der
Kefir, der letztere Eigenschaften in höherem Maasse besitzt, solch’ eine vorzügliche
Wirkung ausübt.
Nach dem Vorgänge von Professor Monti in Wien wendet man den Kefir mit
Erfolg in der Kinderpraxis an, selbst bei Kindern des frühesten Alters, bei Be¬
handlung der Durchfälle. Es ist anzunehmen, dass die mit dem an Milchsäure
reichen Getränk eingeführten Milchsäure- und Kefirbakterien, sowie die Hefezellen
verderblich auf die pathogenen Darmbakterien einwirken, dieselben allmählich ver¬
drängen und hierdurch einen heilsamen Einfluss auf die anomalen Gährungsprozesse
in den Därmen ausüben. Hierdurch wird wahrscheinlich auch der Nutzen des Kefirs
bei Magenerweiterungen und bei Magenkatarrhen bedingt. Wir wissen überhaupt so
wenig Bestimmtes über die Flora des Darmes, dass wir eine Hypothese zur Erklärung
der augenscheinlichen Thatsache, dass ein an Mikroben reiches Getränk die Entfernung
von pathogenen Bakterien, die Durchfall hervorrufen, aus dem Darmkanale befördert,
nicht zu entbehren vermögen 1 ). Die aus der Mikrobiologie bekannten Thatsachen
bezüglich der Konkurrenz der Bakterien und der Verdrängung aus Milchkulturen
von Mikroben einer Art durch Mikroben anderer Art bieten vollen Grund, um die
oben angeführte Erklärung anzunehmen. Und wie anders Hesse sich z. B. die merk¬
würdige Wirkung von gut sauer gewordenem, gewiegtem Kraut bei Gährungskatarrhen
des Magens und bei Magenerweiterung erklären? Mit dem Sauerkraut wird eben eine
Menge bekannter Bakterien eingeführt, und dieselben verdrängen offenbar die Bakterien
und Hefezellen, die im Magen eine anomale Gährung hervorgerufen hatten.
Um genauer und gewissermaassen auf Grund von Zahlen die Ursache der wohl-
thätigen Wirkung des Kefirs bei verschiedenen erschöpfenden Krankheiten, sowie bei
Krankheiten mit verlangsamtem Stoffwechsel zu beurtheilen, erscheint es von Nutzen,
die Analysen von Georgiewski und von Alexejew heranzuziehen. Ersterer stellte
fest, dass der Gebrauch von fünf bis sechs Glas Kefir pro Tag eine bedeutende Zu¬
nahme der absoluten Menge der festen Bestandtheile des Harns, insbesondere des
Harnstoffs, hervorruft, und Alexejew zeigte, indem er an Gesunden die Assimilation
von Stickstoff mit Kefir und ohne Kefir vergleichend studierte, dass die Assimilation
der stickstoffhaltigen Substanzen der Nahrung beim Gebrauch von Kefir erhöht wird,
und die Assimilation derselben ohne Kefir um 1,5 °/o — 4,6 °/ 0 übersteigt.
Berücksichtigt man alle diese Thatsachen , so kann man sich nicht wundern,
dass eines der objektiven Zeichen für den Nutzen des Kefirs die allgemeine Besserung
im Gesammtzustand des Kranken und das Anwachsen des Körpergewichtes ist. Diese
Erscheinung wird einstimmig von allen vermerkt, die mehr oder weniger dauernd
den Kefir bei verschiedenen erschöpfenden Erkrankungen verordneten.
Die Erscheinung ist selbstverständlich, wie beim Kumys, am häufigsten bei
phthisischen Kranken zu beobachten, indem hier das Prinzip der Mästung, das von
i) Interessant sind in dieser Beziehung die Ergebnisse von Scorodomow (Dissertation.
Petersburg 1895), dass bei Milchdiät die Darmfäulniss sehr stark herabgesetzt wird.
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Der Kefir.
655
Debove zu einem therapeutischen System erhoben wurde, als am besten anwendbar
sich erweist Indessen, wie aus den oben angeführten litterarischen Daten erhellt,
darf man das Gebiet der Anwendung der Kefirotherapie nicht auf die Phthise allein
beschränken, sondern muss dasselbe erweitern, indem man sich dadurch leiten lässt,
dass wir im Kefir nicht blos das allermildeste, leicht assimilierbare
und harntreibend wirkende Getränk aus Milch besitzen, das, ohne die
Verdauungswege zu belästigen, in enormen Mengen genossen werden
kann (bis 15—20 Glas und mehr in 24 Stunden), sondern auch ein Getränk,
das durch die in demselben enthaltenen Mikroben und die Milchsäure
wohlthätig die Magendarmflora zu beeinflussen vermag durch Ent¬
fernung der pathogenen Mikroben aus der letzteren 1 ).
Die Zahl der Gegenindikationen mit Bezug auf den Kefir ist sehr un¬
bedeutend. Es sind dieselben wie beim Kumys. Schädlich kann der Kefir dem¬
jenigen Kranken werden, dem der Alkohol selbst in sehr kleinen Dosen schädlich
ist, dem die im Getränk enthaltene Kohlensäure und Milchsäure schädlich ist und
dem schliesslich die verstärkte Eiweissernährung schädlich ist. Ein Kranker mit
übermässig gereiztem, vasomotorischem Nervensystem, wenn er dazu noch speziell
einen Herzfehler hat, darf folglich keinen Kefir trinken. Gleichfalls kann der Kefir
nicht blos keinen Nutzen bringen, sondern vielmehr schädlich sein bei einem voll¬
blütigen Menschen, der an Sklerose der Gefässe leidet und Neigung zu Him-
kongestionen und Apoplexien besitzt. Man dürfte kaum den Kefir einem Phthisiker
empfehlen, der an profusen Hämophtysen leidet, sowie rhachitischen Kindern, bei
welchen das Hinderniss zur genügenden Ablagerung von Kalksalzen in den Knochen
die übermässige Bildung von Milchsäure in den Muskeln und im Körper überhaupt
abzugeben scheint.
Der Kefir ist schliesslich nutzlos und sogar schädlich für ein Individuum, das
zur Fettsucht neigt. Dies ist so verständlich, dass man keine weiteren Auseinander¬
setzungen braucht.
Anlangend die Anwendungsmethode des Kefirs, so hat man Folgendes zu
berücksichtigen: Da es feststeht, dass die wohlthätige Wirkung des Kefirs auf den
kranken Organismus hauptsächlich durch seinen hohen Nährwerth bedingt wird und
nicht durch irgend in demselben enthaltene Arzneistoffe, so kann ein Nutzen vom Kefir
nur bei Anwendung bedeutender Mengen erwartet werden. Es ist gar nicht zu ver¬
wundern, dass ein Kranker, der im Laufe des Tages ein halbes oder ein ganzes Glas
Kefir zu sich nimmt, nicht die mindeste Erleichterung bekommt. Man muss den
Kefir in einer Menge von wenigstens sechs bis acht Glas pro Tag gebrauchen, wobei
man mit zwei Glas pro Tag anzufangen hat, bei Kranken mit Magengeschwür auch
weniger: becher- oder auch löffelweise. Personen mit Magenkatarrh, sehr blutarme,
an Dyspepsie leidende Frauen, die durch protahierte Geburten uüd Blutungen er¬
schöpft sind, und schliesslich sehr kleine Kinder müssen Kefir aus mit Wasser ver¬
dünnter Milch erhalten. Solcher Kefir wird von den aufgezählten Personen in sehr
grossen Mengen leicht assimiliert ohne jegliche Belästigung des Magens, erhöht im
Gegentheil bei diesen Personen den Appetit. Ein Mensch, der schon gewöhnt ist, kann
20—30 Glas täglich zu sich nehmen, ohne den Magen zu belästigen; im Beginn darf
man blos nicht mit einem Male ein ganzes Glas trinken, sondern nur schluckweise.
] ) Es ist nicht ohne Interesse, zu wissen, das selbst gasierte Milch in viel höherem Grade die
Baktcrienmenge in den Fäkalmassen herabsetzt als gewöhnliche Milch (Rcnnert, Rosenblat).
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656 W. Podwyssozki
Ueber die Zeit der Anwendung ist nichts zu sagen, indem man den Kefir
trinken kann, wann man will. Irgend eine Diät bei der Behandlung mit Kefir zu
befolgen, ist nicht nöthig, man soll nur nicht Wasser oder Thee trinken und viel
saftiges Obst geniessen — und dies nur zu dem Zwecke, um williger den Kefir zu
trinken. Bewegung an der Luft, Spaziergänge sind nothwendig, besonders für die¬
jenigen, die viel Kefir zu sich nehmen.
Die Dauer der Anwendung des Kefirs ist unbeschränkt. Die Mehrzahl der er¬
schöpften, skrophulösen und tuberkulösen Kranken sollte das ganze Jahr hindurch
statt Milch Kefir aus gekochter Milch gebrauchen.
Bei Anwendung des Kefirs hat man davon Notiz zu nehmen, dass schwacher
Kefir laxierend und starker Kefir verstopfend zu wirken pflegt. Dasselbe wird auch
mit Bezug auf den Kumys beobachtet. Eine solche Wirkung lässt sich dadurch er¬
klären, dass im schwachen Kefir, wie im Kumys, noch ziemlich viel Zucker enthalten
ist, der schwer diffundiert und eine vollkommene Aufsaugung aus dem Darmkanale
verhindert, während im starken Getränk nahezu sämmtliche aufgenommene Menge
infolge der leichten Assimilierbarkeit des gelösten Kaseins und der eventuellen
Peptone zur Resorption gelangt und nur unbedeutende Quantitäten bis an das
Rektum hinabsteigen können. Etwas laxierend wirkt auch fetter Kefir durch die in
erheblicher Menge enthaltene Butter. Kennt man diese Wirkung der verschiedenen
Kefirarten, so ist man in der Lage, in verschiedenen Fällen mit der Anwendung zu
variieren, je nach dem Zustande und der gewohnten Thätigkeit des Darmkanals.
Im allgemeinen ist es am besten, den mittleren, d. h. den zweitägigen Kefir, an¬
zuwenden. Anämische, die an Verstopfungen leiden und eisenhaltigen Kefir trinken
wollen, müssen sich daran erinnern, dass Eisen an sich etwas verstopfend wirkt,
dass sie demnach nicht starken eisenhaltigen Kefir, sondern schwachen oder mindestens
mittleren zu gebrauchen haben.
Die Litteratur über den Kefir.
Rassische: Alexejew, Beiträge zur Frage der Assimilation des Stickstoffs der Nahrungs¬
mittel beim Gebrauch von Kefir. Dissertation 1888. — Bogomolow, Referat der Arbeiten über
den Kefir. Internationale Klinik 1882. No.4. — Bogoliubow, Der Kefir. Moskau 1888. — Ge-
orgicwski, Aus klinischen Beobachtungen über den Kefir, therapeutische Bedeutung des Kefirs.
Wratsch No.22 und 23. — Goreleitschenko, Ueber die Rolle des Kefirs in der Therapie.
Protokolle der ärztlichen Gesellschaft in Mohilew 1883. No. 4. — Gutkowski, Ueber den Kefirpilz
und die Kefirgährung. Journal der russischen Gesellschaft für Volksgesundheitspflege 1897. —
Dschogin, Protokolle der kaukasischen mcdicinischcn Gesellschaft 1866. — Dmitriew, Ueber
Kapir oder Kefir, wirklichem Kumys aus Kuhmilch. Klinische Zeitung 1882. No. 16. — Derselbe,
Kapir oder Kefir, kurze Beschreibung seiner Herstellung und seiner Wirkung auf Kranke. Jalta
1883. 1. Auflage. — Derselbe, Kefir, Heilgetränk aus Kuhmilch. Petersburg 1899. 7. Auflage. —
Eduard Kern, Ueber ein neues Milchferment aus dem Kaukasus. Bulletin de la soci£t£ imperiale
des naturalistes de Moscou 1883. No. 3. S. 141—147. — Derselbe, Ueber ein Milchfennent des
Kaukasus. Botanische Zeitung 1882. No. 16. — Derselbe, Ueber das Kefirferment Medicinskojc
obozzenie 1882. Januar. — Koslowski, Protokolle der ärztlichen Gesellschaft in Kiew 1883 und
Wratsch 1889. — Kozyn, Beiträge zur Frage über die Zusammensetzung des käuflichen Kefirs.
Moskau 1897. — Lipski, Wratsch 1888. — Mischelew, Zur Frage über die Assimilation des
Fettes im Kefir durch Phthisiker. Dissertation. Petersburg 1891. — Organowitsch, Mittheilung
über die Herstellung des Kefirs. Wratsch 1882. No. 52. — Piassctzki, Kefir, Getränk aus Kuh¬
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Derselbe, Kefir, kaukasisches Getränk aus Vollmilch. Kalender für Aerztc 1883. S. 141. — Pod-
wyssozki, Der Kefir. Kiew 1883. 1., 2. und 3. Aullage. 1884. 4 Auflage. — Derselbe, Ueber
den Bau des Kefirkornes. — Ssadowen, Ueber den Kefir, Veränderungen, welche die Milch bei
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Der Kefir. 657
der Gährung erfährt, Zusammensetzung des Kefirs. Wratsch 1883. No. 27, 28, 29. — Ssipo witsch,
Mittheilung über den Kefir in dem Sitzungsbericht der kaukasischen medicinischen Gesellschaft vom
I. Juli 1867. — Skolotowski, Wratsch 1883. — Struve, Wratsch 1884. No. 34. — Ssorokin, Zur
Frage über das Kumysferment Vorläufige Mittheilung, verlesen in der Sitzung der ärztlichen Ge¬
sellschaft in Kasan vom 21. Dezember 1882. — Derselbe, Kapitel über den Kefir in dem Buche
Pflanzliche Parasiten 1882—1884. — Ssobolew, Der Kefir, seine Zusammensetzung, physiologische
und therapeutische Bedeutung. Moskau 1884. — Tschernowa-Popowa, Arbeiten der Gesellschaft
russischer Aerzte 1883—1884. — Schablowski, Der Kefir. Militärärztliches Journal 1887. Januar.
— Schipin, Zur Bakteriologie des Kumys. Dissertation 1899. — Stange, Behandlung mit Kefir
und Kumys. Handbuch der allgemeinen Therapie von Ziemssen 1886. — Schtschastny, Ueber
die Errichtung in den Garnisonen des Kiewer Militärbezirks von sanitären Sommerstationen, um die
kranken Mannschaften mit Kumys aus Kuhmilch, respektive Kefir zu behandeln. Militärische Hygiene
1882. No. 42, 43, 44. — Essaulow, Der Kefir, eine bakteriologische und chemische Untersuchung.
Disssertation. Moskau 1895.
Fremdländische: Nencki, Gazeta lekarska 1882. — Wyszinski, ibidem 1883. Sonder¬
abdruck. Warszawa 1885. — W. Podwyssozki, Kephir, kaukasisches Gährungsferment und
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Kephir oder Kapir. Uebersetzt von E. Bothmann 1889. — Le kephir, traduit du russe 1887. —
Zborowski, Le kephir. Union mgdicale 1889. — Krannhals, Ueber ein neues Milchferment
Deutsches Archiv für klinische Medicin 1884. Bd. 35. — Maximow, Sur le kephir. Semaine
m£dicale 1884. — Ucke, Der Kephir. Zeitschrift für Therapie 1884. — Mandovski, Ueber den
Kephir. Deutsche medicinische Wochenschrift 1881. — Brainin, Ueber den Kephir. Zeitschrift für
Therapie 1884. — Hüppe und Stern, Ueber den Kephir. Deutsche medicinische Wochenschrift
1884. — Gebhardt, Ueber Kephir, seine Bereitung und therapeutische Verwendung. Dissertation.
Würzburg 1884. — Dujardin - Beaumetz, Le^ons de clinique thörapeutique 1885. 4. Auflage.
S.299—301. — Bourquelot, Les microbes da la fermentation alcoholique du lait. Revue scienti-
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Ueber Kefir. Wiener medicinische Wochenschrift 1886. — Theodoroff, Historische und experi¬
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Kapitel 25. — Mudra, Kefir, kravski kumys. Ibidem. Kapitel 18. — Monti, Ueber Kephir und
seine Anwendung in der Kinderpraxis. Wiener allgemeine medicinische Zeitschrift 1887. No 22
und 23. — L. Nencki i AlexanderFabian, 0 przetworach fermentowanych z mlcka, o kumysie
a kefirze. Gazeta lekarska 1887. No.3, 4, 8. — R. Lepine, Sur le kephir. Semaine mßdicale
1887. No.4. — Kosta-Dinitich, Le kephir ou Champagne lait£ du Caucase. Paris 1888. -
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1888. S.413. — Olschanetzki, Ueber den Kephir. Deutsche medicinische Wochenschrift 1890. —
J. Nebe, Therapeutische Monatshefte 1890. Bd.4. — W. Beyerinck, Kefir. Vierteljahrsheft über
die Fortschritte der Chemie der Nahrungsmittel 1891. No. 7. — 0. Schuurmans - Stokhoven,
Sacharomyces kefir. Dissertation. Utrecht 1891. — Langer, Kreosotalkefir, Arsenkefir etc Wiener
medicinische Presse 1895. — E. Freudenreich, Bakterielle Untersuchungen über den Kefir.
Centralblatt für Bakterien und Parasiten 1897. Abtheilung 2. — Hayem, Los grandes mßdications.
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Diathese. Wiener medicinische Presse 1898. No. 4. — V. Mräzek, Kefir a jeho wvznam. Czasopis
lekar. ceskych 1900. No. 4—6. — Capitan, Le kephir. Mßd.modcrne 1900. No. 69. — L.Hallion,
Le kephir. Presse mSdicale 1900. No. 43. — L.Hallion et H. Carrion, La kefirothßrapic. Presse
mediealc 1901. 27. Januar und 2. März. — Duclaux, Traitö de microbiologie. Bd. 4. 1901.
Zeitschr. f. diät. u. physik. Therapie. Bd. V. Heft 8.
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058
Paul Rocthlisbergcr
III.
Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlornatrium-Schwefel-
Thermen von Baden (Schweiz).
Vortrag gehalten an der zweiten Jahresversammlung der schweizerischen
balneologischen Gesellschaft in Baden am 13. Oktober 1901.
Von
Dr. Paul Roethlisberger
in Baden.
Es ist wirklich kein Leichtes, eine passende Bezeichnung für die Badener
Thermen in Anwendung zu bringen, da ja 1896 durch die exakten physikalisch¬
chemischen Untersuchungen des Prof. T r e a d w e 11 ’) in Zürich unstreitig nach¬
gewiesen worden ist, dass in ihnen absolut keine Salze mehr' enthalten sind, sondern
dass dieselben sämmtlich in ihre Jonen gespalten darin Vorkommen.
Wenn ich trotzdem den Titel Chlornatrium-Schwefel-Thermen gebrauche, so
findet dies darin seine Begründung, dass das Wasser aus den an Gyps und Chlor¬
natrium reichen Triasschichten stammt und diese Salze somit besonders zu seiner
Komposition beigetragen haben.
Dementsprechend finden sich auch in dem Wasser Schwefelsäure mit 14,6,
Chlor mit 11,9, Natrium mit 7,6, Calcium mit 5,9 auf 10000, alle anderen mit
Ausnahme der Kohlensäure darin enthaltenen Stoffe um fast das Zehnfache und mehr
übertreffend.
Nach der neuesten Analyse von Prof. Treadwell*) ist Kohlensäure im ganzen
mit 6,3765 g auf 10000 Flüssigkeit bestimmt worden, viel mehr als nach den
früheren, in dieser Beziehung ganz fehlerhaften Analysen, davon 4,9624 g freie und
halbfreie Kohlensäure.
Ein Vergleich mit den bekannten CO a reichen Quellen von Nauheim»), woselbst
die Soole von Bohrung 7 (grosser Sprudel) 11 ,24 g halbgebundene und freie CCi¬
pro 10000 Soole und Soole von Bohrung 12 (Friedrich Wilhelm-Quelle) 4,50 g halb¬
gebundene und freie C0 4 pro 10000 Soole enthalten, zeigt uns, .dass unsere Kocli-
salz-Schwefel-Thermen dem grossen Sprudel allerdings um mehr wie die Hälfte an
Kohlensäure nachstehen, die Friedrich Wilhelm-Quelle jedoch darin übertreffen.
Soviel zur Erläuterung der angewandten Titelbezeichnung.
Möge es bald gelingen, eine rationellere Terminologie für sämmtliche Mineral¬
quellen zu schaffen, sei es auf physikalisch-chemischer Grundlage, aufbanend auf
die neuen Gesetze der Dissociation von Salzlösungen von Arhenius, der elektrischen
Leitfähigkeit von Kohlrausch und Ostwald und besonders der Gefrierpunkts¬
erniedrigung resp. des osmotischen Druckes von Van’T-Hoff oder sei es auf Grund
physiologischer Wirkungen.
Gerade was die Kenntniss physiologischer Wirkungen von Mineralbädern an¬
betrifft, ist es mit gewissen Mineralquellen noch sehr schlecht bestellt; es ist mir
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Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlomatrium-Schwefel-Thermcn von Baden. 659
z. B. nicht gelingen, über unsere Bäder eine physiologisch-experimentelle Arbeit aus¬
findig zu machen, und auch über verwandte Thermen, was deren äussere Applikation
anbetrifft, konnte ich fast nichts erheben.
Nur über die Schwefelthermen von Schinznach konnte ich mir eine aus¬
führliche Stoffwechselarbeit, ausgeführt von Dronke 4 ) im Jahre 1887, verschaffen,
sowie einige mit Experimenten belegte Angaben über die physiologische Wirkung
der Aachener Bäder von Beissel 3 ).
Aus den bekannten Lehrbüchern über Balneologie und Balneotherapie war eben¬
falls wenig zu ermitteln.
In Julius Braun's 0 ) Lehrbuch finden wir überhaupt nichts Einschlägiges.
In ValentinerV) Balneotherapie sowie in Otto Leichtenstern’s») Balneologie
finden wir eine respirations- und pulsverlangsamende Wirkung, letztere als Ausdruck
einer Vagusreizung, und eine sedative Wirkung auf das Nervensystem verzeichnet.
Bei Fromm») ist gleichfalls nichts Besonderes über Schwefelbäder verzeichnet
und hält derselbe deren Wirkungen für identisch mit denjenigen indifferenter
Wasser. Dieser Ansicht schliesst sich auch Flechsig 10 ) an und berichtet nur über
die obigen, von Reumont in Valentiner’s Lehrbuch beschriebenen Wirkungen der
Schwefelbäder, welche er jedoch für keine spezifischen hält.
Moeller 11 ) citiert in seinem »trait6 pratique« die Arbeit von Beissel und die¬
jenige von Dronke nur in Bezug auf die Ingestion des Schwefelwassers mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Wirkung des darin enthaltenen Schwefelwasserstoff¬
gases, giebt aber über die Wirkung des Bades selbst keinen weiteren Aufschluss.
Kisch 14 ) erwähnt in seinem Balneologischen Lexikon 1897 sowie in Eulen¬
burg’s Encyklopädie 1899 (S. 188) in wenigen Zeilen den intensiven Reiz der
Schwefelbäder auf das Hautorgan mit den gewöhnlichen Erscheinungen von vermehrten
Turgor, Ausdünstung und Epidermisabstossung.
Das neueste Lehrbuch von Julius Glax 13 ) 1897 citiert, was wieder allein die
externe Wasserbehandlung anbetrifft, Grandidier, der nach 32 °C warmen Schwefel¬
bädern eine Pulsverlangsamung konstatiert hat, sowie ausführlich die obige Stoff¬
wechselarbeit von Dronke und diejenige von Beissel und Mayer.
Angesichts dieser dürftigen Angaben über physiologische Wirkungen von
Schwefelbädern war es wohl angezeigt, Versuche über die Wirkung der Badener
Schwefelthermen auf Körpertemperatur, Pulsform, Blutdruck, Pulszahl, Respiration
und den Stoffwechsel anzustellen.
Leider gebrach es mir an Zeit, die theilweise sehr interessanten Ergebnisse
gründlich durchzustudieren und theoretische Erwägungen daran zu knüpfen; ich be¬
halte mir deshalb auch vor, einzelnes später noch ausführlicher zu veröffentlichen.
Beginnen wir also mit den Temperaturmessungen, die an drei verschiedenen
Individuen in ca. 40 Einzeluntersuchungen ausgeführt wurden. Ich brauche kaum zu
erwähnen, dass die angewendeten Maximalthermometer genau geprüft wurden und
zudem stets die gleichen für die betreffenden Körpertheile in Anwendung kamen.
Es wurden gemessen Axilla, Mund und Rektum. Die Messung wurde erst
begonnen, nachdem die Versuchspersonen einige Zeit (10—15 Minuten) ruhig in der
Badekabine verblieben waren. Die Badekabine hatte bei allen Versuchen eine
ziemlich gleiche Temperatur zwischen 20—21 °C. Nach dem Bade trocknete sich
der Untersuchte leicht ab, ohne Frottierung, und blieb mässig bekleidet bis zum
Schlüsse des Versuches liegen.
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Uebereinstimmend ergaben die Messungen bei allen Temperaturgraden und in
allen Versuchen ein Sinken der Rektumtemperatur, das bei den Bädern unter 38® C
mit einer einzigen Ausnahme schon im Bade seinen Anfang nahm und nach dem
Bade für ] /s — 9 U Stunden noch zunahm, um dann erst allmählich, manchmal erst
nach Stunden zur Norm zurückzukehren. Erst bei dem Bade von 38 0 0 stieg die
Rektaltemperatur etwas, sank aber nach demselben allmählich, bis sie in s / 4 Stunden
0,4" C unter die Anfangstemperatur zu stehen kam.
Das Mittel der Rektaltemperaturschwankungen nach unten betrug 0,5, die
stärkste 0,85 und die geringste 0,2. Das Verhalten der Axillar- und Mundtemperatur
war weniger konstant; das Sinken der Mundtemperatur ging einigermaassen parallel
dem der Mastdarmtemperatur für Bäder unter 34° C; für Bäder von 34—36° C blieb
dieselbe fast unbeeinflusst, in Bädern über 36° C war die Mundtemperatur erhöht und
blieb es häufig auch nach dem Bade, entgegen dem Verhalten der heruntergehenden
Mastdarmtemperatur, und war dann verbunden mit einem leichten Gefühl von
Kongestion nach dem Kopfe.
Die Axillartemperatur zeigte ein variableres Verhalten; bei Bädern von 36" 0
und darüber blieb dieselbe auch nach dem Bade erhöht, während bei Bädern von
35 0 C und darunter keine bedeutende Schwankung eintrat, hier und da eine leichte
Steigerung, meistens aber eine geringe Erniedrigung, die sehr wahrscheinlich mit
einer allgemeinen Herabsetzung der Körpertemperatur durch Wärmeverlust im Bade
und nach demselben in Verbindung zu setzen ist.
Eine Thatsache jedoch springt klar in die Augen, indem dieselbe durchwegs
zutrifft: die Rektaltemperatur sinkt im Verhältniss zur Axillartemperatur, woraus wir
schliessen möchten, dass im Bade und auch einige Zeit nachher eine Fluxion des
Blutes von den inneren Organen zu der Körperperipherie eintritt, wie dies ja auch
schon von Kisch ohne weitere Begründung angenommen wurde.
Beissel’s Angaben über Temperaturmessungen sind zu unvollständig, als dass
sie verwerthet werden könnten.
In StiflerV 4 ) Vortrag, gehalten an der 22. öffentlichen Versammlung der
Ilufeland’schen baineologischen Gesellschaft (1809), welcher Temperaturmessungen bei
Bädern verschiedener Natur vorgenommen hat, finden wir nichts über Schwefelbäder;
cs interessiert uns aber daselbst zu sehen, dass die Wirkung von 34°C warmen
Süsswasserbädern auf die Körpertemperatur eine ganz andere wie die unserige ist, es
sinkt dabei besonders die Axillar- und auch die Zungentemperatur verhältnissmässig
mehr als diejenige der Vagina.
Ich möchte nun sogleich zu den Pulskurven übergehen und zwar des¬
halb, weil diese die oben erwähnte Fluxion des Blutes von den inneren Organeu
nach der Peripherie noch weiterhin zu erläutern scheinen.
Ich kann mich hier nicht auf eine genauere Analyse der Sphvgmogramme ein¬
lassen, sondern will nur eine diesbezügliche Auswahl von Kurven für Temperaturen
von 31— 38 °C schildern.
Die Kurven wurden alle mit dem Jacquet’schen Sphygmochronographen aus-
geführt, bei welchem die Schleuderung kaum in Frage kommt, und es wurden nach
dem Rathe von Prof. Sahli 1 -) und der Einfachheit der Vergleichung halber nur
maximalhohe Kurven hergcstellt. Die Sphygmogramme wurden alle liegend, vor.
in und nach dem Bade aufgenommen; der Arm wurde stets in gleicher Höhe und
gleicher Stellung im Handgelenke in einem Armhalter fixiert. Die Manschette des
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Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlornatriuui-Sclnvefel-Thcrmen von Baden. 6fil
Sphygmographen verweilte von Anfang bis zu Ende des Versuches auf derselben
Stelle. Die Experimente begannen erst nach 15—30 Minuten Stillliegens in der
Badekabine.
Mir scheinen nun die Kurven und zwar diejenigen der kühleren wie diejenigen
der wärmeren Bäder alle mehr oder weniger eine Gefässerweiterung anzudeuten.
Dass diese periphere Gefässerweiterung in und nach dem Bade stattfindet, glaube ich,
können wir ersehen aus der im Sphygmogramme der Radialis meist deutlich bemerk¬
baren Zuspitzung und Erhöhung der systolischen und Rückstosselevation. Wir können
uns eine damit parallel gehende Vasokonstriktion im Splanchnikusgebiete vorstellen
und haben dafür als Beleg besonders das im Bade und nach demselben konstante
Heruntergehen der Mastdarmtemperatur anzuführen, währenddem der peripheren
Vasodilatation entsprechend die Axillartemperatur im Vergleich zur Rektumtemperatur
hoch bleibt. Was die auf den Kurven sichtbaren, meist deutlich verstärkten und
bei den kühleren Bädern auch vermehrten, sogenannten Elastizitätselevationen an¬
betrifft, so wage ich es nicht zu beurtheilen, ob dieselben sich durch den offenbar
stattfindenden Wechsel der vasomotorischen Innervation erklären lassen'.
Rosenthal 16 ) findet auf den, in den C0 2 reichen Soolbädern von Kissingen
aufgenommenen Sphygmogrammen (Cowl’scher Apparat) Erhöhung der primären
und Rückstosselevation, Vermehrung und Verstärkung der Elastizitätselevationen,
also gerade dieselben Veränderungen, wie sie auf unsern Kurven hervortreten; und
Hensen charakterisiert die Wirkung der C0 2 Bäder auf die Zirkulation mit dem
Auftreten einer reaktiven Erweiterung der Hautgefässe und einer diese blutdruck¬
erniedrigende Wirkung kompensierenden reflektorischen Kontraktion der Gefässe im
übrigen arteriellen Stromgebiete, besonders im Splanchnikusgebiet, eine Annahme,
die mit der unserigen hinsichtlich der Badener Thermen ebenfalls übereinstimmt.
Süsswasserbäder von 34« C influenzieren die Pulskurve nach Stifler 1 ?) kaum
merklich.
Was nun die Blutdruckmessungen anbetrifft, so wurden dieselben zum
Theil mit dem Basch’schen Sphygmomanometer und zum Theil mit dem Gärtner-
schen Tonometer ausgeführt.
Eine bedeutende Veränderung des Blutdruckes, wenigstens was den maximalen *)
anbetrifft, wurde in keinem Falle beobachtet; natürlich blieben Schwankungen von
10—15 mm nicht aus, es sind dieselben aber wirklich zu unbedeutend und die ohne
besondere Beeinflussung vorkommenden Schwankungen zu wenig überragend, um
etwas beweisen zu können; wir wollen deshalb diese Versuche nicht weiter aus¬
führen und verwerthen. Eines möchte ich noch erwähnen betreffend der Instrumente,
die zu diesen Versuchen in «Anwendung kamen.
Das Tonometer wurde natürlich stets an demselben Finger angelegt, aber, da
der Hautturgor der Extremitäten nach dem Bade vermehrt war, so war der pneu¬
matische Ring nach dem Bade enger anschliessend als vorher und somit ein kleiner
blutdruckerniedrigender Fehler die Regel; auf der andern Seite mag vielleicht die
grössere Pulswelle mit der stärkeren Stossheberwirkung gegen den Ring diesen
negativen Ausschlag kompensiert haben. Diese Auffassung unterstützend zeigten sicli
beim Manometer, wo ja auch diese Stossheberwirkung stattfinden muss, meist höhere
*) Bekanntlich wird mit dein Basch’schen Sphygmomanometer sowohl als auch mit dem
Gär tu er'sehen Tonometer nicht der mittlere, sondern der maximale Blutdruck gemessen.
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i)&2 Paul Uuethlisberger
Druckwerthe iu und nach dem Bade als beim Tonometer, vielleicht also weniger
infolge der vermehrten mittleren Blutdruckes als infolge der vergrösserten systo¬
lischen Blutwelle.
Gehen wir nun über zu Pulszahl und Respiration. Auch hier sind
ziemlich konstante, übereinstimmende Verhältnisse hervorgetreten.
Es wurde bei den Experimenten in folgender Weise vorgegangen: Das Versuchs¬
individuum nahm eine gleichmässig liegende Position vor, in und nach dem Bade
ein. Bevor die Puls- und Respirationsmessung vorgenommen wurde, wartete man
stets längere Zeit ('/ a —1 Stunde). Ich möchte dies sehr betonen, da mannigfache
Fehlerquellen ausgeschlossen und besonders die bei gesunden Individuen konstante
Pulsverlangsamung beim Liegen und besonders die noch weitere Verlangsamung
bei längerem ruhigen Verhalten in dieser Lage berücksichtigt wurden.
Dabei ergab sich folgendes:
Bei einer Badetemperatur von 37—38° C trat eine deutliche Acceleration des
Pulses im Bade ein, welche noch längere Zeit nach demselben anhielt, beim Bade
von 38° C mehr wie 3 /< Stunden, bei 37 °C ca. 20—30 Minuten. Beim Bade von
3H—36V2°C ist nur noch während des Bades eine Pulsvermehrung zu konstatieren,
nach demselben ist der Puls von derselben Frequenz wie vorher. Bei 35 °C ist
solcher im Bade selbst ziemlich unverändert, hie und da unbedeutend erhöht, nach
demselben jedoch tritt schon eine geringe Verlangsamung ein. Bei niedrigeren Bade¬
temperaturen ist der Puls schon im Bade selbst verlangsamt und bleibt auch nach
demselben mehr oder weniger stark in seiner Frequenz vermindert, und zwar ist
bei Bädern von 31 und 32 0 C 30—40 Minuten nach dem Bade häufig noch eine
Pulsverlangsamung von 7—10 Schlägen wahrzunehmen.
Die Respiration ist im Bade bei allen Versuchstemperaturen, natürlich be¬
sonders bei den höheren, aber auch anfangs bei den niedrigeren, mehr oder weniger
frequenter. Bei den niedrigeren Temperaturen tritt gegen Ende des Bades schon
eine geringe Verlangsamung ein, die bei Temperaturen unter 35 # C besonders nach
demselben stets hervortritt, die Respiration ist dabei sehr deutlich vertieft.
Da jedoch die Athmung von untergeordneter Bedeutung ist, so will ich mich
dabei nicht länger aufhalten. Sehr wichtig wäre es jedoch, dieselbe zu Experimenten
über den Gasstoffwechsel vor und nach dem Bade verwerthen zu können.
