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Full text of "Zeitschrift Für Diätetische Und Physikalische Therapie 5.1902"

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ZEITSCHRIFT 


FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE 

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THERAPIE. 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Geh.-Rath Prof. Beieger (Berlin), Geh.-Rath Prof. Ctjrschmann (Leipzig), Prof. Eichhorbt (Zürich), 
Prof. Einhorn (New-York), Geh.-Rath Prof. Ewald (Berlin), Prof. A. Frankel (Berlin), Geh.-Rath 
Prof. B. Frankel (Berlin), Geh.-Rath Prof. Fürbringer (Berlin), Prof. J. Gad (Prag), Geh.-Rath 
Prof. Gerhardt (Berlin), Geh.-Rath Prof. Heubner (Berlin), Geh.-Rath Prof. A. Hoffmann (Leipzig), 
Prof. v. Jakbch (Prag), Geh -Rath Prof. Jolly (Berlin), Prof. v. Jürgensen (Tübingen), Geh.-Rath 
Prof. Käst (Breslau), Prof. Kitasato (Tokio), Prof. G. Klemperer (Berlin), Geh.-Rath Pof. Lichtheim 
(Königsberg), Geh.-Rath Prof. Liebreich (Berlin), Prof. v. Mering (Halle), Geh.-Rath Prof. Mosler 
(Greifswald), Prof. Fr Müller (Basel), Geh.-Rath Prof. Naunyn (Strassburg), Prof. v. Noorden 
(Frankfurt a. M.), Hofrath Prof. Nothnagel (Wien), Prof. Pel (Amsterdam), Prof. A. Pribram (Prag), 
Geh.-Rath Prof. Quincke (Kiel), Geh.-Rath Prof. Renverb (Berlin), Geh.-Rath Prof. Riegel (Giessen), 
Prof. Rosenstein (Leiden), Geh.-Rath Prof. Rubner (Berlin), Prof. Sahli (Bemj, Prof. Schreiber 
(Königsberg), Geh.-Rath Prof. Senator (Berlin), Prof. Stokvis (Amsterdam), Sir Hermann Weber, 
M. D. (London), Prof. Winternitz (Wien), Prof. Zuntz (Berlin). 


REDIGIRT 

VON 

E. von LEYDEN, 

A. GOLDSCHEIDER und P. JACOB. 

Fünfter Band. 


Mit 91 Abbildungen. 


LEIPZIG 

VERLAG VON GEOIJG TTTTEME 

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UNIVERSITY OF MICHIGAN 





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Inhaltsverzeichnis des Y. Bandes 


I. 

Original - Arbeiten. 

Heft Seite 


Sanatorien auf Insein und am Meeresufer. Von Sir Hermann Weber M. D. F. R. S., 
konsult Arzt am German Hospital 'in London, am National Hospital for Con- 
sumption in Ventnor und am North London Hospital for Consumption .... 1 5 

Die Energiebilanz des Säuglings. Von Geh.-Rath Professor Dr. Otto Heubner in 

Berlin. Mit 5 Abbildungen. I 13 

Bemerkungen zur hydriatischen Behandlung der Lungenentzündung. Aus der Hydro¬ 
therapeutischen Anstalt der Universität zu Berlin. Von Geh.-Rath Professor 

Dr. L. Brieger. I 30 

Radfahren bei Magenkrankheiten. Von Geb.-Rath Professor Dr. Fürbringer in Berlin I 40 

Beitrag zur Erklärung harnsaurer Niederschläge im Urin. Aus dem chemischen Labora¬ 
torium des Berliner Instituts für medicinischc Diagnostik. Von Professor Dr. 

G. Klemperer in Berlin. I 48 

Bemerkungen zur therapeutischen Verwerthung der Muskelthätigkeit. Von Professor 

Dr. N. Zuntz in Berlin . . . .*. II 99 

Feber Heissluftapparate und Heissluftbehandlung. Aus der medicinischen Universitäts- 
Poliklinik in Königsberg i. Pr. Von Professor Dr. Julius Schreiber. Mit 

6 Abbildungen. II 104 

Die Kostordnung auf der inneren Abtheilung des evangelischen Diakonissenhauses in 

Freiburg i. Br. Von Oberarzt Professor Dr. A. Schüle. II 116 

Ueber die Verwendung Blinder in der Massage. Von Dr. E. Eggebrecht in Leipzig II 119 
Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. Von Dr. M. Siegfried in 

Bad Nauheim. l.Theil. Mit 11 Abbildungen. II 131 

Ueber Sitophobie intestinalen Ursprungs. Von Dr. Max Einhorn, Professor an der 

New-Yorker Post-Graduate Medical School. III 187 

Untersuchungen und Beobachtungen über den Einfluss der abdominellen Massage auf 
Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls sowie auf die Peristaltik. Aus der HI. medi¬ 
cinischen Klinik der Königlichen Charitö zu Berlin (Direktor Geh.-Rath Professor 

Dr. Senator). Von Dr. Erik Ekgren aus Stockholm. III 191 

Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. Aus der medi¬ 
cinischen Abtheilung des städtischen Krankenhauses zu Frankfurt a. M. (Direktor 

Professor v. Noorden). Von Dr. H. Salomon, I. Assistenzarzt. III 20r> 

Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. Von Dr. M. Siegfried in 

Bad Nauheim. 2. Theil. Mit 11 Abbildungen (Schluss). III 220 

Beschreibung einer auch bei wechselndem Wasserdruck sicher funktionierenden Douche- 
vorrichtung. Von Sanitätsrath Dr. Pelizaeus, Sanatorium Suderode am Harz. 

Mit 1 Abbildung. III 227 

Untersuchungen über Diabetikerbrote. Von Dr. W. Camerer jun. in Stuttgart. . . III 229 

Das hydrotherapeutische Institut an der Universität Berlin. Von Dr. Julian Marcuse 

in Mannheim. Mit 3 Abbildungen. III 232 

Ueber den arteriellen Blutdruck der Phthisiker. Aus der inneren Abtheilung des 
städtischen Krankenhauses am Urban zu Berlin. (Direktor: Prof. Dr. A. Frankel.) 

Von Dr. Max John aus Budapest. IV 275 


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IV Inhaltsverzeichnis». 

Heft Seit© 


Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor - Eisenbäder und 
deren physiologische Wirkung. Von Dr. Richard Heller in Salzburg. Mit 

22 Abbildungen. IV 279 

Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. Von Dr. M. Löwen- 

sohn aus Wercholensk (Russland). IV 302 

Zur Behandlung des nervösen Hustens mittelst bahnender und hemmender Uebungs- 
therapie. Aus der I. deutschen medicinischen Klinik des Hofrath Professor 
Pfibram in Prag. Von M. U. Dr. Rudolf Funke, em. erster Assistent der 

Klinik. V 303 

Die Thermometrie am Krankenbette. Historische Aufzeichnungen von Dr. C. E. D aniö 1 s, 

Amsterdam. Mit 4 Abbildungen. V 388 

Tuberkulose und Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. Von Dr. 

E. Achert in Bad Nauheim . . . . .. V 404 

Ueber die Lichtbehandlung von Hautaffektionen nach der Finsen’sehen Methode. Von 

Professor Dr. E. Lesser in Berlin. Mit 2 Abbildungen. VI 451 

Ueber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N - haltiger Nahrung unter 
physiologischen und pathologischen Verhältnissen. Aus dem pathologisch¬ 
chemischen Laboratorium der K. K. Krankenanstalt »Rudolfs-Stiftung« in Wien 
(Vorstand: Dr. Ernst Freund). Von Dr. Leopold Lauf er, Sekundärarzt. . VI 458 

Vereinfachtes Geräth für manuelle Heilgymnastik. Von Dr. S. Salaghi, Professor der 

physikalischen Therapie an der Königl. Universität Bologna. Mit 5 Abildungen VI 471 

Koch , s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 

Von Professor Dr. Ostertag in Berlin. VI 476 

Die öffentliche Krankenküche (Berlin, Briiderstr. 10), ihre Bedeutung und Einrichtung. 

Von Frau A. vom Rath. Mit 2 Abbildungen.VII 539 

Fine therapeutische Handlampe mit gekühlten Eisenelektroden. Von Dr. Sophus Bang, 
Laboratoriumsvorstand in »Finsens medieinske Lysinstitut«, Kopenhagen. Mit 
1 Abbildung.VII 54G 


Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur und deren physikalische Behandlung. 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-Rath 
Professor Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus, Volontär-Assistent der Klinik VII 550 
Eine einfache Vorrichtung zur Verhütung der Flexionspronationskontraktur des Armes. 

Aus der inneren Abtheilung des städtischen Krankenhauses Moabit (Professor Dr. 
Goldscheider). Von Dr. W. Alexander, Assistenzarzt. Mit 3 Abbildungen VII 567 
Der Kefir (Ferment und Heilgetränk aus Kuhmilch). Geschichte, Bereitung, Zusammen¬ 
setzung des Getränks, Morphologie des Ferments und dessen Erkrankungen; 
physiologische und therapeutische Bedeutung des Getränks. Von Professor Dr. 

W. Podwyssozki in Odessa. Uebersetzt aus dem Russischen von Dr. Rechts- 


hamraer.VII 570 

Die russischen Hungerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen. Von Professor 

Dr. F. Eris mann in Zürich.VIII 627 

Der Kefir (Ferment und Heilgetränk aus Kuhmilch). Geschichte, Bereitung, Zusammen¬ 
setzung des Getränks, Morphologie des Ferments und dessen Erkrankungen; 
physiologische und therapeutische Bedeutung des Getränks. Von Professor Dr. 


W. Podwyssozki in Odessa. Uebersetzt aus dem Russischen von Dr. Rechts- 


hammer. (Schluss).VIII 643 

Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlornatrium - Schwefel - Thermen von Baden 
(Schweiz). Vortrag gehalten an der zweiten Jahresversammlung der schweize¬ 
rischen balneologischcn Gesellschaft in Baden am 13. Oktober 1901. Von Dr. Paul 

Roethlisbergcr in Baden.VHI 658 

Ueber die Ersetzung gelähmter Muskelfunktionen durch elastische Züge, speziell bei 
der hemiplegischen Beinlähmung. Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu 
Berlin (Direktor Geh. Mcd.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus, 

Volontär-Assistent der Klinik. Mit 5 Abbildungen.VHI 669 

Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur und deren physikalische Behandlung. 
Bemerkungen zu dem Aufsatze von P. Lazarus auf S. 550ff. dieser Zeitschrift. 

Von Dr. Ludwig Mann, Privatdozent in Breslau.VIII 676 


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Inhaltsverzeichnis. V 

Heft Seite 

II. 


Kritische Umschau. 

Die Cytotoxine. Von Dr. Jules Renault in Paris. I 57 

Die Grundlagen der Organtherapie. Kritisches Referat von Dr. M. Lewandowsky, 

prakt. Arzt in Berlin. I 67 

Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie in Russland. Von 

Dr. A. Dworetzky in Riga. III 235 

Künstliche Präparate für die Ernährung des Säuglings. Von Dr. Salge, Assistent der 

Kinderklinik (Charitö). IV 314 

Die neuesten Resultate der Sehnentransplantationen bei peripherischen Lähmungen. 

Von Rudolf Noehte, Unterarzt. VI 490 

Diätetisches aus Russland. Zusammenfassender Bericht von Dr. A. Dworetzky in 

Riga-Schreyenbusch. VI 495 


III. 

Referierte Bücher und Aufsätze. 


Akopenko, Zur Chromotherapie der Geisteskrankheiten. Die Wirkung der farbigen 

Lichtstrahlen auf die Schnelligkeit des Ablaufs der psychischen Prozesse ... II 104 
Alapy, Baineotherapeutische Behandlung der tuberkulösen Gelenks- und Knochen¬ 
krankheiten bei Kindern. VI 514 

Albu, Zur Bewerthung der vegetarischen Diät.VIII 686 

Albu, Der Stoffwechsel bei vegetarischer Kost.VIII 687 

Arloing, Inoculabilitö de la tuberculose humaine aux herbivores.VII 596 

Babajew, Die Balneotherapie der Herzkrankheiten .. V 422 

Baedeker, Die Arsonvalisation.VIII 698 

Bälint, Ueber die diätetische Behandlung der Epilepsie.VII 601 

Bätsch, Massage bei Lymphangitis.VII ,608 

Behla, Die Karcinomlitteratur. VI 528 

Bendix, Beiträge zur Ernährungsphysiologie des Säuglings. II 149 

Bendix und Finkeistein, Ein Apparat für Stoffwechseluntersuchungen am Säugling V 416 

Berger, Ueber den Einfluss reiner Milchdiät bei Diabetes melitus. VI 330 

Berju, Ueber eine Aenderun g der Methode der künstlichen Verdauung ei weisshaltiger 

Nahrungsmittel.VII 602 

Bema bei, L’assortimento extrapolmonare dei gas e la emfisiterapia.VH 607 

Bernheim, Behandlung von Aneurysmen mit Elektrolyse durch eingeführten Draht . V 432 
Biedert, Die diätetische Behandlung der Verdauungsstörungen der Kinder .... IU 251 
Biedert, Ueber Ernährung und Ernährungsstörungen, Gastrektasie und Colitis . . . VH 604 
Biernacki, Die moderne Heil Wissenschaft, Wesen und Grenzen des ärztlichen Wissens VIH 700 

Blätter für Volksgesundheitspflege 1901. H 168 

Blätter für Volksgesundheitspflege. Heft 14—20. IV 350 

Blumenthal und Wohlgemuth, Ueber Glykogenbildung aus Eiweiss. VI 507 

Boas, Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten. IV 321 

Börners Reichs-Medicinal-Kalender 1902 VI 529 

Börner’s Reichs - Medicinal - Kalender 1902 VH 600 

Bonifas, Du coupage du lait chez les enfants du premier äge. III 254 

Borissow, Ueber den Einfluss des Lichtes und der Dunkelheit auf die Zusammen¬ 
setzung des Blutes. IV 337 

Borissow, Zur Lehre von der Wirkung des Lichtes und der Dunkelheit auf den 

thierischen Organismus. IV 337 

Bornträger, Das Buch vom Impfen.VIH 701 

Box, M. D., The thcrapeutic value of suprarenal preparations in Addison disease . . VIII 686 

Braun, Ueber Vibrationsmassage der oberen Luftwege mit spezieller Berücksichtigung 

der Vibration der Nase bei Stimhöhlenkatarrh und der Tuba bei Schwerhörigkeit IV 347 


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VI 


Inhaltsverzeichnis. 


Heft Seite 

Braun, Ueber Vibrationsmassage der oberen Luftwege. VIII 691 

Brühl-Hjelt-Aschan,iDie Pflanzen-Alkaloide.VIII 687 

v. Bunge, Der wachsende*Zuckerkonsum und seine Gefahren. VI 506 

Cautru, Massage abdominal. VI 516 

Charrin et Guillemonat, Influence des modifications experimentales de l’organisme 

sur la consommation de la glycose. IV 326 

Cieaves,\Arthritis deformans and thc benefits of elcctrical treatment. VI 519 

C off in, Results of hot air treatment in rheumatism an gout. III 258 

Cohn, Therapeutische Versuche mit Wechselströmen hoher Frequenz und Spannung 

(Teslaströmen). III 260 

Corner, The technique of lumbar puncture. IV 347 

Crozier Griffith, M. D., The relation of seurvey to recent methods of artificial feedings VI 512 

Dagron, Massothörapie. VI 517 

Danegger, Experimentelle Untersuchungen des Lignosulfit mit Rücksicht auf seine 

Verwendbarkeit in der Behandlung der Tuberkulose. III 261 

David, Grundriss der orthopädischen Chirurgie. III 261 

Davidsohn, Zur therapeutischen Verwendung der feuchten Wärme. Teinperierbare 

Kataplasmen. III 258 

Dehio, Ein Apparat zur mechanischen Behandlung des Hydrops anasarca und Unter¬ 
suchungen über; die chemische Zusammensetzung der Oedemflüssigkeit .... VI 524 

Dixon, The compositum and action of orchitic extract.VII 606 

Dogel, Der Einfluss der Musik und die Wirkung der Farben des Spektrums auf das 

Nervensystem des Menschen und der Thiere. II 164 

Donath, Meniöre’scher Symptomenkomplex geheilt mittels galvanischen Stromes . VIII 697 
Douglass/ A study of the application of the galvano-cauteiy in the nose .... III 260 
Doum er und Ran$on, Traitement de la diarrhöc chez les tuberculeux par la faradi- 

sation abdominale. II 166 

Dresdner, Aerztliche Verordnungsweise für Krankenkassen und Privatpraxis nebst 

Rezeptsammlung. V 439 

v. Drigalski, Zur Wirkung der Lichtwärmestrahlen. IV 336 

Düms, Handbuch der]Militärkrankheiten. UI. Band: Die Krankheiten der Sinnes¬ 
organe und des Nervensystems, einschliesslich der Militärpsychosen. III 263 

v. Düngern, Eine praktische Methode, um Kuhmilch leichter verdaulich zu machen . VU 601 

Du Pasquier und Löri, 'Injections intra- et extra-durales de cocaTne ä dose minime 

dans le traitement de, la sciatique. V 436 

Durig und Lode, Ergebnisse einiger Rospirationsversuche bei wiederholten kalten 

Bädern. IV 344 

Dwight Chapin, M. D., A simple and accuratc method of substituts infant feeding. VIII 685 

Edel, Ueber den Einfluss des künstlichen Schwitzens auf die Magensaftsekretion . . V 425 

Einhorn, Mendelsohn und Rosen, Die Prophylaxe in der inneren Medicin . .. VI 526 

Elschnig, Die Massage in der Augenheilkunde. V 427 

Emmert, Ueber die antiphlogistische Fernwirkung der Kälte.VIII 688 

Engel, Zur Behandlung der Pocken mit rothem Licht nebst einigen Bemerkungen 

über forzierte Vaccination. V 429 

Engelmann, Dreissig Jahre Badepraxis.VII 608 

Epidurale Kokaininfusion. V 528 

Erlenmeyer, Ueber die Bedeutung der Arbeit bei der Behandlung von Nerven¬ 
kranken in Nervenheilanstalten. VI 515 

Eulenburg, Ueber einige physiologische und therapeutische Wirkungen der An¬ 
wendung hochgespannter Wechselströme (Arsonvalisation). V 433 

Ewart, Eis oder Wärme iu der lokalen Anwendung?. II 155 

Ewart und Dickinson, Ueber die Behandlung des chronischen Hydrocephalus durch 

Punktion und Einführung sterilisierter Luft in die Ventrikel. VI 528 

Falloise, Influence de la respiration d’une atmosphere suroxygönee sur Tabsoiption 

d’oxygöne.VII 607 

Feer, Neuere Fortschritte und Bestrebungen in der Sänglingscmährung. II 148 

Förster, Alkohol und Kinderheilkunde. V 415 


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Inhaltsverzeichniss. VII 


Heft Seit© 

Forel, La question des asiles pour alcoolisös incurables. II 153 

Frankel, Die Verwendung des Alkohols in der Behandlung der Infektionskrankheiten VI 510 

Frankenhäuser, Die Elektrochemie als medicinische Wissenschaft. V 431 

Frankenhäuser, Die praktische Verwerthung der elektrochemischen Erscheinungen 

für die Balneotherapie ..VI 522 

Frenkel, Die Behandlung der tabischen Ataxie mit Hülfe der Uebung. Kompen¬ 
satorische Uebungstherapie, ihre Grundlagen und Technik. II 159 

Frdtin, Kinesiterapia. Tratamiento mecänico de la coqueluche. V 425 

Freund und Fpreund,iBeiträge zum Stoffwechsel im Hungerzustande. VI 506 

Frey, Die Heilwirkungen des Franklin’schen Stromes.VIII 697 

Friedländer, Beitrag zur mechanischen Behandlung der Lungentuberkulose . ... VI 519 

Fried mann, Die Pflege und Ernährung des Säuglings.VIII 686 

Fürst, Ueber den Todidurch giftige Gase. VI 528 

Garnault, Traitement de la tuberculose par la viande crue et par les injections intra- 

tachöales d’orthoforme.. • • V 413 

Gebhardt, Die mikrophotographische Aufnahme gefärbter Präparate. III 259 

Gerbsmann, Die Massage bei der Enuresis nocturna. V 426 

Gevaerts, Diöte sans phosphore. V 413 

Gockel, Ueber Erfolge mit tPankreon«. IV 326 

Godin, Du role der anthropomötrie en education phisique.VIII 696 

Gorl, Zur Lichtbehandlung mit ultravioletten Strahlen. V 429 

t H 145 

Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie.< III 251 

l VII 597 

Goldschmidt, Weitere Beiträge zum nervösen Asthma. II 152 

Golubew, Der Kumys und seine Verwendung. IV 334 

Gregor, Ueber die Verwendung des Leims in der Säuglingsemährung. V 414 

Grün bäum und Amson, Ueber die Beziehungen der Muskelarbeit zur Pulsfrequenz VIII 695 

Grünbaum und Amson, Der Einfluss der Bewegungen auf die Pulsfrequenz . . . VIII 695 

Guimbail, La thörapeutique par les agents phisiques. V 434 

Hagenberg, Ueber die Acetonvermehrung beim Menschen nach Zuführung niedriger 

Fettsäuren. IV 330 

Hagen-Torn, Die englische Krankheit, ihre Symptome, ihr endemischer Charakter und 

ihre Abhängigkeit von der relativen Feuchtigkeit der Luft. VI 523 

Handbuch der Heil-, Pflege- und Kuranstalten (Privatanstalten). IV 350 

Hansemann, Einige Zellprobleme und ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Be¬ 
gründung der Organtherapie. IV 322 

Hatschek, Eine einfache Methode für Kohlensäureapplikationen. II 159 

Hecht, Die Heissluftbehandlung bei chronischen Mittelohreiterungen. VI 515 

Heftler, Traitement balnö möcanique, ä domicile, des affecdons chroniques du coeur III 256 

Heidenhain, Ueber den Nutzen des Schwitzens. IV 343 

Heitzmann, Ueber die manuelle Behandlung der Frauenkrankheiten. V 425 

Hellmer, Heliotherapie. V 436 

Herzen, Einfluss einiger Nahrungsmittel auf die Menge und den Pepsingehalt des 

Magensaftes. VI 505 

Hildebrandt, Sandtherapie. IV 342 

Hirschfeld, Die Behandlung der leichten Formen von Glykosurie VII 603 

Jaboulay, Einspritzungen von Chininlösungen in den Canalis sacralis. VI 527 

Jacob und Pannwitz, Entstehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose ... IV 317 

Jacobson, Zur Behandlung von Bronchialerkrankungen durch Lagerung. IV 346 

Jänsch, Der Zucker in seiner Bedeutung für die Volksernährung. IV 323 

Jaquet, Zur Frage der sogenannten Verlangsamung des Stoffwechsels bei Fettsucht V 413 

Jaquet, Recherches sur Taction physiologique du climat d’altitude. V 421 

Jaquet, De Finfluence du climat d’altitude ßur les öchanges respiratoires.V1LI 690 

Jefimow, Zur Entstehung des Skorbuts. II 155 

Jendrassik, Klinische Beiträge zum Studium der normalen und pathologischen 

Gangarten.VIII 694 


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VIII 


Inhal tsverzeichniss. 


Heft Seite 

Josoph, Die Prophylaxe bei Haut- und Geschlechtskrankheiten. III 263 

Josiäs und Roux, Essai sur le traitement de la tuberculose pulmonaire chez les 
enfants par le sörum musculaire, suivant le proeödö de M. M. Charles Richet 

et Hericourt. VI 509 

Kassowitz, Wirkt Alkohol nährend oder toxisch?. V 419 

Kattenbracker, Tragbare Lichtbäder. IV 340 

Kaufmann, Stoffwechselbeobachtung bei einem mit Nebennierensubstanz behandelten 

Fall von Morbus Adisonii. VI 508 

Keller, Ueber Nahrungspausen bei der Sauglingsemährung. II 147 

Keller, Malzsuppe in der Praxis. V 415 

Kienböck, Ueber die Einwirkung des Röntgenlichtes auf die Haut. VI 520 

Kisch, Die ärztliche Ueberwachung der Entfettungskuren. III 254 

Kisch, Entfettungskuren. VI 510 

Kisskalt, Die Erkältung als krankheitsdisponierendes Moment.VHI 688 

Klapp, Ueber die Behandlung von Gelenkergüssen mit heisser Luft. IV 338 

Knöpfelmacher, Die Nahrungsmengen im Säuglingsalter. VI 508 

König, Neuere Forschungen über die Beziehungen zwischen Elektrizität und Materie V 431 

Königshöfer, Die Prophylaxe in der Augenheilkunde. V 437 

Koeppe, Die physikalisch-chemische Analyse des Liebensteiner Stahlwassers ... II 158 

Koeppe, Gefrierpunktserniedrigung und elektrische Leitfähigkeit natürlicher Mineral¬ 
wässer . IV 330 

Kolisch, Lehrbuch der diätetischen Therapie chronischer Krankheiten für Aerzte und 

Studierende.. . . .. III 253 

Kornfeld, Ueber den Einfluss physischer und psychischer Arbeit auf den Blutdruck II 161 

Kössa, Die Wirkung des Phlorizins auf die Nieren. II 147 

Lange, Beitrag zur Frage der Fleischkonservierung mittels Borsäure-, Borax- und 

schwefelsauren Natronzusätzen. Mit einem Anhang, Milchkonservierung betreffend VII 605 

Langendorff, Ueber das Luftbad. II 156 

Lan go woy, Ueber den Einfluss der Körperlage auf die Frequenz der Herzkontraktionen II 163 

Lasurski, Ueber den Elinfluss der Muskelbewegung auf die Blutzirkulation in der 

Schädelhöhle. II 163 

Lemoine, Ueber kalte Irrigationen ins Rektum beim Typhus.VIH 689 

Le red de, La photothörapie et ses applications ä la thörapeutique des affeedons cutanöes V 429 

Lewaschow, Die gegenwärtigen experimentellen Ergebnisse zur Frage über den 

Einfluss der Luft auf den menschlichen Organismus. IV 345 

Liebe, Der Stand der Volksheilstättenbewegung im In- und Auslande. IV 322 

Loebel, Zur Purpurabehandlung mit Trink- und Badekuren .. III 256 

Loewy und Cohn, Ueber die Wirkung der Teslaströme auf den Stoffwechsel ... III 260 

Loveland, Rheumatic gout. V 426 

Lovett, The meebanies of lateral curvature of the spine. V 429 

Makarow, Ueber die Behandlung des Typhus abdominalis durch Injecrionen von 

Kochsalzlösungen.VIH 689 

Marboux, Les indications du regime laet6 dans le traitement des albuminuries . . IV 327 

Marcuse, Zur Frage der alkoholfreien Ersatzgetränke. III 255 

Marcuse, Kritische Uebersicht über die diätetischen Nährpräparate der Neuzeit . . IV 323 

Martin, E'ormulaire d'hydrothörapic et de balneotherapie. IV 345 

Martins, Allgemeine Prophylaxe. V 438 

Maslennikow, Die mechanische Behandlung allgemeiner Oedeme VI 524 

Matthaei, Die Schädlichkeit mässigen Alkoholgenusses. IV 335 

Menzer, Ein Stoffwechselversuch über die Ausnutzung des Fersaus durch den mensch¬ 
lichen Organismus. V 415 

v. Mering, Lehrbuch der inneren Medicin. VII 598 

Minine, Ueber ein vereinfachtes Verfahren der Lupusbehandlung durch die Photo¬ 
therapie . VI 523 

Möhlau, Die rationelle Behandlung der chronischen Gonorrhoe durch Massage . .. V 428 

Monrad, Om Anveldelsen af raa Maelk vod Atrofi og kronisk Mave-Tarmkatar hos 

spaede Born. . IV 326 


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Inhaltsverzeichnis. IX 

Heft Seite 

Moreigne, Action des purgatifs sur la nutrition . IV 335 

Moritz, Ueber den klinischen Werth von Gefrierpunktsbestinmmngen. IV 331 

Morris und Dore, Remarks on Finsen's light treatment of lupus and rodend ulcer V 429 

Moss6, Erdäpfel als Nahrung bei Diabetes melitus. IV 330 

Müller, Was verspricht die methodische Anwendung des Lichts für die Dermato- 

therapie?. III 258 

Naumann, Ueber die Luftliegekur bei der Behandlung der chronischen Lungen¬ 
tuberkulose . VI 516 

Neumann, Der Tallerman’sche Apparat.VII 608 

Obesersky, Ueber die Salzsäuresekretion bei Zufuhr von Eigelb in den Magen . . IV 335 
Ochsn er, Ueber Verwendung ausschliesslicher Rektalernährung in akuten Appen- 

dicitisfäüen. II 149 

Page, Typhoid fever. IV 347 

Pandy, Neuritis multiplex und Ataxie.VIII 696 

Papst, Zur Kenntniss der Wirkung des schwarzen und weissen Fleisches bei chro¬ 
nischer Nierenerkrankung. IV 328 

Paravicini, Selbstmassage und Gymnastik im lauen Bade. V 428 

Paulesco, La mödication thyroidenne dans le traitement des troubles throphiques des 

extrömitös. IV 325 

Pfaundler, Ueber Stoffwechselstörungen an magendarmkranken Säuglingen .... VH 602 

Pie ring, Ueber Massage bei Frauenkrankheiten. VIII 693 

Poll ätsch ek. Die therapeutischen Leistungen des Jahres 1900, ein Jahrbuch für 

praktische Aerzte.VH 601 

Porter, Gout and Rheumatism, their aetiology and dietetic treatment. II 152 

Potapow-Pracaitis, Influence de quelques prindpes alimentaires sur la söcrötion 

du suc gastrique et sa richesse en pepsine. VI 511 

Reichel, Inwieweit ist die diätetische Behandlung der Nephritis begründet? ... V 421 

Revillet, Ueber Erfahrungen bezüglich der Uebertragung der Tuberkulose auf Kinder 

durch den Genuss tuberkelbadllenhaltiger Milch. VI 511 

Reymond, Quelques rösultats de la thörapeutique par les machines de Zander, 

ä Pinstitut mödico-möcanique de Genöve.VH 609 

Riegel, Ueber die Anwendung schmerzstillender Mittel bei Magenkrankheiten ... IV 329 

Riffel, Weitere pathogenetische Studien über Schwindsucht und Krebs und einige 

andere Krankheiten . IV 320 

Riviöre, Action of currents of high frequency upon tuberculosis.VH 610 

Rodari, Ueber ein neues elektrisches Heilverfahren (Eugen Konrad Müller's 

Permeaelektrotherapie).VII 611 

Roos, Zur Verwendung von Pflanzeneiweiss als Nährmittel. VI 507 

Rosenbach, Zur Pflege und Prophylaxe bei Herzkranken. II 151 

Rosenbach, Bemerkungen über psychische Therapie mit besonderer Berücksichtigung 

der Herzkrankheiten. III 262 

Rosenfeld, Untersuchungen über Kohlehydrate. IV 7 327 

Rosin, Ueber einige poliklinisch häufige Krankheitsformen und ihre hydriatische Be¬ 
handlung . V 424 

Rotch, Milk; its production, its care, its use. IV 332 

Rubner, Der Energiewerth der Kost des Menschen.VIII 681 

Rubner. Beiträge zur Ernährung im Knabenalter mit besonderer Berücksichtigung 

der Fettsucht.VUI 681 

Ruhemann, Aetiologie und Prophylaxe der Lungentuberkulose. IV 319 

Rupp, On the dietetic» of the convalescent stage of fevers. IV 324 

Sachs, Die Kohlenoxyd Vergiftung in ihrer klinischen, hygienischen und gerichts¬ 
ärztlichen Bedeutung. IV 330 

Sarason, Ueber Wasserkuren im Rahmen der wissenschaftlichen Heilkunde .... VI 514 

Saundby, An adress on the modern treatment of Diabetes melitus. II 153 

Schaefer, Die Kost des Gesunden und Kranken. III 256 

Schatzky, Die Grundlagen der therapeutischen Wirkung der Franklinisation ... VI 521 

Schenk, Die Hydrotherapie des Darmtraktus mittels Enteroklyse. IV 343» 


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X 


Inhaltsverzeichnis*. 


Heft Seite 

Scherbakow, Die Mineralschlammbadeorte des europäischen Russland. II 166 

Schlesinger, Lehrkurse für Bereitung der Krankenkost. IV 324 

Schlesinger, Die Bereitung der Krankenkost. VI 504 

Schneider, Die Bakterienfurcht. V 439 

Schoenstaedt, Ueber vegetarische Ernährung und ihre Zulässigkeit in geschlossenen 

Anstalten und bei Menschen, welche sich in einem Zwangsverhältniss befinden II 146 

Schott, Die Heilfaktoren Bad Nauheims. IV 342 

Schreiber, Ueber die Verwendung frischen Kaseins in der Ernährung. VI 505 

Schroeder, The benefits of balneotherapy in the treatment of chronic rheuraatism 

and gout. III 258 

Schwarz, Ueber die mechanische Behandlung der Hydropsien kardialen Ursprungs . VI 524 
Sellentin, Zeitgemässe Aufklärungen über einige Grundfragen wissenschaftlicher Heil¬ 
kunde . VI 527 

Sequiera, A preliminaiy communication on the treatment of rodent ulcer by the 

x rays. V 429 

Shukowsky, Die englische Krankheit und ihre Unabhängigkeit von der relativen 

Luftfeuchtigkeit. VI 523 

Sloan, Three and a half years* experience of faradisation of the head, on scientific 
principles in the treatment of chronic insomnia and associated neuroses, com- 

prising a series of fourty-qix cases.VII 610 

Snegireff, Einige Worte über Lehmbäder. III 257 

Sommerfeld, Ueber die Milchkontrolle im Kaiser und Kaiserin Friedrich - Kranken¬ 
hause in Berlin. II 150 

Sorgo, Zur Diagnose der Aneurysmen der Aorta und der Arteria anonyma und über 

die Behandlung derselben mit subkutanen Gelatineinjektionen. VI 526 

Soxhlet, Ueber die künstliche Ernährung des Säuglings.VIH 684 

Spassokukotzky, Die Kapillardrainage bei Hydrops anasarca kardialen Ursprungs . VI 524 

Spiegler, Ueber den Stoffwechsel bei Wasserentziehung. VI 508 

Stadelmann, Beiträge zur Uebungstherapie . . IV 261 

Stadelmann, Ueber Entfettungskuren.VIII 683 

Stange, Ueber die Behandlung der Typhuskranken mit kalten Bädern. V 423 

Staploton, A criticism on the light treatment of lupus. V 429 

Starck, Die Divertikel der Speiseröhre.VIII 683 

Steiner, Beitrag zur Kenntniss der Einwirkung von Dampfbädern auf die Gesichtshaut VIII 691 

Stern bo, Ueber die schmerzberuhigende Wirkung der Röntgenstrahlen. II 160 

Sträter, Welche Rolle spielen die Röhren bei der therapeutischen Anwendung der 

Röntgenstrahlen?. V 433 

St au ss, Untersuchungen über die Resorption und den Stoffwechsel bei Apepsia 

gastrica, mit besonderer Berücksichtigung der pemieiösen Anämie. VI 504 

Strauss, Grundsätze der Diätbehandlung Magenkranker.VIII 682 

Strauss, Die chronischen Nierenentzündungen in ihrer Einwirkung auf die Blutflüssig¬ 
keit und deren Behandlung nach eigenen Untersuchungen an Blutserum und an 

Transsudaten.VIII 699 

Strebei, Gewebsökonomie und Osmose. IV 325 

Strebei, Moine Erfahrungen mit der Lichttherapie. IV 339 

Strebei, Die Fettleibigkeit und ihre Behandlung. V 416 

Sugär, Ueber die systematischen Hörübungen und deren therapeutischen Werth bei 

Taubstummen und Tauben.VIII oy5 

Tarabrin, Zur Behandlung der Geschwüre mit strahlender Wanne. VI 513 

Taylor, A summer paster-of - Paris jacket for Pott’s disease. IV 345 

Teuschcr, Heisse Sandbäder. IV 342 

Thiersch, Ueber Korset und Reformkleidung. VI 518 

Tittel, Die Verwendbarkeit des Siebold’schen Milclieiweisses (Plasmon) in der 

Säuglingsnahmng.VII 605 

v. Torday, Die Skrophulose und die Sool- und Seebäder.VIII 690 

Townsend, Bemerkungen zur Ernährung der Kinder mit spezieller Beziehung der Be- 

handlungswcise der Milch im Hause. 11 150 


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Inhaltsverzeichnis. XI 


Heft Seite 

Townscnd, Home modification of milk. IV 332 

Tröper und Ufer, Die Kinderfehler. III 263 

Tschdanow, Behandlung der Hämorrhoiden und Fissuren des Anus mit d’Arsonval- 

schen Strömen. IV 338 

Ullmann, Die Behandlung von Geschwürsformen mit trockener Heissluft. IV 341 

Vaquez, Ueber die Ernährung bei Abdominaltyphus. HI 254 

Vetlesen, Om extrabuccal og specielt rektal ernaering. V 416 

Vidal, Ueber den Einfluss verschiedener Ernährungszustände von Thieren auf die 

Umwandlung subkutan eingespritzten Methämoglobins. IV 328 

Voit, Die Grösse des Eiweisszerfalls im Hunger. VI 507 

Vossius, Ein Beitrag zur Lehre von der Aetiologie, Pathologie und Therapie der 

Diphtheritis coniunctivao. IV 348 

Vulpius, Der heutige Stand der Skoliosenbehandlung.VHI 692 

Wegele, Bemerkungen zu dem Artikel: »Ueber Erfolge mit Pankreon«. IV 326 

Weinschenker, Ueber Nährpräparate, im besonderen über das Fleisch- und Kaseinmehl IV 333 

Winckler, Ueber Gasbäder und Gasinhalationen aus Schwefelwässern. II 158 

Windscheid, Pathologie und Therapie der Erkrankungen des peripherischen Nerven¬ 
systems . IH 262 

Wohlgemuth, Beiträge zur Zuckerabspaltung aus Ei weise. IV 330 

Wood and Merrill, A report of investigations on the digestibility and nutrivo value 

of bread. IV 333 

Wolpert, Die Ventilation. VI 513 

Younge, Desinfektion der von Phthisikern bewohnten Räume. IV 348 

Zabludowski, Ueber Schreiber- und Pjanistenkrampf. V 440 

Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstätten wesen. IV 321 

Zeitschrift des Deutschen Vereins für Volkshygiene Heft 23—26. VI 529 

Ziegclroth, Die physikalisch-diätetische Therapie der Syphilis. IV 348 

Zimmermann, Ueber Erfahrungen mit dem Tallerman’schen Apparat.VII 608 

Zuntz, Sind kalorisch äquivalente Mengen von Kohlehydraten und Fett für Mast und 

Entfettung gleichwerthig?.VIII 687 


IV. 


Kleinere Mittheilungren. 


Die Pyrenäenbäder. Eine Skizze von Dr. B La quer in Wiesbaden. I 82 

Ein neues Zimmerfahrrad. Von Privatdozent Dr. Paul Jacob in Berlin. Mit l Abbildung I 88 
Ueber die Wirkung des Seeklimas auf den Stoffwechsel. Von Dr. Joh. Ide, Inselarzt 

und Arzt des christlichen Seehospizes auf Amrum. II 169 

Ein Fall von Serratuslähmung durch lokale Hitze gebessert. Von Oberstabsarzt Dr. 

Heermann in Posen . II 174 

Ueber eine einfache Methode der therapeutischen Verwendung des elektrischen Lichtes. 

Von Dr. Leopold Laquer in Frankfurt a. M. Mit 1 Abbildung. III 264 

Ein neuer (Halbmond-) Stromunterbrecher für Radiographie und Ströme von hoher 
Spannung. Von Dr. Ch. Colombo, Professor der medicinischen Fakultät, Direktor 
des kinesitherapeutisehen Institutes zu Rom und Ch. Thouveust, Elektrotechniker 

am kinesitherapeutisehen Institut zu Rom. Mit 5 Abbildungen. IV 351 

Erwiderung an Herrn Sanitätsrath Dr. Pelizaeus (Sanatorium Suderode am Harz). Von 

Professor H. Rieder in München. IV 355 

Bericht über die Verwendung des Eiweissnähnnittels »Roborat« in der Praxis. Von 

Dr. Hermann Schlesinger in Frankfurt a. M. V 441 

Bemerkungen zu Dr. M. Einhornes Artikel: Ueber Sitophobie intestinalen Ursprungs. 

Von Dr. R. v. Hocsslin, dirigierendem Arzt der Kuranstalt Neuwittelsbach iu 

München. VI 529 

Mittheilung aus der Klinik der Aerzte L. Bucho.ltz und A. Grasmück in Saratoff. 

Von Dr. L. Bucholtz. VI 530 

Die Verwendung von Gemüse- und Fleischkonserven in den Armeen der Grossmächte VII 612 


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XII Inhaltsverzeichnis». 


Heft Seit« 

Eine neue Sandbadeeinriehtung. Mit 2 Abbildungen.VII 616 

Der Cyklostat, eine Modifikation des Jacob’sehen stationären Fahrrades. Aus der 
1. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-Rath Professor 

Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus. Mit 1 Abbildung.VIII 701 

Zur mechanischen Therapie der Fettleibigkeit. Von Dr. F. Sylvan in Berlin . . . VIII 704 


V. 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft zu 

Berlin. 7.—12. März 1901. Erstattet von —n. I 90 

Franz Müller (Berlin), Ueber die Beeinflussung der blutbildenden Funktion 

des Knochenmarks durch therapeutische Massnahmen. I 90 

Winternitz (Wien), Theoretische und praktische Mittheilungen über Hydro- 

und Phototherapie. I 90 

Lindemann (Berlin), Ueber Lichttherapie. I 91 

Bruno Schürmayer (Hannover), Ueber die Bakterienflora von Nähr¬ 
präparaten . I 92 

Siegfried (Nauheim), Ueber Vibrationsmassage, insbesondere bei Herz¬ 
krankheiten . I 92 

Burwinkel (Nauheim), Herzleiden und Ernährung. 1 9:3 

Frankenhäuser (Berlin), Ueber elektrochemische Therapie. I 94 

Zabludowski (Berlin), Die neue Massageanstalt der Universität Berlin . . I 9f> 

Pariser, Das praktische Problem der internen Behandlung der Gallenstein¬ 
krankheit . II 175 

Munter, Die Hydrotherapie der Gicht . . . . II 176 

Putzer, Praktische Erfahrungen über die hydriatische Behandlung bei Masern 

und Scharlach. II 177 

Kothe, Zur physikalisch-diätetischen, insbesondere hydriatischen Behandlung 

der Neurosen. II 178 

Brügelmann, Ueber Asthma, sein Wesen und seine Behandlung .... II 180 

Schenk, Die physikalische Therapie der Lungentuberkulose mittels Stauungs¬ 
hyperämie . II 180 

Eulen bürg, Ueber Anwendung hochgespannnter Wechselströme zu thera¬ 
peutischen Zwecken. II 181 

Müller de la Fuente, Die nervöse Schlaflosigkeit und ihre Behandlung . II 182 

Diätetisches und Physikalisches vom 19. Kongress für innere Medicin zu Berlin. Von 

Privatdozent Dr. H. Strauss in Berlin. II 183 

VIII. internationaler Kongress gegen den Alkoholismus zu Wien vom 9.—14. April 

1901. Von Dr. Julian Marcusc in Mannheim. III 265 

Physikalisches von der Versammlung süddeutscher Laryngologen zu Heidelberg am 

27. Mai 1901. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. III 269 

Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft zu Berlin 

7.—12. März 1901. Erstattet von —n. (Schluss). III 271 

Determam, Das Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für Kranke III 271 

Der Tuberkulosekongress in London. Von Dr. J. Meyer. Volontärarzt der II. medi¬ 
cinischen Universitätsklinik (Berlin). IV 355 

Zur Frage der Beziehungen zwischen Menschen- uud Rindertuberkulose. Referat auf 
Grund der Verhandlungen des britischen Tuberkulosekongresses (1901. 22. bis 

26. Juli) zusammengestellt von Dr. Julian Marcuse (Mannheim). V 444 

XIV. internationaler Kongress zu Madrid 1902 . V 448 

Bericht über die zweite Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder. 

Von Dr. Theodor Mayer in Berlin VI 531 

Aus französischen Gesellschaften. . . VI 535 

Ueber den XIV. Internationalen Kongress zu Madrid 1903 . VI 536 


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Inhaltsverzeichniss. XIII 


Heft Seite 

Jahresversammlung des deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke 
am 29.—30. Oktober 1901 zü Breslau. Von Dr. Waldschmidt in Charlotten- 

burg-Westend ..VII 618 

Ueber die Bedeutung des Leims als Nährmittel und ein neues Nährpräparat »Gluton«. 

Autoreferat und einige Bemerkungen über Diätetika. Von Dr. H. Brat in Rummels¬ 
burg ..•.VII 622 

Ueber die erste ärztliche Studienreise in die deutschen Nordseebäder. Von Privatdozent 

Dr. H. Strauss in Berlin.VII 624 

V. Congres international de Physiologie. Turin. 17.—21. September 1901. (Arch. ital. 

de biologie. Bd. 36).VIII 707 

Orsowa, Ueber Linkshändigkeit.VIII 707 

Grützner, Ueber Bewegungen des Mageninhaltes.VT1I 708 

Prßvost und Batt^ell, Influence de Talimentation sur le rßtablissement des 

fonctions du coeur.VIII 708 

Gley, R6sum6 des preuves des reladons qui existent entre la glande thyroide 

et les glandes parathyroides.VUI 708 

Röhmann undNagaro, Ueber die Resorption vonMono- und Disacchariden 

im Darmkanal.VIII 708 

de Schrötter,J Communication d’cxpGriences physiologiques faites pendant 

un voyage en ballon ä 7500 m.VIII 708 

de Lee und Herrojd, The action of alcohol on muscle.VIII 708 

Walther, Zur Kenntniss der Einwirkung des Darmsaftes auf Pankrenssaft . VIII 709 

Spineau, r Sur la gastro-acidimätrie.VIII 709 

Barbara, Alimentazione sottocutanea ed eliminatione della bilc*.VIII 709 

Boruttau, Zur Frage der Fettbildung im Thierkorper.VIII 709 

Londoner Brief.VIII 709 

Die balneologischen Kurse in Baden-Baden im Oktober 1901.VIII 711 

XX. Kongress für innere Medicin zu Wiesbaden ..VIII 712 


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XIV 


Inhalts vereeichniss. 


Namenregister der Mitarbeiter (Autoren und Referenten). 


0 — Original. 

Achert 0 404. 

Alexander 0 567. 

Bang 0 546. 

Bial R 440. R 607. R 687. 

Block R 709. 

Böttcher R 326. R 416. 

Brat 0 622. 

Brieger 0 36. 

Bucholtz 0 530. 

Buschan R 425. R 696. 

Buttersack R 256. R 263. R 263. R 439. R 513. 
R 527. 

Camerer 0 229. 

Colombo 0 351. 

Cowl R 260. R 429. 

Daniöls 0 388. 

Determann R 158. R 158. 
du Bois-Reymond R 690. R 694. 

Dworetzky R 155. R 164. 0 235. R331. R 333. 

R 334. R 335. R 337. R 345. R 422. R 423. 

R 426. 0 495. R 523. R 524. 

Eggebreeht 0 119. 

Einhorn 0 187. 

Ekgren 0 191. 

Erismann 0 627. 

Forchheimer R 324. R 425. R 428. R 518. 

Frey R 161. 

Freyhan R 150. R 151. R 152. R 163. R261. 

R 263. R 342. R 415. R 415. R 424. R 425. 

R 438. R 504. R519. R 526. R 526. R 608. 

Friedländer R 152. R 153. R 258. R 258. R 260. 

R 324. R 345. R 347. R 347. R 348. R 426. 

Funke 0 363. 

Fürbringer 0 40. 

Gerhardt R 147. R 506. R 506. R 507. R 507. 

R 507. R 508. R 681. R681. 

Haike R 515. 

Heermann 0 174. 

Heller 0 279. 

Heubner 0 13. 

Hirsch R 150. R 155. 

Hirschei R 147. R 148. R 148. R 254. R 414. 

R 415. R 416. R 508. R 601. R 602. R 605. 

R 684. R 686. 692. 

Honig R 514. R 690. R 695. 
v. Hoesslin 0 529. 


R = Referat. 

Jacob 0 88. R 159. R 168. R 319. R 320. R 321. 

R 360. R 436. R 604. R 51 1 . R 523. R 527. 

R 528. R 528. R 529. R 529. R 596. R 598. 

R 600. R 689. R 689. 

Idc 0 169. 

John 0 275. 

Kirstein R 528. 

Klemperer 0 48. 

Laquer 0 82. 0 264. 

Laqueur R 159. R 258. R 258. R 336. R 338. 
R 339. R 514. R 515. R 520. R 608. It 688. 

R 691. 

Läufer 0 458. 

Lazarus 0 550. 0 669. Ii 695. Ii 696. R 700. 

R 701. 0 701. 

Lemke R516. R517. 

Lesser 0 452. 

Lewandowsky 0 67. R 607. R 707. 

Lichtenstem R505. 

Linow R256. 

Lippert R 322. R 342. R 343. R 343. R 348. 

R 421. R 516. 

Löwensohn 0 302. 

Lots R 256. 

Mann R 166. R 166. R262. R431. R. 431. R 433. 
R 434. R 521. R 522. R 610. R 610. R 611. 
0 676 R 697. R 697. R 098. 

Marcuse R 153. R 156. 0 232. R 255. 0 265. 
0 269. R 317. 11323. R 335. R 340. R341. 
R 346. R 419. R 432. R 433. R 439. 0 444. 

R 511. R 519. R 528. R601. R 602. R 605. 

R 609. R 691. R 711. 

Matthes R 145. R251. R 597. R 699. 

Mayer R 332. R 332. R 333. 0 531. 

Meyer 0 355. 

Nicolai R 348. R 427. R 437. 

Noehte 0 490. 

—n. 0 90. 0 175. R 255. R 261 0 271. R 325. 

R 330. R 347. R 416. R 421. R 428. lt 436. 

R 693. 

Ostertag 0 476. 

Pelizaeus 0 227. 

Plaut R 510. R 603. R 604. 
v. Podwyssozki 0 570. 0 043. 

(R) R 321. R 350. R 448. R 536. 
vom Rath 0 539. 


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Inhalts veraeichniss. 


XV 


Renault 0 57. 

Reyher R 608. 

Richter R 149. R 264. R 322. R 683. 
Roethlisberger 0 658. 

Rogowin R 166. 

Rosin R 335. R 344. R 34.“). 

Ruhetnann R 688. 

Salaghi0 47l. * 

SaJge R 251. 0 314. 

Salomon 0 205. 

Schilling R413. R 413. R 509. R 686. R 
R 687. 

Schlesinger 0 441. 

Schreiber 0 104. 

Schöle 0 116. 

Siegfried 0 131. 0 220. 

Simon R 163. R 257. R 338. R 513. 


Strauss 0 183. R 253. R 323. R 325. R 326. 
R 326. R 327. R 327. R 327. R 328. R. 328. 
R 329. R 330. R 505. R 508. R 510. R 601. 
R 624. R 683. 

Sylvan 0 704. 

Thouveust 0 351. 

Voit R 147. R 260. R 260. R 330. R 330. R 330. 
R 330. 

Vulpius R 261. R 429. 

I Waldschmidt R 618. 

I Weber 0 1. 

Wegele R 682. 

Weis R 606. R 686. 

Weiss R 512. R 685. 

Wohlgemuth R 146. 

Zinn R 262. 

Zuntz 0 99. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE ohd PHYSIKALISCHE 

THERAPIE. 

-- 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Geh.-Rath Prof. Brieger (Berlin), Geh.-Rath Prof. Curschmann (Leipzig), Prof. Eichhorst (Zürich), 
Prof. Einhorn (New-York), Geh.-Rath Prof. Ewald (Berlin), Prof. A. Fränkel (Berlin), Geh.-Rath 
Prof. B. Frankel (Berlin), Geh.-Rath Prof. Fürbringer (Berlin), Prof. J. Gad (Prag), Geh.-Rath 
Prof. Gerhardt (Berlin), Geh.-Rath Prof. Heubner (Berlin), Geh.-Rath Prof. A. Hoffmann (Leipzig), 
Prof. v. Jaksch (Prag), Geh -Rath Prof. Jolly (Berlin), Prof. v. Jürgensen (Tübingen), Geh.-Rath 
Prof. Käst (Breslau), Prof. Kitasato (Tokio), Prof. G. Klemperer (Berlin), Geh.-Rath Pof. Licht¬ 
heim (Königsberg), Prof. v. Liebermeister (Tübingen), Geh.-Rath Prof. Liebreich (Berlin), Prof, 
v. Mering (Halle), Geh.-Rath Prof. Mosler (Greifswald), Prof. Fr. Müller (Basel), Geh.-Rath. Prof. 
Naunyn (Strassburg), Prof. v. Noorden (Frankfurt a. M.), Hofrath Prof. Nothnagel (Wien), Prof. 
Pel (Amsterdam), Prof. A. Pribram (Prag), Geh.-Rath Prof. Quincke (Kiel), Prof. Renvers (Berlin), 
Geh.-Rath Prof. Riegel (Giessen), Prof. Rosenstein (Leiden), Geh.-Rath Prof. Rubner (Berlin), 
Prof. Sahli (Bern), Prof. Schreiber (Königsberg), Geh.-Rath Prof. Senator (Berlin), Prof. Stokvis 
(Amsterdam), Sir Hermann Weber, M. D. (London), Prof. Winternitz (Wien), Geh. Ober Med.-Rath 
Prof. v. Ziemssen (München), Prof. Zuntz (Berlin). 


REDIGIRT VON 

E. V. LEYDEN und A. GOLDSCHEIDER 

in Berlin. 


Fünfter Band (Jahrgang 1901/1902). — Krstes Heft. 


LEIPZIG 

YERLAG VON GEORG THIEME 

1901 * 


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(ifif. Kattv 1‘i'uf l'r. Senator 
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Vorsitzender des Geseluii'tseoniitr 


Vorsitzender 


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Gv.b. liaih l’rof. Or. Maunyn 
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Zur Begrüssung 

des 19. Kongresses'für innere Medicin zu Berlin. 


Zum vierten Male wird der Kongress für innere Medicin in Berlin tagen. 
Die Redaktion der Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie 
überreicht demselben das 1. Heft des 5. Jahrganges als besondere Fest¬ 
nummer. Obwohl die Themata, welche auf dem Programm des diesjährigen 
Kongresses stehen, zum grossen Theil andere Gebiete der wissenschaftlichen 
Therapie als die der diätetischen und physikalischen Heilmethoden be¬ 
rühren, so wissen wir doch, dass die Kongressmitglieder für diese modernen 
Behandlungsmethoden der inneren Krankheiten ein lebhaftes Interesse be¬ 
sitzen, und geben uns der Hoffnung hin, dass die Aufsätze in dieser Fest¬ 
nummer ihr Interesse und ihre Billigung finden werden. Wir sprechen den 
hervorragenden Berliner Gelehrten, welche zu dieser Festnummer Beiträge 
geliefert haben, unsern besten Dank für ihre bereitwillige Mitwirkung aus. 

Der neue 5. Jahrgang der Zeitschrift für diätetische und physikalische 
Therapie, welchen wir mit dieser Festnummer eröffnen, beginnt unter günstigen 
Auspizien. Wie sehr die Begründung unserer Zeitschrift den herrschenden 
Strömungen entgegengekommen ist, geht daraus hervor, dass die durch die¬ 
selbe vertretenen Gebiete in den letzten Jahren sich sowohl in Deutschland 
wie in anderen Ländern in ausserordentlicher Weise entfaltet haben. Auch 
die Regierungen haben durch die Begründung staatlicher Institute für Hydro¬ 
therapie, Massage, Heilgymnastik u. s. w. dafür Sorge getragen, dass von 
nun an auch den Studierenden hinreichend Gelegenheit geboten wird, sich 
vor ihrem Eintritt in die Praxis auf diesen so wichtigen Gebieten der modernen 
Therapie auszubilden. Eine ganze Reihe von Monographien und Zeitschriften 
ist im In- und Auslande ins Leben gerufen, welche die gleichen Ziele, wie 
wir, vertreten. Alle diese Fortschritte begrüssen wir mit Freuden und glauben, 
zu dieser Entwicklung der diätetischen und physikalischen Heilmethoden und 
ihrer wissenschaftlichen Beurtheilung und Behandlung zur rechten Zeit einen 
fruchtbaren Anlass gegeben zu haben. Wir werden nach besten Kräften auch 
fernerhin dahin streben, auf diesen Gebieten der modernen Therapie die prak¬ 
tische Verwendung mit den wissenschaftlichen Prinzipien in Einklang zu 
bringen. 

Die Redaktion. 


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INHALT 


Original-Arbeiten. Seite 

I. Sanatorien auf Inseln und am Meeresufer. Von Sir Hermann Weber M. D. F. R. S., 
konsult. Arzt am German Hospital in London, am National Hospital for Consumption 
in Ventnor und am North London Hospital for Consumption..*> 

II. Die Energiebilanz des Säuglings. Von Geh.-Rath Professor Dr. Otto lleubncr in Berlin. 

Mit ö Abbildungen.13 

III. Bemerkungen zur hydriatischen Behandlung der Lungenentzündung. Aus der Hydro¬ 

therapeutischen Anstalt der Universität zu Berlin. (Leiter: Geh.-Rath Prof. Dr. 

L. Brieger.) Von L. Brieger.30 

IV. Radfahren bei Magenkrankheiten. Von Geh.-Rath Professor Dr. Fürbringer in Berlin . 40 

V. Beitrag zur Erklärung harnsaurer Niederschläge im Urin. Aus dem chemischen l^aboratoriuin 

des Berliner Instituts für medicinische Diagnostik. Von Professor Dr. G. Kl em per er 
in Berlin.48 

Kritische Umschau. 

I. Die (Zytotoxine. Von Dr. Jules Renault in Paris.f>7 

II. Die Grundlagen der Organotherapie. Kritisches Referat von Dr. M. Lewandowsky, 

prakt. Arzt in Berlin. •.07 


Kleinere Mitteilungen. 

I. Die Pvrenäeubädcr. Eine Skizze von Dr. B. Laqucr in Wiesbaden.82 

II. Ein neues Zimmerfahrrad. Von Privatdozent Dr. Paul Jacob in Berlin. Mit 1 Abbildung 88 


Berichte über Kongresse und Vereine. 

Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Bai neologischen Gesellschaft zu Berlin. 

7 —12. März 1001. Erstattet von - n.90 

Franz Müller (Berlin), Ueber die Beeinflussung der blutbildenden Funktion des 

Knochenmarks durch therapeutische Massnahmen.90 

Winternitz (Wien), Theoretische und praktische Mittlieilungen über Hydro- und 

Phototherapie. ‘.KJ 

Lindemann (Berlin), Ueber Lichttherapie.91 

Bruno Schürmayer (Hannover), Ueber die Bakterienflora von Nährpräparaten . . 92 

Siegfried (Nauheim), Ueber Vibrationsmassage, insbesondere bei Herzkrankheiten . 92 

Burwinkel (Nauheim), Herzleiden und Ernährung.93 

Frankenhäuser (Berlin), Ueber elektrochemische Therapie.94 

Zabludowski (Berlin), Die neue Massageanstalt der Universität Berlin.9f> 


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Original - Arbeiten 


i. 

Sanatorien auf Inseln und am Meeresufer. 

Von 

Sir Hermann Weber M. D. F. R. S., 

koinmlt. Arzt am German Hospital in London, am National Hospital for Gonsumption in Ventnor 
und am North London Hospital for Gonsumption. 

Die Natur der Seeluft und die klimatischen Verhältnisse der Seeufer sind in 
dem ersten, der Gebrauch und die Wirkung der Seebäder in dem zweiten Abschnitte 
des Kapitels Thalassotherapie behandelt worden, welches demnächst in dem 
von Goldscheider und Jacob herausgegebeneu Ilandbuche für physikalische 
Therapie veröffentlicht werden wird. Wir wollen deshalb diese Lehren der physi¬ 
kalischen Therapie, auf die der Nutzen von Seesanatorien gegründet ist, als bekannt 
voraussetzen und nur an einige Eigenschaften der Luft am Meeresufer erinnern. Sie 
ist in der Regel verhiiltnissmässig frei von organischen Verunreinigungen (Bacillen) und 
auch von mineralischem Staub, ausser in gewissen (iegemlen mit sehr staubigen Strassen; 
sie enthält aber zugleich mit Wasserdunst wechselnde Mengen von Kochsalz und ganz 
geringe von Jod und Brom, welche theils von zerstäubtem Seewasser, theils von der 
Zersetzung der durch die Wellen an den Strand geworfenen Seepflauzen und See- 
tliiere herrühren. Die Luft am Meere wird in fortwährender Bewegung erhalten 
durch die regelmässig wechselnden See- und Landwinde, und durch diese Lokalwinde 
sowohl wie durch die am Strande stärkeren allgemeinen Winde wird sie beständig 
erneuert. Die Luftfeuchtigkeit ist ziemlich hoch und ist ebenso wie die Temperatur 
geringeren Schwankungen unterworfen; ferner ist der Ozongehalt gross; der Luft¬ 
druck ist hoch und zeigt etwas kleinere Oscillationen. Die Lichtmenge ist bedeutend 
und wird durch Vom Meere reflektierte Strahlen noch vermehrt. Obgleich die direkte 
Sonnenwärme erheblich ist und an vielen Orten durch die reflektierte vermehrt wird, 
so wird doch dem Körper etwas mehr Wärme entzogen, infolge der vermehrten Luft¬ 
strömungen, weshalb wärmere Bekleidung nothwendig ist. 

Das Zusammenwirken aller dieser Eigenschaften giebt der Luft am Seeufer 
einen belebenden Charakter, wie er nirgends im Binncnlande gefunden wird, ausser 
etwa in manchen Höhenregionen. East alle Bewohner des Binnenlandes bemerken, 
wenn sie ans Meer kommen, eine allgemeine Vermehrung der Energie und der Be¬ 
wegungsfähigkeit, Zunahme des Appetits und Verbesserung der Verdauung. Hierdurch 
wird die Ernährung des ganzen Körpers gehoben, und der Organismus wird in den 
Stand gesetzt, gewisse Krankheiten zu überwinden, welche im Innern des Landes 
Jahre lang bestanden und sich allmählich verschlimmert haben. Es sind dies besonders 
skrophulöse Leiden, welche nahe verwandt, wenn auch klinisch nicht identisch mit 
den tuberkulösen sind. Besonders günstig beeinflusst werden diese extrapulmonären 
oder äusseren tuberkulösen Affektionen in den Drüsen, Gelenken und Knochen mit Ein¬ 
schluss der Pott’sehen Krankheit, während die Einwirkung des Seeklimas auf die 



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Lungentuberkulose weniger konstant und manchmal sogar nachteilig ist. Die meisten 
mit Lungentuberkulose Behafteten und sogar manche dazu nur disponierte Menschen 
vertragen starke Winde schlecht; und da nun an vielen Seeplätzen häufig hohe 
Winde herrschen, so eignen sich dem Winde stark ausgesetzte Sceufer weniger für 
Phthisiker und wirken oft nachtheilig, besonders bei vorgeschrittener Krankheit. An 
vor Wind geschützten Seeufern jedoch und an Stellen in der Nähe von Seeufern, welche 
durch Dünen oder andere Hügel oder Wald vor starken Winden geschützt sind, be¬ 
finden sich Lungenkranke ziemlich gut. 

Wenn wir uns ganz allgemein die günstigen Wirkungen der Meeresufer erklären 
wollen, so denken wir, dass sie durch Verbesserung der Allgemeinernährung des 
ganzen Körpers und die hierdurch ermöglichte Ueberwindung der Bacillen erzeugt 
werden. 

Zu der Heilung genügt aber nicht der blosse Aufenthalt am Seeufer, sondern 
es müssen damit verbunden sein: 

1. passende Nahrung in reichlicher Menge, welche dem Zustande der einzelnen 
Kranken und deren Verdauungsorganen angepasst werden muss; 2. gut eingerichtete 
Zimmer mit ungehinderter Zulassung fortwährend erneuter Seeluft, mit Balkons und 
anderen Einrichtungen, auf welchen die Kranken in ihren Betten bezw. auf ihren 
Sophas liegen können, vom Morgen bis zur Nacht, oft selbst während der Nacht, mit 
Hilfe des nöthigen Schutzes, so dass sie sich unausgesetzt in der Seeluft befinden; 
3. gute Anstalten zum Baden im offenen Meer im Sommer, und in erwärmten 
Schwimmbädern im Winter, welche letzteren in manchen Fällen auch im Sommer 
zu benutzen sind; 4. ein guter, sympathischer Arzt, welcher die Diät, die Art des 
Luftgenusses, die körperliche Bewegung, die aktiven und passiven gymnastischen 
Uebungen, das Tragen von Unterstützungsapparaten, wo sie nöthig sind, anordnet 
und überwacht und die etwa nothwendigen Operationen ausführt. Die ärztliche Be¬ 
handlung in dem Sanatorium muss natürlich in den einzelnen Fällen sehr verschieden 
sein. So kann es bei an Drüsenskrophulose leidenden Kindern wünschenswerth sein, 
dass sie den ganzen Tag auf dem Sande liegen oder herumgehen und spielen, für 
andere, dass sie häufige Fahrten auf dem Meere machen, während solche, die an 
tuberkulösen Entzündungen der Hüftgelenke oder der Knie- oder Fussgelenke oder 
an Pott’scher Krankheit leiden, stets liegen und dem kranken Organe Ruhe geben 
müssen, aber in der Weise, dass ihre Betten den ganzen Tag in.der freien Seeluft 
stehen. 

Ausser den skrophulösen und tuberkulösen Kranken sind es besonders die an 
Anämie und Rachitis Leidenden, welchen das Leben am Meere grossen Nutzen 
bringt. Bei den Anämischen lässt sich der Seeaufenthalt oft durch andere Behandlung 
im Innern des Landes ersetzen; bei den Rachitischen ist aber die Thalassotherapie 
allen anderen Kurmethoden vorzuziehen. 

Wenngleich auch bei Erwachsenen die Behandlung in Seehospizen (oder Sana¬ 
torien) sehr nützlich ist, so ist sie doch in viel höherem Grade bei Kindern nöthig; 
für diese empfehlen wir sie daher besonders dringend. Für wohlhabende kranke 
Kinder lassen sich auch Einrichtungen in Privathäusern am Meere treffen; aber für 
die armen kranken Kinder, deren Anzahl wegen der kläglichen Nahrungs- und Wohnungs¬ 
verhältnisse viel grösser ist, ist eine gründliche Behandlung fast nur in Seesanatorien 
möglich, und für sie müssen wir die thätige Theilnahme aller derer erbitten, welche 
die Mittel besitzen, zu helfen. Diejenigen, welche nicht in näheren Verkehr mit 
den unglücklichen kleinen Wesen kommen, können sich keine Idee von den grenzen- 


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Sanatorien auf Inseln und am Meeresufer. 7 


losen Leiden machen, welche mit der Pott’schen Krankheit oder den tuberkulösen 
Entzündungen des Hüft- oder Knie- oder Fussgelenks verbunden sind: in ihren licht- 
und luftlosen Wohnungen gehen die kleinen Patienten ohne passende Nahrung ent¬ 
weder nach langen Qualen elend zu Grunde oder, wenn sie sich allmählich erholen, 
so müssen sie meist als Krüppel durch das Leben gehen und können als solche 
ihr Brot nicht verdienen. In den Hospitälern des Binnenlandes ist ihnen meist nicht 
zu helfen. Auch als Prophylaxis gegen Lungentuberkulose ist bei skrophulösen Kindern 
die Behandlung in Seesanatorien von grossem Werthe; denn viele von denen, welche 
dem Tode an den oben genannten Leiden entgehen, werden später von Lungentuber¬ 
kulose ergriffen und tragen so zur Verbreitung dieser Volkskrankheit bei. 

Und doch ist den armen Kleinen in fast allen Fällen zu helfen, wenn sie nur 
frühzeitig in Seesanatorien gebracht werden. Aber auch hier sollte man nie mit 
halben Maassregeln zufrieden sein, nicht mit einem Aufenthalt von einem Monat 
oder sechs Wochen, sondern man sollte denselben mehr als verdoppeln, ja bei 
manchen Kranken auf zwei bis drei Jahre ausdehnen, bis die Heilung so vollkommen 
wie irgend möglich geworden ist, Es ist fast nutzlos, Kinder mit Pott’scher Krank¬ 
heit und anderen tuberkulösen Gelenk- und Knochenentzündungen nur auf sechs 
Wochen in ein Sanatorium aufzunehmen und sie dann in ihre elenden, unhygieni¬ 
schen Verhältnisse zurückzuschicken. Es ist ferner unzulänglich, die Behandlung in 
den Seehospizen auf den Sommer zu beschränken; sie muss auch im Winter fort¬ 
gesetzt werden, und es ist ganz verkehrt, diese Sanatorien im Winter zu schliessen. 
Die Behandlung in den Seesanatorien ist für arme Kinder im Winter sogar noch noth- 
wendiger als im Sommer, weil im Winter die Fenster in den engen Wohnungen der 
Armen fast nie geöffnet werden und die Luft in denselben verpestet ist. Wer die 
Armen in ihren Wohnungen behandelt hat, kann hierüber keinen Zweifel haben. Die 
Witterungsverhältnisse sind zwar während des Winters in den nördlichen Sanatorien, 
an den Küsten von Deutschland, Holland, Belgien, Nordfrankreich, England und 
Skandinavien nicht ganz so günstig wie im Sommer, sie lassen sich aber durch pas¬ 
sende Schutzmittel ganz erträglich machen; und selbst ohne Schutz ist das kranke 
Kind im Winter sowohl wie im Sommer in jedem Sanatorium am Meere in einer 
unvergleichlich viel besseren Lage für seine Genesung als in den licht- und luft¬ 
losen, überfüllten Stuben im Binnenlande. Im Winter können ganz gut warme See¬ 
bäder gegeben werden, und die kranken Kinder können, warm bekleidet und zu¬ 
gedeckt, während des grösseren Theil des Tages in offenen Gallerieen, zuweilen sogar 
ganz im Freien liegen. 

In früheren Jahren hat man auch für die Behandlung der Lungen tuberkulösen 
die Kurorte und Sanatorien nur während eines Theils des Jahres offen gehalten, 
und selbst H. Brehmer hat in Görbersdorf in dieser Weise begonnen. Bald aber 
hat man eingesehen, dass dies unzulänglich war, und dass die Kranken im Winter 
in der Heimath oder an heissen Kurorten von dem viel verloren, was sie im 
Sommer gewonnen hatten. In Davos und St. Moritz verfiel man zuerst in den 
umgekehrten Fehler, nämlich in den, die Kur auf den Winter zu beschränken, bis 
man sah, dass im Sommer in der Heimath eingebüsst wurde, was im Winter angelegt 
war. Jetzt fängt man an, die Kur durch das ganze Jahr an demselben Orte fortzusetzen. 

Leider fehlt es hierfür noch sehr an Mitteln. Für jedes Bett, welches gegenwärtig 
in den bestehenden Sanatorien geboten wird, sollten wenigstens 100 Betten gegründet 
werden. Es mag im Augenblick recht schwer, ja unmöglich sein, dies auszuführen, 
weil das Publikum, die Kranken- und Arbeitervereine, die Gemcinderäthe und 


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Hermann Weber 


Gesundheitsbehörden die Frage noch nicht hinreichend verstehen; wir dürfen aber 
den Muth nicht verlieren, sondern müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um das 
Ziel zu erreichen. Es müssen nationale Gesellschaften gegründet werden unter Leitung 
hochstehender und hervorragender Persönlichkeiten, an welchem sich alle wohl¬ 
habenden Stände, natürlich mit Einschluss der Aerzte betheiligen. Die Frauenvereine 
haben hier eine der schönsten Aufgaben vor sich, und diejenigen Frauen, welche 
die armen Kinder in ihren Wohnungen und später in den Sanatorien besucht haben, 
werden ihr Herz für die Sache öifnen. Der Staat mag Einiges beitragen, aber die 
Gemeinde- und Stadträthe und zum Theil die Arbeitervereine müssen vor allem für 
die kranken Kinder der Armen sorgen. Wenn die Stadt Paris allein Sanatorien für 
mehr als 1030 Kinder in Berck - sur - Mer Sommer und Winter unterhält, und noch 
dazu eine grosse Anzahl von kranken Kindern auf ihre (der Stadt) Kosten in ver¬ 
schiedene andere Seesanatorien schickt und sie dort so lange verpflegen lässt, als 
der Arzt es für uöthig hält, so sollten andere Nationen und Städte diesem rühmlichen 
Beispiele folgen. 

Noch einmal müssen wir betonen, dass fast alle skrophulösen und fast alle 
an äusserer Tuberkulose (wir sprechen hier nicht von Lungentuberkulose) leidenden 
Kinder geheilt werden, wenn sie nur frühzeitig in Seehospize gesandt und lange 
genug dort behandelt werden. 

Vor fast 40 Jahren hat unser verstorbener Freund J. W. Beneke diesen 
wichtigen Gegenstand wiederholt mit uns ausführlich besprochen, und es gereicht 
ihm zu unvergesslicher Ehre, dass er unermüdlich in dieser Richtung in Deutschland 
gearbeitet hat, und dass es ihm endlich gelungen ist, das schöne Sanatorium von 
Norderney ins Leben zu rufen. 

Es ist hier nicht der Platz, genauer auf die Beschreibung der Lage und der 
Einrichtungen der Meersanatorien einzugehen, aber einige Worte mögen erlaubt sein. 
Selbstverständlich soll das Sanatorium an einer durchaus gesunden Stelle liegen, 
auf trockenem, infektionsfreiem Boden, entfernt von Sümpfen und stehenden Wässern, 
von Fabriken und anderen die Luft verunreinigenden Einflüssen, nahe an einem 
sandigen Strande. Das Sanatorium soll auf allen Seiten der Sonne und freien Luft 
ausgesetzt, nicht an einen Felsen angebaut sein, aber, so weit als möglich, vor kalten 
Winden geschützt liegen. Es müssen grosse, offene aber vor Regen und kalten 
Winden schützbare Gallerieen vorhanden sein, ferner freie Spielräume getrennt für 
Knaben und Mädchen, sowie Plätze zum Gehen und zu gymnastischen Uebungen 
bei gutem und schlechtem Wetter. Die Schlafzimmer dürfen nicht tief sein, so dass 
jedes Bett der freien Luft ausgesetzt ist; sie müssen grosse Fenster haben von der 
Decke bis zum Boden, weit genug, dass die Betten durch dieselben bequem auf die 
Terrassen oder Gallerieen gerollt oder geschoben werden können. Es muss gute 
Gelegenheit zu gefahrlosem Baden im Meere vorhanden sein, und es müssen auch 
geschützte Schwimmbäder mit dem Hause in Verbindung stehen, in welchen er¬ 
wärmte Seebäder im Winter, und, wo nöthig, auch im Sommer genommen werden 
können; daneben auch Einzelbäder für besondere Fälle. Isolierhäuser für ansteckende 
Kranke dürfen nicht fehlen, und auch für Kranke, welche an anderen akuten Krank¬ 
heiten wie Pneumonie, rheumatischen Fiebern und Meningitis leiden, muss Trennung 
möglich sein. Ferner muss ein Operationsraum einen Theil von jedem Sanatorium 
bilden, obgleich die operativen Eingriffe möglichst beschränkt werden sollten, da sie 
bei den mächtigen hygienischen Einwirkungen der Seeluft, der Seebäder und der 


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Sanatorien auf Inseln und am Meeresufer. •* 

reichlicheren Nahrungsaufnahme viel weniger nöthig sind, als in den Hospitälern 
des Binnenlandes. 

Es hat sich gewiss Vielen der Gedanke bereits aufgedrängt, dass schwimmende 
Sanatorien von grossem Nutzen sein würden; es ist dies zwar nicht so vollkommen 
auszuführen, als man es wünschen möchte, aber es Hesse sich manches thun. 

Man könnte z. B. mit jedem Seesanatorium ein gut eingerichtetes Schiff in Ver¬ 
bindung bringen und bei ruhigem Wetter diejenigen Kranken, welche auf das Schiff 
gehen oder getragen werden können, auf das Schiff bringen, um sie vier bis zehn Stunden 
auf das Meer fahren zu lassen. Das Schiff könnte ein Dampfschiff oder ein Segelschiff 
sein. Von solchen kleinen gefahrlosen Seefahrten würden viele Kinder grossen Nutzen 
ziehen, denn die Luft auf dem Meere selbst ist doch noch mehr belebend als die 
am Ufer, besonders bei Windstille. Ferner könnte man ein grosses Schiff in einer 
geschützten Bucht verankern und die Kranken ganz auf demselben leben und be¬ 
handeln lassen. Bei diesem zweiten Plane aber würde es schwer sein, hinreichenden 
Raum für Gänge zu beschaffen, und der Transport von Kindern aus dem Schlafzimmer 
auf das Deck würde in manchen Fällen beschwerlich sein. Auch würde die Luft in 
den Schlafzimmern etwas beengt sein, wenn man nicht die letzteren sehr gross an- 
legen würde. Die St. Johns Guild in New-York besitzt ein floating hospital ship, mit 
welchem Kranke täglich sechs bis sieben Stunden auf das Meer fahren. 


Indikationen. 

Unter den Zuständen, für welche die Behandlung in Seehospizen angezeigt ist, 
verdienen besonders genannt zu werden: 

1. Allgemeine Schwäche und mangelhafte Ernährung, welche diese Behandlung 
aus prophylaktischen Gründen erfordern. 

2. Unvollständige Erholung nach verschiedenen akuten Krankheiten mit Ein¬ 
schluss von Pneumonie, Pleuritis und chronischer Bronchitis. 

3. Skrophulöse oder tuberkulöse Aflfektionen der Lymphdrüsen. 

4. Skrophulöse oder tuberkulöse Gelenkentzündungen mit Einschluss der Hüft¬ 
gelenkentzündungen und der Pott’schen Krankheit. 

5. Knochenkaries. 

6. Adenoide Wucherungen in der Nase und im Schlunde mit oder ohne Hyper¬ 
trophie der Mandeln. 

7. Skrophulöse Augenentzündungen. 

8. Skrophulöse Hautkrankheiten. 

9. Anämische Zustände mit Einschluss von Chlorose. 

10. Rachitis. 

11. Skoliose. 

In manchen der genannten Zustände, wie denen unter 1, 2 und 9 gruppierten, 
ist eine Behandlung von 6—8 Wochen oft genügend, in anderen dagegen, welche 
besonders in den Gruppen 3, 4 und 5 zu suchen sind, muss die Behandlung über 
4 bis 6 bis 12 Monate, selbst ein paar Jahre ausgedehnt werden, je nach der Kon¬ 
stitution und dem Fortschritt, den die Krankheit vor dem Beginn der Behandlung 
gemacht hatte. 

Gegenanzeigen kennen wir nur in den seltensten Fällen. 


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Hermann Weber 


Seewasser wurde schon im Alterthum innerlich und in Bädern gebraucht, und 
wohl auch später von den in der Nähe des Meeres lebenden Völkern. Eine aus¬ 
führlichere Mittheilung hierüber hat, so weit uns bekannt ist, zuerst Dr. Richard 
Rüssel (auch Russell geschrieben) veröffentlicht (Oeconomia naturae in morbis 
glandulärem. London 1755; und »Dissertation on the use of seawate in diseases of 
the glands; translated from-the latin, with Spead on sea water etc.« 1769. Fifth 
edition). Diese Arbeit scheint Anklang gefunden zu haben, sonst würde ihreUeber- 
setzung nicht in kurzer Zeit eine fünfte Auflage erlebt haben. Rüssel machte viel¬ 
fach vom Trinken des Seewassers Gebrauch, mehr aber von den Seebädern und ge¬ 
legentlich von Umschlägen auf kranke Theile. Er erwähnt nichts vom Aufenthalt 
am Seeufer und hat vielleicht auf diesen keinen besonderen Werth gelegt. Wir dürfen 
aber glauben,' dass die Kranken während des regelmässigen Gebrauchs der See¬ 
bäder am Meere gewohnt haben und dass durch das Athmen der Seeluft die Kur 
mächtig unterstützt worden ist. 

Allmählich scheint diese Ansicht zur Ueberzeugung der Aerzte und Laien ge¬ 
kommen zu sein und unter Anregung von Dr. Lettsom und Dr. Latham 1791 zur 
Gründung der »General seabathing infirmary« in Margate an der Küste von Kent 
geführt zu haben, an einem der am meisten belebenden Seeufer von England. Der 
Name wurde wiederholt verändert und ist seit 1898 »Royal seabathing hospital«, 
zur Aufnahme von Kranken, welche an tuberkulösen und anderen Krankheiten leiden, 
die zur Heilung ausser ärztlicher und chirurgischer Behandlung den Einfluss der Seeluft 
und Seebäder brauchen. Dieses Hospital ist sehr gut eingerichtet und hat sich seit 
der Gründung in der letzten Zeit besonders durch die Liberalität des bekannten Haut¬ 
arztes Sir Erasmus Wilson sehr vergrössert, so dass es jetzt 150 Betten enthält; 
aber die mittlere Dauer des Aufenthalts jedes Kranken (4 bis 10 Wochen) ist für 
die Mehrzahl der Fälle kaum genügend. Eine kleinere Anstalt ist in Rhyl in Flint- 
shire, an der Küste von Northwales, errichtet worden, wo das Royal Alexandra chil- 
drens hospital 50 Betten hat. Leider hat die Gründung von Sanatorien am Meere für 
skrophulöse und tuberkulöse Kinder in England nicht den Fortschritt gemacht, den 
sie hätte machen sollen. 

Viel grösser, obgleich verhältnissmässig jünger ist der Fortschritt in der Be¬ 
handlung der Skrophulose und Tuberkulose der Kinder in Sanatorien am Meere in 
Frankreich, einUmstand, welcher dem einsichtsvollen Wohlthätigkeitssinn der Nation 
Ehre macht, ebenso wie vielen mitwirkenden Aerzten, unter denen wir nur Bergeron, 
Armangaud, Monod und Ch. Leroux besonders nennen wollen, und schliesslich 
manchen verständigen Philantropen, wie Baron James Rothschild und dessen 
Familie, den Gründern und den Unterhaltern des schönen Hopital Rothschild in 
Berck-sur-Mer und M. Pallu, dem Gründer des Vereins »Oeuvre des hopitaux 
marinst. Die Gründung und der Betrieb der meisten Seehospize oder Sanatorien an 
den Küsten von Frankreich steht unter der Leitung von zwei Vereinen: »L’assistance 
maritime des enfants scrofoleux et rachitiques«, und »L’oeuvre des hopitaux marins«. 
Der Anfang geschah jedoch durch die Privatwohlthätigkeit, indem Madame Armengaud 
(nee Hin sh) 1847 ein Hospital mit 24 Betten in Cette gründete. 

Die Seehospize von Frankreich haben sehr verschiedene Klimate; gross ist der 
Unterschied zwischen den Nord-, West-, und Südküsten, nur eins haben sie gemein¬ 
sam, das ist die Lage am Seeufer mit der mächtigen Einwirkung des Meeres. An 
der Südküste nennen wir: die Hospize von Cannes, Cette, Banguis - sur - Mer und 
Hyeres-Giens; an der Westküste: Arcachon, Saint Trojan auf der Insel Oleron und 


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Sanatorien auf Inseln nnd am Meeresufer. 


Pen-Brou bei Le Croisic neben ein paar kleineren Anstalten; an der Nordküste sind 
das kleine Sanatorium Saint - Pol-sur-Mer und die Seesanätorien Stadt Berck-sur- 
Mer. Die Stadt Paris, oder, um es genauer auszudrücken, L’assistance publique de 
Paris hat allein dort 1034 Betten, von denen 700 im grossen Hospital, die übrigen 
im kleinen Hospital und in den beiden Maisons Cornu sind. Ausserdem ist in Berck 
das schöne Höpital Rothschild, welches sehr gut eingerichtet ist und 100 Kinder auf¬ 
nimmt; dieselben werden von der Familie Rothschild im Winter sowohl wie im 
Sommer unterhalten. Neben diesen nur für arme Kinder bestimmten Hospitälern 
giebt es in Berck-sur-Mer noch verschiedene Pensionen oder Sanatorien für mehr 
oder weniger wohlhabende Kranke. 

Italien hat früh den Werth der Seesanatorien in der Behandlung der Skrophulose 
und Tuberkulose erkannt, besonders infolge der verdienstvollen Anregungen des 
Dr. Barzelai. Das erste Sanatorium wurde in Viareggio 1841 gegründet; später 
folgten viele andere, unter welchen wir Sestri Levante, Porto d’Anzio, Loano, Palermo, 
Lido (Venedig), Rimini, Riccione und Fano nennen wollen. Es haben sich in Italien 
zur Förderung dieses Werks mehrere Gesellschaften gebildet, so die »Societä degli 
amici dell'infanzia«, »Institutione romana degli ospizi marini pei fanciulli poveri 
rachitici e scrophulosi«. 

Auch Oesterreich-Ungarn hat an den Küsten des adriatischen Meeres mehrere 
gute Seehospize, so in Triest, Grado, S. Pelagio bei Rovigno, das Maria Amalia Asyl 
bei Lussin Grande und Dr. Szegös Kindersanatorium bei Abbazia. Das Interesse für 
Seehospize ist im Wachsen und wird von der Kaiserlichen Familie und dem »Verein 
zur Errichtung und Förderung von Seehospizen für kranke, insbesondere skrophulöse 
und rachitische Kinder« gefördert. Es wäre zu wünschen , dass die Kurzeit für 
die einzelnen Kranken weniger beschränkt und die Sanatorien auch im Winter 
offen wären. 

Deutschland hat vier Seehospize unter der Leitung des »Vereins für Kinder¬ 
heilstätten an den deutschen Seeküsten«: 1. das Seehospiz »Kaiserin Friedrich« in 
Norderney; 2. das Hospiz in Wyk auf Föhr; 3. das Friedrich Franz-Hospiz in Gross- 
Muritz und 4. das Hospiz Zoppot bei Danzig. In Norderney stehen 240 Betten zur 
Verfügung; durch einen neuen Pavillon werden noch 24 hinzukommen; in Wyk 
auf Föhr jetzt 80, die bald auf 100 gebracht werden sollen; in Gross-Muritz 70, die 
auf 90 vermehrt werden, und in Zoppot 50. Die Dauer des Aufenthalts jedes Kindes 
beträgt nur ungefähr sechs Wochen. Norderney ist der einzige Platz, wo das Sana¬ 
torium im Winter offen bleibt; und es ist kaum glaublich, dass die Möglichkeit, 
kranke Kinder im Winter dorthin zu bringen, nur spärlich benutzt wird, obgleich 
die Seeuferplätze im Winter für die armen Kinder hundert Mal besser wären als 
die engen, heissen Zimmer der Armen mit geschlossenen Fenstern in Berlin, 
Dresden, Bremen, Hamburg, Magdeburg oder irgend einer Stadt mit einer zahl¬ 
reichen Arbeiterbevölkerung. Sehr richtig haben die Herrn Ewald, Salomon und 
A. Baginsky auf dem Berliner internationalen Kongresse zur Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose in kurzen, aber bestimmten Worten darauf hingewiesen, dass die Dauer der 
Kuren in den deutschen Seesanatorien ungenügend ist, und Ewald bedauerte noch 
besonders, dass Norderney im Winter nicht gehörig besucht wird. Es ist wahrhaftig 
nöthig, dass die Berufsgenossen, welche Einsicht in die hygienischen Fragen haben, 
alles auf bieten, um sowohl Aerzte als Laien über diese wichtigen Punkte zu belehren. 
Die Resultate der Behandlung sind hier ziemlich befriedigend, wenn auch nicht so 
günstig als in den französischen Sechospizen; sie würden aber sicherlich ebenso gute 


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1- llennann Weber, Sanatorien auf Inseln und am Meeresufer. 

werden, wenn die Dauer der Kur in jedem einzelnen Falle nicht beschränkt wäre. Wir 
erinnern uns immer noch mit Freuden an einen Besuch in Berck-sur-Mer, wo Dr. Calot, 
der behandelnde Arzt in dem Pariser Hospiz, unsere Frage, wie lange er das gerade 
untersuchte, an schwerer Pott’scher Krankheit leidende Kind im Hospital behalten 
dürfe, antwortete: ein Jahr oder zwei Jahre oder so lange es nöthig ist. — So 
sollte es überall sein! 

Auch in den anderen an die Nord- und Ostsee grenzenden Staaten sind in der 
letzten Zeit Seehospize gegründet worden, in Holland, Belgien, Schweden und Nor¬ 
wegen, Dänemark und Russland; aber auch in diesen Ländern bis jetzt noch in 
ungenügender Anzahl. 

In den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika besteht bis jetzt nur in be¬ 
schränkten Kreisen grosses Interesse für Seehospize. In New-York und in Philadelphia 
sind mehrere Wohlthätigkeitsgesellschaften, welche Sanatorien für schwächliche und 
auch kranke Kinder und ihre Mütter am Meeresufer besitzen; aber die Dauer der Kur 
ist auf wenige Wochen und nur auf den Sommer beschränkt. Die St. John’s Guild 
in New-York hat auch, wie schon oben erwähnt, ein »Floating hospital and sea 
side nursery«, welches die schwachen Kinder mit ihren Müttern mehrmals in der 
Woche für H—7 Stunden auf das offene Meer und zurück fährt. Es ist dies eine 
gute Idee, aber die kurze Dauer des Aufenthalts im Sanatorium beschränkt die Zahl 
der Fahrten auf sehr wenige. Es ist selbstverständlich, dass ein Kind, welches mit 
skrophulo-tuberkulösen Affektionen der Drüsen, der Gelenke oder Knochen behaftet 
ist, nicht in einigen Wochen geheilt, wenn auch in der Allgemeingesundheit wesent¬ 
lich gebessert werden kann. Wenn einmal in Amerika die richtige Einsicht in den 
grossen Nutzen der Behandlung in Seehospitälern geweckt werden wird und zwar in 
den Kreisen, von welchen die Gründung einiger der grössten und best eingerichteten 
Hospitäler der Welt ausgeht, so werden bewundernswerthe Seesanatorien entstehen, 
zur grössten Wohlthat der armen Kinder der grossen Städte in Nord-Amerika. 


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13 


Otto Ilcubucr, Die Energiebilanz des Säuglings. 


II. 

Die Energiebilanz des Säuglings. 

Von 

Goh.-Rath Professor Dr. Otto Heubner 
in Rerlin. 

Es giebt zwei Hauptwege, auf denen die Forschung den Vorgängen bei der 
Ernährung eines Organismus, in unserem Falle des Säuglings, nachgehen kann. Auf 
dem einen verfolgt sie die Schicksale der einzelnen Stoffe, die dem Körper mit der 
Nahrung zufliessen; sie sucht zu ergründen, wie sie innerhalb dieses zerfallen 
müssen, um von seinen Innenflächen aufgenommen werden zu können, welchen Abbau 
sie sodann jenseits des Darmes in dem Blut und den Organen erfahren, zu welchen 
Körpern die Trümmer der verwertheten Moleküle wieder zusammentreten, um schliess¬ 
lich in Gestalt von einfacheren Verbindungen den Organismus, dem sie gedient haben, 
zu verlassen; sie sucht klarzulegen, in welcher Weise diese verwickelten Umsetzungen 
die Unterhaltung der Organfunktionen, das Wachsthum oder die Erhaltung des Körper¬ 
bestandes, den Fortgang des Lebens gewährleisten. Die hier aufgethürmten Räthsel 
zu lösen sind zahlreiche physiologische Chemiker seit Jahrzehnten bemüht; sie haben 
auch eine Reihe von Einblicken in den intermediären Stoffwechsel eröffnet. Aber 
wir sind doch noch weit davon entfernt, auch nur für einen Nährstoff, geschweige 
denn für die Gesammtnahrung ein klares Bild der einzelnen Glieder, die sich hier 
vom Eingang bis zum Ausgang aneinanderketten, entwerfen zu können und damit 
zu einer geschlossenen Lehre des ganzen Ernährungsprozesses zu gelangen. 

Der andere Weg sieht zunächst davon ab, welche Veränderungen mit den zuge¬ 
führten Stoffen im Innern des Körpers vor sich gehen, und begnügt sich — etwa 
wie der Generalbericht eines grossen Bankhauses — den Gesammthaushalt der Er¬ 
nährung mittels Messen und Wägen der Einnahmen und Ausgaben darzulegen und 
daraus dann den Gewinn oder Verlust, der aus den einzelnen Formen der Ernährung 
erspriesst. zu erkennen. Um bei dem Gleichniss zu bleiben, so lässt dieser Weg 
der Forschung keinen oder nur einen sehr beschränkten Blick in den inneren Ge¬ 
schäftsbetrieb thun, aber er lässt ein Urtheil darüber zu, ob das Geschäft überhaupt 
prosperiert. Das ist nun aber für den Praktiker, dem die Sorge obliegt, einen ihm 
anvertrauten Organismus richtig zu leiten, zunächst das wichtigste, und so haben die 
mit dieser Methode erlangten Resultate den entscheidensten Einfluss auf sein Han¬ 
deln ausgeübt. 

Bei der hier gewählten Betrachtungsweise lassen sich die Ernährungsvorgänge 
unter der Formel einer einfachen Gleichung zusammenfassen, deren Inhalt lautet: Die 
Zufuhr von Stoffen zum Körper ist gleich der Abfuhr aus diesem und seinem Wachs¬ 
thum. Letztere Grösse kann positiv, negativ oder Null sein. Je nachdem nimmt 
der ernährte Organismus zu, ab oder bleibt im Gleichgewicht. 

Den experimentellen Beweis der Richtigkeit dieser Gleichung — zuerst für den 
Stickstoff der Nahrung — verdanken wir dem Forscherblick und der Lebensarbeit 
Carl Voit’s. Seine bahnbrechenden Untersuchungen räumten mit der Lehre vom 



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14 Otto Heubner 

sogenannten Stickstoffdefizit auf und zeigten, dass nichts von diesem Elemente bei 
seiner Wanderung durch den Körper verloren geht. Spätere Untersuchungen lehrten 
das gleiche für den Schwefel, den Phosphor und eine ganze Zahl anderer Elemente, 
die dem Körper mit der Nahrung zufliessen. Schwieriger war dieser Nachweis für 
den Kohlenstoff und den Wasserstoff, doch wurde auch er möglich, nachdem es ge¬ 
lungen war, den ßespirationsapparat zur Messung der gasförmigen Ausscheidungen 
des Organismus anzuwenden. 

So wurde man allmählich in den Stand gesetzt, die Bilanz der stickstoffhaltigen 
und der stickstofffreien Nährstoffe, jede für sich, zu betrachten, jener grossen Haupt¬ 
gruppen, deren wesentlich verschiedene Bedeutung für den zu ernährenden Organismus 
Liebig zuerst oder doch am schärfsten erkannt und eindringlich gelehrt hatte. Seit¬ 
dem blieb der Gehalt der Nahrungsmittel an stickstoffhaltigen, insbesondere eiweiss¬ 
haltigen, und stickstofffreien Substanzen maassgebend für die Abschätzung ihres Er- 
nährungswerthes. Als die bedeutungsvolleren, ja zeitweilig als die weit wichtigeren 
wurden die ersteren angesehen, während den »Respirationscmitteln eine viel geringere 
Beachtung in der Ernährungslehre geschenkt wurde. 

Aber es lehrte doch jeder Stoffwechselversuch, dass von dem zugeführten Stick¬ 
stoff selbst im wachsenden Organismus nur ein verhältnissmässig kleiner Theil zum 
Ansatz kam, dass also auch die plastischen Nahrungsstoffe wohl noch zu anderen 
Zwecken verwendet werden müssten, als dazu, Wachsthum zu erzielen, oder den täg¬ 
lichen Verlust an stickstoffhaltiger Substanz zu ersetzen. — Als man weiter er¬ 
fuhr, dass bei der Muskelarbeit der Stickstoffverbrauch kaum gesteigert war, so 
gestaltete sich die Erklärung der Nothwendigkeit der stickstoffhaltigen Nahrung noch 
schwieriger. Denn die Thatsache dieser Nothwendigkeit war ja durch zahlreiche aus¬ 
schlaggebende Versuche ebenso wie durch die Erfahrung des täglichen Lebens ganz 
sicher gestellt. Trotzdem muss eigentlich wohl zugestanden werden, dass eine zahlen- 
mässig erschöpfende Antwort auf die Frage, warum (für den nicht mehr wachsenden 
Organismus) die tägliche Zufuhr einer bestimmten Eiweissmenge unentbehrlich ist, 
noch immer aussteht. — Die Messung der Drüsenarbeit, wie sie von Pawlow und 
seinen Schülern begonnen worden ist, verspricht vielleicht hier noch manche Auf¬ 
klärung. 

Inzwischen hatte aber ein Schüler Carl Voit’s, Max Rubner, seine Aufmerk¬ 
samkeit den bisher etwas mehr im Hintergrund der Betrachtung gebliebenen stick¬ 
stofffreien Nahrungsmitteln zugewendet. Bei dem Studium ihrer Leistungen für den 
Gesammtstoffwechsel machte er die Entdeckung, dass die beiden grossen Gruppen 
von Nährstoffen, die hier in Frage kommen, die Fette und die Kohlehydrate, in 
weitem Umfange einander in der Nahrung vertreten können, ohne dass die Ernährung 
Noth leidet. Es kommt nur darauf an, dass der dynamische Werth der Nahrung, 
die in ihr enthaltene Energie, ausgedrückt durch ihre Verbrennungswärme, auf der 
gleichen Höhe bleibt. Selbstverständliches Erforderniss ist ausserdem, dass die Nah¬ 
rung gleich gut verdaut wird. Und nur soweit dieses letztere bei zu starkem Ueber- 
wiegen des einen oder des anderen Nährstoffes nicht mehr der Fall ist, scheint der 
gegenseitigen Vertretung der beiden stickstofffreien Hauptgruppen von Nährstoffen 
eine Grenze gesetzt zu sein. Selbst der stickstoffhaltige Antheil der Nahrung, soweit 
er das unbedingt erforderliche Maass von Eiweisszufuhr übersteigt, scheint durch die 
stickstofflosen Bestandtheile ersetzt werden zu können. Diese Entdeckungen nun 
führten Rubner zu einer ganz neuen Betrachtungsweise der Ernährung überhaupt. 
Zum ersten Male fing einer der führenden Gedanken des abgelaufenen Jahrhunderts, 


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15 


Die Energiebilanz des Säuglings. 

derjenige von der Erhaltung der Energie, an, Besitz zu ergreifen von dem Ge¬ 
biete, das bisher als Lehre vom Stoffwechsel bezeichnet worden war. 

Von welcher Bedeutung diese Umwerthung des Ernährungsbegriffes für die 
Praxis schon seit Jahren geworden ist, lehren alle medicinischen Schriften über die 
Ernährung Kranker und Gesunder, in denen fast durchweg die Nahrungsmittel nicht 
mehr nur nach ihrem Gehalt an Stoffen, sondern an Energie (Kalorieen) dargestellt 
werden. 

Der erste und eigentlich einzige, der diese neuen Gedanken auf die Säuglings¬ 
ernährung zu übertragen versucht hat, ist Wilhelm Camerer. Er hat zuerst 1889 
auf der Naturforscherversammlung in Heidelberg das Nahrungsbedürfniss in der Form 
von Wärmeeinheiten darzustellen versucht, und neuestens 1 ) seine Auffassung der Er¬ 
nährung als Arbeit eingehender dargelegt. Er ist aber fast unbeachtet geblieben. 
Auch mein Versuch auf dem internationalen Kongress in Paris, diese Lehre durch 
Beibringung neuer Thatsachen weiter zu begründen und zu verwerthen, ist, wie es 
scheint, ohne tieferen Eindruck auf die Fachgenossen geblieben. 2 ) 

Trotzdem werde ich nicht müde werden, ebenso wie Camer er den Fusstapfen 
Rubner’s 3 ) zu folgen. Denn für den Fortschritt unseres Denkens und Arbeitens über 
die Säuglingsernährung sind auf diesem Wege viele und fruchtbare Anregungen zu 
Anden. 

Auch die Energiebilanz des Säuglings lässt sich in einer sehr einfachen Gleichung 
ausdrücken. Sie lautet: 

Die mit der Nahrung in den Körper eingeführte potentielle oder Kraftarbeit ist 
gleich der vom Körper geleisteten und der in ihm aufgespeicherten Arbeit. Man be¬ 
merkt aber sogleich den anderen Charakter dieser Gleichung: es wird nicht Einfuhr, 
Verbleib und Ausfuhr bestimmter Stoffe, sondern die Leistung der Zufuhr mit der 
Gesammtleistung des Organismus verglichen: an sich schon eine wesentlich klarere 
physiologische Erwägung. 

Die Zufuhr liefert dem zu ernährenden Organismus Spannungsenergie, Kraft¬ 
arbeit, die sich fasslich und erschöpfend ausdrücken lässt durch ihre Verbrennungs- 
wärme. Die Leistung des Organismus dagegen besteht zum weitaus grössten Theile 
in Bewegungsarbeit, die wieder zum grössten Theil als Wärme den Körper verlässt. 
Sie setzt sich zusammen aus den »regulatorischen« Verbrennungsprozessen, besonders 
in den Muskeln sowie in anderen Zellterritorien des Körpers, und aus mechanischer 
und chemischer Bewegung, sei es in den inneren und äusseren Muskeln, sei es in 
den Drüsenzellen, wo diese zur Verdauung, Harnabsonderung, Nerventhätigkeit, 
inneren Sekretion u. s. w. nöthig sind. Nur zu einem kleinen Theil besteht die 
Leistung des ernährten Organismus in der Aufspeicherung von Kraftarbeit, soweit 
nämlich Ansatz an den Körper erfolgt. Bei diesem Vorgänge soll nach Camerer 
eine Umsetzung von Arbeit aus dem latenten in den freien Zustand nicht erfolgen, 
vielmehr die potentielle Energie der Zufuhr als solche in der dem Stoffansatz ent¬ 
sprechenden Menge zur Ablagerung kommen. Das wird für das Fett wohl seine 
Richtigkeit haben. Aber beim Kohlehydrataufspeichern und noch mehr beim Eiweiss¬ 
ansatz vollziehen sich Spaltungen und nachher wieder Synthesen, die lebendige Arbeit 
erfordern. Man kann diese aber allerdings zur Verdauungsarbeit füglich hinzurechnen. 

i) Jahrbuch für Kinderheilkunde Bd. öl. 

*) Monti (Archiv für Kinderheilkunde Bd. 29. S. 392) hat sich sogar zu einem persönlichen 
Angriff verstiegen, den ein Schriftsteller seiner Vergangenheit füglich hätte unterlassen dürfen. 

s ) Rubner, Biologische Gesetze. Marburg 1887. 



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16 Otto Heubner 

Bedienen wir uns algebraischer Zeichen zur Bezeichnung der dargelegten Grössen, 
und nennen mit Camerer 

die in der zugeführten Nahrung enthaltene Arbeit.n, 

die zur Erzeugung der abfliessenden Wärme verwendeten Arbeit e, 
die in dem Körperanwuchs des Säuglings enthaltene Arbeit . a, 
so lautet die Gleichung 

n — e a 

für das wachsende Kind. (Es wird hierbei, der Einfachheit halber, von der äusseren 
mechanischen Arbeit (l nach Camerer), die beim gesunden jungen Säugling so gering 
ist, dass sie vernachlässigt werden kann, abgesehen). Hierbei ist nun zu beachten, 
dass von den beiden Summanden auf der rechten Seite der Gleichung e den weitaus 
grösseren Betrag darstellt Denn in ihm, d. h. also der ganzen Energie, die den 
Körper als freie oder gebundene Wärme verlässt, ist die Arbeit der Oxydationsvorgänge 
in den Zellen, das Nebenprodukt der Arbeit des Herzens, der Nieren, der Verdauungs¬ 
drüsen und Muskeln enthalten. Nach Rubner 1 ) ist beim hungernden Thier und bei 
niederer Aussentemperatur die vom Körper gelieferte Arbeit (die dann von der Körper¬ 
substanz selbst ihre Quellen bezieht) nicht wesentlich verschieden von der beim 
mässig genährten und beläuft sich bei Organismen von dem gleichen Gewicht, wie 
das neugeborene Kind, auf 88 Kalorieen pro Kilo. Bei dem von Rubner und mir 
an einem ziemlich gut wachsenden Säugling angestellten Versuche*) ergab sich, dass 
von der gesammten Energie, die dem Kinde mit der verabreichten gezuckerten Kuh¬ 
milch zufloss, nur der neunte Theil zum Ansatz benutzt werden konnte, während das 
ganze Uebrige den Körper wieder verliess. In diesem Beispiel war alsoe —88°/ 0 
von n, a = 12°/ 0 von n. 

Auf alle Fälle muss bei der Ernährung n> als e (-h t) sein, wenn ein Ansatz 
möglich sein soll, also wenn das Resultat der Ernährung dem physiologischen Ver¬ 
halten des Säuglings entsprechen soll. 

Wird n^e(+ l), so kann der Säugling leben, aber nimmt nicht zu. Das ist 
aber ein pathologischer Zustand, da normalerweise eben eine fortdauernde Zunahme 
im Säuglingsalter herrscht. Der Säugling befindet sich dann, ähnlich wie der Er¬ 
wachsene, auf »Erhaltungsdiät«. Obwohl pathologisch, kann dieser Zustand vom 
Säugling thatsächlich wochen- und monatelang ertragen werden, wie mir eine ganze 
Reihe von Beobachtungen meiner Säuglingsabtheilung im Laufe der letzten Jahre 
gelehrt haben. Ja es ist selbst nach so langer Dauer solchen Zustandes eine Behebung 
und völlige Rückkehr zum physiologischen Zustand möglich. 

Das Verhältniss zwischen den beiden Gliedern der Gleichung kann sich aber auch 
so gestalten, dass nee wird. Das kann auf doppelte Weise geschehen. Einmal 
dadurch, dass n kleiner wird; d. h. .der Nahrungswerth unter den Bedarf des Orga¬ 
nismus herabgeht. Das ist leicht verständlich. Dieser Effekt wird z. B. auch ein- 
treten, wenn eine an sich genügend energiehaltige Nahrung im Darmkanal nicht 
ordentlich ausgenutzt wird. Er könnte sich auch ereignen, wenn die Fähigkeit, die 
Nährstoffe innerhalb des Körpers bis zu den Endprodukten zu verbrennen, abnähme, 
weil dann eine pathologisch grosse Energiemenge den Körper (durch die Nieren 
hauptsächlich) unbenutzt verlassen würde. Doch haben wir für eine solche Annahme 
noch keineswegs sichere Unterlagen, auch würde ein solcher Zustand wohl schwerlich 


i) Rubner, 1. c. 

*) Zeitschrift für Biologie Bd. 38. 


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Dio Energiebilanz des Säuglings. 17 

lange ertragen werden. Die alimentäre Laktosurie lässt sich nicht ohne weiteres in 
diesem Sinne verwerthen. Endlich ergab der einzige positive Versuch, der von Rubner 
und Verfasser an einem atrophischen Kinde angestellt wurde, eine völlig normale 
Fähigkeit, die zugefiihrte Nahrung zu den Endprodukten zu zersetzen. Die C0 2 - 
Ausscheidung entsprach ganz dem zu erwartenden Betrage (Zeitschrift für Biologie 
Bd. 38). Aber, und das ist weniger einfach, auch dadurch kann n < e werden, dass 
die Grösse e (-f J) wächst, d. h. bei gleichbleibendem Energiegehalt der Nahrung die 
vom Körper zu leistende Arbeit sich vergrössert. Das ist z. B. beim Erwachsenen 
der Fall, wenn dieser anstrengende mechanische Arbeit zu verrichten gezwungen ist. 
Beim Säugling kommt das allenfalls bei grosser Unruhe in Betracht, aber unter 
normalen Verhältnissen kaum. Wohl aber kann hier die innere Arbeit, ganz besonders 
die Arbeit der Verdauungsdrüsen, eine solche Steigerung erfahren, dass (bei gleich¬ 
bleibendem Werthe von n) e grösser als n wird. 

Mag nun die Gleichung auf die eine oder andere Weise gestört werden, unter 
allen Umständen muss der an n fehlende Betrag ergänzt werden, und damit muss 
eine neue Grösse in der Gleichung auftreten. Der Organismus selbst giebt von seinem 
Bestände einen mehr oder weniger grossen Antheil her, dessen Zersetzung alsdann 
die für das Leben nöthige Arbeit mit liefern hilft. Camerer bezeichnet diesen 
Werth mit k (Körpersubstanz), die Gleichung lautet dann n -(- k = e (- 1 - l). 

Das Leben bleibt ermöglicht, aber der betreffende Organismus nimmt jetzt an 
Gewicht ab. 

Es dürfte aus diesen wenigen Auseinandersetzungen hervorgehen, wie wichtig 
es für das Verständniss des ganzen ErnährungsVorganges sein müsste, die einzelnen 
Glieder der Energiegleichung im konkreten Falle messen und in bestimmten Zahlen 
ausdrücken zu können. Im Prinzip müsste die Arbeitsgrösse des Körpers e , die ganz 
und gar in Form von Wärme diesen verlässt, sich ohne Verlust kalorimetrisch er¬ 
mitteln lassen. Ein unvollständiger derartiger Versuch ist auch von Langlois 1 ) 
bereits einmal gemacht; aber die Wiederholungen scheiterten noch an den praktischen 
Schwierigkeiten. Man hat sich im allgemeinen damit geholfen, diese Grösse bei 
gesunden gut zunehmenden Säuglingen nach dem Kalorieenwerth der Nahrung zu 
schätzen. Da man aus der Grösse a (dem täglichen Wachsthum) annähernd 2 ) die 
aus der Nahrung im Körper aufgespeicherte Energie berechnen kann, so ist es in 
der That möglich, wenn n bekannt ist, daraus und aus a die Grösse e wenigstens 
ungefähr zu ermitteln, 7 da n — a --=e. 

Nun ist aber selbst der Energiewerth der Nahrung bisher noch keineswegs sehr 
eingehend erforscht. Gerade an diesem Punkte lässt sich aber zuerst und verhältniss- 
mässig am leichtesten der Hebel ansetzen. Denn bei der Säuglingnahrung haben 
wir es mit einer im ganzen recht gleichmässig zusammengesetzten und einförmigen 
Zufuhr zu thun, deren Energiebetrag nicht nur berechnet, sondern auch ohne grössere 
Schwierigkeiten durch den Verbrennungsversuch direkt festgestellt werden kann. 
Dieser aber giebt natürlich ungleich zuverlässigere Werthe, als die Berechnung nach 
der chemischen Zusammensetzung. 

In der Milch z. B. finden sich ja gewisse unbekannte Stoffe, in der der Frau von 
nicht zu vernachlässigender Menge, deren Energiewerth noch gar nicht berechenbar 


') Centralblatt für Physiologie 1887. 

2 ) Genauer wird dieses möglich sein, wenn man erst die quantitative chemische Zusammen¬ 
setzung des Säuglings genau kennen wird, worauf durch Camerer’s neuere Arbeiten Aussicht vor¬ 
handen ist. 


Zeitschr. f. diät. u. pliysik. Therapie Bd. V. Heft 1. 

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18 


Otto Hcubner 


ist; ferner ist es fraglich, ob für das Milcheiweiss, auch für Milchfett, die allgemein 
zur Rechnung benützten Zahlen ohne weiteres gültig sind. — Es liegen aber zur 
Zeit solche direkte Bestimmungen (mittels der Verbrennung in der Berthelot’schen 
Bombe) sowohl für gewöhnliche gute Handelsmilch, wie auch für Frauenmilch vor. 
Sie stammen von Rubner 1 ). Die Frauenmilch stammte von zwei verschiedenen 
Frauen, von denen die eine eine fettarme, die andere eine fettreiche Milch lieferte. 
Der Energiegehalt der ersteren wurde zu 614,2 grossen Kalorieen pro Kilo, derjenige 
der letzteren zu 723,9 Kalorieen bestimmt. Die Bestimmungen verschiedener Kuh¬ 
milchsorten bewegten sich zwischen 622 und 690 Kalorieen pro Kilo. — Bei den 
folgenden Untersuchungen ist die Muttermilch zu rund 650, die Kuhmilch zu 670 
Kalorieen im Kilo angesetzt. — Ausser diesen Bestimmungen hat Herr Professor 
Rubner auf meine Bitte die Güte gehabt, noch einige Gemische, die auf meiner 
Klinik bei der Ernährung kranker Säuglinge zur Verwendung gelangen, auf ihren 
Energiegehalt zu bestimmen. Ich erwähne aus diesen Bestimmungen, dass im Liter 
der Lieb ig’sehen Suppe, wie sie nach Keil er’s Vorschrift jetzt zubereitet wird, 
808 grosse Kalorieen enthalten sind; die gleiche Menge Buttermilch, nach de Jager 
zubereitet, enthält 698 grosse Kalorieen, ein Liter Allenbury - Mischung (No. I.) 
enthält 546 Kalorieen, ein Liter Mehlsuppe aus Rademanns Mehl (ohne Milch; 
5°/ 0 ig) 195 Kalorieen, ein Liter Eselsmilch*) (von Hofrath Dr. Klemm in Dresden 
gütigst zur Untersuchung übersandt) 502,5 Kalorieen. Ist man im Besitz dieser 
Zahlen, so handelt es sich nur um die genaue Messung des täglich vom Säugling 
genossenen Volumens oder auch Gewichtes der betreffenden Nahrung, um einen 
Ueberblick über den Energiewerth der Zufuhr zu bekommen. Da es sich um die 
Ernährung eines wachsenden Organismus handelt, also eines regelmässig sich ver¬ 
ändernden, so darf man, wenn man grössere Zeiträume der Ernährung oder ver¬ 
schiedene Kinder unter einander vergleichen will, nicht die absolute Quantität der 

täglichen Zufuhr als Maassstab wählen, sondern muss ein konstantes Verhältniss, 

also z. B. die Grösse der Kalorieenzufuhr, die auf ein Kilo Kindskörper kommt, 
dazu benutzen. Diese Grösse mag der Energiequotient der Nahrung heissen. 
Bekommt also z. B. ein Säugling von 7,6 Kilo eine tägliche Energiezufuhr von 620 

Kalorieen, so ist der Energiequotient ~ = 81,6 Kalorieen. 

< ,b 

Es handelt sich nun darum, will man weitere Aufschlüsse nach dieser Richtung 
erhalten, diesen Energiequotienten in einer möglichst grossen Zahl von Einzelbeobach¬ 
tungen festzustellen. Aus diesen wird sicli dann ergeben, ob diese Zahl eine gewisse 
Konstanz hat, wie hoch sie sein muss, um Ansatz zu erzielen, ob verschiedene Sorten 
von Nahrung in dieser Beziehung verschiedenwerthig sind u. v. a. 

Voraussetzung dabei ist aber, dass diese Untersuchungen an gesundeu Säug¬ 
lingen vorgenommen werden, von denen man voraussetzen kann, dass die zugeführtc 
Nahrung in dem normalen Prozentsatz zur Aufsaugung gelangt (zu etwa 91 % der 
dargebotenen Energie, vergl. Rubner und Heubner, Zeitschr. für BiologieBd.38). 
Denn trifft diese Voraussetzung nicht zu, so würde die Rohzufuhr gar nicht mehr 
als Maassstab zu gebrauchen sein, müsste vielmehr in jedem einzelnen Falle die 
Resorptionsgrösse vorher bestimmt werden, was ja bekanntlich ein umständliches 


i) Zeitschr. tür Biologie Bd. 36. 

-') Diese stammte von einer Eselin und war so gewonnen, dass vom Anfang, der Mitte und 
dem Ende des Melkens Proben zusammengemischt waren. 



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Die Energiebilanz des Säuglings. 


19 


Verfahren ist. Hat man aber gesunde, d. h. durch die ganze monatelange Beobach¬ 
tungszeit hindurch gut gedeihende Kinder vor sich, so darf man auch voraussetzen, 
dass die Aufsaugung keine Abweichungen darbieten kann, und darf die Bruttoein¬ 
nahme ganz wohl zum Vergleiche mit anderen Grössen verwenden. 

Nun sind freilich Beobachtungen, die eine Untersuchung in dem eben bezeich- 
neten Sinne durch einen grossen Theil der Säuglingszeit oder durch das ganze erste 
Jahr hindurch zulassen, in der Litteratur nur erst äusserst spärlich vorhanden. Denn 
es genügt ja nicht nur eine Tag für Tag fortgesetzte genaue Feststellung der zugeführten 
Nahrungsmenge, sondern es muss auch die Zusammensetzung so genau bekannt 
sein, dass eben die Umrechnung der Stoffe in Energie möglich ist. In dieser Be¬ 
ziehung fehlt leider in manchen sonst sehr sorgfältigen Aufzeichnungen die genaue 
Angabe des zugesetzten Zuckers, was sie natürlich ohne weiteres unbrauchbar macht. 
Ausserdem muss eine wenigstens allwöchentlich vorgenommene Gewichtsbestimmung 
vorhanden sein. 

Für die künstliche Ernährung ist es mir in der Litteratur nicht gelungen eine 
fortlaufende Beobachtung aufzufinden, wohl aber einige über ein paar Monate sich 
erstreckende Fragmente. Dagegen verdankeich der Güte des Herrn Doc. Dr. Finke 1- 
stein zwei und der der Herren Camerer-Söldner eine über ein Jahr fortlaufende 
Beobachtung, die allen obigen Anforderungen genügt. Für die natürliche Ernährung 
habe ich die bekannte Ernährungsgeschichte des Kindes von Feer 1 ), die einzige 
erschöpfende Beobachtung über eine Säugungsperiode von Anfang bis Ende, be¬ 
nützen können. 

Die Untersuchung der einzelnen Fälle wurde nun in der Weise ausgeführt, 
dass jede Woche des Lebens eine Periode bildete, für die 1. jedesmal das mittlere 
Gewicht, 2. jedesmal der Energiequotient der zugeführten Nahrung nach der oben 
angegebenen Methode bestimmt wurde. Gleichzeitig wurde das Volumen notiert, in 
dem die gesammte Energiemenge täglich dem Kinde zugeführt wurde. 

Diese drei Grössen wurden in Kurven eingetragen, und so entstanden die Dia¬ 
gramme, die nunmehr erläutert werden sollen. Die obere schwarze Linie stellt die 
Wachsthumskurve dar, die untere schwarze Säule den Energiequotienten, die Höhe 
der blassen Säule bedeutet das Volumen der täglich gereichten Nahrung. Die Wachs¬ 
thumskurve ist im Original auf gutes Millimeterpapier eingezeichnet, um genau 
gleiche Zeiten (jeder Millimeter der Abscisse = 1 Tag) auf die Gewichtszunahmen 
zu beziehen. Immerhin sind die Kurven nur unter einander zu vergleichen, da die 
Bedeutung des Millimeters der Ordinate = 50 g willkürlich ist. 

Betrachten wir zuerst das Diagramm, das den Gang der Ernährung an der 
Mutterbrust darstellt (Feer): Fig. 1. 

Während des ersten Lebensvierteljahres beträgt der Energiequotient durchweg 
entweder über 100, meist erheblich darüber, oder gerade 100. Eine Ausnahme 
macht nur die erste Woche (die Energiemengen der Anfangsmilch sind nach den 
Analysen vonCamerer und Söldner berechnet), während deren die mittlere Zufuhr 
50 Kalorieen pro Kilo beträgt Während dieser Zeit nimmt der Säugling 50 g 
(Mittelzahl) ab. Von der zweiten Woche an aber steigt die Gewichtskurve steil an 
(Linie No. I), so dass der Winkel, den sie mit der Abscissenachse bildet, 39°45' 
beträgt *). 


>) Jahrbuch für Kinderheilkunde Bd. 42. S. 195. 

*) Die Sekunden sind bei der Ablesung am Transporteur geschätzt. 



2 * 

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OttoHeühiict- 


In <lem zweiten:■ Lebensvierteljahr (von der 12. Ws etwa 24. Woche) sinkt der 
Eiiergieiiuotient gut)* alhttältlieji. Die Meuten vön Nahrung, dk die Mutterbrissf 
liefert, bleiben zwar die gleichen' wk vorher ümgefidtr 1 I.iterJ, aber die Milch - 
Sekretion, nimmt nicht in gleichem \"mh;i!tnk:W‘ wie - das Wamst hum zu — daher 
das Sinke» des Knemk'.tjwoticinen. Ili> zur 18. Woche »*>« )> annähernd l<»0. ge«,!, 
er ilutifl auf ÜO herilöter und in der 2S ? Woche auf 80. Die Gewichtszunahme des 
Kindes .gebt Stetig weiter alter in weniger steiler Kurve. Di© fdhie No. II' bildet 
mit der Absrisse einen Winkel von- 22" 4.V. 


< ira/oi* 


iK '-JKU5 I^yjyv y /t i 




»**4 






EiUT^icJiüfuJir hvi natürlicher Ernährung an der Mwttcrbnist 


Im dritte» Lebens Vierteljahr itex Ihiroet öoeh annähernd gleichem Volumen 

der Niahritng — ideiltf der .lij«ii'gie«|HC<t.iiiuf: auf wenig über 80 Kaloriken stehen 
und zwar bis zur :l}$. Woche. 3» det 2'». Woche sinkt er sogar auf Tr Kahmeen. 
Danach /füllt die Gewjciit.skucv»' ein wenig, steigt aber doch nachher wieder an. aber 
mit der geringsten Geschwindigkeit. Dk-se dril-te-(nicht das ganze dritte tjuartnl 
timtassöMde)ciWnude kf, wm (las Gedeihen des Kinde.': uu langt, die unrollkoimuenst«. 
i*iv Ltiiie 3M, die diesen Theil der Kürjre vertritt, bildet mir der Ahseisse einen 
Winkel von 7" )?*'. 

In de! vierte»' l'emxic der DcolütciifUhe ''beginnt die ?dild.sekK-tiim sich zu 
iimitlerm tttt> allmählich (he zur Di. Wucht-) shi versiege«. Jetzt tritt, die Nothweudig- 
keit rin,.Mhugel fldfeh Zugabe von Kuhmilch änszüglejchen. Iter 
Ihuirgie.)•«•»Gent ••iT>kt io der :-;s. Woche .••nl Unter btt,, hebt srth «her darin wieder 
auf 75. l»ic Gewiciirskorve heM sich unter ^vhwjtöktuigen nubsig rasch, aber immer 


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Die Energiebilanz des Säuglings. 


•21 


noch besser als in der dritten Periode. Der Winkel, den die Linie IV mit der 
Abscisse bildet, beträgt 14°. 

Die eigentliche Wachsthumsintensität finden wir für die verschiedenen Perioden, 
wenn wir die Tangenten der vier Winkel bestimmen 1 )- Es ergiebt sich dann 
für Periode I eine Wachsthumsintensität = tang / 39° 4 5' — 0,8302 

» » II s » = tang _/ 22° 45' — 0,4061 

» > s III » » — tang /_ 7° 10' ----- 0,1246 

» » IV » » —- tang / 14° ^ 0,2493. 

Wir finden also in der ersten Periode eine siebenmal grössere Wachsthums- 
intensität als in der dritten, obwohl der Energiequotient nicht entfernt etwa in 
gleichem Maasse sinkt. Das ist ein recht klarer Ausdruck dafür, dass das Wachs¬ 
thum beim Säugling nur mit einem verhältnissmässig kleinen überschiessenden Theil 
der dem Kinde zugeführten Energie, bewerkstelligt wird und nicht eher möglich 
ist, als bis der für das Leben nothwendige Bedarf gedeckt wird. Bei einem dürftig 
an der Brust ernährten Kinde fanden Rubner und ich in einem siebentägigen 
Versuch, dass dieses bei einem Energiequotienten von 70 Kalorieen sich gerade 
auf seinem Bestand hielt, ohne zuzunehmen. Setzen wir diesen Werth in obigem 
Falle als Nothbedarf für die Erhaltung ein, so steigt in der ersten Periode der 
Ueberschuss auf circa 50 Kalorieen, in der dritten Periode im Mittel auf 
7—8 Kalorieen. Das ist das nämliche Verhältniss, wie es in der Verschiedenheit 
der Wachsthumsintensität sich abspiegelt. Es dürfte kaum ein Fehlschluss sein, 
wenn man annimmt, dass die beinahe gesetzmässige starke Ermässigung der Wachs¬ 
thumsgeschwindigkeit der Brustkinder im dritten Lebensvierteljahr mit diesem phy¬ 
siologischen Missverhältniss zwischen steigendem Körpergewicht und Gleichbleiben 
oder Abnahme der Spannungsenergie, die die Mutterbrust liefert, in kausalem Zu¬ 
sammenhang steht. 

Die zweite Beobachtung (Fig. 2) reicht von der 7. bis zur 36. Woche. Die 
Nahrung bestand zur Hälfte, später zu einem Drittel aus verdünnter Kuhmilch mit 
Mehl- und Zuckerzusatz. Sowohl Quantität wie Zusammensetzung waren für jeden 
Tag genau bestimmt und damit berechenbar. Die gereichten Volumina beliefen sich 
bis zur 22. Woche auf 1 Liter pro Tag, später auf 1100 bis 1200 ccm. 

Das Kind weiblichen Geschlechts war mit annähernd normalem Gewicht ge¬ 
boren (3100 g), nahm anfangs bei einer wenig milchreichen Amme langsam zu, dann 
unter Beinahrung gut; unter einer zweiten Amme erfolgte wieder Abnahme, so dass 
es Anfang der 7. Woche auf einem Gewicht von 3950 g stand. Nun folgt der dar¬ 
gestellte Ernährungsversuch 7.-36. Woche. Von der 37. Woche an wurde nicht 
mehr genau gemessen, aber nach der gleichen Methode weiter ernährt. Am Jahres¬ 
ende wog die Kleine 11500 g, und befand sich im 14. Monat in blühendem Gesundheits¬ 
zustand, ohne Zeichen von Rachitis. 

Man kann an diesem Diagramm, wenn man nicht zu sehr ins Detail eingehen 
will, etwa drei Perioden des Wachsthums unterscheiden, ausgedrückt durch die 
Linien I von der 7.-22. Woche, Linie II von der 23.-33. Woche und Linie III die 
34.-36. Woche umfassend. Von der 7.—11. Woche betrug der Energiequotient 


i) Alle diese Zahlen haben natürlich nur für die hier gewählte Registriemiethode Geltung, 
wo, wie gesagt, in den Originalkurven ein Millimeter der Ordinate = 50 g, ein Millimeter der Abscisse 
= 1 Tag ist. — Nur aus Kurven, die in dieser Weise gewonnen sind, lassen sich mit den hier ge¬ 
gebenen Wcrthcn vergleichbare Zahlen ableiten. 


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Original fro-m 

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Ott»r Hrufmc» 


anfangs 135 Kulorieen, und sank in 4 Wochen bei gleichbleibendor -Zufuhr auf .126; 
Als ia der «6. Woche durch stärkere Konzert tration der Nabrong der frühere Quotient 
wieder erreicht war, trat Dyspepsie ein,- so dass 4ie ^t‘8dhning unter .massigem 
öevfiditsriicbgaug uüierbfodjen werden musste. 0ie Jiabrnng wurde mtjsi qualitativ 
^eäßdert) aber so, dass der EnergiegidihU der gieiehe Idieh und mit zußtdtrjjendetn 
öe^ichic immer ein wenig verstärkt (■/•• — v ,'. 1 Milch mit Milchzucker und Ktjfecko- 
raehl). So blieb also der 'Energiequotient bis zur .41. Woche immer erheblich 
über ICK), zwischen 125 und 135 kalorieen. 




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In der -32. —34. Wodte. gelang es utchf mehr den QucdienteQ iibe? l<w» zu 
hringeu, erst als das Kind in der 35. Woche Vollmilch mit MÜchzurker und Kuferke- 
rucltl bekam, stieg es wieder auf die frühere l|«hc. 

.Das.- Wachstlmiü des Kindes vollzog sich in dev:Wc>-c. dass es int Anfang der 
Begtehtungszeit am langsamsten war. Linie 1 bildet mit der Absehse einen Winkel 
von 22" 45' ; in der zweiten Periode wurde es >ehor> rascher, Linie II läuft unter 
einem.- Wickel von ?t> !Ut\ endlich während der letzten Wochen steigt die Linie ganz 
steil a.ß, dsfö Gew ieht aübiutviö drei Wochen um l kg zu. f>-eiWeh ging,- dasWöchs- 
thuui nicht bis zum Ende des Wahres, in gleichem Tempo weiter, du auf dessen letzte 

AVmTu'ii also ufw iiöcii die Hälfte 


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Die Energiebilanz des Säuglings. 23 

des von der 34.-36. Woche beobachteten Ansatzes kommen. Aber es ist für diese 
Zeit auch nicht bekannt, ob eine weitere Aufrechterhaltung des bisherigen Energie¬ 
quotienten möglich war. Wahrscheinlich ist es nicht. 

Die Wachsthumsintensität beträgt: 

von der 7.—22. Woche (tang. /_ 22° 48') 0,4142 

> > 23.-33. » (tang. / 26 <> 30') 0,1986 

* » 34.-36. » (tang. / 45« 12 7 ) 1,0180 

Vergleichen wir damit das Verhalten des Brustkindes, so ergiebt sich W. I 
(Wachsthumsintensität): 

Brustkind Flaschenkind 
7.—14. Woche . . . 0,8302 0,4142 

23.-33. » ... 0,1246 0,4986 

34.-36. > ... 0,2493 1,0180 

(43.) 

Hinzugefügt sei noch, dass das Brustkind von der 37.—52. Woche um 1200 g 
(von 8700 auf 9950), also etwa Vs Mal so viel als das Flaschenkind zunahm. 

Der Vergleich beider Beobachtungen bietet interessante Ergebnisse. Es fragt 
sich nur, da wir es nicht mit denselben, sondern mit verschiedenen Individuen zu 
thun haben, ob ein Vergleich überhaupt statthaft ist, da ja eine grosse Verschieden¬ 
heit in der angeborenen Verdauungskraft vorliegen könnte. Dieser Einwurf ist aber 
mindestens mit grosser Wahrscheinlichkeit als unbegründet zu bezeichnen. Das 
Flaschenkind war ein mit niedrigerem Gewicht als das Brustkind geborenes Mädchen, 
das Brustkind, ein Knabe, offenbar von ganz gesunden kräftigen Eltern abstammend, 
war auch während der ganzen Säugungsperiode nie nennenswerth krank. Auch wird 
die Beobachtung III lehren, wie sich ein wirklich schwach veranlagtes Kind bei der 
hier zur Anwendung kommenden Methode der Untersuchung darstellt. Es liegt also 
nicht der geringste Grund zu der Annahme vor, dass das Wachsthum des Knaben 
aus inneren Gründen ein geringeres hätte sein sollen, als das des Mädchens. 

In der ersten Periode der Ernährung ist ja auch das Brustkind dem Flaschen¬ 
kind um das Doppelte überlegen. Fragen wir uns jetzt, wie es da um den 
Energiequotienten stand, so sehen wir, dass diese Periode beim Brustkinde dadurch 
ausgezeichnet war, dass der betreffende Quotient hoch war, unausgesetzt über 100, 
zeitweilig bis über 125. 

Er ist aber nicht höher als bei dem Flaschenkind in der nämlichen 
Lebensperiode, und trotzdem steht das letztere dem ersteren um die Hälfte an 
Wachsthumsintensität nach. In diesem Falle sehen wir nun, wie auch die Betrachtung 
der Säuglingsernährung vom Standpunkte der Energielehre die Ueberlegenheit der 
natürlichen Uber die künstliche Ernährung auf das deutlichste vor Augen führt. Es 
fragt sich, ob diese Lehre den Sachverhalt auch zu erklären vermag. 

Bis in die neueste Zeit hat man die Schwierigkeit bei der Ernährung mit 
Kuhmilch in ganz einseitiger Weise in dem grösseren Eiweissgehalt dieser gesehen, 
der noch dadurch erschwerend wirken sollte, dass das Kasein der Kuhmilch ein ganz 
anderer chemischer Körper sein sollte, als das der Frauenmilch und deshalb der 
Verdauung im Darme viel erheblichere Hindernisse entgegensetzen sollte. So ent¬ 
stünden schon im Magen die groben »Kaseinflocken«, die den Darmsekreten nicht 
zugänglich sein sollten, es käme zum schädlichen Nahrungsrest u. s. w. Diese 
Lehre muss fallen gelassen werden. Ich sehe ganz von den chemischen Streitigkeiten 


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Original ffom 

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24 


Otto Heubner 


betreffs des Kasein ab, die übrigens auch noch nicht geschlichtet sind, seit der 
Schüler eines der besten Eiweisskenner (Kühne) Otto Cohnheim 1 ), die chemische 
Verschiedenheit des Frauen- und Kuhmilchkase'ins noch als ganz unbewiesen be¬ 
zeichnet. Aber Monti 2 ) und Schlossmann 3 ) mögen noch so lebhaft protestieren, 
sie werden damit die Thatsache nicht aus der Welt schaffen, dass alle Unter¬ 
suchungen aller exakten Forscher, die am lebenden gesunden Kinde die Frage ge¬ 
prüft haben, zu dem Resultate gelangt sind, dass das Eiweiss der Kuhmilch ganz 
ebenso gut vom gesunden Säugling ausgenutzt wird, wie das der Frauenmilch«). 
Sogar bei vielen darmkranken Kindern hat man das Nämliche’gefunden. Also darin 
kann die Lösung der auch in praktischer Beziehung hochwichtigen Frage nicht 
gesucht werden. Eher könnte man an das Fett denken. Die voluminösen 
Stühle der Kuhmilchkinder bestehen in der Hauptsache aus anorganischen Salzen, 
Fettseifen und Fett (nicht aus Eiweiss). Aber die absolute Menge des unverdauten 
Fettes ist doch so gering, dass auch dieses keine Rolle spielen kann. Dieses Defizit 
steckt eben in den 9% Kalorieen, die bei jedem normalen Kinde (auch dem Brust¬ 
kinde), wie schon oben erwähnt, von der Roheinfuhr durch -nicht völlige Aus¬ 
nutzung (Koth) oder noch energiehaltige Stoffwechselprodukte (Urin) zu Verlust 
gehen. 

Da also die Energiezufuhr bei unserem künstlich genährten Kinde nicht durch 
mangelhafte Ausnützung so vermindert worden sein kann, dass mit den beim Brust¬ 
kind ebenso wie beim Flaschenkind für den Ansatz am Körper disponiblen 50 bis 
60 Kalorieen potentieller Energie das Flaschenkind nur halb so schnell gewachsen 
ist als das Brustkind, so muss die Frage einfach so lauten: wo steckt die Arbeit 
des Flaschenkindes, die es verhindert hat, den gleichen Betrag von Energie im 
Körper aufzuspeichern wie das Brustkind? Da es sich in beiden Fällen um Kinder 
wohlsituierter Eltern handelte, so ist nicht anzunehmen, dass das Flaschenkind etwa 
infolge häufiger Abkühlungen (s. Rubner, biologische Gesetze) zu einer erhöhten 
Zersetzung von Stoffen in seiner Muskulatur genöthigt worden wäre. Auch spricht 
dagegen, dass das Flaschenkind in den späteren Perioden mit seiner Zufuhr sehr 
guten Ansatz bewirkt hat. Auch stärkere mechanische Arbeit wird das Flaschen¬ 
kind (das ja auch in der ersten Periode, von der wir jetzt sprechen, ganz gesund 
war) kaum geleistet haben, als das Brustkind. — Es bleibt also unter den bis jetzt 
(hauptsächlich durch die Rubner’schen Untersuchungen) bekannten Arbeitsgebieten 
des Organismus nur die Drüsenarbeit und die Verdauungsarbeit übrig. Hier¬ 
unter ist nicht nur die Spaltung des Eiweisses und Fettes im Darm mit der Sekretion 
der hierzu nöthigen Verdauungssäfte und die Aufsaugung der gelösten Spaltungs- 

J) Chemie der Eiweisskörper. Braunschweig 1900. S. 178. 

2 ) Verhandlungen der pädiatr. Sektion des internationalen Kongresses in Paris. Archiv für 
Kinderheilkunde Bd. 31. S. 29. 

3 ) Archiv für Kinderheilkunde Bd. 30. S. 340. Es ist auch unrichtig, wenn Schlossmann mcint> 
diese Thatsache widerspreche der täglichen Beobachtung. Die tägliche Beobachtung lehrt nichts 
weiter als dass manche schwache Säuglinge die Kuhmilch schlecht vertragen, mag sic mehr oder 
weniger stark verdünnt sein. Die unerlaubte Interpolation, die an dieser Thatsache geübt 
wird, besteht nun darin, dass sic mit der mangelhaften Verdauung des Kuhmilcheiweisses im 
Säuglingsdarm erklärt, dann aber die Erklärung so mit der Erfahrungsthatsache verquickt wird, 
dass jene selbst eine Thatsache zu sein scheint. Das ist aber eine petitio principii, der eben die 
Resultate der Untersuchungen widersprechen. 

«) Als neuesten dieser Forscher führe ich Praussnitz’ Schüler Paul Müller an: Zeitschrift 
für Biologie Bd. 39. S. 47. r >. 



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Die Energiebilanz des Säuglings. 2’> 

Produkte zu verstehen, sondern auch die weitere Verarbeitung der Nährstoffe jenseits 
des Darms in der Leber und anderen Territorien des Organismus, ihre intermediären 
Spaltungen und Synthesen. — Diese Arbeit muss es sein, die von der Muttermilch 
in wesentlich geringerem Grade beansprucht wird, als bei der künstlichen Ernährung. 
Sie ist bis jetzt beim Säugling noch niemals gemessen worden. Man weiss aber durch 
experimentelle Feststellungen (s. Rubner 1. c. S. 27), dass man bei geeigneter Ein¬ 
richtung des Versuches (Ausschaltung niedriger Aussentemperatur) durch die Nahrungs¬ 
aufnahme die C0 2 -Ausscheidung um 12—35% steigern kann. Diese Vermehrung 
kommt lediglich auf die grössere Verdauungsarbeit (nicht etwa auf die Verbrennung 
der Nährstoffe, diese ist ja genau so gross im Hungern, nur dass da die Körperstoffe 
verbrannt werden statt zugeführter Nahrung). Diese nämliche Beobachtung konnten 
wir an den von uns im Respirationsapparat gemessenen Säuglingen machen 1 ). Wo 
aber mehr Kohlensäure ausgeschieden wird, wird mehr Wärme gebildet, welche ab- 
fliesst und dem Wachsthum des Kindes nicht zu gute kommen kann. Wir be¬ 
kommen mithin in unserer obigen Gleichung ein Anwachsen von e , bei gleich¬ 
bleibender Grösse von n, da aber n — e + a, so muss, wenn e grösser wird, a, d. h. 
das Wachsthum, abnehmen. 

Soweit also bis jetzt unsere Kenntnisse Uber den Energiehaushalt reichen, werden 
wir annehmen dürfen, dass eine Ernährungsweise, die bei gleichem Energiewerth 
der Nahrung einen besseren Ansatz bewirkt als eine andere, dieses dadurch thut, 
dass sie die Verdauungsarbeit vermindert. Das ist nicht identisch mit dem 
Begriffe der Verdaulichkeit überhaupt, denn verdaulich bleibt eiD Nährstoff so lange 
er ohne erheblichen Rest in den Säftestrom aufgenommen wird, gleichgültig wieviel 
Arbeit er den Drüsen verursacht. Durch diese grössere Arbeit braucht auch garnicht 
unbedingt eine Krankheit zu entstehen. Aber je mehr die Verdauungsarbeit sich 
mindert, um so mehr bleibt für den Ansatz am Körper übrig. Es ist sehr möglich, 
dass eine Nahrung, die nicht sklavisch der Muttermilch, soweit das überhaupt mög¬ 
lich ist, in Bezug auf deren chemische Zusammensetzung nachgebildet ist, diesen 
Anforderungen besser entspricht als manche künstliche Nahrung, die sich mit ihrer 
Muttermilchähnlichkeit brüstet *). 

*) Vergl. Zeitschr. für Biologie Bd. 36 u. 38. Berliner klinische Wochenschrift 1899. No. 1. 

-) Man muss sich aber hüten, aus der hier sehr deutlich erkennbaren Verschiedenheit des 
Verhaltens gegenüber der natürlichen und künstlichen Ernährung eine Regel konstruieren zu wollen, 
für die etwa immer die gleichen Zahlen gelten würden. Es giebt vielmehr Kinder, die bei sehr 
sorgfältiger Ueberwachung und Dosierung der künstlichen Ernährung mit einer solchen beinahe so 
gut wirthschaften, wie es in dem oben geschilderten Falle das Brustkind vermochte, so dass die 
Differenz in der Zahl viel geringer wird, wenn sie auch immerhin noch erkennbar bleibt. Hierfür 
bin ich sogar in der Lage den direkten Beweis zu erbringen mit einer Beobachtung, die erst nach 
Fertigstellung dieser Abhandlung mir zugänglich gemacht wurde. (2. Fall Fink eist ein). 

Sie betrifft einen Knaben, mit dem Gewicht von ungefähr 3250 g geboren, und von der dritten 
Woche an genau beobachtet und in quantitativer und qualitativer Hinsicht höchst sorgfältig gefüttert. 

Zubereitung der Nahrung nach Soxhlet: 

Mischung in der 3. u. 4. Woche 250 Milch auf 500 Reiswasscr mit Milchzucker (15 g Reis 40 g Zucker) 


von 

5. 

Woche 

an 

300 Milch auf 450 g Mischung 


11. 

» 


400 

» 

» 450 » 



13. 

» 

» 

500 

» 

» 400 « 



21. 

h 

» 

600 

» 

» 450 » 

» 

» 

23. 

» 

» 

750 

)) 

» 450 >> 


» 

28. 

u 

» 

800 

)) 

» 400 )* 



32. 

V 

» 

900 

» 

» 300 » 


» 

36. 

J> 

» 

950 

» 

» 250 » 


» 

39. 

J> 

j» 

reine Milch, 1 Liter, u. 

Suppe; später gemischtere Nahrung. 

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Original fro-m 

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26 


Otto Hcubner 


Gehen wir jetzt zur zweiten Periode des künstlich genährten Säuglings über, 
so sehen wir, dass die Wachsthumsintensität gegen die erste etwas sich hebt. Aber 
der Unterschied ist nicht bedeutend, das Verhältniss ist wie 6:7. In dieser ganzen 
Zeit bewegt sich das Wachsthum in einer Kurve, die der zweiten (zum Vergleich 
nicht mit herangezogenen) Periode des Brustkindes entspricht. Noch immer ist aber 
die Ueberlegenheit der Muttermilchnahrung zu erkennen, denn dieses nimmt mit 
einem Energiequotienten von 80—100 Kalorieen von der 14.—24. Woche noch immer 
annähernd so reichlich zu, wie das Flaschenkind von der 7.-33. Woche mit einem 
solchen von 125—135 Kalorieen. Erst als der Quotient beim Brustkinde auf 75—80 
sinkt, wird ihm das Flaschenkind mit seiner viel grösseren Energiezufuhr überlegen. 

Jetzt sinkt die Raschheit des Wachsthums auf den vierten Theil desjenigen, 
welches der künstlich genährte Säugling noch weiterhin darbietet. Vergleichen wir 
hier wieder die Energiemengen, die in beiden Fällen übrig bleiben, nachdem die 
70 zur Erhaltung des Lebens nothwendigen Kalorieen vom Energiequotienten abge¬ 
zogen sind (s. S. 21), so bleiben während dieser Periode dem Brustkinde 5—10 
Kalorieen, dem Flaschenkinde 55—65. Es ergiebt sich daraus, dass auch in dieser 
Zeit das Brustkind noch immer in der Lage gewesen ist, mit grossem Vortheil'zu 
wirthschaften. Denn die disponible Energie war dort achtmal grösser. 

In der letzten Periode (drittes Quartal des ersten Lebensjahres) tritt in beiden 
Beobachtungen eine Aenderung des bisherigen Verhaltens ein. Das Brustkind wird 
jetzt zu einem sehr erheblichen Antheil auch mit Kuhmilch ernährt. Der Energie¬ 
quotient erhebt sich aber nicht mehr über 75 Kalorieen. Trotzdem wird die Wachs¬ 
thumsintensität jetzt wieder höher, doppelt so gross als vorher. Ganz ebenso ist cs 
mit dem Flaschenkind. Der Energiequotient wird namentlich gegen das Ende der 
Beobachtung hin wieder auf die frühere Höhe gebracht und nunmehr iibcrtrifFt die 
Wachsthumsintensität die vorherigen um mehr als das doppelte. Beide Kinder 
wirthschaften jetzt also mit der zugeführten Energie besser, als im ersten 
Lebenshalbjahr. — Das kann nichts anderes bedeuten, als dass die Grösse e in der 
Gleichung n - e -f- a ab nimmt, sei es dass die Verdauungsarbeit jetzt sich ermässigt, 
oder dass die Zersetzung im allgemeinen eine geringere wird. Experimentell ist für 
das hier in Frage kommende Lebensalter der Erhaltungsbedarf an Kalorieen 
noch nicht festgestellt. Wir wissen aber durch Rubner’s Untersuchungen, dass 
die Zersetzungsvorgäuge im Organismus im allgemeinen mit der Abnahme der 
Oberfläche (im Verhältniss zum Volumen) in gleichem Verhältniss sich verringern. 
Diese Abnahme aber tritt mit zunehmendem Wachsthum ein. Daher muss auch die 
Grösse e schon durch diesen Umstand in der hier behandelten Lebensperiode sich 

Dieses Kind nahm nun bis auf zwei kleine Storungen in der 9. und 13. Woche ausser¬ 
ordentlich stetig und regelmässig zu, und wog in der 38. Woche 9300 g. Das Verhältniss zwischen 
den einzelnen Grössen'war folgendes; ich setze wieder die gleichen Zeiten des Brustkindes daneben: 


Flaschenkind 


Brustkind 


Zeit 

W.I. 

E.Q. 

Zeit W.I. 

E.Q. 

3. Woche 

0,8243 

117 ] 



4.— 7. » 

0,5430 

105 j 

- 2.-11. Woche 0,8302 

116 

11. — 12. 

0,4086 

100 1 

1 

12.—24. f» 0,4061 

92 

14.-38. 

0,4986 

101 j 

25.-33. f> 0,1246 

76 

3V).—48. » 

0,3492 





Eine kleine Ueberlegenheit zeigte, wie man sieht, auch hier das Brustkind noch durchweg, 
aber die Differenz ist doch viel geringer als bei dem Flaschenkind oben. 


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Original fro-m 

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Pit’ EneritipMlunz tlps 


verringern »»«4 hei gleiehbJoibeuden Enorgifqiiobeftli Ci foehr für die Grosse n, also für 
das WfiebBthum, übrig lileibon. — Das Verhältniss der Waehstlnmidntwisitiit zwischen 
beulen Kimlorn bieibi übrigens das nömUdie, wie in Permäe H. (ins .noch zmtt Tlteil 
mit Franennjjielt genährte Kind scheint sieh uudt letzt «och immer einer »wissen 
l'dierlegenhm! ia Bezog anf die physiologische Ausnutzung der zugeführten Energie 
zu befinden. 

R& 3.1 


•0 piuo tti >,4—| 




U* a» !j« -aj jia juk*i .uj W.j'im) ! *s *£ ** \sä:jf ; 




ßmtrgjVziifubr hH Emahrmtg fiSä$a>f rfihgctwrcareu K iudex 


J.*;tdritte Diagramm betrifft «las Kind (Mädchen> eines <’liemikers. «las mit dem 
Gowu-hr v»n 1,35 kg gehoröit mni von .Anfang fetiastlid), in .der Hauptsache mit }•<•)»- 
ionisierter L.ocfDi lid’sdieR Kindmnikh. unter allmriliHdier Zugabe reiner Milch er¬ 
nährt wurde. Die Notizen über tägliche Menge und rbemiselie 7,usriinmipnscT'aMiig' 
der Nahrung waten so sorgfältig und gcnn«j geführt, dassvsieh ihr KtiergiegcfuiH gut 
berechnen Kess. 

Das 0e’«lt:bt. stand zunächst «iret Wovhii« lang hei einem Knetgie«i»wtimiieu von 
2.0 Kalorieen Stilb In der. 4, mul, h. Woche bei einem F,tk'.rgie«juotie!detli von 0«< 
uml 90 fing ein geringes Steiget (!«.*. fGit')i<Hgewiehtes aft, t .n«l v.«t« «la nt« k.-M.o, 
sich vier HauptperiodyB mHetsdnriden 

Pie erste Periode geht vor» «Km i -d W o« he, wahrend welcher Zeit da- Körper* 
gewicht.; tun 400 g.sich lieht. Die WaclisthmuBkum', t>i!»let üiueii Winkel von !•;" 
mit- der Ahsns>e. was einer WiiriiBVlminsintonritäF- von 0,230!} erttsj<ri«-ht- Der Energie- 
•■(Utjtienr hot) sich in den beiden h-t/.ieu Wochen auf 130. Das Mittel der ganzen 
sechs Wochen betrog DM. 

Die .zweitePeriode reicht von der 1<>.— I7. .Woclic, um! ist, via.- «Ile Wachs- 
tbumsintcnsitai »nfcmgt.. die günstigste. Tn t EnergimpiuUeui hob sich -lir der l’P'AVnrhe: 
»ul lüft .Kalorieen und in dieser MVho «.-liolulc ein starke- WadriOunn von' -’.V» » 
Wahrend der übrigen Wochen dit-rr .Periode PGiödinkte «ier (Miergieqtmtmni . zwischen. 





28 Otto Heubner 

125 und 150 und betrug im Mittel 135. Die Wachsthumskurve stieg während dieser 
Zeit unter einem Winkel von 25 «45'; die Wachsthumsintensität betrug 0,4822. Das 
Volumen der Nahrung schwankte zwischen 900 und 1100 ccm täglich. — Das Kind 
hatte nach Ablauf dieser Periode das normale Geburtsgewicht erreicht. 

Die dritte Periode geht von der 18.—39. Woche. Auch während dieser ganzen 
Zeit mit Ausnahme von drei Wochen bleibt der Energiequotient unausgesetzt über 
100 Kalorieen, im Mittel 120 (in jenen drei Wochen sinkt er nur einmal auf 90, in 
den anderen beiden beträgt er 100 Kalorieen). — Die Gesammtenergie, die dem 
Körper zugeführt wird, bleibt aber immerhin gegenüber der zweiten Periode zurück. 
— Die Gewichtskurve steigt weniger steil als in der letzteren, sie bildet mit der 
Abscisse einen Winkel von 15°, die Wachsthumsintensität ist — 0,2680. Die Volumina 
der gereichten Nahrung liegen zwischen 800 und 900. 

Endlich die vierte Periode, von der 40.—52.Woche, zeigt das ungünstigste Wachs¬ 
thum. Unter mannigfachen Schwankungen auf- und abwärts hebt sich das Gewicht 
schliesslich in den ganzen 13 Wochen nur um 200 g. Die Kurve bildet mit der 
Abscisse einen Winkel von nur 3 °, die Wachsthumsintensität ist = 0,0524. Der 
Energiequotient ist im ganzen niedriger als in den früheren Perioden, erreicht vier¬ 
mal kaum 100 und ist meist nicht viel darüber. Im Mittel beträgt er 107 Kalorieen. 
Die Volumina der täglichen Nahrung belaufen sich meist auf 800. 

Das Kind entwickelte sich im weiteren ganz befriedigend und ist jetzt elf Jahre 
alt, ganz gesund, aber allerdings hat es eine zarte Konstitution behalten. 

Stellen wir nun noch einmal die Resultate der drei im Vorstehenden analisierten 
Beobachtungen zusammen, so ergiebt sich folgende Tabelle: 


Periode 

des Säuglingsjahrs 

Energie¬ 

quotient 

1 im Mittel 

Wachsthums¬ 

intensität 

1. B 

r u s t k i n d. 


2.—11. Woehe 

110 

0,8302 

12.—24. 

| 02 1 

0,4061 

25.-33. 

1 76 

0,124« 

34.-43. » 

, 60 

0,2403 

2. Künstlich genährtes normales Kind. 

7.-24. Woche 

120 

0,4142 

23.- 33. » 

121 

0,40*0 

34.-36. >. 

112 

1,0180 

3. Künstlich genährtes frühgeborenes Kind. 

5. — 0. Woche 

125 

0,2309 

10. 17. 

135 

0,4822 

18.-39. 

120 

0,2050 

40. -ol». > 

107 

0,0524 


Der Vergleich dieser drei Fälle ergiebt nun mehrere interessante Aufschlüsse. 
In den Fällen 1 und 3 geht im ersten Halbjahr des Lebens die Intensität des 
Wachsthums gleichlaufend mit dem Energiequotienten (im Fall 2 ist eine 
starke Differenz in der Wachsthumsintensität während fast des ganzen ersten Lebens¬ 
halbjahres nicht deutlich nachzuweisen). Im zweiten Lebenshalbjahre wächst bei 


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Die Energiebilanz dca Säuglings. 


29 


allen drei Kindern die Fähigkeit, mit der gleichen Energiezufuhr ein 
besseres Wachsthum zu erzielen, als im ersten Lebenshalbjahre (eine Ausnahme 
macht nur das letzte Vierteljahr der Frühgeborenen, wo die Verhältnisse wohl in¬ 
folge besonderer Umstände ungünstiger sind als je zuvor). 

Andrerseits ist aber der grosse Unterschied leicht nachzuweisen, der in Bezug 
auf die Fähigkeit, die Wachsthumsintensität mittels der zugeführten 
Energie zu erhöhen, zwischen den drei Säuglingen besteht. Weitaus am besten 
steht hier das Brustkind und weitaus am schlechtesten das frühgeborene Kind. 

Nehmen wir z. B. die Kalorieenzahl von ungefähr 120, so sehen wir damit 

das Brustkind ein Wachsthum von 0,83 Intensität, 

» Flaschenkind » > » 0,49 » 

» frühgeborene Flaschenkind » » » 0,26 » 

erzielen. Ein Wachsthum von 0,48—0,49 Intensität beansprucht 

beim normalen Flaschenkind 121 Kalorien, 

» frühgeborenen » 135 » 

Es ist nicht anzunehmen, dass bei einem gesunden Kinde — das war auch das früh¬ 
geborene, in der Hauptsache wenigstens während der ersten s / 4 Jahre, ganz bestimmt 
waren es die beiden anderen — der Ansatz am Körper, der das Wachsthum bewirkt, 
eine sehr verschiedene chemische Zusammensetzung hat. Dürfen wir dieses also als 
richtig voraussetzen, so hat die Einheit des Werthes er, also z. B. 1 g a, in der Gleichung 
n = e + a bei den verschiedenen Säuglingen auch den gleichen Energiegehalt. Wenn 
nun bei dem gleichbleibenden Werthe von n das eine Kind einen höheren, das 
andere einen niedrigeren Ansatz zeigt, d. h. a bald grösser, bald kleiner ist, so kann 
das nur dadurch erklärt werden, dass dort, wo a kleiner, e grösser sein muss und 
umgekehrt. 

Es wird dieses an einem bestimmten Beispiel demjenigen verständlicher werden, 
der an die abstrakte Behandlungsweise nicht gewöhnt ist. 

Wir sahen, dass ein Kind, um den Bedarf der täglichen Leistungen zu decken 
(im ersten Lebenshalbjahre), 70 Kalorieen pro Kilo nöthig hat. Bei einer Kalorieen- 
zufuhr von 120, wie sie in der oben gegebenen Zusammenstellung erfolgte, behielt 
somit jedes Kind 50 Kalorieen zur Disposition, die zum Ansatz kommen konnten. 

Wenn nun dabei das Brustkind mit einer Geschwindigkeit von 0,83, das früh¬ 
geborene Kind bei künstlicher Ernährung mit derjenigen von 0,26 wächst, oder wenn 
im Durchschnitt das erstere täglich 40,5, das letztere täglich 13,6 g ansetzt, so muss 
das frühgeborene Kind einen erheblichen Theil der disponiblen Kalorieen zu etwas 
anderem brauchen als zum Wachsthum: sie müssen also bei der täglichen Zersetzung 
im Körper verloren gehen. Das heisst also die Grö s se e, die als Wärme abfliessende 
chemische u. s. w. Arbeit im Körper ist beim frühgeborenen Kind eine weit höhere als 
beim Brustkind. — Warum ist der Körper der Frühgeborenen zu grösserer Arbeit ge¬ 
zwungen? Erstens weil er kleiner ist, weil desshalb seine Oberfläche relativ 
grösser ist, als die des Brustkindes; und weil nach dem schon mehrfach angezogenen 
Rubner’schen Gesetz die Oxydationsvorgänge proportional mit der Oberfläche wachsen. 
Es geht aus dieser Betrachtung hervor, dass ein Säugling mit abnorm niedrigem 
Gewicht (sei es infolge früher Geburt oder schwächlicher Veranlagung oder auch 
infolge vorausgegangener Krankheit) einer höheren E.nergiezufuhr bedarf, als 
aus der Berechnung nach dem Energieverbrauch eines Kindes mit nor¬ 
malem Gewichte hevorgehen würde. Mit andern Worten: der Energiebedarf 



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30 Otto Heubner 


steht in umgekehrtem Verhältniss zum Körpergewicht. Es liefert diese Erkenntniss 
gleichzeitig eine wissenschaftliche Erklärung für den Erfahrungssatz, dass kleine früh¬ 
geborene Kinder künstlich warm gehalten und vor jeder Abkühlung geschützt werden 
müssen, sowie dass jede Abkühlung mit einem Rückgang des Körpergewichtes ver¬ 
bunden ist 1 )- Jeder erheblichere Wärmeverlust steigert sofort reflektorisch die Zer¬ 
setzung im Körper, damit vermehrt sich die Grösse e, und bei dem geringen Betrag 
der Nahrung, die solche kleine unentwickelte Geschöpfe nur bewältigen können, wird 
dann die Gleichung n — e-\- a zunächst sich so ändern, dass a wegfällt (das Körper¬ 
gewicht stehen bleibt) oder auch dass n kleiner als e wird und daher durch Körper¬ 
substanz ergänzt werden muss: n-\-k — e (Gleichung für die Abnahme des Körper¬ 
gewichtes). 

Umgekehrt wenn der Körper künstlich erwärmt wird, so vermindert sich die 
Zersetzung und e wird kleiner. Von der mit n zugeführten Energie bleibt etwas 
übrig, was als potentielle Energie (Kraftarbeit) an dem Körper angesetzt werden 
kann. Nach Rubner (1. c. S. 17 u. i8) lieferte ein Thier von 617 g Gewicht bei 
0°C Temperatur der umgebenden Luft 2,9 g C0 2 pro Kilo und Stunde, dagegen bei 
30° C nur 1,3g. Die Zersetzung hatte also in der Wärme um mehr als die Hälfte 
abgenommen. 

Ein zweiter Faktor für die grössere Arbeit des Organismus bei dem frühgeborenen 
Kinde wird aber wohl auch wieder darin zu suchen sein, dass bei der Verdauung 
der zugeführten Nahrung die Drüsen des Darms, der Leber etc. mehr Energie ver¬ 
brauchen, als beim Brustkind. Wir haben bei der Vergleichung des normalen Flaschen¬ 
kindes und des Brustkindes bereits gesehen, dass die Verdauungsarbeit ohne allen 
Zweifel eine Rolle spielen muss, da in jenem Falle die absoluten Gewichte nicht so 
stark differierten, dass der Einfluss der verschiedenen Oberfläche dort zur Geltung 
gelangt wäre. — Beim schwächlicheren Kinde wird aber die Verdauungsarbeit, wenn 
auch nicht absolut, aber doch relativ noch grösser sein müssen als beim kräftigen. 
Auch hierdurch aber wird wieder die Grösse e vermehrt werden, ohne dass das Kind 
irgend einen Vortheil für das Wachsthum davon hat. 

Fragen wir uns nunmehr, ob sich aus dem bisher Dargelegten ein Anhalts¬ 
punkt, eine bestimmte Regel für die Einrichtung der Ernährung des Säug¬ 
lings ableiten lässt, so muss zugegeben werden, dass die Zahl der hier vorgelegten 
Beobachtungen noch eine zu geringe ist und ein aus ihnen abgeleiteter Kanon durch 
weitere Beobachtungen (die aber in gleicher Ausführlichkeit angestellt sein müssten) 
modifiziert werden könnte. Immerhin ist die Durchführung der Beobachtung in den 
obigen drei Fällen deswegen wenigstens vorläufig recht wohl zur Aufstellung einer 
Regel zu verwerthen, weil sie sich auf einen sehr grossen Theil des ganzen ersten 
Lebensjahres erstreckt. 

Ueberblicken wir das gesammte Material, so geht aus ihm erstens hervor, 
dass um gleichen Erfolg zu erzielen, der Energiequotient bei künstlicher Ernährung 
zeitweilig höher sein muss, als bei der Ernährung an der Mutterbrust. Darauf 
würde also bei der künstlichen Ernährung mehr Gewicht zu legen sein«), als auf 


') Vergl. Schmidt, Pflege kleiner Frühgeburten. Jahrb. f. Kinderheilkunde Bd. 42 S. 301 ff. 

*) Es ist erwähnenswerth, dass zwei Ernährangsformen, die sich auf meiner Klinik besonders 
bewährt haben (die Liebig’sche Suppe nach Keller und die Buttermilch nach de Jager), dadurch 
ausgezeichnet sind, dass sie in verhältnissmässig kleinem Volumen eine erhebliche Energieznfuhr 
gestatten. Vergl. Seite 22 dieser Abhandlung. 


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31 


Die Energiebilanz des Säuglings. 

eine möglichste »chemische Aehnlichmachung« der künstlichen Nahrung mit der 
Frauenmilch — ein an sich zur Zeit ohnedem etwas dilettantisches Beginnen, wo 
unsere Kenntniss der feineren Milchchemie noch auf recht schwachen Füssen steht. 

Zweitens geht aus den bisherigen Beobachtungen soviel hervor, dass ein 
Sinken des Energiequotienten auf 70 Kalorieen selbst beim Brustkinde mit einer 
zweckentsprechenden Zunahme nicht mehr vereinbar ist. Wenigstens in der ersten 
Hälfte des Lebensjahres nicht. Dazu stimmt auch das bisher einzige vollständige 
Experiment, das vonRubner und mir 1 ) an einem Brustkinde angestellt worden ist 
Dabei zeigte es sich, dass eine Zufuhr von 70 Kalorieen pro Kilo und Tag (im Ver¬ 
lauf eines neuntägigen Versuches) nicht hinreichte Körperansatz zu bewirken, wohl 
aber den Körper auf seinem Bestand zu erhalten. 

Um ein befriedigendes Wachsthum zu erzielen, scheint in den hier vorgelegten 
Beobachtungen bei natürlicher Ernährung im ersten Lebenshalbjahr der Energie¬ 
quotient nicht unter 100 Kalorieen sinken zu dürfen und bei künstlicher nicht 
unter 120. Es erfolgt ja auch bei niedrigeren Werthen noch Körperansatz. Rubner 
und ich*) fanden bei einem siebentägigen Versuche an einem künstlich genährten 
Kinde im Experiment ein Anwachsen des Körpergewichtes noch bei einem Energie¬ 
quotienten von 96 Kalorieen. Aber die Gewichtszunahme war doch niedriger als 
unter physiologischen Verhältnissen. 

(Es sei hier nebenbei erwähnt, dass in diesen beiden Experimenten von den 
70 Kalorieen, die das Brustkind erhielt, 64 wirklich den Körper durchflossen, von 
den 96, die das Flaschenkind erhielt, 90.) 

Die folgende Beobachtung zeigte, dass die Zahl auch für eine von einem anderen 
Autor angestellte Untersuchung stimmt. Fig. 4. 

Sie stellt allerdings nur ein Fragment dar, das mit dem 4. Lebensmonate beginnt 
und über 2 '/ 2 Monate sich erstreckt. Man erkennt, wie das Körpergewicht bei einem 
verdauungskranken Kind und sehr geringem Energiequotienten anfangs stark abnimmt. 
Als dann eine Amme engagiert wurde, erfolgte zunächst unter Fortdauer der 
Diarrhoeen ungenügende Zunahme. Nunmehr wurde ziemlich drei Wochen lang die 
Brusternährung absichtlich niedrig gehalten, so dass (bei dem noch nicht genesenen, 
mangelhaft resorbierenden Kinde) der Energiequotient unter 100 blieb. Das Gewicht 
blieb während dieser Zeit stehen. Erst als die Brust wieder so reichlich gegeben 
wurde, dass der Energiequotient auf 125 anstieg, begann das Wachsthum, obwohl 
die Diarrhoeen noch fortdauerten. 

Auch wenn man die neuesten von Schlossmann (1. c.) veröffentlichten Be¬ 
obachtungen über die Nahrungsmengen von Brustkindern an der Hand seiner eigenen 
Angaben berechnet, so findet man, dass ein gutes Gedeihen fast ausnahmslos erst 
dort stattfand, wo der Energiequotient über 100 Kalorieen betrug, z. B. 106, 107, 
125, 135 Kalorieen etc. In einem Falle zeigte ein Kind (freilich bei nur zehn¬ 
tägiger Beobachtung) in der 8. und 9. Lehenswoche eine sehr erhebliche Zunahme 
bei einem Energiequotienten, der nach dem Durchschnitt der Ammenmilchzusammen¬ 
setzung auf 91,26 Kalorieen anzusetzen wäre. Leider findet sich gerade über die 
Zusammensetzung dieser Milch unter den zahlreichen Einzeluntersuchungen nichts 


i) Zeitschrift für Biologie Bd. 36. 
*) Zeitschrift für Biologie Bd. 38. 


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Otm HfMUnier 


erwähnt I» ejnem Falle ungenügende»;/Jiinaluij« habe ich einen Encrgiequotientcn 
von 78 Kalorigen. berechnet (Fall 13 ). 

Et ist sehr zu wünschen, dass die Einzelbeobachtungen ton langer. Dauer, Wo¬ 
möglich. mit direktem kaloriscbev Bestimmung der Nahrungen (Bäugniigsstatumen mit 
zahlreichen Ammen wurden hier ein treffliches -Material i»ieien)V BftCÜ recht vermehrt 
würden 


.Vielleicht dienen diese Ausführungen dazu, den eine» oder anderen Forscher 
für t1i£ hier angedeutete Richtung zu erwärmen. 


iivnvatn 


Volu 


l^nif«hr iii tmimi Mmimaizufiüir su bt^tuoiueo Vvurile. 

'' ^ iNadi Biedert*). 

in dem bisherigen Bang der Darstelltütg wurde auf die erste Woche des 
Lehens keine Rücksicht genommen. A priori sollte man auriehruen, dass zu dieser 
Zpit der K«ergio<fhotlei)t ce.teris paribus grösser sein müsste als jemals später, weil 
der Säugling unter physiologischen A r erh;lltj«sseii um diese Zeit kleiner ah jemals. 
Bgchhpr i&i. — Aber diese Aofe-rderMug könnte dadurch eingeschränkt vverdem ':<&&$.. 
der Säugling wohl m kuuoer Zeit wärmer gehalten wird als in den erste» Lebeus- 
iag.ei! mul dass dadurch seiiie Zersouyugsgrosse p§ bedeutend ,'herabgesetzt wird. 
Es wird , iud darüber ins Klare, zu koininejg Messung und Wägung «ach hier aoth- 
AVepdig sein. Da der .Neugeborene ift dom efsk-« Tage» gewöhnlich ulminunt. so ist 
seine Oleichung zynischst a 4- k r. !'»a>. ändert - sich -.aber binnen kurzer Zeit me? 
bald gilt auch hier die obige indcfiowg n * - re 

Niui bat in. jnagstcv Zeit Vv» Hier-.i Deofiiicbtttttgeit gmule «her diese I.ebet:s- 

y)'j (uv KTitrterhviTJvurtttc»-' ']£$ i: B«1 •* 

* . . ^ yu‘ilt^hiisclk‘ — .Vül k 4 n tif V Sammlung klinischer 

VorUtitfr. Sitae 1 oi^v il^OfiL *u && 



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33 


Die Energiebilanz des Säuglings. 

Periode veröffentlicht, die alles bisher über das Minimum von Nahrungszufuhr Be¬ 
kannte weit hinter sich lassen. 

Allerdings ist der Energiewerth der von diesem Autor während der ersten 
Lebenstage gereichten Milch nicht angegeben. Wenn man aber die minimalen Mengen 
der verdünnten Milch mit wenig Zuckerzusatz, die nach Cramer’s Beschreibung die 
von ihm in der geburtshülflichen Klinik zu Breslau beobachteten Säuglinge während 
der ersten Lebenstage erhielten, in der üblichen Weise berechnet, so kommen sehr 
ungewöhnliche Verhältnisse zum Vorschein. Er würde dann Zunahmen von 46 g 
pro die erzielt haben bei Kindern, deren Energiequotient 10—30 Kalorieen würde 
betragen haben. Rubner (1. c.) fand bei einem 3,19 kg schweren Thier bei mittlerer 
Temperatur im Hungerzustand eine Zersetzung von 88,07 Kalorieen pro Tag und Kilo. 
Das wäre also der Bedarf, der lediglich zur täglichen Zersetzung nöthig war, und wo¬ 
bei noch keine Rede von Ansatz sein konnte. Nehmen wir an, dass dieser Betrag 
bei starker Erhöhung der Tempe¬ 
ratur der umgebenden Luft auf Fig. 5. 

die Hälfte herabgesetzt werden 
könne, so bliebe noch immer ein 
Energiequotient von 44 Kalorieen. 

Der Bedarf von schwachen 
Frühgeburten an Kalorieen ist 
nach A. Schmidt (1. c.), Finkei¬ 
stein, Budin 1 ) u. a. ein so un- 
verhältnissmässig viel grösserer, 
dass es sich mit Cramer’s An¬ 
gaben nicht vereinigen lässt. Ich 
selbst habe bis jetzt in drei Fällen 
Kinder in den ersten zehn Lebens¬ 
tagen mit Nahrungsmengen ge¬ 
füttert, die einem Energiequo¬ 
tienten von 30 Kalorieen ent¬ 
sprachen, und regelmässig rasch 
zunehmende Abnahme gesehen. In 
einem vierten Falle nahm aller¬ 
dings ein Säugling vom 6. bis 
zum 18. Tage bei einem Energie¬ 
quotienten von etwa 45 Kalorieen 
täglich 21,5 g an Gewicht zu und 
befand sich dabei auch sonst völlig 
wohl. Die Beobachtung konnte Energiezufuhr während der ersten Lebenswochen, 
leider in dem Falle nicht fort¬ 
gesetzt werden, da die Mutter das Kind, nachdem sie sich von dem Wochenbette 
erholt hatte, wieder zu sich nahm. Die Ernährung war in der Form meiner 1 / 3 Milch 
erfolgt Allzuviel darf man keinesfalls aus so kurzen Zeiträumen schliessen. Die 
Energiezufuhr war aber auch immer noch weit höher als bei Cramer, die durch¬ 
schnittliche Wachsthumsintensität war 0,4245. Endlich führe ich hier noch eine 
Beobachtung an einem Enkel Camerer’s an. 


Gramm 

4000 



i) Finkolstein, T T eber Pflege kleiner Frühgeburten. 

Zeitschr. f. dilt u. phyaik. Therapie Bd. V. Heft 1. 


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Therapie der Gegenwart 1900. 

3 

Original fra-m 

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34 Otto Henbner 


Das Kind war mit einem Gewicht von 2810 g und einer Körperlänge von 49,2 cm 
zur Welt gekommen. Die von dem 1. Tage an von diesem Kinde getrunkene Milcli- 
menge ist von Camerer selbst genau bestimmt worden. Die Berechnung'ihres 
Energiegehaltes ist nach den von Söldner und Camerer ausgeführten bekannten 
Analysen') angestellt. 

Das Kind trank am 1. Lebenstage 5 g, am 2. 110, am 3. 245, am 4. 350, am 
5. 470, am G. 525, am 7. 5G5. Der Energiequotient betrug am 2. Tage 25 Kaloriccn, 
am 3. 55, am 4. 80, am 5. 103, am (». 112, am 7. 117 Kalorieen. Das Anfangs¬ 
gewicht war am G. Lebenstage wieder erreicht, nachdem der Energiequotient bereits 
am 5. über 100 gestiegen war. Die Abnahme in den ersten 3 Tagen hatte IGOg 
betragen, die erste Zunahme erfolgte bei einem Energiequotienten, der zwischen 55 
und 80 Kalorieen lag. — Der mittlere Energiequotient betrug für die 1. Woche 70, 
für die 2. 115, für die 3. 12G, für die 4. 123 Kalorieen. Der mittlere Energiequotient 
für die ersten 30 Tage betrüg 109, mit Ausschluss der Abnahmetage 117 Kalorieen. 
Die Zunahme vom 5. Tage an betrug im Durchschnitt 40 g. 

Somit hat in diesem Falle der Beginn der Zunahme allerdings bei einem ver- 
hültnissmässig niedrigen Energiequotienten eingesetzt. Immerhin war er aber 
mindestens noch einmal so hoch, als der aus Cramer’s Beobachtungen zu be¬ 
rechnende. Bei diesem Quotienten erfolgte in dem eben berichteten Falle (vom 2. 
zum 3. Tage) noch starke Abnahme. Vom 6. Tage an stimmt dieser vollkommen 
mit dem oben ausführlich berichteten des Brustkindes (Beobachtung 1) überein. 

Ich vermag somit die von Cramer als physiologisch für die Neugeborenen be- 
zeichneten Nahrungsmengen nicht mit den bisherigen Erfahrungen in Uebereinstim- 
mung zu bringen. Ich halte doch eine weitere Prüfung dieser Frage am Neu¬ 
geborenen für nothwendig, allerdings unter so genauer Angabe der Zusammensetzung 
der Nahrung, dass eine einigermaassen zuverlässige kalorische Rechnung möglich ist, 
noch besser womöglich unter direkter kalorischer Bestimmung der betreffenden Nah¬ 
rung durch den Verbrennungsversuch. 

Auch für die Ernährung kranker und rekonvalescenter Kinder dürfte die hier vor¬ 
getragene Betrachtungsweise nicht ohne Werth sein. Vor allem wird man eine Nah¬ 
rung daraufhin zu prüfen haben, ob ihr Energiequotient für das zu ernährende Kind 
nach den dargelegten Erfahrungen genügend hoch ist. Dann aber kommt es darauf 
an, ob die Arbeit, die zur Aufnahme und intermediären Verwerthung der Nährstoffe 
nöthig, nicht zu gross ist, und eventuell, ob die Ausnützung der Nahrung nicht 
erheblich unter die Norm sinkt. Beides lässt sich schliessen aus dem Verhältniss 
zwischen Energiequotienten und Körpergewichtszunahme. Wo letztere trotz hohen 
Energiequotienten nicht eintritt, da ist die Indikation unmittelbar gegeben, die 
Nahrung zu wechseln, bis eben dieser Erfolg herbeigeführt wird. Und hier hilft gar 
nichts anderes, als in jedem Einzelfalle von neuem zu probieren, da man von keiner 
chemisch noch so »wissenschaftlich« zubereiteten Nahrung Voraussagen kann, ob sie 
gerade in dem vorliegenden Falle »anschlagen« wird. 

Nur die Frauenmilch pflegt allerdings in solchen Fällen die beinahe nie ver¬ 
sagende Lösung der Aufgabe zu bringen. 

Die Beurtheilung der Nahrung nach ihrem Energiequotienten schützt aber auch 
besser als andere Methoden vor Ueberernährung. Es ist keineswegs bei jedem Kinde 


!) Zeitschrift für Biologie Bd. 33 und 3(3. 

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Die Energiebilanz des Säuglings. 35 

derselbe chemische Körper, dessen zu reichliche Zufuhr mit Nachtheilen verknüpft 
ist, so dass man sich auf falschem Wege befindet, wenn man meint, nur die Ueber- 
crnährung mit Eiweiss vermeiden zu müssen. Wie Czerny und seine Schule her¬ 
vorgehoben haben, können mit zu reichlicher Fettzufuhr bei einer Reihe von Kindern 
auffällige Stoffwechselstörungen verbunden sein. Eine dritte Kategorie von Kindern 
erkrankt bei Zufuhr von zuviel Kohlehydrat. Es kann auch die Wasserzufuhr eine 
so grosse werden, dass sie mechanische Störungen nach sich zieht, obwohl die 
Differenzen in den zugeführten Volumina vielleicht eine so grosse Rolle nicht spielen, 
wie man früher gemeint hat. Das scheint aus den obigen Kurven hervorzugehen. 

Aber man sorge nur dafür, dass der Energiewerth der Nahrung im ganzen die 
oben beschriebenen Quantitäten nicht überschreitet. Im übrigen muss man, wie schon 
mehrfach hervorgehoben, versuchen, was dem einzelnen Individuum am zuträglichsten 
ist Beim gesunden Kinde wird man fast stets mit den einfachen massigen Milch¬ 
verdünnungen und Zusatz von etwas Mehl und Zucker auskommen. Eine Reihe 
Autoren finden selbst die reine Milch schon frühzeitig geeignet. 

Dass aber eine rationelle derartige Ernährung, wenn sie in Bezug auf den 
Energiequotienten zu hoch getrieben wird, auch vom gesunden Kinde nicht vertragen 
wird, lehrt meine Beobachtung 2, wo nach einem solchen Verfahren eine Dyspepsie 
auftrat, als es bei einem noch zu jungen Kinde eingeschlagen wurde. Wenige Wochen 
später wurde eine Nahrung mit dem nämlichen Quotienten vertragen und verwerthet. 

Bei kranken und schwachen Kindern wird man aber zu den verschiedenen 
Surrogaten der reinen schwachverdünnten Kuhmilch greifen müssen, die in möglichst 
kleinem Volumen einen möglichst hohen Energiequotienten mit möglichst wenig An¬ 
spruch an Verdauungsarbeit verbinden, bei den hier zu versuchenden Präparaten 
aber keineswegs nöthig haben, sich einseitig von dem Vorwiegen des einen oder 
anderen Nährstoffes in der Nahrung leiten zu lassen. 


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3 * 

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Bemerkungen zur hydriatischen Behandlung der Lungenentzündung. 

Aus der Hydrotherapeutischen Anstalt der Universität zu Berlin. 

(Leiter: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. L. Briegcr.) 

Von 

L. Brieger. 

Auf dem letzten Kongress für innere Medicin führte die Besprechung der Be¬ 
handlung der Pneumonie von seiten der Referenten v. Koranyi und Pel zu dem 
Schlussergebniss, dass eine Abkürzung oder direkte Beeinflussung dieses Krankheits¬ 
prozesses durch therapeutische Bestrebungen sich nicht erzielen lasse, dass aber bei 
Bekämpfung der bedrohlichen Symptome, besonders der Herzschwäche, die Therapie 
ausserordentlich leistungsfähig sei. Hierbei wurden die diätetischen Maassnahmen, 
die medikamentösen Heilmittel, der Aderlass, die Serumtherapie vollauf berück¬ 
sichtigt, die Hydrotherapie aber nur ganz oberflächlich gestreift. Nur Pel empfiehlt 
regelmässige Waschungen der Haut als angenehm und wohlthuend für den Kranken. 
Im Laufe der Diskussion bekennen sich als warme Anhänger der Wasserbehandlung 
bei der Pneumonie noch Nothnagel und Bäumler. Nothnagel sah von kalten 
und warmen Bädern, sowie von Uebergiessungen und Einpackungen recht prompte 
Wirkung, wenn alle andern Mittel versagten. Dieser günstige Einfluss der Hydro¬ 
therapie beruht nach Bäumler nicht in der Antipyrese, sondern in der Einwirkung 
auf die Gefässe. 

Trotzdem sich also auf dem letzten Kongresse für innere Medicin nur wenige 
Stimmen zu Gunsten von hydriatischen Prozeduren bei der Pneumoniebehandlung 
erhoben, würde man doch fehlgehen, wenn man die Hydrotherapie als Stiefkind der 
gegen die Pneumonie gerichteten Heilbestrebungen betrachten wollte. Wie ja gerade 
in den letzt vergangenen zwei Dezennien von v. Ziemssen, v. Liebermeister, 
v. Jürgense'n, Winternitz, Fismer, Buxbaum, Baruch, Penzoldt, Strümpell, 
Tripier und Bouveret, Holdheim, Karl Schütze und Pick die Wasserbehand¬ 
lung bei der Pneumonie mit Nachdruck empfehlen. Und zwar theilen sich diese 
Anhänger der Hydrotherapie in zwei Lager; auf der einen Seite vertreten durch 
Kliniker, welche hauptsächlich die Bäderbehandlung anwenden, während sich auf 
der anderen Seite die eigentlichen Hydrotherapeuten finden, welche nur von der 
geschickten Auswahl unter den mannigfachen hydriatischen Einzelprozeduren eine 
rationelle Bekämpfung der Pneumonie erwarten. 

Am lebhaftesten wurde bislang die Bäderbehandlung erörtert, als deren eifrigster 
Vorkämpfer bekanntlich v. Jürgensen gilt, der gegenwärtig *)> ohne Scheu vor Herz¬ 
schwäche, die er durch alkoholische Excitantien bekämpft, selbst die Anwendung 
sehr kalter Bäder bis herab zu 6 0 C von geringer Dauer und in häufiger, eventuell 
zweistündlicher Wiederholung in schweren Fällen mit sehr hohem Fieber (über 41 0 C) 


i) Pen zoldt-Stintzing, Handbuch der Therapie innerer Krankheiten. 2. Auf). Jena 1898 


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Bemerkungen zur hydriatischen Behandlung der Lungenentzündung. 37 

oder bei starker Prostration und nervösen Störungen für nützlich erachtet und diese 
Bäderbehandlung nur bei Kindern, solange die Körperwärme 40 0 C nicht überschreitet, 
durch kalte Packungen ersetzt Einzig bei Fettleibigen, Greisen und schwächlichen 
Personen lässt v. Jürge'nsen lauwarme Bäder von 25 — 30° C drei- bis viermal 
täglich von 20—30 Minuten Dauer zu. 

In recht schroffem Gegensatz hierzu steht Aufrecht, in dessen Augen die 
Wasserbehandlung offenbar das fünfte Rad am therapeutischen Wagen ist. Nachdem 
Aufrecht den Heilschatz für die Pneumoniebehandlung auf die vier Räder: Aderlass, 
Brechmittel, Digitalis, Alkohol verladen hat, Räder, die aber sämmtlich im Laufe 
der Zeit sich als mehr oder minder morsch erwiesen haben, schiebt dieser Autor 
als Zusatzrad noch die Hydrotherapie unter. Er stellt irgend welchen Nutzen der 
Wasserbehandlung auf den Krankheitsprozess in Abrede (Nothnagel’s Handbuch). 

Gemäss den Vorschriften von Winternitz und seiner Schule (Buxbaum) be¬ 
streben sich die eigentlichen Hydrotherapeuten die Einzelprozeduren der Wasser¬ 
anwendung in möglichst vielseitiger Weise zu verwerthen zur Abwendung der Ge¬ 
fahren der Pneumonie, wie sie sich aus dem verhinderten Gasaustausch, der Erlahmung 
der Herzkraft und dem hohen Fieber ergeben. Stets soll zuerst mit Theilwaschungen 
begonnen werden, welche bei Greisen wegen der Brüchigkeit des Gefässsystems und 
bei Fettleibigen zur Vermeidung der Kontrastwirkung die hauptsächlichste Behandlungs¬ 
methode bilden. Bei kräftigen Personen kann man dann übergehen zu kühlen Halb¬ 
bädern von 27,5 — 22,5° C von fünf Minuten Dauer verbunden mit tüchtiger Frottierung 
der Körperoberfläche und kalten Uebergiessungen (Winternitz', Buxbaum); oder 
aber an deren Stelle wähle man langsam abgekühlte Wannenbäder von 30—27 °C 
von 15 Minuten Dauer, kombiniert mit Uebergiessungen von 10° C zwei- bis dreimal 
täglich, also in ähnlicher Weise wie sie bei der Typhusbehandlung üblich sind, nur 
etwas weniger häufig als dort. Diese letzte Form der Bäder wirkt, wie ich mich oft 
überzeugen konnte, ungemein belebend auf die Herzkraft sowie die Respiration und 
stärken dadurch, dass sie direkt schlaferregend wirken, das Allgemeinbefinden der 
Patienten. Man verabsäume aber nie, stets vor, im und nach dem Bade Wein zu 
verabfolgen. Bei Kindern und schwächlichen Personen kann man, falls Theilwaschungen 
nicht ausreichen, bald zu Halbbädern von 38 — 33° C und 5—10 Minuten Dauer 
mit hoher Uebergiessung mittels dünnem Strahl auf den Nacken übergehen, um 
hier, wo Wärmeentziehung Vorsicht erheischt, Wärme zuzuführen und reflektorisch 
auf Herz und Lunge zu wirken. Solche Bäder können alle drei Stunden wieder¬ 
holt werden. 

Als Unterstützungsmittel in der Zeit zwischen den Bädern bewähren sich nach 
Buxbaum 1 ) kalte Kreuzbinden in zwei- bis dreistündlichem Wechsel in Verbindung 
mit Stammumschlägen, um ein Wiederansteigen der Temperatur nach dem Bade 
hintanzuhalten. 

Von nicht zu unterschätzender Bedeutung bei der Pneumoniebehandlung ist der 
Herzkühlschlauch, da er die allgemeine Forderung der Therapeuten bei der Pneu¬ 
monie, die Aufrechterhaltung der Herzkraft, in vollstem Maasse erfüllt. 

Diese Vielgestaltigkeit der Hydrotherapie und deren Nutzen für die Behandlung 
der Lungenentzündung spiegelt sich auch wieder in einigen Publikationen der letzten 
Jahre. Da aus denselben der Praktiker mancherlei wichtige Fingerzeige für seine 
Praxis entnehmen kann, so stehe ich nicht an auf dieselben hier noch einzugehen. 


i1 Lehrbuch der Hydrotherapie S. 193. Leipzig 1900. Verlag von Georg Thieme. 


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L. Brieger 


Karl Schütze 1 ) verwirft jede Schablone bei der Pneuraoniebehandlung und legt 
deshalb das Hauptgewicht auf eine individualisierte Wasserbehandlung. Bei der 
Pneumonie der Erwachsenen sind es der Kaltwasserschlauch, das Lakenbad und das 
Vollbad, die sich ihm am rationellsten durch eigene Erfahrung erwiesen haben'. 

Der Kaltwasserechlauch, der besondere gute Dienste gegen die Schmerzen leistet, wird auf 
die blosse Haut aufgelegt and mittels eines in 4° C Wasser getauchten Brustumschlages fcstgehalten. 
Haben die Schmerzen nach mchretiindlichcr Anwendung des Schlauches nachgelassen, dann bietet 
ein absteigendes Vollbad von 25—15° C mit beständigen Frottierungen 8—10 Minuten dauernd, das 
beste Mittel zur Herabsetzung der Körperwärme. Hat der Prozess mehr als einen Lungenlappen 
befallen, dann empfiehlt Schütze das Pricssnitz'scho Lakenbad. Der Patient wird in ein in 
Giswasser getauchtes Betttuch eingescblagen und darin solange frottiert, bis das nasse Laken körper¬ 
warm geworden ist. Dann wird das Tuch nochmals mittels eines Schwammes mit Eiswasser abge- 
kühlt und Patient nochmals frottiert. Sobald die Frottierungen das Laken wieder auf Körper¬ 
temperatur erwärmt haben, wird eine Wolldccko darüber geschlagen und der Patient in dieser 
Packung 2—3 Stunden liegen gelassen. Dieses Lakenbad soll alle 3—4 Stunden solange wiederholt 
werden, bis die Schmerzen und das Fieber nachgelassen haben. Ist der Schmerz geringer geworden, 
die Temperatur aber noch nicht genügend gesunken, dann findet auch hier wieder das absteigende 
Vollbad seine Verwendung. In der Behandlung der Kindcrpneumonieen haben sich Schütze der 
kalte Schlauch, der mit einem in 20° C getauchten Tuch befestigt wird, und bei sehr hohen Fieber¬ 
steigerungen absteigende Vollbäder von 34 — 20» C am zweckdienlichsten erwiesen. Während des 
Bades, von 6—8 Minuten Dauer, soll der Körper mit der Hand energisch gerieben werden. 

Aus der Abhandlung von Alois Pick»), welcher die Beobachtung der von 
ihm vom Oktober 1898 bis April 1900 im Wiener Garnisonhospital behandelten 
Patienten zu Grunde liegt, erhellt die Bedeutung der überall und leicht auszu* 
führenden Theilwaschungen, die stets in Aktion traten, sobald die Pulsspannung 
nachliess, sonst aber bei gutem Puls viermal täglich ausgeführt wurden. Besonders 
bewährten sich Pick auch die Theilwaschungen bei sehr schweren Kranken mit aus¬ 
gedehnter Infiltration und dadurch bedingter Dyspnoe, ebenso bei Herzschwäche mit 
sehr labilem Pulse. Für die Zwischenzeit empfiehlt dieser Autor Kreuzbinden oder 
Stammumschläge. Die hydrotherapeutischen Prozeduren unterstützt übrigens Pick 
durch Alkoholika, Digitalis, Kampfer und Natron salicylicum. 

Gestützt auf eine 40jährige Praxis warnt Simon Baruch*) vor kühlen Bädern 
bei der lobären kroupösen Pneumonie, da dieselben hier im Gegensatz zum Typhus 
einen zu jähen Temperaturabfall bedingen und damit die Gefahr eines Kollapses 
heraufbeschwören. An deren Stelle gebraucht Baruch Brustumschläge (15,5—18° C), 
welche schon bei Temperaturen von 37,8—39,5° C Körperwärme von ihm angelegt 
werden; bei noch höheren Temperaturen werden diese Brustumschläge mit Wasser 
gesättigt und im Wechsel von Vj— 1 Stunde erneuert. Die Wirkung derselben wird 
als stimulierend bezeichnet; zugleich wird die Athmung vertieft, die Pulsspannung 
erhöht, die Harnmenge vermehrt und die Körperwärme herabgesetzt. 

Von hypothetischen Erwägungen ausgehend, vermeint man durch die genannten 
hydriatischen Eingriffe Toxinzerstörung, Antitoxinförderung, Vermehrung der Leuko- 
cyten (Winternitz), Erzielung eines stärkeren Wassergehaltes des Blutes (Loewy 4 ), 
also geradezu Naturheilung anbahnen zu können. 


>) Fortschritte (1er Hydrotherapie. Herausgegeben von Dr. A. Strasser und Dr. B. Busc¬ 
häum. Wien 1897. 

Blätter für klinische Hydrotherapie und verwandte Heilmethoden 1900. No. 7 u. 8. 

3) The Boston Medical and Surgical Journal Bd. 143. No. 16. 

9 Berliner klinische Wochenschrift 1896. 


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Bemerkungen zur hydriatischen Behandlung der Lungenentzündung. 39 

Aus dem Umstande, dass gerade bei den schweren Fällen von Pneumonie 
Fraenkel’sche Diplokokken oder Streptokokken im Blute angetroffen werden, 
schliesse ich, dass hier ein den septischen Erkrankungen ähnlicher Krankheitsprozess 
vorliegt, der mit ähnlichen Mitteln wie jene, also mit Bädern und Alkohol am 
erfolgreichsten bekämpft wird. Auf Grund dieser Erwägungen erklärt sich auch der 
Zwiespalt der Meinungen über die Bäderbehandlung. Allzu kalte Bäder werden erst 
recht die im Blute kreisenden Krankheitskeime in Zirkulation bringen und dieselben 
in die funktionswichtigen inneren Organe verjagen, deren Thätigkeit dadurch rapide 
ausgelöscht werden muss. Auf diese Weise erkläre ich mir die bei überkalten Bädern 
beobachteten Kollapsanfälle. 

Sind aber nur Toxine im Umlauf, so werden die hier so schädlichen kalten 
Bäder u. s. w. durch ihre die Oxydation anregende Kraft die so labilen chemischen 
Krankheitsstoffe rasch verbrennen und damit den krauken Organismus entlasten. 
Voraussetzung hierbei ist natürlich, dass nicht die Entzündung der Lunge so grosse 
Theile derselben ergriffen hat, dass schon das rein mechanische Moment zur Ge¬ 
fährdung des Lebens ausreicht. Indessen auch bei der vornehmlichen Betheiligung 
der Lungen allein giebt uns die Natur durch den kritischen Schweissausbruch mit 
ihrer Konsequenz der Euphorie und mit dem nachfolgenden raschen Abklingen des 
ganzen Krankheitsprozesses einen Wegweiser, wie wir unseren Kranken zur Hülfe eilen 
können. Zur Entlastung der blutüberfüllteu Organe wird dieser von der Natur cin- 
geleitete kritische Schweissausbruch in erster Linie beitragen. Das gleiche Ziel 
müssen wir mit milden hydriatischen Prozeduren, ohne das Herz in Mitleidenschaft 
zu ziehen, zu bewerkstelligen suchen. Demgemäss sieht man durch prolongierte 
(bis 10 Minuten währende) heisse Bäder (37 — 38 °C) mit nachfolgender Trocken¬ 
packung selbst noch bei schwächlichen Kindern gute Erfolge. Doch sind diese 
Prozeduren für erwachsene Pneumoniker unerträglich, für Greise und Fettleibige be¬ 
denklich. Für derartige Patienten ziehe ich deshalb Brustpackungen mit in stuben¬ 
kaltes Wasser getauchtem und dann gut ausgerungenem Laken vor, die in üblicher 
Weise mit trockener Leinwand bedeckt werden. Besteht höhere Temperatur, so 
werden diese Packungen des öfteren gewechselt, bis die Körperwärme auf 39° C 
herabgesunken ist. Alsdann bleibt die Packung solange liegen, bis Schweissausbruch 
erfolgt. Es empfiehlt sich dabei den Patienten recht viel warme Getränke, Potatoren 
auch mässige Alkoholgaben zuzuführen. Natürlich folgt auf den Schweissausbruch, 
den man solange andauern lässt, als Patient es verträgt, resp. die Pulsverhältnisse 
es zulassen, einejkurze, kühle Waschung. Selbst bei nur einmaliger täglicher Vor¬ 
nahme dieser Prozedur empfinden die Patienten Erleichterung, und der ganze Krankheits¬ 
prozess scheint einen milderen Verlauf zu nehmen. Besonders dankbare Objekte hier¬ 
für scheinen die Influenzapneumonieen mit dem in ihrem Gefolge oft unvermuthet 
auftretenden Herzkollaps zu sein. So konnte ich selbst bei mehreren Diabetikern 
mit Influenzapneumonie einzig durch diese lokalen Packungen das drohende Ver- 
hängniss abwenden. Erst neuerdings behandelte ich einen Diabetiker mit 5 % Zucker 
und chronischer Nierenentzündung mit viel Eiweiss im Urin in dieser Weise. Ob¬ 
wohl zu gleicher Zeit Oedeme der Füsse und Beine bis hinauf zu den Genitalien 
bestanden, brachten diese Schwitzpackungen das pneumonische Exsudat zum Ein¬ 
schmelzen. Hand’in Hand hiermit ging die Rückbildung des Oedems, sodass Patient 
nach vierwöchentlicher Behandlung trotz seines schweren Diabetes seinen Beruf wieder 
aufnehmen konnte. Selbst äusserst fettleibige Personen vertragen sehr wohl diese 
Schwitzpackungen, wie ich vor einiger Zeit bei einem 36jährigen sehr korpulenten 


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Fürbringer 


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Potator beobachten konnte: Eine schwere Influenzainfiltration des linken unteren 
Lungenlappens wich den genannten Prozeduren, obwohl die starke Cyanose, der aus¬ 
setzende unregelmässige Puls die Prognose von vornherein ungünstig erscheinen liess. 

Ein rationelles System der Bekämpfung der Lungenentzündung mittels der 
soviel verheissenden hydriatischen Prozeduren kann sich nur aufbauen auf die Kenntniss 
der biologischen Eigenheiten jener Bakterienarten, welche die Pneumonie verursachen. 
Die Bakteriologie hat gezeigt, dass, abgesehen vom mechanischen Moment der In¬ 
filtration, der Verlauf der Pneumonie von ihrem Erreger abhängt. Die Fraenkel- 
Friedländer-Pneumonieen, die Streptokokken-Influenza-Pestpneumonieen u. s. w. 
zeigen in ihrem Verlauf sowie in der Gefährdung lebenswichtiger Organe ganz wesent¬ 
liche Unterschiede, die zur Bekämpfung eben das Rüstzeug der Hydrotherapie in 
ihren mannigfaltigen Variationen erfordern. Eine Aufgabe, die nur an der Hand 
weiterer recht umfangreicher bakteriologischer Forschungen und klinischer Beob¬ 
achtungen zu lösen sein wird. 


IV. 

Radfahren bei Magenkrankheiten. 

Von 

Geh.-Rath Professor Dr. Fürbringer 
in Berlin. 

Von den 'krankhaften Zuständen, deren Trägern das Fahrrad als Heilmittel ver¬ 
ordnet wird, finden sich in der Litteratur die gastrischen Leiden mit am stiefmütter¬ 
lichsten behandelt. Selbst dem aufmerksamen Späher tritt .ausser dem wohl ein¬ 
stimmigen Lob, das dem modernen Sport rücksichtlich seiner hervorragenden appetit¬ 
steigernden Wirkung gezollt wird, wenig auf unser spezielles Thema Bezügliche 
entgegen. Und doch habe ich Grund zur Annahme, dass nicht wenige Magenkranke 
die wohlthuendsten Besserungen ihres Leidens und selbst Heilungen dem Rade ver¬ 
danken. Ich weiss auch, dass die Zahl derer, welche den ärztlichen Rath entgegen¬ 
genommen, weit durch jene Schaar übertroffen wird, welche ohne Konsultation zur 
Stahlmaschine gegriffen. Aber gerade unter den Magenleidenden der letzteren Kategorie 
finden sich, wie die sekundäre ärztliche Beobachtung lehrt, in grösserer Zahl die 
Opfer vertreten, welche über Misserfolge des selbstverordneten Heilverfahrens und 
selbst bedrohliche Gestaltung ihres Leidens klagen. Und weil dem so ist, lohnt sich 
wohl eine ernstere Behandlung der Frage einer Cyklotherapie der Magenkrankheiten 
in praktisch-klinischer^Richtung. Aus nahen Gründen hat diese Frage vor allem die 
ärztliche Erfahrung auf breiterer Basis zur Vorraussetzung. Meines Wissens fehlen 
bislang in der maassgebenden Litteratur von anderer Seite einschlägige Veröffent¬ 
lichungen, welche Auskunft über Indikationen und Gegenanzeigen gäben. 

In dem bekannten, auf Veranlassung v. Leyden’s im Verein für innere Medicin 
vor nunmehr fünf Jahren vonM. Mendelsohn zum Vortrag gebrachten, noch immer 


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Radfahren bei Magenkrankheiten. 41 

sehr dankenswertben und werthvollen Referat 1 ) ist nur von der Hebung des Appetits 
und seiner »oft sehr beträchtlichen Steigerung in das Uebernormale« durch das Rad¬ 
fahren die Rede. Der Autor erklärt das durch den Stoffverbrauch, warnt vor un¬ 
günstiger Beeinflussung der Magenverdauung durch reichliche Nahrungsaufnahme 
vor grösseren Touren und durch die den Magen komprimierende nach vorn geneigte 
Haltung des Fahrers. Ich bin sicher, dass Mendelsohn, wäre er damals selbst 
Radfahrer gewesen und mit Sportskollegen in engeren Verkehr getreten, Anlass ge¬ 
nommen hätte, im Für und Wider das erstere mit einer freundlicheren Physiognomie zu 
versehen. Auch P. Schiefferdecker (Bonn) beschränkt sich in seinem neueren umfäng¬ 
lichen, noch lange nicht genug bekannt gewordenen Werke 2 * ) im wesentlichen auf die 
Hervorkehrung der genannten Gesichtspunkte, obwohl er sichtlich ein sachverständiger 
Freund der Cyklotherapie; und nur S. Merkel (Nürnberg) erwähnt in seinem die 
Hygiene des Radfahrens betreffenden Referat») auf der vorjährigen Versammlung 
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege zu Trier eigens, dass das 
Radfahren bei Magenerkrankungen besonders nervöser Art zu empfehlen sei. 

Ich selbst habe im letzten Sommer zum ersten Mal einige spezielle Differen¬ 
zierungen in meinen Beiträgen zur Würdigung des Radfahrens vom ärztlichen Stand¬ 
punkte 4 ) zum Ausdruck gebracht. Nicht eher, als bis ich auf einem eigenen, freilich 
vorwiegend in der Sprechstunde gesammelten Beobachtungsmaterial zu fussen ver¬ 
mochte und mich selbst zur Erlangung der Sachverständigenqualifikation — an der 
Grenze der zweiten Hälfte des Lebensjahrhunderts — auf das Stahlross gesetzt, mich 
allmählich mit ihm befreundet und dann auf ihm einige tausend Kilometer zurückgelegt, 
in der Heimath, in fremdsprachlichen Landen, im Frühlings wind, auf heissem Boden, 
in herbstlicher Flur und auf hartgefrorenem Erdreich. 

Was ich über die Wirkung des Radfahrens bei Magenstörungen zu sagen ver¬ 
mochte, beschränkte sich der Hauptsache nach darauf, zu registrieren, dass nicht nur 
bei Gesunden fast ausnahmslos das Nahrungsbedürfniss sich nach richtigen Radaus¬ 
flügen steigere, vielmehr auch Magenkranke recht häufig eine wesentliche Auf¬ 
besserung darniederliegenden Appetites davon trügen. In erster Linie Hess ich das 
nach meiner Erfahrung von der nervösen Dyspepsie gelten, weniger vom richtigen 
chronischen Magenkatarrh. 

Meine Erfahrungen haben sich seitdem einigermaassen vermehrt und vertieft, 
so dass ich eine bestimmtere Formulierung wagen zu sollen glaube. Aber auch sie 
bleibt bei der Schwierigkeit der allgemeineren Beurtheilung zahlloser von der Natur 
geschaffener Abweichungen im Krankheitsbilde und seiner wechselvollcn Gestaltung 
ein erster Anfang, ein Versuch. 

Selbstverständlich scheidet zunächst der regelrechte Magenkrebs aus. Den 
Kachektiker wird selbst der Fanatiker nicht aufs Rad setzen. Immerhin kenne ich 
einige Fälle der erwähnten Selbstverordnung, in denen die noch nicht siechen Opfer 
der Krankheit ganz kurze Strecken mit sichtlicher Verschlimmerung des Leidens be- 


1) »Ist das Radfahren als eine gcsondheitsgemässe Uebung anzusehen und aus ärztlichen 
Gesichtspunkten zu empfehlen?« Deutsche medicinische Wochenschrift 1896. No. 18 ff. (nebst umfang¬ 
reicher bemerkenswerther Diskussion). 

2 ) Das Radfahren und seine Hygiene nebst einem Anhang: das Recht des Radfahrers von 
Prof. Dr. jur. Schumacher. Stuttgart 1900. (538 Seiten.) 

») Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege 1901. Bd. 33. Heft 1, mit aus¬ 
führlichem Litteraturverzeichniss. 

*) Deutsche Aerztezeitung 1900. Heft 17. 


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Fürbringer 

zahlen mussten. Ich möchte sogar diese Reaktion mit einiger diagnostischer Be¬ 
deutung versehen, in ähnlicher Weise, wie der Fortschritt der Krankheit trotz 
rationell geleiteter Kuren in bewährten Bädern und Sanatorien den erfahrenen Arzt 
stutzig machen muss, ob nicht ein latentes Neoplasma den Magen befallen habe. 

Auch der akute Magenkatarrh kommt nicht eigentlich in Betracht. Sofern 
er als fieberhafter seinen Träger zum richtigen Kranken macht, bildet er selbverständ- 
lich eine unbedingte Gegenanzeige. Aber auch sonst ist seine kurze Dauer und Neigung 
zur Spontanverheilung nicht dazu angethan, eine besondere physikalische Therapie 
zu erfordern. Am ehesten würden sie noch seine leichteren, durch Diätfehler bedingten 
Formen, die allbekannten »Magenverstimmungen« zulassen. Es ist in der Tliat be- 
merkenswerth, wie rapid bisweilen die lästigen Erscheinungen solcher Indigestionen 
einem Radausfluge weichen. 

Etwas mehr Bedeutung darf die Cyklotherapie für den chronischen Magen¬ 
katarrh beanspruchen, wofern er nicht als Begleiterscheinung schwerer organischer 
Grundleiden auftritt, sondern mehr Halbkranke betrifft. Doch muss ich hier gleich 
bemerken, dass ich zu denjenigen zähle, welche die chronische Gastritis als eine 
nicht häufige bezw. bei weitem seltenere Krankheit als die nervöse Dyspepsie erachten. 
Gerade erfahrene Aerzte wissen es am besten, wie oft die sichere Unterscheidung 
beider Formen trotz des Aufgebots aller diagnostischen Mittel schwer fällt, ja un¬ 
möglich bleibt, zumal Mischformen mannichfachster Gruppierung nichts weniger als 
Seltenheiten bedeuten. Von den reineren Formen kamen für unsere Betrachtungen 
der Hauptsache nach Säuferkatarrhe verschiedener Gradabstufungen in Betracht. 
Immerhin Hess sich in einem nicht kleinen Theil derjenige Grad von Besserung 
durch die Radfahrübungen vermissen, wie er bei der grossen Gruppe der nervösen 
Magenkrankheiten ohne konkurrierende wesentliche Entzündungsprozesse nach unseren 
Erfahrungen geradezu zur Regel zählt. 

Es gehört der Sammelbegriff der nervösen Dyspesic so recht zu derjenigen 
Kategorie von krankhaften Zuständen, bei denen, wie wir es schon einmal in der er¬ 
wähnten Arbeit formuliert, das Radfahren überhaupt, von ganz gesunden Personen 
abgesehen, seine Wohlthaten äussert. Das ist die Gruppe derjenigen chro¬ 
nischen funktionellen Störungen, die ihren Träger mehr zum Erholungs¬ 
bedürftigen, als zum eigentlichen Kranken stempeln. Wirkliche Kranke pflegen 
keine Radfahrer zu sein und von den Opfern organischer Leiden nur Halbkranke in 
Betracht zu kommen. Es muss uns hier fern liegen, auch nur der Haupttypen der 
gastrischen Neurasthenie mit ihrem bunten und wechselnden Mosaik der Begleit¬ 
erscheinungen zu gedenken. Wir glauben zunächst unter spezieller Berücksichtigung 
des Themas festlegen zu sollen, dass die Fälle mit vorwaltender Appetit¬ 
störung in Bezug auf den günstigen Erfolg obenan stehen. Wer es aus eigener 
vielfacher Erfahrung weiss, welche Grade bei gesunden Radfahrern die nach ver¬ 
nünftigen, unter günstigen Bedingungen zurückgelegten Touren sich einstellende 
Euphorie erreichen kann und wie der ins Grossartige gesteigerte Appetit einen 
wesentlichen Bestandtheil der behaglichen, von allem Beengenden losgelösten Ver¬ 
fassung darstellt, der wird den hervorragenden Einfluss der Cyklotherapie gerade 
auf diese Form verstehen. In der That haben es mich Dutzende solcher Dyspeptiker, 
die ihr Grundleiden, eine zum Theil nicht leichte Chloroneurasthenie, der Hauptsache 
nach von bedenklicher Ueberarbeitung in der Studierstube oder dem Bureau davon¬ 
getragen, immer und immer wieder versichert, dass keine der früheren ärztlichen Maass¬ 
nahmen auch nur annähernd ihnen die Erlösung von ständiger Pein gebracht, wie ihre 



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Radfahren bei Magenkrankheiten. 43 

Stahlmaschine. Sie galt ihnen mehr als alle Stomachika und Peptika unseres Arznei¬ 
schatzes» die Diätverordnungen und sonstige physikalische Therapie, sogar den Kur¬ 
aufenthalt in den Bädern nicht ausgenommen. Es hat hier selbst an schwereren 
Formen nervöser Anorexie mit fast unüberwindlicher Furcht und Abneigung vor der 
Nahrung nicht gefehlt. Dass der oder jener der Gebesserten, ja Geheilten Rückfälle 
im Winter ohne Vermittelung der üppigen Diners der Grossstadt erlitten, um sie 
mit den im Frühling wieder aufgenommenen Radtouren abermals zum Weichen zu 
bringen, kann geradezu als experimenteller Beweis der ursächlichen Wirkung gelten. 
Freilich bleibt die unfreiwillige Pause in der schlechten Jahreszeit ein Nachtheil 
unserer Therapie; allein er ist der wesentlichen Abmilderung fähig, wenn die schönen 
Wintertage nicht ohne Noth gemieden werden. 

An zweiter Stelle dürfte jene Form der nervösen Dyspepsie zu nennen sein, 
welche unter Begleitung mannichfacher sonstiger neurasthenischer Erscheinungen 
bei launischem Appetit den Patienten in wechselnder und fast unberechenbarer Weise 
abnorme und quälende örtliche Sensationen nach der Nahrungsaufnahme, vor allem 
Magenschmerz, Aufstossen und Brechreiz bescheert. Nicht wenigo dieser Opfer 
der gastrischen Neurasthenie waren, nachdem sie nur einige Wochen den Radfahr¬ 
sport in mässiger Weise betrieben, nicht wieder zu erkennen, ja fühlten sich magen¬ 
gesund und selbst unter relativ schwierigen, von Küche und Keller gestellten Be¬ 
dingungen. Ich glaube an diese Gruppe gleich jene Abart anschliessen zu sollen, 
die ich vor acht Jahren der Balneologiscben Gesellschaft hierselbst als »Magen¬ 
schwäche« skizzieren durfte (Deutsche Med.-Zeitung 1893. No. *29); vortrefflicher 
Appetit, Druck- und Vollgefühl — keine eigentlichen Schmerzen — im Magen noch lange 
vor dem Stillen desselben und insbesondere nach bestimmten Speisen und Getränken 
zeichnen der Hauptsache nach diese Form aus, für welche sich immer und immer 
wieder Vertreter mir aufgedrängt, mit neurasthenischen Begleitsymptomen und ohne 
solche. Einige derselben waren aus Anlass einer konsequent durchgeführten Cyklo- 
therapie so weit gediehen, dass sie, zumal am Ende ihrer Ausflüge, ihren erstaun¬ 
lichen Appetit voll und sogar mit den sonst gefürchteten Speisen befriedigen konnten, 
ohne dass das verhasste drückende und nagende Gefühl sich meldete 1 ). 

Nichtsdestoweniger muss ich ehrlicher Weise bekennen, was ich auch schon am 
angeführten Orte kurz erwähnt, dass es selbst im Bereich der genannten Gruppen 
an Misserfolgen der neuen physikalischen Therapie nicht gefehlt hat, obzwar 
den Patienten Vorwürfe über unzweckmässiges Verhalten, namentlich auch hin¬ 
sichtlich der Diät nicht zu machen gewesen. Einige Male" sank der Appetit in 
unmittelbarem Anschluss an die Uebungen und auch später überhaupt dermaassen, 
dass sie schleunigst wieder aufgegeben werden mussten. So prägte das reizbar 
schwache Nervensystem seine unberechenbare Laune, wie bei jeder neuen anti- 
neurasthenischen Kur, auch hier aus. Aber auch unter den nicht rebellischen Fällen 
habe ich unwillkommene Rückfälle zu verzeichnen, die freilich fast durchweg sich 
auf den Winter mit dem Einzug der Tafelfreuden und dem Ende der Radfahrlust 
beschränkten. 

Eine weitere Klassifikation der Magenkrankheiten rücksichtlich der Anzeigen 
und Gegenanzeigen der Cyklotherapie kann ich nicht wagen, da die zudem recht 
lückenhaften Beobachtungen verwerthbare Schlüsse nicht zuliessen. Dies gilt u. a. 


!) S. Merkel, .. wiewohl zugegeben werden muss, dass eine Reihe von Speisen, die sonst 
nicht vertragen werden, verdaut wird«. 


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44 Fürbringer 

von mehrfachen Fällen ausgesprochener Dyspepsia acida, welche die Bewegung 
auf dem Rade recht widerspruchsvoll beantworteten. Das eine oder andere Mal 
wurde der Erfolg, insbesondere der Abgang von Kardialgie und Sodbrennen gerühmt, 
ohne dass die späteren Untersuchungen eine Abnahme der Hyperacidität erweisen 
konnten. Wenn man, was auch wir thun, das Hauptkontingent dieser Hyperchlor- 
hydrieen i. e. S. dem Begriff der nervösen Dyspepsie unterordnet, wird man solche 
Reaktionen nicht als besondere Wunder auffassen. 

Als letztere Kategorie muss ich aber noch eines gleich wichtigen und häufigen 
Magenleidcns gedenken, des Geschwürs. Wenn ich mich früher nur dahin resümiert, 
dass ich bei Verdacht auf Magengeschwür vom Radfahren bestimmt abgerathen, so 
habe ich auch jetzt keine Veranlassung, diese Warnung zu modifizieren. Dies um so 
weniger, als ich weiss, dass die Fehldiagnose oder Ahnungslosigkeit überhaupt Rad¬ 
fahrern als böse Folge ihres Sports schwere Magenblutungen in gleicher Weise ein¬ 
getragen, wie den Objekten einer Bauchmassage oder ähnlichen Kur im medico-mecha- 
nischen Institut. Und doch glaube ich nicht verschweigen zu sollen, dass einige 
offenbare Träger von Folgezuständen des Magengeschwürs (Verwachsungen) sich auf 
das bestimmteste anmaassen, ihre Beschwerden durch das Rad los geworden zu sein. 
Trotz alledem rathe ich eindringlich, da, wo die Anamnese das frühere Magen¬ 
geschwür erweist, oder den dringenden Verdacht begründet — das zumal als offnes 
erkannte Ulkus bedeutet natürlich die strengste, gar nicht die diskutierende Gegen¬ 
anzeige — das Radfahren ein für alle Mal zu verbieten. Auch dann, wenn die Lern¬ 
zeit mit ihren obligaten unfreiwilligen Trennungen von Ross und Reiter nicht mehr 
in Betracht kommt. Selbst der beste Cyklist, der sich möglichst gute und verkehrs¬ 
arme Wege aussucht, ist nie ganz sicher vor dem Fall und sonstiger schwerer Er¬ 
schütterung; die Eventualität einer unheilvollen Wirkung solcher Zufälle auf die so 
häufig ungünstig gelegenen und gearteten Karben und Adhäsionen bedarf keines 
weiteren Wortes. 

So bleiben in der That im wesentlichen bestimmte Formen chronischer funk¬ 
tioneller Magenstörungen, also die nervöse Dyspepsie Hauptgegenstand der Cyklo- 
therapie Hnd um so dankenswerterer, je schärfer sie als Theilsymptome des 
Grundleidens der Neurasthenie bezw. Hysterie und Anämie in die Erscheinung treten. 
Diese Ueberlegung deutet meines Erachtens zugleich das Wie der günstigen Wirkung 
des Radfahrens an. In erster Linie kommt offenbar der antineurasthenische 
Heilerfolg des Radfahrens in Betracht, wie er von einer Reihe Sachverständiger ein- 
müthig aufs Schild gehoben wird. Wenn ich ihn s. Z. bei der enormen Verbreitung 
der reizbaren Schwäche des Nervensystems als Grundlage der relativ grössten Triumphe 
angesprochen habe, zumal da, wo die Blutarmuth sich hinzugesellt, so konnte ich 
mich, von den nicht gerade spärlichen Eigenerfahrungen abgesehen, schon damals 
auf andere massgebende Autoren stützen; so auf v. Leyden, der den »schönen 
gesundheitsmässen Sport« als ausserordentliche Wohlthat für nervöse Damen be¬ 
zeichnet, und nicht weniger auf Eulenburg, der ihn fast vor jeder anderen Art 
kurativen Gymnastik bevorzugt. Auch Hammond ist ein warmer Parteigänger, 
und mit Recht heben Placzek und L. Hahn hervor, wie das frische heitere Aus¬ 
sehen, das ungezählte blasse, empfindliche und verdüsterte Stubenhocker nach Er¬ 
lernung des Sports gewinnen, der Theorie so manchen Skeptikers in der Zahl der 
»Radlerfeinde« spottet. »Alles, was man dem Radfahren vorgeworfen hat, verschwindet 
für uns vollständig gegenüber der Thatsache, dass in zahllosen Fällen unendlicher 
Nutzen damit zu stiften ist und zwar ganz besonders bei krankhaft veranlagten 


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Radfahren bei Magenkrankheiten. 45 

nervösen (neurasthenischen) Personen beiderlei Geschlechts« (Eulenburg). Hier ist 
auch der Ort, der bedeutungsvollen »Philosophie des Fahrrads« von Eduard Bertz*) 
zu gedenken. Das Buch, von dessen Inhalt Kenntniss zu nehmen wir eindringlich 
empfehlen, obwohl der Autor Nichtarzt, entstand, wie ich seiner freundlichen brief¬ 
lichen Mittheilung und dem Text entnehme, aus dem Gefühl der Dankbarkeit heraus 
für die wunderbare Verjüngung, die das Rad ihm, dem durch geistige Ueber- 
anstrengung vorzeitig Gealterten, geleistet. Man sehe nur seine, des dem kritiklosen 
Enthusiasmus abholden Philosophen Begründung des Satzes ein, dass der richtig be¬ 
triebene Radsport die nothwendige Ergänzung der sonstigen Mittel zur Leibespflege 
für den Menschen des 20. Jahrhunderts darstellt. 

Zu der wirksamen Bekämpfung des nervösen Grundleidens tritt für unsere 
Kategorie von Störungen die ganz ausserordentliche, mehr oder weniger selbständige 
Steigerung des Appetits, über die wir uns bereits geäussert. Beides aber muss der 
Hauptsache nach als Folge der Muskelarbeit in frischer Luft beurtheilt werden. 
Aber noch mehr als das: Die reizvolle, spielende Ueberwindung weiter 
Entfernungen durch eigene Muskelkraft und, wie Siegfried u. v. a. mit Recht 
hervorheben, die gleichzeitige Erziehung des Körpers und Geistes, das Züchten von 
Selbstvertrauen und Selbständigkeit, von Muth gegenüber der Gefahr, das thätige 
und denkende Reisen vertreten werthvolle Sonderwirkungen. 2 ) 

Freilich — und wir legen kritikloser einseitiger Uebertreibung zu Gunsten des 
Fahrrads gegenüber darauf besonderen Werth — die genannten Vorzüge sind mehr 
weniger auch in anderen Sportübungen enthalten, nicht nur im Rudern und Schlitt¬ 
schuhlaufen, sondern auch in gewisser Richtung im Schwimmen, Turnen und selbst 
Reiten, vor allem aber im Bergsteigen; und wir dürfen, um uns nur auf das 
letztere zu beschränken, über dessen Vergleichsfähigkeit sich bekanntlich im An¬ 
schluss an die ersten Lehren Mendelsohn’s eine anregende wissenschaftliche Kontro¬ 
verse, zumal zwischen ihm und Siegfried«) entsponnen, billig fragen, wo denn der 
besondere Vorzug des Radfahrens in Bezug auf unser Thema gegenüber dem alpinen 
Sport und dem Touristenthum überhaupt stecke. Dies um so mehr, als wir selbst 
jeder Bewegung in frischer Luft die gleichsinnige Wirkung im Prinzip zuerkannt 
und bestritten haben, dass das Radfahren in seiner Wirkung auf den Appetitmangel 
vor dem Bergsteigen etwas Spezifisches voraus habe. Fleissige Alpinisten wissen 
auch Erstaunliches von ihrer Appetitsteigerung und günstigen Beeinflussung von 
Magenstörungen zu berichten; ja schon dem einfachen Spaziergänger ist solche Wirkung 
geläufig. 

Und doch fühlen wir uns bei aller Hochhaltung der erspriesslichen Wirkung 
des Wanderns, zumal im Hochgebirge, gehalten, das Radfahren in der uns be¬ 
schäftigenden therapeutischen Richtung mit einem besonderen praktischen Vortheil 


i) Dresden und Leipzig 1900 (234 Seiten). 

*) Schon aus dieser Ueberlegung ergiebt sich, wie weit das Radfahren die Zimmergymnastik 
mit Tretapparaten, der ja die Fortbewegung in frischer Luft ganz abgeht, hinter sich zurücklassen 
muss, und wie vollends die modernen »Konkurrenten« des Rades, die Automobilen, nicht in Vergleich 
treten dürfen. Hier das passive Sichfortrollenlassen, dort die eigene körperliche Arbeit als Treibkraft. 

*) Vergl. meine Ausführungen über diese Frage in der citierten Abhandlung. Weitero Be¬ 
obachtungen lassen mir eine strenge Abgrenzung einzelner Muskelgruppen bei der komplizierten 
Tretbewegung des Radfahrers immer zweifelhafter erscheinen, und ich muss der Verwahrung von 
Bertz gegen die einseitige plumpe Muskelentwicklung beitreten. Mindestens ist das »Radfahrbein« 
vielfach arg übertrieben worden. 


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46 Fürbringer 

auszustatten. Ganz abgesehen von den Bedingungen des Terrains müssen wir es auf 
Grund eigener und fremder Erfahrung als hochwahrscheinlich gelten lassen, dass 
durchschnittlich der von uns erörterte günstige Erfolg auf die Magenstörung in 
wesentlich kürzerer Zeit beim Radfahrer sich einstellt, als beim Fuss- 
gänger. Schon das unmittelbare, in Appetit und sonstiger Euphorie sich äussernde 
Resultat, das eine cinstündige rationelle Radtour herbeizuführen pflegt, kann der 
Wanderer der Regel nach durch den doppelten Zeitaufwand kaum leisten. Zu dieser 
werthvollen Zeitersparniss kommt ein zweiter wesentlicher Faktor: das trotz gleichen 
Stoffverbrauchs geringere Anstrengungsgefühl des Cyklisten 1 ). Das bedeutet 
eine nicht zu unterschätzende subjektive Wohlthat zumal für Bequeme. Bekannt ist, 
wie nicht wenige gehfaule Fettleibige die angenehme Entlastung von der »An¬ 
strengung« der Spaziergänge bei Benutzung des Rades nicht genug rühmen können. 

Die genannte Eigenart der gesammten günstigen Wirkung des Radfahrens auf 
zumal nervöse Magenstörungen in der erörterten Weise bei der sonstigen weitgehen¬ 
den Uebereinstimmung in Bezug auf die Hauptfaktoren, Muskelarbeit und Genuss 
von frischer Luft, lässt sich schwer befriedigend erklären. Mit dem appetit¬ 
steigernden Begriff der Muskelarbeit und des Kräfteverbrauchs ist es ebenso wenig 
gethan, wie mit den oben angeführten Vorzügen des Radfahrsports. Ist doch auch 
der Bergsteiger in besonderem Vortheil bezüglich des Naturgenusses, der, wie Bertz 
mit Recht hervorhebt, beim Radfahrer wegen des flüchtigen Vorbeihuschens der Land¬ 
schaft und seiner dem Wege in höherem Grade gewidmeten Aufmerksamkeit eine wesent¬ 
liche Einbusse erleidet. Den »komprimierteren Sauerstoffgenusst des Radfahrers, 
der dreimal schneller die Luft durchschneidet, als selbst der Wanderer in der Ebene, 
vermag ich als ins Gewicht fallendes differentielles Moment nicht recht ernst zu nehmen. 
Aber vielleicht ist eine Hypothese, zu der ich mich gedrängt fühle, an dem zeitlichen 
Wirkungsunterschied betheiligt. Ich meine die von der Muskelaktion an sich unab¬ 
hängige anhaltende Erschütterung des ganzen Körpers und mit ihm des Verdauungs¬ 
apparates, wie sie unausbleiblich, wenn der Radfahrer nicht auf ganz glatte Bahnen 
angewiesen ist, und wie sie oft genug namhafte, an die Vibrationsmasssage 
erinnernde Grade für längere Fristen erreicht. Dem Fussgänger und selbst dem Hoch¬ 
touristen ist sie in dieser Ausbildung fremd. Ich weiss freilich nicht, ob der wahre, 
von seinem Thier geschüttelte Reiter in der uns interessierenden Richtung vor dem 
Ritter vom Pedal im Vortheil ist. 

Wo auch immer Magenkranke zum Fahrrad als Heilmittel greifen, sind gegen¬ 
über dem Sport ganz Gesunder und zumal robuster Jünglinge, besondere Vorsichts¬ 
maassregeln unerlässlich und um so mehr, je stärker die örtliche Störung und 
das Grundleiden, also die reizbare Schwäche des Nervensystems dem Körper bereits 
zugesetzt hat*). Dann wird Massigkeit zur höchsten Pflicht Je strenger sich die 
Patienten zur Partei der »Modestes de la p^dale« Lucas - Championnifcre’s 
bekennen, um so besser. Das schliesst ein gelegentliches Durchsausen günstigen 
Geländes nach Herzenslust nicht aus, wofern das Herz nicht in ausgeprägtem Maasse 
mitleidet. Immerhin warne ich mit Sehrwald auch bei sonstiger günstiger Verfassung 
im allgemeinen vor einer Schnelligkeit, die einschliesslich kurzer Absitze für das 


') Von der gefährlichen Seite dieser bekannten Unterschätzung der aufgewendeten Arbeit auf 
Grund des Ermüdungsgefühls (Oertel, Mondeisohn, Villaret, Albu, J. Meyer, Kisch, L. Zuntz, 
B. Lewyu. a.) in Ansehung der Hcrzthätigkeit haben wir hier nicht zu sprechen. 

*) Schwere Formen von Neurasthenie und Hysterie gehören überhaupt nicht aufs Rad. 


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Radfahren bei Magenkrankheiten. 47 

Kilometer durchschnittlich mehr als fünf Minuten braucht. Als obere Grenze der 
Tagestour dürften 40 Kilometer gelten. J ) Selbstverständlich hat der Patient nur 
mit dem Begriff der Besserung seines Zustandes, nie mit der Ausnutzung der Kräfte 
zu Sportszwecken zu rechnen und jeden Vortheil, jede Erleichterung der gestellten 
Aufgaben wahrzunehmen. Wir haben uns in der früheren Abhandlung zu gleicher Zeit, 
wie S. Merkel in seinem Referat (s. o.) eingehend über einige wichtigere, aus der 
eigenen Praxis abgeleitete Rathschläge ausgelassen und dürfen den freundlichen Leser 
auf den einschlägigen Inhalt beider Abhandlungen verweisen. Er findet nicht nur 
das Verhalten des vom Arzt auf das Rad gesetzten Patienten zu seinen schlimmsten 
Naturfeinden, den Anstieg und Gegenwind, berücksichtigt, sondern auch die Frage 
der Haltung des Radfahrers sowie der geeigneten Sattelkonstruktion und Ueber- 
setzung kurz behandelt. Will er ausführlicher Auskunft über diese Fragen und 
ausserdem über die spezielle Einrichtung und Behandlung der Maschine, die Er¬ 
lernung des Sports in Wort und Bild, die Ausstattung und Diätetik des Radfahrers 
und sein Recht theilhaft werden, so kann ihm das Studium des genannten Schieffer- 
decker-Schumacher’ sehen Werkes nicht angelegentlich genug empfohlen werden.*) 
Es begreift sich, dass für den magenkranken Radfahrer die früheren Diätvor¬ 
schriften zunächst keineswegs überflüssig werden. Da, wo in dem Glauben, dass 
der neuerwachte Appetit und die Erlösung von den örtlichen Beschwerden von der 
bisherigen Rücksicht auf die Wahl von Speisen und Getränken ohne weiteres ent¬ 
binden, an der lockenden Tafel darauf los gesündigt wird, pflegt die Indigestion mit 
elementarer Gewalt zur Geltung zu kommen und der Heilwirkung des neuen physi¬ 
kalischen Kurverfahrens bösen Abbruch zu thun. Auch die sonstigen bewährten 
physikalischen, medikamentösen und balneologischen Maassnahmen dürfen nimmer 
durch das Fahrrad verdrängt werden; die Cyklotherapie steht neben, nicht über 
ihnen. 


’) Ueberanstrengung hat nicht selten, wie icli versichern kann, eine Verminderung des Appetits 
und Steigerung der Magenbeschwerden zur Folge in gleicher Weise, wie Bergsteiger, uneingedenk 
der Bideker’schen Wanderregeln, vom Excess auch ohne besondere Diätfehler gern eine tiefere 
Magenverstimmung davontragen. 

*) Auch die kleinen Katechismen von Fresscl, Biesendahl, Kilian, Smutny u. a. geben 
treffliche Anleitungen. 


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48 


G. Klemperer 


V. 

Beitrag zur Erklärung hamsaurer Niederschläge im Urin. 

Aus dem chemischen Laboratorium des Berliner Instituts für medicinische Diagnostik. 

Von 

Professor Dr. 6. Klemperer in Berlin. 

Die Bildung von Nierensteinen beruht auf dem Ausfallen gewisser wohlbekannter 
Substanzen aus Lösungen, deren Zusammensetzung bekannt ist. Da nun die Zu¬ 
sammensetzung dieser Lösungen, insbesondere aber ihr Gehalt an den ausfallenden 
Substanzen, hauptsächlich von der Zusammensetzung der Nahrung abhängt, so müsste 
eigentlich die Verhinderung des Ausfallens eine Aufgabe sein, welche die Diätetik 
mit mathematischer Genauigkeit zu lösen im Stande wäre. 

In der That gehört die Berathung eines Patienten, der einen Nierenstein aus- 
gestossen hat, zu den dankbaren Aufgaben des sachkundigen Arztes. Aber neben 
vielem Gesicherten und Bekannten ist doch noch mancher Kausalzusammenhang un¬ 
gewiss und strittig. 

In Bezug auf die Prophylaxe der harnsauren Nierensteine wissen wir, dass 
reichliche Flüssigkeitszufuhr durch Vermehrung des Harnwassers die Lösung er¬ 
leichtert, das nukleinarme Nahrung die Urate vermindert, und dass pflanzliche 
Nahrung, indem sie dem Urin kohlensaure Alkalien zuführt, dessen Reaktion in einer 
die Harnsäurelösung günstigen Weise beeinflusst. So sollte man meinen, dass man 
das Ausfallen der Harnsäure und der harnsauren Salze mit Sicherheit verhindern könne. 

Und doch bleibt die Thatsache bestehen, dass trotz sorgfältiger Befolgung 
solcher diätetischen Rathschläge oft ein Harnsäuresediment sich bildet. 

In Bezug auf die weitere Erforschung des Problems der Harnsäureniederschläge 
sind nun zwei Fälle zu unterscheiden: das eine Mal besteht das Sediment aus saurem 
harnsaurem Natron, das andere Mal aus reiner Harnsäure. In Bezug auf das Blut liegen 
die Verhältnisse viel weniger kompliziert, indem hier nur saure harnsaure Salze in 
Lösung gehalten sind und im pathologischen Fall niedergerissen werden. Im Urin 
aber besteht eine grosse Mannichfaltigkeit. Ich habe 30 Sedimente aus sauren Harnen 
wahllos hintereinander untersucht. 16 mal war reine Harnsäure, 14 mal Urat aus- 
krystallisiert. In drei Fällen, in welchen der saure Urin sandig getrübt aus der 
Harnröhre gelassen wurde, bestand der Niederschlag jedesmal aus Krystallen reiner 
Harnsäure. Fragt man, worauf die Verschiedenheit beruht, so darf man wohl an¬ 
nehmen, dass saures harnsaures Alkali die gewöhnliche Daseinsform der Harnsäure 
im Urin darstellt, sofern genügende Mengen Alkalien mit der Nahrung aufgenommen 
sind. Ist in diesem Falle die Harn wassermenge nicht gross genug, so fällt bei grosser 
Konzentration schon im Körper, sonst im erkaltenden Urin das Urat aus. Fehlt da¬ 
gegen Alkali in der Nahrung, was namentlich bei fleischreicher, pflanzenarmer Kost 
der Fall ist, so wird nach bekannten Gesetzen die Harnsäure als schwerstlösliche 
Säure die erste sein, welche in zum Theil ungesättigten Zustand zum Ausfallen 
kommt. Sie wird im übrigen um so eher ausfallen, je mehr Salze der Urin im 
ganzen enthält. 


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Beiträge zur Erklärung harnsaurcr Niederschläge im Urin. 40 

Aus dieser Betrachtung wäre verständlich, dass beim reichlichen Fleischgenuss 
Harnsäure ausfallt; Zugabe von Obst und Gemüse müsste dann eine Lösung her¬ 
beiführen. 

In vielen Fällen bleibt aber trotz gemischter Kost eine Ausscheidung reiner 
Harnsäure bestehen. 

Indem ich den Ursachen dieser oft beobachteten Erscheinungen nachging, legte 
ich mir die Frage vor, ob bei der Ausfällung der Harnsäure eine bisher wenig be¬ 
achtete Säure die Mitschuld trüge, nämlich die Kohlensäure. 

Dass der saure Urin Kohlensäure physikalisch absorbiert enthält, ist eine sehr 
bekannte Thatsache. Sehr häufig, wenn man zum Nachweis von Eiweiss Urin er¬ 
hitzt, sieht man Gasbläschen entweichen und zugleich eine Trübung auftreten, die 
sich bei Säurezusatz löst; es ist der phosphorsaure Kalk, der durch die absorbiert 
gewesene Kohlensäure in Lösung gehalten war. 

Als QueUe der Urin-Kohlensäure kommen vorerst die Karbonate in Betracht, 
welche aus dem Blut in den Urin übertreten. Sofern der Urin saurer Reaktion ist, 
setzen sich dann die kohlensauren Salze mit den sauren Salzen um, und es entsteht 
freie Kohlensäure, welche zur Absorption kommt. Es wird deren Menge also wohl 
am grössten sein, wenn kohlensaure Salze in der Nahrung enthalten sind, die be¬ 
kanntlich quantitativ in den Urin übergehen. Da pflanzensaure Salze zu Karbonaten 
im Körper verbrannt werden, so wird man auch nach Obst- und Gemüsegenuss reich¬ 
lich Kohlensäure im Urin erwarten dürfen, wenn der Urin sauer ist. Eine offene 
Frage schien es mir, ob im Blut enthaltene freie oder locker gebundene C0 2 durch 
die Nieren diffundieren kann. 

Meine Untersuchungen richteten sich nun auf zwei Punkte: 

I. Welche Einwirkung hat die Kohlensänre auf die Lösungsverhältnisse 
der Harnsäure und ihrer Salze? 

II. Wie gross ist der Gehalt des Urins an physikalisch absorbierter Kohlen¬ 
säure unter verschiedenen Ernährungsbedingungen V 

Die folgenden Versuche habe ich im Institut für med. Diagnostik mit Herrn 
Dr. Tritschier angestellt, dem ich für seine Mühe zu grossem Dank verpflichtet bin. 


I. 

Zuerst prüfte ich die Einwirkung der Kohlensäure auf Lösungen von saurem 
harnsaurem Natron in Wasser, in 2 % Harnstofflösung, sowie in solchen Salzlösungen, 
welche der Zusammensetzung des Urins ähnlich zusammengesetzt waren. 

Die folgende Tabelle zeigt das Resultat dieser Lösungsversuche. 

Es lösen sich gramm sauren harnsaurem Natron bei 38 0 in je 100 ccm: 



1 1 

2 % Harn- 

Lösung von 

Losung von 

Lösung von 

Lösung von 

Lösung von 


H*0 

0,5 Na CI 

2g U 

lg KCl 

1 g NaCl 



Stofflösung 

0/) KCl 

; 4 - 0,23 P 4 O 5 *) 

0,23 PjO., 

+ 0,23 P 2 0 Ä 

"t" 0,23 P 2 0 0 

ohne C0 2 

0,1372 

0,1552 

0,0165 

1 

0,026 

0,0324 

0,0224 

0,0014 

unter 1 stdl. 
Einwirkung 

j 

i 

| 


j 

l 



von C0 2 

0,0852 

0,0840 

0,0580 

0,0338 

0,0450 

0,0434 

0,0029 


') Es waren zu gleichen Theilen saures und neutrales phosphorsaures Natron gemischt, *<> 
dass der Ucsammtprozentgehalt an P a 0-, 0,23 war. 

Zeitsohr. L di&L u. phyeilc. Therapie lid. V. Heft 1. 4 

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" * r“/ -r* 

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r.o 


(>. Kleuipcrcr 


Es wird also aus Wasser und wässriger Harnstoff lösung saures harnsaures 
Natron durch den Kohlensäurestrom zum Theil ausgefällt, während in Lösungen von 
Kochsalz, Chlorkalium und Phosphaten die Löslichkeit des sauren harnsauren Natrons 
durch die Kohlensäure erhöht wird. 

Da hiernach offenbar die Einwirkung der Kohlensäure mehr auf physikalischen 
Faktoren als auf chemischer Umsetzung beruhte, so schien es unmöglich, die Wirkung 
der Kohlensäure in den komplizierten Lösungsverhältnissen des Urins auch nur an¬ 
nähernd im voraus zu beurtheilen. Ich ging also dazu über, Urin mit Kohlensäure 
zu durchströmen, und die Löslichkeit der Harnsäure und ihrer Salze vor und nach 
der Durchströmung zu bestimmen. In jeder Versuchsreihe wurde in dem betreffenden 
Urin, welcher die in 24 Stunden gesammelte Menge eines gesunden Menschen dar¬ 
stellte, zuerst die Harnsäure und das Verhältniss der Gesammtphosphorsäure zum 
sauren Phosphat (Acidität) bestimmt. Danach wurden je zweimal 100 ccm des Urins 
mit gewogener Menge reiner Harnsäure, Natronbiurat, Kalibiurat versetzt. Alle 
sechs Proben kamen in den Brutschrank; in drei Bechergläser wurden gebogene 
Glasröhren bis auf den Grund geführt, in welche dauernd Kohlensäure aus dem 
Kipp’sehen Apparat in langsamem Strom einströmte. Dazu kam noch eine Urinprobe 
ohne Zusatz, in die ebenfalls C0 2 eingeleitet wurde. In allen Bechergläsern wurde 
das am Boden niedergesunkene Pulver von Harnsäure bezw. Urat in kurzen Zwischen¬ 
räumen aufgerührt Nach der Digestion wurde von der ungelösten Harnsäure ab¬ 
filtriert und im filtrierten Urin von neuem die Harnsäure bestimmt. Das Resultat 
der Versuche ist in folgender Tabelle wiedergegeben. 



a 

b 

c 


e 


o/o Gehalt an 
Harnsäure 

Acidität 

o/ 0 Gehalt an Harnsäure nach Digerieren mit 

lf .. saurem 1 saurem 

Harnsäure 


■ 



hams. Na 

hams. R 

oline CO-, 


50,9 

0,0-456 

0,0487 

0,0021 

I. 

o,or> 2 i 




mit CO* 


51,4 

0,0024 

0,0514 

0,0689 

ohne CO, 


50,01 

0,0577 

0,0061 

0,0705 

II. 

0,0803 





mit CO> 

■ 

49,0 

0,0103 

0,0753 

0,0810 

ohne C0 2 

! 

35,02 

0,0541 

0,0738 

0,0855 

J1L 

0,0740 




mit CÜ 2 


35,53 

0,0437 

0,0795 

0,0794 

ohne CO., 


54,9 

0,0394 

0,0537 

0,0798 

IV. 

0,0411 



mit C0 2 


52,06 

0,0319 

0,0576 

0,0832 

ohne (’O.j 
V. 


33,8 

0,0755 

0,0845 

0,0879 

0,0750 




mit C0 2 


33,0 

0,0748 

0,0877 

0,1011 

ohne C0 2 


28,5 

0,0561 

0,0756 

0,0823 

VI. 

0,0740 


mit C0 2 


29,0 

0,0672 

0,0779 

0,0871 

Die Durchsicht dieser Versuchsreihe 

ergiebt folgendes: 



1. die Acidität des Urins, ausgedrückt durch das Verhältniss der Gesammt- 
phosphorsäurc zu den sauren Phosphaten, wird durch die Einwirkung der Kohlen- 


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51 


Beitrag zur Erklärung harnsaurcr Niederschläge im Urin. 

säure nicht verändert Die erhaltenen Differenzen liegen innerhalb der Grenzen der 
Bestimmungsfehler der bekannten Lieb lei n’schen Methode. In Wirklichkeit aber 
ergiebt sich aus diesen Versuchen, dass das hier bestimmte Verhältnis durchaus 
nicht ein Maassstab der Acidität, d. h. des quantitativen Verhältnisses zwischen der 
Gesammtheit der sauren und basischen Verbindungen des Urins ist. Auf diese Frage 
werde ich an anderer Stelle zurückkommen. 

2. Reine Harnsäure wird durch die Kohlensäure zur Ausscheidung gebracht. 

Der Harnsäureverlust durch den C0 2 -Strom aus 100 ccm Harn beträgt in den sechs 
Versuchen 13,2mg, 17,4 mg, 10,4mg, 7,5 mg, 0,7 mg, 11,1mg. Zur Würdigung 
dieser Zahlen muss hervorgehoben werden, dass die zu den Versuchen benützten 
Urine mit Harnsäure augenscheinlich gesättigt waren, sodass sie (mit Ausnahme von 
Versuch V) beim blossen Digerieren mit reiner Harnsäure schon Harnsäure fallen 

Hessen, wie ein Vergleich der Rubriken a und c ergiebt. Die Einwirkung des C0 2 - 

Stroms erhöht aber in jedem Fall die Menge der abgeschiedenen Harnsäure. 

3. Saures harnsaures Natron wird durch Einwirkung von C0 2 im Urin gelöst. 
In 100 ccm Urin liessen sich durch Kohlensäure 2,7 mg, 9,2 mg, 5,7 mg, 3,9 mg, 

3.2 mg, 2,3 mg in Lösung bringen. Der Vergleich der Rubriken a und d ergiebt, 

dass in den Versuchen I, II und III die Urine mit harnsaurem Natron übersättigt 

waren, so dass sie an das zugesetzte Urat Harnsäure abgaben; in den übrigen Ver¬ 
suchen erfolgt im Gegentheil eine Auflösung von saurem harnsaurem Natron durch 
einfache Digestion. Die Kohlensäure aber wirkt in allen sechs Versuchen in gleich¬ 
sinniger Weise, theils Minderabgabe, theils Mehrlösung hervorrufend. 

4. Saures harnsaures Kali wird ebenfalls durch Einwirkung von C0 2 im Urin 
gelöst. In 100 ccm Urin lösen sich durch C0 2 6,8 mg, 7,5 mg, 3,4 mg, 13,2 mg, 

5.2 mg. Nur in einem Versuch findet trotz der Kohlensäurewirkung eine Minder¬ 
lösung von 6,1 mg Harnsäure statt. Der Vergleich der Rubriken a und e ergiebt, 
dass auch Kalibiurat (mit Ausnahme von Versuch U) sich durch einfache Digestion 
in den Urinen löste; die Kohlensäure bewirkte aber in fünf Fällen von sechs die an¬ 
gegebene Mehrlösung. 

Wir dürfen also aus den berichteten Versuchen die Schlussfolgerung ziehen, 
dass die freie Kohlensäure des Urins die Löslichkeit der freien Harn¬ 
säure im Urin erschwert, dagegen die Löslichkeit der Uratc erleichtert. 


II. 


Nach dieser Feststellung schien es der Mühe werth, den Gehalt des mensch¬ 
lichen Urins an freier Kohlensäure unter verschiedenen Lebensbedingungen zu stu¬ 
dieren. Quantitative C0 2 - Bestimmungen des Urins sind in diesem Zusammenhänge 
meines Wissens bisher nicht gemacht worden. Aus anderen Untersuchungen weiss 
man, dass der Urin, wie jede andere Körperflüssigkeit, immer etwas Kohlensäure 
absorbiert enthält, deren Menge bei Einnahme von kohlensauren Alkalien etwa 
150 bis 250 ccm im Liter beträgt. 

Die im Folgenden aufgezeichneten C0 2 - Bestimmungen wurden so angestellt, 
dass ein Wasserstoffstrom durch den Urin geleitet wurde. Frühere Untersucher 
haben einen Luftstrom angewendet, doch ist es sehr zweifelhaft, ob es gelingt, den¬ 
selben CO a frei zu machen. In unseren Versuchen ging der Wasserstoff aus der 
Kipp’schen Flasche durch mehrere Chlorkalciumröhren und durch den Liebig’schen 
Kaliapparat, ehe er in den mit 1 Urin gefüllten Kolben eintrat; beim Austreteu 
wurde er wiederum erst durch die ('hlorkalciumröhren gelassen, ehe er durch den 

4 * 


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52 G. Klemperer 

gewogenen Geissler’schen Kaliapparat hindurchtrat. Die Entwickelung geschah in 
sich langsam folgenden Gasblasen und dauerte jedesmal eine Stunde. Darauf wurde 
der Geissler'sehe Apparat von neuem gewogen und die gewonnenen Gewichtszahlen 
in bekannter Weise auf Volumzahlen umgerechnet. 

Die Versuchspersonen waren jüngere Männer, die theils selbst an den Unter¬ 
suchungen ein gewisses Interesse hatten, theils Patienten meiner Privatklinik, welche 
zumeist Nierenkoliken überstanden hatten. Die Ernährung sowie die Sammlung des 
Urins wurde von dem geschulten Wärterpersonal gut überwacht. 


I. Versuchsreihe. 
23jähriger Chemiker. 


Urinmenge |j 

Ernährungsform 

i CO* i, 

i 

Harnsäuremenge in 100 ccm 
nach Digestion mit 

II 

spoc. Gew. Reakt. 

Lebensweise 

j 

Liter 

Gesammt- 

Ur- ; reiner j saurem j saurem 



menge ji sprünglich I Harnsäure I hams. Na | haras. K 


1. Tag. 

1140/102/» 

sauer 

i Nur Fleisch, aus¬ 
gekochtes Wasser. 
Nur Laboratoriums¬ 
arbeit 

5,35 6,9 

1 

! 

0,0788 

0,0633 

! 

0,0805 

0,0902 

2. Tag. 

1500/1019 

sauer 

Nur Fleisch, 

800 ccm Wasser bei 
150 m it C0 2 gesät¬ 
tigt 2 Stunden Be¬ 
wegung im Freien 

:*8,5 

55,75 

! 

0,0488 

0,0466 

0,0497 

0,0541 

3- Tag. 

1080/1026 

sauer 

Nur Fleisch, 

800 ccm Wasser mit 
5 g NaHCOg 
! 2 Stunden Beweg, 
im Freien 

77,0 

83,2 

0,084 

1 

0,0714 

1 ; 

0,0841 

0,0888 

4. Tag. 

1250/1020 

alkalisch 

Nur Fleisch, 
a/ 4 1 Fach. Wasser, 
1 / 4 1 Sodawasser. 

1 Nur Laboratoriums¬ 
arbeit 

117,6 

1 

147,0 

0,0778 

, 

1 

0,089 

0,0698 

0,085 

Epikrise. Bei einer Nahrung, 

die nur 

aus Fleisch und ausgekochtem Wasser 


bestand, und bei mässiger Bewegung betrug die 24ständige Gesammt-CO* des Urins 
nur 6,9 ccm. Als das aufgenommene Wasser mit C 0* imprägniert war und die Be¬ 
wegung bedeutend stärker, stieg die Menge auf 55,8 ccm; durch Zusatz von NaHCO* 
zum Wasser auf 83,2, und durch gleichzeitige Aufnahme von NaHCO* und CO* 
auf 147. 

Man kann aus diesen Versuchen ableiten, dass die Niere für die Blutkohlen¬ 
säure durchlässig sei; denn sonst wäre nicht verständlich, wie einerseits Körperarbeit, 
andrerseits Zusatz freier Kohlensäure zum Trinkwasser die CO* des Urins vermehren 
könnte. 

Eine Anwendung des oben erkannten Einflusses der Kohlensäure auf die Lösung 
von Harnsäure und Uraten ist nicht zu machen. Es ist ja aber ohne weiteres klar, 
dass dieser Einfluss niemals allein wirkend sein kann, sondern immer nur neben 
den anderen wesentlichen Faktoren in Frage kommen wird. Als solche sind natür- 


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Beitrag zur Erklärung hameaurer Niederschläge im Urin. 


53 


lieh der Gehalt an Harnsäure einerseits und das Verhältniss von Basen und Säuren 
andrerseit von vorzüglicher Bedeutung. Auf die darauf bezüglichen Bestimmungen 
will ich an anderer Stelle näher eingehen. 

II. Versuchsreihe. 

(25jähriger Ingenieur, Magenneurose.) 


Urinmenge ! 
spec.Gew. | 
Reaktion 

i 1 

Emährungsform j 

Lebensweise 

! _ . _J 

1 

j 

i 

; Liter 

CO* j Ha 

lj 

Gesammt-j ;U rsprüng- 
menge || lieh 

rnsäuremen^ 
nach Dige 

reiner 

Harnsäure 

£e in 100 ccm Ij || 

stion mit Ioqi 

1 .1 cö g ! 

saurem saurem ^2 

harns. Na j harns. K 1 ,g j 

_ j. 

1. Tag 

Fleisch, 

17,9 

! li 

89,6 ! 

0,0463 

! 0,0393 

i i 1 

0,0447 | 0,0476 ,1,075, 

2200; 1019 

Fettdiät, 


jl 


1 

1 

sauer 

Bettruhe 

i 

i 

! Ij 




2. Tag 

Fleisch, Fett- 

1 110,0 

210,4 

| 0,0529 

0,0485 

0,051 ö 0,0576 1,029 

1940/1020 i 

diät Viel Be¬ 


1 


I 

1 !| 

sauer | 

wegung 


1 


| 

j ■ 

3. Tag 

Fleisch, Fett. 

| 46,3 

123,9 j 

0,0373 

0,0341 

0,0375 , 0,0453 0,87 , 

2680/1016 

Getränk 1 

1 



i 

1 '1 1 

sauer 

CO* halt. Wasser. 


'1 



1 i 

f 

I 

Bettruhe 





1 

4. Tag 

Fleisch, Fett, 

) 71,2 

153,8 I 

0,0362 

0,0392 

0,0493 ! 0,0497 Ö,93 

2160/1016 

1 Liter Fachinger 


(| 


i 

| 

j |' j 

sauer 

l Bettruhe 





! ü i 

In dieser Versuchsreihe 

hat sich ebenfalls 

ergeben, 

dass starke Körperbew, 


a E 
'<3*3 

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*<8 


die CO*-Ausscheidung durch die Nieren vermehrt; auch CO*-haltiges Getränk zeigt 
sich als vermehrend; desgleichen in noch höherem Maasse Karbonat und CO*-haltiges 
Wasser. 

Was die Harnsäurelösung betrifft, so ist aus den festgestellten Zahlen zu 
schliessen, dass am zweiten und dritten Tage die nothwendige Basenmenge gefehlt 
hat; da danach Harnsäure im Ueberschuss frei blieb, so trug die freie Kohlensäure 
zur Unlöslichmachung derselben bei. 

III. Versuchsreihe. 

(52jähriger Kaufmann, welcher Nierenkoliken gehabt hat). 


Urinmenge Ernährung8form! j CO* 
spec. Gew. 

Reaktion Lebensweise ^j ter iGesammt-[Ursprung- reiner 

I * menge j lieh ' Harnsäure 


Hamsäuremenge in 100 ccm 
nach Digestion mit 


saurem I saurem 
hams. Na harns. K 


i i I | 

1 . Tag. | Fleisch, Gemüse 202,2 768,4 I 0,0259 0,0205 0,0505 I 0,0745 Urin trüb 

2030/1015 21 Bier. I I I entleert 

sauer | Bewegung |’ Sedim. v. 

| : I ! : | ca. 0,3 g u 

2 . Tag. /Fleisch, Gemüse 51,0 70,2 j 0,0608 0,0565 I o,0635 0,0714 kein 

1360 1021 1 kein Bier. i I j Sediment 

| Bewegung i I I 'l 


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Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 









G. Klcuipcrcr 


r»4 


Es zeigt sich hier ein unerwarteter Einfluss des Biergenusses auf den CO s -Gehalt 
des Urins, der augenscheinlich auf die Kohlensäure des Bieres zurückzuführen ist. 
Im übrigen ist bemerkenswerth, dass an dem 1. Versuchstage, trotz des reichlichen 
Harnwassers, trotz gemischter Kost und trotz sehr geringen Harnsäuregehalts, reichlich 
freie Harnsäure schon innerhalb der Harnwege zur Ausscheidung kam. Nach den 
im 1. Theil gemachten Feststellungen muss erwogen werden, ob nicht der hohe Gehalt 
der freien Kohlensäure an der Ausfällung Schuld ist. Diese Erwägung ist um so 
näher liegend, als am 2. Versuchstage, trotz im wesentlichen analoger Lösungs¬ 
bedingungen, und trotz viel höherem Harnsäuregehalt keine Harnsäure zur Ausfüllung 
kommt, während die C0 2 -Zahl beträchtlich geringer ist. 

Ich lasse nun die Versuche folgen, welche besonders zur Bestimmung des C0 2 - 
Gehalts des Urins, ohne die gleichzeitigen mühsamen Lösungsversuche, angestellt 
wurden. 

Zuerst wurden unter verschiedenen Ernährungsbedingungen an dem Urin des 
oben genannten Chemikers (I. Versuchsreihe) folgende Bestimmungen gemacht: 


III. Versuchsreihe. 

1. Nur Fleisch, mässige Bewegung nur im Laboratorium, 1 Liter Bier. 

Urinmenge 1035, sauer. Harnsäuregehalt 0,0854 °/ 0 . 

C0 2 im Liter 69,2, im ganzen 71,6 ccm. 

2. Nur Fleisch, mässige Bewegung im Laboratorium, 5 /, Liter Milch. 

Urinmenge 1110, sauer. Harnsäuregehalt 0,0732%. 

C0 2 im Liter 72,9, im ganzen 80,9 ccm. 

3. Gemischte Kost, mit 1% Liter Fachinger Wasser. 

Urinmenge 1300, schwach alkalisch. Harnsäuregchalt 0,0840 %. 

C0 2 im Liter 220,6, im ganzen 286,8 ccm. 

4. Gemischte Kost, mit 1 Flasche Karlsbader Mühlbrunnen. 

Urinmenge 2400, sauer. Harnsäuregehalt 0,0471 %. 

C0 2 im Liter 99,8, im ganzen 239,5 ccm. 

5. Gemischte Kost, mit l Flasche Karlsbader Mühlbrunnen. 

Urinmenge 1610, sauer. Harnsäuregehalt 0,0681 %. 

C0 2 im Liter 123, im ganzen 198 ccm. 

Auch hier ist die Kohlensäuremenge des Urins nach Biergenuss grösser als bei 
mässiger Bewegung allein. Freilich ist der C0 2 -Gehalt des Urins nach Milchgenuss 
nicht geringer. 

Es wurde ferner der Einfluss des Karlsbader Mühlbruunen mit dem Fachinger 
Wasser verglichen; es ergab sich die C0 2 -Menge nach dem Fachinger Wasser grösser, 
doch war sie auch nach dem Mühlbrunnen beträchtlich 


IV. Versuchsreihe. 

Ein 36jähriger Arzt wurde mit gemischter Kost ernährt und trank zuerst 
Trinkwasser, am 2. Tag Bier, am 3. 'lag Fachinger Wasser, an jedem Tag je 1 Liter. 


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Original fro-m 

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Beiträge zur Erklärung hamsaurer Niederschläge im Urin. 


55 


Diät 

Urin 

Harnsäure 
in 100 ccm 

co 2 

im Liter 

co 2 

gesammt 


l. Tag. 
Wasser 

_ 

1360/1024 

sauer 

0,0577 

99,9 

136 

Auch hier zeigt sich, dass durch Bier 

2 . Tag. 
Bier 

1290/1024 

sauer 

I 0,0698 | 

1 

1 

142,6 

183,9 

der Kohlensäuregehalt bei saurer Reak¬ 
tion gesteigert wird, mehr noch bei 
alkalischer Reaktion durch Faehinger 

3. Tag.. 

1750/1016 

0,0413 ! 

274,3 

480 

Wasser. 

Faehingcr 

alkalisch 


1 




V. Versuchsreihe. 

Herr von 41 Jahren, welcher mehrfach Nierenkoliken Überstunden hat; einige 
Zeit nach diesen Versuchen entleert er einen grossen Oxalatstein. 


Diät Urin | 

°/o 

Harns. 

C0 2 

im Liter gesammt 

f 

Sediment 1 

k 2 o %: j 

Na 2 0 o/o 

i 

o/o Na CI 

1. Tag 





i 



Milch, Ei, 1500/1022 

Brod sauer 

2 . Tag | 1 

0,0565 

42,8 

64,2 

kein 

Sediment 



1,41 

Fleisch, Milch 1150/1025 
Ei, Brod j sauer 

i 

0,0829 

67,7 

77,9 

Sediment 
von Urat u. 
oxals. Ca 

0,247 

! 

0,574 

1,11 

3. Tag 1 

Fleisch 1090/1027 

Gemüse sauer 

l 1 

0,1073 

39,1 

42,6 

Sediment 
von Urat u. 
oxals. Ca 1 

0,2412 

1 

0,4931 

0,94 

4. Tag ! 

Dieselbe Kost 920/1026 
grosser sauer 

Spaziergang 

0,096 

35,6 

32,7 

Sediment 1 
von Urat u. : 
oxals. Ca 1 

0,2866 , 

i 

i 

0,3*181 

1,08 

5- Tag 

Dieselbe Kost 1250/1021 

1 Flasche 1 

BilinerWasser 

0,0774 

157,7 

197,1 

kein j 

Sediment 

' i 

0,2602 

0,5563 

1 

1,20 

6 . Tag ! | 

Dieselbe Kost 1800/1019, 
1V* Flaschen • 1 

BilinerWasser 

0,0558 

234 

421,2 

kein 

Sediment 

i 

0,2633 

! 0,5389 

! 

1,21 


Auch aus dieser Versuchsreihe geht hervor, dass Milchdiät den CO--Gehalt 
des Urins gegenüber blosser Fleischnahrung erhöht, während andererseits blosse 
Zugabe von Gemüse eine solche Erhöhung nicht immer hervorbringt. Dagegen 
wirkt Biliner Wasser sehr stark erhöhend. 

Bemerkenswerth ist das Ausfallen der Urate am 2.-5. Versuchstag. Wir dürfen 
für dasselbe den verhältnissmässig geringen C0 2 -Gehalt des Urins mit verantwortlich 
machen. 


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Original frorn 

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.')(! (i. Klcmpcror, Beiträge zur Erklärung liamsaurer Niederschläge im Urin. 

Die Bestimmung der Basen ist an diesem Tage zu besonderen Zwecken erfolgt, 
mag aber hier wiedergegeben werden, um zu zeigen, dass die zur Sättigung der Harn¬ 
säure nothwendigen Alkalimengen vorhanden waren. 


VI. Versuchsreihe. 

55jähriger Herr mit nervösen Darmschmerzen. 



i ~ i 

Diät 

i 

Urin 

co 2 

1 

Ham säure 

Sediment 



i 

Liter 

Menge 

°/o 


1. Tag 

Milch, Eier, Brot 
Butter; 
Bewegung 

760/1022 

sauer 

93,2 

70,8 ; 

0,0656 

Weuig Harn¬ 
säure 

2. » 

Kost desgl. 
Bettruhe 

700/1023 

sauer 

53,5 , 

i 

37,1 

0,0654 

0 

1 

o. » 

Milch; Ruhe 

630/1025 

35,6 

22,4 

0,0968 

j Urate 

4. » 

Milch; 

a/iStd. Spaziergang 

750/1023 

33,1 

24,1 

0,0742 

0 

i 

5. » 

, Milchdiät; 

1 Stunde Spazier¬ 
gang 

650/1027 

i 53,5 

34,7 

0,0869 

0 

1). » 

Milch; Bettruhe 

715/1023 

62,3 

1 46,7 

' 0,0882 

0 

7. » 

Gemischte Kost; 
Milch; Bettruhe j 

810/1023 

i 

57,0 

1 46,2 

0,0870 

0 

8r » 

Desgl. 

850/1020 

89,1 

75,6 

0,0775 

o 

0. » 

Desgl. 

1200/1019 j 

56,6 

«7,9 

; 0,0579 

0 


In diesen Versuchstagen wurde 6 Tage lang eine nur aus Milch, Eiern, Brod 
und Butter bestehende Nahrung gereicht; die C0 2 -Ausscheidung in 24 Stunden betrug 
22—46 ccm. Am 1. Tag ist die Vermehrung auf die Körperbewegung zu beziehen, 
während am 4. und 5. Tag der gleiche Einfluss nicht zu bemerken ist. Die Ein¬ 
wirkung der gemischten Kost ist auf den C0 2 -Gehalt auch hier nur mässig. 

Fasse ich die gemachten Beobachtungen zusammen, so hat sich bestätigt, was 
ja nach allgemeinen Gesetzen nicht zweifelhaft war, dass bei absoluter Fleischdiät 
der C0 2 -Gehalt des Urins sehr gering ist, während er sehr beträchtlich ist bei Ein¬ 
nahme von kohlensaurem Natron und im sauren Urin. Dies beruht darauf, dass das 
Karbonat in den Urin übergeht und hier durch die sauren Salze zersetzt wird. 

Andererseits zeigt sich, dass nach Genuss von C0 2 haltigem Wasser sowie von 
Bier und Milch nicht wenig C0 2 in den Urin Übertritt, ebenso wie nach Bewegungen 
oft mittlere Mengen C0 2 im Urin gefunden werden. 

Es ist hierdurch als festgestellt zu betrachten, dass die freie Blutkohlensäure 
durch die Niere diffundieren kann. 

Nicht anders ist es zu erklären, wenn nach dem Genuss alkalischer C0 2 haltiger 
Wässer sehr reichlich C0 2 im Urin enthalten ist, trotzdem der Urin alkalisch ist. 

Wenn vegetarische Kost die CO s -Menge des Urins nicht allzu sehr in die Höhe 
treibt, so liegt das wohl daran, dass in Gemüsen und Früchten wohl pflanzliche 
Säuren, die zu C0 2 verbrannt werden, nicht aber in jedem Fall die nothwendigen 
Mengen von Basen enthalten sind, um die Bildung von Karbonat zu ermöglichen 


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Jules Renault, Die Cytotoxine. 57 

Wenn es gilt, die Ursache einer Sedimentbildung von Harnsäure oder harn¬ 
sauren Salzen aufzuklären, wird man in Zukunft auch den Kohlensäuregehalt des 
Urins in Betracht ziehen müssen. 

Niederer Kohlensäuregehalt erleichtert das Sedimentieren der Urate. Hoher 
Kohlensäuregehalt erleichtert bei saurer Reaktion das Ausfallen der reinen Harn¬ 
säure. Bei schwach alkalischer Reaktion befördert ein hoher Kohlensäuregehalt die 
Lösung der harnsauren Salze. 

Es führt also die Betrachtung zu folgender Schlussfolgerung für die Diät der 
Uratiker: 

Man sorge für eine der neutralen sich nähernde Reaktion 
und hohen Kohlensäuregehalt des Urins, indem man bei ge¬ 
mischter Diät den Genuss alkalischer CO a -haltiger Mineral¬ 
wässer verordnet. 

Ich brauche an dieser Stelle nicht besonders zu betonen, dass der Kohlensäure¬ 
gehalt des Urins selbstverständlich nur einer von sehr vielen Faktoren ist, die für 
die Lösung der Harnsäure in Betracht kommen. Je mehr man sich in dies Problem 
vertieft, desto vielseitiger und verwickelter erscheint es. Bei jeder diätetischen Ver¬ 
ordnung wird man gut thun, deren Effekt auf die Lösung der Harnsäre im Urin 
nicht ohne weiteres als gegeben anzusehen sondern in jedem Einzelfall erst dies durch 
Beobachtung sicher zu stellen. 


Kritische Umschau. 


i. 

Die Cytotoxine. 

Von 

Dr. Jules Renault in Paris. *) 

Die Cytotoxine**) sind Zellgifte, welche im Thierkörper unter gewissen beson¬ 
deren Bedingungen entstehen; die Eigenschaften dieser Toxine sind augenblicklich 
Gegenstand eifriger Studien. 

Büchner machte bereits vor längerer Zeit die Beobachtung, dass das Blutserum 
einer Thiergattung bisweilen die Fähigkeit besitzt, die rothen Blutkörperchen, welche 
einer anderen Thiergattung entstammen, zu zerstören: mischt man z. B. das Serum 
eines Kaninchens mit dem Blute eines Meerschweinchens, so werden die rothen Blut¬ 
körperchen durchsichtig, indem ihr Hämoglobin aufgelöst wird. 

Im Jahre 1888 berichteten Belfanti und Carbone 1 ) von einer toxischen Sub¬ 
stanz, welche sich in dem Blute von Thieren entwickelt, nachdem diese mit dem Blute 
einer anderen Thiergattung behandelt worden waren. 

J. Bordet*) zeigte im Jahre 1895/96, dass das Blutserum einer Thiergattung 
im Stande sei, die rothen Blutkörperchen einer anderen Thiergattung zu agglomerieren: 


*) Die Uebereetzung des Artikels aus den Archives Generales, der für die Leser unserer Zeit¬ 
schrift besonderes Interesse beanspruchen darf, wurde uns von der Redaktion des Archivs gütigst 
gestattet 

**) Das Wort »Cytotoxine« gebrauchte zuerst Metchnikoff. — Synonyme Bezeichnungen sind: 
Histolysine, Histotoxine. 


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Gck igle 


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:>8 


Jules Renault 


Das Blutserum vom Huhn z. B. agglomeriert die rothen Blutkörperchen der Ratte 
und besonders die des Kaninchens »mit einer geradezu überraschenden Energie«. 

Im Jahre 1898») zeigte er, »dass, wenn man bei intakten Thieren mehrfach 
Injektionen mit defibriniertem Blute einer anderen Thiergattung ausführt, man bei 
ersteren die Fähigkeit hervorrufen kann, nicht nur die Blutkörperchen zu agglome¬ 
rieren, sondern auch durch das Serum zerstörend auf gleichrassige Blutkörperchen 
vorher injizierter Thiere einzuwirken«. Wenn man einem Meerschweinchen in fünf 
oder sechs Intervallen 10 ebem defibiniertes Kaninchenblut injiziert, gewinnt das 
Meerschweinchenserum ausser anderen Eigenschaften die Fähigkeit, die rothen Blut¬ 
körperchen des Kaninchens kräftig zu agglomerieren und zu zerstören. 

»Die durch das Serum agglomerierten Blutkörperchen bieten dann die Erschei¬ 
nungen äusserst raschen Zerfalles. Wenn man z. B. einen Theil defibrinierten Kaninchen¬ 
blutes mit zwei oder drei Theilen aktiven Serums mischt, so wird die Mischung 
nach zwei bis drei Minuten rotli, klar und durchsichtig. Unter dem Mikroskop sieht 
man in der Flüssigkeit nur die Strömen der Blutkörperchen mehr oder weniger 
deformiert, sehr transparent,'ihres Glanzes beraubt und daher für das Auge ziemlich 
schwer zu erkennen«. 

Die globulicidc, hämolytische und hämotoxische Wirkung des Serums intakter 
Thiere und besonders der mit dem Blute anderer Thiergattungen behandelten Thiere 
ist jetzt auf Grund umfangreicher Untersuchungen von sämmtlichen Autoren anerkannt. 
Injiziert man einem Meerschweinchen in die Bauchhöhle 2 ebem defibriniertes Kanin¬ 
chenblut, und dann von 12 zu 12 Tagen weitere 5, 10, 15 ebem, so erhält man ein 
hämolytisches Serum von der Stärke 1 :2 bis 1:3, d. h. 1 ebem dieses Serums löst 
die Blutkörperchen von 2—3 ebem Kaninchenblut auf (Cantacuzöne)«)*). 

Die hämolytischen Sera sind spezifisch: Das Serum eines mit Kaninchen¬ 
blut injizierten Meerschweinchens hat nur globulicide Wirkung auf die Blutkörperchen 
des Kaninchens und umgekehrt; ebenso ist das Serum eines mit Hunde- oder Pferde¬ 
blut injizierten Kaninchens nur globulicid für Hund und Pferd. 

Die Injektion von 5 ebem frischen Serums eines intakten Meerschweinchens in 
die Vena auricularis eines Kaninchens bewirkt eine leichte Anämie von kurzer Dauer: 
am nächsten Tage nach der Einspritzung verringert sich die Zahl der rothen Blut¬ 
körperchen pro cbmm um 1 Million, dann aber macht sich eine lebhafte Thätigkeit 
der Hämatoblasten geltend, welche in einigen Tagen die Rückkehr zum normalen 
Zahlenverhältniss zustande bringen. 

Das hämolytische Serum eines Meerschweinchens, in starker Dosis (5—15 ebem) 
einem Kaninchen in die Vena auricularis injiziert, tötet das Thier fast augenblicklich: 
»Nach einigen Sekunden bricht das Thier zusammen, hat heftige klonische Zuckungen, 
wird unter schwerer Cyanose stark dyspnoiseh, schreit einige Male und stirbt nach 
1—2 Minuten« (Cantacuzöne 4 ). Bei der Autopsie findet man im Herzen und in den 
grossen Gefässen flottierende Blutgerinnsel in dem roth gefärbten S.erum; die Nieren 
und die Muskeln zeigen hämorrhagische Suffusioneu (Bordet). 

Cantacuzcne hat die Wirkung von Injektionen von hämolytischem Meer¬ 
schweinchenserum in nicht tötlichen Dosen an Kaninchen genau untersucht. 

Die starken Dosen (2—3 ebem) bewirken in einigen Stunden eine auffallend 
starke Anämie: a) die Zahl der rothen Blutkörperchen fällt von 6000000 auf 4500000 
in einer Stunde, auf 600000 in 36 Stunden, auf 300000 in 48 Stunden. Untersucht 
man das Blut nach einer Stunde mikroskopisch, so sieht man, »dass sehr viele rothe 
Blutkörperchen von einem diffusen Strahlenkranz umgeben sind, welcher sich mit 
Eosin rosaroth färbt, während der Zellkern im Centrum nur schwache Färbung an¬ 
nimmt; das Stroma des rothen Blutkörperchens lässt nämlich seinen Inhalt in Form 
grosser Tropfen entweichen, um sich dann in dem umgebenden Medium aufzulösen; 

*) Um die globulicide Kraft eines Serums zu messen, setzt man sieben bis acht Tuben an, 
in'.welche man 10 ebem einer Mischung von l Theil Blut und 0 Theilen einer 1"„ Chlomatrium- 
lösung giebt; dann setzt man jeder Tube 0 , 00 , o.l , 0,|ö. 0.2, o,25, 0,.'>, I ebem Serum zu; hierauf 
kommen die Tuben 2 Stunden in den Brutofen bei :t7"; man eentrifugiert hierauf oder lässt absetzen 
und prüft die Farbe der zu oberst stehenden Flüssigkeitsschichte jeder einzelnen Farbe (Wolf) 5 ). 


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51) 


I)ic Cytotoxine. 


das rothe Blutkörperchen bleibt in der Form eines leeren Bläschens, farblos, kaum 
wahrnehmbar, bestehen«. Nach 48 Stunden sind 19 /- 2 o der rothen Blutkörperchen 
verschwunden, einige sind entfärbt, umgeben von einer Diffusionsaureole, die Mehr¬ 
zahl derselben aber bleibt normal. Während nun die normalen rothen Blutkörperchen 
abnehmen, treten die mit Kernbildung versehenen rothen Blutkörperchen deutlicher 
in ihrer Kernzeichnung hervor und vermehren sich bis zu dem Zeitpunkte, wo die 
Zahl der rothen Blutkörperchen auf ihr Minimum sinkt; — b) der Hämoglobingehalt 
fällt von 85% auf 35%; — c) die Leukocyten vermehren sich um V,; diese Zunahme 
erfolgt hauptsächlich zu Gunsten der polynukleären Zellen, deren Yerhältniss von 
55% auf 80% steigt. 

Mit dem 4. Tage beginnt die Zellregeneration, die Anämie verschwindet mehr 
und mehr; a) die Zellregeneration beginnt mit einer ganz ausserordentlichen Thätig- 
keit der Hämatoblasten: ihre Zahl steigt von 250000 pro cbmm auf 1700000; ferner 
sieht man eine ganze Menge von Uebergangsformen zwischen Hämatoblasten und 
rothen Blutkörperchen; die Affinität der neugebildeten Zellen in Bezug auf das 
Hämoglobin zeigt sich nur in dem Augenblick, wo sie sich auf 5 n nähern: während 
dieser Zeit werden die mit Zellkernen versehenen rothen Blutkörperchen geringer; 


— b) das Hämoglobin beginnt nur in dem Augenblick zuzunehmen, wo die Zahl 
der rothen Blutkörperchen die Höhe von 2000000 erreicht hat; — c) die Vermehr 
rung der Leukocyten erlischt nach dem 15. Tage. Nach secns Wochen sind die x 
Verhältnisse der Blutbeschaffenheit ungefähr wieder normal geworden. 

Die halbschwachen Dosen (0,1 — 1 ccm) rufen anfangs eine Störung in dem 
Verhältnis zwischen dem Hämoglobin und den rothen Blutkörperchen hervor, 
a) die rothen Blutkörperchen beginnen vom 3.Tage an sich zu vermehren, bis sie 
die Höhe von 8 000 000 am 5. Tage erreicht haben; vom 2. Tage an steigt die Zahl 
der Hämatoblasten auf 800 000; — b) der Hämoglobingehalt sinkt am 3.—5. Tage 
von 90% auf 60% und kehrt erst vom 12.Tage an wieder zur Norm zurück; — 


c) 1 Tag nach der Injektion überziehen sich die polynukleären Leukocyten mit einer 


pseudoeosinophylen Granulationsfläche. 

Die schwachen Dosen (0,033—0,1 ccm) vermehren von Anfang an gleichzeitig 
die rothen Blutkörperchen und das Hämoglobin: a) der Zellreichthum erreicht in 
3 Tagen die Höhe von 8 000 000; die Zahl der Hämatoblasten vermehrt sich vom 
l.Tage an auffallend; Zellen mit Kernen sieht man überhaupt nicht; — b) der 
Hämoglobingehalt steigt von 95 % auf 105 %; — c) die polynukleären Zellen über¬ 
ziehen sich mit pseudoeosinophylen Granulationen. Diese Zunahme des Zellreich¬ 
thums und des Hämoglobingehaltes dauert ungefähr 3 Wochen. 

Wenn man die Injektionen mit schwachen Dosen in Zwischenräumen von einigen 
Tagen wiederholt, unter genauer Beobachtung des Abschlusses eines jedesmaligen 
Anschubes des Hämatoblasten, so ist man im Stande, nach jeder Injektion dieselben 
Phänomene hervorzurufen, d.h. jeder neue Anschub von Hämatoblasten ruft fast 
augenblicklich eine Vermehrung der Zellen und des Hämoglobingehaltes hervor: man 
erzielt dann nach einigen Injektionen das überhaupt erreichbare Maximum, welches 


5—6 Wochen anhält. 


Diese äusserst interessanten Untersuchungen beweisen, dass das Hämotoxin in 
starken Dosen als ein heftiges Gift zu betrachten ist, dass es dagegen in schwachen 
Dosen gleichsam als ein blutbildendes, biologisches Stimulans wirkt. 

Landsteiner 6 ) erzielte durch Injektion von Spermatozoen eines Stieres beim 
Kaninchen ein toxisches Serum für die Spermatozoen des Stieres; Moxter 7 ) 
stellte ein Spermotoxin durch Injektion von Hammelspermatozoen beim Kaninchen 
dar; Metchnikoff machte beim Meerschweinchen Einspritzungen von Hodenextrakt 
des Kaninchens, und Metalnikoff injizierte einem Kaninchen den Testikelsaft des 
Meerschweinchens. 

Metchnikoff«) nimmt Hoden und Nebenhoden vom Kaninchen, zerstampft sie 
fein, maceriert sie in physiologischer Kochsalzlösung und treibt den Brei durch'ein 
feines metallnes Sieb. Spritzt man diese Maceration Meerschweinchen ein, so erhält 
hierdurch deren Serum eine für die Spermatozoen des Kaninchens toxisch wirkende 



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60 Jules Renault 


Eigenschaft, welche das Serum eines normalen Meerschweinchens nur in geringem 
Maasse besitzt: »wenn man Serum eines injizierten Meerschweinchens und Sperma- 
tozoen eines Kaninchens zusammenbringt, so sieht man nach wenigen Minuten bei 
letzteren ein Auf hören der Eigenbewegung und ein Sichzusammendrängen in stern¬ 
förmigen Häufchen, deren äussere Grenze durch die Schwänzchen der Spermatozoen 
gebildet werdenc, jedoch ohne dass die Spermatozoen hierbei zur Auflösung gelangen. 

Dieses mittels Kaninchenhoden hergestellte Spermotoxin des Meerschweinchens 
ist spezifisch für das Kaninchen. Es wirkt weder auf die Zellen der Leber, 
noch auf die der Milz, der Niere, der Lymphdrüsen; — es wirkt nicht auf die 
Spermatozoen andrer Lebewesen, z. B. der Maus, der Ratte, des Menschen, des 
Meerschweinchens; nur die Spermatozoen des Kaninchens werden durch dasselbe be¬ 
einflusst, während sowohl das hämolytische als auch das antileukocytäre Serum ab¬ 
solut wirkungslos auf sie bleiben. Moxter wendete gegen diese Spezificität ein, 
dass das nach obiger Methode hergestellte Spermotoxin einen gewissen Einfluss auf 
die rothen Blutkörperchen hat. Metchnikoff entgegnete hierauf, dass die hämo- 
toxische Wirkung des spermotoxischen Serums ohne Zweifel auf der gleichzeitigen 
Einspritzung von Hoden- und Nebenhodensubstanz, sowie auf dem in ersterer ent¬ 
haltenen Blute beruht. 

Metalnikoff 9 ), ein Schüler Metchnikoff’s, bewies die volle Berechtigung 
der Entgegnung seines Lehrers. 

Er stellte nach derselben Methode ein für das Meerschweinchen spermotoxisches 
Serum dar, indem er Kaninchen eine Maceration von Hoden- und Nebenhodensubstanz 
eines Meerschweinchen einspritzte. Er bekräftigte durch das auf diese Weise ge¬ 
wonnene Spermotoxin die Annahme der Spezificität dieser Substanz und bewies die 
Hypothese von Metchnikoff, dass das (largestellte Serum stets Spermotoxin und 
Hämotoxin enthält, auf folgende Weise: Man nimmt zwei gleiche Quantitäten Serum; 
in dem einen lässt man zwei Stunden lang bei 37 0 rothe Blutkörperchen vom Meer¬ 
schweinchen, im anderen Spermatozoen desselben Thieres macerieren; dann centri- 
fugiert man: das mit rothen Blutkörperchen gesättigte Serum löst in Gegenwart einer 
neuen Menge von Alexin (Serum vom intakten Meerschweinchen) keine Blutkörper¬ 
chen mehr auf; es immobilisiert aber die Spermatozoen genau wie vor ihrer voll¬ 
kommenen Sättigung: es hat also doch die spezifische Sensibilität für die Blut¬ 
körperchen eingebüsst, dagegen hat es sich dieselben für die Spermatozoen erhalten. 
Umgekehrt hat das mit Spermatozoen gesättigte Serum seine Sensibilität für die 
Spermatozoen verloren, während es die für die Blutkörperchen noch behielt; aber 
es hat sie sich nur theilweise erhalten, und gerade diesen letzteren Umstand führte 
Moxter an, um die Identität des Spermotoxins und des Hämotoxins zu beweisen. 

Das antileukocytäre Serum wurde zuerst von Delzenne 10 ) dargestellt, 
welcher durch Einspritzungen von Hundeleukocyten an einem Kaninchen in des 
letzteren Blute einen Körper erzeugte, der im Stande war, Hundeleukocyten auf¬ 
zulösen. Besredka 11 ) konstatierte dieselbe Wirksamkeit des antileukocytären Serums 
auf die Leukocyten sowohl im Reagensglase, als bekräftigte er auch die bereits 
von Delzenne gekennzeichnete Wirksamkeit durch Thierversuche. 

Besredka stellte ein antileukocytäres Serum oder antileukotoxisches Serum 
oder Leukotoxin her, indem er bei einem Meerschweinchen subkutane Injektionen 
von Mesenterialdrüsenemulsion eines Kaninchens machte, oder einem Kaninchen 
Mesenterialdrüsenemulsion eines Meerschweinchens unter die Haut spritzte: nach 
einer oder mehreren Injektionen erzielte er ein wirksames Leukotoxin von 1:20 
(1 Theil Serum auf 20 Tlieile Peritoneallymphe). Man erhält ebenfalls ein gut 
wirkendes Leukotoxin, wenn man einem Thiere eine Knochenmarkemulsion einer 
andren Spezies einspritzt; indess ist dieses Leukotoxin zu Versuchszwecken weniger 
geeignet, da es wegen des Blutgehaltes des Knochenmarks gleichzeitig hämotoxisch 
wirkt. Das Serum hält sich schlecht und verliert seine Wirksamkeit bei einer Er¬ 
wärmung von 55 °. 

Die antileukocytären Sera sind im allgemeinen spezifisch: so sind z. B. die 
aus den Drüsen des Pferdes, des Rindes, des Kalbes, des Hammels, der Ziege, des 
Hundes dargestellten Sera unwirksam auf die Leukocyten des Menschen (Besredka). 


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Die Cytotoxine. 


Spritzt man eine starke Dosis (3 ccm) leukotoxischen Kaninchenserums einem 
Meerschweinchen intraperitoneal ein, so stirbt dasselbe in drei bis vier Stunden. 
»Unmittelbar nach der Injektion legt sich das Meerschweinchen auf den Bauch, die 
Haare sträuben sich, oft treten profuse Diarrhoeen ein, der Leib ist kugelig auf¬ 
getrieben und schmerzhaft, das Thier bekommt Schüttelfrost, die rektale Temperatur 
8inktauf30°. Die Autopsie ergiebt einen ausgebreiteten leichten Entzündungszustand 
aller Eingeweide; in der Peritonealhöhle ein sehr reichliches, klares, an geformten 
Elementen, namentlich an Leukocyten sehr armes Exsudat; bei der mikroskopischen 
Untersuchung findet man in einem Gesichtsfelde kaum zwei bis drei weisse Blut¬ 
körperchen, die mehr oder weniger degeneriert und in eine grosse Menge endotheli¬ 
aler Zellen eingestreut sind. Tritt der Tod schnell ein, so ist die Peritonealflüssig¬ 
keit sowie das Blut steril«. Stirbt das Thier nicht nach den ersten 24—48 Stunden, 
so macht sich in der Peritonealhöhle eine starke Vermehrung von Leukocyten und 
zahlreichen Mikroben geltend, welche durch die Darmwand durchgewandert sind. 
Je nach der Anzahl der Leukocyten oder der Virulenz der Bakterien wird das Thier 
entweder,} genesen oder der Allgemeininfektion erliegen. 

Wenn man bei einem Meerschweinchen, statt einer intraperitonealen Injektion 
von Kaninchen-Leukotoxin in tötlicher Dosis, nur 0,5 cbcm einspritzt, so wird das 
Thier zwar auf einige Stunden recht krank, gewinnt aber seinen völligen Gesund¬ 
heitszustand bald wieder. Untersucht man dann täglich die Peritonealflüssigkeit, 
so machen sich mehrere äusserst wichtige Erscheinungen geltend: am ersten Tage 
enthält die klare Flüssigkeit überhaupt nur desquamierte Endothelialzellen; am 
zweiten und dritten Tage scheint die Zahl der Leukocyten vermindert zu sein: in 
den folgenden Tagen wird die Peritonealflüssigkeit dick, klebrig, trübe und entnält 
eine beträchtliche Zahl hauptsächlich mononukleärer Leukocyten. Die Reaktion des 
Peritoneums des Meerschweinchens auf Leukotoxin unterscheidet sich wesentlich von 
der Reaktion, welche Bouillon, physiologische Kochsalzlösung und normales Serum 
zeigen; nach Injektion dieser letzteren Flüssigkeiten beobachtet man vom zweiten 
Tage an eine Hyperleukocytose (17 500), welche 24—48 Stunden anhält; dagegen 
zeigt sich nach einer Einspritzung von leukocytärem Serum anfangs eine kurzdauernde 
(zwei Tage) Hypoleukocytose, woran sich dann erst eine länger dauernde (sechs bis 
acht Tage) und beträchtlichere (100000 Blutkörperchen und mehr) Hyperleukocytose 
anschliesst Die Hyperleukocytose ohne vorhergehende Hypoleukocytose kann man 
hervorrufen, wenn man mehrere Injektionen hintereinander beim Meerschweinchen 
macht: dieser hyperleukocytäre Zustand nimmt nach jeder Injektion zu, und man 
kann die Höhe von 400000 bis 500000 weissen Blutkörperchen pro cbmm erreichen. 
Die öfter wiederholten Einspritzungen mit normalem Serum rufen eine nur geringe 
und kurze Zeit andauernde Hypoleukocytose hervor. 

Dieselben Erscheinungen treten in derselben Reihenfolge, jedoch in geringerer 
Intensität auf, wenn man einem Kaninchen leukotoxisches Serum eines Meerschweinchens 
subkutan appliziert: die Blutuntersuchung ergiebt anfangs eine kurzdauernde (einen 
Tag) Hypoleukocytose, welche einer beträchtlichen (30000 weisse Blutkörperchen 
statt 12000) Hyperleukocytose von 6—7 tägiger Dauer Platz macht. 

Man sieht, dass entsprechend den Dosen die Leukotoxine eine verschiedene 
Wirkung hervorrufen. Während auf starke Dosen toxische Erscheinungen eintreten, 
wirken kleine Dosen gleichsam als biologisches Stimulans: also ein analoges Ver- 
hältniss wie bei dem Hämotoxin. Wie erklärt man sich nun diese Erscheinungen? 
Bildet sich etwa bei dem mit Leukotoxin injiziertem Thiere ein Antileukotoxin, 
welches den Zufluss von Leukocyten bedingt? Dies ist nach den Untersuchungen 
von Besredka nicht sehr wahrscheinlich: erstens geht, nach Ansicht dieses Autors, 
die der Leukotoxininjektion nachfolgende Hyperleukocytose der Bildung des Anti- 
leukotoxins voraus; zweitens erzielt man, wenn man einem intakten Meerschweinchen 
antileukotoxisches Serum intraperitoneal injiziert, keine andauernde Hyperleukocytose, 
sondern bald eine vorübergehende Hyperleukocytose, bald eine ständige Hypo¬ 
leukocytose. Es scheint viel wahrscheinlicher zu sein, dass das Leukotoxin direkt 
auf die Leukocyten wirkt und somit a) bei starken Dosen den Zufluss von Leukocyten 
verursacht (positiv chemotaktische Wirkung), b) bei schwachen Dosen das Gegentheil 
(negativ chemotaktische Wirkung) (Besredka). 


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f»2 


Wir haben bis jetzt Cytotoxine betrachtet, welche durch Injektion von zelligen 
Elementen einer Thiergattung (Heterotoxine) entstanden. Die Injektion zelliger 
Elemente thierischen Ursprunges bei Thieren derselben Gattung kann bisweilen ein 
für diese Thiergattung toxisch wirkendes Serum entwickeln, ausgenommen für das 
injizierte Thier selbst (Isotoxine): so z. B. erzielten Ehrlich und Morgenroth ein 
Isotoxin dadurch, dass sie einer Ziege Blut von einer anderen Ziege mit Wasser 
verdünnt einspritzten. 

Metalnikoff stellte ein Autotoxin dar. Er injizierte Meerschweinchen-Sper- 
matozoen einem anderen Meerschweinchen; dieses letztere besass nach drei Injektionen 
ein Serum, welches nicht allein toxisch auf die Spermatozoen anderer Meerschweinchen, 
sondern auch auf die eigenen wirkte; mischte man nämlich das Serum mit den 
Spermatozoen im Verhältniss von zehn Tropfen zu einem Tropfen, so erlosch nach 
4 Minuten die Eigenbewegung des letzteren. 

Belfanti, Carbone, Bordet, Metalnikoff haben sich vergeblich bemüht, 
das Autohämotoxin darzustellen. 

Eine interessante Thatsache ist noch folgende: In den Geschlechtsorganen eines 
Thieres, dessen Serum autospermotoxisch ist, erscheinen die Spermatozoen ganz 
normal und nicht im geringsten in ihrer Eigenbewegung herabgesetzt. Bringt man 
sie aber im Iteagensglase in Berührung mit dem Serum eines intakten Thieres, so 
wird ihre Eigenbewegung sofort aufgehoben: ein Beweis dafür, dass sie also bereits 
abhängig geworden waren von dem Einflüsse zwar desselben, aber nicht spermo- 
toxischen Serums eines intakten Thieres; sie waren, wie wir sehen werden, imprägniert 
mit einer gewissen »Iteizauslösbarkeit« (sensibilisatrice), einer Eigenschaft, welche die 
Alexine als Angriffspunkt wählen.*) 

Das normale Serum**) verdankt seine globulicide Wirkung seinem Alexin: erhitzt 
mau es bei 55° eine halbe Stunde lang, so verliert es diese Fähigkeit völlig und 
zwar für immer. Das Serum eines geimpften Meerschweinchens besitzt eine sehr 
viel höhere hämolytische Kraft, verliert sie aber ebenfalls bei einer Erhitzung von 
55—56«; dieser Umstand lässt den Schluss zu, dass diese erhöhte globulicide Kraft 
ebenfalls an das Alexin gebunden ist: indess »wenn man zu einer Mischung eines 
defibrinierten Kaninchenblutes und eines solchen vorher auf 55° erhitzten Serums 
eine bestimmte Menge frischen Serums eines normalen (vorher nicht injizierten) Meer¬ 
schweinchens oder eines intakten Kaninchens hinzufügt, so treten in dieser Mischung 
Zeichen der Zerstörung ihrer Integrität ein. Die Mischung wird nach einigen Minuten 
klar und roth. Der Versuch gelingt am besten, wenn man zu einer Mischung von 
defibriniertem Blute eines intakten Kaninchens und von erhitztem aktiven Serum 
frisches Serum desselben Kaninchens hinzufügt. Die Blutkörperchen dieses Kaninchens 
sind nun sensibel gegen das Alexin desselben Kaninchens geworden und zwar unter 
dem Einflüsse einer agglomerierenden fremden Substanz, welche dem mit defibriniertem 
Blute injizierten Meerschweinchen entstammt« (Bordet). Das Serum des injizierten 
Meerschweinchens (Immunserum) würde demnach zwei Substanzen enthalten: 1. das 
Alexin **’), welches auch im normalen Serum vorhanden ist und innerhalb einer halben 
Stunde bei Erhitzung von 55° verschwindet, 2. eine widerstandsfähigere Substanz, 
welche die Blutkörperchen für die cytolytische Wirkung des Alexins sehr empfänglich 
macht, eine »Substance sensibilisatrice«f) (Bordet), die ausschliesslich den Sera 
der mit Injektion behandelten Thiere eigenthümlich ist. 

Alle intakten Sera enthalten das Alexin als eine globulicid und hämolytisch 
wirkende Substanz, im allgemeinen aber vermag das Alexin nur dann in einer mehr 
oder weniger bemerkenswerthen Stärke auf die Blutkörperchen zu wirken, wenn 


*' In alierneuster Zeit wurden auch Toxine gegen das Flimmerepithel der Trachea, sogen. 
»Neurotoxine« (van Düngern) dargestellt. 

1 ) Camus und Pagnicz haben vor kurzer Zeit (Soc. de Biologie 11)00) nachgewiesen, dass 
bestimmte Urire globulicide Wirkung haben. 

*•**) Synonym: »complement« nach Ehrlich. 

r) Synonym: Zwischeukörper (substance intermediaire) nach Ehrlich und Morgenstern; 
nnticorps spccifitpie, lmniiinköipcr. mutiere preventive. 


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Die Cytotoxinc. 63 

dieselben durch die »Substance sensibilisatrice« empfindlich gemacht worden sind. 
Es werden also die Blutkörperchen des Kaninchens unbeeinflusst gelassen durch das 
Serum von einem noch nicht behandelten Kaninchen; schwach alteriert durch das 
Serum des Meerschweinchens, der Ratte, der Ziege, des Hundes; stark in Mitleiden¬ 
schaft gezogen, ja zerstört durch dieselben Sera, wenn man die »Substance sensibili- 
satrice«, den »Zwischenkörper« hinzufügt. (Dieser wird gewonnen, indem man das 
hämotoxische Serum eines mit Kaninchenblut injizierten Meerschweinchens eine halbe 
Stunde bei 55° erhitzt.) 

Diese Erscheinung lässt sich nun vollkommen mit der bekannten Thatsache 
vergleichen, dass die Vibrionen der Cholera »empfindlich gemacht« durch den 
>Zwischenkörper« der Cholera (dargestellt durch einhalbstündiges Erhitzen des Serums 
einer gegen Cholera immun gemachten Ziege bei 55°) sich im Reagensglase 
in rundliche Granulationshäufchen Zusammenschlüssen, wenn man intaktes (selbst¬ 
verständlich alexinhaltiges) Serum vom Meerschweinchen, Kaninchen, Ratte, Mensch, 
Ziege, Hund, Huhn, Taube hinzufügt. 

Die Vibrionen und die »empfindlich gemachten« Blutkörperchen können in¬ 
dessen doch in Mitleidenschaft gezogen werden durch zahlreiche Alexine, welche 
ganz verschiedenen intakten Sera entstammen. Doch gilt dies nicht für alle Fälle: 
so z. B. werden die Blutkörperchen eines durch den ihm entsprechenden Zwischen¬ 
körper empfindlich gemachten Huhnes (gewonnen durch Erhitzung 55—56 0 des 
mit Hühnerblut behandelten hämolytischen Serums eines Kaninchens) unbeeinflusst 
gelassen durch das Alexin des Huhns (frisches Hühnerserum). Es scheint, »dass 
in ein empfindlich gemachtes Blutkörperchen nur gewisse Alexine eindringen und 
das Blutkörperchen zerstören, während andere wieder völlig wirkungslos bleiben« 
(Bordet). 

J. Bordet bewies durch einen ebenso einfachen wie geistreichen Versuch »die 
Identität des bakteriologischen Alexins und des hämotolytischen Alexins in ein und 
demselben Serum«: 

Fügt man zu 0,5 ebem intakten Serums (z. B. von Meerschweinchen) 0,5 ebem 
einer Emulsion normaler d. h. nicht durch Cholerazwischenkörper empfindlich ge¬ 
machter Vibrionen, so werden die Vibrionen nicht zerstört; ebenso bleiben, wenn 
man zu 0,3 ebem intakten Meerschweinchenserums 0,3 ebem Kaninchenblut hinzu¬ 
fügt, die Blutkörperchen völlig unverändert. In dem einen wie in dem anderen 
Falle bleibt das Alexin des intakten Serums wirkungslos. — Giebt man aber zu der 
ersten Mischung Blutkörperchen von hämolytischem Serum, so werden diese sofort 
zerstört; setzt man zur zweiten Mischung Vibrionen von erhitztem Choleraserum, 
so nehmen dieselben bald Granulationsformen an: dies beweist, dass in der einen 
wie in der anderen Älischung das Alexin weder gebunden noch modifiziert, 
sondern frei und im Besitze seiner vollen Wirkungsfähigkeit geblieben war. 

Wenn man nun eine Mischung aus intaktem Serum, ferner aus empfindlich 
gemachten Vibrionen (d. h. hinzugesetzt zu erhitztem Choleraserum) und endlich 
ans rothen Blutkörperchen darstellt, so nehmen die Vibrionen Granulationsformen an, 
die Blutkörperchen bleiben unverändert; mischen wir andererseits intaktes Serum, 
ferner empfindlich gemachte Blutkörperchen (d. h. unter Zusatz von erhitztem hämo¬ 
lytischen Serum), schliesslich Choleravibrionen, so werden die Blutkörperchen auf¬ 
gelöst, die Vibrionen bleiben unverändert. Diese Experimente liefern den schlagenden 
Beweis, dass das Alexin ganz verwendet wird, um im ersteu Falle die Vibrionen, 
im zweiten Falle die Blutkörperchen zu zerstören; hieraus folgt dann aber, dass 
ein und dieselbe Substanz oder dass ein und dasselbe Alexin fähig ist, sowohl 
bakteriologisch als auch hämolytisch zu wirken. 

Die Versuche von Ehrlich und Morgenroth, ferner die von J. Bordet 
haben nun gezeigt, dass das Alexin von den empfindlich gemachten rothen Blut¬ 
körperchen absorbiert wird. Welcher Theil des Blutkörperchens ist aber fähig, 
das Alexin auf diese Weise zu binden? J. Bordet gab hierfür folgende Erklärung: 

Wenn man zu 3 ebem defibrinierten Kaninchenblutes 15 ebem destillierten 
Wassers hinzufügt, so erhält man eine stark rothe, eben noch durchsichtige Flüssigkeit, 
in welcher man unter dem Mikroskop die Strömen ganz durchleuchtend, scheinbar 


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Jules Renault 


ganz mit Wasser imbibiert sieht. Durch Centrifugieren gelingt es leicht, die Flüssigkeit 
in zwei Schichten zu trennen; zwar zeigen beide eine rothe Färbung, jedoch mit dem 
Unterschied, dass die eine, klar und durchsichtig, kein Stroma enthält, während 
die andere, sehr trüb, eine grosse Menge des Stromas in Suspension birgt In der 
ersten Schicht befindet sich nur das Hämoglobin, in der zweiten Hämoglobin und 
die von jenem getrennten Strömen. 

Zu gleichen Mengen dieser beiden Flüssigkeiten fügt man identische Quantitäten 
des Zwischenkörpers (hämolytisches Serum nach Erhitzung auf 55 °) und des Alexins 
(intaktes Meerschweinchenserum); falls das Alexin nicht zu kräftig ist, so wird es 
ganz durch die bindungsfähige Substanz absorbiert und verliert so die Fähigkeit, 
weiter auf die rothen Blutkörperchen wirken zu können, wenn man es diesen beiden 
Mischungen zusetzt. Wenn man der stromahaltigen Mischung stark empfindlich 
gemachte Blutkörperchen zufügt, so lösen sich dieselben nicht oder nur sehr langsam 
darin auf. Dagegen lösen sie sich sehr schnell in der durchsichtigen Flüssigkeit auf. 
Im ersten Falle war also das Alexin durch die Anwesenheit der Strömen absorbiert 
worden, während es im zweiten Falle trotz der Gegenwart der Farbsubstanz frei 
geblieben war. »Man muss also den Strömen die Fähigkeit zusprechen, das Alexin 
in Gegenwart von Zwischen körpern absorbieren zu können.« 

Das Stroma ist aber auch derjenige Theil des Blutkörperchens, welcher den 
Zwischenkörper bindet. Man fügt zu den frei durch Centrifugieren erhaltenen 
rothen Flüssigkeiten eine gewisse Menge hämolytischen Serums nach Erhitzung 
auf 55 0 (mit anderen Worten »Zwischenkörper«) zu und trennt dann nach einer 
gewissen Zeit durch Centrifugieren die trübe Flüssigkeit von den darin enthaltenen 
Strömen. Die auf diese Weise abgesetzte Flüssigkeit sieht genau so aus, wie die 
andere, sie hat indess ihren »Zwischenkörper« eingebüsst, während die andere sich 
ihn erhalten hat; fügt man nun zur ersten und zweiten rothe Kaninchenblutkörperchen 
und das Alexin (intaktes Meerschweinchenserum) hinzu, so bleiben in der ersten 
Lösung die Blutkörperchen unverändert, während sie in der zweiten dem Zerfall 
unterliegen. Dies ist der Beweis, dass die letztere Mischung allein noch den »Zwischen¬ 
körper« enthält, welchem das Alexin seine Wirksamkeit verdankt, während die Strömen 
der ersteren den »Zwischenkörper« absorbiert hatten. »Die Fähigkeit, die »Zwischen¬ 
körper« zu absorbieren, kommt also den Strömen zu.« 

Endlich kann man noch durch einen dritten Versuch beweisen, dass die 
Strömen das Alexin in Gegenwart von »Zwischenkörpern« absorbieren, 
während sie es bei Abwesenheit dieses letzteren Bestandtheiles nicht 
vermögen. Um diesen Versuch auszuführen, stellt man sich eine dicke Emulsion 
von Strömen dar, welcher man eine grosse Menge physiologischer Kochsalzlösung 
zufügt. Man centrifugiert, giesst dann die obere, durchsichtige und schwach rosa 
gefärbte Flüssigkeit ab. Man wiederholt diese Auswaschung mit physiologischer 
Kochsalzlösung so oft, bis diese stromahaltige Flüssigkeit ganz weiss, also vom 
Hämoglobin völlig befreit ist. Man theilt dann diese Flüssigkeit in zwei gleiche 
Quanten und fügt jeder dieser beiden Flüssigkeitsmengen die gleiche Dosis von Alexin 
(intaktes Meerschweinchenserum) zu. In die erstere Mischung giebt man dann 
ein wenig von dem »Zwischenkörper« (hämolytisches Serum nach Erhitzung auf 55°); 
in die zweite eine gleiche Dosis intaktes Meerschweinchenserum, nachdem es gleicli- 
mässig auf 55 0 erwärmt war. Ausserdem kann man durch dieses fortgesetzte Ver¬ 
fahren konstatieren, dass in der ersten Mischung das Alexin in der Flüssigkeit ver¬ 
schwand, indem es an die Strömen gebunden wurde; diese Absorption des Alexins 
findet. in der zweiten Mischung wegen des Mangels an dem »Zwischenkörper« 
nicht statt. 

Die Alexine scheinen nicht spezifisch zu sein: während wir sie einerseits 
in allen intakten thierischen Sera antreffen, entwickeln sie andererseits ihre toxische 
Wirkung auf die Blutkörperchen, die Leukocyten und die Spermatozoen, voraus¬ 
gesetzt, dass diese Zellelemente vorher »empfindlich gemacht« worden sind. Da¬ 
gegen zerstört das für das Kaninchen hämolytisch wirkende Meerschweincheuserum 
nur die rothen Blutkörperchen des Kaninchens, und auf 55 0 erhitzt (also seines 
Alexins beraubt) macht es nur dieselben Blutkörperchen empfindlich. Dies ist, 


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Die Cytotoxine. 


65 


wie wir gesehen haben, bei allen Cytotoxinen der Fall. Sie wirken also nicht 
spezifisch durch ihre Alexine, sondern durch ihre Zwischenkörper: Die Immunkörper 
(les anticorps) ebenso wie die Agglutinine sind es, welchen spezifische Wirkung 
zukommmt.*) 

Die Agglutinine und die Immunkörper (les anticorps) sind zwei verschiedene 
Stoffe. Was ihre Wirkung auf die Mikroben anbetrifft, so hat Gengon durch Ein¬ 
spritzung von Milzbrand Vaccine No. 1 bei einem Hunde eine stark agglutinierende 
Fähigkeit ohne Bildung von Immunkörpern erzeugt; Deutsch bewies es ebenfalls 
durch den völligen Mangel eines Parallelismus zwischen der Formation der Agglutinine 
und der Immunkörper bei Thieren, welche mit Typhusserum geimpft waren. Was 
die rothen Blutkörperchen anbetrifft, so haben Ehrlich und Morgenroth gezeigt, 
dass das Serum von Ziegen, welche mit Hammelblut eingespritzt waren, globulicid 
wirkt, aber nicht agglutiniert; Landsteiner wies nach, dass das Serum eines 
Kaninchens, welches mit Pferde- oder Hundeblut injiziert war, mehr agglutinierende 
als globulicide Wirkung besitzt. Wolf bewies ferner, dass das Serum einer Taube, 
welche mit Hübnerblut behandelt ist, agglutiniert, aber nicht globulicid wirkt; und 
weiter, dass das Ausbleiben der globuliciden Wirkung abhängt von der Abwesenheit 
des Immunkörpers, weil die Globulolyse nicht mehr stattfindet, sobald man Alexin- 
haltiges Serum eines normalen Kaninchens zufügt 

Wenngleich, nach Wolf, das Serum eines Thieres,' welches mit Thierblut 
einer anderen Gattung eingespritzt ist, stets agglutinierend und hämolytisch auf die 
Blutkörperchen dieses letzteren wirkt, so sind es doch nicht die nämlichen Bestand- 
theile des injizierten Blutes, welche die agglutinierende und hämolytische Wirkung 
hervorzurufen im Stande sind: Der Protoplasmamantel des injizierten Blutkörperchens 
bewirkt die Agglutination, während der Zellinhalt die Fähigkeit besitzt, den Immun¬ 
körper zu bilden. Bordet kommt allerdings nicht zu demselben Schluss, trotzdem 
er ganz dieselbe Technik verfolgt: Die Strömen des Kaninchenblutkörperchens ent¬ 
wickeln, nachdem man sie durch sorgfältiges Auswaschen von ihren löslichen Stoffen 
befreit und dann einem Meerschweinchen injiziert hat, in drei Wochen ein aktives, 
hämolytisches Serum, während die Farbstoffe die hämolytische Kraft des Serums 
durchaus nicht verändern. 

Alle über die Cytotoxine angestellten Untersuchungen haben bis vor kurzem 
noch den Anschein nur rein spekulativer Experimente gehabt; indess ist die Cyto- 
toxinfrage in allerjüngster Zeit in ein ganz neues Licht gerückt worden und zwar 
durch seine therapeutische Verwendbarkeit, begründet in der verschiedenartigen 
Wirkungsweise der Cytotoxine je nach der Höhe der angewendeten Dosen. 

Metchnikoff und Besredka 12 ) spritzten einer Ziege 34 cbcm Menschenblut 
36 Tage hintereinander ein und erzielten so ein äusserst kräftiges, auf die mensch¬ 
lichen Blutkörperchen hämolytisch wirkendes Serum (1 Volum Serum löste in 7 Mi¬ 
nuten alle in 1 Volumen Blut enthaltenen Blutkörperchen auf). 

Spritzte man dieses hämolytische Serum Leprakranken in Dosen von 0,5—7 cbcm 
ein, so erzeugte es selten eine leichte Fieberbewegung, stets aber eine ausgedehnte 
Kongestion um die frischesten Lepraeruptionen, begleitet von einer äusserst reich¬ 
lichen Absonderung von Eiter, in welchem man ausschliesslich und in grosser Anzahl 
Leprabacillen im Innern der Phagocyten fand: die Eiterung ging dann in Schorf¬ 
bildung über, und nach Abstossung des Schorfes vernarbte die noch Testierende 
Ulceration auffallend schnell. 

Diese Resultate lassen sich mit den von Carrasguilla und Laverde erzielten 
vergleichen, welche Leprakranken 10—20 cbcm eines Serums, genannt »Serum anti- 
leprosum«, injizierten; das Präparat wurde dadurch gewonnen, dass man Blut von 
Leprakranken oder aus Leprageschwülsten Thieren einimpfte. Metchnikoff und 
Besredka glauben, dass ihr Serum und ihre antileprösen Sera auf die Leukocyteu 
durch das darin enthaltene Leukotoxin wirken, genau so, wie es, nach den Versuchen 
von Besredka, das bei Thieren in kleinen Dosen eingespritzte Leukotoxin thut 


*) Siebe die »Revue critiquc« des vorletzten Jahrganges der »Archives gCncrales de rnCdecine». 

Dfcembre 1899. 


Zeltachr. f. dUtt u. physik. Therapie Bd. V. Heft 1. 


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66 Jules Renault, Die Cytotoxine. 


Es ist wahrscheinlich, dass die Sera von Carrasguilla und Laverde nicht anti¬ 
leprös, wenigstens im spezifischen Sinne des Wortes, sind, weil man dieselben Resultate 
erhält mit einem Serum von Ziegen, denen man eine Emulsion von Uteruscarcinom- 
substanz (Laverde) oder Menschenblut (Metchnikoff und Besredka) injiziert 
hatte. Doch ist dies kein Hämotoxin mehr, weil man auch wieder zu denselben 
Resultaten kommt mit Serum von einer Ziege, der man blos Menschenblutserum ein¬ 
gespritzt hatte; auch wissen wir, dass die Einspritzung von thierischem Blutserum 
bei einem Thiere anderer Gattung bei diesem letzteren kein Hämotoxin, sondern 
lediglich nur Leukotoxin erzeugt. 

Metchnikoff und Besredka schliessen hieraus, dass die Injektionen von 
cytotoxischem Serum bei den Leprakranken als Anregungsmittel für die phagocytäre 
Thätigkeit wirken. 

Das Hämotoxin, welches in dem cytotoxischen Serum der Ziege enthalten ist 
und mit Menschenblut präpariert wurde, bleibt indessen nicht ohne Wirkung. Es 
erzeugt bei Leprakranken dieselbe lebhafte Thätigkeit der Hämotoblasten, dieselbe 
Vermehrung der rothen Blutkörperchen und des Hämoglobins, was schon Cantacuzfene 
durch Versuche bewiesen hatte, indem er hämotoxisches Kaninchenserum Meerschwein¬ 
chen einspritzte. — Nach den Versuchen am Institut Pasteur glaubt man auch, 
in diesem Serum ein Behandlungsmittel der Anämie erblicken zu dürfen. 

Wir können daher« mit vollem Rechte unsere Hoffnungen auf die jüngst ge¬ 
machten therapeutischen Errungenschaften setzen, soweit sie uns durch die Kenntniss 
der Cytotoxine ermöglicht wurden. 


Litteratur. 

1) Belfanti et Carbone, Giomale della R. Acad. di med. di Torino 1898. 

2 ) Bordet, Annales de l'Institut Pasteur 1900. 

•>) Bordet, Annales de l’Institut Pasteur 1898. 

-*) Cantacuzöne, Annales de l’Institut Pasteur 1900. Juin. 

*) Wolf, Annales de l’Institut Pasteur 1900. Mai. 

#) Landsteiner, Centralblatt für Bakteriologie 1899. 

7) Moxter, Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. 

8 ) Metchnikoff, Annales de l’Institut Pasteur 1900. 

Metalnikoff, Annales de l’Institut Pasteur 1900. 

10 ) Delzenne, Acadßmie des Sciences 1900. 
u ) Besredka, Annales de l’Institut Pasteur 1900. 

'-) Metchnikoff et Besredka, Annales de l’Institut Pasteur 1900. 


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M. Lewandowsky, Die Grundlagen der Organotherapie. 


67 


II. 


Die Grundlagen der Organotherapie. 

Kritisches Referat 


von 


Dr. M. Lewandowsky, prakt. Arzt in Berlin. 


Der Organotherapie liegt der uralte Gedanke zu Grunde, ein untüchtig gewordenes 
Organ durch ein solches gleicher Art von einem anderen Individuum zu ersetzen. 
Wird auch der Traum des Arztes, der Wunsch des Patienten, dem kranken Organis¬ 
mus ein neues Herz, eine gesunde Lunge einzusetzen, nicht in Erfüllung gehen, 
so ist doch nicht geringes erreicht, wenn der Chirurg im Stande ist, grosse Haut¬ 
defekte zu decken, oder an die Stelle zertrümmerter Knochen andere einznpflanzen, 
welche nicht als totes Material vorübergehend verwandt, sondern als lebende Organ- 
theile übernommen werden. Von dieser Thätigkeit des Chirurgen ist die Organo¬ 
therapie des inneren Arztes ihrem Wesen nach nicht verschieden. Der Chirurg, 
der in der Hauptsache einen mechanischen Ersatz anstrebt, muss die Organtheile in 
toto überpflanzen, er muss Organ durch Organ ersetzen. Der innere Arzt will 
sich damit begnügen, die zerstörte Organfunktion zu ersetzen, indem er 
in biologischem Sinne totes, aber physiologisch wirksames Material in 
den Körper, d. h. in den Kreislauf einfuhrt. 

Indem die Organotherapie so ihrem Wesen nach Ersatztherapie ist, ist sie damit 
zugleich durchaus eine spezifische Therapie. Als solche stellt sie sich der Serum¬ 
therapie an die Seite. Benutzt die letztere vom pathologischen Organismus fertig¬ 
gestellte Substanzen, so verwendet die erstere das Material des gesunden, durch 
irgend welche fremde Einflüsse unberührten Körpers. 

Es ist nur natürlich, dass der Gesichtspunkt der spezifischen Ersatztherapie 
von der Praxis bald in weitem Umfange ausser acht gelassen wurde, als man einer¬ 
seits in den Organsäften (Opotherapie) nicht nur spezifisch, sondern auch allgemein 
wirksame Mittel kennen lernte, und man andererseits den Kreis der Organfunktionen, 
die ersetzt werden sollten, in unkritischer und oft geradezu phantastischer Weise 
erweiterte. 

So giebt es denn für eine kritische Betrachtung kaum ein ähnlich dankbares 
oder, wenn man will, undankbares Gebiet, als die Grundlagen der sogenannten Organo¬ 
therapie. 

Eine kritische Betrachtung des Gegenstandes kann nur von dem Standpunkt 
der spezifischen Ersatztherapie ausgehen, und da ist naturgemäss die erste Frage, 
welche Organe es sind, deren Funktion durch die Einführung toten Materials in den 
Körper ersetzt werden kann. Auch der der Sache Unkundige wird hier natürlich 
antworten: Zunächst die Organe, welche selbst intra vitam die Aufgabe haben, solch 
Material in den Kreislauf abzugeben, und so treffen wir denn hier sofort auf den 
Begriff (oder das Schlagwort) der inneren Sekretion, thatsächlich die wissenschaft¬ 
liche Mutter der Organotherapie, mögen auch die Chinesen schon seit tausenden von 
Jahren eine wilde Organotherapie treiben. Die Organotherapie ist uralt, dass sie Er¬ 
folge erzielt, verdankt sie der wissenschaftlichen Betrachtungsweise, und in diesem 
Sinne die Organotherapie begründet zu haben, ist ein Verdienst, das Brown- 
Sdquard nicht streitig gemacht werden kann, wenn er auch im einzelnen durch 
seinen Enthusiasmus fast überall zu Irrthümern geführt wurde. 

Verstehen wir unter innerer Sekretion ganz allgemein die Abgabe irgend 
welcher Stoffe in den Kreislauf, d. h. das Blut oder die Lymphe, so sehen wir sofort, 
dass es kein Organ geben wird, welches eine solche innere Sekretion nicht besitzt. 

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H. Lewandowsky 


In diesem allgemeinen Sinne würde innere Sekretion nur den einen Theil des Stoff- 
wechselvorganges bezeichnen, der ja gleichbedeutend mit dem Leben selber ist. 
Andererseits ist es in der That ausserordentlich schwer eine engere Definition zu 
geben. Worauf sollte sie sich stützen? Etwa darauf, dass diese in den Kreislauf 
übergehenden Substanzen im Körper vor ihrer Ausscheidung noch irgend welche 
Wirkungen entfalten. Ja wer sagt uns, dass nicht alle Organprodukte — man 
denke z. B. an die spezifischen Bestandtheile des Gehirns, die auf dem Umweg der 
Cerebrospinalflüssigkeit die allgemeine Cirkulation erreichen — eine Funktion im 
Körper zu erfüllen haben, die aber in der Mannigfaltigkeit des Organismus zu be¬ 
grenzen vielleicht nie möglich sein wird. Wissen wir doch, dass ein ganz allgemeines 
Produkt aller Organe, die Kohlensäure, für das Leben geradezu unentbehrlich ist, 
indem sie den wichtigsten Reiz für fast alle Organe darstellt, den Reiz, der durch 
die Feinheit seiner Abstufung vor allen andern die Thätigkeit der Organe reguliert 
und die Harmonie des Gesammtorganismus sichert. Weder die Spezifizität, noch die 
Bedeutung jener Stoffe kann als principium divisionis genügen. 

Am ehesten kann uns noch die Anatomie hier weiter helfen, welche schon seit 
langer Zeit die in Betracht kommenden Organe als Blutgefässdrüsen zusammenfasst, 
freilich alle Organe mit unbekannter Funktion in diese Gruppe einreihend. Das Wort 
deutet jedenfalls auf die Thatsache hin, dass es epitheliale Organe sind, welche man 
im allgemeinen als Träger der inneren Sekretion betrachtet. Dagegen nimmt das 
Wort »Drüse« wieder die Funktion der Sekretion voraus, und so sehr wir die 
heuristische Fruchtbarkeit dieses Begriffs anerkennen, so sehr müssen wir betonen, 
dass eine wirkliche Sekretion nur in wenigen Fällen mit Sicherheit nachgewiesen ist. 
Anatomisch festgestellt ist nur eine ausserordentlich enge Beziehung 
der Gefässe zu den Epithelien in diesen Organen. Diese Beziehung giebt 
die Grundlage für eine Deutung der Funktion, welche der inneren Sekretion geradezu 
entgegengesetzt ist, nämlich die Entgiftungstheorie. Nimmt die letztere doch in 
ihrer strengen Fassung an, dass nicht Produkte der Zellen in den Kreislauf, sondern 
umgekehrt im Kreislauf befindliche Stoffe in die Zellen gelangen, um dort unschäd¬ 
lich gemacht zu werden, dadurch, dass sie entweder in kleinere Moleküle gespalten 
oder zu grösseren durch Bindung zusammengefügt werden. Man sieht sofort, dass 
eine solche Entgiftung auch im Kreislauf durch von den Organen gelieferte Sub¬ 
stanzen möglich ist, dass es also eine Brücke giebt zwischen innerer Se¬ 
kretion und Entgiftung. 

Die Möglichkeit einer Ersatztherapie ist also auch im Falle der Entgiftungs¬ 
funktion gegeben. Auch dann, wenn sie normaler Weise an die lebende Zelle ge¬ 
bunden sein sollte, könnte die tote Organsubstanz im Kreisläufe eintreten. In jedem 
Falle aber ist es ein besonderes Glück für die Therapie, wenn die Funktion des 
Organs nicht an die lebende Zelle gebunden ist. Es dürfen also aus therapeutischen 
Misserfolgen bei Anwendung von Organsäften keine Schlüsse auf die Funktion des 
Organs selbst gezogen werden. Die Unvollkommenheit der Methode der Organsaft¬ 
therapie würde vermieden werden können durch die Implantation ganzer Organe. 
Leider scheint dieselbe nur bei der Schilddrüse möglich zu sein (Schiff, Bircher, 
v. Eiseisberg), wo wir sie für den Menschen entbehren können. Zartere Gewebe, 
wie das der Nebennieren, gehen dabei zu Grunde, ein Vorgang, der von Poll ge¬ 
nauer verfolgt ist. Dass auch vorschnelle Versuche am Menschen zu kläglichen Er¬ 
gebnissen geführt haben, ist um so mehr zu bedauern, als wir sehen werden, dass 
die Organsafttherapie uns hier fast im Stich lässt. 

Die Nebennieren, mit denen wir unsere spezielle Betrachtung beginnen, sind 
der Typus der Blutgefässdrüsen. Epithelien und Kapillaren, das sind die beiden 
in ihren Beziehungen zu einander charakteristischen Gewebsbestandtheile. Ein Flach¬ 
schnitt durch die Rinde der Nebenniere sieht aus wie ein dichtes Sieb, in dem die 
quergetroffenen Kapillaren die Löcher bilden, das Zwischengewebe tritt ganz in den 
Hintergrund, so dass also die denkbar günstigsten Bedingungen für den Austausch 
von Stoffen zwischen Epithel und Kreislauf gegeben sind. Auch die Markssubstanz 
der Nebenniere ist, wie neuerdings von Aichel nachgewiesen wurde, epithelialen 
Ursprungs, sie steht in keiner genetischen Beziehung zum Nervensystem, bezw. zum 


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Die Grundlagen der Organotherapie. 60 


Sympatbicus. Echtes Nervengewebe, Nervenfasern und vereinzelte Nervenzellen 
kommen vor, sind jedoch im histologischen Bilde, wie auch wohl physiologisch 
durchaus nebensächlich. Die Annahme, dass die Nebennieren nervöse Organe 
seien, ist unhaltbar geworden. 

Hat die Nebenniere eine innere Sekretion? In der That ist sie viel¬ 
leicht das einzige Organ, von dem wir diese Frage mit Sicherheit bejahen können, 
die Entscheidung über diese Grundfrage ist nämlich keineswegs so leicht. Es genügt 
nicht, irgend welche Organsäfte irgend einem Thier in den Blutkreislauf zu bringen 
und dann irgend eine Funktion des Organismus zu beobachten, etwa eine Blutdruck¬ 
kurve zu zeichnen. Auf diese Weise kann man einiges finden, sehr viel schreiben, 
alles erklären, aber nichts beweisen. Wohin würden wir kommen mit der Annahme, 
dass alle die Stoffe, welche wir aus dem toten Organ ausziehen oder auspressen können, 
nun auch in wirksamer Menge in die Cirkulation übergehen? Um diese weitverbreitete 
und thatsächlich vielfach ausgesprochene Meinung ad absurdum zu führen, genügt 
die Beobachtung Blumenthals, dass die Organpresssäfte, welche unter sehr hohem 
Druck gewonnen werden, schon in recht geringer Menge eine letale Wirkung ent¬ 
falten können. 

Eine innere Sekretion ist mit Sicherheit nur dann bewiesen, wenn der wirk¬ 
same Stoff oder seine spezifische Wirkung im Venenblut oder in der Lymphe des 
fraglichen Organs nachgewiesen ist, mit grosser Wahrscheinlichkeit, wenn die Ein¬ 
führung von Organsaft den Erscheinungen, welche die Exstirpation des Organs macht, 
entgegenwirkt. Der Nachweis von Ausfallserscheinungen allein kann in fast allen 
Fällen ebenso auf den Fortfall einer Entgiftung wie einer inneren Sekretion bezogen 
werden. Garnichts aber beweist, um es noch einmal zu wiederholen, 
die alleinige Wirkung der Injektion von Organsäften. 

Für die Nebennieren ist nun in der That der Uebergang einer spezifisch 
wirkenden Substanz in das Venenblut erwiesen. Der Marktheil der Nebenniere ent¬ 
hält eine eigenthümliche blutdrucksteigernde Substanz (Oliver und Schäfer, 
Seymonowicz und Cybu 1 ski). Der Angriffspunkt dieser Substanz liegt peripher 
und ist wahrscheinlich das Protoplasma der Muskeln selbst. Das lässt sich schliessen 
nach Analogie der Wirkung auf die glatten Muskeln des Auges (Ref.). Auch 
für die glatten Muskeln der Haut ist vom Ref. eine erregende Wirkung 
des Nebennierensaftes nachgewiesen. Diese Substanz, welche von v. Fürth 
als Dihydrooxypyridin angesprochen wird, geht nun in der That in das Blut über. 
Cybulski hat nachgewiesen, Dreyer u. a. haben bestätigt, dass das Nebennieren¬ 
venenblut in genügender Quantität die spezifische Wirkung des Saftes der Neben¬ 
niere besitzt 

Der Wirkung des Nebennierensaftes auf den Blutdruck geht parallel eine solche 
auf das Herz, dessen Schläge verstärkt werden. Wie Gottlieb u. a. festgestellt 
haben, ist diese Wirkung bedingt durch eine Beeinflussung des Herzens selbst, wenn¬ 
gleich es selbstverständlich ist, dass bei darniederliegender Cirkulation eine so 
enorme Erhöhung des Blutdruckes, wie sie Injektion von Nebennierensaft macht, 
einen günstigen Einfluss auf das Herz haben muss. 

Ist nun mit der Feststellung dieser Thatsachen dasltäthsel der Nebenniere gelöst? 
Genügt der Ausfall einer blutdrucksteigernden Substanz, um das Symp- 
tomenbild der Addison’schen Krankheit zu begründen? Denn dass die 
Addison’sche Krankheit aus dem Ausfall der Nebennierenfunktion folgt, ist eine durch 
hundertfache klinische Erfahrung so sicher gestellte Thatsache, dass ihre Hauptsymp¬ 
tome einen vollen Platz in jedem physiologischen Lehrbuch verdienten. Zu diesen 
Symptomen gehört auch die Pigmentierung der Haut, wenngleich sie vielleicht nur 
sekundär durch die Kachexie bedingt ist, und auch, aber nie in so typischer Weise bei 
Erkrankungen anderer Organe (Pankreas, Schilddrüse) vorkommt. Es ist ein unbilliges 
Verlangen, das ganze Symptomenbild einer Krankheit bis in alle Details im Experi¬ 
ment wiederherstellen zu können, um sie in ihrer Pathogenese anzuerkennen. Das 
Experiment ist hier gleichsam nur die Probe auf das Exempel. Das Exempel 
wird nicht dadurch falsch, dass die Ausführung der Probe erschwert oder unmöglich ist. 

Im allgemeinen hat ja auch das Experiment erwiesen, dass die Nebennieren 
lebensnothwendige Organe sind; ihre vollständige Entfernung wird nur für Tage 


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70 M. Lewandowsky 


vertragen. Kaninchen können überleben,“wenn zwischen die Exstirpation des einen 
und des anderen Organs längere Zeit gelegt wird (Hultgren und Andersson); 
diese Bedingung weist mit Sicherheit darauf hin, dass hier die allmähliche Ent¬ 
wickelung einer vicariierenden Funktion erfolgt. Dieselbe Erklärung ist auch 
auf die extrem seltenen Fälle anzuwenden, in welchen auch Hunde die doppelseitige 
Exstirpation vertragen (Pal). Als Träger dieser vicariierenden Funktion dürften 
jene Nebennierenanlagen in Betracht kommen, welche in der Nähe der Geschlechts¬ 
organe nach neueren Befunden regelmässig bestehen, beim weiblichen Individuum 
im ligamentum latum neuerdings von Aichel als March an d’sche Nebenniere 
bezeichnet. 

Wenn also die vollständige Entfernung der Nebenniere mit dem Leben nicht 
verträglich ist, so ist doch der Ausfall der blutdrucksteigernden Substanz nicht 
im Stande, weder beim Thier noch beim Menschen, die Symptome irgendwie zu erklären. 
Sowohl im Thierversuch wie auch bei der Addison’schen Krankheit stehen die Er¬ 
scheinungen von Seiten des Cirkulationsapparates durchaus im Hintergrund und 
in Abhängigkeit von der allgemeinen Kachexie. Ref. ist sogar der Meinung, 
dass der fragliche Stoff überhaupt nicht in einer so erheblichen Menge 
ausgeschieden wird, um auf den Blutdruck erhöhend wirken zu können. 
Camus und Langlois haben sich dieser Anschauung angeschlossen. Es ist 
dieser Gesichtspunkt um so mehr zu berücksichtigen, als neuerdings Moore und 
Pur in ton nachgewiesen haben, dass kleinste Mengen von Nebennierensaft 
eine Blutdrucksenkung bewirken. Ref. ist der Ansicht, dass die eigentliche Aufgabe 
dieses Stoffes noch durchaus unbekannt ist. Von Bedeutung ist wohl, dass dieser Stoff 
chemisch ausserordentlich reaktionsfähig ist, und dass verhältnissmässig enorme Mengen 
davon vom Organismus in wenigen Minuten zerstört, bezw. so umgewandelt werden, 
dass die blutdrucksteigernde Wirkung vernichtet wird. 

Ob diese chemische Reaktionsfähigkeit etwa einer Entgiftung dient oder 
dienen kann, ist nicht sicher. Nahe gelegt wird ein solcher Gedanke besonders 
durch die pathologischen Veränderungen, welche eine Reihe bakterieller Gifte, 
besonders das der Diphtherie in den Nebennieren hervorruft. 

Die durch den Ausfall der Nebennierenfunktion bewirkten mächtigen 
allgemeinen Störungen spotten aber vorläufig jeder näheren Erklärung. 
Was die besonders ins Auge fallende motorische Schwäche anlangt, so hatten 
Abelous und Langlois die Theorie zu begründen versucht, dass die Muskelarbeit 
zur Bildung curareartig wirkender Stoffe führt, welche von der Nebenniere neu¬ 
tralisiert würden. Dementsprechend sollten Frösche nach Nebennierenexstirpation 
unter den Erscheinungen einer Curarevergiftung sterben. Ref. kann auf Grund 
eigener Versuche nur sagen, dass Frösche, deren Nebennieren zerstört sind, zwar 
langsam zu Grunde gehen, aber dabei keine spezifischen Erscheinungen zeigen. 
Auch Gourfein hat solche bestritten. Die Injektion von Nebennierensaft beim 
Säugethier hat zwar einen gewissen Einfluss auf die Kurve der Muskelzuckung 
(Oliver und Schäfer), indem die Erschlaffung des Muskels längere Zeit beansprucht 
als normal; diese Wirkung ist jedoch in keiner Weise als einer Curarewirkung 
entgegengesetzt zu bezeichnen. 

Die blutdrucksteigernde Substanz stammt übrigens allein aus dem Mark 
der Nebenniere. Ueber die Rolle der Rinde wissen wir noch gar nichts. 
Ja, wir wissen noch nicht einmal, ob das Mark oder die Rinde die Lebensnothwendigkeit 
des Organs bedingt. Schon daraus folgt, dass es nicht angeht, von der blutdruck¬ 
steigernden Substanz als »der wirksamen Substanz der Nebenniere« zu sprechen. 

Es ist am besten, wenn wir uns eingestehen, dass wir über die Physiologie 
der Nebenniere nichts weiter wissen, als dass sie für den Bestand des Lebens noth- 
wendig ist, und dass die hier nicht näher zu erörternden Symptome der doppel¬ 
seitigen Nebennierenexstirpation bezw. der Addison’schen Krankheit (Adynamie u.s.w.) 
wesentlich durch eine mehr'weniger schnell fortschreitende Kachexie bedingt sind. 
Wie diese im einzelnen zu Stande kommt, ist heut zu Tage unmöglich zu erklären 
und führt nur zu nutzlosen und den weiteren wissenschaftlichen Fortschritt hindern¬ 
den Hypothesen. 


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Die Grundlagen der Organotherapie, 


71 


Nun könnte es uns ja gleichgiltig sein, wie die Pathogenese der Addison’schen 
Krankheit sich im einzelnen gestaltet, sind wir doch sicher, dass sie als Ganzes 
durch den Ausfall der Nebennierenfunktion bedingt ist, und erscheint also theoretisch 
die Möglichkeit gegeben, diesen Ausfall durch Einführung der Nebennierensubstanz 
in den Körper zu ersetzen. Demgegenüber steht die praktisch festgestellte Thatsache, 
dass die Erfolge dieser Therapie bisher höchst zweifelhafte gewesen sind. Dauernde 
Erfolge sind wohl überhaupt nicht erzielt worden. Dagegen scheint dem Ref. die 
Durchsicht der Litteratur doch zu ergeben, dass in einer Reihe von Fällen die Ver¬ 
abreichung von Nebennierensubstanz bei zweifelloser Addison’scher Krankheit 
die Symptome der Adynamie und vor allem auch der Pigmentation zeitweilig günstig 
beeinflusst hat. Wie gesagt, erscheint trotzdem der Addisonkranke auch heute noch 
unrettbar dem Tode verfallen. Trotzdem giebt man in Deutschland wohl fast all¬ 
gemein in solchen Fällen Nebennierenpräparate, meistens Tabletten, um sein Gewissen 
durch die Anwendung einer »rationellen, kausalen« Therapie zu beruhigen. 

Im Experiment scheint die subcutane Injektion von Nebennierenextrakt bei doppel¬ 
seitig operierten Thieren gleichfalls einen gewissen vorübergehenden Erfolg zu haben, 
wie besonders aus den genauen Angaben von Hultgren und Andersson hervorgeht. 
Die prämortale Temperaturerniedrigung konnte ausgeglichen werden, das Allgemein¬ 
befinden besserte sich. Trotzdem konnte das Leben nicht erhalten werden, da die 
Wirkung bei öfterer Wiederholung der Injektion völlig versagte. 

Der Misserfolg der Nebennierentherapie wird uns nicht mehr Wunder 
nehmen. Der Erfolg einer Organotherapie ist eben keineswegs ein logisches Postulat, 
als welches wir ihn oft hingestellt finden; man kann eben nicht immer die Funktion 
lebender Zellen durch totes Material ersetzen. Aber selbst, wenn wir diesen Gesichts¬ 
punkt einmal zurückstellen, so ist es auch nicht dasselbe, ob wir die wirksamen Bestand- 
theile in den Magendarmkanal einführen oder ob dieselben aus dem Organ selbst # 
unmittelbar in den Blutkreislauf gelangen. Eine grosse Reihe differenter Stoffe * 
wird ja durch die Verdauungssäfte angegriffen. Auch die subcutane Injektion ist 
noch nicht dasselbe wie eine innere Sekretion ins Blut; denn mit der ersteren 
bringen wir ja die Substanz nur in die Lymphspalten, d. h. in das Gewebe, und 
gerade von dem wirksamen Bestandtheile der Nebenniere wissen wir, dass er im 
Gewebe ausserordentlich schnell verändert wird. 

Ob man demgegenüber mit intravenöser Injektion des Nebennierenextrakts 
(auf welche auch Neusser hinweist) weiterkommen könnte, dürfte auch sehr zweifel¬ 
haft erscheinen, da die in grossen Zeitintervallen erfolgende Zuführung (vielleicht!) 
wirksamer Substanz einer dauernden Sekretion nicht gleichwerthig zu sein braucht. 
Auch ist es zweifelhaft, ob nicht die ganz enorme und nicht zu dosierende Blutdruck¬ 
steigerung bei intravenöser Injektion gefährliche und das Leben selbst bedrohende 
Folgen haben kann, wenngleich das Ref. bei Thieren in vielfachen Versuchen nie 
beobachtet hat. 

Auf einen Punkt aber möchte Ref. noch besonders hinweisen, dass nämlich 
die Verwendung von künstlichen Präparaten und Tabletten, mögen sie auch noch 
so schonend hergestellt worden sein, doch vielleicht die Verwendung der frischen 
Drüsen nicht ersetzen kann. Es handelt sich bei den wirksamen Stoffen der frag¬ 
lichen Organe ja sicherlich um sehr labile Substanzen. Es ist z. B. festgestellt, 
dass Extrakte aus Nebennierentabletten gar keine blutdrucksteigernde Wirkung mehr 
zu haben brauchen, eine Wirkung, die doch dem Saft der frischen Drüse in unglaublich 
kleinen Quantitäten zukommt. Ref. möchte hier hervorheben, dass der für den Erfolg 
der Nebennierentherapie heweisendste Fall von Schillings (Münch, med. Wochenschr. 
1897. No. 7) mit Fütterung von Nebennieren frischgeschlachteter Thiere behandelt 
worden ist. Es handelt sich um einen Fall, in dem durch die von autoritativer Seite 
gemachte Sektion später an Stelle der Nebennieren nur Narben, bezw. käsige Herde 
gefunden wurden; in diesem Fall war, nach dem alle andere Behandlungsmethoden 
lange Zeit vergeblich gewesen waren, durch Fütterung mit frischen Nebennieren 
ein Schwinden der Pigmentierung und Arbeitsfähigkeit des vorher fast dekrepiden 
Patienten erreicht worden. Schon auf Grund dieses einen Falles würden wir 
dringend dazu rathen, gerade bei Addison’scher Krankheit sich nicht 


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M. Lewandowsky 


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auf die'Tabletten zu verlassen, sondern die frischen Organe in Anwendung 
zu bringen. Ein zeitweiliger Erfolg ist schliesslich besser wie gar keiner. 

Wir haben nun noch davon zu sprechen, inwieweit die Nebennierensubstanz 
als allgemeines therapeutisches Agens unabhängig von Erkrankung der Neben¬ 
nieren verwerthbar ist. Die wirksame Substanz des Marks ist ja von einer 
enormen allgemeinen Wirkung, indem sie in den minimalsten Mengen 
den Blutdruck zu Höhen emportreiben kann, die anders schlechterdings 
garnicht zu erreichen sind. Die praktische Verwendung dieser Eigenschaft findet 
aber nun an zwei Seiten eine Grenze: Die Blutdruckerhöhung tritt erstens nur ein 
bei intravenöser Injektion und dauert dann zweitens nur einige (durchschnittlich 
3—5 Minuten), nachdem sie schon in 1 — 2 Minuten ihr Maximum erreicht hat. 

Soweit der Ref. sehen kann, ist diese intravenöse Injektion von Nebennierensaft 
therapeutisch zur Hebung des Blutdrucks und der Herzkraft noch nicht planmässig 
verwendet worden, und doch müsste sie in Fällen, wo es darauf ankommt, den 
plötzlich gesunkenen Blutdruck zu heben, von grossem Werthe sein. Ref. denkt also 
an Fälle von plötzlichem, bedrohlichem Shok, vor allem aber an den primären 
Herzstillstand im Anfang der Chloroformnarkose. Er stellt sich vor, dass 
durch die Wirkung einer oder einiger intravenöser Injektionen die für den Erfolg 
entscheidende Wirkung der künstlichen Athmung auf die Cirkulation erheblich ge¬ 
fördert oder erst ermöglicht werden würde. Vielleicht sieht sich der eine oder 
andere Chirurg veranlasst, zugeschmolzene Glasröhrchen mit sterilem 
Nebennierensaft in seinem Operationsraum zum Gebrauch fertig unter¬ 
zubringen. Bedingung für einen Erfolg ist aber jedenfalls intravenöse Injektion. 

Da der Angriffspunkt der blutdrucksteigernden Substanz peripher liegt, so er¬ 
klärt es sich, dass die lokale Applikation des Nebennierensaftes eine mächtige 
vasoconstrictorische bezw. anämisierende Wirkung entfaltet. Am bekanntesten ist 
hier die von den Augenärzten benutzte Anämie der Konjunctivalgefässe bei In¬ 
stillation in den Bindehautsack (Darier) Eine Wirkung auf die Pupille tritt 
dabei nicht ein im Gegensatz zur intravenösen Injektion, weil die Substanz schon 
auf dem Wege durch die Häute des Auges zerstört wird (Ref.). Auch an anderen 
Schleimhäuten ist die anämisierende Wirkung des Nebennierenextraktes verwerthet 
worden. In der rhinologischen und laryngologischen Praxis hat man sie zu therapeu¬ 
tischen und diagnostischen Zwecken herangezogen (Lermitte, Mosse). Auch zur 
Bekämpfung von Darmblutungen und zu ähnlichen Zwecken ist sie verwendet worden. 
Man wird in solchen und ähnlichen Fällen von dem Nebennierensaft unbedenklich 
Gebrauch machen können, da er wenigstens nichts schadet. 

Wenn wir einige mehr weniger phantastische Vorschläge wie z. B. das Glaucom 
mit intravenöser Injektion zu behandeln (es ist zu bedenken, dass die Wirkung 
3—4 Minuten dauert) absehen, so seien hier noch die Versuche genannt (Huchard, 
Pantanetti), durch Behandlung mit Nebennierenextrakt die Muskelkraft bei Neu¬ 
rasthenie und ähnlichen Krankheiten zu erhöhen. Angesichts der positiven Ergeb¬ 
nisse, welche mit dem Testicularsaft erzielt worden sind, worauf wir unten zurück¬ 
kommen werden, thut man wohl gut, bei aller Skepsis doch die Möglichkeit eines 
thatsächlichen Erfolges im Auge zu behalten. 

Auf den Eiweissstoffwechsel sollen Nebennierenpräparate keinen Einfluss be¬ 
sitzen. Stoelzner hat die Nebennierenfütterung mit grossem Erfolge bei rachitischen 
Kindern angewandt, diese Erfolge sind allerdings bereits von anderer Seite kategorisch 
bestritten (Neter). 

Die Nebennieren erschienen uns besonders geeignet, um einige Grundfragen der 
Lehre von der Organotherapie zu behandeln. lieber eine Reihe anderer, ähnlich ge¬ 
bauter Organe können wir kurz hinweggehen. 

Da sind zunächst die NebenschiIddrftsen, nicht zu verwechseln mit den 
accessorischen Schilddrüsen, welch letztere man in der Gegend der Trachea bis her¬ 
unter zur Aorta finden kann, und die unter Umständen für die erkankte Schilddrüse 
eintreten können. Im Unterschied zu ihnen sind die Nebenschilddrüsen (Epithel¬ 
körperchen. Ko hn) Organe von konstanter Lage und zwar giebt es auf jeder Seite 


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Die Grundlagen der Organotherapie. 73 

zwei. 1 ) Die eine liegt in der Schilddrüse selbst, die andere meist etwas über ihr. 
Sie bestehen, wie die Nebenniere, aus Epithel und Blutgefässen. Was ihre Funktion 
betrifft, so glaubte Gley, dass sie die der Schilddrüse unterstützen und nötigenfalls 
ersetzen könnte; indessen sind diese Angaben von Blumenreich und Jacoby be¬ 
stritten. Zu therapeutischen Zwecken sind die Nebenschilddrüsen natürlich auch schon 
verwandt worden. 

Auch von der Thymus, welche ursprünglich ein epitheliales Organ ist und 
erst nach der Geburt allmählich eine Umwandlung in adenoides Gewebe erfährt, 
wissen wir nichts. Ob sie im embryonalen Organismus eine Funktion hat, ist 
ungewiss. An dieser Stelle möchten wir bemerken, dass uns überhaupt die Lehre 
von dem Vorhandensein besonderer embryonaler Funktionen höchst un¬ 
wahrscheinlich ist. Wir glauben vielmehr, dass ausser dem Kreislauf der mütter¬ 
liche Organismus alle Funktionen des kindlichen versieht. Wenn auch die Organe 
des Fötus theihveise thätig sein mögen, wie z. B. die Nieren, so geschieht das doch 
mehr als Probe, gewissermaassen zur Uebung. Nothwendig scheinen diese Funktionen 
nicht zu sein, was besonders aus der Betrachtung der Missbildungen hervorgeht. 

Was nun diese Thymustherapie betrifft, so hat Stoppato bei Pädatrophie 
durch Fütterung Hebung des Allgemeinzustandes erzielen wollen. Auffallend sind 
die Resultate, welche Mikulicz bei Kropf mit Thymusfütterung erreicht hat. 

Auch das Pankreas kann hier in Kürze behandelt werden, weil seine Funktion 
in einer grösseren Reihe von zusammenfassenden Berichten (vergl. bes. Minkowski 
in Lnbarsch-Osterstag’s Ergebnissen Bd. I) und Sammelwerken (vergl. Naunyn 
und Oser in Nothnagel’s Handbuch) fast durchweg, wenigstens in Deutschland, mit 
besonderer Kritik und Zurückhaltung behandelt worden ist. Was die klassischen 
Experimente von v. Mering und Minkowski mit Sicherheit bewiesen haben, ist, dass 
die Totalexstirpation des Pankreas Diabetes in seiner schweren Form zur unabwend¬ 
baren Folge hat. Wie diese Störung des Kohlehydratstoffwechsels im einzelnen zu 
Stande kommt, ist unsicher. Insbesondere mehren sich die Stimmen gegen das 
glykolytische Ferment Lgpine’s. Die Abwiegung der verschiedenen Möglichkeiten 
ist besonders in den Arbeiten Minkowski’s genauer nachzusehen. Bemerkenswerth 
ist es jedenfalls, dass das Pankreas das einzige Organ mit sogenannter innerer Se¬ 
kretion ist, das in den Pfortaderkreislauf eingeschaltet ist. Sein Blut wird also 
unmittelbar der Leber zugeführt, so dass der Gedanke wenigstens nahe liegt, dass 
zunächst eine Beeinflussung dieses Organs durch das Pankreas statt habe. 

Im übrigen bedarf es einer Rechtfertigung, wenn wir das Pankreas an dieser 
Stelle behandeln und es nicht unter die Organe mit innerer und äusserer Sekretion 
versetzen. Es ist nämlich nicht das ganze Pankreas, welches der »inneren Sekretion« 
dient, sondern es sind nur die sogenannten Langerhans’schen Inseln, in das eigent¬ 
liche Drüsengewebe eingesprengte Inseln vom typischen Bau der Blutgefässdrüsen. Der 
schlüssige Beweis hierfür ergiebt sich erstens aus der Thatsache, dass nach Unter¬ 
bindung des Pankreasausführungsganges der ganze secernierende Theil des Organs zu 
Grunde geht, diese Inseln aber vollständig intakt bleiben (Schultze), zweitens aus 
der schon früher gemachten Beobachtung, dass nach derselben Operation ein Diabetes 
nicht eintritt (Pawlow u. a.). Dann sind aber eben nur noch die Langerhans’schen 
Inseln vorhanden. 

Therapeutisch sind Pankreaspräparate natürlich verwandt worden, ein Einfluss 
auf die Zuckerausscheidung ist dabei nach dem fast übereinstimmenden Urtheil der 
Autoren nicht erzielt worden. Die möglichen Gründe für ein solches Versagen der 
Organtherapie haben wir in dem Abschnitt über die Nebennieren genügsam erörtert. 

Wir kommen jetzt zu zwei Organen, die wir als modifizierte Blutgefäss* 
drfisen bezeichnen möchten, nämlich Hypophysis und Thyroidea. Das histologische 
Bild verändert sich nämlich hier durch die Bildung von Follikeln. Die Epithelien 
liegen nicht mehr in geschlossenen Reihen oder Gruppen zusammen, sondern sie 
bilden Bläschen mit einem Hohlraum in der Mitte, so dass hier in der That von 


') Dazu kommen noch ebensoviel Läppchen adenoiden Gewebes: Thymusläppchen der 
Schilddrüsen. 


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74 M. Le wandowaky 


einer Drüsenähnlichkeit gesprochen werden kann und der Ausdruck »Drüse ohne 
Ausführungsgang« nahe gelegt wird. 

Die Hypophyse zwar besteht nicht in der ganzen Masse ihres drüsigen Theils 
— von dem sogenannten nervösen, vielmehr bindegewebigen, ist hier natürlich über¬ 
haupt nicht die Rede — aus Follikeln. Wir haben Drüsen jugendlicher und auch 
erwachsener Thiere in Serienschnitte zerlegt, ohne einen einzigen Follikel zu finden. 
Die Hauptmasse der Drüse besteht beim Thier ganz regelmässig aus einem Gewebe, 
das durch Reihen von Epithelien an oft enorm weiten Kapillaren charakterisiert, sich 
z. B. von dem der Nebenniere in der Anordnung nicht unterscheidet. Auch beim 
Menschen wird die höchste Entwicklung der Follikel erst im Alter erreicht, so dass 
die Vermuthung gerechtfertigt ist, welche auch durch hier nicht näher zu erörternde 
Details des histologischen Bildes gestützt wird, dass die Follikelbildung in der 
Hypophyse ein Zeichen der abnehmenden Funktion ist. Auch die Kolloidbildung in 
den Follikeln kann also nicht wesentlich sein. Entschieden bestreiten müssen wir 
die Angabe von Pisenti und Viola, dass das Kolloid, sei es aus den Zellen oder 
Follikeln, in die Blutgefässe des Organs gelangt. Es handelt sich hier zweifellos 
um eine Täuschung durch postmortale Hyalinbildung aus dem Blute selbst 

Die Physiologie ist der Aufgabe gegenüber, die Funktion der Hypophyse zu 
bestimmen, ohnmächtig geblieben, denn eine Funktion wird das Organ wohl schliess¬ 
lich besitzen, wenn auch klinische Beobachtung über Zerstörung des Organs durch 
Geschwülste, z. B. der Dura, und die Experimente von Friedmann und Maas 
gezeigt haben, dass dieselbe beim erwachsenen Thier für das Leben nicht noth- 
wendig ist. 

v. Cyon suchte die Aufgabe der Hypophysis in einer Beeinflussung des Cirku- 
lationsapparates; insbesondere sollte die Erregbarkeit des Herzvaguscentrums von der 
Integrität der Hypophyse abhängig sein. Wir brauchen uns mit dieser Theorie nicht 
zu beschäftigen, da die Cyon’schen Experimente von Biedl und Reiner bestritten 
und widerlegt worden sind. 

Bei der Anwendung von Hypöphysissubstanz ist nur eins bemerkens- 
werth, das ist die Wirkung auf den Stoffwechsel. Sie äussert sich in derselben 
Richtung, wie die der Schilddrüsenpräparate, d. h. in einer Vermehrung der Stick¬ 
stoffausscheidung, bezw. des Eiweisszerfalls, und besonders noch in einer Steigerung 
der Phosphorsäureausscheidung (A. Schiff). Wir können nach eigenen Thierversuchen 
bestätigen, dass die Wirkung der Fütterung mit Hypophysispräparaten auf die Er¬ 
nährung eine sehr ausgesprochene ist. Es schien uns sogar, dass die Wirkung von 
Hypophysistabletten (Bourroughs, Wellcome & Co.) in gleicher Menge die der Thyroidea- 
tabletten derselben Fabrik überträfe. Es wäre wohl möglich — eine Vermuthung, die 
oft ausgesprochen ist —, dass die Hypophysis die Schilddrüse in ihrer Funktion unter¬ 
stützt und eventuell ersetzen kann. Die anatomischen Veränderungen, welche in der 
Hypophyse nach Exstirpation der Schilddrüse auftreten (Rogowitsch u. a.), genügen 
zur Begründung dieser Theorie noch nicht. Dagegen wäre es interessant zu erfahren, 
ob nicht beim Myxödem durch Ilypophysispräparate Erfolge erzielt werden könnten, 
wir halten das sogar für sehr möglich. 

Nun hat man eine Erkrankung der Hypophyse in ursächliche Beziehung zu 
der Entstehung der Akromegalie gebracht. Es finden sich bei dieser Krankheit 
Geschwülste der Hypophyse, welche von Ben da als im wesentlichen hyperplastische 
charakterisiert worden sind. Da die Zerstörung der Hypophyse, wie bemerkt, keine 
Folgen nach sich zieht, so erschien es nicht ganz ausgeschlossen, dass hier vielleicht 
eine gesteigerte Funktion des Organs vorliege. Referent hat, einem solchen Gedanken¬ 
gang folgend, Versuche angestellt in der Richtung, ob sich durch Fütterung mit 
Hypophysensubstanz Veränderungen des Knochensystems erzielen Hessen. 1 ) Bei er¬ 
wachsenen Thieren war das nicht der Fall, bei wachsenden Thieren zeigte sich zwei¬ 
mal zwar ein Einfluss, aber gerade in entgegengesetztem Sinne. Es trat nämlich 

i) Diese Experimente mit Hilfe eines Stipendiums der Gräfin Bose-Stiftung in der speziell- 
physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin ausgeführt, sind wegen ihres 
negativen Resultats nicht ausführlich publiziert worden. 


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Die Grundlagen der Organotherapie. 75 


eine Rachitis ein, das eine Mal höchsten Grades, zu einer Hemmung des Wachs¬ 
thums und des Körpergewichts um fast ein Drittel führend, gemessen an dem Ver¬ 
halten eines aus dem gleichen Wurfe stammenden Kontrollthieres, das vollständig 
gesund blieb. Diese Experimente würden also nur zur Theorie der Rachitis heran¬ 
gezogen werden können und bilden eine Bestätigung der Anschauung, dass eine solche 
durch eine grosse Reihe toxischer Einflüsse hervorgerufen werden kann. Durch 
Fütterung massiger Mengen von Thyroideapräparaten Hess sich übrigens nur eine vor¬ 
übergehende Hemmung der Gewichtszunahme erzielen. 

Wir halten die Möglichkeit aufrecht, dass die Vergrösserung der Hypophyse 
bei Akromegalie eine den übrigen Wucherungserscheinungen koordinierte, nicht super¬ 
ordinierte ist 

Bei Akromegalie hat man weder mit Hypophysispräparaten noch mit sonst 
etwas zu nützen Vermocht. 

Nunmehr zur Schilddrüse. Die Schilddrüse ist histologisch charakterisiert 
durch ihre Follikel, wenn auch sowohl zwischen den Follikeln, wie besonders an 
der Peripherie des Organs (Wölfler) sich solide Zellstränge und Zellgruppen finden. 
Aber auch die Follikelepithelien geben ihre intimen Beziehungen zu den Kapillaren 
nicht auf, wie jeder weiss, der einmal im injizierten Präparat den Kranz von Kapillaren 
um die Follikel gesehen hat. Auch die Lymphgefässe zeigen in der Schilddrüse be¬ 
sonders bei manchen Thierarten (Katze) und jugendlichen Individuen eine mächtige 
Entwicklung. Wie breite Kanäle sieht man sie oft das Parenchym durchschneiden. 

Weit verbreitet ist die Meinung, das Kolloid stelle das Sekret der Schilddrüse 
dar, welches die Funktion des Organs auf den Organismus vermittele. Es würde in 
die Follikel abgeschieden, gelange aus den Follikeln in die Lymphräume und so in 
die Cirkulation. Der Bedeutung des Kolloids hat der Ref. eine eingehende Unter¬ 
suchung gewidmet 1 )- Kolloid ist ein physikalischer Begriff, anders in keiner Weise, 
weder chemisch noch histologisch bezw. färberisch zu definieren, charakterisiert nur 
durch seine homogene Beschaffenheit und erhebliches Lichtbrechungsvermögen. Das 
Kolloid wird nicht als solches in den Follikelhohlraum secerniert, sondern entsteht 
dort erst durch Eindickung des eigentlichen wässrigen und nur wenig eiweissreichen 
Sekretes. Einen ähnlichen Standpunkt hat schon Virchow vertreten. Das fertige 
Kolloid kann nicht aus dem Follikel heraus, dagegen ist es möglich, aber histologisch 
nicht zu entscheiden, dass die wässrige eiweissarme Vorstufe des Kolloids einen Weg 
zwischen den Epithelien hindurch findet; immerhin wäre das ein merkwürdiger 
Umweg. Es ist uns wahrscheinlich, dass, wenn in der That von der Schilddrüse 
Stoffe in den Kreislauf abgegeben werden, sie auch direkt in das Blut — bezw. 
Lymphgefässsystem — übergehen. Ob das Kolloid, das sich zweifellos nicht zu selten 
in den Lymphgefässen der Schilddrüse findet, chemisch mit dem Follikelkolloid 
identisch ist, ist nicht zu entscheiden. Man kann aber ganze Reihen von Drüsen 
untersuchen, ohne eine Spur von Kolloid in den Lymphgefässen zu finden. Grade 
bei Katzen, die rettungslos nach Schilddrüsenexstirpation zu Grunde gehen, haben 
wir es nie in den Lymphräumen gesehen. Der Uebergang von Kolloid, einer nur 
durch physikalische Eigenschaften zu charakterisierenden Substanz, kann also nicht 
für die Funktion des Organs wesentlich sein; vielleicht und bis zu einem ge¬ 
wissen Grade wahrscheinlich ist das aber eine Vorstufe des Kolloids, 
welche darum histologisch nicht zu fassen ist, weil sie sich in schwacher wässriger 
Lösung ebenso wenig wie andere Eiweisskörper im Blut und der Lymphe mikroskopisch 
differenzieren lässt. Die Follikelbildung der Schilddrüse jedenfalls scheint nur eine 
phylogenetische Reminiscenz an eine wirkliche Drüsenzeit zu sein, jetzt nur geeignet, 
die Funktion der Schilddrüse als echter Blutgefässdrüse zu verschleiern. 

Kann die Histologie die Frage nach der Funktion bezw. der inneren Sekretion 
der Schilddrüse nicht entscheiden, so tobt auch im Lager der Physiologie der Kampf, 
der unter der Flagge »hie innere Sekretion, hie Entgiftung« geführt wird. 

Zunächst unabhängig von dieser Fragestellung ist die Lehre von den thatsäch- 


!) Noch nicht publiziert (ausgeffihrt in «Irr mikroskopisch-biologischen Abtheilung des physio¬ 
logischen Institutes zu Berlin). 


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7fi M. Lewandowsky 


liehen Folgen der Schilddrüsenexstirpation beim Menschen und beim Thier. Man 
hat hier die Frage der »Lebenswichtigkeit« in den Vordergrund geschoben, nach unserer 
Ansicht mit Unrecht; denn sie muss verschwinden angesichts der Thatsache, dass der 
Mensch und eine grosse Reihe von Thierarten nach Entfernung oder pathologischer 
Zerstörung der Schilddrüse unter schweren Symptomen regelmässig erkrankt. Wenn 
irgendwo, so ist es in der Lehre von der Schilddrüse die Erfahrung am 
Menschen, am Krankenbett gewesen, welche auch die physiologische 
Krkenntniss geleitet und bestimmt hat. Wer sich hier allein auf Erfahrungen 
am Thier stützen wollte, würde die experimentelle Physiologie der allgemeinen Medicin 
als Spezialwissenschaft gegenüberstellen müssen. Es ist z. B. ein heftiger Streit 
zwischen Horsley und Munk darüber geführt worden, ob der Affe nach Exstirpation 
der Schilddrüse Myxödem bekommt oder nicht; wir sind der Meinung, dass die 
Resultate der englischen Autoren an einer grösseren Reihe von Thieren nicht ange- 
zweifelt werden dürfen, obwohl bei dem einen nach Deutschland geschickten Thier 
die Schwellung durch einen schlechten Zahn bedingt war. Aber selbst wenn der 
Affe nach Schilddrüsenexstirpation kein Myxödem bekommen sollte, so möchten wir 
einen bekannten drastischen Ausspruch Kussmaul’s gegenüber einem Theoretiker, 
der die abführende Wirkung des Ricinusöls auf Grund von Thierversuchen leugnete, 
variieren: Es ist gleichgültig, ob der Affe Myxödem bekommt, der Mensch thuts. 

Es ist im Rahmen des dem Ref. zugemessenen Raumes nicht möglich, auf das 
vielgestaltige Bild des Myxödems, der Kachexia und Tetania thyreopriva einzugehen; 
das musste aber betont werden, dass Erfahrungen am Thier niemals exakte und in 
grosser Zahl gemachte Beobachtungen am Menschen widerlegen können. 

Thatsächlich ist übrigens die Differenz garnicht so gross und wird überbrückt 
durch die Verschiedenheit der Symptome nach der verschiedenen Thier- 
species. Horsley fasst die diesbezüglichen Ergebnisse dahin zusammen, dass Vögel 
und Nager keine Kachexie bekommen, Wiederkäuer und Einhufer eine langsame, 
der Mensch und der Affe einer mässigen aber sicheren Kachexie verfallen und Fleisch¬ 
fresser immer zu Grunde gehen. Nun wissen wir einerseits, dass auch Nager nach 
Schilddrüsenexstirpation zu Grunde gehen können, andrerseits von Fleischfressern 
wenigstens Hunde die Operation überleben können; es ist allgemein bekannt, dass 
H. Munk auf diese letztere Feststellung hin die Lehre von der inneren Sekretion 
der Schilddrüse überhaupt leugnete, alle nach der Exstirpation auftretende Erschei¬ 
nungen vielmehr auf Nervenverletzung bezog. Diese letztere Auffassung hat H. Munk 
nicht aufrecht erhalten und sich auf die isolierte Position der »Lebenswichtigkeitc 
zurückgezogen. Der Behauptung dieser Position gegenüber kann v. Eiseisberg 
jedoch, soweit wir sehen können, den Ausgang des Kampfes nicht mehr ändern, der 
dahin entschieden ist, dass die Schilddrüse ein für das Leben wichtiges Organ ist, 
das Wort »lebenswichtig« im Sinne H. Munk’s müsste durch »lebensnothwendig« 
ersetzt werden. 

Zu den individuellen Bedingungen, welche Hunde vor den letalen Folgen 
der Schilddrüsenexstirpation bewahren können, gehört das Alter. Auch beim Menschen 
findet man ja oft in höherem Alter die Schilddrüse in weitem Umfange verkalkt und 
ersichtlich nur in ganz geringem Maasse noch funktionierend. 

Eine fernere individuelle Schonung des Versuchsthieres ermöglicht die Milch¬ 
nahrung, wie das bereits unter H. Munk’s Leitung Breisacher festgestellt und 
Blum bestätigt hat. Nur findet der letztere die Extraktivstoffe des Fleisches un¬ 
schuldig; er hat durch konsequente Milchernährung fast 50 °/ 0 der Versuchshunde 
durchbringen können, während ihm das bei Fleischnahrung nur in 4 % möglich war. 
Er stellt weiter fest, dass die wenigen Hunde, welche Fleischnahrung vertrugen, auch 
Milchnahrung tolerierten, dass aber die Immunität gegen Milchnahrung noch nicht 
gegen Fleischnahrung immun macht. 

Hier haben wir nun die Immunität, also auch die Vergiftung und Entgif¬ 
tung. Blum ist heute der Hauptvertreter der strengen Entgiftungstheorie für die 
Schilddrüse. Er ist nicht ihr Erfinder, wie er selbst zugiebt, aber er behauptet, 
sie bewiesen zu haben, und zwar so sicher, dass er z. B. von auszumerzenden »Ueber- 
bleibseln der Lehre von der inneren Sekretion«, von »Phantasien« u. s. w. spricht. 


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Die Grandlagen der Organotherapie. 77 


Die Schilddrüse soll Gifte besonders für das Centralnervensystem abfangen, fesseln 
und so unschädlich machen. Einem ruhigen und logischen Urtheil kann es nicht 
entgehen, dass Blum einen Beweis gegen die innere Sekretion in keiner Weise er¬ 
bracht hat 

Was zunächst die Veränderung im Centralnervensystem angeht, so sehen wir 
ja unmittelbar an dem Symptom der Tetanie, dass das Nervensystem eine schwere 
Störung erfahren hat. Woher diese Störung kommt, ob durch den Ausfall einer noth- 
wendigen Substanz oder durch eine wirkliche Vergiftung ist ebensowenig aus dem 
anatomischen wie aus dem physiologischen Befund zu schliessen. Für das That- 
sächliche aber ist der physiologische Beweis dem anatomischen weit vorzuziehen; 
denn — ganz abgesehen davon, dass Veränderungen des Centralnervensystems wieder- 
holentlich vor Blum beschrieben waren — so ist doch wohl allmählich die Zeit vor¬ 
über, wo man aus den durch das NissEsche Verfahren ermittelten Zellveränderungen 
bei Thieren, die einer schweren Krankheit erliegen, überhaupt irgend welche Schlüsse 
zog. Dieser Beweis war sicherlich nicht »lang entbehrt«. 

Dagegen sind die berichteten Resultate Blum’s über die Resultate der Milch¬ 
ernährung sicherlich bemerkenswerth. Wenn nun aber Blum daraufhin schon von 
Immunisierung spricht, so grenzt das fast an reine Hypothese. Es könnte ja ein 
anderes Organ (Hypophyse) im Stande sein, allmählich die Schilddrüse zu ersetzen. 
Das Protokoll eines Versuches mit dem Serum dieser »immunen« Thiere reicht doch 
wohl nicht aus, um eine Schutzkraft desselben zu beweisen. Blum muss wohl be- 
weisendere Versuche unveröffentlicht gelassen haben. 

Die Versuche von Breisacher, insbesondere in der erweiterten Form von Blum, 
beweisen, dass es Stoffe giebt, welche beim der Schilddrüsen beraubten Thiere eine 
ihnen normalerweise nicht zukommende Giftigkeit erlangen. Ob das darum der Fall 
ist, weil ein Sekret der Schilddrüse fehlt, welches die Widerstandsfähigkeit des 
Körpers bezw. des Nervensystems erhöht, oder ob etwaige Gifte durch die Schild¬ 
drüse oder ihre Produkte unschädlich gemacht, d. h. angegriffen werden, das ist, so¬ 
weit wir sehen, durch diese Versuche nicht entschieden. Man mag es aber mit Blum 
für wahrscheinlich halten, dass eine wirkliche Entgiftung stattfindet, so wird man 
doch seine weitere Behauptung, dass diese Entgiftung in der Drüse selbst statt¬ 
findet, in keiner Weise für begründet halten können. Blum hebt gerade das immer 
mit der grössten Bestimmtheit hervor, dass die Schilddrüse kein Sekret liefere, auch 
keins, das eine entgiftende Funktion habe. Vielmehr solle die Schilddrüse selbst 
die giftigen Substanzen aus dem Kreislauf aufgreifen und fesseln. 

Und die Beweise? Zunächst sei es Blum zugegeben, dass die Histologie die 
Frage nicht entscheidet, aber doch weder nach der einen noch nach der anderen 
Seite. Das Hauptargument Blum’s ist die Wirkungslosigkeit der Schilddrüsen¬ 
therapie. Wir werden darauf gleich zurückkommen. Auch wenn wir sie ihm zu¬ 
geben wollen, wäre damit für die Funktion des Organs garnichts bewiesen, wie wir 
das in den früheren Abschnitten dieses Referates genügend betont haben. Dass end¬ 
lich das Thyreotoxalbumin Blum’s im Reagensglas entgiftet werden kann, beweist 
doch für die Vorgänge im lebenden Organ garnichts. Alle Organsäfte sind giftig; 
muss denn durchaus das Schilddrüseneiweiss entgiftet werden? Vielleicht bildet es 
gerade, in kleinen Mengen ausgeschieden, den wirksamen Bestandtheil der Drüse in 
dem einen oder anderen Sinne. Wir wollen das garnicht behaupten, aber es muss 
dagegen Einspruch erhoben werden, dass Blum eben einfach voraussetzt, dass es im 
Körper ebenso gehen muss, wie im Reagensglase, indem er gleich fortfährt: »In 
welchem Umfange diese Unschädlichmachung von Giftstoff durch die Jodierung sich 
vollzieht, ist schwer zu sagen«. Ob sie sich überhaupt in einem nur irgendwie 
nennenswerthen Umfange vollzieht, das ist die Frage. 

Mit ebensogrosser Bestimmtheit, wie Blum die seine, bringt v. Cyon seine 
Theorie der Schilddrüsenwirkung vor; sie bringt ein postuliertes Sekret der Schild¬ 
drüse in einen Zusammenhang mit der Funktion der Kreislauforgane, d. h. des 
Herzens und der Gefasse. Er stützt sich dabei ausschliesslich auf die Ergebnisse 
intravenöser Injektion von Thyrojodin und konstruiert einen Gegensatz in der Wir¬ 
kung dieser organischen und der anorganischen Jodalkaliverbindungen. Die Ergeb- 


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M. Lewandowaky 


7g 


nisse Cyon’s mögen allgemein pharmakodynamisch sehr interessant sein, für die 
physiologische Funktion der Schilddrüse beweisen sie nichts. Es geht eben nicht 
an, aus den Folgen der Injektion von Organsäften irgendwelche Schlüsse zu ziehen, 
wenn nicht die Ausfallserscheinungen nach Entfernung des Organs damit in Parallele 
stehen. Diese letztere behandelt v. Cyon aber nur ganz nebenbei, und mindestens 
kann man sagen, dass auch nach Ausfall der Schilddrüse die Erscheinungeu von 
Seiten des Cirkulationsapparates im Hintergründe stehen. Bei seinen Injektions¬ 
versuchen benutzt nun aber v. Cyon so enorme Mengen von Jodothyrin, dass hier 
von einer Beziehung zum physiologischen Geschehen nicht mehr die Rede sein kann. 
Es ist ein entschiedenes Verdienst von Blum, darauf hingewiesen zu haben, dass 
die Rolle des Jods in der Schilddrüse sehr überschätzt worden ist In 
der Schilddrüse saugender Thiere findet sich gewöhnlich kein Jod, und doch hat 
J. R. Ewald noch vor der Entdeckung des Jods in der Schilddrüse gezeigt, dass 
auch solche Thiere der Exstirpation der Schilddrüse erliegen, dieselbe also bei ihnen 
die gleiche Bedeutung besitzt, wie bei ausgewachsenen. Blum hat nicht die Spur 
von Jod im Blut oder in der Lymphe nachweisen können, und jede Theorie, 
welche sich auf die Ausscheidung erheblicher Mengen einer jodhaltigen 
Substanz stützt, ist damit von vornherein widerlegt 

Die vorstehende Auseinandersetzung wird vielleicht dem Leser dieses Referats 
übermässig lang erschienen sein, aber sie betrifft eben die Grundlagen der ganzen 
Lehre und die wissenschaftlichen Gesichtspunkte, nach denen die hier gewonnenen 
Thatsachen beurtheilt werden müssen. 

Ziehen wir das Facit, so halten wir einerseits nach dem histo¬ 
logischen Befunde eine innere Sekretion der Schilddrüse nicht für un¬ 
wahrscheinlich; möglich ist, dass die Funktion eines Sekretes in der 
Entgiftung irgend welcher Stoffe bestände: unbewiesen ist die Behaup¬ 
tung, dass die Schilddrüse Gifte aus dem Kreisläufe aufnähme. 

Von der Schilddrüsentherapie sagt Buschan (Eulenburg’s Realencyklo- 
pädie, Artikel Organsafttherapie), dass selten in therapeutischen Dingen eine so 
grosse Uebereinstimmung herrsche, wie gerade hier. In der That bildet die Schild¬ 
drüsentherapie beim Myxödem der Erwachsenen, wie auch bei dem infantilen Myx¬ 
ödem den Eckstein der ganzen Organotherapie. Wer jemals einen solchen Erfolg 
gesehen hat, wird an der Wirksamkeit und an der spezifischen Wirksamkeit der 
Schilddrüsentherapie nicht mehr zweifeln. Ein ganz anderer Mensch wird durch 
diese Therapie geschaffen, und es giebt vielleicht keinen anderen therapeutischen 
Erfolg, der auch dem Laien so klar demonstrieren könnte, dass auch die viel¬ 
geschmähte innere Mediein noch etwas erreichen kann. 

Schon die grobe Beobachtung eines solchen Erfolges ist exakt genug, 
um die Möglichkeit und die Thatsache einer spezifischen Ersatztherapie 
zu beweisen. 

Aber auch der zahlenmässige Beweis für die Möglichkeit einer spezifischen 
Ersatztherapie ist zuerst für die Schilddrüse, und zwar durch Messung des Gaswechsels 
erbracht worden. Magnus-Levy hat bei myxödematösen Kranken eine so enorme 
Steigerung des Gaswechsels durch Schilddrüsenfütterung erzielt, wie sie bei Gesunden 
auch nicht im entferntesten zu beobachten war. Ja Andersson und Bergman 
haben den Einfluss von Schilddrüsenfütterung auf den Gaswechsel des Gesunden 
überhaupt geleugnet. 

Wir haben nicht nöthig, das Bild der spezifischen Therapie bei Myxödem noch 
weiter zu zeichnen. Sie ist eben schon in das allgemeine ärztliche Bewusstsein 
übergegangen. Daran kann auch die Erfolglosigkeit der Schilddrüsen¬ 
therapie bei der Tetanie der Thiere nach Schilddrüsenexstirpation 
nichts ändern. Es ist beim Menschen eben gewöhnlich ein anderes mehr chro¬ 
nisches Krankheitsbild, das sich nach Ausschaltung der Schilddrüsenfunktion ent¬ 
wickelt. Vielleicht wäre auch die seltene operative Tetanie des Menschen nicht 
durch Schilddrüsentabletten zu heilen, und vielleicht wären mehr chronische Er¬ 
krankungen geeigneter Thierspecies doch günstig zu beeinflussen. 

Ist über die spezifische Wirksamkeit der Schilddrüsentherapie kein Zweifel, so 


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Die Grundlagen der Organotherapie. 79 


ist auch kein anderes Mittel der Organotherapie so vielfach zu allgemeinen the¬ 
rapeutischen Zwecken benutzt worden. Besonders populär ist ja die Behandlung 
der Fettsucht mit Schilddrüsentabletten geworden, aber es dürfte keine Krankheit 
und kein Krandheitssymptom geben, das man nicht so zu heilen versucht hätte. Die 
gewissenhafte, allerdings unkritische Aufzählung möge man bei Buschan in Eulen- 
burg’s Realencyklopädie nachlesen. Dass die Thyroideapräparate auch auf den 
gesunden bezw. nicht spezifisch schilddrüsenkranken Organismus einen mächtigen 
Einfluss haben, insbesondere den Eiweisszerfall im Körper vermehren, ist ja bekannt. 
Die Wirkung im ganzen gleicht einer leichten Vergiftung, und so ist denn auch die 
Darreichung von Schilddrüsensubstanz auch in kleinen Dosen nur mit Vorsicht zu 
üben. Die Erklärung der verschiedenen nicht spezifischen Erfolge der Schild¬ 
drüsentherapie hat man wohl mit Recht in dieser »Aufrüttelung des Stoff¬ 
wechsels« gesucht. 

Welche chemische Substanz die wirksame der Schilddrüse ist, ist zweifel¬ 
haft. Immer wieder tauchen hier neue Arbeiten und Behauptungen auf. Ins¬ 
besondere ist es fraglich, in welcher Beziehung das Jod zu diesem wirksamen Stoff 
steht. Die meisten der durch Schilddrüsenfütterung zu erzielenden Wirkungen kann 
man wohl auch durch das Jodothyrin oder andere jodhaltige Präparate erreichen. 
Wir wiesen aber schon darauf hin, dass die Rolle des Jods hier wohl überhaupt 
überschätzt würde. 

Wir kommen nunmehr zu der Gruppe derjenigen Organe, welche sowohl 
eine innere als eine äussere Sekretion besitzen. Der Typus dieser Gruppe ist die 
Leber. Einem stillschweigenden Uebereinkommen gemäss wird die Leber beim Kapitel 
der eigentlichen inneren Sekretion nicht berücksichtigt, obwohl sie das wichtigste Organ 
in der ganzen Reihe ist, und wir über ihre Funktion am genauesten unterrichtet 
sind, auch genau wissen, dass sie nach verschiedenen Richtungen sowohl die Funktion 
der inneren Sekretion, wie die der Entgiftung besitzt. Vielleicht liegt das daran, 
dass wir über die Leber zu genau unterrichtet sind, und man dem Gebiete der 
inneren Sekretion gern einen mysteriösen Anstrich erhalten will. Das Kapitel wäre 
zu umfangreich, als dass wir hier nicht gern dem erwähnten stillschweigenden Ueber¬ 
einkommen folgen wollten. Dass man therapeutisch mit Darreichung von Leber¬ 
substanz viele Versuche gemacht hat, ist selbstverständlich. Dass man keine Resultate 
erzielt hat, liegt wohl daran, dass gerade bei der Leber die Funktion der lebenden 
Zelle von entscheidender Bedeutung ist. 

Als zweites Organ dieser Gruppe erwähnen wir hier die Niere. Der Referent 
hat schon an anderer Stelle auch auf Grund eigener Versuche jede innere Sekretion 
der Niere bestritten (Zeitschrift für klinische Medicin Bd. 37. Heft 5/6). Nicht einer 
der seit Brown-Sdqua rd zu Gunsten der inneren Sekretion der Niere vorgebrachten 
Gründe ist stichhaltig, alle Thatsachen erklären sich durchaus durch die äussere 
Sekretion, welche die Autoren manchmal geradezu zu vergessen scheinen. Die 
angeblichen Erfolge mit Nierenextrakt und Nierenvenenblut bei entnierten Thieren 
schwinden schon bei genauerer Betrachtung der fraglichen Arbeiten, so dass eine 
ausführliche Widerlegung, wie sie neuerdings von Chatin und Guinard geliefert 
worden ist — den Verfassern war das Resultat ihrer Untersuchung allerdings sehr 
überraschend —, kaum nöthig erscheinen möchte. Auch die Erfolge der Nieren¬ 
darreichung bei Nierenkrankheiten müssen sieh bei näherem Zusehen auch dem wenig 
skeptischen Beurtheiler als Autosuggestion der Autoren erweisen. Dass die Niere 
ausser der Aufgabe der Harnproduktion noch andere chemische Funktionen hat, 
ist ja seit langem bekannt — wir erinnern nur an die Paarung, z. B. des Glykokolls 
und der Benzoesäure zur Hippursäure —, aber das hat mit der inneren Sekretion 
nichts zu thun. 

Auch von den Speicheldrüsen hat man eine innere Sekretion behauptet; weil 
man nach ihrer Exstirpation Glykosurie hatte auftreten sehen. Man hatte darin eine 
Analogie mit dem Pankreas sehen wollen. Schon Minkowski hat diese Glykosurie 
als durch den Akt der Operation selbst bedingt angesehen, und in der That fällt ja 
auch die Analogie mit dem Pankreas fort, da wir weiter oben sahen, dass die 


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80 M. Lewandowsky 


eigentliche Bauchspeicheldrüse mit dem Diabetes nichts zu thun hat, vielmehr die 
Langerhans’schen Inseln die Träger der inneren Sekretion sind. 

Wir kommen nunmehr zu dem vielumstrittenen Kapitel der Geschlechtsdrüsen. 
Was den anatomischen Ort solcher Funktion betrifft, so ist es uns nicht ganz sicher, 
ob er mit dem der »äusseren Sekretion«: sich deckt. Es müssten inbesondere die 
sogenannten interstitiellen Zellen des Hodens hier in Betracht gezogen werden, 
die durch ihren Gehalt an einer fettähnlichen Substanz eine auffällige Aehnlichkeit mit 
den Bindenzellen der Nebenniere aufweisen. 

Die Entfernung der Geschlechtsorgane hat ja schwere Veränderungen im Körper 
zur Folge. Ob diese Veränderungen nun alle dem Ausfall einer »inneren Sekretion« 
oder einer »Entgiftung« zuzuschreiben sind, ist allerdings nicht zu entscheiden. 
Thatsachen wie die, dass bei weiblichen Cerviden die Kastration zu einer Geweih¬ 
bildung Veranlassung giebt (Rörig), spotten vorläufig jeder Erklärung. 

Ganz regelmässig treten deutliche Folgen der Kastration auf bei jugendlichen 
Individuen, sie bestehen zunächst in dem Verlust der sogenannten sekundären Ge¬ 
schlechtscharaktere, der ja beim Manne am deutlichsten hervortritt. Ob sich der 
Körperbau des männlichen Individuums dem ausgesprochen weiblichen oder einem 
indifferenten nach der Kastration nähert, mag hier unerörtert bleiben. Jedenfalls 
ist ein Einfluss unverkennbar. Ausser dem Haarwuchs, der männlichen Stimme, bei 
Thieren der Kamm- und Geweihbildung u. a. gehört zu den sekundären Geschlechts¬ 
charakteren auch die Entwickelung der accessorischen Geschlechtsdrüsen, insbesondere 
der Frostata. 

Die Folgen der Kastration für das jugendliche noch nicht geschlechtsreife Weib 
sind natürlich weniger genau bekannt, man ist hier auf die Fälle von Aplasie der 
Genitalien oder von Oophoritis nach Infektionskrankheiten angewiesen. Auch hier 
zeigte sich das Fehlen der Entwickelung der sekundären Geschlechtscharaktere. Dazu 
kommt noch eine auch bei Thieren häufig beobachtete Neigung zum Fettansatz. 

Dass die sekundären Geschlechtscharaktere in der That durch die 
innere, jedenfalls nicht die äussere Sekretion der Genitalien bestimmt 
werden, zeigt die Beobachtung Hanau’s, dass zur Erhaltung der sekundären Ge¬ 
schlechtscharaktere bei Hähnen die Zurücklassung kleiner Reste von Hodensubstanz 
genügt, dass dagegen Kamm und Bartlappen prompt erblassen, wenn durch Rekastration 
auch der Rest der Geschlechtsdrüsen weggenommen wird. In derselben Richtung 
deutet die Bemerkung Pflüger’s, dass die Schlächter im Stande sind, schon an 
dem Geruch des Fleisches festzustellen, ob bei der Kastration auch geringe Theile 
des Hodens zurückgeblieben waren. 

An therapeutischen oder experimentellen Erfahrungen über die Dar¬ 
reichung von Geschlechtsdrüsen bei jugendlichen, noch nicht geschlechtsreifen Indi¬ 
viduen, insbesondere über den Einfluss auf die sekundären Gescblechtscharaktere bei 
kastrierten Thieren scheint es vollständig zu mangeln. 

Ob beim Erwachsenen die Folgen der Kastration durch die Darreichung von 
Geschlechtsdrüsensubstanz ausgeglichen werden können, würde zunächst davon ab- 
hängen, ob die Kastration beim Erwachsenen überhaupt Folgen im Sinne des Ausfalls 
einer inneren Sekretion hat. Für den Mann sind solche Folgen erst neuerdings von 
Rieger wieder vollständig bestritten worden. Er beobachtete einen gesunden Bauern¬ 
burschen, dem durch einen merkwürdigen Unfall beide Hoden abgequetscht waren, 
ohne dass der Penis dabei verletzt worden war, und der diesen Unfall mit so grosser 
Fassung trug, dass ihm eine Unfallrente nur deswegen zugebilligt werden konnte, 
weil er in die Unmöglichkeit versetzt war zu heirathen und so seine Lebenshaltung 
zu einer günstigeren zu gestalten. Rieger verweist ferner auf die drei berühmten 
Kastraten der Weltgeschichte: Narses, Origenes, Ab41ard. Nun das waren eben 
Uebermenschen. Allerdings aber spricht viel dafür, dass die Gemüthsstörungen nach 
Kastration rein psychisch, nicht somatisch bedingt sind, also auch durch somatische 
Behandlung nicht beeinflusst werden könnten. 

Die rein somatischen Störungen andererseits nach Kastration des erwachsenen 
Thieres sind sicherlich sehr gering, wenn überhaupt vorhanden. Es ist ja bekannt, 
dass im Rennbetriebe Wallache eine ausgedehnte Verwendung, besonders über Minder- 


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I >ii‘ Grundlagen der Organotherapie. 


81 


nisse finden und sich ihren früheren Geschlechtsgenossen vollständig ebenbürtig zeigen. 
Dass Wallache nicht öfter sogenannte grosse Zuchtrennen gewinnen, liegt nur daran, 
dass die meisten solcher Rennen nur für Hengste und Stuten offen sind. 

Kastrationen an weiblichen Thieren, an Kühen, sind früher in Frankreich ge¬ 
macht worden, um die Milch zu verbessern. Weitere Folgen hat man nicht davon 
gesehen. 

Die Heilung der Osteomalacie durch Entfernung der gesunden Ovarien (Fehling) 
hat eine Erklärung noch nicht gefunden. 

Die Folgen der Kastration beim erwachsenen Weibe hat der Gynäkologe heut 
häufig Gelegenheit zu beobachten. Um die schwankenden, schlecht zu definierenden 
Störungen des Allgemeinzustandes so Operierter hat man natürlich auch die Organo¬ 
therapie herangezogen, und die Folge der Kastration durch Fütterung mit Ovarial- 
substanz auszugleichen versucht (Mainzer, Mond u. a.). Die Erfolge sind unsicher, 
wie die Erscheinungen der Kastration selbst. Wohl etwas ungünstiger noch sind die 
Resultate der Ovarialfütterung im Klimakterium, und jedenfalls scheint es wohl 
besser, diese beiden Zustände: physiologisches Klimakterium und Kastration im 
geschlechtstüchtigen Alter scharf auseinander zu halten. 

Zur Deutung des nach Kastration häufig auftretenden, erheblichen Fettansatzes 
haben Loewy und Richter Gaswechselversuche an kastrierten Thieren angestellt. 
Sie fanden, dass der Gaswechsel, der Verbrauch an Sauerstoff pro Kilo Körpergewicht 
nach Kastration sinkt, weiter aber — und das ist für unser Thema besonders wichtig — 
dass diese Verminderung des Gaswechsels durch Fütterung mit Ovarialsubstanz und 
nur durch solche wieder aufgehoben werden kann. Die Möglichkeit einer spe¬ 
zifischen Ersatztherapic auch auf dem Gebiete der Geschlechtsdrüsen 
erscheint also in der That begründet. 

Aber diese spezifische Therapie im strengen Sinne des Wortes tritt zurück 
hinter der allgemeinen Therapie, welche man mit dem Safte der Geschlechts¬ 
drüsen geübt hat, und so kommen wir dann zum Schluss auf den historischen Anfang 
der ganzen Lehre, zu der Brown-Sequard’schen Hodensafttherapie. Ursprünglich 
wohl von dem Gedanken eingegeben, durch die Altersverminderung der Geschlechts¬ 
funktion, wenn auch mittelbar hervorgerufene Störungen zu beeinflussen, artete sie 
noch unter Brown-Söqnard’s Händen selbst zu einer Alienveitstherapie aus, die 
bei keiner Krankheit im Stich Hess. Gegen Phthise, gegen Carcinom, gegen Tabes 
u. s. w. u. s. w. war der Hodensaft ein unfehlbares Heilmittel. So etwas musste 
natürlich abschreckend wirken. Auch wer die berühmte Krankheitsgeschichte 
Brown-Sequard’s selber liest, kann kaum im Zweifel sein, dass es sich um 
einen hochgradigen Neurastheniker handelt, der unter dem Einfluss einer mächtigen 
Autosuggestion geheilt wurde. Diese Autosuggestion war unserer Meinung nach 
nicht das Bewusstsein, Hodensaft im Leibe zu haben, sondern die felsenfeste 
Ueberzeugung, ein Allheilmittel, eine Art Stein der Weisen gefunden zu haben. 
Diese Ueberzeugung wird niemand nach ihm mehr haben, und darum werden auch 
alle Erfolge hinter diesem ersten Zurückbleiben. 

Ob man andererseits Recht daran tliut, die Brown-Sequard’sche Therapie 
nun ganz zu ignorieren, mag zweifelhaft sein; immerhin sind eine nicht unerhebliche 
Anzahl von auffallenden Erfolgen damit erzielt worden. Vielleicht mag es zuin grossen 
Theil auch hier Suggestionswirkung sein, aber warum sollte man nicht auch hier, wie 
so oft anderswo, von einer solchen Gebrauch machen. Wir glauben auch nicht, dass 
diese Suggestion durch Einspritzen von Wasser unter der Vorspiegelung, es wäre 
1 lodensaft, ersetzt werden kann. Denn auf das Wasser setzt der Arzt auch nicht 
die Spur von Hoffnung, die Wirkung der mystischen Hodensaftinjektion erwartet er 
aber selbst bei allem Unglauben doch mit Spannung, und dieser Unterschied im 
Verhalten des Arztes wird den in solchen Dingen immer feinfühligen Kranken, 
sei es nach der einen oder anderen Seite, intiuenzieren. 

Im übrigen hat nun auch die exakte Forschung ergeben, dass den Hodensaft¬ 
injektionen doch vielleicht auch objektive Wirkungen zukommen. Wenigstens wüssten 
wir nichts gegen die Versuche von Zoth und l'regl einzuwenden, welche durch 
ergographische und durch Hantelversuche gezeigt haben, dass die Kräftigung des 

Zeitsclir. i. diUt. u physik. Therapie ild. V. lieft 1 


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<"*- Kleinere Mittheilungen. 

Körpers bezw. der Muskeln durch Uebung, mit Hülfe von Injektionen von Hodensaft 
befördert werden kann. 

Ob das Spermin der »wirksame« Stoff des Hodenextraktes ist, wissen wir nicht. 
Die Spermintherapie hat dieselben Wege eingeschlagen, wie früher die Hodensaft¬ 
therapie. 

Es ist uns nicht bekannt, dass die wissenschaftlichen Gesichtspunkte, welche 
jedem Arzte bei der Ausübung der Organotherapie gegenwärtig sein müssen, in der 
Weise schon zusammenfassend dargestellt waren, wie wir es hier versucht haben. 
In einem Lehrbuch finden wir sie nicht. Wären diese Grundlagen verbreiteter, man 
würde nicht Extrakte vom Herzmuskel, vom Corpus ciliare, von der Nasenschleim¬ 
haut anwenden, man würde nicht Gehirnkrankheiten durch Fütterung mit »Cerebrin« 
behandeln und sich dadurch auf eine Stufe mit den Chinesen stellen, welche z. B. den 
Fortgang der Geburt durch Fütterung mit Placentarsubstanz zu beschleunigen glauben. 

Wenn wir eingestehen mussten, dass die Erfolge, auch der rationellen spezifischen 
Methoden, noch recht zweifelhaft sind, so kann diese Erkenntniss nur segens¬ 
reich sein, indem sie auch bei den Krankheiten der Organe mit innerer Sekretion 
die allgemeinen physikalisch-diätetischen Heilmethoden in den Vorder¬ 
grund rückt. 


Kleinere Mittheilungen. 


I. 

Die Pyreufipiibftder« Eine Skizze von Pr. B. Laquer, Wiesbaden. 

Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt. 

Dem Thurme geschworen gefällt mir die Welt' 

Ihr glücklichen Augen, wa§ je Ihr geseh*n. 

Es sey, wie es wolle, es war doch so schön! 

Lynkous, Faust II. Th. 

Die Mehrzahl der Theilnehmer an dem XIII. internationalen medicinischen Kongress hatte 
wohl das Bedürfnis, die starken Eindrücke der Weltausstellung in Stille und Ruhe, wie sie Alpen 
oder Meeresküste darboten, zu verarbeiten; uns, die wir den Reiz des Reisens in der Fortbewegung, 
in der k ine matographischen Aufeinanderfolge von Landschaften und Stiidtcn erblicken, lockte die 
terra incognita des französischen Midi, den Deutsche — Kranke und Gesunde — so selten zu be¬ 
suchen pflegen. — Ein Xachtschnellzug führte am 2. August des vorigen Jahres nach Bordeaux, um 
Nachmittag ging es in einstündiger Fahrt nach Arcachon weiter, welches sich mit Roy an, etwas 
nördlicher an der Mündung der Gironde gelegen, in den Rekord theilt, das besuchteste Seebad des 
atlantischen Ozeans zu sein; 100 000 baden nach Baedeker allsommerlich am Strande von Arcachon, 
der im Gegensatz zu dem kleinkieseligen, harten Strande von Dieppe sehr weichen und fast dureh- 
siebbaren Sand führt; Arcachon ist aber auch eine besonders von Engländern viel besuchte Winter¬ 
station; der vorbeipassierendc Golfstrom, die Lage der Stadt an der Meerenge, welche ein 13000 ha 
umfassendes, zu ungeheueren Austern banken benütztes Bassin vom Ozean trennt, ein mit Kiefer¬ 
nadeln bewaldeter, hügeliger Hintergrund schaffen natürlichen Schutz vor den Stürmen und 
Winden, die im biscayischen Meerbusen so sehr gefürchtet sind. — Das Thermometer sinkt im 
Januar und Februar selten unter 0«; Schnee, dauernde Niederschläge sind selten; die Luft natürlich 
Sommer und Winter feucht und rein; die sogenannte Winterstadt mit ihren Villen, Garten, Terrassen, 
wohlgepflegten Strassen liegt anmuthig; eine gewisse Einfachheit der Landschaft, der Einrichtungen, 
der Mangel des raffinierten Luxus eines Ostende, den man — nebenbei gesagt — auch in Trouville 
nicht gerade ungern vermisst, gewahren dem nah ehedürftigen Kranken mancherlei nicht zu unter¬ 
schätzende Vortheile. 

Von Arcachon ging es in dreistündiger Eisenbahnfahrt durch die südfranzösische Haide les 
Landes; dort, wo die Weinberge aufhörten, fingen die Pinienkulturen an; zwischen derGaronne 
und dem Adour, an dessen Ausfluss ins Meer Bayonne liegt, erstrecken sieh diese Oedflachen 200 km 
lang; sie gehören geologisch zu den Pyrenäen, denn es ist Alluvialhoden, der dem Gebirge ent¬ 
stammt; von wilden Wasscrfliitlien durchfurcht trugen einst die Abhänge daueVnd Kies und Santi 


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Kleinere Mittheilungen. 8»i 


zu Thal, und diese Landbildung dauert noch heutigen Tages fort. — Niedrige Sanddiinen trennen 
und schützen les Landes von dem Meere, sie werden durch die Pinien verstärkt; der Anbau der 
letzteren ist um so lohnender, als aus ihnen Harz gewonnen wird, der einen wichtigen Ausfuhr¬ 
gegenstand bildet. 

Die Bewohner, in weit zerstreuten Gehöften lebend, bedienen sich zur rascheren Fortbewegung 
2 ui hoher Stelzen, auf denen sie bis 10 km die Stunde zurücklegen. 

»Die vom Hederich rothschimmcrnde llaidepraeht, den gelben Ginster mit breiten Blättern 
dazwischen, das Ganze ein bunter Teppich« schildert Bismarck in den schönen Briefen, die 
ungekürzt Weihnachten erschienen; diese an den Norden erinnernde Landschaft, nur ins Weiche 
idealisiert, schärfte einst sein Heimweh; in 8t. Vincent hatten wir den ersten Eindruck der Pyrenäen 
und auch wir empfanden ihn heimatlich als den eines riesigen Taunus, nur kühner und zackiger 
in den Umrissen; ja das Iiheingauergebirge senkt sich bei Schloss Johannisberg in fast derselben 
schroffen Linie zum Rheine herab, wie die westliche Kette der Pyrenäen, la Khurnc genannt, bei 
Biarritz zum Meere. — Abends langten wir in Biarritz an, dem Ziele langjähriger Sehnsucht. Und 
wirklich! Es stellt landschaftlich mit das Schönste dar, was auch verwöhnte Augen sehen können; 
eine Mischung von Sorrent und Ocean; die amphitheatralische Lage, der Zauber südlicher Vegetation, 
die malerische, steile Meeresküste, besonders la cöte des basques, die dem Auge und dem Ohr 
gleich herrliche Brandung an Klippen, die zum Greifen weit an die Digue heranroichcn und zwischen 
denen man bei Ebbe stundenlang sich ergeht, der ohne Aufdringlichkeit gebotene Komfort, die 
arbeitsfreudige, liebenswürdige, trotz Badeindustrie noch nicht vertrottelte Bevölkerung, ihre uralte* 
baskische Rasse, ihre Herkunft vom ältesten Volke Europas, den Iberern, ihre Sprache, deren 
Räthsel zu lösen schon Wilhelm v. Humboldt sich abmühte, dazu die Nähe Spaniens und endlich 
die international zusammengesetzte Badegescllschaft — alles dies bot ein Mosaik von Eindrücken. 
Stimmungen, Lebensfreudigkeit, das unsere hohen Erwartungen noch um ein Bedeutendes übertraf. 

In Paris war vor der Sommerhitze von Biarritz gewarnt worden; der damals in der ersten 
Hälfte des August in Gcsammtcuropa sich vollziehende Wettersturz liess uns von Hitze nichts 
merken. Die, wie oben erwähnt, am Golf von Biscaya sehr heftigen Winde mildem die heissen Tage; 
andrerseits ermöglicht die südliche Lage von Biarritz, die etwa dem Breitengrad von Florenz 
und Pisa entspricht, zusammen mit dem hohen Salzgehalt der Luft und besonders des Wassers, der 
die Haut reizt und erwärmt, dass man bei der Lufttemperatur von 16 — 22° C noch bis in den 
November hinein in offenem Meere, wie Kork schwimmend, badet, und damit, wie dies ja auch 
Bismarck beschreibt, die allerangenchmstcn Reaktionen auf die Allgemciugcfühlc eizielt. 

Biarritz ist auch Winterstation, w f cnn auch nur für kräftige, w iderstandsfähige Naturen, etwa 
wie sie der alte Gladstone besass, der hier oftmals überwinterte. Dass abgesehen von dieser 
temporären Indikation von Biarritz als Herbstseebad die sonstigen bekannten Einwirkungen eines 
sehr kräftigen Meerbades in Frage kommen, bedarf w r ohl nicht der weiteren Erörterung. Der Ruf 
grosser Theuerung ist unberechtigt; das vorzüglich geführte Hotel Victoria der Madame Fourneau 
hat Preise, wie etwa Schweizer Alpenhötels, mit Ermässigung gerade im Winter. 

Biarritz ist eine Schöpfung der Kaiserin Eugenie; ihr einstiges Schloss ist jetzt — sic transit 
gioria mundi — das Hotel du Palais, in w elchem noch die Zimmer gezeigt werden, die Bismarck 
als Gast des Kaiserpaares bewohnte. 

Prachtvolle Alleen verbinden Biarritz mit Bayonne; beide bilden fast ein zusammenhängendes 
(wem einwesen; Bayonne selbst ist eine Baskenstadt mit spanischem Gepräge in w-undersehöncr Lage 
an der Barre des Adour; sie w ar im Mittolalter berühmt durch Waffenfabrikation, daher der Name 
Bayonnctt, und natürlich Gegenstand der Eifersucht zw isehen Spanien uud Frankreich; ihre Citadelle 
trägt die stolze Inschrift am Thore: Nunquam polluta! Ein schöner Ausflug führt nach dem Basken¬ 
dorf StJeandeLuz, übrigens auch einem kleinen Seebad; charakteristisch sind die niedrigen Stein¬ 
häuser mit Quadern an den Ecken, Baikonen statt Fenstern und einem inneren Hofe. 

Es ist wohl hier der Platz, über die Basken etwas zu sagen: sic sind das älteste Volk Europas, 
«las vor den Ariern, vor den Kelten Spanien als Zweig des iberischen Stammes bewohnte und in 
diesen Winkel sich zurückzog; etwa 1 600 000 Köpfe zählend, davon 120 000 in Frankreich. Sich 
selbst nennen sie Esoualdunac (gens adroits); die spanische Bezeichnung Vasccmgados ging in das 
französische Gascons über. Ihre Sprache hat mit keiner der lebenden und todten europäischen 
Sprachen auch nur die geringste Verwandtschaft; sie ist reich an Vokalen, an Flexionen; so lautet: 
ich bitte dich; otoiz ten hut, d. h. im Bitten habe ich dich; ich komme zu dir: et hortzen nitzank; 
als ich den Fluss Bidassoa, der Spanien von Frankreich trennt, mit dem Nachen übersetzte, boten 
sich natürlich mehrere Fährleute an; ich fragte, was auf baskisch Konkurrenz heisst; das lautete: 
i mbirrida. 


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84 Kleinere Mittheilungen. 

Der frühere-mexikanische Gesandte in Berlin hiess Iturbidc, das ist ein baskischer Familien¬ 
name und bedeutet »Quellweg«; Larrainendi, ein Spanier, der eine Baskengrammatik im vorigen 
.Jahrhundert schrieb, betitelte sie: El impossibile vincido, d. h. die besiegte Unmöglichkeit. 
8 Dialekte, 25 Mundarten existieren; die Litteratur der Basken ist eine arme. Ihr Aussehen — 
breites Gesicht, starke Nase, spitzes Kinn, glattrasiert — ihre Tracht — die Boina, die Baskenmütze, 
kurze Jacke und Gürtel — unterscheiden sic von dem Südfranzosen. Ihre Ochsengespanne haben 
noch injfast homerischer Art ganze Scheiben statt der Räder ohne Speichen; die Thiere tragen 
zwischen den Stirnen Farnkraut; die Basken, als ein edles Volk der Thierqualerei abhold, lenken, 
indem sie mit dem Stocke bald rechts, bald links leise den Rücken berühren. 

Freiheitsdrang und Stolz beherrschen sie; Humboldt erzählt, dass Basken nur in Basken- 
regimentem, befehligt von einheimischen Offizieren, dienen und nie im Auslande verwendet werden; 
sie sind die Haupttheilnchmer an den Karlistenaufständen; doch sind ihre Sonderrechte, genannt 
fors oder fueros (lat. fomm) in letzter Zeit, weil zu oft beschworen, eingeschränkt worden, was 
Tausende zur Auswanderung nach Mexico und Südamerika veranlasste. 

Im übrigen sind sie fleissig in der Kultur des Bodens und in der Industrie; das baskische 
Spanien, z. B. die Provinz Guizpozcoa, in die man von Frankreich zuerst einfährt, macht, aller¬ 
dings begünstigt durch sonst fehlende Bewässerung seitens der Pyrenäenflüsse und der feuchten 
Meerwinde, sowie durch den Reichthum des Bodens an Erzen einen wohlhabenden und gesegneten 
Eindruck. 

Auch unter den Basken giebt cs Parias, die sogenannten Cagots, Canes gothürum, vielleicht 
Mischlinge, meist blond, theilweise auch körperlich infolge der Inzucht durch Kropf entstellt; in der 
Kirche und auf den Kirchhöfen hatten sie besondere Plätze, im Dorfe besondere Brunnen; um sieh 
von einer Anklage auf Mord zu rechtfertigen, genügten einst sechs gewöhnliche baskische Zeugen, 
hingegen waren 30 Cagots nöthig; sie mussten die Galgen bauen, an denen die Uebelthäter ge¬ 
henkt wurden; erst das Jahr 1789 befreite sie aus diesem Elend. 

Ein weiterer höchst lohnender Ausflug führt natürlich von Biarritz über die eine halbe Eisen¬ 
bahnstunde entfernte Grenze nach Spanien hinein; von dem Grenzfluss Bidassoa war schon oben 
die Rede; der erste Ort Spaniens ist befestigt, heisst Fuentarabbia und bietet ein malerisches Bild 
dos alten, heroischen, verkommenen Spaniens. 

Eine enge, steile Gasse führt direkt vom Fluss hinauf, »12 Fuss breit, jedes Fenster mit 
Balkon und Vorhang, jeder Balkon mit schwarzen Augen und Mantillc, mit Schönheit und Schmutz; 
auf dem Markte 'Frömmler und Pfeifer, hunderte von Weibern, unter sich Fandango tanzend, wäli 
rend die Männer rauchend und drapiert zusahen« (Worte Bismarck’s). ln der Nähe fand 1836 eine 
Karlistcnschlacht statt, in der August v. Goeben, später als preussischer General Moltke und 
Blumcnthal kongenial, schwer verwundet und gefangen gesetzt wurde 1 ). 

Von Fuentarabbia geht es über Iran nach S. Sebastian« Ich will es hier ganz kurz erwähnen. 
Landschaftlich wird es trotz seiner »Concha« und seiner »Kulissenschönheit« von Biarritz übertroffen; 
durch den Mangel an grossen Hotels, an Komfort und Sauberkeit, durch die zu 99 % reinspanische 
Sprache, Bevölkerung und Badegäste kommt es für uns Deutsche kaum in Betracht; das Stier¬ 
gefecht, das wir dort erlebten, ist und bleibt »unc Sensation forte«; die Zuschauer sind interessanter 
als die Toros selbst; Hellmuth v. Moltke, nicht minder als Bismarck ein klassischer Scbilderer, 
hat alles, was darüber zu sagen ist, in seinem »Wanderbuch« berichtet 

Von Bayonne ging es dann landeinwärts in kaum zweistündiger Fahrt nach Pan; als wir — 
mein Reisekamerad und ich —- von dem in einer Thalschlucht liegenden Bahnhof in Serpentinen, 
an Palmen und Kakteen vorbei, zu der Terrasse emporstiegen, auf der die grossen Hotels liegen, 
und von der man die berühmte Aussicht auf die schneebedeckte Pyrenäenkette geniesst, da sagte 
ich zu meinem Begleiter: »das ist Wiesbadener Augustluft«; die Lage von Pau ist auch nicht un¬ 
ähnlich der unserer Weltkurstadt: in einem breiten Kessel, geschützt nach Norden, Osten und Nortl- 
osten, umgeben von hohen Bergen, die nur fünf- oder sechsmal höher als der Taunus, gegen¬ 
über das edlen, süssen Wein tragende Rebengelände von Junnu;on, wie bei uns der Neroberg, die 
Höhe gleich der unsrigen 200 m, der Winter allerdings milder: 13° im Oktober, im Dezember 6»», 
im Januar und Februar 5 Ü , im März 9", nur 15 Tage im Winter unter 0<>; selten Schnee, relativ 
hohe Feuchtigkeit, viel Regen! 

Im ganzen also eine kalmierende Winterstation, besonders geeignet für erethische Phthisiker, 
auch wohl solche, die zur Hämoptoe neigen, für alte, geschwächte Leute, chronische Nephritis, Herz- 
neurosen; etwa 5—0000 Kurgäste, viel Belgier, Russen, Engländer. Die Beköstigung iz. B. im Hotel 


'i s. dessen »Vier Jahre in Spanien«. Hannover 18-12. 


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Kleinere Mittheilungen. 


85 


Gassion? ist vortrefflich; Wintergarten sind mit den Hotels verbunden; ein neues Palais d’hiver, 
ihnlich wie das Casino municipal von Nizza gebaut, hat einen prächtigen Palmengarten. Die Aus¬ 
sicht der Terasse von Pau erwähnte ich schon oben. Hippolyte Taine schildert sie in seiner 
i Voyage aux Pyrönees« mit Begeisterung; für uns war sie leider verschleiert. 

Von Pau fuhren wir, am Dorfe Gan vorbei, dem Zielpunkt der Winterpromenaden der Kranken, 
in das zerklüftete und romantische Thal von Ossau hinein, nach Laruns, und von da nach Eaux 
rhaudes, das, 080m hoch, nur auf Büchsenschussweite von Eaux bonnes getrennt, in einer sehr 
engen Schlucht liegt; das gut eingerichtete Badeetablissement führt die Thermen dieses südfranzösi¬ 
schen »Warmbrunn«, welche — lucus a non lucendo — die kältesten der Pyrenäeubäder sind; die 
Source Mainvielle, zugleich an S-Gehalt die ärmste, hat nur 11«, die wärmste, ie Clot, 30°. Die an¬ 
dauernd bewegte Luft, im Gegensatz zur konstanteren von »Gutbrunnen«, wirkt appetitanregend, 
bringt Schlaf; die Schwefelquellen werden zur Badekur benützt, während die Eaux bonnes haupt¬ 
sächlich getrunken werden; Xeuralgieen, Rheumatismus bilden in Eaux chaudes die Hauptindikation; 
Tuberkulöse in ihren Anfangsstadien werden häufig nach den Eaux bonnes geschickt; die Saison 
beider Kurorte ist sehr kurz, von Mitte Juni bis Mitte September; an Vergnügungen ist kein Ueber- 
fluss; im Gegensatz zu dem unten noch näher zu charakterisierenden Luchon macht alles einen 
einfachen, idyllischen Eindruck, etwa wie in Schlangenbad oder Soden. 

Auf der Rückkehr bot sich in Laruns die kulturhistorisch interessante Gelegenheit einer 
Pvrenaenkinnes mit Prozession, ländlichen Reigentänzen in farbigen Trachten nach höchst eigentüm¬ 
licher Musik auf drei uralten Instrumenten, darunter eine Art Panflöte und ein längliches Tambourin. 
das mit einem Stab geschlagen wurde, mit Wettspielen, baskischen Ballspielen. 