Alle bis dahin erwähnten Versuche wurden natürlich bei ganz gesunden In¬
dividuen vorgenommen, und dies gilt auch besonders für die nun kommenden Ex¬
perimente über das Verhalten des Stoffwechsels. Um eine Temperaturinfluenzierung
des Badewassers auszuschliessen, wurden dieselben bei einer für Süsswasserbäder
nach Leichtenstern indifferenten Temperatur von 34—34V2° C ausgeführt. Die
Dauer der Bäder betrug dabei 10—25 Minuten.
Was die Versuchsanordnung*) anlangt, so wurden zwei Serien von Versuchen
an demselben, wie erwähnt, vollständig gesunden, sehr muskulösen und gut genährten
Individuum nacheinander vorgenommen; während der ganzen Dauer derselben und
sogar zwei Tage vor Beginn, also während 38 Tagen, wurde stets das gleiche
Regime ohne Unterbrechung beibehalten.
Ich hielt es für besonders wichtig, die Vorperiode recht ausgedehnt zu wählen;
) Die über die einzelnen Tages- und Pnrehsehnittsresultate Aufschluss gebenden Tabellen
konnten nicht zuin Abdruck gelangen.
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Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlornatrium-Sohwefcl-Thermen von Baden. 663
gerade in dieser Beziehung bedauern wir, dass die einzige ausführliche Stoffwechsel¬
arbeit über Schwefelbäder, die uns erhältlich war, nur einen Tag zur Vorperiode
gewählt hat; es ist dies die Arbeit von Dronke.
Ferner legte ich natürlich das grösste Gewicht auf eine ganz genaue und stets
gleich bleibende Nahrungsaufnahme, und wurden Milch, Brot und Wein auf den
Stickstoffgehalt untersucht. Die Milch wurde mehrmals zu verschiedenen Zeiten ge¬
prüft und keine Schwankungen von irgend welchem Belang beobachtet.
Das folgendermaassen eingetheilte Regime wurde von der Versuchsperson stets
gerne cingehalten und bestand aus:
1000 cm 3 Milch,
450 g Grahambrot (welches während der ganzen Versuchszeit
aus demselben Mehl gebacken wurde),
300 > Eier ohne Schale,
500 cm 3 weisser Flaschenwein vom gleichen Jahrgange, 8,8 °/ 0
Alkoholgehalt,
100 g Butter,
5 > Kochsalz,
470 cm 3 Wasser.
• Davon früh 8 Uhr:
500 » Milch, ein Theil Brot und Butter von der Tagesration,
121/, Uhr:
500 » Suppe, worin 100 g Brot, ein Theil Butter und ein
Theil Salz von der Tagesration enthalten waren, ferner
300 g Eier ohne Schale, roh gequirlt, und
300 cm 3 Wein,
Abends 7 Uhr:
500 » Milch mit dem noch von der Tagesration übrig ge¬
bliebenen Brot, Butter und Salz,
Abends 9 J / 2 Uhr:
200 » Wein.
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass obengenannte Getränke und Speisen
auf’s genaueste in Maasskolben abgemessen und auf ein Centigramm genau ab¬
gewogen wurden.
Von jeweils zwei Tage altem, gleichmässig aufbewahrtem Brote wurden, wegen
seines fortwährenden Wasserverlustes, fünf Tagesrationen mit einander abgewogen,
dieselben wurden jedoch gleichwohl jeden Tag vor Gebrauch wieder gewogen und
der Flüssigkeitsverlust durch Trinken von entsprechend viel Wasser ersetzt.
Die ganz genaue Einhaltung dieses Regimes lag uns sehr am Herzen, weil
sonst zu viel Fehlerquellen mitspielen und das Experiment nur sehr relativen
Werth haben könnte. Selbstredend wurde so viel wie möglich auf eine gleichmässige
Lebensweise geachtet.
Um eine vollständige N-Bilanz zu erhalten, wurde auch der Koth mit in die
Untersuchung einbezogen und bei Beginn der einzelnen Perioden, resp. Vor-, Bade-
und Nachkurperiode in der üblichen Weise mit Kohle und zugleich nach dem Rathe
des Prof. Cloetta aus Zürich, der uns überhaupt bei der Arbeit stets bereitwilligst
mit seinen reichen diesbezüglichen Erfahrungen zur Seite stand, mit Kirschensteinen
abgegrenzt.
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664 l’aul Roethlisbergcr
Vom täglichen Harn, der natürlich aufs genaueste gesammelt wurde, notierten
wir die Quantität, das spezifische Gewicht; derselbe wurde untersucht auf Ge¬
sammtstickstoff, Harnstoff, Alloxurkörper, Harnsäure und Ammoniak, auf Gesammt-
schwefelsäure, zum Theil auch neutralen Schwefel, Chloride und Gesammtacidität.
Die stickstoffhaltigen Substanzen des Harns und des Koths wurden nach der
üblichen Methode von Kjeldahl in Ammoniak übergeführt, das Ammoniak durch
Brom-Natronlauge zersetzt, der Stickstoff volumetrisch bestimmt und mit Berücksichti¬
gung des Luftdruckes, der Temperatur- und Luftfeuchtigkeit in Gramm umgerechnet.
Der Harnstoffstickstoff nach der Mörner-Sjöqvist’schen Methode, die Alloxurkörper
(Xanthinbasen-|-Harnsäure) nach der Methode von Camerer mit Stickstoffbestimmung
nach Kjeldahl, die Harnsäure anfangs nach Hopkins mit Piperidintitrierung, dann,
weil genauer befunden wegen der bei der Hopkin'sehen Methode vorkommenden
Harnsäureverluste bei der Auswaschung (chlorfreie Auswaschung wegen der Piperidin¬
titrierung), nach Ludwig-Salkowski und Piperidintitrierung, und bald darauf, weil
genauer und einfacher, nach Ludwig-Salkowski und Stickstoffbestimmung nach
Kjeldahl. Die Phosphate wurden in der gewöhnlichen Weise mit Urannitrat und
Cochenille und zugleich Ferrocyankali als Indikator durch Titrierung festgestellt
Gesammtschwefelsäure nach Neubauer mit Chlorbaryumlösung und Lösung von
schwefelsaurem Kali, der neutrale Schwefel ebenso nach der Oxydation mit Salpeter¬
säure (nach Mohr), die Chloride nach der Methode von Freund und Töpfer 1 «)
das Ammoniak nach Schloesing, und die Gesammtacidität approximativ durch ein¬
faches Titrieren des verdünnten Harnes mit Vi 0 Normalnatronlauge. Der Koth wurde
genau nach den Angaben von v. No orden 19 ) nach Zusatz von verdünnter H a SO*
auf dem Wasserbade getrocknet, im Exsiccator abgekühlt, ‘gewogen und pulverisiert
zur Stickstoff- und Phosphorbestimmung verwendet.
Das Körpergewicht betrug am Anfang'der Versuche 77,3kg, zu" Beginn der
ersten Badekur 75,8, am Schlüsse derselben 75,5, vor der zweiten Badeperiode 74,5
und am Ende derselben 73,9 kg.
Die Muskelkraft, mit dem Dynamometer bestimmt, war am Anfang der Ver¬
suche 54—55 kg, und am Ende derselben 59—60 kg.
Die Resultate der Versuche sind kurz folgende:
Absolute und besonders bedeutende relative Zunahme des Harnstoffes und Zu¬
nahme des Stickstoffoxydations-Coefficienten, d. h. des Verhältnisses des Harnstoff¬
stickstoffes zum Gesammtstickstoff während der Badeperiode und auch einige Zeit
nach derselben.
Hier seien noch frühere Versuche an verschiedenen Personen erwähnt, wo nur
approximative Harnstoffbestimmungen mit dem GerarVl’schen Harnstoffapparate vor¬
genommen wurden, welche alle übereinstimmend ebenfalls ganz deutlich ein Ansteigen
des Harnstoffes unter dem Einflüsse der Thermalbäder zur Folge hatten.
Des ferneren ist aucli unverkennbar die relative Abnahme der Xanthinbasen im
Verhältniss zum Gesammtstickstoff und besonders zur Harnsäure; schliesslich steigt
auch das Ammoniak (um 23,4% in der zweiten Badeperiode) und bleibt auch noch
in der Nachperiode vermehrt.
Was also den N-Stoffwechsel anbetrifft, so kann man sagen, dass wenig mehr
stickstoffhaltige Körper verbrannt, aber dass, was besonders wichtig ist, die stickstoff¬
haltigen Substanzen weit besser und vollständiger umgesetzt werden. Die regressive
Metamorphose der Eiweisskörper in Harnstoff einerseits und in Harnsäure andrerseits
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Zum Studium der kohlensiiurehaltigcn Chlornatrium-Schwofel-Thermen von Baden. 665
geht vollständiger vor sich. Die Proportion der Extraktivstoffe, der Schlacken des
Stoffwechsels, zum Gesammstickstoffe nimmt bedeutend ab.
Eine weitere Stütze für eine verbesserte Verbrennung nicht nur der stickstoff¬
haltigen, sondern auch der stickstofffreien Produkte des Stoffwechsels finden wir im
Verhalten des neutralen zum oxydierten Schwefel resp. zur Gesammtschwefelsäure;
auch hier nimmt die Proportion des neutralen Schwefels zu Gunsten des oxydierten
während und nach der Badeperiode ab.
Was nun die täglich ausgeschiedene Harnquantität, die fixen Stoffe, die Acidität,
die Chloride, die Phosphate und Sulphate anbetrifft, so können wir kurz darüber
hinweggehen.
Die Quantität ist deutlich vermehrt in der zweiten Badeperiode, in der ersten
ziemlich gleich bleibend; vergessen wir jedoch nicht zu erwähnen, dass das Durst¬
und Hungergefühl während der beiden Badeperioden vermehrt, demselben aber natür¬
lich nicht Rechnung getragen werden konnte.
Die fixen Stoffe sind in der Badeperiode und besonders Nachperiode vermindert,
in der zweiten Badeperiode zwar wenig, aber dies ist jedenfalls auf Rechnung der
sehr vermehrten Harnquantität zu bringen, und kommt deshalb besonders in der
Nachperiode zum Ausdrucke.
Die Acidität zeigt in der zweiten Bade- und in der Nachperiode eine Abnahme.
Die Chloride steigen und sinken mit der Harnquantität.
Die Gesammtphosphate zeigen in der zweiten Badeperiode und Nachperiode
eine kaum bemerkbare Abnahme, die zum Theil auf Rechnung der merklich vermin¬
derten Alkaliphosphate zu stehen kommt.
Die Sulphate sind in beiden Badeperioden, in der ersten dreitägigen um 2 °/ 0
und in der zweiten sechstägigen um 6,6 °/ 0 vermehrt.
Es bleibt uns nur noch übrig, einige Worte über das Verhalten des Kothes hinzu¬
zufügen und diesbezüglich zu erwähnen, dass der Stickstoff desselben in beiden Bade¬
perioden etwas vermindert war und besonders in den Nachperioden tief blieb, so
dass die vermehrte N-Ausgabe durch den Harn hierdurch etwas kompensiert wurde.
Interessant ist es auch zu sehen, dass der in der zweiten Badeperiode und
besonders Nachperiode verminderten Phosphorausgabe durch den Harn keine ver¬
mehrte durch den Koth entspricht, sondern im Gegentheil auch der Kothphosphor
etwas heruntergeht.
Wie verhalten sich nun diese Resultate zu denjenigen in der Beissel’schen
und Dronke’schen Arbeit? Wie schon erwähnt, ist leider bei beiden Experimentatoren
die Nahrungsaufnahme während der Versuche nur approximativ dieselbe geblieben,
und ist der N-Gehalt der Nahrung unbekannt; auch fehlt bei beiden Arbeiten die
Kothuntersuchnng.
Beissel hat bei seinen Experimenten, die sich nur auf Harnstoff, Harnsäure
und Schwefelsäure erstrecken, eine Vermehrung der‘genannten drei Substanzen nur
in der Nachperiode beobachtet, in der Badeperiode waren dieselben vermindert. Die
Verminderung in der Badeperiode erklärt sich aber sehr leicht, wenn man bedenkt,
dass die Bäder sehr warm genommen wurden (eine genaue Temperaturangabe fehlt)
und zu starker Schweissabsonderung führten, was eine Verminderung der Harnquantität
bis auf 500 g bewirkte. Wie bedeutend die durch den Schweiss verlustiggehenden
Stickstoffquantitäten sein können, geht aus den Versuchen Bornstein’s 20 ) hervor;
auch von Lohssc- 1 ) wird die Verminderung der Stickstoffausscheidung durch
das gewöhnliche heisse Bad hierauf bezogen; wo eine Vermehrung von Stickstoff
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<>•)•> Paul Roethlisberger
unter gleichen Verhältnissen eintritt, wie bei Formaneck’s und Topp's--) Ver¬
suchen, wird von Lohsse eine individuelle verminderte Schweissreaktion als Ur¬
sache angenommen.
Mit der Dronke’schen Arbeit finden wir schon mehr Uebereinstimmung, die
Badetemperatur beträgt bei seinen Experimenten 33° C. Die Stickstoff- und die
Schwefelsäureausscheidung im Harn vermehren sich, die Fixa und die Phosphor¬
ausscheidung vermindern sich etwas während der Badeperiode. Die Stickstoff- und
Schwefelsäurevermehrung ist eine unvergleichlich stärkere als in unseren Versuchen,
wobei aber nicht vergessen werden darf, dass auch S.-Wasser getrunken wurde,
dass die Nahrungsaufnahme am Hoteltisch stattfand und die in der Badeperiode ge¬
wöhnlich beträchtliche Appetitzunahme jedenfalls nicht ganz unbefriedigt gelassen
werden konnte.
Wie verhalten sich schliesslich unsere Resultate gewöhnlichen indifferenten
Süsswasserbädern gegenüber? Wiek 43 ), Dommer 43 ), Siegrist 23 ) und Köstlin 24 )
finden keinen Einfluss auf den Stoffwechsel, Keller 25 ) sah nach Süsswasserbädern
eine Steigerung der N-Ausscheidung im Harn und zugleich, nebst einer geringeren
Verminderung der Phosphate, eine bedeutende Abnahme der Chloride.
Eine Uebereinstimmung mit den Süsswasserbädern ist also kaum vorhanden,
dieselbe ist viel eher in den Stoffwechselveränderungen bei hydriatischen Prozeduren
zu finden, und sehen wir in den Resultaten der von Strasser 28 ) ausgeführten Stoff¬
wechseluntersuchungen grosse Aehnlichkeit mit den unsrigen. Hier wie dort, Ver¬
mehrung des Harnstoffes, (besonders relative) Vermehrung des Ammoniaks, Vermehrung
der Harnsäure gegenüber den Xanthinbasen und Abnahme des Extraktivstickstoffes,
Sulfate vermehrt, Chloride ziemlich unverändert, im Koth Verminderung von Stick¬
stoff- und Phosphorgehalt. Nur ein Unterschied ist mir besonders aufgefallen; er
liegt im Verhalten der Phosphorsäure im Harn, die bei uns eher etwas vermindert
ist, während bei Strasser eine bedeutende Vermehrung stattfindet, besonders zu
Gunsten der Alkaliphosphate, die bei uns im Gegentheil besonders vermindert sind.
Strasser fragt sich, ob der Vermehrung der Phosphorsäureausscheidung eventuell ein
bei Kältereiz auf die Haut beobachteter stärkerer Zerfall der rothen Blutkörperchen
zu Grunde liegt, was vielleicht für den spezifischen Reiz eines Mineralwassers von
indifferenter Temperatur fehlen dürfte.
Weitere theoretische Betrachtungen möchte ich umgehen und nur noch rekapitu¬
lierend folgende Sätze aufstellen:
1. Aus den Eingangs erwähnten physikalisch-chemischen Untersuchungen von
Treadwell geht hervor, dass die Thermen von Baden zu den C0 2 reichen Quellen
gezählt werden dürfen und einzelnen der C0 2 reichen Quellen von Nauheim in dieser
Beziehung nicht nachstehen.
2. Aus den Ergebnissen unserer physiologischen Untersuchungen scheint des
Weiteren hervorzugehen, dass
a) die Badener Thermalbäder von 31—38" C’ eine mehr oder weniger aus¬
gesprochene, das Bad überdauernde Aenderung in der Blutvertheilung de>
gesunden menschlichen Organismus in der Richtung hervorrufen, dass die
inneren Organe entlastet und die peripheren Körpertheile reichlicher mit
Blut versorgt werden,
b) die Bäder von 31—35 "C eine deutliche Pulsverlangsamung hervorzurufen
im stände sind, wohl als Ausdruck einer Vagusreizung,
c) der maximale Blutdruck keine bedeutenden Schwankungen zeigt und
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Zun» Studium der kohleusäurehaltigen Chlornatrium-Schwefel-Thermen von Baden. M>7
höchstens ein geringes Ansteigen desselben bei den pulsverlangsamenden
Bädern sich bemerkbar macht, und
d) was uns besonders im Hinblick auf die in Baden zur Behandlung kom¬
menden Krankheiten als wichtig erscheint, Bäder von 34—34 V 2 0 im stände
sind, den Stoffwechsel ganz bedeutend qualitativ zu verbessern, im Sinne
einer vollständigeren Verbrennung der Umsetzungsprodukte des Stickstoff¬
stoffwechsels.
Anmerkung. Während der Drucklegung obiger Arbeit wurde eine neue Serie Stoffwechsel-
untcrsuchungen vorgenommen, deren Resultate ich an dieser Stelle kurz erwähnen möchte. Die
Experimente wurden, mit dem alleinigen Unterschiede, dass 250 g Wasser mit der Suppe mehr ein¬
genommen, unter ganz gleichen Bedingungen ausgeführt, wie die beschriebenen.
. Was die Untersuchungsmethoden anbetrifft, so wurde bei der Ges^mmtacidität des Harns
anders vorgegaDgen, indem man dieselbe nach Freund und Sieblein*) als zweifachsaure Phos¬
phate bestimmte.
Amoniak, Alkaliphosphate, Chloride und Sulphate wurden nicht bestimmt, auch wurden die
verschiedenen Sticksoffbestimmungen nicht regelmässig ausgeführt. !
Die Vorperiode dauerte 16 (-f 2 blinde Tage, während welcher schon das Regime eingehalten
wurde), die Versuchsperiode 9 und die Nachperiode 3 Tage.
Das Körpergewicht vor dem Beginne des Regimes betrug
80,0 kg
am 5. Tage der Vorkur . . .
78,7 »
» 11. »
» » ...
78,4 »
» 14. »
» >■> ...
78,0 »
» 10. »
» » ...
78,1 »
» 1. »
» Badekur . . .
78,2 »
» 6 . »
» >■) ...
77,5 »
>* 8. »
i) » ...
77,9 m
n 4. #
nach den Bädern .
77,5 »
Das Mittel von zahlreichen Dynamometermessungen
ergab:
in
der Vorperiode . .
48,5,
» Badeperiode
49,7,
v Nachperiode
50,9.
Die Resultate stimmen mit der obigen zweiten Versuchsperiode vollständig überein.
Harnstoff - N vennehrt im Verhältniss zum Gesammt-N.
Xanthin basen - N vennindert im Verhältniss zum Harnsäure-X.
Die Gesammtphosphate sind vermindert:
in der Badeperiode um . . . 9,31%,
» » Nachperiodo » ... 11,70%.
Die zweifachsauren Posphatc sind ebenfalls vermindert:
in der Badeperiode um . . . 5,03%,,
» » Nachperiode » ... 10,04%.
Der Trockenkoth ist vennindert:
in der Badeperiode um .... 7.5 0 ,
» i> Nachperiode » .... 4,0%,
und dessen Gesanuntstickstoffgehalt:
in der Badeperiode um .... 3,0%.
Littcratur.
!) Treadwell, Chemische Untersuchung der ►Schwefelthenne von Baden (Schweiz). 1890.
*) Derselbe, 1. c.
3 ) F. Credner, Der Kohlensäuregehalt der Thermalsoolbäder in Bad Nauheim. Deutsche
medicinische Wochenschrift 1889. No. 18. S. 300.
*) Neubauer und Vogel, 1. e. S. 734.
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068 P. Roethlisberger, Zum Studium d. kohlensäurehaltigcn Chlornatrium-Schwcfel-Thermon.
F. Dronke, Ueber die Einwirkung des Schinznaeher Schwefel wassere auf den Stoffwechsel.
Berliner klinische Wochenschrift 1887. No. 49.
5 ) J. Beissel, Balneologische Studien mit Bezug auf die Aachener und Bartscheider
Mineralquellen. Aachen 1888. — J. Beissel und G. Mayer, Aachener Thermalkur und Gicht.
Berliner klinische Wochenschrift 1884. No. 13. S. 200. — J. Beissel, Aachen als Kurort. 188!<.
fl) Julius Braun, Systematisches Lehrbuch der Balneotherapie. Braunschweig 1880.
7 ) Valcntiner’s Balneotherapie. Berlin 1873. S. 371. — Alexander Reumont. Die
Schwefelquellen.
fl) Otto Leichtenstem, Allgemeine Balneotherapie. Handbuch der allgemeinen Therapie
von H. v. Ziemssen. Leipzig 1880. Bd. 2. Theil 1. S. 371.
o) B. Fromm, Systematisches Lehrbuch der Balneotherapie 1887.
10) R. Flechsig, Handbuch der Balneotherapie 1892.
11 ) Mo eil er, Traitö pratique des eaux minörales 1892.
12 ) Kisch, Schwefelwässer. Baineotherapeutisches Lexikon 1897. Eulenburg’s Encyklopädie
1899. Bd. 22. S. 188.
13 ) J. Glax, Lehrbuch der Balneotherapie 1897. S.244.
w) Stiefler, Vortrag, gehalten an der 20. öffentlichen Versammlung der Balncologischen
Gesellschaft 1899. Veröffentlichungen der Hufeland’schen Gesellschaft in Berlin. Berlin 1899.
15 ) H. Sahli, Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden 1899. 11. Auflage. S. 123 -124.
16 ) Julius Rosenthal, Ueber die Bedeutung Kissingens als Kurort für Herzkranke.
Therapeutische Monatshefte 1901. Mai.
17) Stiefler, l.c.
!fl) Freund und Toepfer, Vogel und Neubauer's Analyse des Harns 1898. S.710.
19 ) Carl v. Noorden, Grundriss einer Methode der Stoffwechseluntersuchungen. Berlin 1892.
2°) Bornstein, Ueber den Einfluss heisser Bäder auf den Stoffwechsel. Vortrag, gehalten in
der Balneologischen Gesellschaft am 11. März 1895. Deutsche Medicinalzeitung 1895. No. 46 S. 565.
21 ) Lohsse, Einwirkung des heissen Bades auf den menschlichen Stoffwechsel. Inaugural¬
dissertation. Halle 1900.
22) Formaneck und Topp, citiert bei Lohsse, l.c.
23) Wiek, Dommer und Siegrist, citiert in J. Glax’ Lehrbuch der Balneotherapie, l.c
2<) Koestlin, Ueber den Einfluss warmer vierprozentiger Soolbäder auf den Eiweissumsatz
des Menschen. Inauguraldissertation. Halle 1892.
2ß) Keller, Ueber den Einfluss von Soolbädem und Susswasserbädem auf den Stoffwechsel
gesunder Menschen, mit besonderer Berücksichtigung der Frage der Hautresorption im Bade.
Korrespondenzblätter für Schweizer Aerzte 1891.
2fl) Strasser, Das Verhalten des Stoffweichseis bei hydriatischer Therapie. Wiener Klinik
1895. Heft 4. — Derselbe, Fortschritte der Hydrotherapie. Winternitz’Festschrift Wien 1*9 1 .
S. 242—274.
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Paul Lazarus, Ueber die Ersetzung gelähmter Muskelfunktionen durch elastische Z&ge. 669
IV.
Ueber die Ersetzung gelähmter Muskelfunktionen durch elastische
Züge, speziell bei der hemiplegischen Beinlähmung. 1 )
Aus der I. medicinischeu Universitätsklinik zu Berlin
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden).
Von
Dr. Paul Lazarus,
Volontär-Assistent der Klinik.
(Mit 5 Abbildungen.)
In unserer senso-motorischen Hirnrinde sind nicht die einzelnen Muskeln und
Nerven, sondern nur die funktionell zusammengehörigen Muskelkombinationen lokali¬
siert. Diese Centralisation der einzelnen Bewegungsmechanismen ist auch
bei der kortikalen und kapsulären Hemiplegie, speziell an der unteren Extremität
erkennbar. Bei den schweren Lähmungsformen erleiden wohl sämmtliche Muskeln
des betroffenen Beines eine starke Einbusse ihrer motorischen Kraft, aber die In¬
tensität der Parese ist an bestimmten, funktionell gleichsinnigen Muskel¬
gruppen stärker ausgesprochen als an ihren Antagonisten. Mit fast kon¬
stanter Regelmässigkeit sind die Beuger des Hilft-, Knie- und Sprunggelenkes er¬
heblicher geschwächt als die Strecker. Mit diesem Lähmungstypus stimmt auch die
Topographie der Kontraktur überein, welche sich in den relativ besser erhaltenen
Streckern der genannten Gelenke bezw. den Verlängerern des Beines (Wernicke-
Mann) etabliert.
Das Resultat dieser ungleichmässig angeordneten Lähmung und Kon¬
traktur ist der spastisch paretische Gang der Hemiplegiker, deren Unfähigkeit das
Knie zu beugen und die Fussspitze hochzuziehen, sowie Hindernisse zu übersteigen.
Aus dieser inäqualen Anordnung der Parese und Kontraktur kann man drei
therapeutische Indikationen herleilen:
Behebung der Kontraktur,
Stärkung der paretischen Muskelgruppen und deren Heranziehung
zu kompensatorischen Leistungen,
Ersetzung der gelähmten Muskelfunktionen.
Zur Lösung dieser therapeutischen Aufgaben habe ich auf Anregung meines
verehrten Chefs, des Herrn Geheimraths v. Leyden, einen Apparat konstruiert, in
welchem an Stelle der ausgefallenen Muskelfunktionen die Zugkraft elastischer
Bänder trat. Das elastische Band soll in seiner Wirkungsweise den
physiologischen Bewegungsmechanismus nachahmen und in seinem
Spannungsgrade der Kraft der Antagonisten das Gleichgewicht halten.
Der erste Fall, bei welchem ich einen nach dem genannten Grundsätze kon¬
struierten Apparat versuchte, betraf ciuen 42jährigen Arbeiter Otto R. (Journal
ij Nach eine** aui :30. Januar 1002 in der Gesellschaft- der Charitearzte gehaltenen Demonstration.
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670
Paul Lazarus
No. 1235 ex 1901). Er hatte bereits im August 1896 einen apoplektischen Insult mit
linksseitiger Hemiplegie erlitten, welche angeblich völlig zurückgegangen war. Am
29. Mai 1901 wurde nun der Patient unmittelbar nach einem neuerlichen, apoplek¬
tischen Insulte in die I. medicinische Klinik gebracht. Es bestand eine vollstän¬
dige Sinistroplegie des Mundfacialis, Hypoglossus und der Extremitäten.
Drei Monate nach dieser Attaque bestanden an dem linken Beine folgende Ver¬
hältnisse:
Alle Muskeln hatten eine Einbusse ihrer Arbeitskraft erlitten; am meisten
geschädigt waren jedoch die Beuger der grossen Gelenke, während die Streck¬
muskeln aktiv noch relativ funktionsfähig waren.
Im Hüftgelenke bestand eine geringe Parese der Extension, Ab-und Adduktion,
sowie Aussenrotation, während die Flexion und Innenrotation stärker betroffen waren.
Die passive Beweglichkeit war vorzugsweise bei der Innenrotation erschwert (Kon¬
traktur der Aussenrotatoren).
Im Kniegelenke (sowohl in der Rücken-, als auch Bauch- und Seitenlage ge¬
prüft) wurde passiven Beugungsversuchen ein kräftiger Widerstand entgegengesetzt
(Kontraktur des Quadriceps). Aber auch die Prüfung der motorischen Kraft der
Strecker ergab eine beträchtliche Abnahme gegenüber der gesunden Seite. Der linke
Quadriceps war somit paretisch und kontrakturiert. Aktiv war die Kniebeugung im
Liegen im Winkelausmaasse von ca. 20° möglich; beim Stehen und Gehen bestand
hingegen eine fast vollständige Insufficienz der Beuge-r. Von den Beugemuskeln
(Sartorius, Gracilis, Popliteus, Biceps, Semimembranosus und Semitendinosus) wirken
bekanntlich die drei letztgenannten beim Gehen als Strecker des Hüftgelenkes bezw.
als Verlängerer des Beines im Sinne Wernicke-Mann’s. Bei gestrecktem Hüft¬
gelenk war die Kniebeugung vollständig aufgehoben. Das Sprunggelenk befand
sich in leichter Pesequinovarus - Stellung. Die Beugung (Dorsalflexion) war aktiv
vollständig aufgehoben und auch passiv infolge der Kontraktur des Gastrocnemius
so stark behindert, dass man den I'uss kaum bis zum rechten Winkel erheben konnte.
Die Plantarflexion war kräftig, doch noch schwächer als auf der gesunden Seite.
Beim Supinationsversuche wurde bloss die Grosszehe isoliert nach aufwärts gebogen.
Die Pronation war fast vollständig aufgehoben. Haut- und Sehnenreflexe waren
beiderseits lebhaft gesteigert, kein Fussklonus. Links bestand auch der Babinski'sche
Reflex. Die Sensibilität war in sämmtlichen Qualitäten intakt.
Der Gang war der typisch spastisch-paretische der Hemiplegie; die Schritte
waren kurz, das gelähmte Bein wurde wie eine Stelze vorgeschwungen und das
gesunde Bein nachgezogen. Die Spitze und der Aussenrand des Fusses schleiften
am Boden. Dieses Unvermögen, den linken Fuss vom Boden »abzuwickeln«, wurde
beim Voranschreiten des gesunden, rechten Beines noch deutlicher. Bei dem Ver¬
suche, das Bein hochzuziehen, gerathen die Plantarflexoren in Kontraktion, und die
Fussspitze wird extrem nach abwärts gesenkt. Infolge der Insufficienz der Dorsal¬
flexoren bleibt nun die Fussspitze am Boden kleben und kann selbst über geringe
Terrainhindernisse nicht hinüber.
Fig. 86 stellt den gewöhnlichen Gang des Patienten dar, welcher mit der Gross¬
zehenfläche der Fussspitze an einem 5 cm hohen, am Boden befestigten Eisenklötzchen
hängen bleibt. Patient hat sich die korrespondierende Stelle eines neuen Schuhes
im Verlaufe einer Woche im Charitegarten durchgetreten, da er mit ihr an alleu
Bodenunebenheiten anstiess. (Die Figuren sind nach Photographieen angefertigt).
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671
Ucber die Ersetzung gelähmter Muskclfunktioncn durch elastische Züge.
In Fig. 87 ist der Kranke im Begriffe, ein 18 cm hohes Brett mit dem nach¬
folgenden gelähmten Bein zu übersteigen. Infolge der Parese der Knie- und Fuss-
beuger, desgleichen infolge der Kontraktion der Plantarflexoren, bleibt er am Hinder¬
nisse hängen. Hingegen vermag er dasselbe zu umgehen, indem er das Becken auf
der Seite des gelähmten Beines hebt und dieses selbst in einem Bogen um die Axe
des gesunden »Standbeines« vorschwingt. Dasselbe Manöver vollfuhrt er beim
Stiegensteigen.
Die geschilderten Ausfallserscheinungen sind somit vorzugsweise auf die voll¬
ständige Lähmung der Kniebeuger und der Dorsalflexoren zu beziehen.
Die genannten Muskelfunktionen bedurften daher in erster Linie einer Unterstützung
bezw. Ersetzung, welche ich durch den nun zu schildernden Apparat zu erzielen
bestrebt war.
Fig. 86. Fig. 87.
Der Gehapparat besteht aus drei Theilen (Fig. 88, s. umstehend).
Der Haupttheil besteht aus einem gut umlederten Stahlgerüste um die linke
Beckenhäfte und Extremität. Die Beckenspange wird durch einen gut gepolsterten
Ledergurt zum Ringe ergänzt, welcher in seiner Weite beliebig verstellbar ist. Das
Beingehäuse besteht aus zwei 16 mm breiten Längsschienen, welche entsprechend der
Drehaxe des Hüft-, Knie- und Sprunggelenkes scharnierartig unterbrochen sind und
distalwärts durch einfache Knopfscharniere mit dem Schuhantheile artikulieren. An
den Längsschienen sind nun vier Querschellen angebracht, welche aus einer rück¬
wärtigen umlederten Stahlspange und einem vorderen, in der Weite beliebig anknöpf-
baren, gepolsterten Ledergurt zusammengesetzt sind. Die oberste Querspange kommt
knapp unter die Gesässfalte zu liegen, die mittleren liegen 10 cm oberhalb bezw.
unterhalb der Kniespalte, und die unterste befindet sich 10 cm oberhalb der Malleolen.
Die Beinlänge (Abstand der Spina ant. sup. von der Sohle) beträgt 97 cm. Diese
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672 Paul Lazarus
Spangen tragen in der Mitte ihrer Rückfläche 5 cm lange und 2 cm hohe Stahlstege
mit Rollhülsen. Von der Tuber- bis zur Malleolenspange gleitet nun in diesen Stegen
wie in einer unterbrochenen Sehnenscheide ein in sich zurücklaufender elastischer
Gurt von 52 cm Länge und 4,5 cm Breite. Er lässt sich durch einen eingeschalteten
Schnallriemen um 10 cm verkürzen und dadurch in seiner Zugwirkung steigern oder
abschwächen.
Der zweite Theil des Apparates besteht aus einem zum Schnallen eingerichteten
Schuh, an dessen Sohle, aussen und innen, entsprechend dem ersten und fünften
Metakarpalknochen 10 cm lange und 3 cm breite
Fig. 88. Riemen angebracht sind. An dieselben sind nun
zwei gleich breite, 11 cm lange elastische Bänder
festgenäht, welche in fünffach gelochte Riemen über¬
gehen. Diese aus bestem Gummi verfertigten Züge
werden übers Kreuz gelegt und an zwei Metall¬
köpfen der unteren Kniespange aussen und innen
angesteckt. Der Schuh trägt ferner in seinem Tarsus-
theile zwei seitliche Stahlschienen zur Scharnierver¬
bindung mit den entsprechenden'Seitenschienen des
Unterschenkels. Diese elastischen Züge wirken im
Sinne der Dorsalbeugung; der laterale Zug ausser¬
dem im Sinne der Hebung des äusseren Fussrandes
(Pronation), der mediale im antagonistischen Sinne
(Supination). Die Intensität des elastischen Zuges
und damit der Grad der Beugung bezw. Pro- und
Supination lassen sich entsprechend der Kraft der
kontrakturierten Antagonisten regulieren. Je kürzer
das elastfsche Band genommen wird, desto grösser
ist natürlich seine Zugkraft.
Das Gewicht des Apparates beträgt IV* kg.
Fig. 88 stellt nun den Apparat sich selbst über¬
lassen dar; in diese Stellung trachtet auch der Appa¬
rat das erschlaffte Bein zu bringen. Die Dorsalbänder
ziehen die Schuhspitze empor, und das Kniekehlen¬
band beugt das Kniescharnier bis über den rechten
Winkel. Durch noch stärkere Verkürzung der elasti¬
schen Bänder kann die Zugwirkung noch gesteigert
werden.