Von Pau nach Picrrefitte, der Station für Cauterets, St. Sauveur, Bareges ist es nur eine kurze 
Fahrt; die bekannteren Pyrenäenbäder zweigen sich von der Eisenbahnstrecke Pau—Toulouse immer 
nach Süden ins Gebirge hinein ab. Die Verbindung Picrrefitte — Cauterets wird seit zwei Jahren 
durch eine elektrische Zahnradbahn hergestcllt, die in ihrer Steigung, Bau und Fühlung durch wild¬ 
romantische Schluchten, an hohen Bergen klebend, an die Visp—Zermatter Bahn erinnert; auch die 
I*age von Cauterets (1000 m) selbst, das man nach anderthalbstündigcr Fahrt erreicht, ist ähnlich der 
von Zermatt; nur fehlt natürlich die grandiose Zinke des Matterhorns und, entsprechend der süd¬ 
lichen Lage, ist die Schnee- und Gletschergrenze um hunderte von Metern höher. 

Der Atta Troll Heinrich Heines — welch* letzterer des Ocfteren Linderung in den Pyrcnäcn- 
bädem suchte — beginnt mit «len Worten: 

Rings umringt von dunklen Bergen. 

Die sich trotzig übergipfeln, 

Fnd von wilden Wasserstürzen 
Eingelullet wie ein Traum bi Id 
Liegt im Thal das elegante 
Cauterets. 

Cauterets ist nächst Baröges (1232) das höchstgelegene Pyrenäenbad und wird ausser von 
Baröges nur noch von Luchon an Schwefelreichthum seiner Quellen übertroffen. 22 Quellen von 
IO' — 55« liefern innerhalb 24 Stunden P /2 Millionen Liter Thermalwasser, die getrunken und zu 
Bädern benützt werden; an der Luft werden sie nicht weiss (blanchimcnt); sie zersetzen sich also 
nicht wie die Quellen von Bartges, Luchon, Bigorre, und können deshalb auch unverdünnt und ohne 
Mischung mit Milch, Molke und Syrup getrunken werden. 

Die berühmteste, reichlichste Quelle Cauterets, w eil sie 14 Wannen 12 Stunden lang speist und 
wohl auch am stärksten wirkt, ist la Raillftre, die f)00 m höher per Drahtseilbahn erreichbar liegt, 
und besonders bei grossem Erethismus indiziert ist; die Lehre von den Krasen und Konstitutionen, 
die alte Humoralpathologie, die ja durch die genialen Funde von Bordet und Ehrlich eine neue 
und vor allem exaktere Perspektive erhielten, spielt in den französischen Bädern bei Aerzten und 
Patienten eine weit grössere, manche Unruhe des Kranken besänftigende, manche ärztliche Anord¬ 
nung umhüllende, Rolle als bei uns; man kann sie in letzterer Beziehung mit der »Lebenskraft* 
vergleichen, die ja auch nach Kant's Ausspruch eine bequeme Lagerstätte ist, »wo die Vernunft 
zur Ruhe gebracht wird auf dem Polster dunkler Qualitäten«. 

Auf der Railliöre ist so reichlicher Zufluss, dass hier sogar kranke Pferde aus den südlichen 
Staatsgestüten Frankreichs zur Kur hergeschickt werden. 

In Cauterets selbst besuchten wir unter Führung des jungen und liebenswürdigen Dr. MeiHot 
«las grossartige fitablissement thermal; die technischen Einrichtungen sind mustergiltig, von einer 
Präzision und Sauberkeit, wie man sie nicht erwartet, variabel und individualisierbar in jeder llin- 


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Kleinere Mittheilungen. 


sieht; es kommen zur Anwendung: Inhalation, Pulverisation, Humage (heisser Dampf), Gar¬ 
garismen, Douchcn für alle Orgificia, Schwefeldampfbäder, sowohl lokale als auch allgemeine in den 
mannshohen Gailcrien, die als Stollen aus den Felsen heraus die heissen Quellen führen; ferner 
Familienbäder, Schwimmbassins, alles in weiten, luftigen, Oberlicht in Fülle empfangenden Räumen; 
das Personal offenbar recht geschult in 25jähriger Tradition; die Einrichtungen halten mit denen 
von Baden-Baden, Karlsbad, Wiesbaden jede Konkurrenz aus; die Aachener konnten mancherlei 
dort lernen. 

20 000 Kurgäste besuchen in den wenigen Monaten Juli, August, September Cauterets; seine 
Hauptindikationen bilden: Die chronischen Katarrhe der Schleimhäute, les maladies herpötiques, 
worunter die Franzosen die Granulationen von Pharynx, Larynx, der Portio vaginalis, die nässenden 
Exantheme verstehen, ferner die chronische Arthritis und natürlich auch die Lues (la petite vörole 
— la vörolc sind die Pocken —); sie wird mit Zuhülfenahme des Quecksilbers und des Jods wie 
bei uns behandelt. 

Das Klima von Cauterets wird als rein und alpin geschildert; wir empfanden im Gegensatz 
zu der dicken und weichen Luft von Pau und zu der von Luchon das frische »MailüfterU von 
Cauterets als sehr angenehm, wenngleich die Kälte am Morgen und nach Sonnenuntergang zur Vor¬ 
sicht bei grosser Empfindlichkeit mahnt; Badeschriftsteller wie Lippert (s. u.) betonen auch, dass 
früh morgens feuchte Nebel an den Bergen hängen; aber auch, dass die Kranken hiervon selten 
irgendwie angegriffen werden. 

Aus dem weltlichen Treiben von Cauterets mit seinen Lustbarkeiten und seinem Firniss lockte es 
uns hinaus auf die Höhen; von der Halbere erreicht man auf bequemen Wegen die »spanische Brücke«, 
die wildeste und schönste Stelle des Thaies; letzteres gabelt sich hier, nach rechts kommt man über 
den Col de Marcadau in zwei Stunden an die spanische Grenze und dann auf Saumpfaden — breite, 
gepflegte Pässe und Strassen für Wagen oder auch nur für Reiter giebt es in der ganzen 200 km 
langen Strecke der Pyrenäen nicht — nach Penticosa, einem spanischen Pyrenäenbade, links und 
östlich nach dem Lac de Gaube, wohin wir wollten — auch dieser Weg schattig und im Tannen¬ 
walde führend — nach l 1 . Stunden der See selbst, ein Königssee im Kleinen, von steilen Felsen 
umrahmt, übrigens forellenreich. In der Ferne Pie und Glacier du Vigncmale, dem wir zustrebten: 
der Gletscher lange nicht so mächtig wie der Rhone- oder der Rosegg-Gletscher und auch nicht wie 
diese beiden hinunterreichend zu menschlichen Behausungen. — Eine steinige Einöde, grau in grau, 
eröffnet sich nun; Felsblöcke von grossem Umfange bedecken sie, hie und da Alpenpflanzen, die ja 
11 ans Meyer noch 0000 m hoch am Kilimandscharo fand, dagegen ist sie nicht belebt von Menschen 
oder Thieren; in den Pyrenäen giebt es Bären, lsards, d. h. fuchsige kleine Gemsen, Adler, Geier. 
Es wurde Abend, ehe wir den Gletscher erreichten, der leicht zu überschreiten war und kaum .Spalten 
aufwies, und Nacht, ehe wir in eine aus Wellblech gebaute Schutzhütte »le refuge de Sallct« gelangten. 

Der Versuch, anderen Morgens früh den Pic de Vigncmale (3300 m), den höchsten Berg 
der französischen Pyrenäen, zu besteigen — die spanischen erheben sich in der Maladetta-Gruppe 
zum 100 m höheren Pic Nethou — misslang wegen starken Nebels, der keinerlei Aussicht versprach. 
Wir stiegen in sechsstündigem Marsche durch riesige Felsschluchten und lvesselthäler hinab: gras¬ 
bewachsene Almen und Sennhütten mit Rindern und Ziegen fehlen; das Oede, Unbelebte, das Wilde 
ist charakteristisch für die Hochpyrenäen; wir erreichten Gavarnic und von da in 1 .> Stunde den be¬ 
rühmten Cirque de Gavarnic (löOOm), einen Thalkessel, ähnlich der Wengernalp, umgeben von Gletschern 
und W asserfällen. Zwischen den Gletschern hohe Berge, kahl und zackig geformt, wie die Aiguilles 
in der Mont-Blanc-Kette; die stärkste der etwa 30 Kaskaden — die meisten versiegen im Hoch¬ 
sommer — stürzt in zwei Absätzen von einer Höhe von 422 ni, also nur 25 m niedriger als die über¬ 
haupt höchste Europas, die des Daegerfoes in Norwegen. Auf dem Rückwege von Gavarnic berührten 
wir das Chaos oder die Peyradc, einen 1 2 Stunde lang sich erstreckenden Bergsturz; oben ist 
die Wunde noch sichtbar, die der Sturz in die Berglehne gerissen — eine zusammengesunkene 
Schöpfung. Bald erreichten wir Salut Sauveur, noch ein Schwefelbad; am Anfang steht die 
alterthümliche Templerkirche, halb Festung mit einer krennclierten Mauer umgeben. Saint Sauveur 
selbst liegt 700 m hoch auf einer breiten Thalterrasse, ans Gebirge angelehnt; der Hauptquelle 
Hontalade werden kalmicrende Eigenschaften zugeschrieben; zwischen 22 0 und 34 o warm erzeugt sie 
auf der Haut eine besänftigende, salbenweiche Empfindung und beruhigt so die Nervenendigungen. 
Bei Erkrankungen von Blase, Prostata, Uterus, »denen der Tonus fehlt«, wird Saint Sauveur 
gerühmt. i/ 2 Meile davon, nur 500 m höher, liegt Baregcs, das Sibirien Frankreichs, nur 800 m 
unter der Grenze der Vegetation. Die Quellen schmecken so ekelerregend und wirken so stark, 
dass sie nur mit grossen Unterbrechungen und verdünnt mit Milch u. s. w. getrunken werden können 
Alte Schusswunden, Unfallsknuike, inveterierte Lues, sonstige Knochenleiden, schwere Neuralgien 


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Kleinere Mittheilungen. 87 


und Dermatosen bilden das Anwendungsgebiet von Baröges. Ein grosses Militärhospital von 
600 Betten dient den betreffenden Kranken. Baröges kam durch einen illustren Patienten, den Sohn 
Ludwigs des XIV., der im Jahre 1675 mit Madame de Maintenon zusammen die Kur gebrauchte, 
in Ruf; die bekannte Baregine, als wirksamer »Badeschleira« geschätzt, ist nichts anderes als ein 
Produkt der Zersetzung von Beggiatoen (Schwefelbakterien). Der grossartige, schattenspendende 
Pont d’Espagne, errichtet 1859 von Napoleon III., beschliesst das Thal mit seinen herrlichen Alleen. 
Ein Besuch von Lourdcs in der Zeit der Pölörinage nationale, welche 20—30 000 Pilger an der 
Wundergrotte zusammenführt — ein Bericht steht a. a. 0. 1 ) — unterbrach unsere Pyrenäentour. 

Luchon war das nächste Ziel; Strabo erwähnt es schon als aquae lixonienses; der grosse Caesar 
Augustus soll hier Heilung gesucht haben; römische Funde und Inschriften beweisen jedenfalls 
die Werthschätzung dieser Therme im Alterthum. Uns enttäuschte es trotz seiner 49 Quellen, die 
von 16° — 66° warm sind, und trotzdem wir gerade zu einem Corso und einem Gartenfest mit 
Feuerwerk kamen; sehr schöne Gärten, Baumanlagen — Allöes d’fitigny, nach dem Marquis d’Etignv, 
dem Wohlthäter und Hauptförderer der Stadt, genannt — ein dem Cauterets’schen ähnlich organi¬ 
siertes grosses Etablissement thermal, wohlgepflegte Spazierwege sind bemerkenswerth; als ich den 
uns führenden Inspektor nach dem Unterschied der Quellen von Cauterets und Luchon fragte, ant¬ 
wortete er, theils missverständlich, theils diplomatisch: »Ah, Monsieur, Cauterets travaille aussi tres 
bien«; dabei kam mir wenigstens die internationalität des typischen und mir verhassten badeärzt¬ 
lichen Ausdrucks »Arbeiten« zum Bewusstsein. 

In Wirklichkeit sind die Indikationen von Luchon denen von Cauterets ähnlich, nur dass hier 
auch organische und zentrale Lähmungen in Behandlung kommen, denen wohl die hohe und dünne 
Luft von Cauterets nicht Zusagen dürfte. Die Ausflüge von Luchon nach .dem Port de Venasque mit 
dem Blick auf die Maladetta, die spanischen Pyrenäen und den Pic de Nethou, 3404 m, die über¬ 
haupt höchste Erhebung des Gebirges, sind berühmt; das Klima von Luchon ist weich, dabei variabel; 
um die Mittagsstunden sind oft sehr hohe Temperaturen vorhanden. 36 000 Kurgäste besuchen 
alljährlich Luchon, das an Vergnüglichkeit und Luxus, aber auch an theuren Preisen nichts zu 
wünschen übrig lässt. Das Klima ist etwa wie das von Homburg. Bagneres de Bigorrc hätte 
unserer karg werdenden Zeit zu viel zugemuthet; nach Schilderungen liegt cs 550 m hoch 
in »koketter« Lage an den Quellen des Adour gleich Luchon altrömischen Ursprungs, die Häuser 
mit Marmor verziert wegen der Nähe von Marmorbrüchen; der Eisengehalt der Quellen lässt sie für 
Blutarme und Rekonvaleszenten geeignet erscheinen; in technischen Einrichtungen und Komfort 
steht Bigorrc hinter Luchon zurück. Die östlichen in Spanien liegenden Pyrenäenbäder, wie Amelie 
les Bains, sind ja in der Deutschen medicinischen Wochenschrift 1900 von Fürl)ringer, einem 
der wenigen deutschen Aerzte, welche diese interessanten Gegenden persönlich aufsuchten, trefflich 
geschildert worden. 

Wir machten noch kuize Station in Toulouse, Carcassonc, Nimes, Arles, und eine längere in 
Marseille — wo wir pflichtgemäss nicht nur la Bouillabaisse, eine Art Fischsuppe verspeisten, sondern 
auch im Mittelländischen Meere an der herrlichen Coraiche badeten — ferner in Avignon, Lyon 
und kehrten über Besan^on, Beifort auf der anmuthigen Linie, die zwischen Jura und Franchecomte 
hindurehführt, zu den Penaten heim, nachdem wir das schöne Frankcnland bis auf die 20 Kilometer¬ 
strecke: Strassburg—Metz in vollem Umkreis umfahren hatten. 

Die Pyrenäenbäder werden nicht nur der Entfernung halber nur selten für unsere Kranken 
in Betracht kommen; abgesehen, dass wir von den Schwefelquellen bei Katarrhen, bei beginnender 
Tuberkulose wohl kaum so ausgedehnten Gebrauch machen wie unsere Nachbarn, und dass wir bei 
Neuralgien Kochsalz- oder C0 2 - haltige Thermen bevorzugen, ist man ja auch von der NothWendig¬ 
keit, neben der Hg-Behandlung der Lues noch Schwefelbäder anzuwenden, zurückgekommen; warme 
Bäder, insbesondere Schwitzbäder, »thun es auch«. 

In den Pyrenäenbädern werden nur an internationale Verkehrssitten gewöhnte und fremd¬ 
artige Verhältnisse nicht zu »tragisch« nehmende Kranke, also etwa Mitglieder der Diplomatie, der 
Hochfinanz sich wohl fühlen. 

Die deutsche Litteratur über diese Bäder ist spärlich: Das Buch von Lazari, Dessau 1852, stellt 
einen »Schiffskatalog« dar; besser sind die Darstellungen in Flechsig's Badelexikon, in Eulen bürg > 
Realencyklopädie von Reumont-Beissel und in dem 68. Jahrgang der Berliner klinischen Wochen¬ 
schrift von H. Lippert; der XIII. internationale Kongress verehrte seinen Theilnehmem ein schönes 
Werk: »Les Station» liydro-minerales, climatöriques et maritimes de la France«. 

Unter dem Namen »Voyages d’ötudes medicales (Eaux minerales, stations maritimes et 

M Deutsche medicinische Wochenschrift 1901. 


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88 Kleinere Mittheilungen. 


<*limaterielles, Sanatoriums de France)« und unter der Patronage von Männern wie Brouardel, 
Lannclongue, Landouzy, Fournier etc. werden studierende Aerztc — nur solche sind zu- 
gelassen, auch ausländische — in Form S t an gen’ scher Gesellschaftsreisen in die Thermen und 
klimatischen Kurorte Frankreichs geführt, dort von sachkundiger Seite über Einrichtungen und 
Indikationen und gelegentlich an Kranken über Heilerfolge unterrichtet; etwa innerhalb 14 Tagen 
werden so die oben von uns geschilderten Orte bereist Der Preis ist massig; der Zweck, durch An¬ 
schauung die oft so lückenhaften balneologischen Kenntnisse der Aerztc zu fördern, ein lobens- und 
nachahmenswerther. Gerade in einer Zeit, in der die Fortbildung der praktischen Aerzte, die Unter¬ 
weisung der Studierenden in physikalisch-diätetischen Methoden so sehr betont und auch seitens 
der Untcrrichtsverwaltung gewünscht werden, möge dieses Itinerarium medico-pädagogicum nicht ohne 
praktische Folgen bleiben. 

Wahrhaft klassische Landschaftsschildeningen der Pyrenäen mit interessanten geschichtlichen, 
naturbeschreibenden und auch balneologischen Mittheilungen hat in den Januar-, Februar- und Mirz- 
lleften der »Deutschen Rundschau« 1001 Eduard Strassburger, der Bonner Botaniker, veröffentlicht. 


II. 

Ein neues Ziinmerfahrrad. Von Privatdozent Dr. Paul Jacob, Berlin. 

Unter den neueren Sportsaiten hat wohl kaum eine während der letzten Jahre so viel Be¬ 
achtung seitens der Aerzte gefunden, als die Cyklistik; erfreut sich doch das Fahrrad dank dem 
enormen Aufschwung der Industrie der grössten Beliebtheit sowohl in seiner Eigenschaft als schnelles 
Beförderungsmittel, als auch zum Zwecke des Sports. Wie es mit allem Neuen zu gehen pflegt, 
so sind auch in der Cyklistik bald allerhand Uebertrcibilligen und Auswüchse zu verzeichnen ge¬ 
wesen, welche vielfach ein Einschreiten seitens des Arztes nothwendig gemacht haben. Ucber alle 
diese Punkte ist während der letzten Jahre viel geschrieben worden, und es erübrigt sich, an dieser 
Stelle hierauf ^näher einzugeheu. 

In zweiter Linie ist nun aber auch die Cyklistik direkt zu therapeutischen Zwecken verwendet 
worden. Es ist besonders das Verdienst von Siegfried in Nauheim, sowohl durch die Konstruktion 
geeigneter Räder, als auch durch ein eingehendes Studium der von Kranken auf dem Rade aus¬ 
zuführenden Bewegungen eine besondere Art der Gymnastik, die sogenannte ('yklotherapie be¬ 
gründet zu haben. 

Auch die Prinzipien dieser Art der Heilgymnastik wollen wir hier nicht näher erörtern, da 
bereits in der nächsten Nummer dieser Zeitschrift eine ausführliche und erschöpfende Publikation 
von Siegfried über die Cyklotherapie erfolgen wird. Hier wollen wir nur kur/, ein neues Ziinmer¬ 
fahrrad schildern, welches seit mehreren Monaten auf der 1. medieinischen Universitätsklinik zu 
Berlin in Gebrauch ist. 

So vorzüglich die »Siegfried'schon Zi mm erfahrräder in ihrer Konstruktion und therapeutischen 
Verwendung sind, so lassen sic sich in mehrstöckigen Krankenhäusern doch nur schwer benutzen; 
denn die Gänge zwischen und in den einzelnen Sälen sind meist zu schmal, als dass in diesen die 
Kranken Ucbungen mit den Siegfricd’schen Rädern ausführen könnten, auch würde dies für 
die anderen Patienten zu störend sein. Ferner ist es für viele Kranke, bei welchen mit Vor- 
tlieil die Cyklotherapie angewendet werden kann, ganz unmöglich, besonders im Winter, $ieh mehrere 
Treppen herab in den Garten zu begeben, um dort das Rad benutzen zu können. Aus alF diesen 
Gründen haben wir ein besonderes Zimmerfahrrad konstruiert, welches in den Krankensälen ohne» 
Schwierigkeit aufgestellt werden kann. 

Auch Zimmerfahrräder sind in den letzten Jahren bereits vielfach konstruiert worden; dieselben 
können unter einer ganzen Reihe von Indikationen mit Vortheil verwendet werden; aber sie ver¬ 
einigen meist nicht alle diejenigen Momente in sich, welche für ein grösseres Krankenmaterial er¬ 
forderlich sind. 

Das Zimmerfahrrad, welches nach unseren Angaben von der Firma Ernst Lentz in Berlin 
gebaut worden ist, sucht nun nach Möglichkeit allen Ansprüchen gerecht zu werden, welche man 
in therapeutischer Hinsicht an einen solchen Apparat stellen muss. Es kann von Personen der 
verschiedensten Körpergrössen benutzt werden, indem sowohl die Lenkstange, als auch der Sattel 
leicht verstellbar sind. Auch die Rückenlehne, die unseres Erachtens nach für alle diejenigen Kranken 
nothwendig ist, welche längere Zeit auf dem Rade Uebungen auszuführen haben und naturgemäss nach 
einer gewissen Zeit ausruhen müssen, ist nach allen Richtungen hin leicht verstellbar. Das Gerippt* 


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Kleinere Mittheilungen. 89 


des Rades ist ungefähr in der Weise angefertigt, wie bei den Damenfahrrädern, vor allein um die 
Benutzung des Rades auch weiblichen Kranken zu ermöglichen, und zweitens, um den Aufstieg 
für diejenigen Patienten zu erleichtern, welche infolge einer Lähmung oder anderer Affektionen 
nur unvollkommene Bewegungen auszuführen im Stande sind. Ferner ist an dem Rade ein Kilometer¬ 
zeiger angebracht, welcher in einfachster Weise funktioniert und in der Weise geaicht ist, dass eine 
bestimmte Anzahl von Umdrehungen des Rades je einem Kilometer entspricht. Durch diese Ein¬ 
richtung ist es einmal dem Patienten möglich, die von dem Ärzte gegebenen Anordnungen: in einer 
bestimmten Anzahl von Minuten eine bestimmte Reihe von Umdrehungen zu vollführen, zu befolgen; 
andrerseits hat der Arzt hierdurch die besto Kontrolle über den übenden Patienten. Eine weitere 
Einrichtung, welche an dem Rade getroffen wurde, ist die Einschaltung von Widerstanden, welche 
entweder der Patient selbst vom Sattel aus, oder der die Aufsicht führende Arzt bezw. Wärter mit 



Leichtigkeit regulieren kann. Man braucht zu «liesein Zwecke nur eine bestimmte Anzahl von Um¬ 
drehungen mit der kleinen, an der Innenseite der Lenkstange befindlichen Scheibe auszuführen. 

Da die Cyklotherapic vor allem auch unter dem Gesichtspunkte der bahnenden Uebungs- 
therapie, d.h. also bei mehr oder minder gelähmten Patienten, bezw. solchen, deren Muskeln der 
unteren Extremitäten funktionsunfähig geworden sind, angewendet werden muss, so sind noch zwei 
Einrichtungen an dem Rade getroffen: 1. besondere Holzsandalen, welche auf den Pedalen des 
Rades befestigt werden können (auf der Abbildung unter dem Rade liegend); in diese wird der 
gelähmte Fuss des Patienten eingeschnallt, so dass bei der Umdrehung des Rades der Fuss vom 
Pedal nicht abgleiten kann. 2. befindet sich hinten am .Rade ein mit dem Schwungrad in Ver¬ 
bindung stehendes kleines Rad, welches entweder durch Hand- oder Motorbetrieb in Bewegung 
gesetzt werden kann, sodass es möglich ist, entweder die auf den Holzsandalen befestigten Beine 
des Patienten eine Reihe von Trctbewegungen ausführen zu lassen, ohne dass der Patient selbst 
aktiv hierbei etwas zu leisten hat, oder ihn bei den einzelnen Umdrehungen mehr oder minder zu 
unterstützen. 

Die Erfahrungen, welche wir mit dieser Alt der Cyklotherapic auf der I. niedicinisclieu Klinik 
gewonnen haben, sollen in einer späteren Nummer dieser Zeitschrift veröffentlicht werden. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Baineologischen Gesellschaft 

zu Berlin. 7.—12. Mftrz 1901. 

Erstattet von — n. 

Franz Müller (Berlin), Ueber die Beeinflussung der blutbildenden Funktion des Knochen¬ 
marks durch therapeutische Massnahmen. 

Aus seinen Untersuchungen glaubt Vortragender in erster Linie folgern zu dürfen, dass die 
seit Jahrhunderten bekannte, viel gepriesene und dann wieder angezweifelte Wirkung des an¬ 
organischen Eisens auf die Blutwirkung theoretisch hinreichend begründet ist Zweitens glaubt er 
in dem Aderlass ein prompt wirkendes Mittel zu erkennen, um die blutbildende Funktion des Markes 
anzuregen. Zugleich bemerkt aber Müller, dass er al6 Theoretiker allein auf Grund von Thierexperimenten 
nicht erlauben kann, einer gesteigerten Verwendung des Aderlasses in der menschlichen Therapie 
das Wort zu reden. Das erscheint auch aus dem Grunde nicht berechtigt, weil ja der Aderlass 
stets zunacht einen Verlust an den ohnedies oft schon spärlich vorhandenen rotlien Blutkörperchen 
setzt und die Frage offen bleibt, ob in dem betreffenden Falle sein formativer Reiz den Verlust in 
der That überkompensieren wird. Dagegen liegt die Idee nahe, durch vorübergehenden Sauer¬ 
stoffmangel in passender Dosierung ohne Blutentziehung die blutbildende Thätigkeit ' des 
Marks zu wecken. Es käme da in Betracht: die Einathmung stickstoffreicher Gasgemische, 
wie sie Treutler bei seinen Stickstoffinhalationen verwendet hat, ferner der Aufenthalt im Hoch¬ 
gebirge öder im pneumatischen Kabinet bei Luftverdünnung und endlich die sehr leicht zu 
dosierende und bei saebgemässer Anwendung absolut ungefährliche Verwendung kohlenoxydhaltiger 
Gasgemische. Das letzte Wort behält natürlich der Praktiker. Ferner wird auf Grund der Ex¬ 
perimente mit dyspnoisch gemachten Tbieren verständlich, dass sich bei Schädigungen der Cirkulation 
und der Athmung beim Erwachsenen rothes Mark in den langen Röhrenknochen vorfindet, und 
man darf sich diese Einwirkung wohl als einen Regulationsmechanismus derart vorstellcn, dass 
beim mangelnden Sauerstoffgehalt der Alveolenluft (Emphysem) resp. des cirkuliereuden Blutes 
(Herzkrankheiten), abgesehen von anderen regulatorischen Einrichtungen, infolge der Beeinflussung 
des Knochenmarks mehr Hämoglobin führendes Material in die Cirkulation kommt und daher in der 
Zeiteinheit mehr Hämoglobin führende Zellen die Lungen passieren, wodurch die Aufnahme von 
Sauerstoff also befördert wird. Redner glaubt weiterhin annchmen zu können, dass seine bisherigen 
Resultate den Schlüssel enthalten für die räthselhafte, so viel diskutierte und therapeutisch so 
wichtige Einwirkung des Höhenklimas auf die Blutbildung. Wie Miesch er es vorausahnend 
ausgesprochen hat, liegt wahrscheinlich in dem Widersprach zwischen der überfeinen Reaktion der 
blutbildenden Apparate und den erst auf viel grösseren Höhen eintretenden erheblichen dyspnoischen 
Störungen der edlen Organe, d. h. der Centren des verlängerten Markes der eigentliche Schlüssel 
für das Verständnis der Heilwirkung des Höhenklimas. 


Winternitz (Wien), Theoretische mid praktische Mittheilungen über Hydro- und Photo¬ 
therapie. 

Redner wendet sich zunächst gegen die Stimmen, welche bei der Anwendung von kühlen 
und kalten Bädern Schonung und Vorsicht zu empfehlen sich gedrungen fühlen. Als ob nicht für 
die Dosierung des thermischen und mechanischen Reizes bestimmte Gesetze und Anzeigen fest¬ 
gestellt seien! Ja Winternitz versichert, dass seine Erfolge noch wesentlich bessere geworden 
sind, seitdem ihm die meist theoretisch konstruierten Vorsichtsmaassregeln nicht mehr imponieren. 
So seien Herzkollaps, Gefässkollaps keine Kontraindikationen einer sachkundigen und zielbewussten 
Anwendung selbst kältesten Wassers. In Bezug auf die Verwendung des kalten Wassers bei fieber- 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 91 

haften Zuständen glaubt^Winternitz, dass durch eine vernünftige Wasserkur nicht nur sympto¬ 
matisch günstig auf die verschiedensten Fieberprozesse eingewirkt werde, sondern dass durch die¬ 
selbe auch die natürlichen Schutz- und Wehrkräfte des Organismus gestärkt und selbst wachgerufen 
werden konnten. Auch über die Altersgrenze, bei der noch Wasserkuren erlaubt sind, herrscht 
vielfach Meinungsverschiedenheit Winternitz kennt kein Alter, das eine vernünftige Wasserkur 
kontraindizieren würde, wenn sie sonst als therapeutisches Mittel ihre Anzeige findet Er hat 
Kindern von drei und vier Monaten mit dem promptesten Erfolge ein in ganz kaltes Wasser ge¬ 
tauchtes Sacktuch als Wickel um den Leib gelegt und auch den 80jährigen Greis einer Theil- 
w aschung oder einem partiellen oder allgemeinen Regenbade ausgesetzt. Auch der atheromatöse 
Prozess und selbst organisch begründete Cirkulationsstorungen gestatten nicht nur, sondern erheischen 
oft sogar eine solche Kur. Die Vorsicht und Schonung muss in der Wahl der richtigen Temperatur 
und der richtigen Dauer des entsprechenden mechanischen Reizes liegen. 

Redner wendet sich dann zu einer Erörterung der chemischen Beschaffenheit der zu den 
Kuren verwendeten Substanzen. Er erwähnt einen Apparat zu C0 2 -Douchen, den »Ombrophor«, 
den er im Vereine mit Professor Gärtner erfunden hat und konstruieren liess. Die Wirkung der 
r0> von der Haut aus erleichtert die Anwendung niedriger Wassertemperaturen und erlaubt sie 
selbst bei sehr verwöhnten Individuen. Als eine wahre Bereicherung unserer Therapie bezeichnet 
Winternitz die Alkoholumschläge, die bei beginnenden, aber auch bei schon fortgeschritteneren 
Entzündungsprozessen von günstigstem Einflüsse seien. So haben sich diese Umschläge in sechs 
Fallen von Herpes zoster, die im letzten Halbjahr in Winternitz’ Behandlung kamen, in geradezu 
überraschender Weise bewährt. Winternitz tränkt ein aus 6 — 8 Schichten bestehendes hydro¬ 
philes Gazestück, welches die betreffende Körperstelle in jeder Richtung überragt, mit möglichst 
absolutem rektifiziertem Alkohol, soviel als der Stoff, ohne zu triefen, aufnimmt, legt die Gaze auf 
die erkrankte Partie, darüber Guttaperchapapier, dann eine Watteschicht und befestigt schliesslich 
mit Kalikot oder Gazebinden; der Verband bleibt 24 Stunden liegen. 

Zum Schluss berichtet Winternitz über seine Erfahrungen mit der Lichttherapie. Er habe 
den Nachweis geliefert, dass es nicht einfache thermische Wirkungen sind, die vom Sonnen- oder 
elektrischen Lichte beobachtet werden. Die Abhaltung der chemischen Strahlen, z. B. durch einen 
durchscheinenden rothen Stoff, genügt, um die hohe Temperatur im Elcktrothenn erträglich zu 
machen. Daraufhin hat Winternitz bei Anwendung von Sonnenbädern die der Sonne ausgesetzten 
Körpcrtheile oder den ganzen Körper mit einem rothen Stoffe bedeckt. Mit dieser Modifikation 
hat er A'erminderung chronischer Hauthyperäinieen, Anämisicrung hyperämischer Hautpartieen, 
Besseruug und Heilung von Ekzemen erzielt, auf diesem Wege hat er chronisch rheumatische 
Affektionen in den Gelenken, an den Händen und an den Füssen sehr günstig beeinflusst. 

Lindemaun (Berlin), Ueber Lichttherapie. 

Dreierlei Wirkung ist bei der Behandlung mit Glüh- und Bogenlichtkästen, sowie mit Be¬ 
strahl ungsapparaten zu unterscheiden, und zwar 1. die den Körper beeinflussende Wirkung der 
Wärme, welche speziell als strahlende Wärme einen besonderen taktilen Hautreiz auszuüben scheint, 
2. die spezifische Lichtwirkung, wie Redner die bakterieide nennen möchte, und 3. eine suggestive 
Wirkung, wie sie besonders der Phototherapie eigen ist und der wir uns auch sonst oft, zumal bei 
nervösen Leiden, mit Vortheil bedienen. Lin de mann resümiert seine Ausführungen wie folgt: 
Die Glüh- und Bogenlichtbäder bewirken eine Anregung der Cirkulation des Stoffwechsels, besonders 
der Schweisssekretion, und zwar wirken die Glühlichtbäder mehr erregend, als die Bogenlichtbäder. 
Die Bäder erweisen sich heilkräftig vor allem bei Blutarmuth, chronischem Gelenkrheumatismus, 
Gicht, Ischias; sic eignen sich auch zur Unterstützung von Entfettungskuren und können schliess¬ 
lich prophylaktisch anstatt der Dampfbäder angewandt werden, deren unerwünschte Nebenwirkungen 
Kopfkongestionen etc.) ihnen nicht anhaften. Die Bestrahlungsapparate, in denen Bogenlicht von 
15—30 Ampere Stärke auf die Haut reflektiert wird, wirken als intensiver Hautreiz durch Konzentration 
der strahlenden Wärme auf die Haut (aktive Hauthyperämie) sowie korrosiv. Und dann haben sie 
eine unmittelbar bakterientötende Wirkung, welche sich therapeutisch mit Erfolg verwerthen lässt 
zur Heilung von schlaffen, atonischen Geschwüren, Aknepusteln, Furunkeln etc. Intensiver 
haktericid wirkt, zumal bei Lupus, das Finsenlicht, bei welchem ein Bogenlicht von 40 80 Ampere 
Stärke zur Verwendung kommt. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


Hruuo Schttrraayer (Hannover), Feber die Bakteiienflora von Nährpräparaten. 

Vortr. suchte auf experimentellem Wege die Frage zu lösen, wie es mit dein Baktericngehalt, 
d. li. mit der Hohlheit des neuen vegetabilischen Ei Weisspräparates, des Hobo rata, stehe. Den 
Maassstab sollten diejenigen Präparate abgeben, von denen behauptet wird, sie seien keimfrei. So 
wurde zunächst das Tropon und das Plasmon untersucht, und die hier sich ergebenden geradezu 
erstaunlichen Resultate, die alles Andere, nur keine Keimfreiheit erkennen Hessen, machten es 
nothwendig, die Frage der sogenannten Keimfreiheit an einem noch grösseren Material zu kontrollieren. 
Feiner war festzustellen, was für eine Bedeutung der Bakteriengehalt eines jeden Präparats in 
Bezug auf den Werth oder Unwerth des betreffenden Erzeugnisses habe. Wenn man sich ein 
Urtheil über die Reinheit eines Präparats bilden will, so muss man sich zunächst vergegenwärtigen, 
welchem Rohmaterial dasselbe entstammt und dann, ob das betreffende Herstellungsverfahren 
genügt, um alle schon im Rohmaterial enthaltenen oder hincingelangteu Keime unschädlich zu 
machen. Auf Grund dieses Ursprungs hat man zwei Gruppen von Eiweissnährmitteln, solche, die 
aus thierischem Rohmaterial, und solche, die aus vegetabilischem gewonnen werden, zu unterscheiden. 
Von der ersteren Gruppe unterzieht Vortragender einer Betrachtung die Abkömmlinge der Milch, 
Sanatogen und Plasmon, und die aus Fleisch bezw. thicrischcn Geweben hcrgcstellten Präparate 
Soso n und Tropon; von der zweiten Gruppe die M eil in* sehe Kind er nähr ung, das Flüggc’sche 
Kastanienmehl und das Roborat. Aus den umfangreichen bezüglichen bakteriologischen 
Untersuchungen des Vortragenden sei hier die Thatsache konstatiert, dass unter anderem auch im 
Plasmon und Tropon Bakterien Vorkommen, welche in feuchten Medien, so auch im Magen und 
Darm Zersetzungen hervorrufen, die dem Organismuss gefährlich werden können. Anders verhält 
es sich mit den aus Mehlen gezüchteten Spaltpilzformen; sie haben solche Eigenschaften nicht, und 
im Roborat kommen sogar Keime vor, die in ganz auffälliger Weise die Darmfäulniss herabsetzen. 
Ferner stellt Vortragender bezüglich des Plasmons und Tropons fest, dass die Technik der 
Herstellung in keiner Weise genügt, die vorhandenen Keime abzutöten. Was aber das Ausgangs- 
matcrial betrifft, so erscheint dasselbe unter solchen Umständen geradezu gefährlich. Tropon 
entstammt zu -/ M dem Fleischmehl, das aus dem Auslande, und zwar aus Südamerika kommt, so 
dass man absolut keine Garantie hat, dass hier ein auch nur cinigcrmaassen Vertrauen erweckendes 
Rohmaterial vorliegt. Besonders schwer fällt hier der Umstand ins Gewicht, das beim Rinde neben 
«len verbreiteten Fonnen der Tuberkulose auch die cmbolische Muskeltuberkulose Vorkommen 
kann. Noch bedenklicher liegen die Umstände in Bezug auf das Plasmon, das viel zweckmässiger 
mit seinem früheren Namen »Sicbold’s Milch ei weis sc bezeichnet werden müsste. Die Unter¬ 
suchungen der letzten Jahre weisen darauf hin, eine wie grosse Infektiosität der Milch zukommen 
kann. Und nun, während man einerseits den Genuss ungekochter Milch verbietet und Apparate 
zu ihrer Sterilisierung für die Kindernährung konstruiert, giebt man andererseits den gesunden wie 
kranken Kindern ohne Bedenken ein Nährmittel, das einen grossen Theil von dem, was man in 
der Milch abzutöten sich bemüht, ungeschwächt enthält. Vortragender lässt sich darüber an der 
Hand verschiedener bakteriologischer Untersuchungen näher aus und gelangt zu dem Schlüsse, dass 
man dem Plasmon kein Veitrauen entgegenbringen darf, denn die Verunreinigung mit pathogenen 
Keimen gangbarer Art sei erwiesen, darunter mit den gefährlichsten unter denselben, Tuberkel¬ 
bacillen. Anders liege die Sache beim Roborat, das aus Weizen und anderen Mehlen gewonnen 
werde. Schon die Herkunft des Materials verbürgt die Abwesenheit pathogener Keime; die Bei¬ 
mengung von Saprophyten ist eine minimale. Andererseits kommen in vegetabilischen Produkten 
geradezu Spaltpilze vor, die einer durch anderweitige Herkunft erzeugten Gährung und Zersetzung 
entgegenwirken. Schon lange weiss man, dass z. B. die Gährung im Darme, vor allem bei Kindern» 
durch reine Amylacceudiät gehoben wird, und man richtete sich nach dem Rathc von Esc he rieh 
bei der Behandlung der Enteritis danach. Was nun die physiologische Wirkung; des Roborats im 
Dann betrifft, so sind es nach den Untersuchungen des Vortragenden nicht die dem Ainyluni 
zügcschriebenen Wirkungen, sondern vielmehr die der pflauzlichen Proteine überhaupt, denen jene 
Wirkung zukommt; sie lässt sich vemuithlieh aber zuriiekführen auf die Anwesenheit von Keimen, 
die direkt gährungswidrig wirken. 


Siegfried (Nauheim), Ueber Vibrationsmassage, insbesondere bei Herzkrankheiten. 

Aus den Beobachtungnn des Vortragenden ergeben sich für die therapeutische Anwendung 
der Vibrationsmethode folgende Gesichtspunkte: 


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Berichte über Kongresse? und Vereine. 9») 

1. Die Vibration des Herzens ist stets nur mit grosser Voreicht in milder Form und in be- 
M-hränktem Maasse auszuüben. 

2. ln manchen Füllen von Tachykardie, Myokarditis, Dilatation haben wir in der Vibration 
des Herzens ein brauchbares und für den Patienten subjektiv angenehmes therapeutisches Mittel, 
um die Herzthätigkeit zu regulieren und um die von Palpitationen und Dyspnoe herrührenden Be* 
srhwerden zu lindern. 

:k Die Wirkung ist keine dauernde, vielmehr eine schnell vorübergehende. 

4. Die Vibration ist kontraindiziert bei hochgradiger Arteriosklerose, bei Aneurysma, bei 
Neigung zu Apoplexie, überhaupt in allen Fällen, in denen eine plötzliche Erhöhung des Blutdrucks 
vermieden werden muss. 

Das Hauptfeld für die Anwendung der Vibrationsmassagc liegt nicht auf dem Gebiete der 
Herzkrankheiten; hier kann sie nur erprobte Behandlungsmethoden, wie die balneologische, in 
manchen Fällen unterstützen 


llnr winke] (Nauheim), Herzleiden nud Ernährung. 

Andauernde überreiche Zufuhr von Nahrungsmaterial bedingt, namentlich bei mangelhafter 
Organ» und Muskelthätigkeit, eine abnorme Blutfülle, die für die Cirkulationsorgane nicht gleich¬ 
gültig ist: denn der Grad der Arbeit des Herzens hängt von der zu befördernden Blutmenge und 
von dem Widerstande im Gefässsystem ab. Die peripheren Widerstände liegen aber nur zum Theil 
in der Bahn, im Kaliber und in der Beschaffenheit der Gefässc. Ein Faktor, den man bei der 
Beurtheilung dieser Verhältnisse bisher so gut wie ausser Acht gelassen hat, ist die physikalische 
Beschaffenheit des Blutes als Flüssigkeit. Weder für die Strömungsgeschwindigkeit, noch für die 
zur Fortbewegung der Blutsäule erforderliche Herzarbeit ist es gleichgültig, ob das Blut dünn- und 
damit leichtflüssig oder ob es dick- und damit schwei-flüssig ist. 

Demgemäss verdient in erster Linie die Nahrungsmenge — wegen ihres Einflusses auf das 
Volumen des Blutes — volle Beachtung. Jedes Uebermaass ist den Herzkranken, auch im Stadium 
der Kompensation, zu verbieten; es steigert die Herzaktion und nutzt die Herzkraft unnöthig ab, 
zudem begünstigen plethorische Zustände den Fettansatz. Dagegen stellt die konsequent und 
richtig durchgeführte Keduktion nicht nur der flüssigen, sondern auch der festen Speisen ein äusserst 
wirksames Mittel dar, um dem ermüdeten Herzen Erholung zu schaffen; denn der Kreislauf wird 
entlastet, und die inneren Reibungswideretande in der Gefässbahn werden mit abnehmender Zähig¬ 
keit der Blutflüssigkeit geringer. Die Entziehungsdiät ist mit Uni-echt durch die roborierende Alt 
der Behandlung immer mehr verdrängt worden; die letztere läuft nicht eben selten auf Ueber- 
emährung hinaus, die eine Schonung des Herzens unmöglich macht. Wenn mau dagegen, wie bei 
Fettsucht oder Inkompensation, weit unter das Kostmaass heruntergeht, so erfährt das Herz oft nicht 
unerhebliche Kräftigung. Damit soll keineswegs die Unterernährung als Regel für alle Herzkranke 
aufgestellt werden. Entscheidend sind der Ernährungszustand und die Assimilationsfähigkeit des 
Individuums. Empfehlenswerth dürfte die Unterernährung sein, wenn es gilt, den überhohen Blut¬ 
druck dauernd herabzusetzen, so bei beginnender Arteriosklerose, bei Aortenaneurysma und bei 
den Herzstörungen mancher Neurastheniker. Nicht minder wichtig als das Quantum ist die 
qualitative Beschaffenheit der Nahrung. Die Herzkrankheiten, namentlich die auf arteriosklerotischer 
Basis, nehmen in letzter Zeit in erschreckender Weise zu. Ursache dieser Erscheinung ist die ein¬ 
seitige und übertriebene Ernährung mit Fleisch. Bei vorwiegender Fleischkost finden sich alle die 
Schädlichkeiten, welche für die Entstehung der Arteriosklerose geltend gemacht werden, in idealster 
Konkurrenz zusammen. Die Toxine, Ptomaine und andere Produkte der Eiweissfäulniss im Dann 
reizen die kleinen Gefässe zu spastischen Kontraktionen und schaffen das »Embryonalstadiuui der 
Arteriosklerose«. Im Alkoholmissbrauch sieht Burwinkel nicht die prima causa für die Ent¬ 
stehung der Arteriosklerose. 

Die diätetische Therapie hat schon beim Gesunden und weit mehr noch beim Herzkranken 
zu verhüten, dass das Blut zu stoffreich und zu dickflüssig wird. Demgemäss erscheint eine mehr 
oder minder strenge Vegetarierkost geboten; beim Vegetarianer halten sich Puls und Blutdruck 
niedrig. Nicht selten erblickt man hierin das Heil des Kranken; zu diesem Ziele führt die Sorge 
für eine richtige Blutmischung, die eine leichtere Fortbewegung der Blutwelle ermöglicht. Die 
Indikation für die vegetarische Lebensweise, die bei hochgradiger Erregung deä Herzens und beim 
Basedow empfohlen ist, will Burwinkel ausgedehnt wissen auf die Anfangsstadieu der Arterio- 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 

sklerose, auf arthritisehe Herzleiden und auf die kardialen Störungen, die sich mit den klimak¬ 
terischen Jahren bei Frauen einzustellen pflegen. Die Vogetabilien bedürfen aber einer besonderen 
Auswahl, weil viele von ihnen kalkhaltig sind. Bei der Auswahl von Fleisch lasse man möglichst 
alle an Extraktivstoffen und PtomaTnen reiche Sorten meiden. Bezüglich der Genussmittel ist 
strengste Individualisierung am Platze. Thee, Kaffee, Alkohol, Tabak werden ohne weiteres aus- 
zuschliessen sein, wenn nach dem Genuss Palpitationen oder andere unangenehme Zustande auftreten. 


rrankenhäuser (Berlin), Ueber elektrochemische Therapie. 

Unter gewöhnlichen Verhältnissen ist die Haut für wässerige Salzlösungen so gut wie 
undurchgängig. Wenn Inan aber die mit einer Salzlösung befeuchteten Elektroden einer galvanischen 
Batterie auf die Haut aufsetzt und dann den Strom hindurchgehen lässt, dringen die Bestandteile 
des Salzes durch die Haut ein, und zwar auf bestimmte Strommengen ganz bestimmte Quantitäten 
des Salzes. Der Vorgang spielt sich aber nicht derart ab, dass an beiden Elektroden das Salz als 
Ganzes in die Haut eindringt. Vielmehr dringt an der Anode die metallische Komponente, an der 
Kathode die Säure-Komponente des Salzes ein. Die eingewanderten Bestandteile treten ihrerseits 
im Körper mit den ergänzenden Bestandteilen der Salze des Körpers in Verbindung. Dieses 
Gesetz hat für alle elektrisch leitenden Salze, Säuren und Laugen Giltigkeit. Mit gleichen Strom¬ 
mengen wandern chemische äquivalente Mengen dieser Substanzen in den Körper ein. Demgemäss 
kann man vermittelst der Elektroden und der galvanischen Kette eine grosse Menge wirksamer Sub¬ 
stanzen auf die Haut und selbst auf das Körperinnere ein wirken lassen. Von den Stoffen, welche 
man in der erwähnten Weise auf die Haut zu therapeutischen Zwecken einwirken lassen kann, 
kommen für die Anode hauptsächlich die Säuren, die Salze der Leicht- und Schwennetalle und die 
Salze der Alkaloide in Betracht; ihre Wirkung entspricht im grossen Ganzen der Wirkung der 
entsprechenden Chloride, da sie sich im Körper vorwiegend mit Chlor verbinden. Für die Kathode 
kommen vorzugsweise die Laugen und die Metall Verbindungen der Säuren in Frage; ihre Wirkung 
entspricht der der entsprechenden Natriumverbindungen, da sie sich im Körper vorwiegend mit 
Natrium verbinden. Die Einwirkungen, welche sich auf der Haut erzielen lassen, fasst Fra nk enhäuse r 
in folgenden Sätzen zusammen. 

1. Man kann Hautpartiecn, die man zerstören will, verflüssigen. Hierzu eignen sich vor 
allem dünne Lösungen der Mineralsäuren. Man kann z. B. mit einer Saizsäurelösung von f»° von 
der Anode aus schon in wenigen Minuten eine kräftige Aetzwirkung erzeugen. 

2. Man kann Hautpartieen ohne Trennung der Kontinuität zur Nekrose bringen. Hierzu eignen 
sich vor allein die Salze mancher Schw’crmetallc. Entsprechend der Eintrittsstelle des Stromes 
bildet sich eine Mumifizierung der Haut, die sich erst abstösst, wenn die darunter liegenden Partieen 
definitiv geheilt sind. 

3. Man kann Hautreize von beliebiger Intensität erzeugen. Hierzu eignen sich fast alb- 
genannten Substanzen; je nach der angewandten Substanz, Strommenge und Grösse der Elek- 
trode kann man den Reiz vielfach variieren. 

4. Man kann spezifisch medikamentös wirkende Stoffe der Haut oinvcrlcihon, z. 1». Salizyl¬ 
säure, Jod, Chinin. 

5. Man kann die Haut anästhetisch machen, z. B. mit Kokain 

Zur Ausführung der Prozeduren bedarf man keiner anderen Instrumente, als der gew öhnlichen 
galvanischen Batterie und der gewöhnlichen Elektroden. Die Elektroden müssen frei von jeder 
Verunreinigung sein, weil diese in unkontrollicrbarer Weise in die Wirkung eingreifen würde 
Die Wirkung ist in ihrer Qualität abhängig von dem angewandten Stoffe, in ihrer Ausdehnung 
von der Form der Elektrode, in ihrer Intensität von der Intensität und Dauer des Stromes. Die 
Konzentration der angewandten Lösung hat nur insofern Bedeutung, als bei sehr verdünnten 
Lösungen zufällige Verunreinigungen mehr zur Geltung kommen. Im allgemeinen wird man daher 
sehr reine, aber nicht sehr starke Lösungen verwenden. Von Wichtigkeit ist die Grösse der 
Elektrode. Je grösser bei einer gegebenen Strommonge die Elektrode ist, desto geringer ist die 
Intensität der Wirkung auf die Haut. Die Form der Elektrode passt man beliebig der Form der 
Hautpartie an, die man beeinflussen will. Die Wirkung beschränkt sich scharf auf die Eintrittsstelle 
des Stromes. Ausser einfachen Lösungen eines Salzes kann man auch eine Mischung verschiedener 
Salzlösungen venvonden; damit würde man natürlich grössere Variation in der Wirkung 
erzielen können. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


115 


Zuhludowski (Berlin), Die neue Massageanstalt der Universität Berlin. 

Der Aufforderung des Vorstandes der baineologischen Gesellschaft folgend, berichtet Redner 
Tiber die Ende vorigen Jahres ins Leben getretene neue Universitätsanstalt, welche einem der 
liauptzweige der physikalischen Therapie, der Massage, gewidmet ist. Den Bericht leitet er mit 
der Bemerkung ein, dass er dem Begiffe Massage eine weitgehende Bedeutung beilege, dass er 
darunter einen Komplex von Handgriffen verstehe, welche systematisch am menschlichen Körpor zu 
Heilzwecken angewendet werden. Diese Handgriffe gehen in den meisten Fällen Hand in Hand 
mit Bewegungsübungen, zu denen sich der Kranke je nach dem Stadium der Krankheit aktiv oder 
passiv verhält. Den Handgriffen und Bewegungen folgen oft Lageveränderungen des ganzen Kör¬ 
pers oder einzelner Particen desselben. Dann geht Redner nach einigen Worten über seine eigene 
Thätigkeit, die er im Verlaufe der letzten zwei Dezennien entfaltet hat, und nach einer kurzen 
Febersicht über die historische Entwickelung des von ihm vertretenen Spezialfaches der Heilkunde 
auf das eigentliche Thema über. 

Es war im März vorigen Jahres, als bei Gelegenheit der Berathung des Etats des Kultus¬ 
ministeriums im preussischen Herrenhause die dringende Nothwendigkeit der Errichtung einer staat¬ 
lichen Lehrstätte für Massage betont und um schleunige Abhülfe in dieser Beziehung gebeten wurde, 
worauf der Vertreter der Staatsregierung, Herr Ministerialdirektor Althoff, über ad hoc gefühlte 
lUnterhandlungen berichtete und die bevorstehende Errichtung einer staatlichen Massageanstalt an¬ 
kündigte. Wegen baulicher Maassnahmen konnte die Massageanstalt der königlichen Universität 
ihre Thätigkeit erst im Dezember vorigen Jahres beginnen. 

Folgendes sind die Aufgaben der Anstalt: 

1. Durch Ausbildung in der Massage sowohl von Studierenden höherer* Semester als auch von 
schon approbierten Aerzten soll diese Heilmethode als Theil der allgemeinen und speziellen Therapie 
zum Gemeingut der Aerzte gemacht werden. 

2. Es sollen wissenschaftliche Beobachtungen auf dem Gebiete der Massage gemacht werdeu. 

3. Durch praktische Ausbildung eines durch Intelligenz, Geschicklichkeit und moralische 
< Qualifikation besonders geeigneten Wartepersonals in der Massage, als einem wichtigen Agens der 
Krankenpflege, soll den Aerzten eine nicht zu unterschätzende Unterstützung geschaffen werden. 

4. Es soll Kranken, welche einer systematischen Massagekur bedürftig sind, die Möglichkeit 
geboten werden, eine solche von fachmännischer Hand zu haben. 

Als Mittel zur Erfüllung der Aufgaben der Anstalt dienen folgende Maassnahmen: 

I. Es werden in der Massageanstalt drei Massagekurse periodisch abgehalten, nämlich a) für 
Studierende der Medicin ein semestraler Kursus; b) für Aerzte zwei Lehrkurse und zwar: 1. syste¬ 
matische Kurse von vierwöchentlicher Dauer, 2. praktische Uebungskurse in der Massage im Am¬ 
bulatorium der Massageanstalt für diejenigen, welche den systematischen Kursus schon absolviert 
haben, ebenfalls von vierwöchentlicher Dauer. — Die Theilung der Kurse für Studierende und 
Aerzte ist mit Rücksicht auf die allgemeinen Bedürfnisse der einen und der anderen erfolgt; sonst 
läge kein Grand vor, eine solche Theilung in allen Fällen durchzuführen. Um den Studierenden 
den Besuch der Massageanstalt zu erleichtern, wurden die Unterrichtsstunden auf eine Nachmittags¬ 
zeit verlegt, zu welcher sie mit viel frequentierten Kollegien am wenigsten kollidieren; es wurden 
wöchentlich zwei Stunden genommen. Da jeder Hörer seine Theilnahme an den Vorgängen im 
Auditorium nicht bloss auf das Hören und Zusehen beschränken kann, vielmehr seine Aufmerksam¬ 
keit durch die ständig an ihn herantretendc Noth wendigkeit der Wiederholung der demonstrierten 
Uebungen wachgehalten wird, so bieten diese Lehrstunden eine erwünschte Abwechselung zu den 
Stunden, in welchen die Hörer sich verhältnissmassig passiv zu verhalten haben. — Den Bedürf¬ 
nissen der Aerzte wird dadurch Rechnung getragen, dass die Kurse sich auf verhältnissmässig kurze 
Zeit beschränken; sie bilden einen Cyklus von 16 Vorlesungen von je 1 V 2 stündiger Dauer. Als 
geeignetste Zeit haben sich sowohl für Aerzte, welche sich des Studiums halber in Berlin aufhalten, 
als auch für Sanitätsoffiziere der Garnison von Berlin und dessen nächster Umgebung die Morgen¬ 
stunden von 8 — 91/2 Uhr ergeben. Diese Hörer konnten dabei auch ihren anderen Obliegenheiten 
am besten nachkommen. Sowohl bei dem semestralen als auch bei dem systematischen Monats¬ 
kursus wird eine möglichst erspriessliche Zeitausnutzung dadurch erstrebt, dass das Hauptgewicht 
auf die Erlernung der Technik, die nicht durch Selbststudien erlangt werden kann, gelegt wird. 
Es besteht die strikte Regel, dass nur nach dem Beherrschen der Einzelmanipulation zu den kom¬ 
binierten Manipulationen, eventuell zur Mitbehandlung von Kranken geschritten wird. Zu diesem 
Zwecke werden die einzelnen Manipulationen (wie einerseits die stossenden Manipulationen: inter¬ 
mittierende Drückungen, Klopfungen, Klatschungen. Hackungen, Erschütterungen, Zupfungen. 


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VH) Borichtc über Kongresse und Vereine. 


Sohüttclungen, andrerseits die reibenden Manipulationen, wie: Reibungen, Knetungen, Muskel¬ 
rollungen, Hobeln, Druckungen, Streichungen) an gesunden Individuen, rcsp. an gesunden Körper- 
partieen ausgeübt. Es werden für diese Uebungen in den ersten Unterrichtsstunden solche Personen 
verwendet, welche sich gegen Entgelt dazu hergeben. Die kombinierten Manipulationen (wie* 
streichende Knetungen, die gleichzeitig ausgeffdirten Manipulationen aus verschiedenen Gruppen, die 
Einschaltung von Bewegungen der aktiven, passiven und Widerstandsbewegungen in die eigent¬ 
lichen Massagemanipulationen) werden nach kurzer Ucbung am Gesunden in gewissem Sinne als 
Organmassage in typischen Krankheitsfällen an Kranken ausgeführt Bei der Organmassagc werden 
auch gleichzeitig die Indikationen für die verschiedenen Manipulationen festgestellt Solche typi¬ 
schen Fälle sind z. B. an der unteren Extremität: Ischias, Fussverstauchung, entzündlicher Plattfus*, 
Kniescheiben- und Schenkelhalsbruch, residuale llemiplegicen, Gonitis; an der oberen Extremität: 
Itadiusbruch, Dnicklähmungen, Schreiber- und Klavierspielerkrampf, Residuen nach Phlegmonen; 
am Urogenitalapparat: Enuresis nocturna, llamblasenlähmung, männliche Impotenz, Spermatorrhoc: 
am Abdomen: Diarrhoe, Obstipationen, sowohl die spastische als auch die atonische Form; am 
Thorax: Schwäehczuständo des Herzens, bronchiales Asthma; am Halse: Basedowsche Krank¬ 
heit; am Kopfe: Migräne; am Gesicht: Anforderungen der Kosmetik; am Rücken: Hexenschuss, 
durch Muskelschwäche bedingte Rückgratsvcrkriimmungen u. s.w. Es wird darauf geachtet , dass 
die einzelnen Behandlungen (Massagesitzungen) der für die Massage typischen Fälle von jedem ein¬ 
zelnen Hörer lege artis durchgenommen werden. Dies geschieht um so leichter, als die genannten 
typischen Fälle gewöhnlich in genügender Zahl unter den Hiilfesuchenden der Anstalt vorhanden 
sind. Solche Behandlungen unter den Augen des Leiters der Kurse durch Hörer, welche in der 
Ausführung der einzelnen Manipulationen schon durch die vorhergegangenen Uebungen am »Modell* 
eine gewisse Sicherheit erworben haben, pflegen ganz glatt zu verlaufen. Während aber die typi¬ 
schen Behandlungen einzeln vorge nommen werden — d. li. es wird nur je ein bezüglicher Kranker 
allein im Auditorium behandelt —, wird in den letzten Stunden des Kurses die gleichzeitige Be¬ 
handlung von mehreren Kranken durch so viele Hörer, wie der Raum gestattet, eingeleitet. Der 
besseren Uebersicht halber wurde es nothwendig, die Hörerzahl für einen Kursus einer gewissen 
Einschränkung zu unterwerfen, was bei monatlich stattfindenden Kursen keine besonderen Un¬ 
bequemlichkeiten verursacht, desgleichen bei semcstralcn Kursen durch Vcrthcilung in Gruppen. 
Auf diese Art erhalten die Hörer auch die Möglichkeit, die Verschiedenheit der Anwendung der 
bestimmten Manipulationen in den einzelnen Stadien des Krankheitsprozesses kennen zu lernen; sie 
lernen aber auch, sich zu helfen bei beschrankten Raum Verhältnissen; gleiche Behandlungen werden 
in verschiedenen Stellungen sowohl des Kranken als auch des Arztes ausgefühlt. 

II. Hand in Hand mit der Zunahme des Krankeninatenals wie auch der Zahl dor in der 
Technik der Massage ausgcbildcten Hörer hat die Zunahme der Zahl der Famuli- und Volontär¬ 
ärzte cinhcrzugehcn, um dann auch Aufgaben wissenschaftlicher Forschung nachkommon zu können, 
soweit es bei einem nicht stationären, sondern ausschliesslich poliklinischen Material möglich ist 

III. Die Ausbildung von Wartepersonal erfolgte in der Weise, dass die betreffenden Personen 
zum Aufenthalt im Auditorium während der Kurse zugelassen wurden, ebenso waren sie während 
der poliklinischen Stunden anwesend. Während der Kurse leisteten sie Wärterdienste; doch wurden 
sie auch zur Behandlung bei allgemeinen Ernährungsstörungen, chronischen Arthritiden, bei wenig 
beschränkter Beweglichkeit u. dergl. zugezogen, und zwar — zur Vermeidung eines Kollidicrcns 
ihrer Thätigkeit mit derjenigen der au den Kursen thcilnehmenden Aerzte und Studierenden — in 
Stunden ausserhalb der Kurse. Wegen des rein praktischen und mehr schabloncnmässigcn Charakters 
ihrer Ausbilduug wurde ihr Aufenthalt in der Anstalt für längere Zeit nöthig. 

IV. Ganz besonders kommt der Anstalt die Verschiedenartigkeit des zur Behandlung kommenden 

Krankenmaterials der Poliklinik der Massagcanstalt zu gute. Letzteres rekrutiert sich aus Kranken 
und zwar: 1. zugewiesenen, a) aus verschiedenen klinischen Instituten durch Ueber weisungskarten, 
welche meist die Diagnose und manchmal anamnestischc Daten enthalten, zuweilen auch, behufs 
weiterer Beobachtung die Weisung für den Kranken, sich in dein betreffenden Institut, ;in welches 
er sich zuerst gewandt hatte, nach einer gewissen Zeit wieder vorzustellen; b) von praktischen 
Aerzten, meist durch Briefe, enthaltend den Wunsch einer Rückuusscrung bezüglich Diagnose und 
Prognose; 2. aus eigenem Antriebe Gekommenen, welche entweder von selbst den Entschluss 
fassten, es mit der Massage zu probieren, oder denen ärztlicherseits eine Massagekur empfohlen 
wurde, ohne dass sie dabei auf die Massageanstalt hingewiesen waren. (Schluss folgt.) 


Iicrliß. Druck von \\\ ruixcnsloin. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1901/1902. BandY. Heft 2. 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. r. Leyden und Prof. Dr. A. Goldscheider. 

Verlag von Georg Thleme in Leipzig. 


INHALT. 


Original-Arbeiten. Seite 

I. Bemerkungen zur therapeutischen Verwerthung der Muskelthätigkeit. Von Prof. Dr. 

X. Zuntz in Berlin.99 

II. lieber Heissluftapparate und Heissluftbehandlung. Aus der medicinischen Universitäts- 

Poliklinik in Königsberg i. Pr. Von Prof. Dr. Julius Schreiber. Mit 6 Abbildungen 104 

III. Die Kostordnung auf der inneren Abtheilung des evangelischen Diakonissenhauses in 

Freiburg i. Br. Von Oberarzt Prof. Dr. A.Schöle.11G 

IV. Ueber die Verwendung Blinder in der Massage. Von Dr. E. Eggebrecht in Leipzig . 119 

V. Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. Von Dr. M. Siegfried in 

Bad Nauheim. I. Theil. Mit 11 Abbildungen.1J1 

Referat© über Bücher und Aufsätze. 

A. Goldscheider und P. Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie.145 

A. Schoenstaedt, Ueber vegetarische Ernährung und ihre Zulässigkeit in geschlossenen 

Anstalten und bei Menschen, welche sich in einem Zwangsverhältniss befinden . . I4f> 

J. v. Kössa, Die Wirkung des Phlorizins auf die Nieren.147 

W. Caspari, Ein Beitrag zur Beurtheilung von Milchpräparaten.147 

Keller, Ueber Nahrungspausen bei der Säuglingsernährung.147 

Feer, Neuere Fortschritte und Bestrebungen in der Säuglingsernährung.148 

Bend ix, Beiträge zur Ernährungsphysiologie des Säuglings.149 

Ochsn er, Ueber Verwendung ausschliesslicher Rektalernährung in akuten Appcndicitisfällen 149 
Sommerfeld, Ueber die Milchkontrolle im Kaiser und Kaiserin Friedrich-Krankenhause in 

Berlin.150 

Charles Townscnd, Bemerkungen zur Ernährung der Kinder mit spezieller Beziehung der 

Behandlungsweise der Milch im Hause.150 

Rosenbach, Zur Pflege und Prophylaxe bei Herzkranken.151 

Goldschmidt, Weitere Beiträge zum nervösen Asthma.152 

William Henry Porter, Gout and Rheumation, their aetiology and dietetic treatment . . 152 

Robert Saundby, An adress on the modern treatment of Diabetes mellitus.153 

Forel, La question des asiles pour alcoolisös incurables.153 

William Ewart, Eis oder Wanne in der lokalen Anwendung?.155 

J. Jefimow, Zur Entstehung des Skorbuts.155 

Robert Langendorff, Ueber das Luftbad.150 

A. Winckler, Ueber Gasbäder und Gasinhalationen aus Schwefel wässern.158 

Koeppe, Die physikalisch-chemische Analyse des Liebensteiner Stahlwasscrs.158 

Rudolf Hatschek, Eine einfache Methode für Kohlensäureapplikationen.159 

Zeitschr. f. cll&t» u. pbysik. Therapie Bd. V. Heft 2. ~ 


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Seit*# 


98 


Inhalt. 


II. S. Frenkel, Die Behandlung der tabischen Ataxie mit Hülfe der Uebung. Kompen¬ 
satorische Uebungstherapie, ihre Grundlagen und Technik.159 

S. Kornfeld, üeber den Einfluss physischer und psychischer Arbeit auf den Blutdruck . . 161 

Langowoy, Ueber den Einfluss der Körperlage auf die Frequenz der Herzkontraktionen . 163 

Lasu rs ki, Ueber den Einfluss der Muskelbewegung auf die Blutzirkulation in der Schädelhöhle 163 
J. Dogel, Der Einfluss der Musik und die Wirkung der Farben des Spektrums auf das 


Nervensystem des Menschen und der Thiere.. 164 

A. Akopenko, Zur Chromotherapie der Geisteskrankheiten. Die Wirkung der farbigen 

Lichtstrahlen auf die Schnelligkeit des Ablaufs der psychischen Prozesse .... 164 

L. Sternbo, Ueber die schmerzberuhigende Wirkung der Itöntgenstrahlen.166 

E. Do um er und L. Ran^on, Traitement de la diarrhöe chez les tuberculeux par la faradi- 

sation abdominale.I6G 

A. Scherbakow, Die Mineralschlammbadeorte des europäischen Russland.166 

Blätter für Volksgesundheitspflege 1901.168 


Kleinere Mittheilungen. 

I. Ueber die Wirkung des Seeklimas auf den Stoffwechsel. Von Dr. Joh. Ide, Inselarzt 

und Arzt des christlichen Seehospizes auf Amrum.169 

II. Ein Fall von Serratuslähmung durch lokale Hitze gebessert Von Oberstabsarzt Dr. Heer- 

raann in Posen.174 


Berichte über Kongresse und Vereine, 

I. Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft zu Berlin. 

7.—12. März 1901. Erstattet von — n. (Fortsetzung).175 

Pariser, Das praktische Problem der internen Behandlung der Gallensteinkrankheit 175 

Munter, Die Hydrotherapie der Gicht.176 

Putzer, Praktische Erfahrungen über die hydriatische Behandlung bei Masern und 

Scharlach.177 

Kothe, Zur physikalisch-diätetischen, insbesondere hydriatischen Behandlung der 

Neurosen.178 

Brügelmann, Ueber Asthma, sein Wesen und sein Behandlung.180 

Schenk, Die physikalische Therapie der Lungentuberkulose mittels Stauungs- 

hyperäraie.180 

Eulenburg, Ueber Anwendung hochgespannter Wechselströme zu therapeutischen 

Zwecken.181 

Müller de la Fuente, Die nervöse Schlaflosigkeit und ihre Behandlung. . . . 182 

II. Diätetisches und Physikalisches vom 19. Kongress für innere Medicin zu Berlin. Von 

Privatdocent Dr. H. Strauss in Berlin.183 


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Original - Arbeiten, 


i. 


Bemerkungen zur therapeutischen Yerwerthung der Muskelthätigkeit. 

Von 

Professor Dr. N. Zuntz 
in Berlin. 


Die Bedeutung der Muskeln als Angriffspunkte therapeutischen Wirkens spiegelt 
sich in der Beachtung, welche ihnen schon in den ersten Heften dieser Zeitschrift 
zu Theil ward; ich brauche nur an die Abhandlungen der Herren Gad, v. Leyden 
und Goldscheider, v. Reyher, Tschlenoff, Richter zu erinnern. 

Der letztere bespricht die Bedeutung der Muskelthätigkeit für die Entfettung; 
von diesem Gesichtspunkte bedarf die Einwirkung der Arbeit auf den Stoffwechsel 
noch einer eingehenderen Beleuchtung, und namentlich einer mehr quantitativen Ab¬ 
wägung, als ihr bisher von Seiten der Praktiker zu Theil geworden ist. Nicht 
minder unentbehrlich ist die Kenntniss der Einwirkung der Muskelthätigkeit auf den 
Stoffwechsel, wenn es gilt, die Disposition zur Fettleibigkeit und zur Magerkeit 
zu verstehen und rationell zu bekämpfen. 

Die Bestrebungen, die sogenannte Fettsucht, die krankhafte Disposition zum 
Fettansatz bei gewissen Individuen und in manchen Familien auf eine abnorme 
Trägheit des Stoffwechsels, eine erhebliche Herabsetzung der physiologischen Oxy¬ 
dationsprozesse zurückzuführen, haben bisher durch Messungen des Respirations¬ 
prozesses keine Stütze gefunden. Nur eine Form von Fettsucht, die durch Kastration, 
vielleicht auch im Anschluss daran die durch die Menopause bedingte, ist durch die 
Untersuchungen von Loewy und Richter auf Minderung des Stoffumsatzes des 
ruhenden Individuums zurückgeführt worden. In diesem Falle zeigte das exakte 
Experiment, dass aus den Geschlechtsdrüsen in den allgemeinen Kreislauf gelangende 
spezifische Stoffe den Umsatz im Körper des ruhenden Thieres erhöhen. Eine ähn¬ 
liche Wirkung kennen wir von Seiten der Schilddrüse. Trotz dieser feststehenden 
Thatsachen, welche die Möglichkeit einer abnormen Trägheit des Stoffwechsels aus 
inneren Ursachen darthun, ist es bisher weder Magnus - Levy, der die Frage 
systematisch untersucht hat, noch den anderen Forschern, welche dem Gaswechsel 
fettsüchtiger und normaler ruhender Menschen ihre Aufmerksamkeit zugewendet 
haben, gelungen, bei Fettsüchtigen eine subnormale Oxydation im ruhenden Körper 
nachzuweisen. 

Der Stoffwechsel geht in erster Annäherung der Körperoberfläche proportional, 
ist demgemäss bei schweren Individuen zwar absolut grösser als bei leichten, aber, 
bezogen auf die Körpergewichtseinheit, kleiner. Die als inaktives Reservematerial 
anzusehenden Fettmassen erhöhen den Stoffwechsel des ruhenden Individuums nur 
in geringem Maasse. Den Verbrauch für die Lokomotion und andere Bewegungen 
steigern sie ebensogut wie die Last der Kleider und zu tragendes Gepäck. Zu 
diesen Momenten kommt der Einfluss des Lebensalters auf die Grösse des Ruhe- 

7* 


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. '' Original from 

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Stoffwechsels. Tigerstedt und Sonden, einwandsfreier aber Magnus-Levy und 
Falk haben dargethan, dass der Umsatz der Gewebe des ruhenden Körpers unter 
gleichen Verhältnissen mit dem Lebensalter abnimmt, allerdings nach vollendetem 
Wachsthum durch mehrere Jahrzehnte konstant bleibt. 

Bei normal genährten Menschen mittlerer Grösse von 55 —70 kg Gewicht be¬ 
trägt der Energieverbrauch in absoluter Ruhe 23—29 Kalorieen pro Kilogramm und 
24 Stunden, also 1500—1700 Kalorieen für den ganzen Menschen; bei der fett¬ 
leibigsten der von Magnus-Levy untersuchten Personen, welche 133 kg wog, war der 
Verbrauch pro Kilogramm zwar nur 14,3 Kalorieen, der ganze Körper brauchte aber 
1912 Kalorieen, also mehr als magere Personen von normalem Gewicht, so dass auf die 
Gewichtseinheit aktiver Körpersubstanz kaum ein Minderverbrauch anzunehmen ist. 

Der hier angegebene Minimalverbrauch ruhender, nüchterner Menschen, der 
auch im Schlaf keine weitere Minderung erfährt, wird nun durch jede Thätigkeit 
der quergestreiften oder glatten Muskulatur wie auch der Drüsen erhöht. Diese 
Erhöhung beträgt schon durch die Verdauungsarbeit, je nach Menge und Beschaffen¬ 
heit der Nahrung, 10 — 20«/« des Ruhewerthes im nüchternen Zustande. Hierzu 
kommen die beim Stehen, Umhergehen und den kleinen Verrichtungen des täglichen 
Lebens ausgeführten Muskelleistungen, welche, individuell sehr verschieden, 
um 20—75% des Ruhewerthes den Verbrauch steigern. Die grossen Differenzen, 
welche dieser Posten des täglichen Verbrauches aufweist, sind in erster Linie durch 
Temperament und individuellen Bewegungstrieb zu erklären, sie bedingen im 
wesentlichen die grossen Unterschiede des Stoffverbrauchs verschiedener 
Menschen, welche faktisch bestehen. Bei Gelegenheit der mit Schumburg 
ausgeführten Studien zur Physiologie des Marsches und jüngst wieder bei mehreren in 
meinem Laboratorium ausgeführten Stoffwechselversuchen konnte ich mich überzeugen, 
welchen enormen individuellen Schwankungen gerade dieser Posten des Stoffverbrauchs 
unterliegt. Rechnen wir den Stoffbedarf eines 70 kg wiegenden Menschen ein¬ 
schliesslich der Verdauungsarbeit zu 1700 Kalorieen, so beträgt der Zuwachs für die 
eben genannten Bewegungen zwischen 400 und 1500 Kalorieen. Dieser grosse Spiel¬ 
raum erklärt vollkommen, warum bei derselben Kost der eine Mensch abmagern, der 
andere fett werden kann. Bei derselben Kost, welche dem lebhaften, 1500 Kalorieen 
für diesen Posten verbrauchenden Menschen gerade genügt, wird der phlegmatische 
mit 400 Kalorieen Bewegungsumsatz täglich 130 g Fettgewebe (1 g = 8,6 Kalorieen) 
ansetzen. Das entspricht einer Mast von 3,9 kg in einem Monat, von 47 kg in einem 
Jahre. Ziehen wir nun noch ferner die grossen individuellen Schwankungen des 
Appetits in Betracht, bedenken wir, dass die Anpassung des Appetits an das Nahrungs- 
bedürfniss immer nur eine unvollkommene ist, so werden uns die Erscheinungen der 
Fettsucht so wenig wie die der Abmagerung Anlass geben, nach noch unbekannten 
Ursachen ihres Zustandekommens zu suchen. 

In den eben besprochenen individuellen Unterschieden des Bewegungstriebes 
und den damit zusammenhängenden regelmässigen Beanspruchungen der Muskulatur 
liegt vielleicht der Schlüssel zu dem viel diskutierten Zusammenhang zwischen Fett¬ 
leibigkeit und Diabetes. Wir wissen, dass die Muskelthätigkeit durch den gesteigerten 
Kohlehydratverbrauch bei leichtem Diabetes den Zucker aus dem Harne schwinden 
lässt; es ist daher wahrscheinlich, dass die Gefahr einer ungenügenden Verarbeitung 
des Zuckers und damit seines Uebertritts in den Harn um so grösser ist, je träger 
das Individuum in Bezug auf Muskelleistungen ist. Eben diese Trägheit, welche 
zur Glykosurie disponiert, ist aber auch die Ursache des wachsenden Fettansatzes. 



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101 


Bemerkungen zur therapeutischen Verwerthung <lcr Muskclthätigkcit. 

Der beherrschende Einfluss der Muskelthätigkeit auf den Stoffwechsel giebt 
uns nun andrerseits die Möglichkeit, denselben durch passend dosierte Muskelarbeit 
beliebig zu steigern. Von diesem Mittel macht ja die ärztliche Praxis den aus¬ 
giebigsten Gebrauch. Sie verordnet Spaziergänge, Rudern, Radfahren, Hantelübungen, 
Arbeit am Ergostaten zum Zwecke der Entfettung. Der Ergostat ist ein Ausdruck 
des Bedürfnisses, bei diesen Verordnungen quantitativ zu verfahren, ln der That 
erscheint eine prompte und sichere Erreichung des Zweckes nur denkbar, wenn der 
Stoflfverbrauch ebenso quantitativ geregelt wird, wie dies für die Nahrungszufuhr 
jedem exakten Therapeuten selbstverständlich erscheint. — Wir brauchen aber zu 
dieser Dosierung der Arbeit keineswegs uns auf den langweiligen Drehapparat zu 
beschränken. 

Der Verbrauch beim Gehen, beim Bergaufsteigen, beim Radfahren ist durch 
exakte Messungen festgestellt. Er ist bei der Horizontalbewegung proportional der 
Weglänge und dem zu bewegenden Gewicht; er wächst ferner für gleiche Weglänge 
mit der Geschwindigkeit. Eine Stunde Spazierengehen ist demnach eine ganz vage 
Verordnung; der eine wird dabei dreimal so viel Stoff verbrauchen, als der andere. 
Im allgemeinen wird es ausreichen, die täglich zurückzulegende Strecke vor- 
z uschreiben. 

Gleichzeitige Bestimmung der Geschwindigkeit, also des in der Stunde zurück¬ 
zulegenden Weges, macht die Berechnung der Arbeitsleistung genauer, doch wird 
solche Genauigkeit, soweit nur Beherrschung des Stoffwechsels in Frage steht, selten 
nöthig sein. Von entscheidender Bedeutung ist aber die Geschwindigkeit, wenn auch 
der Einfluss auf Herz und Athmung in Betracht kommt, wie es meist der Fall sein 
dürfte. Wo das Herz schonungsbedürftig ist, wird mau eine entsprechend aus¬ 
probierte nicht zu überschreitende Geschwindigkeit vorschreiben und dabei bedenken 
müssen, dass dieselbe noch weiter herabzusetzen ist, sobald Gegenwind oder schlechte 
Beschaffenheit des Weges die Arbeit erhöhen. 

Zur Abschätzung des Verbrauchs bei einigen Muskelleistungen können folgende Zahlen dienen, 
welche im wesentlichen in meinem Laboratorium ausgeführten Untersuchungen entnommen sind. 

Die mechanische Arbeitseinheit, 1 mkg, erfordert unter günstigen Arbeitsbedingungen etwa 
7,5 cal. — Ein Mensch, der mit den Kleidern 80 kg wiegt, würde also, wenn er auf bequemer Strasse 
100 m hoch steigt, ausser dem Verbrauch, welchen der zurückgelegte Weg, falls er eben wäre, er¬ 
fordern würde, noch 80 X 100 X 7,5 cal = 60 Kalorieeni) an chemischer Energie brauchen. 

Der Gang auf horizontaler Strasse erfordert, je nachdem das Individuum mehr oder weniger 
geschickt marschiert*), 500 — 600 cal pro Kilogramm und 1000 m. Ein Mensch von 80 kg Gewicht 
wurde also für 1000 m bei 75 m Minutengeschwindigkeit etwa 80 X 550 = 44 Kaloricen brauchen 
oder in jeder Minute 3,.1 Kalorieen, das ist etwa das Zwcieinhalbfache des Verbrauchs in absoluter 
Ruhe. Wenn die Strasse 10 °/o Steigung hat, ist die Gesammtsteigcrung des Verbrauchs für 1000 m 

Weg 44 + 60 = 104 Kalorieen, oder ''' = 7,8 Kalorieen pro Minute, 468 Kaloricen pro 

lUUU 

Stunde; dies ist etwa die Grenze dessen, was ein kräftiger Menscli längere Zeit leisten kann. 

Mit wachsender Geschwindigkeit wächst der Verbrauch beim Gehen zwischen 60 und 100 in 
um 2,4 cal auf 1000 m Weg pro Meter Geschwindigkeitszuwaehs; über 100 m in noch stärkerem 
Verhältnisse. 

Beim Radfahren beträgt nach Leo Zuntz für einen 70 kg wiegenden Menschen der stünd¬ 
liche Mehrverbrauch gegenüber absoluter Ruhe: 

1) 1 Kalorie =• 1000 eal ist die Wärmemenge, welche die Temperatur von 1 kg Wasser um 
1 0 C erhöht. 

2 ) Jedes mechanische Hinderniss, jede Schmerzhaftigkeit im Bereich der Muskeln, Sehnen, 
Gelenke, andrerseits leichte Koordinationsstörungen (beginnende Tabes) erhöhen den Stoffverbrauch 
beim Gehen sehr erheblich. 


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102 N. Zuntz 


bei 9 km Weg in der Stunde.183 Kalorieen, 

» 15 * » » » » 313 » 

»22» »»» » 571 » 

» 9 » » und 3<>/o Steigung.316 » 


» 15 » » » Gegenwind von 10 m Sekundengeschwindigkeit 601 » 

Beim Raddrehen (am Ergostatenj kann man den Verbrauch für 1 mkg Arbeit zu 10 cal ver¬ 
anschlagen. 

Vorstehende Daten werden genügen, um bei den gewöhnlichsten Arbeitsleistungen den Stoff¬ 
verbrauch zu berechnen, indem man die aufgewendete Kalorieenzahl durch Division durch 9,5 auf 
ihr Aequivalent an Fett, durch 4,1 auf ihr Aequivalent an Stärke, bezw. Eiweiss umrechnet 

Die Untersuchungen von Schumburg und mir haben uns zum Theil in Be¬ 
stätigung älterer aber experimentell nicht so scharf begründeter Auffassungen einige 
bequeme Anhaltspunkte zur Ermittelung der zulässigen Grenze der Beanspruchung 
des Herzens ergeben. Die Pulsfrequenz muss nach der Anstrengung in etwa zehn 
Minuten wieder zur Norm zurückkehren, die gesteigerte Athemfrequenz mag etwas 
länger anhalten, doch fanden wir, dass eine Verdoppelung der Athemfrequenz wäh¬ 
rend der Arbeit schon eine Ueberanstrengung, bezw. beginnende Insufficienz des 
Herzens anzeigt (1. c. S. 122). 

Ein weiteres brauchbares Kriterium bietet die Vitalkapazität, sie ist nach einer 
bekömmlichen Anstrengung unverändert oder etwas erhöht, nur nach erschöpfenden 
Anstrengungen herabgesetzt. Dasselbe gilt von der Schnelligkeit der Reaktion auf 
sensible Reize, von der Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses, welche wir durch die 
Anzahl vorgesprochener Zahlen, welche fehlerlos wiederholt werden konnten, prüften, 
von der Leistungsfähigkeit der bei der ermüdenden Arbeit nicht direkt betheiligten 
Muskeln, die wir mit Hülfe von Mosso’s Ergograph studierten (1. c. S. 140). Für 
den Kliniker besonders beachtenswerth dürfte die Verbreiterung der Herz- und Leber¬ 
dämpfung sein, welche wir nach anstrengenden Märschen mit Gepäck in den meisten 
Fällen beobachteten, und welche, wie auch die Versuche anderer mehrfach gezeigt 
haben, bei den verschiedensten Formen schwerer Anstrengung (Radfahren, Skidlauf) 
leicht zu Stande kommt. Besonders bei älteren Personen mit geschwächtem Herzen 
und sklerotischen Arterien dürfte es wichtig sein, auf diese Symptome zu achten 
und die Muskelleistungen derart zu dosieren, dass sie nicht zu Stande kommen. 
Wir haben übrigens die Vergrösserungen von Herz und Leber stets in wenigen Stunden 
zurückgehen sehen, ohne dass subjektiv oder objektiv üble Folgen bemerkbar waren. 

Bekannt ist die länger andauernde von erheblichen subjektiven Beschwerden be¬ 
gleitete Dilatation des Herzens nach überanstrengenden Bergtouren bei wenig Geübten. 

Im Harn treten, wie vielfach dargethan, nach übermässigen Anstrengungen 
Eiweiss und Cylinder auf. Minimale, nur in dem mit besonderen Kautelen ein¬ 
gedämpften Harn nachweisbare Mengen von Eiweiss fanden wir fast regelmässig bei 
gesunden jungen Männern, doch war die Reaktion nach den anstrengenden Märschen 
meist nicht verstärkt, oft sogar herabgesetzt. — Das Auftreten solcher Eiweiss- 
mengen, welche mit der gewöhnlichen Kochprobe nachweisbar sind und von Fibrin- 
cylindern im Harn, wie sie Albu nach forciertem Radfahren, Henschen nach über¬ 
mässigen Anstrengungen, besonders wenig geübter Menschen, beim Schneeschuhlauf 
beobachtet haben, muss wohl unbedingt als Zeichen gesundheitsschädlicher An¬ 
strengung angesehen werden. Bemerkenswerth ist in der Hinsicht die mir von einem 
erfahrenen Arzte mitgetheilte Beobachtung, dass nach überstandener und anscheinend 
ausgeheilter Nephritis bei Kindern zuweilen jahrelang jede etwas grössere Muskel- 
thätigkeit Albuminurie hervorruft und deshalb gemieden werden muss. 


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Bemerkungen zur therapeutischen Verwerthung der Muskelthätigkeit. 103 

Bedeutungsvoll für die Beurtheilung der Wirkung strammen Marschierens dürfte 
noch die Thatsache sein, dass dasselbe reichliche Entleerung eines auffallend niedrig 
gestellten Harnes auch dann hervorruft, wenn durch starkes Schwitzen der Körper 
an Wasser verarmt. Es wirken also Nieren und Schweissdrüsen zusammen, um eine 
erhebliche Herabsetzung des Wasserstandes im Körper nach Märschen zu Stande zu 
bringen. Die Konzentration des Blutes ist, obwohl die Wasseraufnahme nach Willkür 
erfolgte, meist noch am anderen Tage gesteigert. 

Mit Recht wird bei allen Entfettungskuren besonderer Werth darauf gelegt, 
dass der Körper nicht gleichzeitig an Eiweiss verarme und dass sich nicht infolge 
der zur Entfettung eingeleiteten chronischen Inanition Herzschwäche einstelle. 

Beiden Gefahren zugleich wird am wirksamsten gesteuert, wenn man die Ent¬ 
fettung nicht durch Beschränkung der Nahrungszufuhr, sondern durch Steigerung des 
Konsums, durch systematische Vermehrung der Muskelarbeit herbeiführt. 

Oertel hat wohl am präzisesten gezeigt, wie man auf diesem Wege durch 
ganz systematische langsame Steigerung der Anforderungen selbst ein hochgradig 
geschwächtes Herz zu grösseren Leistungen erziehen kann; leichter wird es natürlich 
noch sein, der Erlahmung des Organs infolge knapper Nahrungszufuhr vorzubeugen. 

Was den Ei weissbestand anbelangt, so ist ja die nächste Folge jeder gesteigerten 
Arbeit bei unveränderter Eiweisszufuhr ein Verlust an Eiweiss (Kellner, Argu- 
tinsky, Pflüger); bei längerer Andauer und regelmässiger Wiederholung der Arbeit 
macht sich aber die durch dieselbe gesetzte Tendenz zur Muskelhypertrophie derart 
geltend, dass an Stelle des Verlustes ein Ansatz von Eiweiss unter gleichzeitigem 
Konsum des Körperfettes tritt (Caspari, Bornstein). Ich konnte mit Schum¬ 
burg feststellen, dass fünf junge, kräftige Männer, deren Kost ganz dem Behagen 
überlassen war, nach 28 Märschen mit militärischem Gepäck 1,5—3,5 kg an Gewicht 
verloren hatten, dass aber dabei die Muskulatur an Masse gewonnen hatte, 
wie nicht nur aus der Untersuchung der Extremitäten, sondern auch aus dem ge¬ 
steigerten Stoffverbrauch des ruhenden Körpers unzweifelhaft hervorging. Hier war 
also eine erhebliche Entfettung des Körpers bei gleichzeitigem Eiweissansatz zu 
Stande gekommen. Das gleiche erzielte Caspari bei einem sehr fetten Hunde, den 
er ohne entsprechende Nahrungszulage oder doch mit ungenügender Zulage arbeiten 
Hess. Hier erwies sich für die Ersparniss von Eiweiss der Kunstgriff besonders 
förderlich, dass er vor der Arbeit eine reichliche Menge Kohlehydrate und Fette 
verabreichte und den eiweissreichen Theil der Kost (Fleisch) nach beendeter Arbeit 
fütterte. Der Ueberlegung, dass unter diesen Umständen die während der Arbeit 
zirkulierenden N-freien Nährstoffe vorwiegend verbraucht, die Eiweisskörper gespart 
würden, entsprach das Ergebniss der Versuche. Auch die Versuche von Bornstein, 
welcher allerdings nicht auf Entfettung, sondern auf einseitige Erhöhung des Eiweiss¬ 
standes, möglichst ohne gleichzeitigen Fettansatz, hinarbeitete, zeigen, wie man durch 
zweckmässig dosierte Arbeit den Eiweissreichthum des Körpers und damit nach mancher 
Hinsicht sicher auch seine Leistungsfähigkeit und seine Resistenz gegen schädliche Ein¬ 
flüsse heben kann. Bornstein hat gezeigt, dass Zufügung von leicht assimilierbarem 
Eiweiss (er benutzte das auch durch andere Versuche als besonders förderlich für den 
Ansatz erwiesene Plasmon) zur Kost diesen Ansatz von Eiweiss wesentlich fördert. 

Ich hoffe, dass von den vorstehend mitgetheilten Ergebnissen physiologischer 
Versuche manches sich als brauchbar für den Therapeuten erweisen wird. 


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104 


Julius Schreiber 


II. 

Ueber Heissluftapparate und Heissluftbehandlung'). 

Aus der medicinischen Universitäts-Poliklinik in Königsberg i. Pr. 

Von 

Professor Dr. Julius Schreiber. 

Unter dem Einflüsse der Bier’schen Lehre*) von der kongestiven Hyperämie, 
mehr noch unter dem Einflüsse der bestechenden Heilerfolge, welche mit dem 
Tallerman’sehen Apparate sozusagen unter den Augen der Beobachter 1 2 3 ) erzielt 
werden konnten, ist die seit jeher gebrauchte, allmählich aber mehr und mehr in 
Vergessenheit gerathene »Heissluftbehandlung« dem ärztlichen Interesse wieder 
wesentlich näher gerückt worden. In den Veröffentlichungen, welche sich auf diese 
Behandlungsmethode beziehen, begegnet man übereinstimmend zwei bemerkens- 
werthen Behauptungen: der einen, dass es mit bezw. in den gebräuchlichen, meist 
einfachen Apparaten leicht gelinge, Lufttemperaturen von 120, 130, 150® zu er¬ 
zeugen; der anderen, dass so heisse Luft an grösseren Gliedabschnitten des Körpers 
stundenlang ertragen und oft mit Nutzen angewendet werde. Die hier im wesent¬ 
lichen in Betracht kommenden Apparate sind die Bier’schen Kästen 4 * ), der Taller- 
man’sehe 4 ), vielleicht auch noch der neuerdings von Frey in Baden-Baden kon¬ 
struierte, elektrisch betriebene Apparat 6 ). Vor allen die Bier’schen Kästen; sowohl 
weil sie anscheinend (Bier) die kostspieligen, kaum noch »transportabel« zu nennen¬ 
den Tal ler man’sehen Apparate zu ersetzen vermögen, als besonders auch weil sie, 
in Deutschland wenigstens, ungleich bekannter geworden sind; allerdings nicht unter 
Bi er’s Namen, sondern, nach Modifikationen und Verbesserungen des Hamburger 
Chirurgen Prof. F. Krause 7 ), als Krause'sehe Heissluftapparate. 

Dieselben bestehen bekanntlich aus einem zwischen schlechten Wärmeleitern, 
Wollstoff und Asbestpappe, steckenden Drahtgerüst, in welche seitlich oder hinten 
ein nach dem Prinzip des Quincke’schen Schwitzbrettes trichterförmig beginnendes 
eisernes Rohr (R in Fig. 7) die überhitzte Luft einführt; vor die Einströmungsöffnung 
ist eine mit Asbest belegte Eisenplatte (As) gestellt, um den direkten Anprall der 

1 ) Nach einem am 14. Januar im Verein für wissenschaftliche Heilkunde liierselbst gehaltenen 
Vortrage. 

2 ) Bier, in Festschrift für F. v. Es mar eh. Kiel und Leipzig 189:5. 

*) cfr. Verhandlungen des Kongresses für innere Medicin 1897. S. 84 und besonders 189*. 
S. 562. Demonstration. 

4 ) 1. c. und Münchener medicin. Wochenschr. 1809. S. 1599 u. f. 

b ) cfr. Mendelsohn, Ueber Ileissluftbehandlung etc. Zeitschrift für diätetische und physika¬ 
lische Therapie 1898. Bd. 1 und Therapeutische Verwendung hoher Temperaturen. Verhandlungen 
des Kongresses für innere Medicin 1898. — Ott, Der chronische Gelenkrheumatismus, ibid. 1897. 

- S. Salaghi, Ueber die neuen Methoden für die örtliche Anwendung der Wärme. Zeitschrift für 
diätetische und physikalische Therapie 1899. Bd. 3. 

6 ) Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. No. 5. 

7 ) F. K rause, Die örtliche Anwendung überhitzter Luft. Münchener medicin. Wochenschr. 1898 


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lieber Hcissluftapparatc und Ileissluftbehandlung. 105 

heissen Luft auf das eingelegte Glied zu verhindern. Eine zweite, etwas engere in 
der Decke steckende Messingröhre dient als Abzugsrohr (Ab); nahe dem letzteren 
befindet sich ein 200 theiliges Thermometer (T), welches die im Apparate herrschende 
Temperatur der Luft anzeigen soll. Letztere lässt sich darnach leicht auf 150 und 
200 0 C erwärmen; die Apparate sind verschieden gebaut, je nach ihrer Bestimmung 
zur Behandlung von Hand, Fuss, Knie, Schulter u. s. w. 

»Wir beginnen«, sagt Krause, »mit verhältnissmässig niederen Temperatur¬ 
graden, um erst die Empfindlichkeit der betreffenden Kranken zu prüfen, d. h. im 
allgemeinen mit 70—80°, steigen aber sehr bald, wenn diese Grade vertragen werden, 
auf 100, 120, ja bis 185, bis 144®. Einzelne Kranke vertragen nicht mehr als 80°, 
die meisten über 100°, viele 120®, einzelne bis 144«, nota bene täglch ein- bis zwei¬ 
mal eine Stunde. Auch Prof. Bier verwendet in seinen Kästen heisse Luft von 
eventuell 150«, nachdem er zu Beginn seiner bekannten Untersuchungen nur 70—100® 
allerdings damals für 8—10 Stunden täglich hatte einwirken lassen. 

Gleichfalls bis zu 150® wie im Tallerman, wird bei Frey die Temperatur 
gesteigert, doch bei Frey nur, um sie über eng umschriebene Hautstellen streichen 
zu lassen; nach Art der in Aix les Bains gebräuchlichen Massage unter der heissen 
Thermaldouche, als Mittel »zur Massage unter der heissen Luftdouche«. 

In diesen und ähnlichen, beiläufig auch elektrisch zu erwärmenden Apparaten 
soll es also, thermometrisch nachgewiesenermaassen, ohne weiteres gelingen, die 
mehr minder gut ventilierte Innenluft gleichmässig so hoch zu erhitzen bezw. die 
Strömung, Strahlung oder Führung der heissen Luft beliebig abzulenken und sie 
auf den eingehängten Gliedabschnitt zu dirigieren. Es gelänge weiter, wie gesagt, 
jene hoch erhitzte Luft stundenlang hintereinander therapeutisch auszunutzen. Zur 
Erklärung wie zum Verständniss besonders dieser letzteren Thatsache meinen die 
Autoren an diese und jene, scheinbar bezügliche physikalische oder physiologische 
Lehre erinnern zu dürfen, wie z. B., dass die Wärmekapazität der Luft um 25 mal 
geringer sei als die des Wassers; 25 mal mehr Wärmeeinheiten beanspruche als 
Wasser, um mit ihm gleich erwärmt zu werden; daher 25 mal mehr Wärmemengen 
von unserem Körper in sich aufzunehmen im Stande sei als (bis Wasser (Roth). 1 ) 

Oder: »bekanntlich« sei der menschlische Organismus mit Schutzvorrichtungen 
gegenüber krassen Temperatureinflüssen ausgestattet; mit jener bewunderungswerthen 
Anpassungsfähigkeit, die es ihm gestattet, sich für die Kälte des Nordens wie für 
die sengende Gluth der Tropen dauernd einzurichten; mit Schutzwehren an der 
Haut, die es ermöglichen, vorübergehend die Hand in geschmolzenes Blei zu tauchen 
und »innerhalb eines Backofens sich einer Temperatur auszusetzen, welche den Siede¬ 
punkt des Wassers bedeutend übersteigt«. Und »bekanntlich« ist letzteres von einem 
französischen Chirurgen, von Clado sogar ins Praktische zu übertragen mit Erfolg 
versucht worden, indem er mit einer dünnen Watteschicht bedeckte, tuberkulös er¬ 
krankte Gliedabschnitte für ein bis zwei Stunden täglich in einen aus heissen Ziegeln 
erbauten Backofen brachte, dessen Innentemperatur 180® C betrug -). 

Darnach hätte es allerdings den Anschein, als ob die Toleranz gegen heisse 
Luft an der menschlichen Hautdecke eine den Mittheilungen entsprechende, enorm 
hohe sei. Indess vermag ich die herangezogenen Beispiele nicht als ausreichend er¬ 
klärlich, vollends nicht als beweiskräftige anzusehen; nicht anders die Methode 
der Temperaturbestimmung für die therapeutisch verwandte heisse Luft sammt den 

i) Dr. M. Roth, lieber Heissluftbeliandlung. Wiener med. Wochenschr. 1900. 

*) cfr. Bier, 1. c. 


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106 Julias Schreiber 


Folgerungen, welche man aus diesen Bestimmungen meinte ableiten zu dürfen. Mit 
welchem Rechte, mögen die nachfolgend mitzutheilenden Prüfungen und Erörte¬ 
rungen zeigen. 

Zu diesem Zwecke denke man sich, wie in Fig. 7, in den für den Fuss be¬ 
stimmten Krause’schen Heissluftapparat den Fuss eines Mannes eingehängt, um mit 
•JO 0 heisser Luft behandelt zu werden. Ausser Thermometer T sind aber vor Beginn 
der Prozedur in das Innere des Apparates noch fünf andere, kleine Maximalthermo¬ 
meter eingehängt worden; bei a = zwischen hinterer Wand und grosser Zehe; bei 
b = zwischen Astbestschirm As und plantapedis; bei c = nahe dem Fussgelenke; bei 
d = unterhalb der Hacke; bei e = über dem untern Dritttheil des Unterschenkels. 

Nach einer Stunde wird die gemäss T auf 90° getriebene Ueberhitzung unter¬ 
brochen. 

Alsdann zeigen die Innenthermometer a, b, c, d, e Temperaturgrade an, wie sie 

den betreffenden Buchstaben im 
Schema beigefügt sind 1 ). 

Berücksichtigen wir einst¬ 
weilen b, c, d, e, so erwies sich bei 
90» Temperaturanzeige des Appa¬ 
ratthermometers T die Innentempe¬ 
ratur bei b auf 63», bei c auf 
58°, bei d auf 39«, bei e auf 48° 
erwärmt. Das Ergebniss würde 
also lauten, die Temperatur im 
Innern des Apparates weicht in¬ 
tensiv wie extensiv in überraschen¬ 
der Weise ab von den Anzeigen 
des Apparatthermometers, oder: 
die Schweissverdunstung des ein¬ 
geschlossenen Gliedabschnittes ist eine enorme und örtlich so wechselnde, dass durch 
sie eine Abkühlung nicht nur unmittelbar der Haut, sondern centimeterweit darüber 
hinaus der umgebenden Luftschichten herbeigeführt wird; eine Abkühlung, welche 
nahe derFusssohle und dem Gelenke ca. 33, nahe der Hacke und dem Unterschenkel 
über 50°/o der zugeführten Wärme betragen würde; an der Hacke, auch wohl 
schon an der Rückentläche des Unterschenkels einen Grad erreicht’hätte, welcher 
die Wirkung eines heissen Luftbades kaum noch erwarten Hesse. Keine Frage, so 
können die Dinge unmöglich Zusammenhängen. Und dennoch erscheint es’erforderlich 
zu beweisen, dass die präsumtive Verdunstung es nicht ist, welche jene eigentüm¬ 
liche Temperaturvertheilung verursachte. 

Dieser Beweis, wenn es desselben also bedarf, ist anscheinend sehr leicht zu 
erbringen: wiederholt man nämlich dieselbe Temperaturmessung mit abgeschlossener 
Manschette M, jedoch ohne den Fuss einzuhängen, hat man demnach das abkühlungs¬ 
verdächtige Organ ausgeschaltet, so bekommt man, wie aus Fig. 8 2 ) ersichtlich, prin¬ 
zipiell genau dasselbe Resultat. Indessen, es lässt sich nicht leugnen, die Tempe- 

Bei Nachversuchen darf man nicht genau dieselben Zahlen erwarten; je nach Gross© und 
Stellung des Fusses sowie der Thermo m et er kommen geringe Abweichungen vor; die obigen Zahlen 
>ind die Durchschnittszahlen von drei Versuchen. 

2 ) Fig. 8 enthält gleichfalls die Durchschnittswerthe von drei Versuchen; nach */ 4 Stunden 
bis 1 Stunde dauernder Ueberhitzung. 



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Ueber Heissluftapparate und Heissluftbehandlung. 107 

raturen im allgemeinen sind jetzt relativ höhere als zuvor. Scheinbar besteht dem¬ 
nach ein gewisser, über die Körperhaut hinausragender, abkühlender Einfluss des 
eingehängten Gliedabschnittes. Aber nur scheinbar, wie folgender Versuch ergiebt: 
anstatt des lebendigen Fusses wird (cfr. Fig. 9) ein Gipsabguss desselben eingehängt 
und wie zuvor der Apparat in Thätigkeit gesetzt. Ersichtlich ändern sich alsdann 


Fig. 8. Fig. 9. 



die Temperaturen im Sinne des durch Fig. 7 dargestellten Versuches. Und um dem 
Einwande zu begegnen, dass der tote Gipsfuss, weil er kühl ist, die umgebende 
Temperatur könne abgekühlt haben, wird derselbe (cfr. Fig. 10.) vor Beginn der 
Prüfung über Körpertemperatur erwärmt. Wie Fig. 10 zeigt, erhalten wir so aber¬ 
mals im wesentlichen dasselbe Resultat; obschon im Verlaufe von einer Stunde der 
Gipsfuss übermässig heiss geworden und 
höchstwahrscheinlich, wie bei b, die 
umgebenden Luftschichten durch Strah¬ 
lung beeinflussen konnte. 

Sonach halte ich es für ausge¬ 
schlossen, dass die in Fig.7 eingetragenen 
Temperaturen durch Abkühlung seitens 
des eingehängten Gliedabschnittes zu 
Stande gekommen seien. 

Steigert man weiterhin die ein¬ 
strömende Lufthitze, ohne den Fuss 
einzuhängen, auf 150°, 160° dem Ap¬ 
paratthermometer T nach, so ändert 
dies an dem vorigen Ergebnisse prin¬ 
zipiell nichts. Zwar erhebt sich als¬ 
dann die Temperatur im Innenraum, aber in verschiedenen Schichten desselben bleibt 
sie gegen T um 50 bis 60 bis 70° zurück. 

Aehnliches in dem für die Hand bestimmten, an sich viel kleineren Apparate; 
von der Decke bis zum Boden in Abständen von 1 — 1,5 cm gemessen, findet man 
91«, 86«, 72«, 62®, während der Apparatthermometer T auf eine Ueberhitzung des 
Innenraums von 195« hinweist. Ja, schon die Richtung der Quecksilberkugel eines 

■) i/s Stunde. 


Fig. 10. 



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108 


Julius Schreiber 


horizontal eingelegten, kaum 8 cm langen Maximalthermometers nach vorn oder 
hinten zu kann 10° betragen. 

So wenig gleichen sich die Wärmeströme in diesen Apparaten aus und so über¬ 
raschend weit differieren ihre Temperaturen von denen des aus der Decke heraus¬ 
ragenden Apparatthermometers, welcher für das Vorgehen des Arztes bestimmend 
sein soll und für die Beurtheilung der Methode bisher, wie anzunehmen, bestimmend 
gewesen ist. 

Die Ursache für die hier angeführten, recht bemerkenswerthen Temperatur¬ 
verhältnisse liegt meines Erachtens in erster Reihe und hauptsächlich in den be¬ 
kannten Gesetzen der Wärmeverbreitung, hier der Wärmefortführung, der zufolge 
die Luft mit Zunahme ihrer Wärme sich ausdehnt und den oberen Raumschichten 
zustrebt; demnächst in dem Einfluss des vor die Einströmungsöffnung gestellten 
Asbestschirmes As Fig. 7 bis 10, welcher das unmittelbare Aufprallen der heissen 
Luft auf die Haut des eingehängten Gliedabschnittes verhindern soll; derselbe hemmt 

nämlich den anfänglich geradeaus ge¬ 
richteten Wärmestrom und zwingt ihn 
seitlich und aufwärts auszuweichen. Es 
lässt sich das leicht demonstrieren: 
hängt man, wie in Fig. 11 rings um 
die Einströmungsöffnung für die heisse 
Luft vier Maximalthermomcter a, b, 
c, d auf und erwärmt den an der Man¬ 
schette abgeschlossenen Apparat bis 
auf 100° das eine Mal, wie in A, ohne 
vorgestellten Astbestschirm, das andere 
Mal, wie in B, mit demselben, so kann 
man die abgeleukte Richtung des Heiss¬ 
luftstromes aus den in die Figuren A 
A Q und B eingetragenen Thermoilfeteran- 

zeigen direkt ablesen; im Falle B steigen 
ersichtlich die Temperaturen der seitlich vom Schirm gelegenen, in höherem Grade 
noch die der aufwärtigen Luftschichten; in seiner nächsten Umgebung wachsen 
letztere sogar über den vom Apparatthermometer T erreichten Hitzegrad erheblich 
hinaus. 

Und wie dieser Schirm auf den eintretenden Heissluftstrom an und in der 
Umgebung der hinteren Wand, ähnlich wirkt jeder im Innenraum des Apparates be- 
flndliche tote oder lebende Körper, wirkt spezieller der zur Behandlung darin befind¬ 
liche Gliedabschnitt auf die übrige Wärmeströmung, indem derselbe je nach Form 
und Grösse die Ausbreitung des Wärmestromes nacli den rückwärts gelegenen Körper- 
partieen und Luftschichten mehr minder vollkommen aufhält. 

A priori sollte man meinen, dass auch das Abzugsrohr Ab geeignet sein müsse, 
die Ungleichheit der Wärmeausbreitung zu vermehren, indem es den Wärmestrom 
dcckenwärts aspiriert. Es ist dies jedoch, wie die in Fig. 1‘2 eintragenen Zahlen x 
bei offener, y bei verschlossener Abzugsöffnung ergeben, durchaus nicht der Fall; 
das Wärmeverhältniss der einzelnen Luftschichten und ihre Differenzen gegen T bleiben 
in beiden Fällen die gleichen. 

Dahingegen ist der Einfluss des Abzugsrohrs ein sehr grosser auf die Intensität, 
die Erzeugung höherer Wärmegrade und ihre Beständigkeit: verschliesst man nämlich 


Fig. 11. 



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Ueber Heissluftapparate und Heissluftbehandlung. 109 

die für Ab in der Decke befindliche Oeffnung luftdicht, so nimmt die Wärmeentwicke¬ 
lung im Innern der Apparate rapide ab, derartig, dass sie kaum noch als Heissluft¬ 
apparate anzusehen wären; nur langsam gelingt es alsdann den Fussaparat auf 70 
bis 80°, den für die Hand auf 50—60° zu erwärmen, gegen 150 — 200° bei freiem 
Abzugsrohr. Es nützt nichts, dass man die untergestellte Spiritusflamme vergrössert, 
oder sie der unteren Oeffnung R des zu¬ 
führenden Schornsteins nähert. Im Gegen- 
theil: mit letzterem — davon kann man sich 
an dem Handapparat besonders leicht über¬ 
zeugen — beginnt die Flamme unruhiger zu 
brennen, zu flackern, sich abzuplatten, zu 
verlöschen; zugleich wird das Spiritüs- 
gefäss der Lampe heiss bis zum Zerspringen. 

Es beruht der geschilderte Vorgang 
offenbar auf der Expansion der in den 
Apparaten auf 50 — 80° erhitzten Luft, 
welche die nachrückenden wärmeren Luft¬ 
schichten zwingt, durch das zuführende 
Rohr R abzuströmen. 

Dieser Vorgang entwickelt sich im 
ganzen langsam und mit der Zeit, im Hand¬ 
apparat oft schon nach 20—25 Minuten, führt er sogar trotz anhaltend grosser Flamme 
zu einer mehr minder starken Abkühlung der Innentemperatur. In der nachstehenden 
Tabelle findet sich dieses gegensätzliche Verhältniss zwischen offenem und geschlossenem 
Abzugsrohr zahlenmässig ausgedrückt. 


Fig. 12. 

T" 70 



y = bei geschlossenem Abzugsrohr 


Abzugsrohr geschlossen 


Zeit der 
Thermometer- 
ablesung 


Thermometerkugel 
befindet sich von 
der Decke entfernt 
cm 


n Celsius 


11.30 

5 

02 

11.40 

8 

40 

11.50 

10 

41 

12.- 

13 

38 

12.20 

13 

37 

12.25 

13 

, 37 

12.28 | 

10 

37 

12.35 

5 

55 


Abzugsrohr offen 

* Therraometerkugel 
Zeit der | im Innern des Appa- 

Thermometer- rates von der Decke 

o Celsius 

ablesung 

entfernt 



cm 


10.55 

5 

61 

11.06 

8 

;>3 

11 11 

10 

45 

11.14 

! 13 

30 

11.IS 

' 15 

35 

11.22 

13 

! 42 

l 1.25 

10 

! 46,5 

11.30 

5 

00 


Abzugsrohr geöffnet. 

1240 5 150 

12.4.1 15 72 


Abzugsrohr geschlossen 

1 1.3.1 5 38 

14.42 15 30 


Der voranstehende Tabelleninhalt bedarf zwar keiner weiteren Erörterung; aber 
darauf möchte ich dennoch kurz hinweisen, dass nach ihm in eigenartiger Beleuch¬ 
tung die Wirkung derjenigen Bestrebungen hervortreten, welche mit Oeffnen und 
Verschlüssen von Schiebern und Ventilen an Decke und Boden die Innentemperatur 
ihrer Apparate zu »regulieren« versuchen. In dieser Beziehung ist besonders der 


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Julius Schreiber 


110 


rapide Umschlag im Auge zu behalten, mit welchem die unter Verschluss von Ab 
im Verlaufe von einer Stunde um 7® abgekühlte Innentemperatur nach Eröffnung 
des Abzugsrohrs in kaum fünf Minuten von 55° auf 150«, d. h. um fast 100° em- 
porschiesst. 

Es würde zu weit führen, noch tiefer in das Detail meiner Untersuchungen 
einzutreten oder deren Bedeutung für die in Betracht kommenden Apparate (event. 
auch für den Tallerman’sehen) ausführlicher zu entwickeln. 

Das Mitgetheilte reicht aus, erkennen zu lassen, dass und warum die Tempera¬ 
turen im Innern der Apparate so ungleichmässig verbreitet sind, und dass der 
Apparatthermometer, welcher mit seiner Quecksilberkugel in den Deckenwärmestrom 
eintaucht, der Regel nach erheblich höhere Temperaturgrade anzeigen muss als in 
den mittleren und niederen Schichten, wo die zur Behandlung eingehängten Körper- 
theile vorwiegend lagern. Mit anderen Worten: der in der Decke steckende Apparat¬ 
thermometer ist kein Indikator für die im Innern herrschende bezw. therapeutisch 
verwendete Wärmeintensität und also: insoweit die Behauptung von der 
Toleranz gegen Temperaturen von 100 und 150« auf solchen Ab¬ 
lesungen am Apparatthermometer beruht, kann ich dieselbe als 
bewiesen einstweilen nicht gelten lassen; nicht die hohe Toleranz an 
sich, noch auch ihre individuellen Schwankungen. 

Denn da der Apparatthermometer als Deckenluftscbichtenmesser allemal relativ 
höhere Werthe anzeigt, so kann die anscheinend und angeblich bei 100 und 150° 
stattgehabte und gut ertragene Behandlung in Wirklichkeit bei viel niederen Graden 
z. B. bei 60 oder 70« vorgenommen, die Toleranz wesentlich überschätzt worden sein. 

Und umgekehrt: Aus Fig. 7 bis 10 und besonders deutlich aus Fig. 11 bis 12 ist 
ersichtlich, dass einzelne Luftschichten im Innern des Apparates z. B. in der Nähe 
von a noch heisser sein können als diejenigen, bis zu welcher die Quecksilberkugel 
des Apparatthermometers der Regel nach hinabreicht; würde nun ein Theil der zur 
Behandlung eingehängten Extremität von dieser heisseren Luftschicht (nicht von 
der Quecksilberkugel, wie manche fürchten) getroffen, die empfundene Hitze als un¬ 
erträglich bezeichnet werden, so würde dem Apparatthermometer nach geurtheilt 
werden, 90 bis 100 0 habe der Kranke nicht ertragen, während er in Wirklichkeit 
99, 104 bezw. 124® nicht ertrug. 

Ebenso hinsichtlich der beobachteten Erfolge und Misserfolge: bei 100® nach 
T erreichte Erfolge könnten auf Wirkungen von 70 und 60«, bei 100 und 150® be¬ 
obachtete Misserfolge auf in Wirklichkeit viel zu niedrigen 38—48 ® Ueberhitzungen (?) 
der erkrankten Gliedpartieen beruhen. 

Wie oft oder wie weit derlei für die in der Litteratur berichteten Fälle in 
Betracht zu ziehen sind, entzieht sich meiner Beurtheilung selbstverständlich ganz und 
gar; jedoch bin ich davon entfernt, hiermit etwa die vielseitig gerühmten Heilerfolge 
als solche irgendwie anzweifeln zu wollen. 

Wohl aber meine ich auf Grund der vorangestellten Untersuchungen feststellen 
zu dürfen, dass einstweilen es noch an Beweisen fehle, sowohl für 
die vorausgesetzte Leistungsfähigkeit der Apparate als für die Be¬ 
hauptung, die Beschaffenheit der menschlichen Körperbedeckung 
gestatte im allgemeinen in grösserer Ausdehnung und für die Dauer 
von Stunden die Einwirkung so hoher Ueberhitzung als sie instru- 
mentell angestrebt und therapeutisch vermeintlich versucht wor¬ 
den ist. 


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Ueber Heiesluftapparate und fteisslaftbehandlung. 


111 


Dieser Schlussfolgerung scheinen indessen, wie ich zugeben muss, einige An¬ 
gaben in der Litteratur zu widersprechen. Dieselben beziehen sich indessen nicht 
sowohl auf die von mir nachgewieseneüngleichmässigkeit der Wärme¬ 
verbreitung im Innern der Apparate als vielmehr auf die therapeutisch zur 
Wirksamkeit gelangte Hitzehöhe und bezw. die Toleranz. Hierauf muss ich daher 
noch etwas näher eingehen. 

Wir wissen jetzt, dass und wieviel von der jeweiligen Stellung des Apparat¬ 
thermometers für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage abhängt. Es wäre 
daher werthvoll gewesen, genauere Angaben zu besitzen, welche hätten erkennen 
lassen, bis zu welcher Tiefe die Thermometer in praxi eingelassen wurden. Aus ge¬ 
legentlichen Mittheilungen über Gradablesungen, den veröffentlichten Abbildungen, 
dem Fehlen eines Hinweises auf etwa besonders lang ausgezogene oder eigens kon¬ 
struierte Thermometer konnte man meines Erachtens nur erschliessen, und habe ich 
angenommen, dass es die Regel bildete, die den Apparaten im Handel beigegebenen 
200gradigen Thermometer (Krause) etwa 5 —6 cm durch die Decke zu führen. 
Salaghi giebt indessen an, dass bei dem Tallerman’schen Apparate das Thermo¬ 
meter »bis zur genügenden Tiefe eingelassen« werde, hierbei also möglicherweise 
eine Messung derjenigen Luftschichten erfolgt sei und zu erfolgen pflege, in welchen 
die zur Behandlung eingelagerten Körpertheile eben sich befinden. 

Diese Annahme ist jedoch, näher betrachtet, unwahrscheinlich. Denn nach der 
von Salaghi seiner Arbeit beigefügten Zeichnung befindet sich der Apparatthermo¬ 
meter am Tallerman in der Decke nahe der hinteren Wand und nahe dem als 
Luftabzug dienenden Ventile, an einer Stelle, wo, wenigstens nach den voranstehenden 
Untersuchungen zu schliessen, selbst in mittlerer Luftschicht die Quecksilberkugel 
höher sich erwärmen kann, als die weiter rückwärts gelegene Extremität. 

Dann aber besonders in Berücksichtigung der folgenden Beobachtung M. Mendel- 
sohn’s, welche derselbe freilich in anderem Sinne meinte verwerthen zu dürfen. Um 
nämlich den »Ausgleich der kolossalen Temperaturdifferenz zwischen Körperoberfläche 
und umgebender Luft an der Hautoberfläche« im Tallerman’schen Apparate zu 
beweisen, liess er ein Thermometer mit der Quecksilberkugel zwischen den Fingern 
darin halten, und er fand so bei einer vermeintlichen Apparat-Innentemperatur von 
120° und selbst von 140° nach Stunden »nur unbedeutende Steigerungen, deren 
höchste 38,7, wobei noch die unmittelbare Einwirkung der sehr heissen Luft auf die 
frei im Innern des Apparates befindliche Quecksilbersäule in Anrechnung gebracht 
werden muss«. 

Der Ausführung Mendel sohn’s mussich in mehrerem widersprechen: erstens 
darin, dass »die heisse Luft auf die frei im Innern des Apparates befindliche Queck- 
silbersäule« einwirkte, noch einzuwirken vermöge. Hält man ein Thermometer 
über eine Spiritusflamme derart, dass die Quecksilberkugel zwischen den Fingern 
vor der unmittelbaren Berührung der Flamme geschützt ist, so kann der übrige 
Theil des Thermometerglases glühend erhitzt werden, ohne dass die Quecksilber¬ 
säule auch nur um 0,1 sich erhebt; eher reisst so ein Stückchen des Quecksilber¬ 
fadens ab und zerspringt in der Röhre, als dass die Säule als ganzes steigt. Zweitens 
darin, dass mit der zwischen den Fingern gehaltenen Quecksilberkugel der Temperatur¬ 
ausgleich oder die Temperatur an »der Hautoberfläche« gemessen werde; denn die 
so gehaltene Quecksilberkugel bleibt aus Gründen, die ich zuvor gelegentlich der 
Schirmwirkung auseinandergesetzt habe, dem direkten Einflüsse der heissen Luft 
nahezu vollkommen entzogen. Demgemäss habe ich schon unter gröberer Messweise, 


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112 


nämlich in einer rasch gebildeten Hautfalte, in welche ich nach 5 bis 15minutiger 
Applikation von schwach bewegter 130 und 95 gradiger Luft ein gewöhnliches Fieber¬ 
thermometer für einige Minuten einsteckte, an der Rücken- bezw. Halshautoberfläche 
wiederholt 40,5 und bezw. 41 ® gefunden. 

Endlich auch darin: der frei aus den Fingern herausragende Theil des Thermo¬ 
meters in einer Luft von 140° wird früher oder später, sicher im Verlaufe von 
Stunden die Temperatur der umgebenden Luft annehmen müssen und dies rückwärts 
bis zur Berührungsstelle der Fingerkuppen mit dem Thermometer. Kurz gesagt, das 
frei herausragende Thermometerglas muss nach einiger Zeit auch 140° heiss werden. 
Mag nun die Körperhaut gegen heisse Luft, vorübergehend sogar gegen geschmolzenes 
Blei sich zu schützen wissen, gegen 140° heissesGlas in stundenlanger Berührung 
ist sie nicht geschützt und normalerweise nicht unempfindlich. Mendelsohn’s Kranke 
hätten sich daher an den Berührungspunkten der Fingerkuppen mindestens schmerz¬ 
haft berührt fühlen müssen, falls in seinen Beobachtungsfällen die umgebende Luft 
wirklich 140®, ja falls sie auch nur erheblich weniger betragen haben würde. Ich 
gehe demnach wohl kaum fehl, wenn ich einerseits auch bezüglich des Taller- 
man die volle Uebereinstimmung seiner Innentemperatur mit den An¬ 
zeigen des Apparatthermometers einstweilen bezweifele') und andrer¬ 
seits der von Salaghi angemerkten Thermometerstellung jedenfalls keine sonder¬ 
liche Bedeutung beimesse. 

Von grösserer Bedeutung scheint dagegen die Angabe Clado’s zu sein, dass 
er zwischen Haut und bedeckender Watteschicht 110®*) gemessen habe und von 
Frey, dass die dem Gummischlauch seines Apparates entströmende Luft, mit welcher 
die Haut umkreist werde, annähernd die Höhe des Apparatthermometers, gegebenen¬ 
falls also 150» betrage. Indessen ist aus den Referaten der Untersuchungen von 
Verneuill und Clado nicht ersichtlich, ob jene 110® von allen Kranken oder nur 
von einzelnen, ob sie stundenlang oder nur vorübergehend ertragen wurden. Ueber- 
dies war Clado’s Ofen nur aus erwärmten Ziegeln aufgerichtet, »wie von den 
Kindern mit Dominosteinen erbaut« und mit Weissblech bedeckt, welches ihn vor 
Abkühlung schützen sollte. Ob diese Vorrichtung ausgereicht haben mag, die Innen¬ 
temperatur des Ofens stundenlang auf gleicher Höhe zu erhalten? 

Und endlich die Angabe Frey’s; sie kann vollends hier nicht sonderlich ins 
Gewicht fallen, da Frey die heisse Luft allemal nur für 5—10 Minuten und nur 
in 10 cm Entfernung von der Haut appliziert, wodurch aller Wahrscheinlichkeit nach 
dieselbe noch eine nicht unerhebliche Abkühlung erfährt. 

So dürfte denn die Frage nach der Toleranz des menschlichen Körpers gegen 
stundenlang einwirkende, 100 — 150® heisse Luft nur gegen die kurze Angabe 
Clado’s als eine einstweilen noch offene zu bezeichnen sein. 

Hiermit will ich nicht gesagt haben, dass ich dieselbe für ausgeschlossen halte. 
Uebung und Gewohnheit, gewisse günstige physikalische und physiologische Be¬ 
dingungen, bestimmte Körperstellen mögen jene Toleranz erweisbar machen. Dass 

') Offenbar mit Recht, wie aus der in No. (5 der Berliner klinischen Wochenschrift 1001 er¬ 
schienenen Abhandlung i>Der Tnllerman’schc Apparat« von Dr. F. Neumann bereits hervorgeht. 
Indessen wären solche Messungen im Tallerman nach der Art der von mir mitgethcilten zu wieder¬ 
holen und je nach den Ventilstellungen zu variiren. Anmerkung während der Korrektur. 

*) nach Bier cfr. 1. c. In dem französischen Referate, das mir zugänglich gewesen: Revue 
de Chirurgie 1801. S. 804 (aus Congres pour l’etude de la tuhcrculosc IWI. Kef. L. II. Petiti finde 
ich keine darauf bezügliche Angabe. 


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Ueber Heissluftapparate und Heissluftbebandlung. 113 

sie bereits erwiesen wäre, in der Allgemeinheit erwiesen wäre, in welcher sie den 
Litteraturberichten nach erscheint, dies ist es, was ich auf Grund meiner voranstehend 
mitgetheilten Untersuchungen glaubte in Zweifel ziehen zu dürfen und zu sollen. 

Es liegt nicht in meiner Absicht, meine persönlichen Erfahrungen über die 
fragliche Toleranz hier eingehender zu besprechen. Nur die Bemerkung möchte ich 
mir gestatten, dass ich eine gewisse Vorsicht bei den Heilversuchen mit so hohen 
Lufttemperaturen durchaus am Platze halte. Denn ich habe z. B. bei einem er¬ 
wachsenen Manne, welcher bereits 14 Tage mit örtlich beschränkter heisser Luft 
behandelt wurde und hohe Hitzegrade zu »ertragen« schien, nach 120—130° an 
der hinteren Thoraxwand wiederholt Brandblasen, bei einem 18jährigen Mädchen 
nach 95 ° an der Halshaut eine tiefergreifende Kombustion sich entwickeln sehen ’). 

Und überdies: wozu die Applikation so extrem heisser Luft? Es mag nicht 
ohne Interesse sein, diese Frage hier noch kurz zu diskutieren; denn die Vorstellungen, 
welche der Anwendung überhitzter Luft zu Grunde liegen, divergieren in viel¬ 
leicht prinzipiellen Punkten. So wollte Clado dieselbe ohne weiteres in die 
Tiefe der erkrankten Glieder führen! Bier mit ihrer Hilfe lokale kongestive 
Hyperämie, Büchner örtlich lebhafteren Blutwechsel erzeugen, um die im Blute 
kreisenden proteolytischen Enzyme mit ihren bakteriziden, gewebsschmelzenden, resor¬ 
bierenden Kräften um den Krankheitsheerd zu sammeln und hier zweckmässigst aus¬ 
zunutzen; andere, um Schweissausbruch, Hyperhidrosis hervorzurufen, welche »mit 
der gesteigerten Hauttemperatur und mit der reichlichen Blutdurchströmung des 
Hautorgans parallel« gehe u. s. w. 

Hyperhidrosis oder, bezw. und Hyperämie wären demnach in Kürze die Ziele 
für die lokale Heissluftbehandlung; wobei in Absicht auf Hyperhidrosis als vermeint¬ 
liche Folge länger dauernder Hyperämie die höheren Ueberhitzungsgrade in An¬ 
wendung zu bringen wären, da die Hyperämie zweifellos mit den höheren Uebcr- 
hitzungen zunimmt. 

Ich will nicht entscheiden, ob diese beiden Ziele therapeutisch von gleichem 
Werthe seien, oder nicht; wohl aber möchte ich darauf hinzuweisen mir erlauben, 
dass ein solcher Entscheid vielleicht nicht fruchtlos sich erweisen würde; ich halte 
es wenigstens nicht für ausgeschlossen, dass man dahin gelangen könnte, für manche 
Fälle der Behandlung die Hyperämie, für andere die Hyperhidrosis geeigneter zu er¬ 
kennen u. s. w. 

Deshalb erscheint es mir nicht überflüssig festzuslellen, dass Hyperämie und 
Hyperhidrosis weder allgemein noch speziell gegenüber der lokalen IJeberhitzung in 
dem Abhängigkeitsverhältnisse von Ursache und Wirkung zu einander sich befinden, 
in welchem sie von manchen offenbar gehalten werden. 

Hyperhidrosis und Hyperämie sind vielmehr beide in ganz gleicher Weise ab¬ 
hängig von dem Reize, den die heisse Luft in dem einen Falle auf die Schweiss- 
drüsennervenapparate, in dem anderen auf die Vasodilatatoren direkt ausübt. Aller¬ 
dings steht fest, dass Hyperämie die Hidrosis zu befördern vermag; aber sie ist 
nicht der Hidrosis conditio sine qua non. 

Demgemäss beobachtet man auch hier oft reichlichen, anhaltenden Schwciss 
längst vor jeder sichtbaren stärkeren Hyperämie. Und tritt letztere hinzu, so wächst 

i) Die Hautoberfläche mass in diesen beiden Fällen 40 ,r>o und bezw. 41,0»; gemessen in 
einer nach Sistieren der lleissluftapplikation rasch gebildeten llautfalte; vergl. oben. 

ZeiUchr. f. diät. u. phyaik. Therapie Bd. V. Heft 2. g 


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114 


Julius Schreiber 


die Schweisssekretion zunächst, kann sie wenigstens zunächst noch zunehmen: gra- 
datim geschieht dies jedenfalls nicht. Im Gegentheil findet man oft genug mit 
wachsender Hyperämie Verminderung des sichtbaren Schweissergusses, mit hoch¬ 
gradiger Hyperämie nicht selten vollständiges Verschwinden desselben. 

Die Haut ist alsdann roth, glänzend, aber trocken und glatt, wie poliert 
Unterbricht man die Einwirkung der heissen Luft für kurze Zeit und öfter, so be¬ 
fördert dies gelegentlich die Sekretion auch dann, wenn stärkere Hyperämie bereits 
vorhanden gewesen ist. 

Die Schweisssekretion wird im allgemeinen schon durch geringere Hitzegrade 
(45—50°) angeregt, durch 60—70 0 vermehrt; darüber hinaus nimmt sie oft ab, bei 
80 und 90 ° verschwindet sie nicht selten oder tritt gar nicht hervor, und dann eben 
fühlt sich die Haut glatt und trocken an. 

Offenbar folgen hier die Schweissdrüsennerven in ihren Innervationsäusserungen 
dem von der Hydriatrie 1 ) längst acceptierten und in praxi berücksichtigten physio¬ 
logischen Gesetze von den Nervenerregungen im allgemeinen, das sich bekanntlich 
je nach Reizgrösse und Dauer als Erregung, Uebererregung, Ermüdung, Lähmung 
und bezw. Erholung derselben manifestiert. 

Dies allein, wenn meine Beobachtung richtig ist, würde genügen, von extremen 
Ueberhitzungen Abstand nehmen zu lassen, jedenfalls wenn es gälte, Schweiss¬ 
ausbruch zu erzeugen und zu unterhalten. 

Ueberdies ist meines Wissens der Beweis noch nicht erbracht, dass die mit 
wachsender Hyperämie einhergehende Trockenheit der Haut der Ausdruck von Ver¬ 
dunstung reichlicher ergossenen Schweisses sei, nicht einmal der, dass so auch 
nur eben so kräftig geschwitzt werde als bei mittleren Hitzegraden und geringerer 
Hyperämie. 

Ueberhaupt: wie will man entscheiden, ob die vielseitig beobachtete Trocken¬ 
heit der Haut im gegebenen Falle raschere Verdunstung reichlichen Schweisses, 
oder die Folge noch zu geringer Erregung der Schweissdrüsennerven, zu geringer 
Dosierung des Reizmittels, ausgesprochener Reaktionsunfähigkeit des entsprechenden 
Nervenapparates bedeute? 

Wie dem nun sei, sicher ist, dass das therapeutische Optimum für die sicht¬ 
bar e Schweisssekretion im allgemeinen bei den mittleren Graden trockener Ueber- 
hitzung gelegen ist, und dass dieses Stadium sichtbaren Schwitzens unter allen 
Umständen als das Stadium verhältnissmässig guten Schwitzens angesehen werden 
darf, nämlich als dasjenige Stadium, in welchem die Haut durch den reichlichen 
Schweissvorrath vor Verbrühung besser geschützt wird, und welches von den Kranken 
als das Wohligere, Angenehmere der Kur ausnahmslos bezeichnet wird. 

Für die lokale Schweisserregung scheint demnach kein Interesse vorzuliegen, 
die Leistungsfähigkeit der Heissluftapparate zu 150® und darüber zu steigern, noch 
auch eine Veranlassung, solche Temperaturen therapeutisch zu versuchen. 

Und in Bezug auf lokale Hyperämie? 

Wie bereits bemerkt, erfolgt dieselbe dem Anscheine nach oft später als die 
Schweisssekretion. Die die Gefässerweiterung bedingenden Vorgänge, »Erschlaffung 
und Ausdehnung der Haut .. ., verminderte Spannung und Nachlassen des Druckes 
auf die Hautgefässe«, direkter wohl die Vasodilatatoren, bedürfen offenbar einer 


>) Vergl. Wint ernitz’ Hydrotherapie im Handbuch der allgemeinen Therapie von Zieinssen 
1881. Bd. 2. Theil a. 


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Ueber Heissluftapparate und Heissluftbehandlung. 115 

längeren Einwirkung des in Rede stehenden Irritamentes oder einer stärkeren Do¬ 
sierung desselben. 

Auch dadurch unterscheiden sich Schweisssekretion und Gefässerweiterung, dass 
letztere mit zunehmender Ueberhitzung sichtbar stetig sich vermehrt. Je höher die 
umgebende Lufttemperatur, um so tiefer und um so nachhaltiger erscheint die Rö- 
thung, wächst sie gradatim als aktive, kongestive Hyperämie bis zu jenen maxi¬ 
malen Dosen, mit welchen die Gefahren der Verbrühung unmittelbar verknüpft sind. 

Lässt sich demnach die Hyperämie sichtbar so ad maximum hinaufführen, so 
dürfte es sich dennoch nicht empfehlen, sie praktisch erreichen zu wollen, selbst, 
wenn ihre Indikation begründeter, sehr viel bestimmter festgestellt wäre, als dies 
einstweilen noch der Fall ist; deshalb nicht, weil eben zu ihrer Erzeugung Luft¬ 
temperaturen erforderlich sind, unter deren Einfluss der Schweissvorrath zurück¬ 
tritt, die Haut demnach auf ihr Strahlungs- und schlechtes Leitungsvermögen als auf 
Reserven angewiesen bliebe, welche auf die Dauer vielleicht nicht genügend gegen 
den ungeschwächten Anprall der brennenden Hitze Stand halten würden. 

Endlich auch deshalb nicht, weil es zwar mit diesem oder mit jenem Apparate 
erreichbar sein möchte, den Heissluftstrom wie die konsekutive Hyperämie auf einen 
bestimmten Körperabschnitt einigermaassen vollkommen zu lokalisieren, niemals aber 
die mit der Ueberhitzung verbundenen, auf Fortleitung oder auf Reflex beruhenden 
Fernwirkungen gänzlich auszuschliessen. 

Die lokal applizierte überhitzte Luft wirkt, wie verwandte hydriatische Pro¬ 
zeduren, über die Applikationsstelle weiter hinaus; so bricht am Rumpf, am Kopfe, 
selbst am ganzen Körper reichlicher Schweiss aus, während z. B. nur die Hand, der 
Fass der Heissluftwirkung ausgesetzt sind, oder es treten Herzklopfen, Unruhe, Syn¬ 
kope hinzu. 

Mag derlei keineswegs immer besonders schädlich sein; hie und da erschwert 
es die Fortsetzung der Behandlung oder kompliziert dieselbe in unerwünschtem 
firade. Und also: auch in Absicht auf Hyperämie wird es sich vielleicht zweck- 
massiger erweisen, von extremen Ueberhitzungen in praxi Abstand zu nehmen. 

Die in der vorliegenden Abhandlung mitgetheilten Beobachtungen, Prüfungen 
l'ntersuchungen sind, soweit sie die mechanisch - physikalische Seite derselben be¬ 
treffen, in und mit den Krause’schen Heissluftapparaten von mir angestellt und 
ansgeführt worden. Bei etwaigen Nachprüfungen wolle man nicht darauf rechnen, 
absolut übereinstimmende Zahlen zu erhalten, denn schon in ein und derselben Hand 
führen anscheinend übereinstimmende Beobachtungsbedingungen zu geringen Ab¬ 
weichungen; umsomehr zwischen verschiedenen Beobachtern. 

Die untersuchten Heissluftapparate sind keine Präzisionsapparate, zumal nicht 
der für den Fuss bestimmte. Bei Nachprüfungen über den Einfluss des Abzugsrohrs 
ist dies besonders im Auge zu behalten. Der Deckelspalt an diesem Apparate ist zwar 
verdeckt, aber nicht vollständig verschlossen; er lässt mannigfache Ritzen frei, welche 
als Abzugsrohre wirken können, wenn für ihre Verstopfung nicht ganz besonders 
gesorgt worden ist. Auch sonst können hierdurch Luftströmungen entstellen, welche 
die Temperaturvertheilung im Innern des Apparates in eigener Art beeinflussen; 
ich habe es für übrig gehalten, besondere Belege dafür zu erbringen. 

Die Resultate meiner Beobachtungen und Messungen an Kranken, soweit sie 
bemerkbar hervorgetreten, sind unter Anwendung verschiedener Heissluftapparate ge¬ 
wonnen worden, vorwiegend unter Anwendung eines von mir selbst, nach dem Prin¬ 
ts“' 


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116 


A. Schule 


zipe des Quincke’schen Schwitzbrettes konstruierten Apparates, dessen Beschreibung 
und Veröffentlichung beabsichtigt ist. 

Durch die vorliegenden Mittheilungen soll der praktische Werth der lokali¬ 
sierten Heissluftbehandlung keineswegs in Zweifel gezogen werden. Im Gegentheil: 
in jahrelanger Anwendung dieser Behandlungsmethode') bin ich je länger, je mehr 
von ihrem Nutzen überzeugt worden; zwar nicht in dem Umfange der vielfach be¬ 
richteten »überraschenden« oder »glänzenden« Heilerfolge, wohl aber mit der Er¬ 
kenntnis, dass das Anwendungsgebiet der Heissluftbehandlung die gewöhnlich ihr 
gesteckten Grenzen nicht unerheblich überragt. 

Umsomehr schien es mir angebracht, Prüfungen anzustellen, und, wie ich hoffe, 
Nachprüfungen anzuregen, die der Entwickelung der Methode von Nutzen sein möchten. 

In diesem Sinne mag auch der kurze Hinweis noch gestattet sein, dass es 
meines Erachtens zur Zeit nicht sowohl darauf ankomme, Apparate zu konstruieren, 
welche, scheinbar oder wirklich, maximale Ueberhitzungen gestatten und solche an¬ 
zuwenden, als vielmehr zu grösserer Gleichmässigkeit ihrer lokalen Verbreitung und 
Wirkung, sowie zu festeren Grenzen ihrer Dosierung für die von mir getrennten, in 
praxi vielleicht wirklich zu trennenden Indikationen ad hyperaemiam vel ad hyperi- 
drosin, zur Erkenntniss des Optimum, nicht des Maximum in dem einen wie in dem 
anderen der hier abgehandelten Punkte zu gelangen. 


ii r. 

Die Kostordnung auf der inneren Abtheilung des evangelischen 
Diakonissenhauses in Freiburg i. Br. 

Vou 

Oberarzt Prof. Dr. A. Schule. 

Bei der Eröffnung des Diakonissenhauses vor zwei Jahren haben wir vorgezogen, 
uns nicht an ein bestehendes Kostregulativ anderer Krankenanstalten zu binden, 
sondern es wurde der Speisezettel in allgemeinen Normen den Gepflogenheiten der 
hiesigen Bevölkerungsklasse entsprechend festgestellt; im übrigen warteten wir, indem 
wir annahmen, dass sich durch die Praxis des täglichen Betriebes eine gewisse defini¬ 
tive Norm mit der Zeit feststellen lassen würde. 

Wir haben dieses nicht schematische, mehr individualisierende Verhalten nicht 
zu bereuen gehabt. Unsere Resultate bezüglich der Ernährung der Kranken sind im 
allgemeinen vorzügliche, wie die Ergebnisse der wöchentlich einmal vorgenommenen 
Wägungen zeigen (Zunahme von 2—3 Pfund pro Woche ist keine Seltenheit). 

Im folgenden möchte ich nun in Kürze die auf der inneren Abtheilung ein¬ 
gebürgerte, theilweise von mir angegebene Kostordnung mittheilen: 


i) J. Schreiber, Berliner klinische Wochenschrift ltsöö. No. U7. Vortragsreferat. 


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Kostordnung auf der inneren Abtheilung des evang. Diahonissenhauses in Freiburg. 117 

In der I. Kost (Tag der Aufnahme, fiebernde oder unklare Fälle) erhält der 
Kranke ca. 460 ccm Suppe 1 ), 1250 ccm Magermilch = rund 960 Kalorieen. 

II. Kost (Uebergangsdiät). 

1250 g Magermilch, 260 g Milchreisbrei (Abends), 

460 g Suppe, 140 g Weissbrod, 

120 g gebratenes Kalbfleisch, 

rund 2030 Kalorieen. 


III. Kost (gewöhnliche Durchschnittskost). 


250 g Milchkakao, 
400 g Brodj 
500 g Milch, 


460 g Suppe, 

290 g Fleisch (gebraten), 
560 g Gemüse, 
etwa 2770 Kalorieen. 


Ferner haben wir die sogenannte »leichte« Kost für Rekonvalescente, Magen¬ 
darmkranke etc. eingeführt. 

In derselben erhält der Patient III. Klasse: 


460 g Suppe, 

750 g Milch, 

325 g Brod, 

100 g gebratenes Fleisch, 

rund 2500 resp. 


170 g Gemüse, 

260 g Milchbrei (Abends), 
500 g Milch, eventuell 
20 g Butter, 

2700 Kalorieen. 


Das Menu für die »leichte« Kost darf sich nur aus folgenden Speisen zusammen¬ 
setzen (dieses Verzeichniss hängt in der Hausküche): 


Kalbsbraten, 

Mittags: 

Fleisch: 

‘Geflügel, 

* Beefsteak, 

' Roastbeef, 

* Fisch, 

* Zunge, 

* Lümmel, 

* Brieschen, 

Geschabtes Fleisch 

Suppenfleisch, 

Hirnhachee, 

(angebraten). 

Schnitzel (unpanniert), Kalbfleisch (eingemacht), 


Kartoffelbrei, 

Gemüse: 

Nudeln, 

Spinat, 

Reisgemüse, 

Maccaroni, 

* Spargel. 

Reisbrei, 

Reis-, Gries-,Tapiokaauf lauf, 



Dessert (nur für I. und II. Klasse). 

* Apfelkompott, 

'Karlsbader Creme, 

'Omelette mit Eiweiss, 

’ Aprikosen, 

* Spanische, 

'Omelette souftee, 

'Eierpudding, 

* Suppennudelauflauf, 

’ Griespudding, 


'Biskuit. 


i) Sämmtliche oben vermerkten Zahlenangaben beziehen sich 

auf Messungen, resp. Wägungen 

der Gesammttagesmenge, 

welche unter unserer Kontrolle mehrfach von der Oberschwestor vor- 

genommen wurden. Die Zahlen geben das Mittel aus verschiedenen Wägungen an. 


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118 A. Schule, Kostnrdnung auf der inneren Abtheil, des» cvang. Diakonissenhanse? in Frcihurp. 


Abendessen: 

'Kalbfleisch (kalt), | 'Schnitzel (unpanniert), 

' Roher oder gekochter Schinken, | Reis-, Gries-, Tapiokabrei, 

Rühreier. 

Die mit ' versehenen Speisen werden nur an Patienten I. und II. Klasse ab¬ 
gegeben. 


Dies ist unsere Kostordnung, welche sich in den zwei Jahren des Betriebes, wie 
oben bemerkt, rechtj gut bewährt hat. 

Für besondere Fälle treten weitere Modifikationen ein. So bekommen z. B. 
Typhuskranke neben der Milch noch täglich Rahm und vier Eier, sodass wir ihnen 
durchschnittlich 1600 Kalorieen pro Tag beibringen können. 

Für die Zeit nach der Entfieberung halten wir uns ziemlich schematisch an 
die auch in verschiedenen Kliniken (z. B. in der Erb’sehen Klinik zu Heidelberg) 
beobachtete Regel, die ersten sechs Tage nach Schwinden des Fiebers nur flüssige 
Diät weiter zu geben. 


Am 7. fieberlosen Tag bekommt der Kranke 2 Zwieback, 

» 8. » » » » ■» 4 Zwieback, 

» 10. » » d » » zuerst Milchbrei, 

»12. » » » » » Kalbshirn, 

»14. » » » » » Kalbfleisch. 


An diesem Tage darf der Patient zum ersten Mal aufstehen, zuerst nur 
Stunde, dann täglich »/ 2 Stunde mehr. 

Zur Erleichterung der Speisevertheilung hängt in jeder Theekilche ein »schwarzes 
Brett«, auf welchem der Assistent die Diätzettel anzuschlagen hat, wie sie für be¬ 
stimmte Patienten, z. B. Magen- und Darmkranke festgesetzt werden; diese Diät¬ 
verordnungen kommen dann später in die Krankengeschichten. 

Zur Abmessung der Kostmenge dient den Schwestern im allgemeinen das Augen- 
maass, welches meist genügt, da immer dieselben Menageschüsseln (von bekanntem 
Inhalt) zur Verwendung kommen. 

Zur Abmessung. der Butterportionen habe ich kleine rechteckige Rahmen mit 
senkrechtem Griff anfertigen lassen, mit welchen man bestimmte Stücke aus dem 
Butterlaib herausschneiden kann, ähnlich wie es beim Teig für Gebäck geschieht. 
Ein solcher rechteckiger Würfel wiegt 10 g. 


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E. Eggebrecht, Ueber die Verwendung Blinder in der Massage. 110 


IV. 

Ueber die Verwendung Blinder in der Massage. 

Von 

Dr. E. Eggebrecht 

in Leipzig. 

Die Bestrebungen der Blindenerziehung und -fürsorge, wie sie sich in «len 
letzten Jahrzehnten herausgebildet haben, zielen immermehr darauf hin, den Blinden 
eine wirtschaftlich unabhängige Lebensstellung zu verschaffen. Diesen national¬ 
ökonomischen Grundzug tragen die Bestrebungen jetzt fast überall, während die rein 
humanitären Rücksichten an Gewicht eingebüsst haben. Wenn nun auch infolge der 
Durchführung dieses Prinzips die materielle Lage der Blinden sich gebessert hat 
und mancherlei erreicht worden ist, so bleibt doch noch sehr viel zu thun übrig. 
Man ist deshalb beständig auf eine Erweiterung des Wirkungskreises bedacht, der 
den Blinden nach ihren geistigen und körperlichen Fähigkeiten zugänglich ist. Wird 
der wirtschaftliche Werth der Blinden erhöht, ihnen möglichste Unabhängigkeit 
nach aussen verschafft, so wird ihnen mit diesen beiden Erfolgen auch das Gefühl 
von Nützlichkeit und Arbeitsbefriedigung verliehen. Ganz besonders erwähnenswert 
ist auch die Thatsache, dass die Blinden durch Ausbildung zu Arbeitern an den 
Segnungen der gesetzlichen Arbeiterversicherung theilnehmen. 

Ohne auf die Blindenschulbestrebungen, die Unterrichtsfächer oder gar die 
Unterrichtsmethode hier einzugehen, seien nur kurz die bisher oflfenstehenden Erwerbs¬ 
zweige erwähnt. Es sind das Berufe, die — und zwar ohne bedeutende Hülfe der 
Sehenden — in dem Maasse für Blinde durchführbar sind, dass sie ohne oder mit 
geringem öffentlichen oder privaten Zuschuss ein ausreichendes Einkommen gewähren. 
Von diesen, ihren exceptionellen Lebensbedingungen angepassten Thätigkeiten seien 
folgende erwähnt. Von den Handwerken verdient an erster Stelle genannt zu werden, 
weil am intensivsten betrieben: die Korbmacherei und verwandte Zweige, als Stuhl- 
und Strohflechterei und ähnliche Stroharbeiten. Ferner Bürsten- und Pinselherstellung, 
Seilerei mit ihren Nebenarbeiten (Herstellung von Gurten, Hängematten, Netzen, Kokos¬ 
matten, Matratzen, Polstermöbeln), Teppichknüpferei; auch die Schusterei und die 
Kistenbauerei müssen genannt werden. Von anderen Handarbeiten seien hier besonders 
die für weibliche Blinde bestimmten erwähnt, wie: Häkeln, Stricken, Maschinennähen. 

Die nicht seltene musikalische Veranlagung drängt vielfach zur Ausbildung 
von Musikanten, Orgelspielern, Musiklehrern, Klavierstimmern. 

Eine geringere Anzahl sucht sich ihren Lebenserwerb in den Druckereien für 
Hochdruckschriften; wieder andere finden leidlich lohnende Beschäftigung als Sprach¬ 
lehrer oder im Unterricht anderer Schulfächer. 

Im grossen ganzen sind dies alles wenig lohnende Erwerbszweige, deshalb, weil 
einerseits die Konkurrenz der Sehenden an sich, andererseits der Wettbewerb der 
Maschine der Rentabilität grossen Eintrag thun. Auch der Wechsel in den Geschäfts¬ 
verhältnissen und -bedürfnissen innerhalb der genannten Beschäftigungen macht zeit- 


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1 -0 E. Eggebrecht 

weilig einige der mühsam erlernten Thätigkeiten weniger lukrativ 1 ). Man muss end¬ 
lich auch zugeben, dass die Zahl dieser Arbeitsgebiete nicht gross ist, besonders, 
wenn man die grosse Anzahl der Blinden auf der ganzen Welt, sowohl in civilisierten, 
als besonders auch in den uncivilisierten Ländern zum Maassstabe nimmt. 

Nach den neuesten statistischen Erhebungen wurden 1876 von Georg Meyer 
unter 208381478 untersuchten Menschen 180537 Blinde gezählt, das wäre also von 
100000 = 87 Blinde ^. 


In Deutschland werden nach, dem Stand der Volkszählung von 1805 
ca. 36000 Blinde angenommen 9 ). Also 67 Blinde auf 100000 Einwohner. 

In Preussen waren nach Kugler 4 ) und Corradi 6 ) 

1871 von 100000 Einwohnern 93 blind, 

1880 » » i 82 » 

1895 » d » 67—65 » 


Darnach ergäbe sich in Preussen eine Abnahme der Gesammtziffer von 22978 
auf 21 442. 

Bei 31649182 Staatsangehörigen wäre also auf 1 Blinden 1520 Sehende zu 
zählen. 

Was diese Zählergebnisse ganz besonders erfreulich und aussichtsvoll macht, 
ist das Sinken der Zahl der blinden Kinder unter 10 Jahren von 1222 im Jahre 
1871 auf 828 im Jahre 1895 (= 66%). 

In Leipzig würden auf Grund der günstigsten oben genannten Ziffer von 67 
auf 100000 Einwohnern (allgemeiner Durchschnitt) etwa 300 Blinde bei einer Be¬ 
völkerung von 450000 anzunehmen sein. 

Bei meinen Bemühungen, alle diese Blinden namentlich und persönlich kennen 
zu lernen, ist es mir bislang nur gelungen, 190 hier in Leipzig aufzufinden 6 ). Die 
Bearbeitung dieser Statistik nebst den Augenuntersuchungen ist im Werke. 


i'i Ausser diesen dem Durcbschnittsblinden zugänglichen und möglichen Beschäftigungen 
hüben sich einzelne, besonders veranlagte Blinde, in zuweilen staunenswerter Weise hervorragende 
Stellungen in der Menschheit erworben. Doch soll hierauf nicht weiter eingegangen werden. 

-) cf. Greef, Kongressbericht der Blindenlehrer 1898. S. '>0. 

3 ) Silex, Handbuch der Krankenversorgung. Berlin 1898. Bd. 1. S. 17. 

0 Kugler, Kongressberichtc 1898. S. 17. 

Ä ) Corradi, Cohn’s Handbuch der Hygiene des Auges. 

6 ) Deutschland steht bezüglich seiner Blindenziffer nicht an erster, aber auch weitaus nicht 
an letzter Stelle. Einer Zusammenstellung nach Corradi (1. c.) folgend, waren 1886 auf 100 000 
Menschen zu zählen: 


in Holland .... 44 Blinde in Deutschland . . 85 Blinde in Spanien . . . .148 Blinde 

« Italien.7"> » » England .... 88 » » Europäisches Russ¬ 
in Schweiz .... 76 » » Oesterreich ... 94 » land .... 210 » 

n Dänemark ... 79 » » Vereinigte Staaten 97 " » Finland .... 211 » 

ii Preussen . . . . 8.‘( » » Ungarn .... 128 » » Portugal . . . .219 » 

« Frankreich ... 84 » » Norwegen . . . 136 » » Irland. 340 » 


ln einigen Ländern, wo allerdings eine genaue statistische Erhebung fehlt, sind die Er¬ 
blindungen noch weit zahlreicher, wenn man Rcisebeschreibungen einzelner Blindenmissionslehrer 
folgt; so in China nach Pastor Borchers-Hildeshcim, infolge schlechter Ernährung, vieler Er¬ 
krankungen, grellen Sonnenscheins, Vernachlässigung der Kinder. (Aussetzen und vielfaeher Aus- 
stossung weiblicher Blinder, die dann dem Betteln, den Sklavenhändlerinnen und der Prostitution 
anheim fallen.) 

In Palästina soll wohl >/« der Bevölkerung blind sein — ein gewaltiges Heer Unglücklicher. 


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121 


lieber die Verwendung Blinder in der Massage. 

Man wird zugeben müssen, dass dies enorme Zahlen sind, die eine Unsumme 
unerfüllten Strebens, getäuschter Hoffnungen, menschlichen Elends in sich schliessen; 
Sie beweisen aber auch die NothWendigkeit einer geordneten Blindenerziehung und 
fürsorge. 

Zur Erweiterung der Blindenarbeit entschloss ich mich vor 1 ’/« Jahren auch 
die Massage heranzuziehen, und glaubte einer neuen Idee gegenüber zu stehen. Es 
zeigte sich aber beim weiteren Studium der einschlägigen Verhältnisse, das ich 
durch briefliche und litterarische Mittheilungen nur ganz allmählich vertiefen konnte, 
dass Versuche mit Blindenmassage bereits an manchen Orten gemacht seien, nicht 
nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern und Erdtheilen, und dass diese Be¬ 
strebungen viel älter seien, als ich anfänglich angenommen hatte. 

Eine eingehende Geschichte der Blindenfürsorge zu geben, ist hier nicht der 
Ort, und die spezielle Entwickelungsgeschichte der Blindenmassage muss ich auf 
folgende kurze Notizen beschränken; sie entstammen zum grossen Theil einem mit 
zahlreichen ausländischen Blindeninstitutsdirektoren gepflogenem Briefwechsel. 

Es ist Japan, welches in der Geschichte der Blindenmassage die führende 
Rolle gespielt hat. 

Nach brieflichen Nachrichten (Professor Majet-Berlin) und aus gedruckten 
Berichten (Direktor Konishi von der Kaiserlichen Blindenanstalt in Tokio 1 )) ge¬ 
messen Blinde in Japan seit mehreren hundert Jahren von den Kaisern eine besondere 
Unterstützung. Nicht nur ist ihnen erlaubt, auf Wuchern und bei Zinsennahme über 
den sonst gesetzlichen Zinsfuss hinauszugehen, sondern auch die Massage als Monopol 
zu betreiben. Aus den Schilderungen des ausgezeichneten Kenners japanischer Ver¬ 
hältnisse, Professor Majet-Berlin, des Blindendirektors Konishi-Tokio und anderer 
geht hervor, dass die blinden Masseure eine Art Gilde (= Ama) bilden. Es giebt 
wohl keinen einzigen sehenden Masseur (Majet). »Massage und Akupunktur werden 
fast ausschliesslich für Blinde betrachtet« (Konishi). In allen Städten, grösseren 
Dörfern und namentlich in den Badeorten hört man den ganzen Tag das eintönige 
kurze Pfeifen dieser Blinden, die mit einem langen Stab ihren Weg tastend auf der 
Strasse finden und häufig den Ruf: Amasan, amasan (der Herr Kneter) ausstossen. 
Dabei fügen sie hinzu, dass sie den ganzen Körper für so und so viele Pfennige 
kneten. Neben der Billigkeit sichert ihnen die Sitte das Monopol, denn nicht nur 
die meisten Wohlhabenden lassen sich nach dem Bade massieren — und der Japaner 
badet täglich —, sondern auch der gemeine Mann lässt sich nach Anstrengungen 
kneten, z. B. die Jinrikisha — Kuli —, die Ringer u. s. w., um sofort wieder zu 
neuen Anstrengungen und Leistungen befähigt zu sein. Bezahlung geschieht sofort 
nach der Arbeit, der Europäer bezahlt für die Stunde 10—20 Sen = 22—45 Pf., 
der Japaner viel weniger. Mr. Edmond Naumann schildert ähnlich die Massagever¬ 
hältnisse in Japan (nach einer Notiz A. l’aulys in »Le Valentin Haüy, revue uni¬ 
verselle des questions relatives aux aveugles«, Oktober 1896) und fügt liebenswürdig 
hinzu: »Dank dem Talente dieser Leute sind die Damen Tokios behend, gesund 
und graziös«. 

Die Masseure werden in der Strasse von den Kunden angerufen und in die 
Häuser geholt; sie treiben selbstständige Praxis oder sie haben öffentliche Stellungen 
in den Universitätskliniken und grossen Hospitälern (K o n i s h i). Obgleich sie 

i) Kongreasbericht der Blindenlehrer 1*98. S. % J3. 


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122 E. Eggebrecht 

nur gering von Einzelnen bezahlt werden, haben sie aber oftmals soviel zu thun, dass 
sie sich doch auskömmlichen Unterhalt verschaffen, da ihre Beschäftigung durchaus 
volksthümlich ist. Ist doch in Japan das Wort »Masseur« gleichbedeutend mit Blinder 
(Soustowski). Diesen japanischen Blinden wird die Erfindung des bekannten 
Massageapparates, einer in einer Holzkapsel beweglichen Holzkugel zugeschrieben 1 ). 

Wie mir scheint, sind durch die günstigen japanischen Erfahrungen, die Ver¬ 
suche anderer Länder, Blinde in der Massage zu verwenden, angeregt worden und 
zwar in fast allen Kulturstaaten der alten und neuen Welt. Aber wenn man wohl 
auch der Frage der Blindenmassage näher getreten ist, so wurden stets und aller¬ 
orten nur ganz vereinzelte Versuche gemacht, sie einzubürgern. Offenbar hat dies 
an der bislang nicht immer genügenden Werthschätzung der Massage selbst gelegen. 
Auch mag die mangelnde Einsicht in die Bildungsfähigkeit der Blinden mitgewirkt 
haben; oder endlich, die geringe Betheiligung der Aerzte an Blindenerziehungs¬ 
und -beschäftigungswesen überhaupt hat diese ungünstige Folge gezeitigt. Fast 
überall ist die Ausbildung nur das Werk einzelner Aerzte. Die Aufnahme der 
Massage als Unterrichtsfach in den Anstalten dürfte garnicht, oder nur ganz ver¬ 
einzelt anzutreffen sein. 

Nur in Russland ist die Blindenmassage Gegenstand des Anstaltsunterrichts, 
wie A. v. Goustowsky, Lehrer der Massage in Petersburg, auf dem letzten Fariser 
Kongress mittheilt*): »En Europe, jusqu’ä präsent, il n’y a qu’une ecole de ce genre, 
oii le massage, que j’ai particulierement en vue ici, est enseigne aux aveugles. Cette 
äcole existe en Russie, ä Saint Petersbourg. 

Die Schüler lernen Anatomie, Physiologie und Massagetechnik zu gleicher Zeit. 
Die weiteren Einzelheiten des Unterrichts werde ich unten gelegentlich meiner Er¬ 
fahrungen anführen. 

Der genannte Massagelehrer hält die Idee der Verwendung Blinder für durch¬ 
aus lebensfähig, er nennt sie eine »utilite inconstestable de Tintroduction du massage 
dans le cercle des occupations des aveugles«. 

Auch Dr. v. Nädler, Direktor der Alexander-Marien-Blindenanstalt für Kinder 
zu Petersburg, mit dem ich über diesen Gegenstand korrespondierte, hat die ersten 
Versuche mit Blinden in dieser Beschäftigung gemacht. Er war über das Stadium 
des Versuchs in der dortigen Anstalt noch nicht herausgekommen und glaubt, zwei 
Schuljahre für die Ausbildungszeit annehmen zu müssen. Aus Vorsicht lässt er die 
Probeschüler nebenher ein Handwerk erlernen, damit sie für den Nothfall noch eine 
einträglichere Beschäftigung haben. Dr. v. Nädler theilt auch mit, dass es in 
Petersburg einen Masseur giebt, der als Student der Medicin erblindete und dann 
in Japan die Massage in zwei Jahren erlernte. Er ist in einem Krankenhaus als 
Masseur angestellt und ist der Lehrer der obengenannten Knaben (v. Nädler, brief¬ 
liche Nachricht*)). 

') cfr. Art Aina in Mell Encyklopaedie. Handbuch des Blindenwesens. 

-') »Congrüs international pour l’amelioration du sort des aveugles« in Paris 1.August 
1900. Kongressbericht S. 242. 

*) In Russland hat man überhaupt m den letzten Jahren durch v. Grot ganz beträchtliche 
Fortschritte in praktischen Augenheilbcstrebungen und der Fürsorge Augenkranker gemacht Neben 
vielen Blindenanstalten giebt es dort auch die Einrichtung von »fliegenden augenärztlichen Kolonnen«, 
die im Jahre 1897 in 33 Kolonnen f>4 000 Menschen in einem Jahre behandelt und 16029 Augen¬ 
operationen ausgeführt haben. Seit 1893, dem ersten Jahre ihrer Thätigkeit, bis 1898 haben im 
ganzen 106 Kolonnen des_Maria Vereins 168 . r >2f) Augenkranke behandelt und 48 552 Operationen aus¬ 
geführt (v. Nädler, Kongressbericht der Blindenlehrer 1898. S. 197.) 


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lieber die Verwendung Blinder in der Massage. 1*23 

Auch Amerika scheint in der Verbreitung der Blindenmassage noch keine er¬ 
heblichen Fortschritte gemacht zu haben. Wie Mr. Allen von »the Pennsylvania 
institution for the instruction of the blind«, Overbrook Pa., mir mittheilt, sind wohl 
einzelne Blinde in dieser Kunst unterrichtet, als Unterrichtsgegenstand ist die Massage 
in Anstalten aber nicht eingeführt. 

Von den beiden Aerzten, welche sich besonders mit dieser Frage beschäftigt 
haben, zwei Doktoren Ben nett in Buffalo und Philadelphia, wird die Massage sehr 
empfohlen als Thätigkeit für die Blinden, welche sich dafür eignen. Seit zwei Jahren 
ist in Philadelphia ein blinder Masseur thätig, nachdem er zuerst Besenbinder war 
und dann im Thiladelph. orthopedic hospital in drei Monaten mit Erfolg ausgebildet 
worden ist. Ferner hat eine Dame, Miss Colby, die allerdings nicht völlig blind 
ist, privatim mit einigen anderen Frauen in Boston Massage und schwedische Gym¬ 
nastik gelernt, ist Direktorin einer training school geworden und giebt neben einer 
anderen blinden Lehrerin in den genannten Fächern Unterricht. 

Für die verbreitete Ansicht, dass es in Amerika viele blinde Masseure giebt 
(Moldenhawer, Blindenlehrerkongressbericht 1898), habe ich einen Beweis nicht 
erhalten können. 

In England trug vornehmlich Armitage zur Verbreitung der Blindenmassage 
bei. Nach A. Pauly 1 ) liegt die grosse Schwierigkeit, die dem Unternehmen ent¬ 
gegentritt, darin, dass die Blindenmassage noch nicht in die Landessitte übergegangen 
ist, ein in England verständlicher Grund für den mangelnden Erfolg. Die Fähig¬ 
keiten für die Ausbildung der Blinden giebt auch Campbell voll zu, sieht gleich¬ 
falls die Hauptschwierigkeit in den entgegenstehenden Landesgewohnheiten und 
meint, dass die Blinden deshalb zu viel Mühe haben werden, sich den Lebensunter¬ 
halt zu verdienen. Trotzdem ist schon eine ganze Anzahl blinder Masseure thätig; 
so haben nach Pauly 1 ) mehrere junge Engländerinnen, die am »Normal College« 
ausgebildet waren, doch Erfolg gehabt. Einzelne dieser Frauen haben ausser vielen 
Klienten auch ganz excellente Zeugnisse erhalten. Ferner hat in London eine 
Amerikanerin, Greighton Hall, ein Massageinstitut gegründet. Sie giebt als 
mittlere Unterrichtsdauer für Blinde sechs Wochen an — eine etwas amerikanische 
Kürze der Ausbildung —, ist aber mit ihrem Resultat zufrieden. Ihre Schülerinnen 
wurden von gut situierten Damen protegiert und mit Beschäftigung versorgt. Einige 
Schülerinnen sind renommierte Masseusen geworden, eine hat einen Jahresverdienst 
von 1250 Francs. 

Dr. Hetscher Kittle in London hat drei völlig erblindete Frauen und einen 
fast erblindeten Mann in Massage unterrichtet. Endlich theilt mir aus »North Shields 
in England« Dr. v. Niederhäuser mit, dass in dieser Gegend eine Blinde als 
Masseuse thätig ist (Northern counties blind society). 

Auch in Edinburgh giebt es mehrere blinde Masseusen. Die Art, wie sie zu 
den Kranken gerufen werden, entspricht dem, wie ich es für Leipzig geplant habe 
Sie werden zu den Kranken von der Institutsverwaltung (dem Royal blind asylum 
and school) geschickt, an die sich das Publikum zu diesem Behuf wendet. 2 ) 

Aus diesen sicher noch zu vermehrenden Nachrichten geht hervor, dass die 
Blindenmassage in England jedenfalls schon einige Verbreitung gefunden hat. 


1) Le Valentin Haüy 1896. No. 10. S. 130 ff. 

2 ) Mell, Encyklopädie für Blinden wesen. S. 182. 


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124 E. Eggebrecht 

In Frankreich hat man meines Wissens noch keinen praktischen Versuch mit 
Blindenmassage gemacht, wenn auch, wie Mr. Pauly schreibt, l’association Valentin 
Haüy Studie depuis longtemps cette question, suit ses manifestations, observe ses 
developpements. J ) 

In Schweden, dem Lande der Massage, sollen nach Pauly beträchtliche Fort¬ 
schritte in der Verwendung blinder Masseure gemacht sein. Meine brieflichen Nach¬ 
richten lauten dagegen insofern ungünstig, als von Professor Nycander (Göteborg), 
der selbst sechs Jahre lang Blinde und Halbblinde unterrichtet hat, abgerathen wird, 
und zwar deswegen, weil die Blinden nicht konkurrenzfähig mit den Sehenden seien; 
sie könnten wegen fehlender Massagebücher in Blindenschrift theoretisch nicht so 
gut ausgebildet werden, wie Sehende. Diesen Einwand habe ich durch Herstellung 
eines Lehrbuches für Anatomie, Physiologie und Massage in Blindenhochdruckschrift 
hinfällig gemacht. Ich werde weiter unten auf diesen Punkt zurückkommen. 

Dänemark. Dr. Moldenhawer von dem Königlichen Blindeninstitut in 
Kopenhagen schreibt mir, dass er sich infolge des sehr befriedigenden Versuches mit 
einem Blinden, den der Quarantänearzt Clod Hausen im vergangenen Jahre unter¬ 
richtet hat, entschlossen habe, weitere Versuche zu unternehmen. Zur Zeit (20. Fe¬ 
bruar 1900) befanden sich zwei blinde Damen und ein junger Mann in Ausbildung. 
(Ein anderer starb leider in der Zeit seines Studiums.) Der unentgeltlich gewährte 
Unterricht wird sehr ernst getrieben, wie aus folgender Anordnung hervorgeht: 

1. Drei Stunden täglich bei weiblichen Assistenten Dr. Clod Hausen’s, 
nämlich zwei Stunden in Anatomie und eine Stunde in Massage und 
schwedischer Heilgymnastik; 

2. dreimal wöchentlich Repetition beim Leiter der Anstalt; 

drei Stunden wöchentlich Physiologie, Vortrag ohne Examination; 

4. tägliche Besuche eines Hospitals (der Leiter hat die Massage am Garnison¬ 
hospital unter sich). 

Die Dauer des Unterrichts ist zehn Monate (für Sehende acht Monate). Die 
Hülfsmittel sind: a) Hartelius, Anatomie in Punktschrift (dänische Kurzschrift, nur 
die lateinischen Bemerkungen ohne Verkürzungen), 18 Bände; b) Knochen (auch ab¬ 
norme), und c) Modelle (keine Zeichnungen). 

Aus Oesterreich liegen schon etwas ältere Erfahrungen vor, deren Mittheilung 
ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Kofränyi verdanke. Neben ihm hat sich 
Dr. Pawlik dort um die Verbreitung der Massage verdient gemacht. 

In Brünn (Mähren) ist seit 1894 eine von Dr. Kofränyi sorgfältig ausgebildete 
Masseuse thätig. Sie ist vier Monate lang theoretisch und praktisch in normaler 
und pathologischer Anatomie und in Massage unterrichtet worden und ist auch am 
Krankenbett thätig gewesen. Nach bestandener Prüfung fand sie an einem Institut 
Anstellung. Dies Institut bezahlte die Kosten ihrer Etablierung, der Annoncen, 
Empfehlungen u. s.w. 

Diese Blinde, die nebenbei eine tüchtige Handarbeiterin ist, hat ein Jahres¬ 
einkommen von 400 Mark trotz der Kleinheit Brünns mit seinen 15000 Einwohnern. 

Dr. Kofränyi, wie auch Dr. Pawlik-) geben der Befähigung der Blinden zur 

i) I.c Valentin Haiiy 1800. S. 120. 

’*) Blindenfreund, Zeitschrift für Verbesserung u. s w. IsOO. 10. Jahrgang. S. 59. 


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125 


Ueber die Verwendung Blinder in der Massage. 

Ausübung der Massage ein glänzendes Zeugniss, wie überhaupt ihrer Bildungs- und 
Erwerbsfähigkeit. 

In Wien (Mell, briefliche Nachricht 1900) ging die Behörde vor vier Jahren 
an den Unterricht Blinder deshalb nicht heran, weil Gersuny sich dagegen aus¬ 
sprach. Man meinte besonders, dass Kranke, an und für sich leicht reizbar, den 
Anblick Blinder unangenehm empfänden, — wie mir scheint, kein thatsächlicher 
oder ausreichender Gegengrund. 

Auch in Deutschland fehlt es nicht an Versuchen. 

In Braunschweig 1 ) wurden zwei Blinde ausgebildet in ähnlicher Weise wie 
an anderen Orten. Die beiden Schüler dienten sich bei den Massageübungen gegen¬ 
seitig als Objekt. Einer fand nach einem Examen in einer öffentlichen Heilanstalt 
Anstellung und hat sich gut bewährt. 

In Berlin fand (nach Kuli, ebenda) ein in Massage ausgebildeter junger Mann 
in einer »Heilanstalt für Knochenbrüche« Anstellung. Da er nur 1 Mark für den 
Tag bekommt und von 9—4 Uhr angestrengt zu thun hat, fühlt er sich infolgedessen 
»keineswegs besonders wohl«. Die Honorierung ist so gering, weil starke Konkurrenz 
vorhanden ist und der Blinde mit dem Vorurtheil des Publikums zu kämpfen hat, 
besonders mit dem der höheren Schichten. 

In Kiel (Ferchen, ebenda), wurde 1895 oder 1896 ein blindes Mädchen aus¬ 
gebildet, doch ist es sehr schwierig, ihr immer Kundschaft zuzuführen. Der ge¬ 
nannte Kieler Blindenlehrer meint: »Im ganzen ist es wohl nicht die Ansicht der 
Versammlung (der Blindenlehrer*)), dass die Massage so weit gediehen ist, dass 
wir sie überall empfehlen können. Es kommt das immer auf den besonderen Fall 
an«. — Dagegen muss geltend gemacht werden, dass die Massage wohl weit genug 
gediehen ist, aber das Vorurtheil der Bevölkerung erscheint noch zu gross, wie 
wir gesehen haben. 

Aus Nürnberg 3 ) liegen günstige Nachrichten über die Ausbildungsfähigkeit 
zweier blinder junger Männer zur Massage vor. Allerdings fanden auch in dieser 
Stadt (von 150 000 Einwohnern) beide so geringe und unzureichende Beschäftigung, 
dass man sie nebenher Korbmacherarbeiten treiben Hess. Später wurden die beiden 
ihrem Berufe entrückt, der eine starb, und der andere wurde durch eine glückliche 
Operation wieder so weit sehend, dass er die Massage aufgab und — Dachdecker 
wurde. 

In Leipzig sind vor etlichen Jahren einige Blinde privatim unterrichtet worden. 

In Dresden gedenkt man die Massage zu einem Erwerbszweig der Blinden 
zu machen und zwar von Seiten des Königlichen Blindeninstituts (nach brieflichen 
Berichten des Direktors Vermeil). 

So sehen wir an vielen Orten den Beginn einer Bewegung, die allerdings bisher 
noch nicht weit gediehen ist. Im allgemeinen kann man aus dem Mitgetheilten wohl 
die Ansicht gewinnen, dass die Blinden sich für diesen Zweig ärztlicher Thätigkeit 
bildungsfähig gezeigt haben und dass es ihnen an manchen Orten auch wirklich ge¬ 
glückt ist, einen lohnenden Erwerb zu finden. 


i'i G. Fischer, Blindcnlchrcrkongressberieht 1S98. S. 333. ßlindenfreund ls'.m. 10. Jahr¬ 
gang. S. 29. 

-j Kongressbericht 1898. 

•<) Schleussuer, ebenda, ft 


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E. Eggebrecht 


Als ich in Leipzig vor 1 i/ a Jahren an die Verwirklichung meines Planes, Blinde 
in der Massage zu unterrichten, ging, war ich mit allen diesen geschilderten Ver¬ 
hältnissen nicht bekannt und musste bei dem Unterricht selbstgewählte Wege gehen. 
Ich wurde bei meinem Unternehmen auf die vcrständnissvollste und anerkennungs- 
wertheste Weise von dem hiesigen Verein zur Beschaffung von Hochdruckschriften 
und von Arbeitsgelegenheit für Blinde unterstützt. 

Die Aufgabe, die ich mir stellte, war die Erziehung Blinder zu vollkommenen 
Masseuren und Masseusen. Sie sollten theoretisch und praktisch in der Lehre des 
Baues und der Funktionen des Körpers genügend unterrichtet sein; dabei sich in 
der Massagetechnik völlig sicher fühlen. Ich wollte nicht Masseure erziehen, die 
selbstständig, ohne ärztliche Aufsicht massieren sollten, nach Art vieler kurpfusche¬ 
rischer Masseure, sondern unter jeweiliger Anleitung und Anweisung der Aerzte. So 
sollten sie vollkommene, wenn auch blinde Werkzeuge in der Hand der Aerzte in 
diesem wichtigen Zweige ärztlicher Thätigkeit sein. Sie müssen dabei ihren Lebens¬ 
unterhalt finden können, nicht im Appell an das Mitleid, sondern kraft ihrer Tüchtigkeit. 

Die Kostenfrage kam für die Blinden selbst nicht in Betracht, da der oben 
genannte Verein für die Auslagen an Unterrichtsmaterial auf kam. 

Es war durch örtliche Verhältnisse bedingt, dass von dem Unterricht in der 
hiesigen Blindenanstalt abgesehen werden musste, wenn ich auch ohne weiteres zu¬ 
gebe, dass sich für ihn wichtige Vortheile geltend machen Hessen. Man kann darauf 
aufmerksam machen, dass die Zöglinge in der Anstalt sich täglich üben und so schneller 
die Technik erlernen. »Das Können des Einzelnen wird in einer Anstalt schnell zum 
Können Vieler« (Majet). Auch wäre zu bedenken, dass der Erfolg einer Anstalt 
schneller Nachahmung an anderen Anstalten findet, als wenn er in privaten Kreisen 
erzielt wird. 

Bei der Umfrage in der hiesigen Blindenanstalt meldeten sich 24 Blinde zum 
Unterricht, 6 Frauen und 18 Männer. Eine fertige Ausbildung wurde bei 13 erreicht, 
und zwar bei 4 Frauen und 9 Männern. 

Bei der Auswahl der sich meldenden Blinden wurde nach folgenden Gesichts¬ 
punkten verfahren: die Schüler, alle über Mitte der zwanziger Jahre, zum Theil ver- 
heirathet, sollten nicht kränklich oder durch nervöse oder andere Störungen behindert 
sein (Tabes, Tumor, Schwäche, Lähmung). — Das Aeussere durfte nicht abstossend 
wirken, entstellende Augen Veränderungen wurden durch eine dunkle Brille verdeckt. 
Erwünscht sind gefällige Umgangsformen, kräftige Hand, weiche Finger und feines 
Tastgefühl. Wir haben den blinden Masseuren abgerathen von einer Neben thätigkeit, 
welche die Feinheit der Hand schädigen könnte, vielleicht auch das Interesse am 
Unterricht vermindert hätte. Wir machten immer wieder auf die Reinhaltung der 
Hände aufmerksam, im Interesse der Blinden und der zu massierenden Kranken. Eis 
wurde auch den Blinden zur Pflicht gemacht, sich von ihren sehenden Familienange¬ 
hörigen u. s. w. bezüglich der Reinlichkeit der Nägel und der ganzen Hand kontrol¬ 
lieren zu lassen. — Mangel an Energie Hess einige vorzeitig ihren Unterricht been¬ 
digen; andererseits muss aber auch der besondere Vorzug der Blinden betont werden: 
die durch ihre Leiden vergrösserte Geduld. — Den Schülern gehörte ein noch nicht 
völlig erblindeter Mann an. Ich möchte hier als zweckmässig betonen, gerade diese 
in der Sehkraft Gefährdeten und der Blindheit Entgegengehenden zu unterrichten. 
Vielfach sind sie noch im Genuss von Krankengeldern, Unfallrenten und anderen 
Unterstützungsmitteln, die so lange ausreichen, bis die Massage wieder Erwerb schafft. 

Dem Ziele des Unterrichts wurde die Methode angepasst. Zunächst suchte ich 


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Ueber die Verwendung Blinder in der Massage. 127 

den Schülern in gründlicher Weise anatomisch-physiologische Kenntnisse beizubringen, 
was um so nothwendiger war, als mir die anatomische Methode der Massage als die 
zweckmässigste erscheint. 

Als Unterrichtsbuch wurde ein schon vorhandenes Lehrbuch für Heilgehülfen 
und Masseure von Granier (Berlin 1900, 2. Auflage, bei Schoetz, im Aufträge des 
dortigen Polizeipräsidiums verfasst und uns liebenswürdiger Weise zur Verfügung 
gestellt) in Blindenhochdruckschrift übertragen, so weit es sich für unsere Zwecke 
eignete und im übrigen von mir verändert und ergänzt 1 ). 

Da der Anschauungsunterricht durch das Auge nun unmöglich war, die Anatomie 
aber doch die Aufnahme der Formen der Körpertheile in das Vorstellungsgebiet un¬ 
bedingt verlangt, so musste der Tastsinn die Pforte für den Geist der Blinden abgeben. 

Ich ging in der Weise vor, dass ich erst Knochenlehre mit meinen blinden 
Schülern am Skelett trieb, die gewonnenen Kenntnisse am lebenden Modell, einem 
der Schüler, nachprüfen und dann feststellen liess, wie weit die gelernte Form fühlbar 
blieb, welches die Knochenfunktion war u. s. w. 

Hatten hier Worte und das Skelett ausgereicht, so wurde die Unterweisung in 
der Muskellehre an den bekannten Gipsmodellen des Herrn Steger-Leipzig, Gips- 
formators des anatomischen Instituts der Universität, vorgenommen. Jeder einzelne 
Muskel, so weit er bei der Massage in Betracht kommt, wurde beschrieben, dem 
tastenden Finger demonstriert, vom Blinden nachgetastet und dann am lebenden 
Körper in Form und Funktion geprüft und festgestellt. 

Auch die anderen Theile des Körpers wurden ähnlich an Gipsmodellen und 
lebenden Körpern studiert. Der Blutkreislauf, mit dem Bau des Herzens, wurde au 
einem auf Pappe geklebten Kreislaufmodell gelehrt, an dem das Herz und seine 
Theile durch Pappe, die Schlagadern durch Sammet- und die Blutadern durch ge¬ 
webte Bortestreifen dem Tastsinn unterscheidbar dargestellt waren. Ueberall waren 
die Bezeichnungen in Blindenschrift beigefügt. 

Auch in der Lehre von den Gelenken, den Nerven und andern Theilen wurden 
die Blinden in ähnlicher Weise unterrichtet. Dabei bin ich mit viel einfacheren 
Mitteln ausgekommen, als wie ich sie bei Goustowski nach Beendigung meines 
Unterrichts angegeben fand. In seinem oben genannten Pariser Vortrag hält er für 
nothwendig: (S. 243) a) une preparation de squelette particulier muni des chiffres 
en braille; b) des preparations anatomiques en glyc6rine et d’autres conservttes dans 
de l’esprit de vin; c) des mannequins avec les memes points en braille; d) pour 
l’exercice, dans la technique du massage pratique, un homme en caoutschouc. Das ist 
wohl viel zu kompliziert und muss durch weniger umständliche Mittel ersetzbar sein. 

Mit grossem Interesse und vielem Eifer nahmen die Blinden den Lehrstoff auf; 
in mehreren Monaten wurde eine ernste Arbeit geleistet. Endlich waren wir so weit, 
dass die Kenntnisse vom Bau und den Funktionen des Körpers genügend bekannt 
waren, um die »anatomische« Massage selbst vorzunehmen. Hier musste wieder jeder 
Handgriff und zwar jedem einzelnen Blinden gezeigt werden, am besten am eignen 
Körper. Auch empfahl es sich, die Handgriffe gleich wieder an andern Blinden vor¬ 
nehmen zu lassen; vielfach liess ich mich auch selbst massieren. 

Es wurde auch nicht vergessen, die Lehre von den aktiven und passiven Bewe¬ 
gungen im Anschluss an die Massageapplikation zu. lehren. 

i) Diese Ucbertragung ist hergestellt durch den Leipziger Verein zur Besorgung von Hoeli- 
dnirkschriften u. s. w. Sie ist im Handel zu haben bei Georg Wigand, Leipzig. Ks soll später 
noch ein Atlas der Anatomie und der Massagehandgrilfe in HochdruckbUdem erscheinen. 


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128 


E. Eggebrecht 


Schon beim Unterricht zeigte sich, dass der ausserordentlich verfeinerte Tast¬ 
sinn der Blinden vollkommen den Ausfall des Auges ersetzte. Diese Verfeinerung 
der Tastempfindlichkeit wird vornehmlich durch das Lesen der Punktschrift den 
Blinden anerzogen und bewährt sich in einer grossen Zahl der Blindenarbeiten. Sie 
erleichtert ihnen, die mannigfachen Abweichungen vom Normalen, die krankhaften 
Ablagerungen und dergleichen mehr zu fühlen. 

Nachdem noch viele Uebungsstunden die anatomischen Kenntnisse vertieft und 
die Massagetechnik verfeinert hatten, wurde nach etwa 75 Unterrichtsstunden die 
Vorbildung geschlossen. 

Zur weiteren Ausbildung schien mir nunmehr nothwendig, dass die blinden 
Masseure und Masseusen an Kranken ihre Studien fortsetzten. Es gelang, eine Anzahl 
der Leiter hiesiger Universitätspolikliniken und Privatkliniken dafür zu interessieren, 
unter deren Aufsicht die Blinden massieren durften. Sie gingen täglich zu be¬ 
stimmten Stunden in die Anstalten und massierten dort chirurgische, neurologische 
und gynäkologische Kranke in grosser Anzahl. Sie sind so bisher etwa vier Monate 
thätig gewesen und haben sich durch ihre Leistungen vollauf die Zufriedenheit der 
Aerzte und Kranken erworben. 

Was die Einwirkung der Massage auf die Schüler selbst betrifft, so wurde sie 
sehr gerühmt. Die Blinden vertrugen nicht nur die vermehrte Thätigkeit gut, sondern 
sie besserten sich in ihrem körperlichen und seelischen Befinden ausserordentlich. 
Die berufliche Pflichterfüllung that ihnen, welche so lange in wenig befriedigender 
Beschäftigung gestanden hatten, vortrefflich; die Blässe des Gesichts, die Kälte der 
Extremitäten, die nervösen Klagen und die trüben Stimmungen verschwanden. 

Sehr viel schwieriger gestaltete sich die Lösung der Frage, wie die nun ausge¬ 
bildeten Masseure ihrer Thätigkeit nachgehen und wie sie Arbeit, und zwar dauernde, 
finden, kurz, wie sie am leichtesten mit den sehenden Berufsgenossen konkurrieren könnten. 

Das Sichmassierenlassen Gesunder ist ja bei uns nicht Volkssitte, vielmehr ge¬ 
schieht die Massage fast ausschliesslich zu Heilzwecken. Wir werden also fast nur 
mit der Massage Kranker zu rechnen haben. 

Wie bei allen Beschäftigungen der Blinden, so hat sich auch für die Massage 
als zweckmässig gezeigt, sie in bestimmten Oertlichkeiten, Polikliniken, Krankenhäusern 
u. s. w. ausüben zu lassen. Dabei wird erstens am besten die bei der Massagethätig- 
keit selbst nicht störende Eigenart des körperlichen Mangels der Blinden aufgehoben, 
indem diese nicht zu den Kranken in unbekannte Wohnungen und Häuser zu gehen 
brauchen, sondern jene zu diesen kommen und die Blinden in einem ihnen bald 
bekannten Raume arbeiten können. Zweitens aber wird die Massage zur nicht ge¬ 
ringen Erhöhung des Erfolges und zur erheblichen Erweiterung ihrer Anwendbarkeit 
direkt unter den Augen des Arztes ausgeübt. Die Forderung ständiger Kontrolle 
der Masseure gilt ebenso für Blinde wie für Sehende. Sie ist von mir bei der Er¬ 
ziehung der blinden Masseure immer streng betont worden. Jeder, der über Masseure 
und Massage Erfahrungen gemacht hat, kennt die Nachtheile und die Gefahren des 
unkontrollierten Massierens, die Selbstanpreisungen und Ueberhebungen, die gewissen¬ 
lose Beeinflussung der Kranken von Seiten einzelner Masseure. 

Die Blinden in einer Grossstadt können aber auch recht wohl Kranke in deren 
Wohnungen aufsuchen; es ist erstaunlich, wie eine Anzahl Blinder sich führerlos in 
dem Getriebe einer grossen Stadt zurechtfindet, Strecken mit der elektrischen Bahn 
zurücklegt, dann wieder zu Fuss geht und auf mannigfache Weise einen trefflichen 
Ortssinn bekundet und ungewöhnliche Sicherheit erlangt. 


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lieber die Verwendung Blinder in der Massage. 129 

Trotzdem muss eine gewisse Gefährdung besonders weiblicher Blinder durch 
skrupellose Menschen zugegeben werden. Auch der Vorwurf, dass blinde Masseusen 
ihren Beruf etwa zum Deckmantel der Prostitution machen können, verlangt Berück¬ 
sichtigung. Durch eine feste Anstellung für ein bestimmtes Institut kann auch 
diesen in Jer Eigenart der Blinden begründeten und nicht begründeten Einwürfen 
begegnet werden. 

Da nun der grösste Theil der Besucher der Poliklinik Angehörige der Orts¬ 
krankenkassen sind, so liegt es am nächsten, durch diese Art Kassen die feste An¬ 
stellung blinder Masseure zu erreichen und zwar am zweckmässigsten des einzelnen 
Blinden für ein bestimmtes Institut. Auch Unfall- und Berufsgenossenschaftskranken¬ 
kassen und andere Verbände, auch medico - mechanische Anstalten könnten blinde 
Masseure verwenden. Leider ist mir diese Form der Anstellung in Leipzig zunächst 
nicht geglückt. 

Weiterhin bieten Badeanstalten grösserer Städte, die Badeorte selbst und ähn¬ 
liche Einrichtungen Felder für die Thätigkeit der blinden Masseure. 1 ) 

Ist es unmöglich, fixierte Stellungen zu erhalten, so bleibt nur übrig, die 
Blinden privatim die Thätigkeit ausüben zu lassen; dadurch wird allerdings 
mancherlei komplizierter. 

Um Bestellungen an Blinde gelangen zu lassen, andrerseits dem Publikum die 
Adressen dieser Masseure zu verschaffen, empfiehlt es sich, ein bestimmtes Bureau, 
eine Centrale, etwa in der Blindenanstalt, einzurichten, das telephonische und andere 
Verbindungen hat; an dies gehen alle Bestellungen, und erst von dort aus gelangen 
sie an die Blinden. So findet durch einen Beamten eine gewisse Kontrolle der Be¬ 
steller und der Bestellungen statt. Der Anstaltsverband ist ein gewisser Schutz für 
die Blinden, besonders der weiblichen. Um für die Sache selbst Propaganda zu 
machen, bedarf es Zeitungsannoncen, die von dem Bureau aus redigiert und in be¬ 
stimmten Zeiträumen wiederholt werden. 2 ) Die Kosten für die Mühewaltung kann 
theilweise die Blindenanstalt, theilweise ein Verein oder der Blinde selbst tragen. 
Das genannte Bureau kann gleichfalls die Bezahlung für die Massage einziehen. Für 
eine derartige Centralisation der blinden Masseure sprieht noch vielerlei, jedenfalls 
ist sie der Hebung des ganzen Masseurstandes förderlich. Auch könnte ein Zu¬ 
sammenschluss der Blinden in einem Verein nur zweckdienlich sein, der die ge¬ 
nannten Mühewaltungen auf sich nimmt, Führer stellt u. s.w. 

Da die Ausbildung von Vereinswegen erfolgt und ferner die Thätigkeit für die 
Massage nicht viel Kosten verursacht, so können die Preise billig gestellt werden. 
Ausser den Ausgaben, die durch eine gewisse Sorgsamkeit der Kleidung und der 
Achtsamkeit peinlicher Reinhaltung erstehen, macht die Massage nicht viel Kosten. 
Jedenfalls ist es nothwendig, zunächst billige Preise anzusetzen, die aber das 
Existenzminimum gewähren sollen. Später kann die Massage wohl einträglicher 


’) Vortheilhaft ist es auch, die Thätigkeit der Bündenmasseure den Gemeindeschwestern und 
den Personen, die den Krankenpflegerdienst für die Aermsten besorgen, zur Verfügung zu stellen. 
Meist sind die Pflegerinnen so mit Arbeit überlastet, dass die nicht selten erforderliche Massage 
unterbleiben muss. Hier könnte die städtische Verwaltung mit Anstellung Blinder viel Gutes thun, 
da diese Arbeit für die Aermsten der Armen geleistet wird. 

2 ) Private Annoncen sollten unterlassen werden; es geschieht durch einen Verein oder eine 
öffentliche Einrichtung viel zweckmässiger: auf die versteckten Anpreisungen, die unter der Flagge 
der Massageannonce segeln, ist vielerorts aufmerksam gemacht. 

Zeitsrbr. f. diät u. physik. Therapie Bd. V. Heft 2 . y 


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130 E. Eggobrecht, Uebcr die Verwendung Blinder in der Massage. 

werden 2 ). Die starke Konkurrenz der Sehenden darf allerdings nicht als Hinderniss 
gelten. In manchem Zweig der Blindenthätigkeit war sie zu fürchten, und in welchen ist 
sie nicht doch mit genügendem Erfolg bekämpft worden ? Meiner Meinung nach wäre 
es wünschenswerth, die Massage als Unterrichtsfach in den Lehrplan der Blinden¬ 
anstalten einzuführen. So mancher gute Masseur könnte während der fünf- und 
mehrjährigen Unterrichtszeit herangebildet werden. Für die Auswahl derer, die sich 
der Massage zuwenden wollen und für die Unterrichtsmethode selbst, glaube ich 
genügende Anhaltspunkte angeführt zu haben. 

Es liegt kein Grund vor, die Blinden von der Massageerlernung und -ausübung 
auszuschliessen. Wir sind vielmehr der Meinung, dass sie erfolgreich mit Sehenden 
konkurrieren können und infolge der Ausbildung ihres Tastvermögens sogar ganz be¬ 
sonders für eine Handreichung geeignet sind, bei der es weniger auf die Augen als auf 
das Tastgefühl ankommt. Kurz, dass der Gedanke der Verwendung Blinder in der 
Massage sehr wohl lebensfähig ist, und dass mit der Massage ein beachtenswerther, 
neuer Erwerbszweig für Blinde vorliegt. »Das Durchdringen ist nur eine Sache der 
Zeit« (Pawlick). 

Eine wirklich lohnende und befriedigende Thätigkeit den blinden Masseuren 
zu verschaffen, das ist eine soziale Aufgabe und Pflicht, die von uns Aerzten ge- 
than werden muss; nicht aus Mitleid für Unglückliche, sondern in richtiger Werth¬ 
schätzung ihrer vollkommenen Leistungen. 

Die Vorurtheile des Publikums können nur wir bekämpfen. Wir dürfen mit 
vollem Recht betonen, dass der verfeinerte Tastsinn blinder, in der Anatomie aus¬ 
gebildeter Masseure mehr als genug die Augen, gerade in der Massage, ersetzen 
kann und dass Blinde in dieser Thätigkeit nicht hinter Sehenden zurückstehen. 
Uebrigens wurde in der That vielfach ausgesprochen, besonders von überdecenten 
Damen, dass die Blindheit der Masseure eher als ein Vorzug beim Massieren 
empfunden wird. Man vergegenwärtige sich die Worte eines Mannes, der der 
ßlindenerziehung und der Blindenfürsorge seine Lebensarbeit widmet: 

»Wo man die Arbeit des Sehenden ganz kritiklos für gut nimmt und kleine 
Mängel als unwesentlich betrachtet, oder nicht einmal bemerkt, da untersucht mau 
mit Argusaugen die Arbeit der Blinden und meint oft, wenn man einen Mangel 
entdeckt, dieser rühre von der Blindheit des Arbeiters her. Dies scharfe Kritisieren 
ist natürlich zum grössten Schaden für den Blinden, indem cs ihn häufig ungerechter 
Weise in die zweite Reihe stellt, wo er mit vollem Rechte Gleichstellung mit tüch¬ 
tigen, sehenden Arbeitern beanspruchen könnte 2 ).« 


') Ein blinder Masseur hat in Leipzig gute Kundschaft, die ihn zum grössten Theil in seiner 
Wohnung aufsucht. Es macht sich dann ein besonderes Massagezinimer mit seinen Einrichtungen 
nöthig, auch erwachsen allerlei andere Kosten, doch ist auch diese Form der MassageausGbung iin 
gegebenen Fall zu versuchen. 

2 ) cfr. Moldcnha wer, Kongressbericht 1808 S. 29. 


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M. Siegfried, Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. 


131 


V. 

Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. 

Von 

Dr. M. Siegfried 

in Bad Nauheim. 

Im Moabiter städtischen Krankenhause wurde mir durch das dankenswerthe 
Entgegenkommen der Herren Professoren Goldscheider und Renvers im Winter 
1898/5)9 Gelegenheit geboten, eine Reihe von Erkrankungen des Rückenmarks, 
der Nerven und des Herzens der Einwirkung der Dreiradgymnastik auf den von 
mir zu diesem Zwecke umgebauten Maschinen zu unterwerfen. 

Einer kurzen Mittheilung darüber auf dem 20. baineologischen Kongress *) lasse 
ich jetzt die ausführlichere Mittheilung der dabei gemachten Beobachtungen folgen. 

Ausgesucht und dem Verfahren unterworfen wurden hauptsächlich solche Fälle, 
bei denen die Gehfähigkeit ganz oder zum grössten Theile aufgehoben war. 

Dass in solchen Fällen durch den methodischen Gebrauch des Dreirades be- 
merkenswerthe Erfolge erzielt werden können, und unter welchen Bedingungen diese 
eintreten, habe ich früher») in Fällen von peripherer Ursache der Gehunfähigkeit, 
wo starre Ankylosen mit konsekutiver Muskelatrophie den Gebrauch der unteren 
Extremitäten verhinderten, gezeigt. ^ 

Es war nun von Interesse, die Folgen der Einwirkung der Radgymnastik bei 
centralen Erkrankungen zu beobachten, zumal gerade die Gyklistik anerkannter- 
maassen die centralen Impulse in Anspruch nimmt und verbessernd auf die Nerven¬ 
leitung einwirkt. 

Ebenso musste a priori angenommen werden, dass die wiederbelebende Kraft, 
welche die oftmalige Wiederholung gleicher Bewegungen auf abgestumpfte Nerven¬ 
bahnen ausübt, um so deutlicher in Erscheinung treten werde, als diese Bewegungen 
auf dem Rade viel längere Zeit hindurch fortgesetzt werden können, ohne eine 
Ermüdung herbeizuführen, als dies beim Gebrauch stationärer Apparate möglich ist. 
Es liegt dies an der Eigenart der Fortbewegung des fast ohne Reibung dahin¬ 
gleitenden Rades, dessen Beharrungsvermögen nach einmal erfolgtem Antrieb ein so 
grosses ist, dass es nur minimaler Unterstützung seitens des Uebenden bedarf, um 
die Bewegung aufrecht zu erhalten. 

Dass sich die Bewegungen der Extremitäten in streng rhythmischer Folge, 
dabei aber zugleich in äusserst weicher, schonender Weise abwickeln, und dass die 
ganze Radgymnastik nur unter dem Einfluss der Freiluftathmung und der dauernden 
Einwirkung der bewegten») Luft auf die Hautoberfläche vorgenommen werden kann, 


J) Veröffentlichungen der Hufeland’scbcn Gesellschaft 1899. S.60—52. 

») Heilerfolge durch Radfahrgymnastik. Deutsche medicinische Wochenschrift 1897. No. 27. 
») Der Einfluss dauernd bewegter Luft ist von demjenigen ruhender Luft durchaus ver¬ 
schieden, wie Sir H. Weber treffend bei der Besprechung des therapeutischen Werthes der See¬ 
reisen hervorhebt (diese Zeitschrift Bd. 2. Heft 1). 

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M. SiCtäfHvd 


sind weitere hygienisch wichtige Eigenarten der OvkktgyninffStik, welche z\i thera¬ 
peutische« Versuchen anffordertgn. 

■Selbstverständlich bedarf das Dreirad, wenn es aus.einem Sportswerkxeug ein 
gymnastischer Apparat für geh unfähige, bülflose, oft fremder Pflege und Wartung 
bedürftige Patienten werden soll, einiger dttrchgreifehdön Äetitlerungen im Ban des 
Sitzes und der Pedale. 

Kitte attsftihrliclißrt» Beschreibung und Begründung dieser Veränderungen werde 
ich, um den ihiimien dieses Berichtes, si.ieht..jt« • öhmebreste»* an anderer Stelle 
bringen« Sie sind folgende: 

T . beguerae, gepolsterte , .ghV federnde unter Beibehaltung der 

oothwofidigetj Reitsattelform; 

‘2. c;i. 50 cm hohe, gepolsterte Bückeniebue mit konkav gehöhlter -und ia 
verschiedenen N'eignngswiakelh : verstellbarer Aalehnungsrtäehe; 

3. Leibriemenznm Auschöfü^ 

f'g ' h?u des Rumpfes auf d©nt Sitzer : 

i'cr^clll^rk^l 

der Ped&Ie Von 2 cm bis iS cm 
.Äiirhetj^p^r^Eig. lB)y 

7. C e irt i w« t e r e i n t h ei lu n g tut 
ailbii veirstejlbaren Theilen des Ha¬ 
des f Betikkiasgeaschaft, Sattebtütüo, 
Pedatkufheln, Rückenstützröhr, t 

Dprcir die fTiuwattdlnng des Sitzes und durch füg^ Bfefestignngsv«trrichtuiigeii 
dir Rumpf und Küsse wird dein »n Bettlage oder an die■ ha'Hdiegende Stellung ii» 
Rollstuhl gewohnten Kranke« neben der zum Bedürfuiss gewordene« Bequemlichkeit 
das Gefühl der Sicherheit vor einem'Ilerahgieit mi gegeben;} 

Bei Kikraiiktitigen, welche mit völliger Ari;isihesäe verbunden, sind, wird das 
Vortwndeii.sciü soldtet: fticherheitsvomriittin^u zur Nothwendigkeif. 

Die Ve^steifharkeit der Pedale bietet lidgetide Vortfaile: 

1. die K:;k<i< s ioneit der Gelenke können io beliebiger Weise ahgestnit 
werden, indem durch Verschieben der Pedale iti der geschlitzte!» Tretkurbel kleinere 
iimi grossere Kreise — 4 cm bis öo cm Durchmesser — beschrieben werden; 

2. die llebetkraft der als wirkenden Tretkurbel kann durch 

Veriä 0 g®rt iu k hder Verkiirzitiie des Hebet* Verstärkt resp. geschwächt werden, sodass 
eine beliebige.Dosierung der Arbeitsleistung rnnfiglieht. ist; 

■i die Podolstellnng der rechte» Kurbel, d. b. also öfe Ausgiebigkeit der 
l'.xkur.'ionen rlm Gelenke des "rechten Beines mul. die Grosse' seiner Arheitsieistviag, 
ist.unabhängig von- derjenigen. des link en. 


Srliiitzkiirlvoi n itiit ('eiititnetereinthrll'u'ng. 
Kuiv.cstG uii*{ längste 









Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. 133 

Der Grad der Beuge- bezw. Streckhaltung der Beine kann ferner ausser durch 
die erwähnte Verlängerung oder Verkürzung der Pedale auch durch Höher- oder 
Niedrigerstellen des Sitzes beliebig geändert werden, so dass sich aus der Kom¬ 
bination beider Veränderungen eine so grosse Anzahl von Variationen der ein¬ 
zelnen Gelenkstellungen ergiebt, wie sie von anderen Apparaten auch nicht an¬ 
nähernd erreicht werden. Es ist dadurch ermöglicht, jedem Patienten, falls er über¬ 
haupt noch eine sitzende Stellung einnehmen kann, eine solche Ausgangsstellung 
durch Verschiebung des Sitzes und der Pedale zu geben, dass die Anfangsbewegungen 
schmerzlos sind und keinerlei Reizung verursachen. 

Das weitere ergiebt sich an der Hand der einzelnen Fälle, zu deren Darstellung 
ich jetzt übergehe. 

Den Beginn möge die Schilderung des Verlaufes der cyklogymnastischen Be¬ 
handlung eines Falles von Myelitis machen. 

Aus der Krankengeschichte der Patientin, welche sich seit 2 Vs Jahren im 
Krankenhause befand, entnehme ich kurz folgendes: 

E. B., 28 Jahre, Näherin, war am 26. Mai 1896 zur Aufnahme gelangt mit Paraplegie, 
Blasen- und Mastdarmlähmung. Es wurde die Diagnose auf Kompressionsmyelitis in der 
liegend des neunten Rückenwirbels gestellt, Streckverband und Dauerkatheter appliziert. 
Im Laufe des Jahres 1897 wurden wegen des Verdachtes auf Lues mehrere Schmierkuren 
durchgeführt, nach denen ein beträchtlicher Rückgang sämmtlicher Symptome eintrat, so 
dass nach 1V* jähriger Dauer der Streckverband entfernt werden konnte. Ein grosser Ab- 
scess am Sternum, ein als Ausdruck trophischer Störungen der Haut trotz Anwendung aller 
Prävcntivmaassregeln entstandener handtellcrgrosser Decubitus am os sacrum, eine Venen¬ 
thrombose am linken Bein und eine wahrscheinlich gonorrhoische Gelenkentzündung am 
linken Ellenbogen waren Ende 1897 zur Heilung gelangt. 

Seit September 1897 war Patientin zuerst im Gehstuhl, dann mit Hülfe von zwei 
Wärterinnen stundenweise ausser Bett, um Gehversuche zu machen. 

Die Schuhsohlen hatten an der Spitze eiserne Kappen erhalten, da beim Gehen die 
in massiger Spitzfussstellung stehenden Füsse nicht gehoben, sondern auf dem Ballen 
schlürfend an einander vorbeigeschoben wurden. Die Funktion der Blase war soweit 
wiederhergcstellt, dass der Drin gehalten werden konnte, wenn ca. ein- bis anderthalb¬ 
stündlich eine willkürliche Entleerung erfolgte. Die Mastdarmlähmung war geschwunden. 
Bei den Gehversuchen traten heftige Schmerzen unter der Fusssohle, namentlich rechts auf. 

In diesem Zustande, welcher seit Oktober und November keine wesentliche 
Aenderung gezeigt hatte, befand sich die Patientin, als am 1. Dezember 1898 die 
Dreiradbehandlung eingeleitet wurde. 

Von den Muskeln der unteren Extremitäten zeigten der Quadriceps cruris 
beiderseits massige, der Ileopsoas links starke Atrophie und Funktions¬ 
schwäche, während der rechte Ileopsoas fast gänzlich ausgeschaltet war. 

Die Muskeln der Fusssohle waren so stark geschwunden, dass sich die 
diagonal vom äusseren Fussrande nach dem Capit. oss. metat. I verlaufende Sehne 
des M. peron. long. unter der dünnen Haut dem Auge bemerkbar machte und bei 
passiver Dorsalflexion'des Fusses als scharfkantige Leiste hervorsprang, wobei in¬ 
folge der Anspannung der verkürzten Peroneussehne ein heftiger Schmerz an ihrer 
Insertionsstelle am Capit. oss. metat. I verspürt wurde. Es war derselbe Schmerz, 
welcher den Gehübungen in dem Momente hinderlich war, wenn der Fuss des Stand¬ 
beines vom Boden abgewickelt werden sollte. Gleichzeitig trat bei diesem Versuche 
ziemlich beträchtlicher Fussklonus auf. 

Nach genauer Verpassung der Grössenverhältnisse des Sitzes zu den in halber 
Länge fixierten Pedalen wurde die Patientin zunächst auf den Sattel gehoben, dort 


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M. Siegfried 


testgesrhnallt und die Fitste auf deii scblittschuhartigen Vorrichtungen ..so 'fixiert, 
dass bei jeder Kuvbelutötlrehnng durch Einwirkung der auf der .Abbildung (Fig. 14) 
sic hlbareri, vom Ifetfa! «a# der Hinterachse-und durch ein unter ihr befindliches 


'Die Fortbewegung wurde zunächst 
passiv, aber schon nach wenigen Tagen 
■aktiv beweiksteIJigt. 

Am ik Dezember bewegte sielt die 
l’atiöhtiii bereits eine halbe Stunde, am 
-0. Dezember uh täglich eine ganze 
Stunde selbstständig auf dein Bade. 

A nv J! 0. Januar 1 Sylt war die Spitz- 
fusskuntraktuisteiluflg der Kusse soweit 
korrigiert, ibm Fatientiti njit ganzer 
Sohle, auf treten konnte. . 

Die therapeutische j^j^Äussupg 
dos gelähmten Ueopsöus, welcher bei 
der gewfihnluben Ausübung der L'y~ 
fcfteük, wie ich früher ij muhgewiesen 
halte, nicht in Thätigkoit tritt, wurde 
dadurch erreicht,, dass durch die Fixie¬ 
rung der ‘Küsse auf den Pedalen die 
Möglichkeit gegeben war, die Fort hewe- 
guhgdes Bades (Kig. lf>) statt, wie sonst, 
durch Herabdrücketi des jm vonlereo/.KbeDabsirhBrtt hochstehenden (aj, jetzt durch 
Krep»mei»*n des im hinteren Kreisabschnitt in Tiefstand f b) befind liehen Pedale* 
zu bewerkstellige«. 

• Während hei der erst mm■Leistung die Strecker des Beines iu Tbätigkejt treten. 

Wird die letztere durch den Beuger des 
Tig/dv- i t/iecschenkels. gegen das Decken — den 

11 eu|»so äs -r ««.geführt. 

. 1 " -"i— Charakteristisch für .diese hierbei nö~ 

jj \ ibige. ; Irittnspruchmshinc des bis dahin nn- 

j f k.i- . . thötrgen Vteopsoas war die naive Verwunde- 

\ V rung der Patientin, bei der Bewegemg der 

\ \ ’’ ,Heine nicht in fliesen, sondern >jni Leibe-i 

\ eine ziehende Kmpfimtuag zu haben, die sie 

^ganz richtig an die Insertionshasis und den 

Verlauf dos mächtigen Muskels verlegte. 

Die durch diese Delvuüg i/ewlrkfe Kräftigung des Ileppsbas machte sich bei 
den tiehfibungeti durch fijjfrerij*nnifenergischeres Heben der Kniee, durch leich- 
wtßir itergäufgelien ut<d Tpejjvpöhsteigert beiöerkbur. 

Der anfangs auitreteude Fussk 1 onus- vprschwahÄ; in der vierten Woche der 
Behandlung, ln »lern psy clnschea' Vgrh/dteit der Patientin zeigte sich eine bedeutende 


. Myvhtts. 

Kttinpf und Küsse gdeHwic. Drlmmitr dci Ai’ltilfcs- 
SY-hnc Uuif-U itftulincciKt»israuh. Temperatur - g'*lt. 


■}f j'feut.siJii; locüfoütizcbv .Wi^iji'ksDjriif ifjlftt; 5» 


nw»5>| 




bewegliches Scharnier laufenden Hebel 


fig 14. 

eine minimale Dehnung der ver- 



M kürzten Achillessehne stattfand. 

SB 







Die DreiradgyniDastik im Dienste der Bewegungstherapie. 135 

Veränderung. Während sie im Laufe der langwierigen Erkrankung stark deprimiert 
gewesen war, und im Verlaufe melancholischer Verstimmung bereits zweimal ein 
conamen suicidii gemacht hatte, trat bei den sichtbaren Fortschritten in der eigenen 
Leistungsfähigkeit und unter dem Einfluss der täglich, auch bei gelindem Frostwetter 
in freier Luft betriebenen 1— 1 >/, ständigen Bewegung auf dem Dreirad eine hoffnungs¬ 
freudige Stimmung, der feste Glaube an eine Heilungsmöglichkeit ein, ein Gemüths- 
zustand, welcher auch wieder suggestiv auf das körperliche Befinden eine positiv 
günstige Rückwirkung äusserte. 

Der psychisch belebende Einfluss, dessen Auftreten auch bei Gesunden untrenn¬ 
bar mit der Ausübung der Cyklistik verbunden ist, machte sich hier umsomehr be¬ 
merkbar, als die hilfsbedürftige Unbeholfenheit der schnell zur Ermüdung führenden 
Gehversuche zu der Selbstständigkeit, der Ausdauer auf dem Rade und der Leichtig¬ 
keit seiner Fortbewegung einen selten scharfen Kontrast lieferte. Eine einfache Be¬ 
rechnung ergiebt, dass bei der mässigen Durchschnittsleistung von 25 Pedalumdrehungen 
in der Minute ä 4 Meter Wegstrecke 4x25 = 100 Meter in der Minute, also in 
60 Minuten 6 Kilometer zurückgelegt wurden, wobei 1500 Streckungen und Beu¬ 
gungen beider Beine, also im ganzen 3000 Muskelkontraktionen und Gelenkbewegungen 
zur Auslösung kamen. 

Die Möglichkeit eine so grosse Anzahl von Bewegungen ohne Ermüdung aus¬ 
zuführen, erklärt sich zumTheil aus dem Umstande, dass durch die feste Verbindung 
beider Tretkurbeln beim Herabdrücken des einen Pedales eine automatische Hebung 
des auf der anderen Seite befindlichen eintritt, so dass der darauf befindliche Fuss 
nicht aktiv, sondern passiv gehoben wird. Das betreffende Bein erhält daher einen 
mechanischen Auftrieb, welcher ein Analogon zu demjenigen bildet, welcher in 
den von Leyden-Goldscheider eingeführten kinetischen Bädern 1 ) durch das Wasser 
bedingt wird und durch diese Entlastung des Kranken von seiner Körperschwere die 
Ausführungen von Bewegungen im Bade erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht. 

Als die Radbehandlung nach dreimonatlicher Dauer aus äusseren Gründen be¬ 
endet werden musste, war Patientin imstande, an zwei Stöcken zu stehen und zu 
gehen, sowie die Uebungstreppe herauf und herabzugehen, wobei das Geländer nur 
noch mit einer Hand als Stütze benutzt zu werden brauchte 2 ). 

Hatte die Anwendung der Radgymnastik in diesem Falle durch Wiederbelebung 
erloschen gewesener Bahnen als bahnende Uebungstherapie 3 ) gewirkt, so war 
der Versuch angezeigt, zu sehen, welche Wirkung sie bei Koordinationsstörungen 
im Sinne der kompensatorischen Uebungstherapie, bei welcher bekanntlich das kom¬ 
pensatorische Eintreten neuer Bahnen für leitungsundurchgängige erstrebt wird, 
entfalten würde. — Einen Tabiker mit hochgradiger Ataxie und erloschener Sensi¬ 
bilität auf ein Dreirad üblichen Modells zu setzen, ist ein schwieriges Unternehmen 
und ein gefährliches Wagniss. Wenn Unglücksfälle durch Fall vom Rade oder durch 
Frakturen der von den Pedalen fortwährend abirrenden Füsse und Unterschenkel mit 
Sicherheit ausgeschlossen werden sollen, bedarf es anfänglich einer vollständigen 
Fesselung des Patienten, sowohl auf dem Sattel mittels des Leibriemens, wie auf 
den Pedalen. Ersteres ist nothwendig, weil nicht nur ein Abgleiten von dem dem 

1) Diese Zeitschrift Bd. 1. Heft 1. 

2 ) Ein unbeabsichtigter Erfolg bestand darin, dass die Patientin, als sie von der bevor¬ 
stehenden Nothwendigkeit, die Kur abzubrechen, hörte, von neuem ein conamen suicidii machte, weil 
sie das Eintreten einer Rückkehr zu dem früheren Zustande fürchtete. 

9 ) Funke, Diese Zeitschrift Bd. 2. Heft 3. Jacob, Diese Zeitschrift Bd. 2. Heft 1. 


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136 M. Siegfried 

Patienten nicht fühlbaren Sattel zu befürchten ist, sondern weil auch durch die 
stürmischen ataktischen Bewegungen der Füsse, welche durch die Fesselung an den 
Pedalen gleichsam zu festen Punkten geworden sind, der Rumpf, falls nicht sehr 
schweres Körpergewicht vorliegt, aus dem Sattel geschleudert werden kann. 

Die gleichfalls nothwendige Fesselung der Füsse ist jedoch nur für die ersten 
Wochen angezeigt. Denn wenn auch die hierdurch selbst bei höchstem Grade der 
Ataxie sofort gegebene Möglichkeit der Fortbewegung dem Patienten zumeist 
sehr imponiert, so kann der weiterblickende Arzt sich nicht verhehlen, dass der 
eigentliche Kurzweck, die Anspannung der Intention, die Verbesserung der 
Leitung, die Ausschleifung neuer Nervenbahnen verfehlt ist, wenn der Patient nicht 
angelernt wird, den Pedalen auch ohne Fesselung zu folgen. Es werden daher 
nach wenigen Tagen die eisernen Fesselschuhe durch einen einfachen Querriemen 
ersetzt, welcher steigbügelartig das Pedal überspannt. Die Geduld des Lehrers 
und die Ausdauer des Schülers wird zwar auf eine sehr harte Probe gestellt, denn 
es kann Vorkommen, dass wochenlang jeder einzelne Pedaltritt korrigiert werden 
muss. Allein bei dieser Art der Methode gelangt der Patient allmählich zur Selbst¬ 
ständigkeit in der Fortbewegung, während die dauernde Anlegung der eisernen 
Schuhe denselben Nachtheil hat, den überhaupt der Gebrauch von Hülsenschienen 
in vielen Fällen nach sich zieht: der Patient ist wehr- und hilflos, oft hilfloser, als 
vor der Anlegung, sobald er seine Schiene aus irgend einem Grunde entbehren muss. 

Durch die anhaltende Wiederholung der Aufgabe, dem in sagittaler Ebene ver¬ 
laufenden Kreise der Pedale zu folgen, ohne ein ataktisches Abirren der Füsse zu 
dulden, verliert der Tabiker allmählich einen Theil der Ataxie, aber natürlich zu¬ 
nächst nur für die Uebertragung derjenigen Willensimpulse, welche für diese eine 
Bewegung in Thätigkeit treten. Jedoch auch der Besserung des Geh Vermögens, 
welche den Tabiker in der Mehrzahl der Fälle am meisten interessiert, kommt die 
senkrechte Kreisbewegung insoweit zu gute, als in ihr einige Elemente des 
Ganges enthalten sind. Das ist der Fall, wenn im hinteren Kreisabschnitt der Fuss 
durch die emporsteigende Kurbel passiv gehoben wird, den höchsten Punkt des 
Kreises überschreitet und nun nach vorne unten dem Pedale folgen will. Diese 
Phase entspricht dem Moment, in welchem beim Gehen das beim Standbein nach 
physikalischen Gesetzen fast 1 ) ohne Muskelhilfe vorbeischwingende Hangbein die 
gleichfalls nach vorne unten gerichtete Intention zum richtigen Aufsetzen des Fusses 
auf dem Erdboden zur Geltung bringen soll. Wie beim Gehen hierbei der Unter¬ 
schenkel des Ataktikers nach oben geschleudert wird, so entfernt sich bei der Rad¬ 
gymnastik der Fuss ruckweise und schleudernd nach oben aussen von dem 
seinen Kreis ruhig weiter beschreibenden Pedale. Gelingt es dem Tabiker, die 
fehlerhafte Bewegung zu korrigieren, so hat er ein Moment für die Gehübungen 
gewonnen. Ich betrachte demnach die Radübung in Bezug auf die Beinbewegung 
als Vorübung für den mittels der Leyden - Jacob’schen Apparate vorzuneh¬ 
menden eigentlichen Gehunterricht. Die Radübung hat die Annehmlichkeit, dass 
sie die Beine vom Körpergewicht entlastet, sodass die Intentionsbewegungen länger 
ohne Gefahr der Ermüdung fortgesetzt werden können, und zweitens die anfangs 
erwähnte Eigenschaft, rhythmisch wiederzukehren, während gleichzeitig die 
kreisenden Pedale mit der Gleichmässigkeit eines Uhrwerks ihre Bahn durch- 


i) Nicht ganz, wie Duchenne den Gebr. Weber gegenüber mit Recht hervorhebt Phy¬ 
siologie der Bewegungen S. 295. Cassel, Berlin 1885. V erlag Theod. Fischer. 


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Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. 137 

laufen und jede stossweise Muskelkontraktion unmöglich machen bezw. deren 
Wirkung aufheben. 

Dadurch, dass der Rhythmus der Bewegungen unabhängig vom Willen des 
Patienten stattfindet, indem unweigerlich sich das eine Pedal senkt, wenn das andere 
steigt, wird der Patient für die schwierigere Stufe vorbereitet, beim Durchschreiten 
des Laufrahmens im Takte zu gehen, d. h. statt der Eindrücke des Gesichtsinnes die¬ 
jenigen des Gehörsinnes zu verwerthen. Der Hauptwerth ist dabei darauf zu legen, 
dass der Uebende eine rhythmisch wiederkehrende Schallempfinpung in sein Ge- 
dächtniss aufnimmt, die Taktthcile mitzählt und auf den Haupttakttheil den Fuss 
aufsetzt, während die übrigen Phasen des Schrittes (das Ab wickeln und Anheben) 
gleichmässig auf die Nebentakttheile — die »schlechten« in der Musik — ver¬ 
theilt werden. 

Ich habe auf einen mir mündlich gemachten Vorschlag des Herrn Prof. Gold¬ 
scheider dazu den Maelzel’schen Metronom benutzt und gefunden, dass die 
Patienten den S U Takt im Tempo von Marke 69 (= Larghetto) am erfolgreichsten be¬ 
nutzten, während die Vertheilung des Schrittes auf */* schwerer fällt. Von dem Prin- 
zipe Gräupner’s, der wohl zuerst auf die Benutzung akustischer Reize aufmerksam 
gemacht hat, unterscheidet sich diese Anwendungsform dadurch, dass beiGräupner 
die Schallempfindung erst nach Vollendung der Schrittbewegung eintritt, indem 
erst durch das Auftreten der Fusssohle ein elektrischer Schluss herbeigeführt wird, 
der das akustische Signal auslöst. Eine Regulierung der Schrittbewegung, eine 
gleichmässige Vertheilung der einzelnen Phasen auf einen sich stets gleichbleibendes 
Zeitintervall, kann hierbei nicht erreicht werden. 

Eine Schwierigkeit bei der Benutzung des Metronoms liegt nur darin, dass von 
seinen durch Pendelschwingungen hervorgebrachten Schlägen keiner einen besonderen 
Accent trägt, sondern dass sie sämmtlich von gleicher Stärke sind, sodass wohl 
der Takt, aber nicht der Rhythmus angegeben wird. Dadurch aber, dass der 
Patient genöthigt ist, sich von drei oder vier Schallempfindungen., welche sich 
akustisch in nichts von einander unterscheiden, einen durch lautes Mitzählen seihst 
mit einem besonderen Accent zu versehen, um aus dem Takt den Rhythmus zu 
bilden, überträgt sich die beim Sprechen der Zahl »Eins!« stattfindende stärkere 
Accentuierung unwillkürlich auf diejenige Gangphase, welche bei »Eins!« ausgeführt 
werden soll, sodass diese Phase leicht ataktischer ausfällt, wie die auf die ohne 
Accent gesprochenen Zahlen »Zwei« und »Drei«. 

Zweckmässiger daher ist es, die Gehübungen nach den Klängen einer Melodie 
vornehmen zu lassen. Bei der Auswahl dieser Melodie ist auf eine physiologische 
Wirkung der Gehörempfindungen Rücksicht zu nehmen, die ich bei der Besprechung 
der Zweckwidrigkeit der üblichen Radsignale, welche Schrecksignale sind, aus¬ 
führlicher besprochen habe *). Wie ich dort ausführte, überträgt sich die Beschaffen¬ 
heit der Töne eines Signals und die Art, in welcher diese hervorgebracht werden, 
auf das Nervensystem des Hörers und versetzt diesen in die entsprechende 
Stimmung. So bewirken schrill und plötzlich gegebene Signale oder Kommandos 
auch ruckhafte und plötzliche Bewegungen, während lang gedehnte, gezogene Töne 
dieselbe Eigenschaft auf die Bewegungen des Hörers übertragen. So wird der 
Tabiker nach den Klängen eines schneidigen Militärmarsches ataktischer gehen, als 
überhaupt ohne Musik, und andererseits werden getragene Volksmelodien seine 


i) Wie ist Radfahren gesund? S. 53 u. f. 


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138 M. Siegfried 

schnellende Bewegungen abrunden und ihm die kompensatorische Erlernung weicher 
Exkursionen der Gelenke erleichtern. 

Eine zweite Wirkung der Dreiradgymnastik auf den Tabiker ist die schmerz¬ 
stillende. Goldscheider hat in einem Vortrag »lieber physikalische Therapie« 1 2 ) 
auf die schmerzstillende Eigenschaft der Bewegung aufmerksam gemacht und einen 
Fall erwähnt, in welchem ein Tabiker bei Auftreten der lancinierenden Schmerzen 
letztere verlor, wenn er rechtzeitig sein Dreirad bestieg. Ich habe dieselbe Be¬ 
obachtung mehrfach gemacht und zwar bei Krisen im Bereiche des Darms und der 
Extremitäten, wobei ein mit gleichzeitigem Handbetrieb*) versehenes Dreirad bei 
Schmerzanfällen im Bereiche des plexus brachialis besonders gute Dienste leistete. 

Drittens kommt die Allgemeinwirkung der Radgymnastik auf den Kräfte¬ 
zustand des durch Stuben- und Rollstuhlaufenthalt oft körperlich und geistig herunter¬ 
gekommenen Patienten in Betracht, die psychische Aufrichtung, die Belebung des 
Stoffwechsels, kurz die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der einzelnen Zelle gegen 
die mit der Tendenz des Progressiven versehene und für medikamentöse Behandlung 
unzugängliche Krankheit. 

Als viertes förderndes Moment ist der Umstand zu betrachten, dass die Uebungen 
auf dem Dreirad eine ganze Reihe von Vorübungen zur Voraussetzung haben, welche 
der Patient beim jedesmaligen Auf- und Absteigen absolvieren muss, und dass ihrer 
Ausführung eine Reihe koordinierter Bewegungen nöthig sind, deren Ausführung 
gerade dem Tabiker besondere Schwierigkeiten bieten. 

Hierher gehört zunächst das Hinauftreten auf einen 15—20 cm hohen Holz¬ 
tritt, welcher den Körper auf die ungefähre Höhe der Kurbelachse zu bringen be¬ 
stimmt ist. 

Wie schwierig es für einen Ataktiker ist, dies in annähernd normaler Weise 
auszufühien, geht schon aus dem Umstande hervor, dass Goldscheider unter die 
Apparate der kompensatorischen Uebungstherapie einen Holztritt besonders auf¬ 
genommen hat. 

Da bei geradeaus stehendem Vorderrade die Griffe der stark zurückgebauten 
Lenkstange ein Herantreten an den Rahmen zwischen die Hinterräder, wie es zum 
Aufsitzen nöthig ist, verhindern, so muss das Vorderrad bis zum rechten Winkel 
scharf nach aussen gedreht werden. 

Hierdurch wird es dem Patienten ermöglicht, beide Griffe der Lenkstange 
als Stütze zu benutzen und gleichzeitig durch Anziehen der Bremse ein Aus¬ 
weichen des Rades zu verhindern. 

Ist dem Patienten nach einer Reihe vergeblicher Versuche die Erfüllung dieser 
Aufgaben gelungen, so muss er, da er sich dem Rade, um nicht an dem vorspringenden 
Hinterrade zu Fall zu kommen, von vorne genähert hat, jetzt eine fast vollständige 
Kehrtwendung auf dem Holztritte ausführen, um sich mit seiner Front in der Fahrt¬ 
richtung zu befinden. Diese Drehung muss fast auf der Stelle und mit beinahe 
geschlossenen Füssen stattfinden: eine der für den ataktischen Tabiker schwierigsten 
Uebungen, da er nur breitbeinig zu gehen und zu stehen gewohnt ist. 

Dass zur Vervollständigung des Aufsitzens der Patient dann das eine Bein über 
den Rahmen wegführen muss, wobei ihm die Aufgabe gestellt wird, nicht an den 


1) Verein für innere Medicin. Sitzung vom 18. Dezember 1899. 

2) Vergl. Fig. 28 und 29 im folgenden Hefte 3 der Zeitschrift. 


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Die tVeir.^l^vwinii^Ök ftu iDiwisite l^i^yegnn^tliera^iA 


Rahmcjj :iufzufi.t«Rsert, erinöcrt ihn an die gleiche Aufgabe bei den l'-übungen au 
dem• JaraiVseben Rahme'« «ml *ler Goldseheltter'^chea Leiter. 

So wiederholt der fahiker, ehe er 2«m SU* litt Srttte.l kömmt, eine Ifeiiie 
von Momenten der kompensatorischen. Uebiingtitberaide, jedoch .mit foigoadero 
L T nter>rhi®de: , - ' ' , ' . ‘ 

Während an den Apparaten die jedesmaligen Bewegungen in gleicher Weise 
wiederholt werden, bis nach moet Ruhepause ein neuer Apparat an die Reibe kommt, 
vollfuhrt, fe Patient beim Aufsitzen nuf.das Dreirad vom tun massigen Heran¬ 
gehen ho das Rad bis zum Sit?, ini 

Sattel in kontinwidieher Reihen- J'ig ><;. 

folge die Dehlingen des Imofrabmons, 

des Hoktrittes, der Spirale and der •: gf.\_ • 

Ausserdem ist, ihm in di<>oin 

Dalle die Ausführung dieser einzelnen 

.. •. , . .. .. . . ■ " . :. .... . -- 

lebungen nicht wie am Apparate 


iüteü3 


.Vnfstiug iU)i»e die nUsr. 

Die K^rperlüfit liibt ani i\cu Annen wnil di.w tiükoii 
i&ift Tempt» I 


M Zur Mechanik und Physiologie doc CylvUaßk Deutedie luHidms.ehe W/tchonsdinfi 1 BOii« 





AL Siegfried 


Die Fig, HI zeigt bereits den Moment, wo unter Mithilfe der gesammten Arm- 
muskulatur durch St reck uug de? linken Knie? da* Körpergewicht auf die Hinter- 
ntiiadise gehoben ist, welches mui von beiden Amen und dem linken Deine getragen 
werden muss, bi* der rechte Fass nachgezogen, • ebenfalls auf die Hinterradndop 
und von dort vorsichtig auf das rechte .Pedal gesetzt wird- Von dieser Stellung ans 
kann sitih sofort auf den Sattel niederlassen, öder es kann dies geschehen, 

nachdem auch der linke Fass die Hir.terradiiehse verlassen «ad das linke Pedal be¬ 
treten hat tFig. J7). 

Letztere Stellung kann auch zwischen dbe «iuzeloen Fortl»ewegnngsabschöitte.n 
am stehenden Dudc zur f ebung der einzelnen Muskeln und vor allem zur Hebung 

der allgemeinen Beweglichkeit 
Fi<j it. und dev Herrschaft über die Go- 

•~r.. . sumrathaHung des Körpers vom 

Sitze' ans durch Aufeteheu eingenom- 

m llade wird meiner Ansicht nach nicht 

genügend gewürdigt, obwohl sie mit 
v £ 'jk. der Gymnastik auf dem Bade, welche 

•• 5w£ gewöhnlich allein der hygienischen 

•. Den rthei lung unterzogen wird, un- 

ifc trennbar verbunden ist und auch 

— <v>- Gtstjc? - .'■. beim Gesunden zu einer wesent- 


nicht belastet, «ihne spezifische tiifeklioifj 
erkrankte März 1^87: ag hoehgradiger 

AtMte: der Ürii» kannte nur.1h sitzender 
Stellung .mjrt in Absätzen enlteeri nerdem 
dift ©efllkmion war schwjwjg, der I»rang 
fehlte völlig. • • 

Nack ciiror ioi);Frtlh|jihr’:kj$ÖTvar^uotnineitieü jÖüVtckur in itejlik.auscH, welche ohne 
Finwirkiirm auf. die bescliriclrtsKeii %iiipteiM vbljßi», kam Patient Ende Atigmst 1ÖS7 nach Bs.l 
Sjutbebfl, Es besufud hochgradige Ataxie*. Och- und St eh Unfähigkeit. Patient brach soJforf. 
ui den huieen xtisatunu'b. wenn «r z. !3, 'beim Ankleiden picht dauernd unutraUlttt Wiird«\ 
Pftteltovrcfiexe.. Uodehredexe fehlen •völlig. Pufiiliensfariv bei hochgradiger Myopie. 
s.imi, Uim-./.-Mi* rechts« ItWniberg stark vorhamlotL Von Seiten des Herzens bestätig die von 
%. t.e 'iiiMi Hin! f*ni«tlel betonte Erhöhung der P<i!stiei|u?nz, die anfangs nie'.unter 100 in 
•1* r Minute? Iietrng, Setiisibiiit&t der ganw» imtcfm Körperhälfte sehr stark herabgesetzt. 

Am I -September I.H417erster Verstirb auf dom Kordrririufe. Patient wird' aus 
dern UolMuhi ;«if den Ssttd gelmheii. Dumpf ««Mi FftSSe werden fgstgesclmalli (Fig. 1SV 
Patient fühlt weder pm So t fei. nm-ti tim Pedale« auch die Böckenldbae,. Die Ataxie 
ist -o gross* daji die Fü**y €<•}>. öfters plötzlich ;uis den Diemen befreien und nach 
beftlgB: Seiten fnr-.-eMit.'Oii. Prn- i i-imngcu werden in langsamstem Tempo unter 
seimrfiM Dcobmdituuc >eden> des <iefdrhtssiutH* und starker Anstrengung der Intention 

;iu: gefüllt-?. 


.A ufstieg v mh ] KiÄifen lU»^x *Ue Elin terra rl 

Stellen ui <k*if Tvtlaleji vor <h'tn Nivi!r*r*itxina otU-r 
Autatdieti vorn Said'i. S i M ytfäfiftji 






Du* Droirai^ryiJioustik im Dienste- efr'r Kt vr^tmgtitjtüriipm 


Nach 14. Tages Fortlässeo. der- Rumpf- und Fusshandagen. l>le Filsse irren 
noch fast bei jeder PediUümd'rdhang ab. jedoch gelingt es- dom Patienten bereits, die 
Pedale während der Ej^feöwtegttag ’ - __ . ' . 1 . 

wieder zu Fangen, ohne anhalte» zu vu ’ 18 

müssen. Die Korperhaltuag ist wwb 

stark vornübergebeugt. am die Be«i> . /, 

guög 'der Ffts.se ununterbrochen mit den 9H 
Augen verfolgen zu könne«. fl| 

Patient behauptet nach circa drei* .jyflrasp’V 

wöchiger täglicher (Jebung ein gewisse- m. 

DrtickgefäbHB den Sohlen und ober- 

halb der Kniee zu verspüren, wenn das '.f^.^vSS- 

Daher l'etergang zur .Steilung ■ .. /. 4 , 


•elfte Strecke ton civ 5p m föhtetfb* 

■zirröckziijeg'ßn.'. &.':•{ vT^K'j-l- 

Da der fünften Woche l’ebött^fehi 
Im F r e ie n. Scheinbarer ftücjkschntt, 
bedingt durch die kleinen ßrsctMUteruiv- 
gen des Rades infolge der Fueben*- 
beiten der VVege, dyreii tTtti killrenden 
Attssencindriteke und die Nothwetidig- 
küit, der Lenkung, wedelte In meinet 
Fehuugshalle schliessdifilv fast antoma- 
ti&cb erfolgte, einen theil der Awftnerk- 
aamkeit züwenden zu miissein 

Nach circa acht Tagen Status der 
Figur 19. Patient erwirbt ein Dreirad 
und ist nicht mehr zu bewegen, 
den Rollstuhl zu benutzen. Seine Frau begleitet ihn theijs ku pfe;, tlieiis anf 
dem Zweirad und hilft durch Schiebe» etwaige WegsohwIorigkiAom überwinden: 

Am 24. November 1Ö97 schreibt Patient: >pjo Radfahren .filie. ich •Seidig und 


Fj.Äw; 

Nach h f *ti 1 swwt*l i ige f Pelmng im ireioiv 











M. Sicgfriwl 


habe s* noch keinen Tag ausgesetzt, zumal ich- mich auf dem Rade ara wöhlsten 
föhlt* . im Hause gehe Jeh jetzt mit einem Stocke, herum; ab und -fu auch noch 

- • andere l ! utewtützmtg ßebraucheod . . .; 
_ _ * l * * ,~-~ T •* "nr tUMtl m. ..... ....> 


macht Pati^Jt ; hjiijf seinem Dreirade. 
Durch Koujbihaiion aller Faktoren hat. 
es Ratu^t in diesem Jahre (ItiÜUi zu 
einem getiten ;GehY£rroögen gebracht, 
wie die. letzte Abbildung anschaulich 
iiau ht {i ig.uti. — Voll Seiten der IMaso »ud des Mastd.nrms hnstehen seit ca. I 1 /* .fahren 
keilte fle^werdßji ntehiv Der früher fehlende Srubldrgßg h#t sich wieder eingestellt, 
P ilr unddit* Entbernng lies Urins kann anch im 

............ 


Souiimir K*00. Iru LaMfraht^n wir 

tili« l> >'. -Jin ui). 


Sutuimur ifiÖO. 






Die r>roiriJ<I^ r ytnna^tik 


Dtejiste itvr ß t* w i’#u n p4 < u*rap u* 


Fremitus 








St l>id t'rt'iradtoannastik iiB Idciwtc der 8aveguiigfith<srn()io. 


mögen auf Al>$ä.tg.eit bei rechtwinkliger Stellung der Fussgelenke. 

Am 22. l'ezcT'Aboi 1x98, iß der fünften Wet he, konnte der Patient an der Hand 
eines- ihn Fithrcntien 20 Schritte- ohne «rosse- Kirnüdgag gehe.ft. 

Am 2.^ Febt mir TSOii konnte ein Pedalkreis 
von 14 cm Radios gegen 7 rau im Aufang bei 
einer >'i.edrtgerstelinng des Sattels um 7 an he- 

? ' ihv Velninge» wurden in der ganzen Zeit 

# ''OK Kode November IS;)! bis Mitte Mörz 1898 

T mit. wenigen Ausnahme» im Freien, auagefilhrt 
ohne das» .Patient sich dabei ei ad Erkiil- 
hätte. Im warmeal'ijöterzeug. 


bewegt* sich Patient auch-bei — ~|AE in troeke- 
' - . ,. c . tü'-fj F}'isv<vefter mit Behagen auf der Asphalt* 

Strasse des Krankenlmnses. .Eine leichte In- 
'. v "\ • • di'coatioü So.l auf einige Tage, in denen er 

^ Frostes an das Zimmer gebunden 

i*k I« haket« zeigten sichtbare Fortschritte, das Kürper- 

geeicht war am 15« März 18!)Ü auf 7!,5 kg 

Steligm^n »ad» der B^bandto» « eU f*> ,V bei A * tm * (lör 0Ö#|B^tiSchen 

Bcliandiufäg) gestiegen. 

Audi dieser Patient verzichtete nur sehr ungern auf die Fortsetzung der Be- 
iKiinljung, obwohl die Schmerzen bei den, einzelnen Selmentlelinr.ngon und f.eieok- 
ömlHÜsieruu^e« zinveijcm nicht mibedenteml wmen. ' .Schluss foigu 




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Referate über Bücher und Aufsätze. 


145 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Goldscheider und P. Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie. Thcil 1 . Band 1 . 
Leipzig 1901. Verlag von Georg Thicmc. 


In der Vorrede des v. Leyden zum 70. Geburtstage gewidmeten Werkes sagen die Heraus¬ 
geber, dass ihre Absicht sei, mit diesem Handbuch einen Boden mit Grundmauern und Pfeilern fin¬ 
den wissenschaftlichen Ausbau der physikalischen Heilmethoden zu schaffen, der, wie wir alle wissen, 
dieser modernen Disziplin so dringend Noth thut Die Forderung der kritischen Sichtung des vor¬ 
liegenden, häufig sehr subjektiv gefärbten Materials einerseits, die Warnung andrerseits vor un¬ 
berechtigter Unterschätzung klinischer Beobachtungen sind daher das Leitmotiv des Buches, für 
dessen Emst und Gründlichkeit die Namen der Mitarbeiter bürgen, welche Goldscheider und 
Jacob gefunden haben. 

Besonders werthvoll erscheint dem Referenten der Umstand, dass augenscheinlich den einzelnen 
Bearbeitern eine möglichst grosse Freiheit gelassen ist, ihre persönliche Auffassung zu Worte 
kommen zu lassen; dass also in diesem Gebiet, in dem thatsächlich viele sich widersprechenden 
Meinungen einander entgegenstehen, keine schablonenmässige Einheitlichkeit erstrebt ist, sondern 
eine Betrachtung und Beleuchtung von verschiedenen Standpunkten ermöglicht ist. Es wird dadurch 
das Werk ein Ausdruck der heute in der Wissenschaft und praktischen Medicin thatsächlich vor¬ 
handenen Strömungen; das sichert ihm seinen Werth weit über den eines gewöhnlichen Sammel¬ 
werkes hinaus und rechtfertigt auch vollkommen die Wiederholungen und die Widersprüche, die 
sich in einzelnen Abtheilungen finden. 

Der vorliegende erste Band enthält die wissenschaftliche Begründung und die Darstellung 
der Technik folgender Zweige der physikalischen Heilmethoden: 1. der Klimatotherapie; 2. der 
llöhenlufttherapie; 3. der Pneumatotherapie; 4. der Inhalationstherapie; 5. Balneotherapie; 6. Tha¬ 
lassotherapie; 7. Hydrotherapie und 8. Thermotherapie. 

Den einzelnen Kapiteln sind historische Einleitungen vorausgeschickt, und zwar für Kapitel 
1—5 von Pagel, für Kapitel 6-8 von Marcuse. Dieselben sind zweifellos sehr lesenswerth, die 
von Pagel bearbeiteten zeichnen sich durch gute Litteraturangaben aus, für eine Neuauflage des 
Handbuches wäre es wünschens werth, dass auch Marcuse die Belegstellen seiner sonst sehr inter¬ 
essanten Ausführungen genauer angäbe, denn gerade für eine historische Darstellung erscheint das 
wichtig. Den theoretischen Theil der Klimatotherapie hat Rubner bearbeitet. Referent bedauert 
sehr, dass er im Rahmen einer kurzen Besprechung auf diese gründliche und glänzende Behand¬ 
lung des Themas. nicht ausführlich eingehen kann. Es verbietet jedoch die Reichhaltigkeit des 
Stoffes ein kurzes Referat durchaus. Das Kapitel will gelesen und studiert sein. Hervorgehoben 
sei nur, dass ein guter Theil des grossen Beobachtungsmaterials aus Rubner’s eigenen Arbeiten 
stammt Eine treffliche Quelle praktischer klinischer Belehrung bietet der nächste Abschnitt 
«Aerztliche Erfahrungen über Klima etc.« von Nothnagel, wie sie eben nur ein hervor¬ 
ragender Kliniker geben kann. Wenn Nothnagel auch betont, dass kein einzelner seine persön¬ 
lichen Wahrnehmungen zur alleinigen Unterlage des Urtheils machen dürfe, so liegt doch der be¬ 
sondere Werth des Kapitels darin, dass es aus einer ausgebreiteten persönlichen Erfahrung heraus 
geschrieben ist; und diese äussert sich in vielen kleinen werthvollen Hinweisen (z. B., dass man 
einen Phthisiker mit Neigung zu Durchfällen nicht nach Madeira schicken darf). 

Die Physiologie der Höhenlufttherapie ist von A. Löwy trefflich bearbeitet. Löwy 
kommt zu dem Schlüsse, dass das Höhenklima anregend auf die Thätigkeit der verschiedensten 
Organsysteme unseres Körpers wirke und dass das Moment der Uebung, welches damit gegeben sei, 
zu gesteigerter Leistungsfähigkeit, zur Kräftigung führe. Weiter folgt ein Kapitel »Aerztliehe 
Erfahrungen über Höhenlufttherapie« von EiehhorsJ. Es ist selbstverständlich, dass der 
Züricher Kliniker und gesuchte Consiliarius der Schweizer Kurorte über die reichhaltigsten persön¬ 
lichen Erfahrungen in diesem Gebiete verfügt. Seine kritische Darstellung berücksichtigt Indikationen 
und Kontraindikationen auf das genaueste; so wird z. B. mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass 


Zoitschr. f. <li*t. u. phjsik. Therapie Bd. V. lieft 2. 

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14ö 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Kranke mit Zirkulationsstörungen nicht in ein Höhenklima passen. Besonders dankenswerth sind 
ferner Angaben über wissenswerthe Einzelheiten, z. B. über Schul Verhältnisse. Man findet in diesem 
Abschnitt jedenfalls einen zuverlässigen Berather für alle in Betracht kommenden Fragen. 

Die Physiologie der Pneumatotherapie ist von R. du Bois-Reymond bearbeitet und 
giebt die wichtigen Fakten klar und übersichtlich. Der praktische Theil hat v. Liebig zum Ver¬ 
fasser, der bekanntlich in erster Linie Verdienste um die Entwickelung dieser Disziplin hat. Unter 
dem Stichwort »aktive und passive Methoden« werden nicht nur die einzelnen Vorrichtungen be¬ 
schrieben und abgebildet sondern auch eine Menge klinischer Beobachtungen beigebracht. Die 
Inhalationstherapie ist von Lazarus ausführlich und genau dargestellt. Der Abschnitt ist mit 
vielen guten Abbildungen versehen und zeichnet sich durch eine ruhige Sachlichkeit aus. 

Im Kapitel Balneotherapie hat v.Liebermeister die thermischen Wirkungen der Bäder 
beschrieben. Die berühmten Untersuchungen des Autors sind der Darstellung zu Grunde gelegt, 
und daran ist das sonst experimenteil gewonnene Material angegiiedert Die neueren Untersuchungen 
sind dabei allerdings verhältnissmässig wenig berücksichtigt. Die Eintheilung der Bäder in 
physikalischer und chemischer Hinsicht hatGlax bearbeitet, der durch sein treffliches Lehr¬ 
buch der Balneologie für dieses Kapitel besonders geeignet und vorbereitet erschien. 

Die physiologische Begründung der Thalassotherapie hat A. Hiller gegeben, der 
gleichfalls durch frühere Arbeiten auf diesem Gebiet sich ausgezeichnet hat. Es sind alle wissens- 
werthen Dinge über die Wirkungen der Seeluft, des Seewassers und des Lichtes an der See über¬ 
sichtlich zusammengestcllt. Die Technik und Anwendung der Seebäder, sowie ein Kapitel 
über Seereisen ist von Hermann Weber geschrieben. Man hat bei diesem Abschnitt wieder 
Gelegenheit, die reiche praktische Erfahrung des Autors in diesen Fragen zu bewundern. Sehr 
dankenswerth ist auch das kurze Kapitel über Seesanatorien von Hiller. 

Beim Abschnitt Hydrotherapie hat W. Winternitz das erste Kapitel, Einleitung und 
physiologische Grundlagen der Hydrotherapie geschrieben. Es ist hier nicht der Ort, den mannig¬ 
fachen Bedenken gegenüber den bekannten Winternitz'schen Auffassungen Ausdruck zu geben; 
ich verzichte umsomehr darauf, als Goldscheider in dem letzten Kapitel des Handbuchs die 
Winternitz’schen Ansichten ausführlich kritisch beleuchtet hat. Nur gegen eine direkte Unrichtig¬ 
keit, die Winternitz mir unterlegt, möchte ich mich verwahren. Winternitz schreibt: »ich 
muss daran festhalten trotz des Widerspruchs von Matth es, dass Gefässerweiterung unter Wärme 
und Kälte ganz verschiedene Vorgänge sinda. Ich habe dem nie widersprochen, im Gegentheil es 
ausdrücklich als ein besonderes Verdienst von Winternitz bezeichnet, diesen Unterschied hervor¬ 
gehoben zu haben. Meine Einwände richteten sich nur gegen die, wie sie Goldscheider be¬ 
zeichnet, paradoxen Win ternitz’schen Lehren vom Tonus der Gefässe. 

Die Darstellung der hydriatischen Technik von Strasser ist mit zahlreichen guten 
Abbildungen versehen und klar und übersichtlich geschrieben. 

Dasselbe Lob kann man der Beschreibung der Technik und Anwendung der Thermo- 
therapie von Fricdländer spenden. Die Physiologie desselben Kapitels hat in Goldscheider 
einen kritischen und genauen Darsteller gefunden. Es gehört dieser Abschnitt zu den besten des Buches. 

Alles in Allem wird man sagen können, dass dieser erste Band des Handbuches die Er¬ 
wartungen, mit denen man an seine Lektüre geht, nicht enttäuscht und dass er in vieler Beziehung 
als eine hervorragende Leistung bezeichnet werden kann. M. Matth es (Jena). 


A. Schoenstaedt, Ueber vegetarische Ernährung und ihre Zulässigkeit in geschlossenen 
Anstalten und bei Menschen, welche sich in einem Zwangsverhältniss befinden. 

Verfasser betrachtet allein diejenigen als richtige Vegetarianer, welche lediglich von Cerealien, 
Obst, Gemüse und Wasser leben und sich aller Nahrungsmittel, die von Thieren stammen, auch 
wenn sie ohne Schlachtung zu gewinnen sind, wie Eier, Milch, Käse, Butter, Honig völlig enthalten, 
und zieht nur diese Art der vegetarischen Ernährung in den Kreis seiner interessanten Betrachtungen. 
Zunächst sucht Verfasser nachzuweisen, dass selbst die ältesten Volker von gemischter Kost lebten, 
und stützt sich dabei auf das Urtheil von Virchow und Graves. Von den Völkern der Jetztzeit 
werden die Japaner von den Vegetarianern als Anhänger ihrer Richtung angeführt, aber ganz mit 
Unrecht, wie aus den Arbeiten von Rintaro Mori, von J. Nakahama und E. Tieger hervor¬ 
gehen soll. Aus seinen eigenen Erfahrungen theilt Verfasser mit, dass die Neger in Guyana, Haiti 
und Curacao, die auf einer kulturell sehr niedrigen Stufe stehen, stets animalische Nahrung zu der 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 14? 


pflanzlichen Kost nehmen, obwohl gerade dort der Boden an Früchten alles bietet. — Nachdem 
noch verschiedene Ein wände von seiten der Vegetarianer, wie z. B. das Fleisch sei schädlich, bilde 
ein grosseg Reizmittel etc., widerlegt worden sind, kommt Verfasser darauf zu sprechen, ob es mög¬ 
lich und für die Gesundheit zuträglich ist, vegetarisch zu leben. Während der erste Punkt zugegeben 
wird, wird der zweite mit Recht entschieden in Abrede gestellt, indem Verfasser darauf hinweist, 
dass die Anforderung, die man bei rein pflanzlicher Ernährung an Magen und Darm stellen müsste, 
nicht zu erfüllen wären. Das Volumen der Nahrung wäre ein so grosses, dass der Verdauungsactus 
darunter leiden müsste, und überdies wäre auch die Ausnutzbarkeit der Vegetabilien hinsichtlich 
ihres Eiweisses eine ausserordentlich schlechte im Vergleich zur Resorption des animalischen Eiweisses. 
Zwei weitere Uebelstände wären noch der Mangel an Fett und vor allen Dingen die Einförmigkeit 
der Speisen. — In dem zweiten Theil seiner Ausführungen bespricht Verfasser hintereinander die 
Ernährungs Verhältnisse in den Findelhäusem und Krippenanstalten (cröches), in den Waisenhäusern, 
in den Armen- und Siechenhäusem, in den Gefängnissen, in den Krankenanstalten, Irrenanstalten, 
Genesungsheimen etc., ferner den Unterhalt des Militärs im Kriege und im Frieden, der Bemannung 
und Passagiere auf dem Schiff, der Emtearbeiter auf Gütern und der Arbeiter einer Fabrik. Am 
eingehendsten beschäftigt er sich mit der Verpflegung der Gefangenen und weist nach, dass eine 
vegetarische Kost im Gcfängniss oder im Zuchthaus niemals im Stande ist, einen Menschen vollkommen 
erwerbsfähig zu erhalten. Er behauptet im Gegentheil, dass man an solchen Leuten, wollte man 
sie vegetarisch ernähren, langsam die Strafe des Verhungerns vollziehen würde. Viel weniger noch 
könnte man solche Leute vegetarisch verpflegen, die sich beständig grossen körperlicher Anstren¬ 
gungen unterziehen müssten. — Aus seinen ebenso ausführlichen wie interessanten Betrachtungen 
zieht Verfasser folgende Schlüsse: 

1. Die von den Vegetariern aufgestellten Behauptungen, dass die vegetarianische Ernährungs¬ 
weise die dem Menschen zukommende natürliche sei, sind unhaltbar; 

2 . Mit der vegetarischen Ernährung sind • schwere Gefahren für den Gesammtorganismus 
verbunden; 

3. vom sanitätspolizeilichen Standpunkt ist die vegetarische Ernährung unzulässig in ge¬ 
schlossenen Anstalten und bei Leuten, die sich in einem Zwangsverhältniss befinden. 

Jul. Wohlgemuth (Berlin). 


J. v.Kössa, Die Wirkung des Phlorizins anf die Nieren. Zeitschrift für Biologie Bd. 40. Heft 3 . 

Kössa zeigt in Versuchen an Kaninchen, dass Phlorizinverabreichuug, gleichgültig ob per os 
oder subkutan, regelmässig zu Auftreten von Eiweiss und Cylindem im Harn und zu parenchyma¬ 
tösen Veränderungen der Nieren führt, und zwar noch ehe die Glykosurie zu Stande kommt. 

D. Gerhardt (Strassburg ). 

W. (aspari, Ein Beitrag zur Beurtheilung von Milchpräparaten, Berliner klinische Wochen¬ 
schrift 1900. No. 34. 

Verfasser wendet sich gegen die Ausführungen von Weissenfeld und v. Aufrecht, 
welche vor dem Plasmon wegen seines Bakterienreichthuins warnen. Es kommt nicht auf den 
Keimgehalt im allgemeinen, sondern auf den Gehalt an pathogenen Bakterien an. In einer Reihe 
von Versuchen an Kaninchen und Meerschweinchen, welchen Plasmonaufschwemmungen in die 
Bauchhöhle gebracht wurden, erkrankte keines von den Thieren an Tuberkulose, so dass also 
hinsichtlich der Tuberkelbacillen keine Bedenken selbst gegen den Genuss rohen Plasmons sich ergeben. 

F. Voit (München). 


Keller, Ueber Nahrungspausen bei der Säuglingsernährmig, (Aus der Universitätskinderklinik 
zu Breslau.) Centralblatt für innere Medicin 1900. No. 16. 

Czerny fand, dass der Magen eines gesunden Brustkindes in 1 1 / 2 — 2 Stunden nach der Nah¬ 
rungsaufnahme entleert wird und P /4 Stunden nach derselben freie Salzsäure enthält, während bei 
Flaschenkindern mindestens 3 Stunden zur Entleerung des Magens und 2 Stunden bis zum Auftreten 
freier HCl erforderlich sind, bei kranken Säuglingen infolge Beeinträchtigung der motorischen und 
sekretorischen Funktion selbst nach 4 —*5 Stunden noch Nahrungsreste im Magen sich finden, freie 
HCl fehlt. Gestützt auf diese Beobachtungen verlangt er als Minimum der Nahrungspausen für 
Brustkinder 3, bei Kuhmilchernährung mindestens 4 Stunden, und es erhalten auch auf der Breslauer 


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148 Referate über Bücher und Aufsätze. 


Kinderklinik .alle Säuglinge, gesunde wie kranke, statt der in Laienkreisen beliebten und auch von 
vielen Pädiatern empfohlenen, zweistündlichen Mahlzeiten nur solche in 4—5 stündlichen Intervallen, 
nie mehr als fünf Mahlzeiten während 24 Stunden, ln der Praxis hat sich dieses Regime insofern 
bewährt, als die Emährungserfolge dabei viel günstigere als bei kurzen Nahrungspausen waren und 
vielfach die Einschränkung der Mahlzeiten allein genügte, um eine bestehende Magendarmaffektion 
zum Verschwinden zu bringen. 

Um für diese klinischen Erfahrungen auch eine theoretische Grundlage zu gewinnen, suchte 
Keller die Frage, wie die Verdauung und Ausnützung der Milch beim kranken Säugling geändert 
wird, wenn man zwei Stunden nach dem Trinken in den noch vollen und der freien HCl entbeh¬ 
renden Magen neue Nahrung zuführt, durch einige Stoffwechsel versuche an kranken Kindern zu lösen, 
indem er in der Nahrung, im Ham und Koth die zur Charakteristik des Eiweissstoffwechsels wich¬ 
tigsten Faktoren N und P 2 0.-, bestimmte. Eine Fortsetzung des Versuches an denselben Kindern, 
der Art, dass er später dieselbe Nahrung in gleicher Menge in vierstündlichen Intervallen verab¬ 
reichte, war unmöglich, da unter dem Einfluss der zweistündlichen Ernährung die Symptome seitens 
des Magendarmtraktus, sowie das Verhalten des Körpergewichts eine Verschlimmerung der Ernäh¬ 
rungsstörungen anzeigten, und es mussten deshalb die Resultate der an anderen gleichaltrigen, kranken 
Kindern bei vierstündlicher Nahrungszufuhr angestelltcn Versuche zum Vergleich herangezogen 
werden. Hierbei zeigte sich, dass die Resorption und Retention von Stickstoff und Phosphor, also 
die Ausnützung der Eiweisskörper, durch längere oder kürzere Dauer der Nahrungspausen nicht 
beeinflusst wird, es ist also, wie Verfasser selbst resümiert, aus diesen Untersuchungen die Frage, 
wie oft ein Säugling Nahrung erhalten soll, nicht zu entscheiden und die Schädlichkeit einer zwei¬ 
stündlichen Ernährung jedenfalls in anderer Richtung zu suchen. Hirschei (Berlin). 


Feer, Neuere Fortschritte und Bestrebungen in der Säitglingsernährntig. Korrespondenzblatt 
für Schweizer Aerzte 1900. No. 10. 

Der in der Baseler raedicinischen Gesellschaft (Dezember 1899) gehaltene Vortrag giebt einen 
Ueberblick über den heutigen Stand der Lehre von der künstlichen Säuglingscraährung und der 
Diätetik bei akuten und chronischen Verdauungsstörungen. 

Verfasser beginnt mit der Besprechung der durch neuere Analysen festgestellten Differenzen 
in der Zusammensetzung von Frauen- und Kuhmilch. Erstere ist reicher an Laktalbumin, welches 
nach Schlossmann 35% des Gesammteiweiss gegen 9% Albumin in der Kuhmilch beträgt, au 
Opalisin (Wrob.lewsky), Milchzucker, an den organischen Phosphorverbindungen Lecithin 
(Stoklasa) und Nukleom(S)igfried); letztere enthält grössere Mengen Kasein, dessen chemische 
Verschiedenheit von demjenigen der Frauenmilch sich zugleich in seiner grobflockigen Gerinnuug 
und Schwerlöslichkeit äussert, mehr Salze und anorganische Phosphorverbindungen. Aus der Er¬ 
kenntnis dieser wesentlichen Unterschiede zwischen Thier- und Muttermilch und aus dem Bestreben, 
dieselben nach Möglichkeit auszugleichen, erklären sich die schon lange übliche Verdünnung der 
Milch durch Wasser oder Schleim und der Zusatz von Milchzucker, sowie die zahlreichen, in der 
modernen Molkereitechnik auftauchenden, mehr oder weniger erfolgreichen Milchverbesserungs¬ 
versuche, die in erster Reihe die Verminderung oder chemische Umwandlung des als schwerverdau¬ 
lich geltenden Kaseins bei Erhaltung des sonstigen Nährstoffgehalts bezwecken sollen; als die be¬ 
kanntesten und beliebtesten Fabrikate, welche hier auf verschiedenen Wegen das gleiche Ziel zu 
erreichen suchen, zählt Verfasser Biedert’s Rahmgemenge, Gärtner's Fettmilch, Voltmer’s pepto- 
nisierte Milchkonserve. Backhaus 7 humanisierte Milch, Rieth 7 s Albumosesäuglingsmilch, Pfund’s 
Eiweissrahmgemenge auf. 

Eine zweite Schwierigkeit bei der künstlichen Säuglingsernährung bietet die bakterielle Ver¬ 
unreinigung der Thiermilch. Glaubte man früher, die in der Kuhmilch enthaltenen Keime durch 
längeres, auf 35 — 40 Minuten ausgedehntes Sterilisieren im Soxhletapparat sicher vernichten zu 
können, so ist man neuerdings von diesem Verfahren wieder mehr zurückgekommen, als es sich 
zeigte, dass dabei zwar die gewöhnlichen pathogenen Keime zerstört, die Flügge’schen gift¬ 
bereitenden, proteolytischen Bakterien jedoch nicht abgetödtet werden und dass die Milch selbst 
durch die Sterilisation schwerwiegende chemische Veränderungen (Spaltung des Albumin, Zer¬ 
setzung des Lecithins und der diastatischen Fermente, Verminderung der Löslichkeit der Kalksalze 
und des KaseTnphosphors, Karamelierung des Milchzuckers, starke Aufrahmung des Fettes) erleidet, 
Veränderungen, denen man hartnäckige Obstipation, schwere Anämie und das Auftreten Möller- 
Barlo w'scher Krankheit bei den lange Zeit und ausschliesslich mit künstlichen Nährpräparaten auf- 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 149 


gezogenen, meist wohlhabenden Familien entstammenden Flaschenkindern zugeschrieben hat. Es 
ist jetzt üblich, grösseren Werth auf möglichst reine Gewinnung, sofortige Kühlung der Milch und 
Vermeidung der Kontaktinfektion beim Aufbewahren derselben zu legen und sich mit Pasteurisation 
oder kurzer, nur 10 Minuten dauernder Sterilisation zu begnügen. 

Wichtig ist auch ein zweckmässiges, diätetisches Regime hinsichtlich der dem Säugling ver¬ 
abreichten Flüssigkeitsquanten und der zwischen den Einzelmahlzeiten zu beobachtenden Intervalle. 
l T m die durch Pfaundler’s Untersuchungen über die Kapazität des Säuglingsmagens konstatierte 
Gefahr der Magcnüberdehnung zu vermeiden, empfehlen sich sechs bis sieben, höchstens acht Mahl¬ 
zeiten in den ersten Lebenswochen, sechs bis fünf in den späteren Monaten, sowie Einhalten einer 
sechs- bis zehnstündlichen, nächtlichen Nahrungspause; aus demselben Grunde kam man auch von 
den früher beliebten, starken Milchverdünnungen und der dadurch bedingten, übermässigen Flüssig¬ 
keitszufuhr neuerdings ab und ging zur Darreichung konzentrierter, weniger voluminöser Milch- 
gemische über, einzelne Autoren empfehlen sogar unverdünnte Kuhmilch fast von Geburt an. Feer 
giebt meist vom zweiten Monat an */ 3 Milch und Vs ca - 7— 10% Milchzuckerwasser, eventuell mit 
Rahmzusatz. 

Bei akuten Magendarmaffektionen ist absolute Nahrungsabstinenz für 1—2 Tage und aus¬ 
schliessliche Verabreichung von abgekochtem Wasser oder dünnem Thee mit allmählichem Ueber- 
gang zu Schleim und minimalen Milchportionen angezeigt, bei chronischen Verdauungsstörungen und 
Atrophie leisten die künstlichen Milchsurrogatc oft schätzenswerthe Dienste. Getreide- oder Kinder¬ 
mehlabkochungen können jüngeren Säuglingen als Hungerkost bei gewissen, mit stark schleim¬ 
haltigen Entleerungen einhergehenden Enteritiden, älteren Kindern vom sechsten bis achten Monat 
an auch sonst als Milchzusatz in kleinen Mengen verordnet werden; unter den zahlreichen industriellen 
Erzeugnissen der Neuzeit hält Verfasser neben den Fabrikaten von Nestlö, Kufekc, Muffler die 
Theinhardt’sche Kindernahrung, das (theure) Mellin’sFood und die Keller-Liebig’sehe Malz¬ 
suppe für besonders beachtenswert!). Hirschel (Berlin). 


Bendix, Beiträge zur Ernährnugsphysiologie des Säuglings. Münchener medicinische Wochen¬ 
schrift 1900. No. 30. 

Bendix liefert einen Beitrag zu der noch strittigen Frage nach dem Einfluss, welchen Men¬ 
struation und Gravidität auf die Milchabsonderung ausüben. An einem Material von 140 Frauen 
und ihren Kindern konrte er feststellen, dass ein hoher Prozentsatz der stillenden Mütter (60%) 
trotz der Laktation die Periode bekommt, dass jedoch der Eintritt und die regelmässige Wieder¬ 
kehr derselben im allgemeinen keinen Grund zur Entwöhnung des Kindes abgeben, da quantitative 
Milchveränderungen durch die Menstruation nur sehr selten, qualitative allein für das Fett (0,5 bis 
2,5 °/o» in steigendem Sinne nachzüweisen sind und da Befinden und Verdauung des Säuglings, von 
leichten und vorübergehenden Darmstörungen während der Tage der Menses abgesehen, kaum un¬ 
günstig beeinflusst werden. Ammenwechsel oder Absetzen des Kindes kommen nur dann in Frage, 
wenn das Kind im Gewicht stehen bleibt oder die abgewogene Milchmenge ein Versiegen der Brust 
anzeigt, ein Ereigniss, das sich zuweilen innerhalb weniger Tage nach dem Auftreten der ersten 
Periode vollzieht. Was die Laktation bei erneuter Gravidität betrifft, so kann Verfasser über einen 
Fall aus seiner Praxis berichten, in welchem die Milchsekretion einer stillenden jungen Mutter mit 
dem Eintreten einer neuen Schwangerschaft erheblich nachliess und sofort nach vorzeitiger Unter¬ 
brechung derselben durch einen Abort wieder anstieg, indess ist er weit entfernt, auf Grund dieser 
Beobachtung die von einigen Autoren urgieite Forderung zu unterschreiben, dass bei einer neuen 
Gravidität sofort das Nähren zu verbieten sei; es gebe gewiss eine wenn auch kleine Anzahl von 
Frauen, die dank ihrer kräftigen Konstitution ohne Schaden für sich selbst oder für den Säugling 
noch weiter stillen können, und es sei in jedem Falle das Absetzen des Kindes von der gelieferten 
Milchmenge, dem Gedeihen des Kindes und dem Kräftezustand der Mutter abhängig zu machen. 

Hirse hei (Berlin). 

Oehsner, Ueber Verwendung ausschliesslicher Rektalernährung in akuten Appendicitisfällen. 
Berliner klin. Wochenschrift 1900. No. 30. 

Verfasser hat mit der von Rost aus dem Augustahospital empfohlenen, in der Uebcrechrift 
angedeuteten Methode, die er schon seit vielen Jahren anwendet, ausserordentlich gute Erfolge. 

Kr crkläit dieselben derart, dass sich das Netz sogleich über den Wurmfortsatz schlingt, so¬ 
bald letzterer auf irgend welche Weise erkrankt, d. h. in Gefahr ist, nekrotisch zu werden. Erhält 


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Referat© über Bücher und Aufsätze. 


nun der Kranke absolut keine Nahrung per os, so schmiegt sich der Dünndarm an das Netz an, 
und im schlimmsten Falle entwickelt sich ein umschriebener Abscess, welcher ohne Gefahr geöffnet 
werden kann. Daneben bezweckt aber diese Art der Behandlung absolute Ruhe für die entzündeten 
Theile. Werden auch nur kleine Mengen flüssiger Nahrung per os verabreicht, so entstehen Gase, 
welche die entzündeten Theile reizen. Je früher die Behandlung in der angegebenen Weise beginnt, 
um so milder gestaltet sich der Anfall. 

Verfasser wendet die «ausschliessliche Rektalernährung in Gaben von 150 ccm drei- bis sechn- 
stündlich an. Er verwendet gewöhnlich 30 ccm eines der in Amerika beliebten Nährpaparatc in 
physiologischer Salzlösung verdünnt. Morgens und Abends wird ein Klysma von 500 ccm Salz¬ 
lösung verabreicht. Ist Brechreiz vorhanden, so reicht gewöhnlich eine Magenausspülung hin, ihn 
zu beseitigen. 

Seit Verfasser diese Methode in jedem Falle an wendet, genesen die Fälle, welche früh in 
Behandlung kommen, fast alle. Aber selbst vorgeschrittene Falle, die früher mit oder ohne opera¬ 
tive Behandlung regelmässig an diffuser Peritonitis zu Grunde gingen, zeigen jetzt eine wesentlich 
bessere Prognose. P. F. Richter (Berlin). 


Sommerfeld, Ueber die Milehkontrolle im Kaiser und Kaiserin Friedrich-Krankenhaus© in 
Berlin. Zeitschrift für Krankenpflege 1900. Februar. 

Der Verfasser giebt einen Bericht über die Art der Milchkontrolle, wie sie im Kaiser Friedrich- 
Krankenhause statthat, und wie sie zugleich als Muster für Anstalten überhaupt dienen kann. Die 
dauernd ausgeübte Kontrolle der rohen Milch erstreckt sich auf die Bestimmung der Temperatur, 
des spezifischen Gewichts, der chemischen Zusammensetzung, des Schmutzgehaltes und auf die bak¬ 
teriologische Prüfung. Die Temperatur der Milch darf 10° C nicht übersteigen; das spezifische Ge¬ 
wicht der Vollmilch soll sich zwischen 1029 und 1032, das der entrahmten Milch zwischen 1032 und 
1038 halten. Die Acidität wird durch Vergleichung einer frischen Miichprobe mit einer eine Stunde 
lang im Brutschrank bei 37<>C aufbewahrten Probe festgestellt; zeigen sich zwischen den beiden 
Bestimmungen Differenzen, so ist die Milch zu beanstanden. Die chemische Analyse umfasst die 
Bestimmung der Trockensubstanz, des Fettes, Eiweiss, Zuckers und der mineralischen Salze. Die 
Bestimmung des Milchschmutzes geschieht in einem vom Verfasser konstruierten Apparat, der aus 
einem grossen sich nach unten verjüngendem Gefäss besteht, das in ein angeschliffenes, kleines An- 
satzgefäss endigt und kurz über dem Ansatz eine seitliche Ausflussrohre mit Hahn trägt. Das Gefäss 
wird mit einem abgemessenen Quantum Milch gefüllt und bleibt ca. zwei Stunden stehen, innerhalb 
welcher sich der Milchschmutz in dem kleinen Gefäss absetzt und hier bestimmt werden kann. Die 
bakteriologische Prüfung der Milch erstreckt sich im allgemeinen nur auf die allgemeine Feststellung 
des Keimgehaltes; die Bestimmung der einzelnen Arten geschieht nur in besonderen Fällen, zum 
Beispiel bei der Milch neueingestellter Thiere, auf Veranlassung der Molkerei bei verdächtigem Ver¬ 
halten der Kühe u. s. w. Freyhan (Berlin). 


Charles Townsend, Bemerkungen zur Ernährung der Kinder mit spezieller Beziehung der 
Behandlungsweise der Milch im Hause. Boston medical and surgical joumal Bd. 140. No. 12. 

Der Verfasser spricht die Hoffnung aus, dass cs einstmals gelingen dürfte, eine Kuh zu 
schaffen, deren Milch der Muttermilch gleicht; vorläufig sei es aber noch bei der grossen Ver¬ 
schiedenheit der Milch nöthig, diese zu ändern, um ihr eine Aehnlichkeit zu geben. Diese Modifikation 
kann in Laboratorien und zu Hause geschehen. Das erstere ist kostspielig und nicht immer durch¬ 
führbar; das letztere, nämlich die Herstellung im Hause, wird nicht gerne von Aerzten gebilligt, 
da sich mannigfaltige Schwierigkeiten ergeben. Man verlässt sich daher meistens auf Milch¬ 
laboratorien oder empfiehlt Patentuahrungen. Viele von den Kindern kommen durch diese Patent¬ 
mittel vom Regen in die Traufe; andere vertragen sie, allein ein besseres Verständnis für die 
häusliche Behandlungsw'eise der Milch würde alles dies überflüssig machen. Dieses Verfahren ist 
selbst dann am Platze, wenn ein Laboratorium in der Nähe ist, da nicht jede Mischung für jedes 
Kind von Brauchbarkeit ist Wenn l. die Milch frisch, 2. von Kühen kommt, «an denen festgestellt 
wurde, dass sie nicht tuberkulös sind und 3. die Abwesenheit irgend welcher Gefahr von Ver¬ 
unreinigung durch andere ansteckende Krankheiten nach gewiesen wurde, ist es besser, diese Milch 
nicht künstlich durch Sterilisation oder Pasteurisation zu ändern. 

Was die Zubereitung der Milch im Hause anbelangt, so ist es von Wichtigkeit, dass der 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


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Arzt die Quantität von Fett, Zucker und Eiweiss kennt, die er verordnet. Es ist bekannt, dass 
um Kuhmilch zu modifizieren, welche mehr Eiweiss und weniger Zucker als Muttermilch enthält» 
dieselbe mit Wasser zu vermischen und natürlicher Milchzucker hinzuzufügen sei. Im Anfänge ist 
die Quantität in beiden Milchsorten nahezu gleich, daher ist es evident, dass auch der Mischung 
mehr Fett in der Form von Obers (Sahne) nothwendig ist. Wenn das obere Viertel von einer 
Flasche oder Kanne Milch genommen wird, welche 6—8 Stunden gestanden hat, so wird diese 
obere Milch ungefähr 10° 0 Fett enthalten. Der Prozentsatz von Albumin in dieser oberen Milch 
ist derselbe wie in der ganzen Milch, d. i. 4% und man wird sehen, dass die Beziehung zwischen 
dem Fett und den Albumen dieselbe ist, wie bei der Muttermilch, nämlich das Fett lD/ 2 mal so 
gross ist: 10 :4 oder 4 : 1,60. 

Man kann die obere Milch erhalten, indem man die unteren drei Theile wegnimmt oder noch 
besser, indem man das obere Viertel abschöpft, und der Verfasser hat gefunden, dass der Schmetten 
(Sahne) bei beiden Methoden die gleiche Quantität zeigte. Diese Wahrnehmung wurde auch durch 
eine Analyse bestätigt. Durch weitere sorgfältige Untersuchungen mit der oberen Milch, die von 
60 Kühen herrührte und gemischt wurde, ist das Resultat erzielt worden, dass die Einwendungen 
gegen die Zubereitung der Milch im Hause, weil die Herstellung keine exakt gleichmässige ist, 
nicht berechtigt sind. 

Indem das Gewicht der verschiedenen Substanzen erläutert wird, kommt er zu folgender 
Formel für die häusliche Anwendung u. z.: Fett 4, Zucker 6,6, Eiweiss 1,6. 

Es giebt dies ein bestimmtes Verhältnis zwischen dem Fett und dem Eiweiss, nämlich das 
erstere ist 2"i mal so gross, als das letztere. 

Soll das Eiweiss vermehrt werden, ohne das Fett zu vermehren, so füge man die Milch, von 
welcher das Obere weggenommen wurde, hinzu. Dies wird oft bei kleinen Kindern gethan, bei 
denen der Eiweissstoff vermehrt werden soll, ohne den Fettgehalt zu vergrossern. Man bringt dies 
auch hervor, indem man mehr von der oberen Milch abgiesst, so dass im Verhältniss weniger Fett 
ist, während 4» 0 Eiweiss bleibt. Eine Mischung mit der Hälfte dieser oberen Milch und halb 
Wasser würde ergeben: Fett 3,60, Eiweiss 2, während zwei Drittel dieser oberen Milch und ein 
Drittel Wasser geben: Fett 4,80 und Eiweiss 3,66. Die Hinzufügung von Zucker kann nach Be¬ 
lieben erfolgen. Durch die Hinzufügung von dem Eiklar von einem oder zwei Eiern kann die 
Milch noch nahrhafter gemacht werden. Emanuel Hirsch (Karlsbad). 


Rosenbach, Zur Pflege und Prophylaxe bei Herzkranken. Zeitschrift für Krankenpflege 
1900. Ko. 2. 

ln der vorliegenden Arbeit entwickelt der Verfasser die leitenden Grundsätze, nach denen 
eine rationelle Krankenpflege bei Herzkranken zu geschehen hat. Wir müssen vor allem danach 
streben, den fehlerhaften Betrieb des Herzens zu regulieren, d. h. die Leistung den Lebensbedingungen 
und Anforderungen anzupassen, und deshalb ist die richtige Wahl der Nahrung, Kleidung, Wohnung 
und Arbeitsform das Haupterforderniss der Therapie. Bei ausgeprägten Herzkrankheiten sind alle 
körperlichen Anstrengungen ebenso wie Aufregungen zu vermeiden, während für leichtere Formen 
gewisse Berufsarten, die nicht gerade mit dem Heben schwerer Lasten oder dem Zwange zu dauern¬ 
der Muskelthätigkeit verbunden sind, sehr wohl in Frage kommen. Die Frage, ob Herzkranke 
heirathen dürfen, bejaht der Verfasser im allgemeinen und widerräth die Ehe nur da, wo ausge¬ 
sprochene Formen des Herzleidens oder bereits Kompensationsstörungen vorhanden sind. Was die 
Kleidung anlangt, so muss vor allem darauf gesehen werden, dass die Kleidung keine Last ist, dass 
ferner die Athmungsthätigkeit, von der ein wesentlicher Theil der Kompensation abhängt, nicht 
erschwert und endlich dass der Zirkulation, der Muskol- und Hautthätigkeit freier Spielraum 
gewährt wird. Bezüglich der Wohnung ist darauf zu achten, dass dieselbe nicht zu hoch gelegen 
sei, da Treppensteigen die Anforderungen an die Herzthätigkcit enorm steigert, ferner dass sie nicht 
zu kühl und zu feucht, andrerseits aber auch nicht zu trocken sei. 

Feber die Ernährung von Herzkranken ist cs kaum möglich, allgemein gütige Regeln auf¬ 
zustellen, da der psychische Zustand der Kranken oft eine rationelle Regulierung der Diät ausser¬ 
ordentlich erschwert. Zu verhindern ist nur die Ueberlastung des Magens mit schweren und un¬ 
verdaulichen Speisen und die übermässige Nahrungsaufnahme; noch wichtiger als das Verbot über¬ 
mässiger Nahrungszufuhr ist das Verbot von reichlicher Flüssigkeitszufuhr, da von dem zweckmässigen 
Gebrauch des Wassers die wichtigsten Prozesse der Körperökonomie abhängen. 


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152 Referate über Bücher und Aufsätze. 

Was Badekuren anlangt, so sieht Rosenbach ihren Hauptvortheil darin, dass die Kranken 
längere Zeit den Anstrengungen ihres Berufes und sonstigen Schädlichkeiten entzogen werden, 
während er ihnen eine spezifische Wirksamkeit nicht zuschreibt. Frevhan (Berlin). 


Goldschmidt, Weitere Beiträge zum nervösen Asthma. München 1900. 

Der Verfasser unterscheidet vier Formen von Asthma, das Asthma epileptiforme, bronchiale, 
chronicum und permanens. Unter dem Asthma epileptiforme versteht er ein Asthma, welches mit 
gar keinen oder sehr geringen katarrhalischen Symptomen einhergeht. Die Anfalle können dabei 
ganz kurz sein, können sich aber auch zu mehrstündiger Dauer steigern; ausserhalb der Anfälle 
besteht vollkommenes Wohlbefinden. Das Asthma bronchiale unterscheidet sich von dem erst¬ 
genannten nur durch das starke Auftreten katarrhalischer Begleiterscheinungen. Letztere stehen 
hier oft so sehr im Vordergründe, dass die Patienten bei jeder Gelegenheit Nasen-, Augen- und 
Bronchialkatarrhe auch in asthmafreien Zeiten aufweisen. Als Asthma chronicum bezeichnet er die¬ 
jenige Form, bei der die Patienten den asthmatischen Zustand durch Monate hindurch haben; auf 
die asthmatischen Perioden folgen auch hier Perioden von Asthraafreiheit, die ebenfalls monatelang 
dauern können, wenn auch in demselben die katarrhalischen Beschwerden niemals vollkommen 
schwinden. Mit Asthma permanens endlich bezeichnet er jenen permanenten Zustand von Athem- 
noth, der nur dann erlischt, wenn ein allgemeines Emphysem die anatomische Grundlage der Lungen 
vollkommen geändert hat 

In der Therapie weicht Goldschmidt im ganzen nicht von den allgemein üblichen Maass¬ 
nahmen ab. Da wo die Anfälle mit starker Sekretion endigen, sind Mittel am Platz, die die Schleim¬ 
absonderung befördern Da wo die Sekretion nur eine untergeordnete Rolle spielt, soll inan mit 
dem Gebrauch von Narkoticis und Hypnoticis nicht zu sparsam sein; von gutem Einfluss sind auch 
feuchtwarme Einpackungen des Rumpfes. Bei schwierigen und langwierigen Anfällen hält es der 
Verfasser für gerechtfertigt, den Versuch zu machen, den Anfall durch eine Erhöhung der Körper¬ 
temperatur zu coupiercn; diesem Zwecke dienen die trockene Heisskammer, das Dampfbad und das 
hoch temperierte Wasser. Frevhan (Berlin). 


William Henry Porter, Gout and Rheamation, their aetiology and dietetic treatmeut. 

New York med. joum 1900. 24. März. 

Der hauptsächlich prädisponierende Faktor für die Entstehung von Rheumatismus und Gicht 
ist mangelhafte Oxydation der mit der Nahrung eingeführten oxydierbaren Substanzen. Diese »Sub¬ 
oxydation« kann durch zu reichliche Nahrungsaufnahme oder durch mangelhafte Ernährung und 
daraus resultierende Anämie hervorgerufen werden. Ein hoher Gehalt des Urins an Harnsäure ist 
immer ein Zeichen von Suboxydation. Verfasser steht auf dem Standpunkt, dass die Existenz von 
Harnsäure und harnsauren Salzen im Blute bisher nicht mit Sicherheit bewiesen ist und nimmt an, 
dass, wenn harnsaure Salze in den Geweben gefunden werden, diese im Zeltprotoplasma selbst auf 
Grund abnormer chemischer Vorgänge gebildet worden sind. Auf diese Weise ist es zu erklären, 
wenn nach Exstirpation der Nieren noch weiterhin Harnsäure gebildet wird. Unter nonnalen Ver¬ 
hältnissen findet die Bildung der Harnsäure in den Nierenzellen statt und dient dazu, den Stickstoff 
aus dem Organismus zu entfernen. Jede Verminderung der Oxydationsvorgänge führt zu einer Zu¬ 
nahme der Hamsäurebildung. Diese Suboxydation kann bedingt sein durch Störungen im Bereich 
des Nervensystems, des Verdauungstraktus, der Girkulations- oder Athmungsorgane. Sobald die 
Nierenzellen vorübergehend aufhören Harnsäure zu bilden, werden die Proteid Substanzen in den 
Gewebszellen zu Harnsäure unter unmittelbarer Produktion von harnsauren Salzen oxydiert Be¬ 
sonders häufig findet dieser Vorgang im Metatarsophalanglalgelenk der grossen Zehe statt. Es bildet 
sich auf diese Weise in den Geweben ein Depositum, das reifcend wirkt und eine lokale Entzündung 
hervorruft. So erklärt sich die Entstehung des Gichtanfalles. Für die Aetiologie und Pathogenese 
des Rheumatismus spielt ebenfalls die Suboxydation die wichtigste Rolle. Mikroorganismen kommen 
ätiologisch nur insoweit in Betracht, als sie durch ihre Anwesenheit im Digestionstraktus störend 
auf die Verdauungsvorgänge wirken und dadurch toxische Produkte erzeugen, die geeignet sind, 
die Oxydationen im Organismus zu beeinträchtigen. 

Für die Prophylaxe und Behandlung der durch Suboxydation hervorgerufenen Krankheits¬ 
zustände ist die Diät von der grössten Bedeutung. Es muss vor allem die Menge der eingeführten 
Nahrung in richtigem Yerhältniss stehen zu der Oxydationsfähigkeit des Organismus; event. muss 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 

vor allem die Fleischkost eingeschränkt werden. Bei der Auswahl der vegetabilischen Nahrungs¬ 
mittel ist alles zu vermeiden, was zu abnormen Zersetzungen im Darmkanal führen kann. Obst ist, 
wie überhaupt alle zuckerhaltigen Nahrungsstoffe, prinzipiell zu verbieten. 

Friedlaendor (Wiesbaden). 


Robert Saundby, An adress on tlie modern treatment of dlabetes mellitus. The Lanect 
1900. 19. Mai. 

In seinen interessanten Vortragen giebt Saundby zunächst eine Darstellung unserer Kennt¬ 
nisse von der Theorie und Pathogenese des Diabetes in seinen verschiedenen Formen (Diabetes auf 
nervöser Grundlage, hepatischer, pankreatischer Diabetes), um dann zu einer ausführlichen Besprechung 
der diätetischen Therapie überzugehen. Saundby definiert den Diabetes klinisch als mehr oder 
weniger persistente Glykosurie, zu der früher oder später Durst, Polyurie und allgemeine Ernährungs¬ 
störungen treten. Es giebt unzweifelhaft Fälle von transitorischer Glykosurie, die nicht als Diabetes 
zu bezeichnen sind, andrerseits kann der Diabetes längere Zeit nur unter dem Bilde einer vorüber¬ 
gehenden Glykosurie ohne sonstige Symptome auftreten, bis plötzlich die Krankheit eine maligne 
Form annimmt Wir dürfen aber nicht ohne weiteres jeden Fall von Glykosurie als Diabetes be¬ 
zeichnen, sondern müssen den Patienten längere Zeit beobachten, ehe wir diese Diagnose mit Sicher¬ 
heit stellen können. 

Für die Behandlung des Diabetes ist es zunächst von grosser Wichtigkeit, die Menge der 
Zuckerausscheidung innerhalb 24 Stunden festzustellen und dann zu ermitteln, wie viel Kohlehydrate 
in der Nahrung der Patient zu assimilieren im Stande ist Die Diät muss derartig reguliert werden, 
dass eine der täglichen Zuckerausscheidung entsprechende Menge von Kalorieen dem physiologischen 
Nahrungsquantum hinzugefügt wird. Nachdem eine Woche lang eine Diät durchgeführt ist, die 
nicht mehr als 30 g Kohlehydrate pro Tag enthält, wird wiederum der Urin von 24 Stunden ge¬ 
sammelt und sein Gehalt an Zucker und Harnstoff festgestellt Wenn dann der Urin frei von 
Zucker ist, so hat der Patient nicht nur die in der Nahrung enthaltenen 30 g Zucker assimiliert, 
sondern ausserdem eine Quantität, die der doppelten Menge des ausgeschiedenen Harnstoffs ent¬ 
spricht Wenn die Harnstoffmenge also auch 30g beträgt, so hat der Patient 90g Zucker assimi¬ 
liert Ist der Urin nicht zuckerfrei, so muss man die ausgeschiedene Zuckermenge von der durch 
die Nahrung zugeführten, aus Kohlehydraten und Albuminaten stammenden Quantität abziehen, um 
die wirklich assimilierte Zuckermenge zu erhalten. Es empfiehlt sich, diese Diät beizubehalten, bis 
der Zucker vollständig aus dem Urin geschwunden ist. Allerdings muss das Körpergewicht dabei 
sorgfältig kontrolliert und bei Gewichtsabnahme die Ernährung entsprechend geändert werden. Ist 
der Urin zuckerfrei, so sind kleine Mengen Kohlehydrate, besonders Milch, in mässigen Quantitäten 
gestattet. An Stelle von Zucker ist Lävulose oder noch besser Saccharin zu empfehlen. Verfasser 
wendet sich gegen die vielfach verbreitete Meinung, dass geröstetes Brot (Toast) unschädlich für 
Diabetiker sei; es ist reicher an Kohlehydraten als das entsprechende Quantum gewöhnliches Brot. 
Dagegen werden Kartoffeln bezüglich ihrer Schädlichkeit überschätzt. Von alkoholischen Getränken 
bevorzugt Verfasser den »Scotch whisky«, der gewöhnlich keinen Zucker enthält, oder »Harvey’s 
sugar-free pale-ale«. Von Zeit zu Zeit empfiehlt es sich, ein vollkommenes »Kohlehydratfasten« 
zu verordnen, besonders wenn der Zuckergehalt des Urins Neigung zum Steigen zeigt. Bei jüngeren 
Individuen ist darauf Rücksicht zu nehmen, dass sie ein grösseres Zuckerbedürfniss haben und dem 
entsprechend mehr Kohlehydrate erhalten müssen. Zum Schluss der instruktiven Abhandlung giebt 
Verfasser eine Tabelle der in mässigen Quantitäten erlaubten Nahrungsmittel nebst ihrem Prozent¬ 
gebalt an Kohlehydraten. Friedlaender (Wiesbaden). 


Forel, La question des agiles pour alcoolises iucurables. Revue medicale de la suisse romande 
1899. No. 8. 

Nach einer kulturhistorisch sehr interessanten Einleitung über die frühere Auffassung vom 
Wesen des Alkoholismus und über die dem Gebiete der Moralphilosophie entnommenen Heilmittel 
giebt Forel eine Kategorisierung der verschiedenen Alten unheilbarer Alkoholisten. Er unter¬ 
scheidet vor allem diejenigen, deren Gehirn weniger widerstandsfähiger war als andere Organe und 
bei denen die alkoholische Intoxikation ein Stadium cerebraler Atrophie mit Schwächung der Willens¬ 
kraft, des Gedächtnisses, der Gefühle und selbst der Intelligenz erzeugt hatte. Ausser Stande, 
irgend einen Entschluss zu fassen, trinken sie, sobald sie frei sind, und brechen jedes Gelöbniss, 
das sie eingegangen sind. Einmal atrophiert, regenerieren sich die nervösen Elemente des Hirnes 


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Referate über Büeher und Aufsätze. 


nicht mehr. Hieraus erklärt sieh auch die Thatsache, dass das Durchschnittsgewicht des Gehirns 
solcher Alkoholisten merklich herabgesetzt ist. Eine zweite Kategorie umfasst die unheilbaren 
Fonnen alkoholischen Wahnsinns. Während man die erste Kategorie mit dem Namen einfacher 
alkoholischer Dementia ersten Grades bezeichnen kann, da sie noch eine gewisse Verbindung der 
Ideen und Handlungen erlaubt, handelt es sich hier um wohlaccentuierte Psychosen, um chronische 
Delirien mit Verfolgungsideen, Ilallucinationen etc., die sich festsetzen und definitiv zu einem System 
ordnen (chronisch-alkoholische Paranoia). Diese Falle haben für die vorliegende Betrachtung kein 
besonderes Interesse, da sie in die Irrenanstalten gehören. Eine dritte Kategorie bilden die Epilep¬ 
tiker, welche trinken. Forel meint hier nicht die reine alkoholische Epilepsie, die durch Abstinenz 
heilbar ist, sondern die besonders zu klassifizierenden Epileptiker, die sich durch ihren gewaltthätigcn, 
aufbrausenden Charakter und durch ihre geschwächte Intelligenz auszeichnen; sie werden sehr oft 
durch ihre Trunksucht gefährlich und sind äusserst selten heilbar. Es folgen Nummer vier die ver¬ 
schiedenen Formen der perversen Sexual kranken, die alle mehr oder minder psychopatiseh sind, in 
extremer Form oft zum Alkoholismus neigen, und bei denen ohne Ausnahme der Alkohol die Aus¬ 
übung des widernatürlichen Geschlechts- oder perversen Aktes ausserordentlich begünstigt. Diese 
unglücklichen Individuen suchen natürlich ihre Qual in Alkohol zu ertränken, denn wenn es ihnen 
schon schwer fällt, ihre perversen Triebe im nüchternen Zustande zurückzu halten, so wird dies un¬ 
möglich, wenn sie trunken oder nur angesäuselt sind. Der Alkohol wirkt hier in zweifacher Hin¬ 
sicht: zuerst reizt er direkt den genetischen, perversen Trieb an, dann lähmt er die Ueberlegung 
und den Moralsinn! Gelegentliche Heilungen oder Besserungen dieser Individuen bilden eine Aus¬ 
nahme, die Regel ist Unheilbarkeit und sie bilden eine ständige Gefahr für die Gesellschaft. Das 
Gros der Armee der unheilbaren Alkoholiker bilden jedoch die hereditär Belasteten, die sogenannten 
konstitutionellen Psychopathen und unter ihnen vorzugsweise diejenigen, die mit einein kongenitalen 
Defekt ihres Moralsinnes (moralischer Idiotismus, ethischer Defekt) behaftet sind. Der Laie ist ge¬ 
neigt, die geistige Schwäche und ihren höheren Grad, den Idiotismus, für eine rein geistige Krank¬ 
heit anzuseheu. Das ist ein grosser Irrthum. Die kongenitale unzureichende Beschaffenheit des 
Gehirns äussert sich ebenso oft in Defekten der Empfindung, des Willens und der Moralsphäre wie 
in denen der Intelligenz. Im allgemeinen sind diese Defekte mit einander vergesellschaftet und kom¬ 
biniert, und bald hat das eine, bald das andere das Uebergewicht. Bei den moralischen Idioten 
herrscht die völlige Trübung der Moralsphärc vor. Es ist klar, dass in einem solchen Falle eine 
sehr starke Kompensation von Seiten der Intelligenz oder des Willens nothwendig ist, um die ein¬ 
mal angenommene Gewohnheit, zu trinken, wieder abzustreifen; allein derartige Individuen empfinden 
weder Schande noch Gewissensbisse über ihre Handlungen, da sie nicht aufnahmefähig für der¬ 
artige Gefühle sind, die sie niemals besessen oder verstanden haben, und von denen sie sprechen 
hören wie ein Blinder von den Farben. Und man begreift, dass der moralische Idiot leicht zum 
Trinker werden muss und dass er, sobald er es ist, sehr gefährlich werden und noch viel weniger 
wie ein anderer im Stande ist, in der Begehung sinnlicher Akte sich Zwang aufzuerlegen. Mehr 
oder weniger fallen alle Formen der hereditären Psychopathien dem Alkoholismus anheim und ge¬ 
stalten ihre Heilung zu einer sehr schwierigen. Die eine von ihnen die Dipsomanie, besteht in 
einer periodischen Neigung zu trinken und führt unfehlbar zum Alkoholismus, wenn das Individuum 
nicht zur totalen Abstinenz gelangen kann Doch ist dieses letztere sehr selten. Lehrreiche Bei¬ 
spiele für alles dieses liefern die Statistiken des Asvles von Ellikon. 18% waren unter 68 in Ellikon 
aufgenommenen Alkoholisten nur 30, deren Krankheit nicht durch psychische Anoiualieen kompliziert 
war, 1897 unter 73 nur 44 etc. Unter den Alkoholikern der Irrenanstalten ist das Vcrhältniss von 
Psychopathen und von konstitutionellen und chronischen Irren, also unheilbaren, noch grösser und 
macht die Mehrzahl der Fälle aus. Im Gegensatz hierzu ist es geringer bei den Alkoholisten, welche 
direkt übernommen und gepflegt werden von den freien Abstinenzvereinigungen. 

Blickt man weiterhin auf die Gefängnisse und Korrektionsanstalten, so findet man unter den 
Rubriken von Gelegenheits- oder Gewohnheitsverbrechern (Attentate gegen die Sittlichkeit etc.\ von 
Prostituierten. Vagabunden, Bettlern, Verschwendern etc., eine Legion von chronischen Alkoholikern 
aller Art, die man sehr oft völlig verkehrt behandelt. Forel scheidet nun von den verschieden¬ 
artigen Kategorieen der Alkoholiker, die je nach dem Grade und der Intensität der Erkrankung 
Trinkerasylen oder Irrenanstalten überwiesen werden müssen, eine bestimmte Gruppe, die der ent¬ 
arteten und unheibaren Alkoholiker, gefährlichen Verbrecher oder Bösewichte aus, die in keine der 
erwähnten Anstalten hineinpassen, sondern für die zum Schutze der Gesellschaft wie zur richtigen 
Behandlung ihrer selbst eigene Asyle errichtet werden müssen. In diesen Asylen, die natürlich vor 
allem das Prinzip der totalen Abstinenz durchzuführen haben, sollen diese psychopatiseh minder- 


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Referate über Bücher and Aufsätze. 

wcrthigen Individuen zur Arbeit und Ordnung angehalten und auf diesem Wege einer eventuellen 
relativen Heilung, die viel aussichtsvoller ist wie auf jedem anderen Wege, entgegengeführt werden. 
Forel befürwortet, wenn nöthig, eine Administration, Internierung solcher Kranken und giebt eine 
detaillierte Beschreibung der Anlage, äusseren und inneren Einrichtung derartiger Asyle für un¬ 
heilbare Alkoholiker. J. Marcuse (Mannheim). 

William Ewart, Eis oder Wärme in der lokalen Anwendung? The Laneet 1891). 8. April. 

Der Verfasser bespricht die beiden einander entgegengesetzten Anwendungsmittel: Wärme 
und Kälte bei schmerzhaften Erscheinungen von Rheumatismus Articulorum, Arthritis und anderen 
Affektionen. Er selbst hat die Erfahrung gemacht, dass die Anwendung von Eis insbesondere von 
Eisniassage in zahlreichen Fällen ein günstiges Resultat dann ergab, in denen alle Versuche, Wärme- 
mittel anzuwenden, nicht nur fehlschlugen, sondern eher noch die Schmerzen vergrösserten. Die 
Eismassage besteht in einem sanften Reiben der ausgesetzten Oberfläche mit einem glatten Stückchen 
Eis und ist der von Esmarch empfohlenen Methode von fortgesetzter Anwendung von Eisbeuteln 
vorzuziehen. Er kam auf diese Anwendungsweise bei einem Falle von akuter schmerzhafter rheuma¬ 
tischer Arthritis der Hüfte, bei welcher alle Medicinen, ferner Wärme und Ileissluftbäder nutzlos 
waren und bei welcher die schliessliche Anwendung von heissen Sandbeuteln eher reizte, als die 
Schmerzen verminderte. Hierauf führt er drei Fälle an, in welchen mit der Anwendung von Wärme 
gar nichts, dagegen mit der sehliesslichen Anwendung von Eismassage sehr günstige Erfolge erzielt 
wurden und zwar war die Wirkung eine sofortige. Er ist auch der Meinung, dass auch eine Ver¬ 
minderung der Schmerzen bei akutem Rheumatismus zu erzielen wäre, ebenso bei Neuralgie. Seit¬ 
dem Verfasser diesen Bericht lieferte, hatte er eine weitere Erfahrung für die günstige Anwendung 
der Eismassage gemacht, nämlich bei den starken pleuritischen Schmerzen, welche man gewöhnlich 
bei der akuten Pneumonie der Basis antrifft. Der Erfolg war ein vollständiger; allein in einem 
Falle nicht dauernd, woraus er zu dem Schlüsse gelangt, dass die Häufigkeit der Anwendung nach 
jedem einzelnen Falle beurtheilt werden muss. Emanuel Hirsch (Karlsbad). 


J. Jefimow, Zur Entstehung des Skorbuts« Petersburger Dissertation. 

Die Behandlung einer Krankheit kann nur dann mit Aussicht auf Erfolg unternommen und 
die Prophylaxe zielbewusst durchgeführt werden, wenn die Ursache der Affektion uns bekannt und 
die Pathogenese derselben klargestellt ist. Beides ist beim Skorbut noch nicht der Fall. Weder 
kennen wir genau die ätiologischen Verhältnisse, noch sind die entscheidenden Momente in der 
Entstehnngsweise dieser Krankheit genügend erforscht. Nur über einige prädisponierende Faktoren 
sind wir mehr oder weniger unterrichtet, unter denen Anomalieen der Ernährungsweise, Mängel 
der Nahrungsmittel selbst und ungünstige hygienische Verhältnisse die wichtigste Rolle spielen. 
Das sehr häufige Auftreten des Skorbuts in endemischer und epidemischer Ausbreitung (wie z. B. 
im Jahre 1898 in den von Missernte und Hungersnoth heiragesuchten südöstlichen Gouvernements 
Russlands), die mehrfach behauptete Möglichkeit einer Uebertragung der Erkrankung durch Kontagion, 
die nahe Verwandtschaft des Skorbuts mit dem multiformen exsudativen Erythem, welche von den 
meisten Dermatologen zu den akuten Infektionskrankheiten zugerechnet wird, die Beziehung zu 
dem akuten Gelenkrheumatismus mit einer manchmal auftretenden allgemeinen hämorrhagischen 
Diathese, das fast regelmässige Erscheinen von Blutungen bei den septischen Erkrankungen: alle 
diese Umstände drängen zu der Annahme, dass der Skorbut durch die Invasion von pathogenen 
3Iikroben veranlasst werde, eine Infektionskrankheit sei. Jedoch alles Suchen der Anhänger der 
Infektionstheorie des Skorbuts nach dem spezifischen organisierten Krankheitserreger ist bisher völlig 
vergeblich gewesen. Auch die weissc Ziege, welche in den Korridoren und Gängen der chirurgischen 
Universitätsklinik zu Dorpat zum Gaudium der Studenten und zum Aerger der Patienten prätentiös 
umherspazierte und an welcher von Prof. Wilhelm Koch Impfversuche mit Skorbutbakterien 
vorgenommen wurden, hat die sehr zahlreichen Gegner der Infektionstheorie nicht zu überzeugen 
vermocht. Koch hält noch heute dagegen an der infektiösen Entstehung des Skorbuts und an der 
Ansteckungsfähigkeit desselben fest (s. Wratsch 1899. No. 26). 

Ein neues Licht auf die intimeren Beziehungen zwischen den hämorrhagischen Diathesen, 
speziell dem Skorbut, und den septischen Erkrankungen werfen die Untersuchungen Jefimow’s. 
Seine Arbeit zerfallt in zwei Thcile. Im ersten Abschnitt theilt der Autor die Resultate seiner 
Nachforschungen nach den spezifischen Mikroben des Skorbuts mit. Diese Nachforschungen ergaben 
nichts Positives: irgend eine beständige Bakterienart, die in jedem Falle hätte angetroffen werden 


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156 Referate über Bücher und Aufsätze. 


können, wurde von ihm nicht aufgefunden. Bei 5 von 23 von ihm in dieser Richtung untersuchten 
Skorbutkranken konnten im Blute und in den Organen verschiedenartige Pilze, sowohl saprophv- 
tische als auch pathogene, nachgewiesen werden. Von vier Fällen, an denen die Methode von 
Afanassiew zur Gewinnung von Infektionserregern angewandt wurde, fanden sich in drei ver¬ 
schiedene Kokken, in einem Falle — nichts. Der zweite Theil der Arbeit enthält die Versuche 
des Verfassers an Thieren (Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten und Mäusen), welchen er Faulniss- 
stoffe entweder in den Magen oder in die Respirationswege einführte. Diese Versuche ergaben, 
dass eine fortgesetzte Einverleibung von Fäulnissprodukten in den Magen wie auch ein andauerndes 
Verweilen der Thiere in einer fäulnissgeschwängerten Atmosphäre eine chronische putride Intoxikation 
hervorruft; die dabei sich einstellenden pathologisch-anatomischen Veränderungen und einige Er¬ 
scheinungen intra vitam zeigen im allgemeinen ein Bild, das dem des Skorbuts ausserordentlich 
ähnlich ist. So fand er an den Versuchsthieren Blutungen in die Haut, Hämorrhagieen in das 
Unterhautzellgewcbe und in die Muskeln, Ekchymosen an den Schleim- und serösen Häuten, manch¬ 
mal auch in den parenchymatösen Organen, dann auch subperiostale Blutergüsse. Die inneren 
Organe waren stets pathologisch verändert, die rothen Blutkörperchen hatten immer eine unregel¬ 
mässige Form, der Magensaft enthielt bei der Sektion keine Salzsäure. Ausgesprochene Ver¬ 
änderungen am Zahnfleisch konnte Verfasser bei seinen Experimenten nicht erzielen. 

Nach Jefimow’s Meinung werden alle diese Krankheitserscheinungen durch die bei der 
Fäulniss sich bildenden chemischen Zersetzungsprodukte bedingt, und auf Grund all dieser Ergeb¬ 
nisse neigt er zu der Ansicht, dass der Skorbut als eine chronische putride Intoxikation aufzufassen 
sei, welche durch die Verdauungs- oder Athmungsorgane vermittelt werde. In fünf Fällen gelang 
es dem Autor, aus dem Blut und aus den Organen der Versuchsthiere verschiedene Bakterien zu 
züchten, welche anderen Thieren ins Blut gespritzt, bei diesen ebenfalls Hämorrhagieen hervor¬ 
riefen; denselben Effekt hatten aber auch die abgetöteten Kulturen dieser Mikroben, wenn sie ins 
Blut injiziert wurden. Daraus glaubt Jefimow schliessen zu können, dass die Bakterien, die in 
einem an putrider Intoxikation leidenden Körper geweilt haben, auch wenn sie selbst nicht Fäulniss- 
erreger sind, anscheinend die Fähigkeit erwerben einen putriden (septischen) Giftstoff zu produzieren, 
der, anderen Thieren ins Blut gebracht, Hämorrhagieen in verschiedenen Organen hervorruft. 
Hierdurch erklärt auch Verfasser den Umstand, warum einige Forscher, welche die hetorogensten 
Mikroben von Skorbutkranken gezüchtet hatten, bei der Inokulation der vermeintlichen Krankheits¬ 
erreger an den Versuchsthieren wirklich Blutungen in verschiedenen Organen beobachteten. 

A. Dworetzky (Riga). 


Robert L angeiidorff, lieber das Luftbad. Wiener niedieinisehe Wochenschrift 1900. No. 1,2, 

Verfasser hat als Leiter eines Sanatoriums in über 200 Fällen das Luftbad angewandt und 
berichtet in einer ausführlichen Arbeit über die Ergebnisse dieser physikalischen Behandlungs¬ 
methode. Während das kalte Vollbad, die gebräuchlichste hydriatische Prozedur, die dem Luftbad 
am nächsten steht, eine kombinierte Reizwirkung auf die Körperoberfläche ausübt —- zu dem 
thermischen Reiz kommt noch der mechanische Effekt hinzu, der durch den Wasserdruck auf den 
Körper wirkt —, ist der Reiz, der beim Luftbad ein wirkt, ein rein thermischer und infolge Weg¬ 
falles einer jeden mechanischen Einwirkung ein viel milderer, als der durch Wasser applizierte. 
Bei der weiteren Vergleichung der Einwirkung des Wassers und der Luft auf den Organismus 
wird sich als wesentlich unterscheidend das verschiedene Wänneleitungsvermögen beider Medien 
ergeben, das beim Wasser bedeutend grösser ist als bei der Luft. Bei gleicher Temperatur beider 
Medien wird demzufolge das Wasser mehr wärmeentziehend wirken als die Luft. Diese geringe 
Wärmeentziehung im Luftbade wird uns gestatten einen intensiveren thermischen Reiz in An¬ 
wendung zu bringen oder den gleichen thermischen Reiz längere Zeit hindurch zu applizieren, als 
wenn man dies vermittelst des Wassers thut. Die im Luftbad dem Körper entzogene Wärme wird, 
da die Körpertemperatur sich annähernd konstant verhält, wieder ersetzt durch eine Steigerung der 
Stoffwechsel Vorgänge. Da man nun das Luftbad auf Stunden ausdehnen kann, so wird die an und 
für sich wohl mässige Wärmeentziehung bei längerer Dauer einen bedeutenden Grad erreichen. 
Der langsam und allmählich erfolgende Wärmeverlust aber ermöglicht es, dass das Bestreben des 
Organismus, diesen Verlust wieder zu decken, erfüllt werden kann, da die Wärmebildung zufolge 
der langsam erfolgenden Wärmeentziehung mit dieser Schritt zu halten vermag. Es wird also 
die Stoffwechselsteigerung, ausgedehnt auf die ganze Dauer des Luftbades, in ihrer Summe eine 
bedeutende sein, wie mau sie durch eine, in ihrer Zeit kurz begrenzte Wasseranwendung nicht 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 157 


erreichen kann, da bei letzterer sowohl die durch den direkten Kältereiz hervorgerufene, auf ge¬ 
steigerte Muskelaktion zurückzuführende primäre Stoffwechselbeschleunigung, als auch die im Ver¬ 
laufe der Reaktion sich einstellende sekundäre Stoffwechselbeschleunigung von begrenzter Dauer 
ist. Das Luftbad übt also mithin eine intensive stoffwechselanregende Wirkung aus, zu der dann 
weiterhin noch eine die respiratorische, sc- und exkretorische Funktion der Haut beeinflussende 
kommt Verfasser resümiert seine physiologischen Argumentationen über das Luftbad dahin, dass 
dasselbe eine Methode darstellt, vermittelst welcher man einen grossen thermisrhen Reiz unter 
minimaler mechanischer Erregung und bei verhältnissmässig geringer Wärmeentziehung applizieren, 
die Stoffwechsel Vorgänge intensiv steigern und die so wichtige Hautthätigkeit mächtig fördern kann. 

Auf der Basis dieser besonderen Wirkungsweise des Luftbades ergeben sich die allgemeinen 
Indikationen für seine Anwendung, nämlich jene Erkrankungsformen, die einerseits zufolge 
ihrer Natur ein anregendes, tonisierendes Verfahren erheischen, die aber andrerseits zufolge der sic 
begleitenden gesteigerten Nervenerregbarkeit eine jede stärkere mechanische Erregung verbieten oder 
zufolge der mit ihnen verbundenen schlechten Reaktionsverhältnisse eine jede grössere Wärme¬ 
entziehung schlecht vertragen. In die erste Kategorie dieser Erkrankungsformen gehören die hoch¬ 
gradig neurasthenischen, in die zweite die anämisch-chlorotischen Zustände. Bei den so häufig vor¬ 
kommenden Erschöpfungsneurasthenieen, denen gegenüber die hydrotherapeutischen Prozeduren ver¬ 
sagen, w’erden unter rationeller Luftbehandlung vorzügliche Erfolge erreicht, ebenso wie bei den 
anämisch-chlorotischen Zuständen, bei deren Behandlung es nach Winternitz »als allgemeines 
Prinzip gilt, dass der thermische und mechanische Nervenreiz ein zur Reizempfänglichkeit nicht zu 
mächtiger und doch genügend intensiver, und dass die absolute Grösse der Wärmeentziehung eine 
verhältnissmässig geringe sei«. Diese Bedingungen erfüllt keine hydriatische Prozedur in dem 
Maasse wie das Luftbad Dasselbe gilt bei der Behandlung sekundärer Anämicen, mögen sie nach 
fieberhaften Krankheiten zurückgeblieben sein oder im Verlauf einer chronischen Erkrankung als 
Folge der herabgesetzten Ernährung sich entwickelt habet), überhaupt aller Fälle, die zufolge ihrer 
Konstitution und ihres Ernährungszustandes ein mildes tonisierendes Verfahren erheischen. Ferner 
wird das Luftbad überall dort indiziert sein, wo man direkt die Stoffwechsel Vorgänge zu steigern 
beabsichtigt, also vornehmlich bei allen jenen Affektionen, als deren kausales Moment die Forschungen 
der letzten Jahre eine Retardierung des Stoffwechsels, eine Herabsetzung der intraorganen Oxydation 
ergeben haben. Die verbreitetsten dieser Affektionen bilden die gichtischen und chronisch-rheuma¬ 
tischen Zustände; auch bei ihnen ergiebt die Anwendung des Luftbades vorzügliche Resultate. 
Man erhält aber durch das Luftbad zugleich noch eine weitere Forderung, nämlich die der Ab¬ 
härtung des Körpers, der ja bei Gichtikem und Rheumatikern gegen Temperatureinflüsse besonders 
empfindlich ist Auch in Fällen von Erkrankungen der Haut, soweit sie namentlich mit Störungen 
ihrer Cirkulation, weiterhin mit Störungen ihrer se- und exkretorischen Funktion einhergehen, so 
z. B. bei chronischem universellem Ekzem, Furunkulose etc. lassen sich ausserordentlich günstige 
Erfolge erzielen. Kontraindiziert ist die Anwendung von Luftbädern bei hochgradigen Schwäche¬ 
zuständen, bei vorgeschrittenen Fällen von Insufficienz des Herzmuskels — kompensierte Klappen¬ 
fehler und atheromatöse Prozesse hingegen bilden keine Kontraindikation —, unangebracht bei 
allen Fieberzuständen, bei denen hydrotherapeutische Maassnahmen rascher zum Ziele führen. 

Was endlich die An wendungs weise des Luftbades betrifft, so muss die Luft in demselben 
möglichst ideal beschaffen, d. h. reich an Sauerstoff, frei von grösseren Beimengungen von Kohlen¬ 
säure, frei von pathogenen Mikroorganismen und eines gewissen Ozongehaltes nicht entbehrend 
sein. Man wird also Luftbäder weder in geschlossenen Wohnräumen, noch in der Nähe grosser 
Städte, sondern fern von den Centren, auf dem freien Lande, in staubfreier, waldreicher Luft zur 
Anwendung bringen. Die Luft darf fernerhin ein gewisses Temperaturmaximum nicht übersteigen, 
beruht ja das wirksame Prinzip des Luftbades auf der durch dasselbe vermittelten Kälteeinwirkung. 
Man beginnt damit in der milderen Jahreszeit in den ersten Morgen- resp. Vormittagsstunden. 
Fasst man die positiven Erfordernisse zusammen, die die Eigenschaft einer Oertlichkeit für eine 
Luftbadstation bestimmen, so sind dies folgende: mittlere Lage in .einer Höhe von 400—500 Meter 
in rauch- und staubfreier Gegend, geschützt vor stärkeren Windströmungen, frei von reichlicheren 
Niederschlägen, das Luftbadterrain selbst wird mit schützenden Pallisaden, Zäunen oder Scgcltuch- 
wänden umgeben. Innerhalb dieses Raumes befindet sich eine Ankleidungshütte, der Boden des 
Platzes ist mit einem niedrigen Rasen bedeckt, an der Aussenseite im Schatten befindet sich ein 
Thermometer. Bei schwächlichen, anämischen Individuen beginnt man die Kur bei einer Minimal- 
teinperatur von 14 —16° R, bei kräftigen, gut genährten von 11 —12° R; im allgemeinen werden die 
Morgenstunden von 5—9 Uhr gewählt, doch ist dies von Jahreszeit und Witterung abhängig. Die 
Dauer des ersten Luftbades beträgt bei schwächeren Patienten 10—20 Minuten, allmählich wird 


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158 Referate aber ßücher und Aufsätze. 

sie gesteigert, bis sie nach 10—12 Tagen eine Stunde betägt Von da an wird, indem auch 
weiterhin die Dauer des Luftbades allmählich verlängert wird, seine Temperatur herabgesetzt und 
zwar jeden fünften bis achten Tag um 1 ®, was dadurch erzielt wird, dass man die Patienten ent¬ 
sprechend früher ins Luftbad gehen lässt. Minimaltemperatur bei schwächlichen Individuen im 
allgemeinen 120 , bei kräftigen 8 «, Maximaldauer bei ersteren 2 , bei letzteren 3, höchstens 4 Stunden. 
Etwa entstehendes Kältegefühl oder Frösteln wird durch trockene Abreibungen bekämpft. Während 
der Dauer desselben werden Muskelbewegungen ausgeführt — Freiübungen, Spiele etc. —; des¬ 
gleichen muss nach Beendigung für eine vollständige Wiedererwärmung Sorge getragen werden. 

J. Marcuse (Mannheim). 


A. Win ekler, lieber Gasbäder und Gasinhalationeil aus Schwefel wässern. Archiv für 
Balneotherapie und Hydrotherapie 1900. Bd. 2 . Heft 5. 

Nach kurzer historischer Uebersicht der Versuche, die aus natürlichen Schwefel wässern ent¬ 
weichenden Gase medicinisch zu verwerthen, berichtet Verfasser über das Resultat der chemischen 
Gasanalyse der aus dem natürlichen Neundorfer Schwefelwasser gewonnenen Inhalationsluft durch 
den Chemiker York Schwartz in Hannover. Dieser fand ausser Schwefelwasserstoff in winziger 
Menge ein bedeutendes Quantum von unterschwefliger Säure (H 2 S 2 O 3 ), ungefähr 2 g pro Kubik¬ 
meter Inhalationsluft. Die weitere »Zersetzung der unterschwefligen Säure spielt sich in höchst 
komplizierter Weise ab und liefert andere Schwefel Verbindungen oder Zwischenprodukte, die infolge 
der Zufuhr immer neuer Schwefelwasserraengen gleichzeitig nebeneinander in der Inhalatoriumsluft 
vorhanden sein müssen.« Der Gehalt einer Schwefelquelle an Schwefel Wasserstoff ist insofern 
von Bedeutung, als man beurtheilcn kann, in welchem Grade sie dazu geeignet ist, Gasinhalatorien 
und Gasbäder zu alimentieren. Nenndorf nimmt in dieser Beziehung eine der ersten Stellen ein. 
Vielfach hat inan versucht, die aus gasreichen Schwefelquellen spontan aufsteigenden Gase unmittel¬ 
bar an den Quellen selbst zu inhalieren, ohne irgend welche Vorrichtung. »Die Einrichtung ist 
primitiv, aber nichtsdestoweniger wirksam.« An manchen Kurorten hat man warme und kalte 
Schwefelinhalatorien nebeneinander eingerichtet, jedoch kommt man neuerdings von den warmen 
wieder zurück, da Katarrhe besonders bei Phthisikern dadurch ungünstig beeinflusst wurden. Ver¬ 
fasser geht dann über zu der baineotechnischen Einrichtung einer Schwefelgas¬ 
inhalations- und Badeanstalt, und zwar an dem Beispiel des Nenndorf er Gasbadehauses, das 
als eine Musteranstalt gelten darf. Die physiologischen Wirkungen bestehen vor allem in 
Vertiefung der Athemzüge und Abnahme der Pulsfrequenz um 10—15 Schläge, ferner in vermehrter 
flüssiger Absonderung der Nase und Luftröhre, manchmal auch in einem metallischen Geschmack 
im Munde. Später stellt sich vermehrtes Wännegefühl der ganzen Haut, schliesslich Müdigkeit, Be¬ 
nommenheit des Kopfes, Schwindel, Schlaf, Betäubung ein. Vor allem ist also die »sedicrende« 
Wirkung zu bemerken im Gegensatz zu denen des Schwefelwasserstoffs, die sich ganz anders dar¬ 
stellen. Bezüglich der therapeutischen Wirkungen hebt Verfasser mit einer gewissen Traurigkeit 
hervor, wie wenig dieselben in Deutschland anerkannt werden im Gegensatz zu Frankreich. Dieselben 
zeigen sich in hervorragendem Maasse bei den meisten Erkrankungen der Respirationsorgane, bei 
einigen Ohrenleiden, bei den juckenden Hautkrankheiten und bei Sensibilitätsneurosen. An erste 
Stelle unter den Indikationen stellt Verfasser das Asthma, sodann die Dyspnoe der Emphysematiker 
und der Phthisiker. Ferner sind als Indikationen zu nennen: chronische Nasenkatarrhe aller Art, be¬ 
sonders bei Skrophulose und Gicht, bei chronischer Laryngitis, bei Mittelohrkatarrh. Das Zustande¬ 
kommen der Heilwirkungen erklärt sich Verfasser durch die eventuell anästhesierende Eigen¬ 
schaft der Gase, ferner durch die baktericide Fähigkeit der unterschwelligen Säure in statu nascendi. 
Die Art der Ordination ist einfach: 15—40 Minuten lang wird ein Gasbad von ca. 20 « R ge¬ 
nommen; die Dauer einer Inhalationssitzung beträgt 15—60 Minuten. Kontraindikationen bilden 
vorgeschrittene Lungentuberkulose, Neigung zu aktiven Blutungen, schwere Kreislaufstörungen, 
entzündliche Augenaffektionen und jedes Fieber. Dctermann (St. Blasien). 


Koeppe, Die physikalisch - chemische Analyse des Liebensteiner Stahlwassers. Archiv für 
Balneotherapie und Hydrotherapie 1900. Bd. 2 . Heft 4. 

Verfasser hat an der Quelle selbst und unter kontrollierender chemischer Analyse desselben 
Wassers durch Dr. Beyer (Wetzlar) die physikalisch - chemische Untersuchung des Liebensteiner 


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Referate über Bücher und Aufsatze. 159 


Stahl wassere gemacht Nach Mittheilung der Untersuch ungsrcsultate äussert sich Verfasser folgender- 
maassen über dieselben: Aus dieser physikalisch - chemischen Analyse, d. i der Kombination der 
Gefrierpunkts- und Leistungsfäh igkcitsbcstimmungcn erfahren wir über die molekulare Zusammen¬ 
setzung des Licbensteincr Stahlwasscrs folgendes: 

1 . Ein Liter Liebensteiner Stahlwasser enthält insgesammt 0,10648 Molen; 

2 . Die freie Kohlensäure allein bedingt eine Gefrierpunktsdepression von 0,102° 0, daraus 
berechnet sich der Gehalt des Mineralwassers auf 0,0f>f>135 Molen C0 2 oder 
2,426 g C0 2 ; 

:k Die freie Kohlensäure ist in Form neutraler Moleküle im Wasser vorhanden; 

4. Die 0,0f» 135 übrigen Molen sind nicht alle in Jonenform, sondern zum Theil in 
neutraler Form in dem Eisenwasser; 

ö. Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass das Eisen sich i n Form neutraler 
Moleküle in dem Wasser sich befindet; 

6 . In Form von Jonen sind höchstens 0,04 Molen anzunehmen. 

Der Vergleich der physikalisch - chemischen Analyse mit der chemischen ergiebt in Bezug auf den 
Kohlensauregehalt des frischen Wassers eine ziemlich genaue Uebereinstimmung; auch die Untersuchung 
des abgekochten resp. abgestandenen Wassere ergab befriedigende Uebereinstimmung. Jedoch fand 
der Verfasser aus der Gefrierpunktserniedrigung des Liebensteiner Stahlwassers einen höheren Ge¬ 
halt von Molen, als ihn die chemische Analyse ergab. In dem Stahlwasser sind noch Stoffe vor¬ 
handen, welche durch die chemische Analyse nicht bestimmt wurden und welche wahrscheinlich 
organischer Natur sind. Es beweist also dies Resultat, dass die physikalisch - chemische Analyse 
nicht nur eine nothwendige Ergänzung ist, sondern auch eine scharfe Kontrolle der chemischen 
Analyse, ferner ist es geeignet, zu beweisen, dass ein künstliches Mineralwasser nicht identisch mit 
dem natürlichen sein kann; sodann macht es auf die Möglichkeit aufmerksam, dass gerade diese 
unbekannten Stoffe die therapeutische Wirksamkeit der Quelle bedingen, endlich macht es wahr¬ 
scheinlich, dass in der Liebensteiner Quelle das Eisen theilweise in organischer Verbindung vor¬ 
handen ist Determann (St. Blasien). 


Rndolf Hatschek, Eine einfache Methode filr Kohlensäureapplikationen. Wiener klinische 
Rundschau 1900. No. 4. 

Während zur Herstellung von künstlichen kohlensäurehaltigen Bädern die verschiedensten 
Methoden angegeben sind, empfiehlt Hatschek stau dessen die einfach herzustellenden Kohlen¬ 
säureabreibungen, die in der Weise gemacht werden, dass man den Patienten zuerst mit einem 
60 g des Salzes enthaltenden Brei von Natron bicarbonieum rasch einreibt und dann sofort ihn mit 
neuem in einer P/ 4 % Salzsäure- oder einer 2V* u ,o Weiusäurelösung getauchten Tuche umschlingt. 
Es kommt dann sofort zu einer starken Kohlensäureentwicklung unmittelbar auf der Haut und, da 
der Brei auch in die Poren eindringt, in der Haut. Die Wirkung der Kohlensäure äussert sich 
vor allem in einer Gefässerschlaffung, die (nach anfänglicher Vasokonstriktion) viel rascher eintritt 
als bei mechanischem und thermischem Reiz; daher ist die Kohlensäureapplikation namentlich 
in den Fallen am Platze, wo eine »Gymnastik« d. h. prompte Reaktion der Vasodilatatoren der Haut 
schwer zu erzielen ist und wo man die sonst dazu nöthigen starken mechanischen oder thermischen 
Reize vermeiden möchte, also bei schwächlichen anämischen Individuen. 

Laqueur (Berlin). 


H. 8. Frenkel, Die Behandlung der tabischen Ataxie mit Hülfe der Uebnng. Kompensatorische 
Uebungstherapie, ihre Grundlagen und Technik« Leipzig 1900. Verlag von F. C. W. Vogel. 

Der Schweizer Arzt Dr. Frenkel, welchem das Verdienst zukommt, als erster die kompen¬ 
satorische Uebungstherapie zu einem wirklich rationellen therapeutischen System ausgebaut zu haben 
hat in der vorliegenden Monographie alle die Erfahrungen niedergclegt, welche er während der 
10 Jahre, in welchen er sich fortgesetzt mit dieser physikalischen Behandlungsmethode beschäftigt 
hat, bei einer grossen Anzahl von Kranken sowohl in seinem Kurhause Freihof in Heiden als auch 
in der Salpötriere sammeln konnte. Er hat sich in diesem Werke nicht allein darauf beschränkt, nur die 
praktischen Gesichtspunkte der Uebungstherapie zu erörtern, sondern er hat zunächst einen theoretischen 
Theil vorausgeschickt. In demselben erörtert er kurz die Geschichte der Uebungstherapie. er bespricht 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


160 


dann die Formen der tabischen Ataxie und setzt das Wesen der Koordination auseinander. Drei 
Faktoren produzieren seiner Ansicht nach die Koordination der Bewegungen: 1. die Art der Muskel- 
gruppen, 2. die dynamometrisch messbare Kontraktionsgrosse, und 3. die Schnelligkeit der Winkel¬ 
bewegungen, welche letztere von der Schnelligkeit des Ablaufs der Kontraktion abhängt In einem 
grösseren Kapitel bespricht Frenkel dann, in welcher Weise die genannten Faktoren ineinander- 
wirken, um die Koordination der Bewegungen herbeizuführen. Im Anschluss an diese Erörterungen 
versucht er eine Definition der tabischen Ataxie zu geben; er lehnt sich hierbei vielfach an die 
Hering’sehen Versuche und Theorieen, weistim allgemeinen die sogenannte motorische Theorie der 
Ataxie zurück und acceptiert vielmehr die von Leyden-Goldscheid er’sehe Theorie der sen¬ 
sorischen Ataxie. 

In einem umfangreichen Kapitel beschäftigt sich der Autor mit der Untersuchung der Sensi¬ 
bilität und kommt dabei'zu dem Resultat, dass »die Behauptung, Ataxie der Tabiker komme ohne 
jede Sensibilitätsstörung vor, nur auf dem Boden fehlerhafter Untersuchungen erwachsen sein kann«. 
Auch der Prüfung der Ataxie widmet er einen grösseren Abschnitt, desgleichen dem wichtigen 
Symptome der Hypotonie der Muskulatur bei Tabikern. Wie schon früher, betont er auch in diesem 
Kapitel, dass die Hypotonie an sich nichts mit den Sensibilitätsstörungen der Tabiker zu thun hat, 
sondern dass das charakteristische Merkmal dieses Phänomens in der Verminderung oder dem Wegfall 
von Hemmungen für gewisse Bewegungen besteht Durch eine grosse Reihe von Illustrationen 
schildert er das Bestehen der Hypotonie für die verschiedensten Gelenke der Tabiker. Praktisch 
wichtig ist dies Symptom vor allem deshalb, weil es die schon seit langer Zeit bekannten zum 
Theil schweren fehlerhaften Körperstellungen des Tabikers herbeiführt. 

ln dem ausführlicheren zweiten, speziellen Theil seines Werkes bespricht Frenkel dann zu¬ 
nächst die Uebungen als solche, sowie besonders als Kompensationsmittel der Koordinationsstörungen 
und setzt, wieder unter Beifügung zahlreicher Illustrationen, die Mechanik der Körperbewegungen der 
Tabiker im Gegensatz zu der der Gesunden auseinander. Nachdem er dann die Vorbedingungen uud 
eine Reihe allgemeiner Punkte besprochen hat, geht er auf die spezielle Schilderung der Uebungen über. 
Bezüglich der Uebungen der unteren Extremitäten unterscheidet er vierKategorieen: 1. solche, welche 
im Liegen» d. h. ohne Intervention, Schwere und Balancierung des Oberkörpers vorgenommen werden, 
2. solche, welche ira Sitzen, 3. solche, welche im Stehen mit Balancierung des Oberkörpers aus¬ 
geführt werden, 4. solche, welche zur Lokomotion des ganzen Körpers im Raume ausgeführt werden. 
Von diesen Uebungen zählt der Autor dem Leser eine grosse Reihe auf und erläutert sie theils 
durch Bemerkungen, theils durch Illustrationen. Die Uebungen im Liegen zieht er denen in sitzen¬ 
der Stellung vor und verwirft im allgemeinen sämmtliche Apparate für die Durchführung der 
Uebungstherapie bei der Behandlung der Tabiker. 

So werthvoll die Anweisungen, welche Frenkel bezüglich der Durchführung der Uebungs¬ 
therapie giebt, auch sind, so kann andrerseits dem Autor der Vorwurf nicht erspart werden, 
dass er in der Kritik der von anderen Autoren, namentlich von Gold sc hei der, v. Leyden 
und dem Referenten für die Uebungstherapie angegebenen Vorrichtungen und Apparate das 
Maass der üblichen Kritik entschieden überschreitet, ein Punkt, auf den wir hier bei der 
objektiven Besprechung, welcher wir uns in dem Referate befleissigen, nicht näher eingehen 
können; es soll dies an anderer Stelle geschehen. Nur. eine prinzipielle Bemerkung sei dem 
Referenten bezüglich der Frenkel*sehen Methode gestattet; diese betrifft die Einübung der Geh¬ 
bewegungen. Frenkel legt auf die Unterstützung seitens der Arme bei der Einübung der Geh¬ 
bewegungen gar keinen Werth. Nur für die Fälle schwerster Ataxie hat er einen besonderen 
Gürtel angegeben, welcher um den Rumpf des Tabikers gelegt und von zwei Wärtern gefasst 
werden muss, damit der Kranke nicht hinstürzt: Unseres Erachtens nach ist diese Methode viel 
umständlicher und kommt den natürlichen Verhältnissen viel weniger nahe, als wenn der Kranke 
in passenden Gchstühlen, Barren, eventuell auf Stöcke sich selbst stützt. Auch in den Fällen von 
nur massiger Ataxie, in denen es für die Patienten ganz unmöglich ist, ohne Unterstützung seitens 
der Arme zu gehen oder Gehübungen in richtiger Körperstellung vorzunehmen, legen wir auf die 
richtige Verwerthung dieses so wichtigen Momentes einen ganz besonderen Werth. Es ist aus den 
Schilderungen Frenkel’s nicht recht ersichtlich, in welcher Weise er die Fälle massiger Ataxie, 
welche hauptsächlich die Behandlung des Arztes aufsuchen, die von ihm angegebenen zum Theil 
schwierigen Uebungen: wie Gang mit gebeugten Knieen, Zick-Zack-Gehen, Gehen auf der schmalen 
Linie, Gehen auf dem Bodenkreuz etc. ohne jede Unterstützung der Arme ausführen lässt. Die 
gemeinsamen Uebungen, welche Frenkel empfiehlt, werden wir an anderer Stelle als ungeeignet 
kritisieren. 


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Referate Über Bücher und Aufsätze. 


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In dem letzten Abschnitt seiner Monographie bespricht Frenkel die Behandlung der Ataxie 
der oberen Extremitäten, die der Ataxie des Rumpfes und die der Hypotonie. 

Alles in allem stellt die Monographie eine gute Anleitung zur UebungsbehandJung für die 
Aerzte dar, welche die von Frenkel für seine Art der Uebungstherapie eingeführten Prinzipien 
kennen lernen wollen. Zu bedauern ist nur, dass Frenkel — entgegen dem Vorwurf, den er 
anderen Autoren macht — selbst keine Krankengeschichten zur Illustration der von ihm geschil- 
derten Uebungen in dem Werke veröffentlicht hat. Paul Jacob (Berlin). 


S. Kornfeld, Ueber den Einfluss physischer und psychischer Arbeit auf den Blutdruck. 

Wiener medicinische Blätter 1899. No. 30, 31, 32. 

Kornfeld schickt die Kautelen voraus, unter denen er mit dem Base huschen Sphygmo¬ 
manometer arbeitete; er nahm die Messungen so vor, dass er den Radialpuls möglichst peripher am 
Capitulum radii aufsuchte und mit dem Finger einen derartigen Druck ausübte, dass er nur die 
an die Fingerkuppe vom Vorderarme her anstossende Welle deutlich vernahm, unter dem Finger 
selbst jedoch keinen Puls verspürte. Damit war eine Täuschung durch den vom Daumenballen her 
rückläufig verlaufenden Puls ausgeschlossen. Dann setzte er unmittelbar vor den komprimierenden 
Finger die Pelotte des Sphygmomanometers auf, und ging nach erfolgter Kompression so weit mit 
dem Drucke auf die Arterie herab, dass er den Puls genau ebenso voll und ebenso gross wie vor 
dem Aufsetzen der Pelotte fühlen konnte. Damit vennied er die Täuschung, der Bestimmung der 
Blutdruckhöhe etwa lediglich die Gipfel der Pulskurven zu Grunde zu legen, um so statt des mitt¬ 
leren Druckes die dem Schlüsse jeder Kammersystole entsprechenden Maxima des arteriellen Blut¬ 
druckes zu messen. Kontrollvcrsuche mit dem Basch'sehen Manometersphygmographen, bei dom die 
Pulskurven um so deutlicher erscheinen, je mehr die Belastung der auf der Arterie aufgesetzten 
Pelotte dem thatsächlich bestehenden Blutdrucke entspricht, ergaben, dass die von Kornfeld auf 
angegebene Weise gefundenen Druckwerthe dem bestehenden Blutdrucke ziemlich genau entsprechen, 
ebenso übereinstimmend waren die gefundenen Werthe mit denen nach der Methode von Gärtner 
zur Kontrolle aufgenommenen. 

Bei jeder Arbeit wurde während derselben, sowie sogleich nach deren Beendigung ein zu¬ 
meist beträchtliches Ansteigen des Blutdruckes gefunden, dem in der Regel nach kurzer Zeit ein 
Absinken folgte, was in vielen Fällen unter den Anfangsdruck herabging. Beispielsweise war bei 
einem 19 Jahre alten kräftigen Manne der Blutdruck 100 mm, nach fünfmaligem Erheben des Ober¬ 
armes ging er auf 110 mm; wenn er ein Gewicht von 2 1 / 2 kg ©twa eine halbe Minute in die Höhe 
stemmte, stieg der Druck auf 130 mm und bei der Wiederholung nach einer kurzen Pause, in der 
der Druck auf 110 mm zurückging, stieg er sogar auf 138 mm. Bei einem anderen Manne wurde 
der Blutdruck durch Lastheben von 110 mm auf 190 und 195 mm gesteigert. Drei Minuten Ruhe 
genügten, um den Druck zur Anfangshöhe zurückzubringen. Pulsfrequenz stieg dabei von 78 auf 
84 und 90. Die Versuche, durch stärkere Arbeitsleistung den Blutdruck eventuell noch höher zu 
steigern, scheiterten an dem damit verbundenen Schweissausbruche, ein Moment, das bedeutend 
blutdruckerniedrigend wirkt und weiteres Ansteigen nicht aufkommen lässt. Analog wirken Thränen- 
sekretion und Lachen blutdruckerniedrigend. Für das Zustandekommen von Blutdrucksteigerung 
durch Muskelarbeit scheint die Reizung der sensibeln Muskelfasern, die offenbar mit der Energie 
der geleisteten Muskelarbeit parallel geht, eine grosse Rolle mitzuspielen 

Es werden nun noch eine Anzahl Fälle mitgetheilt, in denen die Arbeit auf die verschiedenste 
Art, durch Steigen, Handarbeit, Uebung im medico-mechanischen Institute geleistet wurde. Bei allen 
stieg der Druck erst schnell, dann in langsamerem Tempo an, und hielt sich dann, so lange die 
Arbeit dauerte, etwa auf derselben Höhe Nach Beendigung der Arbeit erfolgt der Abfall rasch 
und kann schon nach zwei Minuten die Anfangshöhe erreicht haben. Keineswegs ist bei verschiedenen 
Personen die Drucksteigerung dem Maasse der geleisteten Arbeit parallel, selbst bei demselben 
Individuum ist bei gleich grosser mechanischer Arbeitsleistung die Drucksteigerung unter ver¬ 
schiedenen Bedingungen verschieden, im allgemeinen ist der Druckanstieg bei Arbeitsleistung um 
so höher, je grösser der Ausgangsdruck war. Die Höhe des Anstieges selbst kann als Maass der 
subjektiven Anstrengung gelten. Geringes Absinken des Blutdruckes nach der Arbeitsleistung bis 
unter den Anfangsdruck fasst Kornfeld als den Ausdruck des Gefühles der Befriedigung auf, die 
nach vollbrachter Arbeit cintritt Ist das Absinken weit tiefer als der Anfangsdruck, so handelt es 
sich meist um einen von vornherein gesteigerten Anfangsdruck, der nach erfolgter Arbeit sich wieder 


Zeitschr. f. diÄt. u. physik. Therapie Bd. V. Heft 2. 


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162 Referate über Bücher und Aufsätze. 

der Norm nähert; die Beobachtungen beziehen sich auf Fälle, in denen vor der Arbeit ein psychischer 
Erregungszustand, ein Affekt mit Blutdruckvermehrung bestand, und in denen, nachdem rhythmische 
Bewegungen ausgeführt waren, der Blutdruck zur Norm zurückging. Die Wirkung des Trionals, 
nach dessen Gebrauch Blutdruckverrainderung eintritt, setzt Kornfeld theilweise auf diese Blut- 
druckverminderung, die dadurch bedingt wird, dass Bewusstseinsinhalte, welche einen Affekt unter¬ 
halten, und dadurch den Blutdruck gesteigert halten, gewissermaassen latent werden und damit 
Ursachen für Erhöhung des Blutdruckes verschwinden. Vielleicht lässt sich so auch die günstige 
Wirkung von mechanischer und psychischer Arbeit bei Angstzuständen erklären, wo Blutdruck¬ 
verminderung mit Besserung der Zustände fast gleichbedeutend ist. 

Aehnlich wie Muskelarbeit wirken in dieser Hinsicht auch Einflüsse auf sensible Nerven. Die 
Herz’sche Erschütterungsmaschine bedingt bei Personen, die, unter einem krankhaft psychischen 
Affekte stehend, vorher schon hohen Blutdruck hatten, Steigerung des Blutdruckes, der kurze Zeit 
nach Eintritt der Ruhe unter den Anfangsdruck absinkt und meist Besserung des Befindens im Ge¬ 
folge hat Bei Gesunden bleibt nach Anwendung der Rückenerschütterungsmaschine der Druck ent¬ 
weder unverändert, oder er sinkt ab. Passive Muskelbewegung wirkt ähnlich wie aktive in Bezug 
auf Ansteigen während der Bewegung und Absinkpn nach derselben. (Nur zu bedauern ist, dass 
Kornfeld gerade, um die Wirkung der passiven Muskel bewegung zu studieren, sich des passiven 
Athmungsapparates nach Dr. Herz bediente, und so seine Blutdruckbeobachtungen nicht ganz ein¬ 
wandsfrei allein auf passive Muskelarbeit zurückgeführt werden können. Referent) Wird Muskel¬ 
arbeit an Apparaten bis zur Ermüdung fortgesetzt, so ist der Druckabfall wesentlich verlangsamt; 
auch nach häuslichen Arbeiten fiel der Druck sehr langsam ab; Reizzustände sensibler Nerven, 
Muskelschmerz und dergleichen mehr können an diesem langsamen Zurückkehren zu normalen Druck¬ 
verhältnissen wohl die Ursache sein. 

Als Uebergang von der physischen Arbeit auf die psychische, berichtet Kornfeld über Be¬ 
obachtungen, die bei verhältnissmässig geringer Muskelarbeit grössere Aufmerksamkeit beanspruchen. 
Z. B. stieg bei einem jungen Manne, der eine Minute lang ruhig geht, der Blutdruck von 140 mm 
auf 145 mm, dagegen stieg der Blutdruck bei demselben, wenn er eine Minute lang so ging, dass 
er bei jedem Schritte genau die Ferse des einen Fusses vor die Spitze des anderen setzte, auf 
158 mm. Versuche an den Herz'schen Selbsthemmungsapparaten, die ein Läutewerk in Bewegung 
setzen, wenn die Bewegung nicht genau in Stärke und Geschwindigkeit nach Vorschrift ausgeführt 
wird, zeigen, dass bei deren Benutzung der Blutdruck weit höher steigt, als wir bei Uebungen von 
derselben Stärke, aber mit Ausschluss angestrengter Aufmerksamkeit, zu sehen gewohnt sind. 

Um den Einfluss der psychischen Thätigkeit auf den Blutdruck zu bestimmen, benutzte Korn¬ 
feld zuerst den Vorgang des aufmerksamen Horchens und fand Drucksteigerungen von 110 auf 
150 mm, von* denen die mit dem Horchen verbundene Muskelanstrengung unmöglich die Ursache sein 
kann. Bei einem auf einem Ohr Schwerhörigen fand er, dass, wenn er mit dem schlechten Ohr auf¬ 
merksam horchte, der Blutdruck von 120 auf 165 mm anstieg, während beim Horchen mit dem 
besseren Ohr, das weniger Konzentration der Aufmerksamkeit verlangt, der Blutdruck nur auf 
150 mm anstieg. — Bei einem erwachenden Knaben war der Blutdruck 75 mm, als Geräusche aus 
dem Nebenzimmer die Aufmerksamkeit des Knaben in Anspruch nahmen, stieg der Druck auf 
90 mm. Ohne dass eine Körperbewegung ausgeführt wurde, muss diese Drucksteigung nur auf die 
dem Sinnesreize zugewendete Aufmerksamkeit bezogen werden. Wie durch Aufhorchen der Druck 
mehr gesteigert werden kann als durch einfaches Zuhören, geht aus dem Experimente hervor, 
dass beim Vorlesen mit leiser Stimme bei Zuhörenden der Druck von 135 mm auf 190 mm stieg, 
während bei lauter Stimme der Druck nur von 135 auf 160 mm anstieg Dieselben Drucksteigerungen 
fand man bei Beschäftigung mit mathematischen Formeln und dergleichen. Für die Grosse der 
Drucksteigerung ist der Anfangsdruck in erster Linie maassgebend; während eine bestimmte geistige 
Funktion bei normalem Anfangsdruck eine bestimmte Drucksteigung bedingt, ist diese Drucksteigung 
wesentlich grösser, wenn durch Affekt der Anfangsdruck schon erhöht war. Im allgemeinen ist 
die Grösse der Drucksteigung der geleisteten psychischen Arbeit proportional, kann aber infolge 
von Uebung verkleinert werden, weil eben, wenn wir öfter dieselbe psychische Arbeit leisten, die¬ 
selbe später weniger Anstrengung verlangt als zu Anfang. 

Wie durch mechanische Arbeit ein summierender Einfluss auf den Blutdruck ausgeübt w r erden 
kann, so kann man auch durch fortgesetzt geistige Arbeit den Blutdruck noch weiter steigern; ja 
die beiden blutdrucksteigende Momente, körperliche und geistige Arbeit, addieren sich, wie folgende 
Beobachtung zeigt: Bei einem Manne stieg durch Lesen der Blutdruck von 150 mm auf 170 mm. 
dann durch Heben einer Last auf 200 mm, durch unmittelbar anschliessendes Rechnen auf 214 mm 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


163 


und weitere Fortsetzung des Rechnens bis 230 mm. — Nach Aufhören der geistigen Arbeit sinkt 
der Blutdruck, besonders wenn er hoch gestiegen war, oder wenn er zu Beginn durch Affekt zu 
hoch stand, oft unter den Anfangswerth. Um das der Steigerung folgende Absinken zu erklären, 
muss man wohl an HemraungsVorrichtungen denken, die unter gewissen Bedingungen dem Reiz¬ 
zustande der Va 80 striktoren entgegentreten. Durch das Verhalten des Blutdruckes wird die Ansicht 
bestärkt, dass begonnene oder in Ausführung begriffene Arbeit einerseits und vollendete Arbeit 
andrerseits physiologisch gleichwerthig sind mit den Gefühlen der Spannung, Erwartung, des 
Strebens, der Unlust überhaupt einerseits und deren Lösung, Befriedigung, Beruhigung, überhaupt 
der Lust andrerseits. Wir werden den Blutdruck als den jeweiligen Ausdruck der augenblicklichen 
Geaammtverfassung des ganzen Organismus auffassen dürfen, wie sie aus den gleichzeitigen Zuständen 
aller Einzelorgane resultiert A. Frey (Baden-Baden). 


Langowoy, Ueber den Einfluss der Körperlage auf die Frequenz der Herzkontraktionen. 
Deutsches Archiv für klinische Medicin Bd. 68. Heft 3 und 4. 


In der vorliegenden Arbeit behandelt der Verfasser den Einfluss der Körperlage auf die Frequenz 
der Herzkontraktionen und fasst seine Ergebnisse folgendermaassen zusammen: Beim gesunden 
Menschen beobachtet man stets beim Uebergang aus der horizontalen in die vertikale Lage eine Zu¬ 
nahme der Pulsfrequenz. Diese Zunahme resultiert einmal aus dem Einfluss derjenigen Muskelkontrak¬ 
tionen, die für die Erhaltung des Körpers in vertikaler Lage nothwendig sind, ferner aus dem Sinken 
des intrakardialen und arteriellen Druckes, der auf die Herzganglien einwirkt, und endlich aus dem 
Sinken des intrakaniellen Druckes, der eine Verminderung der Erregbarkeit der Hemmungscentren 
in der Medulla oblongata veranlasst. Die besonders stark ausgesprochene Differenz der Pulsfrequenz, 
die man bei Rekonvalescenten beobachtet, wird durch stärkere Schwankungen des arteriellen 
Druckes hervorgerufen, welche wahrscheinlich von einer Abnahme des Tonus und der Kontraktilität 
der kleinen Gefässe abhängen. An Kranken mit anatomischen Veränderungen des Herzens und der 
Gefässapparate vollziehen sich die Schwankungen der Pulsfrequenz bei Veränderung der Körperlage 
so lange nach den allgemeinen Gesetzen, bis die Herzganglien ihre normale Erregbarkeit einbüssen. 
Es geschieht dies in der Regel dann, wenn sich Kompensationsstörungen einstellen; nur in äusserst 
seltenen Fällen büssen die Herzganglien ihre Erregbarkeit noch vor dem Auftreten von Kompen- 
sadonsstörungen ein, und ebenso selten kommt es vor, dass trotz gestörter Kompensation die Er¬ 
regbarkeit der Hcrzganglien eine normale bleibt. Im letzteren Fall ist das Fehlen einer Veränderung 
in der Pulsfrequenz ein signum boni, im erstgenannten Fall aber ein signum mall ominis, das auf 
das bald hereinbrechende Stadium der gestörten Kompensation hin weist. Frey h an (Berlin). 


LasurRki, Ueber den Einfluss der Muskelbewegung auf die Blntzirkulation in der Schädel- 

höhle. Hospitalzeitung von Botkin 1900. No. 29, 30. 


Die Frage über die Wirkung der Muskelthätigkeit auf das Herz und die Blutbewegung über¬ 
haupt ist zur Zeit ziemlich eingehend erforscht; über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Hira- 
gefässe besitzen wir dagegen nur recht mangelhafte und sich widersprechende Angaben. So kon¬ 
statierte Thurn starke Blutkongestionen zum Kopfe bei Soldaten nach grossen Märschen, Mosso 
beobachtete dagegen bei Brieftauben, die einen Weg von 300 — 500 km gemacht hatten, eine auf¬ 
fällige Hirnanämie. Zur Lösung dieser unsicheren Ergebnisse unternahm Verfasser im Laboratorium 
des Professors Bechterew Versuche an 30 Hunden. Es wurde die Blutzirkulation im Gehirn nach 
folgenden vier Methoden untersucht und zwar sowohl im vollkommenen Ruhezustände des Versuchs¬ 
objektes, als auch während des Laufens (letzteres dauerte 2 — 12 Minuten) und nach demselben. 
Dieser Turnus wurde jedesmal öfters wiederholt. Lasurski bediente sich: 

1. der Methode von Hürthle, wobei nach Unterbindung aller Zweige der Aorta carotis bis 
auf die Interna ihr zentrales und ihr peripherisches Ende mit Manometern verbunden werden, ersteres 
zeigt den Druck im Aortensystem, letzteres im Wi 11 isi 9 sehen Bogen, d. h. in den Himgefässen. 
Aus der Druckdifferenz beider und ihrem Verhältnisse zu einander wird über die Schnelligkeit der 
Blutzirkulation und den Zustand der Hirngcfässe geurtlieilt Lasurski fand nun, dass der Druck 
im Aortensystem sofort nach Beginn des Laufens steigt, nach einer Minute das Maximum erreicht, 
auf dem er auch bis zum Aufhören des Laufversuches stehen bleibt, um dann allmählich zur Norm 

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164 Referate über Bücher und Aufsätze. 


wiederzukehren. Der Blutdruck im Willisi’sehen Kreise steigt auch für gewöhnlich; zu Beginn 
des Laufens sinkt er jedoch häufig, und erst allmählich erreicht seine Kurve die frühere Höhe und 
überschreitet selbst dieselbe. Der Vergleich der Differenzunterschiede lässt auf Beschleunigung der 
Blutbewegung im Gehirn schliessen und auf Verminderung des Widerstandes in den Hirngefässen 
Da sich ferner herausgestellt hat, dass der Blutdruck in den Himvenen ebenfalls zugenommen hat, 
so ist man genöthigt, aus obigen Ergebnissen auf Erweiterung der Himgefässe zu schliessen; 

2 . der Gärtner-Wagner’schen Methode, beruhend auf Blutdruckmessung in Arteria femoralis 
und der Vena jugularis ext des Hundes, oder deren Kombination mit dem Hürthle’schen Ver¬ 
fahren. Beide steigen dabei beträchtlich; 

3. der Bestimmung des intrakraniellen Druckes, wobei nur die Menge der Flüssigkeit im Ge¬ 
hirn, o^ne Kenntniss von ihrer Natur festgestellt werden kann; 

4. das Donder'sche Verfahren, wobei man bekanntlich unmittelbar die Gefässe der Hirnrinde 
durch die mit Glas bedeckte Trepanationsöffnung beobachten kann. Bei den Laufversuchen war 
nun zu sehen, dass sich die Oberfläche der Hirnrinde deutlich röthete und die Gefässe manchmal 
voller wurden. 

Als Ergebniss aller Versuche stellt Verfasser fest, dass willkürliche Muskelarbeit in 
der grossen Mehrzahl der Fälle von Erweiterung der Himgefässe und Blutandrang 
zum Gehirn begleitet sind, was besonders zu Beginn des Bewegungsversuches, weniger bei 
Schluss desselben zu konstatieren ist. 

Was die Frage betrifft, wodurch obengenannte W echselbeziehung bedingt ist, so haben dies¬ 
bezügliche Versuche Lasurski’s dargethan, dass die gefundenen Veränderungen weder durch Ein¬ 
wirkung der bei Muskelarbeit entstandenen chemischen Produkte auf das Gefässzentrum, noch als 
Folge der Athmungsbeschleunigung und Vertiefung entstehen konnten. Letzteres ergiebt sich aus 
den Versuchen mit künstlicher Athmung mit oder ohne Durchschneidung des Nervus vagus. 

Die Frage dagegen, ob und inwieweit die verstärkte Herzthätigkeit, der erhöhte Blutdruck 
und die von den Muskeln ausgehenden zentripetalen Impulse auf die Himgefässerweiterung hin¬ 
wirken können, möchte Verfasser auf Grund seiner Versuche als noch nicht völlig entschieden auf¬ 
fassen. Im hohen Grade wahrscheinlich scheint ihm diese Rückwirkung jedoch zu sein. Ferner 
kommt die aktive Thätigkeit des Gehirns, besonders der psychomotorischen Sphäre, in Betracht, da 
dasselbe als bei willkürlicher Muskelarbeit mitthätiges Organ mit Blut reichlicher versehen wird. 

Verfasser wies experimentell nach, dass zwischen der Einwirkung willkürlicher Muskelbewegung 
und der durch elektrischen Reiz entstandenen Kontraktionen ein auf die Blutzirkulation im Gehirn 
zu beobachtender Unterschied stets wahrzunehmen sei. Simon (Wiesbaden). 


.T. Dogel, Der Einfluss der Musik und die Wirkung der Farben des Spektrums auf das 
Nervensystem des Menschen nud der Thiere. Neurologitschesky Westnik 1899. Bd.6. Heftl. 
A. Akopenko, Zur Chromotherapie der Geisteskrankheiten. Die Wirkung der farbigen 
Lichtstrahlen auf die Schnelligkeit des Ablaufs der psychischen Prozesse. Wratsch 1899. 
No. 35 und 36. 

Professor J. Dogel beschäftigt sich schon seit langem mit der Frage von der Einwirkung 
der Musik einerseits und des Lichtes von verschiedener Farbe andrerseits auf den menschlichen 
und thierischen Organismus, und in letzter Zeit stellte er eine Reihe von Versuchen an-über die 
Veränderungen der Blutzirkulation beim Menschen und bei Thieren unter dem Einflüsse der Musik. 
Zu seinen Experimenten dienten ihm Personen von verschiedenem Alter und von verschiedener 
Nationalität; die den Untersuchungen unterworfenen Thiere waren Kaninchen, Meerschweinchen, 
Katzen und Hunde. Aus seinen Versuchen gelangte Autor zu der Ueberzeugung, dass die Musik 
einen unzweifelhaften Einfluss auf die Blutzirkulation und die Athmung ausübt, wobei dieser Ein¬ 
fluss einerseits durch die Wirkung der musikalischen Töne auf die peripheren Endigungen des Hör¬ 
nerven, andrerseits durch die Wirkung der Komposition auf das Grosshirn bedingt wird. Die unter 
dem Einfluss der Musik beobachteten Veränderungen der Herzthätigkeit, der Blutvertheilung iin 
Organismus und des Athmungsrhytmus gestatten den Schluss, dass durch die Musik das Rücken¬ 
mark und die Medulla, und zwar die Zentren der Blutzirkulation und der Athmung, auf gewisse 
Weise in ihren Funktionen altericrt werden. Die höheren Empfindungen dagegen, die sich beim 
Menschen beim Anhören von Musik einstellen, lassen voraussetzen, dass auch das Gebiet des Gross- 
hiras nicht ausserhalb ihrer Einflusssphäre bleibt. Nach des Verfassers Ansicht wirken die Musik 


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Referate Über Bücher und Aufsätze. 165 


im Sinne von verschiedenen Kombinationen der Töne, die Höhe des Tones, seine Stärke und sein 
Timbre zweifellos auf dem Wege des Nervensystems auf die Blutzirkulation, die Athmung, die 
Muskelkontraktionen, die Se- und Exkretion, wobei ihre Wirkung auf den Menschen im Zusammen¬ 
hang steht mit dessen Nationalität, Kulturstufe und Individualität. Professor Dogol ist fest über¬ 
zeugt, dass die Musik ein mächtiges Heilmittel darstellt, welches der gebildete Arzt mit Vortheil 
bei der Behandlung einiger Nervenkrankheiten mit an wenden kann. 

Eine andere Reihe von Versuchen, die von Professor Doge 1 in Gemeinschaft mit Dr.S. J egoro w 
angestellt wurden, verfolgte den Zweck festzustellen, ob wirklich unter der Einwirkung der ver¬ 
schiedenen Farben des Spektrums auf dem Wege des Nervus opticus irgendwelche Veränderungen 
im thierischen Organismus eintreten. Diese Experimente wurden hauptsächlich an Thieren (an 
Insektenlarven, Fröschen, Vögeln, Kaninchen, Hunden und Katzen), aber auch an Menschen vor¬ 
genommen, wobei bestimmt wurden: a) die Veränderungen in der Pupillen weite; b) die Schwankungen 
des Lumens der Retinagefässe; c) die Alterationen des Sehpigments und d) die allgemeine Blut¬ 
zirkulation, d. h. Blutdruck und Herzschlag. Die Resultate dieser Untersuchungen ergaben folgendes: 
1 . Beim Uebergange von einer Farbe zur anderen erweitern sich die Pupillen im Anfang, später 
aber verengern sie sich wieder, wobei der Grad der Verengerung verschieden ist in verschiedenen 
Farben des Spektrums: bei rother, blauer und violetter Beleuchtung sind die Pupillen weiter als bei 
gelber, orangefarbener und vorzüglich bei grüner; ausserdem ist die Weite der Pupille unvergleich¬ 
lich bedeutender bei den noch sichtbaren Randfarben des Spektrums als bei den sich in der Mitte 
des Spektrums befindlichen Farben. 2. Die Blutgefässe des Augenhintergrundes ändern ihr Lumen 
unter dem Einflüsse der verschiedenen Farben des Spektrums in verschiedener Weise: bei rothem 
und blauem Licht erscheinen sie breiter als bei grünem; bei violetter Beleuchtung ist das Ophthal- 
moskopieren und hiermit die Bestimmung des Retinagefässlumens erschwert. 3. Das Sehpigment 
des im Laufe von 24—48 Stunden der Einwirkung des rothen Lichtes ausgesetzten Frosches wird 
schneller modifiziert als dasjenige von Fröschen, die im Dunkeln gehalten wurden, und langsamer 
verändert, als dasjenige von Fröschen, die im Tageslicht geweilt haben. 4. Eine Veränderung in 
der Blutzirkulation beim Menschen und beim Hunde wurde besonders ausgeprägt beobachtet unter 
der Einwirkung der Reizung des Auges durch grünes Licht 

Auf Grund dieser Ergebnisse giebt Verfasser zu, dass die verschiedenen Farben des Spektrums 
bei ihrer Einwirkung auf das Sehorgan des Menschen und der Thiere gewisse Veränderungen in 
den Funktionen des Grosshims und im Blutumlauf hervorrufen und dass die Bestrebungen, die 
Spektralfarben zu Heilzwecken auszunutzen (Chromotherapie), wohl verdienen, fortgesetzt zu werden. 

In einer anderen Hinsicht, und zwar in ihrer Einwirkung auf die Dauer des Ablaufs der 
psychischen Prozesse, untersuchte die farbigen Strahlen A. Akopenko im psychologischen 
Laboratorium des Professors W. v. Bechterew in St. Petersburg. Die Schnelligkeit des Eintritts 
der Reaktion wurde ausschliesslich für Gehörsreize festgestellt, wobei Akopenko zu seinen 
psychometrischen Beobachtungen sich des Hipp’schen Chronotops und des Wundt’schen Fall¬ 
apparates bediente. Es wurde bestimmt die Schnelligkeit der einfachen Reaktion, der Reaktion 
bei Wahlakten, bei Zahlenberechnungen und bei Associationsvorgängen. Alle möglichen Vorsichts¬ 
maassregeln wurden getroffen, um Fehlerquellen mit Erfolg auszuschHessen. Die umsichtig und 
sorgfältig angestellten Experimente des Autors gestatten die Behauptung, dass die farbige Be¬ 
leuchtung des Raumes unstreitig und unbedingt auf die Schnelligkeit des Ablaufs der psychischen 
Prozesse einwirkt, und dass dabei die verschiedenen Strahlen eine verschiedenartige Wirkung aus¬ 
üben, je nach ihrer Lage im Spektrum. Je mehr man sich den Wärmestrahlen des Spektrums 
nähert, desto belebender und beschleunigender wirken die Farben. Auch die Stimmung unterliegt 
ihrer Einwirkung, die zu untersuchende Person fühlt sich belebt, munter, aufgeweckt, empfindet 
das Bedürfniss sich zu bewegen, zu handeln. Somatische Erscheinungen bleiben ebenfalls nicht 
ausserhalb ihrer Einwirkungssphäre: so z. B. verschwand manchmal von derVersuchsperson empfundener 
Kopfschmerz zum Schluss der Sitzung. Diese Angaben beziehen sich hauptsächlich also auf das 
rothe Licht 

Das gelbe Licht nimmt eine mittlere Stellung ein. Es wirkt in merklicher Weise weder auf 
die Schnelligkeit der psychischen Reaktionen noch auf das Temperament ein und gleicht in dieser 
Hinsicht dem Tageslicht. 

Darauf folgt im Spektrum die grüne Farbe und hier fängt schon die zweite Hälfte des 
Spektrums an, die Hälfte, die sich an die chemisch wirksamen Strahlen nähert. Bereits hier be¬ 
ginnt sich deutlich die hemmende, niederdrückende Wirkung dieser Strahlen bemerkbar zu machen, 
deshalb wird auch das Verweilen in grün beleuchtetem Medium, obgleich die grüne Farbe anfäng- 


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166 Referate über Bücher und Aufsätze. 


lieh so angenehm für das Auge ist, späterhin unangenehm drückend. Unter dem Einfluss des 
gleichmässigen, beruhigenden, grünen Lichtes werden die psychischen Prozesse verlangsamt; es tritt 
geistige Ruhe ein, die Bewegungen werden gehemmt, die Aufregung legt sich. 

Diese niederdrückende Wirkung wächst in der Richtung zum violetten Licht und erreicht in 
letzterem ihren Höhepunkt. Die violette Farbe des umgebenden Mediums ist von ausserordentlich 
starkem Einfluss sowohl auf den Ablauf der psychischen Prozesse wie auf das subjektive Befinden. 
Ersterer wird verlangsamt, letzteres erleidet eine entschiedene Umstimmung. Die Gcinüthsverfassung 
wird melancholisch, träumerisch; nach längerer Zeit stellen sich heftige Kopfschmerzen ein. Die 
Vorgänge in der Psyche werden gehemmt und bedeutend verzögert, während die somatischen Er¬ 
scheinungen fast unerträglich werden. 

Diese Eigenschaften der farbigen Strahlen und die Eigentümlichkeiten in der Wirkungs¬ 
weise der einzelnen Abschnitte des Spektrums können natürlich auch in der Therapie, besonders 
in derjenigen der Geisteskrankheiten, mit Vorsicht und ohne Uebertreibung ausgenutzt werden, und 
Akopenko berichtet am Schluss seiner Arbeit, dass er zu der praktischen Verwendung der von 
ihm gefundenen Resultate in der psychiatrischen Abtheilung des Kiew’schcn Militärhospitals schreiten 
wird, worüber er seinerzeit zu berichten verspricht A. Dworetzky (Riga). 


L. Stembo, Ueber die schmerzbernhlgende Wirkung der Röntgenstrahlen. Therapie der 
Gegenwart 1900. Heft 6 . 

Dem Verfasser ist es wiederholt bei Anwendung der Röntgenstrahlen begegnet, dass die 
Patienten, ohne darüber befragt zu sein, eine schmerzstillende Wirkung der Röntgensitzung angaben. 
Dies veranla88tc ihn, systematische Versuche bei Neuralgieen anzustellen, indem er die schmerz¬ 
haften Partieen in einen Abstand von 20—50 cm (je nach der Empfindlichkeit) vdn der Anti¬ 
kathodenfläche brachte und etwa 3—10 Minuten bestrahlen Hess. Gewöhnlich genügten 3 Sitzungen, 
die einen um den andern Tag ausgeführt wurden, um die Schmerzen zu beseitigen. Bisweilen 
waren bis zu 10 Sitzungen nothwendig. 

Von 28 Neuralgiefällen wurden 21 geheilt, 4 gebessert; nur 3 zeigten keinen Erfolg. 

Dass bei diesen ausgezeichneten Erfolgen die Suggestion eine wesentliche Rolle spiele, hält 
Verfasser deswegen für ausgeschlossen, weil bei Verwendung der Anodenstrahlen an Stelle der 
X-Strahlen die schmerzstillende Wirkung jedesmal ausblieb. Er führt die Wirkung auf eine Reizung 
der sensiblen Hautnerven durch die elektrische Ladung der umgebenden Luft zurück. Diese 
Reizung führt auf dem Wege der Ableitung eine Funktionshemmung der tiefer gelegenen Nerven- 
stämme und damit eine Beruhigung der neuralgischen Schmerzen herbei. Mann (Breslau). 


E. Donmer und L.Ran^on, Traitement de la diarrhde chez les tubercnleux par la faradi- 
sation abdominale. Le bulletin mödical 1900. No. 48. 

Die Verfasser wollen mit Faradisation des Bauches bei den Diarrhoeen Tuberkulöser sehr 
gute Erfolge erzielt haben. Sie benutzen dazu den Induktionsstrom der primären Spirale und 
applizieren ihn labil vermittelst gut durchfeuchteter Elektroden auf die ganze Oberfläche des Abdomens 
mit besonderer Berücksichtigung der Gegend des Kolons. Der Strom wird so stark genommen, 
dass ausgiebige Kontraktionen der Bauchmuskeln auftreten. Zwei bis drei Sitzungen täglich von 
je vier bis fünf Minuten Dauer. Die Besserung beginnt oft schon am ersten Tage und ist am vierten 
oder fünften Tage meist vollkommen. 

Eine beigefügte kurze Krankengeschichte giebt ein Beispiel dieser glänzenden Erfolge. 

Mann (Breslau). 

A.Scherbakowr, Die Mineralscblammbadeorte des europäischen Russland. XII. internationaler 
medicinischer Kongress. Moskau 1897. 

Der Verfasser giebt nach einer kurzen Einleitung, in welcher er die Bedeutung der minera¬ 
lischen Schlammbadekuren und das denselben in den letzten Jahren in Russland allgemein zugewen¬ 
dete Interesse hervorhebt, eine Uebersicht der Kurorte; dann schildert er den Ursprung des Schlam¬ 
mes, seine Zusammensetzung, sowie die therapeutischen Applikationen und Indikationen. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


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Der geographischen Lage nach können die Kurorte Russlands in vier Zonen eingetheilt werden. 
Die erste, im Süden gelegene Zone, umfasst die vorwiegend schwefelhaltigen Schlammbade¬ 
orte des Kaukasus, welche ihrer Entfernung vom Zentrum und mangelhafter Organisation wegen 
noch wenig bekannt sind: Saliany (vulkanischer Schlamm), Karakeitakh, Petrowsk (am Kaspischen 
Meer), Guillar u. a. — Die zweite Zone, die wichtigste, das eigentliche Zentrum dieser Kuren 
beginnt im SO. an den Ufern des Schwarzen und Asowsehen Meeres. Der Schlamm entstammt 
hauptsächlich dem Salzsee. Einzelne Stationen haben bereits einen bedeutenden Ruf, besitzen 
komfortabel eingerichtete Etablissements und werden stark frequentiert, z. B. Odessa, der grösste 
Hafen des südlichen Russland, am Schwarzen Meer. Der Schlamm entstammt aus drei Salzseen 
(limans): a) Hadji-Bey, b) Kouyalnik, c) Klein-Liebenthal. Auch Seebäder. Staatliche und Privat¬ 
anstalten. 15000 Kurgäste. Saki in der Krim, mehr als 800 Kurgäste in der Saison (mit den ver¬ 
schiedensten schweren Affektionen). Sebastopol in der Krim (Militärhafen), Balaclava (Oataplasmen), 
Kertsch, zwischen dem Schwarzen und Asowsehen Meer (Privatanstalt von Dr. Philimowitsch), 
lletzk, Gouv. Orenbourg (bedeutende Salzgruben), Slaviansk, Tambukan im N. des Kaukasus 
(Thermen von Piatigorsk), letztere besitzen verschiedene Quellen: Essentouki (alkalische), Gelesno- 
wodsk (Eisenquelle), Piatigorsk (Schwefelquelle). 

Die dritte Zone befindet sich in Mittelrussland und unterscheidet sich von der ersten durch 
niedrige Temperatur der Bäder (kalte Bäder). Der Schlamm ist schwefelhaltig. Sie enthält 
folgende bemerkenswerthe Stationen: Lipctzk (eisenhaltiges Wasser), Staraia-Russa, Sergniewsk, 
Kemmern (Livland) und in Russisch-Poleri: Busko, Solec, Nulentshow (eisenhaltiges Wasser) u. a. 
Viel Mineralbäder gebraucht. Die vierte Zone am Baltischen Meer, welche den Schlamm haupt¬ 
sächlich aus dem genannten Meer bezieht, umfasst drei Stationen: Arensbourg (Livland), Hapsal 
(Estland), Pernau (Livland). Die letzten Stationen und die südlichen an den Salzseen, in denen 
hauptsächlich die Schlammkur angewendet wird, sind auch als Seebäder und klimatische Kurorte 
zu nennen. 

Nach vorstehender Uebersicht der sämmtlichen Kurorte geht der Verfasser zu der Beschrei¬ 
bung des eigentlichen Heilfaktors, d. h. des Schlammes. Wie gesagt, entstammt der Schlamm 
in Russland hauptsächlich dem Salzsee (liman), Art im westlichen Europa wenig bekannt. Er stellt 
eine weiche plastische schwarze Masse dar, von bitterem salzigen Geschmack, stark alkalischer 
Reaktion, riecht nach H 2 S und NH 3 , nimmt begierig Sauerstoff der Luft auf. Spezifisches Gewicht 
durchschnittlich 1,5. Nach Professor Verigo besteht er hauptsächlich aus einer mineralischen Basis: 
Quarz, Thonerde und Muschelresten, verbunden durch den colloiden Hydrat des Schwefelwasserstoffs. 
Er besteht also aus unorganischen und organischen - pflanzlichen Substanzen, sowie thicrischen Indi¬ 
viduen. Die Bildung kommt zu stände unter Abschlüssen des Sauerstoffs der Luft und unter Ein¬ 
fluss der Mikroben resp. des Ferments derselben, welches hauptsächlich dazu beiträgt, dass der 
Schlamm von verschiedenen Orten, trotz verschiedener chemischer Zusammensetzung, ein ähnliches 
Aussehen, Konsistenz und physische Eigenschaften besitzt. Der Schlamm von Odessa und Saki 
enthält: Produkte der Eiweisshydratation, Ammoniak u. a, Fettsäuren und Salze derselben und Al¬ 
kalien, Schwefelwasserstoff und Jod. Ausser dem Salzseeschlamm giebt es noch andere Arten: 
Meeres8chlamm (Balaclava), Schwefelhaltiger Schlamm (manche Orte des Kaukasus gleichen 
Pystien Ungarn; Kemmern und Sergniewsk haben Aehnlichkeit mit St. Amand und Dux-Frankreich). 
Torfschlamm 115,3 Fe 2 0 3 pro mille: Lipctzk - Franzensbad, Cicchocinek, besitzt irritative Eigen¬ 
schaften und wirkt desinficierend. Vulkanischer Schlamm: Kertsch, Taman und östlicher Theil 
des Kaukasus. 

Was die Applikationsmethoden anbetrifft, so sind dieselben sehr verschieden, von den pri¬ 
mitivsten (Friktionen) bis zu den vollendetsten. Beachtenswerth sind die Arten der Anwendung in 
Saki (Krim) und Odessa. In Saki, der eigentlichen »Wiege« dieser Kuren in Russland, werden 
Naturbäder, d h. Bäder im Freien verabreicht. Es wird folgendermaassen verfahren: Patient wird 
auf eine ovale mit Schlamm bedeckte Plattform gelegt. Es wird für ein Bad ca. 196—262 kg frischen 
Schlammes genommen, welcher an der Sonne eine ziemlich hohe Temperatur, in der oberen Schicht 
38—42° R, erlangt. Der ganze Körper wird bedeckt ausser der cervicalen Gegend. Brust und Bauch¬ 
gegend weniger dicht belegt. Auf Stirn und Scheitel eine Süsswasserkompresse. Bei ungünstigem 
Wetter werden die Naturbäder durch verdünnte Bäder (in der Anstalt selbst, 98,5—131 kg Schlamm) 
bis zu einer gewissen Temperatur (31 — 34°) ersetzt. Dauer der Bäder 20 Minuten, Zahl 12, täglich 
ein Bad, nach zwei Tagen 24 Stunden Pause. Nach der Schlammbäderkur Salzbäder (6 -7) mit 
allmähliger Abnahme der Temperatur (31—26°) zwei Mal täglich, morgens und abends. Ausser 
ganzen (kompletten) Bädern werden lokale (Cataplasmen) und Halbbäder verabreicht. Nach 


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168 Referate über Bücher und Aufsätze. 

dieser Methode wird auch in anderen Stationen der Krim (Moinak, Sebastopol), Manitch, Iletzk und 
Kirgissteppen verfahren. 

In Odessa werden fast nur verdünnte Bäder verschiedener Konzentration gebraucht: flüssige 
08 kg, mittlere 147 kg und dichte 255 —294 kg, mittels Dampfes erhitzt, Temperatur 28 — 33°. 
Aehnliche Bäder wie in Odessa werden in Iletzk und Tinaki bei Astrachan verabfolgt Flüssige 
Bäder verschiedener Temperatur: Piatigorsk und Slawiansk (28—33«), Stolipino (29—300). Verdünnte 
Bäder verschiedener Temperatur, Cataplasmen und Halbbäder werden auch in den Stationen der 
dritten und vierten Zone verabreicht, wie z. B. in Solec (30—35«), Staraia-Russa (28—320), Ilapsal 
(28o, jetzt 32«) u . a. 

Die Wirkung der Schlammbäder hängt von der Konzentration und hauptsächlich der Tempe¬ 
ratur derselben ab und geschieht a) durch Wärme: Reiz auf die Haut und die peripherischen Nerven, 

b) auf chemischem Wege: Absorption der flüchtigen Stoffe H 2 S, NH 2 , c) auf mechanischem Wege: 
Druck und Reiben (pression et frottement), eine Art Massage, d) Elektricität: bei den Naturbädern, 
e) direkte Wirkung des Lichtes (Sonnenstrahlen). Der physiologische Effekt der Schlammbäder 
mit hoher Temperatur besteht in folgendem: Steigerung der Körpertemperatur (3,5o), Frequenz des 
Pulses (82), gesteigerte Respiration (34), Abnahme des Körpergewichts (5 — 6,9 kg) und der Muskel¬ 
kraft. Erhöhung des Blutdruckes im Anfang mit allmähliger Abnahme; verminderte Sensibilität der 
Haut (bei Naturbädern) und gesteigerte (bei verdünnten flüssigen Bädern), ähnlich verhält sich die 
Schmerzempfindung; lokale Steigerung der Alkalescenz des Blutes und Acnderung der Zahl der 
Leukocyten (das Blut nähert sich in seiner Zusammensetzung dem normalen). Schädliche Wirkung 
auf die Nieren (Albumen). 

Die Schlammbäder werden in vielen und verschiedenen Krankheiten mit Erfolg angewendet, 
wobei man mit den geographischen Verhältnissen der einzelnen Kurorte resp. dem Klima rechhcn 
muss. Im Süden Russlands werden Bäder mit hoher Temperatur appliziert: 1. bei rheuma¬ 
tischen Affektionen: Muskelrheumatismus, subakute und chronische Gelcnkaffektionen, 2. bei ver¬ 
schiedenen chronischen Erkrankungen der Gelenke (bursa und ligamenta), der Epiphysen, des 
Periosts und der Knochen (tuberkulöse Prozesse), 3. Arthritis deformans, 4. Gicht (Arthritis), 
5 . Skrophulose, 6. Syphilis, 7. Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane und vielen anderen. 
Die wichtigsten Kontraindikationen sind: a) akute febrile und Entzündungsprozesse, b) schwere 
Lungenerkrankungen, c) Nephritiden (parenchymatöse und interstitielle), d) maligne Tumoren, 

c) frische Fälle von Syphilis, f) Fibrome des Uterus, g) Menstruation und Schwangerschaft (6 Monat), 
h) Cachexie. Bäder mit mässiger Temperatur werden in Hapsal mit gutem Erfolge bei 
rheumatischen Affektionen, allgemeiner Skrophulose, Rachitis und Anämie angewandt. 

Im Hinblick auf die ganze Arbeit schliesst der Verfasser den Wunsch an, dass sein Versuch, 
einen Einblick in die therapeutischen Verhältnisse der angeführten Bäder gegeben zu haben, dahin 
führen werde, dass durch häufiges Erproben in den geeigneten Krankheitsfällen die ärztliche Wissen¬ 
schaft bereichert und dem Kranken selbst auf diese Weise Heilung verschafft werden könnte. 

E. Rogowin (Petersburg). 


Blätter für Volksgesundheitspflege 190L Heft 6—13. 

In regelmässiger Aufeinanderfolge sind während der letzten Monate die weiteren Hefte der 
Blätter für Volksgesundheitspflege erschienen. Ebenso wie die ersten fünf, enthalten auch die fol¬ 
genden Hefte eine Reihe kleiner, aber präziser Aufsätze aus den Gebieten der allgemeinen Hygiene 
und zum Theil aus dem der Diätetik. Aus dem 6. Hefte nennen wir den Schluss des Aufsatzes 
von Professor Eris mann (Zürich) über »Der Alkohol und die Jugend«. Der verdiente Autor legt 
hier seine Ansichten darüber nieder, wie man bereits im Kindesalter dem Abusus spirituerum Vor¬ 
beugen kann. 

Aus dem gleichen Hefte ist die Schilderung »temperierbarer Schnelldouchen von Koop« zu 
erwähnen. 

Das 7. Heft enthält den Schluss des Aufsatzes von Kürz »Ueber einfache Kost« Der Autor 
giebt hier eine übersichtliche Zusammensetzung der wichtigsten Nahrungsmittel aus dem Thier- und 
Pflanzenreich und einen rationellen Wochen-Speisezettel, wie er für eine einfache, aber nicht dürftige 
Familie passt. Mit gewissen Modifikationen eignet sich der im allgemeinen für die süddeutsche 
Küche berechnete Speisezettel auch für die norddeutsche. 

In dem gleichen Hefte findet sich ein dankenswerther Aufsatz von einem I^ehrer Gramste 


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Kleinere Mittheilungen. 169 

über »Die Wichtigkeit der zweckmässigen Reinigung in unseren Schulen und die nothwcndige 
Ventilation«. 

Schliesslich erwähnen wir noch aus dem gleichen Hefte den Aufsatz von dem bekannten 
ehemaligen Kliniker Geh.-Rath Mosler aus Greifswald, der eindringlichst darauf hinweist, dass aus 
hygienischen Gründen alles Fleisch zurückgewiesen werden müsste, welches unbedeckt in offenen 
Gefässen über die Strasse gebracht wird und dadurch allerhand schädlichen Einflüssen ausgesetzt ist. 

Die folgenden vier Hefte enthalten zwar sehr beachtenswerthe Aufsätze, aber nicht solche 
aus dem Gebiete der diätetischen und physikalischen Heilmethoden; das 12. Heft einen Artikel von 
Dr. Beerwald »Ueber den Werth der Fastenzeit« und einen von Dr. Conrat über »DerTabak als 
Genussmittel«, ln diesem letzteren kurzen Aufsatze giebt der Autor eine übersichtliche Zusammen¬ 
stellung über den Nikotingehalt des Tabaks in den verschiedenen Cigarrenarten. Er verwirft das 
Schlucken des Rauches, das Ausstossen desselben durch die Nase und auch das Kauen der Tabaks¬ 
blätter, sowie das Schnupfen. Als unterste Altersgrenze, das Rauchen zu gestatten, stellt er das 
15., wenn möglich, das 18. Lebensjahr hin. 

Aus dem 13. Heft ist der Aufsatz von Geh.-Rath Wald eye r besonders hervorzuheben »Ueber 
einige Schutzvorrichtungen des menschlichen Körpers gegen äussere schädliche Einflüsse«. In der 
bewundemswerthen Art, schwielige racdicinische Probleme allgemein verständlich darzustcllen, 
schildert der Autor hier die drei verschiedenen Arten der Schutzmittel des Organismus gegen 
äussere Einflüsse; 1. durch die Haut, 2. durch die Schleimhäute, und 3. durch die farblosen Blut¬ 
körperchen. Paul Jacob (Berlin). 


Kleinere Mittheilungen. 


1 . 

Ueber die Wirkung des Seeklimas auf den Stoffwechsel. Von Dr. Joh. Ide, Inselarzt und 
Arzt des christlichen Scehospizes auf Amrum. 


Ueber die Wirkung des Seeklimas auf den Stoffwechsel ist ausser den Arbeiten Beneke’s 
fast nichts geschrieben, und sind auch noch die in diesen Arbeiten, die bis auf das Jahr 1855 zurück¬ 
gehen, niedergelegten Untersuchungen und Beobachtungen zum Theil in Vergessenheit gerathen oder 
wenigstens nicht in dem Grade Allgemeingut geworden, wie es wünschenswerth gewesen wäre. Es 
möge deshalb gestattet sein, auf Grund der verschiedenen bezüglichen Mittheilungen Beneke’s, 
unter Beurtheilung derselben nach eigenen Erfahrungen und unter Berücksichtigung unserer der¬ 
zeitigen Kenntniss von der Wirkung der das Seeklima bedingenden Faktoren im Nachfolgenden 
einen kurzen Ueberblick über den jetzigen Stand unseres Wissens von der Wirkung des Seeklimas 
auf den Stoffwechsel zu geben. 

Am deutlichsten tritt uns der Einfluss des Seeklimas auf den Stoffwechsel in der unter dem¬ 
selben sich einstellenden Gewichtsveränderung entgegen. Bei sonst normalen Individuen zeigt sich 
dieselbe in Form einer Gewichtszunahme, welche in der Regel schon in den ersten Tagen einsetzt, 
in mehr oder weniger gleichmässiger Weise bis zum Ende der Kurzeit anhält und sich auch nach 
Verlassen des Seeaufenthaltes noch weiter geltend macht. So betrug z. B. die Gewichtszunahme bei 
Benekei) in den ernten Tagen seines Aufenthaltes auf Wangerooge täglich durchschnittlich 59,5 g, 
hielt sich trotz des angreifenden Einflusses von offenen Seebädern auch in der nächsten Zeit auf 
ungefähr gleicher Höhe und ging erst in den letzten Tagen des auf einen Monat bemessenen Kur¬ 
aufenthaltes auf täglich 15 g zurück. Während der ganzen Kurzeit betrug dieselbe bei 61 kg 
Anfangsgewicht 1 kg 821 g und erfuhr nach der Rückkehr aufs Festland noch eine weitere 
Steigerung um nahezu 1 kg. Diese von Beneke an sich selbst beobachtete Höhe der Gewichts¬ 
zunahme von 11/ 2 —2 1/2 kg dürfte nach unseren Erfahrungen auch sonst für normale Individuen 
die durchschnittliche sein. Hand in Hand mit der Gewichtszunahme pflegt eine Steigerung des 
allgemeinen Wohlbefindens zu gehen, das sich besonders in einem frischeren Aussehen, in einer 


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170 Kleinere Mittheilungen. 


Zunahme des Appetits und in einer grösseren Ruhe und Widerstandsfähigkeit des Nervensystems 
äuBsert. 

Entgegen diesem für kräftige Personen im allgemeinen gültigen Verhalten pflegt eine anfäng¬ 
liche Gewichtsabnahme nach Beneke 2 ) bei Skrophulösen oder bei Personen mit wässriger Konstitu¬ 
tion einzutreten. Dieselbe beträgt in der Regel 1—1 Va kg, und es dauert oft vier Wochen, bis 
das Anfangsgewicht wieder erreicht ist. Von da an nimmt jedoch das Gewicht ebenfalls gleich- 
massig zu, und zeigt sich auch in der Nachkur eine weitere Gewichtszunahme. Trotz der anfänglichen 
Gewichtsabnahme hebt sich jedoch auch bei diesen Individuen das Allgemeinbefinden und der 
Appetit von vornherein und zeigt sich die grössere Gesundung des Gesammtorganismus bei ihnen 
häufig darin, dass skrophulöse Drüsen- oder tuberkulöse Knochengeschwüre unter dem Einfluss des 
Seeklimas bald zur Heilung gelangen, nachdem dieselben auf dem Festlande oft allen Behandlungs¬ 
methoden getrotzt haben*). 

Von weiterem unverkennbarem Einfluss auf den Stoffwechsel und das Körpergewicht ist die 
Reizbarkeit des Nervensystems. Ueberreizungen desselben, wie sie durch zu langen Aufenthalt im 
Freien oder am Strande oder durch Anstrengungen irgend welcher Art im Anfang des Seeaufent¬ 
haltes besonders leicht auftreten, pflegen allemal von Nachlassen des allgemeinen Wohlbefindens, 
von Schlaf- und Appetitlosigkeit und damit auch von einem Rückgang des Körpergewichts begleitet 
zu sein, und selbst das Auftreten von Fieber ist in solchen Fällen nichts seltenes. Mit hochgradig 
nervösen Personen mit schon an sich zu niedrigem Körpergewicht wird daher der Badearzt, zumal 
in einer kalten Saison oder in der rauheren Jahreszeit, oft seine Noth haben. Gelingt es ihm jedoch, 
durch möglichste Fernhaltung der erregenden Faktoren des Seeklimas dieselben über die erste Kurzeit 
hinüber zu bringen, so wird sich doch entweder noch an der See oder wenigstens in der Nachkur 
ein Gewinn an Körpergewicht einstellen und pflegen derartige Patienten dem Badearzte zu Weih¬ 
nachten oder Neujahr zu schreiben, dass die Kur ihnen doch gut bekommen und sie mehrere Pfunde 
an Gewicht zugenoramen hätten. 

Besondere Berücksichtigung verdient wegen der mit der Stoffwechselerhöhung einhergende 
Appetitzunahme ferner der Zustand der Verdauungsorgane, da bei Schwäche dieselben den an &\er 
gestellten Anforderungen nicht gewachsen sind und daher die Stoffaufnahme mit dem Verbrauch 
nicht Schritt halten kann. Ausgebildete organische Leiden der Verdauungsorgane sollen daher auf 
alle Fälle von der See fern gehalten werden. In leichteren Fällen und zumal, wenn dieselben auf 
nervöser Basis erwachsen sind, gelingt es jedoch häufig durch Regulierung der Diät und vorsichtiges 
Verhalten, derartige Individuen allgemein zu kräftigen und damit auch das lokale Leiden günstig 
zu beeinflussen. Besondere acht zu geben ist in solchen und den vorerwähnten Fällen nervöser 
Natur, dass die Betreffenden nicht durch klimatische Einflüsse erschöpft, sondern möglichst frisch 
zu den Mahlzeiten kommen. Von sehr günstigem Einfluss hat sich mir für diesen Zweck immer 
längere — einstündige — Bettruhe vor den Hauptmahlzeiten erwiesen, und ist, wenn diese Maass- 
nahme nicht genügt, um die nöthige Frische herbeizuführen, zur momentanen Erzeugung derselben, 
eventuell von Alkoholicis in geeigneter Form und Dosis Gebrauch zu machen. 

Was nun die genaueren Stoffwechselvorgänge betrifft, die zu den eben genannten Erschei¬ 
nungen führen, so geben uns darüber einerseits die bezüglich der Wirksamkeit der in dem Seeklima 
zur Geltung kommenden Faktoren anderweitig gemachten Erfahrungen einen Anhalt, andrerseits 
liegt darüber eine Reihe s. Z. von Beneke angestellter sehr werthvoller Untersuchungen vor. Be¬ 
treffs des Lungenstoffwechsels sind wir mangels spezieller Versuche nur auf den enteren der eben 
genannten beiden Wege angewiesen, und sind die dafür in Betracht kommenden Faktoren zunächst 
in den an der See in aussergowöhnlicher Weise zur Wirkung kommenden physikalischen Reizen zu 
suchen. Es sind dies der Kältereiz, der mechanische Reiz des Windes und der starke Lichtreiz; es 
ist von jedem dieser Reize festgcstellt (Gildemeister, Röhrig, FubinD)), dass er eine Ver¬ 
mehrung der C0 2 -Abgabe zur Folge hat und zwar handelt es sich hierbei um eine Vermehrung der 
C0 2 -Abgabe sowohl durch Respiration als Perspiration. 

Eine weitere Ursache der vermehrten C0 2 -Abgabe haben w ir in der an der See erleichterten 
O-Aufnahme zu suchen, wie sie erstens durch den erhöhten O-Gehalt der Seeluft*), zweitens durch 
die grössere Dichtigkeit derselben und drittens durch die erleichterte Perspiration«) daselbst bedingt 
ist. Dass die O-Aufnahme seitens des Organismus von dem Sauerstoffgchalt der Atmosphäre nicht 
unabhängig ist, sondern dass schon von normalen Individuen, noch mehr aber bei einem abnormen 
Saueretoffbedürfniss des Organismus aus einer sauerstoffreicheren Luft sehr wohl eine grössere O-Menge 
aufgenommen werden kann, das hat neuerdings wieder Michaelis?) durch seine klinischen Versuche 
in überzeugender Weise dargethan. An der See wird aber schon durch die vorher genannten Faktoren, 


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Kleinere Mittheilungen. 171 


die Kälte-, mechanischen und Lichtreize der respiratorische Gaswechsel und damit auch das Sauer- 
stoffbedurfniss des Organismus abnorm erhöht, und wird letzteres daher bei Erleichterung der 0-Auf¬ 
nahme an der Sec schneller befriedigt werden können als auf dem Fcstlande. I>a aber nach Ludwig 
und anderen Autoren Sauerstoffeinathmung die Kohlensäurespannung in den Geweben erhöht, d. h. 
direkt chemisch C0 2 -austreibend wirkt, so wird damit auch die Kohlensäureausscheidung beschleunigt 
werden. 

Was die Beeinflussung der Stickstoffausscheidung durch das Seeklima anbetrifft, so sind wir 
in der glücklichen Lage, darüber exakte Untersuchungen von Beneke 1 ) zu besitzen. Derselbe fand, 
dass bei einer nach dem momentanen Bedürfnisse aufgenommenen Kost in seinem 24 ständigen Ham 
enthalten waren: 

in Oldenburg im Juli 1854 : Harnstoff 24,4; Harnsäure 0,41 

» Wangerooge ohne Bad: » 27,5; » 0,21 

* » mit Bad: » 28,3; » 0,31. 

Uns interessiert zunächst nur der Unterschied der Ausscheidung im Festland- und Seeklima; 
es ist in letzterem also der Harnstoff um 3,1 g = 12% vermehrt, die Harnsäure um 0,1 g = 50° 0 
vermindert. Während nun die Zunahme des Harnstoffes auch den sonstigen Erfahrungen bezüglich der 
Wirkung von Stoffwechselanregungsmitteln vollständig entspricht, steht die Abnahme der Harnsäure 
damit in direktem Wiederspruch. Vergleichen wir nämlich damit z. B. die unter dem Einfluss der 
Wasserbehandlung eintretenden Veränderungen der Stickstoffausscheidung, wie sie u. a. neuerdings 
von A. Strass er*) untersucht wurden, so ergaben dieselben, dass unter der Einwirkung von mecha¬ 
nischen und Kältereizen (kalte Abreibung, Regen, Douche, Halbbad) sowohl die Harnstoff- wie die 
Hamsäureausscheidung eine Zunahme erfuhren (ereterc um durchschnittlich 21 %, letztere um 19—20%). 
Wie ist nun dieser Unterschied zu erklären? Betrachten wir wiederum die oben genannten Faktoren, 
deren Einfluss auf den respiratorischen Stoffumsatz wir eben kennen gelernt haben, so zeigen uns 
die erwähnten Versuche von Strasser, dass der thermische und mechanische Reiz diesen Unter¬ 
schied nicht hervorgerufen haben können. Vom Lichtreiz wissen wir durch Graf fenberger»), dass 
der N-Umsatz überhaupt nicht wesentlich dadurch beeinflusst wird. Es bleibt nur noch die erleich¬ 
terte 0-Aufnahme übrig, und scheint es nach sonstigen Erfahrungen in der That, als ob wir in ihr 
die Ursache der Verminderung der Harnsäureausscheidung zu suchen haben. Abgesehen von dem 
bekannten Einfluss des Ozon auf die weitere Harnsäurezersetzung in Harnstoff, Alloxan und Allantoin 
spricht dafür die Erfahrung von Bartels 1 * 1 ), dass bei fieberhaften und chronischen Krankheiten nur 
dann eine Vermehrung der Harnsäure auftritt, wenn dieselben mit Störungen des Atmungsprozesses 
verbunden sind, ferner die starke Zunahme der Harnsäure, wie sie infolge von mangelnder O-Auf- 
nahme bei Kohlenoxydvergiftung von demselben Autor beobachtet wurde und endlich der direkte 
Versuch von Eckart^), welcher durch Sauerstoffinhalationen in Fällen von akuter Gicht rasches 
Abnehmen, ja fast gänzliches Verschwinden der Harnsäure bewirken konnte. 

Eine andere Ursache für die Verminderung der Harnsäureausscheidung an der See dürfte gegen¬ 
über der Vermehrung derselben unter Wasserbehandlung auch noch darin zu suchen sein? dass im 
Seeklima die Einwirkung der betreffenden Faktoren eine weniger intensive und gleichmässig über 
grössere Zeiträume vertheilt ist, sodass für die einzelne Zelle eine im Verhältniss zur jeweiligen 
Reizgrösse höhere O-Menge zur Verfügung steht, und dadurch ein höheres Oxydationsprodukt erzielt 
werden kann. Hierfür spricht auch der Umstand, dass nach Beneke 1 ) auch im Seeklima durch offene 
Bäder die Hamsäureausscheidung vermehrt wird und zwar in der Art, dass unmittelbar nach dem 
am Morgen genommenen Seebade die Hamsäureausscheidung um die Hälfte mehr gesteigert ist als 
in den darauf folgenden Nachmittag- und Nachtstunden. 

Ausser den Ergebnissen der Stickstoffausscheidung ist für die Wirkung des Seeklimas auf 
den Stoffwechsel noch der Einfluss des Seeklimas auf die Phosphorsäureausscheidung von besonderem 
Interesse, da dieselbe ebenfalls entgegen den sonstigen Erfahrungen bei Stoffwechselerhöhungcn 
herabgesetzt ist. Während nämlich A. Strasser (1. c.) in seinen oben erwähnten beiden Versuchen 
eine Vermehrung der Phosphorsäure um 23,8 resp. 310 0 fand, ergeben die Untersuchungen Benekc’s 1 ) 
in Oldenburg 2,893 g und in Wangerooge 2,379 P 2 0 5 in der 24 ständigen Urinmenge, also eine Ver¬ 
minderung derselben um täglich 0,5 g= 18%. Zur Erklärung dieser auffallenden Erscheinung wird 
von Beneke auf die bekannte Thatsacbe hingewiesen, dass wir eine Vermehrung der Phosphoreäure- 
ausscheidung überall da finden, wo, wie bei chronischen Krankheiten, eine unzureichende Oxydation 
in den Geweben voriiegt; es kommt diese Wirkung nach Beneke 1 *) dadurch zu Stande, dass die 
Ausscheidung der Erdphosphate abhängig ist von der Quantität der im Organismus zeitweilig vor¬ 
handenen organischen Säuren, welche den phosphorsauren Kalk aus den Geweben auslösen und seine 


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Kleinere Mittheilungen. 


Ausscheidung in Form von oxalsaurem, milchsaurem oder phosphorsaurem Kalk bewirken, welche 
selbst aber in ihrem Verbleiben als solcher im Organismus abhängig sind von dem Grade der jeweilig 
in den Geweben stattfindenden Oxydation. Wir hätten also wiederum in der erleichterten 0-Auf¬ 
nahme, wie sie aus den schon oben angeführten Gründen die Seeluft gestattet, die Ursache für die 
Verminderung der Phosphorsäureausscheidung zu suchen, und würde dementsprechend die bei See¬ 
bädern vonBeneke gefundene Vermehrung der Phosphorsäurc — um 10°/ 0 im Vergleich zur bade¬ 
freien Zeit — in gleicher Weise wie das bezügliche Verhalten der Harnsäure durch die relativ zu 
geringe verfügbare O-Mcngc zu erklären sein. 

Wie sehr es bei der Seeklimawirkung auf dies schon mehrfach hcrangezogene Verhältnis der 
verfügbaren O-Menge zur Grosse der auf den Organismus direkt oder durch Vermittlung des Nerven¬ 
systems ein wirkender physikalischer Reize ankommt, zeigen besonders zwei Versuche von Beneke 1 ;, 
von denen der eine im Zustand einer durch Bäder erzeugten allgemeinen Abspannung, der andere 
zwei Tage später nach Aussetzen des Bades und Rückkehr der früheren Frische angestellt wurde. 
Im ersten Fall ergab die Analyse 

26,4 Harnstoff, 0,305 Harnsäure, 2,832 Phosphorsäure, 
im anderen 28,49 j> 0,281 » 2,685 » 

im erstcren Falle also trotz Verminderung der Gesammtstickstoffausscheidung Vermehrung der Harn¬ 
säure und Phosphorsäure, im letzteren trotz Zunahme des Gesammtstickstoffes Verminderung der 
Harnsäure und Phosphorsäure. Derartige Retardationen des Stoffwechsels können aber nach 
Bcnekew) ebenso wie durch Seebäder durch körperliche Ueberanstrcngungen oder klimatische 
Ueberreizungen hervorgerufen werden. Dabei kommt es nicht sowohl auf die Höhe der Reize 
sondern auf die dabei als Zeichen des relativen Sauerstoffmangels sich einstellende Erschöpfung 
und nervöse Depression an, und wurde von Beneke 1 ) nach einem anstrengenden dreistündigen 
Spaziergange, der aber keine Erschöpfung erzeugte, mit der ausnahmsweise hohen Stickstoffausschei- 
dung die Harnsäure zwar etwas vermehrt, die Phosphorsäure jedoch so gering gefunden wie an 
keinem andern Tage des Seeaufenthaltes. 

In einer seiner letzten Arbeiten spricht Beneke 2 ) die Meinung aus, dass dem hohen Ozon¬ 
gehalt der Seeluft eine Hauptbedeutung für die Wirkung derselben beizulegen sei. So lange jedoch 
auf Grand der bisherigen physiologischen Anschauungen die Ansicht herrschte, dass die Sauerstoff- 
hohe der Atmosphäre für die Aufnahme desselben nicht in Betracht komme, konnte diese Meinung 
nicht recht Fuss fassen. Jetzt aber, wo besonders durch die Versuche von Michaelis?) die Mög¬ 
lichkeit einer höheren O-Aufnahmc zweifellos erwiesen, ist mit diesem Ozongehalt der Seeluft ent¬ 
schieden zu rechnen, und giebt die höhere 0-Aufnahme, wie sie hierdurch und durch die andern 
erwähnten Einflüsse an der See ermöglicht wird, sowohl für manche andere bisher unerklärliche 
Wirkung des Seeklimas, worüber an anderem Ort gesprochen werden soll, als auch besonders für 
die von der aller andern physikalischen Stoffwechselanregungsmittel abweichenden Wirkung desselben 
auf den Stoffwechsel eine hinreichende Erklärung. 

Dieser Einfluss auf die im Organismus stattfindenden Oxydationen findet nun auch mit dem 
Verlassen des Seeklimas noch nicht seinen Abschluss, sondern besteht merkwürdigerweise auch auf 
dem Festlande noch längere Zeit fort. Vergleichen wir nämlich die Harnanalyse 

vor dem Bade: 24,43 Harnstoff, 0,418 Harnsäure, 2,893 Phosphorsäure 
und nach dem Bade: 24,634 » 0,193 * 1,990 » 

so ergiebt sich, dass zwar der Harnstoff mit dem Aufhören der klimatischen Reize zu der Höhe 
der Zeit vor dem Bade zurückgekehrt ist, dass aber die Harnsäure und Phosphorsäure noch eine 
weitere Abnahme erfahren haben. Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir die Ursache dieser 
erhöhten Oxydation einmal darin suchen, dass infolge der inzwischen an der See stattgefundenen 
Oxydation von unvollkommen oxydierten abgelagerten Stoffwechselprodukten, welche früher immer 
einen Theil des verfügbaren Sauerstoffes für sich in Anspruch nahmen, dem Organismus nunmehr 
eine im Verhältnis zur Reizgrössc höhere 0-Menge als früher zur Verfügung steht Weiter aber 
wird während des Seeaufenthaltes überhaupt eine Einstellung des Organismus auf grössere Leistungen 
und besonders auf eine höhere 0-Aufnahme stattgefunden haben, und bietet uns für letztere Annahme 
die unter dem Einfluss des Secklimas beobachtete Vermehrung der rothen Blutkörperchen (Malassez, 
Marestang) eine handgreifliche Unterlage. 

Es erübrigt noch der übrigen von Beneke bei seinen Harnanalysen gemachten Befunde kurz 
Erwähnung zu thun. So ging die Schwefelsäure- und Chlorausscheidung im allgemeinen der Auf¬ 
nahme derselben mit der Nahrung parallel. Auffallend war jedoch die starke Vermehrung und die 



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Kleinere Mittheilungen. 173 


stets saure Reaktion des Urins unter dem Einfluss des Seeklimas, zwei Erscheinungen, welche nach 
Rückkehr aufs Festland sofort wieder zur Norm zurückkehrten. Während die Vermehrung des Urins 
schon von Beneke auf die an der See verringerte Verdunstung zurückgeführt wird, ist für die 
Bedeutung der Harnreaktion eine hinreichende Erklärung auch wohl zur Zeit noch nicht möglich. 

Betrachten wir nun auf der Grundlage obiger Ausführungen die anfangs erwähnten sichtbaren 
Veränderungen, wie sie durch das Seeklima hervorgerufen werden, so findet die bei normalen Indi¬ 
viduen von vornherein eintretende Gewichtszunahme ihre Ursache zunächst in dem vermehrten 
Umsatz von Kohlehydraten und Stickstoff und in der entsprechenden Mehraufnahme derselben, wie 
sie sich durch den erhöhten Appetit kenntlich macht. Dass bei einer unter derartigen Reizen, wie 
sie das Seeklima bietet, bedingten Erhöhung der Stickstoffaufnahme und Ausscheidung auch ein 
erhöhter Stoffansatz stattfindet, zeigen uns einmal die Versuche, wo, wie z. B. in den erwähnten 
von Strasser*), neben dem Harnstickstoff auch der Kothstfckstoff bestimmt wurde und so ein 
Vergleich zwischen der aufgenommenen und ausgeschiedenen Stickstoff menge möglich war, weiter 
aber auch die Versuche über die Beeinflussung des zeitlichen Ablaufes der Stickstoffausscheidung, 
wie sie unter anderm von Gmelin 14 ) angesteilt sind und worin gezeigt wird, dass unter Temperatur¬ 
reizen trotz der von anderer Seite erwiesenen Vermehrung des Harnstickstoffs eine Verlangsamung 
in der Ausscheidung desselben eintritt. 

Von weiterer Bedeutung für die Gewichtsverhältnisse an der See ist nach Beneke^) die 
Phosphorsäureausscheidung, da nach den in seiner Pathologie des Stoffwechsels aufgestellten Grund¬ 
sätzen die phosphorsauren Salze und besonders der phosphorsaure Kalk ein absolut nothwendiges 
Requisit für jegliche Gewebsbildung und für die Erhaltung des Körpergewichtes sind, ihr Verlust 
allemal mit Abnahme, ihr Gewinn allemal mit Zunahme des Körpergewichts verbunden ist. Bei 
Beneke’s Versuchen wurden nun unter dem Einfluss des Seeklimas täglich 0,5 g Phosphorsäure 
weniger als gewöhnlich ausgeschieden, und musste der tägliche Gewinn sogar ein noch grösserer 
sein, da mit der erhöhten Nahrungsaufnahme auch die Aufnahme phosphorsäurehaltigen Materials 
vermehrt war. ln der Nachkur betrug sogar der tägliche Gewinn gegenüber der Zeit vor dem 
Bade 0,9 g; es steht das oben erwähnte Verhalten des Körpergewichtes in der Nachkur dazu in 
entsprechendem Verhältniss. 

Besonders vermehrt ist bekanntlich die Ausscheidung des phosphorsauren Kalkes bei skrophu- 
lösen Individuen (bis zu 2—4 g täglich). Da nun, wie oben ausgeführt, die Ausscheidung des 
phosphorsauren Kalkes abhängig ist von dem Grade der im Organismus stattfindenden Oxydation, 
letzterer aber auch für die Bildung von mangelhaften Stoffwechselprodukten, besonders von Fett, 
verantwortlich zu machen ist, so erklärt sich die anfängliche Gewichtsabnahme an der See trotz 
zunehmender Frische bei Skrophulösen und ähnlichen Konstitutionen aus der Entfernung dieser 
mangelhaften Stoffwechselprodukte durch erhöhte Oxydation ohne weiteres. 

Was das erwähnte Gewichtsverhalten bei nervösen Personen anbetrifft, so haben wir oben 
bereits gesehen, dass Ueberreizungen, wie sie durch Seebäder oder klimatische Einflüsse hervor- 
gerufen werden, mit einer Verminderung der Oxydation in den Geweben und dementsprechend mit 
Vermehrung der Harnsäure und Phosphorsäure im Harn beantwortet werden. Bei nervösen Personen 
werden aber bei der schnelleren Reaktionsfähgkeit und Erschöpfbarkeit Ueberreizungen leichter Vor¬ 
kommen, und mit der Zunahme der Phosphorsäure im Harn das Körpergewicht sinken müssen. 
Dementsprechend habe ich auch oben bereits auf die die nervöse Ueberreizung regelmässig begleitende 
Appetitlosigkeit hingewiesen und der Nothwendigkeit einer Regulierung der klimatischen Reize 
und der Ruhe für nervöse Kurgäste Erwähnung gethan. 

Ich schliesse mit den Worten Beneke’s: »Wir haben, das ist keine Frage, kein zweites 
Agens, welches wie die Seeluft so unvermerkt und doch so intensiv beschleunigend 
auf den Stoffwechsel einwirkt; und darin besteht eben ihr Vorzug, dass sie anstren¬ 
gende körperliche Bewegung nicht nur nicht erfordert, sondern sogar dann am wohl- 
thätigsten und kräftigsten wirkt, wenn eine gewisse Ruhe im gesammten Verhalten 
beobachtet wird, eine Ruhe, die bei anderen ähnliche Heilzwecke verfolgenden 
Kuren so selten zu ermöglichen und doch für eine Hebung des Ernährungsprozesses 
und insonderheit der Kraft des Nervensystems so nothwendig ist. In dieser Weise 
zeichnet sich ihre Wirkung u. a. vor der der sogenannten Wasserkuren, der Fuss- 
reisen u. s. w. aus«. Die Ursache aber dieser Auszeichnung liegt nach unseren obigen Ausführungen 
in der erhöhten O-Aufnahme an der See, deren Möglichkeit und Bedeutung durch die Versuche von 
Michaelis neuerdings wieder in das rechte Licht gestellt ist. 


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Kleinere Mittheiiungen. 


Litteratur. 

i) F. W. Beneke, Ueber die Wirkungen des Nordseebades. Göttingen 1856. 

«) F. W. Beneke, Die erste Ueberwinterung Kranker auf Norderney. Norden 1886. 

з ) C. A. Ewald, Die Kinderheilstätten an den deutschen Seeküsten und ihre prophylaktischen 
und kurativen Erfolge. Berl. klin. Wochenschr. 1899. No. 37. 

*) Fubini und Ronchi, Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere von 
Moleschott. Bd. 12. S. 1881, citiert nach F. Schoenenberger, Der Einfluss des Lichtes auf den 
thieiischen Organismus. Inaug.-Diss. 1898. 

6) Vergl. Ozonuntersuchungen von F. W. Beneke ad. 1 und Lindemann, Das Seekliina. 
Leipzig 1893. 