An der Extremität angelegt, stellt nun das rückwärtige, elastische Band
einen künstlichen Kniebeuger (Kn.B.) und das vordere einen künstlichen
Fussheber (F. H.) dar. Das Gehmanöver besteht nun in der rhythmischen
Innervation und Erschlaffung der Streckmuskulatur. Im ersteren Falle
überwindet die Kontraktion der Strecker die Retraktilität der elastischen Züge und
führt zur Streckung der grossen Gelenke. Bei der Erschlaffung der Strecker fallt
das Bein rein passiv in die Beugestellung zurück. Mit dem künstlichen Fussheber
allein geht der Kranke mit gestrecktem Knie, aber mit erhobener Fussspitze; das
»Scharren« ist behoben, und der Fuss wird mit der vollen Sohle aufgesetzt, doch
bedarf es einer grösseren Kraftaufwendung, um das gestreckte als das im Knie ge-
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Ueber die Ersetzung gelähmter Muskelfunktionen durch elastische Züge. 673
beugte Bein vorzuschwingen. Durch Einschaltung des Kniebeugers wird das Bein
noch mehr verkürzt und kann noch höher gehoben werden.
Fig. 89 zeigt den Patienten im Momente des Uebersteigens des 18 cm hohen
Brettes (vergl. Fig. 87), was ihm mit Leichtigkeit gelingt. Die Fussspitze kann bei
gestrecktem Hüftgelenk 30 cm (reine Knie- und Fussbeugung) und bei gebeugtem
Hüftgelenk 56 cm (mit der Hüftgelenksbeugung kombiniert) über den Boden erhoben
werden. In Fig. 90 ist die andere 'Gehphase mit nachfolgendem, gelähmten Beine
dargestellt. Ohne Anstrengung überschreitet der Patient das gleiche Hinderniss.
Der dritte Bestandtheil des Apparates ist ein festgewebter, leicht unterpolsterter
Schultergurt (Sch. g. Fig. 88); er wird über die gesunde Schulterhöhe gelegt und ist
vorne wie rückwärts nahe der Mittellinie am Beckengurte leicht an- und abzuknöpfen.
Kg. 89. Kg. 90.
Dieser Schultergurt dient einerseits zur Entlastung vom Gewichte des Apparates und
der Extremität; andererseits ist es dem Kranken durch Hebung der Schulter mög¬
lich, den Apparat sammt dem in ihm geborgenen Beine etwas zu heben und zu
abduzieren.
Diese Uebertragung der Bewegung von gesunden Muskelkomplexen
auf gelähmte spielt wohl in unserem Falle keine Rolle; sie ist aber von prinzipieller
Bedeutung, speziell bei totalen Lähmungen. Bei einer vollständigen Beinlähmnng
kann man z. B. an der Vorderfläche eine künstliche Strecksehne, an der Rückfläche
eine künstliche Beugesehne anbringen. In analoger Weise könnte man durch ent¬
sprechende Anordnung derartiger Sehnenzüge den groben Mechanismus sämmtlicher
physiologischer Bewegungen imitieren. Diese festgewebten Kunstsehnen (geflochtene
Darmsaiten, Lederschnüre oder Seile) müssten nun über Rollen längs des Becken¬
gurtes oder über die Schulter zur Hand geleitet werden. Durch Zug an der Beuge-,
Zeltachr. f. diät u. physik. Therapie Bd. V. Heft 8. 4 ß
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674 Paul Lazarus
Streck- oder Abduktionssehne könnte nun der Kranke sein Bein nach Belieben
beugen, strecken, abduzieren u. s. f., während eine scharnierartige Vorrichtung in den
Gelenken des Apparates das Umknicken verhütet
Der Patient trägt bereits seit vier Monaten den beschriebenen Apparat; er
kann in ihm anstandslos sitzen, liegen und sich bücken, desgleichen laufen, Stiegen
steigen, Leiter klettern und vom Stuhl springen. Seine gewöhnliche Geh¬
geschwindigkeit beträgt 15 Meter in 25 Sekunden; im Laufschritt legt er dieselbe
Strecke in 12 Sekunden zurück. Seine gewöhnliche Schrittlänge variiert um 80 cm;
der maximale Querabstand der Fersen beträgt beim Gehen und Laufen ca. 8 cm. Die
Circumduktion des Beines ist völlig aufgehoben. Stiegen steigt er fast so rasch wie
ein Gesunder; ohne jede Unterstützung steigt er 26 Stufen in 18 Sekunden herauf und
in 20 Sekunden herunter. Auch die Standfestigkeit des Beines ist im Apparate
eine stabilere; er vermag mit aufrechtem Rumpfe 5 Sekunden auf dem paretischen
Beine zu stehen.
Den oben genannten therapeutischen Forderungen kommt der Apparat auch in
anderer Hinsicht entgegen, er wirkt im Sinne der Gymnastik und der Bahnung.
Jeder Schritt wird zu einem gymnastischen Akte, was speziell bei der
hemiplegischen Lähmung von grosser Bedeutung ist, da es bei derselben infolge der
mangelnden Bewegung zu lokalen und allgemeinen Cirkulationsstörungen kommt.
Auf die Streckmuskeln wirkt der Apparat imSinne der Widerstandsgymnastik,
da sie bei jeder Streckung die Kontraktilität der elastischen Züge zu überwinden
haben. Dieser konstant eingeschaltete Widerstand führt zu einer Arbeitshyper¬
trophie der paretischen Muskeln, welche in ihrer Entstehung der Hypertrophie des
Herzens und der Darmmuskulatur vor Passagehindernissen vergleichbar ist. That-
sächlich hat auch der Querumfang des linken Oberschenkels und des Unterschenkels
im letzten Vierteljahre um 4 cm bezw. 2,3 cm zugenommen, gegenwärtig beträgt
der Oberschenkelumfang, 15 cm oberhalb der Patella gemessen, 51 cm links gegen¬
über 50 cm rechts, und der Wadenumfang, 15 cm unterhalb der Patella, 36,3 cm
links gegenüber 35,3 cm rechts. Das linke Bein, welches vor der Anwendung des
Apparates 47 bezw. 34 cm Umfang hatte, ist somit derzeit umfangstärker als das
gesunde rechte. Der Patient ist innerhalb eines Vierteljahres aus dem Apparate
herausgewachsen, sodass längere Querspangen eingesetzt werden mussten. Auch die
Konsistenz der Muskulatur hat zugenommen. Die Volumszunahme betrifft nur die
Muskulatur, die Haut zeigt keinen Unterschied gegenüber der gesunden Seite.
Die Streckmuskeln wurden aber nicht nur gestärkt, sondern sie adaptierten sich
auch der Kontraktilität der elastischen Züge. Während die Bewegungen anfangs ruck¬
weise erfolgten und der Unterschenkel in die rechtwinklige Stellung zurückschnellte,
bildete sich im Laufe der Wochen eine Art Koordination aus. Der Kranke erlernte
allmählich, die Innervation des Quadriceps der Mechanik des normalen
Gehens anzupassen; die Kontraktion der Streckmuskeln steigt allmählich an und
klingt ebenso ab, so dass auch die Beugung nicht ruckartig, sondern in harmonisch
abgerundeter Weise eintritt. Während der Kranke beim Gehen ohne Apparat den
Quadriceps in steter Streckkontraktur erhält., lernt er im Apparat wieder den Vor¬
gang der Erregung und Erschlaffung. Jede Streckung wirkt somit als
Widerstandsübung und jede Beugung als Erschlaffungsübung; die letztere
wirkt nun günstig auf die Lösung der Kontraktur. Auf den Werth dieser von
mir als »atonische Gymnastik« beschriebenen Erschlaffungsübungen habe ich in
dem vorigen Hefte dieser Zeitschrift hingewiesen.
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Ueber die Ersetzung gelähmter Muskelfunktionen durch elastische Züge. 675
Aber auch die Beugemuskeln gehen nicht leer aus; sie werden durch den
Apparat im Sinne der passiven Gymnastik und der Bahnung beeinflusst. In
der erstgenannten Beziehung wird die Atrophie der Beuger, welche das Produkt
der Inaktivität und der stationären Ueberdehnung ist, hintangehalten. Die Zug¬
wirkung des Apparates kommt ferner dem Beugeimpulse entgegen, dessen Umsetzung
in die Beugung durch die Erschlaffung der Strecker und durch die Entlastung vom
Gewichte des Unterschenkels gebahnt wird. Der Kranke übt auf diese Weise wieder
die Innervation der Beuger, denen man durch Nachlassen des elastischen Zuges all¬
mählich immer höhere Leistungen aufbürden kann, bis sie sich schliesslich auch ohne
die Mitwirkung des Apparates aktiv gut kontrahieren können.
Thatsächlich vermag unser Patient nach viermonatlichem Tragen des Apparates
das Bein im Hüft-, Knie- und Sprunggelenke aktiv zu beugen.
Im Hüftgelenke hat die Parese in allen Richtungen abgenommen; bis auf
die noch immer etwas behinderte Innenrotation und die leicht kontrakte Aussen-
rotation sind alle übrigen Bewegungen kräftiger und ausgiebiger als vor einem Drittel¬
jahr; passiv können alle Gelenkbewegungen mit Ausnahme einer geringen Behinderung
bei der Innenrotation bis zu den Grenzen der normalen Exkursionsfähigkeit vor¬
genommen werden. Durch die Mobilisierung des Knie- und Sprunggelenkes wurde
auch die Restitution der Bewegungen im Hüftgelenke gefördert.
Das Kniegelenk ist passiv vollkommen frei beweglich; aktiv hat die
Bewegungsparese deutlich abgenommen; in aufrechter Stellung vermag der Kranke
das Knie um einen Winkel von 25 0 zu beugen und drei Sekunden in dieser Stellung
zu halten. Die Widerstandskraft bei passiven Beugungs- und Streckungsversuchen hat
bedeutend zugenommen, doch ist sie noch geringer als auf der gesunden Seite.
Im Sprunggelenke ist bereits eine aktive Dorsalflexion bis zum rechten
Winkel möglich; es besteht noch eine geringe Kontraktur des Gastrocnemius.
Im übrigen sind die früheren spastischen Zustände und auch die Inaktivitäts¬
atrophie der Muskulatur zum grössten Theile behoben; der Umfang des Oberschenkels
und des Unterschenkels in der Mitte gemessen betragen um 1 cm mehr als auf der
gesunden Seite. Die Haut- und Sehnenreflexe sind noch an beiden Seiten gesteigert,
links besteht noch lebhaft der Babinski’sche Grosszehenreflex. Kein Fussklonus.
Der Gang des Patienten ohne Apparat ist noch ausgesprochen paretisch,
doch ist die spastische Komponente weitaus geringer als vor vier Monaten. Wenn
sich der Kranke anstrengt, vermag er aktiv das Hüft- und Kniegelenk zu beugen und
die Fussspitze hochzuheben sowie geringe Terrainhindernisse zu überschreiten; doch
ermüdet er noch leicht und schleift dann wie früher mit der Fussspitze am Boden.
Das Prinzip der Ersetzung gelähmter Muskelfunktionen durch
elastische Züge kann auch auf die anderen Formen ungleichmässiger Extremitäts¬
lähmungen ausgedehnt werden. Jene Muskelgruppen, welche in ihrer Inte¬
grität stärker angegriffen sind, werden entsprechend substituiert und
auf diese Weise das Muskelgleichgewicht zu erzielen gesucht Sind
z. B. der Quadriceps gelähmt und die Beuger noch funktionsfähig, dann tritt an
seine Stelle ein nach Intensität und Wirkungsweise genau regulierter, elastischer
Zug. Der Kranke hat dann während des Gehaktes nur die Beuger zu innervieren
und zu erschlaffen. Im ersteren Falle wird die Kontraktilität des künstlichen
Streckers überwunden und das Bein aktiv gebeugt, in letzterem Falle gewinnt der
künstliche Strecker das Uebergewicht und führt das Bein rein passiv in die Streck¬
stellung, in welcher cs durch ein passendes Scharniergerüst fixiert wird.
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676 Ludwig Mann
Vollständig gelähmte MuskelfunktioDen können ferner auch durch
Uebertragung der Bewegung von gesunden Muskelkomplexen mittels un¬
dehnbarer Sehnen ersetzt werden. Mit der technischen Ausbildung dieser Möglich¬
keit bin ich gegenwärtig beschäftigt.
Die genannten Prinzipien der Substitution gelähmter Muskel¬
funktionen durch elastische Züge und der Transmission der motorischen
Kraft von gesunden auf gelähmte Muskelgruppen lassen sich auch an der
oberen Extremität anwenden, doch sind sie an dieser weitaus schwieriger durch¬
zuführen als an der unteren Extremität. Die Schwierigkeiten der Lösung dieser
therapeutischen Probleme an Bein und Arm verhalten sich zu einander so wie die
grobe Mechanik des Gehens zu der idealen Vollkommenheit unserer manuellen
Leistungen.
V.
lieber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur und deren
physikalische Behandlung.
Bemerkungen zu dem Aufsatze von P. Lazarus auf S. 550ff. dieser Zeitschrift.
Von
Dr. Ludwig Mann,
Privatdocent in Breslau.
In seinem oben bezeichneten, sehr lesenswerthen Aufsatze entwickelt der Ver¬
fasser eine Auffassung von der Genese der hemiplegischen Kontraktur, welche mit
einer früher von mir aufgestellten Theorie und, wie mir scheint, auch mit mancherlei
Thatsachen im Widerspruch steht. Es dürften daher einige Bemerkungen zu dem
Aufsatze von Interesse sein.
Der Verfasser geht von der Anschauung aus, die früher schon in mancherlei Modi¬
fikationen ausgesprochen worden ist, dass die Leitungsunterbrechung der Pyramiden¬
bahn einmal eine Abschwächung der motorischen Innervation, eine Parese, ausserdem
aber eine Aufhebung der von der Rinde aus regulierten Hemmungen und damit eine
Hypertonie (die sich in Kontraktur äussert), zur Folge habe. Beide Erscheinungen
gehen nach Lazarus einander parallel, so dass dieselben Muskelgruppen (und
hier liegt der wichtigste Gegensatz zu meiner Theorie!), die paretisch sind, gleich¬
zeitig auch Hypertonie zeigen. Als klinischen Ausdruck der Hypertonie betrachtet
Lazarus die Steigerung der Sehnenrefexe, sowie der mechanischen und elektrischen
Erregbarkeit, Erscheinungen, die sich in allen paretischen Muskeln, sowohl den
Agonisten wie auch ihren Antagonisten finden sollen. Dass die hemiplegische
Lähmung »dissociiert« ist, d. h. dass die einzelnen Muskeln in ungleichmässigem
Grade von ihr befallen werden, soll daran liegen, dass die verschiedenen Muskel¬
gruppen auch unter physiologischen Verhältnissen verschieden grosse Kraft besitzen,
z. B. die Handschliesser kräftiger sind wie die Handöffner u. s. w. Infolge dieses
Unterschiedes zeigen bei der Hemiplegie die schon von vornherein schwächeren
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Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc.
677
Muskeln einen relativ grossen Ausfall an Kraft. Gleichzeitig aber entwickelt sich
auch die Hypertonie proportional den physiologischen Verhältnissen, so dass die
stärkeren Agonisten ein Plus an Tonus, die schwächeren Antagonisten ein relatives
Tonusdefizit haben. Beide Muskelgruppen haben einen gesteigerten Tonus, aber die
Kontraktur wird sich in jenen Muskelgruppen ausbilden, welche schon physiologisch
das relative Uebergewicht an Kraft und Tonus haben. Je vollständiger die Parese,
desto stärker soll demnach die Kontraktur sein; bei totaler Zerstörung der inneren
Kapsel soll komplete Paralyse des Armes und der höchste Grad hemiplegischer
Kontraktur erfolgen.
Diese Auffassung, die ja zunächst einen sehr einfachen und verständlichen Ein¬
druck macht, kann einigen Thatsachen nicht Stand halten, die ich zum Theil bereits
in meinen früheren Arbeiten angeführt habe. Um sogleich mit der letzten Bemerkung
zu beginnen, so ist es ganz entschieden nicht richtig, dass der höchste Grad der
Kontraktur sich bei totaler Durchtrennung der motorischen Bahn findet. Man denke
nur an die hohen Quertrennungen des Rückenmarkes. Hier wären ja nach Lazarus
sicher alle von der Rinde aus regulierten Hemmungen fortgefallen, und wir müssten
demnach die stärksten hypertonischen Kontrakturen finden. Thatsächlich ist in
diesen Fällen die Lähmung aber immer absolut schlaff. Auch bei den früher von
mir beschriebenen — allerdings sehr seltenen — Fällen von Hemiplegie, bei denen
die Lähmung dauernd eine totale bleibt, bei denen wir also eine vollständige Unter¬
brechung der motorischen Bahn annehmen müssen, bleiben die Kontrakturen aus 1 ).
Die höchstgradigen Kontrakturen finden wir vielmehr in denjenigen Fällen,
in welchen der »hemiplegische Lähmungstypus< am ausgesprochensten ist, in welchem
also gewisse Muskelgruppen gelähmt sind, ihre Antagonisten aber ihre motorische
Kraft bewahrt haben. Es sind das also Fälle, bei welchen die motorische Leitungs¬
bahn theilweise intakt sein muss 3 ).
Das klarste Beispiel dafür bietet das hemiplegische Bein. Um aber das Ver¬
halten der Kontraktur an demselben zu besprechen, muss ich mich mit Lazarus
zunächst über die Untersuchungsmethode verständigen, die man den Kontrakturen
gegenüber anzuwenden hat.
Für das Vorhandensein oder Fehlen der Kontraktur ist einzig und allein der
Widerstand maassgebend, der sich passiven Bewegungsversuchen (und zwar raschen
und brüsken Bewegungen) in den verschiedenen Bewegungsrichtungen entgegenstellt.
Die Steigerung der mechanischen und elektrischen Erregbarkeit sowie der Sehnen-
Natürlich sind hier immer nur die echten hypertonischen (spastischen) Kontrakturen gemeint.
Passive Kontrakturen, d. h. Retraktion der Muskeln, deren Ansatzpunkte einander genähert sind,
kommen häufig ausserdem hinzu und können sich natürlich auch bei den oben erwähnten totalen
Hemiplegicen finden. Man kann beide Arten der Kontraktur schon an der Art des Widerstandes
unterscheiden, den sie bei passiven Bewegungen darbieten. Crocq giebt an, dass sie sich auch
dadurch unterscheiden lassen, dass bei Umschnürung des Gliedes mit der Esmarch'sehen Binde
die hypertonischen Kontrakturen verschwinden, während die passiven (oder Pseudokontrakturen)
bestehen bleiben.
<0 Ich bemerke, dass ich mich in einer früheren Arbeit leider ungenau ausgedrückt habe, in¬
dem ich sagte, dass »die Vorbedingung für das Zustandekommen einer Hypertonie die Intaktheit
der Pyramidenbahn« ist. Natürlich muss es die »theilweise Intaktheit« heissen! Aus dem Zu¬
sammenhang der betreffenden Stelle geht der Sinn hervor, dass, wenn eine Hypertonie zu stände
kommen soll, einem Theil der Muskeln noch intakte Leitungswege in den Pyramidenbahnen zur Ver¬
fügung stehen müssen. Fällt für diese, noch willkürlich beweglichen Muskeln dann die Hemmung
(durch Lähmung ihrer Antagonisten) fort, so entwickelt sich in denselben die hypertonische Kontraktur.
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reflexe, welche Lazarus als Kriterium anführt, ist durchaus nicht immer beweisend.
Erstere fehlt sehr häufig, und die letztere geht zwar meistens, aber durchaus nicht
immer der Hypertonie parallel. Nicht nur von mir, sondern auch von anderen
Autoren (z. B. van Gehuchten) ist darauf hingewiesen worden, dass das Verhalten
der Sehnenreflexe und des Muskeltonus durchaus nicht immer übereinstimmt, in¬
dem in manchen Fällen Steigerung der Sehnenreflexe mit Verminderung des Muskel¬
tonus (Atonie) vergesellschaftet sein kann. Also die Beobachtung der Sehnenreflexe
kann uns nicht das beweisende Kriterium für das Vorhandensein von Hypertonie
bilden. Letzteres finden wir vielmehr nur in der Untersuchung der passiven Beweg¬
lichkeit. Wenn man ein typisch hemiplegisches Bein im Kniegelenk hin- und her¬
bewegt, so findet man einen sehr bedeutenden Widerstand bei der Beugung, dagegen
geht die Streckung abnorm leicht, federnd vor sich. Ebenso ist im Fussgelenk die
passive Dorsalflexion sehr schwer, die Plantarflexion ganz leicht ausführbar. Es
sind also die den erstgenannten Bewegungen entgegengesetzt wirkenden Muskeln,
nämlich der Quadriceps und der Gastrocnemius in Hypertonie, ihre Antagonisten
aber in Atonie. Untersuchen wir aber nun die aktive Bewegungsfähigkeit des
Patienten, so finden wir, dass er die Streckung des Unterschenkels und die Plantar¬
flexion des Fusses sehr kräftig ausführen kann, während die entgegengesetzten
Bewegungen (Beugung des Unterschenkels und Dorsalflexion) hochgradig paretisch
sind. Diese paretischen Muskeln sind aber, wie oben erwähnt, nicht hypertonisch,
sondern im Gegentheil schlaff. Ich muss also auf Grund dieser Beobachtungen, die
ich unzählige Male gemacht habe, und die sich in ganz analoger Weise auf den
Arm übertragen lassen, Lazarus ganz entschieden widersprechen, wenn er sagt,
dass bei der Hemiplegie die Parese mit Hypertonie einhergeht. Vielmehr ist die
Parese der einen Muskelgruppe mit Hypertonie ihrer (relativ gut funktionierenden)
Antagonisten verbunden, und es ist die Hypertonie um so hochgradiger, je aus¬
geprägter dieser »hemiplegische Lähmungstypus« oder, wie sich Lazarus ganz
treffend ausdrückt, die »dissociierte Muskellähmung« ist.
Uebrigens möchte ich Lazarus noch darauf aufmerksam machen, dass auch
das Verhalten der Sehnenreflexe, welches er anführt, welches ich aber doch
nicht durchweg als ein vollgültiges Kriterium anerkennen wollte, in den meisten
Fällen in meinem Sinne spricht. Die Reflexsteigerung am Beine können wir näm¬
lich hauptsächlich an zwei Sehnen feststellen, der Patellarsehne und der Achilles¬
sehne. Dies sind aber gerade die Sehnen derjenigen Muskeln, welche ich oben als
hypertonisch bezeichnet habe, während ihre Antagonisten (die Beuger des Unter¬
schenkels und Dorsalflexoren des Fusses) keine Steigerung der Reflexerregbarkeit an
ihren Sehnen zeigen. Letzteres müssten wir aber doch erwarten, wenn die Ansicht
Lazarus’ zuträfe, dass die Hypertonie sich auf sämmtliche Muskeln der pareti¬
schen Extremität erstreckt.
Ich glaube also, dass ich meinen früher aufgestellten Satz, nach welchem bei
der Hemiplegie nur ein Th eil der Muskulatur hypertonisch ist und zwar gerade
derjenige Theil, welcher seine motorische Kraft relativ am besten bewahrt hat, in
vollem Umfange aufrecht erhalten kann. Zur Erklärung dieser Thatsache sehe ich
auch heute keine andere Möglichkeit als die von mir aufgestellte Theorie: Die erregen¬
den Impulse für eine bestimmte Muskelgruppe verlaufen in der Pyramidenbahn zu¬
sammen mit den hemmenden Impulsen für ihre Antagonisten. Fallen also infolge
von Leitungsunterbrechung die erregenden Impulse für eine Muskelgruppe ans, so
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lieber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc. 679
sind damit gleichzeitig die hemmenden für die Antagonisten abgeschnitten; die
Antagonisten der gelähmten Muskeln werden also hypertonisch.
Nun hat aber Lazarus noch eine Frage angeregt, welche für die ganze Lehre
von der Hemiplegie ausserordentlich wichtig ist, nämlich die Frage nach der Ursache
der dissociierten Lähmung: wie kommt es, dass bei der Hemiplegie nur ein Theil
der Muskeln gelähmt ist, oder genauer gesagt, dass die Lähmung gewisse Muskel¬
gruppen ganz überwiegend befällt, während ihre Antagonisten relativ intakt sind?
Lazarus macht in dieser Beziehung die sehr richtige und zutreffende Be¬
merkung, dass schon unter physiologischen Verhältnissen ein Unterschied zwischen
den verschiedenenen Muskelgruppen besteht, in dem Sinne, dass die einen ganz
konstant die anderen an Volumen und Kraft über wiegen. So sind die Handschliesser
kräftiger wie die Handöffner, die Pronatoren kräftiger wie die Supinatoren, die
Strecker de$ Unterschenkels kräftiger wie die Beuger, die Plantarflexoren kräftiger
wie die Dorsalflexoren etc.
Diese physiologische Verschiedenheit will nun Lazarus (und vor ihm hat
übrigens D 6j er in e bereits dieselbe Auffassung vertreten) zur Erklärung des hemi¬
plegischen Lähmungstypus verwenden. Er denkt sich, dass durch die hemiplegische
Lähmung die gesammte Muskulatur der betreffenden Extremität an Kraft einbüsst,
dass sich aber naturgemäss die Lähmung an denjenigen Muskeln besonders bemerk-
lich machen muss, welche schon physiologisch eine relativ geringe Kraft besitzen.
Die Dissociation der Lähmung wäre also nur eine scheinbare, durch das ungleiche
physiologische Verhalten der Muskeln bedingte.
In der That stimmen die Thatsachen sehr gut mit dieser Auffassung über ein,
denn wir sehen wirklich, dass die physiologisch relativ schwachen Muskelgruppen
die bei der Hemiplegie vorwiegend paretischen sind. Ich erinnere nur an die Dorsal¬
flexoren des Fusses, die Handöffner, die Supinatoren etc. Aber trotzdem genügt
die Lazarus’sche Auffassung keinesfalls zur Erklärung des hemiplegischen Lähmungs¬
typus. Wer jemals typische Fälle von hemiplegischer Lähmung beobachtet hat,
wird gesehen haben, dass die Differenz zwischen den gelähmten Muskeln und ihren
Antagonisten so kolossal ist, dass es sich nicht einfach blos um einen verstärkten
Ausdruck der physiologischen Kraftdifferenz handeln kann.
Gewiss sind z. B. die Dorsalflexoren des Fusses im Normalzustände etwas
weniger kräftig wie die Plantarflexoren (genaue Zahlen existieren darüber meines
Wissens nicht, sie würden aber recht werthvoll sein); aber immerhin sind auch die
Dorsalflexoren eine ausserordentlich kräftige Muskelgruppe.
Wenn man einem in Rückenlage liegenden gesunden Menschen aufgiebt, seine
Füsse kräftig dorsalflektiert zu halten, und nun versucht, mit dem Aufgebot der
gesammten Händekraft ihm die Füsse plantarwärts herabzuziehen, so gelingt das
nicht. Eher zieht man den gesammten Körper des Patienten inklusive seines Bettes
zu sich heran, ehe man seine Füsse nach abwärts bringt.
Untersucht man dagegen einen typischen Hemiplegiker, so ist diese sonst so
kräftige Muskelgruppe völlig gelähmt oder wenigstens so hochgradig paretisch, dass
der Patient nicht einmal die Eigenschwere des Fusses zu überwinden und seine
Spitze kaum einen Centimeter zu heben vermag. Dagegen finden sich bei demselben
Patienten die Antagonisten, die Plantarflexoren so kräftig erhalten, dass der Patient
den kräftigsten Widerstand der Hände zu überwinden und die Fussspitze demselben
entgegen herabzudrücken vermag.
Dieselbe evidente Differenz in der Lähmung fiudenjwir auch bei anderen Muskel-
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f>SO Ludwig Mann, Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etr.
gruppen und ihren Antagonisten, und es geht daraus unzweifelhaft hervor, dass es
sich bei der Hemiplegie nicht einfach um eine Steigerung der schon normalerweise
vorhandenen Kraftdifferenz zwischen einzelnen Muskeln handelt, sondern dass wirklich
einzelne und zwar ganz konstante Muskelgruppen (die wir nach Wern icke’s Vor¬
gang »Prädilektionsmuskeln« zu nennen pflegen) von der Lähmung ganz überwiegend
getroffen werden. Zur Erklärung dieser Thatsache scheint mir nur die Annahme
möglich, dass die Leitungswege für gewisse Bewegungsformen in den Pyramidenbahnen
günstiger gestaltet sind wie die für die antagonistischen Bewegungen. Denken wir
uns etwa, dass den Impulsen für gewisse Muskelgruppen nur ein engbegrenzter
Querschnitt in der Pyramidenbahn zur Verfügung steht, während die Innervation für
die antagonistischen Muskeln auf einem breiten, diffuse über die ganze motorische
Bahn sich verbreitenden Querschnitt vor sich geht, so wird es verständlich, dass bei
einer partiellen Leitungsunterbrechung jedenfalls immer noch ein genügender Inner¬
vationsstrom zu den letztgenannten gelangen kann, während die ersteren durch eine
kleine, partielle Läsion der Pyramidenbahn schon total gelähmt sein können. Wir
können diese Auffassung auch ganz gut in einen gewissen Zusammenhang mit dem
von Lazarus betonten ungleichen Verhalten der physiologischen Kraft bringen, indem
es ja durchaus einleuchtend erscheint, dass den Muskelgruppen, die physiologisch dazu
bestimmt sind, eine besonders grosse Kraft zu entfalten, besonders günstige Leitungs¬
wege in den centralen Bahnen zur Verfügung stehen. Wie man sich aber die An¬
ordnung dieser Leitungswege auch denken möge, so ist doch jedenfalls so viel sicher,
dass es sich bei dem hemiplegischen Lähmungstypus um eine wirkliche, durch die
Beschaffenheit der centralen Leitungsbahnen bedingte Dissociation der Lähmung und
nicht blos um den verstärkten Ausdruck einer physiologischen Kraftdifferenz handelt.
Damit wären in der Hauptsache die Punkte gekennzeichnet, in denen ich mich
in der theoretischen Auffassung der hemiplegischen Kontraktur im Gegensatz zu
Lazarus befinde. Bezüglich seiner praktischen therapeutischen Ausführungen kann
ich ihm in allen wesentlichen Punkten nur durchaus beistimmen. Auch ich habe
die Erfahrung gemacht, dass eine frühzeitige systematische Behandlung mit passiven
und aktiven Bewegungen sehr viel für die Verhütung resp. Beseitigung der Kontrak¬
turen leisten kann und begrüsse es als verdienstlich, dass Verfassser in so nach¬
drücklicher Weise auf diese Behandlungsmethode aufmerksam gemacht hat
Nur in einem Punkt mussich auf einen Widerspruch aufmerksam machen. Bei
Besprechung der Elektrotherapie sagt Lazarus, dass man die hypertonischen Muskeln
sedativ behandeln, ihre Antagonisten aber natürlich einer erregenden Methode unter¬
ziehen müsse. Wie verträgt sich das mit den vorangehenden Ausführungen des
Verfassers, nach welchen die Agonisten und die Antagonisten hypertonisch sind? Ist
es rationell, dass der eineTheil der Muskeln trotz seiner Hypertonie noch »erregende
behandelt wird? Nein, gewiss nicht! Aber trotzdem ist das praktische Vorgehen,
welches Lazarus angiebt, das richtige. Nur verträgt es sich nicht mit seiner
eigenen, sondern nur mit meiner Auffassung, nach welcher ein Theil der Muskeln
paretisch ist — und diese müssen erregend behandelt werden —, die antagonistischen
Muskelgruppen sich dagegen in Hypertonie befinden, weshalb sie einer sedativen
Behandlung bedürfen.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
6S1
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
M. Rubner, Der Energievrerth der Kost des Menschen. Zeitschrift für Biologie Bd.42.
Die Berechnung des Energiewerthes der Nahrung wird bei Stoffwechseluntersuchungen fast
durchweg nach den vor langer Zeit von Rubner angegebenen »Standardzahlen« (Eiweiss = 4,1,
Fett = 9,3, Kohlehydrat = 4,1 Kalorieen) ausgeführt. Diese Zahlen haben nach Rubncr'B früherer
Berechnung zunächst nur für die gemischte Kost des Menschen Geltung; ob sie für den kalorischen
Werth der einzelnen Nahrungsmittel, und ob sie auch für komplizierte Nahrung hinlänglich genaue
Resultate liefern, war erst noch zu erweisen.
Rubner zeigt nun in der vorliegenden Abhandlung an einer grösseren Zahl von Einzel -
versuchen, dass bei genauer kalorimetrischer Untersuchung sämmtlicher Einnahmen und Ausgaben
mittels der Bcrthelot’sehen Bombe die direkt bestimmten und die mittels der Standardzahlcn be¬
rechneten Werthe fast genau übereinstimmen, sowohl, wenn die Kost ausschliesslich aus Milch,
Fleisch, Kartoffeln oder Brot bestand, als auch, wenn fettarme oder fettreiche gemischte Kost ver¬
zehrt wurde.
Dabei ergaben sich noch einige wichtige Resultate über die Ausnutzung der Nahmngsstoffe
im Körper. Der »physiologische Nutzeffekt« der mit den einzelnen Nahrungsmitteln zugeführten
Kalorieen ist für Kartoffeln 92,3 o/ 0 , für gemischte fettreiche Kost 90,9, für gemischte fettarme Kost
89,3, für Kuhmilch 89,8, für Kornbrot 82,1, für Kleienbrot 73,5 (24% im Koth, 2,2 im Harn ver¬
loren), für reine Fleischkost 76,8 (6,9% im Koth, 16,3 im Ilam verloren).
Interessant ist ferner, dass die organische Substanz des Kothes bei ganz verschiedener Er¬
nährungsweise doch fast gleichen prozentischen Kaloricengehalt zeigt (1 g organische Trockensubstanz
des Kothes nach fettreicher Kost liefert 6,104 Kalorieen, nach fettarmer Kost 6,059). Es wird also,
von der extremen ungünstigen Ausnutzung bei sehr zellulosereicher Nahrung abgesehen, eine in
kalorimetrischem Sinn gleichartige Masse von Abfallstoffen gebildet, so grundverschieden auch die
Natur des Eingeführten an Nahmngsstoffcn sein mag.
Auch die Kalorieenwerthe für die organische Substanz der Nahrung schwankten bei ganz
verschiedener Ernährungsweise relativ wenig (l g organische Substanz liefert 4,2 Kalorieen bei
Brot-, 4,2 bei Kartoffel kost, 4,9 bei gemischter magerer, 5,1 bei gemischter fettreicher Kost, 5,9
nach Fleisch-, 5,7 nach Milchkost); der Verbrennungswerth für 1 g Organisches der Nahrung ist bei
fast jeder Ernährungsweise etwas geringer als der für 1 g Organisches der zugehörigen Fäces.
Kalorimetrische Untersuchungen des Harns ergeben, dass bei recht verschiedener Ernährungs¬
weise das Verhältnis des N zu dem Kalorieenwerth des Harns nur zwischen engen Grenzen schwankt
(6,4—8,4), dass also fast ausschliesslich die N - haltigen Bestandteile des Harns dem Körper noch
verbrennbares Material entziehen, und dass nicht etwa noch C - haltige Schlacken aus N-freier
Nahrung im Ham ausgeschieden werden. D. Gerhardt (Strassburg).
M. Rubner, Beiträge zur Ernährung im Knabenalter mit besonderer Berücksichtigung der
Fettsucht. Berlin 1902.
In der 80 Seiten starken Monographie berichtet der Verfasser über Stoffwechsel versuche, die
er an zwei Brüdern angestellt hat; der eine der Brüder, 11 Jahre alt, zeigte normale Entwickelung,
wog 26 kg, der andere, 10 Jahre alt, war ausgesprochen fettsüchtig; bei derselben Grösse, wie der
ältere Bruder, wog er 40 kg. Bei möglichst sorgfältiger Anordnung der Versuche (Ausdehnung der
Versuche auf vier Tage, Bestimmung der Kost, der N-Ausgaben, der C0 2 -Abgabe, kalorimetrische
Untersuchung sämmtlicher Einnahmen, sowie des Koths und Harns) ergab sich, dass der Fett¬
süchtige keineswegs abnorm geringen Stoffumsatz hatte, sein Kraft Wechsel stimmte (bei »Erhaltungs-
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Hvfevs&v fibtvr Bfb*.her und Aufsätze
»UatVi mit tWui vibiV. gleich schweren Pfunden .Vidlfcoiü'fHö« uherefn «Jul ubennif den dt** M V.,:
kuViiteivri Bmders ujti ca. üm Kalwfjeea. Dabei m *\i befouem das* die Ve^no.ii>|mr^cven *i.ch iu
d(dii, \^^(jhör-aüni. .zföiöifciiv kbhnt^u ; das« div ilus^ew .Bedingungen sii^h >iei
mehr »(6^0)1 riien ' crhfdtrugen dm turnben wäimArui ab* bei v 1 ;>sw< t! j.%elvmmbcn tult ' : &.»deiVB
M cümivn. /.'/\ • 1 d •' v . * 1 , :* t •': . r v/m ■. v iV ■ k \-
Dot Ääi ci'i 1 r,ei .1 nrf pro Kilugfc.u um• K»Vpnnxr ev : *Md wpr bei dem Fetten absolut kleiner, -ah
berrn Mageren (dl gegen ; .nitU weriii mau dai abgelagerte Fett, im,.Ateägvfanogt
(üiijf;b dein fpB»tf isdiin Öftwieltt tfe* Knaben sebltzf fiuboier e* ^bf -cftva • wn
g^ißitäk »himk brauchte, der Muger.t* 'Mi dm Feuv mn d.V Kctlorimi pro KihufnmVm. Ihxgegou m-
gaben sieh fast. gleielve. Word»r, Wenn der Jkniarf auf gleiche Knrpertiberflikh»' beredifitff v/nrdc: ftf>>
^urklrntmeteb t^) Kaiöfjiben i>wu Mzgeüti letten, ReV friUctmi hatte
Hübner eine ähnliche lUdi.enrmviinmVung ch>: Kniflvm'lwwU keim Yergieieh' eüu** u^XßftvH und
riiiet- (♦•iten Dr>vncfiseüeu gefumlen
Hntinei* «riebt hw Itasef ChlogjmheH )ut&Whdihli Ehu^idp zu ebiMÄftten* »Si- von
Betudeir üöd. Ti gi x v &tedt u. n. gügien diipöc l^dir» v<*tt djtefc il#r V tiüffcvrtrtkt
ven der KurpernbcrHaehe erhoben nimTeu.
Eine Helion- Erklärung TOr die Entstehung . der • Ftoi f wechsdanumal t*: beim I Ktsu^tjgeu
kbiiiik* auf dph nicht Däjah Vist;
feliubE dass hier miiht das ^tibliuiii dmk ‘ 'rljbi& der aufgebihietea ’fkiit&iwUx
untersucht s\indr. Vis Abunente w <de.be etwa für Hntstehung der Anomalie in Bet nicht .kotmuea
kennoen / iiennv Eubrjer die jSjx .. der Emähmng und die etwae mangelhafte Au^im^oag e- -
f'iiveir^rs iui Dnmi des Knaben: brides filbitr. tin/u. du^ä d*:ui Körper, relutn uvjng l iwrit-
um} relativ viel Fwt uml. ßtih-lehydraie wiigelilhr! Vurdob. wodurch der KeuansaU begünstig:
w erden musste.
Du leUlen Kapit* I besi*neht f}uirUgV »iiv Veih^jtnirse■der iV;tosn \ erdunHung bei der F’ttt.-
Hiolu auf Virumi fruhv^er .1»* Jinvaebseneu- ange>te!iter VN’rsuche Bei iüirt|en*r Teuipe^itur un*\
röthj^lgt^ l'-i'uehfigkfii der .hutr v\*riialten sivh in Ke/dplmng iicr;?f %ttp. iiiid der Magere gldelre
bei hoifur AUaftim wanne u ?rd 'besonderv. Inn hoher LurtlVnehtjgkelt liiuW der Fetu v ilugvgea, uiu eia
.Ausleigen ht inor Kdq«ww\%uii' zu veriueider», ungleieb viel mein- Wasser Verdunstern /.uimih wenn *n
dnbi i korpeiTiciie Arluvit auoführt. und ‘mü uftgünstigen -A ns^e.tibeilijiguugeii. kmnnjt dm Ym*hvU\ um
rpd eihea Funkt, ivv>, er ht\*p> Ätaektu Vrip triia^•
v\nka(di^n Äbivr IVmpvnUur idelit leejir veHimdcr« kann. £%durcii ^?fd .'die-T^feDingidÄhiglitdt
de^ 1 ‘V‘i^tVej«tigert unter »'mu-ioden b. fjaduüch-• einge-iehmnkf; ku'« wird weiter vmnimh jt d?»durcb
dnsi jede A rfieit ^ehon wegen tU 1 gro.vf #c$u zu hv^H^ehdeh l^asse p iw vre A üfdrdemngvin ah den
ritaHVeei^r! -»eUl
>vidi ? ;>dicb vu-of Lvubuer etile l 1 (^au>met^o-M 11 ng • i\i b b<d Me ischcii eerSehii dcuf^! Akm- < r-
luilieöi n Wvitje* Ijb' dö Wi»^*er<!an;plnlfgabv (bei Knrpcrruhe und mittlerer Anssemempmfuf i|4
ihr -rchmut ,m b.jgi-n diivv itne.h die iyas^crthlm}>fa(»gäbe .uiiirdierttd propurthmal ist der Ko«pcr-
olmrlhivhe . D ^isvhö);dt
itfr hilitheiiÄiitllaiig Mirgeukiröttkör,
tgtihiiit, rFt.• ifü^kt. Mbdieui. Bl. \: ffcTi
\Y ft it ii arg er A b h a nrU. aus den»
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Referate nter ßfiehlw tmxl Aufsätze,
Werden Die (in ‘ßörin von starken .Bouillim* omi Saäweähöil^e mk
gebratenem FkuseU'i l*e? HyperaeidlhU als soki*e.tioiiVor»t?lrke.ad‘tu lomden, bei
Formen mit Fcirtheii zu ••’ÄlküholYka’-itafl* bei Steigerung (fer;-.SnftS!ekreiti0tt .^eltot ata
Klymiata) r»Bei jtf agengesehwaren tritt ife--hinge ■iod^i^lztc ''• tp ihr’
KiX’ht, welehe auch bei schweren bSt^ig günstig wirkt. Bei Appetitiriai^el bprf be¬
sonders bei nervösen Dyspepsien ist wijt psyehisehe Behandlung Werth zu 'fegen...
Für eine sicher bald zu erwartende zweite Äntiage xRjr mter^^anteii Behrifl mochten yyi'r dop
Wimseh ausspreehen* den bei Mageneardhtho Ydrkc*mpien<te< A^j^etneidi-Hahigen Krankbeit^yinpfomiHn
welche der Natur der Krankheit wach häufig.'eine'eigene Stellung uv diätetischer Beziehung eimieiunen,
vielleicht eine- zu
i; * v ,» / , ' . ■ ■ ■' Weg eh» Ißml ’fiSftjgäbornh
€ f Siftdelroau«, F<d*er F.ntfMtuögjvkür©»* ßerlmfer, fcJiüiaehe Wochenschrift lööi Xu.i§>
Hrarlelmaoft berichtet in diesem Vofcwg«? über einen gau* >\veplion eilen Fall vruTlfewiehvs-
Ättnahtne bei einer Patientjij ; riie r ein Jahr lang zur Bett ruht} verurtlnili. in dieset Zeit ihr urspriing;
Utdies Oeivicht von HO Pfund mehr als verdoppelt- hatte Dabei wai* th\\SalriUHgsäufüahmi v durch-
"aiiÄ keine übermässige gewesen, Ihr kalomelieV Wfcrih 'wteywüi-nut' Myen .uvntf ■fyai.ünebii’. viw tune
Bcobaehtung^eft lehrte» die dem Vorau»%v einer Knriemnigskur. vorausgitig
D'mi* Kur« die ein volles Jahr dauerte, bestand in einer Di)VL deren Brehnwerrii nur lOOo
KaJbtiecb betrug; mit Ihr \y tmle die ÄtisH^roixkfOtliebe O^wlehteabuahtne v*«t: Igö Wund erzielt
Daneben wurüen alle übrigeu hekaimieu and gm^thifpu HÜtf»miftel bxM durch*
probiert wirikaren, Malaga, Kl^jtlTxilSt];; Ve.rfnwT' h«t nicht den
Kiudmck gehabt, dass der Nutzen dieser Maassny hmen objektiv ein grosser gewesen wäre.
ho Ansehlu&s an diesen Fall bespricht Stndilmaiu» kritisch die typischen IStitfgttürfgskiimn
von Harvcy Bonting. Lhsvein Oeruri und Schw;euin:ger und gehr speziell auf die Frage
der nfeigkeitsenrziehRrig bei Ueduktionskuren ein, So i^gensroveh dieselbe da wirken kann, wo
wir bei Kranken uiit Horzbesehwevricn' eine Schonung' der Hxu^rhnrigkeif herbei führen, wolk-n. *0
w«mg kann .als ein Prinzip bei ßnifüttungskuren die Irinseh mit kling dar 'Fl^igkutsnitfUyifiM'e jvip
erkannt werden.
Besonder«' scharf greift Sfadolmauu die Behauptung SchweiuogerD ao« dass trockene
Mahlzeiten viel fjfaer zur Bhrffjttong fCttefb gleich Wa welchen getruukein wird. Exiikro
Experimente, wie De ilfrsghhrid iHw diesen Punkt aögu&teüt hat* bowniSeii ^tnf d^ eVtdt^e^U*
die Haltlosigkeit dtoor,Annafetie Auch die erW|hnM ; Pariehtin t , beJ eine .so bedeutende Oo-
widitobnahme -erzielt worden. Di* war in Bezug ’mf ',Fi0?sigkeifsziifu.hr — ' dazu gehören nariirib b
nicht äikohol- oder koldehydratreirho De tränke, denen ja durch diesen Oehalt Du riithtmicFbeblicliei*
kalorisehe'i* Werth 'urhewohnt . unbeschränkt Sie durfte WÄer, *0 viel De und' bei jeder
Mahlzeit' trinken, ohne dass der Effekt der Nabrungsentziehang dadurch s creiieli v/mtk sicher*
lieh ein schlageodes Beispiel gegen die Sch t« n »,n g c r * sehe* Lehre.
V, l\ Richter (BerSmi.
Hugo Ät«rek, Die IHvvwÜkeF der Sptdscrü&rL
Leipzig ibOO.
Verfasser hat: sieb der ebenso nDh«u ? .!igeij als dankbaren Aufgabe umeivogen, das in «h*
Littc-rano nbe» die im I^itel gCMunutv Idkiankung ^wtreute Material kritisch zu Dchtcn und unter
>Ä umfaasenden
das lirenia erschöpf enden,
i : ,v fvD •erliSII:.x r or allem durch die krit&cho Art mit
i viUKHi iorriMiebeii rJitiiKen zusanimenfügt, ihren Wertli und
0 o ; FVi-vi. vb»eu wt^ndiehen Fortachritt. ■'.Scho.n dadurch,
o. o Zeiten zurück {bis zürn n> Jaiirhunderf) ein*
;?.h*h '-D''ib ; c *.-Dt; D»nk<>L • der A'binhiaftsiing- bat, Dcb mit. den
* V«Tfashiu dieilr die Divertikel ein in IVak-
it’br -Ucib'brib'b AeÖoIogie,, Ptpgiio^c üüd
tOoL w*i: itfier den Raitmeh eines Icdi'gliclf die Liftemtur
V diirchuiis ^Ib^t^rligc
•o• rovubt y* re lATabrimgen * die gerade' auf diesem <>»‘biet
*» • Artete Bok'gCuliCit haben., die vom. .Vurfa-scr
bo,' i fHty.cHji oft. -
iOC i yVVvtih .oVadiua« Jbodouddjoigefi
IAib \yc
^ bis
682 Referate über Bücher und Aufsätze.
diät«) mit dem eines gleich schweren Gesunden vollkommen überein und übertraf den des 14 kg
leichteren Bruders um ca. 300 Kalorieen. Dabei ist zu betonen, dass die Versuchspersonen sich in
dem Versuchsraum ziemlich frei bewegen konnten, dass also die äusseren Bedingungen sich viel
mehr den gewohnten Verhältnissen der Knaben näherten, als bei Gaswechsel versuchen mit anderen
Methoden.
Der Kalorieenbedarf pro Kilogramm Körpergewicht war bei dem Fetten absolut kleiner, ah
beim Mageren (43 gegen 52); und wenn man das accessorisch abgelagerte Fett in Abzug bringt
(nach dem spezifischen Gewicht des Knaben schätzt Rubner es auf etwa ein Drittel des Körper¬
gewichts), dann brauchte der Magere 52, der Fette nur 35 Kalorieen pro Kilogramm. Dagegen er¬
gaben sich fast gleiche Werthe, wenn der Bedarf auf gleiche Körperoberfläche berechnet wurde: pro
Quadratmeter 1290 Kalorieen beim Mageren, 1321 beim Fetten. Bei früheren Versuchen hatte
Rubner eine ähnliche Uebereinstimmung des Kraftwechsels beim Vergleich eines mageren und
eines fetten Erwachsenen gefunden.
Rubner sucht bei dieser Gelegenheit ausführlich die Ein wände zu entkräften, die von
Sondön und Tigerstedt u. a. gegen diese Lehre von der Abhängigkeit der Verbrennungswerthe
von der Körperoberfläche erhoben wurden.
Eine sichere Erklärung für die Entstehung der Stoffwechselanomalie beim Fettsüchtigen
konnte aus den Versuchsresultaten nicht gewonnen werden. Daran ist vielleicht der Umstand
schuld, dass hier nicht das Stadium der Entstehung, sondern das der ausgebildeten Fettsucht
untersucht wurde. Als Momente, welche etwa für Entstehung der Anomalie in Betracht kommen
könnten, nennt Rubner die Art der Ernährung und die etwas mangelhafte Ausnutzung des
Eiweisses im Darm des Knaben; beides führte dazu, dass dem Körper relativ wenig Eiweiss
und relativ viel Fett und Kohlehydrate zugeführt wurden, wodurch der Fettansatz begünstigt
werden musste.
Im letzten Kapitel bespricht Rubner die Verhältnisse der Wasserverdunstung bei der Fett¬
sucht auf Grund früherer an Erwachsenen angestellter Versuche. Bei mittlerer Temperatur und
massiger Feuchtigkeit der Luft verhalten sich in dieser Beziehung der Fette und der Magere gleich:
bei hoher Aussenwärme und besonders bei hoher Luftfeuchtigkeit muss der Fette dagegen, um ein
Ansteigen seiner Körperwärme zu vermeiden, ungleich viel mehr Wasser verdunsten, zumal, wenn er
dabei körperliche Arbeit ausführt, und bei ungünstigen Aussenbedingungen kommt der Fettsüchtige
viel eher als der Magere an einen Punkt, wo er trotz starker Wasserverdunstung ein bedrohliches
Anwachsen seiner Temperatur nicht mehr verhindern kann. Dadurch wird die Leistungsfähigkeit
des Fettsüchtigen unter Umständen beträchtlich eingeschränkt; sie wird weiter vermindert dadurch,
dass jede Arbeit schon wegen der grösseren zu bewegenden Masse grössere Anforderungen an den
Stoffwechsel stellt.
Schliesslich giebt Rubner eine Zusammenstellung der bei Menschen verschiedenen Alters er¬
haltenen Werthe für die Wasserdampfabgabe (bei Körpemihe und mittlerer Aussentemperatur); aus
ihr scheint zu folgen, dass auch die Wasserdampfabgabc annähernd proportional ist der Körper¬
oberfläche. D. Gerhardt (Strassburg).
H. Strauss, Grundsätze der Diätbehandlung Magenkranker. Würzburger Abhandl. aus dem
Gesammtgebiet der prakt. Medicin. Bd. 1. Heft 12.
Der bekannte Verfasser, dessen rastlosem Fleiss wir so manchen Fortschritt in Diagnostik
und Therapie der Verdauungskrankheiten verdanken, hat sich in vorliegender Abhandlung die
dankenswerte Aufgabe gestellt, die Grundsätze für die diätetische Therapie Magenkranker, wie
sich solche nach dem neuesten Stand der Wissenschaft und seiner eigenen Erfahrung ihm ergeben
haben, zusammenfassend darzustellen. Dass es ihm in anerkennenswerter Weise gelungen ist,
dieser Aufgabe bei möglichster Zusammendrängung des umfangreichen Stoffs in anregendster Form
gerecht zu werden, wird jeder vorurteilsfreie Leser zugeben müssen. Aus dem reichen Inhalt seien
nur nachstehende Punkte kurz hervorgehoben, welche die wesentlichsten Fortschritte der neuesten
Zeit betreffen. Bei der Diätbehandlung Magenkranker ist neben dem Verhalten der Motilität und
Sekretion der anatomische Zustand der Magenschleimhaut und der Einfluss psychischer Momente
von Bedeutung. Für die Behandlung motorischer Störungen und sekretorischer Reizzustände ist
die Fettdiät nicht nur als geeignete Ernährungsweise, sondern auch als direktes Heilmittel zu be¬
trachten. Bei der Bcurtheilung der Aciditätsverhältnisse sollte wegen der Steigerung der Gesamrat-
acidität durch den Gehalt des Mageninhalts an Phosphaten vor allem die freie Säure berücksichtigt
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Referate über Bücher und Aufsätze. 683
werden. Die Extraktivstoffe des Fleisches (in Form von starken Bouillons und Saucen oder roh
gebratenem Fleisch) sind bei Hyperacidität als sekretionverstärkend zu meiden, bei entgegengesetzten
Formen mit Vortheil zu verwenden. Alkoholika sind bei Steigerung der Saftsekretion (selbst als
Klysmata) schädlich. Bei Magengeschwüren tritt die lange fortgesetzte Rektalemährung in ihr
Recht, welche auch bei schweren Gastrektasien häufig günstig wirkt. Bei Appetitmangel und be¬
sonders bei nervösen Dyspepsien ist auf psychische Behandlung Werth zu legen.
Für eine sicher bald zu erwartende zweite Auflage der interessanten Schrift möchten wir den
Wunsch aussprechen, den bei Magencarcinom vorkommenden verschiedenartigen Krankheitssymptomen,
welche der Natur der Krankheit nach häufig eine eigene Stellung in diätetischer Beziehung einnehmen,
vielleicht eine besondere Berücksichtigung zu Theil werden zu lassen.
Wegcle (Bad Königsborn).
E. Stadelmann, Ueber Entfettungskuren. Berliner klinische Wochenschrift 1901. No. 25.
Stadelmann berichtet in diesem Vortrage über einen ganz exceptionellen Fall von Gewichts¬
zunahme bei einer Patientin, die, ein Jahr lang zur Bettruhe verurtheilt, in dieser Zeit ihr ursprüng¬
liches Gewicht von 140 Pfund mehr als verdoppelt hatte. Dabei war die Nahrungsaufnahme durch¬
aus keine übermässige gewesen, ihr kalorischer Werth entsprach nur etwa 1500 Kalorieen, wie eine
Beobachtungszeit lehrte, die dem Versuche, einer Entfettungskur, vorausging.
Diese Kur, die ein volles Jahr dauerte, bestand in einer Diät, deren Brennwerth nur 1000
Kalorieen betrug; mit ihr wurde die ausserordentliche Gewichtsabnahme von 120 Pfund erzielt.
Daneben wurden alle übrigen bekannten und gerühmten Hülfsmittel bei Entfettungskuren durch¬
probiert (Thyreoidea, Hydrotherapie, Schwitzkuren, Massage, Elektrizität); Verfasser hat nicht den
Eindruck gehabt, dass der Nutzen dieser Maassnahmen objektiv ein grosser gewesen wäre.
Im Anschluss an diesen Fall bespricht Stadelmann kritisch die typischen Entfettungskuren
von Harvey-Banting, Ebstein, Oertel und Schweninger und geht speziell auf die Frage
der Flüssigkeitsentziehung bei Reduktionskuren ein. So segensreich dieselbe da wirken kann, wo
wir bei Kranken mit Herzbeschwerden eine Schonung der Herzthätigkeit herbeiführen wollen, so
wenig kann als ein Prinzip bei Entfettungskuren die Einschränkung der Flüssigkeitsaufnahmc an¬
erkannt werden.
Besonders scharf greift Stadelmann die Behauptung Schweninger’s an, dass trockene
Mahlzeiten viel eher zur Entfettung führen, als gleich grosse, bei welchen getrunken wird. Exakte
Experimente, wie sie Hirschfeld über diesen Punkt angestellt hat, beweisen auf das evidenteste
die Haltlosigkeit dieser Annahme. Auch die erwähnte Patientin, bei der eine so bedeutende Ge¬
wichtsabnahme erzielt worden ist, war in Bezug auf Flüssigkeitszufuhr — dazu gehören natürlich
nicht alkohol- oder kohlehydratreiche Getränke, denen ja durch diesen Gehalt ein nicht unerheblicher
kalorischer Werth innewohnt — unbeschränkt. Sie durfte Wasser, so viel sic wollte, und bei jeder
Mahlzeit trinken, ohne dass der Effekt der Nahrungsentziehung dadurch vereitelt wurde — sicher¬
lich ein schlagendes Beispiel gegen die Schweninger’sehe Lehre.
P. F. Richter (Berlin).
Hugo Starek, Die Divertikel der Speiseröhre. Leipzig 1900.
Verfasser hat sich der ebenso mühseligen als dankbaren Aufgabe unterzogen, das in der
Litteratur über die im Titel genannte Erkrankung zerstreute Material kritisch zu sichten und unter
Hinzufügung eigener Beobachtungen zu einer 200 Seiten umfassenden, das Thema erschöpfenden,
Monographie zu verarbeiten. Die Arbeit des Verfassers erhält vor allem durch die kritische Art, mit
der er die einzelnen Beobachtungen zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfügt, ihren Werth und
bedeutet auf dem betretenen Gebiet in der That einen wesentlichen Fortschritt. Schon dadurch,
dass der Verfasser die Litteratur bis in die ältesten Zeiten zurück (bis zum 16. Jahrhundert) ein¬
gehend berücksichtigt, verpflichtet er sich Jeden zu Danke, der Veranlassung hat, sich mit den
Divertikeln der Speiseröhre genauer zu beschäftigen. Verfasser theilt die Divertikel ein in Trak¬
tions- und Pulsionsdivertikel und bespricht ausführlich Aetiologie, Diagnose, Prognose und Therapie
dieser Erkrankung. Dabei geht das Buch weit über den Rahmen eines lediglich die Litteratur
referierenden Werkes hinaus, denn der Verfasser äussert an vielen Stellen durchaus selbstständige
Auffassungen und bringt eine Reihe von persönlichen Erfahrungen, die gerade auf diesem Gebiet
deshalb besonders werthvoll sind, weil nur wenige Aerzte Gelegenheit haben, die vom Verfasser
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684 Referate über Bücher und Aufsätze.
behandelte seltene Erkrankung in irgendwie grösserer Anzahl selbst zu beobachten. Wenn wir in
dieser Zeitschrift, in der wesentlich die therapeutische Seite des Buches interessiert, ein Urtheil über
dasselbe abgeben sollen, so kaun dies nach allen Richtungen nur ein ausserordentlich günstiges sein;
auch die therapeutischen Kapitel, die allerdings bei den Traktionsdivertikeln nach Maassgabe der
Verhältnisse *nur gering ausfallen mussten, zeichnen sich ebenso wie die den anderen Fragen
gewidmeten Artikel durch eine allseitige Betrachtung und umfassende Inangriffnahme des Themas
aus, und es ist in dem Buche speziell auch das erwähnt, was die Fortschritte moderner Technik
(besonders auf chirurgischem Gebiete) für die Therapie dieser Erkrankung geleistet haben.
H. Strauss (Berlin 1 !.
Soxhlet, Heber die künstliche Ernährung des Säuglings. Münchener medicin. Wochenschrift
1900. No. 48/49.
Verfasser erörtert zunächst, veranlasst durch die Monographie ZweifeTs über die Aetiologie,
Prophylaxis und Therapie der Rachitis (Leipzig 1900, Hirzcl), in ausführlicher Weise die Frage,
welche Bedeutung die Kalksalze der Milch für die Säuglingsernährung haben.
Zweifel geht von der Voraussetzung aus, dass mangelhafte Kalkzufuhr zum jugendlichen
Organismus für sich allein ausreicht, Rachitis zu erzeugen. Er bezieht mit Zander und See¬
mann die Rachitis bei Brustkindern auf einen zu geringen Gehalt der Muttermilch an Kalksalzen
oder auf eine Armuth derselben an Chlor, die zu einer unzulänglichen HCl-Bildung im Magen, da¬
mit zu einer ungenügenden Aufsaugung gelöster Kalksalze führe. Die Thatsache, dass bei Ernährung
mit der kalkreichen Kuhmilch Rachitis weit häufiger als bei der kalkärmeren Frauenmilch auftritt,
sucht er durch die beim Erhitzen der Milch eintretende Aenderung in der Bindung der Kalksalze
zu erklären; schon wenige Minuten langes Kochen bewirke, dass bei Zusatz von Labferment und
nachfolgender 24 ständiger Filtration des Labgerinnsels eine viel grössere Menge Calciumphosphat
in der Asche desKoagulums zurückbleibe als in der rohen Milch, und dass nur 17,4 mg pro 100 ccm
Milch, also halb so viel Kalksalze, als die Frauenmilch enthält, in das Filtrat übergehen.
Die Angabe, dass in der gekochten Milch die Menge der gelösten KaJksalzc vermindert ist,
erklärt Soxhlet für richtig, doch sei diese Einbusse nicht so gross, wie Zweifel anniramt, und
viel zu gering, um etwa einen Kalkhunger herbeizuführen; auch sei es nicht angängig, den ge-
sammten im Gerinnsel zurückgehaltenen Kalk, wie Zweifel dies thut, als unlöslich und für
Diffusion und Resorption verloren anzusehen und die Erscheinungen im Reagensglas ohne weiteres
auf den physiologischen Verdauungsprozess im Säuglingsmagen zu übertragen, ln 100 ccm einer
fünf Minuten lang gekochten Milch werden von den vorhandenen gelösten 50—84 mg Kalk 15 mg
bei 45 Minuten langem Sterilisieren 20 mg in unlösliches Tricalciumphosphat verwandelt, sodass in
100 ccm gewöhnlich gekochter resp. sterilisierter Thiennilch noch 35—69, bezw. 30— 64 mg ge¬
löster Kalk enthalten ist, d. h. eben so viel bis doppelt so viel gelöste Kalksalze als die Frauen¬
milch Gcsammtkalk (32,8mg nach Bunge) enthält. Da aber von dem Gesanimtkalk der Frauen¬
milch nur etwa Vc durch gelöste Kalksalze repräsentiert werde, so enthalte gekochte und sterilisierte
Kuhmilch 6—14 mal mehr gelösten Kalk als die natürliche Muttermilch. Verfasser kommt hiernach
zu dem Schluss, dass die Kalkresorption zu der in der Thier- resp. Frauenmilch vorhandenen Menge
der gelösten Kalksalze in keinerlei Beziehung stehen kann. Er hält jedoch die durch das Kochen
oder Sterilisieren verursachte Verminderung der gelösten Kalksalze insofern für einen Nachtheil,
als durch dieselbe die Labgerinnung der Milch im Säuglingsmagen verhindert oder erschwert und
zur Wiederherstellung der natürlichen Gerinnbarkeit das Uinzutreten grösserer HCl-Mengen erforder¬
lich wird. Bezüglich der Aetiologie der Rachitis bei künstlicher Ernährung stellt Soxhlet auf
Grund der Zweifel'sehen Beobachtung eine neue Hypothese auf: Sowohl in der Frauen- wie in
der Thiermilch ist nur der kleinere Theil des Gcsammtkalkes in Form löslicher Salze vorhanden,
und cs muss, um die Menge der gelösten Kalksalze zu steigern, ein bestimmtes Quantum einer Säure,
am besten HCl hinzutreten, die mit Kalk ein lösliches Salz bildet Vergleichende Untersuchungen
ergeben, dass, um alle Salze in saure und lösliche zu verwandeln, die Kuhmilch etwa 3—3V 2 mal
so viel HCl erfordert, dass sie ein 3 1 •.» mal grösseres Säurebindungs vermögen besitzt als Frauen¬
milch. Obgleich die Kuhmilch doppelt so viel Chlor wie die Frauenmilch enthält, ist sie doch zu
chlorarm, um die erhöhten Ansprüche, die sie an die II CI - Abscheidung des Magens stellt, zu be¬
friedigen. Mit Zweifel sieht auch Soxhlet das ätiologische Moment der Rachitis in einem zu ge¬
ringen Chlorgehalt der Milch ungünstig ernährter Mütter; dieses bei der Muttermilch relativ seltene
Chlordefizit ist jedoch bei der auch in dieser Beziehung weniger vortheilhaft zusammengesetzten Kuh-
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Referate über Bücher und Aufsätze. R85
milch die Regel und kann zur Begründung der bei Flaschennahrung so häufigen Rachitis herangezogen
werden. Zur Beseitigung des Chlormangels empfiehlt es sich, der Kuhmilch eine bestimmte-Menge
Na CI zuzusetzen, welche nach Zweifel’s Vorschlag 3 g auf ein Liter einer aus gleichen Mengen
Kuhmilch und 6,5%iger Milchzuckerlösung bestehenden Mischung, nach Soxhlet nur 2 g auf ein
Liter Vollmilch betragen soll — eine Forderung, welcher übrigens schon seit langer Zeit Mütter
und Kinderpflegerinnen unbewusst durch Zusatz einer »Prise Salz« zur Milch genügen.
Im zweiten Theil derJArbeit geht Verfasser auf das neuerdings wieder viel diskutierte Thema
der Kuhmilchsterilisierung ein. Im Gegensatz zu Flügge, welcher nach einer 5—10 Minuten langen
Kochdauer keinen grösseren Keimgehalt als nach einer solchen von 45 Minuten in der Milch fand
und deshalb eine nur 10 Minuten dauernde Erhitzung für ausreichend erachtet, hält Soxhlet an der
von ihm inaugurierten Methode der auf 45 Minuten ausgedehnten Sterilisation fest; er befürchtet,
dass, sobald erst von autoritativer Seite für eine so starke Reduktion der Kochzeit plaidiert werde,
gar zu leicht eine laxe Handhabung des Sterilisierungsverfahrens einreissen und die dank den
Soxhlet’sehen Vorschriften erzielten Verbesserungen der Milchbehandlung wieder aufs Spiel gesetzt
würden. Den Vorwurf v. Starck's, dass ausschliessliche Ernährung mit lange sterilisierter Kuh¬
milch Barlow’sche Krankheit zur Folge habe, erklärt Verfasser für ebenso unerwiesen wie die von
anderer Seite aufgestellte Behauptung, dass derartige Milch schädliche Modifikationen ihrer chemischen
Zusammensetzung erleide. Die s/ 4 Stunde lang abgekochtc Milch sei ebenso schmackhaft und weit
länger haltbar wie die für 5—10 Minuten erhitzte (erstere halte sich gleich viel Monate wie letztere
Tage), ihre Eiweissstoffe werden, wie Zweifel's Beobachtungen lehren, ebenso gut, bei Mit¬
verwendung von Labferment sogar besser verdaut als diejenigen der ungekochten, und die Pepto¬
nisierung des Kaseins der sterilisierten Milch und das hierdurch veranlasste Bitterwerden derselben
lasse sich durch kühle Aufbewahrung vermeiden. Uebrigens werde nach Zweifel unverdünnte und
verdünnte Milch gleich gut verdaut
Schliesslich übt Soxhlet Kritik an verschiedenen im Grossbetrieb fabrizierten, zum Theil mit
grosser Emphase angepriesenen Molkereiprodukten und Rahmgemischen. Er schreibt der mit Koch¬
salz und 6,5% Milchzucker versetzten Zwei fei’sehen Halbmilch eine gleich grosse Verdaulichkeit
wie der Back haus milch No. 1 zu, vor welcher sie die Vortheile der leichten und sicheren Zu¬
bereitung im Haushalt und des niedrigen Preises voraus hat; vor der Gärtner’sehen Fettmilch ver¬
diene sie entschieden den Vorzug, denn in dieser sei der ursprüngliche feine Emulsionszustand des
Fettes durch Herumschleudern in der Centrifuge und Aufrahmung derart zerstört, dass die Milch
beim Aufkochen flüssige, für die Verdauung verloren gehende Fettaugen ausscheide. Die Details
der Soxhlet’sehen scharfen Polemik sind für das Referat ungeeignet. -Hirschel (Berlin).
Henry Dwight Chapin, M. D., A simple and accurate method of substituts iufant feeding.
The New-York medical jourual 1901. 23. Februar.
Die Methode ist nur bei Flaschenmilch zu verwerthen und beruht auf der Thatsache, dass in
einem Liter Flaschenmilch die oberen 275 —300 g, nachdem sich der Rahm gesetzt hat, dreimal
soviel Fett enthalten, als die »whole milk« enthielt, und die oberen 400—450 g zweimal soviel
Fett, als die »wholc milk« enthielten.
Diese Verhältnisse sind empirisch festgestellt worden durch den Gebrauch der Babcock-
Methode der Fettbestimmung Die Verhältnisse bleiben dieselben, ob die Milch fettarm oder fett¬
reich ist.
Der Fett- und Eiweissgehalt aller Sorten von Kuhmilch ist ungefähr gleich, so dass die
oberen 275 g eines Liters Milch auch dreimal soviel Fett als Eiweiss enthalten. Dieses Verhältniss
zwischen Fett und Eiweiss ist ungefähr dasselbe wie in der Muttermilch, aber natürlich sind die
Quantitäten zu gross und müssen daher durch zweckmässige Verdünnung reduziert werden. Als
Verdünnungsmittel empfiehlt Verfasser »predigested« Weizen- oder Gerstenschleim, weil dadurch
das Eiweiss leichter verdaulich wird. Natürlich muss genug Zucker zugesetzt werden, sodass die
verabreichte Milch 5—7% Zucker enthält, was leicht auszurechnen ist. Durch zweckmässige Ver¬
dünnung der so gewonnenen Milch können alle Variationen des Fett- und Eiwcissgehalts erreicht
werden.
Die Methode scheint sehr einfach und praktisch zu sein, weil man mit ihr den Fett- und
Eiweissgehalt der Milch, dem Alter und dem Verdauungszustand der Kinder entsprechend, leicht
und genau ändern kann. Weiss (Berlin).
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686 Referate über Bücher und Aufsätze.
Charles R. Box, M. D., The therapeutic Y&lue of suprarenal preparations in Addison disease.
Box berichtet über eine Serie von Versuchen mit Nebennierenpräparaten bei Addison’scher
Krankheit Die Darreichungsweise war die verschiedenste: Frische Nebennierensubstanz per os,
per rectum, Nebennierentabletten in Lösung subkutan. Erfolge wurden nicht erzielt Um das
negative Resultat des Versuches zu erklären, kommt Box zu folgenden Schlüssen:
Entweder wurde die aktive Substanz nicht richtig verabfolgt, oder es war das nöthige Material
in den verwandten Nebennieren nicht vorhanden, oder schliesslich es ist der Ausfall einer inneren
Sekretion nicht das einzige und vorherrschende Moment der Addison’schen Krankheit
A. H. Weis (Berlin).
Friedmann, Die Pflege und Ernährung des Säuglings. Wiesbaden 1900.