«) Vergl. Hi 11 er, Die Wirkungsweise der Seebäder. Berlin 1890. S. 44. 

7) M. Michaelis, Ueber Sauerstofftherapie. Diese Zeitschrift Bd. 4. Heft 2. 

8 ) Alois Strasser, Das Verhalten des Stoffwechsels bei hydriatischer Therapie. Wien 
und Leipzig 1895. 

**) Archiv für die gesammte Physiologie 1892. Bd. 53. S. 238, cit. nach Schoenenberger I. c. 
10 ) F. W. Beneke, Grundlinien der Pathologie des Stoffwechsels. Berlin 1874. S. 146 und 
151 nach Bartels, Ueber Harnsäureausscheidung in Krankheiten. Deutsch. Arch. für klin. Medicin 

1866. Bd. 1. 

n ) Ibidem S. 157 nach Eckart, Die akute Gicht und ihre Behandlung. München 1864. 

и) Ibidem S, 356. 

ß) F. W. Beneke, Zum Verständniss der Wirkungen der Seeluft und des Seebades. Schriften 
der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten Naturwissenschaften zu Marburg. Cassel 1873. 

u ) Gmelin, Beeinflussung des zeitlichen Ablaufes der Stickstoffausscheidung im Harn nach 
einer Mahlzeit. Blätter für klinische Hydrotherapie 1898. 


II. 

Ein Fall von Serratuslähuaung durch lokale Hitze gebessert. Von Oberstabsarzt Dr. Heer- 
mann in Posen*. 

Es handelt sich um einen Patienten, welcher durch Aufheben einer schweren Last eine völlige 
Lähmung des rechten Serratus mit Druckempfindlichkeit und spontaner Schmerzhaftigkeit des Plexus 
brachialis davongetragen hatte. Nachdem mehrere Monate der Zustand unverändert geblieben, appli¬ 
zierte ich auf das Schulterblatt bis zum Halsansatze täglich Vs ~ 3 /4 Stunden lang eine Wärmespirale 
aus Bleirohr, durch welche heisses Wasser geleitet wurde. Zunächst, und zwar sogleich, hörten die 
Schmerzen während der Erhitzung auf, um nachher wiederzukehren, nach einigen Tagen schwanden 
sie aber ganz, und nach 14 Tagen konnte der Ann bis zur Senkrechten gehoben werden. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


i. 

Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Baineologischen Gesellschaft 

zu Berlin. 7.—12. März 1901. 

Erstattet von —n. 

(Fortsetzung.) 

Pariser, Pas praktische Problem der internen Behandlung der Gallensteinkrankheit. 

Redner erörtert, nach welchen Gesichtspunkten die innere Behandlung der Cholehthiasis zu 
leiten ist — der Cholelithiasis, nicht des einzelnen Kolikanfalls — in denjenigen Fällen, bei welchen 
die interne Behandlung in Betracht kommt 

Das herrschende theoretische Problem der Behandlung betrachtet die Cholelithiasis als eine 
Fremdkörperkrankheit; demgemäss besteht die Therapie in der Entfernung der Steine. Dazu giebt 
es zwei Möglichkeiten, die Operation, die hier nicht in Betracht kommt, und die innere Abtreibung. 
Nun ist ja sicherlich die Entfernung aller Gallensteine — und nur die Entfernung aller Steine 
kann von dauerndem Werth sein — vor allem anderen geeignet, eine wirkliche Ausheilung der 
krankhaften Prozesse oder wenigstens einen Zustand praktischer Heilung, den der Beschwerdelosig- 
keit, herbeizuführen. Aber in der Praxis ist die Austreibung aller Gallensteine so gut wie immer 
ein Ding der Unmöglichkeit oder mit Gefahren verknüpft, die diesen Weg als eine Austreibung 
des Teufels durch Beelzebub und die operative Entfernung als den weit minder gefährlichen erscheinen 
lassen. Die Gründe dafür sind die grosse Anzahl der Steine, die häufigen Wand Veränderungen der 
Gallenblase und die daraus resultierende Schwächung ihrer motorischen Potenz, die Widerstände, 
welche von den Steinen auf ihrer Wanderung zu überwinden und für Steine über Erbsengrösse unüber¬ 
windlich sind. Daher muss das ganze Streben der internen Therapie darauf gerichtet sein, die 
Cholelithiasis latent zu erhalten und, wo sie aus dieser Latenz hervorgetreten, in die Latenz zurück¬ 
zuführen. 

Wir wissen, dass bei einer Häufung von Koliken eine Steigerung der entzündlichen Vorgänge 
im Gallengangsystem, ein Aufgepropftsein akuter Entzündung auf die chronische, statthat. Das 
beste Mittel, diese akute Inflammation und die Neigung zu Steinwanderungen zu beseitigen, ist 
Ruhe. Pariser lässt solche Patienten eine Ruhekur von mehreren Wochen durchmachen. In schwe¬ 
reren Fällen müssen die Patienten die ersten 8—10—14 Tage im Bett zubringen. Bei Nachlassen 
oder Verschwundensein der akuten Beschwerden tritt, wie bei leichteren Fällen von Anfang an, an 
die Sudle der Bettruhe Liegen anf weichen bequemen Fauteuils in leichter, nicht beengender Kleidung, 
wenn es die Jahreszeit und die äusseren Umstände gestatten, auf weichen bequemen Liegesesseln 
im Freien. Auf das Innehalten einer mindestens achttägigen andauernden absoluten Ruhe bei Beginn 
der Behandlung nach frischen Anfällen legt Pariser prinzipiellen Werth. Für ihn ist überhaupt 
bei dem Bestreben, länger dauernde Latenz anzubahnen oder wiederherzustellen, die Ruhe so sehr 
das wirksamste Agens, das Eigentlichste der Therapie, dass er dieses Moment ganz in den Vorder¬ 
grund stellt; alles andere ist nur Beiwerk, sehr angenehmes, unterstützendes, wichtiges, aber eben 
nur Beiwerk. Zu diesen werthvollen Unterstützungsmitteln gehören warme Kataplasmen, Trinkkuren, 
Diät und einige andere Maassnahmen (leichte, nicht beengende Kleidung, Bauchbinden für korpulente 
Patienten, Vermeidung körperlicher Anstrengung). Zu Kataplasmen auf die Lebergegend eignen sich 
Thermophore, auch mit Fango war Pariser (in drei schweren Fällen) sehr zufrieden. Für Trink¬ 
kuren kommen die warmen Natronwässer, insbesondere die warmen glaubersalzhaltigenNatronwässer in 
Betracht, deren vornehmster Repräsentant Karlsbad ist. Die Wässer wirken katarrheilend, also Latenz 
herbeiführend. Aber auch andere als die genannten Quellengruppen zeitigen — wenn richtig ver¬ 
wandt — dieselben günstigen Erfolge; wenigstens war Pariser mit dem Homburger Elisabethbrunnen 
(warm genommen) ausserordentlich zufrieden. Auch Herrmann und Naunyn kaprizieren sich nicht 
auf die reinen Natron- und Glaubersalz wässer; letzterer geht sogar so w'eit zu behaupten, dass auch 
reines heisses Wasser, kurgemäss genommen, gute Dienste leistet. Die Naunyn’sehe »Karlsbader 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


Kur« ist im Grunde auch eine Ruhekur. — Die Diät sei leicht, nicht zu gewürzt, aber nicht mit 
besonderen Vexationen der Entbehrung verbunden. Insbesondere empfehle man den Patienten, sich 
nicht durch massige Mahlzeiten zu überladen; durch eine stärkere Aktion von Magen und Duodenum 
und deren reflektorischen Einfluss auf die Gallengangperistaltik könnten Steinwanderungen aus¬ 
gelöst werden. 

Munter, Die Hydrotherapie der Gicht. 

Da die der Gicht zu Grunde liegenden pathologisch-physiologischen Vorgänge noch nicht er¬ 
forscht sind, sind wir für die Therapie auf die klinischen Erscheinungen angewiesen. Als haupt¬ 
sächlichste Richtschnur für die Behandlung gilt die nachweisbare pathologische Veränderung der 
Harnsäure, und wenn sie auch nicht die alleinige materia peccans ist, so werden wir sie doch am 
meisten zu berücksichtigen haben, und zwar als Maass für den Nachweis der Sdckstoffstörung. Die 
Ursache dieser Storung kann eine äussere und eine innere sein. Die äussere Ursache ist die derart 
stark vermehrte Zufuhr an stickstoffhaltigem Nährmaterial, dass der Organismus es nicht verarbeiten 
kann. Die innere Ursache ist bedingt durch eine Anomalie der Konstitution oder Disposition, bei 
welcher die Zelle überhaupt die Anlage einer geringen Oxydationsfähigkeit besitzt Demgemäss 
unterscheiden wir zwei Formen der Gicht, die tonische Gicht, die durch überreiche Zufuhr von 
Nährmaterial entsteht, und die atonische Gicht, bei welcher durch pathologische Veränderungen 
der Sauerstoffüberträger selbst die physiologische Zufuhr nicht verarbeitet werden kann und so die 
intermediären krankmachenden Produkte erzeugt werden. Die Aufgabe der Therapie ist es, die 
Bildung der Harnsäure und der sonstigen intermediären Stickstoffsubstanzen zu verhindern, ihren 
Zerfall zu erleichtern, d. h. die innere Oxydation zu erhöhen, und, damit verbunden, ihre Löslichkeit 
im Blut und in den Gewebssäften zu bewirken und ihre Eliminierung zu veranlassen. Die Haupt¬ 
aufgabe des Postulats, die Bildung der Harnsäure und sonstiger Stickstoffsubstanzen zu verhindern, 
fällt der Diät zu. Uns interessiert hier aber mehr die Verwerthung der Hydrotherapie, und es ent¬ 
stehen die Fragen: Wie sind wir durch die Hydrotherapie überhaupt im stände, den Stoffwechsel 
zu erhöhen? Wie gelingt es uns mit Hülfe der Hydrotherapie im speziellen den N-Stoffwechsel zu 
vergrÖ8sem? 

Nach den Untersuchungen von Pflüger, Voit steht fest, dass der Kältereiz ohne Erniedrigung 
der Eigentemperatur den Stoffwechsel erhöht, dass der Wärmereiz ohne Erhöhung der Eigen¬ 
temperatur den Stoffwechsel herabsetzt, dass aber durch Kälte der Stoffwechsel herabgesetzt und 
durch Wärme erhöht wird, wenn dabei die Eigentemperatur sinkt oder steigt. Diese Gesetze sind 
die Richtschnur für unsere hydrotherapeutischen Maassnahmen. Doch müssen wir bei Anwendung 
des Kältereizes darauf Rücksicht nehmen, dass die durch die Kälte entzogene Wärmemenge eine 
nachträgliche reaktive Erhöhung der Wärmeproduktion verursacht, da ja der Organismus bestrebt 
ist, seine Eigentemperatur wieder zu erreichen, durch welche eine Erhöhung der Eigenwärme ein- 
tritt und dadurch bedingt, eine Erhöhung des Stoffzerfalls. 

Bei der atonischen Gicht, bei der wir schonend, ohne Gewichtsverlust eine erhöhte Oxydation 
Und damit bessere Verarbeitung des Gesamratmaterials erzielen wollen, werden wir von kurzen, 
kalten Kältereizen behufs Anregung der funktionellen Leistung, ohne Erhöhung der Eigenwärme, 
und mit dem Bestreben, dem Körper nicht zu viel Wärme zu entziehen, Gebrauch machen. Um 
den Kältereiz ohne Wärmeverlust verwerthen zu können, werden wir vor dem Kältereiz eine Wärme¬ 
zufuhr stattfinden lassen. Hier sind angezeigt: Packungen von »/ 4 —i Stunde Dauer mit nachfolgenden 
je nach dem individuellen Falle indicierten Nachprozeduren, Brause, Begiessung, Abreibung, ferner 
laue bis warme Bäder von 34—38°C mit nachfolgenden Kältercizen, ferner Heissluft-, Dampf¬ 
kasten-, elektrische Lichtbäder von nicht zu hoher Temperatur und nicht zu langer Dauer 
(höchstens 10—12 Minuten) mit nachfolgenden Kältercizen. Diese Prozeduren dürfen aber nicht zu 
starke Schweisssekretion verursachen; das forcierte Schwitzen ist bei der Gicht kontraindiziert. 
Dann sind die Sandbäder zu empfehlen, und zwar mit Lokalisation der affiziorten Theile. 

Aehnlich werden wir die harnsaure Diathese zu beeinflussen suchen, eine Stoffwechsel¬ 
anomalie, die wir, gleichgültig, aus welcher Ursache sic entstanden ist, als eine Vorstufe der Gicht 
betrachten müssen Die Behandlung wird sich nach der Form richten, also, wenn ein Mangel der 
funktionellen Leistung vorliegt, nach der der atonischen Gichtform, während sie in den Fällen über¬ 
reicher Zufuhr von Nährmaterial sich mehr der Behandlungsart der tonischen Gicht nähern wird. 

Für die Hydrotherapie der tonischen Gichtform kommen jene Methoden in Betracht, welche 
nicht bloss eine Erhöhung der intracellulären Oxydation behufs besserer Ausnutzung des Nähr¬ 
materials und günstiger Assimilation im Organismus, sondern auch grösseren Zerfall, eine Gesammt- 


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Berichte über Kongresse und Vereine 


177 


erhöhung, reichlicheren Verbrauch und günstigere Ausscheidung der intermediären N-haltigen Stoffe 
erzielen, also Methoden, welche diese Zwischenstufen zur Endmetamorphose, zum Harnstoff, bringen, 
der als ein natürliches Diuretikum die Eliminierung bedeutend erleichtert. Hier giebt es zwei Wege: 
Entweder wir wenden intensive Kältercize an, die dem Körper soviel Wärme entziehen, dass die 
nachfolgende (reaktive Wärmeproduktion eine Erhöhung der Eigenwärme und damit einen grösseren 
Zerfall bedingt — eine Methode, die nur bei robusten, noch nicht sehr vorgeschrittenen Gichtikern 
anwendbar ist —, oder aber, und dieser Weg wird in der Regel einzuschlagen sein, wir bringen 
durch Wärmezufuhr und Wärmestauung eine Erhöhung der Eigenwärme zu Stande und bedingen 
dadurch den Zerfall sowohl desN-losen als auch des N-haltigen Stoffwechsels, gemessen an derO-Auf- 
nahme und der CO 2 - und N-Ausscheidung. Dazu eignen sich: das Dampfkastenbad, das russische 
Dampfbad, die warme, nasse Einpackung, das warme Vollbad mit oder ohne Nachpackung, die 
kalte Einpackung von längerer Dauer und das protahierte, allmählich gesteigerte heisse Wasser¬ 
oder Soolbad. Bei allen diesen Prozeduren ist der Wärmeausgleich durch das geringe Schwitzen 
infolge des feuchten Umgebungsmediums beschränkt und die Wärmeabgabe behindert, und so sehen 
wir hier die Eigenwärme steigen, Rektaltemperaturen bis über 39°. Baineotherapeutisch würden 
sich hier alle Bäder mit der Intention der Wärmezufuhr und der behinderten Wärmeabgabe an- 
schliessen, also das heisse Soolbad, das indifferente Thermalbad in seinen höheren Temperaturen, 
das Moor-, Schlamm-, Fango-, Schwefel- und Fichtennadelbad. Diesen Maassnahmen nahestehend 
sind das Sandbad und die warme, trockene Packung. Bei diesen ist die Schweisssekretion 
grösser, aber mit der Beschränkung der einen Komponente des Wärmeausgleichs, der Schwoiss- 
verdunstung, da der Schweiss vom Sand oder trockenen Leintuch aufgesogen wird. Die Eigen¬ 
wärme steigt daher nicht so hoch, wie bei jenen Bädern des behinderten Schwitzcns, immerhin 
finden wir auch hierbei Rektaltemperaturen bis 39«. Reine Schwitzprozeduren als Ausscheidung 
mit kaum nennenswerther Temperatursteigerung bis 38« sind Ileissluft-, elektrische Licht- und 
Sonnenbäder. Bei älteren Personen, bei denen ja meist auch arteriosklerotische Prozesse bestehen, 
hat sich am vortheilhaftesten erwiesen die allmählich gesteigerte Wärmezufuhr in Form allmählich 
gesteigerter Wasser- oder Soolbäder von 35—40°Cund 15—40 Minuten Dauer, welche abwechselnd 
mit Sandbädern verabreicht werden. 

Nun bringen alle wärmestauenden Prozeduren eine gewisse Erschlaffung des Gefässsystems 
mit sich, deshalb ist eine Verbindung mit kühleren Prozeduren als Tonikum nothwendig. Je nach 
der individuellen Indikation werden wir von einer milden, kühleren Theilwaschung, von einem all¬ 
mählich abgekühlten Halbbade von 30—32° C, von Brausen, Abreibungen etc. Gebrauch machen. 
Durch aktive Bewegung, oder, was wohl meist bei Gichtikern, wenigstens Anfangs, den Vorzug 
verdient, durch nachfolgendes Ruhen und Wärme, ist eine Reaktion zu erzielen. 

Die Allgemeinbehandlung wird durch lokale Maassnahmen nicht unwesentlich unterstützt. 
Auch hier zieht Munter die feuchte der trockenen Wärme vor, weil durch die Behinderung der 
Wärmeabgabe, die dadurch bedingte Wärmesteigerung und die damit verbundene tiefgehende 
Hyperämie ad locum eine leichtere Lösung und bessere Aufsaugung der Exsudate erreicht wird. 
Zu empfehlende Maassnahmen sind lokale Dampfbäder, lokale Sandbäder, erregende Umschläge von 
längerer Dauer (von fünf bis sechs Stunden) mit Wärmezufuhr. Auch diesen Prozeduren hat stets 
eine tonisierendc, kühlere Applikation zu folgen, aber mit der Sorge für Reaktion; nur so wird das 
erschlaffte Gcfässsystem und nicht minder das Herz gekräftigt 

Schliesslich ist noch ein besonderer Gesichtspunkt für die Behandlung der Gicht zu erwähnen. 
Da wir die Gicht als eine Störung des N-Stoffwechscls auffassen, erscheint es unzweckmässig, nach 
Beseitigung der akuten Erscheinungen die Behandlung auf einzelne mehrwöchentlichc Kuren zu be¬ 
schränken. Vielmehr ist es vorteilhaft, die geschilderten Maassnahmen während des ganzen Jahres 
in richtigen Intervallen, z. B. zwei- bis dreimal wöchentlich, gebrauchen zu lassen, weil dadurch 
einer Kulmination des Krankheitsprozesses, der akuten Attacke, vorgebeugt wird. 

Putzer, Praktische Erfahrungen über die hydriatische Behandlung bei Masern und Scharlach. 

Nicht nur die antipyretische Wirkung ist es, die heutzutage von der hydriatischen Behandlung 
fieberhafter Erkrankungen im allgemeinen erwartet wird und die mit der medikamentösen Behand¬ 
lung wetteifert, sondern die im wesentlichen weit wichtigere prophylaktische Bedeutung derselben 
verdient immer wieder hervorgehoben und ihr hygienischer Werth am Krankenbett ganz besonders 
berücksichtigt zu werden. Speziell bei Masern und Scharlach vermögen wir vermittelst der hydria¬ 
tischen Behandlung den Verlauf zu mildern, ernste Hirnerscheinungen, wie Krämpfe, Bewusstlosig¬ 
keit oder Delirien, oder gefahrdrohende Herzschwäche, komplizierende Kapillarbronchitis und Pneu¬ 
monie bei den Masern oder schwere Symptome seitens des Nervensystems und exorbitant gesteigerte 
Zeit«ehr. £ diät. u. physik. Therapie Bd. V. Heft 2. 12 


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178 Berichte über Kongresse nnd Vereine. 

Temperaturen mit hoher Pulsfrequenz bei Scharlachficber günstig zu beeinflussen und den letalen 
Ausgang nicht selten zu verhüten. 

Wird nun auch die Nothwendigkeit der Einleitung hydropathischer Prozeduren allseitig an¬ 
erkannt, so gehen die Ansichten über die Einzelheiten sehr auseinander. Putzer hat die gewöhn¬ 
liche Temperatursteigerung nur selten Veranlassung zur Anwendung von Bädern gegeben. Meist 
genügten hydropathische Einwirkungen oder Abwaschungen von Zimmertemperatur (18© C), um 
höhere Fieberschwankungen zu beseitigen. Dieselben wurden drei- bis viermal täglich oder auch 
häufiger (alle zwei Stunden) gemacht und nicht nur sehr gut vertragen, sondern sogar von den 
Patienten (gegen das lästige Hautbrennen) direkt verlangt. Sie wurden aber erst immer dann an¬ 
gewandt, wenn das Stadium eruptionis vorüber und das Exanthem voll und deutlich zur Entwicke¬ 
lung gekommen war. Bei Neigung zu Krampfanfällen bewährten sich kurzdauernde Halbbädcr von 
27° C und 4—5 Minuten langer Dauer mit kühleren, ganz kurzen Uebcrgiessungen (18°C und 
2 — 3 Sekunden Dauer) des Nackens und Hinterkopfes. Bei akuter Laryngitis mit Pseudocroup 
konnte die expektorationsbefördernde Wirkung hydropathischer Brust- und Halsein Wickelungen mit 
Dampfkompressen konstatiert werden. Bei schweren Stenoscerscheinungen erwiesen sich von bestem 
Erfolge (meist vor Anwendung von Brechmitteln) heisse Bäder (40 — 42<> C) von kurzer Dauer 
(5—10 Sekunden), während deren der Kopf der kleinen Patienten mit kalten Kompressen bedeckt 
wurde. Traten nach dem Verschwinden des Exanthems Anfälle von schwerer Kapillarbronchitis 
und katarrhalischer Pneumonie auf, so behandelte Putzer die Patienten mit kurzdauernden (15 Mi¬ 
nuten) heissen Einpackungen des Thorax, zu denen er Wasser von 40—42° C mit Zusatz von Senf¬ 
mehl verwendete, oder warme Bäder von 32o C und kurzdauernde Begiessungen des Nackens und 
der Brust mit kaltem Wasser von 14° C, oder er liess mit Hilfe einer Handdruckspritze einige 
Sekunden lang einen kräftigen, kühlen Wasserstrahl (14° C) speziell gegen die Nackengegend im 
warmen Bade applizieren. In malignen Fällen von Scharlach, wo es in erster Linie gilt, der Kollaps- 
gefahr zu begegnen, hat Putzer kühle Begiessungen des Nackens oder sogenannte Eiskataplasmen 
angeordnet, die man folgenderraaassen herstellt: Auf einem Stück Leinewand von 00—90 cm Grosse 
wird in der Mitte in einer Ausdehnung von 25 — 30 cm eine 2 —4 cm starke Schicht gepulverten 
Leimkuchens ausgestreut Diese wird mit einer gleich hohen Schicht Eisstückchen belegt und auf 
diese wieder etwa fingerdick Leinsamenpulver aufgetragen. Das Ganze wird wie ein warmes 
Kataplasma zusammengcfaltet und als Kopfkissen unter das Genick gelegt Das Eiskataplasma hält 
sich lange, da das Eis erst im Laufe mehrerer Stunden schmilzt, wobei der Leimkuchen das ent¬ 
stehende Wasser aufsaugt, sodass das Bett trocken bleibt. Die Kühlung thut den Patienten ungemein 
wohl, sie liegen lange Zeit still, ohne den Kopf zu erheben, was von grossem Vortheil ist, weil die 
intensiven Kopfschmerzen bei jeder Bewegung gesteigert werden Das Kataplasma braucht nur 
vier- bis fünfmal binnen 24 Stunden erneuert zu werden. Doch verschmäht Putzer auch andere 
Stimulantien, wie Wein, Kampfer, Aether nicht, ehe er die hydriatischen Prozeduren anwendet. 

Die Anwendung hydriatischer Prozeduren im Verlaufe der Masern und des Scharlach bietet 
also erhebliche Vortheile und prophylaktischen Nutzen. Auf diese Weise kann nicht allein die 
Gefahr der Mortalität herabgesetzt, sondern auch das Auftreten schwerer Komplikationen und Folgo- 
krankheiten wie z. B. der Tuberkulose im Anschluss an Masern erschwert oder vermieden werden. 
Ferner sprechen Putz er's Erfahrungen dafür, dass durch möglichst frühzeitige individualisierende 
hvdriatische Behandlung oft geradezu ein abortiver Verlauf der erwähnten Erkrankungen erzielt 
und der Charakter schwererer Fälle oder ganzer Epidemieen nicht unerheblich gemildert wird. 

Kothe, Zur physikalisch-diätetischen, insbesondere hydriatischen Behandlung der Neuroseu. 

An der Hand der neuesten anatomischen und physiologischen Forschungen entwirft Kothe 
ein Bild von'dem Wesen der funktionellen Nervenkrankheiten. Es handelt sich dabei um moleku¬ 
lare Störungen in den Ncrvenzentralorganen. Die meist durch Generationen hindurchgehenden 
reberreizungen der verschiedensten Art führen entsprechend dem Gesetz der Summation kleinster 
Wirkungen schliesslich zu einem solchen Missverhältnis zwischen Assimilation und Dissimilation, 
dass daraus jene dauernden, erblich übertragbaren Störungen der Molckulannechanik der Nervcmnasse 
resultieren, welche in dem bekannten Bilde der sogenannten funktionellen Neurosen zum Ausdruck 
kommen. Aus diesen theoretischen Erörterungen zieht Kothe zwei praktische Nutzanwendungen 
für die Therapie der Neurosen, und zwar 1. die Regulierung derReizc und 2 die Regulierung 
der ZirkulationsVerhältnisse in den Ncrvenzentralorganen, insbesondere ira Gehirn. 

Was wir Individualisieren nennen, läuft streng genommen auf eine Regulierung der durch 
unsere Lebensweise, Beschäftigung etc. gegebenen Reize hinaus. Bis zu einem gewissen Grade sind 
uns die Reize geradezu Lebensbedürfnis; es gäbe kein Wachsthuui, keine Gesundheit, wenn nicht 


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Berichte Über Kongresse und Vereine. 179 

eine gewisse Summe von Reizen, die sogenannten normalen Lebensreize, durch die Haut und Sinnes¬ 
organe, durch die Schleimhäute, die Muskeln, die drüsigen Organe und selbst durch das Blut unserem 
Körper, d. h. den Nervenzentralorganen fortwährend zuflössen. Bei den Neurosen handelt es sich 
in der Hauptsache um ein Zuviel in quantitativer, wie in qualitativer Hinsicht, um ein Zuviel, das 
schon durch Generationen hindurch fortgewirkt hat, um eine Summation kleinster Wirkungen von 
Geschlecht zu Geschlecht, die schliesslich zu dauernden molekulären Störungen geführt haben. 
Regulierung der Reize bedeutet hier daher unter allen Umständen eine Milderung der Reize, eine 
Ruhe, und zwar von längerer Dauer wie gewöhnlich. Der Summation kleinster Wirkungen bei 
Entstehung der Neurosen müssen wir gewissemaassen eine solche Summation kleinster Wirkungen 
in unseren Heilwirkungen entgegenstellen, d. h unter strenger Rücksichtnahme auf die schon in 
den gewöhnlichen Lebensbedingungen und in unseren sonstigen Verordnungen liegenden Erregungen 
müssen speziell auch unsere hydriatischen Reize, selbstverständlich stets mit einer entsprechenden 
guten, d. h. blanden und ausreichenden Ernährung verbunden, in Intensität und Folge so vorsichtig 
dosiert sein, dass sie den Nervenzellen gerade die zu ihrer Erhaltung und Kräftigung genügende Reiz¬ 
menge zuführen und dadurch auch die Höhe der Neuronschwelle steigern, aber jede Ueberreizung 
und Abnutzung ausschliessen. Insbesondere warnt Kothe vor dem sportsmässigen Zuviel und Zustark, 
wie man es in nicht von Aerzten geleiteten Instituten ganz gewöhnlich zu beobachten Gelegenheit hat. 

In Bezug auf die Regulierung der Zirkulationsverhältnisse im Gehirn erwähnt Ko the zunächst 
die Ansicht Goldscheider's über die Wirkung hydriatischer Prozeduren. Goldscheider sieht 
das wesentliche dieser Wirkung in der direkten Ausstrahlung der Temperatur und der mechanischen 
Reize auf motorische, trophische u. s. w. Nervenbahnen, in den dadurch gegebenen Bahnungs- und 
Hemmungswirkungen, er glaubt, dass die Bedeutung der Hyperämie und Anämie als Ursachen krank¬ 
hafter Zustände von der Hydrotherapie stark überschätzt wird; andrerseits aber betrachtet er die 
Hydrotherapie, da sie ausser der Reizung noch andere werthvolle Wirkungen hat, z. B. die auf die 
Blutvertheilung, Reinigung, Abhärtung und Ausscheidung, doch als eine der wichtigsten Heil¬ 
potenzen, über welche die Medicin verfügt. Kothe hält die Goldscheider’sche Theorie für eine 
werthvolle Bereicherung unseres therapeutischen Denkens, kann aber nicht umhin, gerade hier auf die 
Verwom’schen Experimente aufmerksam zu machen, welche die Bedeutung der frischen Blutwelle 
als Movens der Zersetzungsprodukte und als Restituens der lebendigen Substanz, d. h. die Bedeutung 
der Regulierung der Zirkulation in den Nervenzentralorganen unzweideutig beweisen. Ucberdies 
ist erfahrungsmässig erwiesen, dass wir durch unsere hydriatischen Prozeduren, wie durch kein au- 
deres Mittel alle nervösen Funktionen in wohlthuendster Weise zu beeinflussen iin stände sind und 
dass diese Beeinflussung mit sichergestellten Veränderungen in der Blutfülle des Gehirns einhergeht. 
Daraus ergiebt sich ohne weiteres die Wichtigkeit einer sorgfältigen Regulierung der Zirkulations¬ 
verhältnisse im Gehirn für die Behandlung der Neurosen. Freilich darf man nicht erwarten, bei so 
eminent chronischen, erblich übertragbaren Zuständen, wie die Neurosen es sind, mit an sich so 
kurz dauernden Maassnahmen, wie den hydriatischen, welche sich oft nur über Wochen erstrecken, 
gleich einen wirklich heilenden Einfluss ausüben, den pathologischen Moiekularzustand bald in einen 
normalen verwandeln zu können. Dazu bedarf cs häufig jahrelanger Bemühungen. Jedenfalls unter¬ 
liegt es für Kothe kaum einem Zweifel, dass man durch ein Mittel, welches die Blut- und Lymph- 
bewegungen in den Nervenzentralorganen in so hervorragender Weise beeinflusst, wie die Hydro¬ 
therapie, bei richtiger Dosierung und genügend langer Dauer der Kur und bei Erfüllung aller sonst er¬ 
forderlichen Bedingungen schliesslich direkt heilend auf die Neurosen ein wirken kann, wenn man auch 
oft genug die nächste Generation resp. eine KeimplasmaVerbesserung wird zu Hilfe nehmen müssen. 

Die hydriatischen Maassnahmen muss man scheiden in solche, welche in einer einmaligen 
speziellen Kur zur Anwendung gelangen, und in solche, welche dauernd den Lebensgewohnheiten 
ein verleibt werden müssen. Zur Vornahme einer ernsteren Kur ist die Aufgabe der gewohnten 
Verhältnisse, die Befreiung von allen beruflichen Sorgen und gesellschaftlichen Verpflichtungen eine 
unerlässliche Vorbedingung. Und da die Ab Wartung der Reaktion nach den einzelnen Prozeduren 
und der ganzen Kur für das Gelingen derselben von ausschlaggebender Bedeutung ist, so ist, nament¬ 
lich wo es sich um so ernsthafte Zustände handelt, der Anstaltsbchandlung vor jeder anderen der 
Vorzug zu geben. Das spezielle Verfahren gestaltet sich ziemlich einfach. Von dem Satz aus¬ 
gehend, dass die Hydrotherapie nur ein Glied, allerdings ein sehr werthvolles, wenn nicht das 
werthvollste, in der Kette dor Heilpotenzen gegen die Neurosen ist, und in Berücksichtigung der 
Nothwendigkeit einer strengen Regulierung der Reize ordiniert Kothe nie mehr wie eine grossere 
hydriatische Prozedur für den Tag. Ueberhaupt bevorzugt er die allgemeinen Einwirkungen — 
ohne darum die wirklich nützlichen und notliwendigen örtlichen zu vernachlässigen , weil er der 
Ueberzeugnng ist, dass er damit nicht nur eine allgemeine, sondern schliesslich auch eine direkte 

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Berichte über Kongresse und Vereine. 

Kräftigung der nervösen Konstitution zu erzielen vermag. Eine planvolle Wasserkur möchte er bei 
der Hysterie ebenso wenig entbehren wie bei der Neurasthenie. Bei der Epilepsie tritt die Hydro¬ 
therapie gegen andere Einwirkungen vielleicht etwas zurück; doch darf sie in einem vollkommenen 
Heilplan auch hier nicht fehlen. 

Brügelmann, Ueber Asthma, sein Wesen und seine Behandlung. 

So verschiedenartig auch die Ursachen oder veranlassenden Momente sind, welche für das 
Entstehen des Asthma verantwortlich gemacht werden müssen, allen asthmatischen Vorkommnissen 
gemeinsam ist eine Alteration des Respirationszentrums, ohne sie kommt kein Asthma zu stände. 
Ob die Reizung des Respirationszentruras, welche von allen jenen ursächlichen oder veranlassenden 
Momenten bedingt wird, auf traumatischem, reflektorischem oder thermischem Wege zu stände 
kommt, ist gleichgültig — der Vorgang ist der nämliche. Danach ergiebt sich die wissenschaft¬ 
liche Eintheilung des Asthma in drei Gruppen: 

1 . Das traumatische Asthma, hervorgebracht durch Reizung des Respirationszentrums ver¬ 
mittelst eines Trauma des Cerebrum oder der Medulla oder eines psychischen Affektes (psychische 
asthmatische Angstneurose). 

2 . Das reflektorische Asthma; bei diesem erfolgt die Reizung des Respirationszentrums durch 
eine Erregung der in den Schleimhäuten verschiedenster Gegenden eingebetteten astmogenen 
Punkte oder durch ihre reflektorische Reizung vom Zentralorgan selbst aus (Neurasthenie). 

3. Das toxische Asthma, bei dem die Reizung des Respirationszentrums eine Folge toxischer 
Einwirkung des Blutes ist. 

Die Therapie ist eine ausserordentlich vielseitige. Das erste therapeutische Postulat, ohne 
dessen Erfüllung kein volles Resultat erzielt wird, ist, dass, abgesehen von den sehr selten zur Be¬ 
obachtung kommenden reinen Anfangsstadien, die manchmal sogar ambulatorisch behandelt werden 
können, die Lokaltherapie mit der Allgemeinbehandlung Hand in Hand geht. Im übrigen inter¬ 
essiert hier nur noch, was Redner über den Werth klimatischer Kuren sagt Man spricht schon 
lange von immunen Klimaten, und namentlich Reichenhall liebt es, für sich eine Immunität bei 
Asthma in Anspruch zu nehmen. Brügelmann hat früher eine solche Immunität für möglich ge¬ 
halten. Jetzt ist er anderer Ansicht; er hat sich überzeugt und betont es ausdrücklich, dass die 
Lehre von der Immunität bei Asthma ein wissenschaftlicher Irrthum ist. Das einem Orte eigen¬ 
tümliche Luftgemenge regt die asthmogenen Punkte des einen Asthmatikers an, die des anderen 
nicht, wie der eine Asthmatiker ohne Wirkung Dinge essen oder riechen kann, welche bei dem 
anderen sofort Asthma erzeugen. Selbst das anscheinend immunste Klima hält nicht vor; vielmehr 
gewöhnt sich der Asthmatiker früher oder später an das Klima und bekommt dann auch dort seine 
Anfälle. Und dann ist der Nutzen einer Kur an einem anscheinend immunen Ort fast stets ein 
imaginärer, da die Patienten, wenn sie nach Hause zurückgekehrt sind, sofort wieder heimgesucht zu 
werden pflegen. Bei dem lmmunitätsglauben spielt die Autosuggestion der Kranken, die an einem 
Orte zu weilen wähnen, an dem sie gegen ihre Anfälle gefeit seien, eine grosse Rolle Im allgemeinen 
passt ein feuchtwarmes Klima mit ruhiger Luft, das allen Bronchialaffektionen am meisten zusagt 

Schenk, Die physikalische Therapie der Lungentuberkulose mittels Staunugshyperämie. 

Die Erfahrung lehrt, dass wir cs bei der Tuberkulose der Lungen betreffs der Disposition 
in erster Linie mit anämischen Individuen zu thun haben, bei welchen speziell eine Anämie in den 
Lungen besteht, so dass bei ihrer mangelhaften Ernährung der Tuberkelbacillus einen günstigen 
Nährboden findet. Die Therapie strebt an, die Thätigkeit des Herzens zu steigern, die Lungen- 
gcfässc insbesondere in den Spitzen zu erweitern und noch direkt durch mechanische Einwirkung 
den Blutdruck in den Lungenspitzen zu erhöhen. 

Das erste Moment, auf das Schenk Gewicht legt, ist die Lagerung des Kranken. Wie in 
den Lungenheilstätten verwendet er die Liegekur; nur lässt er den Patienten nicht auf einem 
horizontalen Liegestuhl ruhen, sondern er hebt diesen am Fussende derart, dass die Füsse hoch und 
Rumpf und Kopf tiefer zu liegen kommen. Je schräger der Patient liegen, je tiefer sein Kopfende 
zum Fussende gestellt werden kann, um so schneller wird der Heilungsprozess verlaufen. Stellen 
sich bei dem Verfahren Kopfschmerzen ein, so genügt die Applikation einer Kühlklappe, wie sie 
Winternitz verwendet. Bei trockener Witterung lässt Schenk die Kranken den ganzen Tag über 
im Freien liegen. Bei Regen oder Niederschlag von Nebel zieht er es vor, die Kraukcu im ge¬ 
heizten, mit trockener Luft erfüllten Zimmer zu belassen. 

Bevor der Patient die Liegekur beginnt, wird ihm eine mit Wasser oder noch besser mit 
Alkohol befeuchtete Kreuzbinde angelegt und über diese eine aus gewundenen Gummisehläuchen 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 181 

hergestellte Jacke gezogen, die den Brustkorb und die Lungenspitzen vollständig bedeckt und deren 
freie Schlauchenden die Zuführung und den Abfluss temperierten Wassers gestatten. Ueber diese 
Gummijacke wird die trockene Kreuzbinde, die Flanellbinde angelegt. So adjustiert, legt sich der 
Patient auf den Liegestuhl, und nun lässt man Wasser von ca. 45° C durch die Jacke zirkulieren, 
einer Temperatur, die, je nachdem es der Patient verträgt, erhöht werden kann. Die Bekleidung 
des übrigen Körpers sei so leicht als möglich. 

So liegen die Patienten vormittags und nachmittags mehrere Stunden unter konstanter An¬ 
wendung der Wärracprozedur; dabei können zweckmässig Füsse, Hände und Bauch alle fünf 
Minnten durch den Badewärter mit einem in kaltes Wasser getauchten Schwamm rasch überwischt 
werden. Während der Mahlzeiten erheben sich die Kranken von ihren Ruhestätten und machen 
sich ein wenig Bewegung. Die übrige Zeit hindurch wird die Liegekur ohne die Wärmeapplikation 
durchgeführt. Um die Herzthätigkeit, welche bei Phthisikern infolge des häufig relativ kleinen 
Herzens nicht genügend kräftig ist, zu stärken, kann man über der Herzgegencf in die beschriebene 
Schlauchjacke einen kleinen Herzschlauch einfügen, durch welchen man kaltes Wasser zirkulieren 
lässt Diese Kombinatiou wird namentlich bei Phthisikern mit schwachem Herzen angezeigt sein. 
Bei Patienten, welche die Kur einige Zeit gebraucht haben, ergiebt nämlich die Auskultation ein 
systolisches Geräusch an der Herzspitze, sowie die Accentuierung des zweiten Pulmonaltones, und 
diese künstlich geschaffene relative lnsufficienz wird von einem schwachen Herzen natürlich schlechter 
vertragen, als von einem kräftigen. Ein weiteres wichtiges Moment, welches dieser Behandlungsart 
zukommt, ist die Wirkung auf die Expektoration; es ist geradezu überraschend, wie die Expekto¬ 
ration erleichtert wird. Die Wirkung äussert sich zumeist frühmorgens, wenn die Kranken während 
der Nacht schräg gelagert werden. 

Zeigt sich ein — wenn auch nur geringer — Fortschritt im Heilungsprozessc, so dass man 
nicht jeden Moment eine Blutung zu befürchten hat, dann kann man daran gehen, die Funktion 
der Haut zu beeinflussen. Zu diesem Zwecke beginnt Schenk nach dem Vorgänge von Winter¬ 
nitz mit ThoilWaschungen einzeluer Partieen, welche nach und nach auf die ganze Hautoberfläche 
ausgedehnt werden. Hat sich Patient an die Theilwaschungen gewöhnt, was Monate dauern kann, 
so bekommt er Abreibungen. Theilwaschungen wie Abreibungen werden mit kaltem Wasser kurz 
und rasch ausgeführt Bei genügender Widerstandsfähigkeit können schliesslich auch kurze, kalte 
Tauchbäder angewandt werden. Diese kalten hydriatischen Prozeduren werden anfangs einmal 
täglich, des Morgens, später zweimal täglich, früh und abends, vorgenommeu. Die Liegekur mit 
der Wärmeapplikation erfährt dadurch natürlich keine Störung. Befürchtungen, dass durch das Ver¬ 
fahren Blutungen entstehen oder gefördert werden könnten, sind unnütz. Grosse Bedeutung kommt 
natürlich der Ernährung zu, welche Schenk in der Weise durchführt, wie sie in Anstalten üblich ist. 

Kranke, welche nicht in der Lage sind, eine Heilstätte aufzusuchen, wird man die Kur, so¬ 
weit es geht, zu Haus gebrauchen lassen. Vor allem hat man Schräglagerung im Bette anzustreben. 
Bei trockener Luft sollen die Fenster den ganzen Tag, bei nicht zu grosser Kälte auch während 
der Nacht geöffnet sein. Früh und abends soll die Kreuzbinde angelegt werden Ueber derselben 
kann zur Milderung etwaiger Schmerzen sowie zur Erzielung von Stauung ein Leibwärmer als Er¬ 
satz der Gumraijacke getragen werden. Die Liegekur wird zweckmässig im Freien, etwa in einem 
Garten, wenn das nicht geht, im Zimmer durchgeführt. Dazu kommen die kalten Waschungen, 
welche früh und abends recht kurz gemacht werden. Auch lassen sich sehr gut Nackengüsse ver¬ 
wenden. Den hydriatischen Prozeduren lässt man kräftige, trockene Abreibungen des ganzem 
Körpere folgen. Im übrigen muss die Ernährung entsprechend gestaltet und sorgfältig überwacht, 
auch müssen die erforderlichen hygienischen Maassnahmen getroffen werden. 

Knlenbnrg, Ueber Anwendung hochgespannter Wechselströme za therapeutischen Zwecken« 

Die Verwendung von Strömen überaus hoher Spannung (Millionenvoltströmc) mit einer gleich¬ 
falls ins Ungeheure gehenden Häufung der Unterbrechungen ist auch in der Technik eine Errungen¬ 
schaft jüngster Zeit und besonders durch Tesla für elektrische Beleuchtungszwccke zu hoher Ver¬ 
vollkommnung gebracht worden. Nach der physiologischen und therapeutischen Seite hin hat sich 
zuerst der französische Physiologe d'Arsonval mit derartigen Strömen eingehender beschäftigt und 
ihre Wirkungen festgestellt, weshalb die Benutzung hochgespannter Wechselströme zu Heilzwecken 
als Arsonvalisation bezeichnet zu werden verdient. d’Arsonval machte dabei die merkwürdige 
Beobachtung, dass solche Ströme von einer gewissen Häufung der Unterbrechungen ab (bei un¬ 
gefähr 10000 Stromwechseln und darüber in der Sekunde) auf den Organismus höherer Thiere und 
des Menschen anscheinend eindruckslos bleiben, weil wahrscheinlich die Nerven nur auf innerhalb 
gewisser Grenzen liegende Schwinguugszahlcn elektrischer Erregungen eingestellt sind uud — nach 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


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Analogie der Licht- und Schallempfindungen — nur auf diese spezifisch reagieren. Thatsächlich 
aber äussern diese Ströme sehr eigenartige und mannigfaltige Wirkungen auf das Nervensystem, 
auf den Blutdruck, die Oxydation und den Stoffwechsel und — nach d'Arsonval und seinen 
Schülern — auch bakterientötende Wirkungen, was ihrer therapeutischen Verwerthung bei chronischen 
Stoffwechelerkrankungen und bei Infektionskrankheiten zur Grundlage dienen soll. 

Eulenburg, der sich seit etwa 1 1/2 Jahren mit dem Studium der hochgespannten Wechsel¬ 
ströme und ihrer therapeutischen Verwerthung beschäftigt, benutzt ein für diesen Zweck von der 
Berliner Firma W. A. Hirschmann hergestelltes Instrumentarium, das er vorfuhrt und in seinen 
einzelnen Theilen näher erläutert. Das Armamentarium besteht im wesentlichen aus einem schrank¬ 
artigen Tableau, dem Apparatenschrank, und dem sogenannten grossen Solenoid von der Form 
eines aufrecht stehenden Käfigs. Als Stromquelle dient ein grosser Ruhmkorff’scher Funken¬ 
induktor, wie er auch für Zwecke der Röntgenuntersuchung gebraucht wird, mit Akkumulator¬ 
batterie, Kondensatoren und selbsttätigem Quecksilberunterbrecher nach Hirschmann. Die vom 
Induktor kommenden Hochspannungsströine gehen durch eine regulierbare Funkenstrecke (dem 
Hcrtz’schen Oscillator nachgebildet), durch ein als Transformator dienendes Solenoid und ver¬ 
schiedene Neben Vorrichtungen hindurch und werden entweder von dem Transformator direkt oder von 
einem neben demselben eingeschalteten zweiten Solenoid auf den Körper übergeleitet, oder endlich 
es werden die ausstrahlenden elektrischen Energiewdlen von den Drahtwindungen des grossen 
Solenoids auf den darin eingcschlossenen Körper durch Induktion, ohne direkte Berührung, überfragen. 

Es kommen hierdurch sehr vielfache Modifikationen der Wirkungsweise und der thera¬ 
peutischen Verwendung zu stände. Abgesehen von den noch zweifelhaften Ergebnissen bei In¬ 
fektionskrankheiten (Tuberkulose) und bei chronischen Stoffweehselanomaliecn ^Gicht, Fettsucht, 
Zuckerkrankheit), wobei die Erfolge von französischen Autoren besonders auf die nachgewiesenc 
oxydationssteigernde Wirkung zurückgeführt werden, scheint diese neue Methode der Verwerthung 
elektrischer Energie zu Heilzwecken u. a. bei gewissen Hautaffektionen, sowie ferner bei einer Reihe 
schmerzhafter Lokalaffektionen des Nervensystems, der Muskeln und Gelenke (Neuralgieen, schmerz¬ 
hafte Muskel- und Gelenkrheumatismen u. s. w.) Vertrauen zu verdienen, worüber Eulenburg auf 
Grund der bisherigen praktischen Erfahrungen Näheres mittheilt Im grossen und ganzen als recht 
günstig erweist sich der Einfluss der Daligemeinen Arsonvalisation« (im grossen Solenoid) bei Zu¬ 
ständen von nervöser Aufgeregtheit und Schlaflosigkeit, hier lässt sich in vielen Fällen eine direkt 
beruhigende, ermüdende, schlafmachende Wirkung wahrnehmen. Der krankhafte Juckreiz und das 
Trockenheitsgefühl der Schleimhäute bei Diabetikern wurden in auffälliger Weise gemildert. Auch 
das mit Palpitationen verbundene nervöse Herzklopfen wurde in der Mehrzahl der Fälle sehr günstig 
beeinflusst. In zahlreichen Fällen wurde eine Steigerung der Wärmebildung und Röthung der Haut, 
auch eine Erhöhung der Sehweissabsonderung in beträchtlichem Grade beobachtet. Wahrscheinlich 
sind die unbestreitbaren therapeutischen Effekte der Arsonvalisation auch auf die in Betracht 
kommende hautreizende Wirkung wesentlich mit zu beziehen. 

Müller de laFueute, llie nervöse Schlaflosigkeit und ihre Behandlung. 

Bei der nervösen Schlaflosigkeit spielt die psychische Behandlung eine nicht zu unter¬ 
schätzende Rolle. Klimatische Kuren gemessen von Alters her einen berechtigten Ruf. Früher 
schickte man die Patieuten in ein Hochgebirgsklima. Die Erfahrung hat aber gelehrt, dass Heilung 
oder Besserung dort ebenso ausbleiben, wie sie in niederem oder mittlerem Höhenklima oder an 
der See eintreten kann. Nicht das Klima an sich ist ausschlaggebend, sondern der Klimawechsel. 
Wünschenswerth ist freilich eine mittlere relative Feuchtigkeit der Luft, sowie eine massige abend¬ 
liche Abkühlung der Temperatur. Auch die Lage des Kurortes spielt eine Rolle; dem Einen ist 
freie Lage, die weiten Ausblick gestattet, ein Bedürfniss, ein Anderer fühlt sich in hügeligem, 
waldreichem Terrain ruhiger und wohler. Auch hinsichtlich der balneotherapeutischen Behandlung 
wird man nicht einem Mineralwasser vor dem anderen den Vorzug geben dürfen; die Mineral¬ 
wässer werden alle günstige und auch weniger günstige Wirkungen haben. Immerhin wird man 
die Kranken in Bäder schicken, an denen infolge des vorherrschenden Krankenmaterials die Aerzte 
ausgedehntere Erfahrungen in der Behandlung Nervenkranker zu sammeln Gelegenheit hatten, also 
in die Stahlbäder und Akrothermen. Dabei verdient unter allen Umständen Berücksichtigung das 
Leben am Kurorte Luxusbäder sind ungeeignet; andrerseits aber soll sich der Kranke der 
Geselligkeit nicht gänzlich fern halten, ein anregender Vorkehr ist sogar wünschenswerth. Sehr 
wichtig ist die Regelung der Diät. Die letzte Mahlzeit soll wenigstens zwei Stunden vor dem 
Schlafengehen eingenommen werden. Das Nachtessen bestehe aus wenigen, leicht verdaulichen 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 183 

Speisen; der Genuss von Kaffee und Theo des Abends ist am besten ganz zu verbieten; dagegen 
mag Alkohol, wenn erforderlich, in mässigen Mengen gestattet sein, am besten eignet sich Pilsener 
oder Kulmbacher Bier. Auch die Verdauung verdient Beachtung, wie überhaupt die ganze Lebens¬ 
weise geregelt werden muss; hier empfiehlt sich reichliche Bewegnng im Freien, am besten in Ver¬ 
bindung mit einem Sport (Radfahren, Tennisspicl etc.). Der Schlaf am Tage ist ganz zu verbieten 
oder auf das äusserste zu beschranken. Die abendliche Lektüre darf weder zu anstrengend, noch 
aufregend sein. Das Schlafzimmer sei kühl; wenn die Konstitution des Patienten und die Jahres¬ 
zeit es gestatten, lasse man bei offenem Fenster schlafen. Das härtere Rosshaarkissen verdient vor 
dem weichen Federkissen den Vorzug. 

Erzielt man mit diesen allgemeinen Vorschriften nicht Heilung oder Besserung, dann müssen 
noch die speziellen Heilmittel herangezogen werden. Hier kommt vor allem die Hydrotherapie in 
Betracht Das einfachste Verfahren ist das Anlegen dos sogenannten Neptungürtels, eines Priess- 
nitz'sehen Umschlages, der vom Prozessus ensiformis bis zur Symphyse reicht. Auch feuchte Ein¬ 
packungen beider Füsse und Unterschenkel bis zum Knie thun häufig gute Dienste. Sonst helfen 
gewöhnlich kurze kalte Uebergiessungen des ganzen Körpers vor dem Schlafengehen oder ein 
kurzes warmes Bad mit nachfolgender kühler Uebcrgicssung u. s. w. Jedenfalls wird es nur wenig 
Falle geben, in denen die eine oder die andere Art hydriatischer Behandlung in Verbindung mit 
den allgemeinen Vorschriften im Stiche Hesse. — Bezüglich der medikamentösen Behandlung warnt 
Redner, mit der Verordnung von Hypnoticis vorzeitig vorzugehen. Als ultimum refugium bleibt 
uns die Suggestion in der Hypnose. (Schluss folgt.) 


H. 

Diätetisches and Physikalisches vom 19.Kongress für innere Medicin zu Berlin. 

Von Privatdozent Dr H. St raus s in Berlin. 

Wer nach rein äusseren Momenten urtheilt, könnte vielleicht vom diesjährigen Kongress sagen, 
dass er mehr der Diagnostik als der Therapie gewidmet war. Denn cs galt nicht nur die schwung¬ 
volle Begrüssungsredc des Präsidenten Senator den Fortschritten der Diagnostik, sondern es hatte 
auch die Ausstellung diesmal ganz im Gegensatz zu früher, wo sic meist mit pharmazeutischen 
Präparaten überschwemmt zu sein pflegte, einen rein diagnostischen Charakter angenommen. Aber 
trotzdem waren die Rechte der Therapie auf dem Kongresse voll und ganz gewahrt, was nicht nur 
in dem Schluss der Senator’schen Rede zum Ausdruck kam, welche die Diagnostik als Grund¬ 
lage der Therapie feierte, sondern auch in den Verhandlungen dos ganzen ersten Tages. Aller¬ 
dings bewegte sich das klare, inhaltsreiche Referat von Gottlieb-Heidelberg »Uober die Hcrz- 
nnd Vasomotorenmittel« und das demselben Thema geltende, an originellen Auffassungen 
reiche und auf streng klinischer Betrachtungsweise aufgobaute zweite Referat von Sahli- Bern, 
ebenso wie die Diskussion auf diesem Gebiet fast durchweg auf pharmakotherapeutischem Boden- 
Das lichtvolle Referat von v. Leyden über die Myelitis trug mehr klinisch-ätiologischen als thera¬ 
peutischen Charakter, und das demselben Gegenstand gewidmete Referat Redlich ; s-Wien war mehr 
pathologisch-anatomisch gehalten. Aber dennoch war die physikalische Therapie, wenn man 
so sagen darf, behördlich auf dem Kongress vertreten; denn es hatte Bi er-Greifswald von dem 
Geschäftskomitee des Kongresses den Auftrag erhalten, über die Anwendung künstlich er¬ 
zeugter Hyperämieen zu Heilzwecken zu sprechen. Bier entledigte sich dieses Auftrages 
in einer ebenso knappen als formvollendeten Weise, indem er ausführto, dass die Stauungshyperämic 
bakterientötende oder bakterienabschwächende Wirkung besitzt, dass sie Bindegewebswucherung 
und Vernarbung anregt, dass sie bei chronischen Gelenkprozessen zur Auflösung der Exsudate bei¬ 
trägt und dass sie schliesslich eine schmerzlindernde Wirkung äussert. Der aktiven Hyperämie 
schrieb Bier eine auflösende, schmerzstillende, resorbierende Wirkung zu, dagegen hielt er die 
Bakterientötung der aktiven Hyperämie noch für zweifelhaft. Bier demonstrierte im Anschluss an 
seinen Vortrag das Verfahren, um dessen Ausbildung er sich so grosse Verdienste erworben hat. 
Sonst wurde die physikalische Therapie auf dem Kongress noch gelegentlich der Herzdebatte ge¬ 
streift Schott-Nauheim berichtete über den Einfluss balneo- und mechanotherapeutischer 
Maassnahmen auf die verschiedenen Herzerkrankungen und ihren Einfluss auf den (mit dem 
Gärtner'schen Tonometer gemessenen) Blutdruck, und Heinz-Erlangen berichtete über Unter¬ 
suchungen, die er über die Tiefenwirkung von Wärme und Kälte anThieren mit thermo-elektri- 
schen Nadeln angestellt hat. Diese ergaben, dass eine Tiefenwirkung äusserlich applizierter Wärmc- 
und Kältereize sich in der That in der Pleura von Kaninchen und Hunden deutlich nachweisen lässt. 


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184 Berichte über Kongresse und Vereine. 

Etwas zahlreicher, wenn auch nicht sehr umfangreich, waren die Mittheilungen, welche vom 
Standpunkte der diätetischen Therapie aus interessieren. Volhard-Giessen berichtete über 
Fettspaltung im menschlichen Magen. Seine Mittheilungen decken sich mit dem Inhalt einer 
früheren in der Münchener medicinischen Wochenschrift und einer soeben in der Zeitschrift für 
klinische Medicin erschienenen Arbeit, so dass bezüglich des Inhalts auf die betreffenden Zeitschriften 
verwiesen werden kann. Strasburger-Bonn sprach über intestinale Gährungsdyspcpsie, 
für deren Erkennung die Sehmidt-Strasburgcr’schc Gährungsprobe der Fäccs eine Bedeutung 
besitzen soll. Da bezüglich Einzelheiten auf eine soeben im deutschen Archiv für klinische Medicin 
erschienene Arbeit des Autors verwiesen werden kann, so soll hier nur gesagt werden, dass die 
Ausführungen von Strasburger und die Diskussion, die sich daran schloss, den praktisch klinisch¬ 
diagnostischen Werth der Gährungsprobe nicht so hoch erscheinen Hessen, als ihn Schmidt und 
Strasburger früher eingeschätzt hatten. Die Anschauungen von Ewald und Rosenbeiin 
über den praktischen Werth der Methode deckten sich ungefähr mit dem, was auch Referent früher 
in den Arbeiten von Basch und Philippson über den Werth der »Gährungsprobe« hatte ausführen 
lassen. Einem in den letzten Jahren besonders eifrig diskutierten Gebiet, nämlich der Frage der 
Kohlehydrat Verdauung bei Hyperaciden galt der Vortrag von J. Mül ler-Würzburg: »Ueber den 
Umfang der Stärkeverdauung im Munde und Magen des Menschen«. Müller führte aus, 
dass die Stärkeverdauung im Munde sowie in den ersten Minuten der Magenverdauung eine recht 
erhebliche sei, so dass die durch eine eventuelle Hyperacidität verursachte Beeinträchtigung der 
Amylolysic meist nicht allzu schwer ins Gewicht falle. Immerhin bestehen gewisse Unterschiede, 
die vom Sekretionsgrad abhängen, wie dies Referent auch schon vor Jahren nacligewiesen hat, 
Ellingcr und Seelig - Königsberg berichteten über den Einfluss von künstlich erzeugten oder 
spontan auftretenden Nierenstörungen bei Hunden, die durch Pankreasexstirpation glyko- 
surisch geworden waren. Die Autoren fanden, dass entsprechend dem Eintritt und der Starke 
der Nephritis eine Abnahme der Glykosurie und eine Steigerung der Hyperglykämie auftritt, und 
rathen deshalb bei ncphritischcn Diabetikern, bei welchen die Zuckerausscheidung gering wird, das 
Diätregime mit Rücksicht auf eine eventuelle starke Hyperglykämie strenger zu gestalten, als cs 
dem Urinbefund entspricht Dieser Standpunkt wurde indessen von Naunyn mit Nachdruck be¬ 
kämpft, indem Naunyn darauf hin wies, dass man gerade bei den ncphritischcn und meist gleich¬ 
zeitig kachektischen Diabetikern mit der Diät nicht zu rigoros vorgehen soll. Der Frage des 
Zuckerstoff Wechsels waren auch die Vorträge von Paul May er-Karlsbad, Bial-Kissingen sowie 
von Wohlgemuth und Neuberg-Berlin gewidmet. Paul Mayer sprach über den Verbrauch 
des Zuckers im Organismus und führte, ähnlich wie jüngst im Verein für innere Medicin zu 
Berlin, aus, dass die Glykuronsäurcausscheidung im Urin als Indikator einer verminderten Zucker¬ 
oxydation unter Umständen eine praktisch - diagnostische Bedeutung gewinnen könne. B i a l 
sprach sich dahin aus, dass die Form der Ernährung, sowie die Darreichung von Kohlehydraten 
keinen Einfluss auf die Pentoscnausscheidung besitze; Wohlgemuth und Neuberg berichteten 
über Untersuchungen, welche zwar vorerst kein praktisches, aber dennoch vom allgemeinen bio¬ 
logischen Standpunkte aus ein hohes, theoretisches Interesse besitzen, denn die Autoren konnten 
die grosse Bedeutung der stercochemischen Konfiguration für vitale Vorgänge im Organismus nach- 
weisen. Sie zeigten, dass die optisch inaktive Arabinose im Körper in die optisch aktiven Kom¬ 
ponenten zerlegt wird und dass die d-Arabinose kein Glykogen bildet. Mehr theoretisches als 
praktisches Interesse besassen gleichfalls die Vorträge von Münzer-Prag: »Zur Lehre von der 
Febris hcpatica intermittens«, nebst Bemerkungen über Harnstoffbildungen, und von Wiener-Prag 
über »Ilarnsäuresynthese«. Zu erwähnen ist noch der Vortrag von Rosenfeld-Breslau, welcher 
in Fortsetzung früherer Untersuchungen über die Fettbildung im Organismus den Nachweis er¬ 
bringen konnte, dass in der Leber ein gewisser Antagonismus zwischen Glykogen und Fett besteht. 
Falls sich die interessanten Forschungen von Rosenfcld in vollem Umfange bestätigen, so ent¬ 
springen aus ihnen nicht nur eine Reihe werthvoller theoretischer Gesichtspunkte, sondern auch 
brauchbare Konsequenzen für die praktische Therapie. Wenn auch die der physikalisch-diätetischen 
Therapie zugehörigen Vorträge diesmal an Menge nicht sehr zahlreich waren, so kann man trotz¬ 
dem sagen, dass auch der 19. Kongress nicht ohne Förderung für dieses Gebiet verlaufen ist. Die 
Ausstellung, um deren Gelingen sich vor allem Prof. Mendelsohn grosse Verdienste erworben 
hatte, konnte entsprechend ihrem rein diagnostischen Charakter der physikalischen und diätetischen 
Therapie nichts Besonderes bieten, dagegen gewählte sie nach allgemein übereinstimmendem Urtheil 
nach diagnostischer Richtung hin vielfache Anregung. 

Berlin, Druck von VV. Büxen>tciu 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1901/1902. BandY. Heft 3. 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t. Leyden und Prof. Dr. A. Goldscheider. 

Verlag von Georg Thleme in Leipzig. 


INHALT. 


Original-Arbeiten. Seite 

1. Ueber Sitophobie intestinalen Ursprungs. Von Dr. Max Einhorn, Professor an der 

New-Yorker Post-Graduate Medical School.187 

II. Untersuchungen und Beobachtungen über den Einfluss der abdominellen Massage auf 
Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls sowie auf die Peristaltik. Aus der III. medi- 
cinischen Klinik der Königlichen Charitß zu Berlin (Direktor Geh.-Rath Professor 
Dr. Senator). Von Dr. Erik Ekgren aus Stockholm.101 

III. Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. Aus der mcdi- 

cinischen Abtheilung des städtischen * Krankenhauses zu Frankfurt a. M. (Direktor 
Professor v. Noorden). Von Dr. H. Salomon, I. Assistenzarzt.205 

IV. Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. Von Dr. M. Siegfried in 

Bad Nauheim. 2. Theil. Mit 11 Abbildungen (Schluss).220 

V. Beschreibung einer auch bei wechselndem Wasserdruck sicher funktionierender Douchc- 

vorrichtung. Von Sanitätsrath Dr. Pelizaeus, Sanatorium Suderode am Harz. Mit 
1 Abbildung.227 

VI. Untersuchungen über Diabetikerbrode. Von Dr. W. Camercr jun. in Stuttgart . . . 229 

VII. Das hydrotherapeutische Institut an der Universität Berlin. Von Dr. Julian Marcuse 

in Mannheim. Mit 3 Abbildungen. 232 


Kritische Umschau. 

Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie in Russland Von Dr. 


A. Dworetzky in Riga.235 

Referate über Bücher und Aufsätze. 

Biedert, Die diätetische Behandlung der Verdauungsstörungen der Kinder.251 

Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie.251 

Kolisch, Lehrbuch der diätetischen Therapie chronischer Krankheiten für Aerzte und 

Studierende.253 

Kisch, Die ärztliche Ueberwachung der Entfettungskuren.254 

Bonifaß, Du coupage du lait chez les enfants du premicr age.254 

Vaquez, Ueber die Ernährung bei Abdominaltyphus.254 

Marcuse, Zur Frage der alkoholfreien Ersatzgetränke.255 

Schaefer, Die Kost des Gesunden und Kranken.25G 

Loebel, Zur Purpurabehandlung mit Trink- und Badekuren.250 

Heftler, Traitement balnße möcanique, ä domicile, des affections chroniques du coeur . . 256 

Zeitschr. f. diät u. physik. Therapie Bd. V. Heft 8. 


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Inhalt. 


186 


Seite 

Snegireff, Einige Worte über Lcbmbäder.257 

Co ff in, Results of hot air treatment in rheumatism and gout.258 

Schroeder, The benefits of balneotherapy in the treatment of chronic rheumatism and gout 258 
Müller, Was verspricht die methodische Anwendung des Lichts für die Dermatotherapie? . 258 
Davidsohn, Zur therapeutischen Verwendung der feuchten Wärme. Temperierbare Kata- 

plasmen.258 

Gebhardt, Die mikrophotographische Aufnahme gefärbter Präparate.259 

Douglass, A study of the application of the galvano-cautery in the nose.260 

Loewy und Cohn, Ueber die Wirkung der Teslastrome auf den Stoffwechsel.260 

Cohn, Therapeutische Versuche mit Wechselströmen hoher Frequenz und Spannung (Tesla¬ 
strömen) .260 

Danegger, Experimentelle Untersuchungen des Lignosulfit mit Rücksicht auf seine Verwend¬ 
barkeit in der Behandlung der Tuberkulose.261 

David, Grundriss der orthopädischen Chirurgie.261 

Stadelmann, Beiträge zur Uebungstherapie.261 

Windscheid, Pathologie und Therapie der Erkrankungen des peripherischen Nervensystems 262 
Rosenbach, Bemerkungen über psychische Therapie mit besonderer Berücksichtigung der 

Herzkrankheiten.262 

Trüper und Ufer, Die Kinderfehler.263 

Düms, Handbuch der Militärkrankheiten. HI. Band: Die Krankheiten der Sinnesorgane und 

des Nervensystems, einschliesslich der Militärpsychosen.263 

Joseph, Die Prophylaxe bei Haut- und Geschlechtskrankheiten.263 


Kleinere Mittheilung-en. 

Ueber eine einfache Methode der therapeutischen Verwendung des elektrischen Lichtes. Von 

Dr. Leop. Laquer in Frankfurt a. M. Mit 1 Abbildung.264 

Berichte über Kongresse und Vereine. 

1. VIII. internationaler Kongress gegen den Alkoholismus zu Wien vom 9.—14. April 1901. 


Von Dr. Julian Marcusc in Mannheim.265 

II. Physikalisches von der Versammlung süddeutscher Laryngologen zu Heidelberg am 

27. Mai 1901. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.269 

III. Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft zu Berlin. 

7.—12. März 1901. Erstattet von — n. (Schluss).271 

Determann, Das Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für Kranke . 271 


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Original - Arbeiten 


I. 

Ueber Sitophobie intestinalen Ursprungs')* 

Von 

Dr. Max Einhorn, 

Professor an der New-Yorker Post-Graduate Medical School. 

Sitophobie = »Furcht vor Nahrung« ist ein Zustand, der lange Zeit hindurch 
anhalten kann und, wenn nicht erfolgreich behandelt, das Leben gefährdet. Es ist 
deswegen ganz natürlich, dass dieser Gegenstand die volle Aufmerksamkeit des 
Arztes erheischt. 

Als ich zuerst den Ausdruck Sitophobie gebrauchte, war ich mir nicht bewusst, 
dass Guislain 2 ) bereits dasselbe Wort angewandt hat, um die Verweigerung von 
Nahrung, welche so oft in Fällen von Melancholie und Geisteskrankheiten angetroffen 
wird, zu bezeichnen. Für diesen Zustand jedoch dürfte das von Sollier 3 ) ein¬ 
geführte Wort »Sitieirgie« = Nahrungsverweigerung zutreffender sein; denn bei 
Geistesstörungen essen die Patienten nicht, nicht weil sie sich vor Nahrung fürchten, 
sondern infolge verschiedener Ursachen: entweder befinden sie sich in einem 
Depressionszustande, wo sie nichts thun wollen und infolgedessen auch nicht essen, 
oder sie haben Selbstmordgedanken oder eventuell Illusionen, dass die Nahrung 
vergiftet sei u. s. w. Es dürfte mir daher gestattet sein, den Ausdruck Sitophobie 
nur für diejenigen Zustände zu reservieren, in welchen eine bestimmte Furcht vor 
der Nahrungsaufnahme infolge eventuell eintretender übler Nachwirkungen besteht. 
Sitophobie in diesem Sinne hat nichts mit Gehirnstörungen zu thun und findet sich 
bei vollkommen geistesgesunden Menschen. 

In meinem Artikel »Die Diät der Dyspeptiker« 4 ) habe ich bereits auf die 
Wichtigkeit der Sitophobie und ihre Behandlung hingewiesen. Während jedoch in 
dem obigen Artikel von der Sitophobie gesprochen wird, welche bei Magenkrank¬ 
heiten, die vornehmlich mit Schmerzen einhergehen, angetroffen wird, habe ich letzt¬ 
hin Gelegenheit gehabt, denselben Zustand bei Personen zu beobachten, welche 
keinerlei Magensymptome hatten, und bei denen die Furcht vor Nahrung infolge 
von Darmstörungen existierte. Ich werde mir erlauben, in dieser Arbeit über Sito¬ 
phobie intestinalen Ursprungs zu sprechen. 

Ein vorzügliches Beispiel der Wichtigkeit dieses Zustandes giebt folgender Fall 
ab, den ich hiermit berichte: 


1) Nach einem in der New-Yorker Academy of Medicine am 16. Mai 1901 gehaltenen Vorträge. 

2 ) Guislain, Eulenburg's Kcalencyklopädic der Medicin 1887. Bd. 12. S. 096. 

:< ) Sollier, Revue de medecine 1891. August. 

9 Max Einhorn, Archiv für Verdauungskrankheiten 1898. Bd. 6. S. *129 

16 * 


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Max Einhorn 


188 


William H., 28 Jahre alt, Buchhalter, ist bis vor 2 l U Jahren immer gesund gewesen. 
Damals fing er an, an Verstopfung zu leiden, die sich allmählich verschlimmerte und zu¬ 
weilen mit Diarrhoe abwechselte. Ab und zu fand sich Schleim im Stuhlgang. Der Appetit 
war gut, jedoch litt Patient zuweilen an Kopfweh und Schlafstörungen. Patient konsultierte 
mich zuerst im März 1900 und bekam damals Magnesia usta und Ferratin sowie Olivenöl¬ 
einläufe. Hierauf ging es ihm eine Zeit lang besser. Er ging aufs Land, wo sich sein 
Zustand jedoch wieder verschlechterte. Als er im August nach der Stadt zurückkam, er¬ 
hielt er Podophyliinpillen, die ihm jedoch keine Erleichterung verschafften. Er ging dann 
zu einem anderen Arzt, der ihm Medicin und Wassereinläufe verschrieb. 

Da er auch hiervon keinen Erfolg hatte, wandte sich Patient wieder den Podophyllin¬ 
pillen und täglichen Klystieren zu und verharrte bei dieser Behandlung von September 1900 
bis März 1901. Oft hatte er in 7—10 Tagen keinen Stuhlgang. Während dieser ganzen 
Zeit nahm Patient viel weniger Nahrung zu sich, als er im stände gewesen wäre zu be¬ 
wältigen, da er sich vor »Darmverschlingungc fürchtete. Er nahm dann stetig an Gewicht 
ab und kam von 138 auf 101 V 2 Pfund herunter. Er wurde ausserordentlich nervös, reiz¬ 
bar und hypochondrisch. Letzthin fühlte er sich so schwach, dass er seinen Beruf auf¬ 
geben musste. Im März 1901 kam Patient wieder zu mir, er sah sehr schlecht aus und 
war kaum im stände zu gehen. Ausgezogen, sah er beinahe wie ein Skelett aus, fast wie 
ein Röntgenbild, da jeder Knochen sichtbar war. 

Bei der Untersuchung ergab sich, ausser dieser extremen Abmagerung, eine ausge¬ 
sprochene Anämie. Die Brustorgane wiesen nichts abnormes auf, während die Bauchhöhle 
beinahe muldenförmig eingesunken erschien und einen »scheinbaren Tumore erkennen liess, 
der oberhalb des Nabels links von der Wirbelsäule gelegen war. Druckempfindlichkeit 
war nirgends vorhanden. Der Urin enthielt weder Zucker noch Eiweiss. Kniereflex war 
vorhanden. 

Die Diagnose wurde auf Abmagerung infolge Inanition ohne organische Erkrankung 
gestellt, und Patient demgemäss behandelt. Er wurde angewiesen 6 mal täglich zu essen; 
abends wurde ihm ein Klystier von 500 ccm warmen Olivenöl und innerlich Magnesia usta 
und Ferratin verschrieben. Er wurde angewiesen gute, einfache Nahrung, viel Frucht, 
Brot und wenigstens V 4 Pfund Butter täglich zu sich zu nehmen. Sein Zustand besserte 
sich sofort; er hatte täglich Stuhlgang, und wiegt jetzt, kaum einen Monat später, I 28 V 2 Pfund, 
was eine Zunahme von beinahe ein Pfund pro Tag bedeutet. Patient erfreut sich jetzt 
blühender Gesundheit, hat rothe Backen, fühlt sich kräftig und kann ohne Anstrengung 
lange Spaziergänge unternehmen. 

Einen anderen Fall, ziemlich analog dem eben beschriebenen, möchte ich gleich¬ 
falls erwähnen: 

Joseph W., 23 Jahre alt, Schneider, leidet seit zwei Jahren an||Verdauungsbesckwerden 
(Vollsein nach dem Essen) und Verstopfung. Vor etwa sechs Monaten konsultierte er mich 
und klagte hauptsächlich über starke Verstopfung. Das ordinierte Medikament (Tinct. rhei.) 
schien den Zustand nicht viel beeinflusst zu haben. Der Appetit war nicht besonders gut, 
und die Verstopfung wurde immer hartnäckiger. Patient hatte Angst viel zu essen, da er 
glaubte, je mehr er ässe, desto mehr würde er verstopft sein, und desto eher würde er 
ein Abführmittel brauchen müssen. Er ass damals alles, jedoch in sehr kleinen Quantitäten; 
auch war er gezwungen, schon morgens früh nüchtern, und auch sonst noch 2 —3mal 
täglich, ein Glas Schnaps zu sich zu nehmen, um arbeitsfähig zu sein. Er kam immer 
mehr herunter und hat in letzter Zeit 16 Pfund abgenommen. Er wiegt jetzt 110 Pfund. 

Die Untersuchung ergiebt: Patient sieht mager und blass aus. An den Brustorganen 
sowie am Abdomen lässt sich nichts abnormes konstatieren. Zunge ist nicht belegt. Urin 
enthält kein Eiweiss und kein Zucker. Kniereflexe sind vorhanden. — Die Diagnose auf 
habituelle Konstipation mit Sitophobie wurde gestellt, und der Patient dementsprechend 
behandelt. 

In den zwei eben skizzierten Fällen entwickelte sich die Sitophobie als Folge 
hartnäckiger Verstopfung. Die Patienten fürchteten sich den Darmtrakt mit viel 
Nahrung zu behelligen, da derselbe scheinbar nicht einmal mit geringen Mengen der 
feinsten Nahrungssubstanzen fertig werden konnte. Ich habe jedoch Fälle beobachtet, 


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Ueber Sitophobic intestinalen Ursprungs. 189 

in denen chronische Diarrhoe zur Entstehung der Sitophobie Anlass gab. Von den 
vielen Fällen dieser Art, die ich gesehen habe, will ich nur einen berichten: 

Frau N. 0., ungefähr 33 Jahre alt, klagt seit den letzten 4 — 5 Jahren über viel 
Tympanie und Diarrhoe. Sie hat täglich 4—6 Ausleerungen und eine oder zwei in der 
Nacht (um 3—6 Uhr morgens). Der Stuhlgang ist entweder wässerig oder breiig und ent¬ 
hält stets bedeutende Mengen von Schleim. Vor dem Stuhlgang findet immer viel Kollern 
in den Därmen mit Abgang von Winden und geringen kolikartigen Schmerzen statt. Ihr 
Appetit ist gut, und sie empfindet nach den Mahlzeiten keine Beschwerden. Patientin ist 
jedoch in ihrer Diät sehr vorsichtig, lebt hauptsächlich von Bouillon, geschabtem Fleisch 
und Toast, in kleinen Quantitäten genommen. Sie fürchtet ihren Zustand zu verschlimmern, 
wenn sie mehr geniessen sollte. Patientin hat stetig abgenommen, im ganzen 40 Pfund 
während der letzten zwei Jahre. Sie fühlt sich schwach, klagt über Schwindel, Trockenheit 
im Mund, Schlaflosigkeit, und ist nicht im stände, ihren häuslichen Pflichten nachzukommen. 

Die physikalische Untersuchung ergiebt das Vorhandensein von Enteroptose. Der 
Mageninhalt weist nichts abnormes auf. Die Fäces enthalten Schleim und eine ziemliche 
Menge unverdauter Nahrungsreste. 

Die Diagnose wurde auf Enteroptose und chronische Enteritis gestellt. Patientin 
wurde auf eine liberale Diät gesetzt; es wurde ihr erlaubt alles zu essen mit Ausnahme 
von Salaten, Früchten und groben Gemüsen. Zwischen den Mahlzeiten sollte sie Brot und 
Butter und Kumyss geniessen. Ausser dieser Diät erhielt sie Tannigen (0,6 t. i. d.). 
Unter dieser Behandlung besserte sich der Zustand der Patientin stetig; sie nahm an 
Gewicht zu, und ihr Darmleiden besserte sich bedeutend, obgleich es nicht ganz verschwand. 


Bemerkungen. 

In den eben skizzierten Beobachtungen war die Sitophobie ausgesprochen und 
hatte ihren Ursprung in dem Glauben, dass die Darmstörungen sich durch die Auf¬ 
nahme erheblicher Nahrungsmengen verschlimmern möchten. Fälle der Art sind 
gar nicht selten. Sitophobie massigen Grades kann man fast tagtäglich in den ver¬ 
schiedensten Darmerkrankungen beobachten. 

Nachdem wir die Thatsache hervorgehoben haben, dass Sitophobie in Darm¬ 
affektionen angetroffen wird, erscheint es zweckmässig, die Gefahren dieses Zustandes 
und zugleich seine Behandlung zu erörtern. 

Während Zustände, die mit Diarrhoe einhergehen, durch Fernhalten von Nah¬ 
rung sich für eine kurze Zeit bessern mögen, verhält sich die Sache ganz anders in 
den Fällen von der so häufig vorkommenden habituellen Verstopfung. Letztere wird 
um so schlimmer, je weniger Nahrung eingenommen wird. Wird die Verstopfung 
hochgradiger, so fürchtet sich Patient noch mehr, sogar die kleinen Mengen von 
Nahrung zu geniessen, welche er bisher noch zu bewältigen pflegte. Auf diese Weise 
bildet sich ein Circulus vitiosus aus: Verstopfung, Sitophobie verursachend, welch 
letztere wieder ersteren Zustand verschlimmert. 

Aber selbst in Fällen von Diarrhoe — wo die Sitophobie die Ursache von 
dem Genuss ungenügender Nahrungsmengen ist — tritt, nach einiger Zeit schein¬ 
barer Besserung, ein Rückfall ein. Die mangelnde Ernährung unterminiert schliess¬ 
lich die Konstitution des Patienten; die natürlichen Hülfsmittel, welche im Organismus 
für die Bekämpfung von Krankheiten zur Verfügung stehen, werden geschwächt und 
viele nervöse Symptome treten in den Vordergrund. So kommt es, dass die Diarrhoe 
bald wieder so schlimm ist, wie sie je war. 

Sitophobie, gleichviel wodurch bedingt, muss, wenn sich selbst überlassen, das 
Leben gefährden. Eine Person, welche stetig eine ungenügende Nahrungsmenge zu 


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190 Max Einhorn, lieber Sitophobio intestinalen Ursprungs. 

sich nimmt, geht langsam, aber sicher —, falls keine Aenderung in der Lebensweise 
stattfindet — dem Hungertode entgegen. 

Es erscheint kaum nöthig, auf die Symptome näher einzugehen, welche im Zu¬ 
stande der Unterernährung auftreten. Ihre Zahl ist eine Schaar: allgemeine Anämie 
und speziell Anämie des Gehirns, Schwindelgefühl, Trockenheit im Munde, grosse 
Ermüdung, Schlaflosigkeit u. s.w. Gelegentlich habe ich Albuminurie angetroffen, 
welch letztere schnell auf Hebung der Ernährung verschwand. 

Ein anderer wichtiger Punkt bei der Sitophobie ist, dass der Patient zuweilen 
die Gewohnheit erwirbt, ^ehr geringe Quantitäten von Nahrung zu sich zu nehmen. 
Der Zustand, welcher ursprünglich die Sitophobie hervorgerufen hatte, mag bereits 
beseitigt worden sein, wonach die Sitophobie als solche gar nicht mehr existiert, 
die Angewohnheit jedoch, sehr wenig zu essen, bleibt bestehen. Letztere vermag 
dieselben Gefahren für das Leben zu bringen, wie die ursprüngliche Sitophobie. 

Behandlung. 

Patient muss veranlasst werden, ausreichende Mengen von Nahrung zu sich zu 
nehmen, gleichviel, welche Ursache der Sitophobie zu Grunde liegt, und gleichviel 
wie dies bewerkstelligt wird. Zuweilen genügt einfaches Zureden. In schweren 
Fällen von Unterernährung ist es manchmal nicht möglich, eine ausreichende Er¬ 
nährung auf einmal zu instruieren; dann muss dies langsam veranstaltet werden, 
indem man Patienten schrittweise an grössere Nahrungsmengen gewöhnt. In 
manchen Fällen wird man sich bei der Ausführung dieses Behandlungsplans ver¬ 
schiedener Medikamente bedienen, so der Brompräparate bei Gegenwart schwerer 
nervöser Symptome, oder des Kodeins bei Zuständen, die mit viel Schmerzen ein¬ 
hergehen. 

Eine genügende Ernährung bildet das Fundament, auf welches das Gebäude 
der Gesundheit errichtet werden muss. Fehlt das Fundament, so wird das Gebäude 
— gleichviel was für eine Behandlung eingeschlagen wird — früher oder später Zu¬ 
sammenstürzen. Ist dagegen eine sichere Grundlage durch eine genügende Er¬ 
nährung einmal vorhanden, so ist es oft leicht, auf derselben weiterbauend, voll¬ 
kommene Genesung zu bewerkstelligen. Denn die üblichen therapeutischen Maass¬ 
nahmen werden dann in der Beseitigung des Krankheitsprozesses von Erfolg ge¬ 
krönt sein. 


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Erik Ekgren, Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck Herztliätigkeit u. Puls. 1 Dl 


II. 

Untersuchungen und Beobachtungen über den Einfluss 
der abdominellen Massage auf Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls 

sowie auf die Peristaltik. 

Aus der III. medicinischen Klinik der Königlichen Charit6 zu Berlin. 

(Direktor: Gch.-Rath Prof. Dr. Senator.) 

Von 

Dr. Erik Ekgren 

aus Stockholm. 

Die Massage wird gerade in der letzten Zeit in Deutschland mehr gewürdigt 
als früher, und die Aerzte halten sie nicht mehr für eine minderwerthige Be¬ 
schäftigung, sondern haben ihre praktische Ausübung schon theilweise persönlich 
übernommen. Für das höhere Ansehen, das sie jetzt geniesst, ist gewiss auch von 
Bedeutung, dass die Wirkung der Massage jetzt mehr physiologisch untersucht und 
begründet wird. Die Empirie mag noch so berechtigt, ja für die praktische Medicin 
nothwendig sein, die gründlich prüfende wissenschaftliche Untersuchung der auf dem 
empirischen Wege gewonnenen Resultate ist aber absolut nothwendig. Speziell dürfte 
es von grosser Wichtigkeit sein ein therapeutisches Mittel wie die Massage, das 
einerseits von seinen Anhängern mit Begeisterung und Ueberschätzung gelobt, anderer¬ 
seits aber von den Gegnern mit Zweifel und Achselzucken betrachtet wird, streng 
wissenschaftlich zu untersuchen, damit man die Gesetze der in diesem Falle in 
Funktion tretenden Naturkräfte kennen lernt, und erfährt, was und wie viel man 
von der Massage halten soll; ferner auch, damit man die Indikationen und Kontra¬ 
indikationen der Massage genau kennen lernt. 

Von den verschiedenen Zweigen der heilgymnastischen manuellen Behandlung 
wird der abdominellen Massage mit Recht ein besonderes Interesse zugewandt. 
Autoritäten auf dem Gebiete der Massage, wie Mezger, Kellgren, Thure-Brandt, 
Reibmayr, Bum, Hartelius, Wideu. s. w., applizieren die abdominelle Massage 
bei den verschiedensten Affektionen, einmal, um, z. B. bei chronischer Obstipation, 
eine lokale Wirkung auszuüben, sodann aber auch, um, z. B. bei Vitium cordis, 
Angina pectoris etc., wie Stapfer sagt, »decongestionant« zu wirken; schliess¬ 
lich auch, weil wir empirisch wissen, dass — wie z. B. die gynäkologische Massage 
es bewiesen hat — bei der abdominellen Massage noch dunkle, bisher nicht wissen¬ 
schaftlich genügend erklärte Vorgänge mit in Betracht kommen. Der sogenannte 
Klopfversuch von Golz ist uns schon aus der Physiologie bekannt. Von diesem 
Versuche ausgehend haben Stapfer und Romano eine Reihe von Experimenten an¬ 
gestellt und ihre Erfahrungen in dem Werke »Traite de kinesitherapie gynecologique. 
4. Theil. Paris 1897« niedergelegt. Es sind das Untersuchungen über: 


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102 


Erik Ektfren 

1. den »dynamogenetischen Reflex«; 

2. »les 6tats syncopaux«; und endlich 

3. eine »Critique des m6moires de Goltz sur les effets du tapotement 
abdominal«. 

In einer kleinen Arbeit: »Zur manuellen Therapie in der Gynäkologie« habe 
ich mir schon zu erwähnen erlaubt, dass der Hauptschluss, den man ausStapfer’s 
Publikation ziehen kann, der zu sein scheint, dass bei heftigem mechanischen 
Reiz des Abdomens eine direkte Wirkung auf die lokalen Gefässe und eine 
Reflexwirkung auf das Herz entsteht, die aber bei sanfter Massage ausfällt; 
ferner dass der Grad der Reizbarkeit sowohl bei Menschen wie bei Thieren 
individuellen Schwankungen unterworfen ist. Die Versuche von Stapfer und 
Romano sind jedenfalls hochinteressant, denn sie beweisen direkt und indirekt, dass 
die abdominelle Massage einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Herz¬ 
aktion und, was man schon empirisch wusste, auf die Gesammtzirkulation aus¬ 
übt. Dass durch die abdominelle Massage, theils rein mechanisch, theils auf reflek¬ 
torischem Wege durch den Vagus, eine abdominelle'Blutüberfüllung entstehen kann, 
und dass die lokale Hyperämie eine artefizielle mehr oder weniger komplette Ent¬ 
lastung der peripherischen Gefässe, der zentralen Organe — namentlich des Herzens — 
und somit auch eine Veränderung in dem Gefässtonus hervorzurufen im stände ist, 
das haben u. a. schon Goltz, Bum und Reibmayr, sowie in jüngster Zeit auch 
Gau ton und Dolega beobachtet und zum Theil wissenschaftlich bewiesen. 

Von speziellem Interesse ist die Einwirkung der Massage auf den Gefäss¬ 
tonus. Dass Muskelarbeit eo ipso einen Einfluss auf den Gefässtonus hat, wissen 
wir schon längst, doch gehen die Anschauungen über die spezielle Art dieses Ein¬ 
flusses etwas auseinander. Während Traube und Oertel ausnahmslos eine Blut¬ 
drucksteigerung konstatierten, haben Experimente von Sommerbrodt und Zander 
im Gegentheil eine Herabsetzung des Gefässtonus nach Muskelarbeit ergeben, des¬ 
gleichen auch Untersuchungen von Hasebroek. A. Wide hebt die Herabsetzung 
der Pulszahl durch einzelne gymnastische und Massagebewegungen hervor, und speziell 
hat Astiey Levin durch 10jährige Beobachtungen konstatiert, dass die abdominelle 
Massage auf eine überreizte Herzthätigkeit verlangsamend wirken kann. Studien, 
die Colombo in jüngster Zeit (Roma 1890) gemacht hat, sind sehr lehrreich und 
weisen darauf hin, dass der Zustand des Tonus der Gefässe der Unterleibsorgane 
die Hauptrolle spielt in den Blutdrucksverhältnissen des ganzen Gefässsystems und 
dass gegen die dadurch bedingten Schwankungen, die Schwankungen, welche durch 
Aenderungen im Tonus der Extremitätengefässe bedingt sind, verschwinden. Nach 
der Ansicht Colombo’s ist der Tonus im Gesammtgefässsystem stets bedingt durch 
den Fiillungszustand, d. h. durch die Enge oder Weite der Unterleibsgefüsse. 

Am Menschen wurden Blutdruckmessungen zuerst von Vierordt (1855) aus¬ 
geführt. Zu erwähnen sind hier die Methoden von Marey, Hürthle, v. Basch, 
Riva-Rocci u. a. Marey hat den Druck in den Gefässen des Vorderarmes auf 
88 mm Hg festgestellt und Hürthle auf 100 mm Hg. 

Bei seinen Experimenten hat sich Colombo der verbesserten Apparate von 
Mosso und von v. Basch bedient. Er bestimmte den wechselnden Anstieg und 
das Sinken des Tonus während 24 Stunden bei einem 25 Jahre alten Individuum, 
bei welchem der Einfluss der Nahrungsaufnahme vollständig ausgeschaltet war. 
Seine Beobachtungen ergeben als Maximaltonus 100 mm — um Val2 Uhr vor- 


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Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, Ilcrzthätigkeit und Puls. 133 

mittags — und als Minimum 65 mm — von 11—12 Uhr nachts. Sonst waren ganz 
unmotivierte Schwankungen zu beobachten. Die Pulsfrequenz ging den Tonus- 
werthen nicht parallel, sondern gleichzeitig mit dem Maximaltonus von 100 finden 
wir eine Pulsfrequenz von nur 45, und gleichzeitig mit dem Minimaltonus eine Puls¬ 
frequenz von 80 resp. 77. 

Ob diese Experimente von Colombo als beim hungernden Individuum an¬ 
gestellt — also unter physiologisch ganz anormalen Verhältnissen — maassgebend 
sind, möchte ich dahingestellt lassen. Interessant sind sie jedenfalls. 

Die Untersuchungen, die im letzten halben Jahr in der Geh.-Rath Senator- 
schen Klinik auf Anregung des Herrn Oberarztes Dr. Strauss von mir vorgenommen 
worden sind, haben sich zunächst auf den Einfluss der abdominellen Massage 
auf Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls sowie auf die Peristaltik bezogen. 
Hier sei sofort nachdrücklich betont, dass die Massage des Abdomens nur von einem 
mit der Massage vertrauten Arzt ausgeführt werden sollte. Um das zu verstehen, 
brauchen wir nur an die Kontraindikationen der Bauchmassage zu denken, wie 
z. B. an tuberkulöse oder typhöse Ulcerationen, peritonitische Adhäsionen, akute 
Perityphlitis und Gastroenteritis, Ulcus ventriculi (Hämatemesis!), Phthisis pulmonum 
(Hämoptoe!), maligne Tumoren etc. Grosse Vorsicht empfiehlt Strauss auch bei 
der Gastroptose. Nur der Arzt kann diese Kontraindikationen richtig würdigen und 
— was besonders wichtig ist — oft erst im Verlauf der Behandlung diese Kontra¬ 
indikationen entdecken. 

In fast allen Fällen wurde nach der schwedischen, von Thure Brandt scn. 
näher präzisierten, Methode und zwar von mir selbst nur manuell massiert. Auch 
die Vibrationen wurden mit der Hand ausgeführt. Die vorgenommenen Manipulationen 
waren folgende. Ich will sie deshalb ausführlich schildern, weil ich meine Befunde 
zunächst nur in Bezug auf die von mir befolgte Methodik vertreten möchte. 

Der Patient 1 ) liegt in Rückenlage, die unteren Extremitäten im Kniegelenk ziemlich 
stark flektiert und etwas nach aussen rotiert, auf einem festen Massagesofa. Die Stellung 
wird als »krummhalbliegend < bezeichnet, d. h. Kopf und Thorax ruhen etwas höher als 
das Abdomen, wodurch bei flektierten Extremitäten eine krumme Linie entsteht, und die 
Bauchdecken erschlaffen. Die das Abdomen bedeckenden Kleider sind so viel wie nöthig 
zurückgeschoben. Der Patient wird vorher aufgefordert Urin zu lassen, damit die Blase 
entleert ist. Der Arzt sitzt an der linken Seite des Patienten, die Oberschenkel gespreizt, 
damit er möglichst nahe an den Patienten herankommt. Zu demselben Zweck lässt man 
auch den Patienten sich auf dem Sofa möglichst nahe am Arzt hinlegen. Es wird mit der 
Colonmassage angefangen und zwar in der Fossa iliaca sinistra, worauf man besonders 
aufmerksam machen muss! Links haben wir nämlich die Flexura sigmoidea coli, die dein 
Rectum am nächsten liegt, die immer von dem Darminhalt passiert werden muss und sich 
auch häuüg auf dem Os ileum als mit Scybala gefüllt palpieren lässt — also an der Flexura 
muss erst Platz geschaffen werden. Die im Carpalgelenk extendierten Hände werden in 
Pronationsstellung aufeinander gelegt, die Finger, unter kleinen Zirkelbewegungen die Bauch¬ 
decken zurückschiebend, in die Fossa iliaca vorsichtig gesenkt, ‘und es wird eine zuerst 
nach unten medial gerichtete Effleurage appliziert. Die Hände schreiten, von den Bauch¬ 
decken aber nicht weggenommen, an das Colon descendens etwas höher hinauf, und unter 
feinen Zirkelbewegungen, aber beim Abwärtsgehen mit etwas mehr Kraft, wird wieder zur 
Flexura sigmoidea zurückgekehrt. Man schreitet, das Colon descendens und transversum 
in der Weise durchknetend, immer höher hinauf, kehrt aber stets zur Flexura wieder zurück. 
Zuletzt werden das Colon ascendens und das Coecnm massiert, wobei dann natürlich die 


') Meine Untersuchungen sind nur an Männern angestellt. 


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194 Erik Ekgrcn 


Hauptwirkung auf die Richtung von unten bis oben gelegt wird. Endlich macht man, von 
der Coecalgegend ausgehend, das ganze Colon entlang eine oder zwei ununterbrochene 
Streichungen. 

Der Patient wird nun aufgefordert die Kniee zu senken, liegt also mit extendierten 
unteren Extremitäten. (Die oberen Extremitäten bleiben während der ganzen Prozedur 
an den resp. Körperseiten, der Medianlinie parallel, ruhend, damit nicht, durch etwaige 
andere Lagerung derselben, die Bauchdecken gespannt werden.) Der Arzt behält seine 
Stellung. Die pronierten, im Carpalgelenk extendierten Hände ruhen in der Höhe des Um- 
bilicus, zwischen der Spina ant. sup. sinistra und dem Rippenbogen, aufeinander, die rechte 
unten (oder, wenn die Distanz zwischen Rippenbogen und Spina gross genug ist, neben¬ 
einander). Jetzt erfolgt eine Querleibmassage (»Walkung«) (oder ein Durchschneiden 
des Abdomens), durch welche man speziell auf das Jejunum-Ileum einwirken will. Man 
schiebt mit der Vola manus und dem Carpus das Darmpacket vorsichtig und langsam nach 
rechts herüber, macht mit den Händen eine wiegenartige Bewegung, so dass im Carpus 
eine Flexion entsteht, und bringt dann mit den etwas hyperextendierten Fingern und den 
Metacarpo - Phalangealgelenken die Dünndarmmasse wieder nach links zurück. Dieselbe 
Manipulation wird etwa 6 — 8 mal wiederholt, in langsamen Tempo, federnd zart, aber 
doch präzis. 

Es erfolgen nun drei oder vier ziemlich kräftige, tief in das Abdomen dringende 
Vibrationen, die mit den die Umbilicalgegend flach aufgelegten, grade gehaltenen Händen 
ausgeführt, gegen die Wirbelsäule, also senkrecht gegen das Abdomen, appliziert werden. 
Sie sollen speziell kalmierend und reflektorisch auf das Herz wirken. Bei Obstipatio 
chronica oder acuta fügt man sogenannte >Plexus-solaris-Vibrationen« hinzu. Der 
Arzt stellt sich an die Seite des Patienten hin, das Gesicht und die Ventralseite des Kör¬ 
pers gegen den Patienten wendend, schiebt sein linkes Knie zwischen die flektierten, hoch¬ 
gezogenen Schenkel des Patienten herein, bleibt aber mit dem rechten Fusse auf dem Boden 
ruhend. Jetzt neigt er sich etwas über den Patienten, senkt die mit den Volarflächen 
nebeneinander gehaltenen, leicht flektierten Hände, die Finger nach unten, in das Epigas- 
trium, etwa in die Mitte zwischen Proc. xiphoides und Nabel, herein und macht in die 
Tiefe, gegen die Wirbelsäule zu, aber in bogenförmiger Richtung nach oben, drei von kleinen 
Pausen unterbrochene, je etwa fünf Sekunden dauernde, leichte Vibrationen. Digiti III 
und IV sollen etwas flektiert sein, damit die Fingerkuppen in einer Ebene liegen und einen 
möglichst gleichmässigen Druck ausüben. Wenn die Digiti II—V etwas stärker flektiert werden, 
sind die Vibrationen auch bei Patienten mit leicht auslösbaren Reflexen applizierbar. 

In zwei Fällen, wo ein ziemlich starker Panniculus vorhanden war, und keine Kontra¬ 
indikationen Vorlagen, sind auch nach Schweninger kräftigere, schüttelnde Bewegungen 
mit den flach aufgelegten, extendierten Händen von lateral nach der Medianlinie zu versucht 
worden, ebenso Tapotement ä l’air comprim6, um eine Correflexwirkung hervorzurufen. 
Ich kann indessen nicht sagen, dass diese Manipulationen einen stärkeren Ausschlag, weder 
was die Pulsfrequenz noch was den Tonus anlangt, gegeben haben. 

Die Blutdruckmessungen wurden sämmtlich mit dem von Professor Gärtner in 
Wien konstruierten Tonometer ausgeführt. Der Apparat ist einfach und funktioniert, 
wenn man auf denselben etwas eingetibt ist, befriedigend. Die Messungen sind fast aus¬ 
schliesslich am Zeigefinger der linken Hand, der in Herzhöhe gehalten wurde, vorgenommen. 

Die Untersuchungen wurden stets vormittags in der Zeit von V 2 H zu 12 Va Uhr 
und unter allen Kautelen vorgenommen. Oftmals wurde der Befund durch mehrere Mes¬ 
sungen hintereinander kontrolliert. Ferner habe ich mich stets bemüht, die Patienten erst 
dann zu untersuchen, als sie sich völlig ruhig verhielten und sich keinerlei Anstrengungen 
körperlicher oder psychischer Art ausgesetzt hatten, welche die Pulsfrequenz oder den Blut¬ 
druck eventuell hätten in die Höhe bringen können. Beim Tonometrieren befanden sich 
die Patienten in sitzender Stellung vor dem Untersucher. Nachdem Puls- und Tonusbefund 
notiert waren, haben sie sich auf das Massagesofa hingelegt. Jede Behandlung hat 10 bis 
12 Minuten gedauert, und nach derselben wurden die Patienten veranlasst die sitzende Stel¬ 
lung möglichst ruhig wieder einzunehmen. Dann wurden Puls und Tonus wieder kontrol¬ 
liert. Das Herz wurde beim Liegen des Patienten vor und nach der Behandlung aus¬ 
kultiert. 


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195 


Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls. 


Ehe wir zu einer kurzen Besprechung der einzelnen Fälle übergehen, wollen 
wir bemerken, dass dadurch, dass die Kontraindikationen der abdominellen Massage 
so viele sind, die in einem halben Jahr gesammelten Fälle numerisch nicht so 
zahlreich geworden sind, wie man es hätte wünschen können. Die beobachteten 
Fälle sind aber Wochen und Monate hindurch untersucht worden. Was speziell 
die Tonometerbestimmungen anlangt, so haben wir gleichzeitig andre vergleichende 
Untersuchungen an über 150 Kranken und Gesunden mit ca. 800—900 verschiedenen 
Messungen angestellt, so dass wir nicht nur genügende Sicherheit in der Methodik 
erlangten, sondern auch durch das gewonnene Vergleichsmaterial in der Lago waren, 
das nöthige Maass von Kritik an unsere Befunde anzulegen. 

Herrn Geheimrath Senator und Herrn Oberarzt Strauss, meinen hochverehrten 
Lehrern, bin ich für ihr gütiges Interesse und für die Ueberlassung des reichhaltigen 
Materials zu bestem Dank verpflichtet! 


Fall I. N., 55 Jahre alt, Töpfer. Diagnose: Pylorusstenose, Atonia vcntriculi. 
Obstipatio chronica (in 14 Tagen 3 Stöhle). Appetitlosigkeit, Erbrechen, Schlaflosig¬ 
keit. Schmerzgefühl im Epigastrium und in der linken Mammillarlinie in Nabelhöhe. 

Abdominelle Massage (Colon- und Querleibmassage, Vibrationen) vom 29. Oktober 
bis 17. November. Stuhl am dritten Tage, so jeden zweiten Tag, endlich täglich. 
Speziell leichte Effleurage der Scbmerzstellen. Patient gab an, er hätte das Gefühl, als ob 
die Stellen direkt während der Massage heilten. 


Blutdruck 

direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 80 mm): 

2 mal unbeeinflusst, 

9 » gefallen 

(6 mal um 10 mm Hg.) 
(3 > » 5 j> > ) 

1 > gestiegen (mit 6 mm). 


Pulsfrequenz 
direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 72): 

8 mal unbeeinflusst, 

7 :> verlangsamt 

(um 4—12 Schläge) 

1 » beschleunigt 

(um 16 Schläge) 

2 :> nicht kontrolliert. 


Patient wird am 17. November gebessert entlassen. Stuhl fast täglich, manch¬ 
mal 2 mal. Appetit und Schlaf gut. Kein Erbrechen, keine nennenswerthen Schmerzen. 
Motilität des Magens etwas gebessert. Gewichtszunahme in 14 Tagen 3 Pfund. 


Fall II. J., 34 Jahre alt, Schmied. Diagnose: Neurosis traumatica. 

Cor normal, Kopfschmerzen (»dumpfes Gefühl«), Gedächtnissschwäche. Sprache verlangsamt, 
aber gut. Vegetative Funktionen normal. 

Abdominelle Massage (Colon- und Querlcibmassage, ziemlich kräftige Vibrationen, 
auch Massage nach Schweninger) vom 14.—29. November. 


Blutdruck 

direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 105 mm): 
l mal unbeeinflusst, 

1 » gestiegen 

(um 5 mm Hg.) 

9 ;> gefallen 

(1 mal um 30 mm Hg.) 

(1 » » 25 » ) 

(2 » » 20 » » i 

(2 » 2> 15 » » ) 

(2 > »10 * * ) 
(1 > » 5 » » ) 


Pulsfrequ enz 
direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 96): 

2 mal unbeeinflusst, 

11 » verlangsamt 

(1 mal um 32 Schläge) 

(2 » » 24 » ) 

(2 » » 20 » ) 

(4 » » 12 I ) 

(2 > > 4 » ) 


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106 Erik Ekgren 


Patient wird am 10. Dezember gebessert entlasset!. Allgemeinbefinden gut. Stuhl 
1—2 mal täglich. Kopfschmerzen bestehen noch. 

Fall III. B., 30 Jahre alt, Drechsler. Diagnose: Dilatatio cordis traumatica. 
Am 12. Mai 1900 Trauma gegen die Hcrzgegeüd; später allmählich auftretende Athemnoth, 
Herzklopfen, Husten und Mattigkeit. Aufgenommen am 21. Juli 1900. Corbefund: Spitzen- 
stoss zwei Fingerbreit ausserhalb der Mammillarlinie im V. I. R., hebend. Grenzen: Oben 
III R., rechts rechter Sternalrand. Töne rein. Puls klein, weich, oft unregelmässig. 

Die Herzdämpfung ist sehr variabel, in der Ruhe kleiner als nach Anstrengung, wie 
Treppensteigen etc. Zeitweise besteht Hepar auctum. 

Abdominelle Massage (Colon- und Querleibmassage, Vibrationen) vom 27. Oktober 
bis 8. Dezember. 


Blutdruck 

direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 75 mm): 

7 mal unbeeinflusst, 

12 » gefallen 

(1 mal um 20 mm Ilg.) 
(1 » » 15 » » ) 

(5 » > 10 » » ) 

(5 » » 5 » » ) 

9 > gestiegen 

(1 mal um 20 mm Hg.) 
(2 » » 15 » » ) 

(3 » » 10 » » ) 

(3 » » 5 » » ) 


Pulsfrequenz 
direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 100): 

18 mal unbeeinflusst, 

8 » verlangsamt 

(1 mal um 20 Schläge) 

(2 » »12 > ) 

(3 » » 8 > ) 

(2 » » 4 » ) 

9 » beschleunigt 

(1 mal um 20 Schläge) 

(2 » »12 » ) 

(6 » » 4 » ) 


Cormassage und leichte periphere passive Bewegungen werden zeitweise nach der 
abdominellen Massage separat gegeben. Patient fühlt sich nach jeder Behandlung sub¬ 
jektiv erleichtert. Objektiv keine wesentliche Besserung, nur ist der Puls voller 
und regelmässiger und der Tonus, der anfangs 50 — 60 betrug, ist zu etwa 80 
gestiegen. 


Fall IV. K., 21. Jahre alt, Musiker. Diagnose: Stenosis valvulae mitralis. 
Vor 2 V 2 Jahren plötzlich Athemnoth. Aerztliche Behandlung. Nach zwei Monaten Abschied 
vom Militär wegen Athembeschwerden. Im März 1900 Haemoptoc (?) nach Solovortrag. 
Potus mässig. Infectio negatur. Jetzige Klagen: Beim Gehen Athemnoth und heftige 
Brustschmerzen links. Kein Fieber. Stuhl regelmässig. Corbefund: Grenzen normal. 
Spitzenstoss hebend. Töne rein. II. Pulmonalton klappend. Im III. Intercost. Raum ab¬ 
norme Pulsation bei Inspektion und Palpation bemerkbar. Delirium cordis, Pulsus irregularis. 
Abdominelle Massage (subtilste Behandlung) vom 5. November bis 5. Dezember 

8 mal. 


Blutdruck 

direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 80 mm): 

1 mal unbeeinflusst, 

3 » gefallen 

(2 mal um 20 mm Hg.) 
(1 » » 15 » » ) 


Pulsfrequenz 
direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 100): 

3 mal unbeeinflusst, 

1 » verlangsamt 

(um 20 Schläge) 


Nach der abdominellen Massage lokale Cormassage separat. Die Herzaktion nach 
jeder Behandlung objektiv und subjektiv ruhiger, regelmässiger. 

Fall V. R., 30 Jahre alt, Arbeiter. Diagnose: Cerebellare Ataxie. Früher zwei¬ 
mal Malariafieber, sonst stets gesund. Krank seit einem Jahre. Stauungserscheinungen. 


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Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls. 197 


Romberg’sches Phänomen stark positiv. Ataktischer Gang; leichte Sprachstörungen (»nä¬ 
selnde Sprache«), Keine Stauungspapille, keine Opticusatrophie. Obstipatio (Stuhl nur 
jeden 3.—4. Tag), Schwindelgefühl, Cyanose des Gesichts. 

Abdominelle Massage (Colon- und Querleibmassage, Vibrationen; zweimal Tapo¬ 
tement des Abdomens) vom 30. November 1900 bis 21. Januar 1901. Stuhl erfolgt 
nach der ersten Behandlung, später fast täglich 1—2 mal. 


Blutdruck 

direkt nach der Behandlung 
(durchschnitt. 110 mm): 

1 mal unbeeinflusst, 

26 » gefallen 


(2 mal um 35 mm Hg.) 

(3 

» 

» 

30 > 

» ) 

(5 

> 

» 

25 > 

» ) 

(3 

» 

» 

20 » 

» ) 

(2 

» 

» 

15 » 

» ) 

(9 

» 

» 

10 » 

» ) 

(2 

» 

» 

5 > 

» ) 


Pulsfrequenz 
direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 76): 

3 mal unbeeinflusst, 

32 » verlangsamt 

(2 mal um 32 Schläge) 
(1 > >20 > ) 

(5 » »16 » ) 

(5 » » 12 » ) 

(13» » 8 » ) 

(6 » » 4 » ' ) 


Patient wird am 8. Februar gebessert auf Wunsch entlassen. Stuhl täglich. 


Fall VI. B., 36 Jahre alt, Feuerwehrmann. Diagnose: Neurosis cordis. Krank 
seit acht Jahren. Jetzt bestehen angebliche Schmerzen in der Herzgegend, die sich beim 
Liegen und besonders in der Nacht steigern. Druck auf und zwischen den betreffenden 
Rippen etwas schmerzhaft. Corgrenzen normal, Töne rein. Pulmones ohne besonderen 
Befund. Appetit gut, Schlaf durch Schmerzen gestört. Stuhl ziemlich regelmässig. 

Abdominelle Massage (leichte Colon- und Querleibmassage, Vibrationen üt la maiu 
plate; lokale Massage der Herzgegend separat: Tapotement, Effleurage, Vibrationen) vom 
8. Februar bis 16. Februar. Gegen die Schlaflosigkeit wurden hypnotische Streichungen 
von der Stirn bis zu den Füssen herunter (unter geschlossenen Augen des Patienten) mit 
gutem Erfolg versucht. 


Blutdruck 

direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 120 mm): 

1 mal unbeeinflusst, 

1 » gestiegen (5 mm), 

5 » gefallen 

(2 mal um 20 mm Hg.) 

(1 » » 16 » » ) 

(2 » » 10 » » ) 


Pulsfrequenz 
direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 76): 

1 mal unbeeinflusst, 

6 » verlangsamt 

(1 mal um 20 Schläge) 
(1 » »16 » ) 

(2 » » 12 » ) 

(1 » » 8 » ) 

(1 » » 4 » ) 


Patient wird am 17. Februar gebessert entlassen. Schmerzen haben etwas abgenommen. 
Schlaf besser. Stuhl regelmässig. 


Fall VII. S., 30 Jahre alt, Klempner. Diagnose: Pleuritis sicca. Obstipatio 
chronica. (Pleuritis fast geheilt). Schmerzen im Epigastrium und in der Gallenblasen¬ 
gegend. 

Abdominelle Massage (Colon- und Querleibmassage, auch nach Sehweninger; 
Vibrationen, Zirkeleffleurage der Schmerzstellen) vom 3.—19. Januar. 


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198 


Erik Efcgren 


Blutdruck 

direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 120 mm): 

7 mal gefallen 


(1 mal um 30 mm Hg.) 

(2 » 


20 » 

» ) 

(1 » 


) 5 » 

» ) 

(2 » 


10 > 

» ) 

(1 > 

» 

5 » 

» ) 


Pulsfrequenz 
direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 88): 

2 mal unbeeinflusst, 

8 » verlangsamt 

(1 mal um 20 Schläge) 
(1 » »12 » ) 

(4 > » 8 » ) 

(2 » » 4 » ) 


Patient wird am 20. Januar gebessert entlassen. Schmerzen bestehen nicht mehr. 
Stuhl ziemlich regelmässig. 


Fall VHI. M., 28 Jahre alt, Drechsler. Diagnose: Neurasthenie. Obstipatio. 
Es besteht Kardialgie und »Geffihl von Völle c im Leibe. Blähungen gehen schwer ab. 
Leichte Irregularität des Pulses. 

Abdominelle Massage (Colon- und Querleibmassage, Vibrationen, Tapotement a 


Tair comprim6) vom 9.—22. Februar. 

Stuhl nach der ersten Behandlung. 

Blutdruck 

1 Pulsfrequenz 

direkt nach der Behandlung 

direkt nach der Behandlung 

durchschnittl. 100 mm): 

| (durchschnittl. 76): 

2 mal unbeeinflusst, 

9 mal verlangsamt 

7 » gefallen 

(1 mal um 24 Schläge) 

(1 mal um 20 mm Hg.) 

fl» » 20 » ) 

(2 » » 10 » » ) 

(1 » » 16 » ) 

(4 » » 5 » » ) 

(2 i » 12 » ) 

(2 » »8 » ) 

(2 » » 4 » ) 


Patient wird am 22. Februar geheilt entlassen. Es bestehen keine Schmerzen. Stuhl¬ 
gang regelmässig. 

Fall IX. D., 30 Jahre alt, Reisender. Diagnose: Ischias. Neurasthenie. Heftige 
linksseitige Ischiadicusscbmerzen, die sich bei jeder Bewegung der Extremität steigern. 
Abdominelle Massage vom 12.— 20. Februar. 


Blutdruck 

direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 120 mm): 

4 mal unbeeinflusst, 

4 » gefallen 

(3 mal um 20 mm Ilg.) 
(1 » » 10 » » ) 


Pulsfrequenz 
direkt nach der Behandlung 
(durchschnittl. 80): 

1 mal unbeeinflusst, 

6 » verlangsamt 

(1 mal um 52 Schläge 1 ) 
(1 » » 8 » ) 

(4 » » 4 » ) 


Ischiasbehandlung wird täglich, nach der abdominellen Massage, separat gemacht 
(Nervenvibrationen, Tapotement, Widerstandsbewegungen). Die Schmerzen lassen nach jeder 
Vibration nach und die Bewegung der betreffenden Extremität wird freier, Patient ist aber 
etwas aufgeregt und hat nicht Geduld die Behandlung fortzusetzen. Am 2. März nach der 
hydro-therapeutischen Abtheilung entlassen. 


i) Psychische Momente bedingten die hohe Pulsfrequenz vor der Behandlung. 


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Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls. 190 


Fall X. W., 18 Jahre alt, Schüler. Diagnose: Gastroptose. Akute Gastritis. 
Habitus paralyticus. Patient ist in der Rekonvalescenz, es bestehen aber leichte Schmerzen 
im Epigastrium und links vom Nabel. Hartnäckige Obstipation I 

Abdominelle Massage (subtilste Colonmassage, leichteste Effleurage und zarte 
Vibrationen) vom 22. Februar bis . . . Stuhl nach der dritten Behandlung und 
später täglich 1—2 mal. Schmerzen verschwunden. 

Blutdruck 

direkt nach der Behandlung 
(durchschnittL 100 mm): 

12 mal gefallen 

(1 mal um 25 mm Hg.) 

(3 » » 20 » > ) 

(2 » » 15 » » ) 

(4 » » 10 » » ) 

(2 » » 5 » » ) 

Die Behandlung wird noch fortgesetzt! 

Fall XI. G., 23 Jahre alt, Barbier. Diagnose: Myodegeneratio cordis in- 
cipiens. Patient war früher stets gesund. Hat bei der Marine gedient und sich l 1 /« Jahre 
in Kiaotschau an den Erdarbeiten betheiligt; Herzklopfen, Athembeschwerden und Schmerzen 
in der Milzgegend sind allmählich aufgetreten. Corbefund: Obere und linke Grenze normal, 
rechte Grenze nach Anstrengung zwei Finger breit nach aussen vom rechten Sternai¬ 
ran de, in der Ruhe etwa in der Medianlinie. Töne rein. Puls von massiger Spannung, 
weich, regelmässig. 

Abdominelle Massage (subtilste Colon- und Querleibmassage, Vibrationen) Cor- 
gegendmassage separat, vom 2. März bis . . . 

x Blutdruck 

direkt nach der Behandlung 
(durchschnittL 120 mm): 

6 mal gefallen 

(1 mal um 40 mm Hg.) 

(1 y> » 30 » * ) 

(2 > » 25 » » ) 

(1 » » 20 > » ) 

(1 » > 6 » > ) 

Patient wird noch täglich behandelt! 

Wenn wir diese 11 Fälle etwas näher betrachten, so ergiebt sich als Resultat 
der abdominellen Massage ein deutlicher Einfluss auf den Gefässtonus, die 
Pulsfrequenz und die Peristaltik. Was den Einfluss auf die Herzthätigkeit 
anlangt, so ist bei fast sämmtlichen manuell behandelten Patienten die Herzaktion 
durch die Massage des Abdomens entweder verlangsamt oder regelmässiger 
und kräftiger geworden. Die Fälle III, IV und XI sind in der Beziehung besonders 
interessant, da es sich hier um organische Herzmuskelerkrankungen handelte. Im 
Fall III hatten wir einen Patienten vor uns, dessen Herz so labil war, dass das 
Organ auf fast jede Körperbewegung oder Gemüthsaffektion reagierte. Die Dämpfungs¬ 
grenzen, die bei Körperbewegungen nach aussen rückten, und die, wie die Sektion ergab, 
kolossale Dilatation des Cor, welche von Herrn Oberarzt Dr. Strauss in der Gesell- 


Pulsfrequenz 
direkt nach der Behandlung 
(durchschnittL 76 mm): 

6 mal verlangsamt 

(1 mal um 20 Schläge) 
(1 » »12 » ) 

(3 » » 8 » ) 

(1 » » 4 » ) 


Pulsfrequenz 
direkt nach der Behandlung 
(durchschnittL 96): 

12 mal verlangsamt 


(1 mal 

um 

32 Schlage) 

(2 > 

> 

20 » 

) 

(1 » 

» 

16 > 

) 

(1 » 

i 

14 > 

) 

(3 > 

y> 

12 » 

) 

(4 » 

» 

8 » 

) 






200 Erik Ekgren 

Schaft der Charitdärzte am 22. November 1900 und am 10. Januar 1901 demonstriert 
wurde, verbot es von vornherein grosse Gewalt anzuwenden. Sowohl die Colon- 
und Querleibmassage als die Vibrationen mussten mit leichtester Hand ausgeführt 
werden. Dieselbe Regel galt auch für den Fall IV. Fall XI ist noch immer in 
Behandlung. 

Die durch die Bauchmassage hervorgerufene Verlangsamung der Puls¬ 
frequenz scheint, wie unsere Fälle in Uebereinstimmung mit einer bereits vor¬ 
handenen Erfahrung gezeigt haben, ziemlich konstant zu sein. Speziell stimmen meine 
Untersuchungen völlig mit denjenigen von Stapfer, A. Wide, A. Levin, Dolega 
und Colombo überein. Um das Verhalten des Pulses nicht nur durch die Palpation 
anschaulich zu machen, wurden auch bei mehreren Patienten vor und nach der 
Behandlung Sphygmogramme aufgenommen. Die Kurven zeigen erstens, dass die 
Elevationen (des aufsteigenden Schenkels) niedriger und die Distanz von Elevation 
zu Elevation grösser wurden, zweitens schien es auch, dass die Rückstosselevation 
nicht so deutlich markiert wurde. 

Im Falle V wurden verschiedene Mal und unter allen Kautelen ganze Serien 
von Sphygmogrammen, unmittelbar vor der Behandlung, während der Colon¬ 
massage, während der Querleibsmassage und während der Vibrationen 
sowie endlich eine Minute nach beendigter Behandlung, aufgenommen. Diese 
Sphygmogramme zeigen deutliche Aenderungen in der Pulsform. 

Der Einfluss der Bauchmassage auf die Peristaltik dürfte wohl, wie auch 
speziell von L. Landau hervorgehoben ist, von den meisten Autoren schon an¬ 
erkannt sein. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die manuelle Behandlung 
der chronischen Obstipation die rationellste ist. Remedia pharmacologica und Klys- 
mata, so nöthig und unentbehrlich sie auch in akuten Fällen sein mögen, schwächen 
bekanntlich den Darm, anstatt ihn zu kräftigen. Häufig ist aber gerade die Schwäche 
der Muskulatur, die Atonie des Darms die Ursache der Obstipation, und gerqfie in 
solchen Fällen ist die manuelle Therapie am Platze. Sehr interessant ist zu be¬ 
obachten, wie die subjektiven, lokalen Schmerzen manchmal während der Behandlung 
nachlassen um später allmählich fast ganz aufzuhören. Man darf wohl vermuthen, 
dass die Schmerzen, die durch Verwachsungen, Residuen von alten circumscripten 
Entzündungen der Serosa des Darms hervorgerufen werden dürften, häufig gerade 
durch successive eintretende Zerreissungen oder Lockerung dieser Adhäsionen zum 
Verschwinden gebracht werden. 

Auf den Gefässtonus hat die abdominelle Massage, wie aus der Kasuistik 
zu sehen ist, meist eine herabsetzende Wirkung. Die Bauchmassage ist also 
unter diejenigen Eingriffe auf den Körper einzureihen, die ein Sinken 
des Gefässtonus hervorzurufen im stände sind. 

Ich bin mir hierbei aber wohl bewusst, dass gerade die Beurtheilung dieser 
Frage besondere Schwierigkeiten besitzt, und dass gerade die Deutung der tono- 
metrischen Befunde besondere Vorsicht erfordert, denn Veränderungen des Blut¬ 
druckes können durch die verschiedensten Momente bedingt werden. Nur um zu 
zeigen, wie zahlreich diese sind, gebe ich hier eine kurze Uebersicht über die Ur¬ 
sachen, welche Veränderungen des Blutdruckes bedingen können. 

Nach Angaben in der Litteratur und nach meinen eigenen Beobachtungen, 
findet man im allgemeinen einen niedrigen Tonus bei: 

1. Schwerkranken und Moribunden (ante Exitura, eigene Beobachtungen). 


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Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, Herzthätigkcit und Puls. 201 


2. In der Rekonvalescenz (Weiss, Hensen, Kapsamer, eigene Be¬ 
obachtungen). 

3. Zwei Stunden nach Nahrungsaufnahme (eigene Beobachtungen, Weiss, 
Colombo; nach Jellinek und Sommerfeld einen hohen Tonus!). 

4. Bei kolossal starker universeller Schweisssekretion. 

5. Nach der Punktion pleuritischer Exsudate (Hensen, Kapsamer). 

6. Nach der Punktion von Ascites (Kapsamer sicher, Hensen unbestimmt). 

7. Nach Blutungen, auch bei der Menstruation. 

8. Nach Nebennierenextrakt in kleinen Dosen (Moore und Purinto). 

9. In der Narkose (Kapsamer). . 

10. Bei Ischiadicuszerren in der Narkose (Kapsamer), aber bei Schweiss¬ 
sekretion ! 

11. Bei Urämie (bei schwacher Actio cordis. Weiss. Doch habe ich bei einem 
Patienten im urämischen Stadium 200 mm Hg. gefunden. Sonst einmal 80 mm). 

12. Bei Anämie, Kachexie, Schlaf, akute Debilitas cordis (Schtlle und 
W ei ss). 

13. Nach ermüdender Muskelararbeit (Weiss), aber dann unter Schweiss¬ 
ausbruch! 

14. Bei Pneumonie nach der Krisis (nach eigenen Beobachtungen, 80 mm Hg.). 
Im Stadium der Hepatisation habe ich 145 mm beobachtet. 

Ein hoher Tonus ist dagegen beobachtet bei: 

1. Arteriosklerose (auch bei incipiens, ehe die A. rigid sind! Eigene Be¬ 
obachtungen). 

2. Nephritis (eigene Beobachtungen). 

3. Bei maximaler Dyspnoe (Hensen. Auch bei Athemanhalten). 

4. Neurasthenie und Hysterie (Kapsamer, H. Strauss, eigene Be¬ 
obachtungen). 

5. Nach starker Arbeit ohne Schweissausbruch (Weiss, nach Schule nicht! 
eigene Beobachtungen). 

6. Nach psychischer Alteration (Kapsamer, eigene Beobachtungen). 

7. Nach Alkoholgenuss (Schule, Weiss). 

8. Bei Saturnismus (Weiss, Hensen, eigene Beobachtungen). 

9. Bei Abusus nicotianae (Weiss, eigene Beobachtungen). 

10. Nach Eclampsie (275 mm Hg., Wiesner). 

11. Unmittelbar bis V* Stunde nach Nahrungsaufnahme (nach Ilensen, 
Schule unsicher; eigene Beobachtungen, siehe unten!). 

12. Nach Nebennierenextrakt in grossen Dosen (eigene Beobachtungen). 

13. Phthisiker haben höheren Tonus als zu erwarten wäre, wahrscheinlich 
infolge der Dyspnoe (Weiss, eigene Beobachtungen). 

14. Nach Kampherinjektionen (Weiss). 

15. Nach Digitalis (Schule. Ich habe einmal einen Ansteig von 100 bis 
240 mm Hg. beobachtet). 

16. Nach Magenausheberungen. 

17. Nach Anlegen des Esmarch’schen Schlauches am Femur. 

18. Bei Operationen (Kapsamer). 

19. Bei Aorteninsufficienz (A. Fränkel). 

Zeitschr. f. di&t. u. phjäik. Thorapie lid. V. Hoft 8. ]4 


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202 Erik Ekgren 

20. Bei Apoplexia sanguinea mit Hemiplegie hohe, aber schnell schwankende 
Werthe (Hensen, eigene Beobachtungen). 

In der Senator’schen Klinik haben wir mit dem Gärtner’schen Tonometer 
für Gesunde Durchschnittswerthe von 90 — 100 mm Hg. gefunden und als normal 
angesehen. Das sind etwas niedrige Werthe, was aber am Apparat liegen kann. 
Andere Autoren haben etwas höhere Durchschnittswerthe beobachtet. 

So fand: Hensen (mit Riva-Rocci’s Apparat): 100 — 160 mm Hg. Bei 
Männern 105—158, medio 137. Bei Frauen 105 — 160, medio 132. Aber bei Rekon- 
valescenten 75! 

Kapsamer (Gärtner’s Tonometer): 100—130 mm Hg. mit untere Lebens¬ 
grenze am 60. 

v. Basch (v. Basch’s Apparat): 100—130 mm Hg. 

Federn (v. Basch’s Apparat): 80—90—100 mm Hg. 

Weiss (Gärtner’s Tonometer): 90—120mm Hg. bei Männern, 80—100mm Hg. 
bei Frauen. 

Schüle (Gärtner’s Tonometer): 80—130 mm Hg. 

Tigerstedt giebt die Fehlergrenzen des v. Basch'schen Instrumentes an, sie 
dürften 32—78 mm Hg. betragen (Weiss). 

Bei dem Gärtner’schen Tonometer dürften nach meiner Erfahrung für den 
Geübten die Fehlergrenzen 10 mm Hg. kaum übersteigen. 

Eine Relation zwischen Puls und Tonus besteht nach den Angaben sämmt- 
licher Autoren, speziell nach den Untersuchungen Tigersted t’s, und auch nach 
meinen Beobachtungen nicht. Immerhin scheint sich bei der abdominellen Massage 
als Regel zu zeigen, dass Pulsfrequenz und Gefässtonus annähernd parallel gehen. 
Mit wenigen Ausnahmen war ein Sinken des Blutdruckes auch mit einem Sinken 
der Pulsfrequenz vergesellschaftet. 

Vom Einfluss der Nahrungsaufnahme auf den Tonus sagt Colombo: »Stets 
hat Nahrungsaufnahme die Blutdruckwerthe vermindert. Die Verminderung über¬ 
steigt im allgemeinen 20 mm Hg. nicht. Die Gegenwart von Nahrung in den Ver¬ 
dauungsorganen verursacht eine Erweiterung des ganzen Gefässbezirkes der Unter¬ 
leibsorgane, soweit sie zum Gebiete der Pfortader gehören. Die Erweiterung bewirkt 
eine reichlichere Blutdurchströmung dieser Organe, was eine Druckverminderung in 
den der Messung zugängigen Arterien zu Folge hat; diese Blutdruckverminderung 
beginnt etwa Va Stunde nach der Nahrungsaufnahme, hat ihr Maximum nach etwa 
2—2Va Stunden erreicht und dauert im ganzen etwa 4 Stunden lang. Thierexperi¬ 
mente scheinen dafür zu sprechen, dass an dieser Druckverminderung die Resorption 
der Peptone einen gewissen Ahtheil hat.« 

Da auch mich in diesem Zusammenhang der Einfluss der Nahrungsaufnahme 
auf den Blutdruck besonders interessierte, so habe ich an mehreren Patienten nach 
dem zweiten Frühstück halbstündlich Messungen gemacht und bin auch zu dem¬ 
selben Resultat gekommen wie Colombo und Weiss. Nur scheint es früheren 
Untersuchern entgangen zu sein, dass unmittelbar nach der Aufnahme von 
Nahrung ein Anstieg des Blutdruckes stattfindet. Das Sinken tritt erst nach 
1—2 Stunden ein und habe ich 10—20—40 mm Hg. niedrigere Zahlen bekommen, 
als die primären betrugen. Das Sinken dauerte höchstens 2 1 /* — 3 Stunden, was 
allerdings auf der Menge der aufgenommenen Nahrung beruhen kann. Eine halbe, 


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203 


Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls. 

oder in Ausnahmefällen eine Stunde nach dem Essen findet man sehr häufig Werthe, 
die mit 10— 20 — 25 mm Hg. den primären übersteigen. Hierauf erlaube ich mir 
deshalb besonders aufmerksam zu machen, weil dies praktisch von Wichtigkeit sein 
kann. Findet man nämlich beim Messen abnorm hohe Werthe, ohne dass sonst eine 
genügende Aetiologie für dieselben vorhanden ist, so dürfte es rathsam sein den 
Patienten zu befragen, wann er zuletzt Nahrung zu sich nahm. Da es nicht aus¬ 
geschlossen ist, dass jene hohen Werthe unmittelbar nach Nahrungsaufnahme in ge¬ 
wisser Beziehung zum Kauakt stehen können, so habe ich mehrere Versuche nach 
dieser Richtung hin angestellt Die Patienten bekamen etwa drei Stunden nach dem 
Essen Gummistücke zu kauen. Das Resultat war in zwei Fällen folgendes: 

Primär.110 mm Hg Primär.90 mm Hg 

Nach 3 Minuten ... 125 > » Nach 2 Minuten ... 95 » » 

»5 » ... 125 > » »5 » ... 100 » » 

»8 > ... 130 » » »15 » Pause 115 » » 

»8 » Pause 100 » » 

Es scheint also der Kauakt (und sekundär eventuell die eintretende Sekretion 
der Magendrüsen) eine gewisse Rolle mitzuspielen. 

In Zusammenhang hiermit habe ich noch an mehreren Patienten Untersuchungen 
vorgenommen, um die Wirkung der Bauchpresse auf den Tonus zu studieren. 
Diese haben in sämmtlichen Fällen, mit Ausnahme von drei, in welchen der Tonus 
unbeeinflusst blieb, ergeben, dass die Aktion der Bauchpresse eine Steigerung des 
Blutdruckes um 10—20 mm Hg, ja in einem Falle sogar um 35 mm Hg hervorrufen 
kann. Diese Thatsache hat deshalb u. a. ein gewisses Interesse, da sie eine Er¬ 
klärung dafür giebt, warum bei Arteriosklerotischen, die an und für sich konstant 
einen hohen Blutdruck haben, eine* Apoplexia hämorrhagica gerade beim Pressen zum 
Stuhlgang so leicht zu Stande kommen kann. 


Das Resultat meiner Untersuchungen über den Einfluss der abdominellen 
Massage wäre also folgendes: 

Es hat sich bestätigt — was bereits andere Autoren hervorgehoben haben —, 
dass die Bauchmassage auf die Herzthätigkeit beruhigend und verlangsamend und 
bis zu einem gewissen Grade regulierend wirkt. In Fällen von Herzaffektionen, 
mit oder ohne direkt diagnostizierbare Kompensationsstörungen kann die abdominelle 
Massage, wenn nicht subtil ausgeführt, ein zweischneidiges Schwert sein. Das sub¬ 
jektive Befinden der Patienten kann durch wochenlang fortgesetzte Massage ver¬ 
bessert werden. Auf die primäre Ursache des Leidens kann jedoch nur sympto¬ 
matisch und indirekt eingewirkt werden, indem durch die Behandlung der Herz¬ 
muskel zeitweise entlastet wird. Dass bei schweren Muskelveränderungen kein 
definitiver Heilerfolg eintreten kann, zeigt sich deutlich auch darin, dass zwei der 
an Herzmuskelerkrankungen leidenden Patienten einige Monate später gestorben sind. 
Ausser einer Verlangsamung der Pulsfrequenz wird aber auch noch ein 
Sinken des Gefässtonus erzeugt. Auf letzteren erlaube ich mir hier besonders 
aufmerksam zu machen. Der Einfluss auf den Tonus kommt wohl durch die Er¬ 
zeugung einer starken abdominellen Gefässfüllung zu Stande. Ausserdem kann die 
abdominelle Massage vermuthlich noch auf reflektorischem Wege, vielleicht durch 
den Vagus, eine Bradykardie und eine Vasodilatation hervorrufen. 

14 * 



Original fro-m 

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204 Erik Ekgren, Einfluss der abdominellen Massage auf Blutdruck, HerzthStigkeit u. Puls. 


Litteratur: 

A. Reibmayr, Die Massage. Leipzig und Wien 1893. 

A. Bum, Handbuch der Massage und Heilgymnastik. Wien und Leipzig 1896. 

F. Goltz, Ueber den Einfluss des Zentralnervensystems auf die Blutbewegung. Virchow’s 
Archiv Bd 28. Heft 3 u. 4. 

A. Wide, Medicinsk Gymnastik. Stockholm 1896. 

T. J. Harteiius, Sjukgymnastik. Stockholm 1892. 

H. S tapfer, »Traitö de kinßsithßrapie gynßcologique.« PrGfacc de A. Pinard. Paris 1897. 
L. Landau, Ueber Tubensäcke. Berlin 1891. 

C. Colombo, Richerche sulla pressione del sangue nell nomo. Roma 1899. 

H. Strauss, Einige praktisch wichtige Fragen aus dem Kapitel der Gastroptosen. Berliner 
Klinik 1899. Heft 131. 

Derselbe, Massage. Liebreich'» Encyklopädie. Bd. 3. 

De rsel be, Ueber Blutdruckmessungen im Dienste der Diagnostik traumatischer Ncurasthenicen 
und Hysterieen. Ncurolog. Centralblatt 1901. No. 3. 

Federn, Münchener medicinische Wochenschrift 1896. No. 51. 

Thure Brandt sen., Gymnastiken. Stockholm 1884. 

Derselbe, Behandlung weiblicher Geschlechtskrankheiten. Berlin 1893. 

Kapsamer, Berliner klinische Wochenschrift 1900. Bd. 1. Verh. der Berliner medieinischen 
Gesellschaft. 

E. Ekgren, Zur manuellen Therapie in der Gynäkologie. Inauguraldissertation. Berlin 1900. 
Schüle, Berliner klinische Wochenschrift 1900. No. 33. 

G. Gärtner, Ueber einen neuen Blutdruckmesser. Wien 1899. 

Derselbe, Ueber das Tonometer. Münchener medicinische Wochenschrift 1900. No. .V». 
Moore und Purinton, Ueber den Einfluss minimaler Mengen von Nebennierenextrakt auf 
den arteriellen Blutdruck. Pflüger's Archiv 1900. Bd. 81. 

H. Hensen, Beiträge zur Physiologie und Pathologie des Blutdruckes. Archiv für klinische 
Mediein 1900. No. 67. 

H. Weiss, Münchener medicinische Wochenschrift 1900. Januar. No. 3 u. 4 
Dolega, Deutsches Archiv für klinische Mediein Bd. G4. 

Cauton, Fortschritte der Mediein 1900. Bd. 18. No. 9. 

8. Jellinek, Zeitschrift für klinische Mediein 1900. Bd. 39. 

F. Grebner und R. Grunbaum, Fortschritte der Mediein 1900. Bd. 18. 

F. Zachrisson, Upsala Läkareforcnings Förhandlingar Bd. 6. Upsala 1900. 

L. Sommerfeld, Blutdruckmessungen mit dem Gärtner’schen Tonometer. Therapeutische 
Monatshefte 1901. 


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H. Saloraon, Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. 205 


III. 

Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. 

Aus der medicinischeo Abtheilung des städtischen Krankenhauses zu Frankfurt a. M. 

(Direktor: Prof. v. Noordon.) 

Von 

Dr. H. Salomon, I. Assistenzarzt. 

Durch die Arbeit des letzten Jahrzehntes sind unsere Kenntnisse über die Ver¬ 
brennungsvorgänge im Körper in vieler Beziehung gründlicher geworden. Wie man 
gelernt hat, in der Pathologie mit dem Begriffe einer Stoffwechselsteigerung oder 
-Verlangsamung sparsamer umzugehen, so ist auch eine Reihe medikamentöser Agentien 
ihres Renommees, auf den Umfang der Stoffwechselvorgänge einzuwirken, entkleidet 
worden. Die einzigen Mittel, denen wir jenen Einfluss zuschreiben können, sind die 
jüngsten Erzeugnisse der Organotherapie, das Thyrojodin und (unter Umständen) 
das Oophorin. 

Eher als durch Medikamente werden die Oxydationen im Körper beeinflusst 
durch die Maassnahmen physikalischer Therapie. 

Die Arbeiten auf diesem Gebiete bewegten sich bis vor kurzem, von kalori¬ 
metrischen Feststellungen abgesehen, fast alle in einer Richtung: es galt der Er¬ 
forschung des Stickstoffumsatzes sowohl im Heisswasserbade wie im Dampfbade. 
(Ueber die Stickstoffausscheidung im Heissluftbade habe ich Angaben nicht gefunden.) 

Die früheren Mittheilungen von Bartels 1 * * ), Naunyn a ), Schleich 8 ) über die 
Steigerung der Stickstoffausscheidung durch heisse Bäder sind in neuester Zeit durch 
sorgfältige Versuche von Formanek 4 ) und Topp®) entgegen Angaben von Koch«), 
Simanowski 1 * 7 ) und anderen bestätigt worden. 

Ueber Steigerung der Stickstoffausscheidung nach Moor- und Fangobädern hat 
Bornstein 8 ) berichtet. 

In einer kürzlich erschienenen Arbeit über die Wirkung heisser Bäder hat nun 


i) Pathologische Untersuchungen. Grcifswalder mcdicinischc Beiträge 1864. Bd. 3. 

Beiträge zur Fieberlehre. Du Bois Archiv 1870. 

8 ) Ueber das Verhalten der Harnstoffproduktion bei künstlicher Steigerung der Körper¬ 
temperatur. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie 1875. 

4 ) Ueber den Einfluss heisser Bäder auf die Stickstoff- und Harnsäureausscheidung beim 
Menschen. Sitzungsbericht der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften. Wien 1802. Bd. 101. 

®) Ueber den Einfluss heisser Bäder auf den menschlichen Organismus. Inauguraldissertation. 
Halle a-S. 1893. Therapeutische Monatshefte 1894. 

«) Ueber die Ausscheidung des Harnstoffs unter Einfluss künstlich erhöhter Temperatur. 
Zeitschrift für Biologie 1883. No. 19. 

7) Untersuchungen über den thierischen Stoffwechsel unter dem Einfluss einer künstlich er¬ 
höhten Temperatur. Zeitschrift für Biologie 1885. Bd. 21. 

s) Ueber den Einfluss von Moor und Fango auf den Stoffwechsel. Verhandlungen des 
Berliner Baineologenkongresses 1899, ref. Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie 
1899/1900. Bd. 3. 


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H. Salomon 


206 


H. Winternitz J ) sich des zuverlässigen Maassstabes bedient, der für den Stoff¬ 
umsatz im Organismus gegeben ist durch dessen Sauerstoffverbrauch. Er fand, dass 
Bäder von 39 — 41 »C bei einer Dauer von 23 — 45 Minuten eine sehr erhebliche 
Steigerung des Sauerstoffbedürfnisses und der Kohlensäurebildung bewirken, eine 
Steigerung, die unter sieben Versuchen nur einmal sich auf 39 % beschränkte, sonst 
zwischen 64 und 110 °/ 0 des gewöhnlichen Verbrauchs betrug und sich auch nach 
Abzug des auf die vermehrte Athmungsarbeit (s. unten) entfallenden Antheils noch auf 
30—75% belief. Es war ferner noch 48—75 Minuten nach dem Bade eine deutliche 
Steigerung der Verbrennungsprozesse wahrzunehmen, in maximo 28% nach 75 Minuten. 

Einen ähnlich mächtigen Einfluss, wie er hier für die heissen Bäder von 
Winternitz nachgewiesen, wollten die Franzosen, insbesondere d’Arsonval i) 2 3 ), unter 
der Einwirkung der sogenannten Teslaströme (Wechselströme hoher Frequenz und 
Spannung) beobachtet haben. Es ist aber die Unrichtigkeit jener Angaben, an 
welche sich bereits grosse therapeutische Hoffnungen geknüpft hatten, unlängst durch 
A. Loewy«) und T. Cohn überzeugend nachgewiesen worden. 

Mangels weiterer exakter Angaben über die Wirkung unserer gebräuchlichen 
Hülfsmittel physikalischer Therapie auf den Stoffwechsel schien es der Mühe werth, 
bei zwei Personen, die zu therapeutischen Zwecken Licht- und Schwitzbäder empfingen, 
während derselben die Grösse des Gaswechsels zu bestimmen, um so eher als über 
die Wirkung der elektrischen Lichtbäder im allgemeinen noch wenig bekannt ist. 

Die Versuchspersonen waren die 22 jährige L. (Anämie, Oedema pedum, letzteres 
zur Versuchszeit bereits geschwunden) und die 27 jährige F. (Nephritis chron., doch 
bei gutem Allgemeinbefinden). Beide waren durch sehr häufige zu anderen Zwecken 
vorgenommene Bestimmungen ihres Gaswechsels an die Versuchstechnik gewöhnt. 
Letztere war die des Zuntz-Geppert’schen Respirationsapparates 4 ). 

Mit Ausnahme des Heissluftbadversuchs 1 wurden die Untersuchungen min¬ 
destens 12 Stunden nach der letzten Mahlzeit der Versuchspersonen vorgenommen. 

Zur Applikation der Schwitzbetten wurden sowohl das bekannte, übrigens weit 
praktischere Quincke’sche Schwitzbett mit seitlichem Schornstein als auch das so¬ 
genannte Schwitzbad System Phönix benutzt, bei dem ein langer bis auf die Erde 
reichender Schornstein am Fussende des Bettes (nach Herausnahme des Fussbrettes) 
in den Heizraum führt. 

Es erschien zweckmässig, die Zeitdauer, während welcher die Athmungsluft 
zwecks Analyse abgesaugt wurde, relativ kurz zu wählen, um trotz intensivsten 
Schwitzens und trotz der Behinderung der Kontrolle infolge der undurchsichtigen 
Wände der applizierten Schwitzbetten resp. Lichtbäder die Garantie völliger Muskelruhe 
zu haben. Uebrigens stimmten die »Nüchternwerthe« der Personen bei kürzerer Ver¬ 
suchsdauer völlig mit den mir genugsam bekannten bei längerer Versuchsdauer überein. 

lieber die Schwitzbettversuche gewähren die folgenden Tabellen einen Ueber- 
blick. Alle Zahlenangaben sind auf 0°, 760 mm Druck und Trockenheit reduziert. 
Die Zeitangabe für die Dauer des Athmungsversuches schliesst die 5—10 Minuten 
dauernde »Vorathmung« am Apparat nicht mit ein. 


i) Klinisches Jahrbuch 1889. Bd 7. 

-) Societ6 de biol. 24. Februar und 25. April 1891. Archive» d’electrol. med. S. 213. — 
Annales d’ßlectrobiol. Bd. 1. Heft 1. 

3) Berliner klinische Wochenschrift 1900. No. 34. 

4) Zuntz und Geppert, Pfjlüger’s Archiv Bd. 42. S. 196 sowie Magnus-Levy, Pflüger’» 
Archiv Bd. 55. S. 1. 


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lieber die Wirkung der Hcissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. -07 


Datum 

! Name 

Zeit 

Atlicm- 

frequenz 

Temperat. 

(Mund) 

Bemerkungen 

1). August 

L. 

11 Uhr 1 

17 

3‘>,45 

Athemversuch. 1 Stunde vor demselben war 

1900 


bis 11 Uhr 12 



ein Ei und ein Brödchen genosson worden 



12 Uhr 52 
bis 1 Uhr 2 

23 

30,78 

Athemversuch im Schwitzbett Phönix 



1 Uhr 50 

i 18 

36,6 



Zeit 

Athem- 
volumen 
in ccm 

Zunahme 
in ccm 

U 

•9 - ° 

© °' 

>.s 

o 

T3 

© -E 

2h w 

Vi G 
o — 
ü 

O-Verbr. 
in ccm 
pro Min. 

© 

E B 

1 1 
.s 

© 

B 

■s 

|.s 

Zunahme 1 
!ino/ 0 nachl 
; Korrekt. | 

•6 „ 

8 6 
cu © 

o a 

o 

R.-Qu. 

_ 

Bemerkungen 

11 Uhr 1 
bis 11 Uhr 12 

12 Uhr 52 
bis 1 Uhr 2 

62058 

64022 

196,1 

= 8% 

3,977 

3,999 

3,485 

3,215 

246,8 

256 

9,2 

(-1,2) 

6,72 

3,07 

210,2 

205,8 

0,870 

0,803 

Vorversuch 

Hauptversuch 


Schwitzbadversuch 1 (Schwitzbad Phönix) Dauer der Applikation 57 Minuten. 


Datum 

Name 

Zeit 

Temperat 

recto 

Athen) - 
frequenz 

Puls 

Bemerkungen 

2. Oktober 

F. 

7 Uhr 30 

37,6 

18 

78 


1900 


8 Uhr 30 

— 

— 

— 

Applikation des Schwitzbades Phönix 



9 Uhr 20 

— 

— 

— 

Erste Schweisstropfen im Gesicht 



10 Uhr 24 

38,1 

19 

130 

Athemversuch im Schwitzbett 



bis 10 Uhr 34 







11 Uhr 52 

37,6 

17 

— 

Athemversuch ca. 1 Stunde 8 Minuten 


1 

bis 12 Uhr 2 

i 


1 


nach Beendigung des Schwitzbettes 



ggS 

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■S8 

§ £ 
5S3 — 

Zunah 
in o/ 

•§ oj 

S3 5* 

CU g 
o c 

R.-Qu. 

10 Uhr 24 

60196 


3,944 

- 

1 o «•> 

213,2 

267,4 

24,2 

11,3 


| 175,8 

t 

0,740 

bis 10 Uhr 34 




i 





1 

1 

11 Uhr 52 

i 56741 

-- 

3,819 

: 2,885 

2 Ui,7 

— 

— 

j — 

; 163,7 

0,755 

bis 12 Uhr 2 

i 





1- 



1 

; 


Bemerkungen 


Kein Vorversuch, der 
Werth ist der Durch¬ 
schnitt aus 18 früheren 
Bestimmungen 
Haupt versuch 

Nach versuch 


Sch witzbad versuch 2 (Schwitzbad Phönix). 

Dauer der Applikation 2 Stunden 4 Minuten. Dauer des Schwitzens 1 Stunde 14 Minuten. 


i) Die eingeklammerten und mit dem Vorzeichen — versehenen Zahlen bedeuten in diesen 
Tabellen den auf die vermehrte Athmungsarbeit entfallenden Thcil der Sauerstoffzunahme in ccm. 
Er ist von der Gesammtzunahme abzuziehen. 


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Google 


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208 


H. Salomon 


Datum 

Name 

Zeit 

Temperat. 

recto 

Athem- 

frequenz 

Puls 

Bern erkungen 

4. Oktober 

F. 

7 Uhr 43 

36,8 

19 

76 

Athem versuch 

1900 


bis 7 Uhr 53 







8 Uhr 20 

— 

i — 

— 

Applikation des Schwitzbettes Quincke 



9 Uhr 20 

— 

— 

— 

Erste Schweisstropfen im Gesicht 


i 

10 Uhr 46 
Ibis 10 Uhr 55 

38,2 

18 

130 

Athemversuch im Schwitzbett 



j 12 Uhr 34 

36,6 

19 

104 

Athem versuch ca. 1 Stunde 34 Minuten 



bis 12 Uhr 43 




nach Beendigung des Schwitzbettes 


Zeit 

Athem- 
volumen 
in ccm 

Zunahme 

. 

m ccm 

1 £ 

■e -s 

1 Ö ° 

i > .fl 
6’ 

•6 

£ ! 
O, ° j 
V* fl 

o* a 

o_ 

O-Verbr. 
in ccm 
pro Min. 

Zunahme 
in ccm 

Zunahme 
in o/ 0 

Zunahme 

ino/ 0 nach 

Korrekt 

2 | 

8: a _ 

R.-Qu. 

Bemerkungen 

i 

7 Uhr 43 
bis 7 Uhr 53 

56312 

— 

4,032 

3,065 

227,0 

— 

— 

— 

172,6 

0,760 

Vorversuch 

10 Uhr 46 
bis 10 Uhr 55 

63524 

721,2 
= 12,8% 

3,78 

2,605 

240,1 

18,1 

(—6,0) 

5,77 

3,1 

165,5 

0,689 

Hauptversuch 

12 Uhr 34 
bis 12 Uhr 43 

| 59234 

— 

3,733 

2,836 

1 

221,1 



— 

167,9 

0,759 

Nachversuch 


Schwitzbadversuch 3 (Schwitzbad Quincke). 

Dauer der Applikation ca. 2 Stunden 40 Minuten. Dauer des Schwitzen» ca. 1 Stunde 40 Minuten. 


Datum 


Zeit 

Temperat. 

recto 

i 

Athem- 

frequenz 

Puls 

Bemerkungen 

21. Septemh. 

L. 

7 Uhr 6 

37,05 

t 

18 

86 

Athemversuch . 

1900 


bis 7 Uhr 17 






I 

7 Uhr 40 

— 

— 

— 

Applikation des Schwitzbettes Phönix 



9 Uhr 10 

— 

— 

— 

Erste Schweisstropfen im Gesicht 


| 

10 Uhr 19 
bis 10 Uhr 29 

38,15 

i 

19 i 

124 | 

Athemversuch im Schwitzbett 


i 

12 Uhr 10 

37,5 

16 

84 

Athemversuch 1 Stunde 41 Minuten 

1 

i 

bis 12 Uhr 20 




nach Beendigung des Schwitzbettes 



7 Uhr 6 4971 — 

bis 7 Uhr 17 

10 Uhr 19 58587 1 887,7 
bis 10 Uhr 29 ‘=17,8% 

1-2 Uhr 10 | 44465 
bis 12 Uhr 20^ J 


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4,114 

3,52 

204,5 

— 

. 


175,0 

0,855 

| 4,018 

, 3,28 

j 235,1 

30,6 

114,9 

11,3 

192,2 

0,817 


1 


(—7,4) 



| 


4,936 

3,265 

1 

J 195,5 

— 

, 


145,2 

0,742 


Bemerkungen 


Vorversuch 

Hauptversuch 

Nachversuch 


Schwitzbadversuch 4 (Schwitzbad Phönix). 

Dauer der Applikation 2 Stunden 49 Minuten. Dauer des Schwitzens 1 Stunde 19 Minuten. 


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Original frorn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 








Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. 209 


I 

Datum t 

Name 

Zeit 

Temperat. 

recto 

Athem- 

frequenz 

Puls 

Bern erkungon 

4. Januar 

L. 

6 Uhr 49 

37,2 

18 

88 

Athemversuch 

1901 


bis 7 Uhr 1 







7 Uhr 50 

— 

— 

— 

Applikation des Schwitzbades Quincke 



10 Uhr 45 
bis 10 Uhr 56 

38,0 

19 

112 

Athemversuch im Schwitzbett 



11 Uhr 50 

37,6 

17 

106 

Athemversuch 1 Stunde 55 Minuten 



bis 12 Uhr 1 




nach Beendigung des Schwitzbcttcs 


Zeit 

Athem- 
volumen 
in ccm 

Zunahme 
in ccm 

c 

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in ccm 
pro Min. 

Zunahme 
in ccm 

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I a 

Zunahme 

ino/ 0 nach 

Korrekt. 

nd 

2 S 
£ g 

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_Q._ 

R.-Qu. 

Bemerkungen 

6 Uhr 49 
bis 7 Uhr 1 

50748 

— 

4,545 

3,66 

230,7 

- 

— 


185,7 

0,805 

Vorversuch 

10 Uhr 45 

7566 

2431,2 

4,204 

8,09 

315,5 

84,8 

86,7G 

27,9 

281,9 

0,785 

Hauptversuch 

bis 10 Uhr 56 


=47,9% 




(-20,4) 






11 Uhr 50 
bis 12 Uhr 1 

52648 

— 

4,578 

3,63 

241,0 




191,1 

! 

0,798 

Nach versuch 


Schwitzbad versuch 5 (Schwitzbad Quincke). Dauer der Applikation 2 Stunden 55 Miuuten. 


Datum | 

Name 

Zeit 

Temperat. 

recto 

Athem- 

frequenz 

Bemerkungen 

17. Sep- 

L. 

7 Uhr 22 

36,9 

16 

Athemversuch 

tember 1900 


bis 7 Uhr 33 






7 Uhr 61 

— 

— 

Applikation des Schwitzbettes Phönix 


i 

9 Uhr 40 

— 

| — 

Erster Schweiss im Gesicht 



10 Uhr 45 
bis 10 Uhr 54 

38,15 

! 22 

Athemversuch im Schwitzbett 



12 Uhr 17 

37,15 

21 

Athemversuch 1 Stundo 23 Miunten nach 



bis 12 Uhr 28 



Beendigung des Schwitzbades 


Zeit 

Athem- 
volumen 
in ccm 

Zunahme 
in ccm 

U 

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O-Verbr. 
in ccm 
pro Min. 

Zunahme I 
in ccm I 

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CJ 

R.-Qu. 

Bemerkungen 

7 Uhr 22 
bis 7 Uhr 33 

48383 

— 

4,351 

3,58 

210,5 

— 



173,2 

0,822 

Vorversuch 

10 Uhr 45 

59066 

1068,3 

4,147 

3,345 

244,9 

34,4 

16,84 

12,1 

197,6 

0,806 

Hauptversuch 

bis 10 Uhr 54 


= 22% 




( «,») 






12 Uhr 17 

51745 

— 

4,231 

3,305 

218,9 

— 

— 

. — 

171,0 

0,781 

Nach versuch 

bis 12 Uhr 28 : 






1 






Schwitzbadversuch 6 (Schwitzbad Phönix). 

Dauer der Applikatiou 3 Stunden 1 Minute. Dauer des Schwitzens 1 Stunde 20 Minuten. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 






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Scli’va.'.hidjviTsudi 7 ; Kob wiiz bad Wiilid«.). 

ÖÄM«r .(]<?!' Ai*i)Hkation 4 Stc.ttilei» 1# fdihnteu. ibutcr 5 J>I .Miaute». 

Ans fU»n- Tabellen geht hervor, (lass eine Situ ."er» arg rtf^ Sanetstoftverhrauchs 
liüii der Ktifa)i5ös;itirBahg^1.>e in »Ulgi Versne-he« siittgehabt sfljvaijifeeiü von 
3.7—H<i,7 v/fl-. I>tH''Diirdis» i hHitt Jui.- ''allen sieben Versuchen betrüg 1 iß „ 

Da* Aiheihvolnmeü. wuchs in .ler Rer.ci um euuue ilumim bis IüOO mu. tl. h., 
4 a- die Yersttehsjiersojum■ ,Athomvi>luhiina zwi-wlma 4—b Ufern Am hallen i'ileeten, 
|H cm ]<> —'>(i"ii.ir un ^bwiteheli versuch 5 unter hcsoiiileren t’njrtÄodeD (*. u.) 
um •57.!.» v.i JA entfallt mm ein gewisser Arithiul des Mohrverbniuchs an AauerMott 
auf dies!' veiiiielirle Athrmmusarbeit. Unter tkumUmm des vor. Ziuitz aus zahl¬ 
reichen V cts uelmu herechmden Mittelwert))* von 8.4 «*eüi SauerstoB' auf je ein Di» er 
io- 'der Minute mJir Aeathmetc-i- l.oft Yemmic-m sielt die von der Atliihüny -los- 
uelrtsic-rr Werth.e f»li* den RaiiersRdihiehiveriiniurli etwas ua<l -sehwanken '/wisdu?fl 
8 -iM,hetregeu nw Mittel 18,ä% mir. die Rubrik der'. .•Uhmiiß-gstaheJIen mit 
der Ui-horsehrift: Zunaimm- in *% «ach »vmrvkNoiu. 

i>ie Itnittfrcvjuenz nahm etwas zu, doch meist 'nur wenig* 

Dm resjiirAUtrisehe Dmiiiniii sank in alh'u Varr.in-'hi-n etwas al». Ks tna« das 
zum 1 hoiI «Mit der Mehraussdtekluög vor. Hi, durrh die Haut heruliea. da das 
AVtrssci d>> :>chw"et>.'cs Mch mit lü>blernaiuc l.ela.lot 


Co gli 





Ucbcr die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. -11 

Eine deutliche Nachwirkung des Schwitzbettes auf den Sauerstoffverbrauch 
konnte bei ca. 1—2 Stunden später erfolgender Untersuchung nicht festgestellt werden. 
Wenn der Verbrauchswerth überhaupt grösser war als in dem Vorversuch, so handelt 
es sich nur um wenige innerhalb physiologischer Schwankungen liegende ccm. 

ln dem Versuche 5 geht die Zunahme des 0-Verbrauchs und die Steigerung 
des Athemvolums erheblich über das sonst beobachtete Maass heraus. Indessen stand 
damals die Person unter ThyrojodinWirkung und hatte einen gegen sonst erhöhten 
Nüchternwerth, sie befand sich also möglicherweise in einer Periode gesteigerter 
Erregbarkeit des Gaswechsels. Der Versuch hatte keineswegs besonders lange ge¬ 
dauert, auch die Körpertemperatur nicht besonders stark erhöht. 

Versuch 7 zeichnete sich vor den anderen durch erheblich längere Dauer aus, 
wie sie für die gewöhnlichen therapeutischen Zwecke nicht in Betracht kommen 
dürfte. Die Dauer der anderen Versuche entsprach der Praxis. 

Die sonst beobachteten Wirkungen der Schwitzbetten stimmen mit genügend 
bekannten Tbatsachen überein. 

Die Körpertemperatur, abgesehen von Versuch 1 im Rektum gemessen, stieg 
um V» — 1V* 0 C, meist auf 38 — 38,3° an, in dem länger dauernden Versuch 7 um 
2,3 °C (auf 39,5°). 

Die Pulsfrequenz ging von der Normalzahl meist auf 112 — 120 in die Höhe. 

Der Gewichtsverlust wurde nur in Versuch 7 bestimmt und betrug daselbst 
2,200 kg. Er beträgt sonst im Schwitzbad gewöhnlicher Dauer meist 600—1000 g. 

Der Beginn des Schwitzens ist in meinen Tabellen vom Erscheinen dicker 
Schweisstropfen im Gesichte an gerechnet, um einen möglichst einheitlichen Maass¬ 
stab zu haben. 

Lichtbadversuche. 

Die Lichtbadversuche wurden grösstentheils mit einem von der Elektrizitäts¬ 
gesellschaft Sanitas in Berlin gelieferten transportablen elektrischen Lichtbade vor¬ 
genommen. Ein mulden- resp. kuppelförmiger Bügel von der Form, wie man ihn 
sonst anwendet, um Kranke gegen den Druck der Bettdecke zu schützen, trägt acht 
Glühlampen. Das ganze ist mit einem an der Innenseite asphaltierten, aussen 
schwarzem Bezüge überkleidet. Länge : Breite : Tiefe = 74 : 59 : 44 cm. 

Ein auf die Haut aufgelegtes Thermometer stieg während einstündiger Be¬ 
nutzung auf 66 ° C. 

Versuch 7 wurde unter Anwendung eines sehr intensiv wirkenden, von 
Sanitätsrath Thilenius-Soden konstruierten und freundlichst zur Verfügung ge¬ 
stellten transportablen Lichtbads vorgenommen. Das letztere besteht aus einem 
Gerüste von leichtem Holze, das ebenfalls mulden- resp. kuppelförmig gewölbt ist, 
aber sehr viel grössere Dimensionen hat als das Lichtbad »Sanitas« (Länge: Breite: 
Tiefe = 105 : 75 : 65 cm). An den Längsstangen des Holzgerüstes sind fünf Reihen 
von 16kerzigen Glühlampen, im ganzen 30 Lampen angebracht. Das ganze hat einen 
abnehmbaren Ueberzug von Packleinewand. 

Die Vereinigung so vieler Glühlampen auf relativ kleinem Raume, die Grösse 
der bestrahlten Körperfläche, die Leichtigkeit und Handlichkeit des ganzen und nicht 
zuletzt die grosse Billigkeit 1 ) sind die bedeutenden Vorzüge dieses transportablen 
Lichtbads. 

Die Versuchsergebnisse gehen aus den nun folgenden Tabellen hervor. 

') Erhältlich bei Installateur Zengler-Sodcn. Preis incl. Glühlampen ca. 47 Mk. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Gewicht 


Dalum 


Bemerkungen 


L. ] wferöO 
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• j II Uhr biö 
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10. Xuve?ntn*T! 
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Applikation des Lichtbades. 
Firste SeliAv eins tropfen tm Gesicht 
iVthemversmh im Lichtbad 


R.-Qu ; Bemerkunger* 


.. ; Durch^hmtfr 
auK W früheren 
Bestimn/ijug‘>u 
0 ,$SJ§ Itoupfvecaucb 


11 Uhr i?i* mm 

11 Wir *5 ! 


8,075 


Lkhtbadvomich i. 

I tuwer %7 Applikation l .Stande 10 MmnU'n Öaiu.r SchvyitzflDS ;:4h M?nuk\a 


Datum Name Z»>it 


Iftife Gewicht 


L dÜbtlSV 
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7 Uhr 4 

7 O hr *0 
} ü t T hr 17 bi* 


Athimi verbuch tjUhr J.8 V. Utk 111 r h r37 


■2(h November 
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Applikation defc törfubkdaa 
E^ter Bchvmss 

AÖiernv^‘nme|i im Lichtbad, Beeculi 
gong de* Lichtbad''* 8 Uhr :h> Mannt • 
rii nnig der Haut 


8 Wir M 
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10 Wir 10 


Aiheummmch l Stasi ck .14 Mimito« 
nach Beendigung de* Lkhthade* 


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Üöber die Wirkung der Hei^uftbäder und dor cdßktrfeelj^n Lichtbilder. 213 




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Utils 


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auch BoetidigiTng des LidUlmdes 

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Applikation des üehlbaiUv 

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Erster «Scliwetss im Ddslebt 

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AthemverKueh im Lichtbad. Bi-nddißtmg 




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- 10—1,1 , r )Ö,TiXi 

1 Atlietuversudi 1 Stunde 10 Minuten naeh 

j Uis 11 Uhr 14 

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Dauer der Applikation i Stunde 44 Moniten. Dauer des &ehvn&fcu>5 \ Stunde ’ |P Minuten. 

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Heber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. 215 


Datum 

Name 

i 

Zeit 

Temp. 

1 

Puls 

• 5 

S o> 

Jä g, .Gewicht 

Bemerkungen 





i 


7. Februar 

F. 

7 Uhr 33 

37,0 

88 

8 50,100 

Athemversuch 

1900 

! 

bis 7 Uhr 49 






! 9 Uhr 13 

| 9 Uhr 20 
9 Uhr 40 


Applikation des Lichtbades von 
Dr. Thilenius (Soden) 

Erste Schweisstropfen im Gesicht 
Unerträgliche Wirkung der Strahlung 
Erloschenlassen der Lampen bis 9 Uhr 
45. Schutz der Haut durch Leintuch 


9 Uhr 55 
bis 10 Uhr 6 

10 Uhr 10 


10 Uhr 15 


39,3 


I 10 Uhr 35 — 

J bis 10 Uhr 481 
I 10 Uhr 57 I 37,6 


11 


Athemversuch im Lichtbad 


144 

112 


49,400 


Beendigung des Lichtbades 

Athemversuch 25 Minuten nach Be¬ 
endigung des Lichtbades 


Zeit 

Athem¬ 
volumen 
in ccm 

Zunahme I 

in ccm 1 

C 

© 9 
> G 
©~ 

2-o 
Pu ° 

o-2 

Q __ 

O-Verbr. 
in ccm 
pro Min. 

Zunahme 
in ccm 

Zunahme 
in o/o 

fFBT 

Ls G g 
So'O 

!n.s* 

1 *0 

1 2 S 
£ 8 
i v* 

S~ 

R.-Qu. 

1 

Bemerkungen 

i 

7 Uhr 33 
bis 7 Uhr 49 

4150,3 

— 

5,016 

3,8&5 

208,2 


j 

1 ~ 

101,2 

0,774 

Vorversuch 

9 Uhr 55 
bis 10 Uhr 6 

6950,2 

2799,9 
= 67,4^ 

4,462 

3,185 

307.6 

99,4 

(-23,5) 

47,7 

36,4 

221,4 

i 

0,719 

Hauptversuch 

10 Uhr 35 
bis 10 Uhr 48 

4329,5 

l 

— 

4,998 

3,595 

1 

' 216,4 

_ 

: 

— 

155,0 

i 

0,719 

Nach versuch 


Lichtbadversuch 7. (Lichtbad nach Thilenius.) 

Dauer der Applikations 57 Minuten. Dauer des Schwitzens 50 Minuten. 

Die Zunahme des Sauerstoffverbrauchs schwankt in diesen Versuchen von 12 
bis 47,7%, beträgt im Mittel aus sechs Versuchen 27,5%. Es ist aber auffällig, 
dass in den Lichtbädern der beschriebenen Art das Athemvolumen sehr viel erheb¬ 
licher anwächst als unter dem Einfluss der Heissluftbäder. Es wuchs in meinen 
Versuchen die Athemgrösse fast immer um einen Werth von mehr als 30% der 
früheren Grösse und erreichte Höhen bis 90,5% des vorherigen Werthes. 

Wenn man nun wieder unter Benutzung des Zuntz’schen Faktors den Einfluss 
der erhöhten Athmungsthätigkeit von den Sauerstoffzahlen abzieht, so ist die Er¬ 
höhung des Sauerstoffverbrauchs kaum erheblicher als in den Heissluftbädern. Sie 
beträgt im Durchschnitt aus sechs Versuchen 15,9% (13,5 % beim Schwitzbett). 

Im Lichtbadversuch 7 ist es freilich unter Anwendung des Thilenius’schen 
Lichtbades gelungen, eine Steigerung des 0-Verbrauchs um 36,7 % auch nach Abzug 
des Athmungsantheils zu erzielen. Es war in diesem Versuche die ganze den Licht¬ 
strahlen ansgesetzte Vorderfläche des Körpers vom Halse bis zu den Knieen äusserst 
intensiv feuerroth und weiss (cfr. unten) marmoriert, und es ist wohl zweifellos, dass 
der stärkere Ausschlag des Sauerstoffwerthes einer vermehrten Oxydationsthätigkeit 
in den oberflächlicheren Partiecn der Körpergewebe zu danken ist. Es war aber die 


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210 


H. Salomon 


Wirkung der Strahlung so unangenehm, dass die Glühlampen zeitweilig abgedreht, 
der ganze Versuch bereits nach 57 Minuten beendet werden musste. Berechnet 
man den Gesammtverbrauch an Sauerstoff während des Versuches, indem man den 
Minutenmehrverbrauch von 75,9 ccm (99,4—23,5 ccm) mit der Minutenzahl 57 multi¬ 
pliziert, was natürlich nur bedingt zulässig ist, weil der Minutenwerth auf der Höhe 
der Wirkung bestimmt wurde, so kommt man auf einen Gesammtmehrverbrauch von 
nur 4,326 Liter 0, eine Zahl, die hinter derjenigen anderer Versuche, z. B. Versuch 6, 
dessen Gesammtmehrverbrauch sich auf 7,0271 Liter 0 belaufen würde, erheblich 
zurückbleibt. Es ist also wohl möglich, durch eine sehr dichte Anordnung von 
Glühlampen eine nicht unerhebliche Steigerung des 0-Verbrauchs auf dem Wege 
intensivster Bestrahlung vorübergehend zu erzielen, indessen kommt das bei der 
praktischen Anwendung der Lichtbäder nicht in Betracht, insbesondere nicht bei der 
jetzt meist verbreiteten Form des transportablen elektrischen Lichtbades, dem Licht¬ 
bad Sanitas, erst recht nicht bei den später zu besprechenden Kastenlichtbädern. 

Wenn auch nicht so erheblich als bei dem Thilenius’schen Lichtbade ist auch 
bei dem Lichtbade Sanitas der intensive Einfluss der Strahlung auf die Haut sehr 
deutlich. Die Versuchspersonen mussten sich anfangs erst an das »Brennen« der 
Haut gewöhnen, sie sahen schon nach ein6tündiger Applikation des Lichtbads an 
Bauch und Oberschenkeln intensiv marmoriert aus, indem die stärker bestrahlten 
Hautpartieen mit krebsrother Farbe gegen die weniger stark beeinflussten Partieen 
abstachen. Wahrscheinlich wird auch die auffällige Vertiefung der Athmung reflek¬ 
torisch von der Haut aus angeregt. 

Der subjektiv unangenehmen Strahlungswirkung lässt sich natürlich durch Be¬ 
deckung der Haut Vorbeugen, doch geschah das in meinen Versuchen absichtlich 
nicht, um bei der Beurtheilung des Einflusses auf den Stoffwechsel von möglichst 
maximalen Wirkungen auszugehen. 

Eine Nachwirkung der Lichtbäder in Bezug auf den 0-Verbrauch ist ebenso¬ 
wenig vorhanden wie bei den Heissluftbädern. Besonders instruktiv in dieser Be¬ 
ziehung ist Versuch 7. 

Es hängt wohl mit der erheblichen Vermehrung der Athemgrösse zusammen, 
dass im Lichtbade der respiratorische Quotient nicht die eindeutige Tendenz znm 
Absinken zeigt wie im Schwitzbette, vielmehr in der Mehrzahl der Versuche anstieg. 
Bei letzterem Verhalten mag das nach Analogie der Schwitzbettversuche zu er¬ 
wartende Absinken durch eine erleichterte Lungenabdunstung der C0 2 überkompen¬ 
siert worden sein. 

Die Athemfrequcnz verhielt sich durchaus ähnlich wie in den Schwitzbädern, 
die bedeutende Vermehrung des Athemvolums wurde im wesentlichen durch eine 
Vertiefung der einzelnen Athemzüge geleistet. 

Die Körpertemperatur stieg in den Versuchen um 1—2,7 ® C an. Das Maximum 
war 39,8 °C rektal und wurde bei zweistündiger Applikation des Lichtbades erreicht. 

Die Pulsfrequenz erhöhte sich von der Norm auf ca. 120—132. 

Der Gewichtsverlust schwankte von 400—1900 g. 

Es sei hier noch erwähnt, dass, wie die Durchsicht der Tabellen lehrt, die Versuchsperson I,. 
zur Zeit der Lichtbadversuche mehrfach einen auffällig hohen respiratorischen Quotienten, um 0,9 
herum, hatte. Dass sic vor den Versuchen etwa Nahrung genommen hatte, war völlig ausge¬ 
schlossen. Die Richtigkeit der Analysen wurde sowohl durch genaue Uebercinstimmung der Doppel¬ 
analysen als durch exakt stimmende Kontrollanalysen von Luft garantiert Zur Erklärung mag 
cinestheils der in der Abendkost des Krankenhauses herrschende Reichthum an Kohlehydraten, 
andemtheils die in die Zeit der Versuche fallende Rekonvalcsceuz der Versuchsperson (Gewichts- 


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Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. 217 

Zunahme im ganzen um 20 Pfund) herangezogen werden. Wenigstens hat Magnus-Levyi) der¬ 
artig grosse Nfichternwerthe des respiratorischen Quotienten an Rekonvalescenten ebenfalls be¬ 
obachtet, sie kommen aber auch sonst hin und wieder vor, offenbar infolge Vorwiegens der Kohle¬ 
hydratverbrennung im Nüchternzustand, ohne dass eine sichere Erklärung dafür zu geben ist 

Von der Wirkung des transportablen elektrischen Lichtbades weicht nun die¬ 
jenige des Gltthlichtsitzbades oder Lichtkastenbades in manchen Punkten etwas ab. 
Jene Apparate sind bekanntlich polyödrische Holzkästen, deren Wände eine Aus¬ 
kleidung von Spiegelglasscheiben und mehrere Reihen von Glühlampen (in dem mir 
zur Verfügung stehenden im ganzen 40 Lampen) tragen. Der Patient sitzt in dem 
Kasten auf einem Stuhle, ein Theil des Halses und der Kopf ragen durch einen 
Ausschnitt in der Decke des Kastens hervor. 

Bei der Geräumigkeit der Sitzkastenbäder ist die Entfernung der Glühlampen 
von der Haut eine grössere als bei den transportablen Lichtbädern. Die Spicgel- 
glasauskleidung ermöglicht eine sehr gleichmässige Vertheilung von Licht- und 
Wärmestrahlen durch den ganzen Raum. Es fällt daher auch bei völlig nacktem 
Körper die unangenehme Reizwirkung der Strahlung fort. 

Es wird ferner die Wärme fast der ganzen Oberfläche des Körpers und von 
allen Seiten gleichmässig zugeführt, der Abschluss des Lichtbades ist, wenn der 
Ausschnitt für den Hals zugedeckt ist, ein sehr luftdichter. Es tritt daher die 
Schweissabsonderung sehr rasch, oft schon nach 5—10 Minuten, bei einer Temperatur 
der Innenluft von 38—40 °C ein. Bald rinnt der Schweiss in Strömen, länger wie 
30—35 Minuten wird ein derartiges Lichtbad nicht leicht ertragen. Zahlenmässigen 
Aufschluss über die Wirkung geben die folgenden Tabellen: 


Name j 

Zeit | 

j 

Temp. 

rectal. 

Puls 

i 

Gewicht 
in kg 

Temp. der 
Innenluft 

1 

I 

Bern erkungen 

Elise F. 

5 Uhr 40 

37,7 

88 ' 

50,70«) 

— 


Nephritis chron. 

5 Uhr 45 


! _ 


— 

Applikation des Lichtbades 


5 Uhr 53 

— 


1 

38 

Lebhafter Schweiss am Körper 

j 

5 Uhr 57 

— 




Schweisstropfen im Gesicht 


« Uhr 15 

— 

— 

— 

— 

Lichtbad wird nicht länger ertragen 


0 Uhr 20 

6 Uhr 43 

7 Uhr 24 

38,4 

128 

. — I 

— 1 

i 

50,200 

i 

80 

90 

Beendigung desselben 


Kastenlichtbad versuch l. Halsausschnitt zugestopft. 


Name 

f 

Zeit Temp. 

Puls 

1 Gewicht Bemerkungen 

Anna W. 

i 

11 Uhr 30 37,4 

HO 

68,400 

Neurasthenie 

11 Uhr 35 1 — 

— 

| Applikation des Lichtbades 


12 Uhr 5 - 

— 

• Nicht länger erträglich! Beendigung 

I 

12 Uhr 10 | 39,0 

148 

| 68,000 


Kastenlichtbadversuch 2. Halsausschnitt zugestopft. 


') Untersuchung zur Schilddrüsenfrage. Zeitschrift für klinische Medicin Bd. 33. S. C. 


Zeitscbr. t diikt. u. physik. Therapie H<1. V. Heft ;j 


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218 


H. Salomon 


1 




i 

Temp. 


Name 

Zeit 

Temp. 

Puls 

Gewicht j 

der 

Bemerkungen 

i 





Innenluft 


Anna K. 

10 Uhr 40 1 

37,3 

88 

; 54,400 

_ 


Skrophulose 

10 Uhr 42 , 


— 

1 •- 

i 

Applikation 


10 Uhr 57 

— 

— 

| “ 

1 46 

Erster Schweiss 

i 

11 Uhr 11 

— 

120 

— 

01 

Reichlicher Schweiss 


11 Uhr 13 

— 

132 


— 

I Lichtbad nicht länger erträglich 


1 



i 


Beendigung 


11 Uhr 18 1 

38,3 

— 

| 54,000 

— 

i 

! 


Kastenlichtbadversuch 3. 

Halsausschnitt zugestopft 

Name 

1 

Zeit 

l| .1 

j Temp. 1 Puls Gewicht 

Bemerkungen 

Martha F. ! 

9 Uhr 10 

37,0 

80 i 

59,8 


Bronchitis 1 

9 Uhr 15 

i 


— 1 

— 

Applikation 

| 

9 Uhr 25 



100 


Schweiss 


9 Uhr 35 


, 

124 


Kann das Bad nicht länger ertragen 





1 


Beendigung. 

j 

9 Uhr 40 

37,0 


59,0 



KastonJichtbadvcrsuch 4. Halsausschnitt offen gelassen. 


Bestimmungen des Gaswechsels im Lichtbade konnten äusserer Schwierigkeiten 
halber nicht angestellt werden. Da indessen bei Anwendung der transportablen 
Lichtbäder ein irgend erheblicher Mehrausschlag an Sauerstoffverbrauch gegenüber 
dem in einfachen Schwitzbetten nicht zu erzielen war, obwohl zweifellos die starke 
Strahlung den Umsatz in den oberflächlicheren Körperpartieen anregen wird, so ist 
im Lichtkastenbad, bei dem jener Reiz fast wegfällt, ceteris paribus erst recht kein 
besonderer Mehrverbrauch an Sauerstoff zu erwarten. • Der grossen Anzahl der 
Lampen steht die Nothwendigkeit beschränkter Zeitdauer der Applikation gegenüber. 

Ueberblicken wir nun nochmals die Wirkung der Heissluft- und der elektrischen 
Lichtbäder auf den Gaswechsel, so fällt auf, wie verhältnissmässig gering jene Be¬ 
einflussung ist gegenüber der mächtigen Einwirkung auf Körpertemperatur, Körper¬ 
gewicht und Allgemeinbefinden. Es geht die Vermehrung des Sauerstoffverbrauchs 
nur selten erheblich über die von Kraus*) beim Fieber ermittelten Steigerungen 
hinaus, welche die obere Grenze von 20°/ o nicht übersteigen. Jedenfalls reichen 
die Oxydationssteigerungen im Heissluft- und Lichtbade nicht entfernt heran an die 
von Winternitz im heissen Bade gefundenen, welche nach Abzug des auf die 
Athemgrösse entfallenden Antheils noch 30—75 °/ 0 betragen. 

In Praxi erscheinen die elektrischen Lichtbäder als reinliche, schnell wirkende 
Schwitzbäder. Sie haben gegenüber den altbewährten Schwitzbetten den Nachtheil 
der Theuerkeit und der Abhängigkeit vom Vorhandensein elektrischer Leitung. Eine 


*) lieber (len respiratorischen Gasaustausch im Fieber. Zeitschrift für klinische Medicin 1891. 
Bd. 18. 


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Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. 219 

spezifische Wirkung erheblicheren Grades auf den Stoffwechsel ist nicht nachweisbar, 
der mit ihrer Erfindung gemachte Fortschritt ist ein technischer, kein prinzipieller. 

Der Platz der Schwitz- und Lichtbäder ist vor allem da in der Therapie, wo 
man Flüssigkeitsentlastung resp. Ausscheidung giftiger Substanzen und Anregung 
des Blut- und Säftestroms erzielen will. 

Zweifellos wird ja im Schwitz- und Lichtbad ein Plus an Wärme nicht bloss 
zugeführt, sondern auch gebildet, es genügt aber bei dem. Mangel einer Nachwirkung 
jener Prozeduren die Steigerung des Stoffwechsels nicht, um von ihr den Erfolg zu 
erhoffen, wie er für manche Konstitutionsanomalien, z. B. die Fettsucht von den ver¬ 
schiedensten Seiten 1 ) behauptet worden ist. Aus theoretischen Gründen muss man 
da zu demselben Standpunkt gelangen, wie es aus rein praktischen Erfahrungen 
heraus von Kalinczuk 2 ) bei seinem Referate über die Wirkung der elektrischen 
Lichtbäder vertreten worden ist. 

Ein Gramm Fett braucht zu seiner Verbrennung 2,01119 Liter Sauerstoff (für 
Schweinefett nach den von Magnus-Levy») angenommenen Werthen berechnet). 
Nimmt man nun selbst an, in einem der wirksamsten Lichtbäder meiner Tabelle, 
dem Versuche 6, habe der Sauerstoffverbrauch während der ganzen Dauer dieselbe 
Höhe gehabt wie zur Zeit der Bestimmung des Gaswechsels auf der Höhe der 
Lichtbadwirkung, so würde das für die Dauer des Lichtbades von 144 Minuten 
144 mal dem Minutenwerthe von 48,8 ccm (54,8 ccm — 6 ccm) = 7,0271 Liter Sauer¬ 
stoff ausmachen. Dieselben würden, auch ganz auf Oxydation von Fett verwandt, 
nur ca. 3Vag Fett entsprechen. 


'] Vergl. z. B. A. Frey, Die Schwitzbäder in physiologischer und therapeutischer Beziehung. 
Volkmann’s Sammlung klinischer Vorträge 1889 und Kabierske, Zum VcrstäDdniss der Schwitz¬ 
bäder und ihrer Anwendung bei der Fettleibigkeit. Breslau 1898. 

*) Kalinczuk, Zur kurativen Anwendung des elektrischen Lichtbades. Prager mcdicinische 
Wochenschrift 1898. No. 22. 

*) Ueber die Grösse des respiratorischen (insWechsels unter dem Einfluss der Nahrungs¬ 
aufnahme. Pfl&ger’s Archiv Bd. 55. 


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15* 

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220 


M. Siegfried 


IV. 

Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. 

Von 

Dr. M. Siegfried 

in Bad Nauheim. 

(Schluss.) 

Hat nach Vorherigem das Dreirad sich brauchbar erwiesen zur Ergänzung der 
Apparate der bahnenden sowohl wie der kompensatorischen Uebungstherapie, 
so gilt dasselbe, wie die nachfolgenden Beobachtungen lehren werden, von seiner 
Verwendung als Widerstandsgymnastik bei der Behandlung von Herzkrank¬ 
heiten. 

Es ist das unbestreitbare und grosse Verdienst des verstorbenen August. 
Schott und seines Bruders Theodor Schott, den Nachweis geliefert zu haben, 
dass vorsichtig eingeleitete Muskelkontraktionen in analoger Weise entlastend auf 
das Herz wirken können, wie es das kohlensäurehaltige Soolbad thut, da der 
arbeitende Muskel stärker durchblutet wird und im Plethysmographen eine deut¬ 
liche Volumenzunahme zeigt. Es handelt sich natürlich nur um Uebungen leichtester 
Art, welche selbst von solchen Herzkranken noch mit subjektivem Beilagen aus¬ 
geführt werden können, denen einfaches Gehen auf ebener Erde bereits Dyspnoe und 
Herzklopfen verursacht. 

Wenn die Bewegungen unter Setzung eines Widerstandes ausgeführt werden, 
woher sie ihren Namen als Widerstandsgymnastik tragen, so soll die Stärke 
dieses Widerstandes so minimal bemessen werden, dass seine Ueberwindung dem 
Herzkranken keinerlei Mühe macht. Der ratient soll nach Absolvierung der Uebung 
nicht das Gefühl der Ermüdung sondern dasjenige einer subjektiven Erleichte¬ 
rung haben. 

Das Kriterium, ob die Widerstandsttbung richtig ausgeführt ist oder nicht, bleibt 
stets die Art der Beeinflussung der Herzthätigkeit und der Athmung. Beide 
müssen bei richtiger Dosierung der Gymnastik eine Verlangsamung, die Thätig- 
keit des Herzens gleichzeitig eine Kräftigung, die der Athmung eine Vertiefung 
erfahren. 

Während Theodor Schott lediglich den Widerstand, welchen ein Gymnast 
dem Kranken entgegensetzt, also den manuellen Widerstand, für therapeutisch ver- 
werthbar erklärt und die Verwendung von Apparaten wegen angeblich mangeln¬ 
der Dosierbarkeit 1 ) verwirft, schliesse ich mich auf Grund vierjähriger Be¬ 
obachtungen der t'eberzeugung derjenigen-) an, welche erklären, dass der Wider- 

H Verhandlungen des Kongresses für innere Medicin 1808. S. .‘VI4. 1800. S. 00. 

-) Tselilenoff, Die mechanische Heilgymnastik. Diese Zeitschrift Bd :V Heft 4. — Herz, 
Neue Prinzipien und Apparate der Widerstandstherapie Wiener lued. Presse 1808. No. 41. — 
Ucbel u a. 


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Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. "221 

stand eines Apparates, sobald er durch Gewichte oder Hebel gegeben wird, an 
Dosierbarkeit dem manuellen Widerstand bedeutend überlegen ist. 

Eine ausführliche Begründung dieser Behauptung bei der Verwendung einer 
Reihe von Apparaten verschiedenster Konstruktion werde ich an anderer Stelle 
bringen, hier muss ich mich auf die kurze Darstellung der Beobachtungen beschränken, 
welche an zwei Herzkranken des Moabiter städtischen Krankenhauses gemacht sind, 
die längere Zeit der Widerstandsgymnastik auf dem Kurdreirade unterworfen 
gewesen sind. 

Da die Arbeitsleistung des Antriebes eines mit 150 kg beschwerten Dreirades 
auf glatter ebener Fläche und bei Ausschluss von Gegenwind nach meinen Ver¬ 
suchen nur 0,3—0,5 kg beträgt ’), ihre Dosierung nach obigem genau erfolgen kann 
und da die rhythmischen Bewegungen der Beinmuskulatur eine Ableitung des 
Blutstromes in die unteren Extremitäten verursacht, so müssen, wenn diese Be¬ 
trachtungen richtig sind, Herzkranke, denen das gewöhnliche ebene Gehen wegen 
Dyspnoe, Cyanose, Schwäche oder dergl. unmöglich ist, die Versetzung auf das 
zunächst passiv bewegte Dreirad als eine subjektive Erleichterung empfinden und 
im Laufe der Behandlung eine objektiv nachweisbare Besserung der Symptome und 
eine erhöhte Leistungsfähigkeit erkennen lassen. 

Zur Beobachtung der Einwirkung des Verfahrens habe ich Tabellen angefertigt, 
welche enthalten: 

1. Die jeweilige Länge der Tretkurbeln. Hierdurch wird bei passiver 
Bewegung die Ausgiebigkeit der Beinbewegungen, bei aktiver das Maass der Hebel¬ 
kraft bestimmt, welches der Patient zur Niederdriickung des Pedals entfalten muss 

2. Die Zahl der Pedalumdrehungen (P.-U.) in der Minute, d. h. die 
Schnelligkeit der Bewegung. 

3. Die Zahl der Minuten, während derer die Bewegung ohne Unterbrechung 
ausgeführt wird, d. h. die Dauer der einzelnen Gymnastik. 

4. Die Zahl der Pulsschläge t , , . , T t l , , ... 

5. Die Zahl der AthemzOge I vor unä " ach Jedem Uebungsabschmtle. 

(>. Die Länge der Ruhepause zwischen den einzelnen Uebungsabschnitten. 

7. Lufttemperatur, Witterung, Zeit, Ort, Art der Gymnastik (ob aktiv, passiv, 
ob Fussbetrieb, ob Fuss- und Handbetrieb, Füsse frei, gefesselt etc.). 

Da die Uebungen ohne Ausnahme nur auf ebener cementierter Bahn mit Aus¬ 
schluss von Gegenwind stattfanden, konnte der durch Reibung und Luftwiderstand 
gegebene äussere Widerstand als eine Konstante betrachtet werden. 

Die Ausfüllung der einzelnen Rubriken der Tabelle ermöglicht daher eine un- 
gemein genaue Dosierung der Arbeitsleistung und eine untrügliche Kontrolle 
ihrer Einwirkung. 

In den allermeisten Fällen zeigt sich, wenn alle Vorbereitungen mit der nöthigen 
Ruhe und Langsamkeit getroffen sind, der Patient auf das Rad gehoben worden ist 
oder zum Aufstieg einen Holztritt von geeigneter Form und Höhe benutzt hat, die 
auffallende Erscheinung, dass bei frequentem Puls und Dyspnoe die Frequenz der 
Herzthätigkeit und der Athmung während der Bewegungsübung abnimmt, dass 
demnach die Einwirkung der Radgymnastik auf das kranke Herz dieselbe, wie 
die der speziellen Widerstandsgymnastik dagegen eine derjenigen entgegen- 


i) Zur Mechanik und Physiologie der Cvklistik. Deutsche medicin. Wochenschrift No. 


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222 


M. Siegfried 


gesetzte ist, welche die sportliche Ausübung der Cyklistik auf die Thätigkeit des 
gesunden Herzens zur Folge hat. 1 ) 

Die Verminderung der Pulszahl in der Minute ist gleichzeitig mit einer gün¬ 
stigen Beeinflussung der Pulswelle und des Rhythmus der Schlagfolge verbunden, 
wie aus den unten folgenden Sphygmo-Chronogrammen, die mit dem zuverlässigen 
Jaquet’schen Apparat unter allen Kautelen unmittelbar vor und nach der Uebung 
aufgenommen sind, deutlich hervorgeht. Die Zahl, um welche die Frequenz des 
Herzschlages vermindert wird, schwankt innerhalb ziemlich weiter Grenzen, zwischen 
einigen wenigen bis zu 16, 20 Schlägen in der Minute. Die Pulswelle wird höher, 
der ansteigende Schenkel steiler, es kommt meistens zu einer allmählich immer 
deutlicher werdenden Ausprägung der Rückstosselevation. 

Die Respiration zeigt in allen Fällen eine Verlangsamung und Vertiefung, 
woran sich hauptsächlich die Inspiration betheiligt. Bei fehlender Athmungspause 
erscheint sie im Laufe der Behandlung. 

Der Kranke, welcher mir im Moabiter städtischen Krankenhause übergeben 
wurde, lag auf der Station des Herrn Professor Renvers, welcher vor Beginn der 
cyklogymnastischen Behandlung noch einmal die Herzgrenzen feststellte. Es handelte 
sich um ein Cor debilissimum mit hochgradigster Dilatation, dessen Be¬ 
sitzer bei dem Versuche, im Saale umherzugehen, nach ca. 5 Schritt wegen Dyspnoe 
und Cyanose, bei welcher sich nicht nur die Lippen, sondern das ganze Gesicht 
dunkelblau verfärbte, stehen bleiben und sich setzen musste. 

Die Vorgeschichte war kurz folgende: P. Sch., Bureauvorsteher, 41 Jahre, hat vor 
3 Jahren Gelenkrheumatismus gehabt, seitdem öfter an Herzklopfen gelitten. Am 10. Sep¬ 
tember 1898 ging Patient nach Beendigung seines Dienstes, ohne sich krank zu fohlen, vom 
Bureau ca. V* Stunde nach seiner Wohnung und wurde beim Ersteigen der Treppe plötz¬ 
lich von Athemnoth, allgemeinem Schweissausbruch, Herzklopfen und Schwindel befallen. 
Er sinkt zusammen, wird in seine Wohnung-hinauf getragen, wobei sein Gesicht tiefblau 
gewesen sein soll, und ist seitdem gehunfähig. 

Am 19. Oktober 1898 Aufnahme in das Krankenhaus, wo er sich jetzt 5 Wochen 
ohne Aenderung im Zustand befindet. Das Herz ist am 26. November 1898 nach rechts und 
links ad maximum dilatiert, die Herzdämpfung überschreitet den rechten Sternalrand nach 
rechts um 5—6 cm, nach links die MM-Linie um 3 cm, der Spitzenstoss ist weder sichtbar 
noch ftthlbar. Puls 130 im Sitzen, steigt beim Aufstehen auf 144, Welle klein, niedrig, kaum 
fühlbar, Spannung äusserst gering. Respiration im Sitzen 30 in der Minute, oberflächlich, 
beim Aufstehen 40—42. Beim Gehen nach 5—6 Schritt dunkelblaue Färbung des ganzen 
Gesichts, hervorquellende Augen, strangartiges Anschwellen der Hals- und Gesichtsvenen. 

Fig. 24. 

II . < » i T ■ » » I , I > ■ I » 1 , 1 « ? ■ » , V » » V I I f ■ I » 1 , I ; r V I t I I V v ttt i t t v i t l » » . t » . » i 


' v> '/X/ v NA N /WW\/x/sjX/V v 'J\/sJ\/^ 

Sch., 20. November 1898, Vormittag 11 Uhr, vor der ersten Uebung. Puls 100, Rcsp. :>s, 


!) Beschleunigung der Puls- und Athmungsfrequenz ist, wenn psychische Erregung, welche 
den ersten Versuch in der gänzlich ungewohnten Situation oft .begleitet, ausgeschlossen werden 
kann, als Kontraindikition der Uebungsbehandlung anzusehen. 


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Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. 223 

Fig. 25. 


Sch. 26. November 1898, Vormittags UVaUhr, unmittelbar nach der ersten Ucbung, passiv 
(fünf Minuten, 14 P. U. in der Minute) Puls 120, Resp. 22. 

Nachdem das für gleichzeitigen Hand- und Fussbetrieb eingerichtete Dreirad *) an 
das Bett des Patienten gebracht und letzterer vorsichtig auf dem Sattel plaziert war, 
wurde, nachdem die durch diese Prozedur hervorgerufene Beschleunigung des Pulses 
sich wieder ausgeglichen hatte, die erste Bewegung passiv durch Schieben des Drei¬ 
rades vorgenommen und zwar zunächst zwei Minuten, dann nach einer Pause von 
fünf Minuten wiederum eine Bewegung von drei Minuten Dauer. Da in der Mi¬ 
nute 14 P. U. gemacht wurden, und jede P. U. einer Strecke von 4Vs m entspricht, 
so hatte Patient in den fünf Minuten mit 70 P. U. 350 m im Freien zurückgelegt. 
Während dieser Zeit hatte sich die Athmung von 38 auf 22 Athemzüge ermässigt, 
Cyanose war nicht vorhanden. Patient äusserte subjektives Wohlbefinden, die nach 
Beendigung der Uebung aufgenommene Pulskurve zeigte eine Verminderung der 
Pulsfrequenz von 10 Schlägen. — Bei täglicher Zugabe einiger Minuten zeigte die 
täglich geführte Tabelle am 5. Dezember 1898, also nach 10 Tagen: 


Kurbel- 

lftnge 

P.U. 

i.d.Min 

Dauer 

Puls 

Resp. 

Pause 

Bemerkungen 

14 

20 

8' 

120 

1 

18 

1 5' 

Puls vor der Uebung 124 


1 

Resp. vor der Uebung 20 

14 

20 

i 

! 10' 1 

i I 

104 

1 W 

i 

1 ~~ 

Bewegung aktiv. 


Patient hatte also sein Körpergewicht 18 Minuten lang selbstständig fortbewegt, 
eine Strecke von 1 Va km zurückgelegt, und dabei 18 x 20 P. U. also je 360 Arm- 
und Beinbewegungen, im ganzen 1440 Bewegungen der vier Extremitäten ausgeführt, 
wobei der Puls um 16 Schläge, die Athmung um zwei Züge in der Minute zurück¬ 
gegangen war. 

22. Dezember 1898. Patient ist im stände, das Rad von hinten aus selbst 
zu besteigen, wozu der eine Fuss auf die 40 cm über dem Boden liegende Hinter¬ 
radachse gesetzt und das Körpergewicht auf die letztere gehoben werden muss. 
Gehversuche, indem das Rad nicht mehr in den Krankensaal gebracht wird, sondern 
Patient zu dem im Freien stehenden Rade geht, auch im Freien wieder absitzt, und 
den Rückweg zum Krankensaal zu Fuss zurücklegt. 

24. Dezember 1898. Sphygmogramm nach IV 2 stündiger aktiver Uebung, mehr¬ 
maligem Ab- und Wiederaufsitzen, langsamem Gehen zum Rade und zu einer Bank, 
50—80 Schritt: Puls 104, Resp. 12. Lufttemperatur — 2» R. 

1 ) Dessen sinnreicher Mechanismus von dem Erfinder, Ingenieur Vonhausen in Wiesbaden 
ursprünglich für das Zweirad bestimmt war. 


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K lH-WJiitjci la'.t? Vcn’i '<!i s -'i 


■v fVbinar 180 !*. Nach l'.'a .Stunden aktiver tyktogymrMttfik -nwä 'KSt » Oi*vn • HW? VH, 
Roi*p, (ft,' neradümptan^ um mehitw <‘cnHmcwr verkleinert. Bpi «iärkttren Bem-gungen 

Abbruch der BelmntHUBg. 


Doch Cyanose;. 


Myokarditis, 

Smu‘kuug der Arme. iJureh Scufei-u der 

’^iVfU/•'••■ .Lenluuiujpi:. 


Myokarditis?,: 

Bfetfglifljf der Anne auf »lern Fürst und Hand 


‘H».it.U“prägtßP, als bei vxceasiven i>T tnt.it ionli«,fi*1 t*fu wie «ißt «rtdgp, i/irt die 
tiüjfjtiv’C Küivsiikuitg der (Yktogyumassik in f-’.'üK'b zu Tage, wo e> sich mn'Efkraakuntr 
*)*'.•' Hor/ftiuhkei.8 tjaudeji und cbe Therajue d>«: Aufgabe hat eine bessere Ki-ftährmiy 
d<*s> ilcrziniiskel- dureb RegnUemtig der Arheitd.-Dnink ubd vermehrte:■•O-.ZuTnltp 
des Herzens )ii:rbei/.«fiihmi. Hei einem au! der. Abfliidltuig des Herrn Prof, t»»> 1 «l- 
seheider ilegeadi;» Falte vonMvykaf&l.Hs nv> khdrtei», frequentem, Äu^eHwi fast 
MufOthUmrota Puls, tnaniite sich die er.d'e lehmie sofort im der Tiilskurve-deutlich 


WiMdite sieh die erde t «duiNt r 
sie-Mbar* indem die Pulsfrequenz von U*0 auf !»2. die der Atbmung vba 22 aiif 17 
f.bröekgidC'.i Die Hebungen auf dein Hand- imd 1 u~- i>etriehs<!t eirati (Fie. 2R und 2‘H 













Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. 225 

wurden sehr bald auf die Dauer einer Stunde pro die ausgedehnt. Patient stellte 
sich dazu vom 21. November 1898 bis 13. Februar 1899 mit grosser Pünktlichkeit 
selbst bei Schneefall ein. Eine nach vierwöchiger Behandlung aufgenommene Tabelle 
erzielte: 


1? &> 
■8 5 
33 * 

P.U. 

i.d.Min. 

Dauer 

Puls 

Resp. 

Pause 

Bemerkungen 

a) 16 

24 

30' 

84 

18 

10' 

Puls i vor der j 90 

b) 16 

24 

30' 

80 

16 


Resp. 1 Uebung l 20 


Es war demnach eine Verlangsamung des Pulses um 10 Schläge, eine solche 
der Athmung um vier Athemzüge in der Minute erzielt worden. Patient hat in 
2x30 Minuten 6Va km zurückgelegt. Die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit des 
Herzens veranschaulichen folgende Pulskurven: 


Fig. 30. 



11) November 1898. Vor Beginn der Behandlung. Puls 100, Resp. 22. 


Fig. 31. 



19. November 1898. Unmittelbar nach der ersten Uebung, Dauer 5 Minuten. 
Temperatur -f-f>oR, Puls 82, Resp. 17. 


Fig. 32. 




8. Dezember 181)8. Nach 1 ., ständiger Cvklogyinnastik. Puls 80, Kesp. 16. 


Fig. 33. 




14. Januar 1899. Nach 1 Stunde Cyklogymnastik. Puls 78, Resp. 12. 


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*226 M. Siegfried, Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. 

Fig. 34. 




13 Februar 1899. Nach 1 Stunde Cyklogymnastik, Puls 74, Resp. 10. 
Patient wird am 14. Februar 1899 geheilt entlassen. 


In den Sommern der beiden letzten Jahre habe ich in Nauheim eine grössere 
Reihe von Herzkranken nach obigen Grundsätzen in einer zu diesem Zwecke erbauten 
offenen Halle behandelt und dabei die Erfahrung gemacht, dass die Kombination 
der gymnastischen Behandlung mit dem gleichzeitigen Gebrauch der Nau¬ 
heim er Bäder bei strenger Individualisierung in der Auswahl, genauer Dosierung 
und dauernder ärztlicher Ueberwachung noch günstigere Resultate erzielt als 
die obigen, welche durch die cyklogymnastische Methode allein gewonnen sind. 

Ebenso gilt von der Anwendung der Cyklogymnastik bei Koordinationsstörungen . 
und Leitungshemmungen, dass sie die besten Erfolge zeitigt, wenn sie im Ver¬ 
ein mit den übrigen gymnastischen und physikalischen Heilmethoden 
appliziert wird, also speziell wenn sie im Anschluss an den Apparatengebrauch 
der bahnenden und der kompensatorischen Uebungstherapie zur Verwendung gelangt. 

Wenn ich für die Anwendung der Cyklogymnastik den Namen »Cyklotherapie« 1 ) 
vorgeschlagen habe, so geschah dies, um für die umständliche Bezeichnung einer 
neuen Methode einen prägnanten Ausdruck zu haben, nicht aber in der Meinung, durch 
die Verwendung der Cyklogymnastik eine neue »Therapie« zu begründen. 

Es handelt sich bei der Cyklotherapie um eine in manchen Fällen zweck¬ 
mässige Modifikation und Ergänzung der Bewegungstherapie und der Widerstands¬ 
gymnastik, um die Applikation eines physikalischen Heilfaktors, der neben alten 
auch einige neue Momente bietet, und dessen Gebrauch infolgedessen gerne und 
mit Ausdauer betrieben wird. 

Andrerseits bedarf es, um Enttäuschungen zu entgehen, einer unablässigen Beob¬ 
achtung und Ueberwachung des Patienten seitens des Arztes. Dies gilt vor allem 
bei der Verwendung der Cyklotherapie als Widerstandsgymnastik bei Herzkrank¬ 
heiten, wo als unumstössliches Gesetz gelten muss, dass der Patient nur unter den 
Augen des Arztes üben und niemals eigenmächtig Aenderungen in der vorge- 
schriebenen Dauer und Art der Uebungen vornehmen darf. 

Die Behandlung ist daher für den Arzt mühsam und zeitraubend, sodass sie 
meiner Erfahrung nach nur dann mit befriedigendem Erfolge ausgeübt werden kann, 
wenn der betreffende Arzt seine Hauptthätigkeit diesem Zweige der physikalischen 
Therapie zu widmen Zeit, Neigung und Gelegenheit hat. 


0 »Ueber Cyklotherapie«*. Vortrag im Verein für innere Medicin 181)8. 4. April. 


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Pelizaeus, Beschreibung einer sicher funktionierender Douchevorrichtung. 227 


V. 

Beschreibung einer auch bei wechselndem Wasserdruck sicher 
funktionierender Douchevorrichtung. 

Von 

Sanitätsrath Dr. Pelizaeus, 

Sanatorium Suderode am Harz. 

Der Artikel 1 in Heft 5 1900/1901 dieser Zeitschrift mit der Beschreibung eines 
neuen und zuverlässigen Mischventils von Prof. Dr. Rieder in München veranlasste 
mich, die Einrichtung der Douchevorrichtung, wie ich sie seit mehreren Jahren in 
meiner Heilanstalt benutze, der Oeffentlichkeit zu übergeben. 

Zweifellos funktioniert das von Rieder angegebene Mischventil, solange der 
Druck in der Kalt- und Warmwasserleitung konstant bleibt, ohne jeden Tadel. Aber 
die Forderung, dass der Druck in den beiden Leitungen gleich bleibt, ist während 
der Zeit, in der in verschiedenen Räumen einer Badeanstalt gebadet wird, nicht zu 
erfüllen. Dieser Druck hängt ab von dem Druck, mit dem das Wasser die Röhren 
durchläuft, also von der Höhe der Wasserreservoire, von'.der Weite der Röhren und 
von der Anzahl der Hähne, aus denen Wasser entnommen wird. 

Ist der Druck gering, die Rohrweiten ebenfalls, so können, wenn im Verlauf 
einer Leitung soviel Hähne geöffnet sind, dass der Durchschnitt dieser den Durch¬ 
schnitt des Hauptrohres übersteigt, die einzelnen Hähne das Wasser nur mit geringem 
Druck und in geringer Menge von sich geben. Ja es kann Vorkommen, dass die am 
weitesten von dem Beginn der Leitung entlegenen Hähne überhaupt kein Wasser 
geben. Vermindert, aber nicht aufgehoben wird dieser Uebelstand durch weite Zu¬ 
leitungsrohre und starken Druck. Nach meinen Erfahrungen hängt die Unzufriedenheit 
mit der Funktion der verschiedenen Mischhähne nicht von der Konstruktion der 
Mischhähne, sondern von dem durch die genannten Umstände verursachten Wechsel 
im Zufluss warmen und kalten Wassers zusammen. 

Nimmt man z.B. an, man hat bei einer Temperatur des warmen Wassers von 
60°, des kalten von 10° den Mischhahn auf 30° eingestellt, der Durchschnitt des 
Zuleitungsrohres beträgt etwa 4—5 cm — die gebräuchlichste Rohrstärke bei mittleren 
Badeanlagen — und es werden nun plötzlich 2 oder 3 Hähne von je 2—2'/a cm 
Weite in der Warmwasserleitung geöffnet, so wird der Zufluss von warmem Wasser 
ein so geringer werden, dass aus der warmen Brause plötzlich eine kalte wird. Noch 
unangenehmer ist es natürlich, wenn das kalte Wasser ausbleibt und der Badende 
mit heissem Wasser überschüttet wird. Die grösste Aufmerksamkeit des Badedieners 
und die bestkonstruierten Mischvorrichtungen sind gegen derartige Vorkommnisse 
machtlos. Besonders in kleineren Betrieben, bei Einrichtung derart, dass die Warm- 
und Kaltwasserbehälter sich auf den Bodenräumen des Badehauses befinden, also in 
einer Höhe von 8—9 m bei einem Hause von 2, von 11—12 m bei einem Hause von 
3 Stockwerken, werden Douchen, wenn sie an die allgemeinen Rohrleitungen ange- 


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'2'28 Pclizacus, Beschreibung einer sicher funktionierenden Douchcvorrichtung. 

schlossen sind, kaum brauchbar sein, während bei Leitungen, die einen Druck von 
3—3 >/ 2 Atmosphäre haben, d. h. 30—35 m Fallhöhe, derart eingerichtete Douchen 
noch einigermaassen gut funktionieren können. Anders natürlich, wenn jede Douche 
ihre eigenen Leitungsrohre vom Warm- und Kaltwasserreservoir hat. 

Noch unangenehmer ist die Sache, wenn, wie das auch oft der Fall ist, die 
Kaltwasserleitung einen hohen, die Warmwasserleitung einen niedrigen Druck hat. 
Dann ist auch mit den besten Mischhähnen eine genaueste Temperierung des Wassers 
unmöglich. Ich habe nun folgende Einrichtung getroffen, die aus der beigegebenen 
Skizze leicht ersichtlich 1 ). 



Die ganze Douchevorrichtung ist nujr an die Kaltwasserlcitung K angeschlossen, 
von derselben führt das eine Rohr, welches mit. K bezeichnet ist, direkt zum Misch¬ 
hahn, die weitere Fortsetzung der Kaltwasserleitung geht zu einem ca. ‘200 1 fassenden 
Cylinder und kann durch einen Hahn von diesem Cylinder abgesperrt werden. Dieser 
Cylinder wird durch eine Zuleitung bei W mit warmem Wasser gefüllt, während der 
Hahn K geschlossen ist. Durch das geöffnete Mischventil entweicht die Luft aus dem 
Behälter W. 

Wird jetzt der Hahn K geöffnet, der Hahn TT geschlossen, so ist der Douche- 
apparat zum Gebrauch fertig. Das kalte Wasser durch den Hahn IT in den Cylinder 11' 
entweichend drängt das warme Wasser durch die Leitung W nach dem Mischhahn 
und zwar unter genau demselben Druck wie das kalte Wasser. Ist der Mischhahn 
einmal auf eine bestimmte Temperatur eingestellt, so bleibt dieselbe die gleiche, 
einerlei ob in der Kaltwasserleitung irgendwo Hähne geöffnet oder geschlossen. Der 
Mischhahu ist ein einfacher Dreiwegehahn, der aber bei exakter Ausführung und 
nicht zu hohem Druck allen Anforderungen genügt. Es kann bei geringem Druck 


0 Die Finna Moosdorf & Hochhäusler’s Sanitätswerke, Berlin S. 0., hat die Anfertigung 
des Apparats übernommen und ist zu näherer Auskunft jederzeit bereit. 


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W. Camerer, Untersuchungen über Diabetikerbrode. 229 

der Leitung und bei kleinem Rohrdurchmesser wohl Vorkommen, dass die Stärke 
des Douchestrahles oder der Brause infolge Oeffnens einer der Hähne schwankt, und 
niemals die Temperatur des ausfliessenden Wassers. Diese hängt einzig und allein 
von der Stellung des Mischhahns ab. Durch den Hahn E wird das kalte Wasser 
wieder entfernt 


VI. 

Untersuchungen über Diabetikerbrode. 

Von 

Dr. W. Camerer jun. 

in Stuttgart. 

In Band 1, Seite 69 dieser Zeitschrift sind von Kraus jun. eine grössere Anzahl 
von Analysen zur Chemie der Diabetesküche veröffentlicht worden; unter denselben 
finden sich auch solche von Diabetikerbroden und Mehlen. Es zeigte sich, dass ein 
grosser Theil der für den Gebrauch der Zuckerkranken angepriesenen Brode nicht 
oder nur unbedeutend weniger Kohlehydrate enthielt, als gewöhnliches Schwarzbrod, 
und Kraus mahnt daher mit Recht zur Vorsicht bei der Auswahl derartiger Präparate. 
Den Analysen von Kraus kann ich einige weitere beifügen, welche ich in letzter 
Zeit Gelegenheit gehabt habe im Löflund’schen Fabriklaboratorium in Stuttgart aus- 
zufübren. Im Gegensatz zu Kraus habe ich die Kohlehydrate nicht direkt, sondern 
aus der Differenz bestimmt. Es wurde die Trockensubstanz durch Behandlung der 
gepulverten Substanz im Vakuumtrockenschrank bei 98°, Aetherextrakt nach Soxhlet., 
Eiweiss durch Multiplikation des Kjeldahlstickstoffs mit 6,25 bestimmt, und Aschen¬ 
analysen ausgeführt. Wenn auch die direkte Kohlehydratbestimmung natürlich ge¬ 
nauere Resultate giebt, so ist doch der Unterschied gegen die Differenzbestimmung 
nur sehr gering, kommt also für unsere praktischen Zwecke kaum in Betracht. Zu¬ 
gleich erfahrt man durch die letztere auch den Gehalt der Präparate an Eiweiss, 
Fett und Asche. 

Es fanden sich in 100 g 


1 

i 

1 

Wasser ! 

Eiweiss 

1 

Fett 

-1 

Asche 

Rest = 
Kohlehydrate 

Helles Alearonatbrod Stuttgart . . 

35,1 

12,5 

0,5 

1,0 

50,3 

Dunkles Alearonatbrod Stuttgart . . 

26,0 

6,3 

0,4 | 

1,6 

63,7 

Plasmonbrod Stuttgart. 

37,5 

14,2 

0,2 

2,5 

45,6 

Rade mann’s Diabetikerschwarzbrod 

37,7 

ir>,a 

2,9 

2,6 

41,5 

Rademann’s Diabetikerweissbrod . 

34,5 

20,2 

2,9 

2,8 

36,6 

Gericke’s Porterbrod (schwarz) . . ( 

34,2 

17,5 

0,1 

1,5 

46,7 

Gericke’s Zwieback. 

5,3 

21.0 

12,4 

2,9 

1 58,4 

Dresdner Aleuronatbrod. 

36,4 

10, 5 i 

0,4 

2.0 

44,7 

Alearonatbrod (schwarz). . 

35,2 

15.1 | 

0,3 

1,5 

47,9 

Privatdiabetikerbrod. 

41,5 

1 11,9 i 

1 i 

7,2 

i 

1 1,3 

38,1 


Es erfüllt demnach keines der analysierten Gebäcke auch nur annähernd die 
Bedingungen, welche mau an ein zweckmässiges Diabetikerbrod stellen muss, indem 


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230 W. Camerer 

ihr Kohlehydratgehalt, abgesehen von dem weissen Diabetikerbrod Rademann und 
dem Privatdiabetikerbrod nicht unter 40% heruntergeht, und sich also nicht wesent¬ 
lich von dem des Grahambrods oder Pumpernickels mit etwa 45% unterscheidet. 
Der grosse Unterschied dieser Zahlen gegenüber den Anpreisungen und Angaben der 
Produzenten lässt sich vielleicht z. T. dadurch erklären, dass einige der Brode, welche 
von auswärts bezogen wurden, wie die von Rademann aus Frankfurt, oder die von 
Ger icke aus Potsdam, während der Zusendung wasserärmer und dadurch relativ 
reicher an Kohlehydraten wurden, da sie nur in Pappekartons verpackt waren. Die 
Stuttgarter Brode wurden natürlich in ganz frischem Zustand analysiert. 

Ueber den Wasserverlust von Gebäcken beim Aufbewahren ist wenig bekannt. 
In König’s Handbuch der menschlichen Nahrungs- und Genussmittel Band 2, Seite 615 
finden sich folgende Angaben: 



Gewicht 

des 

: frischen 
Brodes 

Wasserverlust in 
1 Tag | 3 Tagen j 

o/o des Brodgewichts nach 

7 Tagen | 15 Tagen 1 30 Tagen 

Roggenbrod . . 

43,44 

0,02 

0,30 

2,10 

5,58 

9,78 

Weizenbrod. . . 

79,00 

7,71 

8,86 

14,05 

17.84 

18,48 


Nach 80 tägigem Aufbewahren hatten beide Brode gleich viel, nämlich 21% 
ihres Gewichts vorloren. Bei einem 3,76 kg schweren Brod fand Boussignault in 
6 Tagen nur einen Verlust von 1,86%. Ich selbst habe einige diesbezügliche 
Beobachtungen angestellt; es wurden untersucht 1. Weissbrödchen (Weck); 2. Schwarz- 
brodlaib, runde Form, beide im ganzen; 3. Schwarzbrodlaib, runde Form, in der 
Mitte auseinander geschnitten; 4. Schwarzbrodlaib, längliche Form, im ganzen; 
5. Plasmonbrod, runde Form, im ganzen; 6. Plasmonbrod, runde Form, in der Mitte 
auseinandergeschnitten. Die Brode wurden in einem Raume mit einer konstanten 
Temperatur von 13—14° offen aufbewahrt und regelmässig alle 12 Stunden gewogen; 
die folgenden Zahlen sind meist Mittelwerthe von unter sich gut stimmenden Doppel¬ 
beobachtungen. Die Resultate waren wie folgt: 



S 5 

•ej 



Wasserverlust in 

Prozenten des Brodgewichts nach 




2 » 
















xi 
$ w 

12 

24 

36 

48 

60 

72 

84 

96 

108 

120 

6 

7 i 8 

10 

15 


0 £ 

_e_ 





Stunde] 

n 





Tage 

n 


1. Weissbrödchen . 

50 

2,9 

7,o 

11,0 

11,1 

13,2 

15,3 

17,2 

17,3 

19,2 

21,2 

21,2 

21,2 1 22,7 

22,7 

23,2 

2. Sehwarzbrod im 
















ganzen . . . 

5 02 

2,0 

2,8 

4,0 

5,4 

6,0 

6,8 

7,4 

9,0 

9,3 

9,4 

10,6 

11,9 13,3 

15,7 

17,1 

3. Sehwarzbrod in 
















der Mitte durch¬ 



l i 










1 

i 


geschnitten . . 

256 

3,7 

5,71 

8,3 

9,4 

11,2 

13,0 

13,8 

14,7 

15,9 

16,5 

19,7 

20,0 21,0 

23,9 

127,6 

4. Sehwarzbrod im 

1 




1 











ganzen . . . 

363 

1 

1,4 

o o 

3,0 

3,9 

4,1 

5,5 

0,3 

7,2 

7,7 

8,2 

9,6 

10,7 11,8 

14,1 

17,4 

5. Plasmonbrod im 

1 



i 









1 1 



ganzen . . . 

! 211 

1,4 

2,81 

4,2 1 

5,2 

6,2 

9,0 

10,0 

110,4 

11,0! 

11,4 

12,8 

14,7 116,1 

1 

18,5 

21,8 

6. Plasmonbrod in 

i 

1 





| 









1 

der Mitte durch - 

1 

! 


1 1 

l 





1 



i 

1 



geschnitten . . 

168 

4,5 

0,3 

8,9 

10,4 

12,5, 

116,1 ' 

17,0 

18,8 

19,4 

20,0 

21,8 

23,0 25,1 

27,5 

29,3 


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Untersuchungen über Diabetikerbrode. 231 

Nehmen wir an, es enthalte in frischem Zustand Weissbrödchen 60 %, Schwarz- 
brod 50% und Plasmonbrod 46% Kohlehydrate, so ergiebt sich durch das Aufbewahren 
folgende Veränderung in der Zusammensetzung: 



12 

100 g Brod enthalten Kohlehydrate nach 
24 1 3G | 48 | 60 ! 72 4 j 

5 




Stunden 



Tagen 

Weissbrödchen. 

<>1,8 

64,5 

67,4 

1 CO 

1 

69,2 

70,8 

! 72,5 1 

76,1 

Schwarzbrod durchgeschnitten 

61,9 

63,0 

54,5 

55,2 1 

56,4 

57,5 | 

CO 

ao 

ir. 

59,9 

Plasmonbrod durchgeschnitten 

48,2 

49, 1 

50,5 

61,4 | 

52,6 

54,8 

56,6 

57,5 

Plasmonbrod im ganzen . . . 

46,6 | 

47,3 

48,0 

48,5 J 

49,0 

50,5 

51,3 

51,9 


Es steigt also der relative Kohlehydratgehalt der Gebäcke durch mehrtägiges 
Aufbewahren nicht unbeträchtlich an. Auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes 
hat man aber bei keinem der Brode weniger als 30 %, bei der Mehrzahl sogar über 
40% Kohlehydrate in frischem Zustand zu berechnen. Durch Aufbewahren der 
Gebäcke in Blechkapseln Hesse sich allerdings der Wasserverlust leicht vermeiden, 
doch leidet hierbei der Wohlgeschmack ganz erheblich. 

Wie die Untersuchungen von Kraus wieder bestätigen, giebt es wohl sogen. 
Diabetikerbrode mit weniger als 10% Kohlehydratgehalt, doch unterscheiden sich 
derartige Präparate in Geschmack, Aussehen, Verdaulichkeit u. s. w. sehr wesentlich 
von Brod und können den Wunsch des Zuckerkranken nach letzterem nicht befrie¬ 
digen, werden auch nach kurzer Zeit zurückgewiesen. Ein grosser Theil der oben 
erwähnten kohlehydratreichen Diabetikerbrode steht im Wohlgeschmack hinter gewöhn¬ 
lichem Brod zurück, ist dagegen bedeutend theurer als letzteres. Diabetikerzwiebacke, 
Kakes u. s. w. sind infolge ihrer Zubereitung alle sehr wasserarm und entsprechend 
reich an Kohlehydraten, weshalb ihre Anwendung nicht zu empfehlen ist. Will man 
sich überhaupt eines Brodpräparates bedienen, so lässt sich dies am besten und 
billigsten zu Hause darstellen, indem Schwarzbrodteig vielfach unter Wasserzusatz 
ausgeknetet und Fett und Hefe, event. auch Aleuronat, Tropon oder Plasmon zugesetzt 
wird. Bei Verwendung von 1 kg Mehl darf die Ausbeute an fertigem Gebäck, falls 
nicht eine grössere Menge eines Eiweisspräparates zugesetzt ist, nicht mehr als 250 g 
betragen. Man erhält dann Präparate von etwa 25 % Kohlehydratgelialt, die freilich 
auch nicht viel Aehnlichkeit mit Brod haben, doch frisch bereitet von manchen gerne 
genommen werden. 


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232 


Julian Marcuse 


VII. 

Das hydrotherapeutische Institut an der Universität Berlin. 

Von 

Dr. Julian Harcuse 

in Mannheim. 

Die Bedeutung der Hydrotherapie für die Medicin beginnt mit ihrer physio¬ 
logischen Begründung durch Winternitz und mit dem Augenblick, wo der vorher 
rohen empirischen Kunst eine exakte wissenschaftliche Grundlage gegeben worden 
ist. Die Anwendungsweise und klinische Verwerthung dieses mächtigsten aller physi¬ 
kalischen Heilfaktoren liegt nunmehr in einer Jahrzehnte langen Erfahrung und Er¬ 
forschung vor uns und fordert geradezu mit elementarer Gewalt die Einfügung des¬ 
selben in die moderne Therapie. Hatten die physikalischen Methoden sich längst 
eine Existenzberechtigung in den weitesten Kreisen des Volkes geschaffen, so war 
es für Deutschland das grosse Verdienst v. Leyden’s, ihnen auch in der Wissen¬ 
schaft ein volles Bürgerrecht verliehen zu haben, und seiner Initiative verdanken 
wir die praktische Einführung der Hydrotherapie in das Arbeitsfeld und den Lehr¬ 
plan der Klinik. Hier allein kann diese Disziplin exakt geprüft, gelenkt und ge¬ 
fördert werden, von hier aus allein soll sie in die Kreise der praktischen Aerzte 
getragen und zum wissenschaftlichen Allgemeingut werden. Die unumstössliche Vor¬ 
bedingung hierfür ist die Errichtung von klinisch-hydrotherapeutischen Instituten, 
die Ertheilung von Lehraufträgen für dieses Gebiet und die allmähliche Einbeziehung 
in die Prüfungsfächer. 

Der preussische Staat hat sich das dankenswerthe Verdienst erworben, auf 
diesem Wege bahnbrechend vorangeschritten zu'sein und mit der Kreirung eines 
hydrotherapeutischen Instituts an der Universität Berlin den Weg vorgezeichnet zu 
haben. Allerdings hat bereits München seit Jahresfrist in seinem Krankenhause 
links der Isar ein ähnliches Unternehmen geschaffen, allein dasselbe ist von der 
Stadt begründet und fundiert worden und, wenn auch glänzend in seinen Ein¬ 
richtungen ausgestattet, kommt es doch dem Zwecke, den das Berliner Institut hat, 
nicht nahe. Denn beschränkt nur auf die Insassen des dortigen Krankenhauses 
ohne jede ambulante Poliklinik, ohne jede stationäre Klinik kann es seine reichen 
und geradezu ideal vollkommenen Hilfsmittel nur einem geringen Kreis von Patienten 
zuwenden. Ganz anders bei der Berliner Neugründung, wo der Staat die Anstalt 
auf die breiteste Basis gestellt, sie der weitesten Oeffentlichkeit zugänglich gemacht 
und damit ihr den Charakter einer Klinik im vollen Sinne des Wortes verliehen hat. 
Eine mehrwöchentliche Thätigkeit in diesem Institut, die mir in liebenswürdigster 
Weise Herr Geh. Medicinalrath Prof. Dr. Brieger ermöglichte, gestattet mir, ein 
Bild davon auch weiteren Kreisen zu entwerfen. 

Die Berliner hydrotherapeutische Anstalt gliedert sich in eine Poliklinik, an 
der Luisenstrasse gelegen, und in eine Klinik in einem der Pavillons gegenüber dem 


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Das hydrotlimpentfecbe Institut an der Univereitgt Berlin 


1 aß. .Völlig' ft'hlt bisher 

ein Saal föir VopIe.stjBgft» jjöil ftir #1) 
klinischen I‘ß<em«'bt. . f*ie Klinik,. in 
den» oben erkühnte« t'ayilbvn tutferg^- 
bracht, »htfass t 14 Bette» ,7 füt* ji| iinny v 
tiiui % für Frauen. Iber Xc-uhn», der die 
etsätnraim Ibdeeinrit-htiingeri eW;. eül- 
iifilt-, vor der Poliklinik eirtigo. Minute», 
von der Klinik seltoii »iclit mibettltnit- 
Hdt entfernt ist was elteo6sll.s als MMs- 
<tan«l /.u bczoidtne» ist, hat ein hüb- 
.seii^s VV^trafjÖ»JttJer, eiöenkJß|ii»>JI Xehbn- 
raum fiir Litensilitjtt, AMirtete. und einen 
sehr stattlichen. lichter/ Baum für dB* 
livdrotherajjeritisi'liec Prozeduren. . (ledtts. vom .Eingang finden wir ein abgetbeilteh 
ösuftdr}« mit liuhelrtgorn für ParkuiKieii, Massage um) ähnlichem und auf der anderen 
Seite vier kleine Kabinen warst Aus- und Ankleiden. Ks folgen m ffer rechten Wand ei» 
Katheder für Bourben, der »Ile gangbaren Formen eut'bAlt: Kalte und warme liegeu- 
brause, Fächer-, Strahl-, Schot¬ 
tische-. ■JkHHpfdouelie. siimmfinth 1 >g ' |j| 

Bitte Sitz- und Kapellenbrause £ 
b.bmie,» sich an der seitlichen 
Wand. Au derselben ist im 
Boden ei» kleiner FUichenramn 
eiugehissen für Wassertreten, §f.,v jÄL 
weebseBiVurtne Fitssbiider,; sowie 

und et» rdektrisrhcr Glü'hlii'ht- 

therapeutische Mobiliar.' Bor .Boden, des ganzen Pavillons ist. mnemterf, mir 
den hotkige» '^ßriö^ff* • hgt 
Heizung, elektrische BeltUrbtutig. Venti]4Ür;n'ei.nrirhf.iiivgeö um! durch fast dir ca1|I 
Wand fläche einnehmende Fenster eine ausserordentlich grosse- lariHtincbe Fs fehlen 
bisher poch 'kohlensaare, hrdroelekttische IkUler, sowie rsaud- uüd Sormenbiider. . Wie 
besonders diese letztere» iö praktischer ut»l scliunstor Form Eiriztiifgen sind, dafür 

EeüWtor, C diät. o. 


liöüchekatlicder 


jy&yfcik. Tli^röple B4. V. ftfrtV fr 





- 


234 Juliati Marciisfr PsUf liydrolheHUreufistche Institut an dev Utfi^crslüli Berlin. 


giebt das Institut in Mönchen ein an vollgültigen Beweis:; 'Kitt gksgewölider Raum 
im obersten.; Stock wert: des siortigaii Krankenhauses, dar bei. zu stärker Erhitzung 
durcii Kaltwasserberresehsng ubgekühlt.- 'werde« käi>», dient diesem Zwecke, Auch 
das Saadhad' - in yMüneheft käöii' als mmstergiUig- bezdebaet, werden. Die Anf- 
«peirheruag des Sandes geschieh* in' grosse» eisernen Käste», die innen mit. Xrlolitit- 
ptauen ausgek leidet sind. fff dem einen Behälter wird der Sand mittels, kupferner 

Heizschlange«,ia deite»leichter 

lim/tmufla*. W B"f» 


zu YcdlMttef« 
eine-aufRöBcu lAtiffcmdeßiclieri- 
holzhadewariBe. 

An der Spitze des Berliner 
Instituts steht, wie schon «he« 
erwähnt i, Geh. Medioiualrath 
Prof. De. Briegei, ihm zur 
Seite eio Oberarzt und zwei 
D&S ret’sonäl, das bei der starken 
Preffueffz noch .sehr dürftig ist, .besteht aus eutetn ftadowärter and einer Wärterin, 
Die 'Poliklinik ist bisher viermal in der Woche geöffnet, an zwei Tage« filr Männer, 
«u de« anderen für Krauen- Die Krcquenz des Instituts hat. am evidentesten <ije 
gehiotemche XetliWeudieferft der Errichtung bewiesen: Vom 21. Januar, dein Er* 
öffniiogf.iage, bis 1. Mär* haben 71, vorn 1.- 31-Mürz bereits 5Ö5, im Motiat. April 
'Jf \’i ihiticntcii die 1‘oliklinik aufgesucht, iflsgesainjnt also bisher innerhalb knapp 
3 1 i Munat^n 71S? Batfönten. Tm Ji&dep&vUloH wurde» in diesem Zeitraum über 
Wo Kranke behandelt, : Prozeduren. wurden abgegeben iusgesamint 1852. Auf der 
Klinische» Itaiion waren iti Behandlung 48 Patienten und zwar 30 Männer und 
18 Kranen. Die Mehrzahl derer,.'welche die Anstalt autsm-hten, kamen' aus -eigenstem 
Am rieb, fJieiftvoise jjfifcltdm sie Zeit und 'Geld vorher Kurpfuschern 'geopfert- 'hatten r 
Mt ‘l'heil wurde von .praktischen Amte« »ud Kiiiüken ffb.erwie.seti. 

$<• kam.« man mit freudiger tteiiuetituuni für die nißdenu; Ktttwickkag der 
.Medici«; für die volle Anerkennung der .physikaiisrh-dhiteuschen Heilmethoden die 
Begründung dieses Institutes begnissm, und wir wollen hotten, dass e? unter ge* 
«.imioteiii iind vervollkommnetem Ausbau die :Stufe erreichen .wird, die ihm zur« 
Vui/rii der Krankt« wie nicht minder 'dmWissenschaft.»ff ihrem Kampfe gegen die 

lviiciüii-rl,,.; ei ggbührt t 


Daiiipf kastenbad mul Gtühbchlbad 


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A. Dworetzky, Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 235 


Kritische Umschau. 


Die Entwickelung: und der gegenwärtige Stand der Lieht' 

therapie ln Russland. 

Von 

Dr. A. Dworetzky 

in Riga. 


Nirgends in den westeuropäischen Staaten hat die Lichttherapie in verhältniss- 
mässig kurzer Frist so erhebliche Fortschritte zu verzeichnen gehabt, wie gerade in 
Russland. In keinem andern Lande sind auf staatliche und private Mittel so viele 
Lichtheilanstalten und therapeutische Kabinette gegründet worden, wo nicht nur die 
Heilkraft der Lichtstrahlen bei den verschiedensten Affektionen empirisch erprobt 
und festgestellt, sondern wo auch der Versuch gemacht wird, die Grundlagen der 
Phototherapie und das Wesen ihrer Wirkungen auf experimentellem Wege wissen¬ 
schaftlich zu erforschen. Zuerst in Russland wurde an die Anwendung des Licht¬ 
heilverfahrens bei Erkrankungen des Nervensystems geschritten und ein nicht un¬ 
bedeutender Erfolg damit erzielt Eine kurze Uebersicht über die in Russland bereits 
existierenden Lichtheilanstalten wird den derzeitigen hohen Stand der Phototherapie 
bei uns am besten illustrieren. 

Der Flottenarzt, Ehren-Leibchirurg Sr. Maj. des Kaisers, Dr. D. A. Murinow 
hatte im Jahre 1897 Gelegenheit, die überaus günstige Wirkung des elektrischen 
Bogenlichtes auf den Verlauf des akuten Gelenkrheumatismus an sich selbst zu kon¬ 
statieren, und seit der Zeit widmete er sich dem Studium dieser neuen Heilmethode. 
Im selben Jahre 1897 richtete er im Marmorpalais zu Petersburg ein Kabinett zu 
therapeutischer Ausnutzung der elektrischen Lichtstrahlen ein, welches mit den 
neuesten und vollkommensten Apparaten und Vorrichtungen versehen ist. Die meisten 
Versuche und Beobachtungen an Kranken werden mit dem Lichte eines Voltabogens 
von 20—25 Amperes und 50—60 Volt angestellt, wobei das Licht von einem parabo¬ 
lischen Spiegel reflektiert und die Wärmestrahlen manchmal ausgeschlossen werden. 

Seit dem Jahre 1895 bemerkte Dr. N. Ewald, Arzt an der Struve’schen 
Lokomotiv- und Waggonfabrik in Kolomna bei Moskau, dass seit Einführung des 
Zusammenschweissens von Eisen mit Hülfe des elektrischen Stromes nach der Methode 
von Benardos die Erkrankungen der Arbeiter an Rheumatismus, Neuralgieen, 
Migräne und anderen Leiden nervösen Ursprungs sichtlich abgenommen haben. 
Daraufhin richtete Ewald in dem Fabrikshospital ein besonderes Kabinett zur Be¬ 
handlung von Kranken mit elektrischem Licht, und zwar unter Benutzung des Voltu¬ 
schen Bogens als Lichtquelle, ein. Dr. W. J. Koslowsky machte sich mit der Art 
der Behandlung und mit den nöthigen technischen Einrichtungen bei Ewald bekannt 
und eröffnete hierauf im Jahre 1897 in Petersburg eine elektrische Heilanstalt, wo 
zu Heilzwecken ein Voltabogen mit einem konstanten Strom von 250—300 Amperes 
bei 50—60 Volt zur Anwendung kommt. 

Am 11. Februar 1900 wurde dem Kaiserlichen Institut für Experimental- 
medicin zu Petersburg eine phototherapeutische Abtheilung angegliedert, welche von 
Dr. A. Lang geleitet wird. Die Thätigkeit dieser phototherapeutischen Abtheilung 
erstreckt sich nicht nur auf die Anwendung der Finsen’schen Methode zur Lupus¬ 
behandlung, sondern es sollen hier auch verschiedene und umfassende photophysio¬ 
logische Untersuchungen vorgenommen werden. — Ein zweites Finseninstitut für 

io« 


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236 


A. Dworetzky 


Lupusbehandlung ist in demselben Jahre (1900) an der Akademischen chirurgischen 
Klinik des Professor N. A. Weljaminow in Petersburg errichtet worden. Die Mittel 
dazu hat die Kaiserinwittwe Maria Feodorowna gespendet. Dr. K. Serapin hat 
auf Veranlassung der Kaiserin bei Finsen selbst dessen Methode studiert, und eine 
dänische Dame ist als Oberin des russischen Institutes angestellt worden, dessen 
Leitung Serapin übernommen hat. An diesem phototherapeutischen Kabinette 
befindet sich ein Laboratorium für bakteriologische Arbeiten und für exakte physi¬ 
kalische Untersuchungen; in einem besonderen Zimmer ist eine Lampe zur Vornahme 
von spektralanalytischen Bestimmungen untergebracht, während die pathologisch¬ 
anatomischen Fragen von Dr. Korowin bearbeitet werden. In den Kreis der Licht¬ 
behandlung werden nicht nur Fälle von reinem Lupus vulgaris, sondern auch Lupus 
erythematodes, Hautepitheliome, Cancroide u. s. w. gezogen. — Ferner hat Professor 
0. Petersen, welcher das Lys-Institut in Kopenhagen persönlich besucht hat, eine 
Station für Lichtheilverfahren in dem Kaiserlichen Klinischen Institut für Aerzte der 
Grossfürstin Helena Pawlowna zu Petersburg eröffnet und einige zweckmässige 
Verbesserungen an dem Finsen’schen Apparat angebracht. 

In der Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten der Militär-medicinischen 
Akademie in Petersburg befinden sich vervollkommnete Vorrichtungen zur Behand¬ 
lung mancher Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems mit Hülfe 
von Lichtstrahlen. Ebenso werden dort unter der Leitung von Professor W. v. Bech¬ 
terew exakte Studien und Untersuchungen über die Einwirkung der verschiedenen 
Farben des Spektrums auf Geisteskrankheiten vorgenommen. — Die therapeutischen 
Eigenschaften der farbigen Strahlen und die Eigenthümlichkeiten in der Wirkungs¬ 
weise der einzelnen Abschnitte des Spektrums auf die psychischen Prozesse werden 
auch von Dr. A. Akopenko zur Zeit in der psychiatrischen Abtheilung des Militär- 
hospitales zu Kiew bei der Behandlung von Geisteskrankheiten (Chromotherapie) 
ausgenutzt. 

Die Chromotherapie hat ferner in einer zweiten Klinik Petersburgs eine 
Stätte gefunden, nämlich in der Klinik für Infektionskrankheiten des Professor 
N. Tschistowicz, wo Versuche über die Behandlung der in der Residenz nie aus¬ 
sterbenden Variola vera mit rothem Licht nach Finsens Vorschlag in ausgedehntem 
Maasse angestellt werden. Zu diesem Zweck sind die Krankensäle für die Pocken¬ 
leidenden mit rothem Stoff drapiert und tapeziert, in die Fenster sind rote Scheiben 
eingefügt, die elektrischen Lampen sind mit rothen Schirmen versehen u. s. w. 

In dem Lazareth des Leib-Garde-Regimentes zu Pferde in Petersburg stellt 
der auf dem Gebiete der Phototherapie unermüdlich thätige Militärarzt Dr. A. Minin 
seine Beobachtungen über die Heilkraft des elektrischen Glühlichtes an, während 
seit einiger Zeit auf der Baltischen Schiffswerft in der Nähe der Hauptstadt sich 
eine vortrefflich eingerichtete Lichtheilanstalt unter der Leitung des Dr. Pussep 
befindet. 

Was die übrigen Städte Russlands betrifft, so ist noch zu erwähnen, dass in 
Moskau Dr. G. Ciechansky ein Privatinstitut für Phototherapie errichtet hat, welches 
seit dem Jahre 1898 funktioniert, und dass im Herbst 1900 an der Dermatologischen 
Klinik des Professor A. Gay in Kasan, unter der Leitung seines Assistenten Dr. Burgs¬ 
dorf, der früher nach Kopenhagen abkommandiert worden war, ein Kabinett für 
die Finsen’sche Lupusbehandlung mit konzentrierten chemischen Lichtstrahlen er¬ 
öffnet worden ist, wozu abermals die Kaiserinwittwe die nöthigen Mittel gespendet hat. 

Die lange Reihe der eben aufgezählten Lichtheilanstalten und phototherapeu¬ 
tischen Kabinette bezeugt, dass die Lichttherapie sich als vollwerthiger Zweig der 
physikalischen Heilmethoden in Russland das Bürgerrecht erworben und liebevolle 
Pflege gefunden hat, dass die Saat auf empfänglichen Boden gefallen ist und reiche 
Früchte zu zeitigen verspricht. An der Spitze jedes der oben genannten Institute 
stehen tüchtige Aerzte und ernste Forscher, welche ihre mannigfachen und vielseitigen 
Beobachtungen wissenschaftlich zu durchdringen und zu begründen bestrebt sind. 
In der russischen medicinischen Presse ist in den letzten Jahren eine ganze Reihe 
von Mittheilungen über Erfahrungen mit der Anwendung der Lichtheilmethode bei 
den verschiedensten und mannigfaltigsten Erkrankungen erschienen, über welche ich 


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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 


237 


in den folgenden Zeilen zu berichten mir gestatten werde. Diese Mittheilungen 
tragen in der überwiegenden Mehrzahl einen rein empirischen, kasuistischen Charakter, 
manchen von ihnen ist sogar der Stempel der Zufälligkeit deutlich aufgedrückt, 
einige sind jedoch im stände, uns der Erfassung des Wesens der Lichtwirkung auf 
die Gewebe und Organe und auf pathologische Substrate näher zu bringen. 

Eine kurze historische Uebersicht über die bis zum Jahre 1899 veröffentlichten 
Arbeiten russischer Autoren über die physiologischen, desinfizierenden und thera¬ 
peutischen Eigenschaften des Sonnen- und elektrischen Lichtes wird zum Beweise 
dienen, dass Russland nicht zu allerletzt in das Studium dieses mächtigen Faktors 
eingetreten ist. Bereits vor 22 Jahren — im Jahre 1879 — untersuchte der rus¬ 
sische Pathologe N. Usskow 1 ) den Einfluss von verschiedenfarbigen Lichtstrahlen 
auf das Protoplasma des thierischen Organismus und konstatierte eine verschieden¬ 
artig abgestufte Reizbarkeit des Protoplasmas unter der Einwirkung von wechselnden 
Lichtintensitäten und eine ausgesprochene Reaktion des Zellleibes gegenüber dem 
schnellen Wechsel von einzelnen Farbenempfindungen. 

Im nächsten Jahre — 1880 — beschrieb A. Kondratjew 2 ) in seiner sehr inter¬ 
essanten, die gesammte Litteratur der Frage enthaltenden Dissertation, seine Versuche 
über den Verlauf der künstlich hervorgerufenen septischen Infektion bei Thieren unter 
verschiedenfarbiger Beleuchtung, wobei er fand, dass der günstigste Verlauf des sep¬ 
tischen Prozesses bei rein weissem und auch bei violettem Licht sich bemerkbar macht, 
während die Dunkelheit, das rothe und grüne Licht auf das kranke Thier in aller 
Hinsicht viel ungünstiger einwirken; in diesen Experimenten ist schon ein Hinweis 
auf die bakteriziden und heilenden Eigenschaften der von Finsen benutzten 
chemischen Lichtstrahlen enthalten. 

Im Jahre 1882 veröffentlichte J. Godnew») seine ausgedehnten Untersuchungen 
über den Einfluss des Sonnenlichtes auf die verschiedensten Funktionen 
des Thierkörpers. So bemerkte er, dass auf den dem Lichte ausgesetzten Fleisch¬ 
stücken sich Würmer viel eher entwickelten als auf dem im Dunkeln aufbewahrten 
Fleisch. Thiere, welchen das Tageslicht zugänglich war, übertrafen an Körpergewicht 
diejenigen, welche in der Dunkelheit aufwuchsen. Bei seinen Experimenten an Katzen 
wurden in der Dunkelheit 88 g Urin im Laufe von 24 Stunden ausgeschieden, in der 
Helligkeit dagegen 144 g, Harnstoff im Dunkeln 3,6 g, im Hellen 4,6 g, Chloride 1,0 im 
Dunkeln und 1,4 im Lichte. Die Versuche an zwei erwachsenen Personen ergaben, 
dass die von ihnen in der Dunkelheit entleerte Harnmenge sich zu der im Tages¬ 
licht ausgeschiedenen wie 100:120 verhielt, und die Quantitäten des Harnstoffs und 
der Chloride wie 100:119. Die Zahl der Herzschläge und der Athemzüge zeigte 
bei längerer Beobachtung ein nicht bedeutendes Plus während der Beleuchtung. 
Regenerations- und Vernarbungsprozesse in den Geweben verliefen nach Godnew 
im Lichte viel rascher und stets vollkommener als bei den im Dunkeln gehaltenen 
V ersuchsexemplaren. 

Einen weiteren Beitrag zur Kenntniss der Wirkung der verschiedenen 
farbigen Lichtstrahlen auf die Entwickelung und das Wachsthum der 
Säugethiere lieferte in seiner Dissertation im Jahre 1883 E. GorbazewiczQ. Die 
helleren Strahlen des Spektrums waren auch die wirksamsten; als weniger wirksam 
erwiesen sich die dunkleren Abschnitte des Spektrums. Indem das Licht eine Be¬ 
schleunigung der Stoffwechselvorgänge hervorruft, veranlasst es das Thier, Nahrung 
in grösserer Menge zu sich zu nehmen; bei Abwesenheit von Nährmaterialien dagegen, 
also im Hungerzustande, verbrennt der im Körper aufgespeicherte Vorrath schneller, 
das hungernde Thier geht also im Lichte rascher zu Grunde. 

J. Daitsch»), welcher den Gasaustausch bei Hunden ebenfalls unter dem 
Einflüsse des weissen Lichtes und seiner verschiedenfarbigen Strahlen im 
Jahre 1891 studierte, kam zu folgenden Schlüssen: die blau-violette Beleuchtung be¬ 
günstigt am meisten die Oxydationsprozesse im Organismus; das rein weisse Licht 
steht in seiner Wirkung dem blau-violetten nahe, während das rothe Licht fast der 
Dunkelheit gleichkomrat. Zu denselben Schlussfolgerungen gelangte im Jahre 1894 auch 
B. Kogan 9 ). Sie lauten folgendermaassen: 1. Das rothe Licht schwächt sowohl die 
Assimilations- wie die Desassimilationsprozesse ab; 2. das grüne Licht steht in Bezug 


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238 A. Dworetzky 

auf den Stickstoffansatz wie auf die qualitative Metamorphose niedriger als das 
weisse, die Destruktionsvorgänge sind beim grünen Licht energischer; 3. das gelbe 
und violette Licht ergeben eine maximale Anspannung aller Lebensvorgänge, wobei 
unter der Einwirkung des violetten Lichtes eine vollkommenere Metamorphose vor¬ 
herrscht; 4. die Dunkelheit bedingt eine Herabsetzung des Stickstoffaustausches im 
Körper und nebenbei eine Verminderung der täglichen Harnmenge. 

Mit der Frage nach der Einwirkung des Lichtes auf die Bakterien be¬ 
schäftigten sich in Russland ausser Kondratjew noch Geissler, Kotliar und Chmie- 
lewsky. Th. Geissler*) stellte im Jahre 1891 durch seine sehr lehrreichen Unter¬ 
suchungen fest, dass die Typhusbacillen von allen Lichtstrahlen mit Ausnahme der 
rothen, und zwar im Sinne einer Wachsthumshemmung, beeinflusst werden, wobei die 
Wirkung um so stärker ist, je grösser der Brechungswinkel oder je kürzer die Wellen¬ 
länge der betreffenden Strahlenart ist, glaubt aber, dass kein wesentlicher Unterschied 
zwischen der Wirkung der Wärme-, der Licht- und der chemischen Strahlen bestehe 
und dass das Licht nicht nur auf die Mikroorganismen, sondern auch auf den Nähr¬ 
boden, in welchem die Kultur sich befindet, durch Ozonisierung und Oxydation des¬ 
selben seinen Einfluss ausübe. E. Kotliar*) bestätigte die wachsthumshemmende 
und bei genügender Exposition auch bakterizide Wirkung des Sonnenlichtes. Seine 
Versuche mit pigmentproduzierenden Mikroorganismen zeigten, dass während in den 
verdunkelten Reagensgläschen die Färbung eine sehr ausgesprochene war und sich 
schnell entwickelte, sie in den weissen Gläschen kaum bemerkbar war, sich um 
mehr als zwei Tage verspätete und bisweilen überhaupt nicht zum Vorschein kam. 
Von den verschiedenen Lichtstrahlen erwiesen sich die rothen manchmal sogar als 
für das Wachsthum der Bakterien günstig. 

Den Einfluss des elektrischen Lichtes auf Mikroorganismen, und zwar 
auf die pyogenen Mikroben, hat Chmielewsky») zum Gegenstände seiner Studien 
gemacht, welcher zu diesem Zweck das Licht eines Voltabogens von ungefähr 1000 
bis 1200 Normalkerzen benutzte. Auch hier zeigte sich die bakterientödtende Wir¬ 
kung des Lichtes, wobei sich der Staphylokokkus pyogenes aureus am widerstands¬ 
fähigsten erwies. Auch die Pigmenterzeugung der Eitererreger wurde durch die Be¬ 
lichtung verzögert. Ihre Virulenz sank ebenfalls. In den Reagensgläschen, welche mit 
Hülfe von Thermoisolatoren den Wärmestrahlen allein ausgesetzt waren, ging das 
Wachsthum merkwürdigerweise oft schlechter vor sich als in denjenigen, welche von 
kaltem Licht bestrahlt wurden. 

Die Ehre, das elektrische Licht zum ersten Male in Russland zu rein thera¬ 
peutischen Zwecken angewendet, sowie die Priorität, die Lichtbehandlung von Nerven¬ 
krankheiten, speziell von Neuralgieen, überhaupt begründet zu haben, gebührt dem 
russischen Arzte St. v. Stein 10 ), welcher durch einen Zufall auf die schmerzstillende 
Wirkung des Glühlichtes aufmerksam gemacht wurde. Als er bei einer an eitriger 
Highmoritis Leidenden für einige Sekunden ein elektrisches Glühlämpchen in den 
Mund einführte, um die Oberkieferhöhle zu durchleuchten, so bemerkte er zu seiner 
Verwunderung bei der Patientin ein Verschwinden der schmerzhaften zusammen¬ 
ziehenden Sensationen im Halse und am Gaumen. In den darauf folgenden Sitzungen 
verschwanden infolge der Belichtung auch die schmerzhaften Empfindungen in den 
Gesichtsknochen. Von dieser Beobachtung ausgehend überzeugte sich v. Stein von 
der unzweifelhaften schmerzstillenden Wirkung des elektrischen Lichtes auch an 
anderen Kranken, welche an Lumbago, akutem Rheumatismus, lnterkostalneuralgieen, 
Entzündung der Gelenksynovialis, ischiadischen Schmerzen und an Larynxtuberkulose 
litten. Er benutzte zur lokalen Elektrophototherapie Glühlampen, wobei das elek¬ 
trische Licht mit Hülfe eines Reflektors auf den kranken Körpertheil gerichtet wurde. 

2V* Jahre nach v. Stein’s Mittheilung, in welcher dieser noch nicht zu ent¬ 
scheiden vermochte, welcher Abschnitt des Spektrums eigentlich der wirksame sei, 
ob die Wärme- oder die Lichtstrahlen den Erfolg bedingen oder ob die Gesammt- 
heit aller Theile des Spektrums hier eine Rolle spiele, erschien eine Arbeit über 
Lichttherapie von G. Gatschkowsky 11 ) aus Rvbinsk, in welcher die kurzen Kranken¬ 
geschichten von 27 Patienten angeführt werden, bei denen das elektrische Licht ein 
Verschwinden der Schmerzen infolge von Lumbago, Cephalalgie, Odontalgie, Gelenk- 


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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 239 

und Muskelrheumatismus bereits nach einigen Sitzungen bewirkt hatte. Er bediente 
sich eines Glühlämpchens von 3—5 Volt und hielt diese Spannung für vollständig 
genügend. 

Ueber die therapeutischen Versuche mit dem intensiven Licht des Voltabogens 
von N. Ewald 12 ) und W. Koslowsky 13 ) wurde in dieser Zeitschrift (1899. Bd. 2. 
Heft 3. S. 238) von anderer Seite bereits ausführlich referiert, so dass ich zu dem 
Berichte über die neuesten Veröffentlichungen auf dem Gebiete der Lichttherapie in 
Russland übergehen kann. 

Einer der glühendsten Anhänger des Lichtheilverfahrens und einer der eifrigsten 
und vielseitigsten Phototherapeuten ist der russische Militärarzt A. W. Minin. In 
einer kurzen vorläufigen Mittheilung 17 ) vom Jahre 1899 berührt er die Behandlung 
der örtlichen chirurgischen Tuberkulose mit Hülfe des Lichtes. Als Licht¬ 
quelle benutzte er anfangs eine Glühlampe von 10 Normalkerzen mit einem Reflektor, 
welcher in einer solchen Entfernung vom Kranken gehalten wurde, dass die Wärme¬ 
empfindung nur eine schwache war; die Bestrahlung wurde jeden zweiten Tag im 
Laufe von 10 Minuten vorgenommen. Bei dem einen seiner Kranken handelte es 
sich um eine alte tuberkulöse Peripleuritis; nach Resektion eines kariösen Rippen¬ 
stückes bildete sich in der Narbe eine Ulceration mit missfarbigen, matschen Gra¬ 
nulationen, begleitet von sehr starken Nachtschweissen, hohem Fieber und allgemeiner 
Schwäche. Nach sechs Belichtungen wurde folgendes konstatiert: Verminderung, dann 
Verschwinden der Nachtschweisse, Absinken der Temperatur bis zur Norm, Bildung 
von festen rothen Granulationen und konsekutive Vernarbung. Der zweite Kranke 
litt ebenfalls seit langem an tuberkulösen Ulcerationen an der rechten Brustseite mit 
reichlicher Eiterabsonderung, bedeutender entzündlicher Infiltration der Nachbarschaft, 
begleitet von Nachtschweissen und Fieber. Auch bei diesem Patienten erfolgte be¬ 
reits nach drei Bestrahlungen eine Vernarbung des einen Geschwüres und hierauf die 
Ausheilung der übrigen Ulcerationen, dann sank im weiteren Verlaufe der Behand¬ 
lung das Fieber, und die Nachtschweisse hörten ganz auf. Auf Grund dieser und 
ähnlicher Beobachtungen empfiehlt Minin sehr warm die Lichtbehandlung der lokalen 
Tuberkulose. 

Ich will gleich hier noch die Bemerkung hinzufügen, dass gelegentlich einer 
Diskussion in der Gesellschaft der Kinderärzte zu Moskau am 7. März 1901 G. Cie- 
chansky< 6 ) mitgetheilt hat, dass er in einem Falle von tuberkulöser Gonitis bei 
einem Kinde die Behandlung mit Sonnenlicht angewandt habe. Das kranke Knie 
war in seinem Umfange vergrössert, seine Kontouren waren verwischt. Im Verlaufe 
von vier Monaten wurden 90 Sonnenlichtbestrahlungen vorgenommen. Das Resultat 
war ein gutes: der Umfang des affizierten Kniees verkleinerte sich (von 25 cm bis 
auf 23®/« cm), die Schmerzen verschwanden, die Beweglichkeit wurde wieder her¬ 
gestellt. 

Ueber die Arbeit von A. Gribojedow 18 ), die Behandlung von Neuralgieen mit 
intensivem elektrischem Licht betreffend, habe ich in dieser Zeitschrift (1900. Bd. 3. 
Heft 7. S. 632) bereits berichtet. 

In einem weiteren Aufsatze beschreibt A. Minin 19 ) die Erfolge, die er mit der 
elektrischen Lichtbehandlung bei einer ganzen Reihe innerer und äusserer Erkran¬ 
kungen erzielt hat. Dieses Mal standen ihm zwei Glühlampen von je 50 Normal¬ 
kerzen zur Verfügung, welche von zehn Akkumulatoren gespeist wurden und mit 
einem für beide gemeinsamen Reflektor versehen waren. Auch hier machte Minin 
die Erfahrung, dass Schmerzen unter der Einwirkung des Lichtes sehr schnell be¬ 
hoben werden, was für die Betheiligten überaus effektvoll ist. Deswegen bekommen 
bei der Schwindsucht und bei allerlei Pleuritiden die Kranken schon nach drei bis 
vier Minuten langer Belichtung die Möglichkeit, aus voller Brust beschwerdelos 
zu athmen. Bei exsudativen Entzündungen des Brustfells bewirkt das Licht eine 
sehr schnelle und einschneidende Wendung zum Bessern in dem Sinne, dass nach 
der ersten, zehn Minuten langen Sitzung mit einem Male eine reichliche Resorption 
des Exsudates vor sich geht, welches in den folgenden Sitzungen schon bedeutend 
langsamer aufgesogen wird. Eine ebenso rasche Resorption des Exsudates wird auch 
bei dem akuten Gelenkrheumatismus beobachtet. Minin hatte auch die Gelegenheit, 


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A. Dworetzky 


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als erster einen Fall von Skorbut, der in Russland infolge der so häufigen Miss¬ 
ernten und Hungerjahre recht oft angetroffen wird, durch die Lichtbehandlung zur 
Ausheilung zu bringen, was ihn in der Auffassung von der infektiösen Natur des 
Skorbuts bestärkt. Ebenso gebührt ihm die Priorität, auch die chronische Lepra 
tuberosa durch die Phototherapie sehr günstig beeinflusst zu haben. Mitgetheilt 
werden von Min in genauer folgende Krankengeschichten: fünf Fälle von exsudativer 
und trockener Pleuritis (in sämmtlichen Heilung), ein Fall von chronischer tuber¬ 
kulöser exsudativer Peritonitis (bedeutende Besserung), ein Fall von Ostitis tuber- 
culosa metacarpi III sinistri (Heilung), mehrere Fälle von Lumbago, Neuralgieen und 
Neuritiden (in sämmtlichen Heilung), ein Fall von Gelenkrheumatismus (Heilung), 
ein Fall von Entzündung der Bursa mucosa patellaris (Heilung), ein Fall von akuter 
seröser Entzündung des Kniegelenks (Heilung), ein Fall von akuter traumatischer 
Gonitis (Heilung), zwei Fälle von Skorbut (Heilung), ein Fall von beginnender Tabes 
dorsalis (Besserung) und ein Fall von tuberöser Lepra (beträchtliche Besserung). 

In der Sitzung der Gesellschaft Russischer Aerzte zu Petersburg vom 28. Oktober 
1890 hielt Professor 0. Petersen 21 ) einen Vortrag über die Finsen’sche Lupus¬ 
behandlung und stellte zwei eigene Kranke vor, ein Mädchen von 4 1 /* und eine 
Frau von 63 Jahren, an denen er die Finsen’sche Methode zuerst in Anwendung zu 
ziehen begonnen hatte. Jede Sitzung dauert bei ihm eine Stunde; das Licht wird von 
einem Apparate mit einem Wechselstrom von 50 Amperes geliefert. Um eine über¬ 
mässige Erwärmung der Luft um die Lichtquelle herum zu verhindern, hat Professor 
Petersen auf den Rath eines Elektrotechnikers die Bogenlampe mit einem Cylinder 
aus Asbestpapier umgeben. Diese Verbesserung war von Erfolg begleitet; man kann 
sich in der Nähe der Lampe auf halten, ohne Hitze zu empfinden, und das Thermo¬ 
meter zeigt in einer Entfernung von 20 cm vom Asbestcylinder nicht mehr als 20® R. 
Ausserdem dient der Asbestcylinder auch als guter Ventilator: die zwischen der Lampe 
und dem Cylinder erwärmte Luft bewirkt einen starken Zug nach oben. 

In der auf den Vortrag Petersens folgenden Diskussion machten sich einige 
Stimmen geltend, welche die Wirkung des konzentrierten Lichtes in Form der auf die 
affizierte Stelle gerichteten chemischen Lichtstrahlen zu leugnen sich anschickten 
und die kategorischen Urteile der Aerzte über den angeblich zweifellosen Nutzen 
der Finsen’sehen Lupustherapie für verfrüht zu erklären geneigt waren. Die Op¬ 
ponenten legten grosses Gewicht auf die Bedeutung, welche für den Effekt der Be¬ 
handlung die zum Zweck der Entfärbung der befallenen Haut und der Abhaltung 
der Wärmestrahlen durch das Andrücken der Glasplatte künstlich hervorgerufene 
Blutleere der Gewebe, sowie der nach Entfernung der Glasplatte eintretende Blut¬ 
zufluss in die Gefässe und die venöse Stauung haben könnten. Man wies darauf 
hin, dass wiederholt hervorgerufene Blutleere und Anämisierüng der von der Tuber¬ 
kulose befallenen Organe einen Zerfall des Granulationsgewebes bewirke, dann dessen 
Resorption und schliesslich sogar die Bildung von Narbengewebe herbeiführe, während 
die physikalischen und chemischen Veränderungen des Körpers unter dem Einflüsse 
des Lichtes noch gänzlich unerforscht seien. 

In der Sitzung derselben Gesellschaft Russischer Aerzte vom 11. November 1899 
berichtete K. Stein 22 ) über seinen erfolgreichen Versuch eine von einem subkutanen 
und subperiostalen Bluterguss begleitete schwere Kontusion der linkeu Tibia bei 
einem Kadetten mit Hülfe des elektrischen Lichtes zu behandeln. Sämmtliche anti¬ 
phlogistische und resorptionsbefördernde Mittel, sowie die Massage und medikamen¬ 
töse Einreibungen waren im Laufe von zwei Wochen völlig resultatlos geblieben, 
und zuletzt war tiefe Fluktuation nachzuweisen. Da entschloss sich Stein anstatt 
zur chirurgischen zur Lichttherapie. Eine von einem Trockenelement gespeiste flache 
Glühlampe wurde zwei mal täglich, morgens und abends, an die kranke Partie an¬ 
gelegt und im Laufe von 10 Minuten an ihr hin und her geführt. Nach drei Tagen 
war die schmerzhafte Geschwulst verschwunden, und nach weiteren drei Tagen trat 
vollkommene Heilung ein. 

In einem dritten Aufsatze lenkt A. Minin 2 *) die Aufmerksamkeit auf seine 
interessanten Versuche zur Behandlung der venerischen Krankheiten mittels 
der Lichtbestrahlung. Auch hier bediente sich Minin eines Glühlämpchens von 



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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. "241 


50 Normalkerzen. Der Kranke wurde in eine solche Entfernung von der Lichtquelle 
mit dem Reflektor gebracht, dass die Wärmeempiindung nur eine geringe war. Die 
Lichtbehandlung wurde alle 2—3 Tage im Laufe von 10—15 Minuten angewendet. In 
einem Falle von Ulcus molle erfolgte die Heilung nach sieben Sitzungen. In zwei 
Fällen von akuter Gonorrhoe wurde die Lichttherapie in der Weise vorgenommen, 
dass die Gegend vom Anus bis zur Harnröhrenöffnung und manchmal auch die Rück¬ 
seite des Penis von der Wurzel bis zur Glans beleuchtet wurde; es wurden auch 
Injektionen mit einer warmen Va — 1 °/o igen Borsäurelösung gemacht. In beiden 
Fällen erfolgte glatte Heilung, ebenso wie in einem Fall von doppelseitiger Epidi- 
dymitis unbekannter Aetiologie. Ich kann die Bemerkung nicht unterdrücken, dass 
die beiden Tripperfälle für die Heilkraft des Lichtes bei der Gonorrhoe natürlich 
nichts beweisen. 

Wie schon oben erwähnt, erprobte im Jahre 1897 D. Murinow zuerst an sich 
selbst die Bedeutung des Lichtes des Voltabogens für die Behandlung des 
akuten Gelenkrheumatismus. Jetzt zieht er in der Medicinischen Beilage zum 
Marine - Archiv*») das Facit aus seinen 2V2jährigen Beobachtungen an zahlreichen 
Kranken. Die Temperatur des Bogenlichtes (von 20 Amperes), welches von einem 
parabolischen Spiegel reflektiert wird, hängt von der Entfernung ab: je kleiner diese 
ist, desto höher ist die Lufttemperatur. Sowohl das abgekühlte, also auch das die 
Wärmestrahlen mit enthaltende Bogenlicht wirkt nicht nur auf die oberflächlichen 
Schichten der Körperdecke (Haut und subkutanes Zellgewebe), sondern dringt auch 
in die tieferen Gewebsschichten ein, denn das Lichtbündel des Voltabogens geht durch 
das lebende Gewebe hindurch und zersetzt das Bromsilber auf der unter die Haut ge¬ 
brachten und noch tiefer eingeführten photographischen Platte, wobei diese Wirkung 
auf die Bromgelatine nicht den blau-violetten Strahlen des Spektrums allein eigen- 
thümlich ist, sondern auch dessen übrigen Abschnitten zukommt. Zu therapeutischen 
Zwecken muss womöglich das ganze Lichtbündel herangezogen werden, die Wärme¬ 
strahlen nicht ausgenommen. Das Licht des Voltabogens ruft auf der bestrahlten 
Hautpartie eine Hyperämie hervor, welche um so ausgesprochener ist, je näher die 
Lichtquelle sich befindet, je stärker sie ist und je mehr der Senkrechten sich die 
Strahlen nähern. Ausser der Hyperämie bewirkt das Lichtbündel eine lokale Trans- 
spiration, welche bei länger andauernder Lichteinwirkung sich zu einem allgemeinen 
Schweissausbruch steigern kann. Auf welchen Hautbezirk das Licht des Voltabogens 
in abgekühltem oder nicht abgekühltem Zustande auch gerichtet wäre, stets be¬ 
obachtet man eine Veränderung der Pulswelle. Von weiteren Allgemeinerscheinungen 
ist hervorzuheben, dass einige Stunden nach der örtlichen Belichtung bei der Mehr¬ 
zahl der Kranken ein Gefühl der Ermüdung und Neigung zum Schlaf zu bemerken 
ist, während bei manchen Personen dagegen verschiedene Stufen von Aufregung Vor¬ 
kommen. Der lokale Effekt besteht darin, dass am ehesten und am merkbarsten 
eine Verminderung oder ein vollständiges Verschwinden der Schmerzempfindungen 
eintritt, wobei bei länger fortgesetzter Lichtbehandlung die Schmerzen für immer 
gänzlich behoben werden. Ferner werden unter dem Einfluss der Bestrahlung mit 
elektrischem Licht die serösen Exsudate in den Gelenken bei rheumatischen Affektionen 
und die serösen Exsudate bei Pleuritis, sowie die Gewebsauftreibungen (Tophi) bei 
podagrischen Exacerbationen recht schnell resorbiert, obwohl Recidive manchmal 
nicht zu vermeiden sind. Bei akuten rheumatischen Erkrankungen wirkt die Licht¬ 
therapie anscheinend auch temperaturherabsetzend. Für die Affektionen, die sich 
auf rheumatischem Boden entwickeln, sowie für die Behandlung einiger Hautkrank¬ 
heiten genügt das Licht eines Voltabogens von 20—25 Amperes und 50—GO Volt. — 
Murinow warnt vor der falschen Ansicht, als wirke das elektrische Licht nur auf 
die Hautdecken allein, oder als sei es absolut unschädlich; obgleich die Photo¬ 
therapie eine grosse, bedeutungsvolle Zukunft vor sich habe, so dürfe sie doch bei 
dem gegenwärtigen niedrigen Stande unserer Kenntnisse von dem Wesen ihrer 
physiologischen Wirkungsweise nur mit grosser ^Umsicht angewandt werden. 

J. Makawejew 2 «) benutzte zu seinen therapeutischen Versuchen in der Privat¬ 
praxis eine Glühlampe von 50 Normalkerzen und 100 Volt Spannung mit einem 
parabolischen Reflektor; die Dauer der einzelnen Sitzungen schwankte zwischen 


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5 Minuten und einer halben Stunde, meistenteils betrugen sie 10 — 15 Minuten, 
wobei die Augen des Patienten vor dem grellen Licht geschützt wurden. In einem 
Falle von sehr lange bestehendem Lupus erfolgte durch die Bestrahlung mit der 
Glühlampe allein, ohne Anwendung von Anämisierung der Haut, vollkommene Heilung, 
was eine wesentliche Vereinfachung der Finsen’schen Methode bedeutet. Ebenso 
heilten drei Fälle von rheumatischen Affektionen verschiedener Gelenke, zwei Fälle 
von hartnäckigen hysterischen Neuralgieen auf allgemein neuropathischer Basis, ein 
Fall von schweren Nervenschmerzen infolge von Carcinom und ein Fall von trauma¬ 
tischer Entzündung des Hodens und Nebenhodens. 

In seinem vierten Artikel bespricht A. Minin 27 ) die Erfolge, welche er mit 
einer Kombination der Lichttherapie und der leichten Massage oder der 
Effleurage nach dem Vorgänge von K. Stein (s. o.) bei Kontusionen und Sugil- 
lationen erzielt hat. Er bediente sich hierbei einer Glühlampe von 16 Normalkerzen 
aus mattem Glase zum leichten Massieren von Suflfusionen, von akut rheumatisch oder 
gonorrhoisch entzündeten Gelenken, von Tortikollis und Neuralgieen. Es werden von 
ihm angeführt ein Fall von Kontusion mit einem grossen Blutextravasat, drei Fälle 
von traumatischen Muskeleinreissungen, ein Fall von traumatischer Entzündung der 
Bursa mucosa olecrani und ein Fall von äusserst schmerzhafter gonorrhoischer Ar¬ 
thritis. In allen Fällen trat schnelle Genesung ein. 

D. Kessler 2 *) übt die Lichtbehandlung seit dem August 1899 aus und ver¬ 
fügt über eine ganze Menge von damit geheilten Krankheitsfällen, sowie über einige 
Kontrollversuche. Er unterscheidet folgende Arten der Lichtanwendung: 1. die reine 
Elektrophototherapie, bei welcher die Wärmestrahlen mit Hülfe physikalischer Vor¬ 
richtungen oder chemischer Agentien ausgeschlossen werden, 2. die elektrische Photo- 
thermotherapie, bei welcher sowohl die Licht- als auch die Wärmestrahlen zur 
Wirkung gelangen, und 3. die elektrische photothermische Massage, bei welcher mit 
der brennenden Glühlampe die kranken oder schmerzhaften Stellen leicht massiert 
werden. Er selbst berichtet einstweilen über seine Erfahrungen mit der zweiten 
Art, mit der elektrischen Photothermotheraple. Je nach der Grösse des zu 
behandelnden krankhaften Körpergebietes verwendet Kessler auch Glühlampen von 
verschiedener Leuchtkraft (16 —100 Normalkerzen) und Reflektoren ebenfalls von 
verschiedenen Durchmessern (10—30 cm). Das Auftreten von circumskripter Tran¬ 
spiration an der bestrahlten Stelle oder der örtliche Schweissausbruch an der Haut 
dient ihm zum sicheren Beweise für die voll eingetretene Wirkung der Belichtung und 
zugleich auch als Fingerzeig, dass die Sitzung beschlossen werden muss. Die 
Sitzungen werden in subakuten Fällen täglich einmal vorgenommen, bis endgültige 
Besserung eingetreten ist; hat der Schmerz, besonders in akuten Fällen, die Neigung 
sich leicht zu erneuern, so finden die Sitzungen auch zweimal täglich statt. Nach 
diesen Prinzipien hat Kessler die Behandlung durchgeführt und die Resultate genau 
verfolgt bei 137 Kranken, unter welchen sich befanden 36 Fälle von Kontusion, 
29 Fälle von Subluxation und Distorsion, 31 Fälle von Gelenk- und Muskel¬ 
rheumatismus, 9 Fälle von Hautkrankheiten und 32 Fälle von Neuralgie. Auf Grund 
dieser Beobachtungen und seiner neun Kontrollversuche kommt Kessler zu folgenden 
Schlüssen: 1. Im Vergleich mit anderen Heilmethoden verlangt die elektrische Photo- 
thermotherapie (in geeigneten Fällen) weniger Zeit bis zur Heilung. 2. Der Schmerz 
wird zweifellos und in äusserst kurzer Frist verringert und kann sogar mit einem 
Male bereits nach der ersten Sitzung verschwinden, wenn der betreffende Fall ein 
akuter war. 3. Sugillationen und Blutextravasate werden sehr rasch resorbiert; 
niemals giebt es blaue Flecke, wenn die Behandlung gleich nach dem Trauma in 
Angriff genommen wird. 4. Gelenkexsudate weichen im allgemeinen der Licht¬ 
behandlung schneller als der gewöhnlichen Therapie; in manchen Fällen wirkt die 
Photothermotherapie auffallend rasch, wie z. B. bei den akuten rheumatischen Ent¬ 
zündungen und Kontusionen der Gelenke, bald nach der Verletzung. Hier ist die 
Photothermotherapie hors concours! 5. Die Funktionen der affizierten Organe kehren 
sowohl durch die Eliminierung des Schmerzes wie auch infolge der Resorption der 
Exsudate und Extravasate schnell und andauernd zur Norm zurück. 6. Hautaus¬ 
schläge und verschiedene andere Hautleiden, wie das Ekzem, verlaufen infolge der 


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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 243 

Einwirkung des Lichtes auf die Gefässe und Nerven der Haut bei Anwendung der 
Photothermotherapie besser und rascher als bei jeder anderen Behandlungsmethode. 

In dem Sanatorium für Lungenkranke zu Halila in Finnland begannen der 
dirigierende Arzt J. Gabrilowicz und Dr. L. Finkeistein 29 ) seit dem Sommer 

1899 das elektrische Licht in Form des Voltabogens bei denjenigen Tuberkulösen 

anzuwenden, welche ausser ihrer Grundkrankheit noch an Rheumatismus oder an 
pleuritischen Schmerzen litten. Bei der Bestrahlung mit dem Bogenlicht wurden 
die Wärmestrahlen nicht ausgeschaltet. Die Stromstärke betrug 10 oder 20 Amperes. 
Die Kranken befanden sich in einer Entfernung von 1 3 Meter von dem Reflektor, 

wo die Lufttemperatur 25—40 °C nicht überstieg. Die Gesammtanzahl der mit dem 
elektrischen Licht behandelten Kranken war 50. Von diesen litten an akutem 
Gelenkrheumatismus zwei (völlige Heilung), an akutem Muskelrheumatismus sieben 
(völlige Heilung), an akutem Rheumatismus der Muskeln und Gelenke einer (völlige 
Heilung), an Exacerbationen von chronischem Rheumatismus vier (bedeutende Besserung, 
lange anhaltende Schmerzlosigkeit), an Interkostalneuralgie einer (Besserung, Ver¬ 
minderung der Schmerzattacken), an syphilitischen Schmerzen in den Extremitäten 
einer (ebenfalls auffallende Besserung, Nachlassen der Schmerzen), an rechtsseitiger 
Ischias einer (beträchtliche Erleichterung), an tuberkulöser Periostitis der Rippen 
zwei (sehr gutes subjektives Resultat, objektiv wenig Veränderung), an Exacer¬ 
bationen einer chronischen tuberkulösen Pleuritis sicca und an akuter tuberkulöser 
trockener Pleuritis 31 (als Endresultat in elf Fällen andauernde Schmerzlosigkeit 
und Verschwinden der Reibegeräusche, in den übrigen Schwinden der Schmerzen, 
aber Fortbestehen des Reibens). Das für alle Sitzungen und bei allen Patienten 
gemeinsame Charakteristikum der Lichtwirkung war die beträchtliche Linderung und 
in den meisten Fällen sogar das vollständige Nachlassen der schmerzhaften Em¬ 
pfindungen, manchmal bereits nach einer Sitzung für immer, meist aber für eine 
geraume Zeit, gewöhnlich bis zum Abend desselben Tages, wenn die Belichtung am 
Morgen vorgenommen worden war. Am häufigsten traten die schmerzhaften Sensationen 
nach jeder folgenden Sitzung in immer geringerer Stärke auf, und die schmerzlosen 
Intervalle wurden immer grösser. Die Nebenwirkungen der Lichttherapie waren 
unbedeutend. Die beiden Autoren gelangen zu dem Schluss, dass das elektrische 
Licht als ein sehr nützliches und angenehmes Hülfsmittel bei der symptomatischen 
Behandlung der tuberkulösen Kranken dienen kann. 

In der Sitzung der Gesellschaft der Kinderärzte zu Petersburg vom 29. März 

1900 stellte D. Sokolow* 0 ) ein vierjähriges Mädchen vor, welches nach Masern 
an schwerer Noma erkrankt war. Die Behandlung durch Sokolow bestand in der 
Anwendung einer rothen elektrischen Glühlichtlampe von 25 Normalkerzen, in einer 
Entfernung von 15 cm von dem Geschwür, anfangs täglich V« Stunde lang, dann 
1—2 Stunden lang 2 —3 mal täglich. In der Zwischenzeit wurde die Wunde mit 
Borsäure bestreut und mit Watte und rothem Flanell verbunden. Nach 7—8 Sitzungen 
verschwand der Gestank. Die nekrotischen, übelriechenden Gewebspartieen wurden 
schnell abgestossen, das Geschwür fing in merklicher Weise sich mit gesunden 
Granulationen zu bedecken und von den Rändern her zu verheilen an. Die nekro- 
tisierten Sequester des Unterkiefers wurden theils von selbst nach aussen befördert, 
theils mit der Knochenzange entfernt. Der Defekt verkleinerte sich im Laufe von 
zwei Monaten in dem Maasse, dass er jetzt nur noch etwa einen Gänsefederkiel 
passieren lässt. Das Mädchen nahm während der Lichtbehandlung um 2 >/* Pfund 
an Körpergewicht zu. — Sokolow erklärt die heilsame Wirkung des rothen Lichtes 
auf den Verlauf der Noma dadurch, dass dasselbe die chemischen Strahlen des 
Spektrums eliminiert, welch letztere auf den hungernden Organismus (nach Godnew) 
besonders ungünstig einwirken. In diesem Falle handelte es sich eben um eine 
ungenügende Ernährung der Zellen und Gewebsbestandtheile der Haut, der Wangen¬ 
muskulatur und des Unterkieferknochens, auf welche das rothe Licht belebend ein¬ 
wirkte. Das Verschwinden des üblen Geruches kann durch die Bildung irgend eines 
desinfizierenden Gases in der Wunde unter dem Einflüsse der rothen Lichtstrahlen 
erklärt werden. Anzunehmen ist eine gemeinschaftliche Wirkung der rothen Licht- 


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244 A. Dworetzkv 


und der Wärmestrahlen, denn die Temperatur auf der Geschwürsoberfläche betrug 
während der Belichtung sehr oft bis 35 0 C. 

Auf experimentellem Wege suchten an das Erforschen der lokalen und all¬ 
gemeinen Wirkungen der verschiedenen Lichtarten und der farbigen Lichtstrahlen 
einige russische Autoren heranzutreten. 

T r i w u s 31 ) studierte in den verschieden gefärbten Kabinetts der Peters¬ 
burger Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten unter der Leitung von Professor 
W. v. Bechterew den Einfluss der farbigen Beleuchtung auf den Puls ge¬ 
sunder Personen. Als Messapparat diente hauptsächlich der Plethysmograph von 
Mosso. Der Aufenthalt in dem speziellen farbigen Raum der Klinik dauerte gewöhnlich 
etwa zwei Stunden. Die Plethysmogramme wurden zu Beginn und am Schluss eines 
jeden Versuches aufgenommen. Was die Ergebnisse betrifft, so ist hervorzuheben, dass 
in der Mehrzahl der Fälle die farbige Beleuchtung eine Depression des Pulses hervor¬ 
rief: eine Verlangsamung der Pulsfrequenz und eine Verkleinerung der Pulswellen¬ 
amplitude. Am allermeisten deprimiert die violette Farbe und am wenigsten die 
rothe; die übrigen Farben verhalten sich wie ihre Reihenfolge im Spektrum mit 
Ausnahme der gelben, welche sich als indifferent erwies, wahrscheinlich deshalb, 
weil die gelben Scheiben fast alle übrigen Lichtstrahlen durchlassen. Triwus spricht 
die Voraussetzung aus, dass, da jeder farbige Lichtstrahl für sich nur einen Theil 
der Energie des gesammten weissen Lichtstrojnes bildet, welcher für den physio¬ 
logischen Nerventonus nothwendig ist, man die farbige Beleuchtung als eigenthümlichen, 
wenn man sich so ausdrücken darf, Lichthunger ansehen müsse, welcher ein gewisses 
Minus in dem Chemismus des Thierkörpers hervorrufe, d. h. dass die Wirkung irgend 
einer Farbe sich durch die Abwesenheit aller übrigen Spektralfarben erklären lasse. 
Diese Ansicht stiess auf den entschiedenen Widerspruch der übrigen Anwesenden, 
welche für eine spezifische Energie und Wirkungsweise einer jeden Farbenart plaidierten. 

Die wichtigen und interessanten Versuche von J. Solucha 32 ) über die Durch¬ 
gängigkeit der Hautdecken für das Bogenlicht sind in dieser Zeitschrift (1900/01. Bd. 4. 
Heft 8. S (>9G) bereits von anderer Seite beschrieben worden. 

Die Einwirkung des intensiven Lichtes des Voltabogens auf die Haut 
studierte durch Versuche an sich selbst auch Prof. A. Maklakow 33 ). Die Lichtwirkung 
auf die Haut kann nach ihm eine akute und eine chronische sein. Bei der akuten Licht¬ 
einwirkung, besonders unter Ausschluss der Wärmestrahlen, zeigt sich der Effekt nicht 
sofort. Erst nach Verlauf eines gewissen Zeitintervalles, welches als die Latenzperiode 
der Lichtwirkung bezeichnet werden kann und je nach der Stärke der Lichtintensität 
von verschieden langer Dauer ist, treten die Symptome des sogenannten Erythema 
photochemicum auf. Maklakow versuchte die Dauer der Latenzperiode für intensives 
Bogenlicht zu bestimmen. Der Effekt einer Bestrahlung, welche nur 15 Sekunden 
andauerte, trat erst nach 10 Stunden zum Vorschein. Eine der Lichteinwirkung im 
Laufe von einer Minute unterworfene Hautstelle zeigte nach V 2 Stunde eine deutliche 
umschriebene Hyperästhesie, während eine Röthung sich erst nach 2 3 / 4 Stunden be¬ 
merkbar machte. Hautbezirke, die dem Lichte 3 1 /« Minuten ausgesetzt waren, rötheten 
sich nach 11 Minuten. Nach Verlauf von 3 Minuten wiesen das Erythem solche 
Ilautpartieen auf, welche 5 3 / 4 Minuten lang bestrahlt wurden. Hatten sich die akuten 
Erscheinungen gelegt, so blieben Epidermisabschuppung und Pigmentation nach. 
Maklakow’s Ansicht nach ist die Wirkung des Bogenlichtes auf die Haut keine 
thermische, sondern eine chemische, welche dem Effekt der Insolation sehr ähnlich 
ist. Das gelbe und das rothe Licht, welches keine chemischen Strahlen enthält, 
wirkt auch auf die Haut nicht. Weniger intensive Lichtquellen bringen auf der 
Haut keine akute Wirkung hervor, führen aber bei länger andauernder Bestrahlung 
eine Pigmentation der Haut herbei. Auch die Schleimhäute bleiben nicht vom Lichte 
verschont. Bei der Bestrahlung durch das Licht eines sehr hellen Voltabogens 
fangen die Versuchspersonen zu niesen und zu husten an. Bei sehr intensiver Be¬ 
leuchtung und bei langer Exposition treten nekrotische Prozesse auf: die Haut 
gangränesciert infolge der chemischen Lichtwirkung. Die Tastempfindlichkeit der 
Haut wird unter dem Einflüsse des Lichtes feiner und in der Dunkelheit abgestumpft 
(nach W. Weliky). 


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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 245 


A. Glebowsky«) war der erste, welcher die Wirkungsweise des Lichtes 
auf das kranke Gewebe und speziell auf das lupöse Granulom studierte. 
Seine eingehenden und fortlaufenden mikroskopischen Untersuchungen stellen den 
ersten Versuch dar, die durch die Lichtbehandlung nach Finsen in dem lupösen 
Granulationsgewebe hervorgerufenen Veränderungen stufenweise zu verfolgen und das 
Wesen der Phototherapie, insbesondere der des Lupus vulgaris, sich klar zu machen. I« 
der Sitzung der Petersburger Medico-Chirurgischen Gesellschaft vom 12. Oktober 1900 
stellte er vorerst einen Kranken vor, welcher an Gesichtslupus gelitten hatte, dessen 
Behandlung im August desselben Jahres zu Ende geführt worden war. Einstweilen 
kann der Patient als vollkommen geheilt betrachtet werden. An drei anderen Kranken, 
bei denen die Behandlung noch nicht abgeschlossen war, demonstrierte Glebowsky 
die verschiedenen Stufen der Besserung der Affektion unter der Einwirkung der Licht¬ 
behandlung nach Finsen und die verschiedenen Grade der örtlichen Entzündung, 
welche durch die unmittelbare Lichteinwirkung auf die Gewebe hervorgerufen wird. 
Weiter führte Glebowsky eine ganze Reihe von mikroskopischen Präparaten vor, 
welche die Veränderungen im lupösen Granulom unter dem Einflüsse der Finsen- 
schen Phototherapie illustrieren. Die Präparate, die nach der ersten Lichtanwendung 
dem bestrahlten Gebiet entnommen sind, zur Zeit der am meisten ausgesprochenen 
lokalen Reaktion, bieten das gewöhnliche mikroskopische Bild des Lupus mitsammt 
allen Anzeichen der Entzündung dar. Nach dem Verschwinden der Entzündungs¬ 
erscheinungen entdeckt das Mikroskop eine gewisse Hyperplasie der Gefässendothelien 
und eine vermehrte Bildung von Lufträumen (Vermehrung der Vacuolisation) in den 
Riesenzellen des Granulomes. — In den Präparaten, welche nach 3 — 4 Sitzungen 
angefertigt sind, sind viele mehr oder weniger in die Länge gezogene Spindelzellen 
zu sehen; besonders bedeutend ist die Anhäufung von solchen Spindelzellen in den 
oberen Schichten des Kutis; in den tieferen Hautschichten dagegen sind noch 
Knötchen mit stark vaeuolisierten Riesenzellen nachzuweisen. Die Menge der Blut¬ 
gefässe ist anscheinend vergrössert. — Nach sechsmaliger Lichtapplikation sind die 
typischen Granulationsgeschwülstchen mitsammt den Riesenzellen bereits verschwunden; 
zahlreiche Gefässknäuel sind inselförmig unter dem jungen neugebildeten Binde¬ 
gewebe mit einer geringen Anzahl von Rundzellen vertheilt; das Gefässendothel ist 
aufgetrieben und füllt oft das ganze Lumen aus (Gefässverstopfung). Zum Schlüsse 
bemerkte Glebowsky, dass die zarten, dünnen Narben, die bei der Behandlung 
des Lupus nach Finsen erzielt werden, wahrscheinlich auf das Ueberwiegen der 
Regenerationserscheinungen im Bindegewebe und in den Gefässen über den regressiven 
Vorgängen und auf das Erhaltenbleiben des Grundgewebes zurückzuführen sind. 

Wir kehren wieder zu den empirischen Beobachtungen zurück. J. Solucha 3 ') 
behandelte fünf Fälle von ausgebreitetem, veraltetem und hartnäckigem Tic con- 
vulsif mit dem Lichte eines Voltabogens von 12 Amperes und 50—60 Volt. 
Die Sitzungen dauerten eine halbe Stunde lang und wurden dreimal wöchentlich vor¬ 
genommen. In zwei Fällen trat eine ganz heträchtliche Besserung ein, während in 
den drei übrigen Fällen die Behandlung keine günstigen Resultate erzielte, welchen 
Umstand Solucha durch die ungenügende Anzahl der Sitzungen zu erklären geneigt 
ist. Jedenfalls ist die Lichtbehandlung des hartnäckigen Tic convulsif eine neue be¬ 
deutende Errungenschaft der Phototherapie. 

Prof. G. Turner 30 ) theilt mit, dass auch in seiner neubegründeten kleinen 
Klinik beim Lehrstuhl für Desmurgie und Mechanurgie an der Kaiserlichen Militär¬ 
medicinischen Akademie zu Petersburg die Phototherapie eine Heimstätte gefunden 
hat. Er benutzt in seiner Klinik zu therapeutischen Zwecken das Licht einer starken 
Glühlampe von 50—100 Normalkerzen mit einem Reflektor. Seine wenig zahlreichen 
Beobachtungen über die Lichtbehandlung von tuberkulösen Affektionen der Gelenke 
und der kleinen Knochen (Spina ventosa) unter Kontrolle von Röntgenaufnahmen 
ergaben ihm sehr aussichtsvollc Resultate. Ausgezeichnete Erfolge erzielte er auch 
bei den Kontusionen der Weichtheile und Gelenke, bei Neuralgieen und Rheumatismen. 
In den Fällen von rheumatischer Erkrankung hat Prof. Turner durch die gleich¬ 
zeitige Anwendung von Licht und gewöhnlicher manueller Massage schnelle und 


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246 A. Dworetzky 


positive Heilergebnisse erreicht, wie sie von anderen Knrmethoden nicht aufgewiesen 
werden. 

J. Eiger 37 ) hat sich mit den physiologischen und therapeutischen Eigen¬ 
schaften der elektrischen Lichtbäder beschäftigt. Nach den eigenen Beobach¬ 
tungen und Erfahrungen des Autors besteht die physiologische Wirkung des elektri¬ 
schen Lichtbades aus folgenden Momenten: a) es besitzt eine stark schweisserregende 
Wirkung, wobei bis zu 35—40° C nur eine mässige Transspiration erscheint, bei etwas 
höherer Temperatur dagegen ein mächtiger Schweissausbruch; b) es setzt das Körper¬ 
gewicht herab, wobei das Sinken des Gewichtes wegen des gesteigerten Appetits meist 
kein anhaltendes ist; c) es beschleunigt und erhöht die Stoffwechselvorgänge im 
Körper; d) der Puls wird bei 45—50° C um 15—20 Schläge in der Minute frequenter, 
während die Athmungsfrequenz unbeeinflusst bleibt; e) das Lichtbad wirkt schmerz¬ 
lindernd und f) die Körpertemperatur steigt um ein geringes, etwa um 1 ° C. — Neben¬ 
erscheinungen werden selten beobachtet. Die weissen Glühlampen hat Eiger mit Vor¬ 
theil durch blaue ersetzt. Von seinen vier Fällen von Fettsucht zeigten drei Patienten, 
die während der Behandlung mit elektrischen Lichtbädern ihre Diät absolut nicht 
einschränkten, keine Veränderung des Körpergewichtes; die vierte Kranke jedoch, die 
nebenbei auch ihre Diät nach den allgemeinen Grundsätzen geregelt hatte, wies nach 
Verlauf von 2>/2 Monaten und nach 50 Lichtbädern eine Gewichtsabnahme von 
25 Pfund auf. In einem Fall von Diabetes mellitus gelang es, die Zuckermenge im 
Urin von 4 °/ 0 auf 1 Va°/o herabzusetzen. In einem Falle von chronischer exsudativer 
Pleuritis mit gleichzeitiger Dämpfung über der rechten Lungenspitze verschwand das 
Exsudat unter dem Einfluss der elektrischen Lichtbäder und der Atemgymnastik 
fast ganz. In einem Falle von chronischer Nephritis vergingen die Oedeme völlig, 
aber die Ei weissmenge im Harn wurde nicht geringer. Von den elf Fällen von chro¬ 
nischem Gelenkrheumatismus wurde in neun vollkommene Schmerzlosigkeit erzielt, in 
zwei Erleichterung. Von zehn Fällen verschiedener Neuralgieen wurde in fünf gänz¬ 
liche Heilung bewirkt, in vier trat Besserung ein und in einem Falle war die Be¬ 
handlung resultatlos. 

In einem fünften Artikel zählt A. Minin 33 ) eine ganze Reihe von meist chirur¬ 
gischen Affektionen auf, die von dem elektrischen Licht in Form einer mit einem 
Reflektor versehenen blauen Glühlichtlampe von 16 Normalkerzen Stärke und 100 Volt 
Spannung mit dem besten Erfolge beeinflusst wurden. Fürs erste hebt er hervor, 
dass das blaue Licht bei den chronischen Ekzemen des Gesichtes, und zwar insbe¬ 
sondere bei den Ekzemen nervösen Ursprungs, vollauf angewendet zu werden verdient. 
Die glänzendste therapeutische Wirkung entfaltete sein Verfahren bei Blutextravasaten 
infolge von Kontusionen, wo die resorptionsbefördernden und schmerzstillenden Eigen¬ 
schaften des Lichtes sich ganz besonders bewährten. Bei der Behandlung von Ex- 
koriationen erwies sich, dass die blauen elektrischen Strahlen eine schnelle Verengerung 
der Blutgefässe hervorrufen, indem sie entweder auf die vasomotorischen Nerven oder 
auf die glatte Muskulatur der Gefässwand einwirken. Wenigstens werden granulierende 
Oberflächen bei der Bestrahlung mit der blauen Lampe in recht kurzer Frist blass; 
die Schmerzen werden gelindert und die Heilung lässt nicht lange auf sich warten. 
Auf Grund von einigen eigenen Beobachtungen ist Minin zu der Anschauung ge¬ 
langt, dass das elektrische Licht durch die vordere Bauchwand hindurch leicht und 
sehr schnell zu den Därmen und in den Magen einzudringen vermag. In zwei Fällen 
wurde durch die Belichtung der Magengrube hartnäckiges Erbrechen gestillt und die 
Uebelkeit beseitigt., in einem anderen Falle verschwand lange anhaltender und quä¬ 
lender Singultus. Infolgedessen empfiehlt Minin die Bestrahlung des Epigastriums 
gegen das unstillbare Erbrechen der Schwangeren. Ebenso erfolgreich ist die Photo¬ 
therapie bei Blutergüssen in die Gelenke. Bei entzündlichen Infiltrationen und 
Schwellungen nach Operationen oder bei infektiösen Prozessen ist nach Minin’s 
Ansicht das blaue Licht unersetzlich. Es erweist sich als äusserst wirkungsvoll bei 
Geschwüren, Wunden, bei einigen unliebsamen Folgezuständen (Eiterungen u. dergl.) 
nach operativen Maassnahmen, überhaupt bei allen möglichen Blutergüssen und Infil¬ 
traten. In einem Falle von heftiger Hyperästhesie der letzten Fingerphalangen nach 


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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 247 


Verwundung und Bruch des Oberarmes und bei einem Kranken mit eitriger Peri- 
chondritis der linken Schildknorpelplatte war die schmerzstillende Wirkung des blauen 
Lichtes ausserordentlich. Auf Ablagerungen von harnsauren Salzen (sogar in den 
Venenwänden, wie in dem Falle Minin’s) zeigte es wiederum seinen resorptions¬ 
befördernden Einfluss. Alle diese Beobachtungen werden von dem Verfasser durch 
zahlreiche Krankengeschichten in interessanter Weise illustriert. 

Aus der Klinik für Infektionskrankheiten des Prof. Tschistowicz in Peters¬ 
burg theilt G. Oleinikow 3 ») die ersten Erfahrungen über die Behandlung der 
Pocken mit rothem Licht nach Finsen mit. Sämmtliche Kranke ertrugen den 
Aufenthalt im rothen Zimmer sehr schwer und baten dringend in einen hellen Raum 
übergeführt zu werden, indem sie es sogar vorzogen, pockennarbig zu bleiben. Bei Schwer¬ 
kranken traten nach der Unterbringung in dem rothen Zimmer Delirien mit schreck¬ 
haften Hallucinationen auf. Bei einem Patienten verschwanden die Delirien sofort, 
Sds er in einen hellen Raum gebracht wurde. Eine Krankenwärterin weigerte sich 
entschieden, die Pflege der Patienten im rothen Zimmer fortzusetzen. Die Behandlung 
im ganzen durchzuführen gelang es nur mit Mühe in neun Fällen mit ausgebreitetem 
und reichlichem Exanthem, von welchen zwei gestorben sind. Von den sieben Genesenen 
gingen in einem Falle die Bläschen schnell in Krusten über, welche rasch und ohne 
Spuren zu hinterlassen abgestossen wurden, wobei die zweite Temperatursteigerung 
(das Suppurationsfieber) völlig fehlte. In den übrigen sechs Fällen war das Eiterungs¬ 
fieber mehr oder weniger stark ausgeprägt, wobei auch der Pockenprozess Narben 
liinterliess; aber nur in einem einzigen Falle war eine deutliche Eiterung in den 
Eruptionen zu konstatieren. Das Jucken fehlte in sämmtlichen Fällen. 

A. Uspcnsky 4 ") liefert einen kleinen Beitrag zur Kasuistik der Thototherapie, 
indem er drei Fälle von erfolgreicher Anwendung der Lichtbehandlung anführte. Er 
bediente sich dabei eines Glühlämpchens, wie es gewöhnlich zur häuslichen Be¬ 
leuchtung benutzt wird, von 16 Normalkerzen aus mattem Glase; das Lämpchen wurde 
langsam im Verlaufe von 5—10 Minuten an denjenigen Stellen hin- und hergeführt, 
wo der Effekt erwünscht war; die Methode war also eine recht einfache. Vor allem 
erprobte Uspensky die Behandlung an sich selbst gegen Brustschmerzen nach Influenza. 
1 Vs Stunden nach der ersten Sitzung vergingen die Stiche in der rechten Brustseite 
völlig und für immer; in der linken Seite, wo diese Methode nicht zur Anwendung 
gekommen war, verschwanden die Schmerzen erst am fünften Tage. In einem Falle 
von Ischias wurde vollständige Heilung nach 12 Belichtungen erzielt. In einem Falle 
von heftigen Schmerzen in der Lebergegend wichen nach einer 10 Minuten langen 
Sitzung die quälenden Empfindungen gänzlich; am nächsten Tage traten die Schmerzen 
von neuem auf, wenn auch in geringerem Grade. Hier wurde jedoch die Behandlung 
mit dem Glühlicht nicht weiter fortgesetzt. 

In der Sitzung der Petersburger Medico-Chirurgischen Gesellschaft vom 15. März 
1901 machte A. Lang«) über zwei Fälle von Lupus der Nasenschleimhaut 
Mittheilung, bei welchen in dem phototherapeutischen Kabinett an dem Institut für 
Experimentalmedicin die Lichtbehandlung nach Finsen mit Erfolg angewendet 
worden war. Zur Anämisierung des zu bestrahlenden Schleimhautbezirkes liess 
sich Lang einen kleinen Kompressionsapparat aus Bergkrystall von 14 mm Durch¬ 
messer anfertigen. Beim ersten Kranken vernarbte die lupöse Exulceration und die 
Perforation des häutigen Theiles der Nasenscheidewand nach dreimonatlicher Be¬ 
handlung vollkommen; die Genesung ist bis jetzt eine anhaltende geblieben. Beim 
zweiten Patienten mit einem lupösen Geschwür auf dem knorpeligen Abschnitt des 
Nasenseptums und mit Zerstörung des häutigen Theiles der Scheidewand wurden 
bisher 29 Sitzungen vorgenommen; die unteren zwei Drittel der Ulceration sind be¬ 
reits völlig vernarbt, und der obere Abschnitt des Geschwüres hat sich mit Granu¬ 
lationen bedeckt. Die Behandlung wird hier wahrscheinlich in kurzer Zeit zum 
Abschluss gelangen. 

Auch die Augenheilkunde hat in Russland von der Lichttherapie Nutzen gezogen, 
und es sei mir gestattet, hier die diesbezüglichen Beobachtungen in Kürze anzuführen. 

Privatdozent E. Nesnamow«) in Charkow beschreibt die glänzenden Resultate, 
welche er mit der Anwendung der chemischen (blau-violetten) Strahlen des 


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248 A. Dworetzky 


Sonnenlichtes bei Eiterungsprozessen in der Hornhaut erzielt hat und welche 
ihn zu der Schlussfolgerung berechtigen, dass die regelrecht durchgeführte Behandlung 
mittels der chemisch wirksamen Lichtstrahlen sich zweifellos den ersten Platz in der 
Therapie der mikrobiellen Erkrankungen der Cornea erringen wird. Nesnamow be¬ 
nutzte zu ophthalmologischen Zwecken einen Sammellinsenapparat, welcher demFinsen- 
schen ähnlich konstruiert ist. Voraufgehend wurde die heilsame Wirkung der chemischen 
Lichtstrahlen an Kaninchenaugen geprüft, welche durch Injektionen von Staphylo¬ 
kokkus pyogenes aureus in das Gewebe der Hornhaut infiziert wurden. Es zeigte 
sich nun, dass die Geschwüre, die der Wirkung der chemischen Lichtstrahlen aus¬ 
gesetzt wurden, schnell verheilten und nur unbedeutende Trübungen der Cornea 
hinterliessen, während auf dem ohne Behandlung gebliebenen Auge eine Nekrose 
der Hornhaut mit Vorfall der Iris und Eiteransammlung in der vorderen Kammer 
sich ausbildete. Nachdem sich der Autor auf diese Weise von dem hemmenden 
Einfluss der Lichtstrahlen auf die Lebensthätigkeit der pyogenen Bakterien in dem 
Corneagewebe überzeugt hatte, schritt er an die Anwendung desselben Verfahrens 
bei Menschen, wobei die Dauer der Sitzung 2—3—5 Minuten und noch mehr betrug 
und die Sitzungen alltäglich wiederholt wurden — natürlich falls der Himmel nur 
wolkenlos war. Wie bereits erwähnt, waren die Resultate einer solchen Behandlungs¬ 
methode in fünf Fällen von schweren Hornhautgeschwüren geradezu glänzend. Was die 
möglichen schädlichen Folgen der Lichtanwendung für die Linse, die Netzhaut und 
die Chorioidea betrifft, so ist Nesnamow der Ansicht, dass in allen denjenigen 
Fällen, wo die Wirkung der chemischen Strahlen auf einen streng umgrenzten Bezirk 
des Augapfels konzentriert werden kann, sie ohne jede Befürchtung auch angewendet 
werden können. 

In der Sitzung der Petersburger Ophthalmologischen Gesellschaft vom 1. März 
1901 berichtete N. Tichomirow 45 ) über einen Fall von Retinalhämorrhagie, welche 
nacli einem Trauma an zwei Stellen der Netzhaut sich ausgebildet und 1 Vs Monate nach 
der Verletzung noch nicht die geringste Neigung zur Resorption gezeigt hatte. Ticho- 
mirow leitete hier die Behandlung mit den chemischen Lichtstrahlen,ein. Er be¬ 
nutzte zu diesem Behufe eine blaue Glühlichtlampe von lß Normalkerzen, und um 
das starke Hitzegefühl im Auge bei der direkten Belichtung, worüber die Patientin 
anfänglich klagte, zu beseitigen, brachte er zwischen das geöffnete Auge und das 
Gliihlämpchen eine blaue Glasplatte, wodurch die Lichtstrahlen eine violette Färbung 
annahmen und das Hitzegefühl von nun an ausblieb Die Sitzungen dauerten 10 bis 
15 Minuten lang und fanden in Zwischenräumen von 2—3 Tagen statt. ZurZeit der 
Demonstration war die Genesung eine fast vollkommene. 

Aus allen diesen nach ihrer chronologischen Reihenfolge bunt aneinander ge¬ 
reihten Beobachtungen und Untersuchungen, rein empirischen Erfahrungen und wissen¬ 
schaftlich fundierten Versuchen, konstatierten Thatsachen und hoffnungsvollen Aus¬ 
blicken russischer Forscher und praktischer Aerzte ist deutlich zu ersehen, welch’ 
einen mächtigen Aufschwung in ganz kurzer Frist die Lichttherapie bei uns in Russ¬ 
land genommen, wie sie in allen möglichen Formen und Anwendungsarten sich das 
Bürgerrecht erworben und eine erstaunliche Verbreitung gefunden hat. Manche Arbeit 
ist vielleicht bei der Durchsicht der recht umfangreichen Litteratur wider meinen 
Willen von mir übersehen worden, manche werthvolle Untersuchung ist meiner Auf¬ 
merksamkeit entgangen, sodass mein Bericht möglicherweise nicht vollständig ist; 
aber auf Grund des von mir Mitgetheilten kann ich wohl behaupten, dass auf dem 
Gebiete der l’hototherapic Russland sehr vorgeschritten ist. 


Litteratur. 

i) N. Usskow, Der Einfluss von farbigem Lieht auf das Protoplasma des Thierkörpers. 
Ccntralblatt für ilie luedieinisehen Wissenschaften 1870. No. 25. 

A. Kondratjew, Einige Versuche über den Verlauf der künstlichen septischen Infektion 
bei Thieren unter verschiedenfarbiger Beleuchtung. Petersburger Dissertation 1880 . 

'■') J. (lodnew, Zur Lehre von dein Einfluss des Sonnenlichtes auf die Thiere. Kasansche 
Dissertation 1882. 


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Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 


249 


4 ) E. Gorbacewicz, Ueber den Einfluss der verschiedenen farbigen Lichtstrahlen auf die 
Entwicklung und das Wachsthum der Säugethiere. Petersburger Dissertation 1883. 

5 ) J. Daitsch, Ueber den Einfluss des weissen Lichtes und der verschiedenfarbigen Strahlen 
auf den Gasaustausch bei Warmblütern. Petersburger Dissertation 1891. 

«) B/Kogan, Ueber den Einfluss des weissen (elektrischen) Lichtes undjder verschieden¬ 
farbigen Strahlen auf die Stickstoffmetamorphose bei Thieren. Petersburger Dissertation 1894. 

7 ) Th. Geisel er, Zur Frage über die Wirkung des Lichtes auf Bakterien. Wratsch'1891. No. 36. 

8 ) E. Kotliar, Zur Frage nach der Einwirkung des Sonnenlichtes'auf (die Bakterien. Wratsch 
1892. No. 39 und 40. 

9 ) Chmielewsky, Ueber die Wirkung des Sonnen- und elektrischen Lichtes auf die pyogenen 
Mikroben. Petersburger Dissertation 1893. 

10 ) St. v. Stein, Das elektrische Licht als mögliches Heilmittel. Medizinskoje Obosrenie 1890. 
Bd. 33. S. 1156. 

11 ) G. Gatschkowsky, Ueber Phototherapie. Russkaja Medizina 1892. 

12 ) N. Ewald, Die elektrische Lichtbehandlung des Rheumatismus, der Neuralgiecn u. s. w. 
Petersburg 1897. 

w ) W. Koslowsky, Vorläufige Mittheilung über die Anwendungsweise des Voltabogens zu 
therapeutischen Zwecken. Wratsch 1897. No. 14. S. 404. — Ueber die Anwendung des Voltabogens 
zu Heilzwecken. Wratsch 1898. No. 20. S. 585. 

14 ) G. Ciechansky, Ueber die physiologische Wirkung des Lichtes und seiner farbigen 
Strahlen auf den thierischen Organismus Medizinskoje Obosrenie 1899. No. 3. S. 582. — Ueber 
die therapeutische Bedeutung des Lichtes. Medizinskoje Obosrenie 1899. No. 3. S. 593. 

ir> ) G. Ciechansky, Zur Frage von der Behandlung des Lupus vulgaris mit dem Lichte des 
Voltaschen Bogens (Finsen 7 sehe Methode). Sitzung der Moskauschen Venerologischen und Dermato¬ 
logischen Gesellschaft vom 22. Januar 1899. Wratsch 1899. No. 6. S. 173. 

M ) A. Lang, Die Lichttherapie des Lupus nach der Methode von N. Finscn. Medicinische 
Beilage zum Marinearchiv 1899. No. 3 (März). 

17 ) A. Min in, Zur Lichtbehandlung der Tuberkulose Wratsch 1899. No. 22. S. 632. 

**) A. Gribojedow, Die Behandlung von Neuralgieen mit elektrischem Licht. Wissenschaft¬ 
liche Sitzung der Vereinigung der Aerzte der Petersburger Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten 
vom 25. Februar 1899. Wratsch 1899. No. 22. S 651. — Ueber die Anwendung des elektrischen 
Lichtes zu therapeutischen Zwecken im allgemeinen und bei Neuralgieen im besonderen. Obosrenie 
Psychiatrii etc. 1900. No. 3 und 4. 

1») A. Minin, Beiträge zur elektrischen Lichtbehandlung. Wratsch 1899. No. 38. S. 1104. 

2°) N. Weljaminow, Ueber die Lichtbehandlung des Lupus vulgaris nach Professor Finsen. 
Sitzung der Petersburger Medico-Chirurgischen Gesellschaft vom 28. Oktober 1899. Wratsch 1899. 
No. 45. S. 1340. 

21) 0. Petersen, Die Behandlung des Lupus nach der Methode des Professor Finsen. Sitzung 
der Gesellschaft Russischer Aerzte vom 28. Oktober 1899. Wratsch 1899. No. 46. S. 1371 und 
No. 47. S. 1377. 

22 ) K. Stein, Ein Versuch zur Anwendung des elektrischen Lichtes bei einer traumatischen 
Verletzung. Sitzung der Gesellschaft Russischer Aerzte vom 11. November 1899. Wratsch 1899. 
No. 47. S. 1403. 

23) A. Minin, Die letzte Anwendung der Lichttherapie. Wratsch 1899. No. 47. S. 1383. 

24) K. Serapin, Zur Lichtbehandlung des Lupus nach Finsen. Sitzung der Petersburger 
Medico-Chirurgischen Gesellschaft vom 18. November 1899. Wratsch 1899. No. 49. S. 1468. 

25) D. Murinow, Einige Beobachtungen über das Licht des Voltabogens. Medicinische Bei¬ 
lage zum Marinearchiv 1900. No. 1 (Januar). 

2ß) J. Makawejew, Zur Lichttherapie. Wratsch 1900. No. 8. S. 229. 

27) A. Minin, Zur Lichttherapie. Wratsch 1900. No. 11. S. 329 

2») D. Kessler, Ueber Elektrophototherapie. Wratsch 1900. No. 14. S. 417. 

29) j. Gabrilowicz und L. Finkeistein, Ueber Elektrophototherapie. Wratsch 1900. No. 11 
und 15. 

30) D. Sokolow, Ein durch rothes Licht geheilter Fall von Noma. Sitzung der Gesellschaft 
der Kinderärzte zu Petersburg vom 29. März 1900. Wratsch 1900. No. 19. S. 599. 

Zeitschr. f. diät u. physik. Therapie Bd. V. Heft 3. jy 


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250 A. Dworetzky, Die Entwickelung und der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 


31) Triwus, Ueber den Einfluss der farbigen Beleuchtung auf den Puls. Wissenschaftliche 
Sitzung der Vereinigung der Aerzte der Petersburger Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten 
vom 27. Jannar 1900. Wratsch 1900. No. 27. S. 837. 

32) J. Solucha, Ueber die Durchgängigkeit der Hautdecken für das Bogenlicht Wissen¬ 
schaftliche Sitzung der Vereinigung der Aerzte der Petersburger Klinik für Nerven- und Geistes¬ 
krankheiten vom 24. Februar 1900. Wratsch 1900. No. 28. S. 864 und Obosrenie Psychiatrii etc. 1900. 
No. 7 (Juli). 

33) A. Maklakow, Ueber die Wirkung des Bogenlichtes auf die Haut Citiert nach Cie- 
chansky (14). 

J w) A. Glebowsky, Die Veränderungen in dem Infektionsgranulom des Lupus unter der 
Lichtbehandlung nach Finsen. Sitzung der Petersburger Medico-Chirurgischen Gesellschaft vom 
12. Oktober 1900. Wratsch 1900. No. 43. S. 1319. 

35) J. Solucha, Die Bogenlichtbehandlung des Tic convulsif. Wissenschaftliche Sitzung der 
Vereinigung der Aerzte der Petersburger Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten vom 27. April 
1900. Wratsch 1900. No. 32. S. 981. 

3ß) G. Turner, Aus Anlass der Gründung einer Klinik beim Lehrstuhl für Desmurgie und 
Meehanurgie an der Kaiserlichen Militär-Medicinischen Akademie. Wratsch 1900. No. 36. S. 1073. 

37) J. Eiger, Ueber die Behandlung mit elektrischem Licht Sitzung der Petersburger Medi- 
ciuischen Gesellschaft vom 12. Mai 1900. Wratsch 1900. No. 41. S. 1253. 

3*) A. Min in, Die Lichtbehandlung in der Chirurgie. Wratsch 1900. No. 47. S. 1430. 

33) G. 01 ei ni ko w, Ueber die Behandlung der Variola mit rotem Licht Jeshenedelnik 1900. No 38. 

4<>) A. Uspensky, Zur Kasuistik der Lichttherapic. Russky Medizinsky Westnik 1900. No. 19. 

41 ) G. Ciecha^nsky, Der gegenwärtige Stand der Frage von der baktericiden Eigenschaft 
des Lichtes. Medizinskoje Obosrenie 1901. No. 3. S. 458. 

^2) Pussep, Die Phototherapie in Paris, Hamburg und Berlin. Wissenschaftliche Sitzung der 
Vereinigung der Aerzte der Petersburger Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten vom 26. Oktober 
1900. Wratsch 1901. No. 8. S. 250 und Obosrenie Psychiatrii etc. 1901. No. 4 (April). 

^3) A. Lang, Ueber die Lichtbehandlung auf Schleimhäuten. Sitzung der Petersburger Medieo- 
Chirurgischen Gesellschaft vom 15. März 1901. Wratsch 1901. No. 14. S 462. 

44 ) E. Nesnamow, Die Anwendung der chemischen Sonnenstrahlen bei Eiterungen der Horn¬ 
haut. Westnik Ophthalmologii 1901. Januar und Februar. 

45) N. Tichomirow, Ein Fall von Resorption einer Retinalhämorrhagie unter dem Einflüsse 
der blau-violetten Lichtstrahlen. Sitzung der Petersburger Ophthalmologischen Gesellschaft vom 
l .März 1901. Wratsch 1901. No. 11. S. 346. 

4«) G. Ciechansky, Mittheilung in der Sitzung der Gesellschaft der Kinderärzte zu Moskau 
vom 7. März 1901. Wratsch 1901. No. 16. S. 516. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


251 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Biedert, Die diätetische Behandlung der Verdauungsstörungen der Kinder« Zweite Auflage. 

Stuttgart 1901. 

Die zweite Auflage des bekannten Buches ist um eine Reihe interessanter Beobachtungen 
bereichert und enthält in einem neu hinzugekommenen V. Abschnitt schätzenswerthe Mittheilungen 
über die diätetische Behandlung älterer Kinder. 

im L Abschnitt wird kurz die Verdauung der Muttermilch und der Kuhmilch und ihre Unter¬ 
schiede besprochen, die Reaktion der Stühle und ihre Bedeutung für die Erkennung von Verdauungs¬ 
störungen eingehend erörtert. Es folgen Winke für die chemisch-mikroskopische Untersuchung der 
Stühle und einige Worte über die Darmbakterien. 

Der II. Abschnitt enthält die Entstehung und die Arten der Verdauungsstörungen der Kinder. 

Den Löwenantheil an der Entstehung der Verdauungsstörungen hat die Nahrung selbst, und 
namentlich ist es die Schwerverdaulichkeit des KuhmilchkaseTns und der dadurch entstehende »schäd¬ 
liche Nahrungsrest«, die dabei eine Rolle spielen. 

Der schädliche Nahrungsrest giebt den Boden für bakterielle Versetzungen ab und ist so die 
erste Ursache zur Entstehung von Verdauungsstörungen. Einzelnen Fällen liegen besondere patho¬ 
gene Bakterien zu Grunde z. B. Steptokokkenenteritis von Escherisch etc. 

Dann werden kurz die Komplikationen, Bronchitis, Pneumonie, Nephritis etc. besprochen. 

Der III. Abschnitt beschäftigt sich mit der Nahrung des kranken Kindes. 

Es werden die Gesammtzufuhr und die einzelnen Nahrangsstoffe besprochen. Näheres im Ori¬ 
ginal. Der Verfasser empfiehlt ein Regime, wie es durch seine verschiedenen Arten von Rahrn- 
ge m enge repräsentiert wird, am meisten. 

Der IV. umfangreichste Abschnitt schildert das praktische Vorgehen beim kranken Kinde. 

An einer grossen Zahl von Beispielen, die geschickt ausgewählt sind, lernt der Leser die An¬ 
sichten des Verfassers und sein Vorgehen bei den einzelnen Arten von Verdauungsstörungen kennen. 
Es wird hier sehr deutlich gezeigt, wie sehr die Diätetik des kranken Säuglings individualisierend 
sein muss und sich nicht alles in eine Schablone bringen lässt. Der Verfasser bespricht dabei aus¬ 
führlich nur seine Methoden, andere z. B. die Liebig-Keller’sche Mälzsuppe u. a. werden etwas 
kurz abgethan. 

Auf Einzelheiten kann bei der Fülle des Materials natürlich nicht eingegangen werden. 

Der V.* Abschnitt endlich beschäftigt sich mit der Diätetik der Diarrhöe und Obstipation 
älterer Kinder, sowie mit Vorschriften für die Ernährung anämischer Kinder etc. 

Das Studium des Buches ist jedem, der sich für die wichtige und schwierige Diätetik des 
Säuglingsalters interessiert, dringend zu empfehlen. Salge (Berlin). 


A. Goldscheider und P. Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie, Theil 1. Band 2. 

Leipzig 1901. Verlag von Georg Thieme. 

Die Anordnung und Eintheilung des Stoffes ist in diesem zweiten Bande des gross an¬ 
gelegten Handbuches konform der im ersten gewählten. Nach einer historischen Einleitung für 
jedes Kapitel werden die physiologischen Grundlagen erörtert, es folgt ein der Technik gewidmeter 
Abschnitt, und endlich sind die Beziehungen der einzelnen Disziplinen zu anderen physikalischen 
Methoden und allgemein ärztlichen Erfahrungen über dieselben klinisch dargestellt 

Das Buch beginnt mit dem Kapitel »Massage«, welchem 141 Seiten und 64 gute Abbildungen 
gewidmet sind. Die historische Einleitung und die physiologische Begründung sind von A. Bum 
gegeben und zeichnen sich sowohl durch Sachlichkeit als durch genaue und ausführliche Litteratur- 
angaben aus. Die Technik der Massage hat Zabludowski eingehend beschrieben. Es werden 
nicht nur die einzelnen Prozeduren geschildert, sondern namentlich in dem Abschnitt »allgemeine 
Grundsätze der Massagetechnik« eineReihe aus reicher Erfahrung geschöpfte, praktische Hin- 

17* 


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252 


Referate über Bücher und Aufsätze. 

weise gegeben, die den Massage übenden Aerzten sehr willkommen sein werden. Das gleiche gilt 
von den Bemerkungen über ärztliche Erfahrungen, die v. Key her zum Verfasser haben. Wenn auch 
naturgemäss beide Autoren vielfach dieselben Dinge erörtern, so empfindet das der Leser keines¬ 
wegs als eine unnöthige Wiederholung, ira Gegentbeil es ist interessant und lehrreich die theils 
sich deckende, hier und da sich auch widersprechende Anschauung zweier Männer von so reicher 
Erfahrung auf ihren Spezialgebieten kennen zu lernen. 

Sehr gründlich ist der nächste Theil des Buches, die Gymnastik auf 163 Seiten abgehandelt 
Die historische Einleitung hat Pagel zum Verfasser. Sie besitzt dieselben Vorzüge, die Referent 
bereits in der Besprechung des ersten Bandes den dort von Pagel bearbeiteten Kapiteln nach¬ 
rühmen konnte. Sie berücksichtigt die Litteratur gut und hebt alles wichtige ohne breite Aus¬ 
führlichkeit hervor. Der von Prof. Zuntz bearbeitete physiologische Abschnitt zeigt, dass der 
Verfasser selbst mit Vorliebe gerade dieses Gebiet wissenschaftlich bearbeitet hat, und giebt über 
die Wirkung der Muskelthätigkcit auf die Funktionen des Körpers einen ausge¬ 
zeichneten Ceberblick. Das Turnen, die Turnspiele und den Sport hat Leo Zuntz beschrieben. 
Es sind die einzelnen Arten des Turnens in ihrer Zweckmässigkeit geschildert, die Einwürfe, die 
man namentlich dem deutschen Turnen gemacht hat, kritisch beleuchtet. Von den Arten des Sports 
ist namentlich das Radfahren, über das wir vom Verfasser bekanntlich eine schöne grundlegende 
Arbeit besitzen, ausführlich erörtert, unverdient kurz ist der Reitsport dagegen besprochen. Die 
schwedische Heilgymnastik ist von E. Zander dargestellt und durch viele Abbildungen 
illustriert. Die Uebungstherapie FrenkeFs hat Jacob besprochen, der sich im Verein mit 
Goldscheider um ihre wissenschaftliche Begründung anerkannte Verdienste erworben hat Seine 
zusammenfassende Darstellung ist lehrreich und lesenswert!); die Technik der einzelnen Manipulationen 
durch Abbildungen gut illustriert. Ausführlich hat dann R. Funke die deutsche Gymnastik und 
die Apparatgymnastik mit Ausschluss der schwedischen besprochen, hier finden die Herz’schen 
Apparate, die von Hoffa angegebenen Vorrichtungen, die von Knoke und Dressier vertriebenen 
einfachen Apparate ihre Berücksichtigung. Unbestreitbar zeigt das ganze Kapitel »Gymnastik« zahl¬ 
reiche Wiederholungen, aber auch von ihm gilt das über Massage gesagte: die Wiederholungen 
stören verhältnissmässig wenig und werden durch den Vorzug, dass das Gebiet von den ver¬ 
schiedensten Seiten beleuchtet wird, aufgewogen. 

Das nächste Kapitel, die mechanische Orthopädie, hat Vulpius bearbeitet Die ver¬ 
schiedenen Maassnahmen zur Bekämpfung von Deformitäten, die Stützapparate u. s. w\ sind klar und 
anschaulich beschrieben, für eine kritische und eingehendere Besprechung dieses Abschnittes be¬ 
dauert Referent zu wenig Fachmann zu sein. 

Mit grossem Interresse dagegen hat Referent das 12. Kapitel, die Elektrotherapie, ge¬ 
lesen, deren historische Einleitung wieder Pagel geschrieben und deren physiologische Begrün¬ 
dung und Technik L. Mann zum Verfasser hat, während der Abschnitt ärztliche Erfahrungen von 
M. Bernhardt bearbeitet wurde. Die Elektrotherapie hat vor den anderen physikalischen Disciplinen 
zweifellos den Vorzug, dass am eifrigsten an ihrer theoretischen Begründung sowohl, als an ihrer 
praktischen Ausnutzung gearbeitet w f orden ist, dass sie ferner, besonders in den Kliniken zu einer 
Zeit gepflegt w f urde, als die übrigen physikalischen Methoden verhältnissmässig w r enig oder gar 
nicht klinisch berücksichtigt wurden. Wenn sie jetzt diesen letzteren gegenüber vielfach ein wrenig 
in den Hintergrund getreten war und namentlich auf Grund der bekannten Möbius’sehen An¬ 
sichten unterschätzt wurde, so ist man zweifellos doch darin zu weit gegangen. Eis ist deswegen 
sehr zu begrüssen, dass auch in diesem Buche Mann nicht gar zu pessimistischen Anschauungen 
Ausdruck gegeben hat, sein theoretischer Theil ist kritikvoll gehalten, aber doch entschieden im 
positiven Sinne geschrieben. Die Gegenüberstellung der rein physikalischen bezw. physikalisch- 
rheinischen Zustandsänderungen und der physiologischen Reiz- und Hemmungswirkungen ist sehr 
glücklich gewählt. 

Die Technik ist klar und mit Hilfe guter Abbildungen dargelegt, anzuerkennen sind die Ab¬ 
schnitte über die modernen Verfahren (Gleichstrom, Sinusoidalstrom, Umulatorischer Strom, drei¬ 
phasiger Wechselstroni, endlich Teslastrom und Jodkostroui). 

Auch Bernhardt bekennt sich in seinem sehr lesenswerthen Abschnitte als ein positiv vom 
Nutzen der elektrischen Verfahren überzeugter Arzt, seine speziellen klinischen Hinweise enthalten 
manches Werth volle, das von grosser Erfahrung zeugt. 

Den Schluss des Bandes endlich bildet die Lichttherapie, zu derMarcuse die historische 
Einleitung gegeben und die im übrigen Rieder bearbeitet hat. Rieder hat als Vorstand des 
glänzend eingerichteten Münchener Instituts für physikalische Heilmethoden ganz besonders Gelegen- 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 253 

heit gehabt, sich ein eigenes Uithcil über die Lichttherapie zu bilden, und dieser Umstand kommt 
seiner Darstellung sehr zu gut. Nach einem kurzen Ueberblick über die Lichtwirkungen auf 
Pflanzen und Thierc, wird unter dem Stichwort »Therapeutisches« eine sehr vollständige Be¬ 
schreibung sowohl der Luft- und Sonnenbäder, als der elektrischen Lichtbäder in ihren vielfachen 
Kombinationen gegeben. Anhangsweise ist die therapeutische Verwendbarkeit der Röntgenstrahlen, 
der Bequerelstrahlen und das Hochspannungsfunkenlicht geschildert. Die Ri cd er* sehen Aus¬ 
führungen sind kritikvoll und mit guter Litteraturverwcrthung geschrieben, sie geben ein treffliches 
Bild dieser modernsten Therapie. 

Alles in allem kann man sagen, dass der zweite Band nicht hinter dem ersten zurückstcht 
und dass er wie dieser eine werthvolle Bereicherung unser Fachliteratur darstellt 

M. Matthes (Jena). 

R. Kolisch, Lehrbuch der diätetischen Therapie chronischer Krankheiten für Aerzte und 
Studierende. Bd. 2. Spezieller Theil. Leipzig und Wien 1900. 

Der zweite Theil des in Band 4 Heft 3 von uns referierten ersten Theils des KoMBch*sehen 
Buches ist nunmehr erschienen. Er umfasst die diätetische Behandlung der Magen-, Darm-, Leber-, 
Pankreas- und Nierenkrankheiten sowie der Fettsucht, des Diabetes, der Gicht und der Anämieen. 
Wir müssen bei dem zweiten, 333 Seiten umfassenden, Theil des Buches das wiederholen, was wir 
schon bei der Besprechung des ersten Theils hervorgehoben haben. Es ist kein erschöpfendes 
Nachschlagewerk, sondern eine mehr im Vortragscharakter gehaltene Darstellung der Materie. 
Dies bringt es mit sich, dass das Buch — was ihm indessen nur zum Vortheil gereicht — an 
vielen Stellen einen durchaus subjektiven Charakter trägt und dass der Autor an Stellen, wo es 
ihm beliebt, Exkursionen in das Gebiet der Pharmakotherapie, Balneotherapie, sowie in dasjenige 
der allgemeinen und speziellen Pathologie unternehmen kann. Die individuelle Prägung, welche 
das Buch hat, fordert an manchen Punkten zur Diskussion heraus, was ohne weiteres natürlich ist, 
wenn man bedenkt, dass die Therapie und speziell die Emährungstherapie vor allem eine Kunst 
ist; und die Kunst hat im Gegensatz zur Wissenschaft ein Recht darauf, subjektiv zu sein. Unter 
diesem Gesichtspunkt ist es erfreulich, dass der Autor bei aller Berücksichtigung dessen, was 
die Wissenschaft auf dem Gebiete der Ernährungstherapie produziert hat, in Diätfragen doch der 
Empirie das letzte Wort lässt, wie er überhaupt in dem ganzen Buche wesentlich als Praktiker 
redet, der sich, wie Referent cs als selbstverständlich findet, dabei stets auf wissenschaftlichem Boden 
bewegt. Von den Punkten, welche dem Referenten bei der Lektüre des Buches auffielen, sollen 
hier nur einige Erwähnung finden. Es scheint dem Referenten bei der Behandlung der motorischen 
Insufficienz des Magens die Bedeutung einer zeitweiligen totalen Inaktivierung des Magens nicht 
genügend scharf betont, auch die auf Seite 34 empfohlene Einschränkung der Fettzufuhr bei der 
motorischen Insufficienz erscheint nach neueren Arbeiten nicht ausreichend begründet. Dagegen muss 
Referent den maassvollen Auslassungen des Autors über die Indikation und die praktische Durchführung 
der Trockendiät voll beistimmen. Sehr klar, wenn auch ziemlich resigniert, ist das, was der Autor 
über die diätetische Behandlung der Cholelithiasis sagt. Wichtig scheint dem Referenten, dass der 
Autor hier die von Frerichs und in neuerer Zeit von Naunyn und Kehr betonte Bedeutung der 
häufigen Mahlzeiten (auch Nachtmahlzeiten) dem Leser vor Augen geführt hat. Ein besonders 
lesenswerthes, weil zum Theil von der landläufigen Darstellung abweichend gehaltenes, Kapitel er¬ 
scheint dem Referenten dasjenige über die Behandlung des Diabetes, in welchem vor allem die 
Ausführungen des Autors über vegeterianische Diät sowie über Milchkuren bei Diabetes inter¬ 
essieren. Bei der Besprechung der Gicht tritt der Autor, trotzdem er gegen His-Freudwciler 
u. a. den Satz verficht, dass die Harnsäure nicht die Materia peccans bei der Gicht sei, für eine 
Einschränkung des Fleischgenusses ein. Die diätetischen Rathschläge des Verfassers sind nicht 
schablonenhaft gehalten, was die Lektüre dieses Buches besonders angenehm macht. Referent 
kann wohl sagen, dass das Buch dem Leser, ganz abgesehen von seinem Thatsacheninhalt, eine 
Menge von Anregungen giebt. Auch derjenige, welcher nicht mit allem einverstanden ist, was der 
Autor sagt, wird sich freuen, das Buch gelesen zu haben; denn er findet eine Reihe von Fragen 
in einer eigenartigen, nicht alltäglichen, Beleuchtung abgehandelt und derjenige, welcher sich erst 
über bestimmte Fragen der Diätetik informieren will, findet in ihm eine angenehme, ihn auf die 
Kernpunkte der Fragen hinweisende Anleitung. Deshalb kann Referent die Lektüre des Buches nur 
warm empfehlen. II. Strauss (Berlin). 


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254 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Kisch, Die ärztliche Ueberwachung der Entfettungskuren. Berlin, klin. Wochenschr. 1900 No. 30. 

Der Verfasser vertritt den gewiss zu billigenden Standpunkt, dass bei Entfettungskuren sowohl 
hinsichtlich der nothwendigen Reduktion der Nahrung, als auch bezüglich der Grosse und Art der 
körperlichen Bewegung genaue ärztliche Vorschriften nothwendig sind. 

Als Maassstab für die Grösse der Bewegung beim Gehen empfiehlt Verfasser die Benutzung 
des Pedometers, eines uhrartigen Apparates, der, in der Tasche getragen, die Zahl der vor¬ 
genommenen Schritte bezeichnet. 

Vor allen Dingen muss der Arzt eine stete, sorgfältige Kontrolle über die Muskelkraft des 
Individuums und speziell über die Kraft des Herzmuskels üben. Dynamometer und Sphygmo- 
graph sind darum wichtige Instrumente bei jeder Entfettungskur. Zeigt das erstere während des 
Gebrauches einer entfettenden Methode eine Herabminderung der Muskelkraft an, so ist dies ein 
höchst wichtiges Zeichen, dass nicht nur das überflüssige Fett, sondern auch das Muskelfleisch an¬ 
gegriffen wird. Ebenso hat man in den Pulskurvcn wcrthvolle Anhaltspunkte: Vergrösserung der 
Rückstosswelle, die Umgestaltung des normalen sphygmographischen Bildes in das eines unter- 
dikroten oder dikroten Pulses weisen auf zunehmende Herzschwäche hin und sind ein Warnungs¬ 
signal, die Kraft des Herzmuskels nicht noch mehr herabzusetzen. 

Leicht in der Praxis durchführbar und nicht ohne Wichtigkeit bei Entfettungskuren sind 
Differenzbestimmungen über Flüssigkeitsaufnahme und Harnabscheidung. Im nor¬ 
malen Zustande soll die aufgenommene Flüssigkeit bis auf etwa 20—30<V 0 im Harn wieder aus¬ 
geschieden werden; dagegen steigt diese Differenz bei Kreislaufstörungen bis auf 50°/ 0 . Genaue 
Stoffwechselbestimmungen bei Entfettungskuren wären natürlich das Ideal und würden über den 
wichtigsten Punkt, die eventuelle Gefährdung des Eiweissbestandes, den besten Aufschluss geben, 
sind aber natürlich in der Praxis nur selten ausführbar. 

Die ärztliche Ueberwachung der Entfettungskuren soll aber, wie Verfasser zum Schluss sehr richtig 
hervorhebt, nicht nur der physischen Individualität des Patienten Rechnung tragen, sondern 
der wirkliche Therapeut wird sich bemühen, auch auf die Psyche der zu grossen körperlichen wie 
geistigen Anstrengungen oft unfähig gewordenen Fettleibigen einzuwirken und sie in dieser Be¬ 
ziehung durch systematische Uebung erziehlich zu behandeln. P. F. Richter (Berlin). 


Bonifas, Du conpage du lait chez les enfants du premier äge. Lc progres nndical 1000. 

24. Februar. 

Verfasser empfiehlt reine oder ganz schwach verdünnte (drei bis vier Thcile Milch zu einem 
Theil Wasser) Kuhmilch als Säuglingsnahrung möglichst schon von den ersten Lebenswochen an; 
er behauptet, dass bei diesem Emährungsmodus die Kinder vorzüglich gedeihen und von Magen- 
darmaffektionen meist verschont bleiben, während diejenigen Säuglinge, welche mit zur Hälfte und 
mehr verdünnter und dadurch in ihrem Gehalt an Nährbestandtheilen beeinträchtigter Milch aufge-* 
zogen werden, blass, mager und schwächlich bleiben und in der Regel an dyspeptischen Störungen 
erkranken. Seine Vorliebe für die reine Milch geht sogar so weit, dass er auch bei schweren 
Gastroenteritiden, welche er in erster Reihe auf vorausgegangene Ernährung mit mehr oder weniger 
verdünnten Kuhmilch wassergemengen zurückführt, die sonst übliche 24stündige Thee- oder Schlei in- 
suppendiät perhorresziert und sofort zu stark konzentrierter und bald auch zu völlig unvermischter 
Kuhmilch übergeht. Einige vom Verfasser mitgetheilte Krankengeschichten sollen den prompten, 
kurativen Erfolg dieser Maassnahme darthun. Eine genauere Angabe über die verabreichten Tages¬ 
quanten enthält die Arbeit nicht, doch scheinen dieselben recht beträchtliche zu sein, da z. B. von 
einem fünf Monate alten Kinde berichtet wird, welches bei Ernährung mit Milch und Wasser aa 
einen schweren, chronischen Magendarmkatarrh aequirierte, sich von demselben bei Vollmilch in 
relativ kurzer Zeit erholte und dann bei täglicher Darreichung von P/.^l reiner Milch (!) sich prächtig 
entwickelt haben soll. Bonifas bemerkt selbst, dass er sich zu den seither anerkannten, für die 
künstliche Säuglingsernährung geltenden Regeln in schroffen Gegensatz stellt und dürfte wohl auch 
mit seinen Vorschlägen vielfach auf Widerspruch stossen. Hirschel (Berlin). 


Vaqnez, lieber die Ernährung bei Abdominaltyphus. La presse mödicale 1900. No. 12. 

Verfasser stellt und beantwortet in seinem Aufsatz folgende drei Fragen: 

1. Gewähren die gegenwärtigen P>nährungsmethoden den mit Abdominaltyphus behafteten 
Kiiinken zweckentsprechende und genügende Ernährung? 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 255 


2. Wäre es mit Gefahr verbunden, wenn man die Nahrung, die man gegenwärtig Typhus 
kranken gewöhnlich verabreicht, quantitativ vermehrte und qualitativ in derselben mehr Abwechse¬ 
lung gestattete? 

3. Welcher Ernährungsmodus der Typhuskranken würde mehr Vortheile bieten? 

Bezüglich der ersten Frage gelangt Verfasser zu der Ansicht, dass sich die gegenwärtig so 

beliebte Milchdiät zwar an und für sich bei Typhus empfehle, dass aber die übliche Ration von 
2 1 täglich keineswegs ausreiche, um den Typhuskranken mit gesteigertem Stoffwechsel vor Kon- 
sumption zu bewahren, dass also die gegenwärtig übliche Ernährungsweise der Typhuskranken 
durchaus eine unzureichende ist. Andrerseits führt Verfasser den Beweis, dass eine quantitative 
Vermehrung der Nahrung für die Typhuskranken nicht nur mit keiner Gefahr, sondern im Gegen- 
thcil mit Nutzen verbunden sein würde. 

Von diesem Standpunkte ausgehend, dachte man in erster Linie an eine Vermehrung der den 
Typhuskranken zu verabreichenden Milch quantität. Leider begegnete man in diesem Falle einer 
ernsten Schwierigkeit, da die Milch bekanntlich schwer verdaut wird, wenn sie in zu grossen 
Quantitäten, z.B. 3—4 1 täglich, genommen wird. Man hat infolgedessen, namentlich in Russland, 
verschiedentlich versucht, unter Beibehaltung der Milchdiät im allgemeinen durch Verabreichung von 
Ei Weisssubstanzen die Typhuskranken reichlicher zu ernähren. Auch Verfasser hat eine Reihe von 
Typhuskranken in dieser Weise zu ernähren versucht, indem er neben der Milch, welche allerdings 
die Grundlage der Ernährung bildete, andere Nahrungsmittel» hauptsächlich Ei Weisssubstanzen, ver¬ 
abreichte. Die Patienten bekamen alle zwei Stunden eine Tasse Milch, welche jedoch um 8 Uhr 
früh, um 12 Uhr mittags und um 6 Uhr nachmittags durch verschieden zusammengesetzte Mahlzeiten 
ersetzt wurde. Um 8 Uhr früh bekamen die Kranken eine grosse Tasse Thee oder Kaffee mit Milch 
oder einen Teller Hafer- bezw. Reisschleim. Um 12 Uhr mittags bekamen die Patienten folgende 
Mahlzeit: Milchsuppe mit Eigelb und einem ganzen oder halben Kaffeelöffel voll Somatose und 
etwas Fleischbrühe. Um 6 Uhr bekamen die Patienten eine gleiche Mahlzeit wie mittags, jedoch 
mit dem Unterschiede, dass statt der Milchsuppe Bouillon mit Eigelb gegeben wurde. Nachts be¬ 
kamen die Patienten einen halben oder ganzen Kaffeelöffel voll Somatose in Milch Nach und nach 
steigerte Verfasser während der Fieberperiode die Nahrungsmenge bis auf drei Eigelbe, 1—2 Kaffee¬ 
löffel voll Somatose, zwei Weingläser Fleischbrühe und einen Teller Mehlsuppe. Sobald die Temperatur 
zu sinken begann, wurde die Fleischbrühe durch frisch geschabtes Fleisch ersetzt Diese Diät wurde 
bis zur vollständigen Entfieberung beibehalten, worauf allmählich zur kräftigeren Kost übergegangen 
wurde. So bekamen die Patienten vom zweiten oder dritten Tage nach der Entfieberung an leichte 
Cremes, verschiedene Suppen, etwas Kartoffeln oder Reis in Milch. In der Rekonvalcscenz wurde 
allmählich zur normalen Kost übergegangen. 

Bei dieser Ernährung hat Verfasser gute Resultate erzielt und nie irgend welche Komplikationen 
erlebt Der Zustand der Kranken besserte sich mit der Einleitung der geschilderten Ernährung, der 
Verlust an Körpergewicht war gering, das Stadium der Rekonvalescenz kurz, so dass die Patienten 
bald ihre Kräfte wiedererlangten. — n. 

Julian Maren86, Zur Frage der alkoholfreien Ersatzgetränke. Berliner klinische Wochen¬ 
schrift 1900. No. 19. 

In No. 48 derselben Zeitschrift hatten Felix Hirschfeld und Jacob Meyer die alkohol¬ 
freien Ersatzgetränke einer kritischen Untersuchung auf Grund von eigenen Analysen unterzogen 
und waren dabei zu einem im grossen und ganzen absprechenden Resultat gelangt Hirschfeld 
weist besonders auf zwei sich an den dauernden Genuss derselben knüpfende nachtheilige Folgen 
hin, einmal auf die durch die stete Zuckeraufnahme eventuell herbeigeführte Ueberernährung und 
ferner auf das auf der Basis dieser Zuckeraufnahme mögliche Zustandekommen einer Glykosurie. 
Beide Bedenken werden gestützt durch eine merkwürdig indifferente Auffassung von der Bedeutung 
der modernen Alkoholfrage. Die grundlegenden Forschungen der Neuzeit, deren übereinstimmendes 
Resultat es ist, dass der Alkohol keine ei weisssparende Kraft besitzt (Miura, Rose mann etc.), 
wie die Erkenntniss von den pathologischen Folgen des gewohnheitsmässigen Genusses alkoholischer 
Getränke, haben zu dem Bestreben geführt, Getränke zu finden, die einen Ersatz für den Alkohol 
bilden. Die Bedeutung dieser Ersatzgetränke liegt zunächst auf therapeutischem und diätetischem 
Gebiet in all’ den Fällen, in denen die Einnahme von Alkohol kontraindiziert ist. Hier war vor¬ 
nehmlich der therapeutische Standpunkt geltend, weniger ein Nährpräparat als ein dem Trink- 
bedfirfniss des Menschen entsprechendes harmloses Getränk einzuführen. An eine dauernde Ueber- 
emährung ist in der Therapie kaum zu denken, zumal diese Säfte, auch wenn sie 10% Nährstoff- 


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256 Referate über Bücher und Aufsätze. 


Iösungen darstellen sollten, kaum je unverdünnt in übermässigen Quantitäten genommen werden. 
In der überaus grössten Mehrzahl der zur Behandlung kommenden Fälle wird es sich eher um eine 
Unter- wie Uebercrnährang handeln und im äussersten Falle dürfte es nicht schwer sein, ausglcichend 
auf den Kohlehydratstoffwechsel cinzuwirken. Auch die Bedenken hinsichtlich der Glykosurie sind 
nicht zu theilen; abgesehen davon, dass die Frage hinsichtlich eventueller Schädlichkeiten einer 
Glykosurie e saccharo durchaus nicht geklärt ist (cfr. Naunyn und v. Noorden), müssten ca. 2 1 
dieser zehnprozentigen Zuckerlösung eingeführt werden, um die Assimilationsgrenze für die in vor¬ 
liegendem Fall in Betracht kommenden Zuckerarten zu erreichen. Die Einführung einer solchen 
Quantität ist Jabcr, da wir die alkoholfreien Weine verdünnen können, ohne Geschmack und Wirkung 
erheblich zu ändern, höchst unwahrscheinlich. Die seit Jahren gewonnenen praktischen Erfahrungen, 
vornehmlich in Abstinenzsanatorien, bestätigen vollauf die gegen die Hirsch fei duschen Aus¬ 
führungen gemachten Einwände. 

Die alkoholfreien Getränke finden in der Praxis ihre vornehmlichc Anwendung bei leichten 
und schweren nervösen Zuständen, zur Bekämpfung des Durstgefühls bei fieberhaften Erkrankungen, 
bei Erkrankungen des Magens, der Nieren, Blase etc. etc., kurzum, überall da, wo die Einnahme von 
Alkohol kontraindiziert ist. Wegen des ausserordentlich angenehmen und naturreinen Geschmackes 
werden sic sehr gern genommon, vor . allem auch von Kindern, wirken anfangs auf den Darm leicht 
laxierend, steigern die Diurese; irgend welche nachtheiligen Begleit- oder Folgeerscheinungen sind 
bisher von keiner Seite beobachtet worden. J. Marcuse (Mannheim). 


Karl Schaefer, Die Kost des Gesunden und Krauken. Medicinische Bibliothek für praktische 
Aerzte. No. 40 und 50. 

Das kleine Büchelchen ist 99 Seiten stark und enthält ohne das übliche Aufgebot modem- 
hvgienischer Gelehrsamkeit namentlich die zur Verhütung von Indigestionen bekannten Vorschriften. 

Ein besonders breiter Raum ist der Ernährung und den Dyspepsieen der Säuglinge und Kinder 
gewidmet. 

Ich glaube, dass das kompendiöse Werkchen von Vielen gerne gelesen werden wird. 

Buttersack (Berlin). 


A. Loebel, Zur Purpurabehaudluug mit Trink- und Badekuren. Archiv für Balneologie und 
Hydrotherapie. Bd. 2. Heft 7. 

Verfasser schildert einen Fall von Purpura rhcumatica, der an sich leicht verlaufend, unter 
dem Einfluss von Moorbädern zur Heilung kam, und erörtert im Anschluss daran eingehend die 
verschiedenen Theorieen, die über die Entstehung der Purpura aufgestellt worden sind. Er kann 
sich keiner derselben anschliessen, er sagt mit Kaposi, dass es vollständig unklar bleibe, welche 
Momente vom Gefässzentrum aus die Innervation der peripheren Gefässe derart altcrieren, dass deren 
Wandungen für den Blick so urplötzlich und doch vorübergehend permeabel werden Gerade diese 
Unklarheit, meint der Verfasser, sei für den Baineotherapeuten von Interesse, »denn die aufgeworfenen 
Fragen finden allesammt in seiner Rüstkammer die ausgiebigsten Angriffsmittel«. Das dürfte von 
manchem bezweifelt werden. Im allgemeinen lässt sich wohl auch sagen, dass für den Badearzt 
resp. für dessen Patienten eine gewisse Klarheit über das Wesen einer Krankheit doch vorzuzichen ist. 

In therapeutischer Beziehung empfiehlt Verfasser Wasseranwendungen (kurze Halbbäder 16 
bis 18« R, Wechsel warmes Regenbad 18—24 o R), Moorbäder, kohlensaure Mineralbäder und Eisen 
innerlich in Form von Eisenwässern. 

Die Schrift dürfte schon allein wegen der darin in reichem Maasse zitierten Littcratur von 
Interesse sein. Eine wesentliche Einbussc erleidet sie allerdings dadurch, dass der Verfasser sich 
einer etwas verschnörkelten, mit Fremdwörtern überreich beladenen Ausdrucksweise bedient, die 
im Verein mit ungewöhnlich langen Sätzen (bis zu 20 Zeilen) dem Leser das Verständniss wesentlich 
erschwert. F. Lots (Friedrichroda). 

Heftler, Traitement balnee mdcauique, ä domicile, des affectlons chroniques du eoeur. 
Referat von J. J. Le bulletin mödical 1900. No. 19. 

Heftler hat sich längere Zeit in Nauheim aufgehalten und die dort geübte Bäder- und 
mechanische Behandlung der chronischen Herzkrankheiten studiert. Diese Methode ist in Frank¬ 
reich bisher weniger angewandt worden, lleftler's Ausführungen gipfeln darin, dass die Be- 


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257 


Referate über Burlier und Aufsatze. 

handlung in der Heiniath des Kranken ausgeübt werden kann und dort denselben Erfolg hat, was 
auch von den Nauheimer Aerzten zugegeben wird. 

Die wirksamsten Bestandteile der Nauheimer Wässer sind Chlornatrium (2—3 %) und Chlor- 
kalcium (D/* — 2 l / 2 0 /Vb namentlich zeichnen sie sich aber durch ihren hohen Gehalt an Kohlensäure 
aus. Sic werden in Nauheim als einfache Soolbäder und als kohlensaurc Gasbäder verabfolgt Um 
ein schwaches, künstliches Soolbad darzustellen, setzt man auf 300 1 Wasser 3 kg Seesalz und 300 g 
Chlorkalk zu. Je nachdem man die Menge beider oder des einen Salzes verdoppelt oder verdrei¬ 
facht und schliesslich noch Kohlensäure hinzufügt, kann man die Bäder beliebig modifizieren. Das 
Nauheimer Bad ist im allgemeinen auch nur eine Salzlösung, da das Wasser nicht so in die Bade¬ 
wanne gelangt, wie es aus der Quelle kommt, sondern ein grosser Theil längere Zeit in zwei grossen 
Bassins der freien Luft ausgesetzt ist und somit fast alle Kohlensäure verliert. 

Heftler beschreibt nun genau die Wirkungen, welche die Bäder auf das Herz und den ganzen 
Organismus haben. Diese sind hinlänglich bekannt, um hier noch einmal wiederholt zu werden. 

Er geht dann auf die Technik der häuslichen Bäderbehandlung ein. Man beginnt mit einem 
schwachen Bad, d. h. mit einer einprozentigen Chlornatrium- und 0,lprozentigen Chlorkalklösung. 
Die Temperatur beträgt 33—35 °. Das Bad dauert fünf bis zehn Minuten, je nach der Schwere des 
Falles. Es ist übrigens immer besser, mit fünf Minuten anzufangen und dann allmählich auf zehn 
zu steigen. Wenn das Bad gut vertragen wird, giebt man die beiden nächsten Tage ein Bad von 
gleicher Stärke. Am vierten Tage setzt man aus und lässt den Kranken vollständig ruhen. Dies 
ist unbedingt nothwendig, da die Bäder ermüden und dem Herzen eine gewisse Arbeit zumuthen. 
ln der darauffolgenden Serie von drei Bädern macht man sie starker und lässt dann wiederum einen 
Tag ruhen. In der dritten Serie verlängert man jeden Tag das Bad eine Minute und in der vierten 
Serie setzt man täglich die Temperatur einen halben Grad herab; jedoch ist zu bemerken, dass 
Rheumatiker und Anämische niedrige Temperaturen nicht gut vertragen. 

Man kann bis zu 3 o/ 0 Chlornatrium und 0,3 o/ 0 Chlorkalk zufügen und das Bad mit einer 
Temperatur von 27° 20 Minuten dauern lassen. 25 Bäder genügen im allgemeinen für eine Kur 
Nach dem Bade wird der Körper kräftig frottiert und der Kranke ruht cino Stunde. Man darf nicht 
zu schnell mit der Verstärkung der Bäder und der Herabsetzung der Temperatur Vorgehen, wei 
sonst das Herz ermüdet und überanstrengt wird. 

Als zweiter Faktor der Behandlung kommt die Widerstandsgymnastik hinzu. Heftler hält 
sie für weniger wichtig und glaubt sogar, sie ganz entbehren zu können. Sie besteht in aktiven 
Bewegungen des Kranken, welchen ein Gymnast, im Nothfalle ein intelligenter Diener, mit seinen 
Händen einen Widerstand entgegensetzt. Die Bewegung soll langsam, gleichinässig, nicht ruckweise 
erfolgen, und die Muskeln müssen sich hierbei energisch kontrahieren. Nach jeder Bewegung folgt 
eine Ruhepause von einer halben Minute. Man beginnt die Uebungen mit den Armen, lässt darauf 
die Beine folgen und schliesslich den Rumpf. Es werden Beuge-, Streck-, Rollbewegungen u. s. w. 
gemacht. Die Sitzung dauert 20 — 30 Minuten mit Einschluss der Ruhepausen und findet, wenn 
irgend möglich, täglich statt Die physiologische und therapeutische Wirkung der Muskelübungen 
ist dieselbe wie die der Bäder. Sie bezwecken vornehmlich eine Erweiterung der intramuskulären 
Gefässe. 

Schliesslich erwähnt Heftler noch, dass es nicht richtig ist, wenn behauptet wird, dass für 
die balneo- gymnastische Behandlung dieselben Indikationen wie für die Darreichung von Digitalis 
bestehen. Bei verschiedenen Kranken, welche Digitalis ohne Erfolg genommen hatten, hat er von 
der Bäderbehandlung günstige Wirkungen gesehen. In anderen Fällen hat Digitalis erst gewirkt, 
nachdem der Kranke einige Bäder genommen hatte. 

Indikationen für die Behandlung mit Bädern und Gymnastik sind nach Heftler akute und 
chronische Herzdilatation, funktionelle Insufficienz des Herzmuskels mit und ohne Klappenfehler, 
Myokarditis nach Infektionskrankheiten (Influenza, Typhus u. s.w ), Fettherz und Angina pectoris. 
Kontraindiziert ist die Behandlung beim Aortenaneurysma, bei Arteriosklerose und vorgeschrittener 
Myokarditis. L i n o w (Dresden). 

Snegireff, Einige Worte über Lehmbäder. Wratsch 1900. No. 31. 

Im Anschluss an die Publikation von Pokrowski theilt Snegireff mit, dass er bereits seit 
vier Jahren mit bestem Erfolge Lehmbäder, und zwar hauptsächlich lokale Fuss- und Arrabäder 
anwendet Lehm wird mit heissem Wasser bis zur Sahnenkonsistenz verarbeitet. In das mit dem¬ 
selben gefüllte Gefäss steckt Patient die Extremität und hält sie darin etwa 20—30 Minuten lang. 
Die Temperatur soll möglichst hoch sein. Im Anschluss daran wird ein Watteverband angelegt. 


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258 Referate über Bücher und Aufsätze. 


Verfasser wandte dieses Verfahren bei Ischiaskranken, chronischem Gelenkrheumatismus, Gelenk¬ 
tripper, Sehnenscheidenentzündung u. s.w. an. Die Schmerzen, Schwellung verschwanden, die 
normale Funktion wurde hergestellt. 

Da das Verfahren ebenso einfach wie billig ist, so kann es nur empfohlen werden. 

Simon (Wiesbaden). 


Lewis A. Coffin, Results of hot air treatmeut in rheumatism and gout. New-York med. 
joum. 1000. 10. März. 

In Amerika wird für die Heissluftbehandlung hauptsächlich der Apparat von Betz verwendet, 
der dem Quinckc’sehen sehr «ähnlich ist. Verfasser berichtet über einige Fälle von rheumatischer 
Arthritis, die er mit sehr gutem Erfolg mit heisser Luft und Schlammumschlägen behandelte. Be¬ 
sonders bei rheumatischen Kniegelenksaffektionen wurde durch diese mehrere Wochen fortgesetzte 
Behandlung eine wesentliche Verminderung der Schwellung und Besserung der Gehfähigkeit erzielt 

Friedlaender (Wiesbaden). 


Henry lLSchroeder, The benefltg of balneotherapy in the treatmeut of chronic rheumatism 
and gout. New-York med. joum. 1900. 24. Februar. 

Bei chronisch rheumatischen Affektionen mit mehr oder weniger ausgeprägten anatomischen 
Veränderungen der Gelenke sind Mineralbäder von hoher Temperatur und stärkerem Salzgehalt, 
besondere in Verbindung mit Massage und Douchen die wirksamste Art der Behandlung. Bei 
der Gicht sind die Bäder von nicht so wesentlicher Bedeutung als die Regulierung der Lebensweise 
und Diät, wie sie in Badeorten stattzufinden pflegt. Bewährt haben sich bei der Gicht besonders 
heisse Schwefelbäder. Friedlaender (Wiesbaden). 

G. J. Mülle r, Was verspricht die methodische Anwendung des Lichts für die Dermatotherapie l 

Allgemeine medicinischc Zentralzeitung 1900. No. 2. 

Der Verfasser tritt warm für die Behandlung der Hautkrankheiten, besondere des Lupus, 
durch Bestrahlung mit elektrischem Bogenlicht nach der bekannten Finsen’schen Methode ein. 
Die Finsen’schen Apparate sind deshalb bei Behandlung jener Affektionen von besonderer Wirk¬ 
samkeit, weil sie, im Gegensatz zu den «Lichtbädern« nach anderen Systemen, die Warmestrahlen, 
welche die Licht Wirkung nur beeinträchtigen, fast vollständig ausschalten, sodass hauptsächlich nur 
die chemisch wirksamen Lichtstrahlen (vor allen Dingen die blauen, violetten und ultravioletten) 
ihren heilenden Einfluss auf die Gewebe entfalten können. Diese Heilungen finden ihre w f issen- 
schaftliche Erklärung und Begründung durch zahlreiche Experimente, die einerseits die bakterizide, 
andrerseits die entzündungserregende Wirkung der Lichtstrahlen dargethan haben. Während aber 
Finsen u. a. den bakteriziden Eigenschaften des Lichtes die Hauptwirksamkeit jener Behandlungs¬ 
methode zuschreiben, hält Verfasser die bakterizide Wirkung des Lichtes bei der Lupusbehandlung 
für sehr zweifelhaft, einerseits wegen des spärlichen Bacillenbefundes bei Lupus, ferner, w r eil er 
eine direkte Antisepsis im lebenden Gewebe für sehr problematisch hält; er bezeichnet vielmehr als 
den wichtigsten Faktor bei der Heilung die entzündliche Reaktion und die damit verbundene 
lokale Hyperleukoeytose, die ja unzweifelhaft für die Heilung derartiger Affektionen eine grosse 
Bedeutung hat. Deshalb verspricht die Lichtbehandlung auch Erfolge bei nicht parasitären Haut¬ 
krankheiten. Verfasser empfiehlt diese Behandlung für alle chronischen hartnäckigen Dermatosen 
( Lupus, Tuberculosis verrucosa, Serophuloderraa, Lupus erythematosus, Favus u. a. m ). Sie hat vor 
den anderen Behandlungsmethoden auch den Vorzug der Schmerzlosigkeit, der Vermeidung von 
entstellender Narbeubildung und der Unschädlichkeit für den Gesammtorganismus. 

Laqueur (Berlin). 


Hugo Davidsohn, Zur therapeutischen Verwendung der feuchten Wärme. TempeHörbare 
Kataplasmen. Berliner klin. Wochenschrift 1900. No. 5. 

Ausgehend von der Anschauung, dass die lokale Applikation der feuchten Wärme, trotz¬ 
dem die Haut dabei bei weitem nicht die hohen Temperaturen vertragt als bei Anwendung der 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 259 

trockenen Wärme, dennoch von grosser therapeutischer Bedeutung, und dass besonders die Anwen¬ 
dung von Kataplasmen ein wichtiges therapeutisches Hilfsmittel ist, da diese viel mehr eine 
Erwärmung der tiefer gelegenen Körperschichten bewirken sollen als z. B. die Priessnitz’sehen Um¬ 
schläge, hat sich Davidsohn bemüht, die Mängel, die bislang den Kataplasmen in den verschiedenen 
Formen anhafteten, nach Möglichkeit zu beseitigen. Diese Mängel, die für die Anwendung der 
trockenen Wärme durch die bekannten Lin dem ann’schen Elektrothcrmkompressen grösstentheils 
beseitigt sind, sind einmal das Fehlen der Regulierbarkeit der Temperaturen des Kataplasmas und 
dann die dadurch bedingte zu starke Hautreizung zu Beginn der Applikation, da dann das Kata- 
plasma schon die höchste Temperatur hat, um später immer mehr abzukühlen. Um nun eine all¬ 
mähliche Steigerung der Temperatur, die dann einen viel höheren für die Haut erträglichen Grad 
erreichen kann als bei Kataplasmen in der alten Form, zu erzielen und so die Wirksamkeit des 
Kataplasmas zu erhöhen, hat Davidsohn einen besonderen Apparat konstruiert, den er »Schlauch¬ 
kissen« nennt. Dasselbe hat vor dem schon vor längerer Zeit beschriebenen'Quinckeuchen Kata- 
plasmenwärmer den Vorzug der Biegsamkeit, sodass es sich den verschiedenen Körperformen an¬ 
passen kann; es besteht aus einer Läge von Gummiröhren, die einem Gummituch aufgenäht sind 
und auf das kataplasmierende Material, z. B. Fango, aufgelegt werden. Werden diese Röhren nun 
mit heissem Wasser gefüllt, und wird von Zeit zu Zeit heisses Wasser von neuem in dieselben 
eingelassen, so kann die Temperatur der Kataplasmen nach Belieben reguliert werden. Die Schlauch¬ 
kissen sind von verschiedener Grösse; Davidsohn hat auch eine »Schlauchmatratze« in derselben 
Weise konstruiert; dieselbe wird unter den Körper des Patienten gelegt und kann so auch als 
Schwitzbettunterlagc dienen In ihr befindet sich für jede der Extremitäten ein besonderes Rohren¬ 
system, sodass beliebig einzelne Körpertheile von der Erwärmung ausgeschlossen werden können. 
Als Maass für die Wärme des Schlauchkissens kann die Temperatur des abfliessenden Wassers 
gelten. Laqueur (Berlin). 


W. Gebhardt, Die mikrophotographische Aufnahme gefärbter Präparate. München 1899. 

An der Hand von praktischen Erfahrungen in der Mikrophotographie gefärbter Gewebs- 
schnitte einerseits, andrerseits von spektrophotometrischen Untersuchungen über die gebräuchlichen 
Farbstofflösungen, über Lichtfilter und gefärbte Präparate liefert Gebhardt gleichzeitig mit einer 
wissenschaftlichen Arbeit einen wohl begründeten Wegweiser auf diesem schwierigen Gebiete der 
Photographie. Aus der an thatsächliehern Material reichen Abhandlung lässt sich einiges Neue 
bezw. selten Betonte besonders hervorheben. 

Ohne Bezugnahme auf die Litteratur, namentlich der Feststellungen bestimmter Verbindungen 
zwischen Farbstoffen und Gewebebestandtheilen, wird die oft übersehene Thatsache angeführt, dass 
bei vielen Färbungen eine »vom Präparat festgehaltene Farbe eine von der gelösten Substanz ganz 
abweichende chemische Verbindung oder auch nur einen anderen physiologischen Zustand mit gänz¬ 
lich verschiedenen optischen Eigenschaften darstellt, welche demgemäss auch ein ganz abweichendes 
Absorptionsspektrum ergiebt«. 

Mit diesem Leitfaden werden die beachtenswerthen Resultate des Verfassers mikrospektro- 
graphischen Vergleichs von gefärbten Präparaten mit etwa 40 verschiedenen Farbstofflösungen mit- 
getheilt, die einerseits zur Färbung von Gewebe, andrerseits zur Herstellung von geeigneten Liclit- 
filtem in der Mikrophotograpie dienen. Es wurde dabei das von Grebe aufgestellte Gesetz in 
reichem Maasse bestätigt: »wenn sich in einer Substanz, welche ein Absorptionsspektrum giebt, 
die Molekülgruppen vergrösssem, so rückt die Absorption gegen das rothe Ende des Spektrums 
vor«. Bei einer Reihe von theils reifenden und in Schwebefällung befindlichen, theils erfrierenden 
Farbstofflösungen, wie auch selbst in gefärbten Präparaten, wurde eine solche Absorptionsverschiebung, 
mitunter sowohl eine Abnahme am kurzwelligen wie eine Zunahme am langwelligen Ende des ver¬ 
dunkelten Spcktralbereichs konstatiert. Die bekannte Thatsache, dass ausgezeichnete Mikrophoto- 
graphieen allein mit einer Petroleumlampe und einem Kupferchromatfilter ohne alle Spektralunter¬ 
suchungen erzielt werden können, wird dadurch erklärt, dass andere als gelbe Lichtfilter bei Auf¬ 
nahmen der üblichen Gewebsfärbungen nicht nothwendig sind; doch sind die gesammten vor¬ 
kommenden Aufgaben nur durch Kenntniss der Spektralwerthe der betheiligten Farben, seien sie 
nur durch em Handspektroskop bestimmt, befriedigend zu erledigen. Die verschiedenen mikro¬ 
photographischen Aufgaben, welche gefärbte Präparate zur Zeit bieten, werden besprochen und 
Winke für ihre bestmögliche Lösung gegeben. Doppel-, hellblaue und ganz besonders Methylgrün¬ 
färbungen sind im allgemeinen am wenigsten geeignet zur photographischen Wiedergabe. 


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260 Referate über Bücher und Aufsätze. 

Eine übersichtliche Tabelle der spektrographischen Versuchsresultatc wird dem Text beigegeben. 
In derselben scheint der Absorptionsbercich des (gesättigten?) Eiscnoxalatcntwicklere, als Lichtfilter 
angeführt, am langwelligen Ende etwas knapp bemessen. 

Bezüglich dem »'Mangel eines geeigneten, rein grünen Filters« wird der Landolt’schc nicht 
erwähnt. Das benutzte Mikrospektrophotometcr scheint das Engelm an n’ sehe gewesen zu Bein. 

Cowl (Berlin). 


ß. Douglas*, A study of the npplication of the galrano - cautery in tlie nose. New-York 
ined. journ. 1900. 12. Mai. 

Verfasser vergleicht an der Hand eines grossen Materials die Resultate der Galvanokaustik 
mit denen der einfach operativen Methoden bei verschiedenen Nasenaffektionen. Durch eine Reihe 
von mikroskopischen Abbildungen werden die Veränderungen illustriert, die durch die beiden 
Methoden im gesunden und kranken Gewebe geschaffen werden. Verfasser hat festgestellt, dass 
bei der Galvanokaustik über die direkt mit dem Galvanokauter behandelten Partieen hinaus das 
Gewebe in gewisser Ausdehnung zerstört resp. in seiner Struktur verändert wird, während das 
Messer die Umgebung der Operationsstellc intakt lässt. Dagegen wirkt die Galvanokaustik gründ¬ 
licher zerstörend als das Messer Mit Ausnahme der Blutung können alle Folgen eines chirurgischen 
Eingriffs auch nach der Galvanokaustik eintreten, insbesondere bilden die durch sie geschaffenen 
Wunden einen günstigen Nährboden für Bakterienansiedlung. Bei unvorsichtiger Anwendung 
können als Folge atrophische Zustände eintreten, die schlimmer sind als die ursprüngliche Krank¬ 
heit. Die lineare Anwendung der Galvanokaustik ist nur in den Fällen empfehlenswerth, wo es 
auf eine Zerstörung der Oberfläche in grösserer Ausdehnung ankommt, sonst ist die punktförmige 
Galvanokaustik mit Schonung der oberflächlichen Gewebe vorzuziehen. Im allgemeinen ist überhaupt, 
besonders au gewissen Stellen der Nase, die Galvanokaustik die gefährlichere und schwerer zu kon¬ 
trollierende Methode, die leicht Komplikationen hervorruft; sie sollte nur in ausgesuchten Fällen und 
von erfahrener Hand angewandt werden, während das Messer und die Scheerc in der Hand des An¬ 
fängers viel weniger Schaden anrichten können. Die Galvanokaustik ist hauptsächlich an den weicheren 
Geweben anzuwenden, dagegen am Knorpel, Periost und Knochen möglichst zu vermeiden. Sie 
ist für Rundzellcnneubildungen geeigneter als für Bindcgewebsneubildungen und überall dort in¬ 
diziert, wo es sich um kongestive Zustände handelt. Für Polypen ist die Galvanokaustik nicht 
zu empfehlen, ebensowenig bei Nasenblutungen, wenn dieselben nicht durch ganz oberflächliche 
Ulcerationcn bedingt sind. Die besten Resultate liefert die Galvanokaustik bei adenoiden Wuche¬ 
rungen, hypertrophischen Mandeln, Vergrösserung der Follikel an der Zungenbasis, follikulärer 
Pharyngitis und Infiltrationen der Kchlkopfschleimhaut, doch muss hier immer die Gefahr des nach¬ 
folgenden Oedems in Betracht gezogen werden. Fricdlaender (Wiesbaden). 


A. Loewy und Toby Cohn, Ueber die Wirkung der Teslaströme auf den Sto ff Wechsel • 

Berliner klinische Wochenschrift 1900. No. 34. 

Die Verfasser konnten keine Einwirkung der Tcslaströme auf den Stoffwechsel (O-Verbrauch) 
feststellen. Die abweichenden Angaben d’ArsonvaUs führen sie auf die Gegenwart irgend 
welcher accessorischer Reize zurück. F. Voit (München). 


Toby Cohn, Therapeutische Versuche mit Wechselströmen hoher Frequenz nnd Spannung 
(Teslaströmen). Berliner klinische Wochenschrift 1900. No. 34. 

Die Versuche erstrecken sich auf 70 Personen mit Stoffwechsel-, Gelenk- und Hautkrank¬ 
heiten, Intoxikationen und Infektionen, mit Krankheiten des Zentralnervensystems und mit funk¬ 
tionellen Erkrankungen des Nervensystems. Eine objektiv nachweisbare Veränderung durch die 
Teslaisation konnte in keinem Falle konstatiert werden, wie auch eine Einwirkung auf den Blut¬ 
druck vollständig fehlt. Subjektive Besserungen fanden in einer gewissen Reihe von Fällen statt, 
namentlich*schien der Schlaf sieh zu bessern, was Cohn als rein subjektive Wirkung anzusehen 
geneigt ist. F. Voit (München). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 261 


Danegger, Experimentelle Untersuchungen des Lignosnlfit mit Rücksicht anf seine Ver¬ 
wendbarkeit in der Behandlung der Tuberkulose. Deutsches Archiv für klinische Medicin 
Bd. 68. Heft 3 und 4. 

Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht, die unleugbar günstigen Wirkungen der 
Lignosuifitinhalationen genau zu analysieren und der Wirkungsweise des Mittels auf den Grund zu 
geben. Seine Untersuchungen entkleiden nun zwar das Lignosulfit seines Ranges als eines Spezifikums 
gegen Tuberkulose, reservieren ihm aber trotzdem seiner die Athmung anregenden sowie die Ex¬ 
pektoration befördernden Eigenschaften wegen einen hervorragenden Platz in der Rüstkammer der 
Phthiseotherapeuten. 

Er weist nach, dass weder der Tuberkelbacillus noch die sporenfreien Bakterien der tuber¬ 
kulös-septischen Mischinfektionen durch die therapeutischen Dosen von 2—5 mg Lignosulfit ab- 
getödtet werden, wenn auch die schwachvirulenten Kokken in den Luftwegen eine Abschwächung 
erfahren. Dagegen verursacht das Mittel eine Verflüssigung der Sputa und eine Durchfeuchtung der 
Luftwege infolge vermehrter Trachcal- und Bronchialsekretion, ferner eine chemische Veränderung 
der Sputa durch Auflösung des Mucins und Koagulierung der Albuminsubstanzen, wodurch eine 
leichtere Fortbewegung innerhalb des Bronchialbaums und eine verminderte Anstrengung beim 
Husten erfolgt. Des weiteren übt der durch das Lignosulfit hervorgerufene Reiz eine expektorations¬ 
befördernde Wirkung auf die Schleimhaut des Larynx und der Trachea sowohl wie auch auf die 
Bronchialmuskulatur aus. Endlich werden durch die Vertiefung der Athmung die in schlecht be¬ 
weglichen Lungentheilen stagnierenden Massen mobil. Die toxische Wirkung des Lignosulfits be¬ 
ruht auf den in den Respirationsorganen gesetzten Schädigungen, insonderheit einer Verätzung des 
Epithels der Schleimhäute, Schädigung der Gefässwände und infolgedessen Blut- und Serumaustritt 
aus derselben, Verlegung grösserer Bezirke des Lungenkreislaufs und Störung der Athmung durch 
Hypersekretion. Die beiden letzten Punkte sind als die Ursache des Lungenödems zu betrachten. 

Freyhan (Berlin). 


M. David, Grundriss der orthopädischen Chirurgie. Berlin 11)00. 

Das Buch will nicht etwa mit dem Hoffa’schen Werk konkurrieren, sondern namentlich dem 
Praktiker ein Rathgeber sein. 

Durch seine Kürze wie durch die Uebersichtlichkeit seiner Stoffanordnung entspricht es gewiss 
seinem Zweck Da Verfasser Schüler von J. Wolff und Anhänger der Transformationslehre ist, 
so steht das Buch natürlich unter dem Zeichen der sogenannten »funktionellen Orthopädie«. 

Die Ausstattung ist, abgesehen von einem Theil der Abbildungen, eine gute und zweck¬ 
mässige, letzteres namentlich hinsichtlich der verschiedenen Druckarten. Vulpius (Heidelberg). 


Heinrich Stadel manu, Beiträge zur Uebungstherapie. Wiener medicinische Presse 1900. 

No. 27. 

Der Beitrag umfasst zwei Fälle. In dem ersten handelt es sich um ein sechsjähriges Kind, 
bei dem theils Lähmungserscheinungen, theils ataktische Bewegungen den Symptomcnkomplex 
ausmachten. Die Behandlung bestand zunächst in Massage und dann in der Anwendung der 
Frenkel’schen Uebungstherapie an entsprechend gewählten Apparaten. Nach sechswöchiger Be¬ 
handlung wurde aus äusseren Gründen mit den Ucbungen ausgesetzt und nur massiert. 14 Tage 
darauf begannen wieder die Uebungcn, welchen immer weitere folgten; cs wurden passive Geh¬ 
bewegungen erst im Stehen vorgenommen und dann während des Fortbewegcns des Kindes durch 
eine Wärterin. Nach dreimonatiger Behandlung war der Zustand des Kindes so weit gebessert, dass 
man fast von Heilung sprechen konnte; namentlich waren die Erscheinungen der Ataxie so gut wie 
völlig beseitigt. — Indem Verfasser in diesem Erfolg einen Beweis für die Nützlichkeit der Uebungs- 
tlterapic bei ataktischen Bewegungen erblickt, empfiehlt er, darauf zu achten, dass bei bereits ein¬ 
getretenen Müdigkeitserscheinungen keine Ucbungen gemacht werden, und dass die Apparate je 
nach dem einzelnen Falle angefertigt werden. 

Im zweiten Falle handelte es sich um einen 15jährigen Schüler mit erworbener Be¬ 
wegungsstörung. Der Knabe erkrankte an Chorea unter Fieber, Gelenkschmerzen, Gelenk¬ 
anschwellungen und Endokarditis. Wegen der sehr starken choreatischen Bewegungen der linken 
Körperhälfte machte der Knabe beim Verfasser eine Uebungskur durch und war in drei Wochen 


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262 Referate über Büchor und Aufsätze. 


von seinen choreatischen Bewegungen völlig befreit. Allerdings wurde die Kur unterstützt durch 
eine mehrmalig wiederholte Suggestionsbehandlung, sowie Regelung der Ernährung; es lässt sich 
also in diesem Falle nicht mit Bestimmtheit behaupten, dass die Uebungstherapie allein in dieser 
kurzen Zeit Heilung gebracht hat, bezw. fragt es sich, welcher Theil der Heilung auf Rechnung 
der Suggestion zu setzen ist. 

Alles in allem glaubt Verfasser, dass die Uebungstherapie einen grossen Platz in der Be¬ 
handlung von Nervenkrankheiten einnehmen werde, und zwar in den Fällen, in denen es sich darum 
handelt, durch organische Veränderungen bedingte Koordinationsstörungen günstig zu beeinflussen 
oder auch funktionelle Bewegungsstörungen zu beseitigen. — n. 


F. Windscheid, Pathologie nnd Therapie der Erkrankungen des peripherischen Nerven- 

Systems. Medicinische Bibliothek für praktische Aerzte. No. 157—161. Leipzig. 

Das kleine Büchlein verfolgt den Zweck denjenigen Arzt, der sich nicht speziell mit Neurologie 
beschäftigt, der also umfangreichere L ehrbücher nicht zur Hand nehmen will, eine kurze den Be¬ 
dürfnissen der Praxis angepasste Orientierung über die Lehre von den peripheren Nervenkrankheiten 
zu geben. Diese Aufgabe ist von dem litterarisch wohlbekannten Verfasser in geschickter Weise 
gelöst worden. Der Praktiker findet auf kurzem Raum zusammengedrängt alles nothwendige, was 
er über Aetiologie, Diagnose und Therapie der Neuralgieen sowie der peripheren Lähmungen und 
Krämpfe zu wissen braucht. Die physikalischen Heilmethoden finden überall gebührende Berück¬ 
sichtigung. Zahlreiche Abbildungen erleichtern das Verständniss der Darstellung. 

Mann (Breslau). 


O. Rosenbach, Bemerknngen über psychische Therapie mit besonderer Berücksichtigung 
der Herzkrankheiten. Die Therapie der Gegenwart 1900. No. 4. 

Verfasser erörtert die Bedeutung der psychischen Therapie besonders für die Herzkrankheiten. 
Eine grosse Erfahrung und genaue klinische Beobachtung ermöglichen es ihm, die Wichtigkeit dieser 
Behandlung eingehend zu schildern und zu begründen. Der eigene Standpunkt, den der Verfasser 
in vielen therapeutischen Dingen einnimmt, kommt auch hier klar zum Ausdruck. Die Arbeit ent¬ 
hält viele eigenartige Gedanken und Anregungen, zu deren Würdigung die Lektüre des Originals 
nothwendig und sehr empfehlenswerth ist. 

Die psychische Therapie, mit der naturgemäss andere Maassnahmen verknüpft sein können, 
hat drei Kategorieen: 1. die eigentliche Hypnose, 2. die rein verbale Suggestion ohne Hypnose, 
resp. »die einfache Kommandotherapie«, 3. die erziehliche Methode. — Mit der Hypnose erreicht 
man nicht mehr und nichts besseres als mit den anderen Formen. Verfasser legt auf die erziehliche 
Form der Beeinflussung ein besonderes Gewicht, weil sic sich an das volle Verständniss des Patienten 
wendet und ihn nicht zum blinden Werkzeug, sondern zum oft umsichtigen Mithelfer des Arztes 
macht, welcher ihm über alle krankhaften Vorgänge Aufklärung und gerade dadurch Hilfe zu 
schaffen sucht. — Den Einfluss der Seele auf den Körper kennzeichnet der Verfasser in folgendem 
Satze: Der bewusste Wille kann überhaupt nur bei gesundem Körper, wo das besondere organische 
Gleichgewicht in grösster Vollkommenheit gegeben ist, das in der Organisation liegende Maximum 
von Kraft und Spannung auslösen, resp. es für koordinierte Bewegungen, für die Abwehr äusserer 
Impulse oder für die Unterdrückung von inneren Erregungen, u.a. der Schmerzempfindung, ver- 
werthen. 

Von der psychischen Therapie kann man nicht bei organischen Krankheiten, sondern nur bei 
solchen Störungen resp. Aeusserungen eines Krankheitsprozesses Erfolg erwarten, wo die abnormen 
Erscheinungen primär von abnormen Vorstellungen ausgehen oder solche sekundär herbeigeführf 
haben, selbstverständlich wenn die Kranken einer psychischen Einwirkung überhaupt zugänglich 
sind. Bei der Behandlung muss der Kranke aktiv mitwirken, man soll ihm seine Beschwerden er¬ 
klären auf naturgemässc Weise und ihn allmählich zu der Ucbcrzeugung bringen, dass die von ihm 
empfundenen Störungen nur das Produkt krankhafter Vorstellungen sind, die mit der zunehmenden 
Einsicht des Kranken fast immer zurücktreten und verschwinden. Bei Kranken mit geringerer 
Intelligenz oder solchen, die der suggestiven Behandlung widerstreben, ist die psychische Behandlung 
unter einer anderen Form, der medikamentösen, mechanischen oder elektrischen u. s. w. Behandlung 
einzuführen, zu der der Patient ein besonderes Vertrauen hat. Zuweilen kommt die Anstaltsbehand¬ 
lung in Frage. Von grösster Wichtigkeit ist es, den Kranken zur Aufnahme seiner Berufsthätigkeit 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 263 


wieder zu veranlassen. Dies gilt besonders für die Behandlung der nervösen Form der Stenokardie, 
der Angina pectoris, des nervösen Asthmas. Voraussetzung ist die richtige Diagnose, da bei der 
organischen Angina pectoris unbedingte Ruhe und Schonung noth wendig ist. Wesentliche Erfolge 
von der suggestiven und psychischen Therapie können wir nur in den Fällen rein nervöser oder 
durch mangelhafte (Bewegungs-) Reize bedingter Störungen, namentlich aber bei den durch Angst¬ 
gefühle bedingten Erregungs- und Depressionszuständen erwarten. Strenge Individualisierung ist 
nothwendig. Man muss vor allem den Zustand der Leistungsunfähigkeit aus zu grosser Empfindlich¬ 
keit oder aus Mangel an Willenskraft streng scheiden von dem der organischen Insufficienz, die 
einen Defekt in der wesentlichen Leistung anzeigt. Nur bei der ersten Kategorie, bei der Schwäche 
in der Sphäre der psychischen Leistung, nicht bei der vegetativen Funktion, ist die Psycho¬ 
therapie von Nutzen. W. Zinn (Berlin). 


J. Trüper und Ufer, Die Kinderfehler. Zeitschrift für Kinderforschung mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der pädagogischen Pathologie 1901. Heft 1. 

Das von den Herren J. Trüper, Ufer, J. L A. Koch und Zimmer vertretene Gebiet hat 
eigentlich mit der physikalischen und diätetischen Therapie direkt wenig Berührung; es wäre denn, 
dass letztere auch die Diätetik der Seele in ihren Bereich ziehen wollte. Aber jeder Arzt, der er¬ 
kannt hat, wie der Mensch von heute nichts ist als das Resultat von allen seinen früheren Erleb¬ 
nissen, wird wenigstens ahnen, von welcher Bedeutung die Jugendeindrücke im späteren Leben 
werden können, und derartigen Bestrebungen sympathisch gegenüberstehen. 

Das vorliegende Heftchen bringt zwei anspruchslose Aufsätze über Kinderspiel und 
K inderspielsachen von Ufer und über das Blindsein von G. Fischer, die gewiss von allen 
Müttern mit Interesse gelesen werden. Buttersack (Berlin). 

Fr. A. DA ms, Handbuch der Militärkrankheiten. III. Baud: Die Krankheiten der Sinnes¬ 
organe und des Nervensystems, einschliesslich der Militärpsychosen. Leipzig 1900. 

Mit dem vorliegenden Bande ist ein eigenartiges Unternehmen zum Abschluss gekommen. 
Während die militärärztliche Thätigkeit bisher nur als eine abgewandelte Form des allgemeinen 
medicinischen Wissens erschien, tritt uns hier eine in sich abgerundete militärärztliche Wissenschaft 
entgegen. Band 1 enthält die äusseren, Band II die inneren Krankheiten, und es muss in unserer 
spezialistisch getheilten Zeit geradezu als eine That erscheinen, dass ein einzelner es unternahm, 
allein das Werk zu verfassen; nur für die Kapitel Ohren und Augen hat er sich in Ostmann- 
Marburg und A. Roth-Hamburg Mitarbeiter herangezogen. Das umfassende Wissen des Verfassers 
macht sich in jedem Kapitel geltend und behütet ihn in wohlthuender Weise vor zu hoher Be- 
werthung von Kleinigkeiten. Dass auch die Therapie, soweit sie bei den vorliegenden Krankheiten 
in Betracht kommt, nach Maassgabe der modernen, auch in dieser Zeitschrift vertretenen Gesichts¬ 
punkte abgehandelt wird, bedarf kaum besonderer Erwähnung. Buttersack (Berlin). 


Joseph, Die Prophylaxe bei Haut- nnd Geschlechtskrankheiten. München 1900. 

Bei der enormen Verbreitung der Geschlechtskrankheiten und der eminenten Gefahr, welche 
allen Bevölkerungskreisen daraus droht, ist es ein durchaus dankenswerthes Unternehmen, dass der 
Verfasser sich bestrebt hat, eine Uebersicht über die diesen Gegenstand betreffende Prophylaxe 
zu geben. Da die Quellen, die der Entstehung der Geschlechtskrankheiten Vorschub leisten, klarer 
zu Tage liegen, als bei fast allen anderen Krankheiten, so sind schon seit Jahrhunderten von seiten 
der Aerzte aller Nationen die weitgehendsten prophylaktischen Vorschläge gemacht worden, ohne 
dass es gelungen ist, den in dieser Beziehung herrschenden Indifferentismus der Behörden zu 
brechen. Freilich wird man zugeben müssen, dass gerade hier Theorie und Praxis in einem ge¬ 
wissen Widerspruch stehen und dass die am grünen Tisch entworfenen und theoretisch aus¬ 
geklügelten Vorschriften oft auf unüberwindliche Schwierigkeiten in der Praxis stossen. Aber 
gerade das kann als ein besonderer Vorzug des Josepbuchen Buches gerühmt werden, dass es 
sich von aller Uebertreibung frei hält und nur das wirklich Mögliche und das Nothwendigste 
fordert Wenn es auch nicht zu hoffen steht, dass den von dem Verfasser vorgeschlagenen An¬ 
regungen ohne weiteres Folge gegeben wird, so wird doch das Buch an seinem Theile daran mit- 


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264 Kleinere Mittheilungen. 

wirken, die unumgänglich nothwendige Prophylaxe der Geschlechtskrankheiten in die richtigen 
Bahnen zu leiten. Steter Tropfen höhlt den Steinl 

Gegenüber den Geschlechtskrankheiten tritt die Prophylaxe der Hautkrankheiten weit zurück, 
weil wir über die Aetiologie der meisten Dermatosen noch ganz im Unklaren sind. Diejenigen, 
welche vom ätiologischen Gesichtspunkt genügend erforscht sind, finden eine ausführliche Be* 
sprechung. Freyhan (Berlin). 


Kleinere Mittheilungen. 


Ueber eine einfache Methode der therapeutischen Verwendung des elektrischen Lichtes. Von 
Dr. Lcop. La quer in Frankfurt a. M. 

Auf Grund langjähriger neurologischer und elektrotherapeutischer Erfahrungen und im An¬ 
schluss an Goldscheidor’s Lehre von den Reizen bemühte ich mich, die kombinierten ther- 


Fig. 39. 



mischen und — wenn auch schwachen — elektri¬ 
schen Reize (»Heliotherapie«), welche die Licht¬ 
bäder bieten, zur lokalen Behandlung (»Theil- 
bestrahlung«) von Nervenkrankheiten in loco morbi 
vel doloris zu verwenden. Während ich die 
sch weisstreibende Wirkung der bisher gebräuch¬ 
lichen grossen, geschlossenen Lichtkästen auf die Be¬ 
handlung von Stoffwechselkrankheiten beschränkt 
wissen mochte, verwende ich in meiner Sprech¬ 
stunde für meine nervcnärztliche Klientel einen 
offenen Lichtkasten (»Heliodor«), den das 
Elektrotechnische Institut (G. m. b. H.) zu 
Frankfurt a. M. nach meinen Angaben herge- 
stellt hat. 

Es handelt sich, wie die Abbildung zeigt, 
um einen kleinen vom offenen Glühlichtkasten, 
der an einem metallenen Stativ von 1420 m Höhe 
und wageiechten Griff nach allen Richtungen hin 
verschieblich und drehbar ist und sechs sechsehn- 
kerzige Glühlampen enthält 

In der beigegebenen Zeichnung steht der 
Lichtkasten wagerecht; der Innenraum desselben 
mit seinen stark vernickelten und darum spiegeln¬ 
den, Licht und Wärme reflektierenden Wänden 
sowie die seitliche Leitungsschnur mit Stechkontakt 
für jede Lichtleitung sind sichtbar. 

Mit Hülfe dieses Apparates wende ich das 
elektrische Licht zu Heilzwecken etwa seit drei 
Monaten in der Sprechstunde an, indem sich die 
Kranken vor den Apparat setzen, und zwar ge¬ 
wöhnlich so, dass die den Kasten abschliessenden 
sechs Querbalken 13 — *20 cm von der völlig un¬ 
bedeckten, oder nur mit hellem Hemd oder Unter¬ 
kleid, oder auch mit weissera Tuch verhüllten 
Körpcrstclle entfernt sind. 

Nach 10 — 15 Minuten steigt die an der 
Hautoberfläche selber mit einem eng anüegenden 
Thermometer gemessene Temperatur um 10 bis 
15° C. Es tritt eine ausgebreitete Hautröthe mit 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 265 


leichter Schweissbildung ein, soweit die Wärmestrahlen ihre Wirkung entfaltet haben. So können 
bald der Rücken, bald die Brust, bald Magen- und Unterleibsgegend, die obere oder untere Extre¬ 
mität, jede für sich allein oder auch verschiedene Körperregionen hintereinander von Licht- und 
Wärmestrahlen getroffen, diese Reize bis zu einem gewissen Grade vollkommen lokalisiert werden. 
Von den Glühlampen lassen sich je zwei zusammen aus- und einschalten, sodass auch einzelne Ge* 
sichtspartieen, Hinterhaupt etc., z. B. bei Hemikranie, Gesichtsneuralgieen der Behandlung unter¬ 
worfen werden können. Der Preis des Apparates beträgt 120 Mark. Matte oder farbige Glühlampen 
dienen zur Abschwächung des Licht- und Wärmereizes bei empfindlichen Individuen oder bei Be¬ 
handlung des Kopfes. 

Die Wirkungen sind so besser zu kontrollieren, als wenn der Patient in geschlossenem Kasten 
sitzt: die Intensität des Lichtes und der Wärme ist genau abzustufen durch die Entfernung und 
Annäherung der Lichtquelle und durch Lampenschaltung; die erzielten Temperaturgrade sind durch 
einen an die Hautstelle fest angelegten Thermometer wenigstens ungefähr zu bestimmen. 

Die Anwendung von solchen örtlichen elektrischen Licht- und Wärmereizen übt nach meinen 
Erfahrungen in bisher 18 Fällen auf die unbedeckte oder leicht mit weissem Unterzeug verhüllte 
Oberhaut, wenn die Temperatur 40—45°C nicht überschreitet, eine beruhigende Wirkung auf 
Neuralgieen und auf sonstige sensible und motorische Reizerscheinungen aus und 
wirkt anregend bei einzelnen Formen von funktionellen Nervenstörungen. Die ge¬ 
schilderten Lichtkästen sollen, gleich den Elektroden für Galvanisation, den einzelnen in Betracht 
kommenden Körperregionen: Wirbelsäule und Extremitäten, parallel gestellt werden: die Anwendung, 
die auöh von sensitiven Patienten gut vertragen und als wohlthuende Wärmewirkungen empfunden 
werden, geschieht drei- bis viermal wöchentlich und soll für jede einzelne Körperstelle die Dauer 
von 10—15 Minuten nicht übersteigen. 


Berichte über Kongresse und Vereine. 

i. 

Yin. internationaler Kongress gegen den Alkoholismus zu Wien 

vom 9.—14. April 1901. 

Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. 

Die Bedeutung, die der Alkoholismus sowohl als Zustand des Individuums wie als gesell¬ 
schaftliche Erscheinung gefunden hat, äussert sich auf wissenschaftlichem Gebiet in einer eingehenden 
Erforschung der Alkoholwirkung und der Rolle, welche die alkoholischen Getränke im Haushalt des 
Organismus spielen. Sie hat zugleich bei den Kulturvölkern Europas zu einer gegen die Spirituosen 
gerichteten Bewegung geführt, die auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens den Kampf gegen 
den Alkoholismus aufnahm. Im letzten Jahrzehnt hat diese Bewegung, die entsprechend der un¬ 
geheuren Zunahme des Alkoholismus und der durch ihn gesetzten Schädlichkeiten mehr und mehr 
erstarkt ist, ihren Sammelpunkt in einem alljährlich stattfindenden internationalen Kongress ge¬ 
funden, der nach seiner denkwürdigen Tagung gelegentlich der Pariser Ausstellung nunmehr in 
diesem Jahre die Stadt Wien sich erkoren hatte. Die ungeheuer zahlreiche Betheiligung fast aller 
Staaten Europas bewies das intensive Interesse, das dieser Kulturfrage — der Eindämmung eines 
erschreck enden sozialen Phänomens — entgegen gebracht wird, der lebhafte Austausch der Meinungen 
und Gedanken aber zugleich die Schwierigkeit dieses Kampfes, bei dem es nicht nur auf Zerstörung 
von Vorurtheilen, Aufklärung von wissenschaftlichen Intbümern und ähnlichem ankommt, sondern 
bei dem vor allem die heterogensten Elemente, die verschiedenartigsten Weltanschauungen unter 
einer gemeinsamen Fahne vereinigt werden müssen. Die Schwierigkeit gerade dieses Momentes 
hat der diesjährige Kongress mehr als genügend illustriert und dadurch leider sein Prestige wenigstens 
vor der breiten Oeffentlichkeit stark beeinträchtigt. Die ernste wissenschaftliche Arbeit dagegen, 

Zeitechr. t dULt u. physik. Therapie Bd. V. Heft a 13 


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266 Berichte über Kongresse und Vereine. 


die fernab von dem Geplänkel wissensloser Fanatiker lag, hat auf der Wiener Versammlung manch* 
werthvollen Beitrag zur Lösung dieses KUlturproblems erbracht, und speziell auf medidnischem 
Gebiete waren es eine grosse Reihe von Vorträgen, die neben einer Fülle von Material auch 
mancherlei Ausblicke in neu erschlossene Gebiete der Alkoholfrage darboten. Den Reigen der¬ 
selben eröffnete Wlassak (Wien) mit der Skizzierung des Einflusses, den der Alkohol auf 
die Ilirnfunktionen ausübt. Experimentelle Untersuchungen haben nämlich folgendes ergeben: 
Die Fähigkeit zu addieren sinkt in merkbarerWeise schon nach kleinen Alkoholgaben, die 0/2 1 Bier 
entsprechen. Ein rapider Abfall der in einer gemessenen Zeit addierten Zahlen tritt bei grösseren, 
2—3 1 Bier entsprechenden Mengen ein. Der schädigende Einfluss dieser Alkoholmengen lässt sich 
durch 24 Stunden und oft auch länger noch nachweisen. Ganz dasselbe lässt sich für die Arbeit 
des Auswendiglernens, sowie für die Fähigkeit, VorstellungsVerbindungen zu bilden, nachweisen. 
Bei dieser letzteren Thätigkeit ergiebt sich auch eine Schädigung der Qualität der Leistungen, in¬ 
dem die minderwerthigen Vorstellungsverbindungen, die nach der Aehnlichkeit des Klanges gebildet 
werden, gegenüber den nach sachlichen Zusammenhängen sich ergebenden an Zahl zunehmen. Be¬ 
sonders deutlich sind die Störungen der Auffassungs- und Merkfähigkeit einfacher Sinneseindrücke, 
wie Zahlen, Buchstaben und Silben, die dem Auge nur eine kurze, messbare Zeit dargeboten werden. 
Schon bei Alkoholdosen von 30 g (3/ 4 1 Bier) sind die Leistungen herabgesetzt, indem die fehler¬ 
haften Lesungen und die Auslassungen sowohl beim Lesen, wie beim Reproduzieren gesteigert sind. 

Von vielleicht noch grösserer praktischer Bedeutung sind die Versuche über die Wirkung 
täglich regelmässig genossener Alkohol dosen. Hier zeigt es sich, dass die Schädigungen der 
einzelnen Tage sich zu summieren vermögen, und dass diese Schädigung bei Aussetzen des Alkohols 
mehrere Tage hindurch nachweisbar ist. Hieraus ergiebt sich, wie Kräpelin mit Recht bemerkt, 
eine wissenschaftliche Definition des »Trinkers«, welche weit über die des täglichen Lebens hinaus¬ 
geht. Trinker ist jeder, bei dem eine Dauerwirkung des Alkohols nachzuweisen ist, bei 
dem also die Nachwirkung einer Alkoholgabe noch nicht verschwunden ist, wenn die nächste ein¬ 
setzt. Ihre volle Wichtigkeit erlangen diese Ergebnisse vor allem dann, wenn man sie mit der 
Thatsache zusammenhält, dass alle Versuchspersonen während der Arbeit keine Empfindung von 
der Herabsetzung ihrer Leistungsfähigkeit hatten, sondern im Gegentheil leicht und gut zu arbeiten 
glaubten. In diesem die thatsächlichen Verhältnisse verfälschenden Gefühl liegt die eigentliche und 
grösste Gefahr der Alkoholwirkung. 

Eine mehr summarische Uebersicht über die physiologischen und die pathologisch¬ 
anatomischen Wirkungen des Alkohols gaben Meyer (Marburg) und Weichsclbaum (Wien). 
Während letzterer die bekannten, unter dem Einflüsse des Alkohols entstehenden anatomischen Ver¬ 
änderungen des Magens, des Herzens, der Gefässe, der Leber, der Nieren und des Gehirnes schilderte, 
gab Meyer ein Bild von der Wirkung des Alkohols auf die Thätigkeit unserer Organe. Der be¬ 
kannte Satz, dass die Intensität jeder Giftwirkung bedingt ist von der Menge des zugeführten Giftes, 
und dass unterhalb einer gewissen Grenze jede merkliche Wirkung ausbleibt, gilt auch vom Alkohol. 
In wirksamen Mengen genossen verursacht der Alkohol eine zunächst leichte, bei grossen Gaben bis 
zur völligen Lähmung fortschreitende Betäubung der Hirnfunktionen und der Reflexe, schliesslich 
auch des Athmungszentrums im verlängerten Marke. Er bewirkt eine Abschwächung der Muskel¬ 
kraft, aber im Anfänge eine Erleichterung ihrer Ausnützung; das gleiche gilt von seinem Einflüsse 
auf die Ilerzthätigkeit. Die Körperwärme wird durch Alkohol nicht gesteigert, sondern unter 
Umständen herabgesetzt; das Wärmegefühl wird durch ihn erhöht. Durch seine Verbrennung im 
Organismus kann der Alkohol Fett und Kohlehydrate sparen, Eiweiss wahrscheinlich nicht; als 
Nahrungsstoff darf er indess schon wiegen seiner sonst giftigen Eigenschaften keinesfalls betrachtet 
werden. Die Verdauungsthätigkeit wird durch Alkohol direkt nicht befördert, sondern eher ver¬ 
zögert; indirekt kann sie durch Erregung des Appetits mittels alkoholischer Getränke gelegentlich 
gefördeit werden, ln den Händen des Arztes kann der Alkohol segensreich wirken, als Genuss- 
mittel ist er, streng genommen, entbehrlich und in der konzentrierten Form des Branntweins ohne 
Zweifel gefährlich. In sehr geistvoller Weise behandelte der Wiener Psychiater Wagner v. Jauregg 
dio Giftwirkung des Alkohols bei einigen nervösen und psychischen Erkrankungen. 
Beim akuten Alkoholisraus findet wahrscheinlich eine direkte Einwirkung des Alkohols auf die nervösen 
Bestandteile des Zentralnervensystems statt. In einer Anzahl von Erscheinungen des chronischen 
Alkoholismus haben wir aber nicht eine direkte Giftwirkung des Alkohols zu sehen, da diese Er¬ 
scheinungen, darunter auch das Delirium alcoholicum, besonders in der Alkoholabstinenz zur Geltung 
kommen. Wir müssen daher annehmen, dass unter dem Einflüsse des Alkohols beim fortgesetzten Miss¬ 
brauche im Körper ein Gift entsteht, dem gegenüber sich der Alkohol teilweise wie ein Gegengift ver- 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


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hält. Dieses seiner chemischen Beschaffenheit nach unbekannte Gift zeigt in seiner Wirkung auf den 
Organismus eine gewisse Aehnlichkeit mit bakteriellen Giften, wie aus seinem Einflüsse auf die 
Körpertemperatur, die Niere und den Blutbefund hervorgeht In Bezug auf die Verbrennungs¬ 
energie, insofern sie aus dem Vermögen des Organismus, Traubenzucker zu verarbeiten, erschlossen 
werden kann, zeigt dieses Gift eine analoge Wirkung, wie der Alkohol selbst, nämlich eine herab¬ 
setzende, während die Trinker, wenigstens die zur Geistesstörung disponierten, von Haus aus eine 
hohe Verbrennungsenergie haben, was möglicherweise die Bedeutung eines Veranlagungszeichens 
haben kann. 

Auch bei zwei anderen sich häufig kombinierenden Erkrankungen des Nervensystems, der 
Polyneuritis alcoholica und der Korsakoff'schen Psychose, die in ihren ungeheilten Formen das 
darstellt, was als Dementia alcoholica beschrieben wird, haben wir nicht eine ausschliessliche 
Wirkung des Alkohols zu sehen, sondern es ist zu deren Zustandekommen immer noch eine zweite 
Vergiftung, nämlich eine Autointoxikation, vom Darme aus nothwendig. 

Waren diese Ausführungen durch die in ihnen enthaltenen geistvollen Hypothesen besonders 
fesselnd, so erzielten die nun von Kassowitz folgenden denselben Effekt, wenngleich sic einem 
ganz anderen Gebiet, nämlich dem der rein praktischen Wirksamkeit des Arztes angehörten. Er sprach 
nämlich über Alkoholismus im Kindesalter. Bei Kindern sind schwere funktionelle Störungen 
Delirium tremens, alkoholische Manie, Epilepsie) und nachweisbare Organveränderungen (Leber¬ 
schwellung, Wassersucht) infolge von länger fortgesetztem Alkoholgenuss beobachtet worden. Diese 
Erkrankungen sind nicht nur nach Branntwein und nach excessiv grossen Dosen anderer alkoho¬ 
lischer Getränke entstanden, sondern auch häufig bei blossem Genüsse von Bier oder Wein in 
mässigen Quantitäten oder bei so geringen Gaben von Kognak, wie sie von vielen nicht nur als 
erlaubt und unschädlich, sondern sogar als heilsam angesehen werden. Aus diesen Erfahrungen 
muss man auf eine besonders grosse Empfindlichkeit des kindlichen Nervensystems und des kind¬ 
lichen Organismus überhaupt gegen die giftige Wirkung des Alkohols schliessen. Durch die physio¬ 
logische Forschung ist die früher allgemein verbreitete Annahme, dass der Alkohol nährende und 
den Schwund des Körpers verhütende Fähigkeiten besitzt, vollkommen widerlegt, weil sich gezeigt 
hat, dass die Stickstoffausscheidung (als Maassstab für die Zerstörung von Körpereiweiss) durch 
Alkohol nicht vermindert, sondern im Gegentheile gesteigert wird. Mit diesem Forschungsergebnisse 
stimmt es überein, dass man bei Kindern als Folge von protrahiertem Alkoholgenuss Zurückbleiben 
im Wachsthum und in der Entwicklung beobachtet hat Auch der Ruf des Alkohols als verdauungs¬ 
beförderndes Mittel ist nicht berechtigt, weil Verdauungsversuche an Menschen und Thieren stets 
nur eine störende Wirkung desselben erkennen Hessen. Die scheinbar widersprechende subjektive 
Empfindung beruht auf einem Betäuben der Unlustempfindungen, nicht aber auf einer wirklichen 
Beförderung der Verdauung. In vielen Fällen von Appetitstörung bei Kindern Hess sich die ge- 
wohnheitsmässige Einnahme alkoholischer Getränke als einzige Ursache nachweisen, nach deren 
Beseitigung die normale Esslust wiedergekehrt ist 

Als fieberbekämpfendes Mittel ist der Alkohol unbrauchbar, weil selbst bei sehr grossen 
Gaben, die von Kindern nicht ohne auffällig üble Folge genommen werden könnten, nur eine gering¬ 
fügige Herabsetzung der Temperatur erzielt werden kann. 

Vielfache Versuche haben gelehrt, dass die dem Alkohol nachgerühmte stimulierende Wirkung 
entweder gamicht zum Vorschein kommt oder sehr rasch vorübergeht, dass sich aber in jedem 
Falle ein lähmungsartiger Depressionszustand der Muskel- und Nervenapparate geltend macht Die 
Anwendung des Alkohols zur Bekämpfung oder gar zur Verhütung der Herzschwäche bei fieber¬ 
haften Krankheiten des Kindesalters hat daher keine wissenschaftliche Berechtigung. Die innerliche 
Anwendung des Alkohols als Antiseptikum, das heisst als bakterientödtendes Mittel bei akuten 
Infektionskrankheiten des Kindesalters, ist nicht rationell, weil Thierversuche gelehrt haben, dass 
die Empfindlichkeit für die Infektion durch die Verabreichung von Alkohol nicht nur nicht herab¬ 
gesetzt, sondern entschieden gesteigert wird und überdies eine bakterienschädigende Wirkung des 
Alkohols im lebenden Organismus schon aus dem Grunde nicht verständlich wäre, weil der Alkohol 
im Körper in der kürzesten Zeit verbrannt wird. Zahlreiche Experimente haben ferner bewiesen, 
dass die dem Alkohol vielfach zugeschriebene Anregung und Beförderung der geistigen Thätigkeit 
in der Wirklichkeit nicht existiert, weil auch hier ein kurz vorübergehendes Excitationsstadium 
regelmässig von einer selbst tagelang andauernden Beeinträchtigung der psychischen Fähigkeiten 
gefolgt ist. Auch bei Schulkindern wurde die schwächende Wirkung auf die Lernfähigkeit selbst 
nach mässigen Alkoholgaben direkt nachgewieseu. Da nach alledem, so resümiert Kassowitz, 

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268 Berichte über Kongresse und Vereine. 

den zweifellos vorhandenen schädigenden Wirkungen selbst mässiger Alkoholdosen auf die körper¬ 
lichen und geistigen Funktionen des Kindes keinerlei sicher bewiesene Vortheile gegenüberstehen, 
so ist die Verabreichung alkoholischer Getränke an gesunde oder kranke Kinder unter allen Um¬ 
ständen zu widerrathen. 

Eine Reihe mehr biologischer Themata eröffnete Gruber (Wien) mit seinem Vortrag über den 
Einfluss des Alkohols auf den Verlauf der lnfektionskrankeiten. Grosse Gaben Alkohol 
schwächen nach den übereinstimmenden Versuchsergebnissen zahlreicher Autoren in hohem Maasse 
die Widerstandsfähigkeit des thierischen Körpers gegen die Infektionserreger, so dass unter ihrem 
Einfluss die Infektionen leichter zu stände kommen, rascher und schwerer verlaufen als bei normalen 
Thieren. Kleine Gaben Alkoholdosen (0,5 —1,5 absoluter Alkohol pro Kilo Thier und pro Tag), 
wie sie auf ärztliche Verordnung von Infektionskranken häufig genommen werden, äussern nach 
Laitinen und nach noch nicht publizierten Versuchen von KÖgler aus dem Wiener hygienischen 
Institut ebenso in den meisten Fällen eine ungünstige Wirkung auf das Zustandekommen und den 
Verlauf der Infektionen, wenngleich in viel geringerem Maasse. In keinem einzigen Falle konnte 
nachgewiesen werden, dass kleine Alkoholgaben das Zustandekommen der Infektion hindern oder 
den Verlauf der Krankheit mildem oder abkürzen. Diese Erfahrungen gewähren also der Ver¬ 
wendung des Alkohols bei der Behandlung infektiöser Erkrankungen des Menschen keine Stütze, 
wenn man auch gerade bei einem Nervenmittel mit Schlüssen vom Thier auf den Menschen äusserst 
vorsichtig sein muss. Dagegen hat sich bei den Versuchen Kögler’s der Alkohol als ein aas¬ 
gezeichnetes Mittel erwiesen, um bei Thieren drohenden Kollaps zu verhindern, beziehungsweise den 
schon begonnenen Kollaps wieder zu beseitigen und so die Thiere mindestens für viele Stunden und 
Tage über den Tod der Kontrollthiere hinaus am Leben zu erhalten. Diese Versuche stehen also mit 
der ärztlichen Erfahrung in vollem Einklänge. Uebcr die Beziehungen zwischen Alkohol ismus 
und Erblichkeit verbreitete sich der Grazer Psychiater Anton. Zwischen Tranksucht der Eltern 
einerseits und Nervenkrankheit und Degeneration der Nachkommenschaft andrerseits bestehen aus¬ 
giebige und häufig konstatierte Beziehungen. Trunksucht der Eltern und Entartung der Nach¬ 
kommen können beide mitunter als Folgen einer Ursache aufgefasst werden, nämlich als Folgen 
einer im vomhinein gegebenen erblichen Nervenkrankheit. Auch im letzteren Falle ist es höchst 
wahrscheinlich, dass durch die stete Alkoholvergiftung eine bestehende Krankheitsanlage zur 
evidenten Krankheit entwickelt wird und dass dadurch die erbliche Krankheitsübertragung auf die 
Nachkommen sich schwerer gestaltet Die mittelbare Schädigung, welche Noth und Elend, damit 
einhergehend mangelhafte Hygiene der Mutter und des Kindes herbeiführen, ist dabei entschieden 
zu veranschlagen, doch ist dieser Faktor nicht allein ausschlaggebend. Chronische Vergiftung des 
väterlichen oder mütterlichen Organismus mit Alkohol ist an und für sich im stände, eine krankhafte 
Entartung und gestörte Entwicklung des kindlichen Organismus hervorzurufen. 