Das hübsch ausgestattete, knapp und verständlich geschriebene Büchlein gehört zu den gerade
während der letzten Jahre in grösserer Anzahl erschienenen populär-medicinischen Schriften, welche
die Absicht verfolgen, Kinderpflegerinnen und unerfahrenen Müttern als Rathgeber für das erste
Lebensjahr des Kindes zur Seite zu stehen. Einige vom Autor gegebene Vorschriften dürften bei
ärztlichen Lesern vielleicht auf Widerspruch stossen; herrscht doch — es sei nur an den empfehlens-
werthesten Modus der Kuhmilchverdünnung und an das gerade in neuester Zeit wieder viel dis¬
kutierte Thema vom Baden der Neugeborenen erinnert — in manchen Fragen der Süuglingshygienc
und -Diätetik bis heute unter den Medicinern eine weitgehende Divergenz der Meinungen! Aber
auf keinem Gebiet machen sich noch immer zum Schaden des Säuglings Aberglaube, Unkenntnis,
von alters her überkommene und unausrottbare, falsche Ansichten so breit wie in der Wochen- und
Kinderstube, und es ist ein anerkennenswerthes Verdienst, wenn ein Arzt, wie Verfasser es thut,
hier mit klaren, belehrenden Worten Laienvorurtheilen, wie dem Glauben an den Nutzen des Wickelns.
die grosse Bedeutung des zu kurzen Zungenbändchens, die Unantastbarkeit des seborrhoischen Kopf¬
ekzems, den Werth des Alkohols als »Kräftigungsmittel« und nicht in letzer Reihe der wie eine
ewige Krankheit bei Grossmüttern und Müttern sich forterbenden Irrlehre von den »Zahnungs¬
krankheiten« energisch zu Leibe geht. Darum kann das F ried mann’sehe Werkchen als Rathgeber
für die Ernährung und Pflege des Säuglings auch seitens des Fachmanns bestens empfohlen werden.
Es soll und will den Arzt nicht ersetzen, sondern nur darauf hinwirken, das für die richtige Aus¬
führung ärztlicher Anforderungen erforderliche Verständniss in weitesten Kreisen anzubahnen. Möge
es von recht vielen der Säuglingserziehung noch unkundigen Frauen eifrig studiert werden und für
sie und damit indirekt auch für ihre kleinen Pflegebefohlenen nutzbringend sein!
Hirse hei (Berlin).
Albu, Zur Bewerthung der vegetarischen Diät. Berliner klin. Wochenschr. 1901. No. 24 u. 25.
Die vegetarische Ernährungsform ist bisher nur wenig wissenschaftlich studiert, und ausser
Voit hat nur Rumpf mit Schümm kontrollierbare Stoffwechsel versuche angestellt, welche den
Nachweis erbrachten, dass sich der Mensch ohne Zweifel, wie es die Anhänger des Vegetarismus
längst behaupten, ausreichend ernähren, im Stickstoffgleichgewicht erhalten, entsprechend an Ge¬
wicht zunehmen und leistungsfähig sein kann, obsebon die Digestion erschwert ist.
Albu untersuchte einen neuen Fall mit gleichem Resultate. Zugleich ergab sich ein auf¬
fallend geringer Bedarf an Ei weissstoffen, indem die Versuchsperson von allerdings nur 37,5 kg
Gewicht mit 5,46 g N = 34,13 g Eiweiss ohne Gewichtsverlust auskam. Sie lebte seit sechs Jahren
täglich von 120 g Grahambrot, 500 g Aepfel, 400 g Pflaumen, 200 g Weintrauben, 64 g Haselnüsse,
36 g Datteln und 100 g Kopfsalat mit Citronensaft und verdankte der Pflanzenkost ihre Genesung
von einem früheren Leiden.
Zugleich geht Albu auf die vegetarische Kost als geeignete Krankendiät ein. Bei sorgfältiger
Präparation und unter Benutzung künstlicher Nährpräparate, wie des Roborats, erweist sie sich oft
als heilsam bei funktionellen Nervenkrankheiten besonders des Magens (Superaciditat, nervöse
Dyspepsie) und des Darmes (Colitis mucosa), Diabetes, habituelle Obstipation, Gicht und Herzneurosen,
während anatomische Leiden des Magen-Darrakanales, Atonia ventriculi, Unterernährungszustände
und allgemeine Schwäche sie verbieten. Schilling (Leipzig).
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Referate über Bücher und Aufsätze. G87
Albn, Der Stoffwechsel bei vegetarischer Kost. Zeitschrift für klinische Mediein Bd. 43. Heft
1 und 2.
Das Eiweissminimum, dessen der Körper pro Kilo Körpergewicht bedarf, schwankt nach den
bisher bekannten Angaben von Pesch ei und Hirschfeld, welche Laboratoriumsversuchen ent¬
stammen, zwischen 46—47,4, Sivön kam sogar bis zu 41,4; indessen galt bisher dabei die Annahme,
dass der Körper bei so geringer Eiweisszufuhr noch eines Ueberschusses an stickstofffreien Nahrungs¬
stoffen, insbesondere des Fettes bedürfe, um sich im N - Gleichgewichte und im leistungsfähigen
Zustande zu erhalten.
Gewohnheitsmässig führen bei frei gewählter Kost die Vegetarier strengster Richtung, die
Käse, Milch, Eier und Butter noch ausschliessen, geringe Eiweissquanta zu. Versuche bei ihnen
sind bisher nicht bekannt, Albu batte Gelegenheit bei einer 37,5 kg schweren Person während der
Dauer von fünf Tagen Stoffwechselanalysen vornehmen zu können, die um so werthvoller in ihren
Ergebnissen sind, als die Person bereits sechs Jahre lang streng vegetarisch lebte.
Voit’s Versuchsperson nahm täglich 8,4 g N = 0,94 pro Kilo, Rumpf’s Versuchsperson
11,82 g N = 1,18 pro Kilo zu sich, Albu’s nur 5,46g N und erreichte dabei noch Ansatz.
Die physiologisch wichtigen Resultate der Arbeit gipfeln in den Punkten, dass 37,33 Kalorieen
pro Kilo zur Erhaltung des Körpergewichts genügen, das Verhältnis der stickstoffhaltigen zu den
stickstofffreien sich bei so minimaler Eiweisszufuhr von 1 :5 resp. 6 auf 1:10 verschiebt, wobei ein
Plus von Fett nöthig wird, das Kalorieenbedürfniss individuell schwankt und das Minimum noch
unbekannt ist, pflanzliches Eiweiss vollständig animalisches ersetzt und doch — die vegetarische
Ei näh rungsform in dieser strengen Richtung unzweckmässig genannt werden muss.
Schilling (Leipzig).
X. Zuntz, Sind kalorisch äquivalente Mengen von Kohlehydraten und Fett für Mast uud
Entfettung gleichwerthig? Therapie der Gegenwart 1901. Juli.
Nach den Lehren der Isodynamie und Verbrennungswärme ist 1 g Fett etwa 2,3 g Kohle¬
hydraten gleichwerthig, und dennoch ist die Aequivalenz, was für Mast- und Entfettungskuren
nicht gleichgiltig sein dürfte, thatsächlich verschieden, weil Fett leichter, ohne grosse Belastung der
Digestionsorgane, Kohlehydrate aber schwerer, unter grosser Verdaungsarbeit assimiliert werden,
so dass von Fett nur 2 V 2 %, von Kohlehydraten -- besonders groben Brotarten — 10% der
Gesammtcnergie verloren gehen.
Dazu kommt ausser der leichten oder schweren Verdaulichkeit ein zweiter Unterschied, dass Fett
ohne Rest resorbiert und ohne besondere Umwandlung Bestandteil des Fettgewebes wird, während
Kohlehydrate nur auf Umwegen zu Fett umgewandelt werden können; es ist deshalb nicht wunder¬
bar, dass eine gewisse Kohlehydratmenge, welche ihrem Kalorieenwerthe nach 100 g Fett liefern
müssten, nur 55—60 g liefert, indem der Rest als Uebermaass von Wärme (»akalorische Kohlcnsäure-
bildung Rubner’s«) verfliegt. Bei Entfettungskuren, die den Eiweissbestand erhalten sollen, ist
das Verfahren zu bevorzugen, welches bei der Reduktion der stickstofffreien Nährstoffe weniger
Fett als Kohlehydrate getattet.
Fettsucht entsteht nicht, wie die Respirationsversuche lehren, weil weniger Sauerstoff auf¬
genommen und Kohlensäure ausgeschieden wird, der Verbrennungsprozess oder Stoffumsatz der
Gewebe also vermindert ist, sondern dann, wenn jemand seine Thätigkeit mit geringem Aufwand
von Kraft ausübt resp. viel ruht, weil in diesem Falle ein Kaloricenüberschuss der Nahrung zur
Fettbildung übrig bleibt, und ferner wenn die Zufuhr infolge gesteigerten Appetites trotz ver¬
mehrter Bewegung den Verbrauch und Körperbedarf übertrifft Bei normalen Verhältnissen kom¬
pensieren sich beide ausschlaggebenden Faktoren, Verbrauch und Nahrungsaufnahme; bei Fett Verlust
bleibt die Aufnahme hinter der Ausgabe zurück. Schilling (Leipzig).
RrUhl-Hjelt-Aschan, Die Pflanzen-Alkaloide. Braunschweig 1900.
Die grosse, chemisch woblcharakterisierte Gruppe der Pflanzenalkaloide hat für den Mediciner
ihr besonderes Interesse, weil die meisten unserer wirklich wirksamen Arzneimittel derselben an¬
gehören. Oefter ist es dazu noch die Neudarstellung natürlicher Alkaloide und insbesondere Stu¬
dien über ihre Konstitution, welche besonders werthvolle Arzneimittel geschaffen hat. Wir erinnern
hier nur an die Ableitung des Homatropins vom Atropin, die Entdeckung des Kokains etc. In
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688 Referate über Bücher und Aufsätze.
diesem Sinne ist auch der rein chemische Theil des Gebietes nicht uninteressant für den Mediciner;
und es ist daher doppelt angenehm, auf ein Werk hinweisen zu können, welches Interessenten in
dieser Richtung eine vollständige Uebersicht des bestehenden Wissens bietet, eine Uebersicht,
welche zudem durch Klarheit der Darstellung und übersichtliche Gliederung des Stoffes die Be¬
antwortung der vorgelegten Fragen so sehr erleichtert. Es gipfelt die Darstellung natürlich in der
Ableitung und Sicherstellung der Konstitutionsformeln, und es ist dabei zu bemerken, dass das für
den Chemiker geschriebene Buch die völlige Vertrautheit mit den in diesem Arbeitsgebiet der
Konstitutionsforschung üblichen Methoden voraussetzt. Der Mediciner nun, welcher sich mit den
interessanten Fragen nach dem Zusammenhang von Konstitution und physiologischer Wirkung be¬
schäftigt, muss auch Kenntnisse in der Richtung mitbringen und wird dann sicherlich aus dem
reichen Inhalt des angezeigten Werkes die interessanteste Anreguug empfangen.
M. Bial (Kissingen).
B. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Emmert, üeber die antiphlogistische Fernwirkung der Kälte. Fortschritte der Medicin 1901.
No. 9.
Emmert prüfte in seinen auf Anregung von Goldscheider im Moabiter Krankenhause zu
Berlin angestellten Untersuchungen die Angaben Samuels nach, dass sich bei Kaninchen, deren
eines Ohr mit Krotonöl eingerieben worden ist, die sonst eintretende Entzündung dieses Ohres
verhindern lässt, wenn man gleichzeitig die Beine des Thieres während mehrerer Stunden in einem
Bade von höchstens 15o C Temperatur abkühlt. Emmert konnte diese Angaben bestätigen, er
fand, dass die Entzündung auch verhindert wurde, wenn nur ein Bein des Thieres in ein solches
Bad gesteckt wurde, und dass man bei nicht abgekühlten Thieren das^ Weiters ehre itjen der
Krotonölentzündung am Ohre dadurch verhindern kann, dass man nachträglich noch ein Bein in
kühles Wasser bringt.
Der Erklärung, die Samuel für diese eigenthümliehe Erscheinung gegeben bat, kann
jedoch der Verfasser nicht beistimmen. Samuel hatte bestritten, dass durch die Abkühlung eines
grösseren Gefässbezirks ein Abfall der Temperatur des gesammten Körpers hervorgerufen werde,
bevor die antiphlogistische Wirkung jener Abkühlung vor sich ginge, während Emmert durch
seine sehr sorgfältigen Beobachtungen zu dem Schlüsse kam, dass 1. die Möglichkeit nicht bestritten
werden kann, dass eine solche Erkaltung des gesammten Blutes die Ursache des Ausbleibens der
Entzündung ist; 2. die Entzündung des Ohres trotz gleichzeitiger Abkühlung eines Beines nicht
verhindert wird, wenn ausserdem durch besondere Versuchsanordnung eine ^Abkühlung des
Gesammtkörpers vermieden wird, und dass 3. eine solche Abkühlung des gesammten Thieres
wahrscheinlich schon für sich allein antiphlogistisch wirkt. Der Verfasser kommt daher zu dem
Schlüsse, dass die Verhinderung der Krotonölentzündung durch die Immersion eines Gefässbezirks
nicht auf einer merkwürdigen Fern Wirkung der Kälte beruht, sondern einfach darauf, dass der
ganze Körper des Thieres, also auch der krotonisierte Theil desselben, stark abgekühlt wird; daher
wirkt die Immersion in der beschriebenen Art im Grunde durch nichts anderes antiphlogistisch, als
durch die in diesem Effekt schon von jeher bekannte lokale Kältewirkung.
A. Laqueur (Berlin).
Carl Kisskalt, Die Erkältung als krankheitsdisponierendes Moment. Archiv für Hygiene
Bd. 39. Heft 2.
Verfasser fasst den bei der Erkältung stattfindenden Vorgang folgendermaassen auf: Es tritt
unter dem Einflüsse der Wärmeentziehung Hyperämie der Schleimhäute ein. Diese schafft erhöhte
Disposition zu Erkrankungen, indem einerseits mit der Verminderung der Alkalesccnz eine Ver¬
minderung der Widerstandskräfte des Körpers gegen bakterielle Invasionen einhergehen, andrer¬
seits siefi die Ernährungsbedingungen der Bakterien verbessern. Aus diesen beiden Gründen ver¬
mehren sich die pathogenen Mikroorganismen, die sich für gewöhnlich in geringer Zahl auf den
Schleimhäuten befinden, zu einer Anzahl, in der sie krankheitserregend wirken können. Dazu
kommt vielleicht noch, dass ihre Virulenz durch den dabei stärker sccerniertcn Schleim gesteigert wird
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Referate über Bücher und Aufsätze.
689
Wenn gegen eine derartige Auffassung des Erkältungsvorganges z. B. von K. Chodounsky
(Bulletin internat. de FAcadömie des Sciences de Boheme 1898 und Blätter für klinische Hydro¬
therapie und verwandte Heilmethoden 1900. No. 3) in diesen dem Verfasser unbekannten Arbeiten
energisch Front gemacht wird, weil jener weder bei Thierexperimenten eine Steigerung der Virulenz
eingeführter pathogener Bakterien (im Gegensatz zu A. Lode) nachweisen noch bei Selbstversuchen
krankhafte Störungen unter dem Einflüsse Storker Abkühlung erzielen konnte, so darf man doch
im grossen und ganzen für die Hypothese von K iss kalt eintreten; denn abgesehen von klinischen
Erfahrungen wird von anderen Autoren die Erhöhung der Giftigkeit pathogener Mikroorganismen
unter der Einwirkung der Wärmeentziehung experimentell erhärtet, andrerseits kann man das
negative Resultat der an sich sehr interessanten Selbstversuche Chodounsky^ auf den temporären
Mangel an latenten Krankheitserregern zurückführen.
Bezüglich des Zusammenhanges des Wetters mit Erkältungskrankheiten sieht Verfasser in dem
Zusammentreffen von Sonnenscheinmangel und Steigerung der Refrigerationsmorbidität nur die
Wirkung des mit jenem kombinierten schlechteren Wetters.
Dadurch zerstört sich Verfasser die Bedeutung des auch für seine Theorie nicht zu ent¬
behrenden antibakteriellen Witterungsfaktors, nämlich des Sonnenlichtes, ohne dessen Inanspruch¬
nahme Verfasser die bei gleich schlechtem Wetter verschiedene Morbiditätsquote nicht erklären kann,
z. B. nicht die Präponderanz der Erkältungsaffektionen im Frühjahr gegenüber denen des Herbstes
bei gleich ungünstiger Witterungskonstellation der entsprechenden Zeiten u. s. w.
Wenn Verfasser, um aus dem etwas knapp gehaltenen Kapitel »Die Erkältungskrankheiten
im Speziellen« nur ein Faktum hcrauszuheben, die Ansicht vertritt, dass die Neuralgieen wohl ein¬
fach durch direkte Einwirkung der Kälte auf den dicht unter der Haut liegenden Nerven entstehen,
so ist es doch wunderbar, dass bei der Feinheit der Haut der Kinder gerade bei diesen die Neuralgieen
so selten Vorkommen. Hier spielen sicher Toxine eine grössere Rolle als die thermische Einwirkung.
J. Ruhemann (Berlin).
Lemoine, Veber kalte Irrigationen ins Rektnm beim Typhus. Nord-Möd. 1901. 1 . August.
Diese Behandlungsmethode empfiehlt der Autor bei denjenigen typhösen Patienten, bei
welchen kalte Bäder nicht anwendbar sind. Er führt die Irrigation in der Weise aus, dass der
Patient je nach dem Ansteigen der Temperatur alle zwei bis drei Stunden ein Klysma von 2 1 ab¬
gekochten Wassers, welches auf eine Temperatur von 18—20° C abgekühlt ist, erhält. Die Injektion
soll sehr langsam und nur unter geringem Druck ausgeführt werden. Das Mastdarmrohr darf nicht
tiefer als 15 —20 cm in das Rektum eingeführt werden. Die Injektion soll nicht auf einmal vor.
abreicht, sondern mehrfach für einige Minuten unterbrochen werden. Im Anschluss an dieselbe
muss eine ausgiebige Entleerung "des Darmes stattfinden.
Durch diese Klysmata hat Lemoine eine erhebliche Herabsetzung der Körpertemperatur und
gleichzeitig eine energische Desinfektion des Darmes erzielen können. Die Herabsetzung derTemperatur
hielt nach Verabfolgung der Klysmata allerdings nicht so lange an, wie nach dem Gebrauch kalter
Bäder; dafür traten aber bei dieser ersteren Methode niemals Delirien und andere Zwischenfälle auf.
Als besonderen Vorzug seiner Methode hebt Lemoine noch hervor, dass die hiermit behandelten
Patienten ihren Appetit beibehielten und dass die Zunge stets die normale Feuchtigkeit hatte.
Paul Jacob (Berlin).
Makarow, Ueber die Behandlung des Typhus abdominalis durch Injektionen von Kochsalz¬
lösungen* Izvöstiya imperad voyönno - möd. akadöm. 1901. September. y
Die Injektionen wurden in der Weise verabfolgt, dass entweder Quantitäten von 1200—1800 ccm
physiologischer Kochsalzlösungen intravenös, oder 500—1000 ccm subkutan eingespritzt wurden.
Kurze Zeit nach der Injektion trat gewöhnlich eine Steigerung derTemperatur ein; dieselbe machte
kurze Zeit darauf einer erheblichen Temperaturherabsetzung Platz, es erfolgte eine starke Vermehrung
der Diurese, Kräftigung des Pulses und ein Nachlassen der allgemeinen schweren Symptome.
Die 21 Fälle von Typhus, welche Makarow in dieser Weise behandelte, gehörten einer ausser¬
ordentlich schweren Epidemie an; trotzdem gelang es ihm, die Hälfte der Fälle, wie er annimmt,
durch sein Verfahren zu retten. Paul Jacob (Berlin).
Zeitacbr. f. diät. a. physik. Therapie Rd, V. Heft S.
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690 Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Jaqnet, De Finflaence da climat d’alütude sar les echanges respiratoires« Semaine
mödicale 1901. No. 28. S.217.
Von den Untersuchungen über die Einwirkung des Höhenklimas auf den Gaswechsel bespricht
Verfasser in seiner Einleitung die von Marmod und die von Veraguth, die im wesentlichen gleiches
Ergebniss haben. Marmod verglich den Gaswechsei in Strassburg (142 m) und in St Croix im Jura
(1100 m). Er fand die Frequenz der Respiration gleich, das unreduzierte Volumen vermehrt und die
Kohlensäureausscheidung ebenfalls vermehrt, aber nur um 7%. Veragu th verglich den Gas Wechsel
in Zürich (450 m) und in St. Moritz (1769 m) und Tarpan (1505 in) bei sonst gleicher Lebensweise.
Er fand eine Zunahme der Frequenz, eine Zunahme des unreduzierten Volumens und eine Zunahme
der Kohlensäureausscheidung von 35%. Verfasser findet einen Unterschied in Bezug auf das re¬
duzierte Athemvolumen, indem für Marmod 38,96 gegen 36,92 berechnet werden, während die
Zahlen für Veraguth lauten: Zürich 22,9, St. Moritz bei strenger Diät und täglicher Bestimmung
während 14 Tagen 26,7. St. Moritz (ohne Diät, eine Bestimmung wöchentlich während sechs Wochen;
22,0. Tarpan (wie St Moritz, erste Periode) 22,7, Zürich (ohne Diät, sichen tägliche Bestimmungen i
23,2. Hiernach nimmt Verfasser für Veraguth eine Zunahme des reduzierten Volumens im Gegen¬
satz zu Marmod an. Die Versuche von Mosso, den Löwy’s und L. Zuntz’ und von Bürgi
werden nur in Kürze besprochen, ohne dass Verfasser daraus ein bestimmtes Urtheil gewinnt, doch
genügen die Angaben, um Marmod’s und Veragutlrs Ergebnisse in Frage zu stellen.
Verfasser hat nun selbst auf dem Chasseul (Jura 1600 m) nach der Zuntz - Geppert’sehen
Methode Beobachtungen des Gaswechsels ausgeführt, und zwar eine Woche lang bei streng ge¬
regelter Lebensweise, indem täglich drei Bestimmungen, eine um sieben, eine um elf, eine um fünf
Uhr gemacht wurden. Die tiefgelegene Vergleichsstation war Basel. Die Frequenz der Athmung
erwies sich als unverändert, das Volumen vermindert. Die Zahlen des Gaswechsels geben für die
um 7 Uhr früh angestellten Versuche eine Steigerung des Sauerstoffverbrauches um 8,8% und der
Kohlensäureausscheidung um 14,8%, wohei eine Zunahme des respiratorischen Quotienten von 0,791
auf 0,839 zu verzeichnen ist. Aehnlich verhalten sich die Mittelzahlen der um 11 und 5 Uhr an-
gcstellten Beobachtungen.
Das Interessante an den Beobachtungen des Verfassers ist nun aber, dass Verfasser drei Wochen
später nochmals eine Vergleichsperiode in Basel durchgemacht hat, die sogar erheblich höhere Steigerung
ergab, und dass selbst drei Monate später bei Wiederholung der Probe noch nicht die anfänglichen
Werthe erreicht wurden, sondern erst bei einer nach 14 Monaten vorgenommenen letzten Vergleichs¬
periode.
Verfasser legt sich offen die Frage vor, ob man eine so nachhaltige Wirkung des Höhen¬
aufenthalts annchmen dürfe, oder ob man sämmtliche Zahlen als normal, die Abweichungen als
innerhalb der Fehlergrenzen fallend betrachten solle. Angesichts der Zahl der Einzelbeobachtungen
und der Art ihrer Uebereinstimmung kann sich Verfasser nur für die erste Möglichkeit entscheiden.
Das Ergebniss, dass die Oxydation gesteigert werde, ist besonders bemerkenswerth, wenn es
im Zusammenhang mit der früher vom Verfasser angegebenen Thatsache betrachtet wird, dass
nämlich der Höhenaufenthalt zu bedeutendem Stickstoffansatz führt.
R du Bois-Reymond (Berlin).
Franz v. Torday, Die Skrophuiose and die Sool- and Seebäder. Orvosi Hetilap 1899. No. 48.
Von Skrophuiose unterscheidet Verfasser drei Stadien: 1. Zurückbleiben der Ernährung und
Entwickelung; 2. entzündliche, skrophuiose Affektionen, und 3. lokale Tuberkulose. Die relative
Häufigkeit der Affektion beträgt für das erste Stadium ungefähr 10%, für das zweite 68%, für
das dritte 22%. Der Prozentsatz der Skrophuiose überhaupt unter den Kindern schwankt bis zu
10 %. Sool- und Seebäder eignen sich den Erfahrungen des Verfassers gemäss überaus zur Be¬
handlung der Krankheit, da sie einestheils den Organismus kräftigen, anderentheils auch den Stoff¬
wechsel erhöhen. Nach methodischem Gebrauch dieser Bäder waren Heilerfolge bis zu 91 % erzielt.
Soolbäder sind vorteilhafter für Blutarme, erotische, skrophuiose Kinder, sowie für solche mit aus¬
gebreiteten nässenden Hautekzemen und lichtscheuen Augenentzündungen. Verfasser schlägt vor,
über die Verbreitung, Lokalisation und Heilungstendenz der Skrophuiose eine amtliche Statistik an-
zulegen, ebenso über die Heilerfolge der Sool- und Seebäder. Die Gründung entsprechender
Institute und Scehospize ist wännstens zu empfehlen und wäre es im Interesse der vorteilhaften
Behandlungsweise, zwischen den ständigen Seehospizen und der Leitung der Kinderspitäler eine
direkte Verbindung zu schaffen. J. Hönig (Budapest).
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Referate über Bücher and Aufsätze.
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R. Steiner, Beitrag zur Kenntnis» der Einwirkung von Dampfbädern anf die Gesichtshaut«
Klinisch-therapeutische Wochenschrift 1901. No. 20.
Die Behandlung von Akne, Komedoncn und Ekzem mittels Dampfes ist von Licbcr-
sohn und Saatfeld empfohlen worden, und es waren auch zu diesem Zwecke ziemlich komplizierte
Apparate zur Entwickelung des Dampfes und Leitung desselben auf die Gesichtshaut angegeben
worden. Steiner hat nun einen einfacheren derartigen Apparat konstruiert, der im wesent¬
lichen aus einem Gefässe zur Dampfentwickelung, einem langen Gummischlauche, in dem der Dampf
sich bis zu einer erträglichen Temperatur abkühlt, und verschiedengeformten Ansatztrichtem be¬
steht. Der Dampf wird entweder aus reinem Wasser, oder, bei Behandlung von Akne und Se¬
borrhoe, aus Wasser, dem Seifenspiritus und Essig zugesetzt sind, entwickelt. Mit dieser Be¬
handlungsmethode, sowie mit Anwendung von verdampftem Lcvicowasscr hat Steiner bei
den genannten Affektionen sehr günstige Erfolge erzielt. A. Laqueur (Berlin).
C. Gymnastik und Massage, Liegekuren.
Michael Braun, Ueber Yibrationsmassage der oberen Luftwege« Wiener medicinisehc
Wochenschrift 1900. No. 45.
Die Vibrationsmassage der Schleimhaut der oberen Luftwege zerfallt in die Effleurage und
in die Vibration. Erstere besteht in Streichungen der Schleimhaut mit der armierten Kupfersonde
mit oder ohne Druck, letztere wird durch tonische Kontraktion der Vorderarm-, Oberarm- und
Schultermuskulatur bei gebeugtem Ellbogengelenk erzeugt und durch Hand, Finger und Sonde auf
den zu behandelnden Theil übertragen. Das Zahnfleisch, die Zunge, die Schleimhaut der Lippen,
der Wangen, des Mundbodens, des harten und weichen Gaumens, des Nasenrachenraumes, des
Rachens, des Oesophagus, des Kehlkopfes, des oberen Theilcs der Luftröhre und der unteren und
mittleren Partieen der Nase sind Streichungen zugänglich. Die Tuba und die obersten Theile der
Nase jedoch können nur durch Erschütterung behandelt werden.
Die Behandlung beginnt mit der Gewöhnung des Kranken an die Sondenberührung; die
Schleimhaut wird rasch hintereinander berührt, bis die Empfindlichkeit herabgesetzt ist Der Heil¬
zweck erfordert sodann in jeder Sitzung eine stetige Steigerung der Vibrationsmassage von 3 bis
12 Minuten. Verfasser hat in den letzten Jahren seine besondere Aufmerksamkeit den Ergebnissen
der Vibration der Nasenschleimhaut bei den verschiedenen Formen der Kopf- und Gesichtsschmerzen,
sowie der Vibration der Tuba bei Schwerhörigkeit zugewandt und sehr interessante Resultate er¬
zielt Bei den meisten Kranken, die ihn wegen Kopfschmerz konsultierten, bestand das Leiden
mehr oder minder längere Zeit. Zu diagnostischen Zwecken wurde vorerst bei Vermuthung einer
Reflexneurose von der Nase aus die Schleimhaut 2 — 3 Minuten mit einer 5 — 10% KokaTnlösung
vibriert. Handelte es sich thatsächlich darum, so genügte in der Regel dieses Verfahren, um den
Anfall sofort zu mildern oder auch zu sistieren und dadurch die Diagnose zu sichern. Abgesehen
von diesen reinen Reflexneurosen waren cs weitere 65 Fälle von charakteristischer typischer Migräne,
bei denen die allgemeine Vibration der Nasenschleimhaut wirkungslos blieb und die Anfälle in
ihrer Heftigkeit fortdauerten. Nach Behandlung der obersten Partieen der Nase und speziell des
mittleren Ganges wurde in 30% dieser Erkrankung der Anfall geradeso, wie bei der Reflexneurose,
theils gehindert, thcils sistiert. Diese Ergebnisse berechtigen zu der Annahme, dass eine grosse
Anzahl typischer Migränefälle mit anormalen Zuständen der pneumatischen Anhänge, speziell mit
der Stirnhöhle in ursächlicher Verbindung stehen. Anatomische Verhältnisse wie der augenschein¬
liche Befund sprechen dafür, die beiden Stirnhöhlen kommunizieren gewöhnlich mit gewundenen, •
fadenförmigen Gängen mit dem mittleren Nasengangc, das geringste Hindemiss genügt, um diese
Kommunikation zu hemmen und einen pathologischen Zustand in der Stirnhöhle zu erzeugen.
Körperlage, atmosphärische Einflüsse, Ernährung, Beschäftigung können in einzelnen Fällen zu be¬
stimmten Zeitperioden die ursächlichen Momente dieser lokalen Störungen abgeben und daduich
den Anfällen den typischen Charakter verleihen. Man erreicht mit der Sonde leicht das Infundi-
bulum, den Hiatus, die Siebbeinzcllen; durch die Berührung werden gleichmässige, wellenförmige
Erschütterungen auf entferntere Partieen der Schleimhaut fortgepflanzt, es folgt hierauf eine komplette
Retraktion sämmtlicher kontraktilen Elemente mit Anämie der betreffenden Theile und im Anschluss
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692
Referate über Bücher und Aufsätze.
daran eine sofortige Abschweliung und wahrscheinlich die Wiederherstellung der Kommunikation,
wodurch nicht nur eine Minderung oder Sistierung des Anfalles eintritt, sondern auch ein bestimmter
Anhaltspunkt zur Diagnose und zur weiteren Behandlung gewonnen wird. Ausser diesen 65 Fällen
kamen 11 Empyeme der Stirnhöhle zur Beobachtung. Behandlung und Heilung dieser beruhen auf
demselben Grundsätze: »Durch Erschütterung die Hindernisse des freien Eiterabflusses zu be¬
seitigen und dadurch die Heilung ohne Auskratzungen, Einblasungen oder Ausspülungen zu erzielen«.
Die Behandlung der Tuba bei Schwerhörigkeit wurde derart vorgenommen, dass nur der
Tubeneingang mit dem Sondenknopf vibriert wurde. Die äussere Behandlung besteht in der Er¬
schütterung der gesammten Fläche des Felsenbeins und des Antitragus mit beiden Händen zugleich,
die Kranken werden sowohl innerlich wie äusserlich zweimal täglich in der Dauer steigend von
a—12 Minuten behandelt. J. Marcuse (Mannheim).
Yulpius, Der heutige Stand der SkoUosenbehandlung. Deutsche Praxis 1900. No. 14—16.
Der flott geschriebene, mit einer Reihe guter Abbildungen geschmückte Aufsatz will, wrie der
Verfasser selbst einleitend bemerkt, weder eine spezialistisch-ausführliche Schilderung der Skoliosen¬
behandlung geben, noch eine völlig neue Methode inaugurieren, sondern in knapper, übersichtlicher
Darstellung den ärztlichen Praktiker mit den Aufgaben, Mitteln und Zielen der modernen Skoliosen¬
therapie bekannt machen; diesen Zweck erfüllt das Sehriftchen in ausgezeichneter Weise, sodass es
als anregende und belehrehde Lektüre bestens empfohlen werden kann.
Nach einer kurzen Besprechung der Prophylaxe, bezüglich deren er für die früheste Kindheit
einer sorgsamen Ueberwachung jeder rachitischen Anlage, für das schulpflichtige Alter der Pflege
sportlicher Uebungen, der Einführung praktisch konstruierter Subsellien, der weiteren Verbreitung
der Steilschrift und — last not least — der schulärztlichen Aufsicht einen hohen Werth beilegt,
wendet sich Vulpius dem eigentlichen Thema zu, der Beseitigung einer bereits ausgebildeten
Wirbelsäulendeviation. Im wesentlichen bestehen die hier in Betracht kommenden, vom Verfasser
kurz skizzierten Heilfaktoren in manuellem und maschinellem Redressement, sachgemässer Massage,
allgemeiner (Frei-, Stab-, Hantelübungen) und lokaler Gymnastik (aktiven und Widerstands¬
bewegungen, aktiven Umkrümmungsübungen etc.); die Anwendung dieser orthopädischen Maass¬
nahmen im einzelnen Falle variiert je nach der Schwere des Leidens, welches von den leichtesten
Graden der Neigung zur Schiefhaltung bis zur ausgesprochenen, theilweise oder ganz fixierten
Skoliose die verschiedensten Krankheitsbilder umfasst. Vulpius bekennt sich für jeden Fall als
überzeugten Anhänger einer frühzeitig eingeleiteten Anstaltsbehandlung, da nur diese eine
energische und konsequente Durchführung der erforderlichen Manipulationen garantiere und somit
der ambulanten Behandlung gegenüber die Heilungschancen wesentlich verbessere. Das Tages¬
programm ist so eingetheilt, dass im ganzen 5 — 6 Stunden täglich mit Apparatbehandlung,
Gymnastik und Massage ausgefüllt, D/a Stunden für die Extension reserviert sind, während genügend
lange, zwischen den einzelnen Uebungen eingeschaltete Pausen zum Aufenthalt und Spielen im Freien
und zu den Mahlzeiten dienen: auch nachts wird die Kur nicht unterbrochen, die Patienten schlafen
in einem mit ExtensionsVorrichtung versehenen Gipsbett, weiches, eventuell quergetheilt auf einem
Gleitbrett befestigt, der seitlichen Wirbelsäulenbiegung, der seitlichen Rumpfverschiebung und der
Torsion des Buckels entgegenwirken soll. Ist eine Mobilisierung der versteiften Wirbelsäule er¬
reicht, so ist das beste Mittel, die Muskulatur zu stützen und zu entlasten, sowie den Detorsions-
erfolg und die erzielte Stellungsverbesserung fcstzuhalten, das gutsitzende, bis zum Becken hinab¬
reichende, orthopädische Stützkorsett, welches Vulpius gegenüber den auch von ärztlicher Seite
neuerdings erhobenen Einwänden und Anfeindungen energisch in Schutz nimmt. Dasselbe w r ird in
zwei Typen, entweder als starres, auf einem Gipsmodell geformtes Korsett aus Cellulose, Hornhaut,
Acetoncelluloid oder als weiches Stoffmieder mit Stahlschieneneinlagen angefertigt.
Die vom Verfasser genau abgewogenen Vorzüge und Nachtheile der einzelnen Korsett¬
materialien zu schildern oder die von ihm als besonders zweckmässig erprobte Technik der Korsett¬
anlegung wiederzugeben, ist in dem knapp bemessenen Rahmen eines Referats unmöglich; alle
Kollegen, die sich für die einschlägigen Fragen interessieren -- und die Zahl derselben dürfte bei
einem gerade für den Hausarzt so bedeutsamen Thema keine geringe sein — seien hiermit noch¬
mals auf das Studium der Originalarbeit hingewiesen. Hirschel (Berlin).
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Referate über Bücher und Aufsätze. 693
Oskar Piering, Ueber Massage bei Frauenkrankheiten. Prager medicinische Wochenschrift
1901. No. 4 und 5.
. Zunächst wendet sich Verfasser gegen die Bezeichnung »Massage«. Man ist im Publikum
gewohnt, bei dem Ausdruck »Massage« vorwiegend an das Kneten, Walken und ähnliches bei der
Körpermuskulatur zu denken. Piering acceptiert den von Schauta gemachten Vorschlag, statt
von »Massage« von »manueller Behandlung« der Krankheiten der weiblichen Beckenorgane zu
sprechen, einer Behandlung, die neben der instrumenteilen und medikamentösen genannt werden
müsste. Die mannuelle Behandlung im engeren Sinne, deren sachgemässe Ausübung, wenn auch
leichter erlernbar als die Technik des Br an dachen Verfahrens, immerhin nur bei diagnostischer
Fertigkeit und Feinfühligkeit richtig gelingt, ist indiziert:
1. Bei chronischer Entzündung des Beckenzellgewebes mit oder ohne Dislo¬
kation des Uterus, also bei älterer Parametritis mit Exsudatbildung, bei parametritischen und
auch perimetritischen Strängen, Adhäsionen und Narben. Die allmähliche Lösung von Adhäsionen
und die so ermöglichte normale Lagerung fixierter Organe ist das dankbarste Feld der manuellen
Behandlung. Auch die Parametritis exsudativa, wenn das akute Stadium genügend lange vorüber
ist, keine Druckempfindlichkeit und Temperatursteigerungen mehr da sind und jeder Verdacht
eitrigen Inhalts sicher auszuschliessen ist, eignet sich ganz ausgezeichnet zur Massage, besonders in
Kombination mit anderen Resorptionskuren. Schrumpfende Exsudate werden am erfolgreichsten
durch möglichst frühzeitige Behandlung beeinflusst, ehe die Schwielen knorpelartig geworden sind.
Aber wenn auch dies bereits der Fall ist, so vermag wiederum keine andere Behandlungsart, aller¬
dings oft erst nach mehrmonatiger Dauer, die Beschwerden immer noch so weit zu bessern, als die
Massage. Bei der Parametritis atrophicans bleibt, wie oft fast jede andere Therapie, auch die
Massage wirkungslos.
2. Bei Lageveränderungen des Uterus, insofern dieselben sich auf Flexion und Version
beziehen. Verlieren Arzt wie Patientin nicht die Geduld, so erreicht man gerade bei der fixierten
Retroversio ganz hervorragend gute Erfolge, so dass die Zahl der operativ anzugehenden Fälle
sich entschieden wesentlich vermindern würde.
3. Auch bei Metritis chronica sind die Erfolge übereinstimmend gut. Ist sie Theil-
erscheinung einer Parametritis oder Pelveoperitonitis, so gehen mit der Massage der schrumpfenden
Stränge und des Uterus auch die Symptome der Metritis zurück. Durch die Besserung der
Zirkulationsverhältnisse weicht die venöse Hyperämie des Uterus rasch, und damit nimmt auch der
Fluor ab, in solchen Fällen verschwindet wohl auch eine kleinere Erosion mit. Ist die Metritis
aber mit Endometritis vereint, meist gonorrhoischer Natur, so sind es vornehmlich die älteren Fälle
mit starker Schwellung und starker Empfindlichkeit, die durch manuelle Behandlung günstig be¬
einflusst werden.
4. Bei Dislokation und Fixation der Ovarien. Ebenso wie der Uterus kann ein
fixiertes Ovarium allmählich mobilisiert werden. Besonders die Empfindlichkeit wird sehr günstig
beeinflusst — der Schmerz allein ist schon Indikation, also die Perioophoritis. Dass ein ver-
grössertes Ovarium sich durch Massage verkleinert, ist sicherlich nicht möglich, das ist nur beim
entzündlichenMOedem »der Fall, und ob die Massage einer weiteren Vergrösserung des Ovariums
Vorbeugen kann, ist fraglich; sicher aber ist, dass die Massage, wenn sie vertragen wird, die Be¬
schwerden stets rasch beseitigt.
5. Eine weitere sicherstehende Indikation sind alte Blutergüsse (Hämatocelen, Hämatome
der Lig. lat etc.), die an anderen Körpertheilen ja auch Gegenstand der Massage sind. Hier gilt
als Grundsatz, sehr streng zu individualisieren. Je später die Behandlung beginnt, um so eher
schafft sie Nutzen. Die Berichte der meisten Autoren lauten günstig; gerade hier giebt es zahl¬
reiche Fälle, in denen die Massage und strenge Ruhe mit Antiphlogose das beste Mittel bilden.
6. Nicht so ungetheiit sind die Ansichten über den Nutzen der manuellen Behandlung bei
Erschlaffung des muskulösen Apparates und deren Folgezuständen, Descensus und Pro¬
lapsus Uteri.
7. Indem die methodische Massagekur die Residuen früherer Erkrankungen an Ovarien,
Tuben und Uterus allmählich beseitigen, anormale Lagerungen dieser Organe beheben hilft, weiter
auch die Ernährungsverhältnisse derselben vortheilhaft zu beeinflussen vermag, verdient sie mit
Recht einen Platz in der Therapie der Sterilität. Nach Seeligmann bewährt sich die Massage
speziell da, wo infolge Erschlaffung des Bandapparates der Uterus sich während der Kohabitation
nicht nach unten und vorn zu bewegen vermag. Auch Verfasser hat nach erfolgloser Anwendung
anderer Mittel öfters erst nach Massage Konzeption eintreten sehen.
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G94 Referate über Bücher und Aufsätze.
Schliesslich hat Pie ring die Massage in einer Anzahl von Fällen von chronischer Sal¬
pingitis, in denen nur leichte Verdickung der Tuben, jedenfalls aber keine Eiteransammlung vor¬
handen war, auch bei subakutem Verlauf mit Erfolg angewandt, indem er durch die Massage allein
eine ganz beträchtliche Besserung erzielte. Auch bei Wanderniere hat Piering in der grossen
Mehrzahl der Fälle die guten Erfolge der Unternierenzitterdrückung auch als Dauerresultate durch¬
aus bestätigen können.
Alles in allem stimmt Verfasser in die Worte Schauta’s ein, der sagt: »Die Massage ist mir
selbst bei mehrjähriger Anwendung ein unentbehrliches therapeutisches Mittel geworden, und ich
würde heute geradezu eine Lücke in meinem ärztlichen Können empfinden, müsste ich die Massage
entbehren«. —n.
E. Jendrassik, Klinische Beitrüge zum Stadium der normalen und pathologischen Gang¬
arten. Deutsches Archiv für klinische Medicin 1901. Bd. 70. Heft 1 und 2. S. 81.
Obschon ein Referat nur den Inhalt der Arbeit und keine Kritik enthalten soll, glaubt Referent,
wo es sich um sachliche Berichtigung handelt, eine Ausnahme machen zu dürfen. Dies gilt hier
von zwei Punkten der Kritik, die Verfasser in seiner Einleitung gegen die Arbeit 0. Fisch er 1 s
übt Dass die Fisch er'sehe Methode sehr umständlich ist, und dadurch in der Anwendung auf
wenige Fälle beschränkt bleiben muss, ist leider vollkommen richtig. Dagegen hat die Methode
unzweifelhaft den Vorzug der grössten Genauigkeit und Zuverlässigkeit Wenn Verfasser sagt
(S. 87), dass die »kleinsten Seitwärtsschwankungen einzelner Körpertheile und des ganzen Körpere
kaum auf den Aufnahmen korrigierbar« seien, so ist hervorzuheben, dass die Ungenauigkeiten der
Angabe der einzelnen Punkte nachweislich unter 1 mm bleiben, was für den vorliegenden Gegen¬
stand mehr als hinlänglich ist. Ferner meint Verfasser (S. 87): »Dass die Gcisslcr'sehen Röhren
nicht genügend sicher die Stellung der Extremitäten ergeben haben, wird ersichtlich auf den Tafeln,
wo das Kniegelenk am vorwärtsziehenden Beine scheinbar in Hyperextension gekommen ista. Dies
ist derselbe Irrthum, in den leider seinerzeit Professor J. Gad verfallen ist, und der auf einer ober¬
flächlichen Prüfung des von 0. Fischer veröffentlichten Materiales beruht Hätte Verfasser, statt
nur nach der Wiedergabe der Originalaufnahmeu zu sehen, die von Fischer als Schlussergebniss
entworfene Figur betrachtet, oder die zur Beurthcilung der Originalaufnahme erforderliche Be¬
rechnung nach den Zahlen des Fisch ergehen Textes durchgeführt, so wäre dieser irrthümliche
Einwand nicht hier zum zweiten Male erhoben worden.
Verfasser selbst arbeitet mit einer Methode, die zwar an Zuverlässigkeit, Genauigkeit und
Viclseitgkeit mit der Fisch er’s nicht zu vergleichen ist, dafür aber den Vorzug der grössten Ein¬
fachheit besitzt. Wie aus der Arbeit des Verfassers hervorgeht, sind dabei die Ergebnisse für das
praktische Bedürfnis ausreichend. Die aufzunehmenden Individuen gehen vor einer schwarz be-
hangenen Wand vorbei, und es werden während vier bis sechs Schritten vermittelst einer in 860 cm
Entfernung aufgestellten Kamera fünf bis acht einzelne Augenblicksbilder auf derselben Platte auf¬
genommen. Auf vier bis sechs so hergestellten Platten ist dann eine genügende Zahl verschiedener
Phasenbildcr enthalten, um mit Berücksichtigung der Schrittlänge eine Zusammenstellung aller auf¬
einanderfolgenden Phasen anzufertigen. Da die Aufnahme nur von einer Seite geschieht, so kann
man natürlich nur die Bewegung in der Gangebene deutlich erkennen, und auch hier werden wegen
der Ungenauigkeit in_der Zeitfolge der Aufnahmen genaue Messungen nicht möglich sein. Auch
ohno das geben aber die Aufnahmen ein vollkommen ausreichendes Bild der betreffenden Gangarten,
aus dem alle auffälligen Eigentümlichkeiten abzulesen sind. Die Methode leistet also mit einer ein¬
zigen gewöhnlichen Momentkamera alles, was der Kliniker von einer graphischen Verzeichnung der
Gangart verlangt, und dürfte sich daher bald einer weiteren Verbreitung erfreuen.
Was nun die Beobachtungen betrifft, die Verfasser mit dieser Methode gewonnen hat, so ist
gleich die erste sehr interessant, die sich auf den Einfluss der ßeschuhung bezieht Namentlich
durch die Wirkung der Absätze werden die Vertikalschwankungen beim Gange geringer, die Vor¬
wärtsbewegung also gleichmässiger, als beim Gang auf blossen Füssen. Ferner soll die Be-
sclmhung die relative Dauer der Phase einseitiger Unterstützung verringern. Im Auszuge können
die weiter angeführten Einzelheiten nicht wiedergegeben werden, auch treten Ansichten des Vor
fassers hervor, die mit den neueren Lehren der Muskelmechanik in Widerspruch stehen. Doch darf
nicht übergangen werden, dass es Verfasser gelungen ist, von der Betheiligung der einzelnen Muskeln
beim Gehen eine so deutliche Anschauung zu gewinnen, dass er eine sehr übersichtliche graphische
Darstellung davon geben konnte. Verfasser geht dann zur Besprechung der pathologischen Gang-
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Referate über Bücher und Aufsätze.
695
arten über, die sich wegen der vielen Einzelheiten wiederum zum Referate nicht eignet. Es muss
auf das Original verwiesen werden, indem hier nur die verschiedenen besprochenen Gangarten auf¬
geführt werden, nämlich: der hemiplegische, der spastische Gang, »Stepper«gang, dystrophischer
Gang, Gang bei schlaffer Lähmung, myelitischer Gang, ataktischer Gang, Gang bei cerebellarcr
Ataxie, Gang bei Paralysis agitans, endlich hysterische Gehstörungen.
R. du Bois-Reymond (Berlin).
K. Martin Sugär, Ueber’die systematischen Hörübungen und deren therapeutischen Werth
bei Taubstummen und Tauben. Orvosi Hotilap 1901. No. 22—24.
Die von Urbantschitsch in die Therapie und Praxis eingeführten systematischen Hör¬
übungen sind besonders bei psychischer Taubheit von Erfolg; aber auch bei Taubheit nach
Meningitis cerebrospinalis, Skarlatina, Typhus, Traumen und Schrecken indiziert Der Erfolg
manifestiert sich in der Verbesserung der Stimme, in reinerer Aussprache der Konsonanten und in
der Geläufigkeit der Laut Verbindungen. Allein die mit der kontinuierlichen (Bezold’schen) Ton¬
reihe vollführte Untersuchung giebt ein klares Bild über die Gehörreste; demnach ist bloss hier¬
durch die Zahl jener Taubstummen feststellbar, bei denen der Unterricht durch das Ohr noch Erfolg
verspricht. Lässt sich also durch diese Untersuchung konstatieren, welche Vokale und Konsonanten
der Taubstumme von selbst oder durch Unterricht zu hören vermag, so kann schon hieraus auf den
Erfolg der systematischen Hörübungen gefolgert, andcrentheils aber die Direktive zu weiterem Unter¬
richt gewonnen werden. Verfasser will zwar noch kein endgültiges Urtheil abgeben, ob die
Bezold’sche Methode in den Taubstummeninstituten den Unterricht zu heben, beziehungsweise die
Behandlung der Taubheit des späteren Alters zu beeinflussen berufen sein wird; unzweifelhaft steht
aber jene Thatsache fest, dass bei Kindern, die genügende Hörreste besitzen, die Aussprache wie
auch das Verständniss der gesprochenen Worte bis zu einem gewissen Grade verbesserbar ist. In¬
folgedessen hält er es für ein unumgänglich dringendes Postulat, die ohrenärztliche Untersuchung
und die fachärztlichc Aufsicht in den Taubstummeninstituten zu systematisieren.
_ J. Honig (Budapest).
R. Grüubaum und H. Amson, Ueber die Beziehungen der Muskelarbeit zur Pulsfrequenz.
Deutsches Archiv für klinische Medicin 1901. Bd. 71. Heft 6.
Dieselben, Der Einfluss der Bewegungen auf die Pulsfrequenz. Wiener medicinische Presse
1901. No. 47.
Die Verfasser bedienten sich bei ihren Untersuchungen einer neuen von Grünbaum an¬
gegebenen Methode der Pulszählung. Sie berechneten nämlich nicht die Anzahl der Schläge in
einer gewissen Zeit, sondern sie bestimmten umgekehrt die Zeit, welche während 15 Pulsschlägen
verstrich. Diese Zeit wurde mittels einer bis auf 1/5 Sekunde regulierbaren Wettrennuhr fixiert und
hierauf mittels einer Umrechnungsproportion die Minutenfrequenz bestimmt. So kamen die Verfasser
z. B. zu Resultaten, wie: 15 Pulse in 9Vs Sekunden entsprechen 97«V 4 Pulsschlägen in der Minute.
Mit Vierteln und Fünfteln von Pulsschlägen vermag man nach der Ansicht des Referenten weder
in der Wissenschaft noch in der Praxis etwas anzufangen. Eine Pulsfrequenz von »102 27« ist eine
theoretische Kalkulation, aber eine physiologische Unmöglichkeit. Auch bei der üblichen Art der Puls¬
zählung während 20 Sekunden beträgt der Fehler im ungünstigsten Falle 1—3 Schläge in der Minute;
dieser fällt aber um so weniger in die Waagschale, als selbst die Pulszahl beim Gesunden in der
Ruhe während mehrerer Minuten hintereinander gemessen nicht konstant ist, sondern um 2—6 Schläge
schwankt. Ausserdem wäre es gerade für derartige Untersuchungen instruktiver, die Pulszahl während
der aufeinanderfolgenden Sekundendekaden zu bestimmen, da sich ja während und nach den Be¬
wegungen der Herzrhythmus innerhalb einer Minute ändert. Die Verfasser stellten im ganzen
19 Versuche an sich und an einer dritten gesunden Versuchsperson an, die gefundenen Zahlen¬
reihen füllen drei Viertel der 48 Seiten starken ersten Arbeit. Sie benutzten als Arbeitsmaschinen
die H erziehen mechano - therapeutischen Apparate und fanden, dass die Pulsfrequenz sofort mit
dem Einsetzen der Arbeit in die Höhe geht und allmählich bis zu einer gewissen Höhe (Maxiraum
173 Pulse in der Minute) ansteigt, die selbst bei bis zur Erschöpfung forzierter Anstrengung nicht
mehr überschritten wird. Nach Aufhören der Arbeit tritt der Pulsabfall rapide ein. Uebergrosse
Arbeit übt durch längere Zeit einen schädigenden Einfluss auf das Herz.
In der zweiten Arbeit wird ausgeführt, dass Ucbungen an unbelasteten Förderungsapparateil
auf die Pulsfrequenz kalmierend wirken, während Selbsthemmungsbewegungen die Pulszahl un-
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696 Referate über Bücher und Aufsätze.
verhältnissmässig zur geleisteten Arbeit erhöhen. Passive Uebungen verändern nicht den Herz¬
rhythmus. Auch die letzgenannten Versuche wurden nur an drei gesunden Personen (darunter die
Verfasser) ausgeführt. P. Lazarus (Berlin).
K. Pandy, Neuritis multiplex und Ataxie. Klinisch-therapeutische Wochenschrift 1900. No. 42—44.
In dieser lesenswerthen Publikation schildert Verfasser einen Fall von akuter Ataxie bei einem
29 jährigen Zuckerbäcker, welche zehn Wochen ante exitum im Anschlüsse an eine Erkältung (Influenza)
aufgetreten war. Innerhalb vier Wochen entwickelten sich Pupillenstarre, Schwanken bei Augen¬
schluss, Verlust der Patellarreflexe, Parästhesien, Gürtelgefühl und lanzierende Schmerzen, ferner
eine Lähmung der oberen Facialisäste, welche mit Entartungsreaktion einherging. Der letztere
Umstand, sowie die Druck empfindlich keit der Nervenstämme und das rapide Auftreten sprachen für
die obige Diagnose, welche durch die histologische Untersuchung des Nervensystems bestätigt wurde.
Es fand, sich eine Degeneration der peripheren Nerven, sowie der hinteren und vorderen Rücken¬
markswurzeln ohne nennenswerthe Veränderung des Rückenmarkes. Der Exitus wurde durch eine
kroupöse Pleuropneumonie herbeigeführt. Verfasser erörtert nun die einzelnen Symptome des Falles.
Verlust der Pupillenreaktion bei multipler Neuritis ist eine grosse Seltenheit und beruht urahr-
scheinlich auf Degeneration der peripheren Optikusfasem. Nach Pandy’s Untersuchungen ist die
Pupillenreaktion in 50 °/ 0 der Tabesfälle nur träge, in 6 o/ 0 deutlich vorhanden und nur in 44 0 / 0 er¬
loschen. Verfasser bespricht sodann die verschiedenen Formen der cerebralen, cerebellaren, spinalen
und peripheren Ataxie. Bei der Besprechung der Ataxietheorieen übergeht er die heute wohl meist
anerkannte, zuerst von v. Leyden aufgestellte sensorische Theorie. Pandy unterscheidet u. a. eine
ccntrifugale Ataxie motorischen Ursprunges nach Himrindenläsionen und Hemiplegieen. Nach An¬
sicht des Referenten ist auch in diesen Fällen die Zerstörung der sensiblen Komponente der aus¬
lösende Faktor, was sich sowohl anatomisch als auch klinisch (Störungen der Haut- und Muskel¬
sensibilität, des Orts-, Lage- und Taststinnes) nach weisen lässt. Die periphere Ataxie kann bei
Erkrankungen der Wurzeln, der peripheren Nerven oder ihrer Endausbreitung erfolgen. Bei der
neuritischen Ataxie sind die Bewegungen langsamer und schwächer als bei der tabetischen, da bei
ersterer sowohl die sensiblen als auch die motorischen Fasern degeneriert sind.
P. Lazarus (Berlin).
Paul Godin, Dn röle de Pauthropomtftrie en education physiqne. Bull, et m€m. de la soc.
d’anthropol. de Paris 1901. Bd. 2. S. 110.
Den Worth turnerischer Uebungen auf die Körperentwicklung der im Wachsthum begriffenen
Jugeud zeigen deutlich die Messungen, die Godin an 100 Schülern der ficole militaire zu Hippo-
lyte-du-Fort von 14 V 2 bis zu 18 Jahren alle sechs Monate vorgenommen hat. Die Hälfte dieser
Schüler benutzte die freie Zeit dazu, um in massiger Weise an Apparaten, mit Vorliebe am festen
Barren, zu turnen, die andere Hälfte trieb keine derartigen Uebungen.
Unter dem Einflüsse des Apparateturnens nahm der Umfang des Brustkorbes mehr zu, als
wenn nicht geturnt wurde. Der Unterschied zwischen turnenden und nicht turnenden Schülern be¬
trug nach Ablauf der 3 1/2 Jahre Beobachtungszeit 8—10 cm. Die Kurve zeigte ausserdem, dass der
Thorax bei ersteren viel schneller an Ausdehnung zunimmt, als bei letzteren. Eine Bestätigung
dieser ausgiebigeren Zunahme des Brustkorbes erhielt Godin ausserdem dadurch, dass er diese
mit der Verbreiterung des Beckens verglich. Spontan nimmt das Becken mit dem Alter an Breite
zu, und zwar innerhalb des gleichen Zeitraums mehr, als der Thorax. Tritt indessen Turnen hinzu,
dann wächst der Thorax in viel ausgiebigerem Maasse als das Becken. Dieselbe Erscheinung prägte
sich an den Umfängen der oberen und der unteren Extremitäten aus. Unter gewöhnlichen Ver¬
hältnissen nimmt die Unterextremität relativ mehr an Volumen zu, als die obere; bei den turnenden
Kindern aber schwächte sich dieses Verhältniss ab oder schlug direkt in das Gegentheil um. Inner¬
halb der angegebenen Periode von nahezu vier Jahren betrug die mittlere Zunahme des
bei den nicht-
bei den
turnenden Kindern
turnenden Kindern
bi-acromialen
4 cm
6 cm
Thorax- Durchmessers
3 »
5 »
Becken-
6 n
6 *
Arm-
4 »
5 j>
Schenkel- \
6 »
0 ®
Vorderarm- > Umfanges
3 »
6 »
Waden- 1
5 »
6 D
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Referate über Bücher und Aufsätze.
697
Mit der stärkeren Entwicklung der einzelnen Körperabschnitte geht bei den turnenden Kindern
eine stärkere Zunahme ihres Körpergewichtes einher. Bei den nicht turnenden Schülern war inner¬
halb des angegebenen Zeitraumes eine Zunahme um 14 kg herum erfolgt, hingegen betrug
bei den turnenden Schülern die Gewichtszunahme 20, 25, selbst 27 und 29 kg. Bis zu einem ge¬
wissen Grade begünstigt das Apparatctumen auch das Körperlängenwachsthum, denn die Schüler,
die geturnt hatten, waren nach 3 V 2 Jahren ungefähr einen Centiraeter grösser, als diejenigen, die
nicht geturnt hatten (dieselbe Anfangsgrösse vorausgesetzt). Busch an (Stettin).
D. Elektrotherapie.
Ernst Frey, Die Heilwirkungen des Franklin’schen Stromes. Fester medicinisch-
chirurgische Presse 1901. No. 37.
Verfasser macht einige kurze Mittheilungen über die therapeutischen Erfahrungen, welche er
in dem Nervenambulatorium des Professors Schaffer zu Budapest bezüglich der Franklinisation
gewonnen hat. Die besten und frappantesten Erfolge sah er zunächst bei Hysterie und Neurasthenie.
Er ist überzeugt, dass in diesen Fällen das Wesen der Heilwirkung vorwiegend auf psychischen
Vorgängen beruht, meint aber, dass »einigermaassen auch die physische Wirkung in Betracht ge¬
nommen werden« muss, indem die Ozonisation blutbildend und dadurch aufbesserad auf die Er¬
nährung wirkt.
Bei Rheumatismus und Ischias erzielte Verfasser mit Franklin’schen Funkenentladungen viel
bessere Erfolge, wie mit anderen Elektrisationsmethoden (nur Fälle von Neuritis sind davon aus-
ausgenommen).
Bei Neuralgien dagegen (die Ischias ist doch auch eine Neuralgie! Referent) waren die Er¬
folge nicht besser wie bei Galvanisation. Sehr günstig aber wurden die hyperästhetischen Zonen
bei einem Tabeskranken beeinflusst
Bei Morbus Basedowii wurde eine kombinierte Behandlung angewendet in der Weise, dass
den einen Tag franklinisiert wurde (Ozonisation der Herzgegend, nachher allgemeine Ozonisation),
den zweiten Tag die Struma und die Halsganglien des Sympathikus galvanisiert und den dritten
Tag der Exophthalmus faradisiert wurde. Unter dieser Behandlung trat sehr bald Erleichterung der
Beschwerden und nach fünf bis neun Monaten volle Heilung respektive auffallende Besserung ein.
Drei kurze Krankengeschichten sind beigefügt
Die Erfolge bei Lähmungen verschiedener Art erschienen noch zweifelhaft, gut waren sie
dagegen bei nervöser Schlaflosigkeit und Herzklopfen.
Verfasser bezeichnet nach seinen Erfahrungen den Franklin’schen Strom als einen wichtigen
elektrotherapeutischen Faktor, dessen Wirkung theils eine physische, theils eine psychische ist.
Mann (Breslau).
Donath, Meni&re’scher Symptomenkomplex geheilt mittels galvanischen Stromes. Wiener
klinische Wochenschrift 1901. No. 47.
Verfasser theilt einen Fall von Morbus Meniöri mit, der überraschend gut durch den
galvanischen Strom beeinflusst wurde. Schon nach der ersten Sitzung (Anode auf dem Ohr,
Kathode im Nacken, 2—5 M-A, je fünf Minuten auf jedem Ohr) hörte der seit sieben Wochenibe-
stehende Schwindel gänzlich auf. Nach sechs Sitzungen nahm der Patient die Arbeit wieder auf;
nach einem kleinen Rückfall weitere fünf Sitzungen, welche die störenden Erscheinungen völlig be¬
seitigten. Es blieb nur noch eine gewisse Hyperästhesie des Akustikus bestehen.
Verfasser wundert sich, dass der galvanische Strom bisher bei Meniöre noch nicht an¬
gewendet worden ist. Er kann in dieser Beziehung nur Ladreit de Lacharrifcre erwähnen,
welcher zwei Fälle mit gutem Erfolge behandelt hat. Im übrigen führt er nur die Publikationen
über Franklin’sche Behandlung des Morbus Meniöri an.
Referent möchte erwähnen, dass die Galvanisation der Acustici bei Morbus Meniöri nicht
so neu ist, wie Verfasser glaubt. Erb empfiehlt sie schon in der ersten Auflage seines Lehrbuches
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698 Referate über Bücher und Aufsätze.
(1882) sehr warm und wendet sich gerade bei dieser Gelegenheit scharf gegen die Ohrenärzte, die
sich diesem Mittel verschliessen. Referent selbst hat schon häufig dieselbe Behandlung ausgeführt
mit ziemlich gutem, aber niemals so eklatantem Erfolge, wie in dem Falle Donath’s.
Mann (Breslau).
Julius Baedeker, Die Arsonvalisation« Wiener Klinik 1901. Heft 10/11.
Verfasser hat auf Anregung von Euleuburg dessen Versuche über Arsonvalisation in seiner
Nervenpoliklinik, sowie im Institut für medicinische Diagnostik fortgesetzt
Von Einzelheiten seiner Resultate ist Folgendes zu erwähnen:
Von physiologischen Wirkungen wurde zunächst der Einfluss auf die Hautsensibilität unter¬
sucht. Eine völlige Anästhesie, welche Arsonval angiebt, wurde niemals beobachtet; es fand
sich unmittelbar nach der Bestrahlung eine leichte Herabsetzung der Sensibilität, welche zehn
Minuten später einer deutlichen Hyperästhesie Platz machte.
Verfasser stellte sodann Athmungsversuche an Thieren an, um die bekanntlich bereits mehrfach
bestrittenen Angaben Arsonval’s über den Einfluss der Arsonvalisation nochmals nachzuprüfen.
Es ergab sich zunächst in einem Versuch eine bedeutende Vermehrung von Athemzahl und Tiefe
und eine wesentliche Erhöhung des Respirationsvolumens. In drei anderen Versuchen wurde
jedoch die Athmung durch die Arsonvalisation in keiner Weise beeinflusst
Was nun das Verhalten des Blutdruckes anbetrifft, so konnte Verfasser die bekannten An¬
gaben Ars onvaTs ebenfalls nicht bestätigen. Am Kaninchenohr fand sich keine Veränderung der
Gefässfüllung bei Arsonvalisation im Solenoid. Auch die Zählung der ausfliessenden Blutstropfen
nach einem Einschnitte in die Pfote ergab ganz widersprechende Resultate (nach Arsonval soll
das Blut nach Arsonvalisation reichlicher fliessen).
Direkte Blutdruckmessungen mittels des Basch’sehen Sphygmomanometers am Menschen er¬
gaben in der Hälfte der Fälle (von 22 Fällen) eine erhehliche Steigerung des Blutdruckes um 6 cm
und darüber. Dagegen blieb bei Messung in der Carotis des Kaninchens mit eingesetzter Kanüle
der Blutdruck unverändert Nur im Beginn des Versuches ergab sich eine Steigerung, die aber
auf die erregende Wirkung des lauten Geräusches des Apparates zurückzuführen war, wie sich
daraus erkennen liess, dass schon das Geräusch allein, ohne Stromzufuhr, genügte, um die Steigerang
hervorzurufen. Man darf daraus also wohl schliessen, dass auch die am Menschen in der Hälfte
der Fälle beobachtete Blutdrucksteigerung auf solche accidentelle Momente zurückzuführen ist
Ueber die Beeinflussung des Stoffwechsels durch die Arsonvalisation hat der Verfasser keine
eigenen Versuche an gestellt.
Von seinen therapeutischen Versuchen an Kranken erwähnt Verfasser zunächst den Diabetes.
Auch hier sind seine Resultate (wie auch die anderer, z.B. Doumer’s) denen Arsonval’s ent¬
gegengesetzt. ln drei Fällen zeigte sich keine Veränderung des Zuckergehaltes; dagegen wurde
symptomatisch der Pruritus günstig beeinflusst, wie übrigens auch andere Formen von Pruritus.
Ueber die Behandlung der Obesitas, deren Erfolge von anderen Autoren (P. Cohn, Doumer)
ebenfalls bestritten werden, fehlen dem Verfasser eigene Erfahrungen
Bei Hysterie und Neurasthenie hat der Verfasser verschiedene Wirkungen gesehen. Unter
zwölf Patienten wurden zwei garnicht beeinflusst, bei vier Patienten trat eine bedeutendende Ver¬
schlimmerung der nervösen Erregung und Unruhe auf. Bei sieben Patienten (also zusammen drei¬
zehn Fälle!) trat eine auffallende Besserung des Schlafes ein und zwar bei einigen sehr rasch, bei
einigen erst nach längerer Behandlung. Dieses Resultat stimmt mit den Beobachtungen von T. Cohn
durchaus überein.
Am Schlüsse theilt Verfasser seine Erfahrungen über lokale Arsonvalisation mit Bei dieser
muss die Anordnung so getroffen werden, dass ein starker Hautreiz erzeugt wird. Es muss zu
diesem Zwecke der Abstand der Zinkkugeln der Funkenstrecke mindestens 6 mm, der Abstand der
Elektroden von der Haut mindestens 4 mm betragen und jede einzelne Hautstelle so lange bestrahlt
werden, bis der Patient ein so heftiges Brennen und solchen Schmerz empfindet, dass er die Be¬
strahlung der Stelle nicht länger aushält. Auf diese Weise wurden behandelt: fünfzehn Neuralgien,
sieben Myalgien, neun Arthralgien und chronische Arthritiden, drei Fälle von Erythromelalgic und
vier Fälle von Cephalalgie.
Unter den Neuralgien befanden sich acht Fälle von Ischias. Von diesen wurden zwei gar¬
nicht gebessert, die übrigen zeigten eine Verringerung der Schmerzen, die aber stets nur vorüber-
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Referate über Bücher and Aufsätze. 699
gehend war. Fünf andere Fälle von Neuralgie wurden ebenfalls gebessert, zwei Trigeminus¬
neuralgien dagegen direkt schädlich beeinflusst
Die Myalgien und Arthralgien wurden zum grossen Theil gebessert, aber meist nur vorüber¬
gehend.
Bei den Erythromeialgien wurde die Röthung und Schwellung jedesmal gebessert, in zwei
Fällen kehrte sie schon nach drei Tagen wieder; in einem Falle hielt die Besserung vierzehn Tage
lang Stand. Sehr günstig wurden die Fälle von Cephalalgie beeinflusst, von denen zwei anämischer,
einer urämischer Natur war.
Aus den Untersuchungen des Verfassers geht somit wiederum, wie auch schon aus anderen
Arbeiten (P. Cohn, Doumer, Querton, Kindler etc.) hervor, dass die urspiünglieben Angaben
ArsonvaTs und Apostoli’s, welche so grosses Aufsehen gemacht haben, weil darnach ein
ganz neues, eigenartiges, elektrotherapeutisches Prinzip gefunden zu sein schien, durchweg auf un¬
genauen Beobachtungen beruht haben.
Die spezifische Einwirkung auf die Zellenergie und damit auf das Respirationsvolumen und
den Stoffwechsel überhaupt, sowie auf den Blutdruck und damit die therapeutische Wirksamkeit
bei Stoffwechselkrankheiten, ist als vollkommen widerlegt anzusehen. Es bleibt nur eine günstige
Beeinflussung nervöser Schlaflosigkeit, sowie verschiedener schmerzhafter Affektionen übrig, bei
denen die Arsonvalisation einfach als Hautreiz wirkt
Damit ist aber die Bedeutung dieser Therapie auf ein Minimum herabgedrückt. Denn dass
man bei schmerzhaften Affektionen auch auf andere, einfachere Art wirksame Hautreize applizieren
kann, dass ferner die nervöse Schlaflosigkeit den verschiedensten Methoden zugänglich ist, braucht
wohl nicht besonders betont zu werden. Von einer spezifischen Wirksamkeit der Arsonvalisation
kann also nicht gut mehr die Rede sein; sie kann höchstens in manchen Fällen in Konkurrenz mit
anderen, aber viel einfacheren Methoden treten.