Alkohol und progressive Paralyse war ein weiteres Thema, über das Boissier (Paris) 
sprach. Die Häufigkeit der progressiven Paralyse hält nach ihm völlig gleichen Schritt mit dem 
Alkohol verbrauch in den Ländern Mitteleuropas. Lange Zeit meinte man, der Alkoholismus sei 
eine unmittelbare individuelle und für sich allein hinreichende Entstehungsursache der progressiven 
Paralyse. Heute ist erwiesen, dass dies nicht zutreffend und dass die einzige unmittelbare Entstehungs¬ 
ursache der progressiven Paralyse die Syphilis ist. Bei mehr als 1000 Paralytikern hat Boissier die 
Richtigkeit dieser Behauptung kontrollieren können. Aber er hat beobachtet, dass sich die meisten 
dieser Paralytiker die Lues, welche Ursache ihrer Krankheit wurde, aus Anlass eines unmässigen 
Alkoholgenusses zugezogen haben, nach welchem ihre Urtheilskraft geschwächt war, oder welcher 
Instinkte, die in ihnen sonst nicht vorherrschten, entfesselt hatte. Andrerseits bemerkte er, dass 
unter den Kranken, welche bereits von dem spezifischen Uebel ergriffen waren, eben dieselben, 
welche alkoholische Getränke zu sich nahmen, auch der progressiven Paralyse verfielen. Der Alkohol 
ist also nur eine mittelbare, aber sehr wirksame Entstehungsursache jener schrecklichen Krankheit, 
und wenn die beiden statistischen Zahlenreihen parallel laufen, so ist das nicht ein Zufall, sondern 
die Folge einer logischen Verkettung der Erscheinungen. Dieses sehr problematische Gebiet des 
Alkoholismus als unmittelbares Moment einer luetischen Infektion nahm auch Forel zum Gegenstände 
einer längeren Erörterung, in der er, sich auf eine »Strassburger Statistik stützend, nachzuweisen 
suchte, dass der Alkoholgenuss durch Lähmung der Besonnenheit bei Erregung der Triebe den 
Menschen zn sexuellen Excesscn führt. Nun im grossen und ganzen ist wohl ein solcher Spielraum 
hierbei zwischen Ursache und Wirkung, dass als wesentliches Moment für das Zustandekommen 
der Infektion der Alkohol kaum anzusehen ist. 


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Belichte über Kongresse und Vereine. 269 


Die viel interessantere Frage der Recidive der Alkoholiker besprach Legrain (Ville- 
Evrard). Unter 1000 Fällen von Alkoholismus. die er in den letzten vier Jahren im Asyle zu Grand- 
Evrard behandelt hat, waren 20—25% Recidive. Die meisten betrafen solche Alkoliker, die keine 
passende Behandlung durchgemacht hatten. Er verlangt daher, dass gesetzlich die Internierung von 
Gewohnheitstrinkern in Asylen vorgesehen, dass ferner Gesellschaften gegründet werden sollen, die 
es sich zur Aufgabe machen, den Trinker sozial und familiär zu stützen und zu heben. 

Bleuler (Zürich) spann den Faden fort, indem er Trinkerheilstätten und Irrenanstalten 
behandelte. Die eigentlichen Trinkerheilstätten können zur Zeit nur offene Anstalten sein. Sie ge¬ 
statten unter Umständen einen gesetzlichen Zwang zum Aufenthalte, vertragen sich aber nicht mit 
dem physikalischen Zwange geschlossener Thüren Der Irrenanstalten kann man in absehbarer Zeit 
in der Behandlung der Trinkei nicht entbehren. Hierher gehören alle Fälle mit eigentlicher alko¬ 
holischer Psychose, dann die pathologischen Charaktere aller Art, welche aus irgend einem Grunde 
unter genauer Bewachung sein müssen, schliesslich, solange sie renitent sind, die Einsichtslosen, 
welche in einer TrinkerheilBtätte nicht bleiben wollen. Es ist deshalb moralische Pflicht der Irren¬ 
anstalten, sich so einzurichten, dass die nothwendige Abstinenzsuggestion auch auf ihren Abtheilungen 
herrscht. Ferner müssen die Irrenärzte dahin wirken, dass der einfache Alkoholismus den Psychosen 
gleichgestellt wird, insofern als er genügenden Grund zu einer Zwangsinternierung abgiebt. Viele 
Fälle gehören zuerst in die geschlossene (Inen-)Anstalt, nachher, wenn sie sich etwas gebessert 
haben, in die Trinkerheilstätte. Es ist Pflicht der Irrenanstalt, diese Fälle auszuwählen und so weit 
als möglich direkt in die Heilstätte zu schicken. 

Noch eine grosse Reihe andrer, die soziale und kriminalistische Seite des Alkoholismus 
berührender Fragen wurden auf dem Wiener Kongress erörtert, und aus der Uebcrfülle der Verhand¬ 
lungen schälte sich manche wcrthvolle Anregung, manches auf langjähriger Beobachtung und exakter 
Erforschung beruhende Ergebniss heraus. Von besonderem Interesse waren die Mittheilungen über 
die praktische Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs in der französischen Armee, deren Leitung damit 
ein glänzendes Beispiel einsichtsvollen Vorgehens gegeben hat. Seit zwei Jahren sind diese Maass- 
nabmen laut den offiziellen Berichten in grossem Umfange vorgenommen worden und haben bereits 
vorzügliche Erfolge zu verzeichnen. Die einen sind restriktiv, indem sie den Eigenthümem von 
Kantinen den Ausschank von Branntwein und ähnlichen Getränken zu bestimmten Stunden des 
Tages verbieten, die anderen entfalten ein ausnahmsloses Verbot des Alkoholausschankes innerhalb 
der Kantinen. Hand in Hand damit gehen Unterrichsstunden, in denen die Soldaten belehrt und 
vor den Gefahren des Alkoholismus gewarnt werden. 

So kann auch der diesjährige Kongress auf eine reiche Arbeitsleistung zurückblicken und 
das Bewusstsein in sich tragen, der kulturellen Idee, der er dient, ein weiteres Stück Wegs er¬ 
obert zu haben. 


II. 

Physikalisches von der Versammlung süddeutscher Laryngologen zu Heidelberg 

am 27. Mai 1901. 

Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. 

Die diesjährige Versammlung der süddeutschen Laryngologen wies in ihrer Tagesordnung 
nicht viel Themata auf, die als selbstständige Vorträge zu betrachten sind, die grösste Breite der 
Verhandlungen nahmen kasuistische Mittheilungen, Demonstrationen und ähnliches mehr ein. Die 
drei grösseren Referate jedoch, die Killian (Freiburg), Müller (Heidelberg) und Robinson 
(Baden-Baden) hielten, haben so mannigfache Berührungspunkte gerade mit den physikalischen 
Disziplinen, dass sie auch an dieser Stelle in kurzen Umrissen skizziert zu werden verdienen. 

Die Hysterie in ihrer Beziehung zum Kehlkopf war das Thema, das Killian in einem 
lichtvollen Referate behandelte. Man hat bis vor nicht langer Zeit den Ausdruck hysterischer Störungen, 
wie sie sich imjBild des Kehlkopfspiegels darstellen, auch als ursächliches Moment des Zustande¬ 
kommens dieser herangezogen und so die Transversuslähmung bei der typischen hysterischen 
Aphonia spastica, die Medianstellung der Stimmritze bei dem inspiratorischen Stimmritzenkrampf 
als Ursache des hysterischen Symptomenkomplexes angesehen. Allein die Beobachtungen an der¬ 
artigen Patienten sprechen entschieden gegen diese Annahme, sie weisen vielmehr auf zentrale 


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270 Berichte über Kongresse und Vereine. 


Ursachen, nicht auf periphere hin. Fasst man alles zusammen, so handelt es sich um Störungen 
der Bewegungsformen, um willkürliche Störungen. Bei der Hysterischen ist krankhaft, dass sie 
unter einem gewissen Triebe handelt, krankhaft ist nicht die Stellung der Stimmbänder, sondern 
ihre Manier, so zu sprechen. Alles spricht mithin für psychische Störungen, und am meisten wird 
der davon überzeugt, der es sich zur Gewohnheit gemacht hat, hysterische Störungen dieser Art 
psychisch zu behandeln. Neurologische Untersuchungen haben erwiesen, dass es sich bei hysterischen 
Individuen nicht um eine Lähmung eines einzelnen Muskels oder Nerven handelt, sondern um Muskel¬ 
gruppen, die bestimmten Bewegungsformen dienen. Im vorliegenden Falle handelt es sich also um 
Bewegungsformen der Stimme. Krampf formen sind Uebertreibungen der Hysterie, auf sie ist auch 
der inspiratorische Stimmritzenkrampf zurückzuführen. Es wird sich also auch bei allen hysterischen 
Kehlkopferkrankungen um krankhafte Vorstellungen handeln, deren letzte Ursache in der Psyche liegt. 

Vom klinisch-pathologischen in das rein physiologische Gebiet führte der Vortrag von Müller 
überdasnatürlicheSingenundSprechen. Die Doppeleigenschaft des Autore als früherem Sänger 
und jetzigem Laryngologen machte ihn auch zweifach kompetent in der Beurtheilung dieser bald 
mehr vom länger, bald wieder mehr vom Arzte zu interpretierenden Frage. Die Stimmerzeugung 
kommt bekanntlich dadurch zu stände, dass der aus den Lungen und der Luftröhre, als dem Wind- 
rohre, aufsteigende Exspirationsstrom durch die zur Phonation geschlossenen Stimmbänder auf¬ 
gehalten wird und dadurch eine Spannung erhält, welche zuletzt grösser wird, als die Summe der 
die Stimmbänder jedesmal schliessenden und spannenden Kräfte; hierdurch werden die Stimmbänder 
zum Ausweichen nach oben gezwungen, so dass ein Theil der Exspirationsluft nunmehr entweicht, 
die Spannung im Windrohr sich wieder vermindert und die Stimmbänder vermöge ihrer Elastizität 
zurückschnellon, womit das Spiel von neuem beginnt. Dieser periodisch sich wiederholende Vorgang 
ist es, welcher den gesanglich wie sprachlich im Ansatzrohre weiter zu verwerthenden Klang der 
menschlichen Stimme erzeugt. Von der Weite der Schwingungen der Stimmbänder im Verein mit 
der Stärke des Anblascstromcs hängt zum grössten Theil die Stärke der Stimme und von der An¬ 
zahl der Schwingungen in der Zeiteinheit die Tonhöhe ab. Bei diesem natürlichen Vorgang muss 
man sich nun in acht nehmen, dass man den subtilen Mechanismus der Tonerzeugung nicht durch 
künstliches und willkürliches Eingreifen stört oder ungünstig beeinflusst, denn ein natürliches 
Sprechen und Singen hat selbstverständlich eine natürliche Tonerzeugung zur Voraussetzung. 
Wäre man nun im stände, nach einer normalen Art zu sprechen, so wäre das natürliche Sprechen 
sehr einfach; allein man kann auf alle möglichen Arten sprechen, und da besonders in der Jugend 
sehr wenig auf das normale, natürliche Sprechen, sowohl nach Richtung der Lautbildung wie der 
Stimmgebung hin, geachtet wird, so eignen wir uns vermittelst unserer Ohren die diesbezüglichen 
Fehler unserer Umgebung an. 

Zwischen der natürlichen Sprach- und Singstimme ist ein prinzipieller Unterschied nicht vor¬ 
handen. Hier wie dort muss man sich die Herrschaft über die Sprachwerkzeuge erwerben, damit 
dieselben natürlich arbeiten können, hier wie dort muss man Ohr und Gefühl für die richtige Ton¬ 
gebung bekommen. Das Singen ist gewissemaassen ein gedehntes Sprechen, an bestimmte musika¬ 
lische Töne oder Intervalle gebunden — der Mechanismus ist bei beiden der gleiche. So sind auch 
hier die gleichen Fehler wie beim Sprechen vorhanden, sie alle lenken von selbst auf die natürliche 
Art der Tongebung hin, für die die Laute m und a und die Art und Weise, wie sic erzeugt 
werden, die Grundlage bedeuten. 

Möglichste Tongebung auf oral-nasaler Basis, möglichste Beherrschung und Uebung der 
Sprachwerkzeuge, so dass diese ihre Funktion gewissermaassen ohne eigenes Zuthun ausüben, 
möglichste Beibehaltung dieser Tongebung bei jeder Vokalisadon, jeder Konsonantenbildung, das 
sind die Mittel des natürlichen Sprechens und Singen». 

Robinson endlich sprach über moderne Inhalationstherapie und ihre Erfolge. 
Nach einer Einleitung über die wichtigsten Inhalationsmethoden des Alterthums bis auf die heutige 
Zeit wird der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts entbrannten für den Werth der Inhalations¬ 
therapie so wichtigen Streitfrage gedacht »Wie w eit dringen staubförmige feste, zu feinem Wasser- 
nebel zerstäubte.flüssige, und endlich gasförmige Medikamente durch Einathmung in den mensch¬ 
lichen Respirationstraktus ein ?« Durch sinnreiche Experimente einerseits und die durch Erfindung des 
Mikroskopes und die Fortschritte der ('hemie unterstützten Forschungen der pathologischen Anatomie 
andrerseits, wurde diese Fragt* dahin gelöst, dass derartige medikamentöse Stoffe thatsächlich bis 
in die feinsten Bronchial Verzweigungen, unter günstigen Umständen sogar bis in die Alveolen der 
Lunge einzudringen vermögen. Die modernen Inhalationsmethoden lassen sich in zwei Hauptgruppen 


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Belichte über Kongresse und Vereine. 271 


scheiden, in Inhalationen an Apparaten und in solche im freien Raum. Von Apparaten kommen 
in Betracht die von Schnitzler, Lewin, Heyer und Jahr angegebenen. Die Vorzüge derselben 
beruhen auf feinster Verkeilung des Inhalationsstromes, auf der Möglichkeit, die Temperatur desselben 
auf einen gewünschten Grad zu regulieren und konstant zu erhalten, sowie Medikamente in be¬ 
stimmter Form zu verabfolgen. Inhalationen im freien Raum: nach Wassmuth, Badener Haupt¬ 
stollenquelle (kochsalzhaltige Therme von 500 C) mit Zusatz von 15 g ol. pini auf 100 1 Quelle zu 
feinstem Wassernebel zerstäubt, und nach Hartmann mit flüssigen Substanzen des Lignosulfits 
imprägnierte Luft 

Indiziert ist die Inhalationstherapie an Apparaten speziell bei chronischen Erkrankungen der 
oberen Luftwege: Pharyngitis sicca, Pharyngitis chronica hypertrophicans, alle Formen der chro¬ 
nischen Laryngitiden, speziell der Laryngitis sicca. Lokale Behandlung ist neben den Inhalationen 
meistentheils nicht zu entbehren, doch ist die Beschleunigung des Heilungsverlaufes durch die In¬ 
halationen unverkennbar. Zur Nachbehandlung galvanokaustischer oder anderer chirurgischer Ein¬ 
griffe ist die Inhalationstherapie besonders berufen. 

Zu Inhalationen an Apparaten kommen entweder nur Mineralwässer (Ems, Baden-Baden, 
Selters etc.) allein oder mit Zusatz adstringierender oder flüchtig - aromatischer Medikamente zur 
Anwendung. Erkrankungen der Bronchien vermögen durch Inhalation an den Warmapparaten 
ebenfalls günstig beeinflusst zu werden, doch kommen hier die Inhalationen im freien Raum mehr 
in Betracht. Bei trockenen Bronchitiden mit zähem Sekret und qufilendem Husten ist der Wass- 
muthsaal, bei solchen mit reichlicher, speziell fötider Absonderung der Lignosulfitsaal indiziert. 

So hat sich durch die technische Vervollkommnung der Inhalationsapparate diese Therapie 
einen berechtigten Platz in der Behandlung der Erkrankungen des menschlichen Respirationstraktus 
erworben. Bei Erkrankungen der oberen Luftwege, soweit sic der Hand des Spezialarztes zugänglich 
sind, vermögen die Inhalationen die Lokalbehandlung nicht entbehrlich zu machen, doch beschleunigen 
sie die Heilung wesentlich. Für Erkrankungen der Trachea und der Bronchien ist die Inhalations¬ 
therapie souverän, speziell wenn sie in geeigneter Weise mit der Pneumatothorapio kombiniert wird. 


III. 

Bericht über die 22. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft 

zu Berlin. 7.—12. März 1901. 

Erstattet von —n. 

(Schluss.) 

Determann, Bas Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für Kranke. 

Behufs Prüfung der Frage, welche klimatologischen Bedingungen die Gebirge, sowohl die 
höheren Gebirge, als auch diejenigen von 1000—1600 m Gipfelhöhe darbieten, hat Determann eine 
Reihe von meteorologisch genau beobachteten Stationen der Alpen, des Schwarzwaldes, des 
Riesengebirges, Thüringerwafdes und des Harzes geprüft und mit einander verglichen. Die Unter¬ 
suchungen erstrecken sich auf den Zeitraum von 1886—1895, also auf 10 Jahre. 

Auf die Prüfung der Abnahme des Luftdrucks hat Determann verzichtet, weil diese kliina- 
tologische Erscheinung regelmässig der Höhe entsprechend sich ändert und von lokalen Bedingungen 
wenig abhängig ist. Dagegen ist von wesentlichem Einfluss auf das Klima eines Ortes die Sonnen¬ 
strahlung. Deren Zunahme hängt ab von der mit der Höhe abnehmenden Luftdichtigkeit, der 
grösseren Reinheit der Atmosphäre und somit ihrer Durchlässigkait für die Sonnenstrahlen. 
Dazu kommt eine grössere Trockenheit und Abnahme des Wasserdampfdruckes, welche bei zu¬ 
nehmender Höhe nicht gleichen Schritt hält mit der des Luftdruckes, diese vielmehr bedeutend 
überschreitet. Eine weitere konstante Erscheinung der Erhebung über das Meeresniveau die in¬ 
dessen der Erwärmung durch Insolation entgegenwirkt) ist die Abnahme der Temperatur mit 
zunehmender Höhe. Was die mittleren Temperaturen, die mittleren Maxima und Minima an den 
einzelnen Stationen verschiedenen Charakters in den verschiedenen Gebirgen aulangt, so hat sich 
gezeigt, dass neben der absoluten Höhe ganz besonders die lokalen Bedingungen des Beobachtungs¬ 
ortes, je nachdem derselbe auf einem Gipfel, einem Hang, auf der Hochebene, im Hochthal, im Thal 
oder in der Ebene gelegen ist, eine grosse Rolle spielen. In Rücksicht auf die lokalen Bedingungen 
geben aber die Tagesmittel der Temperatur bei weitem nicht so viel Aufschluss, wie die täglichen 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 

Schwankungen der Temperatur, zwischen dem täglichen Temperaturmaximum und Minimum 
(aperiodische Amplitude). In unseren Breiten zeigt im allgemeinen der Winter geringere tägliche 
Schwankungen der Temperatur, als der Sommer; überhaupt wächst die Grosse der Temperatur¬ 
schwankung mit zunehmender Tageslänge. Von nicht unerheblichem Einfluss auf Befinden und 
Gesundheit sind sodann die Schwankungen der mittleren Temperatur von einem Tag zum andern, 
die interdiurnen Temperaturschwankungen. Diese haben in den maritim gelegenen Plätzen 
die geringste Ausdehnung, während sie mit zunehmender Kontinentalität und mit zunehmender 
Höhe wachsen. Im Winter sind sie grösser als im Sommer. Bei Gebirgen kommt nicht nur die 
Seehöhe in Betracht, sondern vor allem die Massenhaftigkeit des Gebirges. 

Diese Gesetze bezüglich der Temperatur im Gebirge werden sehr modifiziert durch die so¬ 
genannte Temperaturumkehr, d. h. die relative Abkühlung gewisser Thäler gegenüber den 
Höhen. Es kommt nämlich besonders im Winter und zu Zeiten von Windstille und hohem Baro¬ 
meterstände häufig vor und dauert längere Zeit hindurch an, dass in Thälern, welche keinen guten 
Luftabfluss haben, die kalte Luft, welche von den Höhen herabsinkt, sich ansammelt. Diese Er¬ 
scheinung bietet einen Hinweis in Bezug auf die Auswahl des Platzes für Winterkurorte; dieselben 
sind meistens an Bergesabhängen oder in Thälern mit günstigem Luftabfluss zu finden. Die 
Erscheinung der Temperaturumkehr wird am deutlichsten sein auf Hochebenen mit dazwischen 
liegenden Thälern oder in grösseren massiven Gebirgen mit umliegender Niederung, in welcher die 
Luft sich stauen kann, weniger deutlich über kleineren Gebirgen von geringerer Flächenausdehnung. 
Eine grosse Rolle spielt dabei noch die Luftbewegung, welche bei diesen kleineren Gebirgen be¬ 
sonders im Winter durchschnittlich bedeutend lebhafter zu sein scheint, als über Gebirgen mit 
grosser Flächenausdehnung. Oft sind für lange Zeit hindurch im Winter die Gebirge ganz wesent¬ 
lich wärmer als die Thäler der Niederung. Empfindung und Wirkung der Temperatur hängen aber 
von einigen anderen Bedingungen ab, und zwar kommen hier in Frage der Feuchtigkeitsgehalt der 
Luft, die Bewölkung, die Nebelbildung, Niederschläge (Schneetage), Winde (Fern- und Lokalwinde, 
der Föhn). Von nicht zu unterschätzendem Einfluss auf die klimatischen Faktoren ist die Dichtig¬ 
keit der Vcgetationsdeckc. Man nimmt allgemein an, dass ausgedehnte Bewaldungen eines Gebirges 
auf das Quantum der Niederschläge fördernd einwirken. Doch wird der Hauptwerth der Wälder 
in Bezug auf die Niederschläge wohl darin bestehen, dass das Wasser nicht so schnell abfliessen 
kann, dass es vielmehr festgehalten und nur allmählich abgegeben wird. Für die Winterkurorte in 
den Mittelgebirgen, in denen hier und da die Schneedecke schmilzt, ist auch eine günstige Boden- 
bcschaffenhcit von Wichtigkeit; ein festes Gestein, wie Porphyr, Granit oder Gneis lässt das Wasser 
schnell abfliessen und schafft bald trockenen Boden. 

Bei der Beurtheilung eines Höhenortes spricht demnach nicht nur die absolute Höhe mit; 
vielmehr gehören dazu die Gesammtausdchnung des Gebirges, die Längs- und Massenausdehnung, 
die Art der Abhänge nach den verschiedenen Himmelsrichtungen, der Höhenunterschied der Ge¬ 
birge gegenüber den umliegenden Ebenen und die Form der Gebirge in Bezug auf steile Abfälle, 
mehr flachere Abdachungen etc. Als Anforderungen, die wir an ein Höhenwinterklima stellen 
müssen, das nicht nur für Gesunde, sondern auch für Leidende brauchbar sein soll, bezeichnet 
Determann folgende: Absolut reine und staubfreie, auch von Nebel pnd Dunst freie, durchsichtige 
Luft, günstige Exposition zur Sonne (Südwestabhang), windgeschützte Lage in einem nicht zu engen 
Thal, in dem sich keine kalte Luft ansammelt, günstige Formation der Berge, sodass die Winde 
abgchalten werden und die Besonnungsdauer nicht zu sehr eingeschränkt wird, keine starke Be¬ 
wölkung, nicht zu häufige und besonders nicht zu langdauernde Niederschläge, seltenes Vorkommen 
von Regen im eigentlichen Winter (Dezember, Januar, Februar) und lange Dauer einer Schneedecke, 
auf diese Art Ermöglichung eines ganz ausgedehnten Luftgenusses im Freien, sowohl in Form von 
Liegekuren, als auch in Form von Bewegung im Freien. Für letztere müssen, besonders für die 
sportliche Betätigung, genügende Einrichtungen geschaffen sein (Schneeschuhlauf, Schlitteln, Schlit- 
schuhlauf, Bahnen der Wege etc.). Die Wohnungen müssen behaglich, gut heizbar und hygienisch 
tadellos sein, Süd- oder Südwestlage der Zimmer erforderlich. 

Es folgt eine Darlegung der Indikationen und Kontraindikationen für die Verwendung des 
Höhenklimas im Winter, aber nur insoweit Detcrmann's Ansichten von den in den einschlägigen 
Lehrbüchern erörterten ab weichen. Determann skizziert dann kurz die Art des Lebens in den 
Höhenkurorten des Winters und schliesst mit einer Beschreibung derjenigen Höhenkurorte, die, so¬ 
weit sein Ertheil reicht, ein günstiges Klima im Winter haben. 


Berlin, Druck von W. BUxenatein. 


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ZEITSCHRIFT 

für 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1901/1902. BandY. Heft 4. 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. v. Leyden und Prof. Dr. A. Goldseheider. 

Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 


INHALT. 


Original -Arbeiten. seit© 

I. Ueber den arteriellen Blutdruck der Phthisiker. Aus der inneren Abtheilung des 
städtischen Krankenhauses am Urban zu Berlin. (Direktor: Prof. Dr. A. Frankel.) 

Von Dr. Max John aus Budapest ..275 

II. Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder und deren 

physiologische Wirkung. Von Dr. Richard Heller in Salzburg. Mit22Abbildungen 279 

III. Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. Von Dr. M. Löwen¬ 

sohn aus Wercholensk- (Russland).302 

Kritische Umschau. 

Künstliche Präparate für die Ernährung des Säuglings. Von Dr. Salge, Assistent der Kinder¬ 
klinik (Charitd).314 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Jacob und Pannwitz, Entstehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose.317 

Ruhemann, Aetiologie und Prophylaxe der Lungentuberkulose.319 

Riffel, Weitere pathogenetische Studien über Schwindsucht und Krebs und einige andere 

Krankheiten.320 

Boas, Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten.321 

Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen.321 

Liebe, Der Stand der Volksheilstättenbewegung im In- und Auslande 322 

Hansemann, Einige Zellprobleme und ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Begründung 

der Organtherapie.322 

Jan sch, Der Zucker in seiner Bedeutung für die Volksemährung . ..323 

Marcuse, Kritische Uebersicht über die diätetischen Nährpräparate der Neuzeit.323 

Schlesinger, Lehrkurse für Bereitung der Krankenkost.324 

Rupp, On the dietetics of the convalescent stage of fevers.324 

Paulesco,La medication thyroidenne dans le traitement des troubles throphiques des extreinites 325 

Strebei, Gewebsökonomie und Osmose.325 

Monrad, Om Anveldelsen af raa Maelk ved Atrofi og kronisk Mave-Tarmkatar hos spaede Böm 320 
Charrin et Guillemonat, Influence des modifications experimentales de Porganisine sur la 

consommation de la glycose. 320 

Gockel, Ueber Erfolge mit »Pankreon«. # .320 

Wegeie, Bemerkungen zu dem Artikel: »Ueber Erfolge mit Pankreon«.320 

Marboux, Les indications du rögime lacte dans le traitement des albuniinuries.327 

Rosenfeld, Untersuchungen über Kohlehydrate.327 

Papst, Zur Kenntniss der Wirkung des schwarzen und weissen Fleisches bei chronischer 

Nierenerkrankung.328 

Vidal, Ueber den Einfluss verschiedener Ernährungszustände von Thieren auf die Umwandlung 

subkutan eingespritzten Mcthämoglobins.328 

Riegel, Ueber die Anwendung schmerzstillender Mittel bei Magenkrankheiten.329 

Zeitschr. f. diÄt u. physik. Therapie. Bd. V. Heft 4. pj 


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Inhalt. 


274 


Seite 

Ilagenberg, Ucber dieAcetonvermehruDg beim Menschen nach Zuführung niedriger Fettsäuren 330 

Berger, Ueber den Einfluss reiner Milchdiät bei Diabetes melitus.33u 

Sachs, Die Kohlenoxyd Vergiftung in ihrer klinischen, hygienischen und gerichtsärztlichen 

Bedeutung.330 

Wohlgemuth, Beiträge zur Zuckerabspaltung aus Eiweiss.330 

Moss6, Erdäpfel als Nahrung bei Diabetes melitus.3.*»0 

Koppe, Gefrierpunktserniedrigung und elektrische Leitfähigkeit natürlicher Mineralwässer . .330 

Moritz, Ucber den klinischen Werth von Gefrierpunktsbestimmungen.331 

Townsend, Home modification of milk ..332 

Rotch, Milk; its production, its care, its use.332 

Wood and Merrill, A report of investigations on the digestibility and nutrive value of bread 333 
Wein schenk er, Ueber Nährpräparate, im besondem über das Fleisch- und Kasei'nmehl . 333 

Golubew, Der Kumys und seine Verwendung.334 

Moreigne, Action des purgatifs sur la nutrition.335 

Matthaei, Die Schädlichkeit massigen Alkoholgcnusses.335 

Obesersky, Ueber die Salzsäuresekretion bei Zufuhr von Eigelb in den Magen .... 333 

v. Drigalski, Zur Wirkung der Lichtwärmestrahlen.336 

B o r i 8 s o w, Ueber den Einfluss des Lichtes und der Dunkelheit auf die Zusammensetsung des Blutes 337 
Derselbe, Zur Lehre von derWirkung des Lichtes und der Dunkelheit auf den thierischen Organismus 337 
Tschdanow, Behandlung der Hämorrhoiden und Fissuren des Anus mit d’Arson vaPschen 

Strömen. 338 

Klapp, Ueber die Behandlung von Gelenkergüssen mit heisser Luft.338 

Strebei, Meine Erfahrungen mit der Lichttherapie. .330 

Kattenbracker, Tragbare Lichtbäder. 340 

Uli mann, Die Behandlung von Geschwürsformen mit trockener Ileissluft.341 

H ildebrandt, Sandtherapie.'.* . . 342 

Teuscher, Heisse Sandbäder.342 

Schott, Die Heilfaktoren Bad Nauheims.342 

Heidenhain, Ucber den Nutzen des Schwitzens..343 

Schenk, Die Hydrotherapie des Darmtraktus mittels Enteroklyse.343 

Durig und Lode, Ergebnisse einiger Respirationsversuche bei wiederholten kalten Bädern 344 

Martin, Formulaire d'hydrothörapie et de balnöotherapie.345 

Lcwaschow, Die gegenwärtigen experimentellen Ergebnisse zur Frage über den Einfluss 

der Luft auf den menschlichen Organismus . . .345 

Taylor, A sumraer paster - of - Paris jacket for Pott’s disease.345 

Jacobson, Zur Behandlung von Bronchialerkrankungen durch Lagerung.346 

Braun, Ueber Vibrationsmassage der oberen Luftwege mit spezieller Berücksichtigung der 

Vibration der Nase bei Stirnhöhlenkatarrh und der Tuba bei Schwerhörigkeit . . 347 

Corner, The technique of lumbar puncture .347 

Page, Typhoid fever.347 

Younge, Desinfektion der von Phthisikern bewohnten Räume.34S 

Vossius, Ein Beitrag zur Lehre von der Aetiologie, Pathologie und Therapie der Diphtheritis 

conjunctivae.348 

Ziegelroth, Die physikalisch - diätetische Therapie der Syphilis.‘448 

Handbuch der Heil-, Pflege- und Kuranstalten (Privatanstalten).350 

Blätter für Volksgesundheitspflege. Heft 14—20 . 350 

Kleinere Mittheilungren. 

1. Ein neuer (Halbmond-)Stromunterbrecher für Radiographie und Ströme von hoher Spannung. 

Von Dr. Ch. Colombo, Professor der meuicinischen Fakultät, Direktor des kine- 
sitherapeutischcn Institutes zu Rom und Ch. Thonvcust, Elektrotechniker am 

kinesitherapeutischen Institut zu Rom. Mit 5 Abbildungen.■ . 351 

II. Erwiderung an Herrn Sanitätsrath Dr. Pelizaeus (Sanatorium Suderode am Harz). Von 

Professor H. Rieder in München.355 

Berichte über Kongresse und Vereine. 

Der Tuberkulosekongress in London. Von Dr. J. Meyer. Volontärarzt der II. medieinischen 

Universitätsklinik (Berlin).355 


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Original - Arbeiten 


l. 


Ueber den arteriellen Blutdruck der Phthisiker. 


Aus der inneren Abtheilung des städtischen Krankenhauses am Urban zu Berlin. 

(Direktor: Prof. Dr. A. Frankel). 

Von 

Dr. Max John 

aus Budapest. 


Durch Professor Gärtncr’s Tonometer gelangten wir in den Besitz eines Appa¬ 
rates, welcher uns ermöglichte, den arteriellen Blutdruck des Menschen mit grösserer 
Genauigkeit wie bisher zu bestimmen. Dieses Tonometers bediente ich mich bei 
meinen Blutdruckmessungen, die sich auf Lungentuberkulose, Bronchialkatarrh und 
Lungenemphysem bezogen. 

Die Blutdruckverhältnisse der Lungentuberkulose prüften eingehends Potain, 
Merfan, Cazes, Papillon; die im Jahre 1899 unter dem Titel »Le coeur chez 
les tuberculeux« erschienene interessante Arbeit Regnault’s, in welcher die dies¬ 
bezüglichen Ergebnisse obenerwähnter Autoren znsammengefasst sind, bildete den 
Ausgangspunkt meiner Beobachtungen. 

Regnault kommt nach seinen Untersuchungen sowie nach denen anderer franzö¬ 
sischer Autoren zu folgenden Schlüssen: 

1. Es ist schon im Beginne der Lungentuberkulose, als Frühsymptom (pheno- 
mene pr6coce) eine Abnahme des arteriellen Blutdruckes vorhanden und zwar schon 
in dem Stadium, wo die Diagnose bakteriologisch noch nicht erwiesen ist. 

2. Bei dem unter dem Bilde der Chlorose verlaufenden larvierten Phthisen 
dient die Blutdruckabnahme als ziemlich verlässliches Zeichen einer bereits vor¬ 
handenen und bald manifest werdenden Phthise (Papillon). 

3. Die grösste Blutdruckabnahme findet man bei den ulcerösen Phthisen. 

4. Die fibrösen, chronisch indurativen Heilungstendenz zeigenden Formen der 
Lungentuberkulose ergeben den normalen naheliegende Werthe. 

Die Abnahme des Blutdruckes wäre nach dem Gesagten ein konstantes Symptom 
der Tuberkulose und käme früher als Fieber, Bacillen und Kachexie. 

Von französischer Seite wird ohne Benennung des gebrauchten Sphygmomano¬ 
meters als Normaldruck 170—180mm Hg angegeben, welcher in schweren Fällen 
kavernöser Phthisen bis auf 90 mm Hg heruntergesunken ist. Dieser Normalwerth 
überschreitet jedoch alle bisher von anderen Untersuchern gegebenen Zahlen, die 

nach Gärtner (Gärtner’scher Tonometer). 100 mm Hg 

nach Kapsamer (Gärtner’scher Tonometer). 100—130 » >> 

nach Zader und Christeller (Basch’s Sphygmomanometer) . 100—130 » » 

nach Gumprechts (Riva-Rocci) .. 100—140 » » 

nach Faivre (mit Manometer an der menschlichen Arterie gemessen) 115—120 » » 

Druck entsprachen. 

Nach unseren Messungen beträgt der Blutdruck in den Fingerarterien durch¬ 
schnittlich 90—120 mm Hg. 

io* 


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27C» 


Max John 


Meine Untersuchungen beziehen sich auf ca. 1*20 Fälle von Lungentuberkulose, 
bei welchen ich während der zeitweise vorgenommenen Messungen, Besserung oder 
Verschlechterung des Allgemeinbefindens, eine Zu- oder Abnahme des Körpergewichts 
genau in Betracht zog. 

Ich kam zu folgenden Schlüssen: In 35 Fällen inzipienter Tuberkulose ergab 
sich ein Blutdruck von 90—100 mm Hg, das ist der normale Blutdruck, eine Abnahme 
desselben konnte ich nicht finden. Die untersuchten Patienten waren alle fieberlos, 
einige zwar chloro-anämisch, doch von ziemlich gutem Ernährungszustände, nicht 
bettlägerig, lieferten jedoch theilweise positiven bacillären Befund, theilweise 
Symptome, die auf ein Vorhandensein einer tuberkulösen Affektion der Lungen mit 
Deutlichkeit hinwiesen: in 1*2 Fällen fand man Tuberkelbacillen, in den übrigen ging 
Bluthusten voraus, oder es waren an den Lungenspitzen geringe Perkussionsverände¬ 
rungen wahrnehmbar, verbunden mit Auskultationserscheinungen, wie abgeschwächtes, 
saccadiertes, verschärftes Athmen, Giemen, Pfeiffen, Rasselgeräusch etc., nebst 
Nachtschweissen, als Zeichen rapider Defervescenz nach kurzen nächtlichen Temperatur¬ 
erhöhungen, die bei Phthisikern häufig Vorkommen. 

Wie es nun möglich ist, dass meine Resultate, das Initialstadium betreffend, 
denen Regnault’s so widersprechen, ist wohl dem Umstande zuzuschreiben, dass 
es eben individuell ist, was man als incipiente Phthise betrachtet. Nach unseren 
Begriffen ist die Abnahme des Blutdruckes in den Anfangsstadien der Lungenphthise 
nicht vorhanden, ihr Auftreten weist vielmehr auf ein bereits vorgeschrittenes Stadium 
hin, welches allerdings wenig hör- und perkutierbares bieten kann. 

In bereits vorgeschrittenen Fällen fand ich den Blutdruck wie Regnault durch¬ 
wegs und konstant sehr niedrig, ganz unabhängig davon, ob Fieber vorhanden war 
oder nicht, ob die Phthise nach dieser oder jener Methode behandelt wurde. Die 
Werthe fand ich zwischen 55—80 mm Hg, fast der Hälfte des Normalen entsprechend. 
Bei den zeitweilig vorgenommenen Messungen verhielten sich diese Zahlen ziemlich 
entsprechend der Kraftab- und -Zunahme des Patienten. Sie nahmen ab mit dem 
Kräfteverfall des Kranken, nahmen zu bei Kraft- und Gewichtzunahme, welch letzterer 
Umstand, wenn der Druck bereits auf 70 mm Hg gesunken war, kaum je erfolgte. 
In zwei Fällen sank der Blutdruck einige Tage ante exitum bis auf 40 resp. 
35 mm Hg herab. 

Eine Ausnahme hiervon boten jedoch alle selbst progressen Fälle, die von gleich¬ 
zeitiger entzündlicher Erkrankung der Nieren begleitet waren. Es ist ausserordentlich 
interessant, dass die Nephritiden ihre vielfach erwiesene blutdruckerhöhende Eigen¬ 
schaft, deren Ursachen nur vermuthet und vielfach gedeutet sind, selbst unter solchen 
Umständen noch bewahren, wo andere schädigende Momente den Blutdruck ad 
minimum herunterdrücken. 

Phthisiker mit Nephritis, bei welchen der Blutdruck den normalen bis zum 
Eintritte des Exitus ausnahmslos beträchtlich überstieg, ergaben im Durchschnitte 
1*20—ltiOmmHg. Der tiefste Blutdruck war in einem dieser Fälle 115, was im 
Vergleiche mit den gewöhnlichen Zahlen dieses Stadiums, d. h. 55—80 mm Hg, als 
eminent hoch zu erachten ist. 

Fälle mit gleichzeitiger Aortcninsufficienz oder mit hochgradiger Arteriosklerose 
befanden sich leider nicht unter meinem Beobachtungsmateriale. 

Bei einer dritten Gruppe von Phthisikern, die Regnault als chronisch fibröse 
bezeichnet, die von chronischen Pleuritiden, Brustfell Verwachsungen event. vikariie¬ 
rendem Emphysem begleitet sind, d. h. Kranke, die der Tuberkelhacilleninvasion 


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Uebcr den arteriellen Blutdruck der Phthisiker. 277 

grösseren Widerstand leisteten, bei denen es zu Erweichungen überhaupt nicht kam, 
die zeitweilig schwach fiebernd, meistens fieberlos mit subjektivem Wohlbefinden, 
zunehmendem Appetit, Konstanz, selbst Zunahme des Körpergewichtes quo ad sana- 
tionem einen ermunternden Eindruck lieferten, ergaben sich den normalen naheliegende 
Zahlen von 90—125 mm Hg. 

Bei zweifellos nicht tuberkulösen Bronchialkatarrhen, beim Emphysem bekam 
ich Zahlen von 100—140 mm Hg. 

Ich vereinigte die Messungen des Blutdruckes mit denen des spezifischen Blut¬ 
plasmas und Serumgewichtes. Ich fand, dass bei den Phthisikern das Gewicht des 
Blutplasmas sich dem Blutdrucke ziemlich analog verhielt, es war normal (1058) 
bei normalem Blutdruck, es zeigte eine leichte Verminderung 1040—1055 im zweiten 
und dritten Stadium, schliesslich 1057—1058 im ersten Stadium und bei den chronisch 
fibrösen Fällen. Das Blutserum zeigte nichts abnormes. 

Ich will nicht behaupten, dass zwischen Abnahme des Blutdruckes und des 
spezifischen Gewichts nur irgend welcher Kausalkonnex obwalte, es ist eben das 
theilweise gemeinsame ätiologische Moment, welches der gemeinschaftlichen Druck- 
und Gewichtsabnahme zu Grunde liegt. 

Beim Emphysem ist das Blut schwer, 1058—1065, es besteht eine Bluteindickung, 
welche sich auch in der erhöhten molekulären Konzentration des Blutes und infolge 
dessen Erniedrigung des Gefrierpunktes kundgiebt. 

Aus meinen Untersuchungen glaube ich schliessen zu dürfen: 

1. Im Anfangsstadium der Lungentuberkulose ist der Blutdruck und das spe¬ 
zifische Gewicht des Blutes normal. 

2. Abnahme des . Blutdruckes, verbunden mit einer Verringerung des Blutge¬ 
wichtes deuten eben schon auf eine gewisse Ueberhandnahme des tuberkulösen 
Prozesses hin, selbst wenn sich dieser durch auskultatorische und perkussorische 
Erscheinungen nur in geringem Maasse kundgeben würde. 

3. Zunahme des gesunkenen Blutdruckes, welche, wenn der Druck bereits auf 
70 mm Hg gesunken ist, sehr selten vorkommt, bedeutet, die Fälle mit Nephritis 
ausgenommen, Verbesserung, konstante viel häufiger beobachtete Abnahme des Blut¬ 
druckes hingegen Verschlimmerung und Fortschreiten des tuberkulösen Prozesses. 

4. Beim Emphysem ist der Blutdruck, das spezifische Gewicht etwas erhöht. 

Das Initialstadium ausgenommen stimme ich daher mit Regnault vollkommen 

überein; nach meiner Ansicht werden die vergleichenden Messungen des Blutdruckes 
bei Phthisikern zwar nicht diagnostisch, eher prognostisch verwerthbar sein, und ich 
halte sie neben den bisher üblichen Untersuchungsmethoden als ein ganz rationelles 
leicht ausführbares Hilfsuntersuchungsmittel zur Beurtheilung des jeweiligen Status 
event. Verschlechterung. Die Abnahme des Blutdruckes ist infolge des gleich zu er¬ 
örternden ätiologischen Momentes stets von ungünstig prognostischer Tragweite. 

Um nun zu den Ursachen der Blutdruckabnahme überzugehen, sind dafür mehrere 
den Blutdruck bestimmende Faktoren verantwortlich zu machen. 

Der Blutdruck hängt nach Landois im allgemeinen ab: 

1. von der Grösse der Herzarbeit ; 

2. vom Zustande der Gefässe; 

3. von der Qualität, Quantität des Blutes. 

Ein wichtiger den Blutdruck bedingender Faktor, der periphere Widerstand 
der Gefässe leidet nach Bouchard, wie dies auch Regnault betont, bei der Tuber¬ 
kulose in erster Reihe Veränderungen; das Toxin der Tuberkelbacillen hat eine auf 


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278 Max John, Feber den arteriellen Blutdruck der Phthisiker. 

thierexperimentellem Wege durch Arloing, ßodes, Courmont u. a. erwiesene 
exquisit vasodilatatorische Wirkung, welche geeignet ist, den Blutdruck bei Thieren 
bereits in Minuten herabzusetzen; beim Menschen scheinen jedoch das oder die Toxine 
erst bei längerem Bestehen, bei grösserer Konzentration eine allgemeine Blutdruck- 
abnahme zu bedingen, deshalb vermissen wir sie im Initialstadium, deshalb bei den 
chronisch verlaufenden Heilungstendenz zeigenden Prozessen, wo eben das Toxin noch 
oder bereits qualitativ oder quantitativ ungenügend ist, um in dieser Richtung erfolg¬ 
reich wirken zu können. 

Indirekt wirkt in zweiter Reihe blutdruckerniedrigend die qualitative und quanti¬ 
tative Veränderung des Blutes, bedingt durch die Eiweissarmuth desselben, durch 
die Abnahme des Hämoglobins und der Zahl der rothen Blutkörperchen, ja selbst der 
absoluten Blutmenge (rotain), Umstände, die sich auch in der Abnahme des Blut¬ 
gewichtes kundgeben; dies verdünnte Blut bietet dem Herzen, dem Motor des Blut¬ 
druckes, selbstverständlich ungünstigere Ernährungsverhältnisse, es wird atrophisch; 
die Atrophie wird nach Potain noch dadurch befördert, dass das Herz resp. die 
Ventrikel, nachdem sie kleinere Blutmengen zu befördern haben, infolge Adaption 
an Kapazität abnehmen und infolgedessen eine Art Inaktivitätsatrophie erleiden; 
wie dem auch sei, die Leistungsfähigkeit des Herzens sinkt allmählig, die geringere 
Blutmenge wird mit geringerer Kraft in das Gefässsystem geworfen. 

Ob Viskositätsveränderungen an der felutdruckabnahme betheiligt sind, will ich 
dahingestellt lassen. 

Die vasodilatatorische Wirkung des Tuberkulins, die Atrophie des Herzens, die 
Abnahme der ßlutmcnge sind die Hauptursachen der besprochenen Blutdruckabnahme, 
ihr Zustandekommen erfordert jedoch ein längeres ungestörtes Einwirken der schädi¬ 
genden Momente, und eben deshalb ist ihr Auftreten von prognostischer Tragweite. 

Ich will schliesslich noch auf eine Fehlerquelle, nicht des Gärtner’schen Tono¬ 
meters, sondern der unrichtigen Anwendung desselben hinweisen, auf welche in der 
Gebrauchsanweisung nicht aufmerksam gemacht wird und dessen Nichtinbetrachtnahme 
zu falschen Resultaten führen kann. Sie ist durch folgendes Verfahren zu umgehen: 
Nachdem man an einem Finger den Druck gemessen hat, lässt man die Hg-Säule 
mit Hilfe des Kompressionsapparates so lange sinken, bis der pneumatische Ring in 
der Weise abziehbar ist, dass sich das obere Niveau der Hg-Säule nicht mehr ver¬ 
schiebt; die Zahl, die man am Manometer nun ablesen kann, war eben dazu noth- 
wendig, um den Ring soweit zu spannen, dass er mit dem Finger überhaupt in Be¬ 
rührung kommt, kann daher nicht ä Conto des Blutdruckes gerechnet werden und 
muss von dem gefundenen Erstwerthe einfach abgezogen werden. Z. B.: Der Druck 
war an einem dünnen Finger gemessen 16 mm Hg, der Ring ist nach angegebener 
Weise bei 6 mm Hg abziehbar, also ist der Druck 16—6—10 mm Hg. Nur auf diese 
Weise wird man an allen zehn P'ingern denselben Druck bekommen. Wenn der 
Ring dem Finger genau anpasst, ist dieses Vorgehen selbstverständlich unnöthig, denn 
der Ring wird bei 0 mm Hg abziehbar sein. 

Ich erfülle noch eine angenehme Pflicht, indem ich Herrn Professor A. Fränkel, 
Direktor der inneren Abtheilung des städtischen Krankenhauses am Urban, für die 
Anregung zu dieser Arbeit sowie für die freundliche Ueberlassung des Kranken¬ 
materials meinen verbindlichsten Dank ausspreche. 


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Richard Heller, Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder. -79 


II. 

Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor- 
Eisenbäder und deren physiologische Wirkung. 

Von 

Dr. Richard Heller 

in Salzburg. 

Wie lange schon die Verwendung des Torfmoores zu Heilzwecken beim Volke 
in Gebrauch war, lässt sich kaum konstatieren. Sicher ist, dass bereits am Beginne 
des vorigen Jahrhunderts die heilkräftige Wirkung der Moorbäder allgemein bekannt 
war und dass im Jahre 1828 auf Anregung des Stadtphysikus Dr. Oberlechner, 
nachdem vorher durch berufene Männer, wie des K. K. Kreisarzt Dr. Susan, K. K. 
Direktor Fischer sowie der Professoren Dr. Knorz, Dr. Holzschuh, Dr. Hornung, 
I)r. Aberle und Dr. Zink, die wichtigsten Beobachtungen über die Wirkung »der 
PHanzenlaugen- und Moorschlammbäder« festgestellt, im ehemaligen Gasthof zu 
Mittermoos eine Badeanstalt errichtet wurde, die im Jahre 1850 nach damaligen 
Anforderungen umgebaut und komfortabel eingerichtet, sich in eine Kuranstalt ver¬ 
wandelte. Der Bau wurde 1855 vollendet und erhielt den Namen »Marienbad« 1 ). 

Dass die neue Anstalt die Erwartungen, die man daran knüpfte nicht getäuscht 
hat, sondern sich in stetem Aufschwünge befand, geht aus einer Publikation des 
Arztes Anton Fiebiger hervor, die er im Jahre 1858, nach 18jähriger Beobachtung, 
in Salzburg erscheinen liess und der die wichtigsten historischen Daten dieser Zeilen 
entnommen sind. 

* Es ist interessant wie scharfsinnig der Autor die Vorzüge des Klimas, sowie 
die Vorbedingungen einer »guten Kur« herausfindet und wie er meines Wissens der 
erste ist, der Salzburg, neben den Vorzügen, welche die Moorbäder bieten, als Kurort 
für Erkrankungen der Respirationsorganc vorschlägt. »Von höchstem Werthe ist aber 
die Beobachtung, dass in diesem schönen Thale die tuberkulösen Lungenleiden nicht 
Vorkommen, und fremde Kranke bei ihrem längeren Aufenthalte Erleichterung und 
Besserung finden, daher man dieses schöne Thal mit seiner Kuranstalt nicht ohne 
Grund das neue Juvavia (Helfenburg) nennt, wo schon tausende von Kranken und 
Leidenden Heil und Rettung fanden.« Ich habe zu einer Zeit, wo mir die Arbeit 
Fiebiger’s noch nicht bekannt war, auf diese günstigen Verhältnisse hingewiesen 
und freute mich, dass meine Ansicht nicht alleinstehend ist*). 

Bei dem grossen Zuspruche, dessen sich die Moorbäder erfreuten, ist es wohl 
nicht zu verwundern, dass neue Badeanstalten entstanden, die bis heute noch bestehen. 


• ) Anton Fiebiger, Die Torfmoorbad- und Molkenkuranstalt Marienbad in Leopoldskron 
bei Salzburg. Salzburg 1858. 

*) Richard Heller, Besprechung des klimatischen Wcrthcs von Salzburg. Wiener medi- 
einische Wochenschrift 1808. No. 44. 


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280 Richard Heller 

So das Moorbad in Schallmoos, Kreuzbrühl, und in den letzten Jahren die Kalt¬ 
wasserheilanstalt, Moorbäder und Inhalatorien im Hotel de l’Europe in Salzburg. 

Je nach der laufenden »Mode des Publikums« war der Zuspruch ein starker 
oder schwacher, immerhin aber bewahrten sich die Moorbäder ein berechtigtes An¬ 
sehen. Es ist ja klar, dass die Wirkung der Moorbäder vielfach überschätzt und 
übertrieben wird, dass ferner gerade der Umstand, dass man fast nichts über die 
physiologischen Erscheinungen, die solche Bäder hervorrufen, wusste; der Grund war, 
dass man ihnen spezielle mystische Heilkräfte zuschrieb, und dass schliesslich alles, 
was Moorbad heisst, sei es Mineralmoor oder Pflanzenmoor in einen therapeutischen 
Topf geworfen wurde. Leider sind die exakten wissenschaftlichen Studien über 
dieses Thema so rare, dass wir gestehen müssen, wir kennen heute wohl die 
Wirkungen, die Moorbäder hervorzubringen im stände sind, aus langen empirischen 
Erfahrungen — wie sie aber zustande kommen, bedarf wohl noch einer ganz be¬ 
deutenden Klärung, die bei der Schwierigkeit der aufzustellenden Experimente und 
besonders bei der eigentlich so differenten Zusammensetzung und Konsistenz der 
Bäder vielleicht noch lange auf sich warten lässt. 

Aus der grossen Zahl der Publikationen, welche die widersprechendsten An¬ 
gaben enthalten und die gerade dazu verfertigt worden zu sein scheinen, um die 
ohnehin dunklen Begriffe noch mehr zu verwirren, leuchten zwei dankenswertbe 
Arbeiten hervor, deren Verfasser Dr. Gustav Loimann 1 ) in seiner kritischen Studie 
»Ueber Moor- und Mineralmoorbäder« es verstanden hat mit wirklich kritischem 
wissenschaftlichem Geist die Spreu vom Weizen zu sondern, und Dr. Stifler’s 
Arbeit »Ueber physiologische differente Bäderwirkung«. 

Jeder der sich mit dem Gegenstand befasst hat, muss diese Arbeit mit Freude 
begrüssen, umsomehr als sie dem leeren Wortschwall auch in Werken, die sich 
wissenschaftlich nennen, zu Leibe geht. 

Es soll nicht meine Aufgabe sein, nochmals und vielleicht kaum so trefflich 
dieses Thema zu behandeln, ich möchte nur präzisieren, was für Moorbäder wir in 
Salzburg haben und was für Heilerfolge nach dem Stande des heutigen Wissens von 
ihnen zu erwarten sind. 

Entstehung des Torfes. 

In den verflossenen Jahrhunderten betrachtete man den Torf als eine mine¬ 
ralische Substanz, die durch Zusatz von Pech und Oelen ihre Brennbarkeit erhäJt. 
Mit dem Aufschwünge der Chemie und Mikroskopie im Beginne des vorigen Jahr¬ 
hunderts gelangte man bald zu der Thatsache, dass Torf ein rein vegetabiles Gebilde 
sei. Wir können den Torf als eine Substanz definieren, die durch Zersetzung von 
Vegetabilien entsteht, wenn dieselben unter ganz bestimmten Verhältnissen statt¬ 
findet. Für die Bildung des Torfes ist in erster Linie ein wasserundurchlässiger Unter¬ 
grund (Lehm), eine Bodentemperatur von 6—8° C, sowie eine stagnierende, nicht zu 
tiefe Wasserschicht nöthig. Was speziell die Bodentemperatur anlangt, so machten 
E. Fugger und Dr. A. Petter-) eine Reihe von interessanten Untersuchungen. Im 
Jahre 1879 hatten sich in Leopoldskronmoos durch das Anzünden einer Pfeife eines 
Torfstechers die Moorgase mit einem explosionsähnlichen Knall entzündet und 


J) G. Loimann, Kritische Studie über Moor- und Mineralmoorbäder, Stifler, Ueber physio¬ 
logische differente Bäderwirkung. 3 Vorträge. Berlin 1805—1900. 

-) E. Fugger, Mittheilungen der Salzburger Landeskunde 1879 und E. Fugger und A. Fetter 
ebenda 1880. 


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Original fro-rn 

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Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 281 

brannten durch drei Stunden mit einer riesigen Flamme. Der Besitzer des Hammer- 
grutes fing das Gas in einem Fasse auf, leitete es in eine Laterne und Hess es noch 
bis 1883 gegen Eintrittsgeld brennen. 

Die Analyse, die Professor Fugger damals anstellte, ergab: 


Wasserdampf. 

. 1,29 

Kohlensäure. 

. 1,85 

Sumpfgas. 

. 46,79 

Schwere Kohlenwasserstoffe . 

. 3,77 

Stickstoff und Sauerstoff . . 

. 45,57 

Wasserstoff. 

. 0,37 


100,00 Raumtheile. 

Es schien nun interessant, Daten über die Temperatur des Torfbodens zu er¬ 
halten, und man bohrte zu diesem Zwecke fünf Löcher in die Tiefe, von denen die 
einzelnen verschieden tief und in verschiedener Richtung zur Horizontalen angelegt 
waren. Die Ergebnisse dieser ein Jahr umfassenden Untersuchungen zeigt folgende 
Tabelle. 


Bohr- 

Tiefe 

Tempo- 

Zahl der 

Maximum Minimum 

Differenz 

loch 

in 

ratur 

Beobach- 

in o C 

in « C 

No. 

Metern 

Mittel 

tungen 


1 

1,50 

8,83 

55 

13,5 

5,3 

8,2 

2 

2,75 

8,78 

55 

10,7 

6,0 

4,1 

3 

1,86 

9,99 

51 | 

13,5 

7,1 

6,4 

4 

2,79 

9,59 

1 51 

12,5 

8,2 

4,3 

5 

1,71 

j 9,09 

i 50 | 

1 1 

11,6 

7,2 

4,4 


Aus diesen Beobachtungen geht mit Bestimmtheit hervor, dass die Temperatur 
im Torfboden in unbedeutenden Tiefen ziemlich viel höher und konstanter ist als 
die Lufttemperatur, die Differenzen von 44,5—25,0° C ergab. 

Das zweite Postulat, undurchlässiger Untergrund und stagnierende, nicht zu 
tiefe Wässer, ist ebenfalls dadurch, dass es sich um ehemaligen Seeboden handelt, 
gegeben. Die sich in diesen Gewässern ansammelnden Kryptogamen, sowie ver¬ 
schiedene Arten von Wasseralgen sinken nach ihrem Absterben zu Boden und bilden 
die erste Lage. Zugleich mit diesen finden sich schon Potamogeton (Laichkraut), 
Seehalde, Alisima (Froschlöffel) und Hottoniaarten (Wasserfeder), die sich bei ihrer 
Zersetzung in eine schleimige Masse verwandeln und so den Boden zur eigentlichen 
Torfbildung abgeben. 

Auf dieser Unterlage siedeln sich nun die eigentlichen Torfbildner, Sphagnum 
und Hypnum (Wassermoosarten) an, die untereinander verwachsen ein Gewebe bilden, 
das sich gleichzeitig in die Höhe entwickelt. 

Auf diesem verfilzten Untergrund wachsen nun weiter verschiedene Arten von 
Rietgräsern und Binsen, welche den Rasen der Torfschicht bilden. Darauf Erika- 
arten. Mit den letzteren zugleich Birken, die mit anderen Gewächsen der Torf¬ 
landschaft das charakteristische Aussehen verleihen. 

Aber die Ansammlung auch ungeheuerer Mengen dieser Pflanzensorten würde 
nicht genügen einen Torfmoor zu schaffen, wenn nicht andere maassgebende Faktoren 
hinzutreten. 


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Original fro-m 

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-82 Richard Heller 

Zu diesen zählen in erster Linie klimatische Verhältnisse. Starke Winde, 
durch welche Gewässer in Wellenbewegung versetzt werden, zu grosse Hitze u. a. 
verhindern die Torfbildung, da zu derselben die Zersetzung der Pflanzenreste mit 
möglichstem Ausschluss von Sauerstoff nöthig ist, wodurch sich der Prozess nur 
sehr langsam vollziehen kann. 

Dass der Torf infolge seines Gehaltes an Humussäure und der darin vorkommenden 
Gerbstoffe die Eigenschaft besitzt, thierische Körper vor Verwesung zu schützen, 
ist allbekannt, und ich möchte nur auf die vielfachen Funde von erhaltenen mensch¬ 
lichen und thierischen Körpern, die Jahrhunderte lang in solchen Mooren lagen 
hinweisen. Wie schon oben angedeutet, unterscheiden sich die einzelnen Schichten 
eines Torflagers wesentlich von einander. Schon der äussere Anblick der Schichten 
ist ein verschiedener, und können wir im grossen ganzen nach dem Grade der Zer¬ 
setzung drei Hauptschichten unterscheiden 1 ). 

1. Amorpher Torf (Speck oder Pech). 

Schichten von dunkelbrauner bis schwarzer Farbe, die meist mit Humuskohle 
stark durchsetzt sind. Getrocknet zerfällt er mit muscheligem Bruch, bei welchem 
die Pflanzentheile, aus denen er gebildet ist, schwer erkennbar sind. 

2. F a s e r t o r f. 

Derselbe bildet ein lockeres holzartiges Gewebe, das die Pflanzentheile, aus 
denen er gebildet ist, leicht erkennen lässt. Diese Torfsorte ist meist hellbraun 
gefärbt und bildet die höheren Schichten. 


3. B a g g e r t o r f. 

Derselbe bildet die tiefste Schichte, ist durch besonderen (Ganz und Schwere 
ausgezeichnet. Wegen seiner schlammigen, oft flüssigen Form wird derselbe meist 
geschöpft. 

Es ist selbstverständlich, dass es zwischen diesen Hauptgruppen eine unzählige 
Menge von Uebergangsformen giebt, die ihrerseits durch Beimengung erdiger Sub¬ 
stanzen noch weiter modifiziert werden können. Diese letzteren entstammen theils 
den Aschenbestandtheilen verkohlter Pflanzen, theils können sie durch Ueber- 
schwemmungen zufällig hineingerathen sein. Wie die Verkohlung geht auch die 
Neubildung der oben erwähnten Pflanzen täglich vor sich, was auch daraus ersicht¬ 
lich, dass bei gegebenen physikalischen Verhältnissen sich Torfmoor stetig erneuert. 
Dieser Torfnachwuchs kann so mächtig sein, dass man pro Jahr an manchen Orten 
bis zu 0,5 m Neutorf nachweisen kann. 

Chemische Zusammensetzung, physikalische Eigenschaften. 

An chemischen Bestandtheilcn, die man gewöhnlich in der Torfasche findet, 
wären zu nennen 2 ): 

M Felix Fahrner, I'eberTorf. Vortrag in der Königl. Landwirtlisehaftl. Akademie Hohen¬ 
heim 1SW. 

'-) D. A. Wiegmann, Umstellung, Bildung und Wesen des Torfes. Braunschweig l.slT- 


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Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. ‘283 

1. Kieselerde, und zwar entweder als mechanisch beigemengter Quartzsand 
oder als Rückstand kieselhaltiger Pflanzen in variierender Menge von 1—30 °/ 0 . 

2. Kalk. In der Asche theils als kohlensaurer (20 —45°/ 0 ) oder schwefelsaurer 
Kalk (0—8°/o) enthalten. 

3. Magnesium 1—15®/ 0 - 

4. Thonerde. Diese scheint kein wesentlicher Bestandteil der Torfasche zu 
sein, sondern wird meist mechanisch aus dem Untergrund dem Torfe beigemengt. 
0,2-5 o/ 0 . 

5. Eisenoxyd, dessen Anwesenheit sich sogleich durch die rothe Farbe des 
Torfes verräth, 30 °/ 0 . 

6. Phosphorsäure 2,5®/ 0 . 

7. Kalium-Natrium 2%. 

An organischen Bestandteilen 


Humussäure 

Wachs 

Harz 

Erdharz 

Humuskohle. 


in wechselnder Menge. 


Das spezifische Gewicht des Fasertorfes beträgt 0,213—0,263, das des amorphen 
0.639—1,039. 

Aus zahlreichen Untersuchungen fand man, dass die im Torf enthaltene reine 
Torfsubstanz aus 60o/„ C, 2% H und 38°/ 0 chemisch gebundenen H 2 0 besteht. I)a 
aber auch vielfach die sogenannten Moorwässer, das sind Quellen, die Torflager 
durebströmen und verschiedene chemische Substanzen enthalten, zu Heilzwecken 
verwendet werden, so lasse ich einige Analysen derselben folgen, deren älteste die 
Dr. Rudolf Spängler’s aus den 50er Jahren des vorigen Jahrhundertes ist. 

Das Moorwasser des Reservoirs der Kuranstalt »Marienbad«, das auch eine 
Quelle aus festem Untergrund aufnimmt, enthält (unter verschiedenen Temperatur- 
und Witterungsverhältnissen geschöpft) im Mittel in 10000 Gewichtstheilen 

im Frühjahr im Herbst 

Ilumussubstanzen (Humussäure) 1,087 2,142 

fixe mineralische Bestandtheile 3,226 4,213 

Das spezifische Gewicht schwankt zwischen 1,00034 und 1,00057 bei vier zu 
verschiedenen Zeiten genommenen Proben. 

Das Moorbadwasser des Marienbades ergab im Mai 1857 in 10 000 Gewichts¬ 
theilen 3,914 Gewichtstheile fixen Rückstand bestehend aus: 

0,288 schwefelsaures Kali, 

0,284 Chlornatrium. 

0,220 kohlensaures Natron, 

2,117 kohlensaure Kalkerde, 

0,623 kohlensaure Bittererde, 

0,280 phosphorsaure Thonerde und Eisenoxyd, 

0,102 Kieselerde 

3,914 


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284 Richard Heller 

Es ist zu bemerken, dass die CO* der Kalkerdc und Bittererde sowie des 
Natrons im Moorwasser selbst theilweise durch Humussäure ersetzt ist. 

Das Wasser entwickelt verschiedene Mengen von C0 2 und hier und da geringe 
Mengen von H 2 S, was ganz natürlich ist, wenn man sich vor Augen hält, dass bei 
mangelndem 0 sich der Wasserstoff der Pflanzen mit einem Theile des Kohlenstoffes 
verbindet, während er bei Ueberfluss von Sauerstoff sich mit diesem vereinigt. 

Diese Art der Zersetzung heisst Fäulniss und hat einige Aehnlichkeit mit den 
Veränderungen, die Holz bei unvollständiger Verbrennung (Verkohlung, trockene 
Destillation) erleidet. 

Die Pflanzenfaser wird verwandelt 

bei Verkohlung in bei Fäulniss in 

a) Leuchtgas, a) Sumpfgas, 

b) Kohlensäure, b) Kohlensäure, 

c) theilweise verkohlte Substanzen c) theilweise verfaulte Substanzen 

(Theer, Kokes etc.). (Schlamm, Torf). 

Weitere Analysen des Torfwassers von Marienbad stammen von D. Spängler 
aus dem Jahre 1857 und des Torfwassers von Thor bei Saalfelden von Professor 
E. Fugger aus dem Jahre 1875, welche ich beide der Vollständigkeit halber 
folgen lasse: 

I II 


Spezifisches Gewicht . . . 

1,00045 

1,000258 

Rückstand in 10000 Theilen 

5,334 

1,38538 

In 100 Theilen Rückstand sind enthalten: 


Kaliumkarbonat .... 

— 

4,27 

Kaliumsulfat. 

. 5,51 

2,35 

Natriumkarbonat .... 

. 4,21 

— 

Natriumchlorid. 

. 5,43 

2,71 

Calciumkarbonat .... 

. 40,51 

12,19 

Magnesiumkarbonat . . . 

. 11,02 

17,49 

Aluminium-Eisenphosphat . 

. 5,36 

— 

Aluminiumoxyd . . 

— 

1,54 

Eisenoxyd . 

— 

30,09 

Kieselerde. 

. 1,95 

4,92 

Organische Substanzen . . 

. 25,10 

24,43 


99,99 

99,99 


Freie Kohlensäure in Marienbad in wechselnder Menge, in Saalfelden sehr 
wenig; beide Wässer entwickeln zeitweise Schwefelwasserstoff. 

Die chemische Analyse der Moorerde, welche ich heuer einsandte, und die im 
Laboratorium des allgemeinen österreichischen Apothekervereins in Wien gemacht 
wurde, lautet: 

Die Moorerde giebt an Wasser nur geringe Stoffmengen ab. Der wässerige 
Auszug reagiert schwach sauer und enthält grössere Spuren von Salzsäure und 
Schwefelsäure, die an Calcium gebunden sind. Alkalien kommen nur in geringen 
Mengen vor. 


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Studio über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 285 

10 g der Moorerde hinterlassen 1,1 g Asche. Die qualitative Analyse des 
Aschenrückstandes nach entsprechendem Aufschluss ergab: Vorhanden: Eisen, 
Aluminium, Kalk, Spuren von Alkalien, Kieselsäure. 

Um mir einigermaassen einen Aufschluss über das Wärmeleitungsvermögen des 
gewöhnlichen Torfes zu erhalten, stellte ich folgenden Versuch an: 250g Moorerde 
wurden mit Wasser zu einem Brei verrührt, ein ebenso grosses Gefäss mit reinem 
Wasser gefüllt und beide auf das Wasserbad gesetzt. 

Versuch I. Temperatur des Wasserbades 77 0 C, Temperatur des Wassers und 
des Moorbreies 7 0 C, spezifisches Gewicht des Moores 1,07006. 


Zeit in Minuten 

Moor 

Wasser 

Zeit in Minuten 

Moor 

Wasser 

0 

7« 

7» 

15 

16» 

63® 

5 

11,5« 

42® 

20 

23,5® 

74» 

10 

12,5» 

53,5« 

23 

31» 

77» 

Versuch II. Temperatur des Wasserbades 94 ®. Temperatur 

des Wassers und 

Moorbreies 7®, spezifisches Gewicht des Moores 1,07006. 



Zeit in Minuten 

Moor 

Wasser 

Zeit in Minuten 

Moor 

VV asser 

0 

7 « 

7» 

30 

73« 

92° 

5 

22® 

70® 

35 

81 « 

92 g 

10 

80® 

85» 

40 

86® 

94° 

15 

45® 

88,5« 

45 

90® 

94 o 

20 

52« 

89,5® 

50 

94» 

94° 

25 

63® 

91« 





Beide Gefässe wurden dann vom Wasserbad weggehoben und bei gewönlicher 
Zimmertemperatur, 15«, auskühlen gelassen. 


Zeit in Minuten 

Moor 

Wasser 

1 Zeit in Minuten 

Moor 

Wassei 

55 

86,5® 

CO 

4^ 

; 100 

49® 

30« 

GO 

80® 

75 0 

105 

46« 

25» 

65 

74« 

69® 

110 

44® 

20® 

70 

69» 

63® 

115 

41o 

15» 

75 

65® 

55 ® 

j 120 

39 » 

15« 

80 

63® 

48» 

! 125 

37« 

15" 

85 

61« 

45» 

1 130 

34» 

15» 

90 

58» 

40® 

135 

30" 

15« 

95 

53« 

34® 

140 

28" 

15« 


Aus diesen Tabellen ist ohne weiteres ersichtlich, dass der Moorbrei die Wärme 
im Vergleich zum Wasser langsam annimmt, sich aber entsprechend langsam abkühlt. 


Moorwasser und Moorbreibäder. 

Moorwasserbäder werden mit 26—28°R, also in der Temperatur der ge¬ 
wöhnlichen warmen Bäder genommen. Die Zeit des Badens schwankt zwischen 
V-r—V« Stunde. Will man die Wirkung erhöhen, so kann ipan eine Prozedur nach 
Art der Halbbäder, also Reiben der Arme und Beine im Wasser verordnen. 


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'28(i Richard Heller 

Moorschlammbäder. Die Moorerde wird mit heissem Wasser oder Moor¬ 
wasser übergossen und gut durchgeknetet, so dass ein Brei von dickflüssiger Kon¬ 
sistenz entsteht. Im allgemeinen werden die Moorschlammbäder wärmer genommen 
(29 — 32° R). Es werden auch höhere Temperaturen leichter vertragen, da das 
Wärmeleitungsvermögen ein geringeres und sie nicht so heiss empfunden werden 
als Mineral- oder einfache Wasserbäder. 

Zur partiellen Applikation verwendet man Hand- oder Fussbäder oder Säcke, 
in welche der heisse Moorbrei gefüllt wird. 

Ebenso wie mit Fango Einpackungen finden solche mit Moorbrei seit langem 
Verwendung. Bei Vollbädern werden kalte Umschläge auf den Kopf gegeben, um 
das unangenehme Kongestionsgefühl hintanzuhalten. 

Indikationen der Moorbäder. 

Dass die Moorbäder auf Hysterie, Neurasthenie sowie auf verschiedene Neuralgieen, 
so besonders auf Ischias einen eminent günstigen Einfluss haben, wird allgemein 
bestätigt, und nach dem Stande unseres heutigen Wissens ist ja dies aucli erklärlich, 
da durch die gleichmässige Wärme ein Gefühl der Nervenberuhigung eintritt, anderer¬ 
seits durch den mächtigen Hautreiz, den die Bäder ausüben, der Stoffwechsel an¬ 
geregt wird. Die Zunahme des Appetites allein bewirkt mitunter in auffallend 
kurzer Zeit eine Besserung des Allgemeinbefindens sowie auch gänzliche Heilung. 
Ebenso ist der Einfluss der Bäder meist ein erstaunenswerth günstiger bei Formen 
von diversen Lähmungen, seien sie nun nach akuten Infektionskrankheiten aufgetreten 
oder durch funktionelle Störungen bedingt. — Ebenfalls verständlich durch den 
mächtigen Hautreiz sowie durch die starke Anregung des Stoffwechsels. Der günstige 
Einfluss auf Exsudate rheumatischen als auch traumatischen Ursprunges, sowie auf 
solche des Zellgewebes und der serösen Säcke ist so allgemein anerkannt, dass im 
Volke Moorbäder und Moorumschläge zu diesem Zwecke auch ohne ärztliche Ver¬ 
ordnung seit jeher gebraucht werden. 

Dies wären im allgemeinen die Indikationen zu Moorbädern, und es wären nur 
kurz noch diejenigen Erkrankungen zu nennen, bei welchen Moorbäder — ich spreche 
immer von den einfachen Torfmoorbädern — theils mit Erfolg, theils ohne, je nach 
der physiologischen Ursache, angewendet werden. 

Hierzu gehören in erster Linie alle dysmenorrhoischen Beschwerden sowie 
Katarrhe des weiblichen Geschlechtstraktus. Dass parametrale Exsudate günstig be¬ 
einflusst werden können, geht bereits aus dem oben Gesagten hervor. 

Da es aber keinem Zweifel unterliegen kann, dass die einfachen Moorbäder 
weit hinter der Wirkung der echten Mineralmoorbäder Zurückbleiben, ein Umstand, 
der durch den fast gänzlichen Mangel der mineralisch wirksamen Bestandtheile er¬ 
klärlich ist, so lag es nahe, den gewönlichen Moor, dort wo er in unerschöpflichen 
Massen zu tage liegt, zu einem Mineralmoor umzuwandeln, wodurch einestheils seine 
therapeutische Wirksamkeit erhöht wird, andererseits es auch minder Bemittelten 
möglich gemacht wird, Moorbäder zu Hause und nicht in den für das" Gros der 
Menschheit zu kostspieligen Kurplätzen zu gebrauchen. 

Meine Anregung veranlasste Herrn Dr. W. Sedlitzky sich mit dem Gegen¬ 
stände zu beschäftigen, und verdanke ich cs den in seiner Fabrik angestellten Ver- 


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Studie über <lie natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 287 

suchen, dass wir heute über einen Moor verfügen, der den natürlichen Mineralmooren 
nur wenig nachsteht. 

Ich gelange somit zur Besprechung der neuen Moorart,, die nach mir als 

Moor • Eisen - Badetabl etten 

bezeichnet wurden. 

Die Bäder nenne ich zum Unterschied von den natürlichen Mineralmoorbädern 

Moor -Eisenbäder. 

Die Herstellung erfolgt in der Weise, dass möglichst homogener Moor durch 
eigene Maschinen mit den wirksamen Bestandtheilen innig gemengt und dann in 
Tabletten gepresst wird. Eine dieser Tabletten wiegt 5 kg, und erfordert ein Voll¬ 
bad zwei Stück. Diese so fertiggestellte Moorart wurde zur Analyse an das chemische 
Laboratorium des allgemeinen österreichischen Apothekervereins in Wien eingesandt. 

Ich habe bei den natürlichen Moorbädern die physiologische Wirkung nicht 
besprochen, da ich die Versuche mit dem neuen Moor anstellen wollte, wozu mir 
Herr Dr. Ludwig, Assistent der Landesgebäranstalt in Salzburg, mit Bewilligung 
seines Chefs Prof. Dr. R. Lumpe, das gynäkologische Krankenmaterial in bereit¬ 
williger Weise zur Verfügung stellte, wofür ich den Herren hier meinen wärmsten 
Dank ausspreche. 

Die Analyse des Moores lautet wie folgt: 


Wassergehalt.(17,30 °/ 0 (.bei 100° bestimmt) 

Aschengehalt.11,19 °/ 0 (Glührückstand) 


Wasserlösliche Bestandtheile bei 100° getrocknet 10,85% 

Der wasserlösliche Extrakt besteht aus: Eisen, Calcium, Magnesium, Aluminium, 
Natrium, Ammon, Schwefelsäure, Salzsäure, Kohlensäure, organische Extraktivstoffe; 
phosphorige und arsenige Säure konnte (auch in Spuren) nicht nachgewiesen werden. 
Die quantitative Bestimmung des wässerigen getrockneten Auszuges ergab: 


Eisenoxydul (Fe 0). . 

18,56 

°/o 

Eisenoxyd (Fe 2 0 3 ) . . 

1,88 

% 

Calciumoxyd (CaO) . 

2,56 

% 

Natriumoxyd (Na 2 0) . 

20,38 

% 

Ammoniak (NH 3 ) . . 

0,22 

% 

Salzsäure (HCl) . . 

21,80 

°/u 

Schwefelsäure (S0 3 ) . 

29,21 

°/o 


Daraus lässt sich berechnen: 


| Kohlensäure | 
j Magnesiumoxyd > Spuren 
Aluminiumoxyd I 
Organische Extraktivstoffe, 
j Ivrystallwasser (bei 100° nicht 
abgebbar). 


39,18% 
4,70% 
34,90 % 
4,33% 
6 , 22 % 
0,85 o/o 


Schwefelsaures Eisenoxydul (FcS0 4 ) . 
Schwefelsaures Eisenoxyd (Fe 2 [SO, | :1 ) 

Chlornatrium (Na CI). 

Schwefelsaures Natrium (Na 2 S0 4 ) . . 

Schwefelsaurcs Calcium (CaS0 4 ) . . 

Schwefelsaures Ammonium ([NH 3 ] 2 S0 4 ) 


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Richard Heller 


288 
ferner: 

Krystallwasser (bei 100« nicht flüchtig) 

Aluminiumsulfat 
Aluminiurakarbonat 
Magnesiumsulfat 
Magnesiumkarbonat 

Vergleichsweise möge die von Prof. Ludwig ausgeführtc Analyse von Mattoni's 
Moorsalz folgen. 

Die Analyse unseres Moores hatte Herr Direktor C. Glücksmann die Güte 
auszuführen. 

Mattoni’s M o o r s a 1 z. 

In lOOGewichtstheilen 


Schwefelsaures Eisenoxydul (FeSO,) . . . 53,G4 

Schwefelsaures Eisenoxyd (Fe 2 S 4 0, 2 ) . . 0,93 

Schwefelsaures Calcium (CaS0 4 ) .... 0,58 

Schwefelsaures Magnesium (Mg SO.,) . . . 0,f>3 

Schwefelsaures Natrium (Na,jS0 4 ). . . . 1,19 

Schwefelsaures Ammonium ([NH 4 ] 2 S0 4 ) . 0,57 

Organische Substanzen (nicht flüchtig) . . 0,65 

Krystallwasser (H 2 0). 40.85 


Schwefelsaures Aluminium (Al 2 S.iO i2 ), 

Schwefelsaures Kalium (K 2 S0 4 ), 

Spuren Phosphorsäureanhydrid (P 2 0.-,), 

Arsenigsäureanhydrid (As 2 O s ), 
flüchtige organische Substanzen, 
unlöslicher Rückstand. 

Aus diesen beiden Analysen ergiebt sich vergleichsweise, dass unser Moor nicht 
allein die physikalischen Eigenschaften des Moorbades (Dickflüssigkeit, schlechtes 
Wärmeleitungsvermögen etc.) besitzt, sondern auch chemisch den natürlichen Mineral¬ 
mooren sehr nahe kommt. 

Nach diesen Resultaten war es mir zunächst darum zu thun, festzustellen, in¬ 
wiefern sich der neue Moor physikalisch vom Wasser unterscheidet, und ferner, was 
für physiologische Veränderungen ein derartiges Moorbad von mittlerer Konsistenz 
in dem menschlichen Organismus hervorbringt. Ich lasse deshalb die Versuche und 
deren Ergebnisse folgen. 

Versuch. 

Zwei Kübel (aus Blech), 30 cm hoch und 24 cm im Durchmesser haltend, der 
eine mit Moorbrei, der andere mit Wasser gefüllt, werden auf 54 "C erwärmt, so 
dass drei geprüfte Thermometer, die an der Oberfläche, in der Mitte und am Boden 
der Gefässe befestigt sind, 54"0 zeigen. Anfänglich von 5 zu 5 Minuten, später in 
Intervallen von 30 Minuten werden die Temperaturen abgelesen. Die Abkühlung 
erfolgte bei einer Zimmertemperatur von 15" R, wie aus nachstehender Tabelle zu 
ersehen ist: 


| in Spuren 



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Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 289 


Moorbreitemperatur 


W asaertemperatur 


Minuten 

Ober¬ 

Mitte 

Boden 

Mittel 

| Ober¬ 

Mitte 

Boden 

Mittel 


fläche 

____ 



fläche 



0 

54 

54 

54 

54 

1 54 

54 

54 

54 

5 

54 

54 

54 

54 

53 

54 

54 

53,6 

10 

54 

55 

53 

54 

; 52 

54 

54 

53,3 

r> 

53,5 

55 

52 

53,5 

52 

53 

53 

52,6 

20 

i 

55 

52 

53 

1 51,5 

53 

53 

52,5 

25 

52 

55 

51 

52,6 

51 

52,5 

52 

51,8 

30 

52 

55 

50 

52,3 

50,5 

52,5 

52 

51,06 

35 

1 51,5 

54,5 

49,5 

51,83 

50 

52 

51 

51 

40 

1 51 

54 

49 

51,3 

49,5 

52 

50,5 

50,6 

45 

— 

— 


— 

49 

51 

50 

50 

50 

5< 1,5 

54 

48 

50,83 

00 

-r 

50 

49 

49,16 

55 

50 

54 

47 

50,3 

| 48 

50 

48,5 

48,83 

60 

50 

54 

46,5 

50,01 

1 47,5 

49,5 

ad 

48,83 

(»5 

- 


— 

— 

, 47,5 

49 

48 

48,13 

70 

49 

54 

46 

49,6 

i 47 

49 

48 

48 

75 

49 

54 

45 

49,3 

| 47 

48,5 

47,5 

47,6 

80 

48 

54 

44 

48,6 

46,5 

48 

47 

47,16 

85 

47 

53 

43,5 

47,83 

1 46 

47.5 

47 

46,86 

00 

47 

53 

43 

47,6 

45,5 

47,5 

46,5 

46,5 

95 

47 

53 

43 

47,6 

45 

47 

46 

46 

100 

46 

53 

43 

. 47,3 1 

45 

i 46,5 

45,5 

45,6 

105 1 

45.5 

53 

42 

46,83 

1 44,5 

46 

45 

45,1 

110 

45 

53 

42 

46,6 

44 

46 

45 

45 

115 

i 4:> 

52 

41,5 

46,16 

44 

45,5 

44,5 

44,6 

120 

44,5 

52 

41 

45,83 | 

43/, 

45 

44 

44,16 

150 

43 

51 

39 

44,6 ' 

I 42 

1 43 

42,5 

42,3 

180 

41 

49 

38 

i 42,0 

39 

41 

40 

40 

210 

40 

48 

; 36 

41,3 

38 

40 

38,5 

38,83 

210 

38 1 

47 

35 

40 

36 

38 

37 

37 

270 

36 

45 

34 

38,3 

35 

37 

36 

36 

:UK) 

36 

44 

33 

37,6 

33,5 

35,5 

34 

34,16 

330 : 

35 

43 

32 

36,3 

32,5 

34,5 

33 

33 

360 

, 33,5 

42 

1 31 | 

33/» 

31,5 

1 M 1 

32 

32,5 

390 

33 

40 

30 

34,3 

30 

32 ! 

31 

31 

420 

32 

39 

29 

33,3 

29 i 

31 

30 

30,3 

450 i 

3i 

38 

29 

32,0 

28 1 

2.0 

29 

29 

480 

30 

37 

28 

31,0 j 

27 

- 8 , 

28 

27,6 

510 

, 29 

36 

28 

31 

27 

28 

28 

27,6 

540 

! 28 

35 

28 

:!0,3 

26,5 

28 

27 

27,16 

570 

28 ! 

34 

27 

20,6 

26 i 

27 

27 

26,6 

600 j 27 

33,5 

27 

20,10 

25 j 

27 

26 

26 


Die Beobachtungen wurden durch 10 Stunden angestellt; es ergab sich dabei, 
dass in der Mitte des Gefiisses mit Moorbrei das Thermometer 33,5 0 zeigte, während 
das im Wasser auf 27° gesunken war, daraus resultiert eine Differenz von 6,5° zu 
Gunsten des Moores. Da die Abkühlung am Boden und der Oberfläche sich in ver¬ 
schiedener Weise vollzog, so berechnete ich aus den drei Abmessungen das Mittel, 
bei welcher Berechnung ebenfalls 3,16° zu Gunsten des Moorbreis resultieren. 

Zeitschr. f. diät. u. physik. TherapU» Bd. V. Heft 4. 


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'290 Richard Heller 


Bemerkenswertli ist ferner, dass das Moor innerhalb der gewöhnlichen Badezeit, 
also bis 45 Minuten, in der Mitte noch keine Temperaturabnahme zeigt, während 
die Wassertemperatur bereits um 2° R gesunken ist. 

Anwendungsart. 

a) Zu Vollbädern. Die vorgeschriebene Menge der Moor-Eisenbadtabletten 
(gewöhnlich 1—3 Stück) werden am Boden der Wanne gelegt und zuerst mit wenig 
heissem Wasser übergossen. Dadurch werden dieselben erweicht und zerfallen leicht. 
Ist dies eingetreten, so wird das Moor mit den Händen gut durchgeknetet, hierauf lässt 
man heisses und kaltes Wasser zufliessen und rührt beständig mit einem hölzernen 
Spatel um, wodurch ein dünner Brei entsteht, dies wird solange fortgesetzt bis die 
gewünschte Temperatur und Wassermenge erreicht ist. 

b) Zu Theilbädern nimmt man gewöhnlich ’/a Tablette und verfährt auf 
dieselbe Art. 

c) Zu Umschlägen wird in einem kleinen Gefäss die nöthige Menge der 
Tabletten mit heissem Wasser zu einem Brei angerührt, derselbe dann in ein grob¬ 
maschiges Gewebe (Organtin oder Tüll etc.) eingeschlagen und auf die betreffende 
Körperstelle aufgelegt, darüber lege man Kautschukpapier oder Billrothbattist. 

Dicker Moorbrei kann nach Art der Fangopackungen angewendet werden. Diese 
Moorbadetabletten sind nur in Badewannen mit einer Ablaufsöffnung von mindestens 
10 cm Durchmesser anzuwenden, da sich engere Ablaufsöffnungen leicht verstopfen. 
Ist eine solche Wanne nicht vorhanden, so muss das Badewasser ausgeschöpft oder 
die Wanne mit einem eigens hierzu passenden Stoffe ausgelegt werden, so dass das 
Moor in demselben zurückbleibt und nach dem Bade mit dem Badetuch heraus¬ 
gehoben werden kann, während das Wasser abläuft. Natürlich muss bei dieser Art 
sehr darauf gesehen werden, dass das Moor nicht zwischen Badetuch und Wanne 
kommt, da sonst die Prozedur umsonst ist. 

Physiologische Wirkungen. 

Kurze Zeit nachdem der Patient in das Bad gestiegen, zeigt sich eine intensive 
Röthung der Haut, die um so auffallender ist, als sie mit der Wasserlinie abschliesst. 
Lässt man den Patienten sich etwas erheben, so sieht man scharf abgrenzend die 
Höhe des Wasser- resp. Moorbadstandes. Bei einer Patientin war die Röthung so 
intensiv, dass sie geradezu einen auffallenden Anblick darbot, wenn sie sich erhob. 
Bis zur Hälfte der Brust intensiv roth, die obere Partie weiss. 

Die Haut fühlt sich turgescent und glatt an. Bei längerem Verweilen im 
Moorbad fühlen sich die Hände wie fettig an. Alle Patienten äussern, dass das 
Gefühl im Bade ein sehr angenehmes ist, was ich aus eigener Erfahrung nur be¬ 
stätigen kann. 

Temperaturen von 32—34 0 R werden ohne unangenehmes Gefühl der Hitze ver¬ 
tragen. Eine Patientin nahm — in der Absicht das Bad recht wirksam zu gestalten — 
ein Bad von 36° R!, also eine Temperatur, die in gewöhnlichem Wasser unmöglich 
ertragen werden kann. Ich habe alle Bäder von 29 0 aufwärts gegeben und nie eine 
Klage über die Temperatur gehört. Giebt man das Bad mit 26—28°, so wird es 
viel kühler empfunden als ein entsprechendes Wasser- oder Mineralbad. 

Nach einigem Verweilen im Bade tritt meist ein leichter Schweissausbruch an 


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Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 291 

der Stirn und im Gesicht auf, ohne dass eine irgendwie beunruhigende kongestive 
Röthung des Kopfes zu beobachten wäre. 

Nach dem Bade stellt sich ein Gefühl angenehmer Ermüdung ein, und die meisten 
Patienten schwitzen in ruhiger Bettlage leicht nach. 

Die Haut bleibt noch geraume Zeit (20—35 Minuten) nachher turgescent und 
fühlt sich warm an. 

Der Puls. 

Um die Veränderungen, die am Pulse und der Herzthätigkeit wahrzunehmen 
sind, zu studieren, wurden Pulszählungen vor, im und einige Zeit nach dem Bade 
gemacht und ausserdem die Pulskurven mit einem Sphygmographen von Richard¬ 
sohn abgenommen 1 ). 

Die Zählungen ergaben: 


Vor dem 

Bade 

| Im Bade 

1 

20 Minuten 
nach dem 
Bade 

Bade¬ 
temperatur 
in o R 

05 

83 

83 

32 

83 

90 

a~» 

29 

80 

92 

80 

30 

83 

100 

82 

32 

83 

90 

75 

31 

83 

L iio 

84 

34 

80 

I 107 

81 

32 

70 

107 

80 

33 

83 

IOC 

80 

32 

72 

ISO 1 

90 

3G 

80 

lir* ; 

88 

33 

77 

97 

80 

30 

70 

SO 

GG 

30 

80 

90 1 

80 

30 


Aus dieser Tabelle zeigt sich, dass die Pulsfrequenz im Bade ganz er¬ 
heblich zunimmt. Diese Zunahme beträgt im Mittel 21 Schläge und überdauert 
das Bad nur verhältnissmässig kurze Zeit, nach 20 Minuten ist die Frequenz 
meist zur Norm herabgesunken, wenn auch der Puls in seinen übrigen Quali¬ 
täten noch ganz bedeutende Veränderungen aufweist. 

Ich habe oftmals die Patienten befragt, ob sie im Bade eine Veränderung ihrer 
Herzthätigkeit fühlen, ob sie etwa das Gefühl von Herzklopfen oder Pulsieren wahr¬ 
nehmen würden, habe aber immer eine verneinende Antwort erhalten. Um keine 
falschen Daten zu erhalten, die vielleicht dadurch entstehen könnten, dass die 
Patienten beim ersten Bad, durch das Ungewohnte des Aussehens desselben, also 
durch psychische Emotion bedingt, eine Frequenzänderung des Pulses zeigen könnten, 
nahm ich die Zählungen erst nach dem ersten oder zweiten Bade ab. 

Aus der Tabelle ist aber weiter noch ersichtlich, dass die Frequenzänderung 


>) Alle diese Untersuchungen setzen ein vollkommenes Beherrschen der Untersuchungstechnik 
voraus, einer Technik, mit der ich seit meiner und meiner Kollegen Dr. Mager und Dr. 11 
v. Schrötter’s Arbeit über Luftdruckerkrankungen (2 Bände. A. Hohler in Wien 1900) durch 
Jahre vertraut bin. 


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292 Richard Heller 


eine um so bedeutendere, je höher die Temperatur des Bades, also je kräftiger der 
Hautreiz, der dadurch gesetzt wird, ist. 

Die Pulsfrequenz nimmt somit im Moorbad immer zu und ist diese 
Zunahme bedeutender, wenn höhere Badetemperaturen angewendet 
werden. 

Nach dem Bade fällt sie unabhängig von der Zunahme im Bade 
innerhalb 20 — 35 Minuten zur Norm zurück. 


Pulsbild. 

Wie schon oben erwähnt, sind die Veränderungen, die das Pulsbild erleidet, 
ganz in die Augen springende. Die folgenden Kurven wurden gleichzeitig mit den 
Pulszählungen geschrieben, einige Male nahm ich auch nach 15 Minuten Badezeit 
Kurven ab, um zu sehen, wie sich die charakteristischen Veränderungen entwickeln. 
Bad 34°. 

Fig. 40. 



Betrachtet man die Kurven, so ist wohl die auffälligste Veränderung die, dass 
die Amplitude der Pulswelle in jedem Falle im Bade bedeutend zunimmt. Diese 
Zunahme der Wellenhöhe kann sich noch nach dem Bade steigern, so dass ich 
in mehreren Fällen die grössten Amplituden erst einige Zeit nach dem Bade 


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Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. *203 

fand, zu einer Zeit, wo bereits die Frequenz zur normalen Pulsschlagzahl zurück¬ 
gekehrt war. Bei der Patientin A betrug die normale Höhe der Pulswelle 1 bis 
1,5 Theilstriche. Nach 10 Minuten Badezeit steigt sie bereits auf 2 — 2,5; nach 
15 Minuten auf 5 und darüber; 20 Minuten nach dem Bade ist noch eine Wellenhöhe 
von 3—4 Theilstrichen vorhanden. 


Fig. 44. 


Vor dem Bade. Pat. B. 



Im Bade. Pat. B. 



Nach dem Bade. Pat. B. 


Viel auffallender sind diese Verhältnisse bei Patientin B, die bedeutend jünger 
und bereits normaler Weise eine höhere Amplitude zeigte. 

Sie betrug normal 3—4 Theilstriche und stieg nach 20 Minuten Badezeit (Moor¬ 
temperatur 36° R) auf 11! und darüber. Da diese Patientin einen ganz besonders 
gleichmässigen kräftigen Puls (83 Schläge) zeigte und auch das Pulsbild im normalen 
Zustand fast das gleiche war, so nahm ich täglich Kurven auf, die ich zur näheren 
Beleuchtung des Gesagten mit Angabe der Badetemperaturen folgen lasse. Ebenfalls 
auffallend sind die starken respiratorischen Schwankungen, welche in den meisten 
im Bade aufgenommenen Pulsbildern zum Ausdruck kommen. In der Kurve 54 
z. B. wurden 25 Respirationen gezählt und fallen durchschnittlich 4 Pulse auf eine 
respiratorische Schwankung, was auch in dem Pulsbilde deutlich ersichtlich ist, die 
Pulszählung ergab 100 Schläge pro Minute. 



Vor dem Bade. Pat. B. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 

























































296 Richard Heller 


Wir haben gehört, dass die Frequenz schon kurze Zeit nach dem Bade zur 
Norm zurückkehrt und würde zu erwarten sein, dass auch das Pulsbild seine normale 
Gestalt wieder annimmt. Dies ist meist nicht der Fall, sondern die Amplitude bleibt 
noch längere Zeit hoch, wenn auch die Frequenz bereits herabgesunken, ja es kann 
sogar Vorkommen, dass sie noch höher als im Bade selbst (Fig. 51). 

Die dikrote Welle im absteigenden Schenkel tritt bereits im Bade deutlicher 
hervor, eine Erscheinung, die sich nach dem Bade noch steigert, und scheint dieselbe 
in den meisten Fällen der prädikroten näher gerückt. 

Eine wesentliche Aenderung der Ascensionslinie kann man nicht bemerken. 
Bei genauer Betrachtung scheint sie vielleicht sowohl im als nach dem Bade etwas 
steiler als normal. 

Man kann also sagen, dass die Herzkontraktionen bei normaler 
Kontraktionszahl nach dem Bade bedeutend kräftiger sind als ge¬ 
wöhnlich. 

Im Bade tritt zu dieser Erscheinung noch eine grössere Frequenz hinzu. 

Dieser Zustand hält 45—50 Minuten nach dem Bade an. 

Wie ferner aus dem Pulsbilde ersichtlich, zeigt der Puls trotz seiner bedeutenden 
Raschheit und Höhe der Pulswellen ein Zeichen eines gespannnten Pulses. Er fühlt 
sich voll und kräftig an. 

Blutkörperchenzählungen nnd Bestimmungen des Uämoglobingehaltes. 

Da es bei einem so mächtigen Hautreiz nicht ausgeschlossen war, dass auch 
das Blut in seiner Vertheilung sowie in seiner Zusammensetzung in den peripheren 
Gefässen eine Veränderung erleide, so machte ich sowohl Blutzählungen als Hämo¬ 
globinbestimmungen vor und nach dem Bade. 

Die Zählungen wurden so vorgenommen, dass ein Stich in die Fingerbeere ge¬ 
macht wurde und der von selbst austretende Tropfen für die Untersuchung verwendet 
wurde. Zur Zählung bediente ich mich einer Zählkammer und eines Melangeurs 
nach Thoma, von Zeiss. 

Die Hämoglobinbestimmungen wurden mit dem Fleischel’schen Apparat von 
Reichert gemacht. Sie ergaben: 


Zählungen von verschiedenen Patienten. 


Zahl der rothen Blutkörperchen 1 

Hämoglobingehalt 

! Bade- 
i temperatur 

vor 

nach 

1 vor | 

nach 

1 in o H 

3500 000 

4 045 000 

92 

100 

32 

3 425 000 

3 695 000 

92 

' 100 

30 

4 350 000 

4 985 000 

94 

105 

34 

3 800 000 

4 200 000 

i 100 

112 

32 

3 390 000 

4165 000 

95 

110 

' 33 

3 650 000 

4 025 000 i 

92 

100 

33 

3 620 000 

4 005 000 

1 100 

110 

36 

3 675 000 

4 265 000 

100 

110 

34 

4 030 000 

4 825 000 

95 

105 

34 

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Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 21*7 


Patientin B. 


II 

Zahl der rothen Blut¬ 

1 __ . 

.. . . 1 

Badc- 

Tag 

körperchen 

1 Hamoglobingekalt [ 

" i 

^ temperatur 


vor 

| nach 

vor 

! nach 1 

in " R. 

1 } 

3 405 ooo 

3 095 OOO 

92 

1 100 

' 30 

• > 

3500 ooo 

| 4 045 OOO 

1 02 

1 100 

'! 32 

3 'i 

3650 000 

4025000 

l 02 

HX) 

i 33 

4 

4 350 OOO 

4 985 OOO 

04 

105 

34 

5 

3 020 OOO 

4 005<M)O 

100 

110 

! 30 


Es ergab sich hierbei die interessante Thatsache, dass sowohl der Ilämoglobin- 
^elialt ein höherer, als auch die Zahl der Blutkörperchen eine vermehrte ist. Diese 
Thatsache ähnelt den Resultaten der Untersuchungen von Kronecker und Marti, 
die in ihrer Arbeit 1 ) über die Wirkung des Hautreizes und der Belichtung auf die 
Bildung der rothen Blutkörperchen fanden, dass schwache Hautreize die Bildung der 
rothen Blutkörperchen beeinflusse, ebensowie intensive dauernde Bestrahlung. 

Ob thatsächlich eine Vermehrung der rothen Blutkörperchen stattfindet, oder 
oh nur eine Aenderung der Blutmischung in den peripheren Gefässen, die ihrerseits 
durch den Reiz, den die Bäder setzen, bewirkt wird, möchte ich nicht entscheiden. 
Es scheint jedoch, dass eher eine Aenderung der Blutmischung anzunehmen ist, da 
ich immer am folgenden Tage die Zahl der rothen vermindert fand, gegenüber den 
Zählungen nach dem Bade. 

Die Zunahme des Hämoglobingehaltcs ist beiläufig im Vcrhültniss zur grösseren 
Menge der rothen Blutkörperchen, und ich liess sowohl Hämoglobinbestimmungen 
sowie Zählungen von anderen für Kontrolle vornehmen, um Irrthümern möglichst zu 
begegnen. 

Man kann also folgendes sagen: 

Die Zahl der rothen Blutkörperchen ist in den peripheren Gefässen 
nach dem Bade eine vermehrte und scheint diese Vermehrung um so bedeutender, 
je höher die Badetemperatur. Ebenso ist der Hämoglobingehalt der Zunahme 
der rothen entsprechend ein grösserer. 

Diese Vermehrung der rothen Blutkörperchen und Zunahme des 
Hämoglobingehaltes ist keine dauernde, sondern sinkt in 24 Stunden wieder 
zum Normalen herab. 

Bei fortgesetzten Bädern, wie die Zählungen bei der Patientin B zeigen, scheint 
eine absolute Zunahme beider Faktoren vorhanden zu sein. 

Gleichzeitig mit den Zählungen machte ich Blutpräparate, um etwaige Aende- 
rungen beobachten zu können. Es wurden wieder Präparate vor dem Bade und 
20 Minuten darnach angefertigt, die Färbung mit Eosinhämatoxilin und Triacid ab¬ 
wechselnd gemacht. 

Ich habe trotz sehr genauer und wiederholter Durchsicht keine Veränderung 

') H. Kroncckcr und A. Marti, Wie wirken die chemischen Hautreize und Belichtung auf 
die Bildung der rothen Blutkörperchen. Wiesbaden 1807. 


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298 Richard Heller 

in dem Verhältniss der Zahl der rothen zu den weissen oder in Form und Kern¬ 
gestaltung finden können. 

Jedenfalls ist eine Hyperleukocytose nicht zu beobachten. 

Ich betone dies, da nach den Untersuchungen einiger Autoren bei Kaltwasser¬ 
prozeduren oder besser gesagt nach denselben, eine Hyperleukocytose Vorkommen 
soll, die bei den Moorbädern nicht zu finden war. 

Respiration. 

Die Respiration im Bade ist durchwegs beschleunigt, und ich fand bei meinen 
Zählungen, dass ebenso wie die Aenderung des Pulsbildes das Bad lang überdauert, 
auch die Respiration noch bis zu 30—40 Minuten nach dem Bade beschleunigt ist. 
Irgendwelche besondere Charakteristica konnte ich nicht feststellen, da die Athmung 
trotz der Beschleunigung nicht den Typus geändert hat. 

Die folgenden Zahlen werden die Verhältnisse deutlicher beleuchten. 


Respirationszahl. 


Vor dem 

Bade 

20 Min. 

im Bado 

20 Min. 
nach dem 
Bade 

Badetem¬ 
peratur 
in o R 

Vor dem 

Bade 

20 Min. 

im Bade 

20 Min. 
nach dem 
Bade 

Badetem¬ 
peratur 
in o R 

18 

25 

22 

30 

19 

22 

20 

31 

16 

19 

20 

32 

17 

25 

17 

36 

16 

19 

20 

31 

19 

22 

22 

33 

n> 

20 

22 

30 

19 

20 

24 | 

30 

18 

25 

22 

34 

20 

20 

20 1 

30 

19 

25 

22 

32 

19 

22 

20 ! 

30 

19 

1 21 | 

22 

32 

22 

23 

24 

33 

19 

20 

! 20 

32 

20 

20 

22 

33 

16 

! 20 

19 

33 

20 

22 

20 

33 


Die Respirationszahl nimmt im Bade zu; diese Zunahme überdauert 
das Bad eine geraume Zeit. In vielen Fällen konnte nach dem Bade eine 
weitere Zunahme der Respirationszahl konstatiert werden. 

Die Zunahme der Athmungsfrequenz ist im Verhältniss zur Zunahme 
der Pulsfrequenz von der Temperatur des Bades abhängig. Höhere 
Temperaturen erzeugen bedeutendere Zunahmen. 

Körper tempera tu r. 

Die Messungen der Körpertemperatur wurden mit einem Maximalthermometer 
und zwar in der Mundhöhle unter der Zunge vorgenommen, da sie sonst im Bade 
nicht einwandsfrei ausführbar gewesen wären. 

Wie bei allen Untersuchungen stellte ich Messungen vor, im und 20 Minuten 
nach dem Bade an. Sie ergaben: 


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Studie über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 200 


Vor dem 

Bado 0 C 

Im Bade 

! o C 

20 Minuten 
nach dem 
Bade o C 

Bade¬ 
temperatur 
in o R 

36 4 

34,2 

36,8 

30 

36,5 

38,2 

36,8 

31 

36,6 

39,1 

37,2 

34 

36,5 

39,0 

37,0 

33 

36,7 

38,8 

37,0 

31 

36,5 

38,8 

37,1 

33 

36,7 

39,2 

37,1 

36 

36,1 

37,0 

36,8 

30 

36,0 

37,0 

36,5 

30 

36,4 

37,8 

37,2 

30 

36,8 

38,3 

37,2 

33 

36,0 

38,5 

37,0 

33 

36,5 

37,9 

36,8 

33 


Aus diesen Messungen zeigt sich die höchst bemerkenswerthe Thatsache, dass 
die Körpertemperatur im Bade bedeutend gesteigert wird, eine 
Steigerung, die nur eine vorübergehende ist und die von den Patienten nicht un¬ 
angenehm empfunden wird. 

Halten wir die Pulsfrequenz, die Respirationszahl und die Höhe der Körper¬ 
temperatur zusammen, so müssen wir sagen, dass sich die Patienten vorübergehend 
während des Bades in einem fieberähnlichen Zustand befinden, der aber das Bad 
ad maximum 45 Minuten überdauert. Die Körpertemperatur nimmt im Bade absolut 
zu und zwar ebenfalls im Yerhältniss zur Badetemperatur. — Wer je derartige 
Untersuchungen gemacht hat, der weiss, wie schwierig es oft wird, alle diese Faktoren 
gleichzeitig zu berücksichtigen, und es lag aus äusseren Gründen nicht in meiner 
Möglichkeit Stoffwechseluntersuchungen anzustellen, ich musste mich auf die Messung 
der Harnquantitäten allein beschränken, die mir nur einen beiläufigen Anhaltspunkt 
geben sollten, wie sich die Diurese verhält. 

Ich maass bei einer Patientin die Harnquantität zwei Tage vor Beginn 
der Bäder, dann erst liess ich mit den Bädern anfangen und nahm 24 stündige 
Messungen vor. 

Urinmenge in 24 Stunden. 


1. Tag 

Kein Bad 

1600 

4. Tag 

2. Bad 

1800 

2. » 

» » 

1700 

5. » 

3. » 

1900 

3. » 

1 . * 

1000 

0 . » 

4. » 

1900 


Zusammenfassung der Veränderungen. 

1. Die Pulsfrequenz nimmt im Bade zu; diese Zunahme ist ab¬ 
hängig von der Höhe der Badetemperatur. Nach dem Bade fä 1.1t sie 
unabhängig von der erreichten Höhe innerhalb 20 — 35 Minuten zur 
normalen Zahl. 

2. Die Herzkontraktionen sind im Bade bei erhöhter Frequenz 
bedeutend kräftiger, diese erhöhte Herzthätigkeit kommt durch die 
vergrösserte Amplitude des Pulsbildes zum Ausdruck und bleibt 
auch dann noch bestehen, wenn die Frequenz bereits herab¬ 
gesunken ist. 


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300 Richard Heller 

3. Die Zahl der rothen Blutkörperchen sowie der Hämoglobin- 
Rehalt ist in den peripheren Gcfässen nach dem Bade vermehrt. Beide 
Erscheinungen sind keine dauernden, sondern scheinen innerhalb 
24 Stunden sich zurückzubilden. 

4. Bei fortgesetzten Bädern scheint eine absolute Zunahme 
beider Faktoren einzutreten. 

5. In den gefärbten Blutpräparaten konnte keine Hyperleuko- 
cytose nachgewiesen werden. 

6. Die Respirationszahl nimmt im Bade zu und überdauert das 
Bad eine geraume Zeit. Sie kann ihr Maximum erst nach dem Bade 
erreichen und ist im Verhältniss der Pulsfrequenz von der Höhe der 
Badetemperatur abhängig. 

7. Die Körpertemperatur ist im Bade eine bedeutend gesteigerte, 
sinkt aber nach dem Bade in kurzer Zeit; sie ist ebenfalls von der 
Höhe der Badetemperatur abhängig. 

8. Die täglichen Harnmengen erleiden während der Bäder an¬ 
scheinend eine Vermehrung. 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass durch diese Bäder eine eminente 
Anregung und Hebung des Stoffwechsels erzielt wird, und es werden uns viele 
Wirkungen der Bäder verständlich, wenn wir uns vor Augen halten, was bei so 
einem Bade im Organismus vorgeht. Dass durch die Steigerung der Herzthätigkeit, 
der Athmung etc. der Stoffwechsel mächtig angeregt und in gewisser Beziehung 
modifiziert wird, zeigen ja auch die übrigen vitalen Funktionen. Der Appetit wird 
besser, der Schlaf tiefer und ruhiger etc. Es erklären auch diese Vorgänge gewisse 
therapeutische Erfolge, die wir bei den Bädern sehen und auf die ich noch zurück¬ 
kommen werde. 

Dass beispielsweise Exsudate viel rascher durch diese mächtige Anregung des 
Stoffwechsels zum Schwinden gebracht werden, ist einleuchtend, ebenso wie nervöse 
Zustände mit der Hebung der Ernährung und der Herzthätigkeit besser werden und 
der moralische Effekt mitunter ein ganz ausgezeichneter ist. 

Merkwürdig ist die Thatsache, dass rheumatische, sowie Schmerzen, die durch 
arthritische Prozesse bedingt sind, im Bade schwinden und Schmerzen, die durch 
parametrale Exsudate bedingt sind, nach wenigen Bädern sich bessern oder völlig 
aussetzen. 

Ich habe die Bäder bei ganz differenten Erkrankungen versucht und möchte 
nur kurz noch die Indikationen sowie die Art, wie ich die Bäder bei den einzelnen 
Gruppen der Erkrankungen angewendet habe, streifen. 

* Indikationen. 

1. Bei Erkrankungen des Nervensystems, also Neurasthenie, Hysterie 
sowie bei Erkrankungen des Rückenmarks wende ich protahierte Bäder (bis 
zu 1 Stunde) von Temperaturen von 27—2!)°R an. Nach dem Bade lasse ich eine 
Abspülung mit 25° Wasser folgen. Zu kalte Uebergicssungen oder Douchen ver¬ 
ursachen meist einen nervösen Alterationszustand. Nach dem Bade lasse ich die 
Patienten mindestens 30 Minuten ruhen, wobei sich meist ein ruhiger erquickender 
Schlaf und leichte Transpiration einstellt. 


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Studio über die natürlichen Salzburger Moorbäder sowie über Moor-Eisenbäder. 301 

Sehr häufig kann man nach verhältnissmässig kurzer Zeit eine Besserung des 
Allgemeinzustandes und auch meist eine Besserung der subjektiven Beschwerden 
beobachten. 

2. Bei Neuralgieen, Lähmungen nach Infektionskrankheiten lasse ich die 
Bäder wärmer (30—32 °R) und kürzer (20—30 Minuten) nehmen und danach eine 
kurze 15-20° Ueberspülung folgen. Ich habe oft beobachtet, dass ischiatische 
Schmerzen sich schon nach dem zweiten Bade bedeutend besserten und nach 10 bis 
12 Bädern schwanden. 

Auch hier lasse ich die Patienten nach dem Bade ruhen, und es versicherten 
mir die meisten, dass diese völlig schmerzfreie Zeit geradezu »himmlisch« sei. Wie 
bei der Hydrotherapie im allgemeinen, werden sich auch hier nur gewisse thera¬ 
peutische Anhaltspunkte geben lassen, und jeder, der sich mit Hydrotherapie be¬ 
schäftigt hat, wird mir zugestehen müssen, dass die Beurtheilung jedes einzelnen 
Falles eine ganz spezielle sein muss, und dass man bei verschiedenen Individuen, 
je nach der körperlichen Beschaffenheit ganz verschiedene Wirkungen mit ein und 
derselben Prozedur erzielen kann. Es wird dem Arzte Vorbehalten sein den Grad, 
die Dauer und die Art der Anwendung vorzuschreiben, und ich bin fest überzeugt, 
dass unzweckmässige Bäder einen direkten Schaden stiften können. Man wird sich 
genau vor Augen halten müssen, wie die Herzbeschaffenheit, wie die Respirations¬ 
organe im gegebenen Falle sind und ob es angezeigt, den Zirkulations- und Respirations¬ 
organen solche mächtige Alterationen zumuthen zu dürfen. 

Bei gesundem Herzen und Lunge wird man wohl kaum üble Zufälle erleben, 
wenn auch der eine oder andere Patient die Bäder nicht verträgt. 

3. Bei chronischen Entzündungsprozessen und Exsudaten wende ich 
Bäder von 30—34"R an und lasse je nach der Art entweder die Patienten darnach 
ruhen oder Bewegung machen. So hoch temperierte Bäder wird man höchstens bis 
zu 20 Minuten geben und die Abspülurig nur wenige Grade niedriger. Bei Para- 
und Perimetritiden sowie typhlitischen und perityphlitischen Prozessen wird Ruhe 
nach dem Bade geboten sein, während ich bei arthritischen und rheumatischen 
Exsudaten Bewegung machen lasse. Ich habe immer gefunden, dass die Beweg¬ 
lichkeit affizierter Gelenke günstig beeinflusst wird, ebenso wie die Schmerzhaftig¬ 
keit bald nachlässt. Objektiv ist meist auch ein Rückgang der Exsudate nachzu¬ 
weisen. 

In diese Klasse der Erkrankungen würden also alle Formen des chronischen 
(nicht akuten!) Rheumatismus, alle traumatischen Exsudate und jene der serösen 
Säcke sowie solche, die nach Venen- oder Lymphgefässentzündungen gesetzt werden, 
zu rechnen sein. 

4. Sexualerkrankungen der Frauen. Dysmenorrhoische Beschwerden, 
die durch Anämie oder Chlorose bedingt sind, chronische Metritiden, Endometritiden, 
ebenso wie chronisch entzündliche Prozesse der Ovarien und Tuben wären für diese 
Art der Behandlung geeignet und bessern sich sichtlich. Es mag ja wiederum in 
vielen Fällen die Besserung des Allgemeinbefindens sein, die so günstig einwirkt, 
sicher aber ist diese Wirkung vorhanden. Nach der Neuheit des Verfahrens muss 
ich es einer späteren Zeit überlassen, noch ausführlich über die Wirkung bei den 
einzelnen Krankheitsgruppen zu referieren und kann mich nur auf das beschränken, 
was ich oben angeführt. Inwiefern die Bäder bei konstitutionellen Erkrankungen 
oder als unterstützende Nachkuren nach Malaria, Dysenterie etc. anzuwenden sind, 
muss erst die Erfahrung lehren. 


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302 


M. Löwensohn 


Kontraindikationen. 

A. Erkrankungen des Gefässsystems. Arteriosklerose, Viticn, Myokarditis. 

B. Erkrankungen der Lungen. Tuberkulose mit Neigung zu Hämoptoe. 

C. Menses, Gravidität, Blutungen verschiedener Ursache. 

Wenn ich mit dieser kleinen Arbeit versucht habe objektiv festzustellen, »was 
eigentlich bei Moorbädern im Organismus vorgeht«, so möchte ich auch damit den 
Anlass gegeben haben, dass man sich mit der Frage ernstlich beschäftigt und dass 
endlich die vagen und sehr phantasiereichen Schilderungen aus mitunter sehr an¬ 
spruchsvollen Werken schwinden. Es war bisher sehr häufig eine rein rethorischc 
Arbeit, die bei der Beurtheilung der Bäder zu stände kam, und würde nicht Winter¬ 
nitz als erster den Anlass zu wissenschaftlichen Arbeiten gegeben haben, so würden 
wir uns noch im Reiche der Phrasen befinden. 

Wie alles wird auch dieses Thema seine Bearbeiter finden, und wir werden 
endlich dorthin gelangen, wohin wir kommen sollen, nämlich zur klaren Kritik über 
den therapeutischen Werth unserer Heilmittel. 


III. 

Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. 

Von 

Dr. M. Löwensohn 

aus Wercholensk (Russland). 

Die Veranlassung zu dieser Arbeit war der Wunsch, die allgemeine Aufmerk¬ 
samkeit von neuem auf ein Mittel zu lenken, welches in Westeuropa wenig bekannt 
ist, mit welchem man aber unter Umständen bei der Behandlung gewisser Krank¬ 
heiten, insbesondere bei der Lungentuberkulose, recht gute Resultate erzielen kann. 
Gerade jetzt, da man in den letzten Jahren mit der Ernährungstherapie bei der 
Behandlung verschiedener Krankheiten so viele ausgezeichnete Resultate erzielt hat, 
schien es mir angezeigt zu sein, die Kumystherapie, welche ihre Wirkung aucli zum 
Theil der reichlichen Ernährung des Kranken verdanken dürfte, zum Gegenstände 
einer speziellen Abhandlung zu machen. 

Ob jedoch die Kumysbehandlung bloss durch reichliche Ernährung des Kranken 
ersetzt werden kann, dürfte dahingestellt bleiben. Es scheint, als ob die Zusammen¬ 
setzung des Kumys und das Verhältniss seiner Nährstoffe zu einander von beson¬ 
derem Werthe sind, dass hierbei aber noch andere, zum Theil noch wenig bekannte 
therapeutische Momente hinzukommen, die in den Gegenden, wo der Kumys leicht 
zu erhalten ist, diesen zu einem hervorragenden Kräftigungsmittel für herunter¬ 
gekommene Kranke und zu einem der besten Heilmittel der Lungentuberkulose 
gemacht haben. 

Was die Geschichte der Kumystherapio anbelangt, so kann man mit Sicher¬ 
heit behaupten, dass der aus Stutenmilch zubereitete Kumys schon längst vor unserer 
Aera im Orient bekannt war. Iferodot bereits erwähnt denselben in seiner Arbeit 


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I)cr Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. 303 

über die Skythen. Der französische Mönch Rubriquis und nach ihm der Venetianer 
Marcus Paulus haben dieses Getränk auf ihren Missionsreisen nach Russland im 
13. Jahrhundert ebenfalls kennen gelernt: beide rühmen seine berauschende Kraft, 
die ihn dem Weine ähnlich macht. Dr. Strahlenberg giebt in seinem 1730 er¬ 
schienenen Werke »Beschreibung des russischen Reiches« die Art der Kumysbereitung 
an, welche damals üblich war, und welche im grossen und ganzen derjenigen gleicht, 
die auch jetzt bei den Kirgisen, Kalmücken und Tartaren im Gebrauche ist. Noch 
genauer wurde die Methode der Kumysbereitung von Dr. Iwan Lepechin in seinem 
im Jahre 1768/69 veröffentlichten Buche: »Tagebuch der Reise durch verschiedene 
Provinzen des russischen Reiches« beschrieben. 

Die Bedeutung des Kumys als Heil- und Nährmittel wurde im 18. Jahrhundert 
auch von einigen westeuropäischen Aerzten ziemlich hoch geschätzt. Der englische 
Arzt John Greve hat den Kumys zuerst bei der Lungentuberkulose angewendet. 
Näher wurde der Kumys erst im Jahre 1805 von Haeberlein, einem nach Russland 
eingewanderten deutschen Arzte, studiert. In seiner Arbeit wies er schon darauf 
hin, dass eine erfolgreiche Behandlung durch Kumys weniger in Städten, als in 
Dörfern, oder überhaupt spärlich bevölkerten gesunden Gegenden stattfinden kann: 
»Maximam Utilitatem a potu Kumys habebunt illi, qui eo extra urbem utuntur, in 
rure, loco amoens et salubri, remoti a negotiis, curis, aerumnis desideriis, allisque 
animi perturbationibus.« 

Die erste Kumysanstalt wurde erst im Jahre 1858 von Dr. Postnikoff, un¬ 
gefähr 15 Kilometer von der Stadt Samara entfernt, eingerichtet. Später wurde 
eine ganze Anzahl ähnlicher Anstalten gegründet. Diese Institute befinden sich 
meistentheils in den Provinzen Samara, Ohrenburg und Ufa. 

Als der deutsche Arzt Dr. Neftel im Jahre 1860 in der Provinz Ohrenburg 
unter den Kirgisen keinen Kranken mit Skrophulose und Tuberkulose gefunden 
hatte, obschon er nach Fällen dieser Art mit grossem Eifer suchte, lenkte er die 
Aufmerksamkeit der westeuropäischen Aerzte auf diese Thatsache und empfahl den 
Kumys zur Behandlung der Lungentuberkulose. Indessen haben die späteren Unter¬ 
suchungen gelehrt, dass die Tuberkulose, wenn auch vereinzelt, auch bei den Kir¬ 
gisen vorkommt. Im Jahre 1865 hat Dr. Polubensky seine Arbeit über den Kumys 
veröffentlicht. Auf Grund seiner Beobachtungen an 140 Phthisikern äusserte er sich 
dahin, dass der Kumys in jenen Fällen von Tuberkulose am günstigsten wirke, wo 
die begleitenden Symptome, wie Husten, Abmagerung, allgemeine Schwäche mehr 
in den Vordergrund treten, als das nach dem objektiven Befunde zu erwarten wäre. 
Nach der Arbeit von Polubensky wurde das Interesse an dem Kumys in Russland 
immer grösser. Auch in Westeuropa lernte man den Kumys bereiten; so wurden 
in Wien und Paris Versuche mit Kumys angestellt. Dr. Fl ei sch mann hat dabei 
mehrere günstige Resultate der Kumystherapie in der »Wiener med. Presse« im 
Jahre 1873 veröffentlicht. Aber der Kumys fand in Westeuropa keine so grosse 
Verbreitung, als es nach seinem therapeutischen Werthe zu erwarten gewesen wäre. 
Die Gründe dafür sind wohl darin zu suchen, dass in Westeuropa nur wenige so 
grosse Weideplätze vorhanden sind, wie sie zum Weiden der Stuten nothwendig 
sind; ausserdem gehören auch trockenes Klima und reine Luft zu einer erfolg¬ 
reichen Behandlung durch Kumys, schon deswegen, weil das trockene, heisse Klima 
der Steppen in höherem Grade die Hauttranspiration befördert und damit die Auf¬ 
nahme des Kumys in so grossen Dosen erleichtert, wie diese zu therapeutischen 
Zwecken nothwendig erscheinen. 


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304 


M. Lftwcnsohn 


Die Zubereitung des Kumys geschieht folgendermaassen: Der Kumys ist 
ein Getränk, welches aus Stutenmilch (manchmal auch aus anderen Milcharten) zu¬ 
bereitet wird. Die frischgemolkene und abgekühlte Stutenmilch wird auf eine be¬ 
sondere Weise cingesäuert und fortwährend einige Zeit hindurch in einem Kessel um¬ 
gerührt, bis sie einen eigenthümlichen Geruch und Geschmack bekommt. Reichliche 
Entwicklung der C0 2 zeigt sich durch das Ausscheiden kleiner Bläschen dieses Gases 
auf der Oberfläche der Flüssigkeit an, was sich durch ein besonderes, der Krepitation 
sehr ähnliches Geräusch zu erkennen giebt. Zum Einsäuern der Milch wird entweder 
alter Kumys genommen, oder es wird zu diesem Zwecke ein besonderer Sauerteig 
zubereitet. Wenn schon fertiger Kumys vorhanden ist, dann wird derselbe gewöhn¬ 
lich zum Einsäuern benutzt; dabei wird bald der schwache, bald der starke Kumys, 
je nach dem Ermessen des betreffenden Meisters, vorgezogen. Je schwächer der 
zum Einsäuern verwendete Kumys ist, desto weniger Milch muss zugegossen und 
desto mehr Zeit muss die Flüssigkeit umgerührt werden. Sehr schwacher Kumys 
taugt zum Einsäuern nicht. Wenn kein Kumys vorhanden ist, dann wird zum Ein¬ 
säuern der Milch ein besonderer Sauerteig zubereitet; die Kirgisen und Tartaren 
stellen einen solchen einfach aus Honig und Mehl her. In den gut ausgestatteten 
Kumysheilanstalten wird der Sauerteig gewöhnlich folgendermaassen zubereitet. 
Man nimmt ein Pfund Hirse (Reis), giesst ein wenig Wasser hinzu, und kocht so¬ 
lange, bis das ganze Breikonsistenz annimmt. In einem anderen Kessel kocht man 
ungefähr 5 Liter Milch, welche später bis 35° C abgekühlt und in einen hölzernen 
Kessel, zusammen mit dem aus der Hirse (Reis) mit Wasser und etwas Honig ge¬ 
kochten Brei hineingegossen wird. Die Oeffnung des Kessels wird mit einem Lein¬ 
wandlappen bedeckt, und alles bleibt stehen bei der Temperatur 30° R 1—2 Tage, 
solange bis auf der Oberfläche der Flüssigkeit kleine Bläschen erscheinen und die 
Flüssigkeit einen weinsauren Geschmack bekommt. Dann ist der Sauerteig fertig. 
Es giebt aber noch verschiedene andere Methoden für die Zubereitung des Sauerteigs. 
Um die Gährung zu beschleunigen, fügt man 1—2 Esslöffel Hefe hinzu. 

Bei der Kumysbereitung giesst man zu dem in dem Kessel gährenden Sauerteig 
ganz allmählich jede 10 Minuten frische Milch hinzu und rührt die Flüssigkeit inner¬ 
halb 12 Stunden um. Bei dem Umrühren derselben soll ihre Temperatur 27° It 
nicht übersteigen. Nach 12stündiger Gährung ist der Kumys schon fertig, und zwar 
der schwache, welcher noch wenig Alkohol und Milchsäure enthält. Je länger die 
Milch gegohren hat, desto stärkeren Kumys bekommt man, d. h. desto grösser wird 
sein Gehalt an Alkohol und Milchsäure. 

Die chemische Zusammensetzung des Kumys zeigt nach der Analyse, 
welche Stange im Jahre 1882 ausgeführt hat, folgende Zahlen: 


Auf 

6 Stunden 

18 Stunden 

24 Stunden 

30 Stunden 

120 Stunden 

1000 ccm 

Gährung 

Gährung 

Gährung 

Gährung 1 ) 

Gährung 1 ) 

Freie C0 2 . . 

1,52 

3,91 

3,82 

6,94 

11,53 

Gebundene CO > 

2,32 

2,15 

2,26 

1,73 

1,41 

Alkohol . . 

18,56 

18,53 

22,33 

27,50 

31,70 

Milchsäure . . 

| 6,06 

5,64 

5,59 

0,40 

6,44 

Zucker . . . 

18, S8 

16,40 

6,82 


— 

Eiweiss . . . 

22,53 | 

22,8 1 

23,73 

21.00 1 

16,00 

Fett .... 

, 18,93 | 

20,4 

20,00 

10,00 

19,00 

Salze . . . . 

4,5 

3,2 j 

4,00 1 

3,00 

4,10 


') Hermetische Verkorkung des Kumys. 


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Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. 305 

Der Kumys ist kein ausgegohrenes, sondern ein in der Gährung begriffenes, 
sich stets veränderndes Getränk, welches während der Gährung fortwährend seine 
Bestandteile wechselt. Biel hat nämlich zuerst darauf hingewiesen, dass der Kumys 
in verschiedenen Altersstadien abweichende quantitative und qualitative Zusammen¬ 
setzung zeigt, und zwar nimmt mit dem Alter des Kumys sein Gehalt an Kohlen¬ 
säure, Alkohol und Milchsäure zu, dagegen nimmt sein Gehalt an Zucker ab; sein 
Fettgehalt bleibt unverändert. Was den Eiweissgehalt betrifft, so erfährt er während 
der Kumysgährung ziemlich komplizierte Veränderungen, wie das die untenstehende 
von Biel angegebene Tabelle zeigt: 


In 100 Theilen Kumys 
aus derselben Milch nach 

1 

1 tägiger 
Gährung 

2 tägiger 
Gährung 

3 tägiger 
Gährung 

Kasein.j 

0,9575 

0,8590 

0,7715 

Albumin. j 

tO 

00 

00 

© 

0,3880 

0,3900 

Acidalbumin. 

0,1175 1 

0,1225 | 

! 0,1400 

Hemialbumose . . . . | 

0,4595 | 

0,4220 

i 0,4180 

Pepton.i 

0,0670 | 

0,1130 

, 0,1510 


Diese Tabelle zeigt uns, dass: 

1. die absolute Kaseinmenge während der Gährung abnimmt; 

2. die Menge des Acidalbumins zunimmt; 

3. die Menge des Peptons mit dem Alter des Kumys zunimmt. 

Wie die Untersuchungen von Alexander Dochmann über die Veränderungen 
der Eiweisssubstanzen in der gährenden Milch beweisen, geht bei der Gährung der 
Milch auch der Prozess der Peptonisation des Kaseins und Albumins vor sich, welche 
immer mehr und mehr in Parapeptone und Peptone umgewandelt werden. Um diesen 
Prozess ziffernmässig darzulegen, soll hier eine der Beobachtungsreihen von Alexander 
Dochmann angeführt werden. In der Stutenmilch fand dieser Autor auf 1000 Theile 
24,80 Theile Kasein und Albumin und 0,28 Theile Peptone. In derselben Milch 
worden nach 12 stündiger gewöhnlicher »Kumysgährung« in 1000 Theilen gefunden: 

Kasein . . . 14,06 Albumin. . . 3,02 

Parapepton . . 4,88 Peptone . . . 1,04. 

Nach 40 stündiger Gährung wurden in demselben Kumys gefunden: 

Kasein . . . 12,88 I Albumin. . . 2,03 

Parapepton . . 8,40 \ Peptone . . . 2,48. 

Nach 70 stündiger Gährung fand man in demselben Kumys: 

Kasein . . . 9,64 Albumin. . . 1,20 

Parapepton . . 6,88 j Peptone . . . 4,84. 


Die gleiche Peptonisation, aber in weit geringerem Grade, wurde von Doch¬ 
mann in dem gährenden Kuhmilchkumys gefunden. Eine genügende Erklärung dieser 
Thatsache kann man heutzutage noch nicht geben; ebenso ist es schwer, zu ent¬ 
scheiden, ob die Peptonisation unter dem Einflüsse eines bestimmten spezifischen 
Fermentes vor sich geht, oder ohne ein solches und nur durch die Gegenwart saurer 
Reaktion des Kumys und unter einigen anderen günstigen Bedingungen. Durch die 

Zeitschr. t diät. u. phyaik. Therapie Bd. V. Heft 4. o l 


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306 M. Löwcnsohn 


Existenz des Fermentes in der Milch selbst könnte man das ständige Vorkommen von 
Substanzen der Peptonreihe in derselben erklären. In jüngster Zeit hat Prof. G o lu bof f, 
welcher viel über Kumys gearbeitet hat, nur dann die Peptonisation gefunden, wenn 
er in der Stutenmilch gleichzeitig Bacterium acidi lactici und Saccharomyces züch¬ 
tete. Wenn er aber in der sterilisierten Stutenmilch diese Mikroorganismen, jedes 
für sich, züchtete, konnte er keine Peptonisierung nachweisen. Als praktische Kon¬ 
sequenz des eben Gesagten wird die Beschleunigung dieses sozusagen natürlichen 
Prozesses der Peptonisation mit Hülfe künstlicher Maassnahmen sein. Natürlich 
bilden sich im Kumys unter normalen Verhältnissen um so mehr Peptone, je länger 
er der Gährung unterworfen wird, d. h. je mehr Alkohol und Milchsäure sich in 
ihm bilden; aber in einzelnen Fällen ist starker Kumys, d. h. solcher, der viel Al¬ 
kohol und Milchsäure enthält, kontraindiziert, und die Kranken müssen sich auf 
schwachen Kumys beschränken, in welchem das Kasein sich erst in den Anfangs¬ 
stadien der Peptonisation befindet. In diesen Fällen würde künstlich peptonisierter 
Kumys ausserordentlich am Platze sein: bei geringem Gehalt an Alkohol würde er 
eine bedeutende Quantität Peptone enthalten. 

Auf Grundlage dieser theoretischen Voraussetzungen hat Dochmann einige 
Experimente gemacht, um folgende Fragen zu lösen: 

1. Wird durch Zusatz von Pepsin unter Bedingungen, bei welchen die Kumys- 
gährung zu stände kommt, die Peptonisation beschleunigt? und 

2. werden durch dieses Verfahren die Eigenschaften des Kumys, besonders der 
Geschmack alteriert? 

Zu diesem Zwecke verfuhr Dochmann folgendermaassen: Ein Theil der behufs 
Gährung eingesäuerten Stutenmilch wurde von der übrigen Masse gesondert, und 
diesem wurde Pepsin hinzugefügt, welches vorher mit Aether gereinigt war. 
Darauf wurde dieser pepsinisierte Kumys unter den gewöhnlichen Bedingungen der 
Gährung überlassen. Nach einem Zeitraum von 14 Stunden konnte man sich davon 
überzeugen, dass der pepsinisierte Kumys sich in keiner Weise in Bezug auf Ge¬ 
schmack von gewöhnlichem Kumys unterschied, dass er aber ceteris paribus eine 
grössere Quantität Peptone enthielt. Die Beobachtungen von Rasumowsky in der 
Kumysanstalt von Tschembulatow haben die theoretischen Annahmen dieses Autors 
bezüglich der Brauchbarkeit des pepsinisierten Kumys bestätigt. 

Man unterscheidet drei verschiedene Stärken des Kumys: 1. Eintägigen 
oder schwachen, 2. zwei- bis dreitägigen oder mittelstarken, das eigentliche Material für 
die Kumyskur, und 3. fünf- bis siebentägigen oder starken Kumys. Letzterer bewirkt 
gewöhnlich Leibesverstopfung, während frische Stutenmilch und eintägiger Kumys 
gewöhnlich flüssige Stuhlgänge erzeugen. Ein Kumys, welcher längere Zeit in warmer 
Temperatur aufbewahrt wird, wird stark sauer und erregt Widerwillen gegen fer¬ 
neren Gebrauch desselben. Sehr alter Kumys kann sogar Erbrechen und Durchfall 
erzeugen. 

Der Kumys schmeckt süss-säuerlich, an Mandeln erinnernd, und stellt in der 
Steppe, im heissen Sommer, ein recht angenehmes Getränk dar. Die meisten Kranken 
gewöhnen sich sehr schnell an den Genuss von Kumys und ziehen ihn bald jedem 
anderen Getränk vor. Manche von ihnen trinken sehr gerne den mittelstarken und 
starken Kumys, während der schwache Kumys und die ungegohrene Stutenmilch eher 
bei ihnen Widerwillen erzeugen, welcher sich sogar bis zum Erbrechen steigern kann. 
Idiosynkrasie gegen den Kumys, d. h. absolutes Nichtvertragen des Kumys kommt 


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Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose 307 


ungemein selten vor, und braucht deswegen bei der Verordnung dieses Mittels zu¬ 
nächst gar nicht in Betracht gezogen werden. 

Der Genuss geringerer Quantitäten des Kumys dient zur Anregung des Appetits; 
in grösseren Quantitäten auf einmal genommen, erzeugt der mittelstarke Kumys das 
Gefühl von Fülle im Magen, aber er überladet nicht und beschwert nicht den Magen; 
er giebt im Gcgentheil nur das Gefühl behaglicher Wärme im Magen, und einige 
Zeit nach dem Genuss auch im ganzen Körper. Nur der schwache Kumys, besonders 
wenn er ohne Lust getrunken wird, verursacht das Gefühl von Schwere in der Magen¬ 
gegend und starke Hervortreibung des Leibes. 

Kalter Kumys (12—15° R) in der Menge von Va Flasche auf einmal genommen, 
geht bald in den Darm über, regt die Peristaltik an, was sich in gurgelndem Ge¬ 
räusch bemerkbar macht, und disponiert zum Durchfall. Diese Erscheinungen treten 
aber nicht auf, wenn der Kumys in kleineren Dosen (auf einmal nur V 2 1-Glas), 
und bei etwas höherer Temperatur des Getränkes (IG —20° R) genommen wird. 
Auf die Quantität des Kumys, welche man zu gemessen im stände ist, hat grossen 
Einfluss die Temperatur der Luft und ihr Gehalt an Wasserdämpfen, und schliess¬ 
lich noch die Gewöhnung an den Kumys. Es braucht nicht besonders betont zu 
werden, dass je heisser die Temperatur und je trockner die Luft ist, desto leichter 
und in desto grösseren Dosen der Kumys, entsprechend dem dann verursachten 
grösseren Durste, getrunken werden kann. 

Was die Gewöhnung an den Kumys anlangt, so muss man da die aus der Phy¬ 
siologie bekannte Thatsache wieder konstatieren, dass der Organismus allmählich 
an die Aufnahme grosser Quantitäten von Flüssigkeiten gewöhnt werden kann. Man 
begegnet nämlich nicht ganz selten kranken und gesunden Menschen, welche bis 
20 Flaschen Kumys und mehr pro die geniessen können. Die Durchschnittsmenge, 
welche gewöhnlich verordnet wird, übertiifft nicht 5—6—7 Champagnerflaschen für 
einen Tag (ungefähr 3 Liter). 

Die wichtigste Eigenschaft des Kumys als Nahrungsmittel ist seine leichte Ver¬ 
daulichkeit, wie das von allen Autoren übereinstimmend hervorgehoben wird. Ilaeber- 
lein hat darüber folgendes geschrieben: »Potus Kumys, cui praeter materiam ani¬ 
malem gelatinosam et serosam multum inest saccharum et aer fixus, habendus est 
pro remedio roboranti et nutrienti egregio. Pro mixtione sua et cum humoribus 
nostris similitudine facile resorbetur et fere totum in sanguinem transit, vasaque 
brevi bonis humoribus implet.« Haeberlein führt dann auch weiter aus, dass der 
Kumys dieser seiner leichten Verdaulichkeit wegen, in sehr grosser Menge von ge¬ 
sunden, ebenso wie von kranken Menschen getrunken werden kann. Dabei braucht 
die ausgeschiedenc Urinmenge sich nicht zu vermehren, weil das ganze Wasser in 
der heissen Sommerzeit von der Haut und Lunge ausgeschieden wird. Den wissen¬ 
schaftlichen Beweis für die Leichtverdaulichkeit des Kumys haben zuerst Seeland 
und Polubensky geliefert, indem sie die festen Bestandtheile des Urins bei der 
Kumyskur bestimmt haben. Es hat sich dabei herausgestcllt, dass bei der Kumys¬ 
kur der Stoffwechsel bedeutend verstärkt wird. Die späteren Untersuchungen von 
Biel, Dscheglinsky, Baikow, Kostjurin u. a. haben die Resultate der früheren 
Autoren bestätigt. 

Bisher wurde hier von der Wirkung des Kumys auf den menschlichen Körper 
im allgemeinen gesprochen. Im folgenden soll diese Wirkung zu erklären versucht 
werden, wie sie mit der chemischen Zusammensetzung des Kumys zusammenhängt. 
Zur Erläuterung dieser Frage haben sehr viel die Arbeiten von Professor Goluboff 


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308 M. Löwensohn 

beigetragen. Wir folgen im grossen und ganzen seinen Ausführungen. Darnach 
enthält der Kumys freie und gebundene Kohlensäure, und hat gerade deren Anwesen¬ 
heit eine grosse Bedeutung bei der Beurtheilung der Frage der Leichtverdaulichkeit 
des Kumys. Man nimmt gewöhnlich an. dass die Flüssigkeiten, welche Kohlensäure 
enthalten, eine günstige Wirkung auf den Magen ausüben; es wurde schon längst 
bemerkt, dass einige Getränke und Mineralwassersorten viel besser mit Kohlensäure 
als ohne dieselbe vertragen werden. Aus den Versuchen des Professor Pawloff 
(»Vorlesungen über die Arbeit der Verdauungsdrüsen«) geht hervor, dass die Kohlen¬ 
säure die Fähigkeit besitzt, stärkere Absonderung des Saftes der Bauchspeicheldrüse 
anzuregen. Die Versuche des Professor Bokai (Archiv für experimentelle Pathologie 
und Pharmakologie XXIII) haben ergeben, dass die in den Darm eingeführte Kohlen¬ 
säure die Peristaltik anregt. Wenn wir uns also an die angeführten Thatsachen er¬ 
innern und uns vergegenwärtigen, dass der Kumys ziemlich grosse Mengen Kohlen¬ 
säure enthält, so werden wir dieser letzteren einen guten Theil seiner Leichtverdau¬ 
lichkeit zu6chreiben. 

Der mittelstarke Kumys enthält ungefähr 0,6% Milchsäure. Wenn wir als eine 
durchschnittliche Tagesmenge 3 Liter Kumys annehmen, dann bekommen wir die täg¬ 
liche Aufnahme von 18,0 Milchsäure. Die Milchsäure hat insofern eine Bedeutung, 
als sie dem Kumys einen angenehmen sauren Geschmack verleiht. Man schreibt 
auch dem Milchsäuregehalt einen guten Einfluss des Kumys auf Dyspepsie und Ka¬ 
tarrhe des Magendarmkanals zu. Wir wissen auch aus der Physiologie, dass die 
Milchsäure eine gewisse Rolle bei der Magen Verdauung spielt. Die Untersuchungen 
von Brieger, betreffend die Magenverdauung von Phthisikern, haben ausserdem ge¬ 
zeigt, dass sogar bei absoluter Abwesenheit der Salzsäure, das Eiweiss nur in den¬ 
jenigen Fällen verdaut wird, wo man grosse Mengen von Milchsäure in dem Magen¬ 
inhalt gefunden hat. Ein neues Licht auf die Bedeutung der Milchsäure haben die 
Arbeiten des Professor Pawloff geworfen. Sie haben gezeigt, dass die Milchsäure, 
ebenso wie die Kohlensäure, die Fähigkeit besitzt, die Funktion der Bauchspeichel¬ 
drüse anzuregen und auf diesem Wege eine ungenügende oder ahgeschwächte Funktion 
des kranken Magens zu ersetzen. 

Der Kumys enthält 1,5 —2,5% Alkohol. Die meisten Physiologen stimmen 
darin überein, dass Alkohol in geringer Menge und in schwacher Konzentration die 
Absonderung der Magen- und Darmsäfte vergrössert. 

Der Kumys ist nicht nur ein Nahrungsmittel, sondern er besitzt 
auch die Eigenschaften »alterierenderc Wirkung auf den menschlichen 
Organismus. Postnikoff hat im Jahre 1865 den Kumys als »remedium alterans« 
benannt. Dieser Ausdruck ist bei uns vielleicht nicht mehr ganz gebräuchlich, weil 
man diese und ähnliche Ausdrücke zu vermeiden suchte, seitdem sich die positive 
Richtung in der Medicin mehr und mehr Bahn gebrochen hat; und doch erscheint 
mir die Bezeichnung »alterierende Wirkung« für eine Reihe von Eigenschaften des 
Kumys, die durch Beobachtungen vieler Autoren, unter anderen durch die Arbeiten 
von Goluboff, genauer studiert wurden, die geeignetste zu sein. Hier ist. nicht die 
geeignete Stelle, auf die Frage der alterierenden Behandlung näher einzugehen, und 
wir verweisen deshalb auf das von Liebermeister in seinem Buche der »speciellen 
Pathologie und Therapie« Gesagte. 

Hier sei nur die von Goluboff gegebene Erklärung für die Entstehungsursache 
der Konstitutionsanomalieen und über den Einfluss der alterierenden Behandlung auf 
die Veränderung der Konstitution angeführt. »Bei normalem Zustande der den Or- 


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Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. 309 

ganismus zusammensetzenden zelligen Elemente«, führt Gobuloff aus, »bei ihrer 
guten Entwicklung und regelmässigen Funktion macht der Organismus den Eindruck 
dessen, was man im allgemeinen als Gesundheit bezeichnet«. 

»Zwischen den zelligen Elementen des Organismus und den Körpersäften (Lymphe, 
Blutplasma) bestehen im allgemeinen dieselben Beziehungen wie zwischen den orga¬ 
nischen Fermenten und den von ihnen zersetzten Stoffen. Die Wirkung und die 
Eigenschaften der organischen Fermente können durch verschiedene Umstände in 
hohem Masse beeinflusst werden. Ebenso werden auch die Eigenschaften der zelligen 
Elemente des Organismus von mannigfachen Ursachen beeinflusst. Diese veränderten 
anormalen Eigenschaften können auch vererbt werden. Abnorme Eigenschaften oder 
pathologische Funktionen der zelligen Elemente des Körpers können z. B. unter dem 
Einflüsse des Nervensystems entstehen.« 

»Andererseits aber werden auch die Eigenschaften resp. Funktionen der zelligen 
Elemente entsprechend der abnormen Beschaffenheit der Körpersäfte sich verändern, 
so z. B. wenn sie toxische Substanzen, welche auf die Zellen schädlich ein wirken, 
enthalten. Mag nun dem sein, wie ihm wolle, wenn diese abnormen Eigenschaften 
dauernd bestehen bleiben, wenn die zelligen Elemente sich daran gewöhnt haben, 
abnorm (unregelmässig) zu funktionieren, dann kommt eine funktionelle Ernährungs¬ 
störung zu Tage. Die Aufgabe der alterierenden Behandlungsmethode wird demnach 
darauf hinauskommen, die abnorme Funktion der zelligen Elemente zu verändern, 
die mangelhafte Funktion derselben zu verbessern. Zu diesem Zwecke muss man 
das entstandene fehlerhafte Gleichgewicht zwischen den Geweben und Säften zu be¬ 
einflussen suchen.« 

Im allgemeinen kann man behaupten, dass die Erhöhung des Stoffwechsels als 
Eigenschaft aller der Behandlungsmethoden betrachtet werden kann, welche man 
schon längst als alterierende bezeichnet (Stoffwechselkuren). Wenn man für das 
Kriterium der alterierenden Wirkung die Erhöhung des Stoffwechsels nimmt, dann 
sind wir nach den Untersuchungen von Biel, Stange, Goluboff, Dochmann etc. 
gezwungen, den Kumys als ein »alterans« anzusehen. 

Worauf die alterierende Wirkung bei der Kumysbehandlung beruht, ob und 
inwiefern dabei reichliche Schweissabsonderung während der heissen Sommerzeit oder 
reichliche Flüssigkeitsaufnahme, ebenso wie reichliche Aufnahme der eiweissreichen 
Nahrung in Betracht kommt, oder ob diese alterierende Wirkung auf Zusammenwirken 
dieser drei Agentien beruht, bleibt heutzutage noch unentschieden. Das letzte ist 
aber viel wahrscheinlicher, da jedem der drei Agentien die Fähigkeit, den Stoffwechsel 
im Organismus anzuregen, zugeschrieben wird. 

Wir wollen hier nur auf eine allgemein bekannte Thatsache hinweisen, auf die 
manchmal geradezu kolossale Zunahme des Körpergewichts durch eine Kumyskur. 
Die Zunahme von 20-25—30 Pfund in 1V* —2 Monaten ist keine Seltenheit. Solche 
günstigen Resultate in so verhältnissmässig kurzer Zeit sind mit kaum irgend einer 
anderen Methode der reichlichen Ernährung zu erreichen. Viele Autoren sprechen 
von der sogenannten »Nachwirkung«, welche bei der Kumystherapie beobachtet wird. 
Der Gesundheitszustand des Kranken nach beendeter Kur pflegt sich noch dauernd 
weiter zu bessern; die betreffende Person nimmt in vielen Fällen auch nach be¬ 
endigter Kur noch an Gewicht zu; ihre Kräfte und ihr Allgemeinbefinden heben sich. 
Besonders wird diese Nachwirkung bei den Magen- und Darmleidenden häufig be¬ 
obachtet. Man kann sich das vielleicht so vorstellen, dass die kranke Schleimhaut 


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310 M. Löwensohn 

des Darmkanals unter dem Einfluss der Kumystherapie sich so gut erholt hat, dass 
sie später besser den an sie gestellten Anforderungen zu entsprechen vermag. 

Was d^n Einfluss des Kumys auf den Zirkulationsapparat und auf 
das Blut betrifft, so werden wir uns da möglichst kurz fassen, weil die Ansichten 
darüber noch getheilt sind. Nach der Kumysaufnahme wird der Puls frequenter, 
der Blutdruck steigt je nach der Quantität des genossenen Kumys. Die Pulsfrequenz, 
ebenso wie der Blutdruck kehren am Morgen des nächsten Tages zur Norm wieder 
zurück. Ausser der vorübergehenden Blutdruckssteigerung, welche unmittelbar nach 
der Kumysaufnahme beobachtet wird, hat man noch eine dauernde Blutdrucksteige¬ 
rung als Resultat der erfolgreichen Behandlung gesehen. Am häufigsten wird dies 
bei heruntergekommenen Kranken mit schwacher Herzthätigkeit, bei Anämie, Chlo¬ 
rose etc. beobachtet. In diesen Fällen kann sich der Blutdruck um 10—20—30 mm 
steigern. 

Was die Veränderungen der Blutbestandtheile anlangt, so sind es Goluboff 
und Ljachowezky, welche sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Bei den Unter¬ 
suchungen Goluboff’s, welche nach der Ehrlich’schen Methode gemacht wurden, 
haben sich folgende Resultate herausgestellt: 

1. Die Zahl der eosinophilen Zellen bleibt unverändert. 

2. Die Zahl der neutrophilen Zellen wird bei dem Kumysgebrauch grösser. 

3. Die absolute Zahl der Leukocyten vermehrt sich bedeutend. 

4. Ebenso vermehrt sich die Zahl der grossen rothen Blutkörperchen — Ma- 
krocyten, es entsteht sozusagen Makrocytose. 

Seine Untersuchungen hat Goluboff am Blute ganz gesunder Menschen ge¬ 
macht. Ljachowezky dagegen hat seine Untersuchungen am Blute von Phthisikern 
gemacht und hat folgende Resultate erhalten: 

1. Die Zahl der Leukocyten wird gewöhnlich in dem Sinne verändert, dass sie 
zur Norm zurückgebracht wird, und nur in den Fällen, wo der krankhafte Prozess 
progredient fortschreitet, findet man massige Hyperleukocytose. Letzteres ist be¬ 
sonders der Fall im dritten Stadium der Tuberkulose. 

2. Das Verhältniss der verschiedenen Formen der weissen Blutkörperchen zu 
einander verändert sich in der Weise, dass sie dem normalen Verhalten derselben 
näher kommt. Nur in wenigen Fällen des Spitzenkatarrhs bei Besserung des All¬ 
gemeinbefindens, aber bei bleibenden lokalen Veränderungen, blieb das anormale 
Verhältniss bestehen. 

Diese Veränderungen im Blute wurden vom Autor schon 17 — 10 Tage nach 
dem Beginne der Kur konstatiert. 

Besonderer Besprechung verdienen noch die bakteriologischen Eigen¬ 
schaften des Kumys. Jeder Kumystropfen enthält eine grosse Menge von Mikro¬ 
organismen in der Form von kurzen und langen Stäbchen, ausserdem auch Pilze der 
Akoholgährung, Saccharomyces. Wie die Untersuchungen Stange’s und Goluboffs 
gezeigt haben, sind diese Stäbchen nichts anderes, als verschiedene vegetative Formen 
von Bacterium acidi lactici. Wenn man dieses Bacterium auf verschiedenen zucker¬ 
haltigen Nährböden züchtet, dann kann man alle diese Uebcrgangsformen beobachten. 
Ausser diesen zwei Formen kommen gelegentlich auch andere Mikroorganismen vor, 
z. B.: Sarcina alba, Bacterium subtilis, Clostridium butyricum, Oidium lactis etc., 
aber sie sind nicht für den Kumys charakteristisch. Von anäroben Bakterien konnte 
Goluboff in dem Kumys keine finden. 

Die Bedeutung des Bacterium acidi lactici und Saccharomyces bei der Kumys- 


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Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. 31 1 

gährung ist ganz klar; das erste erzeugt die Milchsäuregährung, das letzte Alkohol- 
gährung. Welche Bedeutung diese Mikroorganismen bei der Peptonisation des Ei- 
weisses haben, ist heutzutage noch nicht mit Sicherheit zu entscheiden. 

Was die Indikationen zu der Kumysbehandlung anbetrifft, so sind es im 
allgemeinen Abmagerung und Kräfteverfall: bei Dyspepsie, bei chronischen Katarrhen 
des Digestionsapparates, bei funktionellen Nervenleiden und bei Lungentuberkulose, 
besonders in nicht zu weit vorgeschrittenen Fällen von Tuberkulose. Uebcr die An¬ 
wendung bei diesem letzteren Leiden wollen wir nun besonders berichten. 

Der Kumys giebt keine Kontraindikation zur Verordnung von Kreosotpräparaten 
ab. Am besten sind es die torpiden Fälle von Lungenphthise, ohne Fieber oder 
mit geringen Fiebersteigerungen, für welche die Kumysbehandlung zu empfehlen ist. 
Die Fälle von Tuberkulose mit ausgesprochenem hektischen Fieber oder mit Lungen¬ 
blutungen werden von einigen Autoren (Karrik, Stange) als keine Kontraindikation 
zu der Kumyskur betrachtet; wenn man aber die Eigenschaft des Kumys, Blutdruck¬ 
steigerung hervorzurufen, in Betracht zieht, dann muss man wenigstens bei der Ver¬ 
ordnung desselben den Kranken, welche zu Lungenblutungen disponiert sind, dieses 
Mittel nur in kleinen, darum häufiger dargereichten Dosen verordnen, um keine Blut¬ 
drucksteigerung hervorzurufen (Stange). Besonders vorsichtig muss man sein bei der 
Verordnung des Kumys an diejenigen Phthisiker, welche ausserdem an Endarteriitis 
leiden. Dabei hat Stange noch feststellen können, dass das Blutspucken immer 
unmittelbar nach dem Sinken des Barometers zum Vorschein kam. Deswegen sind 
die Fälle von Lungenblutungen unter seinen Kranken immer gehäuft vorgekommen; 
und man kann demnach den Blutungen meist Vorbeugen, indem man zu der Zeit 
des niedrigen Standes des Barometers diesen Kranken keinen Kumys verordnet und 
bei neuer Verordnung desselben nur kleine und häufige Dosen bestimmt. 

Was die für die Kumyskuren geeignetste Jahreszeit anbetrifft, so ist es am 
besten, wenn man dazu die Monate Mai, Juni, Juli und August bestimmt, welche 
als heisse Sommermonate am meisten dazu geeignet sind, die Aufnahme des Kumys 
in möglichst grosser Menge zu erleichtern. Es ist sehr schwer, bestimmte Regeln 
für die Art und Weise der Kumysbehandlung aufzustellen; und wenn man überhaupt 
in der Therapie immer mit besonderen Eigenschaften jedes einzelnen Falles rechnen 
muss, so gilt das noch in höherem Maasse als sonst von der Kumystherapie. Im 
allgemeinen kann man sagen: je mehr Kumys der Kranke zu sich nimmt, je länger 
die Kumyskur dauert, desto mehr kann man auf radikale Heilung hoffen. 

Wir sagten schon, dass man bei der Kumyskur nicht schablonenmässig verfahren 
darf, sondern individualisieren muss. Wir werden jedoch an dieser Stelle eine Ver¬ 
ordnung als Beispiel einer Kumyskur anführen, welche nach Goluboff die besten 
Resultate verspricht. 

Der Kranke muss möglichst früh, z. B. 10 Uhr abends, zu Bette gehen, um sich 
gut auszuruhen und um möglichst früh, z. B. 7 Uhr morgens, aufzustehen. Den Kumys 
muss man am besten zwischen 8 Uhr morgens bis (> Uhr abends trinken; später darf der 
Kumys nicht getrunken werden, weil sonst der Schlaf gestört werden kann. Die 
Diät wird im übrigen nach allgemeinen Regeln kräftig und gesund verordnet. 

Dass die Lungentuberkulose durch die Kumysbehandlung nicht bloss wesentlich 
gebessert, sondern auch in verhältnissmässig kurzer Zeit völlig geheilt werden kann, 
das beweisen zum Beispiel die Fälle, über welche Dr. Karrik und I)r. Stange be¬ 
richtet haben. 

Was den Einfluss des Kumys auf die einzelnen Symptome der Krank- 


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312 M. Löwensohn 

heit anhelangt, so geht mit der Besserung des Allgemeinbefindens die Temperatur 
herunter, der Husten und die Nachtschweisse schwinden. 

Dochmann sagt sogar, dass man bei dem Kumysgebrauch in den meisten 
Fällen das Morphium ganz entbehren kann. Der Verminderung des Hustens geht 
die Besserung der anderen Krankheitserscheinungen nicht parallel, sondern der Husten 
vermindert sich schon von den ersten Tagen der Behandlung an. Die Ursache davon 
ist nach Stange darin zu suchen, dass bei der reichlichen Kumysaufnahme das 
ganze, den Organismus zusammensetzende Gewebe und auch das Nervengewebe gut 
durchfeuchtet und deswegen weniger erregbar wird, und dass zweitens die Expek¬ 
toration bedeutend erleichtert wird, weil der schleimig zähe Auswurf dünnflüssig und 
auf diese Weise leichter aus den Lungen herausbefördert werden kann. 

Was den Einfluss des Kumys* auf den Bluthusten anbelangt, so sind die Mei¬ 
nungen der Autoren in dieser Frage getheilt. Die einen sagen, dass der Kumys 
keinen Einfluss auf den Bluthusten besitzt, die anderen (Karrik) dagegen behaupten, 
dass die früher sich oft wiederholenden Lungcnblutungen sehr bald nach dem Be¬ 
ginn der Kumyskur verschwinden, um nicht mehr aufzutreten. Einige Gelehrte be¬ 
haupten wiederum, worauf schon von uns hingewiesen wurde, dass der Kumys selbst 
Lungenblutungen hervorrufen kann. Zur Unterstützung ihrer Meinung verweisen die 
letzteren auf die Eigenschaft des Kumys, Blutdrucksteigerungen hervorzurufen. Die 
Ansicht von Dochmann versöhnt die entgegengesetzten Meinungen. Dochmann 
meint nämlich, dass der Kumys den aktiven Bluthusten, welcher von der Zerreissung 
der kleinen Gefässe wegen der Ueberfüllung des kleinen Kreislaufs oder von der 
Errosion der Gefässwandungen abhängt, verstärken, und umgekehrt, den passiven 
Bluthusten, welcher von der Stauung im kleinen Kreislauf abhängt, zum Stillstand 
bringen kann, weil der Kumys als ein Mittel bekannt ist, welches die Herzthätigkeit 
anregt und auf diese Weise der Stauung in dem kleinen Kreislauf und der Blutung 
Vorbeugen kann. Im allgemeinen gilt es als Regel, dass man die Kumyskur bei 
Hämoptoe mit Vorsicht auwendet. Von 114 Phthisikern, welche während der Kumys¬ 
kur unter der Behandlung Stange’s standen, wurde der Bluthusten bei 31 Kranken, 
d. h. in ungefähr 27 % aller Fälle beobachtet. 

Dabei sind auch solche Fälle mitgerechnet, wo das Blut nur in sehr geringer 
Menge vorhanden war, z. B. in Form von Blutfäden oder Blutflecken im Auswurf. 
Stange hat die Hämoptoe in der weitaus grösseren Mehrzahl der Fälle nur beim 
Beginn der Kumyskur beobachtet; er meint, dass der Einfluss des Kumys auf die 
Hämoptoe in Zusammenhang mit der guten Ernährung des ganzen Organismus stehe. 
Die Gefässwandungen, welche das Ernährungsmaterial in grosser Menge bekommen 
und gut genährt werden, leisten dem Blutdrucke grösseren Widerstand und können 
nicht leicht zerrissen werden. Das erklärt uns vielleicht, warum die Hämoptoe 
meistens im Beginne der Kumyskur vorkommt, d. h. dann, wenn der Ernährungs¬ 
zustand sich noch nicht gebessert hat. 

Zum Schlüsse dieser Arbeit sollen noch die Kumysheilanstalten und die 
Bedingungen für die Kumystherapie in Russland kurz besprochen werden. 
Wer sich für diese Frage, die wir hier nicht vollständig erschöpfend behandeln 
können, besonders interessiert, dem sei das Buch von Dr. Michailoff: »Umriss der 
gegenwärtigen Bedingungen für die Kumystherapie im Osten Russlands« empfohlen. 

Der Kumys wird heutzutage fast in jeder grossen russischen Stadt Ost-Russ¬ 
lands zubereitet; aber seine Qualität ist, mit wenigen Ausnahmen, in den Städten 
sehr gering, weil hier meistens die Bedingungen fehlen, welche für die Zubereitung 


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Der Kumys und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. 313 

eines guten Kumys erforderlich sind, wie z. B. eine genügende Anzahl junger Stuten, 
die nicht tuberkulös sein und auch nicht zu der Arbeit verwendet werden dürfen; 
das Vorhandensein guter Weideplätze in der Nähe der Stadt u. s. w. Deswegen ist 
es viel besser, den Kranken zu empfehlen, sich für die Kumyskur in die Steppen 
zu begeben, umsomehr, als die Steppe mit ihrer reinen, trockenen Luft, mit ihrer 
sengenden Sommersonne, mit ihrer üppigen Vegetation schon an und für sich günstig 
auf den kranken Organismus einwirkt. Für diejenigen Kranken, welche keiner be¬ 
ständigen ärztlichen Hülfe bedürfen, ist es zu empfehlen, sich in die kirgisischen 
Dörfer in den Provinzen Samara, Ufa, Orenburg u. a. zu begeben, wo sie zu mässigem 
Preise guten Kumys haben können. 

Obgleich die Kirgisen auf sehr niedriger Stufe der kulturellen Entwicklung 
stehen, braucht man doch ihnen gegenüber nicht misstrauisch zu sein, da sie ein 
ruhiges, arbeitsames und nüchternes Volk sind. Besonders bemerkenswerth ist es, 
dass die Kirgisen, diese halbwilden Nomaden, gegen die unter ihnen lebenden Kranken 
weiblichen Geschlechts besonders ehrerbietig und zuvorkommend sind. Dr. Michai- 
loff betont dies in seinem Werke nachdrück liehst. 

Es ist selbstverständlich, dass man sich in der Wohnung eines Kirgisen nicht 
mit der Bequemlichkeit einrichten kann, wie in einer civilisierten europäischen Stadt; 
aber die nothwendige gesunde und gut gelüftete Wohnung kann man auch in den 
kirgisischen Dörfern finden, und zwar eignet sich zum Aufenthalte entweder ein 
gewöhnliches Nomadenzelt oder eine Bauernstube, ähnlich den Stuben russischer 
Bauern. 

Allerdings wird mit Recht darauf hingewiesen, dass in diesen Dörfern ärztliche 
Hülfe sehr schwierig zu haben ist, so dass man im Nothfalle einen Arzt aus den 
benachbarten russischen Dörfern herbeirufen muss. 

Von den Kumysheilanstalten, welche jetzt in Russland eingerichtet sind, erfreuen 
sich eines besonders guten Rufes die Kumysheilanstalt von Dr. Karrik in der Nähe 
von Orenburg und die von Dr. Schdanow, welche in der Nähe von der Station 
Schafranowo an der Samara-Slatoust Eisenbahnlinie liegt; erstere ist nur bemittelten, 
letztere auch weniger bemittelten Patienten zugänglich. Ausserdem giebt es noch 
in Russland eine ganze Reihe von ähnlichen Anstalten, aber die Preise sind überall 
ziemlich hoch, und das verschliesst selbstverständlich den breiten Massen der Bevöl¬ 
kerung did Thüren dieser Anstalten. 

In den letzten Jahren bricht sich in Russland die Ansicht mehr Bahn, welche 
Professor Lewaschoff auf dem VII. Pirogow’schen Kongress geäussert hat: »Die 
Kumystherapie sollte heutzutage als wirksamstes Heilmittel im Kampfe gegen Tuber¬ 
kulose betrachtet werden.« In ärztlichen Kreisen werden immer wieder von neuem 
die Stimmen laut, dass es an der Zeit sei, die Aufmerksamkeit mehr auf dies kost¬ 
bare Heilmittel zu wenden und die Kumysheilanstalten in grösserem Maassstabe 
einzurichten, um den Kumys zu verbilligen und damit auch den wenig Bemittelten 
zugänglich zu machen. 


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Salge 


Kritische Umschau. 


Künstliche Präparate für die Ernährung 1 des Säuglings. 

Von 

Dr. Salge, 

Assistent der Kinderklinik (Charite). 


Die grosse Bedeutung, welche die künstliche Ernährung des Säuglings gewonnen 
hat, hat eine Industrie ins Leben gerufen, die eine unübersehbare Menge von Nähr¬ 
präparaten für den Säugling auf (len Markt bringt. Diese Präparate lassen sich im 
wesentlichen in zwei Gruppen theilen, 1. solche, die für sich allein eine vollständige 
Nahrung oder doch wenigstens einen wesentlichen Bestandtheil derselben sein sollen, 
2. Präparate, die als Zusätze zur Nahrung, diese für den Säugling geeigneter machen 
oder für sich allein bei Verdauungsstörungen zu einer Ruhediät dienen sollen. 

Der leitende Gedanke bei der Herstellung der zu Gruppe I gehörigen Präparate 
(wenigstens bei dem grössten Theil derselben) ist der möglichst gute Ausgleich der 
zwischen der Zusammensetzung von Frauen- und Kuhmilch bestehenden Unterschiede; 
das Ziel ist eine Nahrung, welche die einzelnen Nährstoffe in demselben Verhältniss 
wie die Frauenmilch enthält und in der die Qualität der Nährstoffe, besonders des 
Eiweisses, möglichst der Frauenmilch ähnlich ist. 

Das Eiweiss (Kasein) der Kuhmilch, das in seiner Menge und Art nach weit 
verbreiteter Ansicht schädlich sein soll und für alles mögliche verantwortlich ge¬ 
macht wird, wird herabgesetzt, durch eine Art Vorverdauung für den Säugling zu¬ 
gänglicher gemacht oder durch fremdartige leichter verdauliche Eiweissstoffe ersetzt. 
Das Fett wird möglichst auf seiner mittleren Höhe von 3 °/ 0 erhalten oder noch 
erhöht. Zucker wird annähernd in demselben Verhältniss gehalten wie in der 
Frauenmilch. 

Das älteste dieser Präparate ist das Biedert’sche künstliche Rahmgemenge, 
das wegen der grösseren Bequemlichkeit an die Stelle des natürlichen gesetzt wurde. 

Obgleich streng genommen nicht hierher gehörig, mag das natürliche Rahm¬ 
gemenge kurz erläutert werden, weil es die Herstellung derartiger Präparate gut 
veranschaulicht. 

1 1 / 2 —2 Liter Vollmilch lässt man zwei Stunden lang kühl stehen und schöpft 
den Rahm, etwa 150 ccm, ab. Mischt man Vs Liter dieses Rahms mit ‘Vs Liter 
Wasser -f- 18 g Milchzucker, so erhält man die Nahrung I für Neugeborene. Durch 
Zusatz von Vio, Vs, 1 U , Vs Liter Milch werden weitere Stufen gewonnen. 

Anstatt den Rahm selbst herzustellen, kann man die Rahmkonserve (künst¬ 
liches Rahmgemenge), fabriziert von Dr. Sauer, vormals Pizzala in Zwingenberg 
und von Drenckhan in Stendorf bei Kasseedorf in Holstein, benutzen. 

1 Löffel Konserve mit 13 Löffel Wasser und 2 Löffel Milch geben Mischung I, 
Zusatz von 3 Löffel Milch Mischung II u. s. w. Es werden so 14 Stufen hergestellt. 

Fabrikmässig wird das Rahmgemenge trinkfertig in fünf Stufen, entsprechend 
dem natürlichen Rahmgemenge, hergestellt von W. Schneider in Mainz und 
Th. Timpe in Magdeburg. 

Der Biedert’schcn Rahmkonserve nachgebildet ist Löfflund’s Rahmkonserve, 
die einen Theil der Kohlehydrate als Maltose enthält. Die Anwendung geschieht 
so, dass V'i Liter Kuhmilch, 2 /a Liter Wasser, 50 g Rahmkonserve, 30—35 g Milch¬ 
zucker gemischt werden. Das Ganze wird aufgekocht oder im Soxhlet. sterilisiert. 
Zu beziehen durch Löfflund in Stuttgart. 


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Künstliche Präparate für die Ernährung des Säuglings. 


315 


Ein ähnliches, trinkfertig in den Handel kommendes Präparat ist die Gärtner¬ 
sehe Ecttmilch, die mit der Ccntrifuge aus zur Hälfte mit Wasser verdünnter Voll¬ 
milch bereitet wird. Das fertige Präparat enthält im Mittel 1,5% Eiweiss, 3% Fett, 
(5—7% Zucker. 

Vegetabilisches Fett findet in der Lahmann’schen vegetabilischen Milch 
Verwendung. Die Art der Bereitung ist ähnlich der des Biedert'sehen Rahmgemenges; 
an Stelle des Rahms tritt eine Pflanzenfettkonserve aus Nüssen, Mandeln etc. 

Ein Schritt weiter in der »Verbesserung« der Milch ist bei den folgenden 
Präparaten geschehen durch Vorverdauung des Eiweisses oder durch Ersatz des schwer¬ 
verdaulichen durch ein leichtverdauliches Eiweiss. 

Die Backhaus-Milch wird so hergestellt, dass Magermilch, in der das Eiweiss 
durch Trypsin vorverdaut ist, mit Wasser und Rahm versetzt wird. Das fertige 
Präparat enthält Kasein 0,6%, Albumin 1%, Fett 3%, Milchzucker 6—7%. Ein 
ganz ähnliches Präparat ist die Voltmer’sclie Muttermilch. 

Einen Zusatz von fremdartigem Eiweiss enthält die Rieth'sehe Albumosen- 
milch.- Hier ist das Kasein ersetzt durch eine aus dem Hiihnereiweiss hergestellte 
Albumose. Zusatz von Rahm und Zucker. 

Auch die in neuerer Zeit fabrikmässig hergestellten Eiweisspräparate haben 
vielfach Verwendung gefunden. Erwähnt sei die Hartmann’sch'e Somatoseniilch 
und eine mit Zusatz von Somatose hergestellte Rahmkonserve, die von Sauer in 
Zwingenberg unter dem Namen Somatose Ramogen in den Handel gebracht wird. 

Die Ilempel-Lehmann’sche Milch wird bereitet durch Verdünnung der 
Kuhmilch bis zu einem Kaseingehalt von 0,75%. Zusatz von Ilühnereiweiss und 
eines Eidotters, von Rahm und Zucker. 

Das Ei hat ferner Verwendung gefunden in dem Hessc-rfund’schen Eipulver, 
das mit verdünntem Rahm geliefert und diesem zugesetzt wird (1 Pulver auf 50 ccm 
Rahm). 

Es war zu erwarten, dass die vielen Manipulationen und Umänderungen, die 
an der Kuhmilch vorgenommen wurden, schliesslich dahin führten, die Nahrung über¬ 
haupt künstlich zusammen zu setzen. Ein Präparat dieser Art ist die Rosc'sche 
Muttermilch; sie ist aus Milcheiweiss, Butterfett, Zucker, Salzen und Wasser zu¬ 
sammengesetzt und ähnelt in den quantitativen Verhältnissen der Frauenmilch. 

An Milchkonserven, die kondensiert in Büchsen zum Verkauf kommen, sei die 
weitverbreitete sogenannte Schweizermilch erwähnt, ein sehr zuckerreiches Präparat, 
und die Milchkonserve, die neuerdings von der Löfflund’schen Fabrik in den 
Handel gebracht wird und ohne Zusatz von Zucker präpariert ist. 

Fertige Nährpräparate in trockener Form herzusteilen ist verschiedentlich ver¬ 
sucht worden und hat in der bedeutend besseren Haltbarkeit derartiger Konserven 
seine Berechtigung. 

Ein gutes Präparat dieser Art ist z. B. Allenburg’s Milchnahrung. Es 
kommen zwei Sorten in den Handel (eine dritte Sorte wird später noch zu erwähnen 
sein), die sich dadurch von einander unterscheiden, dass No. 2 etwas fettärmer ist 
als No. 1 und mehr Kohlehydrate enthält als No. 1. Ausserdem ist bei No. 2 ein 
grösserer Theil der Kohlehydrate als Maltose vorhanden als bei No. 1. 

Damit mag die Reihe der eigentlichen Milchsurrogate beendet sein. 

Als Uebergang zur Gruppe II ist ein Präparat zu nennen, das für sich allein 
keine Säuglingsnahrung ist, aber zur Bereitung der Liebig-Keller’schen Malzsuppe 
verwendet wird. Der dazu nothwendige alkalische Malzextrakt wird mit dem richtigen 
Zusatz von Kalicarbonicum unter dem Namen Malzsuppenextrakt von Löfflund, 
von Scheering u. a. in den Handel gebracht. Es existieren dafür auch verschiedene 
trockene Malzpräparatc. 

Wo die Herstellung der Liebig’sehen Suppe zu schwierig erscheint, kann das 
als Allenburg’s Nahrung No. 3 bekannte Präparat (Maltcd Food) angewendet werden. 
Es giebt mit Milch, Wasser und Zucker nach Vorschrift zubereitet eine Nahrung, die 
der Liebig-Keller’schen Malzsuppe sehr nahe steht 

In Gruppe II seien zunächst fermentative Zusätze zur Milch, die eine bessere 
Verdaulichkeit des Eiweisses erzielen sollen, genannt. 


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316 Salgc, Künstliche Präparate für die Ernährung des Säuglings. 

Solche Zusätze sind z. B. Timpc’s Milchpulver (Pankreatin und Zucker), das 
in Mengen von V 4 Theelöft'el zu 100 ccm Milch zugesetzt wird, und das Pegnin des 
Dr. v. Düngern, das von den Höchster Farbwerken in den Handel gebracht wird. 
Letzteres Präparat will die grobflockige Gerinnung des Kuhmilchk&se'ins dadurch un¬ 
schädlich machen, dass die Labgerinnung schon vorher in der Flasche besorgt wird 
und die entstandenen groben Gerinnsel mechanisch zerkleinert werden. 1 

Die Kindermehle, die nun zu besprechen sind, werden in ausserordentlich 
grosser Zahl auf den Markt gebracht. Soweit diese Präparate als alleinige Nahrung 
des Säuglings dienen sollen, sind sie unbedingt zu verwerfen; denn sie bestehen 
beinahe nur aus Kohlehydraten (der sogenannte Milchzusatz bei einigen Mehlen ist 
praktisch ohne jede Bedeutung), und die mit ihnen bereiteten Abkochungen, ge¬ 
wöhnlich 5<>/o, haben einen so geringen Kalorieengehalt, dass zur Deckung des 
Energiebedarfs eines 5000 g schweren Säuglings 2,5 1 nothwendig wären. Sie werden 
vielfach in milchhaltige und reine Mehle geschieden. Zu ersteren gehören z. I». die 
Präparate von Nestle, Bademann, Muffler, Theinhardt, Opel’s Nährzwieback, 
Löfflund’s Milchzwiebak u.s.w. Zu den reinen Kindermehlen gehören u. a. Kufecke’s 
Mehl, Mellin’s Food etc. 

Die Reihe dieser Präparate ist mit den genannten durchaus nicht erschöpft, sie 
genügen aber vollkommen als Beispiele. 

• Es wurde oben schon gesagt, dass der Milchzusatz ohne jede praktische Be¬ 
deutung ist und ohne Fehler vernachlässigt werden darf. 

Eine Bedeutung haben diese Präparate als Ruhediät bei Darmkrankheiten, als 
Zusatz zur Milch an Stelle von gewöhnlichem Mehl. So kann z.B. in den von Heubner 
angegebenen Mischungen vortheilhaft eines dieser Kindermehle angewendet werden: 
unbedingt nothwendig sind diese Kindermehle aber nicht, es geht auch mit ge¬ 
wöhnlichem Mehl, sofern dieses nur an sich von guter Qualität und Reinheit ist 

Man darf wohl sagen, dass die Nährmittelindustrie die Aufgabe, einen Ersatz 
für Muttermilch und eine allgemein gültige künstliche Ernährung zu schaffen, bisher 
nicht gelöst hat; andrerseits ist anzuerkennen, dass diese Präparate in vielen Fällen 
der künstlichen Ernährung gute Dienste leisten können, namentlich da, wo nach dem 
Ueberstelien von Magendarmkrankheiten die Rückkehr zur Kuhmilch erschwert ist; 
wo die Kinder mit Kuhmilch nicht vorwärts kommen wollen, da ist oft die An¬ 
wendung dieser Präparate von Nutzen. Bestimmungen für den einzelnen Fall müssen 
für jedes Mal gesondert getroffen werden, allgemeine Regeln lassen sich darüber nicht 
aufstellen. Bemerkt darf vielleicht werden, dass die fettreichen Präparate, z.B. Gärtner¬ 
oder Backhausmilch, oft recht gute Resultate bei Frühgeburten geben und da zu 
empfehlen sind, wo eine Amme nicht zur Verfügung steht. 

Bei Atrophie und chronischen Verdauungsstörungen ist im allgemeinen eine 
kohlehydratreiche Nahrung, z. B. Liebigsuppe, vorzuziehen. 

Als Dauernahrung für den Säugling sind alle diese Surrogate nicht geeignet. 

Wir haben es in ihnen stets mit Konserven zu thun, die aller Eigenschaften 
einer frischen Nahrung entbehren. Die Erfahrung hat gelehrt, dass schwere Er¬ 
nährungsstörungen, wie die Barlow’sche Krankheit, häufiger geworden sind seit 
weiterer Ausbreitung dieser Konservennahrung. 

So geeignet also diese Präparate im einzelnen Falle zeitweilig sein mögen, im 
allgemeinen haben die Kuhmilch und die aus ihr hergestellten Verdünnungen noch 
nichts von ihrer Bedeutung für die künstliche Ernährung des Säuglings eingebüsst. 


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Referate über Bücher und Aufsatze. 



Referate über Bücher und Aufsätze. 


Pani Jacob und Gotthold Panuwitz, Entstehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose. 

Bd. I. Leipzig 1901. Verlag von Georg Thieme. 

»Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts«, wir folgen den Worten der Verfasser, »und 
wohl auch die folgenden haben in medicinischer Hinsicht hauptsächlich zwei Aufgaben zu erfüllen, 
die Erforschung der Entstehung und der Bekämpfung der grossen Volkskrankheiten«. Im Mittel¬ 
punkt weitgehendsten Interesses sowohl in medicinischer wie in soziologischer Hinsicht steht die 
Volkskrankheit xar die Tuberkulose; und seit der denkwürdigen Tagung des ersten 

Kongresses zur Bekämpfung derselben im Jahre 1899 ist das Bestreben, ihre Wurzeln zu erforschen 
und Maassregeln gegen ihre Ausbreitung zu finden, ein Allgemeingut der ganzen kulturellen Welt 
geworden. In diesem Beginnen ist die wissenschaftliche Forschung unbedingte Voraussetzung und 
wenn irgendwo, so hat sich hier die exakte, systematische Arbeit als die Grundlage jedweder Er- 
kenntniss erwiesen. 

Die Probleme der Entstehung der Tuberkulose beherrschen das medicinische Denken seit 
Jahrhunderten; hin und her wogte und wogt theilweise noch der Streit der Meinungen. Hier 
haben die Verfasser des vorliegenden verdienstvollen Werkes eingesetzt und mit Hilfe einer in den 
deutschen Lungenheilstätten angesteilten Sammelforschung ein Material zu Tage gefördert, das in 
seinem Umfange, seiner Verarbeitung und seinen Ergebnissen ein bedeutsames Stück Wegs in der 
Erforschung der Tuberkulose als Volkskrankheit vorstellt. In den Bereich der Statistik wurden 
fast alle deutschen Lungenheilstätten, sowie ausserdem säramtliche in den letzten vier Dezennien 
an Tuberkulose verstorbenen Angehörigen der Lebens Versicherungsgesellschaften »Victoria« sowie 
der »Preussischen Lebensversicherungsgesellschaft« gezogen, ein Material, das sich insgesammt auf 
3907 Personen erstreckt. Die Fragebogen wurden an die Insassen der Lungenheilstätten direkt 
geschickt, und die Ausfüllung derselben erfolgte, allerdings unter Mitwirkung der Anstaltsärztc, 
durch die Kranken selbst. Die der Sammelforschung zu gründe liegenden Fragen erstreckten sich 
vor allem auf etwa vorhandene hereditäre Belastung von seiten der Eltern wie der Geschwister, 
auf die Art der Ernährung in den ersten Lebensjahren (ob Mutter-, Kuhmilch oder Surrogate), auf 
die Lebensverhältnisse in der Kindheit, auf etwaiges Zusammenleben mit Lungenkranken, auf Be¬ 
ginn und Verlauf der späteren Erkrankung sowie auf weitere persönliche Verhältnisse. Dem Frage¬ 
bogen war eine genaue Information über die zu beantwortenden Fragen beigegeben, die die präzise 
Ausfüllung bedeutend erleichterte. Und das Resultat war ein überraschend günstiges: die Be¬ 
antwortung der Fragen erfolgte ebenso bereitwillig wie eingehend Dieses Material von mehreren 
tausend Fällen bildet unleugbar eine vorzügliche Unterlage für die weitere Frage der Entstehung 
und daran anschliessend auch der Bekämpfung der Tuberkulose; sucht sie doch in denkbar schärfster 
Form die Bedingungen zu ergründen, unter denen es dem in den menschlichen Organismus ein¬ 
gedrungenen Tuberkelbacillus überhaupt möglich ist, die spezifischen krankhaften Gewebsverände¬ 
rungen, die eigentliche Krankheit zu erzeugen. 

Der uns vorliegende erste Band des gross angelegten Werkes, dem die Verlagshandlung Georg 
Thieme, wie gewohnt, eine vorzügliche Ausstattung mit auf den Weg gegeben hat, umfasst also 
die Aetiologie der Tuberkulose, die Verwerthung des Fragebogenmaterials wie 
weiterhin die methodische Bearbeitung der einzelnen Entstehungsursachen der 
Lungentuberkulose; der zweite im Herbst zur Erscheinung gelangende Band soll die auf der 
ätiologischen Kcnntniss beruhenden Abwehrmaassregeln einer ausführlichen Betrachtung unterziehen. 
Während die Spezialtabeflen, geordnet nach den einzelnen Lungenheilstätten, die Beantwortung 
der verschiedenen Fragen wiedergeben, enthält eine sich daran anschliessende Generaltabelle 
diejenigen Momente, welche für alle Fragen der Entstehung der Lungentuberkulose in Betracht 
kommen. Ausserdem wurden noch Uebersichtstabellen angelegt, in denen für jeden ein¬ 
zelnen Kranken die verschiedenen Faktoren zusammengestellt wurden, welche auf Grund seiner im 
Fragebogen gegebenen Antworten ätiologisch berücksichtigt werden mussten. In ausserordentlich 


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318 Referate über Bücher und Aufsatze. 

übersichtlicher Anordnung ist dieses enorme Material zusammcngestellt worden und zeugt von dein 
grossen Fleissc wie nicht minder von dem emsigen Stieben der Verfasser, Licht in diese so un¬ 
gemein wichtigen und zum Theil noch unaufgeklärten Gebiete zu werfen. 

ln den den Tabellen folgenden Kapiteln finden die Ergebnisse der Statistik ihre wissen¬ 
schaftliche Verwcrthung Das erste derselben »Heredität und Disposition in ihren Be¬ 
ziehungen zur Tuberkulose« bringt nach eingehender Erörterung der Frage der gcruiinativeu 
Vererbung und der kongenitalen Uebertragung der Disposition und nach Würdigung der bisher aul 
diesem Gebiete aufgestcllten Theorien und experimentellen Forschungen als Resultat der Sammel¬ 
forschung die Thatsache, dass unter den 3295 sicher Tuberkulösen nur in einer verschwindend 
kleinen Anzahl von Fällen eine direkte hereditäre Belastung zu konstatieren war, sowie ferner dass 
in 172 Fällen, bei denen durch anamnestische Ermittelungen die Frage des Vorkommens von 
Tuberkulose bei den Eltern bejaht worden war, überhaupt niemals ein Zusammenleben der Patienten 
mit ihren Eltern zur Zeit der Tuberkulose derselben stattgefunden hat Von hervorragender Be¬ 
deutung ist es dabei, dass in der überwiegenden Anzahl derjenigen Fälle, in welchen die Zeugung 
von tuberkulösen Eltern, bezw. das Zusammenleben mit denselben in der Kindheit stattfand, gleich¬ 
zeitig der Faktor des Aufwachsens der betreffenden Patienten in mangelhaften, bezw. ganz un¬ 
hygienischen sozialen Verhältnissen konstatiert und dass fernerhin gerade in der [Mehrzahl dieser 
Fälle das Auftreten tuberkulöser bezw. skrophulös-tuberkulöser Erkrankungen in der Kindheit 
ausserordentlich häufig festgestellt werden konnten. Zu ganz ähnlichen Resultaten kam man bei 
den Ermittelungen aus den Akten der oben erwähnten Lebensversichcrungsanstalten. Die Be¬ 
ziehungen zwischen Skrophulose und Lungentuberkulose finden in einem weiteren 
Kapitel eine vorzügliche Darstellung; auch hier werden die einschlägigen, bisher erschienenen 
Arbeiten besprochen und im Anschluss daran auf Grund der eigenen Statistik geprüft, in wie weit 
die hieraus gewonnenen Zahlen mit den Ergebnissen anderer Autoren übereinstimmen, nach welcheu 
Richtungen hin sie davon ab weichen, und zu welchen neuen Anschauungen sie hinsichtlich der 
Actiologie der Lungentuberkulose Anlass geben. Das Resultat der Angaben der für die vorliegende 
Frage in Betracht kommenden 673 Kranken ist folgendes: Für die Aetiologie der Tuberkulose kommt 
von allen Momenten bei tveitem am häufigsten die Abstammung von, bezw. das Zusammenleben mit 
Tubcikulösen in der Kindheit in Betracht, nämlich insgesammt in 367 Fällen, bei welchen ihren An¬ 
gaben gemäss skrophulose bezw. tuberkulöse Affektionen in der Kindheit bestanden haben. Als 
zweitwichtigen Faktor muss das Aufwachsen in mangelhaften hygienischen Verhältnissen betrachtet 
worden, diese Angabe w’urde im ganzen von 163 Patienten gemacht. Als drittes Moment kommt 
dann schliesslich noch die Art der Ernährung in den ersten Kinderjahren in Betracht, ein Moment, 
dessen Bedeutung in dem Kapitel »Milch und Tuberkulose« ausführlich behandelt wird und das 
gerade im gegebenen Momente — hervorgerufen durch die jüngsten Auslassungen Koch’s auf dem 
Kongress in London — erhöhte Bedeutung gewinnt. Die Entstehung und Uebertragung der 
Lungentuberkulose in geschlossenen Räumen, die Beziehungen zwischen Ehe und 
Schwangerschaft, zwischen Trauma, zwischen anderen Krankheiten und der Lungen¬ 
tuberkulose sind Gegenstand einer Reihe weiterer, in sich geschlossener Kapitel und finden in 
exakter, klarer Form eine ebenso eingehende Zusammenstellung wie Werthschätzung hinsichtlich des 
statistischen Materiales, auf dessen Einzelheiten an dieser Stelle kaum eingegangen werden kann 
Dagegen sollen die Schlusssätze, welche die Verfasser auf Grund früherer Erfahrungen wie an der 
Hand der aus ihrer Sammelforschung gewonnenen Ergebnisse aufgestcllt haben und die wohl voll 
und ganz dem heutigen Standpunkt unserer Kenntnisse entsprechen, hier wiedergegeben werden; 
bilden sie doch die Quintessenz der verdienstvollen Untersuchungen; dieselben lauten: 

1. In nur sehr seltenen Fällen besteht die Lehre der strengen Kontagionistcn zu Recht, dass 
der Tuberkelbacillus allein ohne irgend welche mitwirkenden Einflüsse die Krankheit be¬ 
dinge. Zu seiner Ansiedlung und Entwicklung gehört vielmehr eine bestimmte Be¬ 
schaffenheit des menschlichen Köqmrs, bezw. der Lungen (Empfänglichkeit, Anlage, Dis¬ 
position). 

* * 

* 

2. Es besteht eine ererbte oder in dcrjKindheit erworbene allgemeine Schwäche des Körpers. 
Bleibt eine derartige Minderwcrtliigkeit des Organismus bestehen, so genügt schon diese 
für die Ansiedlung und Entwicklung des Tuberkelbacillus. 

3. Aus der ererbten oder in der Kindheit erworbenen allgemeinen Schwäche entwickelt sich 
vielfach das Krankheitsbild der »allgemeinen Skrophulose«. Diese bildet einen besonders 
fruchtbaren Boden für den Tnberkelbacillus. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 319 

4. Auf dem Boden der ererbten oder erworbenen allgemeinen Schwäche bezw. allgemeinen 
Skrophulosc entwickelt sich durch Einwanderung von Tuberkelbacillen in die Lyniphdrüscn 
die »tuberkulöse Skrophulose«. Die in den Drüsen abgelagerten Tuberkclbacillen verbleiben 
daselbst mehr oder weniger lange Zeit in lebensfähigem Zustande und vermögen eventuell 
später die Lungentuberkulose hervorzurufen. 

* * 

* 

5. Zur Entstehung der Lungentuberkulose im späteren Alter auf Grund einer seit der Kind¬ 
heit bestehenden Disposition bedarf cs meist jedoch noch besonderer Bedingungen, welche 
die von aussen cindringcnden Tuberkel bacillen befähigen, die krankhaften Veränderungen 
zu erzeugen. Diese Bedingungen sind entweder allgemeiner Natur (mangelhafte hygienische 
Lebens Verhältnisse, schwächende Krankheiten, Alkoholismus etc.) oder örtlicher Alt 
(Schädigung der Lunge durch Berufsthätigkeit, Traumata, Krankheiten der Athmungs- 
organc etc.). 

G. Unter den gleichen Bedingungen allgemeiner Natur oder örtlicher Art können in den 
Lymphdrüsen abgelagerte Tuberkelbacillen mobilisiert werden und in die Lungen gelangen, 
um nunmehr Lungentuberkulose hervorzurufen (»Infektion von innen her«), 

* * 

* 

7. Zur Entstehung der Lungentuberkulose beim Erwachsenen bedarf es aber keineswegs 
immer einer von der Kindheit her bestehenden Disposition. Es geben vielmehr sehr 
häufig auch im späteren Alter allgemein oder örtlich schwächende Einflüsse dem Tuberkel¬ 
bacillus die Möglichkeit zu seiner Ansiedlung und Entwicklung. 

Nach Vorlicgen dieses mustergültigen ersten Bandes des Tuberkulose werk es kann dem Er¬ 
scheinen des zweiten Bandes mit berechtigten Erwartungen entgegengesehen werden. 

_ J. Marcusc (Mannheim). 


J. Ruhemaun, Aetiologie und Prophylaxe der Lungentuberkulose. Jena 1900. Verlag von 
Gustav Fischer. 

Der Autor, welcher sich durch seine jahrelange litterarische Beschäftigung mit den Erkältungs¬ 
krankheiten bereits einen hervorragenden Namen verschafft hat, schildert in dieser Monographie 
den Einfluss, welchen die Influenza auf die Entstehung und die Verschlimmerung der Lungentuber¬ 
kulose ausübt. Es ist zwar bereits mehrfach in dem vergangenen Jahrzehnt, namentlich in den 
Sanitätsberichten der deutschen Armee und in den Statistiken einzelner Krankenhäuser, darauf hin¬ 
gewiesen worden, dass die Influenza den Verlauf der Lungenschwindsucht mehr oder weniger be¬ 
schleunigt. Immerhin ist es das Verdienst von Ruhemann, diesen wichtigen Gegenstand mono¬ 
graphisch zum ersten Male bearbeitet zu haben. Durch graphische Darstellung von Kurven und An¬ 
führung eigener Fälle versucht er den Nachweis dafür zu erbringen, dass die akuten Atfektioncn der 
Athmungsorgane und die Tuberkuloseerkrankungen eine auffallende Ucbcreinstiminung bezüglich der 
Morbilitätsquanten aufweisen; diese Uebcreinstimmung geht sogar soweit, dass sie auch innerhalb der 
einzelnen Abschnitte eines Jahres zu konstatieren ist. Was die von Ruhe mann aus seiner eigenen 
Praxis angeführten Fälle betrifft, so können wir uns bezüglich deren Beurtheilung nicht immer dem 
Autor völlig anschliesscn. Die meisten dieser Fälle können unserer Ansicht nach nur unter dem Ge¬ 
sichtspunkte betrachtet werden, dass bereits mehr oder minder lange Zeit vor Beginn der Influenza 
Tuberkclbacillen in dem Organismus der betreffenden Patienten vorhanden waren und dass die 
Influenza bei ihnen die bis dahin latente Tuberkulose zu einer manifesten gestaltete. — Auch in 
seinen Schlussfolgerungen geht der Autor unseres Erachtens zu weit, indem er meint, dass »die 
Influenza von all denjenigen Momenten, welche die Tuberkulose bedingen, das weitaus häufigste 
und wichtigste ist, und dass die Disposition zur Entstehung der Tuberkulose auf der Anwesenheit 
der Tuberkelbacillen beruht, während die Entstehung selbst, vornehmlich durch die akute Ein¬ 
wirkung der Influenzaerreger geschieht«. Mit diesen Leitsätzen vernachlässigt Ruhemann alle die 
Faktoren, welche im Alltagsleben so ausserordentlich häufig zur Entstehung der Lungentuberkulose 
Anlass geben: schlechte soziale Verhältnisse, Berufsschädlichkeiten, Schwangerschaft, Trauma u.s.w. 
Aber darin kann man ihm beipflichten, dass die Influenza in vielen Fällen einen entscheidenden 
Einfluss auf den weiteren Verlauf der Lungenschwindsucht ausübt und dass daher einerseits die¬ 
jenigen Tuberkulösen, welche von der Influenza befallen werden, in der allersorgfältigsten Weise be¬ 
handelt, andrerseits Menschen, welche an Influenza erkranken und nicht tuberkulös sind, in strengster 
Weise vor der Infektionsgefahr behütet werden müssen. 


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320 Referate über Bücher und Aufsätze. 

In einem besonderen, interessanten Abschnitt bespricht Ruhemann dann noch den Einfluss, 
welchen das Sonnenlicht auf die Entstehung und das Fortschreiten der Lungentuberkulose aus¬ 
übt. In dem letzten Abschnitt über die Prophylaxe der Tuberkulose giebt der Autor eine 
kurze Uebersicht über die meist bereits von anderen Autoren vorgeschlagenen Maassnahmen. 

Paul Jacob (Berlin). 


A. Riffel, Weitere pathogenetische Stadien Uber Schwindsucht nnd Krebs nnd einige andere 
Krankheiten. Nach eigener Methodik angestellt Frankfurt a.M. 1901. Verlag von Johannes Alt. 

Immer kleiner ist während der letzten Jahre das Lager der Autoren geworden, nach deren 
Meinung die Tuberkelbacillen die Phthisis pulmonum im Organismus hervorrufen können, ohne dass 
noch besondere Bedingungen hierfür vorhanden sind. Um so werthvoller sind daher die Unter¬ 
suchungen derjenigen, welche die Fragen zu entscheiden suchen, ob und welche Momente es den 
Tuberkelbacillen ermöglichen, sich im Körper anzusiedeln und bestimmte pathologische Veränderungen 
zu erzeugen. 

Bereits im Jahre 1892 hat Riffel »Mittheilungen über die Erblichkeit und die Infektiosität 
der Schwindsucht« erscheinen lassen. Dieselben betrafen die statistischen Erhebungen, welche er 
bei den Mitgliedern sämmtlicher Familien eines Ortes von jetzt 1200 Einwohnern innerhalb eines 
Zeitraumes von 200 Jahren anstellen konnte. In der hier vorliegenden Monographie hat er diese 
Arbeit weiter ausgedehnt und berichtet über die Ergebnisse neuer Untersuchungen von 46 Familien, 
welche in vier untereinander sehr verschiedenen Orten lebten. Diese Erhebungen erstreckten sieh 
nicht nur auf das Auftreten der Schwindsucht, sondern auch auf das des Krebses und einer Reihe 
anderer Krankheiten. Für jede Familie legte Riffel eine Stammbaumtafel in Diagrammfonn an. 
Mit der von ihm angegebenen Anleitung zum Verständniss dieser Stamm bäum tafeln ist cs dem 
Leser nicht schwer, einen Ueberblick über die Krankheiten zu gewinnen, welche in den einzelnen 
40 Familien vorgekommen sind. 

So sehr man nun auch den immensen Fleiss anerkennen muss, welchen Riffel bei seinen 
statistischen Erhebungen verwendet hat, und so werthvoll das hier zusammengebrachte Material 
ist. so werden die Schlussfolgerungen, welche er daraus zieht, mit Recht wohl dem lebhaftesten 
Widerspruch begegnen. Schon die statistischen Erhebungen, welche in seiner ersten Monographie 
aus dem Jahre 1892 niedergelegt sind, wurden von Kirchner u. a. gerade im entgegengesetzten 
Sinne gedeutet als von dem Autor selbst Was nun aber die Vorstellungen über die Entstehung der 
Lungenschwindsucht anbelangt, welche Riffel in dieser Monographie wiedergiebt, so widersprechen 
diese allen heutigen wissenschaftlichen Erfahrungen. Man braucht keineswegs ein Anhänger der 
Lehre der Kontagionisten zu sein und wird sich doch nicht zu dem Anspruch bekennen können 
den Riffel im Kapitel »Prophylaxe der Schwindsucht« aufstellt: »Vielleicht ist es ein Glück, dass 
wir den Tuberkelbacillus nicht aus der Welt schaffen können; denn die Natur hat nichts geschaffen 
das nicht auch ein Gutes hat. So hat sicherlich auch der Tuberkelbacillus sein Gutes; er gehört 
jedenfalls in die Welt; sonst wäre er nicht da; und wer weiss was geschehen würde, wenn die 
Rolle, die ihm die Natur im grossen Welttheater zugetheilt hat, durch seine Ausrottung wegfällt.« 
— Diese Leitsätze sind charakteristisch genug für die Auffassung des Autors vom Wesen der 
Tuberkulose. Man hat seit Jahren, wie bereits erwähnt, fast durehgehends die Anschauung fallen 
lassen, dass der Tuberkel bacillus allein imstande ist, die Tuberkulose hervorzurufen, ohne dass ihm 
durch besondere Bedingungen der Boden hierfür im Organismus geebnet ist; aber als völlig irrig 
muss man die Theorie Riffel’» bezeichnen, dass der Tuberkelbacillus nur dann seine Wirksamkeit 
im menschlichen Körper entfalten kann, wenn das Gewebe bereits vorher zerstört oder zerfallen ist 
Den Begriff der latenten Tuberkulose verwirft der Autor völlig und bezeichnet ihn als Ver¬ 
legenheitstheorie, ohne alle diejenigen Arbeiten zu berücksichtigen, in welchen namentlich die 
Pathologen in Tausenden von Fällen bei der Sektion von Menschen, die während ihres Lebens nie¬ 
mals Zeichen einer Tuberkulose dargeboten hatten, mit Sicherheit tuberkulöse Veränderungen in den 
Organen, d. h. eine latente Tuberkulose auf weisen konnten. Nur in denjenigen Anschauungen können 
wir dem Autor einigermaassen beipflichten, welche er über die angeborene bezw. erworbene Dis¬ 
position zur Acquisition von Krankheiten hat. Aber aufs Energischste muss die Ansicht Riffel’» 
bekämpft werden, dass die mit dem Auswurf von Tuberkulösen in die Umgebung zerstreuten 
Tuberkelbacillen für tyre Mitmenschen unschädlich und dass die Bemühungen zur Beseitigung des 
Auswurfs, welche man gerade in den letzten Jahren mit so grossem Erfolg durchgeführt hat, als 
völlig zwecklos anzusehen sind. So müssen wir die Betrachtung über den Ilaupttheil dieses Werkes 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


321 


mit einem gewissen Bedauern darüber schliessen, dass diese Arbeit, in welcher ein so gewissenhaft 
geordnetes Material niedergelegt ist, sich in ihren Schlussfolgerungen so weit von der Heerstrasse 
der heute als allgemein richtig angesehenen Anschauungen entfernt. 

Aus dem übrigen Theil der Arbeit mag noch hervorgehoben werden, dass die meisten Krebs¬ 
falle, welche Riffel in den 40 Familien verzeichnen konnte, meist nur bei solchen Personen vor¬ 
kamen, in deren Familien häufig Schwindsucht aufgetreten war. Aehnliches galt vom Puerperalfieber. 
— Den Schluss der Arbeit bildet eine Polemik gegen Com et, auf die wir hier nicht näher ein- 
gehen wollen. Paul Jacob (Berlin). 


J. Boas, Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten. II. Theil. 4. Auflage. Leipzig 1001. 

Verlag von Georg Thieme. 

Während der erste Theil der Boas’schen Monographie über die Diagnostik und Therapie 
der Magenkrankheiten bereits vor vier Jahren in vierter Auflage erschienen ist, giebt der Autor 
die des zweiten Theiles erst jetzt heraus. Dieselbe ist in einzelnen Abschnitten zu einer völligen 
Neubearbeitung geworden. Eine ganze Reihe von Kapiteln ist hinzugekommen, so über Pyloro- 
spasmus, Sarkome, Syphilis, Tuberkulose des Magens, Achylia gastrica, Nausea nervosa. Andere 
Abschnitte haben besonders durch die Mittheilung einer grossen Reihe neuerer Erfahrungen, über 
welche der Autor verfügt, eine erhebliche Vervollständigung erfahren. Wenngleich Boas in dem 
Werke die neuere Litteratur vielfach berücksichtigt, so stützt er sich doch hauptsächlich auf die in 
der eigenen Praxis gewonnenen Anschauungen und Resultate, so dass das Buch vielfach einen 
subjektiven Charakter trägt. Es gewinnt hierdurch aber an Originalität und gewährt andrerseits 
dem Leser die Möglichkeit, selbst Stellung zu den noch strittigen Fragen zu nehmen. (R.) 


Zeitschrift Tür Tuberkulose und Heilstfittenwesen. Bd. 2. Heft 1, 2, 3. 

Seit der letzten Besprechung der Hefte der Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen 
ist der erste Band dieses beraerkenswerthen Archivs zum Abschluss gelangt. Die Herausgeber und 
Redakteure haben mit diesem ersten Jahrgange den Beweis dafür geliefert, dass sie mit der Be¬ 
gründung der Zeitschrift einem hervorragenden Bedürfnis aller Kreise, welche sich mit der Tuber¬ 
kulose — sei es in wissenschaftlicher, sei es in praktischer Hinsicht — beschäftigen, gerecht ge¬ 
worden sind. 

Auch die bisher erschienenen drei ersten Hefte des neuen Jahrgangs reihen sich würdig dem 
ersten Bande an. Von den hierin enthaltenen Aufsätzen seien nur die kurz besprochen, welche sich 
an die Ziele unserer Zeitschrift anlehnen. In dem ersten Hefte des zweiten Bandes giebt Bielefeld 
einen ausführlichen Bericht über die grossartigen Einrichtungen, w elche in Frankreich seit nunmehr 
über zehn Jahren für tuberkulöse Kinder vorhanden sind. Wir entnehmen diesem Aufsatze, dass 
die Oeuvre d'Ormesson ira Jahre 1888 mit einem Kapital von 20 000 Francs für 12 Patienten be¬ 
gonnen wurde; jetzt, nach 12 Jahren, hat sich hieraus ein Unternehmen mit einer Jahreseinnahme 
und -Ausgabe von 350 000 Francs entwickelt, und es waren bis Ende 1890 im ganzen 13 342 un¬ 
bemittelte tuberkulöse Kinder mit 418 000 Pflegetagen in den betreffenden Anstalten untergebracht. 
Die Heilungen schwanken zwischen 30 — 50%. Nicht zum wenigsten sind sie dem Umstande zu 
danken, dass die Kinder aus dem Sanatorium nicht in die schlechten, unhygienischen Verhältnisse 
ihrer Elternhäuser zurückkehren, sondern noch jahrelang durch Arbeiten im Garten und Landbau, 
d. h. ständig in freier Luft und unter geeigneter Kontrolle beschäftigt werden. Es ist dies eine 
Etappe im Kampfe gegen die Tuberkulose, welche, wie Bourcart auf dem Berliner Tuberkulose¬ 
kongress und Bielefeld an dieser Stelle ausspricht, bisher leider noch völlig bei uns in Deutsch¬ 
land fehlt und die unseres Erachtens nach nicht nur für die aus den Heilstätten entlassenen Kinder, 
sondern desgleichen für die Erwachsenen dringend eine energische Nachahmung verdient. 

In dem gleichen Hefte findet sich ein Aufsatz von Mount Bleycr, der durch Bestrahlung 
der Lungen mit Lampen von 5000 — 25 000 Kerzen Stärke bei 40 Phthisikern angeblich Heilung, 
bei 20 anderen Besserung erzielt haben will. Diese überaus günstigen Resultate stehen allerdings 
im Widerspruch mit den Ergebnissen derjenigen Beobachtungen, welche von verschiedenen deutschen 
Autoren bezüglich der Heilung der Lungentuberkulose durch die Lichttherapie mitgetheilt worden sind. 

Aus dem zweiten Hefte wollen wir einen Uebersichtsbericht von Schröder über neuere 
Medikamente und Nährmittel bei der Behandlung der Tuberkulose erwähnen. Nach Schröder’s 
Ausführungen ist das Fersan bei Lungenschwindsüchtigen nicht sehr bekömmlich, da die Kranken, 

ZeiUichr. f. diüt. u. phyaik. Therapie Üd. V. Heft 4. ^2 


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32*2 Referate über Bücher und Aufsätze. 

nachdem sie das Mittel einige Zeit genommen haben, über dyspeptisehe Beschwerden klagen. Das 
Roborin ruft weder Nachtheile noch Vortheile für den Appetit und die Magendarmfunktion hervor: 
ein Theil desselben erscheint aber klumpig im Kothe wieder. Ueber das Roborat theilt Schröder 
keine eigenen Erfahrungen mit. 

Aus dem dritten Hefte ist der Aufsatz von Freudenthal (in New-York) hervorzuheben 
Dieser unterzieht hauptsächlich die sogenannten Liegekuren einer strengen Kritik und stellt die 
Forderung auf, dass eine ganze Reihe von Phthisikern — und zwar auch die der besseren Klassen 
— mit einer Arbeitskur, ähnlich wie dies schon längere Zeit in Nervenkliniken üblich ist, behandelt 
werden sollen. Die Ausführung dieses Planes für Amerika stellt er sich in der Weise vor, dass 
die zehntausende Morgen von Ackerland, welche im Südwesten der Vereinigten Staaten noch brach 
liegen, durch Lungenkranke urbar gemacht und dass landwirthschaftliche Betriebe daselbst ein¬ 
gerichtet würden. 

Schliesslich erwähnen wir aus dem gleichen Hefte noch die Arbeit von Duhoureau: *>A 
propos de la zomoth6rapie«. Dieser Autor empfiehlt den Lungenkranken neben den anderen Be¬ 
handlungsmethoden noch täglich den Saft von 150—300 g rohen Fleisches zu verabfolgen und stützt 
sich dabei anf die Empfehlungen, welche in dieser Hinsicht seit mehreren Jahren sowohl von 
französischen wie englischen Autoren gegeben worden sind. Paul Jacob (Berlin.) 


G. Liebe, Der Stand der Volksheilstfittenbewegung im In- und Anslande. V. Bericht. 1900 . 

Liebe giebt eine kurze, mit Angabe der bezüglichen Littcratur versehene Darstellung der 
Einrichtung, der Leitung, des ganzen Betriebes und der Erfolge sämmtlicher Volksheilstätten des 
in- und Auslandes, soweit ihm die betreffenden Daten auf sein Ersuchen von den verschiedenen 
Verwaltungen, bezw. Direktoren zur Verfügung gestellt wurden. Er zählt von deutschen Anstalten 
49 thcils für sich, theils in Verbindung mit anderen Anstalten bestehende auf; weitere 16 waren 
anfangs des Jahres 1900 im Bau, für fernere 28 waren entweder behördlicherseits die Mittel be¬ 
willigt oder ihr Zustandekommen durch Verraachtnisse, kostenlose Hergabc von Grundstücken u.s. w. 
gesichert. 

Der zweite Theil des Berichtes enthält entsprechende Mittheilungen über Amerika, Australien, 
Belgien, Dänemark, Frankreich, Grossbiitannien, Holland, Italien, Norwegen, Oesterreich, Polen 
(Posen), Portugal, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz, Spanien und Ungarn und lässt erkennen, 
dass der vom deutschen Zentralkomitee so wirksam vertretene Gedanke der Begründung von 
Heilstätten für Tuberkulöse auch ausserhalb Deutschlands die gebührende Anerkennung und Förde¬ 
rung von seiten der Behörden und Privaten gefunden hat. Viktor Lippert (Wiesbaden. 


D. Hansemann, Einige Zellprobleme und ihre Bedentuug für die wissenschaftliche Be¬ 
gründung der Organtherapie. Berliner klin. Wochenschrift 1900. No. 4. (Vortrag gehalten 
in Aachen am 21. September 1900). 

In dem recht lesensworthen Vortrage werden von höheren biologischen Gesichtspunkten aus 
die Fortschritte besprochen, welche die Organtheiapie im verflossenen Jahrhundert gemacht hat. 
Die Organtherapie baut sich auf dem »Altruismus« und der »Spezifität der Zellen« auf; sie erstrebt 
die von einer Zellart spezifisch gelieferte Substanz dem Körper einzuverleiben, wenn diese Substanz 
durch irgend welche Einflüsse dem Organismus verloren ging. Die »altruistische« Thatigkeit einer 
Zell gruppe soll also auf diesem Wege ersetzt werden. Die einverleibte Substanz kann nur dort 
wirksam sein, wo es sich um den Ausfall eines Organes mit »positiver« Funktion, mit einer innern, 
für den Körper wichtigen Sekretion handelt; wo dies nicht der Fall ist, ruht die Anwendung organ¬ 
therapeutischer Präparate nicht auf gesicherten wissenschaftlichen Grundlagen, sondern ist rohe 
Empirie. Ebenso ist es sinnlos, eine Organtherapie dort einzuleitcn, wo einOigan mehr von spezi¬ 
fischen Produkten in den Kreislauf bringt, als für den Körper nothwendig ist, wo also die innere 
Sekretion in exeessiver Weise vor sich geht. Daher muss die Thyreoideabehandlung bei Morbus 
Basedowii, die Behandlung mit Hypophysis bei Akromegalie erfolglos bleiben. 

Wenn die Erfolge der Organtherapie mitunter wesentlich hinter den theoretischen Er¬ 
wartungen Zurückbleiben, so liegt das zum theil an der Anwcndungsweise. Die Organpräparate 
stammen voiiThicrcn, umles ist nicht ganz wahrscheinlich, dass z. B. die Schilddrüsen verschiedener 
Thierarteu alle chemisch dieselbe Substanz secernieren; es müsste ei-st noch experimentell festgestellt 


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Referate über Bücher and Aufsätze. 323 


werden, welche Organe bei einzelnen Thieren denen des Menschen am ähnlichsten funktionieren. 
Dazu kommt noch, dass die Organe bei ihrer chemischen Verarbeitung zu therapeutischen Zwecken 
eingreifenden Manipulationen unterliegen, und dass sie, meistens per os appliziert, auch durch den 
Verdauungsvorgang wesentlich alteriert werden. Die genaue chemische Durchforschung und Rein¬ 
darstellung der in den Organen wirksamen Substanzen ist das Postulat der Zukunft, soll die Organ¬ 
therapie ein lebensfähiger Zweig der modernen Medicin bleiben. P. F. Richter (Berlin). 


Theodor Jäusch, Der Zucker in seiner Bedeutung für die Yolksernährnng. Berlin 1900. 

Eine populär - wissenschaftliche Broschüre, in welcher die Vorzüge des Zuckers für die Er¬ 
nährung des Menschen auseinandergesetzt werden. Es wird speziell die Bedeutung des Zuckers als 
Kraftquelle hervorgehoben und der Kampf gegen eine Reihe von Vorurtheilen gegen den Zucker¬ 
genuss durchgeführt. Auch ein Kapitel »Heilwirkungen des Zuckers« ist vorhanden, doch ist dieses 
in der Allgemeinheit, mit der die Schlüsse gezogen sind, derart, dass man bald merkt, dass die 
Broschüre mehr für die grosse Masse als für Aerzte bestimmt ist. Trotzdem ist das Büchlein auch 
für den Arzt lesenswerth. H. Strauss (Berlin). 


Julian Marcus e, Kritische Uebersicht über die diätetischen Nährpräparate der Neuzeit. 

Therapeutische Monatshefte 1900. Mai. 

Die wissenschaftliche Basis, die in den letzten Jahrzehnten die Diätetik genommen und die 
sie zu einer selbstständigen therapeutischen Methode emporgehoben hat, so dass sie in Verbindung mit 
den physikalischen Heilfaktoren einen integrierenden Bestandtheil der modernen Therapie bildet, hat 
die fundamentale Bedeutung der Ernährung des kranken Individuums von neuem zum Ausdruck 
gebracht. Davon theilweise beeinflusst hat jene Hochfluth der Darstellung diätetischer Nährpräparate 
begonnen, die ein klares Bild vom Wesen und Werth einzelner Präparate am Krankenbett völlig 
verwischt hat und eine strenge Kritik auf Grund der wissenschaftlichen Indikation für die An¬ 
wendung der diätetischen Präparate nothwendig macht. Wie die Vcrwerthung eines jeden Nah¬ 
rungsmittels, so wird auch die eines Nährpräparates per se durch zwei Faktoren bedingt, einmal 
durch die Verdaulichkeit desselben und zweitens durch die Verwendbarkeit des Verdauten im Or¬ 
ganismus. Diesen beiden Anforderungen, die als Resultate der physiologischen Ernährungslehre zu 
betrachten sind, schienen in erster Reihe die Ei weisskörper und von diesen wiederum die aus 
animalischem Eiweiss gewonnenen Substanzen zu genügen. Eins der ältesten und bekanntesten 
dieser ist das Liebig’sche Fleischextrakt, dessen Werth jedoch nicht auf dem Gehalt an Eiweiss- 
substanz, der äusserst gering ist (20,ö), sondern an Extraktivstoffen (38,29) und Mineralbestandtheilcn 
(22,74) beruht, sodass es als Ersatzmittel von Eiweissnahrung in der Krankendiät unzureichend, da¬ 
gegen als appetitanregendes und das Nervensystem günstig beeinflussendes Präparat anwendbar ist. 
Eine weitere Gruppe der wegen ihres animalischen Eiweissgehaltes empfohlenen Präparate bilden 
die Fleischsäfte (Valentine 1 » meat juice) etc., deren Eiweissgehalt jedoch zu ihren hohen Preisen 
durchweg in einem ungeheuren Missverhältnis» steht. Bovril und Toril haben einen so geringen 
Eiweissgehalt, dass sie als Ei weissnahrung garnicht in Betracht kommen können, und nur das in 
jüngster Zeit eingeführte Puro verdient hinsichtlich seines Eiweissgehaltes (31,01) wie seines Preises 
Beachtung. Neben den Fleischextrakten und Fleischsäftcn stehen dis Peptonpräparate, wie Koch’s, 
Kemmerich’», Licbig’s Pepton, die jedoch mit geringen Ausnahmen infolge Erkenntniss der 
Rolle der Peptone bei der Ernährung verlassen worden sind. Die Reihe der aus Fleisch bereiteten 
Eiweisspräparate schliesst eine pulverförmige Albumose, die Somatose. Sie stellt bekanntlich eine 
vollkommen lösliche Substanz mit 12—13% Stickstoff dar, hauptsächlich aus Albumosen (öl,3) mit 
etwas Pepton (2,2) bestehend. Sie versprach im Beginn ihrer Einführung viele besondere Wirkungen, 
die sie jedoch nicht erfüllt hat. Man suchte daher Ei weisspräparate zu bilden, welche dem genuinen 
Eiweiss noch näher stehen, und stellte zwei neue, das Eukasin und die N utrose, dar, welche Kasein, 
also ein phosphorhaltiges Albumin enthalten. Sie haben einen sehr hohen Eiweissgehalt i8ö—90%), 
werden gut vertragen und resorbiert. Zu dieser Kategorie gehören ferner die San ose, das Sanatogen, 
das Eulaktol und das Plasmon, über welch letzteres sich auf Grund von Stoffwechselversuchen 
eine Reihe von Autoren sehr günstig ausgesprochen haben. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint 
es erwiesen, dass die Kaseinpräparate gegenüber allen anderen Nährpräparaten in der diätetischen 
Therapie vorzuziehen sind. In jüngster Zeit an das Tageslicht getretene Präparate sind dasGlobon, 

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324 Referate über Bücher und Aufsätze. 

dieMietose und der Nährstoff Hey den, bei welch letzterem Eigelb eine vortheilhafte Verwendung 
gefunden hat. Das vegetabilische Eiweiss hat eine bedeutend geringere Verarbeitung zu diätetischen 
Nährmitteln gefunden, bekannt sind eigentlich nur unter ihnen die Mutase, das Aleuronat und 
schliesslich das halb animalisch, halb vegetabilisch hergestellte Tropon. Abgesehen von dem mehr 
oder minder grosseren Nährwerth aller dieser künstlichen Präparate ist zu beachten, dass eine über¬ 
wiegende Eiweissnahrung für den Körper überhaupt nicht nothwendig ist, dass für die Ernährung 
eines Kranken 50—00 g Eiweiss als ausreichend erachtet werden können, wenn man die Zufuhr von 
Kohlehydraten und Fett in genügender Weise gestaltet. 

Neben den Ei weissstoffen hat man auch Kohlehydrate und Fette künstlich dargestellt: Als 
erstere nennen wir die Knorr’schen, Hohenlohe’schen und Hartenstein’schen Präparate, das 
Thein har d’sche Hygiama, die zahlreichen Kindermehle. Sie enthalten beachtenswerthe Ei weiss¬ 
mengen, ihre Ausnutzung ist eine vorzügliche. In diese Kategorie zählen ferner Malzextrakte, Honig. 
Haferkakao etc. Als Fettpräparat für diätetische Zwecke ist wohl nur das Lipanin bekannt, das 
jedoch durch alle unsere gewöhnlichen Fette und Oele, wie sie auf den Tisch kommen, ersetzbar 
ist! So schrumpft die Zahl der haufenweise angepriesenen Nährpäparate auf ein Minimum wirklich 
brauchbarer zusammen und würde noch mehr Einschränkungen erfahren, hätte man nicht in der 
Praxis mit mancherlei Momenten zu kämpfen, welche die Anwendung künstlicher Nährmittel gegen¬ 
über den natürlichen im Interesse der Kranken als psychisch nützlich erscheinen lassen. 

J. Marcuse (Mannheim}. 

Hermann Schlesinger, Lehrkurse für Bereitung der Krankenkost* Therapeutische Monats¬ 
hefte 1900. August. 

Der Verfasser hatte bei Gelegenheit der Ausstellung für Krankenpflege zu Frankfurt a. M. 
vom 8.—18. März 1900 das Arrangement einer Küche übernommen, die bestimmt war, die Kranken¬ 
kost für die verschiedenen Formen der Krankenernährung vorzuführen. Er ertheilte vorher vierzig 
jungen Damen einen Lehrkurs, der an sieben Tagen jedesmal zwei Stunden in Anspruch nahm. 
Während der Ausstellung selbst wurde täglich, bisweilen einmal, bisweilen zweimal, zwei Stunden 
von den in Gruppen eingetheilten Damen die Krankenkost in ihren verschiedenen Formen bereitet. 
Der Erfolg war ein durchaus gelungener und befriedigender. Der Verfasser wünscht, dass solche 
Lehrkurse zu einer ständigen Einrichtung werden. Vor allen Dingen ist dabei zu betonen, dass 
nur der Arzt die Kurse crtheilt. Selbstverständlich muss er das Gebiet der wissenschaftlichen 
Diätetik beherrschen und auch in die Geheimnisse der praktischen Kochkunst eingeweiht sein. Die 
Kochkurse für Aerzte sind daher ein begrüssenswerthes Unternehmen. Der Kurs selbst zerfällt in 
einen theoretischen und praktischen Theil; dieser soll jenem stets unmittelbar folgen. Behandelt 
werden u. a. folgende Themata: Ziel, Zweck und Wirkung der Krankenernährung, sowie die Mittel, 
deren sie sich bedient, die einzelnen Nährstoffe und ihre Bedeutung, allgemeine Betrachtung über 
die Nahrungsmittel, die Genussmittel und ihre Bedeutung für Gesunde und für Kranke, der Begriff 
der Verdaulichkeit, Erläuterung der Verdauungsprozesse, Besprechung der Nährpräparate und der 
Grundsätze, nach denen ihre Fabrikation erfolgt. Die wichtigsten Krankenspeisen, die man aus 
Milch, Fleisch, Eiern, Vegetabilien etc. bereitet, wurden genau besprochen, ebenso die Getränke. 
Daran knüpften sich Erörterungen über den Nährwerth, Alkoholika, Pflege der Zähne und des 
Mundes u. a. m. Unbedingt nothwendig ist es, genaue Rezepte zu diktieren. Vorzugsweise wurde 
das Material gewählt, das überall beim Metzger, Krämer und Bäcker bezogen werden kann, in 
zw eiter Linie erst die Nährpräparate, für die doch stets gedruckte Gebrauchsanweisungen existieren. 
Die Handhabung des S o x h 1 e t apparates w urde demonstriert und eingeübt. Stets kommt es darauf 
an, das Verständniss für die diätetischen Vorschriften zu erschlicssen; diese selbst sind, wie die 
medikamentösen Verordnungen Sache des Arztes, wahrend es dem Laien einfach obliegt, sie strikte 
zu befolgen. Furch he im er (Würzburg). 


Adolph Rupp, öu the dietetics of tlie eouvalescent stage of fevers. New'-York meJ. joum. 
1900. 20. Mai. 

Die Aufgabe der Behandlung in der postfebrilen Periode ist es, den Schaden, den der 
Organismus durch das Fieber erlitten hat, wieder auszugleichen. Dazu ist neben tonisierenden 
Medikamenten besonders eine rationelle Ernährung geeignet, die möglichst reich an Nährmaterial 
und doch leicht verdaulich sein soll. Bäder. Massage und Elektrizität können je nach Lage des 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 3*25 

Falles in der Rekonvalescenz werthvolle Dienste leisten. Gymnastik und aktive Uebungen sind 
besonders für die späteren Stadien zu empfehlen. Alkohol und sexuelle Excesse können die Rekon¬ 
valescenz erheblich beeinträchtigen. Friedlaendcr (Wiesbaden). 


Paulesco, La medication thyroidenne dans le traitement des troubles trophiques des extrdmites. 

Journal de medecine interne 1900. No. 13. 

Dem Aufsatz liegen einige Fälle zu Grunde, in denen trophische Störungen an den Extremi¬ 
täten bestanden, die unter dem Einfluss der mödication thyroidenne schnell zur Heilung gelangt 
sind. Der erste Fall betrifft einen 68 jährigen Mann, der Ende Februar 1900 an sehr heftigen, an¬ 
fallsweise (alle 3 — 4 Stunden) auftretenden, 1 / 2 — 1 Stunde andauernden Schmerzen in dem vierten 
und fünften Zeh des rechten Fusses zu leiden begann. Anfang März beobachtete Patient, dass der 
kleine Zeh schwarz geworden war. Bei der Aufnahme ins Krankenhaus am 12. März wurde der 
kleine Zeh des rechten Fusses ganz schwarz und kalt befunden, seine innere Fläche zeigte einen 
oberflächlichen Schorf. Dieser ist von einer violetten Zone umgeben, die den vierten Zeh, den 
ausseren Rand und die Sohle des Fusses in einer Ausdehnung von etwa 5 qcm einnimmt. Die 
violette Partie zeigt eine ausserordentlich intensive Hyperästhesie; am kleinen Zeh ist die Sensibilität 
noch erhalten. Am Abend des 12. März erhält Patient 1 g Jodothyrin (Bayer) und 1 g Antipyrin 
und wegen Schmerzhaftigkeit 0,02 Morphin subkutan. Die folgende Nacht verläuft ohne Schmerz¬ 
anfälle, deren früher jede Nacht zwei bis drei aufgetreten waren. 13. März. Feuchte Ein Wicklung 
des Fusses wird nicht vertragen. Patient erhält 2 g Jodothyrin und 3 g Antipyrin, 0,01 Morphin 
subkutan. 14. März. Seit gestern keine Anfälle mehr. 3 g Jodothyrin, 3 g Antipyrin, kein Morphin. 
15. März. Der kleine Zeh immer noch schwarz, die violette Partie kleiner, die Hyperästhesie be¬ 
trächtlich geringer und weniger ausgebreitet, an Stelle des Schorfes eine kleine oberflächliche 
Ulceration. 16. März. Die schwarze Farbe des kleinen Zehen hat einer rothen Platz gemacht; die 
Hyperästhesie wesentlich geringer. 4 g Jodothyrin. 17. März. Der kleine Zeh ist noch ein wenig 
rdther, als die Haut der Umgebung; die Ulceration ist vernarbt, die Hyperästhesie verschwunden. 
4 g Jodothyrin. Am 18. März ist der Zustand normal, die krankhaften Erscheinungen sind gänz¬ 
lich geschwunden. Nichts desto weniger erhält Patient bis zum 21. März täglich 4 g Jodothyrin, 
dann nimmt er täglich 0,5 g weniger. (Die Tagesdosis von 4 g Jodothyrin wurde gut vertragen.) 
Am 29. März wird Patient geheilt entlassen; aber schon am 5. April kehrt er mit einem Rezidiv 
zurück. Unter gleicher Behandlung erfolgt definitive Heilung. Prophylaktisch nimmt Patient noch 
längere Zeit hindurch täglich 0,25 g Jodothyrin. — Die anderen vier Fälle betrafen ähnliche 
Störungen an Nase, Bein, Nägeln; auch hier unter Jodothyringebrauch Heilung. 

Die fünf Fälle zeigen trophische Störungen verschiedener Art; gemeinsam ist ihnen eine 
lokale Störung der Innervation, eine funktionelle Insufficienz des Nervenapparats, der die Zirkulation 
und Ernährung der betroffenen Theile beherrscht. Diese Störungen sind unter dem Einfluss des 
Jodothyrin geheilt, aber nicht die Folge einer Affektion der glandula thyroidea; es bestand kein 
Symptom, dass auf die funktionelle Insufficienz der Drüse hindeutete. Unbegreiflich erscheint die 
Wirkungsweise des Jodothyrin in den beregten Fällen, wenn man die herrschende Theorie als 
richtig anerkennt, nach der die Schilddrüse eine Substanz abscheidet, die gewisse im Organismus 
entstehende Gifte neutralisiert. Dagegen sieht Paulesco in ihnen eine Bestätigung der von ihm 
aufgestellten These, dass das Sekretionsprodukt der Schilddrüse zur Erhaltung und Funktion des 
Nervensystems nöthig ist. — n. 


II. Streb el, Gewebsökonomie und Osmose. Separatabdruck aus der deutschenMedieinalzeitung 1900. 

Wer den Titel und den ersten Theil dieser Arbeit liest, ist über den Schluss einigermaassen 
erstaunt, denn dieser klingt in eine Empfehlung des Fleischsaftes »Puro* aus. Die Empfehlung 
dieses, wie Referent selbst auch bestätigen kann, sehr brauchbaren Präparates hätte ebenso wirk¬ 
sam mit den vom Verfasser beigebrachten fünf Krankengeschichten durchgeführt werden können 
wie mit der Vorausschickung einer grossen physikalisch - chemischen Einleitung. Referent betont 
dies besonders aus dem Grunde, weil ihm die physikalisch - chemische Erörterung physiologischer 
Probleme heute noch an vielen Punkten verfrüht erscheint. Denn die hochinteressanten physikalisch¬ 
chemischen Vorgänge, die wir bei einfachen Lösungen in den ausserhalb des Körpers vorgenom¬ 
menen Experimenten beobachten, können im Körper, wo die Säfte zusammengesetzt sind und in 
ihrer Zusammensetzung durch Zufuhr und Abfuhr bis zu einem gewissen Grade verändert werden 
können, möglicherweise und in manchem Falle sogar wahrscheinlich erweise anders verlaufen als 


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3*26 Referate über Bücher und Aufsätze. 

im Experiment. Deshalb soll man vorerst auch nur ganz grobe Fragen aus dem Gebiete der 
Physiologie und Pathologie nach physikalisch - chemischen Gesichtspunkten untersuchen und be- 
urtheilen. Für den Nachweis der Brauchbarkeit eines Nährpräparats sind physikalisch-chemische 
Auslassungen, so interessant sie — wie im vorliegenden Falle — auch sein mögen, vorerst nur 
selten und nur unter ganz besonderen Bedingungen geeignet, das Vertrauen zu einem bestimmten 
Nährpräparat thatsächlich weiter zu fordern. H. Strauss (Berlin). 


S. Monrad, Om Anrendelsen af raa Maelk ved Atrofl og kronisk Mare-Tarmkatar hos spaede 
Born. Ilospitalstidende 1901. No. 6 und 7. 

Die Vorzüge der sogenannten Milchsterilisation haben viele dazu verleitet derselben ausser 
der Keimtötung noch Leistungen zuzuschreiben, deren sie nicht fähig ist. Nach Monrad ist bisher 
kein zwingender Beweis für die oft aufgcstelltc Behauptung geliefert, dass sterilisierte Milch einen 
grösseren Nahrungswerth für den Säugling besitze als rohe Milch. Ob die bekannte Veränderung 
des Koagulationsmodus des Kaseins unbedingt von Vortheil ist, sei nicht sicher gestellt. Es werden 
vom Verfasser fünf Krankengeschichten mitgethcilt, in denen die Darreichung roher Milch ganz 
überraschende Resultate erzielt hat. Es handelt sich um zum Theil hochgradig atrophische Kinder 
mit sehr hartnäckigen Dyspepsien. Weder sterilisierte noch gekochte Milch noch sonstige Er- 
nährungs- und medikamentöse Behandlungsversuchc hatten Erfolg. Dahingegen trat nach Dar¬ 
reichung von roher Milch ein völliger Umschwung ein. Das Erbrechen stand, der Stuhl wurde 
gut, das Gewicht nahm rasch zu, das atrophische Aussehen verlor sich. Einmal, wo durch Zufall 
einige Tage hindurch wieder sterilisierte Milch gegeben wurde, trat der alte Zustand von neuem 
hervor, und verschwand erst wieder nach abermaligem Ersatz jener durch rohe Milch. 

Verfasser citiert analoge Erfahrungen, die Jensen mit jungen Kälbern gemacht hat. Monrad 
will keineswegs die Vortheile der sterilisierten Milch, welche nach wie vor in erster Linie zur 
Verwendung gelangen wird, missen, er empfiehlt jedoch eine unter allen Kautelen gewonnene rohe 
Milch zum Versuch in solchen Fällen wie den seinen, zumal da, wo die gastrischen Symptome im 
Vordergrund stehen und wo andere Ernährungsarten fehlschlagen. Die Darreichung geschieht ge¬ 
wöhnlich in den auch sonst üblichen Mischungsverhältnissen, zuweilen sind kleine häufiger wieder¬ 
holte Dosen ungemischter roher Milch mit Nachtrinken der Verdümiungsflüssigkeit vorzuziehen. 

Böttcher (Wiesbaden). 


Charrin et Gnillemonat, Iitfluence des modifleations experimentales de Porganisme snr 
la consommation de la glycose. Progrös medical 1900. No. 29. 

Die Verfasser konnten feststellen, dass Kaninchen, denen mehrere Monate hindurch Lösungen 
von Mineralsalzen (Natriumsulfat, Natriumphosphat, Chlornatrium) injizirt wurden, eine Verstärkung 
der hauptsächlichsten Stoffwechselprozessc zeigten und dass sich eine Veränderung derselben erkennen 
liess, wenn man ihnen dieselbe Zeit hindurch äquivalente Mengen einer Säurelösung zugeführt hatte 
(Oxalsäure, Milchsäure, (Zitronensäure). 

Sie untersuchten weiter, wie sich dieser Einfluss auf die Zuckerassimilationen äussert und 
konnten feststellen, dass die Zuckerausscheidung bei den mit Säure vorbehandelten Thieren reichlicher 
und länger dauernd war, als bei den Thieren, welche Mineralsalze erhalten hatten. Sie schlossen 
daraus, dass die Letzteren den Zucker besser verwerthen, als die Erstcren und glauben durch ihre 
Experimente den Schlüssel zur Erklärung von gewissen Vorgängen gegeben zu haben, welche die 
alte Medicin mit dem Namen der Säuredyskrasie bezeichnet. II. Strauss (Berlin). 


Gockel, Ueber Erfolge mit »Pankreon«. Centralblatt für Stoffwechsel- und Verdauungskrank¬ 
heiten No. 11. 

C. Wegele, Bemerkungen zu dem Artikel: »Ueber Erfolge mit Pankreon«. Ibid. No. 14. 

Gockel berichtet über Versuche, die er mit einem neuen Pankreaspräparat ».Pankreon« an¬ 
gestellt hat. Dieses von der rheinischen Fabrik »Rhcnania« hergestellte Präparat stellt ein graues, 
geruchloses Pulver dar, welches auf der Zunge einen angenehmen Geschmack hinterlässt und welches 
im Experiment 5 Stunden der zerstörenden Wirkung des Magensaftes Stand hielt. Es entwickelt 
in vitro eine sehr stark proteolytische, amylolytische und fettspaltende Kraft, welche diejenige 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 327 

anderer Pankreaspräparate weit übertreffen soll. Bei Fällen von Achylia gastrica mit und ohne 
Diarrhöe sah Verfasser sehr günstige Erfolge auf die subjektiven Beschwerden der Patienten sowie 
auf die Diarrhöe, desgleichen bei einigen Fällen von Magencarcinom, sowie bei Diarrhöeen ver¬ 
schiedenen Ursprungs. Unter 34 Fällen, bei welchen eine Indikation vorlag, war nur sechsmal ein 
Misserfolg zu konstatiren. Verfasser gab dreimal täglich 0,3 - 0,5 g bei vorhandener Magensalzsäure 
1 4 — l U Stunde vor dem Essen mit 100 ccm Wasser, bei HCl-Mangel während und nach dem Essen. 
Bei Kindern war die Dosis mehrmals täglich 0,1 g. Verfasser empfiehlt das Präparat bei den ver¬ 
schiedenen Verdauungs- und Stoffwcchselstörungen, in welchen es darauf ankoramt, entweder pep- 
tisehes Ferment zuzuführen, oder die Resorption der Nahrung anzuregen, für welche nach Abel- 
mann und Minkowski die Pankreasfunktion von Bedeutung ist. Speziell sieht Verfasser auch 
eine Indikation zur Pancreondarreichung nach fieberhaften Krankheiten, bei Milzaffektionen, bei 
Steatorrhöe u. s. w. Auch für Nährklysmen will Verfasser das Pankreon versucht wissen, da^ 
Zetiner bei Leberthranklystiren mit gleichzeitiger Pankreatinbeimengung eine Fettresorption bis 
75 0 o erzielt haben will. Diese letztere Mahnung kann Referent nur kräftig unterstützen, da er 
bereits früher die Ilinzufügung von Zymin oder Trypsin zu Nährklysmen empfahl (Ueber subkutane 
Ernährung. Zeitschr. für prakt. Aerzte 1898. No. 14), weil schon von Leube eine Erhöhung der 
Fettresorption im Rektum durch Zusatz von Pankreassubstanz beobachtet hatte. 

Audi Wegele empfiehlt das Pankreon als Zusatz zu Nährklysmen, die er früher mit Alcarnosc 
ausführte, jetzt aber wieder mit Eiern unter Zusatz von 0,5 g Pankreon verabfolgt. Wegele 
betont, dass das Pankreon bei den Nährklysmen besonders die lokale Reizwirkung vermindere und 
dass die Stühle hierbei die Merkmale besserer Verdauung zeigen. Bei Achylia gastrica sah 
Wegele gleichfalls Besserung der Magenbeschwerden und der Stuhlverhältnisse unter dem inneren 
Gebrauch von Pankreon und glaubt, dass das Mittel bei Dünndarmkatarrhen, Icterus catarrhalis, 
Magen-Darmatrophie u. s. w. eine weitere Beachtung verdient. H. Strauss (Berlin). 


Marbonx, Les indications du rdgime lactc dang le traitement des Albuminurie». Lyon 
medical 1900. No. 6. 

Die Arbeit des Verfassers giebt eine Uebcrsicht über die verschiedenen Formen der 
Albuminurie, ohne dabei viele neue Gesichtspunkte zu entwickeln. Verfasser unterscheidet vor 
allem solche Fonncn der Albuminurie, bei welchen eine dauernde anatomische Veränderung an 
der Niere vorhanden ist und solche, bei welchen nur von einer funktionellen Albuminurie die 
Rede ist. Zu letzterer Gruppe rechnet er »nervöse, gastrohcpatische, prägouttöse, lithiatische« 
Formen, sowie solche, welche an das Wachsthum oder an eine mangelhafte Menstruation gebunden 
sind. Bei letzteren »Formen empfiehlt er ein »traitement pathogenique«, das vorwiegend auf eine 
hygienisch-diätetische Behandlung hinausläuft. Bei den anderen Formen ist das »traitement patho- 
genique-c nicht so wichtig, als das Ziel, die reinigende Funktion der Niere in Gang zu bringen und 
hierfür ist besonders wichtig die »alimentäre Hygiene«. Die erste Stelle hat hier die Milch, die 
gleichzeitig Medikament und Nahrungsmittel ist. Sie erfüllt zahlreiche und wichtige Indikationen, 
ohne dass man sie indessen als ein Spezifikum anschen kann. Mit Recht weist Verfasser darauf 
hin, dass man in jedem Fall in der Verwendung der Milch gewisse Rücksichten auch auf die übrigen 
Körperfunktionen des Patienten nehmen müsse, und dass häufiger das Milchregime als ein ge¬ 
mischtes Regime, wie als exklusive Milchdiät Verwendung finden sollte. Auch auf eine aus¬ 
reichende Ernährung des Patienten und auf eine Vermeidung oder Verhütung von Reizungen 
ihres Digestionsapparates solle man besonders achten. H. Strauss (Berlin). 


G. Rosenfeld, Untersuchungen über Kohlehydrate. Centralblatt für innere Medicin 1900. No. 7. 

Verfasser stellte vergleichende Untersuchungen über die Toleranz des Hundes gegenüber Dex¬ 
trose, Mannose und Galaktose an und konstatirte zunächst, dass die Leichtigkeit, mit der die drei 
Zuckerarten im Urin erscheinen, derart ist, dass zuerst die Galaktose, dann die Mannose und dann 
die Dextrose im Urin erscheint. Die zu diesen Zuckerarten gehörigen Alkohole: Dulcit, Mannit und 
Sorbit verhielten sich derart, dass Dulcit am leichtesten und Sorbit am schwersten im Urin erschien, 
in der Mitte stand Mannit Bei den Dulcitversuchen ergab sich sogar einmal das seltsame Erscheinen 
von Harnsteinen aus Kohlehydraten; so reich war die Menge der im Urin erscheinenden 
Substanz. Die Alkohole zeigen also hinsichtlich ihrer Assimilationsfähigkeit Aehnliches wie die 
Zuckerarten, zu welchen sie gehören. 


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328 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Mit Mannit am Menschen angestellte Versuche ergaben Folgendes: beim Gesunden erschienen 
nach Darreichung von 20 g Mannit in Wasser 3 g = 15 °/ 0 im Urin als Mannit Beim Diabetiker 
verhielt sich je nach der besonderen Art des Falles der Mannit verschieden, und zwar glaubt 
Roscnfeld, dass er sich »was freilich durch umfangreichere Versuche nachgeprüft werden musste«, 
beim Diabetiker wie Dextrose verhält. »Ist der Kranke im stände, die dem Mannit gleiche Mengt? 
zu verarbeiten, so thut er es mit Mannit ebenso wie mit Dextrose. Liegt die verabreichte Menge 
Mannit jenseits seiner absoluten Toleranzgrenzo, so wird sie wie Dextrose ausgeschieden«. Zu be¬ 
achten ist bei der Darreichung des Mannits, dass ein Theil im Darme vergohren werden oder in 
unzersetztem Zustand im Kothe ausgeschieden werden kann, sowie ferner, dass Diarrhoeen und 
Appetitstorungen bei seinem Gebrauch auftreten können. Wegen seines fremdartigen Geschmackes 
wird er von Manchem zumckgewiesen, »er hat also gar keine Vorzüge vor Dextrose«. 

Im Anschluss an diese Versuche berichtet Rosenfeld noch über vergleichende Unter¬ 
suchungen, die er mit Pentacetylgalaktose und gewöhnlicher Galaktose am Hunde angestellt hat. 
Hierbei zeigte sich die reine Galaktose etwas mehr geneigt, in den Harn überzugehen, als das 
pentacctylierte Präparat, ohne dass letzteres jedoch zur Glykogenbildung besonders beitrug; denn 
die Leber eines Hundes, bei welchem nach der Darreichung von 32,5 g Pentacetylgalaktose eine 
Glykogenbestimmung vorgenommen wurde, ergab nur Spuren von Glykogen. Rosen fei d enthält sich 
jeden bestimmten Urtheils über das Zustandekommen dieser Erscheinungen und äussert nur die 
Vermuthung, dass das Pentacetylgalaktoscmolekül »irgendwo in ganz besonderer Art zerbrochen wird«. 

H. Strauss (Berlin). 


A. Pabst, Zur Kenntnis» der Wirkung des schwarzen und weissen Fleisches bei chronischer 
Nierenerkrankung* Berliner klinische Wochenschrift 1900. Nr. 25. 

Verfasser hat auf der Fürbringer’schen Abtheilung des Krankenhauses am Friedrichshain die 
in der letzten Zeit mehrfach diskutierte, im Titel genannte Frage an zwei schweren Fällen von chronisch 
parenchymatöser Nephritis in der Weise studiert, dass er Menge und spezifisches Gewicht, den Eiiveis- 
und Cylindergehalt des Urins, sowie das Allgemeinbefinden seiner zwei Versuchspersonen bei ab¬ 
wechselnder Darreichung von weissem und schwarzem Fleische studierte. Er ging dabei so vor, 
dass er acht Tage lang täglich 1/2 Pfund Hühner- und Taubenfleisch, auf der anderen Seite Rind-, 
Hammel- und Hasenfleisch verabreichte und zwischen die verschiedenen Fleischgerichtsperioden je 
eine achttägige Milchperiode einschob. Die vom Verfasser angestellten Untersuchungen ergaben keine 
beträchtlichen Unterschiede zwischen den mit verschiedenen Fleischarten durchgeführten Ernährungs- 
perioden. Die Menge des produzierten Urins war während der Ernährung mit schwarzem Fleisch 
meist eine geringere; hinsichtlich des Eiweissgehalts, der mit dem Esbach’schen Albuminimeter 
gemessen wurde, ergaben sich keine wesentlichen Differenzen. Das Allgemeinbefinden zeigte auch 
keine Aenderung, die zu der einen oder anderen Ernährungsart eine bestimmte Beziehung gezeigt 
hätte. Verfasser ist mit seinem Urtheil in der ganzen Frage sehr vorsichtig, was auch bei einer 
Versuchsserie, die sich nur über zwei Fälle erstreckt, vollkommen gerechtfertigt ist. 

H. Strauss (Berlin). 


Arnold Vidal, Ueber den Einfluss verschiedener Ernährungszustände von Thieren auf die 
Umwandlung subkutan eingespritzten Methämoglobins* Deutsches Archiv für klinische 
Medicin Bd. 65. 

Verfasser studierte unter der Leitung von v. Starck (Kiel) das Verhalten von subkutan ein¬ 
gespritztem Pferdeblutniethämoglobin in der Weise, dass er Meerschweinchen Methämoglobinlösung 
unter die Haut spritzte. Bei diesen Versuchen zeigte sich, dass das irisch bereitete Methämoglobin 
schneller resorbiert wurde, als das alte. Verschiedentlich tritt ein wesentlicher Einfluss des Er¬ 
nährungszustandes der Tliiere zu Tage Bei gewöhnlicher Kost sah man die erste deutliche 
Eisenreaktion nach 96 Stunden. Es ist anzunehmen, dass man mitunter die Anfänge schon etwas 
früher finden kann, da bei dem einen Thier nach der angegebenen Zeit die Eisenreaktion schon 
ziemlich stark war, doch ist eine solche nach 43 Stunden, wie v. Starck sie fand, unter normalen 
Verhältnissen als eine Ausnahme zu betrachten. Bei reiner Fleischkost fand sich eine beschleunigte 
Resorption; bei Verwendung des alten Methämoglobins war zwar nach 48 Stunden noch nichts 
resorbiert, bei dem frischen dagegen nach 48 Stunden etwas, und nach 72 Stunden bedeutende Mengen. 

Die Resorption wurde auch durch Milchkost beschleunigt, wenigstens bei Verwendung der 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 

frischen Losung. Verfasser fand nach 48 Stunden Anfänge, nach 72 Stunden eine ziemlich erheb¬ 
liche Umwandlung. Am auffallendsten und interessantesten war der Einfluss der Blutentziehungen. 
Hier fand sich schon nach 48 Stunden eine sehr lebhafte Umwandlung, sodass man die Anfänge 
wohl auf viel früher annehmen kann. Die vermehrte Resorption ist daraus zu erklären, dass bei 
einer ßlutentziehung eiue bedeutende Verminderung des Gesammteisengehaltes des Körpers eintritt^ 
wie bekanntlich auch mässige Blutentziehungen auf die Gewebe einen Reiz zur Neubildung aus¬ 
üben, was vielleicht auch zur Resorption des Eisens beiträgt 

Man kann die verstärkte Umwandlung bei Fleisch- und Milcbkost entweder auf den ver¬ 
schlechterten Ernährungszustand im allgemeinen oder auf die verminderte Eisenzufuhr in der 
Nahrung beziehen. Verfasser schliesst dies aus dem Umstand, dass bei Milchkost, wo die Eisen¬ 
zufuhr geringer ist, als bei Fleischkost, scheinbar eine schnellere Resorption stattgefunden hat. 

In Bezug auf die Organe fand sich in der Milz keine deutliche Vermehrung des Eisengehalts. 
Verfasser zieht den Schluss, dass der Ernährungszustand der Thiere einen wesentlichen Einfluss auf die 
Umwandlung des eingespritzten Methämoglobins in Eisenalbuminat an Ort und Stelle hat. Namentlich 
anämische Zustände befördern dieselbe sehr, was für therapeutische Zwecke wichtig sein dürfte. 
Weitere Versuche, namentlich auch am Menschen, wären deshalb sehr wünschenswerth. 

H. Strauss (Berlin). 


Riegel, Ueber die Anwendung schmerzstillender Mittel bei Magenkrankheiten« Zeitschrift 
für praktische Aerzte 1900. No. 17. 

Riegel gebührt das grosse Verdienst, in systematischen Versuchen an Hunden mit Pawlow- 
schen Fisteln als Erster in Deutschland eine Reihe von Fragen studiert zu haben, die gerade wegen 
ihrer praktisch-therapeutischen Bedeutung von vorn herein eines besonderen Interesses sicher sind. 
Es ist ihm durch die geniale Versuchsanordnung, wie sie durch Pawlow inauguriert ist, gelungen, 
nach verschiedenen Richtungen hin klärend zu wirken, so auch hinsichtlich der Frage der Ein¬ 
wirkung des Atropins und des Morphiums auf die verschiedenen Funktionen des Magens. 
Diese beiden Arzneimittel, welche pharmakologisch sich nach verschiedenen Richtungen hin ver¬ 
schieden, ja geradezu antagonistisch verhalten, sind von jeher in der Therapie von Magenkrankheiten 
vielfach verwandt worden, und zwar ohne dass bisher ganz scharf umgrenzte Gesichtspunkte Vor¬ 
lagen, auf Grund deren man sich veranlasst gesehen hätte, das eine oder andere Mittel an einer 
bestimmten Stelle zu bevorzugen. In den hier besprochenen Versuchen weist jetzt Riegel nach, 
dass beide Mittel, das Morphium und die Belladonna, zwar gewisse schmerzstillende Wirkungen 
gemein haben, dagegen auf die Saftsekretion einen durchaus entgegengesetzten Einfluss 
äussern. Das Morphium, dem man früher auf Grund verschiedener Untersuchungen nachgesagt 
hatte, dass es die Saftsekretion herabsetzt, zeigt nach Riegel eine geradezu entgegengesetzte, 
erregende Wirkung, während das Atropin die Saftsekretion hemmt. Das ist für die Zwecke der 
praktischen Therapie höchst bedeutungsvoll, denn das Morphium darf nach diesen Untersuchungen 
nicht bei solchen Fällen von Kardialgie angewandt werden, die auf dem Boden der Hyperacidität 
oder Hypersekretion erwachsen sind. Hier sind die Beliadonnapräparate, speziell das Atropin, am 
Platze. Diese Thatsache konnte Riegel auch durch die praktischen Erfahrungen am Kranken¬ 
bette bestätigen, insofern er durch Atropin in subkutaner Injektion, die Riegel der Verabreichung 
per os vorzieht, in Fällen von Kardialgie auf dem Boden der Hyperacidität eklatante Erfolge 
beobachtet hat, die sich in einem Nachlassen der Schmerzen i/ 4 bis längstens 1/2 Stunde nach der 
Injektion äusserten, »obschon mit Sicherheit anzunehmen war, dass ein sehr reichlicher stark 
säurehaltiger Inhalt sich noch im Magen befand«. Die günstige Aeusserung des Atropins bei 
solchen Zuständen führt Riegel zum Thcil auf eine andere Eigenschaft des Atropins zurück, die 
darin besteht, dass das Atropin den krampfhaften Kontraktionen der Pylorusmuskulatur ein Ende 
bereitet, eine Eigenschaft, die dem Morphium nach RiegePs Versuchen an Hunden nicht zukommen 
soll, da Riegel an den Morphium versuchen an Hunden im Gegensatz zu den Atropin versuchen 
oft die Beobachtung machen konnte, dass der in die Fistelöffnung eingeführte Katheter auf der 
Höhe der Wirkung mit Gewalt aus der Fistelöffnung herausgepresst wurde. Riegel empfiehlt 
deshalb das Atropin, speziell in subkutaner Anwendung, als souveränes Mittel gegen die Schmerz¬ 
zustände, die man bei Hyperacidität und Hypersekretion zu beobachten Gelegenheit hat, und warnt 
vor seiner Anwendung bei Fällen von herabgesetzter Saftsekretion, sowie bei Fällen von motorischer 
Schwäche des Magens. Fortgesetzte (5—7 Tage dauernde) Versuche mit grossen Dosen (pro Tag 
bis 21/ 2 mg) zeigten, dass nach dem Aussetzen des Mittels in einzelnen Fällen die Herabsetzung der 


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330 Referate über Bücher und Aufsätze. 

Magensaftsekretion noch andauerte, in anderen Fällen aber wieder den früheren Sekretion»werthen 
Platz machte Die mitgctheilten Versuche von Riegel besitzen einen hohen praktischen Werth, 
insofern sic klar den Weg zeichnen, den wir bei der Auswahl der einzelnen Sedativa bei den ver¬ 
schiedenen Magenkrankheiten zu nehmen haben. H. Strauss (Berlin) 


J. Hagenberg, lieber die Acetonvermehrung beim Menschen nach Znfiihrnng niedriger 
Fettsäuren, Centralblatt für Stoffwechsel- und Verdauungskrankheiten I. No. 2. 

Aus den Versuchen geht hervor, dass die Acetonausscheidung im Ham nach Fettfütterung 
beim normalen menschlichen Organismus von der jeweiligen Menge der in den Fetten vorhandenen 
niederen Fettsäuren abhängig ist. F. Voit (München). 


A. Berger, Ueber den Einfluss reiner Milchdiät bei Diabetes melitus. Wiener klinische 
Rundschau 1000. No. 31. 

In zwei Fällen der leichten Form der Diabetes verschwand bei reiner Milchdiät der Zucker aus 
dem Ham, so dass in solchen Fällen ein Versuch mit reiner Milchdiät gerechtfertigt erscheint. Bei 
mehreren Fällen der schweren Form aber trat bei Milchkost starke Zuckerausscheidung sowohl hei 
jungen, als auch bei älteren Individuen auf. F. Voit (Mönchen). 


W. Sachs, Die Kohlenoxyd Vergiftung in ihrer klinischen, hygienischen und geriehtsärztlichen 
Bedeutung. Braunschweig 1900. 

Eine vorzügliche Zusammenstellung unserer Kenntnisse und der Littcratur über die Kohlen- 
oxvdvergiftung, die in jeder Hinsicht erschöpfend ist. Die Lektüre des Buches kann aufs Wärmste 
empfohlen werden. F. Voit (München). 


J. Wohl gernuth, Beiträge zur Zuekerabspaltung aus Eiweigg. Berlinor klinische Wochen¬ 
schrift 1900 No. 34. 

Verfasser konnte aus Pflanzeneiweiss (Eiweiss aus Gramineen), und aus Milchalbumin eine 
Hexose, aus dom Nueleoprotcid der Leber eine Pcntose abspalten, dagegen gelang es ihm nicht 
aus Kasein, Vittelin und Gelatine einen Zucker zu gewinnen. F. Voit (München). 


Mosse, Erdäpfel als Nahrung hei Diabetes melitus. Klinisch-thcrap. Wochenschr. 1900. No.U>. 

Verfasser beschäftigt sich bereits seit längerer Zeit mit der Frage, ob und in welchem Maasse 
Diabetikern Kartoffeln zu gestatten seien. Aus seinen früheren Untersuchungen geht hervor, dass 
manche Diabetiker mit ausgesprochenen charakteristischen Symptomen 14 Tage bis einen Monat hin¬ 
durch täglich 1500 g Erdäpfel an Stelle von Brot zu sich nehmen können und von diesem Ersatz 
nur Vortheil haben. Mosse hat damals den Satz ausgesprochen, dass in gewissen Fällen von 
Diabetes mittlerer Intensität ebenso wie beim arthritischen Diabetes die Erdäpfel nicht mir ge¬ 
stattet, sondern als Ersatz für Brot lur mehr oder weniger lange Zeit als vorteilhaft empfohlen 
werden können. Er hat seither seine Untersuchungen fortgesetzt. Von ganz besonderem Interesse 
sind zwei Fälle. Der eine zeigt, dass der Ersatz des Brotes durch Kartoffeln sowohl die Zucker¬ 
ausscheidung durch den Harn, als auch den Allgemeinzustand beim mageren Diabetes mit rapidem 
Verlaufe (Pankreasdiabetes) günstig beeinflussen kann. Im zweiten Falle wurde nach längerem 
Ersätze des Brotes durch 1200 — 1500 g Kartoffeln täglicli bei einem arthritischen Diabetiker ein 
ausgezeichnetes Resultat erzielt. — n. 


II. Köppe, Gefrierpunktsererniedrigiing und elektrische Leitfähigkeit natürlicher Mineral¬ 
wässer. Therapeutische Monatshefte 1900. Juni. 

Der um die Uebertragung physikalisch - chemischer Betrachtungen und Untersuchungen auf 
mcdicinische Probleme verdiente Autor bringt in dieser Arbeit eine Reihe von physikalisch- 
chemischen Mineralwasseranalysen und bespricht in dieser Arbeit die Kautelen, welche für solche 


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Untersuchungen und für die Ableitung von Schlüssen aus ihnen nöthig sind. Unter Bezugnahme 
auf eine unter Leitung des Referenten ausgeführte Arbeit von v. Kostkcwicz zeigt Koppe, dass 
das Untcrsuchungsergebniss durch das Entweichen von C0 2 bald mehr, bald weniger beeinflusst 
werden kann. Diese auch von v. Kostkcwicz betonte Fehlerquelle kann man nach Koppe durch 
Kühlhalten der Flasche und der Gefrierrohre, ferner durch vorsichtiges Oeffnen der Flasche, sowie 
vorsichtiges Umgiessen verhüten. Durch mehrfaches Gefrierenlassen kann man die freie C0 2 ver¬ 
drängen und so ihre Menge ermitteln. Bei einer Berechnung der Jonen aus dem Grade der Gefrier¬ 
punkterniedrigung und einem Vergleich der gewonnenen Zahl mit der aus der chemischen Analyse 
ermittelten Jonenzahl zeigte sich, dass letztere in einigen daraufhin untersuchten Wassern stark hinter 
der wirklichen, durch die Gefrierpunktserniedrigung gewonnenen, Zahl zurückblieb. Das beweist, 
dass in den betreffenden Wässern ein Theil der Salze in die einzelnen Jonen zerfallen war. Koppe 
verlangt, dass die Gefrierpunktserniedrigung von Mineralwässern an Ort und Stelle unter den 
obengenannten, ein Entweichen der C0 2 verhindernden Kautelen vorgenommen werden soll und 
hofft, dass solche Untersuchungen theoretisch und praktisch weitere Aufschlüsse über die Art 
des Einflusses bestimmter Mineralwässer auf den Organismus zeitigen werden. Wenn Koppe 
den nicht unter diesen Kautelen ausgeführten Untersuchungen nur einen bedingten Werth für 
die Erforschung dieser Fragen beimisst, so kann sich Referent, trotzdem er das Köppe'sche 
Postulat theoretisch voll und ganz anerkennt, soweit die praktische Ausführung dieses Postu¬ 
lats in Betracht kommt, doch einige Bemerkungen nicht versagen. Wer in einem Kurorte die 
Patienten an der Quelle mit dem mehr oder weniger gefüllten Glase in der Hand in vertrauens¬ 
voller Erwartung ihre Morgenpromenade machen sieht, wird sich des Gedankens nicht erwehren 
können, dass in den Magen der betreffenden Patienten nicht immer ein Wasser gelangt, welches 
der molekularen Konzentration des frisch von der Quelle entnommenen Wassers stets völlig gleicht; 
von denjenigen Patienten ganz zu schweigen, welche zu Hause ihre Mineral Wasserkur vornehmen. 
In gar manchem Glas ist ein ganzes Thcil C0 2 verpufft, bis es geleert wird, und doch »wirkt« das 
Wasser. Aus diesem Grunde glaubt Referent, dass man gerade hinsichtlich der Frage der Ein¬ 
wirkung bestimmter Mineralwässer auf den Organismus auch diejenigen Mineralwasserbestimmungen 
nicht gar so gering bemessen darf, bei deren Ausführung ein Theil der C0 2 abgedunstet ist, 
namentlich, wenn man die speziell bearbeiteten Fragen von der An- oder Abwesenheit geringerer 
Mengen von C0 2 nicht wesentlich berührt. H. Strauss (Berlin) 


0. Moritz, Ueher den klinischen Werth von Gefrierpunktsbestimmungen. St. Petersburger 
medicinische Wochenschrift 1900. No. 22 und 23. 

Die Gefrierpunktsbestimmungen an thierischen Flüssigkeiten, namentlich an Blut und Harn, 
sind bekanntlich durch Koranyi in die Klinik eingeführt worden. Durch seine Untersuchungen 
ist Moritz zu der Ansicht gelangt, dass die Bestimmungen des Gefrierpunkts thatsächlich klinisch 
oft von grossem Werthe sind. Sie gestatten uns, die Nierenfunktion genauer bestimmen zu können, 
als dies durch den Essbach und die mikroskopische Untersuchung allein möglich ist. Namentlich 
bei längerem Verlauf der Krankheit kann man, zuweilen bei gleichbleibendem Eiweissgehalt, durch 
allmähliches Sinken oder Steigen des Gefrierpunktes die Tendenz der Krankheit erkennen. Neben 
dem Gefrierpunkte muss aber das Urinquantum, das spezifische Gewicht, der Eiweissgehalt und 
eventuell der Chlomatriumgehalt mit zur Beurtheilung herangezogen werden, ohne dass sich für 
diese verschiedenen Faktoren jedoch bisher noch sichere Verhältnisszahlen aufstellen Hessen. 

Den Blutgefrierpunkt hat Moritz wegen der Schwierigkeiten des Verfahrens, besonders 
wegen der bedeutenden erforderlichen Blutmenge nur in wenigen Fällen bestimmen können; die 
Resultate waren mit denen der bisherigen Publikationen übereinstimmend. Der Gefrierpunkt des 
normalen Blutes ist, wie bekannt, —0,56°. In einigen Fällen fand der Verfasser eine beträchtliche 
x\bweichung von diesem Normalwerth, so z. B. bei einem Fall von Nephritis acuta und Urämie 
— 0,655, von Nephritis haemorrhagica und Urämie —0,81, Nephritis chronica interstitialis und 
Apoplexie — 0,64 etc. Besonders bemerkenswerth ist die starke molekuläre Retention im zweiten 
Falle, einersehr schweren hämorrhagischen Nephritis, die am Tage nach dem Aderlass letal endigte. 

Der Gefrierpunkt des Harnes gesunder Menschen unter normalen Lebensbedingungen schwankt 
nach Koranyi zwischen 1,4 und 2,3 unter dem Gefrierpunkt des destillierten Wassers. Moritz 
hat versucht, durch Bestimmung des Harngefrierpunktes bei 50 verschiedenen Krankheitsfällen sich 
ein Urtheil über den klinischen Werth dieser Methode zu bilden. Aus seinen Tabellen ergiebt sich 
bei den Nierenerkrankungen fast durchgehends eine Gefrierpunktserniedrigung. Ob eine interstitielle 


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332 Referate über Bücher und Aufsätze. 

oder eine parenchymatöse Nierenentzündung vorliegt, kann man, seiner Ansicht nach, jedoch nicht 
aus den Gefrierresultaten erkennen. Um mit Sicherheit die Beziehungen zwischen Gefrierpunkt und 
Nierenerkrankung festzustellen, hat der Verfasser auch in zwölf ad exitum gekommenen Fallen die 
Nierenstruktur mikroskopisch untersucht. Das Resultat der mikroskopischen Untersuchung war 
stets mit dem Gefrierpunkt im Einklang (z. B. normaler Gefrierpunkt trotz des Eiweissgehaltes bei 
geringer Epithelveränderung). A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch). 


Charles W. Townsend, Home modiflcation of milk. Boston medical and surgical journal 
1900. 11. October. 


Für eine rationelle Säuglingsernährung ist es von prinzipieller Bedeutung, die prozentuale 
Zusammensetzung der Milch genau zu kennen und dieselbe willkürlich ändern zu können. Es sind 
zu diesem Zweck in Amerika zahlreiche Milchlaboratorien eingerichtet, die jedoch äusserer Um¬ 
stände halber zu wenig benutzt werden und auch nicht allen dem jeweiligen Falle angepassten Be¬ 
dürfnissen Rechnung tragen können. Der Verfasser plaidiert daher für eine zweckmässige im Hause 
selbst vorzunehmende Verarbeitung der Milch. Diese hat gegenüber der Zubereitung in den 
Laboratorien schon den Vorzug, dass die Milch weder sterilisiert noch pasteurisiert zu werden braucht, 
welche Prozeduren den Geschmack der Milch beeinträchtigen und sie für den kindlichen Organismus 
häufig weniger zuträglich machen, die aber in den öffentlichen Anstalten vorgenommen werden 
müssen, um jeder Gefahr der Ucbertragung von Krankheitskeimen vorzubeugen. — Der Verfasser 
hat eine Methode ausgearbeitet, welche es ermöglicht in einfachster Weise die Zusammensetzung 
der Milch zu berechnen und den Gehalt an einem der drei Komponenten — Fett, Zucker, Eiweiss — 
willkürlich zu erhöhen oder zu verringern. 

Auf Grund zahlreicher Untersuchungen und Berechnungen ergab sich nämlich folgendes 
Gesetz: Jede Unze von 10% Creme in einer Mischung von 20 Unzen repräsentiert 50% Fett, 20% 
Eiweiss und 20% vom Zucker; und der Zusatz eines Esslöffels Milchzuckers zu dieser Mischung 
erhöht den Prozentsatz an Zucker um zwei. — Wenn man z. B. 3 Unzen abgerahmte Milch, 16 Unzen 
Wasser und 2 Esslöffel Milchzucker verordnet, so enthält diese Mischung 1,5% Fett, 4,6% Zucker 
und 60% Eiweiss. 

Der Verfasser bespricht eine Reihe von Fällen, in denen er die Milch in verschiedenster, dem 
jeweiligen Bedürfniss angepasster Zusammensetzung verwendete und sehr gute Resultate erzielt hat. 

Paul Maver (Berlin-Karlsbad). 

T. M. Rotch, Milk; its production, its care, its use. Bostoi medical and surgical journal 
1900. 19. Juli. 

Während wir schon in den Schriften der alten Egypter zahlreiche Aufzeichnungen finden 
über die Gewinnuug der Milch, und mit der fortschreitenden Kultur die Milch in der Ernährung 
eine immer grössere Rolle spielt, hat es lange gewährt, bis sich die Erkcnntniss Bahn gebrochen 
hat, dass durch einen unrationellen und unhygienischen Gewinnungsmodus die Milch zu einer Quelle 
zahlreicher Krankheiten werden kann. Der Autor erörtert ausführlich, dass die verschiedensten 
pathogenen Keime in der Milch einen ausgezeichneten Nährboden finden und leicht auf den mensch¬ 
lichen Organismus übertragen werden können, so dass viele namentlich im Kindesalter beobachtete 
Erkrankungen durch den Genuss schlechter Milch hervorgerufen werden. 

Durchdrungen von der hohen Bedeutung der Milch als Nahrungsmittel, welches besonders in 
der Säuglings- und in der Krankenernährung geradezu unersetzlich ist, hat Rotch die Einrichtungen 
verschiedener Farmen und Meiereien in den Vereinigten Staaten studiert, um sich von den Mängeln 
derselben durch den Augenschein zu überzeugen. Der Autor macht eine Reihe sehr beherzigens- 
werther Vorschläge zur Herstellung einer reinen, die Gesundheit nicht gefährdenden Milch. Er stellt 
die Forderung auf, dass in der Nähe einer jeden Stadt auf einem gesunden Terrain grosse Meiereien 
zu errichten sind, welche unter Leitung von Männern stehen müssen, die mit den wichtigsten 
hygienischen Gesetzen und Maassregeln vollkommen vertraut sind. Das Melken der Kühe muss 
unter Beobachtung peinlichster Reinlichkeit erfolgen und nur von solchen Personen ausgeübt werden, 
die in keine Berührung mit dem Schmutz der Stallungen kommen und bei dem Melkgeschäft eine 
ausschliesslich für diesen Zweck bestimmte, leicht zu desinfizierende Kleidung tragen sollen. Das 
ganze Personal dieser Farmen muss unter strengster ärztlicher Kontrolle stehen. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 333 


Die grösste Aufmerksamkeit ist der Behandlung der Kühe zuzuwenden, welche in nach 
hygienischen Grundsätzen gebauten Stallungen untergebracht werden müssen, gutes Futter und be¬ 
sonders gutes Wasser erhalten sollen. Der Verfasser hofft, dass durch solche Einrichtungen eine 
Milch hergestellt werden wird, die zwar einen höheren Kostenpreis haben mag, aber dafür die 
Gewähr giebt, dass durch ihren Genuss keine Krankheitserreger übertragen werden. 

Paul Mayer (Berlin-Karlsbad). 


Ohas. D. Wood and S. H. Merrill, A report of investigations on the digestibility and 
uatrire value of bread« 

In dem Department of Agriculturc zu Washington werden seit Jahren Studien über den 
Xährwerth und die Verdaulichkeit von Nahrungsmitteln, sowie über die allgemeine Ernährung der 
verschiedenen Volksklassen angestellt. Diese Untersuchungen, welche in regelmässigen Intervallen 
von der Regierung veröffentlicht werden, sind zweifellos geeignet, das Interesse für diese in medi- 
einischer wie in sozialer Beziehung gleichbedeutenden Fragen auch in nicht ärztliche Kreise zu 
tragen und ein tieferes Verständniss für dieselben zu erwecken. Von diesem Gesichtspunkt aus 
sind alle derartigen Unternehmen gewiss mit Freuden zu begrüssen, selbst wenn die wissenschaft¬ 
lichen Resultate mit dem Aufwand an Arbeit und Zeit oft in keinem Verhältnis zu stehen scheinen. 

Die vorliegende Abhandlung berichtet von Versuchen über die Verdaulichkeit und den Nähr¬ 
werth des Brotes. Es wurden die verschiedensten Brotsorten geprüft und ihre Ausnützung durch 
zahlreiche mit grosser Exaktheit durchgeführte Analysen des Harns und der Fäces festgestellt 
Ganz besonders wurde der Einfluss der übrigen Nahrungsbestandtheile auf die Assimilation des 
Brotes berücksichtigt. Hierbei sind die Verfasser allerdings zum Theil in etwas allzu schematischer 
Weise verfahren. Was soll es beispielsweise für einen Zweck haben, mehrere Individuen tagelang 
ausschliesslich mit Brot zu ernähren, um so die Resorption desselben zu prüfen! Es hat sich dabei 
herausgestellt, dass das Brot, wenn es nur einen bestimmten Bruchtheil der Nahrung ausmacht, 
besser ausgenützt wird, als wenn es die alleinige Ernährung bildet und daher in ganz kolossalen 
Quantitäten — bis 1633 g in den Versuchen der Verfasser — genossen wird. Um diese Wahrheit 
zu entdecken, bedurfte es wohl kaum der Nothwendigkeit, die Versuchspersonen auf Wasser und 
Brot zu setzen. 

Im übrigen stimmen die gewonnenen Resultate völlig mit den Thatsachen überein, welche 
in jedem diesbezüglichen Lehrbuch niedergelegt sind, und bringen in keiner Hinsicht etwas Neues. 

Paul Mayer (Berlin-Karlsbad). 


0. Wcinsclienker, Ueber Nährpräparate, im besondern Uber das Fleisch- und Kaseinmehl. 

Therapevtitschesky Westnik 1000. No. 18. 

Der Verfasser empfiehlt zwei von ihm selbst erfundene und im St. Petersburger Laboratorium 
für Nährmittel von ihm dargestellte Nährpräparate, das Fleischmehl und das Kaseinmehl. Das Fleisch- 
mehl wird von Weinschenker auf die Weise gewonnen, dass er das Fleisch schichtweise und bei 
niedriger Temperatur trocknen lässt, wodurch ein Präparat von einem äusserst geringen Gehalte an 
Feuchtigkeit erzielt wird. Das noch nicht zu Ende getrocknete Präparat wird durch ein System 
von Sieben durchgelassen; dadurch gelingt es, dasselbe von den sehnigen elastischen Fasern und 
Theilehen des Fleisches zu befreien und sogar die Spuren von Fett daraus zu entfernen, wodurch 
das Produkt leicht verdaulich und assimilierbar wird. Ausserdem hat das Trocknenlassen bei 
niedriger Temperatur auch die Bedeutung, dass das Präparat alle Eigenschaften des frischen Fleisches 
bewahrt. In allen denjenigen Fällen, in welchen in anregender Weise auf das neuromuskuläre 
System, auf die Hebung des Appetites und auf die Verdauung eingewirkt werden soll, ist das 
Fleischmehl wegen seines Gehaltes an Extraktivstoffen besonders indiziert, während bei leicht erreg¬ 
baren Individuen, bei Nephritikem, bei Urolithiasis das Kaseinmehl vorgezogen zu werden verdient. 
Dieses letztere wird aus dem Kasein nach Abtragung Her Sahne gewonnen. Der frische Käsestoff 
wird unter hohem Drucke ausgepresst, durch ein Sieb durchgerieben, bei niedriger Temperatur ge¬ 
trocknet und durch wiederholtes Vermahlen in ein feines Pulver verwandelt. Das Trocknenlassen 
hei niedriger Temperatur ist ein unbedingtes Erforderniss für die Güte des Präparates. Seine In¬ 
dikationen sind natürlich unbegrenzt. 

Zugleich mit vielen anderen praktischen Aerzten bin ich der unbedingten Ansicht, dass 
sämmtliche fabrikmässig hergestellten künstlichen Nährpräparate zum mindesten 


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334 Referate über Bücher und Aufsätze. 

überflüssig sind. Ein allgemeines, sie besonders auszeichnendes Charakteristikum kann ihnen 
allen zugesprochen werden, nämlich dass sie die Krankenernährung ganz erheblich vertheuern, 
während ihr wirklicher Nutzen für die diätetische Therapie ein sehr problematischer ist. Es ist ab¬ 
solut zweifellos, dass sämmtliche zu unserer täglichen Nahrung dienenden Speisen in 
der Küche selbst mit verhältnissmässig geringen Mitteln, oft schon von der geschickten Haus¬ 
frau allein, durch einfache Manipulationen in leicht verdauliche, bekömmliche, schmack¬ 
hafte und den einzelnen Krankheitsfällen angepasste Nahrungsstoffe verwandelt 
werden können. Wozu also die Gewalt? A. Dworetzkv (Riga-Schreyenbusch). 


N. Golubew, Der Kumys und seine Verwendung. Moskau 1899. 

Die umfangreiche Arbeit des Prof. Golubew über das russische Nationalheilmittel und 
diätetische Getränk zerfällt in fünf Kapitel. Ira ersten Kapitel geht die Rede von der Wirkung 
des Kumys auf den Magendarmkanal, in dem zweiten von der Einwirkung des Kumys auf den 
Stoffwechsel und die Ernährung, im dritten bespricht er den Einfluss des Kumys auf die Blut¬ 
zirkulation und die Blutzusammensetzung, das vierte Kapitel handelt speziell von der Kumyskur, 
das fünfte endlich ist der Frage nach den die Kumysgährung hervorrufenden Mikroorganismen 
gewidmet. 

Seine Wirkung auf die Digestionsorgane verdankt der Kumys in hohem Maasse der bei der 
Gährung sich entwickelnden Kohlensäure, welche in ihm in recht bedeutender Menge, theils in 
freiem, theils in gebundenem oder gelöstem Zustande, enthalten ist. Unter dem Einfluss der Kohlen¬ 
säure kommt eine Hyperämie der Schleimhaut des Magendarmkanals zu stände, es wird die Absonde¬ 
rung des Pankreassaftes vermehrt und die Fäulniss in dem lntestinaltraktus vermindert; die Ein¬ 
wirkung der Kohlensäure auf den motorischen Apparat der Digestionsorgane zeigt sich in der 
Beschleunigung des Uebertrittes des Mageninhaltes in den Darm und in der Verstärkung der Darm¬ 
peristaltik. Der Appetit wird dabei in auffallender Weise angeregt. Die abführende Wirkung des 
Kumys hängt in bedeutendem Grade von seinem grossen Gehalte an Milchzucker ab. 

Viel interessanter und in praktischer Hinsicht wichtiger ist die Einwirkung des Kumys auf 
den Stoffwechsel und auf die Ernährung des Organismus. Die darauf hin angestellten Unter¬ 
suchungen ergaben, dass der Kumys eine beträchtliche Steigerung des Stoffwechsels hervorruft, was 
sich unter anderem durch die auffallende Vermehrung der Harnstoffausseheidung (von 27,77 auf 
40,79) und die verminderte Quantität der ausgeschiedenen Harnsäure (von 0,673 auf 0,311) doku¬ 
mentiert. Das Verhältniss der ausgeschiedenen Harnsäure zum Harnstoff erfährt ebenfalls eine ein¬ 
schneidende Veränderung: betrug dieses Verhältniss vor Beginn der Kumyskur 1 :36,5, so erreicht 
es während der Kur nicht selten 1 : 108,4. Der Umschwung in dem Ernährungszustände manifestiert 
sich durch das rasche und sehr beträchtliche Ansteigen de9 Körpergewichtes. Diese Zunahme des 
Gewichtes wird ausschliesslich durch den Gebrauch des Kumys, nicht aber etwa durch den Auf¬ 
enthalt in der Steppe bedingt und findet ihre Erklärung in der durch das gewöhnlich reichliche 
Trinken des Kumys gewissermaassen vor sich gehenden Mastkur (alimentation forcöe); denn mit 
diesem Getränk wird eine grosse Menge leichtverdaulicher Eiweisse, zugleich auch Fett und Zucker 
in sich aufgenonimen. Auch nach Beendigung der eigentlichen Trinkkur fährt der Ernährungs¬ 
zustand fortwährend sich zu bessern fort: das ist die sogenannte Nachwirkung des Kumys. 

Unter der Einwirkung der Kumystrinkkur wird der Puls frequenter, der Tonus der Arterien - 
wandung wird geringer, die Gefässe erweitern sich, und zugleich steigt der Druck in den Arterien. 
Es entwickelt sich eine Hydrämie, ja sogar bei den dazu veranlagten Personen eine echte Plethora. 

Die Grundindikation für die Verordnung einer Kumyskur bilden kachektische Zustände mit 
beeinträchtigter Ernährung. Von Krankheiten, welche die Kumystrinkkur indizieren, muss an die 
erste Stelle die Schwindsucht gestellt werden, namentlich die sogenannten torpiden Formen der 
Phthise, welche gänzlich fieberlos oder mit nur sehr schwach ausgesprochenem Fieber verlaufen. 
Eine Kontraindikation gegen die Kumysbehandlung bilden die Hämoptoe und die Neigung zu der¬ 
selben, Tuberkulose des Darmes und vorgeschrittene tuberkulöse Affektion des Larvnx. 

Günstig beinflusst vom Kumys werden auch sekundäre Anämien mit Kachexie, Skorbut und 
verschiedene Magendarmaffektionen. Zur Behandlung des Diabetes melitus muss ein alter, kräftiger 
Kumys verwendet weiden, d. h. ein solcher, in welchem der gesummte Milchzucker zur Vergährung 
gekommen ist. A. Dworetzkv (Riga-Sehreyenbusch). 


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Referate über Bücher and Aufsätze. 335 

Henri Mor eigne, Actiou des Purgatifs snr la nntrition. Archives de medecine experimentale 
d’anatomic pathologique 1900. Juli. 

Der Verfasser hat den Einfluss der Aloe auf den GesammtstoffWechsel geprüft nach Dar¬ 
reichung einer bestimmten Menge pro die und nachdem der zu Prüfende in das Stickstoffgleich¬ 
gewicht gebracht worden war. Die Ergebnisse der Untersuchungen waren folgende: 

Die Abführmittel erzeugen eine Vermehrung des Gesammtstoff Wechsels hinsichtlich des Ab¬ 
baues, des Zellstoffwechscls und hinsichtlich der Vermehrung der Oxydationsvorgange. Dem¬ 
entsprechend finden sich im Urin vermehrt eine ganze Reihe von Stoffwechselprodukten: Gesammt- 
stickstoff, Harnstoff, Schwefel, feste Bestandteile überhaupt, organische Bestandteile, Phosphor¬ 
saure u. s. w. 

Hingegen erfahren die anorganischen Bestandteile meist eine relative Verminderung. Sie 
werden in vermehrter Menge im Stuhlgang ausgeschieden. 

Die Harnsäure ist noch besonders vermehrt; die gefundenen Ziffern sind relativ höher als 
diejenigen der gesammten organischen Substanzen. 

Während die Mineralstoffe im allgemeinen vermindert sind, ist die Phosphorsäre nicht nur 
relativ, sondern absolut vermehrt. 

Die Acidität des Harns ist erhöht Da aber die Diurese vermindert ist, die Harnsäure und die 
sauren Phosphate vermehrt sind, so ist die Steigerung der Acidität genügend erklärt 

Diese experimentellen Untersuchungen führen zu weiteren Schlussfolgerungen hinsichtlich der 
Bedeutung der Abführmittel, welche der Verfasser sich vorbehält. Leider hat der Verfasser die 
ausserordentlich reichhaltige Litteratur auf diesem Gebiete mit keinem Worte erwähnt, in der die 
Mehrzahl seiner Untersuchungsergebnisse längst niedergelegt sind. II. Ros in (Berlin). 


Matthaei, Die Schädlichkeit mässigen Alkoholgenasses. Leipzig 1900. 

Ein Vortrag, den Verfasser über obiges Thema gehalten hat, ist die Veranlassung zu der 
kleinen Broschüre, die den Zweck hat, den Schaden auch kleiner Alkoholgaben zu beweisen. Die 
Broschüre ist für Laien bestimmt und wendet sich, in populärer und geschickter Form abgefasst, 
an diese, die Ergebnisse physiologischer, hygienischer und sozialer Forschungen berücksichtigend 
und vor Augen führend. Schreiben wir es dem zu gute, dass manche Hypothesen der Gegner des 
Alkohols in jeder Form als unbestrittene Thatsachon hingestellt und damit eigentlich der streng 
wissenschaftliche Boden in den Folgerungen wenigstens verlassen wird. Ich denke hierbei an die 
Behauptung des Autors, dass selbst verschwindend geringe Mengen Alkohols, die in der Milch 
stillender Frauen sich zeigen, Säuglinge deutlich schädigen — Rose mann konnte bekanntlich auf 
Grund seiner Versuche das Gegcntheil beweisen — t dass kleine Gaben Alkohol die Verdauung des 
Magens verlangsamen etc. etc Matthaei berücksichtigt auch viel zu wenig in seinen Ausführungen 
den Wein, dessen schädliche Wirkungen, wenigstens in der Form, in der er in vielen Theilen Deutsch¬ 
lands wie auch andrer Länder als leichter Tisch- resp Landwein genossen wird, gegenüber denen 
des Bieres und Schnapses erheblich zurücktreten und gelangt dadurch zu Schlüssen, die in ihrer 
Verallgemeinerung nicht zutreffen. Ebenso basiert seine Verwerfung des Alkohols als Medikament 
au! theil weise unrichtigen Voraussetzungen, als Ex eit ans und Analeptikum werden wir ihn so leicht, 
wie Verfasser es meint, nicht entbehren können. Matthaei, der bekanntlich das Sportathmen als 
hygienische Maassnahme eingeführt und sich dadurch verdient gemacht hat, glaubt durch dieses 
»hygienische Allheilmittel«, wie er es nennt, die Alkoholsucht im Sinne der Abstinenz günstig be¬ 
einflussen zu können: So warme Berücksichtigung dieser Sport auch verdient, wir fürchten, als 
Waffe gegen den Alkohol wird er sich kaum brauchbar erweisen. Anerkennung aber unter allen 
Umständen — sind wir auch mit manchem nicht einverstanden — verdient das warme und iiberzeugungs- 
tieiie Eintreten des Verfassers für eine Sache, die in der That, wie wir schon wiederholt Gelegen¬ 
heit hatten zu bemerken, eingehendste Berücksichtigung seitens der ärztlichen Kreise erheischt. 

J. Marcuse (Mannheim). 


M. Obesersky, Ueber die Salzsänresckretion bei Zufuhr von Eigelb in den Magen. Medizina 
1899. No. 47 und 48. 

Durch die rühmlichst bekannten Arbeiten des St. Petersburger Physiologen Prof. J. Pawlo w 
und seiner zahlreichen Schüler über die Physiologie der Verdauung ist zur Evidenz erwiesen worden, 
dass die Qualität und Quantität des abgesonderten Magensaftes und der Verdauungssekrete in voll- 


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336 Referate über Bacher und Aufsfitze. 

kommener Abhängigkeit von der Menge und der Beschaffenheit der in den Magen eingeführten 
Nahrung sich befindet. Unter anderem fand einer der Schüler Pawlow’s, Dr. J. Ssoborow, dass 
das Gelbe des Hühnereies eine hervorragende sekretionserregende Wirkung auf die Magendrusen 
besitzt und dass in Bezug auf die Menge des Magensaftes, der sich bei der Fütterung von Hunden 
mit Eigelb aus dem isolierten Magen ergiesst, man dasselbe dreist an die Spitze aller Nahrungs¬ 
sorten stellen kann, die in dem Laboratorium Prof. Pawlow’s darauf hin untersucht worden sind. 
Dieser interessante Befund wurde von Obesersky in der inneren Klinik des Prof. Wassiliew zu 
Dorpat (Jurjew) an Kranken einer Kontrolle unterworfen, wobei er vollständig bestätigt werden 
konnte. An vier Patienten (je zwei mit Magencarcinom und Gastritis mucosa) und an einem Ge¬ 
sunden wurden theils nach einem gewöhnlichen Ewald’sehen Probefrühstück, theils nach der Ein¬ 
verleibung von Eigelb (meist von drei Eiern) 14 Untersuchungen des ausgeheberten Mageninhalts 
vorgenommen, auf Grund deren der Verfasser zu folgenden Schlüssen kommt: Das Gelbe des 
Hühnereies besitzt in deEThat eine starke Wirkung auf die salzsäureabsondemden Drüsen der 
Magenschleimhaut. Dabei regt nicht nur das Eigelb selbst in hohem Maasse den Magen zu sekre¬ 
torischer Thätigkeit an, sondern die öftere Zufuhr desselben versetzt die salzsäureabsondemden 
Drüsen des Magens in einen aktiven Zustand infolge der Zusichnahmc auch einer anderen Speise. 
Bei denjenigen Krankheiten, wo eine vermehrte Salzsfiuresckretion erstrebt wird, kann daher das 
Eigelb als diätetischer Faktor von grossem Nutzen sein. 

Infolge der mächtigen sekretionserregenden Eigenschaft des Eigelbs wird jetzt in der 
Wassiliew’schen Klinik die Probe damit zur differentiellen Diagnostik des beginnenden Magen¬ 
krebses und der atrophischen Gastritis benutzt. Die Diagnose des letzteren Leidens wird nur dann 
als feststehend betrachtet, wenn die Probe mit dem Eigelb ein negatives Resultat zu Tage fördert. 

A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch). 


v. Drigalski, Zur Wirkung der Lichtwfirmestrahlen. Centralblatt für Bakteriologie, Parasiten¬ 
kunde und Infektionskrankheiten. 1. Abtheilung. Bd. 27. 

Unter Lichtwärmestrahlen sind die chemisch nicht wirksamen Strahlen des elektrischen 
Glühlichtes zu verstehen, wie sie bei den vielfach gebräuchlichen Glühlichtbädern zur Verwendung 
kommen. Diese Strahlen sind hauptsächlich Wärmcstrahlen, sie entbehren namentlich auch der 
spezifischen bakteriziden Lichtwirkung, eine Ansicht, die v. Drigalski mit Winternitz, Strebei 
(vergl. Referat in dieser Zeitschrift) und anderen theilt. v. Drigalski hat nun durch Versuche, 
die er im Berliner Institut für Infektionskrankheiten anstellte, die Behauptung Kattenbracker’s 
widerlegt, dass auch diesen Glühlichtstrahlen speziell bakterizide Eigenschaften zukämen und 
dass mit pathogenen Keimen geimpfte Thiere, die in einem Glühlichtkasten gebracht wurden, am 
Leben geblieben, während ebenso behandelte, dem Lichte aber nicht ausgesetzte Kontrollthiere zu 
Grunde gegangen seien, v. Drigalski fand vielmehr, dass mit Milzbrandkultur geimpfte Mäuse, 
die er der Bestrahlung einer Glühlampe unterwarf, in viel kürzerer Zeit zu Grunde gingen als 
die ebenfalls geimpften aber nicht bestrahlten Kontrollthiere. Er stellte ferner fest, dass sogar un- 
geimpfte Thiere, die er in einem Gefäss auf frischer Streu der Bestrahlung unterwarf, innerhalb 
kurzer Zeit einer Infektion mit den aus dieser Streu stammenden, sonst für Mäuse nicht 
pathogenen Bakterien erlagen, und dass ferner für Kontrollthiere nicht totbringende Infektions- 
arten (Setzen der Thiere auf milzbrandhaltige Streu, Bestreichen einer arrodierten Hautstelle mit 
Milzbrandkultur) bei den bestrahlten Thieren regelmässig den Tod zur Folge hatten. Verfasser 
kommt aus seinen Versuchen zu dem praktisch wichtigen Schluss, dass einmal die Lichtwärme¬ 
st rah len durch die infolge der starken Perspiration hervorgerufene Erschöpfung die Wider¬ 
standsfähigkeit des Körpers gegen akute infektiöse Prozesse vermindern, und dass 
andrerseits diese intensive Wirkung eine Eigenthümlichkeit der vom Lichte ausgehenden Warn um¬ 
strahlen ist. Denn Kontrollthiere, die er in dem Brutschränke der gleichen Temperatur aussetzte, 
als die durch die Glühlichtstrahlen erwärmten Thiere zu ertragen hatten, zeigten nicht die ver¬ 
minderte Widerstandsfähigkeit der den hellen Wärmcstrahlen ausgesetzten Thiere. Infolge dieser 
Eigenthümlichkeit der Licht wärmcstrahlen glaubt v. Drigalski auch nicht, ihre therapeutische 
Verwendung von dem Begriffe der Lichttherapie trennen zu dürfen. A. Laqueur (Berlin). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 337 

P* Borissow, Ueber den Einfluss des Lichtes und der Dunkelheit auf die Zusammensetzung: 
des Blutes. Jeshenedclnik 1900. No. 12. 

Derselbe, Zur Lehre Ton der Wirkung des Lichtes und der Dunkelheit auf den thierischen 
Organismus. Wratsch 1900. No. 46. 

Nach Anführung einer Reihe von Litteraturangaben, welche den Beweis dafür erbringen, 
dass ausser der Netzhaut auch andere Zellen thierischer Organismen — wenigstens einiger von 
ihnen — vom Lichte erregt werden, und nach Erwähnung der Untersuchungsergebnisse, welche 
den Einfluss des Lichtes auf den Stoffwechsel bei höheren Thieren klar legen, lenkt Borissow die 
Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass alle bisher angestellten Nachforschungen die Frage ganz 
unberührt gelassen haben, warum eigentlich Menschen, und im besondern Kinder, welche unter 
ungünstigen Belichtungsverhältnissen leben, gewöhnlich blass und schwächlich sind. Auf Grund 
der Untersuchungen über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel hätte man eher erwarten 
sollen, dass die bei "schlechter Beleuchtung lebenden Personen über einen besseren Ernährungs¬ 
zustand verfügen werden, aber nicht umgekehrt, da ja der Stoffwechsel in der Dunkelheit langsamer 
vor sich geht. Im Jahre 1897 erschien eine Arbeit von Kroneckor und Marti, welche gefunden 
zu haben meinten, dass die Anzahl der rothen Blutkörperchen in der Dunkelheit sinke und im 
Lichte steige. Die Versuche aber, die von Borissow speziell zur Entscheidung dieser Frage an¬ 
gestellt wurden, zeigten die Fehlerhaftigkeit der Schlussfolgerungen der eben genannten Autoren. 
Verfasser benutzte nämlich zu seinen Versuchen zwei Paar junge Hunde aus demselben Wurfe und 
von gleicher Farbe. Das eine Paar wurde in einem hellen, das andere in einem dunkeln Zimmer 
gehalten. Die Fütterung der Thiere war eine absolut gleiche. Die Dauer de9 Versuches betrug 
einen Monat. Die Hunde im hellen Zimmer nun frassen ihr Futter stets vollständig auf, während 
bei den Hunden im dunkeln Raume immer vom Futter nachblieb (im ganzen 819 g Brei). Die 
Hunde, die im hellen Zimmer sich aufhielten, blieben zuerst an Gewicht zurück, überholten darauf 
die auderen und wogen am Ende des Versuches 220 g mehr. Was die Blutuntersuchungen betrifft, 
die in dieser Zeit dreimal ausgeführt wurden, so ergaben sie, dass das Licht und die Dunkelheit 
einen Einfluss weder auf die Zahl der rothen, noch auf die Zahl der weissen Blutkörperchen, noch 
auf die Hämoglobinbildung auszuüben vermögen. Während das Gewicht der belichteten Hunde 
um das dreifache stieg, so wurde doch die Hämoglobinmengc relativ geringer; jedenfalls war die 
Bildung der geformten Elemente des Blutes eine energischere als die des Hämoglobins. 

Bei dem eben beschriebenen Versuche beobachtete also Borissow die interessante That- 
sache, dass die in der Dunkelheit gehaltenen Hunde im Vergleich mit den im Lichte lebenden 
Thieren einen geringen Appetit hatten und ihr Futter nicht gänzlich auffrassen, sodass am Schluss 
der Beobachtung die im hellen Zimmer gehaltenen Thiere an Gewicht mehr zugenommen hatten 
als die Hunde im dunkeln Raume, obgleich der Stoffwechsel bei den ersteren schneller vor sich 
ging. Folglich kam er zu dem Schluss, dass wenn auch das Licht einerseits einen schnellen Zerfall 
der Gewebe bedingt, es andrerseits so den Appetit der Thiere steigert, dass dadurch die Ernährung 
gehoben wird. Um sich zu überzeugen, dass die von ihm wahrgenommene Thatsache keine zufällige 
Erscheinung ist, stellte Verfasser noch die folgenden Experimente an. Er nahm sechs Kaninchen, 
welche paarweise annähernd von dem gleichen Gewichte waren, hielt sie eine Woche lang unter 
denselben Bedingungen und bestimmte die Körpergewichtszunahme eines jeden von ihnen im Laufe 
dieser Woche. Darauf setzte er von den Kaninchen drei Exemplare, welche in dieser Zeit am 
meisten an Gewicht zugenommen hatten, in einen dunkeln Käfig; die übrigen drei dagegen, welche 
weniger an Gewicht zugenommen hatten und folglich über eine geringere Fähigkeit zur Aufspeiche¬ 
rung verfügten, sperrte er in einen eben solchen Käfig ein, aber in einen offenen, hellen. Futter 
und Trank bekamen sowohl diese als auch jene im Ucberfluss. Indem der Verfasser im Laufe eines 
Monats die Gewichtsschwankungen der Thiere verfolgte, fand er, dass die im Dunkeln lebenden 
Kaninchen in der ersten Woche, ebenso wie auch früher vor dem Versuche, mehr an Gewicht Zu¬ 
nahmen als die im hellen Käfige, dass sie aber nachher im Verlauf der übrigen drei Wochen an 
Gewicht bereits bedeutend weniger Zunahmen als die im hellen Käfig befindlichen. In der Dunkel¬ 
heit betrug die Gewichtszunahme im Mittel 157 g und in der Helligkeit 252 g. Auf diese Weise 
ergab sich, ungeachtet dessen, dass in den dunkeln Raum diejenigen Kaninchen gesetzt worden 
waren, welche die grösste Tendenz zur Aufspeicherung gezeigt hatten, dennoch am Schlüsse des 
Versuches, dass dieselben weniger angesetzt hatten; folglich war während ihres Aufenthaltes im 
Dunkeln diese Fähigkeit zum Aufspeichem von Vorrathen und zum Ansatz abgeschwächt worden. 

Um diese Erscheinung dem Verständnis» näher zu bringen, machte der Verfasser eine Parallele, 

Zt'ilM-hr. f. diät. u. physik. Therapie Bd. V. Heft 4. o;» 


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Referate über Bücher uud Aufsätze. 


und zwar wies er auf die Ernährung des arbeitenden und des ruhenden Muskels hin. Wie während 
der Arbeit, so geht auch in der Ruhe der Zerfall und der Abbau im Muskel ununterbrochen vor 
sich, aber im tbätigen Zustande verläuft bekanntlich unter dem Einflüsse der normalen Reize der 
Zerfall in stärkerem Maasse. Ist die Ernährung in beiden Fällen eine genügende, so wird als das 
Resultat der muskulären Thätigkeit ein Anwachsen der Muskelsubstanz sich ergeben, und in der 
Ruhe eine Verringerung derselben. Eine ähnliche Erscheinung beobachten wir in den Versuchen 
mit der Belichtung. Das Licht ruft einen gesteigerten Zerfall der lebenden Substanz hervor; andrer¬ 
seits aber werden die Nahrungsstoffe unter dem Einflüsse des Lichtes in erhöhtem Maasse Ina 
Körper zurückgehalten. Folglich muss man das Licht als normalen Reiz betrachten, ohne welchen 
das Leben zwar möglich ist, aber durchaus nicht regelmässig sich abspielt. 

Gleichzeitig mit den Beobachtungen am Körpergewichte der Kaninchen verfolgte Borissow 
auch die Blutzusammensetzung bei den Versuchstieren, wobei er sich nochmals von den Irrthümern 
und Trugschlüssen Kroneekers und Martis überzeugen konnte. 

A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch). 


Tschdanow, Behandlung der Hämorrhoiden und Fissnren de9 Anus mit d’ArsonvaPseheu 
Strömen. Botkin’sehe Hospitalzeitung 1900. No. 3o. 

Die Versuche von d’Arsonval, Charrin u.a. haben gezeigt, dass Ströme von hoher Spannung 
und grosser Frequenz frappante physiologische Einwirkung ausüben. Während gewöhnliche Wechsel¬ 
ströme von gleicher Energie für den Körper unbedingt gefährlich sind, beeinflussen dieselben sensible 
und motorische Bahnen gar nicht; auf die vasomotorischen Nerven dagegen wirken sie äusserst 
energisch: Die Haut wird bei längerem Elektrisieren roth und bedekt sich mit Schweiss, der Blut¬ 
druck sinkt beim Menschen anfänglich, um dann zu steigen, die Gefässe des Kaninchenohres er¬ 
weitern sich selbst nach Durchschneidung des Nervus sympathicus u. s.w. 

Ferner wurde der direkte Einfluss genannter Ströme auf das Protoplasma (Bakterien und 
Hefe) nachgewiesen, sowie auf deren Toxine. Ihre Wirkung auf den Stoffwechsel hat man mit 
Erfolg zur Behandlung der Fettsucht, Zuckerruhr, Gicht und anderer Krankheiten herangezogen. 
Verfasser wandte dieselben in der Therapie der Hämorrhoiden und Fissuren des Anus an, nachdem 
bereits Do um er aus Lille vor zwei Jahren das Verfahren bei Fissuren warm empfahl. Die Zahl 
seiner Kranken betrug 85, davon waren 34 auch mit Fissuren behaftet 

Tschdanow wandte monopolares, bipolares Elektrisieren mit und ohne Resonator an, wobei 
er letzteres Verfahren als das wirksamste empfiehlt, da er dabei statt 30 nur 15 Sitzungen brauchte, 
wobei er sich der primären Stromstärke von 5—6 Ampöre bediente. Die Patienten empfanden an 
der Applikationsstelle Hitzegefühl, nur selten Brennen. Von den Hämorrhoidalsymptomen ver¬ 
schwanden zuerst die Schmerzen, dann die Spannung der inneren und äusseren Knoten. Der 
Sphinkterkrampf und die Obstipation hielten länger an; die Blutungen hörten nach ganz un¬ 
bestimmter Zeit auf, zuweilen nach der ersten Sitzung, gewöhnlich nach circa zehn. Die Be¬ 
handlung soll so lange dauern, bis die Knoten völlig zusammengefallen sind und alle Beschwerden 
nachgelassen haben. Besonders lange dauert die Kur bei erblicher Belastung, Alkoholismus, Leber¬ 
schwellung, Herzerweiterung, Emphysem, also bei Zuständen, wo die Venenstauung besonders stark 
ist. Unangenehme Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet; im Gegentheil fühlten sich die Patienten 
frisch und munter, bekamen Appetit und guten Schlaf, Kopfschmerzen nahmen ab. Die Fissuren 
vernarbten in allen Fällen vollkommen. Verfasser empfiehlt Sitzungen von fünf Minuten, einen um 
den anderen Tag, da häufigeres und längeres Elektrisieren Kopfschmerzen und lokale Reizerschei¬ 
nungen verursacht Verfasser nimmt an, dass das Verfahren sehr häufig operative Eingriffe er¬ 
setzen kann. Simon (Wiesbaden). 


Klapp, Ueber die Behandlung von Geleukergüssen mit heisser Luft. Münchener medicinische 
Wochenschrift 1900. No 23. 

Klapp berichtet über die günstigen therapeutischen Erfahrungen, die er mit der lokalen Heiss¬ 
luftbehandlung von traumatischen wie rheumatischen Gelenkergüssen, ferner von Oedemen bei 
Frakturen, von Wundgranulationen. dann auch besonders von Beingeschwüren und von Ischias an 
der Bier'schon chirurgischen Klinik zu Greifswald zu machen Gelegenheit hatte. Er bediente sich 
des Bi ersehen lleissluftkastens und setzte darin das zu behandelnde Glied 1— 2 Stunden lang täg¬ 
lich einer Hitze von 120—140° C aus. Bei längerer Dauer der Prozedur oder bei Anwendung höherer 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 339 


Hitzegrade als der genannten beobachtete Klapp öfters das Auftreten von Oedemen nach einem 
solchen Heissluftbade, während sonst bei Beobachtung der obigen Angaben über Dauer und Tem¬ 
peraturhöhe diese Behandlung mit trockener heisser Luft, wie bekannt, ohne Nachtheil vom Pa¬ 
tienten vertragen wird. Auffallend ist besonders die rasche Abnahme der Gelenkergüsse in den 
ersten Tagen dieser Behandlung. Dann tritt öfters eine Zeit lang ein scheinbarer Stillstand in 
dem Rückgänge der Erscheinungen ein, den man aber vermeiden kann, wenn man einzelne Ruhetage 
einschiebt, an denen kein Heissluftbad gegeben wird, um den durch die enorme anfängliche Resorp¬ 
tion überlasteten abführenden Lymphbahnen Zeit zu lassen, sich ihres Inhaltes zu entledigen. 

Klapp empfiehlt die Heissluftbehandlung für die meisten Arten von Gelenkergüssen mit 
Ausnahme der tuberkulösen, da, wie schon Bier angab, tuberkulöse Gelenkentzündungen 
durch aktive Hyperämie, um die es sich hier handelt, direkt ungünstig beeinflusst werden. 

Durch diese Hyperämie, die sich bis in die tief gelegenen Gewebe erstreckt, ist nach Klapp 
ausschliesslich die resorptionsbefördernde Wirkung der Ueissluftbehandlung zu erklären. Er verwirft 
alle anderen Erklärungen dieser Wirkung, u. a. auch die der Resorptionsbeförderung durch die 
Sch Weissproduktion, womit er wohl etwas zu weit geht. Um nun die Beeinflussung der Resorp¬ 
tionsfähigkeit seröser Häute durch die Heissluftbehandlung experimentell zn studieren, hat 
Klapp folgende interessante Versuche angestellt: Er injizierte eine bestimmte Menge physiologischer 
Kochsalzlösung in die Bauchhöhle von Kaninchen, steckte darauf das Thier mit seinem Bauchtheile 
20 Minuten lang in einen Heizkasten von 120« Innentemperatur, und fand dann, wenn er nach einer 
Stunde die Bauchhöhle eroffuete, dass in dieser Zeit 2—3 mal mehr Flüssigkeit resorbiert war, als 
in derselben Zeit bei einem Kontrollthier, dem die gleiche Menge der Lösung injiziert war, das aber 
dann nicht mit heisser Luft behandelt worden war. Klapp konstatierte gelegentlich dieser Ver¬ 
suche ebenso wieWegner, der vor ihm schon ähnliche Versuche gemacht hatte, dass die Resorp¬ 
tionsintensität um so grösser ist, je stärker die betreffende seröse Haut gespannt ist. 
Damit erklärt sich auch die erwähnte klinische Beobachtung, dass in den ersten Tagen der lokalen 
Heissluftbehandlung von Gelenkergüssen, solange die Spannung der Gelenkmembran noch eine starke 
ist, die Abschwellung des Gelenkes rascher vor sich geht als später, wo jene Membran schon ent¬ 
spannt ist. 

Durch Injektion von Stoffen von hohem diosmotischem Aequivalent (konzentrierter Zucker- 
losung) in die Bauchhöhle von Kaninchen, deren Bauchtheil er dann 20 Minuten lang einer Tem¬ 
peratur von 120« aussetzte, prüfte Klapp auch die Beeinflussung der Transsudation seröser 
Häute durch die Heissluftbehandlung. Er fand nun, wenn er die so behandelten Tiere nach einer 
Stunde tötete, in der Bauchhöhle derselben weniger transsudierte seröse Flüssigkeit als bei Kon- 
trollthieren; dieser Befund ist entweder durch Hemmung der Transsudation durch jene Hitzegrade 
oder durch Beförderung der Resorption durch dieselbe zu erklären. Erst durch sehr hohe Tempe¬ 
raturen (bis zu 180«) gelang es, auch eine etwas stärkere Transsudation hervorzurufen. Dieselbe ist 
also jedenfalls durch hohe Temperaturen schwerer zu erzielen als die Resorption. Der Steige¬ 
rung der Transsudation durch sehr hohe Temperaturen entspricht die oben erwähnte klinische 
Beobachtung des Auftretens von Oedemen bei Anwendung so hoher Hitzegrade. 

A. Laqueur (Berlin). 


H. Strebei, Meine Erfahrungen mR der Lichttherapie. Deutsche medicinische Wochenschrift 
1900. Ko. 27 u. 28. 

Diese Mittheilung, die vom Anfang bis zum Ende das aufrichtige Bestreben des Verfassers 
erkennen lässt, ganz unparteiisch zu urtheilen und auch alle vorschnellen theoretischen Schlüsse zu 
vermeiden, bildet schon aus diesem Grunde einen willkommenen Beitrag zu der so aktuellen Frage 
der Lichttherapie. Bei der Behandlung einer Reihe von Erkrankungen, über die der Verfasser be¬ 
richtet, handelt es sich nicht um reine Lichtwirkung, sondern um eine kombinierte Wirkung von 
Licht und Wärme (es wurden meist Glühlichtbäder, zuweilen auch Bogenlichtbäder angewandt). 
Welcher von beiden jener Faktoren bei der Behandlung der inneren Krankheiten eine grössere 
Rolle spielt, das lässt Strebei dahingestellt; sicher ist aber, dass die Lichtwärmewirkung vor allen 
anderen Methoden zur künstlichen Schweisserzeugung den grossen Vortheil hat, dass dabei das 
Herz fast gar nicht irritiert wird. 

Was nun die einzelnen Krankheiten betrifft, die Strebei mit Lichtbädern behandelt hat, so 
sind bei den rheumatischen Affektionen (akuter und chronischer Gelenkrheumatismus), ferner bei 
gichtischer Gelenkerkrankung keine bedeutenden Erfolge erzielt worden, und bei der Behandlung 
dieser und ähnlicher Krankheiten wird wohl die Anwendung der Wärme allein, namentlich in Form 

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Referate über Bücher und Aufsatze. 


der heissen Luft, die Oberhand behalten. Ebensowenig sind die Erfolge bei Behandlung der 
Nephritis mit Lichtbädern hervorstechend, wenn auch diese, ohne das Herz zu alterieren, ergiebigen 
Schweissausbruch zu erzeugen im stände sind. Infolge dieser Eigenschaft der Licht wärmestrahlen 
wird deren Anwendung bei Herzkrankheite n sehr empfohlen, bei denen Verfasser in einer Reihe 
von Fällen sehr gute Erfolge erzielt hat, namentlich auch in Fällen von Arteriosklerose und von 
Fettherz; leider giebt hier der Verfasser nicht an, wie hoch die Temperatur des Lichtbades bei dieser 
Behandlung war; ebenso empfiehlt sich die Behandlung mit Lichtwärmestrahlen bei der Fettleibigkeit 
selbst, eben wegen dieses Vorzuges der Vermeidung der unangenehmen Nebenwirkungen auf das 
Zirkulationssystem, dann auch bei der Chlorose; bei dieser Krankheit erzielte Verfasser durch Bogen¬ 
lichtbäder sehr gute Erfolge. Ferner berichtet er über einen durch Lichtw'ärmcbehandlung geheilten 
Fall von Diabetes. Er erklärt diese Heilung durch eine sowohl durch die Licht- als auch durch 
die Wärmewirkung hervorgerufene Steigerung der Hautthätigkeit und der Oxydationen im Körper, 
welche sich bei einzelnen Personen auch durch eine leichte Temperaturerhöhung nach einem längeren 
Glühliehtbade kund that. Von sonstigen Krankheiten, die Strebei mit Erfolg mit Lichtwärme¬ 
strahlen behandelte, seien noch Katarrhe der Bronchien genannt; bei Neuralgien wurden nur 
dann gute Erfolge erzielt, w r enn die Wärmewirkung übenvog, also im Glühlichtbade. 

Um reine Lichtwrirkung unter Ausschaltung aller Wärmestrahlen (durch eine mit Kupfer¬ 
vitriollösung gefüllte Hohlglaslinse) handelt es sich dagegen bei der Behandlung verschiedener 
Hautkrankheiten, über die Strebei berichtet; er benutzte dabei als Lichtquelle entweder ein ßogen- 
licht oder auch das Sonnenlicht, das er noch für wirksamer hält. Bei Ulcus molle, hei manchen 
Wunden, bei Ulcus cruris, bei Akne etc. hat der Verfasser durch jenes Verfahren sehr gute 
Erfolge erzielt; auch er hebt die bekannte Eigenschaft der Lichtstrahlen, Ulcerationen ganz ohne 
Narbenbildung oder doch nur mit geringer narbiger Schrumpfung zu heilen, besonders herv or. Be¬ 
treffs der Erfolge der Lichttherapic bei Syphilis äussert sich Strebei noch sehr reserviert. 

Beachtensw'orth sind seine Bemerkungen über die Lupusbehandlung mit Licht. Er hat im 
Gegensätze zu der Fi ns en’sehen Methode, die ja bekanntlich nicht nur jede Wännewirkung aus¬ 
schaltet, sondern ausserdem die zu behandelnde Partie der Haut noch besonders durch Kompression 
anämisch macht, den Lupus mit Licht und Wärme behandelt, da er, wohl mit Recht, annimmt, 
dass eine gleichzeitige Hyperämie der Haut, wie sie durch die Wärmewirkung und Weglassung 
der Kompression ermöglicht wird, den Heilungsprozess noch weiter zu fördern im stände ist. 

Laqueur (Berlin). 

Katt en bracher, Tragbare Lichtbäder« Archiv für Lichttherapie 1900/1901. Heft 1. 

Verfasser berichtet über eine wesentliche Vereinfachung der Anwendung der Lichtbäder, die 
bisher durch die nicht unerheblichen Kosten der Anlage wie die Nothwendigkeit der Anstalts- 
bohandlung doch nur in beschränktem Maasse in der Therapie Verwendung finden konnten. Es 
handelt sich um die Konstruktion tragbarer elektrischer Glühlichtbäder, die bequem zu transportieren 
und an jede elektrische Leitung oder an eine mitzuführende transportable Batterie angeschlossen 
werden können. In einem mit Tragbügel versehenen muldenförmigen Gehäuse sind acht Glüh¬ 
lampen angebracht, vor welchen sich Schutzbügel befinden. Die Mulden, die ihrer Form nach für 
Kumpf und Extremitäten hergestellt sind, w erden einfach über den betreffenden Körportheil gestellt, 
so dass eine unmittelbare Einwirkung des elektrischen Lichtes auf den Körper stattfindet. Der 
Apparat ist im Innern mit we iss ein Ledertuch überzogen, von der Anschauung ausgehend, dass 
weisso Flächen die Lichtstrahlen am besten reflektieren, am wenigsten Wärmostrahlen absorbieren 
und die im elektrischen Glühlicht vorhandenen reizenden Strahlen zum grossen Th eil eliminieren. Die 
anerkannten Vorzüge der elektrischen Lichtbäder vor allen Tonnen lokaler und allgemeiner Wänue- 
applikation äusseni sich auch in diesen vereinfachten, zum praktischen Gebrauch ausserordentlich 
handlichen Apparaten. Was zunächst die Temperaturentwicklung in den tragbaren Lichtbädern 
anbetrifft, so zeigte im Rumpfbade das Thermometer nach 5 Minuten 52° C und stieg bis auf 79° 
nach 2ö Minuten, während das Arm- oder Beinbad 5G,Ö*> nach 5 und 87,f>° nach 20 Minuten auf¬ 
wies. Es lässt sich also in ihnen sehr schnell eine ausserordentlich ausgiebige Schweisssekretion 
erzielen, schneller sogar wie in den gewöhnlichen Glühliehtkastenbädem infolge des geringeren 
Kauminhaltes. Diese Theilbäder eignen sich auch vortrefflich überall da, wo man bisher Liegelicht- 
bädor anwandte, so bei Affektionen der Hüfte, des Schulterblattes etc., als Schwitzbäder im Hause, 
bei der Fangobehandlung, in der Uhirurgio, um den Körper Ihm' länger dauernden Operationen ge¬ 
nügend warm zu halten, und ähnlichem. Von grosser Bedeutung ist es, dass die tragbaren Licht¬ 
bäder, die neben der intensiven Hitze eine nicht zu unterschätzende Lichtintensität zur Wirkung 


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Referate über Bücher und Aufsatze. 341 

kommen lassen, mit dem Körper nicht in Berührung kommen und lediglich in Form der strahlenden 
Warme wirken, ein Umstand, der ansser hygienischen Vorzügen besonders bei schmerzhaften Körper¬ 
stellen stark ins Gewicht fällt J. Marcuse (Mannheim). 

K. Ullmanfi, Die Behandlung yon Geschwürsformen mit trockener Heissluft. Wiener 
medicinische Wochenschrift 1900. No. 32. 

Die Forschungen von Büchner und Bier, besonders des letzteren Methode, entzündliche 
Prozesse aller Art durch künstliche Hyperamisierung der betreffenden Hautgebiete zur Rückbildung 
zu bringen, haben Verfasser zu seinen Versuchen angeregt und veranlasst. Bier hat bekanntlich 
nicht nur die aktive Hyperamisierung der Haut, bezw. des Geschwürsgrundes mittels lokaler Wärme- 
applikation, sondern auch die künstlich herbeigeführte aktive venöse Hyperämie, sowie die passive 
venöse und Stauungshyperämie in Anwendung gezogen und zwar bei gewissen Affektionen jede für 
sich, bei anderen Affektionen die verschiedenen Arten derselben in passender Abwechselung und 
Kombination. Unter dieser kalorischen Hyperamisierung wurden sehr günstige Erfolge bei 
rheumatisch - gichtischen Exsudationen, sowie bei chronischen Ulcerationsprozessen, vornehmlich 
varikösen Unterschenkelgeschwüren, erzielt. Um die unangenehmen Nebenwirkungen, welchen der 
Organismus durch diese forcierte Wärmezufuhr ausgesetzt ist, wie brennenden Schmerz, Blasen¬ 
bildung bleibende Hautröthe etc. auszuschliessen, hat Reitler als wärmezuführendes Medium 
möglichst trockene Heissluft gewählt, ein Verfahren, welches nicht nur angenehmer und un¬ 
schädlicher, sondern auch wirksamer zu sein scheint, da mit der Zunahme der Temperatur auch die 
beabsichtigte Hyperämie gesteigert werden kann. Er erzielt die Trocknung des Luftraumes von den 
kontinuierlich ausgeschwitzten Wassermengen durch Einfügen von feinpulverisiertem Chlorkalcium 
in den Apparat. Uli mann hat nun zur Behandlung von Geschwürsformen am männlichen und 
weiblichen Genitale folgenden Apparat konstruieren lassen: Ein ringsum das Genitale durch ent¬ 
sprechende Krümmung möglichst genau anschliessendes korbartiges Geflecht, innen aus mit Asbest 
bekleidetem Draht, aussen aus gefüttertem Wollstoff bestehend, ruht auf den Oberschenkeln des 
sitzenden Patienten. An der distalen Gegenöffnung ist ein viereckiger Kamin eingesetzt, in welchen 
das Heizrohr mündet. Die Luft wird durch genau regulierbare Spiritus- oder Gaslampen in einem 
dreieckigen Vorraum erwärmt und steigt von hier durch ein System theils fixer, theils gegliederter 
und dadurch etwas nachgiebiger Blechröhren zum Apparat hinauf Innerhalb des Korbes befinden 
sich in zwei symmetrisch angebrachten seitlichen Ausladungen die mit Chlorkalcium gefüllten Tassen, 
während die Temperatur des Binnenraumes durch ein entsprechend tief eingesetztes Thermometer 
verfolgt werden kann. Hiermit lassen sich Temperaturen von 50—180o C erzielen. Für die meisten 
am Genitale selbst oder nahe daran liegenden Infiltrationen genügt dieser Apparat. Handelt es sich 
aber um Affektionen, die weiter abseits auf der Bauch-, Gesäss-, Oberschenkelhaut sitzen, dann wird 
dieser Apparat durch einen viereckigen Trockenluftkasten mit einem oberen Ausschnitt für den 
Rumpf und zwei unteren Ausschnitten für die Oberschenkel ersetzt. Das Hauptkontingent der von 
Ullmann behandelten Fälle bildeten venerische, meist multiple Geschwüre, auch solche von be¬ 
trächtlicher Ausdehnung und bereits längerer Dauer Die Reparation derselben in reine Wunden 
erfolgte bei 19 Fällen regelmässig in wenigen, ja mitunter schon nach einer einzigen, durchschnittlich 
aber in vier bis fünf Sitzungen. Bei Sitz derselben innerhalb des Präputialsackes wurde mit dem 
physikalischen Verfahren das chirurgische — Freilegung und Abtragung des Präputiums mit Naht 
— kombiniert und innerhalb weniger Tage nicht nur eine Heilung der Geschwüre, sondern auch 
der Phimose erzielt. 

Nicht minder gute Resultate ergaben syphilitische Initialaffekte per se resp. in Kombination mit 
dem venerischen Schankerprozess, von denen im ganzen 28 Fälle behandelt wurden. Reinigung und 
Ueberhäutung traten rasch ein, selbst in Erweichung begriffene Lymphdrüsenentzündungen wurden 
theilweise günstig beeinflusst Geradezu eklatant wirkte die fortgesetzte Heissluftbehandlung auf 
die Resorption nicht nur von umfangreichen und harten Primärsklerosen, sondern auch auf die 
Rückbildung inveterierter, spätsyphilitischer Infiltrate und Geschwüre (Haut- und Knochengummata). 
Zwei langbestehende Fälle von Sarkocele syphilitica, ebenso wie hartnäckige seröse Ergüsse der 
Scheidenhaut des Hodens im Verlaufe gonorrhoischer Epidymitis, sowie die betreffenden Infiltrations¬ 
zustände des Nebenhodens selbst wurden rasch resorbiert. Den weitaus bedeutendsten Erfolg dieser 
Behandlung sah Ullmann bei phagedänisch - atonisehen Geschwürsprozessen sowohl syphilitischer 
wie nichtsyphilitischer Natur. Ueber die Resultate bei Fällen hartnäckiger kalloser Ulcera, ins¬ 
besondere bei varikösen Unterschenkelgeschwüren, sollen spätere Berichte Aufschluss geben. 

J. Marcuse (Mannheim). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


Paul Hildebrandt, Sandtherapie. Technik, physiologische Wirkung, Indikationen. Inaug.- 
Diss. Berlin 1900. 

Paul Teuscher, Heisse Sandbäder. Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. No. 31. 

Der erste Theil der Hildebrandt’schen Abhandlung enthält eine eingehende Darstellung des 
Sandbades, sowohl was seine geschichtliche Entwickelung und seine Anwendung in verschiedenen 
Ländern und zu verschiedenen Zeiten betrifft, als auch bezüglich der Herrichtung, seiues Verlaufes, 
seiner Dosierung etc. in fünf verschiedenen Anstalten (Dr. Flemming-Dresden, Gebeinirath Dr. 
Sturm -Koestritz, Charite-Berlin, Dr. v. Hoesslin-Neu-Wittelsbach und in einem nicht genannten 
hochmodern eingerichteten Sanatorium in Berlinj. 

Der zweite Theil handelt von der physiologischen Wirkung und der aus dieser resultierenden 
Indikationsstellung des heissen Sandbades. Die erstere setzt sich aus der Einwirkung thermischer 
und mechanischer Reize zusammen. Der Verfasser sucht nun aus der Zusammenstellung der Aeusse- 
rungen verschiedener Autoren (Goldseheider, Rubner, Rossbach, Weiland, Matthes u. a. , 
betreffend die Beeinflussung des Organismus durch thermische und mechanische Reize, und unter 
Berücksichtigung der speziellen physikalischen Eigenschaften des Sandes die Aufstellung von vier 
llauptindikationen für heisse Sandbäder herzuleiten: 

1. Chronischer Rheumatismus; 2. Exsudate jedweden Ursprungs; 3 Ischias; 4. Nephritis. 
Die letztere Indikation, schon von Fl emming herrührend, bedarf noch, wie ja auch Verfasser her¬ 
vorhebt, einer genauen Abgrenzung. 

Als eine Ergänzung zu der Hildebrandt’schen Darstellung der Sandbaderci in den fünf 
genannten Anstalten dient gewissermaassen die Beschreibung derjenigen in Oberlosehwitz, welche 
P. Teuscher in einem Artikel in der Deutschen medicinischen Wochenschrift (1900. No. 31 1 , be¬ 
titelt »Heisse Sandbäder«, giebt. Dieselbe ist nach dem Muster der Koestritzer Anstalt ein¬ 
gerichtet, nur etwas praktischer und, da die Anlage nur einen Theil des Gesaramtbetriebes des 
Teuscher'schen Sanatoriums darstellt, einfacher. Die noch etwas primitive und zu sehr zeitraubende 
Einrichtung Sturm*s zur Temperierung des Sandes (jedesmalige manuelle Mischung des kalten und 
wannen Sandes für jedes einzelne Bad) ist einem Apparat gewichen, welcher eine gleichmässige 
Erwärmung des Sandes und zugleich eine möglichst genaue Dosierung der Wärmegrade gewährleistet. 

Der Verlauf des Bades ist bis auf gewisse Modifikationen der bekannte. Die Vorzüge des 
heissen Sandbades gegenüber dem Heissluft- und Dampfbade: Fehlen der lästigen Beklemmungs¬ 
erscheinungen, Trockenheit der Haut während des Schweissausbruches, ganz ausserordentlich 
energische und gleichmässige Entziehung der Flüssigkeit, minimale Steigerung der Herzthätig- 
keit und der Athemfrequenz. Verwendung sehr hoher Temperaturen ohne Ueberhitzung des Körpers 
sind nicht zu unterschätzen. 

Die Unschädlichkeit, ja Nützlichkeit der genannten hohen Temperaturen (50—55 ft ) erklärt 
Teuscher folgcndermaassen: Das heisse Wasser lockert die Haut auf und durchdringt sie, der heisse 
Sand legt sich nur an die Haut an und entzieht ihr sogar die Feuchtigkeit. Ferner besitzt die Haut 
gegen die grosse Hitze des Sandes während des Bades gewissermaassen eine Schutzhülle, bestehend 
aus Perspirationskohlensäure und Feuchtigkeit, den Bläschen des Kohlensäurebades vergleichbar. 

Die Indikationen des heissen Sandbades ergeben sich aus der Eigenschaft desselben. 
Entzündungsprodukte aufzusaugen und den Stoffwechsel energisch anzuregen; in der Therapie der 
Ischias nimmt dasselbe, besonders in der Form des Sandtheilbades (Sandsäcke) schon seit alters 
einen wichtigen Platz ein. 

Bezüglich der Frage der Wiederanwendung des schon einmal gebrauchten Sandes hält Ver¬ 
fasser aus naheliegenden Gründen eine jedesmalige Erneuerung des Sandes, wenn irgend angängig, 
für wünschenswert!!. Viktor Lippert (Wiesbaden). 

Th. Schott, Die Heilfaktoren Bad Nauheims. Wiesbaden 1900. 

Anlässlich der Einweihung des neuen Thermalsprudels in Nauheim unterwirft Schott in 
knappen und klaren Zügen die dortigen Ileilfaktoren einer eingehenden Analyse und setzt die¬ 
jenigen Momente in scharfes Licht, denen dieses Bad seine staunenswerth rasche Entwickelung 
verdankt. Es ist nicht nur die Mannigfaltigkeit der Mineralquellen, welche hier mitspielt, sondern 
vor allem die günstige Zusammensetzung derselben, die es ermöglicht, sie den verschiedensten 
Heilzwecken dienstbar zu machen. So ist es zu verstehen, dass Nauheim einerseits ein sehr weites 
Indikationsgebiet umfasst, andrerseits abtu* sieh zu einem ganz speziellen Kurort für eine Krank¬ 
heitsgruppe ausgestaltet hat, die früher der Therapie fast unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


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hat, nämlich für die chronischen Herzaffektionen. Im einzelnen wird die Wirksamkeit der Trink- 
und Badequellen beleuchtet und gezeigt, dass die neue Quelle in demselben Sinne wirkt wie die 
beiden anderen Sprudel. Abgesehen von dem grossen Wasserreichthum der neuerbohrten Quelle, 
die für einen Tagesbedarf von 2500 Bädern ausreicht, bietet auch die Mittelstellung dieses Sprudels 
den grossen Vortheil, dass sich durch seine Mischung mit den beiden anderen Badequellen werth¬ 
volle Uebergänge schaffen lassen. Freyhan (Berlin). 

A. Heidenhain, Ueber den Nutzen des Schwitzen». 

Der Verfasser skizziert die theils allgemein übliche, theils nach seinen eigenen Erfahrungen 
modifizierte methodische Anwendung der künstlichen Vermehrung der Schweisssekretion zu thera¬ 
peutischen Zwecken. Die Bildung des Schweisses, für welche verstärkter Blutandrang zu den Haut- 
gefässen Vorbedingung ist, wird hervorgerufen infolge zentraler (psychische Erregung, Steigerung 
der Eigenwärme, vermehrte Kohlensäurebildung) und peripherischer Reizung (chemische Mittel, 
strahlende Warme, direkte Applikation von Wärme). 

Die in Betracht kommenden Mittel sondert Verfasser in 1. Hausmittel, 2. hydro¬ 
therapeutische, 3. chemische Mittel. 

Als Hausmittel bezeichnet er heisse Fussbäder, eventuell in Verbindung mit heissen Ge¬ 
tränken, sowie die Verwendung dampfender Kartoffeln im Schwitzbett. 

Von hy drotherapeutischen Mitteln erwähnt Verfasser heisse Bäder (30—32°, 10 -15 Minuten 
Dauer) mit nachfolgender Ein Wickelung (1 — 1 »/ 2 Std.); an zweiter Stelle stehen die russischen und 
römischen Bäder und in der Mitte zwischen beiden die Dampfkastenbäder, besonders als Ersatz 
jener in Haushaltungen etc. 

Für alle Fälle, in denen heisse Schwitzbäder kontraindiziert sind (Herzfehler, Lungenleiden, 
Eintritt von Herzpalpitationen und Schwindel im Verlaufe des Bades), eignet sich die Anwendung 
chemischer Mittel (Salicylsäure, Salipyrin, Antipyrin, Phenacetin, Pilocarpin). 

Die für diese Behandlung geeigneten pathologischen Zustände sind 1. die Folgezustände von 
Erkältungen und 2. gewisse abnorme Verhältnisse des Stoffumsatzes 

Beweisend für den direkten Zusammenhang zwischen der Heilung dieser Zustände und dem 
Ausbruche profuser Schweisssekretion erscheinen dem Verfasser seine bezüglichen Erfahrungen bei 
der harnsauren Diathese. Dass die Wirkung des heissen Bades und der nachfolgenden Einwicke¬ 
lung hierbei nicht auf rein mechanischen bezw. thermischen Einflüssen beruht, sondern von der 
damit verbundenen vermehrten Schweissbildung direkt abhängt, ersieht Verfasser daraus, dass die 
auf medikamentösem Wege ohne Anwendung von Bädern erzeugte (10 g Natr. salicyl. während 
einer Nacht) kolossale Schw r eissabsondening einen Podagraanfall zum Schwinden brachte. 

Da die Herabsetzung der Herzthätigkeit (wie sic durch derartig grosse Dosen des salicvl- 
sauren Natrons bedingt wird) den Eintritt eines Podagraanfalles eher begünstigt und die durch 
profusen Schweissausbruch eintretende Blutverdickung die Ausscheidung harnsaurer Salze fördert, 
kommt Verfasser zu dem Schlüsse, dass die Resorption derselben durch den in seinen 
Druck verbal tnissen und seiner Zusammensetzung veränderten Lymphstrom be¬ 
wirkt wird. 

Einer Heilung durch vermehrte Schweissproduktion besonders zugänglich fand Verfasser 
Krampfzustände, beginnende Meningitis, Lähmung infolge Meningitis, Nephritiden, Laryngitis acuta, 
Stauungszuständc und Hautleiden. Viktor Lippert (Wiesbaden). 


Arthur Schenk, Die Hydrotherapie des Darmtraktus mittelst Enteroklyse. Archiv der 
Balneotherapie und Hydrotherapie 1900. Bd. 2. Heft 6. 

Schenk benützt zum Zwecke der Enteroklyse einen nach seinen eigenen Angaben kon¬ 
struierten Apparat. Dieser ist nach Art eines gewöhnlichen Irrigators angeordnet, sein Ansatzstück 
stellt jedoch ein T-förmiges Rohr dar, dessen einer Schenkel sich nach Art eines Rektalspekulums 
in den After schieben lässt, während der andere in den (2 m langen) Irrigatorschlauch übergeht, 
der dritte Schenkel dient als Abflussrohr. Um den Wasserzu- und -ablauf konstant erhalten zu 
können, lässt sich durch den Katheter hindurch ein dünnes Kautschuckrohr bis zu einer Höhe von 
etwa 20 cm in das Darminnere schieben, durch welches der Wasserzufluss direkt geschieht. Zur 
Erzeugung einer Art Massage der im Darm stehenden Wassersäule kann an dem Irrigatorschlauch 
ein Gummiballon angefügt werden, w r elchen man abwechselnd zusammen presst und loslässt. 


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Referate über Bücher und Aufsatze. 


Die strittige Frage, wie hoch man im Darrarohr mit der Flüssigkeit gelangen kann, bezw. 
ob die Bauhin'sche Klappe überhaupt und inwieweit sie Widerstand leistet, beantwortet Schenk 
auf grund eines Versuches an einem leicht narkotisierten und laparotomierten Hunde dahin, dass 
in Fällen eines per rectum ausgeübten Ueberdruckes eine fast momentane Ocffnung der Klappe zu 
stände kommt und gleichzeitig antiperistaltische Bewegungen entstehen, welche dann einen Theil 
des Dickdarminhaltes förmlich zurückpumpen. Die Antiperistaltik war bei heissem und kaltem 
Wasser energischer als bei lauwarmem. Durch die geringfügige, in den Dünndarm gelangende 
Menge Flüssigkeit vermag man thermische oder mechanische Wirkungen direkt auf denselben nicht 
auszulösen. Indirekt ist dies infolge der günstigen Lagerung des Dick- und Dünndarmes zu ein¬ 
ander auf dem Wege der Fortleitung denkbar. 

Die Entcroklyse stellt ein wirksames Agens zur Regulierung der Körpertemperatur, der Blut¬ 
veitheilung, der Blutbereitung, zur Regelung von Innervationsstörungen und ähnl. dar. 

Schenk unterscheidet folgende Arten von Darmbädem: 

1. Darmvollbad (3—4 Liter in raschem, mächtigem Strahle, ohne dünnes Zuflussrohr). 

2. Fliessendes Darmhochbad (wie 1., nur mit Einlage des dünnen Zuflussrohres). 

3. Fliessendes Niederbad (wie 2 , nur mit geringerer Menge Flüssigkeit, nämlich i/ 2 Liter). 

4. Schottische Douche des Darmtraktus. 

5. Darm halbbad (Klysma in Verbindung mit der oben erwähnten Massage der Wassersäule 
im Darm mittels eines eingefügten Guinmiballons). 

Die Wirkung der Enteroklyse ist ausser einer reinigenden (Asepsis des Darmes) eine 
antipyretische, sedative, hypnotische, antidiarrhoische, Obstipationswidrige, diu- 
retische, je nach Anwendung, Dosierung und Ausführung; zwecks Orientierung über bezügliche 
Details empfehle ich die Lektüre des Originals: eine nähere Darlegung derselben würde hier zu 
weit führen. 

Erwähnen möchte ich nur noch, dass Verfasser zwölf Fälle von Hämorrhoiden mittels des 
fliessenden Niederbades (8—10°) mit gutem Erfolge behandelt hat (analog der Einführung von Eis¬ 
stückchen nach Winternitz), und ferner, dass Verfasser durch Darreichung von Nährklysticrcn, 
ebenfalls in Form des langsam fliessenden Niederbades, eine weitaus vollständigere Peptonisiening 
der Nahrung (Milch, Ei) erzielt zu haben glaubt. Viktor Lippert (Wiesbaden). 


A. Durig und A. Lode, Ergebnisse einiger Respirationsrersuehe bei wiederholten kalten 
Bädern« Aus dem hygienischen Institut der Universität Insbruck. 

Durch die Arbeiten von Nasaroff und Rosenthal ist es bekannt geworden, dass warm¬ 
blütige Thierc sich an künstliche Abkühlung und Erwärmung, wenn dieselbe nicht zu hochgradig 
ist, gewöhnen, d. h. sich akklimatisieren. Während nun Roscnthal der Ansicht ist, dass diese 
Akklimatisation hauptsächlich durch die Regulierung der Wärmeabgabe zu stände kommt, ist 
Nasaroff zu dem Resultat gekommen, dass eine gesteigerte Verbrennung, wenigstens bei der 
Kältewirkung, von Bedeutung ist, während er auf die Verminderung des Wärmcverlustes nur ge¬ 
ringes Gewicht legt. 

Dieser Widerstreit der Meinungen ist übrigens schon alt und bis in die neueste Zeit hin zu 
beobachten. Eine Klärung der Frage ist von prinzipieller Bedeutung für Stoffwechsel und Hydro¬ 
therapie. 

Es haben deshalb die Verfasser sich die Aufgabe gestellt, den alten Weg der Bestimmung 
der gasförmigen Ausscheidungsprodukte zu gehen, nachdem Temperaturbestimmungen und solche 
von Kalorieen, wie sie zeigen, sich als unzuverlässig erwiesen haben. 

An der Hand zahlreicher Versuche, die im Original einzusehen sind, kommen sie zu nach¬ 
stehenden Schlussfolgerungen: 

1. Gut genährte Hunde zeigen bei wiederholten kalten Bädern gesetzmässig die Fähigkeit 
einer Anpassung an den Wärmeverlust im Sinne Nasaroff’s. 

2. Schwächliche, schlecht genährte Thiere können dies nicht thun 

3. Die Kohlensäuremengen der Ausathmung steigen bis auf das Vierfache der Norm und sind 
direkt abhängig von den Abwehrbewegungen. 

4. Die gefundenen Kohlensäurewerthe lassen aber keine Beziehungen zu den Erscheinungen 
der Gewöhnung erkennen: eine gesetzmässige Beziehung zwischen Vermehrung der Kohlensäure¬ 
menge und der Gewöhnung an die Abkühlung ist nicht feststellbar. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


:*45 

5. Die Ausführung energischer Muskelbewegung kann in ihrem Effekt nielit als ein Hilfsmittel 
zur Unterstützung der in Frage stehenden RegulationsVorrichtung angesehen werden. 

Ferner ergab sich 

C>. ein gewisser Zusammenhang zwischen Badetemperatur und Kohlensäuremengen, so dass 
diese mit zunehmender Wärme des Bade wassere fallen. (Naheliegende Erklärung: Erhöhtes Zittern 
bei stärkerer Abkühlung). 

7. Die Menge der eingeathmeten Luft steigt im kalten Bado bis auf das Fünffache der 
»•trockenen« Versuche, sie fehlt nur bei den Thieren, die sich nicht anpassen. 

Die Ursache aller dieser AnpassungsVorgänge wird schliesslich von den Verfassern in einer 
verminderten Wärmeabgabe gefunden, nicht in einer vermehrten Produktion. 

H. Rosin (Berlin). 


0. Martin, Formnlaire d’hydrotheraple et de balndotherapie. Paris 1900. 

Die vorliegende Schrift enthält eine Aufzählung der wichtigsten hydriatischcn Kuren und 
ihrer Technik für diejenigen Aerztc, welche zwar die Indikationen kennen, aber mit der Materie 
nicht so genügend vertraut sind, um die Kuren unter eigener Leitung praktisch durchführen zu 
können. In diesem Sinne dürfte sich das übersichtliche, kurz gefasste und doch genügend aus¬ 
führliche Büchlein bestens bewähren. H. Rosin (Berlin). 

W.Lewaschow, Die gegenwärtigen experimentellen Ergebnisse zur Frage Uber den Einfluss 
der Lnft anf den menschlichen Organismus. Shurnal Russkawo obschestwa ochranenia 
narodnawo sdrawia 1899. Heft 1. 

Der Autor hat behufs experimenteller Eruierung der Einwirkung der Luft auf den mensch¬ 
lichen Körper seine Versuche mit Hilfe des grossen Pettenkofer 9 sehen Respirationsapparates fin¬ 
den Menschen angestellt und auf folgende Bedingungen bei der Vereuchsanordnung geachtet: ge¬ 
wöhnliche Bekleidung, mässige Ernährung und körperliche Ruhe der Versuchsperson und eine der¬ 
artig normierte Bewegung der Luft in der Kammer des Appaiates, wie sic unter gewöhnlichen 
Verhältnissen in unseren Wohnungen beobachtet wird. Aus seinen Experimenten nun glaubt Ver¬ 
fasser folgende Schlüsse ziehen zu können. 

Vor allen Dingen muss, seiner Ansicht nach, unbedingt zugegeben werden, dass der Prozess 
der Wasserabgabe des lebenden Organismus durch die Haut und die Lungen in der That nicht 
physikalischen, sondern kompliziert physiologischen Charaktere ist; der Organismus besitzt die 
Fähigkeit, aktiv die Wasserabgabe durch Haut und Lungen in das umgebende Medium zu ver¬ 
stärken oder zu verringern, indem er sich dabei bemüht, unter allen Umstanden die Beständigkeit 
seiner Temperatur zu bewahren. Dabei besteht die Rolle der relativen Feuchtigkeit der Luft, 
welche den Organismus umgiebt, im gegebenen Falle darin, dass sie die Wasserabgabe des Körpere 
in das umgebende Medium in Form von Dampf entweder erleichtern oder im Gegentheil stark 
unterdrücken kann, oder mit anderen Worten: sie kann die Arbeit der regulatorischen Vorrichtungen 
des Organismus, welche die Tendenz haben, ihm seine normale Temperatur zu erhalten, erleichtern 
oder stark hemmen. Der Einfluss eines und desselben Grades von relativer Luftfeuchtigkeit auf 
den Organismus ist auch in unseren Wohnungen in hohem Maasse abhängig von verschiedenen 
gleichzeitig auf den Körper einwirkenden Faktoren, welche die Wärmeproduktion und die Wärme¬ 
regulation ändern, wie z. B. die Temperatur der Luft, die körperliche Arbeit, die Kleidung und 
die Nahrung. Deshalb ist es augenscheinlich unmöglich, irgend eine allgemeine Norm für die 
relative Feuchtigkeit der Luft in Wohnungen und Arbeitsräumen aufzustellen, ln der Mehrzahl 
der Falle können wir auch deswegen mehr Nutzen bringen durch die Normierung der gleichzeitig 
einwirkenden Faktoren, wie Arbeit, Kleidung u. s. w. Ueberhaupt müssen wir uns häufiger um 
eine Verminderung, als um eine Vermehrung des Feuchtigkeitsgehaltes der Luft bemühen. 

A. Dworetzky (Riga-Schrcyenbusch). 


R. Tunstall Taylor, A suiumer plaster-of-Paris jacket for Potts’ disease. New-York 
med. journ. 1900. 26. Mai. 

Verfasser empfiehlt für die Behandlung der Pott’sehen Krankheit einen aus Heftpflaster¬ 
streifen hergestellten Verband, der den Bauch zum grössten Theile freilässt und, besonders in der 


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Referate «her Bücher und Aufsätze. 


34« 


heissen Zeit, die Kinder weniger belästigt. Die Stützpunkte für dieses Jaquet sind vom das 
Sternum und die spinae iliacae, hinten die Kyphose, über die der Verband nur wenig nach oben 
hinauszugehen braucht. Friedlaender (Wiesbaden). 


0. Jacobsou, Zur Behandlung von Bronchialerkrankungen durch Lagerung. Berliner klin. 

Wochenschrift 1900. No. 41. 

Als erste Indikation bei Behandlung aller bronchitischen Prozesse gilt die Entfernung des 
von den Bronchien abgesonderten pathologischen Sekrets, was man bisher gewohnt war, mittels 
chemischer Reizmittel — den sogenannten Expektorantien — zu versuchen. Die Behandlung be¬ 
sonders der bronchitischen Prozesse auf diesem Wege war eine nach den mannigfachsten Richtungen 
hin unbefriedigende. Dem gegenüber bedeutete die von Quincke 1898 gegebene Anregung (deren 
Priorität übrigens dem Alterthum angehört. Ref.), das Bronchialsekret auf mechanischem, nicht 
operativem Wege zu entfernen, einen bedeutsamen Fortschritt. Quincke geht bekanntlich bei 
seinem Verfahren von dem Gesichtspunkt aus, die Entleerung der Eitermassen aus den Bronchien 
ihrer eigenen Schwere zu überlassen, d. h. diese an Stelle der zu Grunde gegangenen, respektive 
atonischen Muskulatur der Bronchien zu setzen. Zu diesem Zweck verlegt er den tiefsten Punkt 
des Bronchial bäum es nach seinem Stamm der Trachea, und erreicht das durch Flachlagerung des 
Patienten und gleichzeitige Erhöhung des Fussendes des Bettes. Das Hauptfeld für die An¬ 
wendung des Verfahrens bilden bronchiektatische Prozesse, der mechanische Effekt setzt sich ans 
einer Reihe von Faktoren zusammen. Nächst der Wirkung der Schwerkraft und dem geänderten 
alveolären exspiratorischen Druck, die jedoch beide nur eine untergeordnete Rolle spielen, ist von 
wesentlichster Bedeutnug der Umstand, dass wir durch das Verfahren in der Lage sind, die Expek¬ 
toration nicht nur zu erleichtern, sondern auch zu regeln. Während gewöhnlich der Bronchiektatikcr 
immer nur eine der zahlreichen Bronchiektasen entleerte, wird durch die Tieflagerung eine Ent¬ 
leerung des gesammten Sputums auf einmal bewirkt und damit die Möglichkeit geschafft, die 
Schleimhaut wieder reizempfänglich zu machen und dem Fortschreiten des Prozesses vorzubeugen. 
Bei schon bestehender fötider Bronchitis giebt die Lagerung ein Mittel in die Hand, den Kranken 
jedesmal innerhalb verhältnissmässig kurzer Zeit von seinem Tagesauswurf zu befreien. Verfasser 
exemplifiziert dies auf einen höchst instinktiven Fall von Bronchiektasie und fötider Bronchitis, bei 
dem unter den Q u i n ck e ’ sehen Lagerungen derAuswurf, der bisher nur in kleinen Mengen wieder¬ 
holt entleert wurde, nunmehr innerhalb je 30—45 Minuten Lagerung morgens und abends in seiner 
gesammten Tagesmenge expektoriert werden konnte. Nach mehrmonatlicher Behandlung damit 
konnte der Patient entlassen werden, während bei einem Falle von Lungenabscess das Verfahren 
völlig wirkungslos blieb. Jacobson schlicsst daraus, dass das Quincke’sehe Verfahren seine 
Wirkung nur bei chronischen bronchitischen Prozessen entfalten kann, bei denen die Bronchial¬ 
schleimhaut mehr oder weniger ihre Reflexerregbarkeit, die glatte Muskulatur der kleineren 
Bronchien ihren Tonus verloren hat. In diesen Fällen übernimmt dasselbe die Beförderung do 
angesammelten Sekrets an eine Stelle, von der aus noch Hustenreflex ausgelöst werden kann. Bei 
akuten Prozessen dagegen, w'o die Schleimhaut sogar überregbar ist und schon kleine frisch ab¬ 
gesonderte Sekretmengen genügen, um Hustenreiz hervorzurufen, hat die Lagerung keine Bedeutung 
ist sogar kontraindiziert, da der andauernde Reizhusten bei Tieflagerung des Kopfes quälender ist, 
und das Ausspeien des Sekrets in dieser Stellung immerhin Schwierigkeiten macht. 

Die Indikation für die Anwendung des Verfahrens wird also zu beschränken sein auf Bronchi- 
ektasien, vornehmlich cylindrischcr Form, sowie auf fötide Bronchitiden, während im allgemeinen 
Lungenabscesse, in die Lungen durchgebrochene Empyeme etc. für das Verfahren sich nicht eignen. 
Was die Technik desselben anbetrifft, so wurden die Patienten im allgemeinen morgens und abends 
je eine Stunde nach Quincke gelagert. Es wurde regelmässig mit einfacher Flachlagerung be¬ 
gonnen, erst allmählich wurde die Erhöhung des Bettfussendcs hinzugefügt. 

Verfasser resümiert: Die Bedeutung der Hochlagerung der Füsse und Tieflagerung des Kopfes 
bei Behandlung der Bronchitis liegt hauptsächlich darin, dass durch die Schwerkraft das Bronchial- 
sekret von Stellen reizunempfindlicher, torpider Schleimhaut an Stellen reizempfindlicher geschafft 
wird und so zur Expektoration gelangt. Es wird dadurch einerseits eine Stauung und Zersetzung 
des Sekrets verhindert, andrerseits aber auch eine gleichzeitige Entleerung der Gesanmittagesiiienge 
erzielt. Das Verfahren findet seine vorzügliche Indikation hei chronischen Bronchoblennorrhocn 
infolge diffuser, kleinerer, cylindrischcr Bronchiektasien, kann auch bei einer Zahl von chronischen 
Lungenabscess<»n und sackförmigen Bronchiektasien von guter Wirkung sein. Kontraindizieit ist 
es bei allem akuten Bronchialerkrankungen und bei singulären grossen Abseesshöhlen. 

J. Marcuse (Mannheim;. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. *°>I7 

M. Brunn, Ueber Yibrationsmaggage der oberen Luftwege mit spezieller Berücksichtigung 
der Vibration der Nase bei Stirnhöhlenkatarrh und der Tnba bei Schwerhörigkeit. Klinisch- 
therap. Wochenschr. 1900. No. 45. 

Die Vibrationsmassage setzt sich aus der Effleurage und der Vibration zusammen. Die 
Effleurage besteht in Streichungen der Schleimhaut mit der den anatomischen Verhältnissen ent¬ 
sprechend gebogenen armierten Kupfersonde mit oder ohne Druck. Die Vibration wird durch 
tonische Kontraktionen der Vorderarm-, Oberarm- und Schultermuskulatur bei gebeugtem Ellen¬ 
bogengelenke erzeugt und durch die Hand, Finger und Sonde, als (Bieder einer Kette, auf den zu 
behandelnden Fall übertragen. Es genügt, die Scheimhaut an einem beliebigen Punkte mit der 
Sonde zu berühren, um von ihm aus die gleichmässigen, wellenförmigen Erschütterungen auf ent¬ 
ferntere Partieen fortzupflanzen. Intensiver werden Erschütterungen der Schleimhaut in toto erzielt, 
wenn man streichend erschüttert Das Zahnfleisch, die Zunge, die Schleimhaut der Lippen, der 
Wangen, des Mundbodens, des harten und weichen Gaumens, des Nasenrachenraumes, des Rachens, 
des Oesophagus, des Kehlkopfes, des oberen Theiles der Luftröhre und der unteren und mittleren 
Partieen der Nase sind Streichungen sÄhgänglich. Die Tube und die obersten Theile der Nase jedoch 
können nur durch Erschütterung behandelt werden. Die Behandlung beginnt mit der Gewöhnung 
des Kranken an die Sondenberührung; die Schleimhaut wird rasch hinter einander berührt, bis die 
Empfindlichkeit herabgesetzt ist Der Heilzweck erfordert sodann in jeder Sitzung eine stete 
Steigerung der Vibrationsmassage von 3—12 Minuten. 

In den letzten fünf Jahren hat Braun das geschilderte Verfahren bei den verschiedenen 
Formen der Kopf- und Gesichtsschmerzen, sowie bei Schwerhörigkeit angewandt. Was die ersteren 
betrifft, so genügte in der Regel dieses Verfahren, um den Anfall sofort zu mildern oder auch 
zu sistieren, wenn es sich um eine Reflexneurose handelte. In 65 Fällen von charakteristischer 
typischer Migräne blieb die Vibration der Nasenschleim haut wirkungslos. Mit den entsprechend 
armierten Sonden versuchte nun Braun die obersten Partieen der Nase und speziell den mittleren 
Gang zu beeinflussen. Dabei konnte er konstatieren, dass in 30 % dieser Erkrankungen der Anfall 
gerade so wie bei der Reflexneurose theils gemildert, theils sistiert wurde. 

Bei Schwerhörigkeit vibriert Braun gegenwärtig mit dem von einem Wattebäuschchen ent¬ 
sprechend umspannten Sondenkopf nur den Tubeneingang, weil sich die Vibration der tieferen 
Partien der Tube als schädlich erwiesen hat. Die äussere Behandlung besteht in Erschütterung der 
gesammten Fläche des Felsenbeins und des Antitragus zugleich mit beiden Händen. Wie aus zwei 
mitgetheilten Fällen ersichtlich, verspricht dieses Verfahren unter Umständen Erfolg. - n. 


Lewis A. Corner, The techuique of lorabar puncture. New-York med. journ. 1900. 12. Mai. 

Verfasser giebt eine Uebersicht über die seit Quin eke’s erster Publikation über die Lumbal ¬ 
punktion von den verschiedenen Autoren mitgetheilten Rathschläge zur Methodik der Operation. 
Bei der Wahl der Einstichsstellc müssen folgende Momente hauptsächlich berücksichtigt werden: 
1 die Nadel muss leicht zu dem Subarachnoidealraum Vordringen können; 2. Verletzung von nervösen 
Elementen muss vermieden werden; 3. die erhaltene Flüssigkeit muss möglichst reich an Sediment 
sein. Wenn die Lumbarpunktion für diagnostische Zwecke gemacht wird, ist der Lumbo-Sakral- 
Zwischenraum die beste Stelle; im übrigen darf im allgemeinen nicht über den dritten Lumbar- 
wirbel hinaus nach oben gegangen werden. Bei Kindern ist die Operation in sitzender Stellung 
vorzunehmen, was sich bei Erwachsenen meist von selbst verbietet; die Wirbelsäule ist möglichst 
ventral zu flektieren Allgemeine Narkose ist überflüssig, lokale Anästhesie vollkommen aus¬ 
reichend, dagegen ist vollkommenste Asepsis absolut nothwendig. Der Einstich muss einige Milli¬ 
meter seitlich von der Medianlinie erfolgen und dann die Nadel nach oben und innen geführt werden. 
Die Flüssigkeit lässt man am besten direkt aus der Nadel fliessen, jedenfalls muss ihre Entleerung 
möglichst langsam erfolgen, um ein zu schnelles Sinken des Druckes zn vermeiden. Unangenehme 
Zufälle pflegen nur dann einzutreten, wenn die < Vrebrospinalfliissigkeit zu schnell oder in zu 
grosser Quantität entleert wird. Friedlaender (Wiesbaden). 

P ha ries E. Page, Typhoid fever. New-York med. journ. 1900. 3. März. 

Verfasser tritt lebhaft für die hydrotherapeutische Behandlung des Typhus ein. Die Wasser¬ 
behandlung soll angewendet werden, um den Organismus zu stimulieren und im Kampf gegen die 
Infektion zu kräftigen, aber nicht um die Temperatur herabzusetzen. Die feuchte Einpackung ist 
neben kühlen Bädern, Schwammbädern und kühlen Abreibungenjlio geeignetste Form der hydro- 


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348 


Referate über Bücher und Aufsatze. 


therapeutischen Behandlung. Bezüglich der Ernährung im Typhus steht Verfasser im Gegensatz zu 
der jetzt herrschenden Anschauung auf dem Standpunkt möglichster Abstinenz von jeder Nahrung 
mit Ausnahme von Wasser in reichlichen Mengen. Wesentliche Dienste haben dem Verfasser bei 
der Behandlung des Typhus kalte Wasserklystiere geleistet. Verfasser beklagt es lebhaft, dass auf 
den Universitäten die nichtmedikamentösen Methoden der Behandlung immer noch zu wenig Be¬ 
achtung finden. Friedlaender (Wiesbaden). 


F. S. Yoiiuge (Therapist 1000. lf). Januar) empfiehlt zur Desinfektion der von Phthisikern 


bewohnten Räume neben ausgiebiger Ventilation folgende Mischung reichlich zu sprayen: 

R Guaiacol . . . . 

10 Thcile 

Eucalyptol 

8 


Karbolsäure . . . 

G 

» 

Menthol . . . . 

4 

T> 

Thymol . . . . 

2 

T> 

Nelkenöl . . . . 

1 

» 

Alkohol (90%) . . 

. 170 


Misce et dissolve. 


Friedlaender (Wiesbaden). 


Vo sgius, Ein Beitrag zur Lehre von der Aetiologie, Pathologie und Therapie der Diphtheritis 
conjunctivae. München 1901. 

Verfasser vertritt folgenden Standpunkt : Einen prinzipiellen Unterschied zwischen der Diphthe¬ 
ritis conjunctivae, deren Symptomenbild uns Al brecht v. Graefe schon mustergildg beschrieben 
hat, und einer Conjunctivitis crouposa sive membranacea giebt es nicht auf Grund klinischer Be¬ 
obachtung und bakteriologischer Prüfung. Die oberflächliche Form der Diphtherie der Conjunctiva 
ist sogar häufiger als die nekrotische, verläuft milder, steht aber an Infektiosität der anderen nicht 
nach, wie Verfasser, Schirmer undUhthoff gezeigt haben. In den oberflächlichen Membranen sind 
virulente Diphtheriebacillen gefunden worden; daher ist die bakteriologische Prüfung einschliesslich 
des Thierexperimentes ein zur Diagnose wichtiges Hifsmittel, besonders mit Rücksicht auf die Ein¬ 
leitung der prophylaktischen Maassnahmen und der Aufstellung des Heilplanes. Der Werth des 
bakteriellen Nachweises gewinnt noch dadurch, dass sogar Bindehautentzündungen ohne Membranen, 
katarrhalische Formen, durch Diphtheriebacillen verursacht werden können. Die Mannigfaltigkeit 
des Krankheitsbildes scheint nur ein Widerspiel der wechselnden Virulenz der Bakterien zu sein, 
wahrscheinlich kommen aber noch individuelle Disposition und andere Momente in Betracht 

Das Heilserum verfahren hat bei Diphtherie der Bindehaut gute Erfolge, besonders in dem 
Stadium der Membranbildung und tiefen Exsudation. 

Mischinfektionen kommen häufig vor, wichtiger erscheint aber, dass das klinische Bild der 
Bindehautdiphtherie durch Streptokokken erzeugt werden kann, wie zuerst Uhthoff bei einem 
Scharlachkinde unzweifelhaft nach wies; der diphtherische Prozess wurde sogar von dem Heilserum 
günstig beeinflusst. Verfasser berichtet alsdann über 14 Fälle mit Conjunctivitis diphtherica respek¬ 
tive membranacea aus seiner Klinik, von denen fünf nur Streptokokken aufwiesen; von den neun 
mit Heilserum behandelten Fällen zeigte der Krankheitsprozess viermal günstigen Verlauf, und zwar 
bei den drei Kranken, welche Diphtheriebacillen nachweisbar hatten, und bei einem Kranken mit 
reiner Streptokokkeninfektion. Da wir also in dem Heilserum ein den diphtherischen Prozess der 
Conjunctiva günstig beeinflussendes Mittel haben, das um so prompter wirkt, je frühzeitiger es zur 
Anwendung kommt, so ist die Diagnose durch die bakteriologische Untersuchung sicher zu stellen 
und zwar möglichst schnell, um der Ausbreitung der Krankheit vorzubeugen; eine auf Grund des 
klinischen Bildes sofort eingeleitete Serumtherapie ist für den Patienten mit irgend welchen Gefahren 
nicht verbunden. Nicolai (Berlin) 

Xiegelroth, Die physikalisch-diätetische Therapie der SyphiUg. 

Demjenigen, welcher sich mit der Geschichte der Syphilistherapie beschäftigt hat, ist es be¬ 
kannt, dass es Zeiten gab, in denen ein unverkennbarer Quecksilbermiss brauch getrieben worden 
ist, welcher thatsäehlich geeignet war, den unbestreitbaren Werth des Mittels zu diskreditieren und 
die unheilvollen Wirkungen der Merkurialintoxikation zu demonstrieren. 

Man könnte dem Verfasser beipflichten, wenn er diese Schäden der damaligen Behandlungs¬ 
weise von dem Standpunkte des in dieser Beziehung heutzutage ganz anders denkenden Arztes 


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Referate über Bücher und Aufsatze. 


340 


«aus beschriebe, um uns auf diesem Gebiete darzuthun, wie es gerade auch ein Zeichen des Fort¬ 
schrittes unserer Wissenschaft in neuerer Zeit ist, dass inan unter Beiseitelassung aller jener schäd¬ 
lichen Uebertreibungen die Quecksilbertherapie der Lucs in einer für den Patienten wirklich segens¬ 
reichen Weise festzustellen vermochte. Anstatt dessen bemüht sich Verfasser, hauptsächlich auf 
den genannten Missständen vergangener Zeiten fussend, und unter Zuhilfenahme der verschiedensten 
Ansichten, Aussprüche und Zitate mehr oder minder anfechtbarer Autoren, unter stellenweise zu¬ 
mindest einseitiger Auslegung verschiedenster Arbeiten über Syphilis, bezw.^Quecksilbervergiftung 
und seiner eigenen Erfahrungen, zu beweisen, dass die heute allerseits mit bestem Erfolge geübte, 
durch tausendfältige Erfahrung gefestigte Therapie der Lucs eine irrthümliche, bezw. unrichtige sei. 

Es ist mir selbstverständlich ganz unmöglich, mich innerhalb des knapp bemessenen Rahmens 
eines Referates auf die Besprechung oder Widerlegung der vom Verfasser herangezogenen Punkte 
(•inzulassen; nur einzelnes möchte ich anführen, welches geeignet ist, klar darzuthun, dass ausser 
der Heranziehung längst verlassener Prinzipien auch noch manches andere in der Ziegelroth'schen 
Beweisführung anfechtbar ist 

Zunächst übersieht Ziegel rot h vollständig, dass bei dem Verlaufe der Lues, genau wie bei dem 
einer jeden andern Infektionskrankheit, die stärkere oder schwächere Konstitution des betroffenen 
Individuums maassgebend ist; er lässt ferner ganz ausser Acht, dass vieles, was im Laufe der Jahr¬ 
zehnte von den Gegnern des Quecksilbers diesem zur Last gelegt wurde, in dem Wesen der Krank¬ 
heit selbst begründet ist und sich aus dieser allein erklären lässt. 

Dann müsste doch ausdrücklich betont werden, dass als eine Hauptursache der Misserfolge 
der Umstand zu betrachten ist, dass eine sehr lange Zeit hindurch zwischen Gonorrhoe und Lues 
ein in keiner Hinsicht bewiesener Konnex angenommen und deshalb womöglich jeder Tripper mit 
Quecksilber behandelt wurde. Anstatt dieso Fälle, soweit überhaupt angängig, möglichst strenge 
auszuscheiden, benutzt Verfasser gerade sie, um zu zeigen, was für zerstörende Folgen (Tripper- 
scuchei eine Quecksilberkur haben kann. Er vergisst hierbei ganz und gar, dass er nicht die Schäd¬ 
lichkeit der Quecksilberkur an sich bei irgend einer Krankheit (z. B. Tripper), sondern der Queck¬ 
silberkur bei Syphilis beweisen will. Dass Quecksilberkuren, besonders wenn sie, wie in den 
angezogenen Tripperfällen, in maasslos übertnebener Weise angewendet werden, bei vielen Leiden 
nichtluetischen Charakters unangenehme Erscheinungen zeitigen, ist möglich. 

Der zw'eite Theil der Ziegelroth sehen Schrift enthält nun detaillierte Angaben über die 
physikalisch-diätetische Therapie der Lues, wie dieselbe aus den Verfahren bezw. den Veröffent¬ 
lichungen v'on Priessnitz, Schroth, Piegler, Lahmann und Ziegelroth sich ergiebt. Die 
Wasserkur gilt als Reagens auf die Syphilis, das eingekapselte Gift wird durch sie gewisser- 
maassen gelöst und ausgeschieden (Neuausbruch der Symptome nach vier- bis sechswöchiger Wasser¬ 
kur). Man unterscheidet nicht zwischen hartem und weichem Schanker, sondern zwischen solchem 
mit chronischem und akutem Verlauf; da der letztere, wie jede akut verlaufende Krankheit, eine 
lebhafte rasche Ausscheidung des Giftes bewirkt, besteht die Therapie in der Anregung der 
Fülle mit chronischem Verlauf (harter Schanker) zu akutem Verlauf (Anwendung feuchter Packungen, 
Sitzbäder). Die allgemeine Behandlung deckt sich mit derjenigen der anderen Infektionskrankheiten 
: Packungen, Vollbäder, Fieberdiät, Klystiere etc.). Ausserdem wird empfohlen: Aktiv es Schwitzen 
(Arbeit im Freien), Förderung des Ausbruches der Roseola durch verschiedene hydriatische Pro¬ 
zeduren, da dieselbe eine Art Naturheilung darstelle; relative Hungerkur (um die Organe dos 
Körpere zu entlasten); relative Trockendiät tum durch Verringerung des Flüssigkeitsgehaltes 
die Fermentation zu behindern); Luftbad, Luftlichtbad, Sonnenbad. 

Gegen die syphilitischen Mund- und Rachenerkrankungen empfiehlt Ziegel roth 0,GÖf>°/n 
Sublimatlösung zwecks Erzeugung einer heilsamen lokalen Hyperämie; für besser hält er Mund¬ 
bäder, lokale Douehen. 

Ira Anhang sucht Ziegelroth dann noch die Therapie der Gonorrhoe nach rein physikalisch- 
diätetischen Gesichtspunkten darzulegen und bespricht noch kurz die Prophylaxe der venerischen 
Erkrankungen überhaupt 

Eine solche Behandlung der Lucs wurde schon im Anfänge des 10. Jahrhunderts in Portugal 
geübt, zeitigte aber relativ die meisten Todesfälle und die meisten Verstümmelungen infolge einer 
derartigen Vernachlässigung des Leidens (Bericht des englischen Generalarztes llcnrv Robertson. 
1817). Trotzdem verbreitete sich dieselbe über England, Frankreich und Deutschland, w urde jedoch 
sehr bald wieder gänzlich verlassen. Diese und ähnliche Erfahrungen liefern doch den Beweis für 
die Unzulänglichkeit der arzneilosen bezw. der rein physikalisch-diätetischen Therapie der Lucs. 

Viktor Lippert (Wiesbaden). 


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350 Referate über Bücher und Aufsätze. 


Ein »Handbuch der Heil-, Pflege und Kuranstalten (Privat*Anstalten)«, ärztlich redigiert 
von Dr. H. Neumann, prakt. Arzt, Berlin, wird von der Firma Max Leuchter in Berlin verschickt. 
In dem Büchelchen sind die Institute nach folgender Eintheiluug aufgeführt: A. Allgemeine Heil¬ 
anstalten, B. Spezial - Heilanstalten: 1. diätetische, 2. für Orthopädie, Heilgymnastik und Massage, 
3. für Hautkranke, 4. für Lungenkranke, 5. für Gemüths- und Geisteskranke, 6. für Entziehungs¬ 
kuren, 7. für körperlich und geistig zurückgebliebene Kinder. 

Das Buch wird bei der zunehmenden Bedeutung Und Beliebtheit der Anstaltsbehandlung für 
viele Aerzte ein brauchbares Hilfsmittel sein. (R.) 


Blätter fllr Yolksgesundheitspflege. 1 . Jahrgang. Heft 14—20. 

Auch die letzten sieben Hefte dieser gemeinverständlichen Zeitschrift des deutschen Vereins 
für Volkshygiene enthalten zum Theil aus der Feder erster Autoritäten werthvolle Aufsätze über 
die Diätetik und die mit ihr verwandten Heilbestrebungen. Einer wie grossen Werth Schätzung sich 
die Krankenpflege jetzt bei den Klinikern erfreut, geht aus dem Aufsatze des Berliner Pädiaters 
Heubner hervor, der einen eigenen Artikel über die Pflege kranker Kinder im Heft 15 ver¬ 
öffentlicht. Mit Recht bezeichnet er auf Grund seiner Darlegungen die Pflege kranker Kinder als 
eine Kunst und ermahnt daher die Mütter, jede Gelegenheit zu benutzen, sich in dieser Kunst aus¬ 
zubilden. Aus dem Aufsatz von Heinzheimer (in dem gleichen Hefte) über »Gesundhelts- 
mässige Ernährung« mag die warme Empfehlung hervorgehoben werden, welche der Autor 
dem Genuss der bei uns noch immer nicht in genügender Weise als Volksnahrung verwandten 
Fische giebt, ferner der Hinweis auf die Wichtigkeit eines reichlichen ersten Frühstücks, sowie die 
scharfe Verurtheilung, welche er dem Alkohol gegenüber ausspricht. 

In den Heften 16 und 17 ist die Fortsetzung und der Schluss der in früheren Heften er¬ 
schienenen Aufsätze von Kürz über »Einfache Kost« enthalten. Hier giebt der Autor eine Cebcr- 
sicht darüber, wie die einzelnen Hauptgruppen der Nahrung im Organismus ausgenutzt werden und 
wie viel unbrauchbare bezw. nicht benutzte Stoffe sie enthalten. Damit die für die gesammte 
Volksgesundheit so ausserordentlich wichtigen Prinzipien der Nahrungshygiene immer mehr und 
mehr in die Allgemeinheit dringen, spricht sich Kürz mit grösster Wärme dafür ans, dass obliga¬ 
torische Kochkurse für die aus der Volksschule entlassenen Mädchen eingerichtet werden. 

Im 18. Heft beschäftigt sich der Berliner Pathologe Prof. Israel mit den Schädlichkeiten, 
welche der Alkohol auf den Organismus des Menschen ausübt. Besonders weist er darauf hin, dass 
es nicht nur die sogenannten Säufer sind, bei welchen der Alkohol schwere pathologische Ver¬ 
änderungen im Gefässapparat, im Magendarmkanal u. s w. hervorruft, sondern dass diese Schädi¬ 
gungen auch bei sehr vielen Menschen eintreten, welche verhältnissmässig geringe Quantitäten 
Alkohols fortgesetzt zu sich nehmen. 

Ein kurzer zusammenfassender Artikel Marcuse's, welcher in der dem Autor eigenen fasslichen 
Weise geschrieben ist. handelt über Badeorte und Badekuren. Beherzigenswerth ist der Vor¬ 
schlag des Autors, dass der in die Bäder reisende Kranke sich daselbst stets vor Beginn und 
während seiner Kur sachverständigen Rath einholen soll. 

Das 19. Heft enthält einen Aufsatz von Hauser (Karlsruhe) »Ueber die hygienischen 
Aufgaben der Frau«. Dieselben gipfeln nach seiner Anschauung in drei verschiedenen Punkten: 

1. in der individuellen Hygiene der Frau, 2. der Hygiene der Familie, 3. der Hygiene der Oeffent- 
liehkeit und des Staates. 

In dem 20. Hefte ist gleichsam als Fortsetzung des Aufsatzes aus dem 18. Hefte ein Artikel 
von Marcuse über »Baden und Schwimmen in ihrer gesundheitlichen Bedeutung« ent¬ 
halten. Mit Recht hebt der Autor hier besonders die ausserordentlich grossen Vorzüge hervor, 
welche das Schwimmen sowohl infolge seines thermischen wie gymnastischen Einflusses auf den 
Organismus ausübt. Er empfiehlt diese hervorragend gesunde Uebung, deren Kcnntniss bisher in 
allen Schichten der Bevölkerung noch bei weitem nicht genügend verbreitet ist, besonders auch für 
die weibliche Jugend. Paul Jacob (Berlin). 


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Kleinere Mittheilungen. 


351 


Kleinere Mittheilungen. 

I. 

Ein neuer (Hfdbmond-)Stromnnterbrecher für Radiographie und Ströme von hoher Spannung. 

Von Dr. Ch. Colombo. Professor der medieinischen Fakultät, Direktor des kinesitherapeutischen 
Institutes zu Rom und Ch. Thouveust, Elektrotechniker am kinesitherapeutischen Institut 
zu Rom. 

Der Stromunterbrecher bedeutet für die Radiographie dasselbe, wie die Linse für die Photo¬ 
graphie, und man kann ohne Selbsttäuschung behaupten, dass die mehr oder weniger günstigen 
radiographischen Resultate in erster Linie von diesem Apparate abhängig sind. 

Bevor wir jedoch auf die Beschreibung des neuen Stromunterbrechers, welcher den Gegen¬ 
stand vorliegender Besprechung bilden soll, näher eingehen, dürfte es zweckdienlich sein, kurz die 
Grundprinzipien zu schildern, auf denen die Wirkung des Apparates beruht, der vor einem halben 
Jahrhundert von Ruhmkorff erfunden und sich bis auf unsere Tage in seiner ursprünglichen Form 
erhalten hat. 

Die Ruhm korff* sehe Spule oder der Funkeninduktor stellt einen Transformator dar, welcher 
besonders im Vergleich mit den für Verthcilung von Wechselströmen benutzten industriellen Trans¬ 
formatoren relativ geringe Leistungsfähigkeit aufweist. Jedoch sind trotz dieser Minderleistung seine 
Wirkungen durch die Sekundärspirale in Gestalt des Funkens ebenso gewaltige als überraschende; 
denn was man mit einer Batterie von 1000 Elementen nicht zu erzielen vermag, leistet man mit 
einem Induktionsapparat von der Grösse einer Faust! 

Eine Erklärung für die hierbei in Betracht kommenden physikalischen Erscheinungen mögen 
die folgenden Zeilen geben: 

Führt man in das Innere einer Spule, welche mit isoliertem Kupferdraht umwunden ist, dessen 
Enden an einen Galvanometer angeschlossen sind, einen magnetisch gemachten Eisenstab ein und 
zieht ihn plötzlich wieder heraus, so erzeugt (induziert) man in der Drahtspirale einen Strom: der 
Galvanometer zeigt diesen durch intensiven Nadelausschlag an. Falls die Einführung des Eisen¬ 
stabes ausserordentlich schnell stattfindet, entsteht ebenfalls ein Strom, jedoch in entgegengesetzter 
Richtung (Gegenstrom). W T enn man nun, anstatt einen magnetisch gemachten Stahlstab einzufübren, 
einen Elektromagneten einschiebt, so braucht man, um den Induktionsstrom zu erzeugen, den Eisen¬ 
kern nicht schnell zu entfernen, sondern nur den Strom zu unterbrechen. Man wird hierdurch einen 
viel stärkeren Nadelausschlag des Galvanometers erzielen. 

Jedesmal wird nun, sobald man durch Stromschluss den Elektomagneten wirksam werden 
lässt, ein sogenannter Induktionsstrom erzeugt, welcher dann bei Stromunterbrechung einem zweiten, 
entgegengesetzten und viel kräftigeren Platz macht. Um kräftige Wirkungen zu erzielen, ist es 
nothwendig, dass die äussere Spule, in welcher der Sekundärstrom entsteht, eine möglichst grosse 
Drahtlänge aufweist; die Dicke des Drahtes ist von geringer Bedeutung. Je länger der Draht, 
desto grösser die Funkenschlagweite. 

In das Innere dieser Spule haben wir eine zweite eingeführt in Gestalt des Elektromagneten, 
dessen Drahtlänge eine viel kürzere und dessen Drahtdicke entsprechend der Stromquelle eine 
grössere ist. 

Nehmen wir z. B. die Verhältnisse des Funkeninduktors des kinesitherapeutischen Instituts 
zu Rom an, bei welchem der von uns hier zu beschreibende Stromunterbrecher seine Verwendung 
findet. Der Draht der Sekundärspirale hat eine Länge von 500 km, während sein Durchmesser 
nur 0,25 mm betragt; dagegen besitzt der Draht der primären Rolle bei einer Länge von 5 m einen 
Durchmesser von 2,5 mm. Diese Induktionsmaschine erzeugt Funken von 1,4 m Länge. Von der 
Geschwindigkeit des Stromschlusses und der Stromunterbrechung hängt die Stärke des Sekundär¬ 
stromes ab. Selbstverständlich wurden die früher mit Handbetrieb bewegten Stromunterbrecher 
durch mechanisch - automatische ersetzt, welche wir schnell Revue passieren lassen wollen, um 
dann auf die Beschreibung unseres Stromunterbrechers näher einzugehen. 

Allgemein bekannt ist der klassische Stromunterbrecher, wie er an allen kleinen Induktions¬ 
apparaten angebracht ist. Ein kleiner Hammer au einer federnden Spange befestigt, wird bei Strom- 


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352 Kleinere Mittheilungen. 


Schluss durch den Elektromagneten angezogen, bewirkt hierdurch aber au der Kontaktfeder eine 
Unterbrechung des Stromes. Infolgedessen erlischt der Magnetismus der Eisenkerne des Elektro- 
magnets, die Feder schnellt wieder zurück, stellt den Stromschluss wieder her, worauf sich das 
nämliche Spiel unter raschen Schwingungen der Feder wiederholt; ein kontinuierliches Schwirren, 
Zittern (Tremblement) des Ankers tritt ein, nach welcher Erscheinung auch der ganze Apparat seinen 
Namen »Trembleur* erhalten hat. Er ist nur für schwächere Ströme verwendbar; denn der kleine 
Unterbrechungsfunke ist ausserordentlich heiss und brennt sehr schnell die Kontaktflächen durch, 
sofern nur im geringsten der Induktionsstrom proportional die Stärke des Battericstromes übersteigt 

Man wendet daher für praktische Zwecke Stromunterbrecher an, welche unabhängig von der 
Induktionsspirale, entweder durch ein Uhrwerk oder einen Motor, meist mit elektrischem Antrieb, 
in Bewegung gesetzt werden. 

Der allgemein verbreitetste dieser Apparate ist der »Stäbchenstromunterbreeher«. Ein Metall¬ 
stäbchen, in vertikaler Auf- und Abwärtsbewegung befindlich, taucht in einen Quecksilbemapf ein 
und verlässt ihn wieder, auf diese Weise Stromschluss und Strom Unterbrechung bewirkend. Die 
Aufeinanderfolge der Stromunterbrechungen lässt sich genau durch den mehr oder minder schnell 
gestellten Gang des Motors regulieren. 

Dies System hat indess mehrere Nachtheile. Die Wechselbewegung bringt durch die ständige 
Erschütterung den Apparat bald in Unordnung und verhindert die Möglichkeit, ihm eine grosse 
Geschwindigkeit zu geben. Auch der Kontakt taugt nichts, selbst wenn man das Stäbchen mit 
einer Platinspitze armiert; das destillierte Wasser, welches über das Quecksilber geschichtet ist, um 
den Unterbrechungsfunken zu löschen, bewirkt einen fettartigen Beschlag an dem Stäbchen. Unter 
diesen Bedingungen ist sowohl der Kontakt als auch besonders die Unterbrechung erschwert; denn 
bevor das Stäbchen den Strom unterbricht, schwächt es ihn ab, indem es beim Verlassen des Qucck- 
silbcrlagers immer weniger Berührungsfläche bietet und so bis zur völligen Stromunterbrechung 
den Strom widerstand erhöht. Für eine gute Unterbrechung muss die Unterbrechungsstelle sauber 
und blank sein; ein Beispiel wird dies schneller und besser zu erklären vermögen als alle Be¬ 
schreibungen. 

Hält man einen Hahn, an welchem ein langes vertikales Rohr angebracht ist, fest in der 
Hand, während durch dasselbe mit grösstmöglichster Geschwindigkeit Wasser strömt, und schließt 
plötzlich den Hahn, so empfindet man einen Druck des Wassers (einen »Stoss des Widders« mit dem 
Terminus technicus); schliesst man dagegen langsam, so spürt man nichts. Der Stäbchenstromunter¬ 
brecher gleicht hierin einem Wasserhahn, der sich um so langsamer schliesst, je schneller er schneller 
geht, ein Umstand, der paradox erscheinen mag, indess verständlich wird, wenn man nur hinzufügt, 
dass diese Wirkung sich an Erscheinungen anschliesst, welche ihren Grund in dem obengenannten 
»fettartigen Beschlag« des Stäbchens und dem hierdurch wieder bedingten Anwachsen des elektrischen 
Widerstandes finden. 

Mit anderen Worten, um etwas verständlicher, wenngleich weniger wissenschaftlich korrekt 
zu reden, bei den Stäbchenstromuntcrbrechem hat der Strom wegen der grossen Geschwindigkeit 
keine Zeit sich zu entfalten. 

Wie wir in den folgenden Zeilen klarlegen werden, lässt sich durch unseren Stromunterbrecher 
ein augenblicklicher Stromschluss, ein unmittelbarer Uebergang von Vollstrom auf Nullstärke be¬ 
wirken, ohne die Zwischenphasen, wie sic der Stäbchenstromunterbrecher bedingt, mit in Kauf 
nehmen zu müssen. 

An dieser Stelle möge noch im Voraus bemerkt sein, dass in der elektrotechnischen Sprache 
»Oeffnen des Stromes« das nämliche bedeutet, was der Hydrauliker mit »Schluss« bezeichnet; man 
kann dies graphisch in folgender Weise darstellen: 



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Klcinoro Mittheilungen. 353 

Dieser Fehler, dieser »Oeffnungs- und Schlussschwanz«, wie wir ihn nennen wollen, und seine 
schädliche Nebenwirkung wachsen mit der Geschwindigkeit der Bewegung und bewirken eine 
derartige Abschwächung des Stromes, dass bei grossen Geschwindigkeiten der Stäbchenstromunter¬ 
brecher nicht mehr liefert; denn seine zweckmässige Kurve ist folgende: 

j Fig. 63. 



Stromergebniss mit Stäbchenstromunterbrecher 
(geringe Geschwindigkeit). 



Stromergebniss mit Stäbchenstromunterbrecher 
(grosse Geschwindigkeit). v 


Mit dem Apparat, den wir nunmehr beschreiben wollen, sind die erzielten Wirkungen, nament¬ 
lich die Flächenwirkungen, viermal so stark, als die bei gleicher Geschwindigkeit vom Stäbchen¬ 
stromunterbrecher gelieferten, wie die folgende Kurve es graphisch darstellt: 


Fig. 05. 



Stromergebniss mit unserem Halbmondstromunterbrecher 
(grosse Geschwindigkeit). 


Alle Stromunterbrecher, mit Ausnahme des Spottiswoodc'sehen und der vorzüglichen 
Turbine der Allgemeinen Elektrizität»-Gesellschaft in Berlin, haben, soweit unsere Erfahrungen 
reichen, diesen Fehler. 

Uebrigens ist es betreffs dieses letzteren Apparates merkwürdig, konstatieren zu können, dass 
sicherlich der Turbinenstromunterbrecher durch die Ingenieure oben genannter Gesellschaft erfunden 
worden ist und dass dieselben sicher keine Ahnung von der Präexistenz dieses Apparates hatten, 
wie ja auch die meisten Elektrotechniker den Turbinenstromunterbrecher als eine ganz neue Er¬ 
findung und spezielle Eigenheit der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft begrüsst haben, während 
derselbe bereits vom guten alten Gordon, einem heutzutage viel zu früh vergessenen Manne be¬ 
schrieben worden ist. 

Es wäre zu zeitraubend, sich bei der Beschreibung aller bisher bekannten Stromunterbrecher 
aufzuhalten; der Zweck dieser Zeilen ist lediglich die Beschreibung unseres Stromunterbrechers, 
welcher unserer Ansicht nach viel vollkommener ist, als der Turbinenstromunterbrecher, eine viel 
einfachere Konstruktion aufweist und einen weit geringeren Anschaffungspreis besitzt. 

Beschreibung unseres Halbmondstromunterbrechers. Auf der Axe eines Hohl- 
eylinders von ungefähr einem Liter Inhalt ist eine Holzscheibe angebracht, welche durch einen 
Motor in Bewegung gesetzt wird. Auf dieser Holzscheibe ist eine halbmondförmige Mctallplatte 
aus Stahl angebracht. 

Den Apparat zeigt in schematischer Wiedergabe Fig. G6. 

Diese halbmondförmige Metallscheibe bildet ein Ganzes mit der Holzscheibe und demgemäss 
auch mit der metallenen Trommel; der Theil, welcher den Strom zuführt, ist aufs sorgfältigste 
isoliert und wird als »Besen« bezeichnet. 

ZeiUchr. f. difct. u. ptaysik. Therapie Bd. V. Heft 4. o.| 



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354 Kleinere Mittheilungen. 


Sobald nun der Besen den Halbmond berührt, ist der Strom geschlossen; trifft dagegen der 
Besen die leere Scheibe, so ist der Strom unterbrochen. 

Die gebräuchlichste Kontaktform ist die des Halbmondes; während der ersten halben Um¬ 
drehung besteht Stromschluss, während der zweiten halben Stromunterbrechung; die Zahl der Unter¬ 
brechungen ist hiernach direkt proportional der Zahl der Touren. 

Die kleinen Elektromotoren arbeiten durchschnittlich mit einer regulierbaren Geschwindigkeit 
von 500 — 3000 Touren per Minute ; man könnte also auch 500—3000 Unterbrechungen per Minute 
erzielen. 

Wünscht man die Frequenz der Unterbrechungen noch zu erhöhen, so könnte man statt der 
Halbthcilung auf der Holzscheibe vier Sektoren, zwei volle (Metall) und zwei leere anbringen, man 

würde hierdurch 1000 — 6000 Unterbrechungen er¬ 
zielen. Theilt man die Scheibe in acht Sektoren, 
so käme man auf 12000 Unterbrechungen und bei 
noch weiteren Theilungen zu schliesslich inkommen¬ 
surablen Zahlen. 

Je schneller die Unterbrechungen aufeinander- 
folgen, um so kürzer sind die Zeiträume, innerhalb 
deren der Eisenkern magnetisch gemacht wird; es 
treten dann aber die Erscheinungen der »Hysteresis«. 
einer gewissen Verzögerung in der Magnetisierung 
und Entmagnetisierung ein. Die Magnetisierung 
tritt nämlich nicht unmittelbar beim Einschiessen 
des Stromes ein und verschwindet auch nicht un¬ 
mittelbar bei seinem Aufhören; in gleicher Weise 
wie ein Mühlrad nicht sofort sich in Bewegung 
setzt, sobald Wasser darauf stürzt und ebenfalls 
nicht sofort stille steht, wenn die treibende Wasser¬ 
kraft zu fliessen aufhört; beides ein Ausdruck des 
Trägheitsgesetzes. Die Hysteresis stellt sich als die 
magnetische Trägheit dar. 

Da nun also Erscheinungen von Hysteresis 
eintreten, kommen wir zu dem Schluss: je schneller 
die Gangart, je geringer die Magnetisierung und 
demzufolge auch die Stärke des Sekundärstromes. Grosse Magnetisierungsgeschwindigkeiten lassen 
sich daher nicht durch den Stromunterbrecher erzielen, welcher eine viel begrenztere Wirkungs¬ 
fähigkeit besitzt, als man annehmen möchte; um gute Resultate zu erzielen, muss der Stromunter¬ 
brecher um so langsamer arbeiten, je grösser die Induktionsspule ist. 

Wir reden hier von den Geschwindigkeiten der Aufeinanderfolge von Magnetisierung und 
Entmagnetisierung, nicht etwa von den d’Arsonval’schen Strömen, welche man auch »Ströme mit 
hoher Spannung« nennt, obgleich es richtiger wäre, sie als »Ströme von kurzer Zeitdauer« zu be¬ 
zeichnen. 

Die d’Arsonval’schcn Ströme lassen sich übrigens bei einer massigen, nicht zu schnellen 
Gangart des Stromunterbrechers und durch die Schwingungen der Kondensatorentladungen darstellen. 

Die richtige Gangart des Stromunterbrechers liefert einen langen, kräftigen Funken, während 
ein zu sehr beschleunigter Gang den Funken erstickt und nur eine unsichtbare Ausströmung bewirkt 

Der Apparat arbeitet unter Petrolcumbespülung, welches ihm durch zwei Glasröhren im Fall 
der Uebcrhitzung zufliesst; er läuft daher ohne Gefahr stundenlang ununterbrochen. 

Dieser Stromunterbrecher eignet sich zu Allem, was man überhaupt von der Stromunter¬ 
brechung fordern kann, er gestattet auch eine langandauernde Magnetisierung und eine kurze 
Unterbrechungsdaucr; und zwar in der Weise, dass man statt des Halbmondes eine Metallplatte von 
r 4 und einen Lcerrauin von 1 t konstruiert, wodurch man bei einer Umdrehung eine Magnetisicrungs- 
dauer von Ui nur eine Stroinunterbrechungsdauer von l 4 Zeiteinheit erzielt. 

Mittels dieses Apparates kann man eine mathematisch genaue »Zeitkurve« aufstellen. 

Der Zweck der vorliegenden Zeilen war nur die Beschreibung unseres Stromunterbrechers; 
wir behalten uns für einen nächsten Artikel eine Besprechung über die mit diesem Apparate er¬ 
zielten Resultate bei Radiographie und Strömen mit hoher Spannung vor. 


Fig. G6. 



b) Strombesen. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 355 


II. 

Erwiderung an Herrn Sanitätsrath Dr. Pelizaens (Sanatorium Suderode am Harz). Von 
Prof. H. Rieder, München. 

Die im 3. Heft des 5. Bandes dieser Zeitschrift auf Seite 227 ausgesprochene Vermuthung 
(eine exakte Prüfung wurde offenbar nicht vorgenommen), als funktioniere das von mir unlängst 
beschriebene und empfohlene Mischventil nur bei konstant bleibendem Druck in der Kalt- und 
Warm Wasserleitung, muss ich als irrig bezeichnen. Ein gut konstruierter und zuverlässiger Misch¬ 
hahn — und dieses Prädikat verdient das Kjölbye’sche Mischventil im Gegensatz zu vielen anderen, 
landläufigen Erzeugnissen — muss auch trotz häufigen und stärkeren Wechsels im Zufluss kalten 
und warmen Wassers aus der Hauptleitung prompt und sicher funktionieren. Bei richtiger An¬ 
ordnung der Zuleitungen und richtiger Bemessung der Rohrquerschnitte im Verhältniss zu dem vor¬ 
handenen Druck tritt übrigens wohl überhaupt äusserst selten eine störende Temperaturschwankung 
beim Betriebe ein. 

Vor der Empfehlung des in der Abtheilung für physikalische Therapie im Krankenhause 
München l./l. eingeführten und seit 1H* Jahren funktionierenden Mischventils wurde dasselbe einer 
eingehenden kritischen Prüfung nebst einem Vergleiche mit anderen derartigen Fabrikaten unter¬ 
zogen, wobei, wie früher erwähnt, die unbestreitbare Güte desselben sich erwies. Selbst in dem 
besonders ungünstigen Falle, dass die Kalt Wasserleitung unter einem hohen, die Warmwasserleitung 
unter einem niedrigen Drucke steht, entspricht die Temperatur des dem Ansatzstücke der Douche 
entströmenden Wassers stets den gewünschten Anforderungen. 

Die ungenügende Leistung der bisher gebräuchlichen Mischhähne veranlasste uns eben, die 
Konstruktion eines neuen, besser funktionierenden ins Auge zu fassen. 

Mit der Anordnung eines einfachen Drei weghahncs, der (nebenbei bemerkt) bei Hoch¬ 
druckanlagen wegen der hierbei auftretenden Rückschläge unzulässig ist, kann übrigens die be¬ 
anstandete Mangelhaftigkeit von Doucheapparaten durchaus nicht behoben werden, da metallisch 
abschliessende Hähne nach kürzerer oder längerer Zeit, d. h. je nach der Beschaffenheit des 
Wassers, reparaturbedürftig werden. 

Die im Sanatorium Suderode am Harz eingeführte Douchevorrichtung wird gewiss auch 
den ärztlicher Ansprüchen im grossen nnd ganzen genügen, aber für grössere Anstalten ist sie 
ungeeignet und zudem ist ihre Verwendung nicht ökonomisch; denn zur Verabreichung einer oder 
mehrerer Douchen ist*jedesmal die vorherige Füllung eines 200 Liter fassenden Zylinders mit warmem 
Wasser nöthig. Auch ist es wahrscheinlich, dass durch das Nachfliessen des kalten Wassers in den 
Wann Wasserbehälter das warme Wasser in letzterem währeud des Gebrauches der Douche abgekühlt 
wird und ein, wenn auch langsames Fallen der einzustellenden Temperatur erfolgt. 

Als Beweis für die Brauchbarkeit des Kjölbye’schon Mischventils sei schliesslich noch er¬ 
wähnt, dass die renomierte Firma Butzke & Cie. in Berlin das Patent für den kleinen Apparat 
schon kurz nach dessen Einführung käuflich erworben und in Vertrieb genommen hat. 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


Der Tuberkulosekongress in London 1 ). 

Von Dr. J. Meyer, Volontärarzt der H. medicinischen Universitätsklinik (Berlin). 

Für den vom 22.-26. Juli 1901 in London tagenden Tuberkulosekongress war als Haupt- 
thema »the Prevention of Tuberculosis«, die Vorbeugung der Tuberkulose gestellt. Dem¬ 
gemäss war zu erwarten, dass die Vorträge, welche dortselbst gehalten wurden, vielfach die Ziele 
der Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie berühren mussten. Im wesentlichen 
handelt es sich in dem nachfolgenden Bericht um die Diskussion der Frage über den Einfluss 
des Klimas auf die Tuberkulose und um die Heilstättenfrage. Dagegen soll die Frage 

l ) Ein eingehendes Referat über die Frage der Ucbertragbarkeit der Rindertuberkulose auf 
den Menschen wird in der nächsten Nummer der Zeitschrift erscheinen. Redaktion. 


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35 G Berichte über Kongresse und Vereine. 

der Ucbertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen in einem späteren Artikel er¬ 
örtert werden. 

Obwohl alle auf die Heilstättenfrage bezüglichen Vortrage erst weiter unten wiedergegeben 
werden sollen, erscheint es zweckmässig, die Stellung Robert Koch’s zu obiger Frage vorweg¬ 
zunehmen, um irgend welchen Missverständnissen vorzubeugen, die aus einer falschen Wiedergabe 
der Kock'sehen Worte entstehen könnten. Sowohl in seinem ersten Vortrage, welcher infolge der 
Aufstellung des Satzes: »Rindertuberkulose ist nicht identisch mit Mensckcntuber- 
kulosc«, eine hohe Bedeutung gewonnen und dem gesammten Kongresse gewissermaassen das 
Gepräge gegeben hat, wie bei Gelegenheit der Tuberkulindebatto hat Koch sich über die Heil¬ 
stätten und ihre Bedeutung geäussert. 

Im ersten Vortrage nennt Koch als die Hauptmittel im Kampfe gegen die Tuberkulose als 
Volkskrankheit »1. die Wohnungshygiene, 2. Tuberkuloschospitäler, 3. Anzeigepflicht, 4. Desinfektion, 
5. Verbreitung der Kenntniss des Wesens der Krankheit«. Sodann wendet er sich der Frage der 
Heilstätten zu: 

»Da die Thatsache, dass frühzeitig behandelte Tuberkulöse heilbar seien, feststeht, so ist es 
natürlich, soviel als möglich solche Kranken in Heilstätten zu behandeln, besonders zu dem Zwecke, 
dass auf diese Weise die Infektionsgefahr für die Mitmenschen verringert wird. Es fragt sich nur. 
ob die Zahl der in Heilstätten geheilten Personen gross genug ist, um in dem oben genannten Sinne 
einen günstigen Einfluss auszuübon.« Geheilt nennt Koch solche Personen, welche keine Tuberkel- 
bacillen mehr auswerfen; und unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, sind laut Geschäftsbericht des 
deutschen Hcilstättenkomitös 1001 nur 4000 Patienten als geheilt aus den Heilstätten entlassen worden. 
Demgegenüber stehen aber nach dem Berichte des Reichsgesundheitsamtes jährlich 226 000 Personen, 
die an vorgerückter Schwindsucht leiden. Das Verhältnis der in Sanatorien geheilten Personen zu 
den übrigen Schwindsüchtigen ist daher ein derartiges, dass irgend welcher Einfluss im Sinne der 
öffentlichen Gesundheitspflege nicht in Frage kommt. »Aber bitte bilden Sie Sich nicht ein, 
dass ich durch diese meine Berechnung mich der Heilstättenbewegung irgendwie 
entgegenstellen will. Ich möchte nur vor einer neuerdings in gewissen Kreisen auf¬ 
getretenen Ueberschätzung der Bedeutung der Heilstätten warnen; man ist in jenen 
Kreisen anscheinend der Meinung, dass allein die Heilstattenbewegung zum Siege in dem Kampfe 
gegen die Tuberkulose führen kann.« Koch empfiehlt sodann eindringlich das Studium und die 
Nachahmung der Ncw-Yorker Verhältnisse bezüglich der Verbesserung der Wohnungshygienei). 

Was den Vorwurf Koch’s betrifft, man sei zu einseitig und überschätze den Werth der 
Heilstättenbewegung, so ist daran zu erinnern, dass gerade seitens des Heiltättenkomites die 
Gründung von Heilstätten nur als »erste praktische Maassregel« im Kampfe gegen die Tuber¬ 
kulose als Volkskrankheit aufgefasst und durchgeführt wurde, und dass gerade von dieser Stelle 
aus, wie ein Blick in den Geschäftsbericht zeigt, in vielseitigster Weise: durch Anregungen aller 
Art, Lancierung von Artikeln in die Presse, Vertheilung der Knopf'schen Broschüre, Förderung 
wohnungshygienischer Maassnahmen etc. etc. die Bekämpfung der Tuberkulose ausgeführt wird. 

In seinem zweiten Vortrage »Ueber den Werth des Tuberkulins in diagnostischer 
und therapeutischer Beziehung« stellt Koch bezüglich der Behandlung mit Tuberkulin fest, 
dass dieselbe gute Resultate bei beginnenden, nicht vorgeschrittenen, nicht komplizierten 
und nicht eine Temperatur über 37° zeigenden Fällen von Lungentuberkulose 
bietet, und fügt im Anschlüsse daran hinzu, dass zu dieser Tuberkulintherapie die Heilstättcn- 
behandlung nicht nur in keinem Gegensätze stehe, sondern dass gerade infolge ihrer hygienischen 
Einrichtungen die Heilstätten sich zur Durchführung und Unterstützung der Tuberkulinkur hervor¬ 
ragend eignen. 

Koch hat also zwar die Bedeutung der Heilstätten beschränkt, sich denselben jedoch keines¬ 
wegs entgegengestelit. 

Im Anschlüsse an diese Mittheilung über Koch's Stellungnahme zur Heilstättenfrage seien 
die Vorträge und die Diskussion, welche über »Klimatologie« in London stattfanden, mitgctheilt. 

Erster Referent C. Theodore Williams (Brompton): Die Klassifikation der Klimata 
und die Vergleichung der in denselben erzielten Resultate. 

Welchen Einfluss hat das Klima auf die Behandlung der Tuberkulose, und inwieweit kann 

J) Siehe diesbezüglich: J. Meyer, Die Bekämpfung der Tuberkulose in New-York. Das rothe 
Kreuz 1900. No. 22; 1901. No. 9. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


357 


man bestimmte Falle als für die verschiedenen Klimata. geeignet erklären? Man hat stets geglaubt, 
dass eine Veränderung des Aufenthaltes den Verlauf der Tuberkulose günstig beeinflusse, und in 
diesem Sinne hat man Patienten von der Stadt aufs Land, vom Festland auf die Sec, vom Thal 
in die Berge geschickt In früheren Zeiten war die Verordnung längerer Seereisen sehr üblich, und 
man hat dabei recht gute Erfolge erzielt Die Anordnung solcher Fahrten ist in letzter Zeit trotz 
der besseren hygienischen Einrichtungen, des höheren Komforts und der grösseren Sicherheit auf 
Schiffen dennoch zurückgegangen; denn es hat sich gezeigt, dass auch in anderer Weise sich Heilung 
der Tuberkulose erzielen lasse. 

Bei jeglicher Kur scheint die Hauptsache zu sein: die volle Ausnutzung der frischen 
Luft, unterstützt durch hygienisch geregelte Lebensführung. 

Aber nicht jedes Klima ist zur Durchführung einer solchen Kur geeignet, besonders nicht 
die Tropen, in welchen speziell der Appetit verringert, die Muskel- und Nervencncrgic herabgesetzt 
wird. Kälte oder Wärme sind von geringerer Bedeutung, die Hauptsache ist trockene und an¬ 
regende Luft, reichlicher Sonnenschein, die Möglichkeit, sich viel im Freien zu be¬ 
wegen und die Muskel- und Nervencncrgic zu heben. 

Klassifikation der Klimata: 

1. Seeklima, 

2. trockenes warmes Klima (thcils auf der See, theils auf dem Lande), 

3. Gebirgsklima. 

Beispiele: 

ad 1 Britische Südküste; Madeira, Teneriffa, Westindien; Seefahrten, 
ad 2. Wüste; Mittelländisches Meer. 

ad 3. Jedes Hochgebirge; charakterisiert durch Herabsetzung des barometrischen Druckes. 

1. Secklima: Die Stationen der englischen Südküsto haben unter dem Einflüsse des Golf¬ 
stroms ein gemässigtes Klima, die Luft ist mild und gleichmässig; der dort häufig vorhandene 
frische Wind reinigt die Luft, ohne die Kranken, die sich in geeigneter Weise schützen können, 
irgendwie zu schädigen. An diesen Orten können sich die Kranken das ganze Jahr über aufhalten, 
am besten siedeln sie sich daselbst an. 

Das Klima von Madeira und ähnlicher Plätze ist im allgemeinen weniger zu empfehlen, 
eignet sich jedoch bei gegen Kälte besonders empfindlichen Personen und scheint bei Fällen von 
chronischer Kehlkopftuberkulose von Nutzen zu sein. 

Seefahrten sind in solchen Fällen nützlich, in denen 

1. einer grossen Hämorrhagie nur ein verhältnissmässig kleiner erkrankter Lnngcn- 
abschnitt entspricht; 

2. in denen die Lungenerkrankung mit Drüsen- oder Gelenkaffcktionen kombiniert ist; 

3. in denen bei einseitiger, nicht progredienter Phthise Kavernensymptome bestehen. 

Bei Unternehmung einer Seefahrt zu Heilzwecken soll man sehen 

1. auf gute und reichliche Ernährung; 

2. auf ausreichende Kabinen Ventilation; am besten sind Deckkabinen; 

3. das Schiff soll besonders die gemässigten Zonen, so wenig als möglich die Tropen 
aufsuchen. 

Allen diesen Bedingungen entspricht man am besten auf Reisen nach Brasilien, Westindien 
und Australien auf ^bestimmten, näher angegebenen Kursen.* 

2. Trockenes, warmes Klima. In der ägyptischen Wüste erfahren Fälle von vor¬ 
gerückter Schwindsucht eine unleugbare, bedeutende Besserung, die katarrhalischen Erscheinungen, 
die häufigen quälenden Hustenanfälle, der reichliche Auswurf lassen nach; eine Heilung scheint 
jedoch in diesem Klima nicht vorzukommen. 

Die Luft an den Mittelmeerküsten (Riviera, Algier, Tanger) ist einerseits kühler, erfrischen¬ 
der als in der Wüste, andrerseits klarer, sonniger, wärmer als an der britischen Südküste. Leider 
ist, trotzdem hier alle diese Heilfaktoren vorhanden sind, nur wenig Gelegenheit zur Durchführung 
einer methodischen Heilstättenbehandlung geboten. 

3. Gebirgsklima. Dasselbe wirkt besonders durch die Reinheit der Luft und ihre be¬ 
kannten physiologischen Eigenschaften. 

Eine Statistik von 385 im Höhenklima behandelten Fällen ergiebt 

a)-betreffend das Allgemeinbefinden: völlige Heilung in 45%, starke Besserung in 20%, 
Besserung in 14% der Fälle; insgesammt also Besserung in 87% der Fälle; 1% blieb stationär, 
bei 12% wurde Verschlimmerung konstatiert. 


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358 Berichte über Kongresse und Vereine. 

b) betreffend den Lu ngenbefund: Heilung in 45%. Besserung und Heilung in 7l>% der 
Fälle; 5o/o blieben stationär, 12% zeigten ein Fortschreiten des Prozesses. 

Besondere Indikationen für die Höhenkur sind: 1. reichliche Hämorrhagieen, 2. deutliche 
Ausprägung der hereditären Disposition, ohne dass ein zu grosser Theil der Lungen befallen ist 
oder dass Fieber besteht. 

Kontra indiziert ist die Ilöhcnkur: bei akuter, bei katarrhalischer Tuberkulose, hei sehr 
nervösen Patienten, bei indurierenden Prozessen und in den Fällen, in denen die Athmungsobcr- 
fläehc der Lungen stark reduziert ist. 

Bei einer Vergleichung der Resultate in den verschiedenen Klimata zeigt cs sich, dass der 
bei weitem grösste Prozentsatz von Heilungen durch Höhenkuren erzielt wird. 

Schluss: Ohne die hohe Bedeutung der Sanatorienbehandlung zurückzusetzen, muss man 
die Einwirkung des Klimas als eine grosse Unterstützung der bygienisch-medicinischen Behandlung- 
weise auffassen. 


Zweiter Referent Burney Yco (London): Die Klassifizierung der Krankheitsfälle. 

Bei der Behandlung der Lungentuberkulose sind folgende Aufgaben zu erfüllen: 

1. die katarrhalischen Zustände der Luftwege zu heilen; 

2. den Tonus des Nerven- und des Gefässsystems zu stärken; 

3. die digestiven Funktionen zu heben und somit den Ernährungszustand zu bessern; 

4. in jeder Weise die Psyche des Kranken günstig zu beeinflussen; 

5. durch Asepsis die Thätigkeit der Bakterien zu hemmen. 

Lassen sich diese Ziele in jedem Klima bei Freiluftkur erreichen? Nein; einmal sind manche 
Klimata, wo dumpfige feuchte Luft herrscht, von vornherein ungünstig; zweitens ist für jeden ein¬ 
zelnen Krankheitsfall eine individuelle Behandlung und das für ihn günstige Klima auszusuchen. 

Fälle von beginnender Lungentuberkulose können allerdings bei richtiger Behandlung 
in jedem Klima ausheilen; so hat Referent selbst in der ungesunden Londoner Luft deutliche Aus¬ 
heilungen beobachtet; es sind eben in diesem Stadium die hygienischen Maassregeln von entschei¬ 
dender Bedeutung. 

Seefahrten sind nur kräftigen Personen zu gestatten, welche eine besondere Vorliebe für 
die Sec haben. Denn diese Reisen haben auch ihre Schattenseiten: Bei schlechtem Wetter sind die 
Patienten auf den Aufenthalt in den mehr oder minder schlecht ventilierten Kabinen angewiesen, 
und bei ungünstigem Einfluss der Seefahrt lässt sich dieselbe selten sofort abbrechen. 

Für vorgeschrittene Fälle ist es ebenfalls nicht sclnver, einen passenden Ort zu finden: 
empfindliche und mit katarrhalischen Affektionen des Kehlkopfes behaftete Patienten schickt man am 
besten nach Madeira, Malaga und ähnlichen Orten. Man liebte früher den Aufenthalt in Stationen 
mit sehr gleichtnässiger Tagestemperatur; neuerdings hat man eingesehen, dass Schwankungen in 
derselben einen anregenden, erfrischenden Einfluss besitzen; nur müssen diese Tagesschwankungen 
der Temperatur regelmässig wiederkehren, Unregelmässigkeiten in der Wiederkehr dieser Temperatur¬ 
kurven sind für die Kranken ausserordentlich gefährlich. 

Schwer ist die Auswahl des Kurortes nur für die mässig vorgeschrittenen Fälle. Im 
allgemeinen schickt man solche Kranke mit Erfolg in die Gebirgsortc. Patienten mit rheumatischer 
Konstitution sind am besten an der Riviera, in der Wüste, in Nord-Egypten aufgehoben; Magen¬ 
beschwerden und starke Kachexie werden in mildem Seeklima günstig beeinflusst. 

Kontraindiziert ist der Aufenthalt in Höhenkurorten bei laryngealen und intestinalen 
Störungen, bei sehr nervösen und kälteempfindlichen Patienten und bei Phthisikern, deren Lungen¬ 
tuberkulose noch durch ein starkes Emphysem kompliziert ist. 

Das englische Klima ist zwar nicht das denkbar günstigste für die Behandlung von Lungen¬ 
kranken, aber etwaige Nachtheile desselben werden durch die methodische Behandlung in den Sa¬ 
natorien kompensiert. Denn: 

»Care without climate is better then climatc without care! 

Man kann für die Behandlung die Fälle in folgender Weise gruppieren: 

1. Für beginnende Fälle hat man eine grosse Auswahl von Kurorten. 

2. Fortschreitende, febrile Zustände erfordern Bettruhe in einem luftigen, dem Sonnen¬ 
schein zugänglichen Raume. 

3. Für vorgeschrittene Fälle ist das Leben im eigenen Hause (home life) oder wann es 

Seeklima zu empfehlen. 

4. Katarrhalische Zustände werden günstig in Madeira und ähnlichen Orten beeinflusst 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 359 


5. Bei rheumatisch-gichtischer Konstitution leistet der Aufenthalt in trockenem Becklima 
oder in der Wüste gute Dienste. 

6. Für Skrophulöse, welche an Katarrhen leiden, eignet sich frisches Seeklima, für 
solche ohne Katarrhe milde Seelult. 


Aus der diesen beiden Vortragen folgenden Diskussion sei folgendes hervorgehoben: 

Lannclougue (Paris): Seine Versuche an Meerschweinchen zeigen, dass der Verlauf der 
Tuberkulose weniger durch das Klima als durch besondere Eigentümlichkeiten des betreffenden 
Individuums bestimmt werden; bringt man obige Thierc unter Verhältnisse, welche denjenigen in 
Sanatorien möglichst ähneln, so sind die Chancen zum Fortleben der Thiere günstiger als ohne eine 
solche Kur. 

Hermann Weber (London): Die geregelte Behandlung in Sanatorien ist von so hoher Be¬ 
deutung, dass man Missstände der klimatischen Verhältnisse, wie z. B. in manchen englischen Plätzen, 
mit in Kauf nehmen muss. 

Denison (Colorado): Je hoher der Kurort gelegen und je verdünnter dort die Luft ist, 
desto grösser ist das Bedürfniss nach frischer Luft. Auf Höhen muss daher die Freiluftbehandlung 
intensiv durchgeführt w r erden. 