Zum Schlu&se sei nicht unterlassen, eine stilistische Eigenthümlichkeit des Verfassers zu er¬
wähnen, welche sehr sonderbar berührt, nämlich die Art, wie er französische Zitate wiedergiebt.
Er führt ein und denselbeu Satz theils im Original, theils in Uebersctzung an, so dass sehr sonder¬
bare Sätze entstehen, wio ein Zitat aus Doumer: »aber diese glücklichen Fälle sind tres rares«,
oder er fügt sogar bei einzelnen ganz willkürlich gewählten Worten die Uebersctzung bei, z. B.:
>on voit chez le lapin (Kaninchen) les vaisseaux de Poreille (des Ohres) sich erweitern trfcs rapide¬
ment, wie nach Symp&thikusdurchschneidung«.
Es ist wohl Pflicht der Kritik, derartige Sinnlosigkeiten, auch wenn sie nur den Stil betreffen,,
nicht ungerügt passieren zu lassen. Mann (Breslau).
E. Verschiedenes.
H. Strangs, Die chronischen Nierenentzündungen in ihrer Einwirkung anf die Blutflüssig¬
keit und deren Behandlung nach eigenen Untersuchungen an Blutserum und an Trans¬
sudaten. Berlin 1902. August Hirschwald.
Die Monographie berichtet über ausgedehnte Untersuchungen, die der Verfasser mit vielem
Fleisse in einem Zeitraum von fünf Jahren angestellt hat. Man kann die Arbeit als eine höchst
erfreuliche und dankenswerthe begrüssen; denn einmal ist mit guter Kritik das sehr zerstreute
Litteraturinaterial recht vollständig zusammengestellt, und dann geben auch die eigenen Unter¬
suchungen vonStrauss nicht nur werthvolle Ergänzungen, sondern mancherlei neue Gesichtspunkte,
sodass das Buch für jeden, der auf dem Gebiete der Nierenkrankheiten selbstständig arbeiten will,
eine nicht zu entbehrende Grundlage sein wird. Gewiss sind durch die St raus s* sehen Unter¬
suchungen keineswegs Fragen der Nierenpathologie glatt und definitiv gelöst, aber unsere Kennt¬
nisse sind um ein gutes Stück durch dieselben erweitert.
Die Inhaltsangabe kann im Rahmen eines kurzen Referates keine erschöpfende sein. Die
wichtigsten Ergebnisse sind folgende. Der Retentionsstickstoff, unter welchem Ausdruck Strauss
den nach Enteiweissung einer Körperflüssigkeit in denselben verbleibenden Stickstoffgehalt ver¬
standen wissen will, ist gegenüber normalen Verhältnissen bei chronisch parenchymatöser Nephritis
um ein geringes, bei der chronisch interstitiellen Nephritis beträchtlich vermehrt. Bei Urämie steigt
der Gehalt an Retentionsstickstoff sehr erheblich.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
700
Die Bestimmungen des Harnstoff-, Harnsäure-, Ammoniakstickstoffs ergeben, dass ihre
Schwankungen ungefähr gleichsinnig mit der des Retentions-N gehen, sodass die N-Mischung für
die einzelnen Komponenten des Retentions-N bei dem Steigen des letzteren nicht wesentlich ver¬
ändert werden. Nur bei der Urämie erschien der Ammoniakstickstoff auffallend vermehrt, ein Be¬
fund, den Strauss als Ausdruck einer Gewebsansäurung auffassen will. Interessant ist auch, dass
die N-Mischung im Blut, in Transsudaten und im Ham einen ziemlichen Parallelismus bot.
Kochsalz, Aschengehalt und ebenso der Zuckergehalt des Blutserums zeigten bei den ver¬
schiedenen Formen der Nephritis keine einheitlichen Abweichungen.
Die Untersuchungen über das physikalisch - chemische Verhalten des Serums sind meist nach
der Methode der Bestimmung der Gefrierpunktserniedrigung, in einzelnen Fällen auch mit dem Ein¬
tauchrefraktometer von Pulfrieh angestellt, sie bestätigen frühere Resultate; bemerkenswerth ist
jedoch, dass die Schwankungen des Retentions-N erheblich beträchtlicher waren als diejenigen von
J und dass sich in Bezug auf den Kochsalzgehalt kein direkter Parallelismus zwischen d und Koch¬
salz ergab.
Untersuchungen über die Serotoxinität des Blutes von Nierenkranken ergaben, dass dieselbe bei
chronisch interstitieller Nephritis im allgemeinen eine höhere, als bei den chronisch parenchyma¬
tösen Formen ist. Bei der von Jacobsohn ausgeführten mikroskopischen Analyse des Nerven¬
systems der vergifteten Thiere wurden mit dem Nissl-Verfahren nur geringfügige Zell Veränderungen
gefunden.
Es folgen dann Beobachtungen über den Urin Nierenkranker, die ergaben, dass 1. bei
chronisch institieller Nephritis die Ausscheidung von subkutan injiziertem Methylenblau häufiger
und stärker verlangsamt war als bei Gesunden und bei Fällen von chronisch parenchymatöser
Nephritis, 2. dass die molekulare Konzentration des Urins bei Nephritikem meist herabgesetzt war,
3. dass Schwankungen der N-Ausscheidung häufiger und grösser als bei Gesunden sind.
Bestimmungen endlich über das spezifische Gewicht und den Eiweissgehalt des Blutserums
Nierenkranker ergaben für die chronisch parenchymatöse Nephritis ein niedriges spezifisches Gewicht
und einen geringen Ei weissgeh alt, für die chronisch interstitiellen Formen ein normales oder nur
wenig erniedrigtes spezifisches Gewicht und ebenso einen normalen Eiwcissgehalt.
Die Schlüsse, welche Strauss aus eigenen und fremden Untersuchungen zieht, sind folgende:
Der pathologisch physiologische Prozess ist bei parenchymatösen wie interstiellen Formen zunächst
derselbe: Es kommt zu Retentionen. Die spezielle Art derselben ist vielleicht, der Modus der
Kompensation aber sicher verschieden. Bei den parenchymatösen Formen werden die Retenta
innerhalb der Blutbahn durch einen Flüssigkeitszuwachs verdünnt und so unschädlich zu machen
versucht. Bei den interstitiellen Formen tritt dieser Verdünnungsversuch auch ein. Das Plus von
Flüssigkeit wird aber durch die kompensatorisch gesteigerte Herzkraft vielleicht mit Zuhilfenahme
noch funktionsfähigen Parenchyms in statu nascendi entfernt. Die Urämie ist dann die Folge der
Insufficienz der kompensatorischen Kräfte, die Ansammlung giftiger Stoffwechselprodukte über die
Schwelle der individuellen Toleranz hinaus, sie ist in ihren Erscheinungen verschieden je nach dem
Ueberwiegen der einzelnen Giftart und je nach der Resistenz der verschiedenen Organsysteme.
Den Schluss der Strauss’sehen Arbeit bildet ein Kapitel »Therapeutische Gesichtspunkte«.
Bei der Besprechung der Diät warnt Strauss vor allem vor einer Unterernährung, und hält bei
Vermeidung eines Uebermaasses von stickstoffhaltiger Nahrung eine Bevorzugung der Kohlehydrate
und Fette für richtig. Eine Beschränkung der Wasserzufuhr wird als meist nicht rationell bezeichnet.
Mit der Salzzufuhr braucht man, wenn man auch ein Uebermaass vermeiden wird, nicht zu ängstlich
zu sein. Zur Anregung der Herzkraft wird der dauernde Gebrauch kleiner Digitalisdosen empfohlen.
Schwitzkuren werden nur für Urämie angerathen, ihr dauernder Gebrauch aber für unzweckmässig
erklärt. Ableitungen auf den Darm namentlich durch die Bitterwässer werden empfohlen. Bei
Vorhandensein von Oedem wird die häufige und frühzeitige Eröffnung des Unterhautzellgewebes
als direktes Heilmittel gerathen. Der Aderlass wird nicht nur erst als letztes Zufluchtsmittel gelobt,
sondern St rau S8 hat den Eindruck gewonnen, dass der Ablauf der chronisch interstitiellen Nephritis
bei Vornahme wiederholter Aderlässe sich günstiger gestalte. M. Matth es (Jena).
E. Riernacki, Die moderne Heilwissenschaft, Wesen und Grenzen des ärztlichen Wissens«
Autorisierte Uebersetzung von Dr. S. Ebel. Leipzig 1901.
Vor mehr als einem halben Jahrhundert rief W. Griesinger den Aerzten zu: »Stellt Euch
selbst zu den Laien nicht in ein Verhältniss, wo die Medicin als ein geheimnissvolles Priesterthum
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Kleinere Mittheilungen.
701
erscheint, das seine Mysterien und Orakel hat! Zieht die Augurenjaeke aus und sagt offen, dass
wir alle vom schnellen, sichern Heilen nicht eben viel verstehen« (Ueber medicinische Charlatanerie
1843). Dieser Aufforderung haben seither zahlreiche Aerzte in Wort und Schrift Folge geleistet.
Die populär medicinischen Bücher haben dem ärztlichen Stande manchmal genützt, manchmal ge¬
schadet . In die letztere Kategorie dürfte das obige Büchlein gehören. Verfasser behandelt in
sieben, für Laien bestimmten Vorlesungen die Entwicklung der Medicin (schönstes Kapitel), ihre
objektive Leistungsfähigkeit, beziehungsweise ihre Insufficienz, die Charlatanerie der Kurpfuscher
und der ärztlichen Sekten (Homöopathen, Hydropathen etc.). Biernacki steht auf dem Gipfel des
Skepticismus:
»Jeder intelligente Arzt weiss es auch, dass es oft einerlei ist, wer den Kranken behandelt,
ein tüchtiger oder ein unfähiger Arzt, ein Homöopathe, Kurpfuscher oder gar ein altes Weib«
(S. 123). — »Die Wissenschaft weiss es auch, dass oft alles eins ist, ob eine richtige, falsche oder
gar keine Diagnose gestellt wird; für den Ausgang der Krankheit und für die Heilung ist das
ganz gleichgiltig« (S. 124). — »Ob eine Lähmung (Paralyse) der unteren Extremitäten auf eine Er¬
krankung des Rückenmarks zurückzuführen oder hysterischen Ursprungs ist, das ist für die Wahl
der Hilfsmittel, die bei Lähmungen zur Anwendung kommen, ziemlich irrelevant« (S. 71).
»Im grossen und ganzen dürften die Zahlen der Todesfälle bei Kranken, die von Aerzten
und solchen, die von Sektierern behandelt wurden, nicht erheblich differieren, also nicht für den
einen oder anderen wesentlich ins Gewicht fallen« (S. 125). — »Es ist konsequenter Weise auch
möglich, dass mancher Kranke, der z. B. an einem Herzfehler leidet, bei einem Homöopathen mit
seinen Potenzen länger leben kann als in den Händen eines Arztes, wenn letzterer keinen so nach¬
haltigen und intensiven psychischen Einfluss auszuüben vermag wie der Homöopathe« (S. 121).
Geschrieben im Zeitalter des Diphtherieseruras und der Hygiene! Die Laien werden sich
darnach einen schönen Begriff von dem Wesen der »modernen Heil Wissenschaft« machen!
P. Lazarus (Berlin).
J. Bornträger, Das Buch vom Impfen. Leipzig 1901.
Ein verdienstvolles Werkchen, welches eine kritische Sichtung der mit der Impfung zusammen¬
hängenden Fragen giebt. In eingehender Weise und auf dem Boden genauer Statistiken entkräftet
Verfasser die Argumente der Impfgegner. Den grössten Theil des Büchleins nehmen die Reichs¬
verordnungen und die gerichtlichen Entscheidungen über das Impfen ein. Anhangsweise sind
sämmtliche in Deutschland vorgeschriebenen Impfformulare beigegeben. Das Buch eignet sich daher
vorzüglich für Medicinalbehörden und beamtete Aerzte. Für die nächste Auflage wäre eine Be¬
sprechung der angeborenen Immunität gegenüber der Vaccination und der in den ausserdeutschen
Kulturländern geltenden Impfgesetze erwünscht. P. Lazarus (Berlin).
Kleinere Mittheilungen.
i.
Der Cyklostat, eine Modifikation des Jacob’schen stationären Fahrrades>)•
Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden).
Von Dr. Paul Lazarus.
Durch physiologische und therapeutische Untersuchungen wurde die günstige Beeinflussung
einzelner funktioneller und organischer Erkrankungen durch das Radfahren erwiesen; dasselbe stellt
daher nicht nur einen Sport, sondern ein unter Umständen wirksames mechanisches Heilagens dar.
Um die Aufnahme des Fahrrades in das Armentarium der physikalischen Therapie haben sich ins-
i) Am 30. Januar 1902 demonstriert in der Gesellschaft der Chariteärzte zu Berlin.
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702
Klebiere Xitthekhuagen.
besondere Zuntz, Fürbringer, Siegfried, Paul Jacob n a. verdient gemacht. Die beiden
letztgenannten Autoren haben zu therapeutischen Zwecken eigene Räder konstruiert; von Sieg¬
fried rührt das freibewegliche Dreirad und von Jacob das fixe Zimmcrfahrrad her. Den Bau
und die Vorzüge des letzteren, speziell in der Hospitalpraxis, hat Jacob in dieser Zeitschrift (Heft I.
Jahrgang 1901/02) eingehend geschildert.
Das stationäre Rad steht seit fast einem Jahre im physikalisch-therapeutischen Institute
der I. medicinischen Universitätsklinik in Verwendung. Im Laufe dieser Versuchszeit ergaben sich
nun eine’;Reihe von Verbesserungen, welche ich im Einverständnisse und unter Mithülfe des Herrn
Dozenten Dr. Jacob von der Firma E. Lentz, Berlin, ausführen Hess. Diese Modifikationen haben
die Indikationsbreite und die Wirkungsweise des Rades nach mehreren Richtungen hin erweitert,
sodass eine kurze Schilderung des umkonstruierten Rades gerechtfertigt erscheint
Die Hauptveränderung ging aus dem Bestreben hervor, nicht nur die unteren, sondern
auch die oberen Extremitäten gleichzeitig in Bewegung zu setzen. Zu diesem Behufe musste eine
Vorrichtung zur Uebertragung der
Fig. 91. Bewegung von den Beinen auf die
Arme getroffen werden.
An Stelle der Lenkstange kamen
zwei Handkurbeln, welche in ihrem
Baue den Fusskurbeln ähnlich sind;
den eigentlichen Pedalen entsprechen
26 cm lange, quere Handgriffe, deren
Abstand von der Drehachse durch eine
schlittcnartige Vorrichtung verlängert
werden kann. Die Verstellbarkeit der
Handgriffe ermöglicht eine Variabilität
der Bewegungen innerhalb konzentri¬
scher Kreise von 26 — 40 cm Durch¬
messer um die Drehachse der Welle.
Durch Parallelschaltung der Handkur¬
beln lassen sich mit den Armen gleich¬
sinnige Bewegungen vornehmen.
Die Handkurbeln stehen nun mit
den Fusskurbeln durch ein doppeltes
Zahnradgetriebe und durch ein Ketten¬
rad derart in Verbindung, dass beide
gleichsinnig mit einander in Bewegung
gesetzt werden können. Das Haupt¬
schwungrad kann sowohl von der Hand¬
kurbel, als auch von der Fusskurbel
aus in Umdrehung versetzt werden. Durch Drehen der Handkurbel können die unteren Extremitäten
und durch Treten der Pedale die oberen Extremitäten rein passiv mitbewegt werden. Es ist also
dadurch gewissermaassen ein Rad auch für die oberen Gliedmaassen geschaffen (Figur 91).
Dieser Mechanismus der Kraftübertragung ermöglicht zahlreiche Rädübungen im Sinne der
aktiven, passsiven und autopassiven Gymnastik.
Aktiv können eine oder mehrere Extremitäten in verschiedener Weise bewegt werden.
Für isolierte Uebungen der Beine schaltet man durch eine einfache Manipulation das Zahn¬
radgetriebe und die Handkurbeln aus und steckt blos die einfachen Handgriffe an die Enden der Welle.
Bei isolierten Armübungen lässt man die Füsse auf der Trittplatte, oder dem vorderen Rahmen¬
gestell ruhen. In ähnlicher Weise kann man auch die Bewegungen eines Armes mit denen des
gleichzeitigen oder gekreuzten Beines kombinieren.
Durch eine Bremsvorrichtung lässt sich, wie am Jacob’sehen Modell, die Arbeitsleistung
regulieren und durch einen nach Art eines Taxameters konstruierten Tourenzähler die Zahl der Um¬
drehungen kontrollieren.
Passiv können gleichfalls eine oder mehrere Extremitäten durch Drehen der Handkurbel be¬
wegt werden. Die am ursprünglichen Modell unter dem Sattel befindliche kleine Drehkurbel ist
durch das Anbringen der Antriebs Vorrichtung an der Lenkstange überflüssig geworden. Für die
Vornahme passiver Uebungen, welche vorzugsweise bei paretischen Patienten zur Anwendung ge¬
langen, waren einige Abänderungen des ursprünglichen Modells erforderlich. Das zur Ueberwindung
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Kleinere Mittheilungen. 703
des toten Punktes angebrachte grosse Schwungrad wurde in den rückwärtigen Theil des GesteHes
unter den Sattel verlagert, wodurch viel Raum zum bequemen Auf- und Absteigen vom Rade ge¬
wonnen wurde; dem genannten Zwecke dient auch eine vor dem Schwungrade angebrachte eiserne
Trittplatte, welche namentlich paraparetischen Patienten den Auf- und Abstieg erleichtert.
Um ein Abgleiten vom Rade zu verhindern, wurden der gepolsterte Sattel und die Rücken¬
lehne verbreitert; an letztere kann der Rumpf des Patienten befestigt werden. Hände und Füsse
können mittels eigener Lederschellen an die Handgriffe bezw. Pedale angeschnallt werden, ohne
dem Patienten irgendwie Unbehagen zu verursachen. Diese Schellen bestehen aus einer gut-
gepolsterten Manschette, welche um die Knöchel des Unterarms bezw. Unterschenkels angelegt
wird und aus zwei Schnallriemen zur Befestigung an den Griffen oder Pedalen. Der Apparat hat
ferner durch einige schmiedeeiserne Verstrebungen an Stabilität gewonnen, so dass selbst bei Be¬
nutzung seitens paretischer oder sehr schwerer Patienten kein Schwanken des Apparates eintriti.
Autopassiv nannte ich jene passiven Bewegungen der gelähmten Gliedmaassen, welche der
Kranke selbst mit Zuhülfenahme der gesunden Gliedmaassen vollführt. Eine einzige gesunde Extremität
kann durch aktive Bewegung einer einzigen Kurbel die übrigen Gliedmaassen rein passiv mit¬
bewegen. Durch autopassive Uebungen reaktiviert der Kranke am ehesten die Innervation und
Mobilität der paretischen Extremitäten; letztere gewinnen allmählich an Mobilität, sodass man sie
weiterhin zu rein aktiven Uebungen heranziehen kann.
Durch methodische und raaassvolle Uebungen am Cyklostaten haben wir in geeigneten Fällen
ersprie8sliche Wirkungen erzielt. Die beschriebene Maschine hat sich bei der Anwendung der all¬
gemeinen und der Widerstandsgymnastik, ferner bei der Ausübung der bahnenden und
kompensatorischen Uebungstherapie gut bewährt.
Im ereteren Sinne verwendeten wir den Apparat bei verschiedenen funktionellen Neu¬
rosen (Neurasthenie, Hysterie), bei Neuritiden und Muskelatrophieen centraler oder peripherer
Ursache. Gute Resultate wurden ferner erzielt bei Kontrakturen der grossen Extremitäten-
gelenke nach rheumatischer, deformierender oder gichtischer Arthritis; die
Mobilisierung der Gelenke erfolgte durch autopassive Uebungen allmählich und schonend. Von
Vortheil erwies sich ferner das Radfahren mit eingeschaltetem Widerstand bei der Fettsucht;
auch hierbei bewährte sich das Prinzip der gleichzeitigen Bewegung sämmtlicher Gliedmaassen.
Im Sinne der bahnenden Uebungstherapie verwendeten wir den Apparat bei
spastischen Paresen Der Hcmiplegiker vermag mit den Extremitäten der gesunden Seite
die gelähmten Gliedmaassen in sämmtlichen grossen Gelenken zu bewegen. Der spastische
Paraplegiker bringt durch Drehen der Handkurbeln auch die unteren Ertremitäten in Bewegung.
Das Pedal ist an einer 20 cm langen Pedalachsc verschiebbar; dadurch ist es möglich, die Beine in
Abduktion oder Adduktion und die Füsse mit ein- oder auswärtsgestellter Spitze zu üben. Diese
Uebungen können längere Zeit ohne eintretendes Ermüdungsgefühl fortgesetzt werden, da die
unteren Extremitäten der Last des Körpers enthoben sind.
Im Sinne der kompensatorischen Uebungstherapie verwendeten wir das Rad bei
der Tabes dorsalis. Der Tabiker vermag durch Drehen der Handkurbel die Beine rein passiv,
ohne Aufwendung von Muskelkraft im reinen Sinne der Koordination zu üben. Tabiker lasse ich
nicht ganze, sondern nur halbe Drehbewegungen ausführen, welche den physiologischen Gehphasen
annähernd ähnliche Tretbewegungen der Beine auslösen. Der Sattel wird hochgestellt, die Füsse
werden mit auswärtsgestellten Spitzen an die Pedale geschnallt, und nun werden rythmisch ent¬
weder rein passive (bei Ataxie der Arme) oder autopassive Gehbewegungen durchgeführt. Die
methodische Wiederholung gleichsinniger Gehbewegungen bahnt deren Restitution an. Die Ent¬
lastung der unteren Extremitäten vom Körpergewicht kommt der Erlernung des normalen ko¬
ordinierten Gehens entgegen; bereits nach wenigen Sitzungen bessert sich oft die Ataxie derart,
dass die Füsse nicht mehr angcschnallt zu werden brauchen. Weiterhin kann man den Kranken
aktive Gehübungen im Cyklostaten ausführen lassen. Die Muskelanstrengung ist bei der Entlastung
vom Körpergewichte und bei vollständiger Ausschaltung des Widerstandes eine minimale; das Be¬
harrungsvermögen des einmal in Gang gesetzten, in Kugellagern leicht gleitenden Schwungrades ist
ein sehr grosses. Weiterhin kann man zu Freiübungen übergehen. Der Tabiker lässt die Beine
einfach herabhängen und übt, auf dem Sattel sitzend, das Stehen und Gehen in der Luft.
Die Muskulatur der Beine, welche den Körper nicht zu tragen haben, wird durch die präzise und
exakte Durchführung dieser Gehübungen zur koordinierten Innervation erzogen. Dem Vornüber¬
neigen des Rumpfes lässt sich durch dessen Fixierung an die Rückenlehne entgegenarbeiten. Durch
Hinunterschrauben des Sattels stellt man schliesslich den Tabiker auf die Füsse; auf dem Sattel
sitzend lernt nun der Kranke ohne grosse Schwierigkeiten das Stehen und Gehen an einem Orte.
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704 Kleinere Mitteilungen.
Diese Uebungen in aufrechter Stellung bei Entlastung der Beine bilden den passenden Uebergang
zu den Gehiibungen im Laufstuhl und im Freien, welche nach den bewährten Prinzipien der von
v. Leyden und seiner Schule (Goldscheider, Jacob), sowie von Frenkel begründeten kom¬
pensatorischen Uebungstherapie durchgeführt werden.
Aus dieser kurzen Skizze geht die vielfache therapeutische Verwendung des Cykiostaten
hervor; bei ihm wie bei anderen Apparaten kommt es in erster Linie auf die Anwendungsmethode
an. Wer die Cyklotberapie mit Maass und Sorgfalt, mit Umsicht und Konsequenz, stets individu¬
alisierend anwendet, dürfte es nicht zu bereuen haben.
U.
Zur mechanischen Therapie der Fettleibigkeit.
Von Dr. F. Sylvan in Berlin.
Seit den ältesten Zeiten hat man die mechanische Therapie zur Behandlung der Fettleibigkeit
in Anwendung gezogen, ln der älteren Litteratur finden sich mehrere Hinweise dafür. Wadd 1
schreibt, dass bereits in den Schulen der Perser die ärztliche Gymnastik zu diesem Zwecke in An¬
wendung war. Weiterhin berichtet derselbe Autor, dass Herodikus der erste gewesen wäre,
welcher zur Beseitigung der Fettsucht und zur Erhaltung der Gesundheit die Leibesübungen und
das Regime der gymnastischen Schule an wandte. Celsus verweist auf Asklepiades als auf den¬
jenigen Arzt, der bei den Römern den Gebrauch der Friktionen einführte, und bemerkt zugleich,
dass Asklepiades, wenngleich mit einigen Verbesserungen, nur die Vorschriften des Hippokrates
habe wieder aufleben lassen; schon dieser habe gesagt, dass durch kräftige Reibungen der Körper
stärker werde, während weiche Friktionen ihn weichlicher machten, und dass durch häufigere
Wiederholung der letzteren der Körper mager und ausgemergelt werden könne, dass sich endlich
durch Friktionen, in massiger Weise verwandt, die Haut geschmeidiger machen lasse.
In letzter Zeit hat man mehr und mehr versucht, die verschiedenen Arten der Bewegungs¬
therapie zu präsizieron und die Indikationen für die eine oder andere Form derselben zu stellen.
Vielseits hat die Mechanotherapie in ärztlichen Kreisen bisher nicht die Achtung gefunden, welche
sie werth ist; doch ist zu hoffen, dass je mehr die Indikationen dafür bekannt werden, desto mehr
auch diese Therapie ihre gerechte Würdigung finden wird.
Wenn wir einem Fettleibigen eine Bewegungstherapie verordnen wollen, so steht uns eine
reichliche Auswahl von Uebungen zur Verfügung. Erstens kommen hier die verschiedenen Sport-
und Turnübungen wie Reiten, Rudern, Radfahren, Schwimmen etc. in Betracht. Ueber die Ein¬
wirkung des Sports auf den gesunden und kranken Organismus haben verschiedene Autoren Unter¬
suchungen angestellt und auf Grund derselben die Indikationen für die einzelnen Fälle bestimmt.
Besonders eingehend hat sich Zuntz mit Untersuchungen über den Einfluss des Radfahrens
beschäftigt; er kam zu dem Resultate, dass durch Radfahren der Sauerstoff verbrauch gesteigert
wird und zwar bei schnellem Tempo ganz bedeutend. Ein Fettleibiger, dessen Herz nicht ganz
kräftig ist, darf nur in langsamen Tempo fahren, da das schnelle Fahren das Hera erheblich an¬
strengt Jedem Radfahrer ist es aber schwer abzumessen, wann er anfängt zu ermüden, weil
meistens das Müdigkeitsgefühl sich erst einstellt, wenn man schon abgestiegen ist; daher muss jede
Verordnung von Radfahren an Fettleibige eine genaue Angabe der Zeitdauer und der Schnelligkeit
enthalten.
Ebenso muss man beim Verordnen von anderen Sportübungen dem Patienten genau ein
Maas angeben, welches er nicht überschreiten darf.
Alle diese Sport- und Turnübungen sind prophylaktisch fast immer mit Vortheil zu ver¬
werten, bei der ausgebildeten Fettleibigkeit aber nur bei denjenigen Patienten, deren Organe
funktionsfähig sind und welche körperliche Anstrengungen gut vertragen. Jedoch ist es oft schwer,
genau abzumessen, wieviel der einzelne auszuhalten im stände ist. Mancher Patient glaubt irrtüm¬
licherweise grössere Anstrengungen vertragen zu können, überschreitet das vom Arzt gegebene
Maass und muss später seinen Leichtsinn bereuen. Die Gefahr der Uebertreibung liegt sehr nahe:
die Energie des Patienten ist häufig grösser als seine Kraft. Selbst für intelligente Personen ist
es schwer, abzuschätzen, wie weit sie ohne Nachtheil eine körperliche Anstrengung ausdehnen
i) Wadd, Die Korpulenz. 18J9.
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Kleinere Mittheilungen.
705
können. Mancher glaubt um so schneller an Gewicht abzunehmen, je grössere Anstrengungen er
macht Doch bald stellen sich die schweren Folgen der Ucberanstrengung ein. Ausserdem aber
haben die meisten Sportübungen den Fehler der Einseitigkeit, da nur gewisse Muskelgruppen in
Aktion treten, während andere ganz in Ruhe gehalten werden.
Gegenüber all diesen Sportübungen steht nun die schwedische Heilgymnastik. Nachdem
die schwedische Heilgymnastik von Nichtärzten ausgebildet und ausgeübt wurde, hat es geraume Zeit
gedauert, ehe sie von den ärztlichen Kreisen gewürdigt wurde; erst in den letzten Jahrzehnten des
19. Jahrhunderts begannen diese sich mit ihr zu beschäftigen. Aber auch heute noch messen viele
Autoren der schwedischen Heilgymnastik nicht den vollen Werth bei; es kommt dies namentlich
daher, weil sie meinen, dass bei dieser Art der Gymnastik nur einzelne Muskelgrappen in Thätigkeit
versetzt werden. Allein cs ist nicht recht einzusehen, wariim dieser Einfluss geringer sein soll,
wenn man erst eine Arm- und dann eine Beinübung machen lässt, als wenn man zu gleicher Zeit
Arme und Beine anstrengt. Dafür kann man im ersten Falle die Einzelübung kräftiger gestalten.
Ferner kommt als begünstigendes Moment bei der Anwendung der schwedischen Heilgymnastik
noch hinzu, dass eine sehr reichliche Anzahl von verschiedenen Bewegungen zur Verfügung steht
und dass man daher die grösste Variation in den Uebungen vornehmen kann. Im allgemeinen zeigen
die Patienten auch reges Interesse, sobald ihnen eine neue Bewegung verordnet wird. Gerade durch
diese Mannigfaltigkeit an Bewegungsformen, wodurch jeder Patient die für ihn geeigneten Uebungen
zugewiesen erhalten kann und wodurch oft Abwechslung geschafft wird, verdient die schwedische
Heilgymnastik an erste Stelle bei der Wahl einer Bewegungstherapie zu treten.
Besonders günstig wirkt nun die physikalische Therapie der Fettleibigkeit in denjenigen
Fällen, in welchen man die schwedische Heilgymnastik manuell ausführt. Für die Anwendung der
maschinellen (Zander’schen oder Herz'schen) Gymnastik stehen etwa 70 Apparate zur Verfügung.
Allerdings können diese nicht sämmtlich bei der Fettsucht angewendet werden. Dagegen kommen
für die manuelle Behandlung ein paar hundert verschiedene Uebungen in Betracht.
Bei der mechanischen Behandlung der Fettleibigkeit sind die Widerstandsübungen das wichtigste
Moment. Bei der Ausübung derselben kommt es weniger darauf an, die eine oder andere be¬
stimmte Bewegung anzuwenden, sondern vielmehr darauf, dass man öfters die Bewegungen wechselt;
denn gerade die Bewegungen, an die der Patient nicht gewohnt, sind die wirksamsten; sie ver¬
lieren etwas an Wirkung, sobald der Patient sich daran gewöhnt hat. Eine Beschreibung der vielen
verschiedenen Bewegungen kann ich an dieser Stelle nicht geben; wer sich dafür interessiert, muss
die verschiedenen Lehrbücher der schwedischen Heilgymnastik durchstudieren.
Die Massage kann bei Fettsucht nur als Unterstützungsmoment in Betracht kommen und
steht in Bezug auf Wirkung den Widerstandsübungen nach. Degegen hat die Massage bei ver¬
schiedenen Komplikationen der Fettleibigkeit grosse Bedeutung. Bei Fettsucht ohne Komplikation
sind besonders die Leibmassage und die Friktionen über sämmtliche Rückennerven als belebend
und kräftigend zu empfehlen.
Die Behandlung in einem gymnastischen Institut bietet den grossen Vortheil, dass der Arzt
stets die Behandlung überwacht, so dass jede Ueberanstrengung vermieden wird. Jeder Patient
bekommt ein Uebungsrezept, auf dem die Bewegungen vorgeschrieben stehen, die er jedesmal aus¬
zuführen hat. Bei der Abfassung dieses Rezepts muss man nicht nur auf die Fettleibigkeit, sondern
auch auf Alter, Beschäftigung, Konstitution, Lebensbedingungen und andero Verhältnisse, die von
Bedeutung sein können, Rücksicht nehmen. Man muss auch modifizieren, falls der Patient gleich¬
zeitig andere Kuren durchmacht. Wenn der Patient zu der gymnastischen Uebung kommt, lässt
man ihn erst fünf Minuten ausruhen, damit er, wenn er durch das Gehen etwas kurzathmig ge¬
worden ist, Zeit hat, sich zu erholen, ehe er mit den Uebungen beginnt. Dann verordnet man
dem Patienten zuerst eine passive Athemübung oder eine aktive Armbewegung, wobei er beim
Armheben inspiriert und beim Armsenken exspiriert. Nachdem erfolgen Bein-, Arm- und Rumpf¬
übungen abwechselnd aktiv oder passiv je nach den Kräften des Patienten. Man muss nur immer
daran festhalten, dass^anfangs nicht zu kräftige Bewegungen gegeben werden und dass der Patient
während der ganzen Zeit gut athmet. Viele Patienten halten die Athmung an, währenddem sie die
Bewegung ausführen, und müssen deshalb korrigiert werden. Meistens lässt man jedem'Patienten
zehn bis zwölf verschiedene Bewegungen ausführen, jede Bewegung vier bis fünf Mal. Etwa in
der^Mitte'giebt man die Leibmassage. Zweckmässig behandelt man ein paar Patienten'gleichzeitig;
währenddem man mit dem einen übt, muss der andere.ausruhen. Es ist wichtig, dass ein Patient
nicht mehrere Widerstandsübungen gleich hintereinander ausführt, weil dabei die Gefahr der Ueber¬
anstrengung nahe liegt. Alle 8—14 Tage giebt man ein neues Rezept mit anderen Bewegungen.
Zeitechr. I diät. u. physik. Therapie Bd. V. Heit s 4S
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706 Kleinere Mittheilungen.
Am besten ist es, wenn der Fettleibige jeden Tag übt; doch habe ich auch gute Resultate gesehen,
wenn nur alle zwei Tage geübt wurde.
Die manuelle und die maschinelle Behandlung hat in Bezug auf den Erfolg bei Fettleibigkeit
ohne Komplikationen ungefähr denselben Werth. Wenn der Patient jeden Tag übt und eine zweck¬
mässige Diät hält, nimmt er durchschnittlich etwa drei Pfund pro Woche ab. Natürlich hängt viel
davon ab, ob der Betreffende sich auch ausserhalb der Uebungsstunden etwas bewegt, oder ob er
gar keine körperliche Bewegung hat. Bei der Beurtheilung der Erfolge muss man bedenken, dass
die Stärkung der Muskulatur durch die Uebungen die absolute Gewichtsabnahme oft gering er¬
scheinen lässt, obgleich thatsächlich ein erheblicher Fettschwund erzielt wird.