Huggard (Davos): Bei der Auswahl des Kurortes für den Kranken ist das Klima zu berück¬ 
sichtigen. In Sanatorien sollen die Zimmer der Kranken nach der Entlassung derselben desinfi¬ 
ziert werden. 

Blitz (London): Die Behandlung der Kranken soll sich möglichst den physiologischen Funk¬ 
tionen anpassen. 

Gram (Kopenhagen): Das Klima ikt von minderer Bedeutung; in Egypten erkranken die 
unter unhygienischen Verhältnissen lebenden Eingeborenen an Tuberkulose; die unter ärztlicher Be¬ 
handlung befindlichen europäischen Tuberkulösen werden daselbst dagegen geheilt. 

Rüdi (Arosa): Bei beginnenden Fällen von Lungentuberkulose ist oft die erkrankte Seite 
die am besten entwickelte. In solchen Zuständen wirkt die verdünnte Höhenluft sehr günstig. 

Am rein (Arosa): Unter der Behandlung in Arosa zeigt sich eine deutliche Besserung in der 
Blutbeschaffenheit. 

Quarrier (Glasgow) hat Kinder von Schwindsüchtigen in eine nicht durch besonders gün¬ 
stiges Klima ausgezeichnete Farm geschickt und hat auch dort bei Anwendung der üblichen Kur 
gute Erfolge erzielt. 

Hobhousc (London): Nicht der Krankheitszustand, sondern die Individualität der einzelnen 
Person bestimmt die Auswahl des Klimas. 

Crosby Walsh beschreibt das Klima von Tasmania (Australien). 

Exchaquet (Leysin) bespricht die Fälle, in denen Höhenkur kontraindiziert ist. 

Eine zweite grosse Frage, welche auf dem Kongresse abgehandelt wurde, betraf die Heil¬ 
stätten. Von den diesbezüglichen Vorträgen seien folgende erwähnt: 

Dr. Clifford-Allbut (Cambridge). Obwohl die Heilanstaltsbehandlung zuerst in England 
eingeführt worden ist, gebührt Deutschland das Verdienst, dieselbe den ärmeren Klassen zugänglich 
gemacht zu haben. Da eine der wesentlichsten Vorzüge der Heilstättenbehandlung darin besteht, 
(lass das Leben der Patienten nach hygienischen Prinzipien genau eingetheilt und dauernd ärztlich 
überwacht wird, so ist auch für Reichere, welche sich im eigenen Hause gut pflegen könnten, 
immerhin die Behandlung in einem Sanatorium vorzuziehen. 

Die Heilstätten geben Gelegenheit, noch manche offene Frage in Bezug auf die Symptome 
der Tuberkulose zu lösen; nur muss die wissenschaftliche Arbeit der Heilstätten organisiert werden, 
so dass gewisse Schlüsse gezogen werden können. Solche zu behandelnden Fragen sind z. B.: 
Blutuntersuchung, Serumagglutination, Virulenz der Bacillen. 

Folgende Fragen regt Referent an: 

1. Kann eine Mischinfektion aus der Fieberkurve erkannt werden? 

2. Welches ist der Unterschied zwischen der wirtschaftlichen und der wissenschaftlichen 
Heilung; und in welcher Zeit kann bei frühen Fällen die wirtschaftliche Heilung 
herbeigeführt werden? 

3. Wie lange soll man in joactive cases« die Patienten im Bett halten, in der Hoffnung 
sic zu heilen? (Soll man z. B. in Volksheilstätten Kranke behandeln, die schon Monate 
hindurch bettlägerig gewesen sind?) 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 

4. Welche Schlüsse in Bezug auf Status und auf Prognose erlaubt die Betrachtung der 
physikalischen Symptome allein? 

5. Soll man Patienten, die an multipler Tuberkulose leiden, in Volksheilstatten aufnehmen? 

6. In welcher Beziehung ist Massage von Nutzen? 

7. In welcher Beziehung ist Hydrotherapie von Nutzen? 

8. Ist Lungengymnastik bei progredienter Phthise anwendbar? 

9. Darf das geistige Leben unter der körperlichen Erholung Schaden nehmen? 

10. Kann nicht die erzieherische Wirkung der Heilstätten mehr in den Vordergrund gestellt 
werden ? 

Dr. Kingston-Fowler (London). Ueber die Bedeutung der Sanatorien auch für die be¬ 
mittelten Stande spricht sich Redner in demselben Sinne wie Clifford-Allbut aus. Die Noth- 
wendigkeit und die gute Prognose der frühen Behandlung geht klar aus den Ergebnissen der 
Sektionen hervor: Während man autoptisch bei frühen Fällen häufig Heilung sieht, wird eine solche 
bei vorgeschrittener Erkrankung nur selten konstatiert 

Die Kranken müssen nicht stets aufs Land geschickt werden, — man kann in städtischen 
Krankenhäusern bei Freiluftbehandlung auch Erfolge erzielen. 

Dr. Philip (Edinburg). Jeder Fall erfordert eine individuelle Behandlung. Puls und Temperatur 
sind maassgebend für die Anwendung von Liegekur und Bewegungen. Auf die Diät soll grosses 
Gewicht gelegt werden, dagegen ist Mastkur zu vermeiden. Für Hautpflege, besonders für kalte 
Bäder, ist zu sorgen. Man soll die Kranken in ihrer Heimathsluft behandeln. 

v. Schrötter (Wien). In Heilstätten soll nicht nur das physikalisch-diätetische Regime durcli- 
geführt, es soll jede wirklich nützliche Methode damit verbunden werden. Es wäre zweckmässig, 
dass Koch ganz genaue Vorschriften bezüglich der Tuberkulinbehandlung angebe 
und dass dieselben in den Heilstätten exakt nachgeprüft würden. Nur so wird man zu Resultaten 
gelangen und sich verständigen können. 

Dvorak (Prag). Tuberkulöse sollen in Hospitälern auf besondere Säle oder Pavillons gelegt 
werden. 

Jane Walker. Schwierigkeiten bei längerer Heilstättenbch&ndlung bereitet der durch körper¬ 
liche und geistige Trägheit hervorgerufene Zustand der Patienten. 

Professor Janeway (New-Vork). Es fehlt in Amerika noch eine genügende Anzahl von 
Volksheilstätten. Den Aerzten muss die Frühdiagnose geläufiger werden. 

Sir Hermann Weber macht darauf aufmerksam, dass Uebergangsanstalten, welche zwischen 
der Behandlung im Sanatorium und der gewöhnlichen Lebensweise eingeschaltet würden, von be¬ 
sonderem Nutzen seien. 

Dr. Knopf. Das Sanatorium soll in der Heimathsgegend des Patienten gelegen sein. Der 
Staat hat für die Errichtung von Sanatorien zu sorgen. 

Dr. Snow (Bournenwuth). Wohlhabende, welche zu Hause die Kur durchführen wollen, sollen 
zuerst für einen Monat in ein Sanatorium gehen, um sich dort an die Methode zu gewöhnen. 

Dr. Rosenthal (Kopenhagen). Bei der grossen Zahl von Tuberkulösen ist es unmöglich, 
alle in Spezialanstalten zu behandeln; dieselben sind auch in Hospitäler aufzunehmen. 

Dr. Burton-Fanning (Norwich) theilt die von ihm bei der Anstaltsbchandlung erzielten 
Resultate mit. 

Wolf Becher (Berlin). Nicht alle Schwindsüchtigen können in Heilstätten aufgenommen werden. 
Als Nothbehclf und besonders für Rekonvaleszenten sind »Erholungsstätten* zu empfehlen. 

ßrainc-Hartnell (Stroud). Es kommt nicht darauf an, ob nach Hebungen die Temperatur 
der Kranken erhöht ist, sondern darauf, wie lange eine solche Temperaturerhöhung anhält. 

Parsons (Dublin) bezweifelt den Nutzen der Sanatorien für die Armen. 

Sir Hermann Weber regt die Gründung von Kinderheilstätten an der Seeküste 
an, nicht nur zum Zwecke, die nachgenannten Krankheiten dort zu heilen, sondern, um einer 
späteren Tuberkulose vorzubeugen. 

Indikationen für die Aufnahme Lungenschwindsüchtiger in solche Anstalten geben: All¬ 
gemeine Schwäche; verzögerte Rekonvalescenz, besonders nach akuten Krankheiten: Anämie, 
Khachitis; skrophulöse Drüsenschwellungen, tuberkulöse Knochen- und Gelcnkerkrankungen; 
adenoide Hals- und Nasenaffektionen; skrophulöse Augen- und Hautkrankheiten. 

Als Beispiel in dieser Beziehung ist die französische Bewegung zu nennen. 

Ilerlin, Druck von W. Büxenstein. 



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ZEITSCHRIFT 

für 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1901/1902. Band V. Heft 5. 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. r. Leyden und Prof. Dr. A. Goldscheider. 

Verlag von Georg Thleme in Leipzig. 


INHALT. 

Original - Arbeiten. seit© 

I. Zur Behandlung des nervösen Hustens mittelst bahnender und hemmender Uehungstherapie. 

Aus der I. deutschen medicinischen Klinik des Hofrath Prof. Pfibram in Prag. 

Von M. U. Dr. Rudolf Funke, em. erster Assistent der Klinik.363 

II. Die Thermometrie am Krankenbette. Historische Aufzeichnungen von Dr. C. E. Daniels, 

Amsterdam. Mit 4 Abbildungen.388 

UI. Tuberkulose und Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. Von Dr. 

E. Achert in Bad Nauheim.404 

Referate über Bücher und Aufsätze. 

Gevaerts, Diete saus phosphore.413 

(Dimault, Traitement de la tubereulose par la viande crue et par les injections intra¬ 
tracheales d’orthoforme.413 

Jaquet, Zur Frage der sogenannten Verlangsamung des Stoffwechsels bei Fettsucht ... 413 

Gregor, Ueber die Verwendung des Leims in der Säuglingsernährung.-414 

Keller, Malzsuppe in der Praxis.415 

Förster, Alkohol und Kinderheilkunde.415 

Menzer, Ein Stoffwechselversucli über die Ausnutzung des Fersans durch den menschlichen 

Organismus.415 

Bend ix und Finkeistein, Ein Apparat für Stoff wechseluntcrsuehungen am Säugling . . 416 

Vetlesen, Om extrabuccal og specielt rektal emaering.416 

Strebei, Die Fettleibigkeit und ihre Behandlung.416 

Kassowitz, Wirkt Alkohol nährend oder toxisch?.419 

Heichcl, Inwieweit ist die diätetische Behandlung der Nephritis begründet? . . . 421 

Jaquet, Recherches sur Paction physiologique du climat d’altitude .... . . . . 4*21 

ßabajew, Die Baineoelektrotherapie der Herzkrankheiten.422 

Stange, Ueber die Behandlung der Typhuskranken mit kalten Bädern.423 

Kosin, Ueber einige poliklinisch häufige Krankheitsformen und ihre hydriatische Behandlung 424 
Edel, Ueber den Einfluss des künstlichen Schwitzens auf die Magensaftsekretion .... 425 

Kretin, Kinesiterapia. Tratamiento mecänico de la coqueluche.425 

Heitzmann, Ueber die manuelle Behandlung der Frauenkrankheiten.425 

Loveland, Rheumatic gout.426 

Gcrbsmann, Die Massage bei der Enuresis nocturna.426 

El sehnig, Die Massage in der Augenheilkunde.427 

Möhlau, Die rationelle Behandlung der chronischen Gonorrhoe durch Massage.428 

Paravicini, Selbstmassage und Gymnastik im lauen Bade.428 

Lovett, The mechanies of latual curvature of the spinc.429 

Engel, Zur Behandlung der Pocken mit rothem Lieht nebst einigen Bemerkungen über for- 

ziertc Vaccination.129 

Zritschr. f. diilt. u. physik. Therapie. IUI. V. Ilofi r>. 

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302 


Inhalt. 


Seiu* 

Leredde, La photothörapie et ses applications ä la thörapeutique des affections cutanees . 429 

Görl, Zur Lichtbehandlung mit ultravioletten Strahlen.429 

Stapleton, A criticism on the light treatment of lupus..429 

Morris und Dore, Remarks on Finsen’s light treatment of lupus and rodent ulcer . . . 4*29 

Sequiera, A preliminary communication on the treatment of rodent ulcer by the x rays . 429 

Frankenhäuscr, Die Elektrochemie als medicinische Wissenschaft.421 

König, Neuere Forschungen über die Beziehungen zwischen Elektrizität und Materie ... 431 
Bern heim, Behandlung von Aneurysmen mit Elektrolyse durch eingeführten Draht . . . 432 

Sträter, Welche Rolle spielen die Röhren bei der therapeutischen Anwendung der Röntgen¬ 
strahlen ?.433 

Eulenburg, Ueber einige physiologische und therapeutische Wirkungen der Anwendung 

hochgespannter Wechselströme (Arsonvalisation).433 

Guimbail, La thörapeutique par les agents physiques .434 

Hellmer, Heliotherapie. 43 T» 

Du Pasquier und Löri, Injcctions intra- et extra-durales de cocaine ä dose minime dans 

le traitement de la sciatique.4.% 

Königshöfer, Die Prophylaxe in der Augenheilkunde. 437 

Martius, Allgemeine Prophylaxe.438 

Schneider, Die Bakterienfurcht.439 

Dresdner, Aerztliche Verordnungsweise für Krankenkassen und Privatpraxis nebst Rezept¬ 
sammlung .439 

Zabludowski, Ueber Schreiber- und Pianistenkrampf. 440 

Kleinere Mittheilungren. 

Bericht über die Verwendung des Eiweissnährmittels »Roborat« in der Praxis. Von 

Dr. Hermann Schlesinger in Frankfurt a. M.441 


Berichte über Kongresse und Vereine. 

I. Zur Frage der Beziehungen zwischen Menschen- und Rindortuberkulosc. Referat auf 
Grund der Verhandlungen des britischen Tuberkulosekongresses (1901. 2L\—20 . Juli» 


zusammengestellt von Dr. Julian Marcuse (Mannheim).444 

II. 14. internationaler Kongress zu Madrid 1902 . 448 


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Original - Arbeiten 


I. 

Zur Behandlung des nervösen Hustens mittelst bahnender 
und hemmender Uebungstherapie. 

Aus der I. deutschen medicinischen Klinik des Hofrath Prof. Pfibram in Prag. 

Von 

H. U. Dr. Rudolf Funke, 

ein. erster Assistent der Klinik. 

Unter jenen nervösen Symptomen, welche durch lange Dauer und in vielen 
Füllen durch die Schwierigkeit, dieses lästige Symptom zu beseitigen, ohne eine 
ernste Störung des körperlichen Wohlbefindens herbeizuführen, den Charakter eines 
bedeutungsvollen Leidens annehmen, steht der »nervöse Husten« obenan. Lasegue 1 ), 
welcher als Erster den von Sydenham bereits früher scharf präzisierten hysterischen 
Husten ausführlich beschrieb und über zehn theils selbst, theils von anderen Autoren 
beobachtete Fälle berichtete, kam zu folgenden Schlüssen: »La toux hyst^rique est 
une affection de longue duree, inattaquable jusqu’a präsent, presque sans exception, 
par les remedes, que nous empruntons ä la matiöre mfalicale; curable le plus 
souvent par le changement de lieu; susceptible de gu6rir spontanement; sans gravitf; 
reelle et qui n’entraine ä sa suite aucun des accidents, qu’ä d6faut d’exp^rience 
directe le raisonnement donnerait ä craindre.« 

Aus der grossen Zahl der Heilmittel, welche seit der genaueren Kenntniss dieses 
Zustandes zumeist vergeblich angewendet wurden, ergiebt sich zur Genüge die grosse 
Schwierigkeit, welche der Beseitigung desselben mitunter gegenübersteht, die ja wohl 
am besten dadurch illustriert wird, dass ausschliesslich wegen nervösen Hustens 
mehrfach schwere Operationen ausgeführt wurden, die sogar den Tod der unglück¬ 
lichen Kranken zur Folge hatten. Wenngleich dieser letztere Standpunkt gegenwärtig 
glücklicherweise als überwunden betrachtet werden kann, so ergiebt andererseits die 
tägliche Erfahrung einer Klinik, dass speziell der im praktischen Leben stehende 
Arzt diesem Zustande vielfach machtlos gegenübersteht. 

Es soll deshalb an der Hand einer Anzahl selbst beobachteter und erfolgreich 
behandelter Fälle jene einfache auf Uebungstherapie beruhende Methodik erörtert 
werden, welche sich auch hierbei nicht nur als eine symptomatische, sondern als 
eine ätiologische erwiesen hat. Die »bahnende und hemmende Uebungs¬ 
therapie c — ein Ausdruck, welchen der Autor 2 ) vor mehreren Jahren anlässlich der 
Beschreibung der Behandlung der Abasie-Astasie an dieser Stelle gebraucht hat und 
der seither mehrfach, z. B. von Jacob, Siegfried in Anwendung gezogen wurde — 
hat sich erfahrengsgemäss bei der Behandlung verschiedenartigster Krampfformen als 


M Lasegue, De la toux hysterique. Archives generales de medicine 18f>4. Mai. 8. 513—ß:il. 
- , ) K. Funke, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie ItstW. Bd. 2. lieft:’». 

2 .")* 


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Rudolf Funke 


364 

vortheilhaft und zuverlässig erwiesen, wenngleich die Verwendung der Uebungs- 
therapie, worauf übrigens unter anderen auch Oppenheim hingewiesen hat, gerade 
bei diesen Erkrankungen noch viel zu wenig Anwendung gefunden hat. Bei der 
Bekämpfung des nervösen Hustens stellt sich die bahnende und hemmende Uebungs- 
therapie zumeist als Athemgymnastik dar, welche durch mehrfache, thatsächlich 
dem Ermessen des jeweilig behandelnden Arztes angepasste Handgriffe unterstützt 
wird, von welch’ letzteren viele nur der Ablenkung der Aufmerksamkeit des Pa¬ 
tienten dienen. 

Bevor an der Hand der behandelten Fälle zur Besprechung der Therapie über¬ 
gegangen werden soll, mögen einige kurze Bemerkungen über das Wesen des nervösen 
Hustens vorausgeschickt werden. 

Als nervöser Husten wird nach M. Schmidt 1 ) jener verstanden, welcher nicht 
durch physikalisch erkennbare Veränderungen in den Respirationsorganen verursacht 
wird. Die Ursache verlegt Gottstein*) in eine gesteigerte Reflexerregbarkeit oder 
eine andere Erkrankung des Zentralnervensystems, unter denen die Hysterie obenan 
steht. Das Zustandekommen des nervösen Hustens erfolgt der Meinung Schröt- 
ter’s 3 ) zufolge entweder durch reflektorische Reizung von der Peripherie her, sei es 
auf den normalen Bahnen des Nervus laryngeus oder auf anormalen Bahnen, oder 
durch eine erhöhte Erregbarkeit des zentralen Nervensystems. Vom nervösen Husten 
den hysterischen Husten als eine ganz besondere Art abzutrennen, wie dies allerdings 
ziemlich vereinzelt Tob old 1 ) that, liegt keinerlei Grund vor, und gerade vom Stand¬ 
punkte einer möglichst einheitlichen Therapie erscheint bei voller Würdigung der 
Wichtigkeit und Bedeutung der ursächlichen Momente für das therapeutische Handeln, 
eine einheitliche symptomatische Auffassung vortheilhaft. Von diesem Gesichts¬ 
punkte wird auch entgegen dem Vorschläge von Jurasz A ) der »nervöse Kehlkopf- 
husten« nicht als eine besondere Spezies abgetrennt, als welchen derselbe jenen be¬ 
zeichnet wissen will, der infolge gewisser nervöser Kehlkopfstörungen eine akustische 
Eigentümlichkeit gewinnt, die sich durch einen »tiefen, hohlen, manchmal metal¬ 
lischen, bellenden oder heulenden Klang« auszeichnet und dem Crouphusten sehr 
ähnlich ist. 

Gleich an dieser Stelle sei auf die Wichtigkeit der richtigen Diagnosen- 
stcllung hingewiesen, sollen Misserfolge und Enttäuschungen vermieden werden. 

Ohne auf die Symptomatologie des nervösen Hustens hier näher eingehen zu 
wollen, sei hervorgehoben, dass derselbe bekanntlich vorwaltend durch den negativen 
Befund an den Respirationsorganen, das Fehlen jeglichen Auswurfes, die Art der 
Entstehung, die Klangfarbe des Hustens, angeblich auch durch das Sistieren desselben 
im Schlafe, sowie eventuell durch die Kombination mit anderen nervösen Symptomen 
charakterisiert ist, wenngleich derselbe in der Mehrzahl der Fälle monosymptomatisch 
zur Beobachtung gelangt. Der Charakter des Hustens kann ein verschiedener sein, 
indem er entweder anfallsweise als Hustenkrampf oder als kontinuierlicher 
rhythmischer Husten in Erscheinung tritt. Genau abgegrenzt werden muss der 
nervöse Husten zunächst gegenüber jenen ähnlich klingenden Formen, welche auf 
katarrhalischer Basis beruhen und thatsächlich mit Auswurf einhergehen, der seitens 

r ) Moritz Schmidt, Die Krankheiten der oberen Luftwege. Berlin 1804. 

-) Gottstein, Die Krankheiten des Kehlkopfes. 1891k 

•'b Schrottet*, Vorlesungen über die Krankheiten des Kehlkopfes. 189‘J. 

') Tobold. Laryngoskopie und Kehlkopfkrankheiten. 1874. 

fl ) Jurasz, Die Krankheiten der oberen Luftwege. 1801. 



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Zur Behandlung dos nervösen Hustens. 365 

des Patienten entweder nicht beachtet oder zum mindesten nicht aus dem Munde 
herausbefördert wird. Eine Verwechslung kann weiterhin durch Keuchhusten in 
seinem Beginne gegeben werden. Wenngleich besonders im letzteren Falle durch 
eine entsprechende Athemgymnastik auch eine günstige Beeinflussung des Zustandes 
erfolgen kann, so ist mit Rücksicht auf das zu Grunde liegende Leiden ein ähnlich 
rascher Erfolg wie beim nervösen Husten natürlich geradezu ausgeschlossen. 

Eine Differenzierung des Hustens, welche vom Standpunkte der Therapie noth- 
wendig erscheint, ist die, ob es sich um einen von irgend einer Körperstelle aus¬ 
gelösten Reflexhusten oder um einen zentralen Husten handelt. 

In allen Fällen von Reflexhusten, gleichviel von welcher Körperstelle derselbe 
ausgelöst wird, ist eine gesteigerte Erregbarkeit des Nervensystems vorhanden, die 
durch verschiedene pathologische Zustände, durch mangelhafte Ernährung, Erschöpfung 
und vor allem durch Hysterie und Neurasthenie bedingt sein kann. Ausserdem muss 
sich hierzu gleichzeitig eine gesteigerte Erregbarkeit des Hustenzentrums bezw. der 
Hustenreflexbahnen gesellen ’). Die Regionen, von denen der Reflexhusten, abgesehen 
von den oberen Luftwegen, ausgelöst werden kann, sind bekanntermaassen die mannig¬ 
faltigsten, so z. B. die Sinnesorgane, die äussere Haut, die Leber, Gallenblase und 
Milz, die Magen- und Darmschleimhaut, die Blase und die Genitalien. 

Von welch geringer Intensität jedoch die peripheren Reize sein können, beweist 
ein von Ebstein*) beschriebener Fall, wo bei einer hysterischen Dame die leiseste 
Berührung des Körpers, jedes Geräusch, das Klappern der Messer und Gabeln beim 
Essen, ja die in der Ferne hörbaren Schritte des von einem Spaziergange heim¬ 
kehrenden Vaters genügten, um die denkbar heftigsten Hustenanfälle auszulösen. 

Handelt es sich um einen zentralen Husten, so giebt hierfür stets eine vor¬ 
handene Neurose die Ursache ab. Ein zentraler Husten als Herderscheinung, bedingt 
durch eine organische Hirnerkrankung, ist bisher noch nicht mit Sicherheit nach¬ 
gewiesen. Als ursächliche Momente kommen zunächst vorausgegangene tiefe seelische 
Erschütterungen oder Aufregungen in Betracht, deren Nachweis für die Diagnosen¬ 
stellung von grosser Bedeutung ist. 

Bei dieser Gelegenheit sei noch ganz ausdrücklich auf den speziell bei Tabes 
auftretenden Husten hingewiesen, von welchem später noch die Rede sein soll. 
Hierbei handelt es sich um neuritische Prozesse; überdies kann der hierdurch hervor¬ 
gerufene Husten durch eine gleichzeitig vorhandene Neurose wesentlich verstärkt 
werden. 

Die Entscheidung, ob es sich um einen Reflexhusten oder um einen 
zentral ausgelösten Husten handelt, ist nicht immer eine leichte, und 
doch muss vor Einleitung der Therapie diese Frage völlig geklärt sein. 

»Man muss suchen«, sagt M. Schmidt, und zwar zunächst mit der genauen 
Untersuchung der Luftwege beginnen und alle Möglichkeiten ins Auge fassen. 

Ein Beispiel, wie schwierig es ist, die Entscheidung zu treffen, beweist folgender 
l all, der in seinem späteren Stadium zur Beobachtung kam. 


M Nur bei dem durch direkte Bcthciligung des Vagusstammes oder seiner Acste verursachten 
nervösen Husten ist eine besondere ncurasthenische Disposition nicht erforderlich. Hierbei sei be¬ 
merkt, dass beim Fehlen derselben stets darauf zu achten ist, ob nicht einer jener Fälle vorlicgt, 
wo es sich um periphere Neuritiden handelt, welche entweder idiopathisch oder von den benach¬ 
barten Organen aus, durch Lymphdriisen, Aortenaneurysma oder maligue Tumoren» bedingt sind. 

2 ) Ebstein, Ueber den Husten. Leipzig 1876. 


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Rudolf Funke 


Beobachtung I. Bei einer über 60 Jahre alten Dame hatte sich, ohne dass jemals 
Zeichen einer höhergradigen Nervosität vorausgegangen wären, ein heftiger, auch nachts 
nicht cessierender Husten ohne bekannte Ursache eingestellt. Alles schien darauf hinzu¬ 
deuten, dass der Husten ein reflektorisch ausgelöster sei, und erfahrene Laryngologen be¬ 
mühten sich ganz vergebens, die zunächst im Kehlkopfe vermuthcte Ursache zu ergründen. 
Ausser einer mittelgradigen Röthung der Kehlkopfschleimhaut, wie eine solche ja auch bei 
nervösem Husten zur Beobachtung gelangt, konnte im Larynx absolut nichts eruiert werden, 
trotzdem die Patientin jederzeit behauptete, dass der Sitz des Reizes im Kehlkopfe gelegen 
sein müsse. Alle dagegen angewendeten Mittel, Inhalationen, lokale und interne Mittel, er¬ 
wiesen sich als gänzlich unwirksam, infolge dessen erst recht auf einen nicht zu beein¬ 
flussenden nervösen Husten geschlossen wurde. Nachdem die Patientien schliesslich die 
Hoffnung gänzlich aufgegeben hatte, von diesem Husten jemals noch befreit zu werden, 
verspürte sie einmal plötzlich nach einem heftigen Hustenreize, dass sich an einer angeblich 
unterhalb der Stimmbänder gelegenen Stelle, welche stets Sitz des Reizes war, etwas ge¬ 
ändert habe, das ihr grosse Erleichterung brachte; mit dem nächsten Hustenstosse hustete 
sie eine gequollene Htilsenfrucht aus, womit der kontinuierliche Hustenreiz wesentlich ge¬ 
bessert war. Wenngleich der Husten seinen quälenden Charakter verloren hatte, sistierte 
derselbe doch keineswegs. Wegen dieses, wenn auch in weit milderer Form fort¬ 
bestehenden Hustenkrampfes hatte ich Gelegenheit die Patientin zu sehen, die, trotzdem 
etwa V 4 Jahr seit dem Aushusten des Fremdkörpers vergangen war, doch noch eine deutliche 
Röthung der Larynxschleimhaut und eine sehr starke Hyperästhesie derselben darbot. Der 
vom Lande behufs Untersuchung zugereisten Patientin, bei der eine längere Beobachtung 
unmöglich war, wurde nebst systematischen Athemübungen wegen der katarrhalischen Er¬ 
scheinungen eine Kur in Reichenhall angerathen. Noch vor Antritt derselben berichtete 
Patientin über eine wesentliche Besserung. 

Beobachtung II. Ein anderer Fall, welcher eine 28jährige Dame betrifft, beleuchtet 
gleichfalls die Schwierigkeiten, welche sich der Diagnose des reflektorischen oder zentralen 
Hustens entgegenstellen. 

Die betreffende Patientin, eine kräftige Frau mit vollkommen gesunden inneren Organen 
war nach tiberstandener Influenza durch längere Zeit mit Kehlkopf- und Nasenkatarrhen 
behaftet. Diese Erkrankung datierte etwa drei Jahre zurück. Zu Weihnachten des Jahre- 
1900 begann ein sehr heftiger, anfallsweise auftretender Husten, der einem Keuchhusten 
ähnelte und in ungeschwächter Intensität bis Mitte Juni 1901 anhielt. Ausgelöst wurden 
diese Anfälle durch Sprechen und Lachen und traten zumeist bei Tage auf; nächtliche 
Anfälle von gleicher Heftigkeit wurden aber auch berichtet. 

Die lokale Untersuchung ergab im Kehlkopfe keinerlei charakteristische Veränderungen, 
während in der Nase rechterseits eine diffuse katarrhalische Schwellung der Nasenschleim¬ 
haut und links eine cirkumscripte Anschwellung des hinteren unteren Muschelendes nach¬ 
gewiesen werden konnte. Bei der Untersuchung mit der Sonde zeigte es sich, dass mit 
dem Emporheben des hinteren Endes sofort die Athmung leichter wurde. Hierbei trat der 
Husten nicht konstant auf, so dass auch seitens eines erfahrenen Rhinologen nicht ent¬ 
schieden werden konnte, ob der Husten von hier aus reflektorisch ausgelöst werde. 

Die neurologische Untersuchung ergab hochgradig gesteigerte nervöse Erregbarkeit, 
ebenso berichtete nachher die sehr intelligente Patientin über »hypnotische Anfälle«, welche 
sie des öfteren bekommt, während deren wohl das Bewusstsein völlig klar bleibt, die freie 
Motilität jedoch gänzlich aufgehoben erscheint. Hierdurch war die schon ohnehin zweifel¬ 
hafte Diagnose des reflektorischen Hustens noch unwahrscheinlicher geworden und konnte 
wohl mit ziemlicher Sicherheit gänzlich fallen gelassen werden, als es möglich wurde, einen 
Blick in das Seelenleben dieser jungen Frau zu thun. Verheirathet mit einem älteren Herrn, 
welcher dem vor der Verehelichung im 17. Lebensjahre stehenden Mädchen das Versprechen 
abgenommen hatte, nie Kindersegen zu erwünschen, war die Frau durch seelische Er¬ 
regungen und durch Coitus interruptus, durch welchen sie sich erniedrigt fühlte, allmählich 
in einen solchen nervösen Zustand gerathen. Nachdem die Patientin alF dieses berichtet, 
fügte sie weiter hinzu, dass die heftigsten Ilustenkrämpfe nach dem Coitus, mitunter auch 
schon vorher auftreten. Hierbei erwähnte Patientin, dass diese Anfälle von solcher Inten¬ 
sität seien, dass ein Unterdrücken derselben einfach unmöglich erscheine. 



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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 307 

Dieses Beispiel möge beleuchten, wie wichtig es ist, in jedem Falle, der ver¬ 
möge der subjektiven Klagen, sowie auch des objektiven Befundes als reflektorisch 
ausgelöster Husten aufzufassen wäre, dem psychischen Momente nachzugehen, welches 
allein zur klaren und richtigen Auffassung führen kann, lieber die Behandlung 
dieses Falles wird später noch kurz berichtet werden, hier sei nur hinzugefügt, dass 
derselbe auch in der Hinsicht lehrreich war, weil er die Möglichkeit bot, die Wirkung 
eines chirurgischen Eingriffes in der Nase und einer gleichzeitig durchgeführten 
psychotherapeutischen Beeinflussung nebst entsprechender Atemgymnastik zu erproben. 

Bevor zur Besprechung der behandelten Fälle übergegangen wird, mögen die 
bereits erwähnten zuerst von Feröol beschriebenen Crises laryngees oder bronchiques 
bei Tabes noch Erwähnung finden, da dieselben, sobald sie in Form plötzlicher 
Mustenanfälle mit Dyspnoe und Laryngospasmus auftreten, zur Verwechslung mit 
nervösem Husten Veranlassung geben können zu einer Zeit, wo die eigentliche 
Diagnose vielleicht noch nicht feststeht, wenngleich die Intensität dieser Anfälle den 
rein nervösen Charakter von vorneherein sehr unwahrscheinlich macht. Die bisher 
hierbei bekannten anatomischen Befunde stellen sich als Degeneration der sogenannten 
aufsteigenden Trigeminuswurzel, der Glossopharyngeuswurzel, der peripherischen 
Nervenfasern des Vagus, bezw. des Recurrens vagi dar. Diese Veränderungen, gleich¬ 
wie die schon vorerwähnten Neuritiden, die durch Lymphdrüsen, Anburysmen, Tu¬ 
moren etc. im Thoraxraume verursacht werden, bieten eine hinreichende Erklärung 
für das Zustandekommen des Krampfhustens dar. Wenn dieselben somit auch auf 
diese Weise verursacht werden, so können sie doch sicherlich eine Verstärkung und 
Verschlimmerung durch eine mit der Tabes kombinierte Neurose erfahren. Hierfür 
spricht auch die Beobachtung Oppenheim’s, die darin bestand, dass es durch 
Druck auf eine neben dem Kehlkopfe in der Höhe des Ringknorpels gelegene Stelle, 
welche sich zuweilen auch durch Schmerzhaftigkeit auszeichnet, gelingt, Anfälle 
hervorzurufen, v. Leyden bemerkt, dass auch bei gesunden, namentlich aber bei 
nervösen, empfindlichen Personen der Druck auf diese Stelle unangenehm empfunden 
wird, gleichwie auch Schluckbewegungen zuweilen von dieser Stelle her ausgelöst 
werden können. Es scheinen somit einige reflektorische Beziehungen zum Larynx 
und Pharynx zu bestehen. In gleicher Weise können nach Charcot durch die Be¬ 
rührung der Schleimhaut und andere die Schleimhaut treffende Reize ebenfalls Kehl¬ 
kopfkrisen ausgelöst werden. 

Ich habe bei einer grösseren Anzahl von Menschen, theils bei Gesunden, 
theils bei Kranken die Wirkung des Druckes auf diese Stelle geprüft; bei einer 
Minderzahl fehlte jegliche Wirkung, und zwar war dies der Fall bei sehr kräftigen, 
robusten Menschen und bei Hysterischen, bei denen auch der Pharynxreflex erloschen 
war. Bei der Mehrzahl der daraufhin Untersuchten traten ziemlich prompt Schluck¬ 
bewegungen ein, die mit kurzem Hüsteln vergesellschaftet waren. Nur bei einer 
kleinen Minderzahl und dies bei auch sonst nervös sehr leicht erregbaren Personen 
war stärkerer Husten und Schlucken die Folge, was aber in gleicher Weise durch 
Berührung der Rachenschleimhaut mit der Sonde ausgelöst werden konnte. 

Bemerkt sei das Ergebnis dieser Prüfung bei zwei Tabikern, die beide im 
Initialstadium sich befanden. 

Beobachtung III. Der eine Fall, ein 33jähriger Beamter, bot von den subjektiven 
Symptomen bloss Parästhesien und lancinierende Schmerzen dar, nebst bereits früher vor¬ 
handenen, nunmehr gesteigerten neurasthenischen Beschwerden. Druck auf die obbczeich- 
nete Stelle am Kehlkopf löste einen Hustenanfall von geringer Intensität, aber hochgradiger, 


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Rudolf Funke 


mit Cyanose verbundener Dyspnoe aus mit frequenten Athmungen, die von keuchenden In¬ 
spirationen unterbrochen waren. Der Anfall währte etwa zwei Minuten. Zur Beruhigung 
des Patienten, welcher durch dieses Symptom ganz konsterniert war, wurde die betreffende 
Stelle sofort möglichst stark faradisiert und regelmässige Athemübungcn angeschlossen, wo¬ 
durch es gelang, dieses Symptom auch für die Zukunft völlig zu koupieren. Die Pharynx¬ 
schleimhaut war auch in diesem Falle sehr stark überempfindlich. 

Beobachtung IV. Der zweite Fall betrifft einen 42jährigen, bereits vorher sehr 
nervösen Privatdiener, der neben den typischen Tabessymptomen Hemiatrophie der Zunge 
zeigte nebst Anorexie tabdtique mit besonderer Abneigung gegen Fleisch, dessen Geruch 
allein schon Uebelbefinden des Patienten herbeiführte. Ausserdem traten sehr heftige 
gastralgische Anfälle mit krampfartigen Schmerzen in der Magengegend auf, zunäch-t 
jedoch ohne Erbrechen. Druck auf die oft erwähnte Stelle am Kehlkopfe erzeugte einen 
kurzdauernden Hustenanfall, der aber sofort von einem sehr heftigen Erbrechen gefolgt 
war. Dasselbe trat nachher bei jeder, auch der geringfügigsten Veranlassung auf und be¬ 
wirkte infolge seiner Intensität eine rapide Abmagerung des Patienten In besonders 
intensiver Weise stellte sich nachher während der Krisen Erbrechen mit sehr heftigem 
Tenesmus ein. Da gerade das Symptom des Erbrechens durch eine äussere Veranlassung 
ausgelöst worden war, wurde der Versuch gemacht, desselben durch die sonst bei nervösem 
Erbrechen geübten Manipulationen Herr zu werden. Besonders systematische tiefe Atliein- 
übungen mit gleichzeitigem intensiven Drucke auf die Bauchaorta führten zur Behebung 
dieses Symptomes, welches auch bei den darauffolgenden gastrischen Krisen nicht oder nur 
in viel geringerem Grade auftrat. 

Diese gelegentlichen Beobachtungen verdienen insofern Aufmerksamkeit, als 
sie die in den letzten Jahren vielfach bestätigte Thatsache bekräftigen, dass es mög¬ 
lich ist, auch Krampferscheinungen, die offenbar durch anatomische Prozesse hervor¬ 
gerufen werden, durch einen besonders starken, gegentheiligen Willensimpuls, durch 
Einschleifen der noch vorhandenen Hemmungsbahnen zu beheben. In jenen Fällen, 
wo es sich bloss um anatomische Veränderungen als Ursache handelt, wird aus¬ 
schliesslich diese Auffassung möglich sein, während beim gleichzeitigen Vorhanden¬ 
sein einer Neurose an eine kombinierte Wirkung zu denken ist. Bei Kombination 
von Tabes mit neurasthenischen Zuständen kann letzteren hinsichtlich der Krampf¬ 
anfälle sowohl ein den Krampf auslösender, wie auch ein den ausgelösten Krampf 
steigernder Einfluss zugeschrieben werden. 

Bekanntlich erblickten Charcot und Krishaber die Ursache des Krampfes 
in Hyperästhesie der Kehlkopfschleimhaut, welche sowohl durch die Tabes allein be¬ 
dingt sein kann, als auch auf Rechnung der die Tabes begleitenden Neurose gesetzt 
werden kann, im zweiten Falle wäre somit letztere als auslösendes Moment zu 
betrachten, indem die vorhandene Hyperästhesie entweder auf dem Wege der durch 
neuritische Prozesse irritableren Reflexbahnen, oder durch krankhafte Ausschaltung 
der reflexhemmenden Fasern zur Entstehung des Krampfes Veranlassung giebt. 

Ebenso wie hinsichtlich der auslösenden Wirkung kommt eine die Tabes be¬ 
gleitende Neurose auch hinsichtlich der Intensität der einmal ausgelösten Anfälle in 
Betracht, indem selbst stetig sich vermindernde Reize den Krampfanfall bezüglich 
der Dauer, wie auch hinsichtlich der Intensität der einzelnen Anfalle im Sinne der 
Steigerung beeinflussen. 

Von diesen Gesichtspunkten aus wird es sich empfehlen, sowohl die reflex¬ 
vermittelnden, als auch die rcflcxhcnuncndcn Fasern bei den tabetischen Larynx- 
krisen durch eine bahnende und hemmende Uebungstherapie in Form der auch sonst 
bei nervösem Husten geübten Maassnahmen zu beeinflussen, ebenso wie Frenkcl') die 

M II. S. Frenkcl, Die Behandlung der tabischcn Ataxie mit Hilfe der Uebillig. Leipzig l'JUO. 


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Zur Behandlung des nervösen Hustens 


Vornahme systematischer Athem-, Sprech- und Singübungen anräth, um motorische 
Störungen der Kehlkopfmuskulatur zu beheben, wenngleich bei der Unklarheit der 
Symptomatologie der tabetischen Kehlkopfstörungen eine nähere Präzision der 
Therapie vorläufig noch nicht möglich ist. 

Es möge nun die Beschreibung der Fälle von nervösem Husten folgen, deren 
Darstellung mitunter, grösserer Deutlichkeit wegen, etwas breiter gehalten werden 
musste. 

Zunächst folgen die Fälle, wo der Husten als reflektorischer anzusehen ist, 
denen sich dann die Formen des zentralen Hustens anschliessen. 

Beobachtung V. Ein 31 jähriger Mann, ursprünglich Berufsoffizier, welcher nach 
seinem Ausscheiden aus dem aktiven Heere sehr intensiven Studien oblag, hierbei aber die 
freien Stunden des Tages zu ebenso intensivem Amüsement benützte und Exzesse in venerc 
ct baccho häufte, bot das typische Bild eines sexuellen Neurasthenikers mit hochgradigst 
gesteigerter nervöser Erregbarkeit dar. Von solchen Erscheinungen sei das Auftreten von 
Diarrhöe erwähnt, sobald beim Liegen im Bette die Ftisse für kürzere Zeit von der Bett¬ 
decke entblösst wurden und ein wenig auskühlten. Durch entsprechende Vorrichtungen am 
Bette, welche es dem sehr unruhig schlafenden Patienten fast unmöglich machten, die Füsse 
zu lüften, und durch bestimmte verbalsuggestive Beeinflussung bei entsprechender Allgemein¬ 
behandlung gelang es, dieses quälenden Symptomes Herr zu werden. Nachdem dasselbe 
behoben war, trat nach einigen ernsten Zwischenfällen im Leben dieses der Kategorie der 
beati possidentes ungehörigen Mannes, welche demselben, wenn auch nur vorübergehend, 
die Nothwendigkeit ernster Arbeit auferlegten, eine neuerliche Steigerung der nervösen 
Irritabilität auf, die sich zunächst in Schlaflosigkeit äusserte. Plötzlich stellte sich ein 
neues Symptom ein; sowie nämlich beim Zähneputzen einige Tropfen des Spülwassers die 
Brusthaut benetzten, trat ein dem Krouphusten ähnlicher heftiger Hustenanfall auf, welcher 
sich zu solcher Intensität steigerte, dass er eine Stunde und länger anhielt. Erst allmäh¬ 
lich legte sich der Krampfhusten, der trotz seiner Intensität das Allgemeinbefinden dieses 
Patienten nicht im geringsten beeinträchtigte. 

Die Untersuchung des Rachens, der Nase und des Kehlkopfes ergab im anfallsfreien 
Stadium normale Verhältnisse, nur nach dem Anfalle erschien der Larynx byperämisch. 

Nachdem dieser Zustand mehrere Tage gedauert und sich ganz regelmässig wieder¬ 
holt hatte, wurde zunächst zur innerlichen Darreichung von Brompräparaten geschritten, 
doch weder diese noch sonstige Maassnahmen vermochten dem Krampfanfalle zu steuern. 
Im weiteren Verlaufe wurden mehrfache Versuche unternommen, die auslösende Stelle, die 
Brusthaut, unempfindlicher zu gestalten, was zunächst durch vorherige kalte Waschungen 
angestrebt wurde, natürlich ohne nachheriges Abtrocknen; allein alle Versuche führten nicht 
einmal zu einer merklichen Besserung. Der Patient, welcher kein sehnlicheres Bestreben 
hatte, als von diesen lästigen, allmorgendlich auftretenden Anfällen befreit zu werden, 
suchte durch die Erlaubniss, beim Zähneputzen einen wasserundurchlässigen Stoff über die 
Brusthaut binden zu dürfen, von dieser Plage, analog den oben erwähnten Darmerscheinungen, 
mühelos befreit zu werden, welchem Anstichen ärztlicherseits ein strenges Veto entgegen¬ 
gesetzt wurde, um zu verhindern, dass diese bequeme Art der Befreiung bezw.Verhütung 
lästiger nervöser Zustände zur Quelle stets sich erneuernder und sich vervielfältigender 
Beschwerden werde. Auch der weitere Vorschlag des Patienten, sich die Zähne erst nach 
vollendetem Ankleiden zu reinigen, wurde aus dem gleichen Grunde a limine abgewiesen. 
Dies erschien um so gebotener, als sich die Nothwendigkeit ergab, nicht bloss symptomatisch, 
sondern, soweit es möglich war, ätiologisch diesen Krampf husten zu beeinflussen, da schliess¬ 
lich nicht mehr das thatsächliche Benetzen der Brust mit Spülflüssigkeit die Anfälle aus¬ 
löste, sondern, wie von der Umgebung versichert wurde, einzig und allein die Manipulation 
des Zähneputzens, selbst wenn zunächst jede mechanische Reizung der Pharynxschleimhaut 
durch Berührung mit dem Zahnbtirstchen und jede Benetzung der Brusthaut vermieden 
wurde. Dabei wurde zufolge Angabe der Frau des Patienten der Anfall durch heftiges 
Pressen eingeleitet. 

Nach mehrfachen anderweitigen und gänzlich fruchtlosen Versuchen wurde schliesslich 
zu systematischen Athemübungen tlie Zuflucht genommen, welche der Patient im Momente 


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des Einsetzens des Anfalles trotz des interkurrenten Husteus vorzunehmen den Auftrag hatte. 
Zum nicht geringen Staunen wurde jedoch gemeldet und seitens der Umgebung des Kranken 
bestätigt, dass durch den Versuch des Einathmens trotz ernsten Vorsatzes des Patienten 
selbst und trotz energischen Auftrages seitens der Frau, welche hierüber vorher orientiert 
worden war, keine Besserung erzielt wurde, sondern dass sogar der Hustenanfall sich steigerte. 

Diese unerwartete und direkt befremdliche Thatsache fand ihre Erklärung in der 
selbst bei ruhiger Respiration krampfhaft erfolgenden ungenügenden Schltisselbeinathmung, 
welche bei dem Versuche, den Krampfanfall zu imitieren und hierbei tief Athcni zu 
schöpfen, sich zu krampfhafter Kontraktion der respiratorischen Auxiliarmuskeln steigerte. 
Bei diesem Versuche fiel es auf, wie der Patient in der besten Absicht, dem Aufträge des 
Arztes zu entsprechen, den Hustenanfall treffend imitierte und sich, so zu sagen, immer 
stärker in den Anfall hineinhustete, wodurch der Beweis mit Wahrscheinlichkeit erbracht 
worden war, dass es im Gegensätze zu früher nunmehr nicht einer reflektorischen Aus¬ 
lösung des Hustens, sondern weit eher einer autosuggestiven Auslösung bedürfe. 

Nach Konstatierung des völlig unrichtigen Athmungstypus wurden behufs Ausschaltung 
der störenden Schltisselbeinathmung entsprechende Uebungen des sogenannten vollen Athmens, 
besonders der Exspiration vorgenommen, d. h. Uebungen der Brust- und Zwerchfellsathmung, 
und der Patient angewiesen, in dieser Art beim Eintreten des Krampfes vorzugehen; über¬ 
dies wurde, theils zur Ablenkung der Aufmerksamkeit und zur Vermeidung störender 
Muskelspannungen, theils in Berücksichtigung des guteu Erfolges des Naegeli’schen 1 ) Hand¬ 
griffes bei Keuchhusten und Krampfhusten, extreme Oeffnung des Mundes kombiniert mit 
dem von Naegeli allerdings nicht vorgeschriebenen Hervorstrecken der Zunge angerathen, 
wobei eine zweite Person den Unterkiefer nach unten und vorne zog. Der Erfolg war ein 
überraschend guter, und schon nach einigen wenigen Tagen sistierten die Hustenanfälle 
vollständig. 

Um die Heilung zu befestigen, wurden auch nachher noch die Athemübungen in dieser 
Art zwischen den einzelnen Phasen des Zähnereinigens fortgesetzt, was jedoch zu einem 
ganz unerwarteten und unliebsamen Zwischenfall führte. Offenbar wurde durch das Herab¬ 
ziehen des Unterkiefers bei vorgestreckter Zunge ein zu starker Reiz gesetzt, und nach nun¬ 
mehriger Behebung des nervösen Hustenanfalles kam es während der Athemübungen zu 
Erbrechen. 

Höchst bestürzt berichtete der Patient, dass auch dieses Mittel zu einem gegenteiligen 
Erfolge geführt habe. In diesem für Patient wie Arzt gleich kritischen Momente wurde 
neuerdings die Vorzüglichkeit und absolut sichere Wirkung der Athemübungen autoritativ 
betont und dieselben nur in der Modifikation angerathen, dass nunmehr im Gegensätze zu 
früher, zur Vermeidung jedes Brechreizes, systematische Athemübungen bei fest geschlossenem 
Munde verordnet wurden. Damit gelang es, auch diese accidentelle Erscheinung zu be¬ 
heben , und der Patient erschien nach kurzer Zeit von diesen lästigen Anfällen befreit. 
Späteren schriftlichen Mittheilungen zufolge blieb der Patient auch fernerhin von ähnlichen 
Zuständen verschont, nachdem derselbe sich überdies einer entsprechenden diätetischen Be¬ 
handlung bei gleichzeitiger Durchführung einer massigen Kaltwasserkur unterzogen hatte. 

Handelte es sich im eben ausgeführten Falle um einen von der Haut ausgelösten 
reflektorischen Hustenkrampf, so möge nunmehr eine Gruppe von Fällen zur Be¬ 
sprechung gelangen, bei denen die Ursache des Hustens in vorausgegangenen Er¬ 
krankungen und Anstrengungen des Stimmorganes selbst gelegen war, wovon übrigens 
auch Beobachtung I ein Beispiel ist. 

0. Rosenbach*) hat auf den Einfluss hingewiesen, welchen ein akuter Larynx-, 
Pharynx-, oder Trachealkatarrh auf die Entstehung des nervösen Hustens hat, indem 
er annimmt, dass nach dem Verschwinden der ursprünglich als Reiz oder reizver¬ 
stärkendes Moment wirkenden Schleimhautaffektion ein Zustand gesteigerter Reflex- 


i) Otto Naegeli, Nervenleiden und Nervenschmerzen, ihre Behandlung und Heilung durch 
Handgriffe. Jena 1899. 

-) 0. Rosen buch, Uebcr nervösen Husten. Berliner klinische Wochenschrift 1 SST. No. 43. 


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Zur Behandlung de» nervösen Hustens. 

erregbarkeit zurückgeblieben sei, welcher den Mechanismus der Hustenbewegungen 
schon bei verhältnissmässig geringen, bei unternormalen Reizen in Funktion treten lässt. 

Wir haben uns von der Richtigkeit dieser Beobachtung mehrfach zu überzeugen 
Gelegenheit gehabt und möchten ergänzend hinzufügen, dass hierzu besonders jene 
Berufskategorien disponiert erscheinen, welche berufsmässigen Anstrengungen des 
Stimmorganes ausgesetzt sind. Unter diesen scheinen es wieder solche zu sein, 
welche ihrem Stimmorgan nicht die individuell nothwendige Schonung angedeihen 
lassen können, wie z. B. die Choristen des Theaters, die naturgemäss die gemein¬ 
schaftlichen Gesangsübungen so lange fortsetzen müssen, bis die Gesammtleistung 
des Chores eine entsprechende ist. Hierzu kommt noch als weiterer Umstand der, 
dass die zumeist sehr nervösen jugendlichen Sängerinnen körperlich minder gut ent¬ 
wickelt und ernährt und vielfach anämisch sind, worunter die stimmliche Leistungs¬ 
fähigkeit naturgemäss sehr leidet. 

Die Nothwendigkeit, bei den Mitgliedern der hiesigen Oper im einzelnen 
P’alle zu entscheiden, ob die Möglichkeit zu singen vorliegt, ergab diesbezüglich ein 
ziemlich reichhaltiges Beobachtungsmaterial. Das Vorkommen von Erkältungen bei 
Bühnensängern gehört bekanntlich zu den häutigsten, alltäglichen Erscheinungen, da 
jede Bühne zugig ist. Grosse Schwierigkeiten kann es unter diesen Umständen be¬ 
reiten zu entscheiden, welcher Art ein Krampfhusten angehört. Gewöhnlich wird 
von den auf ihr Stimmorgan weniger Bedacht nehmenden Chorsängern (Beobachtungs¬ 
gruppe VI) ein leichter Katarrh der oberen Luftwege übersehen und weiter fort¬ 
gesungen, bis dieselben schliesslich nach einiger Zeit mit der Klage erscheinen, nur 
mit Anstrengung singen zu können; die Stimme spreche wohl ganz gut an und klinge 
in den verschiedenen Registern auch gut, nur bereite das Singen subjektive Schwierig¬ 
keit; die laryngoskopische Untersuchung ergab da in der Regel sehr wenig Positives. 
Der Kehlkopf erscheint hinsichtlich seiner Motilität vollkommen normal, höchstens 
nach dem Singen mässig hyperämisch, auch in den übrigen Abschnitten der oberen 
Respirationswege mit Ausnahme leichter chronisch - katarrhalischer Veränderungen 
normal. Mehrere Ruhetage genügen in der Regel, um das Gefühl der Anstrengung 
beim Singen verschwinden zu lassen. Auffallend war es dagegen, speziell zur Zeit 
häufig auftretender infektiöser Katarrhe, dass ein Theil gerade dieser Patienten 
einige Zeit nachher über heftige Hustenkrämpfe klagte, welche theils die Form 
kontinuierlicher, theils anfallsweise auftretender hatten. Anfänglich gestaltete sich 
die Diagnose dieses Hustens und die Beantwortung der Frage, inwieweit, die Möglich¬ 
keit zu singen vorliege, besonders mit Rücksicht darauf, ob denn nicht der ganze 
Symptomenkomplex artifiziell sei, sehr schwierig, die weitere Beobachtung und Er¬ 
fahrung lehrte aber ganz unzweifelhaft, dass abgesehen von der ganz verschwindenden 
Minderzahl Simulation auszuschliessen sei und dass es sich thatsächlich um nervösen 
Hustenkrampf handle. In jenen wenigen Fällen, wo Simulation vorlag, trat der 
Hustenanfall regelmässig im Wartezimmer und zu Beginn der ärztlichen Untersuchung 
auf, er war mit starkem willkürlichem Pressen und hierdurch hervorgerufener t'yanose 
des Gesichtes verbunden und war sofort belieben, als ärztlicherseits bestimmt be¬ 
hauptet wurde, dass gerade diese Art des Hustens ein untrügliches Zeichen von 
Simulation sei. Mit dem schliesslichen Geständnisse dieser Thatsache war die Heilung 
dieses Hustens naturgemäss herbeigeführt. 

Bei nichtsimuliertcm Husten dagegen fiel es auf, dass in diesem Stadium von 
der Schleimhaut des Rachens bei leisester Berührung oder schon beim Niederdrücken 
des Zungenrückens mit dem Spatel Hustenanfälle auszulösen waren. Hierbei wieder- 


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holte sich bei der anfallsweise auftretenden Form das früher schon beschriebene 
Vorkommen, dass Jm Momente des Einsetzens des Hustenkrampfes ein starkes Pressen 
erfolgte, welches den Anfall immer intensiver gestaltete, während bei der kontinuier¬ 
lichen Hustenform" die Athmung eine seichte und keineswegs anstrengende war, wo¬ 
bei es den Anschein hatte, dass bei den Hustenstössen vorvvaltend eine leichte 
Kontraktion der Bauchmuskeln in Frage kommt. Die Behandlung bestand, ab¬ 
gesehen von entsprechender Ruhe der Stimmorgane in später noch zu erörternden 
systematischen Athem- und Phonationsübungen, nachdem in einigen Fällen behufs 
Behebung der Hyperästhesie vorher die Schleimhaut des Pharynx ein- oder zweimal 
mit Jodtinktur gepinselt worden war. Der Erfolg war ein ganz prompter und an¬ 
haltender, indem sowohl das Gefühl des anstrengenden Singens, als auch das Auf¬ 
treten der Krampfhustenanfälle dadurch behoben wurde. 

Diese bei mehreren Berufskollegen des Chors auftretende Krampfhustenform 
legt den Gedanken nahe, ob es sich in einzelnen Fällen nicht um eine Krampfform 
handelte, welche auf dem Wege der unbewussten Nachahmung zu stände kam, um¬ 
somehr als dieselbe auch nachher bei Choristinnen auftrat, bei denen katarrhalische 
Erkrankungen des Larynx nicht vorausgegangen waren. 

Sowie sich Beziehungen dieser Krampfformen zu den vorausgegangenen katarrha¬ 
lischen Erkrankungen der oberen Luftwege ergeben, stellt auch eine gänzlich ab¬ 
gelaufene Pertussis noch immer eine Prädisposition zur Auslösung von nervösen 
Krampfhustenanfällen dar, welche wohl in ihrer Erscheinungsform grosse Aehnlich- 
keit mit Keuchhustenanfällen bieten, aber sicherlich nicht als ein Rezidiv desselben 
aufzufassen sind. Diesbezüglich sei auf folgenden Fall verwiesen: 

Beobachtung VII. Ein neunjähriger Knabe aus einer sehr nervösen Familie mit Fällen 
ausgesprochener schwerer Hysterie hatte schon früher zum nicht geringen Schrecken der 
sehr besorgten Eltern Anfälle von schwerem hysterischen Erbrechen dargeboten, das mit¬ 
unter ohne Allgemeinerscheinungen, des öfteren aber auch — und dies besonders beim 
Aufträge, Speisen zu gemessen, welche dem wählerischen Knaben nicht konvenierten — 
mit schweren Allgeineinerschcinungen, wie Schweissausbruch, Blässe des Gesichtes, faden¬ 
förmigem Pulse einhergingen. Diese Anfälle Hessen sich anfänglich durch ärztliche Inter¬ 
vention, und später durch Maassnahmen seitens der hierüber instruierten Eltern prompt 
beseitigen. 

Nachdem dieser Knabe einen schweren Keuchhusten durchgemacht hatte, stellte sich 
wiederum bei der oben erwähnten Gelegenheit ein heftiges Erbrechen ein, das wohl seitens 
der Eltern behoben wurde, doch kurze Zeit nachher von einem äusserst heftigen Husten¬ 
krampfe mit neuerlichem Erbrechen gefolgt war, sodass die Eltern mit Sicherheit an ein 
Rezidiv des Keuchhustens glaubten. Solche Anfälle wiederholten sich mehrfach am Tage, 
und der Zufall fügte es, dass gerade im Momente eines solchen Anfalles, dem sich der 
kleine Patient willen- und widerstandslos überliess, der Arzt ins Zimmer trat. Unter dem 
Einflüsse dieser für den Knaben unliebsamen Uebcrraschung sistierte für einen Moment der 
Anfall gänzlich, setzte aber nach kurzer Pause wieder ein. Bei dem vorausgegangenen 
Keuchhusten war der Knabe sofort beim Gefühle des Herannahens des Anfalles angehaltcn 
worden, bei tiefer, regelmässiger Inspiration den Naege 1 i’sehen Handgriff selbst in An¬ 
wendung zu bringen, bis derselbe von seiner Umgebung vorgenommen werden konnte, und 
hatte hierdurch die Anfälle wesentlich erleichtert und abgekürzt. Im Momente des Wieder¬ 
einsetzens des Krampfes erfolgte vom eintretenden Arzte in kategorischer Weise der wohl- 
bekannte Befehl, dessen Wirkung eine geradezu glänzende war, indem der Anfall mit einem 
Male koupiert wurde. Unter ärztlicher Anleitung wurde der Na ege IT sehe Handgriff mit 
systematischen Athemübungen bis zum Uebcrdrusse des kleinen Patienten fortgesetzt und 
hierbei stets bestimmt erklärt, dass die Anfälle nun nicht mehr auftreten werden und nicht 
mehr auftreten dürfen. Nach längerer Zeit wurde zunächst während der Athemübungen 
der NaegelEsche Handgriff weggelasscn und dieselben bei freiwillig geöffnetem Munde vor- 


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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 373 

genommen, schliesslich Athemübungen bei geschlossenem Munde und ausschliesslicher Nasen- 
athmung bewerkstelligt, worauf die Athemzüge noch in verschiedenem Tempo, regelmässig 
und unregelmässig geübt wurden. Schliesslich wurden den Eltern Verhaltungsmaassregeln 
beim eventuellen Wiedereinsetzen des Krampfes ertheilt und die sichere Wiederkunft des 
Arztes zu einer nicht näher bestimmten Stunde in Aussicht gestellt. Im Verlaufe des 
Nachmittages stellten sich wohl Ansätze zu Anfällen ein, doch genügte der Hinweis, sofort 
den Arzt holen zu lassen, um dieser Anfälle sogleich Herr zu werden. Damit war diese 
neuerliche Phase behoben, welche mit Rücksicht auf die Intensität des Beginnes wohl ge¬ 
waltige Dimensionen hätte annehmen können. 

Zur Unterstützung wurde noch innerlich Brom dargereicht und wie in allen Fällen 
auch hier die roborierende Behandlung in erhöhtem Maasse fortgesetzt, umsomehr als sich, 
wenn auch nur spärliche Zeichen eines leichten Lungenspitzenkatarrhs einstellten, der um¬ 
so bedeutungsvoller erschien, als der Knabe a matre hereditär belastet war. 

Beobachtung VIII. Ein weiterer Fall von Reflexhusten bei einem 17 jährigen schwachen, 
anämischen Mädchen, welcher sowohl in Form von Hustenanfällen, sowie als kontinuier¬ 
licher, auch im Schlafe nicht sistierender »bellender« Husten auftrat, ist der folgende: 

Seit mehreren Monaten bestand bei dem betreffenden Mädchen ein ziemlich plötzlich 
aufgetretener Husten, welcher tagsüber in Form kurzer Hustenstösse einsetzte und auch 
im Schlafe nicht gänzlich sistierte. Abgesehen davon, dass es dem Mädchen unaugenehm 
war, in Gesellschaft infolge des kontinuierlichen Hustens die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, 
hatte sie sonst hierdurch keinerlei Beschwerden und fühlte sich vollkommen wohl. Gelegent¬ 
lich und, wie es sich durch eigene Beobachtung herausstellte, unter anderem zur Zeit der 
Menses nahm der Husten den Charakter von Krampfanfällen an, wobei dann eine nicht 
unbeträchtliche Menge zähen, glasigen Sekretes ausgehustet wurde. Eine weitere Beobach¬ 
tung ging dahin, dass dieser Husten einmal für längere Zeit nach einer Radfahrtour von 
selbst aufgehört hatte, wodurch in den Augen der Patientin und ihrer Angehörigen natur- 
gemäss das Radfahren und zwar Radfahren bei entsprechender Terrainsteigung den Werth 
einer hierfür therapeutischen Maassnahme erfuhr; es stellte sich jedoch in der Folgezeit 
heraus, dass dieser erwartete Erfolg bei darauf gerichteter Aufmerksamkeit, allerdings beim 
Fahren in der Ebene, nicht mehr auftrat. Es scheint daraus hervorzugehen, dass die tiefen 
Inspirationen beim Berganfahren diesen Erfolg erzielt haben, während die seichteren 
Athmungen beim Fahren in der Ebene eine derartige Wirkung nicht zu erzielen vermochten. 

Zur Beseitigung dieses Hustens waren die mannigfachsten Mittel und Medikamente 
erfolglos in Anwendung gebracht worden. Als die Patientin sich in unsere Behandlung 
begab, wurden naturgemäss die oberen Luftwege einer genauen Untersuchung unterzogen 
und hierbei zunächst die Anwesenheit mehrerer Mandelsteine in der rechten Tonsille kon¬ 
statiert, während der übrige Befund negativ ausfiel. 

Das laryngoskopische Bild zeigte in jeder Hinsicht normales Verhalten. Während 
des Hustens ergaben sich Verhältnisse, wie ich sie in ähnlicher Weise bei nachheriger 
Litteraturdurchsicht bei Jurasz verzeichnet fand. 

Jurasz beschreibt als für den »nervösen Kehlkopfhusten« pathognomonische 
Motilitätsanomalie folgendes Verhalten der Stimmbänder. Wie beim normalen Husten 
gehen die Stimmbänder krampfhaft aneinander, um sich entsprechend den einzelnen 
Hustenstössen zu öffnen oder dauernd ein wenig zu klafl’en. Im Gegensätze zum ge¬ 
wöhnlichen Husten, hei welchem die Stimmbänder gewöhnlich gespannt bleiben, seien 
sie beim nervösen Kehlkopfhusten ganz schlaff und werden durch die ruckweise vorbei¬ 
getriebene Exspirationsluft in grobe Schwingungen versetzt, die den tiefen hohlen 
Klang erzeugen. Es handle sich also demgemäss um eine Kontraktion der Ex¬ 
spirationsmuskeln und der Glottisschliesser bei gleichzeitiger Erschlaffung der Stimm¬ 
bandspanner. In unserem Falle bestand insofern eine Modifikation, als im Momente 
des Anfalles die Stimmbänder krampfhaft aneinander gingen und gleichzeitig auch 
ein krampfhaftes Aneinanderlegen der falschen Stimmbänder erfolgte. Bei den ein¬ 
zelnen Hustenstössen nun blieben die falschen Stimmbänder zunächst einander soweit 
genähert, dass der Anblick der wahren Stimmbänder behindert war, und erst bei den 


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374 Rudolf Funke 


folgenden ruckweisen Hustenstössen gingen die falschen Stimmbänder auseinander, 
während die wahren Stimmbänder unter den falschen nunmehr sichtbar hervortraten. 
Jurasz ist der Meinung, dass der tiefe hohle Klang auf die Weise zu stände komme, 
dass durch die ruckweise vorgetriebene Exspirationsluft die Stimmbänder in grobe 
Schwingungen versetzt werden, während in unserem Falle neben diesem vielleicht 
auch vorhandenen Momente wohl vor allem das in Frage kommt, dass die Luft 
zwischen den genäherten falschen Stimmbändern hindurchtreten muss, worauf u. a. 
auch M. Schmidt in ähnlichen Fällen aufmerksam gemacht hat. 

Rosenbach beobachtete beim nervösen Husten bei den Patienten eine ganz 
spezielle, nicht leicht nachzuahmende Fixation des Thorax in Exspirationsstellung 
oder in einer dieser ähnlichen Position, während durch ganz kurze Stösse mit dem 
oberen Theile der Bauchmuskeln der Exspirationsstrom erzeugt werde, woraus sich 
auch die geringe Kompression des Brustinhaltes erkläre. Eine ganz ähnliche Position 
nahm auch diese Patientin ein, wobei die frühere Beobachtung der vorwaltenden 
tonischen Mitbetheiligung der an der Clavicula und am Schultergürtel sich inse¬ 
rierenden Auxiliarmuskulatur bei ungenügender Erweiterung der unteren Thorax- 
partieen und gleichzeitiger Fixation des Kehlkopfes von neuem bestätigt werden 
konnte. Auch bei willkürlich hervorgerufenem Husten wurde dieselbe Stellung ein¬ 
genommen. . 

Nach Entfernung der Speichelsteine hatte bei oberwähnter Patientin der Husten 
fast gänzlich nachgelassen, und die Umgebung berichtete, dass nunmehr auch der nächt¬ 
liche, sehr störende Husten aufgehört habe. Nichtsdestoweniger wurden noch nach 
dem Aufhören des Hustens systematische Athemübungen vorgenommen, besonders um 
den auch für gewöhnlich obwaltenden falschen Athmungstypus zu korrigieren. 

Hier sei auch noch auf ein diagnostisch, wie therapeutisch wichtiges Moment 
hingewiesen. Rosenbach erwähnt, dass bei mit nervösem Husten behafteten 
Patienten das Athmen über der Fossa supraspinata beträchtlich abgeschwächt sei, 
mitunter den vesikulären Charakter ganz verloren habe und unbestimmt oder hauchend 
erscheine, ja oft durch reichliches klangloses, kleinblasiges oder knisterndes Rasseln 
verdeckt sei. Rosenbach bezieht dies darauf, dass durch die häufigen starken 
Exspirationsstösse ein leichterer Grad von Atelektasenbildung oder Kollaps der 
einzelnen wegen ihrer geringeren Ausdehnungsfähigkeit hierzu disponierten Lungen¬ 
spitzen bewirkt werde, wodurch die oben erwähnte Veränderung des Athemgeräusches 
hervorgerufen werde. Diese Möglichkeit der Erklärung soll keineswegs in Zweifel 
gezogen werden, umsomehr als die anhaltend krampfhafte Innervation der Auxiliar¬ 
muskulatur sowohl bei der In- als Exspiration eine entsprechende Durchlüftung der 
Lungenspitzen wesentlich erschwert. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass — 
wovon noch später die Rede sein wird — gerade bei allen Fällen von nervösem 
Husten dem Zustande der Lungenspitzen ganz besondere Beachtung geschenkt werden 
müsse, da der Krampf husten in vielen Fällen der Vorläufer einer Lungenerkrankung 
sei. Auch bei dieser Patientin hatte sich später und zwar nach etwa '/« Jahre ein 
deutlicher Lungenspitzenkatarrh, wenn auch ohne Temperatursteigerung etabliert. 

Nachdem in der vorher erwähnten Weise die Mandelpfröpfe entfernt, und die 
Athemübungen vorgenommen worden waren, sollte der Ausgangspunkt des Reflex¬ 
hustens zum Gegenstände der Behandlung werden. Hierbei stellte es sich heraus, 
dass beim einfachen Berühren der betreffenden Stelle mit einer Sonde oder bei An¬ 
wendung eines Häckchens behufs gründlicher Entfernung etwa noch vorhandener 
Beste von Mandelpfröpfchen sofort der Krampfhusten wieder in heftiger Weise auf- 


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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 375 

trat Durch vorausgehende Athemiibungen gelang es die Intensität der Anfälle wesent¬ 
lich zu mildern und unter strenger Durchführung dieser systematischen Uebungen 
konnten schliesslich die empfindlichen Stellen berührt und sogar mit Lapis geätzt 
werden, ohne dass der Hustenanfall wieder aufgetreten wäre. 

Nachdem die Patientin mehrere Monate seither vom Husten verschont geblieben 
war, trat derselbe neuerdings auf und wiederum hatte sich an der betreffenden Stelle 
ein Mandelstein gebildet. Wenngleich die lokale Behandlung mit grösster Wahr¬ 
scheinlichkeit wieder sofortige Behebung dieses lästigen Symptomes in Aussicht stellte, 
so sollte doch zunächst der Versuch gemacht werden, auch ohne gänzliche Entfernung 
der lokalen Ursache durch systematische Athemübungen die Reflexerregbarkeit herab¬ 
zusetzen. Um einen suggestiven Einfluss zur Unterstützung heranzuziehen, wurde 
nur ein ganz kleines Mandelsteinchen entfernt, der Rest jedoch darinnen belassen 
und mit den Athemübungen intensiv begonnen. Dabei ergab es sich, dass trotz Fort¬ 
bestehens des lokalen Reizes durch Einschleifen der Hemmungsbahnen die hierdurch 
ausgelöste Reflexerscheinung zum Verschwinden gebracht werden konnte. Erst nachher 
wurden die restlichen Theile der Mandelsteine entfernt, ohne dass neuerdings der 
Hustenkrampf auftrat, der sich schliesslich auch dann nicht mehr einstellte, als nach 
einiger Zeit wiederum Mandelsteine vorhanden waren. 

Die indessen noch immer vorhandene erhöhte Erregbarkeit des Hustenzentrums 
trat wiederum später zu Tage, als nach längerer Zeit ein diffuser Bronchialkatarrh 
mit den deutlichen Anzeichen eines Lungenspitzenkatarrhes sich einstellte. Der Husten, 
welcher zuerst in Charakter und Intensität jenem bei Bronchialkatarrh völlig ent¬ 
sprach, nahm später den bellenden Ton an, welcher dem früher beobachteten auf¬ 
fallend ähnelte. Auch neuerlich gelang es, den nunmehr ebenfalls nächtlicherweise 
im Schlafe fortbestehenden Husten durch die bekannten und vorwaltend inspira¬ 
torischen Athemübungen zu beheben und den Husten auf den katarrhalischen zu 
beschränken. 

Nach mehrmonatlicher Dauer und einer sehr erfolgreich durchgeführten Mast¬ 
kur waren auch die Zeichen des Lungenspitzenkatharrhes geschwunden, und die 
Patientin erschien von diesen lästigen Symptomen gänzlich befreit. 

Die Auslösung des nervösen Hustens vom Genitale aus gehört, wie bereits bei 
Beobachtung II flüchtig erwähnt wurde, gleichfalls zu den bekannten Thatsachen. 
Bei der Beurtheilung dieser Fälle ist jedoch mit der grössten Vorsicht vorzugehen, 
und nur jene Fälle sind als sicher reflektorisch vom Genitale ausgelöste zu be¬ 
trachten, bei denen, wie z. B. in zwei von Profanter 1 ) geschilderten Fällen, durch 
direkte Genitaluntersuchung der Husten jedesmal ausgelöst wird. 

Gegen derartige Auffassungen, dass selbst ein psychisches Trauma bei Frauen 
vielfach erst auf dem Umwege des Genitalapparates durch Auslösung einer Reflex¬ 
neurose schädigend wirke, muss entschieden Stellung genommen werden. Solche 
unerwiesene Annahmen, welche den Sitz der Erkrankung ohne hinreichenden Grund 
in die Genitalien verlegten, haben zu mancherlei unnützen Operationen geführt, deren 
günstiger Erfolg auf einen rein suggestiven Einfluss zurückzuführen war, denen aber 
vielfache Misserfolge oder schwere Schädigungen der Kranken gegenüberstehen. 

Als Beispiel sei hier auf einen Fall verwiesen, wo ein 2(1 jähriges hysterisches 
Mädchen wegen eines fast vier Jahre bestehenden nervösen Hiistelns, wodurch auch 
die Sprache erschwert und beeinträchtigt wurde, zuerst von Hack in der Nase und 


\) Paul Profanter, lieber Tussis uterina. Wien 


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im Halse behandelt, hierauf von Hegar erfolglos laparotomiert worden war und 
schliesslich durch einfache psychische Behandlung mit Respirationsübungen geheilt 
wurde. Ein ernstes Memento ist ferner die Erfahrung Engelmann’s über einen 
angeblichen Reflexhusten bei einem Mädchen, dessen Ausgangspunkte in die Ovarien 
verlegt wurde, weshalb man zur Entfernung der Ovarien schritt. Einige Tage nach 
der Operation erfolgte der Tod der Patientin; die Sektion ergab völlig normalen 
Befund der Brustorgane. 

Wird demnach vielfach fälschlich der Ausgangspunkt des Hustens in das Genitale 
verlegt, so ist andererseits ebenso erwiesen, dass zur Zeit der Menstruation bereit« 
bestehende nervöse Hustenanfälle an Intensität zunehmen (Beobachtung VIII), gleich¬ 
wie der nervöse Husten ausschliesslich zur Zeit der Menstruation einsetzen kann. 

Den spärlichen Beobachtungen über nervösen Husten zur Zeit der Menstruation 
(Müller) können wir aus eigener Erfahrung einen selbstbeobachteten Fall anfügen. 
Die geringe Zahl diesbezüglicher Beobachtungen könnte den Gedanken nahe legen, 
dass diese ,Fälle zu den grössten Seltenheiten gehören. Zum Theil mag sich die 
geringe Zahl der Beobachtungen dadurch erklären, dass der nur einige Tage an¬ 
haltende charakterische Husten selbst von den hiervon Befallenen nicht berück¬ 
sichtigt wird. Der von uns beobachtete Fall betraf eine 37jährige Hysterika, welche 
in buntem Wechsel alle hysterischen Stückchen spielte. Besonders zur Zeit der 
Menses war die Erregbarkeit eine hochgradig gesteigerte, gegen welche die Patientin 
mit der ihr zu Gebote stehenden Energie anzukämpfen suchte. Allgemeine Krämpfe. 
Erbrechen, vasomotorische Störungen, flüchtige Oedeme waren die konstanten Begleit¬ 
erscheinungen, welche durch mehr als ein Jahr zur ständigen Kontrolle der Patientin 
während der Menses geführt hatten. In diesem bunten Wechsel war auch mehrmals 
nervöser Husten aufgetreten, der zu Beginn der Menstruation einsetzte und mit dem 
Nachlassen der menstruellen Blutung sistierte. Der flüchtige Charakter dieser Kr- 
scheinung hatte eine therapeutische Beeinflussung nicht nothwendig gemacht. 

Aehnlich wie die Menstruation giebt auch die Gravidität die Ursache für 
nervösen Husten ab. Ob es sich im ersteren Falle bloss um eine Folge der zu 
dieser Zeit gesteigerten Erregbarkeit oder um einen von der IJterusmucosa aus¬ 
gelösten Beflexhusten handelt., möge dahin gestellt bleiben. Dass ein solcher von da 
aus wirklich ausgelöst. werden könne, scheinen die Fälle von Nonat und Martincau 
zu bestätigen. Ebenso mag es dahin gestellt bleiben, welche Faktoren bei der 
Gravidität hustenauslösend wirken, ob die passive Ueberdehnung des Uterus über 
das aktive Wachsthum, ob gezerrte minimale perimetritische Adhäsionen oder die 
Veränderungen der Utcrusmucosa. 

Beobachtung IX. Die eine Patientin bekam die Hustenanfälle gegen Abend, und die¬ 
selben dauerten als kontinuierlicher, beiläulig alle 1—2 Minuten sich wiederholender Husten 
etwa zwei Stunden. Der Hustcnanfall trat nur auf, wenn die betreffende Frau zu Hause 
verweilte und blieb aus, wenn sie sich zu dieser Zeit im Freien bewegte. Atheinübuugen 
behoben diesen Husten nach mehreren Tagen; derselbe stellte sich auch dann nicht mehr 
ein, als die betreffende Frau entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit zur kritischen Zeit allein 
zu TIause verweilte. Mehrfach setzte im weiteren Verlaufe der sonst gänzlich normalen 
Gravidität der Husten noch ein, wurde aber stets auf diese Weise im Anfänge unterdrückt. 
Hervorgehoben sei die weitere Thatsache, dass der Angabe des Mannes zufolge der Husten* 
anfall stets beim Coitus, schliesslich beim blossen Versuche einsetzte, weshalb naturgemäß 
davon Abstand genommen wurde. 

Weit intensiver und schwieriger zu beheben war der Hustenanfall bei der zweiten 
Patientin. Die Gravidität war besonders in der ersten Hälfte mit häutigem Erbrechen und 
grossem körperlichen Unbehagen verbunden, sonst war dieselbe normal. Da setzte ohne 


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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 


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direkte veranlassende Ursache ein heftiger Hustenreiz ein, sowie sich die betreffende Frau 
abends zu Bette legte. t)a selbstverständlich an einen vom Genitale, wahrscheinlich durch 
eine im Liegen bedingte Lageveränderung des Uterus, ausgehenden reflektorischen Husten 
gedacht wurde, versuchte man zunächst durch geringe Lageveränderungen, wie z. B. rechte, 
linke Seitenlage, Rückenlage, den Husten zu beeinflussen, welcher Versuch erfolglos blieb. 
Aufsitzen im Bette hatte eine Verminderung des Hustenreizes zur Folge, doch sistierte der 
Husten nicht und sowie sich die Frau wieder niederlegte, begann derselbe, einerlei ob der 
Kopf hoch oder tief lag, wieder von neuem. Die einzelnen Hustenstösse, welche den 
Charakter eines heiseren, nicht zu lauten Crouphustens hatten, wiederholten sich rasch 
nach einander und hielten auch dann unverändert an, als die Frau einzuschlafen begann. 
Erst im tiefen Schlafe sistierten dieselben. Besonders hervorgehoben sei es, dass sonst 
beim Liegen tagsüber Hustenreiz sich nicht einstellte. Dieser Zustand dauerte einige 
Tage, als plötzlich der Hustenanfall eine solche Verschlimmerung erfuhr, dass derselbe trotz 
versuchter Durchführung der ärztlicherseits empfohlenen Athemübungen nicht zu beheben 
war. Da diese spontan durchgeführten Athemübungen nicht zum Ziele führten, wurden 
dieselben nunmehr unter ärztlicher Leitung vorgenommen, wobei die Patientin den Auftrag 
erhielt, tief zu inspirieren, den hierbei auftretenden Hustenreiz zu unterdrücken und bei 
jeder Exspiration im Takte 1, 2 zu zählen, um durch die Eintönigkeit des Zählens günstige 
Bedingungen für das Einschlafen zu schaffen. Letzteres wurde hierdurch wohl erreicht, da 
die sehr ermüdete Patientin in leisen Schlummer verfiel und hierbei automatisch und schliess¬ 
lich nicht in richtiger Reihenfolge weiter zählte, allein die Hustenstösse persistierten auch 
im Halbschlummer nicht und hielten auch ‘dann an, als man die Patientin versuchsweise 
in tieferen Schlaf kommen liess. Zur Durchführung neuerlicher Athemübungen wurde 
Patientin bei jedesmaligem Einschlummern geweckt. Dass die bereits sehr ermüdete Patientin 
über diese Behandlungsmethode recht ungehalten war und vor allem Ruhe verlangte, war 
wohl eine leicht begreifliche Folge. Allem diesem jedoch durfte seitens des Arztes keine 
Beachtung geschenkt werden. Nach mehreren Stunden systematischer Athemübungen war 
zunächst insofern ein Erfolg zu sehen, als die einzelnen Hustenstösse seltener erfolgten und 
bald nach dem Eintreten leisen Schlummers sistierten. Auch jetzt wurden die Uebungen 
in ganz gleicher Weise konsequent fortgesetzt, bis endlich in den Morgenstunden der Husten 
gänzlich behoben war. Damit erschien auch die Patientin genesen, und im weiteren Ver¬ 
folge der Gravidität traten nie mehr ähnliche Anfälle in Erscheinung. 

Beobachtung XI (bloss referiert). Nicht ganz belanglos und vielleicht sogar in einem 
ätiologischen Zusammenhänge damit stehend dürfte die Thatsache sein, dass einige Jahre 
vorher bei einer Freundin der Patientin ähnliche nächtliche Hustenanfälle eingesetzt 
hatten, wobei dieselbe ihrer Freundin hilfreich zur Seite gestanden war. Bei dieser damals 
im Beginne der zwanziger Jahre stehenden Dame waren heftige Gemtithsaufregungen voraus¬ 
gegangen, und allnächtlich begann nach mehreren Stunden des Schlafes ein ganz ähnlicher, 
mit rhythmischen Hustenstössen verbundener Krampf husten, welcher der gelieferten Be¬ 
schreibung zufolge den Charakter des hohlen Hustens Schwindsüchtiger an sich trug. Diese 
nächtlicherweise auftretenden Anfälle wiederholten sich mehrere Nächte hintereinander, 
sistierten dann einige Zeit und stellten sich wiederum periodisch ein. Ob diesbezüglich 
ein Konnex mit der Menstruation bestand, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Die 
Patientin selbst war auf ein Mittel verfallen, welches der von uns durchgeftihrten Uebungs- 
therapie sehr ähnlich war; dasselbe bestand darin, dass sie nach dem Aufsitzen im Bette, 
in welcher Position sie weiterhin verharrte, zumeist gedörrte Pflaumen langsam und rhyth¬ 
misch kaute. Gedörrtes Obst eignete sich nach Angabe der Patientin hierzu am besten. 
Die Kaubewegungen erfolgten in der Weise, dass die Patientin rhythmisch langsam den 
Mund weit öffnete und dann ebenso rhythmisch Kaubewegungen folgen liess. Auf diese 
Weise gelang es, den einzelnen Anfall jeweilig zum Verschwinden zu bringen, doch traten 
später mehrfach solche Hustenperioden wieder auf, sobald sich neuerliche psychische Auf¬ 
regungen ergeben hatten. Schliesslich verh eirathete sich das zarte, etwas anämische Fräulein 
und war nach dreijähriger Ehe glückliche Mutter von vier kräftigen Kindern, darunter einem 
Zwillingspärchen, ohne dass sich ein ähnlicher Hustenanfall jemals wieder eingestellt hätte. 

Dieser letzterer Fall ist im Gegensätze zu den früheren, welche bezüglich ihrer 
Entstehung zum mindesten theilweise als reflektorisch bedingte aufzufassen sind, ein 

Zeitechr. t diät u. physik. Therapie Bd. V. Heft 5. 26 


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37 8 Rudolf Funke 

ausschliesslich durch psychische Einflüsse hervorgerufener, also ein durch eine zentrale 
Erregung bedingter. Dass auch bei dem reflektorisch bedingten nervösen Husten 
das psychische Verhalten auf die Intensität und die Dauer von grossem Einflüsse 
ist, haben wir gleichfalls mehrfach an den vorerwähnten Fällen gesehen. Aufregungen 
steigern alle solche Anfälle, ebenso wie interkurrente Vorgänge im Organismus, 
welche zu gesteigerter Erregbarkeit führen, wie z. B. das Eintreten der Menses, in 
gleicher Weise sich bemerkbar machen. Es ist deshalb auch Aufgabe der Therapie 
diesem Momente Rechnung zu tragen und beruhigend und willensstärkend auf die 
Patienten einzuwirken. 

In gewisser Hinsicht leichter, hinsichtlich dauernder Erfolge jedoch schwerer 
zu beeinflussen ist der auf ausschliesslich psychischem Wege ausgelöste nervöse 
Husten. War dort mit der Behebung des Symptomes des Hustens zum grossen 
Theile bereits die Heilung erfolgt, so gilt es in den letztgenannten Fällen weit mehr, 
die aus dem ruhigen Gleichgewichte gebrachte Psyche wieder in normale Bahnen zu 
lenken und durch Schulung des Gedankenablaufes, des Willens sowie durch ent¬ 
sprechende körperliche Kräftigung die abnorme Impressionabilität zu beseitigen und 
den bewussten Willen wieder in den Vordergrund zu stellen. 

Die übrigen von uns beobachteten Fülle zentral ausgelösten, kontinuierlichen Hustens 
waren entweder durch Schreck oder heftige Gemüthserschütterungen bedingt und betrafen 
im ersteren Falle Kinder im Alter zwischen 10 und 14 Jahren. (Beobachtungsgruppe XII.) 
Die Ursache war zumeist eine geringfügige, wie z. B. Anbellen des Kindes durch einen 
Hund, Erschrecken durch Mitschüler, welche sich versteckt hatten und plötzlich aus ihrem 
Verstecke hervorsprangen. In einem Falle war es angeblich darauf zurückzuführen, dass 
ein des Schwimmens unkundiges Kind bei kühler Witterung ins Wasser stürzte und sich 
eine mit heftigem katarrhalischem Husten verbundene Erkältung zuzog, nach deren Ablauf 
der Husten fortbestehen blieb. Auch länger dauernde Gemüthsaufregungen, z. B. Furcht 
vor Strafe wegen eines voraussichtlich schlechten Schulzeugnisses waren bei einem Kinde 
ursächlich beschuldigt worden. Nebst Hustenanfällen bei Kindern sahen wir solche bei 
erwachsenen Mädchen, z. B. infolge von Liebesgram (Beobachtungsgruppe XIII) und zwar 
bei zwei Freundinnen, die im Beginne der 20 er Jahre standen, und welche beide von diesem 
Uebel heimgesucht worden waren. Dieselben erkrankten fast gleichzeitig unter vollkommen 
gleichen Symptomen. Als die erste auf der Klinik Heilung gefunden hatte, erschien die 
zweite mit ihrer Freundin, wobei die zuerst geheilte Patientin neuerlich in so heftige Auf¬ 
regung gerieth, dass der Husten wieder von neuem einsetzte und erst nach intensiven Heil¬ 
versuchen beseitigt werden konnte. 

Schrötter will diese Erkrankung, welche sehr häufig bei Kindern im Alter 
von 8 —14 Jahren auftritt, von den durch Hysterie bedingten Formen abtrennen und 
hat speziell jene Fälle, die mit Zuckungen in anderen Muskelgebieten (Runzeln der 
Stirne, Schütteln des Kopfes und dergl.) einhergehen, als Chorea laryngis bezeichnet 

Der Begriff der Chorea laryngis hat vielfache Erweiterung erfahren, indem 
jeder nervöse Husten des Pubcrtätsalters auch zur Chorea laryngis gerechnet wurde, 
falls derselbe mit Zuckungen in anderen Muskelgruppen verbunden war. M. Schmidt 
wendet sich gegen diese Auffassung und weist darauf hin, dass unmöglich z. B. jene 
Fälle von nervösem Husten bei jugendlichen Individuen hierher gerechnet werden 
können, welche etwa durch Fremdkörper im Ohre bedingt sind, auch wenn dieselben 
mit sonstigen Zuckungen verbunden sind, und will diesen Namen für jene Fälle Vorbe¬ 
halten wissen, bei denen sich analog mehreren, gleichfalls von Schrötter undNicot 
beschriebenen Fällen im Verlaufe des nervösen Hustens choreatische Erscheinungen 
in den anderen Muskelgebieten des Körpers eingestellt hatten. 

Auch bei den von uns beobachteten Fällen von nervösem Husten bei Kindern 


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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 379 

(Beobachtungsgruppe XII) war derselbe mitunter mit verschiedenen Zuckungen ver¬ 
gesellschaftet. Der echten Chorea solche Fälle zuzurechnen, konnten wir uns nicht 
entschliessen, umsomehr als diese Kinder allerdings nur zum Theile deutliche Zeichen 
von Hysterie darboten. Mit Gottstein möchten wir aber auch jene ohne direkte 
Stigmata der Hysterie einhergehenden Fälle derselben zurechnen. Gottstein 
hat ferner mit Recht darauf hingewiesen, dass diese Zuckungen deshalb nicht als 
choreatische s. str. aufzufassen sind, weil das Charakteristische der Chorea in den 
anormalen Mitbewegungen bei der beabsichtigten Ausführung willkürlicher koordina- 
torischer Aktionen bestehe. Für diese Anschauung führt Gottstein noch die gerade 
bei diesen Fällen so ausserordentlich günstige Beeinflussung durch psychische Be¬ 
handlung und Willensausbildung an; wenngleich wir von der Vorzüglichkeit dieser 
Methoden gerade bei Hysterie überzeugt sind, wie aus unseren Ausführungen zur 
Genüge ersichtlich ist, möchten wir diesem Umstande allerdings nicht den Werth 
eines differentialdiagnostischen Momentes beimessen, da auch unsere eigenen Erfah¬ 
rungen uns eine gleich gute Wirkung bei der emotionellen Form der echten Chorea 
erbracht haben. 

Nachdem wir im vorhergehenden über die von uns beobachteten und behandelten 
Fälle zum Theile möglichst ausführlich berichtet haben, mögen im folgenden all¬ 
gemeine Gesichtspunkte erörtert werden, von denen aus bei der Behandlung des 
nervösen Hustens vorzugehen ist. 

Bezüglich der medikamentösen Behandlung bat bekanntlich bereits Lasögue 
die Nutzlosigkeit der bekannten Medikamente hervorgehoben, ebenso wie Ryhle 1 ) 
bemerkt, dass dieser Husten nur selten durch Medikamente gebessert wurde. 

Allgemein gewarnt wird vor der Anwendung von Narcoticis, welche unter 
anderen Gottstein für unwirksam hält, während Schmidt mit Recht darauf hin¬ 
weist, dass man damit seinen Zweck nicht nur nicht erreicht, sondern rasch zu 
Dosen fortschreiten muss, welche dem Organismus direkt schädlich sind. Bei den 
mit Zuckungen verbundenen Fällen will Gottstein von Arsenpräparaten Nutzen ge¬ 
sehen haben, während Schmidt in einem kalten Aufgusse der zerschnittenen Valeriana- 
wurzel oder im Chininum valerianicum zweckdienliche Heilmittel erblickt. Schrötter 
empfiehlt grosse Chinindosen. Ein unterstützendes Mittel sind zweifelsohne bei 
Patienten mit stark erhöhter Reflexerregbarkeit die Brompräparate, wie auch robo- 
rierende Mittel und solche, welche die Blutbildung befördern, bei anämischen und 
körperlich reduzierten Patienten zu empfehlen sind. 

Für kalte Begiessungen des Kopfes und Rückens im lauen Bade plaidiert 
Schrötter, während Linkenheld von der Anwendung der unvermutheten kalten 
Douche ebenfalls Nutzen sah. Wie kalte unvermuthete Douchen wurde auch mehr¬ 
fach die unvermuthete Anwendung starker faradischer Ströme auf den Rücken mittels 
elektrischen Pinsels gerühmt. Diese Kraftmittel mögen wohl gelegentlich zum Ziele 
geführt haben. Eine derartige Schrecktherapie indessen bei Patienten mit empfind¬ 
lichem Nervensysteme systematisch zu inaugurieren, fällt doch immerhin in das 
Gebiet der medicina crudelis, und nur zu leicht kann hierbei eine anderweitige ernste 
Schädigung erfolgen. 

Empfehlenswerth sind alle jene Maassnahmen, welche die Widerstandsfähigkeit 
erhöhen, mag es sich um strammere Erziehung, um Hydrotherapie, Heilgymnastik 
oder entsprechende Elektrisation handeln. Dass speziell bei Kindern Unthätigkeit 



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380 Rudolf Funke 


vermieden werden muss und dass insbesondere bei jenen, welche wegen dieses Zu¬ 
standes dem Schulunterrichte fern bleiben müssen, eine entsprechende Beschättigungs- 
behandlung Platz zu greifen hat, erscheint als ein selbstverständliches Gebot 

Hinsichtlich der operativen Behandlung wird sogleich unser Standpunkt er¬ 
örtert werden. 

Bei Einleitung der Behandlung ist vor allem die Klarstellung der Aetiologie 
von Wichtigkeit, in welcher Hinsicht zunächst die Frage des reflektorischen oder 
des zentral ausgelösten Hustens entschieden werden muss. 

Die Eruierung der den Hustenreflex auslösenden Stelle wird entweder vom 
Patienten selbst durch sein Empfinden erleichtert, oder sie muss durch gründliche 
Untersuchung seitens des Arztes erfolgen. Ist dieselbe genau ermittelt, so kann der 
Versuch gemacht werden, dieselbe entweder durch Anästhesierung mittels Kokains 
oder durch leichte, oberflächliche Aetzungen empfindungslos zu machen. Fremdkörper 
erfordern naturgemäss sofortige Entfernung, vorhandene örtliche Leiden sofortige 
Behandlung. Operative Eingriffe ohne sichere Kenntniss der Reflex auslösenden 
Ursache erscheinen unstatthaft, besonders, wenn dieselben eine bleibende Schädigung 
nach sich ziehen könnten. Vereinzelte Erfahrungen, wie z. B. jene von Hack, wo 
nach einer einzigen Alauneinblasung bei einem alten Manne ein bereits seit mehreren 
Jahren bestehender Husten plötzlich behoben wurde, berechtigen sicherlich zu keinerlei 
chirurgischer Polypragmasie, zumal ja in einem solchen Falle hierdurch wahrschein¬ 
lich ein suggestiver Heilerfolg erzielt wurde. M. Schmidt glaubt bei sehr hart¬ 
näckigen Fällen auch ohne auffällige Hyperästhesie, die Nasenätzung vornehmen zu 
sollen. Wir möchten dies jedenfalls nur als ultimum refugium erst nach dem Fehl¬ 
schlagen aller anderen therapeutischen Maassnahmen betrachten. 

Obwohl es möglich ist, durch solche Eingriffe selbst lang bestandenen Husten 
gänzlich zu beheben, erscheint es doch selbst in diesen Fällen behufs Sicherung der 
Heilung noch wünschenswerth, die von v. Leyden, Rosenbach u. a. empfohlene 
psychische und Uebungsbehandlung damit zu verknüpfen. Dabei erhebt sich die 
Frage, wie die zeitliche Aufeinanderfolge von Operations- und Uebungsbehandlung 
sich gestalten soll. Handelt es sich um einmalige operative Eingriffe, wie z. B. beim 
Entfernen eines Fremdkörpers, so ist dieselbe sofort nachher zu beginnen. Dort, 
wo jedoch, wie z. B. bei Nasenoperationen oder bei Massage des Unterleibes eine 
längere Behandlungsdauer erforderlich ist, oder wo es sich um einen öfter wieder¬ 
kehrenden Grund, wie z. B. Mandelsteine handelt, soll mit der bahnenden und 
hemmenden Athmungsgymnastik möglichst bald begonnen werden. Bei der unter 
Beobachtung II verzeichneten Patientin hatten wir, allerdings bei keinem Falle von 
reinem Reflexhusten, bei gleichzeitig durchgeführter operativer Nasenbehandlung 
Gelegenheit zu sehen, dass der Husten durch die Uebungstherapie intensiver und 
rascher beeinflusst wurde als durch die lokale Behandlung der Nase. Die Beobach¬ 
tung VIII ist hierfür ein weiterer Beleg, indem beim späteren Einsetzen des Reizes 
(Speichelstein) durch die Uebungstherapie der Hustenreiz behoben wurde, trotzdem 
die primäre Ursache vorhanden war. 

Liegt ein Fall von zentral ausgelöstem Husten vor, so ist es die Aufgabe des 
behandelnden Arztes unter strenger Individualisierung allen jenen Momenten Be¬ 
achtung zu schenken, welche hinsichtlich des seelischen Zustandes und der Willens¬ 
beschaffenheit des Patienten nothwendig erscheinen. 

Nach Fixierung der Diagnose erscheint es zunächst nothwendig, sich über den 
Lungenbefund sehr genau zu orientieren. Die Beobachtung Gottstein’s geht dahin, 


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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 381 

dass ein krampfhafter, stundenlang dauernder, mehrfach im Tage sich wiederholender, 
oder wie Treupel meint, nur des Morgens auftretender Husten mit allen charakte¬ 
ristischen Eigenthümlichkeiten des nervösen Hustens im ersten Stadium der 
Phthise sich einstelle, zu einer Zeit, wo durch die physikalische Untersuchung des 
Thorax noch kein weiterer Anhaltspunkt für diesen Zustand gegeben ist. 

Wir verfügen unter Hinweis auf Beobachtung VIII noch über zwei selbst be¬ 
obachtete Fälle, welche Frauen anfangs der vierziger Jahre betreffen: 

Beobachtung XV. Bei der einen Patientin bestanden die Hustenanfälle nur früh¬ 
morgens, und zwar erwachte dieselbe regelmässig zwischen 4 und 5 Uhr früh infolge eines 
sehr starken Hustenreizes, welcher sich bis zum heftigsten Hustenanfall steigerte. Auch 
wir waren mit Rücksicht auf mehrfache nervöse Erscheinungen der sicheren Meinung, dass 
cs sich um einen ausschliesslich nervösen Husten handle, und wurden darin bestärkt, als 
sich dieser Zustand durch systematische Athemübungen und dadurch besserte, dass der 
Patientin nach dem Erwachen gleichzeitig mit den sofort beginnenden Athemzügen warmes 
Emser Wasser gereicht wurde. Auffallend und mit den sonstigen Beobachtungen nicht ganz 
harmonierend war die häufige Wiederkehr der Hustenanfälle, nachdem dieselben meist 
einige Wochen ausgesetzt hatten. Nach überstandener Influenza traten dieselben jedoch 
viel intensiver auf, abendliche Temperatursteigerungen gesellten sich hinzu, und über den 
Lungenspitzen entwickelten sich deutliche Zeichen der Infiltration. 

Beobachtung XVI. Die zweite Patientin war eine sehr korpulente Dame, bei welcher 
Hustenanfälle morgens, aber auch tagsüber auftraten. Nach fast einjähriger Dauer der 
Beobachtung, während deren der Husten gleichfalls mehrfach wiederkehrte, bot die noch 
jetzt in Behandlung stehende Frau alle Symptome einer beginnenden Lungenspitzen¬ 
infiltration dar. 

Der Untersuchung der Lunge ist demnach bei nervösem Husten und zumeist 
bei den mit Krampf husten verbundenen Anfällen die grösste Aufmerksamkeit zu¬ 
zuwenden, und in zweifelhaften Fällen ist eine diesbezügliche Behandlung einzuleiten, 
die in diesem Stadium wohl nur eine vorbeugend diätetische sein kann, auf welche 
überdies in allen Fällen von nervösem Husten das grösste Gewicht zu legen ist. 

In diagnostischer Beziehung sei hervorgehoben, dass mehrmalige Rezidive, 
welche bei zentral ausgelöstem Husten ohne bestimmte Ursache wiederkehren, den 
Gedanken einer beginnenden Lungenaffektion nahclegen. 

Dass der Zustand der Lungenspitzen deshalb besondere Beachtung verdient, ist 
eine naturgemässe Forderung. Bei Beobachtung VIII wurde auf diesbezügliche Be¬ 
obachtungen Rosenbach’s und auf seine Erklärungen des abgeschwächten Athmens 
und der Rasselgeräusche hingewiesen. Am erspriesslichsten wäre es wohl, wie sonst 
immer, jede auskultatorische Aenderung des Athmungsgeräusches auf eine beginnende 
Lungenaffektion zu beziehen. 

Nebst dem Lungenbefunde ist der Respiration besondere Beachtung zu 
schenken. Bei den von uns beobachteten Fällen boten einzelne sowohl hinsichtlich 
der Frequenz und des Rhythmus, sowie hinsichtlich des Athmungstypus beim 
Athmen und Husten normale Verhältnisse dar. Bei einigen Fällen von anfallsweise 
auftretendem Krampfhusten bestanden Unregelmässigkeiten im Rhythmus und der 
Tiefe der Respiration analog den bei Hysterie bekannten. 

Auffälliger als die Abweichungen hinsichtlich des Rhythmus waren jene be¬ 
züglich des Athmungstypus. Es kommen nebst entsprechenden Uebergängen 
vorwaltend zwei Kategorieen derartiger Störungen in Betracht: 

Die erste sahen wir sowohl bei Kindern, wie bei Erwachsenen, ein Verhalten, 
welches, wie schon erwähnt, Rosenbach bereits beschrieben hat. Der Thorax be¬ 
findet sich in einer Art Exspirationsstellung, aus welcher derselbe auch bei den ein- 


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382 iiudolf Funke 

zelnen Hustenstössen nicht herauskommt, da beim Hustenstosse vorwaltend die 
oberen Bauchmuskeln in Verwendung kommen. Dabei befinden sich die Auxiliar- 
muskeln im Zustande leichter Kontraktion und erschlaffen nie so vollkommen, wie 
es bei der normalen Athmung der Fall sein soll. Die Thoraxexkursionen sind nach 
allen Dimensionen hin sehr geringe, was auch in der Schwäche des Exspirations¬ 
stromes sowohl beim Athmen als auch Husten seinen Ausdruck findet. 

Bei der zweiten Kategorie, welche zumeist beim reflektorisch ausgelösten Husten, 
und zwar beim reflektorisch vom Kehlkopfe ausgelösten Husten zur Beobachtung ge¬ 
langt, handelt es sich vorwaltend um forcierte Schliisselbeinathmung mit krampf¬ 
hafter inspiratorischer Anspannung der äusseren, den Kehlkopf fixierenden Muskeln. 
Das Athmungsvolumen ist naturgemäss auch hierbei ein sehr geringes, der Ex¬ 
spirationsstrom gleichfalls von verminderter Stärke. Während beim erstgenannten 
Typus die Hustenstosse bei massig angespannter Auxiliarmuskulatnr erfolgen, vor¬ 
waltend durch Kontraktion der Bauchmuskulatur, konnten wir im zweiten Falle mit¬ 
unter das fast gerade entgegengesetzte Verhalten beobachten, indem bei kontinuierlich 
mässig kontrahierter Bauchmuskulatur vorwaltend durch Thätigkeit der an der Klavikula 
sich inserierenden Muskulatur die Exkursionen des Brustkorbes erfolgten. 

Auf die in dem einen Falle fast kontinuierlich ein wenig kontrahierte, im 
anderen Falle rhythmisch intensiv arbeitende Halsmuskulatur bei ungenügender In¬ 
anspruchnahme der eigentlichen Athmungsmuskulatur möchten wir auch die von 
Rosenbach erwähnte Thatsache beziehen, dass das inspiratorische Athmen in der 
Fossa supraspinata beträchtlich abgeschwächt erscheint, indem es unter diesen Ver¬ 
hältnissen naturgemäss nur zu einer sehr ungenügenden Betheiligung der Lungen¬ 
spitzen an der Athmung kommt, welche sich infolge der Spannung der über ihnen 
befindlichen Muskulatur nicht frei entfalten können. In dieser ungenügenden Be¬ 
theiligung der Lungenspitzen an der Athmung mag vielleicht auch die Ursache für 
die gleichzeitigen Spitzenaffektionen gelegen sein. 

Der forcierten Schlüsselbeinathmung, bezw. der ununterbrochenen Anspannung 
der Hals- und Kehlkopfmuskulatur kommt vielleicht auch noch als reizauslösendes 
Moment eine Bedeutung zu. Bekanntlich führt diese Art der Respiration bei Sängern 
zu rascher Ermüdung und zu mehrfach einsetzendem Hustenreiz. Hiervon kann sich 
jeder selbst überzeugen, der die Halsmuskulatur in der früher bezeichneten Weise 
angespannt hält. Nach einiger Zeit tritt ein leichtes Fremdkörpergefühl im Halse 
auf, welches zumal bei bestehendem leichten Katarrh direkt in einen Hustenreiz 
übergeht. Diesem Umstande mag es wahrscheinlich in einer Anzahl von Fällen zu¬ 
zuschreiben sein, dass die verordneten Athemübungen erfolglos bleiben bloss des¬ 
wegen, weil hierbei die unrichtige Muskelinnervation fortbesteht. 

Bei einigen der beobachteten Fälle war die Betheiligung der Halsmuskulatur 
und speziell des Platysma myoides eine so beträchtliche, dass es daselbst zu ryth¬ 
mischen Zuckungen kam, weshalb es in einem solchen Falle geradezu berechtigt 
wäre, von einer Chorea rhythmica laryngis mit spezieller Betheiligung des Platysma 
myoides zu sprechen. 

Die Grundbedingung für eine dauernde Heilung besteht nun darin, diese 
falsche Athmung möglichst rasch zu beheben. Interessant ist es, wie leicht 
dies mitunter in allerkürzester Zeit gelingt, trotzdem die betreffenden Patienten diese 
Art zu athmen seit langer Zeit ausschliesslich in Verwendung gezogen haben. Das 
Wichtigste ist es hierbei, dem Patienten die Art der Störung zum Bewusstsein 
zu bringen und ihm mit sinnfälligen Mitteln klar zu machen, wie er eigentlich 


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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 383 

richtig athmen müsse. Wie so oft, begegnen wir auch hier der noch vielfach nicht 
genügend gewürdigten Thatsache, dass es sich speziell bei nervösen Erkrankungs¬ 
formen als Hauptbedingung darstellt, dem Kranken die Art der Störung zum Be¬ 
wusstsein zu bringen, und dass damit vielfach der Weg zur Heilung ganz spontan 
angebahnt ist. 

Der Weg, den wir hierbei einschlagen, gleicht einer vielfach von Gesangslehrern 
geübten Methode, welche ihre Schüler anweisen, durch Auflegen der Hände auf die 
Brust und den Kehlkopf des Lehrers ohne lange theoretische Erläuterungen die 
richtigen Athmungsbewegungen und die richtige Resonanz des Tones auch durch die 
Tastempfindung kennen zu lernen. 

Ueber drei Thatsachen muss der Patient in jedem Falle orientiert werden: 
1. über die zu geringen seitlichen Exkursionen des Thorax und die unrichtige bezw. 
ungenügende Betheiligung der Bauchmuskulatur; 2. über die unrichtige und schäd¬ 
liche Mitbetheiligung der Halsmuskulatur, zumeist verbunden mit Schulterhebung, 
und 3. über die ungenügende Stärke des Expirationsstromes. 

Ist ein grosser Spiegel zur Hand, in welchem der Patient seinen ganzen Ober¬ 
körper übersehen kann, so ist es sehr erfolgreich, demselben die Störungen direkt 
zu demonstrieren unter gleichzeitigem Auflegen der Hände des Kranken auf die seit¬ 
lichen Thoraxpartieen des tief und langsam athmenden Arztes. Bei sehr starker Mit¬ 
betheiligung der Halsmuskulatur an der Athmung nehmen die Patienten ferner eine 
etwas nach vorne übergeneigte Haltung des Kopfes ein, weshalb eine stramme mili¬ 
tärische Haltung als richtige Ausgangstellung für solche Athemgymnastik zu be¬ 
trachten ist. Nun wird dem Patienten zum Bewusstsein gebracht, wie schwach sein 
Exspirationsstrom sowohl beim Athmen, als auch beim Husten ist. Dies geschieht 
auf sehr einfache Weise dadurch, dass der Patient seine zweckmässiger Weise etwas 
angefeuchteten Finger vor seinen Mund hält, sowohl während er athmet, als während 
er hustet. Vergleichsweise wird derselbe angehalten, das Gleiche zu thun, während 
der Arzt exspiriert und hustet. Der Unterschied für den Patienten ist meist ein 
so sinnfälliger, dass er nach mehreren diesbezüglichen Versuchen darüber orientiert 
ist, in welchem Sinne er seine Athmung zu ändern hat. Beim nunmehrigen Beginne 
der Athemübungen hat der Arzt darauf zu achten, dass die Athmung ganz genau 
über Kommando erfolgt, welches so eingerichtet wird, dass von der seichten und 
langsamen Athmung allmählich zu tieferen und rascheren Inspirationen übergegangen 
wird. Dabei ist es weiterhin zur Unterstützung mitunter empfehlenswerth, die 
Kranken nicht tonlos exspirieren zu lassen, sondern dem Exspirium ein »ch«, »ha« 
oder »cha« unterzulegen. 

Diese Athemübungen führen mehr oder weniger rasch zu dem angestrebten 
Ziele. Unsere diesbezüglichen Erfahrungen gehen dahin, dass es Patienten giebt, 
welche den Unterschied sofort erfassen und schon nach wenigen Athemzügen völlig 
richtig athmen und sofort berichten, dass sie die Erleichterung und Annehmlichkeit 
des richtigen Athmens sehr wohlthuend empfinden. Die Freude des Arztes wird 
jedoch im weiteren Verlaufe sehr bald herabgestimmt, denn gerade diese Kategorie 
ist es, welche durch mehrmaligen Rückfall in den alten Fehler dem Arzte am meisten 
zu schaffen giebt. Trotz der leichten Auffassung gelingt es sehr schwer, den Pa¬ 
tienten die richtige Art zu athmen dauernd beizubringen, indem die in ihrer Auf¬ 
fassung etwas leichtfertigen Kranken bei jedesmaliger Vornahme der Athemübungen 
dem Arzte ein: »Ich weiss es schon« entgegensetzen und es keineswegs zur angenehm¬ 
sten Seite der ärztlichen Thätigkcit gehört, einem Kranken klarzumachen, dass er 


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384 Rudolf Funke 


das, was er weiss, auch wirklich konsequent zur Anwendung bringen müsse. Gerade 
bei dieser Kategorie von Kranken ist es nothwendig, die Athemübungen bis zum 
Ueberdrusse des Patienten fortzusetzen und noch länger dauernde und intensivere 
in Aussicht zu stellen, falls der erzielte Erfolg nicht ein dauernder sein sollte. 

So leicht es einerseits gelingen kann, wie durch eine Offenbarung den Athmungs- 
typus mit einem Schlage im Sinne der Norm zu ändern, so ist es andrerseits oft 
mit den grössten Schwierigkeiten verbunden. Trotz des besten Willens und gehörigen 
Verständnisses innervieren die Kranken immer wieder die unrichtigen Muskeln und 
es zeigen sich die drolligsten Bilder von Unbeholfenheit bei den ernsthaften Ver¬ 
suchen dieser Patienten, richtig zu athmen. Obzwar es keinem Zweifeil unterliegt, 
dass es ausschliesslich auf diesem Wege gelingen muss, die richtige Athmung herbei¬ 
zuführen, erscheint es doch mitunter geboten, den Kranken diese Aufgabe zu erleich¬ 
tern, umsomehr als es gerade bei dieser Behandlung darauf ankommt, den Athmungs- 
typus rasch zu ändern. Ausgezeichnete Dienste leistet in einem solchen Falle die 
graphische Verzeichnung der Athmung, welche besser als alle anderen Methoden 
dem Kranken sein unzweckmässiges und unrichtiges Athmen veranschaulicht. Wir 
haben uns vielfach dieser Uebungsart bedient, ohne zu wissen, dass Gad dieselbe 
vorher bereits in ganz ähnlicher Weise zu therapeutischen Zwecken erfolgreich in 
Verwendung gezogen hatte. Hierbei empfiehlt es sich, den Athmungssack, welcher 
die Respirationen durch Luftübertragung einer mässig empfindlichen Marey’schen 
Schreibtrommel übermittelt, möglichst tief in der Magengrube anzubringen, um gerade 
die Exkursionen der unteren Thoraxpartieen, auf welche es vorwaltend ankommt, 
registrieren und dem Kranken demonstrieren zu können. Die Einstellung des Re¬ 
gistrierapparates muss eine solche sein, das es gelingt möglichst hohe Athemkurven 
zu erhalten. Der Kranke wird nun angehalten, Athemübungen vorzunehmen, während 
er die von ihm gezeichneten Kurven betrachtet und muss, um die gewünschte Höhe 
der Kurven zu erreichen, tief inspirieren, wodurch er die eigentlichen Athmungs- 
muskeln in Thätigkeit zu setzen gezwungen ist. Sowie der Patient in seinen alten 
Fehler verfällt, wird dies wiederum vom Apparate verzeichnet, und die stetige und 
feine Kontrolle verhindert einen Rückfall in den falschen früheren Respirationstypus. 

Bei diesen Athemübungen kommt es ferner darauf an, dass vorwaltend die 
Inspiration ziemlich energisch erfolge, während die Exspiration hauptsächlich durcli 
Erschlaffung der vorher innervierten Muskeln mehr weniger passiv vor sich gehen 
soll. Dies erscheint deshalb geboten, weil bei den Exspirationsstössen des Hustens 
in einzelnen der von uns beobachteten Fälle die Muskulatur, und besonders beim 
Schlüsselbeinathmungstypus die Schlüsselbein- und Schultermuskulatur stark inner- 
viert wurde, hauptsächlich aber deshalb, weil auch beim gewöhnlichen Athmen dieser 
Patienten im Exspirium die Halsmuskulatur angespannt wird. Die Spannung besteht 
mitunter auch beim einfachen Sprechen oder beim Singen fort, in welchem Falle 
die Stimme einen gequetschten Charakter annimmt. 

Zweckdienlich ist es, nach diesen elementaren Athemübungen zu Uebungen mit 
Einschaltung von Athempausen überzugehen und die Frequenz der Athmung zu 
variieren. 

Diese Athemübungen sind die Vorbedingung zur eigentlichen Athem- 
gymnastik, welche auf die Beseitigung des Hustens hinzielt. Mitunter 
freilich gelingt es ohne weitere Maassnahmen, nur durch diese Respirationsübungen 
den Husten zu beheben. 

Die Beseitigung des Hustens erfolgt auf die Weise, dass der hemmende Einfluss 


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Zur Behandlung des nervösen Hustens. 


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des Willens ausgelöst wild. Je länger ein solcher nervöser Husten dauert, desto 
machtloser ist der Kranke dagegen oder richtiger für desto machtloser hält sich der 
Patient, destoweniger Energie bringt er auf, um sie dem unwiderstehlichen Husten¬ 
reize entgegen zu setzen. Es gilt deshalb auch bezüglich des in Rede stehenden 
nervösen Hustens, wie bezüglich aller auf ähnliche Weise entstehender nervösen 
Symptome überhaupt, dieselben womöglich sofort nach ihrem Entstehen zu beheben, 
denn mit der längeren Dauer ihres Bestandes schleifen sich die Bahnen, welche 
hierfür in Betracht kommen, immer mehr ein, während die Bahnen des hemmenden 
Willens mit der Dauer ihrer Ausschaltung immer schwerer wegsam werden. 

Der hemmende Einfluss des Willens wird gerade beim nervösen Husten sowohl 
vom Arzte, wie auch vom richtig empfindenden Laien mehrfach angestrebt und der 
Patient aufgefordert »den Husten zu unterdrücken«. Das Resultat ist in den meisten 
Fällen ein durchaus negatives. Beim Versuche, den Husten zurückzuhalten, presst 
zumeist der Patient stark, wiederum unter Anspannung der Halsmuskulatur und for- 
zierter Exspirationsstellung, wodurch erfahrungsgemäss der Hustenreiz noch eine 
weitere Steigerung erfährt. Misslingt dieser Versuch, von welchem der Arzt die 
feste Ueberzeugung hat, dass er gelingen könne, da das subjektive Moment des 
Willenseinflusses interferiert, so wird der Patient noch intensiver und energischer 
aufgefordert, dem Verlangen des Arztes nachzukommen. Der Erfolg bleibt diesmal 
bei noch grösserer Anstrengung des Patienten in gesteigertem Maasse aus, und bald 
entwickelt sich auf diesem Wege ein Antagonismus zwischen Patienten und Arzt, da 
ersterer sich missverstanden fühlt und infolge des Ausbleibens des Erfolges an der 
Richtigkeit der ärztlichen Verordnung zweifelt, während der Arzt wiederum den 
guten Willen und das ernste Streben des Patienten in Frage stellt. Und doch 
haben eigentlich beide recht: Der Kranke, welcher behauptet, den Husten auf diese 
Weise nicht unterdrücken zu können und der Arzt, welcher überzeugt ist, dass der 
Kranke durch Willensanspannung den Husten unterdrücken könne. Der Misserfolg 
ist jedoch eigentlich Schuld des Arztes, welcher dem Patienten nicht den Weg vor¬ 
schreibt, auf dem das angestrebte Ziel zu erreichen ist. 

Es ist anzustreben, die Behebung des Hustens in einer, womöglich gleich in 
der ersten Sitzung zu beheben. Das wird nur bei sehr leicht suggestiblen Patienten 
möglich sein und wird in vielen Fällen durch die Unmöglichkeit, den Zustand so¬ 
fort richtig aufzufassen, verhindert. Auch in dieser Hinsicht eignen sich voraus¬ 
gehende Athemübungen, welche es ermöglichen, dass der Arzt den Patienten mit 
allen seinen Eigenthümlichkeiten kennen lernen kann. Ist der Arzt völlig orientiert 
und seiner Sache gewiss, dann eröffnet er dem Kranken, dass in der unmittelbar 
anzuschliessenden Sitzung der Husten verschwinden müsse und sofort wird damit 
begonnen. Eingeleitet durch Athemübungen und den Auftrag, absolut nicht zu husten, 
ergiebt sich mitunter ein harter Kampf, der nicht früher beendet werden darf, bevor 
nicht das Ziel erreicht ist. Ein einmaliges Misslingen macht den betreffenden Arzt 
zur weiteren Behandlung wenig geeignet, es sei denn, dass er rechtzeitig, ohne dass 
es der Kranke merkt, einzulenken versteht, um gleich am nächsten Tage energievoll 
•das Begonnene zu vollenden. Dabei ist es bei Patienten, denen infolge vielfacher 
vorausgegangener Misserfolge der Aerzte, wovon die meisten unserer Patienten viel 
zu erzählen wussten, oder bei den völlig gleichgiltigen nothwendig, zu erklären, dass 
die Heilsitzung nicht eher seitens des Arztes beendet werden wird, bevor nicht der 
versprochene Erfolg erzielt ist, wodurch dem Kranken der Ernst der Situation vor 
Augen geführt wird. Wir fügen auch in jedem Falle noch die weitere Behauptung 


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386 Rudolf Fuuke 

und Mahnung hinzu, dass auf die Raschheit des Kurerfolges vor allem der ehrliche, 
feste Wille des Patienten von grösstem Einfluss ist und dass ein Erfolg nur bei 
nicht genügend gutem Willen des Kranken zweifelhaft wäre, in welchem Falle der 
Arzt sofort alle Heilversuche abbrechen und den Kranken weiterhin sich selbst über¬ 
lassen würde. 

Für den nervösen Husten hatte Gottstein ganz ähnliche Uebungen angerathen, 
wie wir solche gleichfalls seit langer Zeit in Anwendung zogen, eine Methode, welche 
sich bei der natürlichen Auffassung des Hustens ganz von selbst ergiebt. Wie tJott- 
stein betont, ist es nothwendig, tief Athem zu holen und den Athem anhalten zu 
lassen und dies besonders in jenem Momente, in welchem der Hustenreiz einsetzt. 
Da sich der Kranke dem Hustenreize willenlos unterordnet und beim leisesten Husten¬ 
reize reagiert, bedarf es hierbei entsprechender psychischer Beeinflussung in energischer 
Weise, und am besten gelingt dies auch in dem Falle, wenn der Arzt, vor dem Patienten 
sitzend, zählt und in jenem Tempo hörbar tief athmet, welches im jeweiligen Falle 
nothwendig erscheint. Wie schon früher in dieser Zeitschrift bei Besprechung der 
Behandlung der Abasie und Astasie unsererseits hervorgehoben wurde, wird die Durch¬ 
führung der Uebungen dadurch wesentlich erleichtert, wenn der Patient aufgefordert 
wird, während der Athemübungen die Augen des Arztes fest zu fixieren, auf welche 
Weise es bei ungetheilter Hingabe und konzentrierter Aufmerksamkeit seitens des 
Arztes weit eher gelingt, den Kranken zu beeinflussen und dem Willen des Arztes 
unterzuordnen. 

Den tiefen Respirationen und dem Verharren in Inspirationsstellung kommt be¬ 
züglich des Hustens ein gewaltiger hemmender Einfluss zu, der vielleicht auch auf 
dem Wege der sensiblen Vagusfasern der Lunge vermittelt wird. Unterstützt wird 
dieser hemmende Einfluss vielfach durch leichte sensible Reize von der Mundschleim¬ 
haut aus, von denen man gelegentlich in Form verschiedenartiger Anfeuchtungsmittel 
mit einem bestimmten Geschmacke, z. B. mit Menthol, unterstützend Gebrauch 
machen kann. 

Nicht in allen Fällen gelingt es damit, mit einem Schlage den Husten zu be¬ 
heben. Offenbar ist in diesen Fällen die Reizschwelle der reflexvermittelnden Bahnen 
eine so niedrige, dass der geringste Reiz zur Auslösung des Hustenreflexes Ver¬ 
anlassung giebt. Um die reflexhemmenden Bahnen in einem solchen Falle möglichst 
wegsam zu machen, empfehlen sich neben kräftiger Willensbeeinflussung vor allem 
streng rhythmische Bewegungen, wie solche ja in den Athembewegungen von 
selbst gegeben sind. Um dies zu ermöglichen, müssen die Athembewegungen zuerst 
streng auf gleichmässiges Kommando des Arztes erfolgen, und erst später wird es 
möglich und zur Befestigung des erzielten Erfolges sogar nothwendig sein, zu nicht 
streng rhythmischen, über Kommando erfolgenden arhythmischen Uebungen über¬ 
zugehen. 

Als Bewegungen solcher Art kommen ferner z. B. vor allem mit dem Athmcn 
synchrones Oeffnen und Schliessen des Mundes mit oder ohne gleichzeitigem Hervor¬ 
strecken der Zunge in Betracht. Nicht uninteressant ist es, wie in Beobachtung XI 
die betreffende Patientin selbst instinktmässig auf dieses wirksame Mittel verfallen ist. 

Unbedingt nothwendig sind solche Mitbewegungen bei den als Chorea laryngis 
verzeichneten Fällen. Wohl ist es nothwendig und wichtig, die Patienten auf¬ 
zufordern, die Bewegungen durch einen festen Willensentschluss zu unterdrücken, 
was auch in einer Anzahl von Fällen gewiss genügen wird. In einer Zahl von Fällen 
wird man jedoch damit sein Auslangen nicht finden, einestheils weil der schwache 


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Zur Behandluug dos nervösen Hustens. 387 

und mangelhaft geschulte Willensimpuls ungenügend ist, anderestheils deshalb, weil 
bei Beseitigung der Bewegungen in einer Muskelgruppe durch die Willenskraft die¬ 
selben in anderen Gruppen auftreten. Hier giebt es kein besseres Mittel, als bei 
gleichzeitigen Athembewegungen über Kommando verschiedene Muskelgruppen ab¬ 
wechselnd und unvermittelt in Thätigkeit zu setzen. 

Bei Krampfformen, welche sich auf verschiedene Muskelgruppen erstrecken, 
wirkt bekanntlich die gewaltsame Lösung des Krampfes in einem wenn auch kleinen 
Muskelgebiete hemmend auf die Krämpfe in anderen Muskelgebieten und bringt die¬ 
selben rasch zum Verschwinden. Ob dabei der damit verbundene sensible Reiz auch 
eine hemmende Wirkung entfaltet, oder ob der Hemmungseinfluss nur durch motorische 
Bahnen vermittelt wird, mag dahingestellt bleiben. 

Eine ganz gleiche Erfahrung kann man auch beim nervösen Krampfhusten unter 
Mitbetheiligung der Hals- und Schultermuskulatur machen, indem man während des 
Husteuanfalles analog dem Naegeli’schen Handgriffe den Unterkiefer rasch und 
kräftig nach unten und vorne zieht. Wie mit einem Schlage kann Hustenkrampf 
und Krampf der übrigen Muskulatur behoben sein. Naegeli erblickt die Wirkung 
dieses Verfahrens darin, dass hierdurch mechanisch die Spannung der Halsmuskulatur 
gelöst und durch das gleichzeitige Heben von Kehlkopf und Zungenbein, wie dies das 
Lüften des Unterkiefers bewirkt, der Kehldeckel geöffnet und die Stimmbänder ent¬ 
spannt werden. 

Auf diese Weise ist es uns in allen Fällen, unter denen sich auch sehr hart¬ 
näckige und schwer zu beeinflussende befanden, gelungen, den nervösen Husten zu 
beseitigen. An Konsequenz und Ernst darf es hierbei naturgemäss nicht fehlen. 

Ist der nervöse Husten beseitigt, so bedarf der betreffende Patient noch längere 
Zeit der führenden Hand und der Kontrolle des Arztes, um jegliches Rezidiv, jeg¬ 
liches Sichgehenlassen im Keime zu ersticken. Ebenso wichtig ißt es, durch ent¬ 
sprechende diätetische Maassnahmen oder Bäderbehandlung den Ernährungs¬ 
zustand möglichst zu heben. Zu diesem Zwecke ist eine angemessene Luft¬ 
veränderung gleichfalls oft sehr empfehlenswerth, besonders dort, wo z.B., wie 
bei Beobachtung II, die unmittelbare Heimkehr wieder jene Verhältnisse bedingen 
würde, welche sich als Ursache der Erkrankung darstellten. Reize und Reizmittel 
jeder Art müssen ferngehalten werden, gleichwie Verdauungsstörungen mit Obstipation, 
Flatulenz und gleichzeitiger Indikanurie vermieden werden müssen, ebenso wie speziell 
bei Kindern auch nach dem Sistieren des Hustens der Anwesenheit von Helminthen 
Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. v 

Die bahnende und hemmende Uebungstherapie, welche die angemessene Psycho¬ 
therapie in sich schliesst, giebt die Mittel an die Hand, den nervösen Husten zu be¬ 
seitigen. Gegenüber den anderen Behandlungsmethoden mit ihren oft unberechen¬ 
baren Folgen stellt sie sich in der Hand des individualisierenden Arztes als eine 
werthvolle erziehliche Heilmethode dar, welche bei richtiger Anwendung den Arzt 
sicherlich nicht im Stiche lassen wird. 

Zum Schlüsse meiner Darlegungen fühle ich mich gedrängt, meinem hoch¬ 
verehrten Lehrer, Herrn Hofrath Professor Pribram, für die freundliche Unter¬ 
stützung und die Ueberlassung mehrerer Fälle meinen ergebensten Dank abzustatten. 


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388 


C. E. Daniels 


TT. 

Die Thermometrie am Krankenbette. 

Historische Aufzeichnungen 

von 

Dr. C. E. Daniels, 

Amsterdam. 

Borsq’on voit tant de resultats obtenus par le 
seul secours d’un peu de mercure enferme dans un 
tube de verre, et qu’on sor.g'e qu’un morceau de fer 
suspendu sur un pivot a fait ddcouvrir le nouveau 
moude, on congoit que rieu de ce qui peut agrandir 
et perfectionner les sens de Thomme, ne doit 8tre 
pris en legöre consideration. BioL 

Schon fünf Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung haben die Aerzte, wie sich 
aus den Schriften des Hippokrates ergiebt, der Wärme des Körpers besondere Auf¬ 
merksamkeit gewidmet. Sie sahen in ihr nicht nur die unzertrennliche Gefährtin des 
Lebens, sondern auch die Verkünderin der Gesundheit, und schrieben jede Störung 
in dieser dem Wechsel der Körperwärme zu. 

Und als man nun beobachtet hatte, dass es eine Abweichung vom normalen 
Zustande giebt, die stets verbunden ist mit bedeutender Erhöhung der Körperwärme, 
so lag es auf der Hand, dass man derselben den Namen mper/ig oder -öpi^tg (von 
-op d. h. Feuer), oder febris (von fervere, d. h. brennen), das deutsche Fieber, gab. 

Schon sehr früh bildete das Fieber den Gegenstand der ausgedehntesten Unter¬ 
suchungen, denn es erregte Aufmerksamkeit, dass der Kranke sich um so unbehag¬ 
licher fühlt, je mehr die Wärme in ihm zunimmt, sodass man diese allmählich als 
einen Maassstab für die Krankheit zu betrachten anting, nach welchem man den 
grösseren oder geringeren Ernst des Zustandes zu beurtheilen vermöge. Denn wie¬ 
wohl man die Heftigkeit des Fiebers zur Zeit des Hippokrates auch schon nach 
dem Pulse bestimmte 1 ), so wurde doch die Wärme des Patienten dabei gebührend 
in Betracht gezogen und durch die Betastung geschätzt. Allein schon vor ungefähr 
1900 Jahren wurden Stimmen laut, welche entschieden davor warnten, dass man 
dieser Wärme einen allzu grossen Werth beilege, nach deren Quelle und Sitz ja die 
Aerzte und Physiologen aller Zeiten von Hippokrates bis in die Mitte des 19. Jahr¬ 
hunderts mit dem grössten Eifer geforscht haben. 

Cornelius Celsus (?—80 n. Chr.) u. a. bezweifelte, ob das Fieber wirklich stets 
verbunden sei mit einer bedeutenden Erhöhung der Körperwärme. »Es giebt noch 
einen anderen Umstand«, sagte er, »auf den wir rechnen, die Körperwärme, aber 
die kann sehr täuschen. Sie entsteht ja auch durch Sommerhitze, durch die Arbeit, 


>) »Interim tarnen ex pluribus Hippocratis locis patet, quod et pulsus exploraverit in aegris 
et ex pulsu de febris inagnitudinc judicaverit« sagt unser Landsmann G. van Swieten in seinen 
Commcntaria in II. Boerhaave, Aphorisraos (Taurini 1747), Tom. II pars prima S. 15 und 10, und 
er bekräftigt dies dann durch verschiedene Citate aus dem Coacae Praenotiones. Ich erwähne dieses 
hier, weil schon wiederholentlich, selbst noch in unseren Tagen, darüber Zweifel geäussert worden 
sind und zwar nach meiner Meinung ganz unbegründete. 


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389 


Die Thermometrie am Krankenbette. 

den Schlaf, die Furcht, die Sorgen« '). Und da er zur Erkennung des Fiebers auch 
dem Pulse allein nicht traute, »weil dieser oft langsamer oder schneller wird durch 
das Alter, das Geschlecht und die Natur des Körpers, und auch durch die Sonne, 
durch Anstrengung und Furcht, durch Zorn und verschiedene Gemüthsbewegungen«, 
kommt er zu dem Resultate, dass man bei jenen beiden Erkennungsmitteln auf die¬ 
selben Schwierigkeiten stösst. Deshalb sagt er auch, dass Anwesenheit zu grosser 
Wärme bei dem Kranken allein nicht genüge, um Fieber zu konstatieren; hierzu 
müssen noch viele andere Zeichen von gestörten Funktionen daneben wahrgenommen 
werden können 2 ). 

Auf Grund jenes von Celsus konstatierten Einflusses der Gemüthsbewegungen 
auf die Pulsfrequenz giebt er allen Aerzten einen Rath. Diese goldene Lehre um¬ 
fasst ein ganzes Kapitel ärztlicher Verhaltungsregeln und ist sicherlich noch ebenso 
wahr, als da sie ausgesprochen wurde; sie hat in den achtzehn Jahrhunderten nichts 
von ihrem Werthe verloren. Deshalb wünsche ich ihr hier ein Plätzchen einzuräumen 
zu Nutz und Frommen aller, die sie lesen werden, und mit dem Wunsche, dass die 
jüngeren, und vielleicht auch älteren Kollegen sich ihrer täglich erinnern mögen. 
Sie lautet im Originale also: »Adeo ut, cum primum medicus venit, sollicitudo 
aegri dubitantis, quomodo illi se habere videatur, eas (venas) moveat. Ob quam 
causam periti medici est, non protinus ut venit apprehendere manu brachium, sed 
primum residere hilari vultu, percunctarique quemadmodum se habeat, et si quis 
ejus metus est, eum probabili sermone lenire, tum deinde ejus carpo manum ad- 
movere. Quas antem venas conspectus medici movet, quam facile mille res turbant!« 

In der Uebersetzung also: Sodass, wenn der Arzt eintritt, die Ungewissheit des 
Kranken, welchen Eindruck er auf den Arzt machen werde, den Puls in Bewegung 
bringt, beschleunigt. Weshalb ein kluger Arzt verpflichtet ist, nicht sofort nach 
seiner Ankunft die Hand nach dem Pulse auszustrecken, sondern mit heiterer Miene 
sitzen zu bleiben und zu fra en, wie sich der Kranke befinde, und wenn dieser viel¬ 
leicht etwas ängstlich ist, ihn durch freundlichen Zuspruch zu beruhigen und erst 
dann die Hand zu erfassen. Denn wie leicht kann ja der durch den Anblick des 
Arztes beschleunigte Pulsschlag grosse Verwirrung erzeugen! — Bekanntlich geben 
die Franzosen dieser Pulsfrequenz den eigenthümlichen Namen »pouls du mödecin«. 

Claudius Galenus (128—198 n. Chr.), dessen Lehren mehr als 12 Jahrhunderte 
als Gesetzbuch für medicinisches Denken galten, sah dagegen in der erhöhten Körper¬ 
wärme das bedeutsamste Kennzeichen, ja das Wesen des Fiebers. Das Fieber ist, 
sagte er, die Umsetzung der angeborenen Wärme in eine mehr brennende Hitze, 
welche dadurch entsteht, dass die inwendig zurückgehaltene Wärme verhindert wird, 
herauszutreten. 

Der Sitz der Wärme ist nach seiner Meinung im Herzen; von da .aus verbreitet 
der Puls die Wärme durch den ganzen Körper. Darum giebt der Puls den Wärme¬ 
grad an*). 

Die Beobachtung dieser Fieberwärme geschah, auch zu Galenus Zeit, nur da¬ 
durch, dass man die Hände auf die Brust des Kranken legte; besonders wollte man 
dadurch die Art der Wärme kennen lernen. »Ist sie brennend«, sagt er, »so wird 
man sehen, dass es Fieber ist, selbst bevor man noch den Puls gefühlt hat« <)• Aus- 

J) van S’wieten, L c., S. 14. 

2 ) van Swieten, 1. c., S. 13 u. 14. 

3 ) P. Lorain, Etudes de medocine cliniquc I. S. 58— CI. 

Galeni, Synopsis librorum suorum de pulsibus Bd. 9. Kap. 41. S. 475. 



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390 


C. E. Daniels 


Fig. 67. 



drücklich wurde dabei jedoch vorgeschrieben, dass die Hände des Beobachters nicht 
zu kalt sein durften. 

Das von Celsus geäusserte Bedenken gegen die erhöhte Wärme als Kenn¬ 
zeichen des Fiebers wird von Galenus nicht verneint, wohl aber beschränkt durch 

die Definition; »wenn die Wärme so ausserordentlich zu¬ 
genommen hat, dass sie den Menschen belästigt und ihn 
an seiner Thätigkeit behindert, so ist Fieber vorhanden. 
Wir sprechen jedoch nicht von Fieber, wenn die vermehrte 
Wärme, so hoch sie auch gestiegen sei, keinen Nachtheil 
verursacht ')• 

Eine fast gleichlautende Auffassung wird später auch 
von dem berühmten arabischen Arzte Avicenna (980 bis 
1037) in seinem Kanon ausgesprochen; »nur die Fieber¬ 
wärme Ubt einen schädlichen Einfluss auf die natürlichen 
Funktionen aus«, sagt er. 

Der erste, welcher sich mit Wärmemessung am 
Krankenbette beschäftigt hat, ist Sanctori us-Sancto- 
rius (1561 — 1636), Professor der Medicin zu Padua, Ver¬ 
fasser des berühmten Buches: De Statica Medicina. Ihm 
gebührt der Name des Erfinders der klinischen Thermo- 
metrie. Er, der alles wägen und messen wollte und sich 
nur mit in Zahlen ausdrückbaren Resultaten begnügte, 
konnte sich mit der bisher befolgten Methode, Puls und 
Wärme mit der Hand zu fühlen, nicht befreunden. Er 
wollte ein Instrument haben, das mit strenger Objektivität 
angäbe, wie schnell das Herz klopft, und wieviel Wärme 
sich dabei entwickelt. Für ersteren Zweck erfand er, ohne 
Zweifel unter dem Einflüsse von Gallilei’s Pendel¬ 
versuchen, ein Sphvgmometer oder Pulsilogium. Es ist 
eine bleierne Kugel, welche an einem in der Hand ge¬ 
haltenen Faden hängt, der unter dem Einflüsse der Blut¬ 
bewegung an einer in Grade eingetheilten Skala Schwin¬ 
gungen macht. Hiermit maass er die Schnelligkeit des 
Pulses in gesunden Tagen; »darnach können wir in Tagen 
der Krankheit beobachten, wie gross die Verringerung 
des natürlichen Zustandes ist, was bei der Erkennung, 
Prognose und Behandlung einer Krankheit von höchster 
Bedeutung ist«. 

Behufs Bestimmung der Körperwärme verfertigte ei 
| ein anderes Instrument, das er auf folgende Weise be- 
l schreibt: Es ist ein Glasgefäss, womit wir bequem alle 

'Stunden die kalte oder warme Temperatur messen und 

mit vollkommener Genauigkeit wahrnehmen können, wie¬ 
viel,;die Temperatur von der vorher gemessenen natürlichen Wärme abweicht (Fig. 67). 
Dieses Gefäss ist von Hero zu einem anderen Zwecke empfohlen; wir haben es 

jedoch abgeändert, um die Wärme aller Körpertheile kennen zu lernen und um den 



!) van Swictcn, 1. t\, S. 15. 


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Die Therraometrie am Krankenbette. 


391 



Wärmegrad der Fieberkranken zu unterscheiden, was auf zwei Weisen stattlinden 
kann. Erstens, wenn die Kranken das kugelförmige Ende des Instrumentes mit der 
Hand umfassen; und zweitens wenn sie dieses Ende vor den offenen Mund halten 
und darauf hauchen. In beiden Fällen geschieht dieses während einer gewissen, 
mit dem Pulsilogium gemessenen 

Zeit, z. B. in zehn oder mehr 68 - 

Pulsschlägen, um den nächsten 
Tag sehen zu können, ob das 
Wasser in derselben Zeit wieder 
ebenso hoch steigt, wenn der 
Kranke abermals dasselbe thut; 
daraus können wir schliessen, ob 
sich der Kranke in einem besse¬ 
ren oder in einem schlechteren 
Zustande befindet, sowie die 
Unterschiede erkennen, welche 
so klein sind, dass die Aerzte 
sie ohne Instrumente nicht wahr¬ 
nehmen können, was denn zur 
Folge hat, dass sie in der Er¬ 
kennung, der Vorherbestimmung 

und der Behandlung gewöhnlich nur blindlings darauf los gehen (»inde in cognitione, 
praedictione et curatione hallucinantur«) 1 ). 

Aber, fährt Sanctorius fort, in dem Buche über die Instrumente werden 
wir noch verschiedene Abbildungen von Glasinstrumenten geben, die demselben 
Zwecke dienen. Diese werden dann in dem Index instrumentorum angeführt als 
>Instrumenta quibus dimetimur caliditatis febrilis gradus«, so dass die Meinung des 
Verfassers keinen Zweifel übrig lässt. Für den Gebrauch der zwei wichtigsten In¬ 
strumente giebt er folgende Anweisung: Der Patient nimmt den kugel¬ 
förmigen oberen Theil (Fig. 68) während einer bestimmten Anzahl von 
Pulsschlägen in den Mund. Dadurch wird das Wasser in dem Instrumente, 
je nachdem die Wärme des Herzens grösser ist, mehr und mehr sinken, 
und den höchsten Unterschied im Wärmegrade »ultimas graduum caloris 
differentias« angeben. Und wenn wir dies nun täglich wiederholen, werden 
wir erkennen, ob die Wärme des Herzens zu- oder abnimmt; und dieses 
ist von sehr grossem Interesse, besonders bei der Behandlung von Fieber¬ 
kranken. 

Das zweite Instrument unterscheidet sich von dem hier beschriebenen 
sowohl in seiner Form wie in der Weise des Gebrauches. Zunächst ist 
die Glasröhre hier gerade, hat eine eingetheilte Skala daneben, und am 
oberen Ende entweder die Form einer halben Kugel (Fig. 69), oder die 
einer eingedrückten Kugel (Fig. 70). Das Instrument mit der Halbkugel hat den 
Zweck, mit der flachen Seite in der Herzgegend oder an irgend einem anderen 
Körpertheile angelegt zu werden; dasjenige mit der eingedrückten Kugel muss mit 
der hohlen Seite vor den Mund gehalten werden, und dann muss einmal kräftig 


Fig. 09. 


i) Sanctorii-Sanetorii, C'omraentaria in primain fen primi libri Canonis A v i c e n n ae 
(Vonetiis MDCLX). S. 31, 32. 


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C. E. Daniels 


392 


darein gehaucht werden (»semel et vehementer expirando ore aperto in partem supe- 
riorem vitri quae concava est«), wodurch das Wasser mehr oder weniger steigen 
wird . . . Auch durch dieses Instrument können wir die Körperwärme und nament¬ 
lich die Fieberwärme von einem Tage zum anderen, und selbst von einem Paroxys- 

mus zum anderen, mit einander vergleichen, wodurch wir 
mit Sicherheit die Zu- oder Abnahme der Fieberhitze und 
die Anzahl Grade derselben kennen lernen. 

' Zu richtigem Verständniss der von Sanctorius mit- 
getheilten Einzelheiten sei hier erwähnt, dass die von ihm 
benutzten Thermometer sämmtlich Luftthermometer waren. 
Die Kugel wird durch die Hände, irgend einen anderen 
Körpertheil oder die ausgeathmetc Luft des Kranken erwärmt 
und die darin befindliche Luft also ausgedehnt; gleich darauf 
wird die mit der Kugel verbundene Glasröhre in ein mit 
kaltem Wasser gefülltes Gefäss gesteckt. Bei der Verkühlung 
der Kugel steigt dann das Wasser in die Glasröhre, und die 
Höhe der Wassersäule ist dabei der Maassstab für die 
grössere oder geringere Wärme, die in der Kugel entstand 
und vom Kranken stammte. 

Aus Vorstehendem ergiebt sich meines Erachtens mit 
vollkommener Deutlichkeit, dass in der That Sanctorius als der Vater der Thermo- 
metrie am Krankenbette betrachtet werden muss. 

Mit Befremden liest man denn auch, was Wunderlich von ihm sagt 1 ), 
nämlich, dass er »der Erste war, welcher ein thermometrisches Instrument, das er 
überdcm selbst erfunden und konstruiert habe, zur Bestimmung der Eigenwärme des 
Menschen verwendete«, und dass es Erwähnung verdiene, »dass Sanctorius die 
zwei Hauptkriterien für die Aenderungen im Gesammtzustande des Organismus, 
Wärmemessung und Wägung, in ihrer Wichtigkeit erfasst hat«. 

Ich meine, dass Sanctorius wohl auf ein Wort warmer Anerkennung Anspruch 
hat; denn er sprach die Ansicht aus, dass man die Schwere, die Intensität einer 
Krankheit, namentlich bei Fieberkranken, kennen muss, wenn man sie mit Erfolg 
bekämpfen will, und wendete Mittel an, um diesen Zweck zu erreichen. Er sagt 
es ja: Lange Zeit schon haben wir erwogen, auf welche Weise und wodurch die 
Schwere der Krankheit endlich einmal erkannt werden könnte 2 ). 

Sanctorius hat in der That darnach gestrebt, sowohl die Diagnose als auch 
die Prognose fieberhafter Krankheiten von dem wechselnden, unzuverlässigen Boden 
der menschlichen Schätzung hinüber zu bringen auf den festen unwandelbaren Grund 
des von Naturgesetzen gelenkten und für Nerveneinflüsse unzugänglichen Instrumentes, 
von dessen Unfehlbarkeit er überzeugt war. »Ideo quod alii medici conjectura de 


Fig. 70. 



') C. A. Wunderlich, Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten. Leipzig 1860. S. 62- 
-) Sanctorius, 1. c., S. 28. In diesem merkwürdigen Buche, dessen erste Auflage im Jahre 
1020 zu Wien erschien, behandelt er u. a. die Frage: Inwieweit die Medicin aus Vermuthungen be¬ 
stehe oder darauf beruhe, »Qua ratione ars mcdica sit conjccturalis?«. Er giebt darauf zur Antwort, 
dass sie dies thuc in Bezug der Schwere der Krankheiten und bezüglich der Heilmittel und beruft 
sich dabei auf Galenus’ Worte: Um das richtige Heilmittel anwenden zu können, muss man nicht 
nur die Art der Krankheit kennen, sondern auch ihre Schwere; und zu dieser Kenntniss gelangt 
man, wenn man die Grösse der Abweichung vom natürlichen Zustande misst, was bis jetzt nur 
nach Muthmaassungcn geschieht. 


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Die Thermometrie am Krankenbette. 


393 

motu pulsuum percipiunt, nos merito pulsilogii cognitionem infallibilem consequi 
valemus« sagt er (S. 310). Sanctorius hat dieMedicin mit den Naturwissenschaften 
in Berührung gebracht, sie auf das Gebiet der exakten Wahrnehmung geführt. Er 
hegte Ansichten, die erst Jahrhunderte später zu ihrem Rechte kommen sollten und 
hat dadurch gezeigt, dass er seinen Zeitgenossen nur etwa 250 Jahre voraus war 1 2 ). 

So geschah es denn auch, dass mehr als hundert Jahre verstrichen, ehe sich 
wieder jemand mit der thermometrischen Untersuchung von Kranken beschäftigte. 
Zwar hatte Alfonso Borelli (1608—1679), Professor zu Messina und zu Pisa, ein 
Thermometer in die Brusthöhle eines lebenden Hirsches gesteckt, um die Wärme 
des Herzens zu bestimmen, und war dabei zu der Ueberzeugung gelangt, dass nicht 
das Herz der Hauptsitz der thierischen Wärme ist; doch dieses physiologische Experi¬ 
ment ist kein Faktum, das als zur klinischen Thermometrie gehörend betrachtet 
werden kann. Mit Unrecht ruft demnach Lorain aus: »La premiere application du 
thermometre ä la m^decine et ä la Physiologie fut donc faite par Borelli, et cette 
unique expßrience suffit pour ruiner une tMorie vieille de vingt siecles«*). 

Es wären vielleicht von Borelli, dem Stifter der iatro-mathematischen Schule, 
auf dem Gebiete der Thermometrie noch andere Mittheilungen und Beobachtungen 
zu uns gelangt, wenn nicht sein Unterricht in der Mathematik und später die Pest 
seine ganze Zeit in Anspruch genommen hätten. Und für die völlige Vernachlässi¬ 
gung, das gänzliche Ignorieren der thermometrischen Krankenuntersuchung seitens 
anderer Aerzte, lässt sich vielleicht eine Erklärung finden in den Lehren zweier 
Männer, welche nach einander auf medicinischem Gebiete damals den Ton angaben, 
es waren J. B. van Helmont und Frans de le Boe Sylvius. Weder in der 
Febrium doctrina inaudita des ersteren, noch in des letzteren chemiatrischen An¬ 
sichten vom Fieber war dem Thermometer ein Platz angewiesen. Sie bedürften des¬ 
selben nicht, weil die erhöhte Körperwärme ihnen zu sehr Nebensache war. 

Ganz anders unser grosser Landsmann Herman Boerhaave (1668—1738); von 
ihm sagt G. C. B.Suringar 3 ), dass er, »was die Grundlehren seiner Heilwissenschaft 
betrifft, zu den'Vertretern der iatro-mathematischen Theorie gehörte«; er hegte also 
vom Wesen des Fiebers eine Meinung, welche entschieden zur Anwendung des 
Thermometers hinneigte. 

So sagt er in seinem 563. Aphorismus: »In omni febre a causis internis orta 
horripilatio, pulsus velox, calor, vario febris tempore vario gradu, adsunt«. Und 
dass er diesem verschiedenen Wärmegrade beim Fieber einen bedeutenden Einfluss 

1) Id dem Biographischen Lexikon der hervorragenden Aerzto aller Zeiten und Völker hat 
L. J. Pagel in seinem Lebensabriss des Sanctorius die Worte niedergeschrieben: »Auch soll, 
nach Nclli, Sanctorius bereits eine Art von Thermometer gekannt haben, das in der Schrift: 
Commentaria in artem medicinalem Galeni (sic!) (Venedig 1612, fol.) beschrieben ist«. Wenn 
Pagel, anstatt sich auf Nelli zu verlassen, selbst die Werke des Sanctorius zur Hand genommen 
hätte, so würde er in dem Kommentar auf Avicenna die wichtigen Mittheilungen gefunden haben, 
die uns den gelehrten Sanctorius erst recht kennen lehren. Dann würde er bemerkt haben, dass 
die Heilwissenscbaft nicht nur bezüglich der Kenntniss der perspiratio insensibilis, sondern auch 
hauptsächlich in Bezug auf die Thermometrie bei Kranken dem Sanctorius grossen Dank schuldet, 
wovon man sich bis jetzt noch keine genügende Vorstellung gemacht hat. 

2 ) Lorain, a. a. 0., S. 101. 

s) G. C. B. Suringar, Het theoretisch geneeskundig onderwijs van Boerhaave, enz. in 
Nedcrl. Tijdschrift voor Geneeskunde. Jaarg. 1866. 

Zftitachr. f. diät u. physik. Thorapio Bd. V. Hoft .1. oy 



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C. E Danif'l» 


394 

zuschreibt, geht schon daraus hervor, dass er dem »Calor febrilis« nicht weniger als 
26 Aphorismen widmet, von denen der erste, der 673., lautet: Die äussere Fieber¬ 
wärme erkennt man mittels des Thermoskops, die innere durch das Gefühl des 
Kranken und durch dieRöthe des Urins (»Calor febrilis thermoscopio externus; sensu 
aegri et rubore urinae internus cognoscitur«). 

Weil nun aber in keinem der folgenden Aphorismen vom Thermoskop die Rede 
ist, und es mir auch nicht gelang, in Boerhaave’s übrigen Schriften irgend etwas 
Näheres über den Gebrauch oder die Vortheile jenes Wärmemessers zu finden, so 
erhob sich in mir die Frage, ob man wohl mit Recht unserem grossen Landsmanne 
das Verdienst zuerkennt, zuerst die klinische Thermometrie angewendet zu haben? 

Und dennoch bemerkte ich, dass hierüber die vollkommenste Uebereinstimmung 
der Ideen herrsche. 

Haeser 1 ) sagt nämlich: »Hierdurch entsteht Steigerung der Temperatur, zu 
deren Bestimmung bereits Boerhaave das Thermometer benutzte«. Wunderlich 2 ) 
schreibt: »Aber erst hundert Jahre nach ihm (Sanctorius) wurde die Wärmemessung 
wieder aufgegriffen, nachdem die Instrumente für dieselbe sich wesentlich vervoll¬ 
kommnet hatten. Es war der grosse Boerhaave, welchem dieses Verdienst zu¬ 
kommt«. Liebermeister s ) erzählt: »Nachdem unter anderen bereits Boerhaave 
und sein Kommentator van Swieten Temperaturbestimmungen bei Kranken gemacht 
hatten, wurden u. s. w.«. Da Costa Alvarenga 4 ) sagt: »Boerhaave, der die alte 
Lehre vom Fieber bekämpfte, glaubte u. s. w. Aber er hat sich doch des Thermo¬ 
meters zur Bestimmung der Wärme in Krankheiten bedient. Im Aphorismus 673 
sagt der ausgezeichnete Leidener Professor, die äussere Wärme werde durch das 
Thermometer erkannt u. s. w.«. 

Indessen lässt er darauf folgen: »Aber weder Boerhaave, noch seine Schüler 
haben uns klare Resultate ihrer Beobachtungen übertragen, woher es scheint, dass 
sie die ganze Wichtigkeit der klinischen Thermometrie nicht gekannt haben«. 

Aus dieser Mittheilung geht deutlich hervor, dass Alvarenga, sowie die 
anderen angeführten Schriftsteller, ihr Urtheil sich ausschliesslich nach dem Inhalte 
des 673. Aphorismus bildeten, und dass ihnen keine näheren Umstände von Boer¬ 
haave’s thermometrischer Thätigkeit bekannt gewesen zu sein scheinen. 

Ausserdem erregte es meine Aufmerksamkeit, dass Lorain 5 ) sich schon etwas 
weniger apodiktisch ausdrückte, als er sein Kapitel über Boerhaave mit den Worten 
begann: »Boerhaave a connu l’usage clinique du thermometre«;dassG.C.B. Suringar 
in seiner bereits angeführten klassischen Abhandlung über Boerhaave’s klinische 
Vorlesungen mit keinem einzigen Worte davon spricht, trotzdem er dessen Pvretologie 
sehr ausführlich behandelt; und dass Max Salomon, der im Biographischen 
Lexikon der hervorragenden Aerzte den Lebensabriss von Boerhaave verfasste, bei 
Besprechung der Verdienste desselben als klinischen Lehrers, sich auf folgende 
Worte beschränkt: »Sodann muss es ihm hoch angerechnet werden, dass er die 
Unterweisung der Studierenden am Krankenbette, soweit es die spärlichen Universitäts- 

M Ilaescr, Lehrbuch der Geschichte der Medicin. 3. ßoarb. Bd. 2. S. 5ü7. 

-) Wunderlich, a. a. 0 , S. 32. 

3) C. Liebcriueister, Handbuch der Pathologie und Therapie des Fiebers. Leipzig 187a. S. 29. 

i) P. F. Da Costa Al varenga, Gnindziigc der allgemeinen klinischen Thermometrie u.s. w. 
Aus dem Portugiesischen übersetzt. Stuttgart- 1873. S. 7. u. 8. 

5) Lorain, a. a. 0., S. 137. 


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Die Thermometrie am Krankenbette. 395 

mittel gestatteten, erweiterte und vervollkommnete«, und dass er dabei mit keinem 
einzigen Worte der Einführung des Thermometers am Krankenbette erwähnt. 

Da es mir jedoch scheinen will, dass jener 673. Aphorismus, auf welchen sich 
alle berufen, die in Boerhaave den Vater der klinischen Thermometrie feiern, keinen 
geuügenden Grund dazu darbietet, weil er nichts anderes enthält, als dass die äussere 
Fieberhitze mittels des Thermoskop erkannt wird, dass man sie mittels des Thermo- 
skops erkennen kann — eine Erklärung, die schon Sanctorius ungefähr in den¬ 
selben Worten abgegeben hat —, so beschloss ich, über diese Frage eine gründlichere 
Untersuchung anzustellen. 

Es war mir, wie gesagt, nicht gelungen, in Boerhaave’s eigenen Schriften 
hierüber etwas genaueres zu finden; deshalb verfolgte ich den naheliegenden Ge¬ 
danken, in den Schriften seiner Schüler zu suchen und zwar besonders in den 
Kommentaren zu seinen Aphorismen. Der erste, welcher sich an diese gewiss nicht 
leichte Aufgabe wagte, ist ein anonym gebliebener Schriftsteller, der im Jahre 1728 
unter dem Titel: Praxis medica, sive Commentarium in aphorismos H. Boerhaave 
de cognoscendis et curandis morbis, zu Padua eine Erläuterung zu den Aphorismen 
herausgab, wovon 1731 und 1738 in London ein zweiter und ein dritter Druck, und 
endlich 1745 zu Utrecht ein vierter Druck erschien. 

Darin lesen wir im § 673 folgendes: »Die Wärmeerscheinung ist so häufig in 
Fiebern, dass die hervorragendsten Aerzte behauptet haben, die Wärme mache das 
Wesen des Fiebers aus. Was die Wärme ist, wissen wir nicht; nur das ist sicher, 
dass sie in Thermoskopen die Luft ausdehnt. Falls die Fieberwärme in den äusseren 
Theilen, welche der Arzt betasten kann, ihren Sitz hat, so ist sie leicht nachzuweisen«. 

»Durch das Thermoskop. Denn meines Wissens giebt es ein unfehlbares 
Mittel, zu erfahren, ob mehr Wärme vorhanden ist als in einem gesunden Menschen. 
Zu diesem Zwecke nimmt man ein Thermoskop in die fest geschlossene Hand und 
behält es einige Zeit darin, oder, falls dies nicht genügt, steckt man es in den Mund 
und behält es einige Zeit darin, jedoch ohne durch den Mund zu athmen; so kann 
die Wärme ganz genau verzeichnet werden.« 

Aus diesem Paragraphen ergiebt sich nur, dass Boerhaave mit dem Inhalte 
des oben erwähnten Buches von Sanctorius bekannt war und dessen Ansichten 
theilte. 

Der anonyme Verfasser fügt jedoch noch etwas hinzu, das unsere Aufmerksam¬ 
keit verdient. In seiner Vorrede sagt er, dass ums Jahr 1714 verschiedene Zuhörer 
Boerhaave’s das von ihm in seinen Kollegien diktierte mit der grössten Sorgfalt auf¬ 
geschrieben und danach die Niederschriften mit einander verglichen haben; als Er- 
gebniss dieser Vergleichung entstand auf diese Weise ein vollständiger Bericht von 
seinen Vorträgen. Weil die Aphorismen ohne diese Erklärung schwer verständlich 
sind (»licet hic libellus sine his explicationibus sit valde obscurus«), so wird dieser 
Bericht von ihm veröffentlicht. Wir dürfen also annehmen, dass dasjenige, was er 
mittheilt, in der That von Boerhaave gesagt worden ist; deshalb wollen wir einen 
Augenblick dabei verweilen. Der Anonymus fährt nämlich fort: »Wenn also ein 
Arzt mit. einem derartigen Instrumente im Anfänge eines Wechselfiebers (Tertian¬ 
fiebers) die Wärme messen will, so muss er es anwenden zu derjenigen Zeit, wo der 
Kranke grössere Hitze hat, und dann wird er das Maass haben; wenn aber die Wärme 
eine innere ist, so muss dies aus dem Gefühle des Kranken erkannt werden; denn 
je grösser die Wärme inwendig ist, desto grösser ist die Kälte in den äusseren 
Theilen.« 

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396 C. E. Daniels 

Aus dieser Stelle ist also deutlich zu ersehen, dass Boerhaave die Anwendung 
des Thermoskops in der Zeit der Kälte für unnütz erachtet und verwirft, weil in 
dieser Periode die Wärme damit nicht gemessen werden kann, nach seiner 
Meinung. 

Denn so sagt er im 623. Aphorismus: »Hieraus zeigt sich, was die Fieberkälte 
bedeutet, was sie vorhersagt, und warum das Fieber um so gefährlicher ist, je 
heftiger die Kälte im Anfang des Fiebers auftritt«; und im 698. Aphorismus: »Aus 
dieser ganzen Lehre vom Fieber kann man schliessen, dass ein Fieber im aller¬ 
höchsten Hitzegrade pestbringend (tödtlich) ist.« 

Boerhaave sah also Gefahren für das Leben, sowohl in einem bedeutenden 
Sinken, wie in einer starken Steigung der natürlichen Wärme im Fieber. (In peste 
incipiente frigus summum, progressa calor maximus. Aphorismus 623.) Die Kälte 
aber, im Anfang des akuten Fiebers, wird verursacht durch die geringere Reibung 
der Flüssigkeiten untereinander und in den Gefässen, durch eine verlangsamte kreis¬ 
förmige Bewegung (Aphorismus 621), während gerade (Aphorismus 100) die erhöhte 
Wärme eine Folge der vermehrten Bewegung und der erhöhten Reibung des Blutes 
und der Bluttheilchen untereinander ist. 

Nach Boerhaave’s Fieberlehre konnte also in der Periode der Kälte keine 
erhöhte Wärme bestehen, da nach seiner Meinung eines das andere ausschliesst. 
Diese Ansicht zu widerlegen war seinem Schüler de Haen Vorbehalten. 

Der zweite konsultierte Kommentator ist der später so berühmt gewordene 
Gerard van Swieten (1700—1772), welcher erst nach dem Tode seines Lehrers 
sein grosses Werk über dessen Aphorismen herausgab. 

Bei Besprechung des 563. Aphorismus (s. S. 393) sagt er u. a.: »Aber die Fieber¬ 
hitze wird gleichfalls durch Vergleichung mit der Wärme des gesunden Menschen 
gemessen, und durch das Tastgefühl oder durch das Thermometer (was viel sicherer 
ist) entdeckt«. 

Seine Betrachtungen über den 673. Aphorismus lauten im allgemeinen wie folgt: 
In diesem Paragraphen wird nun besprochen, auf welche Weise die Anwesenheit des 
Fiebers erkannt werden kann. Denn die Wärme wird sowohl in der äusseren Ober¬ 
fläche des Körpers wahrgenommen, als sie während des Lebens in den inneren Höhlen 
des Körpers vorhanden ist; unter übrigens gleichen Verhältnissen ist sie von innen 
stets grösser, weil die Wärme der äusseren Theile durch die uns umringende Lufl, 
welche kälter ist als unser Körper, stark herabgesetzt wird. Durch äussere Be¬ 
tastung lässt sich die äussere Wärme von Fieberkranken indessen wohl wahrnehmen; 
aber ihre verschiedene Intensität ist nicht so leicht zu unterscheiden, weil die 
Empfindung der Wärme bei uns durch mancherlei Ursachen verschieden sein kann. 
So wird z. B., wenn unsere Hände kalt sind, die Hand eines Kranken uns warm 
scheinen, während die Hand uns kaum lau Vorkommen wird, wenn wir unsere Hände 
durch Reiben oder auf andere Weise stark erwärmt haben. Die zuverlässigste Wärme- 
bcstimmung geschieht deshalb mit Thermoskopen, die nach ihrem ersten Erfinder 
Fahrenheit’sche genannt werden, und jetzt sehr hübsch zu haben und bequem bei 
sich zu tragen sind; diejenigen, welche statt anderer Flüssigkeiten Quecksilber ent¬ 
halten, sind die weitaus genauesten. Mit einem solchen Thermometer wird erst die 
Wärme eines gesunden Menschen gemessen, und meistens ist diese auf einer daran 
befestigten Skala angezeigt (dies ist also der uns bekannte rothe Strich bei 37 0 C). 
Wenn hierauf ein Fieberkranker dasselbe Thermometer während einiger Minuten in 
der Hand hält, oder die Kugel in den Mund nimmt, oder wenn diese ihm auf die 


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Die Thermomctrie am Krankenbette. 397 

Brust oder in die Achselhöhle gelegt wird, so wird man ans der verschiedenen Höhe 
des steigenden Quecksilbers ersehen, um wieviel die Fieberwärme die natürliche, 
gesunde Wärme übertrifft. 

Auf diese Weise lernt man aber offenbar nur die Wärme der äusseren Körper¬ 
oberfläche oder der Mundhöhle kennen, welche Theile der freien Luft ausgesetzt sind 
und also stets eine geringere Wärme zeigen werden als die inneren Theile. Dazu 
kommt noch, dass bisweilen in gewissen Krankheiten die äusseren Körpertheile 
wenigerWärme aufweisen, während jedoch die inneren Theile verbrannt werden, wie 
Hippokrates im brennenden Fieber beobachtet hat. Das Vorhandensein einer 
solchen Wärme wissen wir aber durch das Gefühl der Kranken, welche in diesen 
verhängnissvollen Krankheiten gewöhnlich über unerträgliche Hitze klagen. *) 

Aus Vorstehendem sehen wir mit völliger Gewissheit, dass van Swieten den 
Gebrauch des Thermometers am Krankenbette gekannt und vermutlich dieses In¬ 
strument auch angewendet hat. Nichts aber zeigt uns, wo und wann er es gesehen 
oder benutzt hat; es bleibt wenigstens ungewiss, ob er es in Leiden auf der Klinik 
Boerhaave’s 2 ) gesehen hat, weil er in dem ganzen Kommentar dessen Namen nicht 
nennt, wie er dies z. B. bei Besprechung des folgenden Aphorismus thut, wo wir 
lesen: »Dum celeberrimus horum Aphorismorum Auctor coram auditoribus suis de 
igne in publicis praelectionibus chemicis diceret, consideravit ignem tanquam rem etc.« 

Es lässt sich ja wohl nicht bezweifeln, dass eine solche Neuheit, wie die Be¬ 
stimmung der Temperatur bei Fieberkranken, auf alle, die es in jenen Tagen 
empfehlen hörten und ausftthren sahen, einen tiefen Eindruck gemacht haben muss. 
Der Lehrer, als er seinen Schülern die Mittheilung machte, wird ja sicherlich über 
die Wichtigheit der, bis jetzt nur von Sanctorius anempfohlenen, Untersuchungs¬ 
methode sich ausführlich verbreitet haben. 

So kam es denn, dass ich, nachdem ich die beiden Kommentare gelesen hatte, 
noch keineswegs von der Richtigkeit der allgemein angenommenen Meinung über¬ 
zeugt war, und deshalb meine Untersuchung fortsetzte. 

Zum Ausgangspunkte wählte ich die Praelectiones academicae von Boerhaave, 
die nicht von ihm selbst veröffentlicht worden sind, sondern 1742, mit Noten ver¬ 
sehen von seinem berühmten Schüler Albrecht v. Haller, zuerst durch den Druck 
bekannt gemacht wurden ®). Im zweiten Theile fand ich ein Kapitel: Arteriae vis et 
actio in Humores, und darin einen Paragraphen, den 220., wo wir in voce calor lesen: 
»Er (sie) entsteht im menschlichen Körper durch die Dicke des Blutes (welche von 
der Anzahl rother Blutkörperchen abhängt) in Verbindung mit der Reibung und der 
Schnelligkeit der Bewegung. Zum Messen dieser Wärme dient das von Fahrenheit, 

1) van Swieten, a.a.O.Tom. 2. § (573. 

2 ) van Swieten promovierte 1725, im Alter von 25 Jahren, in der Medicin und widmete 
sich dann gänzlich dem Studium seines Faches. Er erlangte denn auch 1736, zwei Jahre vor Boer- 
haave’s Tode, die Lizenz als Privatdozent Vorlesungen zu halten über die Institutiones medicac, 
während im Jahre 1741 der erste Theil seiner Kommcntaria erschien. Konnte er sich nun auch 
rühmen, beinahe 20 Jahre lang den Unterricht Boerhaave’s genossen zu haben, so ist doch die 
Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass die Mittheilungen über die klinische Thermometrie ursprüng¬ 
lich von ihm selbst stammen, namentlich, wenn man erwägt, dass Boerhaave infolge seiner lang¬ 
wierigen Krankheit in seinen letzten Lebensjahren gewiss weniger guten Unterricht gab als früher. 
Der geniale Schüler könnte sehr leicht dem grossen Meister in seinen alten Tagen nach der Krone 
gestrebt haben. 

•>) H. Boerhaave, Praelectiones academicae, Edidit et notas addidit Albertus Haller, 
Amstelaedami 1742. Tom. 2. S. 293. 


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einem Amsterdamer Mechaniker, verfertigte Thermoskop. [Sie sind kurz, in 11*2 Grade 
eingetheilt, von denen der letzte den Siedepunkt angiebt, von einer Glasröhre um¬ 
schlossen. Oft hat unser Lehrer uns ermahnt, wir sollten doch ja mit 
diesem kleinen Instrumente das Fieber untersuchen. Aber das Ungewohnte 
dieses Experiments verursachte denen, die nicht damit bekannt waren, grossen 
Schrecken.]« 

»Das Thermoskop wird erst beobachtet an einem nicht zu warmen Orte und 
zwar wird der Grad aufgezeichnet, bei welchem die gefärbte Flüssigkeit stehen bleibt 
Hierauf wird es in den Mund eines gesunden Menschen gesteckt, der während des 
Versuchs nur durch die Nase athmet, damit nicht die Kälte der äusseren Luft das 
Resultat verderben kann. Nachdem es aus dem Munde genommen ist, wird es so¬ 
fort abgelesen, und dann weiss man, wieviel Grad das menschliche Blut wärmer ist 
als die atmosphärische Luft« J ). 

Aus vorstehenden Zeilen ersehen wir, wie man sieht, aufs Bestimmteste, dass 
in der That unserem Boerbaave das Lob gebührt, bei seinen klinischen Kollegien 
zuerst den Gebrauch des Thermometers eingeführt und seinen Schülern empfohlen zu 
haben. Nach dieser unzweideutigen Erklärung seines Schülers v. Haller ist hier¬ 
über jeder Zweifel ausgeschlossen. 

Kein geringeres Verdienst bezüglich der klinischen Thermometrie erwarb sich 
ein anderer Niederländer, weil er sich zuerst auf systematische Weise des Thermo¬ 
meters am Krankenbette bediente und die Thermometrie in dem Sinne auffasste wie 
wir es thun. 

Diese Ehre gebührt Antonie de Haen (1704—1776), einem Arzte im Haag, 
der ebenfalls ein Schüler Boerhaave’s war; er wurde von van Swieten nach Wien 
berufen und ward dort der Stifter des klinischen Unterrichts an der Universität 

»Zu seinen Verdiensten gehört«, sagt Haeser in einer kurzen Lebensbeschrei¬ 
bung im Biographischen Lexikon, »die allerdings schon früher von anderen, z. B. 
Boerhaave, empfohlene diagnostische Verwerthung des Thermometers.« 

Will man sich aber eine richtige Vorstellung machen voh de Haen’s Ver¬ 
diensten hinsichtlich der Thermometrie am Krankenbette, so lese man sein berühmtes 
Buch: Ratio medendi in nosocomio practico etc. Diesem habe ich denn auch folgende 
Mittheilungen entnommen: 

Zunächst zeigte sich deutlich, dass de Haen vollkommen vertraut war mit der 
Technik der Thermometrie, wie wir diese jetzt verstehen. 

Er gebrauchte bei seinen Patienten Thermometer von verschiedenen Fabrikanten, 
und um sicher zu gehen, verglich er sie zur Prüfung ihrer Richtigkeit mit einem 
Musterthermometer (»exploravi ad magnum universale thermometrum, quod subtilis 
artifex Pr ins magno cum labore ipse adornaverat«) 2 ). de Haen regulierte also 
seine Thermometer zum klinischen Gebrauche. 


i) Calor, oritur voro in corpore humano a densitate sanguinis (inde fit, ut globulorum ra¬ 
hm rum copia aucta, calor sanguinis augeatur in animalibus), conjuncta cum adfritu et velocitate 
motus. Mensurain ejus praebet thcrmoscopiuin Fahrcnhcidii (sic), inechanici Amstelacdamensis 
industna fabricatum. (Brevia sunt, gradubus notata 112, qui citra ebullitioncm terminantur, inclusa 
vasculo vitreo. Saepe monuit praeceptor ut ea machinula febres exploraremus. Sed 
insolentia experimenti male terret non adsuetos.) Id primo observatur loco mediocriter calido, et 
notatur gradus in quo liquidum tinctum substitit. Tum vero ori sani hominis inseritur, qui, dom 
experimentum capit, aeretn per solas narcs ducit, ne frigus exterai aeris eventum turbet. Exemtum 
subito observatur et habetur gradus caloris, quo sanguis humanus superat aerem atmosphaericum. 

'-) A. de Haen, Katio medendi in nosocomio practico. Parisiis 1782. Tom. I. S. 198 und 199. 


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Die Thcrmometric am Krankenbette. 399 

Nach Anlegung des Thermometers Hess er dieses eine geraume Zeit liegen, 
damit es nach einmaligem Gebrauche seine Wärme ablegen könne, bevor es wieder 
gebraucht würde (»et ne quandoque thermometrum a thermometro tantillum differret, 
unicum modo adhibitum est, ea lege, ut post singulam adplicationem calorem de- 
poneret, antequam denuo adplicaretur«) J ). de Haen schlug also sein Thermometer 
ab, würden wir sagen können. 

Er machte viele Experimente, um die Zeit zu bestimmen, während welcher das 
Thermometer liegen bleiben muss, um die richtige Zeit anzugeben. Zwar sagen uns 
Boerhaave u. a. (so lesen wir auf S. 196 und 198 in Caput X, De supputando 
calore corporis humani) wie warm der Mensch oder irgend ein anderer Gegenstand 
ist, aber wie lange Zeit sie das Thermometer angelegt haben, fügen sie nicht hinzu. 
Und dass dieses zu allernächst untersucht werden muss, bevor irgend etwas mit 
vollkommener Gewissheit darüber sich konstatieren lässt, beweisen die folgenden 
Beobachtungen, die ich an mir selbst und einer grossen Anzahl andrer gesunder 
Menschen und darnach an einer grossen Anzahl Kranker gemacht habe. Aber nicht 
einmal oder zehnmal, nein, sehr viele Male sind diese Versuche wiederholt worden 
und haben stets dasselbe Resultat ergeben. 

Und nachdem er die Vorzüge seiner verschiedenen Thermometer hervorgehoben 
hat, sagt er, er müsse nach den angestellten Versuchen zu der Schlussfolgerung 
kommen, dass die Temperatur noch nie mit der erforderlichen Genauigkeit bestimmt 
worden sei (>ex datis experimentis id debui concludere, quod defectu adplicationis 
tempus determinandi, neque sanorum, neque aegrorum calor rite fuerit determinatus«). 

Als Endergebniss seiner Untersuchungen erklärte er dann, dass das Thermo¬ 
meter, um den richtigen Wärmegrad angeben zu können, eine Stunde still liegen 
müsse. 

»Ut ex omnibus hisce haec fit certa conclusio, qui gradum caloris in dato 
homine juste determinare gestit, eum horae integrae spatio thermometron adplicare 
debere« J ). Er hatte nämlich beobachtet, dass ein Thermometer, welches jede halbe 
Viertelstunde abgelesen wurde, bei einem gesunden Menschen in der ersten halben 
Viertelstunde eine gewisse Höhe erreicht, um dann im Laufe der ganzen Stunde bis¬ 
weilen noch vier bis sechs Grade zu steigen. 

Indessen fügt er hinzu, dass die Steigung nicht immer stattfindet, sondern nur 
in einzelnen Fällen, und dass sie nicht während der ersten Viertelstunde wahr- 

i) de Haen, a. a. 0.Tom. 2. S. 180. 

-) de Haen, a.a. 0. Tom. 2. S. 176. Nach Mittheiluug dieses Ausspruches lässt Lieber- 
meister (1.c. S 3ö) folgen: »einige Jahre später dagegen gab er an, das Thermometer erreiche 
schon in einer Viertelstunde seinen höchsten Stand« (Tom 7. S. 212 der Ratio medendi). Und was 
steht nun auf S. 212 der pars septima? »Constitit quoque, experimentis infinities repetitis, mediu-m 
horae quadrantem sufficere, ad hominis explorandum cum thermometro calorem, additis ad 
notatum tune gradum gradibus binisc. C’cst ainsi qu’on öcrit l’histoire! Dass der Tübinger 
Professor wohl noch mehr solcher Ungenauigkeiten auf seinem Gewissen hat, ersieht man auch aus 
demjenigen, was er einige Seiten früher (S. 29) über de Haen mittheilt: »Während aber noch 
de Haen und ebenso seine Vorgänger und Zeitgenossen weit davon entfernt waren, das Thermo¬ 
meter für die Zwecke der ärztlichen Praxis zu benutzen, sondern dasselbe nur in vereinzelten Fällen 
hauptsächlich zur Konstatierung theoretisch wichtiger Thatsachen an wendeten, wurde es u. s. w.«. 
Und doch hatte er vorher bezeugen müssen: »von de Haen (wurden) die ersten methodologischen 
Untersuchungen ausgeführt, welche den Grund legten für die Thermometrie am Krankenbette und 
welche die Fieberlehre mit einigen Fundamenthalthatsachcn bereicherten«. Ist da nicht die Frage 
erlaubt, ob Liebermeister überhaupt jemals de Haen’s Ratio medendi in der Hand gehabt 
haben mag? 


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genommen wird. Und darauf lässt er folgen, ohne Zweifel mit Rücksicht auf die 
Privatpraxis, dass ein Arzt, falls er wegen anderweitiger Beschäftigungen seine Zeit 
braucht (»si medicus aliunde occupatior suo tempore eget«), selten irren wird, wenn 
er nach Anlegung des Thermometers während einer Viertelstunde einen oder zwei 
Grade zu der beobachteten Temperatur hinzuzählt 1 ), de Haen bestimmte also die 
Dauer einer thermometrischen Beobachtung, wenn er auch dabei nicht zu dem näm¬ 
lichen Resultate gelangte wie wir. 

Um die Richtigkeit seiner Temperaturbeobachtungen zu prüfen, machte er 
ferner Tabellen*) der von ihm bestimmten Temperatur bei Säuglingen, bei Kindern 
von 5—10 Jahren und bei alten Leuten im »Bürgerkrankenhaus«, das zugleich Waisen¬ 
haus, Greisenstift und Armenhaus war und 1400 Pfleglinge beherbergte. In diesen 
Tabellen giebt er von jedem Individuum das Alter, die Dauer der Anwendung (7,5 
und 15 Minuten) und die Temperatur in Graden Fahrenheit. 

Ueber das mittlere Lebensalter Angaben zu machen hielt er für unnöthig, weil 
eine unzählige Menge Beobachtungen ihn gelehrt hatten, dass die Temperatur dann 
stets schwankte zwischen 95 und 98 o F. Gleichwohl meint er hierzu bemerken zu 
müssen, dass er gesunde Menschen angetroifen habe, welche nicht 95 oder 96, son¬ 
dern 97 oder 98, ja bisweilen sogar 99 0 angaben und dass man also bei einem 
Menschen mit natürlicher höherer Temperatur nicht ausschliesslich nach dem Thermo¬ 
meterstande auf Fieber schliessen darf. 

Er sagt ferner, dass all diese Beobachtungen gemacht wurden an Menschen, die 
im Bett lagen und rund um das Thermometer gut bedeckt waren und zwar wurde 
dieses unter der Achsel angelegt. Zwei oder dreimal täglich liess er laut ver¬ 
schiedener Krankengeschichten») die Temperatur aufzeichnen, de Haen gebrauchte 
also Temperaturlisten wie wir. 

Ueberdies möge hier erwähnt sein, dass de Haen sich das Verdienst erworben 
hat, dass er zuerst die Erhöhung*der Temperatur in der Periode der Kälte bei 
Febris intermittens beobachtete. So erzählt er selbst von einem Knaben im Kranken¬ 
hause, der sehr über allgemeinen Frost klagte, obgleich kein einziger Körpertheil, 
ausser der Nasenspitze, sich kalt anfühlte. Das Thermometer war 101 0 F, d. i. 4,5 
bis 6 0 über der normalen Temperatur. Als der Frost auf hörte und die Wärme an¬ 
fing, blieb der Thermometerstand der nämliche, in der Fieberhitze aber zeigte er 
104 ° F. Und von einem anderen sagt er, das unter der Achsel angelegte Thermo¬ 
meter sei gestiegen, während der Kranke gerade ein heftiges Kältegefühl über den 
ganzen Thorax angab 1 ). 

Aus Vorstehendem scheint mir zur Genüge hervorzugehen, wie trefflich de Haen 
die Thermomctric am Krankenbette angewendet hat. Wenn wir auch über die Dauer 
der Anwendung andrer Meinung sind als er, so stimmt doch seine Gebrauchsweise 
sehr überein mit dem Verfahren der heutigen Aerzte. Nicht mit Unrecht ruft darum 
Lorain auch am Ende seines ausführlichen Kapitels über de Haen begeistert aus: 
»Quo manque-t-il ä de Haen? Les courbes!« 

Bedenkt man nun, welch grossen Einfluss de Haen durch Stiftung der ersten 

1) de Haen, a. a. 0. Tora. 2. S. 170. — Tom* 3. S. 383. 

2 ) de Haen, a. a. 0. Tom. 2. S. 180 u. ff. 

•'*) de Haen, a. a. 0. Tom. 7. S. 39 und 40. 

«) de Haen,,a. a. 0. Tom. 1. S. 201 und 205. 



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Die Thermometrie am Krankenbette. 401 

Klinik und Poliklinik zu Wien 1 ) auf die Entwicklung der medicinischen Wissen¬ 
schaft im allgemeinen ausgeiibt hat, so muss man sich in der That wundern, dass 
mit seinem Tode auch die klinische Thermometrie ins Grab sank und darin nicht 
weniger als 75 Jahre verblieb*). 

Zwar wurde von dem Edinburger Arzte James Currie (1756—1805), der 
seine Typhuskranken schon mit kalten Begiessungen behandelte, regelmässig die 
Temperatur unter der Zunge mit dem Thermometer festgestellt 3 ), allein er blieb 
ohne Nachfolger. Und doch hatte Currie so ausdrücklich gesagt, »dass eine sorg¬ 
fältige Beobachtung der thierischen Wärme und der sie beeinflussenden Funktionen, 
wenn auch besonders nöthig in Fieberkrankheiten, doch auch von grosser Wichtig¬ 
keit sei in allen anderen Krankheiten« 4 ). Seine Landsleute aber legten seinen Worten 
nicht viel Werth bei und anderwärts machte man sich selbst darüber lustig. So er¬ 
zählt uns Wunderlich, dass z. B. Hegewisch, der Currie’s Medical reports im 
Jahre 1801 im Deutschen herausgab, nach eigener Aussage diese Stelle beinahe 
weggelassen, jedoch nur mitgetheilt habe als einen merkwürdigen Beweis von dem 
traurigen Zustande der Heilkunde in England in jenen Tagen*). Im Jahre 1821 
wurde in Deutschland abermals die Aufmerksamkeit auf Currie’s bedeutsames Buch 
gelenkt und zwar von Hufeland. In einem Preisausschreiben forderte er zur Be- 
urtheilung der von Currie empfohlenen äusserlichen Behandlung des Fiebers mit 
kaltem Wasser auf, indem er die Bestimmung hinzufügte, dass der Gebrauch des 
Thermometers vor und nach der Anwendung des Wassers dabei gefördert werde. 
Trotzdem aber, dass zwei recht tüchtige Arbeiten eingingen, welche in Hufeland’s 
Journal (1822) auch veröffentlicht wurden, verhielt sich die medicinische Welt doch 
vollkommen gleichgültig dieser Neuheit gegenüber. 

In den Jahren 1835—1840 begannen jedoch in Frankreich Bouillaud und 
Piorry, sich mit der Thermometrie zu beschäftigen. Letzterer suchte selbst die An¬ 
wendung des Thermometers in der Privatpraxis zu befördern, indem er bekannt 
machte, dass er ein kleines Thermometer in einer Metallhülse im Sthetoskop bei sich 
trage und also jederzeit zur Hand habe. Leider aber verlangte er bei Feststellung 
der Temperatur, bei der Beobachtung so vieler Vorsichtsmaassregeln, dass jeder¬ 
mann von einem Versuche abgeschreckt wurde. Durch diese Umständlichkeit seines 
Verfahrens sind auch seine eigenen Wahrnehmungen so unzuverlässig ausgefallen, 
dass sie nur’ zum Lachen reizen können. 


*) cfr. Th. Puschmann, Die Mcdicin in Wien während der letzten 100 Jahre. Wien 1884. 
S. 18 und 19. 

*) Alvarcnga a. a. 0. S. 9 sagt: »Dies sei vermuthlich eine Folge davon, dass de Haen aus 
seinen äusserst genauen Beobachtungen keine Folgerungen zog und daher nicht gezeigt hat, welche 
grosse Bedeutung die Thermometrie für die Diagnose und die Prognose der Krankheiten hat«. 

*) Es ist merkwürdig, welche wichtigen und doch schon sehr bald vergessenen Verbesserungen 
Currie an dem Thermometer angebracht hat. Um den Arzt bei der Beobachtung und Aufzeich¬ 
nung nicht beständig mit der vom Kranken ausgcathuieten Luft in Berührung zu bringen, hatte er 
die Thermometerröhre rechteckig machen lassen und wurde der vertikale Theil, worin die Skala 
war, am Rücken angelegt und so der Stand davon abgelescn. Ausserdem gebrauchte er Thermo¬ 
meter mit einem »Index von Sixt«, das ist ein eisernes Stäbchen, das auf der Quecksilbersäule 
ruht und durch nmgebogene Spitzen stehen bleibt, wenn diese sinkt; er hatte also eigentlich ein 
Maximal thermomcter (s. Dechambre, Dictionnaire cncyclopaedique des Sciences inödicales, in voce 
thermomötrie mCdicale. S. 198). 

<) James Currie, Medical reports on the effect of water cold and warm as a remedy in 
fever and other diseases. Liverpool 1797. S. 621. 

*) Wunderlich, a. a. 0. S. 36. 


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C. E. Daniels 


402 

Gavarret verkündigte um diese nämliche Zeit als eine Neuigkeit die Erhöhung 
der Temperatur während des Stadium frigoris bei Wechselfiebern, und jedermann 
nahm diese Mittheilung als etwas Neues auf, da niemand wusste, dass unser de Haen 
diese Thatsache schon 70 Jahre früher beobachtet und beschrieben hatte. 

Und wenn in dieser Zeit anderwärts das Thermometer zur Hand genommen 
wurde, so geschah dies fast immer nur zum Zwecke physiologischer Untersuchungen, 
zur Bekämpfung oder zur Unterstützung von Lavoisier’s Wärmelehre, nie aber zu 
klinischen Zwecken. 

Doch muss man eigentlich den Zeitraum der Wiedergeburt und der Entwick¬ 
lung der Thermometrie vom Jahre 1835 an datieren, und, um ganz richtig zu gehen, 
mit Alvarenga denselben in eine französische Periode (1835—1850) und in eine 
deutsche Periode (1850—1870) eintheilen, wenn auch die Untersuchungen aus diesem 
ersten Zeitabschnitte den klinischen Gebrauch des Thermometers nicht gerade be¬ 
deutend erweitert haben. In der zweiten Periode dagegen und namentlich in der 
letzten Hälfte derselben, zwischen 1860 und 1870, sehen wir die klinische Thermo¬ 
metrie sich erstaunlich schnell entwickeln, ja fast sehen wir sie die heutige Höhe 
erreichen. Zunächst verdanken wir dieses dem Berliner Privatdozenten L. Traube, 
welcher durch Veröffentlichung seiner trefflichen Abhandlung: »Ueber Krisen und 
kritische Tage« (1851—1854) die Aerzte mit genauen Temperaturangaben (zweimal 
täglich »in der Remissions- und in der Exacerbationszeit« genommen) erfreute, 
sowie auch mit den vor seiner Zeit noch unbekannten Temperaturkurven, welche er 
erdachte, um seine Ideen über die Krisis und die Lysis einem jeden deutlich zu 
machen J ). 

Neben Traubejsteht Wunderlich, der nach seiner eigenen Aussage durch 
dessen mündliche Mittheilung veranlasst wurde, im Oktober 1851 zuerst Temperatur¬ 
bestimmungen in seiner Klinik einzuführen. Und nachdem er durch eine sehr sorg¬ 
fältige Anwendung derselben auf eine grosse Anzahl Patienten ihren Werth genügend 
hatte kennen lernen, erschienen hinter einander von seiner Hand einige gründliche 
Studien, worin er die Thermometrie mit Wärme empfahl. Zu den merkwürdigsten 
dieser Abhandlungen zähle ich die »Vorlegung einiger Elementarthatsachen aus der 
praktischen Krankenthermometrie und Anleitung zur Anwendung der Wärmemessung 
in der Privatpraxis«, *) weil sie einen hübschen Blick in die früheste Entwickelungs¬ 
phase der heutigen Thermometrie gewährt. Darin vertheidigt erst Wunderlich 
27 Sätze über den pathognostischen Werth der Temperatur eines Kranken; dann wider¬ 
legt er »die hauptsächlichsten Einwürfe gegen die Ausführlichkeit der ‘Thermometrie 
in der Privatpraxis«. Diese sind: 

1. »Es soll, sagt man, zu schwierig und zu kostspielig sein, solche Instrumente 
zu erwerben, mit denen derartige »feine« Untersuchungen ausgeführt werden können.« 

1 ) Dass man vor 1850 in Berlin nicht an klinische Thermometrie dachte, beweist folgende 
Thatsache: In der ersten dreimonatlichen Lieferung der Annalen dos Charitökrankenhauses. die 
laut der Vorrede mit ausserordentlicher Sorgfalt redigiert wurde und im Februar 1850 erschien, 
findet sich ein ausführlicher Artikel von demselben Traube, über die Behandlung des Typhus ab¬ 
dominalis und der Pneumonie in Schönlein’s Klinik. In den hierbei mitgetheilten Kranken¬ 
geschichten finden sich beständig die Ausdrücke: »Temperatur stark erhöht«, oder: »Temperatur 
fortwährend erhöht«, ohne mehr, neben genauen Zifferangaben von Pulsschlägen und Athmung- 
Wunderlich erwähnt denn auch den 18. Juni 1850, an welchem Tage Traube seine ersten 
systematischen Temperaturbeobachtungen machte, als einen Gedenktag, den die Aerzte nie ver- 
gesssen dürfen. 

*) Archiv der Heilkunde, redigiert von Wagner. Leipzig 1860. 1. Jahrgang. S. 385. 


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Die Thermometrie am Krankenbette. 403 

2. »Es soll zu mühselig sein, auf den Gängen der Privatpraxis den Thermo¬ 
meter mit herumzutragen.« 

3. »Dem vielbeschäftigten Praktiker soll es an Zeit fehlen, solche umständlichen 
Untersuchungen vorzunehmen.« 

4. »Man fürchtet Schwierigkeiten von Seite der Kranken«, wie man früher den¬ 
selben Einwurf der Perkussion und Auskultation gemacht hat. 

5. »Es könne leicht dahin kommen, dass ein wärmemessender Arzt die Berück¬ 
sichtigung anderer gleichfalls werthvoller Zeichen vernachlässigen werde.« 

6. »Von geübten Praktikern kann der Einwurf gemacht werden, dass sie des 
Thermometers nicht bedürfen, da ihre Hände eine so feine Empfindlichkeit erworben 
haben, dass sie zur Schätzung der Wärme jedes Instrument ersetzen.« 

Solchen Einwendungen entgegenzutreten hielt der gediegene Gelehrte, welcher 
damals schon fast zehn Jahre mit grosser Vorliebe dem Studium der klinischen 
Thermometrie oblag, noch für nöthig im Jahre 1860! 

Nachdem er mehrere wichtige Abhandlungen über den Nutzen der Thermometrie 
bei Typhus und bei Pneumonie veröffentlicht hatte, gab er im Jahre 1868 sein 
grösseres Werk: »Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten« heraus, welches, 
wie Winter 1 ) mit Hecht bemerkt, Wunderlich’s Namen für alle Zeiten in der Ge¬ 
schichte der Medicin auf einen ehrenvollen Platz erhebt. Als ob er sich wegen 
seiner Anmaassung, dass er den Berufsgenossen aufs Angelegentlichste den Nutzen 
der Thermometrie am Krankenbette darzuthun suche, entschuldigen darf, führt er 
in seinem Vorwort nicht weniger als 18 Gründe an, um dieses zu erklären, indem 
er die klassische Definition hinzufügt: 

»So ist also die Krankenthermometrie eine objektive physikalische 
Untersuchungsmethode, welche Zeichen von physikalischer Exaktheit, 
messbare, in Zahlen ausdrückbare Zeichen liefert; welche empfindlich genug 
ist, den Veränderungen im Organismus auf jedem Schritte zu folgen, und welche 
ein von den Gesammtvorgängen im Organismus abhängiges Phänomen für 
die ärztlichen Schlüsse zur Verfügung zu stellen vermag.« 2 ) 

Ohne Zweifel darf somit auf Grund des bisher Gesagten Carl August 
Wunderlich (1815—1877) als der Mann bezeichnet werden, der mehr als jeder 
Andere für die Einführung der klinischen Thermometrie gethan hat, und zwar nicht 
bloss in seinem Vaterlande, sondern über die ganze Welt. 


1) Biographisches Lexikon (1er hervorragenden Aerzte, in voce Wunderlich 

2 ) Wunderlich, a. a. 0. S. 50. 


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404 


E. Achert 


XII. 

Tuberkulose und Herzkrankheiten unter therapeutischen 

Gesichtspunkten. 

Von 

Dr. E. Achert 

in Bad Nauheim. 

Die engen Beziehungen in der Physiologie des Zirkulations- und Respirations¬ 
prozesses legen uns die Frage nahe, ob nicht pathologische Zustände des einen 
Organs irgend einen Einfluss auf solche des koordinierten auszuüben vermögen; und 
in der That liegt die Zeit noch nicht allzuweit hinter uns, in der Rokitansky die 
Lehre von der Ausschliessung der Lungentuberkulose durch gewisse organische Herz¬ 
klappenfehler unangefochten aussprechen durfte. 

Als ich im vergangenen Winter in der I. medicinischen Universitätsklinik des 
Herrn Geheimrath v. Leyden auf der Abtheilung des Oberarztes an der Königl. Charite, 
Herrn Privatdozent Dr. Paul Jacob mich mit der physikalischen Diagnostik und 
Therapie der Herzkrankheiten befasste, wurde ich durch Fälle, die eine Komplikation 
von Tuberkulose der Lungen mit Herzklappenfehlern aufwiesen, auf vorliegendes 
Thema aufmerksam. 

Wie jede andere Organgruppe, so ist auch das zentrale, wie periphere Gefäss- 
system der Infektion durch Tuberkulose ausgesetzt, und die Betrachtung derartiger 
pathologischer Manifestationen an den einzelnen Theilen des Herzens liegt uns zu¬ 
nächst ob. 

Der Natur der Sache nach wird die Diagnose wohl immer nur eine anatomische 
sein, die auf Grund einer Obduktion gewonnen wird. 

Aus der statistisch zusammengestellten Litteratur geht hervor, dass es folgende 
Formen der Herztuberkulose giebt: 

I. Extrapericardiale, auf Pericard und Myocard fortgesetzte Tuberkulose. 

II. Perimyocardiale, wo einfach tuberkulisierende oder auch, miliartuberkel- 
haltige, verkäsende Pericardialexsudatmassen diffus oder in Knotenform 
auf das Myocard übergehen. 

III. Rein myocardiale. 

IV. Rein endocardiale. 

Hier schliesst sich an die Tuberkulose der Gefässe: 

I. Der Arterien. 

II. Der Venen. 

Die Tuberkulose des Pericards äussert sich durch Eruption von einzelnen 
Tuberkelknötchen auf den serösen Blättern mit oder ohne begleitende Entzündung. 
Dabei kann die tuberkulöse Pericarditis als primäre Affektion dastehen, ohne dass 
sich anderweitige Herde auffinden Hessen, oder sie kann im Verlauf der Phthisis 
pulmonum erscheinen; im letzteren Fall sind es besonders die bereits tuberkulös 
infizierten Lymphdrüsen, welche die Bronchi begleiten und das Mediastinum ausfüllen, 



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Tuberkulose und Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. 405 

von welchen aus per contiguitatem eine Arrosion und ein Durchbruch in den Herz¬ 
beutel hinein erfolgt. 

Die Tuberkulose des Myocards ist bis jetzt selten beobachtet worden. Sie 
stellt sich dar als: 

1. Umschriebene, gross-und kleinknotige; die Knoten von miliarer bis Walnuss¬ 
grösse, erstere gewöhnlich Miliartuberkeln analog; letztere können Konglomerat¬ 
tuberkeln sein oder auch nur einer die kugelige Geschwulstform innehaltenden zeilig¬ 
tuberkulösen Proliferation ihre Entstehung verdanken. 

2. Diffuse Tuberkulose, dadurch charakterisiert, dass sie in massiger Aus¬ 
bildung die Herzmuskulatur einnimmt und endlich das Epithel und Endocard in 
eine homogene, käsige Masse verwandelt. Hier stellt sich vorzugsweise zentrale 
Erweichung ein, wodurch in einem Falle etwa ein tuberkulöses Geschwür in einem 
Herzatrium entstehen kann. 

3. Chronische Myocarditis mit Tuberkulose. 

Stoicesco und Babes berichten über einen Fall von tuberkulöser, lokalisierter 
Myocarditis, in deren Verlauf sich eine akute Myocarditis entwickelte. Ganz plötzlich- 
mitten in der Nacht kam dieselbe zum Ausbruch mit heftigen Schmerzen; dieser 
Beginn der Krankheit ist selten, für gewöhnlich beginnt die Myocarditis schleichend 
und mit wenig deutlichen Symptomen, oder aber die Myocarditis bricht aus im 
Verlauf einer akuten fieberhaften Erkrankung. Dann wird man in den meisten 
Fällen erst bei der Sektion die Myocarditis entdecken. In diesem Falle machte die 
plötzliche Schwäche und Frequenz der Herzaktion aufmerksam. Der erste Herzton 
war verschwunden, sodass eine wahre Embryocardie konstatiert werden konnte. 
Diese Embryocardie, das Verschwinden des ersten Herztones, die Arythmie und der 
intermittierende Puls sagten das Ende "voraus, und die stattgehabte Sektion bestätigte 
die akute Myocarditis. 

Nach anderen Berichten tritt am häufigsten die Tuberkulose des Herzfleisches 
in Form disseminierter Tuberkeleruption bei allgemeiner hämatogener Miliartuber¬ 
kulose auf, doch sind die Knötchen meistens nur spärlich zu finden. Grössere käsige 
und käsig-fibröse Knoten sind selten. Ihre Entstehung ist meist auf hämatogene 
Infektion zurückzuführen, doch kann es auch Vorkommen, dass von der Nachbarschaft, 
insbesondere von tuberkulösen Bronchialdrüsen aus, wie bereits oben erwähnt, das 
Pcricard und mithin auch das Myocard infiziert wird. Neben den tuberkulösen 
Granulationswucherungen können sich auch fibröse Indurationen des Myocards ent¬ 
wickeln. Ein anschauliches Bild vom Uebergreifen tuberkulöser Prozesse von der 
Herzserosa auf das Muskelgewebe zeigt folgender Fall (Deutsche Klinik 1850. 15.): 

35 jährige Frau. Tod unter Chloroform. In den Lungen keine Spur von Tuberkeln. 
Herz scheinbar vergrössert, fettreich; Herzbeutel im ganzen Umfang mit dem Herzen 
verwachsen; nach allen Theilen des Herzens hin, schon äusserlich sicht- und fühlbar, 
eine grosse Menge von Tuberkeln von Erbsen- bis Haselnussgrösse. Beim Durch¬ 
bruch zeigten sich diese Tuberkeln zwischen Pericardium und Muskelsubstanz sitzend, 
letztere verdrängend. Sie lagen in grösseren oder kleineren Reihen, wie Knollen, 
nesterweise über alle Flächen des Herzens und Herzbeutels verbreitet; sie bildeten 
theils eine käsige, bröckelige Masse, theils waren sie eitrig zerflossen. Die Muskulatur 
des Herzens war weich und leicht zerreissbar; Herzhöhlen und Gefässe in keiner 
Weise verändert; daher auch erklärlich, warum im Leben keine Erscheinungen eines 
Herzleidens sich zeigten 


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40fi E. Achert 

Erhöhtes Interesse bietet dieser Fall als Paradigma primärer Affektion des Herzens 
mit Tuberkulose in seiner Seltenheit. 

Den Nachweis von Tuberkelbacillen auf dem Endocard verdanken wir vor 
allem den histologischen Untersuchungen von v. Leyden, Kundradt u. a. Sie sind 
zufällige Befunde an der Leiche und haben keine klinische Bedeutung. Sie pflegen 
sekundärer Natur zu sein und treten auf im Verlaufe der Lungenphthise. Man kann 
folgende Formen unterscheiden: 

1. Anwesenheit der Bacillen selbst (Tuberkulose des Endocards) in granu¬ 
löser Form, käsiger und nodulärer Form (Tripier); 

2. Wirkungen der Toxine der Bacillen in generalisierter und lokaler Sklerose 
des Endocards; 

3. Mischinfektion durch Strepto-, Staphylokokken, Bacterium coli commune, 
Pneumokokken. 

Am Endocard und an den Klappen des Herzens setzen sich die Tuberkelbacillen 
selten fest, mit Ausnahme bei akuter Miliartuberkulose (Weigert). 

Tripier sah bei tuberkulöser Endocarditis der Mitralklappen eines Phthisikers 
typische Tuberkel im Klappengewebe, während Londe und Petit durch Verimpfung 
von Auflagerungen der Mitralsegel, Courmont durch die Auflagerungen einer akuten 
Endocarditis, beide Fälle Phthisiker betreffend, Tuberkulose hervorriefen. 

Die Beobachtungen von Endocarditis tuberculosa sind, alles in allem genommmen, 
im wahren Sinne des Wortes nach Etienne äusserst selten. Teissier, der aufs Ge¬ 
naueste die Herzen aller in der Klinik vonPotain befindlichen Tuberkulösen unter¬ 
suchte, hat nicht ein einziges Beispiel für tuberkulöse Endocarditis gefunden, nie¬ 
mals hat er die Anwesenheit des Koch'sehen Bacillus nachweisen können, weder 
durch Ueberimpfung, noch histologisch. Unter den 28 bekannt gewordenen Be¬ 
obachtungen von Tuberkulose des Myocards hat sich keine einzige spezifische 
Affektion des Endocards gefunden. Selbst in den Statistiken von Willig über 845 
Fälle, von Reissner über 152 Sektionsbefunde an Kindern ist am Endocard absolut 
nichts gefunden worden. Die Fälle von Endocarditis tuberculosa sind also äusserst 
selten, und selbst unter denen, die veröffentlicht worden sind, muss man noch Unter¬ 
schiede machen. Bei dem einen ist nur die Anwesenheit von tuberkulösen Granu¬ 
lationen angegeben, sodass es sich auch um fibrinöse Depots irgend einer anders ge¬ 
arteten Endocarditis vegetans handeln kann. In anderen Fällen, so in denen von 
Lancereaux, ist die Anwesenheit von kleinen geformten Massen angegeben, die 
wahrscheinlich tuberkulöser Natur seien. Es sind nur einige wenige Beobachtungen 
veröffentlicht worden, in denen man mit Recht die Endocarditis dem Koch’schen 
Bacillus zuschreiben kann. Durch einen ganz einzigartigen Zufall hat Etienne 
hintereinander fünf Fälle von Endocarditis bei Tuberkulösen zu sehen bekommen, 
und zwei von diesen kann man mit Recht als Endocarditis tuberculosa bezeichnen. 
Durch diese gut beobachteten Fälle ist es nunmehr ganz sichergestellt, dass es neben 
Endocarditis, die durch gewöhnliche Mikroben hervorgerufen ist, auch eine wirkliche 
tuberkulöse Endocarditis giebt, die durch Koch’sche Bacillen hervorgerufen ist. Die 
Koch’schen Bacillen sind daher im stände, sowohl das spezifisch - tuberkulöse Pro¬ 
dukt, den Tuberkel, zu liefern, als auch eine Endocarditis hervorzurufen, die sich 
durch nichts ausser durch ihren Ursprung von irgend einer anderen durch Strepto-, 
Staphylo-, Pneumokokken etc. hervorgerufenen Endocarditis unterscheidet. Die En¬ 
docarditis tritt meist erst in den letzten Stadien der Tuberkulose auf, und die dann 


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Tuberkulose und Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. 407 

schon sehr weit vorgeschrittene Kachexie und starke Dyspnoe verschleiern sehr häutig 
ihr Bild. 

Der experimentelle Nachweis, dass Tuberkelbacillen mit Schaffung eines Locus 
minoris resistentiae eine Endocarditis erzeugen können, ist Michaelis und Blum 
gelungen. Nach Durchstossen der Klappen und gleichzeitiger Injektion von Tuberkel¬ 
bacillen beim Kaninchen wurde eine typische Endocarditis verrucosa hervorgerufen 
und in den Auflagerungen als die Erreger der Endocarditis Tuberkelbacillen und 
zwar in nicht unbeträchtlicher Menge nachgewiesen. In den Schnitten des einen 
Falles zeigte sich in der Mitte der Auflagerungen ein typischer circumskripter Tu¬ 
berkel, in dem sich wieder Tuberkelbacillen konstatieren liessen. Andere Bakterien 
wurden in den Auflagerungen in keinem Fall gefunden. Es ist also der Tuberkel¬ 
bacillus thatsächlich und allein für sich im stände, eine Endocarditis verrucosa zu 
erzeugen. 

Schliesslich wurden in Herzthromben noch Tuberkelbacillen aufgefunden von 
Weichselbaum, Birch-Hirschfeld u. a. 

Eine genauere Kenntniss der Gefässtuberkulose verdanken wir vorzüglich den 
Studien von Ponfick, Weigert, Orth und Mügge. Die Tuberkelbildung findet theils 
an den Venen, besonders Lungenvenen (Weigert), theils an den Arterien statt. Die 
Infektion hat zur Voraussetzung, dass irgendwo in dem an das Gefässsystem angren¬ 
zenden Gewebe ein tuberkulöser Herd sitzt und Bacillen durch die Gefässwand bis 
in die Intima wuchern und einen Tuberkel bilden. Gewöhnlich tritt eine vollkom¬ 
mene Obliteration, besonders der kleinen Gefässe, ein. Bleibt diese aus, so lösen 
sich bei eintretendem Zerfall einzelne Trümmer los und werden durch das Blut 
weiter verschleppt. Sie setzen sich an irgend einer Stelle des Kreislaufsystems, ent¬ 
weder im Herzen oder im nächstlagernden Kapillarnetz fest und regen eine Tuberkel¬ 
bildung an. Meistens scheint es sich übrigens nicht um Loslösung eines einzelnen 
Bacillus, sondern einer Anzahl von Bacillenkonglomeraten zu handeln, die durch Be¬ 
wegung im Blute fein vertheilt, ganze Kapillargebiete invadieren und zu ausgedehnter 
Miliartuberkulose führen. 

In einem Falle Kamen’s war eine Aortenruptur dadurch veranlasst worden, 
dass von einer käsigen Mediastinaldrüse aus, die der hinteren Gefässwand adhärierte, 
der Prozess auf die Intima übergegriffen und die Wand arrordiert hatte. 

Während diese eben gemachten Ausführungen nur pathologisch - anatomisches 
Interesse haben, so kommen .wir jetzt zum klinisch wichtigeren Theil der Frage. 

Rokitansky lehrte, dass alle Herzkrankheiten, welche eine Stauung im venösen 
Lungenkreislauf bedingen, wie dies besonders die Mitralfehler thun, weniger die der 
Aortenklappen — Lungentuberkulose ausschlössen. Auch Aneurysmen, pathologishe 
Veränderungen am Skelett und die Gravidität, die alle Zirkulationsveränderungen 
setzen, bieten denselben ungünstigen Boden für eine Etablierung der Tuberkulose. 
Lange Zeit ist dieses Axiom der Wiener Schule allerorts festgehalten worden, und 
erst verhältnissmässig spät ist es durch Erbringung von Gegenbeweisen ins Wanken 
gerathen. Frommolt konnte bei seiner Untersuchung über das gleichzeitige Vorkommen 
von Herzklappenfehlern und Lungenschwindsucht, unter 7870 innerhalb 25 Jahren 
im Dresdener Stadtkrankenhause Verstorbenen und Obduzierten 277 Fälle (3,5 %) 
ausgesprochener Herzklappenfehler konstatieren. Unter diesen 277 Klappenfehlern 
waren 22, — deren Sektionsbefund ausführlich mitgetheilt wird —, d. h. also fast 
genau 8 %, mit gleichzeitiger Lungenschwindsucht vergesellschaftet. 

Das gleichzeitige Vorkommen von Herzklappenfehlern und Lungenschwind- 


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408 E. Achert 


sucht ist keineswegs ein so seltenes als bisher von vielen Seiten angenommen 
wurde. Erkrankungen des linken arteriellen Ostiums kommen zwar etwas häufiger 
mit Lungenschwindsucht kompliziert vor, als solche des linken venösen Ostiums, 
doch ist der Unterschied nur unbedeutend. Erkrankungen mehrerer Ostien zu 
gleicher Zeit scheinen niemals oder doch nur äusserst selten mit Lungenschwindsucht 
vereinigt vorzukommen. Eine Ausnahme macht nur die auch mit anderen Herzfehlern 
komplizierte Pulmonalstenose. 

Peter bekämpft ebenfalls die Lehre vom Antagonismus zwischen Klappenfehlern 
und Schwindsucht; er stützt sich nicht auf statistisches Material, sondern auf theo¬ 
retische Gründe; nach ihm kann man Lungentuberkulose bei Individuen mit Klappen¬ 
stenosen und Insufficienzen dann beobachten, wenn letztere Affektion noch nicht den 
Grad ihrer Entwiekelung erreicht hat, in welchem sich eine passive Kongestion an 
der Lungenbasis manifestiert; die Immunität der Lungenspitzen gegen Tuberkulose 
bei begleitenden Herzfehlern ist durchaus keine absolute, sie ist abhängig von der 
Periode, in welcher sich die Herzkrankheit befindet, von der Natur der letzteren und 
dem Allgemeinzustand des Organismus. 

Nach Fraentzel besteht keine gegenseitige Ausschliessung in Bezug auf das 
Vorkommen von Lungenschwindsucht und Herzklappenfehlern. 

Letztere gesellen sich vielmehr nicht selten zur Lungenschwindsucht; aber um¬ 
gekehrt kommt diese fast nie selbst bei schwerer hereditärer Anlage zur Entwicke¬ 
lung, wenn Herzklappenfehler bereits vorhanden sind. Offenbar verhindert hier die 
abnorme Durchfeuchtung des Lungengewebes mit Blutserum das Entstehen von käsigen 
Metamorphosen; deshalb seien auch Ausnahmen von dieser Regel viel seltener bei 
Affektionen der linken Atrioventrikularklappe. Diesen Anschauungen entspricht es 
auch, dass ein anderer, sehr seltener und meist nur angeboren vorkommender Klappen¬ 
fehler, die Stenose des Ostium pulmonale arteriale, erfahrungsmässig. fast stets durch 
käsige Pneumonie und nachfolgende Lungenschwindsucht zum Tode führt. 

Die von Zeit zu Zeit hervortretenden Meinungsverschiedenheiten über die 
Rokitansky’sche Anschauung, dass durch Herzfehler, Lungenaffektionen (Emphysem) 
und Anomalien der Thoraxform, welche eine dauernd vermehrte Venosität des Blutes 
hervorrufen, Immunität gegen Lungentuberkulose bedingt werde, veranlasste auch 
Kidd 27 Fälle von Lungenphthise mit gleichzeitig bestehenden Herzklappenaffektionen 
zusammenzustellen. Sie waren einem Material von 500 obduzierten Phthisen ent¬ 
nommen. Nur in 11 Fällen war die Klappenaffektion wahrscheinlich älter als die 
Tuberkulose, in den übrigen 16 Fällen war die letztere die primäre Affektion. Fünf 
Fälle von Aortenaneurysmen waren mit sekundärer Phthise kompliziert. Gestützt auf 
eine Anzahl ausführlich geschilderter• Fälle führt Kidd den Nachweis, dass fast 
immer der Verlauf der mit Klappenfehler sich verbindenden Tuberkulose ein be¬ 
sonders chronischer gewesen sei. In Verbindung mit der Thatsache, dass auch die 
Kombination von Lungenemphysem mit Tuberkulose eine sehr seltene sei, bieten 
seine Beobachtungen gewiss eine Stütze für die Rokitansky'sehen Anschauungen. 

Auch v. Leyden erklärt die Komplikation von Herzerkrankungen mit chronischer 
Lungentuberkulose für nicht selten und für bedeutungsvoll im Verlaufe derselben. 

Bei allen Versuchen, die Rokitansky'sehe Lehre umzustossen, tritt die ent¬ 
schiedene Seltenheit der Fälle, wo zu einem alten vitium cordis eine frische tuber¬ 
kulöse Erkrankung der Lunge hinzutritt, zur Genüge hervor, dass diese Ansicht der 
Wiener Schule einen wahren Kern enthält. Nicht das vitium valvulare, sondern die 
Störung der Zirkulation in den Lungen stellt den Kausalnexus her, sei es nun, dass 


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Tuberkulose und Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. 409 


die letzte Ursache in Kohlensäureüberladung des Blutes oder aber in der serösen 
Durchfeuchtung des Lungengewebes zu suchen ist. 

Die Hyperämie in den Lungen, auch alle anderen Zustände, die den¬ 
selben Effekt haben, schaffen einen gewissen Schutz vor Tuberkulose, 
so auch Kyphose, Emphysem. 

Da die reinen Infektionisten einen immer kleiner werdenden Kreis bilden und 
diejenigen, die von - der Disposition auch ein gut Tlieil der Erklärung erhoffen, sich 
in ihrer Zahl mehren, so kann auch die physikalisch-mechanische Erklärung, warum 
gerade die apikalen Theile der Lungen die primäre Infektionsstelle bilden, wohl 
herangezogen werden. 

Da die Spitzen, ausserhalb des langgestreckten Thorax liegend, keinen so 
intensiven Antheil an der Athmungsbewegung nehmen können, so ist ihre Lüftung 
auch keine so ausgiebige, und die Zirkulation in denselben dürfte eine weniger gute 
sein; alles Umstände, welche wohl verstehen lassen, warum unter so gegebenen Ver¬ 
hältnissen die Ansiedelung und das Hängenbleiben der eingeathmeten Bakterien so 
ungestört bleiben können. 

Deshalb ist auch die Kleinheit des Herzens der Phthisiker, die Brehmer 
besonders betonte, nicht ohne Bedeutung. Selbst der sonst gesunde Körper muss 
ungenügend ernährt werden, wenn ihm mit jeder Kontraktion des zu kleinen Herzens 
nicht die normale, sondern eine geringere Menge Blut eingeführt wird. Ganz be¬ 
sonders aber muss die Ernährung der Lunge herabgesetzt sein, wenn diese voluminöser 
ist, also auch reichlicher mit Blut versorgt werden sollte, als ein normal grosses Organ. 

Bei primärer Kleinheit des Herzens ist die Lunge in derselben Lage wie bei 
der Stenose der Pulmonalarterie, jenem Zustand, der anerkannt häufig, ja fast 
regelmässig mit Tuberkulose kombiniert ist. 

Die Kleinheit des Herzens ist nicht der Ausdruck der Atrophie, sondern stellt 
eine wahre Hypoplasie dar, die ein Hauptmoment für die Disposition abgiebt. 

Beneke machte Messungen der Volumina des Herzens an phthisischen Leichen; 
aus seinen Messungen ergab sich, dass die Phthisiker im Durchschnitt ein kleineres 
Herz haben, als es dem gesunden Körper zukommt. Immerhin kommen auch Fälle 
vor, wo Phthisiker ein normalgrosses Herz haben. Gegen die naheliegende Ein¬ 
wendung, dass die Kleinheit des Herzens eine Folge der allgemeinen Abmagerung 
sei, bemerkt Beneke, dass bei manchen Phthisikern trotz der Magerkeit das Herz 
gross befunden werde, ferner dass das Herz oft schon bei initialen Fällen der Phthise 
zu klein sei, so auch, dass mitunter so hochgradig abgemagerte Leichen von carci- 
nomatösen und anderen Kranken doch kein so kleines Herz zeigen, als die meisten 
Phthisiker; somit schliesst Beneke, dass die Herzkleinheit, Herzhypoplasie nicht 
Herzatrophie sei und als einer der wichtigsten Faktoren in der Entwickelung der 
Phthise zu betrachten sei. Weniger häufig, aber immer noch in einer ansehnlichen 
Zahl fand Beneke auch die Körperarterien verhältnissmässig eng. Die Enge kam 
oft mit Hypoplasie des Herzens, manchmal unabhängig von dieser, vor, manchmal 
zeigten sämmtliche gemessenen Arterien ein enges Lumen, während in anderen Fällen 
einzelne von normaler Weite waren. 

Es ko'incidieren mithin mehrere Faktoren, um die Blutzirkulation in den Spitzen 
zu hemmen. Von Hause aus ist schon der Blutdruck in der der Tuberkulose vor¬ 
waltend ausgesetzten Lungenspitze ein verhältnissmässig niedriger, oft ist er schon 
wegen allgemeiner Blutarmuth und geringer Triebkraft des Herzens gering, örtlicli 
kommt der Druck des parenchymatösen und alveolaren Infiltrates auf die durch- 

Zeitschr. £ diiit. u. physik. Therapie Bd. V. Heft o. ^6 


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E. Aeliert 


ziehenden Gefässe hinzu, das übrige leistet die Perivasculitis und Tuberkelgranulation 
der Gefässvviinde, welche durch Schwellung letzterer und direktes Hineinragen der 
Tuberkel in die Gefässlumina mächtig mitwirken, um das Erkrankungsgebiet voll¬ 
kommen anämisch zu machen. 

Bei der Trostlosigkeit der spezifischen Serumtherapie ist die Behandlung und 
Heilung der Tuberkulose nach wie vor auf physikalische Faktoren angewiesen. Den 
Grundsätzen treu, die der geniale Entdecker der modernen und erfolgreichen Be¬ 
handlung der Tuberkulose, Brehmer, zuerst angegeben hat, ist auch unser neuer 
Vorschlag nur als eine erweiterte Möglichkeit und als eine gern aufzunehmende Ab¬ 
wechselung zu betrachten. Die anatomische Hypoplasie und die daraus resultierende 
pathologische Schwäche des Herzens ist der vornehmste Gegenstand der Therapie 
der Phthise auch heute noch! Die Verlangsamung der Blutzirkulation und die 
dadurch andauernde verlangsamte Ernährung muss auch eine Ernährungsstörung 
vorzugsweise in den Lungen und Lungenepithelien hervorrufen und die Widerstands¬ 
fähigkeit der Gewebe nothgedrungen brechen. Die Ernährungsstörung ist dann der 
Ausgangspunkt für die Gelegenheit einer Ansiedelung von Bakterien. 

Ferner giebt uns die klimatologische Analyse des Höhenklimas eine mächtige 
Stütze für die zu machenden Vorschläge. Die Eigenthümlichkeit des Höhenklimas 
besteht wesentlich in der Verminderung des Luftdrucks, durchweiche eine Steigerung 
der Herzthätigkeit und der Pulsfrequenz und als Folge dieser eine Steigerung de- 
Stoffwechsels und der Eigenwärme bedingt wird; ferner haben die Gebirgsbewohner, 
auch deshalb, weil sie gezwungen sind, zu »klettern«, ein kräftiges, zuweilen sogar 
ein etwas hypertrophisches Herz. Hypertrophie schliesst aber bekanntlich die Lungen¬ 
schwindsucht fast aus. 

Ein vorzügliches Kurmittel nun zur Kräftigung des Herzmuskels, zur Ver¬ 
langsamung der Herzaktion, zur Herbeiführung einer Steigerung des Blutdrucks, der 
im stände ist, die ernährende Blutwelle in die entlegenen Spitzen hinaufzutragen, 
ist das kohlensäurereichc Soolbad, das mit seiner natürlichen thermotherapeutisehen 
Wirkung dazu noch die Hebung der Konstitution, die Anregung des Stoffwechsels 
und die Beförderung der Ernährung gewährleistet. 

Die Natur hilft sich durch Vermehrung der Pulsfrequenz und der Herz¬ 
kontraktionen und bringt schliesslich so eine Volumzunahme des Herzens und die 
Bildung einer kräftigen Herzmuskulatur zu stände. 

Ziehen wir nun als eine Nutzanwendung aus diesem von der Natur gewährten 
Schutze den Schluss, dass Menschen mit phthisischer Anlage oder mit sehr entwickelter 
Phthise geheilt werden können, wenn sie unter diejenigen Verhältnisse gebracht 
werden, die eine Steigerung der Herzthätigkeit und des Stoffwechsels bewirken, d. h. 
neben Berücksichtigung der Diät. Der Genuss fettreicher Nahrung, Milch, eventuell 
auch gewisse Quantitäten Alkohol sind zu empfehlen, und die Uebung der Muskeln 
des Körpers durch gymnastische Aktion. Dabei ist jede Ermüdung zu vermeiden, die 
in entgegengesetztem Sinne wirkt und Lungenkranken ebenso wie Herzkranken 
geradezu gefährlich werden kann. 

Wenn wir nun aus der Kleinheit des Herzens und der daraus resultierenden 
ungenügenden Blutzufuhr in die Lungen ein wesentliches Moment für die Entstehung 
der Phthise ableiten können, so wird unsere Therapie auch nur dann eine kausale 
sein, wenn wir zur Hebung der Herzthätigkeit beitragen. 

Ein Hauptgegenstand der Herzbehandlung bei Phthise ist die Beseitigung der 
Palpitationcn. Nicht durch den plötzlichen Abfall der Pulszahl können wir auf eine 


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Tuberkulose and Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. 411 

Kräftigung des Herzens schliessen, sondern aus der allmählich sinkenden Pulsfrequenz 
ist der Schluss auf die Besserung des Herzzustandes erlaubt. Bei einer durch die 
Diät geregelten Verbesserung der Blutbeschaffenheit, die mit der Hebung des All¬ 
gemeinzustandes einhergeht, wird das Herz ruhiger und kräftiger, der Puls lang¬ 
samer. Die chronische Schwindsucht ist im ersten Stadium immer heilbar. Denn 
es ist klar, dass es Mittel geben muss, um das kleine, schwache Herz zu kräftigen, 
zu stärken, zu einer besseren Entwickelung zu bringen und so das Missverhältniss 
zwischen Herz und Lungen zu vermindern, resp. zu beseitigen, d. h. also die Lungen¬ 
schwindsucht zu mildern resp. zu heilen. 

Wenn wir ferner nach dem oben Gesagten nicht in der Lage sein werden, den 
tuberkulösen Prozessen am Zirkulationsapparat, da diese ja als terminale Erscheinungen 
aufzutreten pflegen, Einhalt zu gebieten durch Anwendung von Mitteln aus der Offizin, 
noch durch physikalische Heilfaktoren, so können wir doch andrerseits die Hoffnung 
nicht ganz aufgeben, durch geeignete baineotherapeutische Prozeduren, die verknüpft 
sein mögen mit hydriatischer Kunsthilfe, durch ein seiner Konstitution nach noch 
brauchbares Herz die Lungen mit einer arteriellen Hyperämie zu begünstigen, die 
geeignet ist, krankhafte Vorgänge im Gewebe zur Ausheilung zu führen. 

Vertrauend auf Rokitansky’s Lehre, der vor mehr denn 50 Jahren folgenden 
verheissungsvollen Ausspruch that: »Sämmtliche Cyanosen oder vielmehr jede zur 
Herstellung von Cyanose ihrer Art und ihrem Grade nach geeignete Herz-, Gefäss- 
und Lungenkrankheit verträgt sich nicht mit Tuberkulose, die Cyanose leistet eine 
ganz exquisite Immunität dagegen«, schreiten wir zur Therapie. 

»Liegekuren« und »Freiluftkuren« sind das Feldgeschrei der Sanatorien und 
Lungenheilstätten. 

Erstere Kuren nicht mehr allein in horizontaler Lage, sondern zielbewusst auf 
dem planum inclinatum mit erhobenem Rumpfende und mit tiefstehendem Thorax, 
um dem Blute Gelegenheit zu geben aus seinen weiten Bahnen und aus seinen gross- 
kalibrigen Gefässen des Bauches und der unteren Extremitäten die Lungengefässe, 
arteriell wie venös, zu überschwemmen. 

Soviel über die mit Erfolg gekrönte physikalische Therapie der Lungentuber¬ 
kulose. 

Ueber die pneumatischen Kuren, über Inhalationen, über Ernährungstherapie 
und die vielen anderen Naturheilmittel, die stets und immer wieder mit Nachdruck 
empfohlen werden, wage ich hier nicht zu beginnen, da ihr Werth zum Theil be¬ 
kannt genug ist, und weil sie auch als alte therapeutische Unternehmungen gelten 
können. 

Nur der Balneotherapie der Lungentuberkulose möchte ich noch das Wort reden 
und zwar dem Gebrauche der kohlensäurereichen Stahlsoolthermen, denen nach 
Glax die Zukunft gehört. 


Litteratur: 


Birch-Hirsehfcld, lieber Tuberkulose in llerzthromben. Deutsche medicinischc Wochen¬ 
schrift 1892. S. 267. 

Chiari, Ueber Herzthrombentuberkulose. Wiener medicin. Presse 1894. No. 94. Deutsche 
Medidnal-Zeitung 1895. S. 811. 

Claessen, Ueber tuberkulöse, käsig-schwielige Mediastino-Pericarditis und Tuberkulose des 
Horzfleisches. Deutsche medicinischc Wochenschrift 1S92. S. 191. 

(.'ourmont, Cobage inocule avee le produit d’unc cndocardite. Lyon medical 1894. No. 21. 

2S* 


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412 E. Achert, Tuberkulose* und Herzkrankheiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. 

Hanon, Beitrage zur Lehre von der akuten Miliartuberkulose. Virchow’s Archiv 18*7. 
Bd. 108. S. 221. 

Heller, Ueber tuberkulöse Endocarditis. 59. Versammlung der Naturforscher und Aerzte 
zu Berlin 1886. S. 420. Baumgartners Jahrbuch 1886. 

IIerxeimer, Ein weiterer Fall von cirkumskripter Miliartuberkulose in der offenen Lungen¬ 
arterie. Virchow’s Archiv 1887. Bd. 107. S. 180. 

H. Hirschsprung, Grosser Herztuberkel bei eineip Kinde. Jahrb. für Kinderheilkunde 
1882. Bd. 18. S. 2&3. 

Kamön, Aortenruptur auf tuberkulöser Grundlage. Ziegleris Beiträge 1895. Bd. 17. S.410. 

Kotlar, Ueber Herzthrombentuberkulose. Prag. nred. Wochenschr. 1894. No. 7 u. 8. 

Kundradt, Ueber das Vorkommen von Endocarditis bact. ulceros. bei Carcinom und Tuber¬ 
kulose. Wiener med. Bl. 1885. No. 8. 

Londe et Petite, Endocardite vöggtante tuberkuleuse. Archiv generale de medecine 1*94. 
Janv. S. 94. 

Sobre tuberculosis del miocardio. Juli-August Rivista de la societad med argentina 1*14. 
Centralbatt für innere Medicin 1895. No. 7. 

v. Leyden, Ueber die Affektion des Herzens mit Tuberkulose. Deutsche medicinisclu* 
Wochenschrift 1896. 

Reuter, Ueber die Grössen Verhältnisse des Herzens bei Lungentuberkulose. München 1881. 

Nasse, Beiträge zur Kenntniss der Arterientuberkulose. Virehow’s Archiv 1886. Bd. 4. 

Pollak, Ueber Tuberkulose des Herzmuskels. Zeitschr. für klin. Medicin 1892. Bd. 21. 

Recklinghausen, Herztuberkulose. Virchow’s Archiv Bd. 16. 

Tripicr, L’endocardite tuberculeuse. Archiv de möd. exper. 1890. 

Weigert, Ueber Venentuberkel und ihre Beziehungcu zur tuberkulösen Blutinfektion. Vircliuw's 
Archiv 1882. Bd. 88. 

C. Flügge, Nachruf an Dr. Hermann Brehmer. 

Brehmer, Mittheilungen aus Dr. Brchmcr’s Heilanstalt für Lungenkranke in Görberedorf. 

Derselbe. Die Immunität der Gebirgsbewohner. 

Derselbe, Die chronische Lungenschwindsucht. 

Derselbe, Die Therapie der chronischen Lungenschwindsucht 1889. 

Derselbe, Die Aetiologie der chronischen Lungenschwindsucht vom Standpunkte der klinischen 
Erfahrung 1885. 

Paul Croner, Die Bedeutung der Lungenschwindsucht für die Lebensversieherungsgesell- 
schaften. 

Turban-Rumpf, Die Anstaltsbehandlung im Hochgebirge 1899. 

Rokitansky, Lehrbuch der pathologischen Anatomie 1858 

Louis, Rechcrches sur la phthisie. 

Biondi, Endocarditis bei Tuberkulose. Centralblatt für pathol. Anatomie 1890 Bd. 6. 

Blum er, Tubcrkulosis of the Aorta. Aineric. jounial of the medical seien. 1899. 

Frommolt, Ueber das gleichzeitige Vorkommen von Herzklappenfehlem und Lungen¬ 
schwindsucht. Archiv für Heilk. 1,875. Bd. 12. 

Käst, Zur Pathogenese der tuberkulösen Pericarditis Berliner klin. Wochenschrift I>*■'*♦ 
Bd. 93. Centr. für med. Wissensch. 1884. Bd. 22. 8. 862. 

v. Zenker, Ueber Tuberkulose in Ilerzthromben. Deutsche medicinische Wochenschrift 
1892. Bd. 12. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


J. Gevaerts, Diete »ans phosphore. La cellule Bd. 18. Heft 1. S. 7. 

Die vorliegende Arbeit ist von hervorragender Bedeutung für die Bcurthcilung des Phosphor¬ 
stoff Wechsels. Verfasser wollte die Frage entscheiden, wieviel Phosphor der Organismus ausseheidet 
wenn ihm alle übrigen Nahrungsstoffe eben ausser Phosphor in genügender Menge dargeboten 
werden, d. h. unter Bedingungen, dass kein Zerfall von Körpermaterial eintritt. Schon bei den Vor- 
vereuchen stellte es sich heraus, dass die für gewöhnlich als phosphorfrei angesehenen Nahrungs¬ 
mittel, wie Fette, Starke u. s. w., Phosphor in solchen Mengen enthalten, dass sie für die Versuche 
vollständig unbrauchbar waren. Allein der gewöhnliche Zucker und von stickstoffhaltigem Material das 
Edestin erwiesen sich als phosphorfrei. Leider wird das Edestin von den Vcrsuchsthicren nur wenige 
Tage toleriert. Trotzdem zeigten die Versuche, welche an weissen Ratten ausgeführt wurden, dass 
bei einer phosphorfreien Ernährung mit Kohlehydraten und Eiweissstoffen, welche einen Zerfall von 
Korpermaterial verhüten, schon in wenigen Tagen die Ausscheidung der Phosphate auf den zehnten 
Theil der gewöhnlichen Menge vermindert wird. Das Verhältnis» von N:P= 10:1 sinkt auf 100:1 
und weniger. Neun Zehntel des ausgeschiedenen Phosphors entstammen der Nahrung und passieren 
nur den Organismus. Es ist klar, dass, wenn dies richtig ist, eine grosse Reihe von Arbeiten über 
die Beeinflussung der Phosphorausscheidung durch Muskelarbeit, durch geistige Arbeit u. s. w. voll¬ 
ständig werthlos sind. 

Für die Praxis ergiebt sich aus den Analysen des Verfassers, dass es unmöglich ist, Be¬ 
dingungen zu realisieren, welche bei sonst genügender Ernährung einen Phosphomiangcl im 
Organismus hervorrufen könnten. So lange der Körper überhaupt ernährt wird, bekommt 
er auch genug Phosphor, gewöhnlich zehnmal so viel, als er braucht. Jede besondere 
Phosphortherapie, abgesehen natürlich von eventuellen pharmakodynamischen Wirkungen, ist daher 
im höchsten Grade überflüssig. M. Lewandowsky (Berlin). 


(varnault, Traitement de la tuberculose par 1a viande crue et par les injections intra¬ 
tracheales d’orthoforme. Bulletin genöral de therapeutique 1901. Heft 7. 

Garnault heilte mehrere Fälle von Lungenschwindsucht, die bereits mit Kehlkopfkatarrh, 
ohne Geschwürsbildung, kompliziert waren, durch tägliche Gaben von 000 g rohen Fleisches und 
von Fleischsaft aus 1 kg rohem Fleische. Den Kehlkopf behandelte er speziell noch mit intra¬ 
trachealen Injektionen von 0 ccm folgender Emulsion: 

H* Huile d'olive.100,0 

Menthol. :i,0 

Chloralhydrate de cocaine . . 0,5 

Orthoform. ‘2,5. Schilling (Leipzig). 


Jaquet, Zur Frage der sogenannteu Verlangsamung des Stoffwechsels bei Fettsucht. Korrespon¬ 
denzblatt für Schweizer Aerzte 1901. No. 5. 

Im allgemeinen erklärt man den Fettansatz bei Fettleibigen durch Vielesserei und Vieltrinken 
oder geringe Muskelarbeit, resp. durch die Kombination beider Ursachen, durch Uebernähning und 
verminderte Arbeitsleistung. Offen bleibt indessen immer noch die Frage, ob nicht konstitutionelle 
Anlage dabei eine Rolle spielt. 

Schon Cohnheim nahm eine Herabsetzung der Energie der oxydativen Vorgänge in den 
Gewebszellen an; Bouchard schloss sich dieser Ansicht an. 

Als das Interesse für die Stoffwechselkrankheiten stieg, befasste man sieh experimentell mit 
dieser Frage. Die Analyse von Stuhl und Urin und das Maass des Sauerstoffverbrauches und der 
Kohlensäureausscheidung dienten als Anhaltspunkte für die neu aufgestellte Lehre, v. Noorden 
fand niedrigen Sauerstoff verbrauch bei Fettsüchtigen, doch berechnete er 1 kg Fett gleich 1 kg 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 

Fleisch oder Drüsensubstanz, obschon bekanntlich der Gaswechsel des Fettgewebes gering ist; zieht 
man eben das Fettgewicht ab, so erhält man normale Respirationswerthe. 

Jaquet machte neue Stoffwechsel versuche an drei Fettleibigen und kam zu folgendem Schlüsse: 
Die Nahrungsaufnahme hat einen geringeren Energieverbrauch zur Folge als dies bei den 
normalen Menschen gewöhnlich der Fall ist. Der Fettleibige verrichtet somit die mit der Ver¬ 
dauung und Assimilation der Nahrungsmittel verbundenen Funktionen ökonomischer als der normale 
Mensch. Dagegen fehlt eine Herabsetzung der Intensität der Verbrennungsvorgänge im nüchternen 
Zustande und bei der Muskelarbeit; die Intensität kommt ihr im mindesten gleich, wenn sie infolge 
von Komplikationen jene nicht erheblich überschreitet. Schilling (Leipzig). 


Gregor, Ueber die Verwendung des Leims in der Sänglingsernfthrnng. (Aus der Universitäts¬ 
kinderklinik zu Breslau.) Centralblatt für innere Medicin 1901. No. 3. 

Lcimhaltige Substanzen spielen in der Ernährung des späteren Lebensalters eine hervorragende 
Rolle, sind jedoch für die Säuglingsernährung in grösserem Umfange noch nicht herangezogen worden. 
Den Grund hierfür sieht Verfasser darin, dass zwar am Erwachsenen die dem Leim zukonnnende 
eiweisssparende Wirkung durch wiederholte Stoffwechsel versuche erwiesen ist, dass aber analoge 
Untersuchungen für den Säugling bisher völlig fehlten. Er suchte deshalb zu eruieren, wie weit der 
Leim vom Säugling assimiliert wird, ob er für N-haltige Substanzen der sonst gebräuchlichen Kinder¬ 
nahrung, z. B. des Kuhmilchkaseins, zeitweilig einzutreten vermag, ob er ohne Schädigung des kind¬ 
lichen Organismus, ohne Irritation des Magendarmtraktus und ungünstige Beeinflussung des Stoff¬ 
wechsels dargereicht werden kann. Liessen sich diese Fragen mit ja beantworten, so wäre in dein 
Leim ein bedeutsamer Faktor für die Säuglingsernährung gewonnen; denn gerade für die Behandlung 
akuter Verdauungsstörungen des frühesten Alters, wo wir sehr oft die Eiweisszufuhr für kurze Zeit 
ganz zu unterbrechen respektive erheblich einzuschränken gezwungen sind, wäre es zur Venneidang 
des bei der unzureichenden Ernährung der Kinder sonst unausbleiblichen Gewichtsverlustes von 
Wichtigkeit, einen Nahrungsstoff zu besitzen, welcher den starken Eiweissverbrauch des kranken 
Säuglings einschränken würde und in dieser kritischen Zeit noch neben Wasser und Salzen ohne 
Schaden gegeben werden könnte. 

Gregor’» Versuche erstreckten sich auf zwölf jüngere und ältere, theils akut oder chronisch 
magendarmkrankc, theils eine geregelte Darmthätigkeit aufweisende Patienten der Breslauer Kinder¬ 
klinik, welche in drei- bis vierstündlichen Pausen zweiprozentige Gelatinelösungen (mit einem Zusatz 
von 0,03 Saccharin pro 200 ccm) oder Mischungen von gleichen Theilen Knochcnleimbrühe und Hafer¬ 
schleim ausschliesslich oder neben Milch als Nahrung erhielten. Es gelang durch dieses diätetische 
Regime, die betreffenden Kinder nicht nur auf Körpergewicht zu erhalten, sondern bei einzelnen 
auch eine geringe Gewichtszunahme zu erzielen. Der durch das Verhalten des Körpergewichts ge¬ 
stützten Annahme, dass der Leim im Organismus verbrannt wird und Eiweiss vor Zerfall schätzen 
kann, entsprach auch das Resultat eines mit Leimhaferschleimgemisch an einem chronisch uiagcn- 
dannkranken Säugling angcstellten N-StoffwechselVersuchs; während bei derartigen Patienten sonst 
häufig vermehrte N H a - Ausscheidung im Ham zu konstatieren ist, als Zeichen einer Schädigung 
des Oxydationsvermögens des kranken kindlichen Organismus gegenüber der angewandten Er¬ 
nährung, sprach hier die relativ niedrige NH 3 -Ausfuhr dafür, dass ein bedeutender Theil dr^ 
Nahrungsbedarfs des Kindes während jener Periode durch Verbrennung des Leims gedeckt und er 
theilw'eise zum Ersatz des Eiweisskonsums herangezogen wurde. Indess erzeugten mit wenigen 
Ausnahmen bei den meisten Versuchskindern, und zwar speziell bei jüngeren, eben erst von akuten 
Magendarmaffektionen genesenen Säuglingen, die reinen Gelatinelösungen und die Leimhaferschleiin¬ 
mischungen schon nach kurzer Zeit heftige Diarrhöen, bei denen unter starkem Pressen mit blutigen 
Streifen gemengter Schleim und wässeriges, gelbgrünliches Sekret spritzend oder tropfenweise ent¬ 
leert wurden und die erst nach Aussetzen der Nahrung und Anwendung von Darmirrigationen 
sistierten, bei Wiederaufnahme der Ernährung ohne Leim sich nicht wiederholten. Zuweilen traten 
gleichzeitig hohe Fiebersteigerungen (bis 41,4° in einem Falle) auf, ohne dass das Gesammtbefinden 
der Kinder wahrnehmbar alteriert worden wäre. 

Verfasser resümiert die Ergebnisse seiner Beobachtungen dahin, dass der Leim w r ic für den Er¬ 
wachsenen, auch für den Säugling ein leicht resorbierbarer und assimilierbarer Nahrungsstoff ist, dass 
er die Eigenschaft besitzt, selbst beim kranken Kinde Nahrungseiw eiss zum Körperansatz disponibel 
zu machen, dass jedoch schon kleine Leimmengen für den kindlichen Darm nicht indifferent sind, 
sondern nach kurzer Zeit schwöre Durchfälle hervorrufen, selbst wenn sie unter Verhältnissen, die 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 415 

sonst einer geregelten Dannfunktion sehr günstig sind, z. B. bei gleichzeitiger Ernährung mit Frauen¬ 
milch, zur Anwendung gelangen. Wahrscheinlich wird infolge der Leimzufuhr, sei es durch den 
Leim selbst oder durchJdieJProdukte des intennediären Stoffwechsels, ein Entzündungsprozess im 
Darmtraktus bedingt, und es verliert durch diesen Uebelstand die Frage der eiweisssparenden 
Funktion des Leims und damit auch seiner Vorwerthbark eit für die Praxis an aktuellem Interesse. 

Hirschel (Berlin). 


Keller, Malzsuppe in der Praxis. Therapie der Gegenwart 1901. Februar. 

Die Malzsuppe, die von Breslau aus in die Säuglingsernährung eingeführt worden ist, wird 
am besten so bereitet, dass auf 1 Liter Suppe 50 g Weizenmehl, 100 g Loefflund’sches Malz- 
suppcnextrakt, 1/3 Liter Kuhmilch und 2/3 Liter Wasser genommen werden. Die Malzsuppe ist eine 
Nahrung für kranke Säuglinge und wird zweckmässig erst nach Ablauf der ersten drei Lebens¬ 
monate gereicht. Ihre Hauptindikation hat sie in solchen Fällen von chronischen Ernährungs¬ 
störungen, bei ^ denen eine Atrophie im Entstehen begriffen ist oder bereits mehr oder weniger 
lange Zeit besteht. Von künstlich genährten Säuglingen eignen sich alle diejenigen für eine Malz¬ 
suppenbehandlung, die bei kohlehydratarmer Kost nicht recht vorwärts kommen, sei es, dass als 
Folge von Ueberemährung mit Kuhmilch chronische Ernährungsstörungen in ihren Anfangsstadien 
vorliegen, oder sei es, dass sich bei fettreicher Nahrung Verdauungsstörungen eingestellt haben. 
Kontraindiziert ist die Malzsuppe einmal da, wo ein Kind längere Zeit hindurch ausschliesslich oder 
fast ausschliesslich mit Mehl- oder Schleimsuppen gefüttert worden ist, ferner beim Bestehen akuter 
heftiger Magen dann ersch ei nungen. Im allgemeinen reicht der Nährwerth eines Liters Malzsuppe 
aus, um den Nahrungsbedarf eines Säuglings von 5 kg Körpergewicht zu decken. Die durchschnitt¬ 
liche Behandlungsdauer variiert zwischen ein und drei Monaten; es empfiehlt sich bei Beginn der 
Malzsuppenperiode sich auf eine Minimalzufuhr von ein bis zwei Mahlzeiten zu beschränken und 
erst nach und nach ihre Zahl bis auf fünf zu steigern. Vor dem Beginn der Ernährung mit Malz¬ 
suppe muss der Magendarmkanal durch Darreichung von Wasser- resp. Theediät leer gestellt werden. 
Die Entwöhnung von Malzsuppe geschieht am besten durch Ersatz mit kohlehydratreicher Kost 
Der Verfasser lässt zur Milch eine dünnflüssige Mehlsuppe aus Gersten-, Weizen-, Hafermehl oder 
Mondamin zusetzen, bei jüngeren Kindern auch vielfach aus Gerste, Hafer oder Reis hergestcllte 
»Schleimsuppe. Stehen die Kinder bereits im zweiten Halbjahr, so wird beim Beginn des Absetzens 
zunächst eine Mahlzeit Malzsuppe durch Gries- oder Reisbrei oder Gemüse ersetzt, und erst nach 
und nach folgen die weiteren Mahlzeiten Mehlsuppe. Frcyhan (Berlin). 


Förster, Alkohol und Kinderheilkunde. Therapeutische Monatshefte 1901. März. 

Verfasser rügt die in nichtärztlichen Kreisen weit verbreitete Unsitte, Kindern, selbst Säug¬ 
lingen, Alkohol in manchmal erschreckend hohen Dosen als Genussmittcl und »zur Kräftigung« dar¬ 
zureichen, und weist nachdrücklich auf die schweren Schädigungen hin, welche der Genuss von 
Spirituosen für die körperliche, moralische und intellektuelle Entwickelung der Kinder im Gefolge 
hat; seine vom Standpunkt des Pädiaters aufgestellte Forderung, für das gesunde Kind bei der Er¬ 
nährung an absoluter Enthaltung vom Alkohol streng festzuhalten, für das kranke Kind seine An¬ 
wendung durchweg der ärztlichen Entscheidung anheimzustellen und ihn rein als Medikament zu 
betrachten, verdient auch beim Laienpublikum allgemeine Beachtung. Hirschei (Berlin). 

Menzer, Ein Stoffwechselyersuch über die Ansnntzang des Fersans durch den menschlichen 
Organismus. Therapie der Gegenwart 1901. Februar. 

Der von dem Verfasser angestellte Stoffwcchselvcrsuch lehrt, dass das Fersan in einer Tages¬ 
menge von 40 g mindestens ebenso gut ausgenützt und vertragen wird wie das Eiweiss des Fleisches 
und der Milch, sodass cs die Bezeichnung eines Nährpräparates durchaus verdient Vor anderen 
Nährpräparaten, wie zum Beispiel dem Plasmon, welches nach Kornauth das Fersan in der Aus¬ 
nützbarkeit übertreffen soll, hat es — soweit der vorliegende Fall ein Urtheil erlaubt — den Vor¬ 
zug voraus, dass es gleichzeitig die Blutbildung sehr günstig beeinflusst. Die Anwendung des 
Fereans glaubt Menzer demgemäss in solchen Krankheitsfällen empfehlen zu sollen, in denen gleich¬ 
zeitig eine Besserung der Ernährungsverhältnisse und der Blutbildung in Frage kommt. 

Freyhan (Berlin). 


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Referate über Büchet* und Aufsätze. 

Bendix und Finkeistein, Ein Apparat für Stoffwechselnntersuchungen am S&ngling. Aus 
der Universitäts-Kinderklinik in der Königlichen Charitö in Berlin.) Deutsche mcdicinische 
Wochenschrift 1900. No. 42. 

Die Verfasser haben einen durch die Finna Ernst Lentz, Berlin (Birkenstrasse 18) zu be¬ 
ziehenden, recht zweckmässigen Apparat für Stoffwechseluntersuchungen konstruiert, welcher es er¬ 
möglicht, Urin und Fäces des Säuglings getrennt und ohne Verlust aufzufangen und bei welchem, 
da eine Lageverschiebung des Kindes und des Rezipienten ausgeschlossen ist, die bei den bisher 
gebräuchlichen, dem gleichen Zwecke dienenden Vorrichtungen erforderliche, mühsame und kost¬ 
spielige, dauernde Ueberwachung fortfällt; sic beschreiben denselben folgen denn aassen: Im Bett 
ist ein starkes Leintuch ausgespannt, das etwa von der Mitte ab sich in zwei massig divergierende 
Fusstheile spaltet, welche durch Emporschlagen und Feststecken zweier innerer Zipfel zu düten- 
förmigen Röhren für die Beine umgestaltet werden. Auf das Leintuch ist mit den Knöpfen nach 
vom eine wollene Hemdhose so aufgenäht, dass die Naht etwa in der dem Angulus scapulae ent¬ 
sprechenden Höhe in der Mittellinie beginnt und, vom Kreuz ab sich gabelnd, bis zur Kniekehle 
zieht und dass der Analausschnitt der Hose mit dem Spalt des Tuches genau korrespondiert. Wird 
das Versuchskind in diese Hose hincingesteckt - - bei grösseren Kindern können die Aennel an¬ 
gezogen werden, bei kleineren genügt ein fester Taillenschluss —, so bleiben Oberkörper und Arme 
vollkommen, die Beine ziemlich frei beweglich, ohne dass, da stets das Tuch der Hose folgt, ein 
Verrutschen eintreten könnte; ein etwa mögliches Herabrutschen des Gesässes und dadurch be¬ 
dingtes Einschneiden der Hosenränder in die Glutäalfalten lässt sich leicht vermeiden, wenn der 
Rückentheil des Leintuches bis zum Kreuz durch untergelegte Kissen gestützt wird und der Ober¬ 
körper des Kindes immer horizontal liegt. An dem hosenträgerartigen Leibgürtel, der straff nach 
unten zu ziehen und mit möglichst vielen Knöpfen versehen isjt, wird mit je zwei vorderen und 
hinteren Gummistreifen der Urinrezipient ziemlich stramm befestigt, ein Gummiansatzstück mit 
Polsterring und eine in dasselbe hineinpassende, in ein langes Rohr auslaufende Glasampullc; die 
letztere nimmt Scrotum und Penis auf, das Rohr mündet direkt in die Vorlage, sodass der Harn 
nur über Glas läuft. Zum Auffangen der Fäces dient eine untcrgestellte Schale, auf deren Fussende 
bei sehr diarrhoischen Stühlen eine ziemlich hohe ßlechplatte als Schirm aufgeklemmt werden kann. 

Hirschei (Berlin). 

H. J. Vetlesen, Om extrabuccal og speciclt rektal ernaering. Norsk Magazin for Laege- 
videnskaben 1900. No. 12. 

Nach einer kurzen Ucbcrsicht über die Prinzipieen der rektalen Ernährung theilt Verfasser 
eine Reihe von eigenen Erfahrungen mit. Bei einer schweren diphtheritischen Lähmung der Schling- 
und Athmungsmuskeln, wo auch die Sondenernährung sich als undurchführbar erwies, gelang es 
durch Nährklysticre die Patientin so lange über Wasser zu halten, bis die Lähmung zu schwinden 
begann. Seit sechs Jahren hat Vetlesen in den meisten Fällen von Ulcus ventriculi die Rektal¬ 
ernährung mit gutem Erfolg herangezogen und glaubt dadurch dem Kräfteverfall, den die Unter¬ 
ernährung der Kur sonst leicht bedingt, wirksam vorgebeugt zu haben. Atn ausführlichsten be¬ 
richtet Verfasser über einen Fall von Oesophaguscarcinom mit Divertikelbildung. Die 00 jährige 
Patientin, die die Operation verweigerte, konnte durch ausschliessliche Anwendung von Nähr- 
klystieren und subkutane Zufuhr von Oleum olivar. -- täglich zwei Spritzen ä 10 g — drei Monate 
am Leben erhalten werden. Die Klystiere bestanden der Regel nach aus 200, höchstens 2M) g 
Milch, 1-2 Eigelb, 1 Esslöffel Portwein, eine Messerspitze Kochsalz und 10 Tropfen Opiumtinctur. 
Vetlesen empfiehlt dringend dem Wasserbedürfniss des Organismus gleichzeitig durch rektale 
Zufuhr grösserer Mengen von Kochsalzlösung Rechnung zu tragen, wie das Rost, Lindow und 
v. Me ring mit Recht betont hätten. Böttcher (Wiesbaden). 


H. Strebei, Die Fettleibigkeit und ihre Behandlung* Deutsche Medicinal-Zeitung 1901. No. 6, 
7 und 8. 

Der weitaus grösste Theil der Arbeit, ja man könnte sagen, fast die ganze Arbeit, beschäftigt 
sich mit der Behandlung der Fettleibigkeit, während der Aetiologie, Symptomatologie etc. nur einige 
Zeilen gewidmet sind. 

Die Grundidee der Behandlung der Fettleibigkeit entspringt der Entstehungsgeschichte dieser 
Affektion und besteht darin, diiss dafür Sorge getragen werden muss, dass die Nahrungszufuhr nicht 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 417 

im Üebermaass erfolgt, dass die zugeführte Nahrung an sich wenig Fett enthält, dass auch die Ein¬ 
führung der Fettbildner in Eiweissfleischfonn nicht in übertriebener Menge erfolgt, wie auch, dass 
die Kohlehydrate (Mehl, Stärke, Zucker) und die leimgebenden Stoffe nur in geringen Mengen ge¬ 
nossen werden. Zugleich ist darauf zu sehen, dass der zur Verbrennung des Fettes nothwendige 
Sauerstoff in genügender Menge durch passende Maassnahraen zugeführt werde, dass durch In¬ 
anspruchnahme beabsichtigter erhöhter Verbrennung und Stoffwechselanregung das Fett direkt an¬ 
gegriffen wird. Zugleich mit der erhöhten Fettverbrennung erfolgt Entlastung von ungenügend ver¬ 
brannten Produkten eines trägen Stoffwechsels, welche als Gifte die Trägheit des Stoffwechsels und 
die Herabstimmung der psychischen und nervösen Thätigkeit bedingen. Schliesslich ist auch auf 
die Beförderung der Blutbildung und Hebung der Herzkraft genügend Rücksicht zu nehmen und auf 
Beseitigung von organischen Missständen, wie Katarrhen, Unterleibsstauungen u. s.w., welche zu un¬ 
genügender Bewegung, unpassender Speiseauswahl Anlass geben. Man hätte also ungefähr folgende 
Gesichtspunkte zu beachten: 

1. Mittel zur Einschmelzung des Fettes, und zwar durch Regelung der Diät ln 
erster Linie käme hier eine massige Eiweisskost ohne Fettzugabe bei geringer Zufuhr von Kohle¬ 
hydraten in Betracht. Wird Fleisch in massigen Quantitäten zugeführt, so kann sich aus demselben 
das Fett nicht gut oder gar nicht abspalten; wenn zugleich auch die Menge der Kohlehydrate gering 
ist, so kann sich eventuell das aus dem Eiweiss des Fleisches abgespaltene Fett nicht fest im 
Körper anlagem, weil es eben aus Nothwendigkeit verbrannt wird. Fettnahrung muss unter allen 
Umständen auch in geringen Mengen vermieden werden; doch darf Leimstoff eingeführt werden, 
weil er kein Fett bildet, aber das Eiweiss doch schont. Auf diesem Prinzip beruht die bekannte 
Bantingkur, d. h. diejenige, die der Arzt Harwey dem Engländer Banting verordnet hat. Die 
strenge Durchführung der Bautingkur hat zwar grossen Erfolg, aber sie darf absolut nicht lange 
angewendet werden, weil sie sehr gefährlich werden kann. Die fast ausschliessliche Fleischkost 
stellt an Magen und Darm sehr grosse Anforderungen, deshalb entstehen leicht Magen- und Dann¬ 
katarrhe. Ferner produziert die reine Fleischkost mehr Harnsäure und fördert so die Ausbildung 
von Gicht und Nierengries. Schliesslich kann sogar das Entstehen von Lungentuberkulose sehr be¬ 
fördert werden, ebenso das Entstehen von nervös - psychischen Stöningen. Als Surrogat für die 
Bantingkur kann unter Umständen die sogenannte Vegetarianerdiät cintreten. Ein vegetarischer 
Speisezettel ist z. B. folgender: Frühstück: Schrotmehlsuppe oder Hafergrütze oder Kakao oder Milch, 
Schrotbrot mit Obst oder mit Butter, Honig, Obstmus. Mittagessen: Suppe mit Einlage von Nudeln, 
Makaroni, Hülsenfrüchten; Gemüse in irgend welcher Form, Spargel, Kartoffeln, Reis; Mehlspeise, 
Obst und Brot. Abendessen: Brot mit Obst, Suppe, Käse, Butter, Eier. Als Getränk nur Wasser 
mit Fruchtsaft, Milch. 

Ebstein hat die Bantingkur dahin modifiziert, dass er die Nahrung an sich wenig erlaubt, 
darin das Eiweiss reduziert, aber Fett in ziemlicher Menge gestattet (relativ!) neben wenig Kohle¬ 
hydraten. Unter diesem Regime erfolgt die Fctteinschmelzung nur ganz langsam in grösserem Zeit¬ 
räume, so dass unangenehme Erscheinungen vermieden werden, und schliesslich ist der von Ebstein 
angegebene Speisezettel so bemessen, dass er zeitlebens ohne viel Entbehrung durchgeführt werden 
kann. Allerdings hat die Ebstein’sche Kur den Nachtheil, dass sie wegen der grossen Menge von 
Fett oft dyspeptische Magen dann Störungen verursacht. Auch ist die Wirkung ungemein langsam und 
wird meist von den Patienten nicht abgewartet. Die von Tarnier vorgeschlagenc Hungerkur be¬ 
steht in ausschliesslicher Milchdiät, an die der Patient in drei Tagen unter allmählicher Reduzierung 
der gewohnten Kost und Steigerung des Quantums der zu nehmenden süssen abgerahmten Milch 
gewöhnt wird. 

Auf der Thatsache, dass der durch Mangel an Blutfarbstoff schwache Blutkörper vieler Fett¬ 
leibiger meist mit relativer und absoluter Verwässerung des Blutes einhergeht, welche das Herz und 
das Gefasssystem mehr als nöthig belasten, beruht die von Daucel und Gerte 1 vorgeschlagene 
Wasserentziehungskur. Durch diese soll'das Herz entlastet und arbeitsfähiger gemacht werden. 
Oie Wasserentziehungskur eignet sich nur für weit vorgeschrittene Zirkulationsstörungen. Nachtheile 
des Verfahrens sind: Beeinträchtigung des Verdauungschemismus, Ueberladung der Gewebe mit 
stickstoffhaltigen Endprodukten, Schwächung des ganzen Nervensystems. 

Auf demselben Prinzip beruht die Sch roth 'sehe Trockenkur, die eigentlich auch nur Wasser¬ 
en tziehungsdiät von mehr heroischem Typus ist. Die Kur ist des grossen Durstes wegen qualvoll 
fär den Patienten und durchaus nicht gefahrlos Sie hat sich infolgedessen, sowie auch aus dem 
^rund, dass sie nur in Anstaltsbehandlung durchführbar ist, nicht lange erhalten und ist heute voll¬ 
ständig verlassen 


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418 Referate über Bücher und Aufsätze. 

2. Mittel zur Einschmelzung des Fettes durch Schwitzen. Es kommt hier das 
Dampfbad, kombiniert mit Heissluft, zur Verwendung. Das Verfahren hat sehr günstige Erfolge auf¬ 
zuweisen, zugleich aber den Nachtheil, dass häufig Bekleramungserscheinungen von Seiten des 
Herzens und der LuDgen auftreten, Ohnmachtsanwandlungen, Schwäche, Erbrechen, besonders in 
Fällen, wo Herz und Gefässe nicht mehr intakt sind. Verfasser hat das Dampfheissluftbad infolge¬ 
dessen ganz aufgegeben und verwendet die modernen Lichtschwitzbäder, die eine ausgiebige, 
leichte, reinliche, bequem kontrollierbare Schweisserzeugung ermöglichen, ohne merkliche Irritation 
der Lungen und des Herzens der Patienten. Eine ganz milde Erzeugung des Schweisses ist die 
durch nasse Wickelung, trockene Einreibungen in Verbindung mit einem sch weisstreibenden Mittel. 
Grog etc. Dieses Verfahren ist aber für Menschen, welche nur schwer Schweiss produzieren, fast 
werthlos. 

3. Mittel zur Einschmelzung des Fettes durch Säfteverluste und Erhöhung der 
Fettoxydation. In erster Linie kommen hier drastisch wirkende Abführmittel in Betracht. Diese 
Methode hat aber ihre bedenklichen Seiten, weil die abgeführten Säfte durchaus nicht harmloses 
Wasser darstcllcn, sondern noch wichtige Nährbestandthcilc aus Blut- und Darmsaftcn enthalten. 
Heber den Werth der Brunnenkuren als Einschmelzungsmittel gehen die Ansichten auseinander. Für 
seine Person neigt Verfasser mehr einer Anschauung zu, welche die Erhöhung der Gcwebsosmose 
durch Einführung von Salzen bestimmter Konzentration als oxydationsvergrössemden Faktor an- 
niramt. Bezüglich der Wahl des Badeortes lehnt sich Verfasser an Kisch an. Auch mit Medikamenten 
sucht man Fetteinschmelzung zu erzielen. Hier kommen hauptsächlich die Jodpräparate, speziell 
Jodkalium in Frage. Die Jodpräparate verhindern durch das aus ihnen innerhalb der Gewebe frei- 
werdende Jod die Neubildung der Gewebe, beschleunigen deren Zerfall und Verflüssigung. Sie be¬ 
dingen zugleich eine Vermehrung und Beschleunigung der Wasserdiffusion durch den Gehalt an Al¬ 
kali und später cino Steigerung der Lymphdrüsenthätigkeit. Leider hat der längere Jodgebrauch 
seine grossen Gefahren (Jodismus). Auf dem Gehalt an Jod scheint auch die Wirkung der modernen 
Schilddrüsenfütterung zu beruhen. Doch hat sich gezeigt, dass die Thvreoidbehandlung das Ge¬ 
wünschte nicht absolut sicher leistet und dass sie unangenehme, ja gefährliche Zustande veranlassen 
kann. Die Absicht, durch längere Darreichung von Essig auf Entfettung hinzuzielen, grenzt an Ver¬ 
brechen und Selbstmord. 

4. Mittel zur Erhöhung der Sauerstoffzufuhr zwecks Fettreduktion und zur 
II erzrestauration. Vermehrte Sauerstoffzufuhr in das Blut wird einerseits durch diätetische Maass¬ 
nahmen, andrerseits durch Erhöhung der körperlichen Bewegung erzielt. Nach wissenschaftlichen 
Anschauungen hängt dies aber von der Menge des vorhandenen Zirkulationseiweisses ab, mit dessen 
Menge der Sauerstoffbedarf parallel geht: ein fetter Organismus wird durch Bewegung, d. h. durch 
Muskelanstrengung wenig mehr Sauerstoff aufnehmen können; erst wenn die Entfettung weiter vor¬ 
geschritten und das Zirkulationseiweiss reichlicher geworden ist, wird die Kapazität für und die 
Aufnahme von Sauerstoff grösser. Durch eine regelrechte Gymnastik wird sich ebenfalls eine 
ganz bemessene Bewegung und Muskelanstrengung erzielen lassen, welche mit entsprechender Fett¬ 
verbrennung einhergeht. Individualisierung und Vorsicht sind aber hier am Platze, ganz besonders 
muss auf den Zustand des Herzens Rücksicht genommen werden. Auch die passive Gymnastik 
mit Hülfe der Zanderapparate hat bei systematischer Anwendung gute Wirkungen aufzuweisen. 
Vorzügliche Resultate ergiebt eine ausgiebige Massage der ganzen Körperoberfläche, jedoch nur 
dann, wenn die Massage lange Zeit fortgesetzt wird. Zur Erhöhung der Sauerstoffzufuhr dient 
auch eine rationelle Lungengymnastik. Verfasser lässt seine Patienten täglich drei- bis fünfmal mit 
hochgehobenen Armen in freier Luft am offenen Fenster durch eine Zigarrenspitze zwei- bis zehn¬ 
mal tief, langsam und vollständig aus- und einathmen, jedoch ohne zu forcieren, da diese Hebung 
sehr anstrengend ist. Als einen sehr wichtigen Faktor bei der Reduktion starker Fettleibigkeit be¬ 
zeichnet Verfasser die regelrechte Elektromassage, die in verschiedener Richtung günstig wirkt: 
sie ersetzt bei starken Fettleibigen zum Theil die gerade hier schon vermisste freiwillige Muskel- 
thätigkeit, sie führt zu erhöhter Oxydation im Muskel, und sie giebt dem ganzen Nervensystem eine 
Anregung, welche besonders bei schneller Entfettung ein willkommener Faktor ist, da dadurch 
manchem unangenehmen Symptom entgegengearbeitet wird. Besonders wichtig ist die Elckti» 
massage für herzkranke Fettsüchtige, weil hier auf den Muskel eingewirkt werden kann, ohne be¬ 
sondere Belastung des Heizens. Mit energischer Elektromassage hat Verfasser neben der Licht* 
schwitzmethode und Diät seine besten Erfolge bei Entfettungskuren erzielt 

Als ausgezeichnetes Unterstützungsmittel zur Erhaltung und Hebung der Herzaktion bei 
Entfettungskuren betrachtet Verfasser die prophylaktische Kampferöleinspritzung, die je nach 


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den Umständen täglich vorgenommen werden kann. Als paralysierendes Mittel bei eingreifenden 
Kuren verwendet Verfasser auch Kola, speziell die französische Marke Asti er, nicht als ständig 
einzunehmendes Medikament, sondern nur bei eintretenden leichten Symptomen nach energischen Kuren 
und an den ein- bis zweimal wöchentlich einzuhaltenden Trocken tagen. 

5. Mittel zur Fetteinschmelzung durch Erhöhung des gesaramten Sto ffwechsels. 
Hier kommen vor allem physikalische Mittel in Betracht, und zwar zunächst diejenigen, die durch 
Anregung des Stoffwechsels der Haut eine bedeutende Steigerung des allgemeinen Stoffwechsels 
hervorrufen können. Als mächtigster Faktor kommt hier die Licht Wirkung in Betracht, als Licht¬ 
quelle die Sonne, bezw. das konzentrierte elektrische Bogenlicht oder das Drummond’schc Kalk¬ 
licht Die Belichtung muss stundenlang dauern. Passend wird die Wirkung des Lichtes unterstützt 
durch den Einfluss der Luft im sogenannten Lichtluftbad, wobei sich der Patient längere oder 
kürzere Zeit der Wirkung der bewegten oder unbewegten Luft aussetzt, vollständig nackt, ruhend 
oder mit gymnastischen Hebungen, Sport etc. beschäftigt Der Gedanke, durch Erzeugung einer 
energischen Hautdurchblutung den Stoffwechsel zu erhöhen und die Hautthätigkeit anzuregen, wird 
auch durch starkes Frottieren der Haut mit der Hand, einem rauhen Tuch, einer Bürste etc. ver¬ 
wirklicht. In neuerer Zeit werden mit Recht Abreibungen mit Kochsalzwasser empfohlen, wobei 
der Patient, wenn er sehr blutarm ist, sich zweckmässig mit den Füssen in ein Gcfäss mit warmem 
Wasser stellt. Mit Vorliebe macht Verfasser auch von der Wärmcentziehung durch das prolongierte 
kalte Bad Gebrauch. Während des kalten Bades kann sehr zweckmässig ein kräftiger faradischcr 
Strom durch den Körper geleitet werden, wodurch Haut und Muskeln in ausgiebige Reizung kommen. 
Als besondere Spezialität benutzt er die Anwendung eines monopolären Hochspannungsstromes auf 
besondere Art. Als hautreizende Bäder, welche bei Entfettungskuren hilfreich mitwirken können, 
gelten auch die Moorsoolsäuerlinge, Stahlbäder, Jodbäder, welche passend mit den Trinkkuren in 
Bädern selbst verbunden werden. 

6. Anregung der Blutbildung. In erster Linie kommt hier die Eisenmedikation in Be¬ 
tracht. Allerdings bezweifelt Verfasser, ob man mit einfacher innerer Darreichung eines anorganischen 
Eisen- oder Blutpräparates zum Ziele kommen wird, weil vermöge der beim Fettleibigen in mehr 
oder weniger hohem Grade ausgesprochenen Erkrankung des Blutgewebes nach irgend welcher 
Richtung keine lebhafte Reaktion auf die durch die Nahrung oder im Medikament gelieferten Blut¬ 
eisensalze erfolgt und in vielen Fällen auch die Resorptionsfähigkeit der Magenschleimhaut eine un¬ 
genügende ist. Deshalb empfiehlt Verfasser, ein eisenhaltiges Mittel in winzigen Dosen durch Ein¬ 
spritzung unter die Haut in die Blutlymphbahnen zu bringen, bezw. durch die Verwendung der 
kataphorischen Kraft des elektrischen Stromes im Moorbad oder Stahlbad elektrolytische Zersetzung 
und Transport minimaler Mengen von Eisen durch die Haut hindurch im Zweizellenbad anzustreben. 
Im Sinne einer vermehrten Hämoglobinregeneration wirkt auch die Lichtbehandlung im Lichtsonnen¬ 
luftbad. Der Gedanke aber, durch Aderlass die Hämoglobinneubildung und die Regeneration des 
Blutkörpers anzuregen, ist für Fettleibige verwerflich. 

7. Anregung der Darmthätigkeit und Behebung der Untcrleibsstauungen. Als 

wichtiges Hülfsmittel steht hier zunächst das kalte Sitzbad zu Gebote, dann die Wechseldouche, bei 
der abwechselnd warmes und kaltes Wasser unter starkem Druck (cirka zwei Atmosphären!) in der 
Richtung der Darm Windungen über den Bauch hingeführt wird, eventuell unter Einschaltung des 
faradisehen Stromes. Selbstverständlich müssen diese Manipulationen mit sorgfältiger individueller 
Auswahl und Stärke ausgeführt werden. Von vorzüglicher Wirkung sind methodische Darm¬ 
ausspülungen, besonders wenn grosse Wassermengen verwendet werden. Der Patient muss natürlich 
vorher schon Entleerung gehabt haben und jetzt den selbstständigen Austritt des Wassers zu ver¬ 
hindern suchen. Auch mit diesem Verfahren brachte Verfasser die Elektromassage in Verbindung 
Schliesslich werden zur Behebung der Obstipation abführende Medikamente angewendet Verfasser 
bevorzugt seinerseits die öftere Darreichung von Pulv. Liqu. comp., abwechselnd mit Rhabarber- 
und Warmwassereinläufen. n 


Kaggowitz, Wirkt Alkohol nährend oder toxisch? Deutsche medicinische Wochenschrift 1000, 
No. 32/34. 

Nach einer ausführlichen Darstellung der früheren Anschauungen von dem Nährwerth des 
Alkohols, wie sie sich bei Liebig, Mayer, Voit und anderen finden, bespricht Kassowitz die 
Untersuchungen der letzten Jahre, die von Miura, Schöneseiffen, Rose mann etc. angestellt 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


die alte Lehre über den Haufen geworfen und den Beweis erbracht haben, dass der Alkohol keine 
ei weisssparende Wirkung zu erzielen im stände ist. Trotz alledem vermisst Kassowitz mit Recht 
die nothwendige Klarheit in der Beurthcilung der Frage, denn während auf der einen Beite anerkannt 
wird, dass der Alkohol giftig wirkt und dass er lebendes Protaplasma zerstört, dass er kein eigent¬ 
licher Nahrungsstoff ist, wird doch wiederum auf Grund der Untersuchungen von Zuntz und Gep- 
pert zugegeben, dass der Alkohol mit seinem vollen Kalorieenwcrthc Fett erspart. So werden 
demselben Körper doch wieder gleichzeitig die Eigenschaften eines Nahrungsstoffes und eines 
Giftes zuerkannt und hieraus ergeben sich Widersprüche, die die gesammte Auffassung erschweren 
müssen. Dazu kommt noch ein weiteres Moment: Wir wissen bestimmt, dass Fett in hohem 
Maasse die Fähigkeit besitzt, den Schwund des Körpereiweisses zu verhindern, und zwar nicht 
allein, wenn es als Nahrung verabreicht wird, sondern auch wenn es als Reserve im Körper ab¬ 
gelagert ist. Wenn nun ein Stoff wirklich die Fähigkeit besitzt, fettsparend zu wirken, dann muss 
er unbedingt auch im stände sein Körpereiweiss zu schützen, weil das durch seinen Einfluss ersparte 
Fett im Körper verbleibt und daher, wie jedes andere Reservefett, seine eiweissschützende Fähig¬ 
keit zur Geltung bringen müsste. Nach Rosemann trifft dies aber für den Alkohol nicht zu, und 
er behauptet, dass, so lange man Alkohol giebt, so lange es weder direkt noch indirekt zu einer 
Eiweissersparung kommt. Erst wenn man den Alkohol fortlässt, wird das unter der Alkoholwirkung 
ersparte Fett zerfallen und dann auch eiweisssparend wirken, dann werden die Eiweissverluste 
geringer ausfallen, als sie gewesen wären, wenn das Fett nicht vorhanden wäre. Dieser weitere 
Widerspruch zwischen der angeblichen fettsparenden Eigenschaft des Alkohols und seiner totalen 
Unfähigkeit, das Körpereiweiss zu schützen, ist nach Kassowitz ebenso wie die vorhergehenden 
keineswegs in den Thatsachen selbst gelegen, sondern nur in der jetzt üblichen theoretischen Aus¬ 
legung derselben, so dass man, wenn man die Erfahrungen von einem anderen Gesichtspunkte aus 
ins Auge fasst, auch zu anderen Ergebnissen gelangt. Um vor allem die Frage zu entscheiden, oh 
ein und derselbe Körper gleichzeitig als Gift und als Nahrungsstoff wirksam sein kann, darf man 
unsere Nahrungsstoffe nicht allein unter dem Gesichtspunkte des Kalorieenwerthes, sondern vor 
allem unter dem des Bauwerthes, d. h. seiner Fähigkeit, sich am Aufbau des Körpers zu betheiligen, 
betrachten. Diese »metabolische« Auffassung, welche alle Nahrungsstoffe ohne Ausnahme, also 
auch die stickstofffreien Theile der thierisehen Nahrung, immer zunächst zum Aufbau der kom¬ 
pliziert gebauten chemischen Einheiten des Protaplasmas verwenden und die Oxydationen erst beim 
Zerfall dieser labilen Moleküle vor sich gehen lässt, erklärt allein die Stoffzersetzung im Organismus 
wie den Mechanismus derselben. Die metabolische Auffassung ist es, der der blosse Nachweis, 
dass eine Substanz in vivo verbrennt, noch nicht genügt, ihn als nährend für den Organismus zu 
bezeichnen, woran man um so weniger zu denken hat, wenn, wie es beim Alkohol der Fall ist, 
dieser Stoff als chemischer Reiz auf das Protaplasma einwirkt und bei seiner Verbrennung zugleich 
auch eine Zersetzung und Zerstörung von lebendem Protaplasma herbeiführt Damit fällt aber 
auch die Theorie von den fettsparenden Eigenschaften des Alkohols, die einzig und allein auf der 
Thatsache basierte, dass bei der Verbrennung von Alkohol im lebenden Körper der Verbrauch von 
Bauerstoff und die Produktion von Kohlensäure nicht in dem Maasse steigt, als dieser Verbrennung 
entsprechen würde. Da nämlich der Alkohol sicher protaplasmazerstörend wirkt, und da andrerseits 
die vitalen Verbrennungsprozesse auf das engste mit der Lebensthätigkeit des Protaplasmas ver¬ 
knüpft sind, so versteht es sich eigentlich von selbst, dass ein verminderter Protaplasmabestand 
zugleich auch einen geringeren funktionellen Protaplasmazerfall und daher auch eine verminderte 
Oxydation der Zerfallsprodukte zur Folge haben muss. Mithin sind die Thatsachen, von denen man 
die sich einander widersprechenden Annahmen der Rolle des Alkohols im Organismus abgeleitet 
hat, nämlich die fehlende Verminderung des Eiweisszerfalles und die thatsächlich beobachtete Ver¬ 
minderung des Fettverbrauches, nichts anderes als die nothwendigen Konsequenzen der giftigen 
und protaplasmazerstörenden Thätigkeit dieses Stoffes. Und deshalb ist der Alkohol für den thie- 
rischen und menschlichen Organismus nicht Nahrungsstoff und Gift zugleich, sondern ein Gift 
schlechtweg, welches, wie alle anderen Gifte, in grossen Dosen tötlich, lähmend und krank machend 
wirkt, während kleine Dosen nur eine reizende Wirkung entfalten. Damit fällt seine Verwendung 
als Nahrungs- oder als Schutz- und Sparmittel bei fiebernden otler an einer komsumierenden Krank¬ 
heit leidenden Patienten, es fällt weiterhin auch die reizende und antipyretische Wirkung des Al¬ 
kohols, die ja an und für sich in vielen Fällen entbehrlich, wo indiziert, durch weniger deletäre 
Mittel lierbeigefiihrt werden kann. So wendet Kassowitz seit mehr als zehn Jahren keinen Al¬ 
kohol mehr am Krankenbette an, sondern als Spannittel bei Fiebernden ausschliesslich wirkliche 
Nahrungsmittel, neben Milch insbesondere den Zucker in Form von Fruchtsäften, Kompots, ge- 


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Referate über Bücher und Aufsatze. 421 

zuckerten) Thee u. s. w., als Stimulans neben hydriatischen Prozeduren fast ausschliesslich den 
Kampfer, der dem Alkohol wegen der Promptheit und Augenfälligkeit seiner Wirkung und beson¬ 
ders wegen des Fehlens unerwünschter Nebenerscheinungen unbedingt vorzuziehen ist. 

J. Marcuse (Mannheim). 


0. Reichel, Inwieweit ist die diätetische Behandlnng der Nephritis begründet? Centralblatt 
für die gesammte Therapie 1901. Heft 1. 

Verfasser führt aus, dass sowohl in der Pathogenese, wie in der klinischen Symptomatologie 
des Morbus Brightii noch vieles dunkel ist, insbesondere aber, dass die gegenwärtigen diagnostischen 
Behelfe für die Abgrenzung der Nephritis von den pathologischen Albuminurien häufig im Stiche 
lassen, und dass ein Gradmesser für die Intensität der Erkrankung, für Verschlimmerung oder 
Besserung derselben derzeit noch fehlt. Von diesen Betrachtungen ausgehend, sowie auch von der 
Annahme, dass bei dem Mangel jedweder sicheren positiven Basis therapeutische und diätetische 
Maassnahmen nur auf empirischer Grundlage berechtigt sein werden, präzisiert Verfasser seine An¬ 
sicht dahin, dass die gegenwärtige diätetische Behandlung der Nephritis auf einem grossen 
prinzipiellen Fehler beruht. Es finde sich nämlich in allen diesbezüglichen Mittheilungen kaum 
etwas von Empirie, sondern es werde auf schwankender Basis von den Stoff Wechsel theoretikem 
immer weiter gebaut. Selbst Kolisch, sonst ein nüchterner Kritiker, spricht in seinem jüngst 
erschienenen Lehrbuch der diätetischen Therapie die Befürchtung aus, dass die Stoffwechselzwischen¬ 
produkte des Eiweisszerfalles dem Nephritiker schaden können, da sich unter diesen eine Reihe von 
Nierengiften befinden, wie die Amidosäurcn, das Keratinin, die Alloxurbasen Verfasser will nun 
durchaus nicht in Abrede stellen, dass diese Substanzen wirklich Niorcngiftc sind; er betont aber, 
dass der empirische Nachweis fehle, dass diese Nierengifte einem Nephritiker wirklich schaden und 
dass man in Berücksichtigung der Thatsache der Behandlung von Herzschwäche mit Herzgiften auch 
anzunehmen berechtigt wäre, dass ein Nierengift bei einer Nephritis günstig einwirke. Jedenfalls 
sei das Fleisch mit Rücksicht auf seinen Keratingehalt und die NukleTne so lange nicht als Schäd¬ 
lichkeit für den Nephritiker anzusehen, bis es empirisch als solche festgestellt wird, und das sei bis 
jetzt noch nicht geschehen: es habe sich noch niemand bei der Beobachtung eines Nephritikers 
wirklich davon überzeugen können, dass demselben Fleisch auch in grösseren Quantitäten schädlich 
sei, oder dass er auf weisses, schwarzes Fleisch oder Wild verschieden reagiere. Reiche Ts 
Meinung geht nun dahin, dass ein Nephritiker gut genährt werden und das essen soll, was er gut 
verträgt, d.h. was dem betreffenden Kranken je nach der Schwere seiner Erkrankung angemessen ist. 

Bezüglich der bei der Therapie der Nephritis üblichen Schwitzbäder bemerkt Verfasser, dass 
er von denselben nie einen wirklichen Erfolg gesehen habe, mögen sie theoretisch noch so be¬ 
gründet sein. - n. 


Jaquet, Recherche» snr Paction physiologique du climat d’altitade. La semaine medicale 
1900. No. 40. 

Jaquet und Suter haben schon früher in einer Arbeit den Nachweis erbracht, dass die 
nach einem Aufenthalte im Höhenklima beobachteten Veränderungen in der Zusammensetzung des 
Blutes nicht auf einer ungleichmässigcn Veitheilung der Blutelemente in den verschiedenen Theilen 
des Gefässsystems beruhen, sondern die Folge einer Neubildung der rothen Blutkörperchen und des 
Hämoglobins sind. Die Ursachen dieser Reaktion des Organismus sucht Jaquet in der vorliegenden 
Arbeit fcstzustellen. Er unterzog die einzelnen Faktoren des Höhenklimas (Temperatur, Besonnung, 
Verminderung des Luftdruckes, Trockenheit der Luft) bezüglich ihres Einflusses auf die Zusammen¬ 
setzung des Blutes in systematischer Weise, jeden für sich, einer genauen Untersuchung und fand, 
dass die Vermehrung der Zahl der rothen Blutkörperchen und des Gehaltes an Hämoglobin allein 
durch den niedrigen Luftdruck bewirkt werde. 

Die Art der Versuchsanordnung war folgende: Die Versuchsthiere wurden eine bestimmte 
Zeit hindurch der Einwirkung eines der genannten Faktoren ausgesetzt, danach wurde die Gesammt- 
ffienge des Hämoglobins in methodischer Weise gewonnen und bestimmt. Daneben liefen genaue 
Zahlungen der rothen Blutkörperchen vor und nach dem Versuche. 

1. Die Temperatur der umgebenden Luft ist ohne Einfluss auf die Zusammen¬ 
setzung des Blutes. (In zwei Zimmern, deren eines eine Temperatur von 2 -5° C, deren anderes 
eine solche von 13—16° C aufwies, waren je sechs Kaninchen unter sonst gleichen Lebensbedingungen 


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422 Referate über Bücher und Aufsätze. 


untergebracht. Nach sechs Wochen wurden sie getötet und untersucht; es ergaben sich die gleichen 
Zahlen für beide Reihen in Bezug auf Anzahl der Blutkörperchen und Menge des Hämoglobins.) 

2. Die Verminderung des atmosphärischen Druckes um 100mm der Quecksilber¬ 
säule genügt schon an sich, die bezüglichen Veränderungen hervorzurufen, und zwar 
die Totalmenge des Hämoglobins um 20% zu vermehren. (Die Versuche erstreckten sich 
auf vier Reihen zu je drei Thieren bei einer Dauer von je vier Wochen; zwei Reihen bei gewöhn¬ 
lichem, zwei bei um 100 mm vermindertem Drucke, entsprechend demjenigen von Davos; dieThiere 
befanden sich in einem hermetisch verschliessbaren, gut ventilierten, hellen Käfig.) 

3. Trockenheit der Luft spielt bei der Wirkung des Höhenklimas keine 
wesentliche Rolle. (Die Luft der Kiste war mit Feuchtigkeit gesättigt, welche jedoch die 
Wirkung der Verminderung des Druckes nicht behinderte.) 

4. Der Einfluss des Lichtes auf die Zusammensetzung des Blutes ist nach den 
Forschungen anderer Autoren (Marti, Schoenenberger, C. Meyer) eine geringfügige. 

Zur Klarstellung der Frage, aus welchem Material (Nahrung, Einschmelzung von Zellen- 
eleraenten des Körpers) die Neubildung der Blutelemente erfolgt, unternahm Jaquet noch Selbst- 
versuche an sich und Staehelin. (Station: Mont Chasserol im Jura, 1600 m; drei Perioden: 
7 Tage in Basel, 13 Tage im Gebirge, 7 Tage in Basel.) 

Genaue Analysen der Nahrung und der Ausscheidungen (Urin, Fäces) ergaben: Sinken des 
Stickstoffgehaltes des Urins während des Gebirgsaufenthaltes, ein unmittelbar darauf folgendes 
Ansteigen desselben in derEbene. Während der ersten Periode war eine Retention des Stick¬ 
stoffes nicht zu konstatieren, in der zweiten Periode fand eine Retention von 2,592 g täglich im 
Mittel statt, in der dritten retinierte der Organismus nicht nur keinen Stickstoff, sondern schied noch 
von der resorbierten Menge ausser durch den Urin einen Theil durch die Haut aus. Der zwischen 
den Veränderungen in der Zusammensetzung des Blutes und dem Stickstoffaustausche im Organismus 
bestehende Parallelismus erhellt aus diesem Verhalten deutlich. 

Auffallend und mit den bezüglichen Ergebnissen aller anderen Autoren nicht übereinstimmend 
ist Jaquet’s Befund, nach welchem derartige Veränderungen bereits bei einem um nur 100 mm 
unter die Norm verminderten Drucke statthaben sollen, während eine Verminderung bis zu 450 mm 
bis jetzt in diesem Sinne als indifferent angesehen wurde. Viktor Lippert (Wiesbaden). 


A. Babajew, Die Balneoelektrotlierapie der Herzkrankheiten. Wojenno-medizinsky Shumal 
1900. No. 3 und 4. 

Auf Grund der Erfahrungen, welche Babajew auf dem Wege der Untersuchung der Ein¬ 
wirkung von hydroelektrischen Bädern auf gesunde Individuen gemacht hatte oder auf Kranke, die 
jedoch keine auffälligen Veränderungen des Herzmuskels organischer Natur auf wiesen und die auch 
durch keinerlei tiefgreifenden pathologischen Prozesse und Affektionen des Organismus erschöpft 
waren, konnte der Autor bereits vor einer Reihe von Jahren in seiner Dissertation seine Ansichten 
über das Verhalten des Zirkulationsapparates den elektrischen Bädern gegenüber formulieren. Nach 
Babajew bietet der Einfluss der faradischen und galvanischen dipolaren Bäder mit bedeutender 
Reizung der Hautdecken auf das Herz und die Gefässe viel Aehnlichkcit dar mit der Wirkung der 
kalten Douchen und der kalten Bäder. Die dipolaren galvanischen und faradischen Bäder mit mir 
unbedeutender Reizung der Körperperipherie und auch speziell das Anodenbad weisen viel Analogieen 
mit den Thermalbädern auf, welche Gase, Salze und Moor enthalten. Der allgemeine Ionisierende 
Einfluss der hydroelektrischen Bäder auf das Herz und das Gefässsystem kann ausser durch die 
direkte Einwirkung auf die Hautvasomotoren auch durch die Wirkung schwacher galvanischer 
Stromschlcifen auf die vasomotorischen Centren im Rückenmark und sogar im Gehirn erklärt werden, 
ganz abgesehen von der reflektorischen Erregung dieser Centren auf dem Wege der Reizung der 
Körperperipherie überhaupt. Im allgemeinen wirken nach des Verfassers Beobachtungen die hydro¬ 
elektrischen Bäder analog den verschiedenen Formen der differenten gewöhnlichen Bäder, aber mit 
dem vortheil haften Unterschiede, dass bei den ersteren die Möglichkeit vorhanden ist, mit Hilfe 
von Rheostaten die Reizung der Hautdecke leicht und schnell zu dosieren und sie mit dem Zustande 
des Herzens und der Empfindlichkeit des betreffenden Patienten auf die genaueste Weise in Ein¬ 
klang zu bringen. 

Nachdem Babajew bereits in Charkow bei einem Falle von kombiniertem Herzfehler die 
hydroelektrischen Bäder angewandt und ein recht gutes Resultat erzielt hatte, setzte er seit dein 
Jahre 1887 seine Beobachtungen an Herzkranken in Abastuman (Kaukasus) fort. Die Gesammtzahl 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 423 

der Kranken, über welche er bisher verfügt, beträgt 36; von ihnen trat in neun Fällen völlige Ge¬ 
nesung ein, und die übrigen besserten sich in bedeutendem Grade: die Ermüdung und die Blut¬ 
überfüllung des Herzens wurden auf lange Zeit hinaus beseitigt, die Arbeit der Lungen wurde er¬ 
leichtert und das Allgemeinbefinden der Kranken in merkwürdiger Weise gebessert Die Möglichkeit 
einer vollkommenen Genesung giebt der Verfasser überhaupt nur bei kräftigen Individuen zu mit 
rheumatischer Endokarditis blos exsudativen Charakters und verhältnissmässig frischen Ursprungs; 
dort, wo sich aber bereits narbige Retraktionen und feste Verwachsungen der Klappen ausgebildet 
haben, kann von einer Heilung allerdings nicht die Rede sein. 

Die Erfolge, welche Babajew bei der Behandlung von Herzkranken in Abastuman erzielt 
hat, schreibt er durchaus nicht den dortigen Thermen allein und den hydroelektrischen Bädern zu; 
keine geringfügige Rolle räumt er demjenigen Regime und der Ernähnmgsweise ein, welche die 
Kranken befolgten, und nicht ganz ohne Einfluss blieb auch das örtliche wundervolle Klima. Ge¬ 
wöhnlich pflegt man Herzkranke nicht auf solche Höhen zu senden, welche sich um mehr als 600 
Meter über dem Meeresspiegel erheben. Obgleich die Höhenlage Abastumans um das Doppelte die 
angegebene Grösse übertrifft, so kann sie doch nicht als absolute Kontraindikation gegen die Be¬ 
handlung von Kranken mit organischen Herzfehlern in diesem Kurorte dienen. Ungeachtet dessen, 
dass in der That der Herzkranke nach seiner Ankunft in Abastuman anfänglich eine Beschleunigung 
des Pulses und der Athmung aufweist, so kehren doch bereits nach zwei bis drei Wochen sowohl 
die Ilerzthätigkeit als auch die Respirationsfrequenz zur Norm zurück. 

A. Dworetzky (Riga-Schrcyenbusch). 


W. Stange, Ueber die Behandlung der Typhuskranken mit kalten Bädern. Wratsch VMM). 

No. 41. 

Ausgehend von dem Standpunkte, dass der Typhuskrankc infolge seiner Appetitlosigkeit und 
der schlechten Assimilation der zugeführten Nahrung jede Wärmeentziehung auf Kosten seiner 
eigenen Körpergewebe zu decken genöthigt ist, erweist sich Prof. Stange als prinzipieller Gegner 
der antipyretischen Methode der Typhusbehandlung und der kalten Bäder im besonderen. Das 
kalte Bad von 10— 18°R erreicht, abgesehen von den äusserst unangenehmen Empfindungen, welche 
es dem Kranken verursacht, überhaupt nicht seinen Zweck, denn das kurzdauernde Sinken der 
Temperatur in der Achselhöhle wird sehr oft von einem Fallen der Temperatur im Mastdarm nicht 
begleitet; im Gegentheil, das Blut strömt nach den inneren Organen zurück, die Temperatur im 
Rektum steigt nicht selten während des Bades, weil die Wärmeregulierung und Wärmeabgabe in¬ 
folge der ungeheuren Kontraktion der Hautgefässe und der schlechten Wärmeleitungsfähigkeit des 
Unterhautfettgewebes an der Peripherie nicht vor sich gehen kann, und nach kurzer Zeit erreicht 
die Körpertemperatur ihre frühere Höhe. Auf Grund der statistischen Angaben der verschiedensten 
Autoren, angefangen von James Currie bis auf Jürgensen, Liebermeister und Eichhorst, 
stellt Stange seinen ersten Grundsatz auf, der folgendcrmaassen lautet: die Mortalitätsziffer 
beim Abdominaltyphus hängt von der Schwere der Epidemie ab; der Einfluss der 
antipyretischen Behandlungsmethode mit Hilfe von kalten Bädern auf den Pro¬ 
zentsatz der Todesfälle ist zum mindesten nicht bewiesen. 

Zweckentsprechender sind schon nach des Verfassers Ansicht die Zicrasscn’sehen Bäder 
von 25—20° R, weil sie eine echt antipyretische Wirkung haben und in ihnen die Körpertemperatur 
sowohl in der Achselhöhle als auch im Mastdann um etwa 2° sinkt. Für die allerbeste Methode 
der Fieberherabsetzung hält Stange jedoch das Halbbad, dessen Temperatur um 5—10° 
niedriger als die Körpertemperatur ist; in einem solchen Halbbade wird der Kranke die 
ganze Zeit über frottiert und mit dem Badewasser übergossen, damit die Hautgefässe erweitert 
bleiben und beständige Hautröthc hervorgorufen wird; die Dauer des Hallbbades beträgt etwa 15 
bis 30 Minuten. 

Aber auch damit ist Stange nicht zufrieden, sondern stellt den weiteren Grundsatz auf, dass 
die WärmeVerluste beim Typhuskranken nach Möglichkeit verringert werden 
müssen, denn infolge der geringen Nahrungsaufnahme und der mangelhaften Assimilation werden 
diese Verluste durch die Verbrennung des Fettes und der Körpereiwcisse gedeckt; deswegen müssen 
die antipyretischen Mittel und die abkühlenden Bäder überhaupt fallen gelassen werden. 

Indem also der Autor aus der Behandlung des Unterleibstyphus jedes antifebrile Element 
ausschliesst, stellt er als die Hauptaufgabe für die Tvphusbehandlung die Aufrechterhaltung einer 
kräftigen Herzlhätigkeit hin, welche am sichersten durch eine rationelle Ernährung des Kranken 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 

und eine Verringerung seiner Wärmeverluste erreicht wird. Die abkühlenden Bäder reserviert er 
nur für Fälle mit extrem hoher Temperatur, während die übrigen Kranken sämmtlich mit blos in¬ 
differenten Bädern behandelt werden, und zwar bekommen sie morgens und abends je ein Bad von 
28° R, in welchem der Patient 15—20 Minuten verweilt; nach dem Bade wird er in ein warmes 
Laken eingehüllt und in eine Decke gewickelt. Die nach einer solchen Prozedur auftretende 
Schweisssekretion verhindert ein übermässiges Ansteigen der Körpertemperatur und befreit den 
Organismus von einigen giftigen Stoffwechselprodukten und Toxinen; der Blutzufluss zur Hant 
führt zu einer Verminderung des Zuflusses und der Stauung in den inneren Organen, während der 
aktive Zustand und die regelmässige Ernährung der Haut das Auftreten von Dekubitus verhütet. 
Zu demselben Zweck empfiehlt Stange auch Priessnitz'sche Kompressen auf den Leib, Wärm¬ 
flaschen an die Extremitäten und nicht allzu lange dauernde (wegen der möglichen Wärmeveriuste 
Applikation eines Eisbeutels auf den Kopf. 

Stange lässt ausser Acht, dass die Kaltwasserbehandlung des Typhus abdominalis sowie aller 
übrigen, mit Steigerung der Körpertemperatur einhergehenden akuten Infektionskrankheiten durch¬ 
aus nicht hauptsächlich die Herabsetzung der Eigenwärme zum Ziele hat; die Tonisierung des Herz¬ 
muskels, die Vertiefung der Athmung, die Kräftigung des Nervensystems und die Aufhellung des 
Sensoriums, die Erregung des Appetites und das Hervorrufen eines festen Schlafes: das sind die 
vorzüglichsten Aufgaben, welche die Behandlung mit kühlen Bädern zu erfüllen hat. Ob diese 
wichtigen Aufgaben durch die indifferenten Bäder mit ebenso gutem Erfolge gelöst werden können, 
ist sehr zweifelhaft. Darin muss man aber dem Autor vollständig Recht geben, dass alle medika¬ 
mentösen fieberwidrigen Mittel nicht nur unnütz, sondern direkt schädlich sind. Dass die Mortalitäts¬ 
ziffer des Abdominaltyphus bei den einzelnen Autoren einzig und allein von der Schwere der be¬ 
treffenden Epidemie abhängig sei, kann dem Verfasser nicht ohne weiteres zugestanden werden. 
Dagegen spricht der Unterschied im Prozentsatz der Todesfälle an dem Unterleibstyphus vor und 
nach Einführung der Kaltwasserbehandlung, sowie die Differenz in der Mortalitätsziffer während 
einer und derselben Epidemie in einem und demselben Krankenhause, wenn die kalten Bäder an 
dem einen Theil der Patienten angewandt werden und an dem anderen nicht. Wahr ist es, dass 
in der Privatpraxis manchmal aus äusseren Gründen eine strenge und systematische Kaltwasserkur 
nicht durchgeführt werden kann; dann werden die Bäder sehr zweckmässig durch nasse Einwickc- 
lungen mit den günstigsten Resultaten ersetzt. A. Dworetzky (Riga-Schrcyenbusch). 


Rosin, Leber einige poliklinisch häufige Krankheitsformen und ihre hydriatische Behandlung. 

Zeitschrift für klinische Mcdicin Bd. 41. Heft 1—4. 

In der zur Feier des 25 jährigen Professorenjubiläums von Senator erschienenen Festschrift 
macht Rosin den interessanten Versuch, an der Hand einiger sehr illustrierender Beispiele die Eigen- 
thümlichkeiten der Poliklinik, durch welche dieselbe sich von der Klinik unterscheidet, zu demon¬ 
strieren. Als erstes Beispiel sind die poliklinisch überaus häufigen Myalgien gewählt, die der Ver¬ 
fasser in drei Gruppen theilt, in direkte Muskeltraumen, in Uebcranstrengungssehmerzen gesunder 
Muskeln und in Ermüdungsschmerzen abnorm schwacher Muskeln. Als die geeignetste Behandlung 
der Myalgien empfiehlt Rosin die Hydrotherapie und zwar in folgender Stufenleiter: zunächst 
einfache hydropathische Umschläge, dann die wirksameren heissen Umschläge, weiterhin Sool- und 
Schwitzbäder. 

Des weiteren kommt eine rudimentäre Form von Gelenkrheumatismus zur Besprechung, welche 
die kleinen Hand- und Fussgelenke betrifft und vielfache unangenehme Parenthesien für die Patienten 
mit sich bringt. Auch hier ist die Hydrotherapie in Form heisser lokaler Sand- oder heisser allge¬ 
meiner Vollbäder das souveräne Heilmittel. 

Als drittes Beispiel wird eine .eigenthumliche Kombination von Digestions- und Zirkulations¬ 
störungen erwähnt; es besteht ein andauerndes Druck- und Spannungsgefühl in der Magengegend 
und auffallend reichliches Aufstossen neben Herzklopfen und Zusammenschnüren im Halse, ohne 
dass die objektive Untersuchung greifbare Veränderungen nachweisen kann. Mit Umschlägen und 
verschiedenartigen Bädern lassen sich hier sehr gute Heilwirkungen eizielen. 

Endlich werden kurz noch die Chlorose und die Pulsatio epigastiica abgehandelt: bei der 
ersteren Affektion hat er von heissen Bädern, bei ber letzteren von kalten Bädern viel Nutzen 
gesehen. Freyhan (Berlin). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 425 


Edel, Ueber den Einflnss des künstlichen Schwitzens* anf die Magensaftsekretion. Zeitschrift 
für klin. Medicin Bd. 42. Heft 1 u. 2. 

Auf Grund von zahlreichen Versuchen hat Siinon behauptet, dass durch künstliches Schwitzen 
— sei es mittels Schwitzbädern oder mittels Pilocarpininjektionen - ein Einfluss auf die Magen¬ 
sekretion ausgeübt werde. Und zwar komme es anfänglich zu einer kurzdauernden Sekretions¬ 
steigerung, der sehr bald eine Reaktion im entgegengesetzten Sinne naclifolge. Dieses Stadium 
der verminderten Sekretion dauere einige Stunden bis einige Tage. 

Der Verfasser ist in eine Nachprüfung dieser Versuche eingetreten und ist dabei zu wesent¬ 
lich anderen Resultaten als Simon gelangt. Er hat nämlich keine irgendwie konstante oder auch 
nur häufigere Herabsetzung der Acidität einen oder einige Tage nach Schwitzbädern beobachtet. 
Seine Versuche haben den Vorzug, dass sie an Patienten angestellt sind, die sich vor und nach dem 
Schwitzen unter durchaus gleichen Bedingungen befanden, während Simon seine Versuche an poli¬ 
klinischen Patienten vornahm. Ferner sind nur Patienten mit normalen Verdauungsorganen ver¬ 
wandt worden, während es sich bei Simon’s Versuchen um Magenkranke handelte. Endlich 
scheinen diejenigen Versuche bei Simon nicht einwandsfrei zu sein, in welchen das Probefrühstück 
vor und nach dem Schwitzen zu verschiedenen Tageszeiten gereicht wurde. Es geht dies darum 
nicht an, weil noch nicht festgestellt ist, ob die gleiche Probemahlzeit, zu verschiedenen Tages¬ 
zeiten gereicht, stets vollkommen gleiche Werthe erzielt. Freyhan (Berlin]. 


Fretin, Kinesiterapia. Tratamiento mecänico de la coqneluche. Semana medica (Buenos Aires) 
1901. Bd. 8. No. 3. 

Die Unzulänglichkeit der pharmaceutischen Heilmittel bei Keuchhusten brachte den Ver¬ 
fasser auf den Gedanken, die mechanische Behandlung zu versuchen. Er hat gelegentlich einer 
Epidemie neun Fälle (je vier Fälle über und unter drei Jahren, einen Fall von 47 Jahren) auf diese 
Weise behandelt und rühmt ihr eine rapide Wirksamkeit nach. Im Durchschnitt war das Leiden 
in einer Woche geheilt, bei der 47jährigen Kranken, die sehr schwer an den Anfällen zu leiden 
hatte, war bereits nach sechs Tagen Heilung eingetreten. Das Verfahren besteht in folgendem: 

1. Vollständige Massage der Ccrvikalregion, die sich auf den Pneumogastricus, die Kehlkopf¬ 
nerven und die Sympathicusstränge erstreckt. Mittels der Methode von Arvid Ke lg ree n wird 
die Ccrvikalregion, die Basis der Zunge und die Trachea bearbeitet. 

2. Darauf werden mittels des Vibrators von Carl sohn wenigstens fünf Minuten lang ener¬ 
gische Erschütterungen der gleichen Region ausgeführt. 

3. Weiter schliessen sich eine Reihe Respirationsbewegungen, bald passiver, bald aktiver 
Natur, bald mit, bald ohne Widerstand an, sowie eine Anzahl Bewegungen des Nackens. Den 
Schluss bilden eine Reihe manueller Erschütterungen und Tapotements des Rückens. 

Diese Behandlung wird jeden Tag einmal, im Nothfalle auch zweimal vorgenommen. Ihre 
besten Erfolge dürfte sie haben, wenn die konvulsiven Anfälle ihre Hohe erreicht haben, d. h. un¬ 
gefähr in der vierten Woche nach Beginn des Leidens. Busch an (Stettin). 


J. Heit /.manu, Ueber die manuelle Beliaudluug der Frauenkrankheiten. Centralblatt für die 
gesammte Therapie 1900. No. 7. 

Eines der wichtigsten Hilfsmittel in der gynäkologischen Therapie ist die Massage. Vor kaum 
zwei Dezennien haben die ersten Versuche damit begonnen, und in kurzer Zeit war das Verfahren 
in allen seinen Anwendungsw r eisen auf eine hohe Stufe der Vervollkommnung gebracht. Die von 
dem Verfasser für diese Behandlung vorgeschlagene Bezeichnung »Gynäkomassagc« hat keinen 
Anklang gefunden. Infolge wahlloser Ausübung gerieth die Massage in Misskredit und Vergessen¬ 
heit, ebenso durch den Irrthum, als wäre diese Methode ganz und gar die Erfindung eines Laien 
— Thure Brandt. Auch allerlei unnützes Beiwerk und die allzu weite Indikationsstellung haben 
der Massage mehr geschadet als genützt. Im allgemeinen kann als Indikation für die gynäko¬ 
logische Massage jedwede chronische Entzündung au den inneren weiblichen Genitalorganen und 
deren Nachbarschaft, die entweder mit Exsudaten und Massenzunahme oder, im Gegentheil, mit 
Schrumpfung und Adhäsionsbildung verläuft, aufgestellt werden. Ebenso geben die auf solche Art 
entstandenen Lageveränderungen mit den damit verbundenen Beschwerden eine Hauptanzeige für 
diese Behandlungsmethode ab. Auch die weiteren Folgczustiiiidc der Genitalaffektionen kommen 
in Betracht, so die Enteroptose, zumal die Wanderniere, Adhäsionen und Exsudatreste nach ab- 
Zeitscbr. f. diät. u. phyaik. Therapie Bd. V. Heft 5. •><) 


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426 Referat© über Bücher und Aufsätze. 

gelaufener Paraproktitis, Peri- und Paratyphlitis, Erschlaffung der Blase und des Mastdaruies. Un¬ 
erlässlich ist eine feine und genaue Diagnose. Gegenanzeigen sind Eiter, Krebs und Extrauterin¬ 
schwangerschaft, ferner Allgenieinerkrankungen, wie Tuberkulose, Diabetes, Albuminurie, Herzfehler, 
Erregung des Nervensystems; Vaginismus ist unter Umstanden sehr geeignet für manuelle Be¬ 
handlung. Lokaltherapie, Irrigationen, Bäder, Kataplasmcn, Aetzungen, Tamponade, Anwendung 
von Pessaren ist zuweilen dringend nöthig. Die Wirkung lässt sich am besten als »Wieder¬ 
herstellung der Vitalität, des Tonus der Gewebe« kennzeichnen, d. h. es wird eine künstliche Hyper¬ 
ämie, eine Kongestion erzeugt und dadurch für eine bessere Ernährung und Funktion des Organs 
gesorgt. Die gymnastischen Uebungen, für die Brandt einen grossen Apparat an Heilgymnastik 
auf wandte, lassen sich durch diätetische Anordnungen, Spaziergänge, kalte Abreibungen, Ein¬ 
packungen über Nacht etc. umgehen. Werth voll sind die aktiven und passiven Widerstands¬ 
bewegungen, sowie systematische Kontraktionsbewegungen, z. B. des Sphincter ani, vaginae. Die 
Massage selbst kann auf jedem Bett oder Sopha vorgenommen werden. Vor jeder Sitzung hat eine 
exakte bimanuelle Untersuchung die geringsten Anomalien festzustellen. Auf die Schmerzempfindung 
der Kranken ist die vollste Aufmerksamkeit zu richten. Der wichtigste Handgriff ist die »Zirkel¬ 
reibung«, eine andere Bewegung ist das »Streichen« oder »Malen«, die »Dehnung« und die »direkte 
Trennung«. Näheres ist im Original zu finden. Die Massage kann unter Umständen täglich vor- 
genommen werden, bei Empfindlichkeit mit ein- und mehrtägigen Unterbrechungen. Die erste Auf¬ 
gabe der Behandlung ist die Wiederherstellung der freien Zirkulation. Die von Brandt ersonnene 
systematische Gymnastik ist zu kompliziert und zeitraubend. Nebenerscheinungen, wie Blutungen. 
Lageveränderungen u. s. w. erfordern ausser der Massagebehandlung noch die anderen gebräuch¬ 
lichen Hilfsmittel, Sitzbäder, warme Irrigationen, Tampons, Thermophore, die Belastungstherapie etc. 
Bei Mädchen oder bei Frauen, bei denen sich ein öfters angewandtes manuelles Eingreifen von 
selbst verbietet, kann man durch gymnastische Uebungen des Rumpfes und der Schenkel mit so¬ 
genannten Widerstandsbewegungen dysmcnorrhoische Beschwerden zum Schwinden bringen Der 
Verfasser bespricht sehr eingehend die einzelnen Indikationen für die manuelle Behandlung bei den 
verschiedenen Organerkrankungen und kommt zu dem Schlüsse, dass die Massage eine sehr er¬ 
wünschte und brauchbare Ergänzung der gynäkologischen Therapie darstellt. Ein Allheilmittel ist 
sic nicht, aber in Verbindung mit anderen älteren bewährten Methoden wird man sie mit gutem 
Erfolg anwenden. Forchheimer (Würzburg). 

TL C. Loveland, Rheumatic gout. New-York med. journ. 1900. 3. März. 

Die klinische Bezeichnung »rheumatische Gicht«, wie sic immer noch von der Mehrzahl der 
englischen und amerikanischen Aerztc gebraucht wird, und wie man sie von englischen Patienten 
immer wieder zu hören bekommt, sollte endlich einmal abgeschafft werden, da sie aus verschiedenen 
Gründen geeignet ist, die diagnostischen Begriffe zu verwirren. Wir verdanken gerade dem Um¬ 
stand einen wesentlichen Fortschritt, dass wrir uns bemühen, Gicht und Rheumatismus als zwei 
durchaus verschiedene Krankheitsbilder prinzipiell von einander zu trennen, ln dem vorliegenden 
Aufsatz werden unter dem Titel »Rheumatic gout« die klinischen Erscheinungen der Arthritis 
deformans besprochen und durch Photographieen und Röntgenbilder illustriert. Die Behandlung der 
Arthritis deformans, wie sie von dem Verfasser empfohlen wird, besteht in erster Reihe in einer 
Regulierung der Ernährung. Die Diät soll geeignet sein, die häufig vorhandene Hyperacidität zu 
bekämpfen. Grüne Gemüse sind neben mässigem Fleischgenuss zu bevorzugen, zuckerhaltige Nahrung 
und Reizmittel aller Art zu verbieten. Für die spezielle Behandlung kommen neben möglichst 
reichlicher Bewegung in frischer Luft hauptsächlich Massage und schwedische Gymnastik, Elektrizität, 
Schwitzprozeduren und kühle Bäder in Betracht Heisse Bäder sind nur mit Vorsicht anzuwenden, 
da sie den allgemeinen Kräftezustand leicht beeinträchtigen; am besten eignen sich noch türkische 
(römisch-irische) Bäder, wenn die Patienten sich nur kurze Zeit in dem heissen Raum aufhalten. 

Von Medikamenten kommen Salicyl und Jodpräparate in Betracht, besonders das Natr. salicyl. 
in kleinen Dosen, für längere Zeit fortgesetzt. Friedlaender (Wiesbaden). 

J. Gerbsmnnn, Die Massage bei der Enuresis nocturna« Jeshenedelnik 1900. No. 29. 

Als der Verfasser einst ein Kind zu untersuchen hatte, das an Enuresis nocturna litt, drückte 
er etwa zwei Minuten lang mit dem Zeigefinger durch das Rektum hindurch auf die Gegend des 
Blusenhalses. Am nächstfolgenden läge erklärte die Mutter des Kindes, dass das Bettnässen in 
der vergangenen Nacht beim Knaben ausgeblieben sei. Darauf bin wurde die Massage an dern- 


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Referat© über Bücher und Aufsätze. 427 


selben Orte noch einmal wiederholt, nnd als Resultat ergab sich, dass das Kind von seinem 
Leiden befreit wurde. Der Autor machte sich diese zufällige Erfahrung zu Nutze, wandte dieselbe 
Heilmethode auch in anderen ähnlichen Fällen an und erzielte stets nur positive Resultate, wobei 
einige Patienten mehr als 11/ 2 Jahre lang sich unter der Beobachtung befanden. 

Die Massage wird auf folgende Weise vorgenommen: der Kranke wird in die Kniecllenbogen- 
lage (ä la vache) gebracht, der Zeigefinger in das Rectum eingeführt, und mit der Fingerbeere 
führt man in der Richtung des Blasenhalses Bewegungen aus, zuerst in querer, dann in Längs¬ 
richtung, anfangs zarte, dann allmählich immer energischer werdende Friktionen, welche zwei 
Minuten lang dauern. Hieran werden Stossbewegungen mit dem Zeigefinger gegen den Blasenhals 
noch im Laufe einer halben Minute angcschlossen. Solcher Sitzungen sind höchstens fünf bis sechs 
erforderlich. 

Die Wirkung der Massage auf die Enuresis nocturna beruht nach der Ansicht des Autors auf 
der Beseitigung des von ihm angenommenen Defektes in der Koordination der Funktionen der 
innervierenden Elemente des Blasensphinkters. A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch). 


Eisehnig, Die Massage in der Augenheilkunde. Wiener medicinische Presse 1901. No. 18 
und 19. 


Mit der Einführung und Ausbildung der Mechanotherapie erwarb sich auch die Massage als 
wissenschaftliches Heilverfahren ihr Bürgerrecht; von dem Pflegepersonal längst in meist wenig 
zweckentsprechender Weise geübt, gilt jetzt die Massage dem Arzte, welcher ihre Ucbung, Aus¬ 
führung und Anwendung nach wissenschaftlichen Grundsätzen regelt, als ein nicht zu unterschätzendes 
Heilverfahren. 

In der Augenheilkunde ist die Massage schon seit langer Zeit geübt worden, wenn man auch 
von dem therapeutischen Werth derselben nicht gerade überzeugt war; die Vertheilung der in den 
Bindehautsack eingebrachten Salbe, die Einreibung der Salbe in die erkrankten Theile wurde schon 
früher in der Weise gemacht, wie es auch jetzt noch geschieht, indem der auf die geschlossenen 
Uder aufgelegte Daumen schnell oscillicrende oder cirkuläre Bewegungen ausführt. 

El sehnig sucht in seinem Aufsatz der Massage in dem therapeutischen Schatz des Augen¬ 
arztes eine beachtenswerthe Stelle anzuweisen, vor allem giebt er die Indikationen zur Anwendung 
der Massage bei den einzelnen Krankheitsformen an. 

Die ausgedehnteste Anwendung erfährt die Massage in der Trachombehandlung: er giebt vier 
Krankengeschichten wieder; in allen Fällen, die mit Reizerscheinungen, Narbenbildung, Papillar- 
liypertrophie, pannösen Auflagerungen der Hornhaut einhergehen, bei denen die Behandlung mit 
I<apis, Kupfer, Eis, Ausrollung u. s.w. keinen Erfolg hatte, konnte er durch die Massage Heilung 
erzielen, Rückgang der Entzündung, der Homhautkomplikationen, der subjektiven Beschwerden, 
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Der Werth, welchen die Massage in der Trachorabehandlung 
hat, wird wohl von keinem Augenärzte bestritten werden, dagegen scheint mir die medikamentöse 
Behandlung sowohl wie die operative in einer nicht geringen Anzahl von Fällen ihre volle Be¬ 
rechtigung zu haben. Bekommt man Trachom zur Behandlung, so berücksichtige man streng das 
Stadium der Krankheit, die Ausdehnung derselben, den Beruf der Patienten; die Entscheidung über 
das einzuschlagende Verfahren ist dann von Fall zu Fall zu treffen. Bei tler ungeheuren Anzahl 
von Behandlungsmethoden wird die Wahl der besten schwer zu entscheiden sein, jedenfalls ist vor 
einer schematischen Behandlung zu warnen. 

Auf die Technik der Massage legt Elschnig grossen Werth, die falsche Anwendung liefert 
nicht selten die ungünstigen Resultate; kräftiger Druck auf die erkrankte Schleimhaut, ohne die¬ 
selbe zu verletzen, ist ein Haupterforderniss. Das Verfahren ist schmerzhaft, wie Elschnig selbst 
zugiebt, empfindliche Patienten werden sich kaum demselben wochenlang unterziehen. Meines Er¬ 
achtens erfordert gerade die Massage der oberen Uebergangsfalte, in welcher besonders häufig der 
Sitz der Erkrankung liegt, ihre eingehende Technik, bei empfindlichen Patienten gelang es mir oft, 
auch ohne Ektropionieren mit dem Glasstab, auf welchen das Lid aufgclagcrt wird, auszukommen. 
Neben der Massage ist die diätetische Behandlung nicht zu vergessen, Ausspülungen mit Sublimat¬ 
lösungen, Anwendung von Adstringentien u. s.w. Mit gutem Erfolge habe ich eine Verbindung von 
mechanischer und medikamentöser Behandlung, die Armierung des Glasstabes mit Sublimatsalbe, 
zur Anwendung kommen sehen. Verfasser legt nach meiner Ansicht der Massage gar zu viel Werth 
bei. wenn er sagt, dass sic allein, nicht die dabei eventuell verwendeten Medikamente, den Erfolg 
bedingen. Wir wollen den günstigen Einfluss auf die Blut- und Lymphzirkulation, auf die Resorption 


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4*28 Referate über Bücher und Aufsätze. 

der zelligen Infiltrate bei der Massage nicht verkennen, aber auch den Werth erprobter anderer Be¬ 
handlungsmethoden nicht unterschätzen. Kuhnt, welchen Verfasser als einen Kenner und Freund 
der Mechanotherapie nennt, sagt am Schluss seiner Arbeit »Ueber die Therapie der Coniunctivitis 
granulosa« bezüglich der Leistungsfähigkeit der Behandlungsmethoden, »dass fast eine jede derselben, 
an ihrer Stelle genügend lange und konsequent angewandt, eine Heilung erzielen kann«. 

Bei vielen anderen Bindehaut- und Hornhauterkrankungen, auch bei Lidekzem, bei Stellungs¬ 
anomalien der Lider beeinflusst die Massage den Heilungsprozess günstig, bei der Blennorrhoe des 
Thränensackcs möchte ich derselben keine wesentliche Beeinflussung des meist sehr langsam fort¬ 
schreitenden Heilverlaufes zusehreiben. Nach dem Kapselschnitt bewirkt die Massage unbedingt eine 
Beschleunigung der Linsentrübung, dagegen ist bei Glaukom, Iritis, Zirkulationsstörungen der Netz¬ 
haut, Sehnervenentzündung das mechanische Verfahren mit Vorsicht anzuwenden, grosse Erfolge sind 
meines Wissens nur sehr selten erzielt worden. Nicolai (Berlin). 


F. G. Möhlau, Die rationelle Behandlung der chronischen Gonorrhoe dnreh Massage. 

Therapeutische Monatshefte 1900. August 

In 120 Fällen hat Verfasser ein Verfahren angewandt, das in jeder Hinsicht günstige Erfolge 
geliefert hat. Alle Patienten waren bereits vorher nach den verschiedensten Methoden behandelt 
worden. In einzelnen Fällen bestand das Leiden jahrelang. Zur Ausspülung der Harnröhre bedient 
sich Möhlau nur des sterilisierten Wassers, da medikamentöse Lösungen die in die Tiefe ein¬ 
gedrungenen Gonokokken doch nicht erreichen, eventuell aber die Entzündung der Schleimhaut 
steigern. Verfasser sucht bei seinem Verfahren die Urethra zwischen Daumen und zwei Fingern 
soweit als möglich nach der Prostata hin zu fassen, und zieht dann die Finger mit möglichst 
starkem Druck nach dem Orificium zu. Diese Prozedur wird zwei- bis viermal gemacht Dann 
wird Blase und Urethra mit 1—2 Liter gekochten lauwarmen Wassers irrigiert; zuletzt wird eine 
Stahlsonde mittlerer Starke eingeführt, die erste Manipulation wiederum gemacht und abermals mit 
sterilisiertem Wasser irrigiert. Massage der Prostata ist stets vorgenommen worden. In den ersten 
2—3 Tagen steigert sich die Entzündung, nach drei Wochen sind jedoch mikroskopisch keine Ent- 
zündungsprodukte mehr nachzuweisen. Forchheimer (Würzburg). 


Paravicini, Selbstniassage und Gymnastik im lanen Bade. Nach einem Vortrage in der Herbst¬ 
sitzung der Aerztcgesellschaft des Bezirks Affoltem. Correspondenzblatt für Schweizer Aerztc 
1901. No. 2. 

Verfasser empfiehlt, der morgens früh im Bette in Rückenlage ausgeführten Selbstmassage 
mit der Sahli : sehen Massierkugel die Selbstmassage im lauwarmen Bade von 32 n C anzuschliesseii. 
5 —10 Minuten genügen, wenn etwas Kraft entfaltet wird. Die Dicke und Spannung der Bauch¬ 
decken ist leicht zu überwinden, und vor dem Zuviel wird man durch die auffallende Schmerzhaftig¬ 
keit gewarnt. Dass eine ganz direkte Einwirkung auf die Peristaltik ausser allem Zweifel steht, 
erhellt schon daraus, dass es gar nicht schwer ist, einzelne Flatus durch den Anus zu drücken, die 
in Form von Luftblasen durch das Wasser steigen. Beim weiblichen Geschlecht wirkt diese Selbst- 
niassage im lauen Bade nicht selten regulierend auf die Blutdruck Verhältnisse im ganzen Abdomen 
und auf die Menstruation. Zur Ausführung von Muskelübungen im W r asscr soll die Wanne mög¬ 
lichst gut gefüllt sein, sodass man bis zu den Schultern untertauchen kann. Sodann streckt und 
beugt man von unten bis oben sämmtliche Gelenke langsam und kräftig, wobei Extension, Flexion, 
Pronation und Supination der Reihe nach und systematisch zum Ausdruck kommen. Dann reibt 
und knetet man einen Arm mit dem anderen und beide Beine mit beiden Händen. Diese Wasser¬ 
gymnastik und Massage kann mit Nutzen als begleitende Prozedur einer sogenannten Terrainkur 
gebraucht werden. In neuerer Zeit hat Verfasser bei den sogenannten Abhärtungskuren meistens 
auch eine Selbstmassage im Wasser ausführen lassen. Abhärtungskuren macht man heute nur mit 
langsamem und methodischem Ileruntcrgehen in der Wassertemperatur, eventuell auch verbunden 
mit der trockenen Körperbürste, die vor dem Baden bezw. Waschungen appliziert wird. Die Börste 
ist zur Selbstbehandlung mit einem Stiel versehen, damit man auch den ganzen Rücken erreicht. 
Nach und nach, und zwar etwa im Verlaufe von 3 — 5 Minuten, wird der ganze Körperüberzu£ 
taputiert, d. h. gelinde geklopft und sofort abgebürstet. Die darauf folgende Wasserprozedur ist 
fast in jeder Temperatur angenehm, weil eben die llaut resp ihre Kapillaren blutreich sind. Diese 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 429 

Abhärtunffskuren werden in 3 — 4 Wochen absolviert; dem Patienten wird aber empfohlen, auch 
nachher die Körperbürstc mit oder ohne nachfolgende Wasserverwendung noch längere Zeit hin¬ 
durch zu gebrauchen. —n. 


Lovett, The mechanics of latnal curvature of the spine. Boston ined. and surgical journal 
1900. 14. Juni. 

Extension und Flexion der Wirbelsäule sind in reiner Form möglich, Seitwärtsbiegung und 
Rotation dagegen sind stets kombiniert. Diese kombinierte Bewegung, die das Bild der habituellen 
Skoliose giebt, studierte Lovett am anatomischen Präparat und fand, dass seitliche Bewegung bei 
flektierter Wirbelsäule ‘eine Rotation der Wirbelkörper nach der konvexen Seite erzeugt, bei ex¬ 
tendierter Wirbelsäule in entgegengesetzter Richtung. 

Die Gelenkfortsätze hemmen bei gestreckter Wirbelsäule die letztere Drehung, welche am 
Lebenden als kontralatuale Torsion beschrieben worden ist. 

Das Eintreten der Rotation bei seitlicher Biegung studierte Lovett auch an Personen mit 
besonders gut beweglicher Wirbelsäule und fand hier die gleichen Vorgänge wie am Präparat. Auch 
sah er bei versuchter Rotation unweigerlich zugleich seitliche Biegung eintreten. 

Die Rotation setzt er in Parallele mit den bekannten Vorgängen am elastischen Stab. 

Aus seinen Beobachtungen zieht Lovett den Schluss, dass die habituelle Skoliose bei ge¬ 
beugter Wirbelsäule entstehen müsse, also wesentlich durch langes Sitzen bedingt werde. Für die 
Therapie ergiebt sich die prophylaktische Forderung aufrechten Sitzens und Gymnastik bei exten- 
dierter resp. hyperextendierter Wirbelsäule. Vulpius (Heidelberg). 


Engel, Znr Behandlung der Pocken mit rothem Licht nebst einigen Bemerkungen über 
forzierte Vaccination. Therapie der Gegenwart 1901. Mai. 

Leredde, La photothdrapie et ses applications k la therapeutiqne des affections entandes. 

Bulletin genöral de thdrapeutique 1901. Bd. 141. 30. Jan. 

Görl, Zar Lichtbehandlung mit ultravioletten Strahlen. Münchener medicinische Wochenschrift 
1901. No. 19. 

Staple ton, A criticism on the light treatment of lupus. Dublin journal of medical sciencc 
1901. März. 

Morris und Dore, Remark» on Finsen’s light treatment of lupus and rodent nlcer. 
British medical journal 1901. 9. Fcb. 

Sequiera, A preliminary communication on the treatment of rodent nlcer by the x rays. 
Ebenda. 

Bei der heutigen Seltenheit der Blattern entgeht den meisten Menschen in Kulturstaaten die 
Erinnerung an die Schrecken der Zeit vor der Einführung der Immunisation. Es kommt auch die 
Minderzahl der Aerzte in die Lage, den direkten Beweis des Schutzes zu erhalten, doch obgleich 
selten, wird er mitunter durch die Macht der Verhältnisse desto überzeugender gewonnen. 

Auch ein Gegner der Vaccination kann z. B. schwer Stand halten, wenn nacheinander er beim 
Anblick mehrerer Fälle von Blattern immer das noch nicht geimpfte Kind im Hause erkrankt findet. 

In Ländern dagegen, wo die Vaccination mangelt, wie in Egypten und allen britischen Be¬ 
sitzungen, ist ein Feld geblieben, wo die klinische Forschung einer recht typischen Krankheit noch 
gründliche Beiträge zur Pathologie und Therapie zu sammeln vermag. 

Eine durch Massenvaccination zum Stillstand gebrachte Pockenepidemie in und um CaTro hat 
Engel benutzt, um die Finsen’sche Rothlichtbehaudlung der Blattern zu prüfen. Es wurden infolge 
des schnellen Nachlassens der Epidemie im ganzen nur 25, aber sämmtlich ausgesucht schwere Fälle 
in einem eigens eingerichteten Pavillon nach Finsen behandelt; hiervon starben vier bezw. fünf, 
in einen zweiten Pavillon kamen alle anderen Fälle von Blattern, die eine zwar fast gleiche Mortalität 
zeigten, doch wie der Verfasser hervorhebt, waren es zu kleine Zahlen, um einen werthvollen Ver¬ 
gleich zu gestatten. 

Aus der klinischen Beobachtung licss sich mit Bestimmtheit schliessen, dass eine hemmende, 
mildernde Wirkung des rothen Lichtes auf den Ausbruch des Exanthems nicht zu bemerken war, ab¬ 
gesehen von der Purpura und Variola haemorrhagica, die überhaupt nicht zu Gesicht kamen. Be- 


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430 Referate' über Bücher und Aufsätze. 


treffs der Wirkung auf das bereits erschienene Exanthem dagegen liegt die Frage anders und ist 
mit Ausnahme der Efflorescenzen auf den Schleimhäuten eine solche in Wirklichkeit unverkennbar. 

Wie auch von früheren Beobachtern konstatiert, wird bei frischer Eruption die Pustelbildung 
gehemmt, in leichteren Fällen verhindert und in schwereren der Verlauf wesentlich gemildert und 
verkürzt. Es entstehen selbst bei Variola confluens keine anhaltende und tiefergehende Ver¬ 
schwärungen und keine tiefen, strahligen Substanzverluste. Fenier waren in allen vier maass¬ 
gebenden Todesfällen eine schwere Affektion des Rachens, der oberen Luftwege und der Bronchien, 
sowie hohes Fieber vorhanden. Im ganzen, je mehr die Schleimhäute angegriffen wurden, desto 
weniger übte die Rothliehtbchandlung einen merkbaren Einfluss auf den Verlauf der Blattern aus. 
Das sekundäre Fieber, welches auch von den verschiedenen Schleimhautentzündungen mehr oder 
weniger herrührt, ist und bleibt ein gefahrvolles Element. 

Durch forzierte Vaccination, also an mehreren Stellen zugleich, wurde kein über den von einer 
einfachen Impfung etwa zu erwartender Schutz gewährt. 

Den eigenen therapeutischen Resultaten vorangestellt, giebt Leredde ein ausführliches Resumc 
der Flnsen’ sehen Veröffentlichungen, welche (s. Bd. 4. Heft 5 dieser Zeitschrift) von uns schon be¬ 
sprochen worden sind. In den 12 angegebenen eigenen Fällen von Lupus vulgaris wurden im ganzen 
ermunternde Erfolge erzielt, obwohl, wie hervorgehoben wird, die verflossene Zeit zu kurz und die 
Behandlung bei der Mehrzahl der Patienten nicht weit genug gediehen war, um sie statistisch ver- 
wertben zu können. In einem Fall waren vor der Finsen’schen Behandlung etwa 70 Kauterisationen 
der erkrankten Partieen ohne Erfolg vorgenommen worden. Bei drei von den übrigen gebesserten 
Fällen hatten 25—70 »seanccs de haute fr6<|uence«, also eine vorhergehende Behandlung mit 
d’Arsonval-Teslaströinen, keine Veränderung hervorgerufen. Bemerkenswerth ist die Thatsache, 
dass, wo keine Reaktion der behandelten Theile nach der Bestrahlung eintrat, auch keine Besserung 
erzielt wurde, namentlich in den Fällen, wo infolge harter Konsistenz oder Unregelmässigkeit der 
Oberfläche der erkrankten Partieen das Blut bei der Behandlung nicht verdrängt werden konnte. In 
einzelnen Fällen von Akne vulgaris, Rhinophyma und Sykosis liess sich eine Besserung erzielen. 

Der Mittheilung hinzugefügt ist eine Beschreibung der Finsen’sehen Apparate nebst Ab¬ 
bildungen. Etwas befremdend wirkt es dabei, Bergkrystall und Flintglas ausdrücklich synonym 
erwähnt zu finden. 

Durch die Behauptung Lenard's, dass die kurzwelligsten Strahlen durch Wasser 

wie durch 2 cm Luft völlig absorbiert werden, veranlasst, schlug Görl zu therapeutischem Zweck 
den von Lenard angegebenen Weg, kurzwellige Strahlen in reichlichem Maasse zu erzeugen, ein, 
nämlich vermittelst Induktionsströmen und einer Funkenstrecke, die einem Kondensator parallel ge¬ 
schaltet wird. (Feddersen-IIertz-Teslaanordnung. Referent.) Er benutzte hierbei eine Kapsel, 
innerhalb welcher der Funkenstrom einen gewundenen Gang über eine Reihe von Metallkugeln 
einnimmt. Zwischen Funkenstrecke und Haut kommt eine Druck- und Schutzplattc aus Bergkrystall. 
Als Stromerzeuger dient ein Induktor von 55 cm Funkenlänge. Mit diesem Apparat hat der Ver¬ 
fasser in zwei Fällen von Gesichtslupus mit je einem Ulcus von Zehnpfennigstück- bis Zwei¬ 
markstückgrösse nach 20 Bestrahlungen, die alle 2—8 Tage während 5—15 Minuten erfolgten, eine 
reberhäutung erzielt. Den therapeutischen Versuchen gingen einige Bestrahlungen der normalen 
Haut voran, die innerhalb einer halben Stunde erröthete und zw ar etwas dunkel mit geringem Jucken. 

Die Hyperämie der Haut liess hierbei nicht bald nach, sondern steigerte sich während zweier 
Tage mit geringer Schwellung und Schmerzhaftigkeit. Nachher dauerte die Exfoliation des Epidermis 
eine bis zwei Wochen mit Zurücklassung einer Pigraentation. 

Bezüglich der Auffassung der therapeutischen Wirkung ist der Satz auffallend: »Finsen hat 
bei seinen Untersuchungen gefunden, dass die Lichtstrahlen um so stärkere chemische Wirkung be¬ 
sitzen (entzündungserregend sind) und um so rascher Bakterien abzutödten im stände sind, je 
kurzwelliger sie sind«, was in dieser Breite und Tiefe man w ohl kaum behaupten kann. 

Staplcton, der auch die besonderen bakterieiden Eigenschaften kurzwelligen Lichtes ohne 
w eiteres annimmt und sich damit theoretisch-therapeutisch begnügt, giebt weniger eine Kritik der 
Lichtbehandlung, als vielmehr einen Bericht über seine Beobachtungen in den wenigen Städten 
Grossbritaniens, wo diese Therapie schon ausgeiibt wird. Er fand, dass Erfolg hauptsächlich hei 
leichten, bezw. oberflächlichen Erkrankungen erzielt w urde, dagegen in einer Reihe von Fällen nach 
täglicher Behandlung bis zu einer Dauer von sechs Monaten keine bedeutenden Besserungen eintraten, 
doch giebt er zu, dass in zw ei Fällen das »kosmctic rosult« nicht gering w'ar. Etw’as merkwürdig 
klingt die Angabe, dass das Kühlwasser (Leitungswasser) des Lichtkondensators die'rothen Licht¬ 
strahlen absorbiert. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 431 

Morris und Dore sind bemüht, eine systematische Darstellung der Finsen'schen 
Therapie zu geben, die sic mit einigen Phototypieen illustrieren. Abgebildet ist ein Fall von 
ausgedehntem Gesichtslupus und ein Fall von Ulcus rodens, die beide geheilt wurden. Wie auch 
Leredde finden sie den Lupus erythematosus der Finsen'schen Behandlung weniger zugänglich 
als Lupus vulgaris. Wenig aussichtsvoll sind auch die Fälle, wo viel Narbengewebe vorhanden ist. 
ln dem behandelten Fall von Ulcus rodens fand eine Entzündung mit Erweichung und Glattwerden 
der harten Ränder statt, worauf Granulation und Heilung erfolgte. 

Sequiera entschloss sich zur Behandlung des Ulcus rodens mit Rontgenstrahlen, nachdem 
in einem Fall wegen der Schmerzhaftigkeit des zur Blutverdrängung nothigen Druckes bei der 
Lichtbehandlung diese ausgeschlossen erschien. 

Von zwölf Fällen im ganzen sind vier geheilt und noch unter Beobachtung, acht gebessert 
und noch in Behandlung. 

In dem erstgenannten Fall, wo ein Auge und ein Theil der Nase verschwunden waren und 
die Oberkieferhöhle offen lag, hörte das weitere Ulcerieren nach 18 tägiger Bestrahlung auf und fing 
alsbald die Ausheilung an, die aber noch nicht vollständig ist. Cowl (Berlin). 


Franklenhäuser, Die Elektrochemie als medicinische Wissenschaft« 2. Theil. Zeitschrift für 
Elektrotherapie und ärztliche Elektrotechnik 1900. Heft 3. 

Frankenhäuser fügt seinen auf S. 344ff. in dieser Zeitschrift referierten Arbeiten einen 
weiteren Beitrag hinzu, in welchem er die gegenwärtig herrschenden theoretischen Anschauungen 
über das Wesen des einen Elektrolyten passierenden elektrischen Stromes bespricht. 

Während die Theorie von Grothus annahm, dass in der interpolaren Strecke eines feuchten 
Leiters eine Zersetzung der gelösten Substanzen in elektropositive und elektronegative Bestandteile 
bewirkt werde, von denen die einen nach der Kathode, die anderen nach der Anode wandern, so 
stellt sich die neuere, jetzt allgemein herrschende Theorie, deren Begründung wir besonders Clausius 
und Arrhe;nius verdanken, folgendes vor: ln jeder leitenden Lösung ist ein grosser Theil der 
Moleküle in Jonen gespalten, und zwar geschieht diese Spaltung, die man als »Dissociation« be¬ 
zeichnet, durch den Lösungsvorgang selbst, nicht durch den elektrischen Strom. Die Wanderung 
der Jonen nach den beiden Polenden stellt nun das Wesen der elektrischen Bewegung im Elektro¬ 
lyten dar. Die Jonen hat man sich vorzustellen als materielle Elementarteilchen, die mit Elektrizität 
i teils mit positiver, teils mit negativer) geladen sind. In einer Jodkaliumlösung z. B. sind neben 
Jodkaliummolekülen freie Jodionen mit negativer elektrischer Ladung und gleichviel freie Kalium¬ 
ionen mit positiver elektrischer Ladung in grosser Anzahl vorhanden. Diese zeigen aber durchaus 
nicht die chemischen Eigenschaften des Jodes und Kaliums. Sie treten erst dann an den Tag, 
wenn die Jonen ihre elektrische Ladung abgeben, und das geschieht ausschliesslich an den Elek¬ 
troden. An der Anode zeigt sich dann infolge von Jodentwicklung braune, bei Stärkezusatz violette 
Färbung. An der Kathode reagiert das Kalium mit dem Wasser und bildet Kalilauge und freien 
Wasserstoff. 

Der wichtigste Punkt der gegenwärtigen Anschauung ist also der, dass in allen Lösungen 
ein erheblicher Theil der Bestandteile sich im Zustand der Dissociation befindet. Von der Grösse 
dieses Anteils’ hängt die Leitfähigkeit des betreffenden Elektrolyten ab. 

Verfasser betont, wie wichtig das Verständniss dieser theoretischen Anschauungen für den 
Mediciner ist und exemplifiziert besonders auf Schatzkij, in dessen experimenteller Arbeit (Zeit¬ 
schrift für Elektrotherapie etc. 1900. No. 1/2) er eine mangelnde Berücksichtigung dieser An¬ 
schauungen findet. 

Die Experimente Schatzkij's laufen auf den Nachweis einer »interpolaren Elektrolyse«, also 
eines elektrolytischen Vorganges in der zwischen den Polen gelegenen Strecke hinaus. Solche 
elektrolytische Vorgänge im Innern des Körpers werden von Schatzkij als das Wesen der elektro- 
therapeutischen Einwirkungen angesehen. Im einzelnen eignen sich diese Experimente Sch atzkij's 
und die abweichende Ausdeutung derselben, die Frankenhäuser giebt, nicht zum Referat 

Mann (Breslau). 

W. König, Neuere Forschungen über die Beziehungen zwischen Elektrizität und Materie. 
Deutsche Medicinalzeitung 1900. No. 64. 

Verfasser bespricht in einem vor der balneologischen Gesellschaft zu Frankfurt a. M. gehaltenen 
Vortrage in der Hauptsache die modernen Anschauungen über die Vorgänge im Elektrolyten, die 


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43‘2 Referate über Bücher und Aufsätze. 

im vorigen Referat angedeutet wurden. Er verbreitet sich ferner über neuere Untersuchungen, 
welche zeigen, dass auch die Gase unter gewissen Umständen leitfähig werden können. Im all¬ 
gemeinen isolieren die Gase. Aber verschiedene Einflüsse, zu denen u. a. die Durchstrahlung mit 
Röntgenstrahlen gehört, können auch die Luft oder andere Gase leitfähig machen. Es scheint nach 
den neueren Untersuchungen, dass auch diese Leitfähigkeit der Gase auf einen theilweisen Zerfall 
in Jonen beruht, jedoch steht die Frage, ob diese Jonen der Gase von der gleichen Art sind, wie 
die Jonen der Elektrolyte, noch zur Diskussion. 

Eine praktische Bedeutung für die Medicin resp. Hygiene scheinen diese Anschauungen da¬ 
durch gewinnen zu wollen, dass nach den Untersuchungen von Elster und Gei bei das elektrische 
Verhalten der Atmosphäre sich mit Leichtigkeit auf Grund der Jonentheorie, d. h. aus der Annahme 
des Vorhandenseins positiv und negativ geladener Jonen in unserer Atmosphäre herleiten lässt 

Zum Schluss warnt König dieMediciner vor einer oberflächlichen Ueberschätzung derJonen- 
theorie, eine Warnung, die bei dem heut vielfach hervortretenden Bestreben, naturwissenschaftliche 
Theorieen ohne weiteres auf therapeutisches Gebiet zu übertragen, recht beherzigenswerth erscheint: 

»Dem oberflächlichen Beobachter erscheint es vielleicht genügend, sich vorzustellen, dass wir 
in den Salzlösungen Anhäufungen oder Suspensionen von elektrisch geladenen Körpern haben, und 
er meint wohl am Ende, dass diese elektrischen Ladungen, z. B. bei den Bädern, zur unmittelbaren 
Wirkung komme. 

Freilich sind die Jonen elektrisch geladene Körper. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass 
wir mit ihnen nicht wie mit einer geladenen Metallkugel auf einem Glasfuss hantieren können 
Positive und negative Jonen sind immer in gleichen Mengen vorhanden, und es bedarf komplizierter 
physikalisch-chemischer Prozesse, um sie einzeln zur Wirkung zu bringen und ihre elektrischen 
Ladungen zu gewinnen. Nur ein eindringendes Studium wird richtige und dann vielleicht auch 
weittragende Folgerungen aus den neueren Anschauungen auch auf dem Gebiete der auf den 
Organismus angewandten Physik und Chemie zu ziehen vermögen«. Mann (Breslau). 


Albert Bernheim, Behandlung von Aneurysmen mit Elektrolyse dnreh eingeftihrteu Draht. 

Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. No. 34. 

Eine »Heilung« eines Aneurysma kann nur durch Obliteration des Sackes bewerkstelligt 
werden und zwar durch die Bildung von Thromben, die einer Organisierung fähig sind und sieh 
zusammenziehen; alle Methoden der Behandlung der Aneurysmen gehen darauf hinaus, eine Oe¬ 
rinnung herbeizuführen, die sich später organisiert. Die idealste Methode wäre ohne Zweifel »die 
Einverleibung einer harmlosen Substanz in den Sack, die vermöge der ihr inne wohnenden che¬ 
mischen Kraft die organisierbare Gerinnung herbeiführen könnte. Acupunktur, die man versuchte, 
um durch die eingoführte Nadel als Fremdkörper eine langsame Entzündung der Intima zu ver¬ 
anlassen, die eine Thrombenbildung anbahnen könnte, sowie die Galvanopunktur hatten keine be¬ 
sonderen Erfolge aufzuweisen. Dagegen scheint nach den bisherigen Erfahrungen die kombinierte 
Anwendung direkter Panführung eines aseptischen Drahtes und der Elektrizität mehr Erfolg hin¬ 
sichtlich der Bildung eines derben Gerinnsels, das durch Anwachsen eine rasche Obliteration des 
Sackes herbeiführt, zu versprechen. Zu den bisher bekannten, nach dieser Methode behandelten 
14 Fällen ist Verfasser in der Lage einen fünfzehnten hinzuzufügen, der schon deshalb einzig dasteht, 
weil die Operation innerhalb weniger Monate dreimal vorgenommen wurde. Dem Patienten, der 
ein ausgesprochenes Aortenaneurysma hatte, wurde dasselbe mit einer feinen Subkutannadel, die 
von Gold und vollständig mit porzellanartiger Masse isoliert war, angestochen. 2,7 cm feiner Gold- 
drall t wurde eingeführt, er war federnd und behielt seine spiralige Form. Die Anode war der aktive 
Pol, die Kathode wurde auf dem Rücken aufgesetzt; dann wurde der Strom geschlossen und iin 
ganzem eine Stunde hindurchgeleitet und zwar von io Milliamperes bis 80 allmählich gesteigert und 
am Ende von 10 Minuten auf öo Milliamperes reduziert. Die Operation wurde gut ertragen: Nach¬ 
behandlung bestand in modifizierter Tufnell’sclier Diät, Darreichung von Jodkalium 0,6- 0.7ö drei¬ 
mal täglich zwei Tropfen Tct. Aconiti, um die Pulsspannung, die sehr hoch war, zu vermindern. 
Die zweite Operation fand 2 1 * Monate später statt; der Strom wurde 1 Stunde 17 Minuten durch - 
geleitet, steigend von 10 Milliamperes zu 100 in 22i .> Minuten. Die einige Zeit darauf folgende 
Untersuchung ergab vollständige Abwesenheit einer Pulsation, eine entschiedene Konsolidierung des 
Aneurysma; dies letztere wurde völlig bestätigt durch eine an drei Stellen vorgenommene Probe- 
punktion. Mit einer dritten Operation endete die Behandlung, Patient wurde nach einer Gesainmt- 
beliandlungsdauer von acht Monaten als völlig arbeitsfähig entlassen. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 433 

Tn Bezug auf den Erfolg der Operationen lassen sich die bisher behandelten Fälle in drei 
Klassen eintheilen: 1. Erleichterung, wenn der Tod in den ersten drei Monaten nach der Operation 
eintrat. 2. Besserung, wenn Patient noch nach drei Monaten lebte. 3. Heilung, wenn der Operierte 
noch nach Ablauf eines Jahres lebte. Erleichterung trat in sechs Fällen ein, Besserung in fünf, Heilung 
in vier Da die Operation fast immer als »ultimum refugium« anzusehen ist, sind die Resultate 
durchaus ermuthigend, zumal wenn man bedenkt, dass solche hochgradigen Aneurysmafälle gewöhn¬ 
lich sehr rasch durch Ruptur dem Leben ein Ende machen. J. Marcuse (Mannheim). 


Str&ter, Welche Rolle spielen die Rühren hei der therapeutischen Anwendung der Röntgen- 
strahlen? Deutsche medicinisehe Wochenschrift 1900. No. 34. 

Die Verwendung der Röntgenstrahlen zu therapeutischen Zwecken hat eine Reihe einander 
widersprechender Resultate gezeitigt, deren Erklärung bisher mangelhaft war. Wenn auch die 
Stromstärke, Zeitdauer der Belichtung, Entfernung zwischen Objekt und Röhre, sowie die Zahl der 
Unterbrechungen eine gewisse Rolle spielen, so liegt doch der Verschiedenheit der Wirkung noch 
ein anderer gewichtiger Faktor zu Grunde, und dies ist die Beschaffenheit der Röhren selbst. Die 
Röntgenstrahlen entfalten dort ihre Wirksamkeit, wo sie absorbiert werden; nun sind aber die von 
dem Antikathodenspiegel jeder Röhre ausgehenden Strahlen nicht einheitlicher Natur, sondern es 
gehen von ihm sowohl Strahlen aus, welche schon in der Haut, in den Muskeln oder in den Knochen 
absorbiert werden, als auch Strahlen, welche ungehindert alle diese Theilc passieren. Die Röhren, 
deren Strahlen vorwiegend von der Haut oder dem Muskelgewebe absorbiert werden, werden weich, 
die Röhren, deren Strahlen grösstentheils Haut und Muskeln durchdringen und selbst im Knochen 
nur theilweise Widerstand finden, hart genannt. Wie verschieden aber die Wirkungen der von 
verschiedenen Röhren ausgehenden Strahlen sind, wurde im Anschluss an dahingehende Wahr¬ 
nehmungen gelegentlich der Behandlung eines Falles von Lupus vulgaris durch Versuche festgestellt. 
Es wurden die beiden Oberarme eines Gesunden, der eine mit einer harten, der andere mit einer 
weichen Röhre unter sonst gleichen Umständen bestrahlt. Die mit der weichen Röhre bestrahlte 
Partie zeigte nach viermaliger, je zehn Minuten langer Sitzung Röthung, während an der mit einer 
harten Röhre bestrahlten Partie keine Veränderungen wahrzunehmen waren. Noch charakteristischer 
war das Resultat bei einer Psoriasis vulgaris der Streckseiten der Oberextremitäten und der Unter¬ 
schenkel. Bestrahlt wurden in einer Sitzung je fünf Minuten lang der rechte Arm und der linke 
Unterschenkel mit einer weichen, der linke Arm und der rechte Unterschenkel mit einer harten 
Röhre. Während auf den mit einer weichen Röhre bestrahlten psoriatischen Efflorescenzen nach 
dreimaliger Sitzung die Schuppung nachliess und nach im ganzen fünfmaliger Bestrahlung eine voll¬ 
ständige Heilung erzielt worden ist, war bei den mit einer harten Röhre bestrahlten Partieen eine 
Veränderung nicht zu sehen. Nach Beendigung der Behandlung, die vier Monate dauerte, konnten 
die mit der weichen Röhre bestrahlten Partieen als geheilt bezeichnet werden, während die mit der 
harten Röhre bestrahlten Flächen nach wie vor keinerlei Veränderung zeigten. 

Aus diesen Ergebnissen sind für die therapeutische Verwendung der Röntgenstrahlen folgende 
Schlüsse zu ziehen: Ausser der Beschaffenheit des Induktors, der Stromstärke, der Dauer der Be¬ 
strahlung, der Zahl der Unterbrechungen und dem Abstande des bestrahlten Objekts von der Röhre 
spielt die Beschaffenheit der Röhre selbst, beziehungsweise ihr Härtegrad eine sehr wichtige Rolle» 
um einigermnassen sichere und schnelle Heilerfolge zu erzielen. Alle in der Epidermis liegenden 
pathologischen Prozesse werden am günstigsten und schnellsten beeinflusst durch weiche Röhren; 
Tieferwirkungen dagegen wird man durch weniger weiche Röhren am schnellsten erzielen; ganz 
harte Röhren sind für die Bestrahlung am uuzweckinässigsten. J. Marcuse (Mannheim). 


Eulenburg, Ueber einige physiologische und therapeutische Wirkungen der Anwendung 
hochgespannter Wechselströme (Arsonvalisation). Therapie der Gegenwart 1900. Heft 12. 

Verfasser schildert zunächst kurz das Verfahren der Arsonvalisation und das von ihm ver¬ 
wendete Instrumentarium (zur Orientierung vergl. diese Zeitschrift Bd. 3. S. 596). 

Was die physiologischen Wirkungen der Arsonvalisation betrifft, so hat Verfasser in 13 Ver¬ 
suchen eine Blutdrucksteigerung vermittelst des Base loschen Sphygmomanometers nach weisen können. 
Die Steigerung trat jedesmal sofort ein, nachdem die Stromzuleitung zum Solenoid begann, und war 
rocht beträchtlich (meist 5—8 cm). Sie blieb auch nach Beendigung des Versuches bestehen und 
sank erst in durchschnittlich 30 Minuten auf das Anfangsniveau. 


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434 Referate über Bücher und Aufsätze. 

Dagegen ergaben Thierversucbe mit Einführung einer Manometerkanülc in die Carotis kein 
verwerthbares positives Ergcbniss, und ebensowenig Hess sich die von d’Arsonval beschriebene 
Erweiterung der Gefässe am Kaninchenohr im Solenoid nach weisen. 

Bezüglich der Respiration fand Verfasser eine Zunahme der Athemfrequenz und Athemtiefc 
an chloralisierten Kaninchen. Versuche an trachektomierten Thieren ergaben zunächst eine erheb¬ 
liche Vermehrung des verarbeiteten Luftvolumens, später aber bei abgeänderter Methode wider¬ 
sprechende Resultate. 

Schliesslich erwähnt Verfasser von physiologischen Wirkungen noch einen Einfluss auf die 
Hautsensibilität. Die lokale Bestrahlung ergab bei fast sämmtlichen Versuchspersonen eine be¬ 
deutende Herabsetzung des Kältegefühles, sowie in geringem Grade auch des Berahrangs- und 
Schmerzgefühles. 

Die mitgetheilten Versuche des Verfassers haben unsere Kenntnisse von der physiologischen 
Wirkung der Arsonvalisation noch durchaus nicht geklärt. Ausser den zuletzt erwähnten, von nie¬ 
mandem bestrittenen Wirkungen auf die Hautsensibilität scheint noch alles unsicher. Die positiven 
Ergebnisse der Blutdnickmessung stehen im Gegensatz zu den völlig negativen Resultaten von 
T. Cohn. Dieser Autor, der mit dem Gärtner’schen Tonometer arbeitete, fand in 20 Versuchen 
keine wesentliche Veränderung des Blutdruckes, wenn accidentelle Momente (OzonWirkung, Einfluss 
des Geräusches der überspringenden Funken etc.) ausgeschaltet wurden. Ob alle derartigen Eiu- 
flüsse bei den Eulenburg’schen Versuchen vermieden worden sind, geht aus den Mittheilungen 
nicht mit Sicherheit hervor. Dass die Thierversuche im Gegensatz zu denen am Menschen kein 
verwerthbares positives Resultat ergaben, lässt in dieser Hinsicht einige Bedenken aufkomraen. 

Dasselbe gilt von den Athmungsversuchen, die ebenfalls im Gegensatz zu den Ergebnissen 
von Loewy und Cohn stehen. Aber abgesehen von diesem Gegensatz zu anderen Untersuchen!, 
ergaben auch die Eulen bürg’sehen Versuche unter sich Widersprüche, sobald mit abgeänderter 
Methode gearbeitet wurde. 

Es muss also eine Fortsetzung der Versuche und ausführlichere Publikation, die Verfasser in 
Aussicht stellt, abgewartet werden. 

Was nun die therapeutischen Resultate des Verfassers betrifft, so beobachtete er sehr gute 
Wirkungen bei lokaler Applikation. Zunächst erwies sich dieselbe als ein sehr wirksames Mittel 
gegen den Juckreiz bei verschiedenen Hautaffektionen. Ferner ergaben sich schmerzstillende Wirkungen 
bei Neuralgicen, Myalgieen, Arthralgieen etc. Besonders soll die Wirkung in drei unter vier Fällen 
von Ischias sehr eklatant gewesen sein. 

Von Allgemeinwirkungen kann Verfasser nicht viel berichten. Bei Neurasthenikern und 
Hysterikern hat er keine besonders günstigen Resultate gesehen; er glaubt aber, dass sich die» 
noch ändern kann, wenn das Verfahren erst bekannter geworden ist und damit die unheimlichen, 
angsterweckenden Eindrücke, die der Apparat auf nervöse Personen ausübt, in Wegfall kommen. 

Ueber die Wirkung bei Stoffwechselanomalieen hat der Verfasser keine eigene Erfahrung, 
hält aber die Möglichkeit derselben in Anbetracht der physiologischen Ergebnisse sehr wohl für 
gegeben, wenn er auch glaubt, dass die französischen Autoren in diesem Punkte, ebenso wie be¬ 
züglich der bakteriziden Einwirkung der Arsonvalisation, zu sanguinisch gewesen sind. Dass übrigen» 
auch von französischer Seite die diesbezügliche Angaben (auf dem Elektrotherapeutenkongress i stark 
bestritten worden sind, erwähnt er nicht. 

Von positiven therapeutischen Erfolgen kann Verfasser also nur eine symptomatische Beein¬ 
flussung von Hautjucken und von gewissen schmerzhaften Affektionen (die übrigens auch durch die 
älteren Elektrisationsmethodcn oft sehr gut beeinflusst wurden) konstatieren. Dieses Resultat scheint 
bei der Umständlichkeit des aufgewendeten Apparates als ein immerhin recht geringes! 

Mann (Breslau!. 

Guimbail, La therapeutique par les agents physiques* Paris 1900. 

Der Name Guimbail ist den Lesern dieser Zeitschrift schon aus mehreren Besprechungen 
bekannt. Zuletzt sind die Eigenheiten dieses Autors in einem Referat von Buttersack (Bd. 4. 
S. 69(5) treffend gekennzeichnet worden. Mir liegt heute ein umfangreiches, fast 600 Seiten um¬ 
fassendes Buch des genannten Autors vor, welches zunächst eine Beschreibung eines Theiles der 
physikalischen Heilmethoden (Elektrotherapie, Hydrotherapie, Frigotherapie und Lichttherapie:, dar¬ 
auf einen allgemeinen physiologisch - therapeutischen Theil und schliesslich einen Abschnitt über 
spezielle physikalische Therapie* enthält. 

Referent hat zuerst geschwankt, ob cs sich empfehle, die Leser in ausführlicherer Weise mit 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


4 :« 


dem Inhalte dieses Buches bekannt zu machen, hat es aber schliesslich für zweckmässig befunden, 
davon Abstand zu nehmen. Was das Buch enthält, ist nicht im geringsten dazu angethan, uns in 
unseren therapeutischen Kenntnissen vorwärts zu bringen, kann vielmehr einzig und allein dazu 
dienen, denjenigen, die gewohnt sind, allen Bestrebungen der Therapie mit Spott entgegenzutreten, 
ein ausgiebiges und leicht verwerthbares Material in die Hand zu geben. 

Guimbail hat sich viel mit theoretischer — physikalischer und physiologischer — Lektüre 
beschäftigt und operiert mit diesen mehr oder minder gründlich verarbeiteten Kenntnissen in 
einer eleganten, bisweilen sogar geistreichen Weise, die aber wohl nur auf den sehr Unerfahrenen 
den Eindruck echter Wissenschaftlichkeit machen kann. Die Fähigkeit, therapeutische Dinge zu 
beobachten und zu kritisieren, geht ihm gänzlich ab, oder er will sie aus irgend welchen Gründen 
nicht an wenden. 

Die therapeutische Wirksamkeit der physikalischen Agenden und ihre unendliche Ueberlegen- 
lieit über die Pharmakotherapie, deren Ende er bereits gekommen sieht, glaubt Guimbail durch 
einige Gemeinplätze, die sich bis zum Ueberdrusa in den verschiedensten Variationen in dem Buche 
wiederholen, ausser allen Zweifel stellen zu können: Die nervösen Vorgänge sind identisch mit 
elektrischen: infolgedessen können sich die elektrischen und ebenso die anderen physikalischen Reize 
direkt in Nervenenergie umsetzen und auf diese Weise die Lebens Vorgänge anregen, die gesunkene 
Lebenskraft heben u. s. w. 

Für den Unbefangenen würde aus dem Vordersatz eigentlich nur folgen, dass die physikalischen 
Heize irgend welche physiologischen Einwirkungen auf den Organismus ausüben müssen, was auch 
von niemandem bestritten wird. Es würde aber zunächst fraglich bleiben und durch Experimente 
und praktische Erfahrung festzustellen sein, ob und inwieweit diese Einwirkungen in Krankheits¬ 
fällen in einem für den Organismus günstigen, also therapeutischen Sinne sich geltend machen; 
für Guimbail aber ist dies selbstverständlich: sämmtliche physikalische Methoden wirken stets im 
heilenden Sinne und führen die glänzendsten Erfolge bei den verschiedensten Krankheiten herbei. 

Als Beispiel für die Mannigfaltigkeit der Wirkungen seien hier nur die Krankheiten auf- 
ffefuhrt, die nach Guimbail durch das hydroelektrische Bad mit sinusoidalom Strom geheilt, resp. 
in hervorragender Weise gebessert werden. Es sind dies: Anästhesieen, Hypästhesieen und Hyper- 
ästhesieen, Pruritus, Neuralgieen, alle Stoffwechselstörungen, Chlorose, Anämie, Menstruations- 
anomalieen, Prostatahypertrophie, Chorea, Hysterie, Nervosität, Kinderlähmungen, infektiöse Läh- 
mungen, Incontinentia urinae, Rhachitis und ganz besonders alle Arten von Hautkrankheiten, Muskel- 
atrophieen, Muskelschwäche, myelitische Paraplegicen, Kontrakturen, Magendilatation, Obstipation, 
Yaricen, Hämorrhoiden etc. 

Ganz dieselben erstaunlichen Erfolge, deren Aufzählung an die Anpreisungen mancher Bäder- 
und Sanatorienverwaltungen lebhaft erinnert, werden auch durch die anderen physikalischen Heil¬ 
methoden erzielt, wie den Lesern bereits aus dem eingangs erwähnten Referat von Buttersack 
bekannt ist 

Irgend welche klinischen Belege hierfür zu bringen oder gar seine Erfolge statistisch darzu¬ 
stellen und kritisch zu sichten, hält Guimbail natürlich nicht für nöthig. Die Schwierigkeit, 
warum denn dieselben Agentien in ganz verschiedenen Krankheitsfällen, in denen oft die entgegen¬ 
gesetzten Indikationen zu erfüllen sind, wirksam sein sollen, weiss er mit einem Hinweis auf die 
Gesetze der Interferenz zu lösen: ebenso wie eine schwingende Membrane durch denselben Stoss 
einmal in ihrer Bewegung verstärkt, ein andermal aber aufgehalten werden kann, je nachdem sie 
in der einen oder der anderen Phase ihrer Bewegung getroffen wird, ebenso kann derselbe physi¬ 
kalische Reiz einmal anregend, das andere Mal beruhigend auf das Nervensystem ein wirken. 

Mit derartigen Vergleichen und allerhand hypothetischen Spielereien ist ein grosser Theil des 
Buches ausgefüllt; nirgends ist auch nur ein halbwegs ernstlicher Versuch gemacht, durch exakte 
Beobachtung festzustellen, inwieweit sich diese mehr oder weniger geistreichen Betrachtungen in 
der therapeutischen Praxis bewähren, und auf solcher Basis bestimmte Indikationen für die einzelnen 
Methoden aufzustellen. 

Weiteres aus dem Buche mitzutheilen, dürfte sich nicht verlohnen. W T ir glauben, dass die 
Mehrzahl der Aerzte jetzt doch schon zu gründlich zu einer wissenschaftlichen therapeutischen Be¬ 
trachtungsweise erzogen ist, um an einer derartigen Seheinwissenschaft Gefallen zu finden. Wer 
nach den gegebenen Andeutungen aber dennoch Lust empfindet, dem Autor näher zu treten, möge 
sich in das Studium des Originals vertiefen. Mann (Breslau). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


E. Hellmer, Heliotherapie. Centralblatt für die gesammte Therapie 1901. Heft 1. 

In technischer Beziehung lassen sich zwei Formen der Heliotherapie unterscheiden: 1. da* 
ambulatorische Sonnenbad und 2. das Sonnenliegebad. Bei der ersteren setzt sich der 
Patient unbekleidet im Freien im Herumgehen den Sonnenstrahlen aus, bei der zweiten ruht di*r 
ebenfalls nackte Patient auf dem Boden oder auf einem dünnen Lager. Vor Beginn des Sonnen¬ 
liegebades werden Kopf und Nacken des Patienten kalt abgewaschen, auf den Kopf kommt eine in 
kaltes Wasser getauchte Haube, die von Zeit zu Zeit frisch befeuchtet wird, um der Rückstauuni: 
des Blutes zum Kopfe vorzubeugen. Der Patient liegt am besten mit seiner Längsachse in der 
Richtung von Osten nach Westen und wendet sich alle drei Minuten bald nach rechts und link*, 
bald auf den Rücken und auf den Bauch. Die Augen sind entsprechend zu schützen. Die Dauer 
der Prozedur variiert von 15 — 45 Minuten, nach der Prozedur bekommt der Patient eine kalte 
Applikation, eine kalte Abreibung, ein Halbbad etc., worauf er eine Zeit lang Bewegungen macht. 

Indikationen: Kurze Sonnenbäder empfehlen sich bei allgemeiner Atonie, Anämie, 
Chlorose und depressiven Neurosen; längere bei träger und gestörter Zirkulation, bei Sloffweehscl- 
erkrankungen, bei Dyskrasien, bei Gelenk- und Muskelrheumatismus, bei Neuralgieen, rückständigen 
Entzündungsprodukten, bei Intoxikationen und endlich bei einer grossen Reihe von chronischen 
Dermatonosen mit derben, torpiden Infiltraten. Kontraindikationen sind alle akut fieberhaften 
Erkrankungen, hochgradige Schwäche, alle Konsumptionskrankheiten und pseudoplastischen Prozesse, 
schwere Formen von Atheromatose, anatomische Erkrankungen des Zentralnervensystems und Neigung 
zu Blutungen. Bei längerer Dauer der Sonnenbäder muss der Zustand des Herzens sorgfältig berück¬ 
sichtigt und eventuell der Herzschlauch appliziert werden. — n. 


Du Pasquier und Leri, Injections Intra et extra-dnrales de cocaine ä dose minime daas 
le traitement de la sciatiqne. (Valeur comparöe des deux methodes Resultats immediats et 
tardifs.) Bulletin gönöral de thörapeudque 1901. Bd. 15. Heft 8. 

Die Methode der Duralinfusion, welche sich bei uns in Deutschland, w r o sie begründet wurde, 
bisher nur wenig eingebürgert hat und namentlich auf den inneren Kliniken nur ausnahmsweise 
angewendet wird, hat eine um so grössere Verbreitung in Frankreich gefunden. Es erscheint kaum 
eine Nummer einer der grösseren französischen Zeitschriften in diesem Jahre, in welchen nicht 
mindestens entweder eine Originalarbeit oder eine Mittheilung aus einer französischen Gesellschaft 
über die Anwendung der Duralinfusion veröffentlicht wird. Meist handelt es sich allerdings aus¬ 
schliesslich um die subarachnoideale Infusion der Kokainlösungen. Der Erfinder dieser Methode, 
Bier in Greifswald, hat wohl kaum geahnt, als er vor wenigen Jahren die ersten Mittheilungen 
hierüber veröffentlichte, dass sich diese Methode so schnell Eingang in die chirurgischen Kliniken 
Frankreichs verschaffen würde. Dieser schnellen Aufnahme der Methode in das Armamentarimu 
der Anästhesierungsmethoden ist es wohl zu danken, dass eine ganze Reihe von unangenehmen 
Folgezuständen, ja sogar von Todesfällen, dadurch verschuldet wurde. Gerade in Frankreich haben 
wir während der letzten Jahrzehnte häufig das Schauspiel zu erleben gehabt, dass eine neue 
Methode zunächst mit grösster Begeisterung von zahlreichen Aerzten aufgenommen, dass dann fast 
einstimmig über günstige, ja bisweilen ans Wunderbare grenzende Erfolge berichtet wurde und 
dass schon nach wenigen Monaten ein bitteres Stadium der Ernüchterung folgte, in welchem man 
nun fast ebenso cinmüthig die vorher so viel gepriesene Methode verdammte. In dieses dritte 
Stadium scheinen die französischen Autoren jetzt mit der Duralinfusion gelangt zu sein. Bier hat 
niemals seine Methode der Kokaininfusion in den Subarachnoidealraum zu einer derartig allgemeinen 
unbegrenzten Anwendung empfohlen, wie dies von den Franzosen geschehen ist. Diese dagegen 
haben sowohl in den chirurgischen wie in den geburtshilflichen, gynäkologischen, als auch in den 
inneren Kliniken überall von der Methode Gebrauch gemacht, bisweilen — wir müssen es frei- 
miithig gestehen — ohne jede Kritik. Referent hat bereits bei verschiedenen Gelegenheiten 
energisch dagegen Einspruch erhoben, dass die Methode der Duralinfusion, welche er für die innen 
Klinik ausgcbildet hat, bevor noch die erste Publikation von Bier über die KokaTninfusion er¬ 
schien, so allgemeine Anwendung finden sollte; und er hat streng die Indikationen fixiert, bei 
welchen die Duralinfusion Nutzen schaffen kann. Die Franzosen haben sich dagegen nicht ge¬ 
scheut, bei allerhand Formen nervöser Schmerzen, namentlich bei Neuralgieen der unteren Extremi¬ 
täten, die Kokaininfusion anzuwenden. Mancherlei üble Folgen sind statt der beabsichtigten Heil¬ 
wirkung hierdurch eingetreten; diesem Umstand ist es wohl zuzuschreiben, dass man jetzt in 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 437 

Frankreich beginnt, statt der Methode der subarachnoidealen Infusion des Kokains die epidurale 
anzuwenden. Sie besteht darin, dass man nicht in den Subarachnoi deal raum das Kokain einspritzt, 
sondern die Nadel in die hintere fibröse Wand des Canalis sacralis einsticht, in der Hoffnung, 
dadurch die Flüssigkeit nur an die Wurzeln gelangen zu lassen. Wir selbst haben diese Methode 
bisher nicht angewandt und können sie daher auf Grund eigener Erfahrungen nicht kritisieren. Wir 
meinen aber, dass ein Urtheil darüber, an welcher Stelle die Spitze der Nadel sich befindet, wenn 
man auf die neue Art und Weise die Einspritzung ausführt, sich überhaupt nicht gewinnen lässt. 
Auch halten wir eine direkte Verletzung der Wurzeln bei der Ausführung der epiduralen Methode 
keineswegs für ausgeschlossen. — Mit Reserve müssen w ir demnach die günstigen Mittheilungen 
betrachten, welche ausser in der vorliegenden Arbeit auch bereits von einigen anderen französischen 
Autoren über die Erfolge, die sie mit Einspritzung von KokaTnlösungen in den Epiduralraum bei 
schweren Formen der Ischias erzielt haben, veröffentlicht worden sind. Pasquier und Leri wollen 
hiermit erheblich bessere Resultate als mit der Duralinfusion des Kokains erzielt haben. 

Paul Jacob (Berlin). 


Königshöfer, Die Prophylaxe in der Augenheilkunde« Nobiling-Jankau’s Handbuch der 
Prophylaxe. München 1901. 

Mit dem Fortschritt der Kultur mehren sich unzweifelhaft auch die gesundheitlichen Gefahren 
für den Menschen, es wird daher jederzeit eine vornehme Aufgabe unserer Wissenschaft sein, den 
Menschen in allen Lagen des Lebens gegen diese Gefahren zu schützen. Wir betreten damit ein 
unabsehbares Gebiet, die Lehre von der Prophylaxe der Krankheiten; Verfasser, welcher für die 
Augenheilkunde die Prophylaxe auszuarbeiten übernahm, war sich der schweren Aufgabe bewusst, 
den sich bietenden Stoff systematisch einzutheilen, ohne in dem Ganzen ein Geringes zu vergessen 
und gleichzeitig dem Ganzen die Uebersichtlichkeit zu bewahren. Es ist ihm gelungen, die Pro¬ 
phylaxe aus dem Rahmen der allgemeinen Hygiene herauszunehmen sowie dieselbe gegen andere 
Gebiete, vor allem gegen die Therapie abzugrenzen, an nicht wenigen Stellen scheint sich allerdings 
die Prophylaxe mit der Therapie zu decken. 

Die Einteilung der Prophylaxe in 1. eine allgemeine, 2. eine spezielle, 3. eine der ver¬ 
schiedenen Lebensalter hat leider, wie der Verfasser selbst zugiebt, den Mangel, dass sie zu Wieder¬ 
holungen führt; um diese zu vermeiden, wird sehr häufig auf vorhergehende oder noch folgende 
Abschnitte verwiesen. Da bei diesen Hinweisen meist die Angabe der Seite fehlt, so ist die 
Lektüre das Buches nicht gerade bequem zu nennen. 

Bei der allgemeinen Prophylaxe werden die äusseren Schädlichkeiten zuerst besprochen, unter 
diesen ausführlicher die physikalischen; bei der ausgebreiteten Verwendung der Elektrizität auf dem 
Gebiete des öffentlichen Verkehrswesens, der Industrie, vor allem als leuchtende Kraft ist den 
Schädigungen des Auges durch Blendung eine eingehendere Betrachtung gewidmet. Die von innen 
kommenden Schädlichkeiten betreffen Heredität, Konsanguinität, ferner physiologische Zustände, wie 
Menstruation, Gravidität, vor allem aber die Gefahren, welche eine unzweckraässige Lebensweise 
mit sich bringt; auf die Entstehung von Augenkrankheiten sind Kleidung, Hautpflege, Wohnung, 
Ernährung, mangelhafte Körperbewegung, geistige Ueberanstrengung nicht ohne Einfluss. 

Es folgen die funktionellen Schädlichkeiten; dieses Kapitel, welches eingehend erörtert wird, 
beantwortet die für die Verhütung der Kurzsichtigkeit bei unserer Jugend wichtigen Fragen: Welche 
Schulbank verschafft einen rationellen Sitz; welche Anfordeningen sind an natürliche und künst¬ 
liche Beleuchtung zu stellen? Der Verfasser schliesst sich im wesentlichen an die grundlegenden 
Arbeiten über die Hygiene des Auges von Fick, Cohn und an Esmarch an, zum Schlüsse wird 
Tiber die Grösse des Arbeitsgegenstandes, über die Arbeitszeit, über zweckmässige Verkeilung von 
Fern- und Naharbeit das Wissenswerthe in Kürze mitgetheilt. 

Den grössten Theil des Buches nimmt die spezielle Prophylaxe ein: Unter den organischen 
Augenerkrankungen verdienen die infektiösen Bindehautentzündungen besonders hervorgehoben zu 
werden. Die Prophylaxe besteht im allgemeinen darin, das Taschentüscher und Waschgeräthe des 
Kranken nicht von Gesunden benützt werden; dass letztere auch prophylaktisch schon Adstringenden 
anwenden, halte ich für des Guten zu viel, desgleichen die strenge Isolierung der Kranken. Bei 
der gonorrhoischen Bindehautentzündung möchte ich allenfalls, wenn nur ein Auge erkrankt ist, 
den Höllensteineinträuflungen am anderen Auge das Wort reden, einen dauernden Schutzverband 
mit dem Verfasser für unnöthig erachten. Dass man bei der Therapie der blcnnorrhoea neonatorum 
vielfach die 1<> 0 und 2%igen Lösungen wegen starker Reizung der Bindehaut verlassen hat, möchte 
ich hier nicht unerwähnt lassen. Bezüglich des Trachom’s glaube ich, dass in den durchseuchten 


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438 Referate über Bücher und Aufsätze. 

Gegenden nur das energische Eingreifen seitens der staatlichen Organe, die Thätigkeit der beamteten 
Aerzte, das Mitwirken der Schulbehörden, die Errichtung hinreichender Krankenhäuser neben sach- 
gemässer Volksbelehrung und -erziehung in hygienischen Fragen Hilfe schaffen können. — Die 
Prophylaxe der skrophulösen Augenkrankheiten, die in den Grossstädten das tägliche Brot der 
Polikliniken bilden, wird sehr kurz behandelt; erwägt man, wie die spätere Erwerbsfähigkeit gerade 
durch die Folgen dieser Krankheiten leidet, so kann man der Lehre von deren Verhütung nicht 
genügend Werth beimessen. Ergänzend möchte ich nur hervorheben, dass man die Maassregeln in 
Form einer gedruckten Anweisung zur Pflege und Haltung skrophulöser Kinder den Eltern mit¬ 
gegeben hat, ferner dass zur Behandlung und Verhütung der Skrophulose Ferienkolonieen und Kinder¬ 
heime auf dem Lande, an der See errichtet worden sind. Die Prophylaxe der sympathischen Er¬ 
krankung wird vom Verfasser mit Schärfe formuliert, mit vollem Recht, denn hier hängt es vom 
rechtmässigen und rechtzeitigen Eingreifen ab, den Kranken vor dem tragischen Geschick einer 
völligen Erblindung zu bewahren. 

Bei den Funktionsstörungen werden die Ursachen der Myopie eingehend besprochen, bei der 
Prophylaxe derselben wird die Auswahl einer richtigen Brille für besonders wichtig erachtet; die 
Akkomodationsstörungen und diejenigen in der Funktion der Augenmuskeln werden hinsichdich 
der verhütenden Maassnahmen klar und kurz behandelt. 

Die Prophylaxe der bei Allgemeinerkrankungen auftretenden Augenkrankheiten und Funktions¬ 
störungen ist an sich gering zu veranschlagen, da man die Entstehung meist nicht verhüten, der 
Entwicklung und dem Fortschreiten allerdings eher entgegentreten kann. Meines Erachtens ist eine 
wichtige “Grundbedingung für die Verhütung die Diagnose des Allgemeinleidens, eine kritische 
Ueberwachung seines Verlaufes, eine planmässige energische Therapie, im übrigen fällt die Pro¬ 
phylaxe des Augenleidens mit derjenigen des Allgemeinleidens zusammen. Tritt eine Augen¬ 
erkrankung auf, so ist andrerseits zunächst auf Grund einer eingehenden Allgemcinuntersuchung 
zu entscheiden, ob nicht ein Allgemeinleiden zu Grunde liegt, dessen sorgfältige Behandlung für 
die entstehende Augenkrankheit die Prophylaxe bedeutet; so haben Gefässpulsatione» der Netz¬ 
haut, Netzhautveränderungen, Sehnervenentzündungen, Sehnervenatrophieen u. s. w. nicht selten zur 
Diagnose eines verborgenen, schleichend sich entwickelnden Allgemeinleidens geführt und zur so¬ 
fortigen Einleitung einer rationellen Therapie Veranlassung gegeben. 

Bei der Gewerbeprophylaxe werden die Berufsarten, für welche vornehmlich Gefahren dir 
Augenerkrankungen bestehen, des näheren erwähnt, so z. B. sind Schriftsetzer, Goldarbeiter, Uhr¬ 
macher u. s. w., Bergleute, Elektrotechniker, Feuerarbeiter gefährdet, Arbeiter, die mit Giften, Blei 
Phosphor, Anilinfarben, Tabak u. s. w. hantieren, ferner Weber, Landarbeiter dergleichen. Neben 
den Schutzvorrichtungen hebt Verfasser hier die Belehrung als prophylaktisches Hifsmittel hervor, 
ein Mittel, das ich nach allen Richtungen als wichtig hinstellen möchte; nicht eine Art Reklame, 
welche die Gemüther ängstigt und ihre Präparate, Arzneien, Apparate u. s. w. unentbehrlich hin¬ 
stellt, sondern eine verständige, zweckmässige Belehrung durch Wort und Schrift kann viel Gutes* 
wirken. 

Die Operationsprophylaxe, von welcher Verfasser eine sehr eingehende Schilderung giebt, 
enthält nichts neues; da alle Augenärzte, wohlvertraut mit chirurgischer Aseptik und Antiseptik, 
nach den leitenden Grundsätzen verfahren, glaube ich, dass auch ihre Resultate hinter denen des 
Verfassers nicht zurückstehen werden. 

Zuletzt wird in fortlaufender, übersichtlicher Form eine Zusammenstellung gegeben, welche 
Gefahren von Geburt an dem Auge in den verschiedenen Lebensaltern drohen; dieser kurze Uel»er¬ 
blick beschliesst das lehrreiche Büchlein, das seine Aufgabe, aus dem Gebiet der Hygiene und 
Gesundheitspflege des Auges die Prophylaxe in der Augenheilkunde herauszuheben und für sich 
zu behandeln, trefflich erfüllt. Nicolai (Berlin!. 

M a rtius, Allgemeine Prophylaxe. Xobiling-Jankau’s Handbuch der Prophylaxe. München 1000- 

Die Ausführungen des Verfassers erstreben den Nachweis, dass neben der anerkannten all 
gemeinen und speziellen Hygiene auch eine allgemeine und spezielle Prophylaxe wissenschaftlich 
möglich und praktisch nothwendig ist Er versteht unter der Prophylaxe die Summe aller aus¬ 
schliesslich ärztlicher Erkenntnisse und Maassnahmen zum Zweck der Krankheitsverhütung. Bei 
den allgemeinen Maassnahmen handelt es sich um Bekämpfung der für alle Individuen der Gattung 
gleichmässig schädlichen und krankheiteizeugenden Potenzen, bei den individuellen um die Be¬ 
kämpfung der für den jeweiligen Einzelfall schädlichen Noxen. Beide Richtungen ergänzen sich 
und fliessen ohne bestimmte Grenzen in einander über. Je genereller die Maassnahmen sind, desto 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 439 


mehr handelt es sich um hygienische Aufgaben allgemeinster Art, an denen nicht nur der Arzt, 
sondern auch der Techniker, der Gesetzgeber, kurz die gebildete und maassgebende Menschheit 
betheiligt ist. Die spezifische Aufgabe des Arztes dagegen wächst, je mehr es sich um die Er¬ 
kennung und Bekämpfung des individuellen Krankhcitsfaktors, der Krankheitsanlage handelt. Da 
der letztere Faktor bei der Krankheitsentstehung eine viel grossere Rolle spielt, als vielfach ange¬ 
nommen wird, so ist gegenwärtig die Gefahr nicht gross, dass etwa der Arzt zu Gunsten des Ge¬ 
sundheitstechnikers abdanken muss. Im Gegcntheil; die ärztliche Individualprophylaxe gehört zu 
den wichtigsten klinischen Aufgaben der Zukunft Freyhan (Berlin). 


J. C. Schneider, Die Bakterienfurcht. Beiträge zur Frage über die Entstehung der Infektions¬ 
krankheiten für Aerzte und Laien. Leipzig 1901. 

Das müssen seltsame Menschen sein, für die dieses Büchlein geschrieben ist, und dass der 
Verfasser Dr. med. und wirklich approbierter Arzt sei, erschien ihm offenbar selber besonderer Be¬ 
tonung bedürftig. 

Das Inhaltsverzeichniss giebt an: historische Notizen; Beschreibung der Arten der Bakterien 
und Parasiten; die einzelnen Infektionskrankheiten und ihre Ursachen; Resume. Der Geist des 
Buches charakterisiert sich am besten mit diesem Schlusssatz: »Die grösste Dummheit des neun¬ 
zehnten Jahrhunderts ist der Aberglaube gewesen, dass es spezifische, streng von einander ge¬ 
schiedene Bakterien gäbe, w r elche die ausschliesslichen primären Erreger vieler Krankheiten seien, 
und dass diese Bakterien mit allen möglichen Mitteln zu bekämpfen sind.« Dass Verfasser die 
Entdeckungen und Ideen der Bakteriologen zweiten Ranges ablehnt, kann man billigen. Dass er 
aber mit der ganzen Bakteriologie tabula rasa macht, nicht einmal den Milzbrand- und Tuberkel¬ 
bacillus gelten lasst, das erscheint doch etwas kühn. Der Tuberkclbacillus ist ihm »bernsteinsaures 
Tuberkulin, umgeben von einer Hülle von palmitinsaurem Salz« (S. 93) und des Milzbrands entledigt 
er sich noch einfacher durch Ueberweisung in das Gebiet der Veterinärmediein (S. 96). 

Sätze wie: »So wie die Sache heute liegt und wie sie vielerlei Forschungen von Spezial- 
gelehrten und Aerzten ergeben haben, hat der Koch’sche Tuberkelbacillus überhaupt gar keine Be¬ 
deutung, nicht einmal mehr diagnostische« dürften auch bei der neuesten Wendung der Dinge wenig 
Beifall finden. Sind einem Leser dieser Zeitschrift vielleicht zufällig derartige »Spezialgclehrte« 
bekannt ? 

Nach Schneiders Ansicht, die er sich aber wohl hütet, präzis auszuführen, sind nicht Mikro¬ 
organismen, sondern Gährungcn und Fermentationen unbestimmter Art die Ursachen der Krankheiten. 

Ueber mcdicinischc Dinge mag jeder nach Maassgabe seiner Kenntnisse und seiner Intelligenz 
denken, was er mag, wenn auch nicht gerade nöthig erscheint, dass das alles iu Dnickerschwärze 
umgesetzt und von Referenten gelesen werden muss. Dass aber der approbierte Arzt Dr. med. 
Schneider (S. 36) den Satz aufstellt, dass »die Laienpraktiker, welche frei von anerzogenen falschen 
Heilbegriffen sind und nur auf ihren eigenen gesunden Menschenverstand sich verlassen müssen, 
dank des letzteren thatsächlich etwas zu stände bringen«, wo die Aerzte in den Kliniken u. s. w. 
keine Resultate erzielen, beweist einerseits, dass er sich über die faktische Leistungsfähigkeit jeg¬ 
licher Therapie nicht im klaren ist, und andrerseits, dass ihn das Leben offenbar recht weit von 
der Liebe zu der Wissenschaft, auf die er eingeschworen, abgetrieben hat. 

Buttersack (Berlin). 


Ludwig Dresdner, Aerztlielie Verordnnugsweise für Krankenkassen und Privatpraxis 
nebst Rezeptsammlung. München 1900. 

Zwei Jahre sind es her, dass Dresdner die Münchener Aerzte mit einem Angebinde be¬ 
schenkte, das ihnen bei dem Kampf um die freie Arztwahl gut zu statten kam, das war seine 
Pharmacopoea oeconomica, das unentbehrlichste Requisit jedes Kassenarztes. Die allgemeine Ein¬ 
führung in Aerztekreise, die dem Büchlein zu Theil wurde, die Empfehlung desselben seitens der 
staatlichen Behörden war die beste Anerkennung seines Werthes. War es doch längst ein tief¬ 
gefühltes Bedürfnis geworden, einen Führer durch die vielverschlungenen Pfade der Pharmakopoe 
zu besitzen, und hatte es doch Dresdner mit ausserordentlichem Geschick verstanden, ohne Be¬ 
einträchtigung der Ordinationen und ihres substanziellen Inhalts den Weg der Erepamiss und Ver¬ 
billigung zu zeigen. Mit einmüthigem Wohlwollen wurde das Büchlein von den bayerischen 
Kollegen aufgenommen, und aus dem Büchlein ist nunmehr ein stattliches Buch geworden, das mit 


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440 Referate über Bücher und Aufsätze. 


einer Seitenzahl von 527 heute uns in bedeutend erweiterter Form vorliegt. Hatte die erste Arbeit 
Dresdners den Zweck, den Aerzten ein Wegweiser zur Verringerung der Arzneikosten bei den 
Krankenkassen zu sein, so ist sie in der neuen Form mit Beibehaltung dieses ursprünglichen 
Prinzipes zu einem Führer durch die gesammte praktische Thätigkeit geworden, der in der An¬ 
ordnung des Stoffs, der inneren Verarbeitung und klaren Auseinandersetzung zu den besten Hand¬ 
büchern des praktischen Arztes gerechnet werden kann. Eine kurze Skizzierung des Inhalts de* 
Dresdner'sehen Buches dürfte seine Vielseitigkeit am ehesten illustrieren: Nach ausführlicher 
»Schilderung der gebräuchlichsten Arzneiformen unter besonderer Berücksichtigung ihrer Yerwerth- 
barkeit vom ökonomischen Standpunkt aus folgt in knappen, scharfen Umrissen eine häusliche 
Hydrotherapie, die zu den besten Kapiteln des Buches gehört, ferner Auszüge aus den Arznei¬ 
verordnungen der einzelnen Staaten, so dass jeder Arzt sich über die an seinem Wohnsitz 
herrschenden Arzneipreise informieren kann. 

Der spezielle Theil des Buches beginnt mit einem Verzeichniss der für die gesammte ärztliche 
Praxis geeigneten Medikamente, wobei der allgemeinen Darstellung ihrer Wirkungsweise auch die 
Arzneitaxpreise beigefügt sind, dann folgen in eingehender und kritischer Schilderung die Nähr¬ 
präparate, die medikamentösen Bäder etc., und im zweiten Theile die spezielle Therapie der einzelnen 
Krankheiten in alphabethischer Reihenfolge. So ist das Buch nicht nur ein Nachschlagebuch für 
eine ökonomische Verschreibsweise, sondern in viel höherem Maasse ein Manuale der Arznei- 
verordnungslehre sowie der speziellen Therapie, und in seiner Kombination mit den obigen Gesichts¬ 
punkten ein ebenso praktisches wie belehrendes Buch. Wir können daher allen Kollegen, auch 
denen, die keine Kassenpraxis treiben, dasselbe aufs wärmste empfehlen. 

J. Marcuse (Mannheim). 

Zabludowski, Ueber Schreiber- und Pianisten krampf. Sammlung klin. Vorträge. Leipzig l 4 .*n. 

Verfasser erweitert sein Thema, indem er nicht nur den eigentlichen Schreiber- und Pianisten¬ 
krampf (sonst ganz gesunder Individuen) behandelt, sondern überhaupt über die Krankheiten der 
Schreiber und Klavierspieler (bei auch sonst Erkrankten), soweit dieselben Schreib- und Spiel¬ 
schwierigkeiten verursachen, sich verbreitet. 

Zabludowski unterscheidet für die Schreiberkrankheit vier Formen: 

1. Ascendierende Formen durch Erkrankung von Muskeln oder Nerven der oberen Extre¬ 
mität, meist durch schlechte Schreibmethode. 

2. Descendierende Können als Theilerscheinung von Gehirn- und Kückenmarkserkrankung 

.‘5. Zentrale Neurosen, Hysterie etc. 

4. Mischforrnen von Neurosen mit anderen Fonnen. 

Die Behandlung der peripheren Formen besteht mit günstigem Erfolge oft schon darin, dass 
man die ganzen Schreibgewohnheiten des Betreffenden verändert, den Sitz am Schreibtisch wechselt, 
den Stuhl dazu schief gegen den Tisch stellt oder den Patienten ganz seitlich zum Tisch setzt, so- 
dass der stützende Unterarm in der Längsrichtung des Tisches, an dessen Längskante liegt etc 
Auch vierkantige Federhalter statt zylindrischer sind von Vortheil. Bei anderen Formen ist es 
zweckmässig, die schreibende Hand nicht, wie gewöhnlich, auf die Volarfläche, sondern auf die 
Dorsalfläche der Finger sich stützen zu lassen. Alle diese Veränderungen schalten Druck- und 
Schmerzpunkte, von denen die Schreibschwierigkeit herrührt, aus. Bei Tremor- und Krampfformen 
ist es nützlich, grosse, bogenförmig geschwungene Initialbuchstaben zur Uebung schreiben zu lassen: 
dabei hat die Hand keinen unbeweglichen Stützpunkt, und es kommt nicht so leicht zur Auslosung 
des Krampfes. Bei anderen Patienten lässt Zabludowski während des Schreibens der Buchstaben, 
an gewissen Stellen derselben, Ruhepausen machen. 

Bei schwereren Fällen von Zuckungen lässt Zabludowski einen kleinen Apparat gebrauchen, 
nämlich eine Art Anker, auf den oben der Federhalter angeleimt ist. Man kann also in den Anker 
fest hineinfassen, und die Finger haben nichts mit dem dünnen Federhalter zu thun. 

Bei choreaartigen Bewegungsstörungen ist zunächst eine allgemein-gymnastische Uchungs- 
therapie am Platz. 

Zur Unterstützung aller Maassnahmen aber ist eine vorher oder nachher geübte Massage von 
grösstem Vortheil, da, wie Zabludowski sehr treffend bemerkt, dieselbe schon als vortreffliches 
Suggestionsmittel sehr Nützliches leistet. 

Bei den »Schreibstörungen der zweiten Form, der zentralen Nervenleiden, verzichtet man :uii 
besten auf Tinteschreiben, sondern sucht unter Befolgung der oben angeführten Methoden ein mög¬ 
lichst gutes Bleistiftsehreiben zu erzielen. 


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Kleinere Mittheilungen. 441 


Bei der dritten Form, den zentralen Neurosen, geht gewöhnlich die allgemeine Aufregung, 
nervöses Zittern, Schweissausbruch etc. von besonders empfindlichen Druckpunkten am Arm etc. 
aus, und es handelt sich dann darum, diese pathologischen Reflexe von der Peripherie aus durch 
eine gänzlich veränderte Schreibracthodik zu vermeiden. Dazu ist oft erfolgreich, dass man die 
schreibende Hand in eine Supinationsstellung bringt. Zabludowski hat auch, um alle Druckpunkte 
des Annes ganz auszuschalten, einen Apparat konstruiert, in dem der Arm völlig darinhängt, ohne 
auf der Tischkante aufzuliegen. Nachherige Massage der schmerzhaften Druckpunkte ist von 
grossem Nutzen. Bei sonst noch anderswo lokalisierter Neurose, z. B. sexueller, ist entsprechende 
Behandlung nützlich. 

Bei den Mischformen IV, der zentralen Neurosen mit anderen Formen, sind diätetische und hydro- 
pathisclie Prözeduren nicht zu versäumen 

Bezüglich der Klavierspielerkrankheiten stellt Zabludowski fest, dass zumeist ein Ueber¬ 
spielen der Finger durch zu breite Tasten für nicht genügend grosse Hände stattfindet. Es handelt 
sich zumeist um traumatische Entzündungen; neuritischc Schmerzen, die sich bis zum Rücken oder 
der Brust, öfter mit Ueberspringung mancher Gelenke ausbreiten, sind häufig. Zabludowski räth 
zum Gebrauch von Jugendklaviaturen mit schmaleren Tasten, die er hat konstruieren lassen, und 
zum allmählichen Uebergang später zu den gewöhnlichen Klaviaturen. 

Es ist natürlich unmöglich, in einem Referat, dem sehr grossen Detailmaterial des Autors 
völlig gerecht zu werden; wir haben uns begnügen müssen, die Hauptpunkte seiner reichhaltigen 
Erfahrung zu zeichnen. M. Bial (Kissingcn). 


Kleinere Mittheilungen. 

Bericht über die Verwendung des Eiweissnährmittels »Hoborat« in der Praxis. Von 
Dr. Hermann Schlesinger in Frankfurt a. M. 

In neuerer Zeit wurde von verschiedenen Seiten über ein aus dem Getreidekorn gewonnenes 
Ei weissnäh rmittel berichtet, welches unter dem Namen »Roborat« in den Handel gebracht wird. 
Laves 1 ), welcher sich mit dem Studium des Präparats genauer beschäftigt und dicserhalb Stoff¬ 
wechselversuche mit demselben angestellt hatte, fasst die erhaltenen Resultate in folgenden Sätzen 
zusammen: 

»1. Roborat ist ein staubfeines, fast weisses Pulver, das, mit kalter oder lauwarmer Flüssig¬ 
keit vorsichtig angerührt oder angeschüttelt, gleichmässig darin vertheilt bleibt. 

2. Roborat ist fast geschmacklos; der etwas brodartige Beigeschmack ist in Milchkakao, 
schleimigen Suppen, Brei und Pfannkuchen, sowie Gebacken und Chokolade nicht merklich, auch 
nicht in Wein. 

3. Roborat wird gut vertragen und leicht und fast vollständig verdaut, selbst von 
Kranken, die keine freie Salzsäure im Magen haben. 

4. Roborat verursacht keine nennenswerthe Vermehrung der Darmfaulniss, wie es bei Tropon 
von mir beobachtet ist. Säure- und Ammoniakgehalt des Harns werden vermehrt, Harnsäure, 
Kreatinin, Phosphorsäure vermindert. 

5. Roborat ist ein natives Eiweiss, welches Körpersubstanz zu bilden vermag. 

Der Gehalt an Reineiweiss ist im Roborat ungefähr so gross wie im Tropon, etwas höher 
als im Aleuronat, erheblich höher als im Plasmon. 

6. Roborat enthält reichlich Lecithin und Glycerinpliosphorsäure, die das Nervensystem sein- 
günstig beeinflussen sollen und zur Bildung von Nervensubstanz erforderlich sind. 

7. Roborat ist unbeschränkt lange haltbar. 

Roborat ist, was Aussehen, Feinheitsgrad, Geschmack, Bekömmlichkeit und Verdaulichkeit 
an betrifft, ferner infolge seines Lecithingehaltes den anderen erwähnten Nährmitteln entschieden 
vorzuziehen«. 


r ) Ueber das Eiweissnährmittel »Roborat« und sein Verhalten im Organismus, verglichen mit 
ähnlichen Präparaten. Aus dem physiologisch - chemischen Laboratorium des Krankenhauses 1, 
Hannover. Münchener medicinische Wochenschrift 1000. No. 30. 

fcoitschr. f. diüt. a. physik. Therapie» Bd. V. Heft 5. 


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442 Kleinere Mitteilungen. 

Zu einem ähnlichen Ergebniss gelangten Loewy und Pickardt 1 ). Nach ihren Analysen 
ist das Roborat folgendermaassen zusammengesetzt: 

Eiweiss Wasser ätherlösl. Stoffe Asche Rest 

83% 11,9 o/o 2,91% 1,25% ca. 1,8%. 

(entsprechend 13,27% N) 

Der Gesamiutphosphor — organischer und anorganischer — betrug 0,05 %* 2 ), der auf Lecithin' 1 , 
zu beziehende organische Phosphor wurde im Aetherextrakt auf 0,02% bestimmt Der eben ge- 
nannte Rest erwies sich als zum Thcil aus Amylum bestehend, Zucker — 0. Aus den Stoffwechsel- 
versuchen der genannten Autoren ergab sich, dass die Ausnutzung des Roborats eine hervorragend 
gute ist, sie berechnete sich zu 95,43%, das ist annähernd der gleiche Werth, w ie er dem Fleische 
zukommt. Ausserdem w T urde festgestellt, dass das Präparat für animalisches Eiw eiss eintreten kann, 
»es ersetzt dasselbe, wenn es in äquivalenten Mengen gereicht wird«. In Uebereinstimmung damit 
steht die Bestimmung des Wärmewerthes (von Frcntzel ausgeführt), w'onach 1 g trockenen Roborats 
5,755 Kalorieen liefert, also genau soviel wie das reine Muskeleiweiss (1 g = 5,754 Kalorieen nach 
Stohmann). Endlich w r urde wie von Laves eine herabsetzende Wirkung auf die Ilamsaurc- 
ausscheidung beobachtet. 

Ueber die künstliche Verdauung des Roborats berichtet Berju^). Er zog zum Vergleiche 
das Plasmon, Tropon und Blutfibrin heran. Wenn er nach der gewöhnlichen Methode soviel von 
jedem Präparate, dass die abgewogene Menge 1 g Eiweiss entsprach, im Thermostaten bei 38 bis 
38,5“ C der künstlichen Verdauung unterwarf, so zeigte sich, dass nach Ablauf von zwei Tagen 
von dem Eiweiss verdaut worden waren: 

Tropon . . . 89,08%, Roborat . . . 97,92%, 

Plasmon . . . 93,69 %, Blutfibrin . . 99,81 °/o- 

Ganz anders hingegen waren die Resultate, sobald er die gleichen Mengen der genannten 
Präparate mit derselben Pepsinlösung, welche aber nur %%HC1 enthielt, in einem grossen Wasser¬ 
bade bei der konstanten Temperatur von 38 — 38,5“ C in Bechergläscm ansetzte und sie in der 
ersten Stunde alle 5, später alle 10 Minuten tüchtig durchrührtc. Jetzt fanden Sich auf Grund der 
Stickstoffbestimmungen des unverdauten Restes der untersuchten Substanzen folgende Prozent¬ 
sätze an verdautem Eiweiss: 





Tropon 

Plasmon 

Roborat 

Blutfibrin 

nach 

1 

Stunden 

8,12% 

07,00% 

99,17 o/o 

90,86% 

» 

2 

» 

22, 93% 

75,00% 

99,57 o/ 0 

95,52° o 

)> 

3 

» 

29,95% 

84,06% 

— 

99,31° o 

>> 

4 


40,08° o 

91,02» „ 

— 

— 


5 


51,61"/o 

92,47» o 

— 

— 

» 

6 

» 

55,80°/,) 

92,37% 

99,62% 

— 


Das Roborat bietet demnach die weitaus besten Chancen für die Magen Verdauung, und diese 
Thatsache steht im vollen Einklang mit den günstigen Ergebnissen der Stoffw echselvei suche am 
Lebenden, insbesondere mit denjenigen, w elche sich auf die Ausnutzung im Dannkanal beziehen. 

Schürmayer 5 ) hat das Roborat vom bakteriologischen Standpunkt aus untersucht und ge- 

1 1 Lieber die Bedeutung reinen Pflanzeneiw r eisses für die Ernährung Aus dem thier- 
physiologischen Laboratorium der landwirtschaftlichen Hochschule in Beilin. Deutsche medieinisehc 
Wochenschrift 1900. No. 51. 

*) 1. c. 

*) Entsprechend einem Gesammtgehalte des Präparats an Lecithin von 0,6%. (»Die Nähr¬ 
präparate und ihre Littcratur im Jahre 1900« von Dr Max Pickardt im Centralblatt für Stoff¬ 
wechsel- und Verdauungskrankheiten 1901. Januar. — »Ueber Roborat* von Dr. Heinrich 
Zöllner in der Phannac. Zeitung 1901. No. 50.) 

q Ueber eine Aenderung der Methode der künstlichen Verdauung eiweisshaltiger Nahrungs¬ 
mittel Aus dem agronomiseh-pedolngischen Institut der König!, landwirtschaftlichen Hochschule 
zu Berlin. Deutsche Medizinal-Zeitung 1901. No. 48. 

• v ) Ueber die Bakterienflora von Nährpräparaten. Vortrag, gehalten in der 22. öffentlichen 
Versammlung der Balncologisehcn Gesellschaft zu Berlin im März 1901. Deutsche Medizinal-Zeitung 
1901. No. 36. 


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Kleinere Mittheilungen. 


443 


fundcn, dass dasselbe nur eine minimale Beimengung von Saprophyten hat bei völliger Abwesenheit 
pathogener Keime. Ausserdem kommen nach Schurmayer im Roborat geradezu Spaltpilze vor, 
die einer durch Spaltpilze anderweitiger Herkunft erzeugten Gährung und Zersetzung entgegen¬ 
wirken. ln dieser Hinsicht verhält sich Roborat wie andere rein pflanzliche Nährmittel, während 
thicrische, wie das Plasmon und das zum Theil animalische Tropon, eine Unmenge von Keimen 
aufweisen. 

Durch diese hier kurz skizzierten physiologischen Eigenschaften des Roborats ist ohne weiteres 
der Fingerzeig für dessen Anwendung in der Praxis gegeben. Es wird, worauf auch die ge¬ 
nannten Autoren schon hinwiesen und was speziell Pickardti) bei einer grösseren Anzahl von 
Patienten erprobte, überall da indiziert sein, wo es gilt, in kompendiöser Form den Eiweissgehalt 
der Nahrung durch ein leicht verdauliches und dabei bekömmliches Präparat zu erhöhen. Ich 
selbst habe vom Roborat in 42 Fällen Gebrauch gemacht und namentlich meine Aufmerksamkeit 
auf dessen Wirkung bei anämischen Zuständen, mit und ohne Hyperaesthesia ventriculi, sowie bei 
akuten Darmkatarrhen, insbesondere den Diarrhöen der Säuglinge, gerichtet. 

Vor allen Dingen muss ich hervorheben, dass die Bekömmlichkeit durchweg eine tadel¬ 
lose war, von Erwachsenen wie von Kindern wurde das Präparat stets gern und ohne Wider¬ 
stand genommen, zum Theil in grösseren Tagesmengen 4—0 Wochen hindurch. Ich liess cs — 
der Gebrauchsanweisung gemäss — der Milch, dem Kakao, der Chokolade, ferner allen möglichen 
Arten von Suppen sowie Gemüsen zusetzen, ausserdem eignet es sich vortrefflich als Zusatz zu 
Puddings (Wein-, Citronencreme-, Stärkepudding u. dergl.). Ebenso fanden die Roboratgebäcke 
(F. W. Gumpert, Berlin C\, Königstrasse 22 -24', nämlich Zwieback und Brot, den Beifall meiner 
Patienten 2 ). 

Bei anämischen Kranken (IG Fälle) liess ich Erwachsene Wochen lang täglich 3—4 Esslöffel 
Roborat (= ca. 40—50 g), Kinder, je nach dem Alter, 3-4 halbe Esslöffel bezw. Theelöffel ver¬ 
abreichen. Nahezu sämmtlichc Kranke zeigten nach einigen Wochen mehr oder minder erhebliche 
Gewichtszunahme, fast alle sahen blühend aus und gaben an, dass der Appetit sich wesentlich ge¬ 
hoben habe. Ich führe hier einige besonders charakteristische Fälle an: 

Frau M., 31 Jahre. Sehr blasse, anämische Person von Mittelgrösse. Von mir schon seit 
Jahren an Anämie behandelt, hat vor ca. 3/ 4 Jahren abortiert, dabei schwerer Blutverlust. Ordinat.: 
Liquor. Ferr. album. 3 X tägl. 1 Theelöffel voll, später Pilul. Blaudii. Von Anfang April bis Mitte 
Mai täglich 3 Esslöffel Roborat in Milch, Suppen etc. Erholt sich zusehends, Gewichtszunahme l kg. 

F. M., 8i/ 2 Jahre. Sohn der Frau M. Zarter, sehr blasser Knabe, schlechter Ernährungs¬ 
zustand. Ordinat.: Liquor. Ferr. album. 3 X tägl. 1 > Theelöffel voll, täglich drei halbe Esslöffel 
Roborat Der bisher appetitlose Knabe zeigte schon nach 8 Tagen erhebliche Esslust. Gewichts¬ 
zunahme von 21 auf 26 kg. (Anfang April bis Mitte Mai.) 

Frau Schutzmann S., 32 Jahre. Sehr magere, blasse Person, Körpergewicht 47,5 kg. Ist vor 
1 Vs Jahren syphilitisch infiziert gewesen, mehrfach mit Ung. einer, (lnunktionskur) behandelt. 
Ordinat.: Liquor. Ferr. album., später Pilul. Blaudii. 3 Esslöffel voll Roborat täglich. Wesentliche 
P»esserung, nimmt in vier Wochen, trotzdem sie ihre Haushaltung zu besorgen hat (Mann und zwei 
Kinder, das jüngste 2 Jahre alt), um l kg zu. Geht zur Erholung aufs Land. 

Bei an Darmkatarrhen leidenden Kranken habe ich das Roborat in 10 Fällen verordnet, und 
zwar behandelte ich ausnahmslos auf rein diätetischem Wege, d. h. unter Ausschluss irgend 
welcher Medikation. Erwachsene wie Säuglinge vertrugen das Präparat ausgezeichnet, die Darm¬ 
reizung verschwand schon nach wenigen Tagen Erwachsene liess ich pro die 1- 2 Esslöffel voll 
in Reis- oder Gerstenschleim verrührt reichen, irgend eine andere Nahrung oder Getränk, ausser 
dünnen Thee, wurde nicht gewährt. 

Ganz besonders erfreulich war der Erfolg bei Säuglingen. Ich lasse hier zunächst eine 
Krankengeschichte folgen: 

A. J., 3 Wochen alt. Normal entwickeltes Kind, wird mit Gärtner’s Fettmilch ernährt. 
4. Mai 1901. Seit zwei Tagen Durchfall. Dünner, rein flüssiger, grünlich aussehender Stuhl, alle 
paar Stunden Leib aufgetrieben. Ordinat.: Aussetzen der Milch, Reisschleim, jeden Tag frisch 
gekocht, zu jedem Fläschchen Zusatz von 1 gestrichenen Theelöffel voll Roborat, 2 1 2 stündlich 
1 Fläschchen zu verabreichen. — Nach zwei Pagen ist der Stuhlgang vollkommen normal geworden. 


1) 1. c. 

2) Ueber diese Gebäcke hat sich auch Ebstein 
2. Theil. S. 711) sehr anerkennend ausgesprochen. 


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(Handbuch der praktischen Mcdicin Bd. 3. 

30* 

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444 Berichte über Kongresse und Vereine. 


das Kind erhält wieder seine frühere Nahrung. Nach weiteren acht Tagen erzählt die Mutter, das 
Kind hahe noch einmal Durchfall gehabt, derselbe sei jedoch durch abermalige Anwendung des 
»stopfenden Pulvers« sofort gestillt. 

Anfang Juni wurde ich wieder zu dem Kinde gerufen. Dasselbe ist mager und für sein 
Alter schlecht entwickelt. Die Mutter giebt an, dass es die Gärtner’sche Kindermilch schlecht 
verträgt, darnach bricht und nur wenig Nahrung zu sich nehme. Ich lasse jetzt Kunnilch verab¬ 
reichen, die im Verhältnis von 1 :1 mit dünnem Gerstenschleim verdünnt wird, dem entsprechende 
Mengen von Milchzucker nebst soviel Roborat zugesetzt wird, dass auf ein Fläschchen (= ca. 150 ecru 
1/2 Thceloffel voll davon kommt. Das Kind verträgt diese neue Nahrung vorzüglich, hat jetzt 
Appetit und gedeiht zusehends. 

Die günstige Wirkung des Roborats bei akuten Darrareizungen der Säuglinge verdient jeden¬ 
falls vollste Beachtung. Sobald man bei derartigen Zuständen sich genothigt sieht, die Milch auf 
einige Tage auszpsetzen und an deren Stelle Getreidemehlsuppen zu reichen, so findet bekanntlich 
eine Unterernährung statt. An dieser Thatsache ändert freilich auch der Zusatz von Roborat nichts, 
aber es ist immerhin nicht bedeutungslos, dass täglich 10—15 g eines leicht verdaulichen Eiweiss- 
korpers zugeführt werden, wodurch der höchst geringe Nährwerth der Suppen eine nicht unwesent¬ 
liche Aufbesserung erfährt. Dass das Roborat auch vom erkrankten Verdauungskanal des Säug¬ 
lings gut vertragen wird, kann weiter nicht wunder nehmen, da ja auch andere pflanzliche Eiweiss¬ 
stoffe sich ebenso verhalten; nicht zum mindesten dürfte die geringe Beimengung von Spaltpilzen 
hierbei in Betracht zu ziehen sein. 

Besonders hervorheben möchte ich noch die Anwendung des Roborats als Zusatz zur 
Säuglingsmilch. Ich verfüge allerdings bisher nur über drei Fälle, bei denen sich diese Art der 
Ernährung vortrefflich bewährte. Da das Roborat, welches aus Alcuronkömem hcrgestellt wird, 
hauptsächlich aus Eiweisskörpem besteht, welche den Albumosen und Proteosen sehr nahe ver¬ 
wandt sind, so stehen meine Resultate in voller Uebereinstimmung mit den günstigen Erfahrungen, 
welche man mit Albumosemilch machte. So wird z. B. von der Göttinger Klinik 1 ) aus empfohlen, 
die Albumose unmittelbar als Pulver der Milchmischung zuzusetzen. Unter allen Umständen er¬ 
scheinen also weitere Versuche nach dieser Richtung hin durchaus angezeigt. 

Nach meinen Erfahrungen ist das Roborat ein Eiweissnähnnittel, welches offenbar zu weiteren 
ausgiebigen Versuchen in der Praxis auffordert. Da auch sein Preis ein billiger ist (1 kg kostet 
5,40 Mk., 0,5 kg 2,70 Mk.), so werden sich dem besondere Schwierigkeiten nicht entgegenstellen. 


Berichte über Kongresse und Vereine. 

1. 

Zur Frage der Beziehungen zwischen Menschen- und Rindertuberkulose. Referat auf Grund 
der Verhandlungen des britischen Tuberkulosekongresses (1001. 22.—26. Juli) zusammengestellt 
von Dr. Julian Marcuse (Mannheim). 

Als Robert Koch im Jahre 1882 den Nachweis lieferte, dass er den Erreger der mensch¬ 
lichen Tuberkulose entdeckt hatte und bei dieser Gelegenheit mittheilte, dass er den nämlichen 
Erreger nach seiner Form, Grösse und Pathogenität für kleine Versuchstiere zu urtheilen, auch in 
den tuberkulösen Produkten der Thierc festgestellt habe, da war die allgemeine Anschauung, dass 
nunmehr der Streit über das Verhältnis« der »Perlsucht« des Rindes zur Tuberkulose desMenschen 
im Sinne der Einheit der beiden Krankheiten entschieden sei. Diese Anschauung fand ihren Aus¬ 
druck in einer Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, die, auf dem Boden der KocIrischen 
Beweisführung stehend, seine Angaben wiederholten, in einer mehr oder minder peinlichen Gesetz¬ 
gebung der verschiedenen Staaten zur Vernichtung resp. Unschädlichmachung perlsüchtigen Rind- 

ij Schreiber, Ucber die Behandlung der akuten Magen- und Dannkatarrhe der Säuglinge. 
Aerztliehc Praxis 1808. No. 21. 


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445 


Berichte über Kongresse und Vereine. 

viehes und schliesslich in einer elementaren Volksüberzeugung von der Gefahr des Genusses der¬ 
artigen Fleisches bezw. der Milch solcher infizierter Thiere. 

Der erste internationale Kongress zur Bekämpfung der Tuberkulose stellte sich voll und 
ganz auf den bisherigen Standpunkt Koch’s, und das damalige Referat Virchow’s gipfelte bei 
der Besprechung der Milchinfektion in dem Satze: »Radikale Hilfe würde nur gefunden werden 
können, wenn man alle solche Thiere tötete«. Die neuesten Publikationen, ich erinnere nur an 
das, an anderer Stelle besprochene Werk aus jüngster Zeit »Entstehung und Bekämpfung der 
Lungentuberkulose« von Paul Jacob und Gotthold Pannwitz, stellten sich ebenfalls mit Recht 
auf den allgemein bisher angenommenen Standpunkt von der Identität des Menschen- und Thier- 
bacillus der Tuberkulose, von der wechselseitigen Uebertragbarkeit desselben und der dadurch 
herbeigeführten Erzeugung derselben Krankheit. Dieser scheinbar allgemein gültige Standpunkt 
ist von Koch auf dem letzten Tuberkulosekongress, welcher in den Tagen vom 22.-26. Juli in 
London tagte, man kann wohl sagen zur Ueberraschung der gesammten Welt verlassen worden. 
Es ist ja richtig, dass der Entdecker des Tuberkelbacillus sich in seiner grundlegenden Arbeit über 
die Aetiologie der Tuberkulose mit grosser Vorsicht darüber ausgesprochen hat, wie sich die 
Tuberkelbacillen der Thiere zu denen der Menschen verhalten. Er bezeichnete es als möglich, dass 
später vielleicht Unterschiede zwischen den Bacillen der menschlichen und der thierischen Tuber¬ 
kulose ermittelt würden, vertrat aber nichtsdestoweniger die Ansicht, dass die thierische Tuber¬ 
kulose auf den Menschen übertragen werden könne und dass diese Gefahr, so klein oder so gross 
sie auch sei, vermieden werden müsse. Seine jüngsten Mittheilungen auf dem Londoner Kongress 
sind das Resultat von Versuchen, die er darüber anstellte, ob tuberkulöses Material von Menschen 
die Hausthiere zu infizieren vermöge. Die Versuche, so äusserte er sich, hätten ergeben, dass 
junge Rinder durch die Bacillen der menschlichen Tuberkulose nicht infiziert wurden, gleichgiltig 
oh Sputum oder Reinkulturen verwendet wurden. 

Neunzehn Stück junges Rindvieh, bei welchem durch vorherige Tuberkulininjektion die 
völlige Gesundheit nachgewiesen worden war, wurden mit menschlichen Tuberkelbacillen infiziert, 
welche theils aus Reinkulturen stammten, theils im Auswurf von Schwindsüchtigen suspendiert 
waren. Die Infektion geschah entweder in der Weise, dass man den Thieren Sputum zu fressen 
gab oder dass man theils subkutan, theils intraperitoneal, theils in die Jugularvene Bacillenmaterial 
einspritzte. Keines dieser Thiere erkrankte, und bei der nach 6—8 Monaten gemachten Sektion 
zeigte es sich, dass die Thiere keine Spur von tuberkulöser Veränderung innerer Organe hatten, 
nur an den Einstichstellen fanden sich einige, kleine Tuberkel bacillen enthaltende Eiterherde, wie 
man dies auch beobachtet, wenn man abgetötete Kulturen injiziert. Ganz anders dagegen ist das 
Ergebniss gewesen, wenn Tuberkelbacillen aus der Lunge eines Rindes benutzt wurden. Die 
Thiere erkrankten nach einer Inkubationszeit von etwa einer Woche ausnahmslos an den schwersten 
tuberkulösen Veränderungen der inneren Organe und starben theils nach 1 1 — 2 Monaten, theils 
wurden sie schwerkrank nach 3 Monaten getötet Bei der Obduktion fanden sich starke tuberkulöse 
Infiltrationen an der Infektionsstelle und den benachbarten Lymphdrüsen und weit vorgeschrittene 
tuberkulöse Veränderungen der inneren Organe, hauptsächlich der Lunge und der Milz. Durch die 
Injektion in die Bauchhöhle wurden auch die für Perlsucht charakteristischen tuberkulösen Wuche¬ 
rungen auf dem Netz und Bauchfell erzeugt. 

Ein fast ebenso scharfer Unterschied zwischen der Tuberkulose des Menschen und des Rindes 
zeigte sich bei einem Fütterungsversuche an Schweinen. Sechs junge Schweine wurden drei Monate 
lang täglich mit bacillenhaltigem Sputum, sechs andere mit Perlsuchtbacillen gefüttert. Die ersteren 
blieben gesund und wuchsen kräftig heran, die mit Perlsuchtlymphe dagegen w urden bald kränklich 
und blieben im Wachsthum zurück, und die Hälfte davon starb. Nach 3 V 2 Monaten wurden die über¬ 
lebenden Schweine sämmtlich getötet. Bei den mit Sputum gefütterten Schweinen fand sich keine 
Spur von Tuberkulose, mit Ausnahme vereinzelter kleiner Knötchen in den Halsdrüsen und in einem 
Falle weniger grauer Knötchen in der Lunge. Die Thiere dagegen, w r elche Perlsuchtbacillen ge¬ 
fressen hatten, zeigten wiederum ausnahmslos schwere tuberkulöse Erkrankungen, besonders 
tuberkulöse Infiltration der stark vergrösserten Ilalslymphdrüsen und der Mesenterialdrüsen; regel¬ 
mässig fand sich auch ausgebreitete Tuberkulose der Lungen und der Milz. Auch bei Eseln, 
Schafen, Ziegen, denen die beiden Arten von Tuberkelbacillen in die Blutbahn injiziert wurden, trat 
der Unterschied zwischen menschlicher und Rindertuberkulose in ebenso scharfer Weise hervor. 
Die Schlüsse, die nun Koch aus seinen zusammen mit Schütz angestellten Untersuchungen zieht, 
sind folgende: Die menschliche Tuberkulose ist von der des Rindes verschieden und lässt sich auf 
das Rind nicht übertragen. Die umgekehrte, w r eit wichtigere Frage, ob die Rindertuberkulose auf 



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44fi Berichte über Kongresse und Vereine 

den Menschen übertragbar sei, müsse erst noch entschieden werden. Hier lassen sich naturgemäß 
keine Experimente in vivo machen, man muss daher versuchen, der Lösung dieser Frage mittelbar 
näher zu kommen. Die in Gressstädten genossene Milch und Butter enthält, wie jetzt feststeht, 
grosse Mengen von Tuberkelbacillcn, es müsse daher nach Aufnahme dieser Nährmittel ein grosser 
Theil der Menschen an primärer Darm tuberkulöse erkranken. Diese Krankheit ist aber, wie zahl¬ 
reiche Statistiken beweisen, ausserordentlich selten, und man kann daher sich leicht vorstellen, das? 
die ab und zu auftretenden Fälle von Darmtuberkulose durch den menschlichen Tuberkelbacillus 
hervorgerufen werden, welcher auf irgend eine Weise in den Mund und von dort mit dem Speichel 
vermischt in den Darm gelangt ist. So kommt Koch zu folgendem Ilesumö: »Wenn die wichtige 
Frage, ob der Mensch überhaupt empfänglich für Perlsucht ist, auch noch nicht vollkommen ent¬ 
schieden ist und sich sobald nicht entscheiden lassen wird, so kann man doch jetzt schon 
sagen, dass, wenn eine derartige Empfänglichkeit bestehen sollte, die Infektion von Menschen nur 
sehr selten vorkommt. Ich möchte daher die Bedeutung der Infektion mit Milch, Butter und Fleisch 
tuberkulösen Viehes nicht für grösser erachten, als diejenige der Vererbung der Krankheit, und ich 
halte es nicht für räthlich, gegen die Rindertuberkulose irgend welche Maassregeln zu ergreifen.« 

Diese Koch’schen Mitteilungen haben begreiflicher Weise die allgemeinste Ueberraschung 
hervorgerufen, nicht nur auf dem Kongress selbst, sondern wie natürlich in der gesaminten Welt; 
bedeuten sie doch das Aufgeben einer Meinung, die nahezu drei Jahrzehnte alle unsere Maass¬ 
nahmen hygienischer, sanitärer wie volkswirtschaftlicher Art beherrscht hat und die, man kann es 
ruhig sagen, geradezu zu einem Gemeingut der Menschheit geworden ist. Dem gegenüber sind 
Zweifel, selbst unter Annahme der autoritären Stellung Robert Koch’s, berechtigt, und sie fanden 
ihren Ausdruck in einer Reihe von Meinungsäusserungen der Kongressteilnehmer. Bevor wir die¬ 
selben jedoch referierend mittheilen, mögen einige mit Koch übereinstimmende und vor seinen 
jüngsten Auslassungen bereits publizierte Untersuchungen an dieser Stelle mitgeteilt sein, die 
Ostertag in einem sehr interessanten Aufsatzi) zusammengestellt hat. 

Pütz hat bereits auf der Naturforscherversammlung im Jahre 1882 darüber berichtet, dass 
er drei Kälbern tuberkulöses Material mit dem Futter beibrachte, in die Unterhaut und in die Bauchhöhle 
verimpfte, ohne dass die Versuchstiere tuberkulös wurden. Er folgerte hieraus, dass eine Uebertragung 
der Tuberkulose des Menschen auf das Rind im gewöhnlichen Verkehr äusserst selten oder gamicht 
vorkomme, und dass ferner die umgekehrte Infektion, die des Menschen, durch Perlsuchtvirus noch 
keineswegs erwiesen sei. Beiläufig bemerkt, ist Schütz, der mit Koch gemeinsam die jüngsten 
Untersuchungen anstellte, damals diesen Ausführungen entgegengetreten, indem er erklärte, dass die 
Identität des Tuberkel- und des Perlsuchtvirus mit Sicherheit nachgewiesen sei. Schütz hat diese 
Versuche später bei zwei Kälbern wiederholt und hierbei einem der Thiere auch eine Tuberkelbacillen¬ 
reinkultur in die Lunge gespritzt, ohne wesentlich andereVersuchsergebnissc zu erhalten, wie bei seinen 
ersten Ucbertragungsversuchen. Ferner hat Theobald Smith sehr eingehende Untersuchungen 
über das Verhältnis der Menschentuberkulose zur Hausthiertuberkulose angestellt. Smith arbeitete 
mit sieben Kulturen von Menschen, sechs Kulturen von Rindern und je einer vom Schwein, von der 
Katze, vom Pferd und einer aus einem zweifelhaften Falle. Er stellte verschiedene Unterscheidungs¬ 
merkmale zwischen dem Erreger der menschlichen und der Rindertuberkulose fest. Er fand, das? 
die Tuberkelbacillen des Rindes viel w eniger als diejenigen des Menschen durch Modifikationen des 
Nährbodens beeinflusst werden, und dass die Rindertuberkulosckulturen viel virulenter sind als die 
aus menschlichem Sputum stammenden und, im Gegensatz zu letzteren, nicht nur Meerschweinchen, 
sondern auch Kaninchen töteten Auch Smith ist es nicht gelungen, durch Verimpfung mensch¬ 
licher Tuberkelbacillen Kälber tuberkulös zu machen. Weiterhin hat Frothingham sowohl Sputum 
als auch Reinkulturen menschlicher Tuberkelbacillen auf Kälber subkutan, intratracheal und intra¬ 
peritoneal verimpft. Eines der mit Sputum geimpften Kälber liess einige Tuberkel bacillen in der 
Leber erkennen, ein zweites zeigte nur Veränderungen an der Impfstelle, während bei einem dritten 
keinerlei Läsionen nachzuweisen waren. Die in die Luftröhre und in die Bauchhöhle mit Rein¬ 
kulturen geimpften Kälber wurden nicht sicher tuberkulös, und Frothingham schloss aus seinen 
Versuchen, dass Kälber für die Infektion mit menschlichen Tuberkel bacillen nicht sicher empfänglich 
seien. Endlich hat Gaiser auf Veranlassung Baum gart ens ein Kalb mit menschlichen Tuberkel 
bacillen geimpft, ohne dass es ihm glückte, »Perlsucht« zu erzeugen. Aus alledem ist ersichtlich, 
dass es an Versuchen im Sinne der neuesten Koch’sehen Ergebnisse nicht gefehlt hat, dass man 


i) Ostertag, Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen zur Hausthiertuber¬ 
kulose. Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene 1901. Heft 12. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 447 


jedoch bisher nie zu abschliessenden Resultaten gelangte, die sich zu den weittragenden Schlüssen, 
wie sie auf dem Londoner Kongress gezogen wurden, verdichtet hätten. Robert Koch war es Vor¬ 
behalten, auf Grund des Ausfalls seiner Versuche über die Uebertragbarkeit der Menschentuberkulose 
auf das Rindvieh den Rückschluss auf die Uebertragbarkeit der Thiertuberkulose auf den Menschen 
zu machen und die Maassnahmen, welche Wissenschaft wie Praxis gegen die Verschleppung von 
Tuberkelbacillen-mittels der Milch und des Fleisches tuberkulöser Thiere bisher als geboten erachtet 
haben, mehr oder minder für irrelevant zu erklären. Demgegenüber hat sich der Londoner Kongress 
auf den bisher wohl von allen Aerzten getheiltcn Standpunkt gestellt, indem er in seiner Resolution 
folgendes sagte: «Nach der Ansicht dieses Kongresses und im Lichte der in seinen Sitzungen statt¬ 
gefundenen Verhandlungen sollen die sanitären Behörden weiter alle ihnen zustehende Macht dazu 
anwenden und keine Anstrengungen unterlassen, um die Verbreitung der Tuberkulose durch Fleisch 
und Milch zu verhindern«. Ausserdem wurden die Regierungen »angesichts der Zweifel, welche be¬ 
züglich der Identität der menschlichen Tuberkulose mit der des Rindes ausgesprochen sind«, zur 
Vornahme staatlicher Untersuchungen aufgefordert. Im Zusammenhang damit bewegteu sich auch 
die Ausführungen der verschiedenen Redner, — so sehr man Koch’s Forschungen und seinen 
Untersuchungen Anerkennung bezeugte, — in einer ausserordentlich vorsichtigen Stellungnahme; sie 
gipfelte allgemein darin, dass man vorläufig der Theorie, dass der Tuberkelbacillus des Rindes sich 
auf den Menschen nicht übertragen lässt, auf Grund der bisherigen Versuche und Erfahrungen mit 
aller Energie widersprechen, und dass die bisher zur Vermeidung der Uebertragung der Rinder¬ 
tuberkulose auf den Menschen allerwärts getroffenen Maassregcln mit vollem Nachdruck und im 
ganzen Umfange aufrecht erhalten werden müssen. Dies der Tenor der Ausführungen von Earl 
Spencer, von Brown, Nocard, Hamilton, Crookshand, Woodhead und anderen. Am ein¬ 
gehendsten beschäftigte sich mit der Frage Mc Fadyean, indem er unter Rekapitulation der Koch¬ 
sehen Ausführungen folgendes dagegen hielt: Wahrscheinlich haben die Tuberkelbacillen des Menschen 
eine geringere Virulenz als die des Rindes und werden daher letzteres nicht leicht infizieren können. 
Nun ist aber der Tuberkelbacillus des Rindviehes nicht nur für das Rind, sondern auch für eine 
grosse Reihe anderer vierfüssiger Säugethiere, wie Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde, Hunde etc. 
virulent; und da die Erfahrung lehrt, dass, wenn der Bacillus eines Thieres nicht nur für dieses 
Thier, sondern auch für eine grosse Reihe anderer Thiere virulent ist, derselbe auch bei Menschen 
die betreffende Krankheit hervorruft, so ist es sehr wahrscheinlich, dass der Bacillus der Rinder¬ 
tuberkulose auch bei Menschen krankheitserregend wirkt. Sodann ist es absolut noch nicht sicher 
festgestellt, dass der Bacillus der Rindertuberkulose einen anderen Virulenzgrad besitzt als derjenige 
der Menschen: denn einmal ist es leicht möglich, dass der Rinderbacillus beim Passieren des mensch¬ 
lichen Körpers an Virulenz verliert, und zweitens besteht schon zwischen den Bacillen einer einzigen 
Art eine grosse Differenz in Bezug auf ihre Virulenz. 

Was nun die Frage der primären Darm tuberkulöse anbetrifft, so weicht die englische Statistik 
von der seitens Koch zitierten — dieser hatte angeführt, dass unter dem grossen Obduktionsmaterial 
des Charitökrankenhauses in fünf Jahren nur zehn Fälle von primärer Darmtuberkulose vorgekommen 
seien, und dass sowohl Baginsky wie Biedert nur verschwindend wenige Fälle von Darrn- 
tnberkulose bei Kindern ohne gleichzeitige Erkrankung der Lunge und Bronchialdrüsen gesehen 
hätten — erheblich ab. Dr. Still vermochte an dem Sektionsmaterial eines Londoner Kinder¬ 
hospitals 29,1 o/ 0 der Fälle von Kindertuberkulose auf primäre Darm tuberkulöse zurückzuführen, 
I>r. Shevann in Edinburgh 28,1 °/ 0 . Die beiden Statistiken umfassen 547 Fälle, die Diagnosen sind 
sicher gestellt Nach diesen Zahlen ist in England primäre Darmtuberkulose bei Kindern nicht nur 
nicht selten, sondern geradezu häufig. Zweitens lässt sich sehr oft bei der latenten Entwicklung 
und dem schleichenden Verlauf der Krankheit die primäre Infektionsstelle nicht mehr feststellen, und 
drittens ist man allmählich gewöhnt, alle Fälle der bei Kindern so häufigen Tabes mesenterica auf 
den Genuss von bacillenhaltiger Milch zurückzuführen. Mc Fad yean machte ferner darauf auf¬ 
merksam, dass durch die von Koch und Schütz bei Schweinen angestellten Versuche die Ueber- 
tragungsmöglichkcit der menschlichen Tuberkulose auf das Schwein dargethan sei. Denn bei den 
mit Sputum tuberkulöser Menschen gefütterten Schweinen entwickelten sich »vereinzelte kleine 
Knötchen in den Lymphdrüsen des Halses« und in einem Falle »etliche graue Knötchen« in den 
Lungen. Mithin würde für die Tuberkulose des Schweines schon nach den von Koch und Schütz 
angestellten Uebertragungsversuchen das Verhältnis heute noch ebenso liegen, wie es Koch in 
seiner grundlegenden Arbeit präzisiert hat, indem er sagte: Mag nun die Gefahr, welche aus dem 
Uenuss von perlsüchtigcm Fleisch und Milch resultiert, noch so gross oder noch so klein sein, vor¬ 
handen ist sie und muss deswegen vermieden werden. Zusammenfassend äussert sich Mc Fadyean 


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448 


Bericht© über Kongresse und Vereine. 

folgendermaassen: Die Grösse der Gefahr kann nicht dadurch festgestellt werden, dass man etwa 
konstatiert, wieviel Menschen auf dem eben genannten Wege jährlich infiziert werden, oder wieviel 
Prozent der Menschen, welche überhaupt an Tuberkulose erkranken, durch den Genuss von Material 
pcrlsüchtigen Viehes erkrankt sind. Aber gleichzeitig ist die Thatsache der grossen Gefahr de? 
Genusses solchen Materiales über allen Zweifel erhaben, da gegenwärtig noch Milch ein Vehikel ist. 
durch welches Tuberkelbacillen in den menschlichen Körper eingeführt werden. 

Zu diesen Argumenten brachten einige Redner weiteres Material, so vor allem Ravenei. der 
von mehreren Fällen von Hauttuberkulose bei Thierärzten berichten konnte. Die Veränderungen 
waren hierbei die gleichen, wie sie bei den pathologischen Anatomen infolge Umgangs mit 
tuberkulösem Material von Menschen auftreten. Ravenei hat selbst seit mehreren Jahren Ex¬ 
perimente mit thierischen und menschlichen Tuberkelbacillen angestellt und dabei folgendes gefunden: 
Die Bacillen beider Quellen waren in ihrer Kultur gut gerathen, aber von einander sehr verschieden. 
Der thierischc Bacillus war für alle Versuchsthiere mit Ausnahme des Schweines virulenter als der 
menschliche. Er hatte stärkere pathogene Kraft für den Menschen, speziell in jüngeren Lebensjahren 
Hinsichtlich des letzteren Umstandes konnte er fünf Fälle von Tuberkulose beim Menschen konstatieren, 
die direkt von Thieren herstammten, ln ähnlichem Sinne äusserten sich noch Nocard — dieser 
erwähnt eine Angabe, nach welcher in einem armen Theile Frankreichs (Bauce) die Bauern während 
des Winters in den Kuhställcn wohnen und infolgedessen die Verbreitung der Tuberkulose bei den 
Rindern und den Menschen parallel gehe —, ferner Bang, Sims Woodhead u. a. Besondere Be¬ 
achtung verdienen die Ausführungen des greisen Lister, der sein Urtheii über Kocli’s Angaben 
dahin zusammenfasst: »Koch hat gezeigt, dass menschliche Tuberkulose sehr selten, wenn über¬ 
haupt auf Rinder zu übertragen ist. Aber für den umgekehrten Satz, der unvergleichlich grössere 
Wichtigkeit besitzt, dass nämlich Rindertuberkulose nicht auf den Menschen übertragbar ist, besteht, 
ich wage es zu sagen, kein zwingender Beweis. Wäre es richtig, so w r äre dies ja eine ungeheure 
Vereinfachung der Vorsichtsmaassregeln, aber sehr betrübend wäre es, wenn die jetzt bestehenden 
Maassnahmen aufgehoben und die Annahme unrichtig wäre. Weitere Nachforschungen sind ausser¬ 
ordentlich wichtig, und sie allein werden die Lösung bringen.« Sein Vorschlag, einen Ausschuss 
ins Leben zu rufeu, der sich mit der Prüfung der von Koch angeregten Fragen beschäftigen soll, 
hat eine rasche Erledigung gefunden: Vor wenigen Tagen konnten die Zeitungen mittheilen, dass 
ein Staatsausschuss in England gebildet wurde, der folgende Fragen zu untersuchen hat: 1. ob 
die Tuberkulose bei Menschen und Thieren ein und dieselbe ist; 2. ob Thiere und Menschen 
wechselweise damit angesteckt werden können; 3. unter welchen Bedingungen, wenn überhaupt, 
die Uebertragung der Krankheit von Thieren auf den Menschen stattfindet und welche Umstände 
für eine solche Uebertragung günstig oder ungünstig sind. 

Damit wird ein endgültiges Wort über diese die ganze Welt bewegende Frage erst in der 
Zukunft gesprochen werden, und wir müssen uns bis dahin bescheiden, die Argumente von Pro¬ 
fessor Koch wohl als ausserordentlich interessante und als neue Darlegungen, nicht aber als 
zwingende Beweismomente anzusehen. 


II. 

14. internationaler Kongress zu Madrid 1902. 

Seitens der Leitung des 14. internationalen Kongresses, welcher unter dem Patronat Seiner 
Majestät Königs Alfons XIII und der Königin Mutter-Regentin in den Tagen vom 23- bis 30. April 
in Madrid tagen wird, gelangt bereits jetzt ein kurzes Programm zur Versendung. Wir entnehmen 
demselben, dass der Kongress in P> verschiedene Sektionen zerfallen wird; dieselben werden un¬ 
gefähr die gleichen Gebiete umfassen, wie diejenigen, welche auf dem 13. Kongresse zu Paris ab¬ 
gehandelt wurden. — Der Mitgliedsbeitrag beträgt 30 Pesetas; die die Mitglieder begleitenden Damen 
w erden auf Eisenbahnen u. s. w die gleichen Preisermüssigungen haben, wie die Mitglieder selbst, 
und dürfen aiulen Festen und Ueremonieen während des Kongresses theilnehmen; ihre Beitritts karte wird 
12 Pesetas kosten. Nähere Mittheilungen über die Veranstaltungen des Kongresses u. s. w\ werden 
demnächst erfolgen, und es wird voraussichtlich sich anfangs des nächsten Jahres ein deutsches 
Komitee bilden, welches in ähnlicher Weise wie für die Kongresse in Paris, Rom u. s. w. fun¬ 
gieren wird. K. 


H«*rliu. Di'Ut k vmi \V Hiixrii-frin. 


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UNIVERSITY 0F MICHIGAN 



ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1901/1902. BandY. Heft 6. 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldseheider und Priv.-Doe. Dr. P. Jacob. 


Vertag von Georg Thleme in Leipzig. 


INHALT. 


I. Original-Arbeiten. 


I. Ueber die Lichtbehandlung von Hautaffektionen nach der Finsen’schcn Methode. Von 

Professor Dr. E. Lesser in Berlin. Mit 2 Abbildungen.451 

II. Ueber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung unter 

physiologischen und pathologischen Verhältnissen. Aus dem pathologisch-chemischen 
Laboratorium der K. K. Krankenanstalt »Rudolfs-Stiftung« in Wien (Vorstand: 

Dr. Ernst Freund.) Von Dr. Leopold Läufer, Sekunaararzt.458 

III. Vereinfachtes Gerath für manuelle Heilgymnastik. Von Dr. S. Salaghi, Professor der 

physikalischen Therapie an der Konigl. Universität Bologna. Mit 5 Abbildungen . 471 

IV. Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 

Von Professor Dr. Ostertag in Berlin..476 


IL Kritische Umschau. 

I. Die neuesten Resultate der Sehnentransplantationen bei peripherischen Lähmungen. Von 

Rudolf Noehte, Unterarzt.490 

H. Diätetisches aus Russland. Zusammenfassender Bericht von Dr. A. Dworetz ky in 

Riga-Schreyenbusch.495 


HL Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (ErnShrungstherapie). 


Schlesinger, Die Bereitung der Krankenkost ..504 

St rau ss, Untersuchungen über die Resorption und den Stoffwechsel bei Apepsia gastrica 

mit besonderer Berücksichtigung der pcrniciösen Anämie.. 504 

Schreiber, Ueber die Verwendung frischen Kaseins in der Ernährung.505 

Herzen, Einfluss einiger Nahrungsmittel auf die Menge und den Pepsingehalt des Magensaftes 505 

Freund und Freund, Beiträge zum Stoffwechsel im Hungerzustande.506 

v. Bunge, Der wachsende Zuckerkonsum und seine Gefahren.506 

Voit, Die Grösse des Eiweisszerfalls im Hunger.. 507 

Blnmenthal und Wohlgemuth, Ueber Glykogenbildung aus Eiweiss. 507 

Roos, Zur Verwendung von Pflanzeneiweiss als Nährmittel.507 

Spiegler, Ueber den Stoffwechsel bei Wasserentziehung ..508 

Kaufmann, Stoffwechselbeobachtung bei einem mit Nebennierensubstanz behandelten Fall 

von Morbus Adisonii.508 

Knöpfeimacher, Die Nahrungsmengen im Säuglingsalter.. 508 

Josiäs und Roux, Essai sur le traitement de la tubcrculose pulmonaire chez les enfantspar 

le sörum musculaire, suivant le procödö de M. M. Charles Richet et Hericourt 509 

Kisch, Entfettungskuren.510 

Fränkel, Die Verwendung des Alkohols in der Behandlung der Infektionskrankheiten . . 510 
Hevillet, Ueber Erfahrungen bezüglich der Uebertragung der Tuberkulose auf Kinder durch 

den Genuss tuberkelbacillenhaltiger Milch.511 

Pot&pow-Pracaitis, Influence de quelques principes alimentaires sur la söcrötion du suc 

« ue et sa richesse en pepsine.511 

th, M.D., The relation of scurvey to recent methods of artificial feedings . 512 
Zeiteohr. t diät u. ph/aik. Therapie Bd. V. Heft 6. 31 


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450 


Inhalt 


B. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Wolpert, Di© Ventilation .. 

Tarabrin, Zur Behandlung der Geschwüre mit strahlender Wirme. 

Alapy, Balneotherapeutiscne Behandlung der tuberkulösen Gelenks- und Knochenkrankheiten 

bei Kindern... 

Sarason, Ueber Wasserkuren im Rahmen der wissenschaftlichen Heilkunde. 

Hecht. Die Heissluftbehandlung bei chronischen Mittelohreiterungen. 


Stil* 


513 

513 

514 
514J 

51 ') 


C. Gymnastik und Massage, Liegekuren. 


Erlenmever, Ueber die Bedeutung der Arbeit bei der Behandlung von Nervenkranken in 

Nervenheilanstalten.515 

Naumann, Ueber die Luftliegekur bei der Behandlung der chronischen Lungentuberkulose 516 

Cautru, Massage abdominal.516 

Dagron, Massothdrapie.. .. ...517 

D. Orthopädie nnd Apparatotherapie. 

Thiersch, Ueber Korsett und Reformkleidung.518 

Friedlinder, Beitrag zur mechanischen Behandlung der Lungentuberkulose.519 

E. Elektrotherapie. 

Cleaves, Arthritis deformans and the benefits of electrica! treatment.519 

Kienböck, Ueber die Einwirkung des Röntgenlichtes auf die Haut.520 

Schatzky, Die Grundlagen der therapeutischen Wirkung der Franklinisation.521 

Frankenhiuser, Die praktische Verwerthung der elektrochemischen Erscheinungen für die 

Balneotherapie.•.522 

Minine, Ueber ein vereinfachtes Verfahren der Lupusbehandlung durch die Phototherapie . 523 

F. Verschiedenes. 

Shukowsky, Die englische Krankheit und ihre Unabhängigkeit von der relativen Luft¬ 
feuchtigkeit .523 

Hagen-Torn, Die englische Krankheit, ihre Symptome, ihr endemischer Charakter und ihre 

Abhängigkeit von der relativen Feuchtigkeit der Luft.*23 

Spassokukotzky, Die Kapillardrainage bei. Hydrops anasarca kardialen Ursprungs . . . 524 
Schwarz, Ueber die mechanische Behandlung der Hydropsien kardialen Ursprungs ... 524 

Maslennikow, Die mechanische Behandlung allgemeiner Oedeme.524 

D ehio, Ein Apparat zur mechanischen Behandlung des Hydrops anasarca und Untersuchungen 

über die chemische Zusammensetzung der Oedemflüssigkeit ..524 

Einhorn, Mendelsohn und Rosen, Die Prophylaxe in der inneren Medicin.526 

Sorgo, Zur Diagnose der Aneurysmen der Aorta und der Arteria anonyma und über die 

Behandlung derselben mit subkutanen Gelatineinjektionen.526 

Sellentin, Zeitgemässe Aufklärungen über einige Grundfragen wissenschaftlicher Heilkunde 527 

Jaboulay, Einspritzungen von Chininlösungen in den Canalis sacralis.527 

Epidurale Kokaininfusionen. 528 

E w a r t und D i c k i n s o n, Ueber die Behandlung des chronischen Hydrocephalus durch 


Behla, Die Karcinomlitteratur...628 

Fürst, Ueber den Tod durch giftige Gase. 528 

Zeitschrift des Deutschen Vereins für Volkshygiene Heft 23—26 . 529 

Börner 1 s Reichs-Medicinal-Kalender 1902 .. 529 


IV. Kleinere Mittheilungen. 

I. Bemerkungen zu Dr. M. Einhorn’s Artikel: Ueber Sitophobie intestinalen Ursprungs. 

Von Dr. R. v. H o e s s 1 i n, dirigierendem Arzt der Kuranstalt Neuwittelsbach in München 529 


H. Mittheilung aus der Klinik , der Aerzte L. Bucholtz und A. Grasmück in Saratoff. 

. Von Dr. L. Bucholtz . ..530 

V. Berichte Uber Kongresse und Vereine. 

I. Bericht über die zweite Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder. 

Von Dr. Theodor Mayer in Berlin.531 

II. Aus französischen Gesellschaften ..535 

III. Ueber den 14. Internationalen Kongress zu Madrid 1903 . 530 


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Original - Arbeiten, 


I. 

Ueber die Lichtbehandlung von Hautaffektionen nach der . 
Finsen’schen Methode. 

Von 

Professor Dr. E. Lesser 
in Berlin. 

Es ist ein grosses und unbestreitbares Verdienst von Niels R. Finsen, die 
Lichtbehandlung von [Hautaffektionen durch jahrelange, konsequent fortgeführte 
Versuche auf eine jetzt bereits völlig gesicherte Basis gestellt und diese Basis durch 
eine grosse Reihe experimenteller Untersuchungen wissenschaftlich begründet zu 
haben. Nur derjenige, welcher sich selbst mit dieser Behandlungsmethode beschäf¬ 
tigt, vermag zu beurtheilen, welche zähe Energie, welches Ueberzeugtsein von der 
Richtigkeit der zunächst rein theoretisch gefundenen Voraussetzungen für das Ein¬ 
treten des Erfolges dazu gehört, um die Versuche wirklich bis zum Resultate durch- 
znfQhren. Denn gerade bei der in allererster Linie in Betracht kommenden Er¬ 
krankung, dem Lupus, dauert es geraume Zeit, ehe von dem günstigen Einfluss der 
Behandlung überhaupt etwas zu sehen ist. Und da ausserdem noch in der ersten 
Zeit grosse technische Schwierigkeiten zu überwinden waren, da sicher auch im 
Anfang die Bereitwilligkeit der Kranken, sich ohne weiteres dem scheinbar keine 
Hilfe bringenden unbequemen Verfahren immer noch länger zu unterwerfen, nur 
durch standhafte Energie seitens des Arztes erreicht werden konnte, so bedurfte es 
wirklich einer gewissen Entdeckerbegeisterung, um in der kurzen Zeit die Methode 
so weit zu bringen, wie es durch Finsen geschehen ist. Die zähe Beharrlichkeit 
des Nordländers — Finsen ist gebürtig von den Färöer und ist Student von Reyk¬ 
javik — ist gewiss nicht ohne Bedeutung hierbei gewesen. 

Wie bekannt, ist Finsen von den Erfahrungen über die irritierende Wirkung 
des Lichtes, die man bei einigen Krankheiten, besonders bei' den Pocken, gemacht 
hatte, ausgegangen. Basierend auf dem schon im Mittelalter und auch jetzt in einigen 
Ländern, so in Rumänien, Tonkin, Japan geübten Verfahren, Pockenkranke in rothe 
Decken einzuhüllen oder in Zimmern, die mit rothen Teppichen verhängt sind, unter¬ 
zubringen, schloss er Pockenkranke in Räume ein, in welche das Tageslicht nur 
durch rothe Vorhänge oder Scheiben eindringen konnte. Der Erfolg war ein ganz 
eklatanter. Wenn die Kranken nur hinreichend früh dem gewöhnlichen Tages¬ 
licht entzogen waren, verlief nicht nur die örtliche Affektion, sondern auch die 
Allgemeinerkrankung in wesentlich milderer Weise als sonst. Die Pustelbildung und 
das Suppurationsfieber blieben aus, die Pockenefflorescenzen heilten selbst in Fällen 

31* 


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E. Lesser 


452 


mit aasgebreitetem Exanthem fast ohne Narbenbildung ab. Finsen schloss hieraus, 
dass im andern Falle die hier' abgehaltenen Theile des Lichtes, also im wesentlichen 
die blauen, violetten und ultravioletten Strahlen, kurz die chemisch wirkenden 
Strahlen des Lichtes eine entzündungserregende oder entzündungssteigernde, eine 
gewebsschädigende Wirkung auf die Pockenefflorescenzen ansübten, die den lokal 
und allgemein schwereren Verlauf in den nicht in dieser Weise geschützten Fällen 
verursachen. Diese Anschauung fand ihre weitere Bestätigung in den bei einigen 
Hauterkranknngen gemachten Beobachtungen, so bei Xeroderma pigmentosum, 
Hydroa vacciniformis u. a. 

Hieran schloss sich nun der Gedanke, umgekehrt diese schädlichen, entzündungs¬ 
erregenden Wirkungen des Lichtes, der chemisch wirksamen Theile des Spektrums, 
in therapeutischer Absicht zur Heilung von Hautaffektionen zu benutzen. Freilich 
kamen dazu noch die Erfahrungen, die schon früher über die pilz- und bakterien¬ 
tötende Wirkung des Lichtes gemacht waren und die von Finsen und seinen Schülern 
in mustergiltiger Weise fortgesetzt worden sind. Diese Untersuchungen haben er¬ 
geben, dass das Licht, und zwar hauptsächlich die blauen, violetten und ultravioletten 
Strahlen eine Bakterienkultur zu töten vermögen. Darüber, dass wirklich die Licht¬ 
strahlen und nicht etwa die Wärmestrahlen diesen Einfluss ausübten, konnte kein 
Zweifel bestehen, da die Versuchsanordnung in der Weise getroffen war, dass die 
Wärmewirkung vollständig ausgeschlossen wurde. Diese bakterientötende Wirkung 
erwies sich als eine so prompte und exakte, dass dieselbe im Finsen’schen Institut 
regelmässig als Kontrolle angewendet wird, um festzustellen, ob die zur Licht¬ 
behandlung dienenden Apparate richtig funktionieren. 

Auf diesem Wege kam Finsen nun dazu, in erster Linie die Behandlungs¬ 
versuche mit dem Lupus, einer sicher durch Bakterien hervorgerufenen Hautaffektion 
zu beginnen. Freilich, es war noch eine grosse Schwierigkeit zu überwinden. Selbst 
in denjenigen Fällen, in denen die lupöse Infiltration verhältnissmässig oberflächlich 
ist, erstreckt sie sich natürlich doch immer bis in eine gewisse Tiefe, und es war 
fraglich, ob die hier in Betracht kommenden Theile des Spektrums so weit einzu¬ 
dringen vermögen. Es war von vornherein klar, dass das Blut ein grosses Hinderniss 
hierfür sein muss, denn es wirkt natürlich genau so, wie die rothe Scheibe in der 
Dunkelkammer des Photographen — es lässt die chemisch wirksamen Strahlen nicht 
passieren. So ergab sich die Nothwendigkeit, die zu behandelnden Theile durch 
Kompression möglichst blutleer zu machen. 

Mit wenigen Worten möchte ich noch vor der speziellen Beschreibung der Be¬ 
handlungsmethode auf eine allgemeine Frage von erheblicher Wichtigkeit eingehen, 
nämlich die Frage, welche Eigenschaften des Lichtes es denn eigentlich sind, die 
den günstigen Erfolg herbeiführen. Es kommen zwei Eigenschaften in Betracht: 
die gewebsschädigende und dadurch entzündungserregende Wirkung, und 
zweitens die bakterientötende Wirkung des Lichtes. Im Grunde genommen 
handelt es sich hier ja freilich nicht um verschiedene Wirkungen, sondern um eine 
und dieselbe Eigenschaft; denn es ist doch offenbar ganz genau derselbe Vorgang, 
wenn gewisse Lichtstrahlen eine Zelle des menschlichen Körpers in ihren vitalen 
Eigenschaften schädigen und schliesslich zum Absterben bringen oder wenn sie eine 
Bakterienkultur abtöten, in welcher schliesslich jeder einzelne Mikroorganismus doch 
auch nichts anderes als eine lebende Zelle ist. Aber freilich für die Erklärung 
der heilenden Wirkung bei Lupus wird es doch von Wichtigkeit und jedenfalls von 


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Ueber die Lichtbehandlung von Hautaffektionen nach der Finsen’scben Methode. 453 

Interesse sein, unterscheiden zu können, ob die Heilung durch Vernichtung der 
lupösen Zellinfiltrate als solcher oder im wesentlichen durch die Tötung der Tuberkel¬ 
bacillen zu stände kommt. Während Finsen ursprünglich das Hauptgewicht auf 
die bakteriziden Eigenschaften der chemisch wirksamen Strahlen legte, neigt sich 
die Meinung jetzt mehr und mehr dazu, die gewebsschädigende, entzündungserregende 
Wirkung in den Vordergrund zu stellen. 

Die günstige Einwirkung auf die lupösen Infiltrate ist ja auch auf diese Weise 
gut zu erklären. Ein Nocens, welches auf die erkrankte Haut wirkt, wird am 
schnellsten diejenigen Zellen oder Gewebe so weit schädigen, dass sie dem Unter¬ 
gänge anheimfallen, welche am wenigsten widerstandsfähig sind, und es ist klar, 
dass dies für die lupöse Infiltration zutrifft. Auf dieser Grundlage beruhen ja 
schliesslich alle Methoden der Lupushandlung durch lokale Zerstörung, sei es durch 
die Glühhitze, die Skarifikation oder die Anwendung der verschiedenen Aetzmittel. 
Die Güte des Erfolges bei der einzelnen Methode hängt eben davon ab, in wieweit 
es möglich ist, die Schädlichkeit des angewendeten Mittels so abzustufen, dass das¬ 
selbe die kranken Partieen so vollständig wie möglich zerstört, während die ge¬ 
sunden Partieen keine dauernde Schädigung erleiden, sondern von dem anfänglich 
zwar bestehenden Entzündungszustand sich wieder erholen. Je mehr eine Lupus¬ 
behandlung sich diesem Ideal — völlige Zerstörung des Kranken bei völligem 
Erhaltenbleiben des Gesunden — nähert, desto bessere Resultate wird sie geben 
sowohl bezüglich der Heilung wie bezüglich des kosmetischen Effektes. 

Dass nun die Fi ns en’sche Behandlungsmethode in dieser Hinsicht allen andern 
lokalzerstörenden Methoden überlegen ist, darüber kann schon jetzt kein Zweifel 
mehr bestehen. Mit keiner Methode wird ein so gutes kosmetisches Resultat erreicht, 
und wenn auch über die Dauer der Heilung ein abschliessendes Urtheil noch nicht 
möglichst, so kann doch schon jetzt gesagt werden, dass es unter allen Umständen 
günstiger ausfallen wird als bei den andern lokalzerstörenden Methoden. Ich möchte, 
um Missverständnissen vorzubeugen, hier ausdrücklich einschalten, dass ich natürlich 
die Exstirpation des Lupus hier nicht in Vergleich ziehe, da diese, wenn sie unter 
geeigneten Umständen und in geeigneter Weise gemacht wird, zur definitiven Heilung 
führt. Aber freilich, je grösser die lupöse Infiltration ist, desto unsicherer wird 
schliesslich die Aussicht auf definitive .Heilung auch bei dieser Methode, ganz ab¬ 
gesehen davon, dass der kosmetische Effekt in diesen Fällen gewöhnlich viel zu 
wünschen übrig lässt. 

Aber es fragt sich, ob .nicht doch die bakterientötende Eigenschaft des Lichtes 
auch eine Rolle spielt. Es ist selbstverständlich, dass man die an Kulturen ge¬ 
machten Erfahrungen nicht ohne weiteres auf die im Organismus befindlichen Bakterien 
übertragen kann; aber nach allerdings noch nicht abgeschlossenen Versuchen, die 
Herr Nagelschmidt an dem hiesigen Universitätsinstitut für Lichtbehandlung gemacht 
hat, scheint das Licht doch auch auf die im Gewebe befindlichen Tuberkelbacillen 
eine vernichtende Wirkung auszuüben, und schliesslich ist es ja garnicht unmöglich, 
dass die schädigende Einwirkungen des Lichtes sowohl auf die pathologischen Zellen 
wie auf die Tuberkelbacillen zusammen wirken, um zu dem günstigen Resultat zu 
führen. 

Ich gehe nun über zur Schilderung der Technik. Als Lichtquelle ist von 
Finsen das Sonnenlicht und das elektrische Bogenlicht benutzt worden; aber in 
der Regel wird man sich aus naheliegenden Gründen an das künstliche Licht, an 


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E. Lesaer 


JW in 


Thätigfct'it 


l.Jiisöu am etitgmgeugesetzten Ende des -'Rohres, konvergent gemacht weiden. Zwischen 
den beiden Linsen am distalen 'Ende- des .'Itojires ist eine ca. 30 cm lange Schicht 
von destilliertem Wasser eingeschaltet, weiche zur.Absorption der Wäftne dient und 

Die Linsen müssen 


vhn einem Mantel stets zirkulierenden Wass&s'"umgeben igt 
samt lieh von Bergkrj stall sein',, da Glaslinsen den grössten Tbeil der chemhscheu 
'Strählen absorbieren würden. Die zu bestrahlende■'Hsutpartie wird in den Fokus 
re-sj*. etwas vor denselben gebracht. Aber es. sind noch zwei wichtige Erfordernisse 
zu erfüllen: einmal sind die trotz der 'kühlendenSchicht immer noch ziemlich reich¬ 
lich vorhandenen Wämestrahleo möglichst zu absorbieren, und zweitens ist die zu be- 
>traidende Partiö «liiglichst blutleer zu machen, damit die Wirkung des Uchtes bi* 




Uehrr AU) LiehtbelujisdlHag Vr,p Hantaffekdotien nach der Fiusen'sehen Methode .45® 


in eine gewiäse Tiefe dringt.. Beides wird durch die Dnickäpparate (Kompr^öfiea'j 
emichl: iö ejti MetallgestcH gefasste BergkrystaEplatfeij oder -ÖgseH, zwischen 

denen daöarmi kaltes-Wasser zirkuliert,. Es ist uothwendjg, konvexe,, pinne und 
konkave Korapressorien zu haben, je nach der Beschaffenheit der ?,« bestrahlenden 
Hautpartie. Besonders da, wo die Haut dem Knochen dicht »ul'Hegt, an der Stirn, 
dem Schädel, dem Jochbein, ist die Anwendung von konkaven Druckgläseru libtbig, 
da durch konvexe Druckgläser an diesen Stellen ein zu starker Druck ausgeübt 
werden Wörde, ‘ \ ' ’ ' ' 

Die Behandlung wird hdn in der folgenden Weise yergenoramen: Der Kranke 
wird auf ein Ruhebett gelagert und die zu bestrahlende Partie der Haut — meist 
handelt es sich ja um einen Theil des Gesichtes —^ tlidls durch Schieben des Ruhe- 


\ «*i»eliicftrnc Komprosstfiwi; ;i konkav, Vt. |>l;sn C ' kj'mVev.-' 


hettes und durch Hebe»' flder Senken des Kopfenden desselben, t Heils '/durch Aus¬ 
ziehen oder Verkürzen des. Konzentrators in den Fokus gebraeni. l.'iu hierbei "die 
Haut vor jeder Erhitzung zu äghühiöt», ytfrd ' die Austritts^jiäd mit einer siebartig 
durchlöcherten MetallkBgsel bedeckt, die nur einen geringen Theil des Lichtes. durch¬ 
treten lässt, der aber doch hinreichend ist mit die Einstellung xn'ermöglichen. Darin 
wird die DrucbHüse aufgesetzt Und nun die durchlöcherte. Kapsel entfernt. Von 
grosser Wichtigkeit ist, dass kein zu starke»". Druck' ausgeübt wird > und floss 
ferner das Licht nicht auf Theile füllt, welche nicht, mit der kühlenden Linse in. 
Berührung sind. In beide» Fallen kann es'zu Gangrän kommen. Die Kompression 
muss durch die Hand .msgefibt werden und ist ein speziell geschulte? Wärterinnen- 
personal hierzu erforderlich. Die Versuche, die Kompressotien durch Verbände zu 
fixieren, haben sich als ünzweckmässig erwiesen. Die Wärterinnen und ebenso die 
Aerzte müssen mit ganz dunklen Schutzbrillen versehen sein. Die sorgfältigste 





456 


E. Lesser 


Desinfektion aller mit den Kranken in Berührung kommenden Gegenstände ist 
natürlich selbstverständlich. Das Auge des Patienten, wenn eine demselben nahe¬ 
liegende Partie bestrahlt wird, wird durch einen passenden Verband mit Watte, die 
mit Borlösung getränkt ist, und mit einem Stückchen dicken, gelben Papiers ge¬ 
schützt. Subjektiv darf der Patient kein starkes Brennen empfinden; sowie das der 
Fall ist, ist es ein Zeichen, dass etwas nicht in Ordnung ist, dass z. B. Licht neben 
die Druckstelle fällt. Oft ist es nöthig, die Umgebung der Druckstelle mit kleinen 
in Borlösung getränkten Wattebäuschchen vor den seitlichen Lichtstrahlen zu 
schützen. Die Zeit der Belichtung währt im allgemeinen eine Stunde, bei be¬ 
sonders empfindlichen Patienten ist es gerathen, die Sitzung nur auf eine halbe 
Stunde auszudehnen. 

Unmittelbar nach der Belichtung ist an der betreffenden Stelle ausser einer 
lividen Verfärbung und einer ganz leichten Schwellung nichts zu bemerken; erst 
nach einigen, selbst erst nach 10—12 Stunden zeigt sich die Reaktion in Form einer 
bis zehnpfennigstücksgrossen Blase. Gewöhnlich ist die Epidermis in der Umgebung 
der Druckstelle blasig emporgehoben, so dass die Blase einen ringförmigen Charakter 
hat. In den nächsten Tagen bildet sich auf der stark hyperämischen Stelle eine 
Kruste, und nach Verlauf von 1—U/s Wochen ist die entzündliche Reaktion ab¬ 
geklungen. Die Grösse der jedesmal belichteten Stellen entspricht einem Kreise von 
1—U/s cm Durchmesser. 

Es ist leicht verständlich, dass je nach der Mächtigkeit des lupösen Infiltrates 
eine verschieden grosse Zahl von Belichtungen derselben Stelle zur Heilung nöthig 
ist. Es ist daher ganz unmöglich, im allgemeinen zu sagen, wie häufig jede einzelne 
Stelle bestrahlt werden muss, um zur Ausheilung zu gelangen; sicher kann aber ge¬ 
sagt werden, dass selbst in den am günstigsten gelegenen Fällen eine mehrfache 
Bestrahlung derselben Stelle nöthig ist, um die Heilung herbeizuführen. 

Hieraus ergiebt sich, dass zur Heilung eines einigermaassen ausgedehnten Lupus 
eine grosse Zahl von Bestrahlungen und dementsprechend eine lange Zeit erforder¬ 
lich ist, und so dauert die Behandlung eines ausgedehnten Gesichtslupus nach Finsen- 
scher Methode ein und zwei Jahre. Keine andere Methode giebt aber so unbedeutende 
Narben wie die Lichtbehandlung, weil eben offenbar bei keiner anderen Methode 
das gesunde Gewebe so verschont wird, wie bei dieser. Mit nicht so grosser Sicher¬ 
heit kann man sich im Augenblick über die Vollständigkeit der Heilung, über das 
Ausbleiben von Recidiven aussprechen. Aber auch da sind die Aussichten günstig; 
es sind jedenfalls schon eine grosse Anzahl von Fällen durch mehrere Jahre ohne 
Recidive geblieben. 

Aber ein grosser Fehler haftet der Methode, so wie sie jetzt ist, an; sie ist 
ausserordentlich umständlich, langwierig und kostspielig. Die Verbesserungen, welche 
ja nicht ausbleiben konnten, sind durch die von Finsen’s Assistenten Bang kon¬ 
struierte Lampe, wie es scheint, schon in so erheblicher Weise geschaffen worden, 
dass damit die Methode einen viel ausgedehnteren Wirkungskreis finden wird. 

Der Lupus vulgaris ist diejenige Krankheit, welche bisher fast ausschliesslich 
nach dieser Methode behandelt ist, aber es ist nicht zweifelhaft, dass auch noch 
andere Affektionen in Betracht kommen. Ein günstiger Einfluss ist bereits konstatiert 
bei Teleangiectasieen, bei Cancroid, mit weniger Sicherheit bei Lupus erythematodes, 
bei Keloid und bei Alopecia areata. 


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Ueber die Lichtbehandlung von Hautaffektionen nach der Finsen’schen Methode. 457 

Ich gebe zum Schluss eine Uebersicht über die Fälle, welche in dem mit der 
Universitätspoliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten zu Berlin in Verbindung 
stehenden Institut für Lichtbehandlung nach der Finsen’schen Methode behandelt 
worden sind. Das Institut, welches Anfangs Mai dieses Jahres eröffnet ist, wurde 
bis Mitte Oktober von 74 Patienten aufgesucht, unter denen sich 52 Lupuskranke 
befanden. In Behandlung stehen augenblicklich 33 Patienten, und zwar ausschliess¬ 
lich Lupuskranke. Als vorläufig geheilt — und natürlich zur weiteren Beobachtung 
auf etwaige Recidive — konnten bereits 5 Fälle von Lupus vulgaris und 1 Fall von 
Lupus erythematodes entlassen werden. Gebessert wurden 1 Fall von Teleangiectasie, 
2 Fälle von Acne rosacea, 1 Lupus erythematodes, 1 Oancroid, 1 Alopecia areata, 
1 Keloid. 

Bei 24 Patienten wurde theils aus äusseren Gründen, theils weil die Krankheit 
nicht geeignet war, die Behandlung nicht eingeleitet. Vier Patienten wurden mit 
diffuser Beleuchtung ohne Konzentrator behandelt. Unter den Lupuskranken be¬ 
fanden sich, wie dies ja natürlich ist, eine Anzahl sehr schwerer Fälle mit aus¬ 
gedehnten, ja zum Theil entsetzlichen Verstümmelungen des Gesichtes. Auch wenn 
die Zeit selbstredend noch zu kurz ist, um bei diesen Unglücklichen eine Heilung 
von der bisherigen Behandlung zu erwarten, so lassen sich doch überall Fortschritte 
konstatieren, die bei den länger behandelten Kranken ganz erheblich sind und welche 
die in Kopenhagen gemachten Erfahrungen vollauf bestätigen, dass der kosmetische 
Erfolg bei keiner Behandlungsmethode so gut ist wie bei dieser. 

Dass durch die Finsen’sche Methode ein ausserordentlich grosser Fortschritt 
der Lupusbehandlung herbeigeführt ist, das ist nicht zu bezweifeln; aber weiterhin 
muss betont werden, dass durch diese Methode der physikalischen Therapie ein 
völlig neuer Weg eröffnet ist, der voraussichtlich noch zu vielen weiteren Fort¬ 
schritten führen wird. 


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458 


Leopold Läufer 


II. 

Ueber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-baltiger 
Nahrung unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen. 

Aus dem pathologisch-chemischen Laboratorium der K. K. Krankenanstalt >Rudolfs- 

Stiftung« in Wien. 

(Vorstand: Dr. Ernst Freund.) 

Von 

Dr. Leopold Läufer, Sekundararzt. 

Ein grosser Theil der bisherigen Untersuchungen Uber die physiologische und 
pathologische Chemie des Darminhalts ist theoretischer Art; dieselben bezwecken, 
die Grösse des Koth-N unter normalen Verhältnissen und bei verschiedener Er¬ 
nährung festzustellen und zu erklären. Schon die Voit'sehe Schule hat festgestellt, 
dass die Fäces nicht ausschliesslich unverdaute Reste der Nahrung enthalten, da 
der Hungerkoth des Hundes N enthalte. 

Rieder konnte in seiner Arbeit: >Bestimmung des im Kothe befindlichen, 
nicht von der Nahrung herrührenden N« (Zeitschrift für Biologie Bd. 20. S. 378) 
feststellen, dass bei Zufuhr von absolut N-freier Nahrung die absolute N-Aus- 
scheidung im Kothe gegenüber der Grösse des Hungerkoth-N sich vermehre und 
mit der Grösse der zugeführten N-freien Nahrungsmenge ebenso steige, wie nach 
Aufnahme von beträchtlichen Mengen Fleisch. 

Durch eine Reihe weiterer Untersuchungen wurde konstatiert, dass sich an der 
Zusammensetzung des Kothes betheiligen (s. Schmidt-Strassburger, Die Fäces 
des Menschen. S. 1): 

1. Nahrungsreste und zwar: unverdauliche, aber aus irgend einem Grunde nicht 
resorbierte Bestandtheile der Nahrung (Nahrungsreste im engeren Sinne); 

2. Reste der in den Verdauungsschlauch ergossenen Sekrete, die den N-Gehalt 
der Fäces bei eiweissfreier Diät erklären (s. H. Rieder); 

3. Produkte der Zersetzungsvorgänge innerhalb des Darmkanals (einschliesslich 
der sie bedingenden Mikroorganismen); 

4. geformte J undj ungeformte Produkte der Darmwand (ausser den sub 2 auf¬ 
geführten Sekreten); 

5. zufällige Bestandtheile. 

In einer grossen Anzahl anderer Untersuchungen, gelegentlich der Durch¬ 
führung der typischen Stoffwechselbilanzuntersuchungen, wurde lediglich die Grösse 
des N der Fäces berücksichtigt; auf Grund derselben ist es zu einem allgemeinen 
Grundsatz geworden, die Verdauung als gut anzusehen, wenn der absolute N-Werth 
der Fäces gering ist. Denn in diesem Falle ist bei Uebersetzung der Gleichung: 
Nahrungs-N = Harn-N |-j- Koth-N in Zahlen nur ein kleiner Bruchtheil des ein¬ 
geführten N als unresorbiert zu subtrahieren. 



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Ueber den Einfluss der Dannbakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung. 459 


Man bat aber übersehen, dass es nicht bloss darauf ankommt, zu wissen, wieviel 
N resorbiert wurde, sondern in welcher Form und Zusammensetzung; denn es 
kann für die Ernährung nicht gleichgiltig sein, ob der resorbierte N vom Darme in 
einer dem Eiweiss sehr nahestehenden Form zur Resorption gelangt oder in einer 
weit zerschlagenen; es ist ferner von ganz verschiedener Bedeutung, ob der N der 
Fäces, soweit er aus der eingeführten Nahrung stammt, in einer dem Eiweiss mehr 
weniger gleichartigen Form vorhanden ist, oder ob er bereits soweit abgebaut ist, 
dass zum Zellaufbau eine umfassendere Synthese nothwendig wäre. 

Für den im Dünndarm resorbierten Theil des N ist unter normalen Verhält¬ 
nissen eine starke Zerschlagung nicht annehmbar; denn Mac Fadyean, Nencki und 
Sieber wiesen in der Arbeit: »Ueber die chemischen Vorgänge im menschlichen 
Dünndärme« (Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie Bd. 28. 
S. 311 f.) nach, dass die Gärungsprozesse im Dünndarme sich fast ausschliesslich 
auf die Kohlehydrate beschränken und die Eiweissstoffe nur wenig berühren. Indol, 
Leucin, Tyrosin und Phenole Hessen sich in dem aus einer Dünndarmiistel ab- 
fliessenden Darminhalte nicht nach weisen. Damit ist die Frage nicht erledigt, ob auch 
in pathologischen Fällen, bei schwerer Allgemeinerkrankung des Organismus mit 
starker Unterernährung, die biologische Thätigkeit der Dünndarmbakterien die 
Eiweissgruppe verschont. 

Es wäre möglich, dass unter besonderen Bedingungen seitens der Dünndarm¬ 
bakterien ein beträchtlicher Theil des eingeführten Eiweisses zu weiten Abbau¬ 
produkten zerschlagen würde; bei Resorption eines solchen minderwerthigen Nähr¬ 
materials müsste es zu einer Unterernährung des Organismus, vielleicht zum Zerfalle 
des Körpereiweisses und zur Kachexie kommen, ohne dass die N-Bilanz dies auf¬ 
klären könnte. Die für die Dickdarmverdauung charakteristische Eiweisszertrümmerung 
wäre in der That, falls sie sich im Dünndarme abspielen würde, ein direkt patho¬ 
logisches Symptom. 

Eine Aufklärung über die Betheiligung der Darmbakterien an dem Stoffwechsel 
hat die physiologische und pathologische Chemie bisher noch nicht gebracht. Auch 
die neueren Arbeiten der Schmidt’schen Schule betreffen nur einen Theil des Problems. 

Schmidt ist bei seinen Versuchen, die Leistungsfähigkeit des Darmes gegen¬ 
über Eiweisssubstanzen zu kontrollieren, von der Annahme ausgegangen, dass bei 
einer bestimmten Normalkost, mit einem nach Menge und Form auch für Magen¬ 
darmkranke leicht zu bewältigenden Eiweissantheil, der Umfang und die Leichtigkeit, 
mit welchen bei künstlicher Nachverdauung der Fäces Eiweissreste aus der Nahrung 
in Lösung gehen, als Prüfstein der Darmfunktionen betrachtet werden können. 

Die angewandte Methode verzichtet auf genauere quantitative Bestimmungen; 
jedenfalls resultiert aus den Arbeiten die klinisch wichtige Thatsache, dass nach der 
Schmidt’schen Probediät aus den Fäces magendarmgesunder Individuen nur geringe 
Mengen von Albumosen in Lösung gehen, während bei Dünndarmkatarrhen eine 
grössere Menge sich lösen lasse. 

Dagegen ist eine Anregung zur Klarstellung dieser Frage durch Anstellung von 
Gärangsversuchen mit Darminhalt seitens Freund gegeben worden, der über dies¬ 
bezügliche Versuche schon gelegentlich der Naturforscherversammlung in Wien 1892 
Mittheilung machte 1 ); aus den Versuchen ging hervor, dass in Fällen von.Tuber- 


i) s. Tagbl. der Naturforschcrvcrsaimnlung 1802. 373- 


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460 


Leopold Läufer 


kulose, ohne direkte pathologisch-anatomische Betheilignng des Darmes, quantitativ 
und qualitativ verschiedene Verarbeitung des Darminhalts gegenüber der Norm 
eintrete. 

Um den Einfluss der Darmbakterien auf die Ernährung zu studieren, ist es in 
der That nothwendig, nicht so sehr den Darminhalt als vielmehr mit ihm verimpfte 
Nährböden zu untersuchen. 

Stuhluntersuchungen reichen nicht hin, da der grösste Theil der Nahrung im 
Darme resorbiert wird; auch vollzieht sich im Dickdarme schon normalerweise eine 
weitgehende Zerschlagung des Eiweisses. 

Auch die direkte Untersuchung des Dünndarminhalts bietet nicht genügende 
Gewähr für die vollkommene Erkenntniss, da der resorbierte Theil fehlt; es ist 
daher geboten, nach Verimpfung von Dünndarminhalt auf Nährböden die Veränderungen 
dieser Nährböden zu studieren. 

Gegen diese Form des Studiums lassen sich Einwände erheben: 

Vor allem lässt sich die Vergärung im Kolben nicht der normalen Dann¬ 
verdauung gleichsetzen; denn sie vollzieht sich ohne Darmperistaltik, bei unzuläng¬ 
lichem Gehalt an tryptischem Ferment, ohne das für die biologische Thätigkcit der 
Darmbakterien gewiss bedeutungsvolle alkalisierende Element, die Galle, und unter 
anderen physikalischen Verhältnissen. Es werden daher wohl auch die Resultate bei 
Vergärung von Nährmaterial mit Darminhalt mit denen der physiologischen Darm- 
verdauung differieren; in der That zeigte das verimpfte Pepton in der Regel 
alkalische Reaktion, einen manchmal intensiven fäkalen Geruch oder das Aroma 
gewisser, bei der Eiweisszersetzung entstehender höheren Fettsäuren, während der 
Dünndarminhalt gewöhnlich geruchlos ist und neutral oder schwach sauer reagiert. 
Die angestellten Impfversuche haben aber auch nicht den Zweck, normale Verhält¬ 
nisse vollkommen nachzuahmen; sie sollen uns darüber Aufklärung bringen, welche 
Veränderungen eintreten, wenn Darmbakterien in ausgedehnterem Maasse auf Nähr¬ 
material einwirken. 

Ist die Darmverdauung die Resultierende mehrerer Komponenten, so muss es 
von höchstem wissenschaftlichem Werthe sein, die Kraftgrösse der Komponente 
»Bakterienwirkung« dadurch zu erfahren, dass man sie uneingeschränkt zur möglichst 
vollen Wirksamkeit gelangen lässt. Die dabei sich ergebenden Veränderungen ent¬ 
sprechen zweifellos nicht denen, die bei der normalen Thätigkeit der Darmschleim¬ 
haut zustande kommen. Den Gärungsversuchen im Kolben ähnliche oder identische 
Verhältnisse können sich aber im Darmlumen dann einstellen, wenn aus nervösen 
Einflüssen oder durch Unterernährung, bei Stauung des Dünndarminhalts infolge 
eines obturierenden Hindernisses oder bei Darmparalyse die Darmsaftsekretion un¬ 
genügend wird und die Bakterienthätigkeit überwuchert 

Allerdings lässt sich der Einwand erheben, dass in verschiedenen Fällen die 
Menge der in der gleichen Quantität Darminhalt übertragenen Bakterien kolossal 
differiere, weshalb die Kraftgrösse Bakterienwirkung wegen der wechselnden Zahl 
der Bakterien einen^variablen Werth darstellen würde. 

In der That scheinen aber Unterschiede der Bakterienflora in Bezug auf die 
Quantität weniger für die mehr oder minder weite Zerschlagung ins Gewicht zu 
fallen <als solche bezüglich der Qualität — denn nicht nur, dass, wie im folgenden 
ersichtlich, der Darminhalt eines und desselben Patienten, zu verschiedenen Zeiten 
entnommen, immer annähernd gleiche Resultate ergab, liess sich konstatieren, dass 


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Ucber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung. 461 


bei Einwirkung gleichen Darminhalts auf gleiche Nährböden eine wesentliche 
Aenderung der Werthe nicht resultiere, ob man die Gärung 24 oder 48 Stunden 
andauern liess; und doch ist unzweifelhaft nach 48 Stunden die Zahl der Bakterien 
viel grösser als nach 24 Stunden. 

Da die durchgeführten Untersuchungen im wesentlichen auf wiederholte N-Be- 
stimmungen hinauslaufen, muss endlich der Einwand berührt werden, dass die ver¬ 
schieden grosse Beimengung von Nahrungs-N in dem den Nährböden zugefügten 
Darminhalte die Untersuchungsresultate trüben könnte. Wie wir uns wiederholt 
überzeugen konnten, ist aber der gesammte N-Gehalt dieser zum Impfen verwendeten 
Darminhaltsmaterie so gering, dass er kaum in Betracht kommt. 

Da alle Einwände den leitenden Grundgedanken der Arbeit, durch Impfung 
mit Darminhalt die Bakterienwirkungen zu erkennen, nicht abweisen konnten, ergab 
sich folgender Untersuchungsplan: einerseits an Dünndarm- und Dickdarminhalt in 
normalen und pathologischen Fällen fraktionierte N- Bestimmungen auszuführen mit 
der Tendenz, Vergleichs werthe zu erhalten, andrerseits zu versuchen, durch direkte 
Impfung und Einwirkung von Dünndarm- (oder ausnahmsweise) Dickdarminhalt auf 
Peptonlösungen festzustellen, ob die fraktionierte N-Bestimmung des verdauten 
Materials in gleicher Weise für gewisse Erkrankungen charakteristische Differenzen 
nachweisen lasse. 

Methodik. 

Nach unseren derzeitigen Kenntnissen ist die Forderung, die dem grossen 
Eiweissmoleküle noch nahestehenden Abbauprodukte von den weiteren Zerschlagungs¬ 
resten zu trennen, so einfach sie erscheint, schwer durchführbar. 

Als Reagens, das den Stuhl-N oder den N des verdauten Peptons in eine dem 
Eiweiss noch nahestehende Gruppe und in die entfernteren Abbauprodukte desselben 
trennen sollte, wurde anfangs absoluter Alkohol verwendet. 

In der Hauptsache sind wohl die alkohollöslichen N-Spaltungskörper soweit 
vom eigentlichen Eiweiss abstehend, dass sie füglich nicht als dem Eiweiss gleich¬ 
wertige Ersatzmittel betrachtet werden können. Angaben darüber, ob das im 
absoluten Alkohol lösliche Pepton den Albumosen in Bezug auf seinen Nährwerth 
gleichzustellen sei, fehlen. 

Die vom theoretischen Standtpunkte sehr empfehlenswerthe Trennung des 
N-haltigen Materials durch Alkohol erwies sich aber aus technischen Gründen als 
nnzweckmässig. Wegen der Schwierigkeit, in verlässlicher Weise mit absolutem 
Alkohol zu arbeiten, da ein wechselnder Wassergehalt der zu extrahierenden Substanzen 
unvermeidlich war, und sich zur Partie des alkohollöslichen N, auch bei Vorhanden¬ 
sein kleiner Mengen H a O, in Wasser löslicher, in absolutem Alkohol vielleicht un¬ 
löslicher N addieren mochte, ferner wegen des Umstandes, dass syrupöse Massen 
mit Alkohol schwer extrahierbar sind, endlich wegen der unkontrollierbaren N -Ver¬ 
luste beim Abdampfen wurde die Alkoholmethode aufgegeben. 

Die in der Folge durchgehends geübte Methode beruht auf einer Kombination 
von Fällungsmitteln durch die aufeinander folgende Verwendung von Gerbsäure und 
Phosphorwolframsäure. 

Es wurden an dem bearbeiteten Materiale mindestens drei Doppelbestimmungen 
von N nach dem Kjeldahlverfahren ausgeführt: 


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462 


Leopold Laiifer 


1. Des Gesammt-N; 

2. wurde ein Theil (gewöhnlich 50 ccm) der zu untersuchenden Flüssigkeit bei 
schwach essigsaurer Reaktion mit 10°/ o iger wässerigen N-freien Gerbsäure versetzt, 
solange noch ein deutlicher Niederschlag erfolgte; hierauf wurde 12—24 Stunden 
oder länger absitzen gelassen und geprüft, ob noch ein Niederschlag erfolge. War 
dies nicht der Fall, so wurde durch ein doppeltes Filter filtriert und mit ganz 
verdünnter Gerbsäure nachgewaschen, bis die Menge des Filtrates gleich 150cm 
war. Der N-Gehalt des Filtrates wurde nach Kjeldahl bestimmt. 

3. Ein aliquoter Theil des Gerbsäurefiltrates wurde (zur N-Fraktionierung) 
mit 10% HCl und 10% N-freier Phosphorwolframsäure ausgefüllt; ergab nach 12 
bis 24 ständigem Stehen Zusatz von Phosphorwolframsäure keinen charakteristischen, 
amorphen Niederschlag mehr, sondern trat erst nach einer Zeit eine pulverförmige 
Trübung auf, so wurde durch ein doppeltes gehärtetes Filter filtriert; die Menge der 
zuzusetzenden Phosphorwolframsäure musste in jedem einzelnen Falle zur Vermeidung 
eines Ueberschusses variiert werden. Der Phosphorwolframsäureniederschlag wurde 
mit verdünnter HCl nachgewaschen, bis das Filtrat mit BaCI» keine Trübung mehr ergab. 

Die N-Menge des Phosphorwolframfiltrates entsprach dem dritten N-theilfaktor. 
Beim Kjeldahlisieren des Phosphorwolframfiltrates wurde mit einem Ueberschusse von 
H s SO« unter Zusatz von Talk und übermangansaurem Kali, gearbeitet, wobei ein zn 
starkes Stossen sowie der sonst entstehende, am Glase haftende Niederschlag ver¬ 
mieden werden konnte. 

ln einigen Fällen wurde ausserdem im Phosphorwolframfiltrate der abgespaltene 
NH 3 bestimmt, indem das Filtrat, mit Mg usta alkalisch gemacht, überdestilliert 
wurde (N-Werth des Amid-N). 

Das Verfahren der Feststellung von drei N-Werthen: Gesammt-N, Gerbsäure- 
filtrat-N und Phosphorwolframsäurefiltrat-N war das ausschliesslich übliche bei der 
Verarbeitung des verdauten Peptons, das vorwiegend geübte bei den Fäcesunter* 
suchungen. Bei Untersuchung der Fäces war das Material möglichst quantitativ in 
ein Messgefäss zu bringen und darin mit Wasser auf ein bestimmtes Volumen zu 
verdünnen; durch Zerdrücken und inniges Verreiben liess sichern fast gleichmässiger 
Brei herstellen. Dabei wird die Zeitersparniss gegenüber der Mühe des Trocknens 
nach Vergleichsbestimmungen, die im Laboratorium ausgeführt wurden, nicht durch 
mindere Genauigkeit der N-Werthe aufgehoben. 

In einigen Fällen wurde ausserdem ein aliquoter Theil dieses Stuhlbreies zehn¬ 
fach verdünnt, deutlich essigsauer gemacht und filtriert; der N-Werth des klaren 
Filtrates giebt einen Einblick in den Gehalt des Stuhles an zeitigen Elementen, 
Nukleoalbumin und Mucin; ein anderer aliquoter Theil wurde bei essigsaurer 
Reaktion mit 10% Bleizucker ausgefällt, der N-Gehalt des Filtrates berechnet, wo¬ 
bei ausser Eiweiss und Nukleoalbumin auch ein minimaler Theil der •Albumosen 
sowie Urobilin vom Gesammt-N in Wegfall kommen. 

Zu Impfzwecken kam als Menge der zu verdauenden Flüssigkeit 100—250 ccm 
in Verwendung, die bei Bruttemperatur 24—48 Stunden unter Luftabschluss durch 
eine deckende Schicht von 01. paraffin. liquid, der Einwirkung von 5 — 10 ccm 
Darminhalt ausgesetzt waren. 

Die Kulturflüssigkeit — in der Mehrzahl der Fälle wurde 5 % wässerige Lösuuf 
von Wittepepton mit Zusatz von 1% Na CI verwendet — wurde sterilisiert; auf 


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Ueber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung. 463 

eine sterile Entnahme des Materials war kein Werth zu legen, da bei der Art des 
Abschlusses nur die anäroben Dannbakterien zur Entwicklung kommen konnten. 

In einigen Fällen wurde auch gekochte Milch sowie 2 °/ 0 ige wässerige Stärke¬ 
lösung geimpft. 

Als Impfmaterial kam ausschliesslich einwandsfrei gewonnener Dttnndarminhalt 
zur Verarbeitung; das Material wurde, wo thunlich, aus Dünndarmfisteln von Lebenden 
geschöpft Bei der Seltenheit derartiger Fälle verwendeten wir aber auch Dünn- 
darminhalt von Leichen, die kurz nach dem Tode obduziert worden waren und, 
wenigstens makroskopisch, keine Zeichen von Fäulniss boten. 

Fälle, in denen durch Eiterung der Umgebung eine Vermischung der Darm- 
bakterienflora mit einer biologisch differenten Art zu befürchten war, blieben aus¬ 
geschlossen. 

Es erübrigt, die Valenz der N-Theilwerthe zu erörtern. Die als Fällungs¬ 
mittel gebrauchten Reagentien, Gerbsäure und Phosphorwolframsäure, wurden mit 
Rücksicht auf die Arbeiten von E. Schulze, sowie von Hausmann, Pfaundler 
und Lang in Anwendung gezogen. Die Gerbsäure fällt bekanntlich in schwach 
essigsaurer Reaktion ausser Eiweisskörper, Albumosen und Pepton, auch Alkaloide. 
Die Beobachtung von Sebelien, dass die Gerbsäure im Ueberschusse den Gerbsäure¬ 
peptonniederschlag vollkommen lösen könne, traf bei unseren Versuchen, da Zusatz 
von erheblichem Ueberschuss vermieden wurde, nicht zu. 

Zum Nachweis des Peptons im Niederschlage kamen zwei Methoden in Ver¬ 
wendung: a) Eiweiss, Albumosen und Pepton werden durch Ausziehen des Gerb¬ 
säureniederschlages mit Vio Lauge bei Zusatz von Chlorbaryum in Lösung gebracht; 
mit 10 °/o igem Eisenchlorid und Lauge fallen daraus bei neutraler Reaktion Eiweiss 
und Albumosen aus (Paul Müller) und lassen sich abfiltrieren. Giebt das resul¬ 
tierende Filtrat nach Aussalzung mit Zinksulfat neuerdings filtriert noch Biuret- 
reaktion und Fällung mit Phosphorwolframsäure, so erscheint Pepton nachgewiesen, 
b) Der mit Chlorbaryum und Vio Lauge in Lösung gebrachte Niederschlag wird mit 
10o/o Bleiessig ausgefällt (Fällung von Eiweiss und Albumosen); das Bleiessigfiltrat, 
durch Ammonsulfat von Blei befreit, zeigt bei positiver Biuretreaktion und Fällbarkeit 
durch Phosphorwolframsäure Peptongehalt an. 

Die Fällbarkeit durch Gerbsäure wird von E. Schulze direkt als charak¬ 
teristisch für Pepton angesehen. 

Dass die Phosphorwolframsäure als Fällungsmittel für Peptone der Gerbsäure 
den Rang abgewann, ist wohl darauf zurückzuführen, dass in den untersuchten 
Flüssigkeiten mit Phosphorwolframsäure N-reichere Niederschläge resultierten als 
mit Gerbsäure, ohne dass das Plus immer als Pepton qualifiziert worden wäre. 

Jedenfalls reisst die Phosphorwolframsäure, wie dies zuerst Drechsel konstatiert 
hat (s. Gamgee S. 266), die basischen N-Spaltungskörper und Ammoniak nieder, 
sodass die nach Ausfällung mit Gerbsäure durch Phosphorwolframsäure fällbaren 
Substanzen sich als die weiteren Zerschlagungsprodukte des grossen Eiweissmole- 
küles repräsentieren. 

Gegen die Möglichkeit, dass hei der Gerbsäurefällung kleinere Mengen wirk¬ 
lichen Peptons entgehen könnten, sprechen Untersuchungen des Phosphorwolfram¬ 
säureniederschlages nach der Fällung durch Gerbsäure; der zu untersuchende Nieder¬ 
schlag wurde einige Male mit Barythydrat zersetzt und mit dem resultierenden 
Filtrate sowohl die Biuretreaktion als die Reaktion nach Millon und Molisch aus- 


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Leopold Läufer 


geführt. Der positive Ausfall der Biuretreaktion konnte auf Urobilin zu beziehen sein, 
zumal dieser Körper deutlich nachweisbar war; andrerseits musste der negative Ausfall 
nach Molisch und Millon die nach der Gerbsäurefällung im Phosphorwolfram- 
säureniederschlage enthaltene N - Gruppe nur als kleines Bruchstück des grossen 
Eiweissmoleküls charakterisieren. Die mit Phosphorwolframsäure gefällten N-Spal- 
tungskörper können wir, im Anschlüsse an die Untersuchungen von Hausmann, 
Lang und Pfaundler unter den Begriff der Diamino-N-Gruppe, die mit Phosphor¬ 
wolframsäure nicht fällbare Fraktion als Monoamino - N - Gruppe zusammenfassen. 
Unter den durch Phosphorwolframsäure fällbaren Substanzen sind nachgewiesen 
(s. Hausmann): die Diaminokapronsäure (Lysin), die Guanidinamidovaleriansäure 
(Arginin) und das Histidin; zu den für uns in Betracht kommenden, mit Phosphor¬ 
wolframsäure fällbaren Körpern gehören ferner Ammoniak und Urobilin. Zu den 
durch Phosphorwolframsäure nicht fällbaren Verbindungen sind zu rechnen: die die 
grosse Menge der Eiweisskörper darstellenden Monoaminosäuren: das Leucin, Tyrosin, 
die Asparaginsäure, Glutaminsäure u. a. — endlich die Derivate der Aminosäuren: 
Taurin und Cystin. 

Im Filtrate nach der Fällung mit Phosphorwolframsäure liess sich in der That 
wiederholt Leucin nachweisen. (Zu diesem Zwecke wurde ein Theil des Filtrates, 
durch Chlorbaryum von der Phosphorwolframsäure befreit, eingeengt, mit schwach 
ammoniakalischem 95°/ 0 igen Alkohol zweimal ausgezogen und dann langsam ab¬ 
dunsten gelassen.) 

Ueber die Verwendbarkeit der Phosphorwolframsäure bei quantitativen Be¬ 
stimmungen der Spaltungsprodukte des Eiweisses hat Fr. Kutscher ein ziemlich 
ablehnendes Urtheil ausgesprochen. Er hebt hervor, dass beim Fällen der Diamino- 
säuren der Zusatz eines Überschusses von Phosphorwolframsäure zu vermeiden sei. 
Suche man aus konzentrierten Eiweisslösungen die Diaminosäuren auszufällen, so 
trete zunächst ein amorpher, körniger Niederschlag auf; derZeitraum, nach welchem 
der Niederschlag entstehe, verlängere sich aber immer mehr, der Niederschlag selbst 
werde krystallinisch und bestehe nicht aus den Verbindungen der Diaminosäuren, 
ja es könne durch überreichlichen Zusatz von Phosphorwolframsäure ein Lösen des 
ursprünglichen Niederschlages erzielt werden. Ebenso könne das Auswaschen mit 
überreichlicher Phosphorwolframsäure einen Theil des Niederschlages zur Auf¬ 
lösung bringen. 

Bei der von uns geübten Vorsicht in der Anwendung der Phosphorwolfram- 
säure als Fällungsmittel und bei der höchst behutsam und successive ausgeführten 
Reinigung des Phosphorwolframsäureniederschlages konnten so unliebsame Erschei¬ 
nungen, wie Auflösung des Niederschlages, nicht beobachtet werden, auch Hessen 
die bei wiederholten Untersuchungen ganz auffallend übereinstimmenden Werthe die 
Methode als durchaus nicht unverlässlich und fehlerhaft erscheinen. 

Die folgenden Tabellen sollen einen Ueberblick über die gefundenen Resultate 
gewähren: 

Tabelle I giebt eine Zusammenstellung der Kothuntersuchungen. 

Tabelle II orientiert über die Resultate bei den Impfversuchen. 


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Ucber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung. 465 


Tabelle I. 

Untersuchungen von Dünndarm- und Dickdarminbalt. 


Material 

Ges.-N für 

100 ccm 

Gerbsäure¬ 

nitrat 

N in % für 
Ges.-N = 100 

Phosphor¬ 

wolframsäure¬ 

filtrat 

N in % für 
Ges.-N = 100 

L 

Besondere qualitative Befunde 

A. Dünndarm¬ 
inhalt 

einer Peritonitis 

0,1925 

• i 

44,9 

i 

! 


B. Typh.abdom. 

0,827 

79 

59 

Skatol deutlich, Indol nicht nachweisbar 
(Reaktion s. Gamgee, S. 442,443), 29% 
vom Gesammt-N alkohollöslich. — 
Acidität der alkohollöslichen Partie 
für 100 ccm Stuhl = 102,6 N 10 HCl. 

C. Enteritis 

0,887 

26,Ö 

3 j 

Im Stuhle Gallenfarbstoff und Blutfarb¬ 
stoff nachweisbar. 

D. Typh. abdom. 

0,243 

26,9 

19,12 i 

! 

Im Stuhle Indol +» Skatol -f, mit dem 
Phosphorwolframniederschlage ist po¬ 
sitive Biuretreaktion, Millon und Mo- 
lisch zu erzielen. 

E. Typh.abdom. 

1,18 

62,7 

40,0 j 


F. Anaem. pem. 

0,6845 

61,2 

26,9 


G. Dünndarm- 
Fistel Stuhl 
nach Menthol¬ 
einnahme 

0,0805 

! 

60 

1 

1 

! 

34 

i 

Das Filtrat des essigsauer gemachten 
10 fach verdünnten Stuhles beträgt 
83% des Gesammt-N. 

Der neutrale Dünndarminhalt giebt die 
Kochprobe stärker als die Probe auf 
Nucleoalbumen (Verdünnung mit 
Essigsäure), der zwei Stunden nach 
Milchgenuss entleerte Danninhalt 
40 ccm enthält Spur Indol; die Feh- 
ling’sche Lösung wird reduziert, Fahl¬ 
berg nicht, also Zucker -f vorhanden. 
Das Filtrat nach Neutralisierung mit 
Eisenchlorid und Lauge giebt kaum 
eine Biuretreaktion, dagegendeutlicho 
Nessler’sche Reaktion, keinen Nieder¬ 
schlag mit JHgK und Gerbsäure, 
dagegen kristallinischen Niederschlag 
mit Phosphorwolframsäure. 

H. Cat. int. 

0*3808 

, 15,4 

i 

keine wesent¬ 
liche Trübung 
mit Phosphor¬ 
wolframsäure 

i 1 

Der Stuhl enthält reichlich Schleim; im 
Sediment Muskelfasern, Pflanzenreste. 
Das Filtrat nach der Essigsäurefällung: 

34% vom Ges.-N betragend. 

Filtrat nach derBleizuckerfällung: 29,4% 
vom Ges.-N betragend. 

1. Urticaria 

0,344 

21,3 

i 

i 

i 

, 16,0 

1 

| 

1 

Das Stuhldialysat enthält Pepton. 

Mit den einzelnen Fraktionen ist eine 
Giftwirkung nicht zu erzielen. 

Filtrat nach der Essigsäurefällung: 

50,3% vom Ges.-N betragend. 

Filtrat nach derBleizuckerfällung: 48,2 % 
vom Ges.-N betragend. 

K. Gastrointchr. 
Atrophia 
mucosae int 

0,1548 

54 

1 

! 30,5 

j 


L. Anaemiapost 
ule. ventr. ehr. 

0,023 

34,8 

20,2 



Zflltachr. fc di*t. u. phyBlk. Therapie Bd. V. Heft 6. 

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32 

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466 


Leopold Läufer 


Tabelle II. 

Untersuchungen über mit Darminhalt verimpfte Nährboden. 


Impfmaterial j Nährboden 


1 . — 

2. Dünndarminh. 
einer Darm- 
Wandhemie 

3. 5 ccm Dünn¬ 
darminhalt einer 
frisch obduziert 

Haemarrh. cer. 

4. Dünndarminh 
einer Peritonitis; 


5. Dünndarminh 
einer frisch obd. 

Encephalom. 

6. Dünndarm- u. 
Dickdarminhalt 

Tub. ileocoecalis 


7. Dünndarminh. 
aus einer Fistel 
b. Enterostenosei 

8. Ileumfistel n. 
Append. purul. 
Gewöhnl. Diät^ 


Ileumfistelinh. | 
nach Einnahme! 
von 5 Menthol-] 
kaps. ä 0,03 l 


0. Dünndarminh. 
von frisch obduz. 
Ca mammao 

10. Dünndarm- j 
inh Leiche: Tub. 

pulm. et perit. i 
florid. j 

11. Tub. perit. 
Dünndarminhalt 

18 h post m. 

12. Dünndarm¬ 
inh. Ca ves. 

3 ^ post m. 1 

13. ad Tab. I E 

10 ccm 

Typhus faeces 1 


5 % Losung v. 
Witte-Pepton 
5 % Peptonlös. 
4- l°/ooThym. 
u. 2%NaFl. 
5 % Pepton¬ 
lösung 


59 0 Pepton¬ 
lösung 



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a) 24 


b) 48 ! 

5% Pepton- ! 24 I 
lösung i 


0,735 


0,7 

0,71 


56 32 


37,G 


a) 36,9 i a) 23,9 

davon 
8.89Amid-N 

b) 21,8 
32,1 


;b) 46,5 
63,4 


Qualitative Befunde 


iKlar und absolut geruchlos. 


Im verimpften Material: Indol nach* 
welsbar. Im Gerbsäureniederschiair« 
kein Pepton. Filtrat nach Phosphor* 
wolframfällung giebt Biuret und 
Nesaler 4 , Mil Ion —; in demselben 
Leucin nachweisbar. 

Das verimpfte Pepton giebt schwache 
Skatol reaktioa. 


5° 0 Pepton¬ 
lösung 


5? 0 Pepton¬ 
lösung 

gek. Milch 
gek. Milch -f 
io/oo Thymol 
5% Pepton- , 
lösung j 
2 % Stärkelös 
a) sine b) cum 
i°/oo Thymol 

i 

5 % Pepton¬ 
lösung 

5? 0 Pepton¬ 
lösung i 


5 ( J, Pepton¬ 
lösung 

5° 0 Pepton- 
lösung 

5 % Pepton- 
lösung 


24 

48 



24 

24 


24 


24 


0,77 

0,71 


0,714 

0,679 

0,714 


0,539 
0,798 

| Gesammt- 
: Zuckergehalt n. 
Kochen m. dem 
4.Theil 

I 10®/# H*S04 
für 100 0,25 g 

0,777 


0,847 


63 

63,1 

74,8 

77.5 

83.5 
jO,427N 

62,7 

78 


44,24 

49,6 

47,97 
56,1 
' 42,46 
0,289 N 

18 

50,9 


82,9 47,3 


80,9 I 45,8 


24 0,756 

24 0,819 

i 

i 

— 0,003 


08,3 

74,8 

05 


31 


50,9 


43 


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Der mit Dickdarminb. verimpfte 
Kolben sehr Übelriechend. Indol -K 
Skatol -f-, Tryptophanreaktion +. Der 
mit DUnndarminhalt verimpfte 
Kolben Indol eben deutlich. Skatol-. 
Tryptophan— weniger übelriechend. 
Der Phosphorwolframniederschl. des 
Dickdarmpeptons giebt schwächere 
Biuretreakt., als der des Dünndarm* 
peptons. Im DUnndarmantheile Oxy- 
säuren vorhanden. 

Im verimpften Pepton: Indol 4, Phe* 
nole 4- (9 Im Gerbsäureniederschi, 
kein Pepton, Albumosen nachweisbar. 
Der Phosphorwolframniederschlag 
giebt Btoret 4-, Molisch —, Millon —. 


a) Zuckergehalt nach der Yerimpf un £ 

— «,15 g 

bl Zuckergehalt nach der Verimpraßg 

- 0,16 g 


Original frum 

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Ueber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung. 467 


Die für die Tabelle I in Betracht kommenden Fälle sind: 

A. Bei einer vom Genitale ausgehenden Perit. purul. wurde an der Abtheilung des 
Primär. Docent Dr. Frank sub operatione Dünndarminhalt aufgefangen; zwei Stunden 
später wurde mit der chemischen Bearbeitung des Materials begonnen. 

B. Die Fäces (300 ccm, schwach sauer, von erbsenpüreeartiger Konsistenz) stammen 
von dem Patienten K., der mit Typhus abdom. auf der I. medicinischen Abtheilung der 
Rudolfsstiftung lag. Die Krankengeschichte konstatiert deutlich sichtbare Roseolen, positive 
Diazoreaktion, Vidal +. 

C. Die Fäces eines Falles von Enteritis; Obduktionsdiagnose: Enteritis chronica intestini 
crassi et ilei infimi; Tbc. glandularum lymphaticarum retroperitonealium. Tbc. apicis 
utriusqne. 

D. Die Fäces eines Patienten (Sz.) mit Typhus abdom. (im Urin positive Diazo¬ 
reaktion) aus der dritten Krankheitswoche. Menge 850 ccm, Reaktion stark alkalisch. 
Obduktionsdiagnose: Deotyphus in sanatione, Catarrhus intest, ten. follic. acutus; Throm- 
bosis venae cayae infer.; embolia arteriae pulm. utriusque. Tumor lieuis. 

E. Klinisch sichergestellter Typhus abdom. (Vidal positiv, Diazoreaktion positiv, 
deutliche Roseolen). Die Diät der Typhusfftlle war: acht Milch (ä 0,2 1), zwei Kraft¬ 
suppen, zwei Eier. 

F. 700 ccm alkalisch reagierenden Stuhles von einem Falle von Anämia perniciosa; 
Diät: drei Milch, zwei Kraftsuppen, zwei Semmeln, Obst (Patient Z. A. II. mediciuische 
Abtheilung). 

G. Dünndarminhalt der 32 jährigen Patientin M. W. der I. chirurgischen Klinik. Die 
Anamnese hebt hervor: überstandenen Lungenkatarrh, vor Jahren eine Nierenentzündung. 
Die Patientin hat auf der Klinik in Behandlung gestanden, nachdem auf dem Wege des 
Durchbruchs am unteren Ende des Ileum vor der Ileocöcalklappe eine Darmfistel ent¬ 
standen war, deren Aetiologie nicht ganz aufgeklärt ist. Der Darminhalt, der kon¬ 
tinuierlich durchsickerte, begann schon 2 — 3 Stunden nach der Mahlzeit den Darm zu 
verlassen; es wurde gewöhnlich der im Anschlüsse an das Mittagmahl sich einstellende 
Erguss von Darminhalt in der Zeit zwischen 3 und 5 Uhr nachmittags gesammelt, und 
zwar wurde der Darminhalt untersucht 

1. nach gewöhnlicher Diät: zwei Milch, zwei Semmeln, zwei Portionen Schinken, 
ein halbes Brathuhn, eine Mehlspeise; dabei einmal zwei Stunden nach blossem 
Milchgenuss; 

2. nach Einhaltung absoluter Milchdiät. 

3f. bei gewöhnlicher gemischter Diät unter Beigabe von fünf Mentholkapseln ä 0,03 g. 

Die Obduktionsdiagnose dieses Falles lautet: eiterige Peritonitis nach Resektion eines 
Ileumstückes wegen Darmfistel. Enteroanastomose zwischen Ileum und Colon ascendens, Ver¬ 
schluss des abführenden Schenkels der Fistel; vielfache Verwachsungen der Därme unter¬ 
einander und mit der Bauchwand, schwielige Verwachsungen in der Umgebung der Adnexe. 
Totale Anwachsung des Peritoneum, obsolete Tuberkulose der Lungen. In den Adnexen 
linkerseits eine faustgrosse, seröse Cyste, rechterseits die Tube erweitert, seröse Flüssig¬ 
keit enthaltend. 

H. Die Fäces eines schweren Darmkatarrhes. 

I. Eine Urticaria (Abtheilung Prof. Mraczek). 

K. Fäces eines Patienten, der, auf der II. medicinischen Abtheilung der Rudolfstiftung 
aufgenommen, Erscheinungeu wie bei einer Arsenvergiftung bot. Die Obduktion ergab: 
Gastroenteritis chronica cum atrophia mucosae intestini tennis et crassi. Enteritis acuta 
follicularis. Nephritis chronica. 

L. Stuhl eines Patienten, der auf Grund eines ulc. ventr. rot. chron. die Erscheinungen 
hochgradigster Anäme darbot. 


Tabelle II berichtet 

1. über die Werthe der N-Fraktionen von 5 °/ 0 Peptonlösung ohne Beimpfung. 

2. Versuch: Verimpfung von 200 ccm Peptonlösung mit 10 ccm Darminhalt einer 
Patientin, bei der infolge Perforation eines verschluckten spitzen Htihnerknochens eine 
Littrö’sche Darmwandhernie entstanden war. 


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Original from 

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408 Leopold Läufer 


8. 280 ccm Pepton verimpft mit 5 ccm Düundariniuhalt einer einige Stunden post 
mort. obduzierten Leiche; Diagnose: Hämorrhag. hemisphaer. dextr., Endarteritis deformans. 
Pneum. lobularis. Degen, renum. 

4. Verimpfung von Pepton mit 10 ccm Dünndarminhalt des Falles Tabelle I A. 

5. Peptonlösung verimpft mit 10 ccm Dünndarminhalt einer 4 Stunden post mort 
obduzierten Encephalomalia cerebri (21. Dezember 1900). 

6. Peptonlösung verimpft mit Dünndarm- und Dickdarminhalt eines Falles von Tuber 
kulose der Ileocöcalgegend, in dem wegen Stenose eine Enteroanastomose gemacht wurde. 
(Abtheilung Prim. Schnitzler, Franz Josefs-Spital). 

7. Verimpfung von schwach alkalisch reagierendem Dünnndarminhalt aus einer Darm¬ 
fistel auf Pepton; Diagnose: Tumor (ob Ca. oder Tbc. ist unbekannt) flexurae coli dextr. 
Enterostenosis. 

8. Verimpfung von 5 % Peptonlösung, Milch und 2 % Stfirkelösung mit Dünndann- 
inhalt des Falles G Tabelle II. 

9. Peptonlösung -f- Dünndarminhalt einer frisch obduzierten Leiche mit Ca. mammae 
(f 4. April 1901). 

10. Peptonlösung -f- Dünndarminhalt einer frisch obduzierten Tuberculosis pulmonum 
et peritonei florida (f 6. April 1901). 

11. Peptonlösung 4- Dünndarminhalt eines Falles von Tbc. perit. (Leichenmaterial). 

12. Peptonlösung -j- Dünndarminhalt eines Falles von Ca. vesicae (frisches Leichen¬ 
material). 

13. Peptonlösung verimpft mit dem Stuhle des Falles E (Typhus abdom.) Tabelle I. 

Wir konnten als Grundlage bei der Beurtheilung der durch die Bakterien be¬ 
wirkten Zersetzungsgrössen nicht die Zusammensetzung der reinen, unverdauten 
Wittepeptonlösung annehmen, weil es sich bei Versuchen gezeigt hat, dass reine 
Wittepeptonlösung nach Zusatz sterilen Darmsaftes einen weiteren Abbau ihrer 
chemischen Konstitution erkennen liess. 

Von diesem Gesichtspunkte ausgehend waren nicht die Werthgrössen der 
N-Fraktionen einer reinen, unverdauten Peptonlösung als Abscisse zu betrachten, 
sondern jene unter Tabelle II, No. 2 angeführten: entsprechend der Zersetzung unseres 
Nährmaterials nach Einwirkung von Dünndarminhalt eines normalen Individuums 
bei Verhinderung der Bakterien Wirkung. Sind 26,6% der 5% Peptonlösung gerb¬ 
säurefällbar, 21% durch Phosphorwolframsäure nicht fällbar, so würde sich, bei 
normaler Dünndarmverdauung ohne Bakterien, für die Gerbsäurefällung im Werthe 
von 56% ein Plus von 30%, für die mit Phosphorwolframsäure nicht fällbaren 
Extraktivsubstanzen ein Plus von 11 % ergeben. 

Es kann als damit widersprechend nicht angeführt werden, dass im Falle 
Tabelle II, No. 4 sich eine Zusammensetzung finde, wobei die durch Gerbsäure fäll¬ 
bare N-Fraktion unter der angenommenen Abscisse bleibe; die Thatsache, dass in 
diesem Falle nicht die normale Zersetzung stattgefunden hat, und auch die tryp- 
tische Verdauung quantitativ unternormal war, führt uns vielmehr zur Annahme, 
dass die schädigende Wirkung des Darmbakterienstoffwechsels sich nicht bloss im 
weiten Abbau von Eiweisskörpern äussert, sondern auch in schädlichem Einflüsse 
auf die Wirksamkeit der proteolytischen Fermente. 

Unter der Annahme des normalen Grenzwerthes = 56% wären in den sozu¬ 
sagen normalen Fällen 3 und 5 als Zersetzungsordinaten nur 4% und 7% auf¬ 
zutragen; es stimmt dies mit den erwähnten Befunden Neucki’s, dass die Zersetzungs¬ 
prozesse im Dünndarme die Eiweissstoffe nur wenig berühren, überein. 

In den wegen bestehender Kachexie untersuchten Fällen 9-12 erheben sich 
die Relationswerthe — 26 % über die Abscisse; dabei ist der Fall II, da der Darm¬ 
inhalt erst 18 Stunden p. m. verwendet wurde, strenge genommen, auszuschalten. 


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Original fro-m 

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lieber den Einfluss der Darmbakterien auf die Ausnutzung N-haitiger Nahrung. 469 


Der Fall 8 kann trotz seiner hohen Werthe nicht als Kachexie hingestellt werden; 
denn die betreffende Patientin war im Körpergleichgewichte und befand sich subjektiv 
sehr gut. Jedenfalls bewirkte die Bakterienflora ihres Darmes eine ganz auffallend 
hohe Zersetzung der N-Gruppe; vielleicht bedingt durch Invasion von Bakterien aus 
den vielfachen, durch die Obduktion nachgewiesenen Entzündungsherden in den 
Parametrien und im Peritonealgebiete. Keinesfalls kann das Individuum (s. Ob¬ 
duktionsdiagnose) als physiologisch normal betrachtet werden. 

Bezüglich des Falles 7 glauben wir, da eine Verschlimmerung im Befinden 
bisher, s / 4 Jahre nach Anlegung des anus praeternat., nicht eingetreten sein soll, 
annehmen zu dürfen, dass es sich um eine Enterostenose handelte, bei der, zur 
Untersuchungszeit, Kachexie nicht bestand. 

In Bezug auf die Frage, inwieweit die gefundenen Werthe überhaupt als den 
wirklichen im Darmrohr stattfindenden chemischen Prozessen entsprechend aufgefasst 
werden können, wurden Fäces und Dünndarminhalt in gleicher Weise direkt unter¬ 
sucht (s. Tabelle I). Die gefundenen Resultate zeigen vor allem jene Irregularität, 
die ihre Begründung in der Natur des Untersuchungsmaterials findet; denn wie das 
Nährmaterial selbst in diesem Falle unkontrollierbar ist, so ist auch die Menge 
dessen, was an gelösten Stoffen schon resorbiert ist, unkontrollierbar. 

Es gestatten aber dennoch die diesbezüglichen Resultate eine Einsicht darin, 
wie hoch unter manchen Verhältnissen die Zersetzung gehen kann, und es ist be¬ 
sonders werthvoll, darauf hinzuweisen, dass in einzelnen Fällen der Gerbsäurefiltrat¬ 
faktor ebenso hoch ist, wie bei den Impfversuchen (s. Tabelle I, Fall B), ja dass in 
einem Falle sich bei der Impfung und bei der direkten Untersuchung fast ganz 
gleiche Resultate ergaben (s. Tabelle I, E und Tabelle II, 13). Es bilden daher 
diese Untersuchungen eine Stütze für die Richtigkeit der Impfversuche. 

Die Impfversuche und die daran sich anschliessenden Untersuchungen gestatten 
uns zwar nicht, schon wegen ihrer geringen Anzahl und dann wegen der fraglichen 
Qualität einzelner Fälle, ein abschliessendes Urtheil darüber, in welchen Grenzen 
der normale und in welchen ein pathologischer Abbau der Darmbakterien stattfindet. 

Mehrere Thatsachen scheinen aber dennoch hervorgehoben werden zu dürfen: 

1. vollzieht sich der Abbau* N-haltiger Materialien bei Impfung von Pepton¬ 
lösungen mit Darminhalt bei einem und demselben Individuum mit geringer 
Schwankungsbreite gleichartig. Verlängerung der Einwirkungsdauer von 24 bis 
48 Stunden bewirkte nur unwesentliche Steigerung der Abbauprodukte (s. Tabelle II, 
Fall 7, 8, 4). Der Abbau N-haltigen Materials im Darmkanal geschieht selbst 
normaler Weise soweit, dass ca. 30 »/ 0 der eingeführten Albumosen durch Gerbsäure 
nicht mehr fällbar werden. Dieser Abbauwerth kann in pathologischen Fällen Er¬ 
höhung und Verminderung zeigen; 

2. die Thatsache, dass die höchsten Ziffern sich bei Fällen von Kachexie finden, 
während die gutartigen Fälle geringere Zahlen aufweisen, scheint die Annahme zu 
bestätigen, dass die verschiedene Wirksamkeit von Darmbakterien in einzelnen Krank¬ 
heiten von wesentlichem Einfluss für die Verwerthung unserer Nährmaterialien sowie 
für unsere Ernährung überhaupt ist; 

3. resultiert die Thatsache, dass durch Bakterienwirkung eine Verschieden¬ 
artigkeit in der Verwendung des Nährmaterials im Darme herbeigeführt werden 
kann, welche nicht nur darin besteht, weiter als normal, sondern auch darin, ge¬ 
ringer als normal zu zerschlagen (s. Tabelle II, 4). 

Weit entfernt, die angeführten Thatsachen als abschliessendes und erwiesenes 


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470 Leop. Läufer, Uüber den Einfluss der Darm Bakterien auf die Ausnutzung N-haltiger Nahrung 

Resultat der Untersuchungen zu betrachten, wollen wir sie nur als ersten sachlichen 
Beweis dafür hinstellen, von welcher Wichtigkeit die Untersuchung der Verdauung 
nach dieser Hinsicht ist. Es werden unzweifelhaft solche Untersuchungen, wenn sie 
nicht nur nach so groben Gruppierungen durchgeführt werden, sondern in viel 
weiterer Nuancierung der einzelnen Produkte unter Anwendung anderer Nährböden, 
vielleicht mit besonderer Berücksichtigung der biologischen Eigenschaften der Zer¬ 
schlagungsprodukte, eine bessere Erkenntniss der Pathologie vieler Erkrankungen 
gewinnen lassen. 

Zum Schlüsse sei es mir gestattet, an dieser Stelle, Herrn Vorstand Dr. Ernst 
Freund, von dem die Anregung zu dieser Arbeit ausgegangen, meinen tiefgefühlten 
Dank auszusprechen; auch fühle ich mich verpflichtet, den Herren Prof. Dr. Hochenegg, 
Primär. Dozenten Dr. Frank und Dr. Schnitzler, sowie den Herren Assistenten 
Dr. Sternberg und Dr. v. Karajan für die wiederholte freundliche Beistellung von 
Untersuchungsmaterial bestens zu danken. 

Zusammenstellung der bei der Verfassung der Arbeit 
berücksichtigten Litteratur. 

Demant Bernhard, Ueber die Wirkungen des menschlichen Darmsaftes Virchow’s Archiv 
für pathologische Anatomie Bd. 75. S. 419. 

Garn gee, Die physiologische Chemie der Verdauung. 1897. 

W. Hausmann, Ueber die Vertheilung des Stickstoffs im Eiweissmolekül. 1. Mittheilung. 
Zeitschr. für phys. Chemie Bd. 27. S. 95. II. Mittheilung. Zcitschr. für phys. Chemie Bd. 29. S. 136. 

Fr. Kutscher, Ueber die Verwendung der Phosphorwolframsaurc bei quantitativen Bestim¬ 
mungen der Spaltungsprodukte des Eiweisses. Zeitschr. für phys. Chemie Bd. 31. S. 215. 

L. Kersbergcr, Ueber die sogenannte Frühgarung der Fäccs und ihre diagnostische Be¬ 
deutung für die Funktionspsüfung des Darmes. Archiv für klinische Medicin Bd. CG. S. 431. 

S. Lang, Ueber die N-Ausscheidung nach Leberexstirpation. Zeitschr. für phys. Chemie 
Bd. 31. Heft 3 und 4. 

Paul Müller, Zur Trennung der Albumoscn von den Peptonen. Zeitschr. für phys. Chemie 
Bd. 24. S. 48. 

Mac Fadyean, Nencki, Sieber, Ueber die chemischen Vorgänge im menschlichen Dünn¬ 
därme. Archiv für exper. Pathol. und Pharmakol. Bd. 28. S. 311. 

v. Noorden, Pathologie des menschlichen Stoffwechsels. 1893. 

Pfaundler, Ueber ein einfaches Verfahren zur Bestimmung des Amidosäuren-N im Harne. 
Zeitschr. für phys. Chemie Bd. 30. S. 75. 

W. Praussnitz, Die chemische Zusammensetzung des Kothes bei verschiedenartiger Er¬ 
nährung. Zeitschr. für Biologie Bd. 35. S. 335. 

Rieder siehe Jahrbuch für Thierchemie Bd. 14. S. 432. 

Schmidt, Experimentelle und klinische Untersuchungen über Funktionsprüfung des Darmes. 
I. Ueber Fäcesgärungen. Deutsches Archiv für klin. Medicin 1898. Bd. 61. II. Ueber die Ver¬ 
dauungsprobe der Fäces. Deutsches Archiv für klin. Medicin 1899. Bd. 65. Heft 3 und 4. 

Derselbe, Beobachtungen über die Zusammensetzung des Fistelkothes einer Patientin mit 
anus praetemat am untersten Ende des Ileum. Archiv f. Verdauungskrankh. Bd. 4. Heft 2. S. 137. 

E. Schulze, Ueber die beim Umsätze der Proteinstoffe in den Keimpflanzen einiger Koniferen¬ 
arten entstehenden N-Verbindungen. Zeitschr. für phys. Chemie Bd. 22. 

Derselbe, Ueber das Arginin. Zeitschr. für phys. Chemie Bd. 11. S. 43. 

0. Simon und Th. Zerner, Untersuchungen über die digestiven Fähigkeiten des Dünndarm¬ 
saftes. Archiv für Verdauungskrankheiten 1901. 

J. Sebelen, Ueber Peptone und ähnliche Substanzen (nach Maly’s Jahresber. XX. S. 21). 


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$ tfahtfhi, V* rriiifachU-s Gt»ri»th für manuelle HeiJ^ynmustik 


Vereinfachtes Geräfch für manuelle Heilgymnastik, 


Dr.Sa! agil i 


der Königl. CfiVwitiSit Belogri 


Professor der physikalischen Therapie 


Seit einiger. Jahre» befasse ich ni'ielr damit, die physikalischen Heilmethode« 
mir. (ieriitheft »»izustaWeu, dm ebenso gut fflr deu L nt erricht als für die ärztliche 
Praxis passen und zugieich einfacher «ad Fi „ r , 

billiger iiad, als die hei Spezialisten gegen- . ■, ' . ' - 

wie die übrigen Zweige tles f^ysik;dicclu-n 
Heilverfahrens 


eines einiaeheren Ma~ 
terials bedürftig fst 

Was. Itter '/.ö.ttScbfet; wünKbftUswerth. 
erschien f -war eine einfache Vorrichtung, 
die vvc« raögBidi Schna für sjx’l) allein cs 
vermocht hätte, mehreren jciter Be<li»- 
,Bunge» zu. genügen, zu deren Erfüllung 
das manuelle System über eine ziemlich 
reiche Auswahl von Geräthen verfügt: hohe 
Bänke von verschiedener Grösse, niedrige 
Bank, Stöhle ohne Lehne — auch diese 
von verschiedener'Grösse — u. s. t.. uud 
die überdies noch möglichst billig gewesen 
oui «Jäs geWühfilirhe Budget. des 


wäre 

Arztes nicht übermässig zu belasten.. Diesen 
Anforderungen eatspriclit, soviel ichglanhe 
das Modelt das in Fig.‘?.-l abgehildet ist, 
Die weser.tlkhen 

seihen sind nun folgende: EiA kleiner auf 
einem ITcdzpodiuw feststehender Stuhl. 
Der ui« die eigene Ave drehbare Site kann 
höher oder tiefer gesellt und in beliebiger 
döhe festg^sidiräuht werden. Jde Basis 


Kenea, U erifth inr tit.iio 11 v'llr IIeilgy mnantik 
iKbviüdk.!flvt : er} ; V für ■attaend auazufüLiOTide 
Uiiiapfbßwc-gmigofi bei FwthaUung der rmtmm 
■ry,]rk&; , kAtmintäten. 


•) 3- ^älaghL fiHÜrlzzo ,alU> sttjHid dÄlla Tempi» fisieä. 
a Rditore Fnincftaco Vallardi. : Milano fsÖ8. rr- 


AiilfekÄ^äf^j^ _ 

^Slntzclektrnlidy tör (iiektn^heApplikatioiiefriüi Ildls UWü Oesiejit. Zeitschrift fite diät tirrf plivsik. 
» Wapie B,]. JY üöou |!W.U), Hefe :,. 

=; -Mein den Ahbildiuigen diirgwt eilten Tei-snne.« simt säumt tiieh Btudeinen uud ärudeurutaen 
lUeburtshUfe). 





472 S. Salagto 

tragt vorn einen erhöhten* v<w der Mitte aus nach beiden Seiten bin, krummlinig wr* 
iaufoatfoa.'Quersiab. Derselbe dient .zur Festhaltaag der Füsse, damit diese beim 
Aüsföhvoß der üebusgen night äafgehabcß werden. Die Schenkel können mittels 
eitjöP Bremens fixiert werden 

Pig.14 zeigt dieselbe Sitebank; nur ist hier eüs absetzbares T förmiges Stück 

littter dem Site befindliches MetallrpUr 


dessen Zefltndsfab iii 


iunzugefügt 

eiHgeseiiobftw wird ? während zwei an beiden Enden angebrachte gepolsterte PeUdtsti 
Sich gegen die liineTidabhen der fMee stemmen und dieselben dadurch »«setoaodef* 

. \/ Imlten. Die Vomehtnng kann mehr r.»ife 

weniger weit nach.hinten gegen <l«rSiti 

Ausgangsstetiung; daher die Länge des 
zür Festüftitun, 


der Fasse a ngebraehteo 
Querstabes, der, wie bereits erwähnt, vom 
Zentrum aus einen weiten Bogen nach 
beide« Seiten hin beschreibt und sielt zu 
jedem -beliebigen Urad von Austnuanderliältung der Beine eignet (der Apparat trwde 
deshalb K or ui u k i n e t .:• r benannt). Solche in der Uegel : sehr weif blutige ,Pc- 
wegiuigeu des Bnmpfes, hei ilenett der Schwerpunkt des Körpers sogar ausserlmU' 
des Sitzes verlegt wird, wie dies z> B, bei •Rumpfkmse«, 'Strecken, vor- oder seitib'h- 
tieUgerf der Fall ist. erfordern eine tnecbnmsche BeUiilfe; denn hie* ist es nicht nnr 
unerlässlich., dem Körper eine bequeme Stütze zu gebefh sondern es müssen awi 
die -unteren Extremitäten' gehörig fixiert werden, .damit die -Operationen mit der ge* 
.wünschten iteuelmässigkeil aüsget'fibrt werden können und der Patient nicht die 
unangetfebnie Empfindling hat, hei den. t'etningea feerabzafallen. 

Für alle übrigen in liegender oder, baltdiegender oder aufrechter Stellung au>- 
zUführeiideii t|ebu«£gnistFes; durchaus nicht, nöthig, über spezielle Geräthe zu «*- 




1.' usscJ l*»i - v : erät L . -.unters liorgericWrt, ffit die 
reitende Stellung ;j 




Oerath für roamiDlIr 


fügen, es vollkoffiGHio hitireidtt,. $u.r. Stütze des Kränken rische, FaiUefiite, Betten 
und sonstige ganH gewöhnliche M&bel edier 6eg$nl4fede hemit/en» 

Mit Rücksicht darauf dürfte es wohl gestattet seit» st«: behaufireflj ^tfc .tfifc neue 
Geräth sich für jene Fälle gut bewährt, wo eine'mt&i'haajecb© AaehhRfe HOtbweadb? ist 

Es mögen hier nun noch einige fiemerkungefi Platz finden,, ms deiieft Ffticht 
zu . ersehen sein wir»!, wie die neue Vorrichtung im Vergleiche zu den bisher ver- 
wendeten ihrem Zwecke vollkommen entspricht. 

Die reitende Stellung ist hier durch- das abnehmbare. T förmige Stück ermög¬ 
licht, durch das die unteren Extremitäten genöthigt werdöu in gespreizter Stellung 
zw bleiben. Eine solche Vemcbtüng, die vorn am Sitze angebracht wird, , ist eine 
Art von gymnastischem Reitpferd in .seiner einfachsten Darstellung Dasselbe ist 
hier nämlich auf eine zwischen beide Kniefe eirr 
gefügte gerade Unie reduziert, was eben hife 
reicht, um die betreffende Körpersteiittttg, ihrer 
Detiaitiop geosäss, zit erzielen. 

Die an de« Enden des t juerstabes ange- 
brachten Efelottea znm AnStenimeit beider Kniee 
können hoher öder tiefer gestellfc nrid dadurch 
der Höhe. dieser■letzteren genttü aagepasst wer¬ 
den. Ferner sind dieselben in der Weise ver¬ 
stellbar, dass man ihren Äbstäiid von einander 
je wach dem ^^Üßpchten Grad von Auseinander¬ 
haltung der Schepkel und nach der Statur der 
betreffenden Person verringern oder vermehren 
kann, wodurch ein genaues Gradieiungsmittel 
gegeben ist, während hei der heheii Bank die 
Grösse der Abweichung der beiden Schenkel von 
einander sich einzig «ad dllejn fiach der Breite 
der Bank resp. nach der Zahl der viirtinudeßen 
Bänke riebten m'ushp^'ijbche^Ätiifunge.n fehle«. 

Aus&erdeiB sind dnv Beides «aotfoa rii^ht; . . .. , - v ^ it , 

. , . tremitaten Ihm der mu/mua Srpilun^ 

zu einander .UrtmüfeL-SOödtl » ang’pnotnmyjttc Ku’htix»^ ■ ntfeh W i d p . 

so dass die sieb daran stemmende«; Gb*edrm»a»sen 

in den Stand gesetzt werden, ohne die .geringste Anstrengung ihre; gerade Hicfttnng zu 
behalten. Es. ist dies ein Vortbeit, der heim natürlichen Pferde und dessen gym¬ 
nastischen Xachahmungen, den hohen Bänken, VertdW wird, da bei dem efst^ren dip 
Flähmeu, hei den letzteren aber die zur ApstfeHttäifög dienenden Brnttköntfen die 
Richtung der Schenkel unter emem weite« Winkel durchkreuze« und dadurch eine 
minder beqöeth« .■Stellung bedhjgen, Dieser Unterschied tritt nun rocht deutlich hervor,- 
sobald man die von den untere« Ectremitiite« bei yorüegendenv Geräth nngenomtnene. 
Dichtung (Fig, 74) mit der bei einer heben. 'Bank gegebenen (Fig. 7ö) vergleicht.. 

Schliesslich gewährt das beliebig veränderliche Niveau des Bitzes die Möglich¬ 
keit, die Höhe dieses, letzteren der Statur der betreffenden Individuen — .Erwachsene« 
oder Kinder — im richtigen Yerlmlttiiss zur Beinlänge. derselben arizupasseit. Diese 
Geaauigkdt wird hingegen bei den. hoben Bänken vermisst; dieselben weisen vielmehr 
äusserst geringe AivettnaHterschiede auf. indem diese letztere« kunpisSebllch von der 
Zahl der eben vorlmniißinHi Bänke abhängig -sind, vvodiitxdiDtdßh ziemlich grobe 
GraduAtioa bedingt wird. . . ■ f'■v. - 1 VD’ D‘' ' 


Uolir Bank Von 44|ß wntcren Ex¬ 
tremitäten lioi der reüenden £reiIün<j. 
angpnomrnijno iiidhtuiig \nuch WitlPD. 




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Einen Beweis davon liefern uöh die Fach iehrb lieber seilet, w» man nicht seit«» 
im de«darin vfo koirtmeödea '.Figuren gezwungene öder doch - wenigstens aicht t-efe 
korrekte- KiirpdnsteHungen au selten bekommt, die Beine «scheine®. — mit Kficksuitf. 
aut- den ihnett von ihMtStmgbÖjfefe gelassenen &|>ielr8u?ii — fjfjg. 7dl entweder m 
Böig oder zu kurz. ( : nd ge»;tex hat man düch fur solche «w Derritinstratioflsmodellen 
bestimmte Stelfimge» die am meistea studierten und am besten geluagenejt Probte 
misgewühU. 

W ‘möglich durch Emporbeboiig des Sitzes bis Jrti 
einem sehr -hüben. Niveau*. Ohife denselben hierbei testauschrauben, eine pussln- 
'■ (Fig. 77 1 bezw. aktive Rotation des unteren Tbeiiec 

des Kumpfes (Beckendrehcn) in ahn lieber Weise 

H wre bei den Maschinen E 7 und C 8 der Zander- 

s eheit Sammlung zu be werkstcd iigen. Durch ein«! 

geschobene».. Sinti fixiert der Gynwast de« oberen 
•' Thdl des'l7unt}.‘fes» währeud der untere Theil als* 

auf dit! ^(4s ^lebeb^ms^, auf den er («it 

AtisgöführtenTebriDgen (Hebung des Thorax >t- - f-t 
Tj treten ■ und er«?u- 


Soleh ein didaktisches 


lat-seipetf 

iüif (Be in sitzender StcHüßg auszuftthrenden■ sk» 
BifiiÄ .M- k Weiten Kuttipfbesvegutmen beschränke- m 
,i Cr rcitruiii-D Stellung pmeh «teil wilrdfe nun also meinem Dafürhalten töten 
Wlde.i — im Vergleich tn den amlereti in <7cbr.oi.ii 

stellenden'GeriUlien — folgc-iule Vorthdle bi««i, 
Eine in Bezögt »ttfdak Niveau des Sitzes genaueise, Bst Korpergröss» des Patjetete» 
««gepasste DjwUiatinn. freie Wahl zwischen sitzender und reitender Stellung — et-t» ?« 
i.‘t bei der «sechiuuschc« (Zau.der, HgezV letztere hingegen bei der manuellen HBI 
gymjmstik die bevorzugte. Es i-t. dies ein nicht zu uritersciiät/emler Vortheil, indem 
datliiTCh dli; Miigluiiikoit gegeben ist, das (lerätfi in hetjnemerer Weise für beide Be- 
M'liioi'bf*u versterUi.'U. 

- Das G-r.iili hätte aber in. Betreff der reitenden Stellung' noch weitere spezielle 
VorzMtm. iuSoforu öiihiHch-, als eitle genauer« KeguBumug des Abstandes beider Knies 
von einander grnodgiS.di! wird; den Knien» selbst bietet es überdies eine passend'-re 
sieinnittiU'he. -wodurch den 'Extremitäten gestartet wird, eine korrekte und ruhte* 
Haltung zu. bßludion, 

Veruev wate durrli einen soicheü ziemlich einfach konstruierten und eine nicht 
.allssuvTo-se Ausgabe erfordernden Apparat. .1;,- ingesBchu- Ziel erreicht, indem der» 
stdS.lt» >!*hun für sich nlfeju teUeti Anfofdening'efi der nmnaeLtßß Heilgyniaastiir genügt, 

einem linderen Ihiterrichtsfach gehörenden orth«- 

p.'ul < ".vJieti -A i» plifea tionen. 





Veroi nfarj>t«f C*erarb ftir lminnelki IMIfry(njnasrfk 


Icli bin schliesslich der Meinung, dass das in Rede stehende Modell sich im 
die Praxis ebenso nützlich erweiset» wurde wie für den;-Unterricht. 


in diesem 

Falle. Wörde es das einzige nüthige und für die gewüliolkTien IJnbtiugen der manuellen 
HeiSgymmistit ausreichende öeriilh darstellen. Die nämlichen Sparsamkeitsgründe, 
die seine Anwendung io der Schule befürwortet habeu, dürfte« auch bezüglich seines 
fiel)rauch«? in der Ärztlichen Praxis ins Gewicht fallen, Und insbesondere-hei- dem 
■heutzutage .sieh rBanffostierendeji Streben 
mich weitem. VerbretUtüg .lei yhys'ikali- V..\ r ‘ 


Dadoivh ist ein einziger Apparat von reduziertem Typus entstanden, -der, nachdem 
ihre eine beschränkte, genau bestimmte Funktion angewiesen ist, dio<lh* mit gro^res 
Regelmässigkeit und l'rücisiöj» besorgt als die anderen bisher io ilebrooeh slefiemliSii 

Der Apparat. Würde in der am 3. Mai lltOl sfc.ttgebähten .Sitzung der inodici- 
nischen 'Gesellschaft2u : 'Bologna, sowie in der im 'September, desselben Jahres zu Vareso 
iLombardei) abaehaltßiien Versammlung italienischer Aerzle demonstriere. die Her- 
Stellung desselben hat die Firma Rosset, Schwatz & Coy m Wiesbaden - übernommen. 

») Durch die bedeutende Dicke «Iw Schraubt. Würniif der Site »IrChbar Ist, werde» ■«•rlirtiliuhc 
SettimikuügeB Selbst dann verlmivl wenn di-oclln.' svlir iiucligesu-llt wt. tiu *. Vanüc- 

Figur veranschaulicht. 



Ostertag 


476 


IV. 

Ko eh's Mitteilungen über die Beziehungen der Menschen- 
zur Hausthiertuberkulose. 

Von 

Professor Dr. Oster tag 
in Berlin 1 ). 

Als Robert Koch im Jahre 1882 den Nachweis lieferte, dass er den Erreger 
der menschlichen Tuberkulose entdeckt hatte, und bei dieser Gelegenheit mittheilte, 
dass er den nämlichen Erreger, nach seiner Form, Grösse, Färbbarkeit und Patho¬ 
genität für kleine Versuchstiere zu urtheilen, auch in den tuberkulösen Produkten 
der Thiere festgestellt habe, da wurde geglaubt, dass nunmehr der Streit über das 
Verhältniss der »Perlsucht« des Rindes zur Tuberkulose des Menschen im Sinne 
der Einheit der beiden Krankheiten entschieden sei. Dieser Streit hatte eine mehr 
als akademische Bedeutung. Denn es handelte sich um die praktisch sehr wichtige 
Frage, ob es verantwortet werden könne, das Fleisch der perlsüchtigen Rinder als 
menschliches Nahrungsmittel in den Verkehr zu geben. Bekanntlich ist in Deutsch¬ 
land schon im 9. Jahrhundert bei den Franken durch Kirchengesetze der Genuss des 
Fleisches von Rindern verboten worden, welche mit »Perlsucht« behaftet waren. 
Das Verbot ging auch in die Fleischbeschauverordnungen über, welche im 14., 15. 
und 16. Jahrhundert von den süddeutschen Städten erlassen wurden. Motive für 
das Verbot sind aus den Verordnungen nicht ersichtlich. Erst im 18. Jahrhundert 
wurde das Verbot damit begründet, dass die »Perlsucht« oder die »Franzosenkrank¬ 
heit« des Rindes mit der Syphilis des Menschen identisch sei. Gegen Ende des 
18. Jahrhunderts erlitt diese Lehre einen Stoss durch die Beobachtung, dass das 
Fleisch perlsüchtiger Rinder vielfach heimlich ohne jeglichen Nachtheil genossen 
wurde. Diese Beobachtung wirkte so überzeugend, dass das Berliner Collegium 
sanitatis im Jahre 1783 das Fleisch der fraglichen Rinder amtlich für genusstauglich 
erklärt hat. Hiergegen traten später Spinola und Haubner, vor allem aber 
Ger lach auf, welcher gestützt auf Fütterungsversuche erklärte, dass die Rinderperl¬ 
sucht nichts anderes sei als eine Form der Tuberkulose. Gerlach verlangte infolge¬ 
dessen eine Ueberwachung des Verkehrs mit dem Fleische perlsüchtiger oder tuber¬ 
kulöser Thiere und den gänzlichen Ausschluss desselben bei bestimmten Formen der 
Krankheit. Dem Streite, welcher sich an die Forderung Gerl ach’s anschloss, 
machte die Entdeckung Koch’s ein Ende. 

Die Auffindung und Züchtung des Tuberkelbacillus wird mit Fug als eine der 

i) Um den Lesern unserer Zeitschrift Gelegenheit zu geben, die Ansichten eines der hervor¬ 
ragendsten Veterinäre Deutschlands über die von Koch auf dem Londoner Tuberkulosekongress 
gemachten Ausführungen zu erfahren, veröffentlichen wir hier mit ausdrücklicher Zustimmung des 
Autors dessen Aufsatz, den er in der Septembernummer der unsem Lesern kaum zugänglichen 
»Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene« publiziert hat. Red. 


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Original from 

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Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulosc. 477 

grössten, wenn nicht als die grösste medicinische That des vergangenen Jahrhunderts 
bezeichnet. Die Koch’sche Entdeckung schuf erst den Begriff der Tuberkulose, 
dessen Abgrenznng der pathologischen Anatomie nicht möglich gewesen war. So 
hatte Virchow die Perlknoten des Rindes nicht für Tuberkulose, sondern für 
sarkomähnliche Bildungen nach dem pathologisch-anatomischen Bilde gehalten. Die 
Koch’sche Entdeckung war ferner die Grundlage zur Entwicklung derjenigen Maass¬ 
regeln, welche zur Bekämpfung der Tuberkulose zu ergreifen sind. 

Koch hat sich in seiner grundlegenden Arbeit über die Aetiologie der Tuber¬ 
kulose mit grosser Vorsicht darüber ausgesprochen, wie sich die Tuberkelbacillen 
der Thiere zu denen des Menschen verhalten. Er bezeichnete es als möglich, dass 
später vielleicht Unterschiede zwischen den Bacillen der menschlichen und der 
thierischen Tuberkulose ermittelt würden. Gleichwohl vertrat er die Ansicht, dass 
die thierische Tuberkulose auf den Menschen übertragen werden könne und dass 
diese Gefahr, so klein oder so gross sie auch sei, vermieden werden müsse. 

Dieser Standpunkt ist von Koch auf dem letzten Tuberkulosekongress, welcher 
in den Tagen vom 22.-26. Juli in London tagte, verlassen worden. 

Koch berichtete, dass er in Gemeinschaft mit Schütz Versuche darüber an¬ 
gestellt habe, ob tuberkulöses Material vom Menschen die Hausthiere zu infizieren 
vermöge. Die Versuche 1 ) hätten ergeben, dass junge Rinder durch die Bacillen der 
menschlichen Tuberkulose nicht infiziert wurden, gleichgiltig, ob Sputum oder Rein¬ 
kulturen verwendet wurden. Mehreren Thieren sind die Tuberkelbacillen oder das 
Sputum unter die Haut, anderen in die Bauchhöhle, wieder anderen in die grosse 
Halsvene gespritzt worden. Sechs Thiere wurden sieben bis acht Monate lang fast 
täglich mit bacillenhaltigem Sputum gefüttert. Vier Thiere inhalierten wiederholt 
grosse Mengen von Bacillen. Alle diese Rinder, im ganzen 19, zeigten keine Krank¬ 
heitserscheinungen. Sie nahmen an Gewicht bedeutend zu. Sechs bis acht Monate 
nach Beginn der Versuche wurden sie getötet, und in ihren inneren Organen fand 
sich keine Spur von Tuberkulose. Hur an den Injektionsstellen hatten sich kleine 
Eiterherde gebildet, in denen wenige Tuberkelbacillen nachgewiesen werden konnten, 
der gleiche Befund, den man erhält, wenn man ansteckungsfähigen Thieren abgetötete 
Tuberkelbacillen unter die Haut bringt. Ganz anders dagegen sei das Ergebniss ge¬ 
wesen, wenn Tuberkelbacillen aus der Lunge eines Rindes benutzt wurden. Die 
Thiere erkrankten nach einer Inkubationszeit von einer Woche ausnahmslos an den 
schwersten tuberkulösen Veränderungen der inneren Organe und starben theils nach 
l 1 /*—2 Monaten, theils wurden sie schwerkrank nach 3 Monaten getötet. Bei der 
Obduktion fanden sich starke tuberkulöse Infiltrationen an der Infektionsstelle und 
den benachbarten Lymphdrüsen und weit vorgeschrittene tuberkulöse Veränderungen 
der inneren Organe, hauptsächlich der Lunge und der Milz. Durch die Injektion 
in die Bauchhöhle wurden auch die für Perlsucht charakteristischen tuberkulösen 
Wucherungen auf dem Netz und Bauchfell erzeugt. Ein fast ebenso scharfer Unter¬ 
schied zwischen der Tuberkulose des Menschen und des Rindes zeigte sich bei einem 
Fütterungsversuch an Schweinen. Sechs junge Schweine wurden drei Monate lang 
täglich mit bacillenhaltigem Sputum, sechs andere mit Perlsuchtbacillen gefüttert. 
Die ersteren blieben gesund und wuchsen kräftig heran, die mit Perlsuchtlunge ge¬ 
fütterten dagegen wurden bald kränklich und blieben im Wachsthum zurück, und 
die Hälfte davon starb. Nach 3Va Monaten wurden die überlebenden Schweine 


i) Deutsche medicinische Wochenschrift T.K31. No. 3:5. 


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478 Ostertag 

sämmtlich getötet Bei den mit Sputum gefütterten Schweinen fand sich keine Spor 
von Tuberkulose, mit Ausnahme vereinzelter kleiner Knötchen in den Halsdrüsen 
und in einem Falle weniger grauer Knötchen in der Lunge. Die Thiere dagegen, 
welche Perlsuchtbacillen gefressen hatten, zeigten wiederum ausnahmslos schwere 
tuberkulöse Erkrankungen, besonders tuberkulöse Infiltration der stark vergrösserten 
Halslymphdrüsen und der Mesenterialdrüsen, und regelmässig fand sich auch aus¬ 
gebreitete Tuberkulose der Lungen und der Milz. Auch bei Eseln, Schafen und 
Ziegen, denen die beiden Arten von Tuberkelbacillen in die Blutbahn injiziert wurden, 
trat der Unterschied zwischer menschlicher und Rindertuberkulose in ebenso scharfer 
Weise hervor. 

Koch folgerte aus seinen Versuchen, dass die menschliche Tuberkulose von 
der des Rindes verschieden sei und auf das Rind nicht übertragen werden könne. 

Die umgekehrte, weit wichtigere Frage, ob die Rindertuberkulose 
auf den Menschen übertragbar sei, müsse erst noch entschieden werden. 
Koch hat aber seine persönliche Meinung dahin ausgesprochen, dass er die Ueber- 
tragung, wenn sie überhaupt möglich sei, in Anbetracht der Seltenheit der primären 
Darmtuberkulose beim Menschen, namentlich bei den Kindern auch für sehr selten 
halte. Koch sagte wörtlich: 

»Wenn die wichtige Frage, ob der Mensch überhaupt empfänglich 
für Perlsucht ist, auch noch nicht vollkommen entschieden ist und sich 
sobald nicht entscheiden lassen wird, so kann man doch jetzt schon sagen, 
dass, wenn eine derartige Empfänglichkeit bestehen sollte, die Infektion 
von Menschen nur sehr selten vorkommt. Den Umfang der Infektion durch 
Milch, Butter und Fleisch von perlsüchtigen Thieren möchte ich kaum höher schätzen 
als denjenigen durch Vererbung, und ich halte es deswegen für nicht geboten, 
irgend welche Maassnahmen dagegen zu ergreifen.« 

Sämmtliche Berichte über den Verlauf des Londoner Kongresses betonen die 
Ueberraschung, welche die Worte Koch’s bei den Kongresstheilnehmern hervor¬ 
gerufen haben, und dass dieser Theil des Koch’schen Vortrages als das Ereigniss 
des Kongresses den weiteren Verlauf desselben vollkommen beherrscht habe. Die 
Ueberraschung über die Koch’schen Ausführungen wurde, wie eine Durchsicht der 
ärztlichen und thierärztlichen Fachschriften, der landwirtschaftlichen, milchwirth- 
schaftlichen und Fleischerzeitungen sowie der Tagespresse zeigt, eine allgemeine, und 
kaum jemals dürfte in der Welt soviel über Tuberkulose disputiert worden sein, 
wie an den Tagen nach dem Vortrage Koch’s in London. 

Wenn wir von der nicht sachverständigen Presse, welcher wohl die früheren 
Versuche über die Uebertragung der Menschentuberknlose auf das Rind unbekannt 
geblieben waren, absehen, so dürften bei den Vertretern der Medicin'und Thier- 
medicin weniger die tatsächlichen Mitteilungen Koch’s als seine Folgerungen die 
allgemeine Ueberraschung erzeugt haben. Es ist die Frage aufgeworfen worden, wie 
es möglich war, dass der für die Praxis so ausserordentlich wichtige Punkt des Ver¬ 
hältnisses zwischen der Menschen- und Haustiertuberkulose erst jetzt, fast 20 Jahre 
nach der Entdeckung des Tuberkelbacillus, einer experimentellen Prüfung unter¬ 
worfen wurde. Diese Frage erledigt sich durch den Hinweis, dass solche Unter¬ 
suchungen sofort nach der Entdeckung des Tuberkelbacillus und im Laufe der 
90 er Jahre ausgeführt worden sind und dass einige Untersucher dasselbe Ergebnis? 
hinsichtlich der Uebertragung der Menschentuberkulose auf Thiere erzielt hatten wie 
Koch und Schütz. 


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Koch’s Mittheilangen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 479 

Der verstorbene Pütz hat auf der Naturforscher Versammlung im Jahre 1882 
darüber berichtet 1 ), dass er drei Kälbern tuberkulöses Material mit dem Futter 
beibrachte, in die Unterhaut und in die Bauchhöhle verimpfte, ohne dass die 
Versuchsthiere tuberkulös wurden. Fütz folgerte hieraus, dass eine Uebertragung 
der Tuberkulose des Menschen auf das Rind im gewöhnlichen Verkehr äusserst selten 
oder garnicht vorkomme und dass ferner die umgekehrte Infektion, die des Menschen 
durch das Perlsuchtvirus, noch keineswegs erwiesen sei 2 ). Pütz hat diese Versuche 
später bei zwei Kälbern wiederholt und hierbei einem der Thiere auch eine Tuberkel¬ 
bacillenreinkultur in die Lunge gespritzt, ohne »wesentlich andere Versuchsergebnisse« 
zu erhalten, wie bei seinen ersten Uebertragungsversuchen 8 ). 

Sehr eingehende Untersuchungen sind ferner von Theobald Smith 1 ), dem 
Entdecker der Aetiologie des Texasfiebers, über das Verhältniss der Menschentuber¬ 
kulose zur Hausthiertuberkulose angestellt worden. Smith arbeitete mit sieben 
Kulturen von Menschen, sechs Kulturen von Rindern und je einer vom Schwein, 
von der Katze, vom Pferd und einer aus einem zweifelhaften Falle. Smith stellte 
verschiedene Unterscheidungsmerkmale zwischen dem Erreger der menschlichen und 
der Rindertuberkulose fest. Er fand, dass die Tuberkelbacillen des Rindes 
viel weniger als diejenigen des Menschen durch Modifikationen des 
Nährbodens beeinflusst werden und dass die Rindertuberkulosekulturen 
viel virulenter sind als die aus menschlichem Sputum stammenden und, 
im Gegensatz zu letzteren, nicht nur Meerschweinchen, sondern auch Kaninchen 
töteten. Auch Smith ist es nicht gelungen, durch Verimpfung menschlicher Tuberkel¬ 
bacillen Kälber tuberkulös zu machen. 

F rothingham 5 ) hat sowohl Sputum als auch Reinkulturen menschlicher Tuberkel¬ 
bacillen auf Kälber subkutan, intratracheal und intraperitoneal verimpft. Eines der 
mit Sputum geimpften Kälber Hess einige Tuberkel in der Leber erkennen, ein zweites 
zeigte nur Veränderungen an der Impfstelle, während bei einem dritten keinerlei 
Läsionen nachzuweisen waren. Die in die Luftröhre und in die Bauchhöhle mit 
Reinkulturen geimpften Kälber wurden nicht sicher tuberkulös, und Frothingham 
schloss aus seinen Versuchen, dass Kälber für die Infektion mit menschlichen Tuberkel¬ 
bacillen nicht sicher empfänglich seien. 

Dinwiddie«) hat festgestellt, dass tuberkulöses Material vom Rind sich für 
Rinder, Schafe, Ziegen und Kaninchen als virulenter erweist als tuberkulöses Material 
vom Menschen, während bei der Infektion von Pferden, Schweinen, Katzen und 
Hunden ein solcher Unterschied nicht hervortrete. Dinwiddie glaubte daher in 
Uebereinstimmung mit Theobald Smith, dass man die Gefahr der Ansteckung des 
Menschen durch die von tuberkulösen Rindern stammenden Nahrungsmittel über¬ 
trieben habe. 


!) Tageblatt der Naturforecherversammlung S. 219. 

2 ) Diesen Ausführungen ist damals Schütz entgegengetreten, welcher erklärte, dass die 
Identität des Tuberkel- und des Perlsuchtvirus mit Sicherheit nachgewiesen sei. 

3) Münchener medicin.' Wochenschr. 1893. No. 15. 

4) Journal of experimental medicine 1898. No. 4/5. Vergl. das Ref. im 2. Heft des 11. Jahr¬ 
gangs der Zeitschr. für Fleisch- und Milchhygiene. 

3) Zeitschr. für Thiermcdicin. Neue Folge. Bd. 1. Heft 5. 

«) Arkansas Agricultural Experiment Station. Bulletin No. 57. 


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Ostertag 


480 


Endlich hat Gaiser 1 ) auf Veranlassung Baumgarten’s ein Kalb mit mensch¬ 
lichen Tuberkelbacillen geimpft, ohne dass es ihm glückte, »Perlsucht« zu erzeugen. 

Alle diese Versuche waren bekannt, niemand aber ausser den amerikanischen 
Milchwirthen») legte denselben die Bedeutung bei, dass, wenn die menschliche 
Tuberkulose nicht oder nur sehr schwer auf das Rind überimpf bar sei, nun auch 
gefolgert werden könne, dass die Rindertuberkulose garnicht oder nur sehr schwer 
auf den Menschen übertragbar sei. Man sah in den Ergebnissen der Versuche mit 
Smith und Dinwiddie nur einen Beweis dafür, dass die übertriebene Furcht vor 
einer Ansteckung des Menschen durch Fleisch und Milch tuberkulöser Rinder un¬ 
begründet sei und dass die Forderungen jener über das Ziel hinausschossen, welche 
wegen der Möglichkeit des gelegentlichen Vorkommens eines Tuberkelbacillus die 
völlige Beschlagnahme des Fleisches sämmtlicher tuberkulöser Thiere (I. Pariser 
Tuberkulosekongress) und den Ausschluss der Milch sämmtlicher tuberkulöser 
Rinder, welche auf Tuberkulin reagierten, verlangt hatten. Man erblickte also in 
den angezogenen Untersuchungen eine weitere Stütze für die jetzt allgemein getheilte 
Ansicht, dass das Fleisch und die Milch tuberkulöser Thiere nur bei jenen Formen 
der Tuberkulose dem Verkehr zu entziehen sei, bei welchen Tuberkelbacillen im 
Fleische und in der Milch thatsächlich Vorkommen. 

Die überragende Autorität Koch's hat den von ihm mit Schütz angestellten 
Versuchen eine andere Beachtung verschafft. Ich persönlich, und, wie ich glaube, 
alle aufrichtigen Verehrer des Begründers der Bakteriologie bedauern es aber, dass 
Koch den thatsächlichen Mittheilungen über den Ausfall der Versuche seine Meinung 
über die Zulässigkeit eines Rückschlusses auf die Uebertragbarkeit der Thier¬ 
tuberkulose auf den Menschen beigefügt und Maassnahmen gegen die Uebertragung 
von Tuberkelbacillen durch die Milch und das Fleisch tuberkulöser Thiere als nicht 
geboten bezeichnet hat. 

In den Kreisen der medicinisch Gebildeten, für welche der Vortrag Koch’s 
bestimmt war, wird die Meinungsäusserung keine Verwirrung anrichten, da Koch 
selbst die Frage der Empfänglichkeit des Menschen für die Rindertuberkulose aus¬ 
drücklich für noch nicht entschieden erklärt hat und jeder Arzt und Thierarzt weiss, 
dass in hygienischen Dingen im Zweifelsfalle das Ungünstigere anzunehmen ist. Die 
Tagespresse hat aber dafür gesorgt, dass die Ausführungen Koch’s die weiteste Ver¬ 
breitung fanden und auch in die Kreise der Laien getragen wurden. Und dieses 
hat schon die schwerste Verwirrung angerichtet, trotzdem Männer wie Lister J ), 
Brouardel, Nocard, Bang, MacFadyean, SimsWoodhead die Annahme einer 
Ungefährlichkeit der Hausthiertuberkulose als unschlüssig bezeichneten und der 
Londoner Kongress den Schlusssatz aufstellte, dass vorläufig an den bestehenden 
Bestimmungen über den Verkehr mit Fleisch und Milch tuberkulöser Thiere nichts 
geändert werden dürfe. Die Resolution lautete: 

»Nach der Ansicht dieses Kongresses und im Lichte der in seinen 


i) Arbeiten auf dem Gebiete der pathologischen Anatomie und Bakteriologie aus dem Patbolog. 
Institut zu Tübingen. Bd. 2. Heft 3. 

*) Vergl. Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene 11. Jahrg. 2. Heft 
*) Lister fasste in einer Zuschrift an das Brit med. Joum. sein Urtbeil über Koch’s Aus¬ 
führungen dahin zusammen: »Koch hat gezeigt, dass menschliche Tuberkulose sehr selten, wenn 
überhaupt auf Rinder zu übertragen ist. Aber für den umgekehrten Satz, der unvergleichlich 
grössere Wichtigkeit besitzt, dass nämlich Rindertuberkulose auch auf den Menschen 
übertragbar ist, besteht, ich wage es zu sagen, kein zwingender Beweis.« 


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Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 481 

Sitzungen stattgefundenen Verhandlungen sollen die sanitären Behörden 
weiter alle ihnen zustehende Macht dazu anwenden und keine An¬ 
strengungen unterlassen, um die Verbreitung der Tuberkulose durch 
Fleisch und Milch zu verhindern.« 

Ausserdem wurden die Regierungen »angesichts der Zweifel, welche bezüglich 
der Identität der menschlichen Tuberkulose mit der des Rindes ausgesprochen worden 
sind«, zur Vornahme staatlicher Untersuchungen aufgefordert. 

Unter diesen Umständen ist es befremdlich, dass ein sonst sehr kritisch ge¬ 
leitetes Blatt, die Molkereizeitung Berlin mit Bezug auf die Entgegnungen von 
MacFaydean, Nocard, Crookshank, Crichton-Brown, Ravenei, Malcolme u.a. 
sagte 1 ), die Einseitigkeit der gegen Koch vorgebrachten Gründe werde man der be¬ 
greiflich grossen Verblüffung der Kongressteilnehmer zu gute halten können. Die 
Molkereizeitung hat damit den von ihr vertretenen Interessen einen schlechten Dienst 
erwiesen, wenn sie auch gleichzeitig den Milchwirthen räth, trotz der neuen Forschungs¬ 
ergebnisse den hygienischen Forderungen bei der Aufzucht und Haltung der Kühe 
im eigenen Interesse strengstens durchzuführen. Jeder mit den Verhältnissen Ver¬ 
traute weiss, dass nur wenige Landwirthe hygienische Forderungen im eigenen 
Interesse durchführen, dass ein äusserer Zwang, wie die Furcht vor behördlichem 
Einschreiten, der einzige allgemein wirksame Faktor ist. 

Die Thierärzte aus den Provinzen berichten, der Vortrag Koch’s habe bei den 
weniger einsichtigen Bauern hinsichtlich des Eifers einer Tuberkulosetilgung ver¬ 
nichtend gewirkt. Sehr viele Bauern dächten jetzt gar nicht mehr daran, gegen die 
Tuberkulose Maassregeln zu ergreifen, weil nach den Darlegungen Koch’s der Staat 
nicht mehr mit Zwangsmaassregeln drohen könne. Die Thierärzte geben der Be¬ 
fürchtung Ausdruck, Koch habe den mehr und mehr hervortretenden Willen der 
Landwirthe, die Tuberkulose der Hausthiere zu bekämpfen, ohne ausreichenden 
Grund, lediglich durch Geltendmachung seiner Ueberzeugung zerstört und dieser 
ganzen Angelegenheit einen — für die Landwirthschaft — unberechenbaren 
Schaden zugefügt 4 ). Man müsste derartigen Berichten zweifelnd gegenüberstehen, wenn 
nicht eine sehr angesehene landwirtschaftliche Körperschaft bereits eine offizielle 
Bestätigung der in den privaten Briefen enthaltenen Mittheilungen gebracht hätte 3 ). 


!) 1901. No. 31. 

2 ) Dieser Meinung hat auch der erfahrene Direktor der Thierärztlichen Hochschule zu Mönchen, 
Professor Dr. Albrecht, in seiner Wochenschrift für Thierheilkunde und Viehzucht (1901. No. 32) 
Ausdruck gegeben, indem er bedauerte, dass «durch die Mittheilung Koch’s die Frage in einem 
so unreifen Stadium der weiten Oeffentlichkeit unterbreitet worden ist, wo sie nicht verfehlt hat 
und weiterhin nicht verfehlen wird, Verwirrung zu stiften und ohne hinreichenden Grund der so 
mühsam in Gang gebrachten Bekämpfung der Tuberkulosegefahr an einem hygienisch und wirt¬ 
schaftlich gleichwichtigen Punkt — in der Nahrungsmittclfrage — neue Hindernisse zu bereiten.« 

3) Nach der Milchzeitung (1901. No. 32) verhandelte der von der Landwirths chafts- 
kamraer in Hannover eingesetzte Ausschuss für Rindviehzucht und Molk ereiwesen 
in seiner Sitzung vom 26. Juli dieses Jahres über die Frage der Tuberkulosetilgung. Der Referent 
betonte in seinen Ausführungen, dass sich eine jährlich zu wiederholende Untersuchung sämmtlicher 
Rindviehbestände auf Eutertuberkulose und klinische Tuberkulose am meisten empfehle. Diese 
Thiere seien sofort zu entfernen mit Ersatz des Weithes durch den Staat. Ferner sei die Tuberkulose 
unter das Seuchengesetz zu stellen. Der Ausschuss hielt es indessen angesichts der 
neuesten Ergebnisse der Forschungen der Wissenschaft nicht für angezeigt, gegen¬ 
wärtig mit bestimmten Vorschlägen an den Vorstand der Landwirthschaftskammer 
heranzutreten! 

Zeitschr. f. diät 11. physik. Therapie. IM. V. Hoft fl. 


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482 Ostertag 

Die Verantwortung für die Nachtheile, welche beim Menschen dadurch ent¬ 
stehen können, dass die bisher zur Verhütung einer Tuberkuloseübertragung an¬ 
gewandten privaten Maassnahmen, wie das Kochen der Milch, vielleicht ausser Acht 
gelassen werden, ist Sache des Arztes. Thatsächlich konnte man nach dem Bekannt¬ 
werden des Koch’sehen Vortrages häufig die Frage hören, ob jetzt das Kochen der 
Milch noch einen Sinn habe. Wenn man bedenkt, welcher Anstrengungen es be¬ 
durfte, um die Hausfrauen ganz allgemein zum Erhitzen der Kindermilch zu be¬ 
stimmen, so wäre es vom medicinischen Standpunkt aus zu beklagen, wenn dies 
Ergebniss der jahrelangen Bemühungen jetzt vernichtet würde, um später vielleicht 
wieder mühsam erreicht zu werden. Das Kochen der Milch ist aus vielen Gründen 
nothwendig (Maul- und Klauenseuche, Typhus, Sommerdiarrhöen u. s.w.); für die 
Hausfrau war aber die Verhütung der Tuberkulose das wesentliche Motiv, weil ihr 
die Tuberkulose ein geläufiger Begriff und die Schrecken dieser Erkrankung bekannt 
waren. Ja, und zu was kann es führen, wenn ein Schlächter den Satz Koch’s, 
er halte es für nicht geboten, gegen die von perlsüchtigem Vieh stammenden Nahrungs¬ 
mittel Vorsichtsmaassregeln zu ergreifen, so auffasst, nunmehr könnten auch die 
mit Tuberkulose behafteten Lungen, Lebern, Milzen, Nieren, Därme, Gekröse, 
Fleischpartieen ohne weiteres in den Verkehr gebracht werden? Leider giebt es 
Schlächter, die jetzt schon, trotz der auf das Inverkehrbringen gesundheitsschädlichen 
Fleisches gesetzten Freiheitsstrafen, die Neigung besitzen, tuberkulöse Organe und 
Fleischpartieen nach Entfernung der oberflächlich gelegenen Herde als solche zu ver- 
äussern oder in die schweigsame Wurst zu verarbeiten *). Selbst in den Köpfen der 
Laien fl eischbeschauer hat Koch’s Vortrag pertubierend gewirkt. In dem Proto¬ 
koll über den 13. Landesverbandstag sächsischer Trichinen- und Fleischbeschauer ist 
von einem Wortführer der Fleischbeschauer versteckt angedeutet worden, nach dem 
Vortrage Koch’s brauchten sich die Fleischbeschauer nicht mehr an die behörd¬ 
lichen Vorschriften zu binden, sondern könnten mit dem Fleische tuberkulöser Thiere 
anfangen, was sie wollten 1 2 ). 

Wenn sich der Satz Koch’s, er halte es nicht für geboten, irgend welche Maass¬ 
nahmen gegen die Infektion des Menschen durch die Milch und das Fleisch tuber¬ 
kulöser Thiere zu ergreifen, auf völlig abgeschlossene und einwandfreie Unter¬ 
suchungen stützen könnte, hätten wir Thierärzte uns damit zu bescheiden und die 
zur Verhütung der Uebertragung der Hausthiertuberkulose auf den Menschen er¬ 
lassenen Maassnahmen darauf zu prüfen, ob und inwieweit sie unter den veränderten 
Verhältnissen noch nothwendig oder zweckmässig seien. Es möge dabei gleich hier 
ausgesprochen werden, dass, wenn die Nichtübertragbarkeit der Thiertuberkulose auf 
den Menschen Thatsache wäre, die Thätigkeit der Fleischbeschau etwas erleichtert 
würde, weil die Kochung suspekten Fleisches wegfallen und der einfachere Freibank- 


1) Wenn keine Maassnahmen gegen das Fleisch tuberkulöser Thiere ergriffen wären, würden 
die mit Tuberkulose behafteten Organe und Fleischpartieen, und zwar nicht nur die geringgradig 
veränderten, in den Verkehr gebracht werden, wie jeder mit der Ausübung der Fleischbeschau be¬ 
traute Thierarzt weiss. Denn der Streit um die Freigabe tuberkulöser Organe ist in den Schlacht¬ 
höfen ein täglicher. 

2 ) Es wurde in Form der rhetorischen Frage darauf hingewiesen, was daraus entstehen solle, 
wenn die Laienfleischbeschauer in Zukunft etwas weltkluger wären, sich dio Entdeckung 
Koch’s zu nutze machten und bei der Untersuchung tuberkulöser Thiere selbstständig verführen, 
ohne einen wissenschaftlichen Flcischbcschauer zuzuziehen, weil nach Koch die Tuberkulose der 
Rinder für den Menschen unschädlich sei. 


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Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 483 

verkauf ausreichen würde. Auch das veterinärpolizeiliche Vorgehen gegen die 
Tuberkulose des Rindes würde erleichtert werden, weil die Hemmnisse, welche die 
Tuberkulosetilgung durch übertriebene Forderungen (Maassnahmen gegen sämmtliche, 
auch klinisch nicht verdächtige Thiere!) erwuchsen, in Wegfall kämen. Der that- 
sächliche Beweis für die Nichtübertragbarkeit der Thiertuherkulose ist aber, wie 
Koch selbst hervorgehoben hat, nicht erbracht. Und deshalb muss, bis dieser 
Beweis geliefert werden kann, in der Behandlung des Fleisches und der 
Milch tuberkulöser Thiere alles beim Alten bleiben. Der Beweis m.E. 
ist erst dann als geliefert anzusehen, wenn einige Dutzend Menschen ohne Erfolg 
mit grossen und kleinen Mengen tuberkulösen Materiales und Tuberkelbacillenrein¬ 
kulturen vom Rind, Schwein, Schaf und von der Ziege ohne Erfolg geimpft worden 
sind. Wenn die vom Kaiserlichen Gesundheitsamt zur weiteren Prüfung des Ver¬ 
hältnisses der Thier- zur Menschentuberkulose in Aussicht genommenen Untersuchungen 
voll zu Gunsten der präsumtiven Annahme Koch’s ausfielen, würden sich Männer 
genug finden, welche dazu bereit sind, im Interesse der Wissenschaft als Versuchs¬ 
objekte zu dienen 1 )- Als die Frage der Zulässigkeit des Verkaufs rohen finnigen 
Rindfleisches nach mehrwöchiger Aufbewahrung im Kühlhause zu entscheiden 
war, erklärten Thierärzte und Studirende der Thierheilkunde sofort ihre Bereit¬ 
willigkeit, sich mit den Finnen infiziren zu lassen, welche nach den vorausgegangenen 
Laboratoriumsversuchen als abgestorben betrachtet werden mussten. Zwischen einer 
abgestorbenen Finne und einem unwirksamen Tuberkelbacillus ist aber kein Unter¬ 
schied. Ich glaube nicht, dass sich heute eine Behörde dazu entschliessen würde, 
die Unschädlichkeit des Fleisches und der Milch tuberkulöser Thiere zu proklamieren, 
ehe die Unschädlichkeit thatsächlich und ohne jeden Einwand erwiesen ist. Solches 
konnte das Collegium sanitatis vor 100 Jahren thun 2 ), als die Fürsorge für die 
Volksgesundheit mit der Einsicht in das Wesen der Krankheiten noch in den Windeln 
lag. Unsere heutige präventive Hygiene verlangt andere Grundlagen für administrative 
Maassregeln, wenn es sich um den Schutz der menschlichen Gesundheit handelt. 

Bei dieser Sachlage sei es verstattet, zu erörtern, welche Schlüsse die von 
Koch und Schütz und von den übrigen Autoren früher angestellten Versuche 
zu ziehen erlauben, und welches Ergebniss von den weiteren Versuchen nach dem 
gesammten Untersuchungs- und Erfahrungsmaterial wahrscheinlich zu erwarten ist. 

Aus den über den Londoner Kongress mir vorliegenden Berichten der ver¬ 
schiedenen medicinischen Zeitschriften geht hervor, dass Koch’s Rückschluss auf die 
wahrscheinliche Nichtübertragbarkeit der Thiertuberkulose seitens der Kongressmit¬ 
glieder keine Unterstützung, sondern nur Gegner gefunden hat. Auch die Hochfluth 
der an den Koch'sehen Vortrag in der Tagespresse und in wissenschaftlichen Zeitungen 
sich anknüpfenden Erörterungen lässt dasselbe Verhältniss erkennen. 

Die jetzige Seltenheit der Fütterungstuberkulose bei den Berliner Kindern bildet 
keinen Maassstab für die Beurtheilung der Bedeutung der Kuhmilch für die Ent¬ 
stehung der Fütterungstuberkulose Vielleicht ändern sich die Verhältnisse in den 
nächsten Jahren. Man prüfe die Frage jetzt schon in solchen Landestheilen, in welchen 
Kuhmilch auch den Kindern noch roh verabreicht wird, weil die Eltern aus Vor¬ 
liebe für den thatsächlichen Wohlgeschmack der Rohmilch gekochte Milch zur 


!) Das Angebot des Franzosen Ci am au 1t ist noch verfrüht. 
-) s. 8. 47(>. 


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484 Ostertag 

Ernährung für ungeeignet halten. Wie man sagt, soll dies in Holstein der Fall 
sein. Ferner hat Virchow in der Berliner medicinischen Gesellschaft 1 ) seine Be¬ 
friedigung darüber ausgesprochen, dass seine alte Ansicht, Perlsucht sei keine 
Tuberkulose, durch die Koch’schen Untersuchungen bestätigt worden sei. Auch 
diese Bezugnahme ist verfehlt. Denn Perlsucht ist Tuberkulose, wie die Experimente 
von Koch und Schütz und des bereits genannten Gaiser*) gezeigt haben. 
Gaiser impfte ein Kalb mit Tuberkelbacillen aus Perlknoten und erzeugte hierdurch 
eine typische generalisierte Miliartuberkulose. Im übrigen erhoben sich, soweit 
ich es zu übersehen vermag, alle Stimmen gegen den Rückschluss von 
Koch, dass die Thiertuberkulose auf den Menschen wohl nicht über¬ 
tragbar sei. 

Koch führte zur Begründung seines Schlusses die Seltenheit der Darmtuber¬ 
kulose beim Menschen an, trotzdem in der Milch und Butter grosser Städte sehr 
oft und in nicht unbeträchtlicher Menge die Bacillen der Perlsucht in lebendem 
Zustande enthalten seien. Die meisten Bewohner grosser Städte führten unfreiwillig 
das Experiment aus, welches man absichtlich nicht machen dürfe. Wenn die Bacillen 
der Perlsucht im stände wären, Menschen zu infizieren, so müssten unter den Be¬ 
wohnern grösserer Städte, insbesondere den Kindern, sehr viele Fälle von Tuberkulose 
Vorkommen, welche durch den Genuss von Nahrungsmitteln mit Tuberkelbacillen 
erzeugt wären. Solche Fälle primärer Darmtuberkulose seien aber sehr selten. 
Koch selbst hat unter den vielen Tuberkulosefällen, welche er nach dem Tode 
untersucht hat, nur zwei Fälle piimärer Darmtuberkulose gesehen. Unter dem 
grossen Sektionsmaterial der Berliner Charitö kamen in 5 Jahren 10 Fälle primärer 
Darmtuberkulose vor 8 ). Unter 933 Tuberkulosefällen bei Kindern im Kaiser und 
Kaiserin Friedrich-Hospital fand Baginsky keinen Fall von Darmtuberkulose ohne 
gleichzeitige Erkrankung der Lungen und Bronchialdrüsen *). Unter 3104 Sektionen 
von tuberkulösen Kindern beobachtete Biedert nur 16 Fälle primärer Darmtuber¬ 
kulose. Koch sagte, er könnte noch viele statistische Angaben der gleichen Art 
zitieren, welche alle zweifelsohne zeigten, dass primäre Darmtuberkulose, besonders 
unter Kindern, eine verhältnissmässig seltene Krankheit ist, und von den wenigen 
angeführten Fällen sei es keineswegs ausgemacht, dass sie durch Infektion mit 
thierischer Tuberkulose erzeugt waren. Sie könnten ebenso gut durch die weit ver¬ 
breiteten Bacillen menschlicher Tuberkulose verursacht sein, welche auf dem einen 
oder anderen Weg in den Darm gelangten, so z. B. durch Verschlucken des Mund- 


J) Deutsche Medicinal-Zeitung 1901. No. 61. 

ü) A. a. 0. 

8 ) Nach den Beobachtungen beim Schweine kann auf das Vorkommen der primären Darm- 
tuberkulose nicht das entscheidende Gewicht gelegt werden. Entscheidend dürfte vielmehr das 
Vorkommen primärer Tuberkulose in don Lymphdrüsen des Verdauungsapparates 
(Kehlgangsdrüsen, Halsdrüsen und Gekrösdrüsen) sein. Unter den Tausenden mit Fütterungs¬ 
tuberkulose behafteten Schweinen, welche ich auf dem Berliner Scblachthofe selbst untersucht 
habe, fand ich niemals Tuberkulose der Darmschleimhaut, dagegen Btets Tuberkulose 
der Kehlgangs, Hals- und Gekrösdrüsen. 

*) Bei den Schweinen sind trotz unzweifelhafter Fütterungstuberkulose ge¬ 
wöhnlich neben den Gekrösdrüsen gleichzeitig die Lungen und Bronchialdrüsen 
erkrankt, wie dies auch die Fütterungsversuche von Koch und Schütz gezeigt haben. Hier¬ 
nach würde die Statistik von Baginsky nicht gegen das Vorkommen von Füttcrungstuberkulose 
beweisend sein. 


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Koch’s Mittheilungen Ober die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 485 

Speichels. Koch hat sich zur Aufgabe gesetzt, die Fälle primärer Darmtuberkulose 
darauf zu prüfen, ob sie durch thierische Tuberkulose bedingt seien. Bei der Selten¬ 
heit der fraglichen Krankheit sei aber die Zahl der Fälle, die er untersuchen konnte, 
nur klein gewesen. Das bisherige Ergebniss dieser Untersuchungen spreche aber 
nicht für die Annahme, dass thierische Tuberkulose beim Menschen vorkomme 1 * ). 

Das Ergebniss der zuletzt von Koch genannten Untersuchungen wird für die 
Beurtheilung der ganzen Frage von einer anderen, viel grösseren Bedeutung sein, 
als diejenigen, welche mit Sputum und aus Sputum gezüchteten Tuberkelbacillen 
des Menschen angestellt worden sind. Denn die primäre Lungentuberkulose, die 
gewöhnliche Schwindsucht des Menschen, welche zur Produktion von Sputum führt, 
ist, wenn man die gesammte Litteratur hierauf prüft, nur in einem Falle auf Ueber- 
tragung vom Rinde zurückgeführt worden*). Indessen ist bei der Würdigung der 
Resultate, welche durch Verimpfung von Material aus Fällen von menschlicher 
Fütterungstuberkulose erzielt werden, ein Punkt zu beachten, auf den Bollinger 3 ) 
hingewiesen hat. Bollinger erinnerte an das Beispiel der Menschenblattern, welche 
beim Rinde nur die gutartigen Kuhpocken erzeugen und durch die Passage durch 
das Rind so abgeschwächt werden, dass sie beim Menschen keine Blatternkrankheit, 
sondern nur die harmlosen, immunisierenden Impfpocken hervorrufen. In gleicher 
Weise sei eine Abschwächung der Rindertuberkelbacillen im Menschenkörper und 
umgekehrt denkbar, eine Anschauung, die auch Mac Fadyean auf dem Londoner 
Kongress vertrat und von Baumgarten schon vor Jahren ausgesprochen wurde 1 ). 
Ferner lehren Versuche von Pütz und namentlich solche von Baum garten, dass 
die Vergesellschaftung der Tuberkelbacillen mit anderen, z. B. eitererregenden Bak¬ 
terien einen ganz anderen Effekt haben kann, als die alleinige Einverleibung der 
Tuberkelbacillen. Pütz«) injizierte einem Pferde und einem Schweine subkutan 
Eiter aus tuberkulösen Abscessen und fand bei der Sektion der Versuchsthiere 
unter dem serösen Ueberzug der Lungen und in geringerer Zahl auch 
tiefer im Lungengewebe sowie im Parenchym der Leber miliare Knötchen. 
Baumgarten®) bemerkt in einer Fussnote zu einer Arbeit von Ramond und 
Rav an t >über die Einwirkung verschiedener Bakterien auf die Entwickelung der 
Tuberkelbacillen«, er habe festgestellt, dass die kombinierte Einwirkung der 
Tuberkelbacillen mit pyogenen Kokken die schwersten Grade rasch 
fortschreitender Tuberkulose erzeuge, die man überhaupt zu sehen 
bekomme. 

Was ferner das von Koch angeführte statistische Material über das Vorkommen 
von primärer Darmtuberkulose beim Menschen anbetrifft, so stimmen die an anderen 


i) Kitt giebt an, dass er durch Verimpfung des Saftes einer skrophul&sen Lymph- 
drüse eines Kindes bei einem Kalbe Tuberkulose hervorgerufen habe. 

*) Nocard erwähnt eine Angabe, nach welcher in einem armen Theile Frankreichs (Bauce) 
die Bauern während des Winters in den Kuhställen wohnen und in Folge dessen die Verbreitung 
der Tuberkulose bei den Rindern und den Menschen parallel gehe. 

3 ) Zitiert nach der Wochenschrift für Thierheilkunde und Viehzucht 1901. No. 32. 

*) Nach Galtiers Experimenten (Journ.de möd. vft. 1898. Oktober) scheint die Wirksamkeit 
der tuberkulösen Virus infolge des Durchgangs durch den Organismus des Schafes in gewissem 
Grade verringert zu werden. 

*) Deutsche medicinische Wochenschrift 1882. No. 22. 

«) XV. Jahresbericht. 


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48(5 Ostertag 

Orten gemachten Beobachtungen mit den in Berlin gesammelten nicht überein. Der 
pathologische Anatom Bollinger 1 ) z. B. sagte: 

»Die Tuberkulose der vielfach mit Kuhmilch ernährten Kinder, namentlich in den ärmeren 
Volksklassen, kommt in Wirklichkeit viel häufiger vor, als gewöhnlich angenommen wird, da 
dieselbe sehr häufig in den schwer zugänglichen Lymphdrusen im Brustkorb und in der Bauch¬ 
höhle sich lokalisiert Prof. Heller in Kiel hat festgestellt, dass in fast der Hälfte aller 
Fälle von Tuberkulose der Kinder sich Tuberkulose der Gekrösdrüsen nachweisen 
liess*), also jener Abschnitte des Lymphapparates, die von Keimen, welche vom Darm aus in 
den Körper eindringen, in erster Linie passiert werden müssen, wobei der Darm selbst in der 
Regel nicht erkrankt ist. Prof. Heller schliesst daraus, dass die Milch tuberkulöser 
Kühe bei der Kindertuberkulose die Hauptrolle spiele, ln der pädiatrischen Poliklinik 
zu München (Prof. Seitz) wurde statistisch uachgewiesen, dass bei 68 o / 0 der behandelten 
tuberkulösen Kinder die Eltern frei von Tuberkulose waren und auch in ihrer Jugend¬ 
zeit niemals verdächtige Symptome geboten hatten. Solche Kinder müssen die Tuberkulose 
anderweitig — durch Verkehr mit tuberkulösen Patienten oder durch intestinale In¬ 
fektion (Fütterungstuberkulose) — acquiriert haben.« S. 457. 

Mac Fadvean führte gegenüber der Berliner Statistik die Resultate zweier 
statistischer Arbeiten aus den beiden grössten englischen Kinderspitälern an: 

Dr. Still vermochte an dem Sektionsmaterial eines Londoner Kinderhospitals 29,1 °,o der 
Fälle von Kindertuberkulose auf primäre Darmtuberkulose zurückzuführen, Dr. She- 
nann in Edinburgh 28,1 °/ 0 . Die beiden Statistiken umfassen 547 Fälle, die Diagnosen sind sicher 
gestellt. Nach diesen Zahlen ist primäre Darmtuberkulose bei Kindern nicht nur nicht 
selten, sondern geradezu häufig. 

Mac Fadyean machte auch, wie ich meine, mit Recht darauf aufmerksam, 
dass durch die von Koch und Schütz bei Schweinen angestellten 
Versuche die Uebertragungsmöglichkeit der menschlichen Tuber¬ 
kulose auf das Schwein dargethan sei. Denn bei den mit Sputum tuber¬ 
kulöser Menschen gefütterten Schweinen entwickelten sich »vereinzelte kleine 
Knötchen in den Lymphdrüsen des Halses« und in einem Falle »etliche graue 
Knötchen« in den Lungen. Mithin würde für die Tuberkulose des Schweines 
schon nach den von Koch und Schütz angestellten Uebertragungsversuchen das 
Verhältniss heute noch ebenso liegen, wie es Koch in seiner grundlegenden Arbeit 
präzisiert hat, wenn er sagte: 

Mag nun die Gefahr, welche aus dem Genuss von pcrlsüchtigem Fleisch und MUch resultiert, 
noch so gross oder noch so klein sein, vorhanden ist sie und muss deswegen vermieden werden. 

Mac Fadyean wies ferner daraufhin, es sei schon vom rein bakteriologischen 
Standpunkt aus höchst unwahrscheinlich, dass die Rindertuberkulosebacillen 
für den Menschen nicht infektiös seien, da sie im Gegensatz zu den Tuberkelbacillen 
des Menschen eine universelle Virulenz für Schweine, Schafe, Ziegen, 
Pferde, Hunde, Kaninchen und Meerschweinchen besitzen. Die Erfahrung 
lehrte, dass ein Bacillus, welcher nicht nur für eine Thierspezies, sondern für eine 
ganze Reihe von Thierarten infektiös sei, auch beim Menschen die betreffende Krank¬ 
heit hervorrufe. 

Nach der Gesammtlage der Sache ist anzunehmen, dass die weiteren Versuche 
über das Verhältniss der Menschentuberkulose zur Hausthiertuberkulose ein ähnliches 
Resultat ergeben werden, wie es nunmehr für die Beziehungen zwischen Geflügel- 


i) A. a. 0. 

-) Dies würde mit der Angabe auf S. 48:’. gut fibereinstiuimen. 


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Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 487 

und Säugethiertuberkulose feststeht 1 ). Für diesen Ausgang der Versuche, den auch 
Al brecht 2 ) und Johne 3 ) als wahrscheinlich bezeichnen, sprechen: 

1. Die positiven Uebertragungsversuche, welche Bollinger, 
Kitt, Frotingham und nach Johne auch Chaveau und Crookshank mit 
menschlichem Tuberkulosenmaterial bei Kälbern angestellt haben. 

2. Die Angabe Baumgartens 4 ), er habe festgestellt dass skrophulöse 
Drüsen vom Menschen in gewissen Fällen beim Kaninchen eine töd¬ 
liche Tuberkulose erzeugen können, sich also ebenso verhalten wie 
tuberkulöses Material vom Rinde. 

Die Uebertragbarkeit der Hausthiertuberkulose auf den 
Menschen, die nach den Argumenten von Bollinger und Mac Fadyean mit der 
Frage der Uebertragung der Menschentuberkulose, namentlich der Lungentuberkulose 
des Menschen auf die Hausthiere nur einen bedingten Zusammenhang zu haben 
braucht, halte ich für erwiesen. 

1. durch den Fall des Thierarztes Moses, welcher nach einer Gelenkver¬ 
letzung, die er sich bei der Sektion einer tuberkulösen Kuh zuzog, an 
Tuberkulose tödlich erkrankte, 

2. durch den von Priester aus der Kieler chirurgischen Klinik mitgetheilten 
Fall, in welchem ein Mann tätowierte Hautstellen zur Beseitigung der 
Tätowierungen stichelte und in die gestichelten Hautstellen Milch einrieb. 
Der Mann acquirierte nach den Angaben Priester’s Hauttuberkulose im 
Bereiche der mit Milch behandelten Stellen, 

3. durch die von Ravenei mitgetheilten Fälle von Hauttuberkulose bei drei 
Thierärzten 5 ). 

Bei der Wichtigkeit dieser Fälle, deren Zusammenhang mit der Infektionsquelle 
in ganz anderer Weise verfolgt werden kann als bei den spät sich manifestirenden 
Fällen von Fütterungsinfektion, wäre eine genaue Prüfung durch eine staatliche 
Kommission dringend erwünscht. Koch wendet gegen die Beweiskraft des Falles 
Moses ein, dass Moses schon vor der Obduktion des fraglichen Rindes tuberkulös 
gewesen sein könne oder gewesen sei. Hierüber würden wohl durch amtliche Nach- 

*) Die Frage der Beziehungen der Gcflügeltubcrkulosc zur Säugethiertuberku- 
losc hat entwicklungsgeschichtlich drei Phasen durchgemacht: 

I. Phase: Annahme der Identität. 

II. Phase: Absolute Leugnung der Identität auf Grund wenig zahlreicher 
V ersuche. 

UI. Phase: Vermittelnder Standpunkt auf Grund zahlreicher Versuche, dahin gehend, 
dass die Geflügeltubcrkulose in einem Thcil derFälle auf Säugethiere übertragbar 
ist (Cadiot, Gilbert und Roger, Palamidessi u.a.). Nocard (Annalcs de l’Institut Pasteur 
1898. S. 561) fand sogar im Sputum eines schwindsüchtigen Menschen Bacillen der Ge¬ 
flügeltuberkulose. Dies Sputum erwies sich bei Meerschweinchen als nur wenig infektiös, 
in sehr hohem Grade virulent dagegen für Kaninchen. Reinkulturen aus den Kaninchen verhielten 
sich wie Kulturen der Geflügeltubcrkulose und erzeugten bei Hühnern prompt Organtuberkulose. 

*) Wochenschrift für Thierheilkunde und Viehzucht 1901. No. 32. 

3 ) Rundschau auf dem Gebiete der Fleischbeschau, des Schlacht- und Viehhofwesens 2. Jahr¬ 
gang. No. 16. 

4 ) XV. Jahresbericht. S. 459. 

•"’) Vet Journal 1900. No. 10. Ref. in der Zcitschr. f. Fleisch- u.Milchhygieno 11. Jahrg. Heft 7. Die 
Fälle von Hauttuberknlose sind um so wichtiger, als Ilauttuberkulose nur sehr schwer künstlich er¬ 
zeugt werden kann; Chaveau ist es nicht gelungen, Kälber durch oberflächliche Scarifikation und 
nachfolgendes Einrciben von tuberkulösem Material zu infizieren. Desgleichen hatte Bollinger bei 
der kutanen Infektion von Meerschweinchen nur negative Ergebnisse. 


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488 Osti*rtag 

forschungen genaue Anhaltspunkte zu erlangen sein. Der Beschreiber des Falles, 
Pfeiffer-Weimar, hebt hervor, dass bei Moses erst Jahre nach der Verletzung 
des Daumens, und zwar im Anschluss an einen akuten Katarrh Lungenerscheinungen 
hervorgetreten seien, und dass Moses aus einer gesunden Familie stammte. Gegen 
die Fälle von Ravenei kann eingewendet werden, dass es sich hierbei um ganz 
milde Infektionen gehandelt habe. Die Veränderungen waren aber in den von 
Ravenel beschriebenen Fällen die gleichen, wie sie bei den pathologischen Anatomen 
infolge des Umgangs mit tuberkulösem Material vom Menschen auftreten. Ausserdem 
sollen Schlachthofthierärzte und andere Schlachthofbedienstete auch an schweren 
Formen kutaner Tuberkulose erkrankt sein 1 ). Die richtige Stelle zur Prüfung 
solcher Fälle ist die Kommission, welche von Seiten des Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amtes zur weiteren Prüfung der Beziehungen zwischen Hausthier- und Menschen¬ 
tuberkulose eingesetzt worden ist. 

Aus den Kreisen der praktischen Thierärzte ist die Befürchtung laut geworden, 
die Fleischbeschau und die praktische Milchhygiene würden in ihren Grundlagen 
erschüttert werden, wenn es sich einwandfrei ergeben würde, dass die Hausthier¬ 
tuberkulose auf den Menschen nicht übertragbar sei. Derartige Befürchtungen 
zeugen von einer Verkennung der thatsächlichen Verhältnisse. In der Fleischbeschau 
hat die Tuberkulosefrage schon längst aufgehört, die wichtigste Frage zu sein, seit¬ 
dem auf Grund der verdienstlichen Feststellungen von Bollinger, Nocard, Bang, 
Galtier, Perroncito u. a. ein rationelles, schonendes Verfahren mit dem Fleische 
tuberkulöser Thiere möglich geworden ist. Das Fleisch tuberkulöser Thiere, welches 
nach den jetzt im Königreich Preussen geltenden Bestimmungen (Posener Deklaration 
zu dem Ministerialerlass vom 26. März 1892) beanstandet wird, würde auch zu 
beanstanden sein, wenn erwiesen würde, dass die Hausthiertuberkulose auf den 
Menschen nicht übertragbar ist. Oder glaubt Jemand im Ernste, dass man je die 
tuberkulösen. Eingeweide und die mit Tuberkulose der Knochen, Gelenke und der 
Muskulatur behafteten P’leischtheile in den Verkehr geben dürfe? Mit nichten! 
Hiergegen würde § 10 des Nahrungsmittelgesetzes sorgen. An dem heutigen Ver- 

■) Nach Ravenel ist auch ein Fall von Uebertragung der Rindertuberkulose auf den Menschen 
von Tscherning in Kopenhagen beschrieben worden. 

Ferner leidet privaten Mittheilungen zu Folge ein Schlachthofsinspcktor in der Rhein¬ 
provinz seit Jahren an einer schweren Form der Hauttuberkulose. 

Des Weiteren soll ein Bediensteter des Berliner Schlachthofes, welcher früher 
das Wegschaffen der wegen Tuberkulose beanstandeten Thiere zu besorgen hatte, 
seit acht Jahren an Hauttuberkulose leiden. 

Auch Johne (a. a. 0.) ist von einem derartigen Fall Mittheilung gemacht worden. Ein 
Thierarzt hatte sich mit Rinderttuberkulosc in den Finger geimpft, worauf sich 
eine Tuberkulose der Achseldr&sen entwickelte. Durch operative Entfernung der 
letzteren wurde eine Woiterverbreitung der Tuberkulose verhütet. 

Des Weiteren geht durch die Tageszeitungen eine Angabe von Kleba, wonach einer 
seiner Diener an akuter Miliartuberkulose zu Grunde gegangen sei, nachdem der¬ 
selbe Milch von einer hochgradig tuberkulösen, zu Versuchszwecken gekauften 
Kuh getrunken hatte. Ferner sei Klebs ein Sohn, der einzige, der mit Kuhmilch er¬ 
nährt wurde, tuberkulös geworden und im zweiten Lebensjahre an Gehirn tuberku¬ 
löse gestorben. 

Postolk a macht mit Bezug auf solche Vorkommnisse in dem »Oesterreich, thicräntl- 
Zentralblatt« (1901. No. 22) den beachtenswerthen Vorschlag, es sollen alle Fälle von augen¬ 
scheinlicher oder vermutheter Tuberkuloseübertragung von Thiercn auf den 
Menschen genau verzeichnet werden. 


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Koch’s Mittheilungen über die Beziehungen der Menschen- zur Hausthiertuberkulose. 4SI) 

fahren kann nm so weniger etwas geändert werden, als bereits der angeführte 
Ministerialerlass, betr. das Verfahren mit dem Fleische tuberkulöser Thiere, davon 
ausgeht, dass die Uebertragung der Tuberkulose auf den Menschen nicht erwiesen 
sei. Der Erlass besagt: 

Da nun in Wirklichkeit eine pcrlsüchtige Erkrankung der Muskeln äusserst selten vorkommt, 
da ferner an der Berliner thierärztlichen Hochschule und an mehreren preussischen Universitäten 
in grossem Maassstabe fortgesetzte Versuche, durch Fütterung von Muskclfleisch von pcrlsüchtigen 
Thieren Tuberkulose bei anderen Thieren zu erzeugen, im wesentlichen ein negatives Ergebniss 
gehabt haben (Gutachten der wissenschaftlichen Deputation für das Medicinalwescn vom 1. Dezem¬ 
ber 1886, Eulcnberg’s Viortcljahrcsschrift für gerichtliche Medicin und öffentliches Sanitätswosen 
Bd. 47. S. 307 ff.), somit eine Uebertragbarkeit der Tuberkulose durch den Genuss 
selbst mit Perlknoten behafteten Fleisches nicht erwiesen ist, so kann das Fleisch von 
gut genährten Thieren, auch wenn eine der unter Ziffer 1 und 2 bezcichneten Erkrankungen vor¬ 
liegt, in der Regel nicht als minderwerthig erachtet werden u. s. w. 

Ferner wird ganz vergessen, dass die Fleischbeschau nicht der Tuberkulose 
wegen eingerichtet ist, sondern in erster Linie zur Verhütung der Fleisch- und 
Wurstvergiftungen, der Uebertragung des Rot?es, Milzbrandes, der Tollwuth, der 
Trichinen, der Finnen, der Echinokokken u. s. w. Was die Milchhygiene angeht, so 
würde die Milch einer eutertuberkulösen Kuh nicht in den Verkehr gegeben werden 
dürfen, auch wenn die Tuberkelbacillen des Rindes für den Menschen völlig unschäd¬ 
lich wären; denn derartige Milch wäre, wenn nicht ein gesundheitsschädliches, so 
jedenfalls ein >verdorbenes« Nahrungsmittel im Sinne des § 10 des Nahrungsmittel¬ 
gesetzes. Die Milchhygiene befasst sich aber nicht nur mit der Prophylaxe der 
Tuberkulose, sondern ausserdem noch wesentlich mit der Prophylaxe der Aphthen¬ 
seuche, der sog. Milchepidemieen, der nach Genuss der Milch mastitis- und allgemein¬ 
kranker, ferner irrationell gefütterter Kühe auftretenden Erkrankungen, sowie der 
durch unsaubere Viehhaltung und Milchgewinnung bedingten Schädlichkeiten der 
Milch für Kinder. Wenn die Nichtübertragbarkeit der Hausthiertuberkulose auf den 
Menschen erwiesen wäre, würde dies die einzige Folge haben, dass die Thätigkeit 
der Fleischbeschau bei der Behandlung des Fleisches tuberkulöser Thiere und die 
Aufgaben der Veterinärpolizei bei der Bekämpfung der Hausthiertuberkulose in der 
bereits angegebenen Richtung erleichtert würden. 

Vorläufig sind Erwägungen dieser Art aber mindestens noch sehr verfrüht, 
wenn sie je überhaupt, woran ich aus den angeführten Gründen zweifeln zu müssen 
glaube, praktische Bedeutung erlangen. Die endgültige Entscheidung werden die 
Untersuchungen bringen, welche im Inland und Ausland über die Beziehungen 
zwischen der Hausthier- und Menschentuberkulose in grossem Maassstabe angestellt 
werden. Diese Untersuchungen veranlasst zu haben, muss als das Verdienst von 
Robert Koch anerkannt werden. Hoffentlich bringen die Untersuchungen eine 
endgültige Entscheidung über die so wichtige Frage. 


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400 


Rudolf Nochte 


♦ 


Kritische Umschau. 


i. 

Die neuesten Resultate der Sehnentransplantationen bei 
peripherischen Lähmungen. 

Von 

Rudolf Noehte, Unterarzt. 

Auf Veranlassung von Herrn Prof. Dr. Goldscheider stelle ich in folgendem 
die Ergebnisse der Sehnenüberpflanzung, dieser so aussichtsvollen, aber wie es scheint 
immer noch nicht genügend in die Praxis eingedrungenen Operation zusammen. 

Nicoladoni machte im Jahre 1881 den ersten Versuch, einen pes calcaneus 
paralyticus durch Sehnenüberpflanzung zu heilen. Nach seinem Vorbilde operierte 
v. Hacker 1881 einen ähnlichen Fall. 1892 transplantierte Parrish, 1894 Ghillini 
in Fällen von pes valgus paralyticus mit gutem Erfolg. 

Weitere Verbreitung fand das Verfahren der Sehnentransplantation aber erst, 
nachdem Drobnik, unabhängig von seinen Vorgängern, im Jahre 1896 eine grössere 
Anzahl von glücklich operierten Lähmungen veröffentlicht hatte. Ferner waren es 
F. Francke, Winkelmann, Vulpius, die warm für das neue Verfahren eintraten 
und seiner Anwendung weitere Kreise erschlossen. 

Die Sehnenüberpflanzung verfolgt den Zweck, die ausgefallene Funktion eines 
Muskels dadurch zu ersetzen, dass die Kraft eines gesunden Muskels auf den ge¬ 
lähmten übertragen wird. Es sind verschiedene Methoden, die zum Ziele führen. 
Einmal kann der gesunde Muskel ganz oder zum Theil auf die gelähmte Sehne ge¬ 
näht werden. Dies Verfahren nennt Vulpius die »absteigende« Ueberpflanzung 
und zieht sie der folgenden Methode vor, weil dabei die Verwachsung leichter erfolge. 
»Aufsteigendes« Verfahren heisst Vulpius das, bei dem die gelähmte Sehne ganz 
oder zum Theil aufgenäht wird auf eine gesunde Nachbarsehne. Eine Kombination 
der beiden genannten Methoden wird vom gleichen Autor als »beiderseitige« Ueber¬ 
pflanzung bezeichnet; von andern sind vielfach andere Namen vorgeschlagen worden. 

Was den Werth der einzelnen Verfahren angeht, so lehren die Erfolge, die sich 
im allgemeinen nicht von einander unterscheiden, dass je nach Lage der Dinge, bald 
die eine, bald die andere angewendet zu werden verdient. 

Nicht empfehlenswerth ist es aber, einen ganzen Muskel zu überpflanzen, denn 
selbst bei ganz geringwerthiger Arbeitsleistung kann der vollkommene Funktions¬ 
ausfall recht unangenehm schädigen, wie das z. B. beim Extens. haluc. long. zutrifft, 
bei dessen Fehlen die Zehe gebeugt ist und beim Anziehen von Strumpf und Stiefel 
sehr lästige Beschwerden verursacht. 

Röchet erreichte die Kraftübertragung durch einfache Fixation der gelähmten 
an eine gesunde Nachbarsehne. 

Lange führte in jüngster Zeit die periostale Sehnenüberpflanzung ein; es wird 
ein gesunder Muskel ganz oder zum Theil von seinem Ansatz losgelöst und an 
andrer Stelle am Periost angenäht. Der neue Ansatzpunkt muss natürlich je nach 
der Aufgabe, die der Kraftspender leisten soll, in jedem Fall individuell gewählt 
werden. Veranlassung zu dieser Neuerung hatten verschiedene Fälle gegeben, in 
denen das zunächst günstige Resultat sich nach und nach verschlechterte durch 


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Die neuesten Resultate der Sehnentransplantationen bei peripherischen Lähmungen. 491 


Dehnung der atrophischen Sehne infolge der Spannung, der sie ausgesetzt war. Ein 
solches Vorkommniss wird natürlich durch periostale Ueberpflanzung ausgeschlossen; 
zugleich bietet die Methode aber noch andere Vortheile. Zunächst wird bei Funk¬ 
tionsausfall einer Muskelgruppe ein Muskel zum Ersatz genügen, und es wird nur 
von den Dispositionen des Operateurs abhängen, dass der Ersatz ein vollkommener 
werde; während sonst vielfache Ueberpflanzungen nothwendig sind, für die oftmals 
die nöthige Kraft nicht verfügbar ist, und bei denen zuweilen die erzielten Bewe¬ 
gungen fehlerhaft sind, weil die Zugrichtung der neuen Sehne in einem falschen 
Sinne wirkt, ein Ereigniss, das durch richtige Berechnung bei der periostalen Ueber¬ 
pflanzung auszuschliessen ist. 

Die Indikation zur Operation ist mit der Zeit sehr erweitert worden. Den 
grössten Raum nehmen Lähmungen ein, die sich an Poliomyelitis anterior anschliessen, 
ferner sind es schlaffe Lähmungen andrer Ursachen, wie z. B. Bleilähmung, Lähmung 
infolge von Neuritis, Diphtherie, Nervenverletzungen. 

In diesen Fällen aber ist eine Operation erst dann zu rathen, wenn durch die 
bekannten Mittel eine Besserung nicht zu erreichen ist, wenn die Zeit verstrichen 
ist, in der sonst ein spontaner Rückgang erwartet werden kann, oder wenn sich eine 
stetig zunehmende Verschlimmerung bemerkbar macht. 

Auch bei Lähmungen aller den Fuss bewegenden Muskeln kann die Ueber¬ 
pflanzung mit gutem Erfolg angewendet werden, da durch sie der Fuss in richtiger 
Stellung fixiert wird mit dem grossen Vorzug vor der Arthrodese, dass die federnden 
Sehnen eine gewisse Elastizität des Ganges wahren. 

Ferner wurde die Operation bei den verschiedenen Formen der spastischen 
Lähmungen erfolgreich angewendet, wie z. B. bei angeborener Starre oder bei Läh¬ 
mungen infolge von Encephalitis oder von einer apoplektischen Hemiplegie. 

Angeborene Fussdeformitäten, traumatische oder aus andern Gründen entstan¬ 
dene Sehnendefekte, sowie Dystrophia muscularis waren in anderen Fällen Ver¬ 
anlassung zur Sehnenüberpflanzung. 

Bevor nun zur Operation geschritten wird, muss nach dem Muskelbefund ein 
genauer Operationsplan aufgestellt werden. Es kommt genau darauf an die Muskel¬ 
erregbarkeit festzustellen, sowohl durch objektive Beobachtung als durch Prüfung 
mit dem elektrischen Strom. Die Erfahrung hat nämlich gelehrt, dass nur die 
Arbeitsleistung der wirklich vollkommen gelähmten Muskeln ersetzt werden muss, 
dass sich aber die infolge von Unthätigkeit schwachen in kurzer Zeit wieder erholen, 
wenn ihnen ein Arbeitsfeld zugewiesen ist. 

Bei der Operation selbst kann dann noch eine Revision des Befundes vor¬ 
genommen werden, da ein rothes Aussehen des Muskelfleisches das Zeichen ist für 
einen gesunden, rosa Farbe für einen geschwächten, gelb für einen gelähmten Muskel. 
Die meisten Autoren rathen daher zu möglichst langen, nicht nur die Sehnen, sondern 
auch das Muskelfleisch freilegenden Schnitten. Gocht aber meint, die Voruntersuchung 
hätte ihn noch nie getäuscht und begnügt sich mit kleinen Schnitten. 

Zur Technik sei dann noch weiter bemerkt, dass zunächst die Deformität besei¬ 
tigt werden muss, was meist mit der Ueberpflanzung in einer Sitzung geschehen kann. 

Bei der Abspaltung eines Muskeltheiles ist sein Fleisch stumpf zu trennen und 
darauf zu achten, dass der zugehörige Nerv nicht verletzt wird. 

Die Sehnen sind, wenn irgend möglich, geradlinig zu ihrem neuen Ansatzpunkt 
zu führen, weil sich sonst mit der Aktion der Bogen abflacht und der Erfolg ver- 
schlechert wird. Die Sehnen sollen ferner gespannt sein, da ein gespannter Muskel 
grössere Arbeit zu verrichten vermag als ein schlaffer. Oftmals sind Sehnenverlän¬ 
gerungen oder -Verkürzungen vorzunehmen, die erheblich zur Erreichung eines guten 
Resultates beitragen können. Es muss z. B. die Sehne, die über die Konvexität 
einer Deformität lief, verkürzt werden, da sie nach Beseitigung der falschen Stellung 
zu lang ist um ihre Funktion genügend auszuüben. Verkürzung kann auch zur 
Stellungsverbesserung vorgenommen werden, so z. B. bei der Radialislähmung die 
Verkürzung des Extens. carp. radial. An den kontrahierten Muskeln sind Verlänge¬ 
rungen oft erforderlich. 


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492 


Rudolf Noehte 


Die vereinigenden Sehnennähte sollen fest sein, da sie einen grossen Zug aus¬ 
zuhalten haben; sie müssen von Fascie und Haut bedeckt sein, da sonst ihre Ver¬ 
wachsung und die Bildung von Sehnenscheiden schwer eintritt. 

Nach der Operation soll das Gelenk 4 —6 Wochen ruhig stehen; dann wird 
vorsichtig mit Massage, Bädern, Elektrisieren, aktiven Bewegungen begonnen und die 
Kur solange fortgesetzt, bis das Resultat ein gutes geworden ist. Oft ist der Erfolg 
auch gleich nach der Verbandsabnahme vorzüglich, in anderen Fällen müssen in der 
ersten Zeit noch zum Gehen Apparate gebraucht werden, bis die Besserung soweit 
fortgeschritten, dass keine Stütze mehr nothwendig ist. 

Eine richtige und ausdauernde Nachbehandlung ist aber meist erforderlich, da¬ 
mit der Enderfolg ein günstiger werde. 

Da ich mir eine ausführliche Darstellung der Erfolge im einzelnen Falle für 
eine spätere Inaugural-Dissertation Vorbehalten möchte, werde ich mich jetzt auf 
eine gedrängte Uebersicht über die mir in der Litteratur bekannt ge¬ 
wordenen Fälle beschränken. 77 Operationen wurden vorgenommen wegen pes 
equinus und pes equino-varus, nur einmal war ohne Erfolg operiert worden (der 
Fall wurde von Ludwig in seiner Inaugural-Dissertation zu Breslau 1898 ver¬ 
öffentlicht). Sonst war das Resultat in der Regel so, dass der Fuss die richtige 
Stellung zeigte, gut abgewickelt, extendiert und flektiert werden konnte. 

Berichtet sind die Fälle von: 


Gocht, Zeitschr. f. orthopäd. Chirurgie 

Band 7.11 Fälle 

Gibney, Ref. Berliner klin. Wochen¬ 
schrift 1899 . 1 n 

Lange, Münch, med. Wochenschr. 1900 4 » 

Ludwig, Inaug.-Dissertation. Breslau 

1898 4 » 

Vegas und Aguilas, Ref. Centralbl. 

für Chirurgie 1901.3 » 

Drobnik, Deutsche Zeitschr. für Chi¬ 
rurgie 1896 . 12 » 

Franke, Mittheil, aus d. Grenzgebieten 1 n 

do. Archiv für klin. Chirurgie . 1 » 

Brunner u. Schulthcss, Corresp. f. 

Schweizer Aerzte 1898 .... ln 


Tschudi, Corresp. f. Schweiz. Aerzte 


1898 1 lalle 

Winkler, Inaugural-Dissertation . . 1 * 

Winkel mann, Deutsche Zeitschrift f. 

Chirurgie 1894 1 » 


Röchet, Ref. Jahresber. f. Chir. 1897 1 » 

Eve, Ref. Jahresber. f. Chirurgie 1897 3 * 

Milliken, Medical Record. New-York 

1896 5 » 

Lipburger, Centralbl.f.Chirurgie 1896 I >• 
Winkler, Zeitschr. für prakt Aerzte 1 * 
Vulpius, v. Volkmannsche Vorträge, 

No. 197.iS » 

Vulpius,Münch.med.Wochenschr. 1897 3 * 

Kunik, Münch, med. Wochenschr. 1901 7 » 


Wegen kongenitaler Fussdeformitäten, bei denen die Muskeln ein ganz ähn¬ 
liches Verhalten darboten, wie bei Lähmung infolge von Poliomyelitis anterior wurde 
in 6 Fällen mit Erfolg operiert. 

Vulpius, Münchner medinisehe Wochenschrift 1899 5 Fälle 
Kunik, do. do. do. 1901 1 n 

Ein Fall von Dystrophia muscularis mit folgendem pes equino-varus paralyticus 
wurde von Vulpius mit gutem Erfolg operiert. 

Wegen spastischer Zustände mit folgendem pes equinus wurde in 15 Fällen 
mit gutem Erfolg operiert. Dadurch dass von dem zu sehr innervierten Muskel ein 
Theil abgespalten und auf einen andern zu wenig innervierten Nachbar überpflanzt 
wird, kommt ein richtiger Ausgleich zu stände, so dass die Spasmen schwinden und 
die Bewegungen frei werden. 


Eulenburg, Deutsche medicinische 

Wochenschrift 1899 . 1 Fälle 

Franke, Mittheilungen a. d. Grenzgeb. 1 » 

Wallerstein, Münch, med. Wochen¬ 
schrift 1899 . 1 » 


| Kunik, Münch, med. Wochenschr. 1901 2 Fälle 
Vegas u. Aguilas, Ref. Centralbl. für 

Chirurgie 1901.1 » 

Vulpius, Münch, med. Wochenschr. 1899 2 * 
Gocht, Zeitschr. f. orthop. Chir. Bd. 7 1 » 


26 Fälle von pes valgus paralyticus wurden mit befriedigendem oder gutem 
Erfolg operiert. Der Fuss steht im Durchschnitt richtig, wird gut aufgesetzt und 
abgewickelt 


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Die neuesten Resultate der Sehnentransplantationen bei peripherischen Lähmungen. 493 


Drobnik, Zeitschr. f. klin. Chir. 1896 2 Fälle 
Gocht, Zeitschr. f. orthop. Chir. Bd. 7 2» 
Ludwig, Inaugural-Dissertation . . . 2 » 

Hoffa, Berlin, med. Wochenschr. 1899 1 » 

Dörf fl er, Münch. med.Wochenschr. 1900 1 » 

Goldwaith, Boston, med. Journal 1896 1 » 

Millik en, Record medical. New-York 

1896 . 7 » 


Ghillini, Ref. Centralbl f. Chirurg. 1895 1 Fälle 
Phocas, do. do. ao. 1 *> 

Parrish, dd. do. do. 1 » 

Eve, Ref. Jahresber. für Chirurgie 1897 1 » 

Bardenheuer, Naturforscher-u. Aerzte- 

versammlung 1900 . 1 » 

Vulpius, v. Volkmannsche Vorträge, 

No. 197.5 » 


15 Sehnenüberpflanzungen wegen pes calcaneus paralyticus waren mit Ausnahme 
des von Nicoladoni operierten Falles, bei dem sich infolge von Nahtlösung der 
alte Zustand wiederherstellte, von befriedigendem Resultat. Einmal war eine Nach¬ 
operation erforderlich. Der Fuss steht in der Regel richtig, wird mit der Sohle 
aufgesetzt, gut flektiert. 


Nicoladoni, Archiv für klinische Mc- 

dicin 1882 . 1 Fälle 

v. Hacker, Wiener med. Presse 1886 1 » 

Mai dl, do. do. do. 3 » 

Drobnik, Deatsche Zeitschrift für Chi¬ 
rurgie 1896 . 1 » 

Lange, Münch. med.Wochenschr. 1900 1 » 


Ludwig, Inaugural-Dissertation ... 3 Fälle 
Winkler, do. do. . . . 2 » 

Joachimsthal, Ref. Centralblatt für 

Chirurgie 1899 . 2 » 

Goldwaitn, Boston, med. Journal 1896 3 » 

Tubby, Ref. Fortschr. der Medicin 1900 1 » 

Kunik, Münch, med. Wochenschr. 1901 1 » 


Vulpius bespricht in der Münch, med. Wochenschrift von 1899 kurz 35 Fälle 
von Fussdeformitäten, die von ihm mit Sehnenüberpflanzung behandelt wurden. Der 
Erfolg ist nie ausgeblieben, wenn er auch oftmals erst allmählich eintrat. Im all¬ 
gemeinen war das Sprunggelenk in Mittelstellung beweglich, der Gang zeigte ge¬ 
nügende Sehnenabwicklung und war einigermassen elastisch, das Umkippen ist ver¬ 
schwunden. 

Wegen Quadricepslähmung wurden 11 Fälle behandelt. In 6 Fällen wurde der 
Sartorius auf den Quadriceps gepflanzt, in 4 Fällen wurde dadurch Besserung erreicht, 
in 2 Fällen blieb der Erfolg aus. Lange versuchte zweimal den Semitendinosus und 
Biceps um den Oberschenkel herumzuführen und an der Quadricepssehne anzunähen, 
doch blieb der Erfolg beidemale aus, weil die Quadricepssehne zu atrophisch war. 
In 3 Fällen hatte er glänzende Erfolge dadurch, dass er die beiden genannten Muskeln 
nach vorn führte und durch eine künstliche aus dicken verschlungenen Seidenfäden 
gebildete Sehne an der Tuberosit. Tibiae annähte. Das Bein kann gestreckt erhalten 
und gehoben werden, der Gang ist gut. 


Millik en, Medical Record. New-York | Lange, Münch. med.Wochenschr. 1900 5 Fälle 

1896 . 2 Fälle Vulpius, do. do. 1899 2 » 

Gocht, Zeitschr. f. orthop. Chir. Bd. 7 1 » | Kunik, do. do. 1901 1 » 


Von 21 Radialislähmungen, die zur Operation kamen, hatte nur eine einen Miss¬ 
erfolg, der bedingt war durch die Ungeduld des Patienten selbst; durch Nahtlösung 
tritt der alte Zustand wieder ein. Sonst waren die Erfolge die denkbar günstigsten. 
Die vorher arbeitsunfähige Hand ist wieder erwerbsfähig. Franke beschäftigte sich 
zuerst eingehend mit dieser Sehnenüberpflanzung und hat eine typische Operation 
dafür angegeben. Da bei der Lähmung der Strecker nach alter Erfahrung auch die 
Beuger von Hand und Fingern ihre Arbeit nicht leisten können, bei mechanischer 
Extension aber wohl dazu geeignet sind, so soll eine mechanische Fixation in Streck¬ 
steilung durch Verkürzung eines der Extensoren carpi die Hauptaufgabe sein, ferner 
kann die Kraft der Handbeuger, die doch nicht mehr gebraucht werden kann, auf 
die Extensoren der Finger übertragen werden. 


Franke, Mittheil, aus den Grenzgebieten 

Band 3.2 Fälle 

Drobnik, Deutsche Zeitschrift für Chi¬ 
rurgie 1896 1 » 

Gocht, Zeitschr. für orthop. Chir. Bd. 74 p 
L udwig, Inaugural-Dissertation ... 1 » 

Müller, Centralbl. für Chirurgie 1900 . 1 » 

Keiler, do. do. 1899 . 1 » 


Röchet, Ref. Schmidt. Jahrb. No. 25 . 4 Fälle 
Brunner, Corresp. f. Schweizer Aerzte 

1898 . 1 » 

eien, Zeitschr. für orthopäd. Chir. 

and 7.1 » 

v. Biste, Centralbl. für Chirurgie 1901 1 » 

Kunik, Münch, med. Wochenschr. 1901 1 » 

Vulpius, do. do. 1899 3 » 



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Original ffom 

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494 Rudolf Noehte, Die neuesten Resultate der Sehnentransplantadonen. 


In 8 Fällen gaben Sehnendefekte Anlass zur Sehnenüberpflanzung. Es handelt 
sich in der Regel nur darum, dass der periphere Stumpf an einen gesunden Nachbar 


befestigt wird. Erfolg stets gut. 

Winkler, Zeitschr. für praktische Aerzte 

1897 . 1 Fall 

Franke, Mitthcil. aus den Grenzgebieten 

Band 3.1» 

Bernhardt, Corresp. f. Schweizer Aerzte 

1899 . 1 » 


Cahon, Deutsche medicinischc Wochen¬ 
schrift 1899 .1 Fall 

Krynski, Centralbl. für Chirurgie 1895 1 > 

Kirsch, Monatschr. für Unfalls. 1897 1 > 

Duplay, Ref. do. do. do. . 1 » 

Maillefert, do. do. do. . 1 > 


2 Tricepslähmungen wurden so behandelt, dass in einem Falle der Triceps 
aufsteigend an den Deltoideus genäht wurde, im andern Falle wurde der Deltoid 
absteigend auf den Triceps genäht. Beide mit gutem Erfolg, der Vorderarm kann 
gestreckt werden. 

Milliken, Medical Record. New-York 1896 .... 1 Fall 
Gocht, Zeitschrift für orthopädische Chirurgie, Band 7 1 » 

Im Jahresbericht für Chirurgie 1888 wird kurz berichtet über 27 von Bradford 
mit Sehnenüberpflanzung behandelte Fälle, 25 mal war der Erfolg günstig. Tilanus 
führte 7 mal die Sehnenüberpflanzung aus, 4 mal mit sehr gutem, 2 mal mit geringem, 
lmal ohne Erfolg. 

Ferner berichtet Vulpius in der Münchner medicinischen Wochenschrift 1899 
kurz über 80 Transplantationen. Nur einmal war der Erfolg ungenügend, bei der 
schon erwähnten Radialislähmung. 4 mal waren zur Verbesserung der Resultate 
Nachoperationen erforderlich. Besserung wurde fast ausnahmslos, Gutes und Ge¬ 
nügendes in den meisten Fällen, das denkbar Mögliche in vielen Fällen erreicht. 

Betrachten wir nun noch einmal die Resultate im allgemeinen, so schwindet 
durch die Operation die Kühle und bläuliche Verfärbung der gelähmt gewesenen 
Extremität. Die Patienten geben meist an, dass neues Leben in das tote Glied 
gekommen sei und sind sehr zufrieden. Die Stellung ist korrigiert, die Funktion 
stellt sich wieder ein. Von den etwa 300 in der Litteratur berichteten Fällen sind 
nur 10 ohne Erfolg operiert. Der Grund des Misserfolges liegt oft an Nahtlösung, 
zuweilen an der noch nicht vollkommenen Technik, was besonders in den wegen 
Quadricepslähmung behandelten, Fällen deutlich ist; so dass also für die Zukunft 
noch günstigere Resultate zu erhoffen sind und einem jeden praktischen Arzt die 
Pflicht erwachsen muss, seinem gelähmten Patienten dringend zur Operation zu 
rathen. Wenn Franke gesagt hat, es giebt keine Radialislähmung mehr, so kann 
der Satz jetzt erweitert werden dahin, dass es keine Extremitätenlähmung mehr giebt, 
die nicht durch Sehnenüberpflanzung bedeutend gebessert werden kann. 

Nur an Hüft- und Schultermuskeln ist bisher keine Ueberpflanzung gemacht 
worden, so dass Resektion für die Schulter und Apparatbehandlung für die Hüfte 
noch den Zustand erträglich machen muss, bis auch hier die neue Methode ihren 
Siegeszug beginnt. 


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495 


A. Dworetzky, Diätetisches aus Russland. 


II. 


Diätetisches aus Russland. 

Zusammeufassendcr Bericht 
von 

Dr. A. Dworetzky 

in Riga-Schreyenbusch. 

Seit dem Beginn des verflossenen 19. Jahrhunderts ist der Leberthran zu einem 
unserer bekanntesten und gebräuchlichsten Arzneimittel geworden. Dabei hat die 
Frage, durch welchen Umstand eigentlich die pharmakotherapeutische Wirksamkeit 
des Leberthrans bedingt wird, eine verschiedene Beantwortung erhalten. Während 
die einen eine grosse Bedeutung bald den in ihm enthaltenen anorganischen Bestand- 
theilen, bald den freien Fettsäuren, bald gewissen im Oleum jecoris Aselli vor¬ 
handenen Alkaloiden und organischen Basen zuschreiben, betrachten es die anderen 
blos als gut verdauliches Nährfett und legen seiner chemischen Zusammensetzung 
keinen besonderen Werth bei. Die Hauptrolle bei der physiologischen Wirkung des 
Leberthrans fällt immerhin seiner leichten Emulgierbarkeit und Resorbierbarkeit zu, 
und infolge dieser werthvollen Eigenschaften ist er allerdings ein vortreffliches Nähr¬ 
fett bei kachektischen Zuständen. Ungeachtet der wichtigen Bedeutung des Fettes 
für die Ernährung überhaupt ist es bekanntlich dennoch nicht im stände, allein das 
Leben des Organismus zu erhalten. Bei ausschliesslicher Fettnahrung geht das Ver¬ 
suchsthier an Eiweissmangel zu Grunde. Wenn wir also eine gemischte Kost dar¬ 
reichen, so müssen wir unentwegt den Umstand im Auge behalten, dass die Assimilation 
des einen Nährstoffes nicht auf Kosten des anderen vor sich gehe. Die Peptonisation 
der Eiweisse findet im Magen statt; zu diesem Zweck ist es erforderlich, dass die 
Nahrung der intensiven Einwirkung des Magensaftes unterliege. Folglich ist es un¬ 
erlässlich nothwendig, bei der Wahl dieses oder jenes Nährfettes das Augenmerk 
darauf zu richten, in welchem Grade das betreffende Fett seinen Einfluss auf die 
Absonderung des Magensaftes ausübt. Da vergleichende experimentelle Untersuchungen 
in dieser Hinsicht nicht existierten, so stellte W. Wirschillo 1 ) unter der Leitung 
des Pädiaters Professors W. Tschernoff in Kiew eine Reihe von Beobachtungen an 
dem Leberthran an, um über die Einwirkung des Oleum jecoris Aselli auf 
die Sekretion des Magensaftes zur Klarheit zu gelangen. 

Seine Versuche nahm W. Wirschillo an den stationären Kranken der Kinder¬ 
abtheilung des Kiewschen städtischen Alexanderkrankenhauses vor. Bei sämmtlichen 
Kindern boten die Magen- und Darmfunktionen keinerlei Störungen dar, und die 
Körpertemperatur war bei allen eine normale. Während der Beobachtungszeit blieben 
die Versuchsobjekte bei ihrem früheren Regime. Jede Beobachtung zerfiel in zwei 
Perioden. In der ersten Periode bekam die Versuchsperson ein Probefrühstück (200 
bis 400 g Milch), welchem sich (1V 2 und 2 1 / 2 Stunden später) eine Untersuchung des 
Mageninhaltes anschloss; in der zweiten Periode bekam sie einen Dessertlöffel (8 g) 
Oleum jecoris Aselli und ein gleiches Probefrühstük wie während der ersten Versuchs¬ 
periode, nach welchem dieselben Untersuchungen des Mageninhaltes stattfanden. Der 
ausgeheberte Mageninhalt wurde filtriert und im Filtrate wurden bestimmt: 1. die 
Gesammtacidität, 2. der Gehalt an Salzsäure (an freier und gebundener), und 3. die 
verdauende Kraft des Magensaftes. Die Gesammtacidität wurde durch Titrierung mit 
V 10 Normalnatronlauge bestimmt; als Indikator für den Abschluss der Reaktion 
diente eine einprozentige alkoholische Lösung von Phenolphtale'in. Zur Bestimmung 
der Salzsäuremenge im Mageninhalt benutzte Wirschillo die Methode von Töpfer, 
und zur Feststellung der verdauenden Kraft des Magensaftes die Methode von Mett. 


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A. Dworetzky 


496 


Nach der verdauenden Kraft konnte der Autor über den jeweiligen Gehalt an Fer¬ 
ment urtheilen, indem er sich dabei der Formel von Schütz und Borissow be¬ 
diente. 

Die Anzahl sämmtlicher Beobachtungen Wirschillo’s beträgt 15, ans welchen 
er folgende Schlussfolgerungen abzuleiten in der Lage ist: 1. Der Leberthran ver¬ 
ringert die Menge der Salzsäure und des Pepsins im Magensafte, wobei im Anfänge 
mehr die Pepsinsekretion leidet, während im weiteren Verlaufe des Verdauungsaktes 
die Verminderung der Salzsäure und des Pepsins eine mehr oder weniger gleich- 
massige wird. 2. Am ausgesprochensten ist die hemmende Wirkung des Leberthranes 
auf die Magensaftsekretion im Beginne der Absonderung, während späterhin dieser 
Einfluss zwar noch fortdauert, aber in bereits geringerer Stärke sich dokumentiert 
3. Die sekretorische Thätigkeit der Magendrüsen wird unter der Einwirkung des 
Leberthranes zwar schwächer, dauert aber dafür eine um so längere Zeit fort. 

Angesichts dieser Ergebnisse seiner Untersuchungen sieht der Autor keinen 
Grund ein, die heilsamen Eigenschaften des Leberthranes besonders hoch zu schätzen 
und ihm den Vorzug vor anderen Nährfetten einzuräumen. Ja, noch mehr: eingedenk 
aller seiner Nachteile kann die Befürchtung Platz greifen, dass derjenige Nutzen, 
welchen der Kranke von dem Leberthran als Nährfett erhält, nicht von dem Schaden 
aufgewogen werden dürfte, welcher aus der ungenügenden Verdauung des Eiweisses 
resultiert. Infolgedessen besteht die nächste Aufgabe fernerer Untersuchungen darin, 
irgend ein anderes Nährfett ausfindig zu machen, welches, mit allen Vorzügen des 
Fettes ausgestattet, die Mängel des Leberthranes nicht anfweist. 

Als besten Ersatz für das Oleum jecoris Aselli empfiehlt nun W. Wirschillo 
auf Grund weiterer eigener Beobachtungen 2 ) die Rahmbutter. Diese Beobachtungen 
wurden an demselben Orte, an demselben Versuchsmaterial und unter genau den¬ 
selben Bedingungen angestellt, wie die Untersuchungen über den Leberthran, und 
beschäftigten sich mit dem Einfluss der Rahmbutter auf die Absonderung des Magen¬ 
saftes und die Verdauung der Eiweisskörper. Aus seinen zehn Beobachtungen zieht 
der Autor folgende Schlüsse: 1. Die Rahmbutter verringert die Menge der Salzsäure 
und des Pepsins im Magensafte. 2. Die hemmende Wirkung der Rahmbutter auf die 
Magensaftsekretion ist im Beginne der Absonderung schwächer ausgesprochen als im 
weiteren Verlauf des Verdauungsaktes. 3. Die Peptonisation der Eiweissstoffe geht 
unter der Einwirkung der Rahmbutter stärker vor sich, als ohne sie. 4. Die sekre¬ 
torische Thätigkeit der Magendrüsen wird unter dem Einfluss der Rahmbutter in 
ihrer Produktivität schwächer, dauert aber nicht länger fort als ohne diesen Einfluss. 
— Angesichts dieser Thatsachen glaubt sich Wirschillo zu der Behauptung be¬ 
rechtigt, dass der Butter infolge ihrer hohen Bedeutung als Nahrungsmittel, ihres 
angenehmen Geschmackes und ihrer leichten Verdaulichkeit ein hervorragender Platz 
in der Diätetik der Kranken eingeräumt werden müsse. 

Mit derselben Frage nach der Einwirkung der verschiedenen Sorten 
von Fettnahrung auf die Thätigkeit der Magendrüsen beschäftigte sich 
auch J. Wirschubsky 3 ). In der Sitzung der Gesellschaft Russischer Aerzte 
zu St. Petersburg vom 13. April 1900 hielt er darüber einen Vortrag, wobei 
er eine ganze Reihe von Experimenten anführte, welche von ihm über den 
Einfluss des Fettes auf die Menge, Beschaffenheit und Eigenschaften des Magen¬ 
saftes angestellt wurden. Die experimentellen Untersuchungen fanden an zwei 
Hunden statt, an welchen die Operation der Magenausschaltung nach der Methode 
von Heidenhain-Pawlow vorgenommen worden war; ausserdem hatte noch 
einer von diesen Hunden eine Magenfistel. Wirschubsky nahm zu seinen Ver¬ 
suchen entweder direkt fertig in der Natur vorkommende Fettnahrung, wie z. B. 
Gänsefleisch, Schweinefleisch, Eigelb, oder bereitete sie sich künstlich, indem er 
z. B. zum Pferdefleisch Fett hinzufügte. Referent konnte nicht nur die bereits früher 
bekannte Thatsache bestätigen, dass das Fett die Absonderung des Magensaftes zu 
hemmen vermag, sondern fand noch, dass im Verlaufe der Magensaftsekretion bei 
Fettdiät zwei Perioden existieren , von denen die erste Periode durch die Nieder- 
drilckung der Sekretion charakterisiert ist, während die zweite eine Vermehrung der 
Absonderung aufweist, im allgemeinen jedoch die Verdauung bedeutend verzögert 


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Diätetisches aus Russland. 


497 


wird. Die zweite Periode mit ihrer Verstärkung der Magensaftsekretion hängt nach 
der Ansicht des Referenten von einem seitens des Darmes auf die Mageridrüsen aus¬ 
strahlenden Reflexvorgang ab (s. u.). Je dünnflüssiger die Nahrung ist und je 
schneller sie in den Darm Übertritt, desto rascher macht sich auch die zweite 
Periode geltend. Bei fetter und dabei stärkehaltiger Nahrung hält sich die Saft¬ 
sekretion die ganze Zeit über in recht niedrigen Grenzen, wobei die anfänglich ge¬ 
hemmte Pepsinproduktion in den letzten Stunden der Saftabsonderung vollständig 
ansbleibt. Auf Grund seiner Experimente ist Referent der Anschauung, dass bei 
übermässiger Magensaftsekretion die passendste Nahrung Fett mit 
gleichzeitigem Gehalt an Stärke sei. 

Wird durch eine derartige diätetische Maassregel der Säuregrad des 
Mageninhaltes herabgesetzt, so geht auch der Speisebrei schneller in den 
Darm über als gewöhnlich. Auf diese Thatsache wies A. Serdjukow*) hin, 
welcher in dem physiologischen Laboratorium des Professors J. Pawlow in Peters¬ 
burg Versuche an elf Hunden anstellte, von denen einige Thiere Pankreas- und 
Duodenumfisteln hatten, alle aber chronische Magenfisteln aufwiesen. Aus seinen 
experimentellen Untersuchungen zieht Serdjukow folgende Schlüsse: 1. Der Ueber- 
tritt des Speisebreies aus dem Magen in den Darm wird am wesentlichsten durch 
die Reaktion des Mageninhaltes bestimmt. Alkalische Speisemassen gehen am 
raschesten über, langsamer neutrale und am langsamsten saure Massen. Dieser 
Unterschied, welcher bereits an Hunden mit einer Magcnfistel allein beobachtet 
wird, tritt ungleich schärfer hervor bei Thieren mit einer beständigen Pankreasfistel. 
*2. Die Reizung der Duodenalschleimhaut durch die Säure des übertretenden Magen¬ 
inhaltes führt zu einer Schliessung des Pylorus 3. Andere lokal reizende Stoffe 
führen eine solche Schliessung des Pylorus nicht herbei, solange sie nicht einen 
derartigen Konzentrationsgrad erreichen, welcher einen pathologischen Zustand der 
Duodenalschleimhaut bedingt. 4. Der von Seiten der Darmschleimhaut auf den 
Ausgangssphinkter des Magens ausstrahlende Reflex spielt eine wesentliche Rolle 
bei dem Uebergang der Magenverdauung in die Darmverdauung. 

Des näheren führt der Autor die Ergebnisse seiner Versuche folgendermaassen 
aus: Im Magen verdaut das Pepsin die Eiweissstoffe bei saurer Reaktion; im Darme 
dagegen setzt diese Thätigkeit das Pankreasferment fort, und zwar am besten bei 
alkalischer Reaktion, schlechter bei neutraler und ganz ungenügend bei schwach 
saurer Reaktion. Nun tritt eine Portion des Speisebreies, welcher von der Säure 
des Magensaftes her eine stark saure Reaktion besitzt, durch den geöffneten Pylorus 
in den Darm über;* sofort ergiessen sich auf diese Portion in reichlichen Mengen die 
Galle und der pankreatische Saft. Erstere beseitigt das Pepsin, das hier als Fer¬ 
ment bereits unnütz ist, und verstärkt gleichzeitig in bedeutendem Maasse die fer¬ 
mentative Thätigkeit des pankreatischen Saftes; dieser letztere wieder neutralisiert 
durch seine Alkalesccnz, welche völlig gleich ist dem Aciditätsgrade des Magensaftes, 
den Speisebrei, um einen für die erfolgreiche Arbeit seiner Fermente günstigen 
Boden zu schaffen. Wäre aber dabei der Pylorus die ganze Zeit über offen, so 
würde von dem sauren Speisebrei zu viel in den Darm übertreten, das Sekret des 
Pankreas würde nicht ausreichen, um zur rechten Zeit die Säure zn neutralisieren, 
und zuletzt würde die Verdauungsthätigkeit in Unordnung gerathen. Hier tritt nun 
der Reflex auf den Pylorus von Seiten des Zwölffingerdarmes ein. Die Säure des 
Magensaftes, welcher zugleich mit dem Speisebrei in das Duodenum gelangt, übt 
einen Reiz auf die Duodenalschleimhaut aus und ruft durch einen motorischen Reflex 
eine Schliessung des Pylorus hervor; dieser bleibt nun so lange geschlossen, bis die 
Säure völlig neutralisiert ist. Ist die Neutralisation der Säure bereits vor sich ge¬ 
gangen, so hört auch die Reflexwirkung auf den Pförtner auf; der rylorussphinkter 
erschlafft und lässt aus dem Magen in den Darm eine neue Portion des Inhaltes 
durchtreten. 

Andere wichtige Momente, welche den Uebergang der Speisen aus dein Magen 
in den Darm und ihre Weiterwanderung durch den Darmtraktus begünstigen und 
beschleunigen, fand Kondakow'-) in rationell ausgeführten Körper¬ 
bewegungen. Für die regelrechte Verdauung im Magen ist körperliche Ruhe er- 

Zoitschr. f. diät. u. physik. Therapie Bil. V. lieft <’>. 34 


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forderlich. Dagegen wird der Uebertritt des Speisebreies aus dem Magen in den Darm 
erleichtert, wenn die betreffende Person auf der rechten Seite liegt; man darf sich aber 
auf die rechte Seite nicht sogleich nach dem Essen legen, da in diesem Falle die 
flüssigen Massen eher in den Darm übertreten könnten, als die festen Bestandteile, 
was nach der Ansicht des Verfassers auf den Verdauungsvorgang ungünstig einzuwirken 
vermöge. Der Uebertritt der Speisen aus dem Magen in den Dünndarm wird bedeutend 
erleichtert, wenn das Querkolon frei ist; zur Entleerung des Colon transversum räth 
der Autor, sich auf das Bett mit dem Gesichte nach unten zu legen und sich einige 
Male von rechts nach links umzudrehen; unter dem Einflüsse dieser Körperbewegungen 
tritt die Speisemasse dem Gesetze der Schwere nach in den absteigenden Theil des 
Dickdarmes über. Die Fortbewegung der Speisemassen durch den Dünndarm wird 
durch die Bewegungen der unteren Extremitäten begünstigt; deshalb ist es am besten, 
die Zeit, während welcher der Speisebrei sich im Jejunum und Ileum befindet, nach 
Möglichkeit in Bewegung zuzubringen, theils in der freien Luft, theils im Wohnzimmer. 
Für die Fortbewegung der Speisemassen im Dickdarm sind von grosser Wichtigkeit 
solche Körperbewegungen, welche zum Hinabgleiten der Speisen auf einer schiefen 
Ebene führen. So empfiehlt der Verfasser z. B. folgende Methode zur Ueberführung 
der Speisen und ebenso von Fremdkörpern aus dem Coecum in die weiteren Ab¬ 
schnitte des Dickdarmes: die betreffende Person legt sich aufs Bett, bringt die Knie¬ 
gelenke in forzierte Beugung, nähert die Füsse an das Gesäss und hebt das Becken 
möglichst hoch; sodann kreuzt sie die Beine in der Weise, dass der linke Unter¬ 
schenkel nach unten, der rechte nach oben kommt, und legt sich auf den linken 
Schenkel. Das Emporheben des Rumpfes wird mehrere Male wiederholt, worauf sich 
die betreffende Person auf die linke Seite dreht. Die fernere Fortbewegung der 
Speisen im Kolon geht infolge der anatomischen Bedingungen leichter in ruhiger, 
horizontaler Körperlage vor sich, während zum Uebertritt der Speisen in das Rektum 
solche Körperbewegungen erforderlich sind, bei welchen man sich tief bücken muss, 
damit der Schultergürtel tiefer als der Beckengürtel zu stehen komme. Diese tiefen 
Bückungen sind auch dazu geeignet, die Muskeln der Bauchpresse zu stärken. 
Kondakow betont die Nothwendigkeit rationeller und zweckmässiger Körper¬ 
bewegungen für den regelrechten Ablauf der Funktionen der Speisewege und hält 
diese Bewegungen für die beste prophylaktische Maassregel gegen Erkrankungen des 
Magens und des Darmes. 

Von der therapeutischen Verwendung des natürlichen thierischen Magensaftes 
ist in dieser Zeitschrift (1900. Bd. 4. Heft 3. S. 220) bereits die Rede gewesen, 
wobei P. Mayer seine Verwunderung darüber aussprach, dass die Anregung Pro¬ 
fessor J. Pawlow’s in Russland merkwürdiger Weise keinen Beifall gefunden zu 
haben scheine; jedenfalls lägen keine Publikationen über diesen Gegenstand vor. 
Auch Professor J. Pawlow selbst drückte gelegentlich sein Bedauern darüber aus, 
dass die Verwendung des Magensaftes vom Hunde als therapeutisches Mittel, welches 
die gründlichste Prüfung verdiene, bei uns in Russland sich anscheinend nicht ein¬ 
bürgern wolle, während doch zahlreiche Versuche ihn von dem zweifellosen Nutzen 
dieses Präparates überzeugt hätten. Professor S. Lukjanow ist ebenfalls der 
Meinung, dass der Magensaft von Hunden, welche nach der Methode von Pawlow 
der »Scheinfütterung« unterworfen werden, mit der Zeit eine weite Verwendung zu 
therapeutischen Zwecken finden werde. Im vorigen Jahre ist nun eine Arbeit von 
A. Finkeistein 6 ) erschienen, welche der Behandlung einiger Krankheiten mit 
natürlichem thierischem Magensaft gewidmet ist. Die Vorzüge dieses neuen 
Präparates vor der üblichen Pepsinsalzsäuremedikation bestehen nach Finkeistein im 
Folgenden: 1. Die käuflichen Pepsinsorten halten den Vergleich mit dem natürlichen 
reinen Magensafte nicht aus; die technischen Methoden ihrer fabrikmässigen Her¬ 
stellung sind noch roh und unvollkommen, die Verunreinigung des Pepsins durch 
Beimengung von fremdartigen Bestandtheilen ist eine häufige Erscheinung. 2. Der 
Magensaft, welcher bei der »Scheinfütterung« gewonnen wird, ist nach Aussehen und 
Geschmack angenehm, unbedingt rein und ändert lange Zeit hindurch nicht seine 
Zusammensetzung. Die verdauende Kraft des natürlichen Magensaftes ist bei weitem 
grösser als die der käuflichen Pepsinpräparate. Ja, diese letzteren schädigen sogar, 


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Diätetisches aus Russland. 49!) 


nach den Beobachtungen des Verfassers, meistenteils die Verdaunngsthätigkeit des 
noch vorhandenen Magensaftes beim Menschen. 3. Den Gehalt an Salzsäure und an 
Pepsin in dem durch die »Scheinfütterung« gewonnenen Magensaft des Hundes ver¬ 
mögen wir willkürlich zu modifizieren, indem wir dem Thiere diese oder jene Speise 
darbieten; denn die Magendrüsen liefern für den betreffenden Nahrungsstoff ein 
Sekret von genau abgemessener Quantität und von bestimmter Qualität. Auf diese 
Weise sind wir im stände, je nach der Zusammensetzung des Magensaftes bei dem 
zu behandelnden Kranken den gerade in dem betreffenden Falle erforderlichen 
natürlichen Magensaft des Hundes mit einem grösseren oder geringeren Gehalt an 
Salzsäure und mit einer bedeutenderen oder kleineren Menge von Pepsin zu ver¬ 
ordnen. Die Abhängigkeit der Sekretmenge und der chemischen Zusammensetzung 
des Magensaftes von bestimmten Quantitäten und von der Qualität der Nahrung 
wurde im physiologischen Laboratorium des Professors J. Pawlow streng wissen¬ 
schaftlich nachgewiesen und festgestellt. So ist der Magensaft bei Darreichung von 
Brot besonders reich an Ferment; bei Fleischnahrung zeichnet er sich durch eine 
beträchtliche Acidität aus; bei Milchdiät enthält er wenig Ferment, während er in 
Bezug auf den Salzsäuregehalt eine mittlere Stellung zwischen dem »Brot-« und dem 
»Fleischmagensaft« einnimmt. Der »Brotmagensaft« ist konzentrierter als der bei 
Fleischkost, bei welcher ein reichlicheres Sekret abgesondert wird, als bei Brot¬ 
darreichung. Die Menge der zu sich genommenen Nahrung wirkt ebenfalls auf die 
Absonderung ein. Dabei ist noch im Auge zu behalten, dass im Beginne der Ver¬ 
dauung die Sekretion stärker vor sich geht, während die Verdauungsfähigkeit des 
Magensaftes zum Schlüsse sinkt. 

Finkelstein’s klinisches Material umfasst folgende 22 Fälle: 8 Fälle von 
Magenkatarrh, 2 von Magenkrebs, 9 von Abdominaltyphus, 1 von Diabetes mellitus 
und je 1 Fall von Gallensteinen mit Magenkatarrh. Die Ergebnisse der Behandlung 
gestalteten sich folgendermaassen: Bei Magenkarcinom erwies sich der Hundemagen¬ 
saft als ein unbedingt nutzbringendes Mittel. Das Erbrechen verminderte sich sowohl 
in Bezug auf seine Quantität wie auch hinsichtlich seiner Häufigkeit. Die Schmerzen 
nach der Nahrungsaufnahme wurden bedeutend schwächer und waren öfters über¬ 
haupt gar nicht mehr vorhanden. Der Appetit wurde wesentlich besser, besonders 
bei Verordnung des natürlichen Magensaftes in fraktionierten Dosen, mehrere Stunden 
vor dem Essen. Das Aufstossen und das Sodbrennen wurden geringer. Die Resorption 
der Nahrung besserte sich merklich, und infolgedessen nahm auch das Körpergewicht 
der Kranken zu. Während also bei dem Carcinoma ventriculi der natürliche 
thierische Magensaft ein sehr gutes symptomatisches Mittel darstellt, spielt er bei 
dem Magen katarrh die Rolle eines echten Heilmittels. Der Appetit wurde in allen 
acht Fällen von Magenkatarrh ein intensiverer. Der üble Geschmack im Munde 
während und nach dem Essen verschwand in kurzer Frist. Das Aufstossen nach der 
Nahrungsaufnahme und bei nüchternem Magen verging durch die Darreichung des 
Magensaftes während des Essens und während der Verdauung, d. h. im Laufe der 
ersten drei Stunden nach der Mahlzeit. Auf diese Weise wurden die Gährungs- und 
Fnulnissprozesse in den stagnierenden, mangelhaft verdauten Speiseresten bedeutend 
hintangehalten. Mit der Verbesserung des Verdauungschemismus verlor sich auch 
allmählich das Sodbrennen. Das Gefühl der Schwere und Völle im Epigastrium 
wich rasch der Wirkung auch kleiner Mengen Magensaft. Gegen die Schmerzen 
musste länger angekämpft werden, aber das Endresultat war auch in dieser Hinsicht 
ein durchaus befriedigendes. Ebenso günstig wurde das Erbrechen und die motorische 
Schwäche des Magens beeinflusst. Am deutlichsten traten die Ergebnisse bei (lei- 
genauen Untersuchung des Magensekretes der Kranken hervor: sowohl seine Ab¬ 
sonderung als auch der Chemismus der Magenverdauung änderten sich in aus¬ 
gesprochenster Weise zum Besseren. Das Körpergewicht der Patienten mit Magen¬ 
katarrh stieg, die Atonie des Darmkanales wich, und die verschiedenen nervösen 
Störungen machten einem subjektiven Wohlbefinden Platz. Ueberhaupt ist der 
Magensaft des Hundes beim Magenkatarrh ein mächtiges therapeutisches Mittel. In 
zwei Fällen von Catarrhus ventriculi mit Anämie kompliziert, bewährte sich dasselbe 

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Präparat auf das Glänzendste auch gegen die Blutarmuth, was durch den objektiven 
Blutbefund vor und nach der Behandlung zur Evidenz nachgewiesen wurde. 

Um die Wirkung des natürlichen thierischen Magensaftes auch auf 
die darniederliegende Thätigkeit der Magendrüsen bei fieberhaft er¬ 
höhter Temperatur zu prüfen, unterzog Finkeistein dieses Mittel einem Ver¬ 
suche beim Typhus abdominalis. Von den neun Typhuskranken wurde mit der An¬ 
wendung des neuen Präparates in sieben Fällen unstreitig ein vortreffliches Resultat 
erzielt, in einem Falle war das Ergebnis zweifelhaft, und in einem war das Resultat 
ein negatives. Der Einfluss des Magensaftes dokumentierte sich durch das Vor¬ 
handensein eines guten Appetites auch bei 39° C; Abführung erfolgte ohne Einläufe 
von selbst, der Meteorismus nahm sichtlich ab, die Intoxikationserscheinungen des 
Nervensystems verringerten sich ebenfalls, der ganze Krankheitsverlauf wurde an¬ 
scheinend kürzer. — Von irgend welchem Urtheil über den Werth des natürlichen 
Magensaftes beim Diabetes mellitus sieht der Verfasser einstweilen ab. Im allgemeinen 
bestätigen die klinischen Beobachtungen Finkelstein’s die theoretische Voraus¬ 
setzung von der Zweckmässigkeit des natürlichen thierischen Magensaftes und lassen 
deutlich erkennen, dass er ein mächtiges therapeutisches Agens darstellt. 

Die Russen nennen das Kind beim richtigen Namen und bezeichnen das hier 
in Rede stehende Produkt als »Hundemagensaft«. Ich glaube, dass so manchem 
Kranken bei dieser Benennung eher der Appetit vergehen als sich davon steigern 
kann. Die Franzosen haben daher für das Präparat die elegantere und appetitlichere 
Bezeichnung »Gast6rine« erfunden, und unter dieser Flagge wird wohl das neue 
heilsame Präparat in die Welt hinaussegeln. Ich möchte deshalb hier ausdrücklich 
betonen, dass das Verdienst, den Arzneischatz mit diesem wirksamen therapeutischen 
Mittel bereichert zu haben, den Russen gebührt und zwar vor allem Professor 
Pawlow, dem genialen Erfinder der kombinierten Doppeloperation und der »Schein¬ 
fütterung« zur Gewinnung des reinen Produktes. Den Russen hauptsächlich wird 
auch einst mit Recht die Ehre zugeschrieben werden müssen, in der Ernährung der 
Fiebernden, besonders der Typhuskranken, eine neue fruchtbringende Aera veranlasst 
zu haben. Ich hatte bereits Gelegenheit, auf den Seiten dieser Zeitschrift (1899. 
Bd. 3. Heft 3. S. 253 und li’OO. Bd. 4. Heft 2. S. 182) von der bedeutungsvollen 
Wandlung in der Ernährung der Typhösen in Russland zu sprechen. Trotz zahl¬ 
reicher und gründlicher vollkommen beweiskräftiger und von einer reichen Erfahrung 
diktierter Arbeiten fast ausschliesslich russischer Autoren befinden sich noch immer 
diejenigen Aerzte in der Mehrzahl, welche ihre Fieberkranken nur auf flüssiger Diät 
halten, sie mit Bouillon, Milch, Haferschleim und dergleichen füttern, d. h. im Grunde 
genommen eigentlich hungern lassen. Dies ist meines Wissens ganz besonders in 
Deutschland, Frankreich und in der Schweiz der Fall. 

Ein derartiges Verhalten wird dadurch erklärt, 1. dass bei Fiebernden und ins¬ 
besondere bei Typhuskranken die Absonderung des Magensaftes und überhaupt die 
Verdauungsthätigkeit, der Speisewege in bedeutendem Maasse herabgesetzt sei; 2. dass 
bei den Typhösen die Darreichung von fester Nahrung eine Darmperforation hervor- 
rufen könne, und 3. dass das Verabreichen von fester gemischter Kost eine Re- 
krudescenz des Fiebers veranlasse. Unparteiische klinische Beobachtung und vor- 
urtheilslose theoretische Ueberlegung haben jedoch diese Thesen in hohem Grade 
erschüttert. Einerseits wurde nachgewiesen, dass die Verdauungsthätigkeit des 
Magens beim Fieber in blos geringfügiger Weise abgeschwächt wird und leicht zur 
Norm gebracht werden kann. Andrerseits geht beim Fieber die Assimilation der 
Eiweissstoffe, nach den Versuchen von Baftalowsky, Sassetzky, Hösslin u. a., 
durchaus nicht schlechter vor sich, als bei Gesunden; die Resorption der Fette fand, 
nach den Beobachtungen Professor Tschernow’s, bei Kindern sogar in grösserem 
Umfange statt, als bei Gesunden. Die Gefahr einer Perforation ist meist nicht 
gross, da der beim Abdominaltyphus affizierte Abschnitt des Darmkanals sich in der 
Nähe des Dickdarms befindet, wohin die Speisemasse bereits in Form eines dünnen 
Breies gelangt: bei Darreichung einer geeigneten Kost ist die Gefahr einer Perforation 
fast gar nicht vorhanden. Wenn endlich die Temperatur eines Typhuskranken nach 


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Diätetisches ans Russland. 


501 


forcierter Ernährung auch manchmal um unbedeutende Werthe steigt, so wird dafür 
sein Allgemeinzustand ein unvergleichlich besserer. 

M. Ladyshensky 7 ) beschreibt nun fünf Fälle von Typhus abdominalis, 
welche von ihm bei forzierter Ernährung durchgebracht wurden. Die 
Patienten bekamen die ganze Zeit der Krankheit über ausser Thee und Milch noch 
Weissbrot, Butter, Eier, Hühnerfleisch, Kotelettes, und in den späteren Stadien der Krank¬ 
heit auch Fische, Kartoffeln, Beetensuppe und dergleichen. Ungeachtet dessen, dass 
die Temperatur zeitweise ziemlich hohe Zahlen erreichte, so bot doch der Allgemein¬ 
zustand der Kranken keineswegs dasjenige schwere Bild dar, welches man im Ver¬ 
laufe des Abdominaltyphus so häufig zu sehen bekommt: die Patienten bewahrten 
ein munteres Aussehen, konnten sich im Bette aufrichten, zur Erfüllung ihrer 
natürlichen Bedürfnisse auch allein aufstchen und fingen im Durchschnitt zu Beginn 
der vierten Woche umherzugehen an, wobei sie nach Eintritt der Genesung nicht 
jenes abgezehrte Aussehen aufwiesen, durch welches sich gewöhnlich die Typhus- 
rekonvalescenten auszeichnen. In keinem der beschriebenen Fälle war irgend welche 
Komplikation von Seiten des Darmes zu bemerken. Der Autor stimmt mit Buschujew 
darin überein, dass viele Krankheitserscheinungen, welche der Wirkung des Typhus¬ 
toxines zugeschrieben zu werden pflegen, in Wirklichkeit blos die Folgen des 
Hungcrns darstellen. Einige pathologisch-anatomische Veränderungen in den Muskeln, 
und in den parenchymatösen Organen werden nach der Ansicht des Verfassers ebenso¬ 
gut beim Abdominaltyphus wie im Hungerzustandc angetroffen. Ladyshensky ist 
ebenso wie Buschujew der Meinung, dass, wer cs auch nur ein Mal versucht hat, 
seine Patienten reichlich zu ernähren, es dieses nie bereuen und auch nie diejenigen 
schweren Formen des Typhus zu sehen bekommen wird, welche bei der ungenügenden 
Ernährung so häufig zu beobachten sind. 

Etwas weniger dreist ging bei seinen Patienten E. Tiemen 8 ) vor. Er reichte 
gemischte feste Kost an 32 Typhuskranke; von diesen bekamen eine derartige 
Nahrung 14 Typhöse bereits einige Tage nach ihrem Eintritt in das Krankenhaus, 
18 Patienten dagegen ungefähr in der dritten Krankheitswoche bei beginnender 
Bcssernng des Allgemeinzustandes und bei tieferen morgendlichen Remissionen der 
Temperaturkurve. Vor allen Dingen ist zu bemerken, dass alle Patienten genesen 
sind. Ja, noch mehr, die Kranken litten nicht nur keineswegs unter einem solchen 
Ernährungsregime, sondern gewannen eher dadurch. So klagten die Patienten 
nur äusserst selten über irgend welche Schmerzen im Leibe. Die Entleerungen 
wurden formierter, das Abdomen war stets weich und frei von Meteorismus, und in 
einem Falle verschwand ein hartnäckiger und heftiger Durchfall, der allen üblichen 
antidiarrhoischen Mitteln auf keine Weise weichen wollte, sofort nach dem Ersatz 
der bisher verabreichten Milch durch feste Kost. Geringfügige Darmblutungen traten 
in zwei Fällen auf und standen in beiden Fällen auf einige kleine Dosen Opium¬ 
tinktur. Einer von diesen Patienten machte in der Folge ein Typhusrezidiv durch. 
Auf den Gang der Temperatur übte die Darreichung von fester Speise ebenfalls keine 
irgendwie merkliche Wirkung aus, in vielen Fällen ging sie dabei sogar rascher zur 
Norm über. Komplikationen von Seiten der Ohren oder der Parotis wurden kein 
einziges Mal beobachtet. Auf den Allgemcinzustand der Kranken hatte die Ernährung 
mit gemischter fester Kost einen überaus günstigen, wohlthuenden Einfluss: der Status 
typhosus wurde allmählich geringer, das subjektive Befinden besserte sich, besonders 
wenn die Typhuspatienten bereits von den ersten Tagen ihres Aufenthaltes in dem 
Krankenhause an ordentlich und genügend ernährt zu werden begannen. In solchen 
Fällen war niemals eine derartig starke Abmagerung zu sehen, wie bei der ge¬ 
wöhnlichen spärlichen Ernährung. Viele Patienten beeilten sich schon mit dem Auf¬ 
stehen vom Bett, als die Temperatur erst zur Norm zurückzukehren anfing, und 
drängten bald darauf, entlassen zu werden. Solche aufmunternde Resultate ver¬ 
anlassen natürlich den Verfasser, weitere Versuche und Beobachtungen über die 
forcierte oder jedenfalls ausreichende Ernährung der Typhuskranken mit einer nahr¬ 
haften und gemischten Kost für durchaus wünsclienswerth zu erachten, freilich unter 
der Bedingung strenger Anpassung an die individuellen Eigentümlichkeiten eines 
jeden Kranken im Besonderen. 


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502 A. Dworetzky 


Unter den immer mehr und mehr sich entwickelnden diätetischen Behandlungs¬ 
methoden verschiedener Krankheiten nimmt eine der hervorragendsten Stellen die 
Weintraubenkur ein. Die Anwendung der Weintrauben in Form der frischen Beeren 
ist jedoch mit einigen Mängeln und Unbequemlichkeiten verknüpft, weshalb man in 
neuester Zeit sich bemüht, die Beeren durch den aus ihnen gewonnenen Weintrauben¬ 
saft zu ersetzen. Soll der Weintraubensaft als therapeutisches Mittel Verwendung 
finden können, so muss er folgenden Anforderungen entsprechen: er muss aus den 
allerbesten Sorten vollkommen reifer, zu kurgemässem Gebrauch geeigneter Trauben 
gewonnen werden, er muss vollständig durchsichtig, d. h. von allen festen Theilchen 
frei sein, er muss eine unbegrenzt lange Zeit gut haltbar sein, und endlich dürfen 
in ihm keine fremdartigen Beimengungen Vorkommen. Allen diesen Bedingungen 
genügt in vortrefflichster Weise ein Traubensaftpräparat, welches von dem Handels¬ 
hause Eynem in Moskau im Jahre 1897 in den Handel gebracht wurde. Eine von 
diesem Handelshause in Simferopol errichtete spezielle Fabrik liefert ausser einer 
Reihe von Traubensaftsorten, welche für die Tafel bestimmt sind und ein völlig 
natürliches, nahrhaftes, alkoholfreies Getränk darstellen, das im Kampfe mit der 
Trunksucht geeignet ist, die spirituösen Getränke zu verdrängen, auch einen tadel¬ 
losen Saft, welcher aus den zum kurgemässen Gebrauch bestimmten Weintrauben 
sehr sorgfältig bereitet wird. Das Wesen der Zubereitung eines solchen Weintrauben¬ 
saftes besteht darin, dass der eben aus den Beeren in einer besonderen Presse aus¬ 
gedrückte Saft sogleich auf direktem Wege in einen Sterilisationsapparat hinüber¬ 
geleitet wird, wo seine Pasteurisation bei G5—70 0 C vorgenommen wird. Angefangen 
von diesem Zeitpunkte bis zu seiner endgültigen Füllung in Flaschen kommt der 
Saft nicht mehr in Berührung mit der Luft; denn seine Fortleitung aus dem Des¬ 
infektionsapparate und das Filtrieren des Saftes findet in Röhren und Pumpwerken 
statt, welche vorher durch Dampf sterilisiert worden sind. Der danach in die 
Flaschen gefüllte filtrierte Saft wird auf dem Wasserbade erwärmt und hierauf im 
Laufe von zwei bis drei Wochen einer Beobachtung unterworfen. Zum Verkauf ge¬ 
langen nur diejenigen Flaschen, in denen während dieser zwei bis drei Wochen der 
Saft absolut klar bleibt; alle die Flaschen aber, in die auf irgendwelche Weise Luft 
hineingelangt ist und in denen sich eine Trübung gebildet hat, welche von dem Auf¬ 
treten biologischer Vorgänge in ihrem Inhalte zeugt, werden vom Vertriebe aus¬ 
geschlossen. Der auf diesem Wege gewonnene Weintraubensaft stellt eine vollkommen 
durchsichtige Flüssigkeit dar von hellgelber Farbe, von angenehmem Geruch und 
sein- gutem Geschmack. Ein wesentlicher Unterschied in der chemischen Zu¬ 
sammensetzung zwischen dem auf gewöhnlichem Wege gewonnenen Traubensaft und 
dem pasteurisierten existiert nicht. 

Beobachtungen über die Wirkung dieses Traubensaftes, welche circa 2 >/* Monate 
in Anspruch nahmen, stellte M. Muradow 9 ) an sich selbst an, nachdem er sich vorher 
in Stickstoffgleichgewicht gebracht hatte. Der pasteurisierte Weintraubensaft wurde 
in einer Quantität von 300—1250ccm täglich in den Magen eingeführt. Muradow's 
Schlussfolgerungen lauten folgendermaassen: 1. Durch die rationelle Hinzufügung 
des pasteurisierten Weintraubensaftes zu einer in Bezug auf ihre Quantität und 
Qualität genügenden gemischten Kost ist man im stände, den Verbrauch des 
Organismus an Stickstoff herabzusetzen. 2. Die stickstoffsparende Eigenschaft des 
pasteurisierten Traubensaftes wird bedingt durch seinen Gehalt an Traubenzucker 
und hängt in quantitativer Beziehung nicht nur von der Grösse der einzelnen Dosen 
ab, sondern auch von der Menge und Beschaffenheit der dem betreffenden Organismus 
zugeführten stickstoffhaltigen Nahrungsstoffe. 3. Je reicher die Nahrung an leicht 
assimilierbaren N-haltigen Stoffen ist, desto leichter und intensiver tritt die N-sparende 
Wirkung des pasteurisierten Traubensaftes zu Tage. 4. Der pasteurisierte Wein¬ 
traubensaft übt einen deutlichen Einfluss auf die im Darme vor sich gehenden Fäulniss- 
vorgänge aus, und zwar in dem Sinne, dass er in mittleren Gaben (300 — 800 ccm 
täglich) zweifellos die Fäulnissprozesse herabsetzt. Grössere Dosen dagegen können 
entweder ganz ohne Einfluss auf die Stärke der Darmfäulniss bleiben, oder, indem 
sie die Assimilation der stickstoffhaltigen Nahrungsstoft'e schädigen, vermögen sie 
indirekt sogar eine Vermehrung der Menge der Aetherschwefelsäuren im Harne zu 


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Diätetisches aus Russland. 


503 


bewirken. 5. Mehr oder weniger anhaltender Gebrauch des pasteurisierten Wein¬ 
traubensaftes führt bei gleichzeitiger Zufuhr einer genügenden Kostmenge überhaupt 
zu einem Ansteigen des Körpergewichtes. (>. Das Steigen des Körpergewichtes kann 
durch Stickstoffansatz allein bedingt sein, oder aber, bei mässiger körperlicher Arbeit 
der Versuchsperson, auch durch Ablagerung von Fettgewebe. 7. Bei täglicher Zufuhr 
von pasteurisiertem Traubensaft in einer Menge von 300—750ccm wird die Assimilation 
der stickstoffhaltigen Nahrungsstoffe erhöht, während bei Darreichung von grösseren 
Quantitäten (1000 —1250 ccm täglich) die Assimilation allerdings etwas schlechter 
wird, immerhin jedoch noch besser ist als bei derselben Kost, aber ohne den 
pasteurisierten Traubensaft. 


Litteratur. 

0 W. Wirschillo, Der Einfluss des Leberthranes auf die Sekretion des Magensaftes. Vor¬ 
läufige Mittheilung. Wratsch 1899. No. 3. S. 61. 

2 ) W. Wirschillo, Der Einfluss der Rahmbutter auf die Sekretion des Magensaftes. Vor¬ 
läufige Mittheilung. Wratsch 1900. No. 14. S. 423. 

3) J. Wirschubsky, Ueber die Thätigkeit der Magendrüsen bei verschiedenen Arten von 
Fettnahrung. Sitzung der Gesellschaft russischer Aerzte in St. Petersburg vom 13. April 1900. Wratsch 
1900. No. 26. S. 811. 

4 ) A. Serdjukow, Eine der wesentlichsten Bedingungen für den Uebcrtritt der Speisen aus 
dem Magen in den Darm. St. Petersburger Dissertation 1899. 

6 ) Kondakow, Ueber die Körperbewegungen, welche die Fortbewegung der Speisen und 
Fremdkörper im Magen und Darm begünstigen. Broschüre. Moskau 1900. 

6 ) A. Finkelstein, Die Behandlung mit natürlichem Magensaft. Vorläufige Mittheilung. 
Wratsch 1900. No. 32. S. 963. 

7) M. Ladyshensky, Zur Frage von der forzierten Ernährung der Typhuskrankeu. 
Jeshenedelnik 1900. No. 23. 

«) E. Tiemen, Rechenschaftsbericht über die Typhuskranken der Typhusabtheilung des 
Stadtkrankenhauses zu Nikolajew für das Jahr 1898. Materialien zur Frage von der Ernährung der 
Typhuskranken. Wratsch 1900. No. 48. S. 1453. 

9 ) M. Muradow, Die Zusammensetzung des pasteurisierten Weintraubensaftes und die 
Wirkung verschiedener Dosen davon auf den allgemeinen Stickstoff Umsatz, auf das Körpergewicht 
und die Darmfäulniss beim gesunden Menschen und bei gemischter Kost. Dorpater Dissertation 1900. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Hermann Schlesinger, Die Bereitnng der Krankenkost. Lehrgang in zehn Abenden. lt*>2 
Verlag von Johannes Alt. 

Seitdem die Diätetik bezw. die Ernährangsthcrapie von Jahr zu Jahr grössere Beachtung bei 
den Aerzten gefunden hat, stellt sich immer mehr und mehr das Bcdürfniss dafür heraus, dass ein¬ 
mal die Aerzte selbst sich mit der praktischen Richtung dieser Disziplin beschäftigen und dass andrer¬ 
seits sowohl die gebildeten, wie die niederen Volkskreisc mit den Prinzipien der rationellen Er¬ 
nährung vertraut gemacht werden. Diese Bestrebungen haben ihren Ausdruck in den verschiedenen 
Kursen gefunden, welche von gemcinnützigcnVereinen, z.B. vom Deutschen Verein fürVolkshygieuc u a., 
in regelmässigen Cyklen veranstaltet worden sind. 

In einigen grösseren Universitätsstädten haben während der letzten Jahre diätetische Kurse 
auch für Aerzte stattgefunden, in welchen diese über die wichtigsten einschlägigen Fragen von be¬ 
rufener Seite unterrichtet wurden. Dieser Unterricht ist aber noch immer nicht allgemein genug 
geworden. Es ist daher dankbar zu begrüssen, wenn Männer, welche sich seit vielen Jahren mit 
den praktischen Fragen der Emährungsthcrapie beschäftigen, ihre Kenntnisse dem weiteren Publikum 
mittheilen und in verständlicher, übersichtlicher Weise Kurse darüber abhalten. Den Gang eines 
solchen Kursus stellt das vorliegende Büchlein dar. 

Schlesinger hat im Anschluss an die Ausstellung für Krankenpflege zu Frank¬ 
furt a. M. einen Kursus von zehn Abenden für ca. 40 Damen der gebildeten Stände 
abgehalten, in welchen die Betreffenden sowohl theoretisch wie praktisch überalle 
wichtigen und nothwendigen Punkte der Krankenernährung unterrichtet wurden. 
Die praktischen Unterweisungen wurden in der Küche des Vaterländischen Frauenvereins gegebeu; 
sie bestanden darin, dass die Schülerinnen die verschiedensten Speisen auf Grund bestimmter Koch¬ 
rezepte horsteilen mussten. 

Es ist zu wünschen, dass derartige Kurse auch gerade für die unbemittelten Frauen ein¬ 
gerichtet werden; denn iu den niederen Volkskreiscn besteht zum Thcil noch eine unglaubliche 
llnkennüiiss darüber, welche Speisen am nahrhaftesten sind. Mit derselben kleinen Summe Geldes, 
mit welcher die Arbeiterfrau ein oft nur wenig kalorienreiches Mittagsmahl bereitet, könnte sie 
für ihre Familie Speisen von einem weit höheren Nährwerth herstcllen. Referent möchte liier die 
Anregungen wiederholen, welche er kürzlich an anderer Stelle gegeben hat, dass in denjenigen 
Erholungsstätten, Lungenheilstätten u. s. w., in welchen sich minder kranke Frauen und Mädeheu 
befinden, diese unter Aufsicht des Arztes und der Oberschwester theoretisch und praktisch mit den 
Fragen der Ernährung vertraut gemacht werden. Während des zwei- oder dreimonatlichen Auf¬ 
enthalts, welcher für diese Patientinnen gewöhnlich bis zu ihrer Wiederherstellung erforderlich ist. 
wäre cs wohl möglich, ihnen einen nach allen Richtungen hin befriedigenden Unterricht in der 
Diätetik zu örtlichen; und so hätten sic von diesem Aufenthalt nicht nur Vortheile für ihre eigene 
Gesundheit erlangt, sondern sie würden, wenn sic zu ihrer Familie zurückkehren, auch für diese 
weit besser sorgen können, als sie dies vordem zu thun im stände waren. 

Paul Jacob (Berlin). 


Strangs, Untersuchungen über die Resorption nnd den Stoffwechsel bei Apepsia gastrica 
mit besonderer Berücksichtigung der pernieiösen Anämie. Zeitschrift für klinische Medicin 
Bd. 41. Heft 1—4. 

Die einzelnen Fälle von kompletter Sekretionsinsufficichz des Magens verhalten sich hinsicht¬ 
lich ihrer Rückwirkung auf die gesummte Körpcrökonomic ganz verschieden. Bei den meisten 
Fällen wird der Ernährungszustand gar nicht tangiert, bei anderen zeigen sich die Erscheinungen 


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Referate aber Bücher und Aufsätze. 


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eines progressiven Gewebsschwundes, und eine dritte Gruppe endlich geht mit den typischen Er¬ 
scheinungen der peraiciosen Anämie einher. Der Grund dieser Verschiedenheit liegt einerseits in 
der Verschiedenheit der die Apepsia gastrica bedingenden Ursachen, andrerseits in dem nicht 
immer gleichmässigen Eintreten des Darmes für den Defekt in den peptischen Leistungen des 
Magens. Bei den Fällen, die mit einer peraiciosen Anämie cinhcrgchen, hat man in Störungen des 
Stoffwechsels den Grund für diese Eigenart supponieit, ohne bislang diese Hypothese durch exakte 
Untersuchungen zu stützen. 

ln diese bestehende Lücke tritt der Verfasser ein *ind vertheidigt an der Hand eines reichen 
Thatsachenmaterials den Satz, dass wir zurZoit keinen hinreichenden positiven Anhalts¬ 
punkt haben, der uns gestattet, die Auffassung von der Erzeugung einer pernieiösen 
Anämie durch Darmatrophie über das Niveau einer Hypothese zu erheben. Im ein¬ 
zelnen lehren die Untersuchungen, dass bei Apepsia gastrica die Ausnutzung des Stickstoffs und 
des Fettes nicht wesentlich herabgesetzt ist, wenn nicht komplizierende Diarrhöen im Spiele sind. 
Die mit den Schmidt'sehen Methoden ausgeführtc Untersuchung der Ausnutzung Hess nichts Auf¬ 
fallendes erkennen; die Resorption von Methylenblau ging im Darm in normalerWcise von statten. 
Der Stoffwechsel Hess keine Erscheinungen von krankhaftem Eiweisszerfall erkennen. Die Wertho 
für Harnsäure wurden in den Fällen, in welchen pemieiöse Anämie vorlag, erhöht, in den übrigen 
normal gefunden; der prozentuale Antheil der Harnsäure am Gesammt-N war in den Fällen 
schwerster Anämie etwas erhöht. Die Weithe für NH 3 hielten sich in normalen Grenzen. Der 
Phosphorsäurc- und NaCl-Stoffwechsel Hess nichts Auffallendes erkennen; ein Ansatz von P 2 O 5 
und von NaCl fand nicht statt. Die Menge der Aetherschwefeisäuren war zwar* meist nahe an 
der oberen Grenze des Normalen, aber nicht krankhaft erhöht. In einem Falle fehlte Phenol völlig, 
die Menge der flüchtigen Fettsäuren war nicht erhöht; dagegen zeigte die Menge der aromatischen 
Oxysäuren -f- Hippursäuren in einem Falle von pernieiöser Anämie an zwei Tagen eine Erhöhung. 
Ptomnine waren in zwei Fällen von Apepsia gastrica und pernieiöser Anämie nicht nachweisbar; die 
Harngiftigkeit war in einem darauf untersuchten Falle auffallend gering. Der Urobilingchalt war 
meist erhöht. Freyhan (Berlin). 


E. Schreiber, Ueber die Verwendung des frischen Kaseins in der Ernährung. Centralblatt 
für Stoffwechsel- und Verdauungskrankheiten 1901. No. 5. 

Verfasser macht den bcachtenswerthcn Vorschlag, das frisch gefällte Kasein der Mager¬ 
milch für die Krankenernährung, sowie auch für die Volkscrnährung dienstbar zu 
machen, da wir in ihm ein ausserordentlich billiges, wohlschmeckendes und lcichtvcrdauliches Eiweiss- 
präparat vor uns haben. In Breien aus Rcismehl, in Suppen oder mit Mehl (ein Theil Kasein zu zwei 
Theilen Mehl verbacken) zu Brot gebacken stellt das frisch gefällte Kasein ein wohlschmeckendes 
Eiweisspräparat dar, das nach den mit KascTnpräparatcn angcstclltcn Stoffwechsclvcrsuchen auch gut 
ausgenutzt werden muss. Wenn das Kasein mit Suppen aufgekocht oder mit Mehl zu Brot ver¬ 
backen wird, so werden durch die Hitze auch noch eventuell dem Kasein beigemengte Tubcrkcl- 
bacillen abgetötet. Beim frisch gefällten Material kann der Gehalt an Tuberkelbacillen dadurch be¬ 
trächtlich reduziert werden, dass man die Milch nur von solchen Kühen nimmt, welche auf die 
Tuberkulinprobe nicht reagiert haben, oder dadurch, dass man das KaseTn von sterilisieiter Milch 
ausfällt — Der Vorschlag des Verfassers hat nicht blos medicinisches, sondern auch volkswirt¬ 
schaftliches Interesse, weil die Verwendung des Kaseins zur Aufbesserung des Eiweissgehaltes der 
Volksnahrung auch der Landwirtschaft dadurch zu gute kommt, indem sie eine bessere Verwertung 
der Magermilch ermöglicht. II. Strauss (Berlin). 


Herzen, Einfluss einiger Nahrungsmittel auf die Menge und den Pepsiugehalt des Magen¬ 
saftes. Therapeutische Monatshefte 1901. Heft 5. 

Zur Untersuchung obiger Frage bedient sich Verfasser der Pawlow’sehen Methode. Diese 
besteht darin, dass durch eine Schleimhautscheidewand ein Theil des Magens völlig abgesondert 
wird. Demzufolge ist der hier produzierte Magensaft völlig frei von Beimengungen durch Nahrung 
und kann, durch eine Fistel entleert, zu Versuchen verwendet werden. 

Herzen geht von Experimenten aus, die Schiff und Pawlow anstelltcn Ersterer fand 
eine Reihe von Stoffen, welche die Pcpsinbildung im Magen bedeutend erhöhten, während letzterer 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


zeigte, dass die meisten dieser Stoffe zugleich starke Safttreiber wären. In der Annahme,'dass dies 
Zusammentreffen ein zufälliges wäre, suchte Verfasser Stoffe zu finden, die entweder nur safttreibend 
oder nur pcpsinbildcnd wirkten. Bei Versuchen mit Dextrin und Licbig’schcm Flcischextrakt cr- 
giebt sich, dass, in grossen Dosen verabfolgt, beide sowohl Saft wie Pepsin bilden. Dagegen er* 
zeugt Dextrin in kleineren Dosen hauptsächlich Pepsinbildung, während Licbi g ’scher Extrakt be¬ 
sonders die Saftproduktion anregt Reine Saft- oder reine Pepsinbildncr sind indessen beide nicht. 

Weiter berichtet Verfasser über Versuche, die von Radzikowki und Mark-Schnorf an- 
gestcllt wurden. Ersterer fand im Alkohol einen reinen Saftbilduer, der, ohne Pepsinabsondenmg 
anzuregen, sogar vom Darm aus wirksam blieb. — Schnorf untersuchte zwei Kohlehydrate, 
dsa Inulin und das Leberglykogen, die pepsinbildend wirkten, ohne die Absonderung vom Magen¬ 
saft anzuregen. 

Die Untersuchung weiterer Stoffe in dieser Richtung steht noch aus; doch ist mit obigem 
schon heute die Möglichkeit gegeben, durch Verabfolgung dieser Substanzen die Menge und Zu¬ 
sammensetzung des Magensaftes dem jeweiligen Bedürfniss entsprechend zu beeinflussen. 

Lichtenstein (Berlin). 


E. Freund und 0» Freund, Beiträge zum Stoffwechsel im Hungerzustaude. Wiener kliu 
Rundschau 1901. No. 5—6. 

Die Arbeit enthält die Resultate eines im Jahre 1896 an dem Hungerkünstler Sueci 
21 Tage lang durchgeführten Hungerversuchs. 

Hier können nur einige der interessantesten Befunde wiedergegeben werden. 

Der Gesammt-N sank am zweiten Hungertago auf Vs des ursprünglichen Werthes, von da 
an schrittweise weiter bis zu der auffallend kleinen Zahl 2,8 g am 21. Hungertage. In ähnlicher 
Weise fiel die Menge des Harnstoffs vom zweiten Tage an ziemlich gleichmässig bis auf 3,2: 
während aber das Verhältniss des Harnstoff-N zum Gesammt-N anfänglich 85—89% betrug, fiel 
er bis zu 56 und 54% an den beiden letzten Tagen ab. Die übrigen bekannten N-haitigen Harn- 
bestandtheile zeigten keine entsprechende relative Vermehrung, Ammoniak und Hippursäure wurden 
ständig in annähernd gleichbleibcnder Menge, Harnsäure und Xanthinbasen sowie Kreatinin zwar 
relativ etwas vermehrt ausgeschieden, doch reichte dieser Werth längst nicht, um die relativ hohe 
Gesammt-N-Ausscheidung zu erklären; es ist wahrscheinlich, dass die OxyproteTnsäure hier in Frage 
kommt, die Methoden zu ihrer Bestimmung reichen aber noch nicht aus. 

Auffällig war, dass die neutralen Phosphate sich (relativ zum Gesammt-N) mehr gesteigert 
erwiesen als die sauren, und ebenso zeigte sich die Acidität nur anfangs, die Alkalinität des Harns 
dauernd (relativ) gesteigert; die landläufige Meinung von der ansäuemden Wirkung des Hungere 
bestätigte sich hier also nicht. 

Wie in früheren Hungerversuchen wurde eine relative Vermehrung des neutralen Schwefels 
gefunden; die Aetherschwefelsäuren nahmen nicht zu. 

Aceton und Acetessigsäure (auf Oxybuttersäure konnte nicht untersucht werden) wurde vom 
dritten, Zucker vom achten, Urobilin schon vom ersten Tage an beobachtet. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


G. v. Bunge, Her wachsende Zuekerkonsum und seine Gefahren. Zeitschrift für Biologie 
Bd. 4L Heft 2. 

v. Bunge hält es im Prinzip für unrichtig, die von der Natur uns gebotenen Nahrungs¬ 
gemenge durch chemisch reine Stoffe ersetzen zu wollen, weil wir gamicht wissen, ob nicht allerlei 
Stoffe, welche den natürlichen, nicht aber den chemisch reinen Nahrungsmitteln in geringen Mengen 
beigemengt sind, von wesentlicher Bedeutung für die Ernährung sind (so z. B. das Fluor). Wenn 
wir die kohlchydratlichen Vegetabilien durch chemisch reinen Zucker ersetzen, führen wir dem 
Körper jedenfalls zu wenig Eisen und Kalk zu. Fleisch und Brot enthalten weniger Kalk, als der 
Mensch täglich braucht; erst durch Zulage von Kartoffeln und Früchten wird das nöthige Kalk¬ 
quantum erreicht 

Verfasser glaubt, dass speziell beim Kinde Genuss von reinem Zucker statt vegetabilischer 
Nahrungsmittel zur Verarmung des Körpers an Eisen und Kalk führt; er vermuthet, dass sich die 
Anämie, vielleicht auch die Zahnkaries der Kinder hieraus erkläre. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 507 


Weiter sucht er zu zeigen, dass auch der erwachsene Organismus zum ständigen Aufbau der 
Verbrauchsstoffe wohl dieselben Mengen von Rohmaterial nöthig hat wie der wachsende, dass also 
auch für ihn Ernährung mit Zucker ähnliche Folgen haben könne. D. Gerhardt (Strassburg). 


Erwiu Volt, Die Grösse des Ei Weisszerfalls im Hunger. Zeitschrift für Biologie Bd. 41. Heft 2. 

Um die Grösse des Eiweisszcrfalls im Hunger zu ermitteln, stellt Voit eine grosse Reihe 
von Bestimmungen aus der Litteratur zusammen, die sich auf Versuche an den verschiedensten 
Thierarten beziehen. Eine Vergleichung derselben lehrt, dass die N-Ausscheidung, auf die Gewichts, 
einheit der Thiere bezogen, in grossen Breiten schwankt (allerdings im allgemeinen mit der Grösse 
der Thiere zunimmt), dass sich aber, wenigstens für das gutgenäbrtc ruhende Thier, annähernd 
übereinstimmende Beziehungen des Eiweisszerfalls zum Gesammtcncrgievcrbrauch ergeben; es werden 
nämlich 10—16% der produzierten Kalorieenmenge durch Eiweissverbrennung geliefert. Auch bei 
schlechtgenährten Thieren mit von Haus aus geringem Eiweissbestand scheint in ähnlicher Weise 
die N-Abgabe von dem Gesammtenergieverbrauch bedingt zu werden. 

Leistet das Hungerthier körperliche Arbeit, dann sinkt naturgemäss die Stickstoffausscheidung 
iin Verhältniss zum Gesammtkalorieenwerth. 

Ein weiteres die Grösse des Eiweisszerfalls beeinflussendes Moment findet der Verfasser iii 
dem Fettreichthum des Thieres: ebenso wie sich beim mageren Hungerthier durch Fettzufuhr die 
Stickstoffausscheidung bis um ca. 12% hcrabdrücken lässt, so schützt auch ein reichlicher Fett- 
vorrath das Eiweiss theilweise vor der Verbrennung. Dieses Moment dürfte die immerhin recht 
deutlichen Unterschiede der relativen Eiweisscinschmelzung bei den einzelnen Hungerthieren bedingen. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


F. Blumenthal und J. Wolilgemuth, Ueber Glykogenbildnug ans Eiweiss. Berliner klin. 

Wochenschrift 1901. No. 15. 

Die in der letzten Zeit viel ventilierte Frage, ob die Kohlehydratbildung aus Eiweiss dadurch 
zu stände kommt, dass der im Eiweissmolekül enthaltene Kohlehydratkomplex einfach abgespalten 
werde, oder dadurch, dass aus Ei weisszerfallprodukten (etwa Leucin) synthetisch die Kohlehydrate 
gebildet werden, suchten die Verfasser auf die Weise zu lösen, dass sie die Glykogcnbildung nach reiner 
Eiweissfütterung studierten. Sie verwandten in einer Reihe von Versuchen ein solches Eiweiss- 
präparat, das reichliche Kohlehydratgruppen enthält (Eicralbumin), in der anderen ein solches, in 
dem sich auf keine Weise derartige Gruppen nachweisen lassen, nämlich ein »Glutona genanntes 
Leimpräparat. 

Die Versuche wurden an Fröschen ausgeführt, von denen je 10-15 zu einem Experiment 
dienten; jedesmal diente die gleiche Menge zur Bestimmung des Glykogengehalts zu Beginn der 
Fütterung, eine dritte ebenso grosse Menge, die nur mit Wasser oder Salzlösung gefüttert wurde, 
zu Kontrollbestimmung des Glykogen Verbrauchs während der Versuchszeit. 

Die Resultate mehrerer Versuchsreihen ergaben übereinstimmend, dass das kohlehydratfreic 
Gluton (ebenso wie das früher von Schöndorff untersuchte Kasein) ohne Einfluss auf die Glykogen¬ 
bildung ist, dass durch Eieralbumin der Glykogengehalt der Thiere dagegen beträchtlich steigt. 

Die Verfasser berechnen zudem, dass der durch Eiweiss erzielte Zuwachs an Glykogen fast 
genau der im Ei weisskörper enthaltenen Kohlehydratmenge entspricht Sie glauben somit, dass die 
Glykogenbildung aus Eiweiss lediglich durch Abspaltung präformierter Kohlehydratgruppen, nicht 
durch Synthese aus Leucin (Kasein wie Leim sind sehr reich an Leucin) stattfinde. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


E. Roos, Zur Verwendbarkeit von Pflanzenei weiss als Nährmittel. Deutsche medicinische 
Wochenschrift 1901. No. 16. 

Roos’ Versuche sind mit einem »Plantosec genannten Präparat angestellt, das durch Hitze- 
coagulation aus dem wässerigen Auszug von Rapspresskuchen gewonnen wurde. 

Ein exakt durchgeführter Ausnutzungsversuch zeigte, d iss sich bei einer Kostordnung, welche 
bei ausreichender Kalorieenmenge (1970) etwa i/ 3 der zugeführten Eiweissmenge (6,76 von 16,59 N) 


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508 Referate über Bücher und Aufsätze. 


in Form von Fleisch, den Rest in Form «von Eiern, Milch, Zwieback enthielt, das gesummte Fleisch 
durch die entsprechende Menge Plantose ersetzen liess; die Stickstoffresorption, die vorher 93,5" „ 
betragen hatte, stieg sogar in der Plantoseperiode auf 94,15 o/ 0 an, die N-Retcntion im Körper, die 
vorher täglich 1,8 g betragen hatte, wuchs auf täglich 2,4. 

Weitere Versuche erwiesen, dass das pulvcrfönnigc Präparat auch von fiebernden Kranken 
gern genommen wird (am besten in Kakao eingerührt), und dass cs in einigen Fällen gelang, durch 
Plantosezulage zur vorherigen Kost das Körpergewicht, das bis dahin konstant war, zu steigern. 

D. Gerhardt (Strassburg) 


A. Spieglet-, lieber den Stoffwechsel bei Wasserontziehnug. Zeitschr. für Biologie Bd. 4L lieft J 

Die Versuche sind thcils an Menschen, theils an Runden durchgeführt. Sic ergaben, das# 
kurzdauernde (eintägige) Wasserentziehung eine Abnahme der N-Ausscheidung zur Folge hat, welcher 
zumeist eine Vermehrung nach Beendigung des Versuches folgt; länger#dauernde Wasserkarenz 
hat anfangs auch Abnahme, später aber Steigerung der N-Abgabc zur Folge. 

Verfasser erklärt die anfängliche N-Retention in beiden Fällen als vorgetäuscht durch ver¬ 
langsamte Resorption im Darm, die Vermehrung des Harnstickstoffs nach Beendigung der kurz¬ 
dauernden Wasserkarenz durch Resorption der im Dann angehäuften Nahrung. Längerdauerndc 
Wasserentziehung hat erhöhten Ei weisszerfall zur Folge; die über mehrere Tage sich erstreckende 
scheinbare Verminderung ist wieder durch Verlangsamung der Resorption zu erklären. 

Beim wachsenden Organismus genügt schon recht mässige Beschränkung der Wasscrzufnhr, 
um erhebliches Zurückbleiben des Wachsthums zu bewirken. D. Gerhardt (Strassbürg’. 


Martin Kaufmann, Stoffwechselbeobnclitnng bei einem mit Nebennierensubstanz behandelten 
Fall von Morbus Adisouii. Ceutralbl. für Stoffwechsel- u. Verdauungskrankheiten 1901. No 7. 

Verfasser hat auf der von v. Noordcn’sehen Abtheilung des städtischen Krankenhauses zn 
Frankfurt a. M. einen 25 Tage umfassenden Stoffwcchsclvcrsuch mit Nebennierentabletten (Rhachitol- 
tablctten) bei einem Falle von Morbus Adisonii angestellt und konnte hierbei in Uebereinstimmung 
mit Senator konstatieren, dass die Nobcnniercntablcttcn keinen Einfluss auf den Eiwciss- 
zerfall besitzen. Denn während in derVorpcriodc seines Versuches pro Tag 0,42g N und in der 
ersten Rhachitolperiodc 1,23 gN abgegeben wurden, kamen in der zweiten Rhachitolperiode 0,42 g. 
in der dritten 0,51 g und in der Nachperiode 0,74 gN täglich zum Ansatz. Dabei stieg das Körper¬ 
gewicht von 49,18 kg auf 50,7 kg. — Interessant ist, dass Verfasser ebenso wie Senator iu der 
Rhachitolperiode eine leichte Verschlechterung der N-Ausnutzung im Darm beobachten konnte, ein 
Punkt, der noch weiterer Aufklärung bedarf. Die Ausscheidung der Phosphorsäure gab in dein 
Falle des Verfassers zu keiner Bemerkung Veranlassung. Der Patient, an welchem die Unter¬ 
suchung vorgenommen wurde, zeigte unter dem Einfluss der Behandlung eine Besserung seines 
Allgemeinzustandes und eine Verminderung der Pigmentierung. »Besonders auffallend war, dass 
die Pigmentflecken am Munde theils ganz verschwunden, theils sehr verkleinert waren«. Indessen 
theilte Patient trotzdem das Loos der meisten Addisonkranken, die bisher mit Ncbennicrentabletten 
behandelt worden sind; denn er starb circa vier Monate später. Die Autopsie zeigte eine voll¬ 
ständige Verkäsung der Nebennieren; alle übrigen Organe waren gesund. 

II. Strauss (Berlin). 


Knöpfelmacher, Die Nahrungsmengen im Siiuglingsalter. Wiener med. Presse 1901. No. 17. 

Die Frage, welche Milchquanten für das Gedeihen des Säuglings bei natürlicher and künst¬ 
licher Ernährung erforderlich sind, ist noch nicht definitiv gelöst. Für Brustkinder hat Feer (Jahrb 
für Kinderheilkunde 1896. Bd. 42) vor einiger Zeit Lactationskurvcn aufgcstcllt, die aus direkten 
Bestimmungen der getrunkenen Milchmengen gewonnen sind; danach beträgt die tägliche Nahrungs¬ 
aufnahme eines gesunden Frauenmilchkindes im Mittel 291 g in der ersten Woche, 687 g in der 
815 in der 9., 902 in der 17., 990 in der 25.; und cs entfallen bei 6 — 7 Mahlzeiten pro die in den 
ersten vier Wochen, bei sechsmaligem Anlegen in späterer Zeit auf die Einzcimahlzcit in der ersten 
Woche 42, in der 5. 115, iu der 9. 135, in der 17. 150, in der 25 165 g. Im einzelnen werden 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 509 


weitgehende Abweichungen von diesen Durchschnittswerthen nach unten und, besonders nach längeren 
Nahrungspausen, auch nach oben beobachtet. Wenn 2 —^monatliche Kinder Milchportionen von 
200—250 g und mehr an der Brust trinken und ohne Magenüberdehnung gut vertragen, so erklärt 
sich dies dadurch, dass schon während des Trinkaktes ein Theil der Milch in den Dann weiter be¬ 
fördert wird. 

Knöpfeimacher hält die von Feer berechneten r jetzt vielfach als Standardzahlen betrach¬ 
teten Werte für viel zu hoch. Er beruft sich auf den bekannten, von Heubner und Rubncr an 
einem neunwöchentlichen Brustkinde angestellten Energicbilanzvcrsuch, bei welchem statt der nach 
Feer erforderlichen 815 g nur G08 g Milch pro die verabreicht wurden und bei welchem, obwohl 
infolge rasch einsetzender Diarrhöen 10% Stickstoff durch den Koth in Verlust geriethen, doch noch 
N-Retention und ein geringer Eiweissansatz erzielt wurden; daraus folgert er, dass unter normalen 
Verhältnissen ein zweimonatliches Frauenmilchkind mit ca. 600 ccm Nahrung gut aus¬ 
komm en kann und dass die zur Zeit geltenden Zahlen einer Revision und wahrscheinlich auch einer 
Redaktion bedürfen. Um die Minimalzahlen zu ermitteln, die ein Brustkind zur Erhaltung des Stoff- 
wechsclgleichgewichts und zum physiologischen Wachsthumsansatz braucht, wären derartige Energie- 
bilanzversuche, wie sie seit Pcttenkofer und Voit für das Thier und den erwachsenen Menschen 
vorliegen, auch für das Säuglingsalter in grösserem Umfange vorzunehmen. Regelmässige Körper¬ 
gewichtszunahmen bieten noch keine Garantie dafür, dass die Nahrungszufuhr eine rationelle ist, da 
die Folgen einer durch Ueberfütterung bedingten Magendilatation oft erst nach Wochen und Monaten 
guten Gedeihens sich einstellen. 

Flaschenkinder sind bezüglich der Nahrungsmengen in doppelter Hinsicht schlechter gestellt 
als Brustkinder; einmal müssen bei ihnen längere Nahrungspausen gewählt, die täglichen Mahlzeiten 
auf 6 und später auf 5 reduziert werden, da bei künstlicher Ernährung der Magen nicht schon wie 
beim Brustkinde U/ 2 —2 Stunden, sondern frühestens 3 Stunden nach dem Trinken leer zu sein pflegt; 
zweitens sind die einzelnen Flüssigkeitsvolumina, wenn man als Maassstab für dieselben die Ka¬ 
pazität des Säuglingsmagens in den verschiedenen Altersperioden gelten lässt, geringer zu bemessen. 
Nach Pfaundler’s systematischen Untersuchungen beträgt das Fassungsvermögen des Magens 90 ccm 
am Ende des ersten Monats, 100 nach dem 2., 110 nach dem 3., 125 nach dem 4., 160 nach dem 
6. Monat, ist also für die vier ersten Lebensmonatc deutlich kleiner als die von Feer für die Einzel¬ 
mahlzeiten angesetzten Mittelwerthe. Von Wichtigkeit bei der künstlichen Ernährung ist es ferner, 
dem Kinde eine qualitativ geeignete Milch darzubieten, ihm möglichst ebenso viel latente Energie 
in den Nahrungsstoffen beizubringen, als das Brustkind erhält. Das neuerdings aufgetauchte Be¬ 
streben, jenen Kalorieenvorrath in Form von Eiwcisskörpcm, etwa durch Darreichung unverdünnter 
Milch, zuzuführen, hält Knöpfelmacher für verfehlt, da nach Berechnungen von Camerer von 
der im Kuhmilcheiweiss enthaltenen Energie der grösste Theil (80%) wieder für die Verdauungs¬ 
arbeit desselben verbraucht und als Wärme abgegeben, durch das Plus an Eiweiss auch der Magcn- 
darmkanal des Säuglings in ganz überflüssiger Weise in Anspruch genommen wird. Verfasser giebt 
denjenigen Methoden den Vorzug, welche nicht bloss die absolute Grösse der latenten Energie in 
der Nahrung, sondern auch das Verhältniss der N-haltigen zu den N-freien Nahrungsstoffen berück¬ 
sichtigen und unter Vermeidung übergrosser Eiweissracngen die Zufuhr von Fett und Kohlehydraten 
in der Flüssigkeitseinheit grösser zu gestalten suchen. Auf diesem auch schon von Eschcrich 
bei seiner volumetrischen Ernährungsmethode befolgten Prinzip basieren das Bicdcrt’sche Rahm- 
gemengc und viele nach dem Typus desselben neuerdings im Grossbetrieb hcrgcstellte, als Kindcr- 
milch in den Handel gelangende Molkereiprodukte. Hirschei (Berlin). 


Josiäs und Roux, Essai sur le traitement de la tuberculose pulmonaire chez les enfauts par 
le serum musculaire, suivant le procede de M. M. Charles Richet et Hcriconrt. 
Bulletin gönöral de thörapeutique 1901. Heft 7. 

Die Verfasser, angeregt durch die Erfolge, welche Richct und Hericourt durch die Dar¬ 
reichung grösserer Mengen rohen Fleisches bei Lungentuberkulosen erzielten, wandten bei phthisischcn 
Kindern den ausgepressten Fleischsaft (serum musculaire) an und berichten über günstige Resultate. 
Die minimale Dosis für die Kinder mit einem Körpergewicht von 20—25 kg war 500 g täglich. Die 
Behandlung wurde lange Zeit, sogar bis 7 Monate in einzelnen Fällen, fortgesetzt. 

Schilling (Leipzig). 


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510 Referate über Bücher und Aufsätze. 

E. H. Kisch, Entfettungskuren. Berlin 1901. H. Th. Hoffmann. 

Der auf dem Gebiete der Pathologie und Therapie der Fettsucht lange und wohl bekannte 
Verfasser giebt in dieser Monographie in leicht fasslicher Form eine Uebcrsicht über den derzeitigen 
Stand unserer Anschauungen über Entfettungskuren. Seine langjährige reiche Erfahrung auf diesem 
Gebiete befähigt ihn, besonders in dieser Frage ein Urtheil abzugeben, das ganz abgesehen von 
dieser Eigenschaft schon deshalb Beachtung verdient, weil die Ausführungen des Autors durchaus 
maassvolle, auf wissenschaftlich geläuterter Empirio aufgebaut und von einer allseitigen Betrachtung 
der Materie abgeleitet sind. Recht wohlthuend wirkt die stete Betonung des Werthes eines indivi¬ 
dualisierenden Vorgehens und die Warnung vor schablonenmässigein Handeln und vor Parforee- 
kuren. Auch die stets wiederkehrende Trennung der Fettsuchtsformen in eine plethorisehe und 
eine anämische Form dient entschieden sehr gut den Forderungen der praktischen Therapie. Wh* 
cs natürlich ist, legt Kisch den Schwerpunkt seiner Darstellung auf die Diätbehandlung, die er 
nach allen Seiten hin ausführlich erörtert; aber auch die Angriffspunkte der physikalischen Be¬ 
handlung, wie Herabsetzung der Schlafzeit, Dosierung der Körperbewegung, die thermo-, hydro- 
und balneotherapcutisclie Behandlung, sowi^ auch die medikamentöse und psychotherapeutische Be¬ 
handlung werden eingehend erörtert. Ueber die organtherapeutische Behandlung fallt der Autor ein 
sehr absprechendes Urtheil, und bezüglich der übrigen Behandlungsmethoden hält er sich von schema¬ 
tischen Vorschriften fern. Die Monographie besitzt ihren Werth vor allem darin, dass man in dci 
Schilderung mehr oder weniger bekannter Behandlungsmethoden stets den Maassstab und das Urtheil 
eines auf dem Gebiete der Entfettungskuren ausserordentlich erfahrenen und vor allem nach klinischen 
Gesichtspunkten abwägenden Autore vorfindet. Das Buch kann ausserdem noch wegen der leicht¬ 
verständlichen und glatten Schreibweise bestens empfohlen werden. H. Strauss (Berlin). 


C. Frftukel, Die Verwendung des Alkohols in der Behandlung der Infektionskrankheiten. 

Die Therapie der Gegenwart 1901. Heft 1. 

Den zahlreichen Arbeiten der letzten Jahre, durch die dem Alkohol »aus seinem Ruhmes¬ 
kranze seither ein Blatt nach dem anderen geraubt worden«, schliessen sich die Untersuchungen an. 
dieC. Fränkel durch Dr. Laitinen hat anstcllen lassen, und die in ausführlicher Weise in der Zeit¬ 
schrift für Hygiene, Bd. 34, veröffentlicht sind. Zur Entscheidung der Frage, ob die Empfänglichkeit 
des thierischen Körpers- für pathogene Mikroorganismen durch Alkohol, ebenso wie es für andere 
Gifte bekannt ist, erhöht wird, wurden Thiere mit Milzbrand, Tuberkelbacillen, Diphterietoxin infiziert, 
und das Schicksal alkoholisierter Thiere im Vergleich mit dem von unbehandelten Thiercn beobachtet. 
Der Alkohol wurde als 25% wässerige Lösung per os verabreicht, und zwar in Dosen, wie sie ent¬ 
sprechend unter Umstanden auch beim Menschen zur Verwendung kommen. Um den Verlauf und 
die Einwirkung der akuten und ebenso der chronischen Vergiftung zu studieren, wurde der Alkohol 
entweder in einer bezw. einigen wenigen starken Gaben, oder aber in kleineren, über längere Zeit, 
Wochen und Monate hin fortgesetzten und allmählich steigenden Dosen einverleibt Dabei ergab 
sich zunächst in auffallender Weise die wechselnde individuelle Empfindlichkeit gegenüber dem 
Alkohol, indem einige Thiere auf seine Einführung mit starker Trunkenheit, dauernder Betäubung 
und langwierigem Gewichtsverlust reagierten, während andere der nämlichen Art, von gleicher 
Grösse und Schwere, von demselben Alter, Geschlecht und Ernährungszustand, nicht selten sogar 
Angehörige eines Wurfes nahezu völlig unberührt blieben und sich sofort wieder von dem Eingriff 
erholten. Ein zweites und viel wichtigeres Ergebniss war die durch den Alkohol bedingte Ncr- 
minderung der natürlichen Resistenz gegen die Wirkung der Infektionsstoffe, die ausnahmslos hei 
alkoholempfiudlichen und unempfindlichen Thicren, bei jeder Art der Darreichung, bei akuten un«l 
chronischen Infektionen und Intoxikationen zu konstatieren war. Wenn nun auch Frankel durch¬ 
aus die Meinung vertritt, dass eine unmittelbare Uebertragung des Ergebnisses des Thierversuchs 
auf den Menschen durchaus nicht einwandsfrei ist, namentlich bei einem Gifte wie dem Alkohol, 
dessen sämmtliche Wirkungen den einzelnen Arten und Individuen gegenüber wesentliche Unter¬ 
schiede zeigen, so glaubt er doch, dass in diesem Falle »die Stimme des Thierversuchs nicht un- 
gehört bleiben dürfe«, zumal die klinische Beobachtung gerade beim Alkohol mit beträchtlichen 
Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Er zieht daher aus den mitgetheilten Versuchen den Schluss 
»dass die Benutzung des Alkohols bei der Behandlung infektiöser Erkrankungen auch des Menschen 
mindestens nicht unbedenklich erscheint«. Plaut (Frankfurt a. M.). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


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Reyillet, Ueber Erfahrungen bezüglich der Uebertrngung der Tuberkulose auf Kinder durch 
den Genuss tuberkelbacillenhaltiger Milch. Lyon medical No. 42. 

Dieser Aufsatz steht in krassem Widerspruch zu den von Robert Koch in London vor¬ 
getragenen Mittheilungen. Revillet hat während eines Zeitraums von sechs Jahren in einem 
Departement Frankreichs praktiziert, in welchem die Tuberkulose der Erwachsenen ausserordentlich 
selten, dagegen die des Rindviehs, besonders der Kühe recht häufig ist Ausserdem ist aber da¬ 
selbst, im Gegensatz zu dem seltenen Auftreten der Phthisis pulmonum bei Erwachsenen, die Tuber¬ 
kulose bei Kindern in zahlreichen Fällen zu konstatieren. Während seiner sechsjährigen Praxis 
hat Revillet nicht weniger als 12 Fälle von tuberkulöser Meningitis, 6 Fälle von tuberkulöser 
Peritonitis, einige Fälle von Knochen- und Gelenktuberkulose, sowie zahlreiche Fälle von Skrophu- 
lose bei Kindern beobachtet Die Erkrankungen kamen fast ausschliesslich auf einsamen Gehöften 
und isolierten Bauernhäusern bei den Kindern vor. Da in diesen Häusern die Erwachsenen sämrat- 
Jieh gesund waren und eine Uebertragung der Tuberkulose auf die Kinder durch Einschleppung 
von aussen her als ausgeschlossen gelten kann, so spricht Revillet die Vermuthung aus. dass, 
wenigstens in der grössten Anzahl dieser Fälle, die Tuberkulose bei den Kindern durch den Genuss 
der tuberkelbacillenhaltigen Milch entstanden sei. In dem betreffenden Departement ist die Be¬ 
völkerung noch völlig im Unklaren über die Art und Weise, wie die Milch abgekocht werden muss: 
die Kinder bekommen dieselbe meist in rohem Zustande, ohne Rücksicht darauf, ob die Milch von 
einer gesunden, allgemein oder eutertuberkulösen Kuh stammt. 

Revillet sieht sich also auf Grund seiner eingehenden Beobachtungen veranlasst, dieselben 
Schlusssätze auszusprechen, welche im Gegensatz zu Koch die meisten Kliniker und Hygieniker 
bisher noch vertreten: dass man vorläufig verpflichtet ist, die schärfsten Vorsichtsmaassregeln zur 
Verhütung der Uebertragung der Tuberkulose durch den Genuss tuberkelbacillenhaltiger Nahrung 
zu treffen. 

Im Anschluss hieran möchten wir kurz erwähnen, dass in England eine königliche Kommission 
von fünf Professoren ernannt worden ist, welche einen ausführlichen Bericht über die folgenden 
drei Punkte erstatten sollen: 

1. Ist die Tuberkulose der Menschen und Thicrc identisch? 

2. Ist die Uebertragung der Tuberkulose von Thier auf Mensch und umgekehrt, möglich? 

3. Unter welchen Bedingungen geschieht die Uebertragung der Tuberkulose von Thieren auf 
Menschen, welche Umstände begünstigen die Uebertragung, wolcho sind ihr hinderlich? 

Paul Jacob (Berlin). 


Potapow-Pracaitis, Iuflueuce de quelques principe» alimentaires sur la secretion du sttc 
gastrique et sa richesse en pepsine. Revue mödicale de laSuissc romandp 1901. No. 2 u. 3. 

• Als Ausgangspunkt dienten der Verfasserin bei ihren Versuchen die Arbeiten von Schiff 
und von Pawlow. Schiff hat bekanntlich angegeben, dass nach erfolgter Verdauung einer reich¬ 
lichen Mahlzeit der Magensaft kein oder wenig Pepsin enthält, apeptisch ist, und dass der Magen 
dann für mehrere Stunden unfähig ist, einen peptischen Saft zu liefern; dass weiter der Magensaft 
wieder pcptisch wird, wenn gewisse Substanzen, die er peptogene nennt, resorbiert werden. Solche 
Substanzen sind nach ihm: Dextrin, Fleischbouillon, rohes Fleisch, Brot, Käse, Peptone u. a., während 
koaguliertes Eiweiss, ausgekochtes Fleisch, Olivenöl, Wasser, Rohrzucker, Glykosc, Kochsalz u. a. 
unwirksam sind. Vom Zucker hatte Blondlot s. Zt. gefunden, dass er, per os gegeben, die 
Sekretion anregte, während er dies nicht that, wenn er durch eine Fistel in den Magen direkt ein¬ 
geführt wurde; Blondlot führte diese Wirkung, wohl mit Recht, auf einen Reflex von dem 
Geschmacksorgan aus zurück. 

Da die Schiff’schen peptogenen Substanzen ihre Wirksamkeit auch dann entfalteten, wenn 
sie per rektum oder subkutan oder intravenös gegeben wurden, so folgte daraus, dass sie vom 
Blute aus wirkten; und Schiff nahm ursprünglich an, dass sie auf diesem Wege der Magenschleim¬ 
haut die Materialien zur Pepsinbildung lieferten. Als durch Heiden hain das Propepsin entdeckt 
war, modifizierte Herzen diese Schiff'sche Ansicht dahin, dass die peptogenen Substanzen die 
Umwandlung des unlöslichen Propepsin in das lösliche Pepsin begünstigten. 

Die Pawlow’schen Untersuchungen hatten sich vornehmlich auf die Wirksamkeit des 
psychischen, also cerebro-stomacalen, durch Vaguserregung zu stände kommenden Reflex erstreckt, 
ferner auf die Quantität des Magensaftes unter dem Einfluss verschiedener Nahrungsmittel. Im 


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512 Referate über Bücher und Aufsätze. 


allgemeinen sind die von ihm sogenannten succagogen Mittel dieselben, wie die Schi fUschen 
peptogenen; ausserdem aber nennt er noch Liebig’s Fleisch ex trakt, Wasser (bis 500 g) und Milch. 
Die succagoge Wirkung kommt nur durch direkte (chemische) Reizung der Schleimhaut zu stände, 
wahrscheinlich auf dem Wege des Sympathikus, da Durchschneidung der Vagi ohne Einfluss war; 
bei Einführung per rectum etc. waren die betreffenden Mittel nicht succagog. 

Potapow hat nun durch exakte, einwandsfreie, im physiologischen Laboratorium za 
Lausanne angestcllte Versuchsreihen die Schiff’schcn und Pawlow’schen Ergebnisse bestätigt 
und mit einander vereinigt. Es ist thatsächlich peptogene und succagoge Wirkung der Nahrungs¬ 
mittel auscinanderzuhaltcn; meistens aber sind, wie schon gesagt, beide Eigenschaften in demselben 
Mittel vereinigt So wirkt das von Pawlow nicht berücksichtigte Dextrin auch succagog, aber 
nur in höher Dosis; das von Schiff nicht untersuchte Fleischextrakt wirkt auch peptogen, 
aber ebenfalls nur in hoher Dosis. Die succagoge Wirkung verschwindet, wenn die Sub¬ 
stanzen per rektum gegeben werden, während die peptogene Wirkung bleibt; die letztere kommt 
mithin durch Vermittlung des Blutes, die erstere durch Vermittlung des Nervensystems zu stände. 
Es bleibt indess unklar, was als Ursache dieser Wirkungen anzusehen ist, da eine Beziehung 
zwischen der Verdaulichkeit der Nahrungsmittel und der Menge resp. dem Pepsingehalt des ab¬ 
gesonderten Magensaftes, die von Pawlow angenommen wird, nach den Untersuchungen der Ver¬ 
fasserin nicht existiert. 

Die diätetische Therapie der Störungen der sekretorischen Magenfunktion wird aus den Er¬ 
gebnissen der Verfasserin Nutzen ziehen können 

Die ganze Arbeit ist in einem lebendigen, anziehenden Stile geschrieben. Besonders werth¬ 
voll ist die detaillierte Schilderung der Methodik für den, der ähnliche Untersuchungen anstellt. 

Gotthelf Marcuse (Breslau). 


J. P« Crozier Griffith, M.D., The relatiou of scurvey to recent methods of artificial 
feedings. The Ncw-York medical journal 1901. 23. Februar. 

Vor zwei Jahren veröffentlichte The amcrican pediatric society eine eingehende Untersuchung 
der Möller’schen Krankheit (Scorbutus infantum, akute Rachitis etc.), wie sie in Amerika verkommt. 
Verfasser war damals Mitglied dieser Kommission und bedauert, dass das Komitee sich so un¬ 
bestimmt über die Aetiologie der Krankheit äusserte. Auf Grund der damals gesammelten Falle 
und von 16 Fällen aus seiner eigenen Erfahrung gründend, kommt Verfasser jetzt zu etwas ge¬ 
naueren, aber doch nicht absolut sicheren Resultaten. 

Nach seiner Meinung besteht kein Zweifel darüber, dass »the proprictary infant foods« eine 
grosse Rolle in der Aetiologie des Scorbutus infantum spielen In 379 Fällen, gesammelt von der 
Kommission, waren 214 ganz oder theilweise mit »Proprictary foods< genährt. Griffith glaubt 
dass die Stärke, welche fast alle Nährpräparate in ziemlich grossen Prozenten enthalten, ein 
wichtiger ätiologischer Faktor des Scorbutus ist und räth, bei der Behandlung der Krankheit auf 
diese Verbindung aufmerksam zu sein. 

Langer Gebrauch von sterilisierter oder kondensierter Milch ist auch als häufige Ursache der 
Krankheit zu nennen. In 68 Fällen war sterilisierte Milch die einzige Nahrung, also in 19° * unter 379. 

Unter den gesammelten Fällen erkrankten aber auch zehn Säuglinge, die nur Muttermilch be¬ 
kamen, an Scorbutus. Hieraus scheint sich zu ergeben, dass die Schuld an den unrichtigen Pro¬ 
portionen der Bestandtheile der Muttermilch liegt. Verfasser glaubt, dass der Eiwcissgchalt der 
Muttermilch in diesen Fällen zu niedrig war. 

Zwei Drittel der Fälle von Griffith wurden mit »Proprietär}' foods« genährt und verstärken 
die allgemeine Annahme, dass künstliche Nährpräparate die häufigste Ursache des Scorbutus sind. 

Am Schluss sagt Griffith: »Ich möchte nach eingehendem Studium der Krankheit behaupten, 
dass, obwohl manche Art der Ernährung besonders geeignet ist, Scorbutus zu verursachen, das 
individuelle Element doch sehr maassgebend ist. Es ist ganz besonders der Fall bei dieser Krank- 
heit, dass »what is ohne baby’s mcat is another baby’s poisont. 

Aus dem vorher Gesagten ist leicht zu erkennen, dass mehrere Faktoren eine ätiologische 
Beziehung zum Scorbutus haben: Künstliche Nährpräparate -— sterilisierte Milch — kondensierte 
Milch — unrichtige Proportionen der Bestandtheile der Milch — selbst Muttermilch -- In¬ 
dividualität der Kleinen — u.s.w. Ob die sterilisierte Milch verdient, eine so wichtige Stelle als 
Ursache des Scorbutus infantum einzunehmen, bezweifelt Referent. Holt (Ncw-York) z.B. hat 


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Referate über Büchor und Aufsätze. 513 


unter 1000 Kindern, die ausschliesslich mit sterilisierter Milch genährt wurden, nicht einen einzigen 
Fall der Krankheit beobachtet. 

Referent glaubt, dass die Hauptbezichung zwischen Scorbutus und sterilisierter Milch in der 
Sterilisation von schlechter Milch und nicht in der Sterilisation von Milch, die geeignet für die 
richtige Ernährung von Kindern ist, liegt. Wciss (Berlin). 


B. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Adolf und Heinrich Wolpert, Die Ventilation. (Band III von: Theorie und Praxis der Ven¬ 
tilation und Heizung. 4. Aufl.). Berlin 1901. 

In der Theorie wird kaum einer zu leugnen wagen, dass unser Organismus auf jede Ver¬ 
änderung in unserer Umgebung reagiere. Aber bei der Betrachtung der anscheinend pathologischen 
Reaktionen, die wir Krankheiten zu nennen pflegen, worden gewohnheitsgemäss nur einzelne Mo¬ 
mente bewerthet, z. B. chronische Alkoholzufuhr, Lues, Blei, Abkühlungen u. s. w., während andere 
Faktoren in dem uns umgebenden Milieu mehr oder weniger ignoriert werden. Dahin gehören etwa 
die impondcrablen Kräfte des Lichtes, der Wärme, der Luftelektrizität; die kosmisch-tellurischen 
Einflüsse, von denen Prochaska gewiss mit Recht sagt: »Wenn die Attraktion (der Sonne und 
des Mondes) so mächtig ist, dass sie solche Lasten des Wassers heben und schwellen machen kann 
(Ebbe und Fluth), so muss man glauben, dass sie auf die übrigen Körper nicht ganz unwirksam sein 
müsse«, und schliesslich auch die enorme Menge der psychischen Vorgänge. 

In einem merkwürdigen Gegensatz zu dieser Unterbcwerthung — wenn dieser Ausdruck ge¬ 
stattet ist — steht die Masse von Kenntnissen, welche die Techniker und Hygieniker über die Ver¬ 
hältnisse der Luft zusammengetragen haben; leben wir doch eigentlich mehr von ihr, als von den 
Kombustibilien, in deren Kalorieenbercchnung als der Emährungstherapie letztem Schluss noch immer 
Manche schwelgen. Es ist eine glückliche Idee, dass die beiden Brüder Wolpert, Techniker und 
Hygieniker, die Hygiene der Luft gemeinsam bearbeiteten. 

Im ersten Abschnitt werden die chemischen, im zweiten die physikalischen und bakteriolo¬ 
gischen Luftanalysen besprochen, dann folgen allgemeine Erörterungen über die Ventilation, z. B. 
Luftverunreinigung durch den Lebensprozess, durch die Beleuchtung, Giftigkeit der Haut- und 
Lungenausscheidungen, Porosität der Wände und dcrgl. 

Die Berechnungen von Luftgeschwindigkeiten bei Ventilationscinrichtungen, die anthrakome- 
trischen Vcntilationsformeln und die Vorrichtungen für Lüftung durch Temperaturdifferenz und Wind 
sind zunächst mehr für den Techniker von Interesse, bieten jedoch, ebenso wie das Kapitel über 
Wind und Anemometer, auch für den Arzt als Physiologen viel des Wisscnswerthen. 

Wer aber nicht die Müsse hat, das ganze Werk durchzustudieren, der wird gewiss wenigstens 
den Totalcindruck gewinnen, dass uns in unventiliertcr Luft viele Schädlichkeiten umgeben, deren 
Bedeutung vielleicht weniger in die Sinne fällt, als Alkohol und Nicotin, welche mit diesen aber 
hinsichtlich der krankmachenden Wirkung ohne Zweifel konkurrieren können. 

Buttersack (Berlin). 


Tarabrln, Zar Behandlung der GeschwUrc mit strahlender Wärme« Wratsch 1901. No. 20. 

’ Tarabrin wandte auf der Hautabtheilung des Taganrog’schen Krankenhauses an 18 Patienten 
strahlende Wärme, erzeugt durch den bis ans rothe Glühen erhitzten Pacquelin*sehen Brennapparat, 
mit glänzendem therapeutischen Effekt an. Sein Kranken material betrifft 11 Fälle von Ulcus molle, 
4 mit Bubonen, 2 Ulcera inveterata, 1 Fall von schwieligem Geschwür. Verfasser bedient sich eines 
dicken Ansatzstückes, das er dem Geschwüre zuerst auf 5—6 cm nähert, um dann die Entfernung 
auf 3—2 cm zu reduzieren, bis ein leichtes, gut zu ertragendes Brenngefühl eintritt; dann rückt man 
wieder bis auf 4—5 cm weg. Die Sitzung dürfte 2—5 Minuten betragen. Je brandiger das Geschwür, 
desto weniger empfindlich ist es, man nähere dann den Pacquelin bis auf 2 cm; erst nach der zweiten 
oder dritten Sitzung, wenn sich das Geschwür gereinigt hat, empfindet der Patient dabei Schmerz, 
sodass man weiter fortrücken muss. 

Vor der Sitzung soll das Geschwür gesäubert und getrocknet werden, nach derselben schütte 
man irgend ein indifferentes Pulver darauf und schütze es durch Watte und einen Verband. 

ZeUschr. t düt u. physik. Therapie Bd. V. Hoft 6. 05 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


Die Vernarbung und Heilung trat in auffallend kurzer Zeit ein, wie cs Verfasser bei keiner 
Behandlung sonst je beobachtet hatte, und zwar beim einfachen weichen Schanker nach 2 bis 
6 Sitzungen, bei Bubonen nach 9 bis 15, bei inveterierten Geschwüren nach 11 und IG Sitzungen, 
und bei einem bereits 14 Monate bestandenem schwieligem Geschwüre nach 19 Sitzungen. Keinerlei 
Nebenerscheinungen unangenehmer Art wurden bemerkt. Tarabrin führt den Erfolg des Ver¬ 
fahrens auf die durch dasselbe verursachte sehr intensive aktive Hyperämie zurück. Das äussere 
Aussehen der Geschwüre ändere sich ungemein rasch. Es drängt sich die Frage auf, ob auch auf 
andere Weise durch Glüh-, Bogenlampen etc. erzeugte strahlende Wärme ähnlich zu wirken vermag. 

Simon (Wiesbaden). 


Heinrich Alapy, Baineotherapeutische Behandlung der tuberkulösen Gelenks- und Knochen¬ 
krankheiten bei Kindern« Orvosok lapja 1901. No. 20. 

Uebcr die guten Erfolge der balncotherapeutischen Behandlung bei tuberkulösen Gelenks- und 
Knochenerkrankungen von Kindern berichtend, kommt Verfasser zu der Schlussfolgerung, dass die 
Behandlung der tuberkulösen Gelenks- und Knochenaffektionen weder der Balneologe noch der 
Chirurg ausschliesslich für sein Bereich reklamieren darf; denn die besten Resultate sind bei diesen 
Krankheiten zu erreichen, wenn die beiden nicht einander gegenüber, sondern nebeneinander und 
einander ergänzend den Kampf gegen die grosse Geissei der Menschheit, gegen die Tuberkulose, 
aufnehmen. Das Baden der erkrankten Gelenke wendete er bei seinen Fällen, von der vierten bis 
fünften Woche der Nachbehandlung angefangen, ganz regelmässig an und führt die günstige 
Wirkung der Bäder einerseits auf dio allgemein tonisierende Wirkung derselben, andrerseits auf 
jene lokale Wirkung zurück, welche die warmen Bäder theils durch dio exakte Entfernung der 
Sekrete, theils durch energische Wucherung der hyperämischcn Wunden zu stände bringt, und zwar 
ohne die geringsten Schmerzen dabei zu verursachen. J. Honig (Budapest). 


Sarason, Ueber Wasserkuren im Rahmen der wissenschaftlichen Heilkunde. Zweite Auflage 
Berlin und Leipzig 1901. 

Mit der vorliegenden Schrift, die sich sowohl an die Acrzte, wie an das gebildete Laien¬ 
publikum wendet, beabsichtigt der Verfasser, den Zweck und das Wesen der Hydrotherapie ein¬ 
gehend darzulegcn, und namentlich die vollständige Adoption der Wasserbehandlung von Seiten 
der wissenschaftlichen Medicin dringend zu befürworten Diese eingehendere Berücksichtigung der 
Hydrotherapie ist aus zweierlei Gründen eine absolute Nothwendigkeit: einmal können dadurch die 
therapeutischen Leistungen auch auf dem Gebiete der inneren Krankheiten auf ein höheres Niveau 
als bisher gebracht werden, und zweitens bietet sich damit das beste Mittel zur Bekämpfung der 
Kurpfuscherei. Denn den Kurpfuschern wird sicherlich mehr und mehr der Boden zu ihrem 
unheilvollen Wirken entzogen werden, wenn das Publikum sieht, dass die Aerzte unter der Losung 
»praktisches Heilen um jeden Preis« auch vor so mühevollen und zeitraubenden Methoden, wie sic 
gerade durch eine sachgemässe Anwendung der Hydrotherapie oft erfordert werden, nicht zuruek- 
schrccken. Freilich ist dazu eine peinlich genaue Kenntniss und Ausführung der hydro¬ 
therapeutischen Methoden unbedingtes Erforderniss; denn sonst werden hier oft Misserfolge erzielt, 
die dann mit Unrecht der ganzen Methode in die Schuhe geschoben werden, während sic in Wirk¬ 
lichkeit nur durch deren unrichtige Anwendung verschuldet sind. Bei genauer Beachtung der 
Vorschriften, wie sie sich theils aus der hydrotherapeutischen Systematik, theils aus den individuellen 
Verhältnissen eines jeden einzelnen Patienten ergeben, wird man auch finden, dass sich die Hydro¬ 
therapie in viel mehr Fällen wird anwenden lassen, als man bisher vielfach noch annimmt. 

Nachdem der Verfasser in Anbetracht dessen, dass er sich auch an den gebildeten Laien 
wendet, den vielfach verbreiteten Irrthum, dass unter Hydrotherapie nur Kaltwasserheil verfahren 
zu verstehen ist, widerlegt und sich auch dagegen verwahrt hat, jene therapeutische Methode als aus¬ 
schliessliches Allheilmittel bei allen Krankheiten zu betrachten, geht er dazu über, auf Grund der 
Winternitz'sehen Forschungsergebnisse die physiologische Wirkung des Wasserheilverfahrens aus¬ 
einanderzusetzen. Eine Erläuterung der praktischen Anwendung des Verfahrens giebt er dann 
an der Hand der sich dazu am meisten eignenden Krankheitsgruppen, der akuten Infektions¬ 
krankheiten einerseits und der konstitutionellen Krankheiten andrerseits. Von den letzteren 


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werden die Fettsucht und die Chlorose in ihrer Behandlungsweise eingehend geschildert; es 
wird hervorgehoben, dass die Hydrotherapie das am besten wirkende und dabei am wenigsten 
schwächende Entfettungsmittel bildet, und dass gute, oft erstaunliche Erfolge sich oft in Fällen 
von Chlorose mit kurzen, kalten Wasserapplikationen erzielen lassen, denen man, um 
jeden Wärmeverlust des Körpers zu vermeiden, zweckmässig eine vorherige Anwärmung im Heiss¬ 
luftbad oder Lichtbad vorangehen lässt. Auf diese oder ähnliche Weise wird man auch die schwäch¬ 
lichsten und empfindlichsten Personen, wie Verfasser mit Recht bemerkt, meistens an das kalte 
Wasser gewöhnen können. Daneben sind auch Schwitz Prozeduren bei manchen Blutarmen 
von sehr guter Wirkung. Die bei diesen Kranken durch hydrotherapeutische Maassnahmen erreichte 
Gewichtszunahme lässt sich oft auch bei derartig behandelten Tuberkulösen, und zwar auch 
noch in den vorgeschrittenen Stadien, erzielen. Vielleicht hätte der Verfasser noch darauf hinweisen 
können, dass sich auch sonstige Symptome der Tuberkulose oft in der erfolgreichsten Weise durch 
rationelle hydrotherapeutische Maassnahmen bekämpfen lassen. 

Die Schrift Sarason’s ist in anregendem, flotten, aber nirgends in aggressivem Ton ge¬ 
schrieben, und von einem stellenweise wohl etwas übertriebenen, im allgemeinen aber nicht unbe¬ 
rechtigten Enthusiasmus durchweht. Sie ist ein populärwissenschaftliches Werkchen im besten 
Sinne des Wortes, denn sie vermeidet es ausdrücklich, irgendwo Anleitung zum Selbstkurieren zu 
geben. Aber auch der sich für die physikalischen Heilmethoden interessierende Arzt wird aus der 
kleinen Schrift viel Anregung schöpfen können, deren Lektüre daher nur aufs Wärmste empfohlen 
werden kann. A. Laqueur (Berlin). 


Hecht, Die Heissluftbehandlung bei chronischen Mittelohreiterungcu. Münchener mcdicinische 
Wochenschr. 1901. No. 24. 

Nach Hecht ist die Methode der Heissluftbehandlung bei Mittelohrciterungcn noch sehr 
jung, nur zwei Arbeiten sind darüber bisher veröffentlicht worden. Die erste von Andrews, 
welcher zuerst darauf aufmerksam machte, die zweite von Hessler, der sie als nutzlos verwarf. 
Schon früher hat man die Paukenhöhle nach dem Ausspritzen durch Lufteinblasungen vom Gehör- 
gang oder von der Tube aus möglichst ausgetrocknet; diese Behandlungsart ist von Andrews 
dahin modifiziert worden, dass er »erwärmte« Luft ins Ohr cinblies, um den Bakterien einen mög¬ 
lichst trockenen und damit ungünstigeren Nährboden zu bereiten. 

Hessler bekämpfte die Methode, weil er eine baktericide Wirkung von der für das Ohr er¬ 
träglichen Wärmegraden nicht anerkennt, während er die Wirkung vielmehr in der durch die Heiss¬ 
luftbehandlung hervorgerufenen aktiven Hyperämie der Gewebe sicht. Hecht selbst hat mit ver¬ 
schiedenen Apparaten, deren Vervollkommnung er noch für erwünscht hält, erfolgreiche Versuche 
mit der Heissluftbehandlung bei chronischen Mittelohreiteningen gemacht und erklärt die Wirkung 
dieser Therapie damit, dass 

1. die wiederholten Ausspülungen die Oberfläche der Schleimhaut maccricren und dadurch 
dem Hcilungsprozesse entgegenwirken und ferner maceriertes Gewebe ein günstiger Nährboden für 
Bakterien sei, Uebelstände, welche die Heissluftbehandlung beseitige; 

2. durch die heisse Luft eine aktive Hyperämie, eine kräftigere Durchströmung des Gewebes 
mit Blut hervorgerufen werde, deren heilender Einfluss allgemein anerkannt sei. 

Haike (Berlin). 


C. Gymnastik und Massage, Liegekuren. 

A. Erlenmeyer, Ueber die Bedeutung der Arbeit bei der Behandlung von Nervenkranken 
In Nervenheilanstalten. Berliner klinische Wochenschrift 1901. No. 6. 


Während der Verfasser der Arbeit als therapeutischem Faktor bei der Behandlung der Geistes¬ 
kranken der verschiedensten Art grosse Bedeutung beimisst, verlangt er grössere Vorsicht bei der 
Beurthcilung dieser Frage bei den Nervenkranken sensu strictiori, also bei dem sogenannten »funk¬ 
tionellen« Neurosen. Vor allen Dingen muss zu diesem Zwecke die Neurasthenie von der 
Nervosität scharf unterschieden werden; bei Neurasthenikern im engeren Sinne, d. h. bei 
Personen, die an einer pathologisch gesteigerten Müdigkeit und Schlaffheit nach irgend einer kleinen 

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Referate über Bücher und Aufsatze. 


Beschäftigung leiden, will Erlenmeyer die Arbeit ganz ausgeschlossen wissen; hier ist Rahe 
und Schonung die einzig richtige Therapie. Nur in den Fällen kann eine richtig ausgewählte Thätig- 
keit auch bei Neurasthenikern günstig wirken, wo daneben auch psychopathologische Er¬ 
scheinungen bestehen, wie das namentlich oft bei der »Unfall-Neurasthenie« der Fall ist. 
Bei der Nervosität dagegen, bei der es sich hauptsächlich um eine übergrosse Reizbarkeit 
handelt und wo bei an sich manchmal erhaltener Leistungsfähigkeit die Erregungszustände das 
Krankheitsbild beherrschen, ist neben der anfänglichen körperlichen und geistigen Ruhe eine später¬ 
hin eingeleitete Behandlung mit Arbeit (natürlich nur mit körperlich-mechanischer) bei richtiger An¬ 
wendung von ganz vorzüglicher Wirkung. Vor allem ist hier das Radfahren ein ausgezeichnetes 
Heilmittel. 

Für die anderen hier in Betracht kommenden Nervenkrankheiten (Hysterie, Epilepsie. 
Chorea, Tetanie, Paralysis agitans etc.) lassen sich keino so allgemein gültigen Regeln be¬ 
züglich der Arbcitsbchandlung aufstellen; dieselbe hat, wo sic anzuwenden ist, auf den Verlauf der 
eigentlichen Krankheit hier nur wenig Einfluss, aber sic ist von grossem Werthc bei Bekämpfung 
von psychopatologischen Komplikationen dieser Neurosen. Bei Rückenmarkskrank¬ 
heiten kommt die Arbeit nur in den zur Gymnastik und kompensatorischen Uebungstherapio ge¬ 
eigneten Zuständen in Betracht, bei Gehirnkrankheiten ist sie ganz zu verbieten. 

A. Laqueur (Berlin). 


Naumann, Ueber die Luftliegekur bei der Behandlung der chronischen Lungentuberkulose. 

Verfasser wendet sich gegen die heute geübte Anwendung der Luftruhekur bei nicht 
fiebernden, wohlgenährten, kräftigen Lungenkranken, während er dieselbe für Fälle mit erhöhter 
Temperatur, für zum Gehen zu schwache und für unterernährte Patienten auch weiterhin an¬ 
gewendet sehen möchte. Für die erstero Kategorie soll die Ruhekur nur als Erholungspause hic 
und da eintreten, wie schliesslich ein durch einen Spaziergang ermüdeter Gesunder auch etwas 
ruht Die durch die Flachliegekur bei solchen Kranken beabsichtigte Wirkung (Beeinflussung der 
Spitzen durch venöse Stauung) beruht nur auf Hypothesen und ist daher von zweifelhaftem Werthe, 
zumal der Organismus dadurch in seinen Funktionen (Appetit, Verdauung, Schlaf etc.) gestört wird. 

Verfasser verweist auf die grossen Erfolge, welche Brehmer ohne Ruhekur erzielte, und 
empfiehlt, das Augenmerk lieber auf eine zweckmässigcrc Anwendung der beiden wichtigen Heil¬ 
faktoren, Uebung und Schonung, zu richten. Viktor Lippert (Wiesbaden). 


F. Cautru, Massage abdominal. Scs indications dans les dyspepsies gastro-intestinalcs. Journal 
des practiciens 1901. No. 20. 

Die Bauchmassage reguliert vor allem durch ihre Wirkung auf die allgemeine Zirkulation den 
Stoffwechsel. Von den zahlreichen Fällen, in denen sie darum mit Vortheil angewendet werden 
kann, bespricht Cautru nur die Anwendung bei den Affektionen der Digestionsorgane. Er setzt 
zunächst die Technik der Bauchmassage und ihre physiologische Wirkung auseinander und leitet 
daraus ihre Indikationen bei den Dyspepsien ab. 

Die Bauchmassage umfasst: L die Totalmassagc des Bauches; 2. die Massage der Därme; 
3. die Massage des Magens. 

Selbst bei den Affektionen, die auf Magen oder Dickdarm begrenzt sind, beginnt man zweck¬ 
mässig mit der Totalmassage: der Magen ist wegen seiner verborgenen Lago nur durch Vermittlung 
der Masse der Bauchorgane zu erreichen; Affektionen des Magens sind fast immer von Darmstörungen 
begleitet, endlich wirkt die Totalmassage kräftigend auf die oft schwache Bauchmuskulatur und an¬ 
regend auf die abdominale Zirkulation, die nervösen Plexus, die Sekretion der Leber und des Pankreas. 
Je nach dem Effekt, den man erzielen will, kann dio Totalmassagc oberflächlich oder tief, kalmierond 
oder excitierend ausgeübt werden. Im wesentlichen wird die Wirkung bestimmt durch die Wahl unter 
den verschiedenen Anwendungsformen der Massage (Effleurage, Hachures, Tapotements, Vibration» etc.) 
und der Intensität, mit der man die einzelne anwendet. Man kann so jo nach seinem Belieben be¬ 
stehende Schmerzen verringern, Spasmen lösen u. s.w., oder, wie auch an Versuchen kontrolliert wurde, 
die Sekretion der drüsigen Bauchorgane (Magen, Leber, Pankreas, Darm, Nieren) anregen, die Vor¬ 
wärtsbewegung des Magen- und Danninhalts durch Auslösung von peristaltischcn und antiperistaltischen 
Kontraktionen der Magen- und Darmmuskulatur befördern, eventuell auch durch Wirkung auf die 


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Referate über Bücher nnd Aufsätze. 


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Bauchmuskulatur u. s. w. und die Bauchzirkulation respektive die allgemeine Zirkulation verschieden 
beeinflussen. Die Dauer einer Totalmassage des Bauches darf bei schwachen Personen nicht länger 
als 5—6 Minuten, bei kräftigen 15—20 Minuten betragen. 

Die Massage des Darms hat nichts besonderes, nur insofern, als bei der Massage des Dick¬ 
darms zunächst eine Massage des S-Romanum vorzunehmen ist, um dessen Inhalt nach dem Rektum 
zu evaeuieren. 

Die Massage des Magens wird oberflächlich kalmierend ohne jede Kontraindikation bei allen 
schmerzhaften Sensationen, Spasmen des Pylorus u. s.w. angewendet werden können, excitierend bei 
gastro-intestinaler Atonie, Hypopepsie; sie ist kontraindiziert bei Ulcus, Cancer und in den Fällen, 
wo die Entleerung des Magens zu schnell erfolgt oder die Sekretion der Drüsen gesteigert ist. Die 
tiefe Massage des Magens reguliert die Zirkulation in seinen Wandungen und damit die Sekretion 
seiner Drüsen. Grosse atonischo Magendilatationen gehen zurück durch regelmässigcre Entleerung des 
Mageninhalts und Kräftigung seiner Muskulatur. Diese evaeuiorende Wirkung der tiefen Magen¬ 
massage hat man experimentell bei Anwendung der Oel- oder der Salolprobc kontrollieren können. 

Bevor man bei gastrischen Dyspepsien massiert, muss eine bestimmte chemische Diagnose 
eventuell auf Grund der Analyse des Magensaftes gestellt werden. Die Massage ist indiziert bei 
der Hypochlorhydrie und in gewissen Fällen von Apepsie (Apepsie tabagique, Apepsie nerveuse nur 
in Verbindung mit absoluter Ruhe und unter ständiger Kontrolle des leicht wechselnden Chemismus, 
Apepsie par atrophic glandulaire nur in den Fällen, wo die Drüsenatrophie sich an eine Gastritis, 
nicht an Cancer und dergleichen anschloss). In Fällen von Hypcrchlorhydrie kann bei schmerzhaften 
Sensationen eine oberflächliche kalmierende Massage angewendet werden. Eine tiefe Massago ist 
absolut kontraindiziert bei der Hyperchlorhydrie der Nervösen, dagegen indiziert bei der Hyper- 
chlorhydrie der Plethorischen u. s. w., bei denen darnach ein Sinken des Gehalts an freier Salzsäure 
und eine starke Diurese eintritt. 

Von intestinalen Dyspepsien giebt die Massage gute Erfolgo bei Obstipation, chronischen 
Diarrhöen, Enteritis muco-membranacea, Typhlitis chronica stercoralis. Die Appendicitis dagegen 
ist eine absolute Kontraindikation der Massage. 

Die Bauchmassage wird so stets bei einer Menge gastro-intestinaler Zustände grosse Dienste 
leisten, vorausgesetzt, dass sie sachverständig und unter Beobachtung aller weiteren in Frage 
kommenden Heilfaktoren angewendet wird. Lemke (Dresden). 


M. Dagron, Hassothdrapie. Le Bulletin medical 1901. No. 48. 

Davon ausgehend, dass die Massago im besonderen bei der Behandlung von Frakturen und 
allen Affektionen des motorischen Apparats werthvolle Dienste leistet, bezeichnet es Dagron als 
nothw'endig, dass die Massago durch den Arzt selbst ausgeübt wird. Jeder Arzt könne leicht ein 
guter Masseur werden, und nur der Arzt, der die Gewebe und Organe des Körpers in ihren 
normalen und pathologischen Zuständen kenne, könne mit den verschiedenen Anwendungsformen 
der Massage in der je nach dem Einzelfallc, dem Alter des Kranken, der Periode der Krankheit u.s.w. 
wechselnden und dafür zweckmässig zu erachtenden Weise variieren. 

Dagron geht dann auf die allgemeinen Grundzüge der Technik der Massage ein. Die 
Massage solle cinwirkcn auf die Gewebe und Organe des Körpers und ihre Funktionen. Ein 
krankes Organ müsse je nach den Symptomen, die cs darbietet, massiert werden. Die Körperhaut 
diene dabei nur dazu, die Wirkung auf die von ihr umschlossenen Organe, Gelasse, Nerven, 
Muskeln u.s.w. zu übertragen. Man fette sie, um sio schlüpfrig zu machen, mit Vaseline oder der¬ 
gleichen ein. Die Massage erfordere eine intakto Haut; bei Hautdefekten und dergleichen müsse 
man die betreffenden Stellen umgehen oder ihre Heilung abwarten. Das Auftreten einer Akne 
oder eines Furunkels müsse man durch peinliche Sauberkeit zu vermeiden suchen. In dem 
massierten Körperthcil befördere die Massage den Blutkreislauf, die Aufsaugung von Blutergüssen, 
Oedemen, Exsudaten, die Kräftigung der Muskulatur, die Bildung von Knochen seitens des Periosts u.s.w. 

Der Körper sei so zu lagern, dass der zu massierende Körperthcil im Zustande völliger Er¬ 
schlaffung und gut zugängig sei. Bei der Massage müsse der Arzt möglichst glcichmässig arbeiten, 
am ein Spannen seitens des Patienten zu vermeiden. 

Die einzelne Sitzung setze sich zusammen aus der eigentlichen Massage, den passiven und 
aktiven Bewegungen der benachbarten Gelenke und den Uebungcn der betreffenden Muskeln. 


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Unter diesen Formen kämen für den Einzelfall nur die für ihn zweckmässigen in Frage, die dem¬ 
gemäss ausgewählt werden müssen. Ebenso hänge die Dauer und die Zahl der Sitzungen von den 
Besonderheiten des Einzelfalles ab. Die Sitzungen müssten täglich, in geeigneten Fällen zweimal 
täglich stattfinden; die Dauer der Einzelsitzung solle nicht mehr als höchstens eine halbe Stunde, 
die Dauer aller Sitzungen nicht mehr als 40 — 60 Tage betragen. Auch an die Massage trete bei 
chronisch Kranken allmählich Gewöhnung ein; es sei darum zweckmässiger, dann die Kur ab¬ 
zubrechen und später wieder aufzunehmen. Die letzten Sitzungen fänden in Zwischenräumen von 
2 — 3 Tagen statt Nach jeder Sitzung müsse der Arzt die von dem massierten Körperteil ein¬ 
zunehmende Stellung bestimmen und eventuell den Körpertheil in ihr fixieren. Zweckmässig als 
eigentliche Massage sei nur die Efflcuragc. Uackungen, Klopfungen und dergleichen seien zu ver¬ 
werfen; sic wirkten nie auf die ganze Ausdehnung eines Gewebes und seien nur Quetschungen ver¬ 
schiedener Intensität. Die Efflcuragc müsse stets von der Peripherie zum Zentrum hin gemacht 
werden und ihrer Intensität nach im Laufe jeder Sitzung und der ganzen Behandlung sich all¬ 
mählich so steigern, dass man schliesslich einen Druck, der zuerst schmerzhaft w r ar, ausüben könne, 
ohne noch Schmerzen zu erregen. Die Effleurage müsse mit der Hand gemacht werden. 

Wo man auch immer die Massage anwende — und man wende sie fast im ganzen Gebiete 
der Pathologie, bei äusseren und inneren Krankheiten an —, immer seien die oben angegebenen 
Grundzüge dieselben und immer müssten sie sich nur der Eigenart der verschiedenen Organe an- 
passen. Lemke (Dresden). 


D. Orthopädie und Apparatotherapie. 

Justus Thiergeh, Ueber Korsett uud Reformkleidung« Münchener medicinischc Wochen¬ 
schrift 1900. No. 32. 

In der ganzen grossen Korsettlitteratur, wie sie sich seit 100 und mehr Jahren gesammelt 
hat, findet sich nicht eine einzige Abhandlung, die genauere Angaben über die Grösse des Korsett- 
druckes enthält. Der Verfasser suchte durch mühevolle Versuche, die am Krankenmaterial der 
Leipziger dermatologischen Station ausgeführt wurden, diese Lücke auszufüllen. Aus zahlreichen 
Einzelmessungen, die mittels eines eigens konstruierten Dynamometers gefunden wurden, ergiebt sieh: 


für die flache Athmung: ein Druck von 

über der Taille.1,45 kg 

über dem unteren Brustkorb . . 1,5 » 

über dem oberen Brustkorb ... 1,6 » 

für die tiefe Athmung: 

über der Taille.2,1 kg 

über dem unteren Brustkorb . . 3,1 » 

über dem oberen Brustkorb ... 4,1 d 


Während also für die flache Athmung der Druck an allen drei Messflächen sich nahezu gleich 
bleibt, wächst er bei der tiefen Athmung sehr erheblich infolge des zunehmenden Wideretandcs 
des Brustkorbes. Rechnet man dem Taillcndruck von 1—2 kg im Durchschnitt noch die Belastung 
hinzu, die durch Binden der Unterkleider oberhalb des Korsetts und durch das Kleid selbst aus¬ 
geübt wird und die mit etwa V 2 kg zu bewerthen ist, so beträgt der durch die moderne Kleidung 
auf die Taille ausgeübte Druck gegen 2 kg. Nach oben und unten nimmt der Druck in ver¬ 
schiedenem Grade ab, um an gewissen exponierten Punkten über dem unteren Theil des Brustkorbs 
bedeutend anzusteigen. Dieser mittlere Druck von 2 kg wird durch den vielfach höheren Druck 
der Bauchpresse (bei weiblichen Personen etwa 13 kg, bei jungen kräftigen Männern gegen 15 kg) 
kompensiert und überwunden. Irrthümlich wäre es aber, hieraus auf die Harmlosigkeit des Korsetts 
überhaupt zu schliessen. Ein Drittel und die Hälfte des Tages ruht die Bauchpresse, und dann ist 
der Korsettdruck unbehindert thätig. Diese Zeit genügt vollständig, um allmählich die Rinne und 
Furche in der Taillenlinie hervorzurufen, die wir bei keiner Frau vermissen, welche mehrere Jahre ein 
Korsett getragen bat. So bilden sich die schädlichen Wirkungen des Korsetts aus: Schwächung der 
Rückenmuskulatur, mangelhafte Ventilation der gedrückten Hautpartie, mangelhafte Zirkulation w 
der Haut sowie in den Organen des Pfortaderkreislauf cs, Kompression des Thorax, Verdrängung 


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des Dünndarms nach unten unter Hervorwölbung des Bauches, infolge davon die verschiedensten 
Verdauungsstörungen, Veränderung der Form von Leber und Magen. Die neuere Bewegung für 
Reformkleidung hat richtig erkannt, dass eine Entlastung der Taille stattfinden muss und dass dies 
zur Hauptsache durch Verminderung des Gewichtes der Unterkleidung anzustreben ist. Ein Streit 
besteht eigentlich nur noch darüber, ob man das übrig bleibende Gewicht gleichmässig auf Hüfte 
und Oberkörper oder auf Oberkörper bezw. Schultern allein vertheilen soll. In England und 
Amerika bevorzugt man die sogenannte »Kombination«, d. h. ein Kleidungsstück, dass die Unter¬ 
kleidung vollständig ersetzen soll und Hemd und Hose in einem Stück vereinigt. In Deutschland 
neigt man mehr zu Reformkorsetts, die nach Leibchenform aus weichem nachgiebigem Stoff ge¬ 
fertigt, der Körperform angepasst, ohne Schnürvorrichtung und ohne Stäbe vom und hinten sind. 
Sic haben breite Tragbänder über den Schultern und reichen höher hinauf als die Korsetts. Seit¬ 
liche Knöpfe in der Taillenlinie tragen den Unterrock oder den sogenannten getheilten Rock, die 
Rockhose der Radfahrerinnen. 

Die Reform ist nicht bei der Generation der Mütter, die noch unter dom Zwang der Mode 
und der Gewohnheit stehen, in Angriff zu nehmen, sondern bei der heranwachsenden Jugend. 

Forchheimer (Würzburg). 


J. Friedländer, Beitrag zur mechanischen Behandlung der Lungentuberkulose. Therapie 
der Gegenwart 1901. Februar. 

Der Verfasser sucht den Nachweis zu führen, dass die von Erni in die Phthisiotherapie ein¬ 
geführte Klopf kur nicht ohne weiteres verworfen zu werden verdient. Die Klopf kur besteht in 
einem Klopfen der Thoraxwände mittels eines silbernen Klopfmessers, das mit losem Handgelenk 
gehandhabt wird und in rythraischen Intervallen auf die Körperfläche herabfällt; die Dauer der ein¬ 
zelnen Sitzungen beträgt 10 bis 15 Minuten. Die Wirkung dieses Klopfens ist eine doppelte; ein¬ 
mal wird ein suggestiver Einfluss auf das Allgemeinbefinden ausgeübt; der Appetit steigert sich 
und die Stimmung hebt sich. Sodann aber wird eine lokale Reaktion des Lungengewebes in 
vielen Fällen beobachtet, welcher der Reaktion auf Tuberkulin sehr ähnelt und bei fortgesetztem 
Klopfen wieder verschwindet. Der Verfasser steht nun nicht auf dem Standpunkte, dass er eine 
Heilung der Tuberkulose auf grund dieses Vorganges für wahrscheinlich hält; wohl aber glaubt er, 
dass die Klopfkur geeignet ist, die stagnierenden Zustände der Tuberkulösen aufzurütteln und eine 
Besserung in die Wege zu leiten. Er setzt diese Behandlungsmethode etwa auf eine Stufe mit 
einer rationellen Wasserbehandlung; letztere hat vielleicht einen grösseren Anwendungskreis, während 
die erstere den Vorzug einer intensiven Wirkung hat. Freyhan (Berlin). 


£. Elektrotherapie. 

Margaret A. Cleaves, Arthritis deformans and thebenefits of electrical trentment. New- 
York medical jouraal 1900. 

Verfasserin berichtet über einige Fälle von Arthritis deformans, die durch Behandlung mittels 
Elektrizität ausserordentlich günstig beeinflusst wurden. In dem einen Falle handelte es sich um 
eine Patientin, die seit fünf Jahren an Rheumatismus litt und schwere deformierende Ver¬ 
änderungen ihrer Gelenke aufwies. Nach 23 Sitzungen innerhalb drei Monaten — zur Anwendung 
gelangte Influenzelektrizität — trat eine bedeutende Besserung ein, die sich in Schmerzlindcrung, 
zunehmender Kraft, Beweglichkeit etc. äusserte. Nach weiteren 18 Sitzungen konnten schon be¬ 
trächtliche Entfernungen zurückgelegt, leichtere Arbeiten schmerzlos verrichtet werden, die Ankylose 
der Fingergelenke schwand. In einem zweiten Falle handclto cs sich um Verdickungen der 
Phalangcalgelcnke der Finger und der Zehen, die ebenfalls seit Jahren bestanden. Behandelt wurde 
dieser Fall mit einem konstanten Strombad und zwar mit sieben Sitzungen innerhalb 33 Tagen. Schon 
nach der ersten Sitzung zeigte sich Besserung, die Schmerzen Hessen nach, Beweglichkeit und Appetit 
wurden besser, von Sitzung zu Sitzung schritt die Besserung der lokalen Beschwerden wie des 
Allgemeinbefindens fort. In beiden Fällen wurden keine Arzneien verabreicht. 

Es ist von Interesse, dass bei der Behandlung dieser Fälle keine lokale Anwendung der 


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Elektrizität vorgenommen, sondern in beiden Fällen eine elektrische Behandlung des gesammten 
Organismus eingeschlagen wurde, mit der Tendenz, solche Veränderungen der Ernährung hervor¬ 
zurufen, dass dadurch die lokalen Deformationsprozesse, die subjektiven Beschwerden günstig be¬ 
einflusst würden. J. Marcuse (Mannheim). 


Robert Kienböck, Ueber die Einwirkung des Röntgenlichtes auf die Haut. Wiener klin. 

Wochenschrift 1900. No. 50. 

Es bestand seit längerer Zeit unter den Autoren, die sich mit Röntgentherapie befassten, die 
Streitfrage, ob die Wirkung der Röntgenbestrahlung auf die IIaut, die sich in der bekannten Itöntgen- 
dermatitis äussert, durch die X-Strahlen selbst hervorgerufen werde oder ob sic nur, wie andere 
behaupteten, eine Folge der bei Erzeugung der Röntgcnstrahlcn vor sich gehenden elektrischen 
Entladung sei. Kienböck entscheidet nun diese Frage in seiner sehr ausführlichen Publikation 
zu Gunsten der erstcren Theorie. Es sind nämlich die Verschiedenheiten in den Angaben der 
Autoren über Zeit und Art des Eintritts der Hautveränderungen bei den Bestrahlungen resp. Durch¬ 
leuchtungen mit X-Strahlen darauf zurückzuführen, dass die Qualität der angewandten Röntgen¬ 
röhren eine verschiedene war; Kienböck fand, dass die bisher gebräuchlichen Röhren mit 
nicht regulierbarem Vacuum bei fortgesetztem Gebrauch immer »härter« wurden, d. h. einen 
immer höheren Luftverdünnungsgrad erreichten. Wird nun eine solche Rohre sehr »hart«, so kann 
sie von dem elektrischen Strom bei bestimmter Spannung nur noch zum Theil oder bei allzu grosser 
»Härtea gar nicht mehr durchdrungen werden; der Ausgleich der Elektrizität erfolgt dann zum grossen 
Theil resp. ausschliesslich durch elektrische Entladungen ausserhalb der Röhren, und die Folge ist, 
dass eine solche Röhre nur noch spärliche bezw. gar keine Röntgenstrahlen mehr aussendet. Kien¬ 
böck konnte nun bei längerer Anwendung einer solchen nicht regulierbaren Röhre, die sich in der 
beschriebenen Weise verhielt, bei einer Reihe von Patienten, die wegen verschiedener Ilautleidcn 
behandelt wurden, weder das Eintreten einer Röntgendermatitis noch eine wesentliche Besserung 
des Hautleidens beobachten. Dieses Bild änderte sich nun mit einem Schlage, als der Verfasser 
statt der alten eine neue, ihren Vacuumgohalt automatisch regulierende Röhre iu Gebrauch 
nahm, die also die Eigenschaft, wirkliche Röntgenstrahlen auszusenden, auch bei längerem Gebrauch 
beibchiclt. Bei allen Patienten traten nunmehr nach etwa zwei Wochen starke Hautentzündungen 
auf, zugleich begann aber auch sich der gewollte therapeutische Effekt (Heilung der Lupus¬ 
knötchen, Haarausfall bei Sykosis. abnormem Haarwuchs und dergl.) einzustellen. Das beweist, dass 
sowohl die Röntgendermatitis als auch die therapeutische Wirkung der Röntgen¬ 
bestrahlung auf Wirkung der X-Strahlen selbst beruht*. Durch eine Reihe von ver¬ 
gleichenden Versuchen, die Kienböck mit den »zu hatten« und den selbstregulierbaren »mittel- 
weichen« (diese sind die wirksamsten) Röhren anstellte, hat er diese Theorie bestätigt 

Ein weiterer Beweis für obige Theorie und gegen die Hypothese von der Wirksamkeit der 
elektrischen Entladung bei Röntgenbestrahlung ist auch die Thatsache, dass die Haut Verände¬ 
rungen um so stärker sind, jo näher die bestrahlte Hautstelle dem Focus in der Antikathode, 
von dem allein ja die X-Strahlen ausgehen, liegt, während ja die elektrische Entladung von allen 
Stellen der Röhren aus wirken müsste, ferner auch darin, dass Substanzen, welche die elektrische 
Entladung vollständig abhielten (wie Kautschuk), die Haut vor einer Röntgendermatitis nicht zu 
schützen vermochten. 

Aus der Anwendung der sehr wirksamen, selbstregulierbaren, mittelweichen Röhren, die 
Kienböck auf Grund des obigen zu therapeutischen Maassnahmen empfiehlt, ergaben sich für die 
therapeutische Praxis folgende Schlüsse: Man gebe zunächst 3—5 Sitzungen an auf einander- 
folgcnden Tagen von je 10—15 Minuten Dauer; die Röhre wird dabei in etwa 20 cm Entfernung 
von der Haut angebracht; vor einem Näherrücken der Röhre sowie von einer längeren Dauer der 
einzelnen Sitzungen ist dringend zu warnen. Die Stärke des angewandten Primärstromes soll 3 bis 
G Ampöres betragen, die Zahl der Unterbrechungen desselben in der Sekunde 15—20. 

Nach einer solchen Serie von Sitzungen warte man nun 2—3 Wochen, es tritt dann mit Be¬ 
stimmtheit die Reaktion der Haut ein, die sich in Haarausfall, leichter Injektion, Schwellung und 
Braunfärbung äussert. Erst nach dem Ablauf dieser Veränderungen beginne man wieder, w'cnn nöthig. 
eine neue Serie und wiederhole solche Serien je nach Bediirfniss. Zu erwähnen ist hierbei, dass in 
Bezug auf die Reaktion, entgegen den bisherigen Anschauungen, bei Anwendung der Röntgen¬ 
bestrahlung in der beschriebenen Form die Unterschiede der individuellen Disposition nur 


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sehr gering sind; dagegen besteht natürlich verschiedene örtliche Disposition der verschiedenen 
Körpertheilc. 

Die Anwendung der höchst wirksamen selbstregulicrbaren Rohren zur Durchleuchtung zu 
diagnostischen Zwecken gebietet ebenfalls besondere Verhaltungs- und Schutzmaassrcgeln sowohl 
für den Patienten als auch für den untersuchenden Arzt, deren Einzelheiten neben den vielen hoch¬ 
interessanten Details über Art der Röntgendermatitis, kumulierende Wirkung der X-Strahlen etc. 
im Original nachzulesen sind. A. Laqucur (Berlin). 


S. Schatzky, Die Grundlagen der therapeutischen Wirkung der Franklinisation. Zeitschrift 
für Elektrotherapie und ärztliche Elektrotechnik 1901. Heft 1. 

Die hauptsächlichste Ursache, warum der Franklinisation in neuerer Zeit ein ganz besonderer 
Skeptizismus von Seiten der Acrzto ent gegen gebracht wird, sicht Verfasser in der von Faraday 
festgcstellten Thatsachc, dass die statische Elektrizität sich nur an der Oberfläche der elektrisierten 
Körper ansammelt. Daraus schloss man mit Recht, dass dio Ladung eines menschlichen Körpers 
mit statischer Elektrizität in ruhendem Zustande die inneren Eigenschaften des Körpers nicht be¬ 
einflussen könne. Auch ein sogenannter »elektrostatischer Druck« auf die Haut findet nicht statt; 
die elektrische Spannung kann vielmehr nur die umgebende Atmosphäre beeinflussen, in welcher, 
da ihre Dichtigkeit bedeutend geringer ist, als die des thierischen Körpers, sich die Elektrizität 
nach Möglichkeit auszubreiten sucht. 

Es ist also zuzugeben, dass Ladung des Körpers mit Elektrizität im ruhenden Zustande 
keinen Einfluss auf den Organismus ausüben kann; ganz anders verhält cs sich aber, wenn die 
Elcktrizitätsmassc in Bewegung gesetzt wird, wenn sie von einem Körper auf den anderen über¬ 
geht. In diesem Falle wird im Organismus eiuc Arbeit hervorgerufen; denn nach Maxwcll’s De¬ 
finition ist dio Arbeit eine »Ucbertragung der Energie von einem System in ein anderes«. Da nun, 
wie sich leicht zeigen lässt, alle in der Therapie angewandten Arten der Franklinisation gerade in 
einem Ucborgang der elektrischen Energie des Organismus in einen anderen Leiter bestehen, so 
wird dadurch eine Arbeit im Organismus geleistet, welche sich nothwendiger Weise in demselben 
durch gewisse Veränderungen manifestieren muss. 

Schatzky sucht nun den einzelnen therapeutischen Prozeduren der Franklinisation experi¬ 
mentell näher zu treten und beschäftigt sich zunächst mit dem Franklin’schen Funken. Er stellt 
ein Gefäss mit Jodkaliumstärkekleister auf einen Isolicrschcmcl, verbindet es mit dem negativen 
Pol der statischen Maschine und zieht mit der Knopfelektrode Funken aus dieser Mischung. Es 
zeigt sich sofort an den Punkten, die mit dem Funken in Kontakt geriethen, Blaufärbung, also die 
Reaktion des freien Jods auf Stärkemehl. 

Durch verschiedene Variationen des Experimentes, die hier nicht geschildert werden können, 
zeigt Schatzky, dass der Funke die Elektrolyse nicht nur an den Applikationsstcllcn, sondern 
auch im Innern des Elektrolyten erzeugt, dass also die Elcktrizitätsmengen, welche bei der Funken¬ 
entladung neutralisiert werden, nicht blos an der Oberfläche abgleitcn, sondern auch theilweise in 
die tieferen Partien des Körpere eindringen. 

Verfasser zeigt ferner dadurch, dass er dio Jodkaliumstärkcmasso mit besseren respektivo 
schlechteren Leitern umgiebt, dass für den Durchgang und die Verthcilung der elektrostatischen 
Massen in den Leitern dieselben Gesetze gelten, welche für den konstanten Strom festgestellt sind, 
dass nämlich dio besseren Leiter beim Passieren der Elektrizität bevorzugt werden. 

Als Resultat seiner experimentellen Untersuchungen sicht Schatzky als fcstgcstellt an, dass 
die Franklinisation elektrochemische Vorgänge im Innern des Körpers anregt, und 
dass sie also auf diese Weise den Prozess des allgemeinen Stoffwechsels zu beschleunigen, andrer¬ 
seits auch pathologische Ansammlungen aus dem Organismus zu eliminieren im stände ist. 

Dio Funkenbehandlung speziell hat nun ausser den allgemeinen Einwirkungen noch lokale 
Wirkungen. Dieselben äussem sich in einer Muskelkontraktion, wenn der Funke einen Muskel 
resp. einen motorischen Nerven getroffen hat, und ferner in einer Erblassung und darauffolgenden 
Röthung der Haut. Diese Erscheinungen sind als eine Reizwirkung auf die motorischen resp. vaso¬ 
motorischen Nerven aufzufassen, die theils mechanisch bedingt sein kann (durch die mechanische 
Arbeit beim Entladungsprozess), hauptsächlich aber sicher als ein elektrochemischer Vorgang auf¬ 
zufassen ist Man hat nämlich anzunehmen, dass dem Reizvorgange molekulare elektrochemische 
Prozesse im Nerven zu Grunde liegen, welche durch den Franklin'schen Strom nach obigen 
Experimenten ebenso angeregt werden, wie durch den konstanten und induzierten. 


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Was nun die anderen gebräuchlichen Franklinisationsmethoden anbetrifft, den statischen Wind 
und das ötatische Luftbad, so weist Verfasser von ereterem durch anlaoge Versuche mit Jodkalium- 
stärkclösung nach, dass er ebenfalls elektrolytische Prozesse hervorruft Der elektrische Wind stellt 
nur einen zerstreuten, in Milliarden Parzellen aufgelösten Funken dar und besitzt dieselben Eigen¬ 
schaften wie dieser. Er wirkt daher ebenfalls therapeutisch durch Beschleunigung des allgemeinen 
und lokalen Stoffwechsels, durch elektrolytische Entwickelung von freiem Sauerstoff und Entfernung 
von pathologischen Ansammlungen. 

Ganz dieselben Eigenschaften entwickelt auch das elektrische Luftbad, nur in bedeutend ab- 
gcschwäcbtem Maasse. Da die den Körper umgebende Luft infolge der Wasserdünstc etc. stets ein 
gewisses Leitungsvermögen besitzt, so findet ein beständiges Abströmen elektrischer Massen statt. 
Es findet daher, ganz wie bei den anderen Prozeduren, eine Passage von Elektrizität durch den 
Körper statt, wodurch elektrolytische Prozesse angeregt werden. 

Nach seinen Experimenten ist Schatzky also der Ueberzeugung, dass bei allen Franklini¬ 
sationsmethoden die Vergrösserung und Beschleunigung des Stoffwechsels durch elektrochemische 
Vorgänge die Grundlage der therapeutischen Wirksamkeit bildet, und spricht zum Schluss die Ueber¬ 
zeugung aus, dass Niemand die Deduktionen seiner Arbeit anfechten wird. 

Trotz dieser Ueberzeugung des Verfassers möchte Referent doch eine kritische Bemerkung 
wagen. Die experimentellen Resultate Schatzky’s sind zweifellos bedeutsam und einwandsfrei. 
Sie führen den interessanten Nachweis, dass die Franklinisation ebenso wie andere Elektrisations- 
arten im menschlichen Körper elektrochemische Vorgänge anregt. Damit ist aber noch nicht be¬ 
wiesen, dass dieser Einfluss auf den Chemismus des Körpers auch einen therapeutischen Ein¬ 
fluss darstcllt. Schatzky begeht hier den logischen Fehler, dem man in der therapeutischen 
Littcratur so häufig begegnet: jedes Agens, welches nachweislich irgend einen physikalischen oder 
physiologischen Effekt im Organismus hervorruft, soll — so schliesst man — darum ohne weiteres 
auch ein therapeutisches Agens vorstcllcn! Dieser Schluss ist aber gewiss nicht berechtigt! 
Was z. B. den hier in Betracht kommenden Stoffwechsel anbetrifft, so wissen wir, dass derselbe in 
seiner Grösse ausserordentlich starken Schwankungen unter den verschiedensten Einflüssen aus- 
gesetzt ist. Zuntz erwähnt z. B. in einem lehrreichen Aufsatz (S. 99 ff. dieser Zeitschrift), dass schon 
die beim Stehen, Umhergehen und den kleinen Verrichtungen des täglichen Lebens ausgeführten 
Muskelleistungen den Stoffverbrauch in individuell verschiedener Weise um 20—75 % des Ruhe- 
worthes steigen. 

Von den Frau kl in’sehen Prozeduren nun hat Schatzky allerdings nachgewiesen, dass sie 
chemische Umsetzungen im Körper bewirken; welche Grösse dieselben aber erreichen, darüber er¬ 
fahren wir nichts. Nehmen wir an, der Stoffumsatz würde durch eine Franklin’sche Sitzung viel¬ 
leicht in demselben Maasse gesteigert, wie durch einmaliges Umhergehen im Zimmer, könnten wir 
diesem Einfluss der Behandlung dann noch einen therapeutischen Werth zusprechen? 

So verdienstlich also auch der von Schatzky erbrachte Nachweis der elektrochemischen 
Einwirkung der Franklinisation ist, so müssen wir doch erst präzise Angaben über die Grösse 
dieses Faktors verlangen, ehe wir die therapeutische Wirksamkeit der Franklinisation auf denselben 
basieren dürfen. Mann (Breslau). 


Frankenhäuser, Die praktische Verwerthung der elektrochemischen Erscheinungen für die 
Balneotherapie. Deutsche Medicinal-Zeitung 1900. No. 60. 

Frankenhäuser führt in einem vor der baineologischen Gesellschaft zu Frankfurt a 0. ge¬ 
haltenen Vorträge die grundlegenden Erscheinungen der Elektrochemie vor, welche er bereits in 
früheren Arbeiten besprochen hat (vgl. Referat in dieser Zeitschrift. Bd. 4. S. 344f.). Er erimmert 
daran, dass in jedem feuchten Leiter die gelösten Bestandteile (Salze, Säuren und Laugen) zum 
Theil in zwei Komponenten, die sogenannten Jonen, zerfallen, von denen die eine, das Anion, mit 
negativer, die andere, das Kation, mit positiver elektrischer Ladung versehen ist. 

Wird eine Lösung von einem galvanischen Strom durchflossen, so wandern dio Anionen 
(Säureradikale, Hydroxyl) nach der Anode, die Kationen (Metalle, Wasserstoff) nach der Kathode. 
Es wandern also z. B. in einer Kochsalzlösung die Natriumjonen nach der Kathode, die Chlorjomn 
nach der Anode. An den Elektroden angekommen, geben sie ihre elektrische Ladung ab und er¬ 
halten dadurch die Eigenschaften freien Natriums resp. freien Chlors. 

Wenn nun der galvanische Strom nicht nur eine Salzlösung, sondern ausserdem noch einen 
anderen Leiter, z. B. den menschlichen Körper passiert, so findet infolge der Jonen Wanderung an 


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den Grenzen der beiden Leiter ein ganz gcsetzmässiger Austausch von Bestandteilen statt, und 
inan kann auf diese Weise verschiedene Stoffe in den Körper cinführcn. Die Menge der ein¬ 
geführten Stoffe lässt sich aus der Starke uud Dauer des Stromes genau berechnen. Viele Stoffe, 
z. B. die Schwermctallc, wirken bei ihrer elektrochemischen Einführung stark ätzend auf die Haut, 
sie führen Mumifizierung oder Verschorfung derselben herbei. Andere lassen sich aber ohne 
chemischo Wirkung auf die Haut in erheblichen Mengen in den Körper einführen, z. B. Natrium, 
Kalium etc. von der Anode, Chlor, Jod, Brom von der Kathode her. 

Verfasser geht nun nach Demonstration dieser grundlegenden Versuche auf die natürlichen 
Mineralwässer über. Die Mineralwässer stellen stets Losungsgemische sehr vieler leitender 
Substanzen dar. Es lässt sich durch einfache Versuche zeigen, dass in solchen Mischungen alle 
leitenden Bestandteile an dem Transport der Elektrizität theilnehmen und dass dementsprechend 
auch die Einwirkung solcher Mischungen auf die Haut spezifisch für die chemische Zusammen¬ 
setzung der betreffenden Lösung ist. 

Frankenhäuser hält es nun für möglich, dass aus den elektrochemischen Vorgängen die 
Wirksamkeit der Mineralbäder sich wird herleiten lassen. Es lässt sich feststcllen, dass im Bade 
sich elektrische Ströme zwischen dem Badewssser und dem Körper des Badenden entwickeln, deren 
Stärke von der chemischen Zusammensetzung und Leitfähigkeit des verwendeten Wassere abhängt. 
Wir kennen zwar die Strommengen nicht, die dabei zur Entwickelung kommen. Wir können nur 
Stromschleifen messen und wissen, dass diese sehr schwach sind. 

Immerhin aber hält es Frankenhäuser nicht für ausgeschlossen, dass aus dem durch 
diese Ströme ausgelösten elektrochemischen Vorgängen eine spezifische Wirkung der gewöhnlichen 
Mineralwasserbäder sich wird erklären lassen. Mann (Breslau). 


Mini ne, lieber ein vereinfachtes Verfahren der Lupusbeliandlnng durch die Phototherapie. 

Semaine m6d. 1901. No 38. 

Dies Verfahren besteht darin, an Stelle des komplizierten Finsen’schcn Apparates eine 
50 Kerzen starke Lampe, welche mit einer blauen Glocke und mit einem Reflektor versehen ist, 
anzuwenden. Die Lampe wird in einer Entfernung von ungefähr 70 cm vor den Patienten in 
der Weise gestellt, dass ihre Strahlen rechtwinklig auf die zu bestrahlende Fläche fallen. Die Be¬ 
strahlung soll täglich zehn bis fünfzehn Minuten lang stattfinden. 

Min ine will mit diesem Verfahren innerhalb eines Monats die vollständige Heilung eines 
schweren Lupus der linken Backe, welcher bereits auf die Mundschleimhäute übergegangen war, 
erzielt haben; auch in anderen Fällen sollon seine Resultate vorzüglich gewesen sein 

Paul Jacob (Berlin). 


F. Verschiedenes. 

W. Shukow sky, Die englische Krankheit nnd ihre Unabhängigkeit von der relativen Luft« 
feuchtlgkelt. Medizinskoje Obosrenie 1899. No. 2. 

0. Hagen-Torn, Die englische Krankheit, ihre Symptome, ihr endemischer Clmrakter nnd 
ihre Abhängigkeit von der relativen Feuchtigkeit der Luft. Wratsch 1899. No. 43. 

Shukowsky stellte in den verschiedensten Gegenden Russlands Beobachtungen und 
Recherchen über die Häufigkeit der Rachitis an und fand im Norden des russischen Reiches, in 
einigen Kreisen des Gouvernements Petersburg, bei der Landbevölkerung G0% Rachitis; und zwar 
waren von den Säuglingen GO<>/ 0 und von den älteren Kindern 49°/ 0 von der englischen Krankheit 
befallen. Weiter nach dem Süden hin, also in Wcstrussland, in den Gouvernements Grodno, Wilna 
und Ssuwalki, betrug der Prozentsatz der rachitischen Kinder 48°/ 0 . Noch südlicher, im Gouvernement 
Wolynien, litten an der englischen Krankheit 37,3 o/ 0 der Säuglinge und älteren Kinder, während 
ganz im Süden, in derKrym und im Gouvernement Taurien, das Verhältnis der rachitischen Kinder 
blos 14,5°/ 0 war. Die Beobachtungen Shukowsky’s in derKrym an den dort geborenen Kindern 
und an den zugereisten zeigten ihm zur Evidenz den überaus heilsamen Einfluss des südlichen 


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524 Referate über Bücher und Aufsätze. 


Klimas: frühzeitiges Schwinden der Spuren der englischen Krankheit, rasches Verschwinden der 
Iaryngospastischen Aniälle und der Kraniotabcs, fast völliges Fehlen der schweren rachitischen Er¬ 
scheinungen, frühes Eintreten des physiologischen Verhältnisses zwischen den Maassen des Thorax, 
des Kopfes und der Körpcriängo, Fehlen von Karies der Zähne und rasches Verschwinden der 
rachitischen Symptome von dem Momente ab, wo das Kind das Zimmer zu verlassen beginnt, so 
dass man die ausgesprochene Rachitis nur an ganz jungen Kindern beobachten kann. 

Shukowsky suchte nun festzustellen, ob der relative Feuchtigkeitsgehalt der Luft in der 
That bei der Entwickelung der Rachitis eine Rolle spiele, und konnte auf grund einer ganzen Beihe 
von Untersuchungen und Beobachtungen den Schluss ziehen, dass zwischen dieser Krankheit 
und der relativen Luftfeuchtigkeit kein ätiologisches Vcrhältniss bestehe. Wohl 
aber spielen nach des Autors Ansicht klimatische Einflüsse eine Rolle: die durch¬ 
schnittliche Jahrestemperatur der Luft, die Zahl der hellen sonnigen Tage, die Windrichtung u.s.w., indem 
der länger dauernde Aufenthalt der Kinder ausserhalb des Zimmers von diesen Faktoren abhängig ist 

Einer ganz entgegengesetzten Ansicht ist 0. Hagon-To rn. Seiner Meinung nach gehurt die 
Rachitis weder zu den Infektionskrankheiten, noch steht sic in irgend welcher Beziehung zur 
Quantität oder Qualität der Nahrung. Die bei dei englischen Krankheit zu konstatierende Er¬ 
nährungsstörung sei als ein Folgezustand der Krankheit, nicht aber als die Ursache derselben zu be¬ 
trachten. Eine grosse ätiologische Bedeutung komme dem relativen Feuchtigkeitsgehalte der Luft 
zu; wenigstens für Russland decke sich die Ansteigung der Krankheitsverbreitung mit dem zu¬ 
nehmenden Feuchtigkeitsgehalt der Luft nach dem Nordwesten hin. Hagcn-Torn kommt zu dem 
Schlüsse, dass in den Gegenden, in welchen die relative Jahresfeuchtigkeit 800/ o übersteigt, die 
Rachitis einen gewöhnlichen, fast physiologischen Zustand darstcllt; bei 80 bis 70% der mittleren 
relativen Luftfeuchtigkeit kommt die Rachitis nur bei besonders ungünstigen Wohnungsverhältnissen 
und bei mangelhafter Pflege der Kinder vor; bei einer Verhältnisszahl der Luftfeuchtigkeit unter 
70% entwickelt sich die Rachitis äusserst selten. A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch). 


S. Spassokukotzky, Die Kapillardrainage bei Hydrops anasarca kardialen Ursprungs« 

Wratsch 1899. No. 38. 

8. Schwarz, Ueber die mechanische Behandlung der Hydropsien kardialen Ursprung*. 

Wratsch 1900. No. 20. 

J. Maslennikow, Die mechanische Behandlung allgemeiner Oedeme. Jeshcnedelnik 1900. Mai. 

K. Dehio, Ein Apparat zur mechanischen Behandlung des Hydrops anasarca und Unter¬ 
suchungen über die chemische Zusammensetzung der Oedemflüssigkeit. St Petersburger 

medicinische Wochenschrift 1900. No. 51. 

Zur mechanischen oder chirurgischen Behandlung des Hydrops anasarca oder des Oedems des 
Unterhautzellgewebcs benutzt Spassokukotzky Glasröhrchen, denen er eine besondere Form ge¬ 
geben hat. An den Ausflusstheil mit möglichst weitem Lumen schliesst sich ein leicht gebogeoer 
enger Hals an, während das Ende der Kanüle, welches in den Hautschnitt eingelegt wird, eine 
ampullenförmige Erweiterung und Ausbuchtung darstellt Nachdem dio Füsse des Kranken mit 
Seife, Alkohol und einer desinfizierenden Flüssigkeit gewaschen sind, macht man mit einem spitzen 
Messer je einen Einstich in die äussere und innere Seite der beiden Unterschenkel, etwa 3—4 
Finger breit oberhalb der Knöchel; in dio Oeffnungen werden dio Glaskanülen mit dem erweiterten 
Ende eingeführt und eiu wenig aufwärts unter die Haut geschoben. Die Ausbuchtung an dem 
einen Ende schützt einerseits die Kanüle vor dem Hcrausfallen und lässt andrerseits nicht die Oedem¬ 
flüssigkeit an ihr vorbeifliessen. Da das Glasröhrchcn glatt und unbedingt sauber ist, so reizt cs 
die Wunde keineswegs. Auf das freie Ende des Röhrchens wird ein dünner Gummischlauch ge¬ 
zogen, xvährend der Kranke eine sitzende Stellung einnimmt. In vier Fällen von Oedemen kardialen 
Ursprungs erzielte Spassokukotzky sehr aufmunternde, zum Theil unerwartete Resultate. Nach 
seiner Meinung ist die Kapillardrainage ein zweifelllos sehr wirksames Mittel für die Beseitigung 
eines so schw eren Svinptomes bei den Herzkrankheiten, wie cs die Oedeme sind, und verdient des¬ 
halb doit angewendet zu werden, wo die medikamentöse Therapie bereits erschöpft ist, obgleich 
sie nicht als ein radikales Mittel angesehen w erden kann. Bei verhältnissmässig unbedeutendem 
Anasarka ist die Kapillardrainage weder indiziert noch wirksam. 

Sclnvarz behandelte sechs Fälle von Hautödem bei Herzfehlern mechanisch, und zwar vier- 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 52o 

mal mit Skarifikationen und aufsaugenden Verbänden, wobei das Resultat ein gutes war, und zwei¬ 
mal mit subkutaner Schlauchdrainage nach Fürbringer, wobei der Erfolg ein minder befriedigender 
war. In der Moskauer Gesellschaft für innere Mcdicin (Sitzung vom 29. März 1900) stellte Schwarz 
folgende Gesichtspunkte für den in Rede stehenden Gegenstand auf. Wenn Ruhelage und mittlere 
Gaben von Digitalis keine günstige Wirkung im Sinne der Vermehrung der Urinsekretion und Ver¬ 
minderung der Schwellungen mehr auf weisen, so muss an die mechanische Entfernung der letzteren 
geschritten werden, nach Eliminierung etwaiger Flüssigkeitsansammlungen in den Körperhöhlen. 
Bei der Beobachtung der nothwendigen Vorsichtsmnassrcgeln der aseptischen und antiseptischen 
Wundbehandlung drohen die Maassnahmen zur mechanischen Entfernung der Oedeme weder mit 
Erysipel noch mit Gangrän. Von den verschiedenen in Vorschlag gebrachten Methoden sind am 
einfachsten die tiefen Skarifikationen, aber sie erfordern eine aufmerksame Pflege und viel Verband¬ 
material ; ebenso sind im allgemeinen einfach und gefahrlos gut polierte und sich nicht oxydierende 
Kapillarröhrchen, wenn man sie nicht allzu lange liegen lässt; die allerschlechtesten von ihnen sind 
die Glaskanülen nach Spassokukotzky, während die subkutane Gumraischlauchdrainagc nach 
Fürbringer, falls sie sich nur als wirksam erweisen sollte, eine sehr einfache und äusserst bequeme 
Methode darstellen würde. In anbetracht der grossen Vorzüge der unmittelbaren Entfernung der 
Hautödeme und in Hinsicht auf die geringfügige Gefahr der Infektion oder des plötzlichen Todes 
bei derselben verdient die mechanische Behandlung des Hydrops anasarca weite Verbreitung und 
allgemeine Anwendung, besonders dort, wo die Maassregeln der Sauberkeit und der Asepsis durch¬ 
geführt werden können. Dagegen muss die Ansicht, als ob sie blos ein ultimum refugium wäre, 
fallen gelassen werden, denn bei einer solchen Anschauung riskieren wir uns nur dann an sie zu 
wenden, wenn auch diese Methode nicht mehr imstande ist, dem im fruchtlosen Kampfe erschöpften 
Herzen Hilfe zu leisten. 

J.MasIennikow lobt sehr die Kapillardrainage nach Spassokukotzkybei der mechanischen 
Behandlung der allgemeinen Oedeme. Er verwendete sio in drei Fällen von chronischer Nephritis, 
in einem Fall von Emphysem und einmal zu diagnostischen Zwecken. Die von Spassokukotzky 
empfohlenen Kanülen ersetzte Maslennikow durch Glasdrains mit mehreren Seitenöffnungen, da 
diese bereits fertig zu haben sind und mehr Flüssigkeit durchzulassen vermögen. Nach des Ver¬ 
fassers Ansicht liegt keine absolute Nothwendigkeit vor, den Kranken unbedingt in wagcrechter 
Stellung zu halten, da die Flüssigkeit, wenn auch in geringerer Menge, dennoch gut ausfliesst, falls 
der Kopf des Kranken erhoben und die Füsse im Bett selbst niedriger gelagert sind. Die Kapillar¬ 
drainage ist nach des Autors Meinung die beste von allen Methoden der mechanischen Behandlung 
der Hautwassersucht Der von dem Drain als Fremdkörper ausgeübte Reiz ist geringfügig; die 
kleine Wunde, in welche das aseptische Glasrohr eingeführt wird, kann durch 1—2 Nähte oberhalb 
desselben geschlossen werden, so dass die Flüssigkeit nur durch die Kanüle ihren Weg nimmt. Die 
Kapillardrainage wirkt geradezu einschneidend auf die Herzthätigkeit: indem sie die Gefässe von 
dem übermässigen Druck seitens der ödematösen Flüssigkeit befreit, verschafft sic eben dadurch 
dem erlahmten Herzen die Möglichkeit, von neuem regelmässig zu arbeiten. Als die beste Behand¬ 
lung der Wassersucht betrachtet Maslennikow das kombinierte Vorgehen: die Kapillardrainagc 
zusammen mit den Herzmitteln. 

Prof. K. Dehio ist durch seine Erfahrungen allmählich zu der Uebcrzcugung gelangt, dass, 
wenn man die Oedemflüssigkeit bei Hautwassersucht wirklich in ergiebigem Maasse ableiten will, 
es nichts anderes übrig bleibt, als nicht zu kleine Hautschnitte uuter aseptischen Kautelen anzulegen, 
wenn es nur gelingt, sic vor dem Luftzutritt und somit vor der Wundinfektion zu bewahren. Zu 
diesem Zweck ersann Dehio einen einfachen Apparat, welcher im wesentlichen aus einer elastischen 
Gummibinde von etwa 10 cm Breite und 120 cm Länge besteht. Gute drei Viertel der Binde sind 
der Länge nach in zwei gleich breite Streifen zerspalten, welche als Bindentouren zur späteren Be¬ 
festigung des Ganzen dienen. Etwa in der Mitte des nicht zcrspaltenen Bindenstückes befindet sich 
eine runde Ocffnung von 8 cm Durchmesser, und in diese Ocffnung ist ein gleichfalls aus Gummi 
hcrgestelltes, trichterförmiges Receptakulum eingefügt oder eingeschraolzen, so dass es mit der Binde 
ein einziges Stück bildet. Da, wo dieser Trichter sich befindet, ist die Gummibindo kreisförmig 
verbreitert, so dass die Bindentouren bei der Anlegung des Apparates sich breit über dieselbe hin¬ 
legen können, ohne den Trichter zu komprimieren. Der Trichter selbst läuft an seiner Spitze in 
om Gummirohr aus, welches dazu bestimmt ist, die in ihm sich ansammclnde Flüssigkeit in ein 
darunter gestelltes Gcfäss abzuleiten. Diese Trichterbinde, wie Dehio die kleine Vorrichtung 
der Kürze halber nennt, hat nun die Bestimmung, die zur Entfernung der Oedemflüssigkeit ange- 
tegten Hautschnitte so zu bedecken, dass die letzteren vor jedem Luftzutritt geschützt sind und 
die hydropische Flüssigkeit dennoch ungehindert durch den Trichter ablaufen kann. 


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• r )2G Referate über Bücher und Aufsätze. 


Dehio’s Verfahren ist nun folgendes. Der zur Entleerung der hydropischen Flüssigkeit aus¬ 
gewählte Körportheil (meistens hat er den einen oder beide Unterschenkel benutzt) wird zunächst, 
wenn nöthig, rasiert, mit Seife und Wasser und sodann mit Alkohol und Sublimat sorgfältig ge¬ 
reinigt; in die so desinfizierte Haut werden dann unter aseptischen Kautelen zwei parallele Ein¬ 
schnitte von je 2—3 cm Länge und so tief gemacht, dass sie die ganze Kutis durchsetzen; das 
Unterhautbindegewebe braucht nicht tief durchschnitten zu werden. Die Schnitte liegen etwa 2 cm 
von einander entfernt. Nun wird die Trichterbinde quer zur Längsachse des Gliedes angelegt, so 
zwar, dass der Trichter über die Schnitte zu stehen kommt. Die Bindenstreifen werden sodann in 
zirkulären Touren zu beiden Seiten des Trichters über den Anfangstheil der Binde hinweggeführt, 
so dass nunmehr der Trichter mit Hilfe der ihm anhaftenden Binde luft- und wasserdicht der Um¬ 
gebung der Schnittflächen anliegt Dabei ist es aber von grosser Wichtigkeit, dass die Trichter- 
bindc nicht zu stramm angelegt und dass der Kranke richtig gelagert wird. 

Nach der eben beschriebenen Methode hat Prof Dehio in der Dorpater Hospitalklinik neun 
Fälle von Nephritis und sechs Fälle von Herzfehler und allgemeiner venöser Stauung behandelt 
Was den therapeutischen Effekt der Behandlung betrifft, so ist auch Prof. Dehio der Ansicht, 
dass wir in der mechanischen Beseitigung des Hydrops anasarca ein sehr mächtiges, natürlich meist 
nur palliatives Mittel zur Behandlung der Hautwassersucht besitzen. Jedoch glaubt er, dass die 
Erfolge der mechanischen Behandlung der Hautwassersucht sich bessern werden, wenn wir uns 
dazu entschliessen, dieselbe frühzeitiger und nicht nur in solchen Fällen anzuwenden, wo wir den 
Kranken eigentlich schon verloren gegeben haben und es uns nur um eine Erleichterung der letzten 
Lebenszeit zu thun ist. A. D woretz ky (Riga-Schreyenbusch). 


Einhorn, Meudelsohn und Rosen, Die Prophylaxe in der inneren Medicin. Nobiling- 
Jankau’s Handbuch der Prophylaxe. Abt. X. München 1901. 

Gegenüber der Prophylaxe bei anderen Krankheitsgruppen nimmt die Prophylaxe bei inneren 
Krankeiten eine gewisse Sonderstellung ein. Denn während in der Chirurgie und den verwandten 
Fächern die äusseren schädigenden Einflüsse die Hauptrolle spielen, kommt bei der internen Medicin 
mehr die Persönlichkeit mit ihrer ganzen Organisation, ihren erworbenen und ererbten Eigenschaften 
und ihrer darauf beruhenden Widerstandskraft gegenüber schädlichen Einflüssen in Betracht Es 
handelt sich also bei der Prophylaxe der internen Krankheiten nicht in erster Reihe um das Fern- 
halten resp. Ausgleichen äusserer Schädlichkeiten, sondern ganz besonders um die möglichste Be¬ 
seitigung der auf einer fehlerhaften Konstitution beruhenden Disposition zu Krankheiten. 

In diesem Sinne ist von den drei Bearbeitern die Prophylaxe der internen Krankheiten be¬ 
handelt worden. Sic haben sich den Stoff so getheilt, dass Einhorn die Prophylaxe der Ver¬ 
dauungskrankheiten übernommen hat, Mendclsohn die Prophylaxe der Herzkrankheiten, 
während die der Blut-, Infektions- und Lungenkrankheiten Rosen zugefallen ist Wenn 
auch bei der im grossen und ganzen stiefmütterlichen Behandlung, welche der Prophylaxe in den gang¬ 
baren Lehrbüchern bislang zu theil geworden ist, die monographische Bearbeitung des Gegenstandes 
naturgemäss mit nicht unbedeutenden Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, so muss doch den Verfassern 
nachgerühmt werden, dass sie ihrer Aufgabe gerecht geworden sind und dem Leser ein anschauliches 
Gesammtbild der Prophylaxe in der internen Medicin vor Augen führen. Besonders hervorzuheben 
sind die aus Mendelsohn's Feder herrührenden Kapitel, denen auch bei knapper Form eine 
plastische Darstcllungskraft innewohnt Mendelsohn giebt — wohl zum ersten Mal — dem Ge¬ 
danken Raum, dass die Schaffung von besonderen Heilanstalten, die für Lungenkranke zu so grosser 
Bedeutung gelangt sind, auch für Herzkranke ins Auge gefasst werden müssen, da es nur dort 
möglich sein dürfte, die Summe aller therapeutisch nothwendigen Maassnahmen längere Zeit hin¬ 
durch in ihrer vollen Kombination auf den Organismus wirken zu lassen. Freyhan (Berlin) 


Sorgo, Zur Diagnose der Atteurysmen der Aorta und der Arteria anonywa und über die 
Behandlung derselben mit subkutanen Gelatineinjektionen. Zeitschrift für klin. Medicin 
Bd. 42. Heft 1 u. 2. 

In einer Zusammenstellung der bislang mit Gelatineinjektionen behandelten Aortenaneurysmen 
kommt der Verfasser zu dem Resultat, dass unter 18 Fällen von sackförmigen Aneurysma 13 mal 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 5 fc 27 


Gerinnung erzielt worden ist, während dieselbe in 16 Fällen von diffuser Dilatation ausnahmslos 
ausgeblieben ist. Obwohl es somit keinem Zweifel unterliegt, dass in der überwiegenden Mehrzahl 
der Fälle von sackförmigem Aneurysma während der Gelatinebehandlung eine Gerinnung eintrat, 
so lässt sich doch die Thrombosierung des Sackes nicht mit Sicherheit auf die Gelatineinjektionen 
oder wenigstens nicht allein auf sie zurückführen. Denn einmal kann der Effekt möglicher Weise 
durch das gleichzeitig mit angewandte diätetische Regime und die ruhige Körperlage bedingt worden 
sein; ferner kann es sich oft um ein zufälliges Zusammentreffen gehandelt haben; und endlich fehlt 
uns bis heute noch jeder experimentelle Beweis für die koagulierende Wirkung subkutaner Gelatinc- 
injektionen. Dasselbe gilt von der hämostatischen Wirkung der Gelatine bei Blutungen der ver¬ 
schiedensten Provenienz. Uebrigens sind die Injektionen bei strenger Asepsis auch dann ungefähr¬ 
lich, wenn hohe Konzentrationen verwandt werden. Nicrenaffektionen sind keine Kontraindikationen 
für die innere Verabreichung der Gelatine, während dies für subkutane Injektionen noch nicht 
feststeht. 

Anhangsweise fügt der Verfasser noch einige Bemerkungen über die Diagnose der Aorten¬ 
aneurysmen und der Aneurysmen der Arteria innominata an. Besonderes diagnostisches Gewicht legt er 
bei Aortenaneurysmen auf das Vorhandensein eines zweiten lauten Tones an einer beschränkten Stelle 
des Aneurysmas; dieser Ton ist nicht von den Aortenklappen fortgcleitet, sondern entsteht im 
Aneurysma selbst, sodass er ein sicheres Zeichen für Aneurysma darstcllt. Dio Diagnose eines 
Aneurysmas der Arteria anonyma erscheint ihm sichergestellt bei der Gegenwart eines diastolischen 
Geräusches mit dem Maximum der Intensität nach aufwärts vom zweiten Interkostalraum und beim 
Vorhandensein von pulsus ccler ausschliesslich im Gefässbezirk der Anonyma. 

Frcyhan (Berlin). 


Fr. Sellentin, Zeitgemässe Aufklärungen über einige Grundfragen wissenschaftlicher Heil¬ 
kunde. Erinnerungen aus dem 19. und Mahnwortc an das 20. Jahrhundert. Heidelberg 1901. 

Verfasser geht mit wahrem Feuereifer für Hahnemann ins Zeug und wird gewiss in jedem 
Leser den Eindruck hinterlassen, dass dieser Mann in Wahrheit eine ganze andere Erscheinung ge¬ 
wesen ist, als wir heute gemeinhin anzunehmen pflegen. 

Interessanter aber und aktueller ist dabei die Art, wie er mit der heutigen Medicin ins Ge¬ 
richt geht. Mögen seine Angriffe auch vielleicht nicht immer richtig geleitet sein, so ruft er doch 
sicherlich in Vielen das wissenschaftliche Gewissen wach und die Erkenntniss, dass vielerorts heute 
ein Doktrinarismus und Schematismus herrscht, ganz so wie in den früheren Zeiten, die wir darob 
belächeln. Er schreckt vor keiner Autorität zurück, und wenn er — wio das zumeist der Fall zu 
sein pflegt — mit seinen kritischen Bestrebungen nur bei Wenigen ein Echo findet, mag er sich 
mit Rodcrich a lastro trösten, der schon 1614 schrieb: »scio quam sit difficile, ab irabutis 
semel opinionibus homines divcllcrc.« Buttersack (Berlin). 


An Stelle der subarachnoidealcn Kokaininfusion hat Jaboulay (Lyon med. 1901. 4. August) 
welcher sich vielfach mit der Frage der Duralinfusion in den letzten Jahren beschäftigte, Chinin¬ 
lösungen in den Canalis sacralis cingcspritzt. Er benutzte hierzu 1 / 2 prozoutige Lösungen, von 
denen er 0,025 — 0,05 ccm infundierte. Nach den Chinininfusionen tritt eine Analgesie der unteren 
Extremitäten und der Bcckeuorgane auf, welche zwar nicht so ausgedehnt, aber von längerer Dauer 
ist, als die nach KokaTninfusionen beobachtote. Die Temperaturerhöhung, der Kopfschmerz und das 
Erbrechen kommt aber auch nach den Chinininfusionen fast stets zu stände. Jaboulay glaubt, 
dass diese Symptome durch eine vorübergehende Meningitis spinalis hervorgerufen werden (w ährend 
Referent in Analogie zu den von ihm angestellten Experimenten diese Erscheinungen auf eine 
chemische Reizung der Substanz des Centralnervensystems selbst zurückführt). 

Als Indikation für die Anwendung der subarachnoidealen Chinininfusion betrachtet Jaboulay 
heftige Schmerzen in den unteren Extremitäten infolge von Krebs der Wirbelsäule oder des Rektums, 
schwere Erscheinungen von Ischias, heftige Schmerzen infolge von purulenter Cystitis u s. w., während 
er das Verfahren, lediglich zum Zwecke der chirurgischen Analgesie, nicht angewendet wissen will 
(eine Ansicht, welche Referent bezüglich der Duralinfusionen des Kokains zur Erzielung einer Analgesie 
für Operationen des Ocfteren gleichfalls vertreten hat). Paul Jacob (Berlin). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


528 


Die epiduralen Kokamiufusionen über deren Anwendung bereits in der letzten Nummer 
dieser Zeitschrift ein Referat erstattet wurde, sind, wie Albarran und Cathelin in der Julisitzung 
der SociStö de biologie mitgetheilt haben, von diesen Autoren zur Behandlung der Incontinentia 
urinae an gewendet worden. 

In den vier von ihnen berichteten Fällen (ein Fall von Blasentuberkulosc, ein Fall von 
Paraplegie mit Cystitis, zwei Fälle von Sphinktcrenschwäche bei alten Frauen) haben angeblich in 
dem ersten Fall eine, im zweiten zwei, im dritten vier Injektionen innerhalb von dreizehn Tagen, 
im vierten Falle fünf Injektionen innerhalb von achtzehn Tagen genügt, um entweder eine dauernde 
oder wenigstens eine für längere Zeit anhaltende Beseitigung der Inkontinenz, d. h. Rückkehr des 
Sphinkterschlusses, zu erzielen. Paul Jacob (Berlin). 


Ewart und Dickinson, lieber die Behandlung des chronischen Hydrocephalus durch 
Punktion und Einführung sterilisierter Luft in die Yentrikel. Semaino möd. 1901. No. &>. 

Die Autoren gingon von der Beobachtung aus, dass die einfache Punktion bei dem Hydro- 
cephalus sehr häufig nicht genügt, um eine vollständige Entleerung der in den Ventrikeln ent¬ 
haltenen Flüssigkeit herbeizuführen und deren Wiederersatz zu verhindern. Mit Hülfe eines be¬ 
sonderen mit Kanülen versehenen Apparates haben sie infolgedessen in solchen Fällen zunächst die 
Flüssigkeit durch die eine Kanüle ablaufen lassen, und an Stelle derselben nach und nach sterili¬ 
sierte Luft durch die andere Kanülo in die Ventrikel eingeführt. Diese Operation soll ausser¬ 
ordentlich langsam in einem Zeitraum von 7—42 Stuuden ausgeführt werden. Ewart und 
Dickinson haben damit in einem Falle (durch nur einmalige Vornahme der Operation) ein voll¬ 
ständiges Verseil winden sämmtlicher Krankhcitserschcinungcn bewirken können. In einem anderen 
Falle trat eine unmittelbare Besserung im Anschluss an dio Operation auf; diese musste dann aber 
innerhalb der nächsten sechs Monate noch sieben Mal wiederholt werden. 

Paul Jacob (Berlin). 


Robert Behla, Die Karcinomlitteratur. Eine Zusammenstellung der in- und ausländischen 
Krebsseliriften bis 1900. Berlin 1901. 

In diesem dem Komitee für Krebsforschung in Berlin gewidmeten Buche hat der Verfasser 
sich die Aufgabe gestellt, eine vollständige Zusammenstellung der gesammten Litteratur über den 
Krebs zu geben Das Buch ist sehr zweckmässig so angeordnet, dass der erste Thcil ein nach den 
Autorennamen alphabetisch geordnetes Verzeichniss der Krebsschriften bringt, während der zweite 
Theil ein umfassendes Sachregister und damit den Schlüssel zur Benützung des ersten giebt. Stich¬ 
proben haben dem Referenten ergeben, dass das Verzeichniss neben einzelnen irrthümliehen Angaben 
auch bedeutende Lücken aufweist. Gleichwohl ist die Fülle des dargebotenen Stoffes so gross (es 
sind etwa SöOO Arbeiten angeführt), dass das Buch für Jeden, der sich näher mit dem Krebs be¬ 
schäftigt, ein unentbehrliches Hülfsmittel sein wird. F. Kirstein (Berlin). 


Moritz Fürst, lieber den Tod durch giftige Gase. Berlin und Leipzig 1901. 

Eine fleissigc und übersichtliche Zusammenstellung unseres jetzigen Wissens auf diesem Gebiete'. 
Fürst fasst das Thema vom Standpunkte des Gerichtsarztes und des Hygienikers an. In erstcrcr 
Beziehung bespricht er besonders die pathologische Anatomie, in letzterer die Gelegenheiten, die 
im täglichen Leben, speziell im Gewerbebetriebe zu den fraglichen Vergiftungen gegeben werden. 
Das grösste Interesse und demzufolge den grössten Raum (über die Hälfte der Arbeit) nimmt 
naturgemäss die Besprechung der Kohlcnoxydgasgruppc: Kohlenoxyd und Kohlendioxyd, in An¬ 
spruch. Weiterhin wird mehr oder weniger ausführlich besprochen: die Vergiftung mit Schwefel¬ 
wasserstoff, Stickoxydul, Arsenwasserstoff, Phosphorwasserstoff, Blausäure, Ammoniak, (hier, 
schweflige und salpetrige Säure. Gotthelf Marcusc (Breslau). 


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Kleinere Mittheilungen. 


529 


Die Hefte 23—26 der gemeinverständlichen Zeitschrift des Deutschen Yereins für Yolks- 
hygiene enthalten, wie die früheren Hefte, wiederum eine Reihe von Aufsätzen, in welchen das 
Laienpublikum über wichtige Fragen der Hygiene in sachgemässer Weise aufgeklärt wird. Unter 
diesen Aufsätzen sind bemerkenswerth der von Hasterlik »Ueber die Konservierung unserer 
Nahrungsmittel im Grossen und im Haushalt«, ferner der Aufsatz von Weyl »Ueber das Rad¬ 
fahren«, sowie der von Hoppe »Ueber die Gefahren des Biergenusses«, schliesslich der Aufsatz 
von Mendelsohn »Ueber den Schutz vor Herzerkrankungen«. Paul Jacob (Berlin). 


Paul Börner’s Reichs-Medicinal-Kalender 1902« Theil 1. Verlag von Georg Thieme, Leipzig. 

Mit gewohnter Pünktlichkeit ist der neue Jahrgang des Reichs-Medicinal-Kalenders erschienen, 
welcher sich nicht wesentlich von seinen Vorgängern unterscheidet Die allseitig beliebten kurzen 
Originalaufsätze des Beiheftes, welche den Aerzten eine klare, erschöpfende Uebersicht über die 
wichtigsten Fragen der Therapie geben, sind um einen Aufsatz vermehrt worden, welcher der 
Feder des bekannten Baineotherapeuten, Professor Glax, entstammt Glax giebt in diesem Auf¬ 
sätze eine Uebersicht über die Heil-, Pflege- und Kuranstalten. Wir würden es für wünschenswerth 
erachten, dass in den folgenden Jahrgängen eine Aufstellung aller bisher in Deutschland bestehenden 
Yolkslungenheilstätten, sowie der Seehospize für Kinder mit aufgenommen werden würden, da die 
praktischen Aerzte vielfach Gelegenheit nehmen müssen, gerade in diese Anstalten ihre Patienten 
zu schicken und da häufig noch eine Unkenntniss der zahlreichen, jetzt in Deutschland gegründeten 
Lungenheilstätten besteht In dem Hauptbande des ersten Theiles hat die Bearbeitung des 
Kapitels »Alphabetisches Verzeichniss und Charakteristik der wichtigsten Bade- und Kurorte« 
Professor Glax an Stelle von Dr. Beetz übernommen. Glax hat dies Kapitel insofern erweitert, 
als er noch die Indikationen der betreffenden Kurorte beigefügt hat. Paul Jacob (Berlin) 


Kleinere Mittheilungen. 


I. 

Bemerkungen zu Dr. M. Einhorn*» Artikel: Ueber Sitophobie intestinalen Ursprungs. Von 

Dr. R. v. Ho esslin, dirigierendem Arzt der Kuranstalt Neuwittelsbach in München. 

Herr Professor Einhorn hat unter obigem Titel im dritten Heft des fünften Bandes dieser 
Zeitschrift auf einen Zustand hingewiesen, dem er den Namen Sitophobie gegeben hat. Nach der 
Anführung einiger Krankengeschichten und dem Hinweis auf Gefahren, welche dieser Krankheits¬ 
zustand mit sich bringt, bespricht er die Behandlung der Krankheit. 

Ich würde den Aufsatz von Einhorn unerwidert lassen, wenn ich es nicht für nöthig hielte, 
darauf aufmerksam zu machen, wie wenig fruchtbar es ist, ein einzelnes, wenn auch noch so 
charakteristisches Symptom herauszugreifen und cs als eigenen Krankheitszustand zu beschreiben. 
Der von Einhorn Sitophobie genannte Zustand ist allerdings mit der Nahrungsverweigerung nicht 
identisch; es handelt sich aber auch nur um ein vielen psychischen Krankheitsformcn gemeinschaft¬ 
liches Symptom, welches nicht nur jedem Psychiater und Neurologen, sondern auch jedem be¬ 
schäftigten Arzt als solches bekannt ist. Diese Kranken vermindern ihre Nahrungsaufnahme auch 
nur auf Grund falscher, krankhafter Vorstellungen; sie essen nicht in normaler Weise, weil sie 
glauben, dass sie bei reichlicher Nahrungsaufnahme sich schaden, dass sie die aufgenommene 
Nahrung nicht wieder entleeren, oder dass sie durch normale Nahrungszufuhr irgend welche andere 
Magen- oder Darmstörungen hervorrufen. Aber es sind durchaus nicht immer Affektionen des 
Intestinaltractus, welche diese Kranken befürchten. Ebenso oft beschuldigen sie die Nahrungs¬ 
aufnahme einer anderen angeblichen Schädigung ihres Organismus. So z. B. sind die Fälle sehr 
häufig, in welchen die Kranken die Nahrung auf ein Minimum oinsehranken, weil sie glauben, dass 

Zbitsciir. f. diiti. u. physik. Therapie Ud. V. lieft 6. . 


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530 Kleinere Mitthcilungcn. 

sie bei normaler Nahrungsaufnahme zu stark werden. Ich habe eine Reihe von Kranken behandelt, 
welche in der Angst, zu fett zu werden, Jahre hindurch eine starke Unterernährung durchgeführt 
haben, und, schon vorher nicht fett, zum Skelett abgemagert waren, ohne deswegen ihre Nahrungs¬ 
aufnahme zu steigern. Die unberechtigte Abneigung vieler Menschen vor bestimmten Nahrungsmitteln, 
z. B. vor Fleisch, gehört ebenfalls hierher. Auch die Idee, dass durch die Nahrungsaufnahme der 
Schlaf verschlechtert wird, hält manche Kranke von der normalen Ernährung ab; wieder andere 
schranken ihre Nahrungsaufnahme ein. weil sie glauben, ihre geistige Leistungsfähigkeit werde durch 
vieles Essen gestört. 

Manchmal liegen auch echte Zwangsvorstellungen der Abneigung, zu essen, zu Grunde; die 
Kranken erkennen, dass ihre Vorstellungen krankhaft sind, können sie aber trotzdem nicht über¬ 
winden, und wenn sie sich zum Essen zwingen, so werden sie von heftigen Angstanfällen befallen. 

Die Mehrzahl dieser Kranken sind Hypochonder; auch bei Hysterie, bei Neurasthenie, bei 
Kranken mit Zwangsvorstellungen, sowie überhaupt bei Psychopathen findet sich das von Einhorn 
beschriebene Symptom der Angst vor dem Essen. Die Prognose richtet sich natürlich nach der 
Grundkrankheit und ist auch bei rationeller Behandlung durchaus nicht immer günstig. Bei sehr 
vielen dieser Kranken gelingt es zwar, den Ernährungszustand sehr zu heben; eine Zunahme von 
30—50 Pfund im Verlauf von 1/4 oder V 2 Jahre ist gar keine Seltenheit; hat aber nicht gleichzeitig 
die krankhafte Vorstellung aufgehört, so pflegt der Kranke in die alten Gewohnheiten zurück¬ 
zufallen, sowie er dem ärztlichen Einfluss entzogen ist. Die Behandlung hat sich daher neben der 
Hebung der Ernährung hauptsächlich mit der psychischen Beeinflussung der Kranken zu befassen 
und variiert sehr nach der Grundkrankheit; nur wenn es gelingt, die Vorstellung der Kranken, dass 
die Nahrungsaufnahme ihm schadet, zu beseitigen, darf man den Kranken als genesen betrachten. 
Ebenso wie die Sitophobie, könnte man andere Phobieen als selbstständige Krankheitsbilder be¬ 
schreiben und ist dies ja auch vielfach geschehen; so gehört die von Bechterew jüngst be¬ 
schriebene Dysphagia psychica hierher. Ein für den Träger qualvolles Symptom bei manchen 
Kranken ist die Scheu vor der Luft, das als Aerophobie bezeichnet werden könnte; es giebt Kranke, 
die Monate und sogar Jahre lang sich kaum aus dem Zimmer wagen, weil sie immer Angst vor 
Erkältung haben; und auch im Zimmer sind sie in unzählige Tücher und Decken gewickelt, selbst 
bei hohen Aussentemperaturcn darf nicht gelüftet werden; bringt man sie unter strenge ärztliche 
Aufsicht, wie dies in einer Anstalt möglich ist, so können sie dort leben, wie andere Menschen und 
erkälten sich nicht, trotz des Aufenthalts im Freien und trotz regelmässiger Lüftung des Zimmers. 
Hat aber die krankhafte Angst schon lange gedauert, so fällt der Kranke wieder in die alte Ge¬ 
wohnheit, sich luftdicht abzuschliessen, sowie er sich selbst überlassen ist Auch diese Kranken 
sind entweder Hypochonder, Hysterische oder Psychopathen. Solche Phobieen Hessen sich in be¬ 
liebiger Menge aufstellen. So giebt es Kranke, die eine krankhafte Angst vor dem Baden haben, 
andere scheuen sich vor dem sexuellen Verkehr, weil sie krankhafte Vorstellungen über den Einfluß 
desselben auf ihre Gesundheit haben. Es ist richtig, dass manchmal eine derartige Phobie so im 
Vordergrund steht, dass sie das einzige Krankheitssyraptom zu sein scheint; bei längerer Beobachtung 
aber erkennen wir stets, dass es sich doch nur um die Theilerscheinung einer allgemeinen Neurose 
oder Psychose handelt, und daher sollen wir auch solche Phobieen nicht als selbstständige Zustande 
klassifizieren. 

Bei geistig vöUig vormalen Menschen sind, was ich Einhorn gegenüber betonen möchte, 
derartige Phobieen nicht möglich; denn der Ausdruck der Phobie setzt ja schon das Bestehen einer 
krankhaften Angst, einer auf falschen Vorstellungen fussenden Furcht voraus. Ist die Furcht nicht 
krankhaft, sondern berechtigt, fürchtet sich z. B. ein an akutem Darmkararrh Erkrankter, Sauerkraut 
oder Pflaumenkompot zu essen, oder vermeidet ein Mensch, der auf den Genuss von Erdbeeren oder 
Krebsen regelmässig Urtikaria bekommt, diese Gerichte, dann handelt es sich um keine sogenannte 
Phobie, sondern um eine sehr vernünftige Denkungsweise. Ist aber die Furcht krankhaft, dann liegt 
auch eine Veränderung der Psyche vor. 

Die Sitophobie ist daher, wie alle Phobieen, cerebralen Ursprungs. 


II. 

Mittheilung ans der Klinik der Aerzte L. Bueholtz nnd A. Grasmttck in Saratoff. Von 

Dr. L. Bueholtz. 

In Bezug auf die Tabes dorsalis haben wir ebenso wie andere in den deutschen Wolga- 
kolonieen der Wiesenseite praktizierende Kollegen die interessante Thatsache feststellen können, 


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Kleinere Mittheilungon 531 

dass diese Krankheit zu den grossen Seltenheiten gehört. Ganz anders verhält es sich in den Ost¬ 
seeprovinzen , meiner eigentlichen Heimath. Bekanntlich halten viele Aerzte noch immer an dem 
Zusammenhang zwischen Tabes und Syphilis fest. Besteht diese Anschauung zu recht, dann ist 
unsere Beobachtung, dass unter den deutschen Kolonisten die Lues kolossal verbreitet ist, Tabes 
dagegen fast niemals vorkommt, durchaus befremdend. Zwecks Bekämpfung der Syphilis erachtete 
es das rothe Kreuz für nothwendig, in den Jahren 1895 und 1896 eine Kolonne von Aerzten in die 
betreffenden Provinzen zu entsenden. Sehr drastisch drückte sich mir gegenüber ein viele Jahre 
daselbst thätiger Landschaftsfeldscheerer aus: j>Um die Syphilis auszurotten, müssten von Nikolajewsk 
(der benachbarten Kreisstadt) täglich zwei mit Hg und Jod beladene Kameele unterwegs sein«. Im 
allgemeinen kann behauptet werden, dass bis vor einigen Jahren die Syphilitischen in den ge- 
sammten Gegenden entweder gamicht oder nur ungenügend (intern) mit Hg behandelt wurden. 
Aber obwohl ich selbst Hunderte von Luetischen im Laufe von sieben Jahren behandelte, sind mir 
nur vier Tabiker, davon kein einziger Bettlägeriger, zu Gesicht gekommen. Bemerkenswerth ist 
ferner, dass bei einigen unserer Studiengenossen, welche in unseren Provinzen leben, während ihrer 
Studienzeit vor ca. 10 Jahren die Tabes zum Ausbruch kam und sich seither die Symptome nicht 
verschlimmert haben. Die Ursache hierfür dürften jedenfalls klimatische Verhältnisse sein. Wir 
haben ein sehr trockenes Klima, warmes Frühjahr und Herbst, sehr heissen Sommer und kalten 
Winter. Die Uebergänge vom Winter zur warmen Jahreszeit und umgekehrt erfolgen in kürzester 
Zeit, zuweilen in einigen Tagen. Ein Frühjahr mit langdauemder Schneeschmelze, ein Herbst mit 
dem ewigen Regen wie in den Ostseeprovinzen Russlands, ist uns unbekannt. Interessant wäre 
bei der Frage nach der Ursache der Tabes festzustellen, inwieweit physische Ueberanstrengungen 
körperlich geschwächter Individuen, zu denen ja auch der Syphilitische (durch die Krankheit an 
sich, wie durch die Hg-Kuren) zu rechnen ist, unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen, id est 
namentlich feuchter Kälte eine Rolle spielen. Nicht unwichtig in dieser Beziehung ist die 
Aeusserung des Kollegen A. Katterfeld aus Irmlau in Kurland, dass jeder fünfte oder sechste 
seiner Patienten, welche sich aus der seefahrenden Strandbevölkerung zusammensetzen, Tabiker sei 
Jedenfalls würde ich jedem Tabiker, sofern es nur die Verhältnisse gestatten, den Rath geben, in 
ein trocken-warmes südliches Klima dauernd übcrzusiedeln und, sofern er arbeitsfähig ist, sich da¬ 
selbst einen Erwerbszweig zu suchen. 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


i. 

Bericht Ober die zweite Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft 

für Yolksbäder. 


Von Dr. Theodor Mayer in Berlin. 

Die zweite Hauptv ersammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder tagte am 25. Oktober 
im Sitzungssaale des Kaiserlichen Gesundheitsamtes. Sie wurde eröffnet durch eine Ansprache des 
Vorsitzenden, Professors Dr. 0. Lassar, der auf das wachsende Gedeihen und den stetig sich 
mehrenden Wirkungs- und Bethätigungskreis der Gesellschaft hinwies, welcher leider gerade im 
verflossenen Jahre durch das Ableben einer Anzahl hervorragender Mitglieder, so des ehemaligen 
Reichskanzlers Fürsten v. Hohenlohe, des Ministers v. Miquel, des Geheimraths Spinola u. a. 
ein betrübender Verlust erwachsen ist. 

Nach Ergänzungwahl des Vorstandes, Darlegung des Geschäftsberichts über das Jahr 1901 
und Erledigung interner Angelegenheiten folgte eine Reihe wissenschaftlicher Vortrage, deren Inhalt 
in Folgendem in Kürze wiedergegeben sei. 

36 * 



Original fro-m 

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Berichte über Kongresse und Vereine. 

Der Vortrag 1 des ersten Redners» Herrn Dr. Po eich au-CharlOttenburg, hatte das Badewesen 
der Vergangenheit zum Gegenstand. Die Sitte und Gewohnheit des Badens, welche hei den 
ältesten Völkern — Egyptem, Indern und Juden, aber auch noch bei den Griechen — in engen 
Beziehungen zum Rcligionskult standen, genoss bei den Zeitgenossen eines Leonidas und 
Perikies eines hohen Ansehens. Mit den Gymnasien und Palästren der griechischen Kolonieen 
gelangte auch griechisches Badewesen nach Italien, und die Bevölkerung des werdenden Roms 
machte aus dem Bad eines der wesentlichsten Lebensbedürfnisse. In keinem wohlhabenden Hause 
durfte die Badeeinrichtung fehlen, und schon zur Zeit des zweiten punischen Krieges gab es zu 
Rom öffentliche Badeanstalten. Mit der zunehmenden Wohlfahrt des Volkes mehrte sich auch das 
Verlangen nach luxuriöser und kostspieliger Einrichtung der früher einfach gehaltenen Badeanstalten; 
so entstanden die zur Zeit der Kaiser errichteten herrlichen Thermen, welche, mit fürstlicher Pracht 
ausgestattet und doch jedem Bürger fast ohne Entgelt zugänglich, noch heute durch die Grösse 
und Schönheit ihrer Ruinen (Thermen des Diocletian und Caracalla) von der hohen Kultur 
Roms Zeugniss ablegen. Die Ausbreitung des Badewesens im kaiserlichen Rom wird durch die 
Existenz von lf> solcher Thermen neben 856 Volksbädern, denen nur etwas über 80 Badeanstalten 
des modernen Berlin gegenüberzustellen sind, aufs treffendste illustriert. Durch die Eroberungs- 
züge der römischen Legionen, welche die ihnen gewohnten Bäder auch in den besetzten Gebieten 
einrichteten, wurden Warmbäder zuerst auch in germanischen Landen eingeführt, welche vorher nur 
das Bad in freier Natur gekannt hatten. 

Zuerst nur bei Wohlhabenden, in Klöstern und Herrensitzen gebräuchlich, gelangte das Warm¬ 
bad als Stärkungs- und Reinigungsmittel zunächst in den Dienst der Krankenpflege, dann durch 
die Vermittelung öffentlicher »Badestubena in den Gebrauch und die Gewohnheit weiterer Kreise. 
Aus milden Stiftungen wurden »»Freibäder« eingerichtet, man gab »Badegeld« an Stelle des heutigen 
Trinkgelds, und die Badegewohnheit, der männiglich wenigstens einmal in der Woche huldigte, 
verbreitete sich derart, dass mittlere Städte, wie Ulm, um das 14. Jahrhundert über eine Zahl von 
157 privaten neben 11 unentgeltlichen Badeanstalten verfügen konnten, denen sich allmählich noch 
Einrichtungen für Schwitz- und Dampfbäder hinzugesellten. Indessen wurde der Gebrauch 
namentlich der letztgenannten Badeform im Laufe der Zeit ein übertriebener, und, da beide Ge¬ 
schlechter vielfach zusammen badeten, auch sittenloser. Geistlichkeit und Behörden erliessen Ver¬ 
ordnungen gegen die Badestuben, die Furcht vor der damals grassierenden Pest hielt die Aengst- 
lichen zurück, und als der 30jährige Krieg Deutschlands Wohlstand vernichtet hatte, zwang die 
immer drückendere Armuth viele Gemeinden zur Beseitigung der ohnehin schon fast leeren Stadtbäder. 

So gerieth Deutschlands Badewesen in eine Periode des Verfalls, welche das 18. Jahrhundert 
überdauerte und erst zu Anfang des 10. Jahrhunderts, zurZeit der Freiheitskriege, in neue und auf- 
steigende Bahnen einzulenken begann. 

Der folgende Vortragende, Herr Stadtbaurath Sch ul tze-Bonn, sprach über Stand und Ent¬ 
wickelung des Badewesens in der Rheinprovinz. 

Obwohl gerade das Rheinland noch heute in zahlreichen architektonischen Ueberresten der 
römischen Kulturepochc die unverkennbaren Spuren einer einst hochentwickelten Pflege des ßadc- 
wesens zur Schau trägt, waren im Laufe des Mittelalters und in den folgenden Jahrhunderten auch 
dort ebenso wie in anderen Theilen Deutschlands das Badewesen und die mit seiner Fördenmg 
in Zusammenhang stehenden Einrichtungen in Verfall gerathen. 

Eine Neubelebung der in diesem Sinne wirkenden Bewegung datiert erst aus dem Beginn 
des eben vergangenen Jahrhunderts, aus derZeit nach den Freiheitskriegen; sie ist auf Jahn’s An¬ 
regung und Beispiel im Verein mit der Thätigkeit Ernst Moritz Arndt’s und des Generals 
v. Pfuel zurückzuführen. 

Die zunächst ins Leben gerufenen Einrichtungen stützten sich auf die Gelegenheit, die der 
mächtige Rheinstrom selbst bot; sie waren zuerst primitivster Art: einige Schwimmbalken, die an 
einer ruhigen Stelle des Flusses den Badeplatz begrenzten, und neben welchen ein verankertes 
Floss die notliwendigen Auskleideschuppen und -zellen beherbergte. 

Später traten kompliziertere Vorrichtungen an die Stelle der einfachen: grössere Komplexe 
von Flössen, dann auf eisernen Pontons montierte »Badeschiffe« mit herabsenkbaren Badebassins, 
Douehen-, Kasten- und Warmbadceinrichtungen, die theilweise noch heute in Betrieb sind <1ie 
Stadt Bonn allein besitzt vier solcher »Badeschiffe«) und sich einer hohen Frequenz (etwa 180 
Besucher allein in den Bonner Anstalten) zu erfreuen haben. 

Die seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in England in Gebrauch gekommenen 
Warmbäder mit Schwimmhallen haben im Rheinland erst seit Anfang der achtziger Jahre Eingang 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 533 

gefunden. Den Beginn machte 1881 Aachen mit der für die Summe von 200 000 Mark errichteten 
Schwimmanstalt am Kaiserplatz, welche eine mit 72 Auskleidezellen versehene Schwimmhalle von 
bescheidenen Abmessungen neben den Einrichtungen für 12 Wannenbäder enthält. 

Es folgte 1882 Essen mit einer auf städtische Kosten erbauten bereits wesentlich grösseren 
Anstalt, dann Bannen mit einem Bau, welcher zum ersten Male in der Rheinprovinz zwei für beide 
Geschlechter gesonderte Schwimmbecken enthält. 

1885 beginnt in Köln der Bau des Hohenstaufenbades, welches mit 3 Schwimmbassins, 
60 Wannen-, elegant installierten Dampf- und Heissluftbädern, ferner mit den Einrichtungen für 
medicinische Bäder der verschiedensten Art versehen, noch heute den Typus einer modernen gross¬ 
städtischen Badeanstalt versinnlicht. Köln ist zugleich die erste Stadt, welche durch Einfügung 
eines Volksbassins auch der minder bemittelten Klasse Gelegenheit zu billiger Erfrischung und 
Reinigung ihres Körpers giebt, eine Gelegenheit, welche bald in ausgiebigster Weise von jener be¬ 
nutzt wird. 

Neben der Fertigstellung kleinerer Schwimmbäder zu Ronsdorf und Lennep bringt das Jahr 
1887 die Eröffnung der grossen Badeanstalt der Stadt Elberfeld, welche sich von den schon be¬ 
stehenden Anstalten durch die völlig durchgeführte Unterkellerung und Freianlage der Rohr¬ 
leitungen, dann durch die nachträglich eingebaute mustergültige Dampfkastenbadanlage unter¬ 
scheidet. Diese sonst nur sehr nothdürftig in Holz hergestellten Bäder sind in Elberfeld in Form 
gemauerter, kachelverkleideter Sitznischen errichtet, welche, im Innern mit bequemem Drehstuhl 
ausgerüstet, dem Badenden die Möglichkeit geben, durch einfachen Ventilzug Dampf oder Heissluft 
einzulassen. 

In dieselbe Zeit fällt die Errichtung des Stadtbades zu Krefeld, einer Anstalt, die an Grösse 
und Zweckmässigkeit der Anlage ihren Vorgängerinnen nicht nachsteht und jetzt zu den besuchtesten 
der Rheinprovinz (Frequenz 1900 : 342 489 Personen) gerechnet wird, der städtischen Badeanstalt zu 
Düsseldorf (1888), welche gleichfalls in wenigen Jahren eine hohe Besuchsziffer (Frequenz 1899: 
321485 Personen) erreichte, und des Kaiserbades zu M.-Gladbach (1889), welches 1900 allein 
17 760 Douchebäder an Volksschüler abgegeben hat. 

Dieser von 1881—1889 währenden Bauperiode grossstädtischer Bäder folgt nun eine gewisse 
Pause, während welcher mittlere und kleinere Städte der Rheinprovinz, so Remscheid, Neuss, Ober¬ 
hausen, Langenberg, ferner Eschweiler, Odenkirchen und Rheydt bestrebt sind, dem gegebenen 
Beispiele ihrerseits zu folgen. Vom Ende des vergangenen Jahrzehnts aber datiert neuerdings ein 
Wettstreit der grossen rheinischen Gemeinwesen in der Errichtung umfangreicher und monumentaler 
Bäder, und es ist charakteristisch für diese Neuanlagen, — zu welchen das Stadtbad zu Duisburg 
die noch im Werden begriffene Badeanstalt zu Düsseldorf, die Vergrösserungsbauten der Städte 
Barmen und Krefeld, endlich die in Köln, Bonn und Elberfeld theils genehmigten, theils im Bau 
begriffenen grossen Stadtbäder gehören —, dass sie von vornherein als Volksbadeanstalten im 
weiten Sinne des Wortes gedacht und angelegt sind, als Anstalten, in‘welchen den breiten Schichten 
der Bevölkerung für geringes Entgelt, oder, wie in M.-Gladbach, sogar auf Stadtkosten die Möglich¬ 
keit ausreichender Reinlichkeitspflege geboten werden soll. 

Dass bei Anlage dieser Institute gerade derjenigen Einricbtungsform, welche am ausgiebigsten 
dem Postulate, grosso Besuchermengen rasch und ohne sehr bedeutende Kosten befriedigen zu 
können, den seinerzeit auf Anregung Prof. Dr. Lassar’s in Aufnahme gelangten Brausebädern 
in gebührender Weise Rechnung getragen wurde, war bei der zu erwartenden Frequenz selbst¬ 
verständlich. Und in der That haben Bäder dieser Art, welche seit dem Beginn der neunziger 
Jahre theils im Konnex mit Schwimm- und Wannenanstalten, theils als selbstständige Volksbrause¬ 
bäder — so beispielsweise in Köln, Aachen, Düren, Krefeld, Duisburgexistieren, auch im Rhein¬ 
lande sehr bald sich die Gunst der Bevölkerung erworben, so dass sie namentlich in den Industrie¬ 
bezirken als Fabrikbäder eine segensreiche, im besten Sinne des Wortes hygienische Wirkung ent¬ 
faltet haben und in immer steigendem Maasse noch zu entfalten berufen sind. 

Während so die Kultureentren und grossen Gemeinwesen des Rheines sich der ihnen zu¬ 
kommenden hohen ethischen Aufgaben wohl bewusst gewesen sind, bleibt in den Landwirthschafts- 
und Weingegenden der Rheinprovinz noch viel zu thun übrig. So sind die Regierungsbezirke 
Trier, Koblenz, ferner ein Theil des Aachener Bezirks von der Gewohnheit des Volkbadens noch 
ebensowenig ergriffen, wie die zur Zeit in dieser Hinsicht rückständigen Gegenden Deutschlands. 
Dass, dank der Propaganda der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder, auch hierin bald Wandel ein- 
treten möge, ist der Wunsch des Redners. 

Der Vorsitzende giebt hierauf bekannt, dass die »Deutsche Gesellschaft für öffentliche 


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534 


Belichte über Kongresse und Vereine. 

Gesundheitspflege« sich gleichfalls der Bäderfrage in dankenswerter Weise angenommen und in 
ihren Verhandlungen die Aufstellung folgender Leitsätze beschlossen hat: 

Zur Hebung des Badewesens — als eines der wichtigsten Faktoren praktischer Gesundheits¬ 
pflege — erachtet die Deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege eine unablässige Ver¬ 
mehrung und Verbesserung der hierzu erforderlichen Einrichtungen für dringend geboten. 

In allen Mietshäusern und anderen Neubauten sauber zu haltende Hausbäder einzurichten, 
jeden Wohnort mit zahlreichen, insbesondere kleineren und für den Verkehr bequem gelegenen 
Badeanstalten zu versehen, durch Errichtung gemeinnütziger Vereine und Erwerbsgcscllschaften, 
durch Schaffung kommunaler Bäder in kleineren und grösseren Städten, sowie überall auf dem 
Lande, und durch tunlichste Begünstigung auch der Privatbadeanstalten das Bedürfnis körper¬ 
licher Reinlichkeitspflege in der Bevölkerung zu wecken und demselben gerecht zu werden — dies 
sind gegenüber dem notorischen Mangel an Badegelegenheiten die geeigneten Mittel, welche zur 
Aenderung des jetzigen, in hohem Grade reformbedürftigen Zustandes beitragen können. 

Geh. Medicinalrat Herr Dr. Bockendahl-Kiel teilt mit, dass daselbst sich ein Bauverein 
konstituiert hat, der in den von ihm hergestellten Arbeiterhäusem Hausbrausebäder (für je 
ein Doppelhaus ein im Keller belegenes Brausebad) einrichtete, dieselben auf Gesellschaftskosten 
im stände hält und mit Wasser versorgen lässt. 

Ein Vorschlag des Herrn Rechtsanwalt Dr. Holb ein-Apolda geht dahin, die Verlags- 
handlungen von Reisebüchern (Meyer, Grieben, Bädeker) durch Zirkular aufzufordern, bei den einzelnen 
aufgeführten Orten das Vorhandensein einer öffentlichen oder privaten Badegelegenheit durch be¬ 
sonderen Vermerk zu rubrizieren. 

Der nun folgende Redner, Herr Oberbürgermeister am En de-Dresden, bespricht in längerer 
Ausführung das Schulbrausebad und seine Bedeutung für die Zukunft. Redner betont, 
dass weite Schichten der Bevölkerung nicht für das Baden herangebildct, dass sie erst dazu zu 
erziehen seien. Der beste Weg, dies zu erreichen, liege darin, die Jugend zu gewinnen, liege in 
der Bethätigung einer körperlichen Reinhaltung der Schulkinder. Derselbe sei seit 1888 durch die 
Errichtung von Schulbädern beschritten worden, welche bereits in einer stattlichen Anzahl von 
Gemeinden Deutschlands, Oesterreichs, der Schweiz und Dänemarks existieren und fast ausnahmslos 
zur allseitigen Befriedigung funktionierten. Die geeignetste Badcform für dieselben ist nach den 
bisherigen Erfahrungen das Lassar’sche Brausebad, welches sowohl in hygienischer als ökonomischer 
Hinsicht sich am besten bewährt; hierbei empfiehlt sich für Knabenschulen die Anlage gemeinsamer, 
für Mädchenschulen eine solche getrennter Brause- und Auskleideräume. Vom hygienischen, nicht 
aber vom wirtschaftlichen Standpunkt aus, kommt bei Neuanlagen allenfalls noch das von 
A. Osländer-Köln cingeführte »Bademuldensystem«, eine Kombination von Douche und Bad in 
einem cementierten flachen muldenartigen Behälter in Betracht. 

Das Schulbad hat bisher nur erfreuliche Folgen gezeitigt: es fördert den Gesundheitszustand 
der Schuljugend, wirkt erziehlich auch auf die Angehörigen, welche durch dasselbe veranlasst 
werden, den Kindern saubere Wäsche und Unterkleidung mitzugeben, und ist durch die stufenweise 
sich immer mehr steigernde Reinlichkeit der Kinder von erheblicher prophylaktischer Bedeutung. 

Bäder in der Schule selbst sind — schon aus Moralitätsgründen der etwa zu ermöglichenden 
Mitbenutzung schon bestehender — Volksbadeanlagen seitens der Schuljugend stets vorzuziehen. 
Auch die früher erhobenen Bedenken, als sei durch Schulbäder eine Beeinträchtigung des Unter¬ 
richts zu gewärtigen, sind durch die Erfahrungen der Praxis in ausreichendem Maasse widerlegt 
worden. Redner erblickt somit in den Schulbädern eine Wohlfahrtseinrichtung, deren praktische 
Bedeutung sich von Jahr zu Jahr steigert, und deren voller ethischer Werth namentlich den folgen¬ 
den Generationen klar und ganz zum Bewusstsein kommen wird. Herr Medicinalrath Dr. Klein, 
Kreisarzt in Charlottenburg bemerkt zu dem Vortrage, dass auch von ihm das Schulbad als eine 
der segensreichsten Einrichtungen moderner Hygiene aufgefasst werde. Insbesondere komme seine 
sanierende und vorbeugende Wirkung dann in Betracht, wenn wie so oft, bei kleinen Rekonvales¬ 
zenten oder den Geschwistern ansteckend erkrankter Schulkinder die noth wendigsten Vorsichts- und 
Reinlichkeitsmaassregcln — dank der Gleichgültigkeit oder Nachlässigkeit der Eltern — aufs gröbste 
vernachlässigt würden. Herr Rektor Dank-Berlin bedauert, dass bisher betreffs der eventuellen 
zwangsweisen Benutzung der Schulbäder in manchen Fällen zwischen Behörden und Lehrern 
noch nicht das nöthige Einverständnis geherrscht habe. Herr Medicinalrath Dr. Klein erwidert, 
dass auch hierin kraft der Bestimmungen des neuen Kreisarztgesetzes durch die Vermittelung des 
Kreisarztes die wünschenswerthe Abhilfe ermöglicht werden könne. Herr Baurath Herzberg 
Berlin erörtert zum Schluss zwei Fragen technischer und statistischer Bedeutung. Bei fast allen 
Volksbadeanstaltsprojekten wird die Frage nach Wasserbeschaffung als gelöst betrachtet, 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 535 

wenn im Erläuterungsbericht vermerkt ist: Anschluss an die städtische Wasserleitung. Gerade 
hierin kann aber der Grund für eine eventuell später mangelnde finanzielle Prosperität der Anlage 
gegeben sein. Redner weist nach, dass die Wasserentnahme aus den städtischen Leitungen, welche 
den Kubikmeter nicht unter etwa 15 Pfennigen abgeben können, für die Verhältnisse des Volks¬ 
bades im ganzen zu theuer sei und empfiehlt Anlage eigener Bohrbrunnen, welche die Entnahme 
zu etwa 4—5 Pfennig pro Kubikmeter ermöglichen. Als Hebemaschinen seien nicht Pumpen sondern 
Pulsometer zu verwenden, weil bei diesen die ganze Wärme des zum Heben verwendeten Dampfes 
in das Wasser gelange; die Eisenhaltigkeit des Grundwassers bilde bei den heute bestehenden 
vorzüglichen und billigen Enteisenungsverfahren kein Hinderniss, nur ein gewisser Härtegrad des 
Wassers — etwa 14 — dürfe bei solchen Brunnenanlagen nicht überschritten werden. 

Des ferneren wünscht Herzberg bei der Aufstellung von Frequenzberechnungen von Bade¬ 
anstalten nicht das bisher übliche System, sondern eine, wie er sie nennt, Individualstatistik acceptiert 
zu sehen. Herzberg weist an einem Beispiel nach, dass die einfache Frequenzberechnung nur un¬ 
genaue Aufschlüsse über die wirkliche Benutzung vorhandener Badeanstalten seitens der Be¬ 
völkerung giebt, und dass vielmehr zur Erlangung wirklich nutzbringender Resultate der eventuelle 
Nachweis, wieviel einzelne Individuen in einer Stadt und wie oft diese baden, von einschneidender 
Wichtigkeit sein würde. Diese »Individualstatistik« wird sich insbesondere dann am rechten Platze 
zeigen, wenn ermittelt werden soll, welche Art von Bädern bei einer neu anzulegenden Anstalt 
aus öffentlichen Mitteln am richtigsten zu beschaffen sind. 

Mit einem Schlusswort des Vorsitzenden endet die zahlreich besuchte Versammlung. 


II. 

Aus französischen Gesellschaften. 

In der Oktober-Sitzung der Academie de Mödecine berichtete Josias über seine Versuche, 
tctanisch gemachte Ziegen durch die von Baccelli angegebene Methode zu heilen. 
Er spritzte ihnen zu diesem Zwecke zunächst die tätliche Dosis des Toxins ein und späterhin, sobald 
sich die ersten Symptome des Starrkrampfes zeigten, eine einmalige Dosis von 2 ccm einer 2%igen 
Karbolsäurelösung. Sämmtliche Thiere starben innerhalb von 4 — 5 Tagen und zeigten keineswegs 
eine geringere Intensität der Erscheinungen als das nicht behandelte Thier. Auch diejenigen Thiere 
einer zweiten Versuchsreihe, welche mit kleineren Dosen von Karbolsäure behandelt wurden, konnten 
nicht vom Tode gerettet werden. Auf Grund dieser seiner experimentellen Erfahrungen spricht 
Jos ias der Ba ccelli ; schen Methode jeden Einfluss auf die Entwicklung und Heilung des Tetanus ab. 

In noch zwei anderen französischen Gesellschaften wurde kürzlich über die Behandlung des 
Tetanus berichtet, und zwar über die Erfolge, welche durch die von Roux und Bore 11 zuerst an¬ 
gegebene Methode in fünf Fällen erzielt wurden. Letoux theilte in der Sitzung der Societö 
scientifiquc et mödicale de TOuest drei Fälle mit, bei welchen verhältnissmässig grosse Dosen von 
Tetanusantitoxin intracerebral eingeführt wurden: In dem ersten Falle 20 ccm in zwei Injektionen, 
im zweiten 34 ccm in drei Injektionen, im dritten 48 ccm in vier Injektionen. 

Ausserdem berichtete Barette in einer Sitzung der Sociötö de mödecine de Caen über zwei 
Fälle, welche gleichfalls durch die intracerebrale Tetanusantitoxininjektion gerettet wurden. Das 
Inkubationsstadium dieser Fälle dauerte 6—15 Tage. Bei vier dieser Patienten hatten die sub¬ 
kutanen Injektionen des Tetanusantitoxins, welche in Dosen von 40—125 ccm angewendet wurden, 
keinen Erfolg. 

Amat, welcher über diese fünf Fälle in der Juli-Nummer des Bulletin gönöral de Thöra- 
peutique berichtete, hebt den Werth der intracerebralen Behandlung des Tetanus hervor, im Gegen¬ 
satz zu einem Berichte, welchen kürzlich Löper und Oppenheim erstattet haben. Diese stellten 
59 derartig behandelte Fälle zusammen; unter ihnen figurierten nur 16 Heilungen und 43 Todes¬ 
fälle, also eine Mortalität von 75%. Amat betont in seiner Arbeit noch besonders, dass die 
Chancen der Heilung des Tetanus durch die Antitoxinbehandlung sich nur dann günstig gestalten 
können, wenn dieselbe beim Ausbruch der ersten Symptome stattfindet (eine Ansicht, welche auch 
Referent bezüglich der von ihm vorgeschlagenen Duralinfusion des Tetanusantitoxins mehrfach ein¬ 
dringlich vertreten hat). 

♦ 

In der Oktober-Sitzung der Academie des Sciences berichtete Mil© de Leslie über inter¬ 
essante Versuche, welche sie bei männlichen Mäusen mit der Einspritzung spermo- 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


toxischen Serums von Meerschweinchen angestellt hat Nach einer einzigen derartigen 
Injektion verloren die Mäuse innerhalb von 16—20 Tagen die Zeugungsfähigkeit, obgleich die 
Sekretion des Spermas und die Kopulation vollständig normal blieben. Wurde ihnen im Laufe dieser 
Zeit eine zweite Injektion des gleichen Serums gemacht, so wurde die Periode der Sterilität auf 
einen gleichen Zeitraum verlängert Wenn man dagegen einem Meerschweinchen das Sperma von 
sterilen Thieren injizierte, so konnte man in dem Serum dieser Meerschweinchen keine spermo- 
toxische Substanz finden. 

Die Autorin erklärt diese Erscheinungen durch die Beziehungen der Osmose der einzelnen 
Spermaarten untereinander und rekuriert auch auf die Vorgänge der Chemotaxis. 

* * 

* 

Ueber die Behandlung der hämorrhagischen Pleuritiden mit subkutanen In¬ 
jektionen von Gelatinelösungen berichtete R. Bernhard zu Paris. Dieser will bei mehreren 
Soldaten, welche an hämorrhagischer Pleuritis litten, durch eine subkutane Injektion von 200ccm 
Gelatinelösung den Effekt erzielt haben, dass das vorher hämorrhagische pleuritische Exsudat rein 
serös und die Transsudation geringer wurde. 

* * 

* 

ln der Oktober-Sitzung der Sociötö Mödicale des Hopitaux theilte Gauch er den Bericht eines 
Arztes aus Bukarest, Schachmann, mit, welcher bei einem Fall von syphilitischer Myelitis 
die Behandlung mittels Duralinfusion einer Benzoe-Quecksilberlösung angewendet 
hatte. Der betreffende Patient sowie zwei andere Fälle, deren detaillierte Krankengeschichten in 
der Sitzung nicht mitgetheilt wurden, waren durch die vorher eingeleiteten üblichen antisyphilitischen 
Methoden nicht gebessert worden, während durch die täglich wiederholten Duralinfusionen von 1 ccm 
eines Quecksilber-Benzoepräparats in einer 1 obigen Lösung eine erhebliche Besserung erzielt worden 
sein soll. Irgend welche schwerere Uebelstände traten nach den Infusionen nicht auf. (Die Versuche er¬ 
innern also an die Bemühungen, welche Referent mit der Duralinfusion von Jodlösungen bei syphili¬ 
tischen Patienten bereits vor mehreren Jahren unternommen hat. 

In der dem Gau eher* sehen Vortrag folgenden Diskussion warnte Ballet vor allem davor, 
diese neue Methode der Quecksilbcrbehandlung bereits zu verallgemeinern und sie speziell bei den 
Tabikern anzuwenden. Auch Widal drückte ähnliche Bedenken in der Diskussion aus. 

Paul Jacob (Berlin). 


III. 

lieber den U. Internationalen Kongress za Madrid 1903 

gellt der Redaktion der Zeitschrift ein ausführlicheres Programm mit der Bitte um Veröffentlichung 
zu. Aus den 21 verschiedenen Artikeln dieses Programms entnehmen wir zur Vervollständigung 
der kurzen Notiz, welche bereits im Bd. V, Heft 5 der Zeitschrift gebracht wurde, folgende Einzel¬ 
heiten: Der Mitgliederbeitrag kann entweder dem Ortskomitö der betreffenden Länder bis zum 
20. März 1903 eingezahlt, oder direkt nach Madrid geschickt werden und zwar unter Beifügung 
einer Visitenkarte. Sämmtliche Mitglieder des Kongresses erhalten eine Generalübersicht über die 
Arbeiten des Kongresses sowie ein Exemplar der Verhandlungen derjenigen Sektionen, für welche 
sie sich als Mitglieder eingeschrieben haben. Die Abhandlungen der übrigen Sektionen werden den 
Mitgliedern zum Selbstkostenpreise ausgehändigt. Mitglieder, welche in mehreren Sektionen Vor¬ 
träge halten, erhalten die Verhandlungen dieser Sektionen. Die Vorträge sollen die Zeit von 
15 Minuten nicht überschreiten, die Diskussionen nicht die Zeit von 5 Minuten. Das Schlusswort 
der Redner darf sich auf 10 Minuten erstrecken. Ein Rösumö der Vorträge muss von dem be¬ 
treffenden Vortragenden bis zum 1. Januar 1903 an das Kongressbureau eingereicht werden; es 
wird vor Beginn der Verhandlungen an die Kongressisten vertheilt werden. Die Anzahl der all¬ 
gemeinen Sitzungen ist bis jetzt noch nicht bestimmt; jedenfalls werden eine allgemeine Eröffnungs-, 
eine allgemeine Schlusssitzung, und mindestens zwei allgemeinen Sitzungen stattfinden. 

Die offiziellen Kongresssprachen sind: spanisch, französisch, englisch und deutsch. R- 


Üer1in, Drtu-k von W. Hiixcnstein. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1901/1902. BandV. Heft 7. 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacob. 

Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 


INHALT. 


I. Original-Arbeiten. Seite 

I. Die öffentliche Krankenküche (Berlin, Brüderstr. 10), ihre Bedeutung und Einrichtung. 

Von Frau A. vom Rath. Mit 2 Abbildungen.539 

II. Eine therapeutische Handlampe mit gekühlten Eiscnelektroden. Von Dr. Soph us Bang, 

Laboratoriums Vorstand in »Finsens medicinske Lysinstitut«, Kopenhagen. Mit 
1 Abbildung.546 

III. Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur und deren physikalische Behandlung. 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-Rath Prof. 

Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus, Volontär-Assistent der Klinik . . . 550 

IV. Eine einfache Vorrichtung zur Verhütung der Flexionspronationskontraktur des Annes. 

Aus der inneren Abtheilung des städtischen Krankenhauses Moabit (Prof. Dr. Gold- 
scheider). Von Dr. W. Alexander, Assistenzarzt. Mit 3 Abbildungen . . . 567 

V. Der Kefir (Ferment und Heilgetränk aus Kuhmilch). Geschichte, Bereitung, Zusammen¬ 
setzung des Getränks, Morphologie des Ferments und dessen Erkrankungen; physio¬ 
logische und therapeutische Bedeutung des Getränks. Von Professor Dr. W. Pod- 
wyssozki in Odessa. Uebersetzt aus dem Russischen von Dr. Rechtshammer 570 


II. Referate über Bücher und Aufb&tze. 

A. Verschiedenes. 

Arloing, Inoculabilitö de la tuberculose humaine aux herbivores.596 

Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie.597 

v. Mering, Lehrbuch der inneren Medicin.. . . . . 598 

Börncr’s Reichs-Medicinal-Kalender 1902 . 600 

Pollatschek, Die therapeutischen Leistungen des Jahres 1900, ein Jahrbuch für praktische 

Aerzte...601 

B. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

v. Düngern, Eine praktische Methode, um Kuhmilch leichter verdaulich zu machen ... 601 

Bälint, Ueber die diätetische Behandlung der Epilepsie ..601 

Berju, Ueber eine Aenderung der Methode der künstlichen Verdauung eiweisshaltiger Nahrungs¬ 
mittel .602 

Pfaundler, Ueber Stoffwechselstorungen an magendarmkranken Säuglingen.602 

Hirsch fei d, Die Behandlung der leichten Formen von Glykosurie . ..603 

Biedert, Ueber Ernährung und Ernährungsstörungen, Gastrektasie und Colitis.604 

Tittel, Die Verwendbarkeit des Siebold’schen Milcheiweisses (Plasmon) in der Säuglings¬ 
nahrung . 605 

Lange, Beitrag zur Frage der Fleischkonseivierung mittels Borsäure-, Borax- und schwefel- 

sauren Natronzusätzen. Mit einem Anhang, Milchkonservierung betreffend . . . 605 

Dixon, The composition and action of orchitic extract.606 

Zeifcschr. I diät u. physik. Therapie Bd. V. Heft 7 . 37 


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538 Inhalt. 

ۥ Hydro-, Balneo- and Klimatotkerapie. 

Falloise, Influence de la respiration d’une atmosphöre suroxygönöe sur l’absorption d’oxygcnc 6o7 


Bern ab ei, L’assortimento extrapolmonare dci gas e la emfisiterapia.607 

Engelmann, Dreissig Jahre Badepraxis.60S 

Neumann, Der Tallerman’sche Apparat.606 

Zimmermann, Ueber Erfahrungen mit dem Tallerman’schen Apparat. 608 

D. Gymnastik and Massage, Liegekuren. 

Batseh, Massage bei Lymphangitis.606 

Reymond, Quelques rösultats de la thörapeutique par les machinos de Zander, ä 1’iustitut 

mödico-möcanique de Genöve.609 


E. Elektrotherapie. 

Sloan, Three and a half years* experience of faradisadon of the head, on scientific principles 
in the treatment of chronic insomnia and associated neuroses, comprising a series 

of fourty-six cases.610 

Riviöre, Action of currents of high frequency upon tuberculosis.610 

Rodari, Ueber ein neues elektrisches Heilverfahren (Eugen Konrad Müller’» Permea- 

elektrotherapie).. ... 611 


IV. Kleinere Mittheilungren. 

1. Die Verwendung von Gemüse- und Fleischkonserven in den Armeen der Grossmächtc 612 
H. Eine neue Sandbadeinrichtung. Mit 2 Abbildungen.616 

V. Berichte über Kongresse und Vereine. 

I. .Jahresversammlung des deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke am 

29.—30. Oktober 1901 zu Breslau. Von Dr.Waldschmidt in Charlotten bürg-Westend 616 

II. Ueber die Bedeutung des Leims als Nährmittel und ein neues Nährpräparat »Gluton«. 

Autoreferat und einige Bemerkungen über Diätetika. Von Dr. H. Brat in Rummels¬ 
burg .•.02*2 

III. Ueber die erste ärztliche Studienreise in die deutschen Nordseebäder. Von Privatdozent 

Dr. H. Strauss in Berlin.624 


Jährlich erscheinen 8 Hefte (ä 5 Va Bogen) in regelmässigen 6 wöchentlichen Zwischen¬ 
räumen zum Preise von 12 Mark p. a. 


Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage bonorirt; die grössere 
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen. 

Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen. 

Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen 
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern 
von Original-Arbeiten gratis geliefert. 

Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler 
Strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Courbiörestrasse 9a oder an 
Herrn Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten. 

Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besondere# Blättern (nicht 
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung einges&ndt werden. 


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Original - Arbeiten, 


I. 


Die öffentliche Krankenküche 

(Berlin, Brüderstr. 10), 

ihre Bedeutung und Einrichtung. 

Von 


Frau A. vom Rath. 


Nachdem das erste Betriebsjahr der in Berlin begründeten öffentlichen Kranken¬ 
küche nunmehr verflossen ist, dürfte ein Rückblick auf ihre Entstehung und ihre 
Entwickelung von allgemeinem Interesse sein. 

Die Ueberzeugung, dass zur Wiederherstellung der Gesundheit unter allen ärzt¬ 
lichen Mitteln und Verordnungen eine sachgemässe Ernährung an erster Stelle stehe, 
ist durch die Belehrungen und Vorträge der hervorragendsten Aerzte eine allgemein 
verbreitete geworden. Der Gedanke, es sei nun auch Vorsorge zu treffen, um die Be¬ 
schaffung dieses Allheilmittels nicht nur den wohlhabenden, sondern auch vor allem den 
bedürftigen Kranken zu ermöglichen, lag daher gewiss sehr nahe; aber um solche 
Gedanken zur Ausführung heranreifen zu lassen, bedarf es meistens eines äusseren 
Anstosses. Der Schreiberin dieser Zeilen wurde ein solcher Anstoss zutheil in Ge¬ 
stalt einer kurzen schweren Krankheit, aus der sie sich nicht erholen konnte; sie 
fühlte selbst wie nur die unermüdliche Sorgfalt, welche der Arzt ihren ersten Ess¬ 
versuchen sowohl hinsichtlich der Qualität wie der Quantität der Speisen widmete, sie 
nach und nach dem Leben wiedergab; sie machte aber auch die Erfahrung, dass es 
selbst in einem grösseren Haushalte schwierig ist, gerade die einfachsten Speisen 
sich so zu schaffen, wie sie dem kranken Menschen zuträglich sind. Die quälende 
Frage, wie können sich kleine Haushalte, arme Familien oder gar einzelstehende 
Menschen im Erkrankungsfalle zuträgliche Nahrung verschaffen? verliess sie nicht 
mehr — und die ersten Schritte nach ihrer Genesung galten der Verwirklichung ihres 
Planes. 

Die Grundzüge waren während der Rekonvalescenz in allgemeinen Umrissen 
festgelegt. Als Grundkapital zur Bestreitung der Einrichtungskosten und der Lokal- 
miethe für die ersten fünf Jahre stand ein Geschenk von 30000 M. zur Verfügung. 
Es galt nun, durch Heranziehung einer grösseren Anzahl einflussreicher arbeits¬ 
freudiger Damen aus den verschiedensten Kreisen ein thatkräftiges Komit& zu bilden. 
Mit wie lebhaftem Interesse der Gedanke überall aufgenommen wurde, zeigte die 
rasche Konstituierung dieses Komitßs, welches jetzt als Vorstand des Vereins 
besteht 

Als erster wichtigster Gegenstand der Berathung lag die Frage vor, ob der Verein 
die Speisen an Unbemittelte unentgeltlich liefern solle. Wollte man diese 
Frage bejahen, so war einestheils eine besondere ausgedehnte Organisation erforder¬ 
lich, um Ermittelungen über Bedürftigkeit und Würdigkeit der Empfänger einzu- 

37* 


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Original fro-m 

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540 


A. vom Rath 


ziehen; andererseits würde dadurch auch die Wirksamkeit der Küche wegen der 
erforderlichen grossen Geldmittel von vornherein auf einen kleinen Kreis beschränkt 
worden sein. 

Man beschloss daher, grundsätzlich nur gegen Zahlung Speisen zu verabfolgen 
und sich mit anderen wohlthätigen Vereinen in Verbindung zu setzen, um durch 
deren Vermittelung den bedürftigen Erkrankten gesunde Nahrung zukommen zu lassen. 
Dieses System hat sich sehr gut bewährt Verschiedene Vereine geben ihren Schutz¬ 
befohlenen Anweisungen auf die Küche, und viele Menschenfreunde schenken häufig 
eine mehr oder minder grosse Anzahl Speisemarken, namentlich an den Verein 
» Hauspflege <, welcher fortwährend Kranke in bitterster Armuth zu verpflegen 
hat. Auch die Direktion der Berliner Armenverwaltung hat bereits begonnen, die 
Küche ihren Zwecken dienstbar zu machen; sie hat einen Erlass an die Medicinal- 
bezirke ertheilt, in welchem den Armenärzten empfohlen wird, an Stelle der seither 
verordneten diätetischen Heil- und Nährmittel in geeigneten Fällen für arme Kranke 
eine Portion Krankenkost aus unserer Küche zu verordnen. Infolge dieser Anregung 
erhalten bereits eine grosse Anzahl armer Kranken Anweisungen auf Essenportionen zu 
50 Pf. oder zu 25 Pf., je nach den Fällen, für 3, 8 oder 14 Tagen. 

Ferner haben einzelne grosse Polikliniken Berlins ihr Interesse unserem Unter¬ 
nehmen zugewandt; so hat vor allem die unter Leitung des Oberarztes Dr. Paul 
Jacob stehende I. medicinische Universitätspoliklinik des Geheimraths v. Leyden be¬ 
reits kurze Zeit nach Begründung unserer Krankenküche Speisemarken von uns be¬ 
zogen und vertheilt diese — und zwar unter ausdrücklicher Genehmigung der König¬ 
lichen Charitädirektion — unentgeltlich an unbemittelte Patienten. 

Ein grosser Theil unserer Kundschaft besteht aus solchen bedürftigen Kranken¬ 
oder Genesenden, welche von Privatpersonen Speiseanweisungen geschenkt erhalten. 
Zweckmässiger und wirksamer lässt sich wohl kaum der Wohlthätigkeitssinn be- 
thätigen, als dadurch, dass man dem durch Krankheit geschwächten Familienvater 
oder der eben genesenden Hausfrau durch Zuweisung einer leicht verdaulichen, doch 
kräftigen Kost wieder zu Kräften verhilft und sie wieder arbeitsfähig macht. Beispiels¬ 
weise nimmt Frau Mathilde Wesendonck am 18. eines jeden Monats, als am Datum 
des Sterbetages Kaiser Friedrichs, 100 Speisemarken ä 50 Pfg., die sie theils durch 
Wohlthätigkeitsvereine, theils direkt an bedürftige Kranke vertheilt So steht die 
Küche, obwohl sie selbst nur gegen Zahlung Nahrung liefert, doch zum grossen Theil 
im direkten Dienst der Bedürftigen. Uebrigens ist auch für besonders dringende Fälle 
eine Armenkasse zur Verfügung, aus welcher ausnahmsweise ohne sonstige Ver¬ 
mittelung Speisemarken verabreicht werden. 


Die grosse Schwierigkeit, ein geeignetes Lokal zu finden, wurde durch das 
liebenswürdige Entgegenkommen des Propstes von St. Petri, Freiherrn von der 
Goltz, überwunden, welcher uns die rarterreräume der Propstei, Brüderstrasse 10, 
zu einem billigen Miethspreis zur Verfügung stellte. Ein besser gelegenes und in 
jeder Hinsicht angenehmeres Lokal hätten wir uns nicht erdenken können, und so 
wurde sofort zum Umbau der Räume und zur Einrichtung der ersten Küche ge¬ 
schritten. 


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Pie ßfftfQtlitthe Kr^nkenkilche. 


Einrichtung unserer Kranken k fiche. 

i. Ein grosses Vorzimmer, in nelchen* sich ein verglaster Abschlag für 
Kasse, Ruchhaltcrei uqtlExpedit'ivn >V‘t Speisezettel befindet; daneben ist Raum für 


IjllKtWSUiWMMIW 


zwei Tische vorhanden, an welchen etwa Uekouvaleszeuteu: Magen leidende, 

Zuckerkruake ii.>w. speisen können. 





>>42 A. vom Rath 


2. Die eigentliche Küche; es befinden sich darin ein grosser Senking- 
scher Sparherd, ein Warmwasserbadkochapparat mit vier Suppenkesseln aus Rein¬ 
nickel (zwei zu je 100 und zwei zu je 501); die sich entwickelnden Dämpfe werden 
durch die Feuerung geleitet und verzehrt. Hierdurch und durch eine hydraulische 
Ventilation herrscht in der Küche stets gute Luft. 

3. Vorrathszimmer mit grossem Eisschrank, in welchem das Fleisch hängend 
aufbewahrt wird. 

4. Zwei Zimmer für die Wirthschafterin und Köchin. 


Das Personal besteht aus: 

einer Wirthschafterin, die zugleich mit kocht; 
zwei Köchinnen; 

einer Kassirerin, die auch die Buchhaltung und Korrespondenz besorgt; 
drei Burschen, welche die Speisen in drei Dreiradwagen und einem Motor¬ 
wagen in die Wohnungen der Kranken bringen und die Reinigung der 
Küche besorgen. 

* * 

-* 


Das schwierige Problem, die Speisen warm in die Wohnungen der 
Kranken zu liefern, haben wir durch Thermophorgefässe zu lösen gesucht 
Dieselben haben sich hinsichtlich der Erhaltung der Wärme gut bewährt, aber in 
der Handhabung viele Schwierigkeiten verursacht 

Da die Schmelzung der Gefässe durch kochendes Wasser bei starkem Betriebe 
in der Küche viele Arbeit und Unannehmlichkeit bereitet, hatten wir den Versuch 
gemacht, die Schmelzung auf trockenem Wege in einem Gasschranke vorzunehmen; 
es zeigte sich aber, dass die Gefässe dieses nicht vertragen, indem sie vielfach 
platzten. Wir haben uns daher entschliessen müssen, den Gasschrank zu beseitigen 
und trotz der damit verknüpften Unannehmlichkeiten kochendes Wasser zu benutzen. 
Zahlreiche Versuche, die wir gemacht haben, die Speisen in isolierten Menagen u.s.w. 
zu versenden, haben keine befriedigenden Erfolge gehabt, so dass wir trotz der Kost¬ 
spieligkeit beim Thermophor verbleiben wollen. Die verzinnten Thermophore haben 
im Gebrauch bald ein wenig appetitliches Aussehen erhalten trotz peinlichster Rein¬ 
haltung; wir haben deshalb begonnen, dieselben durch emaillierte Gefässe zu ersetzen. 

Bei der Aufstellung der Speisekarte für den täglichen regelmässigen Betrieb 
der Küche war das erste Erforderniss, dass dieselbe eine Auswahl von Speisen 
biete, welche es gestattet, für die Hauptkategorieen der vorkommenden Krankheits¬ 
formen geeignete Mahlzeiten daraus zusammenzustellen. Bei dieser Ueberlegung 
hatten wir uns des eingehendsten Rathes unserer grossen Kliniker zu erfreuen, unter 
denen sich ganz besonders Herr Geheimrath v. Leyden unserer Sache mit dem 
wärmsten Interesse annahm. Seine theoretisch wie praktisch werthvollen Rathschläge 
sind uns in den verschiedensten Richtungen vom grössten Nutzen gewesen. 

Wir glauben, dass die Aerzte aus unserer Speisekarte ohne Mühe ihren ver¬ 
schiedenartigen Kranken eine zuträgliche Nahrung werden aussuchen können. 

Die Speisen, welche die Küche verabfolgt, ergeben sich aus der hier folgenden 


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543 


Die öffentliche Krankenkfichc. 


Betriebsordnung der Krankenküche. 

Die Küche liefert: 


I. Mittagessen 1 ) bestehend aus: 

ca. Va Liter Bouillon mit einem Stück Huhn als Einlage . M. —,25 

oder ca. 1 Liter Haferschleimsuppe mit Ei.» —,25 

oder ca. V 2 Liter Suppe mit Fleisch und Gemüse oder Kartoffeln 

als Einlage.» — ,25 

oder ca. V a Liter Suppe mit Reis und ein Stück Huhn als Einlage » — ,25 


II. Mittagessen») in einem Napf, bestehend aus: 

ca. 1 Liter Suppe mit Fleisch und Gemüse oder Kartoffeln 

als Einlage.» —,50 

oder ca. 1 Liter Suppe mit Reis und einem Stück Huhn als Einlage » —,50 
III. Mittagessen») in zwei Näpfen, bestehend aus: 

1. Fleischsuppe, klar oder gebunden oder Schleimsuppe, nach Wahl i ^ 

2. Fleisch und Gemüse oder Kartoffelbrei oder Kompott, nach Wahl > : 


IV. Mittagessen») in drei Näpfen, bestehend aus: 

1. Hühner- oder Fleischsuppe, klar oder gebunden, oder Schleim¬ 

suppe, nach Wahl.. . . . 

2. Fleisch gebraten oder gekocht, mit Gemüse oder Kartoffelbrei, 

nach Wahl. 

3. Leichte süsse Speise und Kompott. 

V. Mittagessen») in vier Näpfen, bestehend aus: 

1. Hühner- oder Fleischsuppe, klar oder gebunden, oder Schleim¬ 

suppe, nach Wahl. 

2. Fleisch, Geflügel, Kalbsbries oder Wild, gekocht oder gebraten, 

nach Wahl. 

3. Gemüse und Kartoffelbrei. 

4. Leichte süsse Speisen und Kompott. 






VI. Einzelne Portionen und zwar bei Abholung in eigenem Geschirr: 


Fleisch oder Geflügel.» 

Suppe.» 

Gemüse.» 

Süsse Speise.» 

Kompott.» 


Für Zusendung in die Wohnung wird 10 Pfg. Bringerlohn berechnet. 


VII. Erquickungen für Kranke: 

Fleischgelee das grosse Glas inclusive Glas.» 

» » kleine » » ».» 

Hühnergelee » grosse » » ».» 

» » kleine » » ».» 


1,25 


o 

“i 


--,80 
-,40 
-,40 
-,40 
— ,40 


1,25 
-,70 
1,25 
—,70 


Nur bei Abholung in eigenem Geschiir. 

*) In Thermophorgefässen frei in die Wohnung gebracht; für Speisen, welche in eigenem 
Geschirr in der Küche abgeholt werden, werden 10 Pfg. (bei mehreren Näpfen 5 Pfg. pro Napf) 
zurückvergütet. 


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Original fro-rn 

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A. vom Mein. 


Weingdee *i«.s grosse Glas inklusive Gla> 


•Fruchtgeteö »grosse ? * ...... .>• -,ßü 

» i kleine v * >„ .. . • ,4. 

Für Gläser, welche n»K Deckel iu gutem Zustande -zurückgoliefert werden, 
werden 25 Pfg. für das grosse und JO i’fg. für das kleine Glas vergütet. 


Transport der Speisen. 

Unsere- Kranke.nkliehe sollte rdeiit nur den tunbiilufcotisuhen Kranken, 
sondern namentlich auch deo bettlägerigen Patienten diene»., Es musst«» daher 
Uinrichtuiu'eiy getroffen werde»', um du: bpei*«» von der Ventrale ans direkt in .in; 
Wohnungen der. Krank»» zu schaffe». Wir .stifiksen hierbei zunächst-awf gra»«; 
Schwierigkeiteo. Der Ptau. durch eingii grosseren mit Ptenjpö bespannten Wage»-die 
Sjveisen in die Wohnungen zu. trausgortim». musste, aafgegeb«» werden, weildb* 

• Äbliof@räugtter'Käi»fe»ttden'Hä«särt 
Fi s- jedesmal ziemlich viel Zeit erfordert, 

und deshalb «in Wagen in der be¬ 
schränkten Zeit von wenigen Stünden, 
welche uns zu Gebote stellen, rer 
hältnlssmässig, wenig leisten kann. 

Wir gingen daher dazu über, drei; 
Dre i ra tl w4g an aBzuhcbaflen,wetclie 
zugleich in verschiedenen Riditetigcn 
n mitetfehgeo ÜM auf diese Wgbe ein 
ziemlich grosses SStadtterraiH .teb 
sorgen können, ln dieser 11 msStfc 
musste eine Entfenm«gsrnwe fist- 
gesetzt werdfln , welche auf eine» 
Umkreis v o?t zwei Kilometern «nt 
die Küche herum bestimmt wurde. 
Dieser schon einen grossen ThoiP der Slidi^. ^eir. ftväitib ein 

noch grösserer The-it blieb dadurch ausgeschlossen. Wir. «.mpfamte» cs daher oft 
schmerzlich, «ine grosse -Alenge ' von Tlestellungen wegen der zu weite» Entfernung 
ahlehneff zu milKseuv UesliaiH hifid. .seit einiger Zeit Einrichtungen getroffen Wörden, 
um diesem Uebelstande oinigennäas.-en abzuh'elfen- Durch Vemiitelung der Fmn 
Otariiti.rgermefeter Kirsch«er sirnl in de« euflegteheren Gegenden der Stadt Hi ?o- 
geuanntß A bbolestellen in Privatwohnutigcm eißgerichtet worden, wohin wir »ut 
Bostellungeu das Esse» schicken, wfiMibs da an von dort durch 
Kranktui bezw. deren Angoftörrge' »bgehclt acird, - 'G 

Um diese Hielten mit Speisen zu versorgen, ist ein kleines Automobil ;iuu<:?- 
schäfft worden, welches .sehr stduiell fährt und trotz der weiten Eutfora wagen das 
Essen rechtzeitig dorthin bringt. 


mm 

flf *1 -■>? 


.-Vi.de chronisch Erkrankte und Genesende, welche nicht an das Zimmer -c 
fesselt, -st »d, bedürfen -einer besonders kräftige» und leichte-» 'Nahrung, : Für Milch« 
haben wir in dem Vorzimmer uiiserer Kütho dk- Eitinchtung getroffen, dass, sö weis 









545 


Die öffentliche Krankenk&che- 

es der Raum zulässt, Tische und Stühle aufgestellt werden, an welchen sie ihre 
Mahlzeiten einnehmen können. Es ist eine Freude zu sehen, wie manche unter 
ihnen durch die gesunde Ernährung in kurzer Zeit ein ganz anderes blühendes Aus¬ 
sehen gewinnen. 

Da das Personal der Küche gerade in den Mittagsstunden besonders stark in 
Anspruch genommen ist, hat sich eine ganze Anzahl junger Damen bereitgefunden, 
in den Stunden von 11—2 Uhr uns Hülfe zu leisten. Sie übernehmen abwechselnd 
an den verschiedenen Tagen den Dienst, und es ist ein herzerfreuender Anblick, zu 
sehen, mit welchem Eifer sie die Kranken, die dort essen, bedienen, oder den Armen, 
welche ihre Essportion abholen, das ärmliche Geschirr erwärmen, ihnen das Essen 
überreichen und es sorgfältig in die mitgebrachten Körbe verpacken. 

Wir halten uns verpflichtet, aus Rücksicht auf das allgemeine Interesse, welches 
unser Unternehmen gewonnen hat, auch dessen finanzielle Seite zu besprechen. 
Es ist selbstverständlich, dass erhebliche Zuschüsse erforderlich sind. Man ist noch 
zu wenig daran gewöhnt, den Unterschied zwischen dem billigen schweren Essen, 
welches die Armenküchen liefern, und den Anforderungen, welche an ein Kranken¬ 
essen gestellt werden müssen, zu berücksichtigen. Es mussten daher die billigsten 
Preise auf 50 Pf. für eine grosse Portion Essen und auf 25 Pf. für eine kleine Portion 
gesetzt werden. Dass für diese Preise aber das Essen, welches nur vom besten Material, 
gutem, zartem Fleisch, ausschliesslich reiner Butter u.s. w. bereitet wird, nicht hergestellt 
und in die Wohnungen gesandt werden kam, liegt auf der Hand. Wir haben daher 
bis jetzt mit einem monatlichen Defizit von ca. 1000 M. gearbeitet. Glücklicherweise 
zeigt sich die allgemeinen Sympathie, deren sich unser Institut erfreut, auch darin, 
dass uns ohne besondere Anstrengungen aus freien Stücken zahlreiche Beiträge zu- 
fliessen, die schon jetzt den Bedarf für das kommende Jahr voraussichtlich decken 
werden. 

Die Benutzung der Küche hat sich ganz allmälig entwickelt; es sind im ersten 
Jahre 36 000 Portionen Essen verabreicht worden. 


Wie sehr unsere neue Wohlfahrtseinrichtung einem allgemein gefühlten Be- 
dürfniss entgegengekommen ist, ergiebt sich aus den zahlreichen Besuchen aller 
Gesellschaftskreise, welche aus Berlin und von auswärts gekommen sind, um unsere 
»Küche« in Augenschein zu nehmen — mehr noch aus den vielen Anfragen aus 
anderen Städten des In- und Auslandes über die Art der Einrichtung und des Be¬ 
triebes unseres Unternehmens. 

Allerwärts beabsichtigt man, öffentliche Krankenküchen nach dem Vorbilde der 
unseligen einzurichten; soviel mir bekannt wurde, sind solche bereits in Cassel, 
Posen, Wien, Manchester u. s. w. ins Leben gerufen worden. 

Möge der Austausch der Erfahrungen dazu beitragen, die Schwierigkeiten zu 
überwinden, gegen welche jede neue Einrichtung bei ihrer praktischen Durchführung 
anzukämpfen hat. 


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54« 


Sophus Bang 


11 . 

Eine therapeutische Handlampe mit gekühlten Eisenelektroden. 

Von 

*■ Dr. Sophus Bang, 

Laboratoriums Vorstand in «Finsens medicinske Lysinsdtut«, Kopenhagen. 


Die neueren Konstruktionen der Finsen'sehen Sammelapparate für elektrisches 
Licht bezeichnen einen so gewaltigen Fortschritt im Vergleich mit seinen ersten 
Apparaten, dass man glauben konnte, dem Ideal sehr nahe gekommen zu sein. 

Finsen selbst sucht doch immer noch seine Apparate weiter zu verbessern, 
und im Laufe des letzten Jahres haben wir in verschiedenen Ländern eine ganze 
Reihe von Versuchen in dieser Richtung erlebt. So hat in Deutschland Strebei 
versucht, den grossen Reichthum an ultravioletten Strahlen des Induktionsfunken¬ 
lichtes therapeutisch auszunutzen. In. Frankreich haben Lortet und Genoud ver¬ 
sucht, die Verwendung von Konzentrationsapparaten dadurch zu umgehen, dass sie 
den Lichtbogen in einem Abstande von nur wenigen Centimetern von der Haut des 
Patienten anbringen, was sie dadurch möglich machen, dass sie einen wasserdurch- 
strömten Schirm zwischen den Elektroden und der Haut anbringen. Foveau 
de Courmelles verwendet ein ähnliches Prinzip unter Einschliessung der Elektroden 
in einen mit Hohlspiegel versehenen Hohlraum. Strohbinder, Moberg, Smith 
haben jeder auf seine Weise versucht, das elektrische Kohlenlicht therapeutisch zu ver¬ 
wenden. 

Auf Finsen’s Lichtinstitut sind im letzten Jahre folgende Versuche in ähn¬ 
licher Richtung ausgeführt: Herr Kjeldsen hat, von Aron’s und Hewitt’s Queck¬ 
silberlampe ausgehend, eine Lampe konstruiert, worin er Quecksilber als positiven, 
Kohle als negativen Pol verwendet; hierdurch bekommt man ein Licht von sehr 
grosser bakterientötender Kraft; aber zu einem praktisch verwendbaren Resultat 
haben die Versuche bisher nicht geführt. — Weiter hat Dr. Reyn, erster Assistenz¬ 
arzt der Klinik des Lichtinstituts, die Aenderung der Finsen’schen Konzentrations¬ 
apparate unternommen, dass er die wärmeabsorbierende .Wasserschicht unmittelbar 
hinter der dem Lichtbogen nächsten Linse angebracht hat, während diese Wasser¬ 
schicht in Finsen’s Apparaten am unteren Ende des Sammelapparates sich be¬ 
findet. Durch die Reyn’sche Modifikation wird unter anderem erreicht, dass die 
theuren Quarzlinsen, die unmittelbar der Hitze des Lichtbogens ausgesetzt waren, 
dem Zerspringen nicht so ausgesetzt sind. 

Einen Versuch die Qualität des Lichtes selbst zu ändern, habe ich auf folgende 
Weise gemacht. Dass die Metalle, deren Spektrum sehr reich an ultravioletten 
Strahlen ist, wie z. B. Eisen und Aluminium, als Elektroden verwendet, ein thera¬ 
peutisch wirksames Licht geben können, ist schon mehrmals ausgesprochen worden, 
z. B. von Strebei. Eine praktische Verwendung davon hat Ewald schon 1895 


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Eino therapeutische Handlampc mit gekühlten Eisencloktroden. ’>47 

gemacht, indem er, als Arzt bei den Struve’schen Eisenwerken in Kolumna 
(Gouvernement Moskau), die vermeintliche Beobachtung machte, dass die Arbeiter, 
welche mit dem Zusammenschweissen von Eisen mittels elektrischem Strom be¬ 
schäftigt waren, von Rheumatismus und anderen Krankheiten verschont wurden 
(s. diese Zeitschrift 1899. Bd. 2. S. 238). Er versuchte diese Beobachtung thera¬ 
peutisch auf die Weise zu verwenden, dass er eine Bogenlampe konstruierte, worin 
ein Block von Gusseisen als positiver Pol diente, während der negative Pol aus 
einem Kohlenstab gebildet war. Unter Anwendung von sehr starken Strömen, 
2—300 Amperes, wurde hierdurch ein Licht von ausserordentlichem Reichthum an 
chemisch wirksamen Strahlen geschaffen; die Behandlung geschah in der Weise, dass 
die Patienten sich wenige Minuten in einem Abstande von I V» Meter vom Lichte 
aufhielten, wodurch ein ziemlich starkes Lichterythem hervorgerufen wurde. Später 
hat Kosloffsky in St. Petersburg dieselbe Methode verwendet. — Auch Strebei 
hat die Verwendung von Metallelektroden versucht. 

Die Verwendung von Metallen als Starkstromelektroden litt doch bisher an dem 
Uebelstand, dass die Metalle dabei abschmelzen und sehr unruhig unter Funken- 
sprflhen verbrennen, wodurch das Licht inkonstant, die Regulierung schwierig, der 
Verbrauch an Metall gross und die Entwickelung von Oxygen und Metalldämpfen 
lästig wird. Indem ich zufällig mit einem Röntgenrohr mit Wasserkühlung der 
Antikatode experimentierte, kam mir die Idee, dasselbe Prinzip, die Wasserkühlung, 
auch für gewöhnliche Starkstromelektroden zu verwenden. Ich machte den einfachen 
Versuch, dass ich zwei wasserdurchströmte Eisenröhren mit je einem elektrischen 
Pol verband und einen Lichtbogen zwischen den Röhren bildete. Dieser Lichtbogen 
brannte ruhig, mit erstaunlich wenig Wärmeentwicklung, so dass ich das Rohr mit 
dem Finger berühren konnte in einer Entfernung von 1—2 mm vom Lichtbogen. Da 
wo der Lichtbogen vom Eisen ausgeht, sieht man einen etwa steknadelkopfgrossen, 
glühenden Punkt; eine eigentliche »Kraterbildung« findet nicht statt. Das Eisen 
wird langsam verzehrt, doch nicht durch Abschmelzen, sondern durch eine ver- 
hältnissmässig schwache Oxydation. Bei einigen Metallen, z. B. Silber, ist dieser 
Verlust an Elektrodenmaterial so gering, dass er erst nach Stunden einen merklichen 
Betrag erreicht. 

Bei Durchmusterung der diesbezüglichen Litteratur stellte es sich heraus, dass 
eine wassergekühlte Elektrode schon früher benutzt gewesen ist, indem W. Siemens 
im Jahre 1879 sich die Kühlung der negativen Elektrode patentieren liess. Eine 
solche Elektrode verwendete er theils in einem elektrischen Schmelzofen, theils in 
einer Bogenlampe; hier fand die Abkühlung aber in ganz besonderer Absicht statt. 
Damals existierte noch keine tadellos selbstregulierende Bogenlampe; um dieses 
Problem zu lösen, verwendete Siemens eine besondere Reguliervorrichtung, die es 
nothwendig machte, dass die .Spitze der negativen Elektrode nicht nach und nach 
kürzer wurde; um dieses zu erreichen bildete er den negativen Pol aus einer 
kupfernen, mit Gold überzogenen Kappe, die durch Wasser gekühlt wurde. Die 
positive Elektrode bestand wie gewöhnlich aus Kohle, so dass er also nicht die 
Absicht gehabt hat, ein Licht von neuen Eigenschaften zu erzeugen. Hätte er ein¬ 
mal den Strom der Lampe 'gewechselt, also die gekühlte Elektrode zur positiven 
gemacht, würde er wahrscheinlich beobachtet haben, wie die Kraterbildung der 
positiven Elektrode sich auf diese Weise zu einem Minimum herabdrücken lässt, 
wodurch auch die Wärmeausstrahlung bedeutend geringer wird. — In der Deutschen 


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548 


Sophus Bang 


medicinischen Wochenschrift vom 31. Oktober 1901 macht Strebei auf den Gedanken 
der Kühlung von Metallelektroden zur Ermöglichung einer Verwendung des Volta- 
b’ogens Anspruch. Er hat nämlich zur Herstellung des Induktionsfunkenlichtes eine 
Wasserkühlung der Elektroden verwendet, und hat in einem bei der Redaktion der 
Münchener medicinischen Wochenschrift 19. Juni 1901 hinterlegten Schreiben er¬ 
wähnt, dass sich auch der einfache Starkstrom so gut wie der Funkenstrom ver¬ 
wenden lässt. 

Die praktische Ausnutzung wassergekühlter Metallelektroden habe ich dnrch 
eine kleine Handlampe, die ich auf dem Kongress in Hamburg am 26. September 1901 
demonstriert habe, versucht. Ich gebe hier eine schematische Skizze dieser Lampe, 

in der Form, worin sie vorläufig ausgeführt wird. FF 
sind die Elektrodenhalter, die die auswechselbaren, fingerhot¬ 
förmigen Eisenelektroden EE tragen. Durch die Röhre G 
wird die innere Fläche der Elektroden fortwährend mit 
kaltem Wasser bespült Die Elektrodenbalter werden von 
zwei Federn, KK, getragen, welche in einem Rohr A BCD 
befestigt sind. Dieses Rohr dient als Griff. Die Gummi¬ 
schläuche G für die Zu- und Abfuhr des Wassers, sowie die 
elektrischen Leitungsdrähte H verlaufen im Innern dieses 
Rohres; die Wasserleitungen verlassen dasselbe bei C und D, 
die Leitungsdrähte bei /. Um die Lampe anzuzünden, nähert 
man, durch einen Druck auf den Knopf A, die Elektroden 
bis zur Berührung und lässt dann den Knopf sofort wieder 
los. Das Auslöschen der Lampe geschieht am bequemsten 
dadurch, dass man den Bogen wie ein gewöhnliches Licht 
ausbläst. Durch die Schraube B lässt sich der Abstand 
zwischen den Elektroden ändern, wodurch die Spannung 
sich genügend konstant erhalten lässt. Wenn die Lampe 
mit 8 Ampere und 40 Volt brennt, dauert eine Eisenelek¬ 
trode durchschnittlich 4 — 6 Stunden. — Die Lampe ist 
mit einem Finsen'sehen Quarzdruckapparat versehen; der 
selbe ist so auf dem Rohr A BCD angebracht, dass er sehr 
leicht auswechselbar ist, sowohl behufs Reinigung, wie um 
Druckapparate von verschiedener Form und Grösse verwen¬ 
den zu können. Die Schläuche des Druckapparates verlaufen 
wie diejenigen der Elektroden im Inneren des als Griff 
dienenden Rohres. Beim Gebrauch des Apparates muss 
man darauf achten, dass sich manchmal, wenn die Kühlung 
nicht genügend intensiv ist, kleine Tropfen aus geschmolzenem 
Eisen an den Elektroden bilden können. Diese Tropfen 
müssen mit einem Holzstäbchen entfernt werden, da sie sonst herunterfallen und 
den Druckapparat beschädigen können oder dem Patienten Schmerzen verursachen. 

Das mit dieser Lampe — und nur von dieser Ausführungsform ist im folgendeu 
die Rede — hervorgebraohte Licht hat folgende Eigentümlichkeiten: Die Wärme¬ 
ausstrahlung ist verhältnissmässig sehr gering; auch die Produktion von sichtbaren 
Strahlen ist nicht besonders gross; dagegen ist die Menge der ultravioletten Strahlen 
sehr bedeutend. Deshalb ist die hautreizende Wirkung ungewöhnlich gross. Bei 



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Eine therapeutische Handlampe mit gekühlten Eisenelektroden. 549 

der oben beschriebenen Form der Lampe wird die Haut in einem Abstande von 
2 cm vom Lichtbogen angebracht; in diesem Abstande bekommt man, bei 8 Ampere 
und 40 Volt, schon in Vs Minute eine starke Röthe der bestrahlten Partie, und 
in 3—5 Minuten bekommt man gewöhnlich (d. h. wenn die Haut nicht zu dick ist) 
die Bildung einer Blase. Diese Reaktion charakterisiert sich als Lichtreaktion 
dadurch, dass die Röthe erst nach 5-8 Stunden zum Vorschein kommt, und dass 
sie von Pigmentbildung gefolgt wird. 

Dass diese hautreizende Wirkung hauptsächlich von ultravioletten Strahlen 
herrührt, lässt sich durch einen einfachen Versuch nachweisen; bedeckt man nämlich 
die zu bestrahlende Hautpartie mit einer z. B. 2 mm dicken Glasplatte, so bleibt 
die Wirkung fast aus, oder kommt jedenfalls erst nach sehr langer Bestrahlung zum 
Vorschein. Hierin liegt die Stärke sowohl wie die Schwäche derjenigen Lichtquellen, 
die hauptsächlich ultraviolettes Licht produzieren. Je stärker irgend ein Medium 
ein bestimmtes Licht absorbiert, umso stärker ist ceteris paribus die chemische 
Wirkung des Lichtes auf dasselbe. Weil das Licht der Eisenelektroden schon von 
den ganz oberflächlichen Schichten der Haut absorbiert wird, entfaltet es hier eine 
sehr energische Wirkung. Aber eine nothwendige Konsequenz hiervon ist die, dass 
dieses Licht nur wenig in die Tiefe dringen kann. 

Der therapeutische Effekt der Eisenelektroden, also auch die vortheilhafteste 
Dauer der Sitzungen, lässt sich deshalb schwierig Voraussagen. Wo eine intensive 
aber oberflächliche Wirkung indiziert ist, scheint die beschriebene Lampe das ge¬ 
eignete Licht zu produzieren. Wo eine Tiefenwirkung erwünscht ist, sind dagegen 
die weniger brechbaren Strahlen indiziert, sowie sie von den Finsenapparaten 
produziert werden. Aber bestimmt anzugeben, in welchen Hautkrankheiten die eine 
oder die andere Art von Strahlen anzuwenden ist, das muss weiteren Unter 
suchungen Vorbehalten sein. 


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550 


Paul Lazarus 


XII. 

Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur und deren 
physikalische Behandlung. 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin 
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). 

Von 

Dr. Faul Lazarus, 

Volontär-Assistent der Klinik. 

I. Theoretischer Theil. 

Bevor wir an die Behandlung der hemiplegischen Kontraktur gehen, müssen 
wir über ihr Wesen und ihre Entstehung orientiert sein. 

Man unterscheidet Früh- und Spätkontrakturen; erstere (Contractura 
praecox) setzt unmittelbar nach dem apoplektischen Insult ein und wird als Reiz¬ 
erscheinung seitens der Hirnrinde gedeutet. Gewöhnlich verschwindet sie spontan; 
nur selten geht sie in die zweite Form, die hemiplegische Dauerkontraktur, 
über. Diese schleicht sich in der Regel erst einige (zwei bis vier) Wochen nach dem 
apoplektischen Insult allmählich in die gelähmten Glieder ein. Ueber ihre Entstehung 
wurden zahlreiche Theorien aufgestellt. 

Nach C. Hitzig 1 ) sind die posthemiplegischen Kontrakturen als gesteigerte 
Mitbewegungen aufzufassen; diese seien die Folge der durch die Hirnläsion hervor¬ 
gerufenen, abnormen Vertheilung der Innervationsimpulse. 

Bouchard 4 ) hält die Hemikontraktur für den Folgezustand einer sekundären 
Degeneration der Pyramidenbahn, welcher Auffassung auch Charcot beipflichtete. 
Durch die Zersetzungsprodukte der degenerierten Pyramidenfasern kommt es zu 
einer Irritation der Vorderhornzellen, welcher Reiz die Kontraktion der zugehörigen 
Muskeln bewirkt. 

Nach Grasset 3 ) befindet sich in der Brücke ein automatisch regulatorisches 
Cent rum; bei Erkrankung der cerebralen Pyramidenbahn oberhalb desselben tritt 
nur Lähmung, aber keine Kontraktur ein. Erst bei Degeneration der spinalen 
Pyramidenbahn unterhalb dieses Brückencentrums geht dessen regulatorischer Einfluss 
verloren. Es können dann nur durch die indirekte ponto-cerebello- spinale Bahn 
erregende Impulse zu den hemiplegischen Gliedern gelangen, welche zur Ent¬ 
stehung der Kontrakturen führen. 

Nach van Gehuchten’s bedeutsamen Untersuchungen 4 ) steht der Muskeltonus 
normaler Weise unter einem doppelten, im antagonistischen Sinne wirkenden, nervösen 

1) Ueber die Auffassung einiger Anomalien der Muskelinnervation. Archiv für Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten 1872. Bd. 3. 

2) Des dögenörations secondaires de la modle öpiniöre. Archiv gönör. de mödicine 1866. 

Les contractures et la position spinale du faisceau pyramidal. Revue neurol. 1698. 

*) A propos de la contracture posth£mipl€gique. Revue de neurol. 1898. 


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Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc. 


551 


Einfluss: auf der direkten cortico-spinalen (Pyramiden-)Bahn verlaufen die hemmenden, 
auf der indirekten cortico-ponto-cerebello-spinalen Bahn die erregenden Einflüsse. 
Beide Bahnen verlaufen jedoch in der inneren Kapsel nahe beieinander und werden 
daher in der Regel bei der Kapselhämorrhagie gleichzeitig betroffen, was eine 
schlaffe Lähmung ohne Spasmen zur Folge hat. Erst sekundär entwickelt sich die 
Kontraktur durch Muskelretraktion. 

Im Gegensätze zu Charcot hält v. Monakow die stabile Spätkontraktur für 
eine Folge der Ausschaltung der Pyramidenbahn, jedoch nifht für eine durch die 
Degeneration der letzteren bedingte Reizerscheinung der Vorderhornzellen, 
v. Monakow hat nämlich an anatomischen Präparaten nachgewiesen, dass die 
Kontrakturen auch bei völliger Resorption sowohl einer als auch beider Pyramiden¬ 
bahnen fortbestehen. Um den Mechanismus der Spätkontraktur zu verstehen, muss 
man sich nach ihm vergegenwärtigen, welch’ gewaltige Gleichgewichtsstörung im 
ganzen nervösen Haushalt eintritt, wenn die für die Leitung der Willensimpulse so 
wichtige Pyramidenbahn aus dem ganzen architektonischen Komplex einfach aus¬ 
geschaltet wird. Sowohl von der Peripherie als auch von den höher liegenden Hirn- 
centren (Willensphäre) strömen dem Grosshirn auch weiterhin sensible Erregungs¬ 
wellen zu, welche jedoch wegen der Unterbrechung der Pyramidenbahn nicht in ge¬ 
ordnete Bewegungen übertragen werden können. Der ganze, reflektorisch angeregte, 
centrifugal gerichtete Erregungsstrom wird sich daher auf die niederen Bewegungs- 
centren (Haube, Brücke, verlängertes Mark) ergiessen und sie nebst dem Vorderhorn 
der gegenüberliegenden Seite in übermässiger Weise belasten. Die genannten sub¬ 
kortikalen nervösen Apparate sind aber beim Menschen weder für individualisierte 
Bewegungen eingerichtet, noch können sie, losgelöst von dem Einflüsse der Pyramiden¬ 
bahn, auch nur halbwegs geordnete Bewegungen ausführen. Dadurch entsteht ein 
allgemeiner, auf alle motorischen Elemente der genannten subkortikalen Centren in 
ungeordneter Weise sich vertheilender Reizzustand, welcher bis in die Vorderhömer 
ausstrahlt und zur Kontraktion der zugehörigen Muskeln führt (v. Monakow, Gehirn¬ 
pathologie 1897). 

Die genannten verschiedenen Theorien haben sämmtlich einen wunden Punkt 
gemeinsam; sie berücksichtigen nicht die dissociierte Muskellähmung, d. h. die 
verschiedene Betheiligung der einzelnen Muskelkomplexe an der Lähmung. Für den 
Facialis z. B. ist der Unterschied im Verhalten des oberen oder unteren Astgebietes 
bei den cerebralen Hemiplegien schon lange bekannt; auch bei der posthemiplegischen 
Accessoriuslähmung ist gewöhnlich der Cucullaris befallen, der Kopfnicker frei. 

An der Extremitätenmuskulatur bestehen ähnliche Verhältnisse. Gerdy ist es 
bereits aufgefallen, dass diejenigen Muskeln, welche gleichzeitig bewegt zu werden 
pflegen, auch zugleich der Kontraktur unterliegen. Wern icke hat des näheren 
darauf hingewiesen (Berl. klin. Wochenschrift 1889), dass sich in so gut wie allen 
Fällen von Hemiplegie die totale Lähmung des Beins zu einem grossen Theil zurück- 
bildet und sich nur auf ganz bestimmte Muskelgruppen lokalisiert. Diese »Prädi- 
lektionsmuskeln«, welche bei der Hemiplegie dauernd paralytisch oder paretisch 
bleiben, sind die Beuger des Unterschenkels und die Dorsalflexoren des 
Fusses; dagegen werden diejenigen Muskeln, welche beim Stehen und Gehen vor¬ 
wiegend in Aktion treten, wieder funktionsfähig. Es sind dies die Strecker des Hüft- 
nnd Kniegelenkes und die Plantarflexoren des Fusses. Die genannten Muskelgruppen 
werden in der Regel doppelseitig innerviert, weil das Stehen ein Zusammenwirken 
beider Hemisphären erfordert. In ähnlicher Weise, wie die Muskeln des oberen 


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552 


Paal Lazarus 


Facialisastes in 4 der Regel synergisch in Aktion treten und dementsprechend von 
jeder Hemisphäre aus die Muskeln beider Seiten innerviert werden können, dürften 
die Innervationsverhältnisse auch an der unteren Extremität liegen. Am Hunde 
wurde die doppelseitige centrale Innervation der Hinterbeine experimentell von 
Lewaschew 1 * 3 ) nachgewiesen. Er durchschnitt die linke Rückenmaikshälfte in der 
Höhe des zwölften Brustwirbels und reizte links das kortikale Centrum der hinteren 
Extremität; darauf erfolgte eine Zuckung des rechten und bei der Stromsteigerung 
auch des linken Hinterbeines. 

Im Einklänge mit diesem gelungenen Versuche steht auch die Thatsache, dass 
ein einseitiger Hemisphärenherd einen beiderseitigen Innervationsdefekt zur Folge 
haben kann; anatomisch wurden gleichfalls bei Hemiplegien auch Pyramiden- 
degenerationen der gesunden Seite nachgewiesen. Klinisch fand Pitres*) bei vierzig 
cerebralen Hemiplegien ausnahmslos auch eine Abnahme der Kraft am »gesundem 
Bein um 50 %. Darnach wären die sogenannten Hemiplegien sensu strictu Paraplegien 
mit vorwiegend gekreuzter Lähmung. Diejenigen Muskeln des Beines, welche synchron 
und synergisch arbeiten (Stehmuskeln), werden von beiden Hemisphären versorgt; 
bei einseitigem Hemisphärenherd restituieren sich die Streckmuskeln, während die 
Beugemuskeln paretisch bleiben. In ähnlicher Weise ist auch die stets nur gering¬ 
gradige Parese der doppelseitig innervierten Phonations- und Respirationsmuskeln, 
des Diaphragmas und der Bauchpresse zu erklären. 

Am Arm ist jedoch die Sachlage anders; je selbstständiger ein Muskel¬ 
mechanismus wird, desto mehr wird seine centrale Innervation ausschliesslich in 
eine Hemisphäre lokalisiert. Mann»), der verdienstvolle Schüler Wernicke’s, hat 
nun durch eingehende Untersuchungen über die Vertheilung der Kontrakturen 
an der oberen Extremität nachzuweisen versucht, dass bei der Hemiplegie nicht 
einzelne Muskeln, sondern ganze Muskelmechanismen, d. h. funktionell zusammen¬ 
gehörige, eine physiologische Bewegungseinheit darstellende Muskelkomplexe gelähmt 
werden, während andere intakt bleiben. Kontrakturiert sind nach seiner Anschauung 
nur die nicht gelähmten Muskeln, während die gelähmten eine normale oder 
sogar gesteigerte passive Beweglichkeit haben. 

Die Hauptstützen seiner Theorie lassen sich in folgende Sätze zusammenfassen: 
In der Hirnrinde sind die synergischen Bewegungsmechanismen bereits präfomiert 
Die centrale Stätte eines solchen präformierten Mechanismus enthält nicht nur das 
Erregungscentrum für die zugehörigen Muskeln, sondern auch das Hemmungscentrum 
für deren Antagonisten. Die erregenden (bewegenden) Fasern für eine Muskelgruppe 
fallen nun mit den hemmenden (erschlaffenden) für ihre Antagonisten zusammen. In 
der von den genannten Rindencentren ausgehenden Pyramidenbahn verlaufen somit 
zwei Fasersysteme: 1. Die Hemmungsfasern für die Strecker mit den Er¬ 
regungsfasern für die Beuger, und 2. die Hemmungsfasern für die Beuger 
mit den Erregungsfasern für die Strecker. Bei der Hemiplegie sind nun 
nach Mann’s Auffassung gewisse Muskeln gelähmt infolge des Ausfalls ihrer Er¬ 
regungsfasern und zugleich ihre Antagonisten in Kontraktur, weil gleichzeitig mit 
den erregenden Fasern jener die Hemmungsfasern dieser unterbrochen sind. Für die 
Antagonisten sind somit die erregenden Fasern erhalten und die hemmenden weg- 

i) Ueber die Leitung der Erregung von den GrosshirnhemisphSren zu den Extremitäten. 
Pflüger’s Archiv für die gesammte Physiologie. Bd.36. 

*) Note sur l'Otat des forces chez les hfmiptegiques. Archiv de neurol. 1882. 

3) Ueber das Wesen und die Entstehung der hemiplegischen Kontraktur. Berlin 1898 bei Karger. 


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553 


Uebcr die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc. 


gefallen, während für die Agonisten gerade umgekehrt die motorischen Fasern er¬ 
loschen und die erschlaffenden vorhanden sind. Das Resultat ist daher Hypertonie 
gleich Kontraktur der nicht gelähmten Antagonisten und Atonie der Agonisten. 
Zum Zustandekommen der Hypertonie ist nach Mann die Intaktheit der willkürlichen 
Bewegungsbahn = Pyramidenbahn uothwendig. Die motorische Zelle des Rücken¬ 
marks ist nach Mann nur dann im stände, den Reflextonus zu übermittelnwenn 
sie durch den ihr zugehörigen Pyramidenbahnantheil in ungestörter Weise mit den 
motorischen Rindencentren verbunden ist. 

Diese von Mann aufgestellte, so geistvolle Hypothese, welche der bereits 
von Delpech aufgestellten antagonistischen Theorie ähnelt, wird jedoch durch 
eine kritische, anatomische und klinische Untersuchung erschüttert. Von vorn¬ 
herein erscheint es wenig wahrscheinlich, dass bei einer über Facialis, 
Hypoglossus, Accessorius, Arm und Bein ausgebreiteten Lähmung in der 
Regel nur bestimmte Fasersysteme gelähmt, bestimmte erhalten werden, 
zumal beide nahe bei einander in der inneren Kapsel verlaufen. Für die 
obere Extremität müssten darnach die motorischen Fasern der Beuger erhalten, die der 
Strecker gelähmt sein, während die erschlaffenden sich gerade umgekehrt verhalten. 
An der unteren Extremität wären wieder nur die Beugefasern gelähmt, die Streck¬ 
fasern erhalten. Das Komplizierte und Gezwungene dieser Anschauung tritt noch 
deutlicher hervor, wenn man sich die anatomischen Befunde vor Augen hält. 

Mann nimmt eine partielle Intaktheit der Pyramidenbahn bei der Hemiplegie 
an. Thatsächlich kommt es aber nur bei dem Ausfälle der Pyramidenbahn zur 
Kontrakturbildung; mit der Ausdehnung der zerstörten Region im Verlaufe der 
Pyramidenbahn wächst die Lähmung und synchron die Kontraktur. Nach Mann’s 
Ansicht sollte ja gerade bei geringer Parese der Beuger die Kontraktur am stärksten 
sein; es verhält sich gewöhnlich gerade umgekehrt. So konnte Monakow Kontrakturen 
Lei vollständiger Resorption einer oder beider Pyramidenbahnen nachweisen. Ich 
glaube daher zu der Behauptung berechtigt zu sein, dass gerade die Leitungs¬ 
unterbrechung der Pyramidenbahn mit einer Aufhebung der von der Rinde 
aus regulierten Hemmungen vergesellschaftet ist; sie führt zu einer Hyper¬ 
tonie der Agonisten und der Antagonisten. 

Der normale Muskeltonus stellt einen reflektorischen Vorgang dar. Er ist ab¬ 
hängig von der gleichzeitigen Integrität des spinalen und des spinocebralen Reflexbogens. 
Bei Unterbrechung des ersteren (Tabes dorsalis) kommt er zur Abnahme des Muskel- 
«tonus; Hypotonie geht in der Regel mit Fehlen der Sehnenreflexe einher. Bei 
Unterbrechung des spinocerebralen und Intaktheit des spinalen Reflexbogens kommt 
es zum Ausfälle der cerebralen Hemmungsimpulse. Hypertonie und Steigerung 
der Sehnenreflexe sind der klinische Ausdruck des Wegfalles derjenigen 
motorischen Impulse, welche normaler Weise von der Hirnrinde auf der cerebralen 
Pyramidenbahn bis zu den intakten Vorderhornzellen verlaufen. 

Thatsächlich verhalten sich im Einklänge mit dieser Anschauung sämmtliche 
paretischen Muskeln, sowohl die Agonisten als auch die Antagonisten gleich; ihre 
mechanische und elektrische Erregbarkeit, desgleichen die Sehnenreflexe sind ge¬ 
steigert. Im Gegensätze zu Mann behaupte ich somit, dass die Parese mit 
Hypertonie einhergeht; beide sind das Resultat der Leitungsstörung in der 
Pyramidenbahn. Die Ursache der dissociierten Lähmung liegt nicht in dem 
Wegfalle der erschlaffenden Impulse für die Agonisten und dem kontrahierenden für 
die Antagonisten, sondern in der dissociierten Muskelanordnung. Die Einzel- 

Zoitschr. f. diät. u. pliysik. Tlu*rapio. I3d. V. lieft 7. ;*£ 


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554 Paul Lazarus 


muskeln gruppieren sich je nach den Hauptbewegungsfunktionen in einzelne Systeme, 
z. B. Arabeuger und Arastrecker, Oeffner und Schliesser der Hand etc. Jene Muskel¬ 
komplexe, welche schon unter normalen Verhältnissen ein funktionelles Uebergewicht 
besitzen, sind auch an motorischer Kraft und Masse ihren Antagonisten überlegen. 
Die Armbeuger sind kräftiger und voluminöser als die Armstrecker, desgleichen die 
Handschliesser stärker als die Handöffner. Setzen wir z. B. die motorische Kraft 
eines Muskels von der Faserzahl 100 gleich 100 Krafteinheiten, so beträgt sie bei 
einem aus 300 Fasern bestehenden Muskel dreimal so viel. Hand in Hand mit der 
Steigerung der Muskelkraft geht auch eine Erhöhung des Muskeltonus einher; bereits 
unter normalen Verhältnissen wird der Arm in der Regel leicht gebeugt und die 
Finger werden leicht flektiert gehalten. 

Ist nun infolge einer Zerstörung der cerebralen Pyramidenbahn eine Parese und 
Hypertonie eingetreten, so verhalten sich beide proportional den physiologischen Ver¬ 
hältnissen. Sinkt die motorische Kraft auf Vs der ursprünglichen Stärke, so würde 
das Verhältniss zwischen Agonisten und Antagonisten in dem oben genannten Falle 
sich wie 100:33 verhalten. Da es jedoch gleichzeitig zu einer Steigerung des Reflex¬ 
tonus kommt, so werden die stärkeren Agonisten ein Plus an Tonus, die schwächeren 
Antagonisten ein relatives Tonusdefizit haben. Beide haben einen gesteigerten Tonus, 
aber ihr relatives Verhältniss beträgt 3:1. 

Die Kontraktur wird sich daher in jenen Muskelgruppen ausbilden, welche das 
relative Uebergewicht an Kraft und Tonus haben. Jene Muskelgruppen, welche 
einander funktionell das Gleichgewicht halten, z. B. die Ulnar- und Radialflexoren 
der Hand, werden daher auch im hypertonischen Zustande einander äquivalent sein; 
ausgenommen bei kompletter Paralyse, wo die Hand der Schwere nach ulnarwärts 
sinken kann. Je vollständiger die Parese, desto stärker die Kontraktur. 
Bei totaler Zerstörung der inneren Kapsel erfolgte komplette Paralyse des kontra¬ 
lateralen Armes, und es entwickelt sich der höchste Grad hemiplegischer Kontraktur. 
Auch bei dieser ist der Arm im Ellenbogengelenke nur rechtwinklig geb'eugt; wären 
nach Mann’s Anschauung die Strecker erschlafft und gelähmt, die Beuger ungehemmt 
und innerviert, so müsste eine spitzwinkelige Kontraktur resultieren. Die Hypertonie 
der Strecker verhindert jedoch eine weitere Zunahme der Beugekontraktur. 

Aber auch die kontrakturierten Muskeln zeigen keine Spur aktiver Beweglich¬ 
keit; gelingt es, nach Ueberwindung des mächtigen Tonus die Hand zu öffnen, so fällt 
sie wie eine elastische Feder sofort in die Schliessstellung zurück. Der Kranke ist hei 
grössterWillensanspannung nicht im stände, diese Bewegung aufzuhalten. Bei partieller 
oder ungleichmässiger Destruktion der cerebralen Pyramidenbahn werden sich natürlich 
Abweichungen von dieser Regel ergeben. Bei mittleren Graden von Parese gelingt es 
theils durch gymnastische Bewegungen, theils im warmen Bade oder durch Näherung 
der Ansatzpunkte der kontrakturierten Muskeln, vorübergehend deren Hypertonie¬ 
plus zu lösen; in diesem Zustande gelingt es den Patienten aktiv die Antagonisten 
zu strecken. Am raschesten wird durch Schüttelung des Handgelenkes die Beuge¬ 
kontraktur der Finger behoben; während der nächsten Phase gelingt es nun dem 
Patienten die Finger zu strecken, bald gewinnt jedoch die Hypertonie der Beuger das 
Uebergewicht und die Finger fallen wieder rein passiv in die Schliessstellung zurück. 
Auch bei der Beugung des vorher gestreckten Armes erfolgt seitens des Triceps ein 
gewisser Widerstand; ein Beweis, dass auch die Strecker hypertonisch sind. 

Aus diesen Versuchen geht ferner der hemmende Einfluss der Hypertonie 
hervor. Dieselbe ist das H aupthinderniss für die willkürliche Bewegung. 


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555 


Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc. 

Gelänge es, dieselbe zu beseitigen, so bliebe blos die Muskelparese zurück, welche 
eine, wenn auch verminderte Aktionsfähigkeit der erkrankten Muskelkomplexe er¬ 
möglichen würde. Die erste Aufgabe bei der Behandlung der^Hemiplegiker 
ist somit die Verhütung der Kontraktur. Bei den leichten Formen der 
Hemiplegie übernimmt die Natur diese Aufgabe; die Leitungsunterbrechung in der 
inneren Kapsel wird wieder ausgeglichen und die Verbindung zwischen Hirnrinde 
und Vorderhörnern wieder hergestellt, so dass nur eine ganz geringe Parese restiert. 
Bei den mittleren Graden der Hemiplegie muss unsere Aufgabe darin bestehen, 
der Hypertonie der kräftigeren Muskeln entgegenzuarbeiten und ihre 
Antagonisten zu kräftigen. Bevor man an die Lösung dieser Aufgabe geht, 
muss man über die gewöhnliche Vertheilung der Kontrakturen orientiert sein. An 
der oberen Extremität nimmt die Parese und Kontraktur distalwärts zu. Es stehen 
einander folgende Mukclkomplexe als Agonisten und Antagonisten gegenüber (i. C. 
= bei der gewöhnlichen Hemiplegie meist in Kontraktur). 


Im Schultergelenke: 

I. Abduktion des Oberarmes: Adduktion des Oberarmes (i. C.): 


Deltoides (Nerv, axillaris) 

Scrratus anticus major (X. thoracic, long.) 
Supraspinatus (X. Buprascapul.). 


II. Elevation nach vorne: 
Deltoides (vordere Partie) 
Coracobrachialis (N. musculo-cutan.) 
Biceps (N. musculo-cutan.) 

Serratus anticus major 
Pectoralis major. 

III. Rotation nach innen (i. CV): 

Subscapularis (X. subscapul.) 
Pectoralis major 
Teres major. 


Pectoralis major (Nerv, thorac. anter.) 
Latissimus dorsi (X. subscapul.) 
Infraspinatus (N. suprascapul.) 

Teres major (N. subscapul.) 
Subscapularis Triceps. 

Elevation nach rückwärts: 

Deltoides (rückwärtige Partie) 

Teres major. 


Rotation nach aussen: 

Infraspinatus (N. suprascapul.) 
Teres minor 

Supraspinatus (N. suprascapul.). 


Im Ellbogengelenke: 


I. Streckung des Vorderarmes: 

Triceps (N. radialis) 

Anconaeus (N. radialis). 


Beugung des Vorderarmes (i. C.): 

Biceps (N. musculo-cutan.) 

Brachialis (N. musculo-cutan.) 
Brachioradialis (N. radialis). 

Pronator teres (beugt und proniert) 
Extensor carpi radialis longus. 


II. Supination: 

Supinator brevis (X. radialis) 
Biceps (halbe Supination). 


Im 

I. Streckung: 

Extensor carpi radialis longus et 
(X. radialis) 

Extensor carpi ulnaris (N. radialis) 
Extensor digitor. communis. 


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Pronation (i. C.): 

Pronator teres (N. medianus) 

Pronator quadratus (N. medianus) 
Brachioradialis (Mittelstellung zwischen 
Pro- und Supination) 

Flexor carpi radialis (N. medianus). 

II andgelenke: 

Beugung (i. C.): 

brevis M. palmaris longus (N. medianus) 

M. flexor carpi radialis (X. medianus) 

M. flexor carpi ulnaris (X. ulnaris). 




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Ulnarflexion: 


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II. Radialflexion: 

Extensores carpi radialis (X. radialis) 

Flexor carpi radialis (N. medianus). 

Bewegungen 

I. Strecker: 

Extensor digitor. communis (N. radialis) 
Extensor digiti quinti proprius (N. radialis) 
Extensor indicis proprius (N. radialis). 


II. Abduktion: 

Interossei dorsales (X. ulnaris) 
Lumbricales. 

Bewegungen 

I. Streckung: 

Extensor pollicis longus (X. radialis). 
Extensor pollicis brevis (N. radialis). 

II. Abduktion: 

Extensor pollicis brevis (X. radialis). 
Abductor pollicis brevis (X. medianus). 


Extensor carpi ulnaris (N. radialis 

Flexor carpi ulnaris (X. ulnaris). 

der Finger: 

Beuger (i. C.): 

Flexor digitorum sublimis (beugt die 2. Pha¬ 
lanx des 2.-5 Fingers (N. medianus) 

Flexor digitorum profundus (beugt die 
3. Phalanx des 2.-5. Fingers; X. ulnaris 
und X. medianus) 

Interossei volares et dorsales (X. ulnariv 
beugen die erste Phalanx und strecken 
die 2. und 3. Phalanx; desgleichen die 
Lumbricales (N. medianus und ulnaris. 

Ad duktion: 

Interossei volares (X. ulnaris). 

des Daumens: 

Beugung (i. C.): 

Flexor pollicis longus (N. medianus) 

Flexor pollicis brevis (X. ulnaris et uied. 

A d d u k t i o n (i. C.): 

Adductor pollicis (N. ulnaris). 

Opposition: 

Abductor pollicis longus (X. radialis) 

Abductor pollicis brevis (X. medianus. 

Opponens pollicis (N. medianus). 


Bewegungen des fünften Fingers (s. auch Bewegungen der Finger). 


I. Streckung: 

Extensor digiti V proprius (X. radialis). 

II. Abduktion: 

Abductor digiti V (X. ulnaris). 


Beugung (i. C.): 

Flexor digit. sublim, et profundus 
Flexor digiti V brevis (X. ulnaris'. 

Adduktion: 

Interosseus volaris. 

Opposition: 

Opponens digiti V (X. ulnaris). 


An der unteren Extremität verhalten 
folgendermaassen: 

Bewegungen im 

I. Streckung: 

Glutaeus maximus (N. glut. inf.) 
ßiceps femoris (caput longum: X. tibial; 

caput breve: N. peronaeus com.) 
Seraitendinosus (X. tibialis) 

Semünembranosus (X. tibialis). 


sich die Agonisten zu den Antagonisten 

Hüftgelenke: 

Beugung: 

Ileopsoas (rarai muscul. plex. lumbal.' 1 
Iiiacus (rami muscul. X. femoral. 

Tensor fasciae latae (N. glutaeus sup.i 
Sartorius (X. femoralis) 

Pcctineus (X. femoralis) 
lteetus femoris (X. femoralis). 


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Original from 

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II. Abduktion: 


lieber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc. 


Glutaeus medius (mittlere Portion) (N. glut. 
aup.) 

Glutaeus minim. (X. glut. sup.). 


III. Aussenrotation: 

Piriformis (rami muscul. plex. ischiadici) 
Gemellus super et inf. (N. tibial.) 
Obturator, int. et ext. (N. tibialis bezw. 
X. obturator.) 

Quadratus femoris (X. tibialis) 

Ileopsoas 

Iliacus 

Pectineus 

Adductores. 


557 

Adduction (i. C.): 

Pectineus (N. femoralis) 

Gracilis (N. obturator.) 

Adductor magnus, longus, brevis et ini- 
nimus (N. obturator.) 

Quadratus femoris. 

Innenrotation: 

Tensor fasciae latae 

Glutaeus medius (vordere Portion). 


Bewegungen im Kniegelenke: 


I. Streckung (i. C.): 

Quadriccps femoris (N. femor.). 


II. Auswärtsrollung: 

Biceps. 


Beugung: 


Sartorius (gleichz. Beuger d. Oberschenkels) 

Semitendinosus t , 

0 . , gleichz. Strecker des 

Semimembranosus > ” _, , , . 

I Oberschenkels 
Biceps ) 

Gracilis (gleichz. Adductord. Oberschenkels) 
Popliteus (N. tibialis). 


Einwärtsrollung: 

Sartorius 

Gracilis 

Semitendinosus 

Semimembranosus 

Popliteus. 


Bewegungen im 

I. Dorsalflexion: 

Tibialis anterior (N. pcron. prof.) 

Extensor digit longus (X. peron. prof.) 
Peronaeus tertius (N. peron. prof.) 

Extensor hallucis longus (X. peron. prof.). 


II. Abduktion: 

Peronaeus brevis (X. peron. superf.) 

III. Pronation: 

Extensor digit. long. 

Peronaeus longus, brevis et tertius. 


Sp runggelenke: 

Plantarflexion (i. C.): 

Triceps surae (gastrocnemius et soleusi 
(X. tibialis) 

Plantaris (X. tibialis) 

Peronaeus longus (N. per. superf.) 

Flexor digitor. long. 

Flexor hallucis long. 

Tibialis poster. 

A dduktion: 

Tibialis posterior (X. tibialis). 

Su pination: 

Tibialis anterior et posterior 
Flexor digitor. long. (X. tibialis) 

Flexor hallucis long. (N. tibialis) 

Extensor hallucis long. (X. peron. prof.). 


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558 


Paul Lazarus 


Bewegungen 

I. Streckung: 

Extensor digitorum longus 

Extensor digitorum brcvis (N. pcron prof) 

Extensor hallucis longus 

Extensor hallucis brevis (N. pcron. prof ). 


II. Abduktion: 

Interossci dorsales 

Abductor hallucis (X. plant, nied.). 

Abductor digiti V (X. plant. later.). 


der Zehen: 

Beugung: 

Flexor digitor. longus 
Flexor digitor. brevis (X. plant, med. zirLt 
die 2. Phalanx der 2.—5. Zehe plantar- 
wärts) 

Flexor hallucis longus 
Flexor hallucis brevis (X. plantares) 
Flexor digiti quinti (X. plant, later.) 
Interossei dorsales et plantares l.umbri- 
cales (beugen die Grundphalanx und 
strecken die Endphalanx) innerviert v. 
N. plant later, und med. 

Quadratus plantae (zieht die 3. Phalanx der 
2.-5. Zehe plantarwärts) (X plant later.. 

A dduktion: 

Interossei plantares 

Adductor hallucis (N. plant, later.) 

Lumbricales. 


Aus dieser Zusammenstellung geht das ungleichmässige Verhältniss zwischen 
den Agonisten und den Antagonisten hervor. An der unteren Extremität, welche 
nach den obigen Ausführungen mit beiden Hemisphären verknüpft ist, erreicht die 
Kontraktur niemals jene extremen Grade, wie am fast ausschliesslich einseitig inuer- 
vierten Arm. 

Selbst die einfachsten Bewegungen sind die Resultanten aus einer Anzahl von 
Muskelkomponenten. In der Hirnrinde befinden sich demgemäss nicht die Centren für 
die Einzelmuskeln und Einzelneren, sondern für die funktionell aneinandergeketteten 
Muskelkomplexe. Ein Nervenstamm versorgt ja oft in ihrer Funktion ganz ver¬ 
schiedene Muskeln; ein Muskel kann desgleichen durch Kontraktion seiner ver¬ 
schiedenen Abschnitte verschiedene Wirkungen entfalten. Jene Muskelmechanismen. 
welche bereits unter normalen Verhältnissen dujrcli die Synergie 
kräftigerer Muskelkomponentcn zu stände kommen, werden naturgemäß 
auch im paretischen Zustande ein gewisses Plus an Kraft und Hypertonie 
gegenüber ihren schwächeren Antagonisten besitzen. Umgekehrt wird das relative 
Kraft- und Tonusdefizit der Antagonisten ihren Agonisten ein funktionelles l'eber- 
gewicht verschaffen, welches zunächst als Kontraktion zum Ausdrucke kommt. 
Die temporäre Kontraktion geht allmählich in die stationäre Kontraktur über, 
welche im Laufe der Zeit zur Retraktion der verkürzten Muskeln führt. Die gesetz- 
mässige Anordnung der hemiplegischen Kontraktur korrespondiert daher mit dem 
physiologischen Uebergewichte gewisser agonistischer Bewegungs¬ 
funktionen über ihre antagonistischen. Die »ungleichmässigez Vertheilmm 
von Parese und Hypertonie hängt somit mit der physiologischen Inäqualität der 
einzelnen Muskelkomplexe zusammen. 


II. Therapeutischer Theil. 

Der Behandlung der Kontraktur muss eine detaillierte Untersuchung des 
Muskelsystems vorangehen; man muss sich darüber klar sein, welche Muskeln 
paralytisch, welche parctisch und welche erhalten sind. Die erhaltenen worden 
zu kompensatorischen Hebungen herangezogen, die paretischen gestärkt 


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lieber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc. 559 

und die paralytischen eventuell durch die Wirkung von Apparaten 
(elastische Züge) substituiert. 

In erster Linie muss aber der Entstehung der Kontrakturen entgegengearbeitet 
werden, denn diese sind als das Haupthinderniss der aktiven Bewegungsfähigkeit 
anzusehen. Die Kontraktur beraubt einen nur paretischen Muskel voll¬ 
kommen jeder Aktionsfähigkeit, während er bei annähernd normalem Tonus 
noch funktionieren könnte. 

Durch präventive Uebungen ist die Verhütung der Kontrakturen möglich. Das 
Hauptpostulat ist ein möglichst früher Beginn der Behandlung. Die 
Wiederkehr des Sensoriums gilt als Zeitpunkt für das Einsetzen der Therapie. Die¬ 
selbe besteht in der ersten Zeit nur im passiven Positionswechsel der ge¬ 
lähmten Extremitäten. In methodischer Weise, mit Zartheit und Vorsicht, 
werden die letzteren von Stunde zu Stunde abwechselnd gelagert. Kein Gelenk, 
keine Muskelgruppe wird übersprungen. In erster Linie werden jene Positionen 
berücksichtigt, welche den typischen, hemiplegischen Kontrakturen antagonieren: 
Uebungen der Antagonisten. Die Schulter wird gehoben, da meist die Senker 
des Schulterblattes (Pectoralis, major et minor, Latiss. dorsi) in Kontraktur ge- 
rathen. Der Oberarm wird im Schultergelenke abduciert, nach aussen rotiert, 
nach vorn und rückwärts eleviert. Das Ellenbogengelenk wird gestreckt und 
supiniert. Hand- und Fingergelenke werden gestreckt, der Daumen wird 
extendiert und abduciert. Jedes Fingergelenk wird einzeln vorgenommen. 

An der unteren Extremität wird der Oberschenkel im Hüftgelenke ge¬ 
beugt, nach aussen rotiert und abduciert. Das Kniegelenk wird gebeugt, das Fuss- 
gelenk dorsalflektiert und proniert. Der Fuss speziell, welcher infolge der Schwere 
zur Plantarflexion tendiert, soll in der Dorsalflexion durch ein Sandpolster fixiert 
werden. In der Schwere liegt bekanntlich ein unterstützendes Moment für die Ent¬ 
wickelung der Flexionskontraktur. 

Diese Bewegungen werden allmählich und zart bis zu den äussersten Grenzen 
der normalen Exkursionsfähigkeit ausgedehnt; ein brüskes Vorgehen verstärkt die 
Kontraktion oder löst sie erst aus. Die Bewegungen werden entweder in einem 
Gelenke allein oder gleichzeitig in alleu Gelenken der Extremität vorgenommen, 
z. B. Abduktion des vollständig im Ellbogen-, Hand- und Fingergelenken gestreckten 
Armes; Flexion im Hüft-, Knie- und Sprunggelenke. In den genannten Positionen 
können die Gliedmaassen durch Polster oder Sandkissen fixiert werden, eventuell 
können Arm und Hand auf ein Tischchen oder über Nacht in Hyperextension auf eine 
dorsalwärts gebogene Volarschiene gelagert werden. 

Für die weitere Behandlung lassen sich nun folgende allgemeine Sätze geben, 
welche nicht als Schema zu gelten haben, sondern von Fall zu Fall individualisiert 
werden''müssen. Es ist klar, dass ein Fall, bei dem das Sensorium vollständig frei 
ist und die Lähmungserscheinungen bereits in der ersten Woche zurückgehen, zu 
einem kühneren Vorgehen ermuthigt, als ein Casus gravis, der mit langdauernder 
Bewusstlosigkeit, vollständiger Paralyse oder Fieber einhergeht. 

Für mittelschwere Hemiparesen beginnen wir, falls keine Kontraindikation vor¬ 
liegt, nach Ablauf der ersten Woche der »antagonistischen Positionswechsel« 
mit Massage und passiven Bewegungen. Die Massage wird an Muskeln und 
Gelenken in Form leichter Effleurage, Petrissage und des Tapotements, an den 
Nervenstämmen in Form der Friktion und Vibration zur Anwendung gebracht. Die 
passiven Bewegungen müssen mit grosser Zartheit und systematisch ausgeftthrt 


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560 Paul Lazarus 

werden, am besten zweimal täglich während 10—15 Minuten; sie werde in sämmt- 
lichen Gelenken isoliert und gemeinsam (z. B. Armkreisen, Beinkreisen) vorgenommen 
mit besonderer Berücksichtigung der Antagonisten. Die passive Gymnastik ist hei 
der Behandlung der Hemiplegie viel höher zu stellen als die Massage; durch sie 
wird der Kontraktur und der Inaktivitätsatrophie energischer entgegengearbeitet, 
sowie die Lymph- und Blutzirkulation gefördert. 

Allmählich geht man nun in den nächstcnWochen, falls Jeeine Komplikation bestellt, 
zu aktiven Uebungen über. An erster Stelle sind Erschlaffungsübungen vor¬ 
zunehmen. Bubnoff und Heidenhain’) haben die Existenz von Hemmungsapparaten 
innerhalb der motorischen Hirncentren experimentell nachgewiesen. Die durch starke 
Rindenreizung erzielte Kontraktion eines Extremitätenmuskels konnten sie durch 
schwache Reizung derselben Rindenstelle aufheben. E. Hering und Sherringtono 
konstatierten am Affengehirn, dass die Kontraktion eines Muskels mit Erschlaffung 
seines Antagonisten einhergeht. Durch schwache Reizung einer bestimmten Rindenstelle 
wurde z. B. eine Erschlaffung des Biceps hervorgebracht; auf Verstärkung des Iteizes 
an der gleichen Stelle erfolgte Kontraktion des Triceps und Erschlaffung des Biceps. 
In ähnlicher Weise Hess sich eine Kontraktion des Biceps und Erschlaffung des 
Triceps von einer 1 cm entfernt liegenden Stelle erzielen. 

Aus diesen gelungenen Experimenten kann man auch für das Menschengehirn 
den Schluss ziehen, dass schwache Rindenreizung zur Erschlaffung, starke zur 
Kontraktion führt. Diese Rindenerregung übernimmt beim Menschen der Wille; falls 
die motorische Willensbahn (Pyramidenbahn) noch nicht vollständig zerstört ist. so 
können die Willensimpulse zu den paretischen Muskelgruppen gelangen. Paul Jacob 
hat mit Recht in seiner neuesten Arbeit (Uebungstherapie, Handbuch der physikalischen 
Therapie von Goldscheider und Jacob 1901. Theil 1. Bd. 2) auf die grosse Be¬ 
deutung des Willens bei der bahnenden Uebungstherapie hingewiesen. I)cr Wille 
versetzt die motorischen centralen Neurone in Erregung, welche bei leitungsfähiger 
Pyramidenbahn in lebendige Bewegung übertragen wird. Auf die Reaktivierung 
der Willensimpulse und ihre Uebertragung in die zentrifugale Leitungs¬ 
bahn muss daher ein grosses Gewicht gelegt werden. Fasst man nach den 
obigen Ausführungen die Kontraktur als Hypertonie der Muskulatur auf, so mus> 
man ihr durch Uebungen im Sinne der Atonie (atonische Gymnastik) ent¬ 
gegenarbeiten. Zu diesem Zwecke fordert man den Kranken auf, den Arm oder 
das Bein zu erschlaffen, sie weich, schlottern oder einschlafen zu lassen. Auf diese 
Weise kann es manchen Kranken besonders in Ruhelage mit geschlossenen Augen 
gelingen, sogar die bereits ausgebildete Kontraktur vorübergehend aktiv zu lösen. 
Diese Erschlaffungsübungen, welche, nach den Thierexperimenten zu schliessen, 
schwachen Rindenerregungen entsprechen, verdienen namentlich bei der prophylak¬ 
tischen Behandlung der Kontrakturen genaue Berücksichtigung. 

Von grosser Bedeutung bei der Verhütung der Kontrakturen sind die auto¬ 
passiven Bewegungen; darunter sind jene passiven Bewegungen der gelähmten 
Seite zu verstehen, welche der Kranke mit Zuhülfenahme der gesunden Extremitäten 
vollführt, im Gegensätze zu den von einer zweiten Person geleiteten hetero- 


>) Ueber Erregung»- und Hcnunungsvorgäuge innerhalb der motorischen Hirncentren. Archiv 
für die gesummte Physiologie Bd. i’O. 

-i Ueber Hemmung der Kontraktion willkürlicher Muskeln bei elektrischer Heizung derHrnss- 
himrinde. Archiv für die gesammto Physiologie 1S'.»7. Bd. (iS. 


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Uober die Theorie der hciuipk-gischcn Kontraktur ete. 


r»i;i 

passiven Bewegungen. Die aktive, gesunde Seite übernimmt somit die 
Führung der gelähmten. 

Zu diesem Behufe lasse man vorerst die Hände mit gespreizten Fingern in- 
einanderfalten und hierauf überstrecken; durch diese Hebung gelingt es dem 
Patienten, die Handgelenke und sämmtliche Fingergelenke zu hyperextendieren. 
Auf diese Haltung folgt nun die Erhebung der Arme bei gestreckten Ellbogen und 
verschränkten Händen. Pendelartig werden die Arme im Halbkreise von der Unter¬ 
lage über das Haupt geführt und jenseits desselben gesenkt. Diese Pendel¬ 
bewegungen, bei denen der gesunde Arm die Führung des kranken übernimmt, 
werden nicht blos in sagittaler, sondern auch in frontaler und schräger Richtung 
ausgeführt. In analoger Weise folgen nun Uebungen mit gebeugten Ellenbogen, 
wobei die ineinandergefalteten Hände abwechselnd an verschiedenen Stellen des 
Körpers, von der Symphysengegend bis zum Nacken, dirigiert werden. Unter Berück¬ 
sichtigung der im gewöhnlichen Leben gebräuchlichen Handgriffe (Hantierungen) 
führt die gesunde Hand die gelähmte an die einzelnen Regionen des Rumpfes und 
Hauptes (an Mund, Nase, Ohren, Stirn, Hinterhaupt etc.). Diese praktischen Uebungen 
stellen bereits Resultate komplizierter, nervöser und muskulärer Mechanismen dar. 

Ferner dehnt man derartige Uebungen auch auf die untere Extremi tät aus; 
der Kranke schiebt das gesunde unter das gelähmte Bein und versucht nun, letzteres 
zu heben. Man kann auch durch einfache Bindentouren um die Fussrücken und die 
Mitten der Ober- und Unterschenkel das kranke an das gesunde Bein fixieren, 
welches nun bei Bewegungen im Hilft-, Knie- und Sprunggelenke die andere 
Extremität mitnimmt. 

Durch diese einfachen Uebungen reaktiviert der Kranke am besten die 
Innervation und Mobilität der gelähmten Extremitäteu. Allmählich ge¬ 
winnt nun die untere Extremität einen Theil ihrer Mobilität wieder, so dass man 
mit ihr auch rein aktive Bewegungen vornehmen lassen kann. 

In erster Linie sind natürlich Gehbewegungen im Liegen zu üben. Man lässt 
den Kranken taktmässig das Bein erheben und senken oder in vier Takten das Bein 
erheben, im Kniegelenk frei abbiegen und strecken und wieder senken. Ebenso wird 
das Sprunggelenk aktiv geübt (Tretbewegungen). Die Kranken lernen auf diese Weise 
rasch das »Gehen im Bette«. In der fünften Woche kann man nun einen mittel- 
schweren Fall einer Hemiplegie, wenn seitens des Cercbrum oder der inneren Organe 
keine Kontraindikation vorliegt, aus der Rückenlage in die sitzende und aus einer Seiten¬ 
lage in die andere bringen lassen. Um diese Zeit ist ein eventueller Bluterguss, falls es 
sich um eine Apoplexie handelt, gewöhnlich durch die reaktive, periphere Entzündung 
bereits abgekapselt. Falls es sich um eine Thrombose handelt, könnte man noch 
früher die Herstellung des kollateralen Kreislaufes durch eine passende Kopflagerung 
befördern. Da man aber nur selten die Differentialdiagnose mit apodiktischer 
Sicherheit stellen kann, wird man gut thun, hei einer schweren Hemiplegie den 
Kopf nicht vor Ablauf von vier Wochen erheblicheren Lageveränderungen zu unter¬ 
ziehen. Falls der Kranke das Aufsitzen im Bette verträgt, so wird er weiterhin an¬ 
gewiesen, mit den über den Bettrand hinaushängenden Unterschenkeln abwechselnd 
Gehbewegungen auszuführen. Dieses »Gehen im Sitzen« wird weiterhin auch 
ausserhalb des Bettes geübt, indem der Kranke mit Vorsicht in einen Stuhl gesetzt 
wird, mit der Weisung, mehrmals täglich — kurz und oft — zu üben. Allmählich 
geht man auf dieser »Uebungsleiter: eine Stufe weiter und lässt den Kranken in 
aufrechter Haltung methodische Steh- und Gehübungen vornehmen. Zu letzterem 


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56- Paul Lazarus 


Zwecke wurde mit grossem Vortheile der nach den Angaben v. Leyden’s und 
Jacob’s konstruierte Gehstuhl benutzt. Der Patient stützt sich mit einem oder 
beiden Armen auf dessen Holme, wodurch die Beine von der Last des Oberkörpers 
theilweise befreit werden und nun ihre Evulutionen ausführen können. 

Allmählich geht man nun zu Freiübungen über. Der Arzt tritt hinter den 
Kranken und unterschiebt seine Arme unter dessen Achseln; beide schreiten nun 
gleichzeitig aus, wobei der Arzt mit seinen Fussspitzen die Gehbewegungen des 
Kranken dirigiert. Der letztere lernt nun weiterhin das Gehen bei eingehängtem 
Arme oder an der Hand des Arztes; allmählich vermag er nur mit Stockstütze und 
schliesslich ganz selbstständig zu gehen. Auch vorsichtige Uebungen auf dem von 
Jacob konstruierten und von mir modifizierten stationären Fahrrade bahnen in 
trefflicher Weise die Restitution normaler Gchbewegungen an. 

Auch am Arme kann man die aktiven Uebungen mit passiver Unterstützung 
kombinieren. Man fordert z. B. den Kranken auf, den Arm zu beugen; während der 
Kranke seinen Willen auf die paretischen Muskeln konzentriert, unterstützt man 
letztere durch leichte Hebung des Unterarmes. 

Es ist zweckmässig, diese Uebungen am Morgen vorzunehmen, weil sich 
die Kontrakturen im Schlafe grösstenteils lösen und die Glieder nach dem Erwachen 
noch geschmeidig sind. 

Auf die Behandlung der Inaktivitätsatrophie und der Lähmungen, desgleichen 
auf die von v. Leyden und seinen Schülern Goldscheider und Jacob inaugurierte 
bahnende Uebungstherapie komme ich in einem demnächst erscheinenden Aufsätze 
zurück. 

Die Prophylaxe der Kontraktur ist auch deshalb von so grosser Wichtigkeit, 
weil die Parese mitunter vergehen kann und die Kontraktur bestehen 
bleibt. Die im Gefolge der letzteren sich einstellenden konsekutiven Veränderungen 
(Retraktion) können zur Fixierung der Extremität in der kontrakturierten Stellung 
und zu intensiven Schmerzempfindungen bei jedem Bewegungsversuche führen, wo¬ 
durch eine Lähmung vorgetäuscht wird. 

Ein derartiger Fall von best eilen der Kontraktur und I inmobilisation trotz 
grösstentheils ausgeglichener Parese sei in fragmentarischer Kürze geschildert: 

Julius T., Bademeister, 49 Jahre alt, No. 1663/1901, aufgenommen am 15. Juni 1901. 
Vor 7’/a Wochen bemerkte er morgens nach dem Erwachen, dass er seinen linken Arm 
und sein linkes Bein nicht bewegen könne. Status praesens: Kräftiger Manu, Blick leer; 
Patient ist zeitlich desorientiert, giebt oft verkehrte Antworten, klagt über diffuse Kopf¬ 
schmerzen. Cor: Spitzenstoss in der vorderen Axillarlinie; systolisches Geräusch über der 
Aorta; die zweiten Töne sind an allen Ostien relativ verstärkt und rein. Puls: regel¬ 
mässig, weich, 96 in der Minute. Puls an der linken Radialis und Brachialis schwächer 
als rechts; an den Carotiden und Fcmorales beiderseits gleich. Linke Pupille weiter als 
die rechte, Reaktion prompt, Parese des linken Mundfacialis und Hypoglossus, Uvula 
weicht nach links ab. Der linke Arm in Kontrakturstellung: der Oberarm an den Rumpf 
adduziert, das Ellbogengelenk fast rechtwinklig gebeugt; die Finger frei beweglich. Bereits 
geringe Bewegungsexkursionen, selbst das Umwenden des Unterarmes zum Pulsfühlen 
äusserst schmerzhaft. Aktive Bewegungen werden überhaupt nicht ausgeführt. Beim 
Gehen’wird das linke Bein etwas nachgeschleppt und cirkumduziert. Die motorische Kraft 
des linken Armes und Beines beträchtlich herabgesetzt. Die Sehnen- und Muskelretlexe 
sind links gesteigert. 

24. Juni. Beginn der gymnastischen Uebungen; auto- und heteropassive Bewegungeu in 
allen Gelenken, Massage und Faradisation der Muskeln, Uebungen am J acoh’schen Zitnroerrail. 

27. Juni. Extensionsübungen der Gelenke, tlicils manuell, theils an Apparaten 
(schwebende Ringe, Schweninger's Zugapparat). 


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Uebcr die Theorie der hemiplegisclien Kontraktur etc. 5ß3 

3. Juli. Patient kann den Arm im Schultergelenk bis zur Horizontalen erheben. 

6. Juli. Bewegungsexkursion im Schultergelenke im Umkreise von 120 0 möglich. 

10. Juli. Freie aktive Beweglichkeit des Armes und Beines, geheilt entlassen. 

Als zwei weitere werthvolle Mittel zur Bekämpfung der Kontrakturen erwiesen 
sich die warmen Bäder und die Elektrotherapie. 

In dem warmen Bade lösen sich beginnende und junge Kontrakturen oft 
wie mit einem Zauberschlage; die ersten Spuren der wiederkehrenden Beweglichkeit 
kommen dabei zum Vorschein. Wir begannen bereits in der dritten Woche post 
apoplexiam mit lokalen, täglichen Bädern (Armbadewanne), bis dahin be¬ 
schränkten wir uns auf tägliche Waschungen der gelähmten Körperhälfte mit 
spirituösen Flüssigkeiten oder lauwarmem (20 0 R) Wasser; allgemeine Bäder soll 
man nicht vor Ablauf von sechs Wochen post apoplexiam geben. Die Temperatur 
des Wassers betrage 27® R; zweckmässig ist der Zusatz von Salz im Verhältniss 
2 : 100. v. Leyden und Gold scheid er haben auf die grosse Bedeutung der 
»Kinetotherapie« bei der Behandlung von Lähmungen hingewiesen. Durch den 
Auftrieb des Wassers werden die gelähmten Gliedmaassen ihrer Schwere entlastet. 
Das Eigengewicht der letzteren kann durch Erhöhung des spezifischen Gewichtes 
des Wassers (durch Zusatz von Salz oder Soole) auf Null reduziert werden. Diese 
Aequilibrierung verbunden mit der Lösung der Hypertonie bahnen nun der aktiven 
Motilität den Weg; der erste Funke der wiederkehrenden Bewegungsfähigkeit leuchtet 
im Bade auf. Zweckmässig werden daher systematisch sowohl passiv als auch aktiv 
alle Muskeln und sämmtliche Gelenke in allen Exkursionen bewegt, besonders im 
der Kontraktur entgegengesetzten Sinne (Wassergymnastik). Die Badedauer be¬ 
trage 1') Minuten. 

In elektrotherapcutischer Beziehung verwendeten wir sowohl den gal¬ 
vanischen als auch den faradischen und den kombinierten Strom. Mit der 
Elektrisation der gelähmten Glieder beginnt man frühestens in der zweiten Woche 
nach dem Insulte, wenn die Allgemeinerscheinungen bereits völlig geschwunden sind. 

Die hypertonischen Muskeln wurden sedativ behandelt; zu diesem Behufe 
kommt der konstante Strom in Gebrauch. Der kontrahierte Muskel wurde sowohl 
der stabilen als auch der labilen Anodenbehandlung unterworfen, während die Kathode 
auf die antagonistische Muskelgruppe gesetzt wurde. Als Anodenelektrode benutzen 
wir entweder eine runde, Hache Scheibe von 2—4 cm Durchmesser oder eine Walze. 
Der kontrahierte Muskel wurde entweder an verschiedenen Stellen während einer bis 
zwei Minuten unverrückt berührt oder in langsamen Tempo der ganzen Länge und 
Quere nach bestrichen. Den Strom lässt man allmählich bis höchstens zwei Milli¬ 
ampere ansteigen und ebenso ausklingen. 

Die Antagonisten unterzieht man natürlich einer erregenden 
Methode. Zu diesem Zwecke verwendeten wir die Kathode als differenten Pol 
und zwar gleichfalls stabil und labil, mit Berücksichtigung der erregbarsten Muskel¬ 
punkte. Man kann die Stromstärke bis zu sechs Milliampere steigern und die Reiz¬ 
wirkung durch häufiges Unterbrechen oder Wenden des Stromes verstärken. Mit 
Vorliebe verwendeten wir aber zur Reizung der Antagonisten den Induktions¬ 
strom. Die indifferente Elektrode setzt man auf die Wirbelsäule oderauf das centrale 
Muskelende und bestreicht mit der differenten, gut durchfeuchteten Platten- oder 
Walzenelektrode den Muskel seiner ganzen Länge und Quere nach. Man verstärkt 
den Strom bis zum Eintreten deutlicher Muskelkontraktionen und öffnet und schliesst 
ihn bei dieser Stärke abwechselnd vermittelst der Unterbrecherelektrode. 


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5(54 


Paul Lazarus 

Zur Erhöhung der Reizwirkung verwendeten wir mit Yortheil den kom¬ 
biniert galvano-faradischen Strom. Zu diesem Behufe verbindet man mittob 
einer Leitungsschnur eine Polklemme des konstanten mit einer des Induktions¬ 
apparates, während die Elektroden an die beiden Testierenden Pole geschaltet 
werden. Beide Stromarten treten nun in den Körper; der faradische, nachdem 
er die galvanische Batterie und der konstante, nachdem er die Induktionsrolle 
passiert hat. Für die Anwendung des galvano-faradischen Stromes ist insbesondere 
de Watteville eingetreten. Die Wirkungen des faradischen Stromes werden 
nach ihm durch die synchrone Kathodengalvanisation bedeutend erhöht, da sich 
jene Stellen, welche faradisch gereizt werden, bereits in einem Zustande erhöhter 
Erregbarkeit oder im Katelektrotonus befinden. Ausserdem soll das Eintreten der 
Ermüdung oder Erschöpfung im Gefolge energischer Faradisation durch die muskel¬ 
erfrischende Wirkung des galvanischen Stromes verhindert werden. Die Kombination 
beider Stromesarten soll ferner den anregenden Einfluss des intermittierenden, fara¬ 
dischen Stromes mit der »interstitiellen Elektrolyse« durch den gleichmässig fliessen¬ 
den galvanischen Strom verbinden. Man verwendet den kombinierten Strom in ähn¬ 
licher Weise wie den Einzelstrom. Die Unterbrechungselektrode (Kathode) wird auf 
die Muskelreizpunkte gesetzt, der Strom allmählich bis zum Eintreten mässig kräftiger 
Muskelzuckungen verstärkt und rythmisch geöffnet und geschlossen. Die Stärke des 
galvanischen Stromes übersteige nicht drei Milliampere. 

Auch die Kombination von Elektrizität und Massage kann mit Vortheil ver¬ 
wendet werden. Man bestreicht zu diesem Zwecke unter mässigem Drucke die 
Muskulatur mit der walzenförmigen Elektrode; auch kann der Arzt seine eigene, 
gut befeuchtete Hand zur Elektromassage benützen, wenn er die eine Elektrode 
(Kathode) an der Vorderfläche seines Unterarmes fixiert oder in die andere Hand 
nimmt, während die zweite Elektrode auf das Sternum des Patienten gesetzt wird. 
Letzteres Verfahren hat noch den Vortheil, dass der Arzt durch sein Gefühl die 
Stromstärke ermessen und demgemäss regulieren kann. 

Einer besonderen Berücksichtigung bedarf die Hand; alle Einzelmuskeln 
des Vorderarmes, ebenso die Interrossei und Lumbricales, sowie sämmtliche Daumen¬ 
muskeln müssen einer exakten elektrischen Behandlung unterzogen werden. Die Be¬ 
handlung vom Nerven aus empfiehlt sich nicht in jenen Fällen, bei denen der gleiche 
Nerv Muskeln versorgt, die in ihrer Wirkung antagonieren. Hingegen soll auch vom 
motorischen Nerven aus die Muskulatur erregt werden, wenn sich sein Wirkungs¬ 
gebiet auf synergischc Muskelgruppen erstreckt. Selbstverständlich werden auch 
hierbei in erster Reihe die die Antagonisten versorgenden Ncrvenstämme sanunt ihren 
Ausbreitungen bevorzugt. (Vergleiche die Zusammenstellung über die Bewegnngs- 
funktionen). Die Technik ist die gleiche, wie sie oben für die direkte Muskel- 
elektrisation beschrieben wurde. Die elektrische Behandlung kann täglich in der 
Dauer von 10 — 15 Minuten vorgenommen werden. 

Durch die methodische Anwendung der genannten Verfahren gelingt cs meist, 
der Ausbildung der Kontrakturen vorzubeugen oder ihre extremen Grade, sowie die 
bei älteren Kontrakturen nicht selten eintretende Schmerzhaftigkeit zu verhindern. 

Weniger aussichtsvoll als die Prophylaxe ist die Behandlung der bereits 
ausgebildeten Kontraktur. Auch hierbei kann man Massage, aktive und 
passive Gymnastik, Ilydrogymnastik und elektrische Prozeduren kom¬ 
binieren, um dem verkürzten Muskel seine normale Länge, und ihm sowie dom 
Antagonisten die Kontraktilität wiederzugeben. 


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565 


Ucbcr die Theorie der hemiplegischcn Kontraktur etc. 

Ein selten versagendes Mittel zur vorübergehenden Resolution junger Kontrak¬ 
turen ist die Schüttelgymnastik. Der Arzt ergreift das distale Ende des Unter¬ 
arms und führt nun möglichst rasch schüttelnde Bewegungen im Handgelenke aus. 
Durch diese rasch aufeinander folgenden Extensionen und Flexionen wird die Hyper¬ 
tonie in wenigen Sekunden behoben, die Finger werden schlaff und können aktiv 
gestreckt und gebeugt werden. Leider verfällt die Hand in kurzer Zeit wieder in 
die alte Kontrakturstellung. Auch durch Schwingübungen oder durch zarte 
Bewegungen im Sinne der Kontraktur kann eine temporäre Erschlaffung 
erreicht werden. 

Bei älteren Kontrakturen kommt es infolge der permanenten Näherung der 
Muskelinsertionen und der langdauernden Inaktivität zu Strukturveränderungen der 
Muskulatur. Die Muskelatrophie bei Hemiplegikern ist ein regelmässiger Befund. 
Marinesco erklärt dieselbe als Folgezustand einer Erkrankung des vasomotorischen 
Centrums in der motorischen Region der Hirnrinde (cerebrale Muskelatrophie) oder 
ihrer Ausläufer in der Pyramidenbahn. Meiner Ansicht nach ist sie grösstentheils 
eine Folge der Inaktivität; nur in den seltensten Fällen konnte bei der hemiple- 
gischen Muskelatrophie eine Degeneration der Vorderhornzellen oder der peripheren 
Nerven nachgewiesen werden; nie erreicht die posthemiplegische Atrophie jenen 
Grad wie die poliomyelitische. 

Durch die genannten atrophischen Veränderungen, welche alle Muskeln be¬ 
treffen, kann eine Parese zur Paralyse werden. Dazu gesellen sich sklerosierende 
Prozesse, besonders in den kontrakturierten Muskeln. Auf die Kontraktur folgt die 
Retraktion der Muskeln und Sehnen. Die verkürzten Muskeln werden infolge der 
Atrophie der Muskelfibrillen und der interstitiellen Bindegewebsproliferation sehnen¬ 
artig straff. Je älter die Kontraktur, desto vorgeschrittener sind die genannten Ver¬ 
änderungen und desto mehr schwindet die Möglichkeit ihrer Heilung. In den vor¬ 
gerückten Stadien kommt es ferner zur sekundären Schrumpfung der Aponeurosen; 
auch die Arterien, Venen und Nerven machen die Verkürzung mit. Weiterhin 
kann es infolge der langdauernden Immobilisation der Gelenke zu Veränderungen 
dieser selbst kommen (Arthropathia hemiplegica). Die Kontraktur wird immer 
starrer; die zartesten Lösungsversuche können von grossen Schmerzen begleitet 
sein. In der Hand kann es infolge maximaler Verkürzung der Beuger und Retraktion 
der Palmaraponeurose bis zum Einkrallen der Finger in die Hohlhand kommen. 

In erster Linie kommen bei der Behandlung der residuären Kontraktur täg¬ 
liche protahierte lauwarme lokale Bäder oder 2—3mal wöchentlich Vollbäder (28° R) 
in Betracht, falls seitens der inneren Organe keine Kontraindikation vorliegt. Im 
Bade werden nun die Muskeln und Gelenke allmählich gedehnt, passiv bewegt und 
massiert. Mit dieser Wassergymnastik kann man sedativ-elektrische Prozeduren 
(s. S. 563), fernerhin zarte Extensionen der verkürzten Muskeln entweder mittels der 
Ileftpflastergewichtsmethode oder mittels des elastischen Zuges kombinieren. Sehr 
zweckmässig sind auch extendierendc Apparate, welche nach dem Prinzipe der Schraube 
ohne Ende gebaut sind. Letztere ermöglichen ein ganz schrittweises Vorgehen und 
sind deshalb bei schmerzhaften Kontrakturen allen anderen Methoden vorzuziehen. Mit 
der Lösung der Kontrakturen schwindet auch die Schmerzhaftigkeit. Scheitern auch 
diese Maassnahmen‘infolge der starken Verkürzung gewisser Muskelgruppen, so wäre 
deren Redression in der Narkose vorzunchmen, falls der Organzustand des Patienten 
letztere nicht verbietet. 

In den extremsten Fällen käme schliesslich ein operativer Versuch in Frage: 


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Paul Lazarus, Ucbcr die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc. 

die M uskel- bezw. Sehnentransplantation. Ich selbst hatte noch nicht Ge¬ 
legenheit diese Operation bei einem Hemiplegiker zu erproben, aber von theore¬ 
tischen Erwägungen und den günstigen operativen Resultaten bei anderen anta¬ 
gonistischen Kontrakturen ausgehend (z. ß. Tendinoplastik bei spastisch paralytischem 
Klumpfuss), ist in schweren Fällen ein derartiger Eingriff indiziert und von ver¬ 
schiedenen Chirurgen mehrfach während der letzten Jahre mit Erfolg ausgeführt 
worden. Bei ungleichmässiger Vertheilung der Parese könnte ausserdem der minder 
paretische Muskel, welcher für den Kranken infolge der Kontraktur ohnehin verloren 
ist, zur Kräftigung des stärker paretischen herangezogen werden. 

Technisch am einfachsten lässt sich dieser operative Versuch an den Sehnen 
des Zeigefingers erproben. Der Gang der Operation gestaltet sich folgendermaassen: 
Unter lokaler Anästhesie werden die Beugesehnen des Zeigefingers in der ganzen Aus¬ 
dehnung von der Endphalange bis zur Mittelhand freigelegt. Hierauf folgen mediane 
Spaltung der Flexorensehnen, Durchtrennung der einen Sehnenhälfte centralwärts, der 
anderen distalwärts und Vernähung der Sehnenstümpfe. Nach diesem meist üblichen 
plastischen Verfahren kann die Sehne um die Halbierungsstrecke verlängert werden. 
Sind die Muskeln noch nicht total paralytisch, so kann man statt der Sehnenplastik 
eine Sehnentransplantation ausführen: Durchtrennung der Beuge- und Strecksehnen, 
kreuzweise Vernähung der Sehnenstümpfe. Die Implantation der retrahierten Flexoren¬ 
sehne in die Extensorensehne würde dann im Sinne der Streckung des Zeigefingers 
wirken, während die Verbindung des centralen Strecksehnenstumpfes mit dem peri¬ 
pheren Flexorenstumpfe im Sinne der Beugung thätig wäre. Die Streckung würde 
also durch dieses Verfahren gefördert, die Beugekontraktur aufgehoben werden. Der 
Effekt einer derartigen Operation ist für den praktischen Werth dieser Idee maassgebeml. 

Wenn jedoch die myopathischen Veränderungen bereits soweit vorgeschritten 
sind, dass die Muskeln fast nur mehr fibröse Stränge ohne Spur von Kontraktilität 
darstellen, dann bietet natürlich eine Verlängerung der verkürzten Sehnen keine 
Aussicht auf Wiederherstellung der Funktion. 

Aber auch bei residuären, irreparablen Kontrakturen werden sich 
passive Bewegungen als nützlich erweisen. Bekanntlich sind die Extremitäten 
auf der gelähmten Seite cyanotisch, kühl und oft leicht ödematös. Die Erscheinungen 
sind als Ausdruck der Cirkulationsstörung aufzufassen, welche zum Theile auf vaso¬ 
motorische Störungen, zum Theile auf den Ausfall der Bewegung zurückzuführen ist. 
Von der Bedeutung der letzteren für die Fortbewegung des Lvmph- und Blutstromes 
konnte ich mich bei einem Patienten mit chronischer Nephritis und Anasarka über¬ 
zeugen, der eine Woche vor seinem Ende eine rechtseitige Hemiplegie erlitt. In 
wenigen Tagen war das Oedem an der ganzen gelähmten Körperhälfte um das Drei¬ 
fache stärker als auf der anderen Seite. 

Die passive Gymnastik im Vereine mit der Massage befördert in der Tliat die 
Lymph- und Blutcirkulation, sie erleichtert den Rückfluss des venösen Blutes und 
hebt auf diese Weise auch den Gesammtstoffwechsel. Die gymnastischen 
Uebungen bei Hemiplegikern bewirkten jedoch nicht blos eine somatische 
Kräftigung, sondern auch ein psychisches Aufleben; eine Wohlthat für die 
Kranken, welche infolge ihrer Halblähmung oft desolaten Stimmungen verfallen. Um 
so dringender tritt dabei an den Arzt die ethische Aufgabe heran, »die Unbarmherzig¬ 
keit der Wirklichkeit mit dem Schleier der Hoffnung zu umhüllen« (v. Leyden). 


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W. Alexander, Vorrichtung zur Verhütung der Flexionspronaticnskontraktur des Armes. 567 


IV. 

Eine einfache Vorrichtung zur Verhütung der Flexionspronations¬ 
kontraktur des Armes. 

Aus der inneren Abtheilung des städtischen Krankenhauses Moabit 
(Professor Dr. Goldscheider). 

Von 

Dr. W. Alexander, Assistenzarzt. 

So selbstverständlich es ist, mit den Verhütungsmaassregeln der gefürchteten 
Kontraktur möglichst frühzeitig nach Eintritt der Lähmung zu beginnen, so wenig 
zweckentsprechend scheinen mir die bisher in diesem Sinne angewandten Methoden 
zu sein. Ohne mich über die Theorieen der Entstehung der Kontraktur, die in 
der vorhergehenden Arbeit von Lazarus in anschaulicher Weise erörtert sind, zu 
verbreiten, will ich in aller Kürze eine einfache Vorrichtung beschreiben, die, wie 
ich glaube, dem praktischen Bedürfniss gerecht wird, auf welchem theoretischen 
Standpunkt der einzelne Arzt auch jedesmal stehen mag. 

Es ist ja natürlich, dass die übrigen Verhütungsmethoden der Kontraktur: 
Massage, Bäder, passive Uebungen, Faradisation etc. selbst von dem besten Apparate 
nicht verdrängt werden können, da sie ganz andere Indikationen erfüllen, als. 
dieser. Sie sollen die Elastizität des Muskels erhalten, die Zirkulation befördern, 
Gelenkergüsse, Muskelatrophieen und Dekubitus verhindern, alles Forderungen, die 
durch einen Apparat nicht zu erfüllen sind. Erst da, wo ihr Mangel anfängt, 
nämlich an der zeitlichen Beschränkung ihrer Anwendungsmöglichkeit, kann ein 
Apparat einsetzen, indem er die durch sie gewonnenen Erfolge sichert und dafür 
sorgt, dass in der Zeit der Ruhe nicht den Bestrebungen obiger Maassnahmen ent¬ 
gegengewirkt wird. Was bisher in dieser Richtung, d. h. in der Sorge für zweck¬ 
entsprechende Einstellung des gelähmten Armes in den Zeiten zwischen den übrigen 
prophylaktischen Maassnahmen und besonders des Nachts versucht wurde, ist wohl 
schon von manchem Arzt als mangelhaft empfunden worden. Das Anbandagieren des 
Armes auf eine Armschiene sichert zwar gegen die Beugebestrebungen der Finger, ver¬ 
hindert aber, wenn die Schiene nur bis zum Ellenbogengelenk reicht, in keiner Weise 
Flexion und Pronation des Unterarmes, geschweige denn die Adduktion und Einwärts¬ 
rotation im Schultergelenk, die auch von einer Schiene, die den Oberarm mit inbegriffe, 
nicht verhütet werden würde. Zudem ist das Anwickeln des Armes eine umständliche 
Prozedur; sie wochenlang oftmals täglich — sechs- bis achtmal muss man wohl 
verlangen — auszuführen, dazu gehört, abgesehen von einer grossen Ausdauer, ein 
Zeitaufwand, wie er wenigstens in Krankenhäusern für den Einzelnen nicht erübrigt 
werden kann. Wir halfen uns bisher damit, dass wir den Daumen der in Supination 
liegenden Hand mit einem Bindenzügel an dem Bettrand festbanden, überzeugten 
uns aber bald von der Unzulänglichkeit des Verfahrens, da bei jedem kleinsten 


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in wv-lel'oi Weise siel» »las hovv;uksHdligeti bisst, vermisst in;»!! prdweb meiste»* tbir 
wi ksatnc• AHWendung von elastischen. ; /ü.gefi »si mir an komplizierten Hüi t i) 
apparateu tu.ig.ib:ii, »Innen ausser ■dein' In,dien ['reis«» und der V.rteniertii.ss o'mo <:■- 
sriniiten »iamia-istei! der r. l.eistaml vui haftet, dass mich sie. yttc- die S'diiemt;. v.it»s 
Anlegen und Abnehmcu viel /.eit und Mühebetitispruciftiib Will man durch gecigtieU- 
f..i«enina zur YetfitUuncr der Kontraktur bciti-igon, -o muss an Stelle des eJ;td5.vfhHt 
Zuges durch eine andere Kraft dem Arm die Möglichkeit gennm»»ien werden, i» die 



l alle au das Kigengewiclit. des Annes gehnnden denkt, wie ja jede* frei haneeie 1 »- 
Uewieht potentidie Kneraie »ettiOrjiei’t-. 

Alan nmss nlsu v«n inner YemHiturig, die durch l.agermig die Entsfehmie a - 
i‘le\iru!sj)ronati>'iiisko)ii.iaictuf verhüten htdfon soll, vei-huuam: 

5. da-; sie sorgt ftiri Ivxteiisiim der (•'iueer, Supination des l »iter.irn.v- 
Kxtejo^ios itti ä-ilK’Ulmaengeleiik, .Abduktion und Au.s\vnAmrnt.d*r.j» im 
Fchnlfefgfdenk: 

2. leichte.« mul srhiecHes Äjijfogeu an den Kt'Jnhwien Arm v . 

3 . üitifredie Vlei-hteliimg. 



ein eh'.it'li-a lienküuev »ueirek ihn'teilt mit recidem Winke) an der wffil 

irr das KfUt ge:-te!lt. dass der 

eßcli«v- W itdiel dem 'hürpot des IJÜ'lfc 

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■ den. Uie beiden Aijst-i liinti> 

, *■ ijj<*Ii<-Jj>• jj dje Vnttciidmie di- |fürdierechte und linke Seite. M ei Au' 
|p da »st.» ans mittelweielirtn. 1 Ualif einige I, laiuWigHi . w ie de dir Abbildung 
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srhaltuoß jeder .MiisbelunspanmiD^ in extremer .Supination gehalten wird. Bei 
gestrecktem EUenbogeiigeleuk sichert aber die Supination des Vorderarmes- zugleich 
die An swärtsrotatinü des Oberarmes. Die .'Abdaktroa im Srhuttercelcofc-. 
wird dadnreli erhalten. dass der dazwischen stehende Kasten eine Annäherung, des 
Dbemrmes -du <leii Kbrper AeAjIbdert. Die Kxtetisicm der .Finger erreicht, 
indem man über die Fudplialaiigen von einer dritten^.'.K'jiW*iin'er. (6jl ein Band 



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diii auch zugleich gegen das oft lästige Kältegefühl in der gelähmte« • ISxtremifiu 
nützlich erweise«, wird. 

Soll «ler- Apparat für einen Full gebraucht, werden, in dem : schon geringe Kon- 
tmkttir besteht, so kouunt, die ilan.l, anstatt iw die Klammer u, m eine Schlinge (cf, 
de; Klammer /’ mit dem t.iewielit wird so angelegt, dass sie mitten über der Hohe 
des IsaumetibalieriS verläuft. 







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570 


W. Podwyssozki 


A\ 


Der Kefir 

(Ferment und Heilgetränk aus Kuhmilch). 

Geschichte, Bereitung, Zusammensetzung des Getränks, Morphologie des Ferments 
und dessen Erkrankungen; physiologische und therapeutische Bedeutung des Getränks. 

Von 

Professor Dr. W. Podwyssozki 

in Odessa. 

Uebersctzt aus dem Russischen von Dr. Rechtshammer. 

Erstes Kapitel. 

Allgemeine Begriffe Ober das Ketirferment und Geschichte des Kefirs. 

Seit langem schon sind bei uns in Russland Versuche gemacht worden, aus der 
allen zugänglichen und überall zu habenden Kuhmilch ein gährendes Getränk her¬ 
zustellen, das dem Stutenkumys, dessen Ruhm als Heil- und Nährstoff durch die 
Reihe von Jahrhunderten gesichert schien, gleichkäme. Es sind zu nennen: der 
Kumys aus Kuhmilch von Dr. Polubenski (als Ferment zur Vergährung der mit 
Wasser verdünnten und mit Milchzucker versetzten Kuhmilch diente der Stutenkumysi. 
der Kumys aus Kuhmilch von Chojnowski (als Ferment diente einfach die Bier¬ 
hefe), der Kumys aus Kuhmilch von Dochmann (als Ferment diente starker Stuten¬ 
kumys, respektive der mit Aether behandelte trockene Kumysgährstoff). An ähn¬ 
lichen Getränken gab es keinen Mangel auch in Verbesserungen, wo man, angereirt 
durch eine Mittheilung von Stahlberg in der Pariser Academie de moderne im 
Jahre 18(57, sich ebenfalls daran machte, allerlei Sorten gährender Kuhmilch her¬ 
zustellen und dieselbe bei der forzierten Ernährung von Kranken und Gesunden an¬ 
zuwenden. 

Allen denjenigen, die eine derartige Milch respektive künstlichen Kumys aus 
Kuhmilch in Anwendung zogen, war es bekannt, dass solche Milch bedeutend leichter 
assimiliert wird, als nichtvergohrene Milch, dass ein Kranker ohne Mühe mehrere 
Flaschen derselben zu trinken im stände ist, während sein Magen auch eine einzige 
Flasche gewöhnlicher Milch nicht vertrug. 

Der unangenehme Beigeschmack, den nicht selten die Milch durch Beimengung 
von Bierhefe oder von Stutenkumys erlangte, stand indessen einer grösseren Ver¬ 
breitung des künstlichen Kumys aus Kuhmilch im Wege, und wurde der letztere bald 
einfach durch gasierte Milch verdrängt 1 ). Der Gedanke, die Milch mit Kohlen- 

') lieber den Nutzen von gasierter Milch im Vergleich zu gewöhnlicher Milch mit Bezug auf 
Assimilation, sowie auf Beeinflussung des Stick Stoffumsatzes und der Bakterienmenge in den Fäkal¬ 
massen ist in letzter Zeit eine Reihe gründlicher Arbeiten russischer Autoren erschienen. 'Siehe: 
Kabakow, Heber den Stiekstoffumsatz der Gesunden beim Gebrauch von gasierter Milch und von 
gewöhnlicher Milch. Dissertation. St. Petersburg 1895. — E. Bennert, Einfluss von gasierter und 


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Der Kefir. 


571 


säure zu sättigen, gehört Professors. Botkin, der anfangs eine Zeit lang Anhänger 
des künstlichen Kumys vou Chojnowski gewesen ist, dann aber allmählich, aus den 
oben angeführten Gründen, demselben untreu wurde. 

Es ist offenbar, dass das Bedürfniss, über ein dem Stutenkumys ähnliches Ge¬ 
tränk aus Kuhmilch zu verfügen, bestanden hatte und von Aerzten sowohl als von 
Nichtärzten empfunden wurde. Diesem Bedürfniss war jedoch nicht Genüge zu 
leisten, indem es an einem Ferment mangelte, das in der Kuhmilch eine der in 
der Stutenmilch ähnlichen Gährung verursachte. Kein Wunder daher, dass, nachdem 
man erfahren hatte, dass im Kaukasus die Bergwerksbewohner, welche die nördlichen 
Abhänge des Elborus und des Kasbek bewohnen, ein Ferment besitzen, dessen sie 
seit undenklichen Zeiten zur Vergährung ihrer Ziegen-, Schafs- und Kuhmilch sich 
bedienen und nachdem der bekannte Arzt in Jalta, Dmitriew, im Jahre 1882 über 
vorzügliche Resultate, die von ihm bei einer ganzen Reihe von Lungenkranken und 
anderen Kranken unter dem Einfluss der Anwendung von auf solche Weise ver- 
gohrener Milch erzielt wurden, berichtet hatte, dieses Ferment allmählich über 
Russland seinen Weg fand und schliesslich in zivilisierteren Zentren sich einbürgerte. 
Dieses Ferment ist eben der Kefir. 

Das Kefirferment in seinem natürlichen Zustand, in dem Zustande, in welchem 
es im Kaukasus benutzt wird und von dort aus nach Russland und 'nach West¬ 
europa gebracht wurde, besteht aus gesonderten Klümpchen kugelförmiger, 
respektive ovaler Gestalt, die zum Theil Käseklürapchen oder auch Blumenkohl¬ 
köpfen im kleinen ähnlich sind. Diese Klümpchen heissen »Milchpilze«, auch 
»Kefirkörner« oder »Kefirsamen«. Ihre Grösse im aufgeweichten Zustand ist 
verschieden: von einem Senfkorn bis zu einem Umfang von 4—5 cm im Durch¬ 
messer. Im trockenen Zustande ist die Farbe reiner, gut gewaschener Körner gelb; 
die kleinen gleichen sehr in Farbe und Gestalt den Hirsekörnchen; beim Drücken 
lassen sie sich in kleinere Körnchen zerreiben. Beim Aufweichen in Wasser wird 
letzteres etwas verfärbt und erhält einen schwachen Stich ins Gelbliche, während 
die Körner selbst weisser werden und aufquellen, dennoch aber einen leicht gelb¬ 
lichen Farbenton beibehalten; ihr Volumen vergrössert sich um zwei, drei Mal und 
mehr, sie werden elastisch und lassen sich unschwer zerreissen. Die grösseren 
Körner haben das Aussehen von Drusen, bestehend aus gesonderten kleineren Körnchen, 
die auf einander angehäuft sind. 

In Milch verbracht, nehmen die Kefirkörner an Umfang zu, wachsen, und wenn 
man die Milch umschüttelt, zerfallen die grösseren Körner in mehrere kleinere Theile, 
die ihrerseits wieder bedeutend anwachsen können. Die Milch erscheint demnach 
gewissermassen als Nährboden, in welchem das KefirfermentJ zujleben und zu 
wachsen vermag, gleichwie die Erde den Nährboden zum Gedeihen eines beliebigen 
unserer Pflanzensamen abgiebt. Durch das Leben und das Wachsthum der Kefir¬ 
körner in der Milch wird die eigenthümliche Gährung der letzteren verursacht. In 
der Milch sinken die Körner anfangs zu Boden, darauf, nach einer Viertel- bis halben 
Stunde, beginnen sie allmählich gegen die Oberfläche hin aufzusteigen, was durch 
das Anhaften von Kohlensäurebläschen bedingt wird, und verbleiben hier viele Stunden 


von gewöhnlicher Milch auf die Darmgährungen des Gesunden. Dissertation. St. Petersburg 1895. 

— W. Rosenblatt, Ueber die Schwankungen in der Zahl der Mikroorganismen in den Fäkal¬ 
massen von Gesunden beim Gebrauch von gasiertcr und von gewöhnlicher Milch. Dissertation 1896. 

— A. Sokolow, Die bessere Verdaulichkeit der gasierten Milch. Sechster Jahresbericht der 
Moskauer hygienischen Station 1809 


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572 W. Podwyssozki. 

lang. An der Milchoberfläche angelangt, umkleiden sich die Kefirkörner allmählich 
mit einer auf sie niederfallenden Schicht von Kasein, legen sich direkt aneinander 
und bilden auf der Milch eine höckerige, unebene Kruste, die beim Schütteln des 
Gefässes zerfällt. Hierbei lösen sich die Kohlensäurebläschen sowie die Kasein- 
partikelchen von der Oberfläche der Körner ab, die Kohlensäure vermengt sich mit 
der Luft, und das Kasein vertheilt sich in der Flüssigkeit in Form von kleinsten 
Klümpchen oder sinkt auf den Boden des Gefässes. Desgleichen sinken auch beim 
Umschütteln des Gefässes die Kefirkörner zu Boden, nachdem sie von den anhaftenden 
Kohlensäurebläschen befreit worden sind, jedoch immerhin von einer Kaseinschicht 
umgeben bleiben. An die Oberfläche der Milch gelangen nicht alle Körner gleichzeitig. 

Von dem Gährungsprozess in der Milch mit Bildung von Kohlensäuregas kann 
man sich in höchst überzeugender Weise durch das Gehör vergewissern. Schon nach 
Ablauf von 20—30 Minuten nach dem Zersetzen fertiger Körner mit Milch beginnen 
in dem an einem warmen Orte auf bewahrten Gefässe schwache knisternde Geräusche, 
bedingt durch das Platzen kleiner, feuchter Bläschen, hörbar zu werden; diese Ge¬ 
räusche erinnern vielfach an die schleimigen Rasselgeräusche, welche die Athmung 
bei manchen Erkrankungen der Bronchien und der Lungen begleiten. Diese Ge¬ 
räusche entstehen in der Milch durch das Platzen der den Kefirkörnern anhaftenden 
Bläschen der Kohlensäure, welche aus dem bei der Gährung zerfallenden Milchzucker 
sich bildet. 

Die Anwesenheit der Kefirkörner in der Milch ruft in letzterer eine eigenthüm- 
liche Gährung hervor, und die Milch geht in ein besonderes, säuerlich und in 
höchstem Grade angenehm schmeckendes Getränk über, das die Bergbewohner des 
nördlichen Kaukasus (Ossetinen, Karatschaja u. a.) »Ghyppe«, »Kjepj«, »Khapirt 
benennen, während es die Kabardiner und die russische Bevölkerung des Kaukasus 
als »Kefir«, »Kyfir«, »Kiafirc, »Kafir«, »Kifyr« und dergleichen bezeichnen'). 
Im allgemeinen erinnert das Getränk an den Stutenkumys, schmeckt jedoch viel 
besser und — was die Hauptsache — entbehrt des spezifischen für Viele un¬ 
angenehmen Geruchs und Geschmacks des Stutenkumys. 

Es ist zu vermuthen, dass die Bereitung von Kefir aus Ziegen-, Schafs- und 
Kuhmilch durch die Bergbewohner des nördlichen Kaukasus und die Bereitung von 
Kumys aus Stutenmilch durch die Steppenbewohner des südöstlichen Russlands 
(Kalmyken, Nogajer u. a.) von altersher durch die gleichen klimatischen und wirth- 
schaftlichen Bedingungen eingeleitet wurde. Beide Getränke gelten bei den Ein¬ 
geborenen als im höchsten Grade nahrhafte und selbst heilbringende Mittel bei ver¬ 
schiedenen erschöpfenden Krankheiten; beide Getränke besitzen das Anrecht auf den 
Namen volksthümlicher Milchspeisen des gesammten Südostens der Steppen- und 
Gebirgsbezirke Russlands, und ist wahrscheinlich ihr Ursprung auf undenkliche Zeiten 
zurückzuführen. Wenigstens mit Bezug auf den Stutenkumys sind manche geschicht¬ 
lichen (Herodot) und archäologischen Angaben vorhanden, wonach den Skythen 
die Bereitung desselben schon mehrere Jahrhunderte vor unserer Aera bekannt war. 

Der Kumys als volkstümliches Getränk wurde zuerst von den nomadisierenden 
Stämmen in den Steppen des südöstlichen Russlands und des mittleren Asiens be¬ 
reitet , der Kefir hauptsächlich von den Bergbewohnern, welche die nördlichen Ab¬ 
hänge der kaukasischen Gebirgskette bewohnen. 


') Zweifellos ist die Wurzel all dieser Benennungen dieselbe, nämlich Kef, das in) türkischen 
und arabischen Idiom die Empfindung des Angenehmen, des V ergnügens bedeutet. 


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573 


Der Kefir. 


Die Besonderheiten von Boden, Klima, Flora und Fauna dieses Territoriums, 
im Zusammenhang mit manchen Bedingungen des täglichen Lebens und der geschicht¬ 
lichen Verhältnisse, brachten in der Bevölkerung die Neigung zu nomadisierender 
Lebensweise hervor und machten die Viehzucht zur Hauptbeschäftigung des Volkes. 
Beinahe als einzige Nahrung dient die Milch, und zwar nicht die süsse Milch, sondern 
eine in verschiedenen Graden von Säuerung begriffene Milch. 

Von dem ersten Grade der Säuerung, Dschuurt, der unseren Molken entspricht 
und wenig Milchsäure enthält, geht die einheimische Bevölkerung zum Airan über, 
welcher neben einer grossen Menge Milchsäure noch Kohlensäure und zuweilen Essig¬ 
säure enthält und schliesslich zum Kepy, das ist zum Kefir, welcher mit Hülfe der 
Körner und bei den Bergbewohnern als unerträglich saures Getränk hergestellt wird. 
Dschuurt wird stets in eisernen oder irdenen Töpfen bereitet, Airan in hölzernen 
Kübeln oder in Schläuchen von Leder, Kepy stets in den letzteren. 

Die Gefässe und die Schläuche werden fast nie gewaschen und äusserst un¬ 
sauber gehalten, sodass in denselben beinahe immer viel Essig- und Buttersäure sich 
bildet. Wie ich mich persönlich während meines zweimonatlichen Aufenthaltes in 
der Gebirgsgegend der Karatschayer überzeugt hatte, klagt nahezu jeder Eingeborene 
über Sodbrennen und besitzt eine weissbelegte Zunge; er beginnt und beschliesst 
seinen Tag mit Airan, wer reicher ist — mit Kepy. Weder Kartoffeln, noch Ge¬ 
müse, noch Brot nimmt er zu sich, bloss hartgebackene Fladen aus ungesäuertem 
Gerstenteig und einem festen Brei aus gekochtem Mais; die einzige Fleischnahrung 
ist Hammelfleisch, es repräsentiert aber einen Luxusartikel. 

Auf welche Weise die Kefirkörner aus den in der Luft schwebenden Keimen 
der Mikroorganismen, welche die Körner zusammensetzen, ursprünglich entstanden 
sind, ist unbekannt. Offenbar war dies Sache des Zufalls, dass einst am Boden eines 
Schlauches mit Airan sich die ersten Körnchen gebildet hatten, auf die man auf¬ 
merksam wurde und deren man sich dann zur Bereitung eines besseren und schmack¬ 
hafteren Getränks bediente; diesem Getränk, sowie den Körnern, respektive dem 
Ferment gab man den Namen Kepy oder Kefir. Von den Eingeborenen wird aller¬ 
dings die Herkunft der Kefirkörner in den Mantel des Wunderbaren gehüllt. Bei 
den Bergbewohnern gilt das Kefirferment als heilig, und verknüpfen sie dessen Ur¬ 
sprung mit einer religiösen Legende. Den Kefir empfing man nach ihrer Meinung 
zuerst von Mahomet, und daher sind bei den Bergbewohnern die Kefirkörner unter 
dem Namen »Hirsekörner des Propheten« bekannt. Die Bezeichnung als »Hirse¬ 
körner« ist gewiss glücklich genug, indem im getrockneten Zustande die kleinen ge¬ 
sunden Kefirkörner thatsächlich an Hirsekörner, sowohl durch ihre Form, als ins¬ 
besondere durch ihre eigenthümliche gelbe Farbe sehr erinnern. 

Ueber die Herkunft der Hirsekörner des Propheten existiert bei dem Bergstamm 
der Karatschajer (an den Ursprüngen des Unban und am Fusse des Eibaus) eine 
ganze Legende, die ich in ihrem Wortlaut wiedergebe, indem ich sie dem Aufsatz 
von Schablowski 1 ) entnehme. Das ist diese Legende: 

»Als im goldenen Zeitalter der erhabene Allah persönlich mit einigen aus¬ 
erwählten Muselmännern sich unterhielt, sandte er als Zeichen seines Wohlwollens 
dem biederen und redlichen Karatschajerstammc eine Nahrung, die er Kepy benannte, 
als Beleg dafür, dass die Karatschaja nie des Hungertodes sterben würden. Dies 


i) Diese Legende wurde Schablowski von Nowik, Besitzer der Kumy »Heilanstalt in 
Batalpaschinsk in der Provinz Kuban, initgetheilt. 


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574 


W. Podwyssozki 


geschah wie folgt: Ein Karatschaier, ein alter, hinfälliger Mann, der nicht bloss alle 
seine Altersgenossen, sondern selbst deren Enkel und Urenkel überlebt hatte, ein 
unermüdlicher Verfolger der Giauren, unterhielt sich einst persönlich mit dem er¬ 
habenen Allah, der dem Greise das erwähnte Kepy einhändigte und ihn belehrte, 
wie das Getränk zu bereiten wäre«. 

Neben solchen Legenden mit religiöser Unterlage sind bei den Eingeborenen 
u. a. auch noch folgende Erzählungen über die Herkunft der Körner im Umlauf. So 
wird erzählt, dass man die Körner vor undenklichen Zeiten zuerst auf einem Getränk 
in bedeutender Bergeshöhe, an der Grenze des ewigen Schnees, gefunden habe. 
Andere behaupten, dass die ersten Körner in einem ungenügend ausgebesserten 
Schlauche, in welchem Milch zum Auf bewahren eingegossen war, entstanden seien. 
Diese Ansicht des Volkes scheint mir so ziemlich der Wahrheit nahe zu stehen. 
Etwas Positives und Bestimmtes ist jedoch über den ersten Ursprung der Körner 
nicht bekannt. 

Wie dem auch sei, immerhin wird bei den Bergbewohnern die Vorstellung von 
der übernatürlichen Herkunft der Kefirkörner durch die aufmunternde und kräftigende 
Wirkung gestützt, die der Kefir nicht nur auf den Gesunden, sondern auch auf den 
Kranken ausübt. Dieses Getränk macht im Sommer beinahe die einzige Nahrung 
vieler Gebirgsstämme aus. Die von den Eingeborenen schon seit langem entdeckte 
ernährende und heilbringende Kraft des Kefirs bei Blutarmuth und Schwindsucht 
war die Ursache, dass die Kunde vom Kefir über die Grenzen des Verbrauches im 
Volke hinausging. Trotz sorgfältiger Verheimlichung durch die Bergbewohner der 
Methode zur Bereitung des Kefirs und insbesondere der Körner selbst ist der Ruf 
über dieses Getränk aus den Dörfern in die Städte des Kaukasus gedrungen, darauf 
an das südliche Krimufer und in viele Städte Russlands. Wie die ersten Partieen 
der Kefirkörner von den Bergbewohnern in die Hände der europäischen Bevölkerum: 
des Kaukasus gerathen sind, ist unbekannt. Es lässt sich nur die Vermuthung aus¬ 
sprechen, dass List und Betrug bei der Sache nicht gefehlt haben dürften, indem 
unter den Bergbewohnern der Glaube herrscht, dass die geheimnissvolle Kraft der 
Körner verschwinden wird, wenn man auch nur ein Korn freiwillig an einen Giaur 
abgiebt. Jetzt befindet es sich in den Händen des Giaur, der begriffen hat, was für 
ein kostbarer Schatz von ihm erworben ist, und der ihn schnell unter seinen Mit¬ 
brüdern verbreitet. 

Die erste Nachricht über den Kefir stammt aus dem Jahre 1866, als Dschogin 
der kaukasischen medicinischen Gesellschaft Kefirkörner cinsandte mit der Mittheilung, 
dass die Bergbewohner mit Hülfe dieser Körner ein besonders nahrhaftes und heil¬ 
sames Getränk aus Milch hcrstellen. Ein Jahr darauf theilte Ssipowitsch der¬ 
selben Gesellschaft mit, dass bei einigen Gebirgsstämmen des nördlichen Kaukasus 
ein besonderes Getränk existiert — der Kefir, und gab die erste ausführliche Re- 
schreibung der Körner sowohl als der Eigenschaften des Getränks. 

Zehn Jahre lang geschah des Kefirs keine Erwähnung, und erst 1877 erscheint 
eine zweite, ziemlich eingehende Abhandlung über den Kefir, die von Schablowski. 
Der Autor beschreibt ausführlich den makroskopischen und den mikroskopischen l»au 
der Körner, bespricht die Methode der Bereitung des Getränks, macht einige An¬ 
gaben über die qualitative chemische Zusammensetzung der Körner selbst, sowie des 
fertigen Getränks. Die Wahrheit fordert die Bemerkung heraus, dass Schablowski 
als Erster, wenn auch unvollständig, doch im allgemeinen ziemlich richtig den 


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Der Kefir. 


575 


mikroskopischen Bau der Körner bestimmt hat. Kr erklärt direkt, dass einen noth- 
wendigen Bestandteil des Kefir eliptische Zellen und Bakterien ausmachen. 

Im Jahre 1881 erscheint die erste wissenschaftliche botanische Beschreibung 
der Hirsekörner des Propheten. Der Autor dieser Untersuchung, E. Kern, führte 
seine Arbeit im Laboratorium von Professor Goroschankin in Moskau aus und be¬ 
stimmte des Näheren die Morphologie des Kefirkorns. Kern fand im Kefirferment, 
das ist in den Kefirkörnern, nur zwei Mikroben: Hefezellen und besondere stäbchen¬ 
förmige Bakterien, die er Dispora caucasica benannte. Die Besonderheit dieser 
Bakterien besteht nach der Ansicht von Kern darin, dass die Kefirbakterien stets 
zwei Sporen bilden, während im allgemeinen die stäbchenförmigen Bakterien nach 
der Ansicht von Kern bloss je eine Spore in jeder Zelle enthalten. Wie wir sehen 
werden, haben sich Kern’s Untersuchungen nicht bestätigt. 

Die grosse Masse des Kornes wird von jener Bakterie gebildet, und zwar in 
dem Zustande der kolonialen Lebensform, die man in der Bakteriologie als Zoogloea 
bezeichnet. Stellenweise lagern in dieser Masse Gruppen von Hefezellen. Das 
Wachsthum der Körner in der Milch wird durch die Vermehrung ihrer beiden 
morphologischen Elemente bedingt. Die Bakterien vermehren sich durch Theilung 
und Sporenbildung, die Hefezellen durch Sprossung. Um die Bestandtheile des 
Kornes mikroskopisch zu studieren, züchtete Kern Partikelchen des Fermentes in 
verschiedenen Nährflüssigkeiten und bestimmte manche von seinen Lebensbedingungen. 
Es zeigte sich, dass das Kefirferment sich durch die Fähigkeit anszeichnet, in be¬ 
deutendem Grade ungünstigen Lebensbedingungen Widerstand zu leisten. Diese 
Fähigkeit ist in viel höherem Maasse den Bakterien als den Hefezellen eigenthüm- 
lich. Die Sporen der Bakterien bewahren die Fähigkeit zu keimen, selbst nach 
zweimonatlichem Verbleib der Körner in konzentrierter Pikrinsäure und in drei¬ 
prozentiger Chromsäure. 

Der Arbeit von Kern folgte nun in Russland und in letzter Zeit auch in West¬ 
europa eine enorme Litteratur über den Kefir, die das Studium der Biologie dieses 
Fermentes, sowie die Frage über die therapeutische Bedeutung'des mit Hülfe des 
letzteren erhältlichen Getränkes aus Milch zum Gegenstände hatte (Piassezki, 
Bogomoloff, Dmitriew, Organovitsch, Podwyssozki, Schtschastny, Gore- 
leitschenko, Ssorokin, Tschernowa-Popowa, Koslowski, Ssadowen, Gc- 
orgiewski, Struve, Krannhals, Stern, Daschewski, Mandowski, Bil, 
W yszinski, Zborowski, Nencki, Bourquelot, Stange, Lepine, Freuden¬ 
reich, Bogolubow, Alexejew, Koste-Dinitch, Saillet, Getsel, Ucke, 
Brainin, Olschanetski, Theodoroff, Hammarsten, Gebhardt, Lipski, 
Monti, Kvasnicki, Michelew, Weiss, Beyerinck, Essaulow, Gutowsky, 
Kozyn, Krakauer, Mrazck, Deroide, Salieres, Gallion und Carrion u. a.). 
Ohne an dieser Stelle den Inhalt der einzelnen Arbeiten zu berühren, da es nicht in 
die Aufgabe vorliegender Abhandlung hineingehört, will ich die hervorragendsten 
Untersuchungen über den Kefir vermerken, die mit am meisten die Anwendung des 
letzteren bei der Behandlung verschiedener Krankheiten förderten und das Wesen 
der Struktur, sowie der Besonderheiten des Kefirfermentes und des Chemismus der 
Kefirgährung klarlegtcn. 

Anlangend die therapeutische Bedeutung des Kefirs, so kann man nicht umhin, 
in erster Linie das Buch von Dmitriew zu erwähnen, das bis 1899 bereits 
sieben Auflagen erlebt hatte und neben meiner Schrift am meisten zur Verbreitung 
der Kenntnisse über den Kefir in Russland und in Westeuropa beitrug. Dmitriew 


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576 W. Podwyssozki 

gebührt das unstreitige Recht, als Erster genannt zu sein, der faktische Beweise zu 
Gunsten der wirklich nützlichen Wirkung des Kefirs hei Krankheiten der Lungen 
und des Magendarmkanals geliefert hat. Seine Ergebnisse mit dem Kefir bei der 
Behandlung von Lungenkranken in Jalta waren so glänzend, dass er die Aufmerk¬ 
samkeit der Aerzte auf die mächtige diätetische Bedeutung dieses Getränks hin¬ 
lenkte und auf Grund persönlicher Beobachtungen in seiner Thätigkeit als praktischer 
Arzt noch im Jahre 1882 die Reihe von Krankheiten bestimmte, bei welchen die 
Anwendung des Kefirs nützlich ist. 

Zur Verbreitung der Kenntnisse über den Kefir in Westeuropa hat neben der 
ins Deutsche übersetzten Schrift von Dmitriew und der meinigen besonders eine 
Abhandlung von Krannhals beigetragen, die im Jahre 1884 in einer der ver¬ 
breitetsten deutschen klinischen Zeitschriften erschienen ist. 

Dank der Abhandlung von Stange in der Ziemssen’schen Allgemeinen Therapie 
fand die Frage über den Kumys und den Kefir Aufnahme in den Handbüchern und 
wurde auf diese Weise Gemeingut aller Medicinstudierender. 

Durch die chemischen Untersuchungen von Ssadoven, Bil, Hammersten. 
Alexeef, Kozyn u. a. ist das Wesen der mit Bezug auf die Ernährung nützlichen 
Veränderungen, welche die Eiweissstoffe der Milch bei der Kefirbildung erleiden, 
aufgeklärt worden. 

Die Morphologie und der Bau des Kefirpilzes sind von Ssorokin, von mir. 
Hüppe, Stern, Stange, Beyerinck, Essaulow, Freudenreich u. a. studiert 
worden. Ssorokin machte noch im Jahre 1882 interessante Angaben über den Bau 
und die Entwickelungsgeschichte des Kefirferments. Nach vergleichender mikro¬ 
skopischer Untersuchung der Fermente des Stutenkumys und des Kefir fand der 
Autor, dass in allen Fällen bei der Milchgährung Hefezellen und Bakterien zugegen 
sind, nur in verschiedenen quantitativen Verhältnissen. Ausserdem findetjSsorokin, 
dass das Kefirferment, nach seinem mikroskopischen Bau, grosse Aehnlichkeit mit 
dem Laich besitzt, einer gailartigen Masse, die in Zuckerfabriken auf dem aus der 
Rübe ausgepressten zuckerhaltigen Safte sich bildet. Die Möglichkeit künstlich eine 
Bildung von Laich hervorzurufen, von Prof. Cienkowski bewiesen, bringt den 
Autor auf den Gedanken, dass man auch die Hirsekörner des Propheten, d. i- die 
Kefirkörner, wird erzeugen können. 

Stange entdeckte zuerst, im Jahre 1886, dass im Kefirkorne stetes noch 
ein dritter Bestandtheil sich befindet — eine kleine kurze Bakterie, die 
sogen. Milchsäurebakterie, der eine wichtige Rolle bei der Kefirgährung zukommt 

Einer besonders ausführlichen Untersuchung wurde die Morphologie des’Ketir- 
fermentes durch Essaulow in Russland und durch Freudenreich in Deutschland 
unterworfen. 


Zweites Kapitel. 

Die Methoden zur Bereitung des Kefirs und die Erkrankungen 

des Kcflrferments. 

Eine der Hauptursachen für die schnelle Verbreitung des Kefirs im Publikum 
und eine Hauptgewähr für seine ausgedehnte Anwendung ist die Billigkeit des Kefir* 
und die Leichtigkeit, mit der man ihn im Hause herzustellen vermag. Die Methoden 
der Kefirbereitung bei uns, in den Städten, sind ziemlich verschiedenartig un( ^ 
differieren bedeutend von der Urmethode, an welcher die Bergbewohner festhalton. 


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Der Kefir. 


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Wie aber alle diese Methoden sein mögen, bedarf man gegenwärtig, um das Getränk 
zu erzeugen, unbedingt der Kefirkörner oder eines mit Hilfe der letzteren aus Milch 
hergestcllten Kefirgährungsstoffes. 

Bevor ich auf die Beschreibung der Methoden eingehe, die zur Bereitung des 
Getränkes dienen, halte ich es für nothwendig die Aenderungen der Milch bei ihrer 
Umwandlung in Kefir und die allgemeinen Bedingungen anzugeben, denen ein Ein¬ 
fluss bei der Kefirproduktion zukommt. 

Die Schnelligkeit der Umwandlung von Milch in fertigen Kefir hängt ab: von 
der Häufigkeit des Umschüttelns der gährenden Mischung, von der Menge der Körner 
resp. Gährungsstoffes im Vergleich zur Menge der Milch, von der Temperatur, bei 
welcher die Herstellung sich vollzieht, sowie von der Grösse der einzelnen Körner 
und der Stärke des Gährungsstoffes. Je mehr Gährungsstoff resp. Körner man in 
Gebrauch genommen hat, je kleiner die Körner sind, je höher die Temperatur ist 
(freilich bis zu einer gewissen Grenze) und je häufiger das Gefäss mit der gähren¬ 
den Milch umgeschüttelt wird, desto schneller verwandelt sich letztere in das fertige 
Getränk. Schüttelt man jede halbe Stunde um und bewahrt bei einer Temperatur 
von 14—16° auf, so verwandelt sich bereits nach 2—4 Stunden die ganze Milch in 
eine säuerliche, Kohlensäure enthaltende, etwas schaumige, mild und angenehm 
schmeckende Flüssigkeit. Nimmt man auf die gleiche Menge Körner drei Glas 
Milch, lässt die Gährung bei 10—12° stattfinden, schüttelt alle 2—3 Stunden um, 
so vollzieht sich eine ähnliche Umwandlung der Milch im Laufe von 15—18 Stunden. 
Bei niedrigerer Temperatur (6— 8 °) und wenn man das Gefäss gar nicht umschüttelt, 
kommt die Umwandlung der Milch entweder gar nicht zu stände oder geht sehr 
langsam vor sich, zuweilen zwei Tage und mehr in Anspruch nehmend. 

Bei richtiger Herstellungsweise sind die successiven Aenderungen der Milch 
unter dem Einfluss des Kefirferments im allgemeinen die folgenden: die Milch be¬ 
kommt allmählich einen säuerlichen Geschmack, ohne zunächst in ihrer Konsistenz 
sich zu verändern; nur bei einem gewissen Grad von Acidität wird sie allmählich 
dickflüssiger, bedeckt sich mit Schaum und wandelt sich in eine Emulsion um mit 
sehr zarten, kleinsten Gerinnseln von ausgefallenem Kasein. Wenn man mehrere 
Stunden lang das Gefäss mit der Milch nicht umgeschüttelt hat, so theilt sich die 
gährende Mischung in zwei Schichten: die untere Schicht besteht aus klarem Serum, 
die obere aus einem lockeren weissen Kaseingerinnsel mit den in seinen oberfläch¬ 
lichen Partien eingeketteten Kefirkörnern; man braucht nur das Gefäss mehrmals 
umzuschütteln, und das ganze Gerinnsel verschwindet, die Körner fallen zu Boden, 
und es entsteht wieder eine dickflüssige, rahmähnliche Mischung. Bei weiterer 
Gährung wird dieselbe allmählich dünnflüssiger, mehr sauer und reicher an Kohlen¬ 
säure; offenbar ist ein bedeutender Theil des kleinsten Kaseingerinnsels in Lösung 
übergegangen. Wenn schliesslich die Gährung noch weiter fortdauert, so entsteht 
eine trübe wässerige Flüssigkeit, die bei längerem Stehen unverändert bleibt und 
sich nicht mehr in zwei Schichten theilt. Vollzieht sich die Gährung der Milch hei 
niedrigerer Temperatur (12—14°), so bekommt man ein weniger saueres Getränk, 
mit grösserem Gehalt an Kohlensäure und Alkohol; umgekehrt, bei höherer Tempe¬ 
ratur (16—18°) verwandelt sich die Milch in eine äusserst sauere Flüssigkeit, in 
der viel weniger Kohlensäure sowohl als Alkohol enthalten ist. Wir sehen also, 
dass bei verschiedener Dauer der Gährung sich aus Milch Kefir bildet von grösserer 
oder geringerer Acidität und Stärke. 

Nach dieser Erörterung der allgemeinen Veränderungen, welche die Milch in 


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W. Podwyssozki 

Gegenwart des Kefirfermentes erleidet, gehe icli nun zur Beschreibung der Methoden 
über, die zur Bereitung des Getränks bei den Bergbewohnern sowohl als insbesondere 
bei uns angewendet werden. Der Hauptunterschied in den beiderseitigen Methoden 
besteht darin, dass die Bergbewohner als Gefäss Schläuche von Leder benutzen, 
während bei uns Glaskaraffen oder -Flaschen üblich sind, die eine Zeit lang offen 
gehalten und erst nachträglich geschlossen werden. Die Bergbewohner verschliessen 
vornhinein die Schlauchöffnung; beim Abgiessen eines Antheiles der Flüssigkeit 
nehmen sie darauf Rücksicht, durch folgenden Handgriff, welcher einen Hahn ersetzt, 
die angesammelte Kohlensäure in ihrer Gesammtheit nicht zu verlieren: während 
die Ocffnung noch geschlossen ist, neigen sie gegen letztere hin den ganzen Schlauch, 
grenzen durch Zuziehen und Abbinden mit einer Schnur blos die Partie desselben 
ab, welche sic im gegebenen Fall zu entleeren Vorhaben, und machen erst dann die 
Oeffnung frei. Die hinter der zugezogenen Stelle verbliebene Partie des Schlauches 
enthält mit Kohlensäure gesättigten Kefir. Den Kefir der Bergbewohner kann man 
Schlauchkefir oder, nach dem Orte seiner Verbreitung, Dorfkefir nennen, während 
man unseren Kefir Flaschen- oder Stadtkefir heissen mag. 

Den Schlauchkefir bereiten die Bergbewohner in der Weise, dass sie frische 
Kuh- resp. Ziegenmilch in den Schlauch eingiessen, darauf die Fermentkörner hinein- 
thun, die Oeffnung des Schlauches zubinden und den letzteren am kühlen Ort auf¬ 
bewahren, sodass die Temperatur 16—18° nicht übersteigt. Ganz im Beginn des 
Frühjahrs oder im Spätherbst, wenn es draussen ziemlich kühl ist, pflegt man den 
Schlauch in die Sonne zu legen, irgendwo im Hofe dicht am Wohngebäude, und 
besteht bei den Bergbewohnern gewissermaassen als Sitte, dass die Passanten den 
Schlauch mit dem Fusse anstossen; besonders gern thun dies die Kinder, die mit 
dem Schlauche spielen, ihn auf den Boden rollen und dergleichen. Durch all das 
wird ein Umschütteln der gährenden Milch bewirkt. In den Wintermonaten bewahrt 
man den Schlauch im Wohnraume auf und wird er einfach aufgeschüttelt, im Sommer 
legt man ihn in den Schatten, an einem kühlen Ort, bedeckt ihn von oben noch 
mit Widdcrfellen und dergleichen und schüttelt ebenfalls auf. Schon nach Ablauf 
einiger Stunden, zuweilen eines Tages oder zweier Tage, betrachten die Bergbewohner 
ihr Getränk als fertig; vor dem Gebrauch selbst schütteln sie den Schlauch gut um 
und giessen erst darauf den Kefir in der oben angegebenen Art^zum Trinken in 
flache Schalen. In den Schlauch wird jedesmal frische Milch zugegossen. Der Kefir 
der Bergbewohner ist von äusserst sauerem Geschmack und unserem Kefir bei weitem 
nicht ähnlich. 

Das ist die ursprüngliche und, man kann sagen, die rudimentäre Methode der 
Kefirbereitung, eine Methode, die sehr unvollkommen erscheint und ein bei weitem 
nicht so angenehmes Getränk liefert, wie wir es bei der Bereitung in Glasgefässen 
zu bekommen gewohnt sind. Ein Schlauch von Leder lässt sich schwer gehörig 
sauber halten und, obwohl die Bergbewohner denselben bisweilen einer gewissen 
Reinigung unterwerfen, bekommt man dennoch, infolge von Sauerwerden, mitunter 
auch infolge von Fäulniss des in die Falten des Schlauches eingedrungenen Kaseins, 
übermässig sauere, unangenehm riechende Portionen des Getränks. Aus dem Grunde 
ziehen bereits viele von den einheimischen Bewohnern des nördlichen Kaukasus, der 
südlichen Partie der Provinz Kuban und des Gouvernement Stawropol den Schläuchen 
Thonkrüge mit engem Halse vor; andere, insbesondere die civilisierten Einwohner 
der kaukasischen Städte, sind dazu übergegangen, die vergohrene Milch in Flaschen 
zu verkorken und erst dann in Gebrauch zu nehmen. So wurde allmählich die 


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Der Kefir. 


57!) 


Methode der Bereitung des Flaschenkefirs ausgearbeitet und vervollkommnet. Jede 
Stadt besitzt gegenwärtig ihren Initiator, der die anderen mit der Ketirbereitung 
vertraut gemacht hat. 

Alle Modifikationen in der Bereitung des Flaschenkefirs sind auf folgendes 
zuriiekzuführen: 

A. Bereitung jeder Portion des Getränks mit Hilfe des festen 
Kefirferments, d. i. der Kefirkörner. 

I*. Bereitung mit Hilfe des flüssigen Kefirgährungsstoffes resp. 
des schon fertigen Getränks. 

C. Bereitung des Getränks mit Hilfe künstlich hergestcllter Kefir¬ 
plätzchen und -pulver. 


A. Bereitung des Flaschenkefirs mit Hilfe des natürlichen Kefir¬ 
ferments in festem Zustande. 

Hat man die Körner trocken genommen ’), so sind dieselben zuerst in lau¬ 
warmes Wasser einzulegen und darin 5 — 6 Stunden zu belassen, bis sie bedeutend 
aufgequollen sind, dann in ein Glas mit Milch einzutragen und die Milch etwa 
4 —5 mal zu wechseln, wobei die Körner in jeder Portion Milch 3 — 4 Stunden zu 
verbleiben haben. Allmählich beginnen die Körner in den frischen Portionen Milch 
an die Oberfläche der letzteren emporzusteigen, werden weiss, elastisch und sind 
nun als genügend vorbereitet zu betrachten. 

Auf je zwei Glas Milch ist ein voller Esslöffel der Art vorbereiteter Körner 
zu geben resp. auf eine beliebige Menge fertiger Pilze die nach Volumen dreifache 
Menge Milch (am besten abgekochte) aufzugiessen, die Herstellung in einem Gefäss 
von Glas oder einem innen emaillierten Gefäss bei einer Temperatur von 14—16° 
vorzunehmen, die Oeffnung der Karaftine oder des Gefässes mit einem Wattepropf 
oder mit vierfach znsammengelegter Watte zu verschliessen (um das Eindringen von 
Bakterien aus der Luft zu vermeiden), die Karaftine alle Stunde oder alle zwei 
Stunden umzuschütteln. Die Karaftine ist im Dunkeln aufzubewahren' oder von 
aussen mit schwarzem Papier zu bekleben. Nach Ablauf von 8—12 Stunden ist 
aus der Karaftine, die vorher umgeschüttelt wird, die ganze Milch in eine reine 
Flasche durch ein Stück reiner Gaze oder ein mit abgekochtem Wasser gewaschenes 
Sieb durchzuseihen und die Flasche mit einem neuen, nicht in Gebrauch gewesenen 
Kork gut zu verschliessen; nachdem man den Kork festgebunden hat, ist die Flasche 
bei derselben Temperatur, besser jedoch bei einer etwas niedrigeren, aufzubewahren 
und unbedingt alle 2—3 Stunden, die Nacht freilich ausgenommen, umzuschütteln 
— nicht stark, um Bildung von Butter zu vermeiden. Solcher Kefir, der einen Tag 
in der Flasche gestanden hat, eintägiger Kefir, wird noch wenig Kohlensäure 
und Alkohol enthalten; der zweitägige Kefir wird schon sehr gut sein, schaumig 


Gegenwärtig kann man beinahe in jeder Apotheke resp in jeder Kefiranstalt Kefirkörner 
bekommen. Früher, Anfang der 80 er Jahre, als eben die Nachrichten über den Kefir auftauchten, 
war das Ferment mit Mühe erhältlich. Ich erinnere mich einer Zeit, wo die Körner nahezu wie 
Gold aufgewogen wurden Für ein Glas gequollener Körner verlangten die Besitzer f>0, 75 und 
selbst 100 Rubel; trotz eines so hohen Preises gab es stets mehr Käufer als Verkäufer. In sehr 
kurzer Frist wandelte sieh die Lage der Parteien in ihr Gegcntheil um: es gab mehr Verkäufer 
als Käufer -- und die Preise sind daher gefallen. Der Schleier des Geheimnissvollen ist entfernt, 
dem Monopol ist die Konkurrenz gefolgt. 

Die Preisennässigung, die allerorts sieh eingestellt hat, ist dadurch bedingt, dass die Körner 
hei guter Pflege rasch wachsen. 


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W. Podwvssozki 

und stark, der Konsistenz nach dem Rahm ähnlich; der dreitägige wird noch 
stärker sein, aber schon dünnflüssiger u. s. w. Will man das fertige Getränk längere 
Zeit aufbewahren, so thut man am besten, wenn man ein- bis zweitägigen Kefir in 
den Eisschrank stellt und die Flasche täglich wenigstens je einmal umschüttelt ln 
der Weise kann man den Kefir eine ganze Woche lang aufbewahren. — Die auf 
dem Sieb nachgebliebenen Körner, vermengt mit kleinen Kaseingerinnseln, sind 
mehrmals mit Wasser abzuwaschen, bis keine Kase'inpartikelchen mehr zu sehen, in 
dieselbe mit Wasser ausgespülte Karaffine hineinzuwerfen und von neuem mit der¬ 
selben Menge Milch zu versetzen, worauf dann weiter, wie oben angegeben, ver¬ 
fahren wird. Alle 5 — 6 Tage ist die Karaffine völlig rein auszuwaschen. Wie er¬ 
sichtlich, wird bei dieser Methode der gesammte Gährungsstoff in das Getränk nm- 
gewandelt, wobei die in der Karaffine bei Gegenwart von Luft begonnene Gährung 
in der verkorkten Flasche nun schon ohne Luftzutritt weitergeht. 

Die beschriebene Methode ist sehr einfach, und kann man mit Hilfe derselben 
Kefir bereiten, wenn man auch eine sehr geringe Menge von Körnern besitzt. Ich 
halte es für nöthig an dieser Stelle zu bemerken, dass, wenn man auf die nämliche 
Quantität Körner zweimal soviel Milch nimmt, also vier Glas Milch, die letztere 
zweimal so lange auf den Körnern belassen darf, also 14 — 16 Stunden und selbst 
einen ganzen Tag. Umgekehrt, wenn man mehr Körner nimmt, muss die Milch auf 
denselben ^weniger lange belassen werden. So genügt z. B. bei zwei Esslöffeln 
Körner auf zwei Glas Milch das Stehenlassen im Laufe von fünf Stunden u. s. v. 
Geht die Herstellung bei 10—12°C vor sich, so ist das Belassen der Körner in der 
Milch (im Verhältniss von ein Esslöffel auf zwei Glas) mindestens 24 Stunden lang 
nothwendig. Kurz, durch ein verschiedenes Verhältniss zwischen Quantität der 
Körner und Quantität der Milch wird eine Anzahl Modifikationen derselben Methode 
bedingt; berücksichtigt man noch die Variationen in der Temperatur, die eine 
kolossale Rolle für die Schnelligkeit der Herstellung des Getränkes spielt, und die 
Grösse der einzelnen Körner, so wird es verständlich, dass jeder scheinbar ver¬ 
schieden zu Werke schreiten kann, dass aber, im Grunde genommen, alle nach der¬ 
selben Methode verfahren. Sind die Körner klein, so geht die Herstellung schneller 
vor sich. Alle diese Verhältnisse lassen sich durch folgendes Gesetz ausdrücken: 
Die Schnelligkeit bei der Herstellung des Kefir ist der Menge des Fer¬ 
mentes und der Höhe der Temperatur (bis zu einer gewissen Grenze 
und zwar nicht über 20 — 22" C) direkt proportional und der Grösse der 
einzelnen Körner umgekehrt proportional. 

Der Ucbergang von der Methode A zu der Methode B bildet die Modifikation, 
dass im Falle der grösseren Körnermenge im Vergleich zur Milchmenge die auf den 
Körnern belassene Milch, d. i. der Gährungsstoff, nicht für sich in die Flasche ab¬ 
gegossen wird, sondern zur Hälfte mit frischer Milch gemengt resp. in irgend einem 
anderen Verhältniss. Die auf den Körnern belassen gewesene Milch repräsentiert 
den Gährungsstoff, und es ist begreiflich, dass je stärker derselbe, je weniger davon 
in die Flasche abzufüllen’ist. Mitunter, bei sehr grosser Körnermenge, hoher Temi ,e " 
ratur sowie längerem Stehenbleiben der Milch über den Körnern, bekommt man 
einen so* starken Gährungsstoff, dass 4 — 5 Esslöffel davon in eine I r lasche frischer 
Milch gebracht ausreichen, um binnen zweier Tage einen sehr guten zweitägig eD 
F'laschenkefir zu erhalten. Gewöhnlich pflegt man aber den Gährungstoff mit der 
vier- oder sechsfachen Menge frischer Milch zu verdünnen, man setzt also auf ein 


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Der Kefir. 

nicht ganz volles Glas Gährungsstoff drei bis vier nicht ganz volle Glas Milch in 
die Flasche hinzu. 

Diese Methode, zuerst von Dmitriew vorgeschlagen, ist sehr bequem und er¬ 
hält man mit Hilfe derselben den besten Kefir. Der Vorzug der Methode besteht 
darin, dass bei der anfänglichen Gährung der Milch im offenen Gefäss ein bedeuten¬ 
der Theil des Milchzuckers durch die Bakterien gespalten wird und in Milchsäure 
übergeht, dass also, wenn man diese Portion Milch, wie sie da ist, ohne Zusatz von 
frischer, noch nicht gegohrener Milch, in der Flasche verkorkt, für die'Hefepilze 
wenig Zucker nachbleibt und die Alkoholvergährung des Zuckers, die von Kohlen- 
säureabscheidung begleitet ist, sehr geringfügig sich gestaltet, der Kefir daher sauer 
wird, jedoch wenig moussierend. Dass aber, wenn man den Gährungsstoff, d. i. die 
anfänglich in Gährung gerathene Milch, vor dem Verkorken der Flasche die viel¬ 
fache Menge frischer Milch hinzusetzt, die Hefepilze in dem Zucker der letzteren 
neuen Nährboden zugeführt erhalten, sich zu vermehren beginnen und ein Ferment 
abscheiden, das den Zucker unter Bildung von Kohlensäure spaltet. 

B. Bereitung des Flaschenkefirs mit Hilfe des flüssigen Kefir- 
gährungsstoffes resp. des schon fertigen Getränks. 

Bei dieser Methode ist der Umstand von grosser Wichtigkeit, dass jeder, der 
auch gar keine Körner besitzt, Kefir zu bereiten vermag. Die Methode erweist sich 
demnach als die billigste und die am leichtesten anwendbare. Ihr Wesen besteht 
in folgendem: 

Man bereite selbst mit Hilfe von Körnern eine Flasche zwei- oder dreitägigen 
Kefir oder — wenn keine Körner da sind — man schaffe sich eine Flasche des 
fertigen Getränkes an, trinke sie aus unter Zurücklassung etwa des vierten Theiles 
der Flüssigkeit in derselben, fülle mit frischer Milch auf, lasse die Flasche einige 
Stunden lang offen stehen, verkorke sie und bewahre sie bei einer Temperatur von 14 
bis 1G° atff, wobei wie bei der Methode A umgeschüttelt wird. Im Sommer muss 
man die Flasche im Keller aufbewahren. Binnen 2 — 3 Tagen wird ein sehr guter 
Kefir erhalten. Beim Verbrauch des auf diese Weise hergestellten Getränks lasse 
man wiederum in der Flasche die nämliche Quantität Flüssigkeit zurück, fülle wie 
vorher mit frischer Milch auf u. s. f. Dieselbe Flasche kann mehrere Monate lang 
benutzt werden — aus dem einfachen Grunde, weil alle Mikroorganismen des Kefir 
sich beständig vermehren. Muss man gleichzeitig mehrere Flaschen Kefir herstellen, 
so ist es am besten, eine Flasche des schon fertigen Getränks auf die betreffende 
Anzahl reiner leerer Flaschen zu vertheilen, dieselben mit frischer; Milch aufzufüllen 
und nun wie oben angegeben zu verfahren. — Begreiflicherweise kommt den Be¬ 
dingungen, welche die Schnelligkeit der Herstellung bei der Methode A beeinflussen, 
die gleiche Bedeutung auch bei dieser Methode zu. So z. B., wenn man in der 
Flasche die Hälfte des fertigen Getränks zurücklässt, dass bei unserer Methode die 
Ilolle des Gährungsstoffes spielt, die Flasche mit frischer Milch auffüllt, verkorkt 
und häufig umschüttelt, so wird schon binnen 20 — 24 Stunden ein ausgezeichneter 
Kefir erhalten. Im Gegentheil, wenn man in eine Flasche frischer Milch drei oder 
vier Esslöffel des fertigen Getränks hineinhringt, so liefert die Flasche einen guten 
Kefir nur nach Ablauf von mehreren Tagen. Wenn man zu einer Flasche frischer 
Milch drei Esslöffel fertigen Kefir hinzusetzt, die Flasche verkorkt und im Keller 
oder im Eisschrank bei einer Temperatur von 8—10« aufbewahrt, dabei wenigstens 
täglich einmal umschüttelt, so wird das Getränk nicht vor 7—8 Tagen fertig. Kurz, 
kombiniert man verschiedentlich die Menge des (Jührungsstoffes und die Temperatur 


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582 W. Podwyssozki 

einerseits, die Menge der frischen Milch andererseits, so ist in beliebiger Zeit guter 
Kefir erhältlich. Damit alle Aufgänge des Getränkes stets gelingen, ist mindesten? 
nach jedem fünften bis sechsten Turnus derselben Flasche letztere gut auszuwaschen 
und von den ihren Wänden anhaftenden Kase'inschichten zu reinigen, nachdem vor¬ 
her der in ihr für den nächsten Turnus belassene Gährungsstoff in ein Glas abge¬ 
gossen wurde. Darauf thue man den Gährungsstoff in die reine Flasche und fahre 
mit der Herstellung fort. 

C. Bereitung des Getränks mit Hilfe künstlich hergestellter Kefir¬ 
plätzchen und -pulver. 

In letzter Zeit haben in Deutschland, in der Schweiz und in Frankreich, wo die 
Anwendung des Kefir weite Verbreitung gefunden, mehrere Unternehmer, um das 
Herstellen des Getränkes im Hause dem einzelnen bequemer zu gestalten, besondere 
Kefirplätzchen und -pulver ersonnen, die beim Hineinbringen in eine Flasche Milch 
binnen 2—3 Tagen das fertige Getränk liefern sollen. Hierher gehören z. B. die 
Kefirplätzchen von Henberger (in Merlingen in der Schweiz), die Kefirpulver 
(Pulvo-Kefir) von Salmon in Paris, die Pulver von Lehmann in Berlin u. s. w. 
Alle diese Präparate bestehen aus fein zerkleinerten trockenen Kefirkörnern gemischt 
mit Milchzucker. Man pflegt auf eine Flasche Milch ein Plätzchen resp. ein 
Pulver zu nehmen. Ich kenne viele Fälle, wo Personen mit Hilfe dieser 
Präparate das Getränk sich selbst zubereiten und vollkommen von ihrem Kefir be¬ 
friedigt sind. Solch eine Anschauungsweise vermag ich aber nicht zu theilen, indem 
ein auf diese Art zubereiteter Kefir entweder wenig Kohlensäuregas enthält und daher 
garnicht schäumt oder mehr saueren Geschmack besitzt als der entsprechende au? 
Körnern hergestellte zweitägige Kefir. Anders kann es auch nicht sein. Die trockenen 
Körner liefern ja mit der ersten Portion Milch noch keinen richtigen Kefir; man 
hat sie aufzufrischen, aufzuweichen, durch mehrere Portionen Milch passieren zu 
lassen, und nur nach einer solch vorbereitenden Arbeit rufen sie in der Milch die 
charakteristische Gährung hervor, welche die Milch in das bekannte Getränk um¬ 
wandelt. Ist man eingedenk der noch von Kern festgestellten ausserordentlichen 
Resistenz der Bakterien, welche in der Zusammensetzung des Kefirkorns eingehen, 
und der Vergänglichkeit der Hefezelle, welche sich am Aufbau des Kornes betheiligen. 
so wird es begreiflich, dass das Auffrischen der trockenen Kefirkörner zuerst im 
lauwarmen Wasser und darauf in mehreren Portionen Milch hauptsächlich auf Be¬ 
lebung und Wachsthumsbeförderung der relativ vereinzelten Hefezellen hinzielt, die 
beim Austrocknen noch nicht zu Grunde gegangen und in der Tiefe des Korne? 
nachgeblieben sind. Wenn wir das Getränk herstellen, indem wir trockenes Ketir- 
pulver in je eine Flasche Milch hineinbringen, verfahren wir eigentlich so, als ob 
wir das Getränk aus jener ersten Portion Milch, in der wir zunächst die trockenen 
Körner aufweichen um sie zu beleben, bereiten wollten. Die Milch wird natürlich 
sauer, besonders in dem Falle, wenn man die Flasche mit der das Kefirpulver ent¬ 
haltenden Milch bei einer Temperatur von 20 — 24<> aufbewahrt, wie in der jedem 
Pulver beigegebenen Vorschrift empfohlen ist. Und obgleich es in derselben Vor¬ 
schrift heisst, dass »le Kefir doit etre mousseux et piquant«, pflegt das Getränk eben 
sehr wenig moussierend zu sein. In der Vorschrift wird nun schon empfohlen, der 
Milch einen Löffel gepulverten Zucker hinzuzusetzen, um den Kefir mehr moussierend 
zu machen. Offenbar überwiegt die Milchsäuregährung um ein bedeutendes die 
Alkoholgährung und wird der grössere Theil des Milchzuckers zur Bildung von 
Milchsäure aufgebraucht; die noch allzu lebensschwachen Hefezellen kommen nicht 


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Der Kefir. 


583 

dazu, den Zucker auszunutzen und denselben in Kohlensäure und Alkohol zu spalten, 
sodass eben ein Zusatz von Zucker der Sache förderlich erscheint. 

Bessere Resultate erhielt ich mit Hilfe von Kefirpulver, wenn ich die erste 
Portion des auf diesem Wege bereiteten Getränks als Gährungsstoff benutzte, wenn 
ich also die auf 2 / 3 geleerte Flasche mit frischer Milch auffüllte, verkochte und etwa 
zwei Tage lang am warmen Ort stehen liess. Jede neuaufgefüllte Flasche lieferte 
schon besseren Kefir. Mit anderen Worten, die Bereitung kommt auf die oben be¬ 
schriebene Herstellungsmethode mit Hilfe des fertigen Kefirgährungsstoffes hinaus. 
In diesem Falle aber geht die Bedeutung der Kefirpulver verloren und statt letztere 
anzuschaffen (eine Schachtel mit 10 Pulvern des Pulvo-Kefir von Salmon kostet 
3 Francs), ist es demnach weit mehr vorzuziehen, eine Flasche guten Kefirs 
zu kaufen, dieselbe auf die nöthige Anzahl Flaschen mit Milch zu ver¬ 
theilen und sich selbst das Getränk nach den oben gemachten Angaben 
herzustellen. 

Welches auch die Kunstgriffe sein mögen, um die Bereitung des Kefir zu er¬ 
leichtern, so ist es doch im allgemeinen nicht zu bestreiten, dass, nach den Aufgängen 
des Getränks, als die beste Methode die Grundmethode erscheint — Bereitung mit 
Hilfe von Körnern, wobei der Gährungsstoff mit frischer Milch verdünnt wird. Es 
verläuft hierbei, ohne alle Zusätze von Zucker zu der Milch, die Milchsäure- so¬ 
wohl als die Alkoholgährung ganz gleichmässig, und man bekommt ein ausgezeichnetes 
Getränk, von dem diejenigen keinen Begriff haben, die mit Hilfe von allerlei Pulvern 
zu Werke gehen. 

Gut bereiteter zweitägiger Kefir muss beim Oeffnen der Flasche eine kohlen¬ 
säurehaltige, moussierende, schäumende Flüssigkeit repräsentieren von Rahmkonsistenz, 
einem angenehmen, säuerlichen, schwach prickelnden Geschmack und einem Geruch 
nach frischer sauerer Sahne resp. Buttermilch; er muss ganz gleichartig sein, ohne 
deutlich mit der Zunge erkennbare Gerinnsel. Wird die Flasche längere Zeit nicht 
umgeschüttelt oder vollzieht sich die Fertigstellung in der Nähe eines Ofens bei 
einer Temperatur, die höher ist als 20—22»C, so bekommt man in dem Getränk 
Gerinnsel, die mit der Zunge erkennbar sind, was schon beim Kefir einen Fehler 
ausmacht. Dreitägiger Kefir ist nicht mehr so dickflüssig wie zweitägiger, etwas 
mehr sauer, enthält noch mehr Kohlensäure, und muss man daher beim Oeffnen der 
Flasche vorsichtig sein, um weder die Kleider noch die umgebenden Gegenstände zu 
beschmutzen 0- Viertägiger und fünftägiger Kefir ist noch mehr sauer, viel dünn¬ 
flüssiger als dreitägiger und erinnert etwas seinem Geschmacke nach an Stutenkumys. 

Ueberhaupt, nach der Stärke des Getränkes, abhängig von der Zeit seines 
Verbleibes in der P'lasche, theilt man den typischen Kefir, gleich dem Kumys, in 
schwachen (ein- bis zweitägigen), mittleren (zwei- bis dreitägigen) und starken 
(drei- oder viertägigen) ein. Da es aber bei den Schwankungen in der Quantität 
der Körner resp. des Gährungsstoffes sowie bei den Verschiedenheiten der Tempe¬ 
ratur Vorkommen kann, dass manch dreitägiger Kefir weniger Kohlensäure enthält 
und überhaupt schwächer ist als vorschriftsmässig zubereiteter eintägiger Kefir, so 
braucht man irgend ein konstantes und leicht zu merkendes Kriterium, um die 

>) Im allgemeinen hat man sich zum Oeffnen des Kefirs eines besonderen Korkziehers mit 
Hahn zu bedienen, noch besser eines besonderen ltührchens mit Hahn, durch welches ein spitzer 
und nach dem Durchbohren des Korkes ausziehbarer Troicart hindurchgeht. Dieses Instrument ist 
unter detu Namen Kumyshahn bekannt und wird in den Instrumentenläden verkauft 



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\V. Podwyssozki 

Stärke, Konzentration und Tauglichkeit des Kefirs unabhängig von den verschiedenen 
wechselnden Bedingungen bestimmen zu können. Als derartiges Kriterium dürfte 
das Aussehen des Schaumes in der Flasche nach dem Umschütteln der letzteren 
benutzt werden. Wenn nämlich nach dem Umschütteln der Flasche der sich bildende 
Schaum schnell wieder verschwindet, so ist das Getränk noch schwach und nicht 
fertig, wenn aber der Schaum aus grossen Blasen besteht, mehrere Minuten lang nicht 
vergeht, die Flaschen wände bedeckt und überzieht, so ist das ein ziemlich sicheres 
Zeichen, dass wir guten Kefir vor uns haben, ungefähr entsprechend dem zwei- oder 
dreitägigen der oben beschriebenen Bereitungsmethode A. Ich will auch noch darauf 
hinweisen, dass in der verkorkten und im Laufe von zwei oder drei Stunden nicht 
umgeschüttelten Flasche sich sehr scharf eine Trennung der ganzen Flüssigkeit in 
zwei Schichten — eine untere, das Kaseingerinnsel, und eine obere, die Serumschicht 
— bemerkbar macht, was ebenfalls, in Gemeinschaft mit der bereits erwähnten Er¬ 
scheinung, ein Zeichen abgiebt, dass der Kefir gut ist und vollkommen fertig. 

Ueber die Eigenschaften der Milch, die erforderlich und wünschenswert!! 
sind, damit guter und möglichst heilsamer Kefir sich herstellen lasse, erachte ich 
folgendes zu bemerken für nothwendig: 

1. Man braucht nicht frische Milch zu nehmen. Es ist im Gegentheil viel 
besser eine Milch zu benutzen, die mehrere Stunden lang an der Luft bei Zimmer¬ 
temperatur, noch besser bei einer Temperatur von 35 bis 40° C gestanden hat. 
Theoretisch gedacht wäre es hierbei noch besser, in die Milch vorher eine Prise 
Soda — bis zur schwach alkalischen Reaktion der Milch — hineinzuthun und 
letztere ordentlich umzuschütteln. Als Grundlage einer derartigen Erwägung dürften 
die Beobachtungen und Analysen von Dr. Schmidt zu gelten haben, welcher fand, 
dass beim Stehen roher Kuhmilch während 8—9 Stunden bei einer Temperatur von 
40° sowie beim Alkalisieren der Milch mit Soda bis zur Alkalinitätsstufe der Frauen¬ 
milch eine Aenderung in dem prozentualen Verhältniss der Eiweisskörper vor sich 
geht. Es wird nämlich die Menge des Albumin und insbesondere des Kasein ge¬ 
ringer, die Menge der Hemialbumose aber, der Zwischenstufe zwischen den gewöhn¬ 
lichen Eiweisskörpern und den Peptonen, grösser. In der nachfolgenden Tabelle ist 
das veränderte Verhältniss zwischen den Eiweisskörpern der frischen Milch, der an 
der Luft gestandenen und der alkalisierten in Prozenten ausgedrückt. 



Kasein 

Albumin 

Hemialbumose 

Rohe Kuhmilch. 

Rohe Kuhmilch, die 8 Stunden lang bei 

89,1 

7,7 

3,2 

einer Temperatur von 40° C gestanden 
Rohe Kuhmilch, alkalisiert und eben so 

84,0 

7,2 

8,0 

lange stehen gelassen. 

79,2 

7,1 

13,7 

Die Mengenzunahme der Hemialbumose auf Kosten 

des Kasein 

in der stehen 


gelassenen und in der alkalischen Milch verleiht der Kuhmilch eine bessere Assimilier¬ 
barkeit, und erhöht deren diätetische Bedeutung. 

Bei theoretischer Erwägung hätte man also zu denken, dass Kefir, der aus 
Milch bereitet wird, die mehrere Stunden bei einer Temperatur von 40° gestanden 
hat und schwach alkalisiert war, viel leichter assimilierbar sein würde und heilsamer 
für die Kranken. Dies dürfte sich jedoch in Praxis kaum bewahrheiten, indem beim 
Stehen der Milch an einem warmen Ort die Verunreinigung derselben durch Luft¬ 
bakterien . die nachträglich das Kefirferment in seiner Thätigkeit hemmen könnten. 


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Der Kefir. 


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schon zu vermeiden wäre. Der nützliche Effekt des Stehenlassens der Milch ist 
durch ein anderes Mittel zu erreichen unter Vermeidung der überflüssigen Ver¬ 
unreinigung derselben. 

2. Dieses Mittel ist das Bereiten des Kefir nicht aus roher, sondern aus 
gekochter Milch. Bekanntlich verursacht das Kochen der Kuhmilch solche Ver¬ 
änderungen in der letzteren, die mit Bezug auf einige Reagentien dieselbe der 
Frauenmilch ähnlich gestalten. Gekochte Milch wird spontan nicht so schnell sauer 
wie rohe Milch und gerinnt beim Versetzen mit Säuren in schleimigen, zarten 
Flocken, nicht in groben, festen Klumpen wie rohe Milch, sie gerinnt mit Lab¬ 
ferment viel schwerer im Vergleich zur rohen Milch, das Gerinnsel ist lockerer 
und geht schliesslich aus gekochter Milch viel leichter in Lösung über. Alle diese 
Thatsachen, die noch von Biedert, Salkowski, Schreiner u. a. konstatiert 
wurden, sind in ihrem Wesen unerklärt geblieben bis zu der Arbeit von Dr. Schmidt, 
welcher zeigte, dass das Kochen eine Zunahme der Hemialbumose in der Milch auf 
Kosten des Kasein und des Albumin der Milch hervorruft. In einer Milch, welche 
10 Minuten lang gekocht wird, verschwindet das gesammte Albumin, und nimmt dem¬ 
entsprechend die Menge der Hemialbumose zu. Folgendes ist die Analyse einer 
Milch, die von Schmidt ausgeführt worden ist. Das Mengenverhältniss der Eiweiss¬ 
körper ist. in Prozenten ausgedrückt. 



Kasein 

Albumin 

Hemialbumose 

Rohe Kuhmilch .... 

85,7 

7,3 

6,0 

10 Minuten lang gekochte 

76,6 

0,8 

22,6 

60 Minuten lang gekochte 

75,3 

— 

24,7 


Diese Zahlen erklären zur Genüge das Wesen der Veränderungen der Milch 
unter dem Einfluss des Kochens und die schon längst von den Klinikern verzeichnete 
Thatsache, dass gekochte Milch viel besser verdaulich ist als rohe. Es ist also 
voller Grund vorhanden den Kefir aus Milch herzustcllen, die vorher 10 bis 15 
Minuten lang gekocht wurde; denn erstens arbeitet das Kochen der peptonisierenden 
Thätigkeit des Kefirferments mit Bezug auf die Eiweisskörper der Milch vor, eine 
Thätigkeit, die, nach Analogie mit der Kumysgährung, auch beim Werden des Kefir 
stattfinden muss, und zweitens sterilisiert das Kochen die Milch, tötet alle aus der 
Luft hineingelangten Bakterien ab und gestattet dadurch nur die Gährung hervor¬ 
zurufen, die wir mittels der Mikroorganismen, welche im Kefirkorn enthalten sind, 
anzuregen wünschen. Offenbar muss demnach ein Kefir aus gekochter Milch 
in diätetischer Beziehung das beste, am leichtesten assimilierbare und 
nahrhafteste Getränk aus Kuhmilch repräsentieren. Schliesslich ist Kefir 
aus gekochter Milch viel schmackhafter und milder als Kefir aus roher Milch. 

3. Man kann den Kefir entweder aus Vollmilch bereiten oder aus abgerahmter 
Milch. Der erste heisst fetter Kefir, der zweite magerer Kefir. Der fette Kefir 
ist mehr dickflüssig; man hat ihn bei einer niedrigeren Temperatur zu bereiten 
(nicht über 14 °C) als den mageren, um die im fetten Kefir bei einer höheren Tempe¬ 
ratur leicht auftretende Buttersäuregährung zu vermeiden. In der Kinderpraxis und für 
Kranke, die an Magen- resp. Darmkatarrhen leiden, wäre der magere Kefir vorzuziehen. 

4 Für diätetische Zwecke ist es in manchen Fällen nützlich, bei der Herstellung 
des Kefir die Vollmilch mit Wasser zu verdünnen. Es genügt vor dem Verkorken 
der Flasche in dieselbe ein halbes Glas gekochten Wassers hineinzuthun. Eine 
solche Verdünnung nähert die Kuhmilch etwas der Frauenmilch, die weniger kon- 

Zoitschr. f. «liät. u. physik. Tlicrapin 11<1. V. 11 Mt. 7 ^() 


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586 W. Podwyasozki 

zentriert ist und bedeutend weniger Kasein enthält im Vergleich zu der Kuhmilch. 
Uebrigens bildet das Verdünnen eine Nothwendigkeit nur bei Anwendung des Kefir 
bei Kindern in den ersten Lebensjahren. 

Am Schlüsse dieses Kapitels erachte ich es für nöthig, noch einige Worte zu 
sagen über die Pflege der Kefirkörner, über die Erkrankungen des Kefirfermentes und 
über verschiedene Zusätze zum Getränk, um gewisse therapeutische Effekte zu erzielen. 

Wie wir bereits wissen, wachsen die Kefirkörner in der Milch, die ihnen ah 
Nährboden dient. Das Wachsthum erfolgt energisch im Frühjahr und im Sommer, 
sehr träge im Winter und im Herbst. Je öfter die Milch gewechselt und je mehr 
Milch genommen wird (freilich in gewissen Grenzen), um so besser wachsen die 
Körner. Wenn z. B. die Milch alle acht Stunden gewechselt wird und das Verhältnis.- 
der Körner zu der Milch einen Esslöffel auf zwei Glas ausmacht, so verdoppelt sich 
die Menge der Körner im Sommer binnen ein bis zwei Wochen. Um die Körner 
besser gedeihen zu lassen, dieselben vor Erkrankung zu schützen, sowie ein schnelles 
Fertigwerden des Getränkes zu begünstigen, ist es nie zu gestatten, dass das einzelne 
Korn über Walnussgrösse anwachse (in gequollenem Zustande natürlich). Wenn das 
Umschütteln der Karaffine mit dem Gährungsstoff nicht genügen sollte, um das Zer¬ 
fallen grösserer Körner in kleinere zu bewirken, so hat man dieselben von Zeit zu 
Zeit mit den Fingern zu zerreissen. Um das Wachsthum der Körner zu verstärken, 
erwies sich als sehr nützlich, von Zeit zu Zeit, alle vierzehn Tage zum Beispiel, 
dieselben in der Milch zu belassen, ohne letztere im Laufe von zwei bis drei Tagen 
zu wechseln. Nachdem die Körner in der sauer gewordenen Milch gelegen haben, 
werden sie elastischer, fester, und fangen an, in der nun öfter gewechselten Milch 
sehr energisch zu wachsen. 

Um die im Gebrauch gewesenen Kefirköraer zu trocknen, hat man die¬ 
selben, nach dem Entfernen aus der Milch, sorgfältig mit Wasser abzuspülen, bis 
das Spülwasser völlig rein abläuft, darauf das Wasser abzugiessen, die Körner auf 
ein reines Tuch oder auf Fliesspapier auszubreiten und am besten zum Trocknen 
in die Sonne zu stellen. Beim Austrocknen erhalten die Körner einen Pilz¬ 
geruch, gewinnen eine hellgelbe Farbe, werden hart und besitzen in völlig 
trockenem Zustande schon garnichts mehr von ihrem früheren Geruch. In solcher 
Form lassen sie sich sehr lange auf bewahren, selbst mehrere Jahre, ohne dass sie 
ihre charakteristischen Eigenschaften einbüssen. Allerdings geht die Mehrzahl der 
Hefezellen, die an der Oberfläche der Körner sich befanden, beim Austrocknen 
zu Grunde. Die getrockneten Körner sind unbedingt an einem trockenen Ort auf¬ 
zubewahren. Das Austrocknen in der Sonne empfehle ich zu dem Zweck, dass nach 
Möglichkeit der Entwickelung von Schimmel (Penicilium glaucum und Oidium lactis) 
vorgebeugt werde, die während des Trocknens der Körner Platz greift. Der Schimmel 
ist leicht an der Oberfläche der trockenen Körner in Gestalt von weissen Flecken 
zu bemerken. Wenn das Austrocknen der Körner langsam vor sich geht, oder wenn 
man die Körner an einem feuchten, dunklen Ort trocknen lässt, so entwickelt sich 
an ihrer Oberfläche eine Menge Schimmel, und die Körner verbreiten einen widrigen 
Geruch nach Schimmel. Im Gegentheil ist bei schnellem Austrocknen in der Sonne 
die Entwickelung von Schimmel eine minimale. 

Bei all ihrer Resistenz gegen jegliche äussere Einflüsse sind dennoch die Kefir¬ 
körner, wenn sie im Gebrauch, also in der Milch sich befinden, mitunter Erkrankungen 
ausgesetzt. Eine schon vielfach beobachtete und zweifellos konstatierte Erkrankung 
des Kefirfermentes ist die Verschleimung der Körner. So kommt es vor, dass in 


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Der Kefir. 


587 


der Masse der gesunden, elastischen Körner einzelne der letzteren sich mit Schleim 
bedecken, vollständig weich werden, sich unschwer mit den Fingern zerdrücken lassen. 
Diese Erscheinung beobachtet man besonders häufig in den Fällen, wo die Kefir¬ 
bereitung unsauber, nachlässig durchgeführt wird, in die Karaffine mit dem Fermente 
aus der Luft Bakterien hineingelangen, die eine Verschleimung der Milch hervorrufen, 
wie es gegenwärtig für viele Arten beschrieben ist (Schmidt-Mühlheim, Löffler, 
Adametz, Guilleblau u. a.) Die Untersuchung ergiebt, dass jedes Theilstück eines 
solchen Kornes aus einer Blase besteht, die mit zähem Schleim oder wässeriger 
Flüssigkeit gefüllt ist. Es ist mir bei Bergbewohnern der Provinz Terek, die den Kefir¬ 
handel betreiben, vorgekommen, enorme, handgrosse Körner zu sehen, die durchwegs 
degeneriert erschienen, sich ganz weich anfühlten, mit Blasen, eine schleimige, zähe 
Masse enthaltend, durchsetzt waren. Infolge der Nachfrage von Seiten der Gross¬ 
händler des Ortes, zumeist Apothekern, welche die erste Handelsstation für die 
Weiterbeförderung der Kefirkörner bilden, bemühen sich die Bergbewohner aus allen 
Kräften um eine möglichst schnelle Züchtung der Körner, und betrachten die stark 
ausgewachsenen Exemplare als die besten. Derselben Ansicht sind auch die Gross¬ 
händler: in dem Dorfe Naltschik im Kaukasus, wohin an jedem Markttage die Berg¬ 
bewohner aus ihren Gehöften Körner mitbringen, fand ich bei den Grosshändlern 
Dutzende von Pfunden trockener Körner, welche als durchweg erkrankt sich erwiesen. 
Die kleinen Körner waren noch erhalten, die grossen jedoch, die den Ruhm der Berg¬ 
bewohner bildeten, gänzlich untauglich. 

Die Schleimkrankheit ist zweifellos ansteckend, denn es braucht in der Karaffine 
mit dem Fermente ein derartiges krankes Korn vorhanden zu sein, damit nach 
einigen Tagen schon eine sehr grosse Anzahl kranker Körner sich erweise. Dmi- 
triew hat diese Erkrankung bei der in der heissen Jahreszeit erfolgenden Her¬ 
stellung des Getränks beobachtet, auch beim Gebrauch von getrockneten Körnern, 
die an einem zu warmen Ort aufbewahrt waren. Bei der mikroskopischen Unter¬ 
suchung eines derart gänzlich verschleimten Kornes fand ich fast gar keine Hefezellen; 
die ganze Masse repräsentierte einen faserigen Schleim, besät mit langen Faden- 
baktcrien, und dazwischen noch vielfach Kugelbakterien, die im normalen Kefirkorn 
nicht Vorkommen. Wenn das Korn bereits in toto in eine derartige schleimige, 
wässerige Masse umgewandelt ist, so erscheint es als das Beste, was man empfehlen 
kann, das Korn fortzuwerfen. Viel vortheilhafter ist es, diese total schleimige Meta¬ 
morphose nicht aufkommen zu lassen; zu dem Zwecke hat man beim Abspülen der 
Körner diejenigen herauszusuchen, die etwa allzu weich sind, in denen eineVerschleimung 
von einzelnen Theilstücken bemerkbar ist, kurz, solche, in welchen Symptome der 
Krankheit bereits in Erscheinung getreten sind. Nachdem man derartige Körner ab¬ 
geschieden hat, muss man sie in Wasser, dem etwas Soda zugesetzt ist, abwaschen, 
darauf etwa zwei Stunden lang in einer vier- bis fünfprozentigen Lösung von Cremor 
tartari, repektive Citronensäure, oder noch besser in einer zweiprozentigen Salicyl- 
säurelösung liegen lassen, dann wieder in Wasser abwaschen und zum Trocknen in 
die Sonne stellen. Das Auströcknen heilt die Körner vollständig. Wenn in der 
Gesammtmasse der Körner viele erkrankte Exemplare vorhanden sind, bekommt man 
einen unangenehm schmeckenden Kefir, mitunter aber tritt die Kefirgährung gar nicht 
auf. Das beste Schutzmittel gegen die Erkrankung des Kefirfermentes ist Reinlich¬ 
keit bei der Herstellung des Gährungsstotfes. Mindestens alle drei bis vier Tage 
ist die Karaffine, in welcher die Herstellung vorgenommen wird, ganz rein aus¬ 
zuwaschen, auch darf man niemals die einzelnen Körner zu stark anwachsen lassen. 


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588 YV. Podwyaso/.ki 

Die Pflege der Kefirkörner hat sich durch möglichst absolute Reinlichkeit aus- 
zuzeichnen. 

Eine andere Erkrankung der Kefirpilze und der Kefirgährung besteht in dem 
Sauerwerden der Pilze und dem Hinzukommen der Buttersiiuregährung zu der 
eigentlichen Milchsäuregähruug. Derart erkrankte Pilze verbreiten einen durch¬ 
dringenden Geruch, zum Theil nach ranziger Butter und bedecken sich, wenn 
sie in Milch hineingebracht sind, bereits nach einer Viertel- bis halben Stunde 
mit grossen Kase'ingerinnseln. Die Milch gerinnt viel zu schnell, und das Kasein 
fällt nicht in Gestalt kleinster Gerinnsel aus, sondern in Form relativ grober 
Klumpen. Letztere können bei der weiteren Gährung in verkorkten Flaschen sich 
wieder auf lösen und zerfallen, aber das Getränk gewinnt einen viel zu sauren Ge¬ 
schmack und den durchdringenden Geruch nach verdorbener Butter, dabei entwickelt 
sich fast gar kein Kohlensäuregas, und die in ein Glas gegossene Flüssigkeit bildet 
keinen Schaum. Schon der Geruch eines solchen Kefirs zeigt an, dass wir es mit 
einer hinzugetretenen Buttersäuregährung zu thun haben, und die mikroskopische 
Untersuchung eines Tropfens der Flüssigkeit lehrt, dass die Hefezellen gänzlich 
fehlen und dass zahlreiche grosse Bakterien, mit Anschwellungen an den Enden, die 
in einem gesunden Kefir nicht Vorkommen dürfen, anwesend sind. Viele von diesen 
Bakterien repräsentieren zweifellos Buttersäurebakterien. 

Die in Rede stehende Erkrankung ist am häufigsten die Folge von zwei 
Momenten: Erstens der Anwendung von allzu fetter Vollmilch, insbesondere, falls 
dieselbe nicht aufgekocht war und vorher längere Zeit offen an der Luft gestanden 
hatte, zudem in nicht genügend gut ausgekochten Töpfen; zweitens der Aufbewahrung 
des Kefirs in verkorkten Flaschen an einem viel zu warmen Orte, also bei einer 
Temperatur über 20 °. Alle Bakterien, welche Buttersäuregährung hervorrufen (und 
solcher Bakterien giebt es mehrere Arten), wachsen besonders üppig bei höheren 
Temperaturen, als die, welche zum Gedeihen der Mikroorganismen des Kefirfermentes 
notliwendig ist, und ausserdem wachsen diese Bakterien mit Vorliebe ohne Sauerstoff¬ 
zutritt. Wenn daher bei ungenügend reinllicher Zubereitung des Kefirs die Milch 
mit Buttersäurebakterien infiziert wird: aus der Luft oder von dem unsauberen 
Milchgeräth (nichtausgekochte Töpfe und Kübel, in welchen die Milch vorher auf¬ 
bewahrt stand) oder von den unsauberen Schürzen der mit der Kefirbereitung be¬ 
schäftigten Personen, so beginnen diese Bakterien in hermetisch verschlossenen 
Flaschen, die an einem viel zu warmen Orte gehalten werden, energisch sich zu 
vermehren und liefern das oben beschriebene verdorbene, untaugliche Getränk. 

Leider kommt diese Erkrankung des Kefirs ziemlich häufig vor, und benutzen 
Viele, welche die Eigenschaften des guten Kefirs nicht kennen, ein derart sauer ge¬ 
wordenes, unangenehmes Getränk, was vielfach das Auftreten von Magenkatarrh zur 
Folge hat. Indessen repräsentiert gesunder, gut zubereiteter Kefir ein sehr schmack¬ 
haftes, erfrischendes Getränk, das von Jedermann ausgezeichnet vertragen wird, ohne 
Verdauungsstörungen hervorzurufen. 

Um die therapeutische Rolle des Kefirs in manchen Fällen von Anämie, wo 
die Kranken reine Eisenpräparate nicht vertragen, zu vergrössern, hatte ich noch im 
Jahre 1883 vorgeschlagen, in die Flasche mit Kefir vor dem Verkorken eine gewisse 
Menge Ferrum lacticum hinzuzufügen. Andere Eisenpräparate braucht man nicht 
hinzuzufügen, indem sie alle, selbst reines Eisen (Ferrum hydrogenio reductum), in 
den kleinen Dosen unter Einwirkung der freien Milchsäure des Kefirs, in ein und 
dasselbe Präparat umgewandclt werden — in milchsaures Eisen. Damit der Kefir 


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Der Kefir. 580 

den unangenehmen Eisengeschmack nicht gewinne und das gesammte Eisen ins Blut 
übergehe, muss man in die Flasche sehr kleine Dosen hineinbringen: 0,06—0,12, am 
besten in Pulverform mit 0,6 Milchzucker. Manche anämische Kranke, die auf meinen 
Rath hin zwei bis drei Flaschen eines solchen eisenhaltigen Kefirs, zumal noch 
aus gekochter Milch, täglich gebrauchten, besserten sich zusehends schon im Laufe 
von zwei Wochen. Man darf üherhaupt mit voller Sicherheit Voraussagen, dass in 
dem eisenhaltigen Kefir aus gekochter Milch die Therapie ein äusserst billiges und 
wirksames Eisenpräparat erhält, um die verzweifeltesten Anämiker zu stärken und 
dieselben in ihrer Ernährung zu heben. 

Abgesehen vom Eisen hat man es versucht, dem Kefir Pepsin zuzusetzen, um 
die Peptonisierung der Eiweisskörper des Kefirs zu erleichtern, was mitunter noth- 
wendig sein kann bei Personen, die an Dyspepsie leiden. Schliesslich empfiehlt man 
(Langer), dem Kefir verschiedene arzneiliche Stoffe zuzusetzen, wie z.B. Arsen, 
Kreosotal, Guajacol u. a. Auf diese Weise erhält man Pepsin-, Arsen-, Guajacol- 
kefir u. s.w. 


Drittes Kapitel. 

Chemismus der Keflrgahrnng. 

Die physikalisch-chemischen Veränderungen, welche durch das Kefirferment in 
der Kuhmilch erzeugt werden, sind im Grunde genommen mehr oder minder den¬ 
jenigen ähnlich, die in der Stutenmilch unter dem Einfluss des sogenannten Kumys¬ 
ferments sich vollziehen. Da und dort gehen unter dem Einfluss von Mikroorganismen, 
Hefezellen und Bakterien, zwei Prozesse vor sich: erstens, eine Spaltung des Milch¬ 
zuckers resp. der Laktose unter Bildung von Kohlensäure, Aetylalkohol und Milch¬ 
säure, und zweitens, eine besondere Umwandlung der Ei weisskörper der Milch, 
welche in dem Ausfallen des Kasein, Peptonisierung und Auflösung eines gewissen 
Antheiles der Ei weisskörper besteht. 

Der Milchzucker (Laktose), der mit dem gewöhnlichen Rohrzucker (Sacharose), 
dem Zucker, welcher als Nahrungsmittel gebraucht wird, identisch ist, vermag an 
sich keine Alkoholgährung zu geben, nimmt aber unter dem Einfluss des von den 
Hefezellen ausgeschiedenen Ferments Wasser auf und geht als Anhydrid der Glykose 
in letztere über, d. h. in Traubenzucker, welcher nun für sich schon leicht der Zer¬ 
legung anheimfällt. Der Prozess vollzieht sich nach folgender Formel: CuH 22 O n 
(Laktose) + H» 0 (Wasser) = 2 C 8 Hu 0 6 (Glykose). 

Ein Theil der Glykose zerfällt unter dem Einfluss der von den Hefezellen aus¬ 
geschiedenen Fermente in Alkohol und Kohlensäure: ('«HuO ö = 2C 2 H 6 0 (Alkohol) 
4- 2 C0 2 (Kohlensäure). 

Damit aus dem anderen Theile der Glykose sich Milchsäure bilde, ist schon die 
Einwirkung, von Bakterien nothwendig. Hierbei spaltet sich die Glykose in eine 
doppelte Anzahl Moleküle Milchsäure: C«Hu0 6 = 2C 3 H 6 O s . 

Abgesehen davon, spaltet sich am häufigsten der Milchzucker unter dem Ein¬ 
fluss von Bakterien unmittelbar, ohne vorangehende Umwandlung in Traubenzucker, 
jedoch immerhin unter Aufnahme eines Molekül Wasser, in die entsprechende Anzahl 
von Milchsäuretheilchen. In solchem Falle geschieht eine Spaltung des Milch¬ 
zuckers in die vierfache Anzahl von Milchsäuretheilchen nach der Formel: CuH 22 On 
+ H 2 0 = 4C S H 6 0 3 . 

Die Milchsäuregährung des Zuckers geht stets der Alkoholgährung voraus, und 
fällt der Milchzucker im allgemeinen leichter der Milchsäuregährung als der Alkohol- 


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gährung anheim, besonders unter dem Einfluss einer höheren Temperatur und des 
freien Sauerstoffzutritts. Diese Thatsache hat man bei der Kefirbereitung stets im 
Auge zu behalten, denn sehr häufig ergiebt die Kefirgährung, wenn bei 
viel zu hoher Temperatur sich abspielend, ein äusserst saueres resp. 
fast gar nicht moussierendes Getränk. 1 ) 

Bei der krankhaften Kefirgährung, wenn die Milch oder die Pilze mit Butter¬ 
säurebakterien oder anderen Bakterien verunreinigt sind, kann im Kefir Butter¬ 
säure und Essigsäure sich einfinden, des Ferneren aber auch verschiedene Produkte 
fauliger Zersetzung der Eiweisskörper. Ein solches Getränk ist zum Gebrauch un¬ 
tauglich. Das ist schon kein Kefir mehr. 

In welchem Maasse überhaupt der Milchzucker langsamer in Alkoholgährung 
als in Milchsäuregährung übergeht, das sieht man besonders anschaulich, wenn 
man die Kumysgährung verfolgt. So fand Karrik, dass auf Zusatz von Hefe zu 
Stutenmilch die Alkoholgährung erst nach fünf Stunden in Erscheinung tritt, dass 
aber auf Zusatz gemischten Kefirgährungsstoffes bei derselben Temperatur sich fast 
sofort eine gewisse Menge Milchsäure bildet. Wenn solch zögerndes Eintreten der 
Alkoholgährung bei der Kumysbereitung unter dem Einfluss des Kumysferments, 
stattfindet, so gilt dasselbe nicht mit Bezug auf die Alkoholgährung des Milchzuckers 
unter dem Einfluss des Kefirferments. Hier beginnt die Alkoholgährung schon 
binnen 15—20 Minuten nach Einlegen gequollener Kefirkörner in die Kuhmilch, wie 
aus der begleitenden Kohlensäurebildung zu entnehmen ist. Die Körner steigen 
nämlich an die Oberfläche der Milch, und prasselnd werden Kohlensäurebläschen aus¬ 
geschieden. Demnach verzögert sich hier die Alkoholgährung relativ sehr wenig 
gegenüber der Milchsäuregährung. Versetzt man aber die Milch mit trockenen oder 
ungenügend gequollenen Körnern, so erhält man das Gegentheil: die Alkoholgährung 
tritt mitunter gar nicht ein, während die Milchsäuregährung in voller Kraft sich 
entwickelt und einfaches Sauerwerden der Milch zur Folge hat Beim Steigen der 
Aussentemperatur bis 25—30° C findet zudem eine verstärkte Milchsäuregährung 
statt, so dass nur ein sehr unbedeutender Theil des Zuckers in Kohlensäure und 
Alkohol sich spaltet. 

Je niedriger die Temperatur (freilich bis zu einer gewissen Grenze), um so gleich- 
miissiger gehen die Alkohol- und die Milchsäuregährung neben einander einher, um 
so mehr wird der Kefir Alkohol und Kohlensäure enthalten, der Geschmack des 
Getränks angenehmer, weicher und die Kaseingerinnsel kleiner sein. Im Gegentheil. 
wenn die Milchgährung bei relativ hohen Temperaturen (20—30 0 C) sich vollzieht, 
so bekommt man einen äusserst saueren, scharfen, weniger angenehmen Kefir mit 
groben Kaseingerinseln, der zuweilen Magenschmerzen hervorruft. Ein solches Getränk 
muss bedeutende Mengen Buttersäure enthalten, indem schon seit den klassischen 
I’asteur’schen Untersuchungen bekannt ist, dass bei einer Temperatur von über 
22" 0 in der Milch in Gegenwart von Bakterien sehr leicht Buttersäuregährung ent- 

') Neben dem Entstehen von Milchsäure, Alkohol und Kohlensäure geht in der Milch ans 
dem Zucker unter dem Einfluss der Lebeusthüiigkeit und der Vermehrung der Hefe noch eine 
Bildung geringster Mengen solcher Nebenprodukte einher, wie B£mstcinsäure, Glycerin etc., denen 
keine spezielle Bedeutung bei der Kefirbereitung zukommt. Etwas grössere Mengen dieser Stoffe 
ergeben sich in dem Falle, wenn die Menge der Kefirkömer viel zu gross war im Verhältnis 111 
der Milch und wenn die Gährung bei höherer Temperatur (38—40®C) sich vollzog. Wahrscheinlich 
geschieht hierbei dasselbe, was bei der Alkoholgährung stattfindet, wenn man letztere bei hoher 
Temperatur vor sich gehen lässt: die Gährung wird nämlich von dem Entstehen einer grossen 
Menge Glveerin und Bernsteinsäure begleitet. 


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Der Kefir. 

steht mit Umwandlung eines Theiles der Milchsäure in Buttersäure. 1 ) Die beste 
Temperatur für die Herstellung eines guten Kefir ist demnach 15—17«C. Die Berg¬ 
bewohner des Kaukasus suchen ihre Schläuche und Gefässe mit der gährenden Milch 
bei möglichst niedriger Temperatur zu erhalten, was ihnen im Sommer freilich 
nicht zu gelingen pflegt 

Einen besonders wichtigen Einfluss auf das Entstehen und den Gehalt von 
Alkohol und Milchsäure im Kefir übt auch das Umschütteln des Gefässes mit der 
gährenden Milch aus. Die Steppenbewohner, welche sich den Kumys bereiten, 
sehen in dem Umschütteln eine der Hauptbedingungen für die Gährung der Stuten¬ 
milch; noch im Jahre 1784 wurde der Werth dieser Bedingung voll und ganz ge¬ 
würdigt von dem Schotten Greave, dem die Ehre gebührt, die wichtige diätetische 
und therapeutische Bedeutung des Kumys entdeckt zu haben. Beim Herstellen des 
Kefir ist das Umschütteln aber noch mehr nothwendig als beim Herstellen des 
Kumys und zwar aus dem Grunde, weil als Hefe für die Kefirgährung zumeist keine 
Flüssigkeit, die sich gleichmässig mit der Milch vermengen könnte, sondern ein 
fester Körper dient — die Körner, welche mit sehr geringen Antheilen der Milch 
in Berührung kommen. Beim Herstellen des Kefir durch Zusatz flüssigen Gährungs- 
stoffes zu der Milch (Methode B) ist das Umschütteln ebenfalls nöthig, jedoch schon 
zu anderen Zwecken. Durch das Umschütteln erreicht man zunächst eine gleich- 
massige Berührung der verschiedenen Milchantheile mit dem Ferment und eines 
möglichst grossen Theiles der Milch mit der Luft, somit einen gleichmässigen Ablauf 
der Alkohol- und der Milchsäuregährung, welcher verhindert, dass in einzelnen 
Schichten der Milch grössere Mengen von Milchsäure sich ansammeln mit all den un¬ 
erwünschten Folgen eines solchen Ansammelns, namentlich dem schnellen Gerinnen des 
Kasein in grossen Klumpen. Späterhin, nachdem das Kasein dank der saueren Reaktion 
der Milch bereits geronnen ist, erscheint das Umschütteln nicht minder wichtig, in¬ 
dem es ein Zusammenballen des Kasein in feste, grosse Gerinnsel verhindert und 
dagegen die gesammte Flüssigkeit in eine äusserst feine Emulsion verwandelt. Das 
Umschütteln ist demnach theilweise ein Hinderniss für die übermässige Bildung von 
Milchsäure und dabei der Alkoholgährung nicht nur keineswegs schädlich, sondern 
geradezu förderlich; zudem wird das geronnene Kasein in einem sehr zerkleinerten, 
für die Assimilation passenden Zustand übergeführt. 

Um mit dem Studium der Alkoholgährung bei der Kefirbereitung abzuschliessen, 
erübrigt noch zu untersuchen, welchen Einfluss in dieser Beziehung der Zutritt der 
Luft zu der Milch ausüben mag. 

Die moderne Anschauungsweise, die hauptsächlich auf den Arbeiten von 
liasmus und von Hansen über die Alkoholgährung basiert ist, unterscheidet 
sich etwas von derjenigen, die noch von Pasteur begründet wurde. Pasteur 
meinte, dass Gährung Leben ohne Luftzutritt wäre, heutzutage ist jedoch festgestellt, 
dass die Alkoholgährung normal und ergiebigst. vor sich zu gehen vermag, wenn die 
Hefezellen vorher mit einer genügenden Quantität Sauerstoff sich versehen und unter 

i) Den eigentlichen Prozess (1er Buttersäuregährung pflegt man chemisch so auszudr&ckcn: 
2 C 3 H 0 O 3 = c 4 h*o 2 -f 2 CO* + 4 H. Abgesehen hiervon kann auch ein anderer Fall von Butter- 

Milchsäure Buttersäure 

säurebildung durch Gährwirkung cintreten und zwar schon selbstständig aus Milchzucker, wobei 
nebenher Milchsäure, Kohlensäure und Wasserstoff entsteht nach folgender chemischer Gleichung: 
C 12 H. ä 0h + H 2 O — 2 Cji Hfl0 ; * -f C 4 H*0 2 2 CO -1- 4H. Es ist sehr wahrscheinlich, dass, wenn 

Milchzucker Milchsäure Huttersäuro 

man Kefir bei höherer Temperatur herstellt, ein gewisser Teil des Milchzuckers auch eine derartige 

Spaltung erleidet 



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f)!)2 W. Podwyssozki 

dem Einfluss des letzteren in genügender Menge sich vermehrt haben. Es ist daher 
das Gefäss mit dem Gährungsstoff eine Zeit lang, die ersten 6—8 Stunden, für den 
Zutritt des Sauerstoffes der Luft offen zu halten, darauf erst die gährende Flüssigkeit 
in eine hermetisch verschliessbare Flasche ahzugiessen und hier bei einer Temperatur 
von 16—18° C auf einen bis zwei Tage — je nach Bedarf — stehen zu lassen. Das 
offene Aufbewahren der Milch in den ersten Stunden ist nothwendig, damit die 
Hefezellen in genügender Anzahl sich vermehren; dann erst beginnen die letzteren 
im verschlossenen Gefäss die eigentliche Gährung zu bewirken, also dasjenige 
chemische Ferment zu produzieren, das, wie vor kurzem Büchner gezeigt hat, aus 
den Hefezellen beim Zerdrücken derselben gewonnen werden kann. 

Was die Veränderungen anbelangt, welche die Eiweisskörper der Milch beim 
Entstehen von Kefir erleiden, so sind es offenbar dieselben, welche die Eiweiskörper 
der Stutenmilch unter dem Einfluss der Kumysgährung erfahren. Zum Theil unter 
dem Einfluss der Milchsäure, zum grösseren Theil jedoch unter dem Einfluss eines be¬ 
sonderen koagulierenden Ferments, ausgeschieden von den Bakterien, fällt das Kasein 
aus. 1 ) Das ausgefallene Kasein geht successive in einem löslichen Zustand über, 
wobei ein gewisser Theil desselben peptonisiert wird. 

Ueber die angegebenen Modifizierungen der Eiweisskörper der Milch bei der 
Kefirgährung kann man sich theilweise eine Vorstellung bilden schon nach den sicht¬ 
baren physikalischen Aenderungen, welche mit der Milch vorgehen. Von den 
zweifellos in der Milch existierenden zwei Vertretern der Eiweisskörper — das 
Kasein und das in geringer Menge vorhandene Serumeiweiss oder Albumin — er¬ 
fährt das erstere, das Kasein, merkliche Veränderungen. Dasselbe befindet sich in 
der Milch entweder in gelöstem Zustande oder in gequollenem, in Gestalt von 
gelatinösen Massen, oder endlich, möglicher Weise, in Gestalt feinster Häutchen um 
die Fettkügelchenkörner. Die Frage ist trotz der umfangreichen Litteratur definitiv 
noch nicht entschieden; jedenfalls befindet sich in der normalen Milch das Kasein 
nicht in einem geronnenen Zustand, ist mit dem Serum innig verbunden und am 
wahrscheinlichsten in der Flüssigkeit gelöst. Bei der Kefirgährung findet all¬ 
mähliche Koagulierung des Kasein statt, jedoch nicht in Gestalt grosser, fester 
Klumpen, sondern in Gestalt lockerer, äusserst kleiner, schleimiger, zarter Flocken, 
die beim Umschütteln eine sehr feine Emulsion liefern. Solche Behauptung wider¬ 
spricht anscheinend der Wirklichkeit, indem in einem verkorkten Gefäss mit Kefir, 
das etwa 10 Stunden lang gestanden hat, beinahe sämmtliches Kasein zu einem 
einzigen Klumpen zusammengeballt ist, der von dem klaren Serum sich abtrennt 


i) Das Ausfallen resp. Koagulieren des Kasein kann überhaupt unter dem Einfluss von zwei 
Momenten zu stände kommen: erstens, unter dem Einfluss des Zugegenseins von Säure und 
zweitens, unabhängig von der saueren Reaktion, unter dem Einfluss eines besonderen Ferments, 
des sogenannten Labferments, das hauptsächlich in der Magenschleimhaut sich befindet, aber auch 
von vielen pflanzlichen Zellen, den höheren sowohl als den niederen Pflanzen, abgeschieden wird. 
Eine solche Wirkung auf Milch, infolge der Gegenwart eines koagulierenden Ferments, hat z. B. 
der Saft des Feigenbaumes, haben die Blätter des Alpengesträuchcs Pingnicula vulgaris, der Saft 
von Carica papaia, der Saft von Artischockenblumen, die Samen von Datura stramonium, Ricinus 
communis, besonders zur Zeit der Keimung, und viele anderen Pflanzen. Schliesslich zeigte 
Duclaux, dass viele Bakterien ebenfalls ein koagulierendes Ferment ausscheidcn. Unter dem 
Elinfluss dieses Ferments gerinnt die Milch, ohne ihre neutrale Reaktion cinzubüssen, und die Her¬ 
stellung vieler Käsesoiten geschieht namentlich unter Zuhilfenahme von Labferment. Unter 10 bis 
18" C wirkt das Ferment auf die Milch nicht mehr ein. Das Maximum der Wirkung findet statt 
zwischen 30 und 35" C. 


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Der Kefir. 


593 


und an der Oberfläche des letzteren schwimmend sich befindet. Die Sache ist aber 
die, dass man blos mehrmals die Flasche um ihre Längsachse herumzudrehen 
braucht, damit der ganze Kaseinklumpen schon aufzugehen beginne, sich mit dem 
Serum vermenge und eine sehr gute Emulsion bilde, ohne mit der Zunge wahrnehm¬ 
bare Gerinnsel und Klümpchen. Der ursprüngliche gemeinschaftliche Klumpen be¬ 
steht also aus locker aneinander gefügten, sehr kleinen, sogar mikroskopischen 
Kasc'ingerinnseln. Eine derartige Koagulierung, das Kasein in feinen Gerinnseln, 
findet nur in dem Falle statt, wenn die Bildung der Milchsäure langsam sich voll¬ 
zieht, was eben bei Wärmegraden nicht über Zimmertemperatur geschehen kann. 
Geht aber die Milchsäuregährung sehr energisch vor sich und bildet sich mit einem 
Male viel Milchsäure — was bei höherer Temperatur vorkommt (20—25 0 und höher, 
bis 40 0 C.), — so fällt das Kasein schon in Gestalt fester Klumpen aus, die theilweise 
selbst nach stärkstem Umschütteln der Flasche bestehen bleiben, und man erhält 
schliesslich ein saueres Getränk mit wahrnehmbaren Gerinnseln und Klümpchen 
von Kasein. 

Die ferneren Umwandlungen des Kasein bestehen darin, dass ein Theil des¬ 
selben im Serum gelöst wird. Dies ersieht man schon aus dem Unterschied, welcher 
zwischen eintägigem und zweitägigem oder noch älterem Kefir nachweisbar ist. Der 
im Beginn dickflüssige, rahmähuliche Kefir wird mit jedem'Tage stets dünnflüssiger, 
schliesslich wässerig, serumähnlich. Offenbar ist ein bedeutender Theil des emulgiert 
gewesenen Kaseins in Lösung übergangen, wobei wahrscheinlich ein gewisser Theil 
peptonisiert wurde resp. sich in Hemialbumose verwandelte — ein Zwischenstadium 
zwischen Eiweiss und Pepton. 

Die Lösung des Kaseins und die wahrscheinliche Peptonisierung desselben in 
der Milch ist von dem verdauenden Ferment abhängig, das von den Kefirbakterien 
und auch wohl von den Hefezellen ausgeschieden wird. 

Die Lösung des Kaseins unter dem Einfluss der Kefirbakterien bietet nichts 
Spezifisches dar, was den Mikroben des Kefirferments eigenthümlich wäre. Alle 
Milchbakterien, welche koagulierende Fermente ausscheiden, liefern auch ein Ferment, 
welches Kasein auflöst und von Duclaux als »Kasease« bezeichnet wurde. Dieses 
Ferment, im Reiche der Mikroben weit verbreitet, wirkt bei relativ niedrigeren 
Temperaturen als das koagulierende Ferment, namentlich sogar bei einer Temperatur 
von 4—5° C 1 )- 

Kasease resp. Kasein auflösendes Ferment scheiden nicht blos viele Bakterien 
aus, sondern auch Schimmelpilze und Hefen. Diese Thatsache, die in letzter Zeit von 
einer ganzen Reihe von Forschern (Poelil, Boulanger, Hahn, Wehmer, Will, 
Beyerinck, Lindner) mit Bezug auf Kulturen von Schimmelpilzen und von Bier¬ 
hefen festgestellt worden ist, giebt uns Grund zu der Behauptung, dass bei dem 
Auflösen des Kaseins im 2—3tägigen Kefir eine gewisse Rolle auch den Hefezellen 
des Kefirferments zukommt. 

Gleichzeitig mit dem Auflösen des Kaseins bewirkt die Kasease auch Peptoni- 

i) Das glänzendste Beispiel der losenden Wirkung dieses Ferments wird durch den Reifungs¬ 
prozess der Käsesortc „Brie“ dargeboten. In dem Maasse als das von den Bakterien der Käse¬ 
rinde ausgeschiedene Ferment in die Tiefe cindringt, verflüssigt sich das Kasein immer mehr und 
mehr in der Richtung von der Peripherie nach dem Centrum hin. Vollkommen gereifter Brie ist 
solcher, in welchem das Kasein in seiner ganzen Masse der Verflüssigung anheimgefallen ist. 

Von den Bakterien, die in kolossaler Menge Kasease bilden und in Milch und Milchprodukten 
leben können, ist die von Duclaux beschriebene Thyrotrix tennis und die ihr sehr ähnliche Fleu- 
bakterie (Bacillus subtilis) besondere beachtenswerth. 


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504 


sierung eines Theiles des letzteren, wie man auf Grund der Analysen von ver¬ 
schiedenen Kefirsorten zu schliessen vermag; je älter ein Kefir, um so mehr enthält 
er Pepton und verschiedene Uebergangsformen zwischen nichtdialysierendem und 
dialysierendem Eiweiss. Es lässt sich das lösende Prinzip des Ferments von dem 
peptonisierenden nicht abtrennen, indem offenbar die beiden Prozesse sich gleich¬ 
zeitig abspielen. 

Dem Prozess der Lösung des Kaseins und der Peptonisierung desselben kann 
unter dem Einfluss der Kasease (wie es in letzter Zeit Duclaux gezeigt hat) die 
nun beginnende weitere Zersetzung des Eiweiss nachfolgen, bei welchen so un¬ 
erwünschte Produkte wie Leucin und Tyrosin, die bei der Fäulniss des Eiweiss zu 
entstehen pflegen, gebildet werden. Daher betrachten auch manche Chemiker nicht 
ohne Grund schon die Peptonisierung der Eiweisskörper als Beginn der Fäulniss. 
die blos noch nicht von der Entwicklung stinkenden Gase begleitet ist. 

Lassen wir die schwer zu entscheidende prinzipielle Frage bei Seite, wo die 
Gährung auf hört und wo die Fäulniss anfängt, so müssen wir jedenfalls anerkennen, 
dass die Lösung und die Peptonisierung des Kaseins einen wünschenswerthen und 
den Zwecken der Ernährung äusserst nützlichen Prozess darbietet. Indessen weiter 
als die Eiweisskörper zu peptonisieren, darf die Wirkung der Mikroben und ihrer 
Fermente nicht gedeihen, wenn nicht sonst der Kefir bereits Zersetzungsprodukte 
der Eiweisskörper, die schädlich und sogar giftig sind, enthalten soll. Ist man 
dessen eingedenk, dass die Kasease unter Zimmertemperatur und selbst bei einer 
Temperatur von 5° C wirksam bleibt, so wird es begreiflich, dass die lösende 
Wirkung dieses Ferments, welche die Grenze des Nichtgewünschten so leicht über¬ 
schreitet, beim längerem Aufbewahren des Kefirs in Flaschen, wenn auch an kühlen 
Orten, eintreten kann. Da man nicht weiss, wann die unerwünschten Veränderungen 
im Kefir beginnen mögen, dürfte es demnach vernünftiger sein, einen zu alten Kefir 
gar nicht zu gebrauchen, falls derselbe auch im Keller aufbewahrt lag. Einen Kefir 
zu gebrauchen, der älter ist als 5 Tage, rathe ich unter keinen Umständen. Wieder¬ 
holt habe ich mich davon überzeugt, dass nach Gebrauch eines alten, 6—7 tägigen 
Kefirs, der im Keller aufbewahrt lag und noch gar keinen unangenehmen Geruch 
von sich gab, Magenschmerzen auftreten. Offenbar sind in einem solchen Kefir 
bereits für den Organismus schädliche Zersetzungsprodukte der Eiweisskörper ent¬ 
halten. Zu diesen Produkten kommt sicherlich noch Buttersäure hinzu, entstanden 
dank der speziellen Buttersäuregährung, die so sich in hermetisch verkorkten 
Flaschen, also bei Fehlen des freien Sauerstoffs der Luft, sich entwickelt. 

Weil immer noch die Herstellung des Kefirs, wie überhaupt vieler anderer 
gährender Getränke, mehr auf empirischen Thatsachen beruht, denn auf genau unter¬ 
suchten und genau regulierbaren biologisch-chemischen Grundlagen, so ist es nicht zu 
verwundern, dass eine bestimmte chemische Zusammensetzung des Kefirs nicht 
existiert. Man darf blos von einer qualitativen konstanten Zusammensetzung des 
normalen Kefirs reden. Die quantitative Zusammensetzung schwankt aber bedeutend 
und ist abhängig von sehr vielen Bedingungen, worunter die Gährungsdauer und 
die Temperatur, bei welcher die Gährung sicli vollzieht, sowie die Eigenschaften 
der Milch — abgerahmte Milch oder Vollmilch — die Hauptrolle spielen. 

Die erste quantitative Analyse des Kefirs wurde auf Ersuchen von 
Dr. Dmitriew durch den Pharmaceuten Tuschinski im Jahre 1S87 ausgeführt. 
Darauf haben Nencki und Bakosski, Weinberg, Weber, Ssadowen u. a. 
ihre Analysen publiziert. Die detailliertesten Analysen, in welchen bereits auf die 


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peptonisierien Eiweisskürper Rücksicht genommen ist, .sind von Ri!, Hjimuva.rfton, 
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ln der folgenden Tabelle sind die Resultate einiger von diesen Analyse]» |p 
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niimovhra der allgomeKio Sejdti-..- ziehen, dass unter der« Rintl'i' des Kefii- 
iermenfs in der Mili-Ii t‘ui. gen d g rhcw.Mebe \ ende? aiiovu gosebeheii: ein 
l'lieil des MUdizui'k'crs fe« ■><■ 1«^ iri.iel. und e,-. rrift MUelwhtre lind . 
Alkohol auf, des KusCiU l’iil 11 ,ni< uud ein Thoil •irsAeH'-et.i « ml voMm, 
woher Rept'orre a'iftreten.. die vorher, nicht xiigegeii gev/eseu sinil. ' 

tue von Im. Ruzfn in Moskau ausgefnlirten Analyse« sehiräder Smteti von 
käuflichem Kefir babe^ gezeigt, dass der letztere-ehr wenig Vlkfthol enthält; und 
/War ist gegetihher den Rft'Vö Alki'dnd, deti ffhU) i» »Uten* Kehr findet- die Vlknhid:- 
iiienee in schteditoin .Kefir so gering, dass; - ie in Kmidortstelti van V'o^viiteh l»r- 
stiimut wird; Im iiegentiifdi .-t cigt in den sCh(etilitei» Kefirsorten der tidnill- an Mi ich- 
-.•turr tfcdrirluliidi, und es treten, sogar ■für (He Verdauung suwie überhaupt ftn 
dei) vhganMimr seh-idliehe tiiseiuiee Nimren auf- Iftmersäuro, Essigsäure ti. Man 
kenn daher der Meinung vmt !m Ko/, m mir solistu heiptiiehien. dass vehlocbf 
zulereifeter kaufliehei; KAdir dank seinem fielt mit an fiuUersiinren und 
anderen :fiiun v n df<ni Kranken' eher Rrluulen als Nutzen zu bringen vermag. 

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Referate über Büclier und Aufsätze. 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Verschiedenes. 

S. Arloing, Inoculabilitö de la tuberculose humaine aux herbivores. Lyon 
med. 1901. 1. Dezember. 

Seitdem Robert Koch auf dem Londoner Tuberkulosekongress die Beziehungen 
zwischen der menschlichen Tuberkulose und der Perlsucht des Rindviehes abgeleugnet 
und alle Maassnahmen, welche bisher gegen die Uebertragung der Tuberkulose vom 
Rindvieh auf den Menschen speziell durch tuberkelhacillenhaltige Nahrung getroffen 
worden sind, als überflüssig bezeichnet hat, ist ein so lebhafter Streit allerorten 
wegen dieser Frage entbrannt, wie er wohl in medicinischer Hinsicht während der 
letzten Jahrzehnte kaum je stattgefunden hat. Auf der einen Seite treten diejenigen 
Autoren jetzt von neuem hervor, welche bereits früher, wie jetzt Koch, ähnliche 
Behauptungen aufgestellt hatten; andrerseits mehren sich die Stimmen der Forscher, 
welche entweder an dem Zusammenhänge der menschlichen und thierischen 
Tuberkulose festhalten, oder wenigstens umfassendere Experimente, als Koch sie 
bisher angestellt hat, verlangen, bevor der Genuss einer Tuberkelbacillen enthaltenden 
Milch als völlig unschädlich für den Menschen bezeichnet werden kann. Einer der 
Hauptvertreter der letzteren Ansicht, Ostertag, welcher sich während der letzten 
Jahre in ausserordentlich eingehender Weise mit der Tuberkulosefrage beschäftigt 
hat, veröffentlichte in der letzten Nummer dieser Zeitschrift einen längeren Aufsatz, 
in welchem er den Vortrag Koch's kritisch beleuchtete. Heute möchten wir eine 
Mittheilung hier wiedergeben, welche ein französischer Forscher, Arloing, der gleich¬ 
falls auf dem Gebiete der experimentellen Tuberkuloseforschung zu den hervor¬ 
ragendsten Gelehrten gehört, in der Dezembernummer des Lyon medical auf Grund 
eines Vortrages, den er in der Novembersitzung der Societd nationale de medccinc de 
Lyon hielt, veröffentlicht hat. 

Bereits früher w r ar es Arloing gelungen, bei sieben Ziegen und bei drei Eseln, 
welchen er vom Menschen stammende Tuberkelbacillen in die Vena jugularis injiziert 
hatte, mit Sicherheit Tuberkulose hervorzurufen. Diese Experimente nahm er un¬ 
mittelbar, nachdem Koch seinen Vortrag gehalten hatte, von neuem und in grösserem 
Maassstabe auf. Eine Kartoffelkultur von Tuberkelbacillen vom Menschen wurde ver¬ 
rieben und sorgfältig in sterilisierter Bouillon im Verhältnis von 1 : 12 emulgiert. 
Die Emulsion wurde dann durch zwei Lagen von feinem Leinenstoff durchgesiebt. 
Mit dieser Emulsion impfte Arloing folgende Thiere: 

1. ein Kalb und eine Färse von 18 Monaten, welche nicht auf Tuberkulin 
reagiert hatten (2 ccm in die Vena jugularis); 

2. zwei Hammel (2ccm dito); 

:>. eine junge Ziege (1 ccm dito); 

4. zwei Kaninchen (V 2 ccm in die Ohrvene); 

f>. zwei Kaninchen (Va ccm intraperitoneal); 

<). zwei Meerschweinchen ('/ 4 ccm subkutan in den Oberschenkel). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


Bei all diesen Thieren war mehr oder minder lange Zeit nach der 
Injektion ein deutlicher Effekt derselben zu konstatieren. Bei allen stieg 
zunächst die Temperatur an und blieb erhöht bei dem Kalb, den Hammeln und der 
Ziege. Nach einer Reihe von Tagen fingen das Kalb und die Färse zu husten an 
und zwar mehrmals am Tage anfallsweise, besonders bei Bewegungen. Alle Thiere 
magerten ab oder blieben in ihrer Entwickelung stehen. 

Fünf Wochen nach der Impfung reagierten das Kalb und namentlich die Färse 
lebhaft auf Tuberkulin. Kurze Zeit darauf infizierte sich das Kalb im Stall mit 
Räude und starb an der Infektion. Innerhalb von zwei Monaten nach der Infektion 
gingen die Hammel, die Ziege und die in die Ohrvene geimpften Kaninchen zu 
Grunde, nachdem sie vorher deutlich abgemagert waren, Athembeschleunigungen und 
eine starke Prostration gezeigt hatten. Die interperitoneal geimpften Kaninchen und 
die Meerschweinchen wurden getödtet; die Färse lebt zur Zeit noch, hustet aber 
stark und zeigt die deutlichen Zeichen der tuberkulösen Infektion. 

Was nun die pathologischen Präparate der gestorbenen bezw. getöteten 
Thiere anbelangt, so waren die bei den Meerschweinchen und Kaninchen gefundenen 
Läsionen typisch. Bei dem Kalb waren die tuberkulösen Veränderungen ausschliesslich 
im Thorax nachweisbar. Die Oberfläche der Lungen war mit subpleuralen tuber¬ 
kulösen Granulationen übersät; letztere waren aber auch deutlich in grösserer 
Menge im Lungenparenchym zu konstatieren und erreichten die Grösse eines Steck¬ 
nadelkopfes. Die Bronchial- und ösophagedlen Lymphdrüsen waren erheblich ge¬ 
schwollen. 

Vollständig identische tuberkulöse Veränderungen fanden sich im Thoraxraum 
der Hammel; dagegen waren dieselben in der Lunge der Ziege weniger markant, 
aber nach der Härtung der Lungen noch deutlich sichtbar. 

Von den frisch herausgenommenen Präparaten impfte Arloing kleine Stücke 
unter die Haut von Meerschweinchen und erzeugte bei diesen wieder typische Tuber¬ 
kulose. In den gehärteten Präparaten der Lungen der verschiedenen sub 1 — <> ge¬ 
nannten Thiere waren die Tuberkelbacillen durch das Färbeverfahren mit Sicherheit 
nachweisbar. 

Ueber die charakteristischen mikroskopischen Veränderungen in den Organen 
der Thiere, welche durch die Impfung mit von Menschen stammenden Tuberkel¬ 
bacillen tuberkulös erkrankten bezw. starben, sowie über weitere, noch umfassendere 
Experimente, behält sich Arloing nähere Mittheilungen vor. 

Wir halten aber die publizierten Ergebnisse für bedeutungsvoll genug, um sie 
bereits jetzt zu veröffentlichen. Paul Jacob (Berlin). 


U old scheid er und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie. Theil 2. Bd. 1. Leipzig 
1902 Verlag von Georg Thieme. 

Der zweite Theil des grossangelegtcn Werkes bringt die physikalische Therapie der einzelnen 
Erkrankungen, also die spezielle physikalische Therapie. Es ist in dem ersten Bande eine erstaun¬ 
liche Fülle von praktisch klinischer Erfahrung nicdergelegt. Dabei ist die Gefahr, dass die Darstellung 
einen unvollständigen Eindruck erweckt, sehr geschickt vermieden worden, obwohl diese Gefahr 
naturgemäss allen Schilderungen anhaftet, die nicht die gesainmtc Therapie, sondern nur einen Theil 
derselben geben wollen. Allerdings ist der Begriff der physikalischen Methoden auch recht weit 
gezogen, die Thoracocentese zum Beispiel, die Intubation und anderes mehr kann man wenigstens 
wohl mit demselben Rechte zu den operativen, als zu den physikalischen Methoden rechnen. Als 
besonders rühmlich möchte Referent hervorheben, dass im allgemeinen die Autoren sich einer ge¬ 
sunden Kritik befleissigen, die gerade dieser jungen Disziplion so bitter nöthig ist. 


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598 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Ira einzelnen sind die Abschnitte an folgende Autoren vertheilt: Kopp hat die Haut¬ 
krankheiten behandelt. Dieser Abschnitt ist sehr vollständig und dabei nicht zu breit. Die 
Anwendung der Balneotherapie, der Thalassotherapie, der Hydrotherapie, der Thermotherapie, der 
Massage, der Gymnastik, der Elektrotherapie und der Lichtbehandlung im Gebiete der Dermatologie 
wird der Reihe nach besprochen und auf die einzelnen Hautkrankheiten exemplifiziert 

In ausführlicher Weise hat Friedländer die physikalischen Methoden in der Therapie de? 
Muskelrheumatismus besprochen, ferner die bei den Erkrankungen der Gelenke inklusive der 
Gicht anwendbaren Maassnahmen. Es nimmt in seiner Darstellung die Therapie der chronischen 
Gelenkerkrankungen, die er in die subakuten und chronischen Formen der akuten Arthritiden und die 
Arthritis deformans eintheilt, den breitesten Raum ein und ist recht lesenswerth. 

Das gleiche gilt für die Therapie der Rückgrats Verkrümmungen, die Hoff a zum Ver¬ 
fasser hat. Dieser Abschnitt ist mit zahlreichen guten Illustrationen versehen. 

Die Infektionskrankheiten haben Kohts und Rumpf bearbeitet Der eretere hat 
Scharlach, Masern, Diphtherie, Rumpf dagegen Typhus, Erysipel, Cholera, Malaria, Syphilis und 
Sepsis übernommen. Dass die Serumbehandlung als physikalische Methode reklamiert wird, ist 
vielleicht etwas auffällig, aber durch das Streben nach Vollständigkeit erklärbar. Rumpf hat die 
Badebchandhing bei Typhus ziemlich knapp, aber sehr anschaulich geschildert; eine Erwähnung der 
kühlen kohlensaurcn Bäder bei Kranken, die zum Kollaps neigen, wäre vielleicht am Platze gewesen. 
Bemerkenswerth ist die durch eine Krankengeschichte belegte Empfehlung der subkutanen Kochsalz¬ 
infusion bei schwerem Typhus. Interessant ist namentlich die Besprechung der Cholera, da der Autor 
auf diesem Gebiete ausserordentlich grosse Erfahrungen besitzt; so beurtheilt er die Behandlung mit 
kaltem Wasser, wie sie von hydrotherapeutischer Seite wiederholt vorgcschlagen ist, recht kritisch 

Die physikalischen Methoden in der Therapie der Stoffwechselerkrankungen haben 
Eich hörst (Morbus Bascdowii), Wein trau d (Diabetes melitus, Fettsucht), Lazarus (Anämie, 
Chlorose und Skrophulose) geschildert. Dieser Abschnitt gehört zu den besten des Buches. Den 
llauptantheil hat, wie es ja in der Natur des Themas liegt, Weintraud, und dessen ausführliche 
Darstellung möchte Referent wegen ihrer ruhigen Sachlichkeit als besonders gelungen hervorheben. 
Vergessen ist allein die physikalische Therapie des Diabetes insipidus. 

Die Therapie der Nasen-, Rachen- und Kehlkopferkrankungen hat in Friedrich 
(Kiel) einen trefflichen Bearbeiter gefunden. 

Sehr dankenswerth ist auch das Kapitel über die physikalische Therapie beim Stottern und 
Stammeln von Gutzmann, welches reich illustriert ist. 

Die Pneumonie ist von A. Fraenkel übernommen, der die lokalen Anwendungen von 
Kälte, Hautreizen, Massage, die hydrotherapeutische Behandlung, die subkutanen Infusionen, den 
Aderlass, die Sauerstoffinhalation genau und kritisch beschrieben hat, und die Anwendung derselben 
bei der akuten Pneumonie, beim Lungenödem, bei der Bronchopneumonie, sowie endlich die Nach¬ 
behandlung der Pnoumonien bringt. Auch dieses Kapitel zeigt überall den erfahrenen und kritischen 
klinischen Beobachter. 

Die Erkrankungen der Bronchien, Emphysem und Asthma sind von Egger bearbeitet; 
sehr genau und anschaulich ist darin namentlich die Atmungsgymnastik geschildert 

Die Pleuritis hat wiederum A. Fraenkel dargcstcilt, und besonders die Thoracocentese. 
wie schon bemerkt, ausführlich beschrieben. Daneben haben aber auch die physikalischen Methoden 
im engeren Sinne: die Hydrotherapie, die Behandlung mit komprimierter Luft u. s.w. eine genaue 
und erschöpfende Darstellung gefunden. 

Den Schluss des Bandes bildet eine mehr allgemein gehaltene Besprechung der physikalischen 
Therapie der Lungentuberkulose von Renvers. 

Der 478 Seiten starke Band schlicsst sich somit würdig den früheren Bänden des Handbuchs 
an. Auch die Litteraturnachweise sind ziemlich zahlreich und genau. Die buch händlerische Aus¬ 
stattung ist eine vorzügliche. M. Matth es (Jena). 


v. Meriug, Lehrbuch der inneren Medicin. Jena 1901. Gustav Fischer. 

Das Gebiet der inneren Medicin ist während der letzten Jahrzehnte dank dem Ausbau der 
diagnostischen und therapeutischen Methoden so ausserordentlich angewachsen, dass es einem ein¬ 
zelnen unmöglich i&t, sämintliclic Disziplinen vollkommen zu beherrschen. Dieser Gedanke hat auch 
den Herausgeber des gross angelegten Lehrbuchs der inneren Medicin geleitet, als er sich der 
Mitarbeiterschaft einer Reihe hervorragender Autoren sicherte, um die verschiedenen Kapitel der 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 599 


inneren Krankheiten monographisch bearbeiten zu lassen. Es ist so ein umfangreiches Werk von 
nahezu 1100 Seiten entstanden, in welchem den Studenten und den praktischen Aerzten in möglichst 
gedrängter Kurze alles Wissenswerthe dargeboten wird. 

Das Werk zerfällt in 20 verschiedene Kapitel, welche naturgemäss dank der Eigenart ihrer Be¬ 
arbeiter und dank der Verschiedenheit des Stoffes, nicht alle gleichmäasig und gleich bedeutend sind. 
Gemäss dem Programm unserer Zeitschrift können wir hier nicht auf eine ausführliche Besprechung 
des Gcsammtwerkes eingehen, sondern müssen uns nur mit wenigen Andeutungen begnügen. 

Die modernsten Anschauungen finden sich wohl im ersten, ausführlichen Abschnitt »Die 
akuten Infektionskrankheiten«, welchen Romberg bearbeitet hat. Nach einer allgemeinen 
Einleitung schildert Rom borg die verschiedenen Infektionskrankheiten unter Beifügung von Ab¬ 
bildungen der einzelnen Infektionserreger, der typischen Kurven u. s. w. Im Kapitel »Typbus« fällt 
es auf, dass Romberg die modernere Richtung der diätetischen Behandlung des Typhus, »schon 
verhältnissmässig frühzeitig eine nicht mehr ausschliesslich flüssige Diät zu verabreichen«, nicht 
berücksichtigt Im Kapitel »Influenza« wäre vielleicht das häufige Auftreten der Lungentuberkulose 
im Anschluss an die Influenza, besonders an die Influenzapneumonie erwähnenswerth gewesen. 
Im Kapitel »Sepsis« vermissen wir die Behandlung dieser Krankheit durch ausgiebige Kochsalz¬ 
infusionen (eventuell in Verbindung mit Venaesektion). Den Standpunkt, septische Patienten nie¬ 
mals mit hydrotherapeutischen Prozeduren zu behandeln, können wir nicht tbeilen. — Im Kapitel 
»Mumps« vernachlässigt Romberg die Entdeckungen von Bein und Michaelis, indem er 
den Erreger des Mumps als unbekannt hinstellt, lra Kapitel »Tetanus« wäre der Tetanus facialis 
wohl mehr der Erwähnung werth gewesen als der Tetanus rheumaticus, welcher nach neueren An¬ 
schauungen als Krankheit sui generis überhaupt fallen gelassen werden muss. Bei der Therapie des 
Tetanus hätte auch die Wasser- bezw. hydrotherapeutische Behandlung, auf welche namentlich Rose 
mit Recht einen so grossen Werth legt, besprochen werden müssen. 

Das Kapitel »Krankheiten der Athmungsorgane« ist in ausgezeichneter Weise von 
Friedrich Müller bearbeitet worden; vielleicht wäre es zweckmässig gewesen, in dem Abschnitte 
»Lungentuberkulose« etwas näher auf die Cornet’sehe und Flügge’sche Theorie sowie auf die 
Fragen der kongenitalen und erworbenen Disposition näher einzugehen. Ganz vermissen wir in 
diesem Kapitel die Besprechung der Hydrotherapie, die sich gerade bei der Behandlung der Lungen¬ 
tuberkulose, namentlich in den Sanatorien, mit Recht einer sehr grossen Werthschätzung erfreut, 
sowie die Besprechung der gymnastischen Prozeduren, welche sowohl bei der Phthisis pulmonum 
als besonders in der Nachbehandlung der Pleuritis fast allerorten angewendet werden. 

Der Verfasser des Kapitels »Krankheiten der Kreislauforgane« ist Krehl. In dem 
therapeutischen Abschnitt dieses Kapitels werden die Derivate der Digitalis sowie das Koffein 
nicht erwähnt. Vielleicht wäre es auch angezeigt gewesen, etwas näher auf die Punktion des 
lläuthydrops, die permanente Drainage und die Skarifikation einzugehen. Bei der Behandlung der 
Aneurysmen wird die moderne Therapie der Gelatinebehandlung, die Akupunktur, sowie die 
Pclottenbehandlung nicht berücksichtigt 

Gerhardt in Strassburg bearbeitete das Kapitel »Krankheiten des Magens, des Rachens 
und der Speiseröhre« ausserordentlich übersichtlich; desgleichen der Herausgeber des Werkes 
— Frhr. v. Me ring — den Abschnitt »Krankheiten des Magens«. In ausgiebigster Weise 
berücksichtigt letzterer darin die Diätotherapic und führt eine Reihe eigener Diätvorschriften, die 
sich ihm selbst seit Jahren bewährt haben, an 

Das umfangreiche Kapitel »Krankheiten des Darmes« wurde von Matth es vorzüglich 
abgehandelt, desgleichen das Kapitel »Die Erkrankungen des Peritoneuina. Aus demselben 
ist besonders der Abschnitt über die Behandlung der Perityphlitis hervorzuheben. 

Minkowski ist der Verfasser der beiden Kapitel »Krankheiten der Leber und Galle 
sowie der Bauchspeicheldrüse«. 

Die beiden folgenden Kapitel »Krankheiten der Harnorgane« von R. Stern (Breslau) 
und »Krankheiten der peripheren Nerven des Rückenmarks und des Gehirns« von 
Moritz (München) gehören zu den hervorragendsten des Werkes; namentlich das letztere stellt 
eigentlich eine Monographie für sich dar; es umfasst nahezu 250 Seiten und ist durch vorzügliche 
Abbildungen, von denen namentlich die klinischen Bilder, welche meist eigener Beobachtung ent¬ 
stammen und sehr typisch sind, vorzüglich illustriert. Im allgemeinen lässt sich vielleicht sagen, 
dass die Therapie in diesem Abschnitt etwas zu kurz behandelt worden ist Es leitete den Autor 
wohl der Gedanke, dass das Lehrbuch hauptsächlich für Studenten und praktische Aerztc ge¬ 
schrieben ist und die Therapie der Erkrankungen des Fentralnervcnsystems meist in das Gebiet 
der Spezialärzte geholt. 


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ßOO Referate über Bücher und Aufsätze. 

Auch in dem folgenden Kapitel »Allgemeine Neurosen« von Friedrich Kraus (Graz) 
finden sich viele und gute Illustrationen. 

Das folgende Kapitel »Krankheiten der Bewegungsorgane«, vonVierordt bearbeitet, 
enthält eine Reihe von Abschnitten, die nicht eigentlich unter diese Rubrik fallen, so vor allem 
der Abschnitt Skrophulose. Die Deformitäten, wie sio sich bei der Arthritis allmählich einstellen. 
sind durch gute Abbildungen illustriert; leider fehlen solche zur Veranschaulichung der therapeu¬ 
tischen Prozeduren. 

Illustrationen vermissen wir auch ganz in dem Kapitel »Blutkrankheiten« von G. Klem- 
perer. Es wäre mindestens ebenso erforderlich gewesen, die pathologischen Veränderungen der 
Blutkörperchen wiederzugeben, wie in den anderen Kapiteln die Abbildungen der Harncylinder 
und der verschiedenen Bakterien. Auch die Blutzählapparate sowie die Apparate zur Bestimmung 
des Hämoglobingehalts hätten entweder in diesem, oder in dem letzten, von Gumprecht be¬ 
arbeiteten Kapitel beschrieben bezw. abgebildet werden müssen. Im übrigen haben wir aus dein 
Kapitel »Blutkrankheiten« noch zu erwähnen, dass Klemperer die häufig bei der pernieiösen Anämie 
beobachteten Rückenmarkskomplikationen nicht besprochen hat. Im Abschnitt Behandlung der 
Chlorose finden die heissen Bäder, welche sich auf Grund der Vorträge von Senator und Itosin 
jetzt schon vielfach in die Praxis eingeführt haben, keinerlei Erwähnung. 

Das Kapitel »Krankheiten des Stoffwechsels« ist von v. Mering behandelt worden: 
auch ans diesem Kapitel können wir, wie aus dem Kapitel: »Krankheiten des Magens«, rühmend 
die übersichtlichen Diätvorschriften hervorheben, welche v. Mering hauptsächlich für die Behandlung 
des Diabetes angegeben hat Die Tabellen 1 und 2 (Tabelle 1: »Erlaubte Nahrungsmittel«. 
Tabelle 2: »Im beschränkten Maasse erlaubte Speisen) könnten durch eine dritte Tabelle: »Ver¬ 
botene Speisen«, eine geeignete Vervollständigung erfahren. 

Aus dem Kapitel »Behandlung der Fettsucht und Fettleibigkeit« ist der v. Mering- 
sche Standpunkt hervorzuheben, dass er die Flüssigkeitsentziehung bei diesen Krankheitsformen 
nicht für zweckmässig hält; überhaupt verwirft er im allgemeinen die zu strengen Entfettungskuren. 

Das Kapitel: »Die klinisch wichtigsten Vergiftungen« wurde von VV. His bearbeitet, 
das letzte Kapitel: »Therapeutische Technik« von Gumprecht. Dieser Abschnitt ist unseres 
Erachtens zu kurz gekommen. Eine grosse Reihe von Methoden, die zur therapeutischen Technik 
gehören und welche jeder Student und Arzt kennen muss, finden hier überhaupt keine Erwähnung, 
so die Vorrichtungen für die Inhalation (Sauerstoffinhalation), die Methoden der Rektalernährung, 
die Serumbehandlung, das Armamentarium und die Methoden der Elektrotherapie u. s. w. Auch 
ein kurzer Abschnitt über die Krankenpflege hätte in dieses umfassende Lehrbuch der inneren 
Medicin mitaufgenommen werden müssen. Desgleichen sind die in dem Kapitel erwähnten Methoden 
zum Theil nur sehr kurz abgehandelt worden; so fehlt die Beschreibung der Pleurapunktion nach 
Potain, ferner die Methode der subkutanen Ernährung durch Infusion etc. Vielleicht wird dieses 
Kapitel in der zweiten Auflage des Werkes eine ausgiebigere Bearbeitung erfahren. 

Jedenfalls stellt aber das vorliegende Werk, im Ganzen genommen, ein ausgezeichnetes Lehr¬ 
buch der inneren Medicin dar; seine Anschaffung wird den Studenten und praktischen Aerzteu um 
so eher erleichtert, als trotz der reichen und vorzüglichen Illustrierung des Werkes mit Abbildungen 
und Kurven ein sehr bescheidener Preis seitens der rührigen Verlagsbuchhandlung festgesetzt wurde. 

Paul Jacob (Berlin . 


Paul Böruer’s Reiehs-Medicinal-Kaleuder 1902. II. Theil. Ilerausgegeben von Dr. Julius 
Schwalbe. Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 

Trotz der besonderen Schwierigkeiten, welche sich der Redaktion diesmal boten, um das 
Personalvcrzeichniss der deutschen Zivil- und Militärärzte fertig zu stellen — es mussten in diesem 
Jahre die eben erst veröffentlichten Ergebnisse der letzten Volkszählung und die durch das Kreis¬ 
arztgesetz geschaffenen grossen Umwälzungen berücksichtigt werden —, ist cs dem rührigen Heraus¬ 
geber, Dr. Schwalbe, doch gelungen, den zweiten Band des Reichs-Medicinal-Kalendors rechtzeitig 
fertig“zu stellen. Er hat überdies noch eine neue und wichtige Angabe dem diesjährigen Pen>onal- 
verzeichniss hinzugefügt, indem er die Gemeinden, in denen sich ein- oder mehrere Krankenhäuser 
befinden, durch ein »K« hervorhob. Ferner ist noch hinzugekommen ein Abschnitt von Geheim 
rath Ilapmund: Entscheidungen der ärztlichen Ehrengerichtshöfe, sowie ein weiterer kurzer Ab¬ 
schnitt über das ärztliche Fortbildungswesen, welches sich bei uns in Preussen innerhalb des ver¬ 
flossenen Jahres ausserordentlich entwickelt hat. Paul Jacob (Berlini. 


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Referate über Bücher and Aufsätze. 


601 


Arnold Pollatschek, Die therapeutischen Leistungen des Jahres 1900, ein Jahrbach für 
praktische Aerzte. Wiesbaden. 

Der vorliegende 12. Jahrgang des von Pollatschek bearbeiteten Jahrbuchs zeigt dieselben 
Vorzüge wie seine Vorgänger und behandelt auf 338 Seiten die im Jahre 1900 erschienene thera¬ 
peutische Littcratur unter kritischer Sichtung des Gebotenen. — Verfasser berücksichtigt alle Seiten 
der Therapie und auch oine Reihe von theoretischen Arbeiten, welche zur Therapie eine direkte 
Beziehung haben. Ein dreifaches Register, das nach verschiedenen Gesichtspunkten angelegt ist, 
erleichtert den Gebrauch des Jahrbuchs. Zahlreiche zusammenfassende Artikel, von denen hier nur 
diejenigen über Aerotherapie, Beschäftigungstherapie, Ernährungstherapie und Diätetik, Balneo- 
Hvdro- und Klimatotherapie genannt werden sollen, erhöhen die Handlichkeit des Buches. 

H. Strauss (Berlin). 


B. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

v. Dnngeru, Eine praktische Methode, nm Kuhmilch leichter verdaulich zu machen. 

Münchener mcdicinische Wochenschrift 1900. No. 48. 

Dio klumpenfönnige, für dio Verdaulichkeit der Milch nachtheilige Gerinnung des Kuhmilch¬ 
kaseins lässt sich nach Versuchen des Verfassers in einfachster Weise dadurch vermeiden, dass man 
dio vorher abgekochte Kuhmilch vor dem Gebrauch wie gewöhnlich auf Körpertemperatur erwärmt, 
durch Labferment zur Gerinnung bringt und dann das Gerinnsel durch Schütteln oder Quirlen fein 
zcrthcilt, sodass nur noch ganz feine Flocken, wie sie in der Frauenmilch bei Labgerinnung sich 
bilden, suspendiert bleiben. So behandelte Milch wird durch die mit 4%o HCl ausgezogenen Fer¬ 
mente des Kälber-, Ziegen- und Menschenmagens mindestens ebenso rasch wie Muttermilch verdaut, 
wählend das Kasein gewöhnlicher Thiermilch durch Magensaft in groben, kompakten Klumpen 
ausgefällt wird und der Verdauung länger Widerstand leistet; in Aussehen und Geschmack unter¬ 
scheidet sic sich nur wenig von der gewöhnlichen Kuhmilch, sie wird von den Kindern gern ge¬ 
trunken und gut vertragen und kann, wie einige Beobachtungen Dr. v. Stale wski's am Freiburger 
Kinderhospital ergaben, schon Säuglingen in den orsten Lebenswochen wenig oder garnicht ver¬ 
dünnt verabreicht werden. Ebenso wie für den Säugling ist die erwähnte Vorbehandlung der 
Milch mit Lab auch für die Krankenernährung von Werth, speziell bei Magenlciden und Infektiors- 
krankheiten, bei denen die Thätigkeit der Verdauungsdrüsen beeinträchtigt ist und deshalb gewöhn¬ 
liche Kuhmilch nicht vertragen wird. Die Höchster Farbwerke beabsichtigen eine als Zusatz zur 
Milch geeignete Verbindung von Lab und Milchzucker fabrikmässig herzustcllcn und das Präparat 
unter dem Namen »Pegnin« in den Handel zu bringen. Hirschel (Berlin). 


Bäliut, Ueber die diätetische Behandlung der Epilepsie. Berliner klinische Wochenschrift 
1901. No. 23. 


Ueber die von Toulouse und Rieh et angegebene Behandlung der Epilepsie mittels Chlor¬ 
entziehung ist bereits im 4. Bande unserer Zeitschrift wiederholt berichtet worden. Bä 1 int hat 
die Methode in Budapest an 28 Kranken (9 mit frischer und 19 mit inveterierter Epilepsie) nach¬ 
geprüft. Da Fleischspeisen, auch ohne dass sic gesalzen werden, an und für sich Kochsalz ent¬ 
halten, andrerseits es nach Annahme der französischen Autoren erstrebenswert!! wäre, den Kranken nur 
2 g Kochsalz täglich zu gestatten, verabreichte Bälint den Kranken eine Tagesdiät, die sich folgcndor- 
maassen zusammensetzte: 1—1 1/2 1 Milch, 40—50 g Butter, 3 Eier (ungesalzen), 300 —400 g Brot und 
Obst; in dem Brot war bei der Zubereitung das Kochsalz durch Bromnatrium ersetzt. Der Kranke 
erhielt demnach nicht viel mehr als 2 g Kochsalz und ausserdem 3 g Bromsalz. Dieses Regime 
wurde ca. 40 Tago durchgeführt ln einem Theil der Fälle stieg in den ersten Tagen die Zahl der 
Anfälle etwas an, später nahm sie bei allen ab, die Anfälle wurden schwächer, bis sie schliesslich 
in 80% der Fälle gänzlich ausblieben. Hand in Hand damit besserte sich aucli der geistige und 
der allgemeine körperliche Zustand der Kranken. Jedenfalls muss die Behandlung einige Monate 
fortgesetzt und eventuell von Zeit zu Zeit wiederholt werden. 


Zeitsohr. t diÄt u. physik. Therapie Bd. V. Hoft 7. 

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602 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Bezüglich der Erklärung dieser günstigen Wirkung schliesst sich Bälint der Ansicht von 
Toulouse und Rieh et an, welche bekanntlich dahin geht, dass das Brom im Organismus an 
Stelle des Chlors tritt, das Chlor aus seinen Verbindungen verdrängt, daher der Organismus bei 
Chlorentziehung in der Nahrung empfindlicher auf Brom reagiert. Dieselbe Diät ohne Bromverab¬ 
reichung beeinflusste die Anfälle niemals; und wenn zu der angegebenen Diät neben der gewohnten 
Bromdosis täglich noch 6 g Chlornatrium gegeben wurden, zeigten sich die Anfälle alsbald wieder. 
Einen Schaden sah auch Bälint bei diesei Behandlungsweise selbst nach monatelanger Anwendung 
nicht. Gotthelf Marcuse (Breslau). 


Berju, Ueber eine Aenderung der Methode der künstlichen Verdauung eiweisshaltiger 
Nahrungsmittel« Deutsche Medicinalzeitung 1901. No. 48. 

Berju änderte die übliche Methode der künstlichen Verdauung in der Weise ab, dass er 
mehrere Proben der zu untersuchenden Substanzen mit vorgewärmter salzsaurer Pepsinlösung 
( 1 / 2 % HCl) in Beehergläsem auf einem Wasserbade bei konstanter Temperatur von 38—38,5 0 der 
Digestion unterwarf. Jede Stunde wurde eine Probe dem Wasserbade entnommen, die Losung 
mittels eines Nutschentrichters abfiltriert, und in dem unverdauten, ausgewaschenen Rückstand der 
Stickstoff nach Kjeldahl bestimmt. Gegenüber der Digestion im Thermostaten hat dies Verfahren 
den Vortheil, dass das nothwendige öftere Umrühren der Verdauungsflüssigkeit vorgenommen 
werden kann, ohne dass der Apparat sich abkühlt; ausserdem gewinnt man auf die angegebene 
Art auch eineu Einblick in die Dauer der Verdauung. Berju prüfte in dieser Weise vier Eiweiss¬ 
körper, nämlich Tropon, Plasmon, Roborat und Blutfibrin. Die grösste Verdaulichkeit zeigte das 
Roborat, dann kam Blutfibrin und Plasmon, am wenigsten ausgiebig und am langsamsten wurde 
Tropon verdaut Gotthelf Marcuse (Breslau). 


Pfaundler, Ueber Stoffwechselstörnngen an magendarmkranken Säuglingen. Wiener klinische 
Wochenschrift 1900. No. 36. 

Czerny und Keller fanden im Harn chronisch magendarmkranker Säuglinge die Aus¬ 
scheidung von Ammoniak auf Kosten anderer N-haltiger Bestandtheile sehr beträchtlich gesteigert, 
der NII ;r Index, welcher beim Erwachsenen 4—5%, beim Neugeborenen nach Sjöqvist 7,8—9,6°o 
beträgt, war in den von ihnen untersuchten Fällen oft auf 20—50% des Gesammt-N erhöht; sie 
sahen hierin den Ausdruck einer Störung des intermediären Stoffwechsels, einer patboiogisch ver¬ 
mehrten Acidität der Körpersäfte und gelangten zu der Annahme, dass die infolge chronischer 
Verdauungskrankheiten auftretende Atrophie und Kachexie der Säuglinge auf eine Säureintoxikation 
zurückzuführen wäre. In längeren, für ein knappes Referat nicht geeigneten Ausführungen erklärt 
Pfaundler diese Hypothese für unerwiesen, da manche zu ihren Gunsten von den genannten 
Autoren beigebrachten Argumente nicht stichhaltig seien und andrerseits gewisse Thatsachen für 
eine mit derselben nicht vereinbare Auffassung sprechen. Die als Stütze einer Säureintoxikations¬ 
theorie vor allem zu fordernden Kriterien, der Nachweis bestimmter, abnormer Säuren und Säure¬ 
produkte (Fett- und Oxyfettsäuren, Acetessigsäure, Aceton) im Harn, sowie jener der verminderten 
Alkalescenz und Kohlensäuerung des Blutes seien bisher noch nicht erbracht 

Eigene Untersuchungen des Verfassers ergaben, dass bei Säuglingen des ersten Lebensjahres 
die NH 3 -Ausscheidung im Urin allerdings meist eine sehr bedeutende (14—17% des Gcsammt-N) 
ist, dass jedoch nahezu die gleichen Zahlen für magendarmkranke und magendarmgesunde Kinder 
gelten und dass etwaige Steigerungen der NH 3 -Ausfuhr bei ersteren nicht durch die Gastro¬ 
enteritiden an sich, sondern erst dann erfolgen, wenn dieselben bereits die Funktionen der Athmung, 
des Kreislaufs und des Stoffwechsels in höherem Maasse und dauernd zu schädigen begonnen haben; 
jenseit des sechsten Lebensmonats sinkt der NH 3 -Koefficient mit 6,28% fast auf die für den Er¬ 
wachsenen berechneten Mittelwcrthe. Der NH 3 -Koefficient schwankt in den frühesten Altersklassen 
je nach der wechselnden Ernährung und dem wechselnden Allgemeinzustand der Kinder in relativ 
engen Grenzen (meist nur zwischen 10 — 20%), er zeigt bei demselben Individuum und derselben 
Ernährung, in Zeiträumen von wenigen Tagen untersucht, nur sehr geringe Differenzen und wird 
unabhängig vom Gesundheitszustände der Kinder in einem gewissen, beschränkten Maas» durch 
Erhöhung des Fettgehalts in der Flaschennahrung resp. der aus derselben resorbierten Fettmengen 
gesteigert. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


603 


Die reichliche NH 3 -Ausscheidung im Säuglingsalter ist nach Pfaundler theilweise durch 
eine physiologische Hyperacidität der Körpersäfte, die wahrscheinlich mit dem hohen Fettgehalt der 
Nahrung zusammenhängt, zum grosseren Theil aber durch die in diesem Lebensalter noch mangel¬ 
hafte Entwickelung der fermentativen Oxydationskraft des Lebergewebes bedingt. Letztere wurde 
an Leichenorganen experimentell geprüft — es wurde eine grössere Zahl von Lebern aus Leichen 
magendarmgesunder und -kranker Säuglinge verschiedener Altersperioden in der Weise verarbeitet, 
dass Verfasser das wässrige Extrakt des fein vertheilten Organbreies auf überschüssige Mengen 
säurefreien Salicylaldehyds einwirken liess und die nach gewisser Zeit von verschiedenen, ab¬ 
gewogenen Lebermengen gebildete Salicylsäure quantitativ bestimmte —; es zeigte sich hierbei, 
dass die oxydative Energie des Lebergewebes mit zunehmendem Lebensalter rasch ansteigt und 
dass sie bei schwereren anatomischen Erkrankungen des Leberparenchyms deutlich (bis auf ein 
Drittel) herabgesetzt ist. Aus der Beobachtung, dass in den letztgenannten Fällen die Harnanalyse 
intra vitam einen erhöhten NH 3 -Koefficienten ergeben hatte, lässt sich ein Anhaltspunkt für die 
Vermuthung gewinnen, dass parenchymatöse Läsjonen der Leber und dadurch bedingte Schädigungen 
ihrer intravitalen oxydativen Funktion die N-Vertbeilung im Säuglingsharn beeinflussen und mit 
vermehrter NH 3 -Ausscheidung einhergehen. 

Schliesslich hat Verfasser noch die Basenkapazität des Harns, den Harnstoffgehalt (U) und den 
N einer im Säuglingsurin sich findenden Gruppe N-haltiger Körper bestimmt, zu denen Oxyprotcin- 
säure, Amidosäuren der Fettreihe etc. gehören und die er unter dem Namen »Amidosäurenfraktion« 
zusammenfasst; er macht darüber folgende Angaben: 

Die Basenkapazität (ausgedrückt in ccm N/10 Lauge und bezogen auf eine Harnmenge, die 
100 mg Gesammt-N enthält) beträgt im ersten Lebenshalbjahr im Mittel 37,08 <%, nach vorangegabgener 
Austreibung des NH 3 47,98% (Kapazität für fixe Basen), sinkt im zweiten Lebenshalbjahr auf etwa 
ein Drittel des angegebenen Werth es und zeigt für magendarmgesunde und -kranke Kinder keine 

wesentlichen Differenzen. 

4 * ■+ 

Der U-Gchalt (ausgedrückt in U-N) ist im ersten Lebenshalbjahr gleich im Mittel 51,050/ 
des Gesammt-N, bei den magendarmgesunden Säuglingen rund 55,94%; bei den magendarmkranken 
46,74o/ 0 ; vom sechsten Monat ab beträgt er 76,53%. 

Der N der Amidosäurenfraktion ist im Durchschnitt 12,01% des Gesammt-N, also beträchtlich 
höher als beim Erwachsenen. 

+ 

Der Gehalt des Harns an U steht zum Gehalt an NH 3 und an Körpern der Amidosäuren- 
gruppe in annähernd alternierendem Verhältniss. Hirschei (Berlin). 


Felix Hirschfeld, Die Behandlung der leichten Formen von Glykosurie. Therapie der 
Gegenwart 1901. Heft 5. 


Hirschfeld befürwortet eine aufmerksame Beachtung und sorgfältige Behandlung der leichten 
Formen von Glykosurie, denen gewöhnlich von Suiten der Patienten keine grosse Bedeutung 
beigemessen wird. Dem Arzt räth Hirsch fei d in diesen Fällen, dem Patienten gegenüber nicht 
von Zuckerkrankheit, sondern nur von einer »leichten Stoffwechsel Störung* zu reden, obwohl er 
theoretisch durchaus den Standpunkt vertritt, »dass bestimmte Grenzen zwischen Diabetes und ali¬ 
mentärer Glykosurie wenigstens nach dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens nicht zu ziehen 
sind.« Die Glycosüria ex amylo auf Diabetes, dagegen die Glycosuria ex saceharo auf alimentäre 
Glykosurie zu beziehen geht nicht an, weil auch Gesunde unter gewissen Umständen nach reich¬ 
lichem Stärkegenuss Zucker ausscheidcn, während andrerseits Diabetiker mitunter grosse Menge 
Stärke vertragen, nach Zuckergenuss dagegen rasch Zucker ausscheidcn. Grösse und Dauer der 
Zuckerausscheidung können ebenfalls keinen zuverlässigen Maassstab zur Trennung der beiden 
Affektionen bieten, ebensowenig kann die Gutartigkeit und das leichte Verschwinden der alimen¬ 
tären Glykosurie in diesem Sinne verwerthet werden, da auch bei dem ausgesprochenen Diabetiker 
häufig eine Besserung zu beobachten ist. Die bekannten Diabetcssymptomo, wie vermehrter Hunger 
und Durst und Polyurie können auch nicht als absolut pathognomonisch gelten, da sie sehr häufig 
bei der echten Zuckerkrankheit fehlen, während sic andrerseits in Fällen vorhanden sind, die eine 
sehr leichte Glykosurie zeigen. Das Fehlen einer scharfen Grenze zwischen Diabetes und alimen¬ 
tärer Glykosurie indiziert naturgemäss eine möglichst frühzeitige Behandlung, zumal man ja in diesen 
leichten Fällen mit relativ geringen Diätbeschränkungen auskommt. Meist handelt es sich um Pa- 

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tienten, deren Kost sich durch reichlichen Zuckergehalt, leichtere Verdaulichkeit und allzu hohen 
Nährwerth auszeichnet, und bei denen daher neben der Glykosurie noch eine gewisse Adipositas 
und Neigung zu Obstipation besteht. Für diese Patienten empfiehlt Hirschfeld Beseitigung des 
gewohnheitsgeinässen Verbrauchs von Zucker und Süssigkciton bei eventuellem Ersatz durch 
Saccharin oder Krystallose und weiterhin die Verabreichung einer schlackenreichen Diät durch Zu¬ 
fuhr von grünem Gemüse, Rüben und kleienreichen Brotarten. Rohes Obst will Hirschfeld mit 
Rücksicht auf die günstige Beeinflussung der Peristaltik nicht missen. Die Fleischzufuhr soll nicht 
gesteigert werden, Fett ist in jeder Form erlaubt, doch legt Hirschfeld hier wie überhaupt bei 
der Abmessung der Gesammtmenge der Kost Werth darauf, dass keine Gewichtszunahme erfolgt 
und räth daher, das Körpergewicht etwa allmonatlich mit der Waage zu prüfen. Bier, auch Pilsener, 
ist selbstverständlich einzuschränken, namentlich aus Rücksicht auf den Kohlehydratgehalt desselben. 
Neben diesen diätetischen Maassnahmen kommt in diesen Fällen einer gesteigerten Muskelthäögkeit, 
wie sie sich durch längeres Spazierengehen, Radfahren, Bergsteigen, Rudern, Turnen und Zimmer¬ 
gymnastik erzielen lässt, eine ganz hervorragende Bedeutung zu; doch ist hier bei älteren Personen, 
deren Gefässsystem Zeichen von Arteriossklcrose auf weist, Voreicht durchaus geboten. Zur Ent¬ 
lastung von geistiger Ueberanstrengung befürwortet Hirschfeld besonders längere Ferienreisen, 
die dann zweckmässig zu Gebirgswanderungen benutzt werden. Zu einer Badekur empfiehlt sich 
für ältere Personen, bei denen Leberschwellung oder Stauung im Pfortadereystem wahrscheinlich 
ist, Carlsbad oder Neuenahr, während für fettleibige Personen oder solche, die an starker Verstopfung 
leiden, Kissingen, Homburg, Marienbad und Tarasp geeigneter erscheinen. Eine Wasserbehandlung 
empfiehlt Hirsch fei d namentlich bei jüngeren Personen', wenn nervöse Beschwerden vorhanden 
sind. Zur Prüfung der Toleranz, die anfangs alle Monate, später in grösseren Zwischenräumen vor¬ 
zunehmen ist, räth Hirschfeld, den 4—5 Stunden nach dem reichlich kohlehydrathaltigen ersten 
Frühstück ausgeschiedenen Urin zu untersuchen. Plaut (Frankfurt a. M ). 


Fr. Biedert, Heber Ernährung und Ernährungsstörungen, Gastrektasie und Colitis. Therapie 
der Gegenwart 1901. Heft 1. 

»Man soll vom Standpunkt der Gesundheit dem Menschen so viel und nicht mehr Nahrung 
Zufuhren, als er verträgt und für Erledigung aller seiner Funktionen, des Wachsthums, der Erhaltung, 
der Arbeit nöthig hat«. Dieser Satz »von niederschmetternder Selbstvciständlichkcit« ist der Aus¬ 
gangspunkt von Biedert' s Darlegungen. Der schädliche Nahrungsrest, mag er nun seine Entstehung 
einer die Bedürfnisse übersteigenden Zufuhr verdanken oder der Schwäche der Verdauungsorgane, 
für die schon ein normales Kostmaass ein Zuviel bedeutet, ist die Ursache zahlreicher Verdauungs¬ 
störungen bei Erwachsenen und Kindern. Die Beseitigung desselben, die Entfernung stagnierender 
Massen aus Magen und Colon durch gründliche Spülungen ist daher die wesentliche und oft sehr 
dankbare Aufgabe der Therapie. Eine gewisse Ausnahme von der Schädlichkeit des Zuviel machen 
nur — und das ist wieder ein Beweis für die von Biedert immer wieder betonten wesentlichen 
Unterschiede zwischen Mutter- und Kuhmilch — viele Brustkinder, die den Ueberechuss häufig an¬ 
standslos wieder hergeben — »Speikinder, Gedeihkinder«. Künstlich aufgezogene Kinder dagegen, 
die viel brechen, werden über kurz oder lang krank und mager. In solchen Fällen hat Biedert 
mehrfach eine motorische Insufficienz konstatieren können, indem der Magen noch 3—4 Stunden 
nach dem letzten Trinken üble Reste von Kuhmilchgerinnseln enthielt Tägliche Spülungen zeigten 
sich hier ganz besonders erfolgreich, indem schon nach wenigen Tagen die Gastrektasie beseitigt 
war. Bei der motorischen Insufficienz der Erwachsenen hingegen kommen die Erfolge dieser 
evakuierenden Therapie mehr in einer Besserung der durch die Magenaffektion bedingten Darm¬ 
störungen als in einer Hebung der Magenfunktion selbst zum Ausdruck. Bezüglich der vid- 
umstrittenen Frage nach derZeit der Spülung vertritt Biedert den Standpunkt, dass es am zweck- 
massigsten ist, durch eine Abends um und nach 10 Uhr vorgenommene Reinwaschung dem Organ 
neun Stunden Ruhe zu verschaffen, wodurch Zustände wie Hyperaciditat und motorische Erschlaffung 
hervorragend günstig beeinflusst werden. Mindestens ebenso gute Erfolge wie von den Magen¬ 
spülungen hat Biedert ferner in Fällen von Colitis bei Kindern und Erwachsenen von ausgiebigen 
Darmspülungen gesehen, die reichliche Kothmasscn und zahlreiche Schleimmengen zu Tage förderten. 
Es können nämlich trotz spontaner und artefizieller Diarrhöen konsistente Kothmassen im Colon 
liegen bleiben, die bisweilen zu akuter fieberhafter Darmautointoxikation führen oder in anderen 
mehr chronischen Fällen durch Schmerzen in der oberen Bauchgegend ein Magenleiden Vortäuschen, 


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bis die Beachtung der Druckempfindlichkeit des Colon, insbesondere des absteigenden Theils und 
der Flexur, sowie das Ergebniss der Spülungen zur richtigen Diagnose führen. Den evakuierenden 
Spülungen schliesst Biedert noch solche mit adstringierenden Flüssigkeiten, wie Tannin-, essigsaure 
Thonerde-, Ichthyollösungen an, wobei dann die grossen Schleimmengen in besonders auffälligen 
festgeronnenen oder langen haut- und bandartigen Fetzen, wie sie bei Colitis membranacea spontan 
entleert werden, zu Tage treten. Was nun die Prophylaxe aller dieser Zustände, die schädlichen 
Nahrungsresten ihre Entstehung verdanken, betrifft, so hätte dieselbe, besonders in der Kinder¬ 
praxis, zur ersten Voraussetzung die Normierung des Kostmaasses. Eine solche lässt sich aber im 
einzelnen Fall, wie aus Biedert’s Darstellung hervorgeht, nur durch die klinische Beobachtung er¬ 
möglichen, während die vergleichende Betrachtung einer grösseren Zahl von Kranken und ganz be¬ 
sonders von Gesunden viel zu grosse Schwankungen nach oben und unten aufweist, als dass sich 
daraus brauchbare Durchschnittszahlen gewinnen Hessen. Plaut (Frankfurt a. M ). 


Tittel, Die Verwendbarkeit des Siebold’sehen Hilcheiweisses (Plasmon) in der Säuglings¬ 
nahrung* Therapeutische Monatshefte 1901. März. 

Tittel hat bei 40 Patienten der Frühwald’schen Wiener Kinderpoliklinik Plasmon 
systematisch als Zusatz zur Kuhmilchnahrung verabreicht und fasst die an seinem Beobachtungs¬ 
material gesammelten Erfahrungen folgendermaassen zusammen: Man gebe das Mittel nur bei 
Unterernährung der Kinder, im allgemeinen lieber bei Säuglingen in späteren Wochen und Monaten 
und nur in für das Alter passenden kleinen Gaben (drei Kaffeelöffel täglich, für ältere sechs- bis 
zehnmonatliche Säuglinge bei sehr guter Verdauung bis zu einer Messerspitze voll pro Mahlzeit); bei 
Unruhe und eintretender Verstopfung ist es auszusetzen, respektive die Dosis zu verringern, da die 
nachfolgende Diarrhöe bereits ein Zeichen, dass zuviel gegeben wurde, und ein Symptom der auf 
Eliminierung dieses Zuviel hinzielenden Selbsthülfe des Darmes ist. Den Plasmonlösungcn empfiehlt 
Verfasser eine geringe Quantität Kochsalz, etwa 0,5—1 o/ 0 , zuzufügen; durch diesen Zusatz wird eine 
viel feinflockigere Ausfällung und leichtere Verdauung des Kaseins erzielt und die Resorption der 
Kalksalze begünstigt — ein Vortheil, der wegen der Möglichkeit einer Einwirkung auf rachitische 
Knochen Veränderungen besondere Beachtung verdient Eine anderweitige Verwendung des Präparats 
bestand in der Darreichung an stillende Frauen, denen es als Zusatz zu Milch oder Suppe oder mit 
Butter auf Brot gestrichen gegeben wurde; es Hess sich (ähnlich, wie es von anderer Seite für die 
Somatose nachgewiesen ist) bei mangelhafter Milchsekretion eine günstige Wirkung konstatieren. 

Hirschei (Berlin). 


Ludwig Lange, Beitrag zur Frage der Fleischkonservirnng mittels Borsäure-, Borax- und 
Schwefelsäuren Natronzusätzen* Mit eiuem Anhang, Milchkonservirnng betreffend* 
Archiv für Hygiene Bd. 40. Heft 2. 

Bei der Beurtheilung von Konservirungsraitteln hat man in erster Reihe die Frage zu beant¬ 
worten, ob das Mittel an sich der Gesundheit nachtheilige Eigenschaften besitzt, in zweiter Reihe, 
ob und in welchem Umfange man mit dem Mittel den gewollten Zweck erreicht. Was die erste 
Frage anlangt, so sind bezüglich der in Betracht kommenden Mittel die Ansichten noch gethcilt, 
und es ist daher in dem Reichsgesetz vom 30. Juni 1900 betr. die Schlachtvieh- und Fleisch¬ 
beschau von einer namentlichen Anführung deijenigen Stoffe, die bei der Konservirung des Fleisches 
nicht verwendet werden dürfen, Abstand genommen worden. Lange untersuchte im Rubner’schcn 
Laboratorium, inwieweit durch die Einwirkung der drei oben genannten Präparate ein Schutz 
gegen Fäulniss gegeben, und speziell, ob nicht eine bereits eingetretene Zersetzung durch die Er¬ 
haltung der rothen Farbe verdeckt werde. 

Um die letztere Frage beantworten zu können, untersuchte er zunächst die Einwirkung auf 
Blut; dann auch auf Hackfleisch und auf Fleischstücke, und kam dabei zu folgenden Resultaten: 
Weder durch Borsäure, noch durch Borax, noch durch Natriumsulfit wird in Konzentrationen von 
V* bis 40/0 (in praxi kommen Konzentrationen bis ca. 1 o/ 0 zur Verwendung), eine Behinderung der 
Keim Vermehrung, geschweige denn Sterilisirung erreicht Was die Konservirung der Farbo anlangt, 
so verhält sich hier am günstigsten Blut, das mit 2% Borsäure versetzt ist, und ähnlich das mit 
20o Borax versehene Blut, trotzdem, wie gesagt, eine Behinderung des Keimwachsthums 
nicht statthat Zusatz von Natriumsulfit in Konzentrationen von 2, 3 und 4° 0 verleiht dem 


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606 Referate über Bücher und Aufsätze. 


Hackfleisch das Aussehen und den Geruch des frischen Fleisches, aber nur während der Dauer 
von höchstens zwei Tagen; nachher tritt unter sichtbarer Gegenwart von Mikroorganismen ausser¬ 
ordentlich intensive Zersetzung ein. Was sonst das Verhalten des Geruches anlangt, so wurde im 
allgemeinen von keinem der drei Mittel das Auftreten des Fäulnissgeruches verhindert; nur im 
Blute wurde durch Borsäure und Borax von Konzentrationen von 1 *>/ 0 an das Auftreten stinkender 
Gase hintangehalten. 

Schliesslich macht Lange noch interessante Angaben über das Verhalten der Milchgerinnung 
nach Zusatz der drei Präparate. Borsäure verzögert etwas die Spontangerinnung, ein Sistiren der¬ 
selben tritt erst bei höheren Konzentrationen (von 2 < 7 0 an) auf. Die Labgerinnung dagegen wird 
beschleunigt und sistirt erst bei Zusatz von 4<V 0 Borsäure. Borax verzögert etwas die Labgerinnung, 
während durch Zusatz von Natriumsulfit weder die Spontan-, noch die Labgerinnung wesentlich 
beeinflusst wird. 

Nach den Lange’schen Untersuchungen müssen Borsäure, Borax und Natriumsulfit als un¬ 
geeignete Konservirungsmittel für Fleisch und Milch betrachtet werden. Denn abgesehen 
von den event. Schädigungen, die diese Chemikalien an sich dem Organismus zufügen, erreicht man 
auch den gewollten Zweck nicht mit ihnen, indem sie in den gewöhnlichen Konzentrationen die 
Zersetzung nicht nur in keiner Weise verhindern, sondern theilweisc die schon eingetretene Zer¬ 
setzung durch Erhaltung des Aussehens und Geruches der frischen Nahrungsstoffe verdecken können. 

Gotthelf Marcuse (Breslau). 


Walter E. Dixon, M. D., The composition and action of orchitic extract. 

Nach einem kursorischen historischen Ueberblick und anknüpfend an Brown-Sßquard’s 
Theorie über die innere Sekretion der Hoden und ihren Einfluss auf den Stoffwechsel, untersucht 
Dixon die chemische Zusammensetzung des Hodenextraktes, aus welchem er dann die wirksamen 
Substanzen zu isolieren versuchte. Die Differenzen in den Anschauungen der Forscher, welche 
Brown - Söquard’s Versuche wiederholten, erklärten sich zum Theil aus der verschiedenen An¬ 
wendungsweise, in dem z. B. die einen subkutan, andere wieder per ob Hodenextrakt verabfolgten, 
das theils aus frischen, theils aus getrockneten Organen gewonnen war. Brown-Söquard ver¬ 
langte ausdrücklich frischen Extrakt aus frischen Drüsen subkutan injiziert. 

Hodenextrakt habe alkalische Reaktion und enthalte einen grossen Prozentsatz Proteide, 
hauptsächlich NukleoprotcTdc. — Dies gilt doch wohl für alle zellenreichen Organe. — Mittels 
C2H4O2 könne das Nukleoproteid aus dem Testisextrakt gefällt und wieder in einer Lösung von 
Na. 2 CO ; j gelöst und somit speziell bestimmt werden. Diese chemische Behandlung sei jedoch nicht 
gloichgiltig für die Pharmakodynamik der Substanz. Andere Extraktivstoffe seien Spcrmin, Lecithin, 
Cholesterin; Chloride, Sulphate, Phosphate an Natrium und Kalium gebunden. 

Spermin sei eine organische Base, in fast allen Geweben vorhanden und im Organismus ge¬ 
wöhnlich an Phosphorsäure gebunden, — gemeint sind wohl die »Spermakrystalle«. Charcot und 
v. Leyden haben zuerst diese Verbindung beschrieben, ersterer im leukämischen Blute, v. Leyden 
im Asthmasputum. 

PoehTs Anschauungen über Spermin werden von Dixon nicht getheilt. Spermin sei iur 
Gruppe der Leukomaine gehörig, welche, in die Zirkulation eingeführt, alle ähnliche Wirkungen 
hätten. Ferner riefen wässerige gekochte und dann filtrierte Hodenextrakte, ebenso alkoholische 
und Spermin, Thieren injiziert, die nämlichen Phänomene hervor: Verminderungen des Blutdruckes 
und Herzverlangsamung auf kurze Zeit, und zwar durch Reizung des peripheren Vagusgebietes. 
Vorherige Atropininjektion könne die Wirkung aufheben. Andere Folgen der Injektion seien ver¬ 
mehrte Peristaltik, überhaupt ein Reiz auf die glatten Muskeln, und Vasodilatation. — Das vorher 
erwähnte Nukleoproteid, isoliert geprüft, variiere in seiner Wirkungsweise je nach der Applikation. 
Per os erleide cs eine Dekomposition, und eine organische Phosphor enthaltende Säure werde frei. 
Diese letztere verbinde sich von neuem mit einem Proteid und werde so resorbiert. Die Folge 
sei eine Ilyperleukocvtosis und vermehrte Ausfuhr von P2O5 im Urin und eine entsprechende der 
Alloxurkörper. Subkutan injiziert sei die Resorption eine raschere, von Darmzersetzuug unabhängige. 
Die nächste Folge sei eine längere Hypcrleukocytosis, eine Thatsacbe, welche Chabrier und 
andere ebenfalls nach Injektionen von Brow'n-Söquard’s Fluidum beobachtet hatten. Nach Dixon 
liegt dies lediglich am Nukleoproteid, Spermin und andere Hodenextraktivstoffe bewirkten das 
Gegentheil einer Hypoleukocytosis oder seien in dieser Hinsicht indifferent. Hauptsächlich »eien 
es die polynucleären Leukocyten, w r elche eine Verminderung an Anzahl erlitten. Die Wirkung be- 


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ruhe zum Theil auf veränderter Vertheilung: Eine Hyperleukocytosis bestehe dabei in inneren 
Organen in den Kapillaren der Lunge, Leber etc. Die Struktur der Leukocyten orleide auch eine 
Veränderung, die Kontouren seien wenig ausgeprägt, die Kerne seien grösser und nehmen das 
Methylenblau nicht mehr so intensiv an. Der Einfluss auf die im Urin auftretenden Stoffe ist direkt 
entgegengesetzt der eben erwähnten bei der Darreichung per os. Das Herz und die Gefässe er¬ 
fahren ebenfalls eine Einwirkung. Der Herzschlag wird verlangsamt und schwächer und der Blut¬ 
druck fällt. Die peripheren Gefässe werden durch den Reiz auf die Vasomotoren dilatiert. 

Extrakte des Nebenhodens und der Samenblase seien in ihrer Wirkung sehr ähnlich dem 
Hodenextrakte, jedoch sei die erreichte Vasodilatation eine so viel grössere, dass man neben der 
grösseren Menge von Extraktivstoffen doch noch einen anderen aktiven Proteidkörper dafür ver¬ 
antwortlich machen müsse. 

Die starke Einwirkung des Hodenextrakts auf Stoffwechsel, Gefässgebiet etc. müsse zu 
weiteren Forschungen veranlassen. A. H. Weis (Berlin). 


C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

A. Falloise, lnfluenee de la respiration d’une atmosph&re suroxyg£n£e sur l’absorption 
d’oxyg&ne. Arch. de biolog. Bd. 17. Heft 4. S. 713. 

Während von einigen Physiologen ein Erfolg der Sauerstofftherapie immer wieder als ganz 
unmöglich hingestellt wird, ist die vorliegende Arbeit geeignet, den praktischen Erfolgen auch eine 
experimentelle Stütze zu geben. Schon Rosenthal hat behauptet, dass die Athmung sauerstoff- 
reicher Luftgemische zu einer Mehrabsorption von Sauerstoff führe. Verfasser hat sich die Aufgabe 
gestellt, zu bestimmen, wie weit der Verlauf einer Asphyxie durch die vorangeschickto Athmung 
sauerstoffreicher Gemische (von 80°/ 0 ) beeinflusst wird. Als Maass für das Fortschreiten der Asphyxie 
bestimmt er den Eintritt von Krämpfen und den Beginn der präterminalen Athempausc. Er fand, 
dass, wenn die Asphyxie (durch Athmung reinen Wasserstoffs) nach Athmung der sauerstoffreichen 
Atmosphäre eingeleitet wird, die Einheit der bezcichneten Symptome im Mittel um je 45 Sekunden 
bei einem mittelgrossen Kaninchen verschoben wird. Das Maximum dieser Resistenz Vermehrung ist 
bereits nach einer Minute der Sauerstoffathmung erreicht. Die Mehrabsorption des Sauerstoffs beim 
Uebergang in eine wasserstoffreiche Atmosphäre (von 80 %) aus der gewöhnlichen atmosphärischen 
Luft beträgt 10—30 ccm für ein mittelgrosses Kaninchen. Diese Menge kann nach der Meinung des 
Verfassers in den Körperflüssigkeiten entsprechend der vermehrten Spannung physikalisch absorbiert 
sein. Sie wird bei Ueberführung des Thieres in die atmosphärische Luft ebenso schnell wieder ab¬ 
gegeben, als sie aufgenommen wurde. M. Lewandowsky (Berlin). 


C. Bernabei, Passortimento extrapolmonare dei gas e la emflsiterapia. Atti del Congrcsso 
di medicina interna. Rom 1900. 

Um eine therapeutische Anwendung der Gase auf anderem Wege als dein der Einaihmung, 
nämlich durch Einblasen in die Venen, Dann, unter die Haut etc., vorzubercitcn, stellt Bernabci 
eine Reihe von Versuchen an Thieren an. Zuerst konstatiert er bei Kaninchen die Menge 0, CO*, 
H, N, welche tötlich wirkt bei Einblasung in die Venen und findet, dass sie beträgt V 74 rcs P- 1 
resp. 1/32 resp. Vas der Menge, welche bei der Einathmung den Tod herbeiführt. 

Entsprechend werden die Zahlen fcstgestellt für Einblasung in die Pleura-Peritonealhöhle etc. 
Diese sind natürlich höher. Die grösste Toleranz gegen diese Eingriffe zeigt die Darmhöhlc. 

Weiter wurde der Einfluss dieser Insufflationen auf Hämoglobingehalt und Zahl der rothen 
Blutkörperchen untersucht. Dabei findet Bernabei, dass bei subkutaner 0-Darreichung, sowohl 
Hämoglobingehalt wie Blutkörperchenmenge steigt, peritoneale oder intestinale 0 - Applikation die 
letztere herabdrückt. 

Bei subkutaner C0 2 -Anwendung steigt Hämoglobingehalt wio Blutkörperchenmenge; bei in¬ 
testinaler steigt beträchtlich die Zahl der Erythrocythen, Hämoglobingchalt bleibt unverändert. 

Daraus schliesst der Autor, dass der Sauerstoff die Aufgabe hat, Hämoglobinbildung, die C0 2 
dagegen die Produktion der rothen Blutkörperchen anzuregen; dass ferner in Fällen von Anämie 
es sich um den Mangel dieser Reize durch die Gase handle I 


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608 Referate über Bücher und Aufsätze. 

Bezüglich des H wie N werden ähnliche Versuche angestellt. 

Unter 0-Applikation steige ferner Ausscheidung des Harnstoffs, C0 2 wirke diuretisch; H-In- 
sufflation vermehre Karbonat- und Phosphatausscheidung, N-Anwendung vermindere die Ausfuhr 
aller Stoffe durch den Urin. M. Bial (Kissingen). 


Engel mann, Dreissig Jahre Badepraxis. Mittheilungen aus Bad Kreuznach. Kreuznach 1901. 

In dem vorliegenden Werkchen zieht der Verfasser das Facit aus seiner mehr als 30jährigen 
Thätigkeit in Bad Kreuznach, ln den ersten Kapiteln werden die Kurmittel des Bades sowie die 
Theorie ihrer Wirkung abgehandelt, sodann wird die Anwendungsweise der Quellen genau be¬ 
sprochen. Der Haupttheil des Buches ist der Auseinandersetzung der Indikationen gewidmet, welche 
für den Gebrauch der Quellen maassgebend sind. Ganz besonders sind es die Skrophulose, Rachitis, 
hereditäre Syphilis, chronische Gelenkaffektionen und chronische Katarrhe der Luftwege und serösen 
Häute, bei denen die Hoilfaktoren des Bades wirksam sind; allerdings muss man bei allen diesen 
Affektionen nicht schematisch, sondern streng individualisierend Vorgehen. Jede der genannten 
Krankheiten wird für sich durchgegangen und der Kurplan in grossen Zügen entworfen. Eine be¬ 
sondere Berücksichtigung haben die Krankheiten der weiblichen Genitalorgane gefunden, bei welchen 
die Kreuznacher Heilpotenzen hervorragend indiziert sind. Der Verfasser setzt in einem lichtvollen 
Exposö auseinander, worin die Vorzüge der Kreuznacher Behandlung gerade hier bestehen. 

Freyhan (Berlin). 


Fr. Neumann, Der Tallerman’scbe Apparat. 

0. Zimmermann, Ueber Erfahrungen mit dem Tallerman’schen Apparat. Berliner klinische 
Wochenschrift 1901. No. 6. 

Die vielfachen Berichte über die günstigen therapeutischen Erfolge der lokalen Heissluft- 
bäder finden in diesen beiden, von verschiedenen Seiten stammenden Publikationen eine weitere 
Bestätigung. Neumann behandelte mit jener Methode eine grosse Reihe von Patienten im Landes- 
bade in Baden-Baden, und zwar bediente er sich des bekannten, auch in dieser Zeitschrift (von 
Mendelssohn, Bd. 1. Heft 1) beschriebenen Tallerman’schen Apparates. Auch er hebt hervor, 
wie die energischen Einwirkungen auf den Organismus, die mit dieser Behandlungsart mit Luft¬ 
temperaturen bis zu 1500 C und darüber verbunden sind, weder auf den lokalen Krankheitsherd noch 
auf den ganzen Körper irgend w elchen nachtheiligen Einfluss haben. Neben den guten Erfolgen, 
die Neumann bei Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus und der Ischias za 
verzeichnen hatte, sind besonders hervorzuheben die zum Theil geradezu überraschenden Heilresultate, 
die er bei der Behandlung von theil weise schon jahrelang bestehender schwerer Arthritis defor- 
raans erzielte, auch in scheinbar ganz hoffnungslosen Fällen. Neu ist ferner auch die günstige 
Wirkung der Heissluftbehandlung, die Neumann bei einem schweren Falle von Sklerodermie 
beobachtete, ferner bei einer an Myxoedem leidenden Patientin. 

Nicht ganz so enthusiastisch, aber ebenfalls sehr günstig äussert sich Zimmermann über die 
Erfahrungen, die er mit dem Tallerman’schcn Apparat auf der inneren Abtheilung des Augusta- 
Hospitals zu Berlin machte. Während er bei Arthritis deformans zwar in einzelnen Fällen Bes¬ 
serung, aber keine Heilung beobachten konnte, hebt er, ebenso wie dies Referent (diese Zeitschrift 
Bd. 4. Heft 7) schon gethan hat, besonders die günstige Einwirkung der lokalen Heissluftbäder bei 
hartnäckigem akutem Gelenkrheumatismus resp. bei Residuen desselben hervor. Die 
Erfolge bei Ischias waren nicht in allen Fällen gleichmässig. A. Laqueur (Berlin). 


D. Gymnastik und Massage, Liegekuren. 

Batscli, Massage bei Lymphangitis. 

Verfasser hat die Massage nicht nur bei beginnender Phlegmone, sondern auch bei Lymphan- 
gitis und Lymphadenitis im Anfangsstadium sehr oft angewandt und berichtet über diese von ihm 
vertretene und bei vielen Kranken angewandte Methode, die er auch an sich selbst erprobt hat 
Gelegentlich einer Mastdarmfisteloperation stach Verfasser sich mit dem Messer in den Finger. In dem- 


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selben Moment spritzte ein starker Arterienast, und eine grosse Menge Koth kam von oben herab. 
Nach Unterbindung der Arterie und Reinigung des Daumens wusch Operateur seine kleine Stichwunde 
energisch mit Sublimat aus. Da die Wunde jedoch lange mit dem Kothe in Kontakt gewesen war, reichte 
die Desinfection nicht aus; am Nachmittage traten Schmerzen und Klopfen in der linken Zeigefinger¬ 
spitze auf, liessen aber nachts infolge Sublimatumschlages nach. Am anderen Tage musste Ver¬ 
fasser eine gerichtliche, fünf Stunden dauernde Sektion an einer stark verwesten Leiche ausführen. 
Die Stichwunde war durch Kollodium geschützt. Tags darauf trat wieder Klopfen und Spannen 
im Zeigefinger auf, woran sich am nächsten Tage stechende Schmerzen in der Rückseite des Hand¬ 
gelenks schlossen. An der Streckseitc des Zeigefingers wurde ein gerötheter Lymphstrang sichtbar. 
Bald darauf empfand Verfasser den ersten Schmerz in den Kubitaldrüsen, worauf im Laufe einer 
halben Stunde am Unterarm vier geröthete Lymphstrange und bis zur Mitte des Oberarmes ein 
Lymphstrang sichtbar wurden. Es erfolgte eine energische Incision, worauf die Wunde mit dem 
Galvanokauter ausgebrannt wurde. Die Temperatur war 38,5. Darauf Hess Verfasser sich sofort 
30 Minuten energisch mit grauer Salbe massieren. Die Massago war anfangs schmerzhaft. Nach 
30 Minuten fühlte Verfasser fast gar keine Beschwerden mehr. Nachmittags trat wieder Spannung 
im Ober- und Unterarm ein, und Verfasser legte den Arm in die Binde. Abends Temperatur 38,9, 
Schwellung des Handgelenks und der Kubitaldrüsen, der Arm war in toto geschwollen, zeigte ein 
Netz entzündeter Lymphsträngc, Achseldrüsen waren geschwollen und schmerzhaft. Verfasser 
licss sich nunmehr eine Stunde lang massieren, auch in der Achselhöhle und oberhalb und unterhalb 
des Schlüsselbeins, wonach grosse Erleichterung im Arm eintrat. Tags darauf Temperatur 38,1, 
etwas Anschwellung, morgens halbstündige Massage, mittags wiederum halbstündige und abends 
einstündige Massage. Dann war die Temperatur normal. Darauf wurde drei Wochen lang die 
Massage anfangs zweimal, dann einmal am Tage eine halbe Stunde fortgesetzt. Kubitaldrüsen und 
Lymphstrange des Oberarmes kehrten zuletzt zur Norm zurück. 

Verfasser hält es nicht für blinden Zufall eines ersten Versuches, dass seine Maassnahmen 
glückten, sondern ist der Ueberzougung, dass dieselben glücken mussten. Er will in Zukunft auf 
Grundlage seiner Erwägungen die Massage in frischen Fällen von Lymphangitis und Lymphadenitis 
sowie Phlegmone im Anfangsstadium anwenden und empfehlen. 

Da Verfasser ausser der Massage cino energische Desinfektion mit Sublimat, nachts einen 
Sublimatumschlag angewandt, und eine energische Incision vorgenommen, die Wunde mit dem 
Galvanokauter ausgebrannt, den Arm zeitweise in die Binde getragen hat, da die Temperatur nur 
38,5—38,9 betrug und am Tage nach der chirurgischen Behandlung auf 38,1 fiel und dann zur Norm 
zurückkehrte, so hat unzweifelhaft diese alte und bewährte Behandlungsmethode den Verlauf der 
Entzündung auch in diesem Falle in günstiger Weise beeinflusst. Von der Massage können wir 
dieses nicht ohne grösscro Kasuistik zugeben, und aus obiger Krankengeschichte vermögen f wir nur 
zu konstatiren, dass die Massage in diesem Falle nicht geschadet hat und den Heilungsprozess 
nicht verzögert zu haben scheint, uns aber keineswegs veranlassen kann, die Massageindikation auf 
septische lokale Erkrankungen zu erweitern. Reyher (Dresden). 


C. Reymoud, Quelques resultats de la thdrapeutique par les machiues de Zander 9 a 
Pinstitnt mddice-mecauiqne de Geneve« Rev. med. de la Suisse romandc 1901. No. 3. 

Reymond giebt in der Arbeit eine Statistik seiner Anstalt aus zwei Jahren. Meistens sind 
die Resultate günstig. Die mannigfaltigsten Krankheiten werden behandelt und geheilt oder ge¬ 
bessert: Dyspepsien verschiedenen Ursprungs; Magenerweiterung; chronischer Darmkatarrh, der 
schon 13 Jahre anscheinend unverändert besteht, wird »leicht« geheilt; chronische Obstipation; 
Herz- und Gefässkrankheiten; Krankheiten der Athmungsorgane; Spitzenkatarrh wird »vollständig 
geheilt«; Neurasthenie, Neuralgien; menstruelle Störungen; Obesitas; Skoliose. Angaben über In¬ 
dikationsstellung, Art der Uebungen, Dosierung, über die Ergebnisse der objektiven Untersuchung, 
durch welche die Annahme der Heilung gerechtfertigt wurde, werden nicht oder nur unvollständig 
gemacht. Die einzigen übersichtlichen, zahlcnmässigen Angaben finden sich bei Besprechung des 
sogenannten Asthma infantile, der Obesitas und der Skoliose. 

Ein wissenschaftlicher Werth ist derartigen Zusammenstellungen kaum beizumessen. Wir 
müssen unbedingt verlangen, dass die Ergebnisse der Heilgymnastik nicht anders besprochen 
werden, wie die übrigen therapeutischen Methoden; es muss ein genauer Status, Besprechung der 


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610 Referate über Bücher und Aufsätze. 


Indikationen, Begründung der Wahl der therapeutischen Methode, genaue Anführung der Resultate 
der objektiven Untersuchung während und nach der Behandlung geboten werden: non multa, Bed 
multum. Mit der blossen Angabe: »Guörison facilement obtenue«, oder: »Guörison compl&te« ist 
uns nicht gedient Gotthelf Marcuse (Breslau). 


E. Elektrotherapie. 

Samuel Sloan, Three and a half years’ experience of faradisation of the head, on scientific 
princlples in the treatment of chronic insommia and associated neuroses, comprisiof a 
series of fourty-six cases. The Glasgow medical joumal 1901. Bd. 56. No. 2. 

Nach den Mittheilungen des Verfassers bildet die Faradisation des Kopfes ein vorzügliches 
Mittel zur Bekämpfung nervöser Schlaflosigkeit. Er hat während der letzten 3 V 2 Jahre 46 Fllle, 
die in einer Tabelle aufgeführt sind, auf diese Weise behandelt. Nur vier Fälle zeigten keinen 
Erfolg, einer eine vorübergehende Verschlechterung der Kopfbeschwerden, alle übrigen wurden gam 
wesentlich gebessert oder völlig geheilt. 

Bezüglich der Methode ist zu erwähnen, dass Verfasser die Anwendung einer sekundären 
Spirale von sehr grosser Windungszahl (8000— 9000) für durchaus nothwendig hält, Spiralen mit 
geringer Windungszahl wirken nicht beruhigend, sondern aufregend. Der Unterbrecher muss so 
schnell wie möglich arbeiten, die Stromstärke wird vermittelst eines Rheostnten langsam gesteigert 
und am Ende der Sitzung wieder ausgeschlichen und mit einem Faradiraeter gemessen. Gewöhnlich 
wird V 3 —1 M.-A., selten 1V 2 M.-A. angewendet. Die Elektroden (15 resp. 10 Quadratzoll) müssen 
gut durchfeuchtet und an der Stirn und im Nacken sicher befestigt sein. Dauer der Sitzung 10 bis 
20 Minuten. Gewöhnlich genügten einige wenige Sitzungen, selten wurde die Zahl derselben auf 20 
und darüber gesteigert. 

Bei jeder Sitzung macht sich unmittelbar ein Gefühl von Schläfrigkeit geltend, welches die 
Patienten oft ganz spontan angaben. Als weitere Folge hinterlässt die Faradisation dann eine ge¬ 
hobene Stimmung und das Gefühl gesteigerter Leistungsfähigkeit. Abends stellt sich ein ruhiger 
Schlaf ein, aus dem der Patient morgens in vollem Wohlbefinden erwacht Die günstige Wirkung 
steigert sich oft ganz rasch zur völligen und dauernden Heilung. 

Verfasser stellt sich vor, dass diese günstige Wirkung auf dem Wege einer physikalisch- 
chemisclicn Beeinflussung der Ganglienzellen vor sich geht Mann (Breslau). 


Ri viere, Action of currents of high frequency upon tuberculosis. The journal of phvsical 
thcrapeutic8 1901. Bd. 2. No. 3. 

Verfasser thciltmit, dass er in Uebcreinstimmung mitDoumer und Oudin sehr gute Erfolge 
bei der Behandlung der Lungentuberkulose mit dem Hochfrequenzstrom erzielt hat Das Befinden 
der Patienten besserte sich von Tag zu Tag, und in manchen Fällen schwand der pathologische 
physikalische Lungenbefund vollständig. Allerdings Hess er die Patienten gleichzeitig die ^klassische« 
Tuberkulosebehandlung durchmachen und Hess die Arsonvalsitzungen mit der Applikation von 
Röntgenstrahlen und Inhalation von Ozon abwechseln. — Verfasser führt dann besonders einige 
Fälle von lokaler Tuberkulose an, bei denen die Arsonvalisation (meist in Form von Bestrahlung 
vermittels des Oudin’schen Resonators) ausgezeichnete Erfolge ergeben haben soll. Es handelte sidi 
um tuberkulöse Hautulcerationen, Gelcnkerkrankungen und Drüsenschwellungen mit Fistelbildung. 
Der Erfolg der Behandlung soll jedesmal evident gewesen sein. Besonders in dem Falle mit fötider, 
eitriger Absonderung nahm von den ersten Sitzungen an das Sekret sofort einen anderen Charakter 
an, es wurde einfach serös, die Geschwürsfläche bedeckte sich mit Granulationen und kam rasch 
zur Heilung. Auch in sechs Fällen von fissura und fistula ani sah er dieselbe Wirksamkeit, wie sic 
von Oudin angegeben worden ist Er benutzte hier entweder eine mit dem Resonator verbundene 
Sonde, welche in den Fistelgang eingeführt wurde, oder die sogenannte Kondensatorelektrode 
(konische, mit Metall ausgefüllte Glaselektrode). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 611 


Verfasser ist nach seinen Beobachtungen überzeugt, dass der ArsonvaFscbe Strom einmal 
direkt bakterizid wirkt, und dass er ausserdem kräftigend auf die Lebensvorgänge im Organismus 
einwirkt, so dass letzterer befähigt wird den Kampf mit den Bakterien mit Erfolg aufzunehmen. 

Mann (Breslau). 


P. Rodarl, Ueber ein neues elektrisches Heilverfahren (Engen Konrad Müller’s Perrnea- 
elektrotherapie). Berliner klinische Wochenschrift 1901. No. 23—24. 

Verfasser berichtet über ein neues Heilverfahren, dessen Prinzip von dem Ingenieur Müller 
stammt, und welches seit drei Jahren in der kantonalen Krankenanstalt in Aarau, und seit andert¬ 
halb Jahren in einem eigens dazu gegründeten Institut »Salusa in Zürich praktisch erprobt wird. 

Bei dem neuen Verfahren, dessen technische Seite von Müller ausführlich mitgetheilt werden 
soll, handelt es sich um eine durch Aufwendung und Transformation grosserer Mengen elektrischer 
Energie (jeder Apparat konsumiert 8—20 Kilowatt) erzeugte elektrische Strahlung, respektive um 
eine in Wellenform ausstrahlende Elektrizität von äusserst intensiver Durchdringlichkeit. Es handelt 
sich also, wie bei der Arsonvalisation, um eine Fernwirkung der Elektrizität, aber mit dem Unter¬ 
schiede, dass die Ausstrahlung nicht, wie bei dieser, durch eine hohe Spannung bei geringer Strom¬ 
stärke, sondern umgekehrt durch eine grosse Strommenge bei minimaler Spannung erzeugt wird. 

Die physiologische Wirksamkeit seiner Apparate machte sich Müller und seinen Gehülfen 
schon bei den ersten Versuchen in »eigenthümlichen physiologischen Einwirkungen auf bestimmte 
Empfindungsnerven« (ohne jeden Kontakt mit dem Apparat) bemerklich. Ferner wurde bei einem 
Gehülfen zufällig ein Verschwinden von neuralgischen Schmerzen bemerkt 

Systematische Versuche ergaben nun Folgendes: Die »Permeaelektrotherapiet übt zunächst 
einen Einfluss auf die chemische Zusammensetzung des Blutes aus. Mit Blut gefüllte Reagensgläser 
zeigten nach Müller’scher Bestrahlung eino anderthalb- bis zweieinhalbmal so grosse Serumschicht, 
wie dio Kontrollproben. Auch durch eine — hier nicht wiederzugebende — elektrochemische Me¬ 
thode liess sich die Veränderung in der chemischen Beschaffenheit des Blutes demonstrieren. 

Bezüglich der Wirkung auf das Nervensystem ergab sich zunächst am Froschpräparat, dass 
irritative Wirkungen auf die motorischen Nerven bei der Mül 1er*sehen Bestrahlung vollkommen 
fehlen. Darin verhält sie sich also analog der Arsonvalisation. 

Auch die Wirkung auf die Vasomotoren soll sie mit ihr gemeinsam haben, und zwar wirkt 
sie im sedativen Sinne auf Vasomotoren, die sieh im Zustande der Reizung befinden. Dies ergab 
sich aus der günstigen Einwirkung auf angioncurotische Oedeme, für deren Entstehung man eine 
Reizung der Vasodilatatoren verantwortlich machen muss. 

Die grösste Wirksamkeit soll aber dio Permeatherapie auf die sensiblen Nerven und zwar 
ebenfalls als sedatives Mittel besitzen. Unter 57 Fällen von Neuralgie waren 22 Heilungen und 
18 Besserungen zu verzeichnen. Ferner soll neurasihcnischö Schlaflosigkeit (in 50°/ 0 ) sehr günstig 
beeinflusst worden sein, woraus hervorgeht, dass das Verfahren auch auf das zentrale, funktionell 
irritierte Nervensystem sedativ einwirkt. Auch bei hypcrasthetischen Zuständen innerer Organe er¬ 
gaben sich gute Erfolge. Schliesslich wurden auch bei Tabes dorsalis die Schmerzen und die Ataxie 
gebessert. Die Indikation der Behandlung erstreckt sich also auf alle auf einer Irritation beruhenden 
Erkrankungen des sensiblen und vasomotorischen Nervensystems. 

Dio Behandlungsdauer schwankte zwischen einer bis fünf Wochen, bei einer täglichen Ex¬ 
position von 15—25 Minuten. 

Tabellarische Zusammenstellungen der erreichten Erfolge, sowie einige Krankengeschichten 
sind der Arbeit beigefügt. Weiteren Mittheilungen über den Gegenstand ist jedenfalls mit Interesse 
entgegenzusehen. Mann (Breslau). 


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612 


Kleinere Mittheilungen. 


Kleinere Mittheilungen. 


I. 

Die Verwendung von Gemüse- nnd Fleischkonserven in den Armeen 

der Grossmächte. 

Id der »Revue de l’intendance militaire« (Bd. 14. Lieferung 1) finden wir aus der Feder 
des Oberapothekers I. Kl. Ball and eine mit zahlreichen chemischen Analysen versehene Arbeit über 
obiges Thema; nachfolgende Zeilen geben einen Auszug jenes Aufsatzes. 

I. Frankreich. 

a) Gemüsekonserven. 

Julienne, die einzige Gemüsekonserve, welche zur Zeit für die Truppen in Algier an¬ 
genommen ist, besteht aus einer Mischung verschiedener Gemüse (Kohl, Möhren, Kartoffeln, grüne 
Erbsen, Rüben). Die frischen Gemüse sind in dünne Streifen geschnitten, nach Möglichkeit gedörrt, 
und dann unter einen Druck gesetzt, welcher 1000 kg dieser Konserve auf das Volumen von 
1 cbm komprimiert 

Die so präparierte Julicnnckonservc wird in verlötheten Büchsen verpackt; ihr Feuchtigkeits¬ 
gehalt beträgt 13—14%. 

Ihr Nährwcrth ist allerdings ein beschränkter, indess bietet sie den im äussersten Süden von 
Algier stationierten Truppen eine willkommene Abwechselung in ihrem Menu; denn durch Auf¬ 
kochen gewinnt sie mehr oder woniger die Form und Geschmack des frischen Gemüses. Die Einzel¬ 
portion fasst 30 g. 

Die Proviantvcrwaltung hält in gleicher Weise auch Grüne Erbsenkonserven vorräthig 
als ständige Menagebeigabe für Truppen mancher Standquartiere in Algier und Tunis; eine ver- 
löthete Blechkapsel von ca. 1 kg Gewicht enthält mindestens G00 g grüne Erbsen; sie unterscheiden 
sich nicht von frisch gepflückten Erbsen. 

b) Erbssuppekonserven. 

Dies Präparat besteht aus 60% -Erbsmehl. 30% Fett und einem entsprechenden Zusatz von 
Pfeffer und Salz. Die Erbsen sind zuvor in strömendem Dampf gekocht, geschält und vor dem 
Zermahlen gedörrt, einmal um den bitteren Geschmack, welchen die Schalen der Hülsenfrüchte dem 
Präparate mitzutheilen pflegen, zu vermeiden, andererseits um die Haltbarkeit des Produktes zu 
erhöhen. Die Büchsen sind verlölhet oder gefalzt und durch den Dampfsterilisationsapparat bei 
115° gegangen, und zwar sechs Portionen zu je 40 g. Das Präparat bildet eine feste, gelbliche, 
homogene, pastenartige Substanz. 

c) Erbstwurstsuppekonserven. 

Diese Konserven, auf welche man bereits verzichtet zu haben scheint, die jedoch noch von 
den Proviantämtern geführt werden, sind in verlötheten Eisenblcchbüchsen verpackt, zu je 2 Stück 
Erbswurst mit Fett im Gewicht von 250 g für 10 Suppen, also 25 g pro Portion. Erat unmittelbar 
vor Bereitung der Suppe entfernt man die Papiereinwickelung der Konserve. Die Analyse ergiebt. 
dass die Erbswurstkonserven mehr Wasser als die Erbstsuppenkonserven und demgemäss auch 
weniger Nährstoffe enthalten. 

d) Suppenkonserven genannt »Potage national«. 

Die Xationalsuppe soll nach den offiziellen Vorschriften bestehen aus: 


Junges Ochsenfleisch (Muskelfleisch).30% 

Gemüsemehl (Erbsen, Linsen etc.) in Dampf gekocht . . 40% 

Frisches Gemüse (Möhren, Rüben, Lauch etc).7% 

Fett nebst verschiedenen Gewürzen.23%. 


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Kleinere Mittheilungen. 


613 


Das Präparat darf nach Passieren des Dampfsterilisadonsapparates nicht mehr als 20% Feuch¬ 
tigkeitsgehalt besitzen. Jede Büchse enthält, wie die Erb wurstkonserven 20 Suppenportionen zu je 
25 g. Das Präparat, dessen spezielle Darstellung Geschäftsgeheimniss des Fabrikanten ist, bildet 
eine homogene, feste, chokoladenfarbigc Masse. Die Einzelportion von 25 g hat folgende chemische 


Analyse: 

Wasser.4,70 

Stickstolf.4,97 

Fett.0,14 

„ Kohlehydrate und Extraktivstoffe . 7,70 

Cellulose.0,36 

Asche.1,10 


25,00 


e) Gomüsebreikonserven. 

Diese Konserve, welche erst vor kurzer Zeit in der Armee eingeführt wurde, setzt sich aus¬ 
schliesslich aus nachstehenden Bestandteilen bester Qualität und heimischen Ursprungs zusammen: 


Mehl enthülster Erbsen . . . 55,0 kg 


Fett Ia Qualität.7,0 i> 

Schweinefleisch.40,0 » 

Salz.5,0 » 

Pfeffer.0,4 » 

Zwiebel.0,0 » 


Die 113 kg 400 g sind eingekocht auf 100 kg mit einem Höchstgehalt von 13% Wasser. 

Die Konserve ist in Blechbüchsen verschlossen, nachdem sie 1V 2 Stunde im Dampfstcrilisations- 
apparate einer Hitze von 112‘> ausgesetzt war. 

Jede Büchse enthält 5 Portionen zu 40 g, zusammen 200 g; man genicsst sie entweder als 
Brei oder auch verdünnt als Suppe, ltn ersten Fall löst man den Inhalt der Büchse in % 1 Wasser 
auf und lässt die Mischung 5 Minuten auf kochen; im anderen Fall kocht man dasselbe Quantum 
Konserve mit 21 Wasser auf und giesst cs über Brotstücke. Diese neue Konserve bietet bei 
gleichem Gewicht fast denselben Nährwcrth wie die Xationalsuppc; mir bildet sie nicht wie jene 
eine homogene Masse; das Fleisch bleibt einzeln zurück. 

f) Fleischkonservcn. 

Die Rindfleischkonserven, soweit sic Verwendung in der Armee finden sollen, müssen bei 
zweckmässiger Kochbehandlung den vollständigen Inhalt des verwendeten Fleisches bergen und 
somit sämmtliche wirksamen Fleischbestandthcile enthalten mit Ausnahme der Knochen und Sehnen, . 
des Fettklumpen, des Suppenschaumes und des bei der Fabrikation verdampften Wassers. 

Das Fleisch wird 12—18 Stunden nach der Schlachtung von Knochen, Fett und Sehnen be¬ 
freit und in Stücke von höchstens 500 g zerschnitten. Die Fleischstücko werden in Wasser ge¬ 
kocht (blanchiert), abgetropft und unmittelbar in Büchsen verpackt; die beim Kochen gewonnene 
Fleischbrühe wird, nachdem man sie noch genügend eingedampft und das Fett abgeschöpft hat, um 
die in die Büchsen bereits eingeschichteten Fleischstücke gegossen. Die so gefüllten, Büchsen 
werden geschlossen und im Wasserbad von 80° auf Undurchlässigkeit geprüft. Dann werden sie 
nach einer zweistündigen Sterilisation bei 120° nochmals auf Luftdichte untersucht. Jedenfalls darf 
zwischen Schluss der Büchsen und ihrer Sterilisation nicht mehr als eine Zeit von vier Stunden 
verstreichen. 

Das Nettogewicht einer solchen Konservenbüchse beträgt im Durchschnitt 800 g Fleisch und 
200 g Fleischbrühe und Fett; letzteres darf nicht mehr als 60 g ausmachen. Die Fleischbrühe soll 
im Minimum 12% trockene Extraktivstoffe und 1,30% mineralische Substanzen (Asche) ergeben. 

Jede Büchse tragt auf dem Deckel eine gestanzte Aufschrift, welche die Art der Konserven, 
Ort der Fabrikation und Namen des Fabrikanten, ferner das Nettogewicht der Büchse, endlich 
Monat und Jahr der Fabrikation angiebt. Ein Kilogramm Konserven bildet vier Kriegsportionen zu 
je 250 g. 

Der gut gehackte und gemischte Inhalt einer Buchse zu 250 g hat ungefähr folgende Zu¬ 
sammensetzung: 


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614 Kleinere Mittheilungen. 


Wasser ...... 

. . 152,50 

Stickstoff. 

. . 72,95 

Fett. 

. . 20,38 

Extraktivstoffe . . . 

. . 0,87 

Asche. 

. . 3,30 


250,00 

Die Portion Riudfleischkouservc zu 250 g entspricht ungefähr 365 g frischen, von Knochen 
befreiten Fleisches*). 

g) Eingcsalzencs Schweinefleisch. 

Das für den Gebrauch in der Armee eingesalzene Fleisch entstammt französischen Sch weinen. 
Im Kriegsfälle kann die Portion frisches Fleisch zu 500 g ersetzt werden durch eine Portion ein- 
gepökelten Speck zu 300 g, welcher ungefähr 280 g von Knochen befreitem Schweinefleisch entspricht. 

II. Deutschland. 

a) Suppenkonserven. 

Die in der deutschen Armee gebräuchlichen Suppenkonserven bilden eine Mischung von 
Bohnen-, Linsen- und Erbsenmehl unter Zusatz von Fett und Salz. Sie stellen ein ziemlich gleich- 
mässiges Präparat dar, ähnlich der Bohnensuppo der französischen Armee, nur mit dem Unterschiede 
eines Ucberschusses an stickstoffhaltigen Substanzen, welcher seinen Grund in einem Zusatze von 
Fleischextrakt hat. Auch scheint cs an Cellulose reicher zu sein, vielleicht auf einer weniger sorg¬ 
fältigen Reinigung des Leguminosenmehlcs beruhend gegenüber den französischen Präparaten. 
Diese Konserven sind in Rollenform von 6,5 cm Durchmesser und 12 cm Höhe gegossen und zu¬ 
erst in Staniol, dann in Pergamentpapier verpackt. Jede solcher Rolle enthält drei nebeneinander 
gelegte runde Kuchen zu je 150 g, jeder eine Kriegsportion darstellend. Auch sind kleine Rollen, 
nur eine Kriegsportion bildend, im Gebrauch. Eine Portion zu 150 g giebt mit einem Liter heissen 
Wassers eine dicke Suppe, welche dunkler und stärker gewürzt ist als die von französischen Suppen¬ 
konserven 

b) Fleischkonserven. 

Die Verpackung erfolgt in verlötheten cylindriscben Blechbüchsen, 4,5 cm hoch, 9 cm im 
Durchmesser. Jede Büchse, eine Portion bildend, enthält 240 g Konserven, und zwar ungefähr 
190 g gekochtes Ocbsenfloisch und 50 g Fleischbrühe und Fett Die Fleischbrühe ist flüssig, sic 
enthält 91% Wasser und 9% trockene Extraktivstoffe, ln anderen Büchsen derselben Grösse ist 
die Fleischbrühe durch gehacktes, sehr gewürztes Fleisch ersetzt 

III. England. 

Die englische Armee verwendet die verschiedensten Konserven: Gemüse- und Ochsenfleisch- 
konserven, geräucherten Speck, Fleischextrakt, kondensierte Suppen etc. 

Die gedörrten Gemüsekonserven (Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln, grüne Bohnen etc.l scheinen 
in derselben Weise wie die Juliennesuppe präpariert zu werden. Die Ochsenfleischkouserven, be¬ 
kannt unter den Namen: roast bcef, boiled beef, comcd beef, chipped beef, unterscheiden sich 
nur durch ihren relativen Feuchtigkeitsgehalt, besitzen aber in völlig trockenem Zustande den 
gleichen Nährwerth; das boiled beef ist der entsprechenden französichen Konserve sehr ähnlich. 

Die Räucherspeckkonserven in Würfelstückeu haben den grossen Vorzug nicht mehr als 
14,5% Wassergehalt aufzuweisen. 

Die Fleischextrakte sind nicht gleichmässig eingedampft, ihr Nährgehalt ist daher ein sehr 
verschiedener. Der Prozentgehalt an Wasser schwankt zwischen 16 und 73%. 

Die Biskuits, welche mit Fett und Fleischpulver imprägniert sind, differieren ebenfalls so¬ 
wohl in Gestalt als auch in Zusammensetzung. Die Suppenkonserven sowohl wie die vorgenannten 
Präparate sind in ihrer Zusammensetzung sehr schwankend. Die mikroskopische Untersuchung 
ergiebt die verschiedenartigste Zusammensetzung (Flcischpulvcr, Kartoffeln, Erbsen, Bohnen, 
Reis). Die Haltbarkeit ist eine ziemlich beschränkte, da bald Ranzig werden eintritt. Diese so her¬ 
gestellten Suppen sind wenig schmackhaft, sie werden vom englischen Soldaten nicht gern genossen. 


i) Bezüglich der Kriegsportion frischen Fleisches zu 500 g resp. von Knochen befreiten 
Fleisches zu 400 g sieht man, dass der Unterschied (400 zu 365 g) reichlich durch die Suppen¬ 
konserven ausgeglichen wird, welche ebenso wie die Fleischkonserven an die Truppen vertheilt 
werden, sobald Mangel an frischem Fleisch eintritt. 


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Kleinere Mittheilungen. 


615 


IV. Oesterreich - Ungarn. 

Die Einbrennauppe ist in viereckigen Paketen von je 10 Portionen zu 36 g verpackt. 
Die Präparate sind nur mit einem einfachen Blatte Pergamentpapier bedeckt, eine gegen atmo¬ 
sphärische Einflüsse durchaus unzulängliche Emballage Die anderen Suppenkonserven (Bohnen, 
Erbsen, Linsen, Gemüse etc.) sind ebenfalls in Paketen, jedoch nur 4 Portionen zu 100 g zusammen¬ 
gestellt. Ihre Zusammensetzung ist ziemlich glcichmässig: 10—15% Wasser und 14 —19% stick¬ 
stickstoffhaltige Bestandteile. 

Die Ochsenfleischkonserven gelangen in kleinen gefalzten Blechbüchsen von 8 cm Höhe und 
7,5 cm Durchmesser zur Verwendung. Ihre Zusammensetzung ist eine ziemlich konstante und gleicht 
den französichen Konserven derselben Art. 

Auch existiert in Büchsen von demselben Umfange ein sehr gewürztes Fleiscbhachöo, welches, 
solange das Präparat frisch ist, sehr schmackhaft ist, auf die Dauer aber diesen Vorzug bald ein- 
büsst Es enthält weniger Wasser als die Ochsenfleischkonserven (46 gegen 66%) und repräsentiert 
folglich bei gleichem Gewicht mehr Nährwert. 

Y. Belgien. 

a) Suppen- und Fleischbrühkonserven. 

Die Suppenkonserven stellen runde Kuchen dar von 4 cm Durchmesser, 50 g schwer. Jeder 
solcher Kuchen liegt, umhüllt von eifern Staniolblatt und Paräffinpapicr in einem kleinen Aluminium- 
behälter mit beweglichem Deckel; ausserdem enthält die Büchse in gleicher Verpackung eino Portion 
Zucker (25 g) und eine Portion Kaffee (20 g). Alle diese Präparate gelangen in gepresster Form 
zur Verpackung. 

Die Suppenkonserven bestehen aus Hülsenfrüchten und Fett unter Zusatz von Fleischextrakt 
und Gewürz (Pfeffer, Lauch); sie sind etwafc stickstoffhaltiger und cellulosereicher als die französischen 
Konserven ähnlichen Genres, jedoch weniger stark gesalzen. 

Die Fleischbrühkonserven, in ovalen, */ 3 l haltenden gelöteten Blechbüchsen bilden zu 350 g 
eine Einzelportion. Sie haben die Konsistenz flüssigen Sirups, sehen dunkelbraun aus und erinnern 
im Geruch und Geschmack an Fleischbrühe und verschiedene Gewürze (Lorbeer, Zwiebel, Pfeffer), 
welche beim Einfüllen in die Büchsen als Rückstand blieben. Das Maass des Salzzusatzes ist ent¬ 
schieden überschritten. Diese Konserven dürfen nur auf eine relativ kurze Zeit dargestellt werden, 
da die Blechbüchsen ausserordentlich schnell unter dem Einflüsse des Salz* und Flcischsäuregehaltes 
leiden. Sie enthalten nur 10% Nährstoffe, d. h. 35 g auf 1 / 3 1, ein entschiedenes Missverhältniss. 

b) Ochsenfleisch- und Fleischbrotkonserven. 

Die .Ochsenfleischkonserven sind in der gleichen Weise wie die vorgenannten Konserven 
verpackt und lassen sich mittels eines beigelegten Schlüssels am Büchsenrande durch Aufrelssen 
öffnen; sie enthalten 300 g Fleisch und Fleischbrühe als Einzelportion. Die Darstellungsweise 
scheint dieselbe wie in Frankreich zu sein. 

Das Fleischbrot ist in cylindrischen, verlötheten Blechbüchsen zu 1200 g und zwar in acht 
Portionen zu je 1500 g verpackt. Es besteht aus einem Ochsen- und Schweinefleischhacböe mit 
Brotkrume und Gewürzen (Zwiebel, Pfeffer etc.) stark vermischt. Das belgische Fleischbrod enthält 
nur 30% Nährstoff. 

VI« Vereinigte Staaten« 

In der Armee der Vereinigten Staaten gelangen dieselben Konserven zur Verwendung wie 
in der englischen. 

VII. Italien. 

Fleischkonserven. 

Die Verpackung erfolgt in schwarzen, cylindrischen Blechbüchsen von 6 cm Höhe und 7 cm 
Durchmesser. Eine volle Büchse liefert ca. 230 g Ochsenfleisch und Fleischbrühe im Sinne , der ge¬ 
wöhnlichen Konserven. Die Zusammensetzung des Präparates unterscheidet sich nur durch einen 
bei der Herstellung stattfindenden starken Zusatz von Salz gegenüber den französischen Konserven. 

VIII. Russland« 

Man hat in schmale Stücke geschnittenes gedörrtes Fleisch eingeführt; es scheint sich gut 
zu halten und wird trocken oder in Wasser auf gekocht genossen. 


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Kleinere Mttiheiluugeü. 


Eine neue Satidbarlernrichluug. 

Der mi^lUihfeir Punkt beim Sandhai] istdfo ^fei^i:uiä8^ge Erwarmung tu- 

käaiulicli ein &ht ^l^ii^r WSrnieleit^r ist J Rer größerem Bedarf an wu Jirfter t?ta- 

&t&iden mehrere zu gleicher Zeit verabreicht werden mTDsom wml mau ferner» finale^ der bekannte*« 
Einnchtüilgr in »len Mobd>cde:n!.sudte?e die Wannen fahrbar citniehren müssen, mu »te um Üe^enr«nr 
.au füllen Man höf öirih 'd&4 ^vth^i t Jede Wjissid'baüc^eilo, cventteil suglefch für Siudbad- 
vcräbrefehuii^ Ityfmtztm au kennen. Wird doch gewöhnlich und» dem Sand ha il ein vrartm^s Wä&v : 
bad gennmiucn. Auen die Piilluug dea lk^etvu»r» wird, statt itdi ilor Hand, hei grosseren Anb-eu 
vorthoilhfift auf maftchmell^ 

Eine solche’. grdssorfö .'genügende ^andbadanlagn «nt - spezieller Winrkhtniig *n 

gleichmfu&tfjgef Erwrinnaug iii* Sandes hat die Firma Bo Hu A Loppow, Bamtmvg uach Anga-hen von 
Dt\ Särrasou i Berlin:• konstruiert 

Das rK'ue Systeh} hMdön VorthdJ, dpAs es vom Vorhandensein einer Dampfmeugvin^tcile 
unabhängig Ls* ttm’l die Krümmung des Sandes durch Leuchtgas oder Spirits bewirkt wird. ^Bei den; 
Figuren 84 find fr» sind Dn*hrenner zu sehen.) 


Die VorriHtfimg -fetöht zur llniipDaehi* aus einer, den kalter« Sand mifnehmeniten drehbaren 
' f .prbbh'iiel, $öKm 'Mftbtorbkci.t die ihm durch ffajD ^intii.sbrfriöüt , i: zi^cftibree IVlrtne auf den 
Inhalt iibeitnigt Da. sich der Sand wahrend dtu Khvaanühg; uh Zuvtaiidc der Bewegung todtndtt 
nnd;b.ot^3htH[m4 .«l^cli^nHiiddrgcih^^Kt wird, *b. ist t^ino ydMteMDQlof.iv gteicl^nassige Erwäwaibhg 
gesuuvmten Bihalts gQwährlemteb IMtPl enipccathr des* Bhfidfs ist jedefSyü vrm pinfni 
PbertöOtfHU tu ahpMes£n * • „ W. ' • ‘ ' 

Die Tn-ruurei ist auf eine Welle iestgekuilt und di einen» stabilen fb'StolL siche Figur 84. bdfr 
aufWamlk<mdoh‘, Figur ^/gelagert ‘ A ; .;. Ay': f : * 

Es iH einleuchtend, das,-, um «Jeu angeltu-bieu Zweck .ut erreiche», nur eine grunz ÄÄÄ? 
Tourenzahl der TYomwtd erlVderifrh ist 

per Antrieb evbdgt entweder durch die Hand;....Figur * 4 . oder .maschinell, ßgur Kt. ln hc.M. t 
Falten Wird die Dmrouz.dd durch ein n^iie-rvorgejegi: io en^pvwhendefr Dreu 2 ci» gehalten, wudubh 
sielt der Kniifiiufwantl bedeutend icrb^tert lim maschinellem Antriebe frt eine lese und fooo 
Uieincusetieilm vOrgcschom >Mo ,$ti jeder Zern ein Ein- und Aussthatten dt** AppariUe* i-niiAgli^fe 
Pur grossere Anlagen und die Vorrichtung »n der Tiegel' in doppelter Abführung gfliefet; 
und mit einem UJei‘h»niaoln n ^;iudtV,>derv\ < »k Akurrui'ki'erajjivaiai? verbundfp./welche» durch dw» 
gleichen EleUov>n»or*,r. tf.fr die ibuntten der b.-tumele. bvw irkt, in Ike egung gb^tjet Tiiti I uod 
dt «} leifld«*': Trnil^jVörf und Wcoimel des gele/.«a-. fn',‘U Samten erujuglfelik 







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C>18 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


I. 

Der deutsche Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke 

hielt seine diesmalige Jahresversammlung am 29.—30. Oktober zu Breslau ab. Nach der üblichen 
Vorstandssitzung, welche in mehreren Stunden die Interna des Vereins, welcher sich mit seinen 
13 000 Mitgliedern über ganz Deutschland erstreckt und den Norden mit dem Süden zur gemein¬ 
schaftlichen Arbeit wider den Alkoholmissbrauch verbindet, beratschlagte, fand zunächst in der 
Aula der Universität die zweite Konferenz der Vorstände der Trinkerheilanstalten des deutschen 
Sprachgebietes statt. Die ausserordentlich gut besuchte Versammlung nahm nach den Bcgrüssungs- 
worten des Vorsitzenden, Pastor Dr. Martius, das Referat über die Aufnahmemodalitätcn bei 
Trunksüchtigen in Trinkerheilanstalten von Dr. mcd. Waldschmidt entgegen. Derselbe erläuterte 
den von ihm für die Heilstätte »Waldfriedcnoc entworfenen, nachstehenden Fragebogen, indem er 
darauf hinwie9, dass dreierlei durch denselben festzustellen sei: Abgesehen von den gewöhnlichen 
Personalien solle die Ursache der Trunksucht (hereditäre Belastung nicht nur hinsichtlich der Trunk¬ 
sucht, sondern auch bezüglich etwaiger Geistes- und Nervenkrankheiten in der Familie; sodann 
prädisponierende Momente in Form früherer Erkrankungen oder erlittener Verletzungen, sowie 
psychopathische Veranlagung, Charaktereigenthümlichkeiten, Geistesstörung, Moralitätsdefekte, be¬ 
sonders in Bezug auf Wahrheits- und Elternliebe neben den Lebensgewohnheiten, der Erziehung, 
den ökonomischen, Familien- und Wohnungsverhältnissen des Individuums) in erster Linie Beachtung 
finden. Zweitens ist die Art der Trunksucht festzustellen und zu ergründen, seit wann ein Ge¬ 
brauch und im Anschluss daran der Missbrauch geistiger Getränke stattgefunden hat; ob regel¬ 
mässig oder in bestimmten Intervallen getrunken (und dadurch ein Gcwohnhcits- oder Perioilen- 
trinker erzeugt) worden ist; ferner in welcher Qualität und welcher Quantität der Alkohol dem 
Körper zugeführt wurde. — Nachdem diese anamnestischen Daten erhoben, wird es sich durch die 
eingehende Untersuchung in psychischer wie in körperlicher Hinsicht darum handeln, den Status 
aufzunehmen und somit die Folgen der Trunksucht aufzuzeichnen, wobei gleichzeitig die 
schädigenden Einflüsse des Alkohols auf das Erwerbs- und Familienleben, sowie auf die Nach¬ 
kommenschaft eruiert werden mögen. Auf diese Weise wird man zur sicheren Diagnose kommen 
und feststellen können, ob es sich um einen chronischen Alkoholismus mit irgend welchen 
Komplikationen, ob cs sich um einfache Trunksucht, um eine Dipsomanie, eine Alkoholepilepsie 
oder dergleichen handelt, um daraufhin die therapeutischen Maassnahmen zu treffen. Man wird aber 
auch dadurch nach der wissenschaftlichen Seite den Charakter der alkoholischen Erkrankungen aus¬ 
zubeuten und damit ein Gebiet zu erforschen vermögen, welches bisher noch sehr im Argen liegt, 
und immer dringender das allgemeine, wie vor allem das ärztliiehe Interesse herausfordert. 

Im Anschluss hieran hatte derselbe Referent darüber zu berichten, was wir von unseren 
Patienten durch die Hausordnung fordern. Die Hausordnung der Trinkerhcilstätten hat nach An¬ 
sicht des Referenten analog der in den Irrenanstalten auf eine gehörige Disziplin Bedacht zu nehmen, 
dabei aber als obersten Grundsatz aufzustcllen: unbedingte Enthaltsamkeit von allen 
geistigen Getränken (Bier, Wein, Branntwein oder dergleichen) in und ausser dem Hause 
seitens aller Anstaltsinsassen, mag es sich um Kranke oder Angestellte handeln. Es soll in 
fernerem grundsätzlich von jedem Patienten eine Bethätigung verlangt werden, die vornehmlich in 
grober Muskelarbeit (gärtnerischer und landwirtschaftlicher Beschäftigung) ihren Ausdruck findou 
mag, um als Bewegungstherapie belebend und fördernd auf Körper und Geist zu wirken. 

Bei der nachfolgenden Diskussion wurde eingehend der Werth der sogenannten alkoholfreien 
Getränke für Alkoholisten besprochen und als wünschenswert erachtet, dieselben aus den Trinker¬ 
heilanstalten möglichst zu verbannen, um so den Trinkgcwolmheiten des Einzelnen zu steuern. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 619 

Fragebogen der Trinkerheilstätte »Waldfrieden«. 

Name: 

Wohnort: 

Alter: 

Beruf: 

Entmündigung: 

Durch wen ist die Aufnahme veranlasst ? 

Verpflichtung für wie lange? 

Aufnahme: 

Aufenthaltsdauer: 

a) Ursachen der Trnnksncht. 

Erbliche Belastung (Trunksucht, Geistes- und Nervenstörungen, Epilepsie, Selbstmord, Charaktcr- 
eigenthümlichkeiten, Gewohnheitsverbrecher): 

a) Grosseltern 1. väterlicherseits: 

2. mütterlicherseits: 

b) Vater: 

c) Mutter: 

d) Geschwister der Eltern: 

e) Geschwister des Kranken: 

Körperliche und geistige Veranlagung: 

Körperliche und geistige Erkrankung: 

Familien- und Wohnungsverhältnissc: 

Beruf, Bitte, Gewohnheit, Beispiel, Erziehung: 

b) Art der Trunksucht. 

Seit wann wurde getrunken? 

Was wurde getrunken? (Art und Menge:) 

Wie wurde getrunken? (regelmässig, periodisch:) 

c) Folgen der Trnnksncht. 

In geistiger Beziehung: 

In körperlicher Beziehung: 

ln Bezug auf das Familien -, das Erwerbsleben: 

Diagnose und etwaige Komplikationen (einfache Trunksucht, chronischer Alkoholismus, Dipsomanie, 
Delirium [wie oft?], Geistesstörung, Epilepsie, Neigung zu Selbstmord, zu Gewalttätigkeiten, 

zu Verbrechen, Lüge, Diebstahl): . 

Vererbung auf die Nachkommen: 


Bemerkungen: War der Kranke schon einmal in dieser oder einer anderen Trinkerheilanstalt? 
(eventuell wann, wie oft, in welcher?) 

War er schon Mitglied eines Abstinenz Vereins? (welches, was hat seinen Austritt, nach 
welcher Zeit veranlasst?) 

Wodurch wurde er rückfällig? 

Die beiden folgenden Referate, von dem Hausvater der Berner Anstalt schriftlich, von dem 
Hausvater von Klein-Drenzig mündlich erstattet, behandelten die sehr wichtige Frage der Beschäfti¬ 
gung der Kranken im Winter und im Sommer. Es gehört zu den schwierigsten und Haupt¬ 
aufgaben eines Trinkeranstaltsleitcrs, alle Patienten vermöge ihren Leistungen und Fähigkeiten stets 
und mit Interesse an der Arbeit zu erhalten. Im Sommer ist dies noch leichter wie im Winter, und 
man hat besonders in Schweizer Anstalten allerlei Betriebe, wie Schlosserei, Buchbinderei, ja Buch¬ 
druckerei, Mineralwasserfabrikation etc. einzurichten gesucht und auch sogar mit Samariterkursen be¬ 
gonnen. Wenn auch in dor Debatte sich eine Stimme gegen die Verpflichtung zur Arbeit erhob, 

42 * 

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Geburtsort: 
Religion: 
Civilstand: 
Bestrafung: 


Entlassung: 


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<V20 feerichte über Kongresse und Vereint. 

so war man sich doch allgemein darin einig, dass die Beschäftigung der Trunksüchtigen innerhall» 
der Heilstätte ein wichtiges Moment der Behandlung bilde und von allen Insassen verlangt werden 
müsse. 

Pastor Go e bei - Bienowitz sprach sodann über die Mittel, den Trinker möglichst lange in 
einer Tinkerheilanstalt zu halten; er glaubte durch die demselben entgegengebrachte Liebe die er¬ 
forderliche Macht zu besitzen. Demgegenüber gab Wald Schmidt seinem Zweifel Ausdruck, dass 
cs möglich sei, allein auf diese Weise die Trinkerbehandlung als Allgemeingut zu verbreiten; es 
müsse vielmehr darauf hingearbeitet werden, dass wir nicht nur vom guten Willen des Alkoholistcn, 
von seinen Launen und Stimmungen puncto Aufnahme und Entlassung abhängig seien, sondern es 
müsse für gesetzliche Maassnabmen gesorgt werden, die den Alkoholkranken auch gegen seinen 
Willen zwangsweise einer Heilbehandlung zugänglich machen, beziehungsweise ihn darin zurück¬ 
halten lassen, wenn ihm die Einsicht hierzu fehle. 

Pastor Kruse-Lintorf theiltc in einem weiteren Vortrage mit, welches Interesse die Landes- 
Versicherungsanstalten an der Trinkerbehandlung haben, und welche von ihnen sich materiell 
durch Ueberlassung von Darlehnen zu niedrigem Zinssätze, beziehungsweise durch Ueberweisung von 
Trunksüchtigen an den diesbezüglichen Bestrebungen betheiligt hätten. Referent drückte durch 
eine einstimmig angenommene Resolution den Wunsch aus, dass die Unterstützung nach dieser 
Richtung seitens der Landes Versicherungsanstalten sich immer lebhafter gestalten möge. 

Stadtrath Martius-Breslau verbreitete sich in seinem Referate: Ist im Sinne des bürger¬ 
lichen Gesetzbuches zur Entmündigung derTrinker die ärztliche Feststellung einer 
Erkrankung von Alkoholismus erforderlich oder nicht? des Eingehendsten über die Laster¬ 
haftigkeit der Trunksüchtigen, indem er die Trunksucht wie die Ehrsucht, Eifersucht, Herrschsucht 
etc. etc. als keinen »im medicinischen Sinne« krankhaften Zustand anzusehen vermöge, wenn auch der 
Behaftete der moralisch enWiderstandsfähigkeit entbehre, die ihn gelegentlich zu Handlungen treibe, 
die Vernunft und Gewissen ihm verbieten sollten. Referent ging so weit, zu behaupten, dass nicht nur 
die Kommentare zum bürgerlichen Gesetzbuch, sondern das bürgerliche Gesetzbuch selbst von einem 
krankhaften Zustand beim Trunksüchtigen, als nicht im medicinischen Sinne gemeint, spreche; er 
benutzte zu seiner Beweisführung den § 681 der Civilprozessordnung, nach welchem der Ent¬ 
mündigungsbeschluss auszusetzen ist, wenn »Aussicht besteht, dass der zu Entmündigende sich 
bessern werde«, indem er meinte, dass das »Sichbessernwerden«, dem allgemeinen Sprachgebrauche 
gemäss »moralisch« gedacht sei, nicht aber im medicinischen Sinne ausgelegt werden könne. Hiernach 
kommt Referent zu dem Schluss, dass die Trunksucht nicht in jedem Falle eine Krankheitsei, uml 
deshalb die Frage betreffs der ärztlichen Mitwirkung bei der Entmündigung im obigen Sinne verneint 
werden müsse. — Hierauf wurde von medicinischer Seite durch Neisser-Leubus und Waldschmidt 
erwidert, dass auch diesseits der Wunsch bestehe, auf denkbarst schnellstem Wege die Unterbringung 
eines Trunksüchtigen in einer Trinkerheilanstalt herbeizuführen, dass man aber unmöglich von einem 
krankhaften Zustande, also von einer Krankheit im medicinischen und nichtmedicinischen Sinne 
ernsthaft sprechen könne. Als trunksüchtig kann man doch unmöglich einmal einen Alkohol kranken 
ein anderes Mal einen Alkohol gesunden bezeichnen, und so wurde von dieser Seite entschieden 
bestritten, dass da, wo gesetzlich von einem »krankhaften Zustande« die Rede, etwas anderes als ein 
pathologischer Zustand gemeint sei. 

Den Schluss der Konferenz bildete ein Referat von Smith - Niendorf über die Behandlung 
von Trunksüchtigen vor, während und nach einer Anstaltsbehandlung, indem er die 
allgemein anerkannten Grundzüge der Alkoholistenbehandlung zum Ausdruck brachte und nach¬ 
drücklich den Anschluss an abstinente Vereine oder Familien für Anstaltsentlassene empfahl. 

In der abendlichen öffentlichen Versammlung, welche vom schlesischen Provinzial verband 
arrangiert war, wurde die starke Entwickelung der Mässigkeitsbestrebungen in Schlesien 
betont und von dem Pfarrer Kapitza ein packendes Bild aus dem Leben seiner Tbätigkeit ge¬ 
geben. Der Vorsitzende des Provinzialverbandes, Freiherr v. Diergardt, theilte mit, dass ein von 
41 Professoren der Breslauer Universität Unterzeichneter Aufruf an die Studentenschaft, der die Mässig¬ 
keitsbestrebungen zur Beachtung empfohlen werden, erlassen sei und sprach dann über Wirthshaus- 
reform, indem er auf die Verhältnisse im Auslande hinwies und eine Reform durch Genossenschafts¬ 
betrieb befürwortete. Die sehr anregende Versammlung erfreute sich des besten Besuchs; das zur 
Verfügung stehende Auditorium maximuni der Universität erwies sich als fast zu klein. 

Am folgenden Vormittage fand nun die Hauptversammlung des Vereins statt; nach den 
Begriissungsworten des Vorsitzenden, Oberbürgermeisters Struckmann, der die Aufgaben des 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 621 

Vereins kurz dahin charakterisierte, dass gegenüber den Abstinenzbestrebungen der Missbrauch 
geistiger Getränke bekämpft werden solle, dass aber Mässigkeits- und Enthaltsamkeitsvereine mit 
und für, nicht wider einander im Kampfe gegen den Alkoholismus treu zur Seite stehen müssten, 
wurde den Bestrebungen des Vereins seitens der staatlichen und Kommunalbehörden (es sei er¬ 
wähnt, dass sowohl das Kultusministerium als auch das Handelsministerium offiziell vertreten war) 
die Sympathien ausgedrückt. 

Das Hauptvortragsthema bildete »Massigkeit und Wehrkraft«, welches seitens des Pastor 
Dr. Martins vom geschichtlichen, durch Freiherrn v. Diergardt vom militärischen und seitens 
des Stabsarztes a. D. Dr. Gerwin vom medicinischen Standpunkte behandelt wurde. Pastor 
Dr. Martius führte aus, dass durch den Alkoholmissbrauch die Gesundheit der Truppen geschädigt, 
ihre Marschtüchtigkeit verringert, Ehr- und Pflichtgefühl hcrabgemindert werde. Die grössten Heer¬ 
führer seien nüchterne Leute gewesen. Die Kriege des Mittelalters seien ohne Alkohol geführt; 
erst im 16. Jahrhundert sei Alkoholgenuss bei den Truppen eingeführt und zur Napoleonischen Zeit 
allgemein verbreitet. Wenn früher bei den Nahgefechten vielleicht der Anreiz durch den Alkohol 
noch zu rechtfertigen gewesen sei, so müsse or heute bei anderer Kampfweise unbedingt als ver¬ 
werflich bezeichnet werden. König Wilhelm I. habe bereits im Jahre 1862, einem Erlasse gemäss, 
die Branntweinlieferung an die Armee eingestellt 

Frhr. v.Diergardt erging sich eingehend über den Alkoholmissbrauch und über die Trinksitten 
in Armee und Marine; von den Kriegsministerien in Berlin und Dresden war ihm auf seine Anfrage 
mitgetheilt, dass in den Kantinen grössere Mengen Alkohol überhaupt nicht verabreicht würden, 
dass man auf Märschen und im Manöver keinen Branntwein dulde; aus den Kantinen in Metz und 
Strassburg sei derselbe vollständig verbannt. Referent gab ferner an, dass auf manchen Schiffen 
der Kaiserlichen Marine ebenso auf den Schiffswerften Branntwein verboten sei, und schloss 
seinen durch viele Erlebnisse als Seeoffizier reich ausgestatteten Vortrag mit dem Hinweis auf die 
Liebesmahle, auf das Trinken auf gemeinschaftliche Kosten seitens der Offiziere und auf den damit 
verbundenen Trinkzwang, der vielen zum Unheil gereiche. 

Dr. Gerwin war am Erscheinen verhindert, sein Referat wurde infolge dessen auszugsweise 
mitgetheilt; es gipfelte in der Empfehlung der Enthaltsamkeit für die Truppen, die dadurch ausdauern¬ 
der und gesunder würden. Der Einwurf, dass dank der Unmässigkeit von Jahr zu Jahr ein immer 
grösserer Prozentsatz ausgemustert werden müsse, und sich ein Zurückgehen des Körpermaasses 
zeige, wurde in der Debatte von einem Stabsarzt der Breslauer Garnison, Dr. Willger, bestritten. 
Dagegen ward von dieser Seite hefvorgehoben, dass besonders bei den Einjährigen, auch bei den 
Reservisten und Landwehrleutcn die schädigende Wirkung des Alkoholmissbrauchs sich unliebsam 
bemerkbar macht. 

Die Versammlung drückte darauf in einer Resolution der deutschen Heeres- und Marine Ver¬ 
waltung für die bisherigen Maassnahmen zur Einschränkung des Alkoholgenusses den Dank aus 
und bat im Interesse der deutschen Wehrkraft diese Bestrebungen auch ferner, in Berücksichtigung 
des überhand nehmenden Biergenusses unterstützen zu wollen. 

Landesbankrath Dr.Osius besprach sodann die Aufgaben der Bezirksvereine, die nach 
festem Programm, seinen Ausführungen in den Mässigkeitsblättein gemäss, arbeiten und durch ihren 
eigenen Ausbau den Hauptverein fördern müssten. Referent betonte noch besonders die Mitarbeit der 
akademischen Jugend und ihrer Lehrer im Kampfe gegen den Alkoholmissbrauch, indem er vor 
Zersplitterung der Kräfte warnte. 

Zum Schluss der reichhaltigen Tagesordnung berichtete Generaldirektor Df. Stephan über die 
Mässigkeitsarbeit in Obcrschlesien; er verwies auf die neue Polizeiverordnung, die den Brannt¬ 
weinverkauf von 10 Uhr abends bis 8 Uhr morgens verbiete, und auf die bekannte Verordnung der 
Eisenbahn Verwaltung mit gleichem Verbot in den Wartesälen 111. und IV. Klasse. Referent forderte 
eine strengere Durchführung der Sonntagsruhe in Bezug auf das Schankgewerbe, er will das Bier 
aus den Kantinen verbannt wissen, um Kwas dafür einzuführen, und wünscht dringend das Borg¬ 
system beim Alkoholverkauf abgeschafft zu sehen. 

Damit war die Reihe der Vorträge erschöpft, und es blieb nur noch übrig, den Ort der 
nächsten Jahresversammlung festzusetzen, wozu Stuttgart vorgeschlagen und gewählt wurde. 

Waldschmidt (Charlottenburg-Westend). 


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fi22 Berichte über Kongresse und Vereine. 

II. 

Ueber die Bedeutung des Leims als Nährmittel und ein neues 
Nährpräparat »Gluton«. 

Autoreferati) und einige Bemerkungen über Diätetika. 

Von Dr. H. Brat in Rummclsburg. 

Da die Natur die Kohlehydrate und Fette in konzentrierter Form bietet, hat man sich haupt¬ 
sächlich bemüht, konzentrierte Eiweissnährmittel herzustellen. Die Unzahl dieser Präparate hat 
die Bedeutung des Leims, welcher schon vor mehr als einem Jahrhundert als konzentriertes Nähr¬ 
mittel Beachtung gefunden hat, in den Hintergrund gedrängt. Freilich bestehen Schwierigkeiten, 
grössere Mengen Gelatine den Kranken zu verabfolgen, da die Zubereitung der Gelees zeitraubend 
ist, und das Hinzufügen von Gelatine zu Suppen dieselben bei nicht genügend hoher Temperatur 
zu einer ungeniessbaren Gallerte umwandelt. 

Glu ton, eine Gelatose, welche ich darstellte, hat die Eigenschaft, selbst in konzentrierten 
Lösungen nicht mehr zu gelatinieren. Das Präparat lässt sich mit Fruchtsäften in Wasser resp. 
Sclterswasser bei gleichzeitigem Zucker- resp Saccharinzusatz verabfolgen; aber auch zu Suppen 
etc. kann Gluton bei Innehaltung der Vorschriften resp. bestimmter Quantitätsverhältnisse zugesetzt 
werden, ohne wesentlich den Geschmack zu verändern. 

In angestellten Stoffwechselversuchen wurde die Fragestellung berücksichtigt, ob Gluton in 
einer Mischung von Nahrungsmitteln, wie dieselbe bei der Ernährung des gesunden und kranken 
Menschen möglich sei, dasselbe leiste, wie die Eiweisspräparate, welche gegenwärtig Anwendung 
finden, oder ob dem Gluton in diätetischer Beziehung Vortheile zukommen; aus der Beantwortung 
dieser Frage musste auch gleichzeitig hervorgehen, ob die Gelatose Gluton der Gelatine gleich- 
werthig ist, deren Bedeutung für den Stickstoffhaushalt im Organismus im wesentlichen feststeht 
Es ist bekannt, dass der Nährwerth der Albumosen resp. Peptone im Vergleich mit demjenigen 
ihrer Ausgangsmaterialien zum Theil sicher mit Recht bestritten wird. Der Beweis, dass 
irgend ein Nährpräparat vollständig das Eiweiss der natürlichen Nahrung des 
Menschen ersetzen kann, ist nirgends geliefert; erhebliche Mengen natürliches Nahrungs- 
eiweiss sind in allen ähnlichen Versuchen neben den Nährpräparaten gegeben worden. 

Wenn ich in meinen Versuchen ca. 50 0/ 0 des gesammten Nahrungseiweisses durch Gluton 
ersetzte, entsprach ich ungefähr den Mittelwcrthen von Versuchen mit den verschiedensten Nähr¬ 
präparaten, obwohl darüber, dass der Leim sogar etwa 8ö°'o des Nahrungseiweisses unter Um¬ 
ständen ersetzen kann, nach den Versuchen J. Munks kein Zweifel bestehen kann. Indem ich 
bezüglich Einzelheiten der Versuche auf die in der Deutschen medicinischen Wochenschrift dem¬ 
nächst erscheinenden Abhandlung hinweise, will ich hier erstens eine bei dieser Gelegenheit ge¬ 
fundene Thatsaehe von allgemeiner Bedeutung erwähnen. Voit hatte durch Vergleichs verbuche 
mit Leim festgestellt, dass das täglich zerfallende Organeiweiss auf ca. IC g zu veranschlagen sei; 
ich konnte, allerdings bei einer Rekonvaleseentin während einer viertägigen Glutonperiode im 
Durchschnitt keinen zahlenmässig sich markierenden Organeiweisszerfall konstatieren. Der Schluss, 
dass dieser unter Umständen wesentlich niedriger sein kann, als von Voit angenommen wurde, 
scheint jedenfalls gerechtfertigt. Diese Thatsaehe bildet ein Gegenstück zu der in den letzten J ah reu 
geltenden Auffassung, dass das Eiweissminimum auf etwa 1/3 der von Voit aufgestellten Grösse 
zu veranschlagen sei. 

Zweitens theile ich hier die aus den Versuchen sich ergebenden Schlussfolgerungen uiit: 

Gluton, welches den höchsten N - Gehalt aller modernen Nährpäparate entsprechend seiner 
Darstellung aus Gelatine und seinem sehr niedrigen Aschengehalt besitzt, leistet in einer Mischung 
von Nahrungsmitteln, bei einer Verabreichung von Dosen, wie sie die Grenzen der Ersatzmöglich¬ 
keit des Nahrungseiweisses bei der Ernährung des gesunden und kranken Menschen durch ein 
Nährpräparat nur gestatten, dasselbe bezüglich des N-Haushalts wie die Ei weisspräparate. — Die 
Darmfäulniss wird in nicht anderer Weise beeinflusst als durch Eiweisspräparate, — die Hamsäurc- 
mengen im Urin, zu deren Bildung natürlich nur der ausgenutzte Bruchthcil des Nährpräparates 
beitragen kann, und deren Verhältniss zum Gesammtstickstoff im Urin demnach nur als Vergleichs¬ 
werth angesehen werden darf, werden in einer Glutonperiode geringer als in einigen zum Vergleich 
vorgenommenen Versuchen mit anderen Präparaten (Plasmon, Somatose); die eiweisssparcmle 
Wirkung des Gluton trat besonders hervor in zwei Versuchen, in welchen ausser dem Ersatz von 

! ) Vortrag gehalten im Verein für innere Medicin am 4. November 1901. 


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Berichte Über Kongresse und Vereine. 623 


ca. 50° o des natürlichen Nahrungseiweisses noch ein Theil der Kohlehydrate entsprechend ihrem 
kalorimetrischen Aequivalent durch Gluton ersetzt wurde. Fast sämmtliches verabreichtes natür¬ 
liches Nah rungsei weiss kam im Gegensatz zur Vor- und Nachperiode zum Ansatz; die Verdaulichkeit 
des Glutons ist eine gute; die Ausnutzung ist sehr vollkommen. Der Ausfall der Versuche bewies, dass 
die Gelatose Gluton dasselbe leistet wie die Gelatine — aber es war möglich, Gluton in Dosen zu geben, 
wie man dieselben wohl kaum jemals bei der Verabreichung von Gelatine erreicht hat (110 g pro die). 

Bestimmte Indikationen für die Anwendung von Gluton bilden nach obigem: erstens fieber¬ 
hafte Zustände, zweitens vielleicht harnsaure Diathese und Krankheiten, in welchen die Herab¬ 
setzung der Kohlehydratzufuhr erforderlich ist event bei gleichzeitiger Verminderung des Eiweiss- 
quantums, wenn auch der Eiweissbestand des Organismus möglichst gewahrt bleiben soll, d. h. bei 
der Fettsucht und bei Diabetes. Ob zur Stütze der Anwendung von Gluton bei Diabetes ausser 
der Thatsache, die aus meinen Versuchen resultierte, dass der Ersatz von Kohlehydraten durch 
Gluton für den Bestand des Organismus vorteilhaft ist, die neusten Forschungsergebnisse über 
die Bildung von Kohlehydraten aus Eiweisskörpern herangezogen werden können, muss bei der 
noch nicht geklärten Sachlage im Zweifel bleiben. Die Anwendung bei Blutungen, bedarf einer 
eingehenden Prüfung. Zum Schluss möchte ich betonen, dass die Möglichkeit, Gluton in kalter, 
flüssiger Form in grossen Quantitäten zu verabreichen (Limonadenform) in diätetischer Beziehung 
ein Fortschritt ist, da sich kein anderes Präparat hierzu eignet. Dem Produkt ist natürlich als 
Volksnah rungsmittel keine nennenswerthe Bedeutung zuzusprechen, aber als Diätetikum wird es 
eine vorhandene Lücke ausfüllen. 

Die Diskussion erstreckte sich zunächst auf die theoretische Seite meiner Ausführungen, 
dann die Anwendung des Glutons in praktischer Beziehung, auf welche ich in meinem Vorträge 
nur insoweit Bezug nahm, als ich auf die Limonadenform hinwies. Diese erfreute sich nach dem 
vorliegenden Diskussionsbericht der Anerkennung von Ewald, Blumenthal, Albu und auch in 
gewissem Grade von Fürbringer, welch’ letzterer betonte, dass es nicht jedes Kranken Sache 
sei, an einem Tage zwei Flaschen Limonade während längerer Zeit zu geniessen. Andrerseits be¬ 
merkte Ewald und Fürbringer, dass die Hinzufügung von Gluton zu warmen Suppen nicht 
rathsam erscheine, da sich dann ein Leimgeruch und Leimgeschmack*) bemerkbar mache: die 
Kranken hätten diese Suppen refüsiert; nach Albu ist das auch von einem Theil seiner Kranken 
geschehen, aber ein anderer Theil derselben hat das Gluton wochenlang in Suppen genommen 
ohne dasselbe überhaupt herauszuschmecken. Solche Verschiedenheiten hangen von individuellen 
Eigcnthümlichkeiten ab. Im Schlusswort betonte ich, dass dieser Punkt mit der Zubereitung zu¬ 
sammenhängt; ein Diätetikum darf etwas Sorgfalt und Mühe in der Zubereitung beanspruchen. Da 
sieh dieses selbst beim besten Willen nicht immer in Krankenhäusern erreichen lässt, empfiehlt sich 
für dieselben in der That die von Fürbringcr empfohlene Form in Oblaten. Die Forderung 
Fürbringcr’s, dass Nährmittel, wie Kartoffeln, Butter, Brot schmecken sollen, ist für Volks- 
nahrungsmittcl gerechtfertigt; aber für Diätetika darf diese Forderung erst an zweite Stelle treten 
Es giebt sehr wirksame Arzneimittel, welche nicht angenehm schmecken. Es darf Diätetika geben, 
welche mehr oder minder Mühe bei der Zubereitung beanspruchen. 

Der Werth eines Diätetikums hängt nicht allein vom Geschmack ab, sondern 
von der Fähigkeit des betreffenden Nährmittels, krankhaften Funktionen des Ver- 
dauungstraktus gerecht zu werden, oder den Stoffumsatz nach irgend einer ge¬ 
wünschten Seite zu beeinflussen. Diese* beiden Punkte veranlassen ja den Arzt eine be¬ 
stimmte Diät vorzuschreiben, deren einzelne Gerichte mitunter sehr viel Mühe bei der Zubereitung 
verlangen. 

Diese Gesichtspunkte sind für die Einführung des Gluton maassgebend gewesen. 

Die theoretischen Ausführungen fanden eine Ergänzung durch die Warnung Klempcrcr’s 
Gelatinepräparate bei Oxalurie zu verabreichen, obwohl diese Warnung für Gluton in Anbetracht 
seines geringen Gehaltes an sauren phosphorsauren Salzen vielleicht nicht gerechtfertigt ist. Des 
Weiteren gingen auf die theoretischen Punkte vor allen Dingen Senator ein, welcher sich in ein¬ 
dringlicher Weise auf Grund einer dreissigjübrigen Erfahrung für eine umfangreichere Anwendung 
der Gelatine event in Form des Gluton aussprach, sowie Blumenthal, welcher hervorhob, dass 
der Widerspruch der Anschauungen über die Zuckerbildung aus Eiweisskörpern zu der Annahme 
einer synthetischen Bildung des Zuckers aus Ei weiss im Organismus drängte. 

0 Ich erfahre von der Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation, dass durch Vervollkommnung des 
Verfahrens bei der Darstellung von Gluton sieh ein besseres Produkt erzielen lassen wird. Dieses 
wird in den Handel kommen 


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624 


Berichte Tiber Kongresse und Vereine. 


III. 

Ueber die erste ärztliche Studienreise in die deutschen Nordseebäder 

sprach jüngst (am 2. Dezember 1901) im Verein für innere Medicin zu Berlin P. Meissner, der sich 
um die Durchführung dieser Reise besondere Verdienste erworben hat Ein kurzes Referat über 
die mit Demonstrationen versehenen Mittheilungen von Meissner und die sich hieran anschliessenden 
Bemerkungen von Liebreich erscheint uns an dieser Stelle am Platze, einerseits deshalb, weil 
die betreffenden.’Ausführungen ein weitergehendes Interesse verdienen, andrerseits aus dem Grunde, 
weil bei Besprechung der französischen ärztlichen Bäderreisen gerade in dieser Zeitschrift seiner 
Zeit (Bd, 4. Heft 6. S. 519) vom Referenten selbst auch für Deutschland speziell organisierte 
Studienreisen für Studierende und Aerzte empfohlen worden sind. Wie bekannt ist, wurde auf An¬ 
regung von Gilbert (Baden-Baden) unter dem Präsidium von v. Leyden und Liebreich in 
diesem Jahre zum ersten Mal eine der französischen Institution ähnliche Bäderrcise unternommen 
an welcher mehr als 350 deutsche Aerzte theilgenommen haben. Da die ärztlichen Studienreisen 
in deutsche Bäder im Anschluss an die Naturforschcrversaramlung geplant sind, so brachte es die 
diesjährige Tagung der Naturforsch er Versammlung in Hamburg mit sich, dass als Ziel der Reise die 
deutschen Nordseebäder gewählt wurden. Da v. Leyden diesmal durch Unwohlsein an der Leitung 
der Reise verhindert war, deren Aufgabe darin besteht , durch Vorträge und Demonstrationen den 
Theilnehmem alle Kur- und Heilmittel der besuchten Badeorte vor Augen zu führen, so übernahm 
Liebreich die Führung der Reise, die über Helgoland, Sylt-Westerland, Amrum, Föhr 
und Wyk nach Cuxhaven und Norderney ging. Von dem auf dieser Reise Gesehenen und Er¬ 
lebten entwarf Meissner ein anschauliches Bild, indem er die natürliche Lage, die Badeeinrichtungen 
die VerpflegungsverhäJtnisse und die hygienischen Vorkehrungen der betreffenden Kurorte zum Theil 
unter Demonstration von Bildern erläuterte. Aus den Darlegungen ist vor allem das Lob bemerkend 
werth, das sowohl Meissner als auch Liebreich den Badevorhältnisson auf Sylt spendeten, dessen 
Wellenschlag von demjenigen in Biarritz kaum übertroffen wird. Sylt soll sich dazu noch durch 
eine gute Kanalisation, gute Wasserversorgung und Beleuchtung — sowie auch durch ein Rieselfeld 
— auszeichnen. Der Salzgehalt des Meeres soll in Sylt besonders hoch sein; der Golfstrom hält das 
Meerwasser warm, und die Nordwestwinde massigen die Extreme des Klimas. Amrum gleicht 
sehr Sylt-Westerland, doch soll bei Wittdün ein sehr gemässigter Wellenschlag sein, an den sich 
Kinder und Sch wache leicht gewöhnen können, ln Föhr und Wyk soll keine Brandung mehr vor¬ 
handen sein, hier bestehen ein Hospiz für Kinder und eine Anstalt für Terrainkuren. Die Strömung 
ist doit gering, und das Wasser hat eine relativ warme Temperatur. Helgoland ist wegen seiner 
relativ ungünstigen Bade Verhältnisse (es ist von der Insel zur D üne stets eine unter Umständen 
recht unangenehme Boots-, beziehungsweise Segelfahrt nöthig) für Schwächliche und Kranke weniger 
als Badeort wie als Luftkurort geeignet, allerdings können schwächliche Personen auf der Insel selbst 
mit Seewasser zubereitete warme Bassinbäder geniessen. die einen gewissen Ersatz für die auf der Dune 
zu nehmenden Seebäder, gewähren. Das an der Elbmündung gelegene Cuxhaven ist ein »Seebad 
zur Hälfte«. Das schon seit 1800 als Badeort existierende Norderney, das einzige königliche See¬ 
bad, soll mustergültige Einrichtunge n, einen ausgezeichneten Strand mit kräftiger Brandung und gute 
Einrichtungen für Warmbäder, Orthopädie und Inhalationen besitzen. Auch die Kanalisation und Be¬ 
leuchtung soll gut sein , ebenso ist lür Unteihaltung (Pferderennen ete.) gut gesorgt. Dies betont 
auch Liebreich, der allerdings für Norderney eine Erweiterung der Kurmittel (Kurhaus, Dampf¬ 
bäder etc.) und eine weitergehende Fürsorge der Regierung (bessere Eisen bahn Verhältnisse etc. 
wünscht, sonst aber auf unsere Nordseebäder, namentlich wegen ihrer vortrefflichen Lage, ein be¬ 
geistertes Loblied singt. Liebreich weist darauf hin, dass in keinem Lande die Küstenkurorte 
grosse Fortschritte aufweisen, wie gerade die deutschen Nordseebäder, die nicht blos Vergnügungs¬ 
bäder, sondern direkte Kurorte geworden seien. Liebreich betont ferner, dass sich die Wirkung der 
Seeluft bei günstigem Winde oft meilenweit in das Land hinein erstrecke; denn cs werden die Bestand- 
theile des Seewassers, wie das Kochsalz und die Jodverbindungen, welch letztere ja in neuerer Zeit 
für die Stoffwechsel Vorgänge mehr beachtet werden als früher, durch den Wind ins Land getragen 
Beide Redner sprachen sich über das Gelingen und den Erfolg der diesjährigen Bäderreise äusserst 
zufrieden aus. H. Strauss (Berlin . 


Ucrliu, Druck von W. IJuxcm>tcm. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1901/1902. BandV. Heft 8. 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. v. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacob. 

Verlag von Georg Thierae in Leipzig. 


INHALT. 


I. Original -Arbeiten. seito 

I. Die russischen Hungerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen. Von Professor 

Dr. F. Erismann in Zürich..627 


II. Der Kefir (Ferment und Heilgctränk aus Kuhmilch). Geschichte, Bereitung, Zusammen¬ 
setzung des Getränks, Morphologie des Ferments und dessen Erkrankungen; physio¬ 
logische und therapeutische Bedeutung des Getränks. Von Professor Dr. W. Pod- 
wyssozki in Odessa. Ucbcrsetzt aus dem Russischen von Dr. Rechtshammer. 


(Schluss).. . 643 

III. Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlornatrium - Schwefel - Thermen von Baden 

(Schweiz). Vortrag gehalten an der zweiten Jahresversammlung der schweizerischen 
balneologischcn Gesellschaft in Baden am 13. Oktober 1901. Von Dr. PaulRoethlis- 
berger in Baden.658 

IV. Ucbcr die Ersetzung gelähmter Muskclfunktionen durch elastische Züge, speziell bei der 

hemiplegischen Beinlähmung. Aus der I. raedicinisclicn Universitätsklinik zu Berlin 
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus, Volontär- 
Assistent der Klinik. Mit 5 Abbildungen.669 

V. Ucbcr die Theorie der hemiplegischen Kontraktur und deren physikalische Behandlung. 

Bemerkungen zu dem Aufsatze von P. Lazarus auf S. 550ff. dieser Zeitschrift 
Von Dr. Ludwig Mann, Privatdocent in Breslau.676 


II. Referate über Bücher und Aufsätze. 

A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Rubner, Der Energiowcrth der Kost des Menschen.C8I 

Rubner, Beiträge zur Ernährung im Knabenalter mit besonderer Berücksichtigung der 

Fettsucht.681 

Strauss, Grundsätze der Diätbehandlung Magenkranker.682 

Stadelmann, Ueber Entfettungskuren.683 

Starck, Die Divertikel der Speiseröhre.683 

Soxhlet, Ueber die künstliche Ernährung des Säuglings.684 

Dwight Chapin, M. D., A simple and accurate method of substituts infant feeding . . . 683 
Box, M. D., The therapeutic valuc of suprarenal preparations in Addison disease .... 686 

Fried mann, Die Pflege und Ernährung des Säuglings.680 

Albu, Zur Bewerthung der vegetarischen Diät . ’.686 

Albu, Der Stoffwechsel bei vegetarischer Kost.687 

Zuntz, Sind kalorisch äquivalente Mengen von Kohlehydraten und Fett für Mast und Ent¬ 
fettung gleich werthig?.687 

Brühl-Hjelt-Aschan, Die Pflanzen-Alkaloide.687 

ZeiUohr. f. diät. u. physik. Thorapio Bd. V. Horts. » > 



Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




















Inhalt. 


626 


Sfite 

B. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Emmert, Ueber die antiphlogistische Fern Wirkung der Kälte.<188 

Kisskalt, Die Erkältung als krankheitsdisponierendes Moment.688 

Lemoine, Ueber kalte Irrigationen ins Rektum beim Typhus.689 

Makarow, Ueber die Behandlung des Typhus abdominalis durch Injektionen von Kochsalz¬ 
lösungen .689 

Jaquet, De Tinfluence du climat d’altitude sur les echanges respiratoires.690 

v. Torday, Die Skrophulose und die Sool- und Seebäder.690 

Steiner, Beitrag zur Kenntniss der Einwirkung von Dampfbädern auf die Gesichtshaut . . 691 

C. Gymnastik und Massage, Liegekuren. 

Braun, Ueber Vibrationsmassage der oberen Luftwege.691 

Vulpius, Der heutige Stand der Skoliosenbehandlung.692 

Piering, Ueber Massage bei Frauenkrankheiten.69:3 

Jendrassik, Klinische Beiträge zum Studium der normalen und pathologischen Gangarten 694 
Sugär, Ueber die systematischen Hörübungen und deren therapeutischen Werth bei Taub¬ 
stummen und Tauben. 695 

Grün bäum und Amson, Ueber die Beziehungen der Muskelarbeit zur Pulsfrequenz . . . 695 

Dieselben, Der Einfluss der Bewegungen auf die Pulsfrequenz.695 

Pandy, Neuritis multiplex und Ataxie.696 

Godin, Du röle de Fanthropomötrie en öducation physique.696 

D. Elektrotherapie. 

Frey, Die Heilwirkungen des Franklin’schen Stromes..*.697 

Donath, Meniöre’scher Syraptoraenkomplcx geheilt mittels galvanischen Stromes . . . 697 
Baedeker, Die Arsonvalisation.698 


E. Verschiedenes. 

Strauss., Die chronischen Nierenentzündungen in ihrer Einwirkung auf die Blutflüssigkeit 

und deren Behandlung nach eigenen Untersuchungen an Blutserum und an Transsudaten 699 


Biernacki, Die moderne Heilwissenschaft, Wesen und Grenzen des ärztlichen Wissens . . 700 
Borntrager, Das Buch vom Impfen..701 

IV. Kleinere Mittheilungren. 

I. Der Cyklostat, eine Modifikation des J acob’sehen stationären Fahrrades. Aus der 

1. mcdicinischcn Universitätsklinik zu Berlin ^Direktor Geh. Med.-Rath Professor 
Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus. Mit 1 Abbildung.701 

II. Zur mechanischen Therapie der Fettleibigkeit. Von Dr. F. Sylvan in Berlin . ... 704 

V. Berichte über Kongresse und Vereine. 

1. V. Congrös international de Physiologie. Turin. 17.—21. September 1901. (Arch. ital. 

de biologie. Bd. 36) 707 

Orsowa, Ueber Linkshändigkeit.707 

Grützner, Ueber Bewegungen des Mageninhaltes.708 

Prevost und Battell, Influence de Talimentation sur le rötablisseracnt des fonctions 

du coeur.708 

Gley, Rösumö des preuves des relations qui existent entre la glande thyroide et 

les glandes parathyroides.7o$ 

Roh mann und Nagaro, Ueber die Resorption von Mono- und Disacchariden im 

Dannkanal.708 

de Schrötter, Coinmunication d’expöriences physiologiques faites pendant un 

voyage en ballon h 7500 m.'.708 

de Lee und Hcrrold, The action of aleohol on musclc.708 

Walther, Zur Kenntniss der Einwirkung des Darmsaftes auf Pankreassaft . . . 709 

Spineau, Sur la gastro-acidimötrie.709 

Barbera, Alimentazione sottocutanea ed eliminatione della bilc.709 

Boruttau, Zur Frage der Fettbildung im Thierkörper.709 

II. Londoner Brief.709 

III. Die balneologischen Kurse in Baden-Baden im Oktober 1901.711 

IV. 20. Kongress für innere Medicin zu Wiesbaden.712 



Original from 

UNIVERSITf OF MICHIGAN 



































Original - Arbeiten, 


I. 


Die russischen Hungerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen. 

Von 

Professor Dr. F. Erismann 
in ZOrich. 


Es giebt auch unter gewöhnlichen Verhältnissen überall gewisse Bevölkerungs¬ 
gruppen, die mit beständiger Unterernährung zu kämpfen haben, und die man als 
chronische Hungerleider betrachten muss, weil die wirthschaftliche Lage, in der 
sie sich befinden, ihnen eine zweckmässige, ihren Bedürfnissen quantitativ und 
qualitativ entsprechende Ernährung nicht gestattet. Und wenn man wirklich die 
Volksgesundheit heben will, so muss man sich sagen, dass neben der Wohnungs¬ 
frage die Ernährungsfrage einen der wesentlichsten Angriffspunkte für 
thatkräftiges Handeln, für weitgehende Maassregeln bietet. 

Dies ist umsomehr der Fall, wenn infolge »höherer Gewalt« — wiederholter 
Missernten, Ueberschwcmmungen und dergleichen — in ganzen Landestheilen die 
Bezugsquellen für die gewohnten Lebensmittel versiegt sind und der Hungerzustand 
zu einer Massenerscheinung wird, die ihre rauhe Hand auf die gesammte Be¬ 
völkerung legt. Unter solchen Verhältnissen ist es, wenn nicht schnelle und hin¬ 
reichende Hülfe von aussen kommt, verständlich, dass der Mensch nach dem nächsten 
greift, womit er, wie ihn Instinkt oder Erfahrung lehren, bis zu einem gewissen 
Grade sein Hungergefühl beschwichtigen kann. Es ist auch nicht wunderbar, wenn 
hierbei die Wahl der Gegenstände und die Zubereitung der Speisen nicht immer 
rationell sind, oder wenn Dinge als Nahrungsmittel benutzt werden, die mit solchen 
nur eine höchst entfernte Aehnlichkeit haben und von denen man sich unter ge¬ 
wöhnlichen Umständen mit Widerwillen oder Ekel abwenden würde. Bei Massen¬ 
hunger tritt also zum absoluten Mangel an Lebensmitteln noch die Er¬ 
nährung mit unpassenden Produkten als weiteres schädigendes Moment hinzu; 
und es ist unstreitig, dass viele schwere Gesundheitsstörungen, welche in Zeiten von 
Ilungersnoth beobachtet werden, nicht sowohl dem absoluten Nahrungsmangel an 
und für sich und der dadurch bedingten Unterernährung zuzuschreiben sind, sondern 
auf Rechnung einer unzweckmässigen Ernährung mit Dingen kommen, die wohl das 
Hungergefühl momentan beseitigen können, hierbei aber dem Organismus in dieser 
oder jener Weise Schaden bringen. Wenn trotzdem derartige Produkte Verwendung 
finden, so geschieht dies theilweise aus wirklicher Noth, weil im gegebenen Momente 
besseres nicht zu haben ist, theilweise aber auch infolge von mangelhafter Kenntniss 
der Einwirkung solcher Nahrungsmittel auf den menschlichen Organismus. Vielfach 
wird auch von dritter Seite, von Leuten, die es gut mit den Hungernden meinen 
und ihnen helfen wollen, das eine oder andere Surrogat aus dem Grunde empfohlen, 
weil man seinen Nährwert überschätzt. 


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4a* 

Original fro-m 

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628 


F. Erisinann 


Es finden sich in der uns zugänglichen Litteratur wenig Angaben darüber, zu 
welchen Surrogaten die Bevölkerung hungernder Landestheile an verschiedenen Orten 
und zu verschiedenen Zeiten ihre Zuflucht genommen hat. Die Irländer scheinen 
sich während der grossen Hungersnöthe, die dieses unglückliche Land im Laufe der 
letzten Jahrhunderte heimgesucht haben, hauptsächlich mit gekochten Rüben, die sie 
mit etwas Hafermehl bestreuten, nothdiirftig ernährt zu haben; dazu kamen: Kohl, 
verschiedene Unkrautarten und Meergras. Wie die Autoren mittheilen, denen wir 
Nachrichten über die irischen Hungerzustände verdanken, pries man die Küsten¬ 
bewohner glücklich, weil sie immer Meergras haben konnten, das sie mit Weizen¬ 
mehl zubereiteten. — Wie Virchow 1 ) erzählt, ist in den schrecklichen Jahren 1770 
bis 1772 die hungernde Bevölkerung in den Rheinlanden und in Westfalen, um das 
armselige Leben zu erhalten, auf »viehische und naturwidrige Speisen«, wie Gras. 
Disteln, Kleienbrei, geröstete Haferspreu, Wicken etc. verfallen. An verschiedenen 
Orten Deutschlands griff man noch im Anfänge des 18. Jahrhunderts bei allgemeiner 
Hungersnoth zu einem fetten Mergel, aus dem Brote gebacken wurden; und im 
Jahre 1720 soll die vor Hunger in Verzweiflung gerathene Bevölkerung des Fürsten¬ 
thums Anhalt-Zerbst einen ganzen Berg, der aus feinem, weissem Mergel bestand, 
aufgegessen haben. — In Flandern war im Jahre 1846 wegen gänzlichem Verlust 
der Kartoffelernte die Noth so gross, dass an vielen Orten die Einwohner nur noch 
Schalen von weissen Rüben, Löwenzahn, Kohlblätter, Mohrrüben, verdorbene Kartoffeln 
und dergleichen zur Nahrung auftreiben konnten, ja manche Familien nicht einmal 
im stände waren, sich jeden Tag einen derartigen Genuss zu verschaffen. Auch in 
Oberschlesien blieb den Armen in demselben Jahre nichts mehr, als kranke und 
faule Kartoffeln, Quecken, grüner Klee und kaum geniessbare Früchte. 

Die russischen Bauern benutzten in Hungerszeiten, soweit die Angaben reichen, 
und zwar bis zurück ins 11. Jahrhundert, als Brotsurrogate in erster Linie die Samen 
verschiedener Unkrautarteu (Chenopodium, Atriplex, Polygonum, Rumex etc.), 
ausserdem Fichtenrinde, Lindenblätter, Moos, Eicheln, Wurzeln, Stroh. 
Getreidehülsen, Heu und dergleichen; auch Pressrückstände von der Hanf- 
ölbereitung wurden benutzt. Aber es gab in Russland Hungerzeiten, wo das zur 
Verzweiflung getriebene Volk auch vor Menschenfleisch nicht zurückschreckte, 
wo die Mütter die Leichen ihrer vor Hunger verstorbenen Kinder verzehrten und 
umgekekehrt, wo man Schlafende umbrachte, um sie zu essen, wo Menschenfleisch 
in Kuchen gebacken auf dem Markte verkauft wurde. 

Allerdings kommen derartige entsetzliche Dinge in zivilisierten Ländern gegen¬ 
wärtig nicht mehr vor. Die heutigen Kulturzustände mit ihren ausgedehnten Ver¬ 
kehrsmitteln, mit ihren wachsenden altruistischen Bestrebungen etc. haben das grau¬ 
sige Gespenst des Massenhungers, wenigstens insoweit dasselbe als Folgezustand von 
Missernten erscheint, zu einer relativ seltenen und vielerorts gänzlich unbekannten 
Erscheinung gemacht; allein die Verhältnisse liegen doch nicht überall so günstig, 
und es giebt auf der Oberfläche des Erdballes noch Gebiete — und zwar sehr aus¬ 
gedehnte —, in denen die Folgen chronischer Missernten thatsächlich sehr unheilvoll 
werden und die Bevölkerung gezwungen ist, zu Lebensmittelsurrogaten ihre Zuflucht 
zu nehmen, weil die zu Gebote stehende Quantität der gewohnten Nahrungsmittel 
lange nicht ausreicht, das vorhandene Bedürfniss zu decken. 

Es ist nun nicht unsere Aufgabe, hier diejenigen Mittel und Wege zu be¬ 
sprechen, durch welche einer drohenden Hungersnoth vorgebeugt, oder durch welche 


') lieber den Hungertyphus und einige verwandte Krankheitsforuien. 18(58. 


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Die russischen Hungerbrotc und ihre Ausnutzung durch den Menschen. 620 

die Folgen eines schon eingetretenen Nahrungsmangels abgeschwächt werden können. 
Aber es scheint mir eine Aufgabe unserer Wissenschaft zu sein, den wirklichen 
Werth derjenigen Surrogate, die bei solchen Gelegenheiten Verwendung finden, 
chemisch und physiologisch festzustellen und sodann Regierungen und Volk darüber 
aufzuklären. Von diesem Standpunkte aus wurden seiner Zeit im hygienischen 
Institut in Moskau unter meiner Leitung die Untersuchungen aufgenommen, deren 
wesentliche Resultate ich in Kürze hier mittheilen will. 

Wie bekannt, hatten wir in Russland, im Jahre 1891, wegen grosser Trocken¬ 
heit eine theilweise Missernte, von der vorzugsweise die östliche Reichshälftc, aber 
zum Teil auch Zentralrussland und Sibirien in mehr oder weniger hohem Grade be¬ 
troffen wurden und die einen grossen Mangel an Roggenmehl, respektive an Brot, 
des wichtigsten Nahrungsmittels der Bevölkerung, zur Folge hatte. Von der Re¬ 
gierung, welche allerdings anfangs das Vorhandensein eines Hungerzustandes nicht 
zugeben wollte, wurde schliesslich, unter dem Drucke der öffentlichen Meinung, 
einiges gethan, um den hungernden Landestheilen Hülfe zu bringen; aber geradezu 
bewunderungswürdig war die Energie, welche die russische Intelligenz entwickelte, 
um das Loos der Unglücklichen durch eine möglichst gut organisierte Privat- 
wohlthätigkeit mit oder ohne Unterstützung durch die Organe der landwirtschaft¬ 
lichen Selbstverwaltung (Zemstwo) zu erleichtern. Hunderte von gutsituierten Per¬ 
sönlichkeiten jeglichen Ranges und Standes verliessen ihre gewohnte Beschäftigung, 
um sich dieser Thätigkeit hinzugeben; viele kamen von weit her in die vom Hunger 
befallenen Kreise, um dort mit grosser Selbstaufopferung dem Werke der Menschen¬ 
liebe obzuliegen; und bald bedeckten sich ganze Bezirke mit Suppenanstalten,Volks¬ 
küchen und Bäckereien, in welchen die Armen unentgeltlich Nahrung, finden und 
wenigstens den brennendsten Hunger stillen konnten. 

Aber die Noth war zu gross, das von der Missernte betroffene Gebiet zu aus¬ 
gedehnt, die verfügbaren materiellen und Verkehrsmittel zu beschränkt, als dass 
überall die Hülfe rechtzeitig und in einer dem wirklichen Bedürfnisse entsprechenden 
Ausdehnung hätte geleistet werden können. So kam es denn, dass vielerorts die 
Hungernden theilweise oder ganz (wenigstens zu Zeiten) auf sich selbst angewiesen 
waren. Und da sie zu wenig Mehl besassen, um sich in gewohnterWeise mit mehr 
oder weniger reinem Brot zu ernähren, so waren sie genöthigt, zu Brotsurrogaten 
ihre Zuflucht zu nehmen. 

Um eine Idee zu bekommen, wovon und wie die Bevölkerung der vom Miss¬ 
wachs betroffenen Landestheile sich nähre, und in der Hoffnung, das zu erhaltende 
Material wissenschaftlich verwerthen zu können, ersuchte ich durch einen Zeitungs¬ 
aufruf alle diejenigen, welche in der Lage waren, sogenannte Hungerbrote oder die 
Materialien, aus welchen dieselben bereitet werden, zu bekommen, mir in der Her¬ 
stellung einer derartigen Sammlung behiilflich zu sein. Ich bat unter anderem um 
Uebersendung ganzer Brote mit genauer Angabe ihrer Bestandteile und der relativen 
Mengen, in welchen die einzelnen Ingredienzien Verwendung gefunden hätten. Ich 
wollte nämlich die Gelegenheit benutzen, um nicht nur chemische Untersuchungen 
der Surrogate ausführen zu lassen, sondern auch Ausnutzungsversuche an 
Menschen anzustellen. Dies schien mir deshalb von besonderer Bedeutung zu sein, 
weil gerade zu jener Zeit von verschiedenen Seiten zahlreiche Brotsurrogate nur 
allein mit Hinweis auf ihren chemischen Bestand empfohlen wurden, ganz ohne 
Rücksicht auf ihre Verdauungsfähigkeit im menschlichen Magen- und Darmkanale. 
Leider entsprachen nicht alle Sendungen, die ich erhielt, meinen Wünschen, und von 


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630 F. Erisraann 


vielen Seiten bekam ich sozusagen nur »Mttsterchen«, kleinere Stücke von so¬ 
genannten Hungerbroten, ohne speziellere Angaben über ihre Zusammensetzung. 
Immerhin waren wir schliesslich in der Lage, nicht nur eine originelle Sammlung 
anzulegen, die sich gegenwärtig noch im Museum des hygienischen Institutes der 
Universität Moskau befindet, sondern auch einige der gebräuchlichsten Hungerbrote 
und einige der von verschiedenen Seiten vorgeschlagenen Brotsurrogate der ge¬ 
wünschten Prüfung zu unterwerfen. 

Die Fachlitteratur enthält nicht viele Angaben über die chemische Zusammen¬ 
setzung von sogenannten Hungerbroten. Die ersten Untersuchungen dieser Art 
stammen wohl von Bibra und Dietrich 1 ) her und betreffen einige schwedische 
Brotsurrogate (»Nothbrote«): 1. das Holzbrot (Roggenmehl mit V 3 Eichenrinde); 
2. das Strohbrot (Mehl, Stroh und Getreidehülsen); 3. das Sauerampferbrot 
(Mehl, Sauerampfersamen und Gras); 4. das Knochenbrot (Hafer- und Knochen¬ 
mehl). Charakteristisch für die drei ersten, mit Zuhülfenahmc vegetabilischer 
Surrogate hergestellten Brote ist der geringe Gehalt an Eiweissstoffen (5,0—5,8°/ 0 in 
der wasserhaltigen Substanz; der Wassergehalt betrug 6,8 —10,1 °/ 0 ) in Verbindung 
mit einer enormen Menge von Pflanzenfaser (17,3—23,4 %) und ziemlich viel Aschen- 
bestandtheilen (6,7—8,8 %); das Knochenbrot dagegen zeichnet sich durch die Gegen¬ 
wart einer überaus grossen Quantität von Mineralsubstanzen bei einer zwar an und 
für sich bedeutenden, aber in Vergleich zu den übrigen Surrogaten geringen Menge 
von Holzfaser aus. 

Die ersten Untersuchungen russischer Brotsurrogate rühren von Beck und 
Solomanoff 2 ) her. Sie wurden im Jahre 1867 ausgeführt und bestanden theils aus 
Roggenkleie und verschiedenen Grassorten, theils aus Roggenmehl mit bedeutendem 
Zusatz von Hafer- und Gerstenkleie. Aus den siebziger Jahren, d. h. aus der Zeit 
des grossen Nothzustandes im Gouvernement Samara, stammen Untersuchungen von 
Hungerbroten, die durch Dobroslawin und Skworzoff 3 ) ausgeführt wurden. 
Diese Brote enthielten in der Trockensubstanz 12,6 — 39,7% stickstoffhaltige 
Substanz, 2,3—7,3 % Fett, 20—62% Stärkemehl, Zucker etc., 9,2—30,7 % Pflanzen¬ 
faser und 6,0—17,2% Aschenbestandtheile. Auffallend ist bei einigen Surrogaten 
der hohe Eiweissgehalt, bei fast allen der Reichthum au Holzfaser und an Aschen- 
bestandtheilen, der auf die Gegenwart grosser Mengen von Kleie, vermuthlich auch 
von Getreidehülsen und Stroh hindeutet. 

Aus den Hungerjahren 1891 — 1892 stammt eine grössere Reihe chemischer, 
theilweise auch mikroskopischer Untersuchungen von Brotsurrogaten und eigentlichen 
Nothbroten, die im landschaftlichen Laboratorium in Perm (Rouma), im hygienischen 
Laboratorium der Universität Kasan (Stephanowsky), im hygienischen Laboratorium 
der medicinischen Militärakademie in Petersburg (Soul men eff) und im hygienischen 
Institut der Moskauer Universität vorgenommen wurden. — Rouma 4 ) untersuchte 
vorzugsweise Brot aus Chenopodiumsamen mit »rothem Gras« oder mit Kartoffel- und 
Roggenmehl (% Chenopodiumsamen und je % Kartoffel- und Roggenmehl). Charak¬ 
teristisch für diese Brote war der ungemein grosse Gehalt an Pflanzenfaser (25,1 
bis 32,1%) und an Aschenbestandtheilen (8,1 — 20,2%). — Stephanowsky 5 ) ver- 


i) Bibra, Die Getreidearten und das Brot 1860. 

*) Archiv für gerichtliche Medicin und öffentliche Gesundheitspflege (russ.) 1870. Heft 4. 

3) Ibidem 1874. Heft 2. 

■*) Revue d’bygiöne Bd. 15. S. 214. 

5 ) Beiträge zum Studium der Eigenschaften der llungerbrotc (russ.). Inaug.-Diss. Kasan 1893. 


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Die rassischen Hungerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen. 631 

fügte über folgende Brotsurrogate: 1. Brot aus 45°/ 0 Roggenmehl und 55°/o Kartoffel¬ 
schlempe; 2. Brot aus 50% Roggenmehl und 50% Kartoffelmehl; 3. Reines Eichel¬ 
brot; 4. Reines Hirsebrot; 5. Brot aus Dinkel (Triticum spelta); 6. Brot aus 
Chenopodiumsamen mit verschiedenen Quantitäten von Roggenmehl oder von Mehl 
anderer Getreidesamen; 7. Brot aus Eicheln und Mehl verschiedener Getreidearten; 
8. Brot aus Samen von Polygonum convolvulus (windendem Knöterich) mit Mehl ver¬ 
schiedener Getreidearten; 9. Brot aus Kartoffelmehl mit Mehl verschiedener Getreide¬ 
arten. Der Gehalt an Eiweissstoffen (in der Trockensubstanz) schwankte zwischen 
8,2% (Eichelbrot) und 19,8% (Dinkelbrot); der Fettgehalt — zwischen 1,1% (Brot 
aus Roggenmehl und Kartoffelschlempe) und 5% (Hirsebrot); Stärkemehl und 
Zucker fanden sich von 45 % (Chenopodiumbrot) bis zu 80,2 % (Brot aus Kartoffel- 
und Getreidemehl); Holzfaser wurde gefunden von 4,8—20,8 % (Chenopodiumbrot); 
Aschenbestandtheile — von 3,3—12,9 % (Polygonumbrot). Also auch hier wieder 
neben ziemlich bedeutenden Mengen von stickstoffhaltigen Substanzen und Fett ein 
grosser Reichthum an Holzfaser und Aschenbestandtheilen, der demjenigen im gewöhn¬ 
lichen Roggenbrot um das Zwei- bis Fünffache übertrifft. 

Bevor ich die von uns in Moskau untersuchten Brotsurrogate erwähne, will ich 
kurz über die Zusammensetzung einiger Stoffe sprechen, die in vielen dieser Surrogate 
zur Verwendung kommen. Die Analysen wurden theilweise in Kasan und St. Peters¬ 
burg (Kapoustin, Stephanowsky, Soulmeneff 1 )), theilweise von meinen Schü¬ 
lern in Moskau (Kotzin, Blauberg, Orloff) ausgeführt. — Eine grosse Rolle als 
Surrogate der Getreidekörner spielen überall die Samen verschiedener Chenopodiacecn, 
ganz besonders diejenigen des gemeinen weissen Gänsefusses (Chenopodium 
album), die auch zu Zeiten, wo man von einem eigentlichen Hunger nicht spricht, 
von der ärmeren Landbevölkerung Russlands vielfach dem Roggenmehle beigemischt 
werden. Diese Samen haben die Form einer dicken, doppelt konvexen Linse; sie 
besitzen eine im reifen Zustande schwarze, etwas rauhe und schwachglänzende 
Samenhülle, die beim Zermahlen der Samen in spitzige Stückchen zerfällt, von denen 
viele so fein sind, dass sie auch durch das feinste Sieb hindurchgehen, vom Mehle 
nicht getrennt werden können und deshalb dem Brot eine schwarzbraune, torfartige 
Färbung verleihen. Das Stärkemehl, das sie enthalten, ist dagegen blendend weiss. 
Ihr Durchmesser beträgt 1—1,5 mm. Die chemische Analyse ergiebt in der Trocken¬ 
substanz: 15,4—16,8% Eiweissstoffe, 6 — 8,1% Fett, 47,4 — 50% Stärkemehl etc., 
18,4—21,4 % Holzfaser und 4,6—7,0 % Aschenbestandtheile. Diese Samen sind also 
nicht arm an Nahrungsstoffen, sondern können in Bezug auf Ei weiss- und Fettgehalt 
mit allen Getreidesamen konkurrieren; allerdings enthalten sie andrerseits relativ 
wenig Stärkemehl und so bedeutende Mengen von Pflanzenfaser und Mineral¬ 
substanzen, wie sie in keiner Getreideart enthalten sind. 

Eine andere Samenart, die von jeher, und auch im Hungerjahre 1891—1892 
wieder, eine grosse Rolle in der Zubereitung der Nothbrote spielte, sind die Samen 
des windenden Knöterichs (Polygonum convulvulus). Dieselben sind grösser als 
die Chenopodiumsamen, dreikantig; die Samenhülle ist braunschwarz, nicht glänzend, 
mit starken Kutikularwarzen besetzt; beim Zermahlen der Samen wird sie nicht 
immer von denselben abgetrennt, so dass das Mehl dunkel wird und auch das mit 
Zusatz dieses Mehles gebackene Brot eine unangenehme schwarzbraune Farbe erhält. 


}) Chenopodium album, sein chemischer Bestand und die Ausnutzung seiner Eiweissstoffe 
(russ.). Inaug.-Diss. Petersburg 1893. 


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632 F. Erismann 

Die chemische Zusammensetzung ist folgende: stickstoffhaltige Stoffe 13,3%, Fett 
3,9%, Stärkemehl etc. 50,3 °/ 0 , Holzfaser 18,4 °/ 0 , Mineralsubstanzen 5,1 °/ 0 . Der 
Bestand ist also demjenigen der Chenopodiumsamen sehr ähnlich. Beide Saraenarten 
mussten vom rein chemischen Standpunkte aus betrachtet, als nicht zu ver¬ 
achtende Nahrungsmittel bezeichnet werden. 

Zwei Surrogate, die zur Bereitung von Hungerbroten verwendet wurden, deren 
Ausnutzung durch den Menschen wir zu prüfen Gelegenheit hatten, sind: 1. die 
Presskuchen, die man bei der Oelbereitung aus Sonnenblumensamen erhält, und 
2. die ebenfalls gepressten Runkelrübenrückstände der Zuckerfabriken. — Die 
Sonnenblumenpresskuchen bilden eine gelbbraune, feste, unangenehm riechende 
Masse, die aus den zerquetschten Samenhüllen mit zurückgebliebenen stickstoff¬ 
haltigen Substanzen und Fett bestehen. Die Untersuchung ergab (in der Trocken¬ 
substanz) 38 °/ 0 stickstoffhaltige Substanz, 13,5% Fett, 12,1% Pflanzenfaser und 
11,8% Aschenbestandtheilc. — Die Pressrückstände aus Runkelrüben bestehen 
aus langen, schmalen Schnitzeln von regelmässiger Form. Die chemische Unter¬ 
suchung ergab einen Wassergehalt von 90,79%, und in der Trockensubstanz: 11% 
stickstoffhaltige Stoffe, 64,8 % Zucker, Extraktivstoffe etc., 20,5 % Pflanzenfaser und 
3,7 % Aschenbestandtheile. 

Da auch die Eicheln in gewissen Theilen Russlands als Surrogat für Roggen¬ 
mehl verwendet werden und wir aus diesem Grunde auch Eichelbrot in den Kreis 
unserer Ausnutzungsversuche einbezogen, so will ich hier die Zusammensetzung ge¬ 
trockneter Eicheln nach Stephano wsky anfügen. Er fand in der Trockensubstanz: 
stickstoffhaltige Stoffe 5,0%, Fett 4,7%, Stärkemehl etc. 75,0%, Pflanzenfaser 
13,3%, Aschenbestandtheile 2,0%. 

Die Kartoffelschlempe, wie sie beim Branntweinbrennen aus Kartoffeln ge¬ 
wonnen wird, wurde 1891—1892 von verschiedenen Seiten als Zusatz beim Brot¬ 
backen empfohlen, und kamen bei uns einige derartige Brote zur Untersuchung. 
Dieselbe enthält 91 — 96% Wasser, und in der Trockensubstanz: Eiweissstoffe 0,8 
bis 1,9%, Fett 0,1—0,23%, stickstofffreie (Extraktiv-) Stoffe 1,1—4,9%, Holzfaser 
0,5 —1,4% und Aschenbestandtheile 0,6%. Hier ist also, schon vom chemischen 
Standpunkte aus, der Nährwerth ein sehr geringer. 

Eine Baumrinde (von einer Ulraenart), die in einer Menge von etwa 20,0% 
dem Roggenmehle zum Brotbacken beigemengt wird, untersuchte Stephanowsky. 
Er fand: Stickstoffhaltige Substanz 3,8%, Fett- und Harzsubstanzen 3,7%, stick¬ 
stofffreie (Extraktiv-) Stoffe 42,2%, Holzfaser 39,4%, Aschenbestandtheile 10,9 °/o- 
Also, wie von vorneherein zu erwarten war, ein ungemeiner Gehalt an Holzfaser. 

Einige uns zugegangene Mehlgemische, wie sie zum Backen von Nothbroten 
Verwendung fanden, wurden erst neulich von Dr. Maurizio 1 ), Assistent an der land- 
wirthschaftlichen Versuchsstation in Zürich, untersucht. Mehl No. 1 stellt eine ganz 
grobe, dunkle Kleie dar, die 5,495 % Asche enthält. Durch Sieben wurde festgestellt, 
dass es 75,2 % Bestandtheile enthält, welche durch ein Millimetersieb nicht hin¬ 
durchgehen. Mit der Lupe und mikroskopisch wurden gefunden: etwa 30% 
Roggenkleie nebst etwas Roggenmehl, bis 15,0% grobzerquetschte Haferkörner und 
-mehl, 15 — 20% Kornradeschale und -mehl, sowie 30 — 35 % sonstige Unkräuter 
und Spreu. Es Hessen sich erkennen: Schalen von Buchweizen und Hanf, schwarzer 
Senf (Brassica nigra), Raps (Brassica napus), Ackerspörgel (Spergula arvensis), 


!) Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs- und Gcnussmittcl etc. 1001. 15. November. 


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Die russischen Iiungerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen. <>33 

Spelzen von Hafer und von unbestimmbaren Gräsern. — Mehl No. 2 ist ebenfalls 
ziemlich grob, stark kleiehaltig, mit 13,7 % Asche; es besitzt 14% Bestandteile, 
die auf einem Millimetersieb Zurückbleiben. Das Mehl besteht aus etwa 30—40% 
Weizenmehl und -kleie; das übrige sind Holzstückchen und Unkräuter, die sich nur 
theilweise bestimmen lassen; zu erkennen waren: Polygonum convolvulus und Cheno- 
podium album. 

Auch einige Bjotstückchen, die wir als »Miisterchen« mit ungefährer An¬ 
gabe der Hauptbestandteile erhalten haben, wurden von Dr. Maurizio untersucht. 
Eine dieser Proben ist nach der Bezeichnung einem Brote aus Thon und Mehl 
entnommen. Dieselbe besitzt eine gelblich-weisse Farbe und sieht einem Stücke 
eingetrockneten Töpferthones sehr ähnlich. Sie enthält 64% Asche, in der sich 
neben Thonerde, Kalk und Kieselsäure ziemlich viel Eisen befindet. Ausserdem 
wurden einige ganze und halbe Haferkörner, sowie etwas Hafermehl und Roggen¬ 
kleie gefunden. — Auch einige Brotproben »aus Wurzeln einer Schilfsortc«, die wir 
aus dem Gouvernement Tobolsk erhalten hatten, kamen zur Untersuchung. Sie 
haben grossentheils das Aeussere eines Bierfilzes und bestehen aus Rhizomen und 
Stengelstücken einer unbestimmbaren Grasart, theilweise mit wenig grobem Getreide¬ 
mehl und erdigen Bestandtheilen, die als ein unvollständig wirkender Kitt dienen. 

Die Brotsurrogate, die in den Jahren 1891—1892 von meinen Schülern im 
hygienischen Institute der Moskauer Universität untersucht wurden, lassen sich in 
zwei grosse Gruppen theilen, und zwar: 1. in solche, die von Privatpersonen- 
und wohlthätigen Gesellschaften vorgeschlagen und zubereitet wurden, in der Ab¬ 
sicht, das mangelnde Roggenmehl theilweise durch andere Nahrungsstoffe zu er¬ 
setzen und somit ein billigeres, aber immerhin gutes und nahrhaftes Brot zu er¬ 
halten, und 2. in solche, wie sie von der hungernden Bevölkerung selbst, mit Zu- 
hülfenahme minderwertiger Surrogate, gebacken wurden (eigentliche Hungerbrote). 
Ich werde im folgenden nur diejenigen dieser Brotsurrogate genauer besprechen, 
welche von uns zu Ausnutzungsversuchen verwendet wurden. Zur allgemeinen 
Charakteristik derselben will ich der Beschreibung dieser Versuche nur einige Be¬ 
merkungen über die Löslichkeit der Aschenbestandtheile, den Säuregrad und das 
Porenvolumen der uns zur Verfügung gestellten Brote voranschicken. 

Die Löslichkeit der Aschenbestandtheile in Wasser ist bei den meisten 
von uns untersuchten Brotsurrogaten, im Vergleich mit dem gewöhnlichen Schwarz¬ 
brot (36%) eine geringe. Eine Ausnahme bilden nur diejenigen Brote, welche 
grössere Mengen (55—67 %) gutes Roggenmehl enthalten. Dieses niedrige Lüs- 
lichkeitsverhältniss der Asche bei der Mehrzahl der Surrogatbrote zeigt, dass wir es 
hier im allgemeinen mit grobem, schlecht gereinigtem Material zu thun haben, und 
dass auch da, wo grössere Mengen von Getreidemehl zur Verwendung kamen, das¬ 
selbe in Bezug auf seine mechanische Reinigung vielfach minderwerthig war. 

Der Säuregehalt (1 Säuregrad = 1 ccm verbrauchter Normalalkalilösung) 
mancher von uns untersuchter Brotsurrogate überstieg nicht denjenigen des gewöhn¬ 
lichen russischen Roggenbrotes, dessen billigere Sorten einen Säuregrad voü 20—22 0 
besitzen. Bedeutend mehr Säure enthalten nur die Chenopodiumbrote (25 — 26°), 
die mit Zugabe von Runkelrübenrückständen und Kartoflelsyrup hergestellten Brote 
(25°) und namentlich ein mit Gerstenschleim bereitetes Brot (31,6*). 

Die Bestimmung des Porenvolumens der Surrogate schien uns nicht ohne 
Bedeutung zu sein, weil, wie schon Mcnicanti und Prausnitz 1 ) angedcutet haben, 

i) Zeitschrift für Biologie 1894. Bd. 30. 


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F. Erismann 


in gewissem Maasse die Verdaulichkeit eines Brotes von seiner physikalischen 
Beschaffenheit, also auch von dem Volumen (allerdings in vielleicht noch höherem 
Grade von der Grösse) seiner Poren abhängig ist. Für gewöhnliches russisches 
Roggenbrot hatte Samgin 1 ) ein Porenvolum von 20,4—44,8° erhalten, für Brote 
aus besser gesiebtem Roggenmehl ein solches von 52—63%, für Weizenbrot 
68,5—76%. Blauberg-') erhielt für gewöhnliches Moskauer Schwarzbrot Werthe, 
die zwischen 20,3 und 44,4% schwankten (im Mittel 35,7%). Lehmann») in 
Würzburg erhielt für Roggenschrotbrot 28,5 — 49,2%, für feineres Roggenmehlbrot 
dagegen 55,7—70,7 %; für feineres Weizenbrot ergab sich ein Porenvolumen von 
73—83%. Offenbar hat Lehmann recht, wenn er behauptet, dass der Zer¬ 
mahlungsgrad des Getreidekornes von bestimmendetn Einflüsse auf die 
Porosität des Brotes sei, und dass Weizenbrote im allgemeinen ein grösseres 
Porenvolumen besitzen, als Roggenbrote. Doch dürfte hieran weder eine spezifische 
Eigenschaft des Weizens, noch die Zubereitung mit Hefe in erster Linie schuld sein, 
sondern wesentlich nur die Feinheit, d. h. die physikalische Beschaffenheit des 
Mehles. Dagegen ist wohl anzunehmen, dass die Grösse der einzelnen Poren 
durch die Zubereitungsart des Brotes mitbedingt wird. 

Das Porenvolumen unserer Brotsurrogate erwies sich im allgemeinen als ein 
ziemlich niedriges und schliesst sich an die Werthe an, die für aus grobem Roggen¬ 
mehl zubereitetes Brot von den Autoren gefunden wurden. Sehr klein zeigte sich 
das Porenvolumen in denjenigen Broten, für welche Kartoffelmehl (20,0%) und 
Presskuchen von Sonnenblumen (14 %) zur Verwendung gekommen waren. Am 
grössten (48 %) war das Porenvolumen in dem mit Gerstenschlempe zubereiteten 
Brote; hier mögen Kohlensäure und Alkohol dazu mitgewirkt haben, das Brot porös 
zu machen. 


Die Ausnutzungsversuche mit Brotsurrogaten, die im Jahre 1892 im 
hygienischen Institut der Universität in Moskau angestellt wurden, hatte einer 
meiner Schüler, ein russischer Militärarzt, N. Popoff, übernommen — ein Mann, 
der in derartigen Arbeiten geübt war; denn er hatte schon früher eine grosse Unter¬ 
suchungsreihe über die Ausnutzung verschiedener Brotsorten und einiger Nahrungs¬ 
gemische mit Brot durch den Menschen ausgeführt 4 ), eine Arbeit, die der aus¬ 
ländischen Fachlitteratur leider bis auf den heutigen Tag unbekannt geblieben ist. 
Es muss Popoff überlassen bleiben, eingehend über den Gang seiner Arbeit mit 
den Brotsurrogaten zu berichten; wir beschränken uns hier auf ein kurzes Referat 
über die Hauptresultate. 

Die Aufgabe dieser Versuche bestand darin, zu eruieren, inwieweit die 
Trockensubstanz, und speziell die stickstoffhaltigen Bestandtheile und 
die Mineralsubstanzcn der verschiedenen Surrogate, im Vergleiche mit 
den entsprechenden Bestandtheilen des gewöhnlichen Roggen- oder 
Weizenbrotes, vom Menschen ausgenutzt werden. Ausserdem musste fest¬ 
gestellt werden, ob bei ausschliesslicher Ernährung mit diesem oder jenem 
Surrogate der menschliche Organismus im Stickstoffgleichgewicht 


*) Sanitäre Untersuchung verschiedener Brotsorten in Moskau (russ.). Inauguraldissert. 1891. 

2 ) Erster Jahresbericht des analytischen Laboratoriums der Stadt Moskau 1892. 

3 ) Archiv für Hygiene 1894. Bd. 21. 

4 ) Gesammelte Arbeiten des hygienischen Instituts der Universität Moskau 1891. Bd. 4. 


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Die russischen Hungerbrotc und ihre Ausnutzung durch den Menschen. 635 

bleibe, oder inwieweit dasselbe nach der einen oder anderen Richtung 
alteriert werde. 

Ueber die Versuchsanordnung und die Technik der Untersuchungen will ich 
hier keine Worte verlieren. Es versteht sich von selbst, dass alle von der Wissen¬ 
schaft vorgeschriebenen Kautelen streng beobachtet wurden. Als Versuchspersonen 
dienten zwei an grobe Nahrung gewöhnte, junge Soldaten aus dem Bauernstände, 
deren persönliche Zuverlässigkeit noch dadurch potenziert wurde, dass sie im Hause 
des Experimentators untergebracht waren und unter fortwährender Beobachtung 
standen. Das Schema des Versuches war folgendes: Einige Tage gemischte Nahrung 
— zum letzten Male um 10 Uhr morgens am ersten Versuchstage; sodann hungern 
bis 7 Uhr abends, wo je 2 1 Milch gegeben wurden; am folgenden Tage um 10 Uhr 
vormittags Beginn der Versuchsdiät, die in allen Versuchen drei Tage dauerte (weiter 
durften wir im Interesse der Gesundheit unserer Versuchspersonen nicht gehen); am 
Schluss des Versuches dieselbe Reihenfolge wie im Anfang, nur in umgekehrter Richtung. 

Im ganzen wurden 32 Versuche ausgeführt, d. h. mit jedem Mann 16 Versuche, 
von denen je einer auf schwarzes und weisses Brot, die übrigen 14 auf die Brot¬ 
surrogate entfallen. Die letzteren lassen sich, ihrer Natur und Bedeutung nach, in 
drei grosse Gruppen eintheilen: 

Erste Gruppe. Produkte, die an und für sich sehr nahrhaft sind und unter 
gewissen Verhältnissen, auch abgesehen von Misswachs und Hungersnoth, zur Brot¬ 
bereitung benutzt werden. Im Jahre 1891—181)2 war, um denVerbrauch von Roggen¬ 
mehl einzuschränken, vielfach empfohlen worden, diese Produkte in gewissen Ver¬ 
hältnissen mit Roggenmehl zu vermischen. Hierher gehören: Erbsenmehl, Buch¬ 
weizenmehl und Maismehl. Aus diesen Mehlsorten, zur Hälfte mit Roggenmehl 
gemischt, wurden auf unsere Anordnung Brote in Moskau speziell zum Behufe der 
Untersuchung gebacken. Dieselben unterschieden sich schon äusserlich wesentlich 
vom reinen Roggenbrot: sie waren flacher, kompakter und besassen weder die 
Elastizität, noch das eigenthümliche, angenehme Aroma des Roggenbrotes. Der aus¬ 
schliessliche und andauernde Genuss derselben war den Leuten nicht besonders an¬ 
genehm; sie fühlten sich nach den Mahlzeiten satt, assen aber schon am dritten 
Tage nicht ohne Selbstüberwindung. 

Die zweite Gruppe umfasst Kombinationen von Roggenmehl mit Produkten, 
die zwar (mit Ausnahme der Gerste) zur Brotbereitung nicht verwendet werden, 
jedoch grösstentheils werthvolle Nahrungsmittel sind. Hierher gehören: Brote mit 
Hafermehl, Hirsemehl, Gerstenmehl, Kartoffelmehl, sodann Brote mit Zu¬ 
satz von Runkelrübenrückständen und von Presskuchen aus Sonnenblumen¬ 
samen. Die Brote mit Hafer- und mit Gerstenmehl waren auf unsere Veranlassung 
zubereitet worden und zwar das erstere aus zwei Dritteln Hafermehl und einem 
Drittel Roggenmehl, das letztere aus gleichen Theilen Roggen- und Gerstenmehl. 
Die übrigen Surrogate wurden uns von denjenigen Personen zugesandt, von welchen 
sie empfohlen und in die Praxis eingeführt worden waren. Das Hirsebrot war 
bereitet aus 67% Roggen-, 11% Weizen- und 22% Hirsemehl; es hatte eine 
dicke Kruste, tiefe Spalten, enthielt zahlreiche Hüllen von Hirsesamen und Stücke 
von Aehren; es knirschte zwischen den Zähnen und hatte einen faden, etwas 
säuerlichen Geschmack; enthielt in der Trockensubstanz: 16,4% stickstoffhaltige 
Substanzen, 1,3% Fett, 3,7 % Holzfaser und 2,8% Asche. — Die Brotsurrogate 
mit Runkelrübenrückständen waren uns in verschiedenen Proben zugesandt, 


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6 30 

von denen zwei zu den Ausnutzungsversuchen verwendet wurden: No. 1 war zu¬ 
bereitet aus 75 % Roggenmehl mit Zusatz von 25 °/ 0 Runkelrüben; No. 2 aus 
25<>/o Weizenmehl, ebensoviel Maismehl, 31% Kartoffelschlempe und 19% Runkel¬ 
rüben. Beide Proben unterscheiden sich nach Aussehen und Geschmack wesent¬ 
lich von reinem Getreidebrot; Krume graubraun, wenig elastisch, von geringer 
Porosität. Der Gehalt an stickstoffhaltigen Substanzen schwankt in den verschiedenen 
Proben zwischen 15,3 und 18,9 %, der Fettgehalt zwischen 0,3 und 1%, der Ge¬ 
halt an Rohfaser beträgt im Mittel gegen 3 %, derjenige an Aschenbestandtheilen 
2—3%. — Das Sonnenblumenpresskuchenbrot lag uns ebenfalls in zwei 
Proben vor. No. 1 war zubereitet aus 10 % Roggenmehl und 90 o/ 0 Press¬ 
rückständen; No. 2 aus gleichen Theilen Roggenmehl und Pressrückständen. Zu den 
Ausnutzungsversuchen wurde nur No 2 verwendet; dasselbe enthielt in der Trocken¬ 
substanz 18,1 % stickstoffhaltiger Substanzen, 5,4 % Fett, 61,2% stickstofffreie und 
Extraktivstoffe, 8,3 % Holzfaser und 4,9 % Asche. Das Brot bildet eine graubraune 
Masse ohne eigentliche Brotkonsistenz. Die Rinde ist fest, löst sich ringsum leicht 
von der Krume ab, die letztere ist bröckelig; Geruch und Geschmack sind un¬ 
angenehm, beim Kauen hat man das Gefühl, als ob nur Stroh und Sand auf der 
Zunge wären, ein richtiges Kauen ist unmöglich; beim Trocknen entwickelt das Brot 
den widrigen Geruch ranzigen Fettes. — Das Kartoffelbrot war zubereitet aus 30% 
Roggenmehl und 70% gekochter Kartoffeln; es war flach, dunkelbraun; die Rinde 
theilweise von der Krume abstehend; die letztere bildet eine dichte, schwere Masse, 
ohne Elastizität, wenig porös; Geschmack fade, kein Aroma. 

Die Versuchspersonen assen alle diese Brote, das Gerstenbrot nicht aus¬ 
geschlossen, schon am dritten Versuchstage mit Widerwillen. Am unangenehmsten 
war ihnen das seines grossen Eiweiss- und Fettgehaltes wegen besonders empfohlene 
Brot mit Presskuchen von Sonnenblumensamen, das für Leute, welche an den Ge¬ 
schmack des darin enthaltenen Oeles nicht gewöhnt sind, geradezu ekelerregend ist 
und auch unseren Versuchspersonen sehr zuwider war. Der Genuss dieses Brotes 
rief überdies Schmerzen in der Magengegend und saures Aufstossen hervor. 

Dritte Gruppe. Eigentliche Hungerbrote, zu denen man übrigens füglich 
auch das Sonnenblumensamenbrot rechnen könnte. Dieselben enthalten meist nur 
eine geringe Quantität (25—30 %) grobes Roggenmehl oder Roggenkleie und bestehen 
im übrigen aus Substanzen, die vom Menschen unter gewöhnlichen Verhältnissen 
nicht zur Nahrung benutzt werden: Stroh, Eicheln, Schilf, Samen von verschiedenen 
Gräsern und Unkräutern, namentlich von Chenopodium album und Polygonum con- 
volvulus. Bei unseren Ausnutzungsversuchen kamen zur Verwendung: Eichelbrot 
(75% Roggen- und 25% Eichelmehl), Strohbrot (50% Roggenmehl und 50 "0 
feingemahlene Strohhäcksel), Polygonumbrot (25% Roggenmehl und 75% Mehl 
aus Polygonumsamen) und Chenopodiumbrot (25% Roggenmehl und 75% Mehl 
aus Chenopodiumsamen). Von den übrigen Hungerbroten hatten wir keine zu Aus¬ 
nutzungsversuchen hinreichende Quantität zur Verfügung. Die chemische Zusammen¬ 
setzung dieser Brote ist weiter oben erwähnt. 

Am besten sieht von diesen eigentlichen Hungerbroten das mit Eichelmehl 
zubereitete Brot aus; doch ist dasselbe sehr unangenehm bitter und wurde von 
unseren Versuchspersonen nur ungern und sogar mit Widerwillen gegessen; die 
Leute wurden in den drei Tagen dieser Eicheldiät schwach, apathisch und sahen 
nach Ablauf des Versuches schlecht aus. — Kein schlimmes Aeussere hat auf den 
ersten Blick auch das mit Stroh mehl zubereitete Brot; es ist gelbbraun, leicht 



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Di-- ruBsiwhfljt HwigüHwat« und ihre Ausnutzung dtiirh den Mansrhen.. 63? 

brüchig, (rochen mul l'.at: einen. bitterlich - sänerliclieu Geschmack; sodanii fällt es 
durch sein unhmteuteisdes Gewicht auf, und bei genauerem Nachsehen bann man 
•schnu mit blossem Auge die ■ kleinen, glänzenden, .scharfen Strohpartikelchen auf 
der ..Schnittfläche erkennen. Im Munde verursacht dieses Rro.t eia kratzendes Ge¬ 
füllt - und kann nur unter' Zuhilfenahme einer Flüssigkeit verschluckt; werden. I>ie 
Versuchspersonen, us.se.fi dasselbe ijtiejisf uogera und mir in geringer Quantität; sie 
klagten während der Strohbiefdiät übel* Rchöierxsa in der Magengegend und im 
1'nterleibB überhaupt und wurden xuseliewls schwächer;. — Sehr schlecht und ge¬ 
radezu-afetossend sehen .die Brote aus , die aus Uoggettbteh! und Uoggeokleic mit 
Zwaftz grösserer htaäötitäleH von Mehl aus Chen diu td- oder Po l y g o na tu samen 
zuhereiU-l werden- Sie haben die 'Form eines hm-kdigfin. Kuchens, 4tgi von aussen 
und auf dem ibiirhstTi&itfe. schwarz (wegen des Gehaltes an ■Säj»«ßlifüinn» : werden 
•bald hart wk-Stein, eriynern eher arTvrC als au Brot, und halmn einen sehr wider¬ 
lichen, bitteren Gesduaittifc. irie Vursuchspersonen, asseu von diesen RrotsmTogäfcii 
wenig had mit nicht zo verkeimendem Abscheu 

Jn der folgenden Tabelle sind nun die Scliiüssresdlfatc der • Versuche,- • wie 
l'op o’if sie Yvjoilent licht luiQ zimatuiybugc-toilt. Sie zeigt m erster Bi nie, wie viel 


lieh ersehet; wir daraus die !>iffere«-z zwischen Stick&toffcinnahme- und 
Ausgabe, und die rvjfteruuz hmKörpergewicht der Versuch*personen vor 
und nach den einzelnen Versuchen. Die,untersuchten SuiTogate sind der Ai«s- 
riutebarkeit ihres Stickstoffes eßtspreclmod, and zwar irt ahnchniemier Itoihenfolge, 
Tu die Tabelle eingestellt. ' ■ . . . . •;. 

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F. Erismann 


Wir sehen in erster Linie, dass die durchschnittlich in einem Tag ge¬ 
nossenen Quantitäten der einzelnen Brotsurrogate sehr verschieden 
waren, was ganz unzweifelhaft mit dem von ihrem Geschmack und ihren übrigen 
Eigenschaften hervorgerufenen subjektiven Empfinden der Versuchspersonen zusammen¬ 
hängt. Einige Surrogate, wie Hafer-, Hirse- und Erbsenbrot, nahmen die Leute in 
eben so grossen oder noch grösseren Mengen zu sich wie Schwarz- und Weissbrot 
(710 resp. 671 g). In den Versuchen Rubner’s waren im Tag 760 g Schwarzbrot 
aufgenommen worden, in früheren Versuchen Popoff’s, im Durchschnitt per Tag, 
730 g. Je weniger den Versuchspersonen die Brote schmeckten, desto geringer wird 
die Quantität, welche sie davon genossen. In auffallender Weise verschmähten sie 
das Maisbrot, das ihnen, schon seines teigartigen Aussehens wegen, fremder, ungewohnter 
vorkam als Hirse- oder Haferbrot; Südslaven hätten sich diesem Brote gegenüber 
anders verhalten. Die eigentlichen Hungerbrote wurden in sehr geringen Quantitäten 
genossen; die Versuchspersonen konnten sich nicht zu grösseren Mengen zwingen. 

Was nun zunächst die Ausnutzung der Trockensubstanz der Brotsurrogate 
anbelangt, so ist dieselbe bis zu No. 13 herunter eine günstige zu nennen. Wenn 
man drei Nummern, die ja auch in anderer Beziehung minderwerthig sind — das 
Sonnenblumensamenbrot, das Zuckerrübenbrot No. 1 und das Eichelbrot —, aus¬ 
nimmt, so bewegt sich die Ausnutzung der Trockensubstanz im allgemeinen zwischen 
84 und 87,5 o/o und beträgt im Mittel 86%. Dies entspricht genau dem für ge¬ 
wöhnliches Roggenbrot erhaltenen Werthe; in einem Versuche Rubner’s 1 2 ) betrug 
der Verlust an Trockensubstanz im Koth bei Schwarzbrot 15%; Solnzeff*) fand 
für russisches Schwarzbrot 14,6%, Tschakaleff 3 ) 13%; diese Zahlen würden 
also einer Ausnutzung von 85—87 % entsprechen. — Rasch sinkt dann die Aus¬ 
nutzung der Trockensubstanz, sowie wir zu den eigentlichen Hungerbroten kommen 
(No. 13—16); nur beim Eichelbrot ist sie noch relativ günstig (78,29%), bei den 
übrigen Hungerbroten schwankt sie nur zwischen 46% und 53% und erreicht ihr 
Minimum beim Brote aus Polygonum convolvulus. Dass bei Weizenbrot der Verlust 
an Trockensubstanz ein geringer sein werde, war zu erwarten; er betrug in den 
Versuchen Popoff’s durchschnittlich 7,4%; Rubner hatte im Mittel nur 4,5% 
Verlust erhalten. 

In der Ausnutzung der stickstoffhaltigen Substanzen zeigt sich bis und 
mit No. 13 eine allmälige Abnahme. Die Werthe bewegen sich hier zuerst zwischen 
denjenigen für Weizenbrot und gewöhnlichem Roggenbrot (No. 2—8), um hernach 
etwas unter die für das letztere gewonnene Zahl herabzusinken (No. 10—13). Die 
Ausnutzung des Stickstoffs in den eigentlichen Hungerbroten (mit Aus¬ 
nahme des Eichelbrotes) ist sehr gering, sie beträgt weniger als 50% und erreicht 
ihr Minimum (41,55%) beim Chenopodiumbrot. — Die relativ geringe Ausnutzung 
der Eiweissstoffe des gewöhnlichen Roggenbrotes ist längst bekannt: Rubner erhielt 
einen Verlust an Stickstoff im Koth von 32%, Dementjeff 4 ) 31,5%, Solnzeff 
31,2%; Popoff hatte in mehreren früheren Versuchen allerdings etwas günstigere 
Resultate erhalten (Verlust von 26,9%), bei anderen Versuchspersonen ergab sich 
auch ihm ein Durchschnittsverlust von 29%. Wird das Roggenbrot aus feinerem 


1) Zeitschrift für Biologie Bd. 15. S. 115—202. 

2 ) Arbeiten einer vom russischen Kriegsministerium zur Beurteilung von Konserven im Jahre 
1887 ernannten Kommission S. 121-227. 

3 ) Arbeiten etc. S. 33—120. 

*) Russische Zeitschrift »Gesundheit« 1877. No. 55 und 50. 


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Die russischen Hungerbrote nnd ihre Ausnutzung durch den Menschen. 


639 


Mehle gebacken, so nähert sich die Verwerthung der Eiweissstoffe derjenigen, wie 
man sie bei Weissbrot erhält; Popoff fand hierbei einen Stickstoffverlust im Kothe 
von 18,10%, was einer Ausnutzung von 81,90% entspricht, während er beim Weizen¬ 
brot eine Verwerthung des Stickstoffs von 82,44% konstatierte. Es scheint schon 
nach früheren Arbeiten Rubners 1 ) keinem Zweifel zu unterliegen, und E. Rom¬ 
berg 2 ) hat es durch seine Versuche über den Nährwerth verschiedener Mehlsorten 
neuerdings bestätigt, dass die Gegenwart von Kleie, ob sie nun grob oder 
fein gemahlen sei, die Ausnutzbarkeit des Brotes im menschlichen Ver- 
dauungskanale wesentlich beeinträchtigt, und dass gerade aus diesem Grunde 
die Verwerthung der Bestandteile des Roggenbrotes eine relativ geringe ist. Es 
darf uns deshalb nicht wundern, wenn die Eiweissstoflfe unserer Brotsurrogate, die 
ja, wie wir weiter oben gesehen haben, sämmtlich reich an Pflanzenfaser sind — 
auch wenn wir vor der Hand von den eigentlichen Hungerbroten absehen —, im 
ganzen schlecht ausgenutzt werden; es ist ja überall viel grobes, eine grosse Menge 
von Kleie und Samenhülsen enthaltendes Mehl zur Verwendung gekommen. Dass 
die Ausnutzung der Nahrungsstolfe in den eigentlichen Hungerbroten eine ganz 
schlechte ist, versteht sich von diesem Gesichtspunkte aus von selbst; denn das Mehl, 
ans dem z. B. Chenopodium- und Polygonumbrote zubereitet werden, enthält sehr 
grosse Mengen von Samenhüllen und ist, wie wir wissen, entsprechend reich an 
Pflanzenfaser; dass dieses letztere auch bei dem Strohbrote der Fall ist, braucht 
nicht einmal besonders erwähnt zu werden. 

Die Ausnutzung der Aschenbestandtheile der Brotsurrogate weist, wenn man 
von den eigentlichen Hungerbroten absieht, keine bedeutenden Differenzen auf. Sie 
schwankt in den Versuchen Popoff’s zwischen 56% (Buchweizenbrot) und 69,8% 
(Kartoffelbrot) und scheint von denjenigen Eigenschaften der Brote, welche sonst die 
grössere oder geringere Verwerthung der einzelnen Bestandteile bedingen, bis zu 
einem gewissen Grade unabhängig zu sein. Jedenfalls scheint die Ausnutzung der 
Salze von dem Gehalte der Brote an Pflanzenfaser und Mincralbestandtheilen (Kleie 
u. s. w.) nicht in der Weise bestimmt zu werden, wie die Ausnutzung der Eiweiss¬ 
stoffe. Immerhin wird beim Weizenbrot auch die Asche besser verwertet (73,86 %) 
als bei den an Samenhüllen reichen Brotsurrogaten (im Durchschnitt 61,3%), und 
am geringsten ist die Ausnutzung der Asche bei den in jeder Beziehung 
minderwerthigen eigentlichen Hungerbroten, wo sie auf 40% und darunter 
herabsinkt. Ob man nun, wie Romberg es thut, sagen kann, dass der Aschengehalt 
eines Mehles (also auch eines Brotes) das Kriterium seiner Güte sei, möchte ich 
nicht direkt bestreiten, aber nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, möchte 
ich den Gehalt an Pflanzenfaser als Hauptkriterium hinstellen. Mit ihm 
steigt und sinkt im allgemeinen der Verwertungsgrad der Nahrungsstoffe des Brotes 
im menschlichen Verdauungskanale. Nun gehen ja allerdings die Quantitäten von 
Asche und Pflanzenfaser in Mehl und Brot meist Hand in Hand, so dass Romberg, 
der, wie wir aus seiner Arbeit ersehen, die Pflanzenfaser nicht bestimmt hat, wohl 
zur Ansicht kommen konnte, man könne die Güte eines Mehles direkt nach seinem 
Aschengehalte beurtheilen. Physiologisch genommen ist es ja natürlich nicht die 
Asche, sondern die unverdauliche Holzfaser, welche die Einwirkung der Ver¬ 
dauungssäfte auf die Bestandtheile des Brotes beeinträchtigt. 


1) Zeitschritt für Biologie 1883. Bd. 19. S. 45 ff. 

2 ) Archiv für Hygiene 1897. Bd. 28. S. 244—290. 


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640 F. Erismann 


Die Frage, ob der menschliche Organismus bei ausschliesslicher Er¬ 
nährung durch irgend eines der von Popoff untersuchten Brodsurrogate 
bestehen könne, muss im Hinblick auf die vorletzte Rubrik der obigen Tabelle 
ohne weiteres verneint werden. Ueberall hat der Organismus der Versuchspersonen 
Einbusse an stickstoffhaltiger Substanz erlitten. Der tägliche Verlust an 
Stickstoff schwankt zwischen 0,63 g (Erbsenbrot) und 6,94 g (Chenopodiumbrot); am 
höchsten ist er überhaupt bei den eigentlichen Hungerbroten. Bei der Beurtheilung 
dieser Thatsache ist nun aber zu bedenken, dass überhaupt bei ausschliesslicher Brot¬ 
nahrung der Mensch unter gewöhnlichen Umständen nicht im Stickstoffgleichgewichte 
bleiben kann. Schon Rubner 1 ) hatte gefunden, dass bei ausschliesslicher Ernährung 
mit Weissbrot der Körper der Versuchsperson in einem Falle täglich 5,55 g, in einem 
anderen Falle 2 g, und in einem Versuche mit Schwarzbrot 2,35 g Stickstoff ein- 
büsste. Sodann hatte Popoff 2 ) konstatiert, dass bei ausschliesslicher Ernährung mit 
Schwarzbrot, im Mittel aus mehreren Versuchen, vom Körper der Versuchsperson 
täglich 3 g Stickstoff zu Verlust gingen. Auch durch Zugabe von Kohl oder Kar¬ 
toffeln konnte der Stickstoffverlust vom Körper nicht aufgehalten werden; und erst 
wenn ausser Schwarzbrot noch Erbsen, Buchweizengrütze oder Fleisch 
genossen wurden, gelang es, einen Ansatz von Stickstoff im Körper zu 
erzielen, der allerdings bei Zugabe von Erbsen oder Buchweizen nur unbedeutend 
war und einen höheren Werth (5,5—8,6 g im Tag) nur dann erreichte, als zum 
Schwarzbrot noch Fleisch gegeben wurde. 

Wenn aber schon gutes Brot, für sich allein, und auch da wo eine Beschränkung 
der Zufuhr ausgeschlossen ist, den Menschen nicht ernähren, nicht auf seinem ur¬ 
sprünglichen Bestände erhalten kann, so darf man sich nicht wundern, wenn auch 
Brotsurrogate, wie sie uns Vorgelegen haben, dies nicht zu thun im stände sind, und 
wenn namentlich die eigentlichen Hungerbrote, da wo sie das ausschliessliche oder 
vorwiegende Nahrungsmittel darstellen, zu bedeutenden Verlusten von stickstoff¬ 
haltiger Substanz vom Körper Veranlassungen geben. Leute, die in ihrer Ernährung 
auf derartige Brotsurrogate angewiesen sind, befinden sich also in einem chroni¬ 
schen Hunger zustande. Schon bei dreitägigen Versuchen mit solchen Broten 
traten bei den Versuchspersonen die Anzeichen bedeutender Schwäche ein, Schwindel, 
Ohrensausen, Blässe der Haut und der Schleimhäute, leichtes doch merkliches Sinken 
der Körpertemperatur, Verminderung der Zahl der Herzschläge, Abnahme des Körper¬ 
gewichtes, Unlust zur Arbeit. Diese Erscheinungen, die zweifellos am stärksten 
waren beim Genuss der Brote aus Chenopodiummehl, schienen uns sogar auf die 
Gegenwart eines toxisch wirkenden Stoffes in diesen Samen hinzudeuten. Und in 
der That verendeten von sechs weissen Ratten, die mit Chenopodiumbrot gefüttert 
wurden, fünf schon im Laufe der ersten Tage; die Sektion wies übereinstimmend 
die Erscheinungen einer akuten Gastroenteritis nach. — Aber auch das von gewissen 
Seiten sehr empfohlene »Strohbrot« hat, ausser seinem mangelhaften Nährwerth, 
direkt schädliche Eigenschaften, indem die spitzigen Ecken der kleinen Stroh¬ 
partikel, bei ihrem Durchgang durch den menschlichen Magen und Darmkanal, die 
Schleimhaut dieser Organe reizen und bei längerem Gebrauche derartigen Brotes 
entzündliche Zustände hervorrufen können. 

Wir kommen also, was die eigentlichen Hungerbrote anbetrifft, zu dem 


i) Zeitschrift für Biologie 1879. Bd. 15. S. 150 ff. 

‘) Gesammelte Arbeiten aus dem hygienischen Institut der Universität Moskau 1891. Bd. 4. 


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Die russischen Hungerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen. 


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Schlüsse, dass dieselben, schon ihrer widerwärtigen Eigenschaften als 
Genussmittel wegen, sehr ungünstig zu beurtheilen sind, dass sie sodann 
als Nahrungsmittel einen äusserst geringen Werth besitzen, weil sie vom 
menschlichen Verdauungsapparat schlecht ausgenutzt werden, und dass viele der¬ 
selben durch toxische oder mechanische Wirkung direkt die Gesundheit 
der Konsumenten schädigen können. 

Derartige Surrogate des Brotes dürfen also auch bei grossem und äusserstem 
Mangel an Roggen- oder Weizenmehl nicht benutzt werden, und es ist ein Gebot 
der öffentlichen Gesundheitspflege, dass dieselben aus der Liste der Nahrungsmittel 
auch bei Nothzuständen vollkommen gestrichen werden. Staat und Gesellschaft 
dürfen es nicht zugeben, dass die Bevölkerung gezwungen wird, zu 
solchen Mitteln zu greifen, um ihren Hunger zu stillen, und es ist die 
Pflicht der Wissenschaft, hierauf aufmerksam zu machen. Vom praktischen Stand¬ 
punkt aus haben diese Andeutungen für das westliche Europa allerdings wenig 
Werth, doch dürften sie theoretisch auch da nicht ganz ohne Interesse sein, wo seit 
längerer Zeit keine Hungerzustände in grösserem Maassstabe vorgekommen sind. 

Nachdem wir auf diese Weise die eigentlichen Hungerbrote (s. oben die dritte 
Gruppe) vom physiologisch-diätetischen Standpunkte aus vollkommen und unter allen 
Umständen verworfen haben, bleibt uns noch die Frage zu beantworten übrig, ob 
nicht das eine oder andere der übrigen Brotsurrogate in den Augen des 
wissenschaftlichen Forschers Gnade finden könnte, d. h. ob es nicht 
zweckmässig wäre, durch Zugabe verschiedener, an und für sich nicht 
zu verwerfender Substanzen zum Roggen- oder Weizenmehl den Konsum 
der durch den Misswachs betroffenen Getreidesorte einzuschränken. 
Diese Frage ist um so mehr berechtigt, als, wie wir oben gesehen haben, die Aus¬ 
nutzung einiger dieser Surrogatbrote im menschlichen Darmkanale eine sehr günstige 
ist; namentlich gilt dies von denjenigen Surrogaten, die mit Hülfe von Erbsen-, Buch¬ 
weizen-, Mais-, Hafer- und Hirsemehl zubereitet sind. Auf den ersten Blick scheint 
es also in der That zweckmässig zu sein, beim Mangel an Roggenmehl einen Theil 
desselben im Brote durch eine der eben genannten Mehlsorten zu ersetzen. 

In dieser Beziehung muss ich nun ganz bestimmt darauf hin weisen, dass alle 
diese Brotsurrogate, wie nahrhaft sie auch sein mögen, als Genussmittel 
hinter dem gewöhnlichen Roggenbrote sehr weit zurückstehen. Sie haben 
gerade diejenigen Eigenschaften nur in einem geringen Grade, welche uns das Roggen¬ 
brot (oder auch das Weizenbrot) so angenehm machen, und uns gestatten, dasselbe 
Tag für Tag mit ein und demselben Wohlbehagen und Appetit auch in grösseren 
Quantitäten zu gemessen. Der Mangel an diesen Eigenschaften, in Verbindung mit 
irgend einem spezifischen Beigeschmack, dessen man als Konsument bald überdrüssig 
wird, macht uns die Brotsurrogate, auch wenn sie uns anfangs wohlschmeckend er¬ 
scheinen, bei länger dauerndem Gebrauche so unangenehm, dass wir dem Genüsse 
derselben einen relativen Hungerzustand vorziehen. 

Ausserdem haben frühere, von Popoff ausgeführte Versuche mit Bestimmtheit 
ergeben, dass ein und dieselben Produkte vom Menschen besser ausgenutzt 
werden, wenn man sie als eigens zubereitete Speise für sich geniesst, 
als wenn sie zusammengebacken mit Roggen-oder Weizenmehl als Brot¬ 
surrogat konsumiert werden: Wenn man z. B. aus fünf Theilen Kartoffelmehl und 
zwei Theilen Roggenmehl Brot bäckt, so bleiben beim Genüsse des letzteren 32,7 % 
Stickstoff unausgenutzt; wenn man jedoch dieselben Produkte in derselben Proportion 



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642 F. Erismann, Die rassischen Hnngerbrote und ihre Ausnutzung durch den Menschen. 

getrennt geniesst, d. h. in Form von reinem Roggenbrot einerseits und einer Kartoffel¬ 
speise andererseits, so beträgt die Menge des unausgenutzten Stickstoffs nur 26,3 °/ 0 . 

Dasselbe ist der Fall mit der Kombination von Erbsen- oder Buchweizenmehl 
mit Roggenmehl: Beim Genüsse eines Brotsurrogates aus gleichen Theilen Erbsen¬ 
mehl und Roggenmehl bleiben über 20% des Stickstoffs unausgenutzt; Versuche mit 
Brotsurrogaten aus gleichen Theilen Buchweizenmehl und Roggenmehl ergaben über 
23% unausgenutzten Stickstoff. Wurden dagegen dieselben Produkte in der Form 
von reinem Roggenbrot einerseits und gekochten Erbsen oder einer Buchweizengrütze 
andererseits genossen, so sank die Menge des unausgenutzten Stickstoffs auf 16,9 °/ 0 
resp. 19,4 %. 

Wir gelangen also zu dem Schlüsse, dass es ökonomischer und für den 
Konsumenten angenehmer ist, auch bei Misswachs von Roggen oder 
Weizen, das Roggen-resp. Weizenbrot in seiner reinen Form, ohne fremde 
Beimischungen — und wären es auch gute Nahrungsstoffe — zu geniessen Hnd 
das mangelnde Brot dann durch irgend eine andere Speise — Erbsen, 
Buchweizen, Gerste, Hafer, Mais, Hirse etc. — zu ersetzen, als das Roggen¬ 
oder Weizenmehl mit anderen Mehlsorten zu mischen und aus diesen 
Mischungen Brotsurrogate zu backen. 

Dieses, auf wissenschaftlich-experimentellem Wege gewonnene Resultat stimmt 
auch vollkommen mit der Erfahrung, die während der Hungerzeit 1891/92 allerorts 
gemacht wurde, überein: Die Suppenanstalten und Volksküchen, die im Winter 
1891/92 an zahlreichen Stellen des Hungergebietes in grosser Menge eingerichtet 
wurden und um deren Verbreitung sich der berühmte Dichter, Graf Leo Tolstoj, 
so grosse Verdienste erworben hat, waren f wie die alltägliche Beobachtung zeigte, 
den Unglücklichen von weit grösserem Nutzen als die Anstrengungen, die namentlich 
im Anfänge der Hungerperiode gemacht wurden, um verschiedene Brotsurrogate zu 
erdenken und hierdurch den Mangel an reinem Roggenbrot zu ersetzen. 

Unsere Schlussfolgerungen lauten also: 

1. Diejenigen Brotsurrogate, zu welchen die Bevölkerung zu Hunger¬ 
zeiten von sich aus ihre Zuflucht nimmt, taugen nichts, weil sie einen 
äusserst widerwärtigen Geschmack besitzen, vom Menschen schlecht 
ausgenutzt und theils durch mechanische Reizung der Darmschleimhaut, 
theils durch die Gegenwart toxisch wirkender Substanzen dem Kon¬ 
sumenten schädlich werden. 

2. Die übrigen Brotsurrogate, die bei Missernten von verschiedenen 
Seiten vorgeschlagen worden, sind, trotz theilweiser guter Ausnutzung; 
nicht zu billigen, weil es aus den oben angeführten Gründen vortheil- 
hafter ist, das Brot in reiner Form zu verabreichen und die fehlende 
Quantität desselben durch andere, womöglich warme Speisen zu ersetzen. 

3. Die Brotsurrogate sind also durch möglichst hinreichende Beschaffung von 
Roggen- oder Weizenmehl einerseits und durch Einrichtung von Suppenanstalten und 
Volksküchen andererseits vollkommen zu verdrängen. 


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W. Podwyssozki, Der Kefir. 


643 


II. 


Der Kefir 

(Ferment und Heilgetränk aus Kuhmilch). 

Geschichte, Bereitung, Zusammensetzung des Getränks, Morphologie des Ferments 
und dessen Erkrankungen; physiologische und therapeutische Bedeutung des Getränks. 


Von 


Professor Dr. W. Podwyssozki 

in Odessa. 

Uebersetzt aus dem Russischen von Dr. Rechtshammer. 

(Schluss.) 

Viertes Kapitel. 

Bau des Keflrferments. 


Die ersten bestimmten botanischen Angaben über den Bau und die Morpho¬ 
logie der Kefirkörner wurden von Kern noch im Jahre 1882 gemacht. Dieser 
Forscher zeigte, dass jedes beliebige Theilchen der Kefirkörner aus zwei morpho¬ 
logisch verschiedenen Elementen besteht: einer unendlichen Anzahl ziemlich 
grosser Bakterien und den zwischen die letzteren, freilich schon in bedeutend 
geringerer Menge, eingesprengten Hefezellen. Die innige Beziehung im Kefir¬ 
ferment der beiden Vertreter von zwei verschiedenen Mikrobenarten bot Kern Ver¬ 
anlassung, hier ein Beispiel der so häufig in der Natur vorkommenden Symbiose von 
Hefezellen und Bakterien zu erblicken. Wie erinnerlich, hat Kern die von ihm 
unter dem Mikroskop gesehenen Bakterien als besondere Art beschrieben, die an 
jedem ihrer Enden je eine Spore bildet und daher von ihm als Dispora caucasica 
benannt worden ist. Die Hefezellen des Kefirkornes bestimmte Kern als die in der 
Natur verbreitetste Hefenart, die die Alkoholgährung des Zuckers hervorruft, nämlich 
als Sacharomyces cerevisiae Meyen. 

Die erste Frage, die natürlicher Weise bei dem Studium des Baues der Kefir¬ 
körner sich aufdrängt, ist folgende: ob die Gesammtmasse des Kornes resp. des 
Klümpchens die Form einer solchen Symbiose darbietet? Die sorgfältige mikro¬ 
skopische Untersuchung führt zu einem negativen Resultat. Lässt man nämlich ein 
isoliertes grösseres Korn gut in Wasser oder in Milch aufquellen und zerzupft das¬ 
selbe vorsichtig mit Hilfe einer kleinen Pincette, so ergiebt es sich, dass das Klümpchen 
resp. das Korn in Wirklichkeit kein sphärischer Körper ist, sondern einen gelappten, 
oblongen, unregelmässig verzweigten, sehr elastischen Körper repräsentiert, der sich 
einfach sphärisch zusammengelegt hat. Nur je an einer Fläche jedes Lappens be¬ 
finden sich Ausstülpungen, pilzartigen oder polypenförmigen Auswüchsen ähnlich. 
Indem diese Auswüchse nur eine Fläche des ganzen Körpers und seiner einzelnen 
Zweige bedecken, bewirken sie, in Folge mechanischer Ursachen, ein Zusammen¬ 
drehen und Zusammenrollen jedes Antheiles der Art, dass alle Stellen mit glatten 
Oberflächen stets verborgen und nach Innen gerichtet bleiben, während alle mit 

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644 W. Podwyssozki 

Auswüchsen besetzten Stellen nach Aussen gekehrt sind. Es erweist sich also, 
dass auf eine Grundmasse sehr kleine, körnige, kohlförmige Auswüchse ge¬ 
pflanzt sind, die mit einer centralen faserigen Grundsubstanz in Verbindung stehen. 
Diese Grundsubstanz besitzt selbst für das unbewaffnete Auge eine faserige Struktur 
und erscheint sehr elastisch, ausdehnungsfähig. Kurz, in jedem Klümpchen des 
Kefirferments unterscheidet man mikroskopisch zwei Theile: einen faserigen, stets 
verborgenen, nach Innen gerollten, und einen körnigen-peripheren, nach Aussen 
gekehrten. Beide Theile haben einen verschiedenen mikroskopischen Bau. Man 
sieht nämlich die Symbiose der Hefezellen mit den Bakterien vorzugs¬ 
weise an den peripheren Partieen, in dem Gebiete der körnigen Auswüchse, 
während die innere, verzweigte und faserige Partie jedes Klümpchen sowie jedes 
der Füsschen, auf welchen die körnigen Auswüchse sitzen, hauptsächlich aus Bak¬ 
terien allein bestehen, die durch ihre gegenseitige innige Beziehung gleichsam eine 
Art Filz repräsentieren. In den peripheren Partieen des Klümpchens, dort, wo 
auch Hefezellen zugegen sind, prävalieren mehr oder weniger freiliegende Bakterien, 
während in den inneren Partieen koloriale Bakterienfäden, die im allgemeinen das 
Aussehen eines Filzes besitzen. 

Gehen wir zum Studium der weiteren Details des mikroskopischen Baues der 
Kefirkörner über, so sehen wir indessen, dass, abgesehen von der relativ grossen 
eigentlichen Kefirbakterie, auf welche Kern hingewiesen hat, und abgesehen von 
den Hefezellen, das Kefirferment noch ein drittes Mikrobion enthält, viel kleiner in 
seinen Dimensionen, nämlich das Bakterium der Milchsäuregährung. Auf 
die konstante Gegenwart dieses sehr kleinen Bakteriums im Kefir wurde zuerst 
Stange aufmerksam, und nach ihm beschrieben alle andern Kefirforscher das 
Mikrobion. 

Das Kefirkorn, das durch mehrere Portionen Milch gegangen ist und bereits 
zur Herstellung mehrerer Portionen eines guten Getränks gedient, sich, so zu 
sagen, um die Milch akklimatisiert hat, und daher das Muster eines gesunden, 
»normalen« Ferments darbietet, besteht nun thatsächlich aus den drei oben auf¬ 
gezählten verschiedenen Mikroben: der grossen, eigentlichen Bakterie des Kefir, 
der äusserst kleinen Milchsäurebakterie und den Hefezellen. Die Gegenwart und 
die Symbiose lediglich dieser drei Vertreter der niederen mikroskopischen Organismen 
charakterisiert das »normale Kefirferment«. Nur eine derartige morphologische 
Zusammensetzung kann man als Typus des normalen Ferments anerkennen, mit 
dessen Hilfe ein gutes Getränk sich herstellen lässt. 

Von der Gegenwart im Kefirkorne lediglich der drei genannten Mikroben ver¬ 
mag man sich nur unter der Bedingung zu überzeugen, dass man zum Untersuchen 
die Körner direkt der Milch entnimmt, folglich, so zu sagen, eben in Arbeit ge¬ 
wesene, aufgeweichte Körner, die schon vielmals zur Herstellung eines guten Getränks 
gedient haben und dem Austrocknen nicht unterworfen waren. 

Etwas ganz anderes erhält man, wenn man zur Untersuchung ausgetrocknete 
Körner benutzt, die an der Luft herumlagen, längere Zeit nicht in Arbeit waren 
und blos direkt vor der Untersuchung in Wasser oder in Milch aufgeweicht werden. 

In solchen Körnern, die vom ursprünglichen Typus des »normalen Ferments« 
abgewichen sind, lassen sich, abgesehen von den oben angegebenen drei Mikroben¬ 
arten, auch noch andere nachweisen, nämlich kugelförmige Bakterien sowie Zellen 
und ganze Fäden von Schimmelpilzen, speziell Didium lactis und selbst Penicilliutn 
glaucum. 


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645 


Der Kefir. 


Es ist nun nicht zu verwundern, dass z. B. Freudenreich im Jahre 1897 
und nach ihm Hallion im Jahre 1900, abgesehen von der grossen stäbchenförmigen 
Kefirbakterie, der kleinen Milchsäurebakterie und des Hefepilzes, im Kefirkorn noch 
kugelförmige Kettenbakterien beschreiben. Offenbar hatten es diese Autoren nicht 
mit dem normalen, typischen Korne zu thun. Von Streptococcen und Staphy- 
lococcen, also von kugelförmigen Bakterien, enthält das gesunde, nor¬ 
male Korn gar keine Spur. Befindet sich das Korn aber an der Luft, trocknet 
es aus, so wird es mit Luftbakterien verunreinigt, die nachher, in den ersten Milch¬ 
portionen, an dem aufzuweichenden Korne haften bleiben und sich vermehren; nur 
allmählich, in den weiteren Portionen der gährenden Milch, wird die normale Pilz¬ 
physiognomie des Ferments wieder hergestellt. Letzteres erfährt gleichsam eine 
Purificierung durch diese Reihe von Abimpfungen, und zwar gehen die fremden 
Mikroben, die nicht in jene Kombination der drei bekannten Mikroben hinein¬ 
gehören, durch welche das typische Kefirferment charakterisiert wird, mit jeder 
neuen Passage durch eine neue Portion Milch allmählich zu Grunde. 

Dieses Faktum steht bekanntlich in vollem Einklänge mit den allgemeinen 
Thatsachen der Mikrobiologie, wonach nur ein bestimmter Nährboden, an welchen 
das betreffende Mikrobion sich angepasst hat, dem letzteren normales Wachsthum 
und Erhaltung seiner morphologischen sowie funktionellen Individualität zu sichern 
vermag. Die Milch ist der Nährboden, an welchen, um darin zu wachsen, das 
komplizierte, aus drei mit einander gewöhnten Mikroben bestehende Kefirferment 
sich angepasst hat. Seine Individualität kann eben unangetastet bewahrt bleiben 
lediglich bei der Bedingung, dass es in diesem Nährboden gezüchtet wird. Wenn 
wir das Ferment aus der Milch herausnehmen, dem Austrocknen unterwerfen, und 
darauf, je nach Bedarf, von Neuem in Wasser oder in Milch aufweichen, so sind 
wir allemal in der Lage, die Individualität unseres Ferments zu verletzen sowie 
zeitweilig dessen Zusammensetzung zu verändern, bis allmählich in der Reihe 
frischer Portionen gährender Milch Restituierung eintritt. 

Dieses Verhältniss betone ich ganz besonders, um bei allen, welche sich mit 
der Kefirbereitung abgeben, die Ansicht zu festigen, dass das ausgetrocknete 
und namentlich längere Zeit im trockenen Zustande gelegene Kefir¬ 
korn nicht das normale Kefirferment repräsentiert und dass eine ge¬ 
wisse Zeit sowie eine Reihe von Passagen durch frische Portionen 
Milch nothwendig ist, um das Ferment in seinen Normalzustand zurück¬ 
zubringen. 

Die Gährung von Milch, in welcher ein aufgeweichtes Kefirkorn sich befindet, 
geschieht dadurch, dass von der Oberfläche des Kornes stets von der gemeinsamen 
unbeweglichen Masse freie sich vermehrende Bakterien und Hefezellen sich loslösen. 
Es ist demnach nicht zu verwundern, dass die gährende Milch und das Kefirgetränk 
überhaupt beständig eine grössere oder geringere Menge Hefezellen und insbesondere 
Bakterien enthält. 

In dem schwachen eintägigen Kefir giebt es noch sehr wenig Hefezellen, und 
von Bakterien prävalieren die grossen, eigentlichen Kefirbakterien. Mit zunehmendem 
Alter wird der Kefir bekanntlich mehr sauer und das Mikroskop zeigt eine immer 
zunehmende Menge der kleinen Milchsäurebakterie. Hefezellen sieht man fast gar 
nicht. Die Kase'inniederschläge, die sich an den Gefässwänden ansammeln, enthalten 
enorme Bakterienmengen und uur sehr wenig Hefezellen. 

Gehen wir im speziellen zur Biologie der Kefirbakterie über, so ist zu be- 


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646 


W. Podwysaozki 


merken, dass mit Bezug auf letztere die gegenwärtige Anschauungsweise bedeutend 
differiert von derjenigen Kern’s, der sie zuerst beschrieben hat. Im Anschluss an 
Kern wurde die Kefirbakterie (von ihm unrichtig Dispora causica benannt) von den 
nachfolgenden Untersuchern als selbstständige Art anerkannt: Bacillus kefir 
(Ssorokin u. a.) resp. Bacillus caucasicus (Freudenreich, Blanchard u. a.) 
Es erweist sich indessen, dass diese Bakterie nichts anderes als die gewöhnliche 
Heubakterie — Bacillus subtilis — repräsentiert. Diese Ansicht, noch im Jahre 
1888 von Prof. Tichomirow in seinem Lehrbuch der Pharmakognosie ausgesprochen, 
wird nachher von Mac6 in seinem Lehrbuche der Bakteriologie vertreten und beson¬ 
ders ausführlich von Dr. Essaulow in seiner Dissertation im Jahre 1895 entwickelt 
Allerdings besitzt die Kefirbakterie viele Eigenschaften, welche für die Heu¬ 
bakterie charakteristisch sind (Form, Beweglichkeit, Wachsthum auf Nährböden), 
man dürfte jedoch kaum beide als zu derselben Art zugehörig anerkennen. Nach 
unseren Beobachtungen erscheint die Kefirbakterie etwas dicker und weniger be¬ 
weglich als die Heubakterie. Im Uebrigen hat schon Essaulow selbst aus manchen 
Kefirpilzen, abgesehen von der Heubakterie, eine Bakterie isoliert, welche gewisse 
Eigenschaften darbietet, abweichend von den Eigenschaften der Heubakterie. Es 
ist demnach sehr wahrscheinlich, dass ursprünglich, beim Entstehen des Kefir¬ 
ferments bei den Bergbewohnern in entfernten Zeiten, die auf den Feldern, Weiden 
und im Heu so verbreitete Heubakterie, nachdem sie in Milch gerathen war, sich 
dazu angepasst hat in diesem Nährboden zu leben und sich in eine besondere 
Varietät um wandelte, in die Bakterie, die wir nun gegenwärtig im Kefirkorn finden 
und als Bacillus kefir oder Bacillus caucasicus bezeichnen. Vielleicht geschieht eine 
derartige Umwandlung auch jetzt beständig in der Natur und vermag experimentell 
in den Laboratorien nachgeahmt zu werden; die Bakterie des fertigen Ferments er¬ 
achten wir jedoch als besondere Varietät der Heubakterie und halten es für nöthig, 
auf Grund des charakteristischen Gährungsprozesses, welchen jene Bakterie in Ge¬ 
meinschaft mit anderen an sie gewöhnten Mikroben hervorruft, ihr den besonderen 
Namen — Bacillus kefir — zu belassen, ohne hierbei in Abrede zu stellen, dass 
sie eine Varietät der Heubakterie repräsentiert 

Anlangend die Hefezellen, welche sich in der Grundmasse des Kefirferments 
befinden, so schlägt Beyerinck vor, obwohl dieselben den Hefezellen der Bierhefe 
gleichen, sie als besondere Varietät — Sacharomyces kefir — zu betrachten. Eine 
wesentliche Bedeutung kommt dieser Frage nicht zu, und jedenfalls, entsprechend 
der Funktion und dem Werth der Hefezellen bei der Bereitung des Getränks, 
nähern sich die letzteren am meisten der Bierhefe — Sacharomyces cerevisiae 
Meyen. Wenn infolge längeren Austrocknens der Kefirkörner der grössere Theil der 
Hefezellen in denselben zu Grunde gegangen ist, so lässt sich durch Zusatz von ein 
wenig Bierhefe in die Flasche mit Kefir vor deren Verkorken ein an Gas reiches 
Getränk erzielen, mithin die zu Grunde gegangene Hefe durch Bierhefe ersetzen. 

Bei der Milchgährung in Gegenwart der Kefirkörner steigen bekanntlich nicht 
alle Körner an die Oberfläche der Milch, sondern es bleiben manche, stets die Minder¬ 
zahl, am Boden des Gefässes liegen und bedecken sich mit schleimigen Kasein¬ 
massen. Im Kaukasus giebt es ganze Mengen von Körnern, von denen kein einziges 
an die Oberfläche der Milch aufsteigt, und trotzdem wird letztere durch dieselben in 
vorzüglichen Kefir umgewandelt mit bedeutendem Gehalt an Kohlensäure, die nur 
das Produkt der Alkoholgährung sein kann. Auch bei uns bereiten sich viele Per¬ 
sonen, welche aus dem Kaukasus gerade solche Körner empfangen haben, einen sehr 


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Der Kefir. 


647 


guten Kefir. Als ich mich davon überzeugte, erweckte diese Sorte von Körnern 
mein Interesse, und unterwarf ich dieselben der mikroskopischen Untersuchung. Es 
zeigte sich, dass sie aus denselben morphologischen Elementen bestehen wie die 
aufsteigenden Körner, also aus Hefezellen und Bakterien, dass das einzige, wodurch 
sie sich von den aufsteigenden Körnern unterscheiden, das Fehlen einer Anordnung 
der Bakterienfäden in Gestalt eines Filzgewebes ist; ein Leptothrixstadium der 
Bakterien mangelt hier beinahe gänzlich. Diese mikroskopische Struktur erklärt 
auch die Empfindung, welche derartige Körner zwischen den Fingern geben: sie 
lassen sich leicht in Stücke zerzupfen, erscheinen weniger elastisch und können nicht 
gedehnt werden gleich den aufsteigenden Körnern. Man hat einen gewissen Grund, 
sie als besondere Uebergangsvarietät der Kefirkörner zu betrachten; als kranke 
Körner sind sie nicht anzusprechen, indem unter dem Einfluss ihrer Gegenwart in 
der Milch guter Kefir erhalten wird. Ihrem Umfange nach sind diese Körner stets 
relativ kleiner als die aufsteigenden, wachsen zu grösserem Umfange nicht an, 
wachsen überhaupt sehr langsam. 

Anlangend die Frage über die Entstehung des Kefirferments, so lässt sich 
in dieser Beziehung nur eine Reihe von Hypothesen aufstellen. Sehr wahrscheinlich, 
dass ursprünglich das Kefirferment aus den in der Luft schwebenden Keimen der 
Bakterien und Hefezellen entstanden ist, dass aber der Urtypus des Kefirferments, 
des Kornes resp. des Klümpchens, die Form und den Bau des gegenwärtigen Kornes 
gar nicht besass. Wahrscheinlich auch, dass die Käseklümpchen am Boden des 
Schlauches, welche an dessen Wänden haften, den ersten Herd repräsentierten, wo 
die Symbiose zwischen Heubakterie, der späteren Kefirbakterie, und Milchsäure¬ 
bakterie sich herausbildete. 

Die ganze Differenz zwischen dem Käseklümpchen, in welchem die Kefirbakterien 
sich aufhalten konnten, und zwischen der gegenwärtigen Form des Kefirferments, 
also Kefirkorn oder Kefirklümpchen, besteht darin, dass in dem ersteren die Bakterien 
einfach zerstreut unter die Kase'inkörnchen zu liegen kommen, welche sie nun an 
einer Stelle Zusammenhalten, dass aber in dem letzteren die Bakterien in einer 
gewissen Organisation verharren: im Leptothrixstadium und im sogenannten Zoogloea- 
stadium, vielleicht auch in einer mehr vollkommenen Kolonieenform, welche die 
Fähigkeit besitzt, in einem flüssigen Medium sich nicht zu zerbröckeln und nicht 
zu zerfallen wie ein Käseklümpchen, sondern weiter anzuwachsen und die einmal 
angenommene Organisation zu bewahren. Das Kefirbakterien enthaltende Käse¬ 
klümpchen zerfällt allmählich beim Umschütteln der Milch, und gleichzeitig lösen 
sich von einander auch die Bakterien, welche ohne jegliche koloniale Organisation 
zwischen den Kase'inkörnchen sich eingenistet hatten, so dass ein derartiges Klümpchen 
die entsprechende Gährung nur in einer Portion Milch hervorzurufen vermag. Wenn 
aber in demselben Käseklümpchen die Bakterien in einer bestimmten Organisation 
vertreten wären, mit der der letzteren innewohnenden Eigenschaft ihre Anordnung 
zu bewahren und mit der Befähigung für die einzelnen Glieder der gesammten 
Kolonie sich zu vermehren, so würde ein solches Klümpchen durch den Lebens¬ 
prozess der einzelnen Bakterien nicht nur in einer Portion Milch Gährung hervor- 
rufen, sondern in einer endlosen Reihe von Portionen; noch mehr, mit jeder neuen 
Portion, das heisst mit der Erneuerung des Nährbodens, müssten die in dem Klümpchen 
in bestimmter Anordnung befindlichen Bakterien sich vermehren und die junge 
Generation selbst in die Form organisierten kolonialen Lebens eintreten, die von 
den Vorfahren als zweckmässigste zur Erhaltung der ganzen Art erworben wurde. 


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648 W. Podwyssozki 

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So ist es wahrscheinlich vor undenklichen Zeiten auch mit den Bakterien der 
Kefirgährung gewesen, die ganz im Anfänge in Käseklümpchen bei passenden Tempe¬ 
raturbedingungen sich vermehrten; derartige Käseklümpchen repräsentierten gleich¬ 
sam eine Kefirhefe, in welcher die Bakterien allmählich unter gewissen Bedingungen 
in Form einer Kolonie sich anordneten. Mit jeder Erneuerung der Nährflüssigkeit, 
d. i. der Milch, bröckelten sie ab, und es zerfielen in solchen Käseklümpchen nur die 
Partieen, wo keine organisierten Bakterienkolonieen vorhanden waren, die übrigen 
Theile aber behielten ihre Form bei und vergrösserten sich sogar, d. h. sie wuchsen. 
Diesen Kolonieen konnten ganz zufällig Hefezellen sich anschliessen. Die von den 
entferntesten Vorfahren der gegenwärtigen Bergbewohner des Kaukasus einmal be¬ 
merkte Fähigkeit gewisser Käseklumpen in der Milch eine ihrem Resultate nach 
angenehme Gährung hervorzurufen veranlasste sie, nunmehr beständig gerade solche 
Klumpen in die Milch zu bringen. Und nur infolge der gleichen Lebens- und Er¬ 
nährungsbedingungen, infolge der Anpassung an dasselbe Medium und durch jahr¬ 
hundertlange Kultivierung derselben Bakterienart konnte allmählich die einmal ent¬ 
standene organisierte koloniale Lebensform der Bakterien in Gestalt von Zoogloea 
und Leptothrix und die vielleicht zufällig entstandene Symbiose derselben mit den 
Hefezellen sich festigen. In solcher Weise hat sich schliesslich das gegenwärtige 
Kefirkorn herangebildet, in welchem die ganze Masse aus unbeweglichen Bakterien 
besteht, die in eine bestimmte feste Organisation zusammengefügt sind und die nur 
beim Aufweichen des Kornes beweglich werden und zwar blos an der Oberfläche 
des letzteren. Es wird nicht zu verwundern sein, wenn es jemandem gelingt, künst¬ 
lich im Laboratorium die Kefirkörner zu erzeugen durch glückliche Kombination 
von Hefezellen mit Reinkulturen der Kefir- und Milchsäurebakterie. 


Fünftes Kapitel. 

Physiologische und therapeutische Bedeutung des Kefirs. 

Die physiologische und die therapeutische Bedeutung des Kefirs hängt ab so¬ 
wohl von denjenigen Veränderungen, welche die Bestandtheile der Milch unter dem 
Einfluss der Gährung erlitten haben als auch von der Zusammensetzung der Kuh¬ 
milch selbst. Die Veränderungen der Milch haben wir bereits in den vorhergehen¬ 
den Kapiteln kennen gelernt, und es erübrigt uns hier in erster Linie auf einige 
Besonderheiten in der Zusammensetzung der Kuhmilch im Vergleich zur Frauenmilch 
sowie zur Stutenmilch, aus welcher der Kumys bereitet wird, hinzuweisen. Aus 
dieser Zusammenstellung dürfte sich schon ein gewisser Schluss ziehen lassen über 
den relativen Werth des Kefirs und des Kumys. 

Bis zur letzten Zeit scheint in der Wissenschaft, auf Grund einer ganzen Reihe 
von Untersuchungen, vollkommen fest die These begründet gewesen zu sein, dass 
zwischen Kuhmilch und Frauenmilch ein enormer Unterschied bestehe, nicht in dem 
Maasse quantitativ als qualitativ, dass freilich nach dem quantitativen Gehalt der Be¬ 
standtheile die Frauenmilch mehr der Kuhmilch ähnlich sei, dass aber nach den qualita¬ 
tiven Besonderheiten der Eiweisskörper am meisten der Frauenmilch die Stuten¬ 
milch sich nähere. Nach der bekannten Arbeit von J. F. Simon, welcher um das 
Jahr 1838 den Unterschied beim Ausfällen des Kasein durch Säuren in derFrauen- 
und in der Kuhmilch bemerkt hatte, ist eine Reihe von Untersuchungen erschienen, 
deren Autoren (Kehrer, Biedert, Langaardt) nach und nach zu dem Schlüsse 


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Der Kefir. 


649 


gelangt sind, dass das Kasein der Frauenmilch eine andere chemische Struktur be¬ 
sitzt als das Kasein der Kuhmilch und dass das Ausfällen des Kasein unter dem 
Einfluss einer bestimmten Konzentration der Säuren in der Kuhmilch und das Nicht¬ 
ausfällen desselben in der Frauenmilch nicht durch grösseren Gehalt an festen 
Bestandtheilen in der Kuhmilch im Vergleich zur Frauenmilch erklärt werden dürfe, 
sondern auf eine Differenz in der chemischen Struktur beider Kaseinarten zurück¬ 
zuführen sei. 

Indessen schon im Jahre 1878, darauf im Jahre 1879, erscheinen kurze Mit¬ 
theilungen und im Jahre 1882 eine ausführlichere Abhandlung von G. Struve, in 
welcher Thatsachen geliefert werden, die die hergebrachte Ansicht auf den Unter¬ 
schied zwischen Kuhmilch und Frauenmilch widerlegen. Struve findet, entgegen 
Biedert, Langaardt u. a., dass das Kasein der Frauenmilch und der Kuhmilch 
gleichartig ist und dass die Differenz zwischen beiden Milchsorten hauptsächlich in 
der Menge der Eiweisskörper besteht. Gleichzeitig mit der zuletzt genannten Arbeit 
von Struve ist eine Dissertation von Iwan Schmidt erschienen, in welcher der 
Autor durch eine ganze Reihe von genauen vergleichenden analytischen Daten das 
Fehlen einer qualitativen Differenz zwischen den Eiweisskörpern der Frauenmilch und 
der Kuhmilch zu beweisen sucht, und den Unterschied im Verhalten der Frauenmilch 
und der Kuhmilch gegen Reagentien auf einen verschiedenen prozentualen Gehalt 
an Eiweisskörpern in beiden Milchsorten und auf ein verschiedenes prozentuales 
Verhältniss zwischen den Eiweisskörpern in der Gesammtsumme der letzteren zurück¬ 
führt. Zum Zwecke der Anschaulichkeit entlehne ich I. Schmidt die Mittelzahlen 
in Prozenten aus den Analysen von Kuh- und von Frauenmilch: 



Kasein 

Albumin 

Hemialbumoso 

Kuhmilch . . . 

87,3 

8,2 

4,5 

Frauenmilch . . 

45,7 

24,2 

30,1 


Aus der angeführten Tabelle ersieht man, dass in der Kuhmilch im Vergleich 
zur Frauenmilch beinahe zwei Mal mehr Kasein, drei Mal weniger Albumin und 
sieben Mal weniger Hemialbumose enthalten ist, dass aber die Formen der Eiweiss¬ 
körper in beiden Michsorten dieselben sind. Die Leichtigkeit des Ausfällens des 
Kaseins durch Säuren und das Aufallen des letzteren in Gestalt von mehr oder 
minder festen Gerinnseln hängt ab von dem quantitativen Verhältniss in der Milch 
zwischen Kasein und den übrigen Eiweisskörpern. Je weniger in der Milch Kasein 
vorhanden ist im Vergleich zu den übrigen Eiweisskörpern, um so weniger voll¬ 
kommen ist das Ausfällen, der Niederschlag feiner, schleimiger, in verschiedenen 
Reagentien leichter löslich — und umgekehrt. Dadurch lässt sich eben der Unter¬ 
schied erklären, welchen die Autoren seit lange in dem Verhalten von Kuh- und 
Frauenmilch gegen Säuren entdeckt hatten und auf eine chemische Differenz in der 
Zusammensetzung des Kaseins zurückführten. Simon, der diesen Unterschied be¬ 
merkte und dessen wahre Ursache nicht kannte, erklärte denselben einfach durch 
die verschiedene Konzentration der Frauen- und der Kuhmilch. Gegenwärtig haben 
nun Struve und Schmidt der Simon'sehen Erklärung eine faktische Stütze ver¬ 
liehen. Es lässt sich in der That durch bestimmtes Verdünnen der Kuhmilch mit Wasser 
und Anreichern der in derselben enthaltenen Menge von Hemialbumose und von Albumin 
die Kuhmilch beinahe ganz ähnlich der Frauenmilch im Verhalten gegen Reagentien 
gestalten. Man braucht sich nur (aus dem zweiten Kapitel) des enormen Anwachsens 
der Hemialbumose in gekochter Kuhmilch zu erinnern, um sich davon zu überzeugen, 


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W. Podwyssozki 


650 


dass die Kuhmilch durch Verdünnen mit Wasser und Kochen sich bedeutend im 
Gehalt an Eiweisskörper der Frauenmilch nähern lässt. Man muss folglich die 
frühere Ansicht aufgeben, dass die Kuhmilch beträchtlich von der Frauenmilch 
differiert; im Gegentheil ist der quantitativen Zusammensetzung nach die erstere der 
letzteren ähnlich. Allerdings, nach den Analysen von Wroblevski, enthält die 
Frauenmilch weniger Nucleine als die Kuhmilch; dieser Unterschied ist jedoch so 
unwesentlich, dass man ihn vernachlässigen darf. 

Indem heutzutage in allen Arten von Milch das Vorhandensein der nämlichen 
Eiweisskörper bewiesen ist, muss man annehmen, dass nicht die Stutenmilch, sondern 
die mit Wasser verdünnte und gekochte Kuhmilch für den Menschen 
die beste Milch nach der Frauenmilch repräsentiert. In der That unter¬ 
scheidet sich die Stutenmilch in quantitativer Beziehung sehr auffallend von der 
Frauenmilch. Folgendes ist der Gehalt in Prozenten der Frauen-, der Kuh- und der 
Stutenmilch an Eiweisskörpern und an Zucker: 


Frauenmilch 

Kuhmilch 

Stutenmilch 


Eiweisskörper 2,8 

5,4 

1,6 


Zucker 4,8 

4,0 

8,0 


Ausserdem führe ich die Mittelzahlen 

des Gehalts 

dieser drei Milcharten an 

stickstoffhaltigen Bestandtheilen, an Fett und an Milchzucker an — Zahlen, die auf 

Grund zahlreicher Analysen verschiedener 

Chemiker gewonnen sind. 

In hundert 

Theilen Milch ist enthalten: 




In Frauenmilch 

In Kuhmilch 

In Stutenmilch 

Stickstoffhaltige Bestandtheile und 




feuerbeständige Salze .... 

2,2 

4,3 

2,1 

Fett. 

2,9 

3,8 

1,4 

Milchzucker. 

6,4 

4,5 

5,7 


Aus dieser Tabelle ersieht man, dass die Stutenmilch an allen Bestandtheilen 
ärmer ist als die Frauenmilch, dass aber die Kuhmilch nur im Gehalt an Zucker 
ärmer ist als die Frauenmilch, während die Menge des Fettes und der Eiweisskörper 
in der Kuhmilch grösser ist als in der Frauenmilch. Man braucht also nur die 
Kuhmilch mit V 2 oder V s Wasser zu verdünnen, aufzukochen und eine kleine Menge 
Zucker hinzuzusetzen, um dieser Milch beinahe die gleiche Verdaulichkeit und 
Nahrhaftigkeit mit der Frauenmilch zu verleihen. Es liegt kein Grund vor, die 
Stutenmilch höher als verdünnte und gekochte Kuhmilch im Sinne der Verdaulichkeit 
und Nahrhaftigkeit zu stellen, es steht im Gegentheil die gekochte Kuhmilch der 
Nahrhaftigkeit nach höher als die Stutenmilch, ist der letzteren der Verdaulichkeit 
nach gleich und nähert sich in diätetischer Beziehung mehr der Frauenmilch als die 
Stutenmilch. 

Es ist demnach offenbar, dass der aus gekochter Kuhmilch mit Hilfe des be¬ 
sprochenen Ferments zubereitete Kumys aus Kuhmilch oder Kefir in diätetischer Be¬ 
ziehung dem Stutenkumys nicht nachsteht. Zieht man aber alle möglichen 
wirthschaftlichen Bedingungen in Betracht, die Billigkeit der Kuh¬ 
milch im Vergleich zur S tutenmilch, die Zugänglichkeit des Kefirs, die 
Einfachheit seiner Herstellung u. dergl., so wird man selbstverständ¬ 
lich den Kefir vorziehen, der dreimal soviel Nährmaterial, d.h. Eiweiss 
enthält als der Kumys. Wenn man den Kefir aus vorher verdünnter und ge¬ 
kochter Milch bereitet, so schwindet auch der Vorzug, welchen der Stutenkumys 


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Der Kefir. 


651 


neben den Kefir mit Bezug auf Kinder besitzt sowie auf Kranke, die an geschwächter 
Thätigkeit der Verdauungsorgane leiden und unfähig sind mit einem Male die grosse 
Eiweissmenge, welche in unverdünnter Kuhmilch sich befindet, zu assimilieren. 
Kurz, in diätetischer Beziehung kann der Kefir als Surrogat des Stuten¬ 
kumys bezeichnet werden, während er in sozialer und wirtschaft¬ 
licher Beziehung dem letzteren voransteht. 

Die physiologische Wirkung des Kefirs ist im allgemeinen dieselbe wie 
die des Kumys. Sie wird durch die Bestandtheile der beiden Getränke bedingt und 
ist von der Stärke der letzteren abhängig. Der Kefir enthält alle'Bestandtheile der 
frischen Kuhmilch und ausserdem Milchsäure, Kohlensäure und Alkohol sowie 
Peptone. Die Menge dieser neuen Bestandtheile ist sehr verschieden — je nach¬ 
dem, ob schwacher, mittlerer oder starker Kefir genommen wird. Wir wollen hier 
betrachten, was für eine Wirkung auf den Organismus des Menschen die Milchsäure, 
die Kohlensäure und der Alkohol ausüben können. 

Die Milchsäure, welche im Kefir aus Milchzucker entsteht, spielt eine 
sehr wichtige Rolle bei der Magenverdauung. Die Acidität des Magensaftes hängt 
von der Salzsäure ab, welcher die Hauptrolle bei der Verdauung der Ei weisskörper 
gehört; nach der Salzsäure aber nimmt in der Reihe aller organischen Säuren die 
Milchsäure bei der Magenverdauung die erste Stelle ein. So sieht man aus den ersten 
Versuchen vonLangaard t, dass die Milchsäure, selbst in verdünntem Zustande (1:20), 
Frauen- und Stutenkase'in vollkommen löst. Es ist gut bekannt, welch’ grosse Menge 
Eiweisskörper der Organismuss zu assimilieren vermag, wenn man mit der Nahrung 
Milchsäure einführt. Die wichtigste Rolle spielt aber die Milchsäure im Kefir dadurch, 
dass sie das Kasein in Gestalt kleiner schleimiger Flocken niederschlägt; es befreit 
auf diese Weise die Anwesenheit der Milchsäure im Kefir den Magensaft von einem 
Theile seiner Arbeit mit Bezug auf die Assimilation der Milch, d. h. von dem 
Ausfällen des Kaseins, welches im Magen geschieht, sobald die Milch in den 
letzteren hineingelangt. Es ist sogar für die Zwecke des Organismus viel 
wünschenswerther und vortheilhafter, dass das Kasein der Milch unter dem Einfluss 
der Milchsäure gerinne und nicht unter dem Einfluss des Labferments, wie es im 
Magen vorzugehen pflegt. Der durch seine Arbeiten über das Blut bekannte 
A. SchmidtDorpat hat auf den enormen Unterschied in der Assimilierbarkeit 
von durch Lab, also durch das Magenferment, koaguliertem Kasein und von unter 
dem Einfluss der Milchsäure koaguliertem Kasein hingewiesen. Das Kasein ersterer 
Art bildet grosse, elastische Klumpen, die schwer löslich sind, während das Kasein 
der zweiten Art in Gestalt zarter, schleimiger, sehr kleiner Flocken, die sehr leicht 
in kohlensaueren Alkalien etc. sich lösen, auftritt. Nur auf Grund dieser Versuche 
von Schmidt kann man begreifen, warum Milch, die frisch genossen und folg¬ 
lich durch das Labferment koaguliert wird, viel schwerer verdaulich ist als Milch, 
die vorher an der Luft unter dem Einfluss der Milchsäure geronnen ist. Im Kefir 
führen wir dem Magen Kasein zu, welches gerade unter dem Einfluss der Milch¬ 
säure gefällt ist, ausserdem aber ist im Kefir ein Theil des Kaseins unter dem Einfluss 
der nämlichen Milchsäure bereits in Lösung übergegangen. Begreiflicher Weise enthält 
ein Kefir um so mehr Milchsäure je stärker er ist. In zweitägigem Kefir kann 
schon bis 0,9 % Milchsäure und darüber enthalten sein. 

Durch die Milchsäure des Kefirs wird die harntreibende Wirkung des letzteren 
bedingt. Im Blute befindet sich die Milchsäure in Form von milchsauren Salzen 


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652 W. Podwyssozki 

und im Harn scheiden sich diese in Form von kohlensauren Kali- und Natron¬ 
salzen aus. 

Schliesslich wirkt die Milchsäure, wie durch eine Reihe neuerer Unter¬ 
suchungen klargestellt ist, verderblich auf viele Bakterien ein. Und man muss an¬ 
nehmen, dass bei reichlichem Gebrauch von Kefir ein bedeutender Theil der Milch¬ 
säure aus dem Magen in den Dünndarm gelangt und hierzu der Vernichtung vieler 
Bakterien des Darmkanals beiträgt. 

Die Gegenwart viel zu grosser Quantitäten Milchsäure im Magen ist schädlich, 
besonders bei Kindern, indem ein Ueberschuss der letzteren die Alkalien und den 
Kalk aus den phosphorsaueren Verbindungen wegnimmt und dadurch zum vorzeitigen 
Freiwerden der Phosphorsäure führt sowie zum Auftreten von Durchfällen und 
Rachitismus. Man hat sich demnach bei der Kefirbereitung an die oben angegebenen 
Regeln zu halten, um eine übermässige Entwicklung von Milchsäure zu vermeiden. 

Die im Kefir enthaltene Kohlensäure ruft im Munde ein angenehmes Gefühl 
von Prickeln hervor und im Magen ein gleichfalls angenehmes Gefühl von Wärme. 
Indem die Kohlensäure in gewissem Grade anästhesierende Eigenschaften besitzt, 
vermag sie, mit dem Kefir eingeführt, in manchen Krankheitsfällen die erhöhte 
Reizbarkeit der Magenschleimheit herabzusetzen. Dabei wird, indem die Kohlen¬ 
säure durch schwache Reizung die Nervenendigungen in der Magenschleimhaut er¬ 
regt, die Erregbarkeit der Magenmuskulatur gesteigert, die Sekretion des Magensaftes 
verstärkt und nach dem Uebergang der Kohlensäure in den Dünndarm die Peri¬ 
staltik des letzteren beschleunigt.*) 

Die geringen Alkoholmengen, die im Kefir enthalten sind, erscheinen voll¬ 
kommen unschädlich und üben im Gegentheil einen günstigen Einfluss auf das ge- 
sammte Blutgefäss- und Nervensystem aus. In dem Maasse als grosse Alkoholdosen 
schädlich und deprimierend auf das Herz und die anderen Organe einwirken, in 
demselben Maasse günstig beeinflussen die ersten Wege und die entfernteren Organe 
solch’ unbedeutende Alkoholdosen, wie sie im Kefir enthalten sind. Wie noch aus 
den alten Versuchen von CI. Bernard an Hunden bekannt ist, wird unter dem 
Einfluss kleiner Alkoholmengen die Magenschleimhaut geröthet, scheidet mehr Saft 
ab, und es beginnen die Magen- und Darmwände energischer sich zu kontrahieren. In 
das Blut aufgenommen, wirkt der Alkohol in kleinen Dosen erregend auf das Herz 
und auf das gesammte Nervensystem im allgemeinen ein. Der Puls wird etwas be¬ 
schleunigt, die Kapillaren der Haut erweitern sich, die Thätigkeit der Muskeln und 
die psychische Thätigkeit werden bedeutend gehoben. Alle Untersucher der physio¬ 
logischen Wirkung des Stutenkumys indizieren einstimmig den kleinen in dem letzteren 
enthaltenen Alkoholdosen gerade einen erregenden Einfluss auf das gesammte 
Nerven- und Blutgefässsystem. 

Erwähnen wir neben alldem noch des feinen emulsiven Zustandes, in welchem 
das Kasein mit dem Kefir in den Magen eingeführt wird, und erwähnen wir des 
Gehaltes an Peptonen im Kefir, der bedeutenden Menge von Hemialbumose, Wasser, 
so erscheint es vollkommen begreiflich, dass der Kefir die Ernährung bessern, 
eine Erhöhung des Körpergewichts herbeiführen und die gesammte 
Lebensenergie des Organismus steigern muss. 

Man darf schliesslich bei der Beurtheilung der therapeutischen Bedeutung des 

Nach den Daten von A. Ssokolow (1899, Berichte der Moskauer Hygienischen Station) 
zu urtheilen ist gasierte Milch leichter verdaulich als gewöhnliche Milch. Sehr möglich daher, dass 
die Gegenwart von CO Ä im Kefir die Assimilation desselben befördert. 


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653 


Der Kefir. 


Kefirs das Wasser nicht vergessen, welches bei der Behandlung mit Kefir in grossen 
Mengen eingeführt wird und den Speisebrei dünnflüssiger macht, darauf, ins Blut 
aufgenommen, die Gewebe gleichsam auswäscht und einer schnelleren Ausscheidung 
aus dem Organismus der allermöglichsten Auswurfsprodukte beiträgt. Dank der 
Milchsäure bekommt man hierbei noch eine harntreibende Wirkutig. 

Aus der kurzen Uebersicht der physiologischen Wirkung des Kefirs lässt sich 
der Schluss ziehen, dass dieses Getränk als vorzügliches Nährmittel sich 
erweist und dass seine therapeutische Rolle auf seinem hohen Nähr¬ 
werth begründet ist. Es liegt aber gar kein Grund vor, den Kumys und den 
Kefir als spezifische Heilgetränke zu bezeichnen resp. in denselben eine spezifische 
Arznei gegen die eine oder die andere Krankheit zu erblicken. 


Die therapeutische Bedeutung des Kefirs folgt direkt aus seiner physio¬ 
logischen Wirkung. Schon a priori sind wir berechtigt, eine günstige Wirkung des 
Kefirs zu erwarten: bei allen allgemeinen Ernährungsstörungen, bei Anämie nach 
akuten erschöpfenden Krankheiten und allgemeinen Konstitutionsanomalien, bei 
katarrhalischen Erkrankungen des Magen- und Darmkanals und bei allen inneren 
und äusseren Leiden, verknüpft mit bedeutenden Einbussen von Seiten des Organismus 
.und mit übermässig erhöhten Oxydationsprozessen in den Geweben, kurz, der Kefir 
ist in allen den Fällen angezeigt, welche bisher eine rationelle Indikation zur An¬ 
wendung des Kumys abgaben, d. h. in allen Fällen, welche eine Mästung der 
Kranken erheischen. 

Es sind bisher schon sehr viele Beobachtungen über die therapeutische 
Wirkung des Kefirs gemacht worden. Von den in Russland publizierten Fällen einer 
ausgezeichneten Wirkung des Kefirs bei der Behandlung verschiedener Kranker 
wollen wir die Beobachtungen von Dmitriew, Goreleitschenko, Georgiewski, 
Koslowski, Lipski, Alexejew und Mischelew erwähnen. In der Praxis eines 
jeden Arztes giebt es ja auch eine Reihe von Fällen, wo die Anwendung des Kefirs 
bei der Behandlung von aller Art erschöpften Kranken, tuberkulösen, anämischen, 
oder von solchen, die an Stauungen in der Pfortader, an chronischen Magen- und 
Darmkrankheiten leiden, glänzende Resultate lieferte. In allen Fällen hob der Kefir 
die Ernährung, erleichterte die Blutbildung, beförderte die Aufsaugung entzündlicher 
Produkte, erleichterte die Lösung des Auswurfes, wirkte in einigen Fällen harn- 
und schweisstreibend, trug sichtlich der Heilung chronischer Magenkatarrhe bei und 
erhöhte das Körpergewicht. 

In Westeuropa sind die Indikationen zur Anwendung des Kefirs noch weiter 
als bei uns. Eingeführt durch die bekannten Kliniker Lepine, Monti, Wyss, 
Dujardin-Beaumetz, Huguenin und besonders Hayem, findet der Kefir breite 
Anwendung in vielen westeuropäischen Kliniken bei folgenden Erkrankungen der 
Verdauungswege: bei dem runden Magengeschwür, bei der Magenerweiterung, bei 
chronischen Magen- und Darmkatarrhen, sogar von Durchfällen begleitet, und über¬ 
haupt in allen Fällen, wo bei dem Kranken sichtlich das Symptom von Dyspepsie 
oder Indigestion hervortritt. Im Hospital Saint-Antoine in Paris zeigte mir Prof. 
Hayem im vorigen Jahre mehrere Kranke mit rundem Magengeschwür, welche in 
die Klinik in verzweifeltem Zustande aufgenommen wurden und unter dem Einflüsse 
allmählich wachsender Kefirdosen sich deutlich besserten. Selbst bei Magenkrebs 
(jedoch ohne Striktur des Pylorus) verordnet man den Kefir mit grossem Vortheil 
(Hayem, Lipski). 


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W. Podwysaozki 


654 


Schliesslich sind Fälle vorzüglicher Wirkung des Kefirs beschrieben worden bei 
Bright’scher Krankheit (Krakauer), bei Gicht, chronischem Rheumatismus, Gallen¬ 
steinen (Dmitriew, Georgiewski, Krakauer, Olschanetski, Mandowski), bei 
Chlorose und bei verschiedenen Arten von Anämie (0. Wyss, Eichhorst). 

Erscheint die Milch bei diesen krankhaften Zuständen als eines der besten 
Heilmittel dank den derselben innewohnenden harntreibenden und gleichzeitig näh¬ 
renden und kräftigenden Eigenschaften, so ist es vollkommen begreiflich, dass der 
Kefir, der letztere Eigenschaften in höherem Maasse besitzt, solch’ eine vorzügliche 
Wirkung ausübt. 

Nach dem Vorgänge von Professor Monti in Wien wendet man den Kefir mit 
Erfolg in der Kinderpraxis an, selbst bei Kindern des frühesten Alters, bei Be¬ 
handlung der Durchfälle. Es ist anzunehmen, dass die mit dem an Milchsäure 
reichen Getränk eingeführten Milchsäure- und Kefirbakterien, sowie die Hefezellen 
verderblich auf die pathogenen Darmbakterien einwirken, dieselben allmählich ver¬ 
drängen und hierdurch einen heilsamen Einfluss auf die anomalen Gährungsprozesse 
in den Därmen ausüben. Hierdurch wird wahrscheinlich auch der Nutzen des Kefirs 
bei Magenerweiterungen und bei Magenkatarrhen bedingt. Wir wissen überhaupt so 
wenig Bestimmtes über die Flora des Darmes, dass wir eine Hypothese zur Erklärung 
der augenscheinlichen Thatsache, dass ein an Mikroben reiches Getränk die Entfernung 
von pathogenen Bakterien, die Durchfall hervorrufen, aus dem Darmkanale befördert, 
nicht zu entbehren vermögen 1 ). Die aus der Mikrobiologie bekannten Thatsachen 
bezüglich der Konkurrenz der Bakterien und der Verdrängung aus Milchkulturen 
von Mikroben einer Art durch Mikroben anderer Art bieten vollen Grund, um die 
oben angeführte Erklärung anzunehmen. Und wie anders Hesse sich z. B. die merk¬ 
würdige Wirkung von gut sauer gewordenem, gewiegtem Kraut bei Gährungskatarrhen 
des Magens und bei Magenerweiterung erklären? Mit dem Sauerkraut wird eben eine 
Menge bekannter Bakterien eingeführt, und dieselben verdrängen offenbar die Bakterien 
und Hefezellen, die im Magen eine anomale Gährung hervorgerufen hatten. 

Um genauer und gewissermaassen auf Grund von Zahlen die Ursache der wohl- 
thätigen Wirkung des Kefirs bei verschiedenen erschöpfenden Krankheiten, sowie bei 
Krankheiten mit verlangsamtem Stoffwechsel zu beurtheilen, erscheint es von Nutzen, 
die Analysen von Georgiewski und von Alexejew heranzuziehen. Ersterer stellte 
fest, dass der Gebrauch von fünf bis sechs Glas Kefir pro Tag eine bedeutende Zu¬ 
nahme der absoluten Menge der festen Bestandtheile des Harns, insbesondere des 
Harnstoffs, hervorruft, und Alexejew zeigte, indem er an Gesunden die Assimilation 
von Stickstoff mit Kefir und ohne Kefir vergleichend studierte, dass die Assimilation 
der stickstoffhaltigen Substanzen der Nahrung beim Gebrauch von Kefir erhöht wird, 
und die Assimilation derselben ohne Kefir um 1,5 °/o — 4,6 °/ 0 übersteigt. 

Berücksichtigt man alle diese Thatsachen , so kann man sich nicht wundern, 
dass eines der objektiven Zeichen für den Nutzen des Kefirs die allgemeine Besserung 
im Gesammtzustand des Kranken und das Anwachsen des Körpergewichtes ist. Diese 
Erscheinung wird einstimmig von allen vermerkt, die mehr oder weniger dauernd 
den Kefir bei verschiedenen erschöpfenden Erkrankungen verordneten. 

Die Erscheinung ist selbstverständlich, wie beim Kumys, am häufigsten bei 
phthisischen Kranken zu beobachten, indem hier das Prinzip der Mästung, das von 


i) Interessant sind in dieser Beziehung die Ergebnisse von Scorodomow (Dissertation. 
Petersburg 1895), dass bei Milchdiät die Darmfäulniss sehr stark herabgesetzt wird. 


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Der Kefir. 


655 


Debove zu einem therapeutischen System erhoben wurde, als am besten anwendbar 
sich erweist Indessen, wie aus den oben angeführten litterarischen Daten erhellt, 
darf man das Gebiet der Anwendung der Kefirotherapie nicht auf die Phthise allein 
beschränken, sondern muss dasselbe erweitern, indem man sich dadurch leiten lässt, 
dass wir im Kefir nicht blos das allermildeste, leicht assimilierbare 
und harntreibend wirkende Getränk aus Milch besitzen, das, ohne die 
Verdauungswege zu belästigen, in enormen Mengen genossen werden 
kann (bis 15—20 Glas und mehr in 24 Stunden), sondern auch ein Getränk, 
das durch die in demselben enthaltenen Mikroben und die Milchsäure 
wohlthätig die Magendarmflora zu beeinflussen vermag durch Ent¬ 
fernung der pathogenen Mikroben aus der letzteren 1 ). 

Die Zahl der Gegenindikationen mit Bezug auf den Kefir ist sehr un¬ 
bedeutend. Es sind dieselben wie beim Kumys. Schädlich kann der Kefir dem¬ 
jenigen Kranken werden, dem der Alkohol selbst in sehr kleinen Dosen schädlich 
ist, dem die im Getränk enthaltene Kohlensäure und Milchsäure schädlich ist und 
dem schliesslich die verstärkte Eiweissernährung schädlich ist. Ein Kranker mit 
übermässig gereiztem, vasomotorischem Nervensystem, wenn er dazu noch speziell 
einen Herzfehler hat, darf folglich keinen Kefir trinken. Gleichfalls kann der Kefir 
nicht blos keinen Nutzen bringen, sondern vielmehr schädlich sein bei einem voll¬ 
blütigen Menschen, der an Sklerose der Gefässe leidet und Neigung zu Him- 
kongestionen und Apoplexien besitzt. Man dürfte kaum den Kefir einem Phthisiker 
empfehlen, der an profusen Hämophtysen leidet, sowie rhachitischen Kindern, bei 
welchen das Hinderniss zur genügenden Ablagerung von Kalksalzen in den Knochen 
die übermässige Bildung von Milchsäure in den Muskeln und im Körper überhaupt 
abzugeben scheint. 

Der Kefir ist schliesslich nutzlos und sogar schädlich für ein Individuum, das 
zur Fettsucht neigt. Dies ist so verständlich, dass man keine weiteren Auseinander¬ 
setzungen braucht. 

Anlangend die Anwendungsmethode des Kefirs, so hat man Folgendes zu 
berücksichtigen: Da es feststeht, dass die wohlthätige Wirkung des Kefirs auf den 
kranken Organismus hauptsächlich durch seinen hohen Nährwerth bedingt wird und 
nicht durch irgend in demselben enthaltene Arzneistoffe, so kann ein Nutzen vom Kefir 
nur bei Anwendung bedeutender Mengen erwartet werden. Es ist gar nicht zu ver¬ 
wundern, dass ein Kranker, der im Laufe des Tages ein halbes oder ein ganzes Glas 
Kefir zu sich nimmt, nicht die mindeste Erleichterung bekommt. Man muss den 
Kefir in einer Menge von wenigstens sechs bis acht Glas pro Tag gebrauchen, wobei 
man mit zwei Glas pro Tag anzufangen hat, bei Kranken mit Magengeschwür auch 
weniger: becher- oder auch löffelweise. Personen mit Magenkatarrh, sehr blutarme, 
an Dyspepsie leidende Frauen, die durch protahierte Geburten uüd Blutungen er¬ 
schöpft sind, und schliesslich sehr kleine Kinder müssen Kefir aus mit Wasser ver¬ 
dünnter Milch erhalten. Solcher Kefir wird von den aufgezählten Personen in sehr 
grossen Mengen leicht assimiliert ohne jegliche Belästigung des Magens, erhöht im 
Gegentheil bei diesen Personen den Appetit. Ein Mensch, der schon gewöhnt ist, kann 
20—30 Glas täglich zu sich nehmen, ohne den Magen zu belästigen; im Beginn darf 
man blos nicht mit einem Male ein ganzes Glas trinken, sondern nur schluckweise. 


] ) Es ist nicht ohne Interesse, zu wissen, das selbst gasierte Milch in viel höherem Grade die 
Baktcrienmenge in den Fäkalmassen herabsetzt als gewöhnliche Milch (Rcnnert, Rosenblat). 


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656 W. Podwyssozki 

Ueber die Zeit der Anwendung ist nichts zu sagen, indem man den Kefir 
trinken kann, wann man will. Irgend eine Diät bei der Behandlung mit Kefir zu 
befolgen, ist nicht nöthig, man soll nur nicht Wasser oder Thee trinken und viel 
saftiges Obst geniessen — und dies nur zu dem Zwecke, um williger den Kefir zu 
trinken. Bewegung an der Luft, Spaziergänge sind nothwendig, besonders für die¬ 
jenigen, die viel Kefir zu sich nehmen. 

Die Dauer der Anwendung des Kefirs ist unbeschränkt. Die Mehrzahl der er¬ 
schöpften, skrophulösen und tuberkulösen Kranken sollte das ganze Jahr hindurch 
statt Milch Kefir aus gekochter Milch gebrauchen. 

Bei Anwendung des Kefirs hat man davon Notiz zu nehmen, dass schwacher 
Kefir laxierend und starker Kefir verstopfend zu wirken pflegt. Dasselbe wird auch 
mit Bezug auf den Kumys beobachtet. Eine solche Wirkung lässt sich dadurch er¬ 
klären, dass im schwachen Kefir, wie im Kumys, noch ziemlich viel Zucker enthalten 
ist, der schwer diffundiert und eine vollkommene Aufsaugung aus dem Darmkanale 
verhindert, während im starken Getränk nahezu sämmtliche aufgenommene Menge 
infolge der leichten Assimilierbarkeit des gelösten Kaseins und der eventuellen 
Peptone zur Resorption gelangt und nur unbedeutende Quantitäten bis an das 
Rektum hinabsteigen können. Etwas laxierend wirkt auch fetter Kefir durch die in 
erheblicher Menge enthaltene Butter. Kennt man diese Wirkung der verschiedenen 
Kefirarten, so ist man in der Lage, in verschiedenen Fällen mit der Anwendung zu 
variieren, je nach dem Zustande und der gewohnten Thätigkeit des Darmkanals. 
Im allgemeinen ist es am besten, den mittleren, d. h. den zweitägigen Kefir, an¬ 
zuwenden. Anämische, die an Verstopfungen leiden und eisenhaltigen Kefir trinken 
wollen, müssen sich daran erinnern, dass Eisen an sich etwas verstopfend wirkt, 
dass sie demnach nicht starken eisenhaltigen Kefir, sondern schwachen oder mindestens 
mittleren zu gebrauchen haben. 

Die Litteratur über den Kefir. 

Rassische: Alexejew, Beiträge zur Frage der Assimilation des Stickstoffs der Nahrungs¬ 
mittel beim Gebrauch von Kefir. Dissertation 1888. — Bogomolow, Referat der Arbeiten über 
den Kefir. Internationale Klinik 1882. No.4. — Bogoliubow, Der Kefir. Moskau 1888. — Ge- 
orgicwski, Aus klinischen Beobachtungen über den Kefir, therapeutische Bedeutung des Kefirs. 
Wratsch No.22 und 23. — Goreleitschenko, Ueber die Rolle des Kefirs in der Therapie. 
Protokolle der ärztlichen Gesellschaft in Mohilew 1883. No. 4. — Gutkowski, Ueber den Kefirpilz 
und die Kefirgährung. Journal der russischen Gesellschaft für Volksgesundheitspflege 1897. — 
Dschogin, Protokolle der kaukasischen mcdicinischcn Gesellschaft 1866. — Dmitriew, Ueber 
Kapir oder Kefir, wirklichem Kumys aus Kuhmilch. Klinische Zeitung 1882. No. 16. — Derselbe, 
Kapir oder Kefir, kurze Beschreibung seiner Herstellung und seiner Wirkung auf Kranke. Jalta 
1883. 1. Auflage. — Derselbe, Kefir, Heilgetränk aus Kuhmilch. Petersburg 1899. 7. Auflage. — 
Eduard Kern, Ueber ein neues Milchferment aus dem Kaukasus. Bulletin de la soci£t£ imperiale 
des naturalistes de Moscou 1883. No. 3. S. 141—147. — Derselbe, Ueber ein Milchfennent des 
Kaukasus. Botanische Zeitung 1882. No. 16. — Derselbe, Ueber das Kefirferment Medicinskojc 
obozzenie 1882. Januar. — Koslowski, Protokolle der ärztlichen Gesellschaft in Kiew 1883 und 
Wratsch 1889. — Kozyn, Beiträge zur Frage über die Zusammensetzung des käuflichen Kefirs. 
Moskau 1897. — Lipski, Wratsch 1888. — Mischelew, Zur Frage über die Assimilation des 
Fettes im Kefir durch Phthisiker. Dissertation. Petersburg 1891. — Organowitsch, Mittheilung 
über die Herstellung des Kefirs. Wratsch 1882. No. 52. — Piassctzki, Kefir, Getränk aus Kuh¬ 
milch. Arbeiten der Gesellschaft russischer Acrzte in Petersburg. 1882. Lieferung 2. 8.81. — 
Derselbe, Kefir, kaukasisches Getränk aus Vollmilch. Kalender für Aerztc 1883. S. 141. — Pod- 
wyssozki, Der Kefir. Kiew 1883. 1., 2. und 3. Aullage. 1884. 4 Auflage. — Derselbe, Ueber 
den Bau des Kefirkornes. — Ssadowen, Ueber den Kefir, Veränderungen, welche die Milch bei 


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Der Kefir. 657 


der Gährung erfährt, Zusammensetzung des Kefirs. Wratsch 1883. No. 27, 28, 29. — Ssipo witsch, 
Mittheilung über den Kefir in dem Sitzungsbericht der kaukasischen medicinischen Gesellschaft vom 

I. Juli 1867. — Skolotowski, Wratsch 1883. — Struve, Wratsch 1884. No. 34. — Ssorokin, Zur 
Frage über das Kumysferment Vorläufige Mittheilung, verlesen in der Sitzung der ärztlichen Ge¬ 
sellschaft in Kasan vom 21. Dezember 1882. — Derselbe, Kapitel über den Kefir in dem Buche 
Pflanzliche Parasiten 1882—1884. — Ssobolew, Der Kefir, seine Zusammensetzung, physiologische 
und therapeutische Bedeutung. Moskau 1884. — Tschernowa-Popowa, Arbeiten der Gesellschaft 
russischer Aerzte 1883—1884. — Schablowski, Der Kefir. Militärärztliches Journal 1887. Januar. 

— Schipin, Zur Bakteriologie des Kumys. Dissertation 1899. — Stange, Behandlung mit Kefir 
und Kumys. Handbuch der allgemeinen Therapie von Ziemssen 1886. — Schtschastny, Ueber 
die Errichtung in den Garnisonen des Kiewer Militärbezirks von sanitären Sommerstationen, um die 
kranken Mannschaften mit Kumys aus Kuhmilch, respektive Kefir zu behandeln. Militärische Hygiene 
1882. No. 42, 43, 44. — Essaulow, Der Kefir, eine bakteriologische und chemische Untersuchung. 
Disssertation. Moskau 1895. 

Fremdländische: Nencki, Gazeta lekarska 1882. — Wyszinski, ibidem 1883. Sonder¬ 
abdruck. Warszawa 1885. — W. Podwyssozki, Kephir, kaukasisches Gährungsferment und 
Getränk aus Kuhmilch. Uebersetzt von Dr. Schmidt St Petersburg 1884. — W. Dmitrieff, 
Kephir oder Kapir. Uebersetzt von E. Bothmann 1889. — Le kephir, traduit du russe 1887. — 
Zborowski, Le kephir. Union mgdicale 1889. — Krannhals, Ueber ein neues Milchferment 
Deutsches Archiv für klinische Medicin 1884. Bd. 35. — Maximow, Sur le kephir. Semaine 
m£dicale 1884. — Ucke, Der Kephir. Zeitschrift für Therapie 1884. — Mandovski, Ueber den 
Kephir. Deutsche medicinische Wochenschrift 1881. — Brainin, Ueber den Kephir. Zeitschrift für 
Therapie 1884. — Hüppe und Stern, Ueber den Kephir. Deutsche medicinische Wochenschrift 
1884. — Gebhardt, Ueber Kephir, seine Bereitung und therapeutische Verwendung. Dissertation. 
Würzburg 1884. — Dujardin - Beaumetz, Le^ons de clinique thörapeutique 1885. 4. Auflage. 
S.299—301. — Bourquelot, Les microbes da la fermentation alcoholique du lait. Revue scienti- 
fique 1886. No. 6. — Saillet, Laits fermenttfs et leurs usages thCrapeutiques. Paris 1886. — Weiss, 
Ueber Kefir. Wiener medicinische Wochenschrift 1886. — Theodoroff, Historische und experi¬ 
mentelle Studien über den Kephir. Dissertation. Würzburg 1886 — Heilpern, Kefir. Wiadomosci 
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Kapitel 25. — Mudra, Kefir, kravski kumys. Ibidem. Kapitel 18. — Monti, Ueber Kephir und 
seine Anwendung in der Kinderpraxis. Wiener allgemeine medicinische Zeitschrift 1887. No 22 
und 23. — L. Nencki i AlexanderFabian, 0 przetworach fermentowanych z mlcka, o kumysie 
a kefirze. Gazeta lekarska 1887. No.3, 4, 8. — R. Lepine, Sur le kephir. Semaine mßdicale 

1887. No.4. — Kosta-Dinitich, Le kephir ou Champagne lait£ du Caucase. Paris 1888. - 

Getsel, Kefir o vero kummis de latte die vacca. Napoli 1888. — Marpman, Pharmaceutische 
Ccntralhalle 1888. — Hammarsten, Untersuchungen von Kefir. Centralblatt für Agrikulturchemie 

1888. S.413. — Olschanetzki, Ueber den Kephir. Deutsche medicinische Wochenschrift 1890. — 

J. Nebe, Therapeutische Monatshefte 1890. Bd.4. — W. Beyerinck, Kefir. Vierteljahrsheft über 
die Fortschritte der Chemie der Nahrungsmittel 1891. No. 7. — 0. Schuurmans - Stokhoven, 
Sacharomyces kefir. Dissertation. Utrecht 1891. — Langer, Kreosotalkefir, Arsenkefir etc Wiener 
medicinische Presse 1895. — E. Freudenreich, Bakterielle Untersuchungen über den Kefir. 
Centralblatt für Bakterien und Parasiten 1897. Abtheilung 2. — Hayem, Los grandes mßdications. 

— Krakauer, Ueber den Nähr- und Heilwerth des echten Kefirs in Krankheiten der harnsauren 
Diathese. Wiener medicinische Presse 1898. No. 4. — V. Mräzek, Kefir a jeho wvznam. Czasopis 
lekar. ceskych 1900. No. 4—6. — Capitan, Le kephir. Mßd.modcrne 1900. No. 69. — L.Hallion, 
Le kephir. Presse mSdicale 1900. No. 43. — L.Hallion et H. Carrion, La kefirothßrapic. Presse 
mediealc 1901. 27. Januar und 2. März. — Duclaux, Traitö de microbiologie. Bd. 4. 1901. 


Zeitschr. f. diät. u. physik. Therapie. Bd. V. Heft 8. 

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Paul Rocthlisbergcr 


III. 


Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlornatrium-Schwefel- 
Thermen von Baden (Schweiz). 

Vortrag gehalten an der zweiten Jahresversammlung der schweizerischen 
balneologischen Gesellschaft in Baden am 13. Oktober 1901. 

Von 

Dr. Paul Roethlisberger 

in Baden. 

Es ist wirklich kein Leichtes, eine passende Bezeichnung für die Badener 
Thermen in Anwendung zu bringen, da ja 1896 durch die exakten physikalisch¬ 
chemischen Untersuchungen des Prof. T r e a d w e 11 ’) in Zürich unstreitig nach¬ 
gewiesen worden ist, dass in ihnen absolut keine Salze mehr' enthalten sind, sondern 
dass dieselben sämmtlich in ihre Jonen gespalten darin Vorkommen. 

Wenn ich trotzdem den Titel Chlornatrium-Schwefel-Thermen gebrauche, so 
findet dies darin seine Begründung, dass das Wasser aus den an Gyps und Chlor¬ 
natrium reichen Triasschichten stammt und diese Salze somit besonders zu seiner 
Komposition beigetragen haben. 

Dementsprechend finden sich auch in dem Wasser Schwefelsäure mit 14,6, 
Chlor mit 11,9, Natrium mit 7,6, Calcium mit 5,9 auf 10000, alle anderen mit 
Ausnahme der Kohlensäure darin enthaltenen Stoffe um fast das Zehnfache und mehr 
übertreffend. 

Nach der neuesten Analyse von Prof. Treadwell*) ist Kohlensäure im ganzen 
mit 6,3765 g auf 10000 Flüssigkeit bestimmt worden, viel mehr als nach den 
früheren, in dieser Beziehung ganz fehlerhaften Analysen, davon 4,9624 g freie und 
halbfreie Kohlensäure. 

Ein Vergleich mit den bekannten CO a reichen Quellen von Nauheim»), woselbst 
die Soole von Bohrung 7 (grosser Sprudel) 11 ,24 g halbgebundene und freie CCi¬ 
pro 10000 Soole und Soole von Bohrung 12 (Friedrich Wilhelm-Quelle) 4,50 g halb¬ 
gebundene und freie C0 4 pro 10000 Soole enthalten, zeigt uns, .dass unsere Kocli- 
salz-Schwefel-Thermen dem grossen Sprudel allerdings um mehr wie die Hälfte an 
Kohlensäure nachstehen, die Friedrich Wilhelm-Quelle jedoch darin übertreffen. 

Soviel zur Erläuterung der angewandten Titelbezeichnung. 

Möge es bald gelingen, eine rationellere Terminologie für sämmtliche Mineral¬ 
quellen zu schaffen, sei es auf physikalisch-chemischer Grundlage, aufbanend auf 
die neuen Gesetze der Dissociation von Salzlösungen von Arhenius, der elektrischen 
Leitfähigkeit von Kohlrausch und Ostwald und besonders der Gefrierpunkts¬ 
erniedrigung resp. des osmotischen Druckes von Van’T-Hoff oder sei es auf Grund 
physiologischer Wirkungen. 

Gerade was die Kenntniss physiologischer Wirkungen von Mineralbädern an¬ 
betrifft, ist es mit gewissen Mineralquellen noch sehr schlecht bestellt; es ist mir 


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Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlomatrium-Schwefel-Thermcn von Baden. 659 


z. B. nicht gelingen, über unsere Bäder eine physiologisch-experimentelle Arbeit aus¬ 
findig zu machen, und auch über verwandte Thermen, was deren äussere Applikation 
anbetrifft, konnte ich fast nichts erheben. 

Nur über die Schwefelthermen von Schinznach konnte ich mir eine aus¬ 
führliche Stoffwechselarbeit, ausgeführt von Dronke 4 ) im Jahre 1887, verschaffen, 
sowie einige mit Experimenten belegte Angaben über die physiologische Wirkung 
der Aachener Bäder von Beissel 3 ). 

Aus den bekannten Lehrbüchern über Balneologie und Balneotherapie war eben¬ 
falls wenig zu ermitteln. 

In Julius Braun's 0 ) Lehrbuch finden wir überhaupt nichts Einschlägiges. 

In ValentinerV) Balneotherapie sowie in Otto Leichtenstern’s») Balneologie 
finden wir eine respirations- und pulsverlangsamende Wirkung, letztere als Ausdruck 
einer Vagusreizung, und eine sedative Wirkung auf das Nervensystem verzeichnet. 

Bei Fromm») ist gleichfalls nichts Besonderes über Schwefelbäder verzeichnet 
und hält derselbe deren Wirkungen für identisch mit denjenigen indifferenter 
Wasser. Dieser Ansicht schliesst sich auch Flechsig 10 ) an und berichtet nur über 
die obigen, von Reumont in Valentiner’s Lehrbuch beschriebenen Wirkungen der 
Schwefelbäder, welche er jedoch für keine spezifischen hält. 

Moeller 11 ) citiert in seinem »trait6 pratique« die Arbeit von Beissel und die¬ 
jenige von Dronke nur in Bezug auf die Ingestion des Schwefelwassers mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Wirkung des darin enthaltenen Schwefelwasserstoff¬ 
gases, giebt aber über die Wirkung des Bades selbst keinen weiteren Aufschluss. 

Kisch 14 ) erwähnt in seinem Balneologischen Lexikon 1897 sowie in Eulen¬ 
burg’s Encyklopädie 1899 (S. 188) in wenigen Zeilen den intensiven Reiz der 
Schwefelbäder auf das Hautorgan mit den gewöhnlichen Erscheinungen von vermehrten 
Turgor, Ausdünstung und Epidermisabstossung. 

Das neueste Lehrbuch von Julius Glax 13 ) 1897 citiert, was wieder allein die 
externe Wasserbehandlung anbetrifft, Grandidier, der nach 32 °C warmen Schwefel¬ 
bädern eine Pulsverlangsamung konstatiert hat, sowie ausführlich die obige Stoff¬ 
wechselarbeit von Dronke und diejenige von Beissel und Mayer. 

Angesichts dieser dürftigen Angaben über physiologische Wirkungen von 
Schwefelbädern war es wohl angezeigt, Versuche über die Wirkung der Badener 
Schwefelthermen auf Körpertemperatur, Pulsform, Blutdruck, Pulszahl, Respiration 
und den Stoffwechsel anzustellen. 

Leider gebrach es mir an Zeit, die theilweise sehr interessanten Ergebnisse 
gründlich durchzustudieren und theoretische Erwägungen daran zu knüpfen; ich be¬ 
halte mir deshalb auch vor, einzelnes später noch ausführlicher zu veröffentlichen. 

Beginnen wir also mit den Temperaturmessungen, die an drei verschiedenen 
Individuen in ca. 40 Einzeluntersuchungen ausgeführt wurden. Ich brauche kaum zu 
erwähnen, dass die angewendeten Maximalthermometer genau geprüft wurden und 
zudem stets die gleichen für die betreffenden Körpertheile in Anwendung kamen. 

Es wurden gemessen Axilla, Mund und Rektum. Die Messung wurde erst 
begonnen, nachdem die Versuchspersonen einige Zeit (10—15 Minuten) ruhig in der 
Badekabine verblieben waren. Die Badekabine hatte bei allen Versuchen eine 
ziemlich gleiche Temperatur zwischen 20—21 °C. Nach dem Bade trocknete sich 
der Untersuchte leicht ab, ohne Frottierung, und blieb mässig bekleidet bis zum 
Schlüsse des Versuches liegen. 

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Uebereinstimmend ergaben die Messungen bei allen Temperaturgraden und in 
allen Versuchen ein Sinken der Rektumtemperatur, das bei den Bädern unter 38® C 
mit einer einzigen Ausnahme schon im Bade seinen Anfang nahm und nach dem 
Bade für ] /s — 9 U Stunden noch zunahm, um dann erst allmählich, manchmal erst 
nach Stunden zur Norm zurückzukehren. Erst bei dem Bade von 38 0 0 stieg die 
Rektaltemperatur etwas, sank aber nach demselben allmählich, bis sie in s / 4 Stunden 
0,4" C unter die Anfangstemperatur zu stehen kam. 

Das Mittel der Rektaltemperaturschwankungen nach unten betrug 0,5, die 
stärkste 0,85 und die geringste 0,2. Das Verhalten der Axillar- und Mundtemperatur 
war weniger konstant; das Sinken der Mundtemperatur ging einigermaassen parallel 
dem der Mastdarmtemperatur für Bäder unter 34° C; für Bäder von 34—36° C blieb 
dieselbe fast unbeeinflusst, in Bädern über 36° C war die Mundtemperatur erhöht und 
blieb es häufig auch nach dem Bade, entgegen dem Verhalten der heruntergehenden 
Mastdarmtemperatur, und war dann verbunden mit einem leichten Gefühl von 
Kongestion nach dem Kopfe. 

Die Axillartemperatur zeigte ein variableres Verhalten; bei Bädern von 36" 0 
und darüber blieb dieselbe auch nach dem Bade erhöht, während bei Bädern von 
35 0 C und darunter keine bedeutende Schwankung eintrat, hier und da eine leichte 
Steigerung, meistens aber eine geringe Erniedrigung, die sehr wahrscheinlich mit 
einer allgemeinen Herabsetzung der Körpertemperatur durch Wärmeverlust im Bade 
und nach demselben in Verbindung zu setzen ist. 

Eine Thatsache jedoch springt klar in die Augen, indem dieselbe durchwegs 
zutrifft: die Rektaltemperatur sinkt im Verhältniss zur Axillartemperatur, woraus wir 
schliessen möchten, dass im Bade und auch einige Zeit nachher eine Fluxion des 
Blutes von den inneren Organen zu der Körperperipherie eintritt, wie dies ja auch 
schon von Kisch ohne weitere Begründung angenommen wurde. 

Beissel’s Angaben über Temperaturmessungen sind zu unvollständig, als dass 
sie verwerthet werden könnten. 

In StiflerV 4 ) Vortrag, gehalten an der 22. öffentlichen Versammlung der 
Ilufeland’schen baineologischen Gesellschaft (1809), welcher Temperaturmessungen bei 
Bädern verschiedener Natur vorgenommen hat, finden wir nichts über Schwefelbäder; 
cs interessiert uns aber daselbst zu sehen, dass die Wirkung von 34°C warmen 
Süsswasserbädern auf die Körpertemperatur eine ganz andere wie die unserige ist, es 
sinkt dabei besonders die Axillar- und auch die Zungentemperatur verhältnissmässig 
mehr als diejenige der Vagina. 

Ich möchte nun sogleich zu den Pulskurven übergehen und zwar des¬ 
halb, weil diese die oben erwähnte Fluxion des Blutes von den inneren Organeu 
nach der Peripherie noch weiterhin zu erläutern scheinen. 

Ich kann mich hier nicht auf eine genauere Analyse der Sphvgmogramme ein¬ 
lassen, sondern will nur eine diesbezügliche Auswahl von Kurven für Temperaturen 
von 31— 38 °C schildern. 

Die Kurven wurden alle mit dem Jacquet’schen Sphygmochronographen aus- 
geführt, bei welchem die Schleuderung kaum in Frage kommt, und es wurden nach 
dem Rathe von Prof. Sahli 1 -) und der Einfachheit der Vergleichung halber nur 
maximalhohe Kurven hergcstellt. Die Sphygmogramme wurden alle liegend, vor. 
in und nach dem Bade aufgenommen; der Arm wurde stets in gleicher Höhe und 
gleicher Stellung im Handgelenke in einem Armhalter fixiert. Die Manschette des 


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Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlornatriuui-Sclnvefel-Thcrmen von Baden. 6fil 

Sphygmographen verweilte von Anfang bis zu Ende des Versuches auf derselben 
Stelle. Die Experimente begannen erst nach 15—30 Minuten Stillliegens in der 
Badekabine. 

Mir scheinen nun die Kurven und zwar diejenigen der kühleren wie diejenigen 
der wärmeren Bäder alle mehr oder weniger eine Gefässerweiterung anzudeuten. 
Dass diese periphere Gefässerweiterung in und nach dem Bade stattfindet, glaube ich, 
können wir ersehen aus der im Sphygmogramme der Radialis meist deutlich bemerk¬ 
baren Zuspitzung und Erhöhung der systolischen und Rückstosselevation. Wir können 
uns eine damit parallel gehende Vasokonstriktion im Splanchnikusgebiete vorstellen 
und haben dafür als Beleg besonders das im Bade und nach demselben konstante 
Heruntergehen der Mastdarmtemperatur anzuführen, währenddem der peripheren 
Vasodilatation entsprechend die Axillartemperatur im Vergleich zur Rektumtemperatur 
hoch bleibt. Was die auf den Kurven sichtbaren, meist deutlich verstärkten und 
bei den kühleren Bädern auch vermehrten, sogenannten Elastizitätselevationen an¬ 
betrifft, so wage ich es nicht zu beurtheilen, ob dieselben sich durch den offenbar 
stattfindenden Wechsel der vasomotorischen Innervation erklären lassen'. 

Rosenthal 16 ) findet auf den, in den C0 2 reichen Soolbädern von Kissingen 
aufgenommenen Sphygmogrammen (Cowl’scher Apparat) Erhöhung der primären 
und Rückstosselevation, Vermehrung und Verstärkung der Elastizitätselevationen, 
also gerade dieselben Veränderungen, wie sie auf unsern Kurven hervortreten; und 
Hensen charakterisiert die Wirkung der C0 2 Bäder auf die Zirkulation mit dem 
Auftreten einer reaktiven Erweiterung der Hautgefässe und einer diese blutdruck¬ 
erniedrigende Wirkung kompensierenden reflektorischen Kontraktion der Gefässe im 
übrigen arteriellen Stromgebiete, besonders im Splanchnikusgebiet, eine Annahme, 
die mit der unserigen hinsichtlich der Badener Thermen ebenfalls übereinstimmt. 

Süsswasserbäder von 34« C influenzieren die Pulskurve nach Stifler 1 ?) kaum 
merklich. 

Was nun die Blutdruckmessungen anbetrifft, so wurden dieselben zum 
Theil mit dem Basch’schen Sphygmomanometer und zum Theil mit dem Gärtner- 
schen Tonometer ausgeführt. 

Eine bedeutende Veränderung des Blutdruckes, wenigstens was den maximalen *) 
anbetrifft, wurde in keinem Falle beobachtet; natürlich blieben Schwankungen von 
10—15 mm nicht aus, es sind dieselben aber wirklich zu unbedeutend und die ohne 
besondere Beeinflussung vorkommenden Schwankungen zu wenig überragend, um 
etwas beweisen zu können; wir wollen deshalb diese Versuche nicht weiter aus¬ 
führen und verwerthen. Eines möchte ich noch erwähnen betreffend der Instrumente, 
die zu diesen Versuchen in «Anwendung kamen. 

Das Tonometer wurde natürlich stets an demselben Finger angelegt, aber, da 
der Hautturgor der Extremitäten nach dem Bade vermehrt war, so war der pneu¬ 
matische Ring nach dem Bade enger anschliessend als vorher und somit ein kleiner 
blutdruckerniedrigender Fehler die Regel; auf der andern Seite mag vielleicht die 
grössere Pulswelle mit der stärkeren Stossheberwirkung gegen den Ring diesen 
negativen Ausschlag kompensiert haben. Diese Auffassung unterstützend zeigten sicli 
beim Manometer, wo ja auch diese Stossheberwirkung stattfinden muss, meist höhere 


*) Bekanntlich wird mit dein Basch’schen Sphygmomanometer sowohl als auch mit dem 
Gär tu er'sehen Tonometer nicht der mittlere, sondern der maximale Blutdruck gemessen. 


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i)&2 Paul Uuethlisberger 

Druckwerthe iu und nach dem Bade als beim Tonometer, vielleicht also weniger 
infolge der vermehrten mittleren Blutdruckes als infolge der vergrösserten systo¬ 
lischen Blutwelle. 

Gehen wir nun über zu Pulszahl und Respiration. Auch hier sind 
ziemlich konstante, übereinstimmende Verhältnisse hervorgetreten. 

Es wurde bei den Experimenten in folgender Weise vorgegangen: Das Versuchs¬ 
individuum nahm eine gleichmässig liegende Position vor, in und nach dem Bade 
ein. Bevor die Puls- und Respirationsmessung vorgenommen wurde, wartete man 
stets längere Zeit ('/ a —1 Stunde). Ich möchte dies sehr betonen, da mannigfache 
Fehlerquellen ausgeschlossen und besonders die bei gesunden Individuen konstante 
Pulsverlangsamung beim Liegen und besonders die noch weitere Verlangsamung 
bei längerem ruhigen Verhalten in dieser Lage berücksichtigt wurden. 

Dabei ergab sich folgendes: 

Bei einer Badetemperatur von 37—38° C trat eine deutliche Acceleration des 
Pulses im Bade ein, welche noch längere Zeit nach demselben anhielt, beim Bade 
von 38° C mehr wie 3 /< Stunden, bei 37 °C ca. 20—30 Minuten. Beim Bade von 
3H—36V2°C ist nur noch während des Bades eine Pulsvermehrung zu konstatieren, 
nach demselben ist der Puls von derselben Frequenz wie vorher. Bei 35 °C ist 
solcher im Bade selbst ziemlich unverändert, hie und da unbedeutend erhöht, nach 
demselben jedoch tritt schon eine geringe Verlangsamung ein. Bei niedrigeren Bade¬ 
temperaturen ist der Puls schon im Bade selbst verlangsamt und bleibt auch nach 
demselben mehr oder weniger stark in seiner Frequenz vermindert, und zwar ist 
bei Bädern von 31 und 32 0 C 30—40 Minuten nach dem Bade häufig noch eine 
Pulsverlangsamung von 7—10 Schlägen wahrzunehmen. 

Die Respiration ist im Bade bei allen Versuchstemperaturen, natürlich be¬ 
sonders bei den höheren, aber auch anfangs bei den niedrigeren, mehr oder weniger 
frequenter. Bei den niedrigeren Temperaturen tritt gegen Ende des Bades schon 
eine geringe Verlangsamung ein, die bei Temperaturen unter 35 # C besonders nach 
demselben stets hervortritt, die Respiration ist dabei sehr deutlich vertieft. 

Da jedoch die Athmung von untergeordneter Bedeutung ist, so will ich mich 
dabei nicht länger aufhalten. Sehr wichtig wäre es jedoch, dieselbe zu Experimenten 
über den Gasstoffwechsel vor und nach dem Bade verwerthen zu können. 

Alle bis dahin erwähnten Versuche wurden natürlich bei ganz gesunden In¬ 
dividuen vorgenommen, und dies gilt auch besonders für die nun kommenden Ex¬ 
perimente über das Verhalten des Stoffwechsels. Um eine Temperaturinfluenzierung 
des Badewassers auszuschliessen, wurden dieselben bei einer für Süsswasserbäder 
nach Leichtenstern indifferenten Temperatur von 34—34V2° C ausgeführt. Die 
Dauer der Bäder betrug dabei 10—25 Minuten. 

Was die Versuchsanordnung*) anlangt, so wurden zwei Serien von Versuchen 
an demselben, wie erwähnt, vollständig gesunden, sehr muskulösen und gut genährten 
Individuum nacheinander vorgenommen; während der ganzen Dauer derselben und 
sogar zwei Tage vor Beginn, also während 38 Tagen, wurde stets das gleiche 
Regime ohne Unterbrechung beibehalten. 

Ich hielt es für besonders wichtig, die Vorperiode recht ausgedehnt zu wählen; 


) Die über die einzelnen Tages- und Pnrehsehnittsresultate Aufschluss gebenden Tabellen 
konnten nicht zuin Abdruck gelangen. 


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Zum Studium der kohlensäurehaltigen Chlornatrium-Sohwefcl-Thermen von Baden. 663 

gerade in dieser Beziehung bedauern wir, dass die einzige ausführliche Stoffwechsel¬ 
arbeit über Schwefelbäder, die uns erhältlich war, nur einen Tag zur Vorperiode 
gewählt hat; es ist dies die Arbeit von Dronke. 

Ferner legte ich natürlich das grösste Gewicht auf eine ganz genaue und stets 
gleich bleibende Nahrungsaufnahme, und wurden Milch, Brot und Wein auf den 
Stickstoffgehalt untersucht. Die Milch wurde mehrmals zu verschiedenen Zeiten ge¬ 
prüft und keine Schwankungen von irgend welchem Belang beobachtet. 

Das folgendermaassen eingetheilte Regime wurde von der Versuchsperson stets 
gerne cingehalten und bestand aus: 

1000 cm 3 Milch, 

450 g Grahambrot (welches während der ganzen Versuchszeit 
aus demselben Mehl gebacken wurde), 

300 > Eier ohne Schale, 

500 cm 3 weisser Flaschenwein vom gleichen Jahrgange, 8,8 °/ 0 
Alkoholgehalt, 

100 g Butter, 

5 > Kochsalz, 

470 cm 3 Wasser. 

• Davon früh 8 Uhr: 

500 » Milch, ein Theil Brot und Butter von der Tagesration, 

121/, Uhr: 

500 » Suppe, worin 100 g Brot, ein Theil Butter und ein 
Theil Salz von der Tagesration enthalten waren, ferner 

300 g Eier ohne Schale, roh gequirlt, und 

300 cm 3 Wein, 

Abends 7 Uhr: 

500 » Milch mit dem noch von der Tagesration übrig ge¬ 
bliebenen Brot, Butter und Salz, 

Abends 9 J / 2 Uhr: 

200 » Wein. 

Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass obengenannte Getränke und Speisen 
auf’s genaueste in Maasskolben abgemessen und auf ein Centigramm genau ab¬ 
gewogen wurden. 

Von jeweils zwei Tage altem, gleichmässig aufbewahrtem Brote wurden, wegen 
seines fortwährenden Wasserverlustes, fünf Tagesrationen mit einander abgewogen, 
dieselben wurden jedoch gleichwohl jeden Tag vor Gebrauch wieder gewogen und 
der Flüssigkeitsverlust durch Trinken von entsprechend viel Wasser ersetzt. 

Die ganz genaue Einhaltung dieses Regimes lag uns sehr am Herzen, weil 
sonst zu viel Fehlerquellen mitspielen und das Experiment nur sehr relativen 
Werth haben könnte. Selbstredend wurde so viel wie möglich auf eine gleichmässige 
Lebensweise geachtet. 

Um eine vollständige N-Bilanz zu erhalten, wurde auch der Koth mit in die 
Untersuchung einbezogen und bei Beginn der einzelnen Perioden, resp. Vor-, Bade- 
und Nachkurperiode in der üblichen Weise mit Kohle und zugleich nach dem Rathe 
des Prof. Cloetta aus Zürich, der uns überhaupt bei der Arbeit stets bereitwilligst 
mit seinen reichen diesbezüglichen Erfahrungen zur Seite stand, mit Kirschensteinen 
abgegrenzt. 


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664 l’aul Roethlisbergcr 

Vom täglichen Harn, der natürlich aufs genaueste gesammelt wurde, notierten 
wir die Quantität, das spezifische Gewicht; derselbe wurde untersucht auf Ge¬ 
sammtstickstoff, Harnstoff, Alloxurkörper, Harnsäure und Ammoniak, auf Gesammt- 
schwefelsäure, zum Theil auch neutralen Schwefel, Chloride und Gesammtacidität. 

Die stickstoffhaltigen Substanzen des Harns und des Koths wurden nach der 
üblichen Methode von Kjeldahl in Ammoniak übergeführt, das Ammoniak durch 
Brom-Natronlauge zersetzt, der Stickstoff volumetrisch bestimmt und mit Berücksichti¬ 
gung des Luftdruckes, der Temperatur- und Luftfeuchtigkeit in Gramm umgerechnet. 
Der Harnstoffstickstoff nach der Mörner-Sjöqvist’schen Methode, die Alloxurkörper 
(Xanthinbasen-|-Harnsäure) nach der Methode von Camerer mit Stickstoffbestimmung 
nach Kjeldahl, die Harnsäure anfangs nach Hopkins mit Piperidintitrierung, dann, 
weil genauer befunden wegen der bei der Hopkin'sehen Methode vorkommenden 
Harnsäureverluste bei der Auswaschung (chlorfreie Auswaschung wegen der Piperidin¬ 
titrierung), nach Ludwig-Salkowski und Piperidintitrierung, und bald darauf, weil 
genauer und einfacher, nach Ludwig-Salkowski und Stickstoffbestimmung nach 
Kjeldahl. Die Phosphate wurden in der gewöhnlichen Weise mit Urannitrat und 
Cochenille und zugleich Ferrocyankali als Indikator durch Titrierung festgestellt 
Gesammtschwefelsäure nach Neubauer mit Chlorbaryumlösung und Lösung von 
schwefelsaurem Kali, der neutrale Schwefel ebenso nach der Oxydation mit Salpeter¬ 
säure (nach Mohr), die Chloride nach der Methode von Freund und Töpfer 1 «) 
das Ammoniak nach Schloesing, und die Gesammtacidität approximativ durch ein¬ 
faches Titrieren des verdünnten Harnes mit Vi 0 Normalnatronlauge. Der Koth wurde 
genau nach den Angaben von v. No orden 19 ) nach Zusatz von verdünnter H a SO* 
auf dem Wasserbade getrocknet, im Exsiccator abgekühlt, ‘gewogen und pulverisiert 
zur Stickstoff- und Phosphorbestimmung verwendet. 

Das Körpergewicht betrug am Anfang'der Versuche 77,3kg, zu" Beginn der 
ersten Badekur 75,8, am Schlüsse derselben 75,5, vor der zweiten Badeperiode 74,5 
und am Ende derselben 73,9 kg. 

Die Muskelkraft, mit dem Dynamometer bestimmt, war am Anfang der Ver¬ 
suche 54—55 kg, und am Ende derselben 59—60 kg. 

Die Resultate der Versuche sind kurz folgende: 

Absolute und besonders bedeutende relative Zunahme des Harnstoffes und Zu¬ 
nahme des Stickstoffoxydations-Coefficienten, d. h. des Verhältnisses des Harnstoff¬ 
stickstoffes zum Gesammtstickstoff während der Badeperiode und auch einige Zeit 
nach derselben. 

Hier seien noch frühere Versuche an verschiedenen Personen erwähnt, wo nur 
approximative Harnstoffbestimmungen mit dem GerarVl’schen Harnstoffapparate vor¬ 
genommen wurden, welche alle übereinstimmend ebenfalls ganz deutlich ein Ansteigen 
des Harnstoffes unter dem Einflüsse der Thermalbäder zur Folge hatten. 

Des ferneren ist aucli unverkennbar die relative Abnahme der Xanthinbasen im 
Verhältniss zum Gesammtstickstoff und besonders zur Harnsäure; schliesslich steigt 
auch das Ammoniak (um 23,4% in der zweiten Badeperiode) und bleibt auch noch 
in der Nachperiode vermehrt. 

Was also den N-Stoffwechsel anbetrifft, so kann man sagen, dass wenig mehr 
stickstoffhaltige Körper verbrannt, aber dass, was besonders wichtig ist, die stickstoff¬ 
haltigen Substanzen weit besser und vollständiger umgesetzt werden. Die regressive 
Metamorphose der Eiweisskörper in Harnstoff einerseits und in Harnsäure andrerseits 


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Zum Studium der kohlensiiurehaltigcn Chlornatrium-Schwofel-Thermen von Baden. 665 


geht vollständiger vor sich. Die Proportion der Extraktivstoffe, der Schlacken des 
Stoffwechsels, zum Gesammstickstoffe nimmt bedeutend ab. 

Eine weitere Stütze für eine verbesserte Verbrennung nicht nur der stickstoff¬ 
haltigen, sondern auch der stickstofffreien Produkte des Stoffwechsels finden wir im 
Verhalten des neutralen zum oxydierten Schwefel resp. zur Gesammtschwefelsäure; 
auch hier nimmt die Proportion des neutralen Schwefels zu Gunsten des oxydierten 
während und nach der Badeperiode ab. 

Was nun die täglich ausgeschiedene Harnquantität, die fixen Stoffe, die Acidität, 
die Chloride, die Phosphate und Sulphate anbetrifft, so können wir kurz darüber 
hinweggehen. 

Die Quantität ist deutlich vermehrt in der zweiten Badeperiode, in der ersten 
ziemlich gleich bleibend; vergessen wir jedoch nicht zu erwähnen, dass das Durst¬ 
und Hungergefühl während der beiden Badeperioden vermehrt, demselben aber natür¬ 
lich nicht Rechnung getragen werden konnte. 

Die fixen Stoffe sind in der Badeperiode und besonders Nachperiode vermindert, 
in der zweiten Badeperiode zwar wenig, aber dies ist jedenfalls auf Rechnung der 
sehr vermehrten Harnquantität zu bringen, und kommt deshalb besonders in der 
Nachperiode zum Ausdrucke. 

Die Acidität zeigt in der zweiten Bade- und in der Nachperiode eine Abnahme. 

Die Chloride steigen und sinken mit der Harnquantität. 

Die Gesammtphosphate zeigen in der zweiten Badeperiode und Nachperiode 
eine kaum bemerkbare Abnahme, die zum Theil auf Rechnung der merklich vermin¬ 
derten Alkaliphosphate zu stehen kommt. 

Die Sulphate sind in beiden Badeperioden, in der ersten dreitägigen um 2 °/ 0 
und in der zweiten sechstägigen um 6,6 °/ 0 vermehrt. 

Es bleibt uns nur noch übrig, einige Worte über das Verhalten des Kothes hinzu¬ 
zufügen und diesbezüglich zu erwähnen, dass der Stickstoff desselben in beiden Bade¬ 
perioden etwas vermindert war und besonders in den Nachperioden tief blieb, so 
dass die vermehrte N-Ausgabe durch den Harn hierdurch etwas kompensiert wurde. 

Interessant ist es auch zu sehen, dass der in der zweiten Badeperiode und 
besonders Nachperiode verminderten Phosphorausgabe durch den Harn keine ver¬ 
mehrte durch den Koth entspricht, sondern im Gegentheil auch der Kothphosphor 
etwas heruntergeht. 

Wie verhalten sich nun diese Resultate zu denjenigen in der Beissel’schen 
und Dronke’schen Arbeit? Wie schon erwähnt, ist leider bei beiden Experimentatoren 
die Nahrungsaufnahme während der Versuche nur approximativ dieselbe geblieben, 
und ist der N-Gehalt der Nahrung unbekannt; auch fehlt bei beiden Arbeiten die 
Kothuntersuchnng. 

Beissel hat bei seinen Experimenten, die sich nur auf Harnstoff, Harnsäure 
und Schwefelsäure erstrecken, eine Vermehrung der‘genannten drei Substanzen nur 
in der Nachperiode beobachtet, in der Badeperiode waren dieselben vermindert. Die 
Verminderung in der Badeperiode erklärt sich aber sehr leicht, wenn man bedenkt, 
dass die Bäder sehr warm genommen wurden (eine genaue Temperaturangabe fehlt) 
und zu starker Schweissabsonderung führten, was eine Verminderung der Harnquantität 
bis auf 500 g bewirkte. Wie bedeutend die durch den Schweiss verlustiggehenden 
Stickstoffquantitäten sein können, geht aus den Versuchen Bornstein’s 20 ) hervor; 
auch von Lohssc- 1 ) wird die Verminderung der Stickstoffausscheidung durch 
das gewöhnliche heisse Bad hierauf bezogen; wo eine Vermehrung von Stickstoff 


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<>•)•> Paul Roethlisberger 

unter gleichen Verhältnissen eintritt, wie bei Formaneck’s und Topp's--) Ver¬ 
suchen, wird von Lohsse eine individuelle verminderte Schweissreaktion als Ur¬ 
sache angenommen. 

Mit der Dronke’schen Arbeit finden wir schon mehr Uebereinstimmung, die 
Badetemperatur beträgt bei seinen Experimenten 33° C. Die Stickstoff- und die 
Schwefelsäureausscheidung im Harn vermehren sich, die Fixa und die Phosphor¬ 
ausscheidung vermindern sich etwas während der Badeperiode. Die Stickstoff- und 
Schwefelsäurevermehrung ist eine unvergleichlich stärkere als in unseren Versuchen, 
wobei aber nicht vergessen werden darf, dass auch S.-Wasser getrunken wurde, 
dass die Nahrungsaufnahme am Hoteltisch stattfand und die in der Badeperiode ge¬ 
wöhnlich beträchtliche Appetitzunahme jedenfalls nicht ganz unbefriedigt gelassen 
werden konnte. 

Wie verhalten sich schliesslich unsere Resultate gewöhnlichen indifferenten 
Süsswasserbädern gegenüber? Wiek 43 ), Dommer 43 ), Siegrist 23 ) und Köstlin 24 ) 
finden keinen Einfluss auf den Stoffwechsel, Keller 25 ) sah nach Süsswasserbädern 
eine Steigerung der N-Ausscheidung im Harn und zugleich, nebst einer geringeren 
Verminderung der Phosphate, eine bedeutende Abnahme der Chloride. 

Eine Uebereinstimmung mit den Süsswasserbädern ist also kaum vorhanden, 
dieselbe ist viel eher in den Stoffwechselveränderungen bei hydriatischen Prozeduren 
zu finden, und sehen wir in den Resultaten der von Strasser 28 ) ausgeführten Stoff¬ 
wechseluntersuchungen grosse Aehnlichkeit mit den unsrigen. Hier wie dort, Ver¬ 
mehrung des Harnstoffes, (besonders relative) Vermehrung des Ammoniaks, Vermehrung 
der Harnsäure gegenüber den Xanthinbasen und Abnahme des Extraktivstickstoffes, 
Sulfate vermehrt, Chloride ziemlich unverändert, im Koth Verminderung von Stick¬ 
stoff- und Phosphorgehalt. Nur ein Unterschied ist mir besonders aufgefallen; er 
liegt im Verhalten der Phosphorsäure im Harn, die bei uns eher etwas vermindert 
ist, während bei Strasser eine bedeutende Vermehrung stattfindet, besonders zu 
Gunsten der Alkaliphosphate, die bei uns im Gegentheil besonders vermindert sind. 
Strasser fragt sich, ob der Vermehrung der Phosphorsäureausscheidung eventuell ein 
bei Kältereiz auf die Haut beobachteter stärkerer Zerfall der rothen Blutkörperchen 
zu Grunde liegt, was vielleicht für den spezifischen Reiz eines Mineralwassers von 
indifferenter Temperatur fehlen dürfte. 

Weitere theoretische Betrachtungen möchte ich umgehen und nur noch rekapitu¬ 
lierend folgende Sätze aufstellen: 

1. Aus den Eingangs erwähnten physikalisch-chemischen Untersuchungen von 
Treadwell geht hervor, dass die Thermen von Baden zu den C0 2 reichen Quellen 
gezählt werden dürfen und einzelnen der C0 2 reichen Quellen von Nauheim in dieser 
Beziehung nicht nachstehen. 

2. Aus den Ergebnissen unserer physiologischen Untersuchungen scheint des 
Weiteren hervorzugehen, dass 

a) die Badener Thermalbäder von 31—38" C’ eine mehr oder weniger aus¬ 
gesprochene, das Bad überdauernde Aenderung in der Blutvertheilung de> 
gesunden menschlichen Organismus in der Richtung hervorrufen, dass die 
inneren Organe entlastet und die peripheren Körpertheile reichlicher mit 
Blut versorgt werden, 

b) die Bäder von 31—35 "C eine deutliche Pulsverlangsamung hervorzurufen 
im stände sind, wohl als Ausdruck einer Vagusreizung, 

c) der maximale Blutdruck keine bedeutenden Schwankungen zeigt und 


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Zun» Studium der kohleusäurehaltigen Chlornatrium-Schwefel-Thermen von Baden. M>7 


höchstens ein geringes Ansteigen desselben bei den pulsverlangsamenden 
Bädern sich bemerkbar macht, und 

d) was uns besonders im Hinblick auf die in Baden zur Behandlung kom¬ 
menden Krankheiten als wichtig erscheint, Bäder von 34—34 V 2 0 im stände 
sind, den Stoffwechsel ganz bedeutend qualitativ zu verbessern, im Sinne 
einer vollständigeren Verbrennung der Umsetzungsprodukte des Stickstoff¬ 
stoffwechsels. 

Anmerkung. Während der Drucklegung obiger Arbeit wurde eine neue Serie Stoffwechsel- 
untcrsuchungen vorgenommen, deren Resultate ich an dieser Stelle kurz erwähnen möchte. Die 
Experimente wurden, mit dem alleinigen Unterschiede, dass 250 g Wasser mit der Suppe mehr ein¬ 
genommen, unter ganz gleichen Bedingungen ausgeführt, wie die beschriebenen. 

. Was die Untersuchungsmethoden anbetrifft, so wurde bei der Ges^mmtacidität des Harns 
anders vorgegaDgen, indem man dieselbe nach Freund und Sieblein*) als zweifachsaure Phos¬ 
phate bestimmte. 

Amoniak, Alkaliphosphate, Chloride und Sulphate wurden nicht bestimmt, auch wurden die 
verschiedenen Sticksoffbestimmungen nicht regelmässig ausgeführt. ! 

Die Vorperiode dauerte 16 (-f 2 blinde Tage, während welcher schon das Regime eingehalten 
wurde), die Versuchsperiode 9 und die Nachperiode 3 Tage. 


Das Körpergewicht vor dem Beginne des Regimes betrug 

80,0 kg 

am 5. Tage der Vorkur . . . 


78,7 » 

» 11. » 

» » ... 


78,4 » 

» 14. » 

» >■> ... 


78,0 » 

» 10. » 

» » ... 


78,1 » 

» 1. » 

» Badekur . . . 


78,2 » 

» 6 . » 

» >■) ... 


77,5 » 

>* 8. » 

i) » ... 


77,9 m 

n 4. # 

nach den Bädern . 


77,5 » 

Das Mittel von zahlreichen Dynamometermessungen 

ergab: 


in 

der Vorperiode . . 

48,5, 



» Badeperiode 

49,7, 



v Nachperiode 

50,9. 



Die Resultate stimmen mit der obigen zweiten Versuchsperiode vollständig überein. 
Harnstoff - N vennehrt im Verhältniss zum Gesammt-N. 

Xanthin basen - N vennindert im Verhältniss zum Harnsäure-X. 

Die Gesammtphosphate sind vermindert: 

in der Badeperiode um . . . 9,31%, 

» » Nachperiodo » ... 11,70%. 

Die zweifachsauren Posphatc sind ebenfalls vermindert: 

in der Badeperiode um . . . 5,03%,, 

» » Nachperiode » ... 10,04%. 

Der Trockenkoth ist vennindert: 

in der Badeperiode um .... 7.5 0 , 

» i> Nachperiode » .... 4,0%, 

und dessen Gesanuntstickstoffgehalt: 

in der Badeperiode um .... 3,0%. 

Littcratur. 

!) Treadwell, Chemische Untersuchung der ►Schwefelthenne von Baden (Schweiz). 1890. 

*) Derselbe, 1. c. 

3 ) F. Credner, Der Kohlensäuregehalt der Thermalsoolbäder in Bad Nauheim. Deutsche 
medicinische Wochenschrift 1889. No. 18. S. 300. 


*) Neubauer und Vogel, 1. e. S. 734. 


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068 P. Roethlisberger, Zum Studium d. kohlensäurehaltigcn Chlornatrium-Schwcfel-Thermon. 


F. Dronke, Ueber die Einwirkung des Schinznaeher Schwefel wassere auf den Stoffwechsel. 
Berliner klinische Wochenschrift 1887. No. 49. 

5 ) J. Beissel, Balneologische Studien mit Bezug auf die Aachener und Bartscheider 
Mineralquellen. Aachen 1888. — J. Beissel und G. Mayer, Aachener Thermalkur und Gicht. 
Berliner klinische Wochenschrift 1884. No. 13. S. 200. — J. Beissel, Aachen als Kurort. 188!<. 
fl) Julius Braun, Systematisches Lehrbuch der Balneotherapie. Braunschweig 1880. 

7 ) Valcntiner’s Balneotherapie. Berlin 1873. S. 371. — Alexander Reumont. Die 
Schwefelquellen. 

fl) Otto Leichtenstem, Allgemeine Balneotherapie. Handbuch der allgemeinen Therapie 
von H. v. Ziemssen. Leipzig 1880. Bd. 2. Theil 1. S. 371. 

o) B. Fromm, Systematisches Lehrbuch der Balneotherapie 1887. 

10) R. Flechsig, Handbuch der Balneotherapie 1892. 

11 ) Mo eil er, Traitö pratique des eaux minörales 1892. 

12 ) Kisch, Schwefelwässer. Baineotherapeutisches Lexikon 1897. Eulenburg’s Encyklopädie 
1899. Bd. 22. S. 188. 

13 ) J. Glax, Lehrbuch der Balneotherapie 1897. S.244. 

w) Stiefler, Vortrag, gehalten an der 20. öffentlichen Versammlung der Balncologischen 
Gesellschaft 1899. Veröffentlichungen der Hufeland’schen Gesellschaft in Berlin. Berlin 1899. 

15 ) H. Sahli, Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden 1899. 11. Auflage. S. 123 -124. 

16 ) Julius Rosenthal, Ueber die Bedeutung Kissingens als Kurort für Herzkranke. 
Therapeutische Monatshefte 1901. Mai. 

17) Stiefler, l.c. 

!fl) Freund und Toepfer, Vogel und Neubauer's Analyse des Harns 1898. S.710. 

19 ) Carl v. Noorden, Grundriss einer Methode der Stoffwechseluntersuchungen. Berlin 1892. 
2°) Bornstein, Ueber den Einfluss heisser Bäder auf den Stoffwechsel. Vortrag, gehalten in 
der Balneologischen Gesellschaft am 11. März 1895. Deutsche Medicinalzeitung 1895. No. 46 S. 565. 

21 ) Lohsse, Einwirkung des heissen Bades auf den menschlichen Stoffwechsel. Inaugural¬ 
dissertation. Halle 1900. 

22) Formaneck und Topp, citiert bei Lohsse, l.c. 

23) Wiek, Dommer und Siegrist, citiert in J. Glax’ Lehrbuch der Balneotherapie, l.c 
2<) Koestlin, Ueber den Einfluss warmer vierprozentiger Soolbäder auf den Eiweissumsatz 

des Menschen. Inauguraldissertation. Halle 1892. 

2ß) Keller, Ueber den Einfluss von Soolbädem und Susswasserbädem auf den Stoffwechsel 
gesunder Menschen, mit besonderer Berücksichtigung der Frage der Hautresorption im Bade. 
Korrespondenzblätter für Schweizer Aerzte 1891. 

2fl) Strasser, Das Verhalten des Stoffweichseis bei hydriatischer Therapie. Wiener Klinik 
1895. Heft 4. — Derselbe, Fortschritte der Hydrotherapie. Winternitz’Festschrift Wien 1*9 1 . 
S. 242—274. 


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Paul Lazarus, Ueber die Ersetzung gelähmter Muskelfunktionen durch elastische Z&ge. 669 


IV. 

Ueber die Ersetzung gelähmter Muskelfunktionen durch elastische 
Züge, speziell bei der hemiplegischen Beinlähmung. 1 ) 

Aus der I. medicinischeu Universitätsklinik zu Berlin 
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). 

Von 

Dr. Paul Lazarus, 

Volontär-Assistent der Klinik. 

(Mit 5 Abbildungen.) 

In unserer senso-motorischen Hirnrinde sind nicht die einzelnen Muskeln und 
Nerven, sondern nur die funktionell zusammengehörigen Muskelkombinationen lokali¬ 
siert. Diese Centralisation der einzelnen Bewegungsmechanismen ist auch 
bei der kortikalen und kapsulären Hemiplegie, speziell an der unteren Extremität 
erkennbar. Bei den schweren Lähmungsformen erleiden wohl sämmtliche Muskeln 
des betroffenen Beines eine starke Einbusse ihrer motorischen Kraft, aber die In¬ 
tensität der Parese ist an bestimmten, funktionell gleichsinnigen Muskel¬ 
gruppen stärker ausgesprochen als an ihren Antagonisten. Mit fast kon¬ 
stanter Regelmässigkeit sind die Beuger des Hilft-, Knie- und Sprunggelenkes er¬ 
heblicher geschwächt als die Strecker. Mit diesem Lähmungstypus stimmt auch die 
Topographie der Kontraktur überein, welche sich in den relativ besser erhaltenen 
Streckern der genannten Gelenke bezw. den Verlängerern des Beines (Wernicke- 
Mann) etabliert. 

Das Resultat dieser ungleichmässig angeordneten Lähmung und Kon¬ 
traktur ist der spastisch paretische Gang der Hemiplegiker, deren Unfähigkeit das 
Knie zu beugen und die Fussspitze hochzuziehen, sowie Hindernisse zu übersteigen. 

Aus dieser inäqualen Anordnung der Parese und Kontraktur kann man drei 
therapeutische Indikationen herleilen: 

Behebung der Kontraktur, 

Stärkung der paretischen Muskelgruppen und deren Heranziehung 
zu kompensatorischen Leistungen, 

Ersetzung der gelähmten Muskelfunktionen. 

Zur Lösung dieser therapeutischen Aufgaben habe ich auf Anregung meines 
verehrten Chefs, des Herrn Geheimraths v. Leyden, einen Apparat konstruiert, in 
welchem an Stelle der ausgefallenen Muskelfunktionen die Zugkraft elastischer 
Bänder trat. Das elastische Band soll in seiner Wirkungsweise den 
physiologischen Bewegungsmechanismus nachahmen und in seinem 
Spannungsgrade der Kraft der Antagonisten das Gleichgewicht halten. 

Der erste Fall, bei welchem ich einen nach dem genannten Grundsätze kon¬ 
struierten Apparat versuchte, betraf ciuen 42jährigen Arbeiter Otto R. (Journal 


ij Nach eine** aui :30. Januar 1002 in der Gesellschaft- der Charitearzte gehaltenen Demonstration. 


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670 


Paul Lazarus 


No. 1235 ex 1901). Er hatte bereits im August 1896 einen apoplektischen Insult mit 
linksseitiger Hemiplegie erlitten, welche angeblich völlig zurückgegangen war. Am 
29. Mai 1901 wurde nun der Patient unmittelbar nach einem neuerlichen, apoplek¬ 
tischen Insulte in die I. medicinische Klinik gebracht. Es bestand eine vollstän¬ 
dige Sinistroplegie des Mundfacialis, Hypoglossus und der Extremitäten. 

Drei Monate nach dieser Attaque bestanden an dem linken Beine folgende Ver¬ 
hältnisse: 

Alle Muskeln hatten eine Einbusse ihrer Arbeitskraft erlitten; am meisten 
geschädigt waren jedoch die Beuger der grossen Gelenke, während die Streck¬ 
muskeln aktiv noch relativ funktionsfähig waren. 

Im Hüftgelenke bestand eine geringe Parese der Extension, Ab-und Adduktion, 
sowie Aussenrotation, während die Flexion und Innenrotation stärker betroffen waren. 
Die passive Beweglichkeit war vorzugsweise bei der Innenrotation erschwert (Kon¬ 
traktur der Aussenrotatoren). 

Im Kniegelenke (sowohl in der Rücken-, als auch Bauch- und Seitenlage ge¬ 
prüft) wurde passiven Beugungsversuchen ein kräftiger Widerstand entgegengesetzt 
(Kontraktur des Quadriceps). Aber auch die Prüfung der motorischen Kraft der 
Strecker ergab eine beträchtliche Abnahme gegenüber der gesunden Seite. Der linke 
Quadriceps war somit paretisch und kontrakturiert. Aktiv war die Kniebeugung im 
Liegen im Winkelausmaasse von ca. 20° möglich; beim Stehen und Gehen bestand 
hingegen eine fast vollständige Insufficienz der Beuge-r. Von den Beugemuskeln 
(Sartorius, Gracilis, Popliteus, Biceps, Semimembranosus und Semitendinosus) wirken 
bekanntlich die drei letztgenannten beim Gehen als Strecker des Hüftgelenkes bezw. 
als Verlängerer des Beines im Sinne Wernicke-Mann’s. Bei gestrecktem Hüft¬ 
gelenk war die Kniebeugung vollständig aufgehoben. Das Sprunggelenk befand 
sich in leichter Pesequinovarus - Stellung. Die Beugung (Dorsalflexion) war aktiv 
vollständig aufgehoben und auch passiv infolge der Kontraktur des Gastrocnemius 
so stark behindert, dass man den I'uss kaum bis zum rechten Winkel erheben konnte. 
Die Plantarflexion war kräftig, doch noch schwächer als auf der gesunden Seite. 
Beim Supinationsversuche wurde bloss die Grosszehe isoliert nach aufwärts gebogen. 
Die Pronation war fast vollständig aufgehoben. Haut- und Sehnenreflexe waren 
beiderseits lebhaft gesteigert, kein Fussklonus. Links bestand auch der Babinski'sche 
Reflex. Die Sensibilität war in sämmtlichen Qualitäten intakt. 

Der Gang war der typisch spastisch-paretische der Hemiplegie; die Schritte 
waren kurz, das gelähmte Bein wurde wie eine Stelze vorgeschwungen und das 
gesunde Bein nachgezogen. Die Spitze und der Aussenrand des Fusses schleiften 
am Boden. Dieses Unvermögen, den linken Fuss vom Boden »abzuwickeln«, wurde 
beim Voranschreiten des gesunden, rechten Beines noch deutlicher. Bei dem Ver¬ 
suche, das Bein hochzuziehen, gerathen die Plantarflexoren in Kontraktion, und die 
Fussspitze wird extrem nach abwärts gesenkt. Infolge der Insufficienz der Dorsal¬ 
flexoren bleibt nun die Fussspitze am Boden kleben und kann selbst über geringe 
Terrainhindernisse nicht hinüber. 

Fig. 86 stellt den gewöhnlichen Gang des Patienten dar, welcher mit der Gross¬ 
zehenfläche der Fussspitze an einem 5 cm hohen, am Boden befestigten Eisenklötzchen 
hängen bleibt. Patient hat sich die korrespondierende Stelle eines neuen Schuhes 
im Verlaufe einer Woche im Charitegarten durchgetreten, da er mit ihr an alleu 
Bodenunebenheiten anstiess. (Die Figuren sind nach Photographieen angefertigt). 


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671 


Ucber die Ersetzung gelähmter Muskclfunktioncn durch elastische Züge. 

In Fig. 87 ist der Kranke im Begriffe, ein 18 cm hohes Brett mit dem nach¬ 
folgenden gelähmten Bein zu übersteigen. Infolge der Parese der Knie- und Fuss- 
beuger, desgleichen infolge der Kontraktion der Plantarflexoren, bleibt er am Hinder¬ 
nisse hängen. Hingegen vermag er dasselbe zu umgehen, indem er das Becken auf 
der Seite des gelähmten Beines hebt und dieses selbst in einem Bogen um die Axe 
des gesunden »Standbeines« vorschwingt. Dasselbe Manöver vollfuhrt er beim 
Stiegensteigen. 

Die geschilderten Ausfallserscheinungen sind somit vorzugsweise auf die voll¬ 
ständige Lähmung der Kniebeuger und der Dorsalflexoren zu beziehen. 
Die genannten Muskelfunktionen bedurften daher in erster Linie einer Unterstützung 
bezw. Ersetzung, welche ich durch den nun zu schildernden Apparat zu erzielen 
bestrebt war. 


Fig. 86. Fig. 87. 



Der Gehapparat besteht aus drei Theilen (Fig. 88, s. umstehend). 

Der Haupttheil besteht aus einem gut umlederten Stahlgerüste um die linke 
Beckenhäfte und Extremität. Die Beckenspange wird durch einen gut gepolsterten 
Ledergurt zum Ringe ergänzt, welcher in seiner Weite beliebig verstellbar ist. Das 
Beingehäuse besteht aus zwei 16 mm breiten Längsschienen, welche entsprechend der 
Drehaxe des Hüft-, Knie- und Sprunggelenkes scharnierartig unterbrochen sind und 
distalwärts durch einfache Knopfscharniere mit dem Schuhantheile artikulieren. An 
den Längsschienen sind nun vier Querschellen angebracht, welche aus einer rück¬ 
wärtigen umlederten Stahlspange und einem vorderen, in der Weite beliebig anknöpf- 
baren, gepolsterten Ledergurt zusammengesetzt sind. Die oberste Querspange kommt 
knapp unter die Gesässfalte zu liegen, die mittleren liegen 10 cm oberhalb bezw. 
unterhalb der Kniespalte, und die unterste befindet sich 10 cm oberhalb der Malleolen. 
Die Beinlänge (Abstand der Spina ant. sup. von der Sohle) beträgt 97 cm. Diese 

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672 Paul Lazarus 

Spangen tragen in der Mitte ihrer Rückfläche 5 cm lange und 2 cm hohe Stahlstege 
mit Rollhülsen. Von der Tuber- bis zur Malleolenspange gleitet nun in diesen Stegen 
wie in einer unterbrochenen Sehnenscheide ein in sich zurücklaufender elastischer 
Gurt von 52 cm Länge und 4,5 cm Breite. Er lässt sich durch einen eingeschalteten 
Schnallriemen um 10 cm verkürzen und dadurch in seiner Zugwirkung steigern oder 
abschwächen. 

Der zweite Theil des Apparates besteht aus einem zum Schnallen eingerichteten 
Schuh, an dessen Sohle, aussen und innen, entsprechend dem ersten und fünften 

Metakarpalknochen 10 cm lange und 3 cm breite 
Fig. 88. Riemen angebracht sind. An dieselben sind nun 

zwei gleich breite, 11 cm lange elastische Bänder 
festgenäht, welche in fünffach gelochte Riemen über¬ 
gehen. Diese aus bestem Gummi verfertigten Züge 
werden übers Kreuz gelegt und an zwei Metall¬ 
köpfen der unteren Kniespange aussen und innen 
angesteckt. Der Schuh trägt ferner in seinem Tarsus- 
theile zwei seitliche Stahlschienen zur Scharnierver¬ 
bindung mit den entsprechenden'Seitenschienen des 
Unterschenkels. Diese elastischen Züge wirken im 
Sinne der Dorsalbeugung; der laterale Zug ausser¬ 
dem im Sinne der Hebung des äusseren Fussrandes 
(Pronation), der mediale im antagonistischen Sinne 
(Supination). Die Intensität des elastischen Zuges 
und damit der Grad der Beugung bezw. Pro- und 
Supination lassen sich entsprechend der Kraft der 
kontrakturierten Antagonisten regulieren. Je kürzer 
das elastfsche Band genommen wird, desto grösser 
ist natürlich seine Zugkraft. 

Das Gewicht des Apparates beträgt IV* kg. 
Fig. 88 stellt nun den Apparat sich selbst über¬ 
lassen dar; in diese Stellung trachtet auch der Appa¬ 
rat das erschlaffte Bein zu bringen. Die Dorsalbänder 
ziehen die Schuhspitze empor, und das Kniekehlen¬ 
band beugt das Kniescharnier bis über den rechten 
Winkel. Durch noch stärkere Verkürzung der elasti¬ 
schen Bänder kann die Zugwirkung noch gesteigert 
werden. 

An der Extremität angelegt, stellt nun das rückwärtige, elastische Band 
einen künstlichen Kniebeuger (Kn.B.) und das vordere einen künstlichen 
Fussheber (F. H.) dar. Das Gehmanöver besteht nun in der rhythmischen 
Innervation und Erschlaffung der Streckmuskulatur. Im ersteren Falle 
überwindet die Kontraktion der Strecker die Retraktilität der elastischen Züge und 
führt zur Streckung der grossen Gelenke. Bei der Erschlaffung der Strecker fallt 
das Bein rein passiv in die Beugestellung zurück. Mit dem künstlichen Fussheber 
allein geht der Kranke mit gestrecktem Knie, aber mit erhobener Fussspitze; das 
»Scharren« ist behoben, und der Fuss wird mit der vollen Sohle aufgesetzt, doch 
bedarf es einer grösseren Kraftaufwendung, um das gestreckte als das im Knie ge- 



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Ueber die Ersetzung gelähmter Muskelfunktionen durch elastische Züge. 673 

beugte Bein vorzuschwingen. Durch Einschaltung des Kniebeugers wird das Bein 
noch mehr verkürzt und kann noch höher gehoben werden. 

Fig. 89 zeigt den Patienten im Momente des Uebersteigens des 18 cm hohen 
Brettes (vergl. Fig. 87), was ihm mit Leichtigkeit gelingt. Die Fussspitze kann bei 
gestrecktem Hüftgelenk 30 cm (reine Knie- und Fussbeugung) und bei gebeugtem 
Hüftgelenk 56 cm (mit der Hüftgelenksbeugung kombiniert) über den Boden erhoben 
werden. In Fig. 90 ist die andere 'Gehphase mit nachfolgendem, gelähmten Beine 
dargestellt. Ohne Anstrengung überschreitet der Patient das gleiche Hinderniss. 

Der dritte Bestandtheil des Apparates ist ein festgewebter, leicht unterpolsterter 
Schultergurt (Sch. g. Fig. 88); er wird über die gesunde Schulterhöhe gelegt und ist 
vorne wie rückwärts nahe der Mittellinie am Beckengurte leicht an- und abzuknöpfen. 


Kg. 89. Kg. 90. 



Dieser Schultergurt dient einerseits zur Entlastung vom Gewichte des Apparates und 
der Extremität; andererseits ist es dem Kranken durch Hebung der Schulter mög¬ 
lich, den Apparat sammt dem in ihm geborgenen Beine etwas zu heben und zu 
abduzieren. 

Diese Uebertragung der Bewegung von gesunden Muskelkomplexen 
auf gelähmte spielt wohl in unserem Falle keine Rolle; sie ist aber von prinzipieller 
Bedeutung, speziell bei totalen Lähmungen. Bei einer vollständigen Beinlähmnng 
kann man z. B. an der Vorderfläche eine künstliche Strecksehne, an der Rückfläche 
eine künstliche Beugesehne anbringen. In analoger Weise könnte man durch ent¬ 
sprechende Anordnung derartiger Sehnenzüge den groben Mechanismus sämmtlicher 
physiologischer Bewegungen imitieren. Diese festgewebten Kunstsehnen (geflochtene 
Darmsaiten, Lederschnüre oder Seile) müssten nun über Rollen längs des Becken¬ 
gurtes oder über die Schulter zur Hand geleitet werden. Durch Zug an der Beuge-, 

Zeltachr. f. diät u. physik. Therapie Bd. V. Heft 8. 4 ß 


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674 Paul Lazarus 

Streck- oder Abduktionssehne könnte nun der Kranke sein Bein nach Belieben 
beugen, strecken, abduzieren u. s. f., während eine scharnierartige Vorrichtung in den 
Gelenken des Apparates das Umknicken verhütet 

Der Patient trägt bereits seit vier Monaten den beschriebenen Apparat; er 
kann in ihm anstandslos sitzen, liegen und sich bücken, desgleichen laufen, Stiegen 
steigen, Leiter klettern und vom Stuhl springen. Seine gewöhnliche Geh¬ 
geschwindigkeit beträgt 15 Meter in 25 Sekunden; im Laufschritt legt er dieselbe 
Strecke in 12 Sekunden zurück. Seine gewöhnliche Schrittlänge variiert um 80 cm; 
der maximale Querabstand der Fersen beträgt beim Gehen und Laufen ca. 8 cm. Die 
Circumduktion des Beines ist völlig aufgehoben. Stiegen steigt er fast so rasch wie 
ein Gesunder; ohne jede Unterstützung steigt er 26 Stufen in 18 Sekunden herauf und 
in 20 Sekunden herunter. Auch die Standfestigkeit des Beines ist im Apparate 
eine stabilere; er vermag mit aufrechtem Rumpfe 5 Sekunden auf dem paretischen 
Beine zu stehen. 

Den oben genannten therapeutischen Forderungen kommt der Apparat auch in 
anderer Hinsicht entgegen, er wirkt im Sinne der Gymnastik und der Bahnung. 

Jeder Schritt wird zu einem gymnastischen Akte, was speziell bei der 
hemiplegischen Lähmung von grosser Bedeutung ist, da es bei derselben infolge der 
mangelnden Bewegung zu lokalen und allgemeinen Cirkulationsstörungen kommt. 

Auf die Streckmuskeln wirkt der Apparat imSinne der Widerstandsgymnastik, 
da sie bei jeder Streckung die Kontraktilität der elastischen Züge zu überwinden 
haben. Dieser konstant eingeschaltete Widerstand führt zu einer Arbeitshyper¬ 
trophie der paretischen Muskeln, welche in ihrer Entstehung der Hypertrophie des 
Herzens und der Darmmuskulatur vor Passagehindernissen vergleichbar ist. That- 
sächlich hat auch der Querumfang des linken Oberschenkels und des Unterschenkels 
im letzten Vierteljahre um 4 cm bezw. 2,3 cm zugenommen, gegenwärtig beträgt 
der Oberschenkelumfang, 15 cm oberhalb der Patella gemessen, 51 cm links gegen¬ 
über 50 cm rechts, und der Wadenumfang, 15 cm unterhalb der Patella, 36,3 cm 
links gegenüber 35,3 cm rechts. Das linke Bein, welches vor der Anwendung des 
Apparates 47 bezw. 34 cm Umfang hatte, ist somit derzeit umfangstärker als das 
gesunde rechte. Der Patient ist innerhalb eines Vierteljahres aus dem Apparate 
herausgewachsen, sodass längere Querspangen eingesetzt werden mussten. Auch die 
Konsistenz der Muskulatur hat zugenommen. Die Volumszunahme betrifft nur die 
Muskulatur, die Haut zeigt keinen Unterschied gegenüber der gesunden Seite. 

Die Streckmuskeln wurden aber nicht nur gestärkt, sondern sie adaptierten sich 
auch der Kontraktilität der elastischen Züge. Während die Bewegungen anfangs ruck¬ 
weise erfolgten und der Unterschenkel in die rechtwinklige Stellung zurückschnellte, 
bildete sich im Laufe der Wochen eine Art Koordination aus. Der Kranke erlernte 
allmählich, die Innervation des Quadriceps der Mechanik des normalen 
Gehens anzupassen; die Kontraktion der Streckmuskeln steigt allmählich an und 
klingt ebenso ab, so dass auch die Beugung nicht ruckartig, sondern in harmonisch 
abgerundeter Weise eintritt. Während der Kranke beim Gehen ohne Apparat den 
Quadriceps in steter Streckkontraktur erhält., lernt er im Apparat wieder den Vor¬ 
gang der Erregung und Erschlaffung. Jede Streckung wirkt somit als 
Widerstandsübung und jede Beugung als Erschlaffungsübung; die letztere 
wirkt nun günstig auf die Lösung der Kontraktur. Auf den Werth dieser von 
mir als »atonische Gymnastik« beschriebenen Erschlaffungsübungen habe ich in 
dem vorigen Hefte dieser Zeitschrift hingewiesen. 


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Ueber die Ersetzung gelähmter Muskelfunktionen durch elastische Züge. 675 

Aber auch die Beugemuskeln gehen nicht leer aus; sie werden durch den 
Apparat im Sinne der passiven Gymnastik und der Bahnung beeinflusst. In 
der erstgenannten Beziehung wird die Atrophie der Beuger, welche das Produkt 
der Inaktivität und der stationären Ueberdehnung ist, hintangehalten. Die Zug¬ 
wirkung des Apparates kommt ferner dem Beugeimpulse entgegen, dessen Umsetzung 
in die Beugung durch die Erschlaffung der Strecker und durch die Entlastung vom 
Gewichte des Unterschenkels gebahnt wird. Der Kranke übt auf diese Weise wieder 
die Innervation der Beuger, denen man durch Nachlassen des elastischen Zuges all¬ 
mählich immer höhere Leistungen aufbürden kann, bis sie sich schliesslich auch ohne 
die Mitwirkung des Apparates aktiv gut kontrahieren können. 

Thatsächlich vermag unser Patient nach viermonatlichem Tragen des Apparates 
das Bein im Hüft-, Knie- und Sprunggelenke aktiv zu beugen. 

Im Hüftgelenke hat die Parese in allen Richtungen abgenommen; bis auf 
die noch immer etwas behinderte Innenrotation und die leicht kontrakte Aussen- 
rotation sind alle übrigen Bewegungen kräftiger und ausgiebiger als vor einem Drittel¬ 
jahr; passiv können alle Gelenkbewegungen mit Ausnahme einer geringen Behinderung 
bei der Innenrotation bis zu den Grenzen der normalen Exkursionsfähigkeit vor¬ 
genommen werden. Durch die Mobilisierung des Knie- und Sprunggelenkes wurde 
auch die Restitution der Bewegungen im Hüftgelenke gefördert. 

Das Kniegelenk ist passiv vollkommen frei beweglich; aktiv hat die 
Bewegungsparese deutlich abgenommen; in aufrechter Stellung vermag der Kranke 
das Knie um einen Winkel von 25 0 zu beugen und drei Sekunden in dieser Stellung 
zu halten. Die Widerstandskraft bei passiven Beugungs- und Streckungsversuchen hat 
bedeutend zugenommen, doch ist sie noch geringer als auf der gesunden Seite. 

Im Sprunggelenke ist bereits eine aktive Dorsalflexion bis zum rechten 
Winkel möglich; es besteht noch eine geringe Kontraktur des Gastrocnemius. 

Im übrigen sind die früheren spastischen Zustände und auch die Inaktivitäts¬ 
atrophie der Muskulatur zum grössten Theile behoben; der Umfang des Oberschenkels 
und des Unterschenkels in der Mitte gemessen betragen um 1 cm mehr als auf der 
gesunden Seite. Die Haut- und Sehnenreflexe sind noch an beiden Seiten gesteigert, 
links besteht noch lebhaft der Babinski’sche Grosszehenreflex. Kein Fussklonus. 

Der Gang des Patienten ohne Apparat ist noch ausgesprochen paretisch, 
doch ist die spastische Komponente weitaus geringer als vor vier Monaten. Wenn 
sich der Kranke anstrengt, vermag er aktiv das Hüft- und Kniegelenk zu beugen und 
die Fussspitze hochzuheben sowie geringe Terrainhindernisse zu überschreiten; doch 
ermüdet er noch leicht und schleift dann wie früher mit der Fussspitze am Boden. 

Das Prinzip der Ersetzung gelähmter Muskelfunktionen durch 
elastische Züge kann auch auf die anderen Formen ungleichmässiger Extremitäts¬ 
lähmungen ausgedehnt werden. Jene Muskelgruppen, welche in ihrer Inte¬ 
grität stärker angegriffen sind, werden entsprechend substituiert und 
auf diese Weise das Muskelgleichgewicht zu erzielen gesucht Sind 
z. B. der Quadriceps gelähmt und die Beuger noch funktionsfähig, dann tritt an 
seine Stelle ein nach Intensität und Wirkungsweise genau regulierter, elastischer 
Zug. Der Kranke hat dann während des Gehaktes nur die Beuger zu innervieren 
und zu erschlaffen. Im ersteren Falle wird die Kontraktilität des künstlichen 
Streckers überwunden und das Bein aktiv gebeugt, in letzterem Falle gewinnt der 
künstliche Strecker das Uebergewicht und führt das Bein rein passiv in die Streck¬ 
stellung, in welcher cs durch ein passendes Scharniergerüst fixiert wird. 

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676 Ludwig Mann 

Vollständig gelähmte MuskelfunktioDen können ferner auch durch 
Uebertragung der Bewegung von gesunden Muskelkomplexen mittels un¬ 
dehnbarer Sehnen ersetzt werden. Mit der technischen Ausbildung dieser Möglich¬ 
keit bin ich gegenwärtig beschäftigt. 

Die genannten Prinzipien der Substitution gelähmter Muskel¬ 
funktionen durch elastische Züge und der Transmission der motorischen 
Kraft von gesunden auf gelähmte Muskelgruppen lassen sich auch an der 
oberen Extremität anwenden, doch sind sie an dieser weitaus schwieriger durch¬ 
zuführen als an der unteren Extremität. Die Schwierigkeiten der Lösung dieser 
therapeutischen Probleme an Bein und Arm verhalten sich zu einander so wie die 
grobe Mechanik des Gehens zu der idealen Vollkommenheit unserer manuellen 
Leistungen. 


V. 

lieber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur und deren 
physikalische Behandlung. 

Bemerkungen zu dem Aufsatze von P. Lazarus auf S. 550ff. dieser Zeitschrift. 

Von 

Dr. Ludwig Mann, 

Privatdocent in Breslau. 

In seinem oben bezeichneten, sehr lesenswerthen Aufsatze entwickelt der Ver¬ 
fasser eine Auffassung von der Genese der hemiplegischen Kontraktur, welche mit 
einer früher von mir aufgestellten Theorie und, wie mir scheint, auch mit mancherlei 
Thatsachen im Widerspruch steht. Es dürften daher einige Bemerkungen zu dem 
Aufsatze von Interesse sein. 

Der Verfasser geht von der Anschauung aus, die früher schon in mancherlei Modi¬ 
fikationen ausgesprochen worden ist, dass die Leitungsunterbrechung der Pyramiden¬ 
bahn einmal eine Abschwächung der motorischen Innervation, eine Parese, ausserdem 
aber eine Aufhebung der von der Rinde aus regulierten Hemmungen und damit eine 
Hypertonie (die sich in Kontraktur äussert), zur Folge habe. Beide Erscheinungen 
gehen nach Lazarus einander parallel, so dass dieselben Muskelgruppen (und 
hier liegt der wichtigste Gegensatz zu meiner Theorie!), die paretisch sind, gleich¬ 
zeitig auch Hypertonie zeigen. Als klinischen Ausdruck der Hypertonie betrachtet 
Lazarus die Steigerung der Sehnenrefexe, sowie der mechanischen und elektrischen 
Erregbarkeit, Erscheinungen, die sich in allen paretischen Muskeln, sowohl den 
Agonisten wie auch ihren Antagonisten finden sollen. Dass die hemiplegische 
Lähmung »dissociiert« ist, d. h. dass die einzelnen Muskeln in ungleichmässigem 
Grade von ihr befallen werden, soll daran liegen, dass die verschiedenen Muskel¬ 
gruppen auch unter physiologischen Verhältnissen verschieden grosse Kraft besitzen, 
z. B. die Handschliesser kräftiger sind wie die Handöffner u. s. w. Infolge dieses 
Unterschiedes zeigen bei der Hemiplegie die schon von vornherein schwächeren 


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Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc. 


677 


Muskeln einen relativ grossen Ausfall an Kraft. Gleichzeitig aber entwickelt sich 
auch die Hypertonie proportional den physiologischen Verhältnissen, so dass die 
stärkeren Agonisten ein Plus an Tonus, die schwächeren Antagonisten ein relatives 
Tonusdefizit haben. Beide Muskelgruppen haben einen gesteigerten Tonus, aber die 
Kontraktur wird sich in jenen Muskelgruppen ausbilden, welche schon physiologisch 
das relative Uebergewicht an Kraft und Tonus haben. Je vollständiger die Parese, 
desto stärker soll demnach die Kontraktur sein; bei totaler Zerstörung der inneren 
Kapsel soll komplete Paralyse des Armes und der höchste Grad hemiplegischer 
Kontraktur erfolgen. 

Diese Auffassung, die ja zunächst einen sehr einfachen und verständlichen Ein¬ 
druck macht, kann einigen Thatsachen nicht Stand halten, die ich zum Theil bereits 
in meinen früheren Arbeiten angeführt habe. Um sogleich mit der letzten Bemerkung 
zu beginnen, so ist es ganz entschieden nicht richtig, dass der höchste Grad der 
Kontraktur sich bei totaler Durchtrennung der motorischen Bahn findet. Man denke 
nur an die hohen Quertrennungen des Rückenmarkes. Hier wären ja nach Lazarus 
sicher alle von der Rinde aus regulierten Hemmungen fortgefallen, und wir müssten 
demnach die stärksten hypertonischen Kontrakturen finden. Thatsächlich ist in 
diesen Fällen die Lähmung aber immer absolut schlaff. Auch bei den früher von 
mir beschriebenen — allerdings sehr seltenen — Fällen von Hemiplegie, bei denen 
die Lähmung dauernd eine totale bleibt, bei denen wir also eine vollständige Unter¬ 
brechung der motorischen Bahn annehmen müssen, bleiben die Kontrakturen aus 1 ). 

Die höchstgradigen Kontrakturen finden wir vielmehr in denjenigen Fällen, 
in welchen der »hemiplegische Lähmungstypus< am ausgesprochensten ist, in welchem 
also gewisse Muskelgruppen gelähmt sind, ihre Antagonisten aber ihre motorische 
Kraft bewahrt haben. Es sind das also Fälle, bei welchen die motorische Leitungs¬ 
bahn theilweise intakt sein muss 3 ). 

Das klarste Beispiel dafür bietet das hemiplegische Bein. Um aber das Ver¬ 
halten der Kontraktur an demselben zu besprechen, muss ich mich mit Lazarus 
zunächst über die Untersuchungsmethode verständigen, die man den Kontrakturen 
gegenüber anzuwenden hat. 

Für das Vorhandensein oder Fehlen der Kontraktur ist einzig und allein der 
Widerstand maassgebend, der sich passiven Bewegungsversuchen (und zwar raschen 
und brüsken Bewegungen) in den verschiedenen Bewegungsrichtungen entgegenstellt. 
Die Steigerung der mechanischen und elektrischen Erregbarkeit sowie der Sehnen- 


Natürlich sind hier immer nur die echten hypertonischen (spastischen) Kontrakturen gemeint. 
Passive Kontrakturen, d. h. Retraktion der Muskeln, deren Ansatzpunkte einander genähert sind, 
kommen häufig ausserdem hinzu und können sich natürlich auch bei den oben erwähnten totalen 
Hemiplegicen finden. Man kann beide Arten der Kontraktur schon an der Art des Widerstandes 
unterscheiden, den sie bei passiven Bewegungen darbieten. Crocq giebt an, dass sie sich auch 
dadurch unterscheiden lassen, dass bei Umschnürung des Gliedes mit der Esmarch'sehen Binde 
die hypertonischen Kontrakturen verschwinden, während die passiven (oder Pseudokontrakturen) 
bestehen bleiben. 

<0 Ich bemerke, dass ich mich in einer früheren Arbeit leider ungenau ausgedrückt habe, in¬ 
dem ich sagte, dass »die Vorbedingung für das Zustandekommen einer Hypertonie die Intaktheit 
der Pyramidenbahn« ist. Natürlich muss es die »theilweise Intaktheit« heissen! Aus dem Zu¬ 
sammenhang der betreffenden Stelle geht der Sinn hervor, dass, wenn eine Hypertonie zu stände 
kommen soll, einem Theil der Muskeln noch intakte Leitungswege in den Pyramidenbahnen zur Ver¬ 
fügung stehen müssen. Fällt für diese, noch willkürlich beweglichen Muskeln dann die Hemmung 
(durch Lähmung ihrer Antagonisten) fort, so entwickelt sich in denselben die hypertonische Kontraktur. 


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678 


Ludwig Mann 


reflexe, welche Lazarus als Kriterium anführt, ist durchaus nicht immer beweisend. 
Erstere fehlt sehr häufig, und die letztere geht zwar meistens, aber durchaus nicht 
immer der Hypertonie parallel. Nicht nur von mir, sondern auch von anderen 
Autoren (z. B. van Gehuchten) ist darauf hingewiesen worden, dass das Verhalten 
der Sehnenreflexe und des Muskeltonus durchaus nicht immer übereinstimmt, in¬ 
dem in manchen Fällen Steigerung der Sehnenreflexe mit Verminderung des Muskel¬ 
tonus (Atonie) vergesellschaftet sein kann. Also die Beobachtung der Sehnenreflexe 
kann uns nicht das beweisende Kriterium für das Vorhandensein von Hypertonie 
bilden. Letzteres finden wir vielmehr nur in der Untersuchung der passiven Beweg¬ 
lichkeit. Wenn man ein typisch hemiplegisches Bein im Kniegelenk hin- und her¬ 
bewegt, so findet man einen sehr bedeutenden Widerstand bei der Beugung, dagegen 
geht die Streckung abnorm leicht, federnd vor sich. Ebenso ist im Fussgelenk die 
passive Dorsalflexion sehr schwer, die Plantarflexion ganz leicht ausführbar. Es 
sind also die den erstgenannten Bewegungen entgegengesetzt wirkenden Muskeln, 
nämlich der Quadriceps und der Gastrocnemius in Hypertonie, ihre Antagonisten 
aber in Atonie. Untersuchen wir aber nun die aktive Bewegungsfähigkeit des 
Patienten, so finden wir, dass er die Streckung des Unterschenkels und die Plantar¬ 
flexion des Fusses sehr kräftig ausführen kann, während die entgegengesetzten 
Bewegungen (Beugung des Unterschenkels und Dorsalflexion) hochgradig paretisch 
sind. Diese paretischen Muskeln sind aber, wie oben erwähnt, nicht hypertonisch, 
sondern im Gegentheil schlaff. Ich muss also auf Grund dieser Beobachtungen, die 
ich unzählige Male gemacht habe, und die sich in ganz analoger Weise auf den 
Arm übertragen lassen, Lazarus ganz entschieden widersprechen, wenn er sagt, 
dass bei der Hemiplegie die Parese mit Hypertonie einhergeht. Vielmehr ist die 
Parese der einen Muskelgruppe mit Hypertonie ihrer (relativ gut funktionierenden) 
Antagonisten verbunden, und es ist die Hypertonie um so hochgradiger, je aus¬ 
geprägter dieser »hemiplegische Lähmungstypus« oder, wie sich Lazarus ganz 
treffend ausdrückt, die »dissociierte Muskellähmung« ist. 

Uebrigens möchte ich Lazarus noch darauf aufmerksam machen, dass auch 
das Verhalten der Sehnenreflexe, welches er anführt, welches ich aber doch 
nicht durchweg als ein vollgültiges Kriterium anerkennen wollte, in den meisten 
Fällen in meinem Sinne spricht. Die Reflexsteigerung am Beine können wir näm¬ 
lich hauptsächlich an zwei Sehnen feststellen, der Patellarsehne und der Achilles¬ 
sehne. Dies sind aber gerade die Sehnen derjenigen Muskeln, welche ich oben als 
hypertonisch bezeichnet habe, während ihre Antagonisten (die Beuger des Unter¬ 
schenkels und Dorsalflexoren des Fusses) keine Steigerung der Reflexerregbarkeit an 
ihren Sehnen zeigen. Letzteres müssten wir aber doch erwarten, wenn die Ansicht 
Lazarus’ zuträfe, dass die Hypertonie sich auf sämmtliche Muskeln der pareti¬ 
schen Extremität erstreckt. 

Ich glaube also, dass ich meinen früher aufgestellten Satz, nach welchem bei 
der Hemiplegie nur ein Th eil der Muskulatur hypertonisch ist und zwar gerade 
derjenige Theil, welcher seine motorische Kraft relativ am besten bewahrt hat, in 
vollem Umfange aufrecht erhalten kann. Zur Erklärung dieser Thatsache sehe ich 
auch heute keine andere Möglichkeit als die von mir aufgestellte Theorie: Die erregen¬ 
den Impulse für eine bestimmte Muskelgruppe verlaufen in der Pyramidenbahn zu¬ 
sammen mit den hemmenden Impulsen für ihre Antagonisten. Fallen also infolge 
von Leitungsunterbrechung die erregenden Impulse für eine Muskelgruppe ans, so 


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lieber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etc. 679 

sind damit gleichzeitig die hemmenden für die Antagonisten abgeschnitten; die 
Antagonisten der gelähmten Muskeln werden also hypertonisch. 

Nun hat aber Lazarus noch eine Frage angeregt, welche für die ganze Lehre 
von der Hemiplegie ausserordentlich wichtig ist, nämlich die Frage nach der Ursache 
der dissociierten Lähmung: wie kommt es, dass bei der Hemiplegie nur ein Theil 
der Muskeln gelähmt ist, oder genauer gesagt, dass die Lähmung gewisse Muskel¬ 
gruppen ganz überwiegend befällt, während ihre Antagonisten relativ intakt sind? 

Lazarus macht in dieser Beziehung die sehr richtige und zutreffende Be¬ 
merkung, dass schon unter physiologischen Verhältnissen ein Unterschied zwischen 
den verschiedenenen Muskelgruppen besteht, in dem Sinne, dass die einen ganz 
konstant die anderen an Volumen und Kraft über wiegen. So sind die Handschliesser 
kräftiger wie die Handöffner, die Pronatoren kräftiger wie die Supinatoren, die 
Strecker de$ Unterschenkels kräftiger wie die Beuger, die Plantarflexoren kräftiger 
wie die Dorsalflexoren etc. 

Diese physiologische Verschiedenheit will nun Lazarus (und vor ihm hat 
übrigens D 6j er in e bereits dieselbe Auffassung vertreten) zur Erklärung des hemi¬ 
plegischen Lähmungstypus verwenden. Er denkt sich, dass durch die hemiplegische 
Lähmung die gesammte Muskulatur der betreffenden Extremität an Kraft einbüsst, 
dass sich aber naturgemäss die Lähmung an denjenigen Muskeln besonders bemerk- 
lich machen muss, welche schon physiologisch eine relativ geringe Kraft besitzen. 
Die Dissociation der Lähmung wäre also nur eine scheinbare, durch das ungleiche 
physiologische Verhalten der Muskeln bedingte. 

In der That stimmen die Thatsachen sehr gut mit dieser Auffassung über ein, 
denn wir sehen wirklich, dass die physiologisch relativ schwachen Muskelgruppen 
die bei der Hemiplegie vorwiegend paretischen sind. Ich erinnere nur an die Dorsal¬ 
flexoren des Fusses, die Handöffner, die Supinatoren etc. Aber trotzdem genügt 
die Lazarus’sche Auffassung keinesfalls zur Erklärung des hemiplegischen Lähmungs¬ 
typus. Wer jemals typische Fälle von hemiplegischer Lähmung beobachtet hat, 
wird gesehen haben, dass die Differenz zwischen den gelähmten Muskeln und ihren 
Antagonisten so kolossal ist, dass es sich nicht einfach blos um einen verstärkten 
Ausdruck der physiologischen Kraftdifferenz handeln kann. 

Gewiss sind z. B. die Dorsalflexoren des Fusses im Normalzustände etwas 
weniger kräftig wie die Plantarflexoren (genaue Zahlen existieren darüber meines 
Wissens nicht, sie würden aber recht werthvoll sein); aber immerhin sind auch die 
Dorsalflexoren eine ausserordentlich kräftige Muskelgruppe. 

Wenn man einem in Rückenlage liegenden gesunden Menschen aufgiebt, seine 
Füsse kräftig dorsalflektiert zu halten, und nun versucht, mit dem Aufgebot der 
gesammten Händekraft ihm die Füsse plantarwärts herabzuziehen, so gelingt das 
nicht. Eher zieht man den gesammten Körper des Patienten inklusive seines Bettes 
zu sich heran, ehe man seine Füsse nach abwärts bringt. 

Untersucht man dagegen einen typischen Hemiplegiker, so ist diese sonst so 
kräftige Muskelgruppe völlig gelähmt oder wenigstens so hochgradig paretisch, dass 
der Patient nicht einmal die Eigenschwere des Fusses zu überwinden und seine 
Spitze kaum einen Centimeter zu heben vermag. Dagegen finden sich bei demselben 
Patienten die Antagonisten, die Plantarflexoren so kräftig erhalten, dass der Patient 
den kräftigsten Widerstand der Hände zu überwinden und die Fussspitze demselben 
entgegen herabzudrücken vermag. 

Dieselbe evidente Differenz in der Lähmung fiudenjwir auch bei anderen Muskel- 


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f>SO Ludwig Mann, Ueber die Theorie der hemiplegischen Kontraktur etr. 

gruppen und ihren Antagonisten, und es geht daraus unzweifelhaft hervor, dass es 
sich bei der Hemiplegie nicht einfach um eine Steigerung der schon normalerweise 
vorhandenen Kraftdifferenz zwischen einzelnen Muskeln handelt, sondern dass wirklich 
einzelne und zwar ganz konstante Muskelgruppen (die wir nach Wern icke’s Vor¬ 
gang »Prädilektionsmuskeln« zu nennen pflegen) von der Lähmung ganz überwiegend 
getroffen werden. Zur Erklärung dieser Thatsache scheint mir nur die Annahme 
möglich, dass die Leitungswege für gewisse Bewegungsformen in den Pyramidenbahnen 
günstiger gestaltet sind wie die für die antagonistischen Bewegungen. Denken wir 
uns etwa, dass den Impulsen für gewisse Muskelgruppen nur ein engbegrenzter 
Querschnitt in der Pyramidenbahn zur Verfügung steht, während die Innervation für 
die antagonistischen Muskeln auf einem breiten, diffuse über die ganze motorische 
Bahn sich verbreitenden Querschnitt vor sich geht, so wird es verständlich, dass bei 
einer partiellen Leitungsunterbrechung jedenfalls immer noch ein genügender Inner¬ 
vationsstrom zu den letztgenannten gelangen kann, während die ersteren durch eine 
kleine, partielle Läsion der Pyramidenbahn schon total gelähmt sein können. Wir 
können diese Auffassung auch ganz gut in einen gewissen Zusammenhang mit dem 
von Lazarus betonten ungleichen Verhalten der physiologischen Kraft bringen, indem 
es ja durchaus einleuchtend erscheint, dass den Muskelgruppen, die physiologisch dazu 
bestimmt sind, eine besonders grosse Kraft zu entfalten, besonders günstige Leitungs¬ 
wege in den centralen Bahnen zur Verfügung stehen. Wie man sich aber die An¬ 
ordnung dieser Leitungswege auch denken möge, so ist doch jedenfalls so viel sicher, 
dass es sich bei dem hemiplegischen Lähmungstypus um eine wirkliche, durch die 
Beschaffenheit der centralen Leitungsbahnen bedingte Dissociation der Lähmung und 
nicht blos um den verstärkten Ausdruck einer physiologischen Kraftdifferenz handelt. 

Damit wären in der Hauptsache die Punkte gekennzeichnet, in denen ich mich 
in der theoretischen Auffassung der hemiplegischen Kontraktur im Gegensatz zu 
Lazarus befinde. Bezüglich seiner praktischen therapeutischen Ausführungen kann 
ich ihm in allen wesentlichen Punkten nur durchaus beistimmen. Auch ich habe 
die Erfahrung gemacht, dass eine frühzeitige systematische Behandlung mit passiven 
und aktiven Bewegungen sehr viel für die Verhütung resp. Beseitigung der Kontrak¬ 
turen leisten kann und begrüsse es als verdienstlich, dass Verfassser in so nach¬ 
drücklicher Weise auf diese Behandlungsmethode aufmerksam gemacht hat 

Nur in einem Punkt mussich auf einen Widerspruch aufmerksam machen. Bei 
Besprechung der Elektrotherapie sagt Lazarus, dass man die hypertonischen Muskeln 
sedativ behandeln, ihre Antagonisten aber natürlich einer erregenden Methode unter¬ 
ziehen müsse. Wie verträgt sich das mit den vorangehenden Ausführungen des 
Verfassers, nach welchen die Agonisten und die Antagonisten hypertonisch sind? Ist 
es rationell, dass der eineTheil der Muskeln trotz seiner Hypertonie noch »erregende 
behandelt wird? Nein, gewiss nicht! Aber trotzdem ist das praktische Vorgehen, 
welches Lazarus angiebt, das richtige. Nur verträgt es sich nicht mit seiner 
eigenen, sondern nur mit meiner Auffassung, nach welcher ein Theil der Muskeln 
paretisch ist — und diese müssen erregend behandelt werden —, die antagonistischen 
Muskelgruppen sich dagegen in Hypertonie befinden, weshalb sie einer sedativen 
Behandlung bedürfen. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


6S1 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

M. Rubner, Der Energievrerth der Kost des Menschen. Zeitschrift für Biologie Bd.42. 

Die Berechnung des Energiewerthes der Nahrung wird bei Stoffwechseluntersuchungen fast 
durchweg nach den vor langer Zeit von Rubner angegebenen »Standardzahlen« (Eiweiss = 4,1, 
Fett = 9,3, Kohlehydrat = 4,1 Kalorieen) ausgeführt. Diese Zahlen haben nach Rubncr'B früherer 
Berechnung zunächst nur für die gemischte Kost des Menschen Geltung; ob sie für den kalorischen 
Werth der einzelnen Nahrungsmittel, und ob sie auch für komplizierte Nahrung hinlänglich genaue 
Resultate liefern, war erst noch zu erweisen. 

Rubner zeigt nun in der vorliegenden Abhandlung an einer grösseren Zahl von Einzel - 
versuchen, dass bei genauer kalorimetrischer Untersuchung sämmtlicher Einnahmen und Ausgaben 
mittels der Bcrthelot’sehen Bombe die direkt bestimmten und die mittels der Standardzahlcn be¬ 
rechneten Werthe fast genau übereinstimmen, sowohl, wenn die Kost ausschliesslich aus Milch, 
Fleisch, Kartoffeln oder Brot bestand, als auch, wenn fettarme oder fettreiche gemischte Kost ver¬ 
zehrt wurde. 

Dabei ergaben sich noch einige wichtige Resultate über die Ausnutzung der Nahmngsstoffe 
im Körper. Der »physiologische Nutzeffekt« der mit den einzelnen Nahrungsmitteln zugeführten 
Kalorieen ist für Kartoffeln 92,3 o/ 0 , für gemischte fettreiche Kost 90,9, für gemischte fettarme Kost 
89,3, für Kuhmilch 89,8, für Kornbrot 82,1, für Kleienbrot 73,5 (24% im Koth, 2,2 im Harn ver¬ 
loren), für reine Fleischkost 76,8 (6,9% im Koth, 16,3 im Ilam verloren). 

Interessant ist ferner, dass die organische Substanz des Kothes bei ganz verschiedener Er¬ 
nährungsweise doch fast gleichen prozentischen Kaloricengehalt zeigt (1 g organische Trockensubstanz 
des Kothes nach fettreicher Kost liefert 6,104 Kalorieen, nach fettarmer Kost 6,059). Es wird also, 
von der extremen ungünstigen Ausnutzung bei sehr zellulosereicher Nahrung abgesehen, eine in 
kalorimetrischem Sinn gleichartige Masse von Abfallstoffen gebildet, so grundverschieden auch die 
Natur des Eingeführten an Nahmngsstoffcn sein mag. 

Auch die Kalorieenwerthe für die organische Substanz der Nahrung schwankten bei ganz 
verschiedener Ernährungsweise relativ wenig (l g organische Substanz liefert 4,2 Kalorieen bei 
Brot-, 4,2 bei Kartoffel kost, 4,9 bei gemischter magerer, 5,1 bei gemischter fettreicher Kost, 5,9 
nach Fleisch-, 5,7 nach Milchkost); der Verbrennungswerth für 1 g Organisches der Nahrung ist bei 
fast jeder Ernährungsweise etwas geringer als der für 1 g Organisches der zugehörigen Fäces. 

Kalorimetrische Untersuchungen des Harns ergeben, dass bei recht verschiedener Ernährungs¬ 
weise das Verhältnis des N zu dem Kalorieenwerth des Harns nur zwischen engen Grenzen schwankt 
(6,4—8,4), dass also fast ausschliesslich die N - haltigen Bestandteile des Harns dem Körper noch 
verbrennbares Material entziehen, und dass nicht etwa noch C - haltige Schlacken aus N-freier 
Nahrung im Ham ausgeschieden werden. D. Gerhardt (Strassburg). 


M. Rubner, Beiträge zur Ernährung im Knabenalter mit besonderer Berücksichtigung der 
Fettsucht. Berlin 1902. 

In der 80 Seiten starken Monographie berichtet der Verfasser über Stoffwechsel versuche, die 
er an zwei Brüdern angestellt hat; der eine der Brüder, 11 Jahre alt, zeigte normale Entwickelung, 
wog 26 kg, der andere, 10 Jahre alt, war ausgesprochen fettsüchtig; bei derselben Grösse, wie der 
ältere Bruder, wog er 40 kg. Bei möglichst sorgfältiger Anordnung der Versuche (Ausdehnung der 
Versuche auf vier Tage, Bestimmung der Kost, der N-Ausgaben, der C0 2 -Abgabe, kalorimetrische 
Untersuchung sämmtlicher Einnahmen, sowie des Koths und Harns) ergab sich, dass der Fett¬ 
süchtige keineswegs abnorm geringen Stoffumsatz hatte, sein Kraft Wechsel stimmte (bei »Erhaltungs- 


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Hvfevs&v fibtvr Bfb*.her und Aufsätze 


»UatVi mit tWui vibiV. gleich schweren Pfunden .Vidlfcoiü'fHö« uherefn «Jul ubennif den dt** M V.,: 
kuViiteivri Bmders ujti ca. üm Kalwfjeea. Dabei m *\i befouem das* die Ve^no.ii>|mr^cven *i.ch iu 
d(dii, \^^(jhör-aüni. .zföiöifciiv kbhnt^u ; das« div ilus^ew .Bedingungen sii^h >iei 

mehr »(6^0)1 riien ' crhfdtrugen dm turnben wäimArui ab* bei v 1 ;>sw< t! j.%elvmmbcn tult ' : &.»deiVB 

M cümivn. /.'/\ • 1 d •' v . * 1 , :* t •': . r v/m ■. v iV ■ k \- 

Dot Ääi ci'i 1 r,ei .1 nrf pro Kilugfc.u um• K»Vpnnxr ev : *Md wpr bei dem Fetten absolut kleiner, -ah 
berrn Mageren (dl gegen ; .nitU weriii mau dai abgelagerte Fett, im,.Ateägvfanogt 

(üiijf;b dein fpB»tf isdiin Öftwieltt tfe* Knaben sebltzf fiuboier e* ^bf -cftva • wn 
g^ißitäk »himk brauchte, der Muger.t* 'Mi dm Feuv mn d.V Kctlorimi pro KihufnmVm. Ihxgegou m- 
gaben sieh fast. gleielve. Word»r, Wenn der Jkniarf auf gleiche Knrpertiberflikh»' beredifitff v/nrdc: ftf>> 
^urklrntmeteb t^) Kaiöfjiben i>wu Mzgeüti letten, ReV friUctmi hatte 

Hübner eine ähnliche lUdi.enrmviinmVung ch>: Kniflvm'lwwU keim Yergieieh' eüu** u^XßftvH und 
riiiet- (♦•iten Dr>vncfiseüeu gefumlen 

Hntinei* «riebt hw Itasef ChlogjmheH )ut&Whdihli Ehu^idp zu ebiMÄftten* »Si- von 
Betudeir üöd. Ti gi x v &tedt u. n. gügien diipöc l^dir» v<*tt djtefc il#r V tiüffcvrtrtkt 

ven der KurpernbcrHaehe erhoben nimTeu. 

Eine Helion- Erklärung TOr die Entstehung . der • Ftoi f wechsdanumal t*: beim I Ktsu^tjgeu 
kbiiiik* auf dph nicht Däjah Vist; 

feliubE dass hier miiht das ^tibliuiii dmk ‘ 'rljbi& der aufgebihietea ’fkiit&iwUx 

untersucht s\indr. Vis Abunente w <de.be etwa für Hntstehung der Anomalie in Bet nicht .kotmuea 
kennoen / iiennv Eubrjer die jSjx .. der Emähmng und die etwae mangelhafte Au^im^oag e- - 
f'iiveir^rs iui Dnmi des Knaben: brides filbitr. tin/u. du^ä d*:ui Körper, relutn uvjng l iwrit- 
um} relativ viel Fwt uml. ßtih-lehydraie wiigelilhr! Vurdob. wodurch der KeuansaU begünstig: 
w erden musste. 

Du leUlen Kapit* I besi*neht f}uirUgV »iiv Veih^jtnirse■der iV;tosn \ erdunHung bei der F’ttt.- 
Hiolu auf Virumi fruhv^er .1»* Jinvaebseneu- ange>te!iter VN’rsuche Bei iüirt|en*r Teuipe^itur un*\ 
röthj^lgt^ l'-i'uehfigkfii der .hutr v\*riialten sivh in Ke/dplmng iicr;?f %ttp. iiiid der Magere gldelre 
bei hoifur AUaftim wanne u ?rd 'besonderv. Inn hoher LurtlVnehtjgkelt liiuW der Fetu v ilugvgea, uiu eia 
.Ausleigen ht inor Kdq«ww\%uii' zu veriueider», ungleieb viel mein- Wasser Verdunstern /.uimih wenn *n 
dnbi i korpeiTiciie Arluvit auoführt. und ‘mü uftgünstigen -A ns^e.tibeilijiguugeii. kmnnjt dm Ym*hvU\ um 
rpd eihea Funkt, ivv>, er ht\*p> Ätaektu Vrip triia^• 

v\nka(di^n Äbivr IVmpvnUur idelit leejir veHimdcr« kann. £%durcii ^?fd .'die-T^feDingidÄhiglitdt 
de^ 1 ‘V‘i^tVej«tigert unter »'mu-ioden b. fjaduüch-• einge-iehmnkf; ku'« wird weiter vmnimh jt d?»durcb 
dnsi jede A rfieit ^ehon wegen tU 1 gro.vf #c$u zu hv^H^ehdeh l^asse p iw vre A üfdrdemngvin ah den 
ritaHVeei^r! -»eUl 

>vidi ? ;>dicb vu-of Lvubuer etile l 1 (^au>met^o-M 11 ng • i\i b b<d Me ischcii eerSehii dcuf^! Akm- < r- 
luilieöi n Wvitje* Ijb' dö Wi»^*er<!an;plnlfgabv (bei Knrpcrruhe und mittlerer Anssemempmfuf i|4 
ihr -rchmut ,m b.jgi-n diivv itne.h die iyas^crthlm}>fa(»gäbe .uiiirdierttd propurthmal ist der Ko«pcr- 
olmrlhivhe . D ^isvhö);dt 


itfr hilitheiiÄiitllaiig Mirgeukiröttkör, 

tgtihiiit, rFt.• ifü^kt. Mbdieui. Bl. \: ffcTi 


\Y ft it ii arg er A b h a nrU. aus den» 


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Referate nter ßfiehlw tmxl Aufsätze, 


Werden Die (in ‘ßörin von starken .Bouillim* omi Saäweähöil^e mk 

gebratenem FkuseU'i l*e? HyperaeidlhU als soki*e.tioiiVor»t?lrke.ad‘tu lomden, bei 
Formen mit Fcirtheii zu ••’ÄlküholYka’-itafl* bei Steigerung (fer;-.SnftS!ekreiti0tt .^eltot ata 

Klymiata) r»Bei jtf agengesehwaren tritt ife--hinge ■iod^i^lztc ''• tp ihr’ 
KiX’ht, welehe auch bei schweren bSt^ig günstig wirkt. Bei Appetitiriai^el bprf be¬ 

sonders bei nervösen Dyspepsien ist wijt psyehisehe Behandlung Werth zu 'fegen... 

Für eine sicher bald zu erwartende zweite Äntiage xRjr mter^^anteii Behrifl mochten yyi'r dop 
Wimseh ausspreehen* den bei Mageneardhtho Ydrkc*mpien<te< A^j^etneidi-Hahigen Krankbeit^yinpfomiHn 
welche der Natur der Krankheit wach häufig.'eine'eigene Stellung uv diätetischer Beziehung eimieiunen, 
vielleicht eine- zu 

i; * v ,» / , ' . ■ ■ ■' Weg eh» Ißml ’fiSftjgäbornh 


€ f Siftdelroau«, F<d*er F.ntfMtuögjvkür©»* ßerlmfer, fcJiüiaehe Wochenschrift lööi Xu.i§> 

Hrarlelmaoft berichtet in diesem Vofcwg«? über einen gau* >\veplion eilen Fall vruTlfewiehvs- 
Ättnahtne bei einer Patientjij ; riie r ein Jahr lang zur Bett ruht} verurtlnili. in dieset Zeit ihr urspriing; 
Utdies Oeivicht von HO Pfund mehr als verdoppelt- hatte Dabei wai* th\\SalriUHgsäufüahmi v durch- 
"aiiÄ keine übermässige gewesen, Ihr kalomelieV Wfcrih 'wteywüi-nut' Myen .uvntf ■fyai.ünebii’. viw tune 
Bcobaehtung^eft lehrte» die dem Vorau»%v einer Knriemnigskur. vorausgitig 

D'mi* Kur« die ein volles Jahr dauerte, bestand in einer Di)VL deren Brehnwerrii nur lOOo 
KaJbtiecb betrug; mit Ihr \y tmle die ÄtisH^roixkfOtliebe O^wlehteabuahtne v*«t: Igö Wund erzielt 
Daneben wurüen alle übrigeu hekaimieu and gm^thifpu HÜtf»miftel bxM durch* 

probiert wirikaren, Malaga, Kl^jtlTxilSt];; Ve.rfnwT' h«t nicht den 

Kiudmck gehabt, dass der Nutzen dieser Maassny hmen objektiv ein grosser gewesen wäre. 

ho Ansehlu&s an diesen Fall bespricht Stndilmaiu» kritisch die typischen IStitfgttürfgskiimn 
von Harvcy Bonting. Lhsvein Oeruri und Schw;euin:ger und gehr speziell auf die Frage 
der nfeigkeitsenrziehRrig bei Ueduktionskuren ein, So i^gensroveh dieselbe da wirken kann, wo 
wir bei Kranken uiit Horzbesehwevricn' eine Schonung' der Hxu^rhnrigkeif herbei führen, wolk-n. *0 
w«mg kann .als ein Prinzip bei ßnifüttungskuren die Irinseh mit kling dar 'Fl^igkutsnitfUyifiM'e jvip 
erkannt werden. 

Besonder«' scharf greift Sfadolmauu die Behauptung SchweiuogerD ao« dass trockene 
Mahlzeiten viel fjfaer zur Bhrffjttong fCttefb gleich Wa welchen getruukein wird. Exiikro 

Experimente, wie De ilfrsghhrid iHw diesen Punkt aögu&teüt hat* bowniSeii ^tnf d^ eVtdt^e^U* 
die Haltlosigkeit dtoor,Annafetie Auch die erW|hnM ; Pariehtin t , beJ eine .so bedeutende Oo- 
widitobnahme -erzielt worden. Di* war in Bezug ’mf ',Fi0?sigkeifsziifu.hr — ' dazu gehören nariirib b 
nicht äikohol- oder koldehydratreirho De tränke, denen ja durch diesen Oehalt Du riithtmicFbeblicliei* 

kalorisehe'i* Werth 'urhewohnt . unbeschränkt Sie durfte WÄer, *0 viel De und' bei jeder 

Mahlzeit' trinken, ohne dass der Effekt der Nabrungsentziehang dadurch s creiieli v/mtk sicher* 
lieh ein schlageodes Beispiel gegen die Sch t« n »,n g c r * sehe* Lehre. 

V, l\ Richter (BerSmi. 


Hugo Ät«rek, Die IHvvwÜkeF der Sptdscrü&rL 


Leipzig ibOO. 

Verfasser hat: sieb der ebenso nDh«u ? .!igeij als dankbaren Aufgabe umeivogen, das in «h* 
Littc-rano nbe» die im I^itel gCMunutv Idkiankung ^wtreute Material kritisch zu Dchtcn und unter 

>Ä umfaasenden 


das lirenia erschöpf enden, 
i : ,v fvD •erliSII:.x r or allem durch die krit&cho Art mit 

i viUKHi iorriMiebeii rJitiiKen zusanimenfügt, ihren Wertli und 
0 o ; FVi-vi. vb»eu wt^ndiehen Fortachritt. ■'.Scho.n dadurch, 
o. o Zeiten zurück {bis zürn n> Jaiirhunderf) ein* 

;?.h*h '-D''ib ; c *.-Dt; D»nk<>L • der A'binhiaftsiing- bat, Dcb mit. den 
* V«Tfashiu dieilr die Divertikel ein in IVak- 
it’br -Ucib'brib'b AeÖoIogie,, Ptpgiio^c üüd 

tOoL w*i: itfier den Raitmeh eines Icdi'gliclf die Liftemtur 

V diirchuiis ^Ib^t^rligc 

•o• rovubt y* re lATabrimgen * die gerade' auf diesem <>»‘biet 
*» • Artete Bok'gCuliCit haben., die vom. .Vurfa-scr 


bo,' i fHty.cHji oft. - 

iOC i yVVvtih .oVadiua« Jbodouddjoigefi 

IAib \yc 

^ bis 




682 Referate über Bücher und Aufsätze. 


diät«) mit dem eines gleich schweren Gesunden vollkommen überein und übertraf den des 14 kg 
leichteren Bruders um ca. 300 Kalorieen. Dabei ist zu betonen, dass die Versuchspersonen sich in 
dem Versuchsraum ziemlich frei bewegen konnten, dass also die äusseren Bedingungen sich viel 
mehr den gewohnten Verhältnissen der Knaben näherten, als bei Gaswechsel versuchen mit anderen 
Methoden. 

Der Kalorieenbedarf pro Kilogramm Körpergewicht war bei dem Fetten absolut kleiner, ah 
beim Mageren (43 gegen 52); und wenn man das accessorisch abgelagerte Fett in Abzug bringt 
(nach dem spezifischen Gewicht des Knaben schätzt Rubner es auf etwa ein Drittel des Körper¬ 
gewichts), dann brauchte der Magere 52, der Fette nur 35 Kalorieen pro Kilogramm. Dagegen er¬ 
gaben sich fast gleiche Werthe, wenn der Bedarf auf gleiche Körperoberfläche berechnet wurde: pro 
Quadratmeter 1290 Kalorieen beim Mageren, 1321 beim Fetten. Bei früheren Versuchen hatte 
Rubner eine ähnliche Uebereinstimmung des Kraftwechsels beim Vergleich eines mageren und 
eines fetten Erwachsenen gefunden. 

Rubner sucht bei dieser Gelegenheit ausführlich die Ein wände zu entkräften, die von 
Sondön und Tigerstedt u. a. gegen diese Lehre von der Abhängigkeit der Verbrennungswerthe 
von der Körperoberfläche erhoben wurden. 

Eine sichere Erklärung für die Entstehung der Stoffwechselanomalie beim Fettsüchtigen 
konnte aus den Versuchsresultaten nicht gewonnen werden. Daran ist vielleicht der Umstand 
schuld, dass hier nicht das Stadium der Entstehung, sondern das der ausgebildeten Fettsucht 
untersucht wurde. Als Momente, welche etwa für Entstehung der Anomalie in Betracht kommen 
könnten, nennt Rubner die Art der Ernährung und die etwas mangelhafte Ausnutzung des 
Eiweisses im Darm des Knaben; beides führte dazu, dass dem Körper relativ wenig Eiweiss 
und relativ viel Fett und Kohlehydrate zugeführt wurden, wodurch der Fettansatz begünstigt 
werden musste. 

Im letzten Kapitel bespricht Rubner die Verhältnisse der Wasserverdunstung bei der Fett¬ 
sucht auf Grund früherer an Erwachsenen angestellter Versuche. Bei mittlerer Temperatur und 
massiger Feuchtigkeit der Luft verhalten sich in dieser Beziehung der Fette und der Magere gleich: 
bei hoher Aussenwärme und besonders bei hoher Luftfeuchtigkeit muss der Fette dagegen, um ein 
Ansteigen seiner Körperwärme zu vermeiden, ungleich viel mehr Wasser verdunsten, zumal, wenn er 
dabei körperliche Arbeit ausführt, und bei ungünstigen Aussenbedingungen kommt der Fettsüchtige 
viel eher als der Magere an einen Punkt, wo er trotz starker Wasserverdunstung ein bedrohliches 
Anwachsen seiner Temperatur nicht mehr verhindern kann. Dadurch wird die Leistungsfähigkeit 
des Fettsüchtigen unter Umständen beträchtlich eingeschränkt; sie wird weiter vermindert dadurch, 
dass jede Arbeit schon wegen der grösseren zu bewegenden Masse grössere Anforderungen an den 
Stoffwechsel stellt. 

Schliesslich giebt Rubner eine Zusammenstellung der bei Menschen verschiedenen Alters er¬ 
haltenen Werthe für die Wasserdampfabgabe (bei Körpemihe und mittlerer Aussentemperatur); aus 
ihr scheint zu folgen, dass auch die Wasserdampfabgabc annähernd proportional ist der Körper¬ 
oberfläche. D. Gerhardt (Strassburg). 


H. Strauss, Grundsätze der Diätbehandlung Magenkranker. Würzburger Abhandl. aus dem 
Gesammtgebiet der prakt. Medicin. Bd. 1. Heft 12. 

Der bekannte Verfasser, dessen rastlosem Fleiss wir so manchen Fortschritt in Diagnostik 
und Therapie der Verdauungskrankheiten verdanken, hat sich in vorliegender Abhandlung die 
dankenswerte Aufgabe gestellt, die Grundsätze für die diätetische Therapie Magenkranker, wie 
sich solche nach dem neuesten Stand der Wissenschaft und seiner eigenen Erfahrung ihm ergeben 
haben, zusammenfassend darzustellen. Dass es ihm in anerkennenswerter Weise gelungen ist, 
dieser Aufgabe bei möglichster Zusammendrängung des umfangreichen Stoffs in anregendster Form 
gerecht zu werden, wird jeder vorurteilsfreie Leser zugeben müssen. Aus dem reichen Inhalt seien 
nur nachstehende Punkte kurz hervorgehoben, welche die wesentlichsten Fortschritte der neuesten 
Zeit betreffen. Bei der Diätbehandlung Magenkranker ist neben dem Verhalten der Motilität und 
Sekretion der anatomische Zustand der Magenschleimhaut und der Einfluss psychischer Momente 
von Bedeutung. Für die Behandlung motorischer Störungen und sekretorischer Reizzustände ist 
die Fettdiät nicht nur als geeignete Ernährungsweise, sondern auch als direktes Heilmittel zu be¬ 
trachten. Bei der Bcurtheilung der Aciditätsverhältnisse sollte wegen der Steigerung der Gesamrat- 
acidität durch den Gehalt des Mageninhalts an Phosphaten vor allem die freie Säure berücksichtigt 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 683 


werden. Die Extraktivstoffe des Fleisches (in Form von starken Bouillons und Saucen oder roh 
gebratenem Fleisch) sind bei Hyperacidität als sekretionverstärkend zu meiden, bei entgegengesetzten 
Formen mit Vortheil zu verwenden. Alkoholika sind bei Steigerung der Saftsekretion (selbst als 
Klysmata) schädlich. Bei Magengeschwüren tritt die lange fortgesetzte Rektalemährung in ihr 
Recht, welche auch bei schweren Gastrektasien häufig günstig wirkt. Bei Appetitmangel und be¬ 
sonders bei nervösen Dyspepsien ist auf psychische Behandlung Werth zu legen. 

Für eine sicher bald zu erwartende zweite Auflage der interessanten Schrift möchten wir den 
Wunsch aussprechen, den bei Magencarcinom vorkommenden verschiedenartigen Krankheitssymptomen, 
welche der Natur der Krankheit nach häufig eine eigene Stellung in diätetischer Beziehung einnehmen, 
vielleicht eine besondere Berücksichtigung zu Theil werden zu lassen. 

Wegcle (Bad Königsborn). 


E. Stadelmann, Ueber Entfettungskuren. Berliner klinische Wochenschrift 1901. No. 25. 


Stadelmann berichtet in diesem Vortrage über einen ganz exceptionellen Fall von Gewichts¬ 
zunahme bei einer Patientin, die, ein Jahr lang zur Bettruhe verurtheilt, in dieser Zeit ihr ursprüng¬ 
liches Gewicht von 140 Pfund mehr als verdoppelt hatte. Dabei war die Nahrungsaufnahme durch¬ 
aus keine übermässige gewesen, ihr kalorischer Werth entsprach nur etwa 1500 Kalorieen, wie eine 
Beobachtungszeit lehrte, die dem Versuche, einer Entfettungskur, vorausging. 

Diese Kur, die ein volles Jahr dauerte, bestand in einer Diät, deren Brennwerth nur 1000 
Kalorieen betrug; mit ihr wurde die ausserordentliche Gewichtsabnahme von 120 Pfund erzielt. 
Daneben wurden alle übrigen bekannten und gerühmten Hülfsmittel bei Entfettungskuren durch¬ 
probiert (Thyreoidea, Hydrotherapie, Schwitzkuren, Massage, Elektrizität); Verfasser hat nicht den 
Eindruck gehabt, dass der Nutzen dieser Maassnahmen objektiv ein grosser gewesen wäre. 

Im Anschluss an diesen Fall bespricht Stadelmann kritisch die typischen Entfettungskuren 
von Harvey-Banting, Ebstein, Oertel und Schweninger und geht speziell auf die Frage 
der Flüssigkeitsentziehung bei Reduktionskuren ein. So segensreich dieselbe da wirken kann, wo 
wir bei Kranken mit Herzbeschwerden eine Schonung der Herzthätigkeit herbeiführen wollen, so 
wenig kann als ein Prinzip bei Entfettungskuren die Einschränkung der Flüssigkeitsaufnahmc an¬ 
erkannt werden. 

Besonders scharf greift Stadelmann die Behauptung Schweninger’s an, dass trockene 
Mahlzeiten viel eher zur Entfettung führen, als gleich grosse, bei welchen getrunken wird. Exakte 
Experimente, wie sie Hirschfeld über diesen Punkt angestellt hat, beweisen auf das evidenteste 
die Haltlosigkeit dieser Annahme. Auch die erwähnte Patientin, bei der eine so bedeutende Ge¬ 
wichtsabnahme erzielt worden ist, war in Bezug auf Flüssigkeitszufuhr — dazu gehören natürlich 
nicht alkohol- oder kohlehydratreiche Getränke, denen ja durch diesen Gehalt ein nicht unerheblicher 
kalorischer Werth innewohnt — unbeschränkt. Sie durfte Wasser, so viel sic wollte, und bei jeder 
Mahlzeit trinken, ohne dass der Effekt der Nahrungsentziehung dadurch vereitelt wurde — sicher¬ 
lich ein schlagendes Beispiel gegen die Schweninger’sehe Lehre. 

P. F. Richter (Berlin). 


Hugo Starek, Die Divertikel der Speiseröhre. Leipzig 1900. 

Verfasser hat sich der ebenso mühseligen als dankbaren Aufgabe unterzogen, das in der 
Litteratur über die im Titel genannte Erkrankung zerstreute Material kritisch zu sichten und unter 
Hinzufügung eigener Beobachtungen zu einer 200 Seiten umfassenden, das Thema erschöpfenden, 
Monographie zu verarbeiten. Die Arbeit des Verfassers erhält vor allem durch die kritische Art, mit 
der er die einzelnen Beobachtungen zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfügt, ihren Werth und 
bedeutet auf dem betretenen Gebiet in der That einen wesentlichen Fortschritt. Schon dadurch, 
dass der Verfasser die Litteratur bis in die ältesten Zeiten zurück (bis zum 16. Jahrhundert) ein¬ 
gehend berücksichtigt, verpflichtet er sich Jeden zu Danke, der Veranlassung hat, sich mit den 
Divertikeln der Speiseröhre genauer zu beschäftigen. Verfasser theilt die Divertikel ein in Trak¬ 
tions- und Pulsionsdivertikel und bespricht ausführlich Aetiologie, Diagnose, Prognose und Therapie 
dieser Erkrankung. Dabei geht das Buch weit über den Rahmen eines lediglich die Litteratur 
referierenden Werkes hinaus, denn der Verfasser äussert an vielen Stellen durchaus selbstständige 
Auffassungen und bringt eine Reihe von persönlichen Erfahrungen, die gerade auf diesem Gebiet 
deshalb besonders werthvoll sind, weil nur wenige Aerzte Gelegenheit haben, die vom Verfasser 


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684 Referate über Bücher und Aufsätze. 

behandelte seltene Erkrankung in irgendwie grösserer Anzahl selbst zu beobachten. Wenn wir in 
dieser Zeitschrift, in der wesentlich die therapeutische Seite des Buches interessiert, ein Urtheil über 
dasselbe abgeben sollen, so kaun dies nach allen Richtungen nur ein ausserordentlich günstiges sein; 
auch die therapeutischen Kapitel, die allerdings bei den Traktionsdivertikeln nach Maassgabe der 
Verhältnisse *nur gering ausfallen mussten, zeichnen sich ebenso wie die den anderen Fragen 
gewidmeten Artikel durch eine allseitige Betrachtung und umfassende Inangriffnahme des Themas 
aus, und es ist in dem Buche speziell auch das erwähnt, was die Fortschritte moderner Technik 
(besonders auf chirurgischem Gebiete) für die Therapie dieser Erkrankung geleistet haben. 

H. Strauss (Berlin 1 !. 


Soxhlet, Heber die künstliche Ernährung des Säuglings. Münchener medicin. Wochenschrift 
1900. No. 48/49. 


Verfasser erörtert zunächst, veranlasst durch die Monographie ZweifeTs über die Aetiologie, 
Prophylaxis und Therapie der Rachitis (Leipzig 1900, Hirzcl), in ausführlicher Weise die Frage, 
welche Bedeutung die Kalksalze der Milch für die Säuglingsernährung haben. 

Zweifel geht von der Voraussetzung aus, dass mangelhafte Kalkzufuhr zum jugendlichen 
Organismus für sich allein ausreicht, Rachitis zu erzeugen. Er bezieht mit Zander und See¬ 
mann die Rachitis bei Brustkindern auf einen zu geringen Gehalt der Muttermilch an Kalksalzen 
oder auf eine Armuth derselben an Chlor, die zu einer unzulänglichen HCl-Bildung im Magen, da¬ 
mit zu einer ungenügenden Aufsaugung gelöster Kalksalze führe. Die Thatsache, dass bei Ernährung 
mit der kalkreichen Kuhmilch Rachitis weit häufiger als bei der kalkärmeren Frauenmilch auftritt, 
sucht er durch die beim Erhitzen der Milch eintretende Aenderung in der Bindung der Kalksalze 
zu erklären; schon wenige Minuten langes Kochen bewirke, dass bei Zusatz von Labferment und 
nachfolgender 24 ständiger Filtration des Labgerinnsels eine viel grössere Menge Calciumphosphat 
in der Asche desKoagulums zurückbleibe als in der rohen Milch, und dass nur 17,4 mg pro 100 ccm 
Milch, also halb so viel Kalksalze, als die Frauenmilch enthält, in das Filtrat übergehen. 

Die Angabe, dass in der gekochten Milch die Menge der gelösten KaJksalzc vermindert ist, 
erklärt Soxhlet für richtig, doch sei diese Einbusse nicht so gross, wie Zweifel anniramt, und 
viel zu gering, um etwa einen Kalkhunger herbeizuführen; auch sei es nicht angängig, den ge- 
sammten im Gerinnsel zurückgehaltenen Kalk, wie Zweifel dies thut, als unlöslich und für 
Diffusion und Resorption verloren anzusehen und die Erscheinungen im Reagensglas ohne weiteres 
auf den physiologischen Verdauungsprozess im Säuglingsmagen zu übertragen, ln 100 ccm einer 
fünf Minuten lang gekochten Milch werden von den vorhandenen gelösten 50—84 mg Kalk 15 mg 
bei 45 Minuten langem Sterilisieren 20 mg in unlösliches Tricalciumphosphat verwandelt, sodass in 
100 ccm gewöhnlich gekochter resp. sterilisierter Thiennilch noch 35—69, bezw. 30— 64 mg ge¬ 
löster Kalk enthalten ist, d. h. eben so viel bis doppelt so viel gelöste Kalksalze als die Frauen¬ 
milch Gcsammtkalk (32,8mg nach Bunge) enthält. Da aber von dem Gesanimtkalk der Frauen¬ 
milch nur etwa Vc durch gelöste Kalksalze repräsentiert werde, so enthalte gekochte und sterilisierte 
Kuhmilch 6—14 mal mehr gelösten Kalk als die natürliche Muttermilch. Verfasser kommt hiernach 
zu dem Schluss, dass die Kalkresorption zu der in der Thier- resp. Frauenmilch vorhandenen Menge 
der gelösten Kalksalze in keinerlei Beziehung stehen kann. Er hält jedoch die durch das Kochen 
oder Sterilisieren verursachte Verminderung der gelösten Kalksalze insofern für einen Nachtheil, 
als durch dieselbe die Labgerinnung der Milch im Säuglingsmagen verhindert oder erschwert und 
zur Wiederherstellung der natürlichen Gerinnbarkeit das Uinzutreten grösserer HCl-Mengen erforder¬ 
lich wird. Bezüglich der Aetiologie der Rachitis bei künstlicher Ernährung stellt Soxhlet auf 
Grund der Zweifel'sehen Beobachtung eine neue Hypothese auf: Sowohl in der Frauen- wie in 
der Thiermilch ist nur der kleinere Theil des Gcsammtkalkes in Form löslicher Salze vorhanden, 
und cs muss, um die Menge der gelösten Kalksalze zu steigern, ein bestimmtes Quantum einer Säure, 
am besten HCl hinzutreten, die mit Kalk ein lösliches Salz bildet Vergleichende Untersuchungen 
ergeben, dass, um alle Salze in saure und lösliche zu verwandeln, die Kuhmilch etwa 3—3V 2 mal 
so viel HCl erfordert, dass sie ein 3 1 •.» mal grösseres Säurebindungs vermögen besitzt als Frauen¬ 
milch. Obgleich die Kuhmilch doppelt so viel Chlor wie die Frauenmilch enthält, ist sie doch zu 
chlorarm, um die erhöhten Ansprüche, die sie an die II CI - Abscheidung des Magens stellt, zu be¬ 
friedigen. Mit Zweifel sieht auch Soxhlet das ätiologische Moment der Rachitis in einem zu ge¬ 
ringen Chlorgehalt der Milch ungünstig ernährter Mütter; dieses bei der Muttermilch relativ seltene 
Chlordefizit ist jedoch bei der auch in dieser Beziehung weniger vortheilhaft zusammengesetzten Kuh- 


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Referate über Bücher und Aufsätze. R85 

milch die Regel und kann zur Begründung der bei Flaschennahrung so häufigen Rachitis herangezogen 
werden. Zur Beseitigung des Chlormangels empfiehlt es sich, der Kuhmilch eine bestimmte-Menge 
Na CI zuzusetzen, welche nach Zweifel’s Vorschlag 3 g auf ein Liter einer aus gleichen Mengen 
Kuhmilch und 6,5%iger Milchzuckerlösung bestehenden Mischung, nach Soxhlet nur 2 g auf ein 
Liter Vollmilch betragen soll — eine Forderung, welcher übrigens schon seit langer Zeit Mütter 
und Kinderpflegerinnen unbewusst durch Zusatz einer »Prise Salz« zur Milch genügen. 

Im zweiten Theil derJArbeit geht Verfasser auf das neuerdings wieder viel diskutierte Thema 
der Kuhmilchsterilisierung ein. Im Gegensatz zu Flügge, welcher nach einer 5—10 Minuten langen 
Kochdauer keinen grösseren Keimgehalt als nach einer solchen von 45 Minuten in der Milch fand 
und deshalb eine nur 10 Minuten dauernde Erhitzung für ausreichend erachtet, hält Soxhlet an der 
von ihm inaugurierten Methode der auf 45 Minuten ausgedehnten Sterilisation fest; er befürchtet, 
dass, sobald erst von autoritativer Seite für eine so starke Reduktion der Kochzeit plaidiert werde, 
gar zu leicht eine laxe Handhabung des Sterilisierungsverfahrens einreissen und die dank den 
Soxhlet’sehen Vorschriften erzielten Verbesserungen der Milchbehandlung wieder aufs Spiel gesetzt 
würden. Den Vorwurf v. Starck's, dass ausschliessliche Ernährung mit lange sterilisierter Kuh¬ 
milch Barlow’sche Krankheit zur Folge habe, erklärt Verfasser für ebenso unerwiesen wie die von 
anderer Seite aufgestellte Behauptung, dass derartige Milch schädliche Modifikationen ihrer chemischen 
Zusammensetzung erleide. Die s/ 4 Stunde lang abgekochtc Milch sei ebenso schmackhaft und weit 
länger haltbar wie die für 5—10 Minuten erhitzte (erstere halte sich gleich viel Monate wie letztere 
Tage), ihre Eiweissstoffe werden, wie Zweifel's Beobachtungen lehren, ebenso gut, bei Mit¬ 
verwendung von Labferment sogar besser verdaut als diejenigen der ungekochten, und die Pepto¬ 
nisierung des Kaseins der sterilisierten Milch und das hierdurch veranlasste Bitterwerden derselben 
lasse sich durch kühle Aufbewahrung vermeiden. Uebrigens werde nach Zweifel unverdünnte und 
verdünnte Milch gleich gut verdaut 

Schliesslich übt Soxhlet Kritik an verschiedenen im Grossbetrieb fabrizierten, zum Theil mit 
grosser Emphase angepriesenen Molkereiprodukten und Rahmgemischen. Er schreibt der mit Koch¬ 
salz und 6,5% Milchzucker versetzten Zwei fei’sehen Halbmilch eine gleich grosse Verdaulichkeit 
wie der Back haus milch No. 1 zu, vor welcher sie die Vortheile der leichten und sicheren Zu¬ 
bereitung im Haushalt und des niedrigen Preises voraus hat; vor der Gärtner’sehen Fettmilch ver¬ 
diene sie entschieden den Vorzug, denn in dieser sei der ursprüngliche feine Emulsionszustand des 
Fettes durch Herumschleudern in der Centrifuge und Aufrahmung derart zerstört, dass die Milch 
beim Aufkochen flüssige, für die Verdauung verloren gehende Fettaugen ausscheide. Die Details 
der Soxhlet’sehen scharfen Polemik sind für das Referat ungeeignet. -Hirschel (Berlin). 


Henry Dwight Chapin, M. D., A simple and accurate method of substituts iufant feeding. 

The New-York medical jourual 1901. 23. Februar. 

Die Methode ist nur bei Flaschenmilch zu verwerthen und beruht auf der Thatsache, dass in 
einem Liter Flaschenmilch die oberen 275 —300 g, nachdem sich der Rahm gesetzt hat, dreimal 
soviel Fett enthalten, als die »whole milk« enthielt, und die oberen 400—450 g zweimal soviel 
Fett, als die »wholc milk« enthielten. 

Diese Verhältnisse sind empirisch festgestellt worden durch den Gebrauch der Babcock- 
Methode der Fettbestimmung Die Verhältnisse bleiben dieselben, ob die Milch fettarm oder fett¬ 
reich ist. 

Der Fett- und Eiweissgehalt aller Sorten von Kuhmilch ist ungefähr gleich, so dass die 
oberen 275 g eines Liters Milch auch dreimal soviel Fett als Eiweiss enthalten. Dieses Verhältniss 
zwischen Fett und Eiweiss ist ungefähr dasselbe wie in der Muttermilch, aber natürlich sind die 
Quantitäten zu gross und müssen daher durch zweckmässige Verdünnung reduziert werden. Als 
Verdünnungsmittel empfiehlt Verfasser »predigested« Weizen- oder Gerstenschleim, weil dadurch 
das Eiweiss leichter verdaulich wird. Natürlich muss genug Zucker zugesetzt werden, sodass die 
verabreichte Milch 5—7% Zucker enthält, was leicht auszurechnen ist. Durch zweckmässige Ver¬ 
dünnung der so gewonnenen Milch können alle Variationen des Fett- und Eiwcissgehalts erreicht 
werden. 

Die Methode scheint sehr einfach und praktisch zu sein, weil man mit ihr den Fett- und 
Eiweissgehalt der Milch, dem Alter und dem Verdauungszustand der Kinder entsprechend, leicht 
und genau ändern kann. Weiss (Berlin). 


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686 Referate über Bücher und Aufsätze. 


Charles R. Box, M. D., The therapeutic Y&lue of suprarenal preparations in Addison disease. 

Box berichtet über eine Serie von Versuchen mit Nebennierenpräparaten bei Addison’scher 
Krankheit Die Darreichungsweise war die verschiedenste: Frische Nebennierensubstanz per os, 
per rectum, Nebennierentabletten in Lösung subkutan. Erfolge wurden nicht erzielt Um das 
negative Resultat des Versuches zu erklären, kommt Box zu folgenden Schlüssen: 

Entweder wurde die aktive Substanz nicht richtig verabfolgt, oder es war das nöthige Material 
in den verwandten Nebennieren nicht vorhanden, oder schliesslich es ist der Ausfall einer inneren 
Sekretion nicht das einzige und vorherrschende Moment der Addison’schen Krankheit 

A. H. Weis (Berlin). 


Friedmann, Die Pflege und Ernährung des Säuglings. Wiesbaden 1900. 

Das hübsch ausgestattete, knapp und verständlich geschriebene Büchlein gehört zu den gerade 
während der letzten Jahre in grösserer Anzahl erschienenen populär-medicinischen Schriften, welche 
die Absicht verfolgen, Kinderpflegerinnen und unerfahrenen Müttern als Rathgeber für das erste 
Lebensjahr des Kindes zur Seite zu stehen. Einige vom Autor gegebene Vorschriften dürften bei 
ärztlichen Lesern vielleicht auf Widerspruch stossen; herrscht doch — es sei nur an den empfehlens- 
werthesten Modus der Kuhmilchverdünnung und an das gerade in neuester Zeit wieder viel dis¬ 
kutierte Thema vom Baden der Neugeborenen erinnert — in manchen Fragen der Süuglingshygienc 
und -Diätetik bis heute unter den Medicinern eine weitgehende Divergenz der Meinungen! Aber 
auf keinem Gebiet machen sich noch immer zum Schaden des Säuglings Aberglaube, Unkenntnis, 
von alters her überkommene und unausrottbare, falsche Ansichten so breit wie in der Wochen- und 
Kinderstube, und es ist ein anerkennenswerthes Verdienst, wenn ein Arzt, wie Verfasser es thut, 
hier mit klaren, belehrenden Worten Laienvorurtheilen, wie dem Glauben an den Nutzen des Wickelns. 
die grosse Bedeutung des zu kurzen Zungenbändchens, die Unantastbarkeit des seborrhoischen Kopf¬ 
ekzems, den Werth des Alkohols als »Kräftigungsmittel« und nicht in letzer Reihe der wie eine 
ewige Krankheit bei Grossmüttern und Müttern sich forterbenden Irrlehre von den »Zahnungs¬ 
krankheiten« energisch zu Leibe geht. Darum kann das F ried mann’sehe Werkchen als Rathgeber 
für die Ernährung und Pflege des Säuglings auch seitens des Fachmanns bestens empfohlen werden. 
Es soll und will den Arzt nicht ersetzen, sondern nur darauf hinwirken, das für die richtige Aus¬ 
führung ärztlicher Anforderungen erforderliche Verständniss in weitesten Kreisen anzubahnen. Möge 
es von recht vielen der Säuglingserziehung noch unkundigen Frauen eifrig studiert werden und für 
sie und damit indirekt auch für ihre kleinen Pflegebefohlenen nutzbringend sein! 

Hirse hei (Berlin). 


Albu, Zur Bewerthung der vegetarischen Diät. Berliner klin. Wochenschr. 1901. No. 24 u. 25. 

Die vegetarische Ernährungsform ist bisher nur wenig wissenschaftlich studiert, und ausser 
Voit hat nur Rumpf mit Schümm kontrollierbare Stoffwechsel versuche angestellt, welche den 
Nachweis erbrachten, dass sich der Mensch ohne Zweifel, wie es die Anhänger des Vegetarismus 
längst behaupten, ausreichend ernähren, im Stickstoffgleichgewicht erhalten, entsprechend an Ge¬ 
wicht zunehmen und leistungsfähig sein kann, obsebon die Digestion erschwert ist. 

Albu untersuchte einen neuen Fall mit gleichem Resultate. Zugleich ergab sich ein auf¬ 
fallend geringer Bedarf an Ei weissstoffen, indem die Versuchsperson von allerdings nur 37,5 kg 
Gewicht mit 5,46 g N = 34,13 g Eiweiss ohne Gewichtsverlust auskam. Sie lebte seit sechs Jahren 
täglich von 120 g Grahambrot, 500 g Aepfel, 400 g Pflaumen, 200 g Weintrauben, 64 g Haselnüsse, 
36 g Datteln und 100 g Kopfsalat mit Citronensaft und verdankte der Pflanzenkost ihre Genesung 
von einem früheren Leiden. 

Zugleich geht Albu auf die vegetarische Kost als geeignete Krankendiät ein. Bei sorgfältiger 
Präparation und unter Benutzung künstlicher Nährpräparate, wie des Roborats, erweist sie sich oft 
als heilsam bei funktionellen Nervenkrankheiten besonders des Magens (Superaciditat, nervöse 
Dyspepsie) und des Darmes (Colitis mucosa), Diabetes, habituelle Obstipation, Gicht und Herzneurosen, 
während anatomische Leiden des Magen-Darrakanales, Atonia ventriculi, Unterernährungszustände 
und allgemeine Schwäche sie verbieten. Schilling (Leipzig). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. G87 

Albn, Der Stoffwechsel bei vegetarischer Kost. Zeitschrift für klinische Mediein Bd. 43. Heft 
1 und 2. 

Das Eiweissminimum, dessen der Körper pro Kilo Körpergewicht bedarf, schwankt nach den 
bisher bekannten Angaben von Pesch ei und Hirschfeld, welche Laboratoriumsversuchen ent¬ 
stammen, zwischen 46—47,4, Sivön kam sogar bis zu 41,4; indessen galt bisher dabei die Annahme, 
dass der Körper bei so geringer Eiweisszufuhr noch eines Ueberschusses an stickstofffreien Nahrungs¬ 
stoffen, insbesondere des Fettes bedürfe, um sich im N - Gleichgewichte und im leistungsfähigen 
Zustande zu erhalten. 

Gewohnheitsmässig führen bei frei gewählter Kost die Vegetarier strengster Richtung, die 
Käse, Milch, Eier und Butter noch ausschliessen, geringe Eiweissquanta zu. Versuche bei ihnen 
sind bisher nicht bekannt, Albu batte Gelegenheit bei einer 37,5 kg schweren Person während der 
Dauer von fünf Tagen Stoffwechselanalysen vornehmen zu können, die um so werthvoller in ihren 
Ergebnissen sind, als die Person bereits sechs Jahre lang streng vegetarisch lebte. 

Voit’s Versuchsperson nahm täglich 8,4 g N = 0,94 pro Kilo, Rumpf’s Versuchsperson 
11,82 g N = 1,18 pro Kilo zu sich, Albu’s nur 5,46g N und erreichte dabei noch Ansatz. 

Die physiologisch wichtigen Resultate der Arbeit gipfeln in den Punkten, dass 37,33 Kalorieen 
pro Kilo zur Erhaltung des Körpergewichts genügen, das Verhältnis der stickstoffhaltigen zu den 
stickstofffreien sich bei so minimaler Eiweisszufuhr von 1 :5 resp. 6 auf 1:10 verschiebt, wobei ein 
Plus von Fett nöthig wird, das Kalorieenbedürfniss individuell schwankt und das Minimum noch 
unbekannt ist, pflanzliches Eiweiss vollständig animalisches ersetzt und doch — die vegetarische 
Ei näh rungsform in dieser strengen Richtung unzweckmässig genannt werden muss. 

Schilling (Leipzig). 


X. Zuntz, Sind kalorisch äquivalente Mengen von Kohlehydraten und Fett für Mast uud 
Entfettung gleichwerthig? Therapie der Gegenwart 1901. Juli. 

Nach den Lehren der Isodynamie und Verbrennungswärme ist 1 g Fett etwa 2,3 g Kohle¬ 
hydraten gleichwerthig, und dennoch ist die Aequivalenz, was für Mast- und Entfettungskuren 
nicht gleichgiltig sein dürfte, thatsächlich verschieden, weil Fett leichter, ohne grosse Belastung der 
Digestionsorgane, Kohlehydrate aber schwerer, unter grosser Verdaungsarbeit assimiliert werden, 
so dass von Fett nur 2 V 2 %, von Kohlehydraten -- besonders groben Brotarten — 10% der 
Gesammtcnergie verloren gehen. 

Dazu kommt ausser der leichten oder schweren Verdaulichkeit ein zweiter Unterschied, dass Fett 
ohne Rest resorbiert und ohne besondere Umwandlung Bestandteil des Fettgewebes wird, während 
Kohlehydrate nur auf Umwegen zu Fett umgewandelt werden können; es ist deshalb nicht wunder¬ 
bar, dass eine gewisse Kohlehydratmenge, welche ihrem Kalorieenwerthe nach 100 g Fett liefern 
müssten, nur 55—60 g liefert, indem der Rest als Uebermaass von Wärme (»akalorische Kohlcnsäure- 
bildung Rubner’s«) verfliegt. Bei Entfettungskuren, die den Eiweissbestand erhalten sollen, ist 
das Verfahren zu bevorzugen, welches bei der Reduktion der stickstofffreien Nährstoffe weniger 
Fett als Kohlehydrate getattet. 

Fettsucht entsteht nicht, wie die Respirationsversuche lehren, weil weniger Sauerstoff auf¬ 
genommen und Kohlensäure ausgeschieden wird, der Verbrennungsprozess oder Stoffumsatz der 
Gewebe also vermindert ist, sondern dann, wenn jemand seine Thätigkeit mit geringem Aufwand 
von Kraft ausübt resp. viel ruht, weil in diesem Falle ein Kaloricenüberschuss der Nahrung zur 
Fettbildung übrig bleibt, und ferner wenn die Zufuhr infolge gesteigerten Appetites trotz ver¬ 
mehrter Bewegung den Verbrauch und Körperbedarf übertrifft Bei normalen Verhältnissen kom¬ 
pensieren sich beide ausschlaggebenden Faktoren, Verbrauch und Nahrungsaufnahme; bei Fett Verlust 
bleibt die Aufnahme hinter der Ausgabe zurück. Schilling (Leipzig). 


RrUhl-Hjelt-Aschan, Die Pflanzen-Alkaloide. Braunschweig 1900. 

Die grosse, chemisch woblcharakterisierte Gruppe der Pflanzenalkaloide hat für den Mediciner 
ihr besonderes Interesse, weil die meisten unserer wirklich wirksamen Arzneimittel derselben an¬ 
gehören. Oefter ist es dazu noch die Neudarstellung natürlicher Alkaloide und insbesondere Stu¬ 
dien über ihre Konstitution, welche besonders werthvolle Arzneimittel geschaffen hat. Wir erinnern 
hier nur an die Ableitung des Homatropins vom Atropin, die Entdeckung des Kokains etc. In 


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688 Referate über Bücher und Aufsätze. 


diesem Sinne ist auch der rein chemische Theil des Gebietes nicht uninteressant für den Mediciner; 
und es ist daher doppelt angenehm, auf ein Werk hinweisen zu können, welches Interessenten in 
dieser Richtung eine vollständige Uebersicht des bestehenden Wissens bietet, eine Uebersicht, 
welche zudem durch Klarheit der Darstellung und übersichtliche Gliederung des Stoffes die Be¬ 
antwortung der vorgelegten Fragen so sehr erleichtert. Es gipfelt die Darstellung natürlich in der 
Ableitung und Sicherstellung der Konstitutionsformeln, und es ist dabei zu bemerken, dass das für 
den Chemiker geschriebene Buch die völlige Vertrautheit mit den in diesem Arbeitsgebiet der 
Konstitutionsforschung üblichen Methoden voraussetzt. Der Mediciner nun, welcher sich mit den 
interessanten Fragen nach dem Zusammenhang von Konstitution und physiologischer Wirkung be¬ 
schäftigt, muss auch Kenntnisse in der Richtung mitbringen und wird dann sicherlich aus dem 
reichen Inhalt des angezeigten Werkes die interessanteste Anreguug empfangen. 

M. Bial (Kissingen). 


B. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Emmert, üeber die antiphlogistische Fernwirkung der Kälte. Fortschritte der Medicin 1901. 

No. 9. 

Emmert prüfte in seinen auf Anregung von Goldscheider im Moabiter Krankenhause zu 
Berlin angestellten Untersuchungen die Angaben Samuels nach, dass sich bei Kaninchen, deren 
eines Ohr mit Krotonöl eingerieben worden ist, die sonst eintretende Entzündung dieses Ohres 
verhindern lässt, wenn man gleichzeitig die Beine des Thieres während mehrerer Stunden in einem 
Bade von höchstens 15o C Temperatur abkühlt. Emmert konnte diese Angaben bestätigen, er 
fand, dass die Entzündung auch verhindert wurde, wenn nur ein Bein des Thieres in ein solches 
Bad gesteckt wurde, und dass man bei nicht abgekühlten Thieren das^ Weiters ehre itjen der 
Krotonölentzündung am Ohre dadurch verhindern kann, dass man nachträglich noch ein Bein in 
kühles Wasser bringt. 

Der Erklärung, die Samuel für diese eigenthümliehe Erscheinung gegeben bat, kann 
jedoch der Verfasser nicht beistimmen. Samuel hatte bestritten, dass durch die Abkühlung eines 
grösseren Gefässbezirks ein Abfall der Temperatur des gesammten Körpers hervorgerufen werde, 
bevor die antiphlogistische Wirkung jener Abkühlung vor sich ginge, während Emmert durch 
seine sehr sorgfältigen Beobachtungen zu dem Schlüsse kam, dass 1. die Möglichkeit nicht bestritten 
werden kann, dass eine solche Erkaltung des gesammten Blutes die Ursache des Ausbleibens der 
Entzündung ist; 2. die Entzündung des Ohres trotz gleichzeitiger Abkühlung eines Beines nicht 
verhindert wird, wenn ausserdem durch besondere Versuchsanordnung eine ^Abkühlung des 
Gesammtkörpers vermieden wird, und dass 3. eine solche Abkühlung des gesammten Thieres 
wahrscheinlich schon für sich allein antiphlogistisch wirkt. Der Verfasser kommt daher zu dem 
Schlüsse, dass die Verhinderung der Krotonölentzündung durch die Immersion eines Gefässbezirks 
nicht auf einer merkwürdigen Fern Wirkung der Kälte beruht, sondern einfach darauf, dass der 
ganze Körper des Thieres, also auch der krotonisierte Theil desselben, stark abgekühlt wird; daher 
wirkt die Immersion in der beschriebenen Art im Grunde durch nichts anderes antiphlogistisch, als 
durch die in diesem Effekt schon von jeher bekannte lokale Kältewirkung. 

A. Laqueur (Berlin). 


Carl Kisskalt, Die Erkältung als krankheitsdisponierendes Moment. Archiv für Hygiene 
Bd. 39. Heft 2. 

Verfasser fasst den bei der Erkältung stattfindenden Vorgang folgendermaassen auf: Es tritt 
unter dem Einflüsse der Wärmeentziehung Hyperämie der Schleimhäute ein. Diese schafft erhöhte 
Disposition zu Erkrankungen, indem einerseits mit der Verminderung der Alkalesccnz eine Ver¬ 
minderung der Widerstandskräfte des Körpers gegen bakterielle Invasionen einhergehen, andrer¬ 
seits siefi die Ernährungsbedingungen der Bakterien verbessern. Aus diesen beiden Gründen ver¬ 
mehren sich die pathogenen Mikroorganismen, die sich für gewöhnlich in geringer Zahl auf den 
Schleimhäuten befinden, zu einer Anzahl, in der sie krankheitserregend wirken können. Dazu 
kommt vielleicht noch, dass ihre Virulenz durch den dabei stärker sccerniertcn Schleim gesteigert wird 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


689 


Wenn gegen eine derartige Auffassung des Erkältungsvorganges z. B. von K. Chodounsky 
(Bulletin internat. de FAcadömie des Sciences de Boheme 1898 und Blätter für klinische Hydro¬ 
therapie und verwandte Heilmethoden 1900. No. 3) in diesen dem Verfasser unbekannten Arbeiten 
energisch Front gemacht wird, weil jener weder bei Thierexperimenten eine Steigerung der Virulenz 
eingeführter pathogener Bakterien (im Gegensatz zu A. Lode) nachweisen noch bei Selbstversuchen 
krankhafte Störungen unter dem Einflüsse Storker Abkühlung erzielen konnte, so darf man doch 
im grossen und ganzen für die Hypothese von K iss kalt eintreten; denn abgesehen von klinischen 
Erfahrungen wird von anderen Autoren die Erhöhung der Giftigkeit pathogener Mikroorganismen 
unter der Einwirkung der Wärmeentziehung experimentell erhärtet, andrerseits kann man das 
negative Resultat der an sich sehr interessanten Selbstversuche Chodounsky^ auf den temporären 
Mangel an latenten Krankheitserregern zurückführen. 

Bezüglich des Zusammenhanges des Wetters mit Erkältungskrankheiten sieht Verfasser in dem 
Zusammentreffen von Sonnenscheinmangel und Steigerung der Refrigerationsmorbidität nur die 
Wirkung des mit jenem kombinierten schlechteren Wetters. 

Dadurch zerstört sich Verfasser die Bedeutung des auch für seine Theorie nicht zu ent¬ 
behrenden antibakteriellen Witterungsfaktors, nämlich des Sonnenlichtes, ohne dessen Inanspruch¬ 
nahme Verfasser die bei gleich schlechtem Wetter verschiedene Morbiditätsquote nicht erklären kann, 
z. B. nicht die Präponderanz der Erkältungsaffektionen im Frühjahr gegenüber denen des Herbstes 
bei gleich ungünstiger Witterungskonstellation der entsprechenden Zeiten u. s. w. 

Wenn Verfasser, um aus dem etwas knapp gehaltenen Kapitel »Die Erkältungskrankheiten 
im Speziellen« nur ein Faktum hcrauszuheben, die Ansicht vertritt, dass die Neuralgieen wohl ein¬ 
fach durch direkte Einwirkung der Kälte auf den dicht unter der Haut liegenden Nerven entstehen, 
so ist es doch wunderbar, dass bei der Feinheit der Haut der Kinder gerade bei diesen die Neuralgieen 
so selten Vorkommen. Hier spielen sicher Toxine eine grössere Rolle als die thermische Einwirkung. 

J. Ruhemann (Berlin). 


Lemoine, Veber kalte Irrigationen ins Rektnm beim Typhus. Nord-Möd. 1901. 1 . August. 

Diese Behandlungsmethode empfiehlt der Autor bei denjenigen typhösen Patienten, bei 
welchen kalte Bäder nicht anwendbar sind. Er führt die Irrigation in der Weise aus, dass der 
Patient je nach dem Ansteigen der Temperatur alle zwei bis drei Stunden ein Klysma von 2 1 ab¬ 
gekochten Wassers, welches auf eine Temperatur von 18—20° C abgekühlt ist, erhält. Die Injektion 
soll sehr langsam und nur unter geringem Druck ausgeführt werden. Das Mastdarmrohr darf nicht 
tiefer als 15 —20 cm in das Rektum eingeführt werden. Die Injektion soll nicht auf einmal vor. 
abreicht, sondern mehrfach für einige Minuten unterbrochen werden. Im Anschluss an dieselbe 
muss eine ausgiebige Entleerung "des Darmes stattfinden. 

Durch diese Klysmata hat Lemoine eine erhebliche Herabsetzung der Körpertemperatur und 
gleichzeitig eine energische Desinfektion des Darmes erzielen können. Die Herabsetzung derTemperatur 
hielt nach Verabfolgung der Klysmata allerdings nicht so lange an, wie nach dem Gebrauch kalter 
Bäder; dafür traten aber bei dieser ersteren Methode niemals Delirien und andere Zwischenfälle auf. 
Als besonderen Vorzug seiner Methode hebt Lemoine noch hervor, dass die hiermit behandelten 
Patienten ihren Appetit beibehielten und dass die Zunge stets die normale Feuchtigkeit hatte. 

Paul Jacob (Berlin). 


Makarow, Ueber die Behandlung des Typhus abdominalis durch Injektionen von Kochsalz¬ 
lösungen* Izvöstiya imperad voyönno - möd. akadöm. 1901. September. y 

Die Injektionen wurden in der Weise verabfolgt, dass entweder Quantitäten von 1200—1800 ccm 
physiologischer Kochsalzlösungen intravenös, oder 500—1000 ccm subkutan eingespritzt wurden. 
Kurze Zeit nach der Injektion trat gewöhnlich eine Steigerung derTemperatur ein; dieselbe machte 
kurze Zeit darauf einer erheblichen Temperaturherabsetzung Platz, es erfolgte eine starke Vermehrung 
der Diurese, Kräftigung des Pulses und ein Nachlassen der allgemeinen schweren Symptome. 
Die 21 Fälle von Typhus, welche Makarow in dieser Weise behandelte, gehörten einer ausser¬ 
ordentlich schweren Epidemie an; trotzdem gelang es ihm, die Hälfte der Fälle, wie er annimmt, 
durch sein Verfahren zu retten. Paul Jacob (Berlin). 


Zeitacbr. f. diät. a. physik. Therapie Rd, V. Heft S. 


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690 Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Jaqnet, De Finflaence da climat d’alütude sar les echanges respiratoires« Semaine 
mödicale 1901. No. 28. S.217. 

Von den Untersuchungen über die Einwirkung des Höhenklimas auf den Gaswechsel bespricht 
Verfasser in seiner Einleitung die von Marmod und die von Veraguth, die im wesentlichen gleiches 
Ergebniss haben. Marmod verglich den Gaswechsei in Strassburg (142 m) und in St Croix im Jura 
(1100 m). Er fand die Frequenz der Respiration gleich, das unreduzierte Volumen vermehrt und die 
Kohlensäureausscheidung ebenfalls vermehrt, aber nur um 7%. Veragu th verglich den Gas Wechsel 
in Zürich (450 m) und in St. Moritz (1769 m) und Tarpan (1505 in) bei sonst gleicher Lebensweise. 
Er fand eine Zunahme der Frequenz, eine Zunahme des unreduzierten Volumens und eine Zunahme 
der Kohlensäureausscheidung von 35%. Verfasser findet einen Unterschied in Bezug auf das re¬ 
duzierte Athemvolumen, indem für Marmod 38,96 gegen 36,92 berechnet werden, während die 
Zahlen für Veraguth lauten: Zürich 22,9, St. Moritz bei strenger Diät und täglicher Bestimmung 
während 14 Tagen 26,7. St. Moritz (ohne Diät, eine Bestimmung wöchentlich während sechs Wochen; 
22,0. Tarpan (wie St Moritz, erste Periode) 22,7, Zürich (ohne Diät, sichen tägliche Bestimmungen i 
23,2. Hiernach nimmt Verfasser für Veraguth eine Zunahme des reduzierten Volumens im Gegen¬ 
satz zu Marmod an. Die Versuche von Mosso, den Löwy’s und L. Zuntz’ und von Bürgi 
werden nur in Kürze besprochen, ohne dass Verfasser daraus ein bestimmtes Urtheil gewinnt, doch 
genügen die Angaben, um Marmod’s und Veragutlrs Ergebnisse in Frage zu stellen. 

Verfasser hat nun selbst auf dem Chasseul (Jura 1600 m) nach der Zuntz - Geppert’sehen 
Methode Beobachtungen des Gaswechsels ausgeführt, und zwar eine Woche lang bei streng ge¬ 
regelter Lebensweise, indem täglich drei Bestimmungen, eine um sieben, eine um elf, eine um fünf 
Uhr gemacht wurden. Die tiefgelegene Vergleichsstation war Basel. Die Frequenz der Athmung 
erwies sich als unverändert, das Volumen vermindert. Die Zahlen des Gaswechsels geben für die 
um 7 Uhr früh angestellten Versuche eine Steigerung des Sauerstoffverbrauches um 8,8% und der 
Kohlensäureausscheidung um 14,8%, wohei eine Zunahme des respiratorischen Quotienten von 0,791 
auf 0,839 zu verzeichnen ist. Aehnlich verhalten sich die Mittelzahlen der um 11 und 5 Uhr an- 
gcstellten Beobachtungen. 

Das Interessante an den Beobachtungen des Verfassers ist nun aber, dass Verfasser drei Wochen 
später nochmals eine Vergleichsperiode in Basel durchgemacht hat, die sogar erheblich höhere Steigerung 
ergab, und dass selbst drei Monate später bei Wiederholung der Probe noch nicht die anfänglichen 
Werthe erreicht wurden, sondern erst bei einer nach 14 Monaten vorgenommenen letzten Vergleichs¬ 
periode. 

Verfasser legt sich offen die Frage vor, ob man eine so nachhaltige Wirkung des Höhen¬ 
aufenthalts annchmen dürfe, oder ob man sämmtliche Zahlen als normal, die Abweichungen als 
innerhalb der Fehlergrenzen fallend betrachten solle. Angesichts der Zahl der Einzelbeobachtungen 
und der Art ihrer Uebereinstimmung kann sich Verfasser nur für die erste Möglichkeit entscheiden. 

Das Ergebniss, dass die Oxydation gesteigert werde, ist besonders bemerkenswerth, wenn es 
im Zusammenhang mit der früher vom Verfasser angegebenen Thatsache betrachtet wird, dass 
nämlich der Höhenaufenthalt zu bedeutendem Stickstoffansatz führt. 

R du Bois-Reymond (Berlin). 


Franz v. Torday, Die Skrophuiose and die Sool- and Seebäder. Orvosi Hetilap 1899. No. 48. 

Von Skrophuiose unterscheidet Verfasser drei Stadien: 1. Zurückbleiben der Ernährung und 
Entwickelung; 2. entzündliche, skrophuiose Affektionen, und 3. lokale Tuberkulose. Die relative 
Häufigkeit der Affektion beträgt für das erste Stadium ungefähr 10%, für das zweite 68%, für 
das dritte 22%. Der Prozentsatz der Skrophuiose überhaupt unter den Kindern schwankt bis zu 
10 %. Sool- und Seebäder eignen sich den Erfahrungen des Verfassers gemäss überaus zur Be¬ 
handlung der Krankheit, da sie einestheils den Organismus kräftigen, anderentheils auch den Stoff¬ 
wechsel erhöhen. Nach methodischem Gebrauch dieser Bäder waren Heilerfolge bis zu 91 % erzielt. 
Soolbäder sind vorteilhafter für Blutarme, erotische, skrophuiose Kinder, sowie für solche mit aus¬ 
gebreiteten nässenden Hautekzemen und lichtscheuen Augenentzündungen. Verfasser schlägt vor, 
über die Verbreitung, Lokalisation und Heilungstendenz der Skrophuiose eine amtliche Statistik an- 
zulegen, ebenso über die Heilerfolge der Sool- und Seebäder. Die Gründung entsprechender 
Institute und Scehospize ist wännstens zu empfehlen und wäre es im Interesse der vorteilhaften 
Behandlungsweise, zwischen den ständigen Seehospizen und der Leitung der Kinderspitäler eine 
direkte Verbindung zu schaffen. J. Hönig (Budapest). 


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Referate über Bücher and Aufsätze. 


691 


R. Steiner, Beitrag zur Kenntnis» der Einwirkung von Dampfbädern anf die Gesichtshaut« 
Klinisch-therapeutische Wochenschrift 1901. No. 20. 

Die Behandlung von Akne, Komedoncn und Ekzem mittels Dampfes ist von Licbcr- 
sohn und Saatfeld empfohlen worden, und es waren auch zu diesem Zwecke ziemlich komplizierte 
Apparate zur Entwickelung des Dampfes und Leitung desselben auf die Gesichtshaut angegeben 
worden. Steiner hat nun einen einfacheren derartigen Apparat konstruiert, der im wesent¬ 
lichen aus einem Gefässe zur Dampfentwickelung, einem langen Gummischlauche, in dem der Dampf 
sich bis zu einer erträglichen Temperatur abkühlt, und verschiedengeformten Ansatztrichtem be¬ 
steht. Der Dampf wird entweder aus reinem Wasser, oder, bei Behandlung von Akne und Se¬ 
borrhoe, aus Wasser, dem Seifenspiritus und Essig zugesetzt sind, entwickelt. Mit dieser Be¬ 
handlungsmethode, sowie mit Anwendung von verdampftem Lcvicowasscr hat Steiner bei 
den genannten Affektionen sehr günstige Erfolge erzielt. A. Laqueur (Berlin). 


C. Gymnastik und Massage, Liegekuren. 


Michael Braun, Ueber Yibrationsmassage der oberen Luftwege« Wiener medicinisehc 
Wochenschrift 1900. No. 45. 

Die Vibrationsmassage der Schleimhaut der oberen Luftwege zerfallt in die Effleurage und 
in die Vibration. Erstere besteht in Streichungen der Schleimhaut mit der armierten Kupfersonde 
mit oder ohne Druck, letztere wird durch tonische Kontraktion der Vorderarm-, Oberarm- und 
Schultermuskulatur bei gebeugtem Ellbogengelenk erzeugt und durch Hand, Finger und Sonde auf 
den zu behandelnden Theil übertragen. Das Zahnfleisch, die Zunge, die Schleimhaut der Lippen, 
der Wangen, des Mundbodens, des harten und weichen Gaumens, des Nasenrachenraumes, des 
Rachens, des Oesophagus, des Kehlkopfes, des oberen Theilcs der Luftröhre und der unteren und 
mittleren Partieen der Nase sind Streichungen zugänglich. Die Tuba und die obersten Theile der 
Nase jedoch können nur durch Erschütterung behandelt werden. 

Die Behandlung beginnt mit der Gewöhnung des Kranken an die Sondenberührung; die 
Schleimhaut wird rasch hintereinander berührt, bis die Empfindlichkeit herabgesetzt ist Der Heil¬ 
zweck erfordert sodann in jeder Sitzung eine stetige Steigerung der Vibrationsmassage von 3 bis 
12 Minuten. Verfasser hat in den letzten Jahren seine besondere Aufmerksamkeit den Ergebnissen 
der Vibration der Nasenschleimhaut bei den verschiedenen Formen der Kopf- und Gesichtsschmerzen, 
sowie der Vibration der Tuba bei Schwerhörigkeit zugewandt und sehr interessante Resultate er¬ 
zielt Bei den meisten Kranken, die ihn wegen Kopfschmerz konsultierten, bestand das Leiden 
mehr oder minder längere Zeit. Zu diagnostischen Zwecken wurde vorerst bei Vermuthung einer 
Reflexneurose von der Nase aus die Schleimhaut 2 — 3 Minuten mit einer 5 — 10% KokaTnlösung 
vibriert. Handelte es sich thatsächlich darum, so genügte in der Regel dieses Verfahren, um den 
Anfall sofort zu mildern oder auch zu sistieren und dadurch die Diagnose zu sichern. Abgesehen 
von diesen reinen Reflexneurosen waren cs weitere 65 Fälle von charakteristischer typischer Migräne, 
bei denen die allgemeine Vibration der Nasenschleimhaut wirkungslos blieb und die Anfälle in 
ihrer Heftigkeit fortdauerten. Nach Behandlung der obersten Partieen der Nase und speziell des 
mittleren Ganges wurde in 30% dieser Erkrankung der Anfall geradeso, wie bei der Reflexneurose, 
theils gehindert, thcils sistiert. Diese Ergebnisse berechtigen zu der Annahme, dass eine grosse 
Anzahl typischer Migränefälle mit anormalen Zuständen der pneumatischen Anhänge, speziell mit 
der Stirnhöhle in ursächlicher Verbindung stehen. Anatomische Verhältnisse wie der augenschein¬ 
liche Befund sprechen dafür, die beiden Stirnhöhlen kommunizieren gewöhnlich mit gewundenen, • 
fadenförmigen Gängen mit dem mittleren Nasengangc, das geringste Hindemiss genügt, um diese 
Kommunikation zu hemmen und einen pathologischen Zustand in der Stirnhöhle zu erzeugen. 
Körperlage, atmosphärische Einflüsse, Ernährung, Beschäftigung können in einzelnen Fällen zu be¬ 
stimmten Zeitperioden die ursächlichen Momente dieser lokalen Störungen abgeben und daduich 
den Anfällen den typischen Charakter verleihen. Man erreicht mit der Sonde leicht das Infundi- 
bulum, den Hiatus, die Siebbeinzcllen; durch die Berührung werden gleichmässige, wellenförmige 
Erschütterungen auf entferntere Partieen der Schleimhaut fortgepflanzt, es folgt hierauf eine komplette 
Retraktion sämmtlicher kontraktilen Elemente mit Anämie der betreffenden Theile und im Anschluss 


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692 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


daran eine sofortige Abschweliung und wahrscheinlich die Wiederherstellung der Kommunikation, 
wodurch nicht nur eine Minderung oder Sistierung des Anfalles eintritt, sondern auch ein bestimmter 
Anhaltspunkt zur Diagnose und zur weiteren Behandlung gewonnen wird. Ausser diesen 65 Fällen 
kamen 11 Empyeme der Stirnhöhle zur Beobachtung. Behandlung und Heilung dieser beruhen auf 
demselben Grundsätze: »Durch Erschütterung die Hindernisse des freien Eiterabflusses zu be¬ 
seitigen und dadurch die Heilung ohne Auskratzungen, Einblasungen oder Ausspülungen zu erzielen«. 

Die Behandlung der Tuba bei Schwerhörigkeit wurde derart vorgenommen, dass nur der 
Tubeneingang mit dem Sondenknopf vibriert wurde. Die äussere Behandlung besteht in der Er¬ 
schütterung der gesammten Fläche des Felsenbeins und des Antitragus mit beiden Händen zugleich, 
die Kranken werden sowohl innerlich wie äusserlich zweimal täglich in der Dauer steigend von 
a—12 Minuten behandelt. J. Marcuse (Mannheim). 


Yulpius, Der heutige Stand der SkoUosenbehandlung. Deutsche Praxis 1900. No. 14—16. 

Der flott geschriebene, mit einer Reihe guter Abbildungen geschmückte Aufsatz will, wrie der 
Verfasser selbst einleitend bemerkt, weder eine spezialistisch-ausführliche Schilderung der Skoliosen¬ 
behandlung geben, noch eine völlig neue Methode inaugurieren, sondern in knapper, übersichtlicher 
Darstellung den ärztlichen Praktiker mit den Aufgaben, Mitteln und Zielen der modernen Skoliosen¬ 
therapie bekannt machen; diesen Zweck erfüllt das Sehriftchen in ausgezeichneter Weise, sodass es 
als anregende und belehrehde Lektüre bestens empfohlen werden kann. 

Nach einer kurzen Besprechung der Prophylaxe, bezüglich deren er für die früheste Kindheit 
einer sorgsamen Ueberwachung jeder rachitischen Anlage, für das schulpflichtige Alter der Pflege 
sportlicher Uebungen, der Einführung praktisch konstruierter Subsellien, der weiteren Verbreitung 
der Steilschrift und — last not least — der schulärztlichen Aufsicht einen hohen Werth beilegt, 
wendet sich Vulpius dem eigentlichen Thema zu, der Beseitigung einer bereits ausgebildeten 
Wirbelsäulendeviation. Im wesentlichen bestehen die hier in Betracht kommenden, vom Verfasser 
kurz skizzierten Heilfaktoren in manuellem und maschinellem Redressement, sachgemässer Massage, 
allgemeiner (Frei-, Stab-, Hantelübungen) und lokaler Gymnastik (aktiven und Widerstands¬ 
bewegungen, aktiven Umkrümmungsübungen etc.); die Anwendung dieser orthopädischen Maass¬ 
nahmen im einzelnen Falle variiert je nach der Schwere des Leidens, welches von den leichtesten 
Graden der Neigung zur Schiefhaltung bis zur ausgesprochenen, theilweise oder ganz fixierten 
Skoliose die verschiedensten Krankheitsbilder umfasst. Vulpius bekennt sich für jeden Fall als 
überzeugten Anhänger einer frühzeitig eingeleiteten Anstaltsbehandlung, da nur diese eine 
energische und konsequente Durchführung der erforderlichen Manipulationen garantiere und somit 
der ambulanten Behandlung gegenüber die Heilungschancen wesentlich verbessere. Das Tages¬ 
programm ist so eingetheilt, dass im ganzen 5 — 6 Stunden täglich mit Apparatbehandlung, 
Gymnastik und Massage ausgefüllt, D/a Stunden für die Extension reserviert sind, während genügend 
lange, zwischen den einzelnen Uebungen eingeschaltete Pausen zum Aufenthalt und Spielen im Freien 
und zu den Mahlzeiten dienen: auch nachts wird die Kur nicht unterbrochen, die Patienten schlafen 
in einem mit ExtensionsVorrichtung versehenen Gipsbett, weiches, eventuell quergetheilt auf einem 
Gleitbrett befestigt, der seitlichen Wirbelsäulenbiegung, der seitlichen Rumpfverschiebung und der 
Torsion des Buckels entgegenwirken soll. Ist eine Mobilisierung der versteiften Wirbelsäule er¬ 
reicht, so ist das beste Mittel, die Muskulatur zu stützen und zu entlasten, sowie den Detorsions- 
erfolg und die erzielte Stellungsverbesserung fcstzuhalten, das gutsitzende, bis zum Becken hinab¬ 
reichende, orthopädische Stützkorsett, welches Vulpius gegenüber den auch von ärztlicher Seite 
neuerdings erhobenen Einwänden und Anfeindungen energisch in Schutz nimmt. Dasselbe w r ird in 
zwei Typen, entweder als starres, auf einem Gipsmodell geformtes Korsett aus Cellulose, Hornhaut, 
Acetoncelluloid oder als weiches Stoffmieder mit Stahlschieneneinlagen angefertigt. 

Die vom Verfasser genau abgewogenen Vorzüge und Nachtheile der einzelnen Korsett¬ 
materialien zu schildern oder die von ihm als besonders zweckmässig erprobte Technik der Korsett¬ 
anlegung wiederzugeben, ist in dem knapp bemessenen Rahmen eines Referats unmöglich; alle 
Kollegen, die sich für die einschlägigen Fragen interessieren -- und die Zahl derselben dürfte bei 
einem gerade für den Hausarzt so bedeutsamen Thema keine geringe sein — seien hiermit noch¬ 
mals auf das Studium der Originalarbeit hingewiesen. Hirschel (Berlin). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 693 


Oskar Piering, Ueber Massage bei Frauenkrankheiten. Prager medicinische Wochenschrift 

1901. No. 4 und 5. 

. Zunächst wendet sich Verfasser gegen die Bezeichnung »Massage«. Man ist im Publikum 
gewohnt, bei dem Ausdruck »Massage« vorwiegend an das Kneten, Walken und ähnliches bei der 
Körpermuskulatur zu denken. Piering acceptiert den von Schauta gemachten Vorschlag, statt 
von »Massage« von »manueller Behandlung« der Krankheiten der weiblichen Beckenorgane zu 
sprechen, einer Behandlung, die neben der instrumenteilen und medikamentösen genannt werden 
müsste. Die mannuelle Behandlung im engeren Sinne, deren sachgemässe Ausübung, wenn auch 
leichter erlernbar als die Technik des Br an dachen Verfahrens, immerhin nur bei diagnostischer 
Fertigkeit und Feinfühligkeit richtig gelingt, ist indiziert: 

1. Bei chronischer Entzündung des Beckenzellgewebes mit oder ohne Dislo¬ 
kation des Uterus, also bei älterer Parametritis mit Exsudatbildung, bei parametritischen und 
auch perimetritischen Strängen, Adhäsionen und Narben. Die allmähliche Lösung von Adhäsionen 
und die so ermöglichte normale Lagerung fixierter Organe ist das dankbarste Feld der manuellen 
Behandlung. Auch die Parametritis exsudativa, wenn das akute Stadium genügend lange vorüber 
ist, keine Druckempfindlichkeit und Temperatursteigerungen mehr da sind und jeder Verdacht 
eitrigen Inhalts sicher auszuschliessen ist, eignet sich ganz ausgezeichnet zur Massage, besonders in 
Kombination mit anderen Resorptionskuren. Schrumpfende Exsudate werden am erfolgreichsten 
durch möglichst frühzeitige Behandlung beeinflusst, ehe die Schwielen knorpelartig geworden sind. 
Aber wenn auch dies bereits der Fall ist, so vermag wiederum keine andere Behandlungsart, aller¬ 
dings oft erst nach mehrmonatiger Dauer, die Beschwerden immer noch so weit zu bessern, als die 
Massage. Bei der Parametritis atrophicans bleibt, wie oft fast jede andere Therapie, auch die 
Massage wirkungslos. 

2. Bei Lageveränderungen des Uterus, insofern dieselben sich auf Flexion und Version 
beziehen. Verlieren Arzt wie Patientin nicht die Geduld, so erreicht man gerade bei der fixierten 
Retroversio ganz hervorragend gute Erfolge, so dass die Zahl der operativ anzugehenden Fälle 
sich entschieden wesentlich vermindern würde. 

3. Auch bei Metritis chronica sind die Erfolge übereinstimmend gut. Ist sie Theil- 
erscheinung einer Parametritis oder Pelveoperitonitis, so gehen mit der Massage der schrumpfenden 
Stränge und des Uterus auch die Symptome der Metritis zurück. Durch die Besserung der 
Zirkulationsverhältnisse weicht die venöse Hyperämie des Uterus rasch, und damit nimmt auch der 
Fluor ab, in solchen Fällen verschwindet wohl auch eine kleinere Erosion mit. Ist die Metritis 
aber mit Endometritis vereint, meist gonorrhoischer Natur, so sind es vornehmlich die älteren Fälle 
mit starker Schwellung und starker Empfindlichkeit, die durch manuelle Behandlung günstig be¬ 
einflusst werden. 

4. Bei Dislokation und Fixation der Ovarien. Ebenso wie der Uterus kann ein 
fixiertes Ovarium allmählich mobilisiert werden. Besonders die Empfindlichkeit wird sehr günstig 
beeinflusst — der Schmerz allein ist schon Indikation, also die Perioophoritis. Dass ein ver- 
grössertes Ovarium sich durch Massage verkleinert, ist sicherlich nicht möglich, das ist nur beim 
entzündlichenMOedem »der Fall, und ob die Massage einer weiteren Vergrösserung des Ovariums 
Vorbeugen kann, ist fraglich; sicher aber ist, dass die Massage, wenn sie vertragen wird, die Be¬ 
schwerden stets rasch beseitigt. 

5. Eine weitere sicherstehende Indikation sind alte Blutergüsse (Hämatocelen, Hämatome 
der Lig. lat etc.), die an anderen Körpertheilen ja auch Gegenstand der Massage sind. Hier gilt 
als Grundsatz, sehr streng zu individualisieren. Je später die Behandlung beginnt, um so eher 
schafft sie Nutzen. Die Berichte der meisten Autoren lauten günstig; gerade hier giebt es zahl¬ 
reiche Fälle, in denen die Massage und strenge Ruhe mit Antiphlogose das beste Mittel bilden. 

6. Nicht so ungetheiit sind die Ansichten über den Nutzen der manuellen Behandlung bei 
Erschlaffung des muskulösen Apparates und deren Folgezuständen, Descensus und Pro¬ 
lapsus Uteri. 

7. Indem die methodische Massagekur die Residuen früherer Erkrankungen an Ovarien, 
Tuben und Uterus allmählich beseitigen, anormale Lagerungen dieser Organe beheben hilft, weiter 
auch die Ernährungsverhältnisse derselben vortheilhaft zu beeinflussen vermag, verdient sie mit 
Recht einen Platz in der Therapie der Sterilität. Nach Seeligmann bewährt sich die Massage 
speziell da, wo infolge Erschlaffung des Bandapparates der Uterus sich während der Kohabitation 
nicht nach unten und vorn zu bewegen vermag. Auch Verfasser hat nach erfolgloser Anwendung 
anderer Mittel öfters erst nach Massage Konzeption eintreten sehen. 


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G94 Referate über Bücher und Aufsätze. 

Schliesslich hat Pie ring die Massage in einer Anzahl von Fällen von chronischer Sal¬ 
pingitis, in denen nur leichte Verdickung der Tuben, jedenfalls aber keine Eiteransammlung vor¬ 
handen war, auch bei subakutem Verlauf mit Erfolg angewandt, indem er durch die Massage allein 
eine ganz beträchtliche Besserung erzielte. Auch bei Wanderniere hat Piering in der grossen 
Mehrzahl der Fälle die guten Erfolge der Unternierenzitterdrückung auch als Dauerresultate durch¬ 
aus bestätigen können. 

Alles in allem stimmt Verfasser in die Worte Schauta’s ein, der sagt: »Die Massage ist mir 
selbst bei mehrjähriger Anwendung ein unentbehrliches therapeutisches Mittel geworden, und ich 
würde heute geradezu eine Lücke in meinem ärztlichen Können empfinden, müsste ich die Massage 
entbehren«. —n. 


E. Jendrassik, Klinische Beitrüge zum Stadium der normalen und pathologischen Gang¬ 
arten. Deutsches Archiv für klinische Medicin 1901. Bd. 70. Heft 1 und 2. S. 81. 

Obschon ein Referat nur den Inhalt der Arbeit und keine Kritik enthalten soll, glaubt Referent, 
wo es sich um sachliche Berichtigung handelt, eine Ausnahme machen zu dürfen. Dies gilt hier 
von zwei Punkten der Kritik, die Verfasser in seiner Einleitung gegen die Arbeit 0. Fisch er 1 s 
übt Dass die Fisch er'sehe Methode sehr umständlich ist, und dadurch in der Anwendung auf 
wenige Fälle beschränkt bleiben muss, ist leider vollkommen richtig. Dagegen hat die Methode 
unzweifelhaft den Vorzug der grössten Genauigkeit und Zuverlässigkeit Wenn Verfasser sagt 
(S. 87), dass die »kleinsten Seitwärtsschwankungen einzelner Körpertheile und des ganzen Körpere 
kaum auf den Aufnahmen korrigierbar« seien, so ist hervorzuheben, dass die Ungenauigkeiten der 
Angabe der einzelnen Punkte nachweislich unter 1 mm bleiben, was für den vorliegenden Gegen¬ 
stand mehr als hinlänglich ist. Ferner meint Verfasser (S. 87): »Dass die Gcisslcr'sehen Röhren 
nicht genügend sicher die Stellung der Extremitäten ergeben haben, wird ersichtlich auf den Tafeln, 
wo das Kniegelenk am vorwärtsziehenden Beine scheinbar in Hyperextension gekommen ista. Dies 
ist derselbe Irrthum, in den leider seinerzeit Professor J. Gad verfallen ist, und der auf einer ober¬ 
flächlichen Prüfung des von 0. Fischer veröffentlichten Materiales beruht Hätte Verfasser, statt 
nur nach der Wiedergabe der Originalaufnahmeu zu sehen, die von Fischer als Schlussergebniss 
entworfene Figur betrachtet, oder die zur Beurthcilung der Originalaufnahme erforderliche Be¬ 
rechnung nach den Zahlen des Fisch ergehen Textes durchgeführt, so wäre dieser irrthümliche 
Einwand nicht hier zum zweiten Male erhoben worden. 

Verfasser selbst arbeitet mit einer Methode, die zwar an Zuverlässigkeit, Genauigkeit und 
Viclseitgkeit mit der Fisch er’s nicht zu vergleichen ist, dafür aber den Vorzug der grössten Ein¬ 
fachheit besitzt. Wie aus der Arbeit des Verfassers hervorgeht, sind dabei die Ergebnisse für das 
praktische Bedürfnis ausreichend. Die aufzunehmenden Individuen gehen vor einer schwarz be- 
hangenen Wand vorbei, und es werden während vier bis sechs Schritten vermittelst einer in 860 cm 
Entfernung aufgestellten Kamera fünf bis acht einzelne Augenblicksbilder auf derselben Platte auf¬ 
genommen. Auf vier bis sechs so hergestellten Platten ist dann eine genügende Zahl verschiedener 
Phasenbildcr enthalten, um mit Berücksichtigung der Schrittlänge eine Zusammenstellung aller auf¬ 
einanderfolgenden Phasen anzufertigen. Da die Aufnahme nur von einer Seite geschieht, so kann 
man natürlich nur die Bewegung in der Gangebene deutlich erkennen, und auch hier werden wegen 
der Ungenauigkeit in_der Zeitfolge der Aufnahmen genaue Messungen nicht möglich sein. Auch 
ohno das geben aber die Aufnahmen ein vollkommen ausreichendes Bild der betreffenden Gangarten, 
aus dem alle auffälligen Eigentümlichkeiten abzulesen sind. Die Methode leistet also mit einer ein¬ 
zigen gewöhnlichen Momentkamera alles, was der Kliniker von einer graphischen Verzeichnung der 
Gangart verlangt, und dürfte sich daher bald einer weiteren Verbreitung erfreuen. 

Was nun die Beobachtungen betrifft, die Verfasser mit dieser Methode gewonnen hat, so ist 
gleich die erste sehr interessant, die sich auf den Einfluss der ßeschuhung bezieht Namentlich 
durch die Wirkung der Absätze werden die Vertikalschwankungen beim Gange geringer, die Vor¬ 
wärtsbewegung also gleichmässiger, als beim Gang auf blossen Füssen. Ferner soll die Be- 
sclmhung die relative Dauer der Phase einseitiger Unterstützung verringern. Im Auszuge können 
die weiter angeführten Einzelheiten nicht wiedergegeben werden, auch treten Ansichten des Vor 
fassers hervor, die mit den neueren Lehren der Muskelmechanik in Widerspruch stehen. Doch darf 
nicht übergangen werden, dass es Verfasser gelungen ist, von der Betheiligung der einzelnen Muskeln 
beim Gehen eine so deutliche Anschauung zu gewinnen, dass er eine sehr übersichtliche graphische 
Darstellung davon geben konnte. Verfasser geht dann zur Besprechung der pathologischen Gang- 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


695 


arten über, die sich wegen der vielen Einzelheiten wiederum zum Referate nicht eignet. Es muss 
auf das Original verwiesen werden, indem hier nur die verschiedenen besprochenen Gangarten auf¬ 
geführt werden, nämlich: der hemiplegische, der spastische Gang, »Stepper«gang, dystrophischer 
Gang, Gang bei schlaffer Lähmung, myelitischer Gang, ataktischer Gang, Gang bei cerebellarcr 
Ataxie, Gang bei Paralysis agitans, endlich hysterische Gehstörungen. 

R. du Bois-Reymond (Berlin). 


K. Martin Sugär, Ueber’die systematischen Hörübungen und deren therapeutischen Werth 
bei Taubstummen und Tauben. Orvosi Hotilap 1901. No. 22—24. 

Die von Urbantschitsch in die Therapie und Praxis eingeführten systematischen Hör¬ 
übungen sind besonders bei psychischer Taubheit von Erfolg; aber auch bei Taubheit nach 
Meningitis cerebrospinalis, Skarlatina, Typhus, Traumen und Schrecken indiziert Der Erfolg 
manifestiert sich in der Verbesserung der Stimme, in reinerer Aussprache der Konsonanten und in 
der Geläufigkeit der Laut Verbindungen. Allein die mit der kontinuierlichen (Bezold’schen) Ton¬ 
reihe vollführte Untersuchung giebt ein klares Bild über die Gehörreste; demnach ist bloss hier¬ 
durch die Zahl jener Taubstummen feststellbar, bei denen der Unterricht durch das Ohr noch Erfolg 
verspricht. Lässt sich also durch diese Untersuchung konstatieren, welche Vokale und Konsonanten 
der Taubstumme von selbst oder durch Unterricht zu hören vermag, so kann schon hieraus auf den 
Erfolg der systematischen Hörübungen gefolgert, andcrentheils aber die Direktive zu weiterem Unter¬ 
richt gewonnen werden. Verfasser will zwar noch kein endgültiges Urtheil abgeben, ob die 
Bezold’sche Methode in den Taubstummeninstituten den Unterricht zu heben, beziehungsweise die 
Behandlung der Taubheit des späteren Alters zu beeinflussen berufen sein wird; unzweifelhaft steht 
aber jene Thatsache fest, dass bei Kindern, die genügende Hörreste besitzen, die Aussprache wie 
auch das Verständniss der gesprochenen Worte bis zu einem gewissen Grade verbesserbar ist. In¬ 
folgedessen hält er es für ein unumgänglich dringendes Postulat, die ohrenärztliche Untersuchung 
und die fachärztlichc Aufsicht in den Taubstummeninstituten zu systematisieren. 

_ J. Honig (Budapest). 


R. Grüubaum und H. Amson, Ueber die Beziehungen der Muskelarbeit zur Pulsfrequenz. 

Deutsches Archiv für klinische Medicin 1901. Bd. 71. Heft 6. 

Dieselben, Der Einfluss der Bewegungen auf die Pulsfrequenz. Wiener medicinische Presse 

1901. No. 47. 

Die Verfasser bedienten sich bei ihren Untersuchungen einer neuen von Grünbaum an¬ 
gegebenen Methode der Pulszählung. Sie berechneten nämlich nicht die Anzahl der Schläge in 
einer gewissen Zeit, sondern sie bestimmten umgekehrt die Zeit, welche während 15 Pulsschlägen 
verstrich. Diese Zeit wurde mittels einer bis auf 1/5 Sekunde regulierbaren Wettrennuhr fixiert und 
hierauf mittels einer Umrechnungsproportion die Minutenfrequenz bestimmt. So kamen die Verfasser 
z. B. zu Resultaten, wie: 15 Pulse in 9Vs Sekunden entsprechen 97«V 4 Pulsschlägen in der Minute. 
Mit Vierteln und Fünfteln von Pulsschlägen vermag man nach der Ansicht des Referenten weder 
in der Wissenschaft noch in der Praxis etwas anzufangen. Eine Pulsfrequenz von »102 27« ist eine 
theoretische Kalkulation, aber eine physiologische Unmöglichkeit. Auch bei der üblichen Art der Puls¬ 
zählung während 20 Sekunden beträgt der Fehler im ungünstigsten Falle 1—3 Schläge in der Minute; 
dieser fällt aber um so weniger in die Waagschale, als selbst die Pulszahl beim Gesunden in der 
Ruhe während mehrerer Minuten hintereinander gemessen nicht konstant ist, sondern um 2—6 Schläge 
schwankt. Ausserdem wäre es gerade für derartige Untersuchungen instruktiver, die Pulszahl während 
der aufeinanderfolgenden Sekundendekaden zu bestimmen, da sich ja während und nach den Be¬ 
wegungen der Herzrhythmus innerhalb einer Minute ändert. Die Verfasser stellten im ganzen 
19 Versuche an sich und an einer dritten gesunden Versuchsperson an, die gefundenen Zahlen¬ 
reihen füllen drei Viertel der 48 Seiten starken ersten Arbeit. Sie benutzten als Arbeitsmaschinen 
die H erziehen mechano - therapeutischen Apparate und fanden, dass die Pulsfrequenz sofort mit 
dem Einsetzen der Arbeit in die Höhe geht und allmählich bis zu einer gewissen Höhe (Maxiraum 
173 Pulse in der Minute) ansteigt, die selbst bei bis zur Erschöpfung forzierter Anstrengung nicht 
mehr überschritten wird. Nach Aufhören der Arbeit tritt der Pulsabfall rapide ein. Uebergrosse 
Arbeit übt durch längere Zeit einen schädigenden Einfluss auf das Herz. 

In der zweiten Arbeit wird ausgeführt, dass Ucbungen an unbelasteten Förderungsapparateil 
auf die Pulsfrequenz kalmierend wirken, während Selbsthemmungsbewegungen die Pulszahl un- 


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696 Referate über Bücher und Aufsätze. 


verhältnissmässig zur geleisteten Arbeit erhöhen. Passive Uebungen verändern nicht den Herz¬ 
rhythmus. Auch die letzgenannten Versuche wurden nur an drei gesunden Personen (darunter die 
Verfasser) ausgeführt. P. Lazarus (Berlin). 

K. Pandy, Neuritis multiplex und Ataxie. Klinisch-therapeutische Wochenschrift 1900. No. 42—44. 

In dieser lesenswerthen Publikation schildert Verfasser einen Fall von akuter Ataxie bei einem 
29 jährigen Zuckerbäcker, welche zehn Wochen ante exitum im Anschlüsse an eine Erkältung (Influenza) 
aufgetreten war. Innerhalb vier Wochen entwickelten sich Pupillenstarre, Schwanken bei Augen¬ 
schluss, Verlust der Patellarreflexe, Parästhesien, Gürtelgefühl und lanzierende Schmerzen, ferner 
eine Lähmung der oberen Facialisäste, welche mit Entartungsreaktion einherging. Der letztere 
Umstand, sowie die Druck empfindlich keit der Nervenstämme und das rapide Auftreten sprachen für 
die obige Diagnose, welche durch die histologische Untersuchung des Nervensystems bestätigt wurde. 
Es fand, sich eine Degeneration der peripheren Nerven, sowie der hinteren und vorderen Rücken¬ 
markswurzeln ohne nennenswerthe Veränderung des Rückenmarkes. Der Exitus wurde durch eine 
kroupöse Pleuropneumonie herbeigeführt. Verfasser erörtert nun die einzelnen Symptome des Falles. 
Verlust der Pupillenreaktion bei multipler Neuritis ist eine grosse Seltenheit und beruht urahr- 
scheinlich auf Degeneration der peripheren Optikusfasem. Nach Pandy’s Untersuchungen ist die 
Pupillenreaktion in 50 °/ 0 der Tabesfälle nur träge, in 6 o/ 0 deutlich vorhanden und nur in 44 0 / 0 er¬ 
loschen. Verfasser bespricht sodann die verschiedenen Formen der cerebralen, cerebellaren, spinalen 
und peripheren Ataxie. Bei der Besprechung der Ataxietheorieen übergeht er die heute wohl meist 
anerkannte, zuerst von v. Leyden aufgestellte sensorische Theorie. Pandy unterscheidet u. a. eine 
ccntrifugale Ataxie motorischen Ursprunges nach Himrindenläsionen und Hemiplegieen. Nach An¬ 
sicht des Referenten ist auch in diesen Fällen die Zerstörung der sensiblen Komponente der aus¬ 
lösende Faktor, was sich sowohl anatomisch als auch klinisch (Störungen der Haut- und Muskel¬ 
sensibilität, des Orts-, Lage- und Taststinnes) nach weisen lässt. Die periphere Ataxie kann bei 
Erkrankungen der Wurzeln, der peripheren Nerven oder ihrer Endausbreitung erfolgen. Bei der 
neuritischen Ataxie sind die Bewegungen langsamer und schwächer als bei der tabetischen, da bei 
ersterer sowohl die sensiblen als auch die motorischen Fasern degeneriert sind. 

P. Lazarus (Berlin). 

Paul Godin, Dn röle de Pauthropomtftrie en education physiqne. Bull, et m€m. de la soc. 
d’anthropol. de Paris 1901. Bd. 2. S. 110. 

Den Worth turnerischer Uebungen auf die Körperentwicklung der im Wachsthum begriffenen 
Jugeud zeigen deutlich die Messungen, die Godin an 100 Schülern der ficole militaire zu Hippo- 
lyte-du-Fort von 14 V 2 bis zu 18 Jahren alle sechs Monate vorgenommen hat. Die Hälfte dieser 
Schüler benutzte die freie Zeit dazu, um in massiger Weise an Apparaten, mit Vorliebe am festen 
Barren, zu turnen, die andere Hälfte trieb keine derartigen Uebungen. 

Unter dem Einflüsse des Apparateturnens nahm der Umfang des Brustkorbes mehr zu, als 
wenn nicht geturnt wurde. Der Unterschied zwischen turnenden und nicht turnenden Schülern be¬ 
trug nach Ablauf der 3 1/2 Jahre Beobachtungszeit 8—10 cm. Die Kurve zeigte ausserdem, dass der 
Thorax bei ersteren viel schneller an Ausdehnung zunimmt, als bei letzteren. Eine Bestätigung 
dieser ausgiebigeren Zunahme des Brustkorbes erhielt Godin ausserdem dadurch, dass er diese 
mit der Verbreiterung des Beckens verglich. Spontan nimmt das Becken mit dem Alter an Breite 
zu, und zwar innerhalb des gleichen Zeitraums mehr, als der Thorax. Tritt indessen Turnen hinzu, 
dann wächst der Thorax in viel ausgiebigerem Maasse als das Becken. Dieselbe Erscheinung prägte 
sich an den Umfängen der oberen und der unteren Extremitäten aus. Unter gewöhnlichen Ver¬ 
hältnissen nimmt die Unterextremität relativ mehr an Volumen zu, als die obere; bei den turnenden 
Kindern aber schwächte sich dieses Verhältniss ab oder schlug direkt in das Gegentheil um. Inner¬ 
halb der angegebenen Periode von nahezu vier Jahren betrug die mittlere Zunahme des 



bei den nicht- 

bei den 

turnenden Kindern 

turnenden Kindern 

bi-acromialen 

4 cm 

6 cm 

Thorax- Durchmessers 

3 » 

5 » 

Becken- 

6 n 

6 * 

Arm- 

4 » 

5 j> 

Schenkel- \ 

6 » 

0 ® 

Vorderarm- > Umfanges 

3 » 

6 » 

Waden- 1 

5 » 

6 D 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


697 


Mit der stärkeren Entwicklung der einzelnen Körperabschnitte geht bei den turnenden Kindern 
eine stärkere Zunahme ihres Körpergewichtes einher. Bei den nicht turnenden Schülern war inner¬ 
halb des angegebenen Zeitraumes eine Zunahme um 14 kg herum erfolgt, hingegen betrug 
bei den turnenden Schülern die Gewichtszunahme 20, 25, selbst 27 und 29 kg. Bis zu einem ge¬ 
wissen Grade begünstigt das Apparatctumen auch das Körperlängenwachsthum, denn die Schüler, 
die geturnt hatten, waren nach 3 V 2 Jahren ungefähr einen Centiraeter grösser, als diejenigen, die 
nicht geturnt hatten (dieselbe Anfangsgrösse vorausgesetzt). Busch an (Stettin). 


D. Elektrotherapie. 

Ernst Frey, Die Heilwirkungen des Franklin’schen Stromes. Fester medicinisch- 
chirurgische Presse 1901. No. 37. 

Verfasser macht einige kurze Mittheilungen über die therapeutischen Erfahrungen, welche er 
in dem Nervenambulatorium des Professors Schaffer zu Budapest bezüglich der Franklinisation 
gewonnen hat. Die besten und frappantesten Erfolge sah er zunächst bei Hysterie und Neurasthenie. 
Er ist überzeugt, dass in diesen Fällen das Wesen der Heilwirkung vorwiegend auf psychischen 
Vorgängen beruht, meint aber, dass »einigermaassen auch die physische Wirkung in Betracht ge¬ 
nommen werden« muss, indem die Ozonisation blutbildend und dadurch aufbesserad auf die Er¬ 
nährung wirkt. 

Bei Rheumatismus und Ischias erzielte Verfasser mit Franklin’schen Funkenentladungen viel 
bessere Erfolge, wie mit anderen Elektrisationsmethoden (nur Fälle von Neuritis sind davon aus- 
ausgenommen). 

Bei Neuralgien dagegen (die Ischias ist doch auch eine Neuralgie! Referent) waren die Er¬ 
folge nicht besser wie bei Galvanisation. Sehr günstig aber wurden die hyperästhetischen Zonen 
bei einem Tabeskranken beeinflusst 

Bei Morbus Basedowii wurde eine kombinierte Behandlung angewendet in der Weise, dass 
den einen Tag franklinisiert wurde (Ozonisation der Herzgegend, nachher allgemeine Ozonisation), 
den zweiten Tag die Struma und die Halsganglien des Sympathikus galvanisiert und den dritten 
Tag der Exophthalmus faradisiert wurde. Unter dieser Behandlung trat sehr bald Erleichterung der 
Beschwerden und nach fünf bis neun Monaten volle Heilung respektive auffallende Besserung ein. 

Drei kurze Krankengeschichten sind beigefügt 

Die Erfolge bei Lähmungen verschiedener Art erschienen noch zweifelhaft, gut waren sie 
dagegen bei nervöser Schlaflosigkeit und Herzklopfen. 

Verfasser bezeichnet nach seinen Erfahrungen den Franklin’schen Strom als einen wichtigen 
elektrotherapeutischen Faktor, dessen Wirkung theils eine physische, theils eine psychische ist. 

Mann (Breslau). 

Donath, Meni&re’scher Symptomenkomplex geheilt mittels galvanischen Stromes. Wiener 
klinische Wochenschrift 1901. No. 47. 

Verfasser theilt einen Fall von Morbus Meniöri mit, der überraschend gut durch den 
galvanischen Strom beeinflusst wurde. Schon nach der ersten Sitzung (Anode auf dem Ohr, 
Kathode im Nacken, 2—5 M-A, je fünf Minuten auf jedem Ohr) hörte der seit sieben Wochenibe- 
stehende Schwindel gänzlich auf. Nach sechs Sitzungen nahm der Patient die Arbeit wieder auf; 
nach einem kleinen Rückfall weitere fünf Sitzungen, welche die störenden Erscheinungen völlig be¬ 
seitigten. Es blieb nur noch eine gewisse Hyperästhesie des Akustikus bestehen. 

Verfasser wundert sich, dass der galvanische Strom bisher bei Meniöre noch nicht an¬ 
gewendet worden ist. Er kann in dieser Beziehung nur Ladreit de Lacharrifcre erwähnen, 
welcher zwei Fälle mit gutem Erfolge behandelt hat. Im übrigen führt er nur die Publikationen 
über Franklin’sche Behandlung des Morbus Meniöri an. 

Referent möchte erwähnen, dass die Galvanisation der Acustici bei Morbus Meniöri nicht 
so neu ist, wie Verfasser glaubt. Erb empfiehlt sie schon in der ersten Auflage seines Lehrbuches 


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698 Referate über Bücher und Aufsätze. 


(1882) sehr warm und wendet sich gerade bei dieser Gelegenheit scharf gegen die Ohrenärzte, die 
sich diesem Mittel verschliessen. Referent selbst hat schon häufig dieselbe Behandlung ausgeführt 
mit ziemlich gutem, aber niemals so eklatantem Erfolge, wie in dem Falle Donath’s. 

Mann (Breslau). 


Julius Baedeker, Die Arsonvalisation« Wiener Klinik 1901. Heft 10/11. 

Verfasser hat auf Anregung von Euleuburg dessen Versuche über Arsonvalisation in seiner 
Nervenpoliklinik, sowie im Institut für medicinische Diagnostik fortgesetzt 

Von Einzelheiten seiner Resultate ist Folgendes zu erwähnen: 

Von physiologischen Wirkungen wurde zunächst der Einfluss auf die Hautsensibilität unter¬ 
sucht. Eine völlige Anästhesie, welche Arsonval angiebt, wurde niemals beobachtet; es fand 
sich unmittelbar nach der Bestrahlung eine leichte Herabsetzung der Sensibilität, welche zehn 
Minuten später einer deutlichen Hyperästhesie Platz machte. 

Verfasser stellte sodann Athmungsversuche an Thieren an, um die bekanntlich bereits mehrfach 
bestrittenen Angaben Arsonval’s über den Einfluss der Arsonvalisation nochmals nachzuprüfen. 
Es ergab sich zunächst in einem Versuch eine bedeutende Vermehrung von Athemzahl und Tiefe 
und eine wesentliche Erhöhung des Respirationsvolumens. In drei anderen Versuchen wurde 
jedoch die Athmung durch die Arsonvalisation in keiner Weise beeinflusst 

Was nun das Verhalten des Blutdruckes anbetrifft, so konnte Verfasser die bekannten An¬ 
gaben Ars onvaTs ebenfalls nicht bestätigen. Am Kaninchenohr fand sich keine Veränderung der 
Gefässfüllung bei Arsonvalisation im Solenoid. Auch die Zählung der ausfliessenden Blutstropfen 
nach einem Einschnitte in die Pfote ergab ganz widersprechende Resultate (nach Arsonval soll 
das Blut nach Arsonvalisation reichlicher fliessen). 

Direkte Blutdruckmessungen mittels des Basch’sehen Sphygmomanometers am Menschen er¬ 
gaben in der Hälfte der Fälle (von 22 Fällen) eine erhehliche Steigerung des Blutdruckes um 6 cm 
und darüber. Dagegen blieb bei Messung in der Carotis des Kaninchens mit eingesetzter Kanüle 
der Blutdruck unverändert Nur im Beginn des Versuches ergab sich eine Steigerung, die aber 
auf die erregende Wirkung des lauten Geräusches des Apparates zurückzuführen war, wie sich 
daraus erkennen liess, dass schon das Geräusch allein, ohne Stromzufuhr, genügte, um die Steigerang 
hervorzurufen. Man darf daraus also wohl schliessen, dass auch die am Menschen in der Hälfte 
der Fälle beobachtete Blutdrucksteigerung auf solche accidentelle Momente zurückzuführen ist 

Ueber die Beeinflussung des Stoffwechsels durch die Arsonvalisation hat der Verfasser keine 
eigenen Versuche an gestellt. 

Von seinen therapeutischen Versuchen an Kranken erwähnt Verfasser zunächst den Diabetes. 
Auch hier sind seine Resultate (wie auch die anderer, z.B. Doumer’s) denen Arsonval’s ent¬ 
gegengesetzt. ln drei Fällen zeigte sich keine Veränderung des Zuckergehaltes; dagegen wurde 
symptomatisch der Pruritus günstig beeinflusst, wie übrigens auch andere Formen von Pruritus. 

Ueber die Behandlung der Obesitas, deren Erfolge von anderen Autoren (P. Cohn, Doumer) 
ebenfalls bestritten werden, fehlen dem Verfasser eigene Erfahrungen 

Bei Hysterie und Neurasthenie hat der Verfasser verschiedene Wirkungen gesehen. Unter 
zwölf Patienten wurden zwei garnicht beeinflusst, bei vier Patienten trat eine bedeutendende Ver¬ 
schlimmerung der nervösen Erregung und Unruhe auf. Bei sieben Patienten (also zusammen drei¬ 
zehn Fälle!) trat eine auffallende Besserung des Schlafes ein und zwar bei einigen sehr rasch, bei 
einigen erst nach längerer Behandlung. Dieses Resultat stimmt mit den Beobachtungen von T. Cohn 
durchaus überein. 

Am Schlüsse theilt Verfasser seine Erfahrungen über lokale Arsonvalisation mit Bei dieser 
muss die Anordnung so getroffen werden, dass ein starker Hautreiz erzeugt wird. Es muss zu 
diesem Zwecke der Abstand der Zinkkugeln der Funkenstrecke mindestens 6 mm, der Abstand der 
Elektroden von der Haut mindestens 4 mm betragen und jede einzelne Hautstelle so lange bestrahlt 
werden, bis der Patient ein so heftiges Brennen und solchen Schmerz empfindet, dass er die Be¬ 
strahlung der Stelle nicht länger aushält. Auf diese Weise wurden behandelt: fünfzehn Neuralgien, 
sieben Myalgien, neun Arthralgien und chronische Arthritiden, drei Fälle von Erythromelalgic und 
vier Fälle von Cephalalgie. 

Unter den Neuralgien befanden sich acht Fälle von Ischias. Von diesen wurden zwei gar¬ 
nicht gebessert, die übrigen zeigten eine Verringerung der Schmerzen, die aber stets nur vorüber- 


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Referate über Bücher and Aufsätze. 699 


gehend war. Fünf andere Fälle von Neuralgie wurden ebenfalls gebessert, zwei Trigeminus¬ 
neuralgien dagegen direkt schädlich beeinflusst 

Die Myalgien und Arthralgien wurden zum grossen Theil gebessert, aber meist nur vorüber¬ 
gehend. 

Bei den Erythromeialgien wurde die Röthung und Schwellung jedesmal gebessert, in zwei 
Fällen kehrte sie schon nach drei Tagen wieder; in einem Falle hielt die Besserung vierzehn Tage 
lang Stand. Sehr günstig wurden die Fälle von Cephalalgie beeinflusst, von denen zwei anämischer, 
einer urämischer Natur war. 

Aus den Untersuchungen des Verfassers geht somit wiederum, wie auch schon aus anderen 
Arbeiten (P. Cohn, Doumer, Querton, Kindler etc.) hervor, dass die urspiünglieben Angaben 
ArsonvaTs und Apostoli’s, welche so grosses Aufsehen gemacht haben, weil darnach ein 
ganz neues, eigenartiges, elektrotherapeutisches Prinzip gefunden zu sein schien, durchweg auf un¬ 
genauen Beobachtungen beruht haben. 

Die spezifische Einwirkung auf die Zellenergie und damit auf das Respirationsvolumen und 
den Stoffwechsel überhaupt, sowie auf den Blutdruck und damit die therapeutische Wirksamkeit 
bei Stoffwechselkrankheiten, ist als vollkommen widerlegt anzusehen. Es bleibt nur eine günstige 
Beeinflussung nervöser Schlaflosigkeit, sowie verschiedener schmerzhafter Affektionen übrig, bei 
denen die Arsonvalisation einfach als Hautreiz wirkt 

Damit ist aber die Bedeutung dieser Therapie auf ein Minimum herabgedrückt. Denn dass 
man bei schmerzhaften Affektionen auch auf andere, einfachere Art wirksame Hautreize applizieren 
kann, dass ferner die nervöse Schlaflosigkeit den verschiedensten Methoden zugänglich ist, braucht 
wohl nicht besonders betont zu werden. Von einer spezifischen Wirksamkeit der Arsonvalisation 
kann also nicht gut mehr die Rede sein; sie kann höchstens in manchen Fällen in Konkurrenz mit 
anderen, aber viel einfacheren Methoden treten. 

Zum Schlu&se sei nicht unterlassen, eine stilistische Eigenthümlichkeit des Verfassers zu er¬ 
wähnen, welche sehr sonderbar berührt, nämlich die Art, wie er französische Zitate wiedergiebt. 
Er führt ein und denselbeu Satz theils im Original, theils in Uebersctzung an, so dass sehr sonder¬ 
bare Sätze entstehen, wio ein Zitat aus Doumer: »aber diese glücklichen Fälle sind tres rares«, 
oder er fügt sogar bei einzelnen ganz willkürlich gewählten Worten die Uebersctzung bei, z. B.: 
>on voit chez le lapin (Kaninchen) les vaisseaux de Poreille (des Ohres) sich erweitern trfcs rapide¬ 
ment, wie nach Symp&thikusdurchschneidung«. 

Es ist wohl Pflicht der Kritik, derartige Sinnlosigkeiten, auch wenn sie nur den Stil betreffen,, 
nicht ungerügt passieren zu lassen. Mann (Breslau). 


E. Verschiedenes. 

H. Strangs, Die chronischen Nierenentzündungen in ihrer Einwirkung anf die Blutflüssig¬ 
keit und deren Behandlung nach eigenen Untersuchungen an Blutserum und an Trans¬ 
sudaten. Berlin 1902. August Hirschwald. 

Die Monographie berichtet über ausgedehnte Untersuchungen, die der Verfasser mit vielem 
Fleisse in einem Zeitraum von fünf Jahren angestellt hat. Man kann die Arbeit als eine höchst 
erfreuliche und dankenswerthe begrüssen; denn einmal ist mit guter Kritik das sehr zerstreute 
Litteraturinaterial recht vollständig zusammengestellt, und dann geben auch die eigenen Unter¬ 
suchungen vonStrauss nicht nur werthvolle Ergänzungen, sondern mancherlei neue Gesichtspunkte, 
sodass das Buch für jeden, der auf dem Gebiete der Nierenkrankheiten selbstständig arbeiten will, 
eine nicht zu entbehrende Grundlage sein wird. Gewiss sind durch die St raus s* sehen Unter¬ 
suchungen keineswegs Fragen der Nierenpathologie glatt und definitiv gelöst, aber unsere Kennt¬ 
nisse sind um ein gutes Stück durch dieselben erweitert. 

Die Inhaltsangabe kann im Rahmen eines kurzen Referates keine erschöpfende sein. Die 
wichtigsten Ergebnisse sind folgende. Der Retentionsstickstoff, unter welchem Ausdruck Strauss 
den nach Enteiweissung einer Körperflüssigkeit in denselben verbleibenden Stickstoffgehalt ver¬ 
standen wissen will, ist gegenüber normalen Verhältnissen bei chronisch parenchymatöser Nephritis 
um ein geringes, bei der chronisch interstitiellen Nephritis beträchtlich vermehrt. Bei Urämie steigt 
der Gehalt an Retentionsstickstoff sehr erheblich. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


700 


Die Bestimmungen des Harnstoff-, Harnsäure-, Ammoniakstickstoffs ergeben, dass ihre 
Schwankungen ungefähr gleichsinnig mit der des Retentions-N gehen, sodass die N-Mischung für 
die einzelnen Komponenten des Retentions-N bei dem Steigen des letzteren nicht wesentlich ver¬ 
ändert werden. Nur bei der Urämie erschien der Ammoniakstickstoff auffallend vermehrt, ein Be¬ 
fund, den Strauss als Ausdruck einer Gewebsansäurung auffassen will. Interessant ist auch, dass 
die N-Mischung im Blut, in Transsudaten und im Ham einen ziemlichen Parallelismus bot. 

Kochsalz, Aschengehalt und ebenso der Zuckergehalt des Blutserums zeigten bei den ver¬ 
schiedenen Formen der Nephritis keine einheitlichen Abweichungen. 

Die Untersuchungen über das physikalisch - chemische Verhalten des Serums sind meist nach 
der Methode der Bestimmung der Gefrierpunktserniedrigung, in einzelnen Fällen auch mit dem Ein¬ 
tauchrefraktometer von Pulfrieh angestellt, sie bestätigen frühere Resultate; bemerkenswerth ist 
jedoch, dass die Schwankungen des Retentions-N erheblich beträchtlicher waren als diejenigen von 
J und dass sich in Bezug auf den Kochsalzgehalt kein direkter Parallelismus zwischen d und Koch¬ 
salz ergab. 

Untersuchungen über die Serotoxinität des Blutes von Nierenkranken ergaben, dass dieselbe bei 
chronisch interstitieller Nephritis im allgemeinen eine höhere, als bei den chronisch parenchyma¬ 
tösen Formen ist. Bei der von Jacobsohn ausgeführten mikroskopischen Analyse des Nerven¬ 
systems der vergifteten Thiere wurden mit dem Nissl-Verfahren nur geringfügige Zell Veränderungen 
gefunden. 

Es folgen dann Beobachtungen über den Urin Nierenkranker, die ergaben, dass 1. bei 
chronisch institieller Nephritis die Ausscheidung von subkutan injiziertem Methylenblau häufiger 
und stärker verlangsamt war als bei Gesunden und bei Fällen von chronisch parenchymatöser 
Nephritis, 2. dass die molekulare Konzentration des Urins bei Nephritikem meist herabgesetzt war, 
3. dass Schwankungen der N-Ausscheidung häufiger und grösser als bei Gesunden sind. 

Bestimmungen endlich über das spezifische Gewicht und den Eiweissgehalt des Blutserums 
Nierenkranker ergaben für die chronisch parenchymatöse Nephritis ein niedriges spezifisches Gewicht 
und einen geringen Ei weissgeh alt, für die chronisch interstitiellen Formen ein normales oder nur 
wenig erniedrigtes spezifisches Gewicht und ebenso einen normalen Eiwcissgehalt. 

Die Schlüsse, welche Strauss aus eigenen und fremden Untersuchungen zieht, sind folgende: 
Der pathologisch physiologische Prozess ist bei parenchymatösen wie interstiellen Formen zunächst 
derselbe: Es kommt zu Retentionen. Die spezielle Art derselben ist vielleicht, der Modus der 
Kompensation aber sicher verschieden. Bei den parenchymatösen Formen werden die Retenta 
innerhalb der Blutbahn durch einen Flüssigkeitszuwachs verdünnt und so unschädlich zu machen 
versucht. Bei den interstitiellen Formen tritt dieser Verdünnungsversuch auch ein. Das Plus von 
Flüssigkeit wird aber durch die kompensatorisch gesteigerte Herzkraft vielleicht mit Zuhilfenahme 
noch funktionsfähigen Parenchyms in statu nascendi entfernt. Die Urämie ist dann die Folge der 
Insufficienz der kompensatorischen Kräfte, die Ansammlung giftiger Stoffwechselprodukte über die 
Schwelle der individuellen Toleranz hinaus, sie ist in ihren Erscheinungen verschieden je nach dem 
Ueberwiegen der einzelnen Giftart und je nach der Resistenz der verschiedenen Organsysteme. 

Den Schluss der Strauss’sehen Arbeit bildet ein Kapitel »Therapeutische Gesichtspunkte«. 
Bei der Besprechung der Diät warnt Strauss vor allem vor einer Unterernährung, und hält bei 
Vermeidung eines Uebermaasses von stickstoffhaltiger Nahrung eine Bevorzugung der Kohlehydrate 
und Fette für richtig. Eine Beschränkung der Wasserzufuhr wird als meist nicht rationell bezeichnet. 
Mit der Salzzufuhr braucht man, wenn man auch ein Uebermaass vermeiden wird, nicht zu ängstlich 
zu sein. Zur Anregung der Herzkraft wird der dauernde Gebrauch kleiner Digitalisdosen empfohlen. 
Schwitzkuren werden nur für Urämie angerathen, ihr dauernder Gebrauch aber für unzweckmässig 
erklärt. Ableitungen auf den Darm namentlich durch die Bitterwässer werden empfohlen. Bei 
Vorhandensein von Oedem wird die häufige und frühzeitige Eröffnung des Unterhautzellgewebes 
als direktes Heilmittel gerathen. Der Aderlass wird nicht nur erst als letztes Zufluchtsmittel gelobt, 
sondern St rau S8 hat den Eindruck gewonnen, dass der Ablauf der chronisch interstitiellen Nephritis 
bei Vornahme wiederholter Aderlässe sich günstiger gestalte. M. Matth es (Jena). 


E. Riernacki, Die moderne Heilwissenschaft, Wesen und Grenzen des ärztlichen Wissens« 

Autorisierte Uebersetzung von Dr. S. Ebel. Leipzig 1901. 

Vor mehr als einem halben Jahrhundert rief W. Griesinger den Aerzten zu: »Stellt Euch 
selbst zu den Laien nicht in ein Verhältniss, wo die Medicin als ein geheimnissvolles Priesterthum 


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Kleinere Mittheilungen. 


701 


erscheint, das seine Mysterien und Orakel hat! Zieht die Augurenjaeke aus und sagt offen, dass 
wir alle vom schnellen, sichern Heilen nicht eben viel verstehen« (Ueber medicinische Charlatanerie 
1843). Dieser Aufforderung haben seither zahlreiche Aerzte in Wort und Schrift Folge geleistet. 
Die populär medicinischen Bücher haben dem ärztlichen Stande manchmal genützt, manchmal ge¬ 
schadet . In die letztere Kategorie dürfte das obige Büchlein gehören. Verfasser behandelt in 
sieben, für Laien bestimmten Vorlesungen die Entwicklung der Medicin (schönstes Kapitel), ihre 
objektive Leistungsfähigkeit, beziehungsweise ihre Insufficienz, die Charlatanerie der Kurpfuscher 
und der ärztlichen Sekten (Homöopathen, Hydropathen etc.). Biernacki steht auf dem Gipfel des 
Skepticismus: 

»Jeder intelligente Arzt weiss es auch, dass es oft einerlei ist, wer den Kranken behandelt, 
ein tüchtiger oder ein unfähiger Arzt, ein Homöopathe, Kurpfuscher oder gar ein altes Weib« 
(S. 123). — »Die Wissenschaft weiss es auch, dass oft alles eins ist, ob eine richtige, falsche oder 
gar keine Diagnose gestellt wird; für den Ausgang der Krankheit und für die Heilung ist das 
ganz gleichgiltig« (S. 124). — »Ob eine Lähmung (Paralyse) der unteren Extremitäten auf eine Er¬ 

krankung des Rückenmarks zurückzuführen oder hysterischen Ursprungs ist, das ist für die Wahl 
der Hilfsmittel, die bei Lähmungen zur Anwendung kommen, ziemlich irrelevant« (S. 71). 

»Im grossen und ganzen dürften die Zahlen der Todesfälle bei Kranken, die von Aerzten 
und solchen, die von Sektierern behandelt wurden, nicht erheblich differieren, also nicht für den 
einen oder anderen wesentlich ins Gewicht fallen« (S. 125). — »Es ist konsequenter Weise auch 
möglich, dass mancher Kranke, der z. B. an einem Herzfehler leidet, bei einem Homöopathen mit 
seinen Potenzen länger leben kann als in den Händen eines Arztes, wenn letzterer keinen so nach¬ 
haltigen und intensiven psychischen Einfluss auszuüben vermag wie der Homöopathe« (S. 121). 

Geschrieben im Zeitalter des Diphtherieseruras und der Hygiene! Die Laien werden sich 
darnach einen schönen Begriff von dem Wesen der »modernen Heil Wissenschaft« machen! 

P. Lazarus (Berlin). 

J. Bornträger, Das Buch vom Impfen. Leipzig 1901. 

Ein verdienstvolles Werkchen, welches eine kritische Sichtung der mit der Impfung zusammen¬ 
hängenden Fragen giebt. In eingehender Weise und auf dem Boden genauer Statistiken entkräftet 
Verfasser die Argumente der Impfgegner. Den grössten Theil des Büchleins nehmen die Reichs¬ 
verordnungen und die gerichtlichen Entscheidungen über das Impfen ein. Anhangsweise sind 
sämmtliche in Deutschland vorgeschriebenen Impfformulare beigegeben. Das Buch eignet sich daher 
vorzüglich für Medicinalbehörden und beamtete Aerzte. Für die nächste Auflage wäre eine Be¬ 
sprechung der angeborenen Immunität gegenüber der Vaccination und der in den ausserdeutschen 
Kulturländern geltenden Impfgesetze erwünscht. P. Lazarus (Berlin). 


Kleinere Mittheilungen. 

i. 

Der Cyklostat, eine Modifikation des Jacob’schen stationären Fahrrades>)• 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). 

Von Dr. Paul Lazarus. 

Durch physiologische und therapeutische Untersuchungen wurde die günstige Beeinflussung 
einzelner funktioneller und organischer Erkrankungen durch das Radfahren erwiesen; dasselbe stellt 
daher nicht nur einen Sport, sondern ein unter Umständen wirksames mechanisches Heilagens dar. 
Um die Aufnahme des Fahrrades in das Armentarium der physikalischen Therapie haben sich ins- 


i) Am 30. Januar 1902 demonstriert in der Gesellschaft der Chariteärzte zu Berlin. 


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702 


Klebiere Xitthekhuagen. 


besondere Zuntz, Fürbringer, Siegfried, Paul Jacob n a. verdient gemacht. Die beiden 
letztgenannten Autoren haben zu therapeutischen Zwecken eigene Räder konstruiert; von Sieg¬ 
fried rührt das freibewegliche Dreirad und von Jacob das fixe Zimmcrfahrrad her. Den Bau 
und die Vorzüge des letzteren, speziell in der Hospitalpraxis, hat Jacob in dieser Zeitschrift (Heft I. 
Jahrgang 1901/02) eingehend geschildert. 

Das stationäre Rad steht seit fast einem Jahre im physikalisch-therapeutischen Institute 
der I. medicinischen Universitätsklinik in Verwendung. Im Laufe dieser Versuchszeit ergaben sich 
nun eine’;Reihe von Verbesserungen, welche ich im Einverständnisse und unter Mithülfe des Herrn 
Dozenten Dr. Jacob von der Firma E. Lentz, Berlin, ausführen Hess. Diese Modifikationen haben 
die Indikationsbreite und die Wirkungsweise des Rades nach mehreren Richtungen hin erweitert, 
sodass eine kurze Schilderung des umkonstruierten Rades gerechtfertigt erscheint 

Die Hauptveränderung ging aus dem Bestreben hervor, nicht nur die unteren, sondern 
auch die oberen Extremitäten gleichzeitig in Bewegung zu setzen. Zu diesem Behufe musste eine 

Vorrichtung zur Uebertragung der 
Fig. 91. Bewegung von den Beinen auf die 

Arme getroffen werden. 

An Stelle der Lenkstange kamen 
zwei Handkurbeln, welche in ihrem 
Baue den Fusskurbeln ähnlich sind; 
den eigentlichen Pedalen entsprechen 
26 cm lange, quere Handgriffe, deren 
Abstand von der Drehachse durch eine 
schlittcnartige Vorrichtung verlängert 
werden kann. Die Verstellbarkeit der 
Handgriffe ermöglicht eine Variabilität 
der Bewegungen innerhalb konzentri¬ 
scher Kreise von 26 — 40 cm Durch¬ 
messer um die Drehachse der Welle. 
Durch Parallelschaltung der Handkur¬ 
beln lassen sich mit den Armen gleich¬ 
sinnige Bewegungen vornehmen. 

Die Handkurbeln stehen nun mit 
den Fusskurbeln durch ein doppeltes 
Zahnradgetriebe und durch ein Ketten¬ 
rad derart in Verbindung, dass beide 
gleichsinnig mit einander in Bewegung 
gesetzt werden können. Das Haupt¬ 
schwungrad kann sowohl von der Hand¬ 
kurbel, als auch von der Fusskurbel 
aus in Umdrehung versetzt werden. Durch Drehen der Handkurbel können die unteren Extremitäten 
und durch Treten der Pedale die oberen Extremitäten rein passiv mitbewegt werden. Es ist also 
dadurch gewissermaassen ein Rad auch für die oberen Gliedmaassen geschaffen (Figur 91). 
Dieser Mechanismus der Kraftübertragung ermöglicht zahlreiche Rädübungen im Sinne der 
aktiven, passsiven und autopassiven Gymnastik. 

Aktiv können eine oder mehrere Extremitäten in verschiedener Weise bewegt werden. 

Für isolierte Uebungen der Beine schaltet man durch eine einfache Manipulation das Zahn¬ 
radgetriebe und die Handkurbeln aus und steckt blos die einfachen Handgriffe an die Enden der Welle. 

Bei isolierten Armübungen lässt man die Füsse auf der Trittplatte, oder dem vorderen Rahmen¬ 
gestell ruhen. In ähnlicher Weise kann man auch die Bewegungen eines Armes mit denen des 
gleichzeitigen oder gekreuzten Beines kombinieren. 

Durch eine Bremsvorrichtung lässt sich, wie am Jacob’sehen Modell, die Arbeitsleistung 
regulieren und durch einen nach Art eines Taxameters konstruierten Tourenzähler die Zahl der Um¬ 
drehungen kontrollieren. 

Passiv können gleichfalls eine oder mehrere Extremitäten durch Drehen der Handkurbel be¬ 
wegt werden. Die am ursprünglichen Modell unter dem Sattel befindliche kleine Drehkurbel ist 
durch das Anbringen der Antriebs Vorrichtung an der Lenkstange überflüssig geworden. Für die 
Vornahme passiver Uebungen, welche vorzugsweise bei paretischen Patienten zur Anwendung ge¬ 
langen, waren einige Abänderungen des ursprünglichen Modells erforderlich. Das zur Ueberwindung 




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Kleinere Mittheilungen. 703 

des toten Punktes angebrachte grosse Schwungrad wurde in den rückwärtigen Theil des GesteHes 
unter den Sattel verlagert, wodurch viel Raum zum bequemen Auf- und Absteigen vom Rade ge¬ 
wonnen wurde; dem genannten Zwecke dient auch eine vor dem Schwungrade angebrachte eiserne 
Trittplatte, welche namentlich paraparetischen Patienten den Auf- und Abstieg erleichtert. 

Um ein Abgleiten vom Rade zu verhindern, wurden der gepolsterte Sattel und die Rücken¬ 
lehne verbreitert; an letztere kann der Rumpf des Patienten befestigt werden. Hände und Füsse 
können mittels eigener Lederschellen an die Handgriffe bezw. Pedale angeschnallt werden, ohne 
dem Patienten irgendwie Unbehagen zu verursachen. Diese Schellen bestehen aus einer gut- 
gepolsterten Manschette, welche um die Knöchel des Unterarms bezw. Unterschenkels angelegt 
wird und aus zwei Schnallriemen zur Befestigung an den Griffen oder Pedalen. Der Apparat hat 
ferner durch einige schmiedeeiserne Verstrebungen an Stabilität gewonnen, so dass selbst bei Be¬ 
nutzung seitens paretischer oder sehr schwerer Patienten kein Schwanken des Apparates eintriti. 

Autopassiv nannte ich jene passiven Bewegungen der gelähmten Gliedmaassen, welche der 
Kranke selbst mit Zuhülfenahme der gesunden Gliedmaassen vollführt. Eine einzige gesunde Extremität 
kann durch aktive Bewegung einer einzigen Kurbel die übrigen Gliedmaassen rein passiv mit¬ 
bewegen. Durch autopassive Uebungen reaktiviert der Kranke am ehesten die Innervation und 
Mobilität der paretischen Extremitäten; letztere gewinnen allmählich an Mobilität, sodass man sie 
weiterhin zu rein aktiven Uebungen heranziehen kann. 

Durch methodische und raaassvolle Uebungen am Cyklostaten haben wir in geeigneten Fällen 
ersprie8sliche Wirkungen erzielt. Die beschriebene Maschine hat sich bei der Anwendung der all¬ 
gemeinen und der Widerstandsgymnastik, ferner bei der Ausübung der bahnenden und 
kompensatorischen Uebungstherapie gut bewährt. 

Im ereteren Sinne verwendeten wir den Apparat bei verschiedenen funktionellen Neu¬ 
rosen (Neurasthenie, Hysterie), bei Neuritiden und Muskelatrophieen centraler oder peripherer 
Ursache. Gute Resultate wurden ferner erzielt bei Kontrakturen der grossen Extremitäten- 
gelenke nach rheumatischer, deformierender oder gichtischer Arthritis; die 
Mobilisierung der Gelenke erfolgte durch autopassive Uebungen allmählich und schonend. Von 
Vortheil erwies sich ferner das Radfahren mit eingeschaltetem Widerstand bei der Fettsucht; 
auch hierbei bewährte sich das Prinzip der gleichzeitigen Bewegung sämmtlicher Gliedmaassen. 

Im Sinne der bahnenden Uebungstherapie verwendeten wir den Apparat bei 
spastischen Paresen Der Hcmiplegiker vermag mit den Extremitäten der gesunden Seite 
die gelähmten Gliedmaassen in sämmtlichen grossen Gelenken zu bewegen. Der spastische 
Paraplegiker bringt durch Drehen der Handkurbeln auch die unteren Ertremitäten in Bewegung. 
Das Pedal ist an einer 20 cm langen Pedalachsc verschiebbar; dadurch ist es möglich, die Beine in 
Abduktion oder Adduktion und die Füsse mit ein- oder auswärtsgestellter Spitze zu üben. Diese 
Uebungen können längere Zeit ohne eintretendes Ermüdungsgefühl fortgesetzt werden, da die 
unteren Extremitäten der Last des Körpers enthoben sind. 

Im Sinne der kompensatorischen Uebungstherapie verwendeten wir das Rad bei 
der Tabes dorsalis. Der Tabiker vermag durch Drehen der Handkurbel die Beine rein passiv, 
ohne Aufwendung von Muskelkraft im reinen Sinne der Koordination zu üben. Tabiker lasse ich 
nicht ganze, sondern nur halbe Drehbewegungen ausführen, welche den physiologischen Gehphasen 
annähernd ähnliche Tretbewegungen der Beine auslösen. Der Sattel wird hochgestellt, die Füsse 
werden mit auswärtsgestellten Spitzen an die Pedale geschnallt, und nun werden rythmisch ent¬ 
weder rein passive (bei Ataxie der Arme) oder autopassive Gehbewegungen durchgeführt. Die 
methodische Wiederholung gleichsinniger Gehbewegungen bahnt deren Restitution an. Die Ent¬ 
lastung der unteren Extremitäten vom Körpergewicht kommt der Erlernung des normalen ko¬ 
ordinierten Gehens entgegen; bereits nach wenigen Sitzungen bessert sich oft die Ataxie derart, 
dass die Füsse nicht mehr angcschnallt zu werden brauchen. Weiterhin kann man den Kranken 
aktive Gehübungen im Cyklostaten ausführen lassen. Die Muskelanstrengung ist bei der Entlastung 
vom Körpergewichte und bei vollständiger Ausschaltung des Widerstandes eine minimale; das Be¬ 
harrungsvermögen des einmal in Gang gesetzten, in Kugellagern leicht gleitenden Schwungrades ist 
ein sehr grosses. Weiterhin kann man zu Freiübungen übergehen. Der Tabiker lässt die Beine 
einfach herabhängen und übt, auf dem Sattel sitzend, das Stehen und Gehen in der Luft. 
Die Muskulatur der Beine, welche den Körper nicht zu tragen haben, wird durch die präzise und 
exakte Durchführung dieser Gehübungen zur koordinierten Innervation erzogen. Dem Vornüber¬ 
neigen des Rumpfes lässt sich durch dessen Fixierung an die Rückenlehne entgegenarbeiten. Durch 
Hinunterschrauben des Sattels stellt man schliesslich den Tabiker auf die Füsse; auf dem Sattel 
sitzend lernt nun der Kranke ohne grosse Schwierigkeiten das Stehen und Gehen an einem Orte. 


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704 Kleinere Mitteilungen. 


Diese Uebungen in aufrechter Stellung bei Entlastung der Beine bilden den passenden Uebergang 
zu den Gehiibungen im Laufstuhl und im Freien, welche nach den bewährten Prinzipien der von 
v. Leyden und seiner Schule (Goldscheider, Jacob), sowie von Frenkel begründeten kom¬ 
pensatorischen Uebungstherapie durchgeführt werden. 

Aus dieser kurzen Skizze geht die vielfache therapeutische Verwendung des Cykiostaten 
hervor; bei ihm wie bei anderen Apparaten kommt es in erster Linie auf die Anwendungsmethode 
an. Wer die Cyklotberapie mit Maass und Sorgfalt, mit Umsicht und Konsequenz, stets individu¬ 
alisierend anwendet, dürfte es nicht zu bereuen haben. 


U. 

Zur mechanischen Therapie der Fettleibigkeit. 

Von Dr. F. Sylvan in Berlin. 

Seit den ältesten Zeiten hat man die mechanische Therapie zur Behandlung der Fettleibigkeit 
in Anwendung gezogen, ln der älteren Litteratur finden sich mehrere Hinweise dafür. Wadd 1 
schreibt, dass bereits in den Schulen der Perser die ärztliche Gymnastik zu diesem Zwecke in An¬ 
wendung war. Weiterhin berichtet derselbe Autor, dass Herodikus der erste gewesen wäre, 
welcher zur Beseitigung der Fettsucht und zur Erhaltung der Gesundheit die Leibesübungen und 
das Regime der gymnastischen Schule an wandte. Celsus verweist auf Asklepiades als auf den¬ 
jenigen Arzt, der bei den Römern den Gebrauch der Friktionen einführte, und bemerkt zugleich, 
dass Asklepiades, wenngleich mit einigen Verbesserungen, nur die Vorschriften des Hippokrates 
habe wieder aufleben lassen; schon dieser habe gesagt, dass durch kräftige Reibungen der Körper 
stärker werde, während weiche Friktionen ihn weichlicher machten, und dass durch häufigere 
Wiederholung der letzteren der Körper mager und ausgemergelt werden könne, dass sich endlich 
durch Friktionen, in massiger Weise verwandt, die Haut geschmeidiger machen lasse. 

In letzter Zeit hat man mehr und mehr versucht, die verschiedenen Arten der Bewegungs¬ 
therapie zu präsizieron und die Indikationen für die eine oder andere Form derselben zu stellen. 
Vielseits hat die Mechanotherapie in ärztlichen Kreisen bisher nicht die Achtung gefunden, welche 
sie werth ist; doch ist zu hoffen, dass je mehr die Indikationen dafür bekannt werden, desto mehr 
auch diese Therapie ihre gerechte Würdigung finden wird. 

Wenn wir einem Fettleibigen eine Bewegungstherapie verordnen wollen, so steht uns eine 
reichliche Auswahl von Uebungen zur Verfügung. Erstens kommen hier die verschiedenen Sport- 
und Turnübungen wie Reiten, Rudern, Radfahren, Schwimmen etc. in Betracht. Ueber die Ein¬ 
wirkung des Sports auf den gesunden und kranken Organismus haben verschiedene Autoren Unter¬ 
suchungen angestellt und auf Grund derselben die Indikationen für die einzelnen Fälle bestimmt. 

Besonders eingehend hat sich Zuntz mit Untersuchungen über den Einfluss des Radfahrens 
beschäftigt; er kam zu dem Resultate, dass durch Radfahren der Sauerstoff verbrauch gesteigert 
wird und zwar bei schnellem Tempo ganz bedeutend. Ein Fettleibiger, dessen Herz nicht ganz 
kräftig ist, darf nur in langsamen Tempo fahren, da das schnelle Fahren das Hera erheblich an¬ 
strengt Jedem Radfahrer ist es aber schwer abzumessen, wann er anfängt zu ermüden, weil 
meistens das Müdigkeitsgefühl sich erst einstellt, wenn man schon abgestiegen ist; daher muss jede 
Verordnung von Radfahren an Fettleibige eine genaue Angabe der Zeitdauer und der Schnelligkeit 
enthalten. 

Ebenso muss man beim Verordnen von anderen Sportübungen dem Patienten genau ein 
Maas angeben, welches er nicht überschreiten darf. 

Alle diese Sport- und Turnübungen sind prophylaktisch fast immer mit Vortheil zu ver¬ 
werten, bei der ausgebildeten Fettleibigkeit aber nur bei denjenigen Patienten, deren Organe 
funktionsfähig sind und welche körperliche Anstrengungen gut vertragen. Jedoch ist es oft schwer, 
genau abzumessen, wieviel der einzelne auszuhalten im stände ist. Mancher Patient glaubt irrtüm¬ 
licherweise grössere Anstrengungen vertragen zu können, überschreitet das vom Arzt gegebene 
Maass und muss später seinen Leichtsinn bereuen. Die Gefahr der Uebertreibung liegt sehr nahe: 
die Energie des Patienten ist häufig grösser als seine Kraft. Selbst für intelligente Personen ist 
es schwer, abzuschätzen, wie weit sie ohne Nachtheil eine körperliche Anstrengung ausdehnen 

i) Wadd, Die Korpulenz. 18J9. 


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Kleinere Mittheilungen. 


705 


können. Mancher glaubt um so schneller an Gewicht abzunehmen, je grössere Anstrengungen er 
macht Doch bald stellen sich die schweren Folgen der Ucberanstrengung ein. Ausserdem aber 
haben die meisten Sportübungen den Fehler der Einseitigkeit, da nur gewisse Muskelgruppen in 
Aktion treten, während andere ganz in Ruhe gehalten werden. 

Gegenüber all diesen Sportübungen steht nun die schwedische Heilgymnastik. Nachdem 
die schwedische Heilgymnastik von Nichtärzten ausgebildet und ausgeübt wurde, hat es geraume Zeit 
gedauert, ehe sie von den ärztlichen Kreisen gewürdigt wurde; erst in den letzten Jahrzehnten des 
19. Jahrhunderts begannen diese sich mit ihr zu beschäftigen. Aber auch heute noch messen viele 
Autoren der schwedischen Heilgymnastik nicht den vollen Werth bei; es kommt dies namentlich 
daher, weil sie meinen, dass bei dieser Art der Gymnastik nur einzelne Muskelgrappen in Thätigkeit 
versetzt werden. Allein cs ist nicht recht einzusehen, wariim dieser Einfluss geringer sein soll, 
wenn man erst eine Arm- und dann eine Beinübung machen lässt, als wenn man zu gleicher Zeit 
Arme und Beine anstrengt. Dafür kann man im ersten Falle die Einzelübung kräftiger gestalten. 
Ferner kommt als begünstigendes Moment bei der Anwendung der schwedischen Heilgymnastik 
noch hinzu, dass eine sehr reichliche Anzahl von verschiedenen Bewegungen zur Verfügung steht 
und dass man daher die grösste Variation in den Uebungen vornehmen kann. Im allgemeinen zeigen 
die Patienten auch reges Interesse, sobald ihnen eine neue Bewegung verordnet wird. Gerade durch 
diese Mannigfaltigkeit an Bewegungsformen, wodurch jeder Patient die für ihn geeigneten Uebungen 
zugewiesen erhalten kann und wodurch oft Abwechslung geschafft wird, verdient die schwedische 
Heilgymnastik an erste Stelle bei der Wahl einer Bewegungstherapie zu treten. 

Besonders günstig wirkt nun die physikalische Therapie der Fettleibigkeit in denjenigen 
Fällen, in welchen man die schwedische Heilgymnastik manuell ausführt. Für die Anwendung der 
maschinellen (Zander’schen oder Herz'schen) Gymnastik stehen etwa 70 Apparate zur Verfügung. 
Allerdings können diese nicht sämmtlich bei der Fettsucht angewendet werden. Dagegen kommen 
für die manuelle Behandlung ein paar hundert verschiedene Uebungen in Betracht. 

Bei der mechanischen Behandlung der Fettleibigkeit sind die Widerstandsübungen das wichtigste 
Moment. Bei der Ausübung derselben kommt es weniger darauf an, die eine oder andere be¬ 
stimmte Bewegung anzuwenden, sondern vielmehr darauf, dass man öfters die Bewegungen wechselt; 
denn gerade die Bewegungen, an die der Patient nicht gewohnt, sind die wirksamsten; sie ver¬ 
lieren etwas an Wirkung, sobald der Patient sich daran gewöhnt hat. Eine Beschreibung der vielen 
verschiedenen Bewegungen kann ich an dieser Stelle nicht geben; wer sich dafür interessiert, muss 
die verschiedenen Lehrbücher der schwedischen Heilgymnastik durchstudieren. 

Die Massage kann bei Fettsucht nur als Unterstützungsmoment in Betracht kommen und 
steht in Bezug auf Wirkung den Widerstandsübungen nach. Degegen hat die Massage bei ver¬ 
schiedenen Komplikationen der Fettleibigkeit grosse Bedeutung. Bei Fettsucht ohne Komplikation 
sind besonders die Leibmassage und die Friktionen über sämmtliche Rückennerven als belebend 
und kräftigend zu empfehlen. 

Die Behandlung in einem gymnastischen Institut bietet den grossen Vortheil, dass der Arzt 
stets die Behandlung überwacht, so dass jede Ueberanstrengung vermieden wird. Jeder Patient 
bekommt ein Uebungsrezept, auf dem die Bewegungen vorgeschrieben stehen, die er jedesmal aus¬ 
zuführen hat. Bei der Abfassung dieses Rezepts muss man nicht nur auf die Fettleibigkeit, sondern 
auch auf Alter, Beschäftigung, Konstitution, Lebensbedingungen und andero Verhältnisse, die von 
Bedeutung sein können, Rücksicht nehmen. Man muss auch modifizieren, falls der Patient gleich¬ 
zeitig andere Kuren durchmacht. Wenn der Patient zu der gymnastischen Uebung kommt, lässt 
man ihn erst fünf Minuten ausruhen, damit er, wenn er durch das Gehen etwas kurzathmig ge¬ 
worden ist, Zeit hat, sich zu erholen, ehe er mit den Uebungen beginnt. Dann verordnet man 
dem Patienten zuerst eine passive Athemübung oder eine aktive Armbewegung, wobei er beim 
Armheben inspiriert und beim Armsenken exspiriert. Nachdem erfolgen Bein-, Arm- und Rumpf¬ 
übungen abwechselnd aktiv oder passiv je nach den Kräften des Patienten. Man muss nur immer 
daran festhalten, dass^anfangs nicht zu kräftige Bewegungen gegeben werden und dass der Patient 
während der ganzen Zeit gut athmet. Viele Patienten halten die Athmung an, währenddem sie die 
Bewegung ausführen, und müssen deshalb korrigiert werden. Meistens lässt man jedem'Patienten 
zehn bis zwölf verschiedene Bewegungen ausführen, jede Bewegung vier bis fünf Mal. Etwa in 
der^Mitte'giebt man die Leibmassage. Zweckmässig behandelt man ein paar Patienten'gleichzeitig; 
währenddem man mit dem einen übt, muss der andere.ausruhen. Es ist wichtig, dass ein Patient 
nicht mehrere Widerstandsübungen gleich hintereinander ausführt, weil dabei die Gefahr der Ueber¬ 
anstrengung nahe liegt. Alle 8—14 Tage giebt man ein neues Rezept mit anderen Bewegungen. 

Zeitechr. I diät. u. physik. Therapie Bd. V. Heit s 4S 


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706 Kleinere Mittheilungen. 

Am besten ist es, wenn der Fettleibige jeden Tag übt; doch habe ich auch gute Resultate gesehen, 
wenn nur alle zwei Tage geübt wurde. 

Die manuelle und die maschinelle Behandlung hat in Bezug auf den Erfolg bei Fettleibigkeit 
ohne Komplikationen ungefähr denselben Werth. Wenn der Patient jeden Tag übt und eine zweck¬ 
mässige Diät hält, nimmt er durchschnittlich etwa drei Pfund pro Woche ab. Natürlich hängt viel 
davon ab, ob der Betreffende sich auch ausserhalb der Uebungsstunden etwas bewegt, oder ob er 
gar keine körperliche Bewegung hat. Bei der Beurtheilung der Erfolge muss man bedenken, dass 
die Stärkung der Muskulatur durch die Uebungen die absolute Gewichtsabnahme oft gering er¬ 
scheinen lässt, obgleich thatsächlich ein erheblicher Fettschwund erzielt wird. 

Die häufigste Komplikation der Fettleibigkeit ist das Cor adiposum. In solchen Fällen 
muss man die gymnastische Behandlung besonders vorsichtig ausführen: daher ist hierbei die 
manuelle Gymnastik der maschinellen vorzuzichen, weil in einem medico-mechanischen Institut der 
Arzt immöglich die Patienten so genau überwachen kann, dass sie nicht bisweilen das vor¬ 
geschriebene Maass von Uebungen überschreiten. Es giebt doch manche Fettleibige, die sich mehr 
Arbeit Zutrauen, als ihr Kräftezustand erlaubt. Bei der manuellen Behandlung ist aber jede Ueber- 
anstrengung fast ausgeschlossen; ferner kann man mit der manuellen Gymnastik mehr variieren als 
mit der maschinellen. Schliesslich kommt hinzu, dass man die manuelle Behandlung auch bei Bett¬ 
lägerigen anwenden kann. 

Was die Methode anbelangt, so giebt man in einem solchen Falle anfangs nur passive Be¬ 
wegungen, welche den Zweck haben, den peripheren Blutkreislauf zu beschleunigen und dadurch 
die Arbeit des Herzens zu erleichtern. Solche Bewegungen sind Fusskreisen, Arm- und Beinkreisen. 
Handkreisen etc. Hierbei werden die Muskeln abwechselnd gespannt und erschlafft, also wird das 
Blut durch die Muskeln sozusageil gepumpt. Ungefähr dieselbe Wirkung hat ja selbstverständlich 
die Durchknetung der Muskulatur. 

Sehr wichtig bei Cor adiposum sowohl wie bei Vitium Cordis sind die Athemübungen. 
Da bei jedem Herzkranken die Cirkulation gestört und die Versorgung des Blutes mit Sauerstoff 
vermindert ist, so muss man dafür sorgen, dass durch ausgiebigere Athmung die Sauerstoff- 
aufnahrae gesteigert wird. Die Brusthebencrschütterung ist eine für diesen Zweck sehr geeignete 
Bewegung. Der Arzt fasst den Patienten unter die Arme, während er ihn im Rücken stützt, hebt 
die Schultern und zieht dieselben gleichzeitig etwas nach hinten, wobei der Brustkorb gehoben 
und die Inspiration sehr ausgiebig wird. Beim Heben macht er eine leichte Erschütterung. 
Diese Bewegung hat auch auf das Herz eine beruhigende Wirkung. Nach den Untersuchungen von 
Lewin vermindert diese Ucbung bei Tachykardie die Anzahl der Herzschläge. Ausser dieser Be¬ 
wegung giebt es eine Menge anderer Athemübungen, aber die eben beschriebene kann man bei 
jedem Kranken anwenden. 

Die lokale Herzbehandlung besteht aus Hacken, Klatschen, Vibration und Streichen. Das 
Hacken führt man mit der Ulnarseite der beiden Hände aus, w'obei die Finger leicht gespreizt sind; 
Hand- und Armgelenke müssen dabei ganz locker gehalten werden. Die Bewegung wird in Hand- 
und Ellenbogengelenk vollzogen. Das Klatschen wird ebenso ausgeführt, nur dass man die Flach¬ 
hand anstatt der Ulnarseite benutzt. 

Um die Herzvibration auszuführen, legt man die Hand flach auf die Herzgegend, bei Frauen 
so, dass die Mamma zwischen Daumen und Zeigefinger kommt, und versetzt die Hand in leichte 
Zitterung. Auch hierbei muss der Arm ganz locker gehalten werden, die Annmuskeln dürfen nicht 
gespannt sein. Das Streichen wird mit beiden Händen abwechselnd ausgeführt, ganz leicht über 
die ganze Herzgegend. 

Ueber die Wirkung dieser verschiedenen Handgriffe haben Lewini) und Wide-) Unter¬ 
suchungen angestellt, aus denen hervorgeht, dass eine verlangsamte Herzthätigkeit durch Hacken 
und Klatschen erhöht und dass durch Vibration und Streichen eine abnorm frequente Herzthätigkeit 
langsamer und regelmässiger wird. Auch während einer rationellen gymnastischen Behandlung 
wird der Puls ruhiger und kräftiger. 

Ich möchte ausdrücklich hervorheben, dass eine lokale Herzbehandlung allein niemals aus¬ 
reichend ist, um einen Herzkranken zu behandeln, sondern dass die Bewegungen, aktive und 
passive sowohl wie Athemübungen immer die Hauptsache bleiben. 

Nachdem man eine Zeit lang den herzkranken Fettleibigen mit passiven und Athembe wegungen 
sowohl wie mit Herzmassage behandelt und der Patient sich etwas an die gymnastische Bc- 

V 1 A. Lewin, Tidskrift i Gymnastik. Stockholm l8tL\ 

- Wide, Ilandbok i medicinsk Gymnastik. Stockholm isor». 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 707 

handlung gewöhnt hat, fängt man mit den aktiven Uebungen an und zwar zunäohst mit den 
schwächsten wie Fussbeugen und -strecken, Kniebeugen und -strecken, Bcinschliessen und -spreizen 
etc.; später geht man zu den mehr anstrengenden über, wo der Rumpf auch mitarbeiten muss. 
Doch muss man mit solchen Uebungen, welche die Athmung beeinträchtigen, sehr vorsichtig sein. 
Einen Erfolg bezüglich der Fettabnahme darf man erst erwarten, wenn man mit dem Patienten so 
weit gekommen ist, dass er Widerstandsübungen vortragen kann. 

Eine andere ziemlich häufige Komplikation der Fettleibigkeit ist die chronische Obstipation. 
Hierbei ist die Leibmassagc von allergrösster Wichtigkeit; ich möchte deshalb einige Worte über 
die Ausführung derselben sagen. 

Der Patient liegt auf einer gepolsterten Bank mit erhöhtem Oberkörper und mit den Händen 
unter dem Kopf, wobei die Rippen etwas gehoben werden und man dem oberen Theil des Leibes 
besser zukomrat. Der Leib bleibt vom Hemde bedeckt. Der Arzt sitzt auf der rechten Seite des 
Patienten, das Gesicht desselben beobachtend. Auf dem Gesichtsausdruck kann man sofort erkennen, 
ob der Patient bei der Ausführung der Massage Schmerz empfindet 

Der Arzt legt seine rechte Hand auf den Leib des Patienten so, dass die zwei bis fünf 
Finger mit extendierten zwei und drei Phalangen in die Fossa iliaca sinistra kommen, der Daumen 
nach der rechten Seite zu. Dann fängt er an, mit den vier Fingern unter mässigem Druck kleine 
kreisförmige Bewegungen zu machen; doch muss man immer darauf achten, dass die Hand und die 
Bauchdecken wie »zusammengeklebt« bleiben, damit die Reibung zwischen Bauchdeckc und Darm 
resp. zwischen den Därmen stattfindet. Nach und nach führt man die Hand längs dem Verlauf des 
Colon, bis mau am Coecum angelangt ist; dann macht man über die Dünndärme dieselbe Mani¬ 
pulation. Wenn an einer Stelle der Patient Schmerz empfindet, so ist meistens eine Gasansammlung 
daselbst vorhanden; man knetet dann an dieser Stelle etwas länger, aber vorsichtig, um nicht zu 
grossen Schmerz zu verursachen. Bald ist das Gas resorbiert oder vertrieben, und der Schmerz ist 
vorüber. Auf der rechten Seite macht man die Kreisbewegung zweckmässiger mit dem Daumen 
der rechten Hand unter Hilfeleistung der linken Hand. Zum Schluss legt man die Hand, mit 
extendierten Fingern nach unten gerichtet, auf den Leib unterhalb des Nabels und giebt eine ziemlich 
kräftige nach unten gerichtete Erschütterung, deren Wirkung tief in das kleine Becken hineingeht. 
Die Därme im kleinen Becken kann man nicht kneten; deshalb macht man diese Erschütterung, 
damit die hier liegenden Darmstücke auch eine Anregung zu lebhafterer Thätigkeit bekommen. 
Schliesslich kann man auch eine Lebererschütterung und Friktionen über den Plexus solaris und 
Plexus hypogastricus noch anschlicssen. 

Durch in dieser Weise ausgeführte Massage, natürlich im Verein mit zweckmässigen aktiven 
und passiven Bewegungen, ist der Erfolg bei den meisten Fällen von Darmatonie schon nach vier 
Wochen ganz befriedigend. Es muss ein besonders schwerer Fall sein, der eine längere Behandlung 
braucht. Ich möchte daher diese Methode besonders auch zur Behandlung der Obstipation Fett¬ 
leibiger warm empfehlen. 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


i. 

V. Congres international de Physiologie. Turin. 17 — 21. September 1901. 

(Arch. ital. de biologio. Bd. 36.) 

Für die Leser dieser Zeitschrift dürften etwa folgende auf dem Kongress verhandelte Gegen¬ 
stände von Interesse sein: 


K. Orsowa, Ueber Linkshändigkeit» 

Bei vielen Thieren findet man die Rechts- oder Linkshändigkeit deutlich ausgesprochen 
Affen sind entweder rechtshändig oder ambidexter. Eine geringe Anzahl derselben sind linkshändig. 
Vögel, welche ihre Nahrung mit den Krallen halten, benutzen hierzu ihren linken Fuss. Vielleicht 
werden Versuche an Thieren Licht bringen in die Frage des funktionellen Hebergewichts einer Seite. 


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7 OS Berichte über Kongresse und Vereine. 

Grfltzner, lieber Bewegungen des Mageninhaltes. 

Theilt Versuche mit, welche er bei verschiedenen Thieren so angestellt hat, dass er denselben 
zu verschiedenen Zeiten bestimmte Speisen gab, die herausgenommenen Magen dann schnell ge¬ 
frieren liess und die Anordnung beziehungsweise Veränderung der Speisen auf Quer- und Längs¬ 
schnitten durch den Magen feststellte. 

Es ergab sich hierbei, dass der um seinen Inhalt zusammengezogene Magen denselben von 
der Oberfläche her und zwar wesentlich mit dem am meisten Säure absondernden (propylorischen 
Abschnitt verdaut und nach dem Pylorus zu abstreift. Der Trichter des Pvlorus ist stets mit durch 
und durch saurem, stark verdautem Mageninhalt erfüllt. Der übrige Theil des Magens, namentlich 
der Fundus, zeigt die Säuerung des Inhaltes nur an der Oberfläche oder gar nicht. 

Feste oder halbfeste (breiige) Nahrung, in passenden Zwischenräumen gereicht, schichtet sich 
stets so, dass die neue Nahrung immer in die Mitte der alten, aber nicht oder nur ausnahmsweise 
mit der Schleimhaut in Berührung kommt. 

Besondere, wahrscheinlich örtlich beschränkte Bewegungen des Magens können zu Rollungen 
des Mageninhaltes und zur Bildung von Ballen oder Kugeln führen. 

Prevost und Battell, Influeuce de l’alimeutation sur le retablissement des fonctions du 
coeur. 

Es ist Battclli früher gelungen, das Herz erstickter Thiere, welches sich im Stadium de> 
Deliriums befand, durch Wechselströme von 240 Volt Spannung wieder in rhythmische Thätigkeit 
zu bringen. Die Verfasser stellen jetzt fest, dass diese Methode bei hungernden Hunden die einzig 
wirksame ist, während nach einer Mahlzeit des Thieres sein Herz auch durch blosse Massage wieder¬ 
belebt werden kann. Es erweisen sich am wirksamsten die Kohlehydrate. 

F. Gley, Rdsnme des preuves des relations qui existent entre ia glaude thyroide et les 
glandes parathyroides. 

Verfasser steht auf dem Standpunkte, dass eine funktionelle Verknüpfung zwischen Schild¬ 
drüsen und Nebenschilddrüsen besteht, derart, dass die letzteren die Funktion der ersteren ersetzen 
können und umgekehrt. 

F. Rohm an n und Nagaro, Ueber die Resorption von Mono- und Disacchariden int Darmkanal. 

Die Versuche wurden angestellt an Hunden mit Vellascher Fistel. 

1. In den Darm wurden gleiche Mengen gleich konzentrierter Lösungen von Hexosen <<_). 
glucose, 0. galactose, 0. mannose, O. fructose) und Pentosen (L. arabinose und L. Xylose) ein- 
geführt und die nach einer Stunde resorbierten Mengen bestimmt Es ergab sich, dass dieselben 
bei den verschiedenen stereo-isomeren Zuckern verschieden waren, ein Beweis, dass die Resorption 
im Darm nicht nur abhängig ist von dem osmotischen Druck der eingeführteu Lösung, sondern 
auch von den Eigenschaften (Heidenhain), im vorliegenden Fall von der Konstitution der zu 
resorbierenden Substanz. 

2. Es wurde weiterhin untersucht die Resorption von Disacchariden (Laktose, Maltose) mit 
Rücksicht auf die Frage, wie weit der Resorption dieser Zucker eine Spaltung in die Monosaccharide 
vorhergeht. Hierbei zeigte es sich, dass die fermentativen Wirkungen des Darmsaftes nicht aus¬ 
reichen, um die resorbierten Mengen iuncrhalb der Resorptionszeit zu spalten. Von den Disacchariden 
wird also ein Theil unzersetzt resorbiert und erst in der Darmschleimhaut zerlegt. 

F. de Schrötter, Communication d’experiences physiologiques faites pendant au voyage eu 
ballou a 7500 m. 

Die höchste von Aeronauten bisher erreichte Höhe ist 10 500 m. Verfasser hat im Anschluss 
an eine Fahrt mit Berson und Suring auf 7500 m Höhe Versuche im pneumatischen Kabinet an¬ 
gestellt und ist bis zu einem barometrischen Druck von 230 mm heruntergegangen. 

Er warnt davor, solche Druckerniedrigungen schnell vorzunehmen, was die Gefahr der Gas- 
embolie bedingt, die der Verfasser einmal an sich erfahren hat. Die Symptome der Anoxyhämic 
sind am besten durch Athmung von Sauerstoff unter höherem Druck zu bekämpfen. 

F. de Lee und C. 0. Herrold, The aetion of alcohol on mnscle. 

Versuche an Fröschen ergaben, dass Alkohol in kleinen Dosen die Arbeitsleistung des Mus¬ 
kels bis auf das Doppelte steigern kann, Alkohol in grösseren Dosen sie vernichtet 


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709 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


A. Walther, Zur Kenntnlss der Einwirkung des Dannsaftes auf Pankreassaft. 

Das Xymogen des Pankreassaftes wird durch die »binase« des Dannsaftes in typisches Fer¬ 
ment übergeführt. Es beruht das wahrscheinlich auf einem hydrolytischen Vorgang. 

G. 1). Spineau, Sur la gastro• acidimetrie. 

Apparat zur Aciditätsbestimmung sehr kleiner Mengen von Magensaft. 

Barbera, Alimentazione sottocutanea ed elimiuatione della bile. 

Die Gallcnabsonderung durch eine Gallenblasenfistel wird durch subkutane Ernährung be¬ 
einflusst, und zwar wirkt die subkutane Zuführung von Ei weissstoffen (Soiuatose) am stärksten, 
schwächer die von Kohlehydraten, garnicht die von Fetten. 

H. Boruttau, Zur Frage der Fettbildung im Thierkörper. 

Analysen des Fettgehaltes des Gesammtkorpers von phosphorvergifteten Ratten bei ver¬ 
schiedener Ernährung sprechen deutlich gegen eine im grösseren Maasstabe stattfindende Fettbildung 
aus Eiweiss bei der Phosphorvergiftung. M. Lewandowsky (Berlin). 


II. 


Londoner Brief. 

18. Januar 1902. 

In den ärztlichen Gesellschaften Englands herrscht zur Zeit ein reges Leben und lebhafte Be¬ 
theiligung an Wissenschaft und ärztlich-sozialen Fragen. In Liverpool haben sich mit Dr. Gemme l 
die Mehrzahl der Aerzte in einer Diskussion über »Narkotiseur und Operateur« dahin ausgesprochen, 
dass bei Unglücksfällen der Operateur der verantwortliche Arzt sei. 

Aus der Edinburgher medicinisch-chirurgischen Gesellschaft werden verschiedene gute Erfolge 
von Finsen’scher Lichtbehandlung und Röntgentherapie bei Ulcus rodeus und Lupus vulgaris 
berichtet. 

Von Dublin hören wir über einen seltenen Fall von Diabetes mit Hemichorea und Parotitis, 
den Dr. Peacocke beschreibt. Ein 04jähriger Mann wird nach länger bestehendem Diabetes von 
einer Hemichorea befallen, die einer Hyoscin-Brom-Arsenik-Therapie rasch weicht; nach wenigen 
Tagen tritt Parotitis auf, die mit Temperatursteigerung einhergeht und bald mit Exitus — ohne 
Coma — endet. Von ebenda werden Fälle von Glykosurie mit konsekutiver, zum Theil bleibender 
Manie mitgetheilt. Uebrigens vermisst der deutsche Arzt die genauen Stoffwechseluntersuchungen 
und zahlreichen speziellen diagnostischen Hilfsmittel der Neuzeit, die man nur in den Händen weniger 
Spezialisten antrifft; man begnügt sich zumeist mit Diätverordnungen und verschreibt gute Rezepte, 
womit dem englischen Patienten gedient ist. 

Dass hier zu Lande schon gegen die praktische Betätigung der Aerztinnen Einsprache er¬ 
hoben wird, beweist der ziemlich komische Vorfall in einem Macclesfielder Hospital. Daselbst hatte 
sich für den Posten eines Hausarztes eine Dame gemeldet, worauf die übrigen Hausärzte ihre Ent¬ 
lassung verlangten. Durch Zurückziehung des weiblichen Assistenten ist nachträglich der unan¬ 
genehme Zwischenfall zu gunsten der Aerzte entschieden worden. 

Im Royal College of Surgeons of England sprachen die Fellows und Members über ver¬ 
schiedene Reformen, die von der Britisch medical Association der Regierung vorgelegt werden 
sollen und die sie kräftig unterstützt haben. Dr. Thomas, ein Londoner »Coroner«, hat im Namen 
iles Royal College einer Reform-Bill dio volle Zustimmung gegeben, die hauptsächlich gegen das 
hier so weit verbreitete Quacksalbern Vorgehen soll. In einem Lande, wo das Dispensieren von 
Arzneien Jedermann freisteht, wo man eine regelmässige Apothekenrevision gar nicht kennt, ist 
diese Gefahr ja sehr gross — und sie wäre noch grösser, wenn nicht der grösste Theil des Publi¬ 
kums von selbst die Vortheile der stets hilfsbereiten Hospitäler erkennte, wo ein Jeder unentgeltlich 
behandelt, verpflegt wird und freie Arznei erhält. 

Was diese »Coroners* betrifft, so ist das eine in England eigene Einrichtung von medicini- 
schen Gerichtshöfen. Eiu solcher Beamter ist einem deutschen Kreisarzt vergleichbar, der jedoch 
keine sanitäre Aufgaben zu erfüllen hat, dabei aber selbstständige Jurisdiktion besitzt — für die 
öffentliche Gesundheitspflege besteht eine besondere Organisation, die sich aus einer Anzahl von 
»Medical officers of health« Sanitätsoffizieren, in der Hauptsache Hygieniker) zusammensetzt Der 


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Berichte über- Kongresse und Vereine. 

Coroner hält an bestimmten Tagen an verschiedenen Orten der Stadt im Beisein einer Jury Sitzungen 
in den dafür erbauten Räumen ab; sie bestehen meist aus einem Gerichtssaal mit Warteräumen, einer 
Morgue, Secirhaus etc. Von der Polizei unterstützt und im Beisein von Geschworenen und Zeugen 
wird über tötliche Verletzungen, Todesfälle ohne bekannte Ursache oder ärztliche Diagnose {Chloro¬ 
formtod) etc. verhandelt, und dieser ärztliche Vorsitzende entscheidet richterlich über den Fall 
insoweit als der betreffende Angeklagte bezw. die an dem Tode des Verstorbenen betheiligten Per¬ 
sonen straflos ausgehen. Erst bei Gesetzesübertretungen werden diese Fälle an die besonderen 
Gerichtshöfe verwiesen. 

Die grosse Hilfsbereitschaft der hiesigen Hospitäler, die völlig von Stiftungen und von der 
allgemeinen Wohlthätigkeit leben, ist oft der Anlass zu Klagen von Seiten der praktischen Aeizn 
gewesen, zumal da England keine geordneten Kassenverhältnisse besitzt. Um so weniger kann es 
uns daher wundern, dass von Laien und Aerzten Anstrengungen gemacht werden, um Kranken¬ 
kassen zu gründen; in der That sind in den letzten Jahren da und dort »Clubs« gegründet worden, 
die ihre Aerzte für ihre Mitglieder anstellen und ähnlich wie in unserem Mutterlandc zu ihren Dienern 
zu gestalten bestrebt sind, daher schon die Gegenreaktion. So hatte sich kürzlich Dr. Reu dal 1 
aus Edinburgh vor dem General medical Council wegen Annahme und Innehaltens einer Klubarzt¬ 
stelle in Yarinouth zu verantworten, wo eine Versicherungsgesellschaft eine Krankenkasse ein¬ 
gerichtet hatte, die den Arzt unter Gebühr bezahlt und ausnutzt und so dem unlauteren Wettbewerb 
unter den Aerzten Vorschub leistet, um sich dabei zu bereichern. Dr. Reu dal 1 hatte einen sehr 
schwierigen Stand und erhielt sechs Monate Bedenkzeit zu seiner endgültigen Entscheidung. 

Bei der Stille, die bis jetzt im allgemeinen in Fragen der physikalischen Therapie zu kon¬ 
statieren ist, werden wir es mit Freude begrüssen, dass in Bälde eine »Elektrotherapeutische Ge¬ 
sellschaft« in London entstehen wird, zu deren Bildung Dr. Chisholm Williams aufgerufen hat 

Während man sich in den verschiedenen medicinischen Klubs lebhaft über die Frage streitet, ob 
zukünftig der englische approbierte Arzt ein besonderes Examen zur Erlangung des Doktortitels ab- 
legen soll, das bisher von nur wenigen als besonderer Grad erworben wurde, oder ob, wie gegen¬ 
wärtig in Irland und Schottland, jedem »Physician« oder »Surgeon« die Führung des Titels M.D. 
erlaubt seiu soll, wird der plötzliche Tod eines hohen Mannes und bedeutenden Arztes aus Bath 
gemeldet, von Sir William Mac Cormac. Geboren zu Belfast im Jahre 1836 als Sohn eines 
dortigen Arztes, studierte er in Belfast und Dublin, wo er 1864 die Approbation erwarb, wurde 
dann Chirurg des Belfast Hospital und erhielt 1879 von der Queens Univereity of lreland den 
Doctor honoris causa verliehen, wurde in den Senat dieser Universität gewählt und war Examinator 
in Chirurgie. Im deutsch-französischen Kriege 1870 ging er zur französischen Armee, um als Militärarzt 
sich der Behandlung der Verwundeten zu widmen und hat als Chirurg vor Metz und Cbalons Her¬ 
vorragendes geleistet. Nach der Rückkehr wirkte er bis zu seinem Tode als Chirurg und Lehrer 
im grossen St. Thomas Hospital in London. Zweimal aber hat er inzwischen noch als Kriegschirurg 
sich ausgezeichnet, im türkisch - serbischen Kriege als Chefarzt der Ambulanzen und im südafrika¬ 
nischen Feldzuge, wo er (mit Maki ns und Trevesj vier Monate lang als konsultierender Chirurg 
thätig war. Als Lehrer und Examinator hat er sich ebenso populär gemacht, wie durch einige 
Werke: »Die Arbeit unter dem rothen Kreuz«, »Kriegschirurgie«, »Chirurgische Operationslehre * 
u. a. In- und ausländische Auszeichnungen sind ihm zahlreich zu Theil geworden, und fünf grössere 
Hospitäler in London haben bis vor kurzem seine ärztliche Hülfe in Anspruch genommen, bis ihn 
sein schwaches Herz zur Ruhe zwang. 

Ein grossartiges Neujahrsgeschenk ist ganz unerwartet für England eingetroffen; wohl nicht 
wenig beeinflusst durch den im vergangenen Jahre hier abgehaltenen Tuberkulosekongress~hat ein 
nicht genannt sein wollender Wohlthäter (Deutscher von Abkunft) die schöne Spende von 200 0CX» 
Pfund Sterling (vier Millionen Mark) dom Könige von England zur Erbauung eines Sanatoriums für 
Lungenleidende zur Verfügung gestellt. Allgemeine Freude herrscht über diese Liebesspende, und 
schon hat das vom Könige erwählte Komitee: Sir William Broadbent, Sir Richard Douglas 
Powell, Sir Francis Laking, Sir Felix Semon, Sir Hermann Weber, Dr. C. Theodore 
Williams ein Preisausschreiben für Aerzte erlassen, das zum Wettbewerb für Pläne zur Erbauung 
des Instistuts auffordert. 

Damit wird einem langersehnten Bedürfnisse abgcholfen, und wir zweifeln nicht, dass die 
neue Heilstätte auf allen Gebieten mustergültig sein und Tausenden zur Linderung und Heilung 
ihrer Leiden verhelfen wird. Reinhold Block (London). 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


III. 

Die baineologischen Kurse in Baden «Baden im Oktober 1901. 

Das ärztliche Fortbildungswesen hat im letzten Dezennium allenthalben einen erfreulichen 
Aufschwung genommen, und die planmässige Organisation desselben, wie sie von den Universitäten 
in die Wege geleitet worden ist, verspricht für alle Zukunft auf den schwierigen Pfaden des ärzt¬ 
lichen Berufes ein sicherer Begleiter zu bleiben. In den Rahmen dieser Fortlildungskurse passt 
auch das jüngste Kind derartiger Bestrebungen, die Inaugurierung balncologischer Kurse, wie sie 
zum ersten Mal im Oktober 1901 in der alten Bäderstadt Baden-Baden abgehalten wurden, hinein. 
Die Balneologie ist in dem vielgestaltigen Bild des medicinischen Unterrichts von jeher ein Stief¬ 
kind geblieben, das trotz der eminenten praktischen Bedeutung, die sie für den Arzt hat, mehr oder 
minder auf der Universität als quantitö nögligeable angesehen wurde und noch wird. Die Einführung 
in das Wesen derselben ist daher für viele Aerzte nicht blos eine Fortbildung, sondern, wenn 
ich mich pathologisch ausdrücken darf, eine direkte Neubildung, deren Worth für die ausübende 
Thätigkeit nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Unter diesem Gesichtswinkel gewinnt die 
Veranstaltung balncologischer Kurse eine erhöhte Bedeutung für das gesammte ärztliche Fortbildungs¬ 
wesen, und dankbar ist die Initiative derer, die den Anstoss zu dieser erstmaligen Tagung gegeben 
haben, anzuerkennen. Weit über 70 Theilnehmer wies der Kursus in Baden-Baden auf und zeigte in 
seinem ganzen wissenschaftlichen Verlauf, auf einen wie fruchtbaren Boden diese Idee gefallen war. Den 
einleitenden Vortrag hielt Professor Erb-Heidelberg über das Thema: »Bemerkungen zur Balneologie 
und zur physikalisch - diätetischen Behandlung der Nervenleiden«, weiterhin sprachen Obkircher- 
Baden-Baden über die Badener Thermen, ihre Anwendungsweise und Indikationen, Frey über Hydro¬ 
therapie, Gilbert über Diätetik in der Balneotherapie, Rössler über die Chemie der Mineral¬ 
quellen, Professor Rosenbusch - Heidelberg über die Thermen vom geologischen Gesichtspunkte 
aus, Professor Schottelius - Freiburg über Hygiene der Kurorte und endlich Robinson - Baden- 
Baden über Inhalations- und Pneumothcrapie. Alle diese Vorträge wurden von einer Fülle von 
Demonstrationen begleitet, unter denen nicht die mindeste Rolle die Besichtigung des Landesbades, 
der mediko - mechanischen Institute, des neuen Inhalatoriums etc. spielten. 

Aus der Fülle anregender Gedanken, die im Verlauf des Kursus zu Tage gefördert wurden, 
wollen wir an dieser Stelle nur kurz einiges hervorheben. In seinem Exposö über das biologische 
Reinigungsverfahren von Abwässern und dessen Bedeutung für die Kurorte ging 
Schottclius von dem Gegensätze aus, der sich beim Anwachsen der grossen Städte stets zwischen 
den Ansprüchen des verfeinerten Kulturlebens und den Anforderungen an die gesundheitliche Sicher¬ 
heit des Einzelnen herausbildet. Dieser Gegensatz spiegelt sich am lebhaftesten in den Schwierig¬ 
keiten wieder, die sich der rationellen Beseitigung der gesundheitsschädlichen Abfallstoffe entgegen- 
stellen. Unter allen Versuchen, die nach dieser Richtung hin angestcllt wurden, hat sich einzig und 
allein bewährt, den Weg einzuschlagen und die Umsetzungsprozesse zu unterstützen, welche unter 
einfachen, natürlichen Verhältnissen auftreten, nämlich möglichst direkt die Abfallstoffe dem Boden 
und dem Pflanzenwachsthum zuzuführen. Daher haben sich rationell angelegte Rieselfelder überall 
zur Beseitigung der Kanaljauche und der sonstigen Abwässer am besten bewährt, sei es in Form 
der direkten Zuleitung sämmtlicher Abwässer zu der Rieselfläche, sei es nach Abtrennung der reinen 
Unterwässer in besonderem Kanalsystem und Abklärung der Fäkaljauche durch Chemikalien (Kalk- 
und Eisensulfat). In dem Bestreben, *die Leistungsfähigkeit der Rieselfelder, bezw. die Leistungs¬ 
fähigkeit der dort wirkenden Faktoren noch besser auszunutzen, wird in den letzten Jahren, nament¬ 
lich in England, das sogenannte biologische Reinigungsverfahren der Abwässer vielfach mit gutem 
Erfolge zur Anwendung gebracht. Von dem Gedanken ausgehend, dass es vor allem die niederen 
Organismen, die Bodenbakterien, sind, deren Thätigkeit die Zersetzung der Fäkalien und der schliess- 
liche Zerfall derselben in Gase und in mineralische Bestandteile zuzuschreiben ist, ist die Jauche 
einem wiederholten Filtrierungsprozess unterworfen worden, bis sic als gereinigt angesehen werden 
kann! Dieses Prinzip der biologischen Reinigung, der Selbstvergiihmng der Abwasser ist jedenfalls 
ein sehr aussich ts voll es, und cs dürfte wohl gelingen, auf diesem Wege die Reinigung gesundheits¬ 
schädlicher Abwässer bedeutend zu vereinfachen. Namentlich für viele Kurorte, welche Schwierig¬ 
keiten mit der Beseitigung ihrer Abwässer haben, hat das neue Verfahren eine ganz besonders 
grosse Bedeutung, denn für kleinere Betriebe, für die Reinigung der Abwässer von Sanatorien, 
einzelnen Hotels etc. kann man schon jetzt das biologische Verfahren empfehlen, während die Ver¬ 
hältnisse für die Reinigung von Abwässern in grösseren Dimensionen, für ganze Städte, noch grosse 
Schwierigkeiten bereiten. 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



TI 2 Berichte über Kongresse und Vereine. 

Mehr in das praktische Gebiet leitete der Vortrag von Robinson - Baden - Baden über In¬ 
halations- und Pnenmotherapie über. Die Fortschritte der spezialärztlichen Technik, welche 
eine streng lokalisierte Behandlung der Erkrankungen der oberen Luftwege, soweit sie der Hand 
des Spezialarztes zugänglich sind, ermöglichen, haben der Inhalationstberapie berechtigter Weise 
einen grossen Th eil ihrer früheren Bedeutung genommen; trotzdem bleibt bei richtiger Anwendung 
und Indikationsstcllung noch immer ein schönes Gebiet übrig, wo diese Behandlungsart zu Recht 
besteht und gute Erfolge erzielt. Die modernen Inhalationsmethoden, wie sie auch in dem neuen 
Inhalatorium in Baden-Baden zur Verfügung stehen, lassen sieh in zwei Hauptgruppen eintlieilen, 
nämlich in Inhalationen an Apparaten und Inhalationen im freien Raum. Die ersteren Inhalationen 
haben das gemein, dass sie die aktive Mitwirkung und eine gewisse Geschicklichkeit des Patienten 
erfordern. Je nachdem höhere oder tiefere Theile der Wirkung des lnhalationsstroraes ausgesetzt 
werden sollen, soll der Patient oberflächliche oder tiefe, vor allem aber ruhige Einathmungen aus¬ 
führen, da forcierte, schnelle Inspirationen eine Verengerung der Glottis herbeiführen. Als Apparate 
hierfür werden die von Schnitzler, Lewin, Jahr und Hey er verwendet Bei allen wird als 
treibende Kraft komprimierte Luft, die sich in einem Windkessel befindet, benutzt. Man ist somit 
in der Lage, sowohl kalte Inhalationen wie auch warme zu verabfolgen und zwar solche von einem 
bestimmt vorgeschriebenen Wärmegrad, indem an den Apparaten für Warminhalation sinnreiche 
Vorrichtungen angebracht werden, welche eine genaue Regulierung der Temperatur ermöglichen. 

Die im freien Raum in Betracht kommenden Inhalationen sind: die nach Wasmuth eine 
feuchte und die im Lignosulfitsaal nach Hart mann eine trockene, gasförmige Inhalation. Während 
man nun diesen letzteren der Hauptsache nach nur eine chemische Wirkung vindizieren kann und, 
soweit Bronchialerkrankungen in Betracht kommen, eine gewisse mechanische, indem des Bestreben 
der Patienten, tiefe Inspirationen auszuführen, als eine die Heilung wesentlich unterstützende Lungen¬ 
gymnastik aufzufassen ist, hat man die Wirkung der Apparatinhalationen als eine dreifache zu be¬ 
trachten, nämlich alseine mechanische, chemische und thermische. Je nach der Wahl des Apparates 
tritt die eine oder andere genannte Wirkungsart in den Vordergrund. Zur Inhalationsbehandlung 
eignen sich in erster Linie von den Erkrankungen der oberen Luftwege die trockenen Katarrhe, 
speziell die Pharyngitis sicca und die Laryngitis sicca, ferner die chronisch hypertrophische Pharyn¬ 
gitis; von Kehlkopfaffektionen ausser der Laryngitis sicca die Laryngitis acuta, die chronischen 
Laryngitiden und schliesslich die chronischen Erkrankungen der Trachea und der Bronchien. Für 
die Lignosulfitbebandlung eignen sich besonders die mit stärkerer eitriger, eventuell fötider Sekretion 
einhergehenden Bronchialerkrankungen. Resümiert man diese Beobachtungen über die Verwend¬ 
barkeit der Inhalationsthcrapie, so ergiebt sich, dass dieselbe durch die Vervollkommnung der 
Apparate und Methoden sich einen berechtigten Platz in der Behandlung der Erkrankungen der 
Luftwege errungen hat. Bei Affektionen der oberen Luftwege, soweit sie der Hand des Spezialisten 
zugänglich sind, werden Inhalationen die Lokalbehandlung grösstentheils nicht zu ersetzen resp. 
entbehrlich zu machen vermögen; doch hat man sie hier als ein wesentliches Unterstützungsmittel 
zu schätzen. Gegen Erkrankungen der Trachea und der Bronchien ist die luhalationstherapie, be¬ 
sonders in geeigneter Kombination mit der Pneumotherapie, die wirksamste Behandlungsweise. 

Der äussere und innere Verlauf des ersten balneologiseben Kursus hat dessen volle Existenz¬ 
berechtigung erwiesen; hoffen wir, dass die Institution als solche erhalten und im Interesse der 
Förderung des Einzel Wissens wie der Bäderkunde im allgemeinen weiter und weiter ausgebaut 
werden möge. * Julian Marcuse (Mannheim). 


IV. 

20. Kongress für innere Medicin. 

Derselbe wird vom 15.—18. April zu Wiesbaden unter dem Vorsitze des Herrn Geh. Med.- 
Rath Professor Dr. Naunyn-Strassburg tagen. Die Sitzungen finden im w r eissen Saale des 
Kurhauses statt. Das Bureau befindet sich neben dem Eingänge des Kurhauses. Als schon 
länger vorbereitete Verhandlungsgegenstände, für weiche Autoritäten ersten Ranges die 
Referate übernommen haben und welche bedeutendes aktuelles Interesse auch für 
die Leser unserer Zeitschrift haben, stehen auf dem Programme: Diagnose und Therapie des 
Magengeschwüres (Referenten die Herren Ewald - Berlin und Fl ein er - Heidelberg) und: Die 
Lichttherapie (Referent Herr Bie - Kopenhagen). 


Berlin, Druck von \V. Büxeuütein. 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 












































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Mit 175 Abbildungen. — 15 Mark. 
Massage. 

A. Physiologiehes. I»r. Bum. B. Technik (Be¬ 
schreibung der Prozeduren mit und ohne Apparate, 
iirgaiimasaageetc.). Pr f. ZaMiido wakl. C.Beziehung | 
der Massage zu den anderen physikalischen Heilmethoden. 
Aerziliehe Erfahrung n. Geb.-Rath v. Beyher. I 

Gymnastik. | 

A. Physiologisches. Prof. Zu nt z. B. Turnen, Tum- 1 
spiele und Spor ?. L'r Zun tz. C. Schwedische Heilgym¬ 
nastik. Pr. Za der. 1>. Uebungstherapie. (bahnende, 
hemmende, compenea torische). Priv.-Poc. Jacob.: 
K. Bewegungsformen , Apparatgymnastik (mit Ausschluss I 
der Hchwediüilien Heilgymnastik). Pr. Funcke. | 


Priv.-Doc. in Berlin. 

Orthopädie (mit Ausnahme der chirurgischen). 

i Beschreibung der Apparate und der Technik (Extension 
und Suspension, Kornett behänd lung, App «rate liir <U*- 
|lilhmte, Piuckverbünde bei Lungenkianken. Ap¬ 
parate für Emphysematose, Apparate für Ischias, 

> Bandagen bei W anderniere, Venter p-mlufna etc.). 
I’riv.-Poc. Vulpius. 

Elektrotherapie. 

A. Physiologisches und Theoretisches. PriwPoc. 
Mann. B. Beschreibung der elektrischen Prozeduren 
(galvauische,faradische,d'Arsonval [ata?isc-he] Elektro¬ 
lyse. Kataphorese, elektrische Bäder, Galvano austik 
elc ) Piiv.-Doc. Mann. C. Beziehungen zu den anderen 
physikalischen Heilmethoden and ärztlichen Erfahrungen. 
Prof. Bernhard. 

Lichttherapie.' 

I A. Physiologisches (Einfluss des Lichts und der ver¬ 
schiedenen Lichtarten |Königen etc.]). Prof. Riede». 
B. Beschreibung und Technik der Lichtbäder, Bestrahlungen 
Sonnenbäder, des Röntgenverfahrens etc. Prof. Bieder. 
(*. Aerztliche Erfahrungen. Prof. Bieder. 

Specieller Theil. Band I. 

Mit 55 Abbildungen. — 12 Mark. 
Hautkrankheiten. 

Von Prof. Pr. P. Kopp. 

Erkrankungen der Muskeln. 

, A. Muskelrheumatismus. Pr. R. Friedlünder in 
! Wiesbaden. B. Muskelatrophie. Pri v.-Poc. Pr. L u d w i g 
j Mann in J^reslau. 

I Gelenkerkrankungen incl. Gicht. 

1 Pr. K. Friedlander in Wiesbaden. 

I A. Pie akuten Gelenkerkrankungen. , B. die chronischen 
' Gelenkerkrankungen. 0. Die gichtischen Erkrankungen. An¬ 
hang: Die Rückgratsverkrümmungen. Prol. Pr. Albert 
* lloffa iu W'Urzburg. 

I Infektionskrankheiten. 

A. Scharlach. Prof. Pr. Osw. Kolits in Strassburg 
i. E. B. Masern. Prof. Pr. Osw Kohts in Strnssburg 
i. R. C. Diphtherie. Prof. Pr. Osw. Kohts in Strass- 
* buig i. E. D. Typhus abdominalis. Prof. Pr. Rumpf 
1 in Bonn. E. Erysipel. Prof. Pr. Rumpf in Bonn. 
F. Cholera indica. Prof. Dr. Rum pf in llonu. U. Malaria. 
Prof. Pr. Rumpf in Bonn. H. Syphilis. Prof. Dr. 
R n m p f in Bonn. J. Sepsis. Prof. Pr. K u ra p 1 in Bonn. 

Stoffwechselkrankheiten. 

A . Morbus Basedowii. Prof. Pr. Hermann E i ch - 
borst ln Zürich. B. Diabetes mellitus. Oberarzt Pr. 
Weint raud in Wiesbaden. 0. Fettsucht. Oberarzt 
- Pr. Weintiaud in Wiesbaden. D. Anämie , Chlorose 
, und Skrophulose. Priv.-Doc. Pr. A. Lazarus in Berlin. 

\ '• Erkrankungen des Tractus respiratorius. 

I A. Erkrankungen der Nas'e, des Rachens und des Kefil- 
kopfes. Prof. Pr. Friedrich in Kiel. Anhang: 

| Stottern und Stammeln. Dr. Hermann Gutzmann 
i- 1 in Berlin. B. Erkrankungen der Lunge. 1. Pneumonie. Prof, 
t- Br, A. Fraenkel in Berlin. 1. Erkrankungen der Bron- 
*. chien , des Emphyems und des Asthma . Prof. Dr. F. 
i.l Egger in Baue1. 3. Pleuritis. Prof. Dr. A. Fraenkel 
< i in Berlin. 4. Chronische Lungentuberkulose. Geh. Rath 
Prof. Pr. Ren vors in Berlin. 


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UNIVERSETY OF MICHIGAN 







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