Die häufigste Komplikation der Fettleibigkeit ist das Cor adiposum. In solchen Fällen
muss man die gymnastische Behandlung besonders vorsichtig ausführen: daher ist hierbei die
manuelle Gymnastik der maschinellen vorzuzichen, weil in einem medico-mechanischen Institut der
Arzt immöglich die Patienten so genau überwachen kann, dass sie nicht bisweilen das vor¬
geschriebene Maass von Uebungen überschreiten. Es giebt doch manche Fettleibige, die sich mehr
Arbeit Zutrauen, als ihr Kräftezustand erlaubt. Bei der manuellen Behandlung ist aber jede Ueber-
anstrengung fast ausgeschlossen; ferner kann man mit der manuellen Gymnastik mehr variieren als
mit der maschinellen. Schliesslich kommt hinzu, dass man die manuelle Behandlung auch bei Bett¬
lägerigen anwenden kann.
Was die Methode anbelangt, so giebt man in einem solchen Falle anfangs nur passive Be¬
wegungen, welche den Zweck haben, den peripheren Blutkreislauf zu beschleunigen und dadurch
die Arbeit des Herzens zu erleichtern. Solche Bewegungen sind Fusskreisen, Arm- und Beinkreisen.
Handkreisen etc. Hierbei werden die Muskeln abwechselnd gespannt und erschlafft, also wird das
Blut durch die Muskeln sozusageil gepumpt. Ungefähr dieselbe Wirkung hat ja selbstverständlich
die Durchknetung der Muskulatur.
Sehr wichtig bei Cor adiposum sowohl wie bei Vitium Cordis sind die Athemübungen.
Da bei jedem Herzkranken die Cirkulation gestört und die Versorgung des Blutes mit Sauerstoff
vermindert ist, so muss man dafür sorgen, dass durch ausgiebigere Athmung die Sauerstoff-
aufnahrae gesteigert wird. Die Brusthebencrschütterung ist eine für diesen Zweck sehr geeignete
Bewegung. Der Arzt fasst den Patienten unter die Arme, während er ihn im Rücken stützt, hebt
die Schultern und zieht dieselben gleichzeitig etwas nach hinten, wobei der Brustkorb gehoben
und die Inspiration sehr ausgiebig wird. Beim Heben macht er eine leichte Erschütterung.
Diese Bewegung hat auch auf das Herz eine beruhigende Wirkung. Nach den Untersuchungen von
Lewin vermindert diese Ucbung bei Tachykardie die Anzahl der Herzschläge. Ausser dieser Be¬
wegung giebt es eine Menge anderer Athemübungen, aber die eben beschriebene kann man bei
jedem Kranken anwenden.
Die lokale Herzbehandlung besteht aus Hacken, Klatschen, Vibration und Streichen. Das
Hacken führt man mit der Ulnarseite der beiden Hände aus, w'obei die Finger leicht gespreizt sind;
Hand- und Armgelenke müssen dabei ganz locker gehalten werden. Die Bewegung wird in Hand-
und Ellenbogengelenk vollzogen. Das Klatschen wird ebenso ausgeführt, nur dass man die Flach¬
hand anstatt der Ulnarseite benutzt.
Um die Herzvibration auszuführen, legt man die Hand flach auf die Herzgegend, bei Frauen
so, dass die Mamma zwischen Daumen und Zeigefinger kommt, und versetzt die Hand in leichte
Zitterung. Auch hierbei muss der Arm ganz locker gehalten werden, die Annmuskeln dürfen nicht
gespannt sein. Das Streichen wird mit beiden Händen abwechselnd ausgeführt, ganz leicht über
die ganze Herzgegend.
Ueber die Wirkung dieser verschiedenen Handgriffe haben Lewini) und Wide-) Unter¬
suchungen angestellt, aus denen hervorgeht, dass eine verlangsamte Herzthätigkeit durch Hacken
und Klatschen erhöht und dass durch Vibration und Streichen eine abnorm frequente Herzthätigkeit
langsamer und regelmässiger wird. Auch während einer rationellen gymnastischen Behandlung
wird der Puls ruhiger und kräftiger.
Ich möchte ausdrücklich hervorheben, dass eine lokale Herzbehandlung allein niemals aus¬
reichend ist, um einen Herzkranken zu behandeln, sondern dass die Bewegungen, aktive und
passive sowohl wie Athemübungen immer die Hauptsache bleiben.
Nachdem man eine Zeit lang den herzkranken Fettleibigen mit passiven und Athembe wegungen
sowohl wie mit Herzmassage behandelt und der Patient sich etwas an die gymnastische Bc-
V 1 A. Lewin, Tidskrift i Gymnastik. Stockholm l8tL\
- Wide, Ilandbok i medicinsk Gymnastik. Stockholm isor».
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Berichte über Kongresse und Vereine. 707
handlung gewöhnt hat, fängt man mit den aktiven Uebungen an und zwar zunäohst mit den
schwächsten wie Fussbeugen und -strecken, Kniebeugen und -strecken, Bcinschliessen und -spreizen
etc.; später geht man zu den mehr anstrengenden über, wo der Rumpf auch mitarbeiten muss.
Doch muss man mit solchen Uebungen, welche die Athmung beeinträchtigen, sehr vorsichtig sein.
Einen Erfolg bezüglich der Fettabnahme darf man erst erwarten, wenn man mit dem Patienten so
weit gekommen ist, dass er Widerstandsübungen vortragen kann.
Eine andere ziemlich häufige Komplikation der Fettleibigkeit ist die chronische Obstipation.
Hierbei ist die Leibmassagc von allergrösster Wichtigkeit; ich möchte deshalb einige Worte über
die Ausführung derselben sagen.
Der Patient liegt auf einer gepolsterten Bank mit erhöhtem Oberkörper und mit den Händen
unter dem Kopf, wobei die Rippen etwas gehoben werden und man dem oberen Theil des Leibes
besser zukomrat. Der Leib bleibt vom Hemde bedeckt. Der Arzt sitzt auf der rechten Seite des
Patienten, das Gesicht desselben beobachtend. Auf dem Gesichtsausdruck kann man sofort erkennen,
ob der Patient bei der Ausführung der Massage Schmerz empfindet
Der Arzt legt seine rechte Hand auf den Leib des Patienten so, dass die zwei bis fünf
Finger mit extendierten zwei und drei Phalangen in die Fossa iliaca sinistra kommen, der Daumen
nach der rechten Seite zu. Dann fängt er an, mit den vier Fingern unter mässigem Druck kleine
kreisförmige Bewegungen zu machen; doch muss man immer darauf achten, dass die Hand und die
Bauchdecken wie »zusammengeklebt« bleiben, damit die Reibung zwischen Bauchdeckc und Darm
resp. zwischen den Därmen stattfindet. Nach und nach führt man die Hand längs dem Verlauf des
Colon, bis mau am Coecum angelangt ist; dann macht man über die Dünndärme dieselbe Mani¬
pulation. Wenn an einer Stelle der Patient Schmerz empfindet, so ist meistens eine Gasansammlung
daselbst vorhanden; man knetet dann an dieser Stelle etwas länger, aber vorsichtig, um nicht zu
grossen Schmerz zu verursachen. Bald ist das Gas resorbiert oder vertrieben, und der Schmerz ist
vorüber. Auf der rechten Seite macht man die Kreisbewegung zweckmässiger mit dem Daumen
der rechten Hand unter Hilfeleistung der linken Hand. Zum Schluss legt man die Hand, mit
extendierten Fingern nach unten gerichtet, auf den Leib unterhalb des Nabels und giebt eine ziemlich
kräftige nach unten gerichtete Erschütterung, deren Wirkung tief in das kleine Becken hineingeht.
Die Därme im kleinen Becken kann man nicht kneten; deshalb macht man diese Erschütterung,
damit die hier liegenden Darmstücke auch eine Anregung zu lebhafterer Thätigkeit bekommen.
Schliesslich kann man auch eine Lebererschütterung und Friktionen über den Plexus solaris und
Plexus hypogastricus noch anschlicssen.
Durch in dieser Weise ausgeführte Massage, natürlich im Verein mit zweckmässigen aktiven
und passiven Bewegungen, ist der Erfolg bei den meisten Fällen von Darmatonie schon nach vier
Wochen ganz befriedigend. Es muss ein besonders schwerer Fall sein, der eine längere Behandlung
braucht. Ich möchte daher diese Methode besonders auch zur Behandlung der Obstipation Fett¬
leibiger warm empfehlen.
Berichte über Kongresse und Vereine.
i.
V. Congres international de Physiologie. Turin. 17 — 21. September 1901.
(Arch. ital. de biologio. Bd. 36.)
Für die Leser dieser Zeitschrift dürften etwa folgende auf dem Kongress verhandelte Gegen¬
stände von Interesse sein:
K. Orsowa, Ueber Linkshändigkeit»
Bei vielen Thieren findet man die Rechts- oder Linkshändigkeit deutlich ausgesprochen
Affen sind entweder rechtshändig oder ambidexter. Eine geringe Anzahl derselben sind linkshändig.
Vögel, welche ihre Nahrung mit den Krallen halten, benutzen hierzu ihren linken Fuss. Vielleicht
werden Versuche an Thieren Licht bringen in die Frage des funktionellen Hebergewichts einer Seite.
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7 OS Berichte über Kongresse und Vereine.
Grfltzner, lieber Bewegungen des Mageninhaltes.
Theilt Versuche mit, welche er bei verschiedenen Thieren so angestellt hat, dass er denselben
zu verschiedenen Zeiten bestimmte Speisen gab, die herausgenommenen Magen dann schnell ge¬
frieren liess und die Anordnung beziehungsweise Veränderung der Speisen auf Quer- und Längs¬
schnitten durch den Magen feststellte.
Es ergab sich hierbei, dass der um seinen Inhalt zusammengezogene Magen denselben von
der Oberfläche her und zwar wesentlich mit dem am meisten Säure absondernden (propylorischen
Abschnitt verdaut und nach dem Pylorus zu abstreift. Der Trichter des Pvlorus ist stets mit durch
und durch saurem, stark verdautem Mageninhalt erfüllt. Der übrige Theil des Magens, namentlich
der Fundus, zeigt die Säuerung des Inhaltes nur an der Oberfläche oder gar nicht.
Feste oder halbfeste (breiige) Nahrung, in passenden Zwischenräumen gereicht, schichtet sich
stets so, dass die neue Nahrung immer in die Mitte der alten, aber nicht oder nur ausnahmsweise
mit der Schleimhaut in Berührung kommt.
Besondere, wahrscheinlich örtlich beschränkte Bewegungen des Magens können zu Rollungen
des Mageninhaltes und zur Bildung von Ballen oder Kugeln führen.
Prevost und Battell, Influeuce de l’alimeutation sur le retablissement des fonctions du
coeur.
Es ist Battclli früher gelungen, das Herz erstickter Thiere, welches sich im Stadium de>
Deliriums befand, durch Wechselströme von 240 Volt Spannung wieder in rhythmische Thätigkeit
zu bringen. Die Verfasser stellen jetzt fest, dass diese Methode bei hungernden Hunden die einzig
wirksame ist, während nach einer Mahlzeit des Thieres sein Herz auch durch blosse Massage wieder¬
belebt werden kann. Es erweisen sich am wirksamsten die Kohlehydrate.
F. Gley, Rdsnme des preuves des relations qui existent entre ia glaude thyroide et les
glandes parathyroides.
Verfasser steht auf dem Standpunkte, dass eine funktionelle Verknüpfung zwischen Schild¬
drüsen und Nebenschilddrüsen besteht, derart, dass die letzteren die Funktion der ersteren ersetzen
können und umgekehrt.
F. Rohm an n und Nagaro, Ueber die Resorption von Mono- und Disacchariden int Darmkanal.
Die Versuche wurden angestellt an Hunden mit Vellascher Fistel.
1. In den Darm wurden gleiche Mengen gleich konzentrierter Lösungen von Hexosen <<_).
glucose, 0. galactose, 0. mannose, O. fructose) und Pentosen (L. arabinose und L. Xylose) ein-
geführt und die nach einer Stunde resorbierten Mengen bestimmt Es ergab sich, dass dieselben
bei den verschiedenen stereo-isomeren Zuckern verschieden waren, ein Beweis, dass die Resorption
im Darm nicht nur abhängig ist von dem osmotischen Druck der eingeführteu Lösung, sondern
auch von den Eigenschaften (Heidenhain), im vorliegenden Fall von der Konstitution der zu
resorbierenden Substanz.
2. Es wurde weiterhin untersucht die Resorption von Disacchariden (Laktose, Maltose) mit
Rücksicht auf die Frage, wie weit der Resorption dieser Zucker eine Spaltung in die Monosaccharide
vorhergeht. Hierbei zeigte es sich, dass die fermentativen Wirkungen des Darmsaftes nicht aus¬
reichen, um die resorbierten Mengen iuncrhalb der Resorptionszeit zu spalten. Von den Disacchariden
wird also ein Theil unzersetzt resorbiert und erst in der Darmschleimhaut zerlegt.
F. de Schrötter, Communication d’experiences physiologiques faites pendant au voyage eu
ballou a 7500 m.
Die höchste von Aeronauten bisher erreichte Höhe ist 10 500 m. Verfasser hat im Anschluss
an eine Fahrt mit Berson und Suring auf 7500 m Höhe Versuche im pneumatischen Kabinet an¬
gestellt und ist bis zu einem barometrischen Druck von 230 mm heruntergegangen.
Er warnt davor, solche Druckerniedrigungen schnell vorzunehmen, was die Gefahr der Gas-
embolie bedingt, die der Verfasser einmal an sich erfahren hat. Die Symptome der Anoxyhämic
sind am besten durch Athmung von Sauerstoff unter höherem Druck zu bekämpfen.
F. de Lee und C. 0. Herrold, The aetion of alcohol on mnscle.
Versuche an Fröschen ergaben, dass Alkohol in kleinen Dosen die Arbeitsleistung des Mus¬
kels bis auf das Doppelte steigern kann, Alkohol in grösseren Dosen sie vernichtet
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Berichte über Kongresse und Vereine.
A. Walther, Zur Kenntnlss der Einwirkung des Dannsaftes auf Pankreassaft.
Das Xymogen des Pankreassaftes wird durch die »binase« des Dannsaftes in typisches Fer¬
ment übergeführt. Es beruht das wahrscheinlich auf einem hydrolytischen Vorgang.
G. 1). Spineau, Sur la gastro• acidimetrie.
Apparat zur Aciditätsbestimmung sehr kleiner Mengen von Magensaft.
Barbera, Alimentazione sottocutanea ed elimiuatione della bile.
Die Gallcnabsonderung durch eine Gallenblasenfistel wird durch subkutane Ernährung be¬
einflusst, und zwar wirkt die subkutane Zuführung von Ei weissstoffen (Soiuatose) am stärksten,
schwächer die von Kohlehydraten, garnicht die von Fetten.
H. Boruttau, Zur Frage der Fettbildung im Thierkörper.
Analysen des Fettgehaltes des Gesammtkorpers von phosphorvergifteten Ratten bei ver¬
schiedener Ernährung sprechen deutlich gegen eine im grösseren Maasstabe stattfindende Fettbildung
aus Eiweiss bei der Phosphorvergiftung. M. Lewandowsky (Berlin).
II.
Londoner Brief.
18. Januar 1902.
In den ärztlichen Gesellschaften Englands herrscht zur Zeit ein reges Leben und lebhafte Be¬
theiligung an Wissenschaft und ärztlich-sozialen Fragen. In Liverpool haben sich mit Dr. Gemme l
die Mehrzahl der Aerzte in einer Diskussion über »Narkotiseur und Operateur« dahin ausgesprochen,
dass bei Unglücksfällen der Operateur der verantwortliche Arzt sei.
Aus der Edinburgher medicinisch-chirurgischen Gesellschaft werden verschiedene gute Erfolge
von Finsen’scher Lichtbehandlung und Röntgentherapie bei Ulcus rodeus und Lupus vulgaris
berichtet.
Von Dublin hören wir über einen seltenen Fall von Diabetes mit Hemichorea und Parotitis,
den Dr. Peacocke beschreibt. Ein 04jähriger Mann wird nach länger bestehendem Diabetes von
einer Hemichorea befallen, die einer Hyoscin-Brom-Arsenik-Therapie rasch weicht; nach wenigen
Tagen tritt Parotitis auf, die mit Temperatursteigerung einhergeht und bald mit Exitus — ohne
Coma — endet. Von ebenda werden Fälle von Glykosurie mit konsekutiver, zum Theil bleibender
Manie mitgetheilt. Uebrigens vermisst der deutsche Arzt die genauen Stoffwechseluntersuchungen
und zahlreichen speziellen diagnostischen Hilfsmittel der Neuzeit, die man nur in den Händen weniger
Spezialisten antrifft; man begnügt sich zumeist mit Diätverordnungen und verschreibt gute Rezepte,
womit dem englischen Patienten gedient ist.
Dass hier zu Lande schon gegen die praktische Betätigung der Aerztinnen Einsprache er¬
hoben wird, beweist der ziemlich komische Vorfall in einem Macclesfielder Hospital. Daselbst hatte
sich für den Posten eines Hausarztes eine Dame gemeldet, worauf die übrigen Hausärzte ihre Ent¬
lassung verlangten. Durch Zurückziehung des weiblichen Assistenten ist nachträglich der unan¬
genehme Zwischenfall zu gunsten der Aerzte entschieden worden.
Im Royal College of Surgeons of England sprachen die Fellows und Members über ver¬
schiedene Reformen, die von der Britisch medical Association der Regierung vorgelegt werden
sollen und die sie kräftig unterstützt haben. Dr. Thomas, ein Londoner »Coroner«, hat im Namen
iles Royal College einer Reform-Bill dio volle Zustimmung gegeben, die hauptsächlich gegen das
hier so weit verbreitete Quacksalbern Vorgehen soll. In einem Lande, wo das Dispensieren von
Arzneien Jedermann freisteht, wo man eine regelmässige Apothekenrevision gar nicht kennt, ist
diese Gefahr ja sehr gross — und sie wäre noch grösser, wenn nicht der grösste Theil des Publi¬
kums von selbst die Vortheile der stets hilfsbereiten Hospitäler erkennte, wo ein Jeder unentgeltlich
behandelt, verpflegt wird und freie Arznei erhält.
Was diese »Coroners* betrifft, so ist das eine in England eigene Einrichtung von medicini-
schen Gerichtshöfen. Eiu solcher Beamter ist einem deutschen Kreisarzt vergleichbar, der jedoch
keine sanitäre Aufgaben zu erfüllen hat, dabei aber selbstständige Jurisdiktion besitzt — für die
öffentliche Gesundheitspflege besteht eine besondere Organisation, die sich aus einer Anzahl von
»Medical officers of health« Sanitätsoffizieren, in der Hauptsache Hygieniker) zusammensetzt Der
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710
Berichte über- Kongresse und Vereine.
Coroner hält an bestimmten Tagen an verschiedenen Orten der Stadt im Beisein einer Jury Sitzungen
in den dafür erbauten Räumen ab; sie bestehen meist aus einem Gerichtssaal mit Warteräumen, einer
Morgue, Secirhaus etc. Von der Polizei unterstützt und im Beisein von Geschworenen und Zeugen
wird über tötliche Verletzungen, Todesfälle ohne bekannte Ursache oder ärztliche Diagnose {Chloro¬
formtod) etc. verhandelt, und dieser ärztliche Vorsitzende entscheidet richterlich über den Fall
insoweit als der betreffende Angeklagte bezw. die an dem Tode des Verstorbenen betheiligten Per¬
sonen straflos ausgehen. Erst bei Gesetzesübertretungen werden diese Fälle an die besonderen
Gerichtshöfe verwiesen.
Die grosse Hilfsbereitschaft der hiesigen Hospitäler, die völlig von Stiftungen und von der
allgemeinen Wohlthätigkeit leben, ist oft der Anlass zu Klagen von Seiten der praktischen Aeizn
gewesen, zumal da England keine geordneten Kassenverhältnisse besitzt. Um so weniger kann es
uns daher wundern, dass von Laien und Aerzten Anstrengungen gemacht werden, um Kranken¬
kassen zu gründen; in der That sind in den letzten Jahren da und dort »Clubs« gegründet worden,
die ihre Aerzte für ihre Mitglieder anstellen und ähnlich wie in unserem Mutterlandc zu ihren Dienern
zu gestalten bestrebt sind, daher schon die Gegenreaktion. So hatte sich kürzlich Dr. Reu dal 1
aus Edinburgh vor dem General medical Council wegen Annahme und Innehaltens einer Klubarzt¬
stelle in Yarinouth zu verantworten, wo eine Versicherungsgesellschaft eine Krankenkasse ein¬
gerichtet hatte, die den Arzt unter Gebühr bezahlt und ausnutzt und so dem unlauteren Wettbewerb
unter den Aerzten Vorschub leistet, um sich dabei zu bereichern. Dr. Reu dal 1 hatte einen sehr
schwierigen Stand und erhielt sechs Monate Bedenkzeit zu seiner endgültigen Entscheidung.
Bei der Stille, die bis jetzt im allgemeinen in Fragen der physikalischen Therapie zu kon¬
statieren ist, werden wir es mit Freude begrüssen, dass in Bälde eine »Elektrotherapeutische Ge¬
sellschaft« in London entstehen wird, zu deren Bildung Dr. Chisholm Williams aufgerufen hat
Während man sich in den verschiedenen medicinischen Klubs lebhaft über die Frage streitet, ob
zukünftig der englische approbierte Arzt ein besonderes Examen zur Erlangung des Doktortitels ab-
legen soll, das bisher von nur wenigen als besonderer Grad erworben wurde, oder ob, wie gegen¬
wärtig in Irland und Schottland, jedem »Physician« oder »Surgeon« die Führung des Titels M.D.
erlaubt seiu soll, wird der plötzliche Tod eines hohen Mannes und bedeutenden Arztes aus Bath
gemeldet, von Sir William Mac Cormac. Geboren zu Belfast im Jahre 1836 als Sohn eines
dortigen Arztes, studierte er in Belfast und Dublin, wo er 1864 die Approbation erwarb, wurde
dann Chirurg des Belfast Hospital und erhielt 1879 von der Queens Univereity of lreland den
Doctor honoris causa verliehen, wurde in den Senat dieser Universität gewählt und war Examinator
in Chirurgie. Im deutsch-französischen Kriege 1870 ging er zur französischen Armee, um als Militärarzt
sich der Behandlung der Verwundeten zu widmen und hat als Chirurg vor Metz und Cbalons Her¬
vorragendes geleistet. Nach der Rückkehr wirkte er bis zu seinem Tode als Chirurg und Lehrer
im grossen St. Thomas Hospital in London. Zweimal aber hat er inzwischen noch als Kriegschirurg
sich ausgezeichnet, im türkisch - serbischen Kriege als Chefarzt der Ambulanzen und im südafrika¬
nischen Feldzuge, wo er (mit Maki ns und Trevesj vier Monate lang als konsultierender Chirurg
thätig war. Als Lehrer und Examinator hat er sich ebenso populär gemacht, wie durch einige
Werke: »Die Arbeit unter dem rothen Kreuz«, »Kriegschirurgie«, »Chirurgische Operationslehre *
u. a. In- und ausländische Auszeichnungen sind ihm zahlreich zu Theil geworden, und fünf grössere
Hospitäler in London haben bis vor kurzem seine ärztliche Hülfe in Anspruch genommen, bis ihn
sein schwaches Herz zur Ruhe zwang.
Ein grossartiges Neujahrsgeschenk ist ganz unerwartet für England eingetroffen; wohl nicht
wenig beeinflusst durch den im vergangenen Jahre hier abgehaltenen Tuberkulosekongress~hat ein
nicht genannt sein wollender Wohlthäter (Deutscher von Abkunft) die schöne Spende von 200 0CX»
Pfund Sterling (vier Millionen Mark) dom Könige von England zur Erbauung eines Sanatoriums für
Lungenleidende zur Verfügung gestellt. Allgemeine Freude herrscht über diese Liebesspende, und
schon hat das vom Könige erwählte Komitee: Sir William Broadbent, Sir Richard Douglas
Powell, Sir Francis Laking, Sir Felix Semon, Sir Hermann Weber, Dr. C. Theodore
Williams ein Preisausschreiben für Aerzte erlassen, das zum Wettbewerb für Pläne zur Erbauung
des Instistuts auffordert.
Damit wird einem langersehnten Bedürfnisse abgcholfen, und wir zweifeln nicht, dass die
neue Heilstätte auf allen Gebieten mustergültig sein und Tausenden zur Linderung und Heilung
ihrer Leiden verhelfen wird. Reinhold Block (London).
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Berichte über Kongresse und Vereine.
III.
Die baineologischen Kurse in Baden «Baden im Oktober 1901.
Das ärztliche Fortbildungswesen hat im letzten Dezennium allenthalben einen erfreulichen
Aufschwung genommen, und die planmässige Organisation desselben, wie sie von den Universitäten
in die Wege geleitet worden ist, verspricht für alle Zukunft auf den schwierigen Pfaden des ärzt¬
lichen Berufes ein sicherer Begleiter zu bleiben. In den Rahmen dieser Fortlildungskurse passt
auch das jüngste Kind derartiger Bestrebungen, die Inaugurierung balncologischer Kurse, wie sie
zum ersten Mal im Oktober 1901 in der alten Bäderstadt Baden-Baden abgehalten wurden, hinein.
Die Balneologie ist in dem vielgestaltigen Bild des medicinischen Unterrichts von jeher ein Stief¬
kind geblieben, das trotz der eminenten praktischen Bedeutung, die sie für den Arzt hat, mehr oder
minder auf der Universität als quantitö nögligeable angesehen wurde und noch wird. Die Einführung
in das Wesen derselben ist daher für viele Aerzte nicht blos eine Fortbildung, sondern, wenn
ich mich pathologisch ausdrücken darf, eine direkte Neubildung, deren Worth für die ausübende
Thätigkeit nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Unter diesem Gesichtswinkel gewinnt die
Veranstaltung balncologischer Kurse eine erhöhte Bedeutung für das gesammte ärztliche Fortbildungs¬
wesen, und dankbar ist die Initiative derer, die den Anstoss zu dieser erstmaligen Tagung gegeben
haben, anzuerkennen. Weit über 70 Theilnehmer wies der Kursus in Baden-Baden auf und zeigte in
seinem ganzen wissenschaftlichen Verlauf, auf einen wie fruchtbaren Boden diese Idee gefallen war. Den
einleitenden Vortrag hielt Professor Erb-Heidelberg über das Thema: »Bemerkungen zur Balneologie
und zur physikalisch - diätetischen Behandlung der Nervenleiden«, weiterhin sprachen Obkircher-
Baden-Baden über die Badener Thermen, ihre Anwendungsweise und Indikationen, Frey über Hydro¬
therapie, Gilbert über Diätetik in der Balneotherapie, Rössler über die Chemie der Mineral¬
quellen, Professor Rosenbusch - Heidelberg über die Thermen vom geologischen Gesichtspunkte
aus, Professor Schottelius - Freiburg über Hygiene der Kurorte und endlich Robinson - Baden-
Baden über Inhalations- und Pneumothcrapie. Alle diese Vorträge wurden von einer Fülle von
Demonstrationen begleitet, unter denen nicht die mindeste Rolle die Besichtigung des Landesbades,
der mediko - mechanischen Institute, des neuen Inhalatoriums etc. spielten.
Aus der Fülle anregender Gedanken, die im Verlauf des Kursus zu Tage gefördert wurden,
wollen wir an dieser Stelle nur kurz einiges hervorheben. In seinem Exposö über das biologische
Reinigungsverfahren von Abwässern und dessen Bedeutung für die Kurorte ging
Schottclius von dem Gegensätze aus, der sich beim Anwachsen der grossen Städte stets zwischen
den Ansprüchen des verfeinerten Kulturlebens und den Anforderungen an die gesundheitliche Sicher¬
heit des Einzelnen herausbildet. Dieser Gegensatz spiegelt sich am lebhaftesten in den Schwierig¬
keiten wieder, die sich der rationellen Beseitigung der gesundheitsschädlichen Abfallstoffe entgegen-
stellen. Unter allen Versuchen, die nach dieser Richtung hin angestcllt wurden, hat sich einzig und
allein bewährt, den Weg einzuschlagen und die Umsetzungsprozesse zu unterstützen, welche unter
einfachen, natürlichen Verhältnissen auftreten, nämlich möglichst direkt die Abfallstoffe dem Boden
und dem Pflanzenwachsthum zuzuführen. Daher haben sich rationell angelegte Rieselfelder überall
zur Beseitigung der Kanaljauche und der sonstigen Abwässer am besten bewährt, sei es in Form
der direkten Zuleitung sämmtlicher Abwässer zu der Rieselfläche, sei es nach Abtrennung der reinen
Unterwässer in besonderem Kanalsystem und Abklärung der Fäkaljauche durch Chemikalien (Kalk-
und Eisensulfat). In dem Bestreben, *die Leistungsfähigkeit der Rieselfelder, bezw. die Leistungs¬
fähigkeit der dort wirkenden Faktoren noch besser auszunutzen, wird in den letzten Jahren, nament¬
lich in England, das sogenannte biologische Reinigungsverfahren der Abwässer vielfach mit gutem
Erfolge zur Anwendung gebracht. Von dem Gedanken ausgehend, dass es vor allem die niederen
Organismen, die Bodenbakterien, sind, deren Thätigkeit die Zersetzung der Fäkalien und der schliess-
liche Zerfall derselben in Gase und in mineralische Bestandteile zuzuschreiben ist, ist die Jauche
einem wiederholten Filtrierungsprozess unterworfen worden, bis sic als gereinigt angesehen werden
kann! Dieses Prinzip der biologischen Reinigung, der Selbstvergiihmng der Abwasser ist jedenfalls
ein sehr aussich ts voll es, und cs dürfte wohl gelingen, auf diesem Wege die Reinigung gesundheits¬
schädlicher Abwässer bedeutend zu vereinfachen. Namentlich für viele Kurorte, welche Schwierig¬
keiten mit der Beseitigung ihrer Abwässer haben, hat das neue Verfahren eine ganz besonders
grosse Bedeutung, denn für kleinere Betriebe, für die Reinigung der Abwässer von Sanatorien,
einzelnen Hotels etc. kann man schon jetzt das biologische Verfahren empfehlen, während die Ver¬
hältnisse für die Reinigung von Abwässern in grösseren Dimensionen, für ganze Städte, noch grosse
Schwierigkeiten bereiten.
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TI 2 Berichte über Kongresse und Vereine.
Mehr in das praktische Gebiet leitete der Vortrag von Robinson - Baden - Baden über In¬
halations- und Pnenmotherapie über. Die Fortschritte der spezialärztlichen Technik, welche
eine streng lokalisierte Behandlung der Erkrankungen der oberen Luftwege, soweit sie der Hand
des Spezialarztes zugänglich sind, ermöglichen, haben der Inhalationstberapie berechtigter Weise
einen grossen Th eil ihrer früheren Bedeutung genommen; trotzdem bleibt bei richtiger Anwendung
und Indikationsstcllung noch immer ein schönes Gebiet übrig, wo diese Behandlungsart zu Recht
besteht und gute Erfolge erzielt. Die modernen Inhalationsmethoden, wie sie auch in dem neuen
Inhalatorium in Baden-Baden zur Verfügung stehen, lassen sieh in zwei Hauptgruppen eintlieilen,
nämlich in Inhalationen an Apparaten und Inhalationen im freien Raum. Die ersteren Inhalationen
haben das gemein, dass sie die aktive Mitwirkung und eine gewisse Geschicklichkeit des Patienten
erfordern. Je nachdem höhere oder tiefere Theile der Wirkung des lnhalationsstroraes ausgesetzt
werden sollen, soll der Patient oberflächliche oder tiefe, vor allem aber ruhige Einathmungen aus¬
führen, da forcierte, schnelle Inspirationen eine Verengerung der Glottis herbeiführen. Als Apparate
hierfür werden die von Schnitzler, Lewin, Jahr und Hey er verwendet Bei allen wird als
treibende Kraft komprimierte Luft, die sich in einem Windkessel befindet, benutzt. Man ist somit
in der Lage, sowohl kalte Inhalationen wie auch warme zu verabfolgen und zwar solche von einem
bestimmt vorgeschriebenen Wärmegrad, indem an den Apparaten für Warminhalation sinnreiche
Vorrichtungen angebracht werden, welche eine genaue Regulierung der Temperatur ermöglichen.
Die im freien Raum in Betracht kommenden Inhalationen sind: die nach Wasmuth eine
feuchte und die im Lignosulfitsaal nach Hart mann eine trockene, gasförmige Inhalation. Während
man nun diesen letzteren der Hauptsache nach nur eine chemische Wirkung vindizieren kann und,
soweit Bronchialerkrankungen in Betracht kommen, eine gewisse mechanische, indem des Bestreben
der Patienten, tiefe Inspirationen auszuführen, als eine die Heilung wesentlich unterstützende Lungen¬
gymnastik aufzufassen ist, hat man die Wirkung der Apparatinhalationen als eine dreifache zu be¬
trachten, nämlich alseine mechanische, chemische und thermische. Je nach der Wahl des Apparates
tritt die eine oder andere genannte Wirkungsart in den Vordergrund. Zur Inhalationsbehandlung
eignen sich in erster Linie von den Erkrankungen der oberen Luftwege die trockenen Katarrhe,
speziell die Pharyngitis sicca und die Laryngitis sicca, ferner die chronisch hypertrophische Pharyn¬
gitis; von Kehlkopfaffektionen ausser der Laryngitis sicca die Laryngitis acuta, die chronischen
Laryngitiden und schliesslich die chronischen Erkrankungen der Trachea und der Bronchien. Für
die Lignosulfitbebandlung eignen sich besonders die mit stärkerer eitriger, eventuell fötider Sekretion
einhergehenden Bronchialerkrankungen. Resümiert man diese Beobachtungen über die Verwend¬
barkeit der Inhalationsthcrapie, so ergiebt sich, dass dieselbe durch die Vervollkommnung der
Apparate und Methoden sich einen berechtigten Platz in der Behandlung der Erkrankungen der
Luftwege errungen hat. Bei Affektionen der oberen Luftwege, soweit sie der Hand des Spezialisten
zugänglich sind, werden Inhalationen die Lokalbehandlung grösstentheils nicht zu ersetzen resp.
entbehrlich zu machen vermögen; doch hat man sie hier als ein wesentliches Unterstützungsmittel
zu schätzen. Gegen Erkrankungen der Trachea und der Bronchien ist die luhalationstherapie, be¬
sonders in geeigneter Kombination mit der Pneumotherapie, die wirksamste Behandlungsweise.
Der äussere und innere Verlauf des ersten balneologiseben Kursus hat dessen volle Existenz¬
berechtigung erwiesen; hoffen wir, dass die Institution als solche erhalten und im Interesse der
Förderung des Einzel Wissens wie der Bäderkunde im allgemeinen weiter und weiter ausgebaut
werden möge. * Julian Marcuse (Mannheim).
IV.
20. Kongress für innere Medicin.
Derselbe wird vom 15.—18. April zu Wiesbaden unter dem Vorsitze des Herrn Geh. Med.-
Rath Professor Dr. Naunyn-Strassburg tagen. Die Sitzungen finden im w r eissen Saale des
Kurhauses statt. Das Bureau befindet sich neben dem Eingänge des Kurhauses. Als schon
länger vorbereitete Verhandlungsgegenstände, für weiche Autoritäten ersten Ranges die
Referate übernommen haben und welche bedeutendes aktuelles Interesse auch für
die Leser unserer Zeitschrift haben, stehen auf dem Programme: Diagnose und Therapie des
Magengeschwüres (Referenten die Herren Ewald - Berlin und Fl ein er - Heidelberg) und: Die
Lichttherapie (Referent Herr Bie - Kopenhagen).
Berlin, Druck von \V. Büxeuütein.
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Klinisch-Diätetische Kuranstalt
Ot*» Siarcke’s Sanatorium
Bad Berka bei Weimar im Thüringer Wald.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